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GA 92
RUDOLF STEINERVORTRÄGEVORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
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Inhaltsverzeichnis
- I Griechische und Germanische Mythologie
- Erster Vortrag Berlin, 24. Juni 1904 Gut und Böse
- Zweiter Vortrag Berlin, 1. Juli 1904 Lesen in der Akasha-Chronik. Wolfram von Eschenbach
- Dritter Vortrag Berlin, 8. Juli 1904 Sakramentalismus. Dädalus und Ikarus
- Vierter Vortrag Berlin, 15. Juli 1904 Germanische Mythologie
- Fünfter Vortrag Berlin, 22. Juli 1904 Reinkarnation
- Sechster Vortrag Berlin, 30. September 1904 Die Mysterien der Druiden und Drotten
- Siebenter Vortrag Berlin, 7. Oktober 1904 Die Prometheus-Sage
- Achter Vortrag Berlin, 14. Oktober 1904 Die Argonauten-Sage und die Odyssee
- Neunter Vortrag Berlin, 21. Oktober 1904 Die Siegfried-Sage
- Zehnter Vortrag Berlin, 28. Oktober 1904 Der Trojanische Krieg
- II Richard Wagner im Lichte der Geisteswissenschaft
- Hinweise
- Personenregister
- Über die Vortragsnachschriften
- Literatur
I Griechische und Germanische Mythologie
Erster Vortrag Berlin, 24. Juni 1904 Gut und Böse
Ich möchte heute an die Dinge anknüpfen, die ich vor vierzehn Tagen besprochen habe. In der nächsten Zeit werden wir vielleicht auch Gelegenheit haben, über die Amsterdamer Erlebnisse zu sprechen. Heute möchte ich aber sprechen über einige konkrete Dinge, die in unseren physischen Plan hereinreichen was wir neulich schon begonnen haben.
Schon oft habe ich betont, daß die Ereignisse, die in unserer physischen Welt vor sich gehen, nichts anderes sind als eine Art Schattenreflexe dessen, was auf den höheren Planen vor sich geht. Für den Okkultisten ist es klar, daß er die Ereignisse in der physischen Welt nur dann verstehen kann, wenn er weiß, was auf den übersinnlichen Planen vor sich geht. Dem Okkultisten, der Einblick in die höheren Plane hat, erscheint es so, als ob die Menschen gezogen würden an Fäden, die von den höheren Planen ausgehen. Es könnte scheinen, als ob das eine Beeinträchtigung der menschlichen Freiheit wäre. Ich möchte aber heute zeigen, daß das nicht der Fall ist. Einige Beispiele mögen uns zeigen, wie die höheren Plane auf uns einwirken.
Da muß ich zunächst zurückgreifen auf etwas, was ich schon früher gesagt habe: daß es im Grunde genommen ein absolutes Gutes und ein absolutes Böses nicht gibt. Das Böse ist nur eine Art «versetztes» Gutes. Wenn etwas geschehen ist, sagen wir in der lunarischen Entwicklungsepoche, die unserer Epoche vorangegangen ist, und es hat sich davon etwas fortgepflanzt in unsere Entwicklung hinein, dann erscheint das in der jetzigen Zeit als deplaciert. Es war gut während der Mondepoche, aber es erscheint uns böse während der irdischen Epoche. Während der Mondepoche konnte jemand die Aufgabe haben, die Triebe in einer harmonischen Weise zu organisieren; diese Tätigkeit war aber
abgeschlossen, als die Mondepoche beendet war. Die Aufgabe der irdischen Epoche besteht nun darin, vom Manas aus die Triebe wiederum zu beherrschen. Würde heute jemand die Triebe so leben, wie der Pitri sie hat leben müssen, so würde er in unserer Epoche ein böser Mensch sein, während er in der lunarischen Epoche ein Weiser gewesen war.
Man macht sich gewöhnlich nicht Gedanken darüber, was solche Ereignisse zu bedeuten haben wie zum Beispiel das Auftreten Mohammeds, des Begründers der mohammedanischen Religion, im sechsten und zu Anfang des siebenten Jahrhunderts.
Man muß sich dazu vorstellen, daß zunächst das Christentum sich bemüht hat, in die verschiedenen anderen Religionsformen hineinzuwachsen. Zunächst sehen wir ja nur eine kleine Judengemeinde in Palästina; diese ist auch recht klein geblieben. Ein solches Prinzip, wie es die christliche Lehre birgt, lassen sich die Volksseelen nicht leicht aufdrängen. Der Apostel Paulus fand den Weg zu den Heiden, indem er zunächst die Gedanken der Heiden so gelassen hat, wie er sie vorfand, und die heidnischen Religionsformen dann benützte, um die christliche Essenz hineinzugießen. In den südlichen Gegenden Europas wurde der Mithrasdienst gepflegt; er war ähnlich dem heutigen Meßopfer. Die Heiden dort nahmen das Christentum an, weil man ihnen das ihnen liebgewordene Mithrasfest ließ. So ähnlich war es auch bei den Germanen mit dem Fest, das als Weihnachtsfest zum christlichen Symbol wurde. Ihre geheiligten Ahnen wurden als christliche Heilige aufgenommen. Dadurch ist das Christentum in immer neue Gebiete und Völkerschaften hineingewachsen. Es war die Anpassungsfähigkeit des Christentums, die das ermöglichte. Die christliche Religion dehnte sich immer mehr aus; wegen dieser Vielgestaltigkeit brauchte sie aber auch einen mächtigen Zentralpunkt: das ist das römische Papsttum. Alle Schäden, die später durch das Christentum hervorgebracht worden sind, sind mit dieser weltgeschichtlichen Mission des Papsttums verknüpft.
Die semitischen Völker mußten anders angefaßt werden. Das tat Mohammed. Er hat einen ersten großen Lehrsatz aufgestellt,
indem er sagte: Alle Götter außer dem Einen sind keine Götter. Nur derjenige, den ich euch lehre, ist der einzige Gott. Dieser Lehrsatz kann nur verstanden werden als Opposition zum Christentum. Von Anfang an hatte bei der Eroberung des physischen Planes das Christentum die Aufgabe, bis in die menschliche Persönlichkeit hinein zu wirken; es baut nicht auf alte Kräfte auf, sondern es will durch Manas wirken.
Wir sehen, daß im Mohammedanismus jetzt in bewußter Weise nicht mehr angeknüpft werden soll an die alten, noch spirituellen Religionsformen des Heidentums, sondern es soll nur noch durch die physische Wissenschaft der richtige Weg gefunden werden, um den physischen Plan zu erobern. Wir sehen, wie diese physische Wissenschaft die Heilkunst ergreift, die ausging von Arabien und die sich dann später ausgebreitet hat in andere Länder. Die arabischen Ärzte gingen lediglich vom physischen Plan aus, anders als die Heiler bei den alten Ägyptern, bei den Druiden und selbst bei den alten Germanen. Alle diese waren dadurch zu ihrem Heilberuf gekommen, daß sie durch Askese und andere Übungen ihre psychischen Kräfte ausgebildet hatten. Heute noch sehen wir Ähnliches in den Praktiken und Vorgängen des Schamanismus, nur sind dieselben heute degeneriert. Also psychische Kräfte wurden bei diesen frühen Heilern ausgebildet. Mohammed führte diejenige Heilkunst ein, welche ihre Heilmittel nur aus dem physischen Plan selbst nimmt. Diese Heilkunst wurde da ausgebildet, wo man von spirituellen Wesenheiten nichts wissen wollte, sondern nur von einem einzigen Gott. Alchimie und Astrologie im alten Sinne wurden abgeschafft und zu neuen Wissenschaften gemacht: Astronomie, Mathematik und so weiter. Diese sind später auch zu den Wissenschaften des Abendlandes geworden. In den Arabern, die nach Spanien kamen, sehen wir auf dem physischen Gebiete gebildete Männer, vor allem Mathematiker. Die wirklichen Anhänger dieser Richtung sagten: Ehrerbietig verehren wir das, was in Pflanze, Tier und so weiter lebt, aber der Mensch soll das nicht nachstümpern, was nur Gott allein zu schaffen berufen ist. Daher
finden wir in der maurischen Kunst auch nur Arabesken, Formen, die nicht einmal Pflanzenform haben, sondern die nur phantasiegestaltet sind.
Die griechische Macht ist von Rom abgelöst worden, aber die griechische Bildung ist auf die Römer übergegangen. Die Araber haben das, was sie haben, von Mohammed erhalten. Mohammed führte die Wissenschaft ein, die nur von den Gesetzen des physischen Planes durchzogen ist. Die christlichen Mönche bekamen Anregungen von den Mauren. Zwar wurden die Mauren durch politische Macht zurückgeschlagen, aber der Monotheismus, der eine Vertiefung der physischen Wissenschaft mit sich bringt, ist durch die Mauren nach Europa gekommen und hat zu einer Reinigung des Christentums von allem Heidnischen geführt.
Durch das Christentum wurde das Gefühlsleben der Menschen bis zum Kama-Manas hingeführt. Durch den Mohammedanismus wurde der Verstand, der Geist, heruntergeführt vom spirituellem Leben zum abstrakten Auffassen der rein physischen Gesetze. Durch verschiedene Stufen mußte diese physische Wissenschaft gehen, um die Stufe, die sie jetzt einnimmt, sich zu erarbeiten. Sie mußte durch die Wissenschaft der Vedenpriester und alle folgenden Stufen hindurchgehen bis zu den Errungenschaften unser heutigen Zeit. Schon bei den Atlantiern war manches davon erreicht, wenn auch durch psychische Kräfte. Seit der atlantischen Zeit hat sich dieses Hinlenken auf physische Gesetze vorbereitet.
Die Chinesen sind ein Rest der atlantischen Rasse der Mongolen. Wenn wir bei den Chinesen das Wort TAO hören, so ist das für uns etwas schwer Verständliches. Die damaligen Mongolen hatten einen Monotheismus ausgebildet, der bis zur psychischen Greifbarkeit, bis zum Fühlen des Geistigen ging, und wenn der alte Chinese, der alte Mongole, das Wort TAO aussprach, so fühlte er das beim Aussprechen. TAO ist nicht «der Weg», wie das gewöhnlich übersetzt wird, es ist die Grundkraft, durch die der Atlantier noch die Pflanzen verwandeln konnte, durch die der Mongole seine merkwürdigen Luftschiffe in Bewegung setzen konnte. Diese Grundkraft, die man auch «Vril» nennt, hat der Atlantier
überall genutzt, und er nannte sie seinen Gott. Er fühlte diese Kraft in sich, sie war ihm «der Weg und das Ziel». Daher hat jeder Mongole sich als ein Werkzeug in der Hand der großen Vril-Kraft betrachtet.
Dieser Monotheismus der Atlantier ist geblieben bei denjenigen Rassen, welche die große Flut überlebt haben. Von dieser Religionsform, die aber noch geistig war, ging die fünfte Wurzelrasse aus. Diese alten spirituellen Religionsformen der Anbetung eines einheitlichen Gottes arteten aber nach und nach zum Polytheismus aus. Der Monotheismus war nur noch bei den höchstentwickelten Priestern vorhanden. Am Anfange des Christentums verhielten sich die Mönche schlau: Baldur, so sagten sie, sei in Palästina Mensch geworden. In den frühen Jahrhunderten würde man ein mit Heidnischem bunt gemischtes Christentum gefunden haben, auch noch im arianischen Christentum. Diese Entwicklung erfolgte in der Zeit, als ein besonders lebhaftes Aufglimmen des religiösen Gefühls in den alten mongolischen Rassen durch hochentwickelte Schamanen veranlaßt wurde. Wir sehen als Reaktion auf den Polytheismus einerseits das Heraufkommen einer neuen Einheitsreligion in Arabien durch Mohammed. Auf der anderen sehen wir, etwas früher, sich erheben einen initiierten Schamanen in seinem TAO-Bewußtsein, der sich zum Rächer macht gegenüber denjenigen, die abgefallen sind von der alten monotheistischen Gottesidee. Attila wurde «Gottesgeißel» genannt. Wir sehen ringsum in seinem Reich die von ihm abgesetzten Fürsten in Pracht und Prunk leben, er aber, der Schamane, lebt in größter Einfachheit. Von ihm wird gesagt, daß seine Augen glühten und der Erdball erzitterte, wenn er sein Schwert erhob. Dieser große Initiierte hätte seine volle Berechtigung gehabt in der atlantischen Zeit; in unserer heutigen Zeit würde er sich ausnehmen wie ein Verbrecher. Dieselbe Kraft, die zu ihrer Zeit Ausdruck des göttlichen Feuers ist, erscheint in einer anderen Zeitperiode als göttlicher Zorn. Warum geschieht so etwas? Es ist nötig, um überhaupt eine Weiterentwicklung möglich zu machen. Wenn die Entwicklung weitergebracht werden soll, müssen sich vom höheren Plan aus gesehen die einzelnen Fäden wieder harmonisch ineinanderschließen.
Wir hatten auch von den Druidenpriestern gesprochen, die das Volk durch Märchen und Mythen belehrt hatten. Sie waren zugleich Heiler, Priester, Astrologen; sie hatten inspirierte Kenntnisse. Als das keltische Element abgelöst wurde von den germanischen Stämmen, trat auch der Glaube an die alte Form der Inspiration zurück. Dem Mann wurde die Eroberung des physischen Plans anvertraut; er wurde Krieger. Die intuitive und produktive Kraft tritt uns im Weiblichen entgegen. Die Frau wurde Priesterin, die zu gleicher Zeit Heilerin war, zum Beispiel die Weleda. Alle Heilkunst war damals in den Händen der Frau; der Mann wurde hinausgedrängt auf den äußeren, physischen Plan. Auch in der Zeit der Merowinger und Karolinger treffen wir dies noch an. Erst durch die von den Mönchen bei den Mauren erlernte Wissenschaft wurde dann das spirituelle Element immer mehr verdrängt. Und vom 16. bis zum 19. Jahrhundert nahm die materielle Denkweise immer mehr zu. Die psychischen Heiler weichen; sie kommen in Mißkredit und werden als Zauberer oder Hexen verachtet. Damit hängt zusammen der Verlust der Fähigkeit, überhaupt mit psychischen Mitteln heilend zu wirken; die Heilung auf diesem Wege ist nicht mehr so wirksam. Paracelsus besaß diese Fähigkeiten noch vollkommen.
Das hängt zusammen mit dem Übergang der Führung der Menschheit von einem Dhyan Chohan höherer Art zu einem anderen Dhyan Chohan. Den heilenden Dhyan Chohan nennt die christliche Esoterik «heiliger Michael», das ist der Erzengel, welcher den psychischen Idealismus des Menschen lenkt. Der Mensch wird erst dadurch frei, daß er sich bekannt macht damit, daß alles, was auf dem physischen Plane passiert, von höheren Kräften bewirkt ist. Er muß in ein Schülerverhältnis zu dem Erzengel Michael kommen.
Zwei Wesenheiten spielten im Alten Testament eine Rolle: Der führende Geist; er ist harmonisch. Disharmonisch ist Beelzebub, auch ein Dhyan Chohan er ist der Führer aller Disharmonie auf dem physischen Plan; ihn muß man verstehen, um zu wissen, warum eine Form zerstörend auf die andere wirken kann. Seit dem
16. Jahrhundert sind die Scharen des Beelzebub gegenüber den Scharen des Michael ins Übergewicht gekommen. Mammon ist der Gott der Hindernisse, welcher den Menschen zurückhält, seinen geraden Weg zu verfolgen. Es wäre deplaciert, wenn sich das fortsetzen würde in das nächste Jahrhundert.
Alle physischen Ereignisse sind Schatten übersinnlicher Ereignisse. Der Kampf zwischen den spirituellen Kräften und dem Materialismus ist ein Widerschein des Kampfes zwischen den Scharen des Beelzebub und des Mammon gegen Michael. Dieser Kampf mußte erst ausgefochten werden auf höheren Planen; er ist dort vor dreißig Jahren entschieden worden für Michael, und der jetzige Kampf hier auf dem physischen Plan ist davon ein Widerschein. Oben ist der Kampf entschieden, für den einzelnen Menschen aber ist der Kampf noch nicht ausgefochten. Wenn die Menschen von heute ihm nicht gewachsen sind, müssen wir alle untergehen und neue Menschen müßten kommen. Damit ist der Weg gezeigt, die Stelle, an der der einzelne Mensch heute einzutreten hat.
Zweiter Vortrag Berlin, 1. Juli 1904 Lesen in der Akasha-Chronik. Wolfram von Eschenbach
Nachdem ich am vorigen Freitag schon verschiedenes Esoterisches vorausgeschickt habe, wird Ihnen das, was ich heute zu sagen habe, nicht mehr so fremd erscheinen. Ich möchte nämlich ein Stück der Geschichte der letzten Jahrhunderte aus der Akasha-Chronik abhandeln. Sie wissen, daß alle Ereignisse, welche geschehen sind, in einer gewissen Weise aufgezeichnet sind in einer ewigen Chronik, in dem Akasha-Stoff, der ein viel feinerer Stoff ist als die Stoffe, welche wir kennen. Sie wissen, daß alle Ereignisse der Geschichte und Vorgeschichte in diesem Stoff aufgezeichnet sind. Das, was man gewöhnlich in der theosophischen Sprache die Akasha-Chronik nennt, sind aber nicht die ursprünglichen Aufzeichnungen, sondern es sind Abspiegelungen der eigentlichen Aufzeichnungen im astralen Raum. Um diese lesen zu können, sind gewisse Vorbedingungen notwendig, von denen ich Ihnen wenigstens eine angeben will.
Um in der Akasha-Chronik lesen zu können, ist es notwendig, daß man seine eigenen Gedanken den Kräften und Wesenheiten zur Verfügung stellt, die wir in der theosophischen Sprache die «Meister» nennen. Die Meister müssen uns die nötigen Anweisungen geben, um in der Akasha-Chronik lesen zu können, die geschrieben ist in Symbolen und Zeichen, nicht in Worten irgendeiner bestehenden Sprache oder einer, die früher bestanden hat. Solange man die Kraft noch anwendet, die der Mensch beim gewöhnlichen Denken anwendet und jeder Mensch, der nicht ausdrücklich gelernt hat, sein Ich bewußt auszuschalten, wendet diese Kraft an , solange kann man nicht in der Akasha-Chronik lesen. Wenn Sie sich fragen: Wer denkt? , so werden Sie sich sagen müssen: Ich denke. Sie verbinden Subjekt und Prädikat miteinander, wenn Sie
einen Satz bilden. Solange Sie selbst die einzelnen Begriffe miteinander verbinden, sind Sie nicht imstande, in der Akasha-Chronik zu lesen, weil Sie Ihre Gedanken mit dem eigenen Ich verbinden. Sie müssen aber Ihr Ich ausschalten; Sie müssen verzichten auf jeden Eigen-Sinn. Sie müssen lediglich die Vorstellungen hinstellen und die Verbindung der einzelnen Vorstellungen durch Kräfte außerhalb Ihrer selbst durch den Geist herstellen lassen. Es ist also der Verzicht notwendig nicht auf das Denken , wohl aber darauf, von sich aus die einzelnen Gedanken zu verbinden. Dann kann der Meister kommen und Sie lehren, durch den Geist von außen Ihre Gedanken zusammenfügen zu lassen zu dem, was der universelle Weltengeist über Ereignisse und Tatsachen, die in der Geschichte sich vollzogen haben, zu zeigen vermag. Wenn Sie nicht mehr urteilen über die Tatsachen, dann spricht zu Ihnen der universelle Weltengeist selbst, und Sie stellen ihm Ihr Gedankenmaterial zur Verfügung.
Nun muß ich über etwas sprechen, was vielleicht Vorurteile erwecken wird. Ich muß etwas sagen, was eine gute Vorbereitung ist, um zur Ausschaltung des eigen-sinnigen Ich zu kommen und dadurch in der Akasha-Chronik lesen zu lernen. Sie wissen, wie heute das verachtet wird, was die Mönche im Mittelalter gepflegt haben: sie haben das Opfer des Intellektes gebracht. Der Mönch hat nicht so gedacht wie der heutige Forscher. Der Mönch hatte eine bestimmte heilige Wissenschaft, die geoffenbarte heilige Theologie, deren Inhalt gegeben war, über den man nicht zu entscheiden hatte. Der Theologe des Mittelalters hat seinen Verstand dazu gebraucht, die gegebenen Offenbarungen zu erklären und zu verteidigen. Das war wie man sich auch heute dazu stellen mag eine strenge Schulung: die Hinopferung des Intellektes an einen gegebenen Inhalt. Ob das nun nach modernen Begriffen etwas Vorzügliches oder etwas Verwerfliches ist, davon wollen wir absehen. Dieses Opfer des Intellektes, das der Mönch brachte, die Ausschaltung des von dem persönlichen Ich ausgehenden Urteils, das führte ihn dazu zu lernen, wie man den Gedanken in den Dienst eines Höheren stellt. Bei der späteren Wiederverkörperung kommt dann
das, was damals durch dieses Opfer hervorgebracht wurde, zur Auswirkung und befähigt den Betreffenden zu selbstlosem Denken und macht ihn zu einem Genie des Anschauens. Kommt das höhere Schauen, die Intuition dazu, dann kann er diese Fähigkeiten darauf anwenden, die Tatsachen in der Akasha-Chronik zu lesen.
Es ist ganz besonders interessant, jenen Zeitraum in der geistigen Entwicklung Europas, den wir vor acht Tagen betrachtet haben, noch einmal von diesem Gesichtspunkt aus darzustellen, ich meine die Zeit vom 9. bis zum 13., 14., 15. Jahrhundert. Wenn man diese Selbstlosigkeit in bezug auf den Gedankeninhalt erreicht hat und damit vereinigt den richtigen Sinn für Verehrung, für Devotion, wie ihn auch der Mystiker haben mußte, dann nimmt sich die Zeit, wo große Geister in der Weltgeschichte auftreten, oft ganz anders aus als in der profanen Geschichtsschreibung. Wenn man diesen Zeitraum in der Akasha-Chronik betrachtet, dann haftet unser Blick an einer großen Gestalt, die uns über jene Zeit ungeheuer viel lehren kann, eine Gestalt, die sich dem Beobachter als groß und die sich dem Okkultisten noch gewaltiger darstellt als dem gewöhnlichen Forscher: Wolfram von Eschenbach.
Wolfram von Eschenbach hat deutsche, romanische und spanische Sagen bearbeitet. Er gehört zu den großen initiierten Dichtern, die selbstlos genug waren, große gegebene Stoffe zu bearbeiten, und die nicht geglaubt haben, selbst Stoffe erfinden zu müssen. Die großen Dichter wie Homer, Sophokles, Euripides, Aeschylos haben niemals nach Stoffen suchen müssen. Zu diesen großen Dichtern gehört auch Wolfram von Eschenbach. Er stellt uns in seinen Werken die innere Geistesgeschichte der Zeit vom 9. bis zum 15. Jahrhundert dar, die sich äußerlich als die Vorbereitungszeit unserer neuen Zeit darstellt, in welcher, wie wir gesehen haben, vorzugsweise alles das studiert wird, was zur äußeren Sinneswelt gehört. Das beginnt mit Kopernikus. Die Menschen fingen an, den physischen Plan ernstzunehmen, nicht wie die früheren als Symbol für die höheren Plane. Die Weltanschauung der Alten war nicht eine falsche, sondern ein solche Weltanschauung, die von einem anderen Gesichtspunkt ausging: sie betrachtete die Erscheinungen
der äußeren Welt als Symbole für devachanische Zustände. Kopernikus sagte, wir wollen die physische Welt nicht mehr als Symbol betrachten, sondern wir wollen die physische Welt selbst betrachten. Selbstverständlich wurde dadurch das gesamte Weltbild der Menschen ein anderes. Es wurde in dieser Zeit vorbereitet die Hinlenkung auf das Praktisch-Physisch-Materielle. Die früheren Kulturen, bei denen unser physisches Leben abhängig war von Traditionen und Autoritäten, gingen über in eine solche, wo es auf persönliche Tüchtigkeit ankommt. Der Sohn eines Bauern hatte früher Geltung, weil er der Sohn eines Bauern war, der Sohn eines Ritters erbte die Rechte seiner Väter. Das änderte sich in dieser Zeit. Es ist dies die Zeit der Städtegründungen. Überall strömte das Volk vom Lande zusammen und gründete Städte; das Bürgertum kam hoch, praktische Erfindungen tauchten auf: die Taschenuhr, die Buchdruckerkunst wurden erfunden. Das ist aber nur der äußere Aspekt der Sache. Es wurden die Seelen hingelenkt auf das Praktische der Wissenschaften, wie sich das zeigt an Kopernikus, was dann in der Aufklärungszeit und politisch in der Französischen Revolution weiter ausgebildet wurde. Der Handelsstand pflegte die praktischen Interessen, persönliche Tüchtigkeit war notwendig. Es war nicht mehr so wichtig, ob man von diesem oder jenem Mann abstammte. Für denjenigen, der in der Akasha-Chronik die Dinge verfolgt, stellt sich die Sache so dar, daß das, was auf dem physischen Plane geschieht, gelenkt wird von den höheren Planen aus. Die führenden Geister sind beeinflußt von Initiierten, die auf den höheren Planen arbeiten. Geniale Persönlichkeiten führen hinauf zu Wesenheiten, die hinter den Kulissen arbeiten, bis hinauf zu der Weißen Loge. Der physische Aspekt ist nur die Außenseite. Die Innenist die Arbeit der höchsten Initiierten der weißen Loge und ihrer Sendboten, die hinausgehen in die Welt.
Diese okkulte Hierarchie möchte ich kurz charakterisieren. Wir haben da solche Wesenheiten, die sich nie sehen lassen: die Meister. Für die Menschen auf dem physischen Plan sind sie zunächst nicht wahrnehmbar. Unter diesen stehen Chelas, Geheimschüler, die es übernehmen, die großen Aufträge der Meister hinauszutragen
auf den physischen Plan. Die ersten, die da unterrichten, nennt man «Hamsas», das heißt «Schwäne». Diejenigen Chelas, die man «heimatlose Menschen» nennt, werden so genannt, weil sie ihre Heimat nicht in dieser Welt haben, sondern auf höheren Planen wurzeln. Sie geben den Menschen den Unterricht, den sie selbst von den Hamsas genossen haben. Sie sind die Sendboten für die genialen Männer der Weltgeschichte. So ist zum Beispiel auch nachweisbar, daß die Führer der Französischen Revolution in Zusammenhang standen mit dieser geistigen der Weltgeschichte.
Die große Weiße Loge mußte ihre Sendboten ausschicken, die Menschen vorzubereiten und zu unterrichten, damit sie auf dem physischen Plane die Organe werden konnten, die den Willen der Meister ausführen. So war es auch mit Wolfram von Eschenbach. Man wußte im Mittelalter, daß es eine Weiße Loge gab, man nannte sie damals die «Gralsburg». Darin war die weiße Bruderschaft. Derjenige, welcher dazumal hinaus gesandt worden ist, um die Städtegründung auf die physische Welt hinauszutragen, hieß Lohengrin; er war unmittelbar unterrichtet von einem Hamsa, und er unterrichtete Heinrich I., der als der Städtegründer bezeichnet wird. Das bedeutet, daß die Zeitseelen einen neuen Einschlag bekommen sollten von den «heimatlosen Menschen».
Die Seele wird in der okkulten Sprache immer durch eine weibliche Persönlichkeit symbolisiert. Elsa von Brabant repräsentiert die Zeitseele. Sie soll mit einem Ritter vermählt werden, der der alten Tradition angehört, mit Telramund. Es kommt aber ein Gesandter des Gral und freit die Zeitseele Elsa von Brabant. Durch Wolfram von Eschenbach ist diese Zeit so charakterisiert, daß Heinrich nach Rom geführt wird, wo das innere, das esoterische Christentum die Weltfeinde des Christentums, die Sarazenen, bekämpft. Lohengrin ist ein «heimatloser Mensch», den man nicht fragen darf, woher er kommt. Wenn man ihn fragt, ist das gegen seine Ordenspflicht. Er ist mit einer Art von Januskopf behaftet; einerseits muß er nach der okkulten Bruderschaft hinblicken und andererseits nach den Menschen, die er in der physischen Welt führen muß. Richard Wagner hat oft ergreifende Worte gefunden,
so zum Beispiel, wenn er Lohengrin singen läßt: Nun sei bedankt, mein lieber Schwan. Das ist der Moment, wo ihn der Schwan verläßt und er von den physischen Verhältnissen abhängig wird. Er wird in eine Welt versetzt, die ihm nicht ganz angemessen ist; es ist nicht seine wahre Welt. Seine Welt ist die Welt der anderen Seite, so daß er angesehen werden muß als ein Heimatloser. Wenn seine Mission erfüllt ist, dann verschwindet der Heimatlose wieder dahin, woher er gekommen ist. Wenn seine Herkunft entdeckt ist, dann muß er wieder verschwinden. Das fällt dem mit dem physischen Plan in Beziehung Getretenen schwer. Deshalb muß Elsa von Brabant dreimal fragen, woher er stammt.
So sehen wir, daß durch den Initiierten Wolfram von Eschenbach diese Zeit charakterisiert ist in ihrem Zusammenhang mit den höheren Planen. Lohengrin ist der Gesandte, der Bote der Gralsritter. Die Gralsritter sind die Weiße Loge auf dem Montsalvatsch. Es war die Aufgabe der Sendboten des Grals, der Gralsritter, die alten Traditionen des echten, wahren Christentums immer wieder zu erneuern. Das hatte man auch da im Sinne, wo man über die Gralsburg und über den heiligen Gral selbst sprach. Man stellte sich die Gralsritter vor als die Hüter desjenigen, was durch das richtige Christentum in die Welt gekommen war. Angedeutet ist das auch im Johannes-Evangelium: Das Wort ist Fleisch geworden. Was durch den Christus verklärt worden ist, das ist das physische Dasein selbst; er ist eingezogen in die physische Welt. Die anderen großen Persönlichkeiten sind Lehrer der Menschheit gewesen: Buddha, Zarathustra, Pythagoras, Moses sie alle waren Lehrer. Sie sind der «Weg und die Wahrheit»; das «Leben» im okkulten Sinne ist erst Christus; daher heißt es: Niemand kommt zum Vater, denn durch mich. Das Leben konnte erst seine Heiligung finden, wenn das Wort unmittelbar in den Menschenleib einzog. Dieses Herunterführen des Göttlichen auf den physischen Plan sollte immer wieder erneuert werden durch die Weiße Loge. Daher ist die Gralsschale dargestellt als dieselbe Schale, aus der Jesus das Abendmahl gereicht hat und in welcher Joseph von Arimathia das Blut auf Golgatha aufgefangen hat. So soll das Prinzip
des Christentums bewahrt werden und fortleben, und neue Kraft soll ihm erteilt werden dadurch, daß in Fortsetzung der Apostel zwölf Gralsritter als Sendboten ausgeschickt werden, um neue Aufgaben zu übernehmen.
Das war die Anschauung des ganzen Mittelalters, daß wenn eine wichtige Zivilisationsstufe erreicht werden soll, ein Chela, ein «Schwan» die Menschen unterrichten sollte. In einer solchen Weise hat Wolfram von Eschenbach die Geschichte angesehen und dargestellt. Wer in Richard Wagners Lohengrin zwischen den Zeilen zu lesen versteht, der wird finden, daß Wagner, wenn auch nicht verstandesmäßig, so doch gefühlsmäßig, intuitiv gefühlt hat, daß da etwas Großes vorlag. Daher glaubte er an eine Wiedererneuerung der Kunst durch Anknüpfung an Übermenschliches. Im Mittelalter wurde das so dargestellt, daß, als Elsa von Brabant Lohengrin in diese Welt bannen wollte, er sich zurückzog, und zwar, wie Wolfram von Eschenbach sagt, nach Indien. Zuletzt wird auch die Gralsburg als in Indien liegend vorgestellt. Auch von den Rosenkreuzern heißt es, daß sie, als sie sich am Ende des 18. Jahrhunderts zurückzogen, nach Asien gegangen seien, nach dem Orient. Das ist die Geschichte der Städtegründung des Mittelalters, nach den Eintragungen in der Akasha-Chronik. Einzelheiten könnten vielleicht von anderen etwas anders dargestellt werden, im großen und ganzen werden sie aber immer damit übereinstimmen.
Dritter Vortrag Berlin, 8. Juli 1904 Sakramentalismus. Dädalus und Ikarus
Ist das Wissen von dem, was die Theosophie lehrt, überhaupt etwas, was für weitere Kreise von einer besonderen Wichtigkeit und Bedeutung ist, oder ist Theosophie etwas, was nur für einige, besonders sich dafür Interessierende bestimmt sein kann? Diese Frage führt auf ein Thema, das sehr selten besprochen wird, das aber einmal besprochen werden muß: das ist der sogenannte Sakramentalismus und die besondere Aufgabe unserer gegenwärtigen Wurzelrasse. Die Frage ist: Was ist Sakramentalismus, und wie verhält sich unsere rein menschliche Aufgabe dazu? Man könnte fragen: Was hat es für eine Bedeutung für irgendeinen Handwerksmann, der den ganzen Tag in einer Tischlerwerkstätte arbeitet, wenn er weiß, daß Lohengrin einstmals als ein Abgesandter des heiligen Gral die wichtigsten Kulturbewegungen des Mittelalters inspiriert hat? Was hat überhaupt all das Reden von diesen hohen geistigen, idealen Zielen für eine Bedeutung für die breite Masse? Die ganze Frage beantwortet sich dann, wenn man das Wesen des Sakramentalismus versteht.
Ich möchte heute, anknüpfend an die Anschauungen der Griechen, über die Entstehung unserer gegenwärtigen, nachatlantischen Wurzelrasse im Verhältnis zu der vorhergehenden, der atlantischen Wurzelrasse, sprechen und daran einiges andere anknüpfen über die Bedeutung des Sakramentalismus. Sie alle kennen die Sage von Dädalus und Ikarus und auch die Sage von Theseus. Ich möchte kurz den ungeheuer tiefen Sinn berühren, der in der Dädalus-Ikarus-Sage steckt. Man erzählt, daß einst ein Mensch gelebt hat mit Namen Dädalus, der imstande war, Kunstwerke zu schaffen, die lebten, Statuen, die sehen und hören konnten, Maschinen, die sich selbst bewegten. Das alles verstand Dädalus. Er war angesehen
im ganzen Lande, aber er war auch außerordentlich ehrgeizig. Er hatte einen Schwestersohn, Talos, den er unterrichtete und der ihn bald übertraf in gewisser Beziehung. Es wird uns geschildert, daß Talos imstande war, Töpferscheiben zu benützen, und daß er auch gewisse Künste beherrschte, die dem Dädalus fremd waren. Talos studierte zum Beispiel die Kinnbacken einer Schlange und hatte die Idee, aus den Zähnen der Schlange eine Säge zu formen. So wurde er der Erfinder der Säge. Wenn wir das einander gegenüberstellen, was uns als Charakter bei Dädalus und was uns als Charakter bei Talos entgegentritt, so werden wir sehen, daß es sich bei Dädalus um Dinge handelt, die unserer fünften Wurzelrasse schon fremd geworden sind. Dagegen erfindet Talos solche Dinge, die zu den technischen Fertigkeiten der fünften Wurzelrasse gehören. Wenn wir einen Vergleich ziehen zu der vierten Wurzelrasse, den Atlantiern, so sehen wir, wie die Atlantier imstande waren, die Vril-Kraft anzuwenden, so wie wir den Dampf zum Antrieb von Lokomotiven, Maschinen und so weiter benutzen. Diese Kunst ist in der nachatlantischen Zeit verlorengegangen. Dagegen hat unsere Zeit die moderne Fähigkeit, unorganische Objekte zu Maschinen zusammenzufügen. Diesen Übergang will uns die Sage zeigen. Dädalus bringt es dann dazu, daß er sich eine Art von Flügel machen kann, womit er sich über die Erde zu erheben vermag. Sein Sohn Ikarus will das auch machen, aber es gelingt ihm nicht, er geht dabei zugrunde. Diese Gegenüberstellung soll aus dem griechischen Geist heraus zeigen, daß die verschiedenen Epochen unserer Erdentwicklung verschiedene Aufgaben haben. Wollte eine Epoche der Erdentwicklung eine Aufgabe übernehmen, die nur für eine andere taugt, so würde sie dabei zugrundegehen. Alles an seinem Ort, alles zu seiner Zeit.
Nun hat die griechische Sage mit der Dädalus-Sage noch etwas anderes verknüpft. Dädalus geht, nachdem er Talos getötet hat, nach Kreta zu Minos. Dort ist ein Ungeheuer, der Minotaurus. Der Minotaurus steht im Gegensatz zur Sphinx. Der Minotaurus hat einen Stierkopf mit menschlichem Körper, die Sphinx hat einen Menschenkopf mit tierischem Körper. Der Minotaurus soll
gehemmt werden in seinen verheerenden Wirkungen. Dädalus soll ihn bannen; das kann er, indem er ihm ein Labyrinth baut. Der Minotaurus muß mit Menschen ernährt werden. Alle neun Jahre müssen ihm sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen geopfert werden. Mit der Minotaurus-Sage steht die Theseus-Sage in Verbindung. Theseus war der Sohn des Ägeus. Dieser hatte bestimmt, daß Theseus das Schwert und die Sandalen unter einem großen Felsstück hervorholen sollte, die der Vater dort verborgen hatte. Nachdem Theseus in Athen verschiedenes vollbracht hatte, geht er nach Kreta, um den Minotaurus zu überwinden und die Stadt Athen von der Lieferung der sieben Jünglinge und der sieben Jungfrauen zu befreien. In Kreta wurde von Seiten der Griechen immer etwas ganz besonderes gesucht. In Kreta soll auch Lykurg gelernt und seine Verfassung für eine Art kommunistisches Gemeinwesen erhalten und nach Sparta gebracht haben, denn in Kreta soll es eine Verfassung gegeben haben, die in allen alten Priesterstaaten heimisch war; es waren Überreste des alten atlantischen Priester-Kommunismus, der auf jeden persönlichen Besitz verzichtet. Mit jeder ursprünglichen Religionsgründung hängt eine Art Kommunismus zusammen. Nach Kreta sieht sogar noch Plato als dem Sitz einer mustergültigen Verfassung. Diese Priesterverfassung ist ein Überbleibsel der alten atlantischen Gestaltung. Dädalus konnte das, was in Kreta schädlich war, bannen, weil er mit dem atlantischen Leben bekannt war. In dem Minotaurus haben wir den Repräsentanten der schwarzen Magie in Kreta zu sehen. Das soll jetzt aufhören. Jetzt wollen die Athener nicht mehr die sieben Jünglinge und die sieben Jungfrauen nach Kreta schicken. Das Schiff des Theseus fuhr hinaus mit schwarzen Segeln. Er wollte nach Überwindung des Minotaurus ein weißes Segel hissen statt des früheren schwarzen. Die schwarze Magie sollte weiß werden. Mit Hilfe des Fadens der Ariadne gelingt Theseus das Unternehmen, und er kehrt nach Athen zurück, [aber er vergaß, die weißen Segel zu setzen]. Die Griechen waren aber noch nicht so weit, daß sie des weißen Pfades vollkommen würdig waren. Liebe soll regieren im Ariadnefaden. Es wird aber in jener Zeit schon auf das Christentum so hingedeutet,
daß das Liebesprinzip Ariadne durch Bacchus geraubt wird, der noch nicht dieses Prinzip ausgebildet hat, welches durch das Christentum verbreitet werden soll. Theseus galt wie Herkules als ein Held, als ein Sonnenläufer, als ein im sechsten Grade Initiierter.
Ein solcher Sagenkomplex wurde in Griechenland Volksgut. Das Volk als solches kannte diese Sagen. Warum suchten die Priester in die Sagen die Weltengeheimnisse hineinzulegen? Jeder Priester hätte es als etwas Unheiliges, ja als eine unmögliche Profanation empfunden, irgend etwas in die Dichtung einfließen zu lassen, was nicht einen tiefen Sinn hatte. Dabei war der Priester sich klar darüber, daß der tiefe Sinn dem Volke nicht ohne weiteres aufgehen konnte. Dem Volke erzählte man die Fabel, das Märchen, den Mythos; in ihnen lag der tiefe Sinn. Das ist das Grundkennzeichen der ganzen Dichtung der Alten. Je weiter wir zurückgehen, desto tiefer wird der Sinn. Eine Dichtung, die nicht einen tiefen Sinn hätte, gibt es in jenen Zeiten nicht. Erst spätere Zeiten kamen ab von dieser Priesteranschauung und brachten Werke hervor, die nichts mehr von diesen spirituellen Geheimnissen hatten. Selbst auf dem Markte sollten nur Dinge vorgetragen werden, die herausgeflossen sind aus dem spirituellen Leben. Wenn wir uns das vor Augen halten, so können wir sagen, eine andere Führung als die der Priester gab es damals noch nicht. Erst später wird der Priesterkönig durch den weltlichen König abgelöst. Damit folgt der Übergang der alten priesterlichen Königsstaaten in weltliche Königsstaaten Archont heißt Verwalterkönig.
Ein Beispiel für diese Anschauung ist die Sage von der Gründung des römischen Staates. Man dachte im Altertum über Geschichte nicht so, daß man äußere Ereignisse erzählte. Erst seit Herodot wird Geschichte als Chronik erzählt. Vorher gab es das nicht. Alles wurde in symbolischer Darstellung gegeben. Was Augen sehen und Ohren hören, sollte damals noch etwas Höheres bedeuten, es sollte der Ausdruck des Spirituellen sein. Wenn der Priester klarzumachen versuchte, woher das Volk der Römer seinen Ursprung hat, dann erzählte er das folgende: Immer, wenn
etwas derartiges sich verwirklicht, treten die sieben heiligen Prinzipien in der Welt in Wirkung. Alles geschieht in der Aufeinanderfolge der sieben Prinzipien. Zuerst steigt aus dem Himmel der göttliche Gründer. Dann entnimmt der Priester das, was lebendig ist an der Sache; das lebt dann als Kama. Dann wird in dem Kama das Manas, der Verstand, geboren. Der Leib, der selbst ein Heiliges ist, lebt im Himmel. Unheilig ist er nur, wenn er mißbraucht wird. Das sind die vier unteren Prinzipien. Dann müssen die drei oberen hineinkommen. Etwas, was vollkommener, vollständiger ist, muß hineinsteigen.
So ging es auch bei der Gründung der Stadt Rom. Zuerst kam Romulus; er kam aus himmlischen Sphären, er war der Gründer. Rom war eine Gründungsstadt des alten Troja. König Numitor von Alba Longa war der Nachkomme des mit trojanischen Flüchtlingen in Latium gelandeten Aeneas. Wir brauchen nur die Worte zu verstehen: «alba longa» ist das weiße, lange Kleid der katholischen Priester. Amulius heißt: der Unbeweibte, der Priester. Eine Priesterstadt als Tochterstadt von Troja war also Rom. Numitor ist der Willensmensch. Der wird zunächst verbannt in den Wald, wird aber der Stammvater der Gründer der Stadt Rom. Romulus ist der Gründer der römischen Kultur, der erste König. Er wird auch versetzt unter die Götter unter dem Namen Quirinus. Der zweite König ist Numa Pompilius. Der dritte König ist Tullus Hostilius; er ist der Repräsentant von Kama; da herrscht der Krieg; es entwickelt sich dasjenige, was man in der Theosophie als Kama-Rupa zu bezeichnen hat. Der vierte König ist Ancus Martius; er ist der Repräsentant von Kama-Manas. Technische Dinge werden da gemacht. Als das vierte Prinzip reif war, wurde die etruskische Kultur herbeigerufen. Tarquinius Priscus, der fünfte König, bringt Manas hinein. Die großen Bauten und Wasserleitungen legte er an. Das, was man Manas nennt, das ist vertreten in Tarquinius Priscus. Das sechste Prinzip ist Budhi. Es bewirkt die Segnungen des menschlichen Zusammenlebens durch Liebe und Gerechtigkeit. Servius Tullius ist der sechste König der Römer. Er war derjenige, der Ordnung schaffte, der Gesetze gab, die denen der
Etrusker entsprachen. Der siebente König ist Tarquinius Superbus, der Erhabene, der aber heruntergestürzt ist.
So sah der Priester die Entstehung der Stadt Rom an. Das war nicht etwa eine Interpretation, sondern es war eine Wirklichkeit. Die Städte waren so geleitet, daß die sieben Prinzipien die Richtlinien des Herrschens waren. Wenn etwas auf der Erde gedeihen soll, dann muß es in der Ordnung der sieben Prinzipien geschaffen werden. Niemals hätte ein Priester etwas getan, was erst sein Nachfolger hätte tun sollen. Das war alles aufgezeichnet in den Büchern der Tempel, die man die Sibyllinischen Bücher nannte. Das war gleichsam der Plan der Geschichte. Die Priester hatten sich zu richten nach den Sibyllinischen Büchern.
Hier haben wir es zu tun mit einer Verwirklichung spiritueller Kräfte, die lebten in dieser Priesterkultur. Wir sehen, daß die Welt gelenkt und geleitet wurde durch Spiritualität. Erst später verlor man das Verständnis für die spirituelle Regentschaft. Es wird uns erzählt von dem etruskischen Hauptgott Tages, der aus der Erde heraufgestiegen sei beim Umackern des Feldes mit dem Pfluge. Technische Bauten und Kunstgewerbe waren das Merkmal der etruskischen Kultur. Jeder Stein der etruskischen Baukunst zeigt, daß da etwas Besonderes ist. Es wurde erstrebt, mit dem wenigsten Material die größten Lasten tragen zu können. Es ist das Prinzip, das der etruskischen Baukunst, den Gewölbe- und Bogen-Bauten zugrundeliegt. Heruntergestiegen ist diese spirituell geleitete Kultur auf den physischen Plan. Persönliche Tüchtigkeit gewinnt nun den Vorrang. Jegliches Bewußtsein hört auf, daß ein Zusammenhang besteht zwischen der niedersten Verrichtung und dem Spirituellen. Für den Okkultisten ist es klar, ob ein Mensch, der an einer bestimmten Stelle steht, etwas gehört hat von den göttlichen Intentionen und Absichten und ob er etwas aufgenommen hat von dem, was ausgeflossen ist aus dem Spirituellen, denn ein solcher Mensch tut auch das Alltäglichste in einer ganz anderen Weise als ein anderer, bei dem das nicht der Fall ist. Die Weihe, die sich von den höheren Sphären auf das irdische Leben ergießt, gießt sich nicht so aus bei denen, die nur an dem physischen Plane haften. Es ist das
Wesen des Sakramentalismus, daß der Mensch das Alltägliche mit spiritueller Weihe erfüllt. Die alten Sagen hatten den Sinn, die Seelen der Menschen in die richtigen Schwingungen zu versetzen, so daß sie mit spiritueller Kraft erfüllt waren. Die einfachste Handlung eines naiven Gemütes kann dadurch geheiligt werden. Das ist etwas, was wirksam ist und immer wieder wirksam sein wird. Wer das weiß, der weiß auch, daß bei unserer Kultur eine Umkehr notwendig ist. Man mag sich noch so sehr bemühen, diesen physischen Plan in Harmonie, in Ordnung zu bringen, es wird fehlschlagen, solange man nur auf dem physischen Plane arbeitet; wird auf der einen Harmonie geschaffen, so wird auf der anderen Disharmonie entstehen. Lassen Sie aber das Spirituelle wirken, so werden Sie sehen, daß das Alltägliche in einer ganz anderen Weise angefaßt wird. Das ist Sakramentalismus.
Dieser Gedanke liegt auch dem christlichen Sakramentalismus zugrunde: die Heilung vom spirituellen Plane aus. Ein Sakrament ist eine physische Handlung, die so verrichtet wird, daß in ihr sich symbolisch ein geistiger Vorgang ausdrückt. Es ist eine Symbolik, die ihre Rechtfertigung auf höheren Planen hat. Nichts ist im Sakrament willkürlich. Alles ist bis ins Kleinste hinein ein Abbild eines höheren okkulten Vorganges. Derjenige, der ein Sakrament verstehen will, bei dem das Zeremoniell ein Abbild ist eines geistigen Vorganges, der muß sich bekanntmachen mit dem, was da zugrundeliegt. Es ist ein okkulter Vorgang, der den äußeren Augen entzogen ist. Bei jedem Sakramentalismus vollzieht sich nicht nur etwas Verstandesmäßiges, sondern es vollzieht sich etwas, was eine reale, okkulte Bedeutung hat. Nehmen wir zum Beispiel die okkulte Bedeutung des Feuers. Feuer hat es in den frühesten Entwicklungsepochen nicht gegeben. Es konnte erst entstehen, als die Erde so weit verdichtet war, daß sich aus der irdischen Materie heraus dieses Feuer schlagen ließ. Daher wird uns die Erfindung des Feuers als ein Vorgang unserer fünften Wurzelrasse geschildert.
Prometheus hat das Feuer vom Himmel zur Erde gebracht. Das Hervorbringen des Feuers hat unserer Kultur ihren Charakter gegeben. Machen Sie sich klar, wie es wäre, wenn wir kein
Feuer hätten. In den ersten Zeitepochen hatte man noch kein Feuer gehabt. Unsere Entwicklung verdankt dem Feuer alles Verstandesmäßige, alles Technische. Das Feuer ist dasjenige, was herunterführt auf den physischen Plan. Die materielle Kultur verdanken wir dem Feuer. Die Priester mußten daher etwas Besonderes im Feuer sehen. Daher haben in der zweiten nachatlantischen Kulturepoche die persischen Magier im Feuer vor allem dasjenige gesehen, was im Sakrament wirken muß. Was hat der persische Priester auf seinem Altar zeremoniell verwirklicht? Der Okkultismus weiß, daß es sieben Zoroaster gegeben hat. Der Zoroaster der Geschichte ist der siebente. Der persische Magier hatte eine besondere Art, das Feuer hervorzubringen. Dieser Vorgang war das Abbild der großen kosmischen Entstehung des Feuers. Da stand der persische Magier mit seinem Thyrsus und machte seine Zeremonien, die jeder Okkultist wohl kennt, aber auch nur der Okkultist. Dieser Vorgang war ein Abbild der großen kosmischen Entstehung des Feuers. Als man nicht mehr verstand in den Priesterschulen, mit dem Thyrsus das Feuer zu erzeugen, wurde wenigstens ein Naturfeuer gesucht. Zunächst haben sie da das Feuer durch den Blitz geschaffen, und dann haben sie es durch das sogenannte ewige Feuer fortgepflanzt, das immer nur aneinander entzündet werden durfte. Das Feuer, das durch die Natur gewonnen wird, soll wirksamer sein als das künstlich erzeugte. Als im Jahre 1826 in England und im Jahre 1828 in Hannover eine Tierseuche aufgetreten war, haben die Menschen Holz genommen und damit Feuer gerieben, weil sie glaubten, daß die damit gekochten Kräuter wirksamer seien.
Der Mensch muß wiederum spirituelles Leben schaffen bis in jeden Handgriff und jeden Schritt hinein; und das wieder einzuführen, ist die Aufgabe und das Bestreben der spirituellen Bewegung. Der Sakramentalismus der früheren Zeit muß wiederkommen. Man muß wissen, daß es ein anderes ist, aus dem Geiste heraus zu handeln, als aus dem Materiellen heraus zu handeln. Spirituelles Leben wieder ausströmen zu lassen, das ist unser Ziel.
Vierter Vortrag Berlin, 15. Juli 1904 Germanische Mythologie
Sie wissen, daß, wenn wir zurückgehen in der Entwicklung unseres Geschlechtes, wir zu der atlantischen Wurzelrasse kommen, deren Reich der Boden des [heutigen] Atlantischen Ozeans ist. Und wenn wir noch weiter zurückgehen, dann kommen wir zur lemurischen Wurzelrasse; das ist eine Rasse, die Sie sich noch ganz anders in ihrer Organisation denken müssen als unsere heutige Wurzelrasse und selbst anders als die atlantische. Die Menschen wohnten auf einem Kontinente, der sich südlich von Vorder- und Hinterindien ausdehnte und der heute auch Meeresboden geworden ist. Einige Nachkommen dieser Bevölkerung sind noch in Australien vorhanden. Wo haben wir aber die zweite Menschenrasse zu suchen? Da ist schon zu berücksichtigen, daß auch die dritte Menschenrasse, die Lemurier, ganz anders ausgesehen hat als wir und auch ganz anders als die vierte Menschenrasse, die Atlantier. Die Lemurier haben nicht das gehabt, was wir Gedächtnis, Vorstellung, Verstand nennen; die Lemurier hatten dies erst im Keime entwickelt. Dagegen war die zweite Menschenrasse mit einer hohen Spiritualität begabt, die nur nicht in den Köpfen der Menschen saß, sondern die wie eine fortwährende Offenbarung von außen vorzustellen ist. Man nannte die zweite Menschenrasse die Hyperboräer. Sie wohnten um den Nordpol herum, in Sibirien, Nordeuropa mit Einschluß der Gebiete, die Meer geworden sind. Und wenn Sie sich dieses Land denken mit einer Art von tropischer Temperatur, so bekommen Sie ungefähr die Vorstellung, wie das Land damals war. Es war ursprünglich bevölkert von Menschen, welche als einzelne Individuen wie Traumwesen herumwandelten. Wären sie sich selbst überlassen gewesen, so würden sie gar nichts gekonnt haben. Es war sozusagen Weisheit in der Luft, in der Atmosphäre.
Erst in der lemurischen Zeit fand die Ehe der Weisheit mit dem Seelischen statt, so daß wir uns vorher die ganze Geistigkeit der Menschen nebelhaft vorzustellen haben. Es waren das die Keime des nebligen Geistes und die Keime des Lichtgeistes. Die Geistigkeit, die als Keim in den Söhnen des Feuernebels aufging, die uns noch vertraut erscheint, die haben wir in den südlichen Gegenden zu suchen, in Lemurien. In den Gegenden, die von uns aus nördlich gelegen sind, lebten Menschen, Völker, die mit einem Traumbewußtsein begabt waren, das deutlicher war als das Pitribewußtsein. Im ganzen müssen wir uns nicht denken, daß die Menschen, die da oben wohnten, auch da oben geblieben sind. Sie haben Wanderzüge gemacht, die nach Süden gingen. Und diese Wanderzüge erstreckten sich noch lange in die Zeiten hinein, in denen im Süden die lemurische Rasse aufgesproßt war. Es gab sozusagen eine nördliche lemurische Rasse und eine südliche lemurische Rasse. Es waren zwölf große Wanderzüge. Diese zwölf großen Wanderzüge brachten die Bewohner der verschiedenen Gegenden allmählich miteinander in Berührung. Sie brachten diese Menschen auch in Gegenden, die den unsrigen nicht fernliegen, in Gegenden, die als mittleres Deutschland, Frankreich, Mittelrußland und so weiter angesprochen werden können.
Nun müssen Sie sich vorstellen, daß wir von einer Zeit sprechen, in der das, was wir höhere Tiere nennen, schon vorhanden war. Die Lemurier wurden wie eine Art Riesen dargestellt, und diese kamen mit den von Norden kommenden Menschen in Berührung. Dadurch entstanden zwei Geschlechter. Es entstand ein Geschlecht, das in der Vorgeschichte der Menschheit die Grundlage der Atlantier wurde; alle diese Menschen vermischten sich damals in dem heutigen Europa. Wir dürfen uns das nicht so einfach vorstellen, wie das hier in Worte gefaßt wird. Nun gingen aus dieser Geschlechtervermischung der Hyperboräer, der Lemurier und später auch der Atlantier Initiierte hervor, die sich unterschieden von den Initiierten, die wir heute als unsere Lehrer anzusehen haben; diese letzteren stammen wesentlich aus dem Süden, dem lemurischen Kontinent.
Im Norden entwickelte sich, ich möchte sagen eine Art von Nebelwelt, und die drei Hauptinitiierten, die wir hier auf dieser Menschheitsinsel zu suchen haben, sie nannte man in der Zeit, die selbst noch hineinragte bis in die Entstehung unseres Christentums: Wotan, Wili und We. Das sind die drei großen nordischen Initiierten. Sie leiteten ihren Ursprung her in ganz regelrechter Weise, in populärer Weise könnte man sagen aus dem Erdenreich, in dem noch ungemischt alles das enthalten war, was jetzt auf die Menschen verteilt ist. In populärer Weise könnte man sagen, es ist aus diesem Erdenreich hervorgegangen ein Geschlecht, das sehr unähnlich war der gegenwärtigen Menschheit. Dieses Geschlecht war beherrscht von einer Allweisheit. Diese Allweisheit nannten die lehrenden Priester «Allvater». Dann wird gesprochen von den zwei Reichen, von dem Nebelheim und dem Muspelheim. Das Nebelheim ist das Nifelheim des Nordens, der dämmernde Nebelzustand der hyperboräischen Wurzelrasse, im Gegensatz zu Muspelheim. Es werden geschildert zwölf Ströme, die sich gestaut haben und dann zu Eis wurden. Daraus entstand ein Menschengeschlecht, dessen Repräsentant der Riese Ymir war, und dann das Tiergeschlecht, die Kuh Audhumbla. Von Ymir stammten die Söhne der Reifriesen. Die Menschen, die schon verstandesbegabte Menschen waren, entstanden, auch im Sinne der «Geheimlehre», später. Und so erzählt auch die deutsche Sage, daß [die Nachkommen von Ymir und Audhumbla], Wotan, Wili und We, am Strande gingen und die Menschen bildeten. Damit sind jene Menschen der «Geheimlehre» gemeint, die erst später entstanden, und die mit Verstand begabt worden sind.
In dieser urgermanischen Sage liegt eine alte Wahrheit. Es wird uns auch gesagt, wie später die zwei großen Züge waren, die vom fernen Osten nach dem Westen [und vom Westen nach dem Osten] gegangen sind. Wir haben uns vorzustellen, daß zuerst die keltische Bevölkerung da war, die dann eine Kolonie gebildet hat. Diese ursprüngliche keltische Bevölkerung stand ganz unter dem Einfluß ihrer Initiierten. Diese haben fortgepflanzt die ursprüngliche Lehre von Wotan, Wili und We und ihrer Priesterschaft. Die Kelten
hatten Priester, die wir Druidenpriester nennen. Diese waren zentriert in einer großen Loge, in der nordischen Loge. Dies hat sich erhalten in der Sage vom König Artus und der Tafelrunde. Tatsächlich hat diese Loge der nordischen Initiierten bestanden, die heilige Loge der Ceridwen die Weiße Loge des Nordens. Später wurde sie der Bardenorden genannt. Diese Loge bestand noch lange bis in die späteren Zeiten hinein. Aufgelöst wurde sie erst im Zeitalter der Königin Elisabeth. Dann zog der Orden sich ganz von dem physischen Plan zurück. Davon geht alles aus, was wir an altgermanischen Sagen haben. Alle germanische Dichtung geht zurück auf die ursprüngliche Loge von Ceridwen, die auch der Zauberkessel der Ceridwen genannt worden ist. Derjenige, welcher am meisten gewirkt hat noch bis herein in die ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt, das war der große Initiierte Meredin, der uns erhalten ist unter dem Namen des Zauberers Merlin. Er war genannt «der Zauberer der nordischen Loge».
Dies ist alles in alten keltischen Geheimlehren direkt enthalten. Da finden Sie angedeutet, was die Initiierten des Ostens zu geben hatten. Und das, was ihnen der Kelte zurückgegeben hat, das war die Baldur-Sage, die Sage von dem Gott des Lichts und dem Gott der Finsternis. So haben die Initiierten des Westens langsam diese Sage an die Initiierten des Ostens herangebracht, in der wohlweislichen Absicht, ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen. Und in dem Glauben, daß da noch etwas nachkommen muß, haben sie zu dieser Sage noch etwas hinzugefügt, was noch in der Zukunft lag, nämlich den Untergang der Götter in der Zukunft. Baldur konnte dem Untergang nicht widerstehen. Es wurde daher ein zweiter Zug vorbereitet nach der Götterdämmerung. Es wurde gesagt, ein neuer Baldur würde erstehen, und dieser «neue Baldur», welcher dem Volke angekündigt wurde, ist kein anderer als der Christus. Hier im Norden konnten sich diese Dinge nicht gleich ausbilden wie im Süden, zum Beispiel in Griechenland. Im Norden waren mehr die männlichen Götter, im Süden war man mehr dem Kultus der Schönheit ergeben. Dem ganzen nordischen Element war etwas eigen, was lange bestanden hat, was aber gleichzeitig der
Keim des Verderbens war, die Kampfnatur. Wir haben also im Norden Wotan, Wili und We und daneben Loki. Loki ist das Begehrliche, der Wunsch, und das macht die nordische Welt zu einer Kampfnatur, die in sich hat das Element der Walküren. Diese begeistern zum Kampf. Sie sind etwas, was das nordische Element immer hatte. Loki war der Sohn der Begierde; Hagen ist die spätere Form für den ursprünglichen Loki.
Und nun noch einige Worte darüber, wie ein Initiierter beschaffen war in jener Zeit. Wenn er initiiert wurde und dadurch mit geistigen Mächten bekanntgemacht wurde, dann drückte man das so aus, daß man sagte: Er hat den Zug unternommen in das Reich der guten Toten, ins Alfen-Reich, nach Alfgard, damit er sich dort hole das Gold des Nifelheim das Gold ist das Symbol für die Weisheit. Siegfried war der Initiierte des alten germanischen Elementes in der Zeit, als sich das Christentum verbreitete. Er war eigentlich unverwundbar, hatte aber noch eine verwundbare Stelle, weil in dieser nordischen Initiation noch Loki anwesend war, der Begierdengott in der Gestalt von Hagen. Hagen ist derjenige, welcher den Initiierten an der schwachen Stelle tötet. Brünhilde ist in der Nibelungen-Sage eine ähnliche Gestalt, eine ähnliche weibliche Gottheit wie die Pallas-Athene der Griechen. Im Norden bedeutet sie die Verkörperung des wilden, tötenden Kampfelementes. Den alten germanischen Initiierten haben Sie in Siegfried gegeben. Das Kampfelement ist ausgedrückt durch das alte germanische Rittertum. Da es vorzugsweise ein weltliches Element war, so mußte das weltliche Rittertum bis ins 8., 9., 10., 11. Jahrhundert hinein seinen Ursprung zurückführen auf Siegfried als einen Initiierten. Der Ursprung dieses Rittergeschlechts war die Tafelrunde des Königs Artus. Von dort aus kamen die großen Ritter, oder vielmehr, es mußten diejenigen, welche führende weltliche Ritter werden wollten, zur Tafelrunde des Königs Artus gehen. Dort lernte man weltliche Weisheit, aber es war dem beigemengt der Kampfeswille, das Loki-Hagen-Element.
Im besonderen war im germanischen Element etwas vorzubereiten, was im nordischen Elemente ganz besonders
herauskommen konnte. Hier konnte etwas vorbereitet werden, was mit der Entwicklung des Menschen auf dem physischen Plan zusammenhängt. Wir wissen, daß sich da abgespielt hat das Heruntersteigen des Höchsten bis zum physischen Plan; das Persönliche ist die Gestalt des Höchsten auf dem physischen Plan. Da entwickelte sich also das persönliche Element, die persönliche Kampftüchtigkeit, die vielleicht bei Hagen am höchsten ausgebildet war.
Gehen wir zurück zu den Lemuriern. Bei den Lemuriern gab es noch nicht das, was der Mensch von heute die Liebe nennt. Eine Liebe zwischen Mann und Weib war nicht vorhanden. Es entstand wohl die Sexualität; aber die Liebe sollte erst später die Sexualität heiligen. Die Liebe im heutigen Sinne war auch bei den Atlantiern noch nicht vorhanden. Erst als das persönliche Element jene Wichtigkeit erlangt hatte, erst da konnte sich die Liebe entwickeln. Im Ausgange der lemurischen Zeit gab es in gewissen Gegenden ein eigentümliches System. Es wurde systematisch eine in bestimmten Gegenden lebende Menschheit in vier Gruppen geteilt. Dies wurde so aufgefaßt, daß niemals ein Mensch der ersten Gruppe sagen wir der Gruppe A einen Menschen aus der Gruppe B heiraten durfte. Es mußten sich verheiraten Menschen der Gruppe A mit Menschen der Gruppe C und Menschen der Gruppe B mit Menschen der Gruppe D. Dadurch wurde die persönliche Willkür vermieden, das heißt, es wurde dadurch das Persönliche ausgeschlossen. Es war diese Einteilung im Dienste der ganzen Menschheit getroffen. Damals war nichts darinnen von persönlicher Liebe. Erst langsam entwickelte sich die persönliche Willkür in der Liebe; das war nämlich die Liebe, die ganz auf den physischen Plan herunterkam, und dies wurde damals erst vorbereitet. Je weiter Sie zurückgehen in der Zeit, umso mehr werden Sie finden, daß die Erotik eine geringe Rolle spielt. Auch in der ersten Zeit der griechischen Dichter spielt sie fast keine Rolle. Aber sie spielt eine besondere Rolle in der deutschen Dichtung des Mittelalters. Sie sehen da die Liebe in zweierlei Gestalt dargestellt, Sie sehen dargestellt die Liebe als Minne und als Begierde. Die Schicksale, die Siegfried erleiden mußte, waren die Folge der Hereinziehung des Persönlichen.
Gehen Sie zurück nach Rom, und Sie werden finden, daß da die Ehe nach ganz anderen Grundsätzen geschlossen wurde. Auch in Griechenland hat man im Anfang keine persönliche Liebe gekannt; sie entstand erst später.
Dann kam das Christentum nach Mitteleuropa. Wir haben gesehen, daß in Mitteleuropa in der ersten Zeit das Christentum mit Aufrechterhaltung des Alten eingeführt wurde. Langsam verwandelte sich die Vorstellung der Gestalt des Baldur in die Vorstellung der Gestalt des Christus. Das ging durch mehrere Generationen hindurch; Bonifatius fand deshalb schon einen vorbereiteten Boden.
Die Sage vom König Artus und seiner Tafelrunde verband sich allmählich mit der Sage vom heiligen Gral. Diese Verbindung ist herbeigeführt worden durch einen wirklichen Initiierten des 13. Jahrhunderts, durch Wolfram von Eschenbach. Die SiegfriedInitiation war noch die alte Initiation. Dabei spielte noch die weltliche Ritterschaft eine Rolle und die Gefahr, durch das Element der Begierde und der Eigenliebe verraten zu werden. Erst wenn man dieses Element überwunden hatte, erst wenn man es ganz von sich abgetan hatte und wenn man vom Prinzip der weltlichen Ritterschaft zum Prinzip der geistigen Ritterschaft aufgestiegen war, dann konnte man die geistige Initiation erreichen. Das stellt Wolfram von Eschenbach im Parzival dar. Zuerst gehört Parzival dem weltlichen Rittertum an. Sein Vater ist durch Verrat bei dem Zug nach dem Orient ums Leben gekommen. Dem liegt zugrunde, daß der Vater schon nach höherer Initiation gesucht hat; aber weil er noch das Element der alten Initiation innehatte, wurde er verraten. Durch seine Mutter Herzeleide sollte Parzival entfremdet werden dem physischen Plan; eine Narrenkappe setzte sie ihm auf. Dennoch wird Parzival erfaßt von dem Strome des weltlichen Rittertums und kommt so an den Hof des Königs Artus. Daß Parzival bestimmt ist für die christliche Strömung, wird uns angedeutet dadurch, daß er nach der Burg des heiligen Gral kommt. Es ist ihm eine wichtige Lehre mitgegeben worden: nicht viel zu fragen. Dies bedeutet nichts anderes, als den Ruhepunkt in seinem Innern zu
finden, innere Ruhe und Frieden gefunden zu haben und nicht mehr neugierig durch die äußere Welt zu gehen. Parzival fragt auch nicht, als er Einlaß will in die Burg. Er wird daher zuerst abgewiesen. Dann aber kommt er doch zum kranken Amfortas. Er wird durch die christliche Initiation höher geführt.
Wo Sie Wolfram von Eschenbach aufschlagen, Sie werden überall finden, daß er ein Eingeweihter war. Er hat diese zwei Sagenkreise verbunden, weil er wußte, daß das schon geschehen war, was wir die Vereinigung der Artus-Loge mit der Grals-Loge nennen. Die Artus-Loge ist ganz in der Grals-Loge aufgegangen.
Fünfter Vortrag Berlin, 22. Juli 1904 Reinkarnation
Heute möchte ich zu Ihnen von etwas sprechen, das in einem ferneren Zusammenhang steht mit dem, was ich Ihnen schon früher gesagt habe. Trotzdem die theosophische Bewegung seit 29 Jahren besteht, ist es doch immer noch so, daß die Grundlehren oft mißverstanden werden. Zum Beispiel wird die Lehre von der Reinkarnation von denen, die vielleicht niemals etwas anderes als den Namen oder ein paar Begriffe gehört haben, vielfach so aufgefaßt, als lehrten wir die Seelenwanderung durch die verschiedensten Körper und auch durch Tierleiber hindurch. Es wird uns dies gewissermaßen zum Vorwurf gemacht.
Die Wiederverkörperung in Tierkörpern ist in Ägypten und in Griechenland gelehrt worden, und wir können nicht umhin zu sehen, daß sie auch in Indien als eine äußerliche Lehre immer wieder zu finden ist. Es ist richtig, und es darf nicht bestritten werden: In den esoterischen Lehren ist überall davon die Rede, daß das, was wir heute die menschliche Seele nennen, durch Entwicklungsstadien hindurchgegangen ist, welche in tierischen Leibern sich abgespielt haben sollen. Besonders bekräftigt scheint das zu werden durch einen Umstand, der auf der anderen höchst interessant ist, nämlich dadurch, daß weitaus die größte Zahl aller Märchen, Sagen und Fabeln eigentlich ursprünglich auf Indien zurückführen. Wenn Sie die Tierfabeln und sonstigen Märchenerzählungen der verschiedensten Länder Europas durchgehen, so werden Sie zwar kleinere oder größere Veränderungen vorfinden, Sie werden aber sehen, daß der Grundstock vieler europäischer Märchen sich in den alten indischen Büchern findet. Das ist für uns nicht zu verwundern, da doch die Kulturen gemeinsam zur fünften Wurzelrasse gehören, die sich von der Wüste Gobi über Ägypten und Griechenland nach Europa herüber verbreitete. Daß die Initiierten der
verschiedenen Völker die Lehren in Form von Fabeln darlegten, ist für uns nicht wunderbar. Doch müssen wir uns klar machen, welche Bedeutung diejenigen Fabeln haben, die in der Tierwelt sich abspielen. Von daher wird Ihnen das Reinkarnationsproblem in einer neuen Beleuchtung erscheinen, die noch nicht allgemein bekannt sein dürfte.
Die indische Kultur hat sich über die ganze Welt verbreitet, auch wenn sie heute als etwas Fremdes empfunden wird. Sie mögen das daran erkennen, daß Buddha früh unter die Reihe der katholischen Heiligen aufgenommen worden ist, und zwar unter dem Namen Josaphat. Das geschah vor vielen Jahrhunderten. Durch Johannes von Damaskus, der den ganzen Entwicklungsgang Buddhas in der Heiligenlegende schildert, konnte die innere Lehre Buddhas in das katholische Christentum aufgenommen werden. Nur die äußere Ausprägung des Buddhismus wurde abgelehnt. Das soll Ihnen ein Licht darauf werfen, welche ungeheure Bedeutung die indische Kultur für die ganze fünfte Wurzelrasse hat.
Es gibt eine große Sammlung von vielen hundert Fabeln, die Jatakam-Sammlung. So wie diese Fabeln in den verflossenen Jahrhunderten in Indien verbreitet worden sind, spielte immer Buddha darin eine Rolle. Da wird uns erzählt, daß Buddha als dieses oder jenes Tier verkörpert war, wie er als dieses oder jenes Tier da und dort gelebt hat, wie er sich innerhalb der Tierwelt benommen hat und wie er sich daran erinnert. Und dann kommt gewöhnlich eine moralische Lehre, wie man sich in ähnlichen Fällen zu verhalten habe. Als ein vorzügliches Erziehungsmittel für Königssöhne galt die Form der Fabel. Auch in Europa dürfte diese pädagogische Methode angewendet worden sein.
Sie alle kennen die Erzählung, daß, wenn man in den Mond schaut, darin eine Tierfigur zu sehen ist. Jedenfalls sehen manche Leute darin eine Tierfigur; am verbreitetsten ist ein Hase. Die Art und Weise, wie der Hase in den Mond gekommen ist, wird in verschiedener Weise erzählt. Auch das führt zurück auf die indische Fabelsammlung Jatakam. Einstmals in seinen vielen Leben war Buddha ein Hase, er lebte im Walde und hatte drei Freunde. Sein
erster Freund war ein Schakal, sein zweiter Freund ein Affe und sein dritter Freund ein Fischotter. Er wohnte also mit diesen drei Tieren zusammen und war als Hase schon damals ein sehr vorgerücktes Wesen, so daß er die Tiere in der verschiedensten Weise unterrichten konnte. Er gab ihnen Lehren und lehrte sie vor allen Dingen, daß man die Festtage heiligen und an den Festtagen Opfer darbringen solle. Er sagte ihnen: Ihr müßt vor allem danach trachten, von dem, was ihr zur Nahrung habt, etwas zu ersparen, und das müßt ihr abgeben an diejenigen, die als Bittende zu euch kommen, damit auch sie in würdiger Weise am Festtage die Opfergaben darbringen können. Nun kam ein Festtag heran. Eines der Tiere ging in eine benachbarte Gegend und fand, daß die Leute damit beschäftigt waren, Fische als Speise zusammenzutragen. Nachdem die Leute sich entfernt hatten, dachte das Tier: Da kann ich mir doch etwas nehmen. Ich will mich aber doch schützen, dachte es dann und sprach: Gehört jemand diese Speise? Da sich niemand meldete, nahm es von der Speise. Ebenso machte es das zweite Tier und dann auch das dritte Tier. Nun kamen die vorhergesagten Tage der Feste. Da verkleidete sich der Gott Indra als Brahmane und ging, die verschiedenen Tiere zu besuchen. Indra kam zu dem ersten Tier und fragte: Kannst du mir nicht etwas Nahrung geben zu der Opferung? Das Tier erzählte, wie es die Nahrung gefunden habe. Da sagte Indra: Ich will wieder zurückkommen und mir dann etwas davon nehmen. Ebenso ging er dann zum zweiten und zum dritten Tiere. Der Hase aber hatte etwas Gras gefressen und sagte sich: Wenn jemand jetzt zu mir kommt, um mich um etwas zu bitten, so kann ich ihm doch kein Gras geben; ich werde mich selbst ihm als Nahrung anbieten. Als nun Indra zu ihm kam und ihn um eine Gabe ansprach, da sagte der Hase: Ich habe nichts, was ich dir geben kann, aber ich biete mich selbst dir als Speise an. Mache ein Feuer, du wirst mich rösten können, um mich dann zu verspeisen. Ich bitte dich nur, daß dabei keines der Insekten, welche sich bei mir finden mögen, zugrunde geht. Indra sah daran, wie vorgerückt der Hase in moralischer Beziehung war und bewirkte, daß das Feuer ihm nichts anhaben konnte, so daß der Hase völlig
unversehrt blieb. Als der Hase den Gott Indra so vor sich hatte, da sagte er: o weiser Gott Indra, bleibe da, wir wollen zusammen die Lehre verkündigen. Und der Gott Indra antwortete: Ja, wir wollen sie so verkündigen, daß sie niemals mehr ausgelöscht werden kann während dieses ganzen Weltalters. Und er nahm einen Stift und zeichnete einen Hasen auf den Mond, der nun sichtbar ist während des ganzen Weltalters.
Das ist also die Fabel von Buddha, der als Hase in die Tierwelt versetzt ist und der sich völlig selbst hinopfert. Diese Fabel ist ganz dazu angetan, sich tief einzugraben in die Geister derjenigen, denen sie erzählt wurde, um sie dadurch vorzubereiten für eine spätere Inkarnation, damit die Seelen reif wurden, die Wahrheit dann selbst zu suchen. Das ist überhaupt der Sinn der Fabeln gewesen. Ursprünglich wurden nicht Fabeln erzählt wie heute, wo man gar nicht weiß, warum ein Tier so oder so handelt. Man hat vielmehr darauf gezählt, daß die Menschen während des Erzählens in ihren Vorstellungen gewisse Bilder erlebten, die auf den Kausalkörper wirken und im nächsten Leben als Sinn für die Wahrheit aufgehen. Fabeln wurden nicht erzählt, um den Menschen einen ästhetischen Genuß zu bieten, sondern um die Seelen vorzubereiten, daß sie, wenn sie dann nach vielen Jahren wiedergeboren werden, so präpariert sind, daß sie die Wahrheit leichter aufnehmen können. Wenn eine solche Fabel diese Bedeutung haben soll, wenn sie gleichsam die geistige Form schaffen soll, um später die reine Wahrheit aufnehmen zu können, so muß sie in sich selbst reine Wahrheit haben, sonst werden im Astralkörper und im Kausalkörper der Menschen nicht solche Schwingungen erregt, die sie befähigen, später die wirkliche Wahrheit aufzunehmen. Gerade in dieser Fabel liegt aber ein so ungemein tiefer Sinn, und sie ist so fein dichterisch geprägt, daß wir über die alten Rishis wenn wir nicht wüßten, daß sie durch Devas unterrichtete Männer waren uns sehr verwundern müßten. Und auch wundern müßten wir uns, wenn wir nicht wüßten, daß diese Fabel zusammenhängt mit einer Grundtatsache, nämlich mit der Beziehung der Menschenseele zu allen übrigen Wesenheiten in der Natur.
Nun bedenken Sie, wie sich der ganze Vorgang unseres Erdenlebens abgespielt hat. Wir sind jetzt in der vierten Runde, dieser gingen voran die dritte, zweite und erste Runde. In der ersten Runde waren wir Menschen alle schon vorhanden, aber nicht in der Form, in der wir jetzt vorhanden sind. Wir hatten eine wesentlich andere Form. Wir kamen als Pitris von einem früheren Planeten herüber und begannen unseren Erdenlauf in der ersten Runde. Da gingen wir durch das Mineralreich hindurch. Wir waren als Pitris imstande, an den Formen des Mineralreiches mitzuarbeiten, die damals geschaffen worden sind. Das Mineralreich hat dazumal ganz anders ausgesehen als heute; keine Kristallformen waren da; alle physischen Stoffe waren in einem mineralisch-elementarischen Zustand, auch das, woraus die Menschen-, Tier- und Pflanzenleiber geworden sind. In dieser ersten Runde lebten noch nicht Pflanzen, noch nicht Tiere, noch nicht Menschen wenn wir die äußere Form berücksichtigen , alles lebte da seelisch, aber noch nicht in der Form. Die Formen, die damals in der ersten Runde geschaffen worden sind und die dann zum Knochensystem geworden sind, haben sich die Pitris als einen mineralischen Unterbau vorbereitet.
In der zweiten Runde bereiteten sich die Pitris ihren pflanzlichen Unterbau vor. Alles das, was später modelliert wurde zum Verdauungs- und Atmungssystem, war noch nicht so gestaltet wie heute, aber es war vorbereitet als Unterbau. Daneben bildete sich das Mineralreich als eine Art selbständiges Wesen weiter. Ein selbständiges Mineralreich entstand dadurch, daß nicht alles, was in einer Runde gebildet worden ist, brauchbar war, um in die höhere Stufe der Pflanzen aufgenommen zu werden. Das wurde abgesondert. Nun bitte ich Sie, den Vorgang in seiner ganzen Bedeutung zu erkennen. Die Menschen bildeten dazumal ihren pflanzlichen Unterbau. Würden wir während der zweiten Runde nur alle die Substanzen haben, die während der ersten Runde gebildet worden sind, so würden wir niemals einen höheren Pflanzenbau erreicht haben. Während der zweiten Runde haben wir, als menschliche Pitris, eine eminent egoistische Handlung ausgeführt. Wir haben uns gleichsam gesagt, wir wollen herausnehmen aus dem Brei, was
wir brauchen können, und das, was für unsere Weiterentwicklung nichts taugt, lassen wir draußen. Wir haben in der Pitri-Kultur das Mineralreich aus uns herausgeworfen. Wir haben uns höher entwickelt auf Kosten des Mineralreiches.
In der dritten Runde stießen wir dann das Pflanzenreich ab als eine Wesenheit für sich. Da entstanden erst die Pflanzen. Wir saugten alles auf, was wir brauchten, um unsere Systeme so zu bilden, daß wir Kama aufbauen und eine Blutzirkulation bekommen konnten. Dadurch haben wir uns in das Tierreich erhoben und haben andere Wesen in das Pflanzenreich hinab gestoßen. Wir haben uns in der dritten Runde das Tierreich erkämpft. Das damalige Tierreich ist aber nicht zu vergleichen mit irgendeiner Form, die heute besteht.
Während der vierten Runde haben wir uns zu Menschen entwickelt, indem wir das, was wir brauchen konnten, wiederum in ganz egoistischer Weise herausgenommen haben aus dem Tierreich. Das andere haben wir ausgesondert, und das Ausgesonderte wurde das heutige Tierreich.
Wir haben uns also während der ersten Runde zunächst als mineralische Wesen entwickelt. Während der zweiten Runde haben wir das Mineralreich abgesondert, während der dritten Runde das Pflanzenreich und während der vierten Runde das Tierreich. Was sind die Mineralien, die Pflanzen und die Tiere? Die Mineralien, die Pflanzen und die Tiere sind die aus uns selbst herausgestellten, einstmals mit uns verbundenen Entwicklungselemente unserer Natur. Alles, was wir nicht haben brauchen können, haben wir der Erde übergeben, damit es sich selbständig entwickeln könne. Überblicken wir das Tierreich, so ist es dasselbe, was von uns herausgestellt worden ist, das noch in der dritten Runde mit uns eins war. Nun sagt der Okkultist: Was du heute erblickst im Tierreich, das ist nichts von dir Getrenntes, das ist etwas, was noch in der dritten Runde in dir selbst war und in dir gewaltet hat. Im Laufe der vierten Runde hast du es aus dir herausgeworfen. Die Wut des Schakals, die List des Fuchses sind deine kamischen Elemente. Aus der List, die in dir war, ist der Fuchs geschaffen, die Wut, die
du hattest, hat den Schakal gemacht. So ist das ganze Tierreich deine eigene Kamawelt. Du selbst hast die Tierwelt gestaltet und geschaffen. Was heute im Tierreich physisch geworden ist, das sind die Vorgänge innerhalb deines eigenen Kamakörpers während der dritten Runde gewesen. Blicke auf die Tiere und du blickst auf deine eigene Vergangenheit. Wir haben diese Stufen erreicht, indem wir andere unter uns zurückgelassen haben. So erkaufen wir auch jetzt eine höhere Stufe der Vollkommenheit dadurch, daß wir andere zurückstoßen. Jeder Asket erkauft seine eigene Vervollkommnung dadurch, daß er einen anderen Menschen in umso blindere Sinnenwut hineinstürzt. Das ist eine ewige Notwendigkeit.
Immer vorwärts und vorwärts schreitet die ganze Entwicklung. Das Mineralreich, das während der ersten Runde herausgebildet worden ist, hat sich während der zweiten und dritten Runde selbständig entwickelt und in der vierten Runde die Formen angenommen, die wir heute kennen. Es wird in der fünften Runde nicht mehr existieren, es wird zerstieben am Ende der vierten Runde, es wird abfallen, wie von einem Baume die verdorrte Borke abfällt. In der nächsten Runde, der fünften, wird dann das Pflanzenreich das niederste sein, in der darauf folgenden das Tierreich, und in der siebenten Runde wird nur noch der Mensch da sein.
Die Mineralien sind als Formen auf der höchsten Entwicklungsstufe angelangt. Der Stoff derselben ist ganz gleichgültig. Durch die Verwandlung der zerstiebten Formen wird er eine andere Struktur bekommen und die Urform zu einem neuen Weltsystem bilden. Am Schlusse der siebenten Runde wird das Menschenreich aufgelöst sein. Das ist der Fall, wenn der Stoff seine normale Entwicklung durchgemacht hat. Wir haben jedes Reich erkauft durch Absonderung des vorhergehenden. Damit die Menschen so werden konnten, mußten sie das Mineralreich, das Pflanzenreich und das Tierreich durch Abstoßung aus sich herauslassen. Wir sind jetzt etwas über der Mitte eines Kalpas eines Weltalters hinaus. Die Entwicklung in der zweiten Hälfte besteht darin, daß wir das, was wir früher ausgestoßen haben, wieder in uns hineinnehmen und auf höheren Stufen verarbeiten müssen. Das muß geschehen mit
dem Tierreich, dem Pflanzenreich und dem Mineralreich. Im Tierreich haben wir wie in einem großen Tableau ausgebreitet unsere Leidenschaften.
Einen astralen Vorgang, der sich in uns abspielt, können wir ins Tierreich versetzen, wenn wir Fabeln erzählen. Wir können also Handlungen im Tierreich erzählen, und wir erzählen unsere eigenen Leidenschaften. Und wenn wir die Überwindung einer Leidenschaft im Tier erzählen, so erzählen wir die Überwindung einer Leidenschaft in uns selbst. Der Okkultist ist sich klar darüber, daß er, indem er von seinem eigenen Leibe erzählt, von dem erzählt, was er selbst geformt hat, denn wir haben ja erst während der vierten Runde unsere Leiber gebildet. In Kama leben wir jetzt, und der Kampf von Kama mit Manas stellt sich uns jetzt dar. Blicken wir hinauf zu höheren Etappen, so bereiten wir eine ethische Höherentwicklung vor. Sind unsere Vorstellungen verknüpft mit niederen Kama-Stufen, dann sind sie innig verwandt mit den Tierstufen der dritten Runde.
Der Okkultist sagt: Die Menschenwelt ist Maja. Ich erzähle viel wahrer, wenn ich die täuschenden Menschenkörper weglasse und die Handlung in Gestalten der Tierwelt erzähle. Den physischen Körper verdankt der Mensch der makrokosmischen Gesamtentwicklung. Der kamische Mensch ist aber in der Gesamtentwicklung zurückgeblieben. Tust du etwas, was nicht mehr gutgemacht werden kann, dann entspricht dein Körper nicht dem, was du bist. Der Makrokosmos würde fordern, daß der Mensch auf einer höheren Stufe steht. Dasjenige, was den Körper soweit überwindet, daß er vollständig dem makrokosmischen Bild entspricht, das ist repräsentiert durch den Hasen, der den physischen Körper hinopfert im äußeren Feuer und nach der anderen sich hin entwickelt.
Sechster Vortrag Berlin, 30. September 1904 Die Mysterien der Druiden und Drotten
Unsere mittelalterlichen Erzählungen Parzival, Tafelrunde, Hartmann von Aue zeigen uns alle, obgleich gewöhnlich nur dem äußeren Sinn nach verstanden, esoterische Gestaltungen mystischer Wahrheiten. Wo ist ihr Ursprung zu suchen? Vor der Verbreitung des Christentums müssen wir den Ursprung suchen. In das Christentum hinein ist organisch gewachsen, was in Irland, Schottland [und in Skandinavien] gelebt hat. Wir werden an einen bestimmten Mittelpunkt geführt, von dem dieses Geistesleben ausgegangen ist. Das geistige Leben [Europas] ging aus von einer Zentralloge in Skandinavien, der Drottenloge, Druidenloge. Druide heißt Eiche. Deshalb spricht man äußerlich davon, daß die alten Deutschen unter Eichen ihre Weisungen empfingen.
Drotten oder Druiden waren uralte germanische Eingeweihte. In England bestanden [die Druidenlogen] bis zu Zeiten der Königin Elisabeth. Alles, was wir in der Edda lesen und in der uralten germanischen Sagenwelt finden können, geht zurück bis in die Tempel der Drotten oder Druiden. Der Dichter [dieser Sagen] ist immer ein Druidenpriester. Die Sagen stellen nicht bloß irgendein Symbol oder eine Allegorie dar dies auch, aber noch anderes.
Nehmen wir ein Beispiel: Wir kennen die Sage Baldurs, wir wissen, daß Baldur die Hoffnung der Götter ist, daß er vom Gotte Loki getötet wird mit dem Mistelzweig; der Gott des Lichtes wird getötet. Diese ganze Erzählung hat einen tiefen Mysteriensinn, den jeder, der eingeweiht wurde, nicht nur lernte, sondern zu erleben hatte.
Bei der Einweihung in die Mysterien der Druiden und Drotten war der erste Akt benannt das «Aufsuchen des Leichnams Baldurs». Es wurde gedacht, daß Baldur immer lebendig ist. Das Aufsuchen bestand in einer völligen Aufklärung über die Natur des
Menschen; Baldur war der Mensch, wie er verlorengegangen ist. Einstmals lebte nicht der Mensch von heute, sondern ein anderer, der nicht differenziert war, nicht hinuntergedrückt bis zum Erleben der Leidenschaften, [der noch] in einer feineren, flüchtigen Materie [lebte] Baldur, der leuchtende Mensch. Bei wirklichem Verständnis sind die Dinge, die uns als Symbol erscheinen, in höherem Sinne zu nehmen. Dieser Mensch, der nicht untergetaucht ist in das, was wir heute Materie nennen, ist Baldur. Er wohnt in einem jeden von uns. Der Druidenpriester mußte in sich selbst diesen höheren Menschen suchen. Ihm wurde klargemacht, worin diese Differenzierung besteht, von den hohen zu den niederen [Menschheitsstufen]. Das Geheimnis aller Einweihung ist, den höheren Menschen in sich zu gebären. Was der Priester schneller durchmacht, werden die [gewöhnlichen] Menschen in langer Entwicklungsreihe durchmachen. Damit diese Druiden Führer der übrigen Menschen sein konnten, dazu mußten sie diese Einweihung empfangen. Der tiefer gestiegene Mensch muß nun die Materie überwinden und jenen höheren Zustand wieder erreichen. Diese Geburt des höheren Menschen verläuft in allen Mysterien in einer bestimmten gleichen Weise. Den in der Materie untergegangenen Menschen hatte man wieder zu beleben; durch eine Reihe von Erfahrungen mußte man gehen wirkliche Erfahrungen, die wie kein sinnliches Erlebnis auf diesem Plan [hier] sein können.
Die Etappen [der Einweihung]: Die erste [Etappe] war, daß man vor den sogenannten Thron der Notwendigkeit geführt wurde. Man stand vor dem Abgrund; man erfuhr wirklich an dem eigenen Leibe, wie es sich in den niederen Naturreichen lebt. Der Mensch ist Mineral und Pflanze, aber erfahren kann [das] der gegenwärtige Mensch heute nicht, [er] kann nicht erleben, was die elementaren Stoffe erleben, und doch rührt das Eherne, Zwingende in der Welt davon her, daß wir auch Mineralien, Pflanzen sind.
Die nächste Stufe führte den Menschen vor alles das, was im Tierreich lebt. Alles, was an Leidenschaften, Begierden lebt, mußte man durcheinanderwogen und -wirbeln sehen. Der Mensch mußte das anschauen, weil die Einweihung den Zweck hat, hinter
die Kulissen des Weltendaseins zu schauen. Der Mensch weiß nicht, daß durch seine physische Hülle nur verdeckt wird, was durch den astralen Raum wirbelt. Der Schleier der Maja ist eine wirkliche Hülle, und wer eingeweiht wird, muß dahintersehen die Hüllen fallen, klar [schauen] wird der Mensch. Das ist ein besonderer Moment: der Priester wurde gewahr, daß sie, [die Hüllen], eingedämmt hatten Triebe, die, wenn sie losgelassen würden, furchtbar wären.
Die dritte Stufe führte zur Anschauung der großen Natur. Das ist eine Stufe, die der Mensch ohne Vorbereitung noch sehr schwer begreiflich findet. Daß da gewaltige okkulte Mächte ruhen und in diesen Naturkräften sich die Weltenleidenschaften ausdrücken, das ist etwas, was den Menschen aufmerksam macht, daß es Kräfte gibt, die er nicht einmal so erlebt wie sein eigenes Leid.
Die nächste Prüfungen nennt man die «Übergabe der Schlange» durch den Hierophanten. Die Wirkungen, die davon ausgehen, erklärt uns die Tantalus-Sage. Die Gunst, [wie Tantalus] im Rate der Götter zu sitzen, kann mißbraucht werden. Es bedeutet eine Wirklichkeit, die den Menschen gewiß über sich selbst hinaushebt, aber an Gefahren bindet, die nicht übertrieben sind im Tantalidenfluch. In der Regel sagt der Mensch, er vermag nichts gegen die Naturgesetze. Diese sind [schaffende] Gedanken. Mit demjenigen Gedanken, der nur ein schattenhafter Gehirngedanke ist, kann man nichts machen; mit dem schaffenden Gedanken, der die Weltendinge baut und konstruiert, dem produktiven, fruchtbaren, haben wir anstelle des passiven denjenigen, der durchsetzt ist mit spiritueller, geistiger Kraft. Eine Raupe, ausgeblasen, ist [bloß die] Hülle der Raupe; vom [produktiven] Gedanken durchsetzt, ist sie die lebendige Raupe. In den Hüllengedanken wird wirkende, schaffende Kraft gegossen, so daß der Priester imstande ist, nicht nur die Welt anzuschauen, sondern als Magier in ihr zu wirken. Die Gefahr ist, Mißbrauch zu treiben. Auf dieser Stufe erhält der Okkultist eine gewisse Macht, durch die er selbst höhere Wesenheiten zu täuschen in der Lage ist. Er muß Wahrheiten nicht nur nachsprechen, sondern erfahren; entscheiden, ob etwas
wahr oder falsch ist. Das heißt:die Übergabe der Schlange durch den Hierophanten.
Im Geistigen gibt es ebenso ein Rückgrat [wie im Physischen], wo es sich entscheidet, ob man ein geistiges Gehirn bekommt. Diesen Prozeß macht der Mensch durch auf der [dritten] Stufe der Einweihung, [dem «Gang in das Labyrinth»]. Er wird hinausgehoben aus Kama und versehen mit dem geistigen Rückgrat, um in die Wirbel des geistigen Gehirns gehoben zu werden. Die Windungen des Labyrinths sind auf dem geistigen Plan dasselbe, was die Windungen des Gehirns [auf dem physischen Plan] sind. Der Mensch erhält Einlaß in das Labyrinth, in die Windungen innerhalb der höheren Plane.
Dann mußte er Verschwiegenheit schwören; ein blankes Schwert lag vor ihm, und den stärksten Eid mußte er schwören. Das hieß, daß der Mensch nunmehr schweigen würde über seine Erlebnisse gegenüber dem, der nicht eingeweiht war wie er. Diese eigentlichen Geheimnisse können unmöglich ohne weiteres mitgeteilt werden. Er, [der Eingeweihte], hatte aber die Möglichkeit, die Sagen so zu gestalten, daß sie der Ausdruck des Ewigen sind. Konnte man in dieser Weise sich aussprechen, hatte man natürlich über seine Mitmenschen eine große Gewalt. Wer eine solche Sage formt, prägt etwas in den menschlichen Geist ein. Was man [gewöhnlich] so spricht, wird wieder vergessen, und nur das allerwenigste überdauert den Tod. Ewige Wahrheiten überdauern am längsten den Tod. Vom niederen Wissenschaftlichen überdauert sehr wenig den Tod. Das Ewige, ja, [das überdauert], und es erscheint wieder in einer neuen Inkarnation. Der Druidenpriester sprach aus einem höheren Plan heraus. Waren seine Erzählungen der Ausdruck höherer Wahrheiten, wenn auch einfach, so drangen sie tief in die Seelen hinein. Er hatte einfache Menschen vor sich, aber die Wahrheiten drangen in die Seelen hinein, und sie hatten etwas einverleibt, was wieder in neuen Inkarnationen geboren wird. Damals haben die Menschen Märchen-Wahrheiten erlebt. So haben wir heute einen präparierten Geistkörper, und wenn wir heute höhere Wahrheiten begreifen, so ist es, weil wir präpariert sind.
So hat diese Zeit, die im Jahre 61 aufhörte, das Geistesleben Europas vorbereitet, den Boden abgegeben, auf dem sich das Christentum hat aufbauen können. Die Lehren [der Druiden] haben sich erhalten, und wer sucht, findet noch den Zugang zu dem, was in diesen Logen gelehrt wurde.
Nachdem er, [der Druidenpriester], seinen Schwur auf das Schwert abgelegt hatte, mußte er ein bestimmtes Getränk trinken, und zwar aus einem Menschenschädel. Dies hatte die Bedeutung, daß der Mensch hinausgewachsen war über das Menschliche. Dieses Gefühl mußte der Druidenpriester gegenüber dem niederen Leibe haben. Was in dem Leibe lebte, mußte er so objektiv, so kalt empfinden, daß er ihn nur als ein Gefäß betrachtete. Dann wurde er eingeweiht in die höheren Geheimnisse und wie er wieder hinaufstieg in die höheren Welten, [begegnete er dem lebendigen] Baldur. Er wurde in einen Riesenpalast geführt, der überdeckt war mit funkelnden Schwertern. Ein Mann trat ihm entgegen, der sieben Blumen hinaufwarf [die sieben Planeten]. [Der Einzuweihende erblickte drei Sitze; auf ihnen thronten]: Himmelsraum, Cherubim, Demiurg. So wurde er ein wirklicher Sonnenpriester.
Viele lesen die Edda und wissen nicht, daß sie eine Erzählung ist von dem, was sich in den alten Drottenmysterien wirklich ereignet hat. Eine ungeheure Macht lag in den Händen der alten Drottenpriester, eine Macht über Leben und Tod. Es ist eine Wahrheit, daß alles im Laufe der Zeiten korrumpiert wird. Das Druidentum war einst das Höchste, Heiligste. In den Zeiten, als das Christentum sich ausbreitete, war vieles ausgeartet, und es gab viele schwarze Magier, so daß das Christentum wie eine Erlösung war.
Allein das Studium dieser alten Wahrheiten veranschaulicht fast den ganzen Okkultismus. Kein Stein wurde in dem Druidentempel so auf den anderen gelegt wie heute, sondern genau nach astronomischen Maßen; Türen waren nach Himmelsmaß gebaut. Menschheitsbauer waren die Druidenpriester. Ein schwaches Abbild davon hat sich in den Anschauungen der Freimaurer erhalten.
Lernt man die astrale Materie durchschauen, sieht man die Sonne um Mitternacht: 1. Einweihung.
Übergabe der Schlange: 2. Einweihung.
Der Gang in das Labyrinth: 3. Einweihung.
Siebenter Vortrag Berlin, 7. Oktober 1904 Die Prometheus-Sage
Ich habe das letzte Mal versucht, Ihnen zu zeigen, wie die Einweihung in den alten Druidenlogen geschah. Heute möchte ich etwas ausführen, was damit zwar verwandt ist, was vielleicht aber doch scheinbar etwas weiter abliegt. Aber wir werden sehen, wie wir das Verständnis unserer Menschheitsentwicklung immer mehr und mehr in seiner Tiefe uns werden erwerben können.
Sie haben wohl aus meinen verschiedenen Freitagsvorträgen ersehen, daß die Sagenwelt der verschiedenen Völker einen tiefen Gehalt hat und daß die Mythen der Ausdruck von tiefen, esoterischen Wahrheiten sind. Nun möchte ich heute sprechen von einer der interessantesten Sagen, von einer Sage, die im Zusammenhange steht mit der ganzen Entwicklung unserer fünften Wurzelrasse. Dabei werden Sie zu gleicher Zeit sehen, wie der Esoteriker immer drei Stufen des Verständnisses der Sagenwelt durchmachen kann.
Zunächst leben die Sagen in irgendeinem Volke, und sie werden exoterisch, äußerlich-wörtlich genommen. Dann beginnt der Unglaube an diese wörtliche Auffassung der Sagen, und es versuchen die Gebildeten eine symbolische, eine sinnbildliche Deutung der Sagen. Hinter diesen zwei Deutungen stecken aber noch fünf andere Deutungen, denn jede Sage hat sieben Deutungen. Die dritte ist diejenige, wo Sie in der Lage sind, die Sagen wiederum in einer gewissen Weise wörtlich zu nehmen. Allerdings müssen Sie erst die Sprache verstehen lernen, in der die Sagen verfaßt sind. Heute möchte ich über eine Sage sprechen, deren Verständnis nicht so leicht zu erlangen ist, über die Prometheus-Sage.
In einem Kapitel im zweiten Bande der «Geheimlehre» von H.P. Blavatsky werden Sie etwas darüber finden und daraus auch ersehen, welch tiefer Gehalt in dieser Sage steckt. Dennoch ist es nicht immer möglich, in gedruckten Schriften die letzten Dinge zu
sagen. Heute können wir noch ein wenig über die Ausführungen in der «Geheimlehre» von H. P. Blavatsky hinausgehen.
Prometheus gehört der griechischen Sagenwelt an. Er und sein Bruder Epimetheus sind die Söhne eines Titanen, Japetos. Und die Titanen selbst sind die Söhne der ältesten griechischen Gottheiten, von Uranos und seiner Gemahlin, der Gaia. Uranos würde, ins Deutsche übersetzt, bedeuten «der Himmel» und Gaia «die Erde». Ich bemerke noch ausdrücklich, daß Uranos im Griechischen dasselbe ist wie Varuna im Indischen. Ein Titan also, ein Nachkomme des Uranos und der Gaia, ist Prometheus und ebenso sein Bruder Epimetheus. Der jüngste der Titanen, Kronos, die Zeit, hat seinen Vater Uranos entthront und sich selbst der Herrschaft bemächtigt. Dafür wurde er wiederum von seinem Sohne Zeus entthront und mit allen Titanen in den Tartaros, den Abgrund oder die Unterwelt, verstoßen. Nur der Titan Prometheus und sein Bruder Epimetheus hielten zu Zeus. Sie standen damals auf der des Zeus und kämpften gegen die anderen Titanen.
Nun wollte Zeus aber auch das Menschengeschlecht, das übermütig geworden war, vertilgen. Da machte sich Prometheus zum Anwalt des Menschengeschlechts. Er sann darauf, wie er dem Menschengeschlecht etwas geben könne, womit es sich selbst retten könne und nicht mehr bloß angewiesen sei auf die Hilfe des Zeus. So wird uns erzählt, daß Prometheus den Menschen den Gebrauch der Schrift und der Künste gelehrt habe, namentlich aber den Gebrauch des Feuers. Dadurch aber hat er den Zorn des Zeus auf sich geladen. Er wurde wegen dieses Zornes des Zeus an einen Felsen des Kaukasus angeschmiedet und mußte dort lange Zeit große Qual erdulden.
Es wird uns ferner noch erzählt, daß nunmehr die Götter, Zeus an der Spitze, den Hephaistos, den Gott der Schmiedekunst, veranlaßt haben, eine weibliche Bildsäule zu verfertigen. Diese weibliche Bildsäule war von den Göttern mit allen Eigenschaften ausgestattet worden, welche der äußere Schmuck des Menschengeschlechts der fünften Wurzelrasse sind. Diese weibliche Bildsäule war die Pandora. Pandora wurde von Zeus veranlaßt, unheilbringende Gaben an
die Menschheit heranzubringen, zunächst an den Bruder des Prometheus, an den Epimetheus. Zwar warnte Prometheus den Bruder, diese Gaben anzunehmen; dieser ließ sich aber dennoch bereden und nahm von Pandora die unheilbringenden Gaben der Götter an. Es wurde alles auf die Menschheit ausgeschüttet, nur eine, die gute Gabe, wurde zurückbehalten: die Hoffnung. Die andern Gaben waren Plagen und Leiden für die Menschheit; nur die Hoffnung wurde in der «Büchse der Pandora» zurückbehalten.
Prometheus wird also angeschmiedet am Kaukasus, und an seiner Leber nagt fortwährend ein Geier. Hier duldet er. Er weiß aber etwas, was eine Bürgschaft für seine Rettung ist. Er weiß ein Geheimnis, das selbst Zeus nicht weiß, das dieser aber wissen will. Prometheus verrät es indessen nicht, trotzdem Zeus den Götterboten Hermes zu ihm schickt.
Nun wird uns im Laufe der Sage seine merkwürdige Befreiung erzählt. Es wird erzählt, daß Prometheus nur befreit werden kann durch das Eingreifen eines Eingeweihten, eines Initiierten. Und ein solcher Initiierter war der Grieche Herakles Herakles, der die zwölf Arbeiten verrichtet hatte. Die Verrichtung dieser zwölf Arbeiten ist die Leistung eines Initiierten. Es sind dies zwölf Initiationsprüfungen, symbolisch ausgedrückt. Außerdem wird von Herakles gesagt, daß er sich in die eleusinischen Mysterien habe einweihen lassen. Er vermag Prometheus zu retten. Es mußte sich aber noch jemand stellvertretend opfern, und es opferte sich für Prometheus der Kentaur Chiron; er war halb Tier, halb Mensch. Er litt da schon an einer unheilbaren Krankheit, [war aber eigentlich unsterblich. Um sterben zu können, opfert er sich.] Er erleidet den Tod, und Prometheus wird dadurch gerettet. Das ist die äußere Struktur der Prometheus-Sage.
In dieser Sage liegt die ganze Geschichte der fünften Wurzelrasse, und es ist in ihr wirkliche Mysterienwahrheit eingeschlossen. Diese Sage wurde in Griechenland wirklich erzählt. Aber auch in den Mysterien wurde sie dargestellt, so daß der Mysterienschüler das Schicksal des Prometheus wirklich vor sich sah. Und in diesem sollte er die Vergangenheit und Zukunft der ganzen
fünften Wurzelrasse sehen. Das Verständnis hierfür können Sie nur erlangen, wenn Sie eines berücksichtigen.
In der Mitte der lemurischen Rasse war erst das [erreicht], was man als die Menschwerdung bezeichnet Menschwerdung in dem Sinne, wie wir heute Menschen haben. Diese Menschheit wurde geführt von großen Lehrern und Führern, die wir als die «Söhne des Feuernebels» bezeichnen. Heute wird die Menschheit der fünften Wurzelrasse auch geführt von großen Eingeweihten, aber unsere Eingeweihten sind anderer Art als die damaligen Führer der Menschheit.
Diesen Unterschied müssen Sie sich jetzt klarmachen. Es ist ein großer Unterschied zwischen den Führern der zwei vorhergehenden Wurzelrassen und den Führern unserer fünften Wurzelrasse. Auch die Führer jener Wurzelrassen waren vereinigt in einer weißen Bruderloge. Diese hatten aber ihre vorherige Entwicklung nicht auf unserem Erdplaneten durchgemacht, sondern auf anderen Schauplätzen. Sie waren auf die Erde herabgestiegen schon als reife, höhere Menschen, um die Menschen, die noch in ihrer Kindheit waren, bei ihrer ersten Entstehung zu unterrichten, sie die ersten Künste zu lehren, die sie brauchten. Diese Lehrzeit dauerte durch die dritte, vierte, ja bis in die fünfte Wurzelrasse herein.
Diese fünfte Wurzelrasse hat ihren Ursprung genommen von einem kleinen Häuflein Menschen, die ausgesondert worden waren aus der vorhergehenden Wurzelrasse. Sie wurden herangezogen in der Wüste Gobi und verbreiteten sich dann strahlenförmig über die Erde. Der erste Führer, der den Impuls gegeben hat zu dieser Menschheitsentwicklung, das war einer der sogenannten Manus, der Manu der fünften Wurzelrasse. Dieser Manu gehört noch zu jenen Führern des Menschengeschlechts, die zur Zeit der dritten Wurzelrasse herabgestiegen sind. Das war noch einer der Führer, die ihre Entwicklung nicht nur auf der Erde durchgemacht haben, sondern die ihre Reife hereingebracht haben auf unsere Erde.
Erst in der fünften Wurzelrasse beginnt die Entwicklung von solchen Manus, die Menschen wie wir selbst sind, die wie wir ihre
Entwicklung nur auf der Erde durchgemacht haben, die sozusagen von der Pike auf sich auf der Erde entwickeln. Wir haben also Menschen, die höhere Führer- und Meisterpersönlichkeiten schon sind, und solche, die sich bemühen, Führer- und Meisterpersönlichkeiten zu werden, so daß wir innerhalb der fünften Wurzelrasse Chelas und Meister haben, die zur früheren Wurzelrasse gehören, und Chelas und Meister, die alles durchgemacht haben, was Menschen von der Mitte der lemurischen Zeit an durchgemacht haben. Einer der Meister, die die Führung der fünften Wurzelrasse haben, ist dazu ausersehen, die Führung der sechsten Wurzelrasse zu übernehmen. Die sechste Wurzelrasse wird die erste sein, die von einem Erdenbruder als Manu geleitet sein wird. Die früheren Meister, die Manus der anderen Welten, geben an den Erdenbruder die Führung der Menschheit ab.
Mit dem Aufdämmern unserer fünften Wurzelrasse fällt zusammen alles das, was wir die Entwicklung der Künste nennen. Die Atlantier hatten noch ein ganz anderes Leben. Erfindungen und Entdeckungen hatten sie nicht. Sie arbeiteten in ganz anderer Weise. Ihre Technik und ihre Kunst waren ganz anders. Erst mit unserer fünften Wurzelrasse entwickelte sich das, was wir in unserem Sinne Technik und Künste nennen. Die wichtigste Erfindung ist die Erfindung des Feuers. Machen Sie sich das einmal klar. Machen Sie sich klar, was heute in unserer ausgebreiteten Technik, Industrie und Kunst von dem Feuer abhängt. Ich glaube, der Techniker wird mir Recht geben, wenn ich sage, daß ohne das Feuer gar nichts von der ganzen Technik möglich wäre. So dürfen wir sagen: mit der Erfindung des Feuers war die grundlegende Erfindung, der Impuls für alle anderen Erfindungen gegeben.
Dazu müssen Sie noch nehmen, daß man unter dem Feuer in der Zeit, als die Prometheus-Sage entstand, alles dasjenige verstand, was irgendwie mit Wärme zusammenhing. Man verstand darunter auch die Ursache des Blitzes. Die Ursachen aller Wärmeerscheinungen wurden zusammengefaßt unter dem Ausdruck «Feuer». Das Bewußtsein davon, daß die Menschheit der fünften Wurzelrasse unter dem Zeichen des Feuers steht, das drückt sich zunächst in
der Prometheus-Sage aus. Und Prometheus ist nichts anderes als der Repräsentant der ganzen fünften Wurzelrasse.
Sein Bruder ist Epimetheus. Zunächst übersetzen wir uns einmal die zwei Worte: Prometheus heißt auf deutsch der Vor-Denkende, Epimetheus heißt der Nach-Denkende. Da haben Sie die zwei Tätigkeiten des menschlichen Denkens klar auseinandergelegt: in den nachdenkenden Menschen und in den vordenkenden Menschen. Der nachdenkende Mensch ist derjenige, welcher die Dinge dieser Welt auf sich wirken läßt und dann hinterher denkt. Ein solches Denken ist das kama-manasische Denken. Von einem gewissen Gesichtspunkt aus gesehen heißt Kama-Manas-Denken: zuerst die Welt auf sich wirken lassen und dann hinterher denken. Der Mensch der fünften Wurzelrasse denkt heute noch hauptsächlich wie Epimetheus.
Insofern aber der Mensch nicht das, was schon da ist, auf sich wirken läßt, sondern Zukunft schafft, Erfinder und Entdecker ist, insofern ist er ein Prometheus, ein Vordenker. Niemals würden Erfindungen gemacht werden können, wenn der Mensch nur Epimetheus wäre. Eine Erfindung wird dadurch gemacht, daß der Mensch etwas schafft, was noch nicht da ist. Zuerst ist es im Gedanken da, und dann wird der Gedanke umgesetzt in die Wirklichkeit. Dieses ist das Prometheus-Denken. Dieses Prometheus-Denken ist innerhalb der fünften Wurzelrasse das manasische Denken. Kama-manasisches und manasisches Denken gehen wie zwei Ströme nebeneinander her in der fünften Wurzelrasse. Allmählich wird das manasische Denken immer weiter und weiter ausgebreitet.
Dieses manasische Denken der fünften Wurzelrasse hat noch eine besondere Eigentümlichkeit. Das verstehen wir, wenn wir zurückblicken auf die atlantische Wurzelrasse. Diese hatte mehr ein instinktives Denken, welches noch in Verbindung war mit der Lebenskraft. Die atlantische Wurzelrasse war noch imstande, aus der Samenkraft eine Bewegungskraft zu bilden. Wie heute der Mensch in den Kohlenlagern eine Art Reservoir hat an Kraft, die er in Dampf verwandelt zur Fortbewegung der Lokomotiven und Lasten, so hatte der Atlantier große Lager von Pflanzensamen, welche
Kräfte enthielten, die er umwandeln konnte in Fortbewegungskraft, von der getrieben wurden jene Fahrzeuge, die in Scott-Elliots Broschüre über die Atlantis beschrieben werden. Diese Kunst ist verlorengegangen. Der Geist des atlantischen Menschen bezwang noch die lebendige Natur, die Samenkraft. Der Geist der fünften Wurzelrasse kann nur die leblose Natur, die im Stein, in den Mineralien liegenden Werdekräfte besiegen. So ist das Manas der fünften Wurzelrasse gefesselt an die mineralischen Kräfte, wie die atlantische Rasse gebunden war an die Lebenskräfte. Alle Prometheus-Kraft ist gefesselt an den Felsen, an die Erde. Daher ist auch Petrus der Fels, auf den Christus baute. Es ist dasselbe wie der Fels des Kaukasus. Der Mensch der fünften Wurzelrasse hat auf dem rein physischen Plan seine Entwicklung zu suchen. Er ist gefesselt an unorganische, an mineralische Kräfte.
Versuchen Sie einmal, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was es heißt, wenn man von dieser Technik der fünften Wurzelrasse spricht. Wozu ist sie da? Wenn Sie sich einen Überblick verschaffen, so werden Sie sehen so großartig und gewaltig auch die Resultate sind, wenn die Verstandeskraft, das Manasische angewendet wird auf das Unorganische, das Mineralische , daß es trotzdem im großen und ganzen zuletzt der menschliche Egoismus ist, das menschliche persönliche Interesse, wozu alle diese ganzen Kräfte der Erfindungen und Entdeckungen der fünften Wurzelrasse angewendet werden.
Gehen Sie von der ersten Entdeckung und Erfindung aus und gehen Sie herauf bis zum Telefon, bis zu unseren neuesten Erfindungen und Entdeckungen, so werden Sie sehen, wie zwar große und gewaltige Kräfte durch diese Erfindungen und Entdeckungen uns dienstbar gemacht worden sind aber wozu dienen sie? Was holen wir mit Eisenbahn und Dampfschiffen aus fernen Ländern? Wir holen uns Nahrungsmittel, wir verlangen durch das Telefon Nahrungsmittel. Im Grunde ist es das menschliche Kama, das nach diesen Erfindungen und Entdeckungen in der fünften Wurzelrasse verlangt. Das ist das, was man sich in objektiver Betrachtung einmal klarlegen muß. Dann wird man auch wissen, wie jener höhere
Mensch, welcher hineinversetzt wird in die Materie, in der Tat während der fünften Wurzelrasse an die Materie gefesselt ist dadurch, daß sein Kama die Befriedigung innerhalb der Materie verlangt.
Wenn Sie im Esoterischen sich umsehen, so werden Sie finden, daß die Prinzipien des Menschen in Beziehung stehen zu ganz bestimmten Organen des Körpers. Ich werde Ihnen dieses Thema noch genauer ausführen; heute will ich nur anführen, mit welchen Organen unsere sieben menschlichen Prinzipien in einer bestimmten Beziehung stehen.
Zunächst haben wir das sogenannte Physische. Das steht in einer okkulten Beziehung zu dem oberen Teil des menschlichen Gesichts, zur Nasenwurzel. Der physische Bau des Menschen, der einmal angefangen hat früher war der Mensch ja bloß astral und baute sich hinein in das Physische , nahm seinen Ursprung von dieser Partie aus. Die Physis ging davon aus und baute zuerst an der Nasenwurzel, so daß der Esoteriker die Nasenwurzel als dem eigentlichen Physisch-Mineralischen zugeteilt erkennt.
Das zweite ist Prana, der Ätherdoppelkörper. Ihm ist esoterisch zugeteilt die Leber. Dieses Organ steht zu ihm in einer gewissen okkulten Beziehung. Dann kommt Kama, der Astralkörper. Der wiederum hat seine Tätigkeit entwickelt beim Aufbau der Ernährungsorgane, die ihr Sinnbild im Magen haben. Würde der Astralkörper nicht diese ganz bestimmte Ausprägung haben, die er im Menschen hat, dann würde auch nicht dieser menschliche Ernährungsapparat mit dem Magen diese bestimmte Form haben, die er heute hat.
Wenn Sie den Menschen betrachten, erstens in seiner physischen Grundlage, zweitens in seinem Ätherdoppelkörper und drittens in seinem Astralkörper, so haben Sie, wie Sie sehen, die Grundlage, die gefesselt ist an das, was die mineralische Fessel der fünften Wurzelrasse ausmacht. Durch die höheren Körper hebt sich der Mensch schon wieder heraus aus dieser Fessel und steigt zu Höherem hinauf. Kama-Manas arbeitet sich schon wieder herauf. Da befreit sich der Mensch schon wieder von der reinen Naturgrundlage. Deshalb gibt es eine okkulte Beziehung von Kama-Manas zu dem, wodurch der
Mensch aus der Naturgrundlage herausgehoben, abgeschnürt wird. Dieser okkulte Zusammenhang ist der zwischen dem niederen Manas und der sogenannten Nabelschnur. Gäbe es kein Kama-Manas in der menschlichen Gestalt, dann würde der Embryo nicht in dieser Weise von der Mutter abgeschnürt werden.
Gehen wir zum höheren Manas, so hat es eine ebensolche okkulte Beziehung zum menschlichen Herzen und zum Blut. Budhi hat eine okkulte Beziehung zu dem menschlichen Kehlkopf, zu dem Schlund und zu dem Kehlkopf. Und Atma hat eine okkulte Beziehung zu etwas, was den ganzen Menschen ausfüllt, nämlich zu dem im Menschen enthaltenen Akasha.
Das sind die sieben okkulten Beziehungen. Wenn Sie sich diese vorhalten, so haben wir als die wichtigsten für unsere fünfte Wurzelrasse hervorzuheben diejenigen zu dem Ätherdoppelkörper und zu Kama. Und wenn Sie das dazunehmen, was ich vorhin gesagt habe von der Beherrschung des Prana durch die Atlantier die Lebenskraft ist das, was den Ätherdoppelkörper durchzieht , so werden Sie sich sagen können, daß der Atlantier in einer gewissen Beziehung noch um eine Stufe tiefer stand. Sein Ätherdoppelkörper hatte noch die ursprüngliche Verwandtschaft mit allem Ätherischen der Außenwelt, und er beherrschte dadurch das Prana der Außenwelt. Dadurch, daß der Mensch eine Stufe höher gestiegen ist, ist die Arbeit eine Stufe tiefer geworden. Das ist ein Gesetz: daß, wenn auf der einen Aufstieg erfolgt, auf der anderen ein Abstieg erfolgen muß. Während der Mensch früher am Kama gearbeitet hat vom Prana aus, muß er jetzt mit Kama auf dem physischen Plane arbeiten.
Nun werden Sie verstehen, wie tief die Prometheus-Sage diesen okkulten Zusammenhang symbolisiert. Ein Geier nagt dem Prometheus an der Leber. Kama ist symbolisiert in dem Geier; es verzehrt eigentlich wirklich die Kräfte der fünften Wurzelrasse. Der Geier nagt dem Menschen an der Leber, an der Grundlage, und so nagt diese Kraft der fünften Wurzelrasse an der eigentlichen Lebenskraft des Menschen, weil der Mensch gefesselt ist an die mineralische Natur, an den Petrus, den Fels, den Kaukasus. Damit
mußte der Mensch seine Prometheus-Ähnlichkeit bezahlen. Deshalb muß der Mensch seine eigene Natur bezwingen, damit er nicht mehr angeschmiedet ist an das Mineralische, an den Kaukasus.
Nur diejenigen, welche während der fünften Wurzelrasse als menschliche Eingeweihte entstehen, können dem gefesselten Menschen die Befreiung bringen. Herakles, ein menschlicher Eingeweihter, muß selbst zum Kaukasus dringen, um den Prometheus zu befreien. So werden die Initiierten den Menschen herausheben aus der Fesselung, und opfern muß sich, was dem Untergang geweiht ist. Opfern muß sich der Mensch, der noch im Zusammenhang ist mit dem Tierischen: der Kentaur Chiron. Der Mensch der Vorzeit muß geopfert werden. Das Opfer des Kentauren ist für die Entwicklung der fünften Wurzelrasse ebenso wichtig wie die Befreiung durch die Eingeweihten, durch die Initiierten der fünften Wurzelrasse.
Man sagt, daß in den griechischen Mysterien den Leuten die Zukunft prophezeit wurde. Darunter verstand man aber nicht ein vages, abstraktes Erzählen dessen, was in der Zukunft geschehen sollte, sondern die Angabe derjenigen Wege, die den Menschen in die Zukunft hineinführen, was der Mensch zu tun hat, um sich in die Zukunft hinein zu entwickeln. Und was sich als Menschenkraft entwickeln sollte, das wurde vorgestellt in dem großen Mysteriendrama des Prometheus.
Man hat sich nun vorzustellen unter den drei Göttergeschlechtern Uranos, Kronos und Zeus drei aufeinander folgende führende Wesenheiten der Menschen. Uranos heißt der Himmel, Gaia die Erde. Wenn wir zurückgehen hinter die Mitte der dritten Wurzelrasse, der Lemurier, dann haben wir noch nicht den Menschen, den wir jetzt kennen, sondern einen Menschen, den die Geheimlehre «Adam Kadmon» nennt, den Menschen, der noch ungeschlechtlich ist, den Menschen, der vorher noch nicht der Erde angehörte, der noch nicht die Organe entwickelt hat zum irdischen Schauen, der noch dem Uranischen, dem Himmel angehörte. Durch die Vermählung des Uranos mit der Gaia entstand der Mensch, der in die Materie herabstieg und damit zugleich in die Zeit einrückt. Kronos
- Chronos, die Zeit - wird der Herrscher des zweiten Göttergeschlechts von der Mitte der lemurischen Zeit an bis herein in den Anfang der atlantischen Zeit. Die führenden Wesenheiten sind symbolisiert bei den Griechen zuerst unter dem Uranos, später unter dem Kronos, und dann gingen sie über auf Zeus. Zeus aber ist noch einer derjenigen Führer, welche ihre Schule nicht auf der Erde durchgemacht haben. Er ist noch einer, der zu den Unsterblichen gehört, wie eben die ganzen griechischen Götter noch zu den Unsterblichen gehörten.
Die sterbliche Menschheit soll sich während der fünften Wurzelrasse auf eigene Füße stellen. Diese Menschheit wird repräsentiert durch den Prometheus. Sie erst brachte die menschlichen Künste und die Urkunst des Feuers. Auf sie ist Zeus eifersüchtig, da in der Menschheit heranwachsen ihre eigenen Eingeweihten, die in der sechsten Wurzelrasse die Führung in die Hand nehmen werden. Das muß sich aber die Menschheit erst erkaufen. Daher muß ihr Ureingeweihter die ganzen Leiden zunächst auf sich nehmen. Prometheus ist der Ureingeweihte der fünften Wurzelrasse, derjenige, der nicht nur in die Weisheit, sondern auch in die Tat eingeweiht ist. Er macht die ganzen Leiden durch, und er wird befreit durch denjenigen, der heranreift, um die Menschheit allmählich freizumachen und sie hinauszuheben über das Mineralische.
So stellen uns die Sagen die großen kosmischen Wahrheiten dar. Deshalb sagte ich Ihnen auch im Eingang: derjenige, der zur dritten Deutung aufsteigt, vermag sie wieder wörtlich zu nehmen.*) Bei der Prometheus-Sage haben Sie das Fressen des Geiers an der Leber. Das ist ganz wörtlich zu nehmen. Der Geier frißt wirklich an der Leber der fünften Wurzelrasse. Es ist der Kampf des Magens mit der Leber. In jedem einzelnen Menschen wiederholt sich während der fünften Wurzelrasse dieser prometheische Leidenskampf. Vollständig wörtlich ist das zu nehmen, was hier in der Prometheus-Sage ausgedrückt ist. Wäre dieser Kampf nicht da, dann wäre das Schicksal der fünften Wurzelrasse ein ganz anderes.
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*) Siehe Hinweis
Es gibt also zunächst drei Ausdeutungen der Sagen: erstens die exoterisch-wörtliche, zweitens die allegorische der Kampf der menschlichen Natur , drittens die okkulte Bedeutung, wo wieder eine wörtliche Interpretation der Mythen eintritt. Daraus können Sie ersehen, daß diese Sagen alle wenigstens alle diejenigen, welche eine solche Bedeutung haben aus den Mysterienschulen herrühren und nichts anderes sind als die Wiedergabe dessen, was in den Mysterienschulen als das große Drama des Menschheitsschicksals dargestellt worden ist. Wie ich Ihnen bei den Druidenmysterien zeigen konnte, daß [die Sage von] Baldur nichts anderes darstellt als das, was im Inneren der Druidenmysterien sich vollzogen hat, so haben Sie im Prometheus das, was der griechische Mysterienschüler im Inneren der Mysterien erlebt hat, um Kraft und Energie zum Leben in der Zukunft zu gewinnen.
Achter Vortrag Berlin, 14. Oktober 1904 Die Argonauten-Sage und die Odyssee
Durch die Betrachtung der verschiedenen Mythen möchte ich eine Grundlage schaffen für eine gewisse Art esoterischer Lehren, die ich in den nächsten Stunden behandeln werde. Heute möchte ich von einer sehr wichtigen Mythe sprechen, die wir auch in Griechenland finden und die, ebenso wie jede andere Mythe, stufenweise und mannigfaltig gedeutet werden kann. Wir wollen uns heute einmal ihren realen Kern klarlegen. Bevor ich aber dazu übergehe, möchte ich noch einiges Theoretisches vorausschicken.
Im letzten Heft von «Lucifer-Gnosis» habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß innerhalb der drei letzten atlantischen Kulturen ein bestimmter Einfluß auf unser Menschengeschlecht begonnen hat, der heute noch in einer gewissen Beziehung andauert. Dieser Einfluß hängt damit zusammen, daß damals die Menschen reif wurden, in dem zu leben, was wir unseren Intellekt, unseren Verstand nennen. Vorher war der Mensch mehr ein Gedächtniswesen. Bis zur vierten atlantischen Kultur wurde ganz besonders sein Gedächtnis ausgebildet. Der kombinierende Verstand, die rechnerische Tätigkeit, kurz dasjenige, worauf unsere ganze heutige Kultur beruht, begann mit der fünften atlantischen Kultur, mit den Ursemiten. Und deshalb wurden diese Ursemiten auch befähigt, die Stammrasse der ganzen fünften nachatlantischen Wurzelrasse zu werden. Diese Wurzelrasse hat im Laufe der Evolution vorzugsweise den Verstand, der mit dem physischen Plane beschäftigt ist, auszubilden. Wenn nun eine solche neue Entwicklungsphase in der Menschheit auftritt wie die des Verstandes, dann ist es möglich, daß neue Wesenheiten, die vorher nur im Verborgenen ihr Wesen trieben, auf die Evolution Einfluß gewinnen. Und in der Tat, seit jenem Zeitpunkt, seit der fünften atlantischen Kultur, konnte sich auf dem Gebiete der menschlichen Evolution eine gewisse Schar
von Wesenheiten betätigen, deren Tätigkeit vorher nicht bemerkbar war. Diese Wesenheiten müssen Sie sich hochentwickelt vorstellen, viel höher entwickelt als der Mensch auf seiner damaligen Stufe der Evolution. Aber sie waren in gewisser Weise zurückgeblieben hinter denjenigen Wesenheiten, die in der Mitte der lemurischen Zeitepoche in das Menschengeschlecht eingegriffen haben. Es war ein neuer Nachschub, der da stattfand. Diese Wesenheiten, von denen ich jetzt spreche, gehörten ihrer ganzen Natur nach zu dem, was wir die lunarische Entwicklung nennen. In der Mondepoche hatten sie ihre Entwicklung durchgemacht, aber sie waren nicht so weit gekommen wie diejenigen, welche in der Mitte der lemurischen Zeit eingreifen konnten. Sie waren zurückgeblieben hinter der normalen Entwicklung auf dem Monde. Sie waren gerade so weit gekommen, daß sie die Fähigkeiten, die die Menschen damals erlangt hatten, als ihnen gleichartig erkannten, und das hatte zur Folge, daß sie sich ihrer bemächtigen konnten. Vorher waren die Menschen keine intelligenten Wesenheiten; jetzt bekamen sie den Intellekt. Und diese neue Fähigkeit benützten die Wesenheiten zu ihrer weiteren Entwicklung. So geschah es, daß dazumal jene Entwicklungsphase einsetzte, die wir die Vorbereitung zu der objektiven Wissenschaftlichkeit nennen. Die gab es früher nicht und wird es auch später nicht mehr geben. Alle Weisheit, die in der Menschheitsevolution errungen wurde, war im Grunde verknüpft mit dem, was wir Liebe nennen. Jene kalte, rein berechnende Wissenschaftlichkeit ist beeinflußt von diesen einen «Nachschub» darstellenden Wesenheiten.
Der Einfluß dieser Wesenheiten also, die heute noch immer in einer gewissen Weise wirksam sind, wird erst dann beendet sein, wenn auch unsere ganze intellektuelle Tätigkeit, alles, was wir wissen können, alles, was wir Verstandestätigkeit nennen, wiederum durchdrungen sein wird von Liebe. Wenn der Verstand und die Liebe sich wieder zu der höheren Weisheit vereinigt haben werden, dann wird der Einfluß dieser Wesenheiten, die auf dem physischen Plane nicht sichtbar sind, verschwinden. Den Einfluß dieser Wesenheiten den Menschen klarzumachen, klarzumachen zunächst
den Mysterienschülern, das war die Aufgabe namentlich der griechischen Mysterien.
Ungefähr im 8. Jahrhundert vor Christi Geburt bricht in bezug auf diese Wesenheiten eine ganz besonders wichtige Epoche herein. Wenn Sie die Kulturen unserer fünften Wurzelrasse betrachten, jene, welche die alte Vedenkultur, dann diejenigen, welche die uralte persische, die chaldäisch-ägyptische Kultur begründet haben, so werden Sie finden, daß selbst noch in den Epochen, die die Druidenkultur hervorgebracht haben, eine objektive, nüchterne Wissenschaft eigentlich nicht vorhanden war. Diese tauchte erst auf, als die vierte Kulturepoche immer mehr und mehr heraufdämmerte. Den Beginn der vierten Kulturepoche wird man etwa im 8. Jahrhundert vor Christi Geburt verzeichnen können. Damit dämmerte eine von allem übrigen menschlichen Gemütsinhalt abgesonderte, objektive Wissenschaft herauf. Ein chaldäischer Priester, der Astronomie getrieben hat, hat noch die Absichten der Weltregierung zu ergründen versucht. Ebenso war es bei den Priestern der Ägypter und den Druidenpriestern; sie suchten Einsichten zu erhalten in die Absichten des Weltenlenkers. Eine reine Verstandeswissenschaft dämmerte erst in Griechenland herauf. Diese Verstandeswissenschaft, die sich nach und nach vorbereitet hat und durch den Einfluß der genannten Wesenheiten heraufkam, aber mit der anderen menschlichen Tätigkeit verknüpft war, wurde vollständig entfesselt in der vierten Kulturperiode der fünften Wurzelrasse. Die Eingeweihten, die unterwiesen wurden in den Mysterien der damaligen Zeit, empfanden die Urweisheit, die dem Menschengeschlecht früher zuteil geworden war, gegenüber der äußeren Weisheit als etwas Verlorenes, das erst wieder gesucht werden mußte. Es hat einen Zeitpunkt gegeben, in dem diese erstorbene Weisheit sich abgesondert hat von der umfassenden Urweisheit. Diesen Zeitpunkt, in dem diese nüchterne, trockene Weisheit sich abgesondert hat von der umfassenden Urweisheit, hat man dadurch bezeichnet, daß man sagte: Etwa im 8. Jahrhundert vor Christus ist die Sonne durch den Frühlingspunkt im Widder durchgegangen. Dieser Durchgang der Sonne durch den Widder ist die Wiederholung
eines vor Jahrtausenden stattgefundenen früheren Durchgangs durch dasselbe Zeichen. Die Sonne rückt ja bekanntlich durch den ganzen Tierkreis, durch die Tierkreisbilder Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau und so weiter, so daß sie schon viele Male durch den Widder hindurchgegangen ist. Das letzte Mal war sie durch den Widder durchgegangen, als der Mensch noch die Vereinigung von Liebe und Erkenntnis und damit die Urweisheit besaß. Diese Urweisheit war nun verlorengegangen und hatte einer äußerlichen Verstandeskultur Platz gemacht. Diesen ganzen Vorgang in seiner okkulten Bedeutung drückte der griechische Mysterienpriester aus durch den ungeheuer tiefen Mythos von der Argonauten-Sage, in welcher der Widder das Sinnbild der Vereinigung von Liebe und Erkenntnis darstellt.
Halten wir uns den ganzen Mythos erst einmal vor Augen. Es wird uns erzählt, daß Phrixos und Helle viel zu leiden hatten von ihrer bösen Stiefmutter Ino. Deshalb erschien dem Phrixos seine göttliche Mutter Nephele und riet ihm, mit der Schwester zu entfliehen. Sie gab ihm auch einen großen Widder mit einem goldenen Vlies, mit dem sie über das Meer reiten sollten. Helle sei dann abgestürzt und im Meer ertrunken, das danach den Namen Hellespont erhielt; Phrixos dagegen sei mit dem Widder nach Kolchis gekommen. Dort soll er den Widder dem Zeus geopfert und das Fell dem König Aietes gegeben haben, der es an einer Eiche vor einer Höhle aufgehängt habe. Später machte sich der griechische Held Jason gemeinsam mit den bedeutendsten der damaligen griechischen Eingeweihten Orpheus, Theseus, Herakles und anderen auf, um das Widderfell von den barbarischen Völkern in Kolchis wieder zurückzuholen. Dadurch, daß er die jüngste Tochter des Königs Aietes, Medea, für sich gewann, wurde es ihm möglich, das Widderfell wieder nach Griechenland zurückzubringen. Er mußte zuerst zwei feuerschnaubende Stiere besiegen. Weiterhin mußte er Drachenzähne ausstreuen; aus den Drachenzähnen wuchsen geharnischte Männer hervor, welche in Streit kamen. Durch Medea wurde er befähigt, diesen Streit zu schlichten. Sie war es auch, die Jason ermöglichte, das Widderfell zu nehmen und mit ihm und ihr
die Heimreise nach Griechenland anzutreten. Medea hatte, um ihren Vater zu täuschen, ihren Bruder mitgenommen, ihn getötet und zerstückelt ins Meer geworfen. Während der jammernde Vater die Glieder sammelte, konnten sie die Flucht nach Griechenland fortsetzen.
Im 8. und 9. Jahrhundert vor Christi Geburt, also am Eingang der griechischen Kulturperiode, wurde die okkulte Bedeutung dieser Sage den griechischen Geheimschülern gelehrt. Diese okkulte Bedeutung liegt in der Mitteilung, daß diejenigen Wesenheiten, welche sich der trockenen, nüchternen Intelligenz der Menschen bedienen, von diesem Zeitpunkt an eine besondere Bedeutung erlangten. Die Sehnsucht nach der Urkultur, welche einmal bestanden hatte, als die Sonne zum vorletztenmal durch den Widder gegangen war, erwachte jetzt wieder. Daß das Zwillingspaar Phrixos und Helle vom Widder nach Kolchis gebracht wurde, heißt nichts anderes, als daß eine vorhergehende Unterrasse, die persisch-iranische mit ihrer Zwillingsnatur sie haben unter dem Zeichen des Guten und Bösen, Ormuzd und Ahriman, gestanden , die Verbindung von Erkenntnis und Liebe wiedergewinnen will. Die vorhergehende Unterrasse hatte dieses in verborgene Gebiete getragen. Früher, in der atlantischen Zeit, war dieses Fell, diese Weisheit, Gemeingut der menschlichen Kultur gewesen, dann war es in ferne Geheimschulen getragen worden. Es muß zurückgeholt werden. So sehen wir ausgedrückt in der Argonauten-Sage die Begründung der Geheimschulen in Griechenland.
Es gab also eine Urweisheit bei der atlantischen Rasse, so wird uns erzählt. Diese Urweisheit war damals Gemeingut der Menschheit. Sie ist verlorengegangen und nur noch in den Höhlen und Krypten der Mysterienschulen zu finden. Die Griechen aber haben für ihre Eingeweihten die Mysterien neu errichtet, und Theseus, Orpheus, Herkules und andere waren die Begründer dieser Weisheitsschulen dadurch, daß sie die Urweisheit wieder zurückgeholt haben nach Griechenland. Durch Thales, Anaximenes, Sokrates und andere Philosophen ist eine nüchterne, kalte Verstandesweisheit heraufgebracht worden, die objektiv ist. Die Mysterienweisheit
ist mit der Liebe verbunden. Sie ist eine Weisheit, die nicht erlangt werden kann ohne die Läuterung der Leidenschaften, der Kamakräfte. Die Verstandeswissenschaft dagegen kann ohne Läuterung von Kama erlangt werden. In der so wichtigen Argonauten-Sage ist uns also der Übergang von der dritten zur vierten Kulturperiode unserer gegenwärtigen Wurzelrasse dargestellt. Der Übergang besteht darin, daß der früher gemeinsame Strom der menschlichen Kultur sich teilte in zwei Strömungen: in Mysterienweisheit und in die äußere Verstandeswissenschaft. Der eine Strom war verborgen, aber so, daß er doch wirksam war und Einfluß bekam auf die griechische Kunst und Kultur er ist dargestellt als das Zurückholen des Widderfelles. Nur auf die Verstandeswissenschaft sollte er fortan keinen Einfluß haben. Das ist die Sage von dem Argonautenzug.
Auch bei der Odysseus-Sage sehen wir, daß sie sich bezieht auf den Übergang von einer Rasse zur anderen. Die Odysseus-Sage hat hintereinander die mannigfaltigsten Deutungen und Auslegungen gefunden. Ich möchte heute nur das Gerüst dieser Sage angeben. In meinem Buche «Das Christentum als mystische Tatsache» habe ich die zweite Art der Ausdeutung, die allegorische, anzuwenden versucht; heute wollen wir die dritte Art der Ausdeutung, die okkulte, betrachten.
Odysseus, der unter den Kämpfern von Troja war, hat den Griechen durch Schlauheit und Klugheit dazu verholfen, Troja zu erobern. Er hat große Irrfahrten durchgemacht auf dem Wasser; das bitte ich festzuhalten. Er kam zu den Zyklopen, überwand den Hauptzyklopen mit dem einen Auge, ging dann weiter zu Circe, welche, wie uns erzählt wird, seine Gefährten in Schweine verwandelte. Dann ging er in die Unterwelt und machte da mit den im Trojanischen Krieg gefallenen Helden Bekanntschaft. Dann kam er unter die Gewalt der Sirenen, die durch ihren zauberhaften Gesang die Menschen verführen. Es wird uns weiter erzählt, wie der größte Teil der Gefährten der Verführung erliegt und wie er sich dadurch rettet, daß er sich an sein Schiff festbinden läßt. Odysseus kommt dann an einen Ort, der sich zwischen Skylla und Charybdis befindet, wo die Schiffe Gefahr laufen zu scheitern. Er muß sich durch
einen Meeresstrudel hindurchretten. Er kommt dann nach Ogygia, der Insel der Nymphe Kalypso, verweilt dort sieben Jahre und wird durch Zeus, der Kalypso den Auftrag gibt, ihn freizugeben, entlassen und gelangt schließlich in seine Heimat Ithaka. Durch die Göttin Pallas Athene wird er in sein Haus und zu seinem Weib Penelope geführt, das die verschiedensten Fährnisse auszustehen hatte, weil sich viele Freier um sie bemühten. So fertigte sie bei Tag ein Gewebe an, das sie bei Nacht wieder auftrennte, weil sie den Freiern ihre Hand versprochen hatte, wenn das Gewebe fertig sei.
Nun bitte ich Sie, dieses Gerüst der Odysseus-Sage mit mir einmal in der Art durchzugehen, wie es uns bekannt ist aus der griechischen Mysterienweisheit. Die Einweihungsschulen, in denen sich tatsächlich abspielte, was hier erzählt wird, führten den Schüler auf dem Astralplan und dem Mentalplan so, daß er eine bestimmte Strecke der menschlichen Entwicklung durchlaufen konnte, und zwar die Strecke von der Mitte der lemurischen Zeit bis zu dem Zeitpunkt, wo in Griechenland der Mensch in den Einweihungsschulen, die durch Jason zusammen mit Orpheus, Theseus, Herakles und anderen begründet worden waren, wiederum die Urweisheit finden konnte. Es wurde also der Schüler auf den Astral- und Mentalplan geführt, und es wurden ihm die Vorgänge gezeigt, die die Menschheit durchlaufen hatte von der Mitte der lemurischen Zeit bis zu dem Punkte, wo der Trojanische Krieg sich abspielte. Durch das Mythische im Argonautenzug wird uns ein Stück der Urweisheit dargestellt. Es zeigt sich uns, daß sie dazumal neben der Wissenschaft einherging. Was wurde den Menschen, den Einweihungsschülern, nun in der Odysseus-Sage gezeigt? Das wird uns in Odysseus repräsentativ dargestellt.
Versetzen wir uns einmal zurück in die Mitte der lemurischen Zeit. Der Mensch war da auf dem Übergang von dem hermaphroditischen Zustand in den Zustand der Geschlechtlichkeit, auf dem Übergang vom Zustande des Sehens ohne äußeres physisches Sinnesorgan zum Sehen mit dem äußeren physischen Auge. Tatsächlich hatte der Mensch bis zur Mitte der lemurischen Zeit jenes «eine Auge», das dann ersetzt wurde durch die zwei äußeren,
physischen Augen. In diese Entwicklungsphase wurde der Schüler damals zurückversetzt. Er sollte den Übergang erleben von der vorlemurischen Zeit in die nachlemurische Zeit, in die Zeit nach der Mitte der lemurischen Rasse bis zum Auftauchen des äußeren Auges. Die Zyklopen waren die Menschen der vorlemurischen Zeit. Mit diesen machte Odysseus auf dem Astralplan Bekanntschaft. Nun war des Menschen Astralkörper nach dieser Zeit in die dichter und fester werdende Materie hineingesenkt worden. Das wurde den Einzuweihenden vorgestellt. Wir kommen dann heran an die ersten atlantischen Zeiten. Immer mehr und mehr gewinnt der Atlantier die Fähigkeit, die Lebenskräfte zu verwenden, sich ihrer zu seinen Verrichtungen zu bedienen. Es waren ausgebildete, hohe astrale Fähigkeiten, die die Atlantier entwickelten und zu denen sich ein Grieche nur auf dem astralischen Plane zurückversetzen konnte. Das war die Zeit, von der so viel in alten okkulten Schriften die Rede ist, wo die atlantischen Geschlechter in die wildesten Künste der schwarzen Magie verfielen. Diese Epoche wurde dem griechischen Mysterienschüler dramatisch vorgeführt in Verwandlungsbildern. Es war die Epoche, wo des Menschen Leidenschaften unter dem Einfluß der schwarzmagischen Kräfte so entstellt wurden, daß die Astralkörper den niedersten Tieren glichen. Das war auch das Bild, das sich darbot, als dann später die Turanier in diese wilden magischen Künste verfielen. Der Astralkörper wurde so verwandelt unter dem Einflusse dieser schwarzen Künste, daß es symbolisch ausgedrückt hieß: Circe verwandelte die Gefährten des Odysseus in Schweine. Diesen Zeitpunkt der menschlichen Entwicklung machte der griechische Eingeweihte durch.
Dann stieg Odysseus in die Unterwelt hinab. Das Hinabsteigen in die Unterwelt bedeutet nun überall, wo es uns in der griechischen Sagenwelt entgegentritt, daß eine Einweihung stattfindet. Wenn von einem Helden gesagt wird, daß er in die Unterwelt hinunterstieg, will der Erzähler damit nichts anderes ausdrücken, als daß der Betreffende eingeweiht wurde, daß er bekannt wurde mit den Dingen, die jenseits des Todes liegen. Odysseus war ein Eingeweihter, und die Odysseus-Sage selbst ist die Darstellung seiner Einweihung.
Wir schreiten nun weiter bis zu dem Zeitpunkte, wo nach der atlantischen Flut die Menschen bekannt wurden mit den ersten Wirkungen jener Wesenheiten, von denen ich gesprochen habe, die sich in der äußeren Kultur, in der damaligen Wissenschaft und in den damaligen Künsten offenbaren mit denjenigen Wirkungen, die auf das Intellektuelle Einfluß hatten nach der atlantischen Flut. Die ersten Anfänge rein äußerer physischer Kultur wurden dem Eingeweihten vorgeführt als die Verlockungen der rein weltlichen Künste, der rein weltlichen Kultur. Es sind die Sirenenklänge der jungen fünften Wurzelrasse. Diese Sirenenklänge der jungen fünften Wurzelrasse waren es, von denen so viel gesprochen wird in den okkulten Schriften. Denn wir haben auf der einen die große Weisheitslehre des Manu, welcher die Menschen der fünften Wurzelrasse darauf aufmerksam macht, daß ihr Intellekt sich zu erheben hat zu dem Göttlichen. Das hat seinen Ausdruck gefunden in den Veden und in dem, was der persische Zarathustra als Religion begründet und seinen Religionsgenossen hinterlassen hat. Daneben haben wir die rein verstandesmäßige Kultur, die den Menschen abbringt von dem, was unter dem Einfluß des Manu sich entwickelt. Sie finden in allen okkulten Schriften die Vorgänge dargestellt, die da stattfanden. Der Manu wählte das kleine Häuflein aus und ging in die Wüste Gobi oder Schamo. Da war es nur eine kleine Schar, die ihm treu blieb, während die anderen untreu wurden und sich nach allen Seiten zerstreuten. Dieser wichtige Vorgang, daß der Manu zuerst einen Teil der Ursemiten auswählte, daß von diesen Ausgewählten aber wieder nur ein kleiner Teil ihm folgte, während der andere Teil zugrundeging, weil er den Sirenenklängen der äußeren Kultur folgte, dieser wichtige Vorgang wurde den Einzuweihenden dargestellt.
Dann wird noch ein wichtiger Punkt der Menschheitsentwicklung in der Odysseus-Sage dargestellt, der Durchgang zwischen Skylla und Charybdis. Was beginnt denn jetzt eigentlich in der Menschheit? Jetzt erst beginnt, wie wir gesehen haben, die eigentliche Kama-Manas-Kultur. Nach und nach ist sie bis hierher vorbereitet worden. Jetzt beginnt sie. Unsere fünfte Wurzelrasse hat
vorzugsweise diese Kama-Manas-Kultur. Kama ist im Astralen und auch heute noch im Astralkörper tätig. Manas aber ist das, was im physischen Gehirn tätig ist. Der Mensch der fünften Wurzelrasse denkt mit seinem physischen Gehirn. Erst in einer künftigen Entwicklungsphase wird auch das Kama, der Astralkörper so weit sein, daß er zu denken vermag. Heute hat Manas erst im physischen Gehirn Platz gegriffen. Zwischen den zwei nach beiden Seiten uns schleudernden Strudeln Skylla und Charybdis müssen wir hindurch. Das wird repräsentiert durch den Durchgang des Odysseus zwischen Skylla-Manas und Charybdis-Kama. Da ist auf der einen der astrale Strudel, die Triebe, Begierden und Leidenschaften, in denen der Mensch untergehen kann, und auf der anderen der an den Felsen geschmiedete physische Verstand. Der Fels ist uns ja bereits begegnet in der Prometheus-Sage. Hier tritt uns der Fels wieder entgegen. Der menschliche Verstand ist allen Gefahren der Physis, des Felsens, ausgesetzt. Zwischen den Klippen des physischen Verstandes und dem Strudel des astralen Lebens muß der Mensch hindurchsegeln. Hat er sich da durchgebracht, hat er erkannt, welche Gefahren ihm drohen und hat sich dennoch aufrecht halten können, dann kommt er zu der Insel der Kalypso, zur verborgenen Weisheit. Da kann er den Ausblick tun in die Zukunft der Menschheit, die Probezeit durchmachen, die sieben Jahre andauert. Deshalb bleibt Odysseus auch sieben Jahre bei der Kalypso. Jeder, der zur Einweihung kommen will, muß eine siebenjährige Probezeit durchmachen, und die ist angedeutet durch den Aufenthalt bei der Kalypso, wo hinter der Täuschung verborgene Weisheit lebt. Dann erst kann er dahin kommen, wo die Seele hingelangt, wenn sie dem Strudel der astralen Leidenschaften entronnen ist. Lesen Sie Homers «Odyssee»; er deutet an, daß der Mensch die eigene Seele sucht. Die Zurückkunft der eigenen Seele, das ist das Streben nach der Heimat. Wer die Odyssee wirklich verstehen will, darf nicht der Ansicht eines neueren Forschers sein, der da meint, daß mit dem Polyphem und den Zyklopen nichts anderes gemeint sei, als daß der Ätna Feuer gespieen hätte und die Brandstelle dem Odysseus erschienen wäre als das Auge des Riesen.
Odysseus kommt zuletzt als Bettler nach Hause, ohne alles äußere Gut. Damit ist angedeutet, daß der Mensch, der das Unwichtige der äußeren Welt und der weltlichen Güter durchschaut hat, nicht in der Maya, sondern hinter der Maya die Heimat der Seele sucht, daß er also im mystischen Sinn als Bettler in die Heimat kommt. Daß er in Wahrheit ein Weiser ist, das wird dadurch angedeutet, daß Pallas Athene Odysseus nach Hause geleitet. Die eigene Seele wird in aller Esoterik dargestellt durch ein weibliches Wesen; immer werden als Symbole für das Streben der eigenen Seele weibliche Wesen gewählt. Goethe nennt es das Ewig-Weibliche. Wie in der Medea in der Sage vom Argonautenzug, so haben wir hier in der Penelope die eigene Seele zu sehen, zu der Odysseus wieder den Weg sucht. In der christlichen Religion ist die Jungfrau Maria die nach Erlösung strebende menschliche Seele, nur ist die Bedeutung hier eine unendlich viel tiefere. Diese Penelope ist, um es genau zu sagen, die Seele des Menschen in der fünften Wurzelrasse. Die fünfte Wurzelrasse hat den menschlichen Verstand zu kultivieren. Er ist das Unfruchtbarste, das es an sich gibt; nur wenn er angewendet wird auf einen Inhalt, dann kann der Verstand fruchtbar werden. Der Verstand ist ein Netz, das gesponnen wird um die Dinge, die wir anderswoher haben. Wenn Sie die äußere Erfahrung etwas lehrt, können Sie es mit dem Verstande umspinnen. Wenn Sie die höhere okkulte Weisheit etwas lehrt, dann können Sie es wiederum mit dem Verstande umspinnen. Die Menschen sagen oft, die okkulten Weisheiten widersprächen dem Verstand. Nichts widerspricht dem Verstande. Die Menschen haben immer, wenn etwas Neues in ihren Horizont eingetreten ist, gesagt, es widerspreche dem Verstande. Der Verstand ist aber nur zum Kombinieren, zum Verbinden da. Aus sich selbst kann er nichts gewinnen, vom Verstande aus können Sie nichts beweisen. Dieses Unfruchtbare des Verstandes, der doch die eigentliche Seele der fünften Wurzelrasse ist, wird ausgedrückt in dem fortwährenden Spinnen und Wiederaufziehen des Gewebes der Penelope. Odysseus wird durch die Weisheit geleitet. Der Eingeweihte muß den Weg finden zu der Seele der fünften Wurzelrasse, zu dem
unfruchtbaren Verstande. Aber er wird nur dann sich in der richtigen Weise mit der Seele der fünften Wurzelrasse verbinden, wenn er eben mit der Weisheit selbst erfüllt ist, wenn er von Pallas Athene geleitet wird. Pallas Athene wiederum ist eine höhere weibliche Gottheit, eine andere Kraft in der Seele; die Weisheit, die eigentliche Führerin. Der Mensch muß nach mancherlei Irrfahrten, die er durchgemacht hat, sofern sie wirklich Entwicklungsfahrten sind, zum Verstande kommen. Dabei muß Pallas Athene, die Weisheit, seine Führerin sein. Das wurde dem Mysterienschüler in Griechenland vorgeführt, und das wollte Homer in der tiefsinnigen Odysseus-Sage erzählen.
Eine Einweihung also, wie sie damals in Griechenland gepflegt wurde, ist uns in der Odysseus-Sage dargestellt, eine Einweihung, die nichts anderes war als eine im Astral-Mentalen erfolgte Wiederholung der Erlebnisse der Menschen in der lemurischen Zeit bis in die Zeit der Mysterien selbst. Odysseus ist der Schlaue, Kluge, und durch seine Fähigkeiten wurde Troja überwunden. Der kluge Verstandesmensch ist der Mensch der fünften Wurzelrasse. Aber diese seine Heimat, seine Penelope, muß er wieder auf dem Umwege suchen, um in der fünften Wurzelrasse seinen Weg richtig gehen zu können. Derjenige, welcher bloß schlau und klug ist, würde innerhalb der fünften Wurzelrasse nicht den richtigen Weg finden. Er muß erst aus sich herauskommen und seinen Blick erweitern, indem er zurückblickt auf den langen Weg der Entwicklung des Menschengeschlechts. Odysseus ist der Repräsentant des schlauen Kama-Manas-Menschen, der mancherlei Irrfahrten durchmachen muß, um in der fünften Wurzelrasse wieder zur Seele geführt zu werden.
Neunter Vortrag Berlin, 21. Oktober 1904 Die Siegfried-Sage
Suchen wir uns eine lebendige Anschauung zu bilden über das Entstehen der nordischen Sagenwelt, so ist besonders wichtig der Zeitraum, der vor dem ersten christlichen Jahrhundert liegt und danach. Damals waren die nördlichen Gegenden Europas in einem Zustande der Erwartung. Das Ereignis, dessen Wirkung sich über Europa ausbreiten sollte, der Niederstieg des göttlichen Vatergeistes bis in einen physischen Menschen hinein, war den Initiierten der nordischen Völker bekannt; das wurde auch in den Mysterien erzählt.
In den alten Druiden-Mysterien im Norden wurden ähnliche Initiationen vollzogen wie bei andern aufsteigenden Völkern der damaligen Zeit. Ein Unterschied ist aber hervorzuheben zwischen dem, was sich im Norden vorbereitete und dem, was in andern Gegenden geschah. Um uns eine begriffliche Anschauung davon zu bilden, müssen wir einen Blick zurückwerfen auf die Entstehung der menschlichen Rassen auf den allmählich zu menschlichen Wohnstätten sich herausgestaltenden Gebieten der Erde. Von einer physisch bewohnbaren Erde können wir erst sprechen seit der lemurischen Wurzelrasse. Aber eine Äthererde ging dieser lemurischen Zeit voran, an welche die Sagen über das Paradies anknüpfen, ebenso die Sagen der verschiedenen Völker des südlichen und nördlichen Erdkreises. Sie sind dasjenige, was den Weisheitsschatz der Mysterien bildet. Die Schulung in den Mysterien bestand darin, daß sie, dem Auffassungsgrade der Menschen gemäß, ihnen stufenweise dasjenige enthüllten, was die menschlichen Seelen imstande waren aufzunehmen und zu verarbeiten. Man kann also vom gemeinsamen Ursprung der Mysterien sprechen, der in der imaginativen und inspirierten Erkenntnis ihrer sie leitenden Lehrer liegt und von der dadurch gegebenen Einheit der Lehren, aber auch von
deren Verschiedenheit, die durch die Zeitenläufe und die geographische und menschliche Umgebung gegeben ist. Sie waren geschützt durch die strengste Schweigepflicht, da durch Unreife Böses statt Gutes entstehen mußte, und auf dem Verrat der Mysterien an unreife Menschen stand Todesstrafe.
Doch lassen wir jetzt einige Streiflichter auf dasjenige fallen, was als gemeinsame Richtlinien zugrundelag den alten atlantischen Mysterien, die sich aus den Orakelstätten heraus zu Einweihungsschulen gestalteten. Auf neuplatonische Quellen und auf Plotin sich stützend, hat die theosophische Literatur ihre chronologischen Untersuchungen an die Annahme geknüpft, daß mit Sokrates der geschichtliche Augenblick gegeben war, in dem die früher von göttlichen Wesenheiten inspirierte und den Menschen als Werkzeug benutzende Weisheit sich in den Menschen, den Anthropos, hinuntersenkte und allmählich sein Gut, seine Aufgabe, seine Pflicht wurde. Sokrates mußte noch den Tod dafür erleiden, daß er Wahrheiten aus den Mysterien seinen Schülern vermittelte. Er nahm den über ihn verhängten Tod willig und bewußt auf sich. Aber die Metamorphosierung dieses Gedankens des bewußt erlebten Todes, der erst zum wahren Leben führt, sollte erst in den nordischen Völkern zur Reife gelangen, die langsam und allmählich dafür vorbereitet wurden durch dasjenige, was in ihren eigenen Mysterien lebte, und die durch eine lange Wartezeit hindurch zu einer größeren Reife ihres Seelenorganismus geführt wurden. Buddha wurde aus seiner Religionsgemeinschaft ausgestoßen, weil er hinausging, von Ort zu Ort wanderte und den Menschen die Lehre brachte von der Befreiung durch den Tod. Das war eine Mysterienwahrheit, die noch nicht gelehrt werden durfte. Sie durfte nur in einer fernab liegenden Zeit zur Geltung kommen und konnte jetzt nur in einzelnen Feuerseelen, diese ferne Zeit vorbereitend, leben. Ihre Erfüllung sollte sie erst finden durch das Christentum. Doch bis zu dieser Zeit ihrer Erfüllung mußten gewisse Völkerschaften durch ihre Mysterien eine Erziehung erhalten, die sie als Volksubstanz für die fernab liegenden Aufgaben der Menschheitszivilisation prädestinierten.
Vor uns gab es vier Wurzelrassen; wir stehen in der fünften Wurzelrasse, der nachatlantischen. Die Bezeichnungen, die man den ersten Unterrassen Kulturepochen dieser nachatlantischen Zeit gab, kann man in der deutschen Sprache annähernd mit den Worten übersetzen: die Unterrassen des Geistes, der Flamme und der Sterne. Der ersten Unterrasse, der Rasse des Geistes, wurde zuerst der Gehalt der fünften Wurzelrasse in geistiger Form durch den Manu gegeben; sie umfaßt das indische Volk. Die zweite Unterrasse ist die Rasse der Flamme, welcher Zarathustra ein Religionsbekenntnis gegeben hat. Die dritte Unterrasse war die Rasse der Sterne, die der Chaldäer, Babylonier, Assyrer, aus der später die israelitische Tradition hervorgegangen ist. Die griechisch-lateinischen Völker, die im Griechentum und Römertum ihre hauptsächlichen ersten Repräsentanten hatten, wurden die vierte Unterrasse. Es ist diejenige, in welcher das Christentum zuerst Wurzel gefaßt hat in Kleinasien, Griechenland und Rom. Sie war bestimmt, am stärksten vom Christentum beeinflußt zu werden, aber erfassen konnte sie seine über menschliches Begriffsvermögen hinausgehende Bedeutung noch nicht. Dazu war eine lange Vorbereitung notwendig. Diese war schon gegeben durch die in den nordischen Mysterien heraus gestaltete Sagenwelt, die in Liedern und Epen weiterlebte, durch Rhapsoden von Land zu Land getragen wurde und zur religiösen Innigkeit sich steigerte.
Unsere fünfte Unterrasse hat das am Beginn unserer Zeitrechnung begründete Christentum überliefert erhalten. Einige Jahrhunderte aber, bevor das Christentum in die nördlichen Gegenden gebracht worden ist, und auch in älteren Zeiten, bestanden die alten Druiden-Einweihungen. Diese hielten ungefähr so lange stand, bis man ganz genau wußte, daß jetzt die Abenddämmerung dieser vorbereitenden keltischen Kultur eingetreten war. Sie müssen sich vorstellen, daß alle die Einflüsse, die über andere Völker gezogen waren, nicht in diese nördlichen Gegenden gekommen sind. Alle die Strömungen, welche zu der Rasse der Flamme und der Rasse der Sterne gehörten, waren nicht bis zu den nordischen Gegenden vorgedrungen. Im Norden war noch etwas übriggeblieben von den
Überresten der atlantischen Kultur, die durch Initiierte herübergetragen worden war. Wotan war der Initiierte der nordischen Völkerschaften, der die Elemente der atlantischen Kultur in diese Gegenden herübergebracht hatte.
In diesen nordischen Gegenden war überall die Druiden-Einweihung in Geltung. Ich habe bereits erzählt, daß einer der Begründer, man kann sagen der hauptsächlichste Begründer dieser Einweihungsstätten, Sig oder Sigge hieß. Und hier in diesen nordischen Gegenden geschah etwas ähnliches, wie es später in Palästina zur Begründung des Christentums geschah: Sig gab seinen Leib ab und stellte ihn zur Verfügung einer höheren Individualität. Daher ist der verwandelte Sig später Odin genannt worden; dieser war der höchste Initiierte der nordischen Mysterien; Odin war der Träger der geistigen Kultur in dieser Zeit. Sig war also im Norden der Chela, der dem höheren, geistigeren Odin seinen Leib zur Verfügung gestellt hat. Er lebte selbst später als initiierter Meister weiter. Sig ist ein ganz besonderer Fall. Er konnte nicht eine Bewegung einleiten, wie es etwa der Meister Jesus tat, nachdem das Christentum begründet war. Sig muß ja diese nordische Kultur, die sich hier geltend gemacht hatte, zum Untergang führen. Er ist berufen, die nordischen Völker so lange zu führen, bis vom Süden her durch die vierte Unterrasse der fünften Wurzelrasse das Christentum zu ihnen kam. Der alte Chela Sig ist derjenige, der die nordischen Völker in den tragischen Untergang hineinführen mußte. Daher heißt er auch Sigurd, das heißt derjenige, der in die Vergangenheit führt. Urd ist die Norne der Vergangenheit. Fried bedeutet dasselbe, das, was zum Frieden führt, das heißt zum Tode, zum Untergang. Dies ist noch erhalten in dem Wort Friedhof: dasjenige, was zum Tode geführt worden ist. Derselbe Chela, der dem großen Initiierten den Weg gebahnt hat, soll die nordische Kultur zum Untergang führen. Ihr geistiger Inhalt geht unter und wird durch das herankommende Christentum ersetzt. Das, was ich jetzt gesagt habe, ist ein prophetischer Inhalt, der in den späteren Mysterien der nordischen Völker vielfach so beschrieben wurde: Wir müssen ein Stamm sein, der zum Frieden geführt wird das ist der
Klang, der aus den verschiedenen Mysterien in diesen nordischen Völkern heraus spricht. Der ganze zukünftige Vorgang, der in den Schriften seit uralten Zeiten aufgezeichnet war, wurde als Vorhersagung in den nordischen Mysterien verkündigt, und aus diesen Vorhersagungen ist das entstanden, was später zum Inhalt des Nibelungenliedes und der Siegfried-Sage wurde. Im zweiten Teil des Nibelungenliedes ist der Abschluß des Karmas der Nibelungen gegeben.
Eine Eigentümlichkeit muß ich erwähnen, die immer in einem solchen Fall in der Entwicklung der Menschheit eintritt: Bevor eine neue Phase Platz greift, muß die frühere Entwicklungsphase kurz wiederholt werden. Gerade hier im Norden stellt sich diese Wiederholung früherer Phasen deutlich dar. Es wird uns dargestellt, wie dasjenige, was hier im Norden durchgemacht worden ist seit der lemurischen und atlantischen Zeit, überwunden werden muß, bevor diese nordischen Völker reif werden, sich zur christianisierten fünften Unterrasse heraufzubilden. Derjenige, in dem die ganze Summe der Geschichte der nordischen Kultur lebt, das ist der Initiierte Siegfried. Lassen wir einmal kurz die hauptsächlichsten Punkte der Siegfried-Sage an uns vorüberziehen.
Zunächst wird uns das Leben der drei Helden Gunther, Hagen und Giselher am Hofe in Worms dargestellt. Wir hören weiter, wie der Held Siegfried für Gunther wirbt um Brünhilde. Wir hören, daß in Siegfried am Hofe in Worms eine außerordentliche Persönlichkeit erkannt wird. Das ist er auch, denn er ist unverwundbar, er hat den Besitzer des Nibelungenhortes getötet, er hat im Kampfe mit dem Drachen seinen Körper ganz hörnern gemacht, und er hat sich die Tarnkappe erobert. Er besitzt also zweierlei Eigenschaften, die die Initiierten der vorchristlichen Zeit immer zeigen: Sie sind unverwundbar, und sie sind unerkennbar. Sie sind unverwundbar durch ihre Einweihung. Im Evangelium heißt es: Drei sind es, die da zeugen: Blut, Wasser und Geist. Blut und Wasser müssen besiegt werden. Was unverwundbar machte in den Zeiten, die dem Christentum vorhergingen, waren Blut und Wasser. Diese unverwundbaren Initiierten sind aber immer an einer Stelle verwundbar. Achilles stellt uns einen Initiierten der vorhergehenden Zeit dar. Er
ist in den Styx getaucht worden und war an der Ferse verwundbar. Siegfried ist in das Blut des Drachen getaucht worden und ist zwischen den Schulterblättern verwundbar. Seinen eigentlichen Menschen kann der Eingeweihte dadurch unkenntlich machen, daß er die Tarnkappe besitzt; sie macht den Besitzer dieser höheren okkulten Fähigkeiten für die Außenwelt unbemerkbar. Diese okkulten Fähigkeiten haben die Besitzer des Nibelungenhortes gehabt. Sie stammten von der atlantischen Rasse ab, und insbesondere die Eingeweihten der atlantischen Wurzelrasse besaßen diese Fähigkeiten; sie waren aber auch bei den Eingeweihten der fünften Wurzelrasse und daher auch bei Siegfried vorhanden. Als Siegfried den Drachen erschlug, gelangte er in den Besitz des Nibelungenhortes. Was ist nun der Nibelungenhort? Darin ist ausgedrückt, daß die nordischen Völkerschaften sozusagen den Grund und Boden abgaben, aus dem die fünfte Unterrasse entstehen konnte. Man nennt die fünfte Unterrasse auch die Rasse der großen Erfindungen und Entdeckungen, die den ganzen physischen Plan erobert und im Besitz der äußeren Welt groß wird. Sie soll einerseits besitzen und andererseits dieses Besitztum zu Weisheit ausbilden. Im Nibelungenhort haben wir nichts anderes zu sehen als eine sprachliche Umbildung des alten Wortes Nifelheim, Nebelheim. Es ist also dasjenige, was man im Norden kannte als die physische Erde, die Erde im Augenblicke des Physischwerdens. Ein fester Besitz, das ist es, was diese vorbereitende Rasse um sich ausbreitet und dem Christentum entgegengestellt hat. Das Gold des Nibelungenhortes ist der irdische Besitz, der Repräsentant des irdischen Besitzes. Das ist etwas, was der Initiierte besitzt und was er auch besitzen darf, weil er in entsprechender Weise darüber wachen kann.
Nun wissen Sie alle, wie die Siegfried-Sage weitergeht in dieser alten Gestalt. Es ist nicht die älteste Form der Sage, aber diejenige, die für uns in Betracht kommt. Bekanntlich wirbt dann Gunther um Brünhilde von Isenland. Siegfried besiegt Brünhilde zweimal. Gunther wirbt um sie, aber Siegfried kämpft unsichtbar, mit der Tarnkappe gewappnet, an der Gunthers, und Brünhilde glaubt, daß ihr Freier Gunther sie besiegt hätte. Siegfried ist glücklich,
daß sie Gunthers Gemahlin wird. Nun verrät Siegfrieds Gemahlin Kriemhilde in einem schwachen Augenblick der Brünhilde, daß in Wirklichkeit nicht Gunther, sondern Siegfried unsichtbar sie besiegt habe. Darüber entrüstet sich Brünhilde und faßt den Plan, Siegfried zu töten. Nun muß ihr aber erst noch verraten werden, wie er getötet werden kann. Sie gewinnt Hagen von Tronje, der am Hofe lebt, dafür.
Hagen ist eine Gestalt, die man aus den alten Druiden-Mysterien kennt. Hagen ist ein wichtiger Name von alten Druiden-Eingeweihten. Er ist ein Eingeweihter, der die zurückliegenden höchsten Strömungen des geistigen Lebens vertritt, die dadurch zum Ausdruck kommen, daß das Vorhergehende immer dem Nachfolgenden entgegensteht und mit ihm in Kampf kommt. Siegfried gehört der folgenden Strömung an, die unmittelbar dem Christentum vorangeht. Hagen gehört der vorhergehenden Druidenströmung an. Hagen wird also herbeigeholt, um Siegfried zu verderben. Dazu muß Kriemhilde verraten, daß Siegfried an einer Stelle verwundbar ist. Hier enthüllt sich, was diese Stelle zu bedeuten hat. Kriemhilde verrät, daß Siegfried zwischen den Schultern verwundbar ist, und zwar gerade an der Stelle, wo das Kreuz getragen werden muß. Er hat noch nicht das Kreuz. Das Christentum fehlt noch diesen vorzeitlichen Völkern. An dieser Stelle, wo das Kreuz ruhen soll, um durch die Welt getragen zu werden, da ist Siegfried verwundbar so sagt die Siegfried-Sage , weil das Christentum noch fehlt. Siegfried, der die Sig-Initiierten zum Frieden, zur Ruhe bringt, ist verwundbar an der Stelle, wo das Christentum später unverwundbar macht. Er wird überwunden von den Mächten, die von den früheren Kulturen übriggeblieben sind. Hagen, der Vertreter vorhergehender Strömungen, tötet ihn. Das ist ein Bild für die Ablösung der vorhergehenden nordischen Kultur durch die fünfte Unterrasse. Der Sinn dieser Ablösung wird in der Siegfried-Sage dargestellt.
Wogegen kämpfen denn eigentlich diese nordischen Rassen? Indem sie Wegbereiter sind für das Christentum, kämpfen sie gegen all das Alte, das geblieben ist von der atlantischen Zeit. Gegen das müssen sie sich fortwährend wehren. Die Seele der nordischen
Völker muß sich wehren gegen dasjenige, was noch heranstürmt von früher, von den Überbleibseln der atlantischen Kultur. Es ist eine frühere Kulturschicht, die hier in die fünfte Kulturepoche hineinragt. Diejenigen aber, die stehengeblieben sind in der atlantischen Kultur, sind ein Hemmschuh der Weiterentwicklung, sie müssen bekämpft werden.
Die später erfolgenden Kämpfe sind in einer älteren Fassung der Gudrun-Sage dargestellt. Da tritt uns die Seele der nordischen Völker als Gudrun entgegen. Sie kämpft gegen den großen Initiierten der Atlantier, Attila oder Atli oder Etzel, der aus den Überbleibseln einer atlantischen Rasse, der turanischen, von Asien herüberkommt. Auch der historische Attila und sein Volk wurden von den europäischen Völkern als «Geißel Gottes» bezeichnet. Attila war ein Initiierter, der mit ganz bedeutenden okkulten Kräften an der Spitze seiner Völkerschaft kämpfte. Daher wird die Hunnenschlacht ganz richtig so dargestellt, daß das Heer in der Luft kämpft. Für jeden, der die Dinge weiß und versteht, ist es klar, um was es sich da handelt. Attila wich vor nichts zurück, was ihm in Europa entgegentrat; nur vor dem Papst, dem Vertreter des Christentums, trat er freiwillig zurück, denn er war sich voll bewußt, daß er gegen den Vertreter des Christentums nichts vermochte. Die nordischen Völkerrassen wußten, daß sie sich zu wehren hatten gegen die östlichen Einflüsse, aber dem Christentum vermochten diese nichts anzuhaben.
Nun wird uns in der späteren Nibelungen-Sage weiter erzählt, daß Kriemhild den Plan faßte, Rache zu nehmen an denjenigen, die Siegfried getötet hatten. Sie nimmt Rache in der Weise, daß sie sich gerade mit den atlantischen Elementen verbindet. Sie leistet der Werbung Attilas Folge; sie wird die Gattin des Hunnenkönigs Attila. Zuvor lebte sie nach dem Tode Siegfrieds eine Zeitlang am burgundischen Hofe. Sie war in den Besitz des Nibelungenhortes gekommen und hat ihn verwendet als große Wohltäterin. Aber ihre Feinde, die aus früheren Epochen stammten und die in Hagen repräsentiert sind, versenkten den Nibelungenhort in den Rhein. Kriemhild hält an ihrem Plan fest, mit Hilfe Attilas die alten nordischen
Feinde zu vernichten. Durch Kriemhilds Racheplan werden die Nibelungen hinuntergelockt nach dem Hofe Attilas, und da tritt ihnen am Wege gerade diejenige Geistesmacht entgegen, von der sie abgelöst werden sollen. An der Donau tritt ihnen in Rüdiger von Bechlaren und seiner Gemahlin Gotelinde das Christentum entgegen. Das ist die Morgenröte des Christentums, dasjenige, was an die Stelle der nordeuropäischen Völkerkulturen treten soll. Die Nibelungen gehen dem Untergang entgegen; sie werden am Hunnenhofe ermordet. Kriemhild nimmt zwar Rache, muß aber selbst untergehen. Und wodurch geht sie unter? Sie, die ja die umgewandelte Gudrun ist, die Volksseele der nordischen Kultur, verbindet sich mit Atli-Attila-Etzel, dem Atlantier, und rächt sich an dem Vertreter ihrer eigenen Kultur, der den Initiierten getötet hatte. Sie selbst geht zugrunde.
Wenn Sie die Sage nur ästhetisch betrachten, so werden Sie sich natürlich fragen: Wie kommt es, daß nun am Schlusse noch am Hunnenhofe Dietrich von Bern, Hildebrand und alle die anderen Helden eingeführt werden, die einer Schicht angehören, die bereits zum Christentum übergegangen ist? Das sind ja bereits christliche Helden. Das Christentum bringt der alten Volksseele den Tod, es überwindet die alte Volksseele. Das ist nicht etwas, was nachträglich der Sage angehängt worden ist, sondern etwas, was lange vor dem Auftreten des Christentums innerhalb der Mysterien als Prophezeiung gelebt hat. Diese Vorgänge waren Gegenstand der Mysterieneinweihung. Zu der Mysterieneinweihung gehörte nicht nur die Einweihung in die Wahrheiten der Gegenwart, sondern auch in die der Vergangenheit und der Zukunft. Immer gehörte dazu die Apokalyptik. Die Siegfried-Sage ist lange Zeit die Apokalypse des nordischen Volkes gewesen. Diese Sage ist nicht Dichtung, die irgendwie im Volk entstanden ist aus einzelnen Stücken, wie man sich das in der Philologie vorstellt. Das Volk dichtet nicht. Das kann nur jemand sagen, der keine Ahnung davon hat, wie es in der Seele eines Volkes zugeht. Die Sagen sind nichts anderes als Wiedergaben dessen, was in den Krypten der Mysterien sich vollzogen hat. Was man in der Sage hat, ist nichts
anderes als die Wiedergabe von Mysterienvorgängen. Einen solchen Vorgang, für den man im Süden das Wort «Mysterium» hatte, nannte man im Norden eine «Maere», woraus das Wort «Märchen» für die kleineren Vorgänge dann entstanden ist. «Uns ist in alten maeren wunders vil geseit». «Wunders» ist nichts anderes als ein «Zeichen», ein Zeichen für Dinge, die als Vorgänge auf höheren Planen anzusehen sind.
Die nordische Sagenwelt ist deshalb so interessant, weil sie etwas darstellt, was Sie in der ganzen südlichen Sagenwelt nicht finden können. Was die südlichen Völkerschaften in ihrer Sagenwelt darstellen, bedeutet immer einen Aufstieg; sie haben immer etwas aufgenommen, etwas bekommen, was zu einer höheren Stufe hinaufführt. Die indischen, persischen, babylonischen, chaldäischen Völker und die, welche sie abgelöst haben, haben zwar auch tragische Gestalten; ich erinnere nur an die Chronos-Sage. Aber hier im Norden ist das Tragische am meisten ausgebildet, weil diese Völker lange warten mußten. Es war eine lang dauernde, vorbereitende Kultur mit einer hohen Initiation, die und das ist das Wichtige eine Kultur war, die so weit hinunterging, daß der Initiierte der Mensch war. Der Initiierte der Inder ist der Bodhisattva, dann sind es die Rishis, später bei den Griechen sind die Initiierten die Sonnensöhne wie Herakles und Achilles. Dann erst, nachdem die Stufenleiter der Initiierten so weit heruntergegangen war, kam der initiierte Mensch hier im Norden, dem nur das eine fehlte, nämlich das, was der Christus ist, der Gottgewordene Mensch. Der Mensch im Norden tritt uns in wartender Haltung entgegen; er ist verwundbar an der Stelle, wo das Christentum einsetzen muß.
So haben wir also vier «Schichten» zu beachten:
Erstens: Wotan. Er geht parallel dem, was im Süden in der ersten Unterrasse der fünften Wurzelrasse sich entwickelt.
Zweitens: Odin. Er geht parallel mit der zweiten Unterrasse der fünften Wurzelrasse.
Als drittes: Baldur, der Sonnenheros. Er geht parallel mit dem, was sich im Süden als babylonisch-chaldäisch-assyrische Epoche
entwickelt. Was jedoch dort aufsteigende Kultur ist, ist im Norden Wartekultur.
Initiierte der Wartekultur, in der überall das Tragische sich ausdrückt. Weil es mit den alten Kräften zu Ende geht, sehen wir den tragischen Tod Baldurs und den tragischen Tod Siegfrieds.
Zehnter Vortrag Berlin, 28. Oktober 1904 Der Trojanische Krieg
Da heute einige Neuhinzugekommene hier sind, so möchte ich nur kurz andeuten, daß ich im Verlaufe dieser Stunden versucht habe zu zeigen, wie in den verschiedenen Mythen und Sagen esoterischer Gehalt aufgezeichnet ist und daß man nur die Sprache der Mythen und Sagen handhaben zu können braucht, um in ihnen unter Umständen tiefe esoterische Wahrheiten zu finden. Heute möchte ich im besonderen von einer jener Sagen sprechen, die die merkwürdige Eigentümlichkeit zeigen, daß sie einerseits Sagen sind und auf der anderen einen vollständig äußeren Gehalt von dem physischen Plan her haben, also ein ganz bestimmtes physisches Ereignis zum Ausdruck bringen.
Bevor ich von dieser Sage sprechen werde, will ich noch einer Tatsache Erwähnung tun, die ja die meisten von Ihnen schon kennen, die man sich aber immer wieder einschärfen muß. Das ist die, daß im Verlauf unserer fünften Wurzelrasse, also in der Zeit vom Untergang der Atlantis in der vierten Wurzelrasse bis zur nächsten Wurzelrasse, ein höchst wichtiger Schritt in der ganzen Menschheitsevolution getan wurde, nämlich der, daß aus der Menschheit selbst heraus Führer der Menschheit, die Manus entstehen. Alle die großen Führer, die Manus, welche während der früheren Wurzelrassen die Menschheit weitergebracht haben, welche ihr die großen Impulse gegeben haben, sie haben ihre Entwicklung nicht rein auf der Erde absolviert, sondern zum Teil auf anderen Himmelskörpern zurückgelegt und haben dabei das, was sie der Menschheit an großen Impulsen zu geben hatten, schon von anderen Welten her auf die Erde mitgebracht. Die Manus der lemurischen und auch die der atlantischen Rasse und auch der Stamm-Manu unserer fünften Wurzelrasse sind übermenschliche Individualitäten, die ihre große Schule, durch die sie die Führer der Menschheit werden konnten,
auf anderen Planeten durchgemacht haben. Dagegen bildeten sich während unserer fünften Wurzelrasse innerhalb unserer Menschheit selbst so hoch entwickelte Individualitäten heraus, daß sie nunmehr von der sechsten Wurzelrasse ab Führer der Menschheit werden können. Namentlich der Hauptführer der sechsten Wurzelrasse wird ein Mensch sein, wie wir sind, nur eben einer der Vorgeschrittensten, der Vorgeschrittenste geradezu der Menschen. Es wird eine Wesenheit sein, die damals begonnen hat mit der Entwicklung, als in der Mitte der lemurischen Zeit überhaupt die Menschwerdung geschah, die immer Mensch unter Menschen gewesen ist, nur schneller vorschreiten konnte und alle Stufen der menschlichen Entwicklung mitgemacht hat. Das wird der Grundcharakter des Manu der sechsten Wurzelrasse sein. Der Haupt-Manu der sechsten Wurzelrasse und alle, die ihm zur stehen, müssen durch die mannigfaltigsten Initiationen hindurchgehen; sie müssen wiederholt initiiert gewesen sein. Daher hat es in der fünften Wurzelrasse seit ihrer Entstehung immer initiierte Menschen gegeben, Menschen, die sozusagen in der Richtung initiiert waren, daß sie ihren eigenen freiwilligen Weg gehen konnten. Das war während der ganzen lemurischen und auch während der ganzen atlantischen Zeit nicht der Fall. Da standen diejenigen, die der Menschheit weitergeholfen haben, die sie regiert und gelenkt haben, die Staatenlenker und Lenker großer religiöser Gemeinschaften waren, unter dem Einfluß von höheren Wesenheiten. Sie waren während der lemurischen und atlantischen Zeit unmittelbar abhängig von jenen, höherentwickelten Wesenheiten, welche ihre Entwicklung auf anderen Planeten durchgemacht hatten. Erst in der fünften Wurzelrasse wird die Menschheit immer mehr freigegeben. Da haben wir Initiierte, die zwar im Zusammenhang stehen mit den höheren Wesenheiten, denen aber nicht so weitgehende Ratschläge gegeben werden, daß sie vollständig ausgearbeitet sind, sondern es wird den Initiierten der fünften Wurzelrasse immer mehr Freiheit gegeben in den Einzelheiten. Im allgemeinen werden den Initiierten zwar Direktiven gegeben, Impulse gegeben, aber doch so, daß sie aus eigener Geistigkeit und Urteilskraft heraus die Dinge ausführen.
Zu unserer fünften Wurzelrasse gehören sieben Unterrassen. Sie nehmen folgende Stellung in der Entwicklung ein: Die erste Unterrasse ist die Rasse der Spiritualität, des Geistes; es ist jene Rasse, aus welcher die indische Kulturgemeinschaft hervorgegangen ist, die Rishi-Kultur, die Veden-Kultur. Dann haben wir die zweite Unterrasse, die Rasse der Flamme, das ist die persische Kulturgemeinschaft, die in der Zarathustra-Religion ihren Ausdruck findet. Dann haben wir die dritte Unterrasse, die wir die Rasse der Sterne nennen, die Urchaldäer, von der das israelitische Volk einen Hauptzweig bildet. Die vierte Unterrasse ist die Kulturgemeinschaft, aus welcher die Griechen und Römer hervorgegangen sind, die Rasse der Persönlichkeit. Die fünfte Unterrasse ist die Rasse der Welt; es ist diejenige, innerhalb welcher wir selbst stehen, die Kulturgemeinschaft der germanisch-angelsächsischen Völker, die gegenwärtig im Stadium der Entwicklung ist und die den Menschen zur freien Persönlichkeit macht, die Rasse, die die Welt erobert. Sie wird abgelöst werden von der slawischen Unterrasse, einer von Asien nachrückenden Kulturgemeinschaft.
In meinem letzten Vortrag habe ich Ihnen von den großen Initiierten in den nordischen Gegenden gesprochen. Ich habe da schon darauf hingedeutet, daß symbolische Bezeichnungen existierten für den Initiierten oder für einen, der mit den Initiationen in irgendeiner Beziehung stand, und daß dafür ein symbolischer Ausdruck ist, daß der Initiierte unverwundbar ist. Diese Unverwundbarkeit, die wir bei Siegfried antrafen, ist auch bei Achilles anzutreffen. In der Tat liegt in dem Mythos, in den Achilles hineingeflochten ist, eine tief esoterische Bedeutung verborgen. Sie müssen bedenken, daß das, was ich auseinandergesetzt habe, gradweise im Verlauf der fünften Wurzelrasse vor sich geht. Die Leitung der Menschheit im Beginn der fünften Wurzelrasse hat der Manu so eingerichtet, daß die Lenkung ganz der Priesterschaft unterstand, die ihre Inspirationen unmittelbar von den höheren göttlichen Wesenheiten, von übermenschlichen Wesenheiten bekam. Dieser initiierten Priesterschaft konnte es überlassen werden, die Menschheit selbst einzuteilen. Es wäre unmöglich gewesen, in
anderen Kulturgemeinschaften als solchen, die durch Priesterherrscher gelenkt wurden, eine Einteilung der Menschen in Kasten gerecht durchzuführen. Sie finden daher Kasteneinteilungen auch eigentlich nur in den wirklichen Priesterkulturen, im alten Indien und im alten Ägypten, wo initiierte Priester an der Spitze standen, die keinen kamischen Impulsen folgten, sondern höheren Weisungen. Sie verfuhren unpersönlich, kama-frei, und ihnen konnte es überlassen bleiben, jene schwerwiegende Einteilung der Menschen in Kasten vorzunehmen, die in Ägypten und Indien ursprünglich voll berechtigt war. Wenn Sie diese Kasten betrachten, so finden Sie in denselben ausgeprägt den ganzen Plan zur Entwicklung der fünften Wurzelrasse.
Dieser Plan ist der, daß nach und nach die Führung, die Lenkung dieser fünften Wurzelrasse übergeht von der Priestergesinnung auf die Weltgesinnung, vom Priester auf den König. Ein weltlicher König, der nicht Priester war, wäre in der ersten Zeit der fünften Wurzelrasse noch ganz unmöglich gewesen. Während der atlantischen Zeit, als die Menschen ihre Impulse noch nicht durch den denkenden Verstand erhielten, sondern aus anderen Kräften, und auch noch im Beginn der fünften Wurzelrasse, mußte die Lenkung der Menschheit jeder weltlichen Macht entzogen und denen überlassen werden, welche göttliche Inspirationen empfingen. Daher finden Sie in der indischen und ägyptischen Kultur die reine Priesterherrschaft. Der Priester ist der Regent, er ist derjenige, von dem alles ausgeht. Der Priester gehört der höchsten Kaste an. Die Krieger, die eine rein weltliche Beschäftigung haben, gehören der zweiten Kaste an. Dann geht es herunter zu denen, die sich mit dem Ackerbau befassen.
Nach und nach sollten diese Kasten stufenweise zur Selbständigkeit kommen. In dem, was sich in der Zeitlichkeit entwickelt, haben wir niemals das gegeben, was äußerlich im Raume wirklich vorhanden ist. Das bitte ich zu beachten. Wenn ein räumliches Verhältnis zeitlich werden soll, so geschieht das im Verhältnis von vier zu sieben, in der Weise, daß die Vierheit zur Siebenheit sich erweitert. Die vier im Raum nebeneinanderstehenden Kasten
kommen im Verlaufe der fünften Wurzelrasse zeitlich so zur Geltung, daß wir die sieben Unterrassen nach und nach zur Selbständigkeit sich entwickeln sehen. Das Verhältnis von vier zu sieben beruht auf einem ganz bestimmten Gesetz. Heute will ich dazu nur sagen, daß die sieben Unterrassen sich so entwickeln, daß wir es in der ersten Unterrasse im wesentlichen zu tun haben mit der ausschließlichen Lenkung durch Priester, in der zweiten Unterrasse mit der Lenkung durch Priesterkönige und durch Magier. Zarathustra, der eigentliche Magier, ist der Ratgeber des Priesterkönigs. Während der dritten Unterrasse kann die Herrschaft auf die weltlichen Könige übergehen, die noch immer den Ratschlägen der Priester folgen. Erst während der vierten Unterrasse haben wir es mit weltlichen Königen zu tun, die nicht mehr in irgendeiner Beziehung zur priesterlichen Gewalt stehen. Die ersten weltlichen Könige treten zunächst im griechischen Volke auf, und als die griechische Herrschaft befestigt wird, geschieht das durch weltliche Könige.
Die Ausbreitung des Griechentums wird äußerlich-sagenhaft dargestellt in der Sage vom Trojanischen Krieg. Diese Sage vom Trojanischen Krieg ist nichts anderes als die mythische Darstellung einer esoterischen Wahrheit, nämlich des Aufblühens der vierten Unterrasse der fünften Wurzelrasse und der Ablösung der Priesterherrschaft in ihrem letzten Stadium durch die rein weltliche Herrschaft. Das wird gleich im Beginn der trojanischen Sage in einer außerordentlich feinen Weise angedeutet.
Sie wissen wohl, daß in der Esoterik überall die Materie dargestellt wird durch das Symbol des Wassers. Wasser ist das esoterische Symbol für die Materie. Ich brauche Sie nur auf ein Beispiel aus der Theologie hinzuweisen: In dem Nicaenischen Glaubensbekenntnis, da, wo es heißt «gelitten unter Pontius Pilatus», da müßte es eigentlich heißen «gelitten in Pómos Pyletós», das bedeutet «in dem zusammengedrückten Wasser». Der Gottessohn ist herabgestiegen, um zu leiden in der auf dem physischen Plan vorhandenen Materie. Im Credo, das wir im christlichen Bekenntnis haben, ist aus «póntos», das Meer, latinisiert «Pontius» geworden, und aus «Pyletós» wurde «Pilatus».
Wenn Thales erklärt, alles sei aus dem Wasser entstanden, so meint er damit in Wahrheit die allumfassende physische Materie. Wir haben es da zu tun mit dem Wasser als physische Materie. Diese physische Materie soll das Maßgebende werden bei denjenigen, die jetzt die Lenkung der Menschheit übernehmen: die weltlichen Könige. Vorher gab es nur Könige, die mit dem Göttlichen in Zusammenhang standen. Peleus ist der König, der herrschen soll auf dem physischen Plan, aus dem physischen Plan selbst die Kraft ziehend. Das wurde in den Mysterien als Mythe dem Volke dadurch dargestellt, daß erzählt wurde: Peleus vermählte sich mit der Meergöttin Thetis. Wir haben es da zu tun mit der Ehe der Menschheitsführung mit der Materie des physischen Planes. Thetis ist die Göttin des Wassers, des Meeres. Und derjenige, der dieser Ehe entsprießt, ist Achilleus. Achilleus ist der erste Initiierte von dieser Art. Er ist daher unverwundbar, bis auf die Ferse. Alle Initiierten der vierten Unterrasse sind noch verwundbar an irgendeiner Stelle. Erst am Ende der fünften Unterrasse wird es so weit fortgeschrittene Initiierte geben, daß sie gar nicht mehr verwundbar sind. Achilleus ist in den Styx getaucht, daß heißt er ist allem Irdischen abgestorben und auf einen höheren Plan entrückt.
Da haben Sie einen wichtigen Abschnitt in der Menschheitsentwicklung. In der Mitte der vierten Unterrasse steigt zuerst das spirituelle Leben herab, da haben wir erst Initiierte des physischen Planes. Damit tritt etwas ganz Besonderes auf. Die früheren Weltenlenker waren kama-frei, sie waren ohne Begierden, sie mußten alles Kamische durch die verschiedenen vorhergehenden Initiationsstufen bis zur spirituellen Initiation abstreifen. Solange es Priester im alten Sinne gab, solange konnte unmöglich etwas von Kama in die Weltenlenkung einfließen. Kama aber bewirkt Sonderheit, Kama macht es möglich, daß die Menschen sich gegeneinander wenden. Früher gab es auch Kampf und Streit, aber die Menschen waren noch nicht so weit, um Gutes und Böses einander gegenüberzustellen. Streit und Krieg unter den damaligen Menschen darf man nicht mit unseren heutigen Maßstäben messen, man muß sie mit demselben Maße messen wie heute die Tierwelt. Man konnte nicht
sagen, daß etwas gut oder böse sei, ebensowenig wie ein Löwe oder ein Tiger gut oder böse ist. Das wirkliche Böse fing erst an, als Manas sich mit Kama verband, so daß der Mensch durch Kama dirigiert wurde, und das führte dazu, daß die Menschen mit Bewußtsein gegeneinander kämpften.
Das ist in der Sage dadurch angedeutet, daß bei der Verehelichung des Peleus mit der Meergöttin Thetis alle Götter anwesend sind, aber eine Göttin fehlt. Es fehlt Eris, die Göttin der Zwietracht, weil die Menschheit noch vor dem Stadium war, wo Kama sich mit Manas verband und die Sonderung entstand, durch die die Menschen sich in Gegensatz zueinander stellten. Nun aber erscheint die Göttin Eris; sie wirft einen Apfel unter die Gäste, welcher die Aufschrift trägt «der Schönsten», um Zwietracht herbeizuführen. Damit ist Veranlassung gegeben zu dem erst innerhalb der fünften Wurzelrasse auftretenden, unter voller menschlicher Verantwortung stehenden Krieg. Erst von diesem Zeitpunkt an kann man von einem bewußten Wüten der Menschen gegeneinander sprechen.
Alles weitere im Mythos ist eine Ausgestaltung dessen, was hier begonnen hat. Die Schönste der Göttinnen soll den Apfel der Eris bekommen. Die drei Göttinnen Hera, Pallas Athene und Aphrodite streiten um den Apfel. Die drei Göttinnen bedeuten verschiedene Stufen des Seelenlebens auf den höheren, spirituellen Planen. Jetzt aber soll nicht mehr auf dem spirituellen Plan, sondern auf dem physischen Plan entschieden werden. Deshalb wird Paris gerufen, der entscheiden soll vom physischen Plan aus. Hier liegt die eigentliche Crux, wo man es handgreiflich hat, worauf es ankommt. Was muß uns entgegentreten, wenn vom physischen Plane aus die Entscheidungen herbeigeführt werden?
Als Manas zuerst auf dem physischen Plan auftrat, vermischte es sich mit Kama. Vorher waren die Menschen zwar auch kamisch, aber das hatte noch nicht die Bedeutung von gut und böse. Jetzt aber verbindet Manas sich mit Kama, und daher werden die Menschen sich der Taten bewußt. Manas zieht in das ein, was der Mensch seiner niederen Natur nach ist. Die kamische Entwicklung
hatte er sich schon auf dem alten Monde erworben. Das derbste Kamische ist von der Erde abgefallen mit dem Austritt des Mondes und begleitet nun im Monde die Erde als Trabant. Der Mond ist in der Esoterik das Leitmotiv, das Merkzeichen der niederen Natur, für das, was uns hinunterzieht, für das, wohin wir kommen können, wenn wir selbst der niederen Natur verfallen.
Es muß also das Verhängnisvolle in der Verbindung von Manas mit Kama während der vierten Unterrasse darin bestehen, daß sich der Mensch, welcher Entscheidungen zu treffen hat, mit dem Kamischen, mit dem Mondprinzip, mit der Selene verbindet. Aus Selene ist der Name Helena entstanden. In der Verbindung des Paris mit der Helena haben wir die Ehe von Manas mit Kama in der vierten Unterrasse symbolisch ausgedrückt. An sich gerissen hat der auf dem physischen Plane befindliche Mensch das Mondprinzip. Überall können Sie das finden, wenn in der Esoterik vom «Mond» gesprochen wird. Damit, daß unmittelbar auf dem physischen Plan in bewußter Art die ganze Verbindung geschaffen ist vom Manasprinzip mit dem Kamaprinzip, daraus entspringt der Krieg. Der Trojanische Krieg ist zugleich Symbol und Tatsache. Er hat wirklich stattgefunden; die wichtigsten Ereignisse des Trojanischen Krieges spielten sich auf dem physischen Plan ab. Sie haben aber auch symbolische Bedeutung. Die Sage vom Trojanischen Krieg hat einen mystischen Inhalt, aber die Tatsachen sind auch äußerlich auf dem physischen Plan abgelaufen.
Nun bitte ich, noch eines aufzufassen. Wenn die fünfte Wurzelrasse ihr Ende erreicht haben wird und die sechste Wurzelrasse im Aufgang sein wird, wird sich auf dem Gebiete des bewußten Verstandes ein Einfluß herausgebildet haben, der jetzt während der fünften Unterrasse noch sehr zurücktritt, der sich aber bereits herausbildet. Es ist etwas, was vom Musikalischen ausgeht. Die Bedeutung der Musik wird in der fünften Unterrasse immer mehr und mehr zum Ausdruck kommen. Die Musik wird nicht bloß Kunst sein, sondern Ausdrucksmittel werden für ganz andere Dinge als rein Künstlerische. Hier liegt etwas, was hindeutet auf den Einfluß eines ganz bestimmten Prinzipes auf den physischen Plan.
Es werden auf dem Gebiete der Musik oder des Musik-Ähnlichen die bedeutsamsten Impulse von den Initiierten der fünften Wurzelrasse gegeben werden. Was einfließen muß in die fünfte Wurzelrasse, und zwar auf dem Gebiete des bewußten Verstandeslebens, das ist das, was man das Kundalinifeuer nennt. Das ist eine Kraft, die jetzt noch im Menschen schlummert, aber immer mehr und mehr Bedeutung gewinnen wird. Heute hat sie schon einen großen Einfluß, eine große Bedeutung in dem, was durch den Sinn des Gehöres wahrgenommen wird. Während der weiteren Entwicklung in der sechsten Unterrasse der fünften Wurzelrasse wird dieses Kundalinifeuer großen Einfluß gewinnen auf das, was im menschlichen Herzen lebt. Das menschliche Herz wird wirklich jenes Kundalinifeuer in sich haben. Der Mensch wird dann durchdrungen sein von einer besonderen Kraft, die in seinem Herzen leben wird, so daß er in der sechsten Wurzelrasse nicht mehr unterscheiden wird sein eigenes Wohl von dem Wohle der Gesamtheit. Der Mensch wird von dem Kundalinilicht so durchdrungen sein, daß er das Prinzip der Liebe als seine ureigenste Natur haben wird.
In der siebenten Unterrasse wird zwar die ganze große Menschheit in einem wahren Chaos sein, denn die Wurzelrasse wird dann nahe dem Untergange sein. Aber ein kleiner Teil der Menschen der siebenten Unterrasse werden die wahren Söhne des Kundalinifeuers sein. Sie werden durchdrungen sein mit allen Kräften des Kundalinifeuers; sie werden den Stoff abgeben zur nächsten Wurzelrasse, für diejenigen, welche die Weiterentwicklung der Menschheit lenken. So steuert die fünfte Wurzelrasse zu jenen Höhen, wo das göttliche Feuer, das Kundalinifeuer, mit heiligem Pathos das göttliche Prinzip im Innern der Menschen anfachen wird, so daß nicht mehr der Mensch vom Menschen getrennt sein wird, sondern, soweit der denkende Verstand reicht, eine Brüderlichkeit herbeigeführt sein wird. Dieses Feuer wird dereinst in den Menschen leben. Und in denjenigen Menschen, welche im Verlaufe der fünften Wurzelrasse initiiert werden, lebt schon eine Andeutung dieses göttlichen Feuers, in dem die Kraft der Brüderlichkeit ist und das die Abgesondertheit der Menschen aufheben wird. Aber es arbeitet sich erst durch, es
kommt erst in den Anfängen heraus, es ist noch verhüllt, verschleiert durch das, was die sondernden Leidenschaften der Menschen, die trennenden Gewalten des Kama sind. Und da, wo es als Vorverkünder einer kommenden Zeit im Einzelnen auftritt, nimmt es eine andere Gestalt, einen ganz anderen Charakter an. Auf dem Plane der Täuschung ist das göttliche Feuer der göttliche Zorn. Erst dann, wenn die Brüderlichkeit die ganze Menschheit durchfluten wird, ist es die göttliche Liebe. Solange es aber im Einzelnen als Eifer sich geltend macht, ist es der göttliche Zorn, und er macht sich gerade dadurch als starke Gewalt im Einzelnen geltend, weil die übrige Menschheit noch nicht reif ist.
Dies drückt auch der initiierte Dichter Homer heißt der «blinde» Dichter, weil er innerlich schaut in seiner Dichtung aus: «Singe, o Muse, vom Zorn mir, des Peleïden Achilleus». Das ist der göttliche Zorn, von dem der Dichter hier gleich am Anfange der Ilias spricht. In der Ilias wird das Ausleben des Kundalinifeuers auf dem physischen Plan dargestellt. Im Streit zwischen Agamemnon und Achilles flammt der Zorn als göttlicher Zorn auf. In der Sage vom Trojanischen Krieg wird dargestellt, wie der alte Priesterkönigstaat abgelöst wird durch weltliche Königsherrschaft. Denn Troja ist ein Staat, in dem der König unter dem Einfluß der alten Priesterherrschaft steht. Er wird abgelöst von dem Prinzip der weltlichen Klugheit. Das wird sehr schön dargestellt, wie es die weltliche Klugheit ist, die siegt. Odysseus, der listenreiche, siegt. Er ist der Initiierte der fünften Unterrasse, der seine Initiation durch seine Wanderungen empfing. Die Spiritualität der alten Priester wird abgelöst von der Intellektualität. Das wird auch ausgedrückt durch das Bild der Umklammerung des Laokoon durch die Schlangen. Die Schlangen, das Symbol der weltlichen Klugheit, umgarnen den Priester Laokoon, den Repräsentanten der alten Spiritualität.
Wenn Sie dies alles verfolgen, sehen Sie, daß auch in der trojanischen Sage nichts anderes festgehalten ist als ein welthistorischer Zusammenhang. In den Mysterien wurden solche Vorgänge dargestellt. In den älteren Mysterien, die den eleusinischen vorangegangen sind, wurde unter anderen gerade dieser wichtige Moment des
Aufganges der vierten Unterrasse der fünften Wurzelrasse dargestellt. Der Trojanische Krieg, der ja tatsächlich stattgefunden hat, wurde in den Mysterien schon dargestellt, bevor er stattgefunden hat. Für denjenigen, der nicht bewandert ist in der Theosophie, ist das ja phantastisch. Es ist aber Mysterienprinzip, neben der Vergangenheit auch Vorgänge der Zukunft darzustellen. Und weil sie Vorgänge der Zukunft vorausnehmen, deshalb mußten sie auch geheimgehalten werden. Nicht um die Neugier der Menschen zu befriedigen, waren die Mysterien da, sondern diejenigen Menschen sollten daran teilnehmen, die berufen waren, mitumgestaltend an der Zukunft zu wirken. Sie sollten sich dort die Impulse für ihre Aufgabe holen. Das ist der Sinn der Mysterien.
Wenn daher jemand ein Mysterium verraten würde, so würde das bedeuten, daß er dasjenige, was in der Zukunft geschehen soll, den Leuten öffentlich sagen würde. Dadurch müßte er unbedingt bei seinen Mitmenschen Verwirrung anrichten. Nur einzelne Vorgeschrittene bekommen dazu die Impulse. Sie haben die Aufgabe, die Menschen langsam dahin zu bringen, wohin sie einst kommen sollen. Nur die wenigen reifen Menschen, die ihren Mitmenschen vielleicht fünfhundert Jahre voraus sind, sind in der Lage, diese Geheimnisse zu ertragen und im Sinne der Mysterien zu wirken. Nehmen Sie einmal an, andere würden davon hören, dann würden sie das gleich herbeiführen wollen, wofür die Menschen noch nicht reif sind. Jedes Mysterium wird unter wesentlich veränderten Verhältnissen einmal öffentliches Gemeingut. Alles wird zu einer bestimmten Zeit offenbar werden. Der Geheimnischarakter liegt nur darin, daß zunächst wenige Einzelne die Zukunft vorzubereiten haben; sie müssen die Lenker werden, um die anderen Menschen zu führen.
Es gibt heute noch Geheimnisse, die erst in der sechsten Wurzelrasse enthüllt werden können, wenn ganz andere Verhältnisse der Brüderlichkeit herrschen werden, die jetzt noch nicht realisiert sind. Diejenigen, die etwas von diesen Tatsachen wußten, hatten natürlich eine furchtbare Angst, daß durch Unvorsichtigkeit etwas von den Mysterien verraten werden könnte. Es war früher so, daß
auf Verrat der Mysterien die höchsten Strafen standen; in alten Zeiten war es die Todesstrafe. Nicht die eingeweihten Priester haben die Todesstrafe verhängt, sondern diejenigen, welche von außen her etwas wußten und nicht eingeweiht waren. Die Furcht vor dem Verrat der Mysterien führte das tragische Ende so mancher Großen herbei. Einem solchen Urteile fiel auch Sokrates zum Opfer, obgleich mit Unrecht.
II Richard Wagner im Lichte der Geisteswissenschaft
Erster Vortrag Berlin, 28. März 1905
Mythen sind von den großen Eingeweihten den Menschen mitgeteilte Erzählungen, hinter denen große Wahrheiten stecken. Der Trojanische Krieg zum Beispiel stellt den Kampf der dritten mit der vierten Unterrasse der fünften Wurzelrasse dar. Jene hat als Repräsentanten den Laokoon, den Priester aus dem alten Priesterstaat, der zugleich König war, diese den Odysseus, die personifizierte Schlauheit, die in dieser Epoche zur Entwicklung kommende Denkkraft. Auch im Norden finden wir die Entwicklung durch solche Eingeweihte geleitet. In Wales bestand eine Vereinigung von Eingeweihten der heidnischen Zeit, der Priesterherrschaft, als deren höchste Blüte König Artus und seine Tafelrunde erscheint. Ihr gegenüber stand der Bund des heiligen Gral und seine Ritterschaft, die für die Verkündigung des Christentums arbeitete.
Die Kunst, die politische Entwicklung, alles hängt zusammen mit den großen Eingeweihten dieser zwei Vereinigungen, dem Ausdruck heidnischer und christlicher Kultur. Dieser Einfluß der Gralsgemeinschaft wird um die Wende zum 13. Jahrhundert immer größer. Jene Zeit der Städtegründung bedeutet einen besonderen Wendepunkt in der europäischen Kultur: Die alte Bauernkultur, die auf dem Grundbesitz beruht, wird abgelöst von der bürgerlichen Städtekultur. Das war eine einschneidende Veränderung des ganzen Lebens und Denkens. Nicht ohne Bedeutung ist es daher, wenn wir damals, zur Zeit des Sängerkrieges auf der Wartburg, eine Sage heraufkommen sehen, die Sage von Lohengrin. Was wollte diese Sage im Mittelalter bedeuten?
Heute hat man keine Ahnung von der mittelalterlichen Volksseele. Sie war besonders empfänglich für die geistigen Strömungen, die unter der Oberfläche der Dinge vor sich gingen. Man findet heute, daß die Lohengrin-Sage stark den katholischen Standpunkt hervortreten läßt. Aber man muß bei dem, was uns heute daran stört, bedenken, daß damals die Sage nur wirken konnte,
wenn man sie einhüllte in das Gewand dessen, was damals die Seelen wirklich bewegte. Die inbrünstige Frömmigkeit mußte der Sage die Einkleidung geben, damit sie etwas von dem hatte, was im Volke lebte. Was sollte also die Sage bedeuten? Eine Initiation, die Einweihung eines Chela zum Arhat, eines Schülers zum Meister. Ein solcher Chela wird zunächst ein heimatloser Mensch, das heißt, er versieht seine Pflichten wie jeder andere, aber er muß sich bemühen, über sein Selbst hinauszublicken und sein höheres Ich heranzubilden. Was sind nun die Eigenschaften der Einweihungsstufen eines Chela?
Erstens: Das Überwinden des Persönlichen, das Freimachen des Gottes in seinem Innern. Zweitens: Freiheit von jedem Zweifel; jede Skepsis hört auf. Die Dinge des Geistigen stehen vor seiner Seele als Tatsachen. Freiheit auch von jedem Aberglauben, denn da er alles selbst zu prüfen vermag, kann er keiner Täuschung mehr verfallen. Auf einer noch höheren Stufe wird ihm dann der Schlüssel des Wissens ausgeliefert. Man sagt, daß er das Sprechen erhält; er wird ein Bote der übersinnlichen Welt. Die Tiefen der geistigen Welt werden ihm offenbar. Das ist die zweite Stufe der Chelaschaft. Die dritte Stufe ist die, wo der Mensch, wie er im gewöhnlichen Leben zu sich «Ich» sagt, nun zu allen Wesenheiten der Welt «ich» sagen kann, wo er erhoben wird zur Umfassung des Alls. Auf dieser dritten Stufe bezeichnet man in der Mystik den Chela als «Schwan»; er wird zum Vermittler zwischen dem Arhat, dem Lehrer, und den Menschen. So stellt sich uns der Schwanenritter dar als ein Bote der großen Weißen Loge; so ist Lohengrin ein Bote der Gralsgemeinschaft.
Ein neuer Impuls, ein neuer Kultureinschlag sollte eingeleitet werden. Sie wissen, daß die Seele oder das Bewußtsein in der Mystik als etwas Weibliches dargestellt wird. So wird auch hier das Bewußtsein der neuen, der bürgerlichen Kultur vorgestellt als etwas Weibliches. Dieses Hineindringen einer neuen Kultur ist aufgefaßt als ein Höherrücken des Bewußtseins. Dargestellt in Elsa von Brabant ist die mittelalterliche Seele, und Lohengrin, der große Eingeweihte, der Schwan im dritten Grade der Chelaschaft,
bringt die neue Kultur herüber aus der Gralsgemeinschaft. Es darf nicht gefragt werden. Es ist eine Profanation und ein Mißverständnis, den Eingeweihten nach dem zu fragen, was Geheimnis bleiben muß.
So geschieht das Aufrücken in neue Bewußtseinszustände immer durch die Einwirkung von großen Eingeweihten. Als ein Beispiel, wie diese Eingeweihten wirken, möchte ich an Jakob Böhme erinnern. Sie wissen, daß Jakob Böhme tiefe Wahrheiten verkündigt hat. Woher hatte er diese Weisheit? Er erzählt, daß er einst als Lehrling allein in dem Laden seines Meisters gelassen wurde. Da kam ein fremder Mann und verlangte ein Paar Schuhe. Der Knabe darf sie ihm in Abwesenheit des Meisters nicht verkaufen; der Fremde redete noch einige Worte zu ihm, entfernte sich dann, rief aber nach einer Weile den jungen Böhme heraus und sagte zu ihm: Jakob, du bist noch klein, aber du wirst einst ein ganz anderer Mensch werden, über den die Welt in Erstaunen ausbrechen wird. Was bedeutet das? Es handelt sich hier um eine Einweihung; der Moment der Initiation ist dargestellt. Vorläufig erfaßt der Knabe noch nicht, was ihm geschehen ist, aber der Impuls ist gegeben.
So ein Moment stellt sich auch in der Lohengrin-Sage dar. Solche Sagen sind wichtige Hinweise, nur durchschaubar für den, der die Dinge im Zusammenhang sehen kann. Die Lohengrin-Sage erscheint, wie schon erwähnt, in Verbindung mit der Sage vom Sängerkrieg. Richard Wagner benutzte sie zu seiner Lohengrin-Dichtung. Wir sehen daran, wie hoch die innere Berufung Richard Wagners war.
Einen anderen uralten Sagenstoff behandelt Richard Wagner in seinem «Ring des Nibelungen». Es handelt sich um alte germanische Sagen, in denen das Geschick desjenigen Volksstammes lebte, der nach der großen atlantischen Flut als Reste der atlantischen Bevölkerung über Europa und Asien sich verbreitete und die nachatlantische Zeitepoche einleitete. Die Sagen enthalten eine Erinnerung an den großen Eingeweihten Wotan, den Asengott. Wotan ist ein Eingeweihter aus der atlantischen Zeit, wie alle die nordischen Götter nichts anderes sind als alte, große Eingeweihte.
In der Beschäftigung Wagners mit der Siegfried-Sage können wir drei Stufen deutlich unterscheiden. Auf der ersten Stufe finden wir eine Betrachtung der modernen Kultur. Für Richard Wagner sind die Menschen heute zu Tagelöhnern der Kultur geworden. Er sieht den großen Unterschied zwischen dem Menschen in der neueren Zeit und dem der mittelalterlichen Zeit. Heute ist das, was von den Menschen an Arbeit geleistet wird, zum großen Teil Maschinenarbeit, während in der mittelalterlichen Kultur alle Arbeit Ausdruck der menschlichen Seele war. Das Haus, das Dorf, die Stadt, alles, was in ihnen lebte, war sinnvoll gestaltet; der Mensch hatte seine Freude daran. Was sind uns heute unsere Magazine, unsere Läden, unsere Städte? Welche Beziehung haben sie zu unserer Seele? Damals war das Haus der Ausdruck einer künstlerischen Idee. Das ganze Straßenbild, in der Mitte der Stadt der Markt mit dem Dom, der alles überragte, zu dem alles hintendierte, war ein Ausdruck der Seele. Diesen Gegensatz empfand Wagner. Das wollte er in seiner Kunst erreichen: etwas hinzustellen, was wenigstens auf einem Gebiete den Menschen ganz erscheinen läßt. Einen ganzen, harmonischen Menschen, gegenüber dem Tagelöhner der Industrie, wollte Wagner mit seinem Siegfried darstellen. So haben unsere großen Geister immer empfunden, so empfand Goethe, so Hölderlin, der es so aussprach: Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herren und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen. Nicht äußerlich war eine Umkehr möglich; nicht zurückschrauben läßt sich unsere ganze Entwicklung. Deshalb wollte Wagner, daß ein Kunsttempel erstehen sollte, in dem das Gesamtkunstwerk die Menschen erheben sollte über ihr gewöhnliches Leben. Die neue Zeit gerade brauchte eine solche Stätte der Erhebung, gerade weil das moderne Leben so zersplittert war. Dies war die erste Idee der Siegfried-Dichtung, mit der sich Wagner beschäftigte.
Doch ein zweiter Plan trat ihm vor die Seele, als er sich in noch tiefere Schichten seiner Empfindungen versenkte. Im frühen Mittelalter hat eine alte Sage in die deutsche Dichtung Eingang
gefunden: «Die Nibelungen». In solch einer Sage lebte damals das tiefste Empfinden der Volksseele. Nur wer die Volksseele wirklich studiert, kann sich einen Begriff davon machen, was damals im Herzen der Menschen lebte. Solche Sagen waren der Ausdruck tiefinnerlicher, großer Wahrheiten. Zum Beispiel die Sagen von Karl dem Großen. Nicht historisch im heutigen Sinne wurde von dem Kaiser berichtet, man sah tiefer hinein in die alten Zusammenhänge. Das fränkische Königsgeschlecht wurde da zu den alten Ahnen der späteren nachatlantischen Wurzelrasse. Die Nibelungen waren Priesterkönige, die nicht nur ihre Reiche versorgten, sondern zugleich den geistigen Einschlag gaben. Eine Erinnerung waren diese Sagen an eine große Zeit, die verklungen war. In dieser Hinsicht wurde die Krönung Karls des Großen in Rom als etwas besonders Wichtiges angesehen. In uralten Zeiten waren die Wibelungen die geweihten Priesterkönige gewesen; die Erinnerung daran pflanzte sich fort in den deutschen Kaisersagen. Auf diese wurde Wagner hingeführt.
Eine Gestalt besonders schien ihm den Kontrast darzustellen zwischen der neuen Zeit des materiellen Besitzes und der mittelalterlichen Zeit, die noch Zusammenhang hatte mit jener geistigen Kultur. Es war die Barbarossa-Sage, die ihn beschäftigte. Auch in Barbarossa stellt sich uns ein großer Eingeweihter dar. Es wird von seinem Zug nach dem Morgenlande erzählt; von dort soll er die höhere Weisheit, die Erkenntnis, den heiligen Gral zurückholen von den dortigen Eingeweihten. Der Mythos des 12. und 13. Jahrhunderts läßt den Kaiser verzaubert im Innern des Berges sitzen; seine Raben bringen ihm Kunde von dem, was in der Welt vorgeht. Die Raben sind ein altes Symbol der Mysterien. In der persischen Mysteriensprache drücken sie die unterste Stufe der Eingeweihten aus; sie sind also die Boten der höheren Eingeweihten. Was sollte dieser Eingeweihte bringen? Richard Wagner wollte darstellen die Ablösung der alten Zeit durch die neue mit ihren Besitzverhältnissen. Was früher lebte, hatte sich zurückgezogen wie Barbarossa. Das Eingreifen der Eingeweihten kristallisierte sich ihm in Barbarossa.
Dieser Gedanke leuchtet noch durch in den «Nibelungen». Erst äußerlich gefaßt, jetzt auf tieferer Grundlage, wird er der Ausdruck der tiefen Anschauung des Mittelalters, in der sich die Heraufkunft einer neuen Kultur darstellt. Doch noch einmal sucht Wagner eine noch tiefere Erfassung dieses Gedankens; er wählt statt des Barbarossa schließlich die Figur des Wotan, mit unendlich tiefer, intuitiver Erfassung der alten germanischen Göttersagen. Sie stellen dar die Ablösung der atlantischen Kultur, das Hervorgehen der fünften Wurzelrasse aus der vierten. Es ist dies zugleich die Entwicklung des Verstandes. Die Ausbildung des menschlichen Verstandes, des Selbstbewußtseins, war noch nicht bei den Atlantiern vorhanden. Sie lebten in einer Art von Hellsehen. Erst bei der fünften Unterrasse der Atlantier, bei den Ursemiten, bildeten sich die ersten Elemente des kombinierenden Verstandes, der weiterlebte in der fünften Wurzelrasse. Damit kommt das Ich-Bewußtsein herauf. Der Atlantier sagte noch nicht mit derselben Intensität «ich» zu sich selbst wie der Angehörige des folgenden Zeitalters. Herübergebracht wird diese alte Kultur nach dem Untergange der Atlantis; die Europäer sind ein späterer Zweig der Atlantier. Es bildet sich nun ein Gegensatz zwischen der allgemeinen geistigen Kultur und den Eingeweihten, die im Verborgenen wirken und den äußeren Verstand inspirieren.
Die Zwerge des Nifelheim sind die Träger des Ich-Bewußtseins. Als Gegner stellt Richard Wagner einander gegenüber Wotan, den alten atlantischen Eingeweihten, und Alberich, den Träger des Egoismus aus dem Zwergengeschlechte der Nibelungen, den Initiierten des nachatlantischen Zeitalters. Das Gold ist tief bedeutsam, bedeutungsvoll in der Mystik. Das Gold ist das Licht; das Licht, das ausströmt, wird zur Weisheit. Das Gold, die verhärtete Weisheit, holt Alberich aus dem Rheinstrom. Die Wasser sind immer das Seelische, das Astrale. Aus dem Seelischen wird das Ego, das Gold, die Weisheit des Ich geboren. Der Rheinstrom ist die Seele des neuen Zeitalters, in dem der Verstand, das Ich-Bewußtsein aufgeht. Alberich bemächtigt sich des Goldes, er entreißt es den Rheintöchtern, dem weiblichen Element, die den ursprünglichen Bewußtseinszustand charakterisieren.
Tief in Wagners Seele hat dieser Zusammenhang gelebt. Das Heraufholen des Ich-Bewußtseins in diesem neuen Zeitalter ist gewaltig gefühlt, gewaltig dargestellt im Beginn des «Rheingold» in den Akkorden in Es-Dur. Das lebt und webt auch musikalisch durch Wagners Rheingold. Wagner hatte Dichtungen vor sich, die aus den Urmythen stammten. In diesen Sagen lebte etwas, das, mit Kraft und Leben erfüllt, die Seele durchsetzt mit geistigem Rhythmus. Was man selbst lebt und ist, es wird wach, es erklingt und durchdringt den Menschen in diesen alten Sagen.
Zweiter Vortrag Berlin, 5. Mai 1905
Wir werden in diesen Vorträgen sehen, wie Wagner die Gestalten seiner Musikdramen zu den Göttern aufsteigen und wieder zu den Menschen herabsteigen läßt, um innerhalb der Menschheit deren Befreiung und Erlösung darzustellen.
Gleich am Anfang des Nibelungenringes tritt uns das ganze Leitmotiv der fünften Wurzelrasse des nachatlantischen Zeitalters entgegen: die Geburt des Ich, des Selbstbewußtseins aus dem astralen Elemente. Das Wasser kennen Sie ja als den okkulten Repräsentanten des Astralen. Wenn wir die Stimmung begreifen wollen, die in Richard Wagner herrscht, müssen wir uns in die nordischen Mythen versetzen. Ohne daß er sich aller Einzelheiten bewußt war, hat er doch die Kraft und Symbolik desjenigen ausgedrückt, was in den Mythen lebt. Wer alles, was sich um die nordischen Götter herumgruppiert, auf sich wirken läßt, wird finden, daß sie etwas Tragisches haben; alles ist auf ein Ende zugespitzt: die Götterdämmerung. Was ist dieser Grundzug, der zu einem so wunderbaren Kunstwerk [wie Wagners «Der Ring des Nibelungen»] geführt hat?
Stellen wir uns vor, wie die Erde zu der Zeit der nordischen Urrasse war. Sie würden ein tropisches Klima finden, eines, das nichts nachgibt dem Tropenklima von heute; menschenähnliche Affen, elefanten- und giraffenähnliche Tiere lebten in diesen Gegenden. Die Natur war wesentlich anders als heute. Nach und nach wurde dies abgelöst von der sogenannten Vereisung, und es treten uns unsere Vorfahren entgegen mit ihrer primitiven Kultur. Aus den Nachwirkungen dieser Vereisung ging unsere spätere germanische Kultur hervor.
Auch im Norden gab es Mysterien und Mysterienschulen. Es gab Drotten- und, mehr nach dem Westen zu, Druiden-Mysterien, sehr tiefe Mysterien. Hinter diesen stand ein Eingeweihter: Wotan. Vor allem in den Ländern mit keltischer Bevölkerung haben sich
Reste der alten Druiden-Mysterien erhalten. In England finden sich bis in die Zeit der Königin Elisabeth Spuren davon. Dann wurden sie aufgehoben. Die alten Drotten- und Druiden-Mysterien erzählen von einem Chela, Sig oder Sigge, der seine Individualität in einem bestimmten Lebensalter aufgegeben hat und fähig wurde, eine höhere Individualität in sich aufzunehmen. Es ist dies ein Vorgang, der sich in allen Mysterien beschrieben findet. So bietet auch Jesus bei der Taufe durch Johannes seinen Leib einer höheren Individualität dar. Alles, was mit Sig zusammenhängt, erinnert an das Mysterium, daß ein Chela seine Individualität für ein höheres Wesen aufgeben kann. Wotan war in Sig eingezogen, um das vorzubereiten, was in der Zukunft sich vollziehen sollte.
Jeder Geheimschüler wurde unterrichtet, daß die nordische Götterwelt abgelöst werden würde vom Christentum. Wotans ganzes Wirken ist Vorbereitung für das kommende Christentum. Hier im Norden waren bei den Wanderungen der Atlantier nach der Wüste Gobi einige Stämme zurückgeblieben. Während nun im Süden die Epochen der vier Unterrassen sich entwickelten, ging auch im Norden etwas vor sich. Auch hier spielten sich vier Phasen der Entwicklung ab, die letzte ist die Götterdämmerung selbst.
Wir hören in den nordischen Mythen, wie sich der Verlauf der vier vorbereitenden Epochen darstellte. Wotan wird während dieser Zeit viermal höher initiiert. Bei der ersten Initiation, während der ersten Unterrasse, hängt er neun Tage am Kreuz, am Holz der Weltesche. Dann trat Mimir zu ihm und lehrte ihn die Runen. Auch hier bedeutet das Hängen am Kreuz die Erlösung. In der zweiten Initiation gewinnt er den Weisheitstrank, den Gunlöd in einer Höhle bewachte. Er muß als Schlange in diese unterirdische Höhle dringen. Drei Tage weilt er dort, um den Trank zu gewinnen. In der dritten Initiation, die der dritten Unterrasse entspricht, muß er sein eigenes Auge opfern. Es ist dies das Weisheitsauge der Sagen, das an die einäugigen Zyklopen erinnert, die die Menschen der lemurischen Rasse bedeuten. Dieses Auge ist bei uns längst zurückgetreten. Eine Andeutung ist bei neugeborenen Kindern noch sichtbar. Es ist dies das Hellseherauge. Warum muß Wotan
dieses opfern? In jeder Wurzelrasse wird noch einmal kurz wiederholt, was vorher schon durchgemacht wurde. So mußte auch in der dritten Unterrasse das Hellsehen noch einmal geopfert werden, damit das heraufziehen konnte, was in Wotan zuerst aufleuchtete, die verstandesmäßige Weisheit, das Kennzeichen der europäischen Anschauungsweise. Die vierte Initiation Wotans ist mit Siegfried, dem Göttersprößling, dem Wotansprößling, verknüpft. Menschliche Initiierte treten zum erstenmal an die Stelle des Gottes.
Siegfried wird initiiert. Er muß Brünhilde, das höhere Bewußtsein wecken; indem er hindurchgeht durch die Flammen, das Feuer, muß er sich von der Leidenschaft reinigen. So macht er die Läuterung, die Katharsis durch. Er hat vorher den Lindwurm getötet, die niedere Sinnlichkeit überwunden. Dadurch ist er unverwundbar geworden; nur zwischen den Schulterblättern ist noch eine Stelle geblieben, an der er verwundet werden kann. Die Verwundbarkeit dieser Stelle ist eine sinnbildliche Hindeutung darauf, daß dieser vierten Unterrasse noch etwas fehlt, was erst das Christentum bringen konnte. Einer mußte kommen, der dort unverwundbar ist, wo Siegfried noch verwundbar war Christus, der das Kreuz zwischen den Schultern trägt, dort, wo Siegfried getötet werden konnte.
Noch ein Anprall, der Ansturm der Atlantier, sollte an dem Christentum scheitern. Die Völkerschaften, die Atli Attila, Etzel anführt, sind atlantischer Abstammung. Diese mongolischen Völker weichen zurück vor dem Christentum, das ihnen in dem Papst Leo I. entgegentritt. Das Christentum löst die alte Kultur ab.
In den Mythen wurde früher in symbolischen Bildern die Entwicklung dargestellt. So ist es auch mit der Baldur-Mythe. Einen nordischen Initiierten haben wir auch in Baldur zu sehen. Alle Bedingungen der Initiation sind hier erfüllt. Das Baldur-Rätsel verbirgt in sich eine tiefe Wahrheit. Die eigentümliche Stellung Lokis in der nordischen Sage ist nur dadurch zu verstehen. Sie wissen, daß Baldurs Mutter, durch böse Träume erschreckt, alle Wesen schwören ließ, dem Baldur nicht zu schaden. Nur ein unansehnliches Gewächs, die Mistel, wird vergessen, und aus dieser Mistel,
die den Eid nicht geleistet hat, fertigt Loki den Pfeil, den er dem blinden Gotte Hödur gibt, als die Götter im Spiele nach Baldur werfen. Der Gott Baldur wird durch diesen Wurf Hödurs getötet.
Sie wissen, daß der Erdenentwicklung eine andere vorangegangen ist: das Mondenzeitalter. Die Mondmaterie war eine dem Lebendigen ähnliche. Einige von den Mondgewächsen blieben stehen auf der damaligen Stufe und ragen so störend hinein in die neue, spätere Welt. Sie können nicht wachsen auf mineralischem Boden, sie können nur auf anderen lebenden Wesen wachsen; sie sind Parasiten. Die Mistel ist so ein Mondgewächs. Loki ist eine Gottheit des Mondes. Er stammt ebenfalls noch aus der Mondepoche. Er war vollkommen während der Mondepoche, jetzt stellt er das Unvollkommene, das Böse, dar. Jetzt verstehen wir auch, warum Loki in Wagners Dramen als Doppelnatur erscheint, als männlich und weiblich zugleich. Wie Sie wissen, fällt die Eingeschlechtlichkeit mit dem Ausscheiden des Mondes aus dem gemeinsamen Planeten zusammen. Der neuen Schöpfung steht der Sonnengott Baldur vor. Es kommt nun zu einem Zusammenstoß der alten und der neuen Schöpfung, dem Mond- und dem Sonnenreich, ein Zusammenstoß, dem Baldur, der Repräsentant der Sonnenkultur, zum Opfer fällt. Der blinde Hödur ist der Repräsentant der blinden Naturnotwendigkeit, die im Mineralreich lebt. Die Schuld mußte er auf sich nehmen, um ein gewisses fortschreitendes Element zu ermöglichen. In den Mysterien mußte Baldur wieder neu belebt werden, nachdem er von Loki durch Hödur getötet worden war.
Das sind Gefühle, die uns durchdringen, wenn wir den Schöpfungen Richard Wagners folgen. Betrachten wir die Szene im «Rheingold»: Die Rheintöchter hüten den Goldschatz. Der Zwerg Alberich entbrennt zunächst in sinnlicher Begierde für sie. Dann erwacht bei ihm die Lust an dem Gold, und er entsagt der Liebe, weil, wer das Gold und die Macht besitzen will, der Liebe entsagen muß. So schmiedet er den Ring. Was knüpft sich an diesen Ring an? Der Besitz, der Egoismus; solange der Mensch nicht abgeschlossen ist, verlangt er nichts für sich. Der Egoismus beginnt erst
da, wo der Mensch vom Ring der Sinnlichkeit umfangen ist. Alberich muß auf die Liebe verzichten; er, der Repräsentant des Selbstbewußtseins, umgibt sich mit dem Physischen. Der physische Körper baut sich auf nach denselben Gesetzen, wie sie die Natur regieren, aus der das Gold der Rheintöchter gewonnen wird. An das Gold knüpft sich der Egoismus, die Sonderexistenz. Das Gold ist hier die Weisheit, die durch Anschauung gewonnen wird, nicht die schaffende Weisheit. Um sie zu erlangen, muß der Mensch sich für diese schaffende Weisheit erst empfänglich machen. Gehen wir zurück in die Zeit, wo der Mensch noch nicht in zwei Geschlechter geteilt war; da hatte er noch nicht die Fähigkeit zu denken, sich durch sein Denken Selbstbewußtsein zu erschaffen. Alles, was er schuf, wurde durch die Liebe geschaffen. Die höhere Geistigkeit mußte sich der Mensch dadurch erkaufen, daß er auf die Hälfte der produktiven Kraft verzichtete, daß er eingeschlechtlich wurde.
Woher ist das alles gekommen? Das ist alles gekommen von früher schaffenden Wesenheiten. Die Erde mußte in einen anderen Zustand übergehen, damit der Mensch diese feste Leiblichkeit erhalte. Wotan gehörte früheren Zeiten an, den Zeiten des wogenden Feuernebels. Dort, wo noch auf Erden die reinsten Feuerkräfte walteten, als der Geist Gottes über den Wassern brütete, dort war Wotan ursprünglich zu Hause. Jetzt mußte Wotan sein Haus zu einer festen Burg umgestalten; die Erde mußte erstarren. Das Haus der Götter, Walhall, wurde von den Riesen gebaut. Es sind dies die Menschen der lemurischen Rasse, die Lemurierriesen, die noch keine hohe Geistigkeit haben. Die Riesen, die aus der Leiblichkeit sich herausringende Menschheit, verlangen dafür Freya wiederum eine weibliche Gestalt. Sie stellt das Bewußtsein dar, das Bewußtsein, das nötig ist, um sich zu erhalten, zu verjüngen.
Und jetzt ist es Loki, der aus dem feurigen Elemente aufbauen kann etwas, was für die niedere Natur richtig ist. Loki befreit Wotan von der Opferung Freyas; Loki bewirkt, daß Freya bei den Göttern bleibt. Was muß der Mensch erlangen? Den Ring, das, was die gesetzmäßig aufgebaute Leiblichkeit ist. Die Leidenschaft, die für die sinnliche Natur notwendig ist, muß zugunsten
der höheren Liebe aufgegeben werden. Bevor die höchste Entfaltung eintritt, muß auch die Seele aufgebaut werden. Die Riesen verzichten auf Freya, auf die Liebe. Die Liebe ist bei den Göttern geblieben. Die Riesen haben sich zufriedengegeben mit dem Ring, dem Element des Goldes, an das sich ein Fluch heftet. Die Liebe kommt erst durch das Christentum wieder hinein.
Es geht ein tragischer Zug durch die nordische Mythologie. Wir sehen, wie es Wotan leid tut, die Herrschaft an einen aus dem Menschengeschlecht Geborenen abzugeben. Er will das Regiment weiter behalten und versucht, den Ring zurückzuerobern. Da lernt er Erda kennen. Er lernt bei Erda Weisheit. Erda ist der Geist der Erde, das Bewußtsein des ganzen Menschengeschlechtes, solange es sich auf der Erde entwickelt. Ihre Töchter, die Nornen, verkünden das höhere Bewußtsein der Erde, sie stellen das Urwissen der Erde über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dar. Sie entwirren das einzelne Erkennen; über dem Einzelwissen steht das Bewußtsein, das mit dem Charakter der Ewigkeit behaftet ist.
Wotan läßt den Ring den Riesen. Da kommt es zwischen diesen zum Kampf. Das Sondersein bewirkt den Streit; und so dringt das Schwertmotiv herein. Im Schwertmotiv drückt sich der Übergang aus von der Menschheit, die bisher noch mehr in der Gemeinschaft gelebt hat, zu der neuen Menschheit, zum Sondersein, zum Krieg gegeneinander. Wotan wird sich klar über seine Stellung zur Menschheit, besonders über sein Verhältnis zur fünften Wurzelrasse.
Der Regenbogen führt von Walhall zur Erde. Der Regenbogen hat eine besondere Bedeutung in der okkulten Weisheit. Sie kennen den Regenbogen, der nach der Sintflut erscheint. Jetzt finden wir dieses Symbol wiederholt in den nordischen Mythen. Er bedeutet den Übergang aus der atlantischen Zeit in die nachatlantische. In jener Zeit war die Luft viel dichter, das Wasser viel dünner als heute; die Art Niederschläge wie heute, Regen, hat es nicht gegeben. Ein Regenbogen war in jener Zeit nicht möglich. Das Land, wo das nordische Menschengeschlecht herauswächst, wird nicht mit Unrecht ein Nebelreich, ein Nifelheim genannt. Aus diesem Nebelreich bildeten sich die Wassermassen heraus, die den
Kontinent Atlantis überfluteten. Erst zum Schluß der atlantischen Zeit, nach der Überflutung, tritt der Regenbogen auf. Die okkulte Forschung erklärt, was dies bedeutet. In der Bibel, im Sintflut-Regenbogen, wie in der Regenbogenbrücke der nordischen Mythe, tritt uns etwas entgegen, was die Verbindung zwischen Menschen und Göttern darstellt. Wenn Wotan durch Siegfried besiegt wird, bedeutet das, daß der Mensch jetzt an die Stelle der alten Götter tritt. Es wird vorbereitet die Aufgabe der fünften Wurzelrasse, die Menschheitsführer und Meister aus dem Menschengeschlecht selbst hervorgehen zu lassen. Die früheren Menschheitsführer kamen aus höheren Welten herunter. Jetzt wird der ein Meister sein, der durch alle Entwicklungsstufen der Menschheit hindurchgegangen ist nur schneller als die anderen Menschen , und der als Vorgeschrittener die Menschheit führt.
Nächstes Mal werden wir nochmals von Siegfried sprechen und noch mehr von dieser Entwicklung hören. Sie werden sehen, wie Wagner, um darzustellen, was die Menschheit am tiefsten bewegte, die Kraft der nordischen Mythen benutzt hat. Darin liegt das ungeheuer Erhebende und Eindringliche der Wagnerschen Dramen.
Dritter Vortrag Berlin, 12. Mai 1905
Im vorhergehenden Vortrag haben wir gesehen, wie der große Künstler Wagner zum Mythos zurückgekehrt ist, um große Weltzusammenhänge darzustellen. Im Siegfried-Mythos lebt der ganze Inhalt der nordischen Weltanschauung bis zu der Zeit des Christentums. Diese nordische Weltanschauung hat einen tragischen Zug; sie endet in der Götterdämmerung. Was bedeutet dieser tragische Zug?
Ich habe gesagt, daß es auch im Norden Mysterien gab; in ihnen wurde den Schülern erklärt, was es bedeutet, daß der nordische Mythos mit der Götterdämmerung abschließt. In diesen Mysterien wird etwas enthüllt von dem, was noch verborgen ist und erst in der kommenden Zeit geschehen soll. Die Priester der nordischen Welt hatten zu verkünden, daß die alte Götterwelt untergehen werde und eine neue aus dem Feuer, in dem die nordische Welt untergeht, durch Christus zu geläuterter Liebe sich erheben werde. Das Alte mußte sterben; daher der tragische Zug nach dem Ende hin. Das ist es, was Wagner in so wunderbarer Weise hindurchleuchten läßt: Diese Vorbereitungsstimmung der nordischen Sagen, die ausklingt in der Götterdämmerung.
Vier Phasen hat diese nordische Weltanschauung. Durch vier Stufen ist die Menschheit gegangen, und dann ist Christus gekommen. Wir leben heute in der fünften Unterrasse der fünften Wurzelrasse, der andere vorangingen: Die Sanskrit-Kultur, dann die persisch-medische und die chaldäisch-babylonisch-ägyptische Kultur; die griechisch-lateinische Kulturepoche war die vierte, und nun haben wir im Norden den teutonisch-germanischen Volksstamm.
Da schießt das Christentum als ein neuer Einschlag hinein. Auf dieser Stufe wird sich alles ändern, und das Alte wird untergehen. Dies wird sehr schön dargestellt in der Erzählung von Winfried-Bonifatius, der die heilige Eiche fällt. «Eiche» ist gleichbedeutend mit «Druide» in den alten Mysterien. So bedeutet das
Zertrümmern der Eiche die Vernichtung der alten nordischen Religion. Diese Überwindung des Druidenkultus haben die nordischen Mysterien vorhergesagt.
Während die vier ersten Unterrassen im Süden sich entwickelten, haben die nordischen Völkerschaften diese Entwicklung für sich vorbereitet. Auch hier haben wir vier Phasen, auch hier geht die Entwicklung durch vier Stufen; die letzte ist die Götterdämmerung selbst. Es ist eigentümlich, daß in diesen vier Phasen die ganze frühere Entwicklung der Menschen sich wiederholt. Die Menschheit hat verschiedene Zustände durchgemacht. Der nordische Mythos ist eine Art Erinnerung an die ganze Geschichte der Erde; sie lebt in ihm als Anschauung, als mythischer Inhalt. Und in Wagners Dramen leben diese vier Stufen der Entwicklung, weil er seine Dramen aus dem Mythos genommen hat. Ganz richtig hat Wagner eine Tetralogie gebildet. Mit dem Vorspiel stellt sich in den vier Teilen die Entwicklung der Menschen dar; die fünfte Stufe wird das Christentum sein.
Was ist das Grundmotiv im «Rheingold»? Und was ist das Grundmotiv unserer jetzigen Wurzelrasse? Wenn wir zurückgehen zur polarischen Wurzelrasse, finden wir Menschen, die noch nicht Selbstbewußtsein besaßen und noch nicht in verschiedene Geschlechter getrennt waren; ebenso bei den Hyperboräern. Erst in der dritten Wurzelrasse, in der lemurischen Epoche, wird der Mensch eingeschlechtlich. Und erst in der atlantischen Zeit wird das Ich geboren, bei der fünften Unterrasse. Da sagt der Mensch zum ersten Male zu sich selbst «ich». Dieses Ich-Bewußtsein wird im Mythos als Zwerg geschildert, als Alberich, es wird empfunden als aus Nifelheim aufsteigend. Atlantis war das Nifelheim, und mit Recht konnte es ein Nebelheim genannt werden. Noch nicht war unsere Erdatmosphäre von den Wasserdämpfen gereinigt, noch gab es keine Niederschläge durch Regen. Aus diesem Nifelheim mit seinen brodelnden Wassern und schwebenden Nebeln heraus wird das menschliche Ich geboren. Das drückt Wagner großartig aus in dem Es-Dur-Akkord des Orchesters; das Grundmotiv unserer gegenwärtigen Menschheit erschallt aus Nifelheim.
Machen wir uns klar, was auf Erden geschehen ist in dieser Zeit. Als ein seelisches Wesen kam der Mensch auf die Erde. Aus der Äthererde wurde sein Leib geboren. Noch ist der Mensch nicht Mann oder Weib, noch weiß er nichts von Besitz, nichts von Macht. Als Wasser wird die Seele bezeichnet. Der Besitz, der zugleich Macht ist, wird noch gehütet von den wogenden Mächten der Astralwelt, den Rheintöchtern. Aber es bereitet sich langsam vor, was in der atlantischen Zeit herauskommt: das Ich, der Egoismus. Aber in dem ursprünglichen Seelenwesen war etwas enthalten, worauf der Mensch nun verzichten muß: die Liebe, die noch nicht eine äußere Wesenheit sucht, sondern die in sich selbst ruht. Auf diese in sich selbst ruhende Liebe muß Alberich verzichten. Das kann er durch den Ring, der alles Menschliche verbindet. Solange die Zweigeschlechtlichkeit erhalten war, bedurfte der Mensch des Ringes nicht; erst als er die seelische Liebe aufgab, die Zweigeschlechtlichkeit, mußte der Ring äußerlich das verbinden, was getrennt ist. In der Vereinigung mit einem anderen Sonderwesen muß der Mensch nun die Liebe erreichen. Der Ring ist das Symbol des Zusammenschlusses gesonderter Menschen, die Verbindung der beiden Geschlechter im Physischen. Als Alberich den Ring erobert, muß er die Liebe aufgeben. Nun kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr im Einheitlichen schaffen kann. Früher waren Leib, Seele und Geist eins. Jetzt schafft die Gottheit von außen her den Leib. Die Geschlechter stehen sich feindlich gegenüber; die zwei Riesen Fafner und Fasolt stellen sie dar. Der menschliche Körper ist eingeschlechtlich geworden.
In den alten Religionen ist der menschliche Körper als Tempel dargestellt worden; an ihm schafft die Gottheit von außen. Den inneren Tempel, unsere Seele, soll der Mensch selbst schaffen, seitdem er ein Ich geworden ist. In der schaffenden Gottheit ist die Liebe noch erhalten; sie schafft noch an dem «äußeren Tempel». Das ist im Mythos in der Stelle enthalten, wo Wotan den Riesen den Ring nehmen will und wo ihm Erda erscheint und ihm davon abrät. Erda ist das hellseherische Gesamtbewußtsein der Menschheit. Der Gott soll den Ring nicht behalten, der das
zusammenschließt, was sich auflösen muß, um erst auf höherer Stufe, wenn die Geschlechter sich wiederum neutralisiert haben, sich wieder zu vereinigen. So ist Wotan durch die prophetisch-hellseherische Kraft des Erdenbewußtseins abgehalten, den Ring in seine Gewalt zu bekommen; der Ring bleibt den Riesen. In jedem Menschen ist fortan nur ein Geschlecht enthalten. Der Riese bedeutet die physische Körperlichkeit. Nun erst bauen die Riesen Walhall. Im Streite um den Ring wird Fasolt von Fafner getötet, es ist der Gegensatz zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen. In jedem Menschen wird erst ein Geschlecht ertötet; der Mann tötet das Weib, das Weib den Mann in sich.
Nun aber muß erst aus dem umfassenden Erdenbewußtsein das höhere Bewußtsein geboren werden. Das geschieht durch die Verbindung Wotans mit Erda, und es entsteht Brünhilde. In ihr ist noch etwas vorhanden von der göttlichen Allweisheit des Weltbewußtseins. Dieses Bewußtsein tritt aber zunächst zurück. Dagegen erzeugt Wotan mit einem Erdenweibe Siegmund und Sieglinde. Das ist die seelische Zweigeschlechtlichkeit, die männliche und die weibliche Seele. Jede kann unmöglich für sich allein weiterleben. Die weibliche Seele, Sieglinde, verfällt dem Raub durch Hunding; die Seele muß sich ergeben an das physische Gehirn. Nun beginnen die Irrwege Siegmunds, der im Leibe eingeschlossenen Seele; sie ist nicht mächtig genug, an das Göttliche heranzutreten, das verloren ging. Die Götter können Siegmund nicht schützen; das Schwert zerschellt am Speere des Wotan.
Da muß Wotan die Leitung abgeben an das ganz im Sinnlichen wirkende menschliche Selbst, an Hagen, den Sohn Alberichs, an das Prinzip des niederen Selbst. Gegen das Bündnis des männlichen mit dem weiblichen Seelischen verschwören sich alle Mächte. Wotan selbst muß Fricka beistehen. Fricka stellt die männlich-weibliche Seele auf höherer Stufe dar; sie drängt Wotan, die Verbindung zwischen männlicher und weiblicher Seele auf irdischer Stufe zu lösen. Es bleibt im Leben das männliche und das weibliche Seelische zusammengefügt; auf der Erde aber spielt das Blut, spielt die Sinnlichkeit hinein. Tief ist das angezeigt in dem
Zug der Geschwisterliebe. Das ist das Unerlaubte, was hineinspielt, und wenn das herrschend bleibt, müssen Siegmund und Sieglinde, muß das Physische untergehen. Sieglinde soll durch das allumfassende Bewußtsein, Brünhilde, vernichtet werden; alle Erdenentwicklung wäre gehemmt. Brünhilde steht ihr aber bei und gibt ihr das Roß Grane, das den Menschen durch die Erdenereignisse trägt. Brünhilde zieht sich in die Verbannung zurück, Waberlohe umgibt ihren Felsen. Jetzt ist das hellseherische Bewußtsein umgeben von dem Feuer, durch das der Mensch erst hindurch muß, um gereinigt zu werden, wenn er wieder hin will zu dem allumfassenden Bewußtsein.
Sieglinde aber, das Seelisch-Weibliche, gebiert Siegfried, das menschliche Bewußtsein, das wieder hinauf soll zum Höheren. Er wächst auf in der Verborgenheit bei Mime. Er muß die niedere Natur, den Lindwurm überwinden, um sich die Macht zu erringen. Er überwindet auch Mime. Wer ist Mime? Mime kann etwas verleihen, was unsichtbar macht, die Tarnkappe, etwas von einer Macht, die für die gewöhnlichen Menschen nicht sichtbar ist. Die Tarnkappe ist das Symbol des Magiers und zwar sowohl des weißen wie des schwarzen Magiers , der sichtbar unter uns wandelt, aber als solcher unsichtbar ist. Mime ist der Magier, der aus irdischen, schwarzen Kräften heraus die Tarnkappe geben kann. Er will Siegfried zum schwarzen Magier machen, aber Siegfried will nicht. Er hat den Lindwurm getötet, einen Tropfen des Blutes, des Symbols der Leidenschaften in sich aufgenommen und ist dadurch in den Stand gesetzt, die Sprache der Vögel, des Sinnlich-Irdischen, zu verstehen. Er kann den Weg des höheren Eingeweihten gehen; der Weg zu Brünhilde, dem Allbewußtsein, wird ihm gezeigt.
Bis jetzt haben wir drei Phasen der nordischen Entwicklung: Erst den Zwerg, dann den Riesen, und nun den Menschen. Die Walküre bedeutete die zweite Phase. Und in Siegfried haben wir erst die Geburt des Menschen selbst. Eingeschlossen in die Körperlichkeit muß er erst wieder den Weg zurückfinden zur reinen Weisheit. In der Götterdämmerung, in dem vierten Teile, ist ausgedrückt, daß in der nordischen Welt der Mensch noch nicht reif war,
daß er die vollständige Einweihung noch nicht erlangt hatte. Siegfried ist noch verwundbar an einer einzigen Stelle, an derselben, wo Christus das Kreuz getragen hat. Siegfried konnte das Kreuz noch nicht auf sich nehmen. Es ist dies ein tiefer Ausdruck dafür, was dem nordischen Volke noch fehlte: daß ihm dieses Christentum noch eine Notwendigkeit war. Siegfried kann sich nicht mit Brünhilde vereinigen; er ist die menschliche Seele, aus dem Erdenweib gezeugt, aus der Vereinigung Siegmunds und Sieglindes. Brünhilde ist die jungfräulich Gebliebene, das höhere Bewußtsein.
In der letzten Phase muß das höhere Wissen erlangt werden. Weil der Mensch noch nicht die Fähigkeit erlangt hat, sich mit der jungfräulichen Weisheit zu vereinigen, hat er den Trieb nach höherem Wissen als Verlangen. Dies muß überwunden werden. Und daß er sich in irdischer Begehrlichkeit mit Brünhilde vereinigen will, führt zum Austausch der Güter; sie gibt das Roß, er den Ring.
Bevor der Mensch sich mit dem höheren Selbst vereinigen kann, hat auch der Ring, der äußere Zwang, noch nicht seine Macht verloren. Der Mensch taucht unter in das niedere Bewußtsein, er ist mit Blindheit geschlagen. Siegfried vergißt Brünhilde, er verbindet sich mit Gudrun, dem niederen Bewußtsein. Er will sogar für den Nicht-Würdigen, den anderen, für Gunther, um Brünhilde werben. Das heißt, in der letzten Phase, vor Eintritt des Christentums, verfällt der Mensch noch einmal dem nicht reinen Pfad, den dunklen Mächten. Die unrechtmäßige Verbindung Brünhildes mit Gunther ist die Ursache zu Siegfrieds Verderben. Er muß den Tod finden durch die niederen Mächte, in deren Gewalt er sich verstrickt hat.
Es naht die letzte Phase. Noch einmal treten die drei Nornen auf. Es ist die Phase, wo das allumfassende Bewußtsein verlorengeht:
Zu End, ewiges Wissen!
Der Welt melden
Weise nichts mehr:
Hinab zur Mutter, hinab!
Die höhere Weisheit, die früher den Göttersöhnen gegeben war,
geht auf der Erde verloren; sie geht zurück zum Ewigen. Die Menschheit ist auf sich selbst angewiesen.
Das Musikdrama «Tristan und Isolde» ist für den, der tiefer schaut, für Wagner noch einmal ein Immer-klarer-Werden des Problems der Zweiheit der Geschlechter. Das Männliche und das Weibliche hat nur Bedeutung für den physischen Plan. In Tristan lebt die Sehnsucht, nicht mehr getrennt zu sein, den Ausgleich zu finden, ein Bewußtsein zu haben, das nicht mehr männlich oder weiblich ist. Diese Sehnsucht wogt und wallt in dem Drama: Nicht mehr Ich-Tristan zu sein, sondern Isolde in sich aufgenommen zu haben; nicht mehr Ich-Isolde zu sein, sondern Isolde und Tristan zu sein. Verloren ist den beiden das Bewußtsein dieser Trennung. So klingt es aus in den Schlußworten dieser Dichtung, das Erlöstsein von dem Sondersein:
In des Wonnemeeres
wogendem Schwall,
in der Duftwellen
tönendem Schall,
in des Weltatems
wehendem All
ertrinken
versinken
unbewußt
höchste Lust!
Jedes Wort ist heraus geprägt aus einem tieferen Wissen. Die astrale Welt ist dieses wogende Wonnemeer, die in duftenden Tönen erschallende Welt ist Devachan. Das Lebensprinzip ist der Welt-Atem, in ihm muß sich alles ausgleichen. Nicht mehr getrennt im Bewußtsein: im Undifferenzierten ertrinken, versinken, unbewußt, das ist höchste Lust. Höchste Lust für das Irdische ist es in der Tat, zu überwinden das Sinnliche aus dem Geistigen heraus. Die Lust, die zur Vernichtung des Irdischen strebt, adelt; sie ist die Überwindung dessen, was sie selbst in sich hat. Das ist das Problem, das Wagner zu lösen versuchte in «Tristan und Isolde».
Alle diese Gedanken, sie lebten etwa nicht bewußt, nicht abstrakt in Wagner, sie leben aber in den Mythen, und Wagner zog sie aus den Mythen. Es braucht der einzelne Künstler nicht diese Gedanken abstrakt in sich zu haben. So wie die Pflanze nach Gesetzen wächst, ohne diese Gesetze zu kennen, so leben im Mythos die Weltenkräfte als Symbolbild göttlicher, ewiger Wahrheit.
Wagners Siegfried ist noch verstrickt in das Irdische, er muß darin zugrundegehen. Brünhilde erkennt den Zusammenhang, und sie versteht, um was es sich handelt. So tritt sie den Ring den Rheintöchtern ab, an das Element, das nicht hineingedrungen ist in das Spiel dieser Welt. Die ganze Menschheitsentwicklung geht zurück zur ursprünglichen, jungfräulichen Materie.
Eine neue Weltanschauung tritt an die Stelle der älteren, nordischen Weltanschauung, die nicht mehr appelliert an das Äußerliche, Sinnliche, sondern nur an das jungfräulich Gebliebene, an die Seele. Brünhilde, die noch mitverstrickt ist in das Äußere, Sinnliche durch ihre Vereinigung mit Siegfried, reitet in das Feuer hinein. Dort herausgeboren wird die Liebe. Es ist dies ein Gedanke, der zunächst noch tragisch ist für den Norden; denn das, was man zu begreifen imstande war, geht zugrunde. Herausgeboren aus dem Feuermeer, der ursprünglichen, jungfräulichen Materie, wird vom Geiste die Liebe. «Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria virgine.» Aus demselben Element, aus dem vorher der Egoismus, die sinnliche Liebe geboren ist, wird jetzt ein neues Gefühl geboren, das erhaben ist über alles, was verstrickt ist in dem physischen Plan. Die Weisheit geht zurück, um aus dem Teile des Elementes, das sich die jungfräuliche Keuschheit bewahrt hat, die Liebe erstehen zu lassen. Das ist der Christus, das christliche Prinzip. Die selbstlose Liebe im Gegensatz zur selbstischen Liebe, das ist die große Evolution, die erkauft wird mit der geheimnisvollen Involution des Todes, dem Untergange des Physischen. Streng haben wir gegenübergestellt die Gegensätze von Leben und Tod.
Das Holz ist das verdorrte Leben, und an diesem Holze hängt das neue, das ewige Leben, aus dem das neue Zeitalter jetzt geboren wird. Ein neues, geistiges Leben geht aus der Götterdämmerung hervor. Wie Richard Wagner sich sehnte, nachdem er durch die vier Phasen des nordischen Lebens hindurchgegangen war, dieses christliche Prinzip in seiner Tiefe darzustellen, das hat er uns dargetan in seinem Parsifal er bedeutet die fünfte Phase. Weil Wagner das durchlebt hat, was das Tragische war in der nordischen Entwicklung, war ihm die Glorifikation des Christentums ein Bedürfnis.
Vierter Vortrag Berlin, 19. Mai 1905
Je tiefer man in das Werk Richard Wagners eindringt, desto tiefer kommt man auch in theosophisch-mystische Fragen und Lebensrätsel hinein. Es ist etwas außerordentlich Bedeutsames, daß Richard Wagner, nachdem er die ganze Vorzeit der europäischen Völker in vier Stufen in seinem Nibelungenring entwickelt hatte, dann ein eminent christliches Drama schuf, das Werk, mit dem er sein Lebenswerk eigentlich abgeschlossen hat, den «Parsifal». Man muß Wagners ganze Persönlichkeit durchdringen, wenn man verstehen will, was eigentlich in diesem «Parsifal» lebt.
Für ihn war die Gestalt des Jesus von Nazareth schon seit den vierziger Jahren im Begriff, sich ihm zu gestalten. Er wollte es sind auch Fragmente davon vorhanden ein Drama «Jesus von Nazareth» schreiben, ein Werk, in dem die unendliche Liebe, wie sie in Jesus von Nazareth für die ganze Menschheit wirkt, zur Anschauung gebracht werden sollte. Das wollte er schaffen, aber über die Grundgedanken ist er nicht hinausgekommen. Er entwarf dann in den fünfziger Jahren das Drama «Die Sieger». An diesen Dramen können wir sehen, aus welchen Tiefen der Weltanschauung heraus die Intuitionen dieses Dichters geschöpft wurden.
Stellen wir uns den Inhalt des Dramas «Die Sieger» einmal kurz vor Augen: Ananda, ein Jüngling aus vornehmer Kaste, wird leidenschaftlich geliebt von Prakriti, einem Tschandalamädchen, also von einem Mädchen aus verachteter Kaste. Er aber entsagt aller sinnlich-irdischen Liebe und wird ein Jünger Buddhas. Das Tschandalamädchen sollte nach der Intention Wagners in einer früheren Verkörperung eine Angehörige der Brahmanenkaste gewesen sein und damals die Liebe eines Tschandalajünglings mit hochmütiger Verachtung von sich gewiesen haben. Die karmische Strafe ist es nun, in der Tschandalakaste wiedergeboren zu werden. Nachdem sie sich nun so weit durchgearbeitet hatte, daß sie ihrer Liebe entsagen konnte, wird auch sie eine Jüngerin des
Buddha. Sie sehen, daß Wagner schon das karmische Problem in seiner ganzen Tiefe erfaßt hat, als er in der Mitte der fünfziger Jahre daran ging, ein so tiefernstes Musikdrama wie «Die Sieger» zu schaffen. Alle diese Gedanken sind zuletzt zusammengeflossen in seinem «Parsifal». Aber zugleich steht im Mittelpunkt des «Parsifal» das Christus-Problem.
Die Geschichte des Mittelalters hat einen wichtigen Punkt um die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert. Da wirkte Wolfram von Eschenbach, der das Mysterium des Parzival dichterisch bearbeitet hat aus dem tiefsten Spirituellen des Mittelalters heraus. Im Mittelalter lebte in den Menschen, die spirituelles Leben hatten, etwas, was man in eingeweihten Kreisen die Erhöhung der Liebe nannte. Liebessänger, Minnesänger gab es auch vorher und nachher. Aber zwischen dem, was man früher als weltliche, sinnliche Liebe auffaßte und dem, was später im Christentum als die gereinigte, geläuterte Liebe aufkam, bestand ein großer Unterschied. Ein bedeutsames Denkmal für diesen Wendepunkt des geistigen Lebens im Mittelalter ist uns erhalten geblieben in Hartmann von Aues «Der arme Heinrich». Dieses tief spirituelle Gedicht ist durchdrungen von den spirituellen Lehren, welche sich die Ritter der Kreuzzüge aus dem Morgenlande mitgebracht hatten. Stellen wir uns den Inhalt des «Armen Heinrich» vor: Ein Ritter schwäbischen Geschlechtes, dem es bis dahin stets gut ergangen ist, wird von einer unheilbaren Krankheit, der Miselsucht, befallen und kann davon nur durch den Opfertod einer reinen Jungfrau befreit werden. Es findet sich eine Jungfrau, die sich für ihn opfern will. Sie gehen zusammen nach Salerno in Italien zu einem berühmten Arzt. Schon soll die Jungfrau geopfert werden, aber im letzten Augenblick weigert sich Heinrich, das Opfer anzunehmen; die Jungfrau bleibt am Leben, Heinrich wird danach gesund, und sie vermählen sich.
Hier finden wir also wieder das Bild von der reinen Jungfrau, die sich opfert für einen Menschen, der bisher nur im Sinnlichen gelebt hat und nun durch sie gerettet wird. Hier liegt vom Standpunkte des Mittelalters ein Mysterium verborgen. Die Minnesängerei schrieb man einer alten Strömung zu, welche heraufgekommen
war in den vier aufeinanderfolgenden Stadien der europäschen Kulturentwicklung, wie sie uns in den Sagen, die Richard Wagner in seiner Tetralogie darstellt, entgegentritt. Auf die Liebe, die nur aus dem Sinnlichen stammt, sah man in jener Zeitepoche zurück als auf etwas, das überwunden werden sollte. Geläutert durch die höhere spirituelle Kraft des Christentums sollte das Minnesängertum in einer neuen Gestalt erstehen.
Wir müssen, wenn wir verstehen wollen, was da geschah, alle Faktoren zusammennehmen, um uns das Gepräge, die Physiognomie jener Zeit zurückzurufen. Dann können wir verstehen, was Wagner zur Darstellung dieser Sage veranlaßte. Es gab eine alte Sage, eine Ursage, die wir bei den ältesten germanischen Völkern und in etwas anderer Form auch in Italien und anderen Ländern finden können. Wir wollen uns das Gerippe dieser Sage klarmachen: Ein Mensch hat die Freuden der Welt kennengelernt und dringt nun ein in eine Art unterirdische Höhle; dort lernt er ein Weib von übergroßer reizvoller Anziehungskraft kennen. Er erlebt dort gewisse Freuden des Paradieses; doch dann überkommt ihn die Sehnsucht nach der Oberwelt, er kehrt nach einiger Zeit wieder zurück aus dem Berg. Es ist dies besonders klar ausgeführt in der Tannhäuser-Sage. Wenn wir uns diese Sage vergegenwärtigen, so haben wir darin ein schönes Symbol für das alte Liebesstreben in den germanischen Landen vor jener großen Wende, von der ich gesprochen habe: Das Wirken des Menschen in der sinnlichen Welt, das Zurückziehen zu den Freuden der Liebe im alten Sinne, die man sich dachte verkörpert in der Göttin Venus, und das Abgelenktsein von dem Wirken in der Außenwelt durch die Liebe als eine Art Paradies-Empfinden. Die Sage hat aber in dieser Form keinen richtigen Knotenpunkt. Sie hat nichts, das uns einen Ausblick nach dem Höheren zeigt. Sie ist so entsprungen aus der früheren Anschauung, aus der vorhergehenden Gestalt der Liebe. Später, in den Anfängen der spirituellen Ausgestaltung der Liebe durch das Christentum, wollte man ein Schlaglicht werfen auf die früheren Zeiten und den Gegensatz zeigen zwischen diesem Paradies und der Paradiesesvorstellung im Christentum.
Wenn wir Wagner verstehen wollen, müssen wir noch tiefer greifen. Wir haben unsere fünfte Wurzelrasse betrachtet. Nachdem die Fluten die Atlantis überspült hatten, tauchten nacheinander die Unterrassen auf: die urindische, die urpersische, dann die ägyptisch-babylonisch-assyrisch-chaldäische, dann die griechisch-lateinische, und nach dem Abfluten der römischen Kultur geht unsere fünfte Unterrasse auf, in der wir heute leben und die ihre Bedeutung eigentlich für das christliche Europa hat. Nicht als ob Richard Wagner das alles gewußt hätte, was ich jetzt gesagt habe. Aber er hatte das absolut sichere Gefühl für die Weltlage der fünften Unterrasse, und er empfand die ganze Aufgabe der Gegenwart als eine religiöse Aufgabe, wie man dies auch in der Theosophie nicht besser formulieren kann.
Sie wissen, daß jede dieser «Rassen» inspiriert wurde von großen Eingeweihten und daß die Urinspiration der fünften atlantischen Rasse ausging von den sogenannten Ursemiten. Sie wissen, daß, als Atlantis von den Fluten verschlungen wurde, diejenigen, welche auswanderten und vor dem Untergang der Rasse bewahrt wurden, von dem Manu, einem göttlichen Führer, nach Asien geführt wurden, in die Wüste Gobi. Von hier aus gingen Kultureinschläge zuerst über Indien nach Vorderasien, Persien, Assyrien, nach Ägypten und dann nach dem Süden von Europa, nach Griechenland, Rom und später auch nach unseren Gegenden.
Nicht mehr verfolgbar für die Geschichte sind die ersten beiden semitischen Kultureinschläge, das sind die Kultureinschläge, die die indische und die urpersische Rasse erhalten haben. Wenn wir aber die chaldäisch-ägyptische Unterrasse betrachten, so müssen wir sagen, daß da ein großer semitischer Impuls stattgefunden hat, von dem das Volk Israel seinen Namen hat. Das Christentum ist auf einen solchen semitischen Einschlag zurückzuführen, der sich dann in die griechisch-lateinische Kultur hineinerstreckt. Wenn wir diesen Kultureinschlägen weiter nachgehen, finden wir den semitisch gefärbten Einfluß durch die maurischen Völker, die nach Spanien eingedrungen waren, über ganz Europa verbreitet, dem sich selbst christliche Mönche nicht entziehen konnten. So erstreckt
sich der ursemitische Impuls bis in die fünfte Unterrasse. Wir sehen damit, wie durch die eine große Strömung die Urkultur fünfmal beeinflußt wird.
Von Süden her haben wir einen großen spirituellen Strom, dem eine andere Strömung entgegenwächst, die sich im Norden durch vier Stufen der Urkultur entwickelt hat, bis zum Zusammenfluß beider Strömungen. Ein weltlich-naives Volk wird beeinflußt. durch die von Süden heraufkommende Kultur an der Wende des 12. zum 13. Jahrhundert. Wie eine spirituelle Luftströmung empfand man das Hereindringen einer neuen Kultur. Wolfram von Eschenbach stand ganz unter dem Einfluß dieser geistigen Strömung.
Die nordische Kultur ist symbolisiert durch die Sage vom Tannhäuser, wo der Impuls auch vom Süden kommt. Überall finden wir etwas, was wir als den semitischen Impuls bezeichnen können. Aber eines empfand man mächtig: daß die germanische Rasse ein letztes Glied einer Entwicklung sei, daß ganz etwas Neues kommen sollte, daß für die fünfte Unterrasse sich ganz etwas anderes vorbereitet: Das ist die höhere Sendung des Christentums. Eine neue Art des Christentums empfand man in der damaligen Zeit in den germanischen Ländern als Sehnsucht; ein neues Christentum sollte geschaffen werden, losgelöst sollte es werden von dem, was es im Süden durchgemacht hatte. Es sollte das Christentum in reinerer Gestalt noch einmal geschaffen werden. Es bildete sich zur Zeit der Kreuzzüge ein Gegensatz zwischen Rom und Jerusalem. Unter den Schlachtrufen «Hie Rom» und «Hie Jerusalem» kämpften die Kreuzfahrer. Das eine bezog sich auf das römische Christentum, das nur noch eine Schale war, das andere auf ein reines Christentum, das man wiederherstellen wollte und für das man in Jerusalem einen geistigen Mittelpunkt sah. So dachten die großen Scholastiker, und so war auch für Dante in seiner «Göttlichen Komödie» Jerusalem ein Mittelpunkt, der aber mehr in einem geistigen als in einem äußerlichen Sinne zu suchen ist. So empfand man die fünfte Unterrasse als einen Vorboten der Zukunft. Die alten Einflüsse hatten aufgehört, etwas ganz Neues
sollte kommen, ein neuer Wirbel der Weltkultur begann. Nur ein Versuch war es, das rechte Christentum zu begründen, aber herausschälen sollte man aus dieser Schale den Kern des echten Christentums. Man empfand an der Wende des Mittelalters etwas Untergehendes, das Aufhören von etwas, was man als Wohltat empfunden hatte, und gleichzeitig empfand man etwas Aufgehendes in der Sehnsucht nach dem Neuen. All dies lebte in Wolfram von Eschenbach.
Nun betrachten Sie die neue Zeit. Stellen Sie sich dies Gefühl vor, erneuert in einer Zeit, als der Niedergang gekommen war, so finden Sie etwas von dem, was in Richard Wagner gelebt hat. Mittlerweile war vieles von dem eingetroffen, was man früher als Niedergang der Rasse empfunden hatte. Richard Wagner hat vom Anfang seines bewußten Lebens an dieses niedergehende Element besonders lebhaft gefühlt. Für ihn waren viele Symptome dafür da, daß der Niedergang da ist und daß eine Neubildung geschehen muß. Das Chaos, welches uns heute in vieler Hinsicht umgibt, die Art und Weise, wie das niedere Volk in unserer Zeit mehr hinsiecht als hinlebt, das Elend der großen europäischen Volksmassen, deren spirituelles Leben im Dunkel bleibt, die abgetrennt sind von aller Bildung, hat niemand tiefer empfunden als Richard Wagner, und daher wurde er im Jahre 1848 Revolutionär. Nicht als gewöhnlichen Revolutionär müssen wir uns Wagner vorstellen, sondern wir müssen ihn so auffassen, daß der Gedanke schwer auf seiner Seele lastete: es ist in unsere Hand gegeben, heute mitzuwirken, entweder den Niedergang zu beschleunigen, das Rad abwärts zu drehen oder aufwärts zu führen. Die Revolution von 1848 war für ihn nur eine äußere Gelegenheit.
Wenn wir das alles so auffassen, werden wir verstehen, wie Richard Wagner zu seinen Ideen über die Rassen kam, wie er sie ausdrückt in seinen Prosaschriften. In seiner Schrift «Religion und Kunst» sagt er ungefähr folgendes: Wir haben da drüben in Asien in dem indischen Volke etwas von der ursprünglichen Kraft der arischen Rasse. Da lebt etwas von der hohen Kraft spirituellen Lebens, aber nur für eine Elite, für das Brahmanentum. Ausgeschlossen von
dieser Lehre sind die niederen Kasten, aber im Brahmanentum ist ein hoher geistiger Standpunkt erreicht, der ein Ausdruck der Urkultur ist. Blicken wir von da nach dem Norden, so sagt sich Richard Wagner, haben wir dort eine naive Rasse, die selbst vier Stufen der Entwicklung durchgemacht hat, ein jagdfrohes Volk, von dem man sich vorstellen muß, daß es als Jäger Freude daran hatte, seine Feinde zu töten. Die Freude am Töten des Lebendigen ist für Wagner ein Dekadenz-Symptom. Es ist eine tiefe, okkulte Tatsache, daß Leben und Tod in merkwürdiger Weise zusammenhängen mit der Entwicklung des Menschen nach dem Höheren, Reineren, Spirituellen. Alles, was der Mensch vollbringt an Qual, an Vernichtung des Lebens, entzieht seiner Seele spirituelle Kraft. Man mag über einzelne Kulturerscheinungen denken wie man will jegliche Vernichtung des Lebens ist verknüpft mit dem Entreißen von spirituellen Kräften. Daher muß derjenige, welcher den «schwarzen Pfad« geht, gerade Leben vernichten. Dies kommt zum Beispiel in dem Roman «Flita» von Mabel Collins zum Ausdruck. Es ist die Geschichte einer Schwarzmagierin, die ungeborenes Leben vernichtet, weil sie dies für ihre verwerflichen Kräfte braucht. Es ist ein tiefer Zusammenhang zwischen dem Leben, dem Tod und der Entwicklung des Menschen. Es ist dies eine Lektion, die von den Völkern gelernt und durchgemacht werden mußte. Etwas anderes war es, wenn in einer bestimmten Zeitentwicklung in naiver Weise getötet wurde; damals erfuhr man durch das Töten die Kraft, die in einem war in dieser Lage waren die altgermanischen Jägervölker.
Jetzt aber, nachdem das Christentum gekommen war, wurde das anders. Die christliche Lehre enthält das Verbot des Tötens, das Töten ist eine Sünde. Hier ist der Ursprung der Anschauung zu suchen, die Wagner zu einem strengen Vegetarismus führte. Für ihn wird die Ernährung mit Fleisch zu einem Zeichen des Niedergangs einer Rasse, und er bezeichnet es als einzige Möglichkeit des Aufstiegs, wenn die Menschen übergehen zu einer Nahrung, die sie nicht mehr verleitet zum Töten.
Die Empfindung dafür, daß ein neuer Impuls kommen mußte, veranlaßte Wagner auch zu seinen Ausführungen über den Einfluß
des Judentums auf die heutige Kultur. Wagner war nicht Antisemit in dem unsinnigen, gehässigen Sinne, wie man ihn heute erleben kann, aber er fühlte, daß das Judentum seine Rolle als solche ausgespielt hatte, daß die semitischen Einflüsse auf unsere Kultur verglimmen mußten und etwas Neues an deren Stelle treten mußte. Daher sein Ruf nach einer Erneuerung. Dies hängt damit zusammen, wie er unsere gegenwärtige Rasse auffaßte. Er sagte sich: Wir müssen einen Unterschied machen zwischen Rassenentwicklung und Seelenentwicklung. Diesen Unterschied muß man machen, wenn man überhaupt die Entwicklung begreifen will.
Wir alle waren einst verkörpert in der atlantischen Rasse; während aber die Seelen sich weiterentwickelt haben und aufgestiegen sind, ist die Rasse in Dekadenz gekommen. Jedes Höhersteigen ist aber verknüpft mit einem Niedersteigen. Für jeden sich Veredelnden gibt es einen Hinabsinkenden. Es ist ein Unterschied zwischen der Seele im Rassenkörper und dem Rassenkörper selbst. Je mehr der Mensch der Rasse ähnlich wird, je mehr er liebt, was zeitlich, vergänglich, mit den Eigenschaften seiner Rasse verbunden ist, desto mehr gehört er dem Niedergang der Rasse an. Je mehr er sich freimacht, sich heraushebt aus den Rasseneigentümlichkeiten, desto mehr hat die Seele die Möglichkeit, sich höher zu verkörpern. Ein solcher Geist wie Wagner, der unterscheidet zwischen Seelenentwicklung und Rassenentwicklung, kann gar nicht Antisemit sein. Er weiß, daß es nicht die Seelen sind, die ausgespielt haben, sondern daß die Rassen ihre Aufgaben ausgespielt haben in der großen Weltentwicklung. Das ist es, was Wagner immer wieder in seinen Schriften ausspricht, wenn er von «Semitismus» redet. Wagner empfindet Untergang, den Niedergang der Rassen und die Notwendigkeit des Aufsteigens der Seelen. Diese Notwendigkeit empfanden auch mittelalterliche Seelen wie Wolfram von Eschenbach oder Hartmann von Aue.
Wir wollen noch einmal zurückkommen auf die Sage vom armen Heinrich. Wir müssen noch etwas tiefer betrachten, was es heißt, daß der arme Heinrich geheilt wird durch eine reine Jungfrau. Heinrich hat seine Krankheit dadurch, daß er zunächst
gelebt hat im Sinnlichen; sein Ich ist geboren aus seiner Rasse heraus, aus dem, was in dieser Zeitepoche sinnlich wirkend ist. Dieses Ich, das aus dem Sinnlich-Wirkenden heraus geboren ist, wird krank, als der Ruf an es an die Menschheit herantritt, sich höher zu entwickeln. Die Seele wird krank, weil sie sich verbindet mit dem, was nur in der Rasse leben soll. Dies ist charakterisiert dadurch, wie die Liebe in weltlicher Weise zum Ausdruck kommt. Nun soll aus der in der Rasse lebenden, niederen Liebe die höhere Liebe sich entwickeln. Das in der Rasse Lebende muß erlöst werden durch ein Höheres, durch die höhere, reine Liebe, die sich opfert für die strebende Seele des Menschen, durch das, was Goethe das Ewig-Weibliche nennt, das uns hinanzieht.
Sie wissen ich habe das schon öfter dargelegt , daß in jedem Menschen das Männliche und das Weibliche lebt und daß dadurch, daß es auseinandergelegt ist, sich das Sinnliche hineinmischt. Die Erlösung durch das «Ewig-Weibliche» bedeutet, daß das Sinnliche überwunden wird. Dies wird auch dargestellt in «Tristan und Isolde». Der historische Ausdruck für diese Überwindung ist für Wolfram von Eschenbach wie für Richard Wagner der Parsifal; er ist der Repräsentant des neuen Christentums. Parsifal wird dadurch König vom heiligen Gral, daß er das erlöst, was früher unter der Knechtschaft des Sinnlichen gelitten hat, und daß er nun ein neues Prinzip der Liebe hineinbringt in die Welt.
Was liegt überhaupt dem Parsifal zugrunde? Was bedeutet der heilige Gral? Die Ursage, die wir auftauchen sehen um die Mitte des Mittelalters, erzählt uns, daß der heilige Gral die Schale ist, deren sich Christus beim Abendmahl bediente und in der Joseph von Arimathia dann das Blut auffing, welches aus der Wunde des Christus Jesus floß. Diese Schale und die Lanze, die diese Wunde geschlagen hatte, wurden von Engeln emporgetragen und in der Luft schwebend erhalten, bis sich Titurel fand, der auf dem Berge Montsalvat das ist der Berg des Heils eine Burg erbaute, in der diese Schale aufbewahrt wurde als ein Heiligtum der geistlichen Ritterschaft. Zwölf Ritter sind versammelt, dem heiligen Grale zu dienen. Er hat die Kraft, den Tod abzuwenden von diesen Rittern
und ihnen das zu geben, was sie brauchen, um ihre Seelen hinaufzulenken nach dem Spirituellen. Sein Anblick gibt ihnen immer aufs neue spirituelle Kraft.
Nun können wir sogleich auf die Gestalt eingehen, die Richard Wagner der Parsifal-Sage gegeben hat. Es ist im wesentlichen dieselbe, die wir schon bei Wolfram von Eschenbach haben. Wir haben da auf der einen den Gralstempel mit seinen Rittern, auf der anderen das Zauberschloß des Klingsor mit seiner Ritterschaft, die die eigentlichen Feinde der Ritterschaft des Grals sind. Zwei Arten des Christentums werden da einander gegenübergestellt: die eine stellt die Ritterschaft des Grals dar, die andere Klingsor mit seinen Rittern. Klingsor ist derjenige, der sich verstümmelt hat, um nicht der Sinnlichkeit zu verfallen. Das Verlangen aber ist von ihm nicht überwunden worden, er hat es nur unmöglich gemacht, es zu befriedigen. So lebt er noch im Reiche der Sinnlichkeit. Ihm dienen Zaubermädchen. Kundry ist die eigentliche Verführerin in diesem Reich. Sie zieht alles, was zu Klingsor kommt, hin nach der sinnlichen Seite, nach dem, was der Vergangenheit angehören sollte. In Klingsor ist personifiziert das Christentum des Mittelalters, das asketisch geworden ist, das zwar die Sinnlichkeit, nicht aber zugleich das Verlangen abgetötet hat; es rettet nicht vor der verführenden Kraft der sinnlichen Liebe, die in der Kundry personifiziert ist. Etwas Höheres sah man in der Entsagekraft der höheren Spiritualität, die nicht durch Zwang die Sinnlichkeit abtötet, sondern die durch höheres geistiges Erkennen diese Sinnlichkeit veredelt und sich erhebt in das Reich der geläuterten Liebe. Amfortas und die Gralsritterschaft erstreben es, aber es war bis dahin nicht möglich, dieses Reich zu schaffen. Es gelang nicht. Solange nicht die rechte spirituelle Kraft da war, muß Amfortas der Verführung der Kundry verfallen; die höhere Gesinnung in Amfortas fällt der niederen Gesinnung, dem Klingsor, zum Opfer.
So stellt uns die Parsifal-Sage zwei Erscheinungen nebeneinander: auf der einen das Christentum, das asketisch geworden ist, das aber durch die Abtötung der Sinnlichkeit doch nicht höhere, spirituelle Erkenntnis hat erreichen können, und auf der
anderen die Repräsentanten der geistigen Ritterschaft, welche aber solange immer Klingsors Verführung zum Opfer fallen, wie der Erlöser nicht erschienen ist, der Klingsor besiegt. Amfortas wird verwundet, verliert die heilige Lanze an Klingsor und muß als schmerzbehafteter König den Gral hüten. So krankt und leidet auch das höhere Christentum. Es muß im Leiden die eigentlichen Geheimnisse, die Mysterien des Christentums hüten, die mit dem heiligen Gral verbunden sind, bis ein Erlöser in neuer Gestalt erscheint und dieser Erlöser ersteht in Parsifal. Parsifal muß zunächst seine Lektionen lernen, er macht die Prüfungen durch; dann läutert er sich und erhebt sich zu jener spirituellen Kraft, zu dem Gefühl der großen Einheit allen Seins. Wiederum unbewußt stellt uns Richard Wagner tiefe, okkulte Wahrheiten im Parsifal dar. Zuerst macht Parsifal die Stufe durch, wo er das Mitleid lernt, das Mitleid mit unseren älteren Brüdern, den Tieren. Er hat in ungestümem Triebe zur Ritterschaft seine Mutter Herzeleide verlassen, die vor Gram gestorben ist, er hat gekämpft und das Tier getötet. Er hat bei dem scheidenden Blick des Tieres empfunden, was es heißt zu töten. Das ist die erste Stufe seiner Läuterung.
Die zweite Stufe besteht darin, daß er lernt, das Verlangen zu überwinden, ohne äußerlich die Organe des sinnlichen Verlangens abtöten zu müssen. Er gelangt zunächst zum heiligen Gral, erkennt aber seine Aufgabe noch nicht. Er lernt sie kennen, indem er die Initiation des Lebens empfängt. Er verfällt scheinbar der Versuchung durch Kundry, aber er besteht die Prüfung. In dem Augenblicke, wo er der Versuchung unterliegen könnte, entreißt er sich der Macht des Verlangens; eine neue, reine Liebe erstrahlt in ihm gleich einer aufgehenden Sonne. Es blitzt das auf, was wir schon in der Götterdämmerung erstehen sahen. «Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria virgine», geboren vom Geiste durch die Jungfrau das ist die höhere Kraft der Liebe, welche aus der nicht von der Sinnlichkeit durchtränkten Seele heraus geboren wird, die alle Seelen läutert und reinigt und veredelt. Eine solche Seele muß der Mensch in sich erwecken, die nicht die sinnlichen Organe tötet, sondern die alles Sinnliche veredelt, weil aus der jungfräulichen
Materie das Ich, der Christus, geboren wird. Der Christus wird in Parsifal geboren Eine höhere, jungfräuliche Kraft tritt der verführerischen Kundry entgegen. Überwunden werden muß Kundry, jenes Weibliche, welches das Ich des Menschen herabzieht in die Sphäre des Geschlechtlichen. Es wird uns in der Kundry die Inkarnation dessen entgegengestellt, was als das andere Geschlecht den Menschen herabgezogen hat. Kundry ist schon einmal dagewesen als Herodias, die das Haupt des Johannes verlangte. Sie ist dagewesen in einer ähnlichen Art wie Ahasver als eine Gestalt, die nicht zur Ruhe kommen kann, die überall in der sinnlichen Liebe ihre einzige Erlösung sucht.
Befreiung von der sinnlichen Liebe ist es, was uns Richard Wagner unbewußt hineingeheimnißt hat in seinen Parsifal. Wir sehen, wie dieser Gedanke sich hinaufrankt in seinem Werke. Schon im «Fliegenden Holländer» wird er durch die intuitive Kraft seines Wesens hingeführt zu demselben Problem: ein Mann, der auf dem Meere herumirrt, wird durch das Opfer einer Jungfrau von seinen langen Irrfahrten erlöst. Es ist auch das Problem des «Tannhäuser». Den Sängerkrieg auf der Wartburg stellte Wagner dar als den Kampf zwischen dem Sänger der alten, sinnlichen Liebe, Heinrich von Ofterdingen, und Wolfram von Eschenbach, der die Kraft des erneuerten, spirituellen Christentums repräsentiert. In dieser Sage vom Sängerkrieg auf der Wartburg ist es gerade Heinrich von Ofterdingen, der sich den Meister Klingsor von Ungarland zu Hilfe holt Aber beide werden besiegt durch die Kraft, die ausströmt von Wolfram von Eschenbach. Tiefer verstehen wir nun den Tristan, weil wir wissen, daß es nicht die Ertötung von Liebe, sondern die Klärung und Läuterung der in ihm lebenden Liebe ist, um die es sich handelt.
Aus der Schopenhauerschen Verneinung des Willens schwang sich Richard Wagner auf zu einer Umkehrung und Läuterung des Willens in die höheren Sphären hinein. Wagner hat diese Läuterung sogar zum Ausdruck gebracht in einem Drama, wo es scheinbar gar nicht darin enthalten ist, in den «Meistersingern». Sozusagen zwischen den Zeilen haben Sie es da in der Reinigung des Hans Sachs
von jener Versuchung, die er Eva gegenüber empfindet, sie für sich selbst zu gewinnen. Das liegt nicht so sehr im Text selbst, als in der Musik; wenn Sie die Musik der Meistersinger hören, verspüren Sie etwas von dieser Läuterung.
Zusammengeflossen ist das alles für Richard Wagner in seinem «Parsifal». Er hat zurückgeblickt nach dem brahmanischen Urideal. Mit Wehmut und Schmerz hat er die Verfallssymptome gesehen in der gegenwärtigen Rasse. Und aus seiner Kunst heraus wollte er einen neuen Impuls schaffen. Die Erlösung der Rasse durch einen neuen spirituellen Inhalt, das war es, was er in seinen Festspielen geben wollte. Aus diesem Geiste heraus schrieb auch Nietzsche, solange er mit Wagner ging, über dionysische Kunst. Er empfand, daß da in den Festspielen etwas lebte von einer Erneuerung der Mysterienspiele des alten Griechenland. Die «Dionysien» des Aeschylos und Sophokles, die uns zurückführen in den Aufgang der vierten Unterrasse, waren etwas, was beigetragen hat zum Aufgehen der Kulturströmung der fünften Unterrasse. In den Tiefen der Mysterientempel des Dionysos empfand man diese Erlösung des Menschen. Erst in den europäischen Ländern ist das herausgekommen, was sich dazumal in den Mysterientempeln abgespielt hat. Wir stehen vor einem Dionysos, der sich in der Materie verkörpert, der im Menschen seine Auferstehung feiert und seine Himmelfahrt. In den Mysterientempeln empfand der griechische Eingeweihte den herabgestiegenen Gott. Es war etwas von Wehmutsstimmung in diesen griechischen Mysterien, wenn man davon sprach, daß in der Zukunft der Gott in den Menschenherzen wieder auferstehen wird. Und in der nordischen Sage sprachen die Eingeweihten, die Druiden, von der Götterdämmerung, aus der ein neues Geschlecht hervorgehen würde. Das Christentum wurde vorausgesagt in den alten Mysterien der Drotten und Druiden. Richard Wagner sah die Zeit nahe, wo sich erfüllen muß das Christentum, das sich herausentwickelt hatte innerhalb der vierten und heraufentwickelt hat in der fünften Unterrasse, wo dieses Christentum seine ureigene Sprache sprechen wird. Jetzt sollen die, die da geglaubt haben, auch wieder zu Schauenden werden.
Richard Wagner hat den Pulsschlag der Erdenentwicklung erlebt, ebenso wie Edouard Schuré, der aus diesem Impuls heraus das alte Mysteriendrama der eleusinischen Mysterien rekonstruiert hat. So zeigt uns das Ereignis Bayreuth den Zusammenfluß zweier Kulturströmungen, das Aufleben der Mysterien Griechenlands und ein neues Christentum. So empfand Richard Wagner, und so empfanden die, die um ihn waren, und so empfand auch Edouard Schuré diese Kunst als ein erstes Vorspiel zu einer Vereinigung dessen, was sich einstmals getrennt hatte. In dem Urdrama [von Eleusis] waren Religion, Kunst und Wissenschaft in einem vereint, bis sie sich spalteten. Die Kunst ging für sich Aeschylos, Sophokles , die Religion und Wissenschaft gingen ihre eigenen Wege. Drei Ströme nebeneinander sind so aus der gemeinsamen Wurzel der griechischen Mysterien erwachsen. Jede dieser Strömungen hat nur groß werden können dadurch, daß sie zunächst ihren eigenen Weg ging. Die Zeit fand für das Gemüt einen besonderen religiösen Ausdruck, für die Sinne einen künstlerischen und für die Vernunft einen wissenschaftlichen Ausdruck. So mußte es kommen, denn nur, wenn der Mensch auf getrenntem Wege eine jede dieser Fähigkeiten entfalten konnte bis zur höchsten Blüte, konnte eine Vollkommenheit erreicht werden. Die Religion, wenn sie hinaufgeführt ist zu der Höhe der christlichen Weltanschauung, ist bereit, sich wieder zu vereinigen mit der Kunst und der Wissenschaft. Dichtung, Malerei, plastische Kunst und Musik, sie werden erst ihre Höhe erreichen, wenn sie sich wieder vereinigen mit der wirklichen Religion. Und die Wissenschaft, die erst in der Neuzeit zur vollen Entfaltung gelangt ist, hat in Wahrheit den Impuls gegeben zur Vereinigung dieser drei Strömungen.
Jetzt ist durch Richard Wagner, der als einer der ersten den Impuls einer neuen Vereinigung von Kunst, Wissenschaft und Religion empfand, diese Vereinigung als eine neue Weihegabe der Menschheit dargeboten. Er empfand, daß das Christentum berufen ist, dasjenige, was früher getrennt war, wiederum zu vereinigen, und das hat er hineingelegt in die Gestalt seines Parsifal. Wie das große Tönen einer neuen Kultur klingt an unser Ohr jener
Karfreitagszauber, in den Wagner seine Karfreitagsstimmung hineingelegt hat. Er erkannte, daß Seelenentwicklung und Rassenentwicklung verschiedene Wege gehen müssen, daß es gilt, die Seelen zu erheben und zu erlösen, daß die Auferstehung der Seelen herbeizuführen ist, trotz des tragischen Geschickes, mit dem Körper der Rasse verbunden zu sein, mit dem, was niedergeht. Erklingen lassen die Welt von Tönen, die auf eine neue Zukunft hinweisen, das wollte Richard Wagner durch sein Werk in Bayreuth. Ein kleiner Teil der Menschheit sollte wenigstens auf jene Töne der Zukunft hören. Es ist eine lebendige, künstlerische Apokalypse, die Wagner seiner Zeit verkündete, als ein rechter Prophet, der wußte, daß bald eine neue Zeit anbrechen muß, auf die er hinweisen wollte. So klingt sein Lebenswerk aus:
Die Gesichte, die mir erschienen sind, will ich euch künden, und die Zeiten werden kommen, in denen sie sich verwirklichen werden.
Vortrag Köln, 3. Dezember 1905 Parzival und Lohengrin
Wir wollen heute in die Sagenwelt des Mittelalters einen Blick werfen vom Standpunkt der theosophischen Weltanschauung aus. Zwei wichtige Sagen sind charakteristisch für die Geistesentwicklung Europas im Mittelalter, die zwei Sagen, die sich um den heiligen Gral gruppieren.
Durch Sagen und Mythen haben sich ja in früheren Zeiten die Wissenden zu dem Volke über die tiefsten Wahrheiten ausgesprochen. Wenn man damals den Menschen, die da lebten, wo heute Nord- und Mitteleuropa ist, solche Begriffe beigebracht hätte, wie wir sie jetzt in der theosophischen Weltanschauung bekommen, so würden die Menschen von dazumal nichts davon gehabt haben. Die Weisen sprachen zu jedem Volk und Zeitalter so, wie das Volk und das Zeitalter sie verstehen konnte. Sie gingen dabei immer aus von dem Gesetz der Wiederverkörperung oder Reinkarnation.
Die Weisen, die in Nord- und Mitteleuropa den Völkern die Geheimnisse der Welt erzählt haben, waren die Druiden. «Druide» heißt soviel wie «Eiche». Wenn man sagt, daß die Deutschen «unter Eichen» ihren Gottesdienst gefeiert haben, so bedeutet das nicht allein, daß sie wirklich unter natürlichen Eichen ihren Gottesdienst feierten, sondern es bedeutet auch, daß sie unter der Leitung der Druiden waren. Und wenn es heißt, daß Bonifatius «die Eiche gefällt» habe, so bedeutet das, daß der alte Druiden-Gottesdienst durch das Christentum überwunden wurde. In Form der Sage wurde eine wahre Tatsache gegeben. Der Druide brachte die wahren Tatsachen in die Sagen hinein. Der Druidenpriester sprach schon zu all den Seelen, die heute unsere Weltanschauung aufnehmen. Er sprach zu ihnen so, wie es für die damalige Zeit geeignet war. Wir alle, die wir die theosophische Weltanschauung aufnehmen, haben dasselbe schon früher als Mythen und Märchen
gehört, sonst würden wir es heute gar nicht verstehen können. Das ist das Geheimnis der großen Meister: Sie leben ganz in dem Bewußtsein, daß sie unter Menschen sind, die immer wieder verkörpert werden.
Im ganzen Mittelalter lebten die Grundwahrheiten der germanisch-mitteleuropäischen Kultur in einer großen Sage. Wenn wir diese Sage kennenlernen, verstehen wir, was im Mittelalter vorhanden war. Die Druidenpriester nährten das Bewußtsein, daß einmal fern im Westen eine hohe Kultur da war. Diese Kultur war in einem Lande, das man als Nifelheim oder Nibelungenheim bezeichnete. Dieses Nifelheim war die alte Atlantis. Sie war früher ein Nebelheim wegen ihrer eigentümlichen atmosphärischen Verhältnisse, die ganz anders waren als die unsrigen.
Die germanische Stammsage gibt damit wirklich die Wahrheit wieder. Sie weist hin auf ein uraltes Land, das es einst gab zwischen Europa und Amerika, da, wo jetzt der atlantische Ozean ist. Dieses uralte Land Atlantis ist untergegangen und mit ihm Schätze der Macht und Weisheit. Diese Schätze bezeichnete man als Gold, und ihr Untergehen wird in der Sage erzählt als das Versenken des Goldes des Nibelungenhortes. Der Schatz der Nibelungen soll in neuer Weise gehoben, auferweckt werden, mehr im Osten, in Europa. Erst Wotan, dann Siegfried sind die Eingeweihten, denen die Aufgabe zukam, dem heutigen Europa den alten Schatz wiederzubringen, den Nibelungenhort in gewisser Weise für die neuere Kultur wieder fruchtbar zu machen. Daß die Sage uns einen Eingeweihten «Wotan» entgegentreten läßt, hilft uns, tief in eine andere uralte Kultur hineinzublicken. Die Buchstaben W und B entsprechen einander. Wotan, Wodan ist dasselbe wie Bodha Buddha. Wotan ist tatsächlich die germanische Bildung des Wortes Buddha. Wir kommen da auf einen gemeinschaftlichen Ursprung der europäischen Wotan-Religion und der asiatischen Buddha-Religion. Die Buddha-Religion fand nicht so sehr in Indien Verbreitung, sondern bei denjenigen Völkern Asiens, die noch etwas von der atlantischen Kultur in sich hatten. Auch die Wotan-Völker brachten ihre Anschauungen aus der atlantischen Kultur mit. Ihre Weiterentwicklung drückte sich aus in den Sagen, die ihnen die
Druidenpriester beigebracht hatten. Besonders schön wird darin das Retten des Nibelungenhortes der atlantischen Kultur durch Wotan und Siegfried zum Ausdruck gebracht.
Durch diese Sagen, die von Rußland über Deutschland nach Frankreich und England hin zu finden sind, geht ein tragisch prophetischer Zug, der sich überall findet, wo Druidenpriester lehrten. Prophetisch wurde gelehrt: Eine Götterdämmerung wird kommen. Wir sind die Reste der atlantischen Kultur. Wir müssen absterben, damit ein Besseres hineinkommen kann. Unsere Eingeweihten sind Propheten dessen, das da kommt. Bei allen, die in der Art des Siegfried eingeweiht sind, kommt eine bestimmte Tragik zum Ausdruck. Das Nibelungenlied enthält eine uralte Form der Einweihung: die Nibelungennot, die Nibelungenklage. Den ganz intimen Schülern wurde gelehrt, daß ein anderer kommen würde, der das geistige Leben bringen würde. Überall wurde die Stimmung der Götterdämmerung verbreitet. Alle lebten in der Empfindung und die intimen Schüler in der Gewißheit: Einer wird kommen, der wird ganz anders sein als unsere Eingeweihten. Das drückt die Sage aus durch Siegfried.
In Skandinavien und in Rußland hatte man den Druidenmysterien entsprechend die Drottenmysterien. «Drotte» ist eine andere Form für Druide. Überall in den alten Mysterien ist Sig der Name des ursprünglichen, großen Eingeweihten. Alle Namen, die mit «Sig» zusammengesetzt sind, führen zurück auf Sig, so zum Beispiel Sigurd, Sigmund, Sieglinde und so weiter. Siegfried war der Eingeweihte, der in der Einweihung den Frieden gefunden hatte. «Friede» bedeutet das, was den Menschen hinüberführt über alle Zweifel; es ist die Befriedigung der Sehnsucht, der Sehnsucht nach Wissen, nach Macht. Siegfried wird in allen Bildern dargestellt als der Unverwundbare. Achilleus, der griechische Eingeweihte, ist an einer Stelle verwundbar geblieben, an der Ferse. Siegfried ist nach der Überwindung des Drachens unverwundbar geworden, bis auf eine Stelle, die Stelle zwischen den Schulterblättern. Das ist da, wo das Kreuz zu tragen ist. Dieses Sinnbild spielte in den alten Mysterien eine tiefe Rolle. Dort wurde gesagt: Ihr seid alle verwundbar an
der Stelle, wo einer das Kreuz wird liegen haben. Derjenige, der diese Stelle mit dem Kreuz zudecken wird, der Kreuzträger, der wird der große Eingeweihte sein, der nicht mehr verwundbar ist. Das gibt der nordischen Sage den großen Zug. Diese Weisheit war eine apokalyptische Weisheit.
Alle Okkultisten wissen, daß diese Weisheit ausgeht von einer zentralen Orakelstätte von zwölf Eingeweihten, von der sogenannten «Weißen Loge». Von dort wird die Weisheit hinausgetragen in die Welt. Nirgends ist das anders, als daß der einzelne sich in Zusammenhang weiß mit den anderen. Überall waren zwölf Beisitzer der Loge. Solche sind auch die zwölf Apostel. Das Bewußtsein der Ahnenden und die Weisheit der Wissenden führt zurück auf die Tafelrunde des Königs Artus. Diese ist nichts anderes als die große Weiße Loge, die in der Siegfried-Initiation den Völkern klarmachte, was sie der Welt zu sagen hatte. Große Eingeweihte waren Mitglieder der Tafelrunde, die bis in die Zeit der Königin Elisabeth von England in Wales vorhanden war. Dann wurde sie aus politischen Gründen aufgehoben.
Zwei ganz bestimmte politische Strömungen leitete das mittelalterliche Volksbewußtsein auf diese Urzeiten zurück. In dem Frankenvolke, das so glücklich war, den Westen von Europa zu erobern, da gibt es ein Herrschergeschlecht, das eigentlich seinen Ursprung zurückführt in die Zeiten der Atlantis. Man nannte es die «Wibelungen» oder «Nibelungen» daraus ist später das Wort «Ghibellinen» entstanden. Es war ein altes Bewußtsein da von einem im Frankenvolke aufgehenden Herrschergeschlechte, das wurzelt im alten Nibelungenlande, das in sich vereinigt weltliche Macht und priesterliche Gewalt. Darum hat Karl der Große versucht, sich in Rom die Königskrone aufsetzen zu lassen, um ein geistliches Element zu dem weltlichen hinzuzufügen.
Ursprünglich war alles, was man an Macht voraussetzte, abgeleitet von dem, was von Atlantis herübergekommen war. Daß man dachte und ahnte, daß eine Götterdämmerung kommt, dadurch verband sich auch mit dem Herrschergeschlecht ein gewisser tragischer Zug. Man sagte: Die da wissen wollen, können wohl
Eingeweihte werden, aber sie müssen abgelöst werden durch etwas anderes. Diese Stimmung drückte sich zunächst aus in der bekannten Barbarossa-Sage; es wurde dann noch etwas hinzugefügt, was man in der gewöhnlichen Sage nicht hatte. Barbarossa wurde richtig gedacht als eine Fortsetzung der alten Frankenherrscher. Die Hohenstaufen waren die Ghibellinen, Waiblingen, Wibelungen, Nibelungen, im Gegensatz zu den Welfen, den Guelfen. Die intimere Erzählung fügt zu der bekannten Barbarossa-Sage hinzu, daß Barbarossa von Asien den heiligen Gral nach Europa herüberholte. Er selbst als physische Persönlichkeit kam dabei um und wartet nun, bis seine Zeit gekommen ist. Darin drückt sich die ganze Stimmung des Mittelalters aus gegenüber dem alten Heidentum und dem neuen Christentum.
Man fing an, die eigene Volksseele zu betrachten, und sagte: Aus der alten Atlantis haben wir unsere Kultur herübergeholt. Sie ist aber bestimmt unterzugehen; an ihre Stelle muß das Christentum treten. Aber sie wird wieder aufsteigen, geläutert, gereinigt, erhöht durch das Christentum. Man fing an, einen Übergang zu schaffen von dem Ende des Abstiegs zum Beginn des Aufstiegs. Man fing an, sich den Gang der tieferen deutschen Geisteskultur so vorzustellen, daß das hellseherische, atlantische Bewußtsein abgelöst wurde von etwas, das noch kommen mußte. Man mußte die natürliche Tapferkeit, Frommheit, Tugend wiedererobern. auf andere, neue Weise. Drei Vorstellungen hatte man Vorstellungen von drei bestimmten Kräften: Wotan, Wili und We. Wotan ist die intuitive Kraft, wie sie der Eingeweihte darstellt; Wili ist der Wille selbst; We ist das Gemüt, mit einem tragischen Zug, wo es apokalyptisch wird. Jetzt sollte eine andere Zeit kommen. Jetzt sollte durch die christliche Lehre der Durchgangspunkt gewonnen werden, und man sollte wieder hinaufsteigen zu dem, was vor der Götterdämmerung war.
Daß Barbarossa im Berge sitzt, bedeutet, daß er ein Eingeweihter ist. Der «Berg» ist die Einweihungsstätte. Christus ging mit seinen Jüngern «auf den Berg» ins Mysterium. Die Raben bedeuten eine Einweihung des Barbarossa. In dem persischen Einweihungsritual
unterscheidet man sieben Stufen der Einweihung. Die «Raben» bedeuten die erste Stufe der persönlichen Einweihung. Sie bezeichnen die noch bestehende Verbindung des Eingeweihten mit der Umwelt. Man denke an die Raben des Elias. Auch bei Wotan finden wir die Raben. Sie vermitteln seine Kommunikation mit der Umgebung. So hatte auch Barbarossa, der Eingeweihte, die Raben um sich, die ihn noch mit der Welt in Zusammenhang hielten.
Barbarossa hatte den heiligen Gral aus dem Orient geholt. Dieser heilige Gral war aufbewahrt worden auf dem Mons salvationis, dem Berg des Heils. Ihn umgeben jetzt die Nachfolger der Tafelrunde des Königs Artus, die zwölf Ritter, die zu der alten heidnischen Initiation die christliche Initiation hinzubekamen. Der Gral ist das Sinnbild der christlichen Initiation. Wer in die Geheimnisse des heiligen Grals eingeweiht werden wollte, der wurde christlicher Initiierter. Christlicher Initiierter wird man dadurch, daß man zuerst durch alle Zweifel hindurchgeht und dann den festen Halt bekommt in der Verbindung mit Christus selbst. Eins ist dazu notwendig: das unmittelbare Vertrauen zu der Gestalt Christi. Die ersten Jünger legten gerade darauf so besonderen Wert, daß Christus da war. Sie sagen: Wir wollen Zeugnis davon ablegen, daß wir mit Ihm zusammen waren. Wir haben unsere Hände in Seine Wunden gelegt. Was wir selbst gesehen und gehört haben, das verkündigen wir. Paulus ist deshalb Apostel, weil er im Geiste den Auferstandenen wahrhaftig erschaut hat. Auf die unmittelbare Erfahrung kommt es an, die man nicht durch Weisheit und Logik, sondern unmittelbar sich erwirbt.
Klar ist es uns, was Parzival auf seinen Wanderungen erreichen soll. Die Mutter Parzivals heißt Herzeleide. Wenn man den Parzival des Wolfram von Eschenbach, der ein gründlich Eingeweihter war, tief liest, zwischen den Zeilen und Worten, so findet man, daß der Name Herzeleide, der Mutter Parzivals, ein Niederschlag des tragischen Zuges ist, der in dem deutschen Gemüte lag. Derjenige, der nicht den Parzival-Weg macht, der trägt im Herzen das Leid; er hat sich den Frieden zu erringen. Wolfram von Eschenbach hat es verstanden, die Sage in eine wunderschöne Form zu
kleiden. Mit der einen Tatsache hat er ein tiefinneres Symbol gemeint die weibliche Persönlichkeit bedeutet immer das Bewußtsein : Herzeleide ist der Bewußstseinszustand, von dem Parzival ausgeht. Er hat zunächst ein tragisches Bewußtsein. Er ringt sich durch alles durch, was die weltliche Ritterschaft bieten kann, mit einem naiven, einfältigen Bewußtsein, um zu dem Geheimnis des heiligen Gral zu kommen.
Dies müssen wir zusammenhalten mit der Barbarossa-Sage. Barbarossa ging nach Asien, um die Geheimnisse des heiligen Gral zu suchen, die Einweihung des Christentums. Aber er ist zugrundegegangen auf dem Wege zum heiligen Gral. Er muß «im Berge» warten, bis das Christentum den Anschluß finden kann an die frühere Einweihung. Barbarossa hat das Christentum geholt, aber die tiefere Einweihung des Christentums noch nicht errungen.
Parzival ist der neue christliche Eingeweihte, das große Sinnbild, das die Siegfried-Einweihung ablöst. Siegfried hat die niedere Natur überwunden, den Lindwurm, die Schlange. Parzival wird der Eingeweihte des heiligen Gral, der den kennenlernt, der unverwundbar ist da, wo Siegfried noch verwundbar war. Im Parzival wird die ursprüngliche Idee des Christentums zum Ausdruck gebracht. Es kennt nicht mehr die Idee der Reinkarnation. Man betrachtet das eine Leben zwischen Geburt und Tod als das einzige. Das Wertvolle ist die eine Inkarnation. Man blickt nicht mehr hinauf nach Manas, Budhi, Atma. Die Parzival-Initiation ging nur dahin, zu dem Bewußtsein des Zusammenhanges mit Christus zu kommen, die eine Inkarnation zu betrachten, in der der Mensch durch Mitleid zum Wissen kommt und nicht durch Wissen zum Mitleid, wie es durch die Theosophie geschieht. Die Theosophie lehrt uns zu erkennen, wie wir eins mit allen Menschen sind. Durch sie weiß man, daß man selbst verantwortlich ist für das, was unser Bruder tut. Die Theosophie führt durch Wissen zum Mitleid. Aber die Menschheit mußte eine Zeitlang hindurchgehen durch eine Entwicklungsperiode, wo sie durch Mitleid zum Wissen kommen sollte. Sie mußte hinuntersteigen in die Tiefen des Mitleids, weil man auch da zum Wissen kommen kann. Das mußte so sein, damit
die Menschen diese irdische Welt in ihrer ganzen Wichtigkeit kennenlernten. Das Christentum sollte die Menschheit erziehen, damit auch das Irdische in seiner Bedeutung erfaßt werde. Darum mußte der Mensch erst auf das physische Leben, in moralischer Beziehung, hingelenkt, hinuntergelenkt werden. Dann konnte er erst zu den großen Errungenschaften kommen, die mit der Städtekultur beginnen.
Der Fortgang des Mittelalters wird in der Sage geschildert in dem Übergang von der Parzival-Sage zur Lohengrin-Sage. Diese Sage taucht auf in der Zeit, wo in ganz Europa überall Städte gegründet werden, die vorzugsweise dem erwachenden Bürgertum dienen, die nicht mehr auf das geistliche Leben, sondern auf das materielle Leben gegründet sind. In den Städten werden die ganzen materiellen Errungenschaften vorbereitet, so zum Beispiel auch die Buchdruckerkunst. Ohne die Städtekultur hätte sich die moderne Wissenschaft nicht in dieser Weise entwickeln können. Auch die Universitäten sind eine Folge dieser Kultur. Ein Kopernikus, ein Kepler, Newton und so weiter wären ohne sie nicht möglich gewesen. Auch Dantes «Göttliche Komödie» und die Maler der Renaissance führen zurück auf die Städtekultur.
Die Sage von dem Zusammenhang Parzivals, des Vaters, mit Lohengrin, dem Sohne, weist hin auf die Bedeutung der Städtekultur. Elsa von Brabant ist die Vertreterin der Städte, das Städtebewußtsein. In aller Mystik wird dasjenige, was der physischen Welt entgegenarbeitet, als etwas Weibliches hingestellt. Goethe spricht von dem «Ewig-Weiblichen»; in Ägypten verehrte man in diesem Sinne die Isis.
Halten wir einmal die Stufen der Initiation des Chela fest. Der Chela hat zunächst drei Stufen zu überwinden. Die erste Stufe ist die des heimatlosen Menschen, wo der Mensch herausgerissen wird aus der physischen Welt, wo er objektiv wird der physischen Welt gegenüber. Er muß verlernen, parteiisch zu sein, er muß lernen, alles in gleicher Weise zu lieben; er liebt nicht weniger, aber er überträgt seine Liebe auf alles, was Liebe verdient, nicht nur auf seine Heimat und so weiter. Die zweite Stufe ist die, wo der Chela Hütten
baut. Er findet eine neue Heimat. Die Jünger auf dem Berge haben diese Stufe erreicht. Sie sind jenseits von Raum und Zeit, sehen Elias und Moses. Deshalb sprechen sie: Lasset uns Hütten bauen. Die dritte Stufe ist die des Schwans. Ein Schwan ist derjenige Chela, der so weit gekommen ist, daß alle Dinge zu ihm sprechen, auch die, die ihr Bewußtsein auf höheren Planen haben. Auf dem physischen Plan hat nur der Mensch das Ich. Das Tier hat das Bewußtsein auf dem Astralplan, die Pflanze auf dem Mentalplan (Rupaplan), das Mineral auf dem höheren Mentalplan (Arupaplan). Man muß sich erheben zu höheren Welten, um das Ich, die Namen der anderen Wesen zu finden; da sprechen die Dinge dem Chela ihre eigenen Namen aus. Die Welt wird dann überall tönend und klingend für ihn. Im Hinblick auf diese Tatsache sagt Goethe:
Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Er wiederholt diesen Hinweis aus dem Prolog im Himmel da, wo er Faust hinüberführt in die höheren Welten:
Tönend wird für Geistesohren
Schon der neue Tag geboren.
Felsentore knarren rasselnd,
Phöbus Räder rollen prasselnd,
Welch Getöse bringt das Licht!
Es trommetet, es posaunet,
Auge blinzt und Ohr erstaunet,
Unerhörtes hört sich nicht.
Es ist nicht gleichgültig, daß der Prolog im Himmel im ersten Teil des «Faust» und der zweite Teil so beginnen. Auf etwas ganz Bestimmtes hat Goethe da hingewiesen: Es ist der dritte Grad der Chelaschaft, wo die Welt um uns herum tönend wird und alle Dinge uns ihren Namen sagen. Auf solch einem Grade war Jesus angelangt,
als er Christus aufnehmen sollte. Dieser Grad wurde in der Weißen Loge bezeichnet als der Schwan. Schwäne waren die, die nicht mehr ihren Namen sagen durften, denen aber die ganze Welt ihre Namen offenbarte.
Lohengrin, der Sohn Parzivals, ist derjenige Eingeweihte, der die Städtekultur begründete, der von der großen Gralsloge abgesandt wurde, um das Bewußtsein der mittelalterlichen Menschheit zu befruchten. Durch Elsa von Brabant wird das strebende menschliche Bewußtsein charakterisiert, das von der Umwelt, dem Männlichen, befruchtet wird. Das durch Elsa dargestellte Städtebewußtsein soll befruchtet werden durch Lohengrin, durch den heiligen Gral. Die Verbindung Lohengrins mit Elsa von Brabant ist die Verbindung der materiellen Kultur mit [der geistigen Aufgabe] der fünften Unterrasse. Der Schwan ist der im dritten Grade Eingeweihte, der den Meister aus der Großen Loge hereinbringt. Der Mensch muß den Meister auf sich wirken lassen, ohne nach seinem Wesen zu fragen. Elsa von Brabant muß das, was er ihr gibt, als das ihr Zukommende betrachten. In dem Augenblick, wo sie aus Neugier fragt, da verschwindet der Eingeweihte. Dies alles ist zum Ausdruck gebracht in der Lohengrin-Sage.
Die Tempelritter hatten aus dem Orient die Einweihungsweisheit des heiligen Gral herübergebracht nach dem Berge des Heils, Mons salvationis, der Einweihungsstätte des Christentums. Eine Einweihungszeremonie wies direkt hin auf die Zukunft des ganzen Menschengeschlechtes. Es wurde gesagt: Eine Zeit wird kommen, da wird das Christentum eine neue Phase erleben. Der Fortgang der menschlichen Geisteskultur wurde von jeher bewußt nach dem Fortgang der Sonne bezeichnet. Vor dem Jahre 800 vor Christus ging die Sonne während circa 2200 Jahren durch das Sternbild des Stieres. Da verehrte man drüben in Asien als das Göttliche den Stier. Noch vorher wurden aus demselben Grunde in Persien die Zwillinge verehrt: Gutes und Böses, die Dualität. Um 800 vor Christus trat die Sonne in das Zeichen des Widders oder Lammes. Darauf weist hin die Sage von Jason und dem goldenen Vlies. Christus nennt sich selbst das Lamm Gottes, weil er in diesem Zeichen
erschien. [Heute steht die Sonne im Zeichen der Fische.] Die Tempelritter weisen hin auf das nächste Sternbild; die Sonne wird dann eintreten in das Sternbild des Wassermannes. Da wird das Christentum erst wirklich aufgehen, das Heidentum verbunden mit dem Christentum sein. Diese Kultur wird einen neuen Johannes auferwecken. Dieser Zeitpunkt tritt ein, wenn die Sonne im Zeichen des Wassermannes stehen wird. Johannes heißt Wassermann er wird der Verkünder sein einer neuen Zeit des Christentums. Man sagt, die Tempelritter hätten auf Johannes den Täufer hingewiesen, nicht auf Christus. Aber der Johannes, von dem sie reden, ist der Wassermann.
Die letzte Phase des Christentums, die von dem Initiierten Loshengrin herrührt, hat herbeigebracht die Periode der Nützlichkeit, die jetzt ihren Höhepunkt erreicht hat. Die theosophische Bewegung will die Nachfolgerin solcher Bewegungen sein, wie es die Parzival-Bewegung war und wie diejenige, die von dem Initiierten Lohengrin ausgegangen ist. Auch der moderne Materialismus verdankt großen Eingeweihten seinen Ursprung, aber er muß abgelöst werden von einer neuen Phase, von einem neuen Zyklus. Das will die Theosophie herbeiführen. Immer aber sind es die Initiierten, die sprechen, wenn ein neuer Kultureinschlag gegeben werden soll.
Öffentlicher Vortrag Nürnberg, 2. Dezember 1907 Richard Wagner und sein Verhältnis zur Mystik
Die Theosophie oder Geisteswissenschaft soll nicht irgend etwas Einseitiges, nur die menschliche Neugier oder Wißbegierde Befriedigendes sein, sondern sie soll eine geistige Strömung darstellen, die berufen ist, tiefer einzugreifen in alles das, was wir Kultur der Gegenwart und der nächsten Zukunft nennen. Wir werden ein Gefühl davon bekommen, daß Theosophie zu dergleichen berufen sein kann, wenn wir sehen, wie das, was durch sie pulsiert, im Grunde genommen nicht nur in ihr liegt, sondern sich als mehr oder weniger deutliche Ahnung in unserer Zeit schon kundgibt auf den verschiedensten Gebieten.
Heute soll uns die Art und Weise beschäftigen, wie in einem der größten Künstler der neueren Zeit ein ähnliches Element lebte wie in dem, was wir Theosophie, Geisteswissenschaft, nennen. Nicht soll jemand glauben, daß alles das, was ich über diesen bedeutenden Künstler der neueren Zeit, über Richard Wagner, zu sagen haben werde, ihm etwa auch im deutlichen, verstandesmäßigen Bewußtsein gelebt habe. Billig wäre der Einwand, der etwa erhoben werden könnte: Du erzählst allerlei Dinge in Anknüpfung an Richard Wagner, aber wir können nachweisen, daß er das niemals über sich selbst gedacht hat. Diesen Einwand kann jeder, der Richard Wagner betrachtet wie wir heute, leicht selbst machen. Keinesfalls soll behauptet werden, daß das, was gesagt werden soll, als ausgesprochene Ideen in Richard Wagner gelebt hat. Etwas anderes ist es, ob man ein Recht hat, dies auszusprechen. Es würde zu lange dauern, wollte ich Ihnen in einer ausführlichen Darlegung dieses Recht hier ableiten. Aber ein Vergleich, ein Bild kann uns dahin führen, die Berechtigung dieser Betrachtungen nachzuweisen. Denkt nicht der Botaniker über die Pflanze nach?
Sucht er nicht die Gesetze, nach denen sie wächst und lebt? Versteht er nicht dadurch das Wesen der Pflanze oder sucht es zu verstehen? Und darf irgend jemand deshalb, weil die Pflanze nicht selbst diese Gesetze in ihrem Bewußtsein hat, dem Botaniker das Recht absprechen, über sie in dieser Weise zu reden? Wer dieses Bild tiefer verfolgt, wird sehen, wie sich das, was heute gesagt werden soll, ebenso zu dem Künstler verhält. Nicht als ob hier etwa die allgemeine Phrase wiederholt werden sollte, der Künstler schaffe unbewußt. Aber die Gesetze, durch die man bei einer gewissen Weltbetrachtung den Künstler versteht, die brauchen ebensowenig von dem Bewußtsein des Künstlers ausgesprochen zu sein wie ein Pflanzengesetz von der Pflanze. Das sei vorausgesetzt, weil sonst der eben charakterisierte Einwand gemacht werden könnte.
Ein anderer Einwand, der in der Gegenwart sehr leicht aufkommen kann, knüpft an das Wort «Mystik». Vor kurzem wurde einmal in einem kleinen Kreise von einem Menschen das Wort «Mystik» ausgesprochen, und ein etwas gelehrter Herr sagte: Goethe war eigentlich auch ein Mystiker, er hat es ja zugegeben, daß vieles in der Welt der menschlichen Erkenntnis dunkel und nebelhaft bleibe. Der Mann hat damit gezeigt, daß er unter Mystik, wenn die Menschen sie betreiben, alle diejenigen Vorstellungen versteht, die etwas Nebelhaftes, Unklares, Dunkles haben. Niemals hat ein wahrer Mystiker dasjenige unter Mystik verstanden, was unklar ist und was man nur mit allgemeinen Gefühlen umfassen und ahnen könnte. Wir können es heute geradezu erleben, daß in gelehrten Kreisen gesagt wird: Bis zu diesem Punkt reicht unsere klare Erkenntnis, von da ab aber beginnt das allgemeine Gefühl, sich in die Naturgeheimnisse hineinzuversenken, da beginnt die Mystik. Im Gegenteil: Der wahre Mystiker sieht darin das Allerklarste, das, was mit den sonnenhellsten Begriffen in die Tiefen des Daseins hineinleuchten soll. Und wenn jemand von dem Dunkel der Mystik spricht, von allerlei Ahnungen, so bedeutet das nichts anderes, als daß die Menschen sich niemals die Mühe gegeben haben, für sich das zur Klarheit zu bringen, was die Mystik klar gibt. In den ersten Jahrhunderten des Christentums nannte
man das «Mathesis», nicht weil es Mathematik hätte sein sollen, sondern weil das, was die Mystik aufbaut an Ideen und Vorstellungen, so klar durchsichtig sein soll für den Menschen wie die Begriffe der Mathematik. Es muß der Mensch nur Geduld haben, sich wirklich hineinzufinden in das, was wahre Mystik ist. Nur in dieser Art sei das Wort «Mystik» mit dem Namen Richard Wagner in Zusammenhang gebracht.
Nun wollen wir charakterisieren, was zunächst die Grundüberzeugung eines jeden Geisteswissenschaftlers ist. Das ist, daß es hinter unserer physisch-sinnlichen Welt eine unsichtbare Welt gibt und daß der Mensch imstande ist, in diese unsichtbare Welt einzudringen. Das, was in dieser Voraussetzung liegt, schließt die mystische Gesinnung ein.
Hat Wagner eine solche Überzeugung für sich ausgesprochen? Ja, er sprach sie deutlich aus! Und was das Wichtigste ist, er sprach sie aus von seinem Gesichtpunkte als Musiker aus, damit andeutend, daß ihm Musik, Kunst mehr wert war als bloße Beigabe zum Dasein, daß sie ihm das wichtigste Lebenselement war. Da, wo er über die symphonische Musik spricht, sagt er wunderbare Worte über die Kunst. Er sagt, alle symphonische Musik erscheine wie eine Offenbarung aus einer andern Welt heraus, die uns in einer ganz anderen Weise über Zusammenhänge des Daseins aufkläre, als uns die Logik aufklären kann, und daß es das Wunderbarste sei, wenn wir die Überzeugungen, die aus diesen symphonischen Sprachelementen zu uns dringen, in uns aufnehmen; dann geben sie uns eine Sicherheit des Gefühls, gegen welche das Verstandesurteil über die Welt nicht aufkommen kann.
Man muß diese Worte nur nicht als gelegentlich hingeworfen nehmen, sondern man muß sie als etwas hinnehmen, was vom tiefsten Ernste einer großen menschlichen Erkenntnis heraus etwas charakterisieren will. Können wir, an die Grundüberzeugungen der Mystik anknüpfend, diese Worte deuten? Ja! Wenn sie einmal forschen, wie Mystiker öfter die Art und Weise charakterisieren, wie sie erkennen, dann finden Sie zum Beispiel das folgende Wort, das nicht ein beliebig erfundenes Wort ist, sondern ein Wort, das Sie
immer wieder als eine Art technischen Ausdruck der Mystiker finden können. Die Mystiker sagen: Im gewöhnlichen menschlichen Erkennen wendet sich der Mensch an seinen Verstand, um die Gesetze der Natur und der Geisteswelt zu erkennen; aber es gibt eine höhere Art des Erkennens, da knüpfen wir nicht Begriff an Begriff nach Verstandesart, sondern da weben sich die Vorstellungen zusammen wie geistige Musik; das ist eine andere Art des Erkennens. Der wahre Mystiker kennt die größere Sicherheit dieses Erkennens, als sie beim Verstandesurteil vorhanden ist auf diesem Gebiet. Und merkwürdig! Ein jeder Kenner würde Ihnen diese Art der Erkenntnis dadurch charakterisieren, daß er das Bild es ist mehr als ein Bild! von der Musik heranzieht. Es ist nicht bloß ein Bild, wenn in der alten pythagoreischen Schule gesprochen wird von der Sphärenmusik. Eine flache Schulphilosophie hält diese Sphärenmusik für ein Bild, für einen Vergleich mit irgend etwas. Derjenige aber, der weiß, um was es sich handelt, weiß auch, daß diese pythagoreische Sphärenmusik eine Wirklichkeit ist und daß es eine Ausbildung des Geistes gibt, wo die Klänge dieser Musik zu hören sind.
Öfter schon ist ausgesprochen worden, daß wir umgeben sind von Welten geistiger Art, die wir nur zunächst nicht sehen können, so wie der Blinde umgeben ist von der Welt der Farbe, die er nicht sieht. Wenn seine Augen operiert werden, so dringen Glanz und Farbe und Licht an ihn heran, die ihm zuvor nicht zugänglich waren. Solch eine Eröffnung eines geistigen Sehvermögens gibt es. Nur darauf kommt es an, daß man die höheren Sinne öffnet, dann tritt die höhere Welt aus dem Dunkel heraus; und wir bezeichnen die nächste der uns umgebenden Welten als Lichtwelt oder Astralwelt, und die noch höhere als die eigentliche geistige Welt der Sphärenklänge. Das ist eine wahre Wirklichkeit, zu der der Mensch geboren werden kann in einer Art von höherer Geburt, so wie der Blindgeborene sehend werden kann, wenn er operiert wird.
Diejenigen, die eingeweiht sind, sprechen unverhüllt von dieser Welt. Wir brauchen uns nur an Worte Goethes zu erinnern. Freilich werden viele das für etwas Phantastisches halten, was nun gesagt
wird. Sie werden es sogar für unkünstlerisch halten, derlei Dinge zu sagen, weil sie den Dichter möglichst so im Unbestimmten schwimmen lassen wollen in bezug auf das Verständnis seines Werkes. Aber ein großer Dichter wie Goethe sagt nicht Phrasen, wenn er Besonderes charakterisieren will, indem er sagt: «Die Sonne tönt nach alter Weise ». Das ist entweder Hindeutung auf Tieferes, oder es ist Phrase, da ja die physische Sonne nicht tönt. Und ein Dichter, der aus der Anschauung heraus arbeitet wie Goethe, dem darf man eine solche Phrase nicht zumuten. Goethe als Eingeweihter weiß, daß es eine solche tönende Welt, eine geistig tönende Welt gibt, und er bleibt im Bilde. Als er den Faust nach seinen Irrgängen, die im ersten Teil geschildert sind, hinaufentrückt sein läßt in die geistige Welt, da heißt es wiederum:
«Tönend wird für Geistesohren
schon der neue Tag geboren»
Goethe bleibt völlig im Bilde, wenn er die geistige Welt charakterisieren will.
Für Richard Wagner waren die Töne der äußeren Musik ein Ausdruck, eine Offenbarung einer inneren Musik, der Welt eines geistigen Klanges der durch die Welt pulsierenden Harmonie. Das empfand, das fühlte er. Das hat er selbst nicht nur einmal gesagt. Wo er die einzelnen Instrumente charakterisiert, da heißt es:
«In den Instrumenten repräsentieren sich die Urorgane der Schöpfung und der Natur; das, was sie ausdrücken, kann nie klar bestimmt und festgesetzt werden, denn sie geben die Urgefühle selbst wieder, wie sie aus dem Chaos der ersten Schöpfung hervorgingen, als es selbst vielleicht noch nicht einmal Menschen gab, die sie in ihr Herz aufnehmen konnten.»
Man muß solche Worte nicht mit dem Verstande pressen; man muß versuchen, sie mit ihrer ganzen Stimmung in sich aufzunehmen, dann fühlt man, wie Richard Wagners ganze Seele eingetaucht war in das, was man wahre, echte Mystik genannt hat.
So sieht Richard Wagner seine ganze künstlerische Sendung an. Er ist kein Künstler, der bloß das, was zufällig in der Seele lebt,
heraus offenbaren will. Er will die Notwendigkeit des Platzes empfinden, an dem er steht in der Entwicklung. Er sieht zurück in urferne menschliche Vergangenheit, in eine menschliche Vergangenheit, wo es noch nicht gab, was man vereinzelte Kunst nennt. Hier berühren wir einen tiefen Punkt, der Richard Wagner fortwährend beschäftigte, wenn er seine Mission empfand, jenen Punkt, über den Nietzsche so tief nachdachte und den er versuchte, in seiner Schrift «Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik» zu charakterisieren. Wir wollen dem aber nicht nachgehen, was Nietzsche geschrieben hat, wir wollen uns vielmehr an die Mystik anlehnen, denn die weiß mehr zu sagen, als was Nietzsche über Richard Wagner zum Bewußtsein zu bringen vermochte. Sie weist uns zurück in Urzustände menschlicher Entwicklung.
Was waren die Mysterien? Bei allen Völkern des Altertums gab es Mysterienstätten, die man ebensogut Tempel wie Schulen nennen kann, bei den Ägyptern, bei den Griechen und so weiter. Überall war das Mysterium die Grundlage einer späteren Kultur, und im Mysterium waren enthalten zugleich Religion, Wissenschaft und Kunst. Versetzen wir uns einmal skizzenhaft in das Wesen eines solchen Mysteriums. Was erlebte da derjenige, der nach gewissen Proben zugelassen wurde, um die Geheimnisse zu erlauschen? Er erlebte etwas, was später in der Entwicklung in getrennten Zweigen hervortrat, in Einzelheiten: Religion, Kunst und Wissenschaft, die wie drei Stämme hervortraten, waren im Mysterium in ihrer Wurzel eins. Denken Sie sich als Zuschauer und Zuhörer des Mysteriums! Nehmen wir den Fall, wie im Mysterium das Rätsel der Welt dem Menschen vorgeführt wurde. Vorgeführt wurde da, wie die geistigen Kräfte herunterstiegen, wie sie leben im Mineral, in der Pflanze, wie sie vollkommener werden im Tiere und wie sie im Menschen selbstbewußt werden. Der ganze Gang des Weltengeistes stellte sich so dar, daß die Augen das alles sehen konnten. Und das, was die Augen sahen, die Ohren hörten, in Farbe, in Licht, in Ton, das war Weisheit, Wissenschaft. In abstrakter Vorstellung wie heute nahmen diese Leute nicht das auf, was die Weltgesetze enthalten. Darstellung war es: Sie sahen es vorgehen.
Die Darstellung war zugleich schön. So entstand die Kunst. Die Wahrheit wurde gegeben in der Form der Kunst. Und so war sie drinnen in der Kunst, daß das menschliche Gemüt religiös gestimmt wurde und in Anbetung niedersank.
Das ist im Urzustand jeder großen Kultur vorhanden gewesen. Die äußere Geschichte weiß nicht viel davon und leugnet dies. Das macht aber nichts. In zwanzig Jahren wird sie solches nicht mehr leugnen. Und ebenso wie in den Urmysterien diese drei vereint waren, so war die Kunst, so waren diejenigen Künste, die dann später getrennte Wege machten, ein Ganzes. Musik und dramatische Darstellung waren zu Einem vereint, und Wagner sah zurück auf eine Urzeit, wo die Künste vereinigt waren, um eine Gesamtheit zu ergeben. Es war ihm klar, daß wegen des notwendigen Ganges der Menschheitsentwicklung diese Künste getrennte Wege gehen mußten. Nunmehr glaubte er aber in seiner Zeit die Epoche gekommen, wo wieder die Vereinigung stattfinden müsse. Er glaubte sich berufen, auf dem Gebiete seines Könnens eine Vereinigung der getrennten Strömungen zu bewirken in dem, was er ein Gesamtkunstwerk nannte. Er fühlte, daß das wahre Kunstwerk etwas von religiösen Durchhauchungen haben müsse. So war ihm das Kunstwerk zugleich religiöser Dienst. Das alles müssen wir uns in seinem Gefühle denken, nachempfinden. Wenn wir im einzelnen seinen Gedanken nachgehen, so werden wir das wiedererkennen. So sah er das dramatisch-musikalische Werk in seinem Geiste sich zusammenfügen aus getrennten Strömungen. Für ihn waren zwei große Künstler Shakespeare und Beethoven. Er sah in Shakespeare den Dramatiker, der mit wunderbarer innerer Geschlossenheit die menschlichen Handlungen auf die Bühne brachte, so wie sie sich ausleben in äußeren Vorgängen. Er sah in Beethoven den Künstler, der mit derselben wunderbaren inneren Geschlossenheit darzustellen vermochte, was sich im Innern der Brust abspielt, was nicht in die äußere Aktion übergeht, in die Geste. Und nun sagte er sich: Da ist etwas, das können wir ganz genau verfolgen, das aber unausgesprochen bleiben muß. Denn da ist zwischen einer Handlung und einer anderen etwas, was in der menschlichen Brust als Vermittler
dasteht, was aber nicht übergehen kann in diese Art von dramatischer Kunst. Und wenn das Innere des menschlichen Empfindens symphonisch sich auslebt, dann muß es gleichsam stecken in sich selbst, wenn der Musiker angewiesen ist, in Tönen zu bleiben. Wir sehen es, wie in der Neunten Symphonie Beethovens das, was innerlich in der Seele lebt, heraus sich drängt und Sprache wird zuletzt, vereinigen will das, was in der Kunst nur getrennt ist, in der Menschennatur aber zusammengehört, in ein Ganzes.
Das war Wagners Gefühl von seiner Mission. Daraus entstand seine Idee von dem Gesamtkunstwerk, das den ganzen Menschen in der Kunst hinstellen soll. Es soll so dastehen, wie er sein Inneres durchlebt, und er soll die Möglichkeit haben, das, was so innerlich lebt, hinaustreten zu lassen als Handlung. Was nicht äußerlich dramatisch sein kann, wird der Musik gegeben. Was die Musik nicht ausdrücken kann, geht in die äußere Dramatik hinein. Richard Wagner stellt dar die Synthesis zwischen Shakespeare und Beethoven. Das ist der Grundgedanke Richard Wagners ein Grundgedanke, der tief aus der innersten Menschennatur herausgeholt ist. So fühlte er seine Mission. Nun aber war damit der Kunst ein Weg gewiesen hinein ins Innerste der Menschennatur. Richard Wagner durfte kein Alltagsdramatiker bleiben. Es mußte möglich sein, das Tiefste, was der Mensch erleben kann, mit den höchsten Mitteln in der Kunst hinzustellen wie einst im Mysterium.
Wenn wir sehen, wie Wagner in der symphonischen Musik sieht die Offenbarung einer unbekannten Welt, wie er sieht Urorgane der Schöpfung in den Instrumenten, dann sind wir bald dabei, wie er die Notwendigkeit fühlt, in seiner Musikdramatik mehr zu enthüllen, als was hier vom Menschen in dieser physischen Welt lebt. Das ist nur ein Teil der menschlichen Natur. Überspannend diesen Teil ist der höhere Mensch, der in jedem menschlichen Innern lebt, der weit mehr ist, als was sich äußerlich ausleben kann. Dieser höhere Mensch, der wie in umfassender Glorie den gewöhnlichen Menschen umschwebt, steht mit den Quellen des Lebens in tieferen Zusammenhängen, als es äußerlich klar werden kann. Weil Richard Wagner an die höhere Natur des Menschen anknüpfen will,
kann er nicht Alltagsmenschen brauchen, er muß zu denen greifen, die im Mythos gegeben sind. Da werden die Menschen hingestellt, wie sie über sich hinauswachsen, weit größer werden wollen und sind, als der Mensch des physischen Planes sein kann und will. So hängt es wiederum mit der Mission Richard Wagners zusammen, daß er hinausgeht über den Alltagsmenschen und den Mythos auf die Bühne bringt. Im Mythos muß Richard Wagner zu gleicher Zeit wenn auch nicht verstandesmäßig die tieferen Weltengesetze, die Gesetze und Wesenheiten der unbekannten Welt durchleuchten lassen durch die dramatische Handlung, durch das musikalische Element. Und das tut er.
Wir können natürlich nicht alle Einzelheiten berühren, nur einzelne Beispiele können wir herausgreifen. Überall wird sich zeigen, wie er im tiefsten Wesen zusammenhängt mit dem, was uns die Geisteswissenschaft über die Welt zu sagen hat. Was hat uns die Mystik zum Beispiel über das Zusammenleben der Menschen zu sagen? Für die äußere Betrachtung stehen die Menschen nebeneinander; sie sieht Menschen auf Menschen wirken in der physischen Welt, wenn sie zu einander sprechen, von einander abhängig werden. Aber es gibt tiefere Zusammenhänge in der menschlichen Natur. Das, was als Seele in der einen Brust lebt, hat tief verborgene Verwandtschaft mit dem, was als Seele in der anderen Brust lebt. Und die Gesetze, die die Oberfläche zeigt, sind nur die unbedeutendsten. Was als tiefes, der Seele zugrunde liegendes Netz von Gesetzen gilt, geht von Mensch zu Mensch. Das enthüllt die Geisteswissenschaft. Das erahnt der Künstler. Daher greift er zu den Stoffen, bei denen er zeigen kann, wie ein tieferes Gesetz von Mensch zu Mensch wirkt, als das, was das äußere Auge sehen kann.
Gleich in einem seiner ersten Werke zeigt uns Richard Wagner diesen Drang, geheimnisvolle Zusammenhänge zu zeigen. Oder fühlen wir nicht so etwas, was im Unsichtbaren waltet zwischen Mensch und Mensch, wenn der Holländer uns mit Senta entgegentritt? Werden wir nicht erinnert an wunderbare Zusammenhänge im «Armen Heinrich», wo das Opfer einer reinen Jungfrau eine gesundende Wirkung hat? Wir müssen solche Bilder als Ausdruck
einer tieferen Wahrheit nehmen. Da ist etwas, wahrer als die oberflächliche Wahrheit der gewöhnlichen Gelehrsamkeit. In dem Opfer, das ein Mensch für den andern bringen kann, liegt etwas Wirkliches. In diesem mystischen Bande, das für den oberflächlichen Verstand nicht erfaßbar ist, kommt das zum Beispiel zum Ausdruck, wenn man von der Allseele spricht, bestimmt spricht. Da ist es enthalten, was sich im Bilde tiefster Wahrheit ausdrückt, wenn der eine Mensch für den anderen etwas tut.
Ich spreche hier nun etwas aus, was die Geisteswissenschaft Ihnen zeigen kann, um Sie hinzuführen zu der Grenze, wo dies etwas ersichtlich werden kann. Wir wissen, daß sich die Welt entwickelt und wie im Laufe der Entwicklung immer Wesen abgestoßen werden. Es ist ein Gesetz, das uns die Geisteswissenschaft lehrt, daß jede Höherentwicklung verbunden ist mit einem Hinunterstoßen. Später findet ein Ausgleich statt. Für jeden Heiligen muß ein Sünder entstehen. Das fordert das notwendige Gleichgewicht. Wahr ist es, so sonderbar es klingt. Das ist, wie wenn eine Flüssigkeit aus zweien zusammengemischt ist. Wenn man die eine rein bekommen will, so muß die andere trüber werden. So ist es mit dem Aufstieg. Mit jedem Aufstieg ist ein Abstieg verknüpft. Das bedingt, daß das Wesen, das aufgestiegen ist, seine Kraft dazu verwendet, um das andere, niedere Wesen zu erlösen. Gäbe es dieses Zusammenwirken von Wesen nicht, dann gäbe es in der Welt keine Entwicklung. Dadurch wird die Entwicklung in Fluß gebracht. Und wenn wir sehen, wie ein Mensch sich für den anderen hinopfert, da werden wir erinnert an ein solches geheimnisvolles Band, das entstanden war dadurch, daß ein Wesen sich hinauf-, das andere sich hinunterentwickelt hat. Nur zart hindeuten kann man auf so etwas. So ist Richard Wagner schon mitten drinnen in jenem geheimnisvollen Band, das von Seele zu Seele sich zieht.
Wenn wir die verschiedenen Werke ansehen, so finden wir, daß Richard Wagner immer aus mystischem Leben die Grundtatsachen geschöpft hat. Wollen wir gleich herangehen an sein Mittelpunktswerk, an die Siegfried-Dichtung, an die Nibelungen-Dichtung. Wollen wir sehen, wie tief sie herausgeschöpft sind aus der
Weltenweisheit, so müssen wir anknüpfen an etwas, was die Theosophie zur völligen Klarheit bringt, so widersprechend es der heutigen Wissenschaft auch ist. Unsere weit zurückliegenden Vorfahren bewohnten ein Landgebiet, das gelegen hat im Westen von Europa, zwischen Afrika und Amerika. Sogar die Naturwissenschaft kommt nach und nach schon darauf, daß da einstmals Land war, ein Land, das wir die Atlantis nennen. Da lebten unsere uralten Vorfahren, die freilich ganz anders gestaltet waren. Wie gesagt, heute fängt schon die Naturwissenschaft an, von dieser alten Atlantis zu reden. In einer Zeitschrift, «Kosmos», herausgegeben unter der Ägide Haeckels, wurde ein Aufsatz darüber veröffentlicht. Da ist freilich nur die Rede davon, was für Tiere und Pflanzen da gelebt haben. Daß der Mensch auch gelebt hat, davon ist noch nicht die Rede.
Wovon die Naturwissenschaft auch schon etwas ahnt, davon erzählt die Geisteswissenschaft klar. In dieser alten Atlantis war eine ganz andere Atmosphäre, waren ganz andere Verhältnisse. Das, was wir heute kennen als Verteilung von Wasser und Sonnenschein in der Luft, war damals noch nicht vorhanden. Da drüben im fernen Westen war die Luft dauernd mit Wasserdampf, mit Nebelmassen erfüllt. Sonne und Mond waren nur zu sehen mit regenbogenförmigen Höfen. Ganz anders war das Leben der Seele. Die Menschen lebten so, daß sie in viel innigerem Bunde standen mit der Natur, mit Stein, Pflanze und Tier. Eingebettet waren sie in die Nebelmassen. Wahr ist das Wort: Der Geist der Gottheit schwebte, brütete über den Wassern. Denn das, was in Nachklängen erhalten ist bei den Völkern, die die Nachkommen der Atlantier sind, war in hohem Maße der Fall bei den Atlantiern: sie verstanden alles um sich herum. Das Rieseln der Quelle war nicht unartikuliert, es war der Ausdruck der Weisheit der Natur. Weisheit hörte der Mensch aus allen Dingen seiner Umgebung, denn diese Umgebung bewirkte, daß dieser alte Vorfahre dumpfer Hellseher war. Er nahm nicht wahr, was sich im Raume ausdehnte, sondern Farbenerscheinungen. Hellseherische Kräfte hatte er. Weisheit webte in den Nebeln, und diese Weisheit nahm er mit
seinen dumpfen Kräften wahr. Nur andeuten kann man das. Die Entwicklung bestand darin, daß die Nebel sich in Wasser niederschlugen, die Luft immer reiner wurde. Damit entwickelte der Mensch sich zum heutigen Bewußtseinszustande. Er wurde abgeschlossen von der äußeren Natur, er wurde ein abgeschlossenes Wesen in sich selbst. Wenn der Mensch noch im Bunde mit der Natur ist, dann ist die Weisheit eine einheitliche, dann lebt er wie in einer Weisheitssphäre; und dies begründet eine gewisse Bruderschaft, denn jeder nimmt die gleiche Weisheit wahr, jeder lebt in der Seele des anderen. Mit dem Hinabsteigen der Nebelmassen trat der Mensch hinein in das egoistische Bewußtsein, in das Ich-Bewußtsein, wo jeder Mensch in sich den eigenen Mittelpunkt fühlte, wo ein Mensch dem anderen entgegentrat und für sich seine Sphäre in Anspruch nahm. Die Bruderschaft geht über in Daseinskampf.
Sagen und Mythen sind nicht das, was man am grünen Tisch als phantastische Theorien auslegt. Was sind Sagen und Mythen? Es sind die Überbleibsel alter hellseherischer Erlebnisse der Vorfahren. Das ist eine Tatsache. Unsinn ist es, wenn heute behauptet wird, irgendein Mythos bedeute einen Kampf eines Volkes mit einem anderen. Die Gelehrten sprechen von dichtender Volksphantasie; sie sollten das Volk nur kennenlernen, ob es Wolken umdichtet zu Göttergestalten. Das macht man den Leuten vor; das ist Phantastik, Träumerei. Wie Mythen entstehen, davon können sie sich heute noch überzeugen. Heute noch gibt es lebende Sagen. Zum Beispiel in verschiedenen Gegenden gibt es die Sage von der Mittagsfrau. Sie erzählt uns: Wenn irgendwelche Landleute des Mittags auf dem Felde bleiben, anstatt die Feldarbeit zu unterbrechen und nach Hause zu gehen, dann kommt die Mittagsfrau und gibt ihnen Fragen auf. Können sie sie nicht beantworten bis zu einer gewissen Stunde, dann würgt sie sie. Wer würde da nicht das Bild eines Traumes sehen, der den Menschen draußen befällt, wenn er in der Sonnenhitze liegen bleibt. Der Traum ist der letzte Rest des damaligen Bewußtseins. Da sehen wir, wie heute noch die Sage aus dem Traum heraus entsteht.
So sind alle die germanischen Sagen und Mythen entstanden, die uns erhalten geblieben sind. Das sind zum großen Teil noch Sagen und Mythen, die entstanden sind bei den letzten Nachzüglern der Atlantier. So erinnerte sich der alte Germane der Zeit, da seine Vorfahren drüben im Westen saßen sie sind nicht von Osten gekommen , wie sie nach Osten zogen in der Zeit, als die Nebel des atlantischen Nebellandes sich verdichteten und jene Fluten bildeten, die als Sintflut bekannt sind, wie die Luft rein wurde und das heutige klare Tagesbewußtsein sich bildete. Zurück schaute der alte Germane nach dem Nebelland, nach Nifelheim, und er sagte: Fortgeschritten sind wir aus dem alten Nifelheim zu der jetzigen Welt. Aber es gibt gewisse geistige Wesen, die sind zurückgeblieben auf der geistigen Stufe, die damals die richtige war; das sind die, die mit ihrem ganzen Verstehen den Charakter, die Natur des alten Niflheim, des Nibelungenheimes, sich bewahrt haben, die hereinragen in unsere Zeit, die «Geister» geworden sind, weil sie nicht physische Leiber haben jetzt. Wunderbare Verwebungen haben wir da vor uns. Nirgends dürfen wir hier pedantisch zu Werke gehen. Wir müssen berücksichtigen, wie ineinanderweben Phantasie und hellseherisches Vermögen, Sage und Tatsache. Nicht abstreifen dürfen wir den Tau, den sie haben müssen. Man erinnert sich, wie die Nebel hinuntersanken, und da kam die Vorstellung, als ob diese Nebel hinuntersänken und die Flüsse gebildet hätten im Norden des mittleren Europa. Im Rheinwasser sah man etwas wie Zurückgebliebenes aus den Nebeln der alten Atlantis hinunterfließen. Wie war der Fortgang? Weisheit hat der Mensch aus dem Rieseln der Quellen vernommen. Das war eine Weisheit, die gemeinsam war, das gemeinschaftliche Element, das den Egoismus ausschloß. Für die Weisheit ist nun ein uraltes Symbolum das Gold. Herübergebracht wurde dieses Gold vom alten Niflheim. Was wurde jetzt aus diesem Golde? Daraus wurde ein Besitztum des menschlichen Ich. Was früher gemeinschaftliche, von der Natur zugeraunte Weisheit gewesen war, war jetzt aus menschlicher Urteilskraft, aus dem Ich herausfließende Weisheit, der der Mensch als selbständiges Wesen gegenübertrat. Jetzt bildete der
Mensch einen «Ring» um sich herum. Durch diesen Ring wurde die alte Bruderschaft der Menschen in einen Kampf der Menschen untereinander verwickelt. Weisheit als gemeinschaftliches Element, das lebte in den großen Sagen früherer Zeiten in den Wassern, der letzte Rest im Rhein. Dahinein war diese Weisheit versenkt.
Aber die Menschen haben sich entwickelt zum egoistischen Bewußtsein. Auch die Nibelungen mußten sich zum Ich-Bewußtsein entwickeln. Sie rissen das an sich, was gemeinschaftlich war und formten den Ring, der als Ring des Egoismus sie umgibt. Da sehen wir in einer etwas skizzenhaften Sprache angeschlagen , wie hereinfließen die wahren Tatsachen in die Welt der Phantasie und wie das Gold, der Überrest der alten Weisheit, die durch den Nebel gewallt ist, wie das weisheitsvolle Ich den Ring um sich konstruiert, wodurch der Kampf ums Dasein entsteht. Das ist die tiefere Grundlage des Mythos vom Nibelungenhort.
Das ist etwas, wo Richard Wagner einen Ausdruck finden konnte in der großen dramatischen Handlung und in den Tönen seiner Musik, die eine unsichtbare Welt zum Ausdruck bringt, die hinter der sichtbaren ist. So hat er in einer modernen Form den Nibelungen-Mythos umgeschaffen und gab uns diesen ganzen Werdegang in seiner Nibelungen-Dichtung. Wir fühlen, wie die neuen Götter, die die Menschheit regieren, ihren Übergang gefunden haben von den alten Göttern.
Denken wir uns nochmals in die alte Atlantis hinein: Nebeldünste, wo überall die Weisheit aus allen Dingen sprach. Da müssen Mächte walten zwischen den Menschen, die jetzt nicht mehr durch gemeinsame Weisheit lenken, sondern durch Verträge und Gebote, und die selbst die Götter durch Verträge festgelegt haben. Das stammt ab von urweisheitsvollem Bewußtsein. Da, wo der neue Gott Wotan an wichtiger Stelle steht, wo Fafner die Freia zurückgeben soll, da, wo Wotan selbst angekränkelt ist von der Ich-Weisheit, von dem Ring, da trat das uralte, heilige Bewußtsein der Menschheit nochmals vor ihn hin, das Erdenbewußtsein, das die Menschen einhüllte, als die Atlantis noch lebte. In der Erda wird uns dies damalige Bewußtsein, in das alles eingebettet war,
geschildert: ihr Schlaf ist Träumen, ihr Träumen Sinnen, ihr Sinnen waltendes Wissen. Eine kosmologische Wahrheit steckt darinnen. Diese Weisheit ist in allem, hat alles geschaffen. Sie lebt in der Quelle, rauscht in den Blättern, weht im Winde. Da findet sie das menschliche Ich darinnen. Da war sie ein allumfassendes Bewußtsein, aus dem alles Einzelbewußtsein geworden ist: waltendes Wissen. Das alte Hellsehen war ein Abbild dieses waltenden Wissens. Da war der Mensch nicht eingeschlossen in die Haut. Das Bewußtsein hat alles durchdrungen. Da konnte man nicht sagen, das Ich-Bewußtsein ist da und dort es war in allem eingebettet. Wunderbar ist das angedeutet aus Wagners Intuition heraus:
Bekannt ist dir
Was die Tiefe birgt,
Was Berg und Tal,
Luft und Wasser durchwebt,
Wo Wesen sind
Weht dein Atem;
Wo Hirne sinnen
Haftet dein Sinn:
Alles, sagt man,
Sei dir bekannt.
Alles weiß Erda durch dieses Bewußtsein. Und so können wir Schritt für Schritt überall sehen, wie uns wie ein Abdruck der Urwelt-Weisheit das erscheint, was Wagner aus seiner Intuition hineingenommen hat in den Nibelungen-Mythos.
Versetzen wir uns einmal hier noch einmal soll wiederholt werden, daß Richard Wagner selbst das nicht verstandesbewußt vollzogen hat in den Zeitpunkt des Übergangs der alten Entwicklung in die neue. Drüben in Atlantis war ein Bruderschaftsbewußtsein. Es folgt der Übergang zum Ich-Bewußtsein, der Einschlag der Selbständigkeit in die Menschennatur. Und jetzt versetzen wir uns an den Anfang des «Rheingoldes». Hören wir nicht den Einschlag des Ich-Bewußtseins in den ersten Tönen, in dem langen Akkord in Es-Dur? Und vernehmen wir nicht, wie aus dem allgemeinen
Bewußtsein dieses Sonderbewußtsein auftaucht? So könnten wir Motiv um Motiv belebt finden durch Wagners eigene Erkenntnis, daß sich in den musikalischen Tönen eine hinter den Erscheinungen der Welt stehende Welt offenbaren lasse, daß er selbst durch seine Praxis die Instrumente benützt als Urorgane der Natur. Nicht möchte ich Ihnen Richard Wagner als einen Menschen hinstellen, der unbestimmte Mystik verkörpert hat. Sein künstlerisches Schaffen ist eingetaucht in das Wesen der klaren Mystik.
Wenn wir von dieser Dichtung übergehen zu einer anderen Dichtung, zum «Lohengrin», wie erscheint uns da das Hereinspielen dessen, was Mystik zu geben vermag? Lohengrin ist der Sendbote des heiligen Gral, der von der Stätte der Eingeweihten kommt, wo höhere Weisheit waltet. Die Lohengrin-Sage knüpft an die Sagen an, die uns überall begegnen, die das Hineinspielen der Eingeweihten in die gewöhnliche menschliche Wesenheit anzeigen. An wichtigen Punkten der Entwicklung werden wir überall hingewiesen auf die Sage, die tiefer ist als die Geschichte. Wir werden darauf hingewiesen, wie solche Kräfte der Eingeweihten eingreifen in den Gang der Geschichte. Nicht eine Aufeinanderfolge äußerer Tatsachen gibt sie.
Das war eine wichtige Zeit, jener Übergang aus dem allgemeinen Bewußtsein zu dem Einzelbewußtsein. Diesen Umschwung will der Lohengrin-Mythos charakterisieren. Wir sehen, wie es die Zeit ist, in der ein neuer Geist sich losringt aus dem alten. Zwei Zeitengeister stehen gegeneinander. In den zwei Frauen, die im Streit liegen, sind sie dargestellt. Elsa, das Weibliche, ist immer das, was uns die nach dem Höchsten ringende Seele darstellt. Nicht jene banalen Auslegungen gelten von Goethes Worten im «Chorus mysticus»: «Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan»; aus tiefster Mystik ist das herausgeschrieben. Die Seele muß sich befruchten lassen von den großen Ereignissen, durch die neue Prinzipien in die Entwicklung hineinkommen. Was hineinkommt, wird dargestellt in den Eingeweihten, die von wichtigen Stätten herkommen. Hier spricht die Geisteswissenschaft von vorgeschrittenen Individualitäten. Man wird immer gefragt: Warum zeigen sich diese nicht? Würden
sie sich zeigen, man würde sie nicht anerkennen. Man würde sie fragen nach ihrem gewöhnlichen bürgerlichen Namen und Stand. Das ist aber für den, der aus den geistigen Welten heraus wirkt, das Unbedeutendste. Denn der, welcher als Eingeweihter die Geheimnisse zu künden hat, der ist so weit erhaben über das, was Geburt, Name, Stand, Beruf ist, daß es Unsinn ist, ihn darum zu fragen. Wo solche Fragen an ihn herantreten, ist das Verständnis für seine tiefe Mission so weit entfernt, daß Trennung eintreten muß.
Nie sollst du mich befragen,
Noch Wissens Sorge tragen,
Woher ich kam der Fahrt.
Noch wie mein Nam und Art.
Diese Worte Lohengrins könnte jeder von denen sagen, die nicht in der gewöhnlichen Welt allein leben, wenn Sie nach Namen und Stand befragt werden. Das ist eine der Noten, die angeschlagen sind im «Lohengrin», wo hereinleuchtet wahre, klare Mystik in das musikalisch-dramatische Leben.
Die Menschheit besitzt ein tiefes Geheimnis, ein Mysterium, das in der Welt waltet. Sinnbildlich dargestellt ist es in einem Mythos, der tief verstanden werden muß: Als der Geist, der im Anfang unserer Entwicklung abgefallen ist von den die Menschheit leitenden Geistern, als Luzifer abgefallen ist, da fiel aus seiner Krone ein Stein, und aus diesem wurde eine Schale geformt, jene Schale, aus welcher der Christus Jesus mit seinen Jüngern das Abendmahl genommen hat, jene Schale, in welcher das Blut aufgenommen worden ist auf Golgatha von Joseph von Arimathia; dieser brachte sie in das Abendland. Nach vielen Wanderungen kam die Schale in die Hände Titurels, durch den die Gralsburg gegründet worden ist. Er hat sie aufbewahrt, zusammen mit der heiligen Liebeslanze. Die Sage berichtet, daß alle, die in die Schale hineinblicken, ein Ewiges in sich aufnahmen.
Fassen wir noch einmal das ganze Geheimnis dieses Mythos: ein Zusammenklang mit den Fortschritten der Menschheitsentwicklung,
wie ihn sich die, die vom Geheimnis des Grals wissen, vorstellen. Sie sagen: Als die Menschheitsentwicklung auf der Erde begann, war alle Liebe noch gebunden an das Blut. Die Blutsverwandtschaft war es, die die Menschen verband. Wir finden da kleine Stämme und finden, daß in diesen die Nahehe herrscht. Später erst kam die Fernehe. Der Zeitpunkt, von dem an herausgeheiratet werden darf aus dem Stamm, bildet einen wichtigen Übergang im Leben eines jeden Volkes.
In den Sagen und Mythen ist das Bewußtsein davon erhalten. Zuerst war also die Liebe gebunden an die Blutsverwandtschaft; dann wurden die Kreise weiter und weiter, innerhalb welcher man sich heiratete. Das ist der eine Strom der Entwicklung: die Liebe, die gebunden ist an die Gleichheit und Gemeinschaft von Fleisch und Blut. Dann wird ein anderes Prinzip maßgebend, das die Selbständigkeit einpflanzt. In jener alten Zeit, die dem Christentum vorangegangen ist so sagten die Gralsritter , waren diese zwei Strömungen: die Blutbruderschaftsliebe und das Freiheitsprinzip, das, was in dem Menschen waltet als Selbständiges, als Luziferisches, die Macht des Jahve, dessen Name bedeutet: Ich bin, der ich bin. Mit dem Christentum sollte in die Welt gebracht werden eine Liebe, die unabhängig ist von Blutbruderschaft. So ist der Ausspruch Christi zu deuten: Wer nicht verlässet Vater und Mutter, der kann nicht mein Jünger sein. Das heißt: Wer nicht an die Stelle einer Liebe, die an Blut und Fleisch gebunden ist, zu setzen vermag die allgemeine Menschenliebe, die von Seele zu Seele geht, von Mensch zu Mensch überhaupt, die sich allmählich herausbilden muß, der kann nicht mein Jünger sein.
So sehen wir, daß der Krone Luzifers entfällt die Schale. Sie verbindet mit dem Luzifer-Prinzip das Christus-Prinzip. In dieser Erkenntnis wird den Gralsrittern die große Kraft, die sie mit Ich-Leben durchdringt. Diesen Sinn finden wir in der Sage vom heiligen Gral. Und denen, die Schüler des heiligen Gral waren, wurde folgendes klargemacht. Ich will in einfacher Weise in Dialogform hinstellen, was den Gralsschülern in langen Übungen allmählich klargemacht worden ist. Manche werden sagen, das sei unglaublich.
Aber mit der Wahrheit ist es so, wie mit den Gesandten der zivilisierten Staaten an den Höfen der Barbaren wie es Voltaire erzählt: Sie müssen sich erst unwürdige Behandlung gefallen lassen, ehe sie anerkannt werden.
Dem Gralsschüler wurde also gesagt: Sieh dir die Pflanze an. Man kann nicht die Blüte mit dem Kopf des Menschen vergleichen; sie entspricht mit ihren männlichen und weiblichen Befruchtungsorganen der Geschlechtsdes Menschen. Die Wurzel entspricht dem Kopfe. Schon Darwin hat in einem Vergleich richtig darauf hingewiesen, daß die Wurzel dem Kopfe des Menschen entspricht. Der Mensch ist die umgekehrte Pflanze: Er hat die volle Wendung vollzogen. Keusch streckt die Pflanze ihren Kelch dem Lichte entgegen, aufnehmend die Strahlen, die heilige Liebeslanze, empfangend den reinen Kuß, unter dem die Frucht sich bildet. Die Wendung ist halb vollzogen beim Tier. Die Pflanze, die sich mit dem Kopf in die Erde bohrt, das Tier mit dem waagrechten Rückgrat und der Mensch mit seinem aufrechten Gang, den Blick nach oben gerichtet (es wird an die Tafel gezeichnet). Diese drei verbunden, geben das Kreuz. Sieh hin, wurde dem Schüler gesagt, wie Plato die Wahrheit kündet, wenn er sagt, daß die Weltseele ausgespannt, gekreuzigt liegt auf dem Weltenleib. Die Weltseele, die Seele, die durch Pflanze, Tier und Mensch geht, findet sich in den Leibern, die das Kreuz darstellen. Das ist die ursprüngliche Bedeutung des Kreuzes. Alles Übrige ist Rederei.
Was hat es bewirkt, daß der Mensch diese Umkehrung vollzogen hat? Wenn wir die Pflanze betrachten, so sehen wir: Für den wahren Mystiker hat die Pflanze denjenigen Bewußtseinszustand, den der schlafende Mensch hat. Wenn er schläft, hat der Mensch den Wert einer Pflanze. Der Mensch hat sein heutiges Bewußtsein dadurch errungen, daß er den reinen, keuschen Pflanzenleib durchdrungen hat mit Begierde, mit dem Leidenschaftsleib. Er ist dadurch in gewisser Weise höher gestiegen zum Selbstbewußtsein, aber erkauft hat er dies mit dem Durchdringen der reinen Pflanzensubstanz mit Begierden und Trieben. Und nun malte man vor dem Schüler einen Zukunftszustand des Menschen aus,
einen Zustand, wo der Mensch sein helles Bewußtsein erhalten haben wird, aber wiederum geläutert, gereinigt zurückgekehrt sein wird zur reinen Substanz wie die Pflanze. Er hat sich dann zurückerrungen die reine, keusche Natur. Das Organ der Fortpflanzung wird umgebildet. Man stellte sich vor im Sinne des Gralsritters, daß der Mensch der Zukunft Organe haben wird, die der Fortpflanzung so dienen werden, daß sie nicht von Begierde durchdrungen sein werden, sondern rein und keusch sein werden wie der Pflanzenkelch, der sich hinwendet zu der Liebeslanze, dem Sonnenstrahl. So wird verwirklicht sein das Ideal des Grals, wo der Mensch in reiner Keuschheit, gerade wie die Pflanze, hervorbringen wird seinesgleichen, wo er wieder erzeugt sein Ebenbild in dem höheren reinen Kelch, wenn der Mensch Schaffender im Geiste sein wird. Dieses reale Ideal nannte man den heiligen Gral, die umgewandelten Reproduktionsorgane des Menschen, die so rein und keusch den Menschen hervorbringen, wie heute der Kehlkopf das Wort hervorbringt, das die Wellen der Luft bewirkt.
Und nun wollen wir versuchen zu zeigen, wie in Richard Wagners Gemüt dieses große Ideal nachlebte. Es war im Jahr 1857, da stand er am Karfreitag im Gartenhaus der Villa der Frau Wesendonck auf dem Balkon und sah hinaus, wie die ersten Pflanzen hervorkamen. Er hat diesen denkwürdigen Moment aufgezeichnet. Er empfand in dem Hervorsprießen der jungen Pflanzen das ganze Geheimnis des heiligen Gral, des Geborenwerdens alles dessen, was verbunden ist mit der Vorstellung vom heiligen Gral. Er empfand das im Zusammenhang mit dem Karfreitag. Wunderbare Stimmung überkam ihn. Da schoß der erste Gedanke seines «Parsifal» in ihm auf. Es ist nun viel hineingefallen in die Zeit, die darauf folgte. Aber die Empfindung ist geblieben. Aus ihr heraus formte er die Gestalt seines Parsifal, jene Gestalt, in welcher das Gefühl zum Wissen erhoben wird, wo man durch das Mitfühlen wissend, «durch Mitleid wissend» wird. Und die ganze Entwicklung, wie die menschliche Natur verwundet wird durch die unreine Lanze das tritt uns im Amfortas-Geheimnis entgegen. Wir sehen, wie da aufleuchtet das mystische Geheimnis vom heiligen Gral.
Nicht mit groben Händen darf man so etwas anfassen. Man muß das ganze Gefühl verfolgen und die Begriffe in ihrer Totalität vor die Seele hinstellen. So sehen wir überall, wie Richard Wagner vielleicht nicht mystisch gedacht hat, aber wie er als Künstler und Mensch alles, was er tat, mystisch darlegte. Darauf kommt es an.
Nicht eine Theorie sollen wir in der Geisteswissenschaft empfangen, sondern etwas, was unmittelbares Leben wird. In diesem Sinn empfand Richard Wagner klar seine Sendung, so klar, so mystisch, daß er sich sagen konnte: Eine solche Kunst, wie sie in mir als Ideal lebt, muß wieder ein göttlicher Dienst sein. Er hat empfunden wiederum das Zusammenfließen der drei Strömungen und wollte selbst ein Sendbote des Zusammenwirkens sein. Aus seiner mystischen Erkenntnis geht das hervor, was doch als mystisch-klares Fühlen in allen großen Meistern gelebt hat und was wir empfinden, wenn wir die großen Meister in ein Verhältnis bringen mit und zu der Mystik. Goethe hat es empfunden. Dann wird der Mensch wieder gesund, fühlt etwas von dem, wodurch er sein Selbst überwindet, wenn er das durchlebt, was in den «Geheimnissen» steht:
Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
befreit der Mensch sich, der sich überwindet.
Wenn diese Stimmung des Loskommens vom Ich, des Sichhineinlebens in die Weltengeheimnisse durch alle Kräfte pulsiert, dann ist der Mensch Mystiker auf allen Gebieten. Ob äußerlich religiös oder wissenschaftlich oder künstlerisch er ringt sich zusammen zur Einheit im Sinne der einheitlichen Menschennatur. Das ist, was Goethe als das Geheimnis eines jeden ganzen Menschen aussprechen wollte, als er sein eigenes Seelengeheimnis zusammenfaßte in die Worte:
Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, hat auch Religion.
Wer jene beiden nicht besitzt, der habe Religion.
Hinweise
ANHANG
Hinweise des Herausgebers
Personenregister
Rudolf Steiner über die Vortragsnachschriften
Übersicht über die Rudolf Steiner Gesamtausgabe
Zu dieser Ausgabe
Die im ersten Teil dieses Bandes abgedruckten Vorträge wurden vor einem kleinen Kreis von Berliner Zweig-Mitgliedern gehalten, und zwar jeweils freitags in der Wohnung von Fräulein Klara Motzkus. Im Mittelpunkt dieser Betrachtungen stehen die griechische und die germanische Mythologie. Rudolf Steiner behandelt jedoch, von da ausgehend, in großer Mannigfaltigkeit verschiedenste Themen: von dem ungerechtfertigten Todesurteil gegen Sokrates bis zur Bedeutung der Ehe, von der Begründung Roms bis zu den esoterischen Hintergründen der Dichtungen von Wolfram von Eschenbach. Was an diese Betrachtungen verbindet, ist der oft nur angedeutete, oft auch ausführlich dargestellte Bezug zu den brennenden Fragen der Gegenwart.
Im zweiten Teil sind Vorträge zusammengefaßt, die ein Thema konsequent und umfassend behandeln, nämlich das Wesen und die Bedeutung der Musikdramen Richard Wagners. Von seinen ersten dichterischen Versuchen bis zu dem reifsten Werk, dem «Parsifal», werden seine Schöpfungen auf ihren spirituellen Gehalt hin untersucht, wobei Rudolf Steiner betont, daß der Dichter von diesem tieferen Sinngehalt nur eine unbestimmte Ahnung, kein klares Bewußtsein hatte, daß er so, wie die Pflanze nach bestimmten Naturgesetzen wächst, ohne diese Gesetze selbst zu kennen mit instinktiver, schöpferisch künstlerischer Sicherheit die germanischen Sagen so gestaltete, wie es ihrer tieferen okkulten Bedeutung nach richtig ist.
Textunterlagen:
24. Juni, 1., 8., 15. und 22. Juli 1904: Notizen von Marie Steiner-von Sivers und Franz Seiler
30. September 1904: Notizen von Marie Steiner-von Sivers
14. Oktober 1904: Notizen von Marie Steiner-von Sivers und Franz Seiler 21. und 28. Oktober 1904: Notizen von Marie Steiner-von Sivers, Mathilde Scholl und Franz Seiler
28. März und 5. Mai 1905: Notizen von Marie Steiner-von Sivers und Walter Vegelahn
12 Mai 1905: Notizen von Walter Vegelahn und Eugenie von Bredow
3. Dezember 1905: Notizen von Mathilde Scholl
2. Dezember 1907: Mitschrift von Georg Klenk
Der Titel des Bandes wurde von den Herausgebern gewählt.
Die Titel der einzelnen Vorträge entsprechen den Überschriften, welche die Stenografen ihren Mitschriften gegeben haben.
GA 92 Die okkulten Wahrheiten alter Mythen und Sagen
Frühere Veröffentlichungen:
Berlin, 30. September und 7. Oktober 1904 in GA 93
7., 14., 21. und 28. Oktober 1904 in «Esoterik und Weltgeschichte in der griechischen und germanischen Mythologie», Dornach 1955
28. März 1905 in «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht, Nachrichten für deren Mitglieder» 1936, Nrn. 4445
5. Mai 1905 in «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht, Nachrichten für deren Mitglieder» 1936, Nr. 45
12. Mai 1905 in «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht, Nachrichten für deren Mitglieder» 1936, Nrn. 4647
19. Mai 1905 in «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht, Nachrichten für deren Mitglieder» 1936, Nrn. 4750
Nürnberg (irrtümlich: Berlin), 2. Dezember 1907 in «Die Drei» 1928/29, Heft 10, und «Menschenschule» 1965, Heft 6.
Hinweise zum Text
Werke Rudolf Steiners, innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer erwähnt.
Zu Seite:
15 | vor vierzehn Tagen: Gemeint ist der Vortrag vom 10. Juni 1904 «Der Gegensatz von Kain und Abel», der in dem Band «Die Tempellegende und die Goldene Legende», GA 93, erschienen ist. |
die Amsterdamer Erlebnisse: Vom 19. bis zum 21. Juni 1904 fand in Amsterdam ein theosophischer Kongreß statt, über den Rudolf Steiner in der Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» einen ausführlichen Bericht gab. Dieser ist abgedruckt in dem Band «Lucifer-Gnosis», GA 34, Seiten 539552. | |
in der lunarischen Entwicklungsepoche: Die unserer Erdentwicklung vorangegangene Epoche des alten Mondes, wie sie in dem Kapitel «Die Weltentwickelung und der Mensch» in Rudolf Steiners Buch «Die Geheimwissenschaft im Umriß», GA 13, dargestellt wird. | |
16 | wie der Pitri: Von den Pitris (der Name bedeutet «Väter») spricht Rudolf Steiner ausführlich in dem Berliner Vortrag vom 1. Oktober 1905, in GA 93a. |
Attila: König der Hunnen, dessen Reich vom Schwarzen Meer sich zeitweise bis an den Rhein erstreckte. Als grausamer Herrscher und als «Gottesgeißel» wird er erst von den späteren, christianisierten Germanen bezeichnet. Im Nibelungenlied erscheint er als König Etzel. Seine Regierungszeit dauerte von 434 bis 453 n. Chr. | |
183
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20 | zum Beispiel die Weleda: Die Weleda war eine germanische Priesterin und Prophetin. Von ihr berichtet der römische Schriftsteller Tacitus, sie habe im ersten nachchristlichen Jahrhundert den Stamm der Brukterer geführt» Von den Römern wurde sie als Gefangene nach Rom gebracht. Sie übte auch dort ihre Sehergabe aus und wurde vielfach als Göttin verehrt. Siehe auch «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Nr. 118/119, S. 48. |
24 | Wolfram von Eschenbach: Bedeutender deutscher Dichter des Mittelalters. Seine Lebensdaten sind nicht genau bekannt (um 1170 bis nach 1220). Sein Hauptwerk ist das Epos «Parzival». |
26 | von einem Hamsa: Okkultistischer Ausdruck für einen Eingeweihten. Das Wort bedeutet eigentlich «Schwan». |
Heinrich I., 876 - 936. Er war der erste deutsche König aus dem sächsischen Hause, welches das karolingische ablöste. Er herrschte von 919 bis 936 und rettete Deutschland vor den Überfällen der Ungarn. | |
27 | das Wort ist Fleisch geworden: Joh. 1, 14. |
Niemand kommt zum Vater denn durch mich: Joh. 14, 6. | |
31 | Lykurg: Er lebte in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts v. Chr. Sein Leben wird von Plutarch (46125 n. Chr.) ausführlich beschrieben in seinen Parallelbiographien, wo er je einen griechischen Staatsmann einem römischen gegenüberstellt. Lykurg reiste unter anderem nach Kreta, um die dortigen Gesetze zu studieren. Vieles davon führte er in Sparta ein. Dann ging er nach Delphi, ließ aber die Spartaner schwören, daß sie bis zu seiner Rückkehr an den von ihm gegebenen Gesetzen nichts ändern würden. Er kehrte jedoch bis zu seinem Lebensende nicht mehr zurück, so daß die Spartaner eidlich verpflichtet waren, seine Gesetze beizubehalten. Siehe auch Friedrich von Schillers Abhandlung «Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon». |
Nach Kreta sieht sogar noch Plato: In seinem Alterswerk «Die Gesetze» (NOMOI) wird ein Gespräch geführt zwischen einem Athener, einem Lakedaimonier und einem Kreter. Gleich in den ersten Kapiteln spricht der Athener von Gesetzen der Kreter, die in ganz Griechenland bekannt sind und als vorbildlich bewundert werden. Auch im folgenden wird die weise Gesetzgebung des mythischen kretischen Königs Minos noch mehrfach erwähnt. | |
32 | als ein Sonnenläufer: Im fünften Vortrag des Zyklus «Das Johannes-Evangelium», GA 103, schildert Rudolf Steiner die sieben Grade einer gewissen Form der morgenländischen Einweihung. Der sechste dieser Grade wird mit dem Namen «Sonnenläufer» bezeichnet. |
32 | Archont heißt Verwalterkönig: Die genaue Übersetzung des Wortes wäre «der Herrschende». In Athen gab es neun Archonten, die jedes Jahr neu gewählt wurden. Der erste von ihnen war oberster Richter und hieß «Archon Eponymos», das bedeutet «der Namengebende», weil nach ihm das Jahr benannt wurde. Der zweite hatte die Leitung des Opferdienstes und der religiösen Feste; er hieß «Archon Basileus», das bedeutet «der Königsherrscher». |
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32 | Herodot, um 485425 v. Chr., griechischer Geschichtsschreiber. |
33 | So ging es auch bei der Gründung der Stadt Rom: Zum besseren Verständnis der folgenden Sätze seien die wichtigsten der damit in Zusammenhang stehenden Ereignisse kurz genannt (nach Schlossers «Weltgeschichte» Band II): Alba Longa wurde von Ascanius, einem Nachkommen des Aeneas, gegründet. Seine Nachfahren herrschten während 14 Generationen über die Stadt, als letzter Numitor, der von seinem Bruder Amulius vertrieben wurde. Dieser ließ zwar Numitor am Leben, verbannte ihn aber aus der Stadt, tötete seinen Sohn und ließ seine Tochter Rhea Silvia unter die Priesterinnen der Vesta aufnehmen, die unvermählt bleiben mußten. Doch der Kriegsgott Mars verband sich heimlich mit ihr und zeugte das Zwillingspaar Romulus und Remus. Diese ließ Amulius in einen Korb legen und in den Fluß Tiber werfen. Dort fand sie eine Wölfin und ernährte sie. Groß geworden, erbaute Romulus die Stadt Rom und wurde dann der Stammvater der sieben römischen Könige. Seinen Bruder Remus erschlug er, weil dieser sich über die noch im Entstehen begriffene Stadt lustig gemacht hatte. |
34 | die Sybillinischen Bücher: Die Sibyllen waren im Altertum weissagende Frauen. Auf eine von ihnen, die Sibylle von Cumae, gingen die Sibyllinischen Bücher zurück, die im Jupiter- Tempel aufbewahrt und bei wichtigen Entscheidungen zu Rate gezogen wurden. |
dem etruskischen Hauptgott Tages: Dieser ist, gemäß der römischen Mythologie, ein Gott, der von einem Bauern in einer Ackerfurche gefunden wurde, klein war wie ein Knabe, aber weise gleich einem Greis. Er lehrte die Menschen das Weissagen aus den Eingeweiden der Opfertiere. Diese Kunst wurde «Haruspices» genannt. | |
38 | das Pitribewußtsein: Siehe Hinweis zu S. 16. |
39 | «Geheimlehre»: Siehe Hinweis zu S. 59. |
40 | Ceridwen: Naturgöttin bei den Druiden. Der Kessel der Ceridwen war Symbol eines besonderen Ordens unter dem Stande der Barden im alten Britannien, des Kesselordens, der seine Ordensgeheimnisse hatte und bei Festen bestimmte Gesänge vortrug. Rudolf Steiner spricht über Ceridwen ausführlicher in dem Berliner öffentlichen Vortrag vom 6. Mai 1909 «Die europäischen Mysterien und ihre Eingeweihten» (in GA 57), sowie in Landin am 29. Juli 1906 im Vortrag «Das Gralsgeheimnis im Werk Richard Wagners» (in GA 97). |
Zauberer Merlin: Eine geheimnisvolle Gestalt des altbritischen Sagenkreises (angeblich war er der Sohn des Teufels und einer Nonne). Merlin stand in Verbindung mit der Tafelrunde des Königs Artus. | |
43 | Bonifatius: (eigentlich Wynfrith). Er stammte aus England, wirkte aber vor allem in Deutschland für die Verbreitung des römisch-katholischen Christentums. Er ist um 680 geboren und wurde auf einer Missionsreise nach Friesland im Jahre 755 von heidnischen Friesen erschlagen. |
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43 | Wolfram von Eschenbach: Siehe Hinweis zu S. 24. |
45 | die theosophische Bewegung seit 29 Jahren besteht: Am 17. November 1875 gründeten Helena Petrowna Blavatsky (18311891) und Colonel Henry Steel Olcott in New York die «Theosophical Society», die ihren Sitz bald nach Adyar in Indien verlegte. |
46 | Johannes von Damaskus, um 675749, gilt der katholischen wie auch der orthodoxen Kirche als Heiliger. Er schrieb eine systematische Zusammenfassung des orthodoxen Glaubens sowie ein Werk zur Verteidigung des religiösen Bilderdienstes und dichtete viele christliche Hymnen. Siehe auch «Die Legende von Barlaam und Josaphat, zugeschrieben dem heiligen Johannes von Damaskus», aus dem Griechischen übersetzt von Ludwig Burchard, München o. J. |
Jatakam: Das Buch der Erzählungen aus früheren Existenzen Buddhas. Aus dem Pali, einem indischen Idiom, in dem alte religiöse Schriften abgefaßt sind. Gesprochen wird es heute nur noch von Mönchen Ceylons, Birmas und Thailands. | |
49 | in der vierten Runde: Als «Runde» bezeichnet Rudolf Steiner die verschiedenen Verkörperungen der Erde, die in der «Geheimwissenschaft» als «alter Saturn», «alte Sonne», «alter Mond» und «Erde» beschrieben werden (GA 13, Kapitel «Die Weltentwickelung und der Mensch»). |
53 | Die Mysterien der Druiden und Drotten: Der Vortrag ist wegen seines Inhaltes auch abgedruckt worden im Band «Die Tempellegende und die Goldene Legende», GA 93, und dort ergänzt durch einen Auszug über die Druiden und über skandinavische Mysterien aus dem Buch «Geheime Gesellschaften, Geheimbünde und Geheimlehren» von Charles William Heckethorn, das sich in Rudolf Steiners Bibliothek befindet. |
57 | So hat diese Zeit, die im Jahre 61 aufhörte: Im Jahre 61 n. Chr. eroberten und zerstörten die Römer unter der Führung des Prätors Suetonius Paulinus das keltische Druiden-Heiligtum auf der Insel Mona (alter Name für die Insel Anglesey im Nordwesten von Wales). Der römische Schriftsteller Tacitus berichtet darüber im 14. Buch seiner Annalen (§ 29 und 30). |
59 | Zur Prometheus-Sage hat sich Rudolf Steiner auch später noch geäußert, zum Beispiel im 10. Vortrag des Bandes «Ägyptische Mythen und Mysterien», GA 106 |
Helena Petrowna Blavatsky, 18311891, begründete im Jahre 1875 zusammen mit Henry Steel Olcott die Theosophische Gesellschaft. Ihr Werk «Die Geheimlehre» erschien 1888, eine deutsche Übersetzung 1899. | |
im zweiten Bande der «Geheimlehre»: In diesem Band ist dem Prometheus ein ganzes Kapitel gewidmet. Über den Sinn der Prometheus-Sage äußert sich H. P. Blavatsky mit folgenden Worten: «Der Titan ist mehr als ein Dieb des himmlischen Feuers. Er ist die Darstellung der Menschheit der tätigen, fleißigen, verständigen, aber gleichzeitig ehrgeizigen, die bestrebt ist, den göttlichen Mächten gleichzukommen. Daher wird die Menschheit in der Person des Prometheus bestraft, sie wird dies aber nur bei den Griechen. Bei ihnen ist Prometheus kein Verbrecher, ausgenommen in den Augen der Götter. In seiner Beziehung zur Erde ist er im Gegenteil selbst ein Gott, ein Freund der Menschheit, die er zur Gesittung erhoben und in die Kenntnis aller Künste eingeführt; eine Vorstellung, die ihren poetischsten Darleger in Aischylos gefunden hat.» | |
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59 | aus meinen verschiedenen Freitagsvorträgen: Es handelt sich um die vorangehenden Vorträge. Im Juni/Juli 1904 sprach Rudolf Steiner außer an den fortlaufenden Zweigabenden, die montags stattfanden, jeweils noch freitags vor einem kleineren Kreis, der sich in der Wohnung von Klara Motzkus in Charlottenburg versammelte. Diese Veranstaltungen wurden, nach einer Sommerpause im August, im September/Oktober 1904 fortgesetzt. |
59 | in einem Kapitel des zweiten Bandes der «Geheimlehre» von H. P. Blavatsky: «Die Geheimlehre», Band II Anthropogenesis, Erster Teil, Strophe XII. |
61 | Er weiß ein Geheimnis: Prometheus kannte die Weissagung, daß dem Göttervater Zeus durch einen neuen Ehebund Verderben und Untergang bevorstehe. |
62 | Manu: Der Name kommt von der Sanskritwurzel «man» = denken. In der indisch-theosophischen Terminologie werden damit hohe geistige Wesen bezeichnet, denen die Bildung neuer Rassen obliegt. Über den Manu der fünften Wurzelrasse, das heißt des nachatlantischen Zeitraums, siehe Rudolf Steiners Werke: «Aus der Akasha-Chronik», GA 11; «Die Geheimwissenschaft im Umriß», GA 13. |
65 | Scott-Elliots Broschüre über die Atlantis: «Atlantis», Leipzig o. J. Vgl. auch Rudolf Steiner, «Unsere atlantischen Vorfahren» in «Aus der Akasha-Chronik», GA11. |
68 | Adam Kadmon: Vgl. hierzu Rudolf Steiners Vortrag in Oxford, 22. August 1922, in GA 214. |
69 | wieder wörtlich zu nehmen: In der Nachschrift von Franz Seiler stehen hier noch die folgenden unklaren Sätze: «Jede Sage verändert sich. Sie kommt aus dem Urältesten und verändert sich an einer ganz bestimmten Stelle. Die gibt es in jeder Sage, auch die, wo sie wieder wörtlich zu nehmen ist.» |
71 | Im letzten Heft von« Lucifer-Gnosis»: Diese Zeitschrift wurde von Rudolf Steiner, in Zusammenarbeit mit Marie von Sivers, seit dem Jahre 1903 herausgegeben. Sie erschien zunächst monatlich, dann in immer größeren Zeitabständen. Infolge der ungeahnten Arbeitsfülle, die Rudolf Steiner zu bewältigen hatte, mußte im Jahr 1908 das Erscheinen der Zeitschrift eingestellt werden. Die Aufsätze, welche die Welt-, Erd- und Menschheitsentwicklung betrafen, wurden dann zusammengestellt und unter dem Titel «Aus der Akasha-Chronik», GA 11, als Buch gedruckt. Die hier erwähnten Vorgänge, die die drei letzten atlantischen Kulturepochen betreffen, werden in den Kapiteln «Unsere atlantischen Vorfahren» und «Übergang der vierten in die fünfte Wurzelrasse» behandelt. |
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75 | Durch Thales, Anaximenes, Sokrates: Thales von Milet, 624546 v. Chr.; Anaximenes wirkte zwischen 585 und 525 v. Chr.; Sokrates um 470 bis 399 v. Chr.
Über diese und andere Philosophen des griechischen Altertums spricht Rudolf Steiner ausführlich in dem Buch «Die Rätsel der Philosophie», GA 18, im Kapitel «Die Weltanschauung der griechischen Denker». |
76 | «Das Christentum als mystische Tatsache», GA 8. Die Deutung der Odysseussage steht dort im Kapitel «Die Mysterienweisheit und der Mythus». |
78 | Die Turanier: Die Neigung dieses Volkes zu schwarzer Magie und niederer Zauberei wird dargestellt in den ersten beiden Vorträgen des Zyklus «Das Matthäus-Evangelium», GA 123, insbesondere auf den Seiten 2126 und 5053. |
79 | die Wüste Gobi oder Schamo: «Gobi» ist die mongolische, «Schamo» die chinesische Bezeichnung der größten Wüste Asiens, die zwischen Ost-Turkestan, Dsungarei und Mandschurei liegt und heute politisch zwischen China, Sinkiang und Mongolei aufgeteilt ist. |
86 | der Meister Jesus: Von dem Wirken des «Meister Jesus» in der Menschheitsentwicklung spricht Rudolf Steiner verschiedentlich, besonders eindringlich im siebenten Vortrag des Zyklus «Das Lukas-Evangelium», GA 114. |
87 | Im zweiten Teil des Nibelungenliedes: Ein um 1200 entstandenes, in mittelhochdeutscher Sprache geschriebenes Vers-Epos, dessen Verfasser nicht bekannt ist» Der erste Teil behandelt das Leben Siegfrieds, seine Verheiratung mit Kriemhild, der Königin der Nibelungen, die auch «Burgunder» genannt wurden, und seine Ermordung durch Hagen. Der zweite Teil erzählt, wie Kriemhild den Hunnenkönig Etzel heiratet und mit seiner Hilfe Rache übt, indem sie die Könige der Nibelungen an ihren Hof einlädt und sie dort zusammen mit allen sie begleitenden Helden in einem blutigen Kampfe umkommen läßt. |
87 | Im Evangelium heißt es: Drei sind es : 1. Johannesbrief 5,7. |
90 | Gudrun-Sage: «Gudrun» heißt in der nordischen Mythologie die Gattin Siegfrieds und Schwester der Burgunder-Könige. Im mittelhochdeutschen Vers-Epos «Die Nibelungen» ist ihr Name dann Kriemhild. Das sogenannte «Gudrunlied» oder «Kudrunlied» gehört einem anderen Sagenkreis an. |
92 | «Uns ist in alten maeren »: Erster Vers des Nibelungenliedes. |
Wotan und Odin: In der germanischen Altertumskunde werden die beiden Namen als Bezeichnung einer und derselben Gottheit betrachtet. | |
97 | Póntos Pyletós: Wörtlich: Meerenge. |
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100 | Selene: Das Wort Selene bezeichnet im Altgriechischen den Mond. |
109 | zur Zeit des Sängerkrieges auf der Wartburg: Dieser Wettstreit zwischen den bedeutendsten Sängern jener Zeit (Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen und einigen anderen) soll auf dem Schloß des Landgrafen von Thüringen, genannt die Wartburg, am Anfang des 13. Jahrhunderts stattgefunden haben. Richard Wagner nahm dieses Ereignis zum Thema seiner Oper «Tannhäuser». |
111 | an Jakob Böhme erinnern: Über Jakob Böhme (15751624) spricht Rudolf Steiner ausführlich in seinem Buche «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens», GA 7. |
112 | Hölderlin, der es so aussprach: Friedrich Hölderlin, 17701843, in seinem Brief-Roman «Hyperion oder der Eremit in Griechenland». Der Roman handelt von einem Griechen der Gegenwart, der die alte, götternahe Lebensart der Vergangenheit erneuern möchte. Er sieht, daß die Griechen seiner Gegenwart dazu nicht fähig sind und sucht in Deutschland die Möglichkeit, seine Ideen zu verwirklichen. Da macht er die Erfahrung, die in dem zitierten Wortlaut zum Ausdruck kommt. |
113 | Die Wibelungen: Mit diesem ganzen Sagenkreis und auch mit den Sagen um Friedrich Barbarossa hat sich Richard Wagner im Sommer 1848 intensiv beschäftigt. Er berichtet darüber in seinem Aufsatz: «Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage». Diese Arbeit verdichtete sich später zu seinem vierteiligen Musikdrama «Der Ring des Nibelungen». |
113 | Krönung Karls des Großen in Rom: Sie fand statt im Jahre 800. |
Barbarossa: Friedrich 1., genannt Barbarossa («Rotbart»), 11221190, herrschte von 1152 bis 1190. Er nahm am zweiten und dritten Kreuzzug teil. Auf dem letzteren kam er ums Leben. | |
hatte sich zurückgezogen wie Barbarossa: Von Barbarossa ging die Sage, daß er nicht gestorben sei, sondern im Kyffhäuser-Berg warte auf die Stunde, da er wieder aufstehen und Deutschland erretten werde. | |
114 | die ersten Elemente des kombinierenden Verstandes: Genauer schildert Rudolf Steiner diesen Vorgang in dem Buch «Aus der Akasha-Chronik», GA 11, im letzten Teil des Kapitels «Unsere atlantischen Vorfahren». |
118 | Attila: Siehe Hinweis zu S. 16}} |
Leo I., Papst von 440-461 | |
122 | wie Wotan durch Siegfried besiegt wird: Dies bezieht sich auf die Stelle im «Siegfried», wo Wotan dem Helden mit seinem Speer den Weg zu Brünhilde versperren will, dieser aber mit seinem selbstgeschmiedeten Schwert den Speer Wotans entzweischlägt (III. Aufzug, 2. Szene). |
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125 | wo Wotan den Riesen den Ring nehmen will: Vierte und letzte Szene des «Rheingold»: «Freie Gegend auf Bergeshöhen». |
128 | Zu End', ewiges Wissen!: Schlußgesang der drei Nornen «Götterdämmerung». |
129 | In des Wonnemeeres wogendem Schwall: Es sind dies die Schlußverse des dritten und letzten Aufzuges von «Tristan und Isolde». Sie werden von Isolde gesungen, bevor sie stirbt. |
130 | Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria virgine: Vierter Satz des katholischen Credo. |
132 | Parsifal: In Wolfram von Eschenbachs Epos wird der Name mit z und v geschrieben = Parzival. Richard Wagner übernahm die Schreibung «Parsifal» von dem vielseitigen Gelehrten und Schriftsteller Johannes Joseph von Görres. Dieser erklärt den Namen als dem Persischen entstammend mit der Bedeutung «Der reine Tor». Diese Deutung des Namens legt Richard Wagner auch der Kundry in den Mund, als sie Parsifal im Zaubergarten des Klingsor anspricht mit den Worten: «Dich nannt ich, törger Reiner Fal parsi, Dich, reinen Toren Parsifal» (gegen Ende des zweiten Aufzuges). |
Er wollte ein Drama «Jesus von Nazareth» schreiben: In der Schrift «Eine Mitteilung an meine Freunde» führt Richard Wagner aus, welche Umstände und Überlegungen ihn dazu führten, einen solchen Plan ins Auge zu fassen, das Drama auch zu entwerfen, es dann aber doch nicht auszuführen. | |
133 | Hartmann von Aues «Der arme Heinrich»: Die Lebensdaten und die Herkunft des Dichters sind nicht genau bekannt. Er ist wahrscheinlich um 1165 geboren und sicher nach 1210 gestorben. Außer dem «Armen Heinrich» schrieb er noch mehrere andere Versepen sowie Minne- und Kreuzlieder. |
136 | so war für Dante in seiner «Göttlichen Komödie»: Die Vorstellung von Jerusalem als Mittelpunkt der Weit wird angedeutet in den ersten Versen des zweiten Gesanges im Purgatorium. Nähere Erläuterungen dazu finden sich in der Ausgabe der Göttlichen Komödie des Manesse-Verlages in den Anmerkungen von Ida und Walther von Wartburg (Seite 439). |
137 | In seiner Schrift «Religion und Kunst»: Dies bezieht sich wahrscheinlich auf folgenden Satz: «In dieser Beziehung haben wir es als eine erhabene Eigentümlichkeit der christlichen Religion zu betrachten, daß die tiefste Wahrheit durch sie mit ausdrücklicher Bestimmtheit den Armen im Geiste zum Troste und zur Heilsanleitung erschlossen werden sollte; wogegen die Lehre der Brahmanen ausschließlich den Erkennenden nur angehörte, weshalb die Reichen am Geiste die in der Natürlichkeit haftende Menge als von der Möglichkeit der Erkenntnis ausgeschlossene ansahen.» |
138 | Die Freude am Töten des Lebendigen: In dem genannten Aufsatz «Religion und Kunst» bringt Richard Wagner die «Entartung des menschlichen Geschlechtes» in Zusammenhang mit dem Abgehen von der «brahmanischen Lehre von der Sündhaftigkeit der Tötung des Lebendigen». Er weist dabei auch hin auf die zu seiner Zeit neu erstandenen Bewegungen der Vegetarianer, der Vereine zum Schutz der Tiere und der Mäßigkeitsvereine, von denen er aber sagt, daß sie «in ihrer Zersplitterung durchaus unwirksam» seien. |
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138 | in dem Roman «Flita» von Mabel Collins: Rudolf Steiner hat dieses Werk in der Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» vom März 1905 besprochen unter dem Titel «Flita. Wahre Geschichte einer schwarzen Magierin». Der Aufsatz ist wiederabgedruckt in GA 34, Seite 512ff. |
143 | Arthur Schopenhauer, 17881860. |
144 | Nietzsche, solange er mit Wagner ging: Friedrich Nietzsche (18441900) war längere Jahre mit Richard Wagner persönlich befreundet und hatte zunächst ein positives Verhältnis zu dessen künstlerischem Schaffen. Davon zeugt die kleine Schrift «Richard Wagner in Bayreuth». In den Jahren 18781880 löste er sich dann vollständig von dem Bayreuther Meister. Er brachte seine Ablehnung auch in zwei Werken zum Ausdruck: «Der Fall Wagner» und «Nietzsche contra Wagner». |
Die «Dionysien» des Aeschylos und Sophokles: Die Dionysien waren Feste, die in Griechenland zu Ehren des Gottes Dionysos, einmal im Herbst und einmal im Frühling gefeiert wurden. In Athen waren vor allem die Großen Dionysien wichtig, die im März jedes Jahres stattfanden. Dabei wurden jeweils Tragödien und Satyrspiele aufgeführt. | |
Aeschylos, 525-456 v. Chr. | |
Sophokles, 496-406 v. Chr. | |
145 | So empfand auch Edouard Schuré: Marie von Sivers, die spätere Frau Marie Steiner, lernte gegen Ende des 19. Jahrhunderts Edouard Schurés Dramen und auch ihn selbst kennen. Er lebte von 18411929. Durch ihn wurde sie auf die Theosophische Gesellschaft und auf Rudolf Steiner hingewiesen. Einige Bücher Schurés hat sie ins Deutsche übersetzt. Über das Urdrama von Eleusis spricht Rudolf Steiner ausführlich in dem Aufsatz «Aristoteles über das Mysteriendrama», abgedruckt in dem Band «Luzifer-Gnosis, gesammelte Aufsätze 1903-1908», GA 34. Wichtige Ausführungen befinden sich auch in dem Band «Marie Steiner-von Sivers Ein Leben für die Anthroposophie», Seite 69ff. Das Drama von Eleusis ist enthalten in Schurés Buch «Sanctuaires dOrient». |
147 | daß Bonifatius die Eiche gefällt habe: Siehe Hinweis zu S. 43.
Mit dem Fällen der dem germanischen Gotte Donar geweihten Eiche brachte Bonifatius den Sieg des Christentums über die heidnische Religion zum Ausdruck. |
150 | daraus ist später das Wort «Ghibellinen» entstanden: Seit der Zeit der Hohenstaufen-Kaiser (11381254) wurden so die Anhänger des deutschen Kaisers genannt, im Gegensatz zu den «Guelfen», die zum Papst hielten. Die Historiker sind im Unklaren über die Ableitung des Namens. Es bestehen darüber verschiedene Vermutungen. |
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154 | Die Jünger auf dem Berge: Gemeint ist die sogenannte Verklärung, die in den drei synoptischen Evangelien erzählt wird. Matthäus 17, 113: Markus 9, 213; Lukas 9, 2836. |
155 | Die Sonne tönt nach alter Weise : Goethe, «Faust» 1., Vers 243246.
Diese Worte werden zu Beginn des «Prolog im Himmel» von dem Erzengel Raphael gesprochen. |
Tönend wird für Geistesohren : Goethe, «Faust» 11., Vers 46674674. Worte des Luftgeistes Ariel. | |
160 | alle symphonische Musik: Siehe Hinweis zu S. 162. |
162 | In den Instrumenten»: Das Zitat stammt aus der Novelle «Eine Pilgerfahrt zu Beethoven». Richard Wagner weilte in den Jahren 1840 und 1841 in Paris. Damals gab er eine Schrift heraus unter dem Titel «Ein deutscher Musiker in Paris. Novellen und Aufsätze». Darin bildet die genannte Schrift den Anfang. Sie erzählt in poetischer Form von einem jungen Mann, der zu Fuß nach Wien reist, um mit Beethoven sprechen zu können. Die Darstellung ist sehr humorvoll, zeugt aber auch von einer großen Verehrung für den Meister. Dem Zitat geht voraus eine Gegenüberstellung der Orchester-Musik und der durch «ein schöneres und edleres Tonorgan», «die menschliche Stimme», hervorgebrachten Musik. |
163 | «Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Oder Griechentum und Pessimismus» von Friedrich Nietzsche erschien 1872, eine neue Ausgabe mit vorgedrucktem «Versuch einer Selbstkritik» 1886. |
166 | Zusammenhänge im «Armen Heinrich»: Siehe Hinweis zu S. 133. |
168 | In einer Zeitschrift «Kosmos» wurde ein Aufsatz darüber veröffentlicht: Heft 5 des Jahrgangs 1905 der Zeitschrift «Kosmos. Handweiser für Naturfreunde», enthielt einen Artikel «Paläontologische Umschau», in welchem das Leben von Pflanzen und Tieren der« Vorwelt», vor allem von Sauriern beschrieben wird. |
Personenregister
* = ohne Namensnennung im Text
Aeschylos 24, 144, 145 |
Leo L, Papst 118 |
Über die Vortragsnachschriften
Aus Rudolf Steiners Autobiographie »Mein Lebensgang« (35. Kap., 1925)
Es liegen nun aus meinem anthroposophischen Wirken zwei Ergebnisse vor; erstens meine vor aller Welt veröffentlichten Bücher, zweitens eine große Reihe von Kursen, die zunächst als Privatdruck gedacht und verkäuflich nur an Mitglieder der Theosophischen (später Anthroposophischen) Gesellschaft sein sollten. Es waren dies Nachschriften, die bei den Vorträgen mehr oder weniger gut gemacht worden sind und die wegen mangelnder Zeit nicht von mir korrigiert werden konnten. Mir wäre es am liebsten gewesen, wenn mündlich gesprochenes Wort mündlich gesprochenes Wort geblieben wäre. Aber die Mitglieder wollten den Privatdruck der Kurse. Und so kam er zustande. Hätte ich Zeit gehabt, die Dinge zu korrigieren, so hätte vom Anfange an die Einschränkung «Nur für Mitglieder» nicht zu bestehen gebraucht. Jetzt ist sie seit mehr als einem Jahre ja fallen gelassen.
Hier in meinem «Lebensgang» ist notwendig, vor allem zu sagen, wie sich die beiden: meine veröffentlichten Bücher und diese Privatdrucke in das einfügen, was ich als Anthroposophie ausarbeitete.
Wer mein eigenes inneres Ringen und Arbeiten für das Hinstellen der Anthroposophie vor das Bewußtsein der gegenwärtigen Zeit verfolgen will, der muß das an Hand der allgemein veröffentlichten Schriften tun. In ihnen setzte ich mich auch mit alle dem auseinander, was an Erkenntnisstreben in der Zeit vorhanden ist. Da ist gegeben, was sich mir in «geistigem Schauen» immer mehr gestaltete, was zum Gebäude der Anthroposophie allerdings in vieler Hinsicht in unvollkommener Art wurde.
Neben diese Forderung, die «Anthroposophie» aufzubauen und dabei nur dem zu dienen, was sich ergab, wenn man Mitteilungen aus der Geist-Welt der allgemeinen Bildungswelt von heute zu übergeben hat, trat nun aber die andere, auch dem voll entgegenzukommen, was aus der Mitgliedschaft heraus als Seelenbedürfnis, als Geistessehnsucht sich offenbarte.
Da war vor allem eine starke Neigung vorhanden, die Evangelien und den Schrift-Inhalt der Bibel überhaupt in dem Lichte dargestellt zu hören, das sich als das anthroposophische ergeben hatte. Man wollte in Kursen über diese der Menschheit gegebenen Offenbarungen hören.
Indem interne Vortragskurse im Sinne dieser Forderung gehalten wurden, kam dazu noch ein anderes. Bei diesen Vorträgen waren nur Mitglieder. Sie waren mit den Anfangs-Mitteilungen aus Anthroposophie bekannt. Man konnte zu ihnen eben so sprechen, wie zu Vorgeschrittenen auf dem Gebiete der Anthroposophie. Die Haltung dieser internen Vorträge war eine solche, wie sie eben in Schriften nicht sein konnte, die ganz für die Öffentlichkeit bestimmt waren.
Ich durfte in internen Kreisen in einer Art über Dinge sprechen, die ich für die öffentliche Darstellung, wenn sie für sie von Anfang an bestimmt gewesen wären, hätte anders gestalten müssen.
So liegt in der Zweiheit, den öffentlichen und den privaten Schriften, in der Tat etwas vor, das aus zwei verschiedenen Untergründen stammt. Die ganz öffentlichen Schriften sind das Ergebnis dessen, was in mir rang und arbeitete; in den Privatdrucken ringt und arbeitet die Gesellschaft mit. Ich höre auf die Schwingungen im Seelenleben der Mitgliedschaft, und in meinem lebendigen Drinnenleben in dem, was ich da höre, entsteht die Haltung der Vorträge.
Es ist nirgends auch nur in geringstem Maße etwas gesagt, was nicht reinstes Ergebnis der sich aufbauenden Anthroposophie wäre. Von irgend einer Konzession an Vorurteile oder Vorempfindungen der Mitgliedschaft kann nicht die Rede sein. Wer diese Privatdrucke liest, kann sie im vollsten Sinne eben als das nehmen, was Anthroposophie zu sagen hat. Deshalb konnte ja auch ohne Bedenken, als die Anklagen nach dieser Richtung zu drängend wurden, von der Einrichtung abgegangen werden, diese Drucke nur im Kreise der Mitgliedschaft zu verbreiten. Es wird eben nur hingenommen werden müssen, daß in den von mir nicht nachgesehenen Vorlagen sich Fehlerhaftes findet.
Ein Urteil über den Inhalt eines solchen Privatdruckes wird ja allerdings nur demjenigen zugestanden werden können, der kennt, was als Urteils-Voraussetzung angenommen wird. Und das ist für die allermeisten dieser Drucke mindestens die anthroposophische Erkenntnis des Menschen, des Kosmos, insofern sein Wesen in der Anthroposophie dargestellt wird, und dessen, was als «anthroposophische Geschichte» in den Mitteilungen aus der Geist-Welt sich findet.
Literatur
- Rudolf Steiner: Die okkulten Wahrheiten alter Mythen und Sagen, GA 92 (1999), ISBN 3-7274-0920-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv. Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen. Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners. |