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GA 224
RUDOLF STEINER
VORTRÄGE
VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT
Die menschliche Seele in ihrem
Zusammenhang mit göttlich-geistigen
Individualitäten
Die Verinnerlichung der Jahresfeste
Elf Vorträge, gehalten in
Bern, Dornach, Prag, Stuttgart und Berlin
vom 6. April bis 11. Juli 1923
GA 224
1992
Inhaltsverzeichnis
- SCHICKSALSGESTALTUNG IN SCHLAFEN UND WACHEN. DIE GEISTIGKEIT DER SPRACHE UND DIE GEWISSENSSTIMME Bern, 6. April 1923
- DER INDIVIDUALISIERTE LOGOS UND DIE KUNST, AUS DEM WORTE DEN GEIST HERAUSZULÖSEN Stuttgart, 2. Mai 1923
- UNSER GEDANKEN LEBEN IN SCHLAFEN UND WACHEN UND IM NACHTODLICHEN DASEIN Stuttgart, 21. Juli 1923
- MAUTHNERS «KRITIK DER SPRACHE» - DIE UNZULÄNGLICHKEIT HEUTIGEN DENKENS, AUFGEZEIGT AN RUBNER UND SCHWEITZER Stuttgart, 4. Juli 1923
- DIE VIER WESENSGLIEDER DES MENSCHEN - DER SPIEGELCHARAKTER DES INTELLEKTUELLEN DENKENS UND DIE REALITÄT DES SITTLICH-RELIGIÖSEN ERLEBENS Stuttgart, 11. Juli 1923
- DREI ETAPPEN DES ERWACHENS DER MENSCHLICHEN SEELE Prag, 28. April 1923
- ANTHROPOSOPHIE - DER WEG ZU EINEM VERTIEFTEN VERSTÄNDNIS DES OSTERMYSTERIUMS Prag, 29. April 1923
- DIE HIMMELFAHRTSOFFENBARUNG UND DAS PFINGSTGEHEIMNIS Dornach, 7. Mai 1923
- JOHANNISTIMMUNG - DER GESCHÄRFTE JOHANNIBLICK Dornach, 24. Juni 1923
- WIEDERGEWINNUNG DES LEBENDIGEN SPRACHQUELLS DURCH DEN CHRISTUS-IMPULS - DER MICHAEL-GEDANKE ALS ANRUF DES MENSCHLICHEN WILLENS Dornach, 13. April 1923
- DIE SCHAFFUNG EINES MICHAEL-FESTES AUS DEM GEISTE HERAUS - DIE RÄTSEL DES INNEREN MENSCHEN Berlin, 23. Mai 1923
- HINWEISE
- NAMENREGISTER
- AUSFÜHRLlCHE INHALTSANGABEN
- Literatur
SCHICKSALSGESTALTUNG IN SCHLAFEN UND WACHEN. DIE GEISTIGKEIT DER SPRACHE UND DIE GEWISSENSSTIMME Bern, 6. April 1923
Lassen Sie uns heute etwas betrachten, das vielleicht in gewissem Sinne wiederum eine Ergänzung zu dem gestrigen öffentlichen Vor- trage bilden kann. Näher ins Auge fassen möchte ich heute die Art, wie sich der Mensch hineinstellt in jenen Teil der Weltenordnung, der zusammenhängt mit seinem eigenen Schicksal, mit demjenigen, was wir in unserem Kreise gewohnt worden sind, das Karma zu nennen. Wie findet eigentlich diese Schicksalsgestaltung beim Menschen statt? Da müssen wir, um diese Frage lebensfähig, nicht theoriefähig zu beantworten, etwas näher eingehen auf die Wesenheit des Menschen.
Man spricht von dem menschlichen Leben oftmals so, daß man sagt: Das Menschenleben zerfällt in diese beiden voneinander unterschiedenen Bewußtseinszustände, in das Wachen und in das Schlafen. Aber man faßt dabei das Schlafen eigentlich nur in dem Sinne auf, daß man sich die Vorstellung bildet: Im Schlafe ruht sich der Mensch eben aus. - Die naturwissenschaftliche Anschauung nimmt ja überhaupt an, daß die Bewußtseinstätigkeit aufhört mit dem Einschlafen, dann wiederum beginnt, daß also auch in bezug auf den Organismus das Schlafen nichts weiter sei als ein Aussetzen der menschlichen Tätigkeit zur Ruhe. Aber der Schlaf ist nicht ein bloßes Ruhen, sondern man muß sich klar darüber sein, daß vom Einschlafen bis zum Aufwachen zunächst das, was wir den astralischen Leib nennen, und dann das Ich als wiridichWesenhaftes außer dem physischen und ätherischen Lebe sind.
Nun kann der Mensch zwar auf der Entwickelungsstufe, auf der er gegenwärtig im Erdenleben steht, kein unmittelbares Bewußtsein davon erringen, was eigentlich dieses Ich und was der astralische Leib zwischen dem Einschlafen und Aufwachen tun. Aber dasjenige, was die beiden da tun, das ist für das menschliche Leben zum mindesten von einer ebenso großen Bedeutung wie das tagwachende Leben. Daß das Ich und der astralische Leib kein Bewußtsein entwickeln können
von all den kompliözierten Verhältnissen, die mit ihnen vorgehen im Schlafe, das rührt nur davon her, daß im Erdenstadium> so wie es heute ist, dieses Ich und dieser astralische Leib keine Organe haben, um die Ereignisse, in die sie verstrickt sind, wahrzunehmen. Aber diese Ereignisse sind da. Und diese Ereignisse werden vom Einschlafen bis zum Aufwachen durchgemacht, und sie wirken herein in das Tagesleben, in das bewußte Leben des Menschen.
Wir werden uns am besten richtige Vorstellungen verschaffen über die Art und Weise, wie hereinwirken die Erlebnisse von Ich und astralischem Leib in das tagwachende Leben, wenn wir auf den Anfang des Menschenlebens sehen. Wir haben das bei andern Betrachtungen schon öfter getan. Da schläft sich gewissermaßen in der aller- ersten Lebenszeit der Mensch als ganz kleines Kind in das Erdenleben herein. Man darf da nicht nur von derjenigen Zeit sprechen, in der das Kind vollständig schläft, so daß es auch äußerlich sichtbar ist, daß es schläft, sondern man muß eigentlich von der ganzen Zeit sprechen, an die man sich mit dem gewöhnlichen Bewußtsein gar nicht zurück- erinnern kann. Das Kind mag allerdings auch für diese Zeit für die äußerliche Beobachtung einen wachen Eindruck machen, aber dasjenige, was im Bewußtsein vor sich geht, bildet sich ja nicht so aus, daß es später erinnert wird. Und alles dasjenige, was von dem Kinde erlebt wird, ohne daß es sich später daran erinnert, all das können wir so bezeichnen, daß wir Sagen: Wir verweisen dabei auf die Zeit, in welcher sich der Mensch in das Erdenleben hereinschläft.
Aber was entwickelt sich alles gerade aus diesem Schlafenszustande im Beginne des menschlichen Erdenlebens? Drei Dinge müssen wir ganz besonders ins Auge fassen, wenn wir verstehen wollen, wie das wirkt, was da der Mensch heruntergetragen hat aus seinem vor- irdischen Dasein, was er in einer ihm selbst dunklen, schlafdunklen Art nun hineinverwebt in sein physisches Dasein; drei Dinge sind es, die der Mensch in einer andern Weise als die Tiere sich aneignen muß. Die Tiere eignen sich das entweder gar nicht an, oder sie bringen es schon mehr oder weniger mit auf die Welt.
Diese drei Dinge sind dasjenige, was wir gewöhnlich im Leben so bezeichnen, daß es sehr einseitig aufgefaßt wird. Nur ein kleiner Teil
von dem Ganzen wird eigentlich aufgefaßt. Das erste ist das Gehenlernen. Der Mensch kommt als ein Wesen in die irdische Welt, das nicht gehen kann, das sich erst das Gehen aneignen muß. Das zweite, was sich der Mensch aneignen muß, ist das Sprechen, und das dritte ist das Denken. Wir können beim Kinde genau unterscheiden, wie manchmal das eine vor dem andern kommt, aber wenn man die Menschheit im allgemeinen nimmt, so kann man im ganzen sagen: Der Mensch lernt gehen, sprechen, denken - jedenfalls das Denken erst nach dem Sprechen. Erst aus dem Sprechen heraus entsteht allmählich die Fähigkeit, dasjenige, was in Worte gefaßt wird, auch in Gedanken festzuhalten. Und es dauert eigentlich ziemlich lange, bis man wirklich sagen kann: Das Kind denkt.
Aber gerade das Gehen wird als etwas sehr Einseitiges aufgefaßt. Das Gehen besteht ja nicht bloß darin, daß das Kind sich aufrichten lernt und sozusagen seine Beine in pendelnde Bewegung setzen kann, sondern es besteht darin> daß das Kind überhaupt sich aneignet, das Gleichgewicht, das menschliche Gleichgewicht in der Welt durchaus zu beherrschen, ich möchte sagen: daß man sich überall hinstellen kann, ohne daß man umfällt; daß man also seinen Leib hineinstellen kann in die Welt> seine Muskeln, seine Gliedmaßen so beherrschen lernt, daß der Schwerpunkt des Leibes, ob wir stehen, oder ob wir gehen, an die richtige Stelle fällt. Aber das ist noch immer einseitig aufgefaßt, denn Sie müssen bedenken, daß etwas außerordentlich Wichtiges sich dabei noch vollzieht: das ist die Differenzierung der Beine und der Arme.
Die Tiere gebrauchen ihre vier Gliedmaßen in gleichförmiger Weise - in der Regel wenigstens, wenn Abweichungen da sind, läßt sich das sehr gut erklären -, der Mensch differenziert. Er braucht zum Ins-Gleichgewicht-Stellen, er braucht zum Gehen seine Beine, während die Arme und die Hände gerade wunderbare Ausdrucksmittel für sein Seelisches und die Träger seiner Weltenarbeit werden. Gerade auch in dieser Differenzierung zwischen Füßen und Händen, Armen und Beinen liegt dasjenige, was hinzugehört zu dem, was man gewöhnlich mit dem Gehenlernen nur einseitig bezeichnet. Damit ist man dann zu dem gekommen, was uns innerhalb der physischen Welt
dasjenige bezeugt, was sich der Mensch erst während des physischen Erdenlebens aneignet.
Das zweite, was er sich aneignet, indem er - wie beim Gehen und Stehen, beim Gleichgewichtsuchen, beim Differenzieren der Hände von den Füßen - probiert, nachahmend probiert, das zweite, was er sich dadurch aneignet, ist das Sprechen. Und wir können sagen: Das Sprechen ist nicht ganz ohne Zusammenhang mit dem Gehen, namentlich nicht mit dem Gebrauche der differenzierten Hand. Denn man weiß ja, wie das Sprechen mit einer ganz bestimmten Ausbildung eines Gehirnorgans, der linken Schläfenwindung zusammenhängt. Aber das ist nur bei denjenigen Menschen der Fall, welche vorzugsweise die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens mit der rechten Hand erledigen. Linkshänder haben auf der andern Seite, der rechten Seite, ihr Sprachorgan gelegen. Daraus können wir schon sehen, wie mit dem Suchen nach Gleichgewicht dasjenige zusammenhängt, was sich im Sprechen ausdrückt.
Und aus dem Sprechen heraus entwickelt sich dann das Denken. Nur auf künstliche Weise kann derjenige, der stumm geboren ist, zum Denken gebracht werden. Aber für all diejenigen Menschen, die nicht stumm geboren werden, ist das Denken etwas, was sich aus dem Sprechen erst herausentwickelt.
Nun aber kann man diese Eigentümlichkeit des Menschen, die ich eben jetzt zusammengefaßt habe, eigentlich erst ganz übersehen, wenn man den Übergang des Menschen im späteren Leben aus dem Wachen in den Schlafzustand verfolgt. Da ist es ja so, daß physischer Leib und ätherischer Leib auf physische Weise im Bette ruhend sind, daß das Ich und der astralische Leib sich im wesentlichen getrennt haben von dem physischen und dem ätherischen Leib. Wenn wir aber nun mit den Mitteln der Geisteswissenschaft an diesen astralischen Leib des Menschen herantreten> wie er vom physischen und Ätherleib vom Einschlafen bis zum Aufwachen getrennt ist, dann finden wir, daß dieser astralische Leib wesentlich in sich die Kräfte enthält, die zusammerihängen mit dem Sprechenlernen des Menschen. Es ist außerordentlich interessant, das Einschlafen und Aufwachen des Menschen zu beobachten, wenn er als Kind sprechen lernt, und es ist sogar noch
interessant bei irgend jemandem, der erst als Erwachsener sprechen lernt, zu beobachten, wie der astralische Leib gerade an dem Sprechen- lernen außerordentlich stark beteiligt ist. Denn der astralische Leib trägt in der Zeit, in der der Mensch im Sprechenlernen darinnen ist, und auch später, wenn er sich im Tageslaufe des Sprechens bedient, mit sich das Geistig-Seelische, das in den Worten, das in der Sprache liegt, hinaus aus dem physischen und Ätherleibe.
Können Sie verfolgen, wie der Mensch spricht, wie er seine Worte formt, wie er seinen Worten den eigentümlichen Stimmklang gibt, können Sie verfolgen, wie er in seine Worte die Kraft der Überzeugung seiner Seele hineinlegt, wie er das Seelische, das er erlebt, in seine Worte hineinverlegt, dann können Sie auch weiter verfolgen, wie mit dem Einschlafen der astralische Leib dieses Geistig-Seelische aus dem physischen Leib und dem Ätherleib herausnimmt und im scMafenden Zustande gerade die Nachwirkung des Geistig-Seelischen der Sprache in der geistig-seelischen Welt wie ein Nachschwingen enthält. Sie können die Wortbildungen, die Lautnuancierungen, die Überzeugungskraft, die der Mensch in die Worte hineinzulegen vermag, auch an dem schlafenden astralischen Leibe verfolgen. Da ist natürlich nicht etwas von einer Schwingungskraft vorhanden, die sich der Luft mitteilt; dadurch kommt auch kein physischer Stimmklang der Sprache zustande. Aber dasjenige, was auf den Wellen der Worte als Geistig-Seelisches aus dem menschlichen Munde herauskommt und vom menschlichen Ohre gehört wird, was da auf dem Strom der Sprache sich seelisch vermittelt, das trägt als Seelisch-Geistiges der astralische Leib hinaus in die geistige Welt, wenn der Mensch schläft.
Man sieht das nur deutlicher während das Kind oder auch der Erwachsene im Erle?nen einer Sprache sich anstrengen, die Sprache sich erst aneignen; aber statt findet es das ganze Leben hindurch, daß dasjenige, was wir bei Tag sprechen> in bezug auf sein Geistig-Seelisches dann in der Nacht vom astralischen Leibe hinausgetragen wird in die geistige Welt. So daß wir sagen können: Namentlich die Gefühisnuance des Gesprochenen wird durch den astralischen Leib aus dem Menschen hinausgetragen während der Nacht. Das ist eine Eigentümlichkeit des astralischen Leibes.
Aber jetzt beobachten wir, wie das Ich sich vom Einschlafen bis zum Aufwachen verhält. Das Ich ist ebenso zunächst, ich möchte sagen, rein natürlich an das Gliedmaßensystem gebunden. Wie der astrallsche Leib an die Brust gebunden ist und aus der Brust die Sprache kommt, in eben solcher Weise ist das Ich an alles dasjenige gebunden, was der Mensch mit seinen Gliedern ausführt, was der Mensch vom Aufwachen bis zum Einschlafen tut, indem er diesen oder jenen Gang macht, indem er dieses oder jenes mit seinen Armen und Händen vollzieht. So wie der astralische Leib in jedes Wort hineinffießt und das Seelische des Wortes sich herausnimmt während des Schlafens, so ist das Ich verbunden mit jeder Bewegung, die wir machen, indem wir in der Welt diesen oder jenen Ort aufsuchen im Wachzustande. Es ist das Ich verbunden mit jeder Handbewegung, mit jedem Ergreifen irgendeines Gegenstandes. Aber während man beim astralischen Leib, weil die Sprache etwas so Seelisches ist, das eigentliche Seelische weniger beachtet, weniger darauf aufmerksam wird, daß in der Sprache eben noch etwas ganz Besonderes seelisch in die Sprache hineinergossen wird, ist man schon bei dem Zusammenhang des Ich mit den Gliedmaßen geneigt, überhaupt nicht mehr darauf Rücksicht zu nehmen, daß damit etwas Seelisch-Geistiges verknüpft ist. Man faßt halt das Gehen, man faßt das Greifen mit den Händen auf wie etwas, ich möchte sagen> was rein in einer Art physischem Mechanismus geschieht, der der menschliche Organismus sein soll. Das ist aber nicht der Fall.
Dasjenige, was in jeder Fingerbewegung während des Tages liegt, was in jedem Schritte liegt, mit dem man einen Ort aufsucht, das enthält auch ein Geistig-Seelisches, so wie das Wort ein Geistig-Seelisches enthält. Und das, was da mit unseren Gliedmaßen verbunden ist, was verbunden ist mit unseren Bewegungen, das nimmt das Ich beim Einschlafen aus unserem physischen und Ätherleib hinaus in die geistige Welt, nur deutlich verbunden jetzt mit einem besonderen Geistig-Seelischen: damit nämlich, daß das Ich in jedem Augenblick zwischen dem Einschlafen und Aufwachen unbewußt zufrieden oder unzufrieden ist - Sie werden das gleich nachher besser verstehen, wenn ich es weiter erläutern werde -, zufrieden ist damit, wenn ich mich
zwar deutlich, aber etwas trivial ausdrücken muß, ob die Beine sich nach diesem oder jenem Ort hinbewegt und etwas getan haben, ob die Arme dies oder jenes verrichtet haben. Nicht nur wird der Nachklang der Beinbewegungen und Armbewegungen hinausgenommen in das Schlafen, sondern es wird Zufriedenheit oder Unzufriedenheit hinaus- genommen. Es haftet vom Einschlafen bis zum Aufwachen dem Er leben des Ich an: Eigentlich hättest du dahin nicht gehen sollen. Oder: Eigentlich war das recht gut, daß du dahin gegangen bist. Eigentlich war es gut, daß du dies oder jenes mit deinen Armen gemacht hast.
Eigentlich war es schlecht, daß du dies oder jenes getan hast. - Das ist das Geistig-Seelische, das das Ich hinzusetzt zu dem, was es aus den Gliedmaßen des Menschen hinausnimmt in den schlafenden Zustand. Und woher kommt es denn, daß dies so ist? Das kommt davon> daß der astralische Leib, indem er zwischen dem Einschlafen und Auf- wachen in die geistige Welt versetzt wird, nach der Weltenordnung beim Menschen eigentlich dazu bestimmt ist, in innigen Kontakt zu kommen zwischen dem Einschlafen und Aufwachen mit denjenigen Wesenheiten, welche in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» geschildert sind als angehörig der Hierarchie der Archangeloi, der Erzengel. Denn mit dem, was wir da als den Nachklang der Sprache mit hinausnehmen in das Schlafen, fühlen sich diese Archangeloiwesen verwandt. Das ist dasjenige, was sie brauchen, das ist dasjenige, was sie erleben wollen.
Ich möchte sagen: Genau ebenso, wie wir Menschen im physischen Erdenleben darauf angewiesen sind, zu atmen, also Sauerstoff um uns haben, und daher den Sauerstoff als etwas Wohltätiges empfinden, so empfinden die Erzengel, die mit dem Inneren der Erde verbunden sind, es als ihr Bedürfnis, daß ihnen die Menschenseelen, wenn sie schlafen, entgegenbringen den Nachklang dessen, was in ihrer Sprache liegt.
Das ist das Eigentümliche der menschlichen Sprache, daß sie Verwandtschaft hat durch die Vermittlung des Schlafzustandes mit der Hierarchie der Archangeloi, der Erzengel. Sie werden sich erinnern, wenn Sie sich ins Gedächtnis rufen, was ich verschiedentlich gesagt habe in früheren Zyklen: daß eigentlich die Erzengel die Genien, die Leiter, die Führer der Volkssprachen sind. Das hängt damit zusammen
Die Erzengel sind deshalb die Führer der Volkssprachen, weil sie - es ist ja flgürlich ausgesprochen, aber es ist so - geradezu ein- atmen dasjenige, was ihnen der Mensch aus der Sprache entgegenträgt, wenn er einschläft. Aber es ergibt sich sofort eine Unzulänglichkeit des Menschen, wenn der Mensch mit seiner Sprache in den schlafenden Zustand nicht das Rechte hinausbringt.
Das ist etwas, was man insbesondere innerhalb der Gegenwartskultur beobachten kann. Innerhalb dieser Gegenwartskultur ist eigentlich wenig von dem vorhanden, was man Idealismus nennt, und die menschlichen Worte haben allmählich bloß solche Bedeutungen angenommen> die sich auf äußerlich physisch-materielle Dinge beziehen. Die Bezeichnung von Idealen - was ja voraussetzt, daß man ans Geistige glaubt, denn das Ideal ist Geistiges -, die Bezeichnung von Idealen fällt immer mehr und mehr aus. Die Menschen entwickeln nicht im wachen Zustande den Schwung, den inneren Enthusiasmus für Idealismus. Dadurch reden sie eigentlich auch nur mehr über solche Dinge, die in der physischen Welt da sind. Worte nehmen immer mehr und mehr die Bezeichnung an für Dinge, die in der physischen Welt da sind.
Es ist ja so, daß in unserer Zeit mehr oder weniger selbst diejenigen Menschen, die sehr fanatisch manchmal an den Geist glauben wollen, doch den Geist gerade ablehnen. Da machen sie spiritistische Experimente, wobei sie den Geist sich manifestieren lassen, weil sie eigentlich an den Geist nur glauben wollen, wenn er materiell sein kann. Aber das ist ja kein Geist, der im materiellenLichtschimmer und dergleichen erscheint. Spiritismus ist nämlich die äußerste Form des Materialismus. Man versucht den Geist abzuleugnen dadurch, daß man nur das als Geist gelten läßt, was in die Welt des Materiellen hereinkommt.
Also wir sind schon einmal in einem Zeitalter, wo die Worte sich nicht so aus der Seele herausringen, daß sie einen idealen Schwung annehmen. Und das wird immer weniger. Aber wenn dieser ideale Schwung nicht da ist, wenn, mit andern Worten, der Mensch im wachenden Zustande nicht in der Lage ist> außer von den physischen Dingen auch von seinen Idealen zu sprechen, gewissermaßen sich hinzuwenden an dasjenige, was eben dem Ideal angehört, was über
die physische Welt hinausliegt, was dem Leben Ziele gibt, die über das physische Leben hinausliegen, wenn der Mensch nicht in seiner Tagessprache Worte entwickelt für Ideale, wenn nicht die Sprache selber in Idealismus ergossen ist - dann findet der Mensch nur außerordentlich schwierig während des schlafenden Zustandes jenen Zusammenhang mit dem Erzengelwesen, der ihm eigentlich notwendig ist, und dann kommt im schlafenden Zustande keine Ordnung hinein in dasjenige, was sich da abspielen soll zwischen der menschlichen Seele und der Hierarchie der Archangeloi. Wenn das der Fall ist, wenn der Mensch dem Materialismus verfallen ist, in seiner Sprache keinen Idealismus entwickelt, die Worte nach und nach so geworden sind, daß der Mensch nur mehr wenig spricht von Idealen, dann verfließt das irdische Leben so, daß der Mensch jede Nacht eigentlich, wenn ich mich so ausdrücken darf, den Anschluß versäumt an das Erzengel- wesen. Dann wird es ihm schwer, mit der geistigen Welt so innig verbunden zu sein, daß er nun auch in genügender Weise das Leben nach dem Tode, vom Tode zu einer neuen Geburt, kräftig durchleben kann. Der Mensch schwächt sich dadurch, daß seine Sprache keinen Idealismus enthält, für das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.
Zu wissen, wie es sich mit diesen Dingen verhält, ist eigentlich schon ein Lebenswissen. Derjenige, der weiß, was es für eine Bedeutung hat, wenn die Sprache keinen Idealismus enthält, der wird endlich die Kraft gewinnen, wiederum einzutreten dafür, daß in die menschliche Sprache auch Idealismus hineinkommt. Schon während des Erden!ebens kann man bemerken, daß derjenige nicht zu seiner rechten Kraft kommt, der aus dem Erzengelwesen nicht die nötige Kraft heraussaugen kann in diesem Zustand vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Wir können geradezu sagen in bezug auf dasjenige, was die Sprache an uns als Menschen während des Schlafes tun soll: Um das in der rechten Weise als Ergebnis für das Leben zu bekommen, müssen wir uns wirklich bemühen, solchen Idealismus zu haben, daß in die Worte nicht bloß die Verständigung über das alltägliche Leben eirniießt, sondern in die Worte auch Geistiges in Form des Idealismus einfließt.
Aber noch stärker tritt das hervor, wenn wir jetzt auf den schlafenden Zustand des Ich schauen. Das Ich nimmt mit hinaus in den schlafenden Zustand Zufriedenheit und Unzufriedenheit über dasjenige, was die Gliedmaßen getan haben. Geradeso wie der astrallsche Leib durch die Nachwirkung der Sprache an die Hierarchie der Erzengel herangetragen wird, so wird das Ich durch das, was es da als Nach- klang der täglichen Verrichtungen durch Arme und Beine hinausbringt in den Schlafzustand, herangetragen an die Hierarchie der Urkräfte, der Archai, der Urbeginne. Aus diesen Urbeginnen kommt uns dann die Kraft, erstens den physischen Leib in der richtigen Weise zu durchdringen, so daß wir nicht nur das Gute wollen, sondern bis zu einem gewissen Grade auch imstande sind, die Triebe des physischen Leibes soweit zu beherrschen, daß wir kein Hindernis haben an unserem physischen Leib, um dasjenige zu tun, was wir in der Freiheit des Gedankens uns als Pfficht oder als Ziel vorsetzen. Wir sind frei im Gedanken. Aber die Kraft, die Freiheit im Leben anzuwenden, bekommen wir nur, wenn wir in den Schlaf hinaustragen den richtigen Zusammenhang mit den Urkräften, mit den Archai.
Aber wie können wir das? Der Idealismus bringt unseren astralischen Leib in richtiger Weise mit den Erzengelwesen in Zusammenhang. Was bringt unser Ich in der richtigen Weise mit den Urkräften in Zusammenhang? Wenn auch wir zunächst unbewußt in der Nacht bleiben - aber das Wesen aus der Hierarchie der Urkräfte hat ein vöffiges Bewußtsein von der Sache, nimmt dasjenige auf, was wir unbewußt haben, und entwickelt es zu einem ausgesprochenen Gedanken der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem, was wir am Tage getan haben. Was aber bringt uns in einen richtigen Zusammenhang mit diesen Urkräften, in einen solchen Zusammenhang, wie wir ihn durch den Idealismus in der Sprache zu den Erzengeln bekommen?
Es gibt nichts anderes, um während des SchIafens in bezug auf sein Ich in den richtigen Zusammenhang mit den Urkräften zu kommen, als wirkliche, echte, wahre Menschenliebe, unbefangene Menschenliebe, allgemeine Menschenliebe, richtiges Interesse für jeden Mitmenschen, mit dem uns das Leben zusammenbringt, nicht Sympathie
oder Antipathie, die nur aus irgend etwas herauskommen, das wir nicht überwinden wollen. Echte, wahre Menschenliebe während des Wachzustandes führt uns zwischen dem Einschlafen und Aufwachen in den Schoß der Urkräfte, der Archai, in der richtigen Weise hinein. Und da wird, während das Ich im Schoße der Archai ruht, das Karma, das Schicksal geformt. Da entsteht das Urteil: Ich bin unzufrieden mit demjenigen, was ich mit meinen Armen und Beinen getan habe. Und aus dem, was da als eine Zufriedenheit oder Unzufriedenheit sich ergibt, entsteht nun nicht bloß das, was gilt für die Zeit kurz nach dem Tode, sondern für das nächste Erdenleben; es entsteht die Kraft zum richtigen Bilden des Schicksals, so daß auch wirklich die` Dinge ausgeglichen werden, die wir in einem Erdenleben empfunden haben während des Schlafes, im Ich, im Zusammenhange mit den Urkräften.
Wenn Sie dies bedenken, so sehen Sie genau hinein in diesen merk würdigen Zusammenhang des Ich und des Schicksals, des Karma.
Während wir sozusagen dem astralischen Leibe ansehen, wie er, wenn der Mensch ein Idealist ist, die Sprache als eine Opfergabe den Erzengeln übergibt, so daß ihn dann die Erzengel in der richtigen Weise zwischen Tod und neuer Geburt leiten können, so sehen wir, wie das Ich an dem Schicksal webt. Da wird das Karma ausgearbeitet im Zusammenhange mit den Urkräften. Und die Urkräfte haben wieder- um die Gewalt, dasjenige uns zu verleihen, was wir brauchen, um nicht nur die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt durchzugehen, sondern beim nächsten Herabsteigen ins Irdische mit einer solchen Kraft anzukommen, daß wir, wenn wir ein kleines Kind sind, jetzt mit der Erbschaft vom vorhergehenden Erdenleben so oder so gehen lernen, Gleichgewicht finden lernen, Füße und Hände, Arne und Beine differenzieren lernen.
Es ist sehr merkwürdig, zu sehen, wie beim Kinde, wenn es vom Kriechen zum Gehen übergeht, wenn es zunächst Gleichgewicht erwirbt, in dieser Anstrengung die Art und Weise nachwirkt, wie im letzten Erdenleben das Ich durch allgemeine Menschenliebe in der richtigen Weise den Schlaf in Zusammenhang mit den Urkräften gebracht hat. Das drückt sich aus im Gehenlernen. Man kann dies bis
in die Einzelheiten verfolgen. Man kann sehen, wenn ein Kind immer wieder umkippt, wie das davon herrührt, daß in einem früheren Leben das Kind starke menschenhassende Gefühle entwickelt hat. Da ist es nur herangekommen an die Urkräfte, da hat es nicht die richtige Verbindung mit ihnen gefunden, und gerade in dieses Gehenlernen hinein, in das fortwährende Umkippen, da hinein prägt sich die Wirkung aus. Derjenige, der sich einen richtigen Blick gerade dafür aneignen würde, der also zum Beispiel sich vornehmen würde: Ich will dadurch ein richtiger Erzieher werden, daß ich die Kinder im Gehenlernen richtig beobachte -, wer das durchführen könnte, der würde aus der Art und Weise, wie das Kind gehen lernt, wirklich Ungeheures von dem sehen, was man auch als Unterrichtender, als Erzieher karmisch auszugleichen hat, weil es aus dem vorhergehenden Erdenleben durch nicht genügende, oder genügende, aber falsch angebrachte Menschenliebe in dieses Leben hereingebracht worden ist.
Hier sehen Sie, wie die materiallstische Ansicht beim Physischen bleibt. Die materialistische Ansicht beschreibt, wie der menschliche Organismus wie eine Maschine sich aufrichtet, gehen lernt und so weiter. Aber mit allem Physischen ist ein Geistiges verbunden, und derjenige, der den ganzen Vorgang überschaut, lernt erkennen, daß im Gehenlernen des Kindes hereinspielt das vorhergehende Erden- leben. Das heißt, Geheniernen ist überhaupt die Art und Weise, wie der Mensch, wenn er ein neues Erdenleben antritt, seinen physischen Körper beherrschen lernt. Und für den, der die Sache vollständig überschaut, ist das Geheniernen nicht erschöpft damit, daß man seine Beine aufrichten kann und den ganzen Körper aufrichten kann, sondern das geht so weit, daß es nun zu inneren Prozessen des Menschen kommt, auch dazu, wie der Mensch nun innerlich Herr wird über seine Drüsentätigkeit und so weiter. Denn wenn das Kind gehen ge1ernt hat, und schon vorher, kommt es nicht nur auf das Gehen an, sondern es kommt auch darauf an, daß es, sagen wir, wenn es einen phlegmatischeren oder cholerischeren Charakter hat oder ein ÜbermaB an den oder jenen Emotionen, dann seine Drüsentätigkeit beherrschen oder nicht beherrschen lernt. Das hängt wiederum mit dem zusammen, was während des Schlafes aus den vorhergehenden Erdenleben
aus allgemeiner Menschenliebe oder nicht allgemeiner Menschen- liebe sich als das Verhältnis zu den Urkräften herausgestellt hat.
Wenn man materialistisch denkt, so sagt man: Der Mensch ruht im Schlafe. - Aber er ruht nicht bloß. Wenn er den richtigen Idealismus während des Wachens entwickelt, so trägt er in den Schlaf hinein für den astralischen Leib die Möglichkeit, sich hinaufzuschwingen zu der Hierarchie der Archangeloi, also mit der geistigen Welt während des Schlafes so in Beziehung zu treten, daß in der richtigen Weise verlebt werden kann die Zeit vom Tode bis zu einer neuen Geburt. Natürlich tragen wir, wenn wir diese Zeit nicht richtig verleben, auch Schwächen davon in das Erdenleben hinein. Aber in der Art und Weise, wie sich der Mensch in ein richtiges Verhältnis zu den Urkräften, zu den Archai versetzt, davon hängt es dann ab, wie wir uns das nächste Leben zu zimmern verstehen. Man sieht also, daß allgemeine Menschenliebe geradezu eine schöpferische Kraft hat. Denn, wovon hängt es denn ab, daß irgend jemand stark und kräftig ist in einem Leben, um seinen physischen Leib in den Dienst der Seele zu stellen, beherrschen zu können seinen physischen Leib? Das hängt davon ab, ob er im vorhergehenden Leben Menschenliebe, etwas rein Seelisches entwickelt hat.
Sie erinnern sich, wie ich in früheren Vorträgen gesagt habe: Das Seelische des einen Erdenlebens lebt sich in dem Physischen des nächsten Erdenlehens aus, das Geistige des einen Erdenlebens in dem Seelischen des nächsten Erdeniebens. - Aber so hängen die Dinge zusammen, die ich eben auseinandergesetzt habe.
Man kann nicht bloß so im allgemeinen behaupten, daß es so etwas wie ein Schicksal, wie ein Karma gibt. Man kann geradezu sagen: Man schaut, wie der Mensch an seinem Karma arbeitet. Er webt es während des SchIafes, aber er erntet dasjenige, was er zum Gewebe braucht, während des Wachens ein. Denn das, was er webt, sind die Fäden, die er wirken muß aus allgemeiner Menschenliebe; oder die Fäden, die fortwährend abreißen und ein schlechtes Karma für das nächste Leben bilden, das sind diejenigen, die aus Menschenhaß gewoben sind. Denn für das Karma kommen als schöpferische Kräfte vor allen Dingen Menschenliebe und Menschenhaß in Betracht.
Nun muß man diese Sache in der richtigen Weise ansehen. Es ist im Grunde genommen eine bequeme Karmaauffassung, wenn man sagt: Ich bin krank - nun, das ist mein Karma. Mich hat dieses Unglück getroffen - das ist mein Karma. - Ich will nicht sagen, daß es als Lebensweisheit besonders beruhigend ist, aber eine bequeme theoretische Auffassung ist es, in fatalistischer Weise alles auf das Karma zu schieben. Es ist aber durc`haus nicht richtig so. Denn nehmen Sie an, Sie betrachten nicht dieses Erdenieben, sondern das drittnächste, so werden Sie in dem drittnächsten Erdenleben auf dieses jetzige zurück- schauen können. Dann werden Sie sagen: Es ist mein Karma. - Aber dasjenige, was Ihr Karma ist, weist in dieses Erdenleben zurück; da ist es entstanden. Das heißt, es ist fortwährend entstehendes Karma da.
Wir müssen nicht alles in die Vergangenheit zurückschieben. Wir müssen uns klar sein, daß in der richtigen Weise zum Karma sich zu stellen dazu führt, daß man sich sagt: Eine Krankheit, die mich jetzt trifft, braucht gar nicht die Folge früherer seelischer Schwächen zu sein, sondern es kann eine Krankheit zuallererst auftreten. Aber Karma gilt doch. Trifft mich eine Krankheit> ein Unglück in diesem Erden- leben, es wird der Ausgleich kommen, oder dieses Unglück, diese Krankheit können der Ausgleich sein.
Das heißt, man muß immer auch mit der Zukunft rechnen, wenn man von Karma spricht. Das Verhältnis, das man zum Karma hat, ist das, daß man unerschütterlich wird in der Anerkennung der allgemeinen Weltengerechtigkeit, daß man also weiß Alles gleicht sich aus, aber nicht so, daß man einfach die Reihe der Erdenleben zerreißt durch das gegenwärtige und alles auf die Vergangenheit schiebt.
Derjenige stellt sich in einer lebensvollen Weise in den karmischen Verlauf der Lebensereignisse hinein, der da weiß: Ausgleich ist. Aber das Wesentliche bei der Karmaauffassung ist die Seelenstimmung, die aus dieser Auffassung kommt. Und die Seelenstimmung, die aus der Karmaauffassung kommen muß, das ist die, daß für den Fall, wo irgend etwas, sagen wir als Unglück, die Ausgleichung ist für eine frühere Seelenschwäche, wir darin den Anlaß finden, uns zu sagen: Hättest du jetzt dieses Unglück nicht erfahren, so hättest du die Schwäche fernerhin behalten. Wenn du in die Tiefen deiner Seele
hineinsiehst, so mußt du sagen: Es ist recht, daß dieses Unglück über mich gekommen ist, denn dadurch ist eine Schwäche ausgelöscht, eine Schwäche hinweggenommen.
Wer ein solches Unglück, welches ein Ausgleich ist für eine vor herige Seelenschwäche oder Verfehlung, hinwegwünscht, stellt sich eigentlich nicht auf den Standpunkt vollständiger Menschenwürde. Er sagt gewissermaßen: Ach, mir ist es gleichgültig, ob ich schwach bleibe oder eine gewisse Stärke mir erringe! - Allein derjenige faßt ein Unglück in der richtigen Weise auf, der da sagt: Falls es für eine frühere Schwäche wäre, ist es gut, daß es mich getroffen hat. Denn ich werde diese Schwäche, die ich gehabt habe, die sich in einer Verf~hIung vielleicht ausgedrückt hat, durch das Unglück fühlen. Dadurch Iösche ich die Schwäche aus, ich werde wieder stark.
Und falls ein Unglück als erster Schritt im Karma kommt, so ist die richtige Stimmung dagegen diese, daß man sich sagt: Wenn den Menschen nur dasjenige treffen würde, was er sich wünscht, so würde er gerade durch einen Lebensverlauf, der so ist, recht schwach werden. Wir würden zwar unter Umständen in einem oder zwei Erdenleben bequem und wohl leben, weil immer nur dasjenige über uns kommt, was wir uns wünschen, aber im dritten, vierten Erdenleben würden wir überhaupt seelisch und geistig wie gelähmt sein, weil gar keine Anstrengung in uns entstehen würde, um Widerstände zu über- winden. Widerstände lassen sich ja nur überwinden, wenn das Unerwartete, das Unerwünschte kommt. Entwickelt man aber die rechte Kraft an den Widerständen, nimmt man genug Menscheniiebe hinein in den Schlaf, dann gestaltet sich dasjenige, was von dem Ich im Zusammenhange mit den Urkräften, mit den Archai als Karma gewoben wird so, daß der richtige Ausgleich in dem nächsten Erden- leben stattfindet.
Alle anthroposophischen Wahrheiten müssen nicht bloß theoretische Wahrheiten sein, durch die man etwas erkennt, sondern sie sind alle so, daß sie in die Stimmung, in die Gemütsverfassung übergehen. Und derjenige, bei dem sie nicht in die Gemütsverfassung übergehen, der hat sie noch nicht vollständig erfaßt, der hat sie bloß als theoretische Wahrheiten erfaßt. Das richtige Verstehen des Karma, des
Schicksals, führt eben dazu, daß der Mensch zwar, indem er dem Leben gegenübersteht, sogar feiner empfänglich wird für Glück und Unglück, als er sonst es ist - er erlebt stark Glück und Unglück -, aber er findet auch die Möglichkeit, in seiner Seele sich gewissermaßen der geistigen Welt gegenüber in jene Stimmung zu versetzen, die nun nicht aus einem Glaubensbekenntnis heraus, sondern aus der Anschauung desjenigen kommt, was Ich und astralischer Leib tun, während sie dem Tagesleben entzogen sind. Aus der Anerkenntnis dessen kommt er in die Stimmung hinein, unerläßlich festzuhalten an der Weltgerechtigkeit. Karma verstehen heißt, in der richtigen Weise die Weltgerechtigkeit anschauen. Es heißt nicht, phlegmatisch werden gegenüber Glück oder Unglück, gegenüber Freude und Schmerz, aber es heißt, Freude und Schmerz, Glück und Unglück an die richtige Stelle des Lebens versetzen.
Nun können wir sagen: Wenn man den Menschen während des Tageslebens sieht, so sieht man ja eigentlich nur Ich und astralischen Leib, wie sie sich betätigen am physischen Leibe, und dann weiß man nur etwas von der Betätigung am physischen Leibe, nicht von dem Geistig-Seelischen im Ich und astralischen Leibe. Wenn ich mit einem Menschen spreche, acöhte ich auf die Wörte, die er mir sagt, und bin ich dann Materialist, so erkläre ich mir das folgendermaßen: Lunge, Kehlkopf und so weiter arbeiten, dadurch wird die Luft in Schwingungen versetzt, die stoßen an mein Ohr an und so weiter. - Sehe ich aber die Sache recht an, so sehe ich vibrieren in dem, was als Worte sich bildet, was in der Sprache sich ausgestaltet, seinen astralischen Leib. Aber ich finde dann mit diesem astrallschen Leibe verbunden des Menschen Verwandtschaft mit der göttlich-geistigen Welt. Ich sage mir: Ist der astralische Leib im physischen Leibe darinnen während des Tagwachens, dann verbirgt er sich in der Sprache und in ährilichen Tätigkeiten. Während der Nacht nimmt er teil an dem Leben der höheren Hierarchien. Und in einer solchen Weise ist es auch der Fall mit dem Ich.
So dürfen wir sagen: Wenn der Mensch schläft, so ruht er sich nicht bloß für das tägliche Leben aus. Dann arbeitet er in der geistigen Welt, so wie er mit seinem physischen Leib arbeitet und spricht hier
in der physischen Welt. Und so wie der Materialismus ableugnet, daß als reales Wesen Ich und astralischer Leib vorhanden sind während des Schlafens, so muß es auch der Materialismus belassen, daß er nicht die ganze Welt verstehen kann. Denn was ist für den Materialismus moralische Welt? Moralische Welt ist für ihn, was sich der Mensch vorsetzt in Gedanken, was aber mit den weltschöpferischen Kräften nichts zu tun hat. Für denjenigen, der wirklich, wahrhaftig hineinschaut ins menschliche Leben, ist die moralische Weltenordnung dasjenige, in dem der Mensch schlafend ebenso stark lebt, wie er Wachend in Luft und Licht lebt.
Da gibt es noch etwas, was wesentlich ist zu beachten. Wenn wir sterben, nehmen wir die Sprache heraus - dasselbe gilt dann auch für das Karma -, wir sterben, und wir waren das Leben hindurch in richtiger oder in mehr oder weniger mangelhafter Weise verbunden mit der Welt der Archangeloi. Das hat sich wiederholt in jedem Schlafe. Wir tragen durch die Pforte des Todes in die geistige Welt dasjenige hinaus, was uns die Erzengelwesen im Schlafe gegeben haben. Da können wir uns dann in der richtigen Weise in die geistige Welt hineinfinden, die der Logos ist, die aus den kosmischen Elementen besteht, die in den Worten der Sprache ihr Abbild haben, da können wir uns hineinlinden in die geistige Welt für das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.
Aber so einfach ist dies nicht. Wenn wir durch den Tod gehen, haben wir keinen physischen Körper mehr. Da genügt das, was die Erzengel uns mitgegeben haben aus jedem Schlafzustand, um zu wirken, um es zu verwerten zwischen Tod und neuer Geburt. Wenn wir aber aufwachen als physische Erdenmenschen, müssen wir in den physischen Leib wiederum untertauchen. Das können uns die Erzengel gar nicht vermitteln. Da müssen noch höhere Hierarchien mit'wirken: diejenigen Wesen, die ich in meiner «Geheimwissenschaft» bezeichnet habe als die Exusiai und als die Kyriotetes. Die müssen das, was wir zunächst im Verein mit den Erzengeln durch die Geistigkeit der Sprache uns errungen haben, in die Triebe und Begierden des physischen Leibes, der uns sonst Widerstand leistet, hineinbringen. Da flammt es dann auf als Gewissensstimme. Aber indem das, was wir
aus dem Schlaf in den Leib hineintragen, als Gewissensstimme aufflammt, wirkt in dieser Gewissensstimme dasjenige, was in der Hierarchie der Exusiai und der Kyriotetes, als einer höheren Hierarchie als der der Erzengel, gegeben ist.
Wenn wir also in der physischen Welt herumschauen und finden, daß der eine oder der andere Mensch das Gewissen so stark entwickelt, daß sein physischer Leib bessere Triebe, bessere Instinkte bekommt, dann haben infolge des Idealismus seiner Sprache Kyriotetes und Exusiai in der richtigen Weise an ihm gewirkt.
Und wiederum, wenn der Mensch durch allgemeine Menschenliebe in den richtigen Zusammenhang kommt mit den Archai, mit den Urkräften, so arbeitet er sich sein Karma in einer solchen Weise aus, wie es eben in dem nächsten Erdenieben im Gehenlernen, im Gleichgewichtlernen, im Geschicklichwerden der Arme, im Beherrschen des Drüsensystems und so weiter in der allerersten Kindheitszeit, wenn wir uns in das Erdenleben hereinschlafen, sich in den Körper hinein- fügt. Denn wir haben uns das erworben, daß wir sozusagen im Verein mit den Urkräften, mit den Archai zwischen Tod und neuer Geburt arbeiten können. Aber damit der Mensch hier auf Erden in einer richtigen Weise eine feine Empfindung, ein scharfes Bewußtsein bekommt für seine eigenen Taten, dazu ist notwendig, daß diejenige Hierarchie, die ich Ihnen in der «Geheimwissenschaft» bezeichnet habe als die Dynamis, im ZusammeI1hang wirkt mit den Archai, also wiederum Wesenheiten einer höheren Hierarchie.
Wenn dem Menschen nun allgemeine Menschenliebe fehlt, richtiges Interesse an seiner menschlichen Umgebung fehlt, so findet er nicht den richtigen Anschluß an die Archai. Dadurch verdirbt er sich die Möglichkeit, sich sein Karma für das nächste Erdenleben in der richtigen Weise zu weben, und es müssen weitere Erdenleben kommen, durch die er das ausgleicht. Aber für dieses Erdenleben hat er noch das im Nachteil, daß er immer weniger und weniger die Kraft bekommt, die Urteile, die gebildet werden, Zufriedenheit oder Un zufriederiheit mit dem, was Beine und Hände tun, hlnauszutragen in den physischen Leib. Denn das können wir nicht selber, da müssen wir durch verstärkte Menschenllebe in der richtigen Weise mit den
Dynamis zusammenkommen. Die tragen dann in der richtigen Weise in unseren physischen Leib die Kraft herein, die das Richtige ausführt. Sonst klappen wir zusammen, trotzdem wir das Richtige einsehen.
Frei werden können wir in Gedanken. Daß wir aber auch die Frei heit in der richtigen Weise im physischen Leben gebrauchen können, dazu müssen wir das richtige Gleichgewicht im Wachen und Schlafen herstellen, weil wir in der richtigen Weise nicht nur mit den Urkräften, sondern auch mit den Dynamis zusammenkommen müssen.
Die höchste Hierarchie, Seraphim, Cherubim, Throne, sie wollen das, was wir tun, hinaustragen in die Welt. Exusiai, Dynamis, Kyriotetes tragen aus dem Schlaf als moralische Kraft dasjenige, was wir in Gedanken erfassen, herein in unser körperllches Wesen. Die Seraphim, Cherubim und Throne tragen das wiederum hinaus in die Welt, so daß unsere eigenen moralischen Kräfte weltschöpferische Kräfte werden.
Wenn also die Erde einmal in den Jupiterzustand übergehen wird und unsere moralischen Kräfte bei dieser Umwandlung ihre richtigen Funktionen ausführen, haben die Seraphim, Cherubim und Throne natürlich damit nur etwas zu tun, wenn wir ihnen die nötigen Unterlagen dafür geben. Übergeben wir ihnen dadurch, daß wir immer schwächer und schwächer werden, Zerstörungskräfte, dann arbeiten wir mit an der Zerstörung der Erde, nicht an dem Aufbau des Jupiter.
Sie sehen, die Gliederung der geistigen Welt ist in der Anthroposophie wahrhaftig nicht bloß dazu da, daß man für einzelne Stufen Namen hat, sondern man kann nach und nach wirklich eingehen in den ganzen Zusammenhang der Welt, kann den Zusammenhang des Menschen mit der geistigen Welt so überschauen, wie man sonst den Zusammenhang des Menschen mit der physischen Welt überschaut. Und das ist dasjenige, was den Menschen wiederum die rechte Kraft geben wird zu einem aufbauenden Leben, wenn sie in dieser Weise den Weg finden, um ihren Zusammenhang mit der geistigen Welt einzusehen, wenn sie nicht bloß glauben, der Schlaf sei da, um zu ruhen, sondern die Überzeugung gewinnen: Der Schlaf ist da, um mit der geistigen Welt unter den Nachwirkungen des physischen Lebens in den richtigen Zusammenhang zu kommen.
Ja, es ist schon richtig, die geistig-moralische Welt kann der Mensch leugnen, weil er sie zunächst in diesem Erdenstadium verschläft. Aber es muß durch eine wirkliche Wissenschaft herauskommen, was der Mensch da verschläft. Er verschläft nämlich dasjenige, was sich in das Erdenleben herein als himmlisches Dasein erstreckt. Dazu hat der Mensch den Schlaf, daß er tatsächlich aus der geistigen Welt sich die entsprechende Kraft herausholen kann gerade für sein physisches Leben.
Betrachten Sie jetzt von diesem Gesichtspunkte aus den Zusammenhang desjenigen, was ich versuchte> Ihnen heute skizzenhaft darzulegen, mit meiner «Philosophie der Freiheit». Da werden Sie finden: Ich habe ausdrücklich betont, es käme nicht darauf an, daß man die Theorie aufstellt, der Wille solle frei sein, sondern der Gedanke soll frei sein. Der Gedanke muß gerade den Willen beherrschen, wenn man ein freier Mensch sein will. Aber damit der Wille dem freien Gedanken nicht einen unmöglichen Widerstand bietet, muß der Mensch sein Leben in entsprechender Weise einrichten. Den Gedanken können wir frei machen als Mensch, der wir geworden sind in der physischen Welt. Das Gemüt und den Willen bekommen wir bloß frei, wenn wir für das Gemüt in das richtige Verhältnis zu den Erzengeln, wenn wir für den Willen in das richtige Verhältnis zu den Archai kommen.
Daher ist es aber auch so: Dasjenige, was in der Sprache lebt, lassen wir mit dem Geistig-Seelischen hinausgehen in der Nacht. Dasjenige, was in unseren Glledraaßen lebt, lassen wir auch hinausgehen. Astralischer Leib und Ich gehen hinaus. Der ätherische Leib bleibt beim physischen Leib. Das Denken> das an den ätherischen Leib gebunden ist, das setzt sich fort im ätherischen Leib. Nur wissen wir im gewöhnlichen Bewußtsein nichts davon, wie der ätherische Leib vom Ein- schlafen bis zum Aufwachen denkt, weil wir draußen sind. Es ist gar nicht wahr, daß wir in dem schlafenden Zustand nicht denken, wir denken vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Die Gedanken laufen fortwährend ab in unserem Ätherleib, nur welß der Mensch nichts davon. Er fängt erst wiederum an etwas zu wissen, wenn er untertaucht; da werden die Gedanken wieder lebendig für sein BewußtseIn. Deshalb, weil die Gedanken mit dem physischen Erdenleben
durch den Ätherleib so verbunden sind, ist es, daß der Mensch in Gedanken frei sein kann. Denn auf die Erde ist er versetzt, um frei zu werden. Die Kraft der Freiheit kann er sich nur aus der geistigen Welt holen, die Kraft zur Freiheit im Gemüte, die Kraft zur Freiheit im Willen.
Das ist der Zusammenhang mit der Tatsache, daß der Mensch seine eigentliche Denkgrundlage, den Ätherieib, durch das ganze Erdenleben hindurch behält. Der Ätherleib geht während des Erdenlebens nicht hinaus in eine kosmische Welt. Der astralische Leib und das Ichgehen hinaus. Erst wenn der Tod eintritt, geht auch der Ätherleib hinaus. Da kommt dann die Rückschau auf das Leben durch ein, zwei, drei Tage, wo der Mensch sein ganzes Leben überschaut, so ähnlich, wie ich das gestern für die Imagination, die erste Stufe des übersinnlichen Erkennens, beschrieben habe. Es tritt das nach dem Tode unter allen Umständen ein, daß der Mensch also zurücksieht auf sein verflossenes Erdenleben. Aber während das ganze Meer der Gedanken, die er schlafend und wachend zwischen der Geburt und dem Tode durchgemacht hat, da ist, während diese in den ersten drei Tagen nach dem Tode daliegen wie ein Meer von ineinanderwebenden Gedanken, nimmt der Kosmos diese Gedanken sogleich danach in Anspruch. Sie lösen sich auf, und nach zwei bis drei Tagen ist die ganze Rückschau in den Kosmos verflogen. Wir sagen, der Ätherleib hat sich auch getrennt. In Wahrheit hat der Kosmos den Ätherleib aufgenommen, aufgesogen. Er hat sich immer mehr und mehr ver größert, bis er endlich ganz in den Kosmos aufgegangen ist. Da wer- den wir dann wiederum als Ich und Astralisches aufgenommen in den Schoß der höheren Hierarchien. Und erst, wenn wir wiederum einen Atherleib bekommen, können wir zum Erdenleben heruntersteigen, können wir die Arbeit an uns zum freien Menschen fortsetzen. Denn das Erdenleben hat als Ziel, den Menschen zum freien Menschen zu machen. Das kann ihm auf Erden geschenkt werden, was im reinen Denken als Grundlage zur Freiheit liegt. Deshalb bleibt aber auch der Ätherleib durch das ganze Erdenleben mit dem physischen Leibe verbunden, das heißt, löst sich mit dem Tode auf in Welten, wo die Freiheit nicht erlernt wird. Die wird während des Erdenlebens
erlernt; Sie wissen ja, auch nur während gewisser Epochen des Erdenlebens.
So können wir einsehen, daß die Freiheit durchaus in richtiger Ver bindung mit dem Karma steht, denn die Freiheit hat zu tun mit dem, was im Bette liegen bleibt, was mit uns auch während des Schlafes verbunden ist, was sich nicht trennt von uns. Das Karma wird gewoben von dem Ich zwischen Einschlafen und Aufwachen. Das Karma wird gewoben abseits von dem im Menschen, worin die Freiheit liegt. Das Karma webt auch nicht an den freien oder unfreien Gedanken, das Karma webt an Gemüt und Willen. Da kommt aus den Tiefen der Menschennatur heraus, aus dem träumenden Gemüt und dem schla fenden Willen, das Karma herauf. In dieses können wir hineingießen, das he,ißt, dem entgegenstellen dasjenige, was in der Freiheit der Gedanken, im reinen Deriken, in den ethischen, moralischen Impulsen lebt, wie ich sie beschrieben habe in der «Philosophie der Freiheit»; diese müssen im reinen Denken liegen.
So schließt sich wirklich alles zusammen. Und das wäre so notwendig, daß man immer mehr und mehr darauf aufmerksam würde, wie, je weiter man in der Anthroposophie vorrückt, desto mehr sich alle Einzelheiten zusammenschließen. Natürlich, wenn jemand heran- kommt an irgend etwas, was dieses oder jenes Gebiet darstellt, kann er Widerspruch über Widerspruch finden. Das ist gar nicht anders möglich, weil man, um einzusehen, daß es so ist, wie es auf einem einzelnen Gebiete dargestellt wird, doch eben das eine Gebiet im Zusammeniiange mit dem Ganzen betrachten muß. Sonst urteilt man so wie einer, der über einen einzelnen Planeten urteilt und nicht begreffen kann, warum sich der so oder so bewegt man muß das ganze Planetensystem beachten. Und so muß man auch, will man etwas wissen über Welt und Leben, den Zusammeniiang, die physischen, seelischen und geistigen Tatsachen und die Einzelheiten der Tatsachenwelten versuchen zu wööberschauen.
Das wollte ich Ihnen heute, wo sich die Möglichkeit gegeben hat, daß wir auch wieder im Zweige zusammensein konnten, auseinandersetzen. Ich wollte damit etwas beitragen dazu, daß Sie die Stimmung empfinden, die der Mensch dem Karma, das heißt der Weltgerechtigkeit
gegenüber entwickeln kann, wenn er in der richtigen Weise sich einlebt in die Anthroposophie. Denn auf die Empfindungen kommt es an, die wir ins Leben hinübertragen, nicht auf das bloße Einsehen des Theoretischen. Möge es Ihnen wirklich immer mehr und mehr gelingen, dasjenige, was Ihnen die Anthroposophie gibt, nicht bloß zum Gedankeninhalt, sondern zum Seeleninhalt, oder, wie man richtig sagt, zum Herzensinhalt zu machen. Und je mehr es gelingt, daß Anthroposophie Herzensinhalt derjenigen ist, die sie verstehen wollen, desto mehr wfrd es auch gelingen, Anthroposophie immer mehr in das allgemeine Kultur- und Geistesleben einzuführen. Und das brauchen wir gar sehr, sonst wird die Menschheit mit den alten Traditionen, mit den alten Dingen nicht vorwärtskommen können. Versuchen Sie, immer mehr und mehr den Weg der Anthroposophie vom Kopf zum Herzen zu finden. In Ihren Herzen wird Anthroposophie gut geborgen sein.
DER INDIVIDUALISIERTE LOGOS UND DIE KUNST, AUS DEM WORTE DEN GEIST HERAUSZULÖSEN Stuttgart, 2. Mai 1923
Auf dem anthroposophischen Boden der Gegenwart muß es dazu kommen, wiederum die Kunst zu entwickeln, welche eine der Künste der alten Mysterien war, jener Mysterien, die auf eine ganz andere Art menschlicher Erkenntnis aufgebaut waren, als wir heute aufbauen, die aber in ihren Gebräuchen, in demjenigen, was ihrer ganzen Handlungsweise zugrunde lag, vieles hatten, was der Menschheit verlorengegangen ist, und was wieder erneuert werden muß. Diejenige Kunst, die ich gerade mit diesen Worten meine, kann man ganz im Sinne der alten Mysterien bezeichnen, indem man sagt: Es muß aus den Worten Geist geholt werden. Es war allerdings in den alten Mysterien so, daß man, wenn man «Wort», «Logos» gesagt hat, etwas viel Vollwichtigeres meinte, als man heute bei dem Worte «Wort» meint. Aber wir müssen lernen, mit den Dingen und Vorgängen der Welt wiederum tieferen und immer tieferen Sinn zu verbinden, und so auch mit dem Satze: Es muß wiederum dazu kommen, aus den Worten den Geist zu holen. Wir wollen uns das heute mit einem ganz bestimmten Beispiel einmal vor die Seele stellen.
Es ist im Grunde genommen etwas außerordentlich Abstraktes, wenn man davon spricht, der Mensch bestehe seinem Wesen nach aus dem physischen Leibe, dem Ätherleibe, dem astralischen Leibe, dem Ich und so weiter. Deshalb wurde auch bei den verschiedensten Gelegenheiten versucht zu charakterisieren, was mit diesen einzelnen Wesensgliedern des Menschen eigentlich gemeint ist. Aber man kann in solchen Charakteristiken immer weiter gehen, man wird dadurch immer geistiger. Und in dieser Art wollen wir heute einmal den menschlichen Ätherleib so ins Seelenauge fassen, daß wir dasjenige charakterisieren, was sich dem übersinnlichenSchauen über dieWesenheit dieses menschlichen Ätherleibes ergibt. Man darf nicht bei der unbestimmten Vorstellung stehenbleiben, die sich etwa daraus ergibt, daß man das Verhältnis dieses Ätherleibes zum physischen Leibe in
seiner andersartigen substantiellen Beschaffenheit charakterisiert oder dergleichen. Das alles sind Annäherungen an die Wirklichkeit, und erst wenn man diese Annäherungen an die Wirklichkeit immer weiter treibt, dann kommt man dazu, in das wahre Wesen einer solchen Sache einzudringen.
Nun wissen wir alle, daß, wenn der Mensch innerhalb seiner Erdenwirkllchkeit in den schlafenden Zustand übergeht, dann innerhalb des physischen Leibes auch der Ätherleib zurückbleibt und daß, wie wir es ja immer charakterisiert haben, herausgehen aus diesem physischen Leibe und dem Ätherleibe der astralische Leib und das Ich. Dieser astralische Leib und das Ich sind auf der gegenwärtigen Stufe ihrer kosmischen Entwickelung, ich möchte sagen, noch so lebensschwach, daß sie keine bewußten Erlebnisse zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen haben können. Welcher Art diese unbewußten Erlebnisse sind, die astralischer Leib und Ich zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen haben, davon haben wir auch annäherungsweise schon des öfteren gesprochen.
Wir wollen aber heute den Blick einmal zurückrichten auf dasjenige, was sozusagen im Bette liegen bleibt, wenn der Mensch schläft, und insbesondere auf den ätherischen Leib sehen, gewissermaßen das Wort Ätherleib so behandeln, daß wir aus ihm den Geist herausholen mit derjenigen Kunst, von der ich eben sagte, daß sie in den alten Mysterien geübt worden ist. Da handelt es sich wirklich dann darum, diesen Ätherleib einmal ins Seelenauge zu fassen, zu sagen, was da eigentlich der übersinnlichen Anschauung sich ergibt als das Wesen dieses Ätherleibes, wenn der Mensch schläft. Wir sehen mit dem Ein- schlafen den physischen Leib immer mehr und mehr zur Ruhe kommen, wir sehen, wie der Mensch während des Schlafzustandes die Möglichkeit verliert, seine Glieder zu bewegen. Wir sehen aber auch, wie er die Möglichkeit verliert, seinen Willen durch die innere leibliche Struktur so zu senden, daß seine Sinne tätig sein müßten. Das Verhältnis der Außenwelt zu den Sinnen ändert sich nicht, aber das Verhältnis der Sinne zur Außenwelt ändert sich dadurch, daß der Mensch gewissermaßen auch innerlich so ruhig wird, wie er mit Bezug auf seine Arme und Beine äußerlich ruhig wird, so daß der Wille
nicht durch die Sinnesorgane geschickt wird und die Sinnesorgane nicht der Außenwelt jene feinen Bewegungen entgegenbringen> die da sein müssen, wenn Sinneswahrnehmungen zustande kommen. Aber es ist ein vöffiger Irrtum, zu glauben, daß die Sinnesorgane selbst, oder besser gesagt der Raum, in dem die Sinnesorgane sich ausbreiten, von Untätigkeit erfüllt ist während des Schlafes. Der physische Leib bleibt ruhig seiner ganzen Ausdehnung nach, aber der ÄtherIeib des Menschen wird um so tätiger, um so innerlich beweglicher zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen. Das ist gerade das Charakteristische, daß in demselben Maße, in dem sich die Tätigkeit des physischen Leibes beim Einschlafen und nach demselben beruhigt, um so mehr eine immer regere Tätigkeit des ätherischen Leibes mit dem Schlafen beginnt. Und diese Tätigkeit und Regsamkeit des ätherischen Leibes strahlt insbesondere von den Sinnen aus. So daß man sagen kann: Richtet man den übersinnlichen Blick, das übersinnliche Anschauen auf den schlafenden Menschen, das heißt auf dasjenige vom Menschen, was in der physischen Hülle da ist, dann findet man, wie von den Orten, an denen die Sinnesorgane lokalisiert sind, nach innen eine fortwährende Tätigkeit und Regsamkeit strahlt. Und diese Tätigkeit und Regsamkeit ist das Leben des Ätherleibes oder Lebensleibes während des Schlafes.
Man sieht zum Beispiel, wie mit dem Einschlafen eine besondere Regsamkeit beginnt von dem Orte der menschlichen Augen aus. Es ist mit diesen Augen so, als ob durch die Einwirkungen des Lichtes während des Wachens das Auge sich anfüllte mit Kräften zu einer Tätigkeit, die sich erst entfaltet mit dem Einschlafen. Und diese Tätigkeit ist eben eine ätherische. In demselben Maße, in dem die Licht- und Farbenwirkungen von außen im Auge sich verfinstern, beginnen die Augen selber wie zwei phosphoreszierende Sonnen ätherisch das innere Wesen des physischen Teiles des schlafenden Menschen zu durchstrahlen. Ein phosphoreszierendes Glimmlicht durchhellt den Innenraum des Menschen. Sie brauchen sich nicht zu verwundern, daß dieses phosphoreszierende Glimnilicht, das nach dem Inneren des Menschen erstrahlt, nicht in der gewöhnlichen Art gesehen werden kann. Denn daß die Augen des andern Menschen dasjenige, was da im
Inneren während des Schlafens glimmt, nicht sehen, das ist zu begreifen, weil der Mensch durch seine ganze Organisation für das physische Auge undurchsichtig ist, zu den undurchsichtigen Körpern gehört. Dasjenige, was im Inneren vorgeht, wird mit den äußeren physischen Augen nicht gesehen. Aber im Inneren des physischen Leibes ist zunächst kein Organ, welches dieses Glimmende, Phosphoreszierende unmittelbar sehen könnte.
Damit haben wir eine der inneren Tätigkeiten und Regsamkeiten des ätherischen Leibes im Menschen während des Schlafes charakterisiert. In diese Tätigkeit strömt eine andere hinein. In der Tat, dasjenige, was ja der Mensch noch im Einschlafen verspüren kann - ein gewisses Summen und Zirpen, strömendes Rauschen seiner Innen- Organisation -, setzt sich während des SchIafzustandes in einer außerordentlich melodien- und harmonienreichen musikalischen Regsamkeit fort, die auch das ganze Innere des Menschen während des SchIafes durchsetzt. Diese musikalische Regsamkeit dauert vom Ein- schlafen bis zum Aufwachen. Und die außerhalb des physischen und Ätherleibes befindlichen Wesensglieder Ich und astralischer Leib werden stark beeindruckt von demjenigen, was sie da im Bette zurückgelassen haben als den tönenden, klingenden ätherischen Leib> der aber in seinem Tönen und Klingen zugleich leuchtet. Nur bleibt zunächst dasjenige, was da als Eindruck auf Ich und astralischen Leib ausgeübt wird, im Unbewußten.
Ebenso werden nach dem Inneren des Menschen ätherische Wärmeströmungen, und zwar von der ganzen Oberfläche der Haut, nach innen gestrahlt. Zusammen mit manch anderem, was ferner liegt dem in der äußeren Welt als Wärme, Licht und Töne Wahrgenommenen, was man daher auch schwer charakterisieren kann, ergibt das alles ein ungeheuer schönes, großartiges, gewaltiges inneres Regen und Bewegen und Fluten des ätherischen menschlichen Leibes. Das ist so, wie wenn sich aus dem Universum mit dem ätherischen Leibe des Menschen herauserhöbe, aus inneren Gründen - welche inneren Gründe aber keine andern sind als die menschliche Wesenheit selber, als ihr Dasein -, erhöbe inselartig, möchte ich sagen, aus dem allgemeinen Ätherischen des Kosmos heraus: dieses besondere Tönen
und Leuchten und Fluten in Wärmeströmungen des individuellen ätherischen Leibes des Menschen. Und dieses wärmende Fluten, dieses phosphoreszierende Leuchten, dieses musikalische Tönen, sie sind es ja auch, welche wenige Tage nach dem Tode des Menschen als ätherischer Leib sich loslösen vom astralischen Leibe und Ich und hinaus- fluten, hinausströmen in den allgemeinen Äther des Universellen, des Kosmischen.
Vielleicht haben manche von Ihnen bemerkt, wie dem Menschen, wenn er des Morgens aufwacht und abends etwa bei einem Konzerte war, das auf ihn einen lebendigen Eindruck gemacht hat, das Auf- wachen so erscheint, als ob die Seele sich herauserhöbe aus dem wiederholten Erleben der im Konzert gehörten Musik. Es ist so, als ob die Seele noch einmal während des Schlafes das ganze Konzert durchgemacht hätte. Der Vorgang ist aber komplizierter, als er dem gewöhnlichen Bewußtsein erscheint. Denn in Wahrheit erhebt sich die Seele von den Eindrücken jener Weltenmusik, die sich individualisiert im menschlichen Ätherleibe. Aber indem der Mensch wiederum zurückkehrt in seinen Ätherleib und durch die Eindrucksfähigkeit des physischen Leibes alles dasjenige, was ich Ihnen für diesen Ätherleib geschildert habe, übertönt wird> übersetzt die menschliche Seele dasjenige, was individualisierte kosmische Musik ist, in die zuletzt gehörten irdischen Töne. Die sind gewissermaßen das Kleid, das sich diese kosmische Musik im Momente des Aufwachens überzieht, weil diese kosmische Musik eine gewisse Gemeinschaft mit den flutenden Tonmassen des gehörten Konzertes hat. Weil der Mensch im gewöhnlichen Bewußtsein unfähig ist, die kosmische Musik zu vernehmen, umkleidet sich diese kosmische Musik mit dem, was ihr am meisten vergleichbar ist aus dem irdischen Leben: mit den im Konzert gehörten Tonmassen. So ist das wirkliche Erlebnis, das einer Erscheinung zugrunde liegt, die vielleicht die meisten von Ihnen einmal gehabt haben.
Sie sehen also, welch Kompliziertes eigentlich im menschlichen Ätherleib enthalten ist. Und wenn man versucht, weiter einzudringen mit den Mitteln, mit denen man in solche Welten eindringen kann, dann merkt man, daß dieses wärmende Strömen, dieses phosphores
zierende milde Leuchten, diese fluktuierende Musik die äußere Offenbarung für waltende Weltenwesen ist. Eigentlich ist alles dasjenige, was ich Ihnen beschrieben habe, wiederum das äußere Kleid, die äußere Offenbarung, der Schein von waltenden Weltenwesen. Und diese waItenden Weltenwesen enthüllen sich als diejenigen, die wir aus der anthroposophischen Literatur kennen als die Exusiai. Ich habe daher diese Exusiai auch öfter Offenbarungen genannt, weil sie ihrer inneren Wesenheit nach leben in demjenigen, was in den menschlichen Sinnesorganen während des irdischen Schlafzustandes des Menschen riach dem Inneren des Menschenwesens hin erstrahlt. In diesem Erstrahlen offenbart sich eben das Leben und Weben jener Wesenheiten der höheren Hierarchien, die wir die Exusiai nennen.
Nun kann man aber mit denselben Mitteln, mit denen man diese Offenbarungen der gerade im Schlafe in ihrer ätherischen Substanz so rege werdenden menschlichen Sinne beobachtet, weiter verfolgen, wie dieses Nach-innen-Strahlen-und-Strömen eben weiter nach innen wirkt. Geradeso wie man im tagwachen Zustande sich sagt: Du siehst irgendeinen leuchtenden Gegenstand; man verfolgt dann gewissermaßen die Linie vom Auge nach diesem leuchtenden Gegenstande hin> der leuchtende Gegenstand wird irgendwo auf der Strecke außen gefunden, die da die Sehlinie des Auges, also des Sinnesorganes bildet -,50 kann man, aber jetzt nach innen, dasjenige verfolgen, was ätherisch von den Sinnen nach innen strömt, flutet und strahlt. Man wird da nicht so lange Wege durchzumachen haben, kurze Wege, man wird sehr bald auftreffen auf ein anderes. Das phosphoreszierende Mi1dleuchten, das von den Augen ausgeht, das musikalische Wirken, das lokal ausgehend von den Gehörorganen sich darstellt, das strömende Wärmen, das von dem ganzen Umfange der Haut nach innen geht, all das geht sehr bald über in ein organisch in sich geschlossenes ätherisches System. Während man, wenn man den wachenden Mensehen beobachtet, den ätherischen Leib in Tätigkeit sieht - den ganzen physischen Leib des Menschen allerdings auch, aber in einer etwas andern Tätigkeit, als ich sie für den Schlaf beschrieben habe; man sieht dann diese Tätigkeit sich ein wenig über den physischen Leib des Menschen heraus ausdehnen -, sieht man jetzt gewissermaßen dasjenige,
was von den Sinnen und von der ganzen Haut nach innen strömt und wellt und strahlt, eine gewisse Strecke gestaltet wie eine Art schalenartige Nachbildung des Menschen, die sich nach innen erstreckt. Man sieht von den Augen nach innen phosphoreszierendes Leuchten, das dann übergeht in etwas anderes, was ich gleich beschreiben werde. Man sieht das wärmende Strömen von der Haut nach innen gehen, so eine Art Schale, die dem menschlichen physischen Organismus nachgebildet ist, die eine gewisse Dichte erreicht, dann aber übergeht in eine Art Ätherorganisation, die in ihrem substantiellen Gehalt wie durchmischt, zusammengesetzt ist aus musikalischem Wirken, phosphoreszierendem Lichte, Wärmeströmungen. Das alles und manches andere strömt durcheinander, beeinflußt sich gegenseitig, bildet eine Art Organisation, die eben die ätherische Organisation des Menschen ist. Und wenn man nun diese ätherische Organisation des Menschen ins Geistesauge faßt, wenn man beginnt, sie zu verstehen nach alledem, wie sie sich enthüllt, dann kann man sie nicht anders ansprechen als: sie besteht aus lauter Gedankenformen, aus strömenden Gedanken. Was da drinnen strömt, ist in jedem Punkte Gedanke. Würde man in irgendeinem Augenblick diese fortwährend fluktuierende innere Regsamkeit des schlafenden Ätherleibes verfolgen und in einem Augenblick dann aufzeichnen, würde man natürlich Linien oder Farbenformen hinmalen, aber wenn man die Substanz dieser Linien oder Farbenformen charakterisieren sollte, könnte man nicht anders sagen als: Das ist, wie wenn Gedanken anfangen wurden zu strömen. - Es ist dasselbe, was sonst in der Gedankentätigkeit lebt, was aber da ein Strömen, ein Wellen, ein Fluktuieren wird. Es ist die individualisierte Gedankenbildung des Kosmos. Diese individualisierte Gedankenbildung des Kosmos enthüllt sich als der individualisierte Logos. Denn eigentlich kann man gar nicht einmal sagen: Was da im Menschen drinnen strömt und webt als Gedankenbildung, als innerer Anschluß an diese nach innen strahlenden und strömenden Sinnesbewegungen, das ist bloß strömender Gedanke -, sondern das redet, redet allerdings eine stumme, aber eben eine für das Innere des Menschen wahrnehmbare Sprache, redet wirklich - wie alle Dinge durch den Logos zu uns sprechen - in einer individuellen
Gestalt, drückt aus in einem geistig wahrzunehmenden inneren Worte das Wesen des Menschen.
Wenn wir also von den Sinnen tiefer nach innen gehen, so erscheint uns gewissermaßen die nach innen gewendete menschliche Sprache. Ja, es ist durchaus so, daß man sagen kann: Ich und astralischer Leib des Menschen, die vom Einschlafen bis zum Aufwachen außerhalb des physischen und Ätherleibes sind, bleiben allerdings für das gewöhnliche Bewußtsein unbewußt, aber sie erleben deshalb doch dasjenige, was geschieht. Und wie sie die ätherische Tätigkeit der Sinne während des Schlafes erleben als nach einwärts gerichtetes Strömen und Strahlen, so erleben dieses Ich und dieser astralische Leib während des schlafenden Zustandes des Menschen den Ätherleib als individualisierten Logos, wie eine nach innenwärts gewendete Sprache. Es ist, wie wenn die Sprache, die sonst nach außen strahlt zu den Ohren unserer Mitmenschen, sich während des Schlafes ätherisch gewandelt nach innen gewendet hätte, und wie wenn wir alles dasjenige, was wir während des Tages vom Aufwachen bis zum Einschiafen gesprochen haben, noch einmal in rückwärtiger Folge - es beginnt mit dem Abend und endet mit dem Morgen - nach innen aussprechen würden. Wir reden nach innen in einer stummen Sprache wiederum alles dasjenige, was wir vom Morgen bis zum Abend ausgesprochen haben, aber so, daß wir unser ganzes Seelisches in dieser nach innenwärts gewendeten Sprache zur Offenbarung bringen. Also insofern das Wesen des Menschen in demjenigen erlebt wird, was der Mensch vom Morgen bis zum Abend spricht, wird dieses im Sprechen Erlebte vom Abend bis zum Morgen nach innen realisiert in dem tönenden, sprechenden Logos, jenem tönenden, sprechenden, individualisierten Logos, der aber zu gleicher Zeit, wie in das Ätherische zeitlich hineinschreibend, in jenem glimmenden, mild phosphoreszierenden Lichte die okkulte Schrift zum Ausdruck bringt für all das, was da innenwärts als die andere Seite des am Tage Gesprochenen während der Nacht zur Wirksamkeit kommt - überhaupt während des Schlafens: es ist ja geradeso, wenn der Mensch ein Tagesschläfchen hält, nur daß die Dinge sich dann fragmentarischer ausleben.
Und wenn man wiederum mit denselben Mitteln, mit denen sich das
innere Weben des individualisierten Logos offenbart, nun nachforscht, was da eigentlich ist, was er da zunächst in einem für das eigentliche Wesen der Welt doch äußeren Schein kundgibt, wenn man weiter prüft> was das Wesenhafte ist, dann kommt man darauf: Das ist die Summe jener Hierarchien, die wir bezeichnet haben in der anthroposophischen Literatur als die Dynamis, die über den Exusiai stehen.
Und als drittes flndet man dann, wenn man versucht, die Kunst zu entwickeln, aus den Worten die Wesenhaftigkeiten zu suchen, als drittes findet man die Wesenhaftigkeiten für das, was ich einmal beschrieben habe wie eine Art Gegenrückgrat. Vielleicht erinnern sich manche von Ihnen, wie ich vor vielen Jahren beschrieben habe den menschlichen Ätherleib. Schon in «Lucifer-Gnosis», in den Artikeln, welche das Wesen des Menschen dort wiedergeben, ist beschrieben> wie die Strömungen, die im Ätherleib im allgemeinen liegen> sich auch ergeben in ihrem Zusammenwirken in solch einem Gebilde, das nach vorne beim Menschen liegt, wie beim physischen Leibe nach rückwärts die Knochenbildungen des Rückgrates mit dem Rückenmarkskanal liegen. Wir haben im physischen Leibe dieses vertikal verlaufende Rückgrat mit dem Rückenmarkskanal, und wir haben im ätherischen Leibe ein Zusammenströmen, Zusammenstrahlen desjenigen, was ich Ihnen eben jetzt beschrieben habe in einer Art von Gegeirrückgrat, das aber, wenn man den physischen Leib ins Auge faßt, an der vorderen Seite des Menschen liegt. Und wie von dem physischen Rückgrat die Nervenstränge, aber auch zum Beispiel die Rippenknochen ausgehen, so verlaufen die erwähnten Strahlungen und Strömungen in dem ätherischen Leibe so, daß sie jetzt nicht ausgehen von diesem Gegenrückgrat, sondern in ihm gewissermaßen zusammenströmen, mit alldem, was sie haben, an der Vorderseite des menschlichen ätherischen Leibes zusammenwirken. Das gibt ein ungemein schönes, großartiges, gewaltiges ätherisches Organ, das aber insbesondere in einer glitzernden, leuchtenden, tönenden, in allerlei Wärmewirkungen sich entIadenden, aber auch innerlich sprechenden Wesenheit besteht und sich insbesondere so enthüllt während des Schlafzustandes des Menschen. Und man bekommt, wenn man genauer zusieht, durchaus eine Anschauung davon, wie dann dieses
Organ dasjenige durchsetzt, was ich einmal, weil solche Dinge mit vöffiger anschaulicher Bildhaftigkeit beschrieben werden müssen, als die einzelnen Lotusblumen charakterisiert habe. So daß Sie erkennen können, wie durch dieses Organ, das aus dem Ätherleibe zusammenströmend sich selber erwirkt und dann mit den Strömungen des astralischen Leibes die Lotusblumen formt, wie durch dieses Organ der Mensch eben weiter seinen Anschluß findet an die äußerliche astralische, kosmische Welt.
Und wieder ist das eine Art von Offenbarung. Doch wieder ist das etwas, was man ansprechen kann als einen äußeren Schein, für den man die innere Wesenheit suchen muß. Und sucht man diese innere Wesenheit, so findet man sie in der Hierarchie, die ich in der anthroposophischen Literatur genannt habe die Kyriotetes. Jetzt erst haben Sie aus dem Worte Ätherleib herausgeholt dasjenige, was wesenhafter Ätherleib des Menschen eigentlich ist. Er ist ein Zusammenwirken, Zusammenfluten, Zusammenweben der Exusiai, Dynamis, Kyriotetes, die ihre strömende, flutende, tönende, sprechende Wirksamkeit individualisieren und den menschlichen Ätherleib bilden.
Aber indem wir dasjenige anschauen, was da individualisierend Kyriotetes, Dynamis, Exusiai so bilden, daß es, hineinleuchtend in seiner Individualisierung in den menschlichen physischen Leib, hineinwärmend, hineintönend, hineinsprechend den menschlichen Ätherleib bildet, dann sind wir auch schon beim astralischen Leib des Menschen angelangt. Denn in diesem Sich-regend-Betätigen, in diesem individualisierenden, aus dem Kosmos strömenden, aber im Menschen sich individualisierenden Betätigen der zweiten Hierarchie ist dasjenige enthalten, was menschlicher astralischer Leib ist. Im Ätherleibe zeigt sich diese Tätigkeit, im astralischen Leibe ist sie.
Und nun bedenken Sie diese ganze Tätigkeit, in die da der Mensch während des Schlafes verwoben ist. In diese Tätigkeit der zweiten Hierarchie ist er ja während des Schlafes unbewußt verwoben, diese ganze Tätigkeit braucht der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes hindurchgeschritten ist. Denn in dieser Tätigkeit muß er weiterhin leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, wenn er den Ätherleib als solchen abgestreift hat, wenn hingeflutet ist nach einigen
Tagen das Tönen, dieses musikalischeWirken, dieses mild phosphoreszierende Leuchten, dieses wärmende Strömen. Wenn das einige Tage nach dem Tode ausgeflossen ist in den universellen Kosmos, wenn man das Leuchten immer weiter sich ausbreitend, aber auch immer schwächer und schwächer werdend bemerkt hat, wenn man die Musik immer stiller und stiller werdend bemerkt hat - ich müßte eigentlich anders sprechen: wenn man von diesen Regionen spricht, ist es natürlich, ein Ding durch seinen polarischen Gegensatz auszudrücken; besser wäre es, denn das entspricht mehr dem, was der Tote wahrnimmt, wenn ich sagen würde: Dasjenige, was zuerst wie ein stummes Tönen ist, das aber für den inneren Menschen wahrnehmbar ist, das wird immer lauter und lauter, indem es sich verbreitet, und es ist dann so, wie wenn man - gerade durch das Lauterwerden, das man nun als geistig-seelisches, aber für die Erde abgestorbenes Wesen nicht mehr vernehmen kann, weil man die physischen Ohren nicht hat, es müßten eben physische Ohren da sein - das immer Lauterwerden eben vernimmt wie ein Verglimmen der inneren ätherischen Musik.
Ähnlich ist es mit dem andern, das der Mensch da unmittelbar nach dem Tode in den e,rsten Tagen durchlebt. Da aber fühlt er sich in seinem astralischen Leibe. Aber das ist ja wieder nur die Außenseite, von der man spricht, ein Wort: Der Mensch befindet sich in der Seelenwelt, wie ich es in der «Theosophie» beschrieben habe. Aber das, was ich dort beschrieben habe, was zunächst denEindruckwiedergibt für das dem Menschen zugängliche nächste Seelenorgan, das enthüllt sich ja für die im Kosmischen zu entwickelnde universelle, kosmische Intelligenz als eine in sich sich verschlingende, in sich sich verwebende Tätigkeit der Wesenheiten der zweiten Hierarchie.
Und nun bemerken Sie, wie dieses Sein in der Tätigkeit dieser Wesenheiten der zweiten Hierarchie nach dem Tode zunächst eigentlich ist. Man hat gelebt auf Erden zwischen der Geburt und dem Tode, man hat abgewechselt zwischen dem Wachen und dem Schlafen. Während des Wachens war man mit dieser ganzen Tätigkeit, in der die menschliche Seele lebt, verwoben in Exusiai, Dynamis, Kyriotetes. Man war mit alldem immer genötigt, in die Formen des physischen Leibes unterzutauchen. Während des Schlafes lebte man mit dem
Ätherleibe> der aber auch diese ganze Tätigkeit hinindividualisiert auf die Formen des menschlichen physischen Leibes. Da nahm aber diese Tätigkeit, in die man verwoben war, für diese zweite Hierarchie auch all das an, was der Mensch moralisch war: inwiefern er gut und böse war, inwiefern er dem Irrtum oder der Wahrheit hingegeben war. Die den Wesenheiten der zweiten Hierarchie angemessenen Tätigkeiten individualisieren sich nach dem hin, was da der Mensch ist als guter oder böser Erdenmensch, als in Wahrheit oder in Irrtum lebender Erdenmensch. Und man muß sich erst richten nach dem, was nun die Wesen dieser zweiten Hierarchie aus ihrem Sein heraus für eine Tätigkeit ausüben wollen für das Wesen des Menschen.
Man muß gewissermaßen, wenn ich mich grob ausdrücken will, das Folgende berücksichtigen. Nehmen Sie an, man ist verknüpft mit irgendeinem Wesen aus der Hierarchie der Dynamis. Dadurch daß man das ist, entwickelt man ja dann, indem noch ein Erzengelwesen diese Tätigkeit vermittelt, die Fähigkeit des Sprechens im menschlichen Organismus. Aber indem man diese Fähigkeit entwickelt, werden gewissermaßen die Tätigkeiten der Dynamis verrenkt und auch ins Kleinliche verzerrt. Und wenn der Mensch seine Worte dazu verwendet, Böses, Haßerfülltes zu sagen, dann werden sie stark verrenkt, diese Tätigkeiten der zweiten höheren Hierarchie. Und das alles muß wieder eingerichtet werden. Das alles muß so werden, daß der Mensch nicht in den Formen weiterlebt, die er all dem, was ich da geschildert habe, gegeben hat durch seine moralische Wesenheit oder auch seine unmoralische Wesenheit, sondern daß er das alles abstreift und daß er sich hineinfindet in die Betätigung und Regsamkeit, welche die der Wesen der zweiten Hierarchie ist. Dieses Abstreifen der Verrenkungen, der Verkleiniichungen, dieses Abstreifen der ins Gegenteil gehenden Verkehrungen der Regsamkeiten der zweiten Hierarchie, das wird bewirkt durch alles dasjenige, was ich als den Durchgang des Menschen durch die Seelenwelt beschrieben habe. Und dann ist der Mensch aufgestiegen zu dem, was ich in der «Theosophie» beschrieben habe als das Geisterland, wenn der Mensch folgen kann mit seinem eigenen Ich-Dasein, mit seinem geistig-seelischen innersten Dasein den Tätigkeiten, die entsprechen dem Wesen der Dynamis und Kyriotetes.
Da haben Sie - mit der Kunst, aus Worten das Wesenhafte hervorzusuchen - noch einmal geschildert, charakterisiert das Wesen des Menschen. So nähert man sich immer mehr und mehr einer An- schauung des Wesens des Menschen. Man muß, geradeso als wenn man die Verteilung der Figuren eines Raffaelschen Madonnenbildes, der Sixtina zumBeispiel, zuerst mit ein paar charakteristischen Strichen auf die Tafel bloß hinzeichnen wurde, so mit den Worten physischer Leib, Ätherleib, astralischer Leib, Ich hinzeichnen dasjenige, was in Wirklichkeit aber voll erfüllte innerliche Regsamkeit und Tätigkeit ist, innerhalb welcher Regsamkeit und Tätigkeit sich eben die Wesenheiten des Kosmos, des physischen, seelischen und geistigen Kosmos offenbaren. Zuletzt kommt man immer auf Wesenhaftes. Wenn man irgend etwas so schildert, als ob es ein räumlich sich unbestimmt Ausbreitendes wäre, als ob es ein in der Zeit Schwimmendes wäre, wenn man so etwas schildert, was man dann nennt physische Welt, ätherische Welt, so schildert man eigentlich immer die Offenbarung. Man schildert eigentlich so, wie man, wenn irgendwo in der Ferne ein Mückenschwarm ist, nicht die einzelnen Mücken unterscheidet, sondern nur einen grauen Fleck in der Luft sieht: man malt dann einen grauen Fleck, weil man auch nur einen solchen sieht. So ist ein solcher grauer Fleck in der eigentlichen Welt das, was man zuerst nennt Ätherleib, astralischer Leib. Sind solche grauen Flecke in der physischen Luft und schaut man dann näher hin, geht man näher heran, so entdeckt man die einzelnen wesenhaften Mücken. Schaut man näher zu bei diesen geistigen grauen Flecken, Ätherleib> astralischer Leib, dann entdeckt man immer Wesenheiten.
Wesenheiten, das ist dasjenige, wozu man zuletzt bei aller Welterklärung kommen muß. Denn Wesenheiten sind einzig und allein das Reale. Es entsteht irgend etwas nur durch das Zusammenwirken von Wesenheiten, wodurch dann dem undeutlichen Gesichte sich eben dasjenige ergibt, was nicht wirklich ist. Wie da in der grauen Wolke, die ja nicht wirklich ist, die Mücken wirklich die einzelnen Wesenheiten sind, so sind überall in der Welt die einzelnen Wesenheiten das Wirksame, und das andere ist nur ein Schein, der aus dem Zusammensein der Wesenheiten entsteht. Auch die physische Materie ist ein
solcher Schein. In Wahrheit liegt allem Wesenhaftes zugrunde. Das muß der Mensch wiederum einsehen, damit er nicht von dem spricht, was gar nicht da ist, von Materie, oder auch, was nicht besser i&t, vom Geist im allgemeinen, sondern damit er sprechen lernt von Wesenheiten, von individuellen Wesenheiten des Weltenalls.
Man hat einstmals in den alten Mysterien verstanden, von Wesenheiten des Weltenalls zu sprechen. Und man hat schon einmal gewußt, daß Materie sowohl wie dasjenige, was man im gewöhnlichen Bewußtsein als Geist bezeichnet, was aber nur ein graues Geistiges ist, das in allen Dingen pantheistisch darin sein soll, dies nicht etwas ist, womit man Realitäten bezeichnet, sondern daß man, wenn man Realitäten haben will, die einzelnen wesenhaften Dinge haben muß. Nur ist das Bewußtsein von diesen Wesenheiten allmählich verlorengegangen; verlorengegangen in dem Maße, als sich im Menschen selber dieses Wesenhafte immer mehr und mehr herausgebildet hat. Es ist durchaus so, daß in der neueren Zeit, beginnend mit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts - ich habe diesen Zeitpunkt oft erwähnt - der Mensch immer intellektueller wird. Dasjenige, was er von sich weiß, wird immer abstrakter. Aber hinter diesem abstrakteren Leben steckt eine immer mehr in sich lebende Wesenhaftigkeit, die in sich immer voller wird an innerer Geistigkeit. Und der Mensch hat das traumhafte Bewußtsein verloren, das er einmal hatte von den Wesenhaftigkeiten im Kosmos, gerade indem er immer mehr und mehr eine sich erfassende Wesenhaftigkeit wurde. Er muß wiederum die Anschauung gewinnen, daß nur da Realitäten sind, wo individuelle Wesenheiten aufgezeigt werden können im Kosmos. Das war der notwendige Gang der Menschheitsentwickelung, daß man in alten Zeiten überall Wesenhaftes gesehen hat, aber das war eben ein Traumbewußtsein. Dann ist die Zeit gekommen, wo man gewissermaßen die Sache so empfunden hat, als ob all dieses Wesenhafte, all das, was im Kosmos lebt als das Wesenhafte, Kyriotetes, Dynamis, Exusiai, Archai, Archangeloi, Angeloi, Menschen-Iche, tierische Gruppenseelen, pflanzliche kosmische Seelen und so weiter, die Realitäten sind. Nicht einmal die Tiere, wie sie auf der Erde leben, sind Realitäten, sie sind auch nur Schein; die Realitäten sind die Gruppenseelen. Die ganze PflanzenweIt
der Erde ist keine Realität, sondern die Erdenseele ist die Realität. Pflanzen sind ja nur wie die Haare auf dem Erdenorganismus, gleich den Haaren auf unserem eigenen Organismus. Aber indem man einmal gewußt hat, alle diese Wesenheiten, die ich eben genannt habe, sind - sich hinstrahlend, offenbarend, sich aussprechend - im Weltenall vorhanden, wußte man: Das Sich-Aussprechen kommt aus ihrer Wesenheit. Jenes allgemeine Erklingen, das aus dem Zusammenfluß dessen entsteht, wenn sich die einzelnen Wesenheiten aussprechen, das ist der Logos. Aber der Logos, er ist auch zunächst nur ein Schein gewesen. Nur dadurch, daß ihn der Christus zusammengefaßt hat, diesen Schein gewissermaßen in seiner eigenen Wesenheit verdichtet hat, ist durch das Mysterium von Golgatha der Scheinlogos als wirklicher Logos auf der Erde geboren worden.
So muß man diesen Zusammenhang durchschauen. Man kann dann die einzelnen Wesenheiten geistig beschreiben, wie sie mild phosphoreszierend leuchten und tönen, wie sie Wärmeströmungen verbreiten, wie sie sich aussprechen. Das ergibt für jedes einzelne Wesen eine volle geistige Gestaltung. Und diese vollen geistigen Gestaltungen sind das einzig Wirkliche im Weltenall. Viel hat man im alten traumhaften Bewußtsein von diesen einzigen Wirklichkeiten im Weltenall gewußt. Aber, ich möchte sagen, es schrumpfte immer mehr und mehr dieses Wissen zusammen. Man wußte einmal: So strahlt eine gewisse Wesenheit Form, die man zu den Kyriotetes zählt, so strahlen menschliche Iche, so strahlen Angeloi und so weiter. Aber man konnte immer weniger und weniger schauen von den Realitäten, das alles schrumpfte immer mehr wie in einem Punkte zusammen. Man wußte ursprünglich ganz gut, wie sich die Offenbarungen der Exusiai zum Beispiel von den Offenbarungen der Menschen-Iche unterschieden, wiederum die Offenbarungen der Menschen-Iche von den Offenbarungen der tierischen Gruppenseelen oder der pflanzlichen Erdenseele. Man wußte die Unterschiede, allmählich aber breitete sich Unbewußtheit über diese Unterschiede aus. Und es gab eine Zeit, in der nur mehr das Bewußtsein vorhanden war: Ja, es gibt solche Realitäten, alles andere ist nicht real. Raum ist nicht real, Zeit ist nicht real, Materie ist nicht real, auch die allgemeine Geistigkeit ist nicht real,
sondern Weltenindividualitäten sind real. Aber man konnte sie nicht mehr voneinander unterscheiden. Da bezeichnete man sie mit einem gleichförmigen Worte, mit dem gleichförmigen Worte Monade. So war es bei Leibrnöz` bei Giordano Bruno. Sie sprachen von Monaden. Diese Monaden waren, bis ins Winzige zusammengeschrumpft, jene Realitäten, von denen ich eben sprach. Und man unterschied die eine Monade von der andern höchstens noch in dem Attribut, das man hinzufügte zu dem Worte Monas: die Monade der Exusiai, die Monade der Menschen, die Monade der Tiere und so weiter.
Und endlich haben die Menschen auch die Möglichkeit verloren, von den Monaden zu sprechen, denen zunächst der große deutsche Denker eine vorstellende Kraft zugeschrieben hatte, weil er eine Ahnung hatte davon, daß eben Geistiges lebt in dem, was zur Monade zusammengeschrumpft war. Wir müssen uns nicht nur erinnern, daß die Monade ein Lebendiges ist. Soll die Menschheitszivilisation nicht verfallen, sondern sich immer weiter entwickeln, müssen wir uns nicht nur an die Monade erinnern, wir müssen wiederum verstehen, und zwar jetzt mit einem erhöhten, klaren Bewußtsein, wie alle wirklichen Realitäten geistig-seelische, lebendige Wesenhaftigkeiten sind. Da aber muß das, was zuerst wie mit ein paar Linien hingezeichnet wird - physischer Leib, Ätherleib, astralischer Leib -, in der Weise belebt werden, wie wir das heute getan haben.
Und man gelangt dazu, gewissermaßen das menschliche Geistig- Seelische verwoben zu sehen in die Wesenhaftigkeiten der zweiten Hierarchie. Aber indem man dann verfolgt, wie der Mensch von Erdenieben zu Erdenleben geht, wie eine ausgleichende kosmische Gerechtigkeit, ein Karma wirkt von Erdenieben zu Erdenleben, wie das zu gleicher Zeit entspricht einer gewissen Wirksamkeit im Kosmos, gelangt man dazu, auch hier wiederum nicht bei der Abstraktion Karma, bei der Abstraktion Weltengerechtigkeit stehenzubleiben oder gar bei der Abstraktion moralische Weltenordnung, sondern man gelangt da auch zu Realitäten. Wie man, wenn man beim ätherischen Leibe zu beschreiben beginnt, hinauf kommt bis zur zweiten Hierarchie, damit aber zugleich den astralischen Leib des Menschen beschrieben hat, so kann man beim astralischen Leibe beginnen, kann
im astralischen Leibe Denken, Fühlen, Wollen, die da verglimmen mit dem Einschlafen, die mit dem astralischen Leibe hinausgehen, gewissermaßen auffangen. Fängt man da an, sucht man dafür die Realitäten, dann findet man: In unserem menschlichen Denken lebt eigentlich die Tätigkeit der Angeloi, in unserer menschlichen Sprache, die aus dem Gefühl entspringt, lebt, nächtlich schlafend für den Menschen, die Tätigkeit der Archangeloi, und in dem, was durch die menschlichen Bewegungen der Gliedmaßen, durch das Willensdurchsetzte im wachen Leben zur Offenbarung kommt, was ja auch im astralischen Leibe vor sich geht, lebt nächtlich, wenn der astralische Leib draußen ist, die Welt der Archai. Aber das, was da draußen lebt, diese übersinnlichen Tätigkeiten von Archal, Archangeloi, Angeloi, die dann sich spiegeln beim wachenden Menschen im Wollen, Fühlen, Denken, die müssen zusammengestimmt werden mit Ätherleib und physischem Leib. Der physische Leib muß nun auch so gestaltet werden, daß er zum Denkorgan, zum Sprachorgan oder zum BewegungsOrganismus werden kann. Da sieht man, wie wieder die Tätigkeit der Kyriotetes, Dynamis, Exusiai in noch höhere Tätigkeit übergeht: in die Tätigkeit der Throne, welche die menschliche Willensbetätigung in Einklang bringen mit der Organisation des physischen Menschen, des Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen. Wir kommen dann zur Hierarchie der Cherubim, welche in Einklang bringen die menschliche Sprachfähigkeit mit der Organisation desjenigen, was der Sprache physisch zugrunde liegen kann. Im Sprach- und Gesangsorganismus, überhaupt in alledem, was Organismus ist für Sprache oder Sprach- ähnliches im Menschen, da bringen das menschliche Gefühlsleben mit der Sprachorganisation in Einklang die Cherubim. Alles dasjenige, was nun Denkfähigkeit ist, das muß auch sein physisches Organ haben im Nerven-Sinnesmenschen: das Denken bringen in Einklang mit dem Nerven-Sinnesmenschen die Seraphim. Das Sprechen und alles, was mit dem Sprechen zusammenhängt, das wird mit Denken und Fühlen in Einklang gebracht von den Cherubim.
So sehen wir, wenn wir den dreigliedrigen Menschen haben, in der Nerven~Sinnesorganisation, in der Grundlage für das Denken die schaffenden Seraphim; in all dem, was der rhythmische Mensch ist,
was als physischer Organismus in Einklang gebracht werden muß mit der Sprachfähigkeit, in all dem sehen wir die schaffenden Cherubim. In all dem, was in der Bewegung der menschlichen Glieder, in allen Willensbetätigungen zum Ausdruck kommt, dafür muß die innere Organisation des Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen da sein; dieKonkordanz wird bewirkt von den Thronen. Wir sehen auch daraus, was physische Menschengestalt ist, wie sie in Schein sich auflöst. Die Realitäten stehen dahinter: die Seraphim, Cherubim, Throne. In die Tätigkeit der Seraphim, Cherubim, Throne sehen wir immer, wenn das menschliche Ich verwoben ist mit seiner Innentätigkeit, wenn der Mensch sich wachend bewegt, wachend spricht, wachend fühlt, wachend denkt.
Auf diese Weise können wir wiederum erneuerte Mysterienweisheit für den Menschen finden, jene Mysterienweisheit, die sozusagen wie- der die Kunst handhabt, aus dem Worte den Geist herauszulösen, aus demjenigen, was zuerst nur mit Strichen skizziert werden kann als physischer Mensch, ätherischer Mensch, astralischer Mensch und Ich, Wesenhaftes zu finden. Wesenhaftes besteht immer in individuellen Geistwesenheiten, die erlebend in sich tragen das Seelische, die schaffen das sich Offenbarende, das Physische. Realitäten sind eigentUch nur seiende Geistindividualitäten. Daß sie sich äußern als Seelisches, das ist> weil sie sich innerlich und gegenseitig sich anregend erleben. Daß es eine physische Welt gibt, das ist, weil diese Geistindividualitäten, die zu den Monaden verabstrahiert worden und dann ganz aus dem Gesichtskreise der Menschen verschwunden sind, je nach ihren verschiedenen Daseinsstufen sich schaffend offenbaren. Hier können wir zurückgehen von der geschaffenen Welt, die eigentlich nichts anderes ist als das äußere Scheinen schaffender Wesenheiten, zu der sich erlebenden Welt, zur seelischen Welt, die aber die sich erlebende Welt geistiger Individualitäten ist. Dann kommen wir, wenn wir selbst zur wahren Wirklichkeit zurückgehen, zu den Geistindividualitäten selber, deren Ausdruck und Leben die Welt ist. Indem der Mensch auf der Erde steht, lebt er immer in den Offenbarungen der geistigen Individualitäten. Zwischen dem Tode und einer neuen Geburt muß er ansichtig werden und voll durchgehen durch die eigene Gestalt der
Geistindividualitäten. Und er muß sich zu seiner Vollkommenheit in seiner Gesamtentwickelung dadurch hindurchringen, daß er aus dem Ansichtigsein der Gestalt der Geistrealitäten übergeht in die Erdengestaltung, in der er nicht ansichtig ist der Geistindividualitäten, in der sich die Geistindividualitäten gewissermaßen nur von außen in ihrer Umkleidung zeigen.
Aber der Mensch muß, wenn das Erdenleben nicht in die völlige Verkommenheit verfallen soll, wiederum lernen, aus der äußeren Umkleidung die innere Geistindividualität der höheren Welt zu er- schauen, zu erkennen, zu verstehen. Dann wird der Mensch sehen, wie sein ganzes Leben besteht aus einem Ringen innerhalb der Umkleidungen des Göttlichen und einem Leben innerhalb des Wesens des Göttlichen. Aber er kann nur erlangen ein richtiges Darinnenstehen im Wesen des Göttlichen, wenn er sein eigenes Wesen immer mehr und mehr ausbildet im Ansichtigwerden auch der äußeren Umkleidung. Lernen muß er aber auch, durch die Umkleidung hindurchzudringen zu den Wesen. Nicht stehenbleiben darf er bei der äußeren Schilderung, sondern vordringen muß er zum inneren Leben.
Wenn solches von einer größeren Anzahl von Menschen einmal angestrebt werden wird, dann wird die Morgenröte da sein für eine künftige Erdenentwickelung, auch zur Neugestaltung des Erdendaseins, zu Jupiter-, Venus-, Vulkangestaltung. Die Anthroposophische GeseUschaft muß Menschen vereinigen, die sich heute als den Kern von dem fühlen, was immer weitere und weitere Kreise ziehen muß in der Zivilisation der Menschheit, damit die Fortschrittsentwickelung der Menschheit wirklich geschehen könne und das Erdenleben nicht verfalle.
UNSER GEDANKEN LEBEN IN SCHLAFEN UND WACHEN UND IM NACHTODLICHEN DASEIN Stuttgart, 21. Juli 1923
Wenn wir den Menschen so betrachten, wie er im irdischen Dasein steht, dann muß uns ohne Zweifel als das Bedeutendste in seinen Lebensäußerungen erscheinen die Denk- oder Vorstellungsfähigkeit, die Fähigkeit, sich über die Welt, über das eigene Handeln und so weiter Gedanken zu machen. Wir täuschen uns, wenn wir uns über den irdischen Lebensverlauf ein anderes Urteil bilden. Gewiß, manches bringt uns nahe, zu sagen, das Wertvollste könne für den Menschen nicht in den Gedanken liegen. Der Mensch empfindet zum Beispiel gewissermaßen unter der Schwelle der Gedanken seine Gefühls-, seine Gemütsäußerungen, und was der Mensch über seine eigenen Aufgaben, über sein Verhalten zu seinen Mitmenschen, ja auch über die Welt fühlen könne, das sei wertvoller als sein Denken. Und gar erst, wenn wir auf das moralische Dasein schauen und aufmerksam werden auf die Stimme des Gewissens, dann werden wir uns sagen: Diese Stimme des Gewissens spricht aus tiefen Untergründen der Seele heraus, die von dem bloßen Denken nicht erreicht werden. - Insbesondere werden wir veranlaßt, eine solche Aussage zu machen, wenn wir darauf hinweisen wollen, daß der Mensch auch durch die hÖchste Entwickelung seines Gedankenlebens, wie er sie durch Schulung erreichen kann im gewöhnlichen irdischen Leben, nicht in moralischer Beziehung das erreichen kann, was ein lauteres, ja man möchte oftmals sagen, ein in Einfalt wirkendes Gewissen impulsiert. Aber dennoch, wir täuschen uns, wenn wir sagen, daß Gedanken deshalb, weil alle diese Dinge richtig sind - und sie sind richtig -, nicht das Wesentliche des irdischen Menschenlebens seien. Denn gewiß, aus unsäglich tieferen Untergründen heraus als die Gedanken tönt die Stimme des Gewissens, tönen die Gefühle des Mitleids und so weiter. Aber fiir den Menschen bekoinmen diese aus den Untergründen seiner Seele heraustönenden und herauslebenden Impulse erst dann das rechte Licht, erst dann dasjenige, was sie eigentlich in das Menschliche
heraufhebt, wenn sie von Gedanken durchsetzt werden. Auch die Stimme des Gewissens bekommt ihren Wert dadurch, daß sie aus den Untergründen der Seele heraufwirkt, sich aber dann in der Gedankenwelt auslebt und der Mensch in Gedanken kleiden kann, was ihm die Stimme des Gewissens sagt. Ohne das Gedankenleben zu überschätzen, müssen wir uns, wenn wir uns einem illusionsfreien menschlichen Bewußtsein hingeben wollen, doch sagen, dieses Gedankenleben mache den Menschen erst zum Menschen. Und in einer gewissen Beziehung hat der deutsche Philosoph Hegel schon recht, wenn er sagt: Es ist das Denken, das den Menschen vom Tiere unterscheidet.
Aber wenn wir nun hinblicken auf den ganzen Umfang derjenigen Gedanken, die uns in unserem ganzen irdischen Leben vom Auf- wachen bis zum Einschlafen erfüllen und wir in dieser Betrachtung, in diesem Hinschauen ehrlich sind, dann werden wir uns sagen: Der größte Teil unserer Gedanken in unserem Erdenleben ist in irgendeiner Weise von außen, von den Sinneseindrücken, von den Erlebnissen, die mit den materiellen Vorgängen des Erdendaseins zusammeiihängen, abhängig. Und unsere Gedanken verlaufen in innigem Zusammenhang mit dem Erdenleben, so daß wir gerade das Wertvollste im Menschenleben während unseres Daseins zwischen der Geburt und dem Tode mit dem Erdenleben verbinden. Wenn wir aber das vollständige MenscheiiIeben auf Erden anschauen, wie wir es von gewissen Gesichtspunkten gerade in den letzten Vorträgen getan haben, die ich hier halten durfte, dann muß uns auffallen, daß niindestens ein Drittel unseres Erdendaseins gedankenlos verläuft. Wenn wir mit den gewöhnlichen Hilfsmitteln unseres irdischen Bewußtseins zurückblicken auf unser Erdenleben, dann gliedern wir ja eigentlich immer nur die Tageserlebnisse an die Tageserlebnisse, wir lassen die Schlafeserlebnisse, welche im Unbewußten liegenbleiben, selbstverständlich aus. Aber damit lassen wir bei einer gewöhnlichen Rückschau auf unser Erdenleben zum mindesten ein Drittel unseres Erdeiilebens aus unserer Betrachtung weg. Das ist selbstverständlich, weil dieses Drittel, das verschlafene Drittel dieses Erdenlebens, im Unbewußten liegenbleibt.
Aber Sie wissen aus früheren Vorträgen, die ich hier gehalten habe, daß diese Tätigkeit, die wir im unbewußten Schlafen zubringen, nicht ohne Erlebnisse ist. Das Ich und der astralische Mensch machen zwischen dem Einschlafen und Aufwachen ihre Erlebnisse durch, die nur nicht ins Bewußtsein hereinleuchten. Und wenn man näher zu- sieht, dann findet man, daß jene unbewußten Kräfte, die zwischen dem Einschlafen und Aufwachen wirken, auch im Wachzustande weiterleben. Sie leben auch da, man möchte sagen, ein Schlafleben weiter fort. Sie wirken in unsere gesamte Willenstätigkeit, die wir nicht klarer vor dem gewöhnlichen Bewußtsein haben als die Schlafzustände. Sie wirken in einem großen Teil unseres Gefühislebens weiter, das eine Art Traumesdasein bildet. Gerade wenn wir auf dasjenige, was aus unserem tiefsten Wesen, aus dem Grundwesen herauskommt, hinschauen, so müssen wir auch während des wachen Tageslebens auf etwas Unbewußtes schauen. Und man kommt dann durch geisteswissenschaftliche Betrachtung darauf, daß dasjenige, was im Menschen das Wirksame ist zwischen dem Einschlafen und Auf- wachen, weiter fortwirkt im Wachen, fortwirkt als Ich und astralischer Mensch, daß diese aber nicht in die Sphäre des gewöhnlichen Bewußtseins eintreten, sondern nur in ihren Wirkungen, in den Willenswirkungen, in den Gemütswirkungen auftreten. Dadurch bekommt dasjenige, was eigentlich im vollen wachen Bewußtsein vorliegt, das Gedankenleben, noch ein besonderes Gesicht. Und gerade dieses besondere Gesicht wird uns begreiflich, wenn wir jenes Dasein ins Auge fassen, welches der Mensch nicht auf der Erde zubringt, welches er zubringt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.
Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht, dann macht er Zustände durch, die ich Ihnen oft beschrieben habe, die auch in unserer Uteratur verzeichnet sind, und die Sie ja, von gewissen Seiten her wenigstens, kennen. Wenn man genau und exakt untersucht, an welchen einzelnen Gliedern der menschlichen Wesenheit unser Den- ken, unser Vorstellen eigentlich haftet, dann kommen wir darauf, daß wir zum irdischen Gedankenbilden den physischen Leib brauchen. Der physische Leib ist wirklich dasjenige, was in Tätigkeit gesetzt werden muß, wenn der Mensch als Erdenmensch Gedanken hat. Ferner
muß zu diesem Ziele, zum Gedankenhaben, in Tätigkeit gesetzt werden der ätherische Leib. Das sind aber gerade diejenigen zwei Glieder der Menschennatur, die zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen eben auch bewußtlos, wie man den Eindruck hat, im Bette liegen bleiben. Allein, kommt man zu einer gewissen Entwickelung des Bewußtseins, zu einer gewissen Schulung unserer Seele, die einem dann die Möglichkeit gibt, auch die physischen Dinge vom geistigen Gesichtspunkt aus zu sehen> dann kommt man darauf, daß der Mensch die ganze Zeit über denkt, in der er schläft. Der Mensch denkt während seines Erdenlebens niemals nicht, wenn wir den ganzen Menschen betrachten.
Wenn wir nänilich des Morgens aufwachend zurückkehren in unseren physischen und Ätherleib, so wird das gewöhnliche Bewußtsein sehr rasch hineingedrängt in diesen physischen und Ätherleib, und es wird dieses gewöhnliche Bewußtsein nur gewahr, daß dann die äußeren Dinge Eindrücke zu machen beginnen, daß wir dann Sinneswahrnehmungen haben, die wir gedanklich verarbeiten, von den äußeren gegenwärtigen Gegenständen Sinneswahrnehmungen haben. Wenn der Mensch aber dazu gelangt, viel bewußter in seinen physischen und Ätherleib unterzutauchen, dann trifft er beim Aufwachen auf das Denken, das fortwährend zwischen dem Einschlafen und Aufwachen stattgefunden hat in ihm. Er war nur nicht dabei mit seinem Ich und astra1ischen Leib. Er denkt, das heißt, der physische Leib und der Ätherleib sind in einer fortwährenden Gedankentätigkeit zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen, nur ist der Mensch mit seinem Ich und astralischen Leib außer dieser Gedankentätigkeit, er macht sie nicht mit und glaubt, sie sei nicht vorhanden. Er befindet sich da in einer großen Selbsttäuschung über sich. Und da man dasjenige, was im normalen Leben schön harmonisch eingegliedert ist in die gesamte Natur des Menschen, überhaupt in die gesamte Natur der Wesen, besonders gut dann erkennen kann, wenn es herausgerissen aus der Harmonie, abnorm auftritt> so kann der Mensch auch schon aus äußeren Erfahrungen, wenn sich diese im Zusammenhang der Welt ergeben, darauf kommen, daß er nicht nur zwischen dem Einschlafen und Aufwachen denkt, sondern daß er sogar gescheiter denkt zwischen
dem Einschlafen und Aufwachen, wenn er nicht dabei ist, als wenn er dabei ist. Wir kommen nämlich zu dem, ich möchte sagen, deprimierenden Selbstgeständnis, wenn wir die ganze Sachlage überschauen, daß unser Ätherleib schlechter denkt, wenn wir, dem Ich und dem astralischen Leib nach, mit dem normalen Bewußtsein darinnenstecken, als wenn wir nicht darinnenstecken. Wir verderben die in unserem Ätherleibe ablaufenden Gedanken dadurch, daß wir mit unserem gewÖhnlichen Bewußtsein darinnenstecken.
Daher sind durchaus von dem, der in diese Dinge Einsicht hat, Erzählungen zu bestätigen, wie etwa die folgende: Da waren einmal zwei Universitätsstudenten. Der eine war Philologe und verstand nichts vom Rechnen - ich muß das hinzusetzen -, verstand gar nichts vom Rechnen. Der andere war Mathematikstudent. Nun, man hat ja so die Erfahrung, daß, wenn es zu gewissen Partien des Mathematikstudiums kommt, man schon ein wenig über den Problemen schwitzen muß. Bei der Philologie geht es meistens leichter. Und so war es denn bei diesen zwei Studenten, die, wie das bei Studenten schon vorkommt, das Zimmer teilten, auch zusammen schliefen, so, daß, als sie eines Abends mit ihren Vorbereitungen zum Examen zu Ende waren, der Philologiestudent sehr selbstzufrieden war, der Mathematikstudent hingegen gar nicht, weil er ein Problem, das er für eine schriftliche Aufgabe hätte lösen sollen, nicht lösen konnte. Er legte sich höchst unbefriedigt zu Bett, und es stellte sich die merkwürdige Tatsache heraus: Zu einer bestimmten Stunde wird der Philologiestudent aufgeweckt, er sieht, wie der Mathematikstudent aufsteht, zum Schreibtisch hingeht und weiterbrütet, auch schreibt, längere Zeit schreibt, und dann sich wieder ins Bett legt und schläft. Am nächsten Tage, als beide aufstanden, sagte der Mathematikstudent: Wir haben doch gestern gar nicht gekneipt, ich habe heute einen furchtbaren Kater. - Da sagte der andere: Das ist auch gar nicht zu verwundern, wenn du um drei Uhr nachts aufstehst und stundenlang rechnest, daß du dann einen wirren Kopf hast am nächsten Morgen. - Da sagte der erste: Ich bin nicht aufgestanden! - Er wußte absolut nichts davon, daß er aufgestanden wäre. Nun schauten sie nach, und siehe da, er hatte seine Aufgabe gelöst, er wußte aber gar nichts davon. Solche
Dinge sind durchaus nicht bloße Märchen. Ich wähle ein Beispiel, das der Literatur angehört, aus dem Grunde, damit es nachkontrolliert werden kann. Ich könnte Ihnen viele ähnliche Dinge ja erzählen. Es kommt mir gar nicht auf diesen einzelnen Fall an, es kommt mir vielmehr darauf an, daß dies tatsächlich eine Realität ist: wenn das Bewußtsein nicht vorhanden ist - ich sage ausdrücklich, der Betreffende wußte nichts davon -, werden der physische Leib und Ätherleib gewissermaßen durch Püffe von außen bearbeitet, und der Ätherleib arbeitet im physischen Leib allein an der Fortsetzung der Aufgabe.
Ja, ich weiß schon, was in den Herzen von manchen figuriert, ich weiß, daß mancher ganz gern hätte, wenn es recht oft vorkommen würde. Aber so leicht hat es die jüngere Menschheit nicht. Also in diesem Fall arbeiteten Ich und astralischer Leib nur durch Püffe von außen, und da erweist sich der Ätherleib, wenn er allein im physischen Leibe arbeiten kann, oftmals sogar als genial gegenüber dem, was man oftmals gar nicht genia1 macht, wenn man mit seinem Ich und astralischen Leib dabei ist. Wie gesagt, nur zur Illustrierung der Tatsache, daß der Mensch die ganze Nacht hindurch Gedanken hat, das heißt der physische Leib und der Ätherleib des Menschen, und nur nicht dabei ist mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leibe. Denn die Gedanken werden unmittelbar von der Außenwelt durch die Verrnittlung des Ätherleibes gebildet, und dann wird der physische Leib zu Hilfe genommen, um die Gedanken als physischer Erdenmensch zu hegen.
So müssen wir denn das Gedankenleben durchaus gebunden finden an den physischen Leib und den Ätherleib. Das ist beim Gefühlsleben und beim Willensleben nicht der Fall. Es ist nur ein Aberglaube der heutigen offiziellen Wissenschaft, daß das Gefühlsleben und das Willensleben in derseIben Weise vom physischen und Ätherleibe abhängig wären wie das Gedankenleben. Darüber habe ich öfter gesprochen, ich will mich heute nicht darüber auslassen, sondern nur hinweisen auf die mannigfaltigen Betrachtungen, die ich vor einem großen Teil von Ihnen veranstaltet habe.
Nun ist der Mensch im gegenwärtigen Erdenleben nicht so, daß er verfolgen kann, was sein Ich und sein astralischer Leib da erleben,
wenn sie vom Äther- und physischen Leib getrennt sind und sich vom gewöhnlichen Leben nur den Willen und einen Teil des Gefühls mitnehmen. Denn dieses Erleben zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen geschieht in der Tat in einer ganz andern Welt, geschieht in einer geistigen Welt, geschieht in einer Welt, in der nicht die Umgebung in den Naturreichen, in dem Mineralreich, Pflanzenreich ist, sondern in der die Umgebung die höheren Hierarchien sind, in der die Umgebung eine Welt von geistigen Wesenheiten, von geistigen Geschehnissen ist. Aber insofern der Mensch im Erdenleben verweilt, ist es durchaus so, daß er noch nicht genügend entwickelt ist, um alles dasjenige, was er da erlebt mit seinem Ich und astralischen Leib vom Einschlafen bis zum Aufwachen, in das Bewußte und Selbstbewußte zu verfolgen. Es bleibt unbewußt, aber ist deshalb nicht weniger lebendig als das Bewußte. Es wird durchgemacht, es ist etwas, was dann, nachdem es durchgemacht ist, zum inneren Gehalt des Menschen gehört. Wir wachen auch an jedem Morgen so verändert auf, wie wir verändert worden sind durch die Nacht. Wir wachen nicht etwa bloß in demjenigen Zustande auf, bis zu dem wir gekommen sind bis zum Abend vor dem Einschlafen, sondern wir wachen in dem Zustande auf, zu dem uns das Schlafesleben gemacht hat.
Wenn wir nun durch die Pforte des Todes gehen, so legen wir den physischen und Ätherleib ab. Und demgemäß stellt sich auch das Erlebnis so ein, daß der Mensch urimittelbar in den ersten Tagen, nachdem er durch die Pforte des Todes gegangen ist - das Ablegen des ÄtherIeibes dauert nur wenige Tage -, sein Gedankenieben wie von der Welt aufgesogen empfindet. Er hat erst einen flüchtigen Rückblick auf das Erdenieben. Es ist so, wie wenn er sein Erdenieben als seine Welt erblickte, in lebendigen Bildern sieht. Wie mit einem Schlage steht das verflossene Erdenleben vor der Seele, wenn die Seele sich ganz befreit von dem physischen Leibe und dem Ätherleibe, wenn also der Durchgang durch die Pforte des Todes erfolgt ist. Aber durch Tage noch findet dieser Prozeß, dieser Vorgang statt, daß, nachdem der physische Leib abgelegt ist> der Ätherleib sich langsam in dem allgemeinen Weltenäther auflöst. Während der Zeit ist der Eindruck da, daß zuerst ein lebendiger, scharf konturierter Überblick über das
Erdenleben da ist. Dann wird er immer schwächer und schwächer, aber zu gleicher Zeit gewissermaßen kosmischer, bis er endlich nach einigen Tagen wie vom Menschen abschmilzt.
Damit aber geht in diesen wenigen Tagen alles dasjenige vom Menschen fort, was gerade das Wertvollste am Erdenleben ist. All das, was wir über die Dinge der Welt, was wir über unsere ganze irdische Umgebung denken, was unser gewöhnliches Bewußts,ein erfüllt, das schrnilzt von uns weg, schmilzt innerhalb weniger Tage weg. Und in demselben Maße, in dem dieser Inhalt des Erdenlebens wegschmilzt, in demselben Maße taucht dasjenige auf, was der Mensch immer im schlafenden Zustande unbewußt durchiebt hat. Darüber breitet sich jetzt das Bewußtsein aus. Das beginnt bewußt zu werden. Hätten wir keine Erlebnisse während des Schiafes, so wäre überhaupt unser Leben drei oder vier Tage nach dem Tode zu Ende als bewußtes Leben. Denn dasjenige, was wir gerade für unser Wertvollstes während des Erdenlebens halten, das schmilzt ab, und aus diesem sich verdunkelnden, abdämmernden Bewußtsein taucht dasjenige auf, was wir immer durchlebt haben im schlafenden Zustande, was da unbewußt geblieben ist.
Nun ist die Eigentümlichkeit desjenigen, was wir im schlafenden Zustande durchleben, ist für beide Schlafverläufe gleich. Wenn der Mensch die Zeit durchmißt zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen> dann durchlebt er zurück dasjenige, was er in der physischen Welt durchgemacht hat zwischen dem letzten Aufwachen bis zum Einschlafen. Das durchlebt er in anderer Gestalt durchlaufend noch einmal, und er durchiebt es so: Während wir bei unserem Tagesbewußtsein das Durchleben mehr mit der physischen Nuancierung und mit Gefühlen über die physische Nuancierung haben, den Ablauf der Ereignisse vom Anfang bis zum Ende, jedes einzelne Ereignis oder den Umstand, wie sie aufeinandei:folgen, in der physischen intellektuellen Nuancierung
durchleben: im Schlafen erleben wir das alles zurück, aber mit moralischer Nuancierung. Da leben die moralisch-religiösen Impulse darin, da durchleben wir die Sache so, daß wir ein jedes Ereignis werten danach> wie wertvoll oder unwertvoll es uns als Mensch macht. Da könnten wir uns keinen Illusionen darüber hingeben, wenn wir es bewußt durchmachen würden, was es für eine Bedeutung hat, ob wir dieses oder jenes vollbracht haben, denn da werten wir die Ereignisse des Tages in bezug auf unser Menschtum.
Was für die menschliche Ordnung auf Erden gilt, ist schon einmal so, daß die Naturforschung gut reden hat, in der Welt finde sich nur Kausalität, nur Ursächlichkeit, nur die Begründung des Nachfolgenden aus dem Vorhergehenden, weil der Mensch in seinem wachen Leben nur diese Strömung sieht, nur diese Strömung wahrnimmt. Aber eine andere Strömung ist auch in der Wirklichkeit darinnen, nur bleibt sie dem Menschen für das Erdenbewußtsein unbewußt. Der Mensch durchlebt aber diese moralische Weltenordnung jede Nacht zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen. Da werten wir die Dinge moralisch, namentlich im Zusammenhang mit unserem eigenen Menschenwert. Und das machen wir jede Nacht beziehungsweise jedesmal zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen für die vorangegangene Wachensperiode durch. Und wenn wir durch die Pforte des Todes gegangen sind, dann machen wir rückwärtsverlaufend durch die letzte Nacht, vorletzte Nacht, drittletzte Nacht, bis zur ersten Nacht, in der wir uns nach der Geburt zum erstenmal bewußt geworden sind, etwa ein Drittel des Erdenlebens, weil wir ein Drittel des Erdenlebens verschlafen haben. Vor uns ist versunken der physisch-ursächliche Weltenverlauf, vor uns ist aufgestiegen dasjenige, was Götter und Geister über diesen Weltenverlauf denken, fühlen, wollen. Aber wir hängen zunächst noch zusammen mit dem Kolorit, mit der Färbung, welche das Erdenleben alldem gegeben hat, weil wir es durchmachen müssen in der Form, wie wir es durchlebt haben während des Erdenlebens. Ungefähr ein Drittel, weil wir ein Drittel verschlafen, brauchen wir zu diesem Rückwärtsdurchleben, das dann eben so verläuft, wie ich es zum Beispiel in meiner «Theosophie» beschrieben habe, wo ich das Seelenland, die Seelenwelt beschrieben habe.
Wir müssen, ehe wir in eine Welt eintreten, die rein geistig ist, erst alles dasjenige durchleben, was wir auf der Erde unbewußt in den Schlafzuständen durchlebt haben. Damit schulen wir unser Bewußtsein heran für das eigentliche geistige Erleben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Und es ist zu gleicher Zeit ein Freiwerden vom irdischen Leben, dieses Rückwärtsdurchleben des Erdenlebens. Wir werden nicht früher in unserem Bewußtsein so frei, daß dieses Bewußtsein sich zwischen den Geistern der höheren Welten bewegen kann in vollständig ihm angemessener Weise, bis wir uns durch dieses Rückwärtserleben eben freigemacht haben. Dann sind wir ungefähr wieder am Ausgangspunkt unseres Lebens für die höhere Welt angelangt. Und dann verläuft das weitere Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt so> daß es ein rein geistiges Erleben ist. Ebenso wie wir hier zwischen physischen Wesen und physischen Geschehnissen leben, leben wir dann in der geistigen Welt zwischen geistigen Wesen und geistigen Geschehnissen, zwischen denjenigen geistigen Wesenheiten und ihren Taten, die niemals auf die Erde herunter- steigen, zwischen denjenigen Wesenheiten, die als Menschen auf die Erde heruntersteigen, die früher durch die Pforte des Todes gegangen sind als wir, oder die uns nachfolgen. Wir treffen eben mit allen den Menschen wiederum zusammen, mit denen wir Gemeinschaft gehabt haben während des Erdenlebens. Und diese Gemeinschaft ist ja eine sehr ausgedehnte. Denn dadurch, daß wir das Schlafesleben durch- leben, wird eingeschlossen in diese Gemeinschaft auch alles das, was wir nur in Andeutungen mit den Menschen während des Erderilebens durchmessen haben. Daß wir in jedem Schlafzustande schon darinnenstehen in der geistigen Welt, aber noch als Erdenmensch die Erdenereignisse rückwärts erleben, gerade diese Tatsache unterscheidet wiederum dieses allnächtliche irdische Erleben des Menschen von demjenigen, das er dann durchmacht, wenn er durch die Pforte des Todes durchgegangen ist.
Zunächst müssen wir uns ja gestehen: Was wir als den Inhalt unseres Bewußtseins im Erdenleben anerkennen, das schmilzt von uns hinweg im Laufe von wenigen Tagen. Dasjenige, was wir gar nicht achten im Laufe des Erdeniebens, weil es in das Unbewußte des Schlafes getaucht
ist, das taucht nachher auf, indem wir es wirklich durchleben - ja, wfrklich durchleben. Nämlich in jenen irdischen Schlafzuständen durchieben wir mit unserem Ich und astralischen Leib rückwärts- lebend bildhaft nur die wachen Ereignisse. Indem wir durch die Pforte des Todes schreiten, tauchen wir in die geistige Substanz ebenso unter, wie wir hier in materielle Substanz untertauchen, wenn wir Erden- menschen werden. Man könnte schon sagen: Wie wir, indem wir Erdenmenschen werden, einen physischen und einen ätherischen Leib erhalten, so erhalten wir eine höhere Wesenhaftigkeit als äußere Umhüliung, eine geistige Umhüllung, wenn wir durch die Pforte des Todes geschritten sind. Dadurch aber machen wir dasjenige, was wir hier nur bildhaft durchieben in Schiafzuständen, dann real durch. Das ist wirkliches, reales Erleben, ebenso wirkiiches Erleben, wie das im physischen Leibe verbrachte Erdenleben wirkliches Erdenleben enthält. Und erst an dieses wirkliche Erleben, das eine in der Wirklichkeit erfolgte Wiederholung des Bild-Erlebens jedes Schlafzustandes ist, erst an dieses schließen sich dann jene Erlebnisse an, die wir im weiteren Verlaufe unseres Lebens zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durchmachen.
Dann folgt die Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, in der wir unser ganzes irdisches Dasein sozusagen abgelegt haben und, wie ich Ihnen schon dargestellt habe, das nächste Erdenleben vorbereiten, indem wir im Verein mit den Wesenheiten der geistigen Welt den Geistkeim unseres folgenden Erdenlebens, vor allen Dingen des nächsten physischen Leibes, formen. Dann wiederum kommt eine Zeit, wo der Mensch wieder mehr dem Erdenieben zuneigt. Nachdem der Mensch eine lange Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt unter geistigen Wesenheiten und geistigen Tatsachen gelebt hat, ist es so - natürlich auf einer ganz andern Stufe, aber durch einen Vergleich mÖchte ich es klarmachen -, wie es ungefähr bei einem Menschen ist, der sich müde fühlt und einschlafen will. So fühlt der Mensch, wie ihni das im Geiste vorhandene Bewußtsein schwächer wird, wie er nicht mehr so mit den Wesenheiten der höheren Welt arbeiten kann, und sein Bewußtsein geht wiederum über zu einem Interesse an einem neuen Erdenleben. So wie wir alltäglich in den
Schlaf versinken, wo unser Bewußtsein ganz unbewußt wird, so sinken wir gewissermaßen im rein geistigen Bewußtsein, das den größten Teil der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt erfüllt, herunter, aber jetzt nicht zur Bewußtlosigkeit, sondern in ein Erfülltsein von Interesse für das Erdenleben, nun aber von der andern Seite her gesehen, von der Seite der geistigen Welt her, in ein Interesse für das Erdenleben. Dieses Interesse für das Erdenleben taucht viele Jahre, viele Jahrhunderte früher auf, bevor wir zum Erdenleben heruntersteigen. Wir gewinnen schon ein Interesse für unser kommendes Erdenleben, wenn auf der Erde selbst nicht nur unser Großvater lebt, sondern ein weit zurückliegender Urahne, der viele Generationen vor uns lebte, von dem wir dann abstammen. Es verwandelt sich das Interesse, das wir so lange Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt für die rein geistige Welt gehabt haben, zum Interesse an einer Generationenfolge. Am Ende dieser Generationenfolge werden wir dann selbst geboren. Wir verfolgen in der Tat von der geistigen Welt aus lange Zeiten hindurch die Ahnen, an deren Ende unsere eigenen Eltern stehen. So daß wir von der geistigen Welt aus in unsere Ab- stammung hineinwachsen.
Diese Dinge werden einmal in das allgemeine Menschenbewußtsein übergehen, und man wird dann erst sehen, in welch eingeschränktem Maße das gilt, wovon heute eine zwar richtige, aber außerordentlich beschränkte Wissenschaft immer wieder redet: die Vererbung. Die physische Vererbung kann erst dann dem Menschen klarwerden, wenn er weiß, welchen Anteil an den physischen Vererbungsgestaltungen diejenigen Kräfte selbst haben> mit denen er schon aus der geistigen Welt an seiner ganzen Ahnenfolge beteiligt ist. Wenn wir hier mit unserer physischen eingeschränkten Wissenschaft darauf hinweisen, wie wir diese oder jene Eigenschaft unseres Ururgroßvaters haben, so müssen wir nicht vergessen, wie wir, schon als dieser Ururgroßvater lebte, von der geistigen Welt unser Interesse hatten an dem, wie unser Ururgroßvater war, wie wir hineinwachsen in dasjenige, was sich dann äußerlich in den Eigenschaften von Generation zu Generation ausbildet. Wir wachsen ja hinein von der geistigen Welt aus.
Diese Dinge werden auch später einmal, wenn Anthroposophie
mehr in die Zivilisation der allgemeinen Menschheit hineinkommt, ihre praktische Bedeutung gewinnen. Man ermißt gar nicht, wieviel Mutlosigkeit, Energielosigkeit der Seelen heute auf eine halbbewußte, unbewußte Art aus den Gedanken der Vererbung herkommt, weil namentlich die Wissenschaft von diesen Vererbungsverhältnissen in einer ganz unzu1änglichen Weise nur sprechen kann. Aber diese Dinge sind schon selbst in die Kunst übergegangen, sind in das allgemeine Menschendenken übergegangen.
Wenn der Mensch sich einrnal mit dem Bewußtsein durchdringen wird, wie er nicht nur an die physische Gestaltung seiner Ahnen an- geschlossen ist, sondern an die Entwickelung seiner eigenen Seele, die von der geistigen Welt aus verfolgt die ganze Ahnenentwickelung und mitbaut an der Ahnenentwickelung, dann wird eben dieses Bewußtsein innerlich real werden. Dann wird wiederum vom Geiste aus Energie und Mut in die Seelen kommen bei manchen Menschen, bei denen aus den heutigen Denkweisen heraus Mutlosigkeit und Energie- losigkeit kommt. Denn das ist von dem allergeringsten Wert, daß wir theoretisch dieses oder jenes über die geistige Welt wissen. Meistens kleiden wir es uns sogar in physische Gedankenformen, was wir über die geistige Welt denken. Nicht darauf kommt es an, daß wir uns theoretische Gedanken über die geistige Welt machen. Gewiß, wir müssen sie uns zuerst machen, diese Gedanken, damit sie in unser Gemüt, in unseren Willen hineingehen, aber das Wesentliche ist dann, daß sie in unserem Gemüte, in unserem Gefühi leben können.
Ich möchte, um dieses zu veranschaulichen, folgendes sagen. Die anthroposophische Bewegung ist durch die Zeitverhältnisse, die ich in Dornach jetzt vor kurzem charakterisiert habe, eine Zeitlang Hand in Hand gegangen mit der sogenannten theosophischen Bewegung. Sie hat niemals Lehren der theosophischen Bewegung aufgenommen, sondern nur ihre Zuhörer innerhalb der Theosophischen Gesellschaft gefunden. Aber es gibt ja auch Lehren, die als solche der theosophischen Bewegung bekannt sind. Oberflächlinge verwechseln die Theosophie mit der Anthroposophie. Aber trotzdem die Zahl dieser Oherflächlinge eine sehr große ist, muß Ihnen doch klar sein der große, tiefgehende Unterschied. Diesen tiefgehenden Unterschied
möchte ich noch durch einige Bemerkungen charakterisieren. Versuchen Sie einmal, so recht zu verfolgen, wie eigentlich gerade theosophische Lehren arbeiten. Sie reden ja auch von den Gliedern der menschlichen Natur, Gliedern der menschlichen Wesenheit, sogar, was die unteren Glieder betrifft, mit denselben Namen: physischer Leib, Ätherleib, astralischer Leib. Aber gehen Sie dann auf Beschreibungen ein, so werden Sie finden: Der physische Leib, das ist der dichte Leib, dann kommt der Ätherleib, etwas dünner, aber doch so eine Art Nebel, dann kommt der astralische Leib, wieder dünner, ein dünnerer Nebel, und dann muß man furchtbar klettern, es wird aber immer nur ein dünnerer und dünnerer Nebel. Sehen Sie sich an, wie wenig sich diese Literatur einläßt auf das, was in der anthroposophischen Literatur, ich möchte sagen, schon den Abc-Schützen zu- gemutet wird, sich den Ätherleib nicht als etwas Dünneres vorzustellen, sondern als etwas Entgegengesetztes vom physischen Leib. So wie der physische Leib den Raum ausfüllt, nimmt der Ätherleib etwas weg. Physische Materie erfüllt den Raum, Äthersubstanz saugt den Raum aus. Da gibt es nichts von der Art, daß man immer in dünnere Nebel kommt, sondern da wird wirklich der Weg zur geistigen Betrachtung angetreten. Das stört viele sogar, denn sie haben hübsche Möglichkeiten, an die physische Welt anzuknüpfen in diesen immer dünner werdenden Nebeln, man kann sich das Ganze durch physische Bilder vorstellen, so daß man ganze Systeme, ganze Weltanschauungen auf diese theosophische Art bilden kann.
Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht, dann, sagte ich Ihnen, schmelzen seine Gedanken ab innerhalb weniger Tage. Aber diese Theosophie schmilzt innerhalb weniger Stunden ab, sie gehört zum ersten, was vergessen wird. Das Eigentümliche ist, daß jene Gedanken, die aus dem Spiritismus stammen, überhaupt nicht einmal in den allerersten Augenblicken nach dem Tode noch wirksam sind, die kann der Mensch nicht einmal durch die Pforte des Todes tragen.
Die Gedanken, die sich der Mensch aus spiritistischen Experimenten macht, das sind die allermaterialistischsten Gedanken. Als das erweisen sie sich dadurch, daß sie gar nicht über den Tod hinausgetragen werden. Während nämlich die Spiritisten glauben, daß ihnen
Gedanken von einer geistigen Welt durch die Medien hereingetragen werden, ist die Wahrheit diese, daß alle Gedanken, die über den Spiritismus gemacht werden, gar nicht einmal über den Tod hinausgehen. So stark sind die Illusionen, denen sich die Menschen dann hingeben, wenn sie irgendwie sich Anschauungen über die geistige Welt bilden wollen.
Worum es sich handelt, ist nicht, daß wir uns bloß Gedanken machen über die geistige Welt - wir müssen sie uns zunächst machen, damit überhaupt der Inhalt der geistigen Welt in die Seele herein- kommt-, aber das, worum es sich handelt, ist, daß diese Gedanken sich als lebendig schaffend erweisen. Die gewöhnlichen physischen Erdengedanken sind abstrakte Gedanken. Die meisten wissenschaftlichen Gedanken sind ganz abstrakte Gedanken, die tun eigentlich nichts in der menschlichen Wesenheit, so wenig als die Spiegelbilder etwas tun können. Sie sind nur Bilder, diese Gedanken. Wenn Sie mit einem Menschen zu gleicher Zeit in den Spiegel schauen und eine Ohrfeige bekommen, so werden Sie nicht irgendeinem der Spiegelbilder das zuschreiben, daß Sie die Ohrfeige bekommen haben, sondern einem wirklichen Menschen, der neben Ihnen steht. Gedanken sind ebenso wie die Spiegelbilder: sie tun nichts, sie impulsieren nicht in Wirklichkeit. Erst die moralischen Intuitionen in den Gedanken sind das Impulsierende. Und so ist es, daß wir zwar ausgehen müssen von Gedanken, daß aber die Gedanken über die geistige Welt so wirken müssen, wie Realitäten wirken, nicht wie Gedanken.
Dann erst treten wir ein in die wirkliche anthroposophische Anschauung, wenn wir die Gedanken als Realitäten empfinden, sie auch als Realitäten erleben. Hier liegt auch dasjenige, dem oftmals mit einem Einwande hegegnet wird. Oberflächlinge sagen auch: Diese ganze anthroposophische Weltanschauung kann auch auf Einbildung beruhen, der Mensch unterliegt Seibstsuggestionen. Man sagt als Beispiel, daß der Mensch manchmal so sensitiv ist, daß er beim bloßen Gedanken des Limonadetrinkens schon von der Empfindung, die man eben beim wirklichen Limonadetrinken auch haben kann, ausgefüllt wird. Es ist richtig, es gibt so sensitive Menschen, die nur an eine Limonade zu denken brauchen und sie haben den Limonaden
geschmack im Munde. Wenn das als Einwand entgegengebracht wird, so ist das richtig, aber es soll jemand sagen, ob er sich durch den bloßen Gedanken an die Limonade den Durst gelöscht hat! Das hat er eben nicht getan. In die Realität treten die bloßen Gedanken nicht über. Solange allerdings Anthroposophie bloß Gedanke bleibt, gleicht sie dem, was man an einer vorgestellten Limonade hat. Aber das braucht sie nicht zu bleiben, denn sie ist aus der geistigen Realität heraus geschöpft. Sie wirkt nicht bloß wie ein Gedanke, sondern sie wirkt, wie auf den physischen Leib die äußere Realität der Stoffe wirkt. Sie durchdringt, sie durchpulst das Willens- und das~Gefühlsleben des Menschen. Sie wird Realität im Menschen. Das ist es, worauf es ankommt.
Damit ist schließlich nichts Besonderes getan, wenn wir die Anthroposophie als Theorie haben. Sie muß Leben werden. Sie kann aber insbesondere in diesem Punkte Leben werden, daß sie unsere Seelen energievoll> tragkräftig, mutvoll macht; daß in dem Momente, wenn wir in Sorge für das physische Erdenleben, in tiefster Trauer und tiefstem Elend stehen, wir im Aufblick zu einer geistigen Welt von innerer Freudigkeit, von innerem Trost, von innerer Energie erfüllt werden können. Dann wird Anthroposophie wie ein lebendiges Wesen, dann wird sie etwas, was wie unter uns wandelt als ein lebendiges Wesen. Dann aber ist sie eigentlich erst dasjenige unter uns geworden, was sie werden sollte, dann durchdringt sie erst alle unsere Tätigkeit. Und dann bringt sie uns dazu, diese Welt, in die wir ja auch um des Geistes, nicht um der physischen Materie willen auf Erden hineingestellt werden, wirklich zu durchdringen. Vor allen Dingen kommt dann Anthroposophie zur wirklichen Menschenkenntuis. Denn wenn man den Menschen einfach so betrachtet, daß man, nachdem er gestorben ist, absieht von dem, was nun durch die Pforte des Todes gegangen ist und bloß dasjenige ins Auge faßt, was als physischer Leib übriggeblieben ist, auf anatomischem Wege, in- dem man den Leichnam seziert, physiologisch den Menschen betrachtet: dadurch erfährt man ja das allerwenigste über den Menschen. Denn dann wird eigentlich alles so mehr oder weniger gleichgültig am Menschen, gleichgeltend besser gesagt: die Blutzelle wird mit der
Nervenzelle stark gleichgeltend. Gewiß, man unterscheidet sie - ich will Ihnen nicht irgendeinen Unsinn vortragen -, aber man unterscheidet sie nicht in bezug auf das Wesen. In bezug auf das Wesen kann man sie nur unterscheiden, wenn man die Beziehung dieser Elementarwesenheit Zelle zum Geistigen kennt. Nun ist es bei der Nervenzelle so, überhaupt bei jedem Nervenpartikelchen, daß in dem Nervenwesen dasjenige, was aus dem Geiste kommt, ich möchte sagen, sein irdisches Heim findet. Wir kommen, wenn wir aus der geistigen Welt heraustreten und wieder Erdenbürger werden, durch die Ihnen bekannten Vorgänge in unseren physischen Leib herein.
Was uns da dient, indem wir heruntersteigen in die physische Welt, das ist alles das, was mit unserem Nervenmenschen zusammenhängt. Wir setzen uns gewissermaßen in unser Nervensystem hinein, indem wir aus der geistigen Welt heruntersteigen. Und das Eigentümliche dieses Nervenmenschen, jeder einzelnen Nervenzelle, jedes Nervenpartikelchens, besteht darin, daß das Geistige diese Nervensubstanz so ausfüllt, daß innerhalb des Nervenmenschen in der Wesenheit das da ist, was man nennen könnte: zur Materie verdichteter Geist. Es ist ja nicht ganz so, sondern so, daß beim irdischen Menschen fortwährend ein Austausch stattfindet zwischen Nervenmaterie und Blutmaterie. Aber es ist der Austausch so, daß innerhalb der Nervenmaterie die eigentliche Blutmaterie nicht geduldet, immer herausgeworfen wird, so daß wir in der Nervenmaterie etwas haben, was während unseres ganzen Erdenlebens für die irdische Geistigkeit wie ein Undurchiässiges ist.
Wir kommen auf die Erde, machen uns zum Nervenmenschen und sagen damit: Wir sind Himmelssprossen. Insoferne wir Nervenmenschen sind, sind wir Himmelssprossen, und wir setzen geistig uns da fest, bleiben Himmelssprossen, insofern wir Nervenmenschen sind. Da ist gewissermaßen die Geistigkeit, die wir vorher waren, starr geworden. Und sie gliedert sich das übrige an, was nicht Nervenmensch ist, was also im Extrem der Blutmensch ist. Das wird angegliedert, das ist andere Materie. Das ist Materie, die fortwährend mit dem Geiste in inniger Wechselwirkung steht, die fortwährend von dem Geiste durchsprudelt wird. Während im Nervenleibe der Geist erstarrt ist, wird er im Blutleibe immer neu geschaffen, da lebt die
eigentliche irdische Metamorphose. Diese zwei Menschenwesenheiten sind zusammengegliedert, sind ganz voneinander verschieden, wie positive und negative Elektrizität voneinander verschieden ist. Wir tragen eine solche Polarität in uns in bezug auf die Beschaffenheit unseres Nervenleibes und Blutleibes. Die andern Organe sind metamorphosierte Organe aus Blut und Nerven.
Es ist etwas ganz anderes, ob irgend etwas in unserem Blutprozeß vor sich geht - das ist dann irdisch -> oder ob etwas in unserem Nervenprozeß vor sich geht. Das kommt uns zwar nicht zum Bewußt sein, weil die Substanz des Geistes so erstarrt ist, daß alles zurück- reflektiert wird. Das sind dann unsere Gedanken, die zurückreflektiert werden. Aber diese Zweiheit, diesen Dualismus tragen wir in uns, daß wir fortwährend himrlilischer Abkömmling und irdischer Keim sind. Himmlischer Abkömmling, irdischer Keim - beide sind polarisch einander entgegengesetzt -, die wirken zusammen.
Nun, gestatten Sie mir, daß ich einen Vergleich gebrauche. Sie haben zwei entgegengesetzte Zustände. Wenn Sie sich die Waage vorstellen und im Hypomochlion festgehalten rechter und linker Waagebalken: Sie haben Gleichgewicht, wenn das Gewicht auf der einen Seite so groß ist wie das auf der andern Seite. Immer, wenn Sie das Gewicht auf der einen Waageschale vergrößern, müssen Sie es auf der andern Seite auch vergrößern, damit der Waagebalken horizontal bleibt. Aber ein Punkt ist da, den das gar nicht interessiert: das ist der Punkt, wo der Waagebalken aufgehängt ist. Sie können die Waage überall herumschaffen, wenn Sie sie an dem einen Punkt halten, wo der Waagebalken unterstützt ist. Sie können überall sehen, wie links von rechts abhängig ist und umgekehrt, aber gar nicht kümmert sich darum dieser Aufhängepunkt. Da ist alles im Gleichgewicht, und was da auch auf den zwei Waagschalen vorgeht, es ist ganz unabhängig von dem, was gerade just in diesem einen Punkte bei der Waage vorgeht. Sie können einmal eine Bewegung so machen, wenn Sie die genügende Geschicklichkeit anwenden, Sie können auch eine solche Bewegung oder eine solche machen mit dem Aufhängepunkte: das hängt gar nicht zusammen mit dem, was auf der Waage, auf der rechten und linken Seite des Waagebalkens vor sich geht. So ist es
beim Menschen auch, nur ist da kein Aufhängepunkt, aber eine Gleichgewichtslage zwischen dem, was er als Nervenmensch ist und dem, was er auf der Erde wird. Diese zwei Dinge stehen miteinander in einem Zusammenhang, den man untersuchen kann. Bei einem Menschen, der auf der einen Seite starke Gedanken hat> kommen diese in einem starken Willensentschluß zum Ausdruck. Wenn ein Mensch starke Muskeln hat, hat er auch andere Gedanken über sein Wollen. Aber dazwischen ist eine Gleichgewichtslage. Die Gleichgewichtslage liegt nicht im Kopf als Repräsentanten des Nervenmenschen - niCht in den Gliedmaßen als Repräsentanten des Blutmenschen. Sie liegt dazwischen, sie ist etwas wie ein Hypomochlion, was die Gleichgewichtslage von beiden ist.
Und was ist der Mensch dadurch, daß er diese Gleichgewichtslage hat? Sehen Sie, wenn die Waage sich selbständig bewegen würde, so würde sie sich in ihrem Gleichgewichtspunkt ganz unbekümmert darum bewegen können, wie ihr Waagebalken belastet oder nicht belastet wird. Da der Mensch eine solche Gleichgewichtslage hat, bewegt er sich auch als Erdenmensch ganz unabhängig von dem, was die Naturwissenschaft als die Kausalität des Willens, als die Unfreiheit, als die Verursachung der Willensimpulse findet. So wahr es ist, daß Sie eine Gesetzmäßigkeit haben zwischen dem rechten und linken Waagebalken, söo wahr ist alles das, was die Naturwissenschaft über die Ursache eines Willensentschlusses sagt. Aber der Wille selbst liegt im Hypomochlion, in der Gleichgewichtslage. Man muß also erst die wirkliche Wesenheit des Menschen erkennen, dann hat man ein Urteil darüber, ob der Mensch ein freies Wesen ist oder nicht. Diese Erklarung ergibt sich aber erst, wenn man die Beziehung des Geistes auf der einen Seite sozusagen zur positiven Materie, auf der andern Seite zur negativen Materie kennt, also eigentlich die positive Beziehung des Menschen zur Materie und die negative. Dann findet man zwischen beiden die Region> wo der Mensch als freies Wesen realisiert ist. Dann schaut man hinein in dasjenige, wo sich der Mensch heraushebt sowohl aus der Ursächlichkeit wie aus der geistigen Determination. In alten Zeiten hatte man die geistige Determination, von der ausgehend die Philosophie behauptete, daß der Mensch vom Geiste aus überall determiniert
sein müßte; in der neueren Zeit die Naturkausalität. So wie die Deterministen im Nervenmenschen plätscherten und nicht wußten, daß immer ein Anderes, Entgegengesetztes ein Gleichgewicht bewirkt> so bewegen sich die heutigen Menschen in der Naturkausalität. Beide finden die Unfreiheit des Menschen. Aber die Freiheit liegt zwischen drinnen.
So handelt es sich darum, daß wir wirklich in die Lage kommen, die physische Welt gerade dadurch zu begreifen, daß wir das Verhältnis dieser physischen Welt zur geistigen richtig ins Auge fassen können. Damit kommt man nicht aus, daß man sagt: Der physischen Welt liegt eine geistige zugrunde. - Da kommen Sie höchstens zu der Trivialvorstellung: Da steht der physische Mensch, und irgendwo schwimmt ein geistiges Urbild. - Da kommen Sie nicht zu einer Vorstellung des physischen Menschen. Sie können den physischen Menschen nur so verstehen, daß zu der einen Hälfte des Menschen die geistige Welt in einer ganz andern Beziehung steht als zu der andern Hälfte, und daß dazwischen ein von beiden nicht berührter Gleichgewichtspunkt ist, der die menschliche Freiheit bildet.
Im Grunde genommen müßte ein innerliches Entzücken in der Seele entstehen - ich rede gleich wieder von dem, was durch die Gedanken bewirkt wird, die mit aller Lebendigkeit aus dem Geistigen herausgeholt sind -, es müßte ein innerliches Entzücken in der Seele entstehen, wenn sie sich sagen kann: Es fällt einem wie Schuppen von den Augen, wenn man sich sagen kann, der Mensch ist frei, und wenn man hinschauen kann auf die Gründe dieser Freiheit. - Solange es bloß Menschen gibt, welche mit genialer Gescheitheit - ich will diese den Anthroposophen nicht absprechen - die Anthroposophie ein- sehen» sich zu ihr bekennen als zu Gedanken, so lange lebt Anthroposophie noch nicht. In dem Momente, wo bei besonders wichtigen Erkenntnissen die Seelen vor Entzücken zerspringen möchten und freudig erregt werden von dieser oder jener Einsicht, dann erst, wenn solche Menschen sich als Anthroposophen fühlen, dann ist die anthroposophische Bewegung entstanden. Sie entsteht eigentlich als anthroposophische Bewegung im ganzen Menschen. Dann trifft sie auch auf die Gleichgewichtslage auf.
Nun, meine lieben Freunde, ich möchte Sie von diesem Vortrage damit entlassen, daß ich Sie der Vorstellung ausliefere, die Sie frägt: Wie weit können wir heute schon von anthroposophischen Gedanken innerlich durchglüht und erkenntnisfreudig entzückt werden? - Dann denken Sie von diesem Gesichtspunkte aus über den Anfang der anthroposophischen Bewegung nach!
MAUTHNERS «KRITIK DER SPRACHE» - DIE UNZULÄNGLICHKEIT HEUTIGEN DENKENS, AUFGEZEIGT AN RUBNER UND SCHWEITZER Stuttgart, 4. Juli 1923
Es ist in unserer Zeit außerhalb der Kreise der anthroposophischen Bewegung wenig Verständnis dafür vorhanden, wie man eigentlich wiederum zu einer wirklichen Seelenanschauung kommen soll. Ich spreche damit einen Satz aus, der vielleicht auf der einen Seite manchem ganz unverständlich klingt, weil doch oftmals die Voraussetzung gemacht wird, daß man wisse, was Seele ist, womit man es zu tun habe, wenn man von der Seele spricht - und so weiter. Und auf der andern Seite kann ein solcher Ausspruch vielfach auch wiederum wie eine Selbstverständlichkeit genommen werden in dem Sinne, daß die jahrhunderte-, ja jahrtausendealten Anschauungen über die menschliche Seele einmal abg`ewirtschaftet haben und daß man warten müsse mit einer Anschauung über die menschliche Seele, bis die naturwissenschaftlichen Forschungen so weit sein können, daß sie Aufschluß über das Seelische zu geben in der Lage sind.
Nun möchte ich doch diesen beiden Einwänden heute zunächst nur das entgegenstellen, was der eben verstorbene, von mir öfter genannte Sprachforscher Fritz Mauthner geltend gemacht hat: daß die Menschen in der Gegenwart vielfach glauben, sie hätten über das oder jenes eine Anschauung, während sie doch im Grunde genommen nur Worte haben. Und Mauthner hat aus diesem Grunde eine «Kritik der Sprache» geschrieben. Er wollte zeigen, daß gerade die heute zivilisierte Menschheit eine vererbte Sprache hat. Man hat für alles mögliche Ausdrücke. Wenn man aber näher nachsieht, was hinter den Worten steckt, so ist es eigentlich in Wirklichkeit nichts. Man hat das Wort, glaubt, mit dem Worte etwas zu bezeichnen, bezeichnet aber in Wirklichkeit damit nichts.
Nun ist es ja selbstverständlich eine Unsinnigkeit> diese Kritik der Sprache etwa anzuwenden auf die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. Denn niemand wird der Anschauung sein, daß - ob man nun
viel oder wenig, sagen wir, über ein Pferd zu denken weiß - man durch den Ausdruck «Pferd» in irgendeiner Sprache über die Sache Pferd beirrt sein könnte. Jeder weiß doch ganz genau zu unterscheiden, daß man auf dem Worte Pferd nicht reiten kann und auf dem wirklichen Pferd reiten kann. Und damit ist schon von vorneherein zum Ausdruck gebracht, daß mit Bezug auf die Dinge, die in der Natur gegeben sind, eine Kritik der Sprache ziemlich belanglos ist, denn man wird immer den Unterschied kennen zwischen dem Worte und der Sache mit Bezug auf die äußere Anschauung. Ich glaube nicht, daß jemand, der ausreiten will, sich statt auf den wirklichen Schimmel auf das Wort Schimmel setzen wird.
Aber wirklich anders verhält es sich mit alldem, was sich in unserer heutigen Zivilisation bezieht einerseits auf die Seele, auf das Seelen- leben, die Tatsachen des Seelenlebens, und was sich auf der andern Seite bezieht auf die ethischen, auf die sittlichen Forderungen der Menschheit. Da muß man tatsächlich sagen: Es ist eigentlich zumeist nur ein Glaube vorhanden, daß hinter den Worten Realitäten stecken. - Deshalb kann man es auch verstehen, daß Mauthner tief nachdachte: Soll man denn überhaupt das Wort «Seele» noch aussprechen? Es steckt ja nicht Reales dahinter, was der Mensch so meint, wie wenn er von dem Pferd mit dem Worte Pferd spricht. Die Menschen haben ja nicht mehr Anschauungen über das Seelenleben. Daher sollte man nicht nur, wie es eine SeeIenkunde des 19. Jahrhunderts getan hat, die Seele aus der Seelenkunde weglassen, rnan sollte überhaupt das Wort Seele ganz ausmerzen,, und so wie man von etwas Unbestimmtem spricht, von «seelischen Erscheinungen» sprechen. Wenn man sagen will, das sind drei Wesenheiten, Karl, Fritz, Hans, die von dem gleichen Vater und der gleichen Mutter Söhne sind, und oberflächlich sie bezeichnend über sie hinweggehen will, dann sagt man: Geschwister. Warum sollte man denn, meint Mauthner, da man nur so Unbestimmtes über die seelischen Erscheinungen weiß, Seele sagen? Es bezeichnet das Wort Seele nichts, man sollte «Geseel» sagen. Wenn das nun wirklich Glück hätte und aufkommen würde, wäre man die Täuschung los, daß, wenn man Seele sagt, man noch irgend etwas dahinter habe. Denn man würde in der Zukunft nicht mehr sagen, der
Mensch habe eine unsterbliche Seele. Der Mensch hat während seines Erdeniebens in sich ein Geseel. Ich bin in meinem tiefsten Geseel gerührt und so weiter.
Die Dinge sind tatsächlich gerade für diejenigen Menschen, welche in ernsthafter Weise auf eine Anschauung des Geistes ausgehen, von außerordentlichem Ernste, von einem viel größeren Ernste, als man gewöhnlich meint. Jedenfalls beweisen sie, wie sehr die Menschen aufhorchen sollten in der Gegenwart, wenn irgendwo geltend gemacht wird, es sollen wiederum die rechten Mittel gesucht werden> um zur Realität der Seele, zur Wirklichkeit der Seele zu gelangen.
Man sagt heute, die seelischen Fähigkeiten seien in der Hauptsache Denken, Fühlen, Wollen. Aber es sollten die Menschen nur einmal sich ehrlich klarmachen wollen, was sie bei diesen Ausdrücken Denken, Fühlen, Wollen verstehen. Es würde ihnen bald der Glaube aus- rauchen, daß sie dabei auf Reales hinschauen. Ich möchte heute nur
davon sprechen, wie Anthroposophie verdeutlichen kann, daß man ja mit dem gewöhnlichen Bewußtsein gar nicht in der Lage ist, in dieser Beziehung auf ein voll Reales hinzuschauen. Und das, was ich heute einleitend andeuten möchte in dieser Hinsicht, das werde ich dann im nächsten Vortrag weiter ausführen, denn es obliegt mir heute, noch vor allen Dingen auf eine andere Seite hinzuweIsen.
Wenn der Mensch heute ehrlich in sich selbst hineinsieht, dann muß er sich gestehen: Dasjenige, was er an Gedanken in sich trägt, ist zumeist - ja, für die meisten ist alles, was an Gedanken in ihnen getragen wird - aus der Außenwelt genommen. Die Gedanken sind mehr oder weniger nur Spiegelbilder dessen, was in der äußeren physisch-sinnlichen Wirklichkeit auf die menschlichen Sinne einen Eindruck macht. Versuchen Sie nur einmal deutlich das Selbstbeohachtungsexperiment zu machen und sich zu fragen: Wieviel Gedanken sind denn in diesem menschlichen Bewußtsein, die auf etwas anderes hinweisen - außer dem, daß wir Worte haben: Denken, Fühlen, Wollen, Gott, Unsterblichkeit und so weiter -, die auf etwas hinweisen in dem Geistesleben der gewöhnlichen Zivilisation, was nicht von der Außenwelt gespiegelt ist. Die Menschen trachten ja nur danach, alles so aufzufassen> wie es von der Außenwelt gespiegelt werden
kann. Und wenn man heute vielen Menschen das Geistige klarmachen will, dann verlangen sie eigentlich schon auch für das Geistige Lichtbilder, vielleicht einen Film oder dergleichen, weil sie sagen: Wenn uns das nicht veranschaulicht wird, wenn uns nicht sinnliche Bilder vor Augen gestellt werden, dann begreifen wir ja nichts vom Geistigen!
In solchen Momenten, wo die Leute verlangen, daß man ihnen auch das Geistige in sinnliche Bilder kleidet, da sind sie ehrlicher, als wenn sie etwa als Seelenkundige über die Seele sprechen. Wenn wir vieles von dem zusammennehmen, was ich gerade hier in diesem Hause öfter besprochen habe, dann werden wir uns darüber klar- werden können, daß wir, wenn wir so zurückschauen auf unser Denken, nur eine Seite dieses Denkens haben. In diesem Sinne kann man sogar von einer Wirklichkeit sprechen - aber so kann man von einer Wirklichkeit sprechen, wie wenn man einen Menschen nur von hinten kennenlernt. Stellen Sie sich die groteske Sache vor: Sie kennen einen Menschen nur von der Hinterseite! Dann kennen Sie ihn zwar, aber Sie kennen nicht sein Wesen. Sie können höchstens manchmal irgend etwas von seinem Wesen erfassen. Dann aber müssen schon solche Fälle eintreten, wie bei dem Studenten, der einmal als ein ganz junger Dachs nach Heidelberg gekommen ist, sich hat einschreiben lassen bei dem berühmten Professor Kuno Fischer, und nun in seiner großen Freude, bevor er ins Kolleg ging, zum Friseur eilte, sich herrichten ließ, und weil er so voll davon ist, daß er den berühmten Mann hören werde, auch mit dem Friseur darüber redet. Da sagt der Friseur: Ja, heute schreibt der Kuno Fischer was auf die Tafel! - Da frägt ihn der Student: Woher wissen Sie denn das, daß der Kuno Fischer heute etwas auf die Tafel schreibt? - Ja, wenn er etwas auf die Tafel schreibt, dann läßt er sich vor der Vorlesung hinten einen Scheitel machen; da dreht er sich um!
Nun ja, wenn solche deutlichen Zeichen vorliegen, daß der Charakter in der Scheitelung des Hinterhauptes zum Ausdruck kommt, dann kann man ja etwas erfahren von dem Inneren der Persönlichkeit, auch wenn man sie nur von hinten kennenlernt. Aber es ist erstens vielleicht nicht besonders erheblich, zweitens ist es doch bei den meisten Menschen so, daß man da nicht sehr viel erfährt.
Bezüglich unseres Denkens, dieses für das Erdenleben wichtigsten Teiles des Seelischen, nimmt man in der Tat nur wahr, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Hinterseite. Die Vorderseite entgeht der gewöhnlichen Beobachtung. Denn, wenn man mit Anthroposophie an die Menschenbeobachtung herantritt und sich frägt: Ist das alles am Denken, daß man sich abstrakte Vorstellungen über die sinnlich ergriffenen äußeren Dinge macht? - so kommt man darauf, daß das nicht alles vom Denken ist, sondern das Denken ist, außer daß es diese Summe von abstrakten Gedanken darstellt, auch noch eine Summe von Kräften. Die Gedanken können eigentlich nichts machen, und am besten denkt man eigentlich, wenn man nichts macht, wenn man sich ruhig hinsetzt, wenn man der Ruhe pflegt. Gedanken sind kraftlos, wie Spiegelbilder kraftlos sind. Aber wenn man nun den Menschen verfolgt, vom Kleinkind auf bis er größer gewachsen ist, und wenn man später wiederum die ja auch noch in dem Menschen vorhandenen Wachstumsprozesse verfolgt - wenn auch der Mensch nicht mehr größer wird, Wachstumsprozesse sind ja noch immer da -, wenn man auf das schaut, was da im Menschen die Kräfte seines Wachstums sind, dann sind das dieselben Kräfte, nun von der andern Seite gesehen, die sich nach rückwärts zeigen in den abstrakten Gedanken. Nach außen sendet der Mensch die abstrakten Gedanken, nach innen sind das die Kräfte, die sein Gehirn formen. In den ersten kindlichen Jahren wird das Gehirn plastisch geformt. Die Kräfte, die Sonst irgendwo wirken als Wachstumskräfte, sind die Kräfte des Denkens. Und wie Sie sich, wenn Sie einen Menschen von hinten sehen- um dieVorstellung hegenzu dürfen, er sei ein ganzerMensch-> die Vorderseite hinzudenken müssen, so müssen Sie zu dem abstrakten Denken das konkrete, reale Gedankenkraften hinzudenken, das in den Menschen hineingeht, am Menschen arbeitet.
Das ist ja das Wesen einer auf die gesunde Anthroposophie gegründeten Pädagogik> daß der Pädagoge weiß: Es ist nicht getan damit, daß das Kind von dem oder jenem diese oder jene abstrakte Vorstellung bekommt. Denn ob das Kind eine lebendige, bildhafte, in sich regsame Vorstellung bekommt oder eine tote Vorstellung, das ist ein großer Unterschied. Die tote Vorstellung wirkt hemmend auf die
Wachstumsprozesse, die regsame Vorstellung wirkt fördernd auf die Wachstumsprozesse. Und so kommen wir darauf, daß das Denken die eine Seite zeigt, die kraftlos nur die Außenwelt spiegelt, und nach innen gerichtet sehen wir eine lebendige, den ganzen Organismus des Menschen durchkraftende Seite, die nur die andere Seite seines Wachstums darstellt, das geistige Gegenbild seines Wachstums. Und wenn man weiter forscht, dann findet man, daß sich der Mensch dasjenige, was da die andere Seite darstellt - in bezug auf den Menschen ist es die rückwäriige, aber in bezug auf das Denken ist es die Vorderseite -, zwar nicht das tote Denken, das uns nur nach vorne, auf der andern Seite erscheint, sondern dieses lebendige Denken herunterbringt aus seinem vorirdischen Dasein.
In der Tat ist der Übergang aus dem vorirdischen Dasein in das irdische Dasein in bezug auf diese Sache so, daß der Mensch im vor- irdischen Dasein frei entwickelt ein System von Kräften, das allseitig in der geistigen Welt wirkt. Dann steigt er herunter in das irdische Dasein. Da verwandelt sich dieses in der geistigen Welt regsame waltende Denken selber in die inneren Organisationskräfte des Leibes, und nach außen sendet es gleichsam die spiegelnde Fläche, wohinein die Erde ihre Bilder wirft. Das ist der Tatbestand. Nun aber ist es allerdings so, daß der Mensch, nachdem er die Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in genügender Weise absolviert hat, dann für dieses lebendige Denken eben in der geistigen Welt keine Aufgabe hat. Dieses lebendige Denken hat seine große Aufgabe in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Wenn die Aufgabe vollendet ist, dann tritt eben drüben die Erscheinung ein, die ich Ihnen öfter beschrieben habe: Die Seeie wendet sich zum Erdenleben. Da aber hat dieses Denken eine neue Aufgabe: die Aufgabe, den Menschenleib zu bilden. Und das ist das Bedeutsame bei dem irdischen Denken des Menschen, bei dem aus dem Geistigen herkommenden Denken des Menschen, daß es gestaltend auf den Menschenleib gerichtet ist. So haben wir in unserem wahren, in unserem wirklichen Denken ein Erbstück aus der geistigen Welt, aber ein solches, das nur etwas ist auf der Erde, denn in der geistigen Welt hat es seine Aufgabe verloren. Dem verdanken wir die Tatsache, daß dieses unser Denken
auf der Erde so klar werden kann. Hätte dieses Denken noch eine Aufgabe wie in der geistigen Welt, so könnte es auf Erden nicht so klar werden.
Gehen wir aber zu der andern Fähigkeit der menschlichen Seele über, zu dem Fühlen. Da werden Sie alle merken - ganz abgesehen davon, was ich selbst hier in diesem Raume darüber gesprochen habe: Das Gefühl ist nicht so klar wie das Denken. Das Gefühl ist etwas, was zwar in einer andern Gestalt, aber so wie das Träumen auftritt. Die Seelenverfassung ist während des Fühlens im Grunde ganz dieselbe wie während des Träumens, nur daß das Fühlen in ganz anderer Form auftritt. Warum ist das so? Nun, auch beim Fühlen haben wir, geradeso wie beim Denken, hier für dieses Erdenleben nur die Hinterseite. Aber Mit dem Wollen ist ja begreiflicherweise bei Tage nichts anzufangen. Ich habe öfters ausgesprochen: Der Mensch kann sich etwas vornehmen, er hat einen Gedanken. Wie der Gedanke aber hinunter- gleitet in den Leib, wie der Wiilensentschluß, die Hand zu bewegen, weiterwirkt, das bleibt so dunkel, wie der Zustand im Schlaf dunkel bleibt. Aber dafür behält der Mensch für seinen Willen am meisten aus dem Ewigen. Und wiederum kann man beim Willen sehen, aus der Regsamkeit des Menschen - denn wenn der Mensch sich nicht regt, ist nicht ein Wille vorhanden, sondern nur ein Wünschen -, beim Willen kann man gerade sehen, daß der Mensch auf der Erde
nach außen wirkt. Nach der andern Seite gesehen, stellt der Wille ein ganz und gar Ewiges dar. Das Denken stellt auch ein Ewiges dar, aber ein solches, das sich umgewandelt hat zu einer irdischen Betätigung. Der Wille aber bleibt im Ewigen vorhanden und ist tätig an dem durch die wiederholten Erdenleben hindurchgehenden Schicksal des Menschen, an dem Karma.
Ich wollte Ihnen damit nur einleitend sagen, wie man zu einer wirklichen Seelenlehre vordringt, so daß man wiederum hinter den Worten Denken, Fühlen> Wollen Realitäten hat, daß man wiederum auf Wirkliches hindeutet. Wie man bei dem Worte Pferd auf das äußere physische Pferd hinweist, so kann man, wenn man auf diese Weise anthroposophisch in das Seelenleben eindringt, wieder zur Wirklichkeit, zu Realitäten kommen. Das ist der Weg, und auf diesem Wege ''''ird zugleich dasjenige kommen - weil es, wenn er das verstehen will, die edelsten Kräfte im Menschen anregt -, was ich am Ende des letzten Vortrages hier betont habe: daß Anthroposophie nie verstanden wird, wenn sie Theorie ist, sondern erst verstanden ist, wenn im Erwerben des Anthroposophischen der Mensch ein anderer wird, der Mensch sich wirklich umwandelt; wenn er in ethischer, in menschlicher Beziehung überhaupt ein anderer wird.
Dem, was in dieser Weise angestrebt wird, steht heute etwas andres gegenüber. Und jetzt komme ich zu dem, was ich gerade verpflichtet bin, Ihnen zu sagen, weil Anthroposophie schon in der Welt darinsteht und man für dasjenige, was geschieht, wach sein muß. Man darf nicht immer geschlossene Fenster haben, sondern muß auch hinaus- schauen, und so ist es spirituelle, geistige Pfficht, über diese Dinge zu sprechen. Überall nämlich, wo Leute heute glauben, allein aus der Naturwissenschaft die klaren Begriffe bekommen zu haben, wird das Anthroposophische etwa mit der Behauptung abgetan: das ist Phantasie, Spekulation, das ist Phantastik. Und jene Leute sagen, daß sie allein das klare Denken haben. Abgesehen davon, daß man natürlich, wenn man sich der Anthroposophie nähert, durch das Verfolgen des Anthroposophischen die innere Sicherheit von der Wahrheit bekommt, muß man sich aber doch manchmal auch anschauen, wie klar denn eigentlich das heutige Denken ist! Das möchte
ich Ihnen zunächst an einem Beispiel erörtern, aus dem Grunde, weil der Anthroposoph bei wachen Sinnen sein soll über das, was heute Zeitkultur oder Zeitzivilisation ist. Ich nehme ein Beispiel, das schon etwas besagt. Wenn man, sagen wir, einen Menschen, der in den Zeitungen schreibt, auf seine Logik hin prüft, so ist nicht viel damit gesagt. Aber ich nehme einen bedeutenden Naturforscher der Gegenwart und sage ausdrücklich> daß ich nichts Hämisches, nichts Herabsetzendes sagen wili, weil ich durchaus anerkenne, wir haben es da mit einem bedeutenden Naturforscher und mit einer ernsten Angelegenheit zu tun, die er bespricht. Und da möchte ich Sie auf die Klarheit in dieser Beziehung, wie sie in der Gegenwart herrscht, aufmerksam machen.
Der bekannte Naturforscher Max Rubner hielt im Oktober 1910 an der Berliner Universität die Rektoratsrede, die betitelt ist: «Unsere Ziele für die Zukunft.» Er spricht über die geistigen Ziele der Zukunft, und es spricht wirklich nicht der Nächstbeste, sondern es spricht einer, der in der Forschung drinnensteckt und den man für einen ernsten und tüchtigen Forscher ansehen muß vom Gesichtspunkte der heutigen Zivilisation. Am Schlusse seiner Rede apostrophiert er auch die Studenten und versucht - nun ja, in einer nach seiner Art schönen Weise - klarzumachen, daß sie studieren sollen. Aber er tut das eben mit den «klaren» Begriffen - ich meine «klar» in Gänsefüßchen -, die heute eben einem solchen Forscher aus dem heutigen Denken heraus möglich sind. Ich will auf einzelnes aufmerksam machen. Da sagt er zunächst, indem er die Studenten apostrophiert: «Wir müssen alle lernen; wir bringen auf die Welt nichts anderes mit als unser Instrument zur geistigen Arbeit, ein unbeschriebenes Blatt, das Gehirn, verschieden veranlagt, verschieden entwicklungsfähig; wir empfangen alles aus der Außenwelt...
Also eine ja heute oft angetroffene Anschauung, die da besagt: Seht, wenn ihr über das Seelenleben sprechen wollt, auf euer Gehirn hin, das ist ein unbeschriebenes Blatt, das muß alles durch die Eindrücke der Außenwelt bekommen. Kommen wir also zur Welt, so haben wir unser Gehirn als ein unbeschriebenes Blatt, müssen uns den Weiteindrücken aussetzen, dann gehen die in uns hinein, dann wird
das Blatt beschrieben. Also, sagt er zu seinen Studenten, setzt euch nur frisch, wacker und munter den Welteindrücken aus, dann wird euer unbeschriebenes Blatt, das ihr mitgebracht habt, beschrieben.
In einem weiteren Satz sagt er ihnen nun, wie sie das machen sollen. Da sagt er: « Kein Gehirn möchte auch das alles fassen, was seine Vor- fahren insgesamt erlebt und erfahren haben; was Miffiarden Gehirne im Laufe der menschlichen Geschichte erwogen und gereift, was unsere Geistesheroen mitgeschaffen haben...»
Also die Studenten sollen nur achtgeben auf dasjenige, was die Geistesheroen mitgeschaffen haben. Aber jetzt schaffen auf einmal die Geistesheroen, jetzt müssen sich also die unbeschriebenen Gehirne den beschriebenen Gehirnen der Geistesheroen entgegensetzen! Sie sehen, sobald man zwei Sätze zusammenstellt, wovon der eine auf Seite 23, der andere auf Seite 24 steht: sie werden nicht mehr stimmen! Denn wären die Geistesheroen auch unbeschriebene Gehirne, so würde von ihren Eindrücken auf die unbeschriebenen Gehirne nicht so gesprochen werden können, daß diese Gehirne etwas geschaffen haben, denn das wird ja gerade in Abrede gestellt: Alles muß von der Außenwelt empfangen werden. Jetzt wird aber zu der Außenwelt auch das gerechnet, was Menschengehirne schaffen. Man muß schon auf solche Dinge eingehen.
Aber da heißt es dann weiter: «Das Erlernte gibt das Grundmaterial für das produktive Denken.» Nun, setzen Sie die zwei Sätze zusammen: «Wir empfangen alles aus der Außenwelt», und den zweiten: «Das Erlernte gibt das GrUndmaterial für das produktive Denken.» So spricht heute nicht ein gewöhnIicher Zeitungsschreiber, so spricht heute ein mit Recht so genannter verdienstvoller Forscher aus der Zeitzivilisation heraus. Sehen Sie, da ist es ja im Grunde genommen nebensächlich, wenn man nun noch auf die Art und Weise hinweisen will, in welcher eine solche Persönlichkeit charakterisiert, wie das Gehirn ver?ahrt. «... es hat stets etwas Erfrischendes, auf einem neuen, bisher unbeackerten Felde des Gehirnes zu arbeiten.» Darum sagt er den Studenten, sie sollen sich manchmal auch nach andern Fächern umsehen, nach denen sie sich bisher noch nicht umgesehen haben: .... manche Felder des Gehirns werden erst erträgnisreich,
wenn man sie wiederholt beackert, tragen aber schließlich dieselben guten Früchte, wie andere, die müheloser sich erschließen.»
Nun, schließlich bringt der Boden, den man beackert, auch nicht den Pflug hervor. Man kann, wenn man eingehen will auf diese Gedanken, überhaupt keinen Gedanken mehr fassen. Aber nun findet Rubner, daß dieses Denken doch ganz natürlich ist.
Damit ich Ihnen die Bedeutung dessen zeigen kann, was er da spricht, möchte ich doch noch etwas vorausschicken. Wenn jemand Sport treibt> so sehen wir ihn in verschiedenen Bewegungen. Wenn es einen besonders interessiert, kann er sich sogar eine Momentaufnahme von diesen Bewegungen machen. Aber man muß schon, wenn man die Dinge unbefangen nimmt, versichern: Wenn man die inneren organischen Prozesse verfolgt, die sich abspielen, während da einer im Sport herurnhantiert: das, was sich da innen zwischen Nerv und Muskel als eine Art Vernichtungs- und Wiederherstellungsprozeß abspielt, das ist wahrhaftig für das Menschliche erstens viel wichtiger, aber auch unendlich viel interessanter als dasjenige, was als Momentaufnahme aufgenommen werden kann. Ich sage gar nichts gegen den Sport als äußere Körperübung. Aber was der Sportler nach innen ist, das ist wahrhaftig viel interessanter, als was er nach außen ist. In dem, was er da bewirkt innerhalb des Organismus, fängt es erst an, interessant zu werden.
Nun ist es so, daß in bezug 'auf die Bewegung der menschlichen Glieder das Umgekehrte der Fall ist wie beim Denken. Beim Denken ist es so, daß dasjenige, was verrichtet wird> was also geschieht, was die Tatsache ist, das Wesentliche ist, und dasjenige, was in der Organisation liegt, das Unwesentliche ist. Beim Sport ist das, was äußerlich in den Tatsachen sich abspielt, das weniger Interessante. Dasjenige, was nach innen der Organismus tut, das Interessantere. Beim Denken ist das, was als Denken sich darlebt, was Denken wirklich ist, das Interessante; was der Organismus dabei tut, ist etwas mehr oder weniger Einfaches. Daher darf man, wenn man die Dinge durchschaut, nicht mehr vom Denken ebenso sprechen, wie von der Muskelbewegung.
Aber wenn das alles oberflächlich, äußerlich wird, was sagt man da?
Dann erklärt man die Dinge so: «Das Denken stärkt das Gehirn, letzteres (das Gehirn) nimmt durch Übung ebenso in den Leistungen zu, wie ein anderes Organ, wie unsere Muskelkraft durch Arbeit und Sport. Studieren ist Gehirnsport.
Sie sehen, unsere Zivilisation wird bei ihrem wichtigsten Elemente, beim Denken über die Dinge, ertappt, wenn man sie an einem solchen Platze faßt. Man wacht durch etwas anderes nicht auf für dasjenige, was eigentlich in der Gegenwart geschieht.
Nun möchte ich Ihnen eine Persönlichkeit vorführen, die wirklich durch ihre in gewissen Grenzen Genialität zu nennende Art sich vortrefflich negative Gedanken macht über unsere gegenwärtige Zivilisation, diese wohl zu charakterisieren versteht: wie es zuletzt eine unmögliche Formung und Gestaltung des Denkens ist, was unsere Zivilisation zu Verfall und Abgrund gebracht hat. Und ich muß sagen: Wer das Buch geschrieben hat von dem «Verfall und Wiederaufbau der Kultur», Albert 5cbweit~r, der ist in der Lage, solche Dinge zu beurteilen. Wer zum Beispiele Albert Schweitzers 1906 erschienenes Buch «Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung» kennt, die Art, wie Schweitzer einzugehen weiß selbst auf die Apokalyptik, so daß er schon ein gutes Stück den andern Theologen voraus ist, der muß zugeben, daß Schweitzer ein gesundes Urteil haben kann über dasjenige, was das gegenwärtige Geistesleben eigentlich wert ist. Nun hat er dieses Buch geschrieben, dessen erster Teil eben erst erschienen ist. Das erste Kapitel lautet: «Die Schuld der Philosophie an dem Niedergang der Kultur.» Und wahrhaft messerscharf fallen nun die Sätze, welche unser gegenwärtiges Geistesleben, unser Zivilisationsleben charakterisieren sollen. Gleich der erste Satz lautet: «Wir stehen im Zeichen des Niedergangs der Kultur. Der Krieg hat diese Situation nicht geschaffen. Er selber ist nur eine Erscheinung davon. Was geistig gegeben war, hat sich in Tatsachen umgesetzt, die nun ihrerseits wieder in jeder Hinsicht verschlechternd auf das Geistige zurückwfrken. » Ein Mensch, der Einsichten hat in die Wertlosigkeit der gegenwärtigen Kultur! Und weiter: «Wir kamen von der Kultur ab, weil kein Nachdenken über Kultur unter uns vorhanden war... So überschritten wir die Schwelle des Jahrhunderts mit unerschütterten
Einbildungen über uns selbst.» Und nun frägt er sich: Warum ist denn diese Verfallserscheinung der Kultur da? Warum leben wir im Niedergange der Kultur? - Und er sagt sich: Wenn wir nur kurze Zeit zurückschauen, in die Zeit selbst> wo der Intellektualismus in seinem ersten Blütestadium war, da haben die Leute noch eine «Totalweltanschauung» gehabt, da haben sie noch von den ethischen, von den sittlichen Zielen so gesprochen, daß sie in denselben Quellen lagen wie die Naturgesetze. Sie haben die Naturgesetze angeschaut, und sind dann aufgestiegen mit denselben Anschauungen zu den Quellen des Sittlichen, haben also eine «Totalweltanschauung» gehabt, die das Sittliche und Natürliche gleichmäßig umfaßte.
Sie erinnern sich, wie oft ich darauf hingewiesen habe, daß der Verfall unserer Kultur damit gegeben worden ist, daß wir eine einseitige Naturanschauung haben, die an den Anfang unseres Erdenwerdens die Kant-LapIacesche Theorie oder ähnliches stellt, wo alles aus einem Urnebel heraus sich gebildet hat. Es hat sich auch der Mensch aus diesem Urnebel heraus gebildet, dann ist das entstanden, was man sittliche Ideale nennt - Illusionen -, und wenn einstmals der Wärmetod eintritt, der nach rein physikalischen Gesetzen eintreten muß, dann wird ein großes Leichenfeld da sein, aber begraben wird damit dasjenige sein, was als Kulrurideale oder als sittliche Ideale auftauchte. So ist nicht mehr unsere Sittlichkeit in der Weltanschauung darinnen. Sie steckt nicht mehr darin, sie ist etwas, was man nur noch in abstrakten Gedanken abfing. Auch das weiß Schweitzer, daß im Grunde genommen dies so geworden ist um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Recht deutlich spricht er sich darüber aus: «Nun ist für alle offenbar, daß die Selbstvernichtung der Kultur im Gange ist... Die Aufklärungszeit» - damit meint er diese Zeit, wo der Intellektualismus die erste Blüte gehabt hat - «und der Rationalismus hatten ethische und Vernunftideale über die Entwicklung des Einzelnen zum wahren Menschentum, über seine Stellung in der Gesellschaft, über deren materielle und geistige Aufgaben, über das Verhalten der Völker zueinander und ihr Aufgehen in einer durch die höchsten, geistigen Ziele geeinten Menschheit aufgestellt... Aber um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts fing diese Auseinandersetzung ethischer
Vernunftideale mit der Wirklichkeit an abzunehmen. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte kam sie mehr und mehr zum Stillstand. Kampflos und lauflos vollzog sich die Abdankung der Kultur. Ihre Gedanken blieben hinter der Zeit zurück, als wären sie zu erschöpft, mit ihr Schritt zu halten.»
Und nun wffi Albert Schweitzer klarmachen, daß, wenn die Menschen nicht mehr wirksame Gedanken haben, die Kultur zugrunde gehen muß. Da die wirksamen Gedariken in der Philosophie enthalten zu sein scheinen, so schreibt er den Grund für den Niedergang der Kultur der Philosophie zu. Er weiß - und drückt es auch in diesem Buche aus -, ('a[3, wenn auch Hegel und Kant nur von wenigen gelesen werden,, ihre Geanken doch die Gedanken von Tausenden beherrschen, denn sie gehen durch alle möglichen unbemerkten Ströme in die brekesten Massen der Menschheit über, und einer übertreibt gar nicht, der heute sagt: Wenn nur die populärsten Bücher die einfachsten Gebirgsbauern zu lesen begonnen haben, so steckt schon der Kant in ihnen. Man glaubt immer nur, die Philosophie wirkt auf diejenigen, welche die Philosophen lesen. Das ist eben äußere Maja.
Deshalb sagt Schweitzer: «Das Entscheidende war das Versagen der Philosophie.» Aber nun behandelt er diese Philosophie doch mit einigem Mitleid und sagt sich: Die Philosophie hätte denken sollen, aber da das Denken abgekommen war, da man das Denken verlernt hat, so braucht man sich nicht zu verwundern, daß die Philosophie auch nicht mehr denken konnte. - Also er behandelt die Philosophie noch ein bißchen milde. «Der Philosophie ward nicht klar, daß die Energie der ihr anvertrauten Kulturideen anfing fraglich zu werden. Am Schiusse eines der hervorragendsten, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts erschienenen Werkes über Geschichte der Philosophie» - dasselbe, das ich hier auch einmal besprochen habe - «wird diese aIs der Prozeß definiert, in dem sich . Dabei vergaß der Verfasser das Wesentliche: daß nämlich früher die Philosophie sich nicht nur auf die Kulturwerte besann, sondern sie auch als wirkende Ideen in die öffentliche Meinung
ausgehen ließ, während sie ihr von der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an immer mehr zu einem gehüteten, unproduktiven Kapital wurden.»
Aber nun wird er milde. Was kann schließlich der Philosoph dafür, wenn er auch nicht mehr denkt, da alle andern nicht denken: «Daß das Denken es nicht fertig brachte, eine Weltanschauung von optimistisch-ethischem Charakter aufzustellen und die Ideale, die die Kultur ausmachen, in einer solchen zu begründen, war nicht Schuld dar Philosophie, sondern eine Tatsache, die sich in der Entwicklung des Denkens einstellte. Aber schuldig an unserer Welt wurde die Philosophie dadurch, daß sie sich die Tatsache nicht eingestand und in der Illusion verblieb, als ob sie wirklich einen Fortschritt der Kultur unterhielte. »
Also, daß die Philosophen nicht mehr denken konnten, das nimmt ihnen Schweitzer nicht mehr übel, da es eine allgemeine Gewohnheit der Leute geworden ist, nicht mehr zu denken. Aber das nimmt er den Philosophen übel, daß sie das gar nicht bemerkt haben. Wenigstens bemerken hätten sie es sollen.
«Ihrer letzten Bestimmung nach ist die Philosophie Anführerin und Wächterin 'der allgemeinen Vernunft. Ihre Pflicht wäre es gewesen, unserer Welt einzugestehen, daß die ethischen Vernunftideale nicht mehr wie früher in einer Totalweltanschauung Halt fänden, sondern bis auf weiteres auf sich selbst gestellt seien und sich allein durch ihre innere Kraft in der Welt behaupten müßten... So wenig philosophierte die Philosophie über Kultur, daß sie nicht einmal merkte, wie sie selber, und die Zeit mit ihr, immer mehr kulturlos wurde. In der Stunde der Gefahr schlief der Wächter, der uns wach erhalten sollte. So kam es, daß wir nicht um unsere Kultur rangen.»
Nun, ich glaube, ich habe Ihnen von diesem Schlafen wirklich von den verschiedensten Gesichtspunkten aus schon hier mancherlei erzählt.
In dem nächsten Kapitel bespricht Schweitzer die kulturhemmenden Elemente in uns. Da kommt er zu ganz interessanten Anschauungen. Er findet nämlich, daß der Mensch durch dasjenige, was er als Kultur in der neuesten Zeit aufgenommen hat, erstens unfrei geworden ist.
Nun, das kann man ihm nachfühlen, denn die Menschen sind ja nach und nach dazu gekommen, wirklich nur gewissen Leithammeln nachzulaufen, auf die Autorität der Wissenschaft zu schwören und so weiter. Aber nun behauptet Schweitzer, daß der Mensch Ungesammelt ist im Denken. Ich glaube, auch darüber brauchen wir nicht viel zu verhandeln; da wird Schweitzer wohl recht haben, daß die Kraft zum Sammeln in unserer Zivilisation wirklich sehr zurückgegangen ist. Dann aber nennt er den Menschen unvollständig. Nun, werden die Leute sagen, wenn er uns schon unfrei und uns sO ungesammelt findet; daß wir nicht einmal ganze Menschen sein sollen, das können wir ihm doch nicht konzedieren! - Aber er meint das so: Das, was heute einer lernt, das ist eine Spezialität, sei er ein Gelehrter oder sei er irgendwie ein anderer Mensch, so daß immer nur gewisse Seiten seiner Fähigkeiten ausgebildet werden, nicht der Totalmensch. Daher gehen wir also als unvollständige, gar nicht als ganze Menschen herum. Und dann findet er als viertes, daß die Humanität im höchsten Grade ab- genommen hat. Er führt da schöne Beispiele an. Er ist aber überhaupt der Ansicht, daß unfreie, ungesammelte und nicht ganze Menschen auch nicht die Humanität im ethischen Leben entfalten. Dann findet er noch ein kulturhemmendes Element in der Überorganisation, in der Ausrottung der menschlichen Individualität. Wieviel kommt denn heute noch auf den einzelnen an? Es kommt nur auf dasjenige an, was durch irgendwelche Organisationen vorgezeichnet ist. Überorganisation wirft Schweitzer mit Recht unserer Zeit als besondere Neigung vor.
Aber nun will er auch übergehen zu der Beantwortung der Frage, wie man denn wiederum zu einer Kultur kommen soll. Was ist denn zu tun, um wiederum zu einer Kultur zu kommen? Da stellt er die Frage: Wie muß denn die Kultur beschaffen sein, zu der wir kommen? - Und er sagt Sie muß ethisch und optimistisch sein. - Nun, denken Sie, Sie wollen sich ein Haus bauen, Sie gehen zu einem Baumeister, der sagt: Da mußt du mir etwas beschreiben, wie das Haus sein muß, damit ich dir die Pläne machen kann. - Da sagen Sie ihm: Das Haus> das muß fest sein, wettersicher, schön, und so, daß man bequem darinnen wohnen kann. - Nun ja, Pläne machen läßt sich
damit nicht, aber Sie glauben, etwas gesagt zu haben, wenn Sie sagen: Das Haus muß fest, wettersicher, schön und so sein, daß man bequem darinnen wohnen kann. Nur kann man nichts anfangen mit diesen Aussagen. Ebensowenig können Sie etwas anfangen mit der Aussage: Eine Weltanschauung muß ethisch und optimistisch sein. Es ist dasselbe, genau dasselbe.
Ich war einnial als kleiner Junge in einem Dorf, da war ein Prozeß. Einer Persönlichkeit nämlich aus dem Kreise der Honorationen waren die Hühner gestohlen worden. Der Richter wollte nun durchaus wissen, wie es mit dem Strafmaß sei, er wollte diese Hühner beschrieben haben. Da fragte er den Betreffenden, wie denn die Hühner waren? Nun, es waren halt schöne Hühner. - Ja, damit kann man nichts anfangen, Sie müssen uns so sagen, daß wir eine Vorstellung darüber bekommen, was die Hühner wert gewesen sein können. - Nun, es waren recht schöne Hühner. - Ja, aber, nicht wahr, man muß wissen, ob die Hühner mager waren, ob sie dick waren... - Na> es waren wirklich recht schöne Hühner. - Und so ging es fort, es war überhaupt nichts aus dem Mann herauszubringen außer dem, daß es recht schöne Hühner waren.
Nun haben wir hier einen ganz hervorragenden Geist, der in einer außerordentlich feinen und treffenden Weise den Verfall der Kultur schneidend charakterisiert, der sogar sehr vieles weiß, was die Menschen sich heute gar nicht eingestehen möchten. So weiß er zum Beispiel das Folgende - es ist gut, daß es auch ein anderer sagt als immer nur der Anthroposoph -: «Die Zusammenfassung der Erkenntnisse und die Geltendmachung ihrer Konsequenzen für die Weltanschauung sei nicht seine Sache. Früher war jeder wissenschaftliche Mensch zugleich ein Denker, der in dem allgemeinen geistigen Leben seiner Generation etwas bedeutete. Unsere Zeit ist bei dem Vermögen angelangt, zwischen Wissenschaft und Denken scheiden zu können. Darum gibt es bei uns wohl noch Freiheit der Wissenschaft, aber fast keine denkende Wissenschaft mehr.» Es ist wirklich gut, daß es einmal ein anderer sagt. Aber sehen Sie, trotz aller dieser Einsicht kommt er eben nicht weiter als zu den schönen Hühnern. Außerordentlich charakteristisch! So etwas, das als wirklich fruchtbare Weltanschauung
wiederum auftritt, so etwas muß ethisch, optimistisch sein: fest, wettersicher, schön, und so, daß man bequem darinnen wohnen kann!
Ja, er kommt in dieser negativen Charakteristik sehr weit. Er bemerkt nämlich, daß es da Leute gibt, die doch schon gefühlt haben, daß dieses Denken, der Gehirnsport, nicht zu den Quellen des Daseins führt. Daher haben sie gesagt: Na, wollen wir überhaupt dieses ganze Denken kassieren und auf einem Gefühls- oder Glaubensweg, auf einem mystischen Wege zum Wahren kommen. - Das sieht er ein, und da er ein scharfer Denker selber ist, bis zu gewissen Grenzen, so stellt er eine merkwürdige Frage. Die Frage heißt: «Philosophische, geschichtliche und naturwissenschaftliche Fragen, denen er nicht gewachsen war, gingen über den früheren Rationalismus wie Lawinen nieder und begruben ihn auf dem Wege. Die neue denkende Weltanschauung muß sich aus diesem Chaos herausarbeiten. Alles was tatsächlich ist, auf sich wirken lassen, durch alle Arten von Überlegen und Erkennen hindurchgehend» - ja, wenn er jetzt nur ein bißchen durch Erkennen und Überlegen hindurchginge: das Haus soll schön und wetterfest sein -, «strebe sie auf die letzte Bedeutung des Seins und des Lebens zu, ob sich etwas davon enträtseln lasse.
Das letzte Wissen, in dem der Mensch das eigene Sein in dem uni- versellen Sein begreift, ist, sagt man, mystischer Art. Damit meint man, daß es nicht mehr in dem gewöhnlichen Überlegen zustande kommt, sondern irgendwie erlebt wird.
Aber warum annehmen» - sagt er jetzt -, «daß der Weg des Denkens vor der Mystik ende? WoM hat das bisherige Vernunftdenken immer Halt gemacht, wenn es in die Nähe der Mystik kam...»
Nun frägt man sich: Was will Anthroposophie? Von klarem, mathematisch klarem Denken ausgehen, vor der Mystik nicht haltmachen, sondern denkend eindringen in die Gebiete, die für das Ewige erschlossen werden sollen. Die Leute sagen selbst dann noch immer, das Haus soll fest, wettersicher und so sein, daß es sich bequem darinnen wohnen läßt - wenn es schon dasteht vor ihrer Nase, aber sie nicht hineinf~den. Es darf das schon wirklich ohne Unbescheidenheit in aller Unbeiangenheit gesagt werden. Aber das sind ja nicht die schlechtesten, das sind die besten, das sind die scharfen Denker! Vor solchen
Dingen darf man nicht die Augen verschließen. Man muß nicht immer herumreden davon, daß man dem oder jenem begreiflich macht, was Anthroposophie ist, wenn die Leute so reden.
Aber noch weiter: «Das zu Ende gedachte Denken führt also irgendwo und irgendwie zu einer lebendigen, für alle Menschen denk- notwendigen Mystik...» Das rechte Bauen führt zu dem guten Haus, wie ich es haben will! Nun weiter, er findet ja die Menschen ungesammelt, und nun will er klarmachen, was die Menschen tun sollen, damit sie über diesen schrecklichen Zustand hinauskommen, in den die Kultur verfallen ist: «An sich schon hat das Besinnen auf den Sinn des Lebens eine Bedeutung. Kommt solches Nachdenken wieder unter uns auf, so welken die Eitelkeits- und Leidenschaftsideale, die jetzt wie böses Unkraut in den Überzeugungen der Massen wuchern, rettungslos dahin. Wieviel wäre für die heutigen Zustände schon gewonnen, wenn wir alle nur jeden Abend drei Minuten lang sinnend zu den unendlichen Welten des gestirnten Himmels emporblickten. ..» - da steht nicht in der Anmerkung: Das Genauere ist zu ersehen aus «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», o nein, sondern da steht, man muß irgendwie dahin kommen, daß es Menschen gibt, die sich drei Minuten Zeit nehmen, um sich gedanklich zu sammein -.... sInnend zu den unendlichen Welten des gestirnten Himmels emporblickten und bei der Teilnahme an einem Begräbnis uns dem Rätsel von Tod und Leben hingeben würden, statt in gedankenloser Unterhaltung hinter dem Sarge einherzugehen...»
Dann schließt das damit, nachdem zuerst aufmerksam gemacht worden ist: Aber irgend etwas, was nun eine Weltanschauung ist, soll man eigentlich den Menschen nicht sagen; wir brauchen zwar eine solche Weltanschauung - ich möchte bloß wissen, wozu wir sie brauchen, wenn wir sie den Menschen nicht sagen sollen! «Die große Revision der Überzeugungen und Ideale, in denen und für die wir leben, kann sich nicht so vollziehen, daß man in die Menschen unserer Zeit andere, bessere Gedanken hineinredet, als die, die sie haben...»
Das darf ja nicht sein, daß man bessere Gedanken hineinredet in die Menschen, als sie haben, sondern man muß sie sich selbst überlassen! Besinne dich, mache dir andere Gedanken, wenn du hinter einem
Sarge einhergehst, besinne dich! - Ja, dann werden halt die Menschen das weitermachen, was sie bisher gemacht haben: sie werden nicht wissen, auf was sie sich besinnen sollen in den drei Minuten und so weiter.
«Das bisherige Denken gedachte den Sinn des Lebens aus dem Sinn der Welt zu verstehen. Es kann sein, daß wir uns darein schicken müssen, den Sinn der Welt dahingestellt sein zu lassen und unserm Leben aus dem Willen zum Leben, wie er in uns ist, einen Sinn zu geben... » - es kann sein! - « Mögen auch die Wege, auf denen wir dem Ziele zuzustreben haben, noch im Dunkel liegen: die Richtung, in der wir gehen müssen, ist klar. Miteinander haben wir über den Sinn des Lebens denkend zu werden, miteinander darum zu ringen, zu einer weit- und lebenbejahenden Weltanschauung zu gelangen, in der unser von uns als notwendig und wertvoll erlebter Trieb zu wirken Rechtfertigung, Orientierung, Klärung, Vertiefung, Versittlichung und Stählung findet, und daraufhin fähig wird, definitive und vom Geiste wahrer Humanität eingegebene Kulturideale aufzustellen und zu verwirklichen.» - Es werden halt schöne Hühner sein!
Niemand wird sagen können, daß ich eine kaustische, gewollt negative Kritik üben will. Denn das erste Beispiel von Professor Rubner habe ich genommen, weil ich eben eine Persönlichkeit wählen wollte, die in bezug auf ihre wissenschaftlichen Leistungen nicht anzuerkennen eine Albernheit wäre. Das zweite Beispiel habe ich so gewählt, daß ich sagen konnte, daß ich denjenigen, der dieses Buch geschrieben hat, als einen der schärfsten Denker, als eine solche Persönlichkeit ansehe, die am meisten Berechtigung hat, in einer solchen Weise zu sprechen. Ich will nicht abflllige Kritik üben, so etwas liegt mir fern. Man muß sich bemühen, auf dasjenige charakterisierend hinzuweisen, was ist. Aber wenn dann Albert Schweitzer sagt: Die Philosophie hätte Wächterin sein sollen, aber gerade sie hat geschlafen -, dann können wir doch nicht anders, als sagen: Er setzt den Schlaf fort.
Wollen wir warten, wie der zweite Teil wird, aber der erste verspricht für den zweiten Teil, daß er nicht viel anders sein wird. Er setzt den Schlaf fort, träumt nur aus dem Schlaf heraus. Wünsche
sind es, Realitäten sind es nicht. Das muß unser Streben sein, über bloße Illusionen, über Phrasen hinaus zu Realitäten zu kommen. Sie sehen, wie ausgepreßt die Worte unserer Sprache sind. So muß man vorgehen, wie wir angefangen haben heute abend, über die Seele zu sprechen, dann bekommt man wieder Inhalt in die Worte. Sonst, ja, wie sagt Schweitzer: Die Philosophie ist an dem Niedergang der Kultur nicht schuld, aber schuld ist sie daran, daß sie das gar nicht gemerkt hat. - Nun, Albert Schweitzer ist natürlich auch nicht daran schuld, daß unsere Worte so ausgepreßt sind, daß keine Begriffe mehr darinnen sind, keine Realitäten mehr darinnen sind. Aber daran ist er schuld, daß er das gar nicht bemerkt. Er bemerkt das gar nicht, daß er herumredet mit völlig ausgepreßten Worten.
Ich war verpffichtet gegenüber dieser eben erschienenen Kulturtat Albert Schweitzers - ich meine das nicht hämisch, ich meine das ganz im Ernste - in solch schneidender Weise auf den Kulturniedergang aufmerksam zu machen. Ich war verpffichtet, darauf hinzuweisen, wie eigentlich die Ecke beschaffen sein muß, von der man ein wirkliches Urteil über dasjenige gewinnt, was auf der einen Seite nicht ist, auf der andern Seite zu geschehen hat. Nachdem wir diese Episode durchgemacht haben, wollen wir das nächste Mal über konkrete Themata der Anthroposophie weiter reden.
DIE VIER WESENSGLIEDER DES MENSCHEN - DER SPIEGELCHARAKTER DES INTELLEKTUELLEN DENKENS UND DIE REALITÄT DES SITTLICH-RELIGIÖSEN ERLEBENS Stuttgart, 11. Juli 1923
Wir wollen davon ausgehen, daß der Mensch ein vielgliedriges, ein mehrgliedriges Wesen ist, also von einer uns ganz bekannten Tatsache. Wir wollen davon ausgehen, daß innerhalb der anthroposophischen Bewegung immer die Bemühung vorhanden ist, zu begreifen, inwiefern sich die menschliche Weserilieit aus Gliedern zusammensetzt, die jedes füör sich ein gewisses Verständnis erfordern, so daß das Begreifen der ganzen Menschenwesenheit nur möglich ist, wenn man in der Lage ist, das Verständnis, das man den einzelnen Gliedern entgegengebracht hat, zu einem Ganzen zu vereinigen. Wenn wir zunächst von allem übrigen absehen, so wissen wir, daß diese menschliche Wesenheit gegliedert ist in den physischen Leib, in den Ätherleib oder Bildekräfteleib, in den astralischen Leib und in dasjenige, was wir als das Ich bezeichnen. Nun ist das nicht etwa - oder sollte wenigstens nicht sein - eine bloße Einteilung des Menschen und seiner Wesenheit, sondern dasjenige, was da aufgezählt wird als die vier Glieder der menschlichen Weseriheit, stammt eigentlich aus ganz verschiedenen Welten und kann nur verstanden werden aus den inneren Bedingungen dieser WeIten heraus. Und erst wenn man verstanden hat, wie physischer Leib, Äther- oder Bildekräfteleib, astralischer Leib und Ich aus ihren entsprechenden Welten heraus gebildet sind, dann ist man imstande, aus dem Zusammenklingen des Verständnisses dieser einzelnen menschlichen Glieder sich ein Verständnis der gesamten menschlichen Wesenheit zu verschaffen. Den physischen Leib des Menschen muß man einfach begreifen aus der physischen Welt heraus, aber den ätherischen oder Bildekräfteleib muß man seinerseits wiederum verstehen aus der ätherischen Welt heraus und so weiter. Wenn wir nicht auf diesem Gebiete außerordentlich genau sind, wenn wir uns nicht darauf eirilassen, daß die Dinge eben so sich verhalten, wie
ich sie eben angedeutet habe, dann können wir nicht zu einem Erfassen der Gesamtwesenheit des Menschen kommen.
Sehen wir einmal ab vom physischen Leib des Menschen. Das können wir aus dem Grunde, weil die gesamte äußere Bildung und Wissenschaftlichkeit heute darauf ausgeht, den physischen Leib des Menschen zu begreifen. Aber nicht in demselben Sinne ist es heute ein Bestreben, den` ätherischen oder Bildekräfteleib des Menschen zu verstehen. Man macht sich höchstens die, Vorstellung, daß dieser ätherische oder Bildekräfteleib vielleicht aus einer feineren Substanz besteht als der dichte physische Leib und daß diese feinere ätherische Substanz nun einmal dem physischen Leib beigemischt ist. Aber so sind ja die Dinge nicht, sondern die Sache ist wesentlich anders: Derjenige, der alles begriffen hätte, was aus der physischen Wissenschaft heraus begriffen werden kann, um sich eine Vorstellung über die Wirkungsweise des physischen Leibes zu machen, könnte gänzlich unwissend sein über den ätherischen oder Bildekräfteleib, denn gerade wenn wir auf den Menschen sehen, so ist es unniöglich, die Gesetze des ätherischen oder Bildekräfteleibes in der Nähe der Erde zu finden. Wir können gar nicht in der Nähe der Erde selbst die Gesetze des ätherischen oder Bildekräfteleibes suchen. Denn geradeso wie wir, wenn wir bei einem in senkrechter Richtung fallenden Stein sagen: Da ist die Schwerkraft tätig, der Stein bewegt sich in der Richtung gegen den MitteIpunkt der Erde -, geradeso wie wir in der Nähe der Erde oder in der Erde die Ursachen für das Fallen des Steins suchen, geradeso wie wir da richtig vorgehen, gehen wir falsch vor, wenn wir nach den Ursachen des Geschehens im ätherischen oder Bildekräfteleib fragen, falls wir in der Nähe der Erde bleiben. Wir müssen vielmehr dasjenige, was in unserem ätherischen oder Bildekräfteleib wirkt, gar nicht auf der Erde suchen, sondern in den Weiten des Weltenalls, gewissermaßen in einer unbestimmt weit von uns entfernten Kugeloberfläche. Da wirken die Kräfte von allen Seiten hinein. So wie vom Mittelpunkt der Erde die physischen Kräfte herauswirken, so wirken von allen Seiten die Kräfte herein und bedingen unseren Ätherleib.
Erinnern Sie sich einmal, was ich Ihnen gesagt habe mit Bezug auf
den Übertritt des Menschen aus seinem vorirdischen Dasein in das irdische Dasein. Er kommt herunter und hat die Gesetze für seinen physischen Leib schon auf die Erde geschickt. Dann sammelt er, sagte ich, aus den Weiten des Weltenäthers seinen Ätherleib. Da ist er also, bevor er das, was er vorausgeschickt hat, seinen physischen Leib, bezieht, Ich, astralischer Leib und Ätherleib. Aber den Ätherleib hat er in bezug auf seine Gesetzmäßigkeit nicht von der Erde her gebildet, sondern wir sagen repräsentativ: aus den vier Weltgegenden; aber damit ist ja nur gemeint, von allen Seiten zusammengezogen. Also von allen Seiten der Weltperipherie, des Umkreises, werden die Gesetze wirksam, wenn der menschliche Ätherleib gebildet wird.
Da kommt nun etwas, was von vorneherein, wenn man es darlegt> für den Menschen der Gegenwart etwas außerordentlich Schockierendes, etwas außerordentlich Frappierendes hat. Sie werden mir recht geben, wenn ich sage: Zünden wir hier eine noch so starke Flamme an, so wird die Lichtstärke um so weniger für uns bedeuten, je mehr wir uns entfernen von der Lichtquelle, und es tritt endlich in einer gewissen Entfernung ein Punkt ein, wo diese Lichtquelle kaum noch in Betracht kommt, wo sie schon so schwach geworden ist, daß wir jedenfalls nicht mehr lesen können; wo wir, wenn irgendwo in einer großen Entfernung ein Licht ist, für alle praktischen Zwecke sagen können, es sei eben kein Licht da. Das wird jeder zugeben. Ebenso gibt die heutige Wissenschaft zu, daß die Schwerkraft mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, immer schwächer wird, je weiter man in den Umkreis kommt. Was aber die Menschen heute gar nicht bedenken, das ist das Folgende. Wir sprechen auf der Erde in unseren Worten die Gesetzmäßigkeiten aus, die auf der Erde geltend sind. Auch die Gesetzmäßigkeit, die wir als Erdenmenschen aussprechen, nimmt ab, wird immer schwächer und schwächer und ist endlich für eine gewisse Weite praktisch gar nicht mehr da. Sie können noch so schlau Naturgesetze aufstellen für irdische Verhältnisse, Sie können noch so schlau geschichtliche Sätze aufstellen für dasjenige, was auf der Erde geschieht: diese Gesetze, die Naturgesetze und geschichtlichen Gesetze gelten in einem gewissen Umkreise ebensowenig, wie die Stärke der
Schwerkraft oder eine Lichtstärke da noch eine Bedeutung hat. Daher ist es naiv, wenn jemand etwa behaupten wollte, daß für einen Stern, der so und so viele Lichtjahre weit entfernt sein soll, dieselben Naturgesetze gelten wie bei uns. Denn die Gültigkeit unserer Naturgesetze besteht eben nur für die irdischen Verhältnisse, hört auf, wenn wir hinausdringen in den Weltenraum. Aber die Äthergesetze kommen aus den Weiten des Weltenraumes. Erwarten wir von da dieselben Gesetze, wie sie die Naturgesetze der Erde sind, dann begreifen wir niemals das ätherische Dasein. Schon indem wir von dem Ätherleib des Menschen sprechen, müssen wir von etwas sprechen, das ganz andern Gesetzen folgt, als es die Naturgesetze der Erde sind.
Da liegt dasjenige, was für die heutige Menschheit frappierend, schockierend ist, was aber nach und nach begriffen werden muß.
Sonst wird sich diese heutige Menschheit eben einfach einspinnen in irdische Verhältnisse und nicht mit ihrer Seelenverfassung über diese irdischen Verhältnisse hinauskommen. Ich will Ihnen das jetzt in einer Form sagen, in der man es sagen kann - oder wenigstens sagen können sollte -, wenn man eine Zeitlang innerhalb eines Kreises über anthroposophische Wahrheiten gesprochen hat. Denn würde man das heute vor einem sonstigen Kreise sagen, was nun zu sagen sein wird, so würden die Leute vermeinen, man sei nicht ganz bei Sinnen. Aber das ist ja gar kein Vorwurf. Denn solange man bei Sinnen ist, behält man eben die Sinneswissenschaft. Also im Grunde genommen muß man es mit solchen Dingen, weil der Sprachgenius ganz richtig wirkt, ernst nehmen können. Jemandem, der Geisteswissenschaft vorträgt, sollte man höchstens den Vorwurf machen, er sei nicht bei Geist.
Das ist gar kein Vorwurf: er sei nicht bei Sinnen. Man muß nur mit vollem Be`uußtsein bei Geist sein, darauf kommt es an. Aber wenn man sagt, man hat nur ein berechtigtes Bewußtsein, wenn man bei Sinnen ist, dann müß man auf die Geisteswissenschaft verzichten.
Die Leute deklamieren heute allerorten: Es gibt gewisse ungeheuer einfache Gesetze, auf die kommt man zuletzt. - Die Leute nennen es Axiome oder irgendwie, es kommt jetzt nicht auf die Namen an. Ich will solche Axiome nennen. Das eine Axiom lautet: Das Ganze ist stets größer als einer seiner Teile. - Das ist eine Selbstverständlichkeit,
sagen die Leute, und der, der gegen solche Axiome sündigt, der ist nicht ganz bei Sinnen, denn das Ganze ist größer als einer seiner Teile.
Oder: Die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten. Für irdische Verhältnisse und für die Sinneswelt gilt das im vollsten Umfange. Wenn wir zu den äußersten Abstraktionen gehen, kommen wir zu solchen Sätzen: Das Ganze ist stets größer als der eine seiner Teile, und: Die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten.
Aber wenn Sie in den Äther hineinsegeln, dann müssen Sie wirklich von der Sinneswelt durchbrechen in eine andere Welt, wo gerade die trivialsten Gesetze der Sinneswelt nicht mehr gelten. Sobald Sie in die Ätherwelt kommen, gilt das Gesetz nicht: Das Ganze ist größer als einer seiner Teile. Denn in der Ätherwelt verhält sich das zum Beispie] für den Menschen so: Schaut man dasjenige, was ätherisch hinter dem Teil der ganzen menschlichen Wesenheit steht, schaut man Leber, Lunge und sucht nach ihren ätherischen Korrelaten, dann ist jeder einzelne Teil des Menschen wesentlich größer als der ganze Mensch auf Erden. Und wenn Sie je glauben würden, der Mensch sei größer als seine Leber, so würden Sie niemals in das Geistige hineindringen können. Denn im Geistigen wird ein Ganzes dadurch, daß die größeren Teile zu einem Kleineren zusammenwirken, daß gerade durch das Zusammenwirken der größeren Teile das Ganze entsteht.
Noch klarer wird Ihnen das vielleicht für das andere Beispiel, die Gerade sei der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten. Ja, das gilt in der Welt des Physischen. Da ist, wenn man hier einen Punkt hat und hier einen zweiten, der gerade Weg der kürzeste. Aber wenn Sie in die Ätherwelt hineinkommen, dann ist jeder Weg leicht, der gemacht wird, jeder krumme, jeder geschlängelte, und will man den geraden Weg treffen, so spießt er sich. Er spießt sich in jedem Punkte, er ist eben am alIerlängsten, um von einem Punkte zu einem zweiten zu kommen. Daher ist gegenüber der Ätherwelt ein solcher Satz: Die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten - ein Satz, der einen einspinnt ins Physische, der macht, daß man überhaupt nicht herauskommt aus der Kruste, in die man eingeschlossen ist. Solange man nicht ernst macht damit, daß schon in der ÄtherweIt alles anders und sogar entgegengesetzt ist gegenüber dem in der physischen Welt,
so lange kommt man nicht zu einem Begreifen in die geistige Welt hinein.
Die Menschen möchten gerne die Glieder der Menschennatur kennen: physischer Leib, Ätherleib, astralischer Leib, Ich. Aber jetzt möchten sie die Sache so haben, daß sie ganz dieselbe Art des Denkens auf den ätherischen Leib anwenden, die sie auf den physischen Leib angewendet haben. Das geht aber eben nicht, weil in demselben Maße, in dem man sich von der physischen Welt - das ist aber identisch mit der Erdenwelt - entfernt, nimmt die Gültigkeit der Naturgesetze ab, und ganz andere Gesetze treten an ihre Stelle. Ich mache Sie alle nur darauf aufmerksam, wie schon, wenn man zu diesem zweiten Gliede der Menschennatur kommt, durchaus die Notwendigkeit auftritt, sich in ein ganz anderes Denken hineinzubegeben.
Aber sobald man nun in dieses andere Denken hineinkommt, muß man im umfänglichsten Sinne mit diesem andern Denken ernst machen. Sie können, wenn Sie in der physischen Welt noch so weit herumgehen, allerlei finden, zwar nicht Atome, aber Sie können Zellen und dergleichen finden. Aber niemandem sollte es einfallen, daß er unter dem Mikroskop zum Beispiel oder im Teleskop Gedanken finden würde. Die muß man auf andere Weise finden. Sie können über das Gehirn bis zum Ende aller Tage mikroskopieren, Gedanken werden Sie darinnen nicht finden, die gehen nicht in das Mikroskop hinein. Aber gerade das ist ein Beweis, daß man im Mikroskop und überhaupt im ganzen Sehen eben nur die physische Welt findet, denn die Ätherwelt besteht aus lauter Gedanken. Die Ätherwelt ist Wirksamkeit der Gedanken als Kräfte. Und sobald man beim Menschen vom physischen Leib zum Ätherleib vordtingt, so ist dieser Ätherleib durch und durch aus Gedanken bestehend, aber die Gedanken wirken als Kräfte. Wir sind ganz durchzogen von Gedanken, überall durchsetzt von Gedanken, aber die Gedanken wirken als Kräfte.
Das hat aber nun eine sehr wichtige Folge für die Anschauung der menschlichen Wesenheit. Denn denken Sie sich jetzt, Sie legen sich schiafen. Da liegt im Bette der physische Leib und der Ätherleib. Der Ätherleib ist voller Gedanken. Er ist eine Art Auszug, eine Art Extrakt aus dem Äther der Welt, und der Äther der Welt ist wirksame
Gedankenwelt. Und daher gilt es, daß tatsächlich der Ätherleib des Menschen etwas außerordentlich Gescheites ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, voller lichtvoller und widerspruchsloser Gedanken ist.
Und indem der Mensch mit seinem Ich und seinem astralischen Leib seinen physischen Leib und Ätherleib verläßt, verläßt er eigentlich eine sehr gescheite Wesenheit. Das einzige, was fatal ist, ist, daß der Mensch gar nicht wahrnimmt, wenn er schläft, wie gescheit der ist, der im Bette liegen geblieben ist. Denn daß wir bei Tage nicht so gescheit sind, beruht darauf, daß wir bei Tage mit unserem Ich und mit unserem astralischen Leibe untertauchen in den sehr gescheiten Ätherleib und ihn fortwährend verdummen. Denn insofern wir als Menschen unvollkommen sind, rührt das von unserem Ich und unserem astralischen Leib her. Unser astralischer Leib und unser Ich sind nicht imstande, sich aufzuschwihgen zu der inneren Gediegenheit, Klarheit und Weltangemessenheit des ätherischen Leibes. Wenn man den ätherischen Leib zum Sprechen bringen könnte und dann das ebenso treulich - oder untreulich - stenographieren würde, was der die ganze Nacht auszusagen hat über die Geheimnisse des Weltenalls, dann würde das etwas ungeheuer Gescheites sein, gescheiter sogar als dasjenige, was hier nachgeschrieben wird.
Also Weltgedanken als Kräfte wirken in dieserh ätherischen Leib des Menschen, und wir sind immer nur imstande, nach Maßgabe desjenigen, was wir in unserem astralischen Leibe haben, etwas - es ist immer sehr wenig - zu benützen von dem, was in unserem ätherischen Leibe ausgebreitet ist.
Und dennoch, was sind wir als physischer und ätherischer Leib, die im Bette liegen bleiben, wenn wir schlafen und unser Ich und unseren astlischen Leib herausgezogen haben? Wir sind da im Bette ein Wesen aus physischem Leib und ätherischem Leib, tragen also in uns bloß die Gesetzmäßigkeiten des Pflanzlichen. Und dasselbe> was wir an uns bemerken können, indem wir gewissermaßen zurückschauen, wie in strahlender Geistesklarheit aus unserem schlafenden ätherischen Leib die Weisheit der ganzen Welt herausleuchtet, in dem, was wir so am Menschen beobachten könnten im zurückgewandten Blick, haben wir im Grunde genommen vor uns im Kleinen alles dasjenige, was wir
auch vor uns haben, wenn wir die Erde anschauen, indem sie als physische Kugel da ist, aber aus sich heraus die Pflanzenwelt sprießen und sprossen läßt, und diese Pflanzenwelt von allen Seiten ätherisch angeregt wird von den Weltgedanken, die im Weltenäther webend wirksam sind. Das ist dieses unendlich erhabene Bild des Kosmos; des Kosmos, der vor uns liegt, wenn wir nur einmal hinzuschauen vermögen auf alles dasjenige, was aus jeder einzelnen Pflanze auf unserer Erde wie, ich möchte sagen, aus geistigen Feuerflammen heraussprießt, Linien und Wellenzüge zieht bis in die fernsten Gegenden des Raumes. So daß wir in der Tat vor uns haben die Erdenkugel, aus dem entferntesten Punkte des Raumes hereinsprießend die Kräfte, die die Vegetation aus der Erde herausbringen, und wiederholt in jedem einzelnen schlafenden Menschen diese Erdenbildung.
Wenn wir dieses Bild vor uns hinstellen, müssen wir uns aber alles dasjenige wegdenken, was in unserem Ich und in unserem astralischen Leib ist, und wir müssen uns wegdenken von dem kosmischen Bilde das Bild der Tiere mit ihrem astralischen Leib. Dasjenige, was in unserem astralischen Leib ist, gehört eben nicht dem an, was auf der einen Seite irdisch ist, was auf der andern Seite ätherisch ist, sondern es gehört wiederum einer ganz andern Welt an, aber einer solchen Welt, die wir gar nicht auf dieselbe Weise suchen, wie wir den Äther suchen. Wenn man es bildhaft beschreibt, und diese Dinge können eben nur bildhaft beschrieben werden, weil man sonst in irdische Vorstellungen hineinkommt, so müßte man sagen: Wie kommt man zu einer Vorstellung vom Weltenäther? - Man kommt zu einer Vorstellung vom Weltenäther, wenn man dasjenige, was hier auf Erden ist, eiin`ach nach auswärts verfolgt, wenn man sich immer weiter und weiter nach auswärts schwingt - man muß das natürlich geistig tun. Hier auf der Erde ist eigentlich die Wirksamkeit des Äthers kaum leicht wahrzunehmen, denn da ist sie am schwächsten. So wie die irdischen Beleuchtungseffekte zum Beispiel am schwächsten werden weit draußen, so ist die Wirksamkeit des Weltenäthers am schwächsten in der Nähe der Erde. Sobald wir hinausgehen in die Weltenfernen, wird immer mehr und mehr das eigentliche Wesen der ätherischen Wirksamkeit Tatsache. Gehen wir hinaus in die Weiten der
Welt, dann beginnt uns aufzuleuchten, wie das Physische der Erde in das Ätherische eingewoben wird nach ganz andern Gesetzen, als diejenigen sind, die auf der Erde zu finden sind. Aber könnte man nun ganz hinauskommen bis zu den Grenzen, wo der Äther von außen hereinsprüht seine Wirkungen, dann würde man etwas Kurioses erleben. Die oberflächlichen physischen Denker Sagen: Wenn du dich hier von der Erde in radia1er Weise hinaus in die Welt bewegst, dann kannst du ins Unendliche fortgehen. Höchstens werden noch diejenigen, die etwas neuere Geometrie kennen, sagen: Wenn man da ins Unendliche hinausgeht, kommt man auf der andern Seite wiederum zurück, es wird nur etwas lange dauern. - Aber das ist gedacht, in der Realität ist es nämlich nicht so. In der Realität kommen Sie wirklich an ein Ende, wenn auch der Weg für irdische Verhältnisse, oberfIachIich ausgesprochen, unendlich genannt werden kann. Die Welt hat ein Übergehen von irdischer Gesetzmäßigkeit zu kosmischer Gesetzmäßigkeit, die hereinstrahIt. Die Welt ist ein geschlossenes Ganzes, und kommt man ans Ende - Sie müssen sich das nur bildlich vorstellen -, dann trifft man überall an das Innere einer Kugeloberfläche. Da strahlt dann herein das AstraIische. Das Astralische beginnt von außen hereinzuwirken, indem es sich des Ätherischen bemächtigt.
Aber da kommen Sie noch immer nicht zu irgend etwas, was das Ich ist. Sie kommen, wenn Sie die Welt verfolgen, zunächst auf die Natur, auf die physische Natur, auf die Erdennatur, von da ins Ätherische, am Ende des Ätherischen ins Astralische. Aber Sie kommen da noch nicht in diejenige Welt hinein, der das Ich des Menschen angehört. Die ist zunächst überhaupt in diesem Bereich des Kosmos, der selbst für die astralischen Sinne aufzufinden ist, nicht vorhanden, sondern das Ich gehört noch einer weiteren Welt an, die wiederum durchaus eigene Gesetze hat. So daß, wenn man von der menschlichen Wesenheit spricht, man sich klar sein muß darüber, daß die verschiedenen Glieder ganz verschiedenen Welten angehören. Man hat es nicht mit einer bloßen Einteilung zu tun, sondern mit der Darstellung der Tatsache, daß in der menschlichen Wesenheit zusammenffießen die Wesenheiten radikal voneinander verschiedener Welten.
Und nun, in dem Augenblick, wo Sie überhaupt nachdenken wollen über die Differenzierung von Wachen und Schlafen, müssen Sie sich schon Gedanken machen auch über diese Differenzierung der verschiedenen Welten. Denn dasjenige, was wir eigentlich in unserem Ich und in unserem astralischen Leib haben, das gehört nicht derselben Welt an, der die beiden Glieder der menschlichen Natur an- gehören, die im Bette liegen. Dasjenige, was wir im Bette liegen gelassen haben, haben wir der mineralischen und pflanzlichen Welt für die Zeit des Schlafes übermittelt. Dasjenige, was wir an uns tragen als Ich und astralischer Leib, haben wir herausgenommen aus der pflanzlichen und mineralischen Welt, haben es heraufgehoben in eine andere Welt, die nicht die pflanzliche und nicht die mineralische Welt ist.
Und was geschieht jetzt, während wir schlafen? Während wir schlafen, geht in dem, was da im Bette liegt, genau dasselbe vor, was draußen in der Welt vor sich geht im mineralischen Reich und im pflanzlichen Reich, solange die Pflanzen nicht von den Tieren gefressen werden. Denn da wirkt das Astralische aus der Tierwelt herein. Aber wenn wir von den Menschen und Tieren absehen und bloß die Erde mit den Pflanzen in Betracht ziehen, so haben wir da diejenige Welt, der wir unseren physischen und Ätherleib während des Schlafes übergeben, und alles, was im Mineral- und Pflanzenreich vor sich geht, geht dann auch in unserem physischen und Ätherleib vor sich.
Nehmen wir an, wir könnten nicht schlafen. Ich habe schon einmal gesagt, die Menschen behaupten manchmal, sie können nicht schlafen, aber sie schlafen doch, wenn sie auch das Schlafen unterbrechen und oftmals aufwachen. Denn die Zeit, die manche Menschen angeben, in der sie nicht geschlafen hätten, ist so groß, daß sie längst tot sein müßten, wenn es wahr wäre. Also das Schlafen ist schon für die gesamte Weseriheit des Menschen notwendig. Aber wenn wir nicht schlafen würden - nehmen wir das an -, dann würden wir fortwährend in unserem physischen und Ätherleib darinnen wirtschaften mit unserem astralischen Leib und unserem Ich. Aber das vertragen physischer Leib und Ätherleib gar nicht. Der physische Leib folgt den Gesetzen der Erde. Der astralische Leib gehört ja der Erde gar nicht an, der
bearbeitet den physischen Leib fortwährend im Gegensatz zu den Gesetzen der Erde. Der physische Leib würde, wenn der Mensch nicht schlafen kann, ganz untauglich, weil er fortwährend von außer- irdischen Gesetzen bearbeitet wird. Wie wenn einer ein Feld des Mineralreiches fortwährend mit Hacken und mit Spaten bearbeiten und es dadurch ganz zerpulvern würde, so fängt unserastralischerLeib an, den physischen Leib zu bearbeiten. Der physische Leib muß wieder die irdischen Gesetze in sich geltend machen, damit er in gewisser Weise gefestigt wird. Und der Ätherleib wird dumm gemacht von dem astralischen Leib. Ich meine es nicht so schlimm, es gibt auch gescheite Leute> man braucht es den Leuten nicht immer vorzuwerfen, daß sie gescheit sind; aber tatsächlich, kosmisch an- gesehen, wirkt er so. Dann muß wiederum einmal der ätherische Leib dem Kosmos ausgesetzt sein, damit er eine Zeitlang diesen dumpfenden Einfluß los bekommt. Und so muß der Mensch mineralischer und vegetabilischer Kosmos werden, damit dasjenige, was in ihm ist, gedeihen kann, so daß ein bestimmter Zustand hergestellt ist, wenn wir aufwachen. Ich rede jetzt vom normalen Leben. Bei abnormen Erscheinungen schläft und wacht der Mensch natürlich auch.
Was wird nun für ein Zustand herbeigeführt, wenn wir aufwachen? Der Zustand, der da herbeigeführt ist, besteht darin, daß unser Seelisches, nämlich der astralische Leib und das Ich, zunächst nicht ganz hineinkönnen in den physischen Leib und in den Ätherleib. Sie können nämlich nie ganz hinein. Oh, was wären wir für gescheite Individuen, wenn wir ganz in unseren Ätherleib hinein könnten. Aber das zehrte uns auch auf, wir könnten es nicht ertragen. Es ist schon wirklich so, dieser astralische Leib ist im Grunde furchtbar egoistisch. Der ätherisehe Leib, der eigentlich seinem Wesen nach identisch ist mit dem Kosmos, er ist kein Egoist. Er ist auch nicht neidisch, er hat es auch nicht nötig. Aber der astralische Leib ist unterbewußt furchtbar neidisch auf den ätherischen Leib, der so weise ist, die Gedanken der ganzen Welt in sich enthält, - ist furchtbar neidisch. Und nun ist schon dafür gesorgt, daß die Sinne selbständig bleiben, Ich und astrallscher Leib selbständig bleiben während des Tages. Da kommen dann allmählich Ich und astralischer Leib immer mehr und mehr in die
Lage, sich tiefer hineinzusenken in den physischen Leib und in den Ätherleib. Aber das macht sie nur von der Sehnsucht durchdrungen, wiederum herauszugehen. Sie wollen dann schlafen, und daher werden sie müde, das Ich und der astralische Leib. Denn dadurch ist der Mensch überhaupt in der Lage, sich als ein selbständiges Wesen zu bewähren, daß er nicht aufgesogen wird während des Wachens vom physischen und vom ätherischen Leib. Würde der Mensch nach Ich und astrallschem Leib aufgesogen, dann wüßten wir von uns und von der Welt nichts, sondern wir befänden uns in dem Inneren unseres physischen Organismus, der bis zur Haut ginge, würden die Vorgänge in unserem physischen Organismus verfolgen, wüßten überhaupt nur von unserem Inneren etwas, und dann wüßten wir noch, daß in das Innere großartige, weisheitdurchdrungene Gedanken hereinsprühen, aber wir kämen auch da über diese Gedanken nicht hinaus.
Von irgendeinem andern Menschen, von Tieren auf der Erde, von andern Wesen auf der Erde wüßten wir überhaupt nichts, wenn wir ganz aufgingen in unserem physisChen und Ätherleib. Wenn wir nicht die Selbständigkeit bewahrten, daß wir in unseren physischen Leib und Ätherleib nicht ganz hineingehen, so könnten wir niemals Beziehungen begründen zur Welt, könnten nur etwas wissen von unserem physischen Leib und unserem eigenen Ätherleib.
Die Leute denken nach darüber: Wie kommt es denn, daß man sagt, der Tisch ist außer uns? - Zu dieser Aussage: Der Tisch ist außer uns -, käme man gar nicht, wenn wir ganz untertauchen würden in unseren physischen und Ätherleib. Wir würden nie zu einem Be'uußtsein kommen: Der Tisch ist außer uns -, würden nur dasjenige überhaupt erleben, was in uns ist, nämlich innerhalb der Haut unseres Körpers. Und da würde hereinglänzen ein innerlich geschlossenes WeItenllll, das ätherisch ist, weisheitsvoll. Aber das Urteil, es sei irgend etwas außer uns, das kommt daher, daß wir im Schlafe selbst außer uns sind. Da gewöhnt sich das Ich, wenn es außer dem physischen Leibe ist, an ein Sein außerhalb des physischen Leibes. Schlüpft das Ich wiederum hinein, dann hat es ein Verständnis für die Außenwelt. Dem Umstande, daß wir schlafen können, verdanken wir überhaupt die Möglichkeit, Dinge außer uns annehmen zu können. Wir
gewöhnen uns an das Sein außer uns dadurch, daß wir selbst uns außer uns versetzen im Schlafe.
Die Philosophen denken darüber nach, was das Sein verbürgt; warum ich überhaupt sage: Etwas ist - oder: Ich bin. - Würde ich von meinem physischen und ätherischen Leibe ganz aufgesogen, käme ich gar nicht dazu, zu sagen: Ich bin. - Aber dadurch, daß ich mich zwischen dem Einschlafen und Aufwachen unabhängig machen kann vom physischen und Ätherleib, gewöhne ich mich daran, auch mit der Außenwelt zu leben. Geradeso wie man bewußt eine Erinnerung hat, wie ich mich, wenn ich gestern jemanden gesehen habe, heute bewußt erinnere und dieser Erinnerung eine Realität zuschreibe, so schreibe ich dem, was außer mir ist, aus der Gewohnheit - weil ich auch zuweilen außer mir bin im Schlafe - eine äußere Realität zu.
Man muß also aus ganz andern Ecken heraus über die Dinge denken, als heute gedacht wird. Dann gelangt man aber dazu, so richtig zu wissen, wieviel davon abhängt, daß der Mensch nicht aufgesogen wird von seinem physischen und Ätherleib. Dann erst gelangt man dazu, wirklich einzusehen, wie auch das FreiheitsgefüM im wesentlichen dadurch bedingt ist, daß man auch außerhalb seines physischen und Ätherleibes sein kann. Die Menschen als Naturforscher, die gar nicht nachdenken über die Selbständigkeit eines Ich und eines astralischen Leibes im Schlafe, können niemals zum Verständnis der Freiheit kommen, denn der Mensch wäre nicht frei, wenn er alle Zeit nur mit seinem physischen Leib und seinem Ätherleib vereinigt wäre. Wie sollten diejenigen von der Freiheit wissen, die nichts wissen von denjenigen Zeiten, in denen der Mensch seinen astralischen Leib und sein Ich unabhängig macht von seinem physischen und seinem Ätherleib! Könnten wir nicht schlafen, könnten wir nicht frei sein. Nur was wir uns in das Wachen mitbringen vom Schlafen, das macht frei.
Von dieser Welt, in der das Ich und der astralische Leib also während des Schlafes sind, macht sich der heutige Mensch überhaupt keine Vorstellung. Weiß man aber, daß alles dasjenige, worüber sich der heutige Mensch Vorstellungen machen kann, im Bereiche des Mineralischen und Pflanzlichen liegt, dann weiß man, daß die heutige Wissenschaft eigentlich nur über den schlafenden Menschen zu entscheiden
hat und nicht über den wachen; und über den schlafenden auch nur, wenn man sich über den Äther solche Vorstellungen macht, wie ich sie heute angeführt habe. Weiß man das, dann wird man sich sagen: Nun muß ich aber auch zu Vorstellungen kommen können über Ich und astralischen Leib. - Heute hat man ja, wie ich schon neulich andeutete, nur Worte von diesen Dingen.
Wie kommt man zu Vorstellungen über Ich und astralischen Leib? Lassen Sie mich einen trivialen Vergleich gebrauchen. Erstens können sich dann Ihre Gedanken während des trivialen Vergleiches etwas ausruhen und zweitens verstehen wir uns doch besser, wenn ich diesen Vergleich einschiebe. Denken Sie sich einmal, irgendein Wesen, ein menschliches Wesen oder ein sonstiges Wesen, das auf Nahrung angewiesen ist, würde sich nicht ernähren, sondern die Nahrung ganz verweigern. ES wird immer magerer, zuletzt hat es nur Haut und Knochen. Das wird uns ja sehr schön symbolisiert durch eine Erzählung: Da war ein Bauer, der hatte beschlossen, seinem Ochsen das Fressen abzugewöhnen. Und nun war er ziemlich weit gekommen mit dieser Abgewöhnungskur. Er gab ihm täglich immer weniger und hatte die sichere Hoffnung, es so weit zu bringen, ihm täglich nur einen Strohhalm zu geben. Es wäre ihm auch gelungen, nur ist der Ochse früher gestorben, daher konnte er das Experiment nicht zu Ende führen. Zuletzt hört eben das Wesen auf, das nicht mehr Nahrung bekommen soll.
So ist es aber mit der menschlichen Seele im Laufe der geschichtlichen Entwickelung gegangen - oder wie wir das Seelische nennen: Ich und astralischer Leib. Die Menschen haben allmählich verloren irgendwelche Begriffe, die sie in das Seelische hineinschieben können.
So ist das Seelische zum bloßen Wort geworden. Ich habe Ihnen ja schon das letzte Mal gesagt: Mauthner, der die «Kritik der Sprache» geschrieben hat, wollte gar nicht mehr die Seele als Wort anwenden. «Geseel» wollte er sagen.
Nun erinnern wir uns an Zeiten, in denen noch ein lebendiges Bewußtsein davon vorhanden war, daß der Begriff der Seele Nahrung braucht, wenn er vorhanden sein soll; daß man für die Seele etwas braucht, was man ihr geben muß, geradeso wie man für ein lebendiges
Wesen Nahrung braucht. Der Begriff der Seele ist ja ganz gestorben, weil zuletzt nicht mehr Nahrung da war im Begriffsinhalt der Menschen. Schauen wir in solche Zeiten zurück. Ich erinnere Sie da an ein allen bekanntes Wort des Paulus: «Wäre der Christus nicht auferstanden, so wäre unsere Predigt eitel und eitel auch euer Glaube», denn die Menschen - das liegt dem zugrunde - müßten der Seele nach sterben, wenn nicht jene Kraft in die Welt gekommen wäre, die in der Auferstehung Christi liegt. Diese Kraft aber ist eine geistige Kraft, die den Seelen zugegeben wird. Und kommt man von solchen Vor- stellungen her, so wird man sich sagen: Was soll denn der Begriff der Seele, damit er ein lebendiger Begriff wird, gewissermaßen als Nahrung eingefiigt bekommen? Er muß als Nahrung eingefügt bekommen dasjenige auf Erden, was nicht irdisch ist, die ethisch-religiösen Inhalte, die sittlichen Inhalte. Die sind dasjenige, was die Seele am Leben erhält, so wie der Körper die Nahrung erhält.
Wie weit ist die heutige Menschheit entfernt davon, sich zu sagen: Wenn die Seele nicht geistige Nahrung bekommt, so stirbt sie mit dem Leibe! Zu Paulus> Zeiten war noch eine lebendige Vorstellung, daß es für die Seele eine Todesgefahr bedeutet, nicht geistige Nahrung zu erlangen. Das muß wiederum durch Anthroposophie in die Welt kommen. Denn Sie können glauben, wenn heute jemand einen Beweis sucht für die Unsterblichkeit der Seele, dann sucht er ihn so ähnlich, wie es die Naturwissenschaft macht. Es fällt ihm gar nicht ein zu sagen: Die Seele wird im Laufe des Erdenlebens dem physischen und Ätherleibe immer ähnlicher und ähnlicher; damit sie sich erhalten kanii> muB sie geistige Nahrung bekommen, das heißt sittlich-religiöse Inhalte, dann besiegt sie das Vergängliche des physischen und Ätherleibes. Daß also das Geistige, das Sittlich-Religiöse im Geistigen mit dem Leben der Seele etwas zu tun hat, das muß erst wiederum von der Menschheit verstanden werden. Dann kommt man auch dazu, dem Sittlich-Religiösen Wirklichkeit und Realität beizulegen.
Sie sehen daraus, was eigentlich das Zeitalter des Intellektualismus angerichtet hat. Was hat denn das Zeitalter des Intellektualismus gemacht? Sehen Sie, als das Zeitalter des Intellektualismus noch nicht da war, tauchten die Menschen noch immer ein wenig unter in ihren
physischen und Ätherleib. Daß die Menschen gar nicht mehr unter- tauchen, das ist erst die Errungenschaft des intellektualistischen Zeitalters. Seit der Zeit haben sie in ihren Gedanken auch nur Spiegelbilder. Das Wesen des abstrakten, des intellektualistischen Gedankens ist, daß er in sich selbst gar nichts enthält, weil er Spiegelbild ist. Die früheren Gedanken der Menschen hatten noch Kraft. Da bildeten die Menschen den Mythos aus. Der Mythos drang noch hinunter in die Realität. Mit dem abstrakten, intellektualistischen Denken kann man alles genau denken, aber es bekommt keinen Inhalt, sondern es ist lediglich eine Zeichnung der Welt, was man mit dem intellektualistischen Denken hat. So daß die Sache also so ist, daß das intellektualistische Zeitalter den Menschen ganz außer sich gebracht hat, ihn nur noch Spiegelbilder der Wirklichkeit erleben läßt. Die sittlich-religiöse Welt wird überhaupt nicht erlebt, wenn man sie intellektualistisch erleben will, weil die sittlich-religiösen Dinge ja getan werden müssen vom Menschen. Da werden keine Spiegelbilder erlebt, wenn sie nicht getan werden, die sittlich-religiösen Dinge. So handelt es sich darum, daß der Mensch, gerade um die Wirklichkeit des Sittlich-Religiösen in Realität zu erleben, über das Intellektualistische wiederum hinaus- wachsen muß zu einem realen inneren Erleben. Das kann man nur, wenn man in voller Klarheit dem Wollen der Geisteswissenschaft gegenübersteht.
Was ich schon an anderer Stelle genötigt war zu sagen, möchte ich auch hier wiederholen. Man kommt jetzt in gewissen Gebieten der Erde endlich darauf» daß ein Unterschied ist zwischen heute und vor hundert Jahren. Man redet so von Goethc> wie er, sagen wir, 1823 gelebt hat, indem rnan eines nicht betont, was jetzt erst in Amerika drüben, wo es noch stärker auftritt als in Europa, anfängt als Ahnung aufzuleuchten. Denken Sie, in dem Weimar, in dem Goethe herumgegangen ist - auch sonst, wo Goethe herumging -, da gab es ringsherum keine Telegraphendrähte, da gab es keine Telephonleitungen und so weiter. Da war die Luft nicht durchsetzt von Telegraphenleitungen, von elektrischen Leitungen. Nun denken Sie sich nur eInmal, wie fein die Instrumente sind, wohin man überall die Wirkung der Elektrizität schickt. Der Mensch hat aber lauter solche Apparate
vor sich und um sich. Den Leuten drüben in Amerika geht eine Ahnung auf, daß das auf den physischen Menschen einen Einfluß hat, daß er überall umschwirrt ist von elektrischen Leitungen und dergleichen. Goethe ging durch die Welt, ohne daß sein Körper Induktionsströme in sich hatte. Heute kann man irgendwo weit hinausgehen - man kommt gar nicht so weit hinaus, daß nicht die elektrischen Leitungen mirfolgen. Das induziert fortwährend Strömungen in uns. Goethe war nicht in solchen Strömen. Das alles nimmt der Menschheit den physischen Leib weg, macht den physischen Leib so, daß die Seele gar nicht hineinkommt. Wir müssen uns ja klar darüber sein: In. der Zeit, als es keine elektrischen Ströme gab, nicht die Luft durchschwirrt war von elektrischen Leitungen, da war es leichter, Mensch zu sein. Denn da waren nicht fortwährend diese ahrimanischen Kräfte da, die einem den Leib wegnehmen, wenn man auch wacht. Da war es auch nicht nötig, daß sich die Leute so anstrengten, um zum Geist zu kommen. Denn wenn wir hineinkommen in uns, kommen wir eigentlich erst zum Geist. Daher ist es nötig, heute viel stärkere geistige Kapazität aufzuwenden, um überhaupt Mensch zu sein, als es noch vor hundert Jahren war.
Mir fällt es gar nicht ein, reaktionär zu sein und etwa zu sagen: Also weg mit all dem Zeug, den modernen Kulturerrungenschaften! Das ist nicht die Absicht. Aber der moderne Mensch braucht diese unmittelbare Hinwendung an den Geist, wie die Geisteswissenschaft sie ihm gibt, damit er durch dieses starke Erleben des Geistes tatsächlich auch der Stärkere ist gegenüber jenen Kräften, die gerade mit der modernen Kultur heraufkommen, unseren physischen Leib zu verfestigen, uns ihn zu nehmen. Sonst wird es dahin kommen, daß die Menschen, ich möchte sagen, den Anschluß versäumen in der Menschheitsentwickelung.
Dieses intellektualistische Zeitalter ist zum Heile der Menschheit ausgebrochen in einer Zeit, als die Menschen noch etwas untertauchen konnten in ihren physischen Leib. Wären wir so geblieben, wie die Menschen im 13., 14. Jahrhundert waren, mit jenen Seelenverfassungen dieser Menschen wären wir überhaupt nicht in der Lage, die intellektualistischen Gedanken zu fassen. Dann würden wir zwar das
Ältere nicht mehr haben, aber zu abstrakten intellektualistischen Gedanken gar nicht kommen; sie würden verrauchen. Das Alte würde uns entfremdet, denken könnten wir nicht, und so würden wir als träumende Wesen herumgehen in der Welt, so taumelnd gegenüber den wichtigsten Weltangelegenheiten. Wir würden so wie taumelnde Träumer herumgehen. Aber das würde der Menschheit auch bevor- stehen, wenn sie nicht die inneren geistigen Fähigkeiten verschärft und verstärkt. Die Menschheit würde unter dem Fortschritt so zu leiden haben, daß dem Menschen gleich etwas weh tun würde, wenn er denken sollte. Im 16. Jahrhundert waren noch die Leute innerlich so robust, daß sie sich scharfe intellektualistische Gedanken machen konnten. Da hatten sie noch eine große Freude daran, sich intellektualistische Gedanken zu machen. Heute sind wir schon sehr nahe daran, daß der Mensch sagt: Ach, nachdenken, es ist so schwer, verfilmt mir die ganze Geschichte, damit ich nicht zu denken brauche, daß ich sie mir in ihren verschiedenen Stadien anschauen kann! - Merkwürdige Dinge könnten da entstehen. Ich meine das wirklich nicht spaßhaft. Das ist etwas, wie Sie gleich sehen werden, was sehr im Bereiche der Möglichkeit liegt. Denken Sie sich nur einmal, wenn man das ganze Einmaleins filmen würde, dann könnte der Mensch immer einen Apparat vor sich tragen und dadurch, daß er den Rechnungsansatz macht, würde durch den bestimmten Klang das Richtige anspringen, und er hat die ganze Geschichte verfilmt vor sich. Der Mensch will nach und nach nicht mehr denken, weil es anfängt, unangenehm zu werden. Es wird unangenehm, das Denken. Der Mensch träumt schon viel lieber, als daß er denkt. Und wenn jene äußeren Dinge, die äußere Kulturentwickelung immer weitergehen würde und nicht ein starkes inneres Geistiges in der Entwickelung auftreten würde, dann wäre es eigentlich so, daß die Menschen alle zu herumtaumelnden Träumern würden. Das ist ganz ernst gemeint, solch eine Sache steht der Menschheit in Aussicht. Und gerade dieser Sache kann nur entgegengewirkt werden, indem man sich wirklich darauf einläßt, mutig und kühn auf die geistige Welt so loszugehen, wie Geisteswissenschaft das will und wie sie es auch kann. Es ist heute durchaus noch die Möglichkeit, daß wir uns innerlich so stark aufraffen als Menschheit, daß man zu innerer
Aktivität kommt. Aber es muß von allen denjenigen, die das einsehen, in ernster Weise mit allen Mitteln gearbeitet werden.
Bitte, fassen Sie die Dinge, die ich im negativen Sinne sage, nicht negativ auf. Ich will gar nicht etwas aus der modernen Kultur wegnehmen. Je mehr die Dinge ausgebildet werden, desto mehr bin ich dafür enthusiasmiert. Ich will weder den Telegraphen noch den Film abschaffen, das fällt mir gar nicht ein. Aber es ist wirklich nötig in der Welt, zu berücksichtigen, daß überall zwei Dinge einander gegenüberstehen. Die Welt steht ganz im Zeichen der Veräußerlichung. Der Ausgleich: Geradeso wie man sich trocknen muß, wenn man gebadet hat, so muß man sich im Geist vertiefen, wenn auf der andern Seite die Kultur der äußeren Veranschaulichung immer größer und größer wird. Gerade das fordert uns auf> innerlich um so aktiver und aktiver zu werden, wenn wir äußerllch eingefangen werden in dasjenige, was nicht mehr durch uns wirkt, sondern an uns wirkt, so daß wir uns als Seele und Geist förrnlich ausschalten.
Diese Gedanken, die wir brauchen, finden wir am allerbesten dadurch, daß wir uns recht klarmachen: Dieser Mensch ist ein so kompliziertes Wesen dadurch, daß die Wesenheiten verschiedenster Welten in ihm zu einem Totalwesen zusammenfließen. Als ich meine «Geheimwissenschaft im Umriß» geschrieben hatte, da schickte mir - ich habe das schon einmal erwähnt - ein recht bedeutender Philosoph der Gegenwart eine lange Abhandlung über diese «Geheimwissenschaft» zu. Und als ich anfing, sie zu lesen, standen gleich solche gescheiten Dinge darin: Ja, das ist eine abstrakte Einteilung des Menschen in physischen Leib, Ätherleib, astraIischen Leib und so weiter. - Nun ist das geradeso gescheit, wie wenn einer sagt: Es ist abstrakt zu sagen, das Wasser besteht aus Wasserstoff und Sauerstoff. Man braucht sich nicht zu verwundern, wenn man sagen muß: Mit so jemandem läßt sich nicht diskutieren. Wir müssen immer unterscheiden die Unmöglichkeit, über das Sachliche mit unseren Zeitgenossen zu diskutieren. Solche Diskussionen sind unfruchtbare Diskussionen. Sie sind freilich auch das Seltenere. Das Häufigere sind die Fälle> wo die Gegner auftreten mit persönlichen Verleumdungen und Lügen. Da handelt es sich darum, die Lüge als Lüge, die Verleumdung als Verleumdung
vor der Welt anschaulich zu machen. Aber mit Diskussionen ist außerordentlich wenig getan. Denn darin besteht gerade das Wesen der Anthroposophie und das Wesen dessen, was solche Gegner vorzubringen haben, die nun irgendwie diskutieren wollen: daß eben keine Brücke geschlagen werden kann; daß Anthroposophie durch ihre eigenen Kräfte sich herausringen muß auf allen Gebieten. Wir müssen ebenso wachsam sein, Verleumdung und Lüge zurückzuweisen, wie wir auf der andern Seite uns klar sein müssen, daß die Anthroposophie ihren Weg durch die Welt nur dadurch machen kann, daß sie aus ihrer inneren Kraft heraus mit aller Intensität arbeitet. Also, Behandlung der Gegner heißt: Da, wo mit unwahren Mitteln gekämpft wird, wachsam sein. Dagegen - nun gewiß, es kann Opportunität es notwendig machen, daß man aufmerksam macht, wie berechtigt das eine oder andere ist; das kann man ja tun> wenn man bloß einen fingierten Gegner vor sich hat. Manche haben es gerne so gemacht, daß sie die Widerlegungen, die in meinen Schriften darin stehen, abgeschrieben haben und nur das weggelassen haben, was das Positive war. Also es ist schon so, daß man sachliche Widerlegungen aus meinen Schriften selbst entnehmen kann. Es ist notwendig, in diesen Dingen klar zu sehen und nicht schon das Träumen auf diesem Gebiete anzufangen.
Nun verzeihen Sie, daß fast jede Betrachtung jetzt, auch wenn sie versuchte, in etwas entiegenere Gebiete einzuführen, doch mit einer solchen Aufforderung schließen muß. Das Schädlichste für die Anthroposophische Gesellschaft bleibt, wenn sie eine zu große Neigung entwickelt zum Scldafen; sie muß wach sein. Der Mensch wird zur Pflanze, wenn er schläft. Aber auch die Anthroposophische Gesellschaft bekommt ein Pflanzendasein, wenn über ihre eigentlichen Angelegenheiten geschlafen wird. Ebensowenig wie der Mensch vertragen kann, immer Pflanze zu sein, nicht das ganze Leben schlafen kann, ebensowenig kann es die Anthroposophische Gesellschaft vertragen, wenn man immer schläft. Es muß auch Wachsamkeit entwickelt werden. Und das möchte ich unterschiedslos der Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Anthroposophischen Gesellschaft empfehlen. Denn sonst könnte es herauskommen, daß beide
Gesellschaften nur nebeneinander sich entwickelt haben, weil, wenn sie zusammengeblieben wären, die Angehörigen der einen und der andern sich gegenseitig zu stark den Schlaf stören würden. Wenn man aber selbständig ist, dann stören die andern weniger den Schlaf, und man kann um so besser schlafen.
Es wird sich darum handeln, daß bei beiden Gesellschaften die Einsicht aufdämmert, daß beide nun durch ihre eigenen inneren Kräfte wach und nicht froh sind, daß die andere nun nicht weiter den Schlaf stört. Ich will selbstverständlich gar nicht anzüglich werden, aber manchmal muß man solche Dinge sagen und muß sie sogar der Freien Anthroposophischen Gesellschaft sagen. Soll schon nicht eine das Schoßkind sein, sO sollen schon beide ganz menschlich behandelt werden. Also ich möchte, daß das ein wenig berücksichtigt würde. Ich glaube, der eine oder der andere weiß doch schon sogar heute, was ich eigentlich meine. Man sagt oftmals, man weiß nicht, was ich meine, aber ich glaube dennoch, wenn man will, kann man wissen, was ich meine, und sogar dann, wenn ich zum Aufwachen auffordere, kann man wissen, was ich meine, wenn es auch unangenehm klingt.
Also, meine lieben Freunde, schicken Sie Ihre Delegierten zu der Delegiertenversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft in Dornach vom 20. bis 22. Juli. Schicken Sie sie recht wach. Denn Wachheit brauchen wir in der Zukunft, volle Wachheit in der ganzen Anthroposophischen Gesellschaft.
DREI ETAPPEN DES ERWACHENS DER MENSCHLICHEN SEELE Prag, 28. April 1923
Heute möchte ich esoterisch einiges hinzufügen dem, was ich gestern im öffentlichen Vortrag sprechen durfte. Geradezu eine Art esoterischer Ergänzung soll es sein, was ich heute zu Ihnen sprechen möchte. Wenn der Mensch aus jenem Dasein, das ich gestern das vor- irdische genannt habe, zuerst durch das Keimesleben hereinwächst in das physisch-irdische Dasein, so sehen wir, wie in diesem physischen Dasein das Geistig-Seelische, das im Anfang verborgen ist, sich aus dem physischen Leibe heraus geltend macht, wie das Kind gleichsam hereinschläft in die physische Erdenwelt. Wir sehen, daß das Leben des Kindes im Verhältnis zur Umwelt geradezu noch eine Art Träumen ist, daß es allmählich erst erwacht. Dreierlei aber finden wir, das an besonders hervorragenden Punkten die Stufen dieses Erwachens darstellt. Von diesem Dreierlei wird einiges mit jener innigen Freude beobachtet, mit jener hingebungsvollen Liebe, mit der man das Kind, wenn man ein voller Mensch ist, immer beobachtet. Aber die volle Bedeutung dieser Dreiheit geht einem eigentlich erst auf, wenn man durch Geisteswissenschaft das geistig-seelische Leben im physisch- leiblichen Dasein beobachten kann. Diese Dreiheit ist das Gehen- lernen, das Sprechenlernen und das Denkenlernen. Sie wissen, in einem wie frühen Lebensalter der Mensch diese Dreiheit durchmacht. So ist nämlich die sinngemäße Reihenfolge. Wir werden gleich sehen, warum diese sinngemäße Reihenfolge so sein muß. Sie kann anders sein, das Naturgemäße ist aber doch diese Reihenfolge.
Das Gehenlernen ist etwas, was nur in ganz einseitiger Weise auf eine Reihe von Dingen hinweist, welche sich das Kind zugleich aneignet. Das Kind tritt ja so in die Welt, daß es in einer ganz andern Gleichgewichtslage darin ist als derjenigen, in der es sich später in der Welt bewegt. Zugleich ist damit der richtige Gebrauch der Arme verknüpft, auch die richtige Einstellung des menschlichen Organismus in die Lage, die dem Menschen gegenüber der Welt die entsprechende
ist, in die dem Menschen entsprechende Bewegungsfähigkeit im irdischen Dasein. Das ist, was das Kind zunächst lernen muß. Aus dem, was sich da der Mensch an Beweglichkeit aus seinem Organismus an- eignet, fließt, was ihn einordnet in die Gleichgewichtslage gegenüber dem Festen, Flüssigen, Gasförmigen. In alledem liegt die Grundlage, der Boden für etwas anderes. Indem der Mensch diese ganze Betätigung vornimmt, das Gehenlernen, das Gleichgewicht, die Arme und Finger gebrauchen lernt, wirken jene Bewegungen, die in seinem ganzen System sich vollziehen, herauf in dasjenige System, das der menschlichen Sprache zugrunde liegt. Das sparitit die Muskeln an, das bewegt das Blut, übt einen Einfluß auf den ätherischen Leib des Menschen aus, überträgt sich auf jene physischen, ätherischen, astralischen Organe der Atmung, das setzt sich fort, übt eine gewisse plastische Tätigkeit an dem Gehirn aus. Man möchte sagen, es überträgt sich auf diejenigen Organe, die aus dem Menscheninneren durch Nachahmung seiner Umgebung die Sprache herausbringen. Die Sprache ist umgesetzte Bewegung und umgesetztes Gleichgewicht des Menschen. Wer sich aus der Anschauung des Geistig-Seelischen die Wirklichkeit zur Erkenntnis bringen kann, sieht, wie im melodiösen Element der Sprache weiterwirkt die Geschicklichkeit - nicht die fertige, sondern die Anstrengung, die das Kind machen muß, um jene Geschicklichkeit zu erwerben, die unsere Hand beim Greifen ausübt. Was Rhythmus der Sprache ist, drückt sich aus in der Art, wie die Füße aufgesetzt werden, in den Gehbewegungen. Es ist sehr bedeutungsvoll zu beobachten, ob das gehenlernende Kind zuerst mit den Fersen, den Ballen oder den Zehen auftritt. Aus der Sprache wächst heraus, was aus dem Menschen herausschießt als kindliches Denken. Gehen, Sprechen, Denken: aus jenem dumpfen, traumhaften Bewußtseinszustand entwickelt sich das heraus. Wenn der Mensch geboren worden ist und das noch nicht kann, so ist diese Kraft doch im Kinde vorhanden in der letzten Nachwirkung, so wie sie im vorirdischen Dasein vorhanden ist. Geisteswissenschaft kann uns zeigen, wie das im vorirdischen Dasein vorhanden ist. Die ersten Sprachlaute sind nicht solche, welche Denken wiedergeben, sondern gehen hervor aus dem körperlichen Wohl- oder Mißbehagen.
Wie hat sich nun Gehen, Sprechen, Denken ausgenommen im vorirdischen Dasein? Wer die Äußerungen dieses Denkens sieht, so wie es ausfließt aus dem Kinde, indem er es rücklaööu~g betrachtet, dem verschwindet es in einem unbestimmten Dunkel. Es taucht ihm erst wieder auf in der letzten Zeit vor der irdischen Geburt. Da schaut man die geistig-seelische Wesenheit des Menschen in einem geistigen Verkehr mit jener Schar von Wesenheiten, die ich beschrieben habe in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» als Angeloi. Es ist ein Verkehr, der sich so charakterisieren läßt, daß man sagt: Da werden Gedanken nicht abstrakt gedacht und ausgesprochen, sondern es fließt ein lebendiger Gedankenstrom hin und her von Wesenheit zu Wesenheit; ein lebendiger Verkehr mit den Angeloi entsteht. Aus dem, was in die menschliche Seele an Kraft eingeflossen ist, entwickelt sich etwas, was vom Menschen wie verscMafen wird im Keimesleben, das sich aber später auftretend als Kraft des Denkens, des Vorstellens zeigt. Und wir haben dieses, um zum richtigen Verkehr mit den Menschen zu kommen. Denken Sie, was wir wären, wenn wir keine denkenden Wesen wären, was wir wären als Menschen untereinander! Alles, was wir als Menschen untereinander sind, sind wir dadurch, daß wir denkende Wesen sind. Hier auf der Erde verständigen wir uns als Mensch zu Mensch durch das Denken, das wir in die Sprache hinein- legen. Diese Art, wie wir uns hier durch das Denken verständigen, diese Art haben wir aus dem vorirdischen Verkehr mit den Engeln. Da können wir allerdings jenen Verkehr, wie mit den Engeln, auch mit den andern Menschen pflegen, die im vorirdischen Dasein sind; das nirnmt sich aus wie eine unmittelbare Gedankensprache. Erhaben darüber ist aber der Verkehr mit der Hierarchie der Engel, denn der gibt nicht nur Befriedigung für die Seele, sondern Kraft, die wieder- erscheint im Denken, welches das Kind auf der dritten Stufe seines irdischen Lebens sich aneignet.
Sehen wir nun auf die zweite Stufe, auf die Sprache. Sie ist nicht so sehr gebunden nur an das Sinnes-Nervensystem wie das Denken. Die Sprache ist gebunden an das Brustsystem, das rhythmische System des Menschen, an das, was sich auslebt in der Atmung, in der Blutzirkulation. Wenn wir das, was sich da dem Kind entringt, die äußere Welt
nachahmend in der Sprache> zurückverfolgen bis in das vorirdische Dasein, dann finden wir, daß der Mensch diese Kräfte aus jenem Verkehr hat, den er im vorirdischen Dasein pflegen durfte mit der zweiten Hierarchie, den Erzengeln, den regierenden Wesenheiten der Volksstämme, die diese Aufgabe haben, eben weil sie mit dem Menschen die Beziehung haben, die jetzt gekennzeichnet wurde. Diese Kräfte, die der Mensch bekommt im Verkehr mit den Erzengeln, sie tauchten unter in die Nacht und kommen erst wieder zum Vorschein in den Kräften des irdischen Sprachlebens, durch das wir uns mit andern Menschen verständigen. Was wären wir als Menschen untereinander ohne Sprache, wenn wir nicht das Ätherische der Gedankenwellen hineingießen könnten in die gröberen Luftwellen, die die Sprache vermitteln! Die Kräfte, die bewirken, daß unser rhythmisches System der Träger einer dichteren Offenbarung wird, haben wir von der Hierarchie der Archangeloi. Und so können wir das verfolgen, indem wir zurückgehen zum vorirdischen Dasein. Wir können nicht nur im Abstrakten sagen, der Mensch lebt da zwischen geistigen Wesenheiten-, sondern wir können in ganz bestimmter Form sagen, was uns diese oder jene Art von Wesen für eine Gabe für das Erdenleben verliehen hat. Wir danken diesen Geistwesen, das heißt, wir setzen uns zu diesen Wesenheiten in ein richtiges Verhältnis, wenn wir sagen: Für mein Denken danke ich den Angeloi, für die Sprache danke ich den Archangeloi.
Gehen wir nun zurück zum ersten, was das Kind lernt: zum Gehen, zum Lernen der Gleichgewichtshaltusig. Damit ist mehr verbunden> als man gewöhnlich denkt. Verbunden ist damit das Heraufholen eines ganz bestirntnten physischen Vorganges durch das Ich, der den Menschen aus dem kriechenden zu einem gehenden Wesen macht. Das Ich ist es, das den Menschen aufrichtet, der Astralleib ist es, der in die Sprachempflndung hineinwirkt in dem aufrechten Wesen, der ätherische Leib ist es, der das alles mit Denkkraft durchdringt. Sie wirken aber alle hinein in den physischen Leib. Wenn wir das Tier betrachten, das sein Rückgrat parallel zur Erdoberfläche hat, so ist das Tun, das Sich-Bewegen, Handeln, alles, was aus dem Astralen hervorgeht, etwas ganz anderes als beim Menschen, der als ein wollendes
Wesen aus seiner aufrechten, senkrechten Natur heraus handelt. Was beim Menschen Zustände sind, die sich so im Ich, Astralleib und Ätherleib abspielen, das ist im physischen Leibe eine Art Verbrennungsprozeß. Hier ist der Punkt, wo unsere physische Wissenschaft, wenn sie sich wird vervollkommnen wollen, den Zusammenschluß mit Anthroposophie wird finden können.
Man muß sagen: Die Verbrennungsprozesse beim Menschen sind ganz andere als beim Tier. Wenn die Flamme des organischen Wesens horizontal wirkt, vernichtet sie das, was aus dem Gewissen kommt, es kann nicht hereinwirken, was aus dem Moralischen kommt vom Gewissen. Daß sie beim Menschen durchströmt wird vom Gewissen, beruht darauf, daß die Willensflamme beim Menschen senkrecht auf dem Erdboden steht. In diesen Einschlag des Moralischen, des Gewisserihaften, versetzt sich das Kind ebenso wie in die äußere physische Gleichgewichtslage. Mit dem Gehenlernen schießt in den Menschen hinein die moralische Menschennatur, ja sogar das religiöse Durchsetztsein der Menschennatur. Das sind wahrhaft erhabene Kräfte, die da einwirken, wenn das Kind übergeht aus der kriechenden in die gehende Bewegung. Diese Kräfte, wenn wir sie zurückverfolgen durch das Dunkel des Kindesbewußtseins, sie führen uns zu einem noch höheren Umgang des Menschen mit den Wesenheiten, die wir Urkräfte, Archai nennen. Das alles wirkt nach, was der Mensch im vorirdischen Dasein durchgemacht hat. Wenn wir der gebetsartigen Formel: Für mein Denken danke ich den Angeloi, für die Sprache danke ich den Archangeloi - hinzufügen wollen ein drittes, so müssen wir sagen: Für mein Hineingestelltsein in das irdische Dasein nach physischen und moralischen Kräften danke ich den Archai, die es von noch höheren Wesenheiten haben.
Und nun können wir uns die Frage beantworten: Wie kommt es, daß der Mensch, der ein Helligkeitsbewußtsein hatte vor der Geburt, dann ein dumpfes Bewußtsein hereinbringt? Ja, darin taucht dasjenige unter, was wir zusammenfassen können unter den Begriff Gehkräfte, Sprachkräfte, Denkkräfte, die wir von den höheren Hierarchien hereinbekommen haben, um sie zu verwandeln. Wir sehen daher, wie das> was uns zu Menschen macht, wodurch wir Menschen
unter Menschen sind, uns im Zusammenhang mit den höheren göttlich-geistigen Welten zeigt. Diese göttlich-geistigen Welten betreten wir während des irdischen Lebens in gewisser Weise immer wieder von neuem. Es ist so, daß wir uns sagen müssen: Für die eigentliche Wesenheit des Menschen ist der Schlafzustand, aus dem ja die Träume hervorspielen, zum mindesten von einer ebenso großen Wichtigkeit wie der Wachzustand. Wenn der Mensch aus dem wachen Zustand in den Schlafzustand übergeht, beginnen ja gerade diese drei Fähigkeiten zu schweigen, die sich der Mensch in der geschilderten Weise angeeignet hat. Es schweigt das Vorstellen, das Sprechen und Tun. Da sehen wir allerdings, wie der Mensch, indem das Denken schweigt, wenn wir einschlafen, in demselben Maße, in dem seine Gedanken aus seinem Bewußtsein schwinden, in die Nähe der Angeloi kommt, und wie er, wenn die Sprechfähigkeit aufhört, in die Nähe der Archangeloiwesenheiten kommt. In dem Maß, wie der Mensch vollständiger Ruhe hingegeben ist, kommt er durch Stillegung seines Tuns in die Nähe der Archaiwesen, der Urkräfte.
Um was es sich aber handelt, das ist, daß wir in würdiger Weise in die Nähe dieser drei Hierarchien kommen gerade im schlafenden Zustand; daß wir in würdiger Weise in die Nähe der Angeloi, Archangeloi und Archai kommen. Hier ist der Punkt, wo man insbesondere reden müßte zu den Menschen der Gegenwart, denn es hängt da sehr viel davon ab, wie das Denken während des Wachens sich gestaltet, wie wir in die Nähe der Angeloi konimen. Es hängt ab von der Art, wie der Mensch seine Sprachkräfte in würdiger Weise gebraucht, ob er in würdiger Weise in die Nähe der Archangeloi kommt. Von der Art, wie er in richtiger Weise seine Bewegungsfähigkeit und seinen moralischen Sinn gebraucht> hängt ab, ob er in würdiger Weise in die Nähe der Archai kommt.
Wir leben in einer Zeit, wo die Menschen nicht mehr gerne in ihrem
Denken etwas haben möchten, was über die physische Welt hinausgeht, wo sie angeregt sein wollen durch die äußere Welt. Ein selbständiges, reines Denken> wie ich es als Grundlage für moralische Einsicht in der «Philosophie der Freiheit» schon vor dreißig Jahren gefordert habe, sucht man und erzeugt man bei den heutigen Kindern
leider recht wenig. Aber durch ein solches Denken, das noch Goethe und 5chiller ein idealistisches genannt hätten, reißt sich der Mensch los von der bloßen Wachenswelt im irdischen Dasein und behält etwas übrig für den Schlafzustand. So viel Kräfte haben wir, um uns im Schlafe den Angeloi zu nähern, als Idealismus in unserem Denken ist. Und so viel Ohnmacht haben wir zu den Schritten, die wir machen müßten zu den Angeloi hin, als Materialismus in unserem Denken wirkt. Es ist in demselben Sinne zu bemerken, wie jene Menschen während des Schlafes ahrimanischen Elementarwesen verfallen, zu denen sich dann ihr Denken wenden muß, die nicht durch Idealismus, den sie im Wachen entwickeln, die Kräfte finden, in die Nähe der Angeloiwesenheiten zu kommen. Es ist ja so schön, wenn das Kind so unmittelbar denken gelernt hat in einer Weise, von der sich die meisten Menschen gar keine Vorstellung mehr machen! Das Denken des Kindes, unmittelbar nachdem es denken gelernt hat, ist voller Geistigkeit. Es ist wunderbar zu sehen, wie bis zur Zeit, wo sie an- gefressen werden vom Materialismus, Kinder im Schlafe geradezu wie im Fluge ihren Angeloiwesen entgegengehen> wie sie verbunden werden mit den Engelwesen während des Schlafes. So können wir sagen: Im Schlafe suchen wir, aber nur durch den Idealismus, durch Vergeistigung der Gedankenwelt, jene Welten auf, aus denen wir uns herausentwickelt haben, um hier als Menschen unter Menschen das Denken zu erlernen.
Und wenn wir die Sprache betrachten: gerade dieselbe Bedeutung, die der Idealismus der Gedanken hat für den Verkehr mit den Angeloi, hat der Idealismus der Gesinnung für den Verkehr des Menschen während des Schiafes mit den Archangeloiwesen. Derjenige Mensch, der in seine Worte hineinzugießen vermag, wenn er sie an einen andern richtet, Wohlwollen, gütige Gesinnung, die sich hinüberlebt in die Seele des andern, die nicht an den Menschen vorübergeht, sondern mit dem Interesse, das man für den Menschen haben kann, auf ihn eingeht, jene Gesinnung, die man als idealistisch-wohlwollende Gesinnung bezeichnen kann, die ist es, die auch der Sprache den Wohl laut gibt. Wenn Astralleib und Ich in den Schlaf übergegangen sind, gibt sie dem astralischen Leib und dem Ich, die auch an der Sprache
beteiligt sind, die Kraft, in die Nähe der Archangeloiwesen zu kommen, während die unsoziale, egoistische Gesinnung es ist, die diese Kräfte zerstreut in die Welt der ahrimanischen Elementarwesen; so daß der Mensch, wenn er in den Schlaf kommt und er die Sprache nicht in idealistischer, richtiger Weise gebraucht hat, sich eigentlich entmenscht.
Ebenso ist es, wenn wir unsere Handlungen, unser Tun in einer Weise gebrauchen, die menschenfreundlich ist, die sich aber voll bewußt ist, daß der Mensch nicht nur jenes Wesen ist, das im Fleische lebt, sondern daß der Mensch seinem inneren Wesen nach ein geistiges Wesen ist. Denn aus diesem Bewußtsein entspringt die Achtung auch der andern Menschen als Geistwesen. Aus dem Tun aus dieser Aufftssung heraus gewinnen wir für den Schlafzustand diejenige Kraft, die uns in richtiger Weise in die Nähe der Archai bringt, während, wenn wir nicht in der Lage sind, menschenfreundliche Taten zu tun, wenn wir uns unserer nur als körperlicher Wesen bewußt sind, die entsprechenden Kräfte dann zerstreut werden in der Welt der ahrimanischen Elementarkräfte: wir entfremden uns der Menschennatur selber.
So bringt sich der Mensch dreierlei Gaben mit aus dem vor- irdischen Dasein, so knüpft er sie aber in dreifacher Art wieder an die ursprüngliche Gestalt zwischen Einschlafen und Aufwachen an, wenn er unbewußt bleibt, aber immer wieder in die Nähe dieser Wesenheiten kommt. Es ist dann das gerade so, wie wir hier auf Erden unseren Umgang mit den Menschen aus drei Quellen zu gestalten haben, der Gedankenquelle, der Sprachquelle und der Tatquelle. So stehen wir während unseres Schlaflebens in dreifacher Beziehung zu der geistigen Welt: zu den Engeln> zu den Erzengeln und zu den Urkräften.
Was wir hier im Verein mit diesen Wesen anknüpfen, ist von maßgebender Bedeutung, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen. Denn man kann durch Geistesschau erkennen, wie der Mensch immer näher und näher kommen kann den Angeloi-, den Archangeloi-, den Archaiwesen. Es ist allerdings etwas, was sehr schlimm werden kann für die zukünftige Menschheit, wenn sie sich ganz hingibt an die
ahtimanischen Elementarwesen, wenn der Materialismus des Denkens, Sprechens, Handelns immer mehr sich festsetzen wird. Aber dank der geistigen Welt haben die Menschenseelen heute noch - wenigstens für die meisten Menschen - so viel Erbschaft an guter Gesinnung des Denkens, Sprechens und Handelns, daß durch den Materialismus von heute noch nicht alles verderbt werden kann. Sehr matetialistische Menschen haben aus dem gegenwärtigen Erdenleben nicht viel, um in die Nähe der Hierarchien zu kommen, doch aus dem vergangenen Leben quillt empor, was sie hinbringt. Aber die Menschheit könnte sehr leicht einen andern Lohn entgegennehmen, wenn sie nicht eine geistige Lebensauffassung gewinnt. Die Idealisierung des Denkens, des Sprechens, des Tuns gibt dem Menschen die Möglich keit, gewissermaßen neue Verbindungen anzuknüpfen mit den drei Arten der göttlich-geistigen Wesenheiten, den Angeloi, den Archangeloi und den Archai, die der Mensch braucht für die Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Sonst müßte er in einer fernen Zukunft, wenn er nicht Zusammenhang hätte mit den Angeloi in dieser Zeit, als ein gedankengelähmtes Wesen geboren werden; wenn er nicht eine Verbindung eingegangen wäre mit den Archangeloi, als ein Wesen ohne Sprache; wenn er nicht Zusammenhang hätte mit den Archai, gelähmt an Gliedern und gelähmt an moralischen Impulsen geboren werden. Die Erdenmenschheit hat es in der Hand, durch Materialismus der Zivilisation und Kultur die ganze Erdenmenschheit zugrundezurichten, oder durch Vergeistigung sie zu einer höheren Höhe emporzuheben, die ich in meiner «Geheimwissensclaaft» genannt habe das Jupiterdasein des Erdenwesens.
Anthroposophie ist nicht eine Theorie. Jedes Wort, jeder Gedanke geht in unser ganzes Gedankenleben, in unser ganzes seelisches Menschenwesen über. Wir können nicht anders, als den Gedanken haben: Du bist ja ein verkrüppeltes Wesen, wenn du den richtigen Zusammenhang mit den höheren Wesenheiten nicht hast. - Das gibt uns auch ein Verantwortungsgefühl im moralischen Dasein gegenüber der geistigen Welt, und aus diesem kommt dem Menschen sein richtiges Verantwottlichkeitsgefühl gegenüber der physischen Welt. Nur daraus kommt es. Wenn Sie sich besinnen darauf, was da an dem Menschen
geschieht> wie er sich durch den Idealismus in seinen Gedanken in die Nähe der Angeloi bringt, wie er durch seine Worte, durch das, was an idealistischer Gesinnung enthalten ist im Sprechen, in die Nähe der Archangeloi bringt, durch das, was in seinen Handlungen an Idealismus enthalten ist, in die Nähe der Archai bringt, wie er sich während des Schlafes zu den drei Hierarchien hinaufringt, dann werden Sie auch begreiflich finden, was anthroposophische Forschung uns zeigt: daß dasjenige, was des Menschen Schicksal ist, in dieser Art gewoben ist. Das alles tragen wir durch die Pforte des Todes hindurch, und später wird es bewußt. Wir müssen nach dem Tode die Gedanken gestalten im Verkehr mit den Angeloi; mit dem, was wir an Gesinnung haben, müssen wir uns die Vorstellungen nach dem Tode erwerben. Die Art und Weise, wie wir uns durch die Sprache in die Menschheit hineinstellen, gibt uns die Fähigkeit, die Kraft, mit den Archangeloi zusammenzukommen. Durch die Art und Weise, wie wir unsere Glieder gebrauchen, müssen wir uns die Möglichkeit erwerben, durch den Verkehr mit den Archai ein Selbstbewußtsein nach dem Tode zu haben. So leben wir uns hinein, und so wird dasjenige gesponnen, was sich dann ausbildet in heller Bewußtseinskraft zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.
Wenn wir jetzt das Kind betrachten in den ersten Lebensjahren, so sehen wir das vorige Erdenleben nachwirken. Man sieht nicht bIoß in das vorirdische Leben> sondern in das vorige Erdenleben, und da erst eignet man sich den Blick für das ganze Erdenieben an. Da sieht man dann das Kind an, wie es gehen lernt, seine Arme handhaben lernt, man beobachtet, ob es auf den Ballen oder auf den Fersen geht. Nicht bloß so sieht man es an, wie es sich dem physischen Blicke darstellt, sondern wie früher gewisse Handlungen mit Zartheit, mit Weichheit, mit mitleidsvollem Herzen ausgeführt worden sind, wie das dem Kinde in diesem Leben den festen Schritt gibt, wie ein unsicherer, tänzelnder Schritt die Folge ist eines brutalen, mitleidslosen Auftretens im vorigen Leben. Jeder Schritt, den das Kind macht, das Ringen nach dieser oder jener Gestaltung des Schrittes, verrät uns, wie diese Gestaltung die Folge eines vorigen Erdenlebens ist. Das Physische lernen wir erkennen als Abbild desjenigen, was in dem
Kinde von einem früheren Erdenleben als moralischer Impuls lebt. Es ist das Großartigste, was man sehen kann, das Gehen lernen. Das Hauptmaß des Schicksals drückt sich im Gehenlernen aus. Die Freiheit des Menschen, sagte ich schon gestern, wird dadurch, daß der Mensch mit seinem Schicksal geboren wird, so wenig beeinträchtigt, wie dadurch, ob er blonde oder braune Haare hat.
Im Sprecheniernen drückt sich etwas anderes aus. Es ist das auch ein Zusammenhang mit dem vorirdischen Dasein, aber er ist schwer zu charakterisieren. Weil es schwierig auszudrücken ist, möchte ich Ihnen das in populäre Worte kleiden. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht, hat er sein Menschenwesen in einer gewissen Weise moralisch gestaltet. Er hat sein eigenes Wesen immer während des Schlafzustandes gewoben, und was er da gewoben hat, fängt er an, selber zu sehen. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geschritten ist, gelangt er in der richtigen Weise in die Nähe der Angeloi, Archangeloi, Archai. Aber dazu kommt noch etwas, was der Mensch von der zweiten Gruppe der Hierarchien hat. Diese gießen in den Menschen als ein weiteres, mehr unpersönliches Schicksal dasjenige hinein, was den Menschen in seinem kommenden Leben hineinstellt in eine bestimmte Sprache, einreiht in einen bestimmten Volkszusammenhang. Das persönliche Schicksal hängt damit zusammen, was der Mensch ist im Zusammenhange mit den Archai, die Sprachfähigkeit haben wir von den Archangeloi. Welche Sprache wir aber sprechen, das haben wir von viel höheren Wesen: den Exusiai, Dynamis, Kyriotetes.
Wenn wir auf das Denken, auf das Vorstellen sehen, steht es in einem Zusammerihang, wie ich es gezeigt habe, mit den Angeloi. Diese Wesen können dem Menschen die Gabe des Denkens verleihen. Diese Fähigkeit haben sie aber erst in der Erdenzeit errungen, die hatten sie nicht in der Mondenzeit. Dabei kommt für die Angeloi selbst eine Entwickelung zustande; dadurch kommen sie selbst in die Nähe der Seraphim, Cherubim, Throne. Dadurch haben sie die Fähigkeit errungen, einen unmittelbaren Verkehr mit den Thronen, Cherubim, Seraphim zu haben, und diese verleihen nicht eine Fähigkeit, die nur einer Menschengemeinschaft erteilt wird, sondern die der ganzen
Menschheit gegeben wird. Das Denken ist ja etwas, was für die ganze Menschheit gemeinsam ist. Daher die Logik, die über die ganze Welt hin die gleiche ist. Das Gehen, in dem sich das persönliche Schicksal ausprägt, haben wir von den Archai aus deren eigenen Kräften. Die Sprachkräfte hat der Mensch von den Erzengeln, aber diese richten sich dabei nach der zweiten Gruppe der Hierarchien. Von den Angeloi hat der Mensch die Denkfähigkeit, aber diese geben sie ihm unter dem Einfluß der höchsten Hierarchien.
So sind die Dinge verwoben in der Weltenordnung, und man ver steht den Menschen nur, wenn man ihn in seiner Verwobenheit mit der Weltenordnung ins Auge fassen kann. So versteht man nicht nur den einzelnen Menschen, sondern das Wesen eines lebenden oder ab- sterbenden Sprachstammes, eines mangelhaften oder vollkommeneren Denkens. Der Mensch steht auf der Erde in einem gewissen Dualismus darin. Er sieht die Wesen abhängig von gewissen Naturgesetzen. Und demgegenüber hat der Mensch ein Bewußtsein seines Zusammenhanges mit der Gottheit. Hier auf dieser Erde gibt es keine Verbindung zwischen physischer und moralischer Weltenordnung. Aber wenn wir zurückschauen in das vorgeburtliche und ins nachtodliche Leben, dann treten wir in eine Welt ein, wo diese beiden Welten in eine einzige verschmolzen sind. Der Mensch kann auch nicht richtig beurtellen, was er selbst ist, wenn er nicht in der Lage ist, sich als geistiges Wesen recht einzusehen. Der Mensch kommt nicht zu einer einheitlichen Weltanschauung, wenn er nicht hinaussieht über Geburt und Tod, wenn er nicht hineinblickt in die höheren Welten. Der Mensch braucht, um sein ganzes, volles Wesen zu verstehen, ein Bewußtsein, das durchsetzt ist von der Erkenntnis seines Zusammenhanges mit der geistigen Welt. - Das sind die Dinge, die ich Ihnen heute in einer mehr esoterischen Weise sagen wollte.
ANTHROPOSOPHIE - DER WEG ZU EINEM VERTIEFTEN VERSTÄNDNIS DES OSTERMYSTERIUMS Prag, 29. April 1923
Die Seelenverfassung, das ganze Leben der menschlichen Seele nehmen wir als Menschen zu sehr bloß in derjenigen Art, wie wir das als Menschen der Gegenwart, des 19., 20. Jahrhunderts erleben. Und was wir aus der Geschichte wissen, sind zum großen Teile die äußeren Ereignisse, weniger die Geschichte der menschlichen Seele selbst. Die Veränderungen, die mit dem Seelerileben der Menschheit vor sich gehen, die werden wenig berücksichtigt. Nun muß man sagen, daß frühere Zeiten nicht in derselben Art Veranlassung gehabt haben, sich mit dieser Geschichte des menschlichen Seelenlebens zu befassen wie die heutige Zeit. Denn die heutige Zeit, die, wenn wir sie als großen, historischen Zeitpunkt ins Auge fassen> schon mit der Mitte oder eigentlich schon mit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts beginnt, diese heutige Zeit stellt dem Menschen ganz besondere Aufgaben, die er nur mit seinem Bewußtsein lösen kann, während er seine früheren Aufgaben aus einem gewissen Instinkt heraus, wenn auch aus einem menschlich geformten Instinkt, lösen konnte. Sie haben verschiedentlich gehört und vielleicht in Zyklen gelesen, wie in alten Zeiten eine Art von instinktivem Hellsehen der Menschheit eigen war, wie die Entwickelung der Menschheit darin besteht, daß dieses instinktive Hellsehen verlorengegangen ist, und wie an die Stelle jenes instinktiven Hellsehens die heutige Seelenverfassung getreten ist, die eine intellektuelle ist, die vorzugsweise den Verstand des Menschen ausbildet. Ich will nicht sagen, daß deshalb in der Menschheit der heutigen Zeit die Gefühls- und Willenskräfte nicht tätig wären. Aber dasjenige, was die Größe unserer gegenwärtigen Zivilisation ausmacht, was wir vor allem auch in der heutigen Zeit erleben, das appelliert an den Verstand, an die Begriffskräfte. Der heutige Mensch hat aber gar sehr Veraniassung, über die Frage nachzudenken: Welche Bedeutung hat eine Verstandeszivilisation für die menschliche Seele? - Erschöpfend
beantworten kann man diese Frage nur, wenn man ein wenig den Hinweis auf das vorirdische menschliche Dasein berücksichtigt, auf das gestern in einem andern Zusammenhange hingewiesen wurde.
Wir empfinden heute als Menschen der Gegenwart die Vorstellungen als etwas sehr Abstraktes, als etwas, was wir nicht in demselben Grade innerlich erleben wie die Vorstellungen, die während der Zeit des alten, instinktiven Hellsehens im Menschen gelebt haben. Und wenn wir von diesen abstrakten, intellektualistischen Vorstellungen aus hinsehen auf das vorirdischeMenschendasein, dann finden wir, daß in diesem das, was heute abstrakte Gedanken sind, etwas ganz anderes war. Als wir noch im vorirdischen Dasein keinen Leib, keinen Körper hatten, als wir noch seelisch-geistige Wesenheit hatten, waren die Gedanken etwas ganz anderes. Damals hatten die Gedanken noch ein seelisches Leben, da erlebten wir einen Gedanken so, daß wir wußten: Diese Gedanken sind in der ganzen Welt verbreitet, und wir schöpfen sie aus der WeIt in unser eigenes Seelensein herein.
Heute ist der Mensch der Ansicht, daß die Gedanken etwas sind, was er mit seinem Gehirn erzeugt. Das ist ungefähr geradeso gescheit, ais wenn ein Mensch, der ein Glas Wasser zu sich nimmt, glauben würde, daß das Wasser aus seiner Zunge herauskommt, nicht von außen hereingenommen würde. In Wahrheit sind die Gedanken etwas Regsames, Lebendiges, die wirkenden Kräfte in aller Welt, und wir schöpfen sie nur aus der Welt. Unser organisches System ist nur das Gefäß, in das wir mit unserem Ich hineinschöpfen die Gedanken. Aber dem Irrtum, daß wir selbst die Gedanken erzeugten, daß wir sie nicht aus der Welt schöpften, diesem Irrtum kann man sich nur hingeben innerhalb des Erdenlebens zwischen Geburt und Tod. Solange man im vorirdischen Dasein ist, weiß man, daß die Gedankenwelt alles erfüllt, was im Umkreis ist, wie die Luft im Dasein zwischen Geburt und Tod. Wir wissen, daß wir die Gedankenkräfte gewissermaßen einatmen und wieder ausatmen, daß sie etwas Regsames, Wirkendes sind.
Das ist von außerordentlicher Wichtigkeit, daß wir uns bewußt wer- den, wie die Gedankenkräfte im vorirdischen Leben etwas ganz anderes sind als im irdischen Dasein. Wenn wir in der Welt einem Leichnam
begegnen, dann sagen wir uns nicht, dieser Leichnam könne durch irgendwelche Kräfte, die wir Naturkräfte nennen, in die Form gebracht worden sein, die er als Leichnam hat. Wir wissen, er ist der Überrest eines lebenden Menschen. Der lebendige Mensch muß notwendig dagewesen sein, eine Naturkraft kann niemals einem Leichnam seine Form geben, die er hat. Der Leichnam kann nur der Überrest eines lebendigen Menschen sein. Was wir beobachten können über das Gedankenieben des Menschen, wie wir es haben im irdischen Dasein, gibt uns ebenso Anhaltspunkte dazu, zu erkennen, daß die Gedankenkräfte, die wir entwickeln während des irdischen Daseins, nicht für sich in unserem physischen Organismus entstehen können, sondern daß sie die Überreste sind lebendiger Kräfte, die wir im vor- irdischen Dasein hatten. Mit derselben Sicherheit, mit der man sagt, daß der Leichnam der tote Überrest eines lebendigen Menschen ist, kann man auch sagen: Das abstrakte Denken, das wir heute haben, ist der tote Überrest dessen, was wir im vorirdischen Dasein im lebendigen Denken hatten. Das lebendige Denken stirbt, indem wir geboren beziehungsweise empfangen werden, und was in uns als Denkkräfte sich geltend macht, ist der Leichnam jenes lebendigen Denkens, das wir im vorirdischen Dasein hatten. Wir verstehen das irdische Denken nur dann ganz recht, wenn wir es ansehen als Überrest des vorirdischen Denkens, ebenso wie wir den Leichnam ansehen als Überrest des lebendigen Menschen.
Dieses Bewußtsein, daß das menschliche Denken der Überrest eines lebendigen Denkens ist, muß die Menschheit allmählich immer mehr und mehr durchdringen. Dann erst sieht man sich in der rechten Weise als Menschen an, dann sieht man in der richtigen Weise zurück auf das vorirdische Dasein, wie man zurücksieht von dem Leichnam, in dem nur noch die Naturkräfte leben, zum lebendigen Menschen, in dem höhere Kräfte leben. Aber man betrachtet diese ganze Tat- sache erst im richtigen Lichte, wenn man weiß So, wie dieses Denken, das zur Abstraktheit hinneigt, heute bei uns ist, haben wir es erst seit dem 15. Jahrhundert entwickelt. Natürlich entwickelte es sich bei den einzelnen Rassen und Volksstämmen in verschiedener Weise, aber im Durchschnitt ist es für die zivilisierte Menschheit so gewesen, daß sie
sich zu diesem toten Denken im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts entwickelt hat, daß dieses Denken immer mehr tot wurde und dann einen gewissen Kulminationspunkt dieses Totseins gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erreichte.
Ja, wenn wir weiter zurückschauen in der Entwickelung, dann finden wir, daß in alter Zeit die Menschenseelen, indem sie durchgegangen waren durch Empfängnis und Geburt, noch etwas aus dem vorirdischen Dasein in das Erdendasein hinübergetragen haben. Die Lebendigkeit der alten Mythen, der alten Volkslegenden, der alten bildenden Kräfte der Seelen, die nicht eins sind mit unserer heutigen Phantasietätigkeit, hätte sich nicht entwickeln können, wenn nicht etwas hereingestrahlt hätte von dem lebendigen vorirdischen Denken, wenn das irdische Denken schon ganz abstrakt geworden wäre. Man kann in gewissem Sinne sagen, daß auch heute noch im kindlichen Lebensalter ein letzter Rest vorirdischen Denkens vorhanden ist, der sich aber im Laufe des Lebens verliert. Aber jene Menschen einer älteren Zeit waren auch in ihrem ganzen Seelenieben ganz anders als die heutigen Menschen. Stellen Sie sich nur einmal richtig vor, Sie würden auch heute in diesem lebendigen Denken sein> Sie würden ein solches Hellsehen, wie es eben in älteren Zeiten die Menschenseele hatte, erleben können; Sie würden Imaginationen erleben können, aber diese Imaginationen würden so stark auf Sie wirken, daß Sie sich nur vorkommen würden als Umhüllung göttlich-geistiger Kräfte: Sie würden niemals zum Bewußtsein der Freiheit kommen. Das richtige Freiheitsgefühl hat sich erst in der zivilisierten Menschheit entwickelt. Daß der Mensch frei werden konnte, verdankt er dem Umstande, daß das lebendige Denken wenigstens nicht in seinem erwachten Zustande wirkt, sondern ein totes Denken, in das er hineingießen kann, was er selbst aus seinem freien Willen hineingießen will. Nicht wie früher denken im Menschen Geister, er fängt selbst zu denken an. Selbst anfangen zu denken heißt aber, den menschlichen Willen hineinzusenden in das Denken, und wenn er ein totes Denken findet, kann er den freien Willen in das Denken hineingießen. So daß der Mensch zum toten Denken vorrücken mußte, um im Laufe der Erdenentwickelung ein freies Wesen werden zu können. Sie sehen, wenn wir
in dieser Weise die Entwickelung des menschlichen Seelenlebens betrachten, geht uns auf, daß sinnvoll gestaltet ist die ganze Menschenentwickelung auf Erden.
Nun wollen wir aber einmal noch in etwas ältere Zeiten zurückgehen. Dasjenige, was sich vollzogen hat als Ertötung, als Verabstrahierung, als Intellektualisierung des Denkens im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts, das bereitet sich langsam und allmählich vor. Solche Dinge geschehen nicht auf einmal, sie bereiten sich vor, nehmen eine Art Aniauf, um dann zu einem Höhepunkt zu kommen. Nun ist deutlich erkennbar, daß der erste Anlauf zu diesem abstrakten Denken im 4. nachchtistlichen Jahrhundert gekommen ist. Ich meine, im 4. nachchristlichen Jahrhundert beginnt die erste Spur im menschlichen Bewußtsein sich geltend zu machen, daß der Mensch glaubte, er bringe die Gedariken hervor. Das hätte ein Grieche in Wirklichkeit nicht geglaubt. Der Grieche war sich durchaus noch bewußt einer gewissen Lebendigkeit des Denkens und war sich bewußt, daß die Gedanken überall in den Dingen sind, daß er selbst sie bloß aus den Dingen schöpft. Die Meinung, daß der Mensch die Gedanken erzeugt, entstand dadurch, daß die Gedanken immer mehr und mehr uniebendig wurden. Und diese unIebendigen Gedanken, mit denen man sozusagen machen kann, was man will, stellten sich erst ein seit dem 4. nachchristlichen Jahrhundert. Das ging so allmählich weiter, bis dann im 15. Jahrhundert das Bewußtsein, das wir heute noch haben, deutlich ausgeprägt war.
Aber was folgt denn daraus für die Entwickelung der Menschheit? Im 4. nachchristlichen Jahrhundert entstand der Anlauf zu einem intellektuellen, abstrakten Denken. Das heißt aber nichts anderes, als: das Mystetium von Golgatha, das Erscheinen des Christus auf der Erde fiel in eine Zeit, wo die menschliche Seele noch von lebendigen Gedanken erftll1t war. In dieser Beziehung ist in der Tat der Menschheit in bezug auf ihr Bewußtsein viel verlorengegangen. Zwar hat die Menschheit dadurch sich die Freiheit erobert, aber ihr ist dennoch viel verlorengegangen. Als der Christus auf der Erde erschien, da wurde er noch empfangen von einer gewissen Zahl von Menschen, die noch ein inneruch lebendiges reges Denken hatten, die in dem Denken
noch Reste von dem vorirdischen Dasein hatten. Und diese Menschen stellten sich in einer ganz andern Weise als die Menschen der späteren Zeit zum Mysterium von Golgatha. Bedenken Sie nur einmal recht: Bis in diese Zeit sagten sich die Menschen - sie sprachen es nicht deutlich aus, es war damals alles mehr in Bilder getaucht, aber es war ein Bewußtsein davon da-, ich bin jetzt auf der Erde, ich habe auf ihr als Erdenmensch mein Denken, aber das weist mich zurück durch Geburt und Empfängnis in ein vorirdisches Dasein, in eine andere Welt, aus der ich heruntergestiegen bin. - Man empfand sich hier als Fortsetzung dessen, was man im vorirdischen Dasein war. Sie waren sich darüber klar, die damaligen Menschen, daß sie mit dem Erdendasein ein früheres, vorirdisches Dasein fortsetzten, wenn auch in dieser Zeit die Menschen wie durch ein trübes Glas hineinschauten in eine Welt des vorirdischen Daseins. Dieses Bewußtsein, daß der Mensch ein von den HimmeIn zur Erde heruntergestiegenesWesen ist, ging im wesentlichen im 4. nachchristlichen Jahrhundert verloren.
Von diesem Gesichtspunkte aus betrachteten die Menschen aber auch das Ereignis von Golgatha. Wenn zu diesen Menschen von den Eingeweihten, die es damals noch gab, die nicht so weise waren wie die Eingeweihten der alten Mysterien, die aber immerhin noch Reste der alten Mysterienweisheit hatten, gesprochen wurde von dem Christus, war für sie die Frage diese: Jesus Christus war in derjenigen Welt früher heimisch, in der wir auch darinnengewesen sind, bevor wir zur Erde herabstiegen. Das war seine Welt, nur hat er diese Welt früher niemals verlassen. Es ist ja das Eigentümliche der Erden- menschen, daß sie heruntersteigen mußten schon seit sehr alten Zeiten. Da sind sie von dem Christus fortgegangen> um auf die Erde herabzusteigen. Wenn in den alten Mysterien die Rede vom Christus war - es war von diesem Christus in den alten Mysterien immer die Rede, wenn er auch nicht mit dem Namen «Christus» genannt wurde -, so mußten die Gedanken hinaufgelenkt werden zum vorirdischen Dasein und den Menschen gesagt werden: Wollt ihr von dem Christus etwas wissen, so dürft ihr euch nicht an euer Erdenbewußtsein halten, sondern müßt hinaufschauen zum vorirdischen Dasein.
Wir müssen schon einiges anführen von diesem vorirdischen Dasein,
um zu verstehen, was ich heute ausführen möchte. Wir stehen hier auf der Erde als Erdenmenschen> wir schauen hinauf zur Sonne, wir machen uns Vorstellungen von dieser Sonne, bilden uns sogar Hypothesen über sie aus, wie diese Sonne ein Gasball ist oder so etwas ähnliches. Es ist vom irdischen Gesichtspunkte aus auch selbstverständlich, daß man sich solche Vorstellungen ausbildet, aber man glaubt, daß das von allen Gesichtspunkten aus so wäre. Bevor wir zur Erde herabgestiegen waren, haben wir die Sonne auch gesehen, aber von den Weiten des Kosmos, gewissermaßen von der andern Seite. Da war sie nicht ein physischesGebilde, sondern der Inbegriff geistiger Wesenheiten, und die bedeutsamste von diesen Wesenheiten für die Menschen vor dem Mysterium von Golgatha war der Christus. So daß man 'auch das Folgende sagen kann. Wenn in der vorchristlichen Zeit die Mysterienschüler eingeweiht wurden in dasjenige, was sich später in das Mysterium von Golgatha gewandelt hat, wurde ihnen klar: Der Mensch im vorirdischen Dasein sah die Sonne und nahm den Christus wahr, und wenn er herunterstieg auf die Erde, sah er die Sonne von der andern Seite, aber der Christus verbarg sich ihm, er konnte nur durch Mysterienwissen zu dem Christus hinaufgeleitet werden. - Das empfand man in der ersten Zeit der christlichen Entwickelung als das Wesen des Christentums, daß der große Sonnengeist nun nicht Sonnengeist geblieben war, sondern durch das Mysterium von Golgatha jene Regionen verlassen hat, die von den Menschen nur durchgemacht werden außerhalb des physischen Leibes, und in das Erdendasein hereingekommen ist; daß er die einzige der göttlich-geistigen Wesenheiten war, welche das Erdendasein selber betreten hat. Und wir treffen, allerdings mit den Mitteln der geistigen Forschung, auf Menschen auch in der ersten Zeit der christlichen Entwickelung> die ganz tief in ihrem Gemüt empfanden: Der Christus ist aus der Sphäre der Geister, die nicht durch Geburt und Tod hindurchzugehen brauchen, für die Geburt und Tod nur eine Verwandlung ist, heruntergestiegen und durch Geburt und Tod gegangen.
Dieses Heruntersteigen des Christus auf die Erde war die ganz wesentliche Empfindung, die man zunächst in der ersten Zeit der christlichen Entwickelung hatte. Das war den damaligen Menschen
viel wichtiger, dieses Heruntersteigen, als was auf dieses Herunter- steigen folgte. Daß der Christus Gemeinschaft machen wollte mit den Menschen, daß er die zwei bedeutsamsten Erlebnisse, Geburt und Tod, mitmachen wollte, empfand man in Eingeweihtenkreisen als den eigentlichen religiösen Impuls. Man konnte das nur, weil eben der Mensch noch etwas von einem inneren, lebendigen Denken hatte, weil bis in das 4. nachchristliche Jahrhundert das Denken noch nicht ganz abgeiähtnt, ganz abstrakt geworden war, weil es den Menschen noch so ausfüllte wie der Atem heute in physischer Beziehung. Deshalb empfand man, daß er auch das menscMiche Schicksal des Herabsteigens vollzogen hatte, was die andern gÖttlich-geistigen Wesen nicht vollzogen hatten, weil Geborenwerden und Sterben den Göttern nicht eigen ist, sondern nur den Menschen. Das ist das Grandiose im Ringeweihtenglauben der ersten christlichen Jahrhunderte, daß empfinden wurde: Der Christus ist wirklich Mensch geworden, das heißt, er hat wirklich menschliches Geschick auf sich geladen, er ist die einzige der göttlich-geistigen Wesenheiten, die mit dem Menschen dieses Schicksal geteilt hat.
Nun ist aber notwendig, daß auch ersichtlich vor die Menschenseele hintritt, daß diese Menschenseele, insofern sie der Welt des vor- irdischen Daseins angehört, nicht eigentlich sterben kann. Daher ist auch das eingetreten, was wir mit der Auferstehung des Christus verbinden: der Sieg des Christus über den Tod, vorbildlich für den Sieg jeder Menschenseele über den Tod. Und indem, ich möchte sagen, die alte Idee von dem Ungeborensein sich gefügt hat an die neue Idee von dem Auferstehen, die ja auch vorhanden war, aber nicht in derselben Intensität, indem das Ereignis von Golgatha eingetreten war, da war es gewissermaßen der Ausdruck für ein Allerwichtigstes in der menschlichen Erdenentwickelung.
Als das Denken noch lebendig war, fürchtete der Mensch sich nicht im allergeringsten vor dem Tode. Der Tod war ja für ihn kein außergewöhnliches Ereignis. Das ist etwas außerordentlich Wichtiges in der Geschichte der Menschheitsentwickelung, daß die Menschen den Tod ganz anders genommen haben, als etwas ganz Selbstverständliches, während, als die Menschen das Bewußtsein von dem vorirdischen
Dasein immer mehr und mehr verloren haben> das abstrakte Denken, das den physischen Leib zum Werkzeug hat, immer mehr die Furcht vor dem Tode brachte und den Glauben, daß der Tod etwas Abschließendes sei. Die alte Menschheit brauchte wenig die Auferstehungsidee, sondern die des gemeinsamen Herabsteigens mit dem Christus. Aber indem die Menschen immer mehr und mehr vor- rückten zum abstrakten Denken, brauchten sie immer mehr einen Ausblick aus dem irdischen Dasein, einen Ausblick nach der Seite der Unsterblichkeit hin. Und dieser Ausblick ergibt sich der Menschheit aus dem richtigen IIinschauen auf die Auferstehungstatsache des Christus. Diese Tatsache habe ich in Büchern, Vorträgen und Zyklen mannigfaltig dargelegt. Beide Tatsachen, das Herabsteigen des Christus zu Geburt und Tod und die Auferstehungstatsache, die des Sieges über den Tod, konnte der Menschheit bis in das 4. nachchristliche Jahrhundert hinein empfindungsgemäß klar sein, weil das lebendige Denken noch vorhanden war. Von dem 4. nachchristlichen Jahrhundert ab, indem immer mehr das abstrakte Denken heraufrückte, wurde die Menschheit immer unfähiger, Gedanken mit dem Inhalt des Mysteriums von Golgatha zu verbinden. Und es ist schon das Schicksal der Menschheitsentwickelung, daß in dem Zeitalter, in dem die Menschheit sich durch das abstrakte Denken ihre Freiheit errang, durch das im Verhältnis zur geistigen Welt tote Denken das Verständnis für den Christus Jesus, das ja in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten vorhanden war, verlorengehen mußte. Es ist verloren- gegangen, namentlich aus dem Grunde> weil jene Schriften, die mit dem heute schon fast zum Schimpfwort gewordenen Worte gnostische Schriften bezeichnet werden, bis auf einige Reste, mit denen aber literarisch nicht viel zu unternehmen ist, mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden sind. Dasjenige, was in den ersten Jahrhunderten gedacht worden ist von denen, die noch etwas gewußt haben vom lebendigen Denken, wurde vernichtet; das kennen wir nur aus den Schriften der Gegner. Stellen Sie sich vor, wie es wäre> wenn durch irgendeinen Zufall alle anthroposophischen Bücher und Schriften verschwänden, und dasjenige, was Anthroposophie ist, auch nur aus den Schriften der Gegner beurteilt werden müßte! Soviel wissen die
Leute, die sich nur auf die äußeren Dokumente verlassen, heute von der Gnosis. Jenes ganz ungeheuere Christus-Verständnis der Gnosis, das sie in sich schlossen, ging der Menschheit ganz verloren. Vor allen Dingen ging ganz das Bewußtsein verloren, daß der Christus mit der Sonne etwas zu tun habe und daß der Christus herabgestiegen ist und ein mit der Menschheit gemeinsames Schicksal auf Golgatha durchgemacht hat. Alle diese Zusammenhänge, namentlich die Gefühle, die mit diesen Dingen verbunden sind, gingen der Menschheit verloren. Immer mehr kamen die abstrakten Auslegungen, die abstrakten Gedanken heraus.
Einen derjenigen, die aus dem Charakter des Zeitalters heraus nach einem Verständnis des Christentums rangen, sehen wir in Augustinus. In diesem Augustinus sehen wir einen Geist, der nicht mehr verstehen konnte die alte Form der Naturanschauung. Sie wissen, es wird erzählt, daß Augustinus Manichäer war. Augustinus erzählt es selber. Aber dasjenige> was hinter allen diesen Dingen ist, kann heute mit dem äußeren Erkennen nicht mehr richtig durchschaut werden. Was Augustinus Manichäer nennt, was man heute Manichäerlehre nennt, ist ja nur das verkommene Produkt einer uralten Lehre, die sich den Geist nur als schöpferisch vorstellte und keinen Gegensatz zwischen Materie und Geist kannte. Es war kein Geist da, der nicht schuf, und was er schuf, merkte man als Materie. Ebensowenig hatten diese alten Zeiten einen Begriff von der bloßen Materie, sondern in allem war Geist darin. Das war etwas, was Augustinus nicht verstehen konnte, was die Gnosis verstand, was man später nicht mehr verstand und was auch unsere Gegenwart nicht mehr versteht. Es ist so, es gibt keine Materie für sich. Die Gnostiker wußten davon und sahen das ganze Herabsteigen des Christus im Lichte dieser Anschauung. Augustinus konnte damit nichts mehr machen. Das Zeitalter war vorbei, die Möglichkeit, etwas damit zu machen, war nicht mehr, weil man die Dokumente vernichtet hatte, auch war das alte Hellsehen verglommen. So kam Augustinus nach langem, schier übermenschlichem Ringen dazu, sich zu sagen, er könne nicht von sich aus zur Wahrheit kommen, sondern müsse sich fügen dem, was die katholische Kirche als Wahrheit vorschreibt: sich unter die Autorität der katholischen
Kirche beugen. Und diese Stimmung - nehmen Sie es zunächst als Stimmung -, die blieb, lebte namentlich dadurch, daß das Denken immer abstrakter und abstrakter wurde. Wirklich langsam und allmählich wurde erst das Denken abgelähmt.
Und die Schoiastiker in ihrer Größe - sie sind groß -, sie lebten noch in einer Spur von Wissen, daß das Denken auf Erden abstammt von einem überirdischen Denken, daß der Mensch lebt in einem himmlischen Denken. Aber unter dieser Entwickelung ging die Möglichkeit immer mehr verIoren, mit dem Ereignis von Golgatha etwas Lebendiges zu machen. Und es ist doch wirklich eigentlich so, daß der fortschrittlichen Theologie des 19. Jahrhunderts, weil sie im modernen Sinne wissenschaftlich werden wollte, der Christus verlorengegangen ist, und daß die Theologie froh war, zuletzt noch zu haben den «schlichten Mann von Nazareth». Der Christus war nurmehr «der höchste Mensch auf Erden». Von dem Innewohnen des Christus in dem Jesus konnte man sich keine Vorstellung mehr machen.
Und so ist eigentlich die Entwickelung seit dem 4. nachchristlichen Jahrhundert ein Verlorengehen des Zusammenhanges des Menschen mit dem Christus in jener lebendigen Weise, wie es bei vielen vorhanden war in den ersten Jahrhunderten des Christentums. Und so kam es auch, daß man zuletzt immer weniger und weniger den Inhalt der Evangelien verstand. Den Menschen, die in den ersten Jahrhunderten des Christentums geIebt haben, wäre es ganz sonderbar vorgekommen, von Widersprüchen in den Evangelien zu sprechen.
Es ist so, wie wenn jemand nur das Bild eines Menschen en face kennt, und nun brächte ihm jemand eine Photographie, die das Profil aufgenommen hat, und er sagte: Das kann nicht das Bild von demselben Menschen sein. - So wäre es den Menschen der ersten nachchtisdichen Jahrhunderte vorgekommen, wenn man ihnen von Widersprüchen der Evangelien gesprochen hätte. Sie wußten sehr gut: Die vier Evangelien stellen nur das Bild von vier verschiedenen Seiten dar. - Der Mensch der heutigen Zeit würde sagen: Das sind ja sonderbare Darstellungen, die sind ja von allen Seiten verschieden. - In der geistigen Welt ist eben alles viel reicher.
Immer mehr kam dann die Zeit, in der man im alten Sinne von dem
Ereignis von Golgatha nichts mehr kannte. Nun ist ja das Ereignis von Golgatha ein solches, das nur vom geistigen Gesichtspunkt aus begriffen werden kann. Es ist interessant, daß die Geschichtsschreiber in der Regel sich um das Ereignis von Golgatha herumdrücken. Da haben wir nun den Geschichtsschreiber Ranke, der als ein vorzüglicher Geschichtsschreiber gilt, der erklärt: Darüber redet man nicht, das läßt man aus. - Wenn man das Allerwichtigste aus der Geschichte ausläßt, so kann keine Geschichte entstehen. Selbst wenn man nicht einen Zusammenhang mit der geistigen Welt hat, also das Mysterium von Golgatha nicht verstehen kann, müßte man doch den ungeheueren Einfluß zugeben. Aber es wird heute Geschichte geschrieben, ohne die ungeheuere Wirkung des Mysteriums von Golgatha zu verzeichnen. Es kam immer mehr die Fähigkeit abhanden, hinzuschauen in richtiger Weise auf das Mysterium von Golgatha.
Wir können aber auch die Sache von ganz andern Seiten betrachten, können uns sagen: Die Menschheit kam im Laufe ihrer Entwickelung vor die Notwendigkeit, den Christus in ihrer Mitte haben zu müssen. Immer mehr und mehr kam den Menschen abhanden das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit mit dem vorirdischen Dasein. Auf das schauten sie nicht mehr hin. Die Menschen wußten zuletzt nur, daß sie dastehen seit ihrer irdischen Geburt. Da kam der Christus zu ihnen, um ihnen durch sein Herabsteigen zu zeigen, daß es ein vorirdisches Dasein gibt, um ihnen ein Verständnis zu geben für dasjenige, was in ihrem eigenen Bewußtsein nicht mehr leben konnte. Da die Menschen in ihrem eigenen Bewußtsein nicht mehr den Zusammenhang hatten, sollten sie einen neuen Zusammenhang gewinnen durch ihr Verhältnis zum Christus, der durch das Ereignis von Golgatha gegangen war. Der Christus hatte sich gewissermaßen selbst der Menschheit geschenkt in derjenigen Zeit, in der allmählich heranrücken sollte die Epoche, in welcher die Menschheit zur Freiheit aufsteigen sollte. Nun war, als das Denken immer abstrakter wurde, keine Möglichkeit mehr da, in Gedanken hinzuschauen auf das Mysterium von Golgatha. Aber der Inhalt der neutestamentlichen Geschichte war ein so sehr hinreißender, ein so sehr in das Gemüt herein sprechender, daß eben durch die rein äußeren Traditionen dasjenige einige Zeitlang noch
bleiben konnte, was mit den Gedanken nicht mehr aufgefaßt werden konnte.
Gehen wir durch die erste Zeit, insoferne sich das Christentum aus- breitet. Da sehen wir, wie die Traditionen vorhanden sind, die zuletzt doch aus den Evangelien fließen, wie das kindliche Gemüt sich immer mehr des Bildes der palästinensischen Ereignisse bemächtigt. Aber wir sehen zu gleicher Zeit, wie im erkenntnismäßigen Erleben das Mysterium von Golgatha verlorengeht. In demselben Maße, als das tote Denken auftrat, verdunkelte sich auch die kindliche Erinnerung an die palästinensische Zeit, verloren die Menschen ihren Zusammenhang mit dem Christus Jesus, und man war froh, wenn man noch den Zusammenhang mit dem Menschen Jesus erhalten konnte. Nun stehen wir in unserer Gegenwart; da ist eigentlich - die Menschen bemerken es nur noch nicht - das Bewußtsein des Zusammenhanges mit dem Christus Jesus schon verlorengegangen. Traditionell verbleiben die Menschen bei den Bekenntnissen, und einen lebendigen inneren Zu- sammenhang mit dem Christus Jesus haben sie nicht. Man braucht sich nur anzusehen, wie äußerlich die Jahrfeste geworden sind! Wie äußerlich ist das Osterfest geworden für den Menschen der Gegenwart, während das Osterfest den Menschen früherer Zeit so war, daß die Menschen in tiefster Innerlichkeit etwas durchmachten, was man als eine Erinnerung an das Mysterium von Golgatha ansprechen kann.
Der Christus hat sich den Menschen gegeben in einer Zeit, wo die Menschheit ausbilden mußte das Freiheitsbewußtsein. Dazu hat sie es in gewissem Sinne gebracht. Sie würde sich aber veräußerlichen, wenn nicht der Zusammenhang mit dem Christus wieder gefunden werden könnte. Der kann nicht anders gefunden werden, als wenn wir anfangen, eine geistige Erkenntnis zu suchen. Geistige Erkenntnis, wie sie Anthroposophie sucht, wird wieder den Zusammenhang mit dem Christus Jesus finden. Dieser Zusammenhang kann nur geistig gefunden werden. Was auf GoIgatha geschehen ist, ist nicht nur ein Ereignis, das hereingegriffen hat in die physisch-irdische Menschheitsgeschichte, sondern auch ein geistiges Ereignis. Niemand kann das Ereignis von Golgatha verstehen, der es nicht im Geiste verstehen will. Daher ist anthroposophische Geisteswissenschaft zugleich eine
Vorbereitung für ein neues Verständnis des Christus und des Mysteriums von Golgatha. Wenn wir diese Tatsache so betrachten, werden wir erinnert an das bedeutungsvolle Evangelienwort: «Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Erdenzeiten.» Es strahlt von die- sem Worte die Gewißheit aus, daß er nicht bloß da war, als das Ereignis von Golgatha abgelaufen ist, daß er dableibt bei den Menschen als Geistwesen, im Geiste auffindbar. Wir dürfen daher nicht bloß das als christlich ansehen, was aus den Evangelien erstrahlt, sondern wir wissen: Christus ist bei uns, und wenn wir heute, ausgerüstet mit geistiger Erkenntnis, hinhorchen darauf, was uns die geistige Welt über ihn offenbart, so ist das Christus-Offenbarung. Es ist Christus-Offenbarung ebenso wie das, was wir gewinnen, wenn wir auf die Evangelien hinblicken.
«Ich hätte euch noch viel zu sagen, allein ihr könnt es jetzt noch nicht ertragen», das ist der Hinweis auf jene Zeit, wo der Christus neu gesehen werden soll. Und jetzt nahen sich diese Zeiten, sie sind schon da. Die Menschheit würde den Christus verlieren, wenn sie nicht auf neue Weise in geistiger Erkenntnis den Christus gewinnen könnte. Dadurch muß uns sehr viel erst wieder verständlich werden, was in alter Zeit mit dem Mysterium von Go]gatha verbunden worden ist, was aber verlorengegangen ist, weil das geistige Verständnis dafür verlorengegangen ist. Wie plagen sich doch mit dem heutigen Intellektualismus die Menschen mit dem Worte, welches der Christus gesprochen haben soll: daß das Gottesreich heruntergekommen ist auf die Erde, daß ein ganz neues Leben anfangen soll. - Es ist so unendlich gescheit> heute zu sagen: Es ist doch auf der Erde alles gerade so geblieben, wie es war! - Das ist selbstverständlich gescheit, aber man muß die andere Frage aufwerfen aus dem Geiste des ChristusWortes heraus: Ist das auch im Sinne eines richtigen christlichen, geistigen Verständnisses gesprochen, zu glauben, daß da irgendein äußeres Geistesreich aufgerichtet werden soll? - Ein äußeres Geistesreich wäre ja physisch! Diesen Widerspruch merkt man nicht! Aber es ist höchst merkwürdig, daß man in der heutigen Zeit eigentlich recht gescheit geworden ist, doch die Gescheitheit auf dem eigenen Gebiete nicht recht würdigen kann.
Ich möchte> wenn uns das auch vom eigentlichen Thema abführt, Sie auf etwas recht Interessantes hinweisen. Der Wiener Geologe Eduard 5ueß> ein ausgezeichneter Forscher, spricht in seinem Buche über «Das Antlitz der Erde» davon, daß das Antlitz der Erde ganz anders gewesen sein muß, die Steine viel lebendiger als heute, (iaß man heute eigentlich schon auf einer toten Erde geht. Die Schollen, auf denen wir gehen, gehören einer absterbenden Welt an. Der Geologe nimmt an, die Erde war einmal lebendiger und ist allmählich in den toten Zustand übergegangen. Da sagt Sueß für ein ganz anderes Gebiet etwas ganz ähnliches, wie der Christus gesagt hat für das geistige Leben der Erde. Wenn nur das da wäre, daß die Erde zerfiele in einer fernen Zukunft, in der die Erde in der Welt zerstäubt> wenn es nicht mit der Erde geradeso wäre wie mit dem Menschen - der Leib zerfällt in Staub, sein Geist aber lebt weiter -, dann würden wir alle in diese Zerstreuung mit hineingehen. Mit dieser Erde schauen wir auf das, was in das Jupiterdasein hinaufführt. Wir schauen da schon eine neue Erde.
Für das Physische ist diese Anschauung vom Zerfall der Erde richtig, für das Geistig-Seelische gilt ein anderes. Für die alten Eingeweihten der Zeit des Mysteriums von Golgatha war es klar: Mit der alten Zivilisation, mit den alten Mysterien ist es zu Ende. So, wie die alten Menschen mit ihren Göttern gelebt haben, ist es zu Ende. So, wie sie mit den Naturerscheinungen zusammengelebt haben, ist es zu Ende. Aber die Götter schicken den Menschen die Möglichkeit, einer Zukunft entgegenzugehen mit dem Geiste. Was in alter Zeit an Erkenntnis aus der Erde herausgesogen worden ist, das ist Vergangenheit. Eine neue Zeit muß kommen, wo der Mensch durch seinen eigenen Willen ein Reich beginnen muß, wo der Mensch aus eigener Kraft das tote Denken wieder beleben kann. Das war eine Prophetie zur Zeit des Mysteriums von Golgatha. Äußerlich kam auch dieses Reich heran. Begriffen werden, aufgenommen werden kann es erst von den Menschen der Gegenwart. Jetzt müssen wir fühlen, daß das Gottesreich, von dem der Christus spricht, von uns gesehen werden muß auf der Erde, indem der Christus auf der Erde wirkt. Das muß Erfüllung werden auf der Erde, und die Erfüllung dieses Gottesreiches
muß mit Ernst erfaßt werden gerade in dieser unserer Gegenwart. Wir erleben es auf allen Gebieten, wie der Mensch beginnt, vor der Gefahr zu stehen, abgeschnitten zu werden von den geistigen Welten und von seinem eigentlichen Wesen, wenn er nicht den Zugang findet zur spirituellen Welt. Der Mensch kommt mit der Naturwissenschaft nicht an den Menschen heran.
Nehmen Sie den großen Riß, der heute zwischen Alter urid Jugend besteht. Ein Gegensatz bestand schon immer, aber so stark bestand er nicht wie heute. Ganz besonders eines muß man an ihm verstehen. Viele Menschen sagen, die Alten können nicht wirken für die Jugend, weil sie sich die Kindlichkeit nicht bewahrt haben. Das sieht furchtbar schön aus, es ist aber nicht so. Die Jugend verJangt nicht von uns, daß wir uns so jung gebärden sollten, wie die Jugend selber ist, sonst sagt die Jugend instinktiv: Das, was die können, können wir auch. Die brauchen wir ja dann gar nicht, da können wir ja unter uns allein bleiben. - Was wir verstehen müssen, ist, in richtiger Weise alt zu werden, in voller Frische den gealterten Menschenleib zu gebrauchen. Die jungen Leute lieben nicht die altgewordenen Kindsköpfe, sondern die richtig Altgewordenen, die liebt die Jugend. Die Jugend möchte gerade zu alten Leuten aufblicken, weil sie da anderes findet, was sie selbst nicht hat. Aber wir haben in der Menschheit die Fähigkeit verloren, recht lebendig geistig zu sein. Wenn das eigentliche Kindheitsfeuer vorüber ist, dorren wir aus. Der Körper wird nur älter, aber wir hantieren mit dem alten Körper so, wie wir als Kinder mit ihm hantiert haben. Wir müssen die Möglichkeit gewinnen, auch ohne daß uns unser Leib zu Hilfe kommt, unsere Gedanken aus der geistigen Erkenntnis heraus zu spiritualisieren, wiederum als lebendige Gedanken durch unseren eigenen Willen neu zu schaffen, die Auferstehung der Gedanken zu erzeugen in uns. Was in uns an totem Denken ist, muß so ein lebendiges Denken werden. Dann wird dieses lebendige Denken eindringen können in das Mysterium von Golgatha, dann werden wir erst, wie mit einem wahren Opfer des Denkens und Fühlens, lebendig in uns wiederhoien: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.»
Dieses Wort bedeutet auch für unser Zeitalter etwas ganz Gewaltiges. Das Ich-Bewußtsein haben wir uns errungen durch das unlebendige
Denken. Mit dem alten, lebendigen Denken hätte dieses nicht errungen werden können. Wir haben es nun, dieses Ich-Bewußtsein, aber es muß innerlich durchglüht und durchgeistigt werden, indem wir diese Worte richtig aussprechen lernen: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.» Wir müssen in dieses unser innerstes Wesen, das wir uns aneignen müssen durch geistige Erkenntnis, den Christus aufnehmen können. Das ist etwas, das wir als Menschen heute nur erreichen können, wenn wir uns durchdringen können mit dem eigentlichen Willen des anthroposophischen Lebens. Und im Grunde genommen wird Anthroposophie nicht eine neue Religion sein wollen. Die christliche Religion ist ja schon da. Indem der Mensch zum Christus geführt wird, gründet er nicht eine neue Religion, aber er braucht einen neuen Weg zum Christentum. Und ein neuer Weg zum Christentum eröffnet sich durch Anthroposophie. Sie ist es, die den neuen, heute so notwendigen Weg zum Verständnis des Mysteriums von Golgatha eröffnet.
Das ist, was ich anschließen möchte an das hier Gesagte. Denn es ist schon das Rechte, wenn wir von Zeit zu Zeit versuchen, diesen Mittelpunkt der ganzen Menschheitsentwickelung, das Mysterium von Golgatha, beleuchtet von Anthroposophie, richtig vor unsere Seele treten zu lassen. Denn wahrhaftig, der Gang der Menschheitsentwickelung ist ein solcher: Die Erde entwickelt sich bis zum Mysterium von Golgatha hin, dann geht eine gewaltige Befruchtung der Erde aus dem geistigen Kosmos heraus und ein Weiterleben der Erde unter ganz neuen Verhältnissen vor sich. Nur dadurch, daß man diese religiöse Nuance in das anthroposophische Verständnis hereinbringt, heben wir es auf dasjenige Niveau, das es bekommen muß, wenn es den tiefsten Sehnsuchten der Menschen von heute entgegenkommen will.
Indem wir uns so in die wichtigste Angelegenheit der Menschheit bei diesem unserem Zusammensein haben vertiefen dürfen, darf ich Ihnen meine tiefe Befriedigung ausdrücken, daß ich habe wiederum einmal in Ihrer Mitte weilen dürfen. Und ich darf wohl auch die Empfindung so zum Ausdrucke bringen, daß dasjenige, was wir gepflegt haben im räumlichen Zusammensein, fortleben möchte, wenn wir
räumlich auseinander sind. Anthroposophie möchte auch für das ganze geistige Dasein des Menschen ein Symbolum sein. Wir müssen es durch Anthroposophie fühlen können, daß das räumliche Beieinandersein als Ausgangspunkt gelten muß für ein unräumliches Beisammensein, in dem sich alle für die Anthroposophie verständnisvollen Seelen, die es in der Welt gibt, zusammenfinden können. Es gibt diese seelisch-geistige Gemeinschaft für solche, die sie heute suchen. Und innerhalb dieser wird auch der Christus am intensivsten wirken können, nachdem er sich mit der Erdenentwickelung vereinigt hat im Mysterium von Golgatha und auf ein Zeitalter wartete, das ihn nicht bloß aus der Tradition heraus, sondern in Gedanken, Gefühl und Wollen verstehen kann. In all dieses dringt ein gerade dasjenige WolIen, das ich das durchchristete Wollen nennen möchte: « Du sollst den Namen Gottes nicht eitel aussprechen!» Hieraus handeln und hieraus denken, mit allen Gleichgesinnten in Gemeinschaft, in geistigen Gedanken, das wird dann auch eine richtige Gemeinschaft in äußeren Dingen werden können.
DIE HIMMELFAHRTSOFFENBARUNG UND DAS PFINGSTGEHEIMNIS Dornach, 7. Mai 1923
Die Entwickelung der Erdenmenschheit hat aus den verschiedenen Religionssystemen heraus gewaltige Bilder vor diese Menschheit hin- gestellt, Bilder, zu deren völligem Verständnis schon einmal eine Art esoterischer Erkenntnis gehört. Wir haben auf anthroposophischem Boden im Laufe der Jahre alle vier Evangelien in dieser Weise interpretiert gesehen, indem wir die anthroposophisch-esoterische Erkenntnis anwendeten, um den tieferen Gehalt der Evangelien an das Tageslicht zu ziehen. In der Regel ist dasjenige, worum es sich dabei handelt, dargestellt in Bildern, die gerade deshalb Bilder sind, weil Bilder sich nicht in einer so engen Weise rationalistisch mitteilen lassen wie Begriffe und Ideen.
Bei Begriffen und Ideen hat der Mensch die Meinung, daß er, wenn er den Begriff in sich aufgenommen hat, alles durchschaut habe, was in Betracht kommt. Bei dem Bilde, bei der Imagination, kann man eine solche Meinung nicht haben. Das Bild, die Imagination wirkt lebendig. Man möchte Sagen, sie wirkt lebendig wie ein lebendes Wesen selber, sagen wir, ein lebendes Wesen wie der Mensch. Man mag es von dieser oder jener Seite kennengelernt haben, man wird aber immer wieder und wiederum neue Seiten kennenlernen. Und man wird sich nicht begnügen mit allerlei Definitionen, die die Sache um- fassen sollen, sondern man wird sich aufschwingen wollen zu Charakteristiken, die von verschiedenen Seiten her dem Bilde beizukommen streben und die das Bild immer mehr und mehr zur Erkenntnis des Menschen bringen.
Nun möchte ich heute gerade zwei Bilder, die Sie als Bilder ja gut kennen, vor Ihre Seele hinswUen und einiges in bezug auf diese Bilder charakterisieren. Das eine Bild ist dasjenige, das uns die Jünger des Christus Jesus darstellt am Himmelfahrtstage, wie sie aufblickend entschweben sehen den Christus in den Wolken. Das Bild wird gewöhniich so aufgefaßt, daß der Christus himmelwärts gefahren ist, die
Erde verlassen habe, und daß die Jünger gewissermaßen auf sich selbst gestellt sind, wie überhaupt sich die Erdenmenschheit, für die der Christus durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist, nach seiner Himmelfahrt sich selbst überlassen sieht.
Sie können leicht auf den Gedanken kommen, daß dies der Realität des Mysteriums von Golgatha in einer gewissen Weise widerspricht. Wir wissen, daß durch das Mysterium von Golgatha der Christus in Wahrheit beschlossen hat, sein eigenes Wesen mit dem Wesen der Erde zu verbinden, also eigentlich von dem Mysterium von Golgatha ab mit der Erdenentwickelung in einem fortdauernden Zusammenhang zu bleiben. So könnte man das gewaltige Bild der Himmelfahrt in Widerspruch gesetzt sehen zu demjenigen, was sich aus der esoterischen Anschauung des Mysteriums von Golgatha über die Verbindung des Christus mit dem Erdenwesen und mit der Menschheit ergibt. Wir wo]len heute versuchen, über diesen Widerspruch an der Hand wirklicher geistiger Tatsachen einmal hinwegzukommen.
Das zweite Bild, das ich heute vor Ihre Seele rücken möchte, ist dasjenige, wo zehn Tage nach der HimmeIfahrt die Jünger versammelt sind und feurige Zungen auf das Haupt eines jeden herniederkommen, so daß sie sich angeregt fühlen, wie das in populärer Ausdrucksform heißt, in den verschiedenen Zungen zu sprechen. In Wirklichkeit heißt das aber, daß sie nunmehr die Möglichkeit hatten, die Geheirnnisse von Golgatha jedem menschlichen Herzen, welchem Bekenntnis es auch sonst angehÖrt, beizubringen. Diese zwei Bilder wollen wir heute einmal vor unsere Seele hinsteilen und wollen einiges - es kann natürlich nur einiges sein - zu ihrer Charakteristik beitragen.
Wir 'wissen, daß die Menschheitsentwickelung nicht erst auf der Erde begonnen hat. Wir wissen, daß der Erdenentwickelung voran- gegangen ist die Mondenentwickelung, dieser eine Sonnenentwickelung, dieser eine Saturnentwickelung, wie Sie das dargestellt finden in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß». Wir wissen, daß der Mensch während der Saturnentwickelung zwar bis zu dem physischen Leib herunter sich entfaltete, daß aber dieser physische Leib dazumal im wesentlichen nur ein Wärmeleib war, das heißt, daß eine Summe von Wärmedifferenzen, Wärmewirkungen, sich um das Seelisch-Geistige,
wie es dazumal eben im Sinne der Beschreibungen meiner «Geheim- wissenschaft» war, gewissermaßen herumlagerten.
Wir wissen dann, daß während der Sonnenentwickelung der Mensch einen luftförmigen Körper bekommen hat, während der Mondenentwickelung eine Art flüssigen Körper, und den festen, den eigentlich erdigen Körper erst während der Erdenentwickelung sich an- geeignet hat.
Nun müssen wir einmal die Erdenentwickelung ins Auge fassen. Wir wissen, daß die Erdenentwickelung in sieben aufeinanderfolgenden Epochen vor sich geht. Die erste Epoche ist gewissermaßen eine Wiederholung der Saturnentwickelung, die zweite eine Wiederholung der Sonnenentwickelung, die dritte Epoche eine Wiederholung der Mondenentwickelung - wir haben sie einnial die lemurische Entwickelung genannt. Mit der vierten Epoche setzt die eigentliche Erdenentwickelung ein. Wir leben jetzt in der fünften Entwickelungsepoche. Ihr werden zwei andere, eine sechste und eine siebente, folgen.
Tafcl l I. Epoche Wiederholung der Saturnentwickelung
11. Epoche Wiederholung der Sonnenentwickelung
111. Epoche Wiederholung der Mondenentwickelung
Lemurische Zeit
IV. Epoche Beginn der eigentlichen Erdenentwickelung
Atlantische Zeit
V. Epoche Nachatlantische Zeit
VI. Epoche
VII. Epoche
Die Mitte der Erdenentwickelung liegt nun in der Mitte der atlantischen Epoche, so daß die Erde bereits für unsere Gegenwart die Kulmination, die eigentliche Mitte ihrer Entwickelung, überschritten hat. Sie müssen daraus ersehen, daß die Erde sich bereits in absteigender Entwickelung befindet. Wir haben also in unserer Zeit durchaus damit zu rechnen> daß die Erde in absteigender Entwickelung ist. Ich habe ja öfter darauf aufmerksam gemacht, daß das sogar mit den Ergebnissen der materialistischen Geologie heute durchaus übereinstimmt.
Eduard 5ueß macht in seinem Buche « Das Antlitz der Erde» darauf aufmerksam, daß die Schollen der Erde, auf denen wir heute herum- treten, eigentlich einer schon ersterbenden Erde angehören. Die Erde war sozusagen während der atlantischen Epoche in ihrem mittleren Alter. Da war sie voll inneren Lebens und man fand auf der Erde nicht diejenigen Gebilde, die man heute als Gesteine findet, die zerbröckeIn, sondern da fand man das Mineralische in dem Irdischen so tätig, wie heute das Mineralische etwa in einem tierischen Organismus tätig ist, wo es ja auch höchstens, wenn der tierische Organismus krank ist, in allerlei Ablagerungen sich ergibt. Wenn man aber den tierischen Organismus gesund hat, so bilden sich als Ablagerungen nur etwa die Knochen. Aber diese haben auch noch ein inneres Leben. Sie haben nicht jenes Erstorbensein, das verstäubt, wie unsere Gebirge, die Felsen unserer Gebirge verstäuben. Dieses Verstäuben der Felsen unserer Gebirge ist eben einfach das Zeugnis für die schon in einem Todesprozeß, in einem Sterbeprozeß befindliche Erde.
Wie gesagt, das ist heute schon eine Erkenntnis der gewöhnlichen materialistischen Geologie. Anthroposophie muß nun zu dem hinzufügen, daß wirklich seit der Mitte der atlantischen Epoche die Erde in einem absteigenden Entwickelungsprozeß ist. Aber zur Erde müssen wir rechnen alles dasjenige, was der Erde angehört, die Pflanzen, die Tiere und vor allen Dingen den physischen Menschen. Der physische Mensch gehört zur Erde. Und indem die Erde in einem absteigenden Prozeß ihrer Entwickelung ist, ist auch der physische Menschenleib durchaus in einem absteigenden Entwickelungsprozeß. Anders ausgedrückt, esoterischer ausgedrückt, bedeutet das folgendes: Seit der Mitte der atlantischen Zeit ist eigentlich aUes dasjenige fertig, was sich zuerst veranlagt hat in dem Wärmeleib des Saturn. Der menschliche physische Leib war in der Mitte der atlantischen Zeit fertig. Dann hat er sich schon in einer absteigenden Linie entwickelt.
Als nun die Zeit des Mysteriums von GoIgatha herankam, da war im Grunde über die ganze Erde hin im wesentlichen - die Entwickelung geht ja nicht gleichmäßig, es erscheint eine Entwickelungsphase bei einem Volke etwas früher, bei dem andern Volk oder der andern Rasse etwas später -, aber im wesentlichen, im Durchschnitt war um
die Zeit, als das Mysterium von Golgatha eintrat, die Entwickelung des physischen Wesens des Menschen so, daß eigentlich für die gesamte Menschheit in Aussicht stand, sich nicht weiter auf der Erde verkörpern zu können, das heißt, diese absteigende Erdenentwickelung nicht weiter mitmachen zu können.
Das war etwas, was man in Eingeweihtenschuien schon durchaus wußte, was man natürlich auch heute wissen kann: daß um die Zeit des Mysteriums von Golgatha der menschliche physische Leib so weit im Verfall war, daß die Menschen, die dazumal verkörpert waren, oder die kurz nachher verkörpert waren, so etwa bis gegen das 4. Jahrhundert hin, vor der Gefahr standen, die Erde wüst und leer zu lassen, in der Zukunft keine Möglichkeit zu finden, herunterzusteigen aus der geistig-seelischen Welt und einen physischen Körper aus physischen Erdenmitteln heraus zu formen. Diese Gefahr war da. Es hätte also der Mensch eigentlich seiner Erdenbestimmung untreu werden müssen. Das Zusammenwirken der ahrimanischen und der luziferischen Mächte hatte es in der Tat so weit gebracht, daß zur Zeit des Mysteriums von Golgatha die Menschheit eigentlich auf der Erde aus- sterben sollte. Und durch dasjenige, was mit dem Mysterium von Golgatha geschehen ist, wurde, man möchte sagen, die Menschheit von dem Aussterben geheilt. Es wurde dem physischen Leib des Menschen wiederum eine entsprechende Frische beigebracht, so daß die Menschen nun die weitere Erdenentwicke]ung so durchmachen kÖnnen, daß sie wiederum herunterkommen können aus geistig-seelischen Weiten und die Möglichkeit haben, überhaupt physische Leiber zu bewohnen. Das war die ganz reale Wirkung des Mysteriums von Goigatha.
Ich habe es bereits öfter angedeutet, daß diese Wirkung in solcher Linie liegt, unter anderem einmal in einem Vortragszyklus, der den Titel trägt «Von Jesus zu Christus», der in Karlsruhe geha]ten worden ist> und der ja, weil gewisse Wahrheiten, von denen viele Leute wollen, daß sie verhüllt bleiben, einmal aus einem esoterischen Pflichtgefühl heraus ausgesprochen wurden, gerade am meisten angefeindet worden ist. Ja, man kann sagen, von gewissen Seiten her begann überhaupt die Feindschaft gegen Anthroposophie gerade von diesem
Zyklus aus. Nun, das war also die reale Wirkung nach der einen Seite hin. Man kann dieselbe Tatsache natürlich auch in mannigfaltiger anderer Weise aussprechen. In jenem Zyklus habe ich sie anders ausgesprochen, aber dasjenige, was ich heute charakterisiere, ist eben, nur von einer etwas andern Seite her erfaßt, dasselbe.
Es war also so, daß durch das Mysterium von Golgatha die Wachstums- und Gedeihenskräfte des physischen Menschen neu angefacht worden sind. Dadurch ist die Möglichkeit herbeigeführt, daß der Mensch in den Schlafzuständen einen Impuls erhält, den er sonst nicht erhalten würde. Die Gesamtentwickelung` des Menschen auf der Erde verläuft ja in Wachzuständen und in Schlafzuständen. Im Schlaf- zustande bleiben physischer Leib und Ätherleib zurück. Das Ich und der astralische Leib machen sich vom Einschlafen bis zum Aufwachen selbständig. Während dieses Selbständigmachens im Schlafe geschieht namentlich die Einwirkung der Christus-Kraft bei denjenigen Menschen, die sich durch den nötigen Seeleninhalt in entsprechender Weise für den Schlafzustand bereithalten. Also die Einwirkung durch die Christus-Kraft geschieht vorzugsweise während des Schlafzustandes.
Nun stellen Sie sich einmal vor, daß in demjenigen Zeitpunkte, der biblisch bildlich angedeutet wird durch das Himmelfahrtsblld, die Jünger so weit hellsichtig geworden sind, daß sie auf dasjenige sehen, was eigentlich Geheimnis der Erdenentwickelung ist. Die Geheimnisse der Erdenentwickelung gehen eigentlich vor dem gewöhnlichen Be~ßtsein des Menschen vorbei. Das gewöhnliche Bewußtsein kann gar nicht wissen, ob nicht in irgendeinem Punkte der Menschheitsentwickelung etwas fiiöör die ErdenentwickeIung höchst Bedeutsames geschieht. Es geschieht auch so manches, nur achtet das gewöhnliche Bewußtsein nicht darauf. Und die Darstellung der Himmelfahrtsszene bedeutet eigentlich, daß die Jünger Christi in diesem Augenblick fähig geworden sind, etwas sehr Bedeutsames zu beobachten, was sozusagen hinter den Kulissen der Erdenentwickelung vor sich geht.
Das, was sie gesehen haben, zeigte ihnen im Bilde diese Aussicht, die für die Menschen gekommen wäre, wenn das Ereignis von Golgatha nicht geschehen wäre. Es stand vor ihnen in geistiger Leibhaftigkeit, was geschehen wäre, wenn das Ereignis von Golgatha
nicht dagewesen wäre. Da wäre dieses geschehen: Die Menschenleiber wären so irdisch verfallen geworden, daß die Zukunft der Menschheit gefährdet gewesen wäre. So wären die physischen Menschenleiber geworden. Und das Ätherische, das in dem Menschen ist, diese ätherischen Leiber, die wären ihrer Anziehungskraft gefolgt. Denn der Ätherleib ist eigentlich etwas, was fortwährend nicht nach der Erde strebt, sondern fortwährend hinauf nach der Sonne strebt. Wir sind ja als Menschen so konstituiert, daß unser physischer Leib Erden- schwere hat, unser ätherischer Leib Sonnenleichtigkeit hat. Der ätherische Leib will fortwährend nach der Sonne streben. Wenn nun der physische Menschenleib so geworden wäre, wie er hätte werden müssen ohne das Mysterium von Golgatha, dann wären eben die ätherischen Menschenleiber ihrem Drange gefolgt, nach der Sonne zu streben, und die Menschheit hätte auf der Erde als Erdenmenschheit dadurch natürlich aufgehört.
Die Sonne ist in dem Sinne, wie das hier öfter charakterisiert worden ist, der Wohnplatz des Christus bis zum Mysterium von Golgatha. Der ätherische Leib des Menschen strebt zu Christus hin, indem er sonnenwärts strebt. Und nun stellen Sie sich das Bild des Himmelfahrtstages vor: Der Christus erhebt sich vor den Seelenaugen seiner Jünger nach oben. Das heißt, es wird den Seelenaugen vorgezaubert, wie das Ätherische des Menschen, das aufwärtsstrebt, sich mit der Kraft, mit dem Impuls des Christus vereinigt, wie also der Mensch zur Zeit des Mysteriums von Golgatha vor der Gefahr stand, seinen ätherischen Leib wolkenwärts, gegen die Sonne hin ziehen zu sehen, wie aber der Christus das, was da sonnenwärts strebt, zusammenhält.
Dieses Bild muß man eben im richtigen Sinne verstehen. Dieses Bild ist eigentlich eine Warnung. Der Christus bleibt schon mit der Erde vereinigt, aber er gehört zu denjenigen Kräften im Menschen, die eigentlich sonnenwärts streben, die eigentlich fort wollen in aller Zukunft von der Erde. Der Christus-Impuls aber hält den Menschen auf der Erde fest.
In diesem Himmelfahrtsbilde erscheint also dasjenige vor dem Seelenauge der Jünger, was hätte werden sollen ohne das Mysterium von Golgatha. Stellen Sie sich vor, das Mysterium von Golgatha wäre
nicht geschehen und eine Schar von Menschen wäre so hellsichtig geworden wie die Jünger in diesem Momente. Dann würden sie gesehen haben, wie von gewissen Menschen die Ätherleiber von der Erde weg zur Sonne hingehen, und sie hätten gewußt, diesen Weg nehmen die Ätherleiber. Dasjenige, was am Menschen ätherischirdisch ist, das wird zur Sonne entrückt.
Nun hat aber das Mysterium von Golgatha stattgefunden. Der Christus rettet für die Erde dieses Sonnenwärtsziehende. Und in diesem zur Sonne Hinstrebenden, aber von dem Christus Gehaltenen, erscheint gerade diese Tatsache, daß der Christus mit der Menschheit der Erde verbunden bleibt. Aber da liegt eines vor. Der Christus hat durch das Mysterium von Golgatha eigentlich ein kosmisches Ereignis in die Erdenentwickelung hineingestellt. Der Christus kam herunter aus geistigen HÖhen, verband sich im Menschen Jesus von Nazareth mit der Menschheit, ging durch das Mysterium von Golgatha, hat seine Entwickelung mit der Erdenentwickelung vereint. Es war eine Tat, die für die ganze Menschheit geschehen ist.
Also fassen Sie das richtig auf: Für die Menschheit war das Mysterium von Golgatha geschehen. Der hellsichtige Blick muß sozusagen immer schauen, wie für die Menschheit die der Erde enteilen wollen- den Ätherkräfte des Menschen sich mit dem Christus vereinigen, so daß der Christus sie bei der Erdenentwickelung halten kann. Das gilt für die Menschheit.
Aber bedenken Sie das Folgende. Nehmen wir einmal an, nur ein kleines Häuflein von Menschen hätte sich dazu verstanden, eine Er- kenntnis von solchen Tatsachen sich zu erwerben, die mit dem Mysterium von Golgatha zusammenhängen, und dann gäbe es einen großen Teil der Menschheit, wie es tatsächUch eigentlich auch in Wirklichkeit der Fall ist, der nicht anerkennt die Bedeutung des Ereignisses von Golgatha. Wir würden also die Erde bevölkert haben mit einer kleinen Anzahl wirklicher Christus-Bekenner und mit einer großen Anzahl von solchen, die das Mysterium von Golgatha seinem Inhalte nach nicht anerkennen. Wie ist es denn mit denen? Wie verhalten sich diese Menschen, die das Mysterium von Golgatha nicht anerkennen, zu diesem Mysterium von Golgatha, oder besser gesagt, wie verhält sich
das Mysterium von Golgatha, die Tat Christi, zu diesen Menschen? Nun, die Tat des Christus auf Golgatha ist eine objektive Tat, hängt in ihrer kosmischen Bedeutung nicht von dem ab, was die Menschen über sie glauben.
Eine objektive Tatsache ist in sich wesenhaft, so wie sie ist. Wenn ein Ofen warm ist, wird er nicht dadurch kalt, daß eine Anzahl von Leuten glaubt, er sei kalt. Das Mysterium von Golgatha ist eine Rettung der Menschheit vor dem Zerfall des physischen Leibes, gleichgültig, was die Menschen darüber glauben oder nicht glauben. Das Mysterium von Golgatha ist also geschehen für alle Menschen, auch für diejenigen, die nicht daran glauben. Das muß natürlich zu- nächst festgehalten werden.
Aber Sie haben wohl richtig verstanden: Dieses Mysterium von Golgatha ist ja geschehen, um dem physischen Menschenleib frische Kräfte zuzuführen, um also gewissermaßen die Menschheit der Erde zu erneuern, zu erfrischen bis zu dem Grade, bis zu dem es nötig ist, sie zu verjüngen. Das ist geschehen. Dadurch ist die Möglichkeit herbeigeführt, daß die Menschen auf Erden Leiber finden können, in denen sie sich auch für eine gewisse, noch sehr weitreichende Zukunft inkarnieren können. Aber damit gehen doch die Menschen nur zunächst als geistig-seelisches Wesen durch solche nun verjüngten Erdenleiber durch; sie können immer wieder erscheinen auf Erden. Der Christus-Impuls, der nun auch für das Geistige des Menschen seine Bedeutung haben soll, nicht für das Leibliche allein, er kann sich erstrecken auf den Wachzustand. Aber er könnte sich nicht auf den Schlafzustand erstrecken, wenn die Seele nicht die Erkenntnis dieses Christus-Impulses aufnehmen würde.
Also man möchte sagen: Das Mysterium von Golgatha wäre für die Wachzustände des Menschen geschehen, auch wenn die Menschen die Erkenntnis von diesem Mysterium von Golgatha nicht aufgenommen hätten. Es wäre aber dann nicht geschehen für den Schlafzustand des Menschen. Und dasjenige, was sich daraus hätte ergeben müssen, wäre das Folgende gewesen: Die Menschen würden sich zwar auf Erden immer wiederum inkarniert haben. Sie würden aber so geschlafen haben, daß sie in ihrem Geistig-Seelischen den Zusammenhang
mit dem Christus verlieren müßten, wenn sie sich keine Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha angeeignet hätten.
Hier haben Sie allerdings den Unterschied zu denjenigen Menschen, die sozusagen nichts wissen wollen von dem Mysterium von Golgatha. Für ihre L,eiber, für die Möglichkeit ihres Erdenlebens hat der Christus sein Erdenwerk auf Golgatha getan. Er hat es auch für die ungläubigsten Heiden getan. Für das Geistig-Seelische ist aber notwendig, daß der Christus-Impuls sich auch in den Schlafzuständen in die Seele des Menschen senken kann. Dazu ist notwendig, daß der Mensch wissentlich sich bekennt zu dem Inhalte des Mysteriums von Golgatha. Die richtige geistige Wirkung vom Mysterium von Golgatha kann also nur hervorgehen aus der richtigen Anerkennung des Inhaltes des Mysteriums von Golgatha. Das heißt> das mußte für die Erdenmenschheit eintreten, daß auf der einen Seite erkannt wird: Den enteilenden, den immerfort nach der Sonne sich aufschwingenden Ätherleib hält der Christus; aber des Menschen seelisch-geistiges Wesen, sein Ich und sein astralischer Leib, die müssen den Christus- Impuls empfangen - indem sie sich durch das Bekenntnis dazu vorbereiten während des Wachens - in dem Zustande zwischen dem Einschlafen und Aufwachen.
So können wir sagen: Wir lassen das Himmelfahrtsbild vor unsere Seele treten. Die Jünger, hellsichtig geworden, sehen die Tendenz der ätherischen Leiber der Menschen, sonnenwärts zu steigen. Der Christus vereinigt sich mit diesem Streben, hält es. Das ist das gewaltige Bild: die Rettung des Physisch-Ätherischen des Menschen durch den Christus im Himmelfahrtsbilde.
Aber zu gleicher Zeit: Die Jünger ziehen sich zurück, sie werden nachdenklich, sie werden tief versonnen. Denn in ihrer Seele lebt die Erkenntnis: Durch das Mysterium von Golgatha ist zunächst für das Physisch-Ätherische der Menschheit alles geschehen. Was aber geschieht mit dem Geistig-Seelischen? Woher kommt dem Menschen die Kraft, in das Geistig-Seelische, in das Ich und den astralischen Leib den Christus-Impuls aufzunehmen?
Der Christus-Impuls hat sich durch das Mysterium von Golgatha auf der Erde so vollzogen, daß er nur durch geistige Erkenntniskräfte
durchdrungen und erfaßt werden kann. Keine materialistische Erkenntniskraft, keine materialistische Wissenschaft kann das Mysterium von Golgatha verstehen. Da muß die Seele in sich die Kraft geistigen Erkennens, die Kraft geistigen Anschauens, die Kraft geistigen Empfindens aufnehmen, um den Christus-Impuls, wie er sich auf Golgatha mit den Erdenimpulsen vereinigt hat, auch verstehen zu können.
Daß das geschehen kann, dazu vollendete der Christus Jesus seine Tat auf Golgatha. Und er vollendete sie so, daß er zehn Tage nach dem Himmelfahrtsereignis den Menschen die Möglichkeit sandte, nun auch mit dem innerlich Geistig-Seelischen, mit dem Ich und dem astralischen Leibe, sich mit dem Christus-Impulse zu durchdringen. Das ist das Bild vom Pfingstfeste: das Durchdringen des GeistigSeelischen mit der das Mysterium von Golgatha verstehenden Kraft, die Sendung des Heiligen Geistes. Der Christus hat seine Tat für die ganze Menschheit vollbracht. Dem einzelnen, der diese Tat verstehen soll, dem einzelnen menschlichen Individuum hat er den Geist gesandt, so daß das Seelisch-Geistige den Zugang zu der allgemeinen Menschheitstat findet. Durch den Geist muß der Mensch innerlich geistigseelisch das Christus-Mysterium sich aneignen.
Es stehen die beiden Bilder hintereinander in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit so da, daß uns das Himmelfahrtsbild sagt Für den physischen und den ätherischen Leib ist das Ereignis von Golgatha allmenschlich vollzogen. Der einzelne Mensch muß es für sich fruchtbar machen, indem er den Heiligen Geist aufnimmt. Dadurch wird der Christus-Impuls für jeden einzelnen individuell.
Und jetzt können wir noch etwas hinzufügen zu der Charakteristik des Himmelfahrtsbildes. Solche geistige Anschauungen, wie sie die Jünger am Himmelfahrtstage hatten, beziehen sich eigentlich immer auf etwas, was der Mensch schon in dem einen oder andern Bewußtseinszustande erlebt. Nun wissen Sie: Nach dem Tode erlebt der Mensch den Fortgang seines ätherischen Leibes. Er legt mit dem Tode den physischen Leib ab. Einige Tage behält er seinen ätherischen Leib, dann löst sich der ätherische Leib auf; er vereinigt sich wirklich mit der Sonne. Diese Auflösung nach dem Tode ist Vereinigung mit dem Sonnenhaften, das den Raum, in dem sich auch die Erde befindet,
durchströmt. In diesem sich vom Menschen entfernenden ätherischen Leibe schaut der Mensch seit dem Mysterium von Golgatha den Christus mit, der sein Retter geworden ist im künftigen Erdendasein; so daß eigentlich seit dem Mysterium von Golgatha jeder Mensch, der da stirbt, jenes Himmelfahrtsbild schon vor seiner Seele hat, das die Jünger durch ihren besonderen Seelenzustand an jenem Tage sahen.
Aber für denjenigen, der auch das Pfingstgeheimnis in sich aufnimmt, der den Heiligen Geist sich nahekommen läßt> für den ist dieses Bild nach dem Tode der größte Trost, den er haben kann, denn er durchschaut nun die ganze Wahrheit des Mysteriums von Golgatha, und das Bild wird für ihn zum Troste. Es sagt ihm gewissermaßen dieses Himmeifahrtsbild: Du kannst vertrauen mit alien deinen folgenden Erdenleben der Erdenentwickelung, denn der Christus ist durch das Mysterium von Golgatha der Retter der Erdenentwickelung geworden.
Für denjenigen, der mit seinem Ich und seinem astralischen Leibe, also erkennend, empfindend nicht durchdringt den Inhalt des Mysteriums von Golgatha, für den ist dieses Bild ein Vorwurf, so lange ein Vorwurf, bis er erkannt hat: auch er muß dieses Mysterium von Golgatha verstehen lernen. Es ist gewissermaßen eine Mahnung nach dem Tode: Versuche für das nächste Erdenleben solche Kräfte dir anzueignen, daß du das Mysterium von Golgatha auch verstehen kannst. Es ist nur natürlich, daß zunächst dieses Bild der Himmelfahrt eine Mahnung ist, denn die Menschen können ja in den folgenden Erden- leben eben versuchen, die Kräfte, an die sie gemahnt worden sind, anzuwenden und sich ein Verständnis des Mysteriums von Golgatha anzueignen.
Aber sehen Sie jetzt, wie der Unterschied ist zwischen denjenigen Menschen, die mit ihren innerlichen Glaubens-, Erkenntnis-, Empfindungskräften sich zu dem Mysterium von Golgatha bekennen, und denen, die sich nicht dazu bekennen. Das Mysterium von Golgatha ist eben nur für den physischen und den Ätherleib für alle Menschen dagewesen. Die Sendung des Geistes, das Pfingstgeheimnis besagt, wie das Seelische und Geistige des Menschen an den Früchten des
Mysteriums von Golgatha nur teilhaben können, wenn der Mensch sich aufschwingt zur wirklichen Anerkenntnis des Inhaltes des Mysteriums von Golgatha.
Damit aber ist zugleich gesagt - weil dieser Inhalt des Mysteriums von Golgatha nur begriffen werden kann in geistiger Erkenntnis, nicht in materieller Erkenntnis -, daß das richtige Pfingstfest nur verstanden werden kann, wenn die Menschen verstehen, daß die Aussendung des Geistes die Forderung an die Menschheit ist, sich zur Geist-Erkenntnis allmählich durchzuarbeiten. Denn nur durch GeistErkenntnis kann das Mysterium von Golgatha verstanden werden.
Daß es verstanden werden soll, das ist die Forderung des Pfingstgeheimnisses. Daß es für alle Menschen geschehen ist, das ist die Offenbarung des Himmelfahrtsgeheimnisses. Diese zwei Dinge stehen in der christlich interpretierten Menschheitsentwickelung hintereinander: die Himmelfahrtsoffenbarung, daß der Christus seine Tat als eine allmenschliche vollbracht hat, das Pfingstgeheimnis als eine Forderung an den Menschen, als einzelner den Impuls des Mysteriums von Golgatha in sich aufzunehmen.
So kann man wohl sagen, daß Anthroposophie in bezug auf diese Dinge darin besteht, das rechte Verständnis zu gewinnen für das Pfingstgeheimnis in seinem Anschlusse an die Himmelfahrtsoffenbarung. Und wenn wir empfinden: Anthroposophie steht da wie eine Art erklärender Herold gerade für diese Frühlingsfeste, dann haben wir zu den Farben, die Anthroposophie für uns hat, eben wieder eine, die ihr notwendig ist, hinzugefügt.
Das soll Ihnen etwas von dem sagen> was anthroposophisch eine Stimmung abgeben kann für das richtige Fühlen des Himmelfahrtsund Pfingstfestes. Die Bilder, die mit solchen Festen sich vor die Seele des Menschen hinstellen, sind wie Lebewesen. Wir können immer mehr ihrem Inhalte nahekommen, wir können sie immer besser und besser kennenlernen. Wenn die Menschen sich wieder aufschwingen dazu, das Jahr zu erfüllen mit solchem geistigem Verständnis der Festeszeiten, dann wird dieses Jahr einen konkreten, damit aber einen kosmisch-spirituellen Inhalt bekommen. Und der Mensch wird schon in dem Erdendasein das kosmische Dasein miterleben lernen.
Man möchte sagen: Wenn das Pfingstfest, das vor allen Dingen auch ein Fest der Blumen ist, in der richtigen Weise erfühlt ist, da geht der Mensch überall hinaus, wo die Blumen sprießen, die sich öffnen unter der Einwirkung des Sonnenhaften, sich öffnen unter dem Ätherisch-Astralischen - und der Mensch empfindet in der sich bebiumenden Erde das irdische Abbild desjenigen, was sich dann zusammendrängt in dem Himmelfahrtsbilde des Christus, in dem sich anschließenden Bilde der feurigen Zungen über den Häuptern der Jünger. Die sich Öffnende Menschenbrust mag auch symbolisiert sein in der sich der Sonne öffnenden Blume. Und dasjenige, was von der Sonne herunterkommt, um der Blume die nötige Fruchtkraft zu geben, das mag symbolisieren die feurigen Zungen, die sich niedergießen über die Häupter der Jünger.
Mit dieser Kraft, die wiederum herrühren kann von dem Verständnis von Festestagen, der richtigen Betrachtung jeder Festeszeit, kann gerade Anthroposophie auf Menschenherzen wirken, kann beitragen zu jener Stimmung, die vielleicht die richtige Stimmung in diesen Tagen der Frühlingsfeste sein dürfte.
JOHANNISTIMMUNG - DER GESCHÄRFTE JOHANNIBLICK Dornach, 24. Juni 1923
In dem kurzen Vortrage, den ich heute nachmittag der Eurythmieaufführung vorangehen ließ, habe ich bereits darauf hingewiesen, wie man auch an dem Verhältnis, welches die moderne Menschheit zu den Festeszeiten des Jahres hat, sehen kann, wie wir in den Materialismus hineinkommen. Allerdings muß man dann die Anschauung von dem Materialismus viel tiefer fassen, als das gewöhnlich der Fall ist. Das gefährlichste Charakteristikon der Gegenwart ist nicht, daß die Menschen vom Materialismus angesteckt sind, sondern das viel gefährlichere Charakteristikon ist die Oberflächlichkeit unseres Zeitalters.
Diese Oberflächlichkeit ist nicht nur gegenüber geistigen Weltanschauungen vorhanden, sondern sie ist auch mit Bezug auf den Materialismus selbst vorhanden. Man nimmt ihn in den oberflächlichen Erscheinungen. So habe ich zum Beispiel heute nachmittag darauf aufmerksam gemacht, wie in den verschiedenen Zeiten des Jahres so etwas wie die Stimmungen, denen die Menschen in älteren Zeiten noch hingegeben waren, auch in den festlichen Veranstaltungen in diesen älteren Zeiten zur Offenbarung kamen. Man legte in das Wintersonnenwendefest, in das Frühlingsfest, in das Johannifest, in das Michaeli-Fest, in jene ganz bestimmten, kultusähnlichen oder wenig stens von Kultusähnlichem durchdrungenen Veranstaltungen, doch verschiedene Stimmungen hinein, die den Menschen überkommen müssen, wenn er den Jahreslauf bewußt miterlebt.
Dadurch gab man der menschlichen Seele dasjenige, was man dem Menschen heute nur dem Leibe nach gibt. Den Tageslauf machen wir ja alle noch mit. Wenn die Sonne ihr Morgengold ihrer eigenen Offenbarung als Morgendämmerung voranschickt, dann essen wir unser Frühstück. Wenn die Sonne am höchsten steht, wenn sie ganz besonders liebevoll ihre Wärme und ihr Licht ausgießt über die Erdenmenschheit, dann geben wir uns der Mittagsmahlzeit hin, nun, und so weiter durch Five o`clock tea und Souper hindurch. Wir machen in
diesen Festesveranstaltungen des Tages den Tageslauf der Sonne mit, ;ndem wir selbst diesen feurigen Ritt der Sonne um die Welt in uns initempfinden. Wir empfinden das mit, was die Sonne vollführt bei ihrem feurigen Ritt um die Welt, indem wir Hunger und Sättigung absolvieren. Und so ist die Stimmung für den menschlichen physischen Organismus in einer ganz dezidierten Weise zu bestimmten Tageszeiten da. Wir könnten Frühstück, Mittagsmahl, Teetrinken, Abendbrotessen die Feste des Tages nennen. Der menschliche physische Organismus macht dasjenige mit, was im Verhältnis der Erde zum Kosmos sich abspielt.
In einer ähnlichen Weise hat man in älteren Zeiten> als das Seelen- leben aus den alten instinktiven Hellseherzuständen heraus intensiver empfunden worden ist, den Jahreslauf mitgemacht. Es haben sogar gewisse Dinge aus der einen Sphäre in die andere hineingespielt. Sie brauchen sich nur zu erinnern an dasjenige, was von diesen Dingen noch geblieben ist: Ostereier, Martinsgänse und so weiter. Da spielt die untere Region, die leibliche Region in die seelische Region, die eigentlich den Jahreslauf eben auch auf seelische Art miterleben muß, hinein. Nun, am ehesten wäre ein materialistisches Zeitalter noch zu haben, ich will nicht gerade sagen für Ostereier, aber für Martinsgänse und dergleichen wäre man ja auch im Jahreslaufe zu haben.
Aber so waren diese Dinge mit Bezug auf die eigentlichen Festesstimmungen in alten Zeiten nicht gemeint, sondern sie waren ab- gestimmt auf Seelenhunger und Seelensättigung. Die Seele des Menschen brauchte etwas anderes zur Weibnachtszeit, etwas anderes zur Osterzeit, zur Johannizeit und zur Michaelizeit. Und man kann wirklich das, was in den Veranstaltungen der Festlichkeiten lag, vergleichen mit einer Art Rücksichtnahme auf den Hunger der Seele gerade in den auftretenden Jahresabschnitten und mit einer Sättigung der Seele in diesen Jahresabschnitten.
Nun kann man also sagen: Schauen wir auf den Tageslauf der Sonne, so können wir auf ihn dasjenige beziehen, was unserem Leibe frommt. Schauen wir auf den Jahreslauf der Sonne, so können wir auf ihn dasjenige beziehen, was unserer Seele frommt.
Sollen Feste wieder aufleben, dann muß das natürlich aus einem
viel bewußteren Zustande heraus geschehen: aus einem solchen Erwachen der Seele, wie sie durch die anthroposophische Weltgesinnung angestrebt wird. Wir können nicht bloß historisch die alten Festeszeiten erneuern, wir müssen sie durch die neueren Erkenntnisse und Anschauungen der Welt aus unserem eigenen Seelenwesen heraus wieder finden. Wir unterscheiden aber außer dem Leibe und außer der Seele ja am Menschen auch den Geist.
Nun wird es dem modernen Menschen schon schwer, überhaupt sich noch bestimmten Vorstellungen hinzugeben, wenn von Seele gesprochen wird. Da verschwimmt die Geschichte ins Unbestimmte. Nicht nur, daß man es ja erlebt hat, wie im 19. Jahrhundert angefangen wurde zu sprechen von einer Psychologie, einer Seelenlehre ohne Seele. Fri~ MauJhn~,~ der große Sprachkritiker, hat sogar gefunden: Seele ist etwas so Unbestimmtes, wir kennen eigentlich keine Seele, wir kennen nur gewisse Gedanken, Empfindungen, Gefühle, die in uns erlebt werden, aber eine einheitliche Seele darinnen kennen wir nicht. Wir sollten daher auch dieses Wort «Seele » in der Zukunft gar nicht mehr gebrauchen. Wir sollten von diesem unbestimmten inneren Wuscheln sprechen und nicht mehr sagen Seele, sondern «Geseel». - So daß Fritz Mauthner etwa rät, ein künftiger Klopstock, der eine «Messiade » dichtete, sollte nicht mehr sagen: «Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung... », sondern: « Sing, unsterbliches Geseel, der sündigen Menschen Erlösung...», wenn das überhaupt noch einen Sinn hat innerhalb dieser Geseellehre! Wir würden also in der Zukunft nicht eine Seelenkunde, sondern eine Geseelkunde haben.
Nun können wir wirklich sagen: Von diesem Zusammenhang seiner Seele mit dem Jahreslauf der Sonne weiß der moderne Mensch nichts mehr. Er ist auch in dieser Beziehung Materialist geworden. Er hält sich an die Festeszeiten des Leibes, die dem Tageslauf der Sonne folgen. Die Feste werden aus traditioneller Gewohnheit wohl begangen, aber lebendig werden sie nicht empfunden. Und wir haben außer dem, daß wir einen Leib, eine Seele - oder im Sinne von Fritz Mauthner ein Geseel - haben, ja auch Geist.
Nun gibt es im Weltenlauf wiederum dasjenige, was die historischen
Epochen sind. Diese historischen Epochen, die über den Jahreslauf hinausreichen, Jahrhunderte umfassen, die lebt wiederum der menschliche Geist mit, wenn er sie mitempflndet. In alten Zeiten hat man sie sehr wohl erlebt. Wer in der richtigen Weise geistgetragen einzugehen weiß auf die Art und Weise, wie man in den älteren Zeiten sich hinein- gedacht hat in den Zeitenlauf, der weiß, wie überall gesagt worden ist: Zu dieser oder jener Zeitenwende sei irgendeine Persönlichkeit erschienen, die wiederum einmal Geistiges aus den Höhen der Welt geoffenbart hat. Und dann hat sich dieses Geistige eingelebt, wie im Physischen sich das Sonnerilicht einlebt. Kam dann eine solche Epoche in die Abenddämmerung, dann trat wiederum etwas Neues auf.
Diese historischen Epochen hängen so mit der Geistesentwickelung der Menschheit zusammen, wie der Jahreslauf der Sonne mit der Seelenentwickelung zusammenhängt. Natürlich, gerade wenn die Geistesentwickelung wiederum in lebendiger Weise erfaßt werden muß, so muß es dadurch geschehen, daß man in bewußter geistiger Erkenntnis wiederum verstehen lernt, wie Umschwünge, Metamorphosen im Werdegang der Menschheit eintreten. Heute möchte man dieses Eintreten von Metamorphosen ganz und gar übersehen. Man ist äußerlich irgendwie berührt von den Wirkungen, aber man möchte innerlich nicht eingehen auf die Umschwünge, die aus dem Geiste heraus kommen und die sich in den äußeren Weltereignissen ausleben.
Man sollte nur einmal darauf hinsehen, wie in unserer Zeit eine gewisse Denkrichtung, eine Empfindungs- und Gefühisrichtung auf- tritt bei den Kindern, bei den jungen Leuten, die der früheren Generation noch fremd waren; wie große Umschwünge geschehen, die, wenn man auf die richtigen Elemente hinschaut, im Werdegang der Menschheit durchaus dem Werdegang des Jahres zu vergleichen sind. Daher sollte man auf dasjenige hören, was die einzelnen Zeitalter als ihre Bedürfnisse verkünden, sollte hinhorchen, wenn ein neues Zeitalter heraufkommt und von dem Menschen etwas anderes verlangt, als frühere Zeitalter verlangt haben. Aber gerade dafür haben ja die Menschen heute nur im geringsten Maße ein Organ.
Die großen Zusammenhänge des Lebens können uns vor die Seele treten, wenn wir in der richtigen Weise gerade wiederum aus unserem
Gegenwartsbewußtsein heraus an die Festesstimmungen herandringen, wenn wir zum Beispiel so etwas wie Johannistimmung wirklich in unsere Seele dringen lassen, und wenn wir versuchen, aus der Johannistimmung heraus dasjenige für unsere SeeIe zu gewinnen, bei dem eine Förderung, eine Unterstützung unseres Eingehens dadurch stattiindet, daß uns der Kosmos zu Hilfe kommt.
Gewiß, der modernen Menschheit sind die Dinge, die mit dem Großen der WeltentwickeIung zusammenhängen, mehr oder weniger gleichgültig geworden. Man hat heute kein Herz mehr für die Er- kenntnisse der großen Weltzusammenhänge. Da zeigt sich das Ein- dringen des Geistes der Kleinlichkeit, ich möchte sagen das Ein- dringen des Geistes der Mikroskopie und des Atomisierens in Erscheinungen, die, wenn man von ihnen heute so redet, wie ich es hier tun muß, natürlich den Eindruck des Paradoxen hervorrufen.
Ich möchte auf eine bestirnmte Erscheinung gerade im Zusammenhang mit der Johannistimmung hinweisen. Der Zusammenhang wird etwas fernerliegend sein, aber ich möchte darauf hinweisen. Was ist, selbst wenn man kein sehr entwickeltes Organ hat für den Jahreslauf, selbstverständlicher, als daß man von dem Pflanzenwachstum, von dem Baumwachstum den Eindruck hat: Wenn der Frühling kommt, dann sprießt und sproßt das Grüne, es entwickelt sich immer mehr und mehr das Wachsen, das Sprießen, das Sprossen, Blatt geht in Blüte über. Das ganze rege Wachsen, das den Eindruck macht, als wenn der Kosmos mit seinen Sonnenwirkungen die Erde aufriefe, sich dem All zu öffi1en, dieses Ganze tritt dann ein zur Johannizeit.
Dann beginnt wiederum ein Zurücktreten des Sprießens und Sprossens. Da nähern wir uns der Zeit, wo die Erde ihre Wachstumskräfte in sich selber zusammenzieht, wo die Erde sich dem Kosmos entzieht. Wie natürlich ist es, daß man aus dem Eindruck, den man so von dem Jahreslauf empfängt, sich die Vorstellung bildet, daß zum Winter die Schneedecke gehört, daß es zum Winter gehört, daß die Pflanzen sich sozusagen mit ihrem Wesen in den Boden der Erde verkriechen, daß es zum Sommer gehört, daß die Pflanzen herauskommen, dem Kosmos entgegenwachsen. Was ist natürlicher, als daß man die Vorstellung entwickelt - wenn das auch in einem tieferen Sinne gerade im
entgegengesetzten Sinne richtig ist -: die Pflanzen schlafen im Winter, sie wachen im Sommer?
Ich will über dieses Schlafen und Wachen jetzt nicht als von richtigen und unrichtigen Begriffen sprechen. Ich will nur von den Ein- drücken sprechen, die man bekommt, so daß die Menschen die Vorstellung haben: Der Sommer gehört der Entwickelung derVegetation> der Winter gehört dem Zurücktreten, dem Sich-Verkriechen derVegetation. Immerhin bildet sich da eine Art WeItempfindung heraus für den Menschen. Man gerät in das Gefühl eines Zusammenhanges hinein mit der wärmenden und leuchtenden Kraft der Sonne, wenn man diese wärmende und leuchtende Kraft der Sonne wieder erblickt in der grünenden und blühenden Pflanzendecke der Erde, und man gerät in eine Empfindung hinein> als wenn man im Winter ein Erdeneremit gegenüber dem Kosmos wäre, wenn die Pflanzendecke nicht da ist und der Schneemantel die Erde abschließt vom Kosmos, zur Innentätigkeit aufruft. Kurz, indem man so fühlt und empfindet, reißt man sich mit seinem Erdenbewußtsein gewissermaßen von dem Erdendasein ab.
Man versetzt sich dadurch in größere Verhältnisse des Weltenalls. Nun kommt aber die moderne Forschung, die ich hiermit nicht kritisiere - was ich jetzt sagen werde, soll sogar in bezug auf Forschung selbst nicht ein Abkanzeln, sondern ein Lob sein -, nun kommt die moderne Forschung und zuckt die Achseln, wenn von großen kosmischen Zusammenhängen die Rede ist. Warum sollte man denn sich gehoben fühlen zur gÖttlich erleuchtenden, erwärmenden Kraft der Sonne, wenn die Bäume ausschlagen, grün werden, wenn die Erde sieh mit der Pflanzendecke bedeckt? Warum sollte man denn an diesen aus der Erde herauswachsenden Pflanzen einen Zusammenhang mit dem Weltenall empfinden müssen? Es stört einen. Kosmische Empfindungen stören einen. Man bringt das mit seinem materialistischen Bewußtsein gar nicht mehr in Einklang, solche Empflndungen zu haben. Die Pflanze ist doch Pflanze. Es ist wie ein Eigensinn der Pflanze, daß sie just nur im Frühling blüht, im Sommer zum Fruchten sich bereit erklärt. Wie geht denn das zu? Man soll da nicht bloß mit der Pflanze zu tun haben, sondern mit der ganzen Welt! Wenn man über diese Dinge fühlen, empfinden oder erkennen soll,
da soll man mit der ganzen Welt zu tun haben, nicht bloß mit der Pflanze! So etwas schickt sich doch nicht! Gibt man sich doch schon Mühe, nicht mit den Stoffen zu tun zu haben, die so in Pulverform oder in Kristallform vorhanden sind, sondern mit den Atomstrukturen, mit dem Atomkern, mit der elektromagnetischen Atmosphäre und so weiter! Man bemüht sich also, mit etwas Abgeschlossenem zu tun zu haben, nicht mit etwas, was da in vieles hinausweist. Der Pflanze soll man nun zugestehen, man brauche eine Empfindung, die in den Kosmos hinausreicht! Etwas Schreckliches ist es doch, wenn man sein Gesichtsfeld nicht einengen kann auf das bioße einzelne Objekt! Man ist das doch so gewöhnt: Wenn man mikroskopiert, da ist doch auch alles ringsherum abgeschlossen, da ist nur das kleine Gesichtsfeld da; es geht alles so im Kleinen, Abgeschlossenen vor sich. Man muß doch auch die Pflnnze für sich betrachten können, nicht im Zusammenhang mit dem Kosmos!
Und siehe da, um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert gelang den Forschern gerade auf diesem Gebiete etwas Außerordentliches.
Man hat ja ganz gewiß von einzelrien Pflanzen im Verhältnis zu Warmhäusern, Treibhäusern und so weiter schon gewußt, daß man das Sommerliche und Winterliche überwinden kann, aber im ganzen ist man um diese Wende des 19. zum 20. Jahrhundert zu wenig darüber hinausgekommen gewesen, daß die Pflanzen doch eine gewisse Winter- ruhe brauchen. Es wurden Diskussionen in dieser Zeit geführt, wie es sich mit den Tropenpflanzen verhält. Diejenigen Forscher, welche nichts mehr wissen wollten von einem Zusammenhang mit dem Kosmos, die behaupteten, die Tropenpflanzen wachsen das ganze Jahr hindurch. Die andern, die noch am alten konservativen Anschauen festhielten, die sagten: Ja, wenn man da in die üppige grüne TropenweIt kommt, dann denkt man das nur aus dem Grnnde, weil die Pflanzen zu verschiedenen Zeiten ihre Winterruhe halten, manche nur bis zu acht Tagen. So sieht man das nicht, wenn gerade eine bestimmte Art in der Ruhe ist. Es entstanden ausführliche Diskussionen darüber, wie es sich mit den Tropenpflanzen verhält. Kurz, man merkte etwas von einer ungeheuren Unbehaglichkeit diesem Zusammenhang der Pflanzenwelt mit dem Kosmos gegenüber.
Nun hat man in dieser Richtung, gerade um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, die interessantesten, geistreichsten Versuche gemacht, und es ist wirklich gelungen, einer ganzen Anzahl nicht nur einzelner einjähriger Pflanzen, sondern sogar Bäumen, die viel stärker sind, ihren Eigensinn auszutreiben, ihren kosmischen Eigensinn. Es ist gelungen, Pflanzen, die man als einjährige kannte, durch Herstellung gewisser Bedingungen zu mehrjährigen zu machen, also die Abhängigkeit von den kosmischen Verhältnissen zu überwinden. Es ist bei der größten Anzahl unserer in gemäßigten Klimaten vorkommenden Waldbäume tatsächlich gelungen, Verhältnisse herbeizuführen, die bewirkten, Bäume, von denen man geglaubt hat, sie müssen diese Winterzeit haben, im Winter entblättert und dürr dastehen, zu immer fortwährendem Grünen zu bringen. Denn das war die Voraussetzung gewisser materialistischer Erklärungen. In dieser Beziehung ist wirklich außerordentlich Geistvolles geleistet worden.
Man war darauf gekommen, daß man den Bäumen das Kosmische austreiben kann, wenn man die Bäume in geschlossene Räume bringt und den Boden ordentlich mit Nährsalzen nährt, so daß die Pflanzen, die sonst in der Winterzeit, wo der Boden so nährsaizarm ist, nichts finden, nun auch da ihre Nährsalze finden. Wenn man genügende Feuchtigkeit hineinbringt, genügend Wärme, genügend Licht, so wachsen die Bäume.
Nur ein einziger Baum im Umkreis Mitteleuropas hat sich noch im Beginne des 20. Jahrhunderts diesem Forschertrieb widersetzt. Es war die Buche, die Blutbuche. Sie wurde von allen Seiten gehetzt, sie solle sich nun auch in geschlossene Räume einsperren lassen! Sie wurde mit den nötigen Nährsalzen, mit der nötigen Feuchtigkeit und Wärme versehen - sie blieb eigensinnig, sie verlangte trotzdem ihre Winter- ruhe. Aber sie war nur noch ganz allein.
Und nun haben wir in diesem 20. Jahrhundert, im Jahre 1914 zu verzeichnen - ich will jetzt nicht etwa vom Ausgang des Weltkrieges sprechen, sondern von einem andern großen historischen Ereignis - das Große, Gewaltige, daß es dem auf diesem Gebiete außerordentlich vom Forschen begünstigten Forscher Klebs gelungen ist, auch der Buche ihren kosmischen Eigensinn auszutreiben. Es gelang ihm ganz
einfach, die Buche in geschlossenen Räumen zu ziehen, ihr die nötigen Bedingungen zu verschaffen in geschlossenen Räumen: das gehörige Sonnenlicht, das man messen konnte. Und siehe da, die Buche wider- stand nicht, sie fügte sich auch demjenigen, was die Forscher wollten.
Ich führe nicht eine Erscheinung an, über die ich einen Grund habe, abkanzelnd zu sprechen, denn wer sollte nicht Bewunderung haben für einen solchen ungeheuren Forscherfleiß. Außerdem würde es selbstverständlich Tollheit sein, die Dinge widerlegen zu wollen. Sie sind da, sie sind so, sie sind durchaus so. Also um Zustimmungen oder Widerlegungen handelt es sich dabei durchaus nicht, aber es handelt sich um etwas anderes.
Warum sollte es denn nicht auch gelingen, wenn man irgendwo auf einem neutralen Boden die nötigen Bedingungen für Haarwuchs fände, Haarwuchs außerhalb des Menschen und der Tiere zu er- zeugen? Warum denn nicht? Es brauchen nur die entsprechenden Bedirigungen irgendwie hergestellt zu werden. Ich weiß zwar> daß es manchem schon in unserer Zeit lieber wäre, wenn ihm die Haare auf dem Kopfe wüchsen, als wenn man sie äußerlich durch irgendeine Kultur hervorbringen würde! Aber wir könnten uns doch denken, daß auch das gelänge. Dann würden wir scheinbar nicht mehr nötig haben, irgendwie mit dem Kosmos dasjenige, was auf der Erde geschieht, in einen Zusammenhang zu bringen.
Man kann vor der Forschung selbstverständlich allen schuldigen Respekt haben, aber man muß in diese Dinge doch tiefer hineinsehen. Abgesehen von dem, was ich vor einiger Zeit hier über das Wesen der Elemente entwickelte, mÖchte ich heute das Folgende sagen. Man muß sich klar sein darüber, daß zum Beispiel folgendes der Fall ist. Wir wissen, daß einstmals die Erde und die Sonne ein Körper waren. Das ist allerdings lange, sehr lange her: in der Saturnzeit, Sonnenzeit war es. Dann war eine kurze Wiederholung dieses Zustandes während der Erdenzeit. Aber dennoch ist etwas in der Erde zurückgeblieben, das dahin gehört. Das holen wir heute wieder heraus. Und wir holen es nicht nur aus dem Wiederholungszustande heraus, der sich während unserer Erdenzeit zugetragen hat, indem wir mit Steinkohle unsere Räume heizen, sondern wir holen es heraus, indem wir die Elektrizität
benützen. Denn aus jenen Zeiten, in denen nach der alten Saturnzeit, zur Sonnenzeit, Sonne und Erde eines waren, da ist der Grund zu dem gelegt worden, daß wir auf der Erde Elektrizität haben. Wir haben mit der Elektrizität eine mit der Erde altverbundene Kraft, die Sonnenkraft ist, in der Erde verborgene Sonnenkraft.
Warum solite denn nicht, wenn man ihr nur stark genug zu Leibe geht, selbst die eigensinnige Buche sich herbeilassen, statt daß sie die aus dem Kosmos hereinströmende Sonnenkraft benützt, die aus der Erde in Form der Elektrizität heraus gewor1nene Sonnenleuchtkraft zu benützen!
Aber gerade wenn man diese Dinge ins Auge faßt, dann wird man so recht merken, wie man eine Vertiefung unserer ganzen Erkenntnis braucht. Solange die Menschen glauben konnten, die Sonnenkraft komme nur aus dem Kosmos, so lange kamen sie beim Pflanzenwachstum aus der unmittelbaren gegenwärtigen Anschauung jedes Jahres zu einem Bewußtsein ihres kosmischen Zusammenhanges. In dem jetzigen Zeitalter, wo man unter materialistischen Gesichtspunkten dasjenige von dem Kosmos lostrennen möchte, was auf so leichte Weise als kosmische Wirkung geschaut werden kann, muß man, wenn man die scheinbare Selbständigkeit der Pflanze anschaut, eine Wissenschaft haben, die sich erinnert, daß jener kosmische Zusammenhang zwischen Erde und Sonne in älteren Zeiten vorhanden war, aber in einer andern Form. Wir brauchen eben, indem wir auf der einen Seite wie mikroskopisch eingeschränkt werden, auf der andern Seite eine um so intensivere Weite des Blickes, und gerade an den Einzelheiten zeigt es sich, wie wir diese Weite des Blickes brauchen.
Es handelt sich gar nicht darum, daß wir auf anthroposophischem Boden uns etwa in einer laienhaften Weise auflehnen gegen den Fortschritt der Forschung. Aber indem der Fortschritt der Forschung immer mehr und mehr durch seine eigene Natur dahin führen muß, uns zu jener Regenwurninatur zu bringen, von der ich oftmals hier gesprochen habe, so daß wir keinen freien Ausblick in die Weiten haben, müssen wir den weiteren Blick, den großen kosmischen historischen Blick gewinnen, so daß wir den Zusammenhang zwischen der Erde und der Sonne uns nicht nur in der gegenwärtigen Erdenzeit
zum Bewußtsein bringen können, sondern in jener längst vergangenen Zeit, die wir in der kosmischen Entwickelung der Erde die Sonnen- zeit nennen. Wir brauchen überall den Gegenpol. Nicht das Keifen gegen die Forschung, sondern den spirituellen, den geistigen Gegenpol brauchen wir. Das ist der richtige Standpunkt, den wir einnehmen müssen. Und ich möchte sagen, es ist auch eine Johannistimmung, wenn wir uns dieses in unser Gemüt einschreiben, wenn wir uns klar- werden darüber, wie wir jetzt geradezu in einer welthistorischen Joharinistimmung leben müssen, wie wir den Blick hinauswenden müssen in die Weiten des Kosmos. Das brauchen wir. Das brauchen wir gerade in spiritueller Erkenntnisbeziehung. Mit dem bloßen Reden vom Geistigen ist heute nichts getan, sondern einzig und allein mit dem wirklichen Eindringen in die konkreten Erscheinungen der geistigen Welt. Dasjenige, was aus der kosmischen Entwickelung der Erde herausgeholt wird, indem man aufmerksam macht auf Saturn-, Sonnen-, Monden-, Erdenentwickelung und so weiter, das hat eine ungeheure Tragweite in bezug auf die Erkenntnis auch in historischer Beziehung.Wenn uns auf der einen Seite die materialistische Wissenschaft in solch glänzenden Forschungsresultaten, wie es die von Klebs sind, darauf aufmerksam macht, daß selbst die eigensinnige Buche dazu gebracht werden kann> das Sonnenlicht zu entbehren und unter elektrischem Lichte ihr Wachstum im Winter zu treiben, wie sie es sonst nur unter dem Einfluß des Sonnenlichtes macht, dann führt uns dies, wenn wir keine spiritueUe Erkenntnis haben, dahin, daß wir alles in der Welt zerbröckeln, unser Gesichtsfeld einengen. Da steht jetzt die Buche vor uns, das elektrische Licht fördert ihr Wachstum> aber wir wissen nichts als dieses, was sich uns auf dem engsten Felde ergibt.
Werden wir mit spiritueller Erkenntnis ausgerüstet, dann sagen wir uns etwas anderes. Dann sagen wir uns: Wenn der Klebs der Buche das gegenwärtige Sonnenlicht entzieht, dann muß er ihr in Form der Elektrizität das uralte Sonnenlicht geben. - Dann wird nicht unser Blick eingeengt, sondern im Gegenteil, unser Blick wird erst ins Ungeheure erweitert. Ach was - sagen die Menschen leicht, die nichts mehr von dem seelischen Verlauf des Jahres wissen wollen -, ein Tag
ist wie der andere: Frühstück> Mittagsmahl, Teezeit, Souperzeit; es ist ja gut, wenn es zu Weihnachten etwas Besseres gibt, aber im Grunde genommen geht es so Tag für Tag das ganze Jahr hindurch. - Man sieht nur noch auf den Tag, das heißt auf das äußerlich Materielle des Menschen: Ach was, kosmische Zusammenhänge! Emanzipieren wir uns von einer solchen Weltanschauung! Machen wir uns doch ~ar, daß selbst die eigensinnigeBuche den Kosmos nicht mehr braucht, laß wir ihr, wenn wir sie in ein geschlossenes Gefängnis sperren, doch nur in genügender Stärke elektrisches Licht beizubringen brauchen, dann wächst sie ohne die Sonne! - Nein, sie wächst eben nicht ohne die Sonne. Wir müssen nur in der richtigen Weise die Sonne aufzusuchen wissen, wenn wir so etwas tun. Wir müssen uns aber dann auch klar sein darüber, daß es nun doch etwas anderes ist, eine andere Beziehung. Mit weitem Blicke geschaut, stellt es sich schon heraus, daß es doch etwas anderes ist, ob wir die Buche im kosmischen Sonnenlichte gedeihen lassen, oder ob wir ihr das ahrimanisch gewordene, aus uralten Zeiten stammende Licht geben. Und wir erinnern uns an das, was wir oftmals gesagt haben von dem normal in der Entwickelung Fortgehenden, und dem Luziferischen auf der einen Seite, dem Ahrimanischen auf der andern Seite.
Wenn wir einen genügenden Blick für dieses haben, dann werden wir uns nicht die Finger ablecken vor lauter Gescheitheit, daß wir nun den kosmischen Eigensinn der Buche überwunden haben, sondern wir werden viel weiter gehen. Wir werden nun zu den Säften der Buche vorgehen und werden untersuchen die Wirkung auf den menschlichen Organismus, werden die Wirkung auf den menschlichen Organismus bei derjenigen Buche untersuchen, der wir ihren Eigensinn gelassen haben, und bei derjenigen Buche, der wir mit dem elektrischen Licht ihren Eigensinn genommen haben, und werden von der heilkräftigen Wirkung der einen Buche und der andern Buche vielleicht etwas ganz Besonderes erfahren. Da müssen wir dann auf das Geistige eingehen!
Aber wie kümmert man sich heute um diese Dinge? Man hat ein bewunderungswürdiges Forscherinteresse. Man setzt sich in ein Schulzimmer, ist Experimentalpsychologe, schreibt allerlei Worte auf, die
gemerkt werden müssen, prüft das Gedächtnis, experimentiert an den Kindern herum, bekommt ungeheuer Interessantes heraus. Hat man einmal das Interesse für irgend etwas geweckt, so sind selbstverständlich alle Dinge in der Welt interessant, es kommt nur auf den subjektiven Standpunkt an. Warum sollte man es nicht dahin bringen, daß einem eine Markensammlung viel interessanter ist als eine botanische Sammlung? Da das der Fall sein kann, warum sollte einem denn nicht auf einem andern Gebiete auch so etwas passieren können? Warum sollten einem denn die Folterqualen, denen da die Kinder unterworfen werden, wenn man mit ihnen experimentiert, kein Interesse abgewinnen können? Aber überall frägt es sich, ob es da nicht höhere Verpffichtungen gibt, ob es überhaupt tunlich ist, daß man in einem gewissen Lebensalter mit den Kindern so herumexperimentiert. Die Frage entsteht, was man da verdirbt. Und die noch stärkere Frage entsteht, was man an den Lehrern verdirbt, wenn man, statt von ihnen ein lebendiges, herzliches Verhältnis zu verlangen, ein experimentelles Interesse aus den Ergebnissen der experimentierenden Psychologie verlangt. So kommt es wirklich darauf an, ob, wenn man sich mit einer solchen Forschung in ein richtiges Verhältnis zu der Sinneswelt versetzt, man sich damit auch in ein richtiges Verhältnis zu der übersinniichen Welt versetzt.
Nun ja, wird es jetzt bei gewissen Leuten grölen können, die von der notwendigen Objektivität der Forschung sprechen: Der will also behaupten, daß es irgendwelche Geister gibt, die es unmoralisch flnden, wenn der K]ebs der Buche in dieser Weise ihren Eigensinn nimmt! - Das fällt mir gar nicht ein. Es fällt mir nicht im Traume ein. Das alles, was gemacht wird, soll gemacht werden, aber man muß das Gegengewicht dazu haben. Und in einer Zeit, in der man sich in bezug auf das Buchenbäumewachstum emanzipiert von der kosmisehen Empfindung, muß auf der andern Seite> in einer Zivilisation, die solche Dinge in sich aufnimmt, auch eine Empflndung dafür vorhanden sein, wie der geistige Fortgang im Werden der Menschheit geschieht. Man muß Epochensinn haben in einer Zeit, wie es die unsrige ist. Nicht die Forschung will ich einschränken, aber empfunden muß werden, daß dem etwas anderes gegenüberstehen muß. Es
muß dem gegenüberstehen ein offenes Herz dafür, daß zu gewissen Zeiten immer diese und jene Dinge aus der geistigen Welt heraus sich offenbaren. Wenn auf der einen Seite der materialistische Sinn überwuchert und es zu starken und großen Ergebnissen bringt, so müßten gerade diejenigen, die ein Interesse haben an solchen Ergebnissen, auch ihr Interesse an den Forschungsresultaten über die geistige Welt haben.
Dies aber liegt im Inneren der Natur des Christentums. Das richtig angeschaute Christentum sieht nach dem Mysterium von Golgatha fortwirkend im Erdendasein in dem Wesen des Christus die ChristusKraft, den Christus-Impuls. Und das bedeutet, daß man auch dann, wenn Herbststimmung kommt, wenn alles dürr und öde wird, wenn das Sprießende und Sprossende in der Sinnesnatur aufhört, dann gerade das Sprießen und Sprossen des Geistes wahrnimmt, wenn man in dem sich entblätternden Baum das Aufglitzern und Aufleuchten derjenigen Geister empfinden kann, die nun den Menschen durch den Winter begleiten.
Aber ebenso muß man empfinden lernen, wie in einem Zeitalter, das sich von einem gewissen Gesichtspunkte aus mit Recht darüber hermacht, die Einzelheiten aufzufassen, in bezug auf die Einzelheiten den Blick einzuengen, der Blick auch auf das Große, Umfassende fallen muß. Das ist gegenüber dem Christentum die Johannistimmung. Wir müssen empfindend verstehen, daß die Johannistimmung der Ausgangspunkt ist für dasjenige Geschehen, das in dem Worte liegt: « Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen. »
Das heißt, der Eindruck auf den Menschen von alledem, was erobert wird durch die Sinnesforschung> dieser Eindruck muß abnehmen. Und gerade, indem man immer mehr und mehr ins Sinnlich- Einzelne eindringt, muß der Eindruck des Geistigen immer stärker und stärker werden. Die Sonne des Geistes muß immer mehr in das menschliche Herz hineinleuchten, je mehr die in der Sinneswelt wirkende Sonne abnimmt.
Johannistimmung müssen wir empfinden als den Eingang in Geistesimpulse und als den Ausgang aus Sinnesimpulsen. Johannistimmung müssen wir als etwas empfinden lernen, worin es webt und weht, geistig-dämonisch weht aus dem Sinnlichen ins Geistige, aus
dem Geistigen ins Sinnliche. Und wir müssen durch die Johannistimmung unseren Geist leicht gestalten lernen, so daß er nicht nur pechartig klebt an den festen Konturen der Ideen, sondern daß er in webende, wehende, lebendige Ideen sich hineinfindet. Wir müssen merken können das Aufglimmen des Sinnlichen, das Verglimmen des Sinnlichen, das Aufglimmen des Geistigen im verglimmenden Sinnlichen. Wir müssen das Symbol des Aufleuchtens der Johannis würmchen durchaus empfinden als etwas, das auch im Abdämpfen der Beleuchtung seine Bedeutung hat.
Das Johanniswürmchen leuchtet auf, das Johanniswürmchen leuchtet wieder ab. Aber indem es ableuchtet, läßt es lebendig in uns zurück das Leben und Weben des Geistigen im dämmerigen Sinnlichen. Und wenn wir in der Natur überall die geistigen kleinen Springwellen sehen, so wie wir symbolisch im Sinnlichen das Aufglühen und Wiederabdämpfen der Johanniswürmchen sehen, dann werden wir, wenn wir dieses mit vollem, hellem, klarem Bewußtsein können, für unser Zeitalter die richtige Johannistimmung finden. Und diese richtige Johannistimmung brauchen wir, denn wir müssen durch unser Zeitalter so hindurchgehen, wenn wir nicht in den völligen Abstieg kommen wollen, daß der Geist sich glühend beleben lernt, und daß wir dem glühend belebten Geistigen sinnvoll folgen lernen.
Johannistimmung - der Menschen- und Erdenzukunft entgegen! Nicht mehr die alte Stimmung, die nur das Sprießen und Sprossen des Äußerlichen versteht, die froh ist, wenn sie dieses Sprießen und Sprossen auch noch einsperren kann, unter elektrisches Licht dasjenige setzen kann, was sonst froh im Sonnenlichte gediehen ist. Wir müssen vielmehr das Aufblitzen und Aufblühen des Geistes erkennen lernen, so daß uns das elektrische Licht weniger wichtig wird, als es in der Gegenwart ist; daß wir aber dadurch den Blick, den Johanniblick, geschärft bekommen für jenes alte Sonnenlicht, das uns erscheint, wenn wir den großen geistigen Horizont eröffnen, nicht nur den engen Erdenhorizont, sondern den großen Horizont vom Saturn bis zum Vulkan.
Wenn wir in der richtigen Weise das Licht, das uns auf diesem großen Horizont erscheint, auf uns wirken lassen, dann werden alle
Kleinigkeiten unseres Zeitalters uns eben in diesem Lichte erscheinen können, dann werden wir vorwärts- und aufwärtskommen. Sonst aber, wenn wir uns dazu nicht entschließen, werden wir rückwärts- und abwärtskommen.
Es handelt sich heute überall um menschliche Freiheit, um menschliches Wollen. Es handelt sich heute überall um die selbständige menschliche Entscheidung zwischen vorwärts oder rückwärts, zwischen aufwärts oder abwärts.
WIEDERGEWINNUNG DES LEBENDIGEN SPRACHQUELLS DURCH DEN CHRISTUS-IMPULS - DER MICHAEL-GEDANKE ALS ANRUF DES MENSCHLICHEN WILLENS Dornach, 13. April 1923
Wenn Sie sich an verschiedenes erinnern, das ich hier im Laufe der letzten Betrachtungen vorgebracht habe, so werden Sie vor Ihre Seele hinstellen können die Beziehung der menschlichen Sprache, des Sprechenkönnens des Menschen zu denjenigen Wesen, die wir gewöhnt worden sind, in der geistigen Welt zur Hierarchie der Archangeloi, der Erzengel zu rechnen. Erinnern Sie sich, wie ich in einer der vorangehenden Betrachtungen ausgeführt habe, welche Bedeutung es für den Menschen hat, wenn er die Worte seiner Sprache so gestaltet, daß diese Worte nur zu rein materiellen Dingen Beziehung haben, daß also die Sprache gewissermaßen einen materialistischen Charakter annimmt, oder wenn er die Sprache so gestaltet, daß er im Sprechen einen gewissen Idealismus entwickelt, daß schon die Sprache ihn bei jedem Aussprechen eines Wortes empfinden läßt: er gehört einer geistigen Welt an> und was als Worte seiner Seele in seiner Sprache erklingt, das muß, weil es eben aus der Menschenseele kommt, irgendwelche Beziehung haben zu Geistern. Je nachdem das eine oder das andere der Fall ist, sagte ich Ihnen, kommt der Mensch zwischen dem Einschlafen und Aufwachen in die rechte oder unrechte Beziehung zu den Erzengelwesen, zu den Wesen, die wir als Archangeloi bezeichnen. Der Mensch verliert immer mehr und mehr seinen notwendigen Zusammenhang mit diesen Archangeloi, wenn er den Idealismus aus seiner Sprache verschwinden läßt. Ich erinnere an diese Tatsache deshalb, weil ich eines wenigstens herausheben möchte, was die Beziehung des menschlichen Sprechens überhaupt zu der Hierarchie der Archangeloi vor Ihre Seele stellen kann.
Nun hat das menschliche Sprechen, die menschliche Sprache im Laufe der Menschheitsentwickelung eine Geschichte durchgemacht, wie im Grunde genommen alle Entwickelung, insofern sie den Menschen
betrifft. Wir haben das für die verschiedensten Entwickelungstatsachen des Menschenwesens kennengelernt. Was ich nun heute auseinandersetzen möchte, das bezieht sich nicht auf die eine oder die andere Sprache. Die Zeitperioden, auf die wir in bezug auf die eine oder andere tiefste Entwickelung der Sprache verweisen müssen, sind so lang, daß selbst primitive Sprachen heute schon denselben Charakter tragen in bezug auf das, was wir heute auseinandersetzen wollen, wie zivilisierte Sprachen. So daß also heute nicht hingewiesen wird auf die Differenzen, die unter den einzelnen Sprachen bestehen, sondern auf jene Umwandlungen, auf jene Metamorphosen, welche das menschliche Sprechen überhaupt im Laufe der Menschheitsentwickelung auf Erden durchgemacht hat.
Wenn wir heute das Verhältnis des Menschen zu seiner Sprache ins Auge fassen, so finden wir ja, daß wir eigentlich in den Worten der Sprache kaum mehr anderes haben als Zeichen für das, was außer uns ist und worauf mit den Worten der Sprache hingewiesen werden soll.
Sie wissen, wir haben im Laufe unserer anthroposophischen Betrachtungen auch auf ein intimeres Verhältnis des Wortes zur Sache hingewiesen. Aber solch ein intimes Verhältnis wird ja heute kaum mehr von den Menschen gefühlt. Die Worte sind mehr oder weniger nur äußere Zeichen für das, was mit ihnen gemeint ist. Wer fühlt denn zum Beispiel heute, wie in dem Worte «Blitz» tatsächlich etwas liegt, was, wenn das Wort ausgesprochen wird, seinem Laute nach von dem menschlichen Gemüte so erlebt werden kann, wie das Zucken des Blitzes durch den Raum erlebt wird. Man fühit ja die Sache heute mehr oder weniger so, daß eben dieses Lautgefüge «Blitz» das Zeichen für die zuckende Lichterscheinung des Blitzes bedeutet. Das war aber nicht immer so, sondern wenn wir zurückgehen - wir brauchen dabei woh1 nur in die älteren Zeiten des Griechentums zurückzugehen -, dann finden wir, daß das Verhältnis des Menschen zur Sprache nicht ein solches Zeichenhaftes, Gedankenhaftes war, sondern daß der Mensch selbst in der Tat an der Lautgestaltung seiner Worte mit seinem Gemüte beteiligt war. Für die nördlichen Sprachen brauchen wir nicht einmal so weit zurückzugehen.
Heute ist das Gefühl dafür abgeiähmt, daß das Wort «Pflug» so
erlebt werden kann wie die Tätigkeit, die mit diesem Ackerinstrumente ausgeführt wird. Es ist das Wort ein Zeichen geworden. Aber vor verhältnismäßig kurzer Zeit - wir brauchen vielleicht nur an kaum eineinhalb Jahrtausende zu denken -, da wurden die Worte noch in den nördlicheren Gegenden Europas so gefühlt, daß tatsächlich das Gefühl beim Pflügen ein ähnliches war, wie innerlich das Gefühl war bei dem Worte, das dazumal den Pflug bezeichnete. Es war also damals an der Empfindung vom Worte weniger der Gedanke beteiligt, sondern es war das Gefühl des Menschen daran beteiligt.
Und wenn wir in ganz alte Zeiten der Menschheit zurückgehen, dann finden wir, daß nicht nur das Gefühl daran beteiligt ist, sondern daß der Wille intensiv bei der Wortbildung beteiligt ist. Aber wenn wir jene Zeit betrachten wollen, in der die Menschen vor allen Dingen ihr Willensverhältnis zu der äußeren Natur betrachteten, indem sie in der Sprache lebten, da müssen wir schon zurückgehen bis in die späteren atlantischen Zeiten. Es sind eben durchaus lange Zeitepochen, in denen sich die Sprache in der Weise, wie ich es eben jetzt angedeutet habe, entwickelt. Und in der Sprache lebt ja der Sprachgenius. Die Sprache unterliegt ja nicht der menschlichen Willkür in ihrer Entwickelung, sondern in der Sprache lebt der Sprachgenius.
Und der Sprachgenius gehört im wesentlichen der Hierarchie der Archangeloi an. Indem der Mensch spricht, also sozusagen um die Erde herum eine Atmosphäre bereitet, in der die zur Sprache artikulierten Lautbildungen des Menschen leben, ist diese Sprachatmosphäre das Element der Archangeloi. Deshalb sind die Archangeloi die Volksgeister, wie Sie aus einem Vortragszyklus von mir wissen können.
Es ist also eigentlich dasjenige, was in der menschlichen Sprachentwickelung auf Erden erscheint, innig zusammenhängend mit der Entwickelung der Archangeloi. Man möchte sagen: Was sich in der Sprachentwickelung ausdrückt> ist ein Bild der Archangeloientwickelung. Wir sind, wenn wir auch nur das, was irdisch ist, betrachten, durchaus nicht davon ausgeschlossen, die Entwickelung der höheren geistigen Wesenheiten kennenzulernen. Wir müssen nur in der richtigen Weise wissen, wie wir bestimmte Erscheinungen und Tatsachen auf gewisse höhere geistige Wesenheiten beziehen müssen. Wir müssen
nur klar hineinschauen, wie in der Umwandlung der Sprachfähigkeit der Menschen auf Erden die fortlaufende Entwickelung der Archangeloi sich ausdrückt, sich offenbart.
Wenn wir nun in diese ganz alten Zeiten zurückgehen, in denen die Menschen ihr Willensverhältnis in der Sprache zum Ausdruck brachten, also in die letzten Zeiten der atlantischen Entwickelung, da war die Sprache oder das, was in der Sprache als Wesen aus der Hierarchie der Archangeloi lebte, etwas anderes, als was später in dieser Beziehung vorhanden war. Machen wir uns einmal klar, wie die Sprachbildung in diesen uralten Zeiten der menschlichen Erdenentwickelung war. Da interessierte den Menschen noch nicht viel, wie sich das fühlen läßt zum Beispiel, wenn die Blumen blühen, wenn dieses oder jenes Wetter ist. Das interessierte ihn in anderer Beziehung, nicht aber in bezug auf jene Fähigkeit, die aus den Tiefen seiner Seele hervorsprießen läßt das Wort. Für die Wortbildung interessierte ihn, ob ihm zum Beispiel Gefahr drohte von dieser oder jener äußeren Tatsache, ob er etwas abzuwehren hatte, oder ob etwas auf ihn günstig wirkte, so daß er es in seine Lebensverhältnisse hereinbeziehen wollte, ob etwas für seine Gesundheit förderlich oder schädlich war. Kurz, ob sein Wille nach dieser oder jener Richtung angeregt wurde, das interessierte ihn. Was er unter dem Einfluß der äußeren Tatsachen veraniaßt wurde zu tun, das interessierte ihn, und danach waren die Worte gebildet. In jener alten Zeit waren die Worte durchaus Ausdrücke für die menschlichen Reaktionsvorgänge, für das, was sich der Mensch veranlaßt sah zu tun unter dem Einflusse der Welt. Willensausdrücke waren fast die einzigen Ausdrücke, die die urältesten Sprachen während der menschlichen Erdenentwickelung hatten. Und woher kam das? Das kam davon her, daß die Archangeloi zu der Sprache auf dem Wege der Intuition kamen.
Wenn Sie die Beschreibungen nehmen, die ich in meinen verschiedenen Büchern über das Wesen der Intuition gegeben habe, dann haben Sie mit dieser Intuition auch diejenige Tätigkeit geschildert, welche die Archangeloi ausübten, sagen wir, in den letzten Zeiten der atlantischen Entwickelung, um den Menschen die damalige Willenssprache zu übermitteln. Dann aber rückten diese Archangeloi in ihrer
eigenen Entwickelung vorwärts. Ich habe ja auf die Entwickelung der in der geistigen Welt lebenden Führer des Menschen und der Menschheit in der kleinen Schrift «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit» hingewiesen. Heute möchte ich auf ein Gebiet kommen, das dort weniger berücksichtigt ist, auf das Gebiet der Sprache.
Das Fortschreiten der Archangeloi in bezug auf die Sprache liegt darin, daß sie in der älteren Fähigkeit der Intuition vor allen Dingen in den Welten höherer Hierarchien darinstanden, sich hingaben an die Welten höherer Hierarchien, so daß sie eigentlich mit der Sprache etwas bekamen, was das Wesen höherer Hierarchien war, als die Erzengelhierarchie ist. Die Erzengel gaben sich, solange die sprach- bildende Kraft bei ihnen auf der Intuition beruhte, der nächsthöheren Hierarchie hin, den Kyriotetes, Dynamis, Exusiai. Da standen sie darinnen. Und aus dem, was sie erlebten durch ihr intuitives Darin- stehen in dieser Hierarchie, konnten sie dem Erdenleben die sprachbijdende Kraft einflößen.
In der nächsten Epoche schritten die Archangeloi so vorwärts, daß ihre sprachbildende Kraft nicht mehr aus der Intuition floß, sondern aus der Inspiration. Sie gaben sich nicht mehr völlig der nächst- höheren Hierarchie hin, sondern was sie durch die Hingabe an diese höhere Hierarchie bekamen, war ihnen etwas anderes geworden als das, was sie als Sprache den Menschen vermittelten. Sie lauschten jetzt auf die Inspirationen der ersten Hierarchie, der Throne, Cherubim, Seraphim, und aus dieser Inspiration heraus flößten sie dem Erden- leben die sprachbildende Kraft ein.
Wenn wir in die ersten Zeiten der nachatlantischen Entwickelung, selbst noch bis ins Ägyptertum und Chaldäertum zurückgehen, so finden wir überall, wie der Quell, aus dem heraus die Erzengel schöpfen, um dem Menschen die Sprache zu vermitteln, die Inspiration ist. Da wird die Sprache so - sie macht eine Metamorphose durch -, daß vor allen Dingen die Worte Ausdruck werden für menschliche Sympathie und Antipathie, für menschliche Gefühle und Empfindungen überhaupt. An die Stelle der alten Willenssprache tritt eine Gefühlssprache. Und es ist vorzugsweise jener Zustand vorhanden, wo
gefühlt wird an dem äußeren Vorgang oder dem äußeren Wesen dasjenige, was auch gefühlt wird, wenn aus den Tiefen der Menschenwesenheit durch die Sprachorgane die zum Worte artikulierten Laute kamen.
So kÖnnen wir sagen: Es ist ein bedeutungsvoller Vorgang in der Menschheitsentwickelung da. Die Hierarchie der Archangeloi ist zu- erst Intuitionen unterworfen, und aus den Intuitionen herunter wird die Willenssprache durch diese Wesenheiten geschaffen. Die Archangeloi rücken vorwärts> sie sind dann unterworfen der Inspiration. Und aus dem, was sie durch die Inspiration der Wesen der ersten Hierarchie empfangen, entstehen die GefühIssprachen.
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Es war ja eigentlich ein außerordentlich tiefes Gefühi, aus dem heraus Herman Grimm, der Kunsthistoriker, diese Scheidewand zwischen Griechen und RÖmern gezogen hat. Herman Grimm bat nämlich behauptet: Wenn man heute in der Schule oder auf der Universität Geschichte lernt, ist man darauf angewiesen, daß man das, was man da lernt, auch versteht. Aber man versteht, wenn man heute Geschichte lernt, rückwärtsgehend in der Menscbheitsentwickelung, die Geschichte nur bis zum RÖmertum. Cicero, Cäsar, die kann man noch verstehen, weil sie bis zu einem gewissen Grade dem heutigen Menschen schon ziemlich ähnlich sind, obwohl auch schon viel Unnatürliches in dem Verständnis liegt, das wir, sagen wir, Cäsar entgegenbringen. Würden wir nicht dazu dressiert, so würden sich für Cäsar wahrscheinlich nur die Zöglinge der Militäranstalten interessieren. Wir werden in dieser Beziehung furchtbar dressiert. Aber im ganzen und großen geht heute eben ein fortlaufender Strom zurück zum
Römertum. Ein gewisses philiströses Element, das heute in der Kulmination ist, das aber allmählich in die Menschheit eingeschlichen ist, das finden wir eben schon, wenn wir bis zum Römertum zurückgehen. Aber derjenige, der ehrlich ist im Verständnis der Vergangenheit, so meint Herman Grimm, der kann sich nicht zuschreiben, daß er zum Beispiel den Perikles oder den Alkibiades versteht. Die versteht man so, wie man die Persönlichkeiten von Märchen versteht. Das Seelen- leben dieser Persönlichkeiten kann erst wiederum verstanden werden gerade durch anthroposophische Vertiefung. Wir haben immer versucht, hineinzukommen in die Art und Weise, wie ein Grieche vorstellt. Das fühlt auch Herman Grimm. Er fühlt die Entfernung, die zwischen dem Seelenieben eines Griechen und eines modernen Menschen ist, der den Römern noch sehr nahesteht; dann kommt ein Abgrund.
Wie die Griechen in den heutigen Schulen geschildert werden, das ist etwas Furchtbares, denn da werden sie eben modernisiert. So sind sie nicht gewesen, ihr ganzes Seelenieben war anders. Man muß zu ganz andern Mitteln greifen, wenn man die Griechen charakterisieren will. Es hat sich am besten gezeigt an einem besonderen Fall, wie der urgelehrte Wilamowit~ daran ging, die griechischen Tragiker zu übersetzen. Die ganze Affäre ist eigentlich schrecklich, denn es ist natürlich in den Wilamowitzschen Übersetzungen nichts von den griechischen Tragikern darin, rein gar nichts. Und doch gefällt es den modernen Menschen ungeheuer, sie sind ganz entzückt von den Wilamowitzscheu Übersetzungen. Aber die Personen, die da bei Wilamowitz auftreten, sind nicht die, die bei den griechischen Tragikern auftreten.
Also wenn wir nach Griechenland zurückkommen - das hat Her- man Grimm mit einem sicheren Instinkt gefühlt -, da kommen wir in eine ganz andere Welt, gar nicht zu reden von den orientalischen Elementen in dieser Beziehung. Es ist ja der reine Hohn, wenn die moderne Menschheit überhaupt glaubt, aus den Deussenschen Übersetzungen etwas zu begreifen von dem, was im alten Orient sich abgespielt hat. Da muß man eindringen können in diese ganze Umwandiung und Umgestaltung des seelischen Wesens.
Und wenn man auf ein besonderes Element hinschaut, auf die
Sprache, dann ist das eben so, daß bis ins Griechentum herein die Gefühlssprache geherrscht hat zum Beispiel unter den Philosophen bis zu Plato. Der erste phiiosophische Philister ist der große universelle Geist Aristoteles. Sie werden sich verwundern, daß ich die zwei Attribute hintereinander sage, aber man versteht Aristoteles nicht, wenn man ihn nicht als den ersten philosophischen Philister und als den universellen Geist zugleich auffaßt. Er ist groß in einer gewissen Beziehung, aber er ist in einer andern Beziehung eben der erste philosophische Philister, der aus den Worten die Gedankenkategorien herausklaubt. Das wäre den älteren Griechen gar nicht eingefallen, aus den Worten Gedankenkategorien herauszuklauben, denn sie hatten noch ein GefüM dafür, daß die Worte etwas sind, was hereininspiriert wird in die Menschen. Sie fühlten die hÖheren Geister, indem die Sprache entstand.
Bis in die Griechenzeit herein und für die äußere Menschheit - die in bezug auf gewisse Dinge gewiß sehr zurück ist, aber in bezug auf geistige Dinge oftmals weniger zurück ist als die Philosophen -, für diese übrige Menschheit, die also in bezug auf die sprachbildende Kraft länger die Inspirationen behielt als die Philosophen, können wir wirklich sagen: Wir vernehmen noch überall in der sprachbildenden Kraft das inspirierende Element, das aber allerdings in der Seele der Erzengel lebt, bis zum Mysterium von Golgatha hin. Natürlich ist das approximativ. In der einen Gegend der Erde dauert es länger, in der andern kürzer. In der einen Gegend der Erde fühlen die Menschen noch> wie das Wort in ihnen so pulst, wie das Blut im Körper pulst; das filhlen sie in der Atemkraft. Und sie fühlen in der hinwehenden, das hcißt in der den Körper durchwehenden Atemkraft den der Inspintion unterliegenden Archangelos.
Dann kommen wir an die Zeitepochen heran, wo die Erzengel, indem sie dem Menschen die Sprache vermitteln, nicht mehr der Inspiration unterliegen, sondern der Imagination (siehe Schema). Und die Sprache wird zur Gedankensprache. Die Menschen sprechen immer mehr und mehr aus den Gedanken heraus, die Sprache kommt gewisserinaßen an das abstrakte Element des Menschen heran.
Dem liegt etwas sehr Bedeutsames zugrunde. Die Intuitionen haben
die Archangeloi empfangen von der zweiten Hierarchie; sie selber gehören zur dritten Hierarchie. Die Inspirationen haben sie empfangen von Seraphim, Cherubim und Thronen, von der ersten Hierarchie. Die Imagination - ja, da gibt es zunächst keine Hierarchie über die erste hinaus! Diese Imaginationen konnten sie zunächst nicht von den Hierarchien empfangen, die zum Beispiel noch bei Dion~siu` dem Areopagiten verzeichnet sind. Da gab es über die erste Hierarchie hinaus keine. Daher haben gewisse Erzengelwesen dazu greifen müssen,
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nun die Imaginationen, das heißt, die Bilder der sprachbildenden Kraft - denn das sind die Imaginationen - aus der Vergangenheit herzuholen, also Früheres fortzusetzen. Es hörte die unmittelbare queUende Kraft, Sprache zu bilden, auf. In die Sprache kam ein ahrimanisches Element herein, weil sie herübergenommen wurde aus einer früheren Stufe. Das ist etwas ungeheuer Bedeutungsvolles. Und dieses, was da die Archangeloi über sich im Oberen fühlten, das drückte sich in der Menschheit dadurch aus, daß die Sprache immer mehr und mehr sich abschliff, ablähmte, nicht mehr als etwas so Lebendiges vorhanden war wie in früheren Zeiten.
Bedenken Sie, was für ein ungeheuer Bedeutsames sich in dieser Tatsache ausspricht. In das Menschenleben kommt etwas herein, was eigentlich eine höhere Hierarchie brauchte, als die erste Hierarchie ist. Man muß dieses nur in seiner ungeheuer umfassenden Bedeutung fühlen, und man wird darauf hingewiesen, wie eine Zeit herangekommen war, in der Götter über dasjenige hinauswachsen mußten, was in der ersten Hierarchie enthalten war.
Nun gibt es eines, was die Götter bis zu jener Zeit nicht erreicht
hatten, was auf Erden hier schon im Abbilde vorhanden war. Was die Götter noch nicht erreicht hatten, das ist das Durchgehen durch den Tod. Es ist das ein Faktum, auf das ich schon öfter hingewiesen habe. Die Götter, die in den verschiedenen Hierarchien über dem Menschen stehen, haben nur Verwandlungen, Metamorphosen von einer Lebensform in die andere kennengelernt. Das eigentUche Ereignis des Todes im Leben war vor dem Mysterium von Golgatha keine Göttererfahrung. Der Tod ist ins Leben hereingekommen durch die luziferischen und ahrimanischen Einflüsse, durch zurückgebliebene oder das Vorwärtsstürmen zu schnell treibende Götterwesen. Aber der Tod ist eigentlich nicht etwas, was als eine Lebenserfahrung der höheren Hierarchien vorhanden war. Das tritt ein als eine Erfahrung für diese höheren Hierarchien in dem Augenblick, als der Christus durch das Mysterium von Golgatha, das heißt, durch den Tod geht; als der Christus mit dem Schicksal der Erdenmenschheit sich so weit vereinigte, daß er mit dieser Erdenmenschheit das gemeinsam haben wollte, daß er den Tod durchgemacht hat. Es ist also dieses Ereignis von Golgatha nicht bloß ein Ereignis des Erdenlebens, es ist dieses Ereignis von Golgatha ein Ereignis des Götterlebens. Was sich auf der Erde abgespielt hat, und was im menschlichen Gemüt als eine Er- kenntnis von dem Ereignis von Golgatha auftritt, das ist das Abbild von etwas ungeheuer viel Umfassenderem, Großartigerem, Gewaltigerem, Erhabenerem, das sich abgespielt hat in den GötterweIten selber. Und des Christus Durchgang durch den Tod auf Golgatha ist ein Ereignis, durch das die erste Hierarchie in ein höheres Gebiet hinaufreichte. Daher mußte ich Ihnen immer sagen: Die Trinität liegt eigentlich über den Hierarchien. Aber dazu ist sie erst im Laufe der Entwickelung gekommen. Entwickelung findet überall statt.
Also mit Bezug auf diejenigen Hierarchien selbst, welche bei Dionysius dem Areopagiten verzeichnet sind, verlieren die Erzengel die Möglichkeit, die Imaginationen von oben zu bilden. Der Mensch verliert die Möglichkeit, seine Sprache lebendig fortzugestalten. In der Götterwelt geht etwas vor, dessen irdisches Abbild das Ereignis von Golgatha ist. Und deshalb hängt mit dem Ereignis von Golgatha unter vielem andern auch das zusammen, daß, wenn die Menschen
nach und nach immer mehr und mehr den Christus-Impuls aufnehmen, sie durch den Christus-Impuls wiederum den lebendigen Sprachquell erhalten.
Wir haben heute, man möchte sagen, die auslaufenden bloß natürlichen Sprachen. Und wenn man unbefangen genug ist, kann man in den auslaufenden natürlichen Sprachen, insbesondere je weiter man vom Osten nach dem Westen geht, vernehmen, wie diese Sprachen ein absterben des Element in sich tragen, wie sie immer mehr und mehr zur Hülle werden. In Asien ist es noch weniger der Fall, gegen den Westen hin aber ist es immer mehr und mehr so, daß die Sprachen ein absterbendes Element in sich tragen.
Eine Belebung des Sprachschöpferischen im Menschenwesen kann nur dadurch eintreten, daß die Menschen immer mehr den ChristusImpuls aIs ein Lebendiges wieder ergreifen, damit der Christus-Impuls gerade das Sprachschöpferische werde. Und unter all den Dingen, die man anführen muß, wenn man die Bedeutung des Christus-Impulses für die Menschheitsentwickeiung darlegen will, ist auch dieses, daß die Menschheit in der Zeit, in der sie zur Freiheit aufrückte, herauskam aus dem göttlich-geistigen Durchströmt- und Durchwebtsein der Sprachen. Wäre die Sprache so geblieben, wie sie im alten Griecheniand war, der Mensch hätte sich nicht zur Freiheit entwickeln können. Es brauchte einmal, ich möchte sagen, dieses Absurde, daß die Sprache nur zum Zeichen da ist, daß die Archangeloi die Möglichkeit verloren haben, die Imaginationen aus der Gegenwart zu bilden, daß sie aus der Vergangenheit sie bilden mußten. In dieser Zeit, an deren Beginn sich der Christus angekündigt hat, in der er nieder- schreiben ließ das Geheimnis seines Wesens und seiner Tätigkeit in den Evangelien, in dieser Zeit ist aber die Christus-Erkenntnis nicht vollständig unter die Menschen gekommen, weil sie nicht geistig genug, weil sie oftmals nur traditionell war. Erst wenn das Wort des Evangeliums belebt wird von einem Christus-Verständnis aus, das in der Gegenwart selber von dem fortwirkenden, immer auf den Menschen Einfluß habenden Christus kommt, erst dann wird auch die sprachbildende Kraft von diesem Christus-Impuls, von dem lebendigen Christus-Impuls ausgehen.
Aber schreiben wir jetzt auf, was ich Ihnen hier angedeutet habe (siehe Schema). Machen wir uns ganz klar, daß da oben etwas vorgeht, wodurch Götter erhöht werden, daß da unten etwas vorgeht, wodurch die Menschen den Christus-Impuls immer mehr haben, aber auch immer mehr zur Freiheit vorrücken. Stellen wir uns nur vor, daß> indem der Mensch eine Erhöhung durchmacht, diese Erhöhung des Menschen auch eine Erhöhung der höheren Hierarchien ausmacht. Seien wir uns klar darüber, daß die Imaginationen der Archangeloi gegenwärtig lebendige Imaginationen werden, wenn die Archangeloi irnnier mehr hineinbekommen von dem Christus, der seinen Wohnplatz in den Herzen der Menschen auf der Erde gefunden haben wird, der als ein Impuls in die Imaginationen der Erzengel einzieht.
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Es wird dann eine ganz andere Art der sprachbildenden Kraft kommen. Eine besondere Art der sprachbildenden Kraft wird eben kommen. Von gewissen andern Gesichtspunkten habe ich das in früheren Zyklen schon angedeutet, aber jetzt schreiben wir einmal einfach dasjenige, was ich Ihnen da auseinandergesetzt habe.
Der Mensch kann schildern, wie es oben bei den Himmeln vorgegangen ist in der Entwickelung, die da oben verlief, während unten auf Erden die Menschheitsentwickelung verlief. Aber der Mensch kann auch das Abbild beschreiben. Er kann das Vorrücken von der Willenssprache durch die Gefühlssprache zu den Gedanken- oder Zeichensprachen beschreiben. Und er kann wissen, daß dazwischen liegt das Aufsteigen - oder das Absteigen - der Archangeloi von Intuition zu Inspiration zu Imagination.
Aber indem der Mensch auf sich selber schaut, was muß er ins Auge fassen, wenn er von der Entwickelung der Archangeloi und von dem, was in den höheren Hierarchien damit zusammenhängt, dahin deuten will? Er faßt die Entwickelung der Sprache oder des Wortes ins Auge, er fixiert, er erinnert sich. Ich will die Entwickelung einer bestimmten Strömung in der Menschheit ins Auge fassen, in die eine Götterströmung hineinverwoben ist. Ich gehe bis zum Ursprung zurück, bis zu den Urbeginnen. «Im Urbeginne war das Wort.» Wo war denn das Wort, als wir eine Willenssprache hatten als Menschheit? Ja, das Wort war bei Gott und mußte durch Intuition bei Gott gesucht werden. «Und das Wort war bei Gott.» Aber die Archangeloi mußten sich durch Intuition in das Wesen der zweiten Hierarchie hineinversetzen. Das Wesen, das sie da in sich selber überfließen ließen, das war das Wort: «Und ein Gott war das Wort.»
Tafel 2 Im Urbeginne war das Wort,
Und das Wort war bei Gott,
Und ein Gott war das Wort.
Wir sehen, wie innig dasjenige, was fortfloß in der Entwickelung, die ihre Kulinination im Mysterium von Golgatha hatte, zusammen- hing mit dem Logos oder dem Wort. Aber das Ganze hängt ja zu- sammen mit dem universellen Ereignis der Menschwerdung und des Durchgehens durch den Tod von seiten des Christus. In der Zeit, in der man so sagte: «Im Urbeginne war das Wort, und das Wort war bei Gott, und ein Gott war das Wort», fühlte man das Wort vor allen Dingen im Seelischen weben. Nun kam durch das Mysterium von Golgatha eine Zeit, wo der Christus in einem Menschenleibe da war - den Christus sah man durch das Wort -, wo das Wort eingezogen war in den physischen Menschen: «Und das Wort ist Fleisch geworden. »
Tiefe Entwickelungswahrheiten, die man durch eine heiße Arbeit, welche in einer Beobachtung der geistigen Welt besteht, wiederfindet, liegen in demjenigen, was im älteren Schrifttum steht. Aber man muß sich nur klar sein darüber, dieses ältere Schrifttum muß mit jener Ehrerbietung erfaßt werden, durch die man sich sagt: Ich kann immer tiefer und tiefer hineindringen, wenn ich in den Dingen selber erst
forsche. - Da kommt man hinein in die tiefere Bedeutung des älteren Schrifttums. Und steigt man hinein in die tiefere Bedeutung des alten Schrifttums, dann steigt man auch in das geistige Leben selber hinein.
Und wieviel gäbe es in dieser Beziehung in unserer heutigen Gegenwart für eine Michael-Kultur, für eine Kultur, weiche sich anfeuern Iieße von dem, was ich in den verflossenen Betrachtungen den Michael- Gedanken genannt habe! Der Michael-Gedanke soll ja vorzugsweise lebendig werden durch ein Herbstfest. Die Blätter fallen, welk geworden, von den Bäumen, die Pflanzen werden welk, verdorren, das Leben mineralisiert sich. Dasjenige, was der Mensch im vorhergehenden Jahreslaufe gesehen hat als Sprießendes, Sprossendes, als Lebendiges, nimmt den Tod, das Untergehende in sich auf, das sich Mineralisierende. Da muß im Menschen die Michael-Kraft, die Willens- kraft ersprießen, welche sich klar ist darüber, daß das Geistige dort Platz nimmt, wo das Physisch-Materielle abgelähmt wird und nach und nach erstirbt. Ein Fest der Impulsivität müßte als ein Abbild des in das welkende Naturgeschehen hineingestellten, seine Seele aber zu um so größerer Aktivität bringenden Menschen das herbstliche MichaelFest Ende September werden. Und wird es das, dann wird alle menschliche Tätigkeit befruchtet.
Was kann man doch heute alles erfahren! Man braucht nur auf ganz kurze Zeiten zurückzugreifen. Da gibt es Erfahrungen in Hülle und Fülle, die einem die Menschen entgegenbringen. Auf allen Gebieten, zum Beispiel auf dem Gebiete der Sprache, sagen einem die Menschen: Ja, ich soll die Sprachen studieren, aber da kommt gar nichts dabei heraus, da steht alles so nebeneinander, da ist gar nichts Geistiges darin.
Also es ist wirklich so, gerade wenn Menschen in ihrer Jugend, sagen wir, vom Gymnasium kommen; nun ja, da sind sie noch nicht so weit erwacht, aber jetzt sollen sie nachdenken, jetzt sollen sie an die Universität gehen und sollen Sprachen studieren. Und nun überlegen sie sich, wie dann das fortgehen wird, was sie schon im Studium der Sprachen aufgenommen haben: da wird ihnen schwummelig vor den Augen vor dem, was ihnen da blüht. Ja, alle Ansätze sind dazu vorhanden, jene Wunder kennenzulernen, die man kennenlernt> wenn
man hinaufschaut von der heutigen Gedankensprache durch die Gefühlssprache zu der Willenssprache, wenn man da das Göttliche, das Erzengelartige waltend und webend schaut, wenn man es schaut, wie es heute, ich möchte sagen, in den Leichnamen der Sprachen sich zeigt. Wenn da wiederum das Leben der Urbeginne hineinflösse, das gäbe etwas Großartiges!
Der Michael-Gedanke ist nicht so etwas, daß sich ein paar Leute vornehmen können: Wir machen halt so ein Herbstfest; das ist sehr schön, dann sind wir die ganz Fortschrittlichen. - Der Michael-Gedanke ist etwas, was mit den innersten und stärksten Impulsen des menschlichen Willens rechnen muß, und das Fest kann nur ein solches sein, was ebenso dem menschlichen Leben einen mächtigen Ruck gibt, wie in älteren Zeiten, wo man noch die festesbildenden Kräfte hatte, wo die Einsetzung des Weihnachtsfestes oder des Osterfestes den Menschen einen Lebensruck gab.
DIE SCHAFFUNG EINES MICHAEL-FESTES AUS DEM GEISTE HERAUS - DIE RÄTSEL DES INNEREN MENSCHEN Berlin, 23. Mai 1923
Was ich Ihnen heute vorbringen möchte, wird, wie alles, was ich über Anthroposophie in der letzten Zeit zu sagen hatte, mit einem gewissen Unterton gesagt werden müssen, der hervorgerufen ist durch das schmerzliche Ereignis, das unsere Sache und unsere Gesellschaft am letzten Silvesterabend getroffen hat: Das Goetheanum in Dornach ist ja augenblicklich nicht mehr. Es ist von den Flammen in der letzten Siivesternacht verzehrt worden. Und alle die, welche mit dieser einen Nacht die zehrijährige, lange Arbeit zerstört sahen, die ausgegangen ist von so vielen unserer Freunde, die in hingebungsvoller Weise diese Arbeit geleistet haben, alle, die aus dieser Arbeit und aus dem, was uns das Goetheanum war, dieses Goetheanum sehr lieb gehabt haben, die werden unter diesem Eindruck stehen müssen, daß wir dieses äußere Zeichen anthroposophischen Wirkens nicht mehr haben. Denn wenn auch - was ja durchaus sein sollte - irgendein Bau für unsere Sache an derseIben Stätte wiederum entstehen wird: das alte Goetheanum kann es ja unter dem Einfluß der schwierigen Zeitverhältnisse selbstverständlich nicht mehr werden. So steht denn eigentlich im Hintergrunde hinter alledem, was ich seit jenen Tagen zu sagen habe, die furchtbare Glut der Flammen, die in einer so herzzerreißenden Weise eingriffen in die Entwickelung unserer ganzen Sache. Wir müssen uns da um so mehr, als dieses äußere Zeichen dahin ist, widmen dem Ergreifen der inneren Kräfte und inneren Wesenhaftigkeiten der anthroposophischen Bewegung und desjenigen, was mit ihr für die ganze Entwickelung der Menschheit zusammenhängt. So lassen Sie mich denn auch zunächst mit einer Art Betrachtung über das Wesen des Menschen begirinen. Ich habe solche viele hier in Ihrer Mitte angestellt und möchte nun heute wiederum eine solche von einem gewissen Gesichtspunkte aus anstellen.
Ich möchte ausgehen von einer Betrachtung des in die Welt herein-
tretenden Menschen, des Menschen, der heruntergestiegen ist aus dem vorirdischen Dasein und seine ersten Schritte hier im Erdenleben macht. Wir wissen, daß bei diesem Eintritt in das Erdenleben ein Zustand unsere Seele beherrscht, der doch eine gewisse Ähnlichkeit hat mit dem immer sich wiederholenden Zustande des menschlichen Schlaflebens. Wie das gewöhnliche Bewußtsein beim Aufwachen eine Erinnerung nicht hat an das, was das menschliche Seelisch-Geistige vom Einschlafen bis zum Aufwachen durchgemacht hat - mit Ausnahme der bunten Mannigfaltigkeit der Träume, die aber auch eigentlich, wie wir ja wissen, dahinfiuten mit dem Einschlafen oder mit dem Aufwachen, die eigentlich für das gewöhnliche Bewußtsein nicht her- auskommen aus dem tiefen Schlafe -, wie also das gewöhnliche Bewußtsein sich an diese Zustände nicht erinnert, so hat ja dieses selbe Bewußtsein für das ganze Erdenleben nur eine Erinnerung bis zurück zu einem gewissen Zeitpunkte der Kindheit. Bei dem einen liegt er etwas früher, bei dem andern etwas später. Was davor liegt im Erden- leben, ist eigentlich für das gewöhnliche Bewußtsein so verhüllt wie die Ereignisse des Schlafzustandes. Es ist ja richtig, das Kind ist nicht in einem wirklichen Schlafe, es ist in einer Art träumerischer, unbestimmter inneren Tätigkeit, aber für das ganze spätere Leben ist dieser Zustand zunächst wenigstens einem traumerfüllten Schlafe nicht ganz fernIiegend.
Nun greifen aber drei Tätigkeiten, drei Dinge, die das Kind lernt, in dieser Zeit ein: dasjenige, was wir gewöhnlich zusammenfassen mit dem Ausdrucke Geheniernen, dann das, was mit dem Sprechenlernen und das, was mit dem Denkenlernen für das Kind verbunden ist. Nun bezeichnen wir mit dem Ausdrucke Gehenlernen in einer außerordentJich abgekürzten und eben aus unserer Bequemlichkeit stammenden Weise eigentlich etwas, was außerordentlich kompliziert ist. Wir müssen nur daran denken, wie das Kind zunächst in völliger Ungeschicklichkeit in das Leben hereintritt, wie es nach und nach die Möglichkeit gewinnt, seine eigene Gleichgewichtslage in den Raum hineinzupassen, in dem es sich durch das ganze Leben hindurch bewegen soll. Es ist ja nicht bloß ein Geheniernen, was wir beim Kinde wahrnehmen, sondern ein Aufsuchen der Gleichgewichtslage des irdischen Lebens,
und verbunden mit diesem Gehenlernen ist der Gebrauch der Bewegungsgliedmaßen überhaupt. Für den, der für eine solche Sache das richtige Anschauungsvermögen hat, drücken sich in diesem Geheniernen eigentlich die merkwürdigsten, großartigsten Lebensrätsel aus. Eine ganze Welt drückt sich aus in der Art und Weise, wie das Kind vom Kriechen zum Aufrichten, zum Füßchenstellen, aber auch zu allem andern> zum Aufrichten des Hauptes, zum Gebrauch der Arme und Gliedmaßen kommt. Und wer dann, ich möchte sagen, intimer da hineinsieht, wie das eine Kind das Füßchen mehr mit der Ferse aufstellt, das andere mehr dazu neigt, mit den Zehen aufzutreten, der wird vielleicht eine Ahnung bekommen von dem, was ich Ihnen gerade heute mit Bezug auf die genannten drei Tätigkeiten und ihren Zusammeniiang mit der geistigen Welt werde auszuführen haben. Ich möchte nur vorher erst äußerlich diese drei Tätigkeiten noch charakterisieren.
Auf Grundlage dieses Gleichgewichtsuchens, dieses Suchens - wenn ich mich jetzt etwas gelehrter, vielleicht auch etwas geschwollener ausdrücken darf - nach einer Dynamik des Lebens, auf Grundlage dieses Suchens bildet sich dann das Sprechenlernen aus. Denn wer beobachten kann, weiß ganz genau: die normale Entwickelung des Kindes geht so, daß sich das Sprechenlernen auf Grundlage des Gehen- und Greifenlernens entwickelt. Zunächst wird man schon am Sprechenlernen merken, wie das feste oder leichte Auftreten des Kindes sich auch ausdrückt in dem Sprechtakt, in dem Betonen der Silben, in der Kraft der Sprache. Und man wird ferner merken, wie die Modulation der Worte, wie die Konturierung der Worte einen gewissen Parallelismus hat mit der Art und Weise, wie das Kind lernt, geschickt oder ungeschickt seine Fingerchen zu biegen oder geradezuhalten. Aber wer dann das ganze Innere des menschlichen Organismus beobachten kann, der wird wissen können, wie nicht nur, was ja auch die heutige Entwickelungslehre zugibt, rechtshändige Menschen in der linken dritten Stirnwindung, in der sogenannten Brocaschen Windung, das Sprachzentrum haben - was ganz einfach physiologisch den charakteristischen Zusammenhang zwischen der Sprache und dem Greifvermögen, wenn ich mich des Pleonasmus bedienen darf: des
ganzen Handhabungsvermögens des Armes und der Hand vergegenwärtigt -, sondern er weiß auch, wie intim die Bewegung der Stimmbänder, die ganze Einstellung des Sprachorganismus genau denselben Charakter ai1nimmt, den die Geh- und Greifbewegungen annehmen. Aber es kann sich bei der normalen kindlichen Entwickelung das Sprechen, das ja in Nachahmung der Umgebung entwickelt wird, gar nicht entwickeln, ohne daß die Grundlage des Aufsuchens der Gleichgewichtslage im Leben erst da ist.
Und das Denken! Ja, die feineren Organe des Gehirns, die dem Denken zugrunde liegen, sie entwickeln sich wieder aus der Sprachorganisation. Es soll nur niemand glauben, daß sich in der normalen kindlichen Entwickelung das Denken vor dem Sprechen entwickeln könnte. Wer aufzupassen vermag, der wird finden: Die Sprache ist zunächst nicht ein Ausdruck von Gedanken beim Kind. Ganz und gar nicht! Es wäre lächerlich, das zu glauben. Sondern die Sprache ist beim Kinde ein Ausdruck des Fühlens, des Empfindens, des Seelenlebens. Daher werden Sie sehen, daß es zunächst die Empfindungsworte sind, alles, was Empfindungen sind, was das Kind durch die Sprache zuerst ausdrückt. Und wenn das Kind «Mama» oder «Papa» sagt, so sind es die Gefühie zu Mama oder Papa, die es meint, nicht irgendein Begriff oder Gedanke. Das Denken entwickelt sich erst aus der Sprache heraus. Allerdings verschiebt sich beim Menschen manches, so daß man dann sagt: Dieses Kind hat sprechen gelernt vor dem Gehenlernen. Aber es ist dies nicht die normale Entwickelung, und man sollte sogar bei der Erziehung durchaus darauf sehen, daß die normale Entwickelungsreihe wirklich eingehalten werde: Gehen, Sprechen, Denken.
Aber den wirklichen Charakter dieser Tätigkeiten des Kindes wird man eigentlich erst gewahr, wenn man die andere Seite des menschlichen Lebens beobachtet, wenn man nämlich beobachtet, wie sich diese Tätigkeiten im späteren Leben im Schlafe verhalten, denn aus dem Schlafe oder wenigstens aus dem traumhaften Schlafe des Kindes, wie ich angedeutet habe, gehen diese Tätigkeiten hervor. Aber was machen denn nun diese Tätigkeiten während des späteren Erdenlebens?
Es ist im allgemeinen dem heutigen wissenschaftlichen Leben nicht möglich, auf diese Dinge einzugehen. Das heutige wissenschaftliche Leben kennt ja eigentlich nur die Außenseite der Menschenwesenheit und kennt nicht die inneren Zusammenhänge des Menschen mit dem Weltenwesen, insofern das Weltenwesen geistig ist. Auf allen Gebieten hat sich die Menschheitszivilisation - wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf - oder sagen wir die Menschheitskultur, zu einem gewissen Materialismus oder Naturalismus entwickelt. Glauben Sie nicht, daß ich hier gegen den Materialismus keifen will. Wenn der Materialismus in der Menschheitszivilisation nicht gekommen wäre, so wären die Menschen nicht frei geworden. Der Materialismus ist also eine notwendige Entwickelungsepoche in der Menschheit. Aber heute mUß man sich darüber klarwerden, welche Wege wir gehen müssen, auch weiter in die Zukunft hinein. Und darüber müssen wir uns auf allen Gebieten klarwerden. Damit das besser illustriert ist, was ich Ihnen nun zu sagen habe, möchte ich Ihnen dies an einem Beispiel veranschaulichen.
Sie wissen alle und können es aus meinen Schriften erfahren, daß die Erdenmenschheit, bevor sie diejenigen Kulturepochen durchgemacht hat, die der heutigen noch halbwegs ähnlich sind - die uralt indische, die urpersische, die ägyptisch-chaldäische, die griechisch4ateinische und dann die unsrige -, vordem durchgegangen ist durch die so- genannte atlantische Katastrophe. Und während dieser atlantischen Katastrophe war die Menschheit, die heute europäische, asiatische und amerikanische Kulturmenschheit ist, im wesentlichen ansässig auf einem Kontinente, der heute Meer ist, nämlich der Atlantische Ozean. Dort war damals im wesentlichen Land, und die Menschheit hat sich vor sehr langer Zeit auf diesem atlantischen Lande entwickelt. Sie können ja das, was die Menschheit da durchgemacht hat, auch in meinen Schriften und Zyklen nachlesen.
Ich will nun nicht von andern Erlebnissen der Menschheit in der alten atlantischen Zeit sprechen, als gerade von musikalischen Erlebnissen. Das ganze musikalische Erleben der alten Atlantier müßte einem heutigen Menschen, wenn er es hören könnte - er kann es ja nicht hören -, vöffig grotesk, kurios erscheinen, denn das, was die
alten Atlantier in der Musik aufgesucht haben, das waren zum Beispiel Septimenakkorde. Diese Septimenakkorde hatten für die Atlantier die Eigentümlichkeit, daß die Seelen dieser Urmenschen - in deren Leibern wir ja alle drinnensteckten, denn in den wiederholten Erdenleben haben wir ja diese Zeit selbst auch durchgemacht - sofort aus ihren Leibern heraus entrückt waren, wenn sie in ihrer Musik lebten, die vorzugsweise die Septimenakkorde berücksichtigte. Sie kannten keine andere Gemütsstimmung in der Musik als das Entrücktsein, das Enthusiasmiertsein, das Mit~dem-Gotte-Durchdrungensein. Und sofort, wenn ihre außerordentlich einfachen Instrumente erkIangen, die übrigens nur Begleitinstrumente zum Singen waren, dann fühlte sich eigentlich solch ein Atlantier herumwebend und -lebend in der geistigen Außenwelt.
Nun kam die atIantische Katastrophe. Bei allen Nachatlantiern entwickelte sich zunächst die Vorliebe für Quintenfolgen. Sie wissen ja wahrscheinlich, daß die Quinte noch lange Zeit in der musikalischen Entwickelung die ausgedehnteste Rolle spieIte; noch im alten Griecheniand zum BeispieI spielte die Quinte eine ganz ausgebreitete Rolle. Die Vorliebe für Quintenfolgen hatte die Eigentümlichkeit zur Folge, daß zwar die Menschen, indem sie musikalisch erlebten, sich allerdings jetzt nicht mehr außerhalb ihres Leibes fühlten, aber in ihrem Leibe sich seelisch-geistig fühlten. Sie vergaßen völlig während des musikalischen ErIebens das physische Erleben. Sie fühIten sich zwar sozusagen innerhalb ihrer Haut, aber ihre Haut ganz ausgefüllt mit Seele und Geist. Das war die Wirkung der Musik, und die wenigsten Menschen werden es glauben, daß fast noch bis zum 10., 11. nachchristlichen Jahrhundert die naturgemäße Musik so war, wie ich es beschrieb, denn dann erst traten die Begabungen der Menschen für Terzen ein, die große und die kleine Terz, und für das Dur- und Moll mäßige. Das ist verhältnismäßig spät gekommen, aber mit diesem Spätkommen gestaltete sich zugleich das innerliche Erleben des Musikalischen heraus. Der Mensch blieb jetzt bei sich im Musikalischen. So wie die übrige Kultur in dieser Zeit von dem Geistigen herunterstrebte zum MaterieIlen, so strebte der Mensch im Musikalischen von dem Erleben des Geistigen, in das er aufging in den alten Zeiten, wenn
er überhaupt Musik erlebte, hin zu dem Erleben des Musikalischen in sich, nicht mehr bis zur Haut, sondern ganz in sich. In dieser Weise waren auch die Dur- und Mollstimmungen erst damals heraufgekommen, die im wesentlichen eigentlich erst möglich sind, wenn der Mensch das Musikalische innerlich erlebt.
So kann man auf allen Gebieten verfolgen, wie sich der Mensch von dem Geistigen herunter zu der Materie, aber auch zu sich entwickelt hat. DeshaIb darf man nicht in einer philiströs-banausischen Weise immer nur sagen: Ach, der Materialismus ist so etwas Minderwertiges, aus dem muß der Mensch heraus. - Der Mensch wäre gar nicht richtig Mensch geworden, wenn er nicht heruntergestiegen wäre zum Ergreifen des materiellen Lebens. Gerade dadurch, daß er das Geistige im Materiellen ergriff[> wurde der Mensch das seiner selbst bewußte, freie Ich-Wesen. Und heute müssen wir mit Hilfe der anthroposophiscben Geisteswissenschaft wiederum zurück den Weg in die geistige Welt iinden, müssen ihn auf allen Gebieten iinden. Deshalb ist es ja so schmerzlich, daß der künstlerische Versuch, der mit Dornach gemacht worden ist, in dieser Weise heute ausgelöscht ist! Es muß eben auf allen Gebieten der Weg in die geistige Welt hinein gesucht werden.
Betrachten wir nun zunächst die eine Tätigkeit, die das Kind lernt, die sprachliche, mit Bezug auf die Gesamtentwickelung des Menschen. Man muß wirklich sagen: Das, was da das Kind lernt, ist etwas Großariiges, und Jean Pau4 der deutsche Dichter, hat gesagt, in den drei ersten Lebensjahren - wo man also wesentlich gehen> sprechen, denken lernt - lerne der Mensch viel mehr als in den drei akademischen Jahren. Mittlerweile sind ja die drei akademischen Jahre viele geworden, man lernt aber noch immer nicht mehr in den «drei» akademischen Jahren, als man in den drei ersten Lebensjahren als Kind lernt. Nun, betrachten wir das Sprechen! In dem Sprechen liegt zunächst das äußerlich Physisch-Physiologische: unser Kehlkopf und unsere übrigen Sprachorgane kommen in Bewegung, sie bewegen die Luft. Es wird der Ton vermittelt. Da kommen wir gewissermaßen an das äußerlich Physisch-Physiologische heran. Aber in dem, was wir sprechen, ist ja auch Seele, und die SeeIe durchzieht und durchglüht alles dasjenige, was wir in den Lauten von uns geben. Ja, insofern die
Sprache etwas Physisches gibt, sind der physische Leib und der Ätherleib des Menschen daran beteiligt. Die schweigen selbstverständlich vom Einschlafen bis zum Aufwachen, das heißt, der normale Mensch spricht ja nicht vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Aber insofern Seele und Ich am Sprechen beteiligt sind, nehmen Seele und Ich, der astralische Leib und das Ich, indem sie beim Einschlafen aus dem physischen Leib und dem Ätherleib herausgehen, das seelische Sprach- vermögen mit, und damit eigentlich alles, was der Mensch während des ganzen Tages seelisch in sein Sprechen hineingelegt hat. Wir sind ja eigentlich an jedem Abend andere Menschen, denn wir haben uns den ganzen Tag über sprechend betätigt, die einen viel, andere weniger, manche allz;uviel, manche auch zu wenig, aber immerhin, wir haben uns den ganzen Tag sprechend betätigt und unsere Seele in die Sprache hineingelegt. Und das, was wir da hineingelegt haben in die Sprache, das nehmen wir mit dem Einschlafen mit, das bleibt unser Wesen zwischen Einschlafen und Aufwachen.
Nun kann es heute, gerade in unserem materialistischen Zeitalter, so sein, daß der Mensch gar nicht mehr eine Ahnung davon hat, daß in der Sprache Idealismus oder Spiritualismus zum Ausdruck kommen kann. Die Menschen haben vielfach heute nur noch die Meinung, daß die Sprache Äußerliches, handgreiflich Gegenständliches ausdrücken soll. Die Empfindung dafür, daß man in der Sprache Ideale zum Ausdruck bringen kann, ist ja vielfach ganz verlorengegangen. Daher ist es ja auch so, daß die Menschen heute das, was zu ihnen vom Geiste
gesprochen wird, meistens so unverständlich finden. Denn was sagen sich die Menschen, wenn vom Geiste gesprochen wird? Sie sagen sich: Ja, der spricht da in Worten. - Aber von diesen Worten wissen die Leute nur, daß sie das bedeuten, was man angreifen oder sehen kann. Daß die Worte auch hindeuten können auf irgend etwas, was übersinnlich, unsichtbar ist, das mögen die Leute gar nicht mehr. Und das kann die eine Art sein, wie die Menschen zur Sprache stehen. Die andere kann aber allerdings diese sein, daß die Menschen sich wiederum hinhnden zum Idealismus schon in den Worten, schon in der Sprache, so daß die Menschen wissen, daß gewissermaßen durch jedes Wort durchtönen kann ein seelisch-geistiges Erleben.
Was ein Mensch, der ganz im Materialismus der Sprache lebt, nun mit dem Einschlafen hinüberträgt in die geistige Welt, das bringt ihn merkwürdigerweise in ein schwieriges Verhältnis zur Erzengelwelt, zur Welt der Archangeloi> in die er jede Nacht zwischen Einschlafen und Aufwachen kommen soll, während der, welcher den Idealismus der Sprache sich bewahrt und weiß, wie in der Sprache der Sprachgenius lebt, in das notwendige Verhältnis zur Hierarchie der Archangeloi kommt, iiamenilich zu demjenigen der Archangeloi, dem er selbst zugeordnet ist in der Welt zwischen dem Einschlafen und Auf- wachen. Ja, dies drückt sich selbst in den äußeren Welterscheinungen aus.
Warum suchen denn die Menschen heute so krampfhaft ein äußeres Verhältnis zu den Natiorialsprachen? Warum kam denn dieses furchtbare Unglück über Europa, das Woodrow Wilson für ein «Glück» gehalten hat - aber der ist halt eben ein kurioser Illusionär gewesen -, warum kam denn dieses große Unglück über Europa, daß die Freiheit verbunden ist mit dem krampfhaften Ergreifenwollen der kleinsten Nationalsprachen? Weil die Menschen in Wirklichkeit äußerlich krampfhaft ein Verhältnis suchen, das sie nicht mehr haben im Geistigen; denn einschlafend haben sie nicht mehr das naturgemäße Verhältnis zur Sprache und deshalb auch nicht zu der Hierarchie der Archangeloi. Die Menschheit wird sich wiederum zurück:inden müssen zu der Durchdringung des ganzen Sprachlichen mit Idealismus, wenn sie nicht den Weg in die geistige Welt verlieren will.
Wie achtet denn die Menschheit heute überhaupt darauf, was mit dem einzelnen Menschen zwischen dem Einschlafen und dem Auf- wachen vorgeht? Die Menschen rechnen ja gar nicht mit diesem Schiafzustande. Wenn man sich so zurückerinnert an das Leben, so glaubt man: was man da vor sich hat, ist ein geschlossenes Lebensbild. Das ist nicht wahr! Da fallen ja immer die Schlafenszeiten heraus, das Ganze ist immer unterbrochen. Wir knüpfen zwar immer den Morgen an den Abend an, aber dazwischen liegt ja die Nacht. Und was während des Schlafes in der Nacht geschehen ist, das bedeutet erstens äußerlich mindestens einen Drittel des menschlichen Lebens - wenigstens bei «anständigen Menschen» ist es so-, und zweitens ist es für
das Innere des Menschen viel wichtiger als das äußere Tun während des ganzen Tages. Gewiß, das äußere Tun ist für die äußere Kultur das Wichtigere. Aber unsere innere Gestaltung während des Lebens wird dadurch zustande gebracht, daß wir in nachtschlafender Zeit in der richtigen Weise hineinkommen in den Zusammenhang mit der geistigen Welt.
Und ebenso ist es mit dem, was den andern Tätigkeiten zugrunde liegt. Legt der Mensch in seine Handlungen, das heißt in das, was er durch das Gesamtgebiet seiner Bewegungen, die er ja auch als erstes lernt beim Antritte des Erdenlebens, legt er in die Gesamtheit seiner Handlungen Idealismus, das heißt, enthält sein Leben in seiner Verwirklichung Idealismus, dann findet der Mensch wieder den richtigen Zusammenhang mit der Hierarchie der Archal. Und durch die Gedanken, wenn sie Idealismus enthalten, wenn sie nicht materialistische sind, findet der Mensch nachtsch1afend den Zusammenhang mit der Hierarchie der Angeloi. Darauf kommt man, wenn man anthroposophisch-geisteswissenschaftlich den Zusammenhang dieser drei während der Kindheit angeeigneten Tätigkeiten mit dem nachtschlafenden Zustande untersucht. Aber dieser Zusammenhang kann sich uns in einem viel umfassenderen Maße enthüllen, wenn wir auf das Gesamt- leben des Menschen im Kosmos sehen.
Sie kennen die Darstellung in meiner «Theosophie». Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht, macht er zunächst während einiger Tage den Zustand durch, der in dem Fortgehen der Gedanken, der Vorstellungen besteht. Man kann das so ausdrücken, daß man sagt: Der Atherleib dehnt sich in die weite Welt hinaus aus, der Mensch verliert seinen Ätherleib. - Aber das ist dasselbe, wie wenn ich sage: Die Vorstellungen und Gedanken des Menschen gehen fort. - Aber was heißt denn das eigentlich: die Vorstellungen, die Gedanken gehen fort? Das heißt nämlich im Grunde sehr viel. Das heißt nämlich, daß unser ganzes Wachleben von uns fortgeht. Unser ganzes Wachleben geht im Verlaufe von zwei, drei Tagen von uns fort, und es wäre von unserem Leben gar nichts mehr da, wenn wir dann nicht das durchlebten, was während des Erderilebens unbewußt bleibt, wenn wir nicht dann arifingen, dasjenige in voller Bewußtheit zu
durchleben, was wir während unseres Schlafeslebens durchgemacht haben. Dieses Schlafesleben ist nämlich geistig unendlich viel reicher, intensiver als das tagwachende Leben. Dieses Schlafesleben ist jedes- mal, ob wir einen kurzen oder einen langen Schlaf durchmachen, eine rückwärtsverlaufende Wiederholung des Tageslebens, aber mit geistigem Einschlage. Das, was Sie als Handlungen durchgemacht haben während des Tages, bringt Sie während der Nacht in ein Verhältnis zu den Archai, zu den Urkräften. Was Sie als Sprechende am Tage durchgemacht haben, bringt Sie nachts in ein Verhältnis zu den Archangeloi, Erzengelwesen. Und was Sie als Denkende durchmachten, bringt Sie ebenso in ein Verhältnis zu Ihren Engelwesen, den Angeloi. Dasjenige, was da der Mensch durchmacht, ist ja auch unabhängig von der Zeit. Sie brauchen nicht zu sagen: Ja, es gibt aber diese Möglicbkeit: Ich schlafe, auf einmal rumort etwas in der Nacht, irgend etwas, was weiß ich, weckt mich auf, dann kann ich doch nicht mein Zurückleben fertigmachen? - Doch mache ich es fertig, weil die Zeitverhältriisse ganz andere sind. In einem Augenblicke kann das durchgemacht werden, was sonst, wenn der Schlaf regelmäßig vor sich geht, durch Stunden dauern kann. Die Zeitverhältnisse sind während des Schlafeslebens eben ganz andere. Deshalb kann das durchaus gesagt werden und muß gesagt werden, daß der Mensch jedesmal, wenn er schläft, rückwärtslaufend das, was er durchlebt hat hier in der physischen Welt zwischen dem letzten Aufwachen und Einschlafen, noch einmal in geistiger Form, Art und Wesenheit durchlebt. Und wenn er das wache Vorstellungsleben nach dem Tode in wenigen Tagen in den Kosmos hinaus verloren hat, dann lebt er eben dasjenige durch, was er in einem Drittel des Lebens, im Schlafe, durchgemacht hat. Deshalb habe ich auch immer beschreiben müssen, wie der Mensch ein Drittel seines Erdenlebens dazu braucht, um dann das zu durchieben, was er in den Nächten durchgemacht hat. Es gleicht das ja im wesentlichen natürlich dem Tagesleben, aber es wird auf andere Art durchgemacht, und der Mensch durchlebt dann als zweiten Zustand nach dem Tode dieses Rückwärtsgehen, wo er eigentlich das ganze Leben in einem Drittel der Zeit noch einmal bis zur Geburt durchmacht. Dann ist er bei der Geburt wieder angekommen, und
dann lebt er sich in jenen Zustand ein, den ich Ihnen in einem andern Zusammeniiange hier schon beschrieben habe: er lebt sich ein in denjenigen Zustand, wo sich alle Weltanschauung für ihn wesentlich ändert.
Sehen Sie, hier auf der Erde stehen wir an einem bestimmten Punkte der Erde. Um uns herum ist die Welt. Wir kennen uns ja sehr wenig mit dem gewöhnlichen Bewußtsein. Die Welt schauen wir mit den äußeren Sinnen an, die kennen wir. Sie werden vielleicht sagen: Aber die Anatomen kennen ja das Innere des Menschen ganz gut. - Nein, die kennen nur das Äußere des Inneren. Das wirkliche Innere ist etwas ganz anderes. Wenn Sie sich heute an etwas erinnern, was Sie vor zehn Jahren durchgemacht haben, dann haben Sie in der Erinnerung doch etwas, was im Inneren Ihrer Seele ist. Es ist zusammengedrängt, eine kurze Erinnerung vielleicht von einem sehr, sehr weit ausgedehnten Erlebnis. Aber da ist nur ein seelisches Bild von etwas da, das Sie im Erdenleben durchgemacht haben. Gehen Sie jetzt aber in sich hinein, jetzt nicht in Ihre Erinnerungen, sondern in Ihren physischen Organismus, das heißt den scheinbar physischen Organismus, beachten Sie Ihr wunderbar gebautes Gehirn, Ihre wunderbar gebauten Lungen und so weiter, dann leben darinnen nicht zusammengerollt gewissermaßen die Erlebnisse dieses Erdenlebens, sondern da ist zusammengerollt der ganze Kosmos, die ganze Welt. Der Mensch ist wirklich eine kleine Welt, ein Mikrokosmos. In seinen Organen ist zusainmengerollt die ganze Welt. Aber der Mensch weiß es nicht mit dem gewöhnlichen Bewußtsein. Wenn er auf der Erde steht, so hat er die Erinnerung an seine Erlebnisse. Er weiß nicht, daß er selbst mit seinem physischen Wesen gewissermaßen die verkörperte Erinnerung des ganzen Kosmos ist.
Wenn also nun die Rückwärtswanderung durch das Leben, die ich hier eben angedeutet habe, abgeschlossen ist, dann treten wir zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in ein Weltenleben ein, wo nun nicht um uns herum die Welt mit ihren Bergen, Wolken, Sternen, Meeren und so weiter ist, sondern wo die Rätsel des inneren Menschen unsere Umgebung sind - wo alles, was sich uns im Erdenleben über die Geheimnisse des inneren Menschen entzieht, dann unsere Umgebung
ist. Hier auf dieser Erde leben wir ja innerhalb unserer Haut und wissen von der Sternen-, Wolken-, Berges-, Stein-, Tier- und Pflanzenwelt. Zwischen dem Tode und einer neuen Geburt wissen wir von dem Menschen; alle Geheimnisse des Menschen sind dann unsere Umgebung. Und glauben Sie nicht, daß das eine uninteressantere Umgebung ist als die Erdenumgebung! Gewiß, prachtvoll ist der Sternenhimmel, großartig sind die Berge und die Meere; aber dasjenige, was das Innere des Menschen in einem einzigen Gefäßchen ist, ist großartiger und gewaltiger, wenn wir es in seiner majestätischen Größe zwischen Tod und einer neuen Geburt um uns herum haben als dasjenige, was in unserer Erdenumgebung ist. Der Mensch ist die Welt zwischen Tod und einer neuen Geburt, und er muß die Welt sein, weil wir ein riächstes Erdenleben vorbereiten. Wir müssen dabei sein, um mit den Wesen der höheren Hierarchien zusammen den künftigen Erdenmenschen vorzubereiten. Wie wir hier unsere äußere Kultur und Zivilisation besorgen, wie wir hier auf der Erde Stiefel machen, Röcke machen, Telephone bedienen, Leute frisieren, Vor- träge halten, Künstlerisches treiben und was heute alles zur Zivilisation gehört, so machen wir zwischen dem Tod und einer neuen Geburt mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien zusammen dasjenige, was Mensch ist und was wir selber wiederum im physischen Leibe im nächsten Erdenleben werden. Das ist das geistige Kulturziel, und es ist gewaltiger, unendlich viel gewaltiger und großartiger als das irdische Ku1turziel. Nicht umsonst haben die alten Menschen den physischen Menschenieib einen Tempel der Götter genannt, weil mit den Göttern, mit den Wesen der höherenHierarchien zusammen dieser menschliche physische Leib zwischen dem Tode und einer neuen Geburt geformt wird. Das ist die Tätigkeit, da sind wir mit unserem Ich nun zwischen den Wesen der höheren Hierarchien, arbeiten an der Menschheit mit den Wesen der höheren Hierarchien zusammen. Wir wandeln gewissermaßen zwischen den Wesen der höheren Hierarchien nun herum, wir sind Geister unter Geistern.
Was wir da tun, können wir allerdings nur nach Maßgabe desjenigen tun, was wir im Erdenleben hier vollbracht haben, und auch das zeigt sich uns in einem gewissen Sinne in dem Verhältnis des Schlafes
zum Wachen. Denken Sie doch nur einmal, wie chaotisch der Traum ist! Ich verkenne nicht die wunderbar bunte Mannigfaltigkeit und das Großartige des Traumes, aber wir müssen uns doch darüber klar sein, daß der Traum gegenüber dem Erdenleben, in dessen Bilder er sich kleidet, chaotisch ist. Sie brauchen sich ja nur an jenen Traum zu erinnern, den ich früher einmal zur Illustration angeführt habe - Volkelt erzählt diesen Traum nach einer württembergischen Erzählung, aber solche Träume kennen wir ja -, wo eine Stadtfrau ihre Schwester, die die Frau eines Pfarrers ist, auf dem Lande besucht. Sie träumt, daß sie mit ihrer Schwester zusammen in die Kirche zur Predigt geht. Aber es ist ihr da ganz sonderbar, denn, nachdem das Evangelium gelesen ist und der Pastor auf die Kanzel steigt, da fängt er nicht an zu predigen, sondern da hebt er statt der Arme die Flügel und fängt schließlich an zu krähen wie ein Hahn! - Oder denken Sie an einen andern Traum, wo eine Frau sagt, sie habe eben geträumt, wie sie darüber nachgedacht habe, was sie Gutes ihrem Manne kochen solle, und da sei ihr gar nichts anderes eingefallen, bis ihr zuletzt der Gedanke gekommen sei, daß sie noch eine alte gesalzene Großmutter oben auf dem Boden habe, aber die sei noch sehr zähe. - So chaotisch kann der Traum wirken, merkwürdig chaotisch. Aber was heißt denn das: der Traum wirkt so chaotisch? Was heißt das eigentlich?
Während wir scMafen, sind wir mit unserem Ich und astralischen Leib außerhalb des physischen Leibes und des Ätherleibes. Aber da leben wir zurück - namentlich mit der moralischen Bedeutung - alles das, was wir bei Tage getan, gesprochen und gedacht haben. Das leben wir zurück. Wir bereiten uns unser Karma für das nächste Erdenleben vor, und das erscheint in Bildern schon zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen. Aber diese Bilder sind noch sehr ungeschickt, denn wenn wir dann beim Aufwachen in den physischen Leib wieder hinein wollen, dann paßt das noch nicht recht hinein. Wir können nicht makrokosmosgemäß vorstellen. Wir stellen statt dessen etwas ganz anderes vor, vielleicht eine «gesalzene Großmutter». Das ist, weil wir mit Bezug auf das, was wir schon ausgebildet haben, nicht die Anpassung an den physischen Menschenleib verstehen, und diese Anpassung an den physischen Menschenleib ist unendlich schwierig. Wir
eignen sie uns an in jener Zusammenarbeit, die ich geschildert habe, mit den Wesen der höheren Hierarchien zwischen Tod und neuer Geburt. Da muß das innere Seelisch-Geistige, das sonst im Traum oftmals so ungeschickt hineinsteigt, dies erst wieder ausgleichen, wenn das ganze Schlafbewußtsein wiederum überwunden ist und der Mensch ohne sein Zutun in seinen aften physischen Leib wieder untergetaucht ist.
Dieses Seelisch-Geistige muß zwischen Tod und neuer Geburt alle Geheimnisse des Leiblichen durchschauen, damit der Leib in einer richtigen Weise aufgebaut werden kann. Denn der Leib wird ja wirklich nicht von den Eltern und Voreltern allein aufgebaut. Das zu glauben, ist ein richtiger Unsinn der Wissenschaft - man darf schon dieses Wort aussprechen. Denn wie stellt sich die Wissenschaft ungefähr dieses Menschwerden vor? Nun, sie sagt: Wir haben unter den Stoffen Moleküle, die sind in einer kompliziertenWeise aus Atomen aufgebaut. Das Eiweißmolekül, das in der Keimzelle enthalten ist, ist das allerkomplizierteste Molekül - natürlich kann das kein Wissenschafter beschreiben, aber er weist auf die ungeheure Kompliziertheit hin -, und weil es so kompliziert ist, kann ein Mensch daraus entstehen. - Es ist die einfachste Art von Menschenerklärung. Man sagt eben: Der ganze Mensch steckt da schon drinnen, es ist nur ein so kompliziert aufgebautes Molekül. - Die Wahrheit ist aber, daß nur dadurch ein Mensch entstehen kann, daß das Eiweißmolekül ganz ins Chaos zurückfallen muß, Staub werden muß aus ungeordneter Materie. Wir haben draußen geordnete Materie, in Kristallen, in Pflanzöen und so weiter. Wenn etwas entstehen soll, auch die Pflanze, auch das Tier, so muß erst die Materie völlig in Staub zurückfallen. Und wenn erst die Materie nicht mehr eine Form in sich bestimmt hat, dann wirkt der ganze Kosmos auf das kleine Stückchen Materie, macht sich in ihm ein Bild.
Wie ist es also mit dem Menschen? Wir formen dieses Menschenbild zwischen Tod und neuer Geburt mit allen Geheimnissen, in die wir nun hineinweben unser Karma, schicken es herunter vor uns in den Leib der Mutter; wir haben den Geistkeim, der nur groß ist im Verhältnis zum physischen Keim, also erst ausgebildet, und der senkt
sich in die chaotisch gewordene Materie hinein. Das ist die Wahrheit, nicht dasjenige, wovon die heutige Physiologie träumt.
In dieser Zeit, von der ich jetzt gesprochen habe, lebt das Ich als Geistig-Seelisches unter geistig-seelischen Götterwesen, lebt in der Betätigung, den Menschen als solchen innerlich ganz kennenzulernen für das nächste Erdenleben. Von dem, was da geistig in ungeheurer Majestät und Großartigkeit durchgemacht wird, ist ein Abbild dasjenige, was wunderbar in den einzelnen Betätigungen des Gleichgewichtsuchens beim Kinde auftritt. Es ist sehr interessant zu sehen, wie da die Urkräfte oder Archai herüberwirken aus dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt in das ganze Gleichgewichtsuchen des Kindes, in das, was wir trivial das Gehenlernen nennen. Wer in allem Irdischen ein Bild des Geistigen sehen kann, der kann sehen, wie in allen Gehbetätigungen, in den Armgreifbetätigungen und so weiter diese seelisch-geistigen Taten, die wir zwischen Tod und neuer Geburt in dem Suchen eines geistigen Gleichgewichtes als Ich unter höheren Ichen ausführen, ihr Abbild finden in dem irdischen Gehenlernen.
Und wenn wir jene Zustände durchgemacht haben, wo wir ein Geist unter Geistern sind, wo wir das vorbereiten, was in unserem Erden- leben sich auslebt im Körper, in den Gliedmaßen, durch die wIr wiederum ein so und so gearteter Mensch werden und unser Karma erleben, wenn wir diese Zustände drüben in der Welt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt durchgemacht haben, dann wird es so, daß ein Zustand im vorirdischen Leben kommt, wo wir die einzelnen Geist- wesen, mit denen wir so lange zusammengearbeitet haben, nicht mehr unterscheiden können, sondern wo nur ein allgemeines Wahrnehmen des Geistes da ist. Wir wissen dann zwar, daß wir in einer geistigen Welt leben, aber indem wir uns jetzt schon dem Erdenleben nähern, wird der Eindruck, den die geistige Welt auf uns macht, mehr eIn einheitlicher, nicht mehr der des speziellen, individuellen Wahrnehmens der geistigen Wesenheiten. Ich kann mich durch einen trivialen Vergleich ausdrücken, damit wir uns verständigen können, aber seien Sie sich nur klar darüber, daß ich damit doch etwas sehr Erhabenes meIne. Wenn sehr weit entfernt irgendwo eine kleine Wolke ist, so sagen Sie: Das ist eine kleine Wolke. - Wenn Sie aber näher herangehen,
werden Sie gewahr: Das sind ja lauter Mücken! - Da unterscheiden Sie die einzelnen Individualitäten. Nun, in der geistigen Welt zwischen Tod und neuer Geburt ist es umgekehrt. Da unterscheiden Sie zunächst die einzelnen Individualitäten der geistigen Wesenheiten, dann wird es ein allgemeiner Eindruck. Ich möchte sagen, die Offenbarung des Geistigen tritt an die Stelle des Erlebens des Geistigen.
Ja, dieser Zustand, der uns also gewissermaßen von der geistigen Welt entfernt, weil wir schon den Weg zu der Erde herunter wieder suchen, dieser Zustand spiegelt sich nunmehr in dem Inneren, das der menschlichen Sprache zugrunde liegt. Nehmen Sie an, wir sprechen. Beim Kehlkopf sozusagen fängt es an - es ist nicht genau, aber ungefähr -, die andern Sprachorgane werden in Bewegung gesetzt. Aber hinter dem liegt ja das Wesentliche dann noch. Das Wesentliche liegt im Herzen, hinter dem Kehlkopf, liegt in der ganzen Atmung und in allem, was damit zusammenhängt. Das, was der Sprache da zugrunde liegt, ist ebenso ein irdisches Bild dieses Zustandes der Offenbarung, wo wir das Göttlich-Geistige nur mehr verschwommen wahrnehmen, wie das Gehenlernen, das Gleichgewichtsuchen ein irdisches Bild ist des Sich-Bewegens in der geistigen Welt. So erlebt das Kind, indem es sprechen lernt, wiederum einen Zustand, der durchgemacht ist zwischen Tod und neuer Geburt.
Und wenn wir unseren Geistkeim des physischen Leibes heruntergeschickt haben, wenn der durch die Empfängnis sich nach und nach vereinigt hat mit dem Leibe der Mutter, dann sind wir noch immer oben. Es ist die letzte Zeit vor der irdischen Verkörperung. Da ziehen wir aus allen Gegenden der Welt den Ätherleib zusammen, und das, was da geschieht in der übersinnlichen We]t im Zusammenziehen des Ätherleibes, das drückt sich in dem kindlichen Denkenlernen aus.
Nun haben Sie die drei aufeinanderfoigenden Zustände: Erleben in der geistigen Welt, sich spiegelnd im Geheniernen, Offenbarung der geistigen Welt im Sprechenlernen. Daher nennen wir dasjenige, was als Weltenwort zugrunde liegt, den Weltenlogos, das innere Wort. Es ist die Offenbarung des allgemeinen Logos, in dem sich das Geistige ausspricht, wie die Mücke im Mückenschwarm, es liegt dem Sprechen zugrunde. Und was wir dann tun, um unseren Ätherleib auszubilden,
der ja eigentlich in uns denkt - wir denken nämlich die ganze Nacht fort, wir sin(i nur nicht dabei mit unserem Ich und Astralleib -, das ist das letzte, was wir zusammensammeln für uns, bevor wir herunter- steigen auf die Erde, und das ist das, was dann herüberreicht in das Denken. So gliedert das ganz kleine Kind im Gehen-, Sprechen-, Denkenlernen in den physischen Leib das hinein, was es herunterträgt aus dem vorirdischen Dasein.
Das ist es, was zur wirklichen Geist-Erkenntnis und damit auch zum künstlerischen Erfassen der Welt und zur religiösen Erfassung der Welt führt: daß wir jedes einzelne im physisch-sinnlichen Dasein auf das Geistige beziehen können. Diejenigen Menschen, die nur immer im allgemeinen vom Göttlich-Geistigen reden möchten, habe ich schon öfter verglichen mit einem Menschen, der auf eine Wiese hinausginge und dem gezeigt wurde: Sieh einmal, dort sind Gänseblümchen, dort Löwenzahn, dort sind Zichorien, Wegwarte! - und der darauf sagen würde: Ach, das interessiert mich alles nicht! Blume, Blume, Blume ist alles. - Das ist bequem: Blume, Blume ist alles. Aber da differenziert sich doch etwas im Blumensein! Und so ist es auch in der geistigen Welt. Es ist natürlich bequem, zu sagen: Allem SinnlichPhysischen liegt ein Geistiges zugrunde. - Darauf aber kommt es an, daß wir immer mehr und mehr wissen, welches Geistige dem einzelnen Physisch-Sinnlichen zugrunde liegt, denn nur dadurch können wir aus dem Geist heraus tatsächlich wiederum eingreifen in den physischsiniIlichen Gang des Lebens.
Durch dieses Prinzip wird ja zum Beispiel unsere Waldorfschulpädagogik eine besondere Pädagogik, die den Menschen wirklich berücksichtigt. Das wird sich noch deutlicher zeigen können, wenn einmal diese Pädagogik für die ersten Jahre des Kindes ausgebildet sein wird. Wir können das noch nicht machen. Wir hatten bis jetzt immer nach oben anzustückeln und haben in diesem Jahr die letzte Klasse eingerichtet. Man hat sehr viel zu tun, wenn man eine ganze Schule in ihren Lehrzielen ausgestalten will. Deshalb war bis jetzt nicht daran zu denken, auch nach unten die Sache vollständiger zu machen und eine Art Kindergarten daranzustückeIn. Jetzt sollen die ersten Waldorfschüler zu ihrem Abiturientenexamen kommen. Dann wird das An-
stückeln nach oben nicht weiter nötig sein, aber bei unserem außerordentlichen «Überfluß an GeIdmangel», den wir haben, gerade auch für die Waldorfschule, fürchte ich, daß trotzdem das Anstückeln nach unten scheitern wird. Wie man es da einrichten würde für das Gehen- lernen, Sprechenlernen, Denkenlernen und ihre weitere Entwickelung, so richten wir natürlich auch zwischen dem sechsten und siebenten und den andern Lebensjahren die Sache so ein, daß wir darauf Rücksicht nehmen: Was verkörpert sich da im Kinde? Was kommt mit jeder Woche, mit jedem Monat von dem, was vorgeburtlich ist, in dem kindlichen Leben zum Ausdruck? Also man bildet tatsächlich vom Geiste aus die Pädagogik.
Das ist eines der Momente, von denen wir viele wiederflnden müssen, wenn die Menschheit nicht in dem Niedergang bleiben will, sondern wenn sie zum Aufgang kommen will. Wir müssen wieder die Wege in die geistige Welt finden. Das können wir aber nur, wenn wir aus voller Bewußtheit heraus lernen, Mittel und Wege zu finden, aus dem Geiste heraus zu handeln, zu sprechen.
In der ersten Zeit nach der großen atlantischen Katastrophe lebten die Menschen aus dem Geiste heraus, jeder einzelne, weil jedem einzelnen gesagt werden konnte aus dem Zeitpunkte, an dem er geboren war, wie sein Karma ist. Da bedeutete die Astrologie nicht jenen DiIettantismus, den sie heute oftmals darstellt, sondern da bedeutete die Astrologie das lebendige Miterleben der Sternentaten, und es wurde aus diesem lebendigen Miterleben jedem einzelnen Menschen aus dem Mysterium heraus geoffenbart, wie er zu leben hatte. Es hatte die Astrologie eine lebendige Bedeutung für das einzelne menschliche Erleben.
Dann kam die Zeit, etwa mit dem sechsten, fünften, vierten vor- christlichen Jahrtausend, wo die Menschen zwar nicht mehr die Geheimnisse des Sternenhimmels erlebten, wo sie aber den Jahreslauf erlebten. Was meine ich denn damit, wenn ich sage, die Menschen erlebten den Jahreslauf? Das heißt> sie wußten aus unmittelbarer Anschauung, die Erde ist nicht jener grobe Klotz, als den die heutige Geologie sie anschaut. Auf der Erde, wie die Geologie sie sich vorstellt, könnten nie Pflanzen wachsen, geschweige denn Tiere oder
Menschen vorkommen. Das könnte es gar nicht geben, denn die Erde der Geologen ist ein Stein, und im Stein wächst unmittelbar nur etwas, wenn der ganze Kosmos auf ihn einwirkt, wenn er mit der ganzen Welt in Verbindung steht. Man wußte eben in alten Zeiten, was man heute wieder wissen lernen muß: daß die Erde ein Organismus ist, eine Seele hat.
Diese Erdenseele hat nun auch ihre besonderen Schicksale. Nehmen Sie an, bei uns sei Winter, Weihnachtszeit, Wintersonnenwendezeit, so ist das die Zeit, wo die Erdenseele ganz mit der Erde vereinigt ist. Denn wenn die Schneedecke die Erde bedeckt, wenn gewissermaßen ein Kältemantel um die Erde herum ist, dann ist die -Erdenseele mit der Erde vereinigt, ruht im Inneren der Erde. Da ist es auch so, daß die in der Erde ruhende Erdenseele das Leben zahlreicher Elementargeister unterhält. Wenn heute eine naturalistische Anschauung meint, die Samen, die ich im Herbst in die Erde säe, die lägen nun dadrinnen, und das gehe so bis zum nächsten Frühling hin, so ist das nicht wahr. Die Samen müssen hinüberbewahrt werden über die Winterzeit durch die Elementargeister der Erde. Das alles hängt damit zusammen, daß während der Winterzeit die Erdenseele mit dem Erdenieib vereinigt ist.
Nehmen Sie die entgegengesetzte Zeit, die Johannizeit. Geradeso wie der Mensch die Luft einatmet und ausatmet, so daß sie einmal in ihm und einmal außer ihm ist, so atmet die Erde ihre Seele ein. Das ist wäbrend der Winterzeit. Und ganz ausgeatmet, hinausverlegt in die Weiten des Kosmos ist die Erdenseele in der Hochsommerzeit, währeiid der Johannizeit. Da ist der Erdenleib gewissermaßen von der Erdenseele leer. Die Erde lebt in ihrer Seele die Ereignisse des Kosmos mit, den Gang der Sterne und so weiter. Daher hatte man in den alten Zeiten Wintermysterien, in denen man das Zusammensein der Erdenseele mit der Erde erfuhr, und man hatte Sommermysterien, in denen man die Geheimnisse des Weltenalls wahrnehmen konnte aus dem Zusammenerleben der Erdenseele - der die Menschenseele in den Eingeweihten hinaus folgen sollte in den Weltenraum - mit den Sternen.
Daß man ein Bewußtsein von diesen Dingen hatte, das kann Ihnen
aus den alten traditionellen Resten hervorgehen, d,ie heute noch da sind. Es ist jetzt lange her, da saß ich öfter - gerade hier in Berlin war es - mit einem Astronomen zusammen, der hier sehr berühmt war und der furchtbar dafür agitierte, daß es doch sehr störend sei, wenn nicht in jedem Jahre das Osterfest zum Beispiel wenigstens auf den ersten Sonntag im April falle, und es sei schrecklich, daß das Osterfest der erste Sonntag nach dem Frühlingsvollmond sein solle. Es half einem natürlich nichts, Gründe dagegen anzuführen, denn die Sache, die da zugrunde lag, war diese: es käme doch dadurch eine furchtbare Unordnung in Soll und Haben der Kassabücher hinein, wenn man jedes Jahr das Osterfest auf eine andere Zeit legt. Diese Bewegung hatte sogar schon ziemlich große Dimensionen angenommen. Ich habe auch hier schon einmal gesagt: In den Kassabüchern steht gewöhnlich immer auf der ersten Seite «Mit Gott», aber meistens ist es dann so, daß das, was in diesen Büchern steht, nicht gerade «mit Gott» ist.
In jenen Zeiten, in denen man das 0sterfest festgesetzt hat nach dem Sternenlauf - der erste Sonntag nach dem Frühlingsvollmond war der Sonne geweiht -, da war noch ein Bewußtsein dafür vorhanden: Zur Winterzeit ist die Erdenseele in der Erde, zur Johannizeit ist die Erdenseele ganz draußen im Weltenraum, im Frühling ist sie auf dem Wege nach dem Weltenraum. Das Frühlingsfest, das Osterfest kann daher nicht nach der Erde allein festgesetzt werden auf einen bestimmten Tag, sondern muß sich nach den Sternenkonstellationen richten. Da ist eine tiefe Weisheit darinnen, die aus den Zeiten herrührt, in denen die Menschen aus dem alten instinktiven Hellsehen noch das Geistige des Jahreslaufes wahrnehmen konnten. Dazu müssen wir wieder kommen> und wir können in einem gewissen Sinne wieder dazu kommen, wenn wir> gerade anknüpfend an solche Auseinandersetzungen, wie wir sie hier zusammen gepflogen haben, die Aufgaben der Gegenwart ergreifen.
Ich habe es schon öfter auch hier ausgesprochen: Von den geistigen Wesenheiten> mit denen sich der Mensch jede Nacht vereinigt in der Weise, wie ich das gesagt habe - durch die Sprache mit den Archangeloi -, sind gewisse Wesenheiten durch einen gewissen Zeitraum hindurch die regierenden geistigen Mächte. Und im letzten Drittel des
19. Jahrhunderts ging die Michaelzeit an, jene Zeit, in welcher der Geist, der sonst in den Schriften mit Michael bezeichnet wird, für die menschlichen Zivilisationsangelegenheiten der wesentliche geworden ist. Diese Dinge wiederholen sich zyklisch.
In alten Zeiten wußte man von allen diesen geistigen Vorgängen etwas. Das hebräische Altertum sprach von Jahve, aber es sprach immer von dem Antlitz Jahves, und mit dem Antlitz meinte es die Erzengel, die eigentlich zwischen Jahve und der Erde vermittelten. Und als die Juden den Messias auf Erden erwarteten, da wußten sie, das ist die Michaelzeit, da vermittelt Michael die Tätigkeit des Christus auf Erden. Sie haben das nur im tieferen Zusammenhang dann nußverstanden. Jetzt ist wiederum für die Erde die Zeit eingetreten, seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, wo die Michael-~~chr die regierende geistige Macht in der Welt ist und wo wir verstehen müssen, Geistiges in unsere Handlungen einzuführen, von dem Geistigen aus unser Leben einzurichten. Das heißt, dem Michael dienen: nicht bloß vom Materiellen aus unser Leben einzurichten, sondern sich bewußt zu sein, daß derjenige, der die niederen ahrimanischen Mächte zu überwinden in seiner Mission hat, Michael, sozusagen unser Genius für die Zivilisationsentwickelung werden muß. Wie kann er das? Nun, das kann er, wenn wir uns erinnern, wie wir wiederum an den Jahres- lauf im geistigen Sinne anknüpfen können.
Es liegt wirklich eine große Weisheit im ganzen Weltenlaufe darin, daß wir mit dem Frühlingsfeste das Auferstehungsfest des Christus Jesus verbinden dürfen. Der historische Zusammei1hang - ich habe ihn ja öfter dargelegt - ist ein durchaus richtiger: Es kann nur in jedem Jahre das FrühIingsfest, das heißt das Osterfest, auf einen andern Tag fallen, weil es ja eben von der andern Welt aus angesehen wird.
Nur wir auf der Erde haben die philiströse Vorstellung, daß die Zeit kontinuierlich fortläuft, daß immer eine Stunde so lang ist als die andere. Die Zeit zu bestimmen, das machen wir ja nur mit unseren irdischen Hilfsmitteln, mit der Mathematik. Dagegen für die wirkliche geistige Welt ist die Weltenstunde lebendig. Da ist nicht eine Weltenstunde gleich wie die andere, sondern länger oder kürzer. Daher können wir uns immer irren, wenn wir etwas, was von dem Himmel aus
festgesetzt werden soll, nur von der Erde aus festsetzen. Das Osterfest ist rechtrnäßig himmelsmäßig festgesetzt.
Was ist es für ein Fest? Es ist dasjenige Fest, das uns erinnern soll und das die Menschen einmal mit aller Lebendigkeit erinnert hat daran, daß ein Gott zur Erde herniedergestiegen ist, in dem Menschen Jesus von Nazareth Wohnung genommen hat, damit in der Zeit, in der sie sich näherten der Ich-Entwickelung> die Menschen in entsprechender Weise zurückfinden können den Weg durch den Tod in das geistige Leben hinein. Das habe ich öfter hier auseinandergesetzt. So daß aIso das Osterfest dasjenige Fest ist> in dem der Mensch anschaut Tod und darauf folgende Unsterblichkeit in dem Mysterium von Golgatha. Wir schauen dieses Frühlingsfest in dem richtigen Sinne an, wenn wir uns sagen: Der Christus hat bekräftigt die Unsterblichkeit des Menschen,, indem er selber den Tod besiegt hat. Aber wir Menschen verstehen die Unsterblichkeit des Christus Jesus nur richtig, wenn wir uns während des Erdenlebens dieses Verständnis aneignen> das heißt, wenn wir in unserer Seele unser Verhältnis zu dem Mysterium von Golgatha beleben und wenn wir Ioskommen können von jener materialistischen Vorstellung, die von dem Mysterium von Golgatha alles Geistige wegsondern will. Heute will man gar nicht mehr den Christus gelten lassen, sondern nur noch den «schlichten Mann aus Nazareth», den Jesus. Man geniert sich gewissermaßen vor seiner eigenen Wissenschaftlichkeit, wenn man zugeben sollte> daß das Mysterium von GoIgatha ein geistiges Geheirnnis mitten im Erdendasein enthält: Tod und Auferstehung des Gottes. Aber wenn wir das geistig erleben, dann bereiten wir uns auch vor, anderes geistig zu erleben.
Daher ist fiir den Menschen der Gegenwart so wichtig, daß er die Möglichkeit gewinne, das Mysterium von Golgatha zunächst als etwas rein Geistiges zu erleben. Dann wird er anderes Geistiges erleben, und er wird den Zugang zu den geistigen Welten, die Wege zu den geistigen Welten durch das Mysterium von GoIgatha finden. Aber dann muß der Mensch, anknüpfend an das Mysterium von Golgatha, die Auferstehung verstehen, während er noch lebt. Und wenn er die Auferstehung empfindend versteht, während er lebt, wird er dadurch auch befähigt werden, in der richtigen Weise durch den Tod zu gehen. Das
heißt, Tod und Auferstehung im Mysterium von Golgatha sollen den Menschen lehren, umzukehren das Verhältnis: während des Lebens die Auferstehung innerlich seelisch zu erleben, damit der Mensch nach dieser inneren seelischen Auferstehung recht durch den Tod gehen kann. Das ist das dem Ostererleben entgegengesetzte Erleben.
Zu Ostern sollen wir uns versenken können in Tod und Auferstehung des Christus. Wir brauchen aber als Menschen auch die Möglichkeit, uns versenken zu können in das, was uns ist Auferstehung der Seele, damit die auferstandene Seele des Menschen richtig durch den Tod gehe. Wie wir uns im Frühling die richtige Osterstimmung aneignen, wenn wir sehen, wie da die Pflanzen sprießen und sprossen, wie die Natur aufersteht, wie die Natur den Tod des Winters überwindet, so können wir, wenn wir den Sommer richtig durchgemacht haben, uns auch ein Gefühl dafür aneignen, daß wir wissen: Da ist die Seele hinaufgestiegen in kosmische Weiten, wir nähern uns nun dem Herbste, September kommt heran, Herbstsonnenwende kommt heran. Diejenigen Blätter, die im Frühling grünend und sprossend geworden sind, werden bräunlich, gelblich, werden abgelegt, die Bäume stehen da, schon zum Teil entblättert, die Natur erstirbt. Aber wir verstehen diese ersterbende Natur, wenn wir hinein- schauen in das Absterben, in das Nähern der Schneedecke der Erde und uns sagen: Da zieht die Erdenseele wiederum zurück zur Erde, und sie wird ganz bei der Erde sein, wenn die Wintersonnenwende herangekommen sein wird.
Es gibt eine Möglichkeit, diese Herbsteszeit mit derselben Intensität zu empfinden wie die Frühlingszeit. Und empfinden wir in der Frühlings-Osterzeit Tod und Auferstehung des Gottes, so können wir in der Herbsteszeit Auferstehung und Tod derMenschenseele empfinden, das heißt das Auferstehungserlebnis während des Erdenlebens, um in der richtigen Weise durch den Tod zu gehen. Dann aber müssen wir auch verstehen, was das bedeutet für uns, für unsere jetzige Zeit, daß die Erdenseele während der Johannizeit im Sommer ausgeatmet wird in die Weltenweiten, da mit den Sternen vereinigt ist und wieder zurückkornmt. Wer die Geheimnisse dieses Erdenkreislaufes im Laufe des Jahres durchschaut, der weiß, daß da die Michael-Kraft jetzt durch
die Naturkräfte wieder herunterkommt, die in den früheren Jahrhunde`rten nicht heruntergekommen ist; so daß wir dem sich entlaubenden Herbst entgegengehen können, in dem wir das Heran- kommen der Michael-Kraft aus den Wolken zur Erde hin erblicken.
Ja> in den Kalendern steht an diesem Tag «Michael», und als ein Bauernfeiertag gilt Michaeli. Aber die Gegenwart geistig so empfinden, daß sich uns die Erden-Menschenereignisse zusammenschließen mit den Naturereignissen, das werden wir erst, wenn wir wieder fähig werden, den Jahreslauf so weit zu verstehen, daß wir bilden können im Jahreslaufe - wie die alten Menschen aus ihrem alten traumhaften Hellsehen heraus sie gebildet haben - Jahresfeste. Die Alten haben das Jahr verstanden und haben aus diesen Geheimnissen, die ich heute nur andeuten konnte, Weihnachten, Ostern und das Johannifest herausgebildet. Man beschenkt sich zu Weihnachten, man tut auch einiges andere, aber ich habe es ja öfter, wenn ich hier Weihnachts- oder 0stervorträge gehalten habe, auseinandergesetzt, wie wenig die Menschen heute noch von diesen alten Festes-Setzungen haben, wie alles traditionell und äußerlich geworden ist. Aber wird man wieder die Feste verstehen, die man heute nur feiert, jedoch nicht versteht> so wird man auch die Kraft haben, aus der geistigen Erkenntnis des Jahreslaufes ein Fest festzusetzen, das erst für die gegenwärtige Menschheit die rechte Bedeutung hat. Das wird das Michael-Fest sein in den Ende-September-Tagen, wenn der Herbst naht, die Blätter welk werden, die Bäume kahl werden, die Natur dem Absterben entgegen- geht - wie sie im Osterfeste dem Aufsprießen entgegengeht -, wenn wir in der absprossenden Natur gerade gewahr werden, wie da die Erdenseele sich mit der Erde vereinigt, wie sie Michael aus den Wolken mitbringt.
Wenn wir die Kraft haben, aus dem Geiste heraus solch ein Fest zu schaffen, das in unser soziales Leben wiederum Gemeinsamkeit hereinbringt, dann werden wir das aus dem Geiste heraus getan haben. Denn dann werden wir unter uns etwas gestiftet haben, wozu der Geist den Ursprung bildet. Wichtiger als alles übrige soziale Nachdenken und dergleichen, das in den jetzigen verworrenen Verhältnissen doch nur dann zu etwas führen kann, wenn der Geist darinnen
ist, wäre es zunächst, daß eine Anzahl verständnisvoller Menschen sich zusammenfänden, um wiederum aus dem Kosmos heraus auf Erden etwas zu stiften wie ein Michaelifest, das würdig des Osterfestes, aber als Herbsrfest das Gegenstück zum Osterfest wäre. Könnte man sich entschließen, etwas, wozu es Motive nur in der geistigen Welt gibt, was aber dann unter die Menschen wiederum gemeinsames Fühlen brächte bei einem solchen Fest, das aus der vollen, frischen Menschenbrust noch in unmittelbarer Gegenwart geschaffen wäre, so würde es etwas geben, was die Menschen sozial wieder bindet. Denn die Feste haben die Menschen in alten Zeiten sozial fest gebunden.
Denken Sie nur, was für die Feste und zu den Festen für die ganze Kultur getan, gesprochen und gedacht worden ist! Das ist dasjenige, was durch die Fixierung der Feste aus dem unmittelbaren Geiste heraus sich in das Physische hineingelebt hat.
Könnten sich die Menschen heute in würdiger Weise dazu entschließen, ein Michaelifest in den Ende~September-Tagen einzusetzen, so wäre das eine Tat von größter Bedeutung. Dazu müßte der Mut sich finden in den Menschen: nicht nur zu diskutieren über äußere soziale Organisationen und dergleichen, sondern etwas zu tun, was die Erde an den Himmel bindet, was die physischen Verhältnisse wieder an die geistigen Verhältnisse bindet. Dann würde, weil da- durch der Geist wiederum in die irdischen Verhältnisse eingeführt würde, unter den Menschen wirklich etwas geschehen, was ein mächtiger Impuls wäre zur Weiterführung unserer Zivilisation und unseres ganzen Lebens.
Es ist natürlich keine Zeit, um Ihnen auszumalen, was das alles für wissenschaftliches, religiöses und künstlerisches Erleben wäre, geradeso wie durch die alten Feste, so durch ein solches in großem StiI aus dem Geiste heraus geschaffenes neues Fest, und wievieI wichtiger als alles das, was man heute an sozialen Tiraden entwickelt, ein solches Schaffen aus der geistigen Welt heraus wäre. Denn was würde das bedeuten? Ach, es bedeutet viel für das Hineinschauen in das menschliche Innere, wenn ich einem Menschen absehen kann, was er meint, oder wenn ich seine Worte richtig verstehe. Kann man heute absehen, wie der ganze Weltenlauf wirkt, wenn es gegen den Herbst zu geht,
kann man enträtseln, entziffern diese ganze Physiognomie des Weltenalls und kann man schöpferisch daraus wirken, dann enthüllt man nicht nur Menschenwillen an einem solchen Festeschaffen, dann enthüllte man Götter- und Geisterwillen. Dann ist wieder Geist unter den Menschen!
Aber heute ist es ja wirklich so, daß das Geistige in einer sonderbaren Weise in der Welt aufgenommen wird. Womit ich begonnen habe, damit darf ich vielleicht auch mit ein paar Worten schließen. Ich mußte längst hinweisen darauf, wie, ausgehend von einer sehr untergeordneten freimaurerischen Seite und dann aber wiederholt in allerlei astrologischen Werken, aufgegriffen von allen Gegnern seit längerer Zeit, der Satz in die Welt gesetzt worden ist: Geistige Feuerfunken seien in das Goetheanum in Dornach genug hineingeflogen; es werde die Zeit kommen, wo der physische Feuerfunke in dieses Goetheanum hineinfliegen wird. - Die Leute haben es durch zwei Jahre geschrieben. Das ist die Art und Weise, wie heute dasjenige, was wirklich aus dem Geiste heraus geschöpft wird, in der Welt empfangen wird! Demgegenüber muß es Menschen geben, welche mit dem SichHineinversetzen in den Geist vöffig Ernst machen können. Ernst machen kann man nicht durch das Reden vom Geist allein, sondern durch ein solches Reden vom Geist, das auch wirklich den Geist unter uns Menschen verbreiten kann. Eine solche Verbreitung des Geistes wäre es, wenn wir schaffend würden aus dem Geiste, wie alte Zeiten schaffend wurden aus dem Geiste. Ich habe des öfteren über das Weihnachtsfest, das Osterfest, das heißt über alte Feste unter Ihnen sprechen dürfen. Es ist schön, den Geist der alten Feste herauszuholen aus den Zeitenläuften. Aber ich möchte doch, daß man nicht nur versteht, wenn durch Anthroposophie das an die Oberfläche gebracht wird, was alte Weisheit gedacht hat, sondern ich möchte, daß man auch verstehen kann dasjenige, was aus dem Geist unserer unmittelbaren Gegenwart als Aufforderung zu uns spricht. Es genügt nicht, bloß die Evangelien als Ausdruck des Christentums anzusehen, denn Christus hat gesagt: «Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Erdenzeiten.» Er ist da! Verstehen wir seinen Geist, seine Worte, dann können wir jeden Tag aus diesem Geiste heraus sprechen. Was die Alten schaffend
gemacht hat aus einer Weltenweisheit, was gemacht hat, daß wir heute noch den tiefen Sinn der Feste enthüllen können, das lebt doch unter uns. Wir wollen doch ganze Menschen sein. Dann müssen wir aber auch als ganze Menschen geistig schaffen können. Dann müssen wir nicht nur nachdenken können über den Sinn der alten Feste, dann müssen wir selber dadurch sozial schöpferisch werden können, daß wir aus dem Jahreslauf heraus Feste-schöpfend werden können.
Das mutet allerdings den Menschen mehr zu, als die alteingesessenen Feste zu erklären. Aber es ist eben auch eine wirkliche Anthroposophie, eine höhere Anthroposophie. Und geprüft werden kann die Anthroposophische Gesellschaft doch nur daran, ob sie nicht nur tote Anthroposophie begreift, die über Vergangenes handelt, sondern ob sie auch lebendige Anthroposophie begreift. Die wird auch eine Summe von Feuerfunken sein können! Aber diese Feuerfunken werden in einem Tempel sein, der nicht aus äußerem MateriaI besteht. Physische Flammen verzehren Tempel, die aus äußerem Material bestehen. Die Flammen echter spiritueller Begeisterung, echten spirituellen Lebens, die den Tempel durchdringen müssen, weil sie ihn erleuchten müssen mit dem, was im Geiste aufleuchtet, diese Flammen können den Tempel nicht zerstören, die können diesen TempeI nur immer herrlicher gestalten. Denken wir an das, was lebendige Anthroposophie ist, als diejenige Feuerflamme, die uns immer weiter- und weiterführen wird, wie der lebendige Geist der Anthroposophie selber, der uns führen soIl zum Fortschritt der Menschheit und zum Wiederaufbau desjenigen, was jetzt in einem so deutlichen Niedergange ist.
Das wollte ich Ihnen bei meiner diesmaligen Anwesenheit in Berlin sagen, meine lieben Freunde, weil es gut ist, wenn wir solche ernsten Dinge, gerade weil wir so seIten zusammensein können, jetzt be sprechen. Ich hoffe, daß ausgehen möge auch von diesem ein recht gutes Zusammensein in Gedanken. Denn Anthroposophie soll wirken im Geiste, nicht bloß im physischen Raume. Und so möge es als Gruß zu Ihnen gesprochen sein, daß wir beisammenbleiben mögen im Geiste, auch wenn wir jetzt räumlich längere Zeit wieder getrennt sein müssen.
HINWEISE
#G224-1992-SE219 - Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten
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HINWEISE
Zu dieser Ausgabe
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Zur Gliederung des Bandes: Aus der Thematik heraus ergab sich eine von der chronologischen Anordnung teilweise abweichende Gliederung des Bandes. In der vorliegenden Reihenfolge stehen der Berner Vortrag vom 6. April 1923, die vier Stuttgarter Vorträge vom 2. Mai, 21.Juni, 4. und 11.Juli 1923 und der erste der beiden Prager Vorträge, gehalten am 28. April 1923, in einem engeren Zusammenhang. Sie behandeln als zentrales Thema die mannigfachen Beziehungen des menschlichen Seelenlebens zur geistigen Weit und zu deren Wesenheiten. Dies gilt zwar auch zum Teil für die nun folgenden Vorträge, doch gipfeln diese jeweils in Darlegungen über die Notwendigkeit einer geistigen Vertiefung der Jahresfeste. So klingt der zweite der Prager Vorträge vom 29. April in eine Osterbetrachtung aus. Der anschließende Dornacher Vortrag vom 7. Mai 1923 eröffnet neue Aspekte der Himmelfahrtsimagination und des Pfingstgeschehens. Es folgt der Dornacher Johannivortrag vom 24.Juni 1923. Der ebenfalls dem zweiten Teil des Bandes eingegliederte Dornacher Vortrag vom 13. April 1923 weist inhaldich die stärksten Entsprechungen zu den ersten drei Vorträgen auf, wurde aber an diese Stelle gesetzt, weil er grundlegende Ausführungen über die Voraussetzungen eines Michael-Festes enthält. Hieran schließt sich der Vortrag vom 23. Mai 1923, der letzte, den Rudolf Steiner in Berlin gehalten hat, in dem er den Ursprung der überkommenen Jahresfeste und die Einrichtungen eines Michael-Herbstfestes als Gegenstück zu dem beweglichen Oster-Frühlingsfest aus den kosmisch-irdischen Zusammenhängen heraus beleuchtet.
TextunterLigen: Die Vorträge von Bern, Dornach und Berlin wurden von Helene Finckli (18831960) stenografiert und in Klartext übertragen. Dem Druck liegt diese Übertragung zugrunde. Für die 2. Auflage 1986 wurden fragliche Stellen mit dem Originalstenogramm verglichen. Für die Vorträge von Prag und Stuttgart liegen keine Oiiginalstenogramme vor, die Stenographen sind nicht bekannt.
Obwohl die Nachschrift des Stuttgarter Vortrages vom 11.Juli 1923 mangelhaft ist, wurde er wegen seiner Bedeutung für den Gesamtzusammenhang des Bandes in diesen einbezogen. Rudolf Steiner hielt ihn am Abend des gleichen Tages, an dem er einen Zyklus von vier Vorträgen für Theologen der Christengemeinschaft eröffnet hatte.
Die Einleitung des Vortrages Prag, 28. April 1923, und der Schluß des Vortrages Dornach, 7. Mai 1923, erschienen in GA 259.
Die Durchsicht der 2. Auflage von 1983 und die Erstellung der Inhaltsangaben besorgten Anna-Maria Balaste`r und Michel Schweizer.
Der Titel des Bandes geht auf Forniulierungen zurück, die Rudolf Steiner im Text gebraucht hat.
Die Titel der Vorträge wurden im wesentlichen von früheren Ausgaben Marie Steiners übernommen.
Zu &n Tafelzeichnungen: Die Original-Wandtafelzeichnungen und -anschriften Rudolf Steiners bei den Vorträgen in Dornach vom 7. Mai und 13. April
1923 sind erhalten geblieben, da die Tafeln damals mit schwarzem Papier bespannt waren. Sie sind als Ergänzung zu den Vorträgen im Band XII der Reihe «Rudolf Steiner, Wandtafelzeichnungen zum Vortragswerk» verkleinert wiedergegeben. Die in den früheren Auflagen in den Text eingefügten zeichnerischen Übertragungen sind auch für diese Auflage beibehalten worden. Auf die entsprechenden Originaltafeln wird jeweils an den betreffenden Textstellen durch Randvermerke aufmerksam gemacht.
Einzelausgaben:
Bern, 6. April 1923: «Schicksalsgestaltung in Schlafen und Wachen - Die Geistigkeit der Sprache und die Gewissensstimme», Dornach 1938; in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr. 65/66, Dornach 1979
Dornach, 13. April 1923: «Wiedergewinnung des lebendigen Sprachquells durch den Christus-Impuls», Dornach 1938; in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr. 65/66, Dornach 1979
Prag, 28. April 1923: «Gehen, Sprechen, Denken. Drei Etappen des Erwachens der menschlichen Seele», Dornach 1990
Prag, 28. und 29. April 1923: «Drei Etappen des Erwachens der menschlichen Seele - Die Christus-Offenbarung», Dornach 1943
Stuttgart, 2. Mai 1923: «Der individualisierte Logos und die Kunst, aus dem Wort den Geist, das Wesenhafte herauszulösen», Dornach 1938
Dornach, 7. Mai 1923: in «Der Ostergedanke - Die Himmelfahrtsoffenbarung und das Pfingstgeheimnis», Dornach 1930, 1938, 1958, 1970, 1981, 1990
Berlin, 23. Mai 1923: «Die Rätsel des inneren Menschen. Das Herannahen der Michaelkraft>, Dornach 1934, und «Die Schaffung eines Michaelfestes aus dem Geiste heraus. Die Rätsel des inneren Menschen», Dornach 1953, 1966, 1981
Stuttgart, 21.juni und 4. Juli 1923: «Unser Gedankenleben in Schlafen und Wachen und im nachtodlichen Dasein», Dornach 1943
Dornach, 24.Juni 1923: «Johanni-Stimmung - Der geschärfte Johanniblick», Dornach 1943, in «Johanni-Stimmung - Der geschärfte Johanniblick», Dornach 1959, 1981
Stuttgart, 11.Juli 1923: Erstdruck in diesem Band
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Hinweise zum Text
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Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesatntausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.
Zu Seite
9 zu dem gestrigen öffentlichen Vortrage: «Was wollte das Goetheanum und was soll die Anthroposophie?», Bern, 5. April 1923, unveröffentlicht. Siehe den Parallelvortrag, Basel, 9. April 1923, im gleichnamigen Band, GA 84.
l5 «Die Geheim wissenschaft im Umr`ß«~, GA 13.
in früheren Zyklen: Siehe insbesondere «Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhange mit der germanisch-nordischen Mythologie», GA 12I; «Anthroposophie als Kosmosophie», GA 207; «Die Impulsierung des weltgeschichtlichen Geschehens durch geistige Mächte», GA 222.
21 wie ich in früheren Vortragen gesagt habe: Siehe insbesondere «Die Offenbarungen des Karma», GA 120; «Wiederverkörperung und Karma und ihre Bedeutung für die Kultur der Gegenwart», GA 135.
28 Die Philosophie der Freiheit«, GA 4.
29 wie ich das gestern... beschrieben habe: Siehe Hinweis zu Seite 9.
40 Schon in «Luzifer-Gnosis«: Siehe «Luzifer-Gnosis» (1903-1908) GA 34.
42 »Theosophie*, GA 9.
44 Raffaelo Santi, 14831520.
47 Gottfried Wilhelm Leibniz, 16461716. Stellte die Welt als eine «prästabilisierte Harmonie» von zahllosen individuellen und immateriellen Kraftzentren, den «Monaden», dar. Hauptwerk «Essai de Theodice`e», 1710.
Giordano Bruno> 1548-1600. Nach seiner Lehre gibt es unzählige «Minima»> oder «Monaden» bis hinauf zu der «Monade aller Monaden», der Gottheit selbst.
52 hat der deutsche Philosoph Hegel g770-I&31) schon recht: «Georg Friedr. Wilh. Hegels Vorlesungen üher die Geschichte der Philosophie», herausgegeben von G. J. P. J. Bolland, Leiden 1908, Einleitung Seite 7: «Was der Mensch Edleres hat, als ein Tier zu sein, hat er hiennach durch den Gedanken; alles was menschlich ist, es mag aussehen, wie es will, ist nur dadurch menschlich, daß der Gedanke darin wirkt und gewirkt hat. »
63 die ich ... jetzt vor kurzem charakterisiert habe: Siehe «Die Geschichte und die Bedingungen der anthroposophischen Bewegung im Verhältnis zur Anthroposophischen Gesellschaft», GA 258.
72 Fritz Mauthner, 1 84~l923. «Beiträge zu einer Kritik der Sprache», 3 Bände, 3. Auflage Leipzig 1923. Wörtlich heißt es Band 11 Seite 77 f.: «Wir können es uns - . - nicht anders vorstellen, als daß - . - die Sprache als eine Äußerung des Sprachorgans genau so wie das Leben als Äußerung des einzelnen Tierorganismus sich vererbt.» Ferner Band 111 Seite 223: «Es ist einer der wichtigsten Punkte in der
Sprachkritik, daß wir den Zusammenhang oder vielmehr die Zusammenhanglosigkeit zwischen der Wirklichkeitswelt und den Sprachlauten erkennen. Nie und nimmer hat ursprünglich im Sprachlaute etwas gelegen, was zu einem Ding in der Wirklichkeit direkte oder indirekte Beziehung hatte. »
73 daß Mauthner tief nachdachte: a. a. O. Band I Seite 253: «Man hat von Descartes bis zur heutigen Pfarrers- und Köchinnenphilosophie angenommen, nur der Mensch
besitze eine Seele; wir werden uns gewöhnen müssen, einzusehen, daß die Seele nur insofern ein ausschließlich menschliches Attribut sei, als der Mensch allein in seiner Sprache den Seelenbegriff besitzt.» Ebenda Seite 259: «Man glaube ja nicht, der
Seelenbegriff sei das einzige, bei welchem das Karussell- oder Ringelspiel um eine immaterielle Substanz gespielt werde. Man nimmt solche Phantasiegeschöpfe immer zur Hand, wo man den stofflichen Träger einer Erscheinung nicht wahrnimmt.
... Und niemand nimmt Anstoß an diesen ganz gemeinen Worten: Gesicht, Gehör, Gefühl, die doch für meinen relative Neubildungen sind. Nach Analogie dieser Worte müßte man auch von einem sprechen. »
75 Kuno Fischer, l824-l907. Neukantianer, zuletzt Professor in Heidelberg, führte die philosophisch-ästhetische Analyse klassischer Dichtungen ein.
80 Max Rubner, 1854-1932. «Unsere Ziele für die Zukunft», Rede zum Antritt des Rektorats an der Universität Berlin, gehalten am 15. Oktober l9i0, Leipzig 1910.
83-92 Albert Schweitzer, 1875-1965. «Verfall und Wiederaufbau der Kultur - KulturPhilosophie», I. Teil, Bern 1923. Zitate: S. 1, 2, 3, 5, 7, 8, 45, 51, 56, 57, 58, 62, 63, 65. Siehe hierzu auch Rudolf Steiner «Der Goetheanumgedanke inmitten der Kultur
ltrisis der Gegenwart», GA 36, 1961, Seite 100 ff.: «Scheinbare und wirkliche Perspektiven der Kultur». Ferner Vortrag vom i. Juli 1923 in «Drei Perspektiven der Anthroposophie - Kulturphänomene», GA 225, Seite 47 ff.
87 Immanuel Kant, 1724-1804
90 Pierre Simon Iaplace, franz. Mathematiker und Astronom, 1749-i827.
« Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», GA 10.
103 Ich meine es nicht so schlimm: Die Nachschrift hat hier eine Lücke.
106 Mauthner: Siehe Hinweis zu Seite 73.
l07 Wort des Paulus: l.Korinther l5,l4.
108 Johann Wolfgang von Goethe, l74~1832.
111 ein recht bedeutender Philosoph der Gegenwart: Wincenty Lutoslawski, geb. 1863, polnischer Philosoph. «Rudolf Steiners sogenannte », in «Hochland - Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst»; Kempten und München l9lolll, 8.Jahrgang, 1. Heft (Oktober).
l 12 das möchte ich unterschiedslos der Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Anthroposophischen Gesellschaft empfehlen: Siehe «Das Schicksalsjahr l923 in der Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft. - Vom Goetheanumbrand zur Weihnachtstagung», GA 259.
114 gestern im öffendichen Vortrag: «Die Seelenewigkeit im Lichte der Anthroposophie», Prag, 27. April l923, in: «Was wollte das Goetheanum und was soll die Anthroposophie?», GA 84.
126 Friedrich Schiller, 1759-18O5.
135 Augustinus, 35~3O, beschrieb seine innere Entwicklung in den «Confessiones».
Manichäer: Manichäismus, vom Perser Mani (21~277) begründete dualistische, gnostische Religion.
So kam Augustinus... dazu, sieh zu sagen: Contra epistolam Manichaei, 1. Buch, V.: «Ego vero Evangelio non cretlerem, nisi nie catholicae Ecclesiae commoveret auctoritas. » (Nach Migne, Patrologia Latina, Bd. 42) «Ich würde an die Wahrheit der Evangelien nicht glauben, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche dazu zwänge. » (Nach Rudolf Steiner, «Das Christentum als mystische Tatsache», GA 3, S. 153)
136 der schlichte Mann von Nazareth: Siehe Heinrich Weinel, «Jesus im neunzehnten Jahrhundert», Tübingen und Leipzig l903, Einleitung, und «Die Gleichnisse Jesu», Leipzig 1905.
137 Da haben wir nun den Geschichtsschre~er Ranke: Siehe hierzu Herman Grimm «Fragmente», Zweiter Teil, Berlin und Stuttgart 1902, Seite 174 f.: «Von Ranke (1828-1901) soll ein ihn verehrender hochgestellter Mann gefordert haben, es müsse Christus als Urheber aller menschlichen Schicksale in die eingeführt werden. Dieses Verlangen, berichtet man, habe bei dem Gelehrten heftige innere Kämpfe hervorgerufen, sei endlich aber damit abgelehnt worden, es müsse bei der gegebenen Erklärung sein Bewenden haben, Christus stehe uns in der Weltgeschichte in doppelter Gestalt gegenüber: als Begründer des Christentums und als übermenschlich alles vermögender Sohn Gottes, wie die Kirche lehrt. »
139 das hedeutungsvolle Evangelienwort: Matth. 28,20.
«Ich hätte euch noch viel zu sagen«: Joh. 16,12.
daß das Gottesreich heruntergekommen ist auf die Erde: Mark. 1,l5; Luk. l0,9.
140 Eduard Sueß, 1831-1914. Professor der Geologie in Wien, Präsident der Wiener Akademie der Wissenschaften. «Das Antlitz der Erde», 3 Bände. Prag und Leipzig 18851909.
141 «Nicht ich, sondern der Christus in mir«: Galater 2,20.
143 Du sollst den Namen Gottes.. .: 2. Mose 20,7.
144 Nun möchte ich heute gerade zwei Bilder... vor Ihre Seele hinstellen: Ap. Gesch. 1,414 und 2,1-13.
l47 Eduard Sueß: Siehe Hinweis zu Seite 140.
148 «Von Jesus zu Christus», GA13l.
158 In dem kurzen Vortrag: «Johannistimmung. Das Miterleben der Jahresfeste», Dornach, 24. Juni l923, in «Eurythmie. Die Offenbarung der sprechenden Seele», GA 277.
159 diesen feurigen Ritt der Sonne um die Welt: Bezieht sich auf das Gedicht «SternenBallade> von E. M. Arndt.
160 Mauthner: Siehe Hinweise zu Seiten 72 und 73.
Friedrich Gottlieb Klopstock, 1 72~1 803, «Messias», 1748 bis 1773.
165 Georg Klebs, 1857-1918, zuletzt Professor der Botanik in Heidelberg. «Über das Treiben der einheimischen Bäume, speziell der Buche», 1914.
171 «Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen»: Joh. 3,30.
176 wie Sie aus einem Vortragszyklus von mir wissen können: «Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhange mit der germanisch-nordischen Mythologie», GA
121.
178 «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit», GA 15.
179 Hernan Grimm, 1828-1901. «Goethe», 16. Vorlesung, 7. Auflage 1903, 11. Band
Seite 4 f.: «Erst von dem Eintreten der römischen Politik fangen Menschen und Dinge an, uns verständlich zu werden. Wir sind jetzt erst in der Lage, mit der EIle zu messen, mit der wir es noch heute tun. Alles Griechische, bis in die festesten historischen Zeiten hinein, behält für unsere Blicke etwas Märchenhaftes. Alkibiades ist der reinste Märchenfürst, mit Cäsar verglichen, der bei soviel schwarzen doch nicht eine einzige dunkle Stelle hat. - . - Dieses Fremde im griechischen Wesen überwinden wir niemals. ... So: wenn uns Homer und Plato, selbst Aristoteles und Thukydides, oder Phidias und Pindar noch so verwandt erscheinen: ein kleiner Mond im Nagel erinnert an etwas wie Ichor, das Blut der Götter, von dem ein letzter Tropfen in die Adern der Griechen mit hineingeflossen war. Den Römern aber fehlt das Märchenhafte völlig. Sie haben keine Spur mythischer Abstammung und sind verständlich vom ersten Augenblick an als Politiker, Rechtsgelehrte, Soldaten, Beamte, Kaufleute.>
Marcus Tullius Cicero, 106-43 v. Chr., römischer Staatsmann.
Gaius Iulius Cäsar, 1OO-44 v. Chr., römischer Feldherr und Staatsmann.
180 Perikles, um 5OO-429 v. Chr., athenischer Staatsmann.
Alkibiades, um 450-404 v. Chr., athenischer Staatsmann und Feldherr.
Ulrich von Wilamowitz-Moellendoiff 1848-1931. « Griechische Tragödien», 4 Bände, 192526.
aus den Deussenschen Übersetzungen: Paul Deussen, 18431919. «Sütras des Vedanta>, 1887; «Sechzig Upanishads des Veda», 1897; «Vier philosophische Texte des Mahabharatam», 1906; «Der Gesang des Heiligen», 1911.
181 Plato, 427-347 v. Chr.
Aristoteles, 38~322 v. Chr.
l82 Dionysius Areopagita, Apostelgeschichte 17,34, als Schüler des Paulus erwähnt. Unter seinem Namen erschienen Ende des 5.Jahrhunderts die Schriften «Von der himmlischen Hierarchie» und «Von der kirchlichen Hierarchie» - Sie wurden im
9. Jahrhundert von Scotus Erigena ins Lateinische übersetzt. Deutsche Ausgabe «Des heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften», übersetzt von Josef Stiglmayr, Kempten 1911.
186 Im Urbeginne.. .: Joh. 1,1 und 14.
189 das schmerzliche Ereignis: Das erste Goetheanum, ein künstlerischer Holzbau, brannte in der Silvesternacht 1922/23 nieder. Uber diesen Bau siehe Rudolf Steiner «Wege zu einem neuen Baustil», GA 286; «Der Baugedanke des Goetheanum», GA 290.
191 Brocasche Windung: Der linke Gyrus frontalis inferior, gefunden durch Pierre Paul Broca (I82~1880), französischer Chirurg und Anthropologe.
195 jean Paul (1763-1825) -. . hat gesagt: «Levana oder Erziehlehre», Vorrede zur 2. Auflage vom 2. Mai 1806 in Sämtl. Werke, 3. Aufl. Berlin 1862, 22. Bd. S. 17 und 23. Bd. S. 47:
197 das Woodrow Wilson für ein «Glück« gehalten hat: In seiner Botschaft an den amerikanischen Kongreß vom 8. Januar 1918 verkündete Präsident Wilson (18561924) vierzehn Punkte, welche die Grundsätze für einen allgemeinen Weltfrieden bilden sollten. In späteren Kongreßreden erweiterte er diese vierzehn Punkte zu insgesamt siebenundzwanzig Friedensgrundsätzen, unter denen das «Selbstbestimmungsrecht der Völker» eine besondere Rolle spielte.
202 Sie brauchen sich ja nur an jenen Traum zu erinnern, den ich früher einmal zur Illustration ang;fü.hrt habe: U. a. im öffentlichen Vortrag vom 21. März 1918 in Berlin, GA 67. Vgl. auch die öffendichen Vorträge, Berlin, 7. März 1904, GA 52, und 23. November 1911, GA 61.
Volkelt erzählt diesen Traum: Im Vortrag vom 21. März 1918 (siehe den vorangehenden Hinweis) bespricht Rudolf Steiner zwei Quellen: Johannes Volkelt (1848-1930),
206 Waldoyfschulpädagogik: Die von Rudolf Steiner auf Grund anthroposophischer Menschenerkenntnis ausgebildete Erziehungskunst, die zuerst in der 1919 in Stuttgart gegründeten Waldorfschule ausgebildet wurde und heute noch dort und in einer großen Anzahl von Schulen in vielen Ländern ausgeübt wird.
209 mit einem Astronomen: Wilhelm Foerster, 1832-1921, Direktor der Berliner Sternwarte, Gründer der #SE224-226
215 Geistige Feue,funken: In der Zeitschrift «Der Leuchtturm», Lorch (Württemberg), Oktober l920. Zitiert von Elsbeth Ebertin im Jahrbuch «Ein Blick in die Zukunft? Den Freunden der wissenschaftlichen Astrologie», Freiburg (Baden) 1921, S. 63: «Geistige Feueifunken, die Blitzen gleich nach der hölzernen Mäusefalle (gemeint ist das Goetheanum) zischen, sind also genügend vorhanden, und es wird schon einiger Klugheit Steiners bedürfen, versöhnend zu wirken, damit nicht eines Tages ein richtiger Feuerfunke der Dornacher Herrlichkeit ein unrühmliches Ende bereitet. »
«Ich bin bei euch alle Tage . . . »: Matth. 28,20.
216 bei meiner diesmaligen Anwesenheit in Berlin: Dieser Vortrag war der letzte, den Rudolf Steiner in Berlin gehalten hat.
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KORREKTUREN
in der 2. Auflage 1983 gegenüber der l. Auflage von 1966
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Nach Stenogramm:
S. 164, Zeile 8 v. u.: üppige (statt übliche)
S. 214, Zeile 10 v. o.: in alten Zeiten sozial fest gebunden (statt in alten Zeiten fest gebunden)
Größere sinngemäße Korrekturen der Herausgeber:
S. 25, Zeile 3 v. o.: während des Schlafens (statt während des Einschlafens)
S. 49, Zeile l i v. u.: Gesichtskreise (statt Gesichtspunkte)
S. 129, Zeile 3 v. u.: kann er den freien Willen (statt kann er doch den freien Willen)
NAMENREGISTER
Alkibiades 180
Aristoteles 181
Augustinus, Aurelius 135
Bruno, Giordano 47
Volkelt, Johannes 202
CIsar, Gaius Julius 179
Cicero, Marcus Tullius l79
Deußen, Paul 180
Dionysius der Areopagite l82
Fischer, Kuno 75
Foerster, Wilhelm 209*
Goethe, Johann Wolfgang von 108, 109, 120
Grimm, Herman 179, 180
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 52, 85
Jean Paul 195
Kant, Immanuel 84, 85
Klebs, Georg 165, 168, 170
Klopstock, Friedrich Gottlieb 160
Laplace, Pierre Simon 84
Leibniz, Gottfried Wilhelm 47
Lutoslawski, Wincenty 111
Mani(chäer) 135
Mauthner, Fritz 72, 73, 106, 160
Paulus (Apostel) 107
Perikles 180
Plato 181
Raffael 44
Ranke, Leopold 137
Rubner, Max 80, 9I
Schiller, Friedrich l20
Sueß, Eduard 140, 147
Schweitzer, Albert 83-87, 91, 92
Vischer, Friedrich Theodor 202*
Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 180
Wilson, Woodrow 197
Steiner, Rudolf
Schriften:
Die Philosophie der Freiheit (GA 4) 28, 30,119
Theosophie (GA 9) 42,43, 59, 198
Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (GA 10) 90
Die Geheimwissenschaft im Umriß (GA 13) 15,25,26, l11, 122,145,146
Die geistige Führung des Menschen und
der Menschheit (GA 15) 178
Lucifer-Gnosis (GA 34) 40
Vorträge:
Berlin, 21. März l918 (GA 67) 202
Bem, 5. April 1923 (GA 84) 9
Prag, 27. April 1923 (GA 84) 1 14
Die Mission einzelner Volksseelen im
Zusammenhange mit der germanisch
nordischen Mythologie (GA 121) 15, 176
Anthroposophie als Kosmosophie (GA 207 und 208) 15
Die Impulsierung des weltgeschichtlichen Geschehens durch geistige Mächte (GA 222) 15
Dornach, 24. Juni 1923 (GA 277) 158
AUSFÜHRLlCHE INHALTSANGABEN
#G224-1992-SE229 - Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten
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AUSFÜHRLlCHE INHALTSANGABEN
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Schicksalsgestaltung in Schlafen und Wachen. Die Geistigkeit der Sprache und die Gewissensstimme
Bern, 6. April 1923
Gehen, Sprechen und Denken in ihren Beziehungen zum Schlafesleben: Im Schlaf trägt der Astralleib das Geistig-Seelische der Sprache zu den Archangeloi, das Ich das Moralische der Bewegungen zu den Archai. Dazu müssen Idealismus in der Sprache und Menschenliebe in den Taten leben. Aus dieser Verbindung mit den Hierarchien webt sich der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt Karma und Geschicklichkeit seines nachsten Lebens. Im Wachen wirken noch höhere Hierarchien, Exusiai und Kyriotetes, mit, um die Sprachgeistigkeit in die Triebe und Begierden des physischen Leibes hineinzubringen; die Dynamis fügen die Menschenliebe in den physischen Leib ein. Die Gedanken bleiben während des Schlafes im Ätherleib mit dem physischen Leib verbunden, darum kann der Mensch im Erdenleben die Freiheit durch das reine Denken erringen.
Der individualisierte Logos und die Kunst, aus dem Worte den Geist herauszulösen
Stuttgart, 2. Mai 1923 32
Mit dem Ruhigwerden der Sinne beim Einschlafen erwacht in ihnen eine innere Regsamkeit: ätherisches Leuchten, Tönen und Wärmen. Es enthüllt sich als Leben und Weben der Exusiai und besteht aus Gedankenformen, die in innerem Worte das Wesen des Menschen aussprechen. Ihr Wesenhaftes sind die Dynamis. Aus dem Leuchten, Tönen und Wärmen strömt an der Vorderseite des Menschen eine aetherische Organisation zusammen: die Lotosblumen, eine Offenbarung der Kyriotetes. Nach dem Tode verströmen diese Offenbarungen der 2. Hierarchie mit dem sich auflösenden Ätherleib. Der Mensch durchlebt dann ihre Regsamkeit im Abstreifen seiner Abirrungen, bis er ins Geisterland aufsteigen und der Hierarchien ansichtig werden kann. Das Zusammenklingen der Hierarchien ist der Logos, den der Christus zur Wesenheit verdichtet hat. Das traumhafte Bewußtsein davon schrumpfte zusammen bis zum Leibnizschen Begriff der Monaden. Denken, Sprechen und Bewegen sind Offenbarungen der 3. Hierarchie, die mit der 1. Hierarchie zusammenwirkt.
Unser Gedankenleben in Schlafen und Wachen und im, nachtodlichen Dasein
Stuttgart, 21 Juni 1923 51
Im Erdenleben ist das Gedankenleben das Wertvollste für den Menschen. Gefühls- und Willensleben wirken aus dem Unbewußten herauf, so wie sie auch im Schlaf unbewußt wirken. Die Gedanken leben im physischen und Ätherleib. Nach dem Tod schmelzen sie mit der Auflösung dieser Leiber von uns ab. Dagegen taucht im Bewußtsein auf, was in Ich und Astralleib unbewußt in den Nächten gelebt hat: das Durchleben unseres Erdenlebens im Licht der moralischen Weltordnung. An dieses geistig real Erlebte schließt sich das Geistleben an, in dem wir den Geistkeim unseres folgenden Erden!ebens formen. Dann schlafen wir für die Geistwelt ein, indem wir Interesse am neuen Erdenleben entwickeln. Das Interesse an unseren Ahnen erscheint in der Vererbung. Wir setzen uns als himmlische Abkömmlinge in den Nerven fest. Die irdische Seite lebt im Blut, darin sind wir Keim. Die Freiheit lebt nur im Hypomochlion der beiden Waagebalken: himmlischer Abkömmling - irdischer Keim, geistige Determination - Naturkausalität.
Mauthners «Kritik der Sprache» - Die Unzulänglichkeit heutigen Denkens, aufgezeigt an Rubner und Schweitzer
Stuttgart, 4juli 1923 72
In seiner «Kritik der Sprache» weist Fritz Mauthner auf das Unreale unserer Worte für das Seelische hin. Auf das Reale weist Anthroposophie: Denken als Spiegelung am physischen Gehirn und als plastizierendes Gedankenkraften in der leiblichen Bildung; Fühlen als irdische Erscheinung und als dem Geist zugewandtes Erbstück aus dem vorirdischen Leben; Wollen als bewußtes Erleben und als Ewiges, am Karma Wirkendes. - Die Unklarheit des heutigen Denkens, aufgezeigt an einer Rede Max Rubners. Das Verschlafene der scharfen Gedanken Albert Schweitzers in
Die vier Wesensglieder des Menschen - Der Spiegelcharakter des intellektuellen Denkens und die Realität des sittlich-religiösen Erlebens
Stuttgart, 11 Juli 1923 93
Die vier Glieder des Menschen stammen aus vier verschiedenen Welten: der physische Leib aus der irdische Gesetze enthaltenden Erdenwelt,
der Ätherleib aus der an der Weltenperipherie sich verstärken- den Ätherwelt, der Astralleib aus der von dort hereinwirkenden Astralwelt, das Ich aus einer noch anderen Welt. Jede dieser Welten hat ihre eigenen Gesetze. Durch das Zusammenwirken entsteht der Mensch. Die Möglichkeit zur Freiheit ist bedingt durch die Trennung von Ätherleib und physischem Leib von Astralleib und Ich im Schlaf. Die Nahrung der Seele ist das Sittlich-Religiöse, das heute in unseren, von elektrischen Strömen durchzogenen Leibern nur mit verstiirkter Kraft errungen werden kann. Diese Kraft soll die Anthroposophische Gesellschaft entwickeln.
Drei Etappen des Erwachens der menschlichen Seele
Prag, 28. April 1923 (Ohne Einleitung) 114
Aus dem Sichbewegen-Lernen des Kindes bildet sich das Sprechen, aus ihm das Denken. Im vorirdischen Dasein leben wir in lebendigern Gedankenstrom mit den Angeloi, daraus entwickelt sich im irdischen Leben die Kraft des Denkens; aus dem Leben mit den Archangeloi bekommen wir die Sprachfähigkeit; aus dem Umgang mit den Archai kommt die Aufrichte- und Bewegungskraft. Wir treten im irdischen Leben in jedem Schlaf wieder in Beziehung zu diesen höheren Wesen, brauchen aber dazu den Idealismus in Denken, Sprechen und Handeln. Dieser führt uns nach dem Tode zum bewußten Aus- bilden unserer Beziehung zur 1. Hierarchie. Im na~chsten Leben erscheinen die Folgen unseres Erdenlebens in der Art des Gehenlernens im Zusammenhang mit den Archai, das Sprechenlernen ermöglichen uns die Archangeloi im Verein mit der 2. Hierarchie, das Denken schenken uns die Angeloi unter dem Einfluß der I. Hierarchie.
Anthroposophie - der Weg zu einem vertieften Verständnis des Ostermystenums
Prag, 29. April 1923 126
Das Seelenleben der Menschheit verwandelt sich im Lauf der Entwicklung. Bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert setzte sich das vor- irdische lebendige Denken im Erdenleben fort. Dann rückte der Mensch zum toten Denken vor, das ihm das Bewußtsein der Freiheit gibt, indem er seinen eigenen Willen hineinsendet. Das Erscheinen des Christus wurde noch im lebendigen Denken erlebt als das Er- scheinen des einzigen Gotteswesens, das aus dem Vorirdischen ins Irdische durch Geburt und Tod eintauchte und das von der Sonne auf
die Erde kam, um mit dem Menschen das Schicksal zu teilen. Durch die Überwindung des Todes durch Christus wurde die Furcht vor dem Abschließenden des Todes überwunden. Die Gnosis enthielt diese geistigen Anschauungen. Augustinus konnte sie schon nicht mehr verstehen. Heute sind sie völlig verlorengegangen: Christus als der «schlichte Mann aus Nazareth»; Rankes Geschichtsschreibung ohne das Christusereignis. Der Zusammenhang mit Christus muß geistig neu gefunden werden. Dazu verhilft die Anthroposophie.
Die Himmelfahrtsoffenbarung und das Pfingstgeheimnis
Dornach, 7. Mai 1923 (Ohne Schluß) 144
Das Himmelfahrtsbild scheint der Tatsache zu widersprechen, daß Christus in aller Zukunft bei der Erde bleibt. Seit dem Höhepunkt der Erdentwicklung in der Mitte der Atlantis stirbt die Erde ab, mit ihr Pflanzen, Tiere und physischer Mensch. Eduard Sueß bestätigt das Absterben des Mineralischen. Der absterbende Ätherleib des Menschen strebt zur Sonne, so daß der Mensch sich bald nicht mehr hätte inkamieren können. Christus gab dem Atherleib und dem physischen Leib neue Kraft, deren alle Menschen ohne ihr Zutun teilhaftig werden. Das erleben die Jünger im Himmelfahrtsbild. Im Pfingsterlebnis fühlen sie die Christuskraft, die in Ich und Astralleib ein- zieht, wenn der individuelle Mensch sich das Verständnis für das Mysterium von Golgatha erwirbt. Nach dem Tode erlebt jeder Mensch diese beiden Bilder.
Johannistimmung - Der geschärfte Johanniblick
Dornach,24. Juni 1923 158
Der physische Leib lebt im Tageslauf, die Seele im Jahreslauf, der Geist im Zeitenlauf. Neue Denk- und Gefühlsrichtungen in der jüngeren Generation weisen auf ein neues Zeitalter. Es verlangt geistigen Weitblick als Gegenpol zum materialistisch verengten Horizont. Beispiel: Die Versuche, das Pflanzenwachstum von kosmischen Einflüssen unabhängig zu machen, sind nur geglückt, weil man das aus der Wiederholung des Sonnenzustandes stammende, ahrimanische Sonnenlicht, die Elektrizität, dabei verwendete. Da liegt der kosmische Zusammenhang. Geistiger Weitblick ist die dem heutigen welthistorischen Augenblick angepaßte Johannistimmung.
Wiedergewinnung des lebendigen Sprachquells durch den Christus-Impuls - Der Michael-Gedanke als Anruf des menschlichen Willens
Dornach, 13. Apri11923 174
Die Entwicklung der menschlichen Sprache ist ein Abbild der Entwicklung der Archangeloi, die die Sprachgeister sind. Bis zur spät- atlantischen Zeit war sie Willensausdruck, weil die Archangeloi sie als Intuition von der 2. Hierarchie empfingen; bis zum Griechentum war sie Gefühlsausdruck, weil die Archangeloi sie von der 1. Hierarchie als Inspiration empfingen; seit dem Römertum schöpfen die Archangeloi sie aus der Vergangenheit, weil keine Hierarchie über der ersten ist, damit aus dem Ahrimanischen. Herman Grimm fühlte diesen Übergang vom Griechen- zum Römertum. Durch das Mysterium von Golgatha wird der Mensch befähigt, die Sprache vom toten Zeichen wieder zur Gefühls- und Willenssprache zu entwickeln. Die vergangene Entwicklung ist im Anfang des Johannesevangeliums hingestellt, auf die zukünftige Entwicklung weist der MichaelGedanke.
Die Schaffung eines Michael-Festes aus dem Geiste heraus - Die Rätsel des inneren Menschen
Berlin, 23. Mai 1923 189
Der eigentliche Charakter des kindlichen Gehen-, Sprechen- und Denkenlernens erschließt sich der Beobachtung des Schlafeslebens. Der Mensch entwickelte sich aus dem Geistigen ins Materielle hin- ein, um frei zu werden. Ein Beispiel ist das musikalische Erleben in Atlantis (Septimerlebnis), Nachatlantis (Quinterlebnis), Neuzeit (Terzerlebnis). In jedem Schlaf werden Handlungen, Sprache und Gedanken der vorangegangenen Wachenszeit geistig zurückerlebt. Dieses wird dann zum Inhalt unseres Lebens nach dem Tode, nachdem wir den Atherleib abgelegt haben. Danach ist die Geistwelt unsere Umgebung, mit der zusammen wir den nächsten Erdenleib aufbauen, unser Karma hineinverwebend. Im Gehenlemen bildet sich ab dieses Leben mit den Archai; im Sprechenlernen die Zeit, in der wir die Geistwesen nur noch als Offenbarung erleben; im Denkenlernen die Zeit, in der wir den neuen Ätlierleib zusammenziehen. Aus dem Geist heraus sollte als neues Fest das Michael-Fest geschaffen werden. Es soll dem Auferstehen des Geistigen im Menschenleben gewidmet sein, damit der Mensch dann in richtiger Weise durch den Tod gehen kann. Das Osterfest feiert das Durchgehen durch den Tod und die Auferstehung nach dem Tode. Die Bedeutung des MichaelFestes ist vor allem eine soziale.
Literatur
- Rudolf Steiner: Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten. Die Verinnerlichung der Jahresfeste., GA 224 (1992), ISBN 3-7274-2240-8 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv. Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen. Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners. |