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GA 198
RUDOLF STEINER
VORTRÄGE
VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT
Heilfaktoren
für den sozialen Organismus
Siebzehn Vorträge, gehalten in Dornach und Bern
zwischen dem 20. März und dem 18. Juli 1920
GA 198
1984
Inhaltsverzeichnis
- ERSTER VORTRAG Dornach, 20. März 1920
- ZWEITER VORTRAG Dornach, 21. März 1920
- DRITTER VORTRAG Dornach, 28. März 1920
- VIERTER VORTRAG Dornach, 2. April 1920, Karfreitag
- FÜNFTER VORTRAG Dornach, 3. April 1920, Karsamstag
- SECHSTER VORTRAG Dornach, 30. Mai 1920
- SIEBENTER VORTRAG Dornach, 3. Juni 1920
- ACHTER VORTRAG Dornach, 6. Juni 1920
- NEUNTER VORTRAG Dornach, 2. Juli 1920
- ZEHNTER VORTRAG Dornach, 3. Juli 1920
- ELFTER VORTRAG Dornach, 4. Juli 1920
- ZWÖLFTER VORTRAG Bern, 9. Juli 1920
- DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 10. Juli 1920
- VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 11. Juli 1920
- FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 16. Juli 1920
- SECHZEHNTER VORTRAG Dornach, 17. Juli 1920
- SIEBZEHNTER VORTRAG Dornach, 18. Juli 1920
- HINWEISE
- Literatur
ERSTER VORTRAG Dornach, 20. März 1920
Was heute den Menschen als eine fast unumstrittene Autorität gilt, das ist Wissenschaft, Wissenschaft eben in demjenigen Sinne, in dem diese Wissenschaft heute auf unseren staatlich abgestempelten Lehranstalten getrieben wird. Wir haben öfters über die Geltungsmöglichkeiten dieser Wissenschaft gesprochen, haben auch hingewiesen darauf, wie gerade von dieser Autorität die Menschheit der Gegenwart loskommen müsse. Heute will ich darauf hinweisen, daß es ja eine charakteristische Erscheinung geworden ist - auch erst seit den letzten drei bis vier Jahrhunderten -, als eine von diesen Wissenschaften, die Geltung haben, die Autorität haben, die Medizin zu betrachten. Alles, was mit der Medizin zusammenhängt, ist eben eine Wissenschaft unter den anderen, eine Wissenschaft, welche in ihrem weiteren Verfolge führen soll zum Heilen, zum Heilen des kranken Menschen. Man denkt kaum heute daran, daß dieses Verhältnis von Medizin zu anderen Wissenschaften und zu der Gesamtheit der Wissenschaften sich auch erst in den letzten drei bis vier Jahrhunderten herausgebildet hat. Denn je weiter wir in der Menschheitsentwickelung zurückgehen, desto mehr sehen wir, wie alles, was der Mensch an Wissenschaft, an Erkenntnis ausbilden konnte, mehr oder weniger als medizinisch angesehen wurde, als etwas angesehen wurde, was mit Heilen etwas zu tun hat. Und wenn wir zurückgehen insbesondere in die Entwickelung der okkulten Wissenschaften in älteren Zeiten, so ist mit dem Begriff der okkulten Wissenschaften, der Wissensgesellschaften, der Begriff des Heilens immer verbunden gewesen. Immer hatten mit irgendeiner Art des Heilens die geistigen Wissenschaften etwas zu tun. So daß man damals in älteren Zeiten nicht sagen konnte: Medizin ist eine Wissenschaft unter vielen -, sondern daß man sagte in diesen älteren Zeiten, in denen höchstens das rein Intellektuelle nicht zu dem Okkulten gerechnet worden ist: In aller Wissenschaft, in aller Erkenntnis muß etwas gesucht werden, das zuletzt abzweckt auf ein Heilen des ganzen Menschen. - Man sprach also in dem Sinne, daß man sich diesen Gedanken vor die Seele rückte.
Nun muß man aber fragen: Was sollte denn da geheilt werden, was war denn da zu heilen? - Heute, in der Zeit des Materialismus, spricht man von Krankheit, wenn am Menschen durch äußere materielle Vorgänge oder durch sein Verhalten in der sinnlichen Welt irgend etwas Abnormes zu bemerken ist. Auch dieser, man möchte sagen materialistische Begriff von Krankheit, auch er ist im Grunde genommen erst ein Produkt der neueren Entwickelung der Menschheit, ein Produkt der nachgriechischen Zeit. Denn in jenem Griechenland, in dem eine aufgewecktere, für die Welt empfänglichere Menschheit wohnte, als die spätere Menschheit es ist, war im Grunde genommen noch jener Begriff von Krankheit, und namentlich Krankheitsmöglichkeit, vorhanden, der allen Zeiten eigen war, die weiter zurückliegen als etwa zwei, drei vorchristliche Jahrhunderte. Man muß solche Dinge, damit sie verstanden werden, damit man nicht ihre eigentliche Bedeutung doch überhöre, man muß solche Dinge etwas radikal sagen. Die Grundanschauung in älteren Zeiten war, daß eigentlich die ganze Menschheit fortwährend die Anlage zum ständigen Kranksein mit sich herumträgt. Alle Menschen sind im Grunde genommen fortwährend mit Krankheitsanlagen in der Welt herumgehend - das ist im Grunde die Anschauung gewesen. Alle Menschen sind wenigstens der vorbeugenden Heilung bedürftig; man muß fortwährend heilen an der Menschheit, das war die Meinung. Vielleicht wird man am besten verständlich in diesen Sachen, wenn man diese Meinung vergleicht mit einer, die uns insbesondere heute aus unseren sozialen Verhältnissen und sozialen Forderungen häufig entgegentritt. Wir sehen heute auftreten viele Menschen, welche sich berufen fühlen, agitatorisch zu sprechen von dem, was der Menschheit, sagen wir, in sozialer Beziehung oder in anderer Beziehung notwendig ist, damit sie einer besseren Zukunft entgegengehe. Diese Menschen schildern ungefähr dasjenige, was erreicht werden würde, wenn ihre Ideen zur Geltung kommen, als eine Art Paradies auf Erden. Man sagt wohl auch, das Tausendjährige Reich müsse nun endlich anbrechen, wenn die Ideen gewisser Menschen sich Geltung verschaffen könnten. Gewiß, es ist eine Meinung, die vielleicht das Gute will, aber aus schlechtem Verstande und aus noch schlechterer Vernunft kommt, aber es ist eine Meinung, die agitatorisch wirken
kann. Und was sollte agitatorischer wirken, als wenn man den Menschen, namentlich einer materialistischen Zeit, das Paradies auf Erden verspricht! Wenn man es ihnen noch gar verspricht für die Zeit, bevor sie selber sterben, so hat man sie mit einer großen Wahrscheinlichkeit zu Anhängern.
Demgegenüber wird ja schwer aufkommen, wenn so etwas auftritt wie die Idee von der «Dreigliederung des sozialen Organismus», die nicht von dem Paradies auf Erden spricht, sondern von dem, was lebensfähig als sozialer Organismus ist, was leben kann. Gegenüber dieser Anschauung, die es ja involviert, daß ein solches Paradies auf Erden möglich sei, daß eine allgemeine, ideal wirkende Gesundung der Menschen durch bloße Einrichtungen auf dem physischen Plane sich herstellen lassen könne, gegenüber dieser Meinung steht mit einer ganz anderen Empfindungsfärbung da jene Meinung in alten Zeiten, die ich versuchte, Ihnen zu charakterisieren, indem ich sagte, diese Meinung ging dahin: Alle Menschen, insofern sie hier auf dem physischen Plane leben und wirken, sind bis zu einem gewissen Grade mit Krankheitsanlagen behaftet und bedürfen fortwährend der Heilung. - Denn diese Anschauung fußte auf dem Folgenden. Sie sagte: Hier in der physischen Welt kann der Mensch dasjenige tun, was zu Einrichtungen auf diesem physischen Plane führt. Der Mensch kann dasjenige tun, was seine Wirtschaft besorgt, was sein Recht besorgt und so weiter. - Aber wenn alles das, was so besorgt wird, nur durch seine eigene Kraft fortläuft, wenn nichts hineinwirkt als dasjenige, was sich auf die äußeren Institutionen des physischen Planes bezieht, dann wird der physische Organismus der Menschheit immer kränker und kränker.
Man kann nämlich gar nicht durch äußere Maßnahmen einen gesunden ~ sozialen Organismus hervorrufen, sondern nur einen solchen, der immer kränker und kränker wird. Damit er das nicht werde, hat man nötig, parallel gehen zu lassen den Maßnahmen, die für die physische Welt getroffen werden, geistiges Leben. Und dieses geistige Leben wirkt so, daß es gewissermaßen die Krankheitskeime, die sich fortwährend in dem Menschen erzeugen, paralysiert. Jede Erkenntnis, so dachte man, die nicht darauf hinausläuft, das sich fortwährend bildende Gift der sozialen Ordnung zu resorbieren, jede solche Erkenntnis ist ein
Unding in der Menschheit. Erkenntnisprozeß ist Heilungsprozeß. Und würde, so dachte man in alten Zeiten, die Erkenntnis für irgendeine Epoche ganz aussetzen, dann würde der soziale Organismus in Krankkeit verfallen. Daher bezeichnete man erkennende Kraft von vornherein als heilende Kraft; und erst im Laufe der Zeit haben sich abgesondert von dem Mysterienerkenner - der zu gleicher Zeit Führer der sozialen Ordnung, Arzt und Priester war - der Arzt, der Lehrer, der Priester und so weiter. Das hat sich alles erst aus dem herausdifferenziert, was gemeinsam in dem Menschen lebte, der jene Erkenntnis in sich besaß, die zu gleicher Zeit durch ihre Eigenart die Medizin der Menschheit war. Man hat sich auch in älteren Zeiten der Menschheitsentwickelung viel, viel weniger mit einzelnen Krankheiten befaßt als heute. Man hatte über diese einzelnen Erkrankungen seine besonderen Ansichten, die man dem einzelnen Menschen gar nicht einmal sagen durfte, denn sie verletzten sein Gefühl, sie kamen ihm grausam vor. Aber dafür war dasjenige, was man trieb, was man versuchte zu schöpfen aus tiefen Erkenntnisquellen, gedacht als soziale Medizin.
Solch eine Anschauung konnte allerdings nur vorhanden sein mit ihrer ganzen Kraft in einer Zeit, in der der Mensch anders zu sich selbst stand als heute. Wir haben es ja öfters besprochen, daß der Intellektualismus, der heute insbesondere auch im Erkennen herrscht, im Grunde genommen auch nur, so wie er heute herrscht, in dieser Form zwei, drei, vier Jahrhunderte alt ist. Dieser Intellektualismus, der sein Ideal in durch abstrakte Begriffe wahrzunehmenden Naturgesetzen sieht, der greift nicht ein in die menschliche Persönlichkeit. Ich habe es Ihnen öfters charakterisiert, wie dieses Nichteingreifen sich darstellt. Stellen Sie sich einmal den heutigen Studenten irgendeiner Wissenschaft vor, irgendeines Wissenschaftsgebietes an einer unserer gebräuchlichen Lehranstalten über die ganze zivilisierte Welt hin. Es ist so, daß man sagen muß: Dieser Student sitzt da, er hört nur mit seinem Kopf, mit seinem Verstande, mit seinem Intellekt dasjenige an, was ihm vorgebracht wird, sieht dasjenige an, was ihm vorexperimentiert wird; aber in einem sehr geringen Grade ist sein Gemüt, sein Herz, sein ganzer Mensch beteiligt bei dem, was da vorgebracht wird. Das war bei der alten Mysterienweisheit nicht so. Da konnte man nicht in
dieser Weise gleichgültig bleiben. Da war alles, was auf den Kopf wirkte, was auf den Intellekt wirkte, zu gleicher Zeit den ganzen Menschen ergreifend, das war Gemüt und Willen erfassend, das war so, daß man eben als ganzer Mensch dabei sein konnte. Durch das abstrakte Denken, durch das abstrakte Naturforschen ist auch unser Leben abstrakt geworden, so abstrakt geworden, daß der Mensch heute kaum ein Organ hat, dasjenige noch im rechten Lichte zu sehen, was verbunden war mit dem ganzen sozialen Leben einer alten Menschheit. Wir haben öfters auch hier schon gesprochen von dem, was man im hebräischen Altertum den unaussprechlichen Namen des Gottes genannt hat, der dann in der Folge aussprechbar wurde in der Laut- folge J-A-H-V-E. Warum war dieser Name unaussprechlich? Weil, wer ihn in jenen alten Zeiten aussprach, durch die Gewalt der Laute die alltägliche Gesinnung, das alltägliche Bewußtsein abgedämpft erhielt. Eine andere Welt stand vor ihm auf, und gefährlich war es, den Namen auszusprechen, weil die gewöhnliche Besinnung schwinden mußte. Es war tatsächlich so, daß der Mensch fühlte: Wenn dieser Name vibriert durch seine Leiblichkeit, dann ist er als Mensch in eine andere Welt entrückt, in eine Welt, in der andere Dinge vorgehen als in dieser physischen Welt. - Das ist eine Seelenverfassung des Menschen, von der der heutige Mensch keine Ahnung mehr hat, von der er nichts wissen kann. Denn eine Lautzusammenstellung hat heute nicht jene erschütternde Wirkung, die sie einstmals hatte.
Mit alldem hängt es zusammen, daß auch aufsteigen konnte aus jener anderen Seelen- und Leibesverfassung des alten Menschen mehr, als heute aus der Seelen- und Leibesverfassung des Menschen aufsteigen kann. Heute steigt aus dieser Seelen- und Leibesverfassung zunächst das Organische auf. Hunger, Durst, andere Emotionen steigen auf, diese oder jene Begehrungen, diese oder jene Gemütsbewegungen, diese oder jene Sympathien und Antipathien steigen auf. All das, was so aufsteigt aus der Organisation des Menschen, es bezieht sich im Grunde genommen auf den einzelnen Menschen, auf das einzelne menschliche Ego. A,ber bei den alten Menschen kam herauf mit Hunger und Durst, mit den Begehrungen, die sich aufs gewöhnliche Leben beziehen, Offenbarung eines Göttlichen. Der alte Mensch fühlte in dem, was er gewissermaßen
aus seiner eigenen Leiblichkeit und aus seiner eigenen Seelischkeit heraus verwendete, den Gott mit, der wie in der Natur so auch in ihm wirkte. Das, was aufstieg, das ließ in diesen alten Menschen die Fähigkeit erstehen, in der ganzen umgebenden Natur nicht nur das zu sehen, was wir heute sehen, sondern zu sehen Geistiges. Davon macht sich der heutige Mensch überhaupt nicht gern eine Vorstellung, daß selbst das Auffassungsvermögen beim früheren Menschen anders war als beim heutigen Menschen.
Dieses Vorurteil ist ja allerdings ein recht begreifliches, das darin besteht, daß man annimmt, so, wie wir heute die Welt sehen, habe man sie immer gesehen. Aber selbst äußerliche Tatsachen beweisen für den, der nur solche Beweise haben will, mit aller nur nötigen Klarkeit, daß selbst schon die Griechen - wir brauchen also nicht weit zurück- zugehen in der Entwickelung der Menschheit - die den Menschen um- gebende Natur anders gesehen haben als wir. Geisteswissenschaft kommt durch das geistige Schauen mit voller Klarheit darauf; aber auf das, was in dieser Beziehung Geistesschau mit voller Klarheit an die Oberfläche bringt, kann man auch schon durch die äußere Erkenntnis der physischen Tatsachen kommen, wenn man in der griechischen Literatur Umschau hält und die eigentümliche Tatsache bemerkt, daß die Griechen ein Wort hatten für Grün: chlor6s. Aber kurioserweise bezeichneten sie mit demselben Worte, das sie für das, was wir Grün nennen, anwendeten, den gelben Honig und die gelben Blätter im Herbst; die gelben Harze bezeichneten sie so. Die Griechen hatten ein Wort, welches sie gebrauchten, wenn sie dunkle Haare benennen wollten; mit demselben Wort bezeichneten sie den Stein Lapislazuli, den blauen Stein. Niemand wird annehmen können, daß die Griechen blaue Haare hatten. Solche Dinge kann man wirklich bis zu einem hohen Grade von Beweiskraft bringen, und man sieht daraus, daß die Griechen einfach als Volk Gelb von Grün nicht unterschieden haben, Blau als Farbe nicht so bemerkt haben wie wir, daß sie alles lebendig nach dem Rötlichen, nach dem Gelblichen hin gesehen haben. Das alles wird noch bekräftigt dadurch, daß uns die römischen Schriftsteller erzählen, die griechischen Maler hätten mit nur vier Farben gemalt, mit Schwarz und Weiß, mit Rot und Gelb.
Wenn wir nach unseren heutigen Erfahrungen der Farbenlehre ,urteilen, so müssen wir sagen: Eine wesentliche Eigenschaft der Griechen war, daß sie blaublind waren, daß sie auch die blaue Nuance in dem Grün nicht gesehen haben, sondern nur die gelbe Nuance. Die ganze Umgebung war für die Griechen viel feuriger, weil sie alles nach dem Rötlichen hin gesehen haben. Bis in diese Art, zu sehen, geht dasjenige, was Entwickelungsmetamorphosen in der Menschheit sind. Wie gesagt, man kann das äußerlich zeigen. Die Geistesschau zeigt es mit aller Deutlichkeit, daß der Grieche sein ganzes Farbenspektrum nach der Rotseite hin verschoben hatte und nicht empfand nach der blauen und violetten Seite hin. Das Violett sah er viel röter, als wir es sehen, als es der heutige Mensch sieht. Würden wir nach unserer heutigen Augenvorstellung die Landschaft malen, die der Grieche gesehen hat, so müßten wir sie eben mit ganz anderen Farben malen, als wir heute gewöhnt sind. Und das,was wir als Natur sehen, kannte der Grieche nicht, und dasjenige, was der Grieche als Natur sah, kennen wir nicht. Die Entwickelung der Menschheit schreitet eben metamorphosisch vorwärts, und das Wesentliche ist, daß die Zeit, in der der Intellektualismus heraufgestiegen ist, in der der Mensch nachdenklich wurde - der Grieche war nicht nachdenklich, der Grieche lebte gegenständlich in der natürlichen Welt -, die gleiche Zeit ist, in der sich umsetzte die Empfindung für die dunkle Farbe, für das Blaue, für das Blau-Violette. Nicht verändert sich bloß das Innere der Seelen, sondern es verändert sich auch dasjenige, was von der Seele in die Sinne hineinlebt.
So können Sie sich sagen: Schon mit Bezug auf die Fähigkeiten unserer Sinne sind wir heute, in der fünften nachatlantischen Zeit, andere Menschen als sogar noch die Menschen, die charakteristische Menschen der vierten nachatlantischen Periode, der griechisch-lateinischen waren. Das alles hängt mit dem vorigen zusammen. In der Zeit, in der noch aus den Emotionen, aus den Sympathien und Antipathien, selbst aus dem Körperlichen, wie Hunger und Durst und Sättigung, aufstiegen spirituelle Kräfte, da ergossen sich diese spirituellen Kräfte bis in die Sinnesorgane hinein. Und die gewissermaßen aus dem Unterleiblichen heraufströmenden, sich in die Sinnesorgane hineinergießenden Kräfte, sie sind für den Sinn des Auges diejenigen, die vorzugsweise die gelben
und die roten Farbennuancen beleben, die Fähigkeit beleben, diese Farbennuance wahrzunehmen. Wir sind heute in das Zeitalter eingetreten, wo das Umgekehrte zu einer wichtigen Aufgabe der Menschheit wird. Die Griechen waren noch so organisiert, daß ihre schöne Weltanschauung dadurch durch ihre Sinne vermittelt wurde, daß in diese Sinne sich hineinergoß ihr durchgeistigtes organisches Leben. Wir habei` unterdrückt als Menschheit durch Jahrhunderte dieses durchgeistigte organische Leben. Wir müssen es von der Seele aus, vom Geiste aus wieder beleben. Wir müssen uns die Fähigkeit aneignen, ins SeelischGeistige einzudringen, wie das Geisteswissenschaft vermitteln will. Und indem wir uns die Fähigkeit aneignen, ins Geistig-Seelische hin- einzudringen, wie das Geisteswissenschaft vermitteln will, werden wir den umgekehrten Weg machen. Bei den Griechen war es so, daß von dem Leiblichen aus gewissermaßen die Strömungen gingen und sich ergossen bis ins Auge hinein (siehe Zeichnung, rot); bei uns muß das
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Umgekehrte stattfinden. Wir müssen das Geistig-Seelische ausbilden (siehe Zeichnung, blau), die Strömung muß sich von diesem GeistigSeelischen nach der Organisation des Menschen erstrecken, und wir
müssen vom Geistig-Seelischen die Strömungen in das Auge und in die anderen Sinne hineinbekommen. Der umgekehrte Weg muß derjenige der Zukunftsmenschheit werden gegenüber dem, der bis in die Mitte der vierten nachatlantischen Kultur der Weg der Menschheit war. Dann wird aus dem nachdenklichen Menschen wiederum der geisterkennende, der in einer anderen Form geist-erkennende Mensch, der von oben angelegt wird. Wir sind hineingewachsen in die Empfänglichkeit für den blauen Teil des Spektrums.
Wenn ich das schematisch aufzeichnen wollte, so müßte ich so zeichnen: Der Grieche war vorzugsweise empfänglich in dem Rot, er lebte
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in dem Rot. Der Grieche lebte sich in diesen Teil des Spektrums hinein (siehe Zeichnung, links); wir müssen uns in diesen Teil (siehe Zeichnung, rechts) des Spektrums immer mehr und mehr hineinleben. Aber indem wir uns in diesen Teil des Spektrums hineinleben, indem wir in einer gewissen Weise immer mehr und mehr lieb gewinnen die blaue und blau-violette Farbe, müssen sich ja unsere Sinnesorgane völlig ummetamorphosieren, umwandeln.
Die Sinnesorgane müssen in ihrer feineren Struktur etwas ganz anderes werden, als sie waren. Was sich da hineinergießt in die Sinnesorgane, das ist dasjenige, was allmählich auf naturgemäßemWege durch das Auge zum Beispiel die Imagination ausbildet, durch das Ohr die Inspiration, durch den Wärmesinn die Intuition. Es müssen also ausgebildet werden: durch das Auge: Imagination, durch das Ohr: Inspiration, durch den Wärmesinn: die Intuition.
Die feinere Struktur im Gange der menschlichen Entwickelung, die feinere Struktur des menschlichen Organismus im Gange der menschlichen Entwickelung macht eine Metamorphose durch, wird eine andere.
Auf solche Dinge muß der Mensch der Gegenwart hinsehen, denn er steht drinnen in einem wichtigen Ubergangszeitpunkt; er steht drinnen in der Zeit, in der sich entscheiden muß, ob er wohl kann den Übergang finden, gewissermaßen die Eindrücke von oben zu empfangen. Wir dürfen nicht beim bloßen Intellektualismus bleiben, wir müssen den Intellektualismus vergeistigen und verseelischen. Dann wird aber dasjenige, was als Geistiges und Seelisches sich in uns ausbildet, bis in die menschliche Organisation hinein wirken. Und wenn wir es nicht ausbilden? Wenn irgendein Organ zu etwas bestimmt ist und man gebraucht es nicht dazu, stirbt es ab, ertötet sich. Da haben Sie in der menschlichen Organisation selber, was eine alte Zeit aus anderen Erkenntnisvoraussetzungen heraus für die Entwickelung der ganzen Menschheit angenommen hat. Sehen Sie auf Ihre Augen hin: in diese Augen hinein muß sich ergießen dasjenige, was von oben herunter als spirituelles Leben in die Zukunftsmenschheit einströmen soll. Strömt es nicht ein, dann sind diese Augen dazu verurteilt, krank zu werden. Durch ihre eigene Natur müssen die Augen der Menschen krank werden, ebenso die Ohren, ebenso der Wärmesinn.
Was müssen wir denn suchen für eine Erkenntnis? Eine diese Krankheitsanlagen unseres eigenen Organismus heilende Erkenntnis. Wir müssen wiederum den Weg zurück finden zu der Auffassung, daß alle Erkenntnis, insofern sie an den Menschen heran will, einen medizinischen Charakter habe. Wir müssen wiederum den Begriff bekommen können, daß wir Erkenntnis um des Heilens willen zu suchen haben, daß Medizin nicht nur ist auch eine Erkenntnis unter anderen Erkenntnissen, und daß alle Erkenntnis im Entwickelungsprozeß der Menschheit ein Heilfaktor sein muß, weil die Menschheit es nötig hat, dasjenige, was in ihr auf dem physischen Plane entsteht, fortwährend geheilt zu bekommen. Nicht derjenige redet der Menschheit das Richtige vor, der ihr ein irdisches Paradies verspricht, sondern derjenige allein redet die Wahrheit, der den Menschen klarmacht: Auch wenn wir alles
tun, um brauchbare irdische Zustände herzustellen, so muß der Mensch seinen Zusammenhang mit der geistigen Welt suchen! - Denn selbst die besten irdischen Zustände müssen fortwährend geheilt werden, geheilt werden bis in den menschlichen Organismus hinein. Auch dieser ist fortwährend mit Krankheitsanlagen durchsetzt. Das heißt, es muß ein Geistesleben in der Menschheit da sein, welches die Kraft hat, heilende Mächte aus sich heraus zu bilden.
Unter den mancherlei Gründen, die dazu geführt haben, aus anthroposophisch orientierter Weltanschauung die Idee der «Dreigliederung» zu gebären, sind auch diejenigen, die Sie entnehmen können aus meinen heutigen Auseinandersetzungen, denn diese Idee der Dreigliederung ist eine solche, daß man hinschauen kann in diese Ecke, in jene Ecke, in eine dritte und vierte Ecke der Menschheitsentwickelung - wenn man nur richtig beobachten kann, so ergibt sich für die heutigen, wirklich das Wahre wollenden menschlichen Fähigkeiten die Notwendigkeit dieser Dreigliederung. Diejenigen, die da glauben, mit ihrem bißchen Logik, wenn sie einmal von dieser Dreigliederung hören, irgend etwas nicht gleich verstehen zu können oder es mit irgend etwas in Widerspruch zu finden, die sollten warten, bis sie sich genauer mit der Sache bekanntmachen. Dann werden sie sehen, daß es nicht einen Beweis oder eine Beweisströmung für die Notwendigkeit der Dreigliederung gibt, sondern unzählige. Denn wohin man schaut, überall gibt es Beobachtungen, die unabhängig von den anderen dasjenige beweisen> was ich nennen könnte: notwendiges Auftreten der Idee von der «Dreigliederung des sozialen Organismus» in unserer heutigen Gegenwart. Und eine der allerwichtigsten Ecken ist doch die Erkenntnis, die Erfassung der Menschenwesenheit selber. Aber wo ist denn die heutige Wissenschaft, die so stolz auf ihre Abstraktion ist, geneigt, auf das wirklich Konkrete einzugehen? Noch der Grieche hatte ein deutliches Bewußtsein davon: Wenn er aufsteigen läßt seine Emotionen, so offenbart sich ihm ein Göttliches. - Wir müssen erlangen die Fähigkeit, herabzuholen aus geistigen Höhen die geistigen Seelenkräfte, und sie müssen uns eine Natur offenbaren, sie müssen uns zeigen, wie die Natur ist. Das heißt, wir müssen uns klarwerden können, daß wir durch äußeres An- schauen die Natur nicht erkennen können, sondern nur mit denjenigen
Sinnesorganen, die geschärft sind durch dasjenige, was sich von oben ergibt, mit einem Auge, das geschärft ist durch die Imagination, mit einem Ohr, das geschärft ist durch die Inspiration, mit einem Wärmesinn, der geschärft ist durch die Intuition, durch das selbstlose Erleben der Dinge und Vorgänge, die in unserer Umgebung sind.
Aus dem Willen zum Heilen ist Wissenschaft geworden. In den Willen zum Heilen muß Wissenschaft wiederum einmünden. Was wir heute als Wissenschaft ansehen und so hoch als Autorität verehren, das ist nur ein Zwischenzustand, der aber eigentlich gerade auf sozialem Gebiet zu den fürchterlichsten Disharmonien führt. Von alledem wollen wir dann morgen weiter sprechen.
ZWEITER VORTRAG Dornach, 21. März 1920
Es wird mir heute obliegen, einiges von den Erkenntnissen, die früheren Betrachtungen zugrunde lagen, die einer größeren Anzahl unserer Freunde bereits bekannt sind, von da und dort her zusammenzuschließen mit dem, was ich gestern gesagt habe. Ich will nur noch einmal darauf aufmerksam machen, daß der wesentliche Inhalt des gestern Gesagten der war, daß ein solches gewissermaßen neutrales Erkennen, wie wir es gegenwärtig pflegen, im Grunde ein Geschöpf ist der neueren Zeit, daß sich ein solches gleichgültiges Erkennen, welches die Medizin als eine Wissenschaft neben die anderen hinstellt, eben erst im Lauf der letzten drei bis vier Jahrhunderte herausgebildet hat, während alles Erkennen in alten Zeiten abgezielt hat auf das Heilen; und Erkennen und Auffinden von Mitteln zur Heilung der Menschheit war ein und dasselbe in dem Sinne, wie ich das gestern angedeutet habe.
Nun wissen Sie aus verschiedenen Andeutungen, die da oder dort in Vorträgen gemacht worden sind, daß in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts ein wichtiges geistiges Ereignis hineinfällt, daß in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts gewissermaßen hinter den Kulissen der Weltgeschichte, der äußeren physischen Weltgeschichte Bedeutendes geschehen ist. Um für dieses Ereignis einen Namen zu haben - man könnte ja ebensogut einen anderen Namen dafür haben -, haben wir es genannt den Sieg jenes Erzengelwesens, das wir bezeichnen als den Erzengel Michael, über entgegengesetzte geistige Kräfte. Dieses Ergebnis, wir wollen es zunächst einmal als einen Vorgang der geistigen Welt betrachten, mit der unsere Menschengeschichte zusammenhängt. Solche Ereignisse spielen sich so ab, daß sie sich zunächst in der geistigen Welt vorbereiten. Von dem Ereignis, das ich jetzt meine, könnte man etwa sagen, es habe sich vorbereitet seit dem Jahre 1842. Es ist dann in der geistigen Welt zu einer gewissen Entscheidung gekommen etwa 1879, und es liegt die Notwendigkeit vor, daß die Menschen auf der Erde im Einklange mit diesem geistigen Ereignis sich verhalten seit dem Jahre 1914. Dasjenige, was seit dem Jahre 1914 geschehen
ist, das ist im wesentlichen ein Anstürmen der menschlichen Borniertheit gegen dasjenige, was eigentlich geschehen sollte nach der Meinung derjenigen geistigen Mächte, welchen die Führung der Menschheit obliegt. So daß wir also sagen können: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der ersten Zeit des 20. Jahrhunderts ging hinter den Kulissen unserer Menschheitsentwickelung sehr Bedeutsames vor, was ja ist eine Aufforderung an die Menschheit, sich so zu verhalten, wie es diese geistigen Wesen wollen: einen Umschwung herbeizuführen, etwas zu tun, was eine neue Art von Zivilisation in die Menschheit bringt, eine neue Art der Auffassung des sozialen Lebens, des künstlerischen Lebens, des geistigen Lebens auf der Erde überhaupt. Solche Ereignisse waren in der Menschheitsentwickelung wiederholt da. Die äußere Geschichte verzeichnet solche Ereignisse wenig, weil die äußere Geschichte eben doch eine Fable convenue ist, aber diese Ereignisse waren eben wiederholt da. Dasjenige Ereignis, welches sich vergleichen läßt mit dem erwähnten, liegt etwa dreihundert Jahre vor Christi Geburt, ein weiteres zurückliegendes liegt etwa in der Mitte des 3. Jahrtausends vor Christi Geburt:
Nun besteht aber in bezug auf die Menschheit ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen dem Erleben dieser zwei Ereignisse und dem Erleben desjenigen Ereignisses, das sich abgespielt hat im 19. und 20. Jahrhundert; denn die meisten von Ihnen haben ja wenigstens teilweise noch miterlebt die Ereignisse von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von dem Beginne des 20. Jahrhunderts, und die meisten von Ihnen werden auch wissen, wie wenig die Menschheit als solche Notiz genommen hat davon, daß ein Umschwung im geistigen Leben wirklich stattfinden sollte.
Die Menschheit wird durch die Not dazu gezwungen werden, von dieser Notwendigkeit Notiz zu nehmen. Und nicht eher wird die Not aufhören, bis eine genügend große Anzahl von Menschen auch mit
Bezug auf die Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten Notiz genommen haben wird von dieser Notwendigkeit. Wir können die Frage aufwerfen: Warum haben die Menschen keine Notiz genommen? Und war das auch gegenüber den beiden anderen Erlebnissen, demjenigen des 3. Jahrtausends, demjenigen etwa im 3. Jahrhundert ebenso? - Nein, bei diesen Ereignissen war es eben durchaus nicht so. Würde man richtig lesen können dasjenige, was die Seelengeschichte des griechischen, sogar des ja ein wenig grobkörnig veranlagten römischen Volkes ist, man würde vernehmen, daß in der Tat innerhalb des griechischen Volkes, innerhalb des römischen Volkes durchaus ein Bewußtsein vorhanden war: In der geistigen Welt geschieht etwas, auf das man Rücksicht nehmen muß. - Ja, gerade bei dem Ereignis, das um das Jahr 300 vor Christi Geburt liegt, können wir sehr gut sehen, wie es sich langsam vorbereitet, wie es auf einen gewissen Höhepunkt kommt und wie es sich dann auslebt. Die Menschen dieses 3., 4. Jahrhunderts vor Christi Geburt hatten ein deutliches Bewußtsein davon: Es geschieht etwas in der Geisteswelt, das spielt herein in die Welt der Menschen. - Und dasjenige, was sie da sahen, wir können es heute bezeichnen: das war die eigentliche Geburt der menschlichen Phantasie.
Sie wissen ja, die Menschen von heute sind schon einmal so, sie denken: So wie man heute denkt, wie man heute fühlt, so hat man immer gedacht, so hat man immer gefühlt. - Aber es ist nicht so, sondern sogar die Sinneswahrnehmungen haben sich im Laufe der Zeit geändert, wie ich Ihnen gestern gezeigt habe. Es war natürlich auch schon künstlerisches Schaffen vor dem 3. oder 4. Jahrhundert vor Christi Geburt da; aber dieses künstlerische Schaffen ging nicht aus dem hervor, was wir heute Phantasie nennen. Dieses künstlerische Schaffen ging aus einer wirklichen hellseherischen Imagination hervor. Diejenigen, die Künstler waren, konnten schauen, wie sich ihnen das Geistige enthüllte, und sie kopierten einfach das Geistige, das sich ihnen enthüllte. Das alte atavistische Hellsehen, die alte Imagination war dasjenige, was der Künstler zugrunde liegend hatte. Jene Phantasie, die damals erst auf- kam und die dann sich weiter ausbildete bis zu den Schöpfungen eines Leonardo oder Raffaei oder Michelangelo, um dann wieder talab zu gehen, diese Phantasie nimmt dazumal ihren Ursprung, diese Phanta
sie, die nicht so schafft, als ob ein Geistiges erscheint, imaginiert wird, sondern als ob man nur aus sich selbst heraus etwas anordnete, als ob man nur aus sich selbst heraus etwas gestaltete. Und daß sie mit der Phantasie begabt wurden, das schrieben die Menschen dieser Zeit zu einem Kampfe von göttlichen Wesen, die über ihnen walteten, in deren Auftrag sie auf der Erde handelten.
Noch viel, viel bedeutsamer vernahmen die Menschen in der Mitte des 3.Jahrtausends, etwa im Jahre 2500 vor Christi Geburt, wie ihr ganzes Sein eingespannt war in Ereignisse, die aus der geistigen Welt hereinragten in die physischen Ereignisse. Um diese Zeit, noch in der Mitte des 3. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung, hätte kein Mensch es sinnvoll gefunden, zu sagen: Hier wandeln die Menschen auf der Erde herum - und nicht zu sagen: Geistige Wesen sind da. - Das würde jedem Menschen ein Unsinn geschienen haben, denn man dachte sich die Erde bevölkert von dem, was physisch und geistig zugleich war.
Gegenüber der Art des Seelenlebens in jenen alten Zeiten ist diejenige allerdings etwas anderes, die im Laufe des 19. Jahrhunderts Platz gegriffen hat, denn die Menschen nahmen wahr, wie auf der Erde die profanen, die gewöhnlichen Ereignisse sich abspielten. Daß aber da ein bedeutender Geisteskampf dahintersteht, das nahmen die Menschen nicht wahr. Woher kommt das, daß sie das nicht wahrnahmen? Das kommt gerade von der Eigentümlichkeit dieses unseres Zeitalters, das, wie Sie wissen, um die Mitte des 15. Jahrhunderts begonnen hat, und in dem wir noch drinnenstehen, das wir als den fünften nachatlantischen Zeitraum bezeichnen. In diesem Zeitalter, also in dem, in dem wir drinnenstehen, da ist die hervorragendste, die bedeutsamste Kraft, deren sich der Mensch bedienen kann, der Intellekt. Die Menschen sind seit dem 15. Jahrhundert besonders groß geworden als intelligente Wesen. Sie sind heute noch stolz darauf, die Menschen, daß sie so inteliigente Wesen sind. Man soll nur ja nicht glauben, daß nicht auch eine andere Form von Intelligenz in früheren Zeiten vorhanden war, nur wurde diese Intelligenz zugleich mit einem gewissen Schauen geboren. Es wurde diese Intelligenz mit einem gewissen geistigen Inhalte zugleich in dem Menschen geschaffen. Wir haben eine Intelligenz, die eigentlich keinen wirklichen geistigen Inhalt hat, die eigentlich bloß
formell ist, denn unsere Begriffe und Ideen haben eigentlich in sich selbst nichts, sie sind nur Spiegelbilder von etwas. Unser ganzer Verstand ist eine Summe von bloßen Spiegelbildern von etwas. Das ist ja das Wesen jener Intelligenz, die sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ganz besonders entwickelt hat, daß der Verstand nur ein Spiegelungsapparat ist. Aber solches, wie es sich da spiegelt, das hat im Grunde genommen im Menschen keine Kraft. Das ist im Grunde genommen passiv. Das ist ja das eigentümliche desjenigen Verstandes, auf den die gegenwärtige Menschheit so stolz ist, daß dieser Verstand passiv ist. Wir lassen ihn auf uns wirken, wir geben uns ihm hin. Wir entwickeln wenig Willenskraft in diesem Verstande. Das ist heute das hervorragendste Kennzeichen der Menschen, daß sie eigentlich den tätigen Verstand hassen. Wenn sie irgendwo sein sollen, wo ihnen zugemutet wird, mit dem, was vorgebracht wird, mitzudenken, so ist das langweilig, sehr langweilig. Da beginnt das allgemeine Einschlafen sehr bald, wenigstens das seelische Einschlafen: sobald gedacht werden soll. Dagegen wenn es ein Kinematograph ist, wenn man nicht zu denken braucht, sondern wenn das Denken eher eingeschläfert wird, wenn man bloß zu sehen braucht und nur sich passiv hinzugeben dem, was sich abspielt, und wenn die Gedanken so wie selbständige Räder ablaufen, da fühlt sich der Mensch heute befriedigt. Es ist der passive Verstand, an den sich die Menschen gewöhnt haben. Dieser passive Verstand hat keine Kraft, denn dieser passive Verstand, was ist er denn eigentlich? Man lernt sein Wesen kennen, wenn man sich erinnert, wie die Arten des menschlichen Wissens noch eingeteilt waren in alten Mysterienschulen. Da hat man drei Arten des Wissens unterschieden: Erstens jenes Wissen, das da kommt aus dem physischen Leben des Menschen, das gewissermaßen aufsteigt aus dem physischen Miterleben der Welt, man könnte sagen: das physische Wissen; zweitens das intellektuelle Wissen, jenes Wissen, das man selber bildet, hauptsächlich in der Mathematik, jenes Wissen, in dem man drinnenlebt, das intellektuelle Wissen; drittens das geistige Wissen, dasjenige Wissen, das nicht aus dem Physischen, sondern aus dem Geistigen kommt. Von diesen drei Arten des Wissens ist in unserem Zeitalter besonders gepflegt und besonders beliebt das intellektuelle Wissen. Es ist förmlich ein Ideal geworden, dem geistigen Leben
so gegenüberzustehen, wie man gewohnt worden ist, der Mathematik gegenüberzustehen, dem geistigen Leben mit einer gewissen Neutralität, mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüberzustehen. Es ist eigentlich unerhört, aber wahr, daß in unserer Zeit auch die Träger des Wissens, zum Beispiel Hochschulprofessoren, wenn sie die Türen hinter sich zugemacht haben und draußen sind, daß sie dann so schnell wie möglich etwas anderes treiben wollen, was nicht mit ihrem Wissen zu- sammenhängt. Es ist ein abstraktes Hingeben an das Wissen, und das, das geht eigentlich recht tief.
Als ich vor ein paar Tagen in Zürich öffentlich vortrug, da griff in die Diskussion ein Proletarier ein. Da ich etwas erwähnt hatte von der Waldorfschule und von dem Ersatz des den Geist wirklich tötenden Stundenplanes, da meinte er: Ein solcher Stundenplan würde aber zu lang bei einem Gegenstande stehenbleiben, man müßte schon Abwechslung haben; wenn den Kindern ein Gegenstand von acht bis neun zu langweilig geworden ist, dann muß von neun bis zehn ein anderer Gegenstand kommen, sonst wird es den Kindern zu langweilig! - Ich konnte natürlich nur erwidern: Das ist nicht die Aufgabe der Waldorfschule, auf die Langweiligkeit zu rechnen, sondern dafür zu sorgen, daß es den Kindern nicht langweilig wird, daß die Kinder wirklich dabei sind bei der Sache; das ist gerade die Aufgabe jener Pädagogik und Didaktik, die in der Waldorfschule gepflegt werden soll. - Es ist also so sehr den Leuten in Fleisch und Blut übergegangen, daß eigentlich das geistige Leben langweilig ist, und daß man vom geistigen Leben loskommen muß, ja nicht im Fach aufgehen muß. Das kommt aber lediglich davon her, daß unser ganzes intellektuelles Leben eigentlich nur aus Bildern besteht, aus Spiegelbildern, daß wir nicht Substanz in diesem geistigen Leben haben.
Ein solches, nicht von Substanz erfülltes Geistesleben, das ist eigentlich abgeschlossen, sowohl abgeschlossen von der physischen Welt, wie abgeschlossen von der geistigen Welt. Eigentlich weiß unsere Zeit weder von der physischen Welt noch von der geistigen viel. Sie weiß eigentlich nur von dem, was sie sich selber ausdenkt. Wegen dieses Charakters unserer Intellektualität als einer Summe von Spiegelbildern war der Mensch des 19. Jahrhunderts ausgeschlossen davon, etwas zu wissen
von dem, was geistig hinter den Kulissen der Weltgeschichte vor- ging. Er erlebte jenen großen, bedeutsamen Umschwung nicht mit, der sich im Geistigen hinter der äußeren Weltgeschichte vollzog in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und er muß erst durch eigene Anstrengungen lernen, daß die physische Welt folgen müsse der geistigen Welt. Er wird es lernen müssen, denn wenn er es nicht lernt, wird die Not immer größer und größer werden und die Zivilisation wird über die ganze gegenwärtige zivilisierte Welt hin in Barbarei übergehen. Um das zu vermeiden, ist eben notwendig, daß der Mensch gewahr werde innerlich, daß er ebenso etwas erleben müsse, wie erlebt worden ist um das Jahr 300 vor Christi Geburt die Geburt der Phantasie. So muß in unserer Zeit erlebt werden die Geburt des tätigen Verstandes: damals die tätige Einbildungskraft, jetzt die Geburt des tätigen Verstandes. Dazumal entstand die Möglichkeit, durch Nachschaffung von äußeren Formen phantasievoll zu gestalten. Jetzt muß die Menschen ergreifen ein inneres kraftvolles Schaffen von Ideen, durch die sich jeder selber ein Bild seines eigenen Wesens macht und sich dieses vorsetzt als dasjenige, dem er nachstrebt. Selbsterkenntnis im weitesten Umfange des Wortes muß die Menschen ergreifen; aber nicht eine Selbsterkenntnis, in der man nur brütet über dasjenige, was man gestern gegessen hat, sondern eine Selbsterkenntnis, die es bringt bis zu einem Betätigen des eigenen Wesens. Und diese Selbsterkenntnis wird von der Entwickelung des Menschen, der eben zur Geburt des tätigen Verstandes aufsteigen muß, klar gefordert.
Es wird so kommen, daß die Menschen in der gewöhnlichen Erinnerung, in dem gewöhnlichen Gedächtnis etwas sehr Eigentümliches finden werden. Heute geht es gerade noch an, weil man etwas grobkörnig geworden ist und die Dinge nicht bemerkt, die eigentlich schon in der Seele des Menschen vorhanden sind. Heute geht es gerade noch an, daß, wenn man zurückdenkt in seinem eigenen Leben, daß dann aus diesem eigenen Leben, in das man zurückblickt, nur die Erinnerungen an die gewöhnlichen Erlebnisse kommen. Aber das ist nicht mehr rein so, das ist eigentlich nicht mehr ganz so, sondern es kommen immer wiederum und wiederum Menschen unter uns vor, die schon etwas anderes erleben, die, wenn sie zurückdenken, was sie vor zehn, zwanzig Jahren erlebt haben,
so kommt ihnen nicht nur dasjenige herauf, was sie erlebt haben, sondern es kommt ihnen herauf etwas, was sie nicht erlebt haben, was aber aus dem Erlebten wie eine selbständige Wesenheit aufsteigt. Und die psychoanalytische Torheit, die prüft in den Seelen das Zurückliegende ohne eine Erkenntnis des Wesens der Gegenwart. Dasjenige, was die törichte Psychoanalyse nicht finden kann, das muß Geisteswissenschaft vor die Menschen hinstellen, daß in der Tat, wenn wir von irgendeinem Lebensalter - sagen wir von unserem 45. Jahre - zurückschauen und alle die Wogen der Erlebnisse wie so eine Strömung erblicken
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(siehe Zeichnung), so sind darinnen nicht nur diese Erlebnisse, die wir durchlebt haben; das war gewissermaßen einmal so, und eine große Anzahl etwas «dickschleimiger> Menschen, die erleben auch heute noch nichts anderes. Derjenige, der sensitiv ist für solche Sachen, der erlebt, daß bei einer Rückschau auf das Leben nicht nur diese gewöhnlichen Erlebnisse vorhanden sind, sondern er erlebt etwas, was da herausragt (rot), was er nicht erlebt hat, sondern das wie dämonisch aus den vergangenen Seelenerlebnissen herauskommt. Und das wird immer stärker und stärker werden. Wenn die Menschen nicht lernen, auf so etwas aufmerksam zu sein, dann werden sie darüber den Verstand verlieren. Das ist die Gefahr der menschlichen Entwickelung in die Zukunft hinein. Und über so etwas darf man sich nicht Illusionen machen, denn das ist so. In den Erlebnissen, die der Mensch durchmacht, wird sich ein Neues zeigen, das nur mit diesem tätigen Verstande zu ergreifen ist. Das ist etwas außerordentlich Bedeutsames! Wie in dem Lebensalter des einzelnen Menschen Neues auftritt nach dem Zahnwechsel,
nach der Geschlechtsreife und so weiter, so tritt in der ganzen Menschheit nach einem bestimmten Zeitalter eine solche Metamorphose ein, und die Metamorphose unseres Zeitalters kann man in dieser Weise charakterisieren, daß, wenn man sich zurückerinnert auf sein Leben manchmal - man kann es schon bei der Rückerinnerung, die man über einen Tag macht, bemerken -, man nicht nur sich erinnert an dasjenige, was man im grobklotzigen Sinne erlebt hat, sondern daß herausquellen aus diesen Erlebnissen dämonische Gestaltungen. So ist es ungefähr, wie wenn man sich sagen müßte: Ja> wir haben das und das erlebt; aber nachträglich träume ich jetzt aus diesen Erlebnissen heraus Tagträume, die nachher aus diesen Erlebnissen herauskommen.
Das wird zum Normalen gehören, man muß auf das aufmerksam sein. Das aber wird von den Menschen fordern, daß der Mensch innerlich viel aktiver werde, daß er jenes Passive überwinde, das die gegenwärtige Menschheit hat und das den Menschen zur Verzweiflung treibt gegenüber den großen Anforderungen der Zeit. Dieses Passive muß von der Menschheit überwunden werden. Was heute an Schläfrigkeit in der Menschheit waltet, dieses Sich-nicht-aufraffen-Können, die Dinge ernst und würdig zu nehmen, das ist ja allerdings etwas Furchtbares. In unserer Zeit haben viele Menschen gar nicht die Fähigkeit, über irgend etwas entrüstet zu sein. Wer aber nicht entrüstet sein kann über das Schlechte, kann nicht über das Gute begeistert sein. Wenn aber dieser tätige Verstand Besitz ergreift von den Menschen, dann wird damit etwas anderes verbunden sein. Und man kann sagen: Heute fürchtet sich noch die Menschheit vor jener Erfahrung, die sie da machen wird. - Denn, sehen Sie, man wird den Verstand dadurch kennenlernen, daß er tätig sein wird, man wird die gepriesene Intellektualität kennenlernen, und es wird sich herausstellen, was sie eigentlich ist, diese Intellektualität, was es ist, dieses Entstehen von Bildern. Man begreift es nur, wenn man etwas ins Auge faßt, was ich hier auch schon öfters auseinandergesetzt habe: Wir können fühlen, wir können wollen, indem wir leben, aber wir könnten nicht, wenn wir nur lebten, auch denken. Das könnten wir nicht. Wir können denken nur aus dem Grunde, weil wir fortwährend das Todesprinzip in uns tragen. Das ist dieses große Geheimnis der Menschen, daß gewissermaßen von den
Sinnen aus - wenn ich das Auge nehme als den Repräsentanten der Sinne (siehe Zeichnung) - fortwährend strömt durch dasjenige, was man als Nerv auffaßt, Zerstörendes in den Menschen hinein. Es ist, wie wenn der Mensch von den Sinnen aus durch die Nervenstränge mit einem sich zerbröckelnden Materiellen ausgefüllt würde. Wenn
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Sie sehen, wenn Sie hören, oder auch, wenn Sie nur Warmes fühlen, es ist wie ein von den Sinnen nach innen sich zerbröckelndes Materielles. Dieses sich zerbröckelnde Materielle, das muß erfaßt werden von demjenigen, was aus dem Inneren des Menschen ausströmt. Es muß gewissermaßen verbrannt werden. Wir müssen fortwährend, indem wir denken, gegen den in uns waltenden Tod kämpfen. Der Mensch weiß heute eben nicht, weil er sich nur bewußt ist seines Denkens als Spiegelbilder, daß er im Grunde genommen nur lebt mit dem, was nicht Kopf ist, daß der Kopf eigentlich nur ein fortwährend absterbendes Organ ist. Wir wären fortwährend der Gefahr des Sterbens ausgesetzt, wenn nur das geschehen würde, was in unserem Kopfe ist. Dieses fortwährende Sterben wird nur verhindert dadurch, daß der Kopf mit dem anderen Organismus verbunden ist und die Vitalität des anderen Organismus das Sterben verhindert. Wenn der Mensch sich aneignen wird diesen tätigen Verstand - so wie sich angeeignet hat die Menschheit in der Griechen-, in der Römerzeit die tätige Phantasie, während die Imagination des
alten atavistischen Hellsehens eine passive Phantasie war -, dann wird er in sich selber wahrnehmen das fortwährende Absterben eines Teiles seines Wesens. Das wird wichtig sein. Denn so, wie wir hineinwachsen müssen in einen Bewußtseinszustand, durch den wir das fortwährende Absterben eines Teiles unseres Wesens wahrnehmen, so hat eine alte Menschheit, die aber noch bis in die Griechenzeit hinein ragte, wahrgenommen dasjenige, was im Vitalitätsprinzip des Menschen lebt, was im Willen lebt und in dem mit dem Willen zusammenhängenden Stoffwechsel lebt. Da lebt dasjenige, was das Absterbeprinzip bekämpft, was fortwährend des Menschen Absterbeprinzip lähmt.
Man könnte sagen: In dieser Beziehung waren die Alten besser daran, als diejenigen sein werden, die da nachkommen in unserem Zeitalter. Die Alten haben wahrgenommen, indem sie ein instinktives Hellsehen gehabt haben, die Vitalität, das Leben. Mit dieser Vitalität, mit diesem Leben ist eben im Zusammenhange das Heilungsprinzip. Wir sterben zwar nicht dadurch, daß unser Kopf sterben will, aber wir tragen fortwährend Krankheitskeime in uns durch unseren Kopf dadurch, daß er das Organ unseres Denkens ist, und haben fortwährend nötig, den Tribut abzutragen an unser Denken, der darin besteht, daß wir dem krankmachenden Kopf entgegensetzen die Heilungskräfte des übrigen Organismus. Heute wird es noch wenig bemerkt, allein es werden auftreten Krankheitsformen - Sie wissen ja, daß sie sich ändern -, bei denen man den Ausgang aus dem menschlichen Haupte besser bemerken wird, als man das für viele Krankheiten der Gegenwart bemerkt. Dann wird man einsehen, daß im Grunde genommen der ganze gesunde Prozeß des Menschen, der in ihm verläuft, ein Heilungsvorgang ist gegen die Schädigung unseres Intellektlebens. Während die Alten also von ihrer Wissenschaft, von ihrer Erkenntnis sagen konnten, daß in ihr etwas Heilendes ist, wird man in der Zukunft sagen müssen: Das, was wir aus unserem Verstande machen, das, was aus dem wird, worauf wir heute so stolz sind, das wird uns in der Zukunft zeigen, daß, wenn es allein waltet, die Menschen nach und nach in die Dekadenz, in die völlige Dekadenz verfallen würden, daß dagegen geltend gemacht werden muß ein Wissen, das wiederum entgegenstellen kann heilende Kräfte.
Ich habe das gestern von einem anderen Gesichtspunkte aus angedeutet, heute mehr aus der Konstitution des Menschen heraus. Wir müssen einsehen, daß wir Geisteswissenschaft brauchen als den Träger eines neuen Heilungsprozesses. Denn wenn jener in bloßen Bildern lebende Intellekt, auf den heute die Menschheit so stolz ist, sich in dieser Richtung nur weiter ausbildet, dann würde durch das Walten dieses Intellektes die ganze Menschheit einen Krankheitsprozeß durchmachen. Diesem Krankheitsprozeß muß entgegengearbeitet werden. Ich könnte mir zwar denken, daß es auch Menschen geben könnte, die nunmehr sagen: Also verhindern wir einmal das Gescheitwerden durch den Verstand, schaffen wir den Intellekt ab - es gibt ja auch solche Menschen, die dafür sorgen möchten, daß der Intellekt sich nicht entwickelt -, dann braucht man seine Schäden nicht zu heilen. - Aber mit diesem jesuitischen Prinzip kann der wahre Fortschritt der Menschen nichts gemein haben, sondern es handelt sich darum, daß schon einmal die Entwickelung der Menschen so sein müßte, daß dasjenige, was aus des Menschen Seelenkräften sich entwickelte, das Heilsame, daß das herauf sich entwickelte bis zum Intellekt; sonst wird es sich abwärts entwickeln und den Menschen in den Niedergang hineinbringen. Dagegen muß sich geltend machen dasjenige, was aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis kommt und was fortwährend entgegenwirken kann den Niedergangskräften, die gerade aus dem einseitigen Intellekte kommen.
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Hier ist es, wo ich Sie auf etwas aufmerksam machen muß, auf etwas ganz Bestimmtes. Sie werden ja wissen, daß in demselben 19. Jahrhundert, in dem all das sich abgespielt hat, wovon ich Ihnen heute erzähle, worauf ich Sie öfters aufmerksam gemacht habe, daß da der Verstandesmaterialismus groß geworden ist. Menschen sind aufgetreten - ich brauche nur zu erinnern an Moleschott, Vogt, Clifford und so weiter -, die etwa den Satz vertreten haben: Alles Denken besteht nur in einem Stoffwechsel des Gehirns. - Von einem Phosphoreszieren des Gehirns hat man gesprochen, indem man sagte: Ohne Phosphor im Gehirn, kein Denken. - Also das Denken ist nur etwas, was ein Nebenprozeß ist einer gewissen Gehirnverdauung. Man kann nicht sagen, daß die Menschen, die das aufgebracht haben, zu den dümmsten ihres Zeitalters gehört haben. Denn - man mag über diesen Satz der theoretischen Materialisten denken, wie man will - man kann ja auch etwas anderes tun, man kann den Maßstab der Kapazität anlegen an die Menschen dieses Zeitalters und kann fragen: Waren nun solche Leute, wie Moleschott oder Clifford oder ähnliche, gescheiter, oder diejenigen, die aus irgendwelchen alten Bekenntnisvorurteilen es damals bekämpft haben, es bekämpft haben ohne Geisteswissenschaft? War Haeckel gescheiter, oder waren seine Gegner gescheiter? - Diese Frage kann heute noch immer aufgeworfen werden. Und wenn man nicht sein Urteil einrichtet nach seiner Meinung, sondern nach der Beobachtung der geistigen Kapazität, so kann man natürlich nicht sagen, daß die Gegner von Haeckel gescheiter waren als Haeckel, oder die Gegner von Moleschott und Clifford gescheiter waren als Moleschott und Clifford. Die Materialisten waren sehr gescheite Menschen, und dasjenige, was sie ausgesagt haben, war ganz gewiß nicht ohne Bedeutung. Woher kommt es denn? Was steckt eigentlich dahinter? Darauf muß man kommen, sich die Frage zu beantworten, was da eigentlich dahintersteckt. Gewiß, es traten dann auch ganz wohlmeinende Gegner der Materialisten auf, so zum Beispiel Moriz Carriere> von dem ich Ihnen auch schon gesprochen habe. Er sagte: Wenn das alles, was der Mensch denkt und in der Seele erlebt, nur vom Gehirn ausgekocht wird, so ist ja alles dasjenige, was von der einen Seite vorgebracht wird, ebenso ausgekocht wie dasjenige, was von der anderen Seite vorgebracht wird. Also ist eigentlich kein
Wahrheitsunterschied zwischen dem, was Moleschott und Clifford behaupten, und dem, was der Papst behauptet. - Es ist kein Unterschied, denn beides wird ausgekocht von dem menschlichen Gehirn. Man kann nicht unterscheiden zwischen wahr und falsch. Dennoch kämpfen die Materialisten für die Wahrheit, die sie allerdings in ihrem Sinne auslegen. Aber sie haben kein Recht, für die Wahrheit zu kämpfen; doch sie sind scharfsinnig, sie haben eine gewisse geistige Kapazität. Was liegt denn da eigentlich vor?
Da liegt das vor, daß diese Materialisten auftreten mußten in einem Zeitalter, in dem das Denken nur in Bildern abgefaßt, in Bildern lebt, und Bilder sind nicht da, ohne daß ein Spiegelapparat abläuft, und der Spiegelapparat ist das Gehirn. Für das gewöhnliche Denken, für das Denken, das im 19. Jahrhundert groß geworden ist, haben nämlich die Materialisten recht. Das ist die Tatsache. Nicht recht hätte der Materialismus nur dann, wenn er behaupten würde, alles Denken, das über den Intellekt hinausgeht, das sei auch bloß Bild, es sei abhängig von der Leiblichkeit; denn das ist nicht der Fall. Dieses, was über den Intellekt hinausgeht, kann nur durch eine menschliche Entwickelung erreicht werden, nur dadurch, daß man sich unabhängig macht von der Leiblichkeit. Aber dasjenige Denken, das sich gerade im 19. Jahrhundert geltend gemacht hat, das muß materialistisch gedeutet werden. Das ist ganz abhängig, wenn es auch eben Bilder sind, von dem Werkzeug des menschlichen Gehirnes, und das Merkwürdige ist, daß man mit dem Materialismus gerade am meisten Recht hat gegenüber dem Geistesleben dieses 19. Jahrhunderts. Dieses Geistesleben des 19. Jahrhunderts ist tatsächlich an die leibliche Materie gebunden. Aber gerade über dieses Geistesleben muß hinausgekommen werden. Über dieses Geistesleben muß der Mensch sich erheben. Er muß wiederum hineingießen lernen in die Bilder geistige Substanz. Das kann man nicht nur dadurch, daß man hellseherisch wird, denn das brauchen - das muß ich immer wieder sagen - nicht alle zu werden; sondern geistige Substanz läßt man schon in sein Denken einfließen, wenn man nur dasjenige, was geistig erforscht ist, nachdenkt; nicht urteilslos! Man kann es beurteilen, wenn es einmal da ist; der gesunde Menschenverstand reicht völlig aus, um zu begreifen, was von der Geisteswissenschaft erforscht ist. Wenn man
das leugnet, so nimmt man nur keine Rücksicht auf den gesunden Menschenverstand; wenn man das leugnet, so denkt man: Der gesunde Menschenverstand, der ist dasjenige, was nun seit langer Zeit schon in der zivilisierten Menschheit großgezogen wird. - Ja, diese zivilisierte Menschheit, die entwickelt ja «sehr sichere» Urteile! Und wenn dann diese Urteile durch die Tatsachen widerlegt werden, dann merkt sie das gar nicht, will es nicht merken. Solche Dinge, die symptomatisch weithin sprechen, die werden im rechten Augenblicke vergessen.
Ich will Ihnen nur ein kleines niedliches Beispielchen sagen: Es war 1866, da sagte man, dasjenige, was dazumal geschehen war - der Sieg Preußens über Österreich -, der sei ein Beweis für die Vorzüglichkeit der preußischen Schulen, und das Sprichwort kam auf: 1866 hat der preußische Schulmeister gesiegt. - Das hat man immer wieder und wiederum wiederholt. Und es würde interessant sein, zusammenzuziehen, wie oft von 1870 ab bis 1914 von allen möglichen berufenen, aber namentlich unberufenen Leuten der Satz wiederholt worden ist: Die preußischen Siege hat der preußische Schulmeister errungen. - Ich glaube, man wird jetzt nicht irgendwie ein ähnlich geartetes Sprichwort an die Stelle setzen, und die Wahrheit des anderen will sich jetzt nicht mehr so recht behaupten lassen gegenüber den Ereignissen, die nunmehr eingetreten sind. Aber im Zeitalter des Intellektes, wo man ganz gescheit ist, da merkt man nicht gerne die Widersprüche, die sich im Leben zeigen. Die Tatsachen spielen ja in ein intellektuelles Leben wenig herein; aber diese Tatsachen, sie werden müssen hereinspielen, wenn das rein Intellektuelle wiederum durchtränkt wird mit geistigem Inhalt. Dann aber wird sich eben zeigen, wie in die Menschheit herein- kommt gerade ein Ablähmungs-, ein Dekadenzprozeß und wie der durch eine neue geistige Erkenntnis überwunden werden muß. Man kann sagen: Die Alten haben gespürt, empfunden in ihrer Erkenntnis, die aus dem physischen Leibe aufkochte, das Heilende. In Zukunft wird die Menschheit sich gewöhnen müssen, in der Ausbildung des Intellektes das Kränkende, das Krankmachende zu erkennen, um die Notwendigkeit zu empfinden, aus dem Geiste herauszuholen das Heilende. Wieder muß werden die Wissenschaft ein Quell des Heilens. Aber aus einer entgegengesetzten Ecke wird die Nötigung kommen,
aus der Ecke, die zeigt, daß das äußere Leben, gerade wenn es in der Erkenntnis vorschreitet, ein die Menschheit krankmachendes ist, dem eben das Heilprinzip entgegengestellt werden muß.
Mit solchen Dingen greifen wir ein in den Entwickelungsgang der Menschheit, insoweit er eine Wirklichkeit ist. Die heutige Geschichte schildert ja nicht die Wirklichkeit der menschlichen Entwickelung` sondern wertlose Abstraktionen. Das ist dasjenige, was dem heutigen Menschen so mangelt, der Wirklichkeitssinn. Ihn hat der heutige Mensch wenig. In Mitteleuropa ist man groß geworden im Laufe des 19. Jahrhunderts in der Darstellung desjenigen, was als Geistiges schon da war. Eine der wunderbarsten Darstellungen dessen, was schon da war, finden wir bei Herman Grimm. Herman Grimm hat gerade seine Höhe erreicht, wenn er über Goethes «Tasso», über Goethes «Iphigenie» geschrieben hat. Er konnte aber nicht Goethe selbst schildern. Es gibt ja auch eine Goethe-Biographie von ihm, aber da steht Goethe da wie ein Schatten. Die geistige Kraft war nicht da im 19. Jahrhundert. Man lebte in Bildern, und Bilder können die Wirklichkeit nicht bezwingen. In der Zukunft muß diese Wirklichkeit bezwungen werden. Wir müssen nicht nur begreifen menschliche Schöpfungen, wir müssen begreifen den Menschen selbst vor allen Dingen und durch den Menschen dann wiederum in einem umfassenderen Sinne die Natur mehr, als wir sie begreifen bisher. Solche Dinge, glaube ich, könnten mit dem nötigen Ernst anschlagen an das menschliche Gemüt. Es wird wahrscheinlich noch manche Zeit verfließen, bevor eine genügende Anzahl von Menschen sich findet, die sich durchdringen lassen von dem Feuer, das schon ausgehen kann von einer solchen Erkenntnis, die ja zeigt: Die Menschheit muß krank werden, wenn sie nicht will sich durchgeistigen! - Aber wenigstens diejenigen, die etwas nähergetreten sind dem anthroposophischen Erkennen, die sollten sich durchdringen lassen von dieser Erkenntnis.
Eines wird Platz greifen müssen; vielfach sind diejenigen, die Anthroposophen geworden sind, gekommen an diese anthroposophische Bewegung aus, ich möchte sagen, feineren eg~istischen Tendenzen heraus: sie wollten etwas haben für ihr seelisches Wohlbefinden, sie wollten befriedigt sein, etwas erfahren über die geistige Welt nach irgend-
einer Richtung hin. Damit wird es nicht getan sein. Dasjenige, um was es sich handelt, ist nicht, daß wir uns persönlich auf ein Ruhekissen legen können, weil wir befriedigt sind über unseren Anteil an der geistigen Welt. Dasjenige,was die Menschheit braucht, ist ein tätiges Eingreifen vom Geiste aus in die materielle Welt, ein Bezwingen der materiellen Welt vom Geiste aus. Und ehe man das nicht durchschaut und sich dann weiter von diesem Durchschauen in seinem Wollen führen läßt, eher kann aus der Not, die jetzt über die Menschheit gekommen ist, nicht hinausgelangt werden.
Man möchte so gerne, daß wenigstens in den Kreisen der Anthroposophen eine solche Einsicht und auch ein solcher Wille Platz greift. Gewiß, man kann sagen: Was können wir paar Leute tun gegen die Verblendung der ganzen Welt! - Das ist nicht richtig. Ein solcher Ausspruch ist ganz und gar nicht richtig. Denn indem man dieses sagt, denkt man gar nicht daran, daß es sich eben darum handelt, diesen Willen erst fähig zu machen und dann abzuwarten, was kommt. Tue ein jeder an seiner Stelle dasjenige, was er kann, und er mag abwarten, was die anderen tun; aber tue er es auch wirklich, tue er es vor allen Dingen so, daß eine möglichst große Anzahl von Menschen in der Welt zusammenleben, die zunächst durchdrungen sind von der Notwendigkeit einer geistigen Erneuerung, dann wird etwas anderes schon nachkommen. Heute sind viele Kräfte am Werke, diese geistige Erneuerung zu verhindern. Nur wenn wir wachsam sind, wenn wir feststehen auf dem Boden, auf den Geisteswissenschaft uns stellt, können wir vorwärtskommen und dasjenige wollen, was schon einmal heute notwendig ist für das Vorwärtskommen der Menschheit.
DRITTER VORTRAG Dornach, 28. März 1920
Wir müssen, wenn wir den Menschen in seiner Stellung zur Welt verstehen wollen, immer darauf Rücksicht nehmen, daß in der ganzen Wirklichkeit des Menschen enthalten ist auf der einen Seite alles dasjenige, was gewissermaßen hereinscheint aus dem vorgeburtlichen Leben, das heißt demjenigen Leben, welches der Mensch geführt hat zwischen dem letzten Tode und dieser Geburt in übersinnlichen Welten. Dieses Leben ist selbstverständlich ganz anderer Art als das Leben, das hier durch die Sinne und durch jenen Willen geführt wird, der an die physischen Organe des Menschen gebunden ist. Aber es spielt eben herein dieses vorgeburtliche Leben in unser Erdenleben. Man muß sich gegenüber diesem vorgeburtlichen Leben doch die Frage vorlegen: Inwiefern spielt es in dieses Erdenleben herein? Man muß doch denken an irgendeinen Abschluß dieses vorgeburtlichen Lebens. Man muß daran denken, vielleicht durch irgendeinen Vergleich mit dem irdischen Leben ein Bild zu gewinnen desjenigen, was sich der geistigen Anschauung für dieses vorgeburtliche Leben ergibt. Dieses Bild, man kann es vielleicht am besten gewinnen dadurch, daß man zunächst an das Ende des sinnlichen Erdenlebens denkt.
Was ich jetzt sage, sage ich nur, um Ihnen ein Bild zu geben, denn die eigentlichen Tatsachen, die diesem Bild zugrunde liegen, entstammen der geistigen Forschung, der geistigen Anschauung als solcher. Wenn der Mensch durch den physischen Tod geht, also herauszieht seine höhere Organisation aus der niedrigeren Organisation, dann bleibt ja der Leichnam zurück und dieser Leichnam wird dann eingefaßt von den gewöhnlichen irdischen Gesetzen, er, sagen wir, lebt weiter innerhalb der ganzen Erdenorganisation.
Ahnlich ist vorzustellen dasjenige, was der Mensch durchmacht, wenn er aus dem übersinnlichen Leben in das sinnliche Leben eintritt. Das übersinnliche Leben steht von dem Momente der Konzeption beziehungsweise der Geburt an hinter dem sinnlichen Leben. Dieses übersinnliche Leben ist ja zunächst nicht so, daß der Mensch in ihm ein
volles Bewußtsein entwickeln kann. Es ist erfüllt von demjenigen Bewußtseinszustand, der ein dumpfer, dunkler ist, den der Mensch hier auf der Erde nur durchmacht zwischen dem Einschlafen und Auf- wachen. Man kann schon sagen: Immer beim Einschlafen kehrt zu- rück die übersinnliche Natur des Menschen in diejenige Region, in der der Mensch ist zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Aber es ist dann immer, wenn der Mensch verharrt in dieser Zeit zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, sein Bewußtsein dumpf. Er lebt gewissermaßen nicht voll bewußt in diesem Zustande. Aber in diesen Zustand des nicht voll bewußten Lebens in seinem Ich, in diesen Zustand ist der Mensch eben gekommen beim Heruntersteigen in einen physischen Organismus. Und dieses Dumpfwerden des Bewußtseins, dieses innerlich Finsterwerden des Bewußtseins, das entspricht für das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt dem Sich-Annähern dem Tode im physischen Leben. Der Mensch stirbt gewissermaßen für das über- sinnliche Leben, wenn er gegen die Geburt hin sich bewegt, und er über- gibt dann dem menschlichen Leben auch eine Art Leichnam. Wie der physische Mensch, wenn er stirbt, der Erde eine Art Leichnam übergibt, so übergibt der Mensch auch eine Art Leichnam diesem menschlichen Leben hier auf der Erde, wenn er geboren wird. Und dieses Geschöpf, das wir dann in uns tragen, das gewissermaßen für das überirdische Leben tot ist, das ist eigentlich unser gewöhnliches Vorstellungsleben, das Vorstellungsleben, das sich nicht befruchten läßt von der über- sinnlichen Welt, von Imagination, von Inspiration, von Intuition.
So können wir sagen: In unserem Denken tragen wir eigentlich mit uns herum den Leichnam, den wir mitgenommen haben aus der über- sinnlichen Welt. Deshalb ist dieses Denken so sehr bloß geeignet, die tote Welt zu begreifen, weil es eigentlich der Leichnam unserer über- sinnlichen Wesenheit ist. Daran müssen wir festhalten, daß wir allerdings in diesem Denken haben das einzige bewußte Überbleibsel der übersinnlichen Welt, daß es aber ein totes Geschöpf ist, so wie es in uns als Denken lebt. Wir tragen in der Tat die tote übersinnliche Welt mit dem Denken in uns herum.
Nun würde in jedem physischen Menschenleben hier auf der Erde dieses tote Denken nicht nur zum physischen Tod führen, sondern
auch zum Seelentod, wenn nicht während des Lebens dieses tote Geschöpf wiederum belebt würde. Ja, es wird wieder belebt! Und es wird dadurch belebt, daß in unserem seelischen Leben sich neben dem Denken, gewissermaßen dem Denken entgegengesetzt, der Wille regt. Der Wille ist dasjenige, was auftaucht aus unserer ganzen Organisation, aus unserer Erdenorganisation, um zu beleben unser totes Denken. Und unser Erdenleben ist im Grunde genommen die durch unseren Lebenslauf dauernde Verbindung zwischen dem toten Denken und dem in jedem Erdenleben während der Inkarnation in uns neu geborenen Willen. Dieser Wille wird immer neu geboren. Er läßt dann seine Reste zurück, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen. Und wenn er erschöpft ist von der übersinnlichen Welt, dann wird wiederum das Denken tot, dann muß es wiederum heruntergehen in die physisch- sinnliche Welt. Sie sehen, wie wir Menschen in der Tat ein zweiteiliges Geschöpf in dieser Beziehung sind, wie wir in uns tragen die Überreste des vorgeburtlichen Lebens und wie wir, durch unsere Organisation bedingt, das junge Willensleben haben, das sich verbinden muß mit dem altgewordenen Denkleben, und das wir dann hindurchtragen durch die Pforte des Todes.
Ganz angemessen dieser seelischen Einrichtung der Menschenwelt ist dann der physische Ausdruck der menschlichen Organisation, auf der einen Seite die Kopforganisation, die deutlich zeigt für jeden, der sie unbefangen studieren will, wie sie eine Art Endorganisation ist, wie sie das vollkommenste, aber auch zu Ende gehende Produkt des Menschheitswerdens ist. In der Kopforganisation haben wir die fortwährend mit dem Tode ringende menschliche Organisation, die ganz angepaßt ist dem toten Denken. Dagegen in der Organisation unseres übrigen menschlichen Organismus haben wir dasjenige, was der Organisation des immer jung geborenen Willens angepaßt ist. Daher weist uns alles dasjenige, was mit unserer Kopforganisation verbunden ist, auf die Vergangenheit zurück; alles dasjenige, was mit unserer übrigen Organisation verbunden ist, weist uns auf die Zukunft, weist uns auf die Zukunft in physischer Beziehung, weist uns auch auf die Zukunft in physisch-spiritueller Beziehung. Unser Kopf ist die Metamorphose unseres übrigen Organismus aus der vorhergehenden Inkarnation, natürlich
den Kräften nach, nicht den physischen Substanzen nach. Und unser übriger Organismus bildet sich um in Metamorphose zu dem Kopf der nächsten Inkarnation. Das ist etwas, was wir ja auch hier schon des öfteren ausgeführt haben.
Dadurch stehen wir als Mensch eigentlich immer gegenüber auf der einen Seite dem, was mehr vom Vorstellungsleben durchdrungen ist und was mehr auf den Tod hin organisiert ist. Aus dem entspringt dann alles das, was uns drängt, Erkenntnisse zu entwickeln. Gerade je vollkommener der Mensch in der Erdenentwickelung wird, desto toter wird gewissermaßen sein Denken, desto toter wird seine Kopforganisation. Er wird immer mehr und mehr mit dieser Organisation hinschauen auf die Welt, die sich um ihn herum ausbreitet, wird versuchen, diese Welt zu verstehen, aber er wird immerhin auch, wenn er nicht verlieren will das Bewußtsein seiner menschlichen Würde, auf das Innere schauen müssen, auf dasjenige, was als jung geborener Wille aufsteigt und was ihm vorhält die sittlichen Ideale, was ihm vorhält überhaupt die Ideale seines Handelns, seines Tuns. Aber dadurch, daß der Mensch in der angedeuteten Richtung zweigeteilt ist, dadurch erscheint ihm der Zwiespalt zwischen der Welt der Naturnotwendigkeit, die er mit seiner Erkenntnis zu umspannen versucht, und der Welt der Sittlichkeit, die sich dann zum Religiösen erhebt und welche keine Anhaltspunkte findet, sich mit der Welt, mit dem Weltbilde zu vereinigen, das aus der Naturerkenntnis stammt. Dieser Zwiespalt ist ja in unserem Zeitalter aufs höchste getrieben. Denken Sie nur, wie die Menschen nach der Naturerkenntnis heute darüber nachdenken, wie die Erde sich gebildet hat aus dem Urnebel heraus, rein durch Naturkausalität, wie im Verlaufe dieser Erdenentwickelung auch der Mensch entstanden ist, und wie dies dann Millionen Jahre noch dauern werde. Da ist der Mensch eingesponnen seiner physischen Organisation nach in diese Naturkausalität. Es entspringen aus ihm seine sittlichen Ideale. Er möchte aus diesen sittlichen Idealen heraus eine Welt begründen. Allein, was bleibt ihm denn übrig, zu denken über diese sittliche Welt, wenn er hinschauen muß auf das Ende der Erdenentwickelung, die wie eine Schlacke in die Sonne zurückfallen wird mit alledem, was auf ihr ist? Er muß sich fragen: Wie steht es denn eigentlich mit alledem, was man
als sittliche Ideale sich vorsetzt, wenn diese sittliche Welt keinen Halt hat in der Naturnotwendigkeit, wenn sie gewissermaßen nur der Rauch ist, der aufsteigt aus den Prozessen, die sich aus der Naturnotwendigkeit heraus ergeben?
Auf denjenigen Menschen, welche sich überhaupt unbefangene und verinnerlichte Vorstellungen über die Welt machen, lastet dieser Zwiespalt heute sehr schwer. Nur ein gewisser Lebensleichtsinn läßt die Menschen hinwegschauen über diesen Lebenszwiespalt. Über diesen Lebenszwiespalt führt aber nichts anderes hinweg als wirkliche Geisteswissenschaft. Es zeigt ja gerade die Naturwissenschaft, welcher die Menschen sich heute als einer Autorität ganz besonders hingeben, wenn von Erkenntnis die Rede sein soll, daß ausgerechnet werden kann dasjenige, was Erdenanfang, Erdenende ist: Ein wesenloser Weltennebel der Anfang, trostlos das Erdenende, und eine Episode dazwischen: die in moralischen, ethischen, sittlichen Illusionen lebenden Menschen. - Das muß aber während unserer Erdeninkarnation so sein. Die sittlichen Gesetze sind zunächst, wie wir sie darleben in unserer Erdenmenschheit, keine solchen Gesetze wie die Naturgesetze. Wären sie solche Gesetze, so würden wir in uns nicht einorganisieren können die Freiheit. Wenn die Freiheit getrieben würde, wie irgendein Naturvorgang getrieben wird, so würden Sie keine Freiheit in sich entwickeln können. Gerade der Umstand, daß die Erdenorganisation dazu berufen ist, in dem Menschen die Freiheit einzuorganisieren, der machte es notwendig, daß innerhalb der Erdenentwickelung eine Zeitlang es so ist, daß der Mensch, durch seine eigene innere Wesenheit veranlaßt, hinschauen muß auf die ihn umgebende Welt der Naturnotwendigkeit und in sich nur aufgehen lassen kann die sittlichen Ideale, die dann keine solche Gesetze sind, daß die Natur auch sie ausführen würde. Was wir in unserem Naturweltbilde haben, das übernimmt keine Garantie, daß dasjenige auch ausgeführt werde, was wir in unseren sittlichen Idealen als Menschheit und Welt überhaupt begründen wollen.
Aber so, wie die Sachen jetzt stehen, so werden sie nicht immer stehen. Sie werden nicht immer stehen so, daß schroff einander gegenüberstehen die Welt der sittlichen Ideale und die Welt der Naturnotwendigkeit. Die Erde geht ja einem Ende zu, und vom geisteswissen
schaftlichen Standpunkte nimmt sich, wie ich auch schon hier öfters ausgeführt habe, dieses Ende anders aus als das Ende, welches die Naturerkenntnis errechnet. Dieses Erdenende tritt ja ein, wenn die Zeiträume sich abgespielt haben, die wir uns richtig vorstellen können dadurch, daß wir zum Beispiel hinschauen auf denjenigen Zeitraum, der unserem Zeitraum vorangegangen ist, der begonnen hat etwa 747 vor Christi Geburt, geendet hat etwa 1413 nach Christi Geburt. Jetzt leben wir also im Jahr 1920. Es wird ein Zeitraum eintreten, der wiederum so lange dauern wird, wie dieser Zeitraum; das ist der unsrige. Dann folgen auf diesen noch zwei, und wenn wir geisteswissenschaftlich diese Zeiträume überschauen bis zum nächsten Ende unserer Kulturperioden und dann uns vorstellen, daß sich noch etwas anknüpft, das wiederum mit größeren Perioden von der Länge der atlantischen Zeit zusammenhängt, so bekommen wir allerdings ein Erdenende heraus, das klein ist gegenüber den Millionen oder gar Milliarden von Jahren, welche errechnet werden durch richtige, aber unwirklichkeitsgemäße Rechnungen der Naturwissenschaft.
Aber wenn die Erde ihrem Ende entgegengehen wird, dann wird das Verhältnis anders sein zwischen der Welt der sittlichen Ideale und zwischen der Welt, die ins heutige menschliche Erkenntnisbild eingeht. Es werden zusammenrücken die Moralgesetze und die physischen Gesetze. Jetzt leben wir in einem Zeitalter, wo die beiden getrennt sind. Der geisteswissenschaftliche Forscher kann heute schon wahr- nehmen, wie sie zusammenrücken, wie dasjenige, was zum Beispiel erfahren wird in geistigen Welten, schon durchaus Wirkungen erzielt, die ebenso dauern, wie dauern die Naturwirkungen andererseits. Ein Zusammenschließen der geistigen Gesetze der Moral und der physischen Gesetze der Naturwirkungen, das nimmt der Geistesforscher wahr und er kann schauen, wie am Erdenende die ganze Entwickelung desjenigen, was durch dieses Erdenende durchgeht und zu einer nächsten planetarischen Verkörperung gehen wird, wie das einen Zusammenschluß erleben wird zwischen der Welt der sittlichen Ideale und der Welt der Naturgesetze. Die sittlichen Ideale werden so, wie die Naturgesetze heute sind, und die Naturgesetze werden so - indem sie sich nähern, die beiden -, wie die sittlichen Gesetze heute sind. Sittliche
Welt und Naturgesetzlichkeit wird am Erdenende nicht eine Zweiheit sein, sondern wir gehen durch eine Periode durch, wo das eine Einheit sein wird. In dieser Einheit wird sich manches binden und manches lösen, was man heute für nichtgebunden oder nicht bindbar und nicht lösbar hält.
Da stellen sich dem Geistesforscher ganz besondere Dinge vor Augen, und ich möchte heute nicht davor zurückschrecken, solche Dinge genauer gerade an diesem Orte schon in ihrer Bedeutung ein wenig zu entwickeln, wenn selbstverständlich auch der Widerspruch der Welt draußen, die nichts versteht und nichts verstehen will von dem, was hier getrieben wird, noch größer wird. Aber es nützt ja auch nichts, wenn man irgendwie abstumpft dasjenige, was auf dem anthroposophischen Boden gepflegt werden soll. Es muß schon dasjenige eben aus- gekämpft werden, was sich dadurch herausbildet, daß gegen ein echtes Wahrheitsstreben so vieles in der gegenwärtigen Welt ankämpft. Dem Geistesforscher stellt sich auch vom Gesichtspunkte dieser Frage entgegen all dasjenige, was zum Beispiel geschehen ist an schrecklichen Dingen in den letzten fünf bis sechs Jahren. Wir haben wirklich Dinge erlebt, die in der ganzen Menschheitsentwickelung so noch nicht erlebt worden sind, vor allen Dingen so nicht erlebt worden sind, daß Naturerkenntnis benützt wurde, um 50 viel zu zerstören. Gewiß, es ist ja viel zerstört worden auch früher; aber das war alles eine Kleinigkeit, denn es waren nicht die Naturerkenntnisse da, um solche Zerstörungen hervorzurufen. Man denke nur, wie ungeheure Flächen der Erde durch Einbetonieren der Erde oder dergleichen einfach wegrasiert worden sind für lange, lange Zeiten. Man bedenke nur, was menschliche «Kunst» in diesen fünf bis sechs Jahren vermocht hat, um dasjenige, was die Natur hervorgebracht hat, ins Wesenlose hinein zu zerstören. Man braucht nur anzuschlagen diese Note und man weist auf Ungeheures hin, was aber auch dem Geistesforscher in einer bedeutungsvollen Weise, in einer tragisch-bedeutungsvollen Weise sich entgegenstellt. Was geht denn eigentlich in dem heutigen Materialisten vor, wenn er auf diese Dinge hinschaut? Er sieht das Erdenende dann, wenn die Entropie erfüllt ist, wenn alles umgewandelt ist durch den Wärmetod auf der Erde, wenn die Erde ihrem physischen Ende nahegekommen
ist. Dann werden längst andere Menschen gelebt haben, die wie- derum von anderen sittlichen Idealen geträumt haben. Aber wesenlos ist dasjenige, was einbetoniert worden ist zur Naturzerstörung, zur Zerstörung von menschlichem Schaffen und so weiter.
Diese Erkenntnis des Materialisten kann der Geistesforscher nicht mitmachen, denn ihm stellt sich etwas anderes dar. Ihm stellt sich vor Augen der Zeitpunkt des Erdenendes, wo Naturgesetze und Moralgesetze eine Einheit bilden, wo dasjenige, was der Mensch sittlich vollbracht hat, oder, sagen wir in diesem Falle besser, unsittlich vollbracht hat, wo das als Naturgesetzlichkeit weiterwirken wird, so daß einmal am Erdenende ein Zeitpunkt kommt, wo das Erdenende da ist, wo die Erde durchgeht durch andere Bildungsstufen, wo aber Naturgesetze und sittliche Gesetze eins sind. Und dann geht es hinüber zur nachsten planetarischen Verkörperung, die ich in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» die Jupiterverkörperung genannt habe.
Da wird es wiederum Perioden geben der Entwickelung; aber da wird ja nicht mehr das Mineralreich sein, da wird an der Stelle des Mineralreiches etwas anderes sein. Wir Menschen werden in uns nicht tragen die Einschlüsse des Mineralreiches, sondern als Unterstes die Einschlüsse des pflanzlichen Reiches, und es wird hinüberwirken dasjenige, was an Moralischem oder Unmoralischem geschehen ist, was aufgenommen worden ist von dem Naturwirken. Und so, wie in unserem fünften irdischen Zeitraum, im fünften Erdenzeitraume das geschehen ist, was wir als Schrecknisse über die Erde hin haben wehen sehen, so wird, nachdem diese Schrecknisse, das heißt die Impulse dazu, aufgenommen sein werden von jenem Prozesse, der auf dem Jupiter sein wird ein Natur-Moralprozeß, ein Moral-Naturprozeß, so wird dasjenige, was sich da entwickelt hat in diesem fünften Zeitraume, im dritten Zeitraume wiederkehren auf dem Jupiter auf einer anderen Stufe.
Entgegentreten wird der Menschheit dieser Zukunft aus der Naturkonfiguration der nächsten, der Jupiterperiode der Erde, dasjenige, was dann Naturprozesse sein werden. Sie werden aber Naturprozesse sein. Entgegentreten wird ihr aus dem Pflanzenreiche, das dann das niederste ist, dasjenige, was wir nennen können Giftgewächse pflanzlicher
Natur. Das ist gesät worden durch diese letzten fünf bis sechs Jahre, was ein Giftsumpfstoff ist, der aufsteigen wird, der hineinwachsen wird in die Periode des Jupiter, der aus diesem Erdendasein entstehen wird. Es ist nicht so, daß das Moralische oder das Unmoralische vergehen; es bildet sich eine Einheitswirksamkeit zwischen dem Moralischen und zwischen dem Naturgesetzlichen, und es wird hinübergetragen dasjenige, was an moralischen oder unmoralischen Impulsen auch in der Gesamtmenschheit gewirkt hat. Ich möchte sagen, die Menschheit hat jetzt die Wahl, gedankenlos zu bleiben über die großen Zusammenhänge, in die sie als Menschheit doch eigentlich eingespannt ist, hinzuleben im irdischen Menschendasein wie das blöde Vieh und zu denken: Da sind die Naturgesetze, nach denen wir ausrechnen, daß ein Kant-Laplacesches Weltbild dem Erdenanfange und ein durch eine Entropie hervorgerufener Wärmetod-ähnlicher Zustand dem Erden- ende entspricht, daß wir im Grunde tun können, was wir mögen, ja daß wir Millionen hinmorden können: wenn der Wärmetod eingetreten ist, dann sind sie eben mit hingemordet, und die Impulse, aus denen heraus sie hingemordet worden sind, die haben ja keine Bedeutung hinweg über diesen Wärmetod. -
Der Mensch muß, aus dem Materialismus der Gegenwart heraus, solches glauben; aber er lebt dann dahin wie das blöde Vieh. Er lebt dann so dahin, daß er keine Gedanken sich macht über seinen Zusammenhang mit dem ganzen kosmischen Dasein. Das ist heute die Gefahr, daß der Mensch die Möglichkeit verliert, sich Gedanken zu machen über seinen Zusammenhang mit dem kosmischen Dasein. Dann kommen wahnsinnige Vorstellungen heraus wie die Kant-Laplacesche Theorie oder diejenige vom Wärmetod der Erde; während in der Tat die Erde eine Organisation ist, die ihren Anfang genommen hat in einem Zeitalter, wo Moralisches und Naturgesetzliches eine Einheit waren, eine Organisation, die ihr Ende finden wird in einem Zeitraum, wo wiederum Moralisches und Naturgesetzliches eine Einheit sein werden. Erweitert man nicht den Blick über dasjenige, was die unmittelbare Gegenwart ist, zu dem, was nur Geisteswissenschaft lehren kann, so lebt man eben dahin wie das blöde Vieh. Einzig und allein dadurch, daß man sich den Blick schärfen läßt bis zu demjenigen Zustande unseres
Erdendaseins, wo Geist Materie und Materie Geist wird, so daß sie eine Einheit bilden, einzig dadurch kommt man zum Bewußtsein der Menschenwürde, das heißt, zum Bewußtsein des Zusammenhanges des Menschen mit den ganzen kosmischen Kräften, die weder einseitig Moral noch einseitig naturgesetzlich sind, sondern so sind, daß die Moral selber eine Naturordnung bildet, und die Naturordnung selber mit Moral sich durchdringt.
Das sind auch die moralischen Gründe, warum es notwendig ist, daß in der Gegenwart der Mensch den Horizont seines Erkennens er- weitere. Erweitert er ihn nicht, so engt er sich ein auf ein Weltverständnis, das sich nur erschöpfen will in demjenigen, was über den Dualis- - mus zwischen moralischem Weltbild und naturgesetzlichem Weltbild nicht hinauskommen kann. Damit aber verengt sich der Mensch sein Weltbild so, daß er unmöglich dahinkommen kann, sich selber in seiner ganzen Wesenheit wirklich zu durchschauen.
Sie sehen daraus, daß wirklich nicht eine Erkenntnisneugierde vorliegt, die befriedigt werden soll durch dasjenige, was in der Geistes- wissenschaft getrieben wird, sondern daß vorliegt eine moralische Notwendigkeit für die Verbreitung der Geisteswissenschaft. Denn, was bisher die Menschen geleitet hat bis zu ihrem gegenwärtigen Zustande, das hat ja gerade hervorgebracht, daß der Mensch heute nicht begreifen kann, wie moralische Weltordnung und physische Weltordnung ineinanderhängen; sie können sich heute nicht durchdringen, weil der Mensch ein freies Wesen werden soll. Aber der Mensch muß auf die Knotenpunkte der Welt so hinblicken, daß in ihnen Naturordnung und moralische Ordnung eins sind. Es ist im Grunde genommen etwas Furchtbares, wenn heute ausgerechnet wird, wie von rein physischen Zuständen unsere Erde ihren Anfang genommen hätte, wie sie in rein physische Zustände wiederum ausmünden würde. Man soll ja nicht glauhen, daß die überlieferten Bekenntnisse in der Form, wie sie sind, denMenschen retten vor diesemVerfall,wie er gerade in den Worten, die ich heute gebraucht habe, angedeutet ist. Diese überlieferten Bekenntnisse sind es, welche gerade das Geistige immer abstrakter und abstrakter gemacht haben und welche den Dualismus hervorgerufen haben, welche es dahin gebracht haben, daß der Mensch kaum das Bedürfnis
empfindet, das Band zu suchen zwischen Naturordnung und moralischer Ordnung. Sucht er es heute, sucht er es aus ehrlichstem Herzen heraus, dann kann er es nur finden bei der Geisteswissenschaft, die ihn auf Erdenende und Erdenanfang hinweist als auf solche Knoten der Weltentwickelung, wo das Moralische natürlich und das Natürliche moralisch wird.
Dann aber, dann durchsetzt sich in der Tat wiederum all dasjenige, was uns umgibt und in das wir eingespannt sind, für uns mit moralischer Verantwortlichkeit. Wir Menschen machen ja gewissermaßen durch, indem wir im Erdendasein aufeinanderfolgende Verkörperungen des Lebens haben, das Bild der ganzen Erdenorganisation. Wir leben die aufeinanderfolgenden Erdenleben, indem wir immer für dasjenige, worinnen wir in Einseitigkeit verfallen zwischen der Geburt und dem Tode, den Ausgleich suchen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Wir pendeln hin und her zwischen sinniichem und übersinnlichem Leben und suchen nach dem Gleichgewichte und werden am Ende des Erdendaseins durch eine Welt hindurchgehen, welche auf der einen Seite sehr ähnlich ist der übersinnlichen Welt, aber wo dieses Übersinnliche alles zu gleicher Zeit diejenige übersinnliche Form annehmen wird, zu der wir uns eben dann hinentwickelt haben werden.
Unser Denken ist in der Weltordnung älter als unser gegenwärtiges sinnliches Anschauen. Das widerspricht nicht dem Umstande, daß unsere Sinnesorgane in der ersten für uns verfolgbaren Erdenverkörperung veranlagt worden sind. Aber dieses sinnliche Anschauen, wie wir es jetzt haben, das hat sich erst während der Erdenzeit entwickelt, während das Denken, das sehr zurückgeschoben ist in unsere Organisation, schon während der alten Mondenzeit, wenn auch in Bildern, aber eben doch da war. Die sinnlich-physische Organisation ist bis zu den Organen, die so das Sinnliche wahrnehmen, namentlich wie unsere heutigen ausgebildeten Sinne das wahrnehmen, erst während unseres Erdendaseins gekommen. Und dasjenige, was wir heute sinnlich wahrnehmen, ist das so vergänglich wie es scheint? - Ja, sehen Sie, der Mensch denkt so. Er sieht heute die grüne Pflanze an, er sieht heute die rote Rose an. Dasjenige, was sich da abspielt zwischen seinen Sinnesorganen
und der äußeren Welt, das denkt er vorübergehend. Es ist nicht vorübergehend! Es hinterläßt eine Wirkung in der ganzen menschlichen Organisation. Es ist nicht gleichgültig, worauf Sie Ihre Sinne gerichtet haben. Das steckt alles in Ihrer menschlichen Organisation drinnen, und der ganze Umfang Ihrer Sinnesanschauung wird in den Abdrücken des Atherleibes geschaut beim Durchgang durch den Erdentod und im astralen Abdruck hinübergenommen in die übersinnliche Welt. Und dasjenige, was so immer hier auf der Erde von uns durch den Tod getragen wird, das sammelt sich an und das tragen wir durch diesen Zustand des Erdenendes dann weiter hinüber. Gewiß, von unserem Fleisch tragen wir nichts hinüber in die Jupiterperiode; aber von dem, was die Wirkungen dieser Wahrnehmungen sind, tragen wir sehr viel hinüber. Es bereitet sich das schon vor in jenem farbigen Bilderdasein, das wir haben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, das aber eine wesentliche Verdichtung erfahren wird, wenn wir durchleben den Zustand zwischen der Erde und dem Jupiter, der ein moralisch-physischer und ein physisch-moralischer Zustand sein wird; durch den werden wir hindurchtragen können dasjenige, was sich uns einorganisieren wird dadurch, daß wir mit unseren höheren Sinnen wahrnehmen. Das, was da in uns einorganisiert wird, das ist fähig, durch eine solche Welt durchzugehen, die moralisch-physisch und physisch-moralisch ist, wo Naturgesetze Idealgesetze und Idealgesetze Naturgesetze sein werden.
Wenn wir heute hinausschauen - ich weiß, daß ich selbstverständlich nur vergleichsweise spreche und daß meinetwillen jeder scheinbar geschulte Physiker korrigieren kann die Ausdrucksweise, die ich an- wende, aber darauf kommt es hier nicht an -, wenn wir heute den Regenbogen ansehen, indem er ein großes Spektrum vor uns ausbreitet, so entsteht da gleichsam die im Raum schwebende Farbe abgesondert vor uns. So etwas Ahnliches bildet sich auch, wenn wir keinen Regenbogen sehen, sondern wenn wir nur sonst auf irgend etwas, das in uns die Empfindung der Farbe hervorruft, hinsehen; aber etwas Ahnliches, wie sich da draußen objektiv bildet, wenn der Regenbogen uns erscheint, etwas Ahnliches geht in uns vor mit unserem Atherleib und bereitet vor jenen zunächst jetzt farbigen, aber dann verdichteten Leib,
der durch die moralische Physis, durch das Physisch-Moralische gehen wird bei dem Übergang zwischen der Erde und dem Jupiter. Sehen Sie, da ist es also, an diesem Punkte der Geisteswissenschaft, wo sich der Mensch heute erringen kann ein inneres Bewußtsein von der Einheit der moralischen Welt und physischen Welt, während sonst moralische Welt und physische Welt für das heutige materialistische Bewußtsein auseinanderfallen. Moralisch notwendig ist die Verbreitung der Geisteswissenschaft. Denn dasjenige, was menschliche Moral ist, verdunstet und verduftet ja geradezu, wenn das physische Weltbild allein sie- gen sollte. Wenn man das durchschaut> dann ist es allerdings bittere Gefühle erweckend, gegen deren Ursache aber mit aller Schärfe angekämpft werden muß, wenn man sieht, wie heute von Leuten, die vorgeblich das Geistesleben der Menschheit pflegen wollen, angekämpft wird gegen diese notwendige, auch moralisch notwendige Pflege des Geisteslebens.
Immer neue Proben dieses «sauberen» Kampfes treten auf. Eine besonders niedliche ist ja wiederum letzthin aufgetreten. Sie knüpft an - ich weiß nicht, von welcher Seite die Dinge immer vertratscht werden -, sie knüpft an an dasjenige, was hier von Dr. Boos vorgebracht worden war über ein Vertrauenszettel-Sammeln. Über diese Sache zu sprechen, ist ja nicht meine Angelegenheit; aber ein angeblich gut christliches Blatt der hiesigen Umgebung findet es nötig, besonders zu betonen, daß diese ganze Geschichte wiederum eine furchtbare Gefahr für das schweizerische Volkstum ist. Ich möchte doch wissen, ob derjenige wirklich das schweizerische Volkstum für besonders stark hält, der da glaubt, daß es erschüttert wird, wenn Anthroposophie getrieben wird? Aber sehen Sie, das schweizerische Volkstum soll in Gefahr sein, und das wird mit so schönen Worten geschrieben: «Wie man sieht, steht die Anthroposophen-Sache auf wackligen Füßen. Ein Geheimzirkular, dem wir allerdings die Maske abgerissen haben, soll dem Werke Dr. Steiners die Bahn freimachen, soll ihm die Behörden des ganzen Schweizerlandes günstig stimmen, ja, soll bewirken, daß die Einwanderung fremder Elemente nicht gehindert werde. Was kümmert die Gesellschaft unsere entsetzliche Wohnungsnot, was der unheilvolle Einfluß dieser fremdländischen Rasse auf unser edles Schwei
zertum. Man wendet sich an das Schweizervolk um Mithilfe, das Schweizertum zu vernichten.>
Nun, da wird darauf hingewiesen, daß es schlimm ist, daß außer- schweizerische Impulse hier spielen sollen. Aber jetzt folgt ein Satz, der niedlich sich zu dem ganzen hinzustellt, der die Frage auf die Lippen drängt: Woher wird denn das Recht genommen zu dieser Anklage von angeblich fremden Impulsen? Es steht da: «Für uns Katholiken ist der Standpunkt klar. Wir haben Meldung von Rom, daß kein Katholik sei`s direkt oder indirekt, dieser neuen Sekte Mithilfe leisten darf. Wir hielten es darum als unsere heilige Pflicht, weite Kreise auf die neue Bauernfängerei aufmerksam zu machen.»
Diese Leute, die also das Schweizervolk retten wollen von fremden Einflüssen, bekommen ihre Einflüsse, auf die sie mit der ganzen festen Faust hindeuten, also nicht von Bern oder von Zürich vom Schweizervolk, sondern von Rom! Sonderbare Logik? Sehen Sie, das ist die Logik von heute. So wird gedacht - aber ohne daß man es merkt. Und man merkt das nicht, weil unsere Bildung, die von unseren Bildungsstätten ausgeht, solches Denken gestattet. Diejenigen Leute, die das nieder- schreiben, die wissen, was sie damit wollen, und die können daher solches Zeug hinschreiben. Aber zahlreiche andere, schlafende Seelen, die müssen erst mit harten Worten darauf aufmerksam gemacht werden, daß solche Torheiten einfach heute als Logik hingenommen werden und sie werden als Torheiten nicht bemerkt. Es sind die Wahrzeichen für das Schläfrige der Seelen heute. Deshalb ist es so notwendig, daß man immer wiederum mit harten Worten darauf hindeutet, daß die Seelen wach werden sollen, daß sie hinschauen sollen auf dasjenige, was in unserem versumpften Denken lebt, welche Dinge man heute sagen darf, ohne daß die schläfrigen Seelen merken, daß es auch vor der Logik ein gewöhnlicher Nonsens ist.
Das zeigt uns auch von anderer Seite die moralische Notwendigkeit, die uns anspornen sollte, der Geisteswissenschaft eine wirkliche Stütze zu sein, nicht weiterhin zu schlafen, sondern aufzuwachen und der Geisteswissenschaft eine wirkliche Stütze zu sein. Sie finden die Logik, auf deren Nichtbemerken man hier rechnet, heute überall in wissenschaftlichen Büchern geübt. Gehen Sie die Hypothesen durch, gehen
Sie all das Zeug durch was heute für die gläubigen Anhänger die KantLaplacesche Wahnsinnstheorie bildet, dann finden Sie in alledem die Ursache, daß man der Menschheit noch heute solche Dinge vormachen darf. Suchen Sie in den angeblich exakten naturwissenschaftlichen Hypothesen und Theorien, die hier in den letzten Tagen charakterisiert worden sind, suchen Sie darinnen die Ursache, warum man heute der Menschheit so viel vormachen darf. Man zwingt die Menschen, die Jugend hinzuschicken in diese Hochschulen, in denen ihnen Experimentiererkenntnisse zwar beigebracht werden, aber ihr Denken, ihr ganzes Seelenleben in Grund und Boden hinein «verunlogiziert» wird. Und man will nicht hinschauen auf die Notwendigkeit, daß ja allerdings das Geistesleben sich auf sich selbst stellen muß im dreigliedrigen sozialen Organismus. Man will nicht hinschauen auf die Beweise, die man überall mit Händen greifen kann. Man muß sagen: Lange Zeit wird nicht sein, denn die Mächte, die alle Mittel anwenden, um auf die Unlogik der Menschen zu rechnen, sie haben heute einen guten Boden. Und wenn diejenigen, die ein wenig einsehen, was sein muß, weiter schlafen, dann wird es schon dahin kommen, daß vorläufig wenigstens für die europäische Kultur das Grab gegraben wird, und dann von ganz anderen Seiten her eine Erlösung kommen muß.
Ich habe hier öfters von der Verantwortung gesprochen, die für die verschiedenen Teile der europäischen Menschheit besteht. Dieser Verantwortung sollte man sich bewußt werden. Diese Verantwortung ist eine große. Und es ist eben damit nicht getan, daß man allerlei kleine Mittelchen aussinnt und mit denen auch glaubt, seinen Weg zu machen. Man muß heute Herz und Sinn dafür haben, daß unser ganzes Geistesleben einer Neuerung bedarf und daß gerade dieses Geistesleben so nicht fortbestehen kann, wie es sich bis in unsere Zeiten hinein entwickelt hat.
VIERTER VORTRAG Dornach, 2. April 1920, Karfreitag
Es ist eine seit alten Zeiten des Christentums eingeführte Sitte, zu unterscheiden zwischen dem Weihnachtsfeste und dem Osterfeste da- durch, daß das Weihnachtsfest als ein unbewegliches gestaltet ist, gesetzt ist an den Zeitpunkt ungefähr, der ein paar Tage nach dem 21. Dezember, also der Wintersonnenwende liegt, und daß das Osterfest gesetzt ist an einen Tag> der bestimmt ist durch eine gewisse Sternkonstellation, aber eine Sternkonstellation, die zu gleicher Zeit verbindet gewissermaßen das Außerirdische mit dem menschlichen Irdischen.Wir werden ja morgen im Zeichen des ersten Frühlingsvollmondes stehen, und es wird auf diesen Frühlingsvollmond fallen die Frühjahrssonne, die nach dem 21. März eben in das Zeichen des Frühlings eingetreten ist. Wenn also die Menschheit der Erde den ersten Sonntag wiederum feiert, jenen Tag, der sie an ihren Zusammenhang mit den Sonnenkräften erinnern soll, den Sonntag, der der erste ist nach dem Frühlingsvollmonde, dann soll für die christliche Lebensanschauung das Osterfest gefeiert werden. Dieses Osterfest ist dadurch ein bewegliches Fest. Es ist gewissermaßen notwendig, in jedem Jahre sich die Konstellation am Himmel anzuschauen, um über den Zeitpunkt dieses Osterfestes sich Auskunft zu verschaffen.
Solche Dinge sind festgelegt worden zu einer Zeit, wo noch aus alten atavistischen hellseherischen Fähigkeiten heraus Weisheitstraditionen vorhanden waren, Traditionen, welche den Menschen noch ein Wissen gaben, das weit hinaus lag über das, was die gegenwärtige Wissenschaft geben kann. In diesen alten Zeiten, als solch ein Wissen noch vorhanden war, da suchte der Mensch seinen Zusammenhang mit dem Außerirdischen durch solche Dinge zum Ausdruck zu bringen. Und in solchen Festlegungen liegt immer der Hinweis auf Allerbedeutsamstes für die Menschheitsentwickelung.
Der starre Zeitpunkt, in den das Weihnachtsfest verlegt wird, deutet an, wie eng dieses Weihnachtsfest verbunden gefühlt werden soll mit dem Irdischen, weil es erinnern soll an die Geburt desjenigen Menschen,
in den dann die Christus-Wesenheit einzog. Aber an ein Ereignis, das nicht innerhalb des Ganges der Erdenentwickelung, sondern innerhalb des ganzen Weltenzusammenhanges, in den der Mensch hineingestellt ist, eine Bedeutung hat, daran soll das Osterfest erinnern. Deshalb soll auch der Zeitpunkt dieses Osterfestes nicht bloß ein solcher sein, der sich nach den gebräuchlichen irdischen Verhältnissen richtet, sondern er soll ein solcher sein, der nur festgelegt werden kann, wenn der Mensch seine Gedanken hinauswendet auf das Außerirdische. Und etwas noch Tieferes liegt in dieser Festlegung des beweglichen Zeitpunktes des Osterfestes. Es liegt darinnen die Art, wie der Mensch durch den Christus-Impuls von der Erdenentwickelung, von den Kräften dieser bloßen Erdenentwickelung frei werden sollte; daß er frei werden sollte durch eine Erkenntnis des Außerirdischen, das liegt darinnen. Gewissermaßen eine Aufforderung, sich zu erheben zu dem Außerirdischen, das liegt darinnen, und man möchte sagen, ein gewisses Versprechen der Weltgeschichte an den Menschen, daß er frei werden könne von irdischen Verhältnissen durch den Christus-Impuls, das liegt auch darinnen.
Wenn wir das ganz durchschauen wollen, was sich ausdrückt in dieser eben cbarakterisierten Feststellung des Zeitdatums des Osterfestes, können wir es noch mehr erkennen, wenn wir hinblicken auf erste Geheimnisse der Entstehung des Christentums, erste Geheimnisse, die ja mehr oder weniger sich nach und nach für eine gewisse Erden- zeit verhüllt haben der materialistischen Auffassung der Welt, die in die Menschheitsentwickelung eingezogen ist seit dem Beginn der fünften nachatlantischen Periode, und die zu überwinden es jetzt an der Zeit ist. Um auf diese Verhältnisse entsprechend hinzuschauen, ist es notwendig, zu sehen, wie eingreift in die Entwickelung des ChristusImpulses im weltgeschichtlichen Menschheitswerden die Gestalt des Paulus.
Das müssen wir uns ja immer wieder und wieder vor die Seele rücken, wie gerade diese Gestalt des Paulus eingreift in die Entwickelung des Christentums. Wir können sagen: Paulus hatte reichlich Gelegenheit, sich durch den Augenschein, durch die äußere physische Wahrnehmung zu unterrichten von den Ereignissen in Palästina, die
sich an die Persönlichkeit des Jesus anknüpfen. Durch alles das, was so in der physischen Welt auf ihn gewirkt hat, hat sich Paulus nicht überzeugen lassen, denn er gehörte noch zu den Bekämpfern des Christentums, nachdem bereits diese Ereignisse von Palästina ihr physisches Ende erreicht hatten. Paulus wurde erst der Christen-Apostel, als er das Ereignis von Damaskus erlebte, als er erlebte die Wesenheit des Christus-Impulses durch Außerirdisches, durch Übersinnliches. Paulus ist gerade derjenige, der sich nicht durch physisch-sinnliche Eindrücke überzeugen ließ von der Bedeutung des Christus-Impulses, sondern der für seine Überzeugung die übersinnliche Erfahrung brauchte. Und diese übersinnliche Erfahrung, sie war eine gründlich in das Leben des Paulus einschneidende. Sie war so einschneidend, daß Paulus ein vollständig anderer Mensch wurde. Man kann schon sagen, sie war so einschneidend, daß Paulus dasjenige geworden ist, was man einen Initiierten, einen Eingeweihten nennen kann.
Paulus war gut vorbereitet, so etwas zu erleben. Er war ein mit den jüdischen Religionsgeheimnissen, mit dem jüdischen Erkennen und der jüdischen Weltanschauung gut bekannter Mann, und er war durch diese seine Kenntnisse wohl vorbereitet, zu beurteilen das Ereignis, das sich ihm als Erlebnis von Damaskus darstellte. Er war gut vorbereitet, sich über dieses Ereignis sagen zu können, was von diesem Ereignis eine richtige Anschauung, eine richtige Idee geben kann. Nur, möchte ich sagen, ein Abglanz von dem, was Paulus eigentlich in seinem Inneren erlebt hat, tritt uns entgegen aus dem, was als die Schriften des Paulus bekannt ist. Da hören wir allerdings, daß er ja von dem Ereignis von Damaskus spricht wie einer, der durch dieses Ereignis Kenntnis erlangt hat von dem, was hinter dem Schleier der Sinneswelt an Welt- geschehen liegt. Da hören wir ihn so sprechen, daß wir erkennen, daß er die ganz anders geartete Welt des Ubersinnlichen gegenüber dieser sinnlichen hier wohl zu beurteilen vermag.
Wenn wir schon äußerlich das Leben des Paulus vergleichen mit dem äußerlichen irdischen Christus Jesus-Erleben, dann finden wir etwas höchst Merkwürdiges, das sich nur dann aufhellt, wenn man nach geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten die Menschheitsentwickelung sachgemäß ins Auge faßt. In bezug darauf habe ich ja öfter
Sie darauf aufmerksam gemacht, wie ganz anders geartet der Mensch in bezug auf seine organisch-seelische Entwickelung in anderen Zeiten war, und wie anders er im Laufe seiner Entwickelung seit der indischen, persischen, ägyptisch-chaldäischen, griechisch-lateinischen Zeitkultur bis in unsere Tage herein geworden ist. Wenn man nämlich zurück- schaut in alte Zeiten der Menschheitsentwickelung - das haben wir ja öfter besprochen -, dann finden wir, wie der Mensch organisch entwickelungsfähig blieb bis in ein hohes Alter hinauf, wie der Mensch ähnliche Etappen eines Parallelismus zwischen seiner seelischen und seiner physischen Entwickelung durchmachte bis in ein höheres Alter hinauf, wie er sie jetzt nur durchmacht mit dem Zahnwechsel, mit der Geschlechtsreife, mit dem Beginn der Zwanzigerjahre. Das hat die Menschheit in ihrer Allgemeinerscheinung verloren, solche Entwickelungsübergänge in einem höheren Alter zu erleben. Bis in die Fünfzigerjahre hinauf in ganz alten indischen Zeiten, bis in die Vierzigerjahre hinein später in persischen, ägyptischen Zeiten, bis zum fünfunddreißigsten Jahre hin in der griechisch-lateinischen Zeit haben einen Parallelismus zwischen der seelischen Entwickelung und der physischen Entwickelung die Menschen dieser alten Zeit erlebt.
Wir erleben einen solchen Parallelismus des Allgemeinmenschlichen für das gewöhnliche Bewußtsein ja nur - wie ich öfter ausgeführt habe - bis zum siebenundzwanzigsten Lebensjahr, und auch da ist schon das, was in die letzten Jahre hineinfällt, wenig bemerkbar. In der Zeit, in welcher der Christus-Impuls einzog in die Menschheitsentwickelung, da war es gerade so, daß die Menschen, auch die Menschen der griechisch-lateinischen Volkheit, eben bis in das dreiunddreißigste Lebensjahr hinein noch diesen Parallelismus erlebten. Und der Christus Jesus lebte seine physischen Erdentage gerade so lange, daß er während dieser physischen Erdentage mitmachte jenes Leben, das in der Parallelität verläuft zwischen der physischen Organisation und der geistigseelischen Organisation. Dann ging er für das irdische Leben durch die Todespforte.
Was dieses Durchgehen durch die Todespforte bedeutet, das ist nur zu erkennen von einem geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte aus, wenn man hineinzuschauen vermag in übersinnliche Welten. Denn das
ist kein Ereignis, das sich durch dasjenige begreifen läßt, was in der sinnlichen Welt sich vollzieht.
Paulus war ungefähr so alt wie der Christus Jesus selbst als phxsischer Mensch. Er hat gerade diejenige Zeit im Antichristlichen zugebracht, die der Christus Jesus zugebracht hat in seinem Erdenwirken. Und er erlebte für die zweite Lebenshälfte dasjenige, was ihm wurde durch übersinnliche Erfahrungen. Er erlebte für die zweite Lebenshälfte durch übersinnliche Erfahrung dasjenige, was der Mensch eben seit jenen Tagen nicht mehr in der zweiten Lebenshälfte durch sinnliche Erfahrung erleben konnte, weil der Mensch nicht bis in jene höheren Erdentage hinein, bis über das fünfunddreißigste Jahr hinaus, noch einen Parallelismus erlebte zwischen der seelisch-geistigen Entwickelung und der physischen Entwickelung. Und das Ereignis von Golgatha stellte sich für den Paulus so dar, daß ihm durch die unmittelbare Erleuchtung ein Verständnis wurde, das einstmals die Menschen durch die Urweisheit in atavistischer Art noch hatten, das sie in der neueren Zeit nur erringen können durch eine neue Geisteswissenschaft. Es wurde ihm darum zuteil, damit er der Anreger zu einem richtigen Verständnis dessen werden konnte, was durch den Christus-Impuls für die Menschheit geschehen ist.
Ungefähr so lange, als der Christus auf der Erde gewandelt hat, wandelte dann Paulus weiter auf Erden, etwa bis zum siebenundsechzigsten oder achtundsechzigsten Jahre, um selber ebensolange die Lehre von dem Christentum in die Erdenentwickelung einzuführen. Es ist ein merkwürdiger Parallelismus zwischen dem Leben des Christus Jesus und dem Leben des Paulus. Nur daß das Leben des Christus Jesus eben ausgefüllt war von dem inneren Dasein des Christus, daß bei Paulus vorlag ein so starkes initiiertes Nacherleben dieses Ereignisses, daß er in der Lage war, als der Erste der Menschheit die entsprechenden Vorstellungen über das Christentum zu bringen - in einer Zeitlänge, die ungefähr dem Christus Jesus-Leben auf der Erde entspricht. Den Zu- sammenhang zu betrachten zwischen dem, was für die Erdenentwickelung der Menschheit durch das Christus Jesus-Leben dargelebt worden ist und dem, was durch Paulus über die Christus-Wesenheit gelehrt worden ist, diesen Zusammenhang in der richtigen Weise anzuschauen,
bedeutet eigentlich für den Menschen sehr viel. Nur muß man diesen Zusammenhang so erleben, daß er sich wirklich als Ergebnis des über- sinnlichen Einflusses darstellt, der auf Paulus ausgeübt worden ist. Und wenn die neuere Theologie sogar so weit gegangen ist, das Ereignis von Damaskus wie eine Art Halluzination, wie eine Art Illusion zu erklären, so bezeugt das eben nur, daß auch die neuere Theologie in den Materialismus eingemündet ist, daß auch die neuere Theologie nicht mehr kennt das Wesen der übersinnlichen Welt und die Bedeutung eines Verständnisses der übersinnlichen Welt für eine richtige Erfassung des Wesens des Christentums.Man sollte sich eigentlich heute doch gestehen, ganz ernst und ehrlich gestehen, daß es schwierig ist, in die ganz andersartigen Vorstellungen sich hineinzuleben - anders gegenüber den heutigen -, die sich in den Evangelien und in den Paulusbriefen befinden. Aber man ist gewohnt worden, mit solchen Vorstellungen gar nicht mehr zu rechnen. Im Grunde genommen iiegt es dem Menschen, der ganz durchdrungen ist mit den Vorstellungsgewohnheiten der Gegenwart, sehr, sehr ferne, sich bei Paulusworten das Richtige zu denken. Bemüht sich doch selbst eine große Anzahl der heutigen Theologen, das Ereignis von Damaskus so materialistisch als möglich aufzufassen; ja, es bemüht sich eine Anzahl von Theologen, indem sie noch vorgeben, wirkliche Christen zu sein, sogar darum, die wirkliche Auferstehung des Christus Jesus abzuleugnen! Damit bezeugen diese Persönlichkeiten nur, daß sie eben nicht geneigt sind, irgendeine Erkenntnis des Übersinnlichen auf das Wesen des Christentums, auf die Erscheinung des Christus Jesus innerhalb der Erdenentwickelung anzuwenden. Es ist wie eine Aufforderung an den Menschen, zur übersinnlichen Erkenntnis seine Zuflucht zu nehmen, daß die Gestalt des Paulus gewissermaßen an der Spitze der christlichen Tradition steht, daß also die Gestalt eines durch übersinnliche Erlebnisse zum Verständnisse des Christentums Gekommenen dasteht. Es ist gewissermaßen das die Aussage darüber, daß das Christentum zu verstehen unmöglich ist, wenn man nicht zu Erkenntnissen seine Zuflucht nimmt, die aus den Quellen des Übersinnlichen geschöpft sind. Notwendig ist es, die Gestalt des Paulus als die eines in die übersinnlichen Weltenzusammenhänge Eingeweihten aufzufassen. Notwendig
ist es, das, was er sich bemüht hat der Menschheit beizubringen, in diesem Lichte zu sehen.
Versuchen wir, in unserer heutigen Sprache uns einiges von dem vor die Seele zu führen, was, wie es scheint, gerade dem Initiaten Paulus von ganz besonderer Wichtigkeit war. Paulus war von ganz besonderer Wichtigkeit der Hinweis auf eine ganz neue Art in bezug auf die Stellung des Menschen zur Weltentwickelung, die durch den Im- puls des Christus Jesus gekommen ist. Ihm war wichtig, zu sagen: Die Weltentwickelung, in die einbefaßt waren die alten heidnischen Erlebnisse, ist für den Menschen abgelaufen. Neue Erlebnisse des Seelenlebens des Menschen sind da; sie müssen nur angeschaut werden von den Menschen. - Damit hat Paulus schon hingedeutet auf jenen tiefsten Einschnitt in der menschlichen Erdenentwickelung, auf den man eigentlich, wenn man die wahre Geschichte verstehen will, immer wieder und wieder hindeuten sollte. Wenn wir in die vorchristliche Entwickelung, und zwar in diejenigen Zeiten zurückschauen, welche noch in einer besonderen Weise charakteristisch waren, weil sie die hervorragendsten Eigenschaften des Vorchristlichen noch radikal gehabt haben, so können wir sagen: da war das ganze menschliche Anschauen anders. Gewiß, nicht in einem Momente trat ein völliger Umschwung ein; aber dennoch ist das Ereignis von Golgatha dasjenige, welches bezeugt, wie in der Entwickelung der Menschheit eine Phase sich trennt von der anderen Phase. Das Ereignis von Golgatha ist hingestellt an das Ende jener Entwickelung, in der die Menschen, indem sie die Sinneswelt anschauten, auch eine Anschauung des Geistigen hatten. So wenig das dem heutigen Menschen liegt, so wenig das dem heutigen Menschen plausibel erscheint, es ist so, daß in der vorchristlichen Zeit die Menschen in der Regel mit dem Sinnlichen zugleich ein Geistiges sahen. Sie sahen nicht bloß Bäume, nicht bloß Pflanzen, sie sahen mit den Bäumen ein Geistiges, mit den Pflanzen ein Geistiges. Aber die Kultur für diese Anschauung war abgelaufen, als das Ereignis von Golgatha herannahte. Ein neues Element sollte in die Menschheitsentwickelung eingreifen. Wenn der Mensch in seiner Umgebung das Geistige in den physisch-sinnlichen Dingen schaut, so kann sein Bewußtsein nicht ein solches werden, daß in ihm der Freiheitsimpuls entsteht.
Mit der Entstehung dieses Freiheitsimpulses muß verbunden sein gewissermaßen ein Verlassensein des Menschen vom Göttlich-Geistigen, wenn er bloß in die äußere Welt hinaussieht. Es muß verbunden sein mit diesem Freiheitsimpuls die Notwendigkeit, aus der tiefsten Kraft der Seele heraufzuholen die Anschauung des Geistigen.
Das ist etwas von dem, was gerade Paulus der Menschheit offenbaren wollte, daß in den Zeiten, in denen die Menschen nur waren das Geschlecht Adams, daß in diesen alten Zeiten die Menschen nicht nötig hatten, aus ihrem Inneren ein aktives Erlebnis hervorzuholen, um das Göttlich-Geistige zu sehen, weil ihnen mit alledem, was in der Luft und auf der Erde lebte, dieses Göttlich-Geistige als Dämonisches entgegentrat. Aber überwunden sollte für die Menschheit sein - oder wenigstens nach und nach es werden - dieses Zusammenleben durch den Sinnenschein mit dem Göttlich-Geistigen. Und es sollte die Zeit heranrücken, wo der Mensch nötig hat, durch aktives, innerliches SichErkraften erst zu dem Göttlich-Geistigen sich zu erheben. Verstehen lernen sollte die Menschheit das Wort: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt.» Nicht haftenbleiben sollte die Menschheit an einem Göttlich-Geistigen, das aus dem Sinnenschein hervorgehen will. Finden sollte die Menschheit den Weg zu einem göttlich-geistigen Reiche, das innerlich erkämpft, durch Entwickelung des Inneren erreicht werden soll.
Man versteht ja heute Paulus so trivial, weil man immer wieder und wiederum den Hang entwickelt, das, was er gesagt hat, sich in seine eigene Sprache, in die Sprache der materialistischen Gegenwart zu übersetzen. Man versteht ihn so trivial, daß man den einen Schwärmer nennen wird, der das Folgende, das aber durchaus wahr ist, über den Inhalt der Sprache des Paulus zu sagen hat. Paulus empfand es als eine große Weltenkrisis, daß gewissermaßen in der Dämmerung verschwand das alte, sinnlich-geistige Anschauen, und daß aufkommen sollte, wie in einem neuen Lichtreiche, das durch innere Initiative zu erringende Anschauen des Geistigen, das nicht zu gleicher Zeit da ist mit dem sinnlichen Anschauen. Paulus wußte aus seinem übersinnlichen Initiatenerlebnis, daß der Christus Jesus mit der Erdenentwickelung der Menschheit fortan seit der Auferstehung verbunden ist. Aber er
wußte auch, daß, obzwar der Christus Jesus auf der Erde wandelt, er nur zu finden ist durch das Aufraffen der inneren Sehekraft, nicht durch das bloße sinnliche Anschauen. Derjenige, der ihn erreichen will durch das bloße sinnliche Anschauen, der muß sich über ihn täuschen, der muß irgendeinen Dämon für den Christus halten.
Das war dasjenige, was Paulus ganz gewiß den dazu Fähigen aus seiner Gemeinde immer wieder beibrachte, daß man nicht mit dem alten Dämonenschauen sich nähern solle dem Christus, daß man da ganz bestimmt ein falsches Wesen für den Christus halten werde. Daher war Paulus bemüht, die Menschen abzubringen von dem Hin- blicken auf die Dämonen der Luft und der Erde, die ihnen ganz geläufig sein mußten in älteren Zeiten, weil für deren Anschauen noch atavistische, nunmehr unberechtigte Fähigkeiten zurückgeblieben waren. Dagegen ward Paulus nicht müde, immer wieder und wieder die Menschen zu ermahnen, diejenige Kraft des Inneren zu entwickeln, durch deren Entfaltung ein Verständnis dafür gewonnen werden konnte, daß in die Erdenentwickelung ein ganz neuer Impuls, eine ganz neue Wesenheit hereingezogen sei: Der Christus wird euch wiederkommen, wenn ihr nur den Weg heraus findet aus der bloßen sinnlich- physischen Anschauung der Erde. Der Christus wird euch wiederkommen, denn er ist da. Nur für euch muß er wiederkommen. Da ist er durch das Ereignis von Golgatha; ihr müßt ihn nur finden.
Das ist, was Paulus in seiner Sprache kündete, in einer Sprache, die dazumal ganz anders geistig klang als das, was im Nachklange die Menschen heute übersetzen in dasjenige, was bei ihnen heute beliebt ist, was ganz anders damals klang, als es heute klingt aus den Schriften des Paulus. Das ist, was Paulus immer wieder und wiederum als Überzeugung in den Menschen erwecken wollte. Erwecken wollte er die Überzeugung: Man braucht eine andere Art des Anschauens als diejenige, die genügend ist für die sinnliche Welt, wenn man den Christus verstehen will.
Demgegenüber ist die heutige Menschheit so weit gekommen, zwar noch zu reden von dem Gegensatz einer äußeren sinnenfälligen Wissenschaft und dem Glauben. Der äußeren sinnenfälligen Wissenschaft gestattet die neuere Theologie, kompliziert zu sein, sachlich zu sein,
angewiesen darauf zu sein, etwas zu lernen; dem Glauben gestattet sie das nicht. Der soll - wie immer wieder und wieder betont wird - an das Kindlichste im Menschen appellieren, an das, wozu man gar nichts zu lernen braucht.
Damit hat eben jene Anschauung ihren Charakter bekommen, die selbst das Ereignis von Damaskus noch ableugnet als ein solches, das einer Wirklichkeit entspricht, und die das Ereignis von Damaskus nur nehmen will wie etwas, was eine Art Halluzination des Paulus war. Wenn aber das Ereignis von Damaskus eine bloße Halluzination war - oder ich kann auch sagen> wenn das Ereignis von Damaskus das war, was bei einer großen Anzahl der modernen Theologen das Ereignis von Damaskus sein soll -, dann müßte man auch den Mut haben, zu sagen: So schnell wie möglich weg mit dem Christentum -, denn dann ist der größte Unsinn mit dem Christentum in die Menschheit herein- gezogen.
Das ist, was eigentlich gegenüber den neueren theologischen Lehren nötig wäre, wenn die Menschen diese neueren theologischen Lehren noch erstens ernst und zweitens mutig genug nehmen würden; aber sie nehmen sie weder ernst noch mutig. Sie weichen zurück vor der bloßen äußeren sinnlichen Wissenschaft, leugnen den inneren realen Impuls des Ereignisses von Damaskus, halten aber dennoch an dem Christentum fest. Gerade in solchen Dingen drücken sich die inneren, die seelisch-geistigen Schäden unserer Zeit am allerdeutlichsten aus, denn in solchen Dingen zeigt sich die tiefe innere Unwahrheit unserer Zeit. Die Wahrheit müßte sich gestehen: Entweder war das Ereignis von Damaskus eine Realität, etwas, was sich auf eine Realität bezieht, dann hat das Christentum Sinn - oder das Ereignis von Damaskus war dasjenige, was die moderne Theologie sagt, die sich der neueren Wissenschaft fügen will, dann hat das Christentum keinen Sinn. Das ist so wichtig, daß sich die Menschen solche Dinge vor die Seele rückten in dieser unserer Zeit, die eigentlich eine Zeit schwerer Prüfung ist. Denn indem die Menschen innerlich vor sich selber unwahrhaftig geworden sind in bezug auf ihre heiligsten Angelegenheiten, indem sie unwahrhaftig geworden sind in dem Sinne, daß sie das nicht mehr Christentum nennen dürften, was sie so nennen, hat die Neigung, die oftmals
unbewußte, aber darum nicht minder verderbliche Neigung zur Unwahrheit die Menschheit eben ergriffen. Und deshalb ist diese Neigung zur Unwahrheit da. Deshalb ist diese Neigung zur Unwahrheit so innerlich verknüpft mit den Ereignissen, die nunmehr zur völligen Dekadenz des europäischen Kulturlebens führen müssen, wenn nicht für dieses europäische Kulturleben noch zur rechten Zeit die Besinnung auftritt, zu einer geistigen Erkenntnis sich hinzuwenden.
Sich hinzuwenden zu einer geistigen Erkenntnis, dazu genügt nun wahrhaftig nicht, in dieser Zeit der schweren Prüfungen im Kleinen stehenzubleiben, sondern dazu genügt nur, wirklich die Dinge in ihren Tiefen zu nehmen und an die Notwendigkeit großer Umwandelungen gerade in unserer Zeit zu denken. Immer wieder und wiederum muß betont werden: Was ist denn im Grunde genommen heute ein solches Fest wie das Osterfest für einen großen Teil der Menschheit? Wenn dieses Osterfest für einen großen Teil der Menschheit heranrückt, dann besteht für die Gedanken, die man sich bei diesem Osterfeste im Kreise derjenigen macht, mit denen man es noch zusammen feiern will, dieses, daß man alte Denkgewohnheiten festhält, daß man auch ziemlich in den alten Worten redet, mehr oder weniger automatisch fortredet, daß man dieselben Formeln hersagt, die man herzusagen gewöhnt war durch lange Zeiten. Aber haben wir heute ein Recht, diese alten Formeln herzusagen, da wir in unserem Umkreis überall den Unwillen bemerken, teilzunehmen an der großen, notwendigen Umgestaltung der Zeit? Können wir uns denn mit Recht auf das Paulinische Wort berufen: «Nicht ich, sondern der Christus in mir», wenn wir so wenig geneigt sind, hinzuschauen auf das, was die Menschheit in großes Unglück gebracht hat im Laufe der neuesten Zeit? Muß es nicht zusammenhängen gerade mit dem Osterfeste, sich klarzuwerden über das, was die Menschheit getroffen hat, und über das, was einzig und allein aus der Katastrophe herausführen kann: die übersinnliche Erkenntnis? Wenn das Osterfest, das ja in seiner Bedeutung ruht auf der übersinnlichen Erkenntnis - denn nimmermehr kann dasjenige, was das Osterfest bedeutet, die Auferstehung des Christus Jesus, bloß eine sinnliche Erkenntnis bedeuten -, müßte nicht, wenn dieses Osterfest ernst genommen würde, die Menschheit darauf bedacht sein, daß
Übersinnliches wiederum in die Erkenntnisse des Menschen einziehen muß? Sollte nicht heute der Gedanke auftauchen: Die Verlogenheit der neueren Kultur, sie ist davon gekommen, daß wir selbst über solche Dinge nicht mehr ernst sein konnten, wie dasjenige, was wir als unsere heiligen Feste anerkennen?
Wir feiern das Osterfest, das Auferstehungsfest, und haben längst aufgehört, aus der materialistischen Gesinnung heraus, im Ernste die Auferstehung begreifen zu wollen. Wir machen volle Feindschaft mit der Wahrheit, und wir suchen uns alle möglichen Auswege, um statt der Wahrheit den Weltenspaß hereinzubekommen, den Weltenspaß, denn ein solcher wäre es zu nennen, oder ist es zu nennen - wenn die Menschen das Fest der Auferstehung feiern und der neueren Wissenschaft glauben, die selbstverständlich an eine solche Auferstehung niemals appellieren kann. Materialismus und Osterfest-Feiern, das sind zwei Dinge, die unmöglich zueinander gehören, die unmöglich nebeneinander bestehen sollten. Auch der Materialismus der neueren Theologen verträgt sich nicht mit dem Osterfest heute. Wir leben in der Zeit, in der von einem der angesehensten Theologen Mitteleuropas ein «Wesen des Christentums» geschrieben worden ist, und in der es möglich geworden ist, dieses «Wesen des Christentums» als etwas besonders Hervorragendes zu preisen. Und in diesem «Wesen des Christentums> finden wir durchaus das Bestreben, die wirkliche Auferstehung des Christus Jesus nicht ernst zu nehmen; das gehört zu den Signaturen unserer Zeit. Das aber ist etwas, von dem eine tiefe Empfindung einziehen sollte in die Herzen, in die Gemüter der gegenwärtigen Menschheit. Aber wir kommen aus der Misere nicht heraus, wenn nicht über die Feindschaft, welche die neuere Menschheit gegenüber der Wahrheit einhält, ein richtiges Gefühl entsteht, wenn nicht die Dinge, die schon einmal im Leben eine so große Bedeutung haben, auch wirklich durchschaut werden.
Es ist notwendig, daß diejenige Tendenz, welche in der fünften nachatlantischen Zeit heraufgekommen ist, die Tendenz nach einer begreifbaren, dem menschlichen Urteilsvermögen angemessenen wissenschaftlichen Erkenntnis, auch einziehe in die Erkenntnis der übersinnlichen Welt. Denn zu den Ereignissen, die durchaus in der über
sinnlichen Welt liegen, gehört das Ereignis von Golgatha. Zu den Ereignissen, die nur verstanden werden können durch übersinnliche Vorstellungen, gehört das Ereignis von Damaskus, wie es Paulus erlebt hat. Von dem Verständnis dieser Ereignisse hängt es ab, ob man in Wahrheit von dem Christus-Impuls etwas fühlen kann, oder ob man von dem Christus-Impuls nichts fühlen kann. Geradezu eine Probe sollte sich der Mensch der Gegenwart auferlegen, indem er sich frägt: Wie stehe ich in derjenigen Zeit, die man auf das «Osterfest» getauft hat, wie stehe ich zu dem, was übersinnliche Erkenntnisse sind? - Denn das Osterfest soll schon seiner Zeitfestsetzung nach erinnern an das Aufblicken des Menschen vom Irdischen zu dem Außerirdischen. In bezug auf den Ausblick in das Außerirdische hat ja der Mensch der Gegenwart nichts anderes sich reserviert als höchstens die Mathematik, die Mechanik, oder in der neueren Zeit noch die Spektralanalyse. Das sind die Grundlagen, durch die er sich Erkenntnisse über das Außerirdische verschaffen will. Er hat keine Empfindung mehr dafür, daß er verbunden ist mit diesem Außerirdischen, und daß aus diesem Außer- irdischen der Christus hergekommen ist und eingezogen ist in die Persönlichkeit des Jesus.
Nehmen Sie die hier einschlägigen Gedanken nur geradezu ernst. Ich habe Sie öfter aufmerksam gemacht, wie feingeistige Naturen, wie Herman Grimm, die zwar heute variierte, aber doch im wesentlichen noch immer herrschend gebliebene Kant-Laplacesche Theorie nennen. Aus einem Urnebel hervorgegangen dieses Sonnensystem; im Laufe der Umwandelungen des Urnebels und seiner Verdichtungen Pflanzen, Tiere und auch der Mensch entstanden! Und weitergehend: die Erde einmal, nachdem alles auf ihr das Grab gefunden hat und nichts mehr tönt in das Weltenall heraus von dem, was die Leute sich phantasiert haben an Idealen, an Kulturgebilden, die Erde hineinfallend wie eine Schlacke in die Sonne, dann auch in einer noch späteren Zeit die Sonne versprühend im All, nicht nur begrabend, sondern vernichtend all das, was von den Menschen getan wird - es ist eine Anschauung von der Weltenordnung, wie sie nicht anders hat entstehen können in einer Zeit, in der man bloß mit den mathematischen, mechanischen Erkenntnissen das Außerirdische begreifen will. Aus einer Welt, in die man
nur hinein rechnet, oder in der man die Eigenschaften der Sonne mit dem Spektroskop untersucht> in einer solchen Welt ist allerdings der Ort nicht zu suchen, aus dem der Christus heruntergekommen sein sollte, um sich mit dem Erdenleben zu verbinden! Ein gewisser Teil der Menschheit zieht es ja heute vor, weil er nicht zurechtkommt mit seinen Gedanken, lieber sich gar nicht damit zu beschäftigen, sondern fortzureden mit denjenigen Worten, die man gelernt hat aus den Evangelien, aus den Paulusbriefen, nachzuplappern, was man da gelernt hat, nicht nachzudenken, ob sich das verträgt mit dem, was man sonst als Anschauung gewinnt über die Entwickelung der Erde und der Menschheit. Aber eben darin besteht die tiefe innere Unwahrheit unserer Zeit, daß man sich herumdrückt um das wirklich nebeneinander zu Denkende, notwendig nebeneinander zu Denkende. Einen Nebel will man sich vormachen, damit man das Zusammengehörige nicht zusammen zu denken braucht. Einen Nebel macht man sich deshalb schon auch vor, wenn man Feste feiert, wenn man vom Osterfeste spricht, vom Feste der Auferstehung, und eigentlich weit davon entfernt ist, sich einen Begriff von dieser Auferstehung zu machen, der ja heute nur mit geistig-übersinnlicher Erkenntnis gemacht werden kann.
Es ist schon einzig und allein möglich für den Menschen der Gegenwart, noch eine Empfindung mit dem Osterfest zu verbinden, wenn er daran denkt, wie auch in unserer Zeit in der Tat eine Weltenkatastrophe gekommen ist, womit ich nicht nur die Weltenkatastrophe meine, die sich ereignet hat in den letzten Kriegsjahren, sondern worunter ich verstehe jene Weltenkatastrophe, die darin besteht, daß die Menschen verloren haben Vorstellungen über den Zusammenhang des Irdischen mit dem Außerirdischen. Es ist schon notwendig, daß die Menschen der Gegenwart sich eine Klarheit darüber, ein Bewußtsein davon verschaffen, daß auferstehen muß aus diesem Grabe des materialistischen Anschauens die übersinnliche Erkenntnis. Denn mit der übersinnlichen Erkenntnis wird die Erkenntnis des Christus Jesus aus diesem Grabe auferstehen. Im Grunde genommen hat man heute kein anderes Symbolum, das treffend ist für das Osterfest, als dieses: Des Menschen ganzes Seelenschicksal ist gekreuzigt in der materialistischen Weltanschauung. Aber der Mensch selber, die Menschheit muß etwas
tun, damit aus dem Grabe des Materialismus auferstehe dasjenige, was aus der übersinnlichen Erkenntnis kommen kann.
Dieses Streben nach der übersinnlichen Erkenntnis ist selbst etwas t3sterliches; es ist etwas, was, wenn es empfunden wird, den Menschen wiederum ein Recht gibt, so etwas zu feiern, wie es das Osterfest ist. Wenn Sie hinschauen auf den Vollmond und ahnen, wie dieser Vollmond in seinen Erscheinungen mit dem Menschen zusammenhängt wie der Widerglanz des Sonnenhaften mit dem Mondhaften selber, so denken Sie daran, daß gesucht werden soll von dieser neueren Menschheit eine Menschheitserkenntnis, eine Menschheitsselbsterkenntnis, durch die der Mensch als ein wirklicher Abglanz des Übersinnlichen erscheint. Erkennt sich der Mensch als ein Abglanz des Übersinnlichen, erkennt sich der Mensch in dem, was er ist, als konstituiert aus dem Ubersinnlichen heraus, dann findet er auch den Weg zu dem Über- sinnlichen. Es ist im Grunde genommen menschlicher Hochmut, der in der materialistischen Weltanschauung zum Ausdrucke kommt, der sich nur in einer ganz merkwürdigen Weise äußert; menschlicher Hochmut, durch den der Mensch nicht sein will ein Abglanz des GöttlichGeistigen, sondern durch den er sein will bloß das höchste der tierischen Wesen. Da ist er das Höchste. Es handelt sich nur darum, unter was er das Höchste ist! Dieser Hochmut, der führt den Menschen dazu, nun überhaupt nichts mehr anzuerkennen als sich selbst. Es wäre schon, wenn wenigstens die naturwissenschaftliche Weltanschauung bei der Wahrheit bleiben würde, ihre Aufgabe, dem Menschen immer wieder und wiederum einzuprägen: Du bist das höchste derjenigen Wesen, von denen du dir eine Vorstellung machen kannst. - Die Konsequenzen derjenigen Anschauung, die heute richtig «wissenschaftlich» sein will, die sind eigentlich so, daß sie den Menschen erblassen machen müßten; daß sie ihm zeigen würden, aus welchen moralischen Unterlagen sie eigentlich hervorgehen, wenn auch diese moralischen Unterlagen zum großen Teile unbewußt bleiben. Aber wahrhaftig, es ist in unserer Zeit schon die Epoche da, in der in einer besonderen Art der Christus Jesus gekreuzigt, zu Tode gebracht worden ist gerade auf dem Felde der Erkenntnis. Und ehe nicht die Menschen dazu kommen, die gegenwärtige, rein am Sinnlichen klebende Art von Erkenntnis als
das Erkenntnisgrab anzusehen, aus dem eine Auferstehung kommen muß, eher wird die Menschheit nicht dazu kommen, sich zu solchen Gefühlen und Empfindungen zu erheben, die österliche sein werden.
Daher sollten wir heute vor allen Dingen uns vor die Seele führen den Gedanken: Überlieferungen von einem Osterfeste, das am ersten Sonntag nach dem Frühjahrsvollmond stattfinden soll, sind da. Ein Recht, ein solches Osterfest zu feiern, haben wir heute, wenn wir Menschen der Gegenwartskultur sind, nicht. Wie gewinnen wir wiederum ein Recht? Man verbinde den Gedanken an den im Grabe liegenden Christus Jesus, an den Christus Jesus, der zur österlichen Zeit überwindet den Grabstein, der auf sein Grab gewälzt ist, man verbinde diesen Gedanken mit dem anderen, daß die menschliche Seele fühlen soll den Grabstein der bloßen äußeren mechanistischen Erkenntnis auf sich, und daß sie streben muß, zu überwinden den Druck dieser Erkenntnis, auf daß ihr werde die Möglichkeit, nicht bloß als ein wahres Glaubensbekenntnis dieses zu haben: Nicht ich, sondern das vollentwickelte Tier in mir -, auf daß sie wieder ein Recht habe, zu sagen: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.»
Es wird erzählt, daß - in England soll es wohl gewesen sein - ein naturwissenschaftlich gebildeter Gelehrter gesagt hat, ihm sei es lieber, vorzustellen, daß er sich als Mensch nach und nach vom Affenhaften heraufgearbeitet habe durch eigene Kraft zu seiner jetzigen Höhe, als daß er als Mensch sollte so heruntergekommen sein von einer einstmals «göttlichen> Höhe, wie eben heruntergekommen schien sein Gegner, der eben nicht an die bloß naturwissenschaftlichen Vorstellungen glauben konnte. Nun, gerade solche Dinge weisen eben darauf hin, wie sehr es notwendig ist, den Weg zu finden von dem Bekenntnis: Nicht ich, sondern das vollentwickelte Tier in mir -, zu dem anderen: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.» Dieses Pauluswort zu verstehen, das sollte gesucht werden. Dann erst wird es wiederum möglich sein, daß eine wahrhaftige Osterbotschaft aus den Tiefen unserer Seelen herauf in unser Bewußtsein einzieht.
FÜNFTER VORTRAG Dornach, 3. April 1920, Karsamstag
Gestern versuchte ich einiges zu sagen über die besondere Art der ersten christlichen Anfänge, wie diese ihre Gestalt durch die Persönlichkeit des Paulus bekommen haben. Es ist gewiß in diesen Tagen die Veranlassung der österlichen Zeit, die zu solchen Betrachtungen hinweist. Allein, gerade indem wir gesehen haben, wie unberechtigt heute die Feier des Osterfestes bei zahlreichen Menschen ist, die vom Materialismus angekränkelt sind, wird es sich uns vor die Seele gerückt haben, daß eine solche österliche Betrachtung schon auch eine Zeitbetrachtung sein könne, wenn wir uns bewußt werden, wie eine Art Osterzeit heraufgeführt werden muß in diesem gegenwärtig mit so raschen Schritten in die Dekadenz hineingehenden Europa, überhaupt dieser gegenwärtigen zivilisierten Welt. Sich zu erinnern an die Art und Weise, wie das Christentum in die Welt hereingetreten ist, ist heute berechtigte Osterbetrachtung; denn gerade heute hat man nötig, zu verstehen, wie die Menschen sich selber einer wesenhaften Auffassung des Christentums immer ferner und ferner gerückt haben, und wie dieses Entfernen von einer wesenhaften Auffassung des Christentums doch alles andere bedingt, wovon wir ja oft gesprochen haben und was sehr stark zusammenhängt mit den Niedergangserscheinungen unserer Zeit. Diese Niedergangserscheinungen treten uns besonders dann entgegen, wenn wir einzelne Menschen, die es zuweilen gut meinen, heute anhören.
Sie konnten gestern einen merkwürdigen Artikel in den «Basler Nachrichten> lesen, der einen außerordentlich traurig stimmen kann. Er bringt die Wiedergabe eines Briefes aus dem Nordwesten Deutschlands. Der Briefschreiber, dem in einer gewissen Weise, wie es scheint, in diesem Artikel zugestimmt wird, macht darauf aufmerksam, wie überall sich heute Impulse geltend machen, die einfach die Zerstörung des Alten vorbereiten, ohne irgend etwas Neues an die Stelle zu setzen, wie sich alle Menschen von links und rechts Illusionen hingeben und eigentlich gern immer Illusionen hingeben. Und der Artikelschreiber selber sagt Nun wird es schon so sein, daß eben über Europa der Bolschewismus
hereinbrechen müsse, daß man ihn ruhig erwarten muß; dann wird das schon die richtige Entwickelung sein, dann wird sich, wenn die Leute den Bolschewismus kennengelernt haben, daraus ja etwas Richtiges entwickeln können. - Aber der Artikelschreiber fügt auch einige Zeilen hinzu, die beachtet werden sollten, und über die der gewöhnliche Leser wie bei so vielem hinwegliest. Er fügt hinzu: Man müsse auf etwas anderes heute sehen als auf das, was sich als Illusion die Leute links und rechts machen. Aber man solle auch nicht hören auf das, was einzelne Träumer sagen, sondern was die allgemeinen Impulse sind.
Diese einzelnen gutmeinenden Menschen sind die eigentlich schwierigen Menschen in der Gegenwart, die im Grunde genommen einsehen, wie es immer mehr und mehr talab geht, und die immer eigentlich ermahnen, wenn auch mit starkem Pessimismus ermahnen, man solle nicht hören auf diejenigen, die einen Versuch machen, aus der Misere herauszukommen. Denn diese einzelnen sind ja eigentlich nur die Repräsentanten einer sehr, sehr breiten Masse der Menschen, die doch immer wieder, wenn nach irgendeinem akut auftretenden Chaos ein bißchen Ruhe eingetreten ist, gleich zufrieden sind, weil sie gar nicht sehen, wie in diesem Ruhe-Eintreten nichts wirklich Bedeutsames liegt, sondern wie der Weg so lange talab gehen muß, bis einmal von einer genügend großen Anzahl von Menschen gehörig erfaßt wird, daß über dieses unglückliche Europa eine Welle geistiger Erneuerung gehen müsse. Sonst kann es nicht besser werden. Es ist nicht möglich, mit irgendeiner Fortsetzung des Alten irgendwie weiterzukommen, und es ist am wenigsten möglich, mit Kompromissen weiterzukommen; denn die Kompromisse verderben, indem es mit ihnen kompromittiert ist, auch dasjenige, was als Neues sich geltend machen will.
Schon gefühlsmäßig könnte man sich vorbereiten auf die Stimmung, die da notwendig ist, wenn man zurückblicken würde auf die energische Art, wie um die große Erdenwende durch Persönlichkeiten wie Paulus etwas ganz Neues in die Erdenentwickelung hereingebracht worden ist, was fortglimmt, was aber vorläufig zugedeckt ist von viel Asche. Dazumal war ja eben jener Zeitpunkt, der das Alte von dem Neuen trennte, wenn auch der Übergang deshalb nicht bemerkbar ist,
weil er allmählich geschah - das Alte, durch das die Menschen, wie ich schon gestern angedeutet habe, wenn sie hinausblickten in die Natur, überall ein Göttlich-Geistiges sahen. Aber dieses Sehen des Göttlich-Geistigen setzte sich auch fort, hinein in die Menschheitsanschauungen, in die Anschauungen von der menschlichen sozialen Ordnung, die Konfiguration der Menschen, wie sie lebten als Masse, wie sich einzelne hervortaten als Regierende, als priesterlich Führende. Wir wollen jetzt nicht darauf sehen, wie durch die Mysterienkultur diese Konfiguration geregelt wurde; aber diese Konfiguration wurde angesehen, und sie wurde auch danach geregelt, als etwas auch ohne des Menschen Zutun Gegebenes, gewissermaßen als ein vom Naturgeist Gegebenes.
Derjenige, der durch die besonderen Einrichtungen und Tatsachen, die an irgendeiner Stelle vorhanden waren, der Führer war, den anerkannte man, weil man sich sagte, mit so oder so großer Kraft spricht sich durch ihn das Göttliche selber aus. Wie man das Göttlich-Geistige verfolgte im Stein, im Berg, im Wasser, im Baum, so auch in den einzelnen Menschen. Und ich habe ja hier schon ausgeführt, daß für diese alten Zeiten es einfach selbstverständlich war, den Regierenden als den Gott selber anzusehen, das heißt als denjenigen, in dem sich die Gottheit wirklich manifestierte. Wenn die Menschen der Gegenwart nur etwas bescheidener wären und tatsächlich nicht ihre eigenen Meinungen hineintragen würden in dasjenige, was ihnen aus alten Dingen übermittelt wird, würde viel klarer gesehen in diesen Dingen. Gewiß, heute hat man keinen solchen realen Begriff: ein Mensch ist ein Gott. Aber in jenen alten Zeiten war es so, daß man damit einen realen Begriff verband. Geradeso wie man nicht bloß den fließenden Bach sah, sondern das Göttliche, das sich da bewegte, so auch in dem, was im sozialen Menschenleben vor sich ging, sah man das göttliche Walten selber in unmittelbarer Gegenwart. Dieses Schauen des Göttlich-Geistigen in unmittelbarer Gegenwart kam immer mehr und mehr zum Abklingen.
Aber bedenken wir, wie der Mensch sich finden konnte als Mensch in dieser Anschauung. Der Mensch konnte sich finden in dieser Anschauung, weil er sich eingebettet wußte in die Welt des GöttlichGeistigen. Er wußte, das Göttlich-Geistige lebt da, wo die Sinnendinge
sind und wo die Menschen sind hier auf der physischen Erde. Der Mensch wußte das. Er wußte, daß er herausgeboren ist aus dem Göttlich-Geistigen. Das «Ich bin aus dem Gott geboren, wir sind alle aus dem Gotte geboren», das wurde dem Menschen etwas ganz, ganz Selbstverständliches, denn er sah es. Es war für ihn ein Ergebnis seiner sinnesmäßigen Anschauung.
Zu solch einem Ergebnis konnten die Menschen unmittelbar nicht mehr kommen, oder wenigstens immer weniger und weniger kommen in der Zeit, in der das Mysterium von Golgatha eben in einer neuen Art die Kunde von dem Göttlich-Geistigen bringen sollte. Der Mensch konnte sich ja in jenen alten Zeiten sagen: Alles, was ich sehe in der Welt, zeigt mir, daß die Dinge und Wesen von den Göttern kommen, daß sich ihr Dasein nicht erschöpft im irdischen Dasein. - Der Mensch hatte ein Bewußtsein des Ewigkeitscharakters seiner eigenen Wesenheit, weil er sein Herkommen von den Göttern durchschaute. Dieses Durchschauen eines vorgeburtlichen geistigen Seins, das ist es eigentlich, was die alten heidnischen Bekenntnisse durchtränkt. Alles, was heute durch die landläufige Wissenschaft als Charakteristik des Heidentums anzuschauen ist, das ist eigentlich mehr oder weniger eine Rederei.
Das Wesentliche des noch nicht in die Dekadenz gekommenen alten Heidentums war, daß die Menschen wußten, sie waren Geist-Seelen- wesen, bevor sie geboren wurden; also erschöpfte sich ihr Dasein nicht im irdischen Dasein. Wir Menschen können sicher sein, ewig zu sein, denn wir kommen von Gott, und Gott wird uns zu sich wieder zurücknehmen. Das war schließlich doch die aus der Urweisheit kommende Erkenntnis der alten Zeiten. Und man kann sagen, diese aus der Urweisheit kommende Erkenntnis der alten Zeiten wurde mehr oder weniger jedem Volke in seiner Art für sich gegeben, denn sie war gebunden an eine elementar-geistige Anschauung, an ein Sehen des Göttlich-Geistigen in den Sinnendingen. Dieses Sehen des Göttlich-Geistigen in den Sinnendingen, das war in jenen alten Zeiten abhängig vom Blute. Und je nachdem der Mensch zugehörte dieser oder jener Blutsverwandtschaft, das heißt diesem oder jenem Stamme, diesem oder jenem Volke, mußte ihm eine besondere Form der Urweisheit über die Welt gegeben werden.
So sehen wir denn mannigfaltige einzelne Arten der Urweisheit über die einzelnen Völker der alten Zeiten ausgebreitet. Eine Ausnahme machte nur das jüdische Volk, welches zwar seine besondere Form der Urweisheit auch gebunden hat eben an das Blut dieses Volkes, welches sich aber betrachtete als das «auserwählte Volk», als dasjenige Volk, das zwar ein Volksbekenntnis oder eine Volkserkenntnis hat, aber eine Volkserkenntnis, die die eigentliche Erkenntnis des Menschengottes ist. Während die heidnischen Völker ringsherum im wesentlichen ihren Volksgott verehrten, glaubte das jüdische Volk den Gott der ganzen Erde zu haben.
Nun, das war ein Übergangsverhältnis. In der Art, wie nun Paulus auftrat mit seiner Interpretation des Christentums, war gründlich gebrochen mit alledem, was vom Blute heraus die menschliche Erkenntnis bestimmte, was vom Blute heraus die menschliche Erkenntnis in alten Zeiten bestimmen mußte. Denn Paulus machte zuerst geltend, daß nicht das Blut, nicht die Volksgemeinschaft, nicht all das, was überhaupt in vorchristlichen Zeiten bestimmend war für die Erkenntnis, weiter bleiben könne, sondern daß der Mensch selber seine Beziehung zur Erkenntnis durch innere Initiative herstellen müsse, daß es eine Gemeinschaft geben müsse derjenigen, die Paulus als die Christen bezeichnete, eine Gemeinschaft, zu der man sich geistig-seelisch bekennt, in die man nicht hineingestellt wird durch das Blut, in die man sich gewissermaßen selber hineinwählt.
Diese besondere Art, die geistige Gemeinschaft über die Erde hin so festzulegen, war für Paulus notwendig, weil die Zeit herannahte, in der der Mensch für die äußere Erdenerkenntnis dem Materialismus vcrfallen mußte. Da mußte für die äußere Erdenerkenntnis der Mensch von eLwaS anderem her sein Bewußtsein über seine geistig-seelische Wesenheit bekommen als von der Anschauung des sinnlichen Erdenmenschen. In alten Zeiten brauchte man den sinnlichen Erdenmenschen nur anzuschauen durch die Augen; durch alles das, was er in sich trug, manifestierte sich zugleich das Geistig-Seelische des Menschen. Das hörte jetzt auf. Man suchte über das Geistig-Seelische auf anderem Wege zur Erkenntnis gelangen zu können. Man mußte, mit anderen Worten, das Problem des Todes begreifen lernen. Man mußte begreifen
lernen, daß dasjenige, was man allein durch sinnliche Anschauung hier auf dieser Erde vom Menschen sehen kann, hinstürzen und in zahlreiche Teile zerfallen mag, daß aber im Menschen eine Wesenheit ist, die nicht in diesem sinnlichen Menschen unmittelbar schaubar ist, und die der geistigen Welt angehört.
Es durfte also fernerhin dasjenige, was die Menschen zusammenhielt zu dieser christlichen Gemeinschaft, nicht abhängig sein vom Blut, denn gegen die Abhängigkeit vom Blute hätte sich immer der Einwand ergeben: Ja, wenn die Menschen an dem, was durch das Blut bestimmt ist, ihre Unsterblichkeit erkennen sollen, dann wäre diese Unsterblichkeit nicht gesichert. Für die Alten mag das Blut sich dargestellt haben so, daß es durch sich scheinen ließ die geistig-seelische Wesenheit des Menschen, aber jetzt stellt sich ja das Blut dar als der Beleber und Träger desjenigen, was mit dem Tode endigt. Es ist notwendig, auf das Geistig-Seelische in seiner Reinheit hinzuweisen, wenn man nicht auf das Verständnis des Problems des Todes im nichtmaterialistischen Sinne überhaupt verzichten will. Paulus konnte den starken Impetus, zu den Menschen zu sprechen von einem geistig-seelischen Wesen, das nicht an die sinnliche Materie gebunden ist, nur dadurch gewinnen, daß ihm selber die Realität dieses übersinnlichen Wesens durch das Ereignis von Damaskus aufgegangen war.
Es war die Erkenntnis des Übersinnlichen, des Geistig-Seelischen in alten Zeiten an das Blut gebunden; so daß, indem der Mensch durchsetzt wurde von seinem Blute, ihm dieses Blut in die sinnliche Welt her- einbrachte die Offenbarung des Geistig-Seelischen. Das hörte auf, und notwendig war, daß die Menschen sich hinwendeten zu etwas, was nicht durch das Blut gegeben ist. Damit war aber eine große Gefahr verbunden. Damit war die Gefahr verbunden, daß die Menschen in dem Zeitalter, das heraufkam, auch noch in irgendeiner Weise beim Erkennen des Geistig-Seelischen auf sich selbst zurückreflektieren wollten. In alten Zeiten konnte man auf sich selbst zurückreflektieren, denn das Blut, das man in sich trug, war der Träger der übersinnlichen Erkenntnis. Man war gewohnt worden, in sich den Träger der übersinnlichen Erkenntnis zu sehen. Daß die Menschen das fortan nicht nötig haben, war für die Gutwilligen gegeben durch das Ereignis von
Golgatha. Aber der allgemeine Entwickelungsgang ging noch eine Weile so fort, daß die Menschen diese Gewohnheit, die sie früher in bezug auf das Blut berechtigt gehabt hatten, nun fortsetzten, ohne daß sie das gottgeheiligte Blut in sich trugen; daß sie auch das Göttlich-Geistige erkennen wollten durch dasjenige, was ebenso in sich selbst gegeben war wie das Blut.
Die Gefahr, die sich da herausstellte, bestand in folgendem, und es ist heute wichtig, daß diese Gefahr sich aufkläre. Das Blut bekommt man durch seine Abstammung, das Blut bekommt man durch die Geburt, und man trägt, wenn man fünfundzwanzig, dreißig, fünfunddreißig Jahre alt ist, dieses Blut in sich, das man angestammt hat. Indem man in die Welt hereingetragen wird von den Weltenkräften, bekommt man das Blut. Lebt im Blute die Garantie für das menschliche seelisch-geistige Wesen, dann kann man sich auf dieses Blut verlassen. Aber dieses Blut hatte allmählich die Tragfähigkeit für das göttlich-geistige Wesen abgelegt. Die Menschen aber wollten noch immer den Weg zu diesem göttlich-geistigen Wesen auf dieselbe Art in sich finden, einfach dadurch, daß sie geboren sind. Aber die Menschen konnten immer weniger finden den Weg in das Göttlich-Geistige einfach dadurch, daß sie geboren sind. Denn wenn das Blut nicht hereinträgt in unser sinnliches Dasein die Überzeugung von dem Übersinnlichen, so trägt unser Organismus keine Beziehung zu dem Übersinnlichen herein. Und so kam es, daß die Menschen sich nur fragen wollten nach dem Ubersinnlichen, indem sie sich auf sich selbst zunächst verließen, das heißt auf alles dasjenige, was sie mit der Geburt in das Erden- dasein hineintragen. Aber im Christentum liegt die Aufforderung, sich nicht auf das zu verlassen, was man mit der Geburt ins Erdendasein hineinträgt, sondern innerhalb dieses Erdendaseins eine Umwandelung durchzumachen, die Seele sich entwickeln zu lassen, wiedergeboren zu werden in dem Christus, das, was man nicht durch die Geburt empfangen hat, durch die Erziehung zu empfangen, durch das Erdenleben selbst zu empfangen. Das konnte nicht so schnell verstanden werden. Daher kam es, daß noch die Nachklänge der alten Blutsweisheit bis in das 15.Jahrhundert blieben, daß von da aus noch die Gewohnheit blieb, das Göttlich-Geistige zu sehen durch die Abstammung, daß aber
zuletzt im 19. Jahrhundert bei dieser Gewohnheit der Mensch nicht mehr das Göttlich-Geistige sah, sondern nurmehr das Materielle. Weil der Mensch das Göttlich-Geistige nur noch sehen wollte durch den nicht umgewandelten Organismus, so sah er zuletzt dieses Göttlich-Geistige überhaupt nicht mehr, und so kam mit dem 19. Jahrhundert die große Katastrophe der Gottverlassenheit der Menschen, des Unchristlichwerdens der Menschen, weil jetz-t im Grunde erst endgültig herauskam, was zuerst durch die Tradition verdeckt war.
Bis zur Entstehung des Protestantismus gab es eine christliche Tradition. Was sich die Apostel und Apostelschüler und die Kirchenväter erzählt haben, die eine lebendige Tradition fortbewahrt haben, das knüpfte an die Offenbarung von Golgatha an. Aber die Tragfähigkeit dieser Tradition wurde immer dünner und dünner. Aus sich selbst heraus kamen aber die Menschen nicht zu einer Auffassung des Ereignisses von Golgatha. Nun kam das 15., 16., 17., das 18. und das 19. Jahrhundert; die Menschen verloren den Zusammenhang mit der Tradition. Sie gaben zuletzt nur noch etwas auf die Schrift. Es kam die Zeit des Protestantismus, in der nur auf die Schrift etwas gegeben wurde. Die Tradition war aufgegeben worden. Aber im 19. Jahrhundert verfiel auch das richtige Verständnis der Schrift, und im Grunde genommen ist es bei der größten Zahl derer, die heute noch vorgeben, Christen zu sein, eben durchaus kein Christentum mehr, zu dem sie sich bekennen. Daher kam erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, wo die Notwendigkeit auftrat, das Ereignis von Golgatha wieder neu zu finden, das letzte Aufflackern des antichristiichen Elementes, das ja natürlich schon da war unter der Oberfläche der Erscheinungen, das aber übertüncht war eine Zeitlang durch Tradition und Schriftwerk, herauf und wurde im Beginne des 20. Jahrhunderts am stärksten. Schrift und Tradition hatten für die meisten Menschen keine Bedeutung mehr. Selbst aber hatten sie noch nicht entzündet dasjenige Licht> das sie hinführte zu einem Wiederbegreifen des Ereignisses von Golgatha.
Nur weil das so kam, konnten noch im 19. Jahrhundert und ins 20. Jahrhundert herein die allerunchristlichsten Erscheinungen die Menschheit ergreifen. Zwei der unchristlichsten Erscheinungen sind gerade diejenigen, die ins 19. Jahrhundert hereinspielten. Da ist die erste Erscheinung,
die wir allmählich aufglimmen sehen, im 19. Jahrhundert heraufkommend, immer mehr und mehr die Gemüter ergreifend: es ist das Aufkommen des Nationalitätsprinzips. Der Schatten des Blutsprinzips kommt herauf. Es wird aus dem Prinzip der Nationalität heraus das christliche Allgemeinmenschliche vollständig zurückgedrängt, weil noch nicht der neue Weg da war, dieses christliche Allgemeinmenschliche zu finden. Das Antichristliche tritt auf zunächst in der Form des Nationalitätenprinzips. In den Nationalitätsbewußtseinen lebt wieder auf das alte Luziferische des Blutes. Und wir sehen die Auflehnung gegen das Christentum in den Nationalismen des 19. Jahrhunderts, was zuletzt gipfelt in der Phrase Woodrow Wilsons Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten, während die einzige Realität in der Gegenwart nur sein könnte die Überwindung der Nationalismen, die Auslöschung der Nationalismen und das Ergriffenwerden der Menschen von dem allgemeinen Menschtum.
Das zweite ist, daß die Menschen nicht aus dem erweckten Seelischen ihre Welterkenntnis entnehmen wollen, sondern aus dem bloßen Abbild, aus dem materiellen Abbild dieses Seelischen. Der Anblick des Seelischen selber ist erstorben, aber der Mensch ist als natürliches Wesen ein Abbild dieses Göttlich-Geistigen. Dieses Abbild kann zwar nicht Geist-Erkenntnisse hervorrufen, aber intellektualistische Erkenntnisse. Das ist ja das Geheimnis, von dem ich Ihnen hier öfter gesprochen habe: daß die Menschen das Geistige zwar erkennen müssen, indem sie sich zum Geist erheben, daß aber für das, was heute intellektualistisch ergriffen wird, das Gehirn das wirkliche Werkzeug ist.
Über den Intellektualismus sollte man materialistisch denken; denn alles das, was gedacht wird, so wie die heutige Wissenschaft denkt, so wie die heutige Theologie denkt, wie das im Umkreis liegende heutige christliche Bewußtsein denkt, all das ist nur vom menschlichen Gehirn gedacht, ist Materialismus. Die eine Seite sind die Wortbekenntnisse, die andere Seite ist der Bolschewismus. Der Bolschewismus ist dadurch so zerstörend für die Menschheit, weil er das Bekenntnis des bloßen Gehirns ist, des materiellen Gehirnes. Und ich habe Ihnen öfter geschildert, wie dieses materielle Gehirn eigentlich ein Dekadenzprozeß ist. Wir können unseren Materialismus eigentlich nur dadurch entfalten,
daß in unserem Gehirn fortwährend Zerstörungs-, Todesprozesse sind. Wenden wir das, was auf diese Weise gedacht wird in dem Leninismus, in dem Trotzkismus, auf die soziale Ordnung an, dann muß ein Zerstörungsprozeß hervorgehen, denn es wird gedacht über die soziale Ordnung aus dem heraus, was selbst Boden der Zerstörung ist: das Ahrimanische. Das ist diese andere Seite.
Diese zwei Dinge sind heraufgekommen für die gesamten christlichen Elemente des 19. und 20. Jahrhunderts: der Nationalismus, die luziferische Gestalt des Anti-Christentums, und dasjenige, was gipfelt in den Leninismen und Trotzkismen, die ahrimanische Gestalt des AntiChristentums. Das sind die Schaufeln, mit denen heute das Grab des Christentums gegraben werden soll, die Nationalismen und die Leninismen. Und überall, wo Kultus getrieben wird mit Nationalismen und mit Trotzkismen, wenn auch in abgeschwächter Gestalt, dort wird heute dem Christentum das Grab gegraben, dort herrscht für den Einsichtigen eine Stimmung, die im rechten Sinne eine Karsamstag-Stimmung ist.
Der Träger des Christentums ruht im Grabe, und die Menschen legen einen Stein darauf. Zwei Steine legten die Menschen auf den Repräsentanten des Christentums: die Nationalismen und die äußerlichen Sozialismen. Und notwendig hat die Menschheit, herbeizuführen die Zeit des Ostersonntags, des Hinweghebens des Steines oder der Steine vom Grabe. Aber nicht früher wird das Christentum aus dem Grab auferstehen, bevor nicht die Menschen überwinden die Nationalismen und die falschen Sozialismen, bevor nicht die Menschen den Weg finden, das von sich aus zu suchen, was zum Verständnis des Mysteriums von Golgatha führen kann.
Wenn heute die Menschen sich aus der Stimmung der Gegenwart zu dem Glauben Christi hinbegeben, dann muß ihnen - dies wäre ganz gerechtfertigt - der Engel erscheinen und ihnen dasselbe sagen, was er geantwortet hat, als er gefragt worden ist unmittelbar in der Zeit des Mysteriums: «Der, den ihr suchet, ist nicht mehr hie.» Er war dazumal nicht mehr hie, weil die Menschen erst durch die Tradition sich durchfinden mußten und durch die Schrift, um zu einer Eigenerkenntnis des Mysteriums von Golgatha zu kommen. Heute ist diese Notwendigkeit
vorhanden, denn die Schrift sagt nicht mehr das, was gewußt werden soll, die Tradition sagt nicht mehr, was gewußt werden soll. Nur die ursprüngliche menschliche Erkenntnis kann wiederum sagen, was gewußt werden muß. Und die Zeit muß herbeigeführt werden, wo der Engel antwortet: Der, den ihr suchet, ist hie. - Aber er wird nicht hie sein, bevor verschwinden die antichristlichen Impulse unserer Zeit. Paulus wollte die Menschen zusammenrufen zu einer Gemeinschaft mit dem Bewußtsein: die Unsterblichkeit ist dem Menschen sicher durch den Tod hindurch, «in Christo sterben wir». Bevor nicht wieder verstanden wird, daß nur Geist-Erkenntnis zu dem Verständnis des Paulus wirklich führen kann, kann auch keine soziale Besserung kommen, sondern nur weiterer sozialer Niedergang. Das ist das, was heute auch in bezug auf das Christentum verstanden werden muß daß der Mensch erzogen werden muß zu der Geist-Erkenntnis, wie er in alten Zeiten geboren worden ist zu der Geist-Erkenntnis.
Auch wenn man die Sache so betrachtet, tritt einem der ganze Ernst der gegenwärtigen Zeit entgegen. Vor allen Dingen tritt einem entgegen die Notwendigkeit, daß man wirklich arbeiten muß an der Durchgeistigung unserer Kultur. Soll denn ganz abgebrochen werden die Brücke zu der geistigen Welt hin, in die der Mensch ja einzugehen hat, wenn er durch die Pforte des Todes geht, in der der Mensch sich aufzuhalten hat zwischen dem Tod und einer neuen Geburt? Man bedenke, daß diese Brücke in die geistige Welt abgebrochen wird durch die Nationalismen und durch die falschen Sozialismen. Man bedenke, daß diese Dinge innig zusammenhängen mit den gründlichsten Notwendigkeiten unserer Zeit. Und wer sich mit diesen Dingen nicht bekanntmachen kann, wer also fortfahren will in dem Bewußtsein, daß nur das Ergebnis des materiellen Prozesses im Menschen ist, der arbeitet mit allen Kräften an dem Weitergehen der Dekadenz. Denn heute ist der Zeitpunkt da, in dem sich die Dinge entscheiden müssen. Sie müssen sich entscheiden. Aber sie können sich nur entscheiden durch der Menschen freien Willen. Freier Wille aber ist nur möglich auf Grundlage wirklicher Geist-Erkenntnis.
In der Zeit, in der das Mysterium von Golgatha stattfand, hat man in Rom eigentlich eine merkwürdige Toleranz geübt gegen alle Bekenntnisse.
Nach und nach hat man sich sogar aufgeschwungen, nachdem man das lange nicht getan hatte, zu einer gewissen Toleranz gegenüber dem Judentum. In Rom war man sehr tolerant zur Zeit, als das Mysterium von Golgatha allmählich in die Entwickelung der Menschheit> also in die Entwickelung der damaligen Zeit sich ein- lebte - nur just gegen die Christen wurde man immer intoleranter. Man wurde gegen die Christen allmählich so intolerant in Rom, wie man im Nachbilde bei den heutigen einzelnen Nationalitäten immer intoleranter gegen die anderen Nationalitäten geworden ist. Es ist eigentlich für das, wie sich die Nationalitäten heute verhalten, das Vorbild die Intoleranz der Römer gegen das Auftreten einer wirklichen GeistErkenntnis; denn gegen diese lehnt sich sozusagen alles auf. Es gibt heute ganz hübsche Bündnisse, wenn sie auch an der Oberfläche noch nicht bemerkt werden, zwischen Jesuitismus und den allerradikalsten Elementen da oder dort. Aber in der Ablehnung der Geist-Erkenntnis sind schließlich die allerradikalsten Kommunisten mit den Jesuiten vollständig einig. Auch das erinnert an die Intoleranz des Römertums gegen das Christentum, und damals und heute hängt es im Grunde genommen mit demselben zusammen. Damals und heute hängt es damit zusammen, daß die Menschen im Grunde genommen in ihrer unbewußten menschlichen Natur den Geist hassen, richtig den Geist hassen. Das Hassen des Geistes, es tritt einem sowohl auf seiten des Nationalismus wie des falschen Sozialismus stark entgegen, dieses Hassen des Geistes, dieses unbewußte Hassen des Geistes. Denn man soll sich nur einmal vorstellen, was heute bedeutet das Hassen des Geistes, und was heute bedeutet Nationalismus! In alten Zeiten hatte der Nationalismus einen Sinn, denn mit dem Blute war verbunden die Geist-Erkenntnis. Wenn heute die Menschen in dem Sinne, wie sie es sind, nationalistisch sind, so ist es völlig sinnlos, denn es hat der Blutszusammenhang keine reelle Bedeutung mehr. Es ist eine bloß phantasierte Bedeutung, dieser Blutszusammenhang, wie er im Nationalismus auftritt. Es ist eine bloße Illusion.
Deshalb haben die Menschen heute, wenn sie solchen Dingen anhängen, kein Recht, irgendwie noch von einem Osterfeste zu sprechen. Das Sprechen vom Osterfeste ist eine Unwahrheit, und die Wahrheit
muß gerade darin bestehen, daß der Engel wiederum sagen kann, oder daß der Engel sagen kann jetzt erst: Der, den ihr suchet, der ist hie. - Aber der wird sicher nur mit etwas einverstanden sein, was für alle Menschen gilt. Es ist heute so, wie es bei den Römern war, die am intolerantesten gegen die Christen waren. Denn, was taten denn alle anderen, außer den Christen? Alle anderen außer den Christen verehrten den Kaiser von Rom noch mit den Lippen als einen Gott, opferten auch dem Kaiser von Rom. Die Christen konnten das nicht. Die Christen konnten als ihren einzigen König nur den allmenschlichen Christus Jesus anerkennen.
Hier liegt einer der Punkte, die linienhafte Fortsetzung in die Gegenwart herein bekommen haben. Hier liegt der Punkt. Ja, man braucht es nur so auszusprechen: Was hat denn schließlich der einzelne Mensch, sagen wir in England, noch gemeinschaftlich mit dem, was sich in die Formel kleidet, in der jede ministerielle Verfügung in England erfließt: «Im Namen seiner Majestät des Königs»? Wollte man die Wahrheit, wie sie der Geist fordert, an die Stelle setzen, so würde das eben nicht da sein können. Was hat denn schließlich das, was heute einen wirklichen Franzosen interessieren kann, zu tun mit dem Nationalismus Clemenceaus? Welche innere Verlogenheit steckt in dem Nationalismus Clemenceaus! Es würde heute christlich sein, solche Dinge sich zu gestehen. Aber man ist intolerant gegen solches Geständnis.
Sehen Sie, da kommen wir auf den Punkt, wo Unwahrheit tief in den Seelen der Menschen wuchert. Und diese Unwahrheit formt die anderen Steine des Nationalismus, des falschen Sozialismus zu einem Stein, der auf das Grab gewälzt wird, und mit dem zugedeckt wird dicscs Grab. Es wird zugedeckt bleiben, bis die Menschen in der Wahrheit zum Geist-Erkennen, und durch das Geist-Erkennen zum Erfassen des allmenschlichen Christentums wiederum kommen. Vorher gibt es kein Osterfest. Vorher gibt es keine Möglichkeit, daß im Ernste ersetzt werde die schwarze Trauerfarbe durch die rote Osterfarbe; denn vorher ist dieser Ersatz eine menschliche Lüge. Es muß nach dem Geiste gestrebt werden. Das allein kann noch Sinn geben dem heutigen Existieren als Mensch.
Gerade wer den Gang der Entwickelung der Menschheit in unsere Zeit herein versteht, der muß das Wort für die heutige Zeit in der richtigen Weise prägen: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt.» Nein, dasjenige, was angestrebt werden muß, damit wieder zu einer Hoffnung für die Zukunft gekommen werden kann, das darf auch nicht von dieser Welt sein. Aber es spricht allerdings sehr gegen die menschliche Bequemlichkeit! Es ist schon bequemer, sich die alten Gewohnheiten als Ideale zu zimmern und sich dann innere seelische Wollust zu bereiten dadurch, daß man sich diese alten Gewohnheiten als Ideale zimmert. Es ist schon bequemer dies, als sich zu sagen: Es muß hingeschaut werden auf die große Verantwortlichkeit gegenüber der Menschenzukunft, der man allein gerecht werden kann dadurch, daß man das Streben nach dem geistigen Erkennen in die menschlichen Impulse aufnimmt.
So wird aus dem, was in der heutigen Zeit der Mensch erkennen sollte, das Osterfest bleiben müssen ein Fest der Mahnung statt eines Festes der Freude. Und eigentlich müssen diejenigen, die es ernst und ehrlich meinen mit der Menschheit, heute die Osterworte nicht sagen: Der Christus ist erstanden -, sondern sie müßten sagen: Der Christus soll und muß erstehen.
SECHSTER VORTRAG Dornach, 30. Mai 1920
Für die Weiterführung unserer geistigen Anschauung wird immer mehr nötig sein, daß unsere Freunde Rücksicht nehmen auf gewisse historische Tatsachen. Es ist, man möchte sagen, in den vergangenen Jahrzehnten gewiß ein schönes Leben gewesen für unsere lieben Mitglieder, die sich darauf beschränkt haben, Kenntnis zu nehmen von dem, was an den verschiedenen Orten vorgetragen worden ist, was innerhalb dieser Vorträge sonst gesagt worden ist, und die in gewissem Sinne doch eine Art von Mauer ergaben, die nicht durchsichtig war für viele, eine Mauer, über die man nicht hinausschauen wollte auf dasjenige, was in der äußeren Welt vorgeht. Will man aber in der richtigen Weise hinausschauen auf das, was in der äußeren Welt vorgeht, will man nicht eine Sekte begründen, sondern will man - was einzig und allein unsere Bewegung sein kann - eine historische Bewegung haben, dann ist es nötig, daß man auch weiß, aus welchen historischen Voraussetzungen dasjenige hervorgeht, was ringsherum in der Welt vorhanden ist. Und die Art und Weise, wie man uns, ohne daß wir auch nur im entferntesten irgend aggressiv vorgegangen sind, wie man uns insbesondere hier behandelt, die macht wohl im allereminentesten Sinne notwendig, daß über die Mauern wirklich hinausgeschaut werde und einiges von dem verstanden werde, was in der Welt vorgeht. Deshalb mochte ich einiges von dem, was ich in der nächsten Zeit zu sagen habe, an allerlei historische Bemerkungen anknüpfen, um auf gewisse historische Tatsachen hinzuweisen, ohne deren Kenntnis wir jetzt tatsächlich wohl nicht weiterkommen können.
Ich möchte zunächst heute auf eines hinweisen. Sie wissen, daß so ungcfähr zu Beginn des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts in den verschiedenen zivilisierten Staaten Europas und in Amerika so etwas Platz gegriffen hat, was man genannt hat eine Art realer Lebensauffassung, die sich im wesentlichen aufgebaut hat auf die Errungenschaften des 19. Jahrhunderts und auch auf die Errungenschaften, welche die Zivilisation dieses 19. Jahrhunderts vorbereitet haben. Man hat überall anders
gesprochen, aus einem anderen Unterton heraus, zu Beginn des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, als dann in den späteren Jahrzehnten und insbesondere in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Gedankenformen selbst, wie sie breiteste Kreise beherrschen, sind in dieser Zeit wesentlich andere geworden. Nun will ich heute nur eines hervorheben. Das, was dazumal im Beginne des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts eine Art Gemeingut der Gebildeten war, war der Glaube daran, daß der Mensch aus sich heraus, aus seinem Inneren heraus sich über die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens eine Überzeugung bilden soll, und daß, trotzdem der Mensch aus diesem seinem Inneren heraus sich eine Überzeugung über die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens bildet, nach dem, was ihm durch irgendwelche wissenschaftlichen Ergebnisse vorgelegt wird, daß trotzdem ein soziales Zusammenleben der Menschen innerhalb der zivilisierten Welt möglich sei. Es wurde gewissermaßen eine Art Dogma, aber ein Dogma, das man freiwillig in weitesten Kreisen anerkannte, ein Dogma, daß unter den Menschen, die einen gewissen Bildungsgrad erreicht haben, Gewissensfreiheit möglich sei. Man hat zwar in den folgenden Jahrzehnten niemals den Mut gehabt, gegen dieses Dogma geradezu aufzutreten; allein mehr oder weniger unbewußt machte man doch Front gegen dieses Dogma. Und in der heutigen Zeit, nach der großen Weltkatastrophe, ist dieses Dogma geradezu etwas, das in weitesten Kreisen, allerdings mehr oder weniger heuchlerisch, aber doch zurückgedrängt, vernichtet wird. Man möchte sagen, in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts war in weitesten Kreisen der Glaube herrschend, daß der Mensch eine gewisse Freiheit seines Gewissens haben müsse und auch eine gewisse Freiheit seines Kultus, alles desjenigen, was mit dem Kultus zusammenhängt. Dies hat man in gewissen Kreisen her- aufkommen sehen, und es ist von mir schon des öfteren hervorgehoben worden, wie gegen dasjenige, was da heraufgekommen ist, am 8. Dezember 1864 von Rom aus Sturm gelaufen wurde, wie von Rom aus diese ganze Bewegung dazumal behandelt worden ist. Es ist von mir hervorgehoben worden, daß in der päpstlichen Enzyklika des Jahres 1864, die mit dem bekannten Syllabus zu gleicher Zeit erschien, ausdrücklich gesagt wird: Die Ansicht, daß die Freiheit des Gewissens
und der Kulte in eines jeden Menschen eigenes Recht gegeben sei, sei ein Deliramentum, ein Wahnsinn. Als Europa die gewissermaßen vorläufige Hochflut dieser Anschauung von der Freiheit des Gewissens erlebte, wurde von Rom aus offiziell erklärt, diese Freiheit des Gewissens und die Freiheit des Kultus sei ein Wahnsinn.
Dies möchte ich nur zunächst als eine historische Tatsache hingestellt haben. Ich möchte damit hinweisen, was stattgefunden hat in einer Zeit, in welcher für immerhin eine ganze Anzahl von Menschen die Frage aufgetaucht ist und von den Quellen des menschlichen Gewissens aus behandelt werden wollte: Wie kommen wir als Menschen religiös weiter? - Diese Frage bildete in tiefstem Ernste und wirklich so, daß sich zeigte, die Gewissen sind daran beteiligt, eine bedeutsame Zeitfrage. Ich möchte Ihnen nur ein Dokument als Beweis dafür zur Vorlesung bringen, daß diese Frage etwas bildete, was dazumal die gebildeten Menschen tief beschäftigte.
Es gibt Reden jenes Rümelin,von dem ich Ihnen neulich im Zusammenhange mit Julius Robert Mayer und im Zusammenhang mit dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft gesprochen habe, Reden, die 1875, also in diesem Zeitraume erschienen sind, von dem ich Ihnen jetzt spreche. Da wird auch auseinandergesetzt, welche Schwierigkeiten die Menschheit gerade in bezug auf die Fortbildung der religiösen Fragen erlebt. Da wird auch darauf hingewiesen, wie notwendig es ist, mit klarer Einsicht diese Schwierigkeiten zu verfolgen. Wer nun genauer diesen Zeitpunkt kennt, von dem ich hier spreche, der weiß, daß die folgenden Worte Rümelins immerhin herausgesprochen sind aus dem Gewissen von Hunderten und aber Hunderten von Menschen. Wir haben gewiß keine Veranlassung, die besondere Form der Wissenschaft, die dazumal aufgetaucht war, zu protegieren. Wir sind, soweit wir Anthroposophen sind, dazu ausgerüstet, diese wissenschaftlichen Richtungen weiterzubilden und in ihren relativen Irrtümern gründlich zu durchschauen. Wir sind auch ausgerüstet, zu erkennen, wie man, wenn die Wissenschaft auf diesem Standpunkte bleibt, mit ihr durchaus nicht weiterkommen kann. Aber es sind an vielen Punkten eben in weitesten Kreisen gerade über die religiöse Frage Urteile aufgetaucht, an die man sich heute wiederum zurückerinnern sollte.
Und so wird dasjenige, was viele dazumal dachten, zusammengefaßt von Rümelin 1875 in den folgenden Worten: «Es ist Ein Punkt, der zwar zu allen Zeiten Wissen und Glauben schied, aber niemals eine so unübersteigliche Kluft zwischen beiden bildete, als jetzt - der Wunderbegriff. So weit ist die Wissenschaft erstarkt, in sich sicher und übereinstimmend in allen Zweigen und Richtungen, Schulen und Parteien, daß sie dem Wunder in jeder Art und Gestalt unbedingt und ohne weiteres die Türe weist. Sie erkennt nur das Eine Wunder aller Wunder an, daß es überhaupt eine Welt gibt und gerade diese, aber innerhalb des Kosmos verwirft sie schlechthin jeden wie immer formulierten Anspruch, daß die Durchbrechung seiner Ordnungen und Gesetze etwas Denkbares oder gar etwas Vorzüglicheres sei als deren unwandelbare Geltung. Das Wunder ist in ganz gleicher Weise für alle Natur-, Geschichts- und philosophischen Wissenschaften in eben dem, was es sein und bedeuten will, ein begriffliches Unding, ein direktes Attentat auf alle Vernunft und die elementarsten Grundlagen aller menschlichen Wissenschaften. Wissenschaft und Wunder stehen einander gegenüber wie Vernunft und Unvernunft.»
Als ich begann, um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert in öffentlichen Vorträgen gewisse anthroposophische Fragen zu berühren, da war noch ein letzter Nachklang von dieser Stimmung vorhanden. Und deshalb finden Sie - ich weiß nicht, ob jetzt viele hier versammelt sind, die noch diese ersten Vorträge verfolgt haben - in ziemlich vielen Vorträgen hingewiesen auf das Problem der wiederholten Erdenleben und das Problem von dem Schicksal des Menschen, das sich durch die wiederholten Erdenleben hindurchzieht. Sie finden bei diesem Problem stets darauf hingewiesen, immer am Schluß des Vortrages suchte ich darauf hinzuweisen, wie im Grunde genommen für jedes Leben - wenn man glaubt, daß die altaristotelische Vorstellung richtig sei: jedesmal, wenn ein Mensch geboren wird, werde eine neue Seele geschaffen, die eingepflanzt werde dem menschlichen Embryo -, für jedes einzelne Leben das Wunder statuiert sei, und daß lediglich dadurch im berechtigten Sinne der Wunderbegriff überwunden werde, daß man die wiederholten Erdenleben annehme, wodurch jedes einzelne Menschenleben ohne Wunder an die vorhergehenden Erdenleben angereiht werde.
Ich erinnere mich noch ganz lebhaft, wie ich einen der Berliner Vorträge damit schloß: Das Wichtigste werden wir in einer richtigen Weise überwinden, den Wunderbegriff.
Seither ist es allerdings fast in der ganzen zivilisierten Welt anders geworden. Das ist zunächst eine historische Tatsache, aber diese schließt etwas ein, was uns im eminentesten Sinne interessieren muß. Das ist, daß in demselben Maße, in dem der Mensch die Möglichkeit verliert, das Geistige in der Welt zu sehen, die Welt, die als Natur auch um ihn ist, geistig zu erklären, in demselben Maße muß er neben die Natur und die sonstige Welt eine besondere Welt hinstellen, die dann der Inhalt der Wunderwelt wird. Je mehr die Naturwissenschaft sich auf die bloße Kausalität berufen wird, desto mehr wird das menschliche Gemüt aus einer ganz selbstverständlichen Reaktion heraus den Wunderbegriff aufnehmen. Je mehr die Naturwissenschaft so fortwirtschaften wird, wie sie fortgewirtschaftet hat, desto zahlreicher werden die Menschen werden, die in Religionen, welche zum Wunder greifen, ihre Zuflucht suchen. Daher das zahlreiche Untertauchen moderner Menschen im Katholizismus, weil sie es gewissermaßen in der naturwissenschaftlichen Weltanschauung nicht aushalten.
Sie brauchen nur den Satz von Rümelin, den ich eben vorgelesen habe, zu vergleichen mit dem, was ich in den letzten Vorträgen hier besprochen habe, dann sehen Sie gleich, um was es sich handelt. In diesen Rümelinschen Ausführungen kommt vor: sie erkennen nur das eine Wunder aller Wunder an, daß es überhaupt eine Welt gibt und gerade diese, aber innerhalb des Kosmos verwerfen sie schlechthin jeden wie immer formulierten Anspruch, daß die Durchbrechung seiner Ges«ze und Ordnungen etwas Denkbares oder gar etwas Vorzüglicheres sei als deren unwandelbare Geltung. - Man denkt sich also das Urwunder, daß der Kosmos überhaupt entstanden sei, dann aber innerhalb des Kosmos statuiert man das Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und von der Erhaltung der Kraft; dann rollt alles wie fatalistisch nach einer gewissen Notwendigkeit ab.
Das ist eine Weltanschauung, die nicht haltbar ist, die aber erst überwunden werden kann durch jene Erkenntnisse, die ich mir erlaubte, vor Ihnen, in den letzten Vorträgen dieser Wochen, auseinanderzusetzen,
wo ich Ihnen zeigte, wie das Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und der Kraft etwas Unrichtiges darstellt und dasjenige ist, was zunächst in unserer Zeit mit aller Energie überwunden werden muß. Wir haben es nicht nur zu tun mit einer fortwährenden Erhaltung des Kosmos, sondern mit einem fortwährenden Vergehen und Neuentstehen des Kosmos. Und legt man sich hinein in den Kosmos die Idee dieses fortwährenden Entstehens und Vergehens, dann ist man genötigt, weil man Mensch ist, eine besondere Welt neben dem Kosmos zu statuieren, welche Welt dann nichts zu tun hat mit den Naturgesetzen, die man einseitig darstellt, welche zum Wunder greifen muß. In demselben Maße wird allein der unberechtigte Wunderbegriff überwunden, in dem man verstehen lernt, daß alles dasjenige, was in der Welt ist, in einer geistigen Ordnung steht, in der man es nicht nur zu tun hat mit einer ehernen Naturnotwendigkeit, sondern mit weisheitsvoller Weltenführung.
Je mehr man die geistige Welt als solche ins Auge faßt, je mehr man das ins Auge faßt, was man durch die Geisteswissenschaft bekommt, desto mehr sieht man ein, daß alles dasjenige, was die Naturwissenschaft heute vorstellt, durchdrungen werden muß von diesen geistigen Erkenntnissen. Daher muß es immer mehr unsere Aufgabe werden, auf alle einzelnenWissenschaften und alle einzelnen Zweige des Lebens hinzuweisen so, daß diese durchdrungen werden von dem, was nur Geisteswissenschaft sagen kann. Medizin und Jurisprudenz und Soziologie, alles das muß durchdrungen werden von dem, was durch Geisteswissenschaft erkannt und erschaut werden kann. Diese Geisteswissenschaft braucht nicht irgendeine den alten Kirchen ähnliche Organisation, denn sie appelliert an jeden einzelnen Menschen. Jeder einzelne Mensch kann aus seinem Gewissen heraus durch den gesunden Verstand dasjenige sich vergegenwärtigen, was die Geisteswissenschaft als Ergebnis liefert, und kann sich von diesem Gesichtspunkte aus zur Geisteswissenschaft bekennen. Damit stellt die Geisteswissenschaft etwas hin, was unmittelbar sich nur richtet an das Wahrheitssuchen jeder einzelnen menschlichen Individualität. Sie zieht in Wirklichkeit erst die Konsequenz dessen, was man wollte in jener heute entschwundenen Zeit, im Beginne des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, als man wollte: Wirkliche Freiheit des menschlichen Anschauens,
des menschlichen Forschens, des menschlichen Meinens auch. Das ist gerade die Aufgabe der Geisteswissenschaft, die echten, die berechtigten Gewissensforderungen der neueren Menschheit zu berücksichtigen. Da gibt es für die Geisteswissenschaft nicht irgend etwas, was abgeschlossene Dogmen sind, sondern da gibt es eben nur wirkliches, durch nichts begrenztes Forschen, das aber weder vor der Grenze gegenüber der geistigen Welt, noch vor der Grenze gegenüber der natürlichen Welt zurückschreckt, sondern ein Forschen ist, das sich der menschlichen Erkenntniskräfte, die herauszuholen sind aus den Tiefen des menschlichen Gemütes, ebenso bedient, wie derjenigen Kräfte, die uns zukommen durch die gewöhnliche Vererbung und durch die gewöhnliche Erziehung.
Diese Grundtendenz der Geisteswissenschaft ist selbstverständlich ein Dorn im Auge denjenigen, welche genötigt sind, nach einem bestimmten, dogmatisch umschriebenen Ziele hin zu lehren. Und da stehen wir, soweit es unsere Geisteswissenschaft interessieren muß und soweit es zu den erklärenden Umständen gehört, die den jetzigen so unwahren Kampf gegen uns möglich machen, da stehen wir vor jener Tatsache, die aber nur ein Ergebnis dessen ist, was schon 1864 mit der damaligen Enzyklika und mit dem Syllabus begann, wir stehen vor der Tatsache, daß der gesamte katholische Klerus, namentlich der lehrende Klerus, durch jenen in das moderne Leben so bedeutsam einschneidenden päpstlichen Erlaß vom 1. September 1910 und durch die Enzyklika «Pascendi dominici gregis» veranlaßt wurde, den sogenannten Antimodernisteneid zu schwören. Dieser Eid besteht darin, daß jeder, der kanzelmäßig oder kathedermäßig als katholischer Priester oder Theologe lehrt, anerkennen muß, daß keine wie immer geartete Wissenschaft dem, nach seiner Ansicht, widersprechen kann, was von der römischen Kirche als Lehrgut dogmatisch festgestellt ist. Das heißt, man hat es heute bei jedem Lehrenden oder kanzelmäßig redenden katholischen Priester zu tun mit jemandem, der den Eid geschworen hat, daß alle Wahrheit, die jemals in der Menschheit Platz greifen kann, übereinstimmen müsse mit dem, was als Wahrheit von Rom aus geltend gemacht wird. Es war eine mächtige Bewegung, die damals, als diese Enzyklika erschien, auch durch den katholischen Klerus ging. Denn
es war in der ganzen zivilisierten Welt auch der Klerus in einer gewissen Weise ergriffen worden von der Stimmung, die ich Ihnen für den Beginn des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts charakterisiert habe. Es gab immerhin Kleriker, welche nach einer gewissen Freiheit des Katholizismus hinarbeiteten.
Nun, ich sage es ganz unverhohlen, daß in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts bei einer großen Anzahl katholisierender Kleriker Keime vorhanden gewesen sind zu einer Fortbildung des katholischen Prinzips, die, wenn sie in eine freie Wissenschaft ausgelaufen wäre, im höchsten Maße zu einer Befreiung der modernen Menschheit hätte führen können. Die schönsten Keime lagen gerade in dem, was dazumal von katholischer Klerikerseite auf den verschiedensten Gebieten versucht worden ist. Alles das muß einmal hier unter uns noch ausführlicher besprochen werden, muß mit Einzelheiten belegt werden. Ich mache Sie zunächst einleitend darauf aufmerksam, und gerade gegen diese innerkatholische Bestrebung machte sich ja das geltend, was 1864 als die damalige Enzyklika und der Syllabus erschien. Dazumal begann jener Kampf, der seinen vorläufigen Abschluß im Antimodernisteneid gefunden hat. Und es war, ich möchte sagen, im Unterbewußten mancher Leute, die innerhalb des katholischen Klerus standen, auch noch 1910 etwas von einer inneren Auflehnung. Aber in der katholischen Kirche gibt es keine Auflehnung. Da handelt es sich darum, daß eben der Grundsatz: Was als Lehrgut von Rom diktiert ist, das muß anerkannt werden -, daß dieser Grundsatz restlos durchgeführt werde. Und es handelt sich dann darum, daß diejenigen, die nun weiter lehren mußten, daß die sich abfinden mußten mit dem, was sie abzuleugnen nicht den Mut hatten, die Freiheit der Wissenschaft. Freiheit der Wissenschaft war eben unter dem Einflusse desjenigen, was da im Beginne des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts aufgetreten ist, ein Schlagwort geworden, das selbstverständlich auch in liberalen Kreisen vielfach nur Schlagwort geblieben war; aber es war doch ein Schlagwort, und selbst katholische Gelehrte hatten nicht den Mut, zu sagen, sie brechen mit der Freiheit der Wissenschaft, sie wollen nichts wissen von der Freiheit der Wissenschaft. Sie hatten also die Aufgabe, den Beweis zu liefern, daß man nur dasjenige lehren dürfe - man hatte es zu beeidigen,
zu beschwören -, was von Rom als richtiges Lehrgut anerkannt wird, und daß darin die Freiheit der Wissenschaft bestehen könne.
Ich möchte Ihnen vorläufig nur eine kleine Probe solcher Beweisführung mit ein paar Sätzen vorlesen, die der katholische Theologe Weber in Freiburg im Breisgau seinem Buche «Theologie als freie Wissenschaft und die wahren Feinde wissenschaftlicher Freiheit» einverleibt hat. Da versuchte er ganz ausdrücklich zu beweisen, daß man zwar verpflichtet sein kann durch Beschwörungsformeln, nur vollinhaltlich dasjenige zu lehren, was einem von Rom aus zu lehren aufgetragen wird, daß man aber dabei trotzdem ein freier Wissenschafter bleiben könne. Nachdem er lange auseinandergesetzt hat, daß ja auch die Mathematik etwas Gegebenes sei und man deshalb die Freiheit der Wissenschaft nicht aufhebe, weil man an die Wahrheit der Mathematik gebunden sei, wenn man lehre, so geht er dazu über, zu beweisen, daß man die Freiheit nicht aufgebe, wenn man dasjenige, was von Rom gegeben werde, eben gezwungen sei, der Wahrheit gemäß zu lehren. Einer der Sätze ist der folgende: «Damit, daß der Gelehrte eidlich an den Glaubensinhalt gebunden ist, ist er nicht gebunden an bestimmte Erklärungsweisen und Begründungsversuche, so wenig als die eidliche Pflicht, zur bestimmten Zeit sich bei seinem Regiment einzufinden, dem Soldaten auch die Freiheit nimmt, ob er zu Fuß oder zu Wagen, mit Personenzug oder mit Schnellzug sein Ziel erreichen will. Also bleibt der Gelehrte trotz des Eides in seiner wissenschaftlichen Aufgabe frei.» Das heißt, man ist gezwungen, einen bestimmten Lehrinhalt zu lehren. Man ist gezwungen, gerade diesen Inhalt zu beweisen. Wie man das tut, darinnen ist man frei. Man ist so frei wie ein Soldat, der geschworen hat, in einem bestimmten Zeitpunkt bei seinem Regiment zu erscheinen, dcr dann zu Fuß oder zu Wagen, in dem Personenzug oder mit dem Schncllzug fahren kann. Man soll sich nun denken, wie dieses zu Fuß oder zu Wagen, im Personenzug oder Schnellzug aussehen muß. Es muß unter allen Umständen so aussehen, daß man beim Regiment ankommt.
Ich polemisiere nicht, ich spreche nur eine historische Tatsache aus.
Dieser ganzen historischen Entwickelung liegt etwas ganz Bestimmtes zugrunde: daß ja im Laufe der letzten Jahrhunderte sich dasjenige langsam vorbereitet hat, was ich charakterisiert habe für diesen Zeitpunkt
vom Beginne des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, daß das, was da als Stimmung weitere Kreise der gebildeten Welt ergriffen hat und so verheißungsvoll war, jetzt eingeschlafen ist, daß die Seelen darüber schlafen. Es liegt das vor, daß diejenigen Menschen, die dazu- mal noch diese Stimmung mitgemaclit haben, jetzt zu den Altesten gehören, zu den alten abgetakelten Liberalen, daß namentlich die Jugend in den letzten Jahrzehnten so gehalten worden ist, daß sie die wichtigsten Anforderungen der Menschheit verschlafen hat. Daher muß gerade heute der Appell an die Jugend gerichtet werden, daß sie es anders machen muß, wenn der Niedergang nicht weiter heraufziehen soll, als es diejenigen gemacht haben, die aufgewachsen sind in den letzten Jahrzehnten. Liberal werden konnte das Geschlecht von den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, liberal erziehen konnte es nicht. Dazu gehört ein ganz anderes Überwinden des Wunderbegriffes, als die Naturwissenschaft es geliefert hat. Dazu gehört die Überwindung durch den Geist und nicht durch die mechanische Naturordnung. Aber während im Grunde genommen, ich möchte sagen, wie ein Traum diese Stimmung über die neuere Menschheit gekommen ist, wachten diejenigen, die dieser Stimmung entgegenarbeiten wollten, und aus wachen- dem Bewußtsein heraus ist so etwas geboren wie die Enzyklika und der Syllabus vom Jahre 1864 mit seinen achtzig «Irrtümern», die aufgezählt werden, an die alle ein Katholik nicht glauben dürfe. In diesen achtzig «Irrtümern» ist so ziemlich alles darinnen, was moderne Weltanschauung bedeutet. Und wiederum die notwendige und aus vollem Wachbewußtsein heraus geborene neueste Leistung ist die Enzyklika vom Jahre 1907, die dann zu dem Antimodernisteneid geführt hat. Man war nicht nur seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wach, man war seit viel längerer Zeit wach. Man hat gründlich und energisch und intensiv gearbeitet und die Arbeit, die geleistet worden ist, möchte ich bezeichnen als die Konzentrierung alles Katholischen auf Rom hin: Die Unterdrückung innerhalb des Katholizismus, alles desjenigen, was der freiesten Kirche - denn ihrem Wesen nach kann die katholische Kirche die freieste sein - die Freiheit nehmen mußte.
Sie werden vielleicht verwundert sein, daß ich sage, die katholische Kirche könne die freieste sein. Nun, gehen wir ein wenig von
unserer aufgeklärten Autoritätsfreiheit in das 13. Jahrhundert zurück, von dem wir uns neulich in öffentlichen Vorträgen unterhalten haben. Da möchte ich Ihnen doch aus diesem 13.Jahrhundert, wo der Katholizismus in Europa in voller Blüte stand, ein Dokument zu Gemüte führen. Da handelte es sich darum, daß der eine der Begründer der Hochscholastik, Albertus Magnus> von Rom aus zum Bischof von Regensburg ernannt werden sollte. Man kann sich heute innerhalb der katholischen Kirche selbstverständlich nichts anderes vorstellen, als daß das für einen Dominikaner, der bis dahin seinen Ruhm begründet hatte nur durch zahlreiche bedeutsame gelehrte Schriften und durch ein innerhalb seines Ordens sich vollziehendes rechtes Leben, eine ungemeine Erhöhung seiner Würde sei, zum Bischof eines der ersten Bistümer ernannt zu werden. Denn heute ist die katholische Kirche ein kompakter Organismus. Das ist er geworden, indem er im absolutistischen Sinne umgestaltet worden ist. - Der Ordensgeneral richtete also an Albertus Magnus einen Brief, als Albertus Magnus zum Bischof von Regensburg ernannt werden sollte, und dieser Brief hat etwa den folgenden Inhalt: Der Ordensgeneral beschwört Albertus Magnus, das Bistum nicht anzunehmen, nicht diesen Makel seinem Ruhme und dem seines Ordens zuzuführen. Er solle nicht auf das Verlangen des römischen Hofes eingehen, wo man die Dinge nicht so ernst nehme. Aller Nutzen, den er bisher durch sein frommes Leben und seine Schriften gestiftet, sei in Frage gestellt, wenn er Bischof werde und in die Verstrickung derjenigen Geschäfte geriete, die er als Bischof zu besorgen habe. Er solle seinen Orden nicht in tiefe Trauer versetzen.
Damals gab es Stimmen innerhalb der Kirche, die so sprachen. Damals war die katholische Kirche keine kompakte Masse. Damals gab es innerhalb der Kirche die Möglichkeit, in tiefe Trauer versetzt zu werden, wenn jemand zu einem Amte auserkoren wurde, von dem er wußte, daß bei dessen Besetzung Rom es nicht besonders ernst nimmt. In Biographien des Thomas Aquino finden Sie immer wiederum angeführt, daß er die Kardinalswürde ausgeschlagen hat. Ich führe Ihnen heute etwas von den wahren Gründen an, warum das also ist. Denn Sie lesen immer in den Biographien nur den Satz, daß er die Kardinalswürde ausgeschlagen hat. Es ist auch nicht leicht, die Gründe anzuführen,
wenn man zugleich den Thomas von Aquino zum offiziellen Philosophen der Kirche macht.
Einen Satz aus jenem Schreiben des Ordensgenerals der Dominikaner an Albertus Magnus möchte ich Ihnen doch wörtlich übersetzt vorlesen: «Möchte ich lieber hören, daß mein lieber Sohn im Grabe ist, als auf dem bischöflichen Stuhle von Regensburg.» Es genügt nicht, daß man bloß vom finsteren Mittelalter spricht und von den Zeiten, in denen wir leben und in denen man es so herrlich weit gebracht hat, sondern es handelt sich darum, daß man, wenn man die Dinge beurteilen will, innerhalb welcher wir leben, einige historische Tatsachen kennt und weiß, wie die Dinge sich in der Zeit entwickelt haben. Sie wissen ja, daß im Hintergrunde bei unseren Angreifern vielfach der Jesuitismus steht. Nicht wahr, von jesuitischer Seite kamen zuerst die knüppeldicksten Lügen, wie zum Beispiel diejenige, daß ich selber einmal Priester gewesen sei und aus dem Priesterstande entsprungen sei - worauf dann der Betreffende, der dies gelogen hat, nichts anderes nach einigen Jahren zu sagen wußte als: Diese Hypothese läßt sich weiter nicht halten. - Im österreichischen Parlament hat einmal der Abgeordnete Walterskirchen einem Minister ins Angesicht gerufen: Demjenigen, der einmal gelogen hat, dem glaubt man nicht, auch wenn er nachher die Wahrheit sagt. - Aber Jesuitismus steht hinter diesen Dingen. Man kann auf mancherlei hinweisen, was auf dem Boden des Jesuitismus wächst. Aber auch hier möchte ich heute nur einleitungsweise auf eine historische Tatsache hinweisen.
Ein jesuitischer Grundsatz ist es, dem Papst unbedingten Gehorsam zu leisten. Nun gab es im 18. Jahrhundert einen Papst, der für ewige Zeiten - ausdrücklich für ewige Zeiten - unwiderruflich den Jesuitenorden aufgehoben hat. Wären die Jesuiten ihrem Grundsatz, dem Papste Treue und Gehorsam zu erweisen, eben treu geblieben, dann wären sie nicht wiederum selbstverständlich auf der Bildfläche erschienen. Diese Treue haben sie nicht erwiesen, sondern sie haben sich geflüchtet zu denjenigen in die Länder, wo Herrscher waren, welche Rom dazumal weniger geneigt waren und die gemeint haben, dadurch, daß sie die Jesuiten konservieren, für die Zukunft nicht der Menschheit, aber sich selbst etwas Gutes zu tun, sich selbst und ihrer
Nachfolgerschaft. Denn gerettet ist der Jesuitenorden worden durch zwei Herrscher, nämlich von Friedrich 11. von Preußen und durch Katharina von Rußland. In allen römisch-katholischen Ländern war er als nicht zu Recht bestehend anerkannt. Die Jesuiten verdanken es heute Friedrich 11. von Preußen und Katharina von Rußland, daß sie überhaupt dazumal über die Zeit hinüber, wo sie von Rom aus verfolgt worden sind, existieren konnten. Ich polemisiere nicht, ich erzähle nur historische Tatsachen. Aber diese historischen Tatsachen sind weitesten Kreisen ja nicht bekannt, und es ist notwendig, daß diese historischen Tatsachen ins Auge gefaßt werden, denn es kann sich nicht ferner darum handeln, daß wir sektiererisch sind und eine Mauer um uns aufrichten, sondern es kann sich nur einzig und allein darum handeln, daß wir hineinschauen in dasjenige, wovon wir umgeben sind, und es verstehen lernen. Das ist wirklich dann unsere Pflicht, wenn wir es ehrlich und ernst meinen mit derjenigen Bewegung, in der wir vor- geben, darinnenzustehen.Das ist das Schlimmste, das Schädlichste in unserer Zeit, daß man sich so wenig um die Tatsachen kümmert, daß man nicht eingehen will auf die Art und Weise der Hergänge, aus denen dasjenige entstanden ist, was jetzt namentlich gegen uns aufsteht, von dem das gespeist wird, was jetzt gegen uns aufsteht. Es ist immer stiller geworden in bezug auf solche Urteile, wie sie gefällt worden sind aus jener Stimmung heraus, die ich charakterisiert habe als die vom Beginne des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts. Gegenwärtig ist die Zeit dadurch zu charakterisieren, daß man sagen kann: Es ist erstaunlich, wie wenig die Menschen eigentlich wissen, was in der Welt vorgeht. Denn es ist im Grunde genommen vollständig verschlafen worden die Enzyklika «Pascendi dominici gregis» vom 8. September 1907, wodurch eben von den Klerikern der Antimodernisteneid abgefordert worden ist. Stimmen etwa, wie sie ganz gewiß ausgegangen wären von einem solchen Menschen, wie jener Dominikanergeneral war, der seinen lieben Sohn lieber im Grabe sehen möchte als auf dem Bischofsstuhl von Regensburg, Stimmen solcher Art machten sich nicht geltend; dafür aber diejenigen, welche erklärten, man könne noch ein freier Wissenschafter sein, wenn man schwöre, dasjenige, was man lehre, könne man durch
alle Mittel beweisen, gleichgültig, ob durch Schnellzug oder Personenzug oder zu Wagen oder zu Fuß. Was die Logik für Sprünge machen muß, wenn solche Beweise geführt werden müssen - man braucht es sich nicht auszumalen. Man kann auch das beweisen, belegen, hinlänglich belegen. Aber die meisten Menschen machen sich keine Vorstellungen davon, welche Macht doch in dem steckt, was jetzt insbesondere im Kampf gegen uns, die wir niemanden angegriffen haben, auftritt, und von welcher Gesinnung dieses ist. Es genügt nicht, daß man sagt, die Dinge seien zu blöde, um darauf einzugehen. Denn immerhin, innerhalb desjenigen, was da um uns herum behauptet wird, finden sich zwei Dinge, die strikteweg gesagt werden. Ich will nur darauf hinweisen, daß sich der betreffende «Spektator» auf den Vorwurf: das, wovon er sprach, sei aus einem Buche, nämlich aus der AkashaChronik geschöpft, und es sei eine wissentliche Unwahrheit, denn er müsse wissen, daß er die Akasha-Chronik nicht in seiner Bibliothek haben könne, in folgender Weise heraus windet: «Zunächst eine Vorbemerkung. In unserem zweiten Artikel hat sich ein Druckfehler eingeschlichen: Akaska-Chronik statt Akasha-Chronik, was Dr. Boos schmunzelnd registriert. Er scheint . An gleicher Stelle ist noch ein Satzfehler: für Apollinaris soll natürlich Apollonius von Tyana stehen, was Dr. Boos übersehen hat - vielleicht aus Absicht.»
Nun, daß der Setzer «Akaska-Chronik» stehengelassen hat, das habe ich wahrhaftig nicht moniert, denn das kann ein Druckfehler sein; und sogar das will ich hinnehmen, daß ein Mensch, der auf jenem geistigen Niveau steht, von dem diese Artikel hier zeugen, statt Apollonius «Apollinaris» schreibt. Ich nehme ihm das nicht einmal übel, daß er unter den Quellen, aus denen wir schöpfen, auch diejenige, die mit dem Namen Apollinaris belegt ist, an führt. Aber das muß als eine wirkliche Unwahrheit hingestellt werden, wenn jemand behauptet, die Akasha-Chronik sei dasjenige, aus dem die Anthroposophie unberechtigterweise als aus einem alten Buche geschöpft werde. Aber wodurch windet sich der Herr denn aus diesem heraus? Er sagt gar nicht einmal, daß ihm das vorgeworfen werden konnte. Er sagt: «Sie ist eine sagenhafte Geheimschrift» - die Akasha-Chronik -, «welche die unvergänglichen
Spuren (?) aller Urweisheit enthält und eine ähnliche Rolle spielt, wie das obskure Buch Dzyan, das Madame Blavatsky in einer Höhle von Tibet gefunden haben will» und so weiter.
Er macht also seinen Schäfchen klar, daß er von dieser AkashaChronik doch als von irgend etwas einmal Geschriebenem sprechen könne. Selbstverständlich glauben ihm seine Leser das. Aber auf zwei Dinge will ich hinweisen. Das eine ist dieses: «Steiner rechnet sich als großes Verdienst an, daß er den Buddhismus verjüngt und dadurch bereichert habe, daß er ihm die Lehre von der Reinkarnation (Wiederverkörperung des Menschen) und Karma als Spezialitäten Steiners einverleibt habe.»
Selbstverständlich ist niemals etwas von dem geschehen, und es ist kein einziger Satz an dem wahr, was veröffentlicht worden ist, außer höchstens das einzige, was vielleicht denen immer etwas Kopfschmerzen verursacht, die aus dieser Stimmung heraus schreiben; nämlich er sagt «Die Gnostiker haben auch eine esoterische Glaubenslehre aufgestellt und die Menschen unterschieden zwischen Hyliker (die gewöhnlichen Menschen, die große Masse) und Pneumatiker (Theosophen), in denen die Fülle des Geistes und daher eine höhere Erkenntnis (Einweihung) herrsche. Sie enthielten sich des Fleisches und des Weines.»
Dieses «enthielten sich des Fleisches und des Weines», das ist das einzige, was man so, wie es hier steht, strikteweg nehmen kann, und das ist ja manchem Menschen etwas Unangenehmes, nicht wahr. Aber dieser selbe Herr sagte also dann weiter: «Das ist aber nicht wahr.» Was weiß ich, was nicht wahr ist? «Der Buddhismus redet von Seelenwanderung, Steiner von Reinkarnation. Beides ist das Gleiche. Nach dieser Theorie ist Christus nichts anderes als ein re-inkarnierter Buddha oder wiedererschienener Buddha. Ob man sagt: Der und der verkörpert sich wieder oder das Erdenleben von dem und dem wiederholt sich - das kommt auf`s gleiche heraus. Die ganze lange Argumentation offenbart die Steinersche Sophisterei und seine angebliche .
Ich bitte doch, darauf zu sehen, daß hier in dieser biederen Form wirklich das Argste an Unwahrheit geleistet wird, was nur geleistet werden kann, und daß für diejenigen, die das lesen, jede Möglichkeit hinweggeräumt wird, irgendwie sich von dem zu überzeugen, was die
Wahrheit ist. Bis jetzt ist in allen diesen langen Artikeln auf die dreiundzwanzig Lügen, von denen Dr. Boos in seiner Erwiderung auf den ersten Angriff gesprochen hat, noch nicht eingegangen worden.
Das andere ist folgender Satz: «Dieser Weg ist aber nicht falsch, sondern richtig.» Dieser «Spektator» redet vorher einen vollständigen Unsinn vom Willen und dann sagt er: «Dieser Weg ist aber nicht falsch, sondern richtig; denn Christi Forderungen gehen auf den Willen. Christus selber sagt ja: oder in theosophischer Sprache: ein Jeschu ben Pandira, oder ein Gautama Buddha, auf deutsch ein wiederverkörperter Buddha ist.»
Vergleichen Sie alles dasjenige, was hier zur Bekräftigung desjenigen vorgebracht worden ist, was von modernen Theologen über die Theorie, die hier immer wieder und wiederum als ein Unsinn bezeichnet worden ist - daß man zu sehen habe in dem Christus Jesus nur den «Weisen von Nazareth» - bedenken Sie alles das, was von dieser Stelle aus gegen diese materialistische Theorie gesagt worden ist - und hier in der unmittelbarsten Nähe wird man verleumdet und dasjenige, gegen das ich iminer wieder aufgetreten bin, als das Bekenntnis hier ausgebreitet. Ich frage Sie: Gibt es noch die Möglichkeit, die Lügen zu erhöhen? Gibt es noch einen verlogeneren Weg als diesen? Es genügt nicht, daß man bloß die Blödigkeiten dessen ansieht, denn Sie werden die realen Wirkungen dieser Taktik immer mehr und mehr verspüren. Daher ist es notwendig, daß die Dinge hier wahrhaftig nicht verschlafen werden, sondern daß die Dinge ernsthaft ins Auge gefaßt werden, denn es handelt sich heute wirklich nicht um die Fragen einer kleinen Gemeinschaft, sondern es handelt sich um eine große Menschheitsfrage, und diese große Menschheitsfrage muß ins Auge gefaßt werden. Es handelt sich um die Frage der Wahrheit und um die Frage der Lüge. In diesen Dingen muß Ernst gemacht werden.
Am nächsten Samstag werde ich von dieser Stelle aus einen öffentlichen Vortrag halten, ohne Polemik, bloß historisch, nur den historischen Tatbestand darstellend von alledem, was vorangegangen ist und Folge geworden ist dem päpstlichen Rundschreiben vom September 1907, der Enzyklika «Pascendi dominici gregis».
SIEBENTER VORTRAG Dornach, 3. Juni 1920
Ich habe heute vor, in den Betrachtungen, die letzten Sonntag hier begonnen worden sind, fortzufahren, und zwar möchte ich zunächst noch einmal zurückkommen auf die paar Worte, die ich gesagt habe am letzten Sonntag über den Antimodernisteneid. Ich habe das Wesen dieses Antimodernisteneides ja dahin charakterisiert, daß seit jener Zeit ein jeder, der im römisch-katholischen Kirchenlehramt tätig ist, sei es als Theologe, sei es als Kanzelredner, diesen Eid zu schwören hat, diesen Eid, der im wesentlichen besagt, daß nicht abweichen dürfe derjenige, der innerhalb des katholischen Lehramtes steht, von demjenigen, was durch das Lehramt der römisch-katholischen Kirche als die Wahrheit dogmatisch anerkannt ist, das heißt aber im wesentlichen, was anerkannt ist durch die römische Kurie.
Nun handelt es sich darum, daß gegenüber einer solchen Tatsache die Frage aufgeworfen werden muß Was ist denn eigentlich neu an diesem Antimodernisteneid? Neu ist nicht das Bekenntnis des katholischen Kanzelredners oder des Theologen zu dem, was Lehrgut der römisch-katholischen Kirche ist - dies bitte ich Sie zunächst ins Auge zu fassen -, sondern neu ist, daß die Betreffenden zu schwören haben, daß sie einen Eid abzulegen haben auf dasjenige, was eben Lehrgut der katholischen Kirche ist. Dies bitte ich Sie zunächst ins Auge zu fassen und es zusammenzubringen mit dem anderen, daß eine gewaltige Steigerung weltgeschichtlich wirksamer Tatsachen innerhalb der römisch- katholischen Kirche in etwas mehr als einem halben Jahrhundert vorliegt. Die Sache hat begonnen mit den Erklärungen des Dogmas der Conceptio immaculata, und sie fand dann außerordentlich subtil und geistvoll eine weitere Steigerung in der Enzyklika und in dem Syllabus der sechziger Jahre, in denen durch Pius IX. alles moderne Denken in achtzig Artikeln als häretisch erklärt worden ist. Eine weitere bedeutsame Steigerung, wiederum außerordentlich geistvoll und historisch konsequent, lag dann in der Erklärung des Infallibilitätsdogmas, in der Erklärung des Unfehlbarkeitsdogmas. Der nächste innerlich außerordentlich
konsequente Schritt war die Enzyklika «Aeterni patris», jene Enzyklika, welche die Lehre des Thomas von Aquino als die offizielle Lehre der römisch-katholischen Geistlichkeit erklärte. Und die vorläufige Krönung des ganzen Gebäudes ist der Antimodernisteneid, der ja im wesentlichen nichts anderes ist als eine Übertragung desjenigen, was intellektuell immer da war, in die Emotionssphäre des Menschen, in die Willens- und Gemütssphäre des Menschen. Was immer anerkannt werden mußte, das muß seit dem Jahre 1910 auch noch beschworen werden.
Wer diese grandiose dramatische Entwickelung versteht, der wird sie wahrhaftig nicht als irgend etwas Geringes anschlagen, denn sie stellt gewissermaßen von einer gewissen Seite her das einzige Wachsein dar innerhalb unserer schlafenden Kultur. Denn, sehen Sie, ich möchte wahrhaftig abzählen können, wieviel Leute wie von einer Viper gestochen aufgefahren sind, als sie einen gewissen Satz im letzten «Basler Vorwärts» gelesen haben, einen Satz, der wie blitzartig die ganze Situation der Gegenwart beleuchtet. Aber ich möchte wissen, wieviele Leute bei diesem Satze, wie von einer Viper gestochen, aufgefahren sind. Der Satz heißt: «Die Religion, die einen phantastischen Reflex in den Köpfen der Menschen über ihre Beziehungen untereinander und zur Natur darstellt, ist dem natürlichen Untergang geweiht durch das Anwachsen und den Sieg der wissenschaftlichen, klaren, naturalistischen Auffassung von der Wirklichkeit, die sich parallel mit dem planmäßigen Aufbau der neuen Gesellschaft entwickeln wird.» Dieser Satz findet sich in einem Leitartikel, in einer Abhandlung, die noch nicht ganz er- schienen ist, über die Maßnahmen von Lenin und Trotzkij gegenüber der russischen katholischen Kirche, den russischen religiösen Gemeinschaften überhaupt. Und zu gleicher Zeit ist dieser Artikel programmatisch für dasjenige, was von dieser Seite als Zukunftsziel angesehen wird.
Ich möhte die Tatsache, daß man ganz gewiß wissen kann, daß diejenigen, die als Nichtleninisten einen solchen Satz lesen, nur zum geringsten Teile über den Satz so hinüberlesen, daß sie heute wie von einer Viper gestochen auffahren, als nicht unbedeutend bezeichnen, weil sie gerade zur Anschauung bringt, wie sehr die heutige Menschheit
über die wichtigsten Tatsachen, die entscheidend sind für das Leben der Menschheit auf der Erde, überhaupt schlafend hinweggeht. Natürlich kommt es nicht auf einen solchen einzelnen Satz an, sondern es kommt darauf an, daß ja heute diejenige Seite, die ihn hier einmal wieder ausspricht, den Inhalt dieses Satzes von den Dächern herab die Spatzen pfeifen läßt. Was in diesem Satze liegt, daß eine Anschauung kommen werde über die weitesten Bevölkerungskreise in Europa, die sich so aussprechen wird: Die Religion, die einen phantastischen Reflex in den Köpfen der Menschen über ihre Beziehungen untereinander und zur Natur darstellt, ist dem natürlichen Untergang geweiht -, daß eine solche Anschauung kommen werde, das verschlief die sogenannte aufgeklärte Menschheit der neueren Zeit vollständig, und verschläft es noch heute. Aber die römisch-katholische Kirche wacht. Die römisch-katholische Kirche ist im Grunde genommen die einzige, die nun wirklich wacht, und die systematisch entgegenarbeitet demjenigen, was da heraufzieht. Sie arbeitet entgegen in ihrem Sinne. Dieser Sinn, der liegt allerdings zunächst uns nahe, zu verstehen, denn ich habe Ihnen ja mancherlei zu erklären gehabt über das, was als Angriffe von jener Seite gegen dasjenige geschmiedet wird, was hier an diesem Orte vertreten werden muß. Mittlerweile hat sich das in mancherlei Wolken zusammengezogen. Das letzte ist, daß uns die Plakatgesellschaft ankündigen mußte, daß man heute morgen dem Mann, der das Plakat zu meinem Vortrage über den sonnabendlichen Vortrag in Reinach anschlagen wollte, dieses weggerissen und alle Plakate verbrannt hat. Sie sehen, die Dinge gehen auch hier ganz systematisch weiter.
Was Sie als eine Summe von lauter Unwahrheiten - ich habe Ihnen die knüppeldicksten das letzte Mal charakterisiert - lesen konnten von einem Menschen, der sich häufig hinter den Sträuchern hält und sich als «Spektator» charakterisiert, das geht bereits durch die ganze katholische Presse, und das Verbrennen der Plakate erinnert wahrhaftig nicht mehr an neuzeitliche Zustände.
Diese Frage stellte ich an den Ausgangspunkt Warum muß heute dasjenige beschworen werden, wozu vordem verpflichtet waren die Kleriker der römisch-katholischen Kirche? Niemand wird leugnen,
daß eine solche Tatsache, daß man schwören muß, eine Verstärkung bedeutet in dem äußeren Ergreifen einer Sache. Niemand wird auch leugnen, daß, wenn man sich gezwungen sieht, die Leute schwören zu lassen, man voraussetzt, daß sie ohne den Schwur nicht mehr in einer solchen Stärke vorwärtsschreiten würden. Aber noch ein drittes ist allerdings da, wovon am besten wäre, wenn Sie es sich zunächst selber überlegen würden. Denn wahrhaftig, es spielen da Dinge, die vorläufig noch gar nicht beim rechten Namen genannt werden sollten. Aber die Frage dürfte doch gewissermaßen als eine Unterfrage aufgeworfen werden: Muß denn das Vertrauen in eine Sache nicht schon etwas erschüttert sein, wenn ein Eid für diese Sache gefordert wird? Kann es denn im Grunde genommen eine Möglichkeit geben, daß man jemandem einen Eid für die Wahrheit abnimmt? Kann es eine solche Möglichkeit geben? Ist es denn nicht notwendig, anzunehmen, daß dasjenige, was wahr ist, durch seine eigene Kraft sich in der Seele des Menschen verbürgt? Es ist vielleicht nicht einmal so wichtig, zu fragen, ob jener Eid sittlich oder ob er gut ist, oder ob er nützlich ist, sondern es ist vielleicht das historisch Wichtigere, zu fragen, ob dieser Eid und warum er notwendig geworden ist. Ihm gegenüber ist aber gewiß etwas anderes notwendig. Notwendig ist, daß eine gewisse Anzahl von Menschen fühlt, wie ohne Geisteswissenschaft über Europa unbedingt kommen muß das Ergebnis der Gesinnung, die sich eben ausspricht in den Worten: «Die Religion, die einen phantastischen Reflex in den Köpfen der Menschen über ihre Beziehungen untereinander und zur Natur darstellt, ist dem natürlichen Untergang geweiht durch das Anwachsen und den Sieg der wissenschaftlichen, klaren, naturalistischen Auffassung von der Wirklichkeit, die sich parallel mit dem planmäßigen -- Aufbau der neuen Gesellschaft entwickeln wird.» Was wird da als dasjenige hingestel!t, wodurch die alte Religion, welche immer, dem Untergang geweiht ist? Nun, es ist dasjenige, was seit drei bis vier Jahrhunderten als die neue, aufklärerische Wissenschaft, als die sogenannte objektive Wissenschaft in den Lehranstalten der zivilisierten Menschheit gelehrt wird. Was gelehrt wird, was verwaltet wurde von den bürgerlichen, führenden Menschen, das hat das Proletariat der zivilisierten Menschheit als Überzeugung übernommen. Was die Lehrer der
Universitäten, der Gymnasien bis in die Volksschulen herunter in die Seelen der Menschen hineingetragen haben, das geht durch Lenin und Trotzkij auf. Und nichts anderes ist es, was da aufgeht, als dasjenige, was in den Anstalten der zivilisierten Menschheit gelehrt wird.
Heute gibt es eine Antithese, der man mit unbefangenem Sinn ins Auge schauen sollte. Diese Antithese ist diese: Was ist zunächst zu tun, wenn man will, daß die Früchte von Lenin und Trotzkij nicht über die ganze zivilisierte Menschheit aufgehen? Das ist zu tun, daß man die Kinder nicht mehr lehren läßt, die Jugend nicht mehr lehren läßt, was bis in das 20. Jahrhundert von unseren Hoch-, Mittel- und Volksschulen die Jugend gelehrt worden ist. Diese Antithese gilt. Diese Antithese fordert heraus Mut. Weil man diesen Mut nicht haben will, schläft man. Das ist dasjenige, warum man sagen muß: Wer eine solche Manifestation, wenn sie einem auch nur in ein paar Zeilen eines Leitartikels entgegentritt, liest, sollte, wie von einer Viper gestochen, auf- zucken, denn es ist, wie wenn die ganze Kultursituation der Gegenwart vom Blitze beleuchtet würde.
Was will dieser Situation gegenüber die Geisteswissenschaft mit allen ihren konkretesten Einzelheiten? Nun, wenn ich das charakterisieren soll, was die Geisteswissenschaft will, so muß ich folgendes sagen: Die römisch-katholische Kirche vertritt als eine grandiose Körperschaft dasjenige, was der vertrocknete Ausläufer der Zivilisation der vierten nachatlantischen Zeit war. Streng nachweisbar in allen Einzelheiten ist, daß die römisch-katholische Kirche den letzten Ausläufer desjenigen vertritt, was schon zum Schatten sogar geworden ist desjenigen, was berechtigte Zivilisation der vierten nachatlantischen Zeit war, berechtigt war bis in die Mitte des 15.Jahrhunderts herein. Selbstverständlich kündigen sich spätere Früchte der Menschheitsentwickelung früher an, reichen frühere Sprossen noch in eine spätere Zeit hinein; aber im wesentlichen ist es so, daß die römisch-katholische Kirche dasjenige vertritt, was bis in die Mitte des 15.Jahrhunderts für Europa und seine Kolonien zu vertreten war.
Geisteswissenschaft, wie wir sie auffassen, soll dasjenige erfassen, was nun notwendig ist als fünfte nachatlantische Kultur. Die römischkatholische Kirche vertritt in einer Summe von Dogmen als ein geschlossenes
Gebäude, das zwar erstorben ist, das aber noch ein Leichnam ist, etwas, was innerlich in einer wolilgefügten Logik zusammenhängt, in einer Wirklichkeitslogik zusammenhängt. Und enthalten ist in diesem Gebäude der Geist einer vergangenen Epoche; aber der Geist ist darinnen. Wie der Geist darinnen ist, das hat sich, denke ich, gezeigt durch die Vorträge, die ich hier über den Thomismus gehalten habe. Geist war in jenen Lehren, in den Dogmen der römisch-katholischen Kirche, Geist, der erschaut worden war von jenen Großen, deren letzte Nachzügler in Plotin, in Porphyrios, Jamblichos und so weiter erschienen, und mit denen noch als, ich möchte sagen, in einer interessanten Art Augustinus kämpft, ringt.
Was als Philosophie, als Wissenschaft, als öffentliche Meinung, als Weltanschauung zum großen Teile sich der modernen Zivilisation geoffenbart hat seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, abgesehen von der römisch-katholischen Kirche, ist geistlos. Denn es beginnt der Geist der fünften nachatlantischen Zeit erst mit solchen Prinzipien, wie sie bei Lessing und Goethe aufkommen. Denn es will dasjenige, was die naturwissenschaftliche Richtung - von Kopernikus,Galilei und Kepler angefangen - geistlos liefern konnte, woraus Darwin, Huxley und so weiter den Geist völlig ausgeblasen haben, es will das mit Geist erfüllt sein. Und Geisteswissenschaft will den Geist zur Offenbarung bringen, welcher der Geist sein muß der fünften nachatlantischen Periode.
Eine Institution, die von einem gewissen Geist als ihrer Seele durchtränkt war, kann als Institution, wenn sie sich erhält, nur für das Vergangene kämpfen. Von der katholischen Kirche zu verlangen, daß sie für das Zukünftige kämpft, wäre eine Torheit. Denn nicht kann dieselbe Institution den Geist der fünften nachatlantischen Periode tragen, welche den der vierten getragen hat. Dasjenige, was die Konfiguration der katholischen Kirche geworden ist, was sich ausgebreitet hat über die zivilisierte Welt als die Konfiguration der katholischen Kirche - und viel mehr als die Menschen glauben, war von dieser Konfiguration der katholischen Kirche durch die ganze Zivilisation hindurch vorhanden; die Monarchien waren durchaus im Grunde genommen, auch wenn sie protestantisch waren, ihrem Gefüge nach lateinischkatholische Einrichtungen -, alles dasjenige, was da sich verbreitet hat
über die Welt, was, ich möchte sagen, seine andere Art der Erscheinung in dem römischen Recht und in der ganzen lateinischen Abstraktion hat, das gehört der vierten nachatlantischen Periode an. Das fordert, daß die Menschen nach abstrakten Grundsätzen organisiert sind, und daß gewisse hierarchische Anordnungen dieser Organisation zugrunde liegen. Dasjenige, was als der Geist, wie wir ihn durch die Geisteswissenschaft pflegen, der fünften nachatlantischen Zeit kommen soll, das fordert nicht eine solche festgefügte, nach abstrakten Grundsätzen organisierte Struktur, sondern das fordert ein solches Verhalten der Menschen zueinander, wie es als ethischer Individualismus in meiner «Philosophie der Freiheit» charakterisiert ist. Was da als die ethische Seite auftritt, steht in demselben Gegensatz zu der sozialen Struktur, der von der römisch-katholischen Kirche geforderten sozialen Ordnung, wie schließlich Geisteswissenschaft steht zu demjenigen, was römisch- katholische Theologie ist.
Geisteswissenschaft war wahrhaftig nicht dazu veranlagt, als irgendeine Streitmacht aufzutreten. Sie war ja nur dazu veranlagt, dasjenige zu sagen, was sich ihr als die Wahrheit kundgab. Und derjenige, der verfolgen will alles das, was wir getrieben haben, der wird sich sagen müssen: Niemals, aber auch gar niemals ist, wenigstens von mir aus, irgend etwas Aggressives erfolgt. - Stets mußte nur die Defensive aufgenommen werden gegen Angriffe, die von außen kamen, und das ist das Wesentliche, worauf es heute ankommt. Daß aber dasjenige, was Geisteswissenschaft kundgeben soll, daß das tatsächlich gesagt werden muß, das ist einfach selbstverständiich eine Forderung der Zeit. Aber man muß nur bedenken, daß allerdings die moderne Zivilisation schläft, und Rom wacht. Und daß Rom wacht, das zeigt die großartige Dramatik, welche in den Tatsachen liegt: Festlegung des Dogmas der Conceptio immaculata, Erscheinen der Enzyklika 1864 mit dem Syllabus, mit der Verdammung der achtzig modernen Wahrheiten, Erklärung der Infallibilität, Erklärung des Thomas von Aquino zum offiziellen Philosophen des katholischen Klerus und für das katholische Lehramt, Antimodernisteneid.
Bedenken Sie, gegenüber dem heraufziehenden Darwinismus, gegenüber dem heraufziehenden Naturalismus in den fünfziger Jahren wird
etwas festgelegt, was allerdings nur verstanden werden kann aus den geistigen Anforderungen des vierten nachatlantischen Zeitraums, aber etwas, was der Fehdehandschuh ist für diesen ganzen heraufziehenden Materialismus. Die ganze übrige Welt läßt den Materialismus kommen und schwätzt höchstens mit Euckenschen Worten dagegen. Rom stellt ein Dogma auf von der Conceptio immaculata, welches genau sagt Selbstverständlich kann niemand die Conceptio immaculata annehmen, der sich zum Darwinismus schlägt. Also, wir richten eine reinliche Scheidewand auf. - Es vergeht nicht mehr als ein Jahrzehnt: dasjenige, was heraufkommt, allerdings zunächst als geistlose Gestalt der neuen Weltanschauung, es wird durch den Syllabus verdammt. Schon die Aufstellung des Dogmas von der Conceptio immaculata brach mit allen Traditionen der früheren katholischen Kirchenentwickelung. Worin bestand denn die Aufstellung eines Dogmas von einem Konzil in früheren Zeiten innerhalb der römisch-katholischen Kirche? Eine primäre Grundbedingung für die Aufstellung eines Dogmas war diese - ich erzähle, ich kritisiere gar nicht -, daß die betreffenden Väter, die im Konzil versammelt sind, in dem das Dogma zur Aufstellung kommt, vom Heiligen Geiste erleuchtet sind, so daß also eigentlich der Urheber des Dogmas der Heilige Geist ist. Es handelte sich aber darum, zu erkennen für den Menschen, daß der Heilige Geist wirklich der Inspirator des aufzustellenden Dogmas ist. Worinnen erkennt man das, erkannte man das? Das erkannte man dadurch, daß dasjenige, was durch ein Konzil als Dogma aufgestellt werden sollte, schon Meinung der gesamten katholischen Kirche war. Das war die Conceptio immaculata nicht, und es ist prinzipiell mit jenem Grundsatz der katholischen Kirche gebrochen worden, der da verlangte, daß nur das zum Dogma gemacht wurde, wofür sich vorher schon die Gläubigen geneigt gezeigt haben. Allerdings lebte man ja mit den neueren Dogmenaufstellungen schon innerhalb desjenigen, was sich abspielte im fünften nachatlantischen Zeitraume, und es war nicht mehr so leicht wie im alten Mittelalter, die Gläubigen vorzubereiten, so daß sich unter ihnen eine gemeinschaftliche Regelung als Dogma festsetzte, das man dann festlegen konnte.
Aber nun wurde gut vorbereitet, und die Vorbereitungen, welche
gepflogen wurden, damit man die letzten Offenbarungen, die vorläufig letzten Offenbarungen, das, was zunächst losgelassen werden konnte, die liegen wirklich eigentlich schon in dem Verlauf der letzten drei bis vier Jahrhunderte. Auch da hat die römisch-katholische Kirche schon gewacht. Und wenn Sie sich erinnern, wann der Jesuitenorden begründet worden ist, so werden Sie da leicht den Schluß ziehen können, daß die Begründung des Jesuitenordens im wesentlichen zusammenhängt damit, daß man suchte, etwas zu schaffen, was die Schwierigkeiten einer Bearbeitung der Gläubigen in der neueren Zeit leichter überwand und was überhaupt in entsprechender Weise mit diesen Schwierigkeiten rechnen konnte.
Das sollte mit einiger Aufmerksamkeit gesehen werden, wie die Dinge denn eigentlich verlaufen sind. Ich erzähle, ich kritisiere nicht; aber ich möchte doch erzählen, daß 1574 dasjenige Jahr ist, in dem die Bürgerschaft von Luzern den Jesuitismus selber verlangt hat. Ich möchte doch einmal darauf hinweisen, daß in Freiburg Canisius es war, der unmittelbare Schüler des Ignatius von Loyola> welcher das Jesuitenkollegium in Freiburg 1580 selber eingerichtet hat, das dann seine Kolonie in Solothurn begründet hat. Ich möchte doch auch erzählen, daß nach der Aufhebung des Jesuitenordens durch Clemens XIV. selbstverständlich die Jesuiten auch aus der Schweiz verschwinden mußten, denn sie pflanzten sich nur fort in den Ländern Friedrichs 11. von Preußen und der Kaiserin Katharina von Rußland. Denen verdankt der Jesuitenorden seine Kontinuität. Ich habe das neulich schon er- erwähnt. Aber in diesem merkwürdigen Interregnum, das da bestand zwischen der Aufhebung des Jesuitenordens durch den Papst Clemens XIV., 1773, und der Wiederherstellung durch Pius VII., 1814, da spielt sich doch mit dem Jesuitenorden etwas sehr Merkwürdiges ab, denn in dieser Zeit war zum Beispiel in Sitten die Anstalt selbstverständlich verblieben, die bis dahin von Jesuiten geleitet war, und es waren auch zum großen Teile dieselben Lehrer geblieben; nur waren diese Lehrer bis 1773 Jesuiten und von 1773 an waren sie keine Jesuiten mehr, sondern man redete dann davon, daß in den betreffenden Lehranstalten die sogenannten «Väter des Glaubens» lehren. Deshalb war es nicht besonders wunderbar, daß 1814 in Brig, 1818 in Freiburg,
1836 in Schwyz, 1844 in Luzern die Jesuitenkolonien wiederum errichtet wurden, nachdem Pius VII. das Dekret Clemens XIV. 1814 aufgehoben hat.
Diese Dinge obliegt mir nicht zu kritisieren, aber ich möchte sie erzählen. Ich möchte aber noch etwas erzählen. Aus meinen Auseinandersetzungen sehen Sie, daß von dem 21.Juli 1773, wo von Clemens XIV. die Bulle «Dominus ac redemptor noster» erschien, der Jesuitenorden offiziell aufgehoben wurde, bis Pius VII. 1814 durch die Bulle «Sollicitudo omnium> erließ. Nun gibt es etwas sehr Merkwürdiges. Es gibt Denkwürdigkeiten von einem Mann, der Cordara heißt und der Jesuit war, der alles mitgemacht hat, was innerhalb des Jesuitenordens mitgemacht werden kann. Aus seinen #SE198-112
Jesuitenordens selber da sein könnte, was wir verschuldet haben. - Da sagt er: Ich finde, daß wir allerdings in bezug auf die Moral in einer merkwürdigen Weise zu Werke gegangen sind. Mit Bezug auf alles dasjenige, was zum Beispiel Unkeuschheit oder dergleichen betrifft, ist man bei uns sehr strenge, anderes kann man nicht sagen - sagt Cordara -, aber man ist so lässig gegen alles dasjenige, was betrifft Anschwärzerei,Verleumdungen und Beschimpfungen. - Cordara sagt eben, daß Gott die Aufhebung des Jesuitenordens durch den Papst Clemens XIV. wohl deshalb wird zugelassen haben, weil sich im Jesuitenorden allmählich eingeschlichen hat eine gewisse Sucht, Anschwärzereien, Verleumdungen und Beschimpfungen zu vollziehen. - Ich möchte auch diese Sache nicht kritisieren, sondern sie nur erzählen. Ich möchte nur noch hinzufügen, daß der Jesuit Cordara sagt Einer unserer Hauptfehler ist auch die Hochfahrigkeit, durch die wir alle anderen Orden für unbedeutend ansehen, für nichtswürdig ansehen, und alle Weltpriester für nichtswürdig ansehen.
Stellt man also zusammen dasjenige, was in diesen «Denkwürdigkeiten» dem Jesuitenorden nicht als Vorwürfe gemacht wird, sondern als mea culpa, als eine Art Gewissenserforschung von einem Jesuiten, so findet man: Erstens Streben nach politischer Macht; zweitens Stolz, Hochfahrigkeit; drittens Verachtung der anderen Orden und der Welt- geistlichen; viertens Reichtümer anhäufen. Aber wenn man allmählich weiß, was es heißt, durch Macht verdorrte Wahrheiten aufrechtzuerhalten, dann kann man nichts Besseres tun, als das Aufrechterhalten dieser Wahrheiten präparieren zu lassen durch einen solchen Orden. Die römisch-katholische Kirche wußte in Pius VII. sehr gut, was sie tat, als sie die Dankesschuld der Welthistorie abtrug, die eigentlich nur abzutragen war gegenüber dem König von Preußen, Friedrich 11. - der war tot - und der Kaiserin Katharina von Rußland - die war auch tot -, daß diese Dankesschuld abgetragen wurde, den Jesuitenorden wiederum aufzurichten. Und unter denjenigen, die hier in der Schweiz als erste, als ausländische, sogenannte ausländische Jesuiten wiederum gelehrt haben, waren viele von den von Katharina aufgepäppelten, die aus Rußland zurückgekommen sind nach der Schweiz. Bitte, lesen Sie alle diese Sachen in den entsprechenden Dokumenten nach.
Nun handelt es sich darum, daß man also sehen kann, daß gut wachend vorbereitet war das, wovon man voraussah, daß man es brauchen werde; und daß man weiter ging, daß man also alles dasjenige, was da heraufzog, zur rechten Zeit noch bezeichnete, solange es geistlos blieb, nachdem man sich schon vier Jahrhunderte angestrengt hatte, den Geist herauszutreiben, solange die Menschheit außerdem sonst schlafend blieb. Es handelte sich darum, daß man das vollzog, was dann 1864 mit der damaligen Enzyklika und dem Syllabus vollzogen worden ist.
War schon das Aufstellen des Dogmas von der Conceptio immaculata ein Bruch mit allen Gepflogenheiten der früheren römisch-katholischen Kirche, so war es selbstverständlich noch mehr dasjenige, was aufgestellt wurde mit dem Infallibilitätsdogma. Denn nun hatte man allerdings schon allen Scharfsinn der von der katholischen Kirche wohlgepflegten Logik nötig, um rechtfertigen zu können, daß der Papst unfehlbar ist, nachdem 1773 Clemens XIV. den Jesuitenorden aufgehoben, sein Nachfolger, Pius VII. 1814 ihn wieder eingesetzt hat. Solche Dinge ließen sich eine stattliche Anzahl nachweisen. Aber es handelte sich ja darum, daß man die Logik, die man wohl gepflegt hat, nunmehr verwendete, um Begriffskonturen heraufzubringen. Da handelt es sich darum, daß man eine Begriffskontur heraufbrachte für das, was nun die Unfehlbarkeit rechtfertigen könnte. Das allein gilt als unfehlbar, was der Papst nicht sagt als private Meinung, sondern was er sagt . Nun hatte man, nicht wahr, nicht die Frage zu entscheiden, ob Clemens XIV., Pius VII, unfehlbar wären, sondern ob Clemens XIV. oder Pius VII. ex cathedra redeten oder privat. Clemens XIV. muß privat gesprochen haben, als er den Jesuitenorden aufhob, und Pius VII. muß ex cathedra gesprochen haben, als er ihn wieder eingesetzt hat, nicht wahr! Aber das Fatale ist, daß der Papst es nie sagt, ob er ex cathedra spricht oder ob er privat spricht. Das hat er noch nie gesagt. Man muß sagen, daß es seine Schwierigkeiten hat, nunmehr die Frage im einzelnen zu unterscheiden, ob nun irgend etwas dem Infallibilitätsdogma unterliegt oder nicht. Aber immerhin, das Infallibilitätsdogma ist da. Damit hatte man einen guten Strich gemacht gegenüber alledem, was heraufkommen kann als die elementare Kultur des fünften nachatlantischen Zeitraums. Jetzt war es aber notwendig,
auch die Konsequenzen zu ziehen. Das hat der sehr einsichtige, mit Bezug auf seine Intelligenz grandiose Papst Leo XIII. wohl getan, indem er den Thomismus herübergenommen wissen wollte in der Art, wie der Thomismus eben noch im vierten nachatlantischen Zeitraum war. Man brauchte diejenige Philosophie, die grandios ist, aber grandios ist für den vorigen Zeitraum. Denn selbstverständlich ist es objektiv so, daß alles das, was hinterher als Philosophie aufgetreten ist, kleiner ist gegenüber demjenigen, was in der Hochscholastik als Philosophie da war; aber dasjenige, was klein ist, ist eben ein Anfang, und dasjenige, was in der Hochscholastik da war, war eine Vollendung.
Nun muß man bedenken, daß die Menschheit doch vorwärtsschreiten will, und daher kam es, daß nun wirklich, sei es durch Natur-, sei es durch Geschichtsforschung, unter den katholischen Klerikern ganz merkwürdige Dinge auftauchten. Da war es schon notwendig, um dasjenige, was vom Augustinismus im katholischen Klerus ist, aufrechtzuerhalten, starke Maßregeln zu ergreifen. Daher der Antimodernisteneid.
Gegen alles das läßt sich ja nichts sagen, wenn es als freie Impulse irgendeiner Gemeinschaft getrieben wird. Aber wenn nun 1867, als die Jesuiten in München wieder zugelassen worden sind, ein Jesuitenprediger in seiner ersten Predigt gesagt hat, daß die Ordensregeln den Jesuiten verbieten würden, sich in die Politik hineinzumischen, also daß niemals ein Jesuit sich in Politik hineinzumischen habe, so scheint mir doch die moderne Menschheit in ihren breiten Massen nicht recht veranlagt zu sein, das zu glauben, und es wird schon anders sein!
Dasjenige, um was es sich handelt, ist im Grunde doch dieses: in Wirklichkeit müßten alle diejenigen, die es wirklich mit der Erkenntnis und mit dem Fortschritt, mit der Güte der Menschheit ernst meinen, sich zur Dreigliederung des sozialen Organismus bekennen. Denn wie wenig politische Maßregeln gegen die römisch-katholische Kirche vermögen, das beweist der Verlauf des deutschen sogenannten Kulturkampfes. Aber worum es sich hauptsächlich handelt, das ist, daß es ja so langsam geht mit dem Einsehen desjenigen, was als notwendige Konsequenz geisteswissenschaftlicher Bestrebungen doch in die Welt gehen muß als der Impuls für die Dreigliederung des sozialen Organismus.
Das ist es, was wir brauchen, daß ein waches Verständnis für die Erscheinungen der Gegenwart wirklich vorhanden wäre.
Damit habe ich eben ein Thema angeschnitten, das ich wahrhaftig nicht angeschnitten hätte, wenn nicht ali das um uns herum geschähe, was eben geschieht und weiter geschehen wird. Sie wissen, ich werde hier am Sonnabend über das Thema öffentlich sprechen: «Die Wahrheit über die Anthroposophie und deren Verteidigung wider die Unwahrheit»; aber ich kann nicht umhin, am Sonntag Ihnen noch einiges als Fortsetzung desjenigen zu sagen, was ich heute nicht mehr zu sagen in der Lage bin, so daß wir uns am Sonntag um halb acht Uhr doch noch einmal hier treffen müssen, trotzdem wir am Montag ja reisen müssen. Es geht aber in dieser bewegten Zeit nicht anders. Sonnabend ist also hier der öffentliche Vortrag - trotz dem Verbrennen der Plakate!
ACHTER VORTRAG Dornach, 6. Juni 1920
Aus allem, was so durch die Vorträge - ich kann fast sagen der Jahre - gegangen ist, werden Sie gemerkt haben, daß für die Entwickelung der Menschheit sowohl in geistiger wie auch in sozialer Beziehung immer mehr nötig sein wird, daß innerhalb dieser Menschheit sich dasjenige verbreite, was wir im Sinne unserer Geisteswissenschaft die Ergebnisse der Initiationsforschung nennen. Sie wissen ja,daß man unter Initiation - einen alten Terminus, einen alten Ausdruck gebrauchend - verstehen kann das Hineinschauen in die geistige Welt, in diejenige Welt, die von unserer physisch-sinnlichen Welt getrennt ist durch eine Art von Schleier, einen Schleier,er sehr leicht zu Illusionen führen kann. Dem Menschen ist zunächst gegeben die physisch-sinnliche Welt, und er befaßt sich mit dieser physisch-sinnlichen Welt entweder zu dem Zwecke des gewöhnlichen Lebens oder aber auch zu dem Zwecke dessen, was man heute Wissenschaft nennt. Er kombiniert das, was er in der sinnlichen Welt wahrnimmt, durch allerlei Begriffe, Ideen und so weiter. Das alles führt ihn nicht über diese sinnliche Welt hinaus. Man kann sagen, das einzige, wodurch im gewöhnlichen Leben der Mensch etwas über diese sinnliche Welt hinausblickt, ist der Traum. Aber der Traum ist doch so, wie er im gewöhnlichen Leben heute erfahren wird, nur ein schwacher Abklatsch desjenigen, was man Erleben der übersinnlichen Welt nennen kann. Die übersinnliche Welt muß nicht nur mit demselben Grade der Bewußtheit wahrgenommen werden, den man im gewöhnlichen Leben hat, und den man beim Traum nicht hat> sondern sie muß sogar mit einem höheren Grade von Bewußtheit wahrgenommen werden. Man muß gewissermaßen, um die überphysische Welt zu erleben, sein Bewußtsein steigern, zu einem Zustande kommen, der so ist, daß das gewöhnliche Leben, das gewöhnliche Bewußtsein sich dazu verhält wie der Schlaf zu diesem gewöhnlichen Bewußtsein oder wenigstens wie der Traum zu diesem gewöhnlichen Bewußtsein. Es muß also eine Art Erwachen aus dem gewöhnlichen Bewußtsein stattfinden. Daher ist der Traum selbstverständlich
nur ein schwacher Abglanz desjenigen, was da erlebt wird. Aber im Grunde genommen unterscheidet sich der Traum von dem gewöhnlichen Denken viel weniger, als man glaubt.
Wenn Sie die Bilderwelt eines gewöhnlichen Traumes gewahr werden, so ist sie eigentlich ihrein Inhalte nach essentiell dasselbe wie das, was im Denken auch vorliegt, nur daß im Denken der Mensch durch seine Sinne in die Außenwelt tritt und daher dasjenige, was im Traum sich nach bloßen Analogien, nach sehr äußerlichen Zusammenhängen ordnet, sich ordnet beim Anschauen der äußeren Sinneswelt nach dem, was diese Sinneswelt uns sagt. Sie können gewissermaßen einen Beweis für das eben Angeführte darinnen sehen, daß Sie, wenn Sie sich hinsetzen und einmal die Augen schließen, oder überhaupt faul sind, die Gedanken schweifen lassen und dann sich besinnen, wie diese Gedanken da geschweift sind, daß Sie in diesen Gedanken, die Sie hinterher sich vor die Seele rufen, kaum viel anderen Zusammenhang finden als denjenigen, der auch im Traume stattfindet. Das gewöhnliche, sich selbst überlassene Vorstellen der Menschen ist in gewissem Sinne seiner inneren Gesetzmäßigkeit nach doch eine Art von Traum. Wir werden nur herausgerissen aus dem Träumen durch unsere Sinne. Und sobald wir die Sinne zum Schweigen bringen, träumen wir eigentlich. Diese Traumtätigkeit muß intensiv gemacht werden; sie muß so gemacht werden, daß sie mit einem höheren Bewußtsein durchdrungen wird als demjenigen, das uns unsere Sinne verleihen. Dann entstehteben das imaginative Bewußtsein, und so stufenweise auch das inspirierte Bewußtsein, von dem ich gestern im hiesigen öffentlichen Vor- trage gesagt habe, daß es vom Thomismus auch als eine berechtigte Quelle der Erkenntnis anerkannt wird.
Wir haben also in der Initiationswissenschaft die Ergebnisse eines solchen gesteigerten Bewußtseinszustandes. Was nun in der gegenwärtigen Entwickelung der Menschheit und in derjenigen der nächsten Zukunft Schwierigkeiten macht, das ist, daß diese Menschheit die Initiationswissenschaft unbedingt gebrauchen wird, daß sie ohne diese nicht wird auskommen können, weil einfach, wenn nur die materialistische Erkenntnis, wie sie sich heraufentwickelt hat im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte, durch die Menschheitsentwickelung
weiterströmen würde, nichts anderes herauskommen könnte, als immer wieder und wiederum nur höchstens von kurzen Intervallen durchbrochene Zustände, wie wir sie in dem jetzigen sozialen Chaos der zivilisierten Welt haben. Was die Wissenschaft seit der Mitte des 15. Jahrhunderts den Menschen hat geben können, das reicht zwar aus, um technische Erfindungen zu machen, um die Erde zu überziehen mit einem Verkehrs- und kommerziellen Netz, aber es reicht nicht aus, wirkliche, den heutigen Menschheitsbewußtseinszuständen entsprechende soziale Ordnung zu schaffen. Das ist etwas, was nach und nach wird eingesehen werden müssen. Solange abgelehnt wird von dem, was anerkannte Universitätswissenschaft ist, was anerkannter öffentlicher Unterricht ist, solange abgewiesen wird die Initiationswissenschaft, solange nur anerkannt wird die äußere materialistische Wissenschaft, die heute eine anerkannte ist - so lange wird die Menschheit immer gefaßt sein müssen auf solche chaotische soziale Zustände, wie wir sie jetzt haben.
Vor solchen chaotischen sozialen Zuständen wird die Menschheit der Zukunft nur retten die Initiationswissenschaft. Diese Initiationswissenschaft wird ja - das habe ich schon öfters erwähnt - vor allen Dingen denjenigen Menschen, an die sie herankommen kann, ein Bewußtsein davon geben, daß dieses Leben hier auf der Erde, das wir durch unsere Geburt antreten, die Fortsetzung eines geistigen Lebens ist, das wir zwischen dem letzten Tode und dieser Geburt in der übersinnlichen Welt durchgemacht haben. Sie wissen, daß von den gegenwärtigen Bekenntnissen der zivilisierten Welt von diesem geistigen Leben, das unserer Geburt, oder sagen wir unserer Empfängnis, vorangeht, gar nicht gesprochen wird. Es wird aus einem ganz bestimmten Grunde nicht gesprochen. Warum wird nicht gesprochen von einem Leben vor der Geburt? Es wird deshalb nicht gesprochen, weil in einem gewissen Zeitpunkte, der zusammenfällt mit der griechischen Entwickelung zwischen Plato und Aristoteles, weil in dieser Zeit der Menschheit das Bewußtsein verlorengegangen ist von diesem vorgeburtlichen geistigen Leben. Plato spricht ja deutlich davon. Aristoteles aber hat schon in einer ganz energischen Weise die Theorie verfochten, daß jedesmal, wenn ein Mensch geboren wird, er eine ganz neue Seele mit
seinem physischen Leib vereinigt bekommt. Es entsteht gewissermaßen für jeden physisch zu gebärenden Menschen eine neue Seele; das ist aristotelische Lehre. Es beginnt also das eigentliche Seelische, auch das höchste seelische Leben, nach dem Aristoteles mit des Menschen Geburt.
Wenn man eine solche Anschauung hat, so kann man auch nicht anders, als selbstverständlich sagen, daß dasjenige Leben, welches mit dem Tode beginnt, welches der Mensch dadurch beginnt, daß er seinen physischen Leib abgeworfen hat, und von dem auch Aristoteles spricht, daß dieses Leben fortdauert, daß dieses Leben nicht wiederum zu einem Erdenleben herabsteigt. Denn wenn man nicht von einem vorgeburtlichen Leben spricht, so hat es ja selbstverständlich keine B~ rechtigung, zu glauben> daß der Mensch nicht ewig zu bleiben habe nach seinem Tode in einer geistigen Welt. Das aber hat schon Aristoteles dazu geführt, außerordentlich schwerwiegende Konsequenzen aus solchen Vorstellungen zu ziehen. So zum Beispiel hat er die Konsequenz gezogen, daß, wenn jemand hier auf der Erde zwischen der Geburt und dem Tode ein Leben geführt hat> welches Böses auf seine Seele geladen hat, er dann für alle Ewigkeit wird zurückschauen können, müssen auf dieses Böse, daß es nicht wiederum ausgelöscht werden kann, nicht wiederum überwunden werden kann. So daß vor Aristoteles die Perspektive stand, daß der Mensch, wenn er gestorben ist, ewig zurückzuschauen hat auf dieses eine Erdenleben, das er zu absolvieren hat. Diese Lehre des Aristoteles ist voll übernommen worden von der katholischen Kirche. Und in der Zeit, in der im Mittelalter die katholische Kirche sich eine Philosophie suchte, welche ihre Theologie tragen kann, da hat sie für das Leben der Seele diese aristotelische Seelenlehre angenommen, und man erkennt heute noch in der Ewigkeit der Höllenstrafe den Nachklang der aristotelischen Lehre.
Nun, wie kann man sich vorstellen, daß die Menschen, nachdem Jahrtausende diese Lehre von der Entstehung der Seele mit dem Leibe auf sie gewirkt hat, wiederum herauskommen aus dieser Vorstellung, herauskommen zur Wahrheit? Nur dadurch, daß die Menschheit eben eine neue geistige Wissenschaft erhält. Ohne diese Erneuerung der geistigen Wissenschaft wird die Menschheit nicht wiederum ein Bewußtsein bekommen können von der Berechtigung der Annahme eines Lebens
vor der Geburt, oder sagen wir vor der Konzeption. Man muß nur bedenken, was es für die ganze Entwickelung der Menschheit bedeutet, nicht zu sprechen von einem vorgeburtlichen Leben. Wenn in den gebräuchlichen Konfessionen nur gepredigt, gelehrt wird von dem nachtodlichen Leben, so weckt man nur die Instinkte der Menschen auf, die sich beziehen auf die egoistische Begierde, mit dem Tode nicht zu erlöschen.
Es ist schon einmal notwendig, eine recht ausführliche Studie anzustellen unter dem Titel: über die Pflege des menschlichen Egoismus durch die bestehenden Konfessionen. - Man müßte in dieser Studie durchgehen, welche Motive eigentlich ins Feld geführt werden in den Predigten, in den Lehren aller gebräuchlichen Konfessionen. Man würde überall finden, daß auf die egoistischen Instinkte, namentlich auf die Instinkte der Unsterblichkeit nach dem Tode, alles mögliche gebaut wird. Und diese Studie könnte man ausdehnen über eine Betrachtung, die schon über Jahrtausende gilt, und man würde sehen, daß die Konfessionen, indem sie unter aristotelischem Einflusse das Leben vor der Geburt gestrichen haben, in höchstem Maße den Egoismus gepflegt haben. Die Konfessionen als Pflege des innersten egoistischen Instinktes, das ist es, was wert ist, studiert zu werden.
Der allergrößte Teil der Religiosität der gegenwärtigen zivilisierten Welt rechnet ja eigentlich mit dem Egoismus der Menschen. Man fühlt diesen Egoismus der Menschen ganz besonders aufblitzen in Enunziationen, die ich Ihnen zu Dutzenden zeigen könnte. Immer wieder und wiederum kommt es vor, daß namentlich von pastoraler Seite einem geschrieben wird, die Geisteswissenschaft beschäftige sich mit allen möglichen Erkenntnissen über die übersinnliche Welt. Das brauche man doch gar nicht. Man will nur haben das kindliche Bewußtsein seines Zusammenhanges mit dem Christus Jesus. Bei Pastoren und bei Gläubigen findet man das immer. Dieses kindliche Zusammensein mit dem Christus Jesus, es wird immer betont. Es wird mit einem ungeheuren Hochmut ausgespielt gegen das, was allerdings weniger bequem zu erlangen ist, gegen das Eintreten in die Konkretheiten der geistigen Welt. Und es wird immer wieder gepredigt, es wird immer wieder in dieser Weise der Mensch dahin geführt, daß er im Grunde genommen am christlichsten
sein könnte, wenn er am allerwenigsten seine Seelenkräfte anstrengt, wenn er am allerwenigsten sich bemüht, etwas klarer zu denken, was er sein Christus-Bewußtsein nennt. Das Christus-Bewußtsein muß etwas sein, wozu der Mensch durch vollste Kindlichkeit nur gelangt -,50 sagen die Bequemlinge; und am liebsten ist es ihnen, wenn man ihnen sagt: Der Christus ist es, der die Sünden der Menschen auf sich genommen hat, der die Menschen erlöst hat durch seinen Opfertod, ohne daß sie etwas dazu zu tun brauchen. - All das tendiert dann darauf hin, durch den Opfertod Christi die Unsterblichkeit nach dem Tode zu sichern und den äußersten Egoismus der Menschen zu pflegen.
Durch diese Pflege des Egoismus von seiten der Konfessionen haben wir endlich jenen Zustand herbeigeführt, der heute über die ganze zivilisierte Welt dämmert. Weil dieser Egoismus im weitesten Umfange gepflegt worden ist, deshalb ist die Menschheit so geworden, wie sie heute ist. Bedenken Sie einmal: Wenn der Mensch nicht bloß theoretisch mit einigen Ideen und Begriffen, sondern mit seinem ganzen inneren Leben die Wahrheit ergreift, daß sein Erdenleben, wie er es durch die Geburt antritt, ihm die Verpflichtung auferlegt, eine Sendung auszuführen, die er sich mitbringt aus seinem Leben vor der Geburt, bedenken Sie, wenn das unsere ganze Seele erfüllt, wenn dieses Erden- leben angesehen wird als eine Aufgabe, die erfüllt werden muß, weil sich dieses Erdenleben anschließt an ein überirdisches Leben, das wir vorher geführt haben, bedenken Sie, wie da der Egoismus schwinden muß! Dieser Egoismus wird durch jene Gefühle, die in uns erregt werden, wenn wir das Erdenleben als eine Fortsetzung eines über- irdischen Lebens ansehen, ebenso bekämpft, wie er gezüchtet wird durch diejenigen Konfessionen, die bloß von dem nachtodlichen Leben sprechen. Das ist etwas, was wichtig ist, zur sozialen Gesundung in die gegenwärtige Menschheit und in die zukünftige Menschheit hineinzutragen. Wichtig ist es, die Präexistenz den Menschen wiederum zum Bewußtsein zu bringen. Von der Präexistenz ist selbstverständlich nicht ablösbar die Anschauung von den wiederholten Erdenleben.
So kann man sagen, daß zum Beispiel gerade die katholische Kirche eine aristotelische Lehre aufgenommen hat und sie zu ihrem Dogma gemacht hat, und daß dieses Dogma ersetzt werden muß durch die
höhere Erkenntnis von den wiederholten Erdenleben, von der Präexistenz, von dieser zuerst eigentlich klar bei Aristoteles außer acht gelassenen Lehre der Präexistenz der menschlichen Seele. Wenn Sie ermessen, welche Bedeutung es für die Menschheit hat, ins innerste Seelenleben gewisse Elemente aufzunehmen, dann werden Sie sich sagen können, was das für das menschliche Gefühlsleben im weitesten Sinne bedeutet, denn der Mensch erhält über sich selbst ein ganz anderes Bewußtsein. Nehmen wir zu dem, was eben gesagt worden ist, das Paulinische Wort, daß dieses Menschenbewußtsein immer durchdrungen werden muß von dem: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.» Wenn man sich selbst für etwas anderes hält, so wird auch der Christus in einem etwas anderes sein. Wenn man sich bloß hält für dasjenige, was auch geistig-seelisch mit der Geburt entstanden ist, so wird der Christus selbstverständlich nur in dem sein können, was mit der Geburt diesmal entstanden ist, und er wird nur die Aufgabe haben, unsere Seele durch den Tod zu tragen und uns dann weiterzutragen durch alle Ewigkeit. Wenn wir wissen, daß wir ein vorgeburtliches Leben haben, so können wir auch wissen, daß gerade der Christus uns für dieses Erdenleben eine Sendung auferlegt, daß wir unsere Kräfte ausbilden müssen, daß wir ihn in unseren Kräften finden müssen, daß wir ihn suchen müssen als das Beste, was wir geistig-seelisch in uns haben.
Die katholische Kirche hat dafür gesorgt, daß die Menschen, die ihr untertan sind, niemals nachdenken mögen über dasjenige, was die wirkliche geistig-seelische Natur des Menschen ist, indem sie in dem achten allgemeinen ökumenischen Konzil in Konstantinopel im Jahre 869 den Geist abgeschafft hat, das heißt, erklärt hat, daß der Mensch nur aus Leib und Seele besteht, die Seele einige geistige Eigenschaften hat, aber daß es häretisch, ketzerisch ist, wenn der Mensch angesehen wird als bestehend aus Leib, Seele und Geist. Und als der Jesuit Zimmermann verschiedenes an der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft monierte, da zählte er als die schwerste Sünde dieser Geisteswissenschaft das auf, daß die Trichotomie durch diese Geisteswissenschaft wieder zur Geltung kommen soll, indem durch diese Geisteswissenschaft wiederum erklärt werde, der Mensch bestehe aus Leib, Seele und Geist. - Durch die Geisteswissenschaft muß unbedingt her
auskommen dasjenige, was des Menschen wahre Wesenheit ist, und was eigentlich auch des Menschen Verhältnis zu dem Christus ist. Dasjenige aber, worum es sich der Kirche immer mehr und mehr gehandelt hat, das war, den Menschen ja nicht zur Aufklärung kommen zu lassen über sein wahres Wesen und über sein Verhältnis zum Christus. Man kann sagen, die Entwickelung der abendländischen Konfessionen bestand eigentlich darinnen, einen immer stärkeren Schleier zu ziehen über das eigentliche Geheimnis des Christus.
Mit allen Institutionen geht es im Grunde genommen so, die auf äußere Abstraktion gebaut sind. Wenn ein Staat jung ist, so hat er noch wenig Gesetze, und man ist verhältnismäßig noch ungebunden durch Gesetze. Je länger der Staat besteht, und namentlich je länger die Parteien der Staaten ihre gescheiten Betrachtungen anstellen, desto mehr Gesetze werden gemacht. Und zum Schluß sind diese so, daß man sich nicht mehr in ihnen auskennt, denn es gibt über alles nicht nur ein Gesetz, sondern alles ist in die Maschen sich verschlingender Gesetze gefangen, aus denen man außerordentlich schwer herauskommen kann. So geht es aber auch in den Kirchen. Wenn eine Kirche beginnt, ihren Gang durch die Welt zu machen, dann hat sie noch verhältnismäßig wenig Dogmen. Aber die Menschen müssen doch etwas zu tun haben, und so, wie die Staatsmänner immer Gesetze machen, so machen die Kirchenmänner immer mehr und mehr Dogmen, und so wird endlich alles zum Dogma. Das Dogma konsolidiert sich zuletzt. Diese Konsolidierung des Dogmawesens ist besonders stark zu beobachten innerhalb der zivilisierten Menschheit der neueren Zeit erst nach der Hochscholastik, die ich hier zu Pfingsten charakterisiert habe. Denn wer wirklich sinngemäß die Hochscholastik studiert, den Albertinismus, den Thomismus, der wird finden, daß da noch alles über das Dogma flüssig ist, diskutiert wird, daß da noch durchaus die Diskussion als etwas Selbstverständliches angesehen wird.
Wir haben zur Zeit der Hochscholastik schon einen gewissen Gegensatz innerhalb der abendländischen Kirche, den Gegensatz zwischen dem Dominikanerorden und dem Franziskanerorden. Der Dominikanerorden, der seine Blüte eben in der Hochscholastik getrieben hat, der bildet die Erkenntnis aus durch Ideen im höchsten logischen Sinne. Der
Franziskanerorden lehnt das ab. Der Franziskanerorden will alles nur durch das kindliche Gefühl erreichen. Ich will jetzt nicht eingehen auf die inhaltliche Beziehung der Lehren des Franziskanerordens und des Dominikanerordens, aber ich will Sie nur aufmerksam darauf machen, was das zum Beispiel heute wäre, wenn noch so intensiv Dominikaner und Franziskaner kämpfen würden miteinander um den Inhalt der Lehre, wie sie im Mittelalter gekämpft und die Dogmen frei diskutiert haben. Gewiß, der römische Bischof, er hat ja auch dazumal die Leute für Häretiker erklärt. Er hätte es lange tun können, wenn nicht die weltlichen Regierungen sich ihm zur Verfügung gestellt und die Leute verbrannt hätten, die er bloß verdammen wollte. Das muß man sagen: es fällt immer die größere Schuld auf die weltlichen Regierungen. Aber das alles hat nicht verhindert, daß dazumal eine freie Diskussion war. Diese freie Diskussion ist in der katholischen Kirche allmählich vollständig ausgeschlossen worden. Diese freie Diskussion, die konnte die katholische Kirche im Laufe der Zeit nicht vertragen. Und warum konnte sie das nicht? Sie konnte es nicht aus dem Grunde, weil ein ganz neues Menschheitsbewußtsein heraufkam.
Bedenken Sie doch nur, daß das so ist, was Umänderung des Menschheitsbewußtseins ist, wie ich es Ihnen öfters für jenen Umschwung in der Mitte des 15.Jahrhunderts gesagt habe. Das ist dasjenige, was die moderne Menschheit trifft, daß der Mensch immer mehr und mehr aus der Tiefe seiner Seele heraus zu einem eigenen Urteil kommen will. Das ist etwas, was im Mittelalter nicht da war. Im Mittelalter hatte der Mensch eine Art Gemeinschaftsbewußtsein, und herausragen konnten nur die einzelnen am meisten unterrichteten Leute, die eigentlichen Scholasten, diejenigen, die sich herausentwickelt haben aus dem allgemein gleichförmigen Volksbewußtsein dadurch, daß sie ihre Lehre innerhalb der scholastischen Bildung - höchstens für gewisse Bruchteile kann man sagen: innerhalb der rabbinischen Bildung oder dergleichen - erhalten haben. Aber im übrigen war dasjenige, was Bewußtsein der Menschen war, gleichförmig, Gemeinschaftsbewußtsein, Gattungsbewußtsein. Immer mehr und mehr bildete sich das Individualbewußtsein heraus.
Was die katholische Kirche immer gehabt hat, weil sie immer in
ihrer Mitte hochgebildete Leute heranzog, das war, daß sie historische Voraussicht hatte. Die katholische Kirche weiß sehr gut, daß dasjenige, was ich jetzt sage, das Prinzip der neueren Entwickelung ist: das Individualbewußtsein der Menschen heraufzuziehen. Aber sie will es nicht heraufkommen lassen. Sie will das dumpfe Gemeinschaftsbewußtsein erhalten, aus dem nur herausragen diejenigen, die eine scholastische Bildung errungen haben. Es gibt ein gutes Mittel, dieses gemeinschaftliche, das dumpfe Bewußtsein zu erhalten - denn es ist immer ein dumpfes Bewußtsein -, und dieses Mittel besteht darin, daß man das gewöhnliche Bewußtsein, das der Mensch schon einmal hat, indem er sich seiner Sinne bedient, daß man dieses herabdämpft, richtig herabdämpft. So wie der Traum das gewöhnliche Bewußtsein herabdämpft, so dämpft man das Bewußtsein herab, damit es ein dumpfes Gemeinschaftsbewußtsein werde.
Nun frage ich Sie: Nicht wahr, es gibt viele Charakteristiken des Traumes, aber ein Charakteristikon des Traumes ist, daß man sagen kann, der Traum ist in vieler Beziehung auch ein Lügner! Wollen Sie leugnen, daß der Traum auch ein Lügner ist, daß er Ihnen Dinge vorgaukelt, die nicht wahr sind? Das gehört aber doch nicht zum Beruf des Traumes; das gehört zum Beruf des herabgedämpften Bewußtseins, daß man nicht kontrollieren kann, wenn man im Traume ist, was Wahrheit und was Unwahrheit ist. Daher gehört es auch zu der Anforderung des herabgedämpften Bewußtseins, dem Menschen die Möglichkeit zu nehmen, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Ist man bewandert in einer solchen Sache, was tut man? Wenn man bewandert ist in einer solchen Sache, dann erzählt man den Leuten unter Autorität Dinge, die unwahr sind. Man macht das systematisch. Dadurch dämpft man ihr Bewußtsein bis zu der Dumpfheit des Traumbewußtseins herunter. Dadurch erreicht man, daß man untergräbt dasjenige, was als Individualbewußtsein seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in den Menschenseelen herauf will. Und es ist eine grenzenlos grandiose Unternehmung, so zu wirken unter Autorität, daß man den Menschen - nun, ich will ohne Bild sprechen - solche Artikel schreibt, wie sie jetzt im «Katholischen Sonntagsblatt» erscheinen, denn dadurch erreicht man es, die Menschen nicht kommen zu lassen zu dem, wozu sie sich
entwickeln sollen seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Wenn man glauben wollte, daß dasjenige, was in einer solchen Richtung geschieht, wenn es auch der einzelne nicht weiß, aber es ist ja die ganze Hierarchie da, welche die Sache sehr wohl organisiert hat, wenn man glauben wollte, daß die Dinge aus bloßer Einfalt oder aus einer bloßen gewöhnlichen Ranküne entstehen, da würde man sich beträchtlich irren. Man muß selbstverständlich mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen, die Lüge und die Unwahrheit bekämpfen. Aber man soll nicht glauben, daß sie aus der Einfalt hervorgehe, oder etwa gar aus dem Glauben hervorgehe, daß dasjenige wahr sei, was man sagt. Wenn man die Wahrheit sagen wollte, würde man ja das nicht erreichen, was man erreichen will. Man will das Bewußtsein herabdämpfen, indem man den Menschen die Lüge beibringt. Es ist ein grandioses diabolisches Unternehmen.
Es muß auch das unverhohlen ausgesprochen werden: Nur auf der anderen Seite ist die Einfalt. Die Einfalt ist heute nicht auf seiten der katholischen Kirche, die Einfalt ist auf seiten ihrer Gegner. Diese glauben nicht, daß die katholische Kirche groß ist in einer solchen Richtung, wie ich sie charakterisiert habe; die glauben nicht, daß die katholische Kirche längst vorausgesehen hat, daß über Europa jener soziale Zustand kommt, der jetzt über Europa gekommen ist, und daß die katholische Kirche längst Vorsorge getroffen hat, in diesem sozialen Zustand sich geltend machen zu können. Dasjenige, was die katholische Kirche beabsichtigt, ist, die Verbindungsbrücke zu schaffen zwischen dem radikalsten Sozialismus, Kommunismus und ihrer Herrschaft. Diese grandiose Voraussicht, die muß man erkennen in alledem, was auf wirklichem geistigem Untergrunde basiert, auf einem solchen geistigen Untergrunde, der eben im wirklichen Geistesleben wurzelt, nicht in der bloßen Abstraktion. Sehen Sie, mit alldem, was neuere Aufklärung ist, kommt man zu nichts, was im Fortgange der Menschheitsentwickelung eine durchgreifende Bedeutung haben könnte. Jene Zeremonien, die im katholischen Meßopfer ausgeübt werden, sie haben eine weitaus größere Bedeutung als alle die Redereien des evangelischen Kanzeldienstes. Denn das sind Handlungen, die sich hier in der sinnlichen Welt vollziehen und die, indem
sie sich in der sinnlichen Welt vollziehen, in ihrer Form zu gleicher Zeit das sind, was die geistige Welt in die sinnliche Welt hereinzaubert. Die katholische Kirche hat deshalb niemals die magischen Mittel, auf Menschen zu wirken, entbehren wollen. Diese sind vorhanden. Man soll nur nicht glauben, daß gegen diese Dinge so ohne weiteres etwas anderes aufkommen kann, als ein Wiederum-Eintreten in die geistigen Welten vom Standpunkt wahrer innerster Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Und als, ich möchte sagen, äußeres Kennzeichen, daß in der katholischen Kirche immer vorhanden war der Zusammenhang mit der geistigen Welt, kann das zum Beispiel gelten, was ich einzelnen von Ihnen schon mitgeteilt habe.
Es gab im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine päpstliche Enzyklika, welche verschiedene Dinge für ketzerisch erklärte. Die päpstlichen Enzykliken sprechen ja so, daß sie immer die betreffende Lehre anführen und dann sagen: Der ist verdammt, der das glaubt. - Also man führt, nicht wahr, irgendeine Lehre an, die Haeckel oder ein anderer verbreitet hat, schreibt sie aus einem Haeckelschen Buche ab und sagt: Wer das glaubt, ist verdammt. - Man sagt nicht das Richtige, sondern man sagt: Wer das glaubt, ist verdammt. - Die Initiationswissenschaft gibt ja immer die Möglichkeit, solchen Dingen nachzuforschen, und ich stellte mir zur Aufgabe, über diese Enzyklika gewisse Forschungen anzustellen. Da muß ich sagen, wie in so manchen anderen Dingen: Dasjenige, was dazumal vom Papste ex cathedra verkündet worden ist, war ein wirkliches Ergebnis aus der geistigen Welt, das heißt, dasjenige, was in jene Enzyklika eingeflossen ist, kam aus der geistigen Welt herunter, nur war es merkwürdigerweise umgekehrt. Es war überall dasjenige, was als «Ja» bezeichnet werden sollte, als «Nein» bezeichnet, und umgekehrt: Das ist etwas, was in gewisser Beziehung - ich könnte viele andere Beispiele anführen - zeigen kann, daß auf jener Seite wirklich heute ein Zusammenhang mit der geistigen Welt vorhanden ist, aber ein für die Menschheit außerordentlich verderblicher Zusammenhang. Man braucht sich deshalb nicht zu wundern, daß gerade die katholische Kirche in dem Heraufkommen der neueren Geisteswissenschaft etwas sieht, was sie unter allen Umständen aus der Welt schaffen will. Denn, was wird durch diese neuere
Geisteswissenschaft bewirkt? Durch diese neuere Geisteswissenschaft wird bewirkt, daß die Menschheit ein Bewußtsein erhalten soll von dem vorgeburtlichen Leben, von der Präexistenz. Das darf nicht sein. Das darf unter keinen Umständen geschehen. Also muß die Geisteswissenschaft verdammt werden. Durch die Geisteswissenschaft wird der Mensch aufmerksam auf sein eigenes Wesen, wie er besteht aus Leib, Seele und Geist. Das darf unter keinen Umständen sein. Also muß diese Geisteswissenschaft verdammt werden. Durch diese Geisteswissenschaft wird die wahre Natur und Wesenheit des Christus Jesus der Menschheit kund. Das darf unter keinen Umständen geschehen, daher muß diese Geisteswissenschaft verdammt werden.
Man würde ja zum Beispiel einsehen, daß das Dogma von den ewigen Höllenstrafen, von der Schöpfung der Seele mit der physischen Geburt ein aristotelisches Ergebnis ist. Nun stelle man sich vor, daß ein katholischer Theologe heute den Zusammenhang studiert zwischen Aristoteles und der Hochscholastik und einsieht, wie die Hochscholastiker zur Beweisführung über die Entstehung der Seele mit dem physischen Leben gekommen sind aus der Philosophie des Aristoteles heraus. Man würde gewissermaßen der Dogmenentstehung hinter die Kulissen sehen. Was tut man dagegen? Man läßt den Theologen den Antimodernisteneid schwören. Man läßt ihn schwören, daß sein Bekenntnis ist, daß er niemals auf ein historisches Ergebnis kommen könne, welches den Dogmen, die von Rom ausgehen, widerspricht. Und das, daß er geschworen hat, diese Tatsache, daß er einen Eid abgelegt hat, diese Tatsache soll so stark in seinem Gemüte wirken, daß er verwirrt wird beim nüchternen Forschen, daß er nicht darauf kommen kann, wie der Zusammenhang des Dogmas mit der historischen Entwickelung der Menschheit ist. All das kann nicht so bleiben, wenn die Initiationswissenschaft heraufkommt. Daher muß diese Initiationswissenschaft unter allen Umständen verdammt werden.
Warum sage ich Ihnen das alles? Ich sage Ihnen das, damit Sie die Dinge, um die es sich hier handelt, nicht allzuleicht nehmen. Denn bei unserer anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft handelt es sich wahrhaftig nicht um solche Dinge, um die es sich zum Beispiel bei der Theosophischen Gesellschaft handelt. Daß es sich bei der Theosophischen
Gesellschaft nicht um etwas Ernstes gehandelt hat, das geht Ihnen ja daraus hervor, daß sie eines Tages in ihrer Majorität dazu gekommen ist, die ganze Farce von Krishnamurti als dem wiedergeborenen Jesus Christus von Nazareth mitzumachen. Dasjenige, was einlaufen kann in eine solche Komödie, das beruht von vornherein selbstverständlich nur auf Heuchelei, wenn auch diese Heuchelei von vielen ernst genommen worden ist. Was wachsen soll auf dem Boden anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft, das soll in allen Fasern ehrliches Wahrheitssuchen sein. Das ist daher dasjenige, von dem die unterrichtete katholische Kirche ganz gut weiß, daß es hinter die Kulissen kommt, daß es hinter das kommt, was nicht aufgedeckt werden darf, wenn die katholische Kirche diejenige Herrschaft, diejenige Macht fortführen will, die sie eben in der Welt beansprucht. Ich sage das, was ich jetzt sage, aus dem Grunde, weil Sie daraus ersehen sollen, daß die Dinge wahrhaftig nicht leichtsinnig genommen werden dürfen. Denn das muß gesagt werden: Auf jener Seite wird mit großer Voraussicht gearbeitet, wenn auch der eine dem Hammel nach- läuft und nur die Devise, die Befehle ausführt, die ihm aufgetragen werden, wenn er auch nicht weiß, welche Bedeutung das systematische Lügen, die aber von einer großen Anzahl von Menschen geglaubt werden, für die ganze Entwickelung der Menschheit hat. Wenn das auch der einzelne nicht weiß und es unwissentlich nachmacht, im ganzen System ist es wohl begründet.
Auf der anderen Seite steht jene Einfalt, welche glaubt, daß dieses ganze äußere Gespinst von Naturgesetzen, das heute den Gegenstand unseres Hochschulstudiums bildet, etwas sein könne, was für die Weiterentwickelung der Menschheit eine Bedeutung haben könne, daß all das Blech von der Erhaltung des Stoffes und der Kraft etwas sein könne, was der Weiterentwickelung der Menschheit heilsam sein könne. Diese Menschheit sieht heute nicht mehr ohne Vorurteile auf den Schnee hin, der sich jeden Winter vor ihr ausbreitet, wenn sie in gemäßigten Zonen lebt. Denn indem die Kräfte des Wachstums überdeckt werden mit der Schneekruste, geht ein Teil der Erdoberfläche durch eine völlige Neugestaltung hindurch. Das Volksbewußtsein, das von der Reinheit des Schnees spricht, weiß viel mehr als die moderne Wissenschaft,
welche von der Erhaltung des Stoffes und der Kraft redet. Was ich jetzt sage, darf ich selbstverständlich nur sagen, nachdem ich durch viele Wochen hindurch Ihnen gezeigt habe, wie unbegründet dieses neuere Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und der Kraft ist, wie in der Tat in jedem Menschenwesen Stoff zugrunde geht, Kraft zugrunde geht, indem nach dem Kopfe herauf gewirkt wird, und wie neuer Stoff, neue Kraft in der Menschenwesenheit entsteht. Alle diese Dinge müssen selbstverständlich von einer gewissen Seite bis aufs Messer bekämpft werden. Und was dagegen helfen kann, ist nur das, daß eine möglichst große Anzahl von Menschen sich bewußt werde, welches eben die Aufgabe der gegenwärtigen Menschheit ist: daß das Individualbewußtsein unbedingt die Welt ergreifen muß.
Dieses Individualbewußtsein, es wird die Welt ergreifen, aber es kann entweder die Weisheit der Welt ergreifen, oder die blinden Instinkte ergreifen. Wenn es die blinden Instinkte ergreift, so kommt ein vollständig antisozialer Zustand heraus, so ungefähr, wie er sich jetzt in Rußland vorbereitet. Das wird allmählich einen antisozialen Zustand hervorrufen, gegen den weder die englische, noch die nordamerikanische, gar nicht zu reden von der französischen oder einer sonstigen Regierung ein Mittel ersinnen wird. Nein, es wird naiv sein, zu glauben, daß so etwas wie das englische Parlament fertig werden könne mit dem, was da die Menschheit ergreifen wird, wenn das Individualbewußtsein bloß in den Instinkten wirkt. Aber eine Macht kann fertig werden damit: das ist die Macht Roms. Nur handelt es sich eben darum, wie sie fertig werden kann. Rom kann eine Herrschaft aufpflanzen, denn Rom hat die nötigen Machtmittel dazu. Nur das ist die Frage. Nicht die Frage ist, ob Bolschewismus oder angelsächsische Bourgeoisie, sondern die Frage ist, ob antisoziales Chaos, römische Herrschaft - oder der Entschluß der Menschheit, sich mit dem Geiste zu erfüllen, der 869 auf dem achten allgemeinen ökumenischen Konzil in Konstantinopel als zu erkennen, als zu erforschen für ketzerisch erklärt worden ist von der abendländischen Kirche.
Es geht nicht anders, als daß sich die Menschheit entschließt, die Dinge ernst zu nehmen, nicht bloß so hinzuleben, wie es selbstverständlich geschieht unter den materialistischen Weltgedanken. Wie
lebt da die Menschheit? Sie erwirbt nach dem Barometer des Geldpreises, denn ein anderes Barometer gibt es nicht für die soziale Ordnung; und dann hat man vielleicht noch so einen gewissen Luxus, eine Weltanschauung, aber nur als Luxus. Und diejenigen, die besonders «tief» veranlagt sind, die sagen dann: Man muß sich erheben in die geistigen Welten, man muß hinter sich zurücklassen die sinnlich-materielle schlechte Welt; mit der gibt sich ein wirklich tiefer Mensch nicht ab. Man muß nichts verstehen von der ganzen materiellen Welt. Man muß Mystiker werden, in den höheren Welten leben. - Aber auch diese «Tiefen» und die «weniger Tiefen», sie alle bekommen Kinder, haben den Gedanken, daß die Kinder auch erwerben müssen, daß es doch sehr schlimm wäre, wenn die Kinder daher nicht in jene Schulen geschickt würden, in denen man dressiert wird auf das gegenwärtige Erwerben. Und damit haben sie sich schon abgefunden mit dem, wie die Sachen jetzt sind, und damit haben sie den Materialismus auch für die nächste Generation vererbt.
Ja, wenn einer einmal das sagt, so ist er ein unbequemer Mensch, und am besten ist es, man verlästert ihn dann. Denn für die meisten Menschen ist das zu hören, was jetzt eben ausgesprochen ist, eigentlich ebenso schlimm, als wenn einige der Wanzen oder Läuse sie fortwährend bearbeiten würden. Aber man läßt sich nicht gern von seelischen Wanzen und Läusen bearbeiten. Daher zieht man sich eine dicke Haut an, die darin besteht, daß man sich blind und taub macht gegen das, was als Charakteristik unserer gegenwärtigen Zeitbildung von der Geisteswissenschaft ausgehen muß. Auf dieser Seite ist dann die Einfalt. Als die katholische Kirche sah, daß die Menschen so einseitig werden, da sorgte sie dafür, daß es ganz besonders geschulte Leute gäbe, aber sie sorgte dafür wirklich auf dem Umwege durch geistige Impulse. Es gehört ja im Grunde genommen zu den allerbedeutsamsten Geschehnissen auch der Metahistorie, wie durch Ignatius von Loyola der Jesuitenorden begründet worden ist aus gründlichen Einflüssen der geistigen Welt heraus, und da hat man es zu tun in der Tat mit einer starken geistigen Wirksamkeit.
Nun muß selbstverständlich in ehrlicher Weise innerhalb unserer Gemeinschaft besprochen werden dasjenige, was ist, und daher war
ich genötigt, auch in jenem Karlsruher Zyklus - den jetzt ich weiß nicht was für eine Seele hier irgendeinem Unsinn- und Unratschmierer ausgeliefert hat - von der großartigen aber bedenklichen Schulung der Jesuiten zu sprechen. Bekanntlich ist im Karlsruher Zyklus die ganze Schulung der Jesuiten aus dem Fundament heraus besprochen. Ich will folgendes sagen: Was hat es denn überhaupt innerhalb unserer Kreise für eine Bedeutung, auf jeden Zyklus draufzuschreiben, daß er als Manuskript nur für die Mitglieder gedruckt wird, wenn Unratschmierer diese Zyklen in der Hand haben, aus denen heraus sie alles mögliche zusammenlügen können? Es ist ja ganz selbstverständlich, daß sich dadurch in einer ganz bedeutsamen Weise bewahrheitet, was ich öfter schon erwähnt habe: Es wird die Zeit kommen, wo man eben nicht mehr darauf rechnen kann, daß diese Zyklen nur für einen kleinen Kreis berechnet sind, denn die Menschheit ist gegenwärtig nicht so, daß man ihr etwas anvertrauen kann. Selbstverständlich ist alles dasjenige, was von diesen Unratschmierern geschrieben ist, Unsinn und unwahr, aber es ist auf Grundlage nicht etwa der öffentlichen Schriften geschrieben, sondern es wurde dadurch geschrieben, daß Zyklen einfach hinausgegeben worden sind. Und ich habe allen Grund, anzunehmen, daß einer der ersten Zyklen, der in die Hände der katholischen Geistlichkeit geliefert worden ist, jener Karlsruher Zyklus über die Jesuiten war. Denn auf jener Seite besteht die Tendenz, ja nicht die wahre Schulung der Jesuiten irgendwie bekanntwerden zu lassen. Die Welt soll nicht wissen, wie die Jesuiten geschult werden, sie soll nichts wissen von ihrer grandiosen Schulung.
In jenem Orden, um den es sich da handelt, sind unzählige Menschen von einer solchen geistigen Kapazität drinnen, daß, wenn sie zerstreut wären in der äußeren Welt und sich nicht beschäftigten mit dem, womit man sich dort beschäftigt, sondern mit äußerer Wissenschaft oder Dichtung oder Malerei, so würden sie da als einzelne individuelle Menschen wie Genies in der Menschheit verehrt. Man würde sie da als die großen Geister der Menschheit anerkennen. Innerhalb des jesuitischen Ordens sind unzählige Menschen vorhanden, die Lichter wären, wenn sie als einzelne Menschen auftreten und sich mit etwas anderem befassen würden, mit alldem, was zum Beispiel materialistische Wissenschaft
ist. Diese Leute löschen ihre Namen aus, gehen auf in ihrem Orden und setzen außerdem als Bedingung ihrer Stärke dieses, daß die Welt von alledem nichts weiß, daß die Welt nicht weiß, wie ein solcher Kopf gebildet wird, der in der schwarzen Kutte und im Jesuitenhütlein dahergeht.
Diese Dinge sind eben durchaus geeignet, darauf hinzuweisen, wie grundverschieden in verschiedenen Menschenkategorien die ganze Konfiguration des Bewußtseins ist. Aber man will solche Dinge nicht ernst nehmen unter jenen Einfältigen, die sich moderne Aufgeklärte nennen. Und das ist es, was immer wieder und wiederum betont werden muß, das ist es, worüber ich heute zu Ihnen sprechen mußte.
NEUNTER VORTRAG Dornach, 2. Juli 1920
Wer heute in Deutschland sich ein wenig umsieht und nicht auf Außerlichkeiten geht, sondern mit dem Auge der Seele sieht, wer also nicht allein ins Auge faßt, was sich etwa dem Besucher darbietet, der ja in der Regel die Verhältnisse während seines Besuches gar nicht kennen- lernt, wer nicht dabei stehenbleibt, daß wiederum einige Schornsteine rauchen, daß die Eisenbahnzüge zur rechten Zeit an ihrem Bestimmungsorte ankommen, sondern wer etwas in die geistige Verfassung hineinzuschauen vermag, dem bietet sich heute ein Bild, das symptomatisch ist nicht für dieses Territorium allein - denn das könnte vielleicht noch von der einen oder von der anderen Seite weniger bedenklich beleuchtet werden -, sondern für den ganzen Verfall unserer Welt- kultur im gegenwärtigen Zyklus der Menschheit. Ich möchte heute gerade auf ein geistig-seelisches Symptom Sie einleitend hinweisen, das bedeutsamer ist, als viele schlafende Seelen auch in Deutschland sich träumen lassen.
Innerhalb des alten Deutschland herrscht ja heute Verfall, Niedergang, und die äußerlichen Dinge, die ich natürlich nur zum Teil aufgezählt habe, können nicht über diesen Niedergang täuschen. Aber das alles ist in geistig-seelischer Beziehung nicht das, worauf ich jetzt hinweisen möchte, denn Verfall sehen wir vielfach im Laufe der Weltgeschichte auftreten, und aus dem Verfall sehen wir dann wiederum die Aufgangsimpulse herausquellen. Aber wer zunächst äußerlich urteilt, wer von dem, was oftmals erfahren worden ist, aus einem Gewohnheitsurteil heraus sich sagt: Nun, das wird schon auch hier in derselben Weise wiederum so sein wie früher -, der sieht doch nicht auf gewisse tieferliegende Symptome. Ein solches Symptom, aber eben nur eines von vielen, ein geistig-seelisches, das ich hervorheben möchte, ist der merkwürdige Eindruck, den ein Buch hervorgerufen hat, ich meine das Buch «Der Untergang des Abendlandes» von Oswald Spengler, welches schon dadurch symptomatisch ist, daß es in unserer Zeit hat entstehen können. Es ist ein dickes Buch und es ist ein vielgelesenes
Buch, ein namentlich unter der jungen Generation des heutigen deutschen Territoriums außerordentlich eindrucksvolles Buch. Und das Merkwürdige ist: der Verfasser erzählt ausdrücklich, daß er die Grundidee dieses Buches nicht etwa gefaßt habe während des Krieges oder nach dem Kriege, sondern daß er diese Grundidee schon einige Jahre vor der Katastrophe vom Jahre 1914 gefaßt hat.
Das Buch macht einen sehr bedeutsamen Eindruck gerade auf die junge Generation. Und wenn man in seinen Empfindungen versucht, aus dem heraus zu sprechen, was da vorhanden ist, so tritt einem, ich möchte sagen, unter den Imponderabilien des Lebens, so zwischen den Zeilen des Lebens dies ganz besonders stark entgegen. Ich hatte einen Vortrag zu halten vor den Stuttgarter Studenten der Technischen Hochschule, und ich ging eigentlich zu diesem Vortrage durchaus unter dem Eindrucke des Buches von Oswald Spengler «Der Untergang des Abendlandes». Es ist ein sehr dickes Buch. Dicke Bücher sind jetzt in Deutschland teuer; dennoch wird es viel gelesen. Daß sie teuer sind, das kann ich Ihnen daran veranschaulichen, daß ein Reclam-Heftchen, das 1914 noch zwanzig Pfennig gekostet hat, jetzt eine Mark und fünfundvierzig Pfennig kostet. Bücher sind ja nicht in demselben Verhältnisse gestiegen wie Bier, das wohl das Zehnfache des Preises von 1914 kostet, Fett sogar das Dreißigfache. Bücher müssen sich immer in bescheidenen Grenzen halten, selbst wenn solch unhaltbare wirtschaftliche Verhältnisse zugrunde liegen. Aber immerhin zeigt auch der Preisaufschlag der Bücher, was in den wirtschaftlichen Untergründen der letzten Jahre sich vollzogen hat.
Das Buch von Oswald Spengler habe ich bei einem meiner öffentiichen Vorträge in Stuttgart sehr ernst genommen, aber auch sehr ernst bekämpft. Dieses Buch ist im Grunde genommen seinem Inhalte nach bald charakterisiert. Es stellt dar, wie die Kultur des Abendlandes heute an einem Punkte angekommen ist, an welchem die untergegangenen Kulturen, wenn man sie nacheinander studiert, im alten Morgenlande, in Griechenland und Rom, auch einmal in einem gewissen Zeitabschnitte angekommen waren; und Spengler rechnet aus, daß dieses völlige Untergehen der gesamten abendländischen Kultur nach strenger historischer Rechnung mit dem Jahre 2200 vollendet sein müsse.
Aber heute kommt es nicht nur auf den Inhalt einer solchen Sache an, sondern ebenso stark wie auf den Inhalt auf die geistig-seelischen Qualitäten eines Buches. Heute kommt es darauf an, ob der Verfasser, gleichgültig welcher Weltanschauungstendenz er angehört, geistige Qualitäten hat, ob er eine geistig ernst zu nehmende und vielleicht sogar geistig hoch einzuschätzende Persönlichkeit ist. Das ist ohne Zweifel der Verfasser des Buches, denn der Mann beherrscht, man darf sagen vielleicht zehn bis fünfzehn gegenwärtige Wissenschaften vollstänständig. Der Mann hat ein eindringliches Urteil über das, was im historischen Werden, so weit die Geschichte reicht, sich ereignet hat, und er hat auch, was ja die jetzigen Menschen eigentlich fast gar nicht haben, einen gesunden Blick für die Niedergangserscheinungen der gegenwärtigen Zivilisationen. Es ist im Grunde genommen ein großer Unterschied zwischen einem Spengler und all denjenigen Leuten, die heute gar nicht fühlen, was Niedergangsimpulse sind und alle möglichen Veranstaltungen treffen, um aus den Niedergangsurteilen heraus, was ja unmöglich ist, irgendeine Aufgangserscheinung abzuleiten. Wäre es nicht zum Herzschmerzbekommen, so wäre es eigentlich humoristisch, wie sehr die Menschen heute mit den altgewohnten, aber eben von Niedergangsimpulsen durchzogenen Ideen sich versammeln und glauben, aus dem Niedergange heraus durch allerlei Programme Aufgangserscheinungen schaffen zu können. Solch einem Wahnaberglauben gibt sich aber ein Mensch, der nun wirklich etwas weiß, wie Oswald Spengler, eben nicht hin, sondern er rechnet gewissermaßen - ich möchte sagen als strenger Mathematiker - die Geschwindigkeit der Niedergangserscheinungen aus, und mit einem Urteil, das wahrhaftig mehr als eine vage Prophetie ist, kommt er dazu, abzuleiten, wie bis zum Jahre 2200 diese abendländische Kultur in die vollständige Barbarei verfallen sein müsse.
Es ist dieses Zusammentreffen des äußerlich, namentlich auf geistigseelischem Gebiete überall auftretenden Niederganges mit der Auffassung eines ernst zu nehmenden Theoretikers, daß dieser Niedergang ein notwendiger sei, ein solcher, der sich mit einer gewissen natürlichhistorischen Gesetzmäßigkeit vollzieht, es ist dieses Zusammentreffen das Merkwürdige an diesem Buche und es ist dieses Zusammentreffen
dasjenige, was eigentlich auf die junge Generation einen besonderen Eindruck macht. Man hat heute nicht- nur Niedergangserscheinungen, man hat auch schon Theorien, welche diesen Niedergang als notwendig bezeichnen, ihn als streng wissenschaftlich erweislich darstellen. Man hat mit anderen Worten nicht nur den Niedergang, man hat eine Theorie des Niederganges, und zwar eine sehr ernst zu nehmende Theorie. Und man möchte fragen: Woher sollen die Kräfte kommen, jene innerlichen Willenskräfte, welche die Menschen anspornen, aus sich heraus zu einem Aufstieg zu kommen, wenn die Besten aus ihren Theorien heraus, aus einem umfassenden Uberblicke über zehn bis fünfzehn Wissenschaften der Gegenwart heraus dahin kommen, mit alledem, was diese Wissenschaften enthüllen wollen über den Gang der Natur und der Menschheit, zu sagen: Dieser Niedergang ist nicht nur da, dieser Niedergang läßt sich beweisen wie irgendein physikalischer Vorgang! - Das heißt, es beginnt bereits die Zeit, wo der Glaube an den Niedergang nicht von den Schlechtesten vertreten wird. Man muß immer wieder und wiederum betonen, wie ernst eigentlich die Zeit ist, und wie fehlerhaft es ist, diesen Ernst der Zeit zu verschlafen, zu verträumen.
Man kann nicht anders, wenn man sich den ganzen Ernst dieser Lage vor Augen führt, als sich doch die Frage aufzuwerfen: Wie muß eigentlich unser Denken orientiert werden, damit der Pessimismus gegenüber der abendländischen Zivilisation nicht als etwas Selbstverständliches erscheine und der Glaube an den Aufstieg als ein Aber- glaube sich offenbare? Man muß fragen: Gibt es etwas, das aus diesem Pessimismus noch herausführen kann? Gerade die Art und Weise, wie Spengler zu seinen Resultaten kommt, ist für den Geisteswissenschafter im höchsten Grade interessant. Spengler betrachtet die einzelnen Kulturen nicht so scharf abgegrenzt, wie wir es zum Beispiel für die nachatlantische Zeit tun, indem wir unterscheiden: urindische, urpersische, chaldäisch-ägyptische, griechisch-lateinische und neuzeitliche Kulturen. Es steht ihm eben Geisteswissenschaft nicht zur Verfügung; aber er betrachtet doch in einer gewissen Weise auch solche Kulturen. Und er betrachtet sie mit dem Blicke des Naturforschers. Er betrachtet sie mit denjenigen Methoden, welche im Laufe der letzten drei bis vier
Jahrhunderte in der abendländischen Zivilisation heraufgezogen sind und welche im weitesten Umkreise diejenigen Geister ergriffen haben, die nicht am altherkömmlichen traditionellen, katholischen, evangelischen, mosaischen und so weiter Glaubensbekenntnis in Engigkeit befangen bleiben. Oswald Spengler ist sozusagen ein Mensch, der ganz und gar durchsetzt ist mit der materialistischen modernen Naturforschung. Und nun betrachtet er in seiner Art das Auf- und Absteigen der Kulturen - orientalische, indische, persische, griechische, römische Kultur, Kultur des jetzigen Abendlandes - wie bei einem Organismus, der eine gewisse Kindheit durchmacht, ein gewisses Reifezeitalter erlebt, dann ein Altern durchmacht, und nachdem er gealtert ist, stirbt. So betrachtet Spengler die einzelnen Kulturen: sie machen ihre Kindheit durch, ein Reifezeitalter, eine Zeit des Alterns und sterben dann ab. Und der Todestag unserer abendländischen gegenwärtigen Zivilisation wäre eben das Jahr 2200.
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Das Buch ist zunächst nur im ersten Bande vorliegend. Wer nun diesen ersten Band auf sich wirken läßt, findet eine streng theoretische Rechtfertigung des Niederganges, den streng theoretischen Beweis des Niederganges, aber nirgends irgendeinen Lichtfunken, der hinwiese auf irgendeinen Aufgang, nirgends etwas, was auf irgendeinen Aufstieg hindeutete. Und man kann nicht einmal sagen, daß für den naturwissenschaftlichen Betrachter dies eine unrichtige Denkweise sei. Denn betrachtet man das heutige Leben - obwohl alle möglichen Fragen auftauchen, die Fragen, über die Nietzsche sich schon lustig gemacht hat -, und gibt man sich nicht dem Wahne hin, daß aus wesenlosen Programmen Zukunftsfrüchte reifen können, dann sieht man auch zunächst in dem, was die Mehrzahl der Menschen in der Außenwelt anerkennt, nirgends einen Aufstieg erscheinen. Betrachtet man also die aufsteigende und niedergehende Kultur wie Organismen und betrachtet man
dann auch unsere Kultur als einen Organismus, unsere ganze abendländische Zivilisation, dann kann man nicht anders, als sagen: Das Abendland geht zugrunde, geht in die Barbarei hinein. Nichts vermag zu entscheiden, wo irgendein neuer Aufstieg, irgendein anderes Zentrum der Welt sich wiederum erzeigen werde.
Es ist das Spenglersche Buch ein Buch mit geistigen Qualitäten, aus scharfer Beobachtung herrührend und aus einem wirklichen Durchdrungensein mit der heutigen Wissenschaftlichkeit heraus geschrieben, und nur der gewöhnliche Lebensleichtsinn kann über solche Dinge oberflächlich hinwegsehen. Wenn solch eine Erscheinung kommt, dann tritt eben jene historische Sorge auf in dem Weltenbetrachter, von welcher ich hier des öfteren gesprochen habe und welche ich mit den folgenden Worten kurz zusammenfassend charakterisieren kann. Wer heute sich wirklich bekanntmacht mit dem inneren Wesen dessen, was im sozialen, im politischen, im geistigen Leben wirkt, wer da sieht, wie alles das, was wirkt, nach dem Niedergang hinstrebt, der muß sich sagen, wenn er nun Geisteswissenschaft kennt, wie sie hier gemeint ist: Eine Heilung kann es nur geben, wenn dasjenige, was man die Weisheit der Initiation nennt, in die Menschheitsentwickelung hineinfließt. - Denn denken wir uns einmal diese Weisheit der Initiation fort, denken wir einmal, das, was wir hier in gutem Sinne geistige Anschauung nennen, würde von der Menschheit vollständig außer acht gelassen, würde verbannt, würde keine Rolle spielen im weiteren Fortgange der Menschheitsentwickelung, - was würde die notwendige Folge sein müssen? Sehen Sie, wenn wir hinschauen auf die alte indische Kultur, so hat sie wie ein Organismus einen Kindheitszustand, Reife, Altern, Verfall, Tod; dann setzt sie sich fort. Aber das, was sie fortsetzt, lebt ja nicht in Wirklichkeit mehr. Wir haben dann die persische, die chaldäischägyptische, die griechisch-lateinische, unsere Zeit; aber immer haben wir etwas, was Oswald Spengler nicht berücksichtigt hat, was er eigentlich als streng naturwissenschaftlicher Beobachter nicht berücksichtigen konnte. Es ist ihm das vorgeworfen worden von einigen seiner Gegner. Denn einiges ist auch schon gegen das Buch von Spengler geschrieben worden, sogar manches, was gescheiter ist als der außerordentlich einfältige Artikel, den Benedetto Croce geschrieben hat gegen
das Spenglersche Buch. Croce, der sonst immer Gescheites geschrieben hat, ist an dem Spenglerschen Buche plötzlich zum Toren geworden. Es ist Spengler also vorgeworfen worden, daß ja die Kulturen immer nicht nur Kindheit, Reife, Verfall, Tod haben, sondern daß sie sich fortsetzen, und so werde es auch mit der unsrigen sein: wenn sie eines seligen Todes sterbe im Jahre 2200, so werde sie sich schon wiederum fortsetzen. - Es ist dabei nur das Eigentümliche zu beachten, daß Spengler eben ein guter naturwissenschaftlicher Beobachter ist und deshalb keine Fortsetzungsmomente findet, daß er daher nicht von einem Samen sprechen kann, der etwa in unserer Kultur drinnen ist, sondern nur von den Niedergangserscheinungen, die sich ihm, dem naturwissenschaftlichen Beobachter, darbieten. Und diejenigen, die davon sprechen, daß sich die Kulturen fortsetzen, haben auch nichts besonders Gescheites gerade über dieses Buch zu sagen gewußt. Ein ganz junger Mann hat eine etwas verschwommene Mystik vorgebracht, in der er von «Weltrhythmus» spricht; aber auch damit ist eben nur eine verschwommene Mystik geschaffen, nicht irgend etwas, was den bewiesenen Pessimismus in einen Optimismus verwandelt hätte. So geht eigentlich aus dem Spenglerschen Buche nur hervor, daß der Untergang kommen wird, nicht aber ein Aufstieg erfolgen könne.
Was Spengler tut, ist, daß er naturwissenschaftlich betrachtet: Kindheitsalter des Kultur- oder Zivilisationsorganismus, Reifezeit, Verfall, Altern, Tod in den verschiedenen Zeitaltern betrachtet er so, wie man auch naturwissenschaftlich im Grunde genommen einzig und allein betrachten kann. Aber wer etwas weiter auszuschauen vermag, der weiß, daß im alten indischen Leben außer dem Außerlichen der Zivilisation die Mysterienweisheit, die Initiationsweisheit der Urzeiten gelebt hat. Und diese Initiationsweisheit der Urzeiten, die in Indien noch mächtig war, sie hat wiederum den neuen Keim in die persische Kultur hineingetrieben. Die persischen Mysterien waren schon schwächer, aber sie konnten noch den Keim in die ägyptisch-chaldäische Zeit hineintreiben. Es konnte auch noch der Keim in die griechisch-lateinische Zeit hineingetrieben werden. Dann setzte sich gleichsam die Kulturströmung fort nach dem Gesetze der Trägheit bis in unsere Zeit herein, und da versiegt sie.
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Das muß man fühlen! Diejenigen, die zu unserer Geisteswissenschaft gehören, die könnten das seit nahezu zwanzig Jahren fühlen. Denn eine der ersten Bemerkungen, die ich gleich bei der Begründung unserer geisteswissenschaftlichen Bewegung gemacht habe, ist diese: Wenn man dasjenige, was das Kulturleben der Menschheit äußerlich hervorbringt, was eben so weitertreibt, vergleichen will mit etwas, so kann man es vergleichen mit dem Stamm, den Blättern und Blüten und so weiter eines Baumes. Dasjenige aber, was wir hineinversetzen wollen in diese fortgehende Strömung, das läßt sich vergleichen mit dem Mark des Baumes, das muß verglichen werden mit den im Marke sich betätigen- den Wachstumskräften. Ich wollte darauf aufmerksam machen, daß durch Geisteswissenschaft wiederum gesucht werden müsse, was, einst aus alter atavistischer Urweisheit überliefert, heute versiegt ist. Dieses Bewußtsein, so hineingestellt zu sein in die Welt, das ist es, was im Grunde genommen das Bewußtsein derjenigen ausmachen soll, die sich zur anthroposophischen Bewegung zählen. Aber noch eine andere Bemerkung habe ich gemacht, allerdings in den letzten Jahren besonders hier, sehr häufig aber auch an anderen Orten. Ich habe gesagt: Wenn man alles dasjenige, was man aus der heutigen Wissenschaft aufnehmen kann, nimmt und sich daraus eine Anschauungsweise bildet und diese Anschauungsweise anwendet zum Beispiel auf das soziale oder namentlich auch auf das geschichtliche Leben, so kann man dadurch nur die Niedergangserscheinungen fassen. Mit dem, was Naturwissenschaft uns lehrt als Betrachtungsweise, trifft man, wenn man Geschichte betrachtet, nur das, was in der Geschichte niedergeht, und wenn man es auf das soziale Leben anwendet, schafft man nur Niedergangserscheinungen.
Was ich da im Laufe der Jahre gesagt habe, hätte im Grunde keine bessere Illustration finden können als die jetzt durch das Spenglersche Buch gegebene. Ein echt naturwissenschaftlich Betrachtender tritt auf,
schreibt Geschichte und entdeckt durch diese Geschichtsschreibung, daß die Zivilisation des Abendlandes im Jahre 2200 stirbt. Er konnte im Grunde genommen nichts anderes entdecken. Denn erstens kann man mit naturwissenschaftlicher Betrachtungsweise überhaupt nur Niedergangserscheinungen schaffen oder entdecken, zweitens aber ist das ganze Abendland mit Bezug auf sein geistiges, politisches und soziales Leben ganz durchtränkt mit naturwissenschaftlichen Impulsen und ist dadurch in einer Niedergangsepoche drinnen. Um was es sich handelt, das ist, daß das, was bisher eine Kultur aus der anderen hervorgetrieben hat, versiegt ist, und daß im 3. Jahrtausend aus unserer niedergehenden abendländischen Zivilisation keine neue Zivilisation hervor- getrieben wird.
Sie können noch so viele Nuancen sozialer Fragen aufwerfen, noch so viele Nuancen von Frauenfragen aufwerfen, noch so viele Versammlungen für diese oder jene Fragen halten, wenn Sie aus dem heraus, was aus Altem übertragen ist, Ihr Programm prägen, dann schaffen Sie etwas, was nur scheinbar ein Schaffen ist, und für das durchaus anwendbar sind die Ideen des Oswald Spengler.
Die Sorge, von der ich gesprochen habe, von ihr muß deshalb gesprochen werden, weil es notwendig ist, daß nun eine ganz neue Initiationsweise beginnt aus dem menschlichen Willen, aus der menschlichen Freiheit heraus; weil in der Tat, wenn wir uns bloß auf die Außenwelt und auf das Überkommene verlassen, wir untergehen im Abendlande, wir in die Barbarei verfallen und wir nur aufwärtskommen können aus dem Willen heraus, aus dem Schöpferischen des Geistes heraus. Eine neue Initiationsweisheit muß einsetzen. Diese Initiationsweisheit, die in unserer Epoche ihren Anfang nehmen muß, wird ebenso wie die alte Initiationsweisheit, die nur allmählich dem Egoismus, der Selbstsucht und dem Vorurteil verfallen ist, ausgehen müssen von Sachlichkeit und Vorurteilslosigkeit und von Selbstlosigkeit. Sie wird von da aus alles durchdringen müssen.
Dies kann man als eine Notwendigkeit einsehen. Man muß es als eine Notwendigkeit einsehen, wenn man tiefer hineinschaut in den heutigen unglückseligen Gang dieser abendländischen Zivilisation. Sieht man aber so hinein, so bemerkt man eben noch etwas anderes;
man bemerkt, daß ein berechtigter Ruf in die Karikatur verzerrt wird. Und nun liegt die besondere Notwendigkeit vor, das Zur-Karikatur-Verzerrtwerden eines berechtigten Rufes gründlich einzusehen. Gewiß ist kein Ruf berechtigter in unserer Gegenwart als der nach Demokratie. Aber er wird zur Karikatur verzerrt, solange die Demokratie nicht erkannt wird als ein bloß für das rein politische, staatlich- rechtliche Leben notwendiger Impuls, und solange nicht erkannt wird, daß davon abgegliedert werden muß das wirtschaftliche und das geistige Leben. Er wird zur Karikatur verzerrt, indem im Grunde genommen statt Sachlichkeit, das heißt Vorurteilslosigkeit und Selbst- losigkeit, heute Unsachlichkeit, nämlich persönliche Willkür sowohl über Wissenschaft wie im sozialen Leben, und Selbstsucht zu Kulturfaktoren gemacht werden. Alles wird in das Gebiet hineingezogen, das man gewöhnlich das politische nennt, in das Gebiet, in dem herrschen soll das Recht. Geschieht aber das, so verschwinden allmählich Sachlichkeit und Vorurteilslosigkeit, denn das geistige Leben kann nicht gedeihen, wenn es seine Richtung empfängt von dem politischen Leben. Es wird immer dadurch in das Vorurteil eingespannt. Und Selbstlosigkeit kann nicht gedeihen, wenn das wirtschaftliche Leben innerhalb des politischen steht, denn dann wird es notwendigerweise in die Selbst- sucht hineingetrieben. Wird nun dasjenige, was Selbstlosigkeit auf wirtschaftlichem Gebiete erzeugen kann, das assoziative Leben, verdorben, so tendiert alles darauf hin, heute die Menschen in Vorurteilen und in Selbstsucht ihre Wege wandeln zu lassen. Und die Folge davon ist, daß sie gerade das abweisen, was Sachlichkeit und Selbstlosigkeit basieren muß: die Wissenschaft der Initiation. Im äußeren Leben ist heute alles dazu angetan, zurückzuweisen diese Wissenschaft der Initiation, die einzig und allein über das Jahr 2200 hinausführen kann.
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Das ist die große Kultursorge, die einen überkommen kann, wenn man einen unbefangenen, nicht schläfrigen oder träumerischen Blick
hineinwirft in die Geschehnisse der Gegenwart. Denn ich betrachte auf diesem Boden das Spenglersche Buch auch nur als ein Symptom. Gibt es denn eine Möglichkeit, heute etwa zu sagen: Nun ja, der Spengler hat sich geirrt, Kulturen sind gekommen, sind untergegangen, unsere wird untergehen, es wird aus ihr wiederum eine neue entstehen? - Nein, solch eine Widerlegung einer Anschauung wie der Spenglerschen gibt es überhaupt nicht. Sie ist ganz falsch gedacht. Denn die Zuversicht auf einen Aufstieg kann heute nicht auf dem Glauben aufgebaut werden, daß sich aus den Kulturen des Abendlandes etwas schon herausentwickeln werde. Nein, gerade wenn man auf diesem Glauben aufbaut, wird sich nichts herausentwickeln. Denn es ist einfach im Objektiven zunächst nichts vorhanden, was wie ein Same dasteht über den Beginn des 3.Jahrtausends hinaus, sondern da wir in Wirklichkeit in der fünften nachatlantischen Kulturepoche leben, muß erst ein Same geschaffen werden. Man kann daher zu den Leuten nicht sagen: Glaubt an die Götter, glaubt an das, glaubt an jenes, es wird schon gut gehen! - Das ist heute keine Widerlegung, sondern man muß heute zu den Leuten sagen: Diejenigen, die von Niedergangserscheinungen sprechen und sie sogar beweisen, die haben gegenüber dem, was in der Außenwelt lebt, recht. Aber daß sie nicht recht behalten, dafür muß jeder einzelne sorgen. Denn der Aufstieg kommt nicht aus dem Objektiven, der Aufstieg kommt aus dem Subjektiven des Willens. Ein jeder muß wollen und muß den Geist neu aufnehmen, und muß aus dem neu aufgenommenen Geiste der untergehenden Zivilisation selber einen neuen Antrieb geben, sonst geht sie unter. - Man kann also i~eute nicht an ein objektives Gesetz appellieren, man kann einzig und allein an den guten Willen der Menschen appellieren. Hier [in der Schweiz] ist ja, weil selbstverständlich die Dinge sich anders abgespielt haben, kaum von dem wirklichen Gang der Ereignisse etwas zu merken, obwohl er auch hier vorhanden ist. Kommt man aber über die Grenze nach Deutschland, dann tritt in allem, was man erleben kann, wenn man mit geistig-seelischem Auge schaut, das auf, was ich Ihnen eben jetzt charakterisiert habe. Dann tritt einem der große, furchtbar schmerzliche Kontrast vor die Seele zwischen der Notwendigkeit, die Initiationsweisheit einzuverleiben dem geistigen, dem rechtlichen, dem wirtschaftlichen
Leben, und zwischen den perversen Instinkten, alles, was von dieser Seite kommt, zurückzuweisen. Es ist so, daß man heute, wenn man diesen Kontrast empfindet, wirklich lange nachdenkt, wie man ihn charakterisieren soll; und wer nicht leichtsinnig nach den Worten greift, dem werden heute die Worte gar nicht besonders leicht.
Ich habe in Stuttgart über das Spenglersche Buch und im Zusammenhange damit über allerlei Erscheinungen der Gegenwart gesprochen und habe auch diesen Ausdruck im Sinne von «perversen Instinkten der Gegenwart> gebraucht; und ich muß sagen: Ich habe ihn heute wiederum gebraucht, weil ich ihn als den einzig angemessenen empfinde. Als ich damals vom Podium herabstieg, sprach mich einer von denjenigen Leuten an, die ja das Wort «pervers» in seiner terminologischen Bedeutung am besten verstehen, ein Arzt. Er war sehr betroffen, daß ich just dieses Wort gebrauchte. Aber die Betroffenheit ging, ich möchte sagen, aus sehr merkwürdigen Untergründen hervor. Man setzt im Grunde genommen heute gar nicht mehr voraus, daß jemand, der nur aus den Untergründen der Tatsachenwelt der Wirklichkeit heraus charakterisiert, mit Schmerz seine Worte wählt, sondern man setzt voraus, daß jeder die Worte so prägt, wie sie heute aus der Oberflächlichkeit des Zeitbewußtseins heraus geprägt werden. Und ich hatte dann ein Zwiegespräch mit jenem Arzte und sagte ihm dies und jenes, und er sagte dann dazu: Nun ja, dann bin ich froh, daß wenigstens der Ausdruck «pervers» nicht feuilletonistisch, belletristisch gemeint war! - Ich konnte nur sagen: Ganz gewiß ist das nicht der Fall, denn ich bin überhaupt nicht gewohnt, irgend etwas belletristisch oder feuilletonistisch zu meinen.
Es handelte sich also darum, daß in der gegenwärtigen Verständigung der heutigen Menschen zunächst gar nicht mehr vorausgesetzt wird, daß es so etwas wie ein Schöpfen-aus-dem-Geiste geben könne, und daß jeder einfach glaubt, wenn man so etwas sagt wie «perverse Instinkte>, daß man aus denselben Untergründen heraus redet wie der Ietztbeste Belletrist oder Feuilletonist. Denn, was heute belletristisch oder feuilletonistisch geredet wird, das beherrscht im Grunde genommen heute die Gemüter, und die Gemüter bilden sich daran. Und die Schwere der Ausdrücke prägen aus der Sache heraus - das wird dem
Menschen gar nicht mehr bewußt. Gerade an einer solchen Erscheinung tritt einem der Kontrast entgegen zwischen dem, was so notwendig ist der heutigen Menschheit: einer wirklichen Vertiefung, die aber zu- rückgehen muß bis in die Untergründe der Initiationsweisheit, und dem, was heute durch die Karikatur der Demokratie auch als geistiges Leben zum Vorschein kommt. Die Leute sind viel zu bequem, erst irgend etwas in sich heraufzuholen von verborgenen Bewußtseinskräften. Jeder feuilletonisiert und belletristisiert darauf los, sei es bei Kaffeeklatsch, sei es beim Dämmerschoppen, sei es in der politischen Versammlung> sei es in den Parlamenten. Das hängt mit dem zusammen, was ich öfters gesagt habe, daß heute der Wortlaut nichts ist, daß aber dasjenige, was als Kraft des Geistes im Wortlaut zu verspüren ist, die Hauptsache ist. Geistreiche Dinge auszusprechen, ist heute das leichteste von der Welt, denn wir leben eben in einer sterbenden Kultur, wo die Geistreichigkeit den Leuten nur so zufließt. Aber den Geist, den wir brauchen, den Geist der Initiationsweisheit, den müssen die Menschen aus dem Willen herausholen. Und den werden sie nicht finden, wenn die Kraft dieser Initiationsweisheit nicht über sie, das heißt, über ihre Seelen kommt. Daher kann man nicht sagen: Man widerlegt solche Bücher wie das Spenglersche. - Man kann ein solches Buch natürlich charakterisieren: es ist aus naturwissenschaftlichem Geiste heraus geboren. - Aber das, was die anderen aus naturwissenschaftlichem Geiste heraus gebären, ist ja schließlich dasselbe. Also Spengler hat recht - wenn nicht hineinfährt in die Willenssphäre der Menschen dasjenige, was erst dieses Recht zum Unrecht macht! Man hat heute nicht die Bequemlichkeit mehr, zu beweisen, daß der Beweis des Unterganges falsch ist, sondern man muß das, was richtig ist, durch die Kraft des Willens zum Unrichtigen machen.
Sie sehen, daß man scheinbar in ganz paradoxen Sätzen sprechen muß. Aber wir leben in dem Zeitalter, in dem die alten Vorurteile zertrümmert werden müssen, und in dem erkannt werden muß, daß wir aus den alten Vorurteilen heraus keine neue Welt schaffen können. Ist es nicht ganz selbstverständlich, daß die Leute an die Geisteswissenschaft herankommen und sich sagen: Das verstehen wir nicht? - Es ist so selbstverständlich wie irgend etwas. Denn, was sie verstehen,
das haben sie gelernt, und was sie gelernt haben, ist Niedergang, das führt also in den Niedergang hinein. Es handelt sich also darum, nicht dasjenige aufzunehmen, was man ohne weiteres aus Niedergangserscheinungen heraus versteht, sondern das aufzunehmen, zu dessen Verständnis man sich erst heraufleben muß. Solcherart ist eben die Initiationsweisheit. Aber wie sollte man von denen, die heute Volkslehrer, Volksleiter oder dergleichen sein wollen, erwarten, daß sie einsehen, daß der Mensch das, was ihn heute urteilsfähig macht, erst herauf- holen muß aus den unterbewußten Tiefen des Seelenlebens, daß das nicht schon da oben sitzt im Kopfe! Was aber in Wirklichkeit da oben sitzt im Kopfe, ist zerstörerisches Element.
Das sind die Dinge, die einem überall da entgegentreten, wo schon die Konsequenzen gezogen sind des Niederganges, wo diese Konsequenzen des Niederganges schon an der Oberfläche liegen. Selbstverständlich, daß da, wo zunächst Scheinerfolge da sind, wo man iiur nötig hat, auf diese Scheinerfolge zunächst hinzuschauen, daß da das Bewußtsein von dem Niedergang der abendländischen Zivilisation ganz und gar nicht leicht auftreten kann, das ist ja begreiflich. Und so steht man heute durchaus gerade unter dem Eindrucke dieses Ihnen charakterisierten Kontrastes von der Notwendigkeit eines Einflusses der Initiationsweisheit in die ganze Zivilisation auf der einen Seite, undauf der anderen Seite von der Zurückweisung dieses Impulses. Es kann einfach nicht besser werden, wenn nicht in einer genügend großen Anzahl von Menschen das Bewußtsein auftritt von der Notwendigkeit dieses Einschlages von seiten der Initiationsweisheit. Gerade wenn man auf zeitweilige Besserung großen Wert legt, wird man die großen Linien des Niederganges nicht bemerken, wird sich darüber täuschen und wird um so mehr diesem Niedergange entgegengehen, indem man nicht das einzige Mittel ergreift, das es gibt: anzufachen einen neuen Geist aw dem Willen der Menschen heraus. Dieser Geist muß aber alles ergreifen. Dieser Geist darf vor allen Dingen nicht stehenbleiben bei irgendwelchen theoretischen Weltanschauungsfragen. Das wäre sogar eine sehr herbe Täuschung, wenn eine große Anzahl von Menschen, vielleicht gerade diejenigen, denen die neue Initiationsweisheit ein wenig gefällt und ein wenig innere seelische Wollust macht, wenn die
glauben würden, es genüge, wenn man bloß als etwas seelisch-wohlbehagliches Gutes diese Initiationsweisheit treiben würde. Denn dadurch würde man es gerade erreichen, daß alles übrige äußerliche wirkliche Leben immer mehr und mehr in den Barbarismus hineingeht, und das bißchen Mystik, das auf diesem Wege erzielt werden könnte bei einer Anzahl von Menschen, die einen gewissen seelischen Hang zu unklarer Mystik haben, das würde gegenüber dem allgemeinen Barbarismus sehr, sehr bald verschwinden müssen. Uberall hinein und vor allen Dingen in allem Ernste hinein in die einzelnen Zweige der Wissenschaft und des Unterrichtes muß dasjenige, was Initiationsweisheit ist, und vor allen Dingen auch in die wesentlichsten Gebiete des praktischen Lebens, insbesondere des praktischen Wollens. Im Grunde genommen ist alles verlorene Zeit, was heute nicht aus dem Impulse der Initiationsweisheit heraus gewollt wird. Denn alle Kraft, die man auf anderes Wollen verwendet, hält im Grunde genommen nur auf, weil man sich zufrieden gibt mit solchem Willenssurrogat. Statt Zeit und Kraft in dieser Weise zu verschwenden, sollte man alles, was man an Zeit und Kraft hat, anwenden, um den Impuls der Initiationsweisheit in die verschiedenen Zweige des Erkennens und Lebens hineinzutragen.
Was mit den Impulsen des Alten rollt - niemand wird es in seinem Rollen aufhalten, und man sollte schon ein wenig hinschauen, wie in der Jugend, zunächst der der besiegten Länder, noch fortwallt eine ganz undefinierbare Erfülltheit mit alten Schlagworten, alten Chauvinismen oder dergleichen. Diese Jugend kommt schon gar nicht in Betracht. Aber die Jugend kommt in Betracht, auf der heute der ganze Schmerz des Niederganges ruht. Und sie ist vorhanden. Sie ist es, deren Wollen zunächst gebrochen werden könnte durch solche Theorien wie die des Spenglerschen Buches. Daher nannte ich in Stuttgart dieses Oswald Spenglersche Buch ein geistvolles, aber furchtbares Buch, ein Buch, das die furchtbarsten Gefahren birgt, denn es ist so geistvoll, daß es in der Tat vor den Menschen einen Nebel hinzaubert, insbesondere vor die Jugend.
Die Widerlegungen müssen aus einem ganz anderen Ton heraus kommen als dem, an den man gewöhnt ist, wenn man von solchen Sachen spricht, und niemals kann es ein Glaube an das oder jenes sein,
was retten könnte. Man verweist ja heute billigerweise die Menschen an einen solchen Glauben und sagt ihnen: Glaubt nur an die guten Kräfte der Menschen und so weiter, dann wird schon auch die neue Kultur wie mit einer neuen Jugend kommen. - Nein, heute kann es sich nicht um den Glauben handeln, heute handelt es sich um das Wollen, und zum Wollen spricht die Geisteswissenschaft. Daher versteht sie derjenige nicht, der sie bloß durch einen Glauben oder als eine Theorie aufnehmen will. Der nur versteht sie, der da weiß, wie sie an das Wollen appelliert, an das Wollen in der tiefsten Herzenskammer, wenn der Mensch still in Einsamkeit mit sich ist, und an das Wollen, wenn der Mensch im Lebenskampfe steht und im Lebenskampfe seinen Menschen zu stellen hat. Nicht ohne daß das Wollen angestrebt wird, kann die Geisteswissenschaft begriffen werden. Ich sagte Ihnen, wer meine «Geheimwissenschaft im Umriß», liest, so wie man heute einen Roman liest oder ein anderes Buch, wer nur passiv sich hingeben will, für den ist diese «Geheimwissenschaft> ein Gestrüpp von Worten, sind es im Grunde genommen auch meine anderen Bücher. Nur demjenigen, der weiß, daß in jedem Augenblick, wo er sich der Lektüre hingibt, er aus seinen eigenen Seelentiefen heraus durch sein intimstes Wollen etwas schaffen muß, wozu die Bücher der anregende Impuls sein wollen, nur dem gelingt es, diese Bücher wie Partituren zu betrachten und das eigentliche Musikstück aus ihnen erst zu gewinnen im eigenen Erleben der Seele. Dieses eigene aktive Erleben der Seele aber brauchen wir.
ZEHNTER VORTRAG Dornach, 3. Juli 1920
Gestern versuchte ich darzulegen, in welch einem Zeitenernste wir eigentlich drinnenstehen, an einer Betrachtung oder durch eine Betrachtung, die anknüpfte an das Oswald Spenglersche Buch «Der Untergang des Abendlandes». Ich bemerkte, daß denjenigen, der solche Dinge heute mit dem dazu nötigen Ernst zu nehmen weiß, eine große Kultursorge überkommen müsse, jene Kultursorge, die sich in einer ganz bestimmten Weise charakterisieren läßt,nämlich die Sorge, die daraus hervorgeht, daß unsere Zivilisation nicht weiter sich entwickeln kann ohne einen Einschlag, der von seiten der Initiationswissenschaft der Welt wird, daß es also nötig sei, daß alles Tun, alles Wollen der Menschen befruchtet werde durch dasjenige, was heute geistig erschaut werden kann. Dann, wenn die Schwelle, die da ist zwischen der physischen und überphysischen Welt, überschritten wird aus jenem Wissen, das nichts entnehmen kann der physischen Welt,das aber durch und durch aufklärend wirkt für diese physische Welt, müssen aus diesem Wissen auch die Antriebe kommen zum sozialen Leben in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft. Und es ist eigentlich heute der Mensch veranlaßt, alles als antiquiert zu betrachten, was hereinragt aus der althergebrachten Kulturströmung; er ist veranlaßt, tatsächlich alle Fragen, die es heute geben kann, in den Gesichtswinkel hineinzurücken, der gegeben ist durch diese Initiationswissenschaft. Die Kultursorge ergibt sich dann, wenn man daneben sieht, wie von allen Seiten gegen dasjenige, was sich geltend machen will als solche Initiationsweisheit, angestürmt wird, und wie alle äußeren Zivilisationskräfte in der Gegenwart eigentlich darauf gerichtet sind, solche Initiationswissenschaft nicht zu einem realen Faktor in unserer Zivilisation werden zu lassen. Da stehen sich eben Notwendigkeit und Ablehnung in der denkbar schroffsten Weise fast auf allen Gebieten unseres heutigen Lebens gegenüber, und man möchte gerade an diejenigen immer wieder erneut Appelle richten, welche es wenigstens in ihrem Herzen ernst nehmen können mit der Forderung nach einem Neuaufbau unseres
Kultur- und Zivilisationslebens. Statt dessen sehen wir, daß wegen der Schläfrigkeit gerade der fortgeschrittensten Teile der gegenwärtigen Menschheit jene allerdings wachenden Persönlichkeiten und Gruppen immer die Oberhand gewinnen, welche ganz bestimmte spirituelle Impulse aus der Vergangenheit in die Gegenwart wie Schatten herüber- tragen und welche trotz allem genau wissen, was sie eigentlich wollen. Während also diejenigen, die sich heute fortschrittlich nennen, sich zersplittern in einzelnen Fragen, sich zersplittern in den oder jenen Programmen, die kaum weitersehen, als die Nase gewachsen ist, sehen wir überall die alten spirituellen Strömungen, die bereits hinlänglich gezeigt haben, wie sie die moderne Zivilisation in eine Katastrophe hineinführen mußten, überall am Werke, und wir sehen sie, ich möchte sagen, «glücklich> am Werke. Das ist etwas, das nicht hinlänglich genug von allen Seiten eigentlich betrachtet werden kann, und auf das man immer wiederum und wiederum von neuem zurückkommen sollte.
Ich habe Ihnen öfters eine Bemerkung bei verschiedenen Gelegenheiten gemacht. Ich habe gesagt: Wenn man heute bekannt wird mit dem, was aus der heutigen Initiation heraus sich ergeben kann, was man heute wissen kann, aus den Entwickelungsbedingungen der Menschheit heraus wissen kann über die geistige Welt und ihren Zusammenhang mit der physischen Welt, so gerät man eigentlich erst in das rechte Erstaunen gegenüber dem, was überliefert worden ist als die Urweisheit der Menschheit. Diese Urweisheit der Menschheit in ihrer eigentlichen Gestalt ist ja verlorengegangen, und nur ihre späteren Spuren haben sich in den verschiedensten Dokumenten, Denkmälern und so weiter erhalten. Das Allerwichtigste hat die Kirche, als sie sich im Abendlande ausbreitete, über Afrika und Vorderasien ausbreitete, aus Berechnung mit aller Wucht zerstört. Aber dasjenige, was sich erhalten hat, das wird heute von der Gelehrsamkeit gesammelt und ist in allerlei Schriften heute zu lesen, allerdings schwierig zu lesen, weil die gegenwärtige philologische Gelehrsamkeit die Dinge, die sie der Welt mitzuteilen hat, möglichst durch Kommentierungen, durch die Art und Weise, wie die Dinge der Welt übergeben werden, unlesbar macht. Aber die Dinge werden mitgeteilt. Man kann jedoch sagen, sie können ja nicht gelesen werden, denn die wichtigsten Dinge können nur herausgelesen
werden, wenn man den verlorengegangenen Leseschlüssel wieder entdeckt. Und man kann ihn nicht durch eine historische Forschung auf dem Wege unserer Gelehrsamkeit entdecken. Da kann man im Grunde genommen nur die Worte heraufbringen. Den eigentlichen tieferen Sinn kann man heute nicht mehr anders finden,als wenn man unabhängig von dem, was überliefert ist, aus der geistigen Welt selbst heraus die Wahrheiten, die Tatsachen wieder entdeckt und dann aus der heutigen, ganz bewußten Initiationswissenschaft heraus Einsicht gewinnen kann in dasjenige, was in der alten atavistischen, von den Göttern überlieferten Urweisheit enthalten war. Man kann nur mit dem, was heute ganz ursprünglich aus den Kräften des geistigen Forschens heraus erforscht wird, mit dem nur kann man herangehen an die alte Urweisheit und auch die äußeren Urkunden kann man eigentlich nur mit dem in Wirklichkeit lesen.
So wird zum Beispiel überliefert auch von der Gelehrsamkeit, wie in den alten Mysterien eine Art Sonnenkult war, wie in diesen alten Mysterien dasjenige, was eben die heutige Wissenschaft mit dem Worte «Sonne» bezeichnet, oder wofür sie, besser gesagt, nur das Wort «Sonne» hat, wie das als eine Art höchster Gottheit verehrt worden ist. Aber man bekommt keinen Begriff von dem, was eigentlich in den alten Mysterien mit der Sonne, womit man ja im Grunde genommen belegt das, was man sich als zentralen Himmelskörper unseres Planetensystems vorstellt, was man mit diesem Wort «Sonne» ursprünglich ausdrücken wollte. In jenen alten Mysterien wurde die Sonne, diese physische Sonne, die das physische Auge schaut,nur angesehen als eine Art Rückspiegelung desjenigen, was die geistige Sonne ist. Diese geistige Sonne war nicht an einen Ort gebunden. Sie war etwas Außerräumliches. Sie war dasjenige, was der Initiierte in sich aufnahm,was der Initiierte als die zentrale Geistigkeit der Welt aufnahm und zu seinem eigenen Wesen machte. Und nur dann, wenn man wirklich aus heutiger Initiationserkenntnis heraus einen Begriff bekommt von dem, was da als Sonnenwesen verehrt worden ist, was da als Sonnenwesen erlebt worden ist, wenn in den Mysterien von diesem Sonnenwesen in Ritualien gelehrt worden ist, erst dann bekommt man auch eine richtige Vorstellung, wie diese alten Menschen sich gesagt haben: Willst du
Erdenbewohner dich zu demjenigen erheben, was der I3rsprung deines eigenen Wesens in Wahrheit ist, dann darfst du gar nicht auf dieser Erde bleiben. Du siehst auf dieser Erde Mineralien, Pflanzen, Tiere, du siehst auch deine physischen Mitmenschen. Das alles ist ja irdisch. Aber in dir lebt etwas, was nicht irdisch ist, und wenn du alles dasjenige weißt, was man wissen kann über die Mineralien, über die Pflanzen, über die Tiere und über den physischen Menschen, so weißt du noch lange nicht dasjenige, was dich führt zu einer Erkenntnis des Wesens des Menschen, denn dieses Wesen des Menschen kann niemals gewußt werden durch ein Wissen, das sich bezieht auf Irdisches, weil dieses Wesen des Menschen überhaupt nicht verwandt ist mit dem Irdischen, sondern verwandt ist mit dem Uberirdischen, das sich abspielt zunächst in dem Lichte der Sonne.
So also wurden aufgefordert die Mysteriendiener des grauen Altertums, um ihr eigenes Wesen zu erkennen, um das «Erkenne dich selbst» bei sich zu erfüllen, den geistigen Blick hinaufzuwenden zu der Sonne, zu der Sonne im geistigen Sinne, weil auf der Erde nichts zu finden war von dem, was den Menschen konstituiert, was des Menschen Wesen ausmacht. Erst wenn man die ganze Fülle dieser zentralen Vorstellungen jener alten Mysterien, die in einem gewissen Zeitabschnitt ebenso in Vorderasien zu finden waren wie auf dem irischen Eiland, erst wenn man diese geheimnisvolle Verbindung der Menschenseele mit dem Sonnenwesen durchschaut und sich sagen kann: Die Menschen des grauen Altertums mußten über die Erde hinausgehen, um ihr eigenes Wesen zu finden -, dann erst bekommt man auch eine richtige Vorstellung von der ganzen Bedeutung des Mysteriums von Golgatha für das ErdcnIeben, denn nur dann kann man einsehen, daß eben da ein großes kosniisches Ereignis sich abgespielt hat, das für die Erde eine fundamentale, eine zentrale Bedeutung hatte. Erst dadurch konnte man einsehen, daß dasjenige Wesen, zu dem aufgeschaut haben die Sonnenanbeter, diejenigen, die ihr Antlitz, ihr geistiges Antlitz zur Sonne gerichtet haben, um das Wesen des Menschen zu erleben, daß die nun, wenn sie im rechten Sinne die Zeitenströmung miterlebten, sich sagten: Jenes Wesen, das in den alten Mysterien gesucht worden ist außer der Erde, das ist nun herabgestiegen und hat sich mit der Erdenentwickelung
verbunden. - Wie sollte man denn eine Vorstellung von dem Wesen des Christus, von dem ganzen Vorgange des Mysteriums von Golgatha erkunden anders als dadurch, daß man sah, wie das Wesen, das vorerst nicht auf der Erde war, das nur in außerirdischen Regionen zu suchen war, wie das Wesen von dem Mysterium von Golgatha an gefunden werden kann in der Welt der Menschen, wenn es auf die rechte Weise in der Welt der Menschen gesucht wird.
So eigentlich bekommt erst dasjenige,was wir vom anthroposophischen Standpunkte aus über das Mysterium von Golgatha zu sagen haben, seine richtige Schattierung,wenn wir es abmessen an demjenigen, was gedacht wurde von den alten Mysteriendienern, wenn wir wissen, was Sonnenverehrung und Sonnenweisheit in diesen alten Mysterien war. Dann erst wissen wir recht zu würdigen, was es heißt, wenn von Christus, dem Sonnengeiste gesprochen wird in der Gegenwart. So wurde versucht in meinen Vorträgen, die dann wiedergegeben sind in dem Buche «Das Christentum als mystische Tatsache», zu zeigen, wie alles vorchristliche Leben war ein Hinaufstieg zu dem Mysterium von Golgatha, und wie das Mysterium von Golgatha auf den welthistorischen Plan herausruft als ein Mysterium für die ganze Menschheit dasjenige, was sich im einzelnen symbolisch und allegorisch, wenn wir so sprechen wollten, aber verdichtet zum Ritual in den alten Mysterien eben nur abspielte im Abbilde, jetzt Wirklichkeit wurde als das Mysterium von Golgatha für die ganze Menschheit. So ist gerade schon im Ausgangspunkt - denn diese Vorträge gehören zu den allerersten, die ich im Laufe unserer anthroposophischen Strömung gehalten habe , so ist innerhalb unserer anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft von allem Anfange an der Ton erklungen, welcher vor allen Dingen darauf sieht, daß in der richtigen Weise in die Erdenentwickelung hineingestellt werde das Mysterium von Golgatha. In einer entsprechenden Weise ist ja immer versucht worden, jenen eigentümlichen Fortschritt zu charakterisieren, welcher vom Vorchristlichen über das Christliche hinein von unserer Zeit erst im rechten Sinne begriffen werden muß.
Nun handelt es sich darum, daß man richtig versteht, wie diejenigen Strömungen, die eine gewisse Spiritualität aus alten Zeiten in die
Gegenwart heraufbringen, wie diese zu diesen Dingen eigentlich gestellt sind. Da möchte ich heute - und morgen soll das weiter ausgeführt werden - auf das Folgende hinweisen. Wenn Sie sich bekannt- machen mit dem, was sich erhalten hat in den christlichen Bekenntnissen als Ritualien - im Evangelischen hat sich das ja zum großen Teile sehr abgedämpft, in den katholischen Ritualien finden Sie noch vieles, aber es ist auch in die evangelischen Gebete manches übergegangen -, wenn Sie all das nehmen, so finden Sie wenig, mit dem Sie eigentlich eine ganz ernsthafte Anschauung verbinden können, wenn Sie nicht wiederum von der Geisteswissenschaft ausgehen und dasjenige, was als Worthülsen überliefert ist, mit diesen geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen durchdringen.
Wenn Sie zum Beispiel das Meßritual oder ein anderes Ritual der katholischen Kirche nehmen, so finden Sie Worte, viele Worte. Sie finden aber, wenn Sie ehrlich diese Dinge anschauen, daß Sie zwar diese Worte aufnehmen können, respektive die Gläubigen diese Worte aufnehmen können, daß aber nur, wenn man mit vollem Ernste an die Sache geht, mit diesen Worten ein wirklicher Sinn zu verbinden ist. Im Evangelischen ist es ja nicht anders. Woher kommt denn das? - Sehen Sie, wenn man tatsächlich und vor allen Dingen mit den Mitteln der Geisteswissenschaft nachforscht über so etwas wie das katholische Meßritual, und für andere Ritualien ist es ähnlich, dann kommt man darauf, daß diese Dinge weit älter sind als die Begründung des Christentums. Wenn man das Meßritual nimmt, so wird man, um seinen Inhalt zu verstehen, zurückgehen müssen in sehr alte Formen der alten Mysterien. In einer gewissen ähnlichen Weise ist in den alten Mysterien rituaiiter vorgegangen worden, wie beim Ablauf des Meßrituals vor- gegangen wird. Und die Sache ist diese, daß, als das Mysterium von Golgatha sich innerhalb der Erdenentwickelung ereignete, gewissermaßen die Weisen, die wirklich Weisen aller Mysterienrichtungen, die ja biblisch repräsentiert sind durch die «Drei Weisen aus dem Morgenlande>, gewissermaßen zum Opfer dargebracht haben ihr Ritual, ihre Anschauung und ihre Erkenntnisse, um das Mysterium von Golgatha zu ehren und zu begreifen. Es wurde gewissermaßen übertragen dasjenige, was den alten Göttern dargebracht wurde, auf den neuen Gott,
der durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist. So daß, wenn man nun, ich möchte sagen, mit geistigem Saft durchdringen will die Formeln der heutigen Kirche, man zu einem solchen geistigen Saft nur kommt, wenn man zurückschaut auf den Sinn,der in den Mysterien mit diesen Dingen verbunden worden ist. Sonst bleiben sie leer, sonst bleiben sie ohne Inhalt. Wenn sie leer bleiben, ohne Inhalt, dann kann man allerdings Gemeinden damit einschläfern, einlullen, aber man kann sie nicht erwecken, man kann sie nicht zur wirklichen Verbindung mit der geistigen Welt bringen, man kann nur dafür sorgen, daß die Gemeinde in ihren Gliedern seelisch sanft schläft.
Wir leben heute in einer Zeit, in der eigentlich die Geister aufgeweckt werden müssen. Das können Sie ja aus einer solchen Betrachtung entnehmen wie die, die wir gestern angestellt haben. Man hat aber durch viele Jahrhunderte hindurch die Geister eingeschläfert, indem man heraufgebracht hat als Tradition, als Überlieferung dasjenige, was eigentlich aus den alten Mysterien stammt und wofür der inhaltliche Sinn verlorengegangen ist. In solchen Dingen, die dem Wort- laute nach entlehnt sind den alten Mysterien, in denen man nicht bloß den Wortlaut hatte, sondern den inneren Sinn, in solchen Dingen haben die Religionsbekenntnisse ein mächtiges, man darf sagen magisch wirkendes Mittel, um auf weite Kreise der Gemeinden seeleneinschläfernd zu wirken> denn den Worthülsen bleibt in einem gewissen Sinne die Wirkung. Und diese Wirkung möchten sich die Bekenntnisse bewahren, möchten nicht diese Wirkungsmöglichkeit verlieren. Wenn daher heute eine Geistesströmung auftritt, welche wiederum aus ursprünglicher Erkenntnis heraus hinweist auf den Inhalt dieser Dinge, dann ist das selbstverständlich niemandem fataler als denjenigen,die nur den leeren Wortschwall, die leere Worthülse bewahren möchten. Man kann leicht sagen: Die Kirchen bewahren diese leeren Worthülsen. - Aber der moderne Sinn, jener moderne Sinn, der sich heute in allen möglichen Bewegungen eben modernster Art auch geltend macht, der kümmert sich nicht um diese Bekenntnisse. Vor allen Dingen kann man großtun und vom Gesichtspunkte moderner Wissenschaftlichkeit aus erklären, man sei hinaus über diese Worthülsen, man sei aufgeklärt. Man ist aber nicht aufgeklärt, wenn man zum Beispiel im Sinne der
modernen Naturwissenschaft eine Weltanschauung begründet, wie es die modernen monistischen Weltanschauungen sind, wie es die Weltanschauungen sind, die die modernen sozialen Einrichtungen bewirken möchten. Man ist aus dem Grunde nicht aufgeklärt, weil diese moderne Wissenschaft nichts anderes ist als die Fortsetzung jener Worthülsen. Ohne daß sie es weiß, ist sie das. Sie studieren heute Naturwissenschaft, und in dem Augenblicke, wo Sie zu den Naturgesetzen aufsteigen, haben Sie nur die Destillate der mittelalterlichen Worthülsen, in denen sogar im Mittelalter noch viel mehr war von dem alten Sinn, als heute in derWissenschaft ist. KeinWunder, daß wir in der Niedergangszeit leben!
Aber auf der anderen Seite können Sie daraus ersehen, wie sehr es den Trägern solcher Erkenntnisse darum zu tun sein muß, daß ihr Ursprung nicht enthüllt werde. Ein großer Teil der neuesten Bemühungen der verschiedenen Bekenntnisse, die das Abendland in die Katastrophe hineingeritten haben, geht dahin, alles das mit allen möglichen Mitteln zu bekämpfen, was gerade auf den Ursprung desjenigen hin- weist, was in den Wortformeln der einzelnen christlichen Bekenntnisse enthalten ist. Gerade die offiziellen Vertreter der christlichen Bekenntnisse sind am allermeisten bemüht, nicht aufkommen zu lassen, was auf den Ursprung ihrer Wortformeln hinweist, weil sie dadurch außerstande werden würden, die Seelen ihrer Gemeinden schlafend zu erhalten. Denn in dem Augenblicke, wo man hineingießt in diese Wortformeln wirklichen Geist, in dem Augenblick, wo sich die Menschen bereit finden, solchen Geist aufzunehmen, in diesem Augenblicke sieht man, wie es mit dem Schlafen lassen der Seelen nicht weitergeht. Die Seelen können sich allerdings verschließen, weiterschlafen, aber sie finden dann doch nicht die nötige Ruhe in diesem Schlafe; sie fangen wenigstens an, von allerlei zu träumen. Jedenfalls aber sieht nur derjenige die heutigen Bekenntnisse richtig an, der sich sagt In diesen Bekenntnissen stecken die Worthülsen für große Weltengeheimnisse. Aher die Träger dieser Worthülsen sind heute bestrebt, diesen Ursprung abzuleugnen und zu verfolgen diejenigen, die auf diesen Ursprung hinweisen.
Nehmen Sie ein konkretes Beispiel. Sei es auf seiten der evangelischen Professoren oder Pastoren, sei es auf seiten der katholischen,
sei es auf seiten der Universitäts-«Pastoren» der Naturgeschichte,der Physiologie, der Mathematik oder dergleichen, der Astronomie, kurz, sei es auf seiten des Pfaffentums jeglicher Richtung, des atheistischen oder des theistischen, Sie werden heute finden, daß man sich lustig macht darüber, und man weiß nicht, wie sehr man dabei nach dem Spruche verfährt: Man spottet seiner selbst und weiß nicht wie! - Denn alle diese Bekenntnisse,woher haben sie denn dasjenige, was sie aus ihren verschiedenen Religionsbüchern ihren schlafenden gläubigen Seelen geben? Aus der Akasha-Chronik! Nur soll die Spur verwischt werden. Es soll verwischt werden, daß im alten atavistischen Hellsehen aus der Akasha-Chronik dasjenige geschöpft worden ist,was in allen religiösen Urkunden einschließlich der Bibel steckt. Wenn daher in der heutigen Zeit jemand kommt und auf diese Akasha-Chronik hinweist und sagt: Das ist Unsinn! - dann sagt er damit selbstverständlich, daß auch dasjenige, was er selbst lehrt, Unsinn ist, denn es hat dieselbe Quelle. Diese selbe Quelle wird damit verleugnet; es wird über diese Quelle gelogen, nur ist es von Amts wegen, daß über diese Quelle gelogen wird. Das ist das Korrumpierende in unserer Zeit, denn das schläfert die Seelen ein. Das bringt die Menschen überall auf die konfusesten Urteile auch im alltäglichen Leben. Das bewirkt schon, daß man selbst heute Anhänger anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft sein kann und noch immer nicht so weit gekomruen ist, daß man mit offenen Augen die Dinge sieht, die sich abspielen, daß man auf gewisse Zusammenhänge gar nicht hinschauen will. Und wenn man hinschaut, so interpretiert man sie in der Regel ins Gegenteil um.
Ich möchte Sie da auf eine heutige Zeiterscheinung aufmerksam machen, von der ich schon jetzt sage, daß sie noch in den mannigfaltigsten Farben schillern wird, weil diejenigen, denen sie zupaß kommt, sich noch lange katzbalgen werden. Aber heute weist diese Zeiterscheinung schon auf tiefere Zusammenhänge hin. Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, daß die Welt heute überall sagt: Die Entente lenkt ein, sie geht etwas ab von den furchtbaren Bestimmungen des Versailler Friedens. Man weist mit einer gewissen Befriedigung von Mitteleuropa aus auf solche Dinge hin; man bespricht solches in neutralen Ländern. Aber man bringt das nicht in Zusammenhang mit derjenigen Erscheinung,
mit der es im Zusammenhang steht. Wenn auch die Mächte sich noch katzbalgen werden und der Zusammenhang wiederum verdeckt werden wird, heute steht es im Zusammenhang. Fehrenbach ist deutscher Reichskanzler; er gehört dem Zentrum an. Der römische Klerikalismus ist daran, ungeheure Eroberungen in der Welt zu machen, und man denkt anders jetzt, wo die Chancen von Rom besser stehen, als sie vor Wochen gestanden haben, über die Revision des Versailler Friedens, als man etwa gedacht hat. Es macht nichts aus, daß diejenigen im ehemaligen Deutschland, die immer die gescheiten Politiker sind, gesagt haben: Die Entente wird ja keine Freude haben gerade an Fehrenbach, dem Reaktionär!
Wenn man diese Dinge durchschauen will, dann muß man ganz andere Dinge noch ins Auge fassen, um ein wenig zu beurteilen, was eigentlich in den Strömungen der Zivilisationsentwickelung liegt. Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß fast jede zwölfte Predigt, gering gerechnet, irgendwo in dem Felde der katholischen Kirche gegen das Freimaurertum wettert. Es ist Ihnen ja wohl eine ganz bekannte Erscheinung. Nun, dieses Wettern gegen das Freimaurertum, es darf heute gegenüber gewissen Strömungen, die wohl wissen, was sie tun und die zum Beispiel vom westlichen Zentrum ausgehen, die Menschen interessieren. Denn wir haben es da zu tun auf der einen Seite mit der römischen Kirchenströmung; ich sage jetzt nicht, mit dem Christentum, sondern mit der römischen Kirchenströmung, denn Christen gibt es wenige, Anhänger der römischen Kirche viele. Wir haben es auf der anderen Seite zu tun mit einer ganzen Reihe von geheimen Gesellschaften, die in den englisch-amerikanischen Ländern sind, und ich habe ja während des Krieges auf die Tendenzen, die Ziele solcher Geheimgesellschaften hingewiesen. Es gibt solche Geheimgesellschaften der verschiedensten Färbung. Diejenigen, die in den sogenannten unteren Graden solcher Geheimgesellschaften sind, wissen in der Regel sehr wenig von dem, was die obersten Leiter eigentlich beabsichtigen; aber auch innerhalb der obersten Leitungen gibt es die mannigfaltigsten Strömungen. Von einer solchen Strömung, die sich aber wiederum hineinstellt in ein Ganzes, das wir heute nicht betrachten wollen - wir wollen uns beschränken auf eine solche Strömung -, von einer solchen Strömung möchte ich heute sprechen.
Sehen Sie, da gibt es solche Strömungen, welche aufbauen auf dem Freimaurertum. Das Freimaurertum hat zunächst für seine Angehörigen drei Grade, die heute auch schon im Grunde genommen Worthülsen, Wortformeln, rituelle Hülsen, rituelle Formeln geworden sind, aus denen heraus der Sinn nur gefunden werden kann, wenn man mit moderner Geist-Erkenntnis, moderner Geistesschau in diese Dinge hin- einleuchtet. Aber immerhin, bei allen solchen Gesellschaften sind die drei untersten Grade so geformt,daß immerhin überschaut werden kann von dem, der Geist genug hat, um das Ritual richtig zu verfolgen, wie dieses Ritual auf uralten Zeremonien, Mysterienzeremonien beruht. Und es kann in einem gewissen Sinne - allerdings nicht, wenn man dieses Ritual bloß auf sich wirken läßt, sondern wenn man es beleuchtet mit geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen -, es kann so etwas erahnt werden,wie es der Zusammenhaiig zwischen dem ist, was sich in den Mysterien vollzog vor dem Mysterium von Golgatha und zwischen dem, was die Aufgabe der Menschheit ist nach dem Mysterium von Golgatha. Aber nun ist in vielen solcher maurerischen Strömungen daraufgesetzt worden auf diese drei Grade eine ganze Summe von höheren Graden. Ich rede jetzt,das will ich noch einmal bemerken, nicht im allgemeinen von den Hochgraden, sondern von gewissen Hochgraden gewisser freimaurerischer Orden und anderer okkulter Gesellschaften, des Oddfellows-Orden und so weiter, wiederum nicht von allen, denn auf diesem Gebiete ist immer das Echte von dem Unechten außerordentlich schwer zu unterscheiden; aber ich rede von gewissen sehr verbreiteten Strömungen auf diesem Gebiete. Da wird aufgebaut auf den drei niedersten Graden, in denen die Menschen eingeweiht werden in das Menschsein, in das «Erkenne dich selbst», in das Geheimnis des Todes und seinen Zusammenhang mit dem Lauf des Kosmos, da wird aufgebaut ein ganzes System von hohen Graden. Mancher dieser Orden hat fünfundneunzig Grade. Sie können sich denken, wie stolz man sein kann, wenn man in fünfundneunzig Graden eingeweiht ist. Nur können Sie sich nicht denken, wie mager diese Einweihungen sind, weil man sich gewöhnlich etwas außerordentlich Tiefes und Bedeutsames hinter jenen leeren Worthülsen vorstellt, aber sie sind da. Sie haben allerdings, ich möchte sagen, gewisse Ranken dieser
ganzen Dinge, der Worthülsen, zu ihren Inhalten. Es steckt eben in diesen Worthülsen doch manches, und es wird immer dann gerechnet von denen, die solche Worthülsen geben, daß es doch einige Menschen gibt, die dann nachdenken, die daran denken, daß da auch etwas drinnenstecken müßte.
Nun ergibt sich etwas sehr Eigentümliches. Wenn nun wirklich Menschen kommen, die nachdenken, was in diesen Hochgraden drinnensteckt, die ihnen verliehen worden sind, oder in die sie eingeweiht worden sind - es gibt Menschen, die dann anfangen nachzudenken -, dann stellt sich ein ganz bestimmter Erfolg ein. Wenn diese Menschen auch schon nachgedacht haben in den drei niederen Graden und irgendwie wenigstens etwas geahnt haben in den drei niederen Graden, dann wird das, was sie in den drei niederen Graden erahnt haben, vollständig kaputtgemacht durch dasjenige, was ihnen eingepflanzt wird bei den Hochgraden. Da wird ein furchtbarer Nebel ausgegossen über dasjenige, was in den drei niederen Graden etwa erahnt werden kann. Und ohne daß die Menschen meistens in ihrem Bewußtsein irgendwelche Klarheit darüber haben, werden sie in diesen Hochgraden benebelt. Woher kommt das? Das kommt davon her, daß in gewissen Zeiträumen, Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts, aber bis in unsere Zeiten herein, gewisse Leute sich eingeschlichen haben in jene maurerischen Orden, drinnen waren und diese Hochgrade hineingetragen haben, diese Hochgrade innerhalb des Maurertums ausgebildet haben, so daß in einer Anzahl dieser Hochgrad-Maurerorden diese Fremdkörper drinnen sind; Hochgrade, ausgebaut von fremden Persönlichkeiten, die sich hineingeschlichen haben. Die Menschen sind ja leicht- gläubig, auch dann oftmals, wenn sie eingeweiht sind in die Sachen. Und diejenigen, die sich eingeschlichen haben, das sind die Mitglieder der «Gesellschaft Jesu>, das sind die Jesuiten. In einem bestimmten Zeitpunkte, vom Ende des 18.Jahrhunderts ab, wimmelte es in den Freimaurerorden von Jesuiten, und die machten für gewisse Orden die Hochgrade. So daß Sie Jesuitismus nicht etwa nur da finden, wo über Freimaurertum geschimpft wird oder gegen das Freimaurertum gepredigt wird, sondern Sie finden in den Hochgraden sehr, sehr viel reinsten Jesuitismus. Das schadet ja alles nichts nach Ansicht des Jesuitismus,
daß man über dasjenige, was man selber eingerichtet hat, herfällt, denn das gehört auf diesem Gebiete zur Politik, zur richtigen Menschenlenkung. Wenn man die Menschen einem bestimmten Ziele zuführen will, einem klaren, einem dem Menschen klaren Ziel, nicht bloß dem Leitenden, dem Führenden klaren Ziel, dann ist es gut, wenn man sie bloß von einer Seite her anfaßt und ihnen einen Weg zu diesem Ziele zeigt. Wenn man aber sie möglichst dumpf und schläfrig halten will,zeigt man ihnen zwei Wege oder vielleicht sogar mehrere, aber zunächst genügen zwei. Einer geht so, und einer geht so (siehe Zeichnung). Man ist Jesuit, indem man der Gesellschaft Jesu offiziell angehört, und nimmt diesen Weg (/), oder man ist Jesuit, indem man irgendeinem Hochgrad-Freimaurerorden angehört und nimmt diesen Weg (\). Dann guckt der Mensch hin. Er wird sich sehr schwer zurechtfinden. Man kann ihn sehr leicht verwirren.
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Unser öffentliches Leben ist in der mannigfaltigsten Weise durchzogen von solchen verwirrenden Strömungen. Die Menschen hätten heute alle Ursache, eben aufzuwachen und die Dinge sich anzusehen, denn man braucht nicht den Dingen zu verfallen. Aber die meisten verfallen heute diesen Dingen. Man braucht ja nur auf ein etwas längeres Leben hinzusehen, um zu wissen, wie Menschen, mit denen zusammen man jung war, und die noch leben, statt sich irgendwelcher geisteswissenschaftlichen Richtung zuzuwenden, ganz in den Schoß der katholischen Kirche zurückgegangen sind. Solche Beispiele sind mir viele bekannt. Sie weisen nur hin auf manches, was eben in unserer Zeit sich
vollzieht, und es geht nicht an, auf diese Dinge nicht aufmerksam zu machen, nicht hinzuweisen. Namentlich gegenwärtig ist es von allerdringlichster Notwendigkeit, daß unsere anthroposophischen Freunde hingewiesen werden auf solche Dinge, wenn es auch vielleicht nur bei einem recht kleinen Teil irgendwie zum wirklich nötigen Ernst die Veranlassung sein kann. Denn gerade an diesem Ernste fehlt es ja in der Gegenwart, an diesem Ernst, den man so sehr herbeisehnen möchte. Sie müssen sich einmal bekanntmachen damit, daß wir es auf dem Boden der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft zu tun haben mit einer wichtigen Wendung. Selbstverständlich mußte zunächst diese geistige Bewegung beginnen - ich will diese Dinge morgen noch genauer ausführen, ich will heute nur einiges fadenzeichnen und werde morgen genauer auf einige Dinge gerade auf diesem Gebiete eingehen -> es mußte zunächst eine Summe von geistigen Wahrheiten vermittelt werden. Jetzt stehen wir vor der Notwendigkeit, vor der unbedingten Notwendigkeit, diese geistigen Wahrheiten praktisch zu machen. Diese Wendung sollte unter uns tüchtig ernst berücksichtigt werden. Solange die anthroposophische Bewegung bloß eine geisteswissenschaftliche Bewegung war, eine Bewegung der Lehre, der Ideenverbreitung> so lange war sie eben etwas, das gewissermaßen forttrug wie in einem Flußbette eine Strömung, die geistig war. Da mochten sich Cliquen, da mochten sich viel Tändelei, Spielerei, nebulose Mystik unter den Anhängern geltend machen, der Geist schafft sich immer seinen Weg und er geht über Cliquenwesen, über Vorurteile, über Selbstsucht hinweg. In dem Augenblicke, wo die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft ins soziale Leben eingreifen will, wo sie praktisch werden will, wie sie es seit mehr als einem Jahre tut, da ist das nicht mehr angängig, da stehen wir wirklich vor neuen seelischen Aufgaben,und diese neuen seelischen Aufgaben müssen mit Ernst erfaßt werden. Da muß tatsächiich einmal verstanden werden, daß es mit dem Cliquenwesen, mit alledem, was als Tändelei, als Spielerei, als falsche Mystik eingezogen ist in unsere Reihen, nicht weitergehen kann, weil das zerstörerisch wirken würde. Man muß sich eben das sagen: Die Dinge werden ernst gegenüber dem, was in der Gegenwart durch die Welt wallt. - Und demgegenüber habe ich ja so oftmals gesagt: Man möchte noch etwas ganz
anderes in seine Worte legen können, als man gemeiniglich legen kann, um eine Resonanz hervorzurufen in den Seelen für dasjenige,was man eigentlich zu sagen hat gegenüber den Angelegenheiten der Gegenwart. Dasjenige, was gesagt wird, findet ja so wenig Echo; verzeihen Sie schon eben, daß ich das wo trocken und unverhohlen ausspreche, aber es findet wenig Echo. Immer wieder und wiederum wird darauf hingewiesen, daß die Dinge nicht gleich durchschaut werden können, daß man erst eine Weile vorwärtskommen will und so weiter. Aber würde man sich nicht von Vorurteilen täuschen lassen, würde man nicht Vorurteile sogar lieben, so würde man viel eher ergriffen werden von dem eigentlichen Impuls, der in diesem hier gemeinten geisteswissenschaftlichen Leben liegt. Auf seiten der Gegner wird das durchaus gewußt und erkannt, und ich möchte sagen: Die Gegner zeigen, daß man wahrhaftig kein Genie zu sein braucht, um die wirksamen Mittel zu finden.
Ich habe hier, bevor ich abgereist bin, einen öffentlichen Vortrag gehalten: «Die Wahrheit über die Anthroposophie und deren Verteidigung wider die Unwahrheit.» Ich habe in jenem Vortrage, selbst- verständlich nur als eine Redewendung, gesagt, die Angriffe, welche von dem sogenannten «Spektator» erschienen sind, könne ich nicht zu- schreiben einem gebildeten Menschen, denn ein gebildeter Mensch könne unmöglich so etwas von sich geben, wie dort wiedergegeben ist; ich könne auch nicht annehmen, daß es irgend jemand von sich gegeben hat, der irgend etwas an Bildung,eine Gymnasial- oder eine akademische Schulung hinter sich hat, denn Stil und Haltung wiesen eben auf einen durchaus ungebildeten Menschen hin. - Es war, wie gesagt, nur eine Redewendung, und so bin ich überrascht worden von dem Titelblatte der nun als Broschüre vereinigten Aufsätze. Die Broschüre heißt «Das Geheimnis des Tempels von Dornach. Erster Teil», ein zweiter kommt also noch: «Geschichtliches über die Theosophie und ihre Ableger>, von Max Kully, Pfarrer von Arlesheim. Es scheint also doch, wenn Arlesheim nicht einen Pfarrer hat, der ohne Gymnasiumsund Theologiestudium ist, es scheint also doch ein gebildeter Mensch zu sein, der diese Dinge geschrieben hat.
Nun - das andere folgt noch -, versprochen wird der zweite Teil dieser Broschüre, die bereits angefangen ist: es wird sehr genau berichtet
über diese Dinge. Gesagt wird, sie wird eine Aufklärung bieten über Steiner-Methode, okkultes Schulen und Lehrgebäude. Steiner im Urteil ehemaliger Theologen. Steiner als Finanzmann und in seiner allerneuesten Rolle als Soziologe. - Also Sie sehen, es werden noch mancherlei Dinge da nachkommen!
Und immerhin, einiges Interessante ist auch in diesem Broschürchen, das mir heute in die Hand gegeben worden ist mit einem Pack von Angriffen, die in der letzten Zeit gekommen sind. Sie sehen, es ist ein nettes Päckchen! Ich habe die Dinge nur so etwas durchgeflogen, aber immerhin, interessant ist doch die Art und Weise, wie jener «gebildete Mann» schreibt. Ich brauche Sie ja nicht zu erinnern daran> was ich hier gesagt habe über die Kenntnis dieses Mannes von der AkashaChronik. Er hat so darüber geschrieben> wie wenn das ein Buch wäre, das man in der Bibliothek hat und aus dem man abschreibt. Jetzt sagt er in einem Nachtrage zu seinem Artikel: «Steiner kam in seinem Vortrag» - es ist jener Vortrag über «Die Wahrheit über die Anthroposophie... » - «auch auf die Akasha-Chronik zu sprechen. Er bestritt und bespöttelte das, was Spektator im über diese Sache brachte.»
Also jener «gebildete Mann» hat etwas über die Akasha-Chronik aus den ihm überlieferten Vorträgen von Stuttgart und Düsseldorf und aus der Vaterunser-Erklärung entnommen, und, weil nötig war zu sagen, daß der «Tropf» nicht imstande ist, so etwas zu verstehen, weil er aber glaubt, daß die Unfehlbarkeit der Kirche selbstverständlich auch in ihm wirke, er nicht fehlbar sein kann, so findet er es nötig, zu sagen, ich verleugnete meine eigenen Schriften, er sagt das, obwohl bloß dasjenige verleugnet werden mußte, was der Pfarrer von Arlesheim sagt!
Sie sehen, die Dinge gehen etwas weit in bezug auf dasjenige, was hier genügend gekennzeichnet worden ist in jenem Vortrage, bevor ich abgereist bin. Nun aber, was jetzt kommt, das ist doch einigermaßen auffallend; mir nicht, denn ich werde nicht zurückschrecken, auch wenn solche Dinge nicht erlogen sein sollten, doch dasjenige zu sagen, was ich im Sinne der heutigen Zeit notwendig erachte, daß es gesagt werden muß. Aber ich bitte Sie doch, mit einiger Aufmerksamkeit den
folgenden Sätzen zuzuhören: «Seither wurden wir in diesem Punkte von autoritativer Seite eingeweiht. Unter Akasha-Chronik versteht der Theosoph eine angeblich in der geistigen Welt vorhandene» und so weiter. Es wäre doch ganz nützlich, wenn Sie hinhören würden darauf und vor allen Dingen ein wenig Ihre Augen daraufhin einrichten würden, daß von dieser Seite gesagt werden kann: «Seither» - also seit dem 5. Juni 1920 - «wurden wir in diesem Punkte von autoritativer Seite eingeweiht.» Das heißt, wenn es nicht erlogen ist, so ist diesem Pfarrer von irgend jemandem, der die Vorträge hier hört, gesagt worden, was er nach den Zyklen unter Akasha-Chronik zu verstehen hat. Ich möchte doch auf diese Tatsache eben, wie gesagt, falls es nicht erlogen ist, Ihre Aufmerksamkeit ein wenig richten; denn es könnte doch sein, daß unter uns sich Leute fänden, welche über einen solchen Satz einfach leichtsinnig hinweglesen. Es geschehen ja allerlei Dinge. In dem Päckchen finde ich zum Beispiel auch einen netten Artikel, der nun von evangelisch-klerikaler Seite geschrieben ist. Eben setzt sich die ganze Sache aus dem katholischen Lager in das evangelische hinein fort, und wir haben es bereits mit einer Fortsetzung eines Artikels zu tun im «Evangelischen Schulblatt», das übrigens sehr merkwürdige Eigentümlichkeiten hat. Jenes «Schweizerisches Evangelisches Schulblatt», Organ des evangelischen Schulvereins der Schweiz, Wochenblatt für christliche Erziehung in Haus und Schule, hat im «Büchertisch» angekündigt «Flugschriften», darunter «Der Kampf um die neue Kunst» von dem Jesuitenpater Kreitmaier! Das nur so nebenbei. Sie sehen aber, die Leute finden sich merkwürdig doch zusammen!
Aber ich möchte Ihnen doch ein Stückchen vorlesen von jener Kritik, die in diesem «Evangelischen Schulblatt» enthalten ist. Es ist da über alles mögliche die Rede; aber wir wollen besonders jene Kritik lesen, welche die Dreigliederung betrifft, die «Kernpunkte» betrifft, und ich bitte Sie, jetzt ein wenig achtzugeben:
«Die hochgepriesene Städtekultur soll also nach dem dreiteiligen Steinerschen Sozialismus aufs Land verpflanzt werden! Die Bauersfrau muß endlich Musikstunden bekommen und Kurse nehmen, wie sie ihre Stube schmücken soll. Der Bauernsohn wird einem eurythmischen Tanzkränzchen angehören, wo er lernt, falls er einmal
in eine feinere Familie kommt. Seine Schwester wird Präludien des tanzen,oder, wenn sie nicht so begabt ist, wenigstens den Schlager . Warum sind die Landleute von diesen herrlichen Errungenschaften schnöde ausgeschlossen? Nun - ? Ja, da steht sogar, die sozialen Explosionszentren würden dadurch entvölkert, indem man die Städtekultur aufs Land bringt. Sie, die man eben noch in den höchsten Tönen gepriesen hat, soll gleichzeitig die Dörfler abschrecken, Städter werden zu wollen. Das ist doch ein Widerspruch, und die ganze Annahme steht auf so schwachen Füßen, daß ein Säugling sie umblasen kann.
was denn eigentlich Steiner will. Wir müssen vor allen Dingen einmal Steiner lesen lernen. Vielleicht kommen wir dann auf die Spur. In diesen Fabriken mit Bildungsgenossenschaften, Fachbibliotheken, Badanstalten, Heimstätteschmükkungskursen und so weiter, ist natürlich auch der - selbstverständlich vom Fabrikanten zu speisende - Fonds nicht vergessen, der nicht nur das alles bezahlt, sondern - aufpassen! - die besten Vertreter des Geisteslebens
zu Vortragskursen zu gewinnen, Da liegt wohl (es gibt ja etwas zu gewinnen) der Hase im Pfeffer, und es ist gar nicht nötig, daß dahinter noch extra steht . Herr Steiner vermutet eben ganz richtig, daß diese Fabrikarbeiter-Bildungsgenossenschaften Geldmittel flüssig machen, die er doch so gerne möchte. Er nennt das klassisch . Diese Absichten sind doch so durchsichtig und alles so plump, wenn wir nur unsere Nase ein bißchen zwischen die Zeilen stecken.
«Sollen wir denn wirklich die Hand zu den überall frech aufstrebenden Nivellierungstendenzen (dazu gehört vor allem auch der Ausschluß jeglichen Religionsunterrichts aus der Schule) bieten, dadurch, daß wir den Bildungsbrei selbst auf das Land und in die Fabriken hineinschmieren? Das ganze Leben sollte es uns doch lehren, daß es ein heller Unsinn ist, alle Menschen auf die gleiche Bildungsstufe bringen zu wollen. Generation auf Generation scheitert an diesem wider- natürlichen Problem, aber nirgends will man davon lernen, selbst nicht im Naheliegendsten: der Natur! Wir brauchen nur einen Blick in die Tier- oder gar in die Pflanzenwelt zu werfen, um überall die gewaltigsten Verschiedenheiten ihrer Geschöpfe zu erkennen. Nie wird das Menschengeschlecht eine Ausnahme machen, die ganze Vergangenheit lehrt uns die Tatsache, daß eine kleine Minderheit einer großen Vielheit gegenüber steht, daß immer nur einzelne Befähigte hervorragen. Dürfte denn nicht auch einmal ein bißchen Quallta~tsg4ühl für diese Verschiedenheiten (vor allem in Rassen- und Nationalitätenfragen) in einem Schulprogramm Platz finden? Wir würden wohl bald dahinter- kommen, wo das Volk krank ist! Sicher nicht auf dern Lande.
«Doch genug! Ich habe den beabsichtigten Umfang meiner Entgegnung längst überschritten. Sie ließe sich bequem aufs Doppelte und Dreifache ausdehnen, wollte ich den ganzen Komplex von Weltfremdheit und Mangel an Wirklichkeitssinn, der in dem Artikel sich geltend macht, unter die Sonde nehmen. ([Fußnote:] Wenn gewünscht, kann ich darüber in weiteren Artikeln erschöpfend Auskunft geben, und werde dabei die Gelegenheit nicht versäumen, die ganze Steinerei in das ihr gebührende Licht zu rücken!) Aber eines darf ich wohl noch
fragen: Woher nimmt Herr Pfarrer Ernst die kühne Behauptung, daß ? . . . »
Nun, ich las das und ich fragte mich,- woher denn eigentlich das, was da widerlegt wird als die Tendenz, «die Städtekultur aufs Land zu bringen zu dem Mist und Hühnerdreck auf das Land» und so weiter, komme, ich fragte mich: Ja, wo steht denn das in den «Kernpunkten» oder in unserer Literatur über die Dreigliederung, wenn das hier angegriffen wird? - Endlich kam ich darauf, daß mir nicht nur zwei Nummern von diesem «schönen» Blatte übergeben worden sind, sondern auch noch ein drittes. Diese «schönen» Angriffe mit dem Titel «Ein falscher Prophet»- die ich vorgelesen habe, die stehen in Nummer 26 und Nummer 27, und in der Nummer 23, da steht ein Artikel: «Das Verhältnis von Schule und Staat nach Dr. Steiner», und dieser Artikel enthält all die Dinge als Ausflüsse, als notwendig im Sinne der Dreigliederung, die in Nummer 26 und 27 weiter ausgemalt und angegriffen werden. Dieser Artikel ist von Pfarrer Ernst in Salez geschrieben und ist außerordentlich wohlwollend geschrieben, aber eben so geschrieben, daß Dreigliederung da sein soll, um «die Städtekultur aufs Land zu tragen» und so weiter. Sie sehen also, man kommt nicht nur zu Schaden, wenn man von Pfarrern angegriffen wird, sondern erst recht, wenn man von Pfarrern verteidigt wird! Man braucht gar nicht so ungeheuer froh zu sein, wenn man Anhänger hat auf dieser Seite, denn die Anhänger machen es im Grunde genommen noch schlimmer als die Gegner.
Nun, einige von unseren Freunden könnten auch daran etwas lernen; denn ich muß mich bei solchen Sachen doch immer wieder erinnern, wie oft ich hören konnte: Da und dort war ich wieder in einer Kirche, und da hat einer ganz anthroposophisch oder theosophisch gepredigt. - Ich habe oftmals aufmerksam gemacht, wie man auf solche Dinge nicht hereinfallen sollte, und wie die Dinge eigentlich stehen. Aber ich konnte Sie heute wenigstens mit dem Interessanten überraschen, daß man nun bereits solche Anhänger hat, die dann Widerlegungen hervorrufen, in denen man sich überhaupt nicht mehr aus- kennt!
Wir wollen morgen in etwas noch ernsterer Weise über die Noten, die heute angeschlagen worden sind> weitersprechen.
ELFTER VORTRAG Dornach, 4. Juli 1920
Es mußte gestern leider die angestellte Betrachtung in nicht sehr gutklingenden Tönen endigen, aber es muß schon von Zeit zu Zeit auf solche Dinge in unseren Reihen hingewiesen werden. Eigentlich fügte sich aber dasjenige, was ich wider Willen gestern am Schlusse sagen mußte, doch in die Reihe unserer Betrachtungen ein, denn diese Betrachtungen gehen alle im Grunde genommen darauf hinaus, zu zeigen, wie notwendig ein geisteswissenschaftlicher Einschlag für unsere Kultur ist. Vorgestern versuchte ich Ihnen zu zeigen, welche Hintergründe vorhanden sind für so etwas wie die Oswald Spenglersche Betrachtung über den Niedergang der abendländischen Kultur. Gestern versuchte ich Ihnen zu zeigen, wie die Schatten älterer Kulturen in unsere Zeit herein reichen, wie diese Schatten älterer Kulturen aus einem bei ihnen ja begreiflichen Streben sich gegen alles wenden, was gerade von seiten der hier gemeinten Geisteswissenschaft kommen muß. Ich möchte nun heute einiges Prinzipielle in unsere Betrachtungen einreihen, damit wir gewissermaßen die Kulturentwickelung der Gegenwart im Laufe der nächsten Vorträge noch genauer, eingehender verfolgen können.
Ich habe öfters betont, wie die eigentliche Wirkung geisteswissenschaftlicher Vertiefung nicht etwa bloß darinnen liegen soll, daß gewisse durch die Geisteswissenschaft konstatierte Wahrheiten von unserer Seele aufgenommen werden, von dieser unserer Seele als Inhalt bewahrt werden, als Inhalt über allerlei Lebenszusammenliänge, an denen wir als Menschen interessiert sind. Das aber ist es für unsere Zeit nicht allein, was dem Menschen werden soll als Wirkung von seiten der Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist. Was dem Gegenwartsmenschen vor allen Dingen aus dieser Geisteswissenschaft kommen soll, das ist, daß seine ganze Art des Vorstellens,die Konfiguration des Denkens, Empfindens und Wollens durch diese geisteswissenschaftliche Vertiefung jene Umformung erfährt, die eben verlangt wird von den Bedürfnissen der Gegenwart, damit wir nicht nur in den Niedergang der abendländischen Zivilisation hineingehen, sondern
damit wir aus diesem Niedergang heraustragen können Keime zu einem Aufstieg. Ich habe es ja öfters erwähnt, daß jene Gebundenheit des Denkens, des Empfindens an den physischen menschlichen Organismus, wie der Materialismus sie sich vorstellt, durchaus keine Schimäre ist. Ich habe es öfters betont, daß der Materialismus nicht bloß eine falsche Weltanschauung ist, sondern daß der Materialismus im eigentlichen Sinne des Wortes eine Zeitanschauung ist, vielleicht noch besser gesagt: eine Zeiterscheinung. Es ist einmal so, daß man nicht bloß sagen kann, es sei unwahr, daß das menschliche Denken, das menschliche Empfinden, überhaupt das seelische Wollen an den physischen Organismus gebunden sei, und daß man eine andere Anschauung anstelle dieser Anschauung setzen müsse. Das erschöpft nicht die volle Wahrheit auf diesem Gebiete; sondern die Sache ist vielmehr so, daß in der Tat durch das, was heraufgezogen ist in der Zivilisation des Abendlandes in den letzten drei bis vier Jahrhunderten, das Seelisch-Geistige des Menschen, das Denken, das Empfinden, das Wollen in der Tat in eine enge Abhängigkeit gekommen sind von dem physischen Organismus, und daß in einer gewissen Beziehung heute der Mensch eine richtige Anschauung wiedergibt, wenn er sagt: Es besteht diese Abhängigkeit. - Denn die Aufgabe ist nicht heute, eine theoretische Anschauung zu überwinden, die Aufgabe ist heute, die Tatsache, daß die menschliche Seele in Abhängigkeit gekommen ist vom Leibe, zu überwinden. Die Aufgabe ist heute nicht, zu widerlegen den Materialismus, sondern die Aufgabe ist, heute jene Arbeit, jene geistig-seelische Arbeit zu verrichten, welche die Seele des Menschen wiederum loslöst aus den Banden des Materiellen.
Daß man auf einem solchen Gebiet klar sehen könne, daß einem solche Dinge, wie ich sie jetzt eben ausgesprochen habe, nicht bloß als Widersprüche, als paradoxe Behauptungen erscheinen, dafür kann man eigentlich eine hinlängliche Anschauung nur aus der Geisteswissenschaft selbst gewinnen. Ich werde heute ein besonderes Kapitel aus dem Leben der neueren Zeit, der Gegenwart, herauszugreifen haben, um Ihnen zu zeigen, wie dasjenige, was nicht bloß Anschauung, sondern was Tatsache ist - die Abhängigkeit des Geistig-Seelischen vom Leiblichen -, wie das ins soziale Leben hineinwirkt. Daraus werden Sie
dann ersehen können, daß schon mehr in unserer Zeit zu überwinden ist als eine bloße theoretische Anschauung.
Vielleicht mache ich mich etwas verständlicher über dasjenige, was ich eben ausgesprochen habe, wenn ich erinnere an etwas, was ich auch schon hier erwähnt habe, was aber das heute zu Sagende in einem gewissen Sinne illustrieren kann. Ich habe Ihnen erzählt, wie ich als Lehrer der Arbeiterbildungsschule in Berlin durch die Intrigen der Führer der Sozialdemokratie herausgeworfen worden bin, weil das, was ich dazumal auf den verschiedensten Gebieten zu lehren hatte, nicht echter Marxismus und vor allen Dingen auf dem Gebiete der Geschichte nicht materialistische Geschichtsanschauung sei. Ich hatte nicht etwa die Anschauung vertreten, daß die materialistische Geschichtsauffassung absolut falsch sei, aber eben gerade die Art und Weise, wie ich mich zur materialistischen Geschichtsauffassung stellen mußte, zu jener Auffassung, daß alles ethische, alles wissenschaftliche, alles religöse, alles rechtliche Leben nur gewissermaßen ein Oberbau, eine Art Rauch sei gegenüber demjenigen, was die einzige Wirklichkeit sei im materiellen wirtschaftlichen Prozesse, gerade die Art und Weise, wie ich mich zu dieser Geschichtsauffassung stellen mußte, das konnte nicht verstanden werden. Es konnte nicht verstanden werden selbstverständlich von denjenigen, die gar nicht herangegangen waren an ein innerliches Durchdringen der Sache. Die Arbeiter, die meinen Vorträgen zugehört haben, die haben die Sache schon nach und nach verstanden; aber es sind eben gerade durch dieses Verstehen dazumal die Führer dahintergekommen. Was ich gelehrt habe, war dies: Es beginnt, sagte ich, ungefähr um die Mitte des 15. Jahrhunderts, zuerst langsam, dann immer rascher vom 16. Jahrhundert ab tatsächlich jener Prozeß in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit, durch den die geistigen, die rechtlichen, die ethischen Produktionen der Menschheit sich in voller Abhängigkeit befinden von den Produktionsprozessen, von der Art und Weise, wie das Wirtschaftsleben verläuft. Es wird nach und nach alles Geistige und Rechtliche abhängig vom Wirtschaftsleben. Daher, sagte ich, ist die materialistische Geschichtsauffassung relativ berechtigt für die Interpretation der letzten drei bis vier Jahrhunderte des menschlichen Geschichtsverlaufes; man kommt aber in
eine unmögliche Geschichtsauffassung hinein, wenn man hinter das 15. Jahrhundert zurückgeht und ältere Zeiten im Sinne der materialistischen Geschichtsauffassung verstehen möchte. Und man tut völlig unrecht, wenn man diese materialistische Geschichtsauffassung als etwas Absolutes ansieht und sagt In der Zukunft wird alles ethische, alles rechtliche, alles wissenschaftliche Leben nur eine Art Rauch sein, der aus dem Wirtschaftsleben aufsteigt. - Im Gegenteil, es ist die Aufgabe der Gegenwart, zu überwinden dasjenige, was sich herausgebildet hat als Abhängigkeit des Geisteslebens vom Wirtschaftlichen in den letzten drei bis vier Jahrhunderten. Es ist dasjenige als Tatsache zu überwinden, wofür die materialistische Geschichtsauffassung richtig ist.
Sie sehen, man hat es zu tun, wenn man wirklich geisteswissenschaftlich verfährt, mit einer anderen Denkweise, mit der Denkweise, die eigentlich bricht mehr in den Gedankenformen, in der ganzen Struktur des Weltanschauens mit dem Hergebrachten. Und wahrhaftig, viel mehr kommt es der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft darauf an, heranzubilden in der Menschheitsentwickelung diese Umgestaltung, diese Metamorphose in der Struktur des Empfindens, des Denkens, des Wollens, als nur irgendeinen Inhalt über verschiedene menschliche Leiber und dergleichen den Menschen zu tradieren. Gewiß, diese Inhalte, sie kommen heraus, diese Ergebnisse treten uns gerade durch eine solche Metamorphose der Denkstruktur vor das geistige Auge. Aber das Wesentliche ist die andere Einstellung gegenüber der Welt; das Wesentliche ist, daß wir in gewisser Beziehung die ganze Verfassung unserer Seele zu ändern vermögen. Sieht man das ein, dann merkt man eigentlich erst, wie im gegenwärtigen Denken der weitesten Kreise der abendländischen Zivilisation durchaus noch tätig sind die Reste des traditionellen Denkens, Empfindens und Wollens, die sich eben einfach aus urältesten Zeiten in die Gegenwart herein fortsetzen. Nur einzelne Menschen hat es eigentlich gegeben, die, ich möchte sagen, aus der breiten Masse heraus auf den verschiedensten Gebieten ein Gefühl, eine Ahnung entwickelt haben davon, wie morsch gerade die Denkformen, die Denkstrukturen des Alten sind. Sie konnten zumeist nicht zur Geisteswissenschaft vordringen, und so blieben sie im Negativen stecken.
Eine außerordentlich interessante Erscheinung in bezug auf dieses Steckenbleiben ist Overbeck, der Freund Friedrich Nietzsches, der zur Zeit Nietzsches an der Universität Basel gewirkt hat und der ja insbesondere ein interessantes Buch über die gegenwärtige Berechtigung des Christentums geschrieben hat. Es ist eine der interessantesten Erscheinungen auf dem Gebiete der neueren Literatur, daß eine christliche Theologie die Frage aufwirft: Sind wir noch Christen? - Diese Frage hat nicht bloß der materialistische Theologe David Friedrich Strauß aufgeworfen, sondern auch dieser an der Theologischen Fakultät in Basel wirkende Theologe Overbeck, Nietzsches Freund, hat diese Frage aufgeworfen. Und eigentlich kommt Overbeck zu der Anschauung: Es gibt wohl noch eine christliche Theologie, aber nicht mehr ein Christentum.
Aber insbesondere, muß ich sagen, war es mir ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß, nachdem ich Ihnen gestern diese verschiedenen Proben der theologischen Denkart geben inußte, wobei ich Ihnen zu zeigen hatte, daß man dem Theologischen gegenüber ebenso sich zu beklagen hat, wenn sie einem Freund werden, wie wenn sie einem Feind werden. Es war mir sehr bezeichnend, daß gerade in diesen Tagen im Beiblatt zu den «Basler Nachrichten» eine nachgelassene Produktion von Overbeck besprochen wird, und daß da auf einen Satz hingewiesen wird, den dieser christliche Theologe niedergeschrieben hat. Ein christlicher Theologe hat den Satz niedergeschrieben: Die Theologen sind die Dümmlinge in der modernen Gesellschaft; das ist öffentliches Geheimnis in dieser modernen Gesellschaft.
So der Theologe in Basel, Overbeck! Man hat nicht nötig, aus der Sphäre herauszugehen, wenn man ein solches Urteil einsammeln will. Allerdings, Overbeck war neben dem, daß er Theologe war, Denker, und Theologe zu sein, war mehr sein Schicksal als sein Wille. Vielleicht war es auch seine Schwäche, Theologe zu bleiben. Das alles aber obliegt mir heute nicht, zu untersuchen. Aber immerhin, bemerkenswert ist es, daß ein solcher Ausspruch nicht von einem Monisten geprägt worden ist, sondern von einem Theologen: Die Theologen sind die Dümmlinge in der modernen Gesellschaft, und es ist öffentliches Geheimnis in der modernen Gesellschaft, daß es so ist.
Nun, es ragen eben in die Gegenwart herein die Dinge, die nur noch Schatten alter Weltanschauungen, Lebensgestaltungen und so weiter sind. Um heute Christ zu sein, bedarf es eben einer neuen Erfassung des Mysteriums von Golgatha, wie ich es Ihnen gestern bereits auseinandergesetzt habe. Aber auch um die heutigen sozialen Forderungen zu verstehen, bedarf es einer ganz anderen Struktur des Denkens und Empfindens, als diejenige ist, die aus alten Zeiten in die breiten Massen der gegenwärtigen Menschheit hereinragt. Und davon möchte ich Ihnen heute ein Beispiel geben. Man kann zwei so verschiedene soziale Denker nehmen, wie, sagen wir, Marx, der Abgott der Sozialdemokratie einer ist, und wie Rodbertus einer ist, der mehr, ich möchte sagen, eine Stütze ist für diejenigen, welche eine Lösung der sozialen Frage auf nationalem Gebiete suchen. In einer gewissen Beziehung sind beide, Rodbertus und Marx, Sozialisten; aber sie sind eigentlich Antipoden. Aber in einem wichtigen Punkte stimmen sie überein. Sie stimmen überein in einer gewissen Auffassung der Grundfrage, die heute eigentlich von allen aufgeworfen wird, die sich im Grunde tiefer mit der sozialen Frage befassen. Es ist die Frage: Was produziert eigentlich wirtschaftliche Güter? Was produziert wirtschaftliche Güter, die im Wirtschaftsleben zirkulieren, Güter, die für den wirtschaftlichen Konsum des Menschen dienstbar sind? - Marx sowohl wie Rodbertus beantworteten diese Frage dahin, daß sie sagen: Nur die körperliche Arbeit produziert wirtschaftliche Güter. - Also alles dasjenige, was im Wirtschaftsleben produktiv ist, führt auf körperliche Arbeit zurück. Mit anderen Worten: Will man davon sprechen, wo die Arbeit zu suchen ist, die irgendeine zusammenhängende Reihe wirtschaftlicher Güter erzeugt, so muß man, zum Beispiel bei einer Eisenbahn, beginnen bei dem ersten Spatenstich, nicht aber bei der Arbeit der Ingenieure, nicht bei der Arbeit derjenigen, die aus irgendwelchen Lebenszusammenhängen heraus den Gedanken produzieren, daß in dieser oder jener Gegend eine Eisenbahn zu bauen sei. Karl Marx zum Beispiel sagt Arbeit, körperliche Arbeit produziert allein die wirtschaftlichen Güter. Wenn man, so sagt er, in Indien einen Buchhalter anstellt in einer Gemeinde, so ist die Arbeit dieses Buchhalters nicht etwas, was wirkliche wirtschaftliche Güter erzeugt. Zwar ist die Arbeit dieses Buchhalters
notwendig, aber sie erzeugt keine wirtschaftlichen Güter. Wirtschaftliche Güter erzeugt einzig und allein die körperliche Arbeit derjenigen, die unmittelbar körperlich an der Erzeugung der Güter sich betätigen. Alles andere ist ausgeschlossen davon, mitgerechnet zu werden zu den Produktionselementen der wirtschaftlichen Güter. Wovon wird, so sagt Karl Marx, der indische Buchhalter entlohnt? Von einem Abzug, den man macht. Man muß erst dasjenige, was eigentlich alle anderen verdienen sollten, die körperlich arbeiten, man muß erst von dem etwas abziehen und es ihm geben, weil er doch notwendig ist. Man kann ohne ihn nicht produzieren, aber er erzeugt keine Güter. Also muß man denjenigen, die Güter erzeugen, das abnehmen, was man ihm zu geben hat. - Und mit Verfolgung dieses Gedankens kommt schließlich Karl Marx dazu, daß alle geistige Arbeit, alles geistige Produzieren nicht herausgenommen wird aus den wirtschaftlichen Gütern so, daß es beteiligt wäre an der Produktion dieser wirtschaftlichen Güter, sondern daß es abgezogen wird denjenigen, die wirklich wirtschaftlich produzieren.
Und zu ganz derselben Ansicht kommt auch der Antipode von Karl Marx, Rodbertus. Es gibt nun mancherlei, daß eben aus der Denkweise, die sich im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte als ein Schatten alter Denkweisen ergeben hat, solche Anschauungen entstanden sind. Denn man merkt, wie solche Anschauungen entstehen, wenn man hinsieht, in welcher Art Arbeit, Beziehung der Arbeit zu der Erzeugung wirtschaftlicher Güter angesehen wird von solchen Theoretikern, und die Anschauung dieser Theoretiker, die ist eigentlich heute vor allen Dingen in das gesamte Proletariat übergegangen. Was im gesamten Proletariat als Lebensanschauung vorhanden ist, das ist geradezu ein Ergebnis solcher Vorstellungen, von denen ich Ihnen nun einige Beispiele geben will. Da fragen die Leute, etwa Karl Marx: Wofür bekommt eigentlich der Arbeiter seinen Lohn? - Sie beantworten sich diese Frage dahin, daß der Arbeiter seinen Lohn bekommt für die aufgewendete Arbeit, daß also die aufgewendete Arbeit ihm entlohnt werde, und sie sagen: Sie muß entlohnt werden, denn indem der Arbeiter Güter hervorbringt, gibt er seine eigene Arbeitskraft hin. - Ich habe Ihnen ja öfters diese Anschauung charakterisiert als diejenige, die
die Anschauung des gegenwärtigen Proletariats ist: Der Arbeiter gibt seine Arbeitskraft hin, seine Arbeitskraft wird verbraucht; sie muß ersetzt werden. Man gibt ihm also Lohn, also wirtschaftliche Güter, denn dafür ist ja nur der Geldlohn als Stellvertreter da; man gibt ihm Lohn, damit die verbrauchte> die im Erzeugen der wirtschaftlichen Güter verbrauchte körperliche Arbeitskraft wieder ersetzt werden könne. - Dieser Gedanke kehrt immer wieder, diesen Gedanken finden wir in den mannigfaltigsten Varianten.
Was liegt da eigentlich für eine Anschauung zugrunde? Die Anschauung, die da zugrunde liegt, man merkt sie am besten, wenn man auf ein Wort hinschaut, das Karl Marx und seine Anhänger immer wieder und wiederum gebraucht haben. Sie haben das Wort gebraucht: die Arbeit gerinne in das Produkt hinein. - Gewissermaßen - wenn das Produkt erzeugt ist - ist die Arbeit in das Produkt hineingeronnen. Somit wäre auch die Arbeitskraft beziehungsweise ihr Ergebnis in das wirtschaftliche Gut, in das Produkt hineingeronnen. Man sagt: Geistige Kraft kann nicht in das Produkt hineingerinnen, körperliche Kraft nur kann hineingerinnen in das Produkt. - Man hat also die Vorstellung, daß die Arbeitskraft so irgendwie vom Menschen in das Produkt übergeht, dann ist sie, da draußen, ins Produkt hineingeronnen; dann ißt man und dann wird sie wieder ersetzt.
Solch eine Vorstellung sitzt ganz fest aus gewissen materialistischen Untergründen der neueren Zeit in den Menschen drinnen, und wenn man ankämpft gegen eine solche Anschauung, erscheint man sogar als ein Mensch, der zu Paradoxem neigt, denn diese Dinge sind allmählich etwas geworden, das den heutigen Menschen ganz natürlich erscheint. Und in Rußland wird eben jetzt Sozialismus gemacht bloß unter dem Einfluß solcher aus dem Untergrund des Materialismus herausgewachsenen Anschauungen.
Nun ist es wirklich 50 - es ist ja außerordentlich schwer zuzugeben, aber es ist wirklich so-, daß zuweilen Anschauungen populär werden, wie etwas Selbstverständliches überall vertreten werden, und sie eigentlich gar keinen Grund und Boden haben. Diese. Anschauungsweise, als ob die Arbeit so hinausgerissen würde in das Produkt, hat wirklich keinen Grund und Boden, denn man kann wirklich nicht sagen, daß
dasjenige, was da verbraucht wird während der Arbeit, durch das Essen wiederum ersetzt werde. Man braucht sich ja nur im Ernste zu fragen, ob denn derjenige, der nun gar nicht arbeitet, nicht auch essen muß, wenn er leben will. Es kann doch der Ersatz einer-verlorengegangenen Kraft, auf die es hier ankommt, wahrhaftig nicht davon abhängen, daß diese Kraft in die Arbeit hineingegangen ist; denn wenn sie nicht in die Arbeit hinausgeht, muß sie auch ersetzt werden. Da muß ein kapitaler Denkfehler drinnenstecken, ein kapitaler Denkfeh1er, der einfach populär geworden ist, den zu machen populär geworden ist. Man glaubt nämlich gar nicht, wie sehr wir heute in verkehrten Denkgewohnheiten drinnenstecken. Man muß gegenüber diesen verkehrten Denkgewohnheiten einmal die Seele zum Wachen bringen. Das geht nicht an, daß gegenüber diesen verkehrten Denkgewohnheiten die Seele weiter schläft.
Ich habe in einer anderen Form den Gedanken schon einmal vor Ihnen ausgesprochen. Derjenige, dem es nun kein Bedürfnis ist, oder der, sagen wir besser, durch seine Lebenszusammenhänge nicht in eine solche Situation hineingestellt worden ist, daß er Holz hackt oder eine ähnliche körperliche Arbeit verrichtet, der wird manchmal seine Kraft ausleben, sagen wir im Sport. Da wendet er auch seine Kraft an. Und Sie werden leicht zugeben können, daß man unter Umständen dasselbe Maß von Kraft verwenden kann zum Holzhacken wie zum Sport. Man kann gerade so müde werden vom Sport wie vorn Holzhacken. Man kann einen gerade so guten Schlaf haben nach dem Sport wie nach dem Holzhacken. Dasselbe Maß von Arbeit kann in dem einen Fall und in dem anderen rein formell verrichtet werden. Es kann sich also doch nicht darum handeln, wieviel Arbeit man verrichtet und wieviel Kraft man auslebt in diesem Arbeiten Verrichten, sondern es ist augenscheinlich, daß es sich um ganz etwas anderes handelt, um die Art und Weise, wie die Arbeit hineingestellt ist in den ganzen sozialen Prozeß. Es handelt sich darum, daß man absehen lernt von diesem Ausleben von menschlicher Lebenskraft in Arbeit, in der Erzeugung von Gütern. Es kann sich ja höchstens darum handeln, daß der Fleißige etwas mehr zu essen braucht als der Faule, obwohl das auch mit den Lebensgewohnheiten mancher Menschen nicht ganz übereinstimmt.
Aber jedenfalls, diese merkwürdige Anschauungsweise, als ob man bei nationalökonomischem Denken darauf zu sehen habe, wie die aufgewendete menschliche Arbeitskraft ersetzt werden müsse durch dasjenige, was man im Lohn empfängt, diese Anschauungsweise ist jedenfalls ganz ohne Grund und Boden. Es kann eben einfach nicht so gedacht werden, wenn man zu irgendeinem Ziele kommen will.
Darauf wollte ich von einer anderen Seite wiederum aufmerksam machen, hinweisen, wie unser ganzes Leben beherrscht wird von verkehrten Vorstellungen, von Denkgewohnheiten, die ja für frühere Zeiten vielleicht ihre Berechtigung hatten, die aber heute eine solche Berechtigung nicht mehr haben.
Ein anderer Gedankengang, der einem auch oftmals wiederkehrt bei den Betrachtern des Wirtschaftslebens, die mehr oder weniger abhängig sind von Karl Marx, ist dieser, sie sagen: Wenn eine körperliche Arbeit verrichtet wird und im Verlaufe des Verrichtens dieser körperlichen Arbeit ein wirtschaftliches Gut entsteht, dann ist diese Arbeit verbraucht. Wenn das Gut wieder da sein soll, muß es eben wiederum durch dieselbe Arbeit erzeugt werden. Wenn einer eine Idee ausdenkt, so ist diese Idee da. Sie bleibt da, sie wird nicht verbraucht. Und nach dieser Idee können vielleicht unzählige Arbeitsprozesse vollzogen werden. - Also: körperliche Arbeit, die auf Erzeugen von Gütern angewendet wird, wird verbraucht in ihrem Produkte, geistige Arbeit wird nicht verbraucht in ihrem Produkte, sondern die Produkte bleiben - das erscheint furchtbar plausibel, wenn man eine solche Idee ausspricht. Aber da tritt dann doch die Frage auf: Ist in fruchtbarer Weise im nationalökonomischen Denken mit einer solchen Idee etwas anzufangen? Es handelt sich dann immer darum, daß diejenigen, die einer solchen Idee nachgehen, nicht in der Lage sind, den ganzen Prozeß zu verfolgen, den eine solche Idee durchmacht, indem sie Wirklichkeit wird. Ist denn, so möchte man fragen, auch nur ein einziges Mal der Fall vorhanden, daß irgendein Erfinder eine Idee produziert, und, ohne daß eine weitere geistige Arbeit verrichtet werde, diese Idee unzählige Male verwirklicht werden kann? - Das ist nicht der Fall. Vielmehr muß man da folgendes sagen; man muß sagen: Wie ist eigentlich der Zusammenhang zwischen demjenigen, was durch den Geistesmenschen
produziert wird, und demjenigen, was äußerliche, zum Beispiel wirtschaftliche Güter sind? - Sehen Sie nur einmal hin auf die Erzeugung von wirtschaftlichen Gütern. Können Sie sich denken, daß wirtschaftliche Güter erzeugt werden, ohne daß geistige Richtkraft, geistige Führung zugrunde liegt? Sie können nämlich geradezu beweisen, daß bis ins Innerste hinein geistige Führung in der materiellen Arbeit, in der Erzeugung der materiellen Güter zutage tritt. Man muß nur immer weit genug zurückgehen. Ich habe öfters Ihnen das Beispiel angeführt: Wir betrachten den Gotthardtunnel oder den Suezkanal oder irgend etwas; solche Dinge können heute nicht ausgeführt werden ohne Differential- oder Integralrechnung. Es hilft alle körperliche Arbeit nichts, wenn diese Dinge nicht zugrunde liegen. Diese Dinge aber, Differential- und Integralrechnung, sind einstmals ausgebildet worden in der einsamen Gedankenstube des Leibniz oder - wir brauchen uns ja damit nicht heute in einen nationalen Prioritätsstreit einzulassen - in der einsamen Denkerstube des Newton, aber jedenfalls bei Denkern, im geistigen Produzieren sind diese Ideen entstanden. Bei alledem, was im Grunde genommen da ist im Gotthardtunnel, im Suezkanal und in ähnlichen Arbeiten, welchen Produkten ja wiederum zugrunde liegen die Erzeugung wirtschaftlicher Güter, bei alledem liegen nur die Ergebnisse dessen vor, was einstmals ein geistiger Keim war. Und nichts könnte da sein von alledem, was physische Arbeit ist, wenn der geistige Keim nicht dagewesen wäre. Sehen Sie sich irgend etwas an, was produziert wird, Sie werden sich überall sagen müssen: Die körperliche Arbeit kann man nicht einmal anfangen, wenn die geistige Arbeit nicht vorangegangen ist; und wenn sie anfängt, und die geistige Arbeit aufhören würde, würde sie auch nicht sehr weit kommen. Ja, man könnte ebenso strenge beweisen, wie Karl Marx und Rodbertus zu beweisen meinten, daß aus der körperlichen Arbeit allein wirtschaftliche Güter entstehen, daß nur geistige Arbeit wirtschaftliche Güter hervorbringt, daß die körperliche Arbeit überhaupt ganz und gar das Ergebnis der geistigen Arbeit ist. Diese Dinge sind durchaus zueinander relativ. Und dieselbe Strenge der Beweisführung, die die Marxisten aufbringen können für den Gedankengang, daß nur körperliche Arbeit wirtschaftliche Güter erzeugt, dieselbe Strenge der
Beweisführung könnte man finden in dem Gedankengang, daß nur geistige Kraft wirtschaftliche Güter erzeugt.
Was folgt denn daraus? Ich sage ausdrücklich: Dieselbe Strenge der Beweisführung kann in dem einen Fall wie in dem anderen Fall stattfinden; das heißt, es kann in dem einen oder in dem anderen Fall das Folgende eintreten. Karl Marx hat das eine vertreten. Es könnte einer kommen, der ebenso streng bewiese, daß nur geistige Arbeit wirtschaftliche Güter erzeuge. Es ist nur durch die materialistischen Verhältnisse der neueren Zeit bedingt, daß nicht ein solcher Marx aufgetreten ist für spirituelle Verhältnisse, wie Marx aufgetreten ist für die materiellen Verhältnisse. Beide aber, wenn sie aufgetreten wären, hätten Anhänger gewinnen können. Karl Marx hat ja genug Anhänger gewonnen; der andere hätte auch Anhänger gewinnen können. Die Ausführungen von beiden könnten auf dieselbe strenge Beweisführung hinweisen, die Sie heute finden, wenn die Leute, selbstverständlich immer im guten Glauben, in modernen Versammlungen diese oder jene Reformfragen behandeln. Da wird meistens alles sehr streng bewiesen, denn man ist heute sehr gescheit. Oder wenn die Leute auf den Kathedern dies oder jenes beweisen, es wird alles streng bewiesen. Aber man kann das Entgegengesetzte ebenso streng beweisen. Das will man eben gerade nicht glauben, daß der logische Beweis nicht etwas ist, was das Leben tragen kann, sondern daß zu dem logischen Beweis oder zu demjenigen, was doch nur aus dem logischen Beweis gewonnen ist, hinzukommen muß Wirklichkeitssinn, Verbundensein mit der Wirklichkeit. Nur aus dem Leben heraus läßt sich das Leben halten, nicht aus den intellektualistisch orientierten Beweisen. Nur dem Umstande, daß die Instinkte der Menschen in den letzten drei bis vier Jahrhunderten mateeialistisch orientiert waren, ist es zuzuschreiben, daß just die Beweisführung auf materialistischer Seite so streng geworden ist wie im Marxismus. Man kommt in der Regel mit Widerlegungen ja nicht zurecht, weil es bei Beweisen sich nicht darum handelt, daß man etwas beweist, sondern daß der andere den Beweis annehme. Die Annahme des Beweises aber beruht nicht auf der Logik des Beweises, sondern - so wie nun einmal die Menschen sind, wenn sie nicht in Geisteswissenschaft eindringen - sie beruht auf gewissen Instinkten, auf Gewohnheiten,
insbesondere auch auf Denkgewohnheiten. Und so muß man sagen: Das Leben wird uns heute verwirrt dadurch, daß die Seelen nicht heraus wollen aus ihrem Schlafe gegenüber den Impulsen der Wirklichkeit, daß die Seelen vor allen Dingen nicht durchdringen wollen dazu, sich zu sagen: Es kommt darauf an, den richtigen Gesichtspunkt zu finden, nicht von jedem beliebigen Gesichtspunkt aus die Welt anzuschauen.
Heute handelt es sich darum, daß man einen Gesichtspunkt gewinne, der nicht mehr Vorurteile in dem Sinne hervorruft, daß man eine einseitige Beweisführung für richtig hält, sondern der gestattet, das Leben so universell zu übersehen, daß man wirklich das Gewicht der einen Gründe, wie auch das Gewicht der Gründe auf der Gegenseite abwägen kann. Man muß heute einsehen, wieviel für sich haben die Gründe auf der einen Seite, auf der materialistischen Seite, und wieviel für sich haben die Gründe auf der spirituellen Seite. Das heißt, niemals war es so notwendig wie gegenwärtig, daß die Menschen keine Fanatiker seien. Aber der Fanatismus, der heute geradezu eine Zeiterscheinung ist, kann nur überwunden werden, wenn der Mensch in sich selber eröffnet den Quell, der ihn zu einer wirklichen Einsicht in die geistigen Zusammenhänge der Welt führt. Daher ist die Befruchtung unserer abendländischen Zivilisation mit den Ergebnissen der Geisteswissenschaft eben eine so eminente Notwendigkeit. Man kann also sagen in strenger Beweisführung, wenn man will - darauf kommt es immer an, daß man will -, man kann sagen, geistige Arbeit gerinne in das Produkt. Man kann auch sagen, körperliche Arbeit gerinne in das Produkt. Aber womit hat man es denn in Wirklichkeit zu tun? In Wirklichkeit hat man es damit zu tun, daß gewisse Vorgänge in der äußeren Welt von den Menschen in einer gewissen Weise geleistet werden. Nehmen Sie an, ich pflücke einen Apfel vom Baum. Das ist eben doch etwas, was auch als ein Addend in der Summe wirtschaftlicher Zusammenhänge etwas zu tun hat. Man muß ja sehen, welche Elemente die Wirklichkeit zusammensetzen. Wenn ich einen Apfel vom Baum pflücke, so rufe ich eine Veränderung in der Außenwelt hervor, eine Metamorphose: Erst ist der Apfel auf dem Baum oben, dann liegt er vielleicht in meinem Körbchen drin. Diese Veränderung habe ich hervorgerufen.
Gewiß, es hat sich in mir ein Vorgang abgespielt, im Verlauf dessen auch körperliche Kraft verbraucht worden ist, die wieder ersetzt worden ist. Aber wenn ich in derselben Zeit, in der ich den Apfel gepflückt hätte, ein paar Schritte meines Spazierganges gemacht hätte, hätte ich ebenso die Kraft verbraucht. Es handelt sich nicht darum, was in mir geschieht, und es kann sich im nationalökonomischen Zusammenhang nicht um irgend etwas handeln, was auf den menschlichen Organismus Bezug hat. Es kann sich nicht darum handeln, die Frage aufzuwerfen: Was hat der Mensch zu bekommen, weil er Ersatz zu leisten hat für verbrauchte körperliche Kraft? -, sondern es kann sich lediglich darum handeln: Welche innere Bedeutung kommt jener Metamorphose zu, die sich im Grunde genommen ganz außerhalb des Menschen vollzieht, die er nur dirigiert, die er nur leitet, jener Metamorphose, daß der Apfel zuerst auf dem Baum oben und dann in seinem Körbchen ist? Denken Sie einmal, Sie zeichneten den ganzen Vorgang, oder malten ihn. Sie malen den Baum, daneben den Menschen. Sie malen jetzt, wie der Mensch seine Hand ausstreckt, eine Leiter auf- stellt und seine Hand ausstreckt, den Apfel pflückt, und malen dann, wie er ihn ins Körbchen tut. Jetzt machen Sie sich einmal, sagen wir, das Vergnügen: Sie radieren den Menschen ganz aus, Sie radieren alles dasjenige weg, was Ihre Malerei vom Menschen war, und betrachten bloß dieses objektiv außerhalb des Menschen Vor-sich-Gehende: der Apfel ist oben, bewegt sich herunter, ist im Körbchen drinnen; Sie haben den Menschen ganz ausgeschaltet. Den Vorgang, der aber im Leben volkswirtschaftlich in Betracht kommt, den haben Sie da streng ins Auge gefaßt. Der ist darinnen geblieben, um den handelt es sich, wenn es sich um eine wirtschaftliche Betrachtung handelt. Und jedes- mal wird die rein wirtschaftliche Betrachtung auf einen falschen Boden gestellt, wenn man in die wirtschaftliche Betrachtung den Verbrauch der Lebenskraft oder Körperkraft und dergleichen einschaltet, wie es Lassalle, wie es Marx, wie es aber auch fast alle anderen akademischen Nationalökonomen tun.
Dasjenige also, worauf es ankommt, das ist, daß wir da, wo es sich um wirtschaftliche Zusammenhänge handelt, den Menschen ausschalten können. Wir müssen dann diesen ausgeschalteten Menschen wiederum
für sich betrachten können. Da kommen wir dann zu anderen Zusammenhängen, zu den Zusammenhängen, welche auf einem anderen Boden stehen. Indem wir sagen: Ja, die Menschen müssen aber doch arbeiten, sonst fallen die Apfel nicht von den Bäumen in die Körbchen hinein! - indem wir dieses aussprechen, merken wir: Jetzt können wir den Menschen nicht wegradieren! Aber wir können vor allen Dingen seine Seele nicht wegradieren, wenn er noch Mensch bleiben soll. Wenn der Mensch eben Mensch bleiben soll, so muß der Antrieb zur Arbeit in ihm selbst liegen. Er kann nicht Mensch bleiben, wenn man einen Apparat ersinnt` durch den er so langsam durch irgendwelche technischen Vorgänge hingetrieben wird zu der Leiter, dort sein Arm in die Höhe gehoben wird, die Finger gebogen werden und so weiter, oder wenn man von Staates wegen Arbeitszwang einführen würde; beides kommt ja im Grunde genommen auf dasselbe hinaus. Es handelt sich darum, daß der Impuls im Inneren des Menschen liegen muß. Er wird nicht im Inneren des Menschen liegen, wenn er nicht entzündet wird durch das Verhältnis, durch den Verkehr von Mensch zu Mensch.
Sie sehen, man kommt auch in der Betrachtung auf ein ganz anderes Gebiet als dasjenige, was das wirtschaftliche Gebiet war, wenn man zu dem Antriebe der Arbeit übergeht. Wenn es sich um den Antrieb zur Arbeit handelt, so können Sie nicht absehen vom Menschen, Sie können aber auch nicht absehen von dem Innersten des Menschen. Wenn Sie wirklichkeitsgemäß diese Sache verfolgen, dann werden Sie eben finden: Es ist so radikal verschieden das eine, was ich erwähnt habe, der wirtschaftliche Vorgang, von dem, was eigentlich zur Arbeit führt, was der Impuls der Arbeit ist, daß diese Verschiedenheit in der sozialen Wirklichkeit selbst wurzeln muß.
Nun gibt es ja viele Denkweisen, um zur Dreigliederung des sozialen Organismus zu kommen. Aber man sollte viele Denkwege gehen, denn der Mensch braucht heute einen starken Antrieb, er ist so denkschläfrig! Sie werden vor allen Dingen finden, daß dieses Gestrüpp von Vorstellungen, welches alles zusammenschweißen möchte, was wirtschaftliches, rechtlich-staatliches, was Geistesleben ist, durchaus ersprossen ist aus dem Materialismus, der aber zu gleicher Zeit, indem
er als Weltanschauung entsteht, auch die Seele bindet an die körperlichen Vorgänge, damit aber diese Seele auch passiv macht, diese Seele in ihrer Aktivität ertötet. Wir sind nicht etwa bloß materialistisch geworden, theoretisch materialistisch, wir sind materiell geworden. Der Mensch kann deshalb nicht durch eine Umänderung seiner Denkweise allein aus der Katastrophe sich heraus winden, in der er sich heute befindet, sondern er kann nur durch einen Ansporn seines Willens sich herauswinden. Denn der Wille ist dasjenige, was zunächst als erstes Seelisches unabhängig ist vom Leiblichen und nicht ganz, wenn er überhaupt in Anwendung kommt, an das Leibliche gespannt werden kann. Denn in jedem Augenblicke, in dem ich irgendein Außeres tue, wird mir der unmittelbar anschauliche Beweis geliefert, daß der Wille von dem Materiellen des Leibes unabhängig ist. Denn der Wille ist tätig in dem Herabnehmen des Apfels vom Baum und dem Hineinlegen des Apfels in das Körbchen. Dasjenige, was der Mensch ißt, kann ich von dem rein wirtschaftlichen Prozesse ausschalten; den Willen der Menschen kann ich nicht ausschalten.
Ich wollte Ihnen damit heute nur wiederum eine Art des Gedankenganges angeben, durch den Sie die tiefe Berechtigung dieser Dreigliederungsideen finden können. Zunächst habe ich Ihnen gezeigt, wie ganz verschieden der Impuls der Arbeit ist von alldem, was ins Wirtschaftsleben eingeschlossen ist. Sie wissen ja, daß er im dreigliedrigen Organismus auf staatlich-rechtlichem Gebiete liegen soll. Aber wenn Sie nach anderen Richtungen hin die heute angeregten Gedankengänge verfolgen, nach der Richtung zum Beispiel, wie verworren die Vorstellungen werden mit Bezug auf den Anteil der körperlichen Arbeit und der geistigen Arbeit bei der Erzeugung des Produktes - wenn man so denkt, wie die letzten drei bis vier Jahrhunderte die Menschen denken gelernt haben -, dann werden Sie auch sehen, wie dieser Denkknaduel, der da entstanden ist, auch wiederum dann verwirrend wirkt, wenn man das geistige Leben rein absondern will vom rechtlichen und wirtschaftlichen Leben. Denn irgendeine Wirkensnotwendigkeit liegt nicht vor, wenn man die Anschauung hat, daß der Mensch eben in der Arbeit Körperkraft verbraucht, die ihm ersetzt werden muß durch den Lohn. Das haben wir ja gesehen, daß eine solche Wirkensnot
wendigkeit nicht vorliegt. Wie kommt man denn dazu, einen solchen Gedankengang zu hegen? Wie kommt man dazu, diese Idee überhaupt aufzustellen? Man kommt aus materialistischen Untergründen dazu. Man kann sich in seinem Denken nicht loslösen von der Materie. Man kann nicht finden etwas, was vom Menschen ausgeht und was unabhängig ist von seinem Leibe. So wird man gekettet mit seinen Ideen an den Leib. Die Nationalökonomie wird materialistisch gekettet an den Leib. Weil sie die rein geistigen Zusammenhänge in der Außenwelt im wirtschaftlichen Leben nicht sehen kann, wird sie abgelenkt auf den rein materiellen Vorgang des Körperkraftverbrauches und des Ersatzes: Kraft abgeben, Kraft aufnehmen, Kraft abgeben, Kraft aufnehmen und so weiter! Man will sich ganz im Materiellen bewegen und kann deshalb auf nichts anderes kommen als gewissermaßen auf die Einschaltung des Menschen als Maschine in den nationalökonomischen Organismus.
Es ist heute schon so, daß wir nicht etwa aus den Einrichtungen heraus in der Katastrophe drinnenstecken, sondern daß wir aus dem tiefsten Denken und Empfinden und den Willensimpulsen der Menschen heraus in der Katastrophe drinnenstecken, und daß es im eminentesten Sinne notwendig ist, daß man abkomme von dem Vorurteil, als ob durch bloße Einrichtungen irgendwie ein sozialer Aufschwung geschehen könne. Es ist dringend notwendig, daß man einsehe, daß ein sozia1er Aufschwung nur geschehen kann durch eine Umwandlung der Denkund Empfindungsrichtung der Menschen, durch ein Ausrotten von alten Denkgewohnheiten, die drohen, uns immer tiefer und tiefer in den Niedergang hineinzubringen. Man muß sich geradezu daran gewöhnen, mit einem gewissen tiefsten Interesse das zu verfolgen, was in den Gedanken der Gegenwartsmenschheit lebt. Man wird einmal finden, wie es nichts nützt, diese Gedanken nach irgendeiner Richtung hin fortzusetzen, sondern wie es lediglich darauf ankommt, auf dem wichtigsten Gebiete heute diese Gedankenrichtungen zu verlassen und neue Gedankenrichtungen aufzunehmen. Die können aber nur aus der tiefsten Grundlage der menschlichen Natur selbst hervorgehen. Und sie können nur dadurch in die Kultur der Menschheit hineinkommen, daß Impulse, die ursprünglich sind, die elementar sind, wirklich von den
Menschen berücksichtigt und aufgenommen werden. Aber solche Impulse können eben heute doch nur innerhalb derjenigen Wissenschaft vom Geistigen liegen, die anthroposophisch orientiert ist. Wir brauchen eine neue Menschheitserkenntnis, denn die alte Menschheitserkenntnis hat selbst auf einem solchen Gebiete, wie das ist, was ich Ihnen heute charakterisiert habe, zum Irrtum geführt. Die alte Anschauung ist auch schon im Praktischen so weit, den Menschen als Maschine anzusehen und die Absurdität des Gedankens nicht zu erkennen, daß es eine volkswirtschaftliche Kategorie sei, menschliche Körperkraft zu verbrauchen und sie durch den Lohn als Aquivalent ersetzen zu sollen. Das alles beruht darauf, daß man innerhalb der heutigen Denkweisen den Menschen überhaupt nicht kennen kann und daß man nötig hat, Menschenkenntnis im tiefsten Sinne des Wortes zu erringen. Das wird aber nur möglich sein, wenn unsere ganze Denkungsweise anthroposophisch orientiert wird.
ZWÖLFTER VORTRAG Bern, 9. Juli 1920
Heute möchte ich Ihnen wiederum von etwas sprechen, von dem zwar hier öfter schon gesprochen worden ist, das man aber doch so, wie es zu durchdringen notwendig ist, nur durchdringt, wenn man es öfter und von den verschiedensten Gesichtspunkten aus betrachtet. Wer heute bewußt das geistige und schließlich auch das materielle Leben der Gegenwart mitlebt und sich wirklich innerlich seelisch eingelebt hat in das, was wir hier anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft nennen, dem muß sich angesichts unserer Ereignisse eine schwere Kultursorge auf die Seele legen. Diese schwere Kultursorge kann man etwa so beschreiben: Auf der einen Seite sieht man die Notwendigkeit, daß dasjenige, was wir Initiationswissenschaft, Geisteswissenschaft nennen, die ergründet werden kann zuletzt nur durch die Methode der Einweihung, daß diese Wissenschaft sich womöglich über alle denkenden Menschen verbreiten muß, wenigstens der Hauptsache nach, wenn wir nicht weiter in den Niedergang hineinkommen wollen. Die Menschen haben einfach nötig, das in ihr Empfindungsleben aufzunehmen und sich anregen zu lassen für den wechselseitigen Verkehr, für das wechselseitige Handeln untereinander durch diese Initiationswissenschaft. Auf der anderen Seite lebt bei der weitaus größten Anzahl der Menschen - wir brauchen nur auf die paar Bekenner der Geisteswissenschaft hinzusehen -, also bei dem weitaus größten Teil der Menschheit besteht das Gefühl, daß sie diese Initiationsweisheit ablehnen, daß sie fortleben sollen auf dieselbe Weise, wie sie bisher gelebt haben, ohne irgendwie beeinflußt zu werden von dem, was ihnen durch diese Initiationsweisheit werden kann. Man möchte also sagen, auf der einen Seite liegt vor die dringendste Notwendigkeit der Offenbarung geistiger Welten, auf der anderen Seite die radikale Ablehnung dieses Erkennens.
Man darf sich darüber keinen Illusionen hingeben, daß im Grunde genommen die Art und Weise, wie die Menschen bisher von den traditionellen Bekenntnissen angehalten worden sind über das Geistige
zu denken, heute viel Schuld trägt an dieser radikalen Ablehnung einer Weisheit von den geistigen Welten. Machen wir uns doch klar, daß vor allen Dingen die traditionellen Bekenntnisse die Menschen nur bekanntmachen mögen mit einer Seite, sagen wir des Ewigen im Menschen, mit derjenigen Seite, die über den Tod hinaus liegt, und daß eine entschiedene Ablehnung von seiten der traditionellen Bekenntnisse vorhanden ist, die Menschen heute hinzuweisen auf dasjenige, was von dem Ewig-Seelischen im Menschen vorhanden ist vor der Geburt, oder sagen wir vor der Empfängnis. Viel wird gesprochen, wenn auch in höchst unbestimmter Weise und indem immer nicht auf ein Wissen, nur auf ein Glauben hingewiesen wird, von dem Dasein der Seele nach dem Tode. Dagegen abgelehnt wird alles Sprechen über das Dasein der Seele vor der Geburt oder vor der Empfängnis. Das hat seine Bedeutung nicht nur innerhalb des Theoretischen, das wir jetzt gerade angeführt haben, innerhalb der reinen Erkenntnisurteile, die da sagen: Auf die Zeit nach dem Tode wollen wir hinschauen; auf die Zeit vor der Geburt wollen wir nicht hinschauen -, sondern das hat seine Bedeutung für das ganze Wesen des Menschen. Denn es hängt ab die Art und Weise, wie man über das Unsterbliche im Menschen spricht, von dieser Ablehnung des Vorgeburtlichen. Vergegenwärtigen Sie sich nur einmal, wie zumeist von den Bekenntnissen über die Seelenunsterblichkeit zu den Menschen gesprochen wird. Es wird appelliert an die feineren egoistischen Instinkte der Menschen. Diese feineren Instinkte der Menschen gehen ja dahin, das Dasein nach dem Tode zu begehren. In den verschiedensten Formen ist in den Menschen die Begierde vorhanden nach diesem Dasein nach dem Tode, und man muß, indem man in der gebräuchlichen Weise von diesem Dasein nach dem Tode redet, immer wieder appellieren an diese egoistischen Instinkte der Menschen, an dieees Wollen eines Daseins nach dem Tode. Man muß also appellieren in einem gewissen Sinne an die menschliche Unsterblichkeitsbe gierde. Und indem man an sie appelliert, findet man den Zugang zum Glauben der Menschen an diese Unsterblichkeit nach dem Tode.
Man würde nicht ohne weiteres denselben Glauben für dieselbe Art der Sprache finden, wenn man sprechen würde von dem Ewigen der menschlichen Seele, wie es vorhanden ist vor der Geburt oder vor der
Empfängnis. Bedenken Sie nur eines: Man spricht von Unsterblichkeit. Man spricht nicht von irgend etwas, was in gleichem Sinne über die Geburt hinausgeht, denn man hat darüber gar nicht in ordentlichem Sinne ein Wort in der Sprache. Unsterblichkeit, dieses Wort das hat man; Ungeburtlichkeit, Ungeborenwerden - das hat man nicht, das müßte man erst ausbilden, damit es den Menschen geläufig würde. Daran schon können Sie sehen, wie einseitig das Reden über die Unsterblichkeit auf seiten der traditionellen Bekenntnisse ist. Und warum ist das so? Ja, es ist doch ganz anders, wenn man zu den Menschen sprechen soll davon, daß sie ihr jetziges Leben, das sie von der Geburt an geführt haben und weiter führen bis zum Tode, als die Fortsetzung eines geistigen Lebens betrachten sollen, wie sie betrachten wollen das geistige Leben nach dem Tode als eine Fortsetzung dieses Erdenlebens. Denn für die Menschen ist es schon einmal so: Zu erfahren von dem nachtodlichen Leben ist für sie in gewissem Sinne ein Genuß; zu erfahren von dem vorgeburtlichen Leben ist nicht in gleichem Sinne ein Genuß, denn dasjenige, was uns Menschen geworden ist durch die Geburt, das haben wir, das besitzen wir; das begehren wir also nicht. So kann nicht durch die Aufstachelung einer Begierde von dem Ewigen vor der Geburt gesprochen werden, und so muß man erst, wenn man von diesem Ewigen vor der Geburt sprechen will, in dem Menschen den Trieb anregen, auf so etwas überhaupt hinzusehen, für so etwas sich erkenntnisbereit zu erklären.
Das hängt damit zusammen, daß in der Tat Geisteswissenschaft vor dem Erkennen voraussetzen muß ein gewisses Bereitsein. Das, was ich gestern im öffentlichen Vortrage genannt habe «intellektuelle Bescheidenheit>: sich zu fühlen den großen Erkenntnissen der Natur gegenüber wie das Kind, wenn es fühlen könnte, sich fühlen müßte mit fünf Jahren gegenüber einem Buche Goethescher Lyrik, mit dem es auch nichts anfangen kann, bevor es zu seinem Verstehen erzogen ist - so müßte sich der Mensch fühlen gegenüber der sich ausbreitenden Natur. Er kann nichts anfangen, bevor er sich vorbereitet hat, in sie einzudringen. Daher muß schon von diesem Vorbereiten in intellektueller Bescheidenheit gesprochen werden. Und wir müssen uns als Menschen innerlich bereit finden, aus uns etwas anderes zu machen, als wir sind,
wenn wir noch nicht unser Inneres in die Hand genommen haben, um es weiterzubringen im seelisch-geistigen Leben. Dazu ist aber nötig, daß man auf gewisse Dinge hinsieht, auf die man in dem allgemeinen Weltenschlaf, dem man sich hingibt, doch eigentlich gar nicht hin- sehen möchte.
Wir haben als Menschen die Fähigkeit, durch unsere Vorstellungen, durch unser Denken über die Welt uns zu unterrichten. Wir denken aber nicht viel darüber nach, welche besondere Eigentümlichkeit dieses Denken eigentlich hat. Es hat dieses Denken schon eine besondere Eigentümlichkeit, denn dem äußeren Leben gegenüber ist es eigentlich unnötig. Wir machen uns dieses gewöhnlich nicht klar. Abgesehen davon, daß die Tiere auch leben können, ihre Nahrung aufsuchen können, sich fortbringen zwischen Geburt und Tod, ohne daß sie in der menschlichen Weise denken, abgesehen davon, daß man schon daraus entnehmen kann, daß wir gewis$e niedere Aufgaben des Lebens auch verrichten können, wenn wir nicht auf menschliche Weise denken, brauchen wir ja nur einer etwas gründlicheren Lebenserwägung uns hinzugeben, und wir werden gleich sehen, wie für das äußere physische Leben das Denken eigentlich unnötig ist. In bezug auf gewisse Dinge können wir uns gar nicht auf das Denken verlassen. Nicht wahr, wir treiben Wissenschaft. Nehmen Sie irgendeine Wissenschaft heraus, zum Beispiel die Physiologie, durch die wir uns über die Art und Weise unterrichten, wie die menschlichen Organe funktionieren. Wir lernen in der Physiologie, so gut es auf materialistischem oder auf spirituellem Gebiet geht, erkennen, welcher Art der Verdauungsvorgang ist. Aber wir können niemals warten auf das denkende Erkennen des Verdauungsvorganges; wir müssen vorher regelrecht verdauen. Wir würden im Leben nicht fortkommen, wenn wir warten müßten, bis wir über das Verdauen gedacht haben, bis wir das erkannt haben. Wir müssen die Verdauungstätigkeit unbedacht ausführen, und so auch die anderen Tätigkeiten unseres Organismus. Gerade mit Bezug auf dasjenige, was wir als Menschen ausführen, kommt das Denken immer hinterher. Für das Leben in der Sinneswelt könnten wir also das Denken im Grunde genommen entbehren.
Da beginnt die große Frage, die jetzt auftaucht vor dem Geisteswissenschafter:
Was hat es mit diesem Denken, das uns im gewöhnlichen physisch-sinnlichen Leib ja gar keine Dienste leisten kann, eigentlich für eine Bewandtnis? - Auf ein Wichtiges muß man natürlich hinweisen. Dasjenige, was uns in der äußeren Technik vorliegt, würde uns nicht vorliegen, wenn wir es nicht zuerst bedenken würden. Aber im Grunde genommen setzt das Denken mit seiner positiven Bedeutung erst ein bei der äußeren Technik und alledem, was äußere Technik fordert. Bei alledem, was nicht äußere Technik fordert, ist das Denken etwas, was eigentlich hinterher einsetzt und was sich gegenüber unserem sinnlichen Dasein als überflüssig erweist. Wir tragen also ein Element in uns, welches zu unserem sinnlichen Dasein keinen Beitrag liefert. Das sagt sich der Geisteswissenschafter, und dann kommt er dazu, noch zu untersuchen, was eigentlich dieses Denken ist. Dann findet er, wie ich Ihnen öfter auseinandergesetzt habe, daß dieses Denken eigentlich eine Erbschaft von unserem vorgeburtlichen Dasein ist, daß gerade das Denken dasjenige ist, welches wir am intensivsten ausgebildet haben zwischen dem letzten Tode und dieser Geburt, daß wir die Fähigkeit dieses Denkens hereintragen in dieses sinnliche Dasein, daß dieses Denken eigentlich ausgebildet war für die übersinnliche Welt. Wir verstehen die Bedeutung dieses Denkens gar nicht, wenn wir nicht wissen, daß es unsere Erbschaft aus der über- sinnlichen Welt ist.
So rankt sich allmählich der Geisteswissenschafter dazu auf, in dem Denken die Erbschaft zu sehen des Lebens, das er verbracht hat zwischen dem letzten Tode und dieser Geburt. Was ist da eigentlich ab- gestreift worden seit dem letzten Leben? Abgestreift worden ist ganz und gar die begierdemäßige Beziehung zur Umwelt, denn indem wir mit unserem Erkennen denkend die Welt auffassen, sind wir ja ohne Begierde. Das ist das Eigentümliche des Erkennens, daß eine Begierde dieses Erkennen nicht durchdringt. Daher muß der Mensch zum Erkennen erzogen werden. Er muß erst darauf hingeführt werden, das Erkennen zu gebrauchen. Denn im Grunde genommen begehrt er zunächst nach den Dingen nicht, die ihm durch das Erkennen werden. Aber Geisteswissenschaft zeigt uns da auf diesem Gebiete doch etwas anderes. Sie zeigt uns, indem wir das Erkennen, das denkende Erkennen
haben, daß wir ein ganz unnützes Glied haben für die sinnliche Welt, daß also dieses Denken in uns Menschen zu etwas anderem da sein muß als zum bloßen sinnlichen Leben, und daß wir dieses Denken mißbrauchen, wenn wir es unangewendet lassen, wenn wir es nicht anwenden, um einzudringen nicht bloß in das Sinnliche, sondern in das Übersinnliche. Wir haben das Denken als ein Geschenk, als eine Erbschaft des Ubersinnlichen und müssen erkennen, daß wir es auch zur Aneignung des Ubersinnlichen anwenden müssen.
Was ich Ihnen da gesagt habe, das kommt im Leben in der verschiedensten Weise zum Ausdruck. Wir können, wenn wir das Leben richtig anschauen, auf solche Dinge wie die eben ausgesprochenen kommen. Wie kommen wir denn eigentlich in dieses Leben herein? Indem gewissermaßen aus dunklen Tiefen unseres Inneren immer mehr und mehr die Fähigkeit des Denkens sich ablöst, indem wir immer mehr und mehr in uns die Kraft, denkend die Welt zu überschauen, entwickeln. Wie kommen wir da herein, und wie stellen wir uns immer mehr in diese Welt hinein? Fragen Sie sich einmal recht gründlich selbsterkennend, fragen Sie sich, was für ein Bewußtsein Sie verknüpfen, indem Sie immer denkender und denkender werden. Sie verknüpfen unmittelbar mit diesem Denkendwerden das Mitteilungsbedürfnis. Wenn Sie denken, können Sie gar nicht anders, als wollen, daß Ihre Gedanken auch anderen Menschen in die Seele gehen, daß Sie in die Lage kommen, Ihre Gedanken anderen Menschen mitzuteilen. Mit unserem Denken wächst in einer gewissen Weise dieses heran, die Gedanken anderen mitteilen zu wollen.
Man braucht sich nur einmal hypothetisch vorzustellen, was es hieße, seine Gedanken für sich allein haben zu müssen, niemanden zu finden, dem man die Gedanken mitteilen könnte! Aber das ist ganz gewiß für die meisten Menschen ein Bedürfnis, das für die Gedankenwelt allein dasteht. Bei anderen Besitztümern gilt es für die meisten Menschen nicht, und wenn man auch wirklich Menschen findet, die gerne von anderen Besitztümern geben, ebensogern vielleicht geben - das «ebensogern* ist wirklich zuviel gesagt -, von seinen Gedanken gibt jeder reichlich gern, von seinen anderen Besitztümern gibt er nicht immer so reichlich gern; das ist ja immerhin bekannt! Aber es gibt
Menschen, die wirklich gern geben. Aber dann muß man dieses Gern- geben auch ein wenig analysieren, und dann wird man sich klar darüber, daß dieses Gerngeben doch wieder zusammenhängt mit dem Denken. Der Gedanke: Was wird der andere über dich denken, welche Gemeinsamkeit wird sich herausbilden, wenn du ihm gibst -, das ist etwas, das sehr stark das Geben von anderen Gütern beeinflußt, so daß auch beim Schenken oder für einen anderen Arbeiten sehr stark das Mitteilungsbedürfnis mitlebt. Das Streben nach Gemeinsamkeit im Denken, das ist es, was da mitspielt.
Wenn man recht viel über eine Frage nachdenkt, über die sich eine Anzahl unserer Anthroposophen in der letzten Zeit gründlich unterrichten mußten, über die pädagogisch-didaktische Frage, die viel erörtert werden mußte bei der Begründung oder Fortführung der Waldorfschule, die ja bald das erste Jahr ihres Bestandes nun hinter sich haben wird, dann kommt man darauf, daß eigentlich derjenige zunächst den besten Lehrberuf hat, der das größte Mitteilungsbedürfnis hat. Wenn einer gern Lehrer ist, so rührt das davon her, daß das Mitteilungsbedürfnis, das Leben in gemeinsamem Denken mit den anderen in ihm besonders stark ausgebildet ist, besonders stark mitgebracht wird aus der Welt, aus der wir kommen, wenn wir durch die Geburt dieses sinnliche Dasein betreten. Und da es leichter ist, Kindern Gedanken mitzuteilen, bei Kindern Entgegenkommen zu finden als bei Erwachsenen, so ist der Lehrberuf derjenige, der gerade aus einem intensiven Ersehnen eines Erfolges bei dem Mitteilungsbedürfnis entspringt.
Aber wenn man das einmal erkennt, wenn man so, ich möchte sagen, die Seelenlehre des Lehrens erkennt, dann tut sich die andere Frage auf, die Frage, welche bei der Ausbildung einer Pädagogik für die Waldorfschule die größte Rolle gespielt hat. Es klingt den heutigen Menschen noch paradox, diese andere Seite des Lehrens der Pädagogik, und doch, bei der Ausbildung der Pädagogik der Waldorfschule hat diese andere Seite die größte Rolle gespielt, und das ist diese, daß~wir zu gleicher Zeit es zur Erkenntnis bringen, daß die Kinder, die hereinwachsen in die Welt, jedes für sich ein Rätsel ist und daß wir wirklich von den Kindern lernen können. Indem wir Lehrer sind, befriedigen wir nicht bloß unser Mitteilungsbedürfnis, sondern zu gleicher
Zeit unser Erkenntnisbedürfnis, indem wir uns sagen: Du bist älter geworden, aber diejenigen, die jetzt hereinkommen, die bringen dir aus späterer Zeit Nachricht aus der geistigen Welt her, die enthüllen dir dasjenige aus der geistigen Welt, was seit deiner eigenen Geburt in der geistigen Welt sich zugetragen hat, denn die sind länger drinnen- geblieben in der geistigen Welt. In den verschiedensten Gestalten wurde das gerade den Lehrern der Waldorfschule beigebracht, Botschaften aus der geistigen Welt in dem heranwachsenden Kinde entgegenzunehmen, wirklich daran zu denken in jedem Augenblicke, und namentlich zu empfinden: In dem Kind, das dir da übergeben wird, enthüllt sich dir dasjenige, was dir aus der geistigen Welt hereingeschickt wird.
Dadurch paart sich mit dem Geben ein Nehmen, dadurch wächst man praktisch hinein in das Zusammenleben mit der geistigen Welt. Die Pädagogik der Waldorfschule beruht schon auf solchem tatsächlichen Aufnehmen von Dingen der geistigen Welt. Nicht bloß, daß man theoretisch irgendeine Pädagogik auseinandersetzen will, die von den abstrakten Prinzipien der Anthroposophie ausgeht. Darauf kommt es nicht an, sondern um die Lehrpraxis handelt es sich, die bei der Behandlung der Kinder unmittelbar zum Ausdrucke kommt. Es ist etwas anderes, ob man voraussetzt, das Kind trägt dir Botschaft aus der geistigen Welt in diese Welt herein, du hast das Rätsel zu lösen, das dir da hereingebracht wird aus der geistigen Welt, als wenn man das Kind als eine beliebige plastische Substanz betrachtet, das man bloß auszubilden hat. Dieses Rätsel lösen, das führt zu dem, was als Lebenspraxis heraus folgt aus dem, was lebendig angeschaute und lebendig in sich aufgenommene anthroposophische Geisteswissenschaft ist. Und diese anthroposophische Geisteswissenschaft ist dazu da, daß sie nicht bloß Prinzipien vertritt, nicht bloß Theorien vertritt, sondern in die einzelnen Zweige des Lebens wirklich aufgenommen zu werden. Das ist es, um was es sich handelt.
Damit haben wir aber hingewiesen darauf, wie dieses Arbeiten im Erziehen, im Mitteilen seiner Gedanken - und schließlich ist es ein Mitteilen von Gedanken, ob ich jemandem etwas erzähle, oder ob ich einen Roman schreibe, oder, wenn wir den Gedanken im weiteren Umfange denken, ob ich ein anderes Kunstwerk produziere -, wie
dieses ganze Leben in Gedanken ein Zusammenleben mit der geistigen Welt ist, ein Hereintragen desjenigen, was wir vorgeburtlich erlebt haben, in diese Welt hier. Diese besondere Eigentümlichkeit dessen, was man geistiges Erleben nennt, was man geistige Zivilisation nennt, das muß schon einmal von Anthroposophen ins Auge gefaßt werden. Denn dadurch bekommt dieses Geistesleben sein besonderes Gepräge, daß wir uns, indem wir in diesem Geistesleben stehen, bewußt werden: Wir hängen dadurch zusammen mit alledem, was vor unserer Geburt liegt, was noch nach unserer Geburt liegt, indem die Kinder es uns aus den übersinnlichen Welten hereintragen. - Dadurch bekommt aber dieses geistige Leben sein besonderes Gepräge. Es ist da einmal das, was sein sollte, daß der Anthroposoph die Welt viel realer ansieht als der andere Mensch heute, daß der Anthroposoph lernt, auf diese Feinheiten des Lebens hinzuschauen. Also er soll erkennen, wie das äußere Zivilisationsleben in dem Betrieb des Geistigen zusammenhängt mit dem Vorgeburtlichen, und wie eigentlich da in dem Geistigen sich etwas entfaltet, was reicher ist als der einzelne Mensch, was über den einzelnen Menschen hinübergreift. Nicht wahr, wenn wir darauf angewiesen sind, unsere Gedanken anderen mitzuteilen, also sie auch in den Herzen, in den Empfindungen anderer zu finden, so weist uns eben das Geistesleben auf eine Gemeinsamkeit hin, auf etwas hin, was wir nur mit anderen Menschen zusammen erleben können. Es stattet uns das Geistesleben mit etwas aus, was wir gar nicht allein haben wollen.
Wir wissen gewissermaßen mehr - wenn ich mich jetzt paradox ausdrücken soll -, als wir für uns behalten dürfen, und es kreuzen sich in dieser Beziehung unsere Bedürfnisse. Wer einem anderen etwas mitteilt, dem soll wiederum von einem anderen etwas mitgeteilt werden. Anders geht es ja gar nicht. Also wir überschütten uns mit dem geistigen Leben, wir schütten die Güter gegenseitig aus. Das ist wiederum eine Eigentümlichkeit dieses geistigen Lebens. Wir haben zuviel. Wir bringen eben zuviel für diese Sinnlichkeit mit, weil dieses Geistesleben, das wir als denkendes Wesen mitbringen, zugleich für das Übersinnliche bestimmt ist. Weil darinnen das Übersinnliche sich auslebt, so überschwemmt es gleichsam flutartig diese physische Welt.
Ganz anders ist es, wenn wir den Blick auf das wirtschaftliche Leben richten. Da ist es nicht so, daß wir so leicht die Gedanken dem anderen mitteilen. Erstens wollen wir das oftmals nicht. Wenn wir Gedanken des wirtschaftlichen Lebens anderen so leicht mitteilen wollten wie die Gedanken des reinen lehrhaften Lebens, so würde niemand sich irgend etwas patentieren lassen, es würde niemand ein Geschäftsgeheimnis bewahren. Da ist das Mitteilungsbedürfnis gar nicht so groß wie auf dem Gebiete der geistigen Kultur. Und Sie brauchen sich nur auszumalen, wie es im wirtschaftlichen Leben steht, dann werden Sie sogleich sehen, daß da gar nicht eine solche Gedankenflut von einem zum anderen geht, sondern daß sich da die Dinge ganz anders verhalten.
Ich konnte in der letzten Zeit öfters auf ein Beispiel hinweisen, durch das man, was ich eigentlich meine, sehr gut sehen kann. Es begann so in der Mitte des 19. Jahrhunderts unter den Leuten, die über solche Fragen etwas zu sagen haben, der Drang, über den freien Welthandel sich auszusprechen und den Freihandel, also keine Zollschranken, zum allgemeinen Verkehr, zu der allgemeinen Verkehrsart der Menschen auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens über die Erde hin zu machen. Gleichzeitig mit diesem Denken über den Freihandel kam eine andere Tendenz: an die Stelle des Bimetallismus, der Gold- und Silberwährung, die Goldwährung einzuführen. Dieses Bestreben nach der einheitlichen Goldwährung ging ja namentlich von England aus; aber es ergriff auch andere Länder, wie Sie wissen. Und Sie können in einer bestimmten Zeit des 19. Jahrhunderts in den Parlamentsberichten, oder sonst, wo über solche Dinge diskutiert wurde, überall sehen, wie die Leute, wie sie meinen, großartig praktisch, sich aussprachen über die Wirkung der Goldwährung. Sie sagten: Der Freihandel wird sich unter der Wirkung der Goldwährung entwickeln, die Goldwährung bringt den Freihandel von selber! - Und nachdem bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts hinein von den angesehensten Parlamentariern und Praktikern diese Theorie verfochten worden ist - was ist wirklich eingetreten? Überall sind unter dem Einfluß der Goldwährung die Zollschranken aufgerichtet worden! Das genaue Gegenteil von dem, was die größten Theoretiker und Praktiker vorausgesagt hatten!
Das ist ein sehr interessantes Beispiel für das Denken auf wirtschaftlichem Gebiete. Wer heute überhaupt in das Wirtschaftliche hineinschaut - die Leute, die Praktiker bemerken das nicht -, der merkt, daß es auf allen Gebieten so zugeht. Von demjenigen, was die Leute voraussagen, tritt in der Regel im geschäftlichen Verkehr das Gegenteil ein. Man braucht nur einmal die konkreten Fälle zu studieren, braucht nur nicht zu berücksichtigen das, was man als sogenannter Lebenspraktiker, der auf alles Idealistische hocherhaben herunter- schaut, deklamieren will, sondern wirklich auf das, was vorgeht, hin- schauen, dann findet man schon, daß das so ist.
Ich will also sagen - so werden Sie voraussetzen -, daß das alles Dummköpfe waren, die in den Parlamenten und in den Debatten vorausgesagt haben, von der Goldwährung werde kommen der Freihandel, während in Wirklichkeit die Aufrichtung der Zollschranken gekommen ist. Nein, das will ich gar nicht sagen. Ich will gar nicht sagen, daß das Dummköpfe waren. Sie waren sehr, sehr gescheite Leute - zum Teil selbstverständlich; es waren unter ihnen außerordentlich gescheite Leute. Und wer durchgeht dasjenige, was sie an Gründen vorgebracht haben, und eben nicht tiefer hineinschaut in das ganze Gewebe menschlichen Zusammenlebens, der kann nicht anders, als zunächst oftmals staunen ob der Gescheitheit, von der solche Leute beherrscht waren bei dem Deklamieren einer ganz falschen Prophetie.
Woher kommt das? Eben davon, daß wir in der neueren Zeit hereingewachsen sind in den Individualismus des Denkens, daß jeder für sich selber in solchen Dingen denken wollte. Geradeso nun, wie wir, was wir als das eigentlich geistige Denken mitbringen, für alle anderen haben, wie wir da die anderen überschütten können, so haben wir dasjenige Denken, das wir erst herauslösen sollen aus dem Leben, keineswegs so zum Ausschütten. Das können wir uns im Leben nur so aneignen, daß wir es sehr partiell haben, daß wir es immer zur Karikatur verzerren, wenn wir es allgemein anwenden wollen. Unser Urteil, mit dem wir geboren werden, das haben wir nicht nur so, daß wir über die Welt urteilen können, sondern das haben wir so, daß es auch noch ausreicht, dem anderen etwas abzugeben, daß er auch nach unserem Urteil urteilen kann. Unser wirtschaftliches Urteil und dasjenige,
was dem wirtschaftlichen Urteil ähnlich ist, das ist kürzer geschürzt. Das reicht nicht aus, um es dem anderen mitzuteilen, sondern um das wirksam zu machen, ist es nötig, daß sich Assoziationen bilden, daß sich Gruppen von Menschen zusammentun mit den gleichen Interessen, Konsumenteninteressen oder Interessen einer bestimmten Betriebsart und so weiter; denn da können nur Menschengruppen zusammen die lebendige Erfahrung desjenigen bewirken, was der andere ihnen beisteuern kann, was er also wissen kann und was der andere ihm glauben muß, auf Vertrauen hin glauben muß, wenn er mit ihm in der Assoziation zusammen ist.
Da entsteht wiederum eine große Frage für den, der nun, ich möchte sagen, mit hellem Seelenauge die Welt betrachtet. Er sagt sich: Wir bringen eine gewisse Summe von Urteilen mit, die wir überschütten, die wir ausschütten können an andere Menschen. Die verbinden uns mit dem Leben vor der Geburt. Dann aber eignen wir uns brauchbare Urteile auf dem Gebiete des äußeren, namentlich wirtschaftlichen Lebens nur an, wenn wir uns mit anderen bleibend zusammentun, wenn wir Assoziationen mit ihnen bilden, wenn wir zusammen mit ihnen urteilen, wenn wir gewissermaßen unser Urteil und ihre Urteile zusammenstückeln. Wir können ihnen nichts mitteilen, sondern wir müssen, damit überhaupt unser Urteil bestehen kann, unser Urteil mit ihrem zusammenstückeln. Woher kommt denn das? Das ist die große - Frage. Das kommt davon, daß wir als Menschen wirklich mindestens ein Doppelwesen sind. Wir sind eigentlich ein dreifaches Wesen, aber darauf will ich heute nicht Rücksicht nehmen, Sie können das Genauere darüber in meinem Buche nachlesen; aber ich will zunächst auf das Doppelwesen Rücksicht nehmen, indem ich das zweite und dritte mehr zusammenfasse. - Was wir aus der geistigen Welt her- aus bringen in diese Welt herein, was wir über den Menschen ausschütten können, das formt an uns das Haupt, den Kopf, der nun wirklich mehr ist als ein bloßer Ausdruck, ein bloßes Werkzeug, der wirklich ist ein Abbild desjenigen, was wir vor der Geburt waren, der unser Seelisches ja auch physiognomisch ausdrückt, also mehr tut als der übrige Organismus, der nun wahrhaftig nicht gerade unser Seelisches, wenn wir uns nicht bewegen, also unmittelbar unser Seelisches in Regsamkeit
vergegenwärtigt, der wahrhaftig nicht unser Seelisches unmittelbar ausdrückt, wie das Gesicht, der Kopf unser Seelisches ausdrückt.
Wir sind auf der einen Seite also wirklich Hauptesmenschen, tragen durch den Kopf das äußere Abbild desjenigen in die Welt hinein, was uns vor der Geburt geworden ist. Und dem gliedert sich an der übrige menschliche Organismus. Dieser ist es nun, der nur mit Hilfe des Hauptes über so etwas urteilen muß wie das wirtschaftliche Leben. Mit dem Kopf urteilen wir gar nicht über das wirtschaftliche Leben, denn der Kopf interessiert sich nämlich nicht sehr für das wirtschaftliche Leben. Er will allerdings auch nebenbei ernährt sein, aber diesen Anspruch stellt er nur an den eigenen Organismus, nicht an die Außenwelt. Der Kopf selber entspricht mit seinen Ernährungsbedürfnissen nur dem übrigen Organismus. Er ist ja tatsächlich auch auf diesen übrigen Organismus so aufgesetzt, daß er gewissermaßen wirklich von diesem übrigen Organismus sich tragen läßt. Wie der Mensch in einer Droschke, so sitzt unser Haupt auf dem übrigen Organismus darauf und macht die Bewegungen nicht mit. So wenig, wie wir in der Droschke, wenn wir drinnen fahren, uns anzustrengen brauchen, mit den Armen und Beinen etwa an der Vorwärtsbewegung der Droschke zu arbeiten, ebensowenig macht unser Haupt die Bewegung der Beine und Füße mit. Unser Haupt ist etwas, was ruht auf dem übrigen Organismus. Es ist eine Organisation ganz anderer Art als der übrige Organismus, und es urteilt so, daß es die Kraft dieses Urteils sich durch die Geburt mitbringt in das physische Dasein. Der übrige Organismus wird aus dieser Welt heraus aufgebaut. Das kann man auch mit Hilfe der Embryologie nachweisen, wenn man nur wirklich Embryologie treibt, nicht die Karikatur von Embryologie, wie sie die heutige Wissenschaft treibt. Die Art und Weise, wie die Embryologie entwickelt ist, beweist das unmittelbar, was ich hier ausspreche. Dieser übrige Organismus, er ist dasjenige, was nun mit der ganzen übrigen Welt, auch mit der sozialen Welt, in einen Verkehr tritt, was angewiesen ist auf die Gliederungen, in die wir in der äußeren Welt eingehen.
Wir können sagen, der Mensch setzt der Welt zwei ganz verschiedene Organisationen entgegen. Dem geistigen Leben setzt er sein Haupt
entgegen, dem wirtschaftlichen Leben seinen übrigen Organismus. Der übrige Organismus zeigt aber schon seine Abhängigkeit von der menschlichen Außenwelt durch seine rein natürliche Beschaffenheit. Denken Sie sich: in bezug auf den übrigen Organismus ist das Menschengeschlecht in Männer und Frauen gespalten, und daß die Welt als Menschengeschlecht Bestand hat, rührt von dem Zusammenwirken von Männern und Frauen her. Also hier haben Sie schon das Urbild des sozialen Zusammenwirkens. Dasjenige, was die Hauptesorganisation ist, das ist nicht irgendwie angewiesen darauf, mit anderem in der Weise zusammenzuwirken, daß die Betätigungen aneinandergefügt werden, sondern da geben wir dasjenige, was das Haupt produziert, an die anderen Menschen ab, überschütten gleichsam die anderen Menschen. Dieses Ausgestalten von Assoziationen, dieses Zusammenleben mit anderen Menschen in Assoziationen, das ist nur, ich möchte sagen, eine weitere Ausgestaltung des Zusammenlebens, in das der Mensch eintritt durch seine übrige Organisation, abgesehen vom Haupte. Da tritt etwas ganz anderes in der Welt auf, als auftritt durch unsere Hauptesorganisation. Da kommt das in Betracht, wovon wir sagen müssen: Wir bekommen es im eminenten Sinne erst, indem wir uns hier in diese physische Welt eingliedern. - Zunächst wird dieser andere Teil der menschlichen Organisation eigentlich nur so geboren, daß er in seiner astralen Art vorhanden ist: Begehren ohne Weisheit. Während das Haupt nicht Begierde entwickelt, erst heranerzogen werden muß, die Welt erkennend zu begehren, entwickelt der Mensch durch seinen übrigen Organismus die Begierde, die aber nicht von Weisheit durchzogen ist, die ihre Weisheit sich erst im Zusammenleben mit dem Haupte suchen muß.
Auf der einen Seite haben Sie die geistige Welt mit ganz anderen Eigenschaften als die Welt, die wir auf der anderen Seite haben, die Welt des wirtschaftlichen Lebens: Die Welt der Geistigkeit habe ich Ihnen charakterisiert> indem ich Ihnen gezeigt habe, wie sie hereingetragen wird aus unserem vorgeburtlichen Leben; die Welt des wirtschaftlichen Lebens wird ausgebildet, kann aber von den einzelnen Menschen nicht vollkommen ausgebildet werden, sondern nur im Zusammenleben mit anderen Menschen, in Assoziation, die eigentlich
hauptsächlich sich auf die Begierde erstreckt, bei der die Weisheit gar nicht in einem Menschen das Begehrte umfaßt. Diese völlig andere Welt, wir wollen sie im dreigliedrigen Organismus eben wirklich in der richtigen Weise mit der anderen Welt in Beziehung bringen. Aber wir können hinschauen auf diese beiden Welten, und etwas wird sich uns klarmachen, was wir heute im Beginn unserer Betrachtungen angeführt haben. Zu der Begierde spricht dasjenige, was im wirtschaftlichen Leben, im äußeren Leben überhaupt vorhanden ist. An das wenden sich aber auch die traditionellen Bekenntnisse; sie wenden sich an die Begierde. Sie wenJen sich also an dasjenige, was dem Egoismus der Menschen unterliegt. Sie stacheln den Egoismus auf, um die Menschen empfänglich zu machen für die Unsterblichkeitsidee. Unsere Geistes- wissenschaft will etwas anderes. Sie will nicht den Egoismus der Menschen aufstacheln, um zur Unsterblichkeitsidee zu kommen, sondern sie will dasjenige, was der Mensch durch die Geburt hereinträgt aus seinem Ungeburtlichen, das will sie im Menschen ausbilden. Sie will zu dem sprechen, was im Menschen von der Begierde absteht, was nicht dem menschlichen Egoismus unterliegt. Sie will zu der menschlichen Erkenntnis sprechen, nicht zu dem menschlichen Begehren, von der unsterblichen oder ungeborenen Menschenseele. Sie will also zu dem Reinsten im Menschen sprechen, zu der lichtvollen Erkenntnis, und möchte, daß die Menschen auf diesem Wege durch die lichtvolle Erkenntnis sich aufschwingen zum Ergreifen des Ewigen in der Menschennatur. Dadurch wird aber in das Leben überhaupt ein neues Element hereingebracht. Dadurch erscheint uns dieses Erdenleben als eine Fortsetzung des vorgeburtlichen Lebens. Dann aber wird das Erden- leben von einem Elemente der Verantwortlichkeit durchzogen, das es sonst nicht hat. Man wird dann aufmerksam darauf, daß man aus höheren Welten in dieses Erdenleben hereingeschickt wird, und daß man in diesem Erdenleben eine Mission zu erfüllen hat.
Man kann es auch anders aussprechen: daß auf dieses unser menschliches Erdenleben andere Wesen rechnen, und diese Wesen sprechen wir eigentlich an als unsere Götter, als die über uns stehenden geistigen Wesen. Sie leben mit uns zusammen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Da sind wir gewissermaßen mit ihnen in lebendigem Verkehre.
Dann tritt für jeden Menschen der Augenblick ein, wo gewissermaßen diese geistigen Wesen, diese göttlichen Weltenwesen sich sagen: Hier in dieser Welt des Geistes können wir es mit dem Menschen nur bis zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit bringen; wir können ihn jetzt nicht mehr herinnen lassen in unserer Welt. Wir würden dasjenige durch den Menschen nicht erreichen, was durch den Menschen erreicht werden soll, wenn wir den Menschen in dieser Welt herinnen ließen. Wir müssen ihn hinausschicken. Da wird er uns, den Göttern, auch das erobern, was er uns hier herinnen nicht erobern kann, was wir Götter uns nicht erobern können, wenn wir die Menschen nicht hinausschicken in die andere Welt herein. - Also von den Göttern sind wir hier herausgeschickt, damit wir innerhalb des Erdenleibes das- jenige ausbilden, was in der geistigen Welt nicht ausgebildet werden könnte.
So erscheint die Unsterblichkeit nach dem Tode, die gewiß nur allzu berechtigt ist - wir wissen das und wir schildern sie ja auch -, sie erscheint wie etwas, was der Mensch genießen will. Wenigstens den Gedanken davon möchte er sein Leben hindurch genießen. Die Ungeburtlichkeit hängt zusammen mit einer gewissen Lebensverantwortlichkeit und Lebensverpflichtung, mit einer Mission dahingehend, daß wir dieses Leben versuchen sollen so aufzufassen, daß wir den Göttern wirklich beim Tode zurückbringen dasjenige, was sie von uns erwarten. Unser Leben bekommt durch Geisteswissenschaft dadurch einen Inhalt. Eine Bedeutung erhält unser Leben mit für die geistige Welt. Wir leben nicht umsonst auf dieser Erde. Wir erleben nicht nur für uns, sondern auch für die Götter dasjenige auf der Erde, was erlebt werden muß, damit es auch die Götter haben. Das Leben bekommt eben dadurch einen Sinn, und ohne einen solchen Sinn kann ja nicht gelebt werden.
Man kann gewiß sagen, wenn man sich die wissenschaftliche Fragestellung der Gegenwart angewöhnt hat, es sei gar nicht nötig, nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Man lebt halt und fragt nicht nach dem Sinn des Lebens. Aber gewiß, man brauchte nicht nach dem Sinn des Lebens zu fragen, wenn man die Sache so einfach legt, daß man eben nur aus Willkür nach dem Sinn des Lebens fragt. Man fragt nach dem
Sinn des Lebens gar nicht aus Willkür, sondern wenn man merkt, oder merken müßte, daß man einen Sinn des Lebens nicht finden kann, dann wird das Leben sinnlos. Nicht nach dem Sinn des Lebens fragen heißt zugleich, den Unsinn des Lebens konstatieren. Das ist das Wichtige. Das ist ein Unterschied, ob man bloß aus der menschlichen Willkür heraus nach dem Sinn des Lebens fragt` oder ob man sich klar ist darüber, daß nicht nach dem Sinn des Lebens fragen hieße, das Leben als Unsinn konstatieren. Das aber heißt, den Geist als solchen leugnen, und wer nicht nach dem Sinn des Lebens fragt, der leugnet den Geist. Nur von diesem Gesichtspunkte aus fällt dann auch auf den wirklichen Sinn des Lebens ein entsprechendes Licht, und wir können uns dann sagen: Dieses Leben hat einen Sinn, weil das Übersinnliche dieses sinnliche Leben zu seiner Ergänzung braucht. Daraus aber werden Sie sehen, wie unendlich falsch die Welt gegenwärtig denkt` da sie aus der Erziehung der zivilisierten Menschheit heraus, die in den letzten drei bis vier Jahrhunderten stattgefunden hat, ein soziales Dasein begründen will, in dem die Menschen zwischen Geburt und Tod eigentlich alle restlos glücklich sein möchten, restlos alles erleben möchten, was nur erlebt werden kann.
Woher rührt denn das, daß man überhaupt die Frage nach dem Sinn des Lebens so stellt? Es rührt lediglich davon her, daß man den Sinn des sinnlichen Lebens im Übersinnlichen nicht mehr erfaßt` daß eben die letzten drei bis vier Jahrhunderte einen solchen Materialismus heraufgebracht haben, daß man den Sinn nur zwischen Geburt und Tod sucht, oder keinen Sinn des Lebens da findet, sondern ihn eigentlich nur aus der Begierde heraus entwickeln möchte. Das führt zur Aufstellung solcher sozialistischer Ideale, wie sie im Leninismus und im Trotzkismus zutage treten. Sie sind nur das Ergebnis der materialistischen Empfindungsweise und können auch nicht anders aus der Welt geschafft werden als dadurch, daß man zu einer geistigen Empfindungsweise zurückkehrt.
Immer wieder und wiederum muß auf die eigentümliche Tatsache hingewiesen werden - es kann gar nicht scharf genug darauf hingewiesen werden -, die sich dadurch ausspricht, daß man die Frage beantwortet: Was ist denn die eigentliche Staatsphilosophie der gegenwärtigen
russischen Sowjetregierung, des Bolschewismus? - Man muß, wenn man diese Frage beantworten will, nicht nach Rußland gehen, denn die Staatsphilosophie des Bolschewismus ist eine Philosophie, die wahrhaftig begründet worden ist von einem recht braven Bourgeois, von Avenarius, und von den Schülern des Mach, dem Schüler von Avenarius, der ja nicht in der Schweiz gelebt hat, aber viele der Schüler Machs haben in der Schweiz gelebt. Der eine ist der hauptsächlichste ist Friedrich Adler, der den osterreichischen Grafen Stürgkh erschossen hat; er hat in Zürich doziert. Damals waren sie - Adler nicht mehr, aber Mach und Avenarius -, ganz gewiß brave Bourgeois, die im äußeren Leben nicht angestoßen waren. Aber sie haben aus dem Materialismus heraus eine Philosophie entwickelt, eine ganz konsequente, scharf ausgebildete. Diese Philosophie leuchtet gerade solchen Leuten ein, die auf praktischem, politischem Gebiete so im Leninschen, im Trotzkischen Sinne denken. Es ist nicht bloß deshalb, weil viele Bolschewisten in der Schweiz studiert haben, daß die Avenariussche Philosophie, wie sie in den siebziger Jahren hier in der Schweiz, in Zürich gepflegt worden ist, jetzt Staatsphilosophie des Bolschewismus ist, sondern es ist so, daß für den, der die Dinge nicht nur nach ihrer abstrakten Logik sieht, sondern nach ihrem Wirklichkeitszusammenhang, daß für den aus dem Dozieren, das nach Art des Avenarius erfolgt, nach ein paar Jahrzehnten, wenn die zweitnächste Generation kommt, der Bolschewismus daraus wird. Aus den materialistischen Lehren auf den Kathedern entsteht in der zweitnächsten Generation der Bolschewismus. Das ist der tatsächliche Zusammenhang. Und derjenige, der den Materialismus weiterpflegen will in der Erkenntnis, der muß sich schon aus der Geisteswissenschaft heraus bewußt sein, daß er - nach zwei Generationen wird es ja viel schlimmer sein - etwas viel Schlimmeres heraufbeschwört als das, was jetzt da ist, denn in Rußland sind es [1920] etwa sechshunderttausend Menschen - mehr Leninisten sind nicht da -, welche die Millionen beherrschen. Die anderen müssen ihnen gegenwärtig viel stärker parieren, als jemals die Katholiken ihren Bischöfen pariert haben.
Diese Dinge entwickeln sich alle mit einer inneren Notwendigkeit, und der Materialismus, wie er gepflegt worden ist in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts, hängt innig zusammen mit dem, was jetzt als soziales Chaos auftritt. Die Heilung liegt nur in der Richtung, daß man im Denken, im Empfinden, in den Willensimpulsen zurück- kehrt zu einem Erfassen des Geistes, zu einem Sich-Durchdringen in der Empfindung mit dem Geiste, zu einem Wirkenlassen von Impulsen, die aus dem Geiste kommen, im Willen. Der Appell an das geistige Leben spricht sich in solchen Betrachtungen aus, und das ist die Kultursorge. Dieser Appell ist ein nur allzu berechtigter, denn auf der anderen Seite steht die Zurückweisung gerade des geistigen Lebens in den weitesten Kreisen.
Wenn wir oftmals die Entwickelung dieser unserer gegenwärtigen Kultur miteinander betrachtet haben, so mußten wir sagen: Der Materialismus geht in der Mitte des 15.Jahrhunderts allmählich auf, nimmt die Geister gefangen und erreicht in der Gegenwart seine Kulmination. Vorher waren andere Seelenempfindungen der Kultur zugrunde liegend, jener Kulturperiode, welche begann im 8. Jahrhundert vor der Entstehung des Christentums und etwa in der Mitte des 15. Jahrhunderts geendet hat und die wir die griechisch-lateinische Kulturperiode nennen. Dann gehen wir weiter zurück in die ägyptisch-chaldäische, in die urpersische, urindische Zeit, bis wir zur atlantischen Katastrophe kommen. Wenn wir uns diese Kulturströmungen vergegenwärtigen, können wir sagen, wir haben also eine urindische Kultur, eine urpersische, eine ägyptisch-chaldäische, eine griechisch-lateinische, dann die unsrige, die in der Mitte des 15.Jahrhunderts beginnt. Es ist nicht so, daß wir mit einem solchen schematischen Gleichsetzen der einzelnen aufeinanderfolgenden Kulturen auskommen, sondern wenn wir zurückblicken in die älteren Kulturen - es sind eigentlich nur von der dritten nachatlantischen Kultur an schriftliche Dokumente vorhanden, auf die früheren können wir nur mit Hilfe der Akasha-Chronik zurückblicken ~ so bekommen wir allmählich gerade dadurch, daß wir uns selber wiederum die geistige Welt erobern, die große Ehrfurcht vor den Urkulturen. Wenn heute die äußeren Gelehrten in der Archäologie, in der Anthropologie und so weiter die Urkunden über ältere Kulturen sammeln, so ist mit dem, was dadurch aufgebracht wird, wenig Verständnis verknüpft. Diese Urkunden werden in äußerlicher
Weise behandelt. Wenn man aber nach und nach sich selber durch die geisteswissenschaftlichen Methoden in die geistige Welt hineinarbeitet, kann man neuerdings wiederum etwas erkennen lernen von den Geheimnissen der geistigen Welt, und dann zurückblicken auf die früheren Kulturen. Dann erscheinen sie einem in anderem Lichte; dann sagt man sich: Zwar haben diese älteren Völker eine atavistische Art des Sehens gehabt, eine instinktivere Art des Sehens. Wir müssen uns durchringen, damit wir überhaupt an die geistige Welt herankommen, zu einem Bewußtsein von der geistigen Welt. Die alten Völker hatten nicht ein so deutliches Bewußtsein davon, aber ein mythisierendes SichHinaufleben. Aber dann, wenn man sieht, was der Niederschlag ist von diesem atavistischen, von diesem instinktiven Eindringen in die geistige Welt, der Niederschlag in den Veden, in der Vedantaphilosophie, in den persischen, selbst in den chinesischen Urkunden, dann bekommt man die große Ehrfurcht, auch wenn man noch nicht auf die Mysterienkultur eingeht, die große Ehrfurcht vor dem, was der Menschheit einmal als Urweisheit gegeben worden ist und was eigentlich immer mehr und mehr abgenommen hat. Je weiter wir zurückgehen, desto mehr erweisen sich die Menschheitskulturen durchtränkt von Geistigem, wenn es auch eine erahnte Geistigkeit war, eine instinktive Geistigkeit. Dann glimmt die Geistigkeit ab, versiegt nach und nach, und am meisten versiegt ist sie in unserem fünften nach- atlantischen Zeitalter, das mit der Mitte des 15. Jahrhunderts begonnen hat.
Nun denken Sie sich jemand, der nichts weiß von dieser Geistes- wissenschaft, der auch im Ernste nichts wissen will von dieser Geistes- wissenschaft, der tritt an die gegenwärtige Kultur des Abendlandes heran, schaut sie an, aber er schaut sie unbefangen an, ohne rhetorische Floskeln und phrasenhafte Deklamationen. Er schaut sie als ein Kenner an, aber er sieht nicht, daß dasjenige, was einmal da war, die Urweisheit der göttlich-geistigen Wesen war, die nach und nach versiegt ist, sondern er sieht nur dasjenige, was da jetzt ist. Er sieht sie an, so wie man gewohnt worden ist, die Dinge anzusehen; er sieht sie an in gewissem Sinne mit dem Blicke des Naturwissenschafters, sieht also auch die Kultur an mit dem Blicke des Naturwissenschafters. Da haben
Sie diese abendländische Zivilisation, aber etwas, was aufgegangen ist so, wie die früheren Zivilisationen, und weggeht wie die früheren Zivilisationen. Die Analogie fällt ihm auf mit dem Geborenwerden des äußeren physischen Menschen, mit dem Reifwerden des äußeren physischen Menschen, mit dem Absterben des äußeren physischen Menschen. Das wird der sagen, während wir sagen: Da war nicht nur früher einmal vorhanden diese Urkultur, sondern da war vorhanden eine Urweisheit, nur kam sie immer tiefer herunter, und jetzt in der letzten Kulturperiode ist sie mehr oder weniger versiegt. Aber wenn wir weiter- kommen wollen, so müssen wir an das Innere der Menschen appellieren. Dann muß hervorgeholt werden ein neuer Impuls der Geistigkeit, damit wieder angefacht werden kann dasjenige, was in unserer Kultur verschwunden ist: die geistige Weisheit des Menschen. Da muß ein neuer Impuls kommen, ein neuer Aufstieg. Aber der kann nur kommen, indem wir in unser eigenes Innere hinuntersteigen, indem wir den Geist wiederum da herholen. - Wer von alledem nichts weiß, wie betrachtet der die abendländische Kultur? Wer sich nicht diesen geisteswissenschaftlichen Blick angeeignet hat, sondern nur den naturwissenschaftlichen Blick, der wird glauben: Nun ja, wie ein organisches Wesen geboren wird, reift, alt wird, wieder vergeht, so vergehen, entstehen Kulturen nacheinander. - Er wird unsere abendländische Kultur sehen, wird sie vergleichen mit den anderen und wird ausrechnen können, wie lange sie noch dauert bis zu ihrem vollständigen Tode. Weil er aber nicht sieht, daß in dem Menschen selber wieder etwas entstehen müsse, was versiegt ist, so hat er keine Hoffnung. Er sieht keine Aufgangselemente in der Kultur; er redet nur vom Sterben.
Ein solcher Mensch ist heute nicht mehr Hypothese, denn er ist bereits in allerbedeutsamster Weise da in Oswald Spengler, der ein Buch geschrieben hat über den «Untergang des Abendlandes», der abendländischen Zivilisation. Da haben Sie einen Menschen, der, man kann sagen, zwölf bis fünfzehn gegenwärtige Wissenschaften vollständig beherrscht, der mit dem Blick des Naturforschers die gegenwärtige Zivilisation anschaut, und der nichts weiß von dem, daß einstmals eine Urweisheit da war und versiegt ist, daß jetzt aus dem Inneren des Menschen heraus der Quell des Aufstieges gesucht werden muß,
der daher nur den Niedergang sieht und für das 3. Jahrtausend mit einer großen Genialität voraussagt. Das Buch ist mit einer großen Genialität geschrieben. Man kann sagen, zu dem, was wir erleben, daß wir überall den Niedergang sehen, ist nun auch noch der Gelehrte aufgetreten, der beweist, daß dieser Niedergang kommen muß, daß diese abendländische Kultur trostlos sterben muß. Den bitteren Eindruck von dem habe ich mitgebracht, als ich wieder herüberkam aus Deutschland, denn dort hat unter der Jugend dieses Buch Oswald Spenglers den allerbedeutsamsten Eindruck gemacht. Und diejenigen, die noch denken, die denken unter dem Eindruck des Beweises, der jetzt auch vorhanden ist, daß die Barbarei sich ausbreiten muß und da sein muß bis zum Beginn des dritten Jahrtausends innerhalb des Abendlandes und seines amerikanischen Anhanges; denn das ist bewiesen, mit denselben Mitteln streng bewiesen, mit denen die naturwissenschaftlichen Tatsachen streng bewiesen sind, von einem Menschen, der zwölf bis fünfzehn gegenwärtige Wissenschaften beherrscht.
Das weist schon hin auf den Ernst des Lebens, in dem wir gegenwärtig darinnenstehen, das weist aber auch darauf hin, daß man geradeso wie Spengler durchdrungen ist von dem Ernst des Lebens und nichts weiß und wissen will von dem, was einzig und allein die Rettung sein kann: Geisteswissenschaft, Geistesschau, daß man von gar nichts anderem reden kann, wenn man ehrlich und aufrichtig redet, als gerade von dem Niedergang unserer Zivilisation. Jedes Pochen auf irgendwelche unbestimmte Hoffnung - «es wird schon kommen» -, das macht es heute nicht aus; allein das Bauen auf den menschlichen Willen, das Appellieren an den menschlichen Willen, die Impulse der Geisteswissenschaft aufzunehmen. Die abendländische Kultur und die Entwickelung der Menschheit wird ein frühzeitiges Ende finden, wenn die Menschen sich nicht entschließen, sie zu retten. Es kommt heute auf die Menschen an, und der Beweis gilt, daß dasjenige, was von alters gekommen ist, wenn man sich darauf verlassen will, nur in den Niedergang hineinführt, daß ein Neues gefunden werden muß aus den Tiefen der Menschennatur heraus, wenn die Erde an ihr Ziel kommen soll. Alles bloße Glauben, daß schon Mächte da sein werden, die die Zivilisation weiterführen werden, das gilt heute nicht. Allein das gilt,
was die Menschen tun, indem sie die niedergehende Zivilisation aus sich heraus retten. Das muß immer wieder gesagt werden.
So ernst liegen heute die Dinge. Ich muß sagen, wenn man die Dinge heute ernst nimmt, dann muß man auf sie wohl hinschauen. Ich hatte in Stuttgart vor der Studentenschaft der Technischen Hochschule dort- selbst einen Vortrag über unsere Geisteswissenschaft zu halten, und ich weiß, mit welchen Gefühlen ich zu diesem Vortrag ging, durchaus durchdrungen von alledem, was einem als Empfindung sich auf die Seele legen kann aus der Wirkung des Spenglerschen Buches auf die heutige Jugend heraus. Aber das ist ja alles eben hinweisend auf eine Tatsache: die Initiationsweisheit, sie muß ihren Einzug halten in die äußere geistige Kultur. Ohne das kommen wir nicht vorwärts. Auf der anderen Seite liegen die Schwierigkeiten, die dem entgegenstehen. Man ist ja heute, indem man von den Dingen redet, die notwendig sind, nicht immer in der Lage, leicht die Worte zu finden. Ich sage wohl auch mit diesem Satze etwas Paradoxes. Wann hätte man leichter Worte gefunden als heute! Sie brauchen nur die landläufige feuilletonistische Literatur durchzusehen, dasjenige, was die meisten Menschen aus der Zeitung heute anführen. Wo man für das schriftstellerisch sorgt, da findet man wahrhaftig leicht die Worte, da hat man es nicht schwer, die Worte zu finden. Lassen Sie mich ein Beispiel anführen, wahrhaftig nicht aus irgendeiner Albernheit heraus, sondern um eben die Gegenwart zu charakterisieren.
Ich versuchte neulich in Stuttgart in einem öffentlichen Vortrage vor einer größeren Zuhörerschaft zu charakterisieren, wie die Zusammenhänge sind, die in den Leninismus, in den Trotzkismus hineinführen, und ich suchte, rang nach Worten, die ausdrücken, was da herrschte in den Gemütern, als der Übergang gesucht wurde zwischen dem alten bourgeoisen Leben und dem Leninismus, dem Trotzkismus. Ich versuchte, auf diese Instinkte hinzuweisen, auf die ich Sie heute in einer mehr geisteswissenschaftlichen Art hingewiesen habe. Und wahrhaftig, aus einem Ringen nach einem Ausdruck ergab sich mir eben der Ausdruck: Leninismus, Trotzkismus fließt aus «perversen» Instinkten heraus. Ich konnte einen anderen Ausdruck nicht finden. Nach dem Vortrage sprach mich gerade ein Arzt an, der offenbar kommunistisch
dachte, der tief verletzt war von diesem Ausdruck. Natürlich, der Arzt, der solche Ausdrücke mit einer ganz anderen Gewichtigkeit nimmt als die übrige Welt heute, die zu sehr an die Feuilletonliteratur und an die Belletristik gewöhnt ist, der Arzt` der empfindet das ganze Gewicht des Ausdruckes «perverse Instinkte» im politischen Leben. Der fühlte sich verletzt und sagte, wie man einen solchen Ausdruck gebrauchen könne. Er wisse, für welche pathologischen Abnormitäten man einen solchen Ausdruck anwende. Aber nach einiger Zeit hatte ich den Herrn doch so weit gebracht, daß er mir sagte: Also ich sehe, Sie meinten das, was Sie sagten, nicht belletristisch, nicht feuilletonistisch; dann ist die Sache was anderes. - Das ist nötig heute, um sich überhaupt erst zu verstehen, daß jemand empfinden lernt: Es gibt ein Ringen nach dem Ausdrucke, es gibt eine Notwendigkeit, erst nach dem Worte zu suchen, während das ganze öffentliche Leben die Worte leicht herbeifließen läßt` aber diese Worte sind dann eben so, daß es im Grunde genommen nach dem Gebrauch, den man heute von den Worten macht, wie eine Frivolität aussieht, wenn man in einem solchen Zusammenhange so starke Worte gebraucht wie «pervers».
Ich wollte Ihnen solch ein Beispiel sagen, damit Sie sehen, wie heute das allgemeine Denken leichtgeschürzt ist, und wie wir nötig haben, in den Ernst des Lebens hinunterzusteigen. Das kann man durchaus in den Einzelheiten des Lebens wahrnehmen. Wir brauchen heute durchaus Talent dafür, auf die Einseitigkeiten in den Traditionsbekenntnissen hinzuschauen, die nur von der Unsterblichkeit, aber nicht von der Ungeburtlichkeit sprechen, die daher nur zu den egoistischen Instinkten der Menschen sprechen und die es nicht vermögen, an die Selbst- losigkeit des Menschen zu appellieren, wenn von Ewigkeit die Rede ist. Das muß Geisteswissenschaft: von der Ewigkeit sprechen können, indem sie nicht bloß auf den egoistischen Instinkt, das Dasein über den Tod hinüberzutragen, reflektiert, sondern indem sie reflektiert auf die Fortsetzung, die das geistige und vorgeburtliche Leben hier in diesem Leben erfährt, wo uns eine Mission wird, wo wir diesem Leben einen Sinn geben müssen dadurch, daß wir uns bewußt werden, wir tragen etwas Geistiges in diese Welt herein.
Aber es wird uns nicht ein richtiges Durchschauen des Vorgeburtlichen,
wenn wir nicht das Vorgeburtliche und das Nachtodliche im rechten Sinne zu verbinden wissen. Und das tun wir ja lediglich in der Geisteswissenschaft. Denn wenn wir im rechten Sinne verstehen, wie wir das Leben zwischen dem letzten Tode und einer neuen Geburt verbringen, und wiederum zwischen diesem Tode und einer späteren Geburt, dann schließt sich uns Vorgeburtliches und Nachtodliches zusammen zu der Erkenntnis der wiederholten Erdenleben, dann wird diese Überzeugung von den wiederholten Erdenleben eine selbstverständliche Entwickelungswahrheit. Die wiederholten Erdenleben tragen eben das Geheimnis der Präexistenz in sich, jenes Geheimnis der Präexistenz, welches die Bekenntnisse gerade so gern ausmerzen möchten, wovon sie nicht reden möchten. Die Urweisheit der Menschen hat gesprochen von dieser Präexistenz. Verlorengegangen ist erst während des Mittelalters durch die Aufnahme des Aristotelismus diese Lehre von der Präexistenz. Aber wie ein mit dem Christentum zusammenhängendes Dogma betrachten heute die christlichen Bekenntnisse die Ablehnung des vorgeburtlichen Lebens. Diese Ablehnung hat mit dem Christentum nichts zu tun, sie hat nur mit der Philosophie des Aristoteles zu tun. Mit dem Christentum selbst ist jene Idee der Unsterblichkeit durchaus vereinbar, von der wir hier auf dem Gebiete der Geisteswissenschaft sprechen.
Nicht eher wird es besser in bezug auf die allgemeine Menschheitskultur, bis die Menschen auch im sozialen Leben zu Taten kommen, die beherrscht sind von dieser Idee der Präexistenz. Ehrlich ist man heute innerhalb der Gegenwartskultur nur, wenn man wie Oswald Spengler spricht von einem Niedergang des Abendlandes, insofern man nichts weiß von Geisteswissenschaft, oder nichts davon wissen will. Denn berechtigt von einem Aufstieg zu sprechen ist nur derjenige, der dem im menschlichen Willen wirksamen Geiste die Macht dieses Aufstieges und die Kraft dieses Aufstieges zuschreibt, der nun wirklich aus innerster Überzeugung sagt: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.» Dann aber muß man auch diesen Christus in die Unsterblichkeitsidee aufnehmen; dann muß man tatsächlich appellieren an die Wandelung der menschlichen Natur, an die Durchchristung der menschlichen Natur, nicht bloß an das heidnische Aufnehmen der Gottesidee
in das Bekenntnis, ohne daß der Mensch sich gewandelt hat. Mehr als man denkt, ist zusammenhängend mit dem Niedergang des Abendlandes, daß man es in weitesten Kreisen des evangelischen Bekenntnisses hingenommen hat, daß der Theologe Harnack sagen konnte: Nur der Vatergott gehört in das Evangelium Jesu, nicht der Christus, denn Jesus hat nur vom Vatergott gelehrt, und es ist erst später eingezogen in das Christentum, den Christus selber als ein göttliches Wesen anzuschauen. - Das ist heutige modernste Theologie: den Christus Jesus auszuschalten aus dem Christentum. Wir Geisteswissenschafter müssen ihn wieder einschalten. Wir müssen erkennen, wie er sich hineinstellt in die Menschheitsgeschichte, wir müssen die Kulturepochen mit dem Christus durchdringen. Dann werden sie nicht bloß dasjenige, was sie im Spenglerschen Geiste sind, sondern dann werden sie für unsere Zeit etwas, was uns lehrt: Wir brauchen eine Naissance, nicht bloß eine Renaissance, wir brauchen die Neugeburt des Geistes. Dieses Bewußtsein macht eigentlich den Anthroposophen, nicht die Aufnahme von einzelnen Lehren, sondern dieses Bewußtsein, daß wir berufen sind, in unserer Zeit nicht bloß in eine Neugeburt, sondern in eine Geburt eines geistigen Elementes einzutreten. Je mehr wir uns dessen bewußt werden, desto bessere Bekenner der anthroposophisch orientierten Weltanschauung werden wir. Aber um uns dessen bewußt zu werden, ist eben notwendig, daß man sich durch die Lektüre desjenigen, was geboten worden ist, und durch innere geistige Versenkung in dieses Gebotene und Geratene, daß man sich dadurch konkret ein- lebt in die anthroposophische Denkweise. Sich einleben in die anthroposophische Denkweise bedeutet zugleich alles andere, was aus dem sCho& unseres Bewußtseins auftreten soll. Die Dreigliederung ist nichts anderes als ein Zweig an dem Baume der Anthroposophie.
Das wollte ich heute, da wir wiederum zusammengeführt worden sind, durch diese Betrachtungen an Ihre Herzen heranbringen. Ich hoffe, daß wir durch solche Betrachtungen immer weiterkommen in dem Durchdrungensein mit dem Bewußtsein, das unseren eigentlichen Zusammenhang mit der Anthroposophie ausmacht.
DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 10. Juli 1920
Ich möchte Ihnen heute aus der ganzen Ideenfolge heraus, aus der die hier jetzt angestellten Betrachtungen gehalten werden, etwas mehr Spezielles vorbringen, um es dann morgen nach einem allgemeineren Gesichtspunkte hin zu erweitern. Sie haben ja entnommen aus den Betrachtungen, die wir hier schon seit längerer Zeit pflegen, daß es sich für die Auffrischung der niedergehenden Kultur des Abendlandes darum handelt, aus geisteswissenschaftlichen Grundlagen heraus eine wirkliche Menschenerkenntnis zu entwickeln. Diese Menschenerkenntnis ist ja durch lange Zeiten hindurch verhindert worden. In der Gestalt, wie sie für die zukünftige Entwickelung der Menschheit gebraucht werden wird, ist sie verhindert worden zunächst durch jene Art des Geisteslebens, welche heraufgekommen ist im 13., 14. mittelalterlichen Jahrhundert, dann wiederum durch die immer mehr nach dem Materialismus sich hinbewegende Geistesströmung der Zeit von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Wir haben auf der einen Seite sich entwickeln sehen eine abgezogene, weltfremde, religiös gefärbte Anschauungsart, welche das Geistige von der Welt abtrennte,es nicht herankommen ließ an den Menschen und daher den Menschen seinem Wesen nach unerklärt ließ. Man möchte sagen: In den letzten Jahrhunderten des vierten nachatlantischen Zeitraums, in den letzten Jahrhunderten der griechisch-lateinischen Entwickelung bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts gewöhnte sich die Menschheit immer mehr und mehr, zu einem ganz weltfremden Göttlich-Geistigen emporzuschauen, und verlor die Möglichkeit, das Menschliche hier selbst in seinem göttlichen Ursprunge kennenzulernen. Dann kam die Zeit, in der die Menschheit den Blick richtete auf das Untermenschliche, auf das, was Naturprinzipien sind, die aber nur alles dasjenige von der Welt erklärlich machten, was nicht Mensch ist, das Mineralische, das Pflanzliche, das Tierische, und auf diese Art wiederum den Menschen unerklärt ließ, so daß also gewissermaßen in einer älteren Zeit dastand ein Hinaufschauen nach einem fremden Geistigen, von der späteren Zeit
bis in unsere Tage hinein ein Hinschauen nach einem untermenschlichen Materiellen. Der Mensch fiel zwischendrinnen durch. Den Menschen wiederum geistig-seelisch voll ins Auge zu fassen, das ist einmal die Aufgabe unserer Zeit, und dazu haben wir ja versucht, in der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft immer mehr und mehr Elemente heranzutragen.
Ich möchte heute davon sprechen, wie der Mensch sich zunächst in der Welt zwischen zwei Extreme in seinem inneren Erleben hineingestellt findet. Wir wollen uns heute zunächst bei dem innerlichen Erleben des Menschen aufhalten. Auf der einen Seite erlebt der Mensch die Ideenwelt, allein er erlebt sie so, daß gerade, je mehr er sich in diese Ideenwelt hineinlebt, sie ihm um so abstrakter, um so kälter erscheint. Der Mensch fühlt, wenn er sich zu den Ideen erhebt, wie er innerlich nicht warm werden kann. Er fühlt aber noch etwas ganz anderes. Er fühlt, daß er in diesen Ideen, die ja dann auch zu Naturgesetzen, zu Weltgesetzen erweitert werden, etwas hat, was als Idee nicht eine Realität einschließt, was als Idee im Grunde genommen bloß Bild ist. Daher fühlt sich der Mensch der Ideenwelt gegenüber nicht so, daß er, sagen wir, seine eigene Existenz irgendwie erkennend einpflanzen möchte in diese Ideenwelt. Der Mensch mag noch so viel bedenken und noch so gern bedenken, er bewahrt nach und nach auch bei der vollkommenst ausgesponnenen Philosophie das Gefühl, daß sich Beweise für sein reales Dasein im Weltenall aus der Ideenwelt nicht holen lassen. Die Ideen haben etwas gleichsam Wurzelloses, so wie sie erlebt werden im gewöhnlichen Leben zwischen Geburt und Tod. Das ist das eine, gewissermaßen der eine Pol des äußeren Erlebens im gewöhnlichen Dasein: die abstrakten, die nüchternen, kalten Ideen, in denen man nicht verankern kann, auch nicht verankern möchte die Realität der eigentlichen menschlichen Wesenheit. Und schließlich ist die neuere Menschheit doch nicht warm geworden bei dem Satze des Cartesius: Ich denke, also bin ich - cogito, ergo sum -, weil, wenn noch so viel gedacht wird, der Mensch eben fühlt: Aus dem Denken läßt sich zunächst nicht herausholen irgendein Sein.
Der andere Pol des inneren Erlebens sind die Erinnerungsvorstellungen. Wer nun wirklich Seelenkunde, Psychologie treibt, nicht jene
Wortkunst, die man heute an den Universitäten oftmals als Psychologie betreibt, der weiß, daß diese Erinnerungsvorstellungen, die wir haben, substantiell genau dasselbe sind wie die Phantasievorstellungen, die wir uns gewissermaßen frei schaffend bilden, nur daß wir dieselbe Kraft, die wir in dem Weben der Phantasievorstellung anwenden, anders verwenden beim Erinnern. Indem wir uns erinnern, indem wir unser Gedächtnis pflegen> leben wir schließlich in demselben Elemente wie beim Phantasieschaffen, nur daß wir anknüpfen an dasjenige> was wir durch die Sinne oder überhaupt durch das Leben erfahren haben und so die Bei der Ideenwelt, die wir dann auch zu den Naturgesetzen ausspinnen, da haben wir das entschiedene Bewußtsein, unser Wille kann in der Gestaltung der Ideenwelt nicht eigentlich etwas durch sich selbst bewirken; er muß sich fügen der inneren Logik, dem Wirklichkeitsgewebe der Ideen. Wir können nicht, wenn wir Wirklichkeit umfassen wollen, durch unseren Willen eine Idee an die andere reihen, wir müssen uns der inneren Gesetzmäßigkeit dieser nur bildhaften, kein Sein zunächst tragenden Ideenwelt anpassen. Wir erkennen beim anderen Pol, bei den Phantasmen, die auch in der Erinnerung, im Gedächtnis leben, sehr gut: Darinnen waltet unser Wille - und da ist unser Wille auch ganz gut angebracht, und wir merken in zweifacher Beziehung, daß diese Phantasmen, insofern sie erinnerungsgestaltend sind, sehr wohl etwas zu tun haben mit unserem Ich, mit unserer Persönlichkeit, mit dem, was unsere Realität ist. Wir mögen noch so zetern gegen die bloße Phantasie oder Phantastik; indem wir erfühlen, daß unser Ich dadrinnen wirkt nach seiner Willkür, fühlen wir doch zugleich, daß in diesen Phantasmen eben unser Ich, unsere Persönlichkeit enthalten ist. Das ist das eine.
Das andere ist: In dem Augenblicke, wo durch irgendeine Erkrankung unsere Erinnerungskontinuität gestört ist, wo irgendwo der Faden unserer Erinnerung abreißt, so daß wir uns eines Stückes unseres Lebens nicht erinnern können, in diesem Augenblicke ist auch die wirkliche Gediegenheit unseres inneren Ich-Erlebens gestört. Also
es hängt unser Ich-Erleben auf der einen Seite zunächst nicht zusammen mit unserer Ideenwelt. Auf der anderen Seite fühlen wir, daß dieses Ich-Erleben drinnen ist in dem, was wir unsere PhantasmenweIt nennen, trotzdem wir wiederum nicht bauen können auf diese Phantasmenwelt und in gewisser Weise nicht das wesenhafte Ich in dieser Phantasmenwelt suchen dürfen, trotzdem wir wissen, daß es dadrinnen tätig ist, ja, daß es gar nicht in der richtigen Weise in unserem Bewußtsein leben kann, wenn nicht diese Erinnerung in Kontakt damit ist.
In dem, was ich Ihnen jetzt mehr oder weniger abstrakt auseinandergesetzt habe, bergen sich die tiefsten Lebensrätsel, und wir kommen an diese Lebensrätsel heran, indem wir verschiedenes von dem heute zusammennehmen, was zerstreut ist in unseren anthroposophischen Betrachtungen. Die Ideenwelt, abstrakt erscheint sie uns, bildhaft erscheint sie uns! Wo gebrauchen wir sie denn zunächst? Wir gebrauchen sie, wenn wir dasjenige, was von der Außenwelt auf unsere Sinne wirkt - Farben, Töne, Wärme und Kälte -, wenn wir das denkend durchdringen. Wir durchdringen unsere Wahrnehmungen denkend. Sie finden ja das Genauere ausgeführt in meinen Büchern «Wahrheit und Wissenschaft» und in der «Philosophie der Freiheit». Wenn wir die Wahrnehmungen denkend durchdringen, dann gebrauchen wir diese Ideenwelt, um sie gewissermaßen hineinzuprägen in unser geistig-Seelisches Erleben, in dasjenige, was wir als Wahrnehmungswelt haben. Aber man muß doch etwas genauer auf das hinsehen, was da eigentlich geschieht. Und das kann man, wenn man durch die geisteswissenschaftlichen Methoden seine eigenen Seelenfähigkeiten zurechtlenkt, so wie das in meinen Büchern verschiedentlich beschrieben ist. Man kann nämlich die Frage aufwerfen: Wie wäre es denn mit den sinnlichen Wahrnehmungen, wenn sie nur von außen auf uns eindringen würden, wenn also nur dasjenige, was gewissermaßen aus dem Licht als Farbe in unser Auge dringt, was als Ton an unser Ohr dringt, was als Wärme in unseren Wärmesinn dringt und so weiter, wenn das nur auf uns cinstürmte, was wäre denn dann mit uns?
Machen wir uns klar: Wir lassen im wachenden Zustande niemals diese Welt nur in uns einströmen. Wenn wir auch ein nur wenig aktives
Denken in Ideen entwickeln, so bringen wir doch gewissermaßen aus dem Inneren heraus diesen auf uns einstürmenden Tönen, Farben, Gerüchen, Geschmäcken, überhaupt allen Sinnesqualitäten, den aus unserem Inneren aufsteigenden Gegenstoß der Ideenwelt entgegen. Und wer nun wiederum nicht nach der abstrakten Wortpsychologie der Gegenwart denkt, sondern wer wirklich beobachten gelernt hat, der kann sich fragen: Wie begegnen sich in unseren Sinnesorganen die von außen einstürmenden Wahrnehmungsinhalte und der Gegenstoß von innen, die Ideenwelt? - Sehen Sie, wenn wir bloß hingegeben wären an die Welt der Wahrnehmungen, dann lebten wir eigentlich als Menschen in unserem ätherischen Leibe und mit dem ätherischen Leibe in einer ätherischen Welt. Sie brauchen sich nur vorzustellen, wie Sie, hingegeben durch die Augen an die FarbenweIt, in einer wogenden, ätherisch wogenden FarbenweIt leben würden, wie Sie, hingegeben durch Ihre Ohren an die tönende Welt, in einem wogenden Tonmeer leben würden, das allerdings nicht ätherisch zunächst ist, aber es würde ätherisch sein, wenn Sie nicht den Gegenstoß durch die Ideen liefern würden. Nämlich so, wie die Töne zunächst für uns Menschen sind, so sind sie das Atherische. Wir schwimmen im Luftmeere und dadurch im verdichteten Atherischen. Es ist also Atherisches, das nur bis zur Luft materiell verdichtet ist; die Töne sind nur der luftförmig-materielle Ausdruck wiederum vom Atherischen. Und so ist es mit den Wärmequalitäten, mit den Geschmacks-, mit den Geruchsqualitäten, mit allen Sinnesqualitäten. Denken Sie sich also weg den Gegenstoß der Ideenwelt von innen, denken Sie sich, Sie lebten in einem ätherischen Meere als ätherische Wesenheit, Sie würden niemals zu jener menschlichen Konsistenz kommen, mit der Sie eigentlich zwischen Geburt und Tod in der Welt dastehen. Wodurch nur können Sie zu dieser Konsistenz kommen? Dadurch, daß Sie darauf hinorganisiert sind, dieses Atherische abzutöten, abzulähmen. Und wodurch lähmen wir es ab? Wodurch töten wir es ab? Durch den Gegenstoß der Ideen! Es ist wirklich so: Es käme gewissermaßen von außen her - wenn ich schematisch zeichnen soll - die Welt des Wahrnehmungsinhaltes in lebendiger Atherität (rot), und wir würden als ätherische Wesen schwimmen in lebendiger Atherität, wenn wir nicht hineinsenden würden
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von innen den Gegenstoß der Ideenwelt (blau), die so, wie sie zwischen Geburt und Tod Ideenwelt ist, das Atherische ertötet und uns die Welt als physische Welt erscheinen läßt. Wir hätten eine ätherische Welt um uns, wenn wir nicht durch die Ideenwelt ertöteten dieses Atherische, es herunterbrächten zur physischen Gestaltlichkeit. Die Ideenwelt, so wie wir sie als Mensch haben, sie verbindet sich in unseren Gesamtorganen mit den Sinnesqualitäten, lähmt diese Sinnesqualitäten ab und bringt sie herunter bis zu dem, was wir eben als physische Welt erleben.
Das ist der Tatbestand. Sie können aus dem kleinen Schriftchen von Dr. Stein, aus seiner Dissertation, ersehen, wie nahe er da gekommen ist, durch eine geistvolle Interpretation dessen, was sich auf anthroposophischem Felde gewinnen läßt, diesem Charakter der Wahrnehmungswelt. Es ist tatsächlich in der gegenwärtigen physiologischen Literatur nichts so Gutes über die Sinnesphysiologie vorhanden wie dieses Büchelchen von Dr. Stein.
Also wir haben auf der einen Seite diesen Tatbestand, daß wir durch die Ideenwelt herabdämpfen das ätherische Gewoge der Sinnesqualitäten. Womit hängt das nun im weiteren zusammen? Es hängt im weiteren damit zusammen, daß unsere Ideenwelt- die wir als Mensch zwischen Geburt und Tod erleben als von innen aufsteigend, nicht in ihrer wahren Gestalt erscheint. Das können die Menschen nicht durchschauen,
daß sie an den Ideen so, wie man sie erlebt als Mensch im physischen Leibe,nicht die wahre Gestalt dieser Ideen haben. Die Menschen sind noch so grob organisiert in der gegenwärtigen Zivilisation, daß sie gar nicht darauf kommen, sich zum Beispiel einmal zu sagen: Du fährst aus dem Schlafe auf, du hast einen ganzen Traum erlebt, der dir symbolisch ausgedrückt hat,was draußen auf der Straße «Feurio!» schreit. - Man erlebt symbolisch etwas, was draußen ganz anders ist. Was wir in den Ideen haben, ist eben sehr verschieden von dieser Ausbildung eines äußeren Ereignisses in der Traumphantasie; aber in der Ideenwelt haben wir dennoch auch etwas,was nichts anderes ist als das Hereinscheinen einer ganz anderen Welt. Und welche Welt ist es? Davon haben wir oftmals gesprochen. Es ist die Welt, die der Mensch durchgemacht hat vor der Geburt, oder sagen wir vor der Empfängnis. Das ist dasjenige> was hier im Leben abgeschattet ist bis zur abstrakten Ideenwelt, konkret erlebt. Zwischen dem Tod und einer neuen Geburt leben wir in der Realität dessen,was hier in der Ideenwelt nur in diesen Schattenbildern der Begriffe, der Vorstellungen, der Ideen vorhanden ist. So wie die äußere Welt in den Traum hereinscheint, so scheint die vorgeburtliche Welt herein in unsere Welt zwischen Geburt und Tod, indem sie nachwirkt in der Bildung von Ideen. Aber während alles lebt in dem, was die Ideen sind zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, während da das,was in der Ideenwelt real ist, unsere eigene Wesenheit berührt, während wir da, indem wir uns selber berühren, unser ideelles Substantielles berühren, so wie wir jetzt unseren physischen Leib berühren,schattet sich herein in dieses irdische Leben von dieser Substantialität der Ideenwelt nur dasjenige, wovon wir nicht einmal wissen, daß wir aus ihm im Irdischen die Realität des eigenen Ich schöpfen. Aber wir verwenden diesen Schatten unserer geistigen Existenz dazu,m uns gerade die Existenz auf Erden möglich zu machen. Was geben uns denn die Götter mit, indem sie durch die Geburt uns hereinsenden in diese Welt? Sie geben uns mit das Schattenbild jener Existenz,die wir haben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Dieses Schattenbild sind die Ideen, und diese Ideen dienen uns hier,um überhaupt physisch Mensch zu werden, sonst würden wir als ätherische Wesen im ätherischen Meer schwimmen. Wir töten ab
das ätherische Leben mit den Schattenbildern unseres Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.
So stellen wir den Menschen hinein in das ganze Universum, in den Kosmos. Da ist wieder einer der Punkte, wo wir wirkliche Menschenerkenntnis gewinnen. Da knüpfen wir das, was wir im gegenwärtigen Erleben haben, an das ewige Erleben an. Da sagen wir: Wenn du denkst, wenn du durch deine Sinne die äußere Welt ansiehst und mit deinen Ideen ablähmst das ätherische Leben, das sich in deinen Augen, in deinen Ohren abspielt, so daß du es ertragen kannst und Mensch sein kannst, dann tust du das mit der Erbschaft, mit der Nachwirkung deiner ewigen menschlichen Wesenheit, wie du dir sie herangebildet hast zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.
So erweitern das menschliche Bewußtsein, so hineingießen in die menschliche Wesenheit etwas von dem Wissen, das uns verbindet mit dem ganzen Universum - das ist ein Bedürfnis der Gegenwart. Und alle äußere Wissenschaft wird abdorren, alle äußere Kultur wird hin- einführen in den Niedergang. Der Tod des Abendlandes wird erfolgen, wenn die Menschen sich nicht entschließen, eine solche Menschenerkenntnis sich anzueignen, die aus der Beobachtung der äußeren Lebensverhältnisse den Menschen wiederum anknüpft an den Kosmos und so den Menschen anknüpft an den Kosmos, daß der Mensch, indem er hier erlebt die Ideenwelt, sich bewußt wird des Ewigen. Gerade darum ist diese Ideenwelt etwas so Nüchternes, Abstraktes, weil sie nur das Schattenbild des Ewigen ist und weil sie im Grunde hier dazu bestimmt ist, abzutöten das uns sonst ätherisch überflutende Sinnes- leben.
So hängen wir mit unserem Leben mit dem Vorgeburtlichen zusammen. Auf dieses Vorgeburtliche deuten die traditionellen Religionsbekenntnisse nicht gerne hin, ja sie lehnen es sogar entschieden ab. Ich habe das schon berührt, daß das gerade das Eigentümliche der gegenwärtigen traditionellen Religionsbekenntnisse ist, daß sie nur von dem Nachtodlichen sprechen, nicht von dem Vorgeburtlichen, von der Präexistenz. Sie wollen davon nicht sprechen, weil man dann nicht sich richten kann an den Egoismus des Menschen, an den man sich richtet, wenn man den Menschen predigt bloß von dem nachtodlichen Leben;
denn das Wissen von dem nachtodlichen Leben wollen die Menschen genießen zwischen Geburt und Tod. Dasjenige, was ihnen auferlegt die Verpflichtungen für dieses Leben, weil die Götter sie aus der geistigen Welt entlassen haben, um ihre Mission zu erfüllen, das spricht nicht zum menschlichen Egoismus,das spricht zu der menschlichen Verantwortlichkeit und menschlichen Verpflichtung. Deshalb findet man wenig Zustimmung, wenn man von diesem vorgeburtlichen Leben spricht. Und so sehr haben es diese Religionsbekenntnisse zuwege gebracht, die Menschen schlafen zu lassen über dieses vorgeburtliche Leben, daß wir wohl ein Wort «Unsterblichkeit» haben, das heißt, wir negieren die Sterblichkeit, aber wir haben kein Wort «Ungeburtlichkeit», was ebenso berechtigt wäre. Denn ebensowenig, wie wir mit unserem Geistig-Seelischen sterben, ebensowenig werden wir mit unserem Geistig-Seelischen geboren. Wir müßten in der Sprache ein Wort haben, das das andeutet. Ja, es muß in die Sprache das Wort «ungeburtlich» ebenso hinein wie «unsterblich»> denn der Mensch erkennt sich nur zur Hälfte, wenn er nur das Wort «unsterblich» achten kann,nicht auch das Wort «ungeburtlich». An dem Unvermögen der Sprache erkennt man das Unvermögen, sich zu den geistigen Höhen auf diesem Gebiete zu erheben.
Sehen wir jetzt nach dem anderen Pol, sehen wir danach, wie der Mensch in den Phantasmen, aus denen er aber auch seine Erinnerungsvorstellungen formt, etwas hat, worinnen wallt und west sein Ich, aber wallt und west oftmals in chaotischer Weise. Trotzdem der Mensch weiß,sein Ich lebt dadrinnen,erläßt er sich nicht darauf, sich über das Wesen dieses Ich aus den Phantasmen heraus etwas sagen zu lassen. Durchschaut man wiederum den Tatbestand - und Sie können das entnehmen aus den verschiedensten Stellen unserer anthroposophischen Literatur -, so muß man sich fragen: Was ist denn das eigentlich> was sich da als die Summe unserer Erinnerungsvorstellungen, meinetwillen auch als die Summe unserer Phantasievorstellungen, aus unserem Inneren entwickelt? - Es ist nichts anderes als die Umbildung desjenigen,was, bevor es sich metamorphosiert zu der Kraft der Erinnerung,zu der Kraft der Phantasie, in uns lebt als Wachstumskraft. Was unten im Leibe lebt als Wachstumskraft, wenn es sich von dem Leiblichen emanzipiert,wird geistig-seelisch Erinnerungskraft. Sie
wissen ja, bis zum siebenten Lebensjahre, wo der Zahnwechsel eintritt, erscheint im Menschen dieselbe Kraft, die später wohlkonturierte Erinnerungen ausbildet im seelischen Gedächtnis; die arbeitet an seinem Leibe gestaltend. Was zuletzt die Zähne heraustreibt, ist dasselbe, was in uns lebt als Erinnerungs-Vorstellungsvermögen. Kurz, wir haben in dem, was da als Phantasmen in uns lebt, dieselbe Kraft, die eigentlich uns wachsen macht, die unserem Organischwerden zugrunde liegt. Wir emanzipieren sie von dem Organismus. Was heißt das?
Es verbirgt sich da wiederum ein bedeutsames Lebensrätsel; es heißt: Wir reißen gewissermaßen diese phantasmenbildende Kraft heraus aus unserem Organismus. Denken wir, wir ließen sie drinnen, wie stünden wir dann da in der Welt? Denken Sie sich, alles das, was Sie gewissermaßen innerlich loslösen von Ihrem Organismus, sodaß Sie es mit Ihrem Ich, mit Ihrer Persönlichkeit willentlich beherrschen, alles das würde wallen in Ihrem Organismus. Sie würden nicht sagen: Ich will - sondern Sie würden verspüren das Wallen Ihres Blutes, das Sie zu Ihren Bewegungen treibt; Sie würden nicht sagen: Ich ergreife die Feder - sondern Sie würden verspüren den Mechanismus Ihrer Armmuskeln. Sie würden sich drinnen fühlen sich verlierend in der Welt, wenn Sie nicht losreißen würden die Welt der Phantasmen von Ihrem Organismus. Ihre Selbständigkeit verschwände. Was sich in Ihnen bewegt, was in Ihnen lebt, wäre nur eine Fortsetzung innerhalb Ihrer Haut von dem, was draußen wäre. Der Mensch muß sich daher sagen: Da wächst das Gras aus gewissen Kräften heraus außerhalb meiner Haut, innerhalb meiner Haut wächst meine Milz, meine Leber; aber ich würde nicht einen Unterschied empfinden, wenn ich nicht losreißen könnte meine Phantasmen von dem, was in meinem Inneren organisierend wirkt. Da draußen reiße ich nicht etwas los, da nehme ich die Wesenheit in ihrer Totalität. Innerhalb meiner Haut reiße ich los die Welt meiner Phantasmen. Dadurch komme ich zu meiner Selbständigkeit. - Dadurch ist es überhaupt möglich, daß wir das Beet, den Untergrund für die Ichheit im Menschen finden. Das ist der andere Pol des inneren Erlebens.
Während wir unser Sinneserleben abtöten müssen durch die Ideenwelt, damit wir uns hineinstellen können in die physische Welt, denn sonst würden wir als Spektren fluten im ätherischen Meere, müssen
wir losreißen innerlich die Welt der Phantasmen von unserem organischen Geschehen, sonst würden wir einfach ein Glied der Natur sein wie der wachsende Baum. Wir würden nicht als eine Selbständigkeit emanzipiert von dem übrigen Weltengeschehen dastehen.
So erkennt man sich als Mensch in seiner Wesenheit drinnen in dem Menschen. Und sieht man weiter, so sagt man sich: Dieses persönliche Leben zwischen Geburt und Tod, das macht, daß wir hier eben zwischen Geburt und Tod das Ich erleben. Wir erleben aber nicht das ganze Organische in uns, nicht dasjenige, was innerhalb unserer Haut liegt; das bleibt ein Schatten wiederum desjenigen, was nach dem Tode unser Wesen ausmacht. Wie wir durch den einen Pol an dem Vorgeburtlichen hängen,durch den Ideenpol> hängen wir durch den Phantasmenpol, in dem der Wille lebt,an dem Nachtodlichen. An unserem Ungeburtlichen hängen wir durch unsere Ideenwelt, an unserem Unsterblichen hängen wir durch unsere Phantasmenwelt, die jetzt eine Phantasmenwelt ist,damit sie sich,wenn wir durch die Pforte des Todes gehen, gestaltet zu einem regelmäßigen Kosmos, in dem wir dann weben, leben und sind nach dem Tode.
So wirkt eine wirkliche Menschenerkenntnis, ein spirituelles SichHineingestelltfinden in den Kosmos. Der Mensch weiß, woher er kommt, wo er steht, wohin er geht, indem er sich diese Fragen beantwortet nach dem, was er wirklich an sich selbst erkennt, nach dem, was hereingelangt ist aus dem Kosmos in unsere innere Wesenheit. Solch ein Wissen ist nicht wie das Wissen, das die Kultur des Abendlandes nach und nach zugrunde gerichtet hat. Ein solches Wissen hat eine andere Bedeutung. Diese Kultur des Abendlandes ist wirklich durch ihr Wissen zugrunde gerichtet worden. Sehen Sie zurück auf jenes Wissen, das die Menschen bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts gehabt haben. Die Menschen der Gegenwart spotten über dieses Wissen. Sie sehen es für das kindliche Wissen einer kindlichen Menschheit an. Sie sagen sich: Wir haben es so herrlich weit gebracht in der Gegenwart; erst jetzt haben wir eine richtige Chemie, eine richtige Physik, eine richtige Biologie und so weiter. - Aber es ist doch ein bedeutsamer Unterschied zwischen dem alten Wissen, wenn es nur richtig verstanden in seiner Wahrheit sich enthüllen kann,
und dem wurzellosen Wissen der Gegenwart. Wenn Sie in das alte Wissen hineinschauen, wie es bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts vorhanden war, so werden Sie sehen: der Mensch nahm immer, indem er Wissenselemente aus der Welt sich aneignete, etwas mit, wodurch er mit der Welt zusammenhing. Bedenken Sie doch nur: Wenn Sie noch so gescheit nachdenken über einen Baum und noch so viel von Ideengehalt in Ihre Seele aufnehmen über den Baum, haben Sie doch das Bewußtsein, in dem Baume lebt noch mehr, als was Sie mit Ihren Ideen aufnehmen können; so in der Blume, so selbst im Kristall. Wenn Sie die moderne Welt ansehen, die allmählich ins Maschinenhafte übergegangen ist, da erst steht der Mensch, ich möchte sagen, vor dem ideell ganz durchsichtig gewordenen Objekte. Die Maschine, die wir aufbauen, der Mechanismus, den wir errichten, sie durchschauen wir. Wir wissen: Aus diesen Kräften, in dieser und jener Verbindung ist die Maschine aufgebaut. - Nach dem Muster dessen, was der Mensch in der Technik aufgebaut hat, hat er sich dann auch eine Weltanschauung geformt und er stellt sich ungefähr das Weltenall nun auch als eine große Maschinerie vor.
Weil wir in der mechanischen Kulturordnung die Ehrfurcht vor dem Rätsel verloren haben, weil die Maschine uns ideell durchsichtig geworden ist, brauchen wir gerade heute die Anknüpfung an den Menschen, damit wir die Geistigkeit wieder finden. Menschen, die die Geistigkeit noch suchen konnten, indem sie in den Naturobjekten zu gleicher Zeit das Spirituelle suchten, die brauchten nicht eine solche aus dem Menschen hervorgeholte Kenntnis, wie wir sie brauchen. Wir, die wir allmählich uns herausgerissen haben bis zum mechanischen Erfassen der Welt, bis zum Aufbau einer mechanisierten Technik, wir brauchen gegenüber der toten Technik, die auch hineinschlägt in unser Gedankenleben, die lebendige geistige Wissenschaft, welche in der Weise, wie wir es heute wiederum angedeutet haben, den Menschen anknüpft an das geistige Weltenall, an den geistigen Kosmos. Aber wir müssen dieses Anknüpfen dadurch erlangen in der Gegenwart, daß wir wirklich unser Inneres, bevor wir an die Außenwelt gehen, etwas umwandeln. Dieser Umwandlung trägt die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft überall Rechnung, wo sie praktisch auftritt.
Wir haben in Stuttgart die Waldorfschule begründet. Nach und nach kommen die Menschen und wollen hospitieren in der Waldorfschule. Das machen ja die Menschen der modernen Zeit; wenn sie etwas da oder dort interessiert, so gehen sie hin, schauen es sich an, dann «kennen» sie es, dann können sie unter Umständen auch so etwas einrichten. So ist ja allmählich unser Leben geworden. Aber darum handelt es sich gar nicht bei der Waldorfschule,sondern da handelt es sich darum,daß man vor allen Dingen in das innere Leben, das in die Didaktik, die Pädagogik in der Waldorfschule eingeführt worden ist,sich vertiefen kann. Da handelt es sich darum, daß man in der Tat das Verhältnis des Menschen zur Welt in einer ganz neuen Weise erfaßt. In bezug auf die Ideenwelt sind ja die Menschen freigebig. Der Mensch will nicht gerne seine Ideenwelt für sich behalten. Er möchte gern, daß alle dieselben Ideen haben> das heißt, er möchte seine Ideen allen Menschen geben. Mit Bezug auf andere Güter ist der Mensch nicht so freigebig, die behält er schon lieber für sich. Von den Ideen gibt er gerne allen. Das macht eben gerade den radikalen Unterschied zwischen der Geisteswelt auf der einen Seite und der wirtschaftlichen Welt auf der anderen Seite aus. Dieser Unterschied ist schon radikal vorhanden, wenn man nur auf ihn hinsehen will, und im Grunde genommen, wenn jemand nach dem alten System die Tendenz hat, Lehrer zu sein, besteht das auch nur in der Freigebigkeit bezüglich der Ideenwelt. Denn die Kinder sind noch bessere Geschenkannehmer als die Erwachsenen, die einem mit Kritik und mit Widerständen entgegenkommen können. An die Kinder kann man die Geschenke des Wissens noch leichter austeilen.
Nun, selbstverständlich müssen diese Instinkte auch bei der Waldorfschule, bei den Waldorflehrern berücksichtigt werden. Aber ein neues Element tritt da ein, das nur aus dem Geiste anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft herauskommen kann. Das ist, daß zu dem, was bei den früheren Bekenntnissen immer traditionell war, zu dem Nachtodlichen, der entschiedene Hinblick zu dem Vorgeburtlichen hinzutritt, daß wir uns klar sind, daß in dem Kinde, das heranwächst, sich nach und nach dasjenige enthüllt, was aus den geistigen Welten herunterkommt. Wir sind zu einer bestimmten Zeit aus den geistigen Welten heruntergekommen. Die Götter haben uns in diese Welt
gesandt, und wir führen dasjenige aus, was die Götter in uns gelegt haben. Die Kinder kommen später herunter, sie waren länger in der geistigen Welt drinnen. Wir schauen hin auf dasjenige> was aus den Kinderseelen herausleuchtet. Botschaft aus den geistigen Welten, in denen sie länger waren als wir, tragen sie uns zu. Ein Gefühl dafür, daß aus der geistigen Welt etwas in die Gegenwart herunterkommt, das in die Kinder hineinfällt, das der Lehrer zunächst zu enträtseln hat, daß zu dem Schenken, das man so gerne tut, ein Nehmen hinzutritt - das kann nur kommen aus dem Geiste wahrer Geisteswissenschaft, wenn zu der Postexistenzidee die Präexistenzidee im lebendigen Erfühlen hinzutritt.
Auf dieses Neue, das der Pädagogik und Didaktik der Waldorfschule eingegossen worden ist, kommt es an; das heißt, im Grunde genommen kann die Waldorfschule doch nur der verstehen, der anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft in sein eigenes Herz, in seine eigene Seele aufgenommen hat. Und da erst sollte er zunächst hospitieren, sonst wird er aus den paar Stunden, in denen er hospitiert hat an der Waldorfschule, nichts anderes sehen, als daß man auf die Tafel schreibt oder zu den Kindern spricht und so weiter. Aber es wird dem Menschen in der Gegenwart so unbequem, sich nun wirklich in die Geistigkeit hineinzufinden. Im Grunde genommen - warum denn? - Wollen wir davon die Ursache suchen, da köiinen wir solche Werke, die so recht herausgeboren sind, auch aus einer Strömung des Alten, einmal in die Hand nehmen, können da anfragen: Was wird da über das Aneignen der Geistigkeit durch den Menschen gedacht?
Ich habe vor mich hingelegt das «Lehrbuch der Philosophie auf aristotelisch-scholastischer Grundlage zum Gebrauch an höheren Lehranstalten und zum Selbstunterricht,von Alfons Lehmen, Jesuitenpater, vierte vermehrte und verbesserte Auflage, herausgegeben von Peter Beck, Jesuitenpater. Das Werk ist zum ersten Male erschienen 1899 und ist in vierter Auflage verlegt 1917. Ich möchte Ihnen das, was auf Seite 8 in der Einleitung steht über den Geist dieser Philosophie, die also echt katholische Philosophie ist,vorlesen. Daß wir es zu tun haben mit der echten katholischen Philosophie, das werden wir ja gleich nachher sehen. Da steht:
«Aus dem Gesagten läßt sich unschwer ersehen, was von dem Prinzip der zu halten ist. Dieses Prirzip spricht jedem Einzelnen das Recht zu, jede beliebige Meinung aufzustellen und zu vertreten, ohne daß er von irgendwelcher Lehrmacht einen Einspruch zu befürchten habe. Allein Freiheit ist keine Schrankenlosigkeit. Das kirchliche Lehramt hat das Recht, eine philosophische Meinung zu verurteilen, falls diese im Widerspruch mit einer geoffenbarten Lehre steht oder zu einem solchen Widerspruch folgerichtig hinführt. Wir setzen hier als bewiesen voraus, daß ein kirchliches Lehramt von Gott eingesetzt sei mit dem Auftrag, die göttliche Offenbarung zu schützen und auszulegen. Mit diesem Auftrag ist das fragliche Recht unmittelbar gegeben. Denn zur Ausführung des ihm gewordenen Auftrages muß das Lehramt der Kirche instand gesetzt sein, den wahren Sinn des Wortes Gottes zu erklären und falsche Auslegungen als falsch zu bezeichnen. Wenn also die Meinung eines Philosophen oder einer philosophischen Schule den wahren Sinn des Offenbarungsinhaltes direkt oder indirekt an ficht, so besitzt das Lehramt der Kirche die Macht, den Irrtum als solchen zu beurteilen, und die Befugnis, ihn vor der Uffentlichkeit zu verurteilen.»
Das als eine Einleitung eines Lehrbuches der Philosophie! Nun, wenn Sie den ganzen Geist einer solchen Auseinandersetzung nehmen, wie auch die heute wieder gepflogene ist, was gibt er wieder? Er gibt wieder den ganzen christlichen Geist> den Paulus meinte, als er das Wort sprach: «Nicht ich> sondern der Christus in mir.» Indem der Christus in uns lebt, weckt er auf das geistige Element in uns, und wir werden gerade durch die Durchchristung fähig> den Menschen anzuknüpfen an den geistigen Kosmos. Uber diese Bedeutung des Mysteriums von Golgatha haben wir ja oftmals gesprochen und wir wollen morgen nochmals genauer darüber sprechen. Aber eines mußte der Christus den Menschen klarmachen, um den Menschen zu zeigen, wie der Mensch seine Wahrheit aus dem Geiste, aus dem göttlichen Geiste heraus zu gewinnen hat. Man braucht nur an ein anderes Wort des Christus Jesus zu erinnern,und alles nach dieser Richtung ist gegeben: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt»; das heißt,dasjenige Reich,das der Christus in dem Menschen entzünden will, darf nicht in dieser Welt errichtet
werden. Das muß dadurch errichtet werden,daß der Mensch von dieser sinnlichen Welt in die übersinnliche Welt hinein den Weg findet.
Mein Reich ist von jener anderen Welt, die nicht diese sinnliche Welt ist -, wer hat am meisten gesündigt wider dieses Christus-Wort? Derjenige, der behauptet, ein Reich, das auf diese Welt gegründet ist, ein Reich, das in Rom> im physischen Rom seinen Mittelpunkt hat, ein Reich, das mit physischen Ratschlägen und Ratschlüssen wirkt, ein solches physisches Reich, das ganz von dieser Welt ist, das sei das Reich, das die christliche Wahrheit irgendwie verbreiten kann. - Da nun das Christus-Reich nicht von dieser Welt ist, ist es ganz gewiß auch nicht von Rom. Damit deuten wir darauf hin,daß in der Gegenwart den Menschen begreiflich werden muß als das eigentlich Widerchristliche all dasjenige, was von dieser Welt ist, was selbst die Wahrheit so stark von dieser Welt prägen will, daß es sagt: «Das kirchliche Lehramt hat das Recht, eine philosophische Meinung zu verurteilen, falls diese im Widerspruch mit einer geoffenbarten Lehre steht oder zu einem solchen Widerspruch folgerichtig hinführt»,das heißt, insofern dieses von der Kirche so verfügt wird! Daher erscheinen solche Bücher nicht so, wie Bücher zum Beispiel von Anthroposophen erscheinen müssen, daß man mit seiner ganzen Persönlichkeit und nur mit dieser eintritt und sagt: Was ich zu vertreten häbe, vertrete ich aus meiner Verbindung mit dem Geiste der Wahrheit heraus -, sondern hier ist der Titel: «Lehrbuch der Philosophie auf aristotelisch-scholastischer Grundlage», von Alfons Lehmen S. J., vierte Auflage 1917. Blättert man um, so steht da: Imprimatur Freiburg, Thomas, Erzbischof. Das heißt, hier vertritt nicht eine Persönlichkeit dasjenige, was sie als Persönlichkeit zu vertreten hat, sondern eine weltliche Körperschaft, bei der jeder sich das Imprimatur holen muß, der etwas veröffentlichen will, was anerkannt werden soll, hier vertritt eine Körperschaft, welche von dieser Welt ist und von dieser Welt die Wahrheit prägt,dasjenige, was als Wahrheit aufgestellt wird!
Man muß heute nicht feige sein, sondern mutig hinblicken auf das, was wahres Christentum ist und was angebliches Christentum ist. Wir leben eben in der Zeit, die, weil die Menschen schon feige genug gewesen
sind,nicht das äußerlich darzuleben, was sie innerlich doch mehr oder weniger erkannt haben,in diese Katastrophe hineingeführt hat. Unsere Katastrophe ist in ihrem Ursprung eine geistige Katastrophe - wie wir oftmals gesagt haben- und wir kommen nicht aus dieser Katastrophe eher heraus,als bis wir uns zu dem Geiste der Wahrheit wenden, der in der Geistesschau dasjenige sucht an Kraft, was ihm das «Imprimatur* gibt> nicht eine von einer weltlichen Organisation eingesetzte Oberkirchenbehörde.
VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 11. Juli 1920
Ich möchte heute, anknüpfend an die gestrigen Betrachtungen, einiges sagen, was geeignet sein soll, manches zusammenzufassen, was im Laufe der Zeit vorgebracht worden ist, um daraus eine Art zusammenfassender Erklärung des Mysteriums von Golgatha zu geben. Selbstverständlich kann ja, wenn über diesen Mittelpunkt des menschlichen Lebens in der neueren Zeit gesprochen wird, nur immer die Rede davon sein, daß man etwas Aphoristisches, etwas Episodisches gibt, gewissermaßen einen Ausschnitt aus alledem, was von uns in reichlicher Überschau erarbeitet werden muß, um dieses Mysterium von Golgatha zu begreifen.
Wenn man das Mysterium von Golgatha richtig begreifen will, so muß man sich klar sein darüber, daß das ganze ältere Mysterienwesen, das dem Mysterium von Golgatha vorangegangen ist, das dann nach und nach ins Versiegen gekommen ist und das im Grunde genommen schon in einem sehr hohen Grade versiegt war, als die Zeit heranrückte, in der das Mysterium von Golgatha geschehen sollte, daß dieses alte Mysterienwesen durchaus seinem ganzen Wesen nach hinwies auf dieses zentrale Erdenereignis, auf dieses Mysterium von Golgatha. Wenn man richtig auf sich wirken läßt, was ich versuchte darzustellen in meinem Buche «Das Christentum als mystische Tatsache», wird man finden, daß in der symbolisch-rituellen Darstellungsweise, die in den alten Mysterien gepflogen wurde, die verschiedensten Weltengeheimnisse sich mit dramatischer Kraft vor dem Neophyten, vor dem zu Initiierenden abspielten. Aber was im Mittelpunkt stand all der Riten, all der Symbolik, welche in den Mysterien zur Vertiefung der menschlichen Erkenntnis gepflogen wurden, das war das Geheimnis von dem innerhalb des Leibes sterbenden Menschen, der gewissermaßen den Tod vorausnimmt, der abstirbt alledem, dem er leben kann, wenn er nur auf die Sinneswelt hin sich orientiert, und der dann aus einer innerlichen seelischen Kraft heraus gerade durch dieses Hindurch gehen durch das Sterben, durch dieses Erleben des Sterbens, zu einem höheren Leben erwacht.
Die Art und Weise, wie das dargestellt wurde in den Mysterien, um anzuregen das innere Erfahren der Menschen, das hatte eine große Ahnlichkeit mit dem, was sich dann später in Wirklichkeit zutrug in Palästina als das Mysterium von Golgatha. Und man könnte sagen: Da steht im Mittelpunkt der Erdenentwickelung das auf Golgatha erhöhte Kreuz. Da kann die Menschheit hinschauen im Bilde auf den durch den Tod gehenden Christus, aber in einem Bilde, das unmittelbar eine ewige Sprache gesprochen hat zu den Neophyten, zu den zu Initiierenden. Es wurde vorausgenommen dieses Mysterium von Golgatha in den alten Mysterien, so daß diese alten Mysterien in einem gewissen Sinne eine Vorbereitung waren für das Mysterium von Golgatha selbst. Es ist in gewissem Sinne kosmisch dasjenige, was sich im einzelnen Menschen individuell abspielen kann.
Was spielt sich im einzelnen Menschen individuell ab, wenn er wirklich die Initiationserfahrung durchmacht? Dasjenige, was mit ihm geboren wird, was die vererbten Eigenschaften trägt, was im gewöhnlichen Sinne des Wortes heranerzogen werden kann durch die gewöhnliche Erziehung, das geht ins Unbewußte hinunter. Das stirbt ab, wird abgelähmt, und aus den liefen der Seele heraus aufersteht des Menschen Fiöheres Ich, dasjenige Ich, das nicht angehört dieser physischen Welt, das aber berufen ist, eine Mission auszuüben in dieser physischen Welt. Das, was da im Inneren des Menschen vorgeht, das ist ein individueller Vorgang, ein Auferstehen des besseren, des höheren Selbstes des Menschen. Vorher hat er in seinem Bewußtsein dieses höhere Selbst nicht. Denken wir uns diesen Vorgang ausgedehnt auf die ganze Erde: Denken wir uns die ganze Erde als eine Art von Lebewesen, von bewußtem Lebewesen, wie es ja auch ist in Wirklichkeit, dann muß man sagen: Bis zu dem Mysterium von Goigatha im Laufe der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit hatte diese Erde ihr höheres Selbst nicht, denn dieses höhere Selbst ist eben nicht mit dem, was aus der Erde heraus sich entwickelt hat, in die Erde eingezogen, lebte also auch nicht in der alten heidnischen Weisheit, auch nicht in der jüdischen Weisheit, lebte überhaupt nicht mit der Erde. In dem Menschen Jesus von Nazareth wohnte nun dieses höhere Selbst der Erde, zog ein, wie wir wissen, durch die Johannestaufe am Jordan und ist seit dem Vollzuge des Mysteriums
von Golgatha wirksamer Impuls im Erdenleben. Das Erdenleben hat dadurch sein höheres Selbst bekommen. Man kann also sagen: Mikrokosmisch spielt sich ein gewisser innerer spezieller Vorgang in jedem Menschen ab, der ihn nur anstrebt und haben will; makrokosmisch ist derselbe Vorgang durch das Mysterium von Golgatha für die Erde gegeben. Was mikrokosmisch die Auferweckung des höheren Selbstes im Menschen ist, ist makrokosmisch das Mysterium von Golgatha. Damit ist aber schon verknüpft, daß das Christus-Wesen, welches in dem Menschen Jesus von Nazareth wohnte, früher nicht auf der Erde war, sondern herabstieg aus geistigen, aus kosmischen Höhen und sich mit der Erdenevolution verband.
Damit ist aber noch etwas anderes gegeben. Damit ist gegeben, daß zum Begreifen des Mysteriums von Golgatha ein anderes Wissen, eine andere Erkenntnis gehört, als diejenige ist, welche der Mensch durch die Anschauung der äußeren Natur gewinnt, welche der Mensch erhält, indem er sich im gewöhnlichen Leben umschaut. Es ist eine Umwandelung des Menschen nötig. Und der umgewandelte Mensch kann dann eine Art von Wissen erlangen, durch das er das Mysterium von Golgatha begreift. Dieses Mysterium von Golgatha steht als eine Tatsache der Weltgeschichte da, aber man muß immer unterscheiden zwischen dieser Tatsache, die einmal dasteht im Verlaufe des geschichtlichen Werdens der Menschheit, und zwischen dem Begreifen dieser Tatsache, dem, was der Mensch aufbringen kann an Begriffen, um diese Tatsache, um dieses Mysterium von Golgatha zu verstehen. Als das Mysterium von Golgatha geschah, da war die alte Mysterienweisheit in gewissem Sinne schon verglommen. Reste von ihr waren aber noch vorhanden. Und diejenigen, die noch solche Reste besaßen, die noch Tradition oder auch noch innere Anschauung hatten und die Ergebnisse dieser inneren Anschauung anderen Menschen mitteilen konnten, die waren dazu berufen, etwas zum Verständnis des Mysteriums von Golgatha beizutragen. Mit anderen Worten: Man hat die alte Mysterienweisheit dazu benützt, um das Mysterium von Golgatha zu begreifen. Auf der einen Seite also steht die Tatsache, das Mysterium von Golgatha, auf der anderen Seite steht dasjenige, was die Menschen versuchten aufzubringen, um dieses Mysterium von Golgatha zu begreifen.
Damit ich nicht mißverstanden werde, möchte ich auch hier wieder einfügen: Es ist nicht notwendig, daß man zum Begreifen des Mysteriums von Golgatha ein Hellseher sei; aber es ist notwendig, daß man die durch Hellsichtigkeit gewonnenen Ergebnisse mit dem gesunden Menschenverstand auffaßt und dadurch in seine Seele Begriffe, Vorstellungen, Ideen hereinbekommt, welche nicht auf die Sinneswelt allein gehen, sondern welche die übersinnliche Welt mit umfassen. Geradeso wie man jetzt nicht selber ein Geistesforscher zu sein braucht, wenn man das Mysterium von Golgatha begreifen will, aber wie man nötig hat, dasjenige aufzunehmen, was aus der Geistesschau kommt, um mit Hilfe dieser Begriffe, die ja sinnlos sind gegenüber der bloßen sinnlichen Welt, das Mysterium von Golgatha zu verstehen, geradeso konnte aus der alten Mysterienweisheit ein Verständnis für das Mysterium von Golgatha aufgenommen werden. Dasjenige also, was ursprünglich Mysterienweisheit war, das wurde in den ersten Jahrhunderten des Christentums verwendet, um das Mysterium von Golgatha zu verstehen. Und schließlich ist auch in die Evangelien nichts anderes eingeflossen als das, was Mysterienweisheit war. Das habe ich gerade darzustellen versucht in meiner Schrift «Das Christentum als mystische Tatsache». Die Evangelien waren also in gewissem Sinne die alte Mysterienweisheit, angewendet auf das Mysterium von Golgatha. Das Beste, was die Menschen hatten an Begriffen, an Ideen, an inneren Seelenerlebnissen, suchte man zusammenzutragen, um dieses Mysterium von Golgatha in der richtigen Weise zu verstehen.
Das war in den ersten Jahrhunderten des Christentums. Aber diese Mysterienweisheit ist seitdem ganz verglommen. Wenn sie heute den Menschen der Gegenwart vorgeführt wird und man dabei an ihren gesunden Menschenverstand appelliert, können sie nichts mehr verstehen, nichts mehr begreifen von dieser Mysterienweisheit. Sie spricht in einer Sprache, die dem gegenwärtigen Menschen nicht mehr zugänglich ist. Man ringt sich erst allmählich wiederum durch zu dem Begreifen dessen, was erhalten ist an Traditionen aus der Mysterienweisheit, wenn man nun selbst durch neuere Geisteswissenschaft dasselbe Gebiet wieder erkennt, das in atavistischem Erkennen vorhanden war als alte Mysterienweisheit. Diese neuere Geisteswissenschaft ist heute
für den gesunden Menschenverstand durchaus zu durchschauen, nicht aber die alte Mysterienweisheit, die erst durchschaut werden kann, wenn man sich heute hineingearbeitet hat in die Ergebnisse der neueren Geistesschau. Und so kam es denn, daß immer mehr und mehr den Menschen abhanden kam mit der alten Mysterienweisheit auch das Mittel, um das Mysterium von Golgatha zu begreifen. Die Mysterienweisheit versiegte, das Mysterium von Golgatha konnte nicht mehr begriffen werden.
Wir sehen das ja an einem großen Teile der Theologie der Gegenwart. Diese Theologie der Gegenwart will aus demselben Wissensquell heraus, aus dem man heute etwa Naturwissenschaft aufbaut, auch das Mysterium von Golgatha begreifen. Wir haben es oftmals hier gesagt, daß man immer mehr und mehr nach dem Unmöglichen hindrängt, den Christus ganz zu verwischen und nur noch zu verstehen den Jesus von Nazareth, oder wie einer dieser Theologen sagt, den «schlichten Mann aus Nazareth». Der Christus ist der Theologie abhanden gekommen, weil einfach der Christus in dem Jesus von dem Gesichtspunkte äußerer sinnlicher Wissenschaft nicht verstanden werden kann. Die alte übersinnliche Wissenschaft, das Erbe der Mysterien, ist für die Menschen verlorengegangen. Sogar schon in den Jahrhunderten vor dem Mysterium von Golgatha sind die letzten großen Mysterien, die zum Beispiel in Frankreich waren, durch den eindringenden Romanismus, welcher ja überall die Verkörperung der Nüchternheit ist, zerstört worden. Im letzten Jahrhundert vor der Entstehung des Christentums wurden an einer bestimmten Stätte in Frankreich durch die römischen Truppen die alten Druidenmysterien zerstört. Hunderte und Hunderte von Initiierten wurden dazumal in wenigen Tagen vom Leben zum Tode befördert. Man kann sagen, es war das eine Inquisition weit vor der katholischen Inquisition. Und wenn einmal die Geschichte nicht eine Fable convenue sein würde, würde man zum Beispiel von dem römischen Cäsar noch andere Dinge zu erzählen wissen, als gewöhnlich erzählt werden, würde man zu erzählen wissen von seinen Verfolgungen gegenüber den alten Mysterienweisen, würde gerade in ihm sehen einen derjenigen, die sich zur Aufgabe gestellt haben, mit Stumpf und Stiel auszurotten, was an Mysterienerbschaft in
die damalige Zeit hereingekommen ist. Dennoch erhielten sich aber immer, selbst bis in das Mittelalter herein, ja bis herauf in das 18. Jahrhundert, Nachklänge der alten Mysterienweisheit, und man konnte immer noch in einer gewissen Weise mit Hilfe dieser alten Mysterien- weisheit das Mysterium von Golgatha verstehen. Die Unmöglichkeit, das Mysterium von Golgatha zu verstehen, ist eigentlich erst im 19. Jahrhundert heraufgestiegen. Und im 19. Jahrhundert sehen wir eigentlich die moderne Theologie sich so entwickeln, daß immer mehr und mehr der Christus-Begriff verlorengeht, daß immer weniger die Menschen etwas verstehen von dem eigentlichen Wesen des Mysteriums von Golgatha, diejenigen Menschen nämlich, die sich bemühen, wirklich etwas zu verstehen, die nicht auf das Diktat einer äußeren Kirche hin die Dinge annehmen.
Um was kann es sich denn eigentlich nur handeln, wenn wir die Initiationswissenschaft in der Gegenwart gegenüber dem Mysterium von Golgatha betrachten? Es kann sich nur darum handeln, daß wiederum Mysterienweisheit gefunden werde, daß durch diese neue Mysterienweisheit das Mysterium von Golgatha den Menschen wiederum verständlich werden könne. Es ist wirklich so: Wenn die Entwickelung in derselben Weise fortginge, wie sie geführt hat zur abendländischen Naturwissenschaft, zum Galileismus, zum Kopernikanismus, so würde aus dem sich immer mehr und mehr barbarisierenden Leben des Abendlandes das Mysterium von Golgatha vollständig verschwinden. Das ist schon das, was in der Gegenwart durchaus mit dem tiefsten Ernste genommen werden sollte. Wenn das Ideal von Wissen, das heute offiziell vertreten wird, sich allgemein ausbreitete, so würden wir Verhältnisse haben im Abendlande, verhältnismäßig bald eine - wenn man es dann noch so nennen könnte - Zivilisation haben - man müßte eigentlich sagen eine Barbarei -, die gar nichts mehr weiß, die gar nicht mehr spricht von dem Mysterium von Golgatha. Es könnte sein, daß sich innerhalb dieser Barbarei durch äußere Machtmittel der Kultus zum Beispiel der römisch-katholischen Kirche erhalten hätte. Aber diejenigen, die denken, würden keinen Sinn mehr verknüpfen mit den Handlungen, die sich da vollziehen. Sie würden sie als äußerliche Dinge empfinden, wie in einer gewissen Zeit als äußerliche Dinge empfunden
worden sind die Zeremonien, welche die alten Germanen gegenüber ihrem Odin und so weiter vollzogen haben. Das würde der Erdenentwickelung ihren Sinn nehmen, denn diese Erdenentwickelung kann ihren Sinn nur haben durch die Wirkung des Mysteriums von Golgatha.
Ich möchte das so aussprechen, wie ich es oftmals ausgesprochen habe. Nehmen wir an, hier auf diese Erde herunter käme ein Marsbewohner, der nichts von der Erde erfahren hätte, weil unter den Marsbewohnern ja nichts erlebt worden wäre von den Erdenverhältnissen, und er sähe alles dasjenige, was auf der Erde hier vorhanden ist. Er würde es ziemlich unverständlich finden. In dem Augenblick aber, wo er ein Nachbild sehen würde des Leonardoschen «Abendmahles» und betrachten würde, was da dargestellt worden ist, würde er mit dem Erdenleben einen Sinn verbinden können. Gerade dieses möchte ich oftmals erwähnen aus dem Grunde, weil in diesem Bilde in einer besonders ausdrucksvollen Darstellung alles dasjenige, was zum Mysterium von Golgatha gehört, tatsächlich von einer universellen Bedeutung ist, einer solchen Bedeutung, daß man durch das richtige Verständnis davon den Sinn des Erdenlebens erfaßt. Aber man braucht eben erst die Begriffe, die Ideen, um dasjenige, was Tatsache ist, zu verstehen. Diese Begriffe und Ideen fehlen der heutigen äußeren Bildung. Sie müssen wiederum gewußt werden. Sie müssen aus dem Inneren der Menschen wiederum heraus leben; und sie sind so verschwunden, daß wir heute nicht ersehnen sollen eine Renaissance alter Ideen. Das würde der heutigen Menschheit nicht helfen. Wir brauchen keine Renaissance, wir brauchen eine Naissance, wir brauchen eine völlige Neugeburt des geistigen Lebens, nicht ein Heraufheben des Alten, sondern ein Geborenwerden eines Neuen brauchen wir.
Demgegenüber darf die hier gemeinte anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft auf ihre eigentlichen Grundlagen verweisen. Was ist denn die Grundlage dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft? Betrachten wir die Welt ringsherum. Wir sehen sie sich entwickeln im mineralischen, im pflanzlichen, im tierischen Reiche. Die Naturwissenschaft hat in der neueren Zeit manches hervorgebracht über das, was vorgeht bei der Entwickelung des tierischen, des pflanzlichen und des mineralischen Reiches. Sie wird auch weiterhin manches
hervorbringen, was Aufklärung schafft über die Evolution des Mineralischen, des Pflanzlichen, des Tierischen. Über den Menschen hat diese Naturwissenschaft nichts Sonderliches hervorgebracht. Denn gehen Sie wirklich ein auf das, was die Naturwissenschaft über den Menschen aus einer Beschreibung seiner Anatomie, seiner Physiologie und so weiter hervorgebracht hat, so werden Sie finden, daß diese Naturwissenschaft eigentlich nur das vom Menschen betrachtet, was ihn als letztes Glied der Tierreihe erscheinen läßt. Sie tut als Naturwissenschaft ganz recht, aber sie betrachtet eben dadurch nur dasjenige, was ihn als höchstes Glied der Tierreihe, gewissermaßen als vollkommenstes Tier erscheinen läßt. Nichts aber betrachtet diese Naturwissenschaft, was uns den Menschen eigentlich als Menschen erscheinen läßt, was ihn heraus- hebt aus den anderen ihn umgebenden Reichen des Weltenalls. Unsere Geisteswissenschaft, sie beschäftigt sich wahrhaftig nicht in dilettantischer, sondern in gewissenhaft forschen der Weise mit einer Vertiefung desjenigen, was die Naturwissenschaft über das Mineralische, über das Pflanzliche, über das Tierische zu sagen hat. Und würden die Menschen der Gegenwart nur etwas hinhorchen auf das, was Anthroposophie zu sagen hat, dann würden sie nicht meinen, daß diese Anthroposophie eine Sektensache sei, daß sie etwas sei, was durch die Vorliebe einiger «Tanten» gepflegt wird, sondern sie würden sehen, daß sie noch etwas ganz anderes ist, daß sie an Strenge der Wissenschaftlichkeit und des Forschens es voll aufnehmen kann mit den Methoden naturwissenschaftlicher Anschauung, und daß dasjenige, was sie hervorbringt, nur eben reicher ist als das, was die äußere Naturwissenschaft gibt.
Ist es denn nicht eigentlich läppisch, wenn von seiten der Naturwissenschaft die Anthroposophie bekämpft wird? Die Anthroposophie nimmt ja der Naturwissenschaft gar nichts. Sie stellt sich vor diese Naturwissenschaft hin und sagt Ja, Ihr habt recht auf dem Gebiete, das Ihr erforscht. - Sie fügt nur dasjenige hinzu, was sie dann erforscht über das mineralische, über das pflanzliche, über das tierische Reich. Und wer hat denn ein Recht, hinwegzuleugnen das, was er selbst noch nicht erforscht hat, wenn man ihm nicht bestreitet, was er erforscht hat! Man kann sich eigentlich keine stärkere Tyrannis denken als diejenige, die da ausgeübt wird gegenüber dem, was man selber nicht erforscht
hat und nicht erforschen will. Aber wohin kommt denn anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, indem sie in ihrer Methode Mineralisches, Pflanzliches und Tierisches erforscht? Sie kommt dazu, einzusehen, daß das, was man durch die naturwissenschaftliche Methode, was man durch die Beobachtung der äußeren Sinneswelt finden kann, gewiß auf die Erkenntnis des Menschen auch angewendet werden kann, aber nur so, daß es uns dasjenige in Begriffen erklärt, was im Menschen abstirbt: wie der Mensch stirbt, wie er schon anfängt zu sterben, wenn er geboren wird, wie er in absteigender Entwickelung ist. Wollen Sie das begreifen, was bei der Geburt beginnt an Verdorren des Menschen, was beim Tode eben in einem Augenblick zu Ende geht, wollen Sie diese ganze absteigende Entwickelung studieren, dann schauen Sie in die Natur, dann erforschen Sie alle Naturgesetze. Und wenn Sie alle Naturgesetze erforscht haben und sie anwenden auf den Menschen, dann bekommen Sie die Sterbegesetze des Menschen, dann bekommen Sie dasjenige, was am Menschen ab- stirbt (weiß).
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Nun muß demgegenüber gesagt werden, daß in dem Augenblicke, wo das Geborenwerden stattfindet, nicht nur ein Absterben da ist, sondem auch ein Aufsteigen (rot). Diese aufsteigende Entwickelung können Sie nicht finden durch die heutige naturwissenschaftliche Betrachtung, wenn Sie diese auch noch so sehr zum Ideal hin gestaltet haben. Das, was da wiederum belebt wird im Menschen, was immerfort einfach neben diesem Absterben da ist, das läßt sich nicht begreifen aus dem Sinnlichen heraus, das läßt sich nur begreifen aus dem Ubersinniichen heraus. Anthroposophie muß die Erkenntnis des Übersinnlichen hinzufügen zu dem Sinnlichen, damit der Mensch überhaupt begriffen
werden könne. Sie sehen daraus, daß, wenn man überhaupt den Menschen kennenlernen will, man notwendig hat zu appellieren an die Wissenschaft des Übersinnlichen. Man bekommt eigentlich den Menschen nur als sterbliches Wesen, wenn man auf das Sinnliche hinschaut. Die christlichen Religionsbekenntnisse, die sich niemals um wirkliche Erkenntnisse bekümmert haben, haben heraufkommen sehen die Naturwissenschaft, die sich mit dem sterblichen Menschen beschäftigt; also beschäftigen sie sich, wie ich gestern schon angedeutet habe, mit dem Unsterblichen, mit dem, was nicht stirbt, stellen es vor den Seelenegoismus des Menschen hin.
Anders wird die Sache, wenn man sich mit dem, was ein Aufstieg, eine Evolution ist, befaßt, mit dem, was wird und wird und immer mehr und mehr wird von der Geburt des Menschen ab und was seinen Kulminationspunkt auf der Erde erlangt, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht. Da muß man, weil man eben da appellieren muß nicht an das Gefühl, nicht an den Glauben, sondern an die Erkenntnis, von dem Nichtgeborenwerdenden sprechen, von dem Ungeburtlichen, ein Wort, von dem ich öfters gesagt habe, daß es in unseren Sprachschatz allmählich hineinkommen muß. Geradeso wie das Wort «unsterblich», so muß auch das Wort «ungeburtlich» in den Sprachschatz der neueren Menschen hineinkommen, denn wir werden in bezug auf unser höheres Wesen ebensowenig geboren, wie wir in bezug auf dieses höhere Wesen sterben. Aber die traditionellen Religionsbekenntnisse haben sich nur um das bekümmert, was Sinneswissenschaft ist. Das Sterben negieren sie durch ein bloßes Wort, durch bloße Hoffnungen und durch bloßen Glauben. Sie weisen nicht auf das hin, was spirituell erkannt werden kann; sie verpönen das, was spirituell, durch übersinnliche Methode und Forschungsweise erkannt werden kann.
Das ist im wesentlichen eine Charakteristik desjenigen, was wir hier nennen anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Sie ist im wesentlichen darauf angewiesen, hinaufzusteigen zu dem Übersinnlichen. Indem sie aber wiederum hinaufsteigt zu dem Übersinnlichen, bringt sie der Menschheit etwas, was wesensverwandt ist mit der alten Mysterienweisheit, was daher wieder führen kann zu einem Verständnis auch des Mysteriums von Golgatha. Daher sind wir aus dem ganzen
Gang der Entwickelung der Gegenwart heraus darauf angewiesen, anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft zu suchen, um die Anschauungen des Mysteriums von Golgatha nicht überhaupt verschwinden zu lassen.
Lassen Sie dasjenige, was heute an unseren Universitäten als Naturwissenschaft betrieben wird, noch so sehr seinen Idealen sich nähern, das kann das Verschwinden des Mysteriums von Golgatha nicht aufhalten. Lassen Sie dasjenige, was sich als Geschichte entwickelt, noch so sehr sein Ideal erreichen, das kann nicht aufhalten das Verschwinden des Mysteriums von Golgatha. Und man kann eigentlich sagen, für denjenigen, der hineinschaut in das, was heute in unserer öffentlichen Bildung waltet, für den zeigt sich ganz klar: Alles tendiert darauf hin, das Verständnis für das Mysterium von Golgatha verschwinden zu machen. Die traditionellen Religionsbekenntnisse werden dieses Verschwinden niemals aufhalten können, denn sie bewahren ja nur die Worthülsen desjenigen, was ehemals einen Sinn gehabt hat, was aber heute für den Menschenverstand keinen Sinn mehr haben kann, wenn es nicht neuerlich gefunden wird durch eine bewußt angewendete geistige Forschung. Daraus aber ersehen Sie, wie innig verbunden ist der Weiterlauf des Verständnisses des Mysteriums von Golgatha mit der Entwickelung einer wahren geistigen Erkenntnis. Man würde solche Dinge nicht sagen, wenn sie sich nicht aufdrängten als etwas, das notwendig von der Gegenwart begriffen werden muß. Würde man nur, ich möchte sagen, aus irgendeiner subjektiven Wißbegierde nach dem Ubersinnlichen hin diese Geisteswissenschaft ausbilden, man käme sich viel zu unbescheiden vor, wenn man sagen~möchte, daß von der Belebung dieser anthroposophisch oflentierten Geisteswissenschaft abhängt der Fortgang, das Verständnis des Christentums. Nur weil sich diese Tatsache so unbedingt aufdrängt, weil man ihr nicht entkommen kann, wenn man einen wirklichen Sinn hat für das, was geschieht, deshalb spricht man es aus und scheut sich nicht davor, von denjenigen Menschen, die nicht auf den Ernst der Zeit hinschauen möchten, unbescheiden und vielleicht phantastisch gescholten zu werden.
Die Zeiten sind heute so ernst, daß man nicht anders kann, als an das Tor tiefster Wahrheit zu klopfen, hinter dem liegen diejenigen
Wahrheiten, die die Menschheit heute braucht. Die Menschheit des Abendlandes mit ihrem amerikanischen Anhang wird verkommen in Barbarei, wenn das Christus-Verständnis nicht erhalten bleibt. So aber, wie es diese Menschheit gemacht hat, und so, wie sie heute noch gesonnen ist, es fortzumachen, wird das Christus-Verständnis verschwinden. Einzig und allein bei denen, die heute einsehen, daß es notwendig ist, zu einem neuen Geistverständnis zu kommen, zu einem neuen Weg in der Erkenntnis des übersinnlichen Menschen, nur bei denen ist ein wahrer, ein ernster, ein starker Wille vorhanden, das Verständnis des Christus-Mysteriums für die Menschheit zu erhalten. Es wird aber kein soziales Leben geben, so wie es heute aus dumpfen, oftmals perversen Instinkten heraus verstanden wird, wenn das Christus-Verständnis völlig verlorengeht. Denn dieses soziale Leben wird sich doch nur dadurch entwickeln, daß in den Menschengemütern ein Gemeinsames wird leben können. Was kann dieses Gemeinsame nur sein? Dieses Gemeinsame kann nur das sein, was schon Paulus bezeichnet durch das Wort: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.» - So viele Menschen werden sagen können: «Nicht ich, sondern der Christus in mir», so viele Menschen werden sich als Glieder einer Menschheit über die ganze Erde hin ohne Unterschied von Nationalität und anderen Differenzierungen zusammenfinden können in der Begründung des neuen sozialen Lebens.
Dem sehen wir ja heute vielfach entgegenstreben. Wir sehen die einzelnen Nationen wiederum gewissermaßen die Fahne der Nationalität entfalten. Was ist das Wesen solcher Entfaltung? Ich habe es auch hier schon von gewissen Gesichtspunkten aus charakterisiert. Das Wesen ist die alte Jahve-Religion. Sie bestand darin, daß Jahve der Führer des Volkes war, und zwar der eine Jahve ein Führer des jüdischen Volkes. Heute, indem die Nationen ihre Nationalität voranstellen, kommen sie alle nur bis zu dem Jahve, nur hat jeder seine eigene Gestalt des Jahve. Es kann also nicht der wahre Jahve sein, sondern nur ein Spiegelbild. Eine Gestalt kann sich vielmals spiegeln. Eigentlich ist es doch so, daß die Menschen in der Gegenwart, weil sie verloren haben die alte Mysterienweisheit, die hinweisen konnte auf das Mysterium von Golgatha, alle mehr oder weniger angenommen haben
die Jahve-Religion unter der Führung des liberal-weltlichen «Oberrabbiners» wilson! Er, der vom Trugbilde des «Völkerbundes» gesprochen hat, also von einer Abstraktion an der Stelle des konkreten, durch die Menschengemüter gehenden Christus-Impulses, er hat Glauben gefunden, bis er ihn durch sein eigenes Verhalten, allerdings sehr bald, bei denjenigen, die noch ein wenig denken können, zerstört hat.
Auf was es ankommt, ist, daß die Menschen wieder den Weg finden, aus dem jahvetischen Nationalismus heraus zu dem universellen Christus-Erfassen zu kommen, zu demjenigen, was den Menschen nur als Menschen erscheinen läßt, aber ihn dadurch nicht verarmt gegenüber dem Nationalen, sondern ihn gerade bereichert. Das ist nicht anders möglich, als wenn wir uns zunächst den Weg bahnen zu einem Verständnis des Übersinnlichen. Nur wenn wir die Ideen, die Begriffe haben, die ins Übersinnliche hineinführen, können wir auch das Mysterium von Golgatha verstehen, das eben ein Ereignis ist, das mit der übersinnlichen, nicht mit der sinnlichen Welt zu tun hat. Was sich in der sinnlichen Welt zugetragen hat vom Mysterium von Golgatha, ist nur der äußere Abglanz. Was sich wirklich zugetragen hat, begreift keiner, der nur den äußeren Abglanz begreift; das begreift nur der, der seine Gedanken, seine Vorstellungen in die übersinnliche Welt erheben kann. Was begreift man denn, wenn man sich nicht in der neueren Weise zum Übersinnlichen erheben will?
#Bild S.243
Wenn wir uns hier den Erdenanfang denken (siehe Zeichnung), dann begreift man, wenn man sich nur zu dem erhebt, was heute naturwissenschaftlicher Inhalt ist, dasjenige, was erst alte Mysterien- weisheit war, dann im Abstieg ist, und was auf seinem Nullpunkt angelangt
sein wird im 3. Jahrtausend (O). Wenn wir noch so viel Naturwissenschaft treiben, wir sind im Abendland Barbaren und auch in Amerika Barbaren im 3. Jahrtausend. Wir erfassen dann nur dasjenige, was im Erdenleben stirbt, und wir leben dar nur das, was im Erden- leben stirbt. Wir versuchen dann alles der Beobachtung des Irdischen zu entnehmen, aber wir kommen nur zum Sterblichen. Wir haben nötig, den Punkt zu ergreifen, da das Kreuz auf Golgatha erhöht wird, und zu erfassen dasjenige, was da geschah, was zunächst begriffen wurde noch durch die Reste der alten Mysterienweisheit, das aber schwand nach und nach, das jetzt schon dunkel ist, das neuerdings erhellt werden muß (blau) durch dasjenige, was sich auf dem neuen, auf dem anthroposophischen Weg ergibt als Bahn ins Übersinnliche. Eng hängt gewissermaßen zusammen die Rettung, das Verständnis des Ereignisses von Golgatha mit der anthroposophischen Vertiefung der Menschheit, mit einer neuerlichen wirklichen Erkenntnis des Wesens des Menschen. Deshalb der Name Anthroposophie, das heißt Weisheit, die entspringt, wenn der Mensch sich in seinem höheren Selbst findet.
Man kann eigentlich keinen prägnanteren Namen finden als «Anthroposophie», wenn man dasjenige Wissen bezeichnen will, welches nicht vom Menschen handelt wie die gewöhnliche Geschichte, wie die Anthropologie oder ähnliches. Wenn man aber hinweisen will auf das, was im Menschen weiß: wenn der Mensch nicht durch seine Augen schaut, durch seine Ohren hört, sondern durch sein Seelisch-Geistiges erkennen will, wenn man hinweisen will auf dasjenige, was der höhere Mensch wissen kann, dann muß das nicht als «Wissenschaft vom Menschen», sondern als «Menschenwissenschaft», als Wissenschaft des höheren Menschen, als Anthroposophie bezeichnet werden. Und Anthroposophie ins Makrokosmische umgesetzt, ist Christologie! Was mit dem einzelnen Menschen vorgeht, wenn er sich geeignet erweist, anthroposophische Erkenntnis aufzunehmen, das geht mit der universellen Menschheit vor, wenn sie sich immer mehr dazu entschließt, das Ereignis von Golgatha in seiner wahren spirituellen Wesenheit zu erfassen. Ist es demgegenüber nicht etwas höchst Eigentümliches, daß gerade diejenigen am meisten Sturm laufen gegen dieses klare Bekenntnis zum Mysterium von Golgatha,
die vorgeben, von Amts wegen das Mysterium von Golgatha für die Menschen zu interpretieren? - Aber diese Tatsache ist einmal vorhanden und diese Tatsache muß ins Auge gefaßt werden. Man muß hinsehen auf sie, man muß nicht die Augen davor verschließen, sondern man muß gerade, indem man ihr gegenüber die Augen öffnet, Vorstellungen darüber bekommen, wie man sich zu stellen hat zu einem wahrhaft ehrlich gemeinten Fortschritt des Christentums. Mir tönen allerdings noch jene Worte in den Ohren, die einstmals ein berühmter Kirchenfürst, der Kardinal Rauscher, in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gesprochen hat im österreichischen Herrenhaus, indem er sagte: Die Kirche kennt keinen Fortschritt! - Damit ist im Grunde genommen das Programm der Kirche angegeben jenes Programm, von dem ich Ihnen auch gestern eine gewisse Vorstellung geben konnte. Ich glaube, daß auf seiten derjenigen, welche sich mit solchen Dingen wie Heraufkommen von neuen geistigen Ideen befassen, selbst auf seiten derjenigen, die sich mit der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft befassen, viel zu wenig berücksichtigt wird, was es eigentlich heißt, daß die traditionellen religiösen Bekenntnisse Sturm laufen gegen etwas, was einzig den Fortschritt des Christentums fundieren kann. Man weiß eben leider viel zu wenig, daß zum Beispiel ein Verfasser für jedes solches katholische Buch, selbst wenn es über Philosophie und Logik handelt, das Imprimatur des Erzbischofs sich holen muß Und wenn man es weiß, nimmt man es als eine zufällig aufgelesene Tatsache hin und wird sich der Tragweite davon gar nicht bewußt. Daher beurteilt man auch nicht in der richtigen Weise, was jetzt Sturm läuft gegen die von hier aus inaugurierte anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Und deshalb bin ich schon genötigt, Sie immer wieder hinzuweisen auf dasjenige, was von den Feinden der Wahrheit, von den Feinden der heute anzustrebenden Wahrheit immer wieder und wiederum vorgebracht wird.
Heute brauche ich Ihnen ja nur ein kleines Pröbchen vorzulesen, aber Sie werden von diesem kleinen Pröbchen wiederum genug haben können, wenn Sie einen Sinn dafür haben, was da eigentlich geschieht, wenn Sie sich auf der einen Seite vorhalten in Ihrem Herzen, was
anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gegenüber dem Christentum ehrlich will, und auf der anderen Seite hinschauen, wie diejenigen, die sich Christen nennen, dieser Geisteswissenschaft begegnen. Hier ist eine Ankündigung der Schrift - sie ist in violettem Umschlag erschienen -, die eine Zusammenfassung der «Spektator»-Artikel ist:
(Eingesandt.) «Das Geheimnis von Dornach.» «Das Geheimnis von Dornach> wird nun doch endlich nach sechsjähriger Existenz immer gründlicher aufgedeckt durch eine Reihe von katholischen Zeitungen, frühzeitig durch das basellandschaftliche Sonntagsblatt, vor kurzem auch durch das evangelische Schulblatt und die katholische Schweizerschule und mit heute auch noch durch eine Artikelserie des unter dem Titel: . So erklärt es u. a.... .». Man kann wirklich das nicht mehr alles lesen, man kann es gar nicht mehr alles bekommen, was da von der Gegenseite aufgefahren wird! «Erst vor wenigen Jahren, 1914, hat sich in Basel von dieser theosophischen Gesellschaft ein anthroposophischer Zweig losgelöst, dessen Haupt und Vertreter Dr. Rudolf Steiner ist, der in Dornach für mehrere Millionen eine theosophische Kultusstätte und eine theosophische, bzw. anthroposophische Hochschule für Mystik und Adepten - soheißt man die Eingeweihten - erbaut hat. Es heißt diese neue Gründung , auch Goetheanum, früher Johanneum. Dr. Steiner hat zahlreiche Schriften herausgegeben über diese Sekt,und in Basel hält er von Zeit zu Zeit Propagandavorträge mit (bisher) gutem Zulauf, ebenso in verschiedenen Städten der Schweiz, Deutschlands, Rußlands und Ästerreichs. »
Dieses Pröbchen ist wiederum aus einer streng katholischen Zeitung, dem «Basler Volksblatt»! Sie sehen, da werden Dinge in die Welt gesandt, die in so frivoler Weise lügen, daß sie imstande sind, dasjenige, was von Anfang an von mir bekämpft worden ist - der «Stern des Ostens» -, das nun als die Signatur von Dornach hinzustellen. Also es wird in der frivolsten Weise gelogen, indem wir mit dem Namen desjenigen belegt werden, was vom Anfange an als ein Unsinn, als eine Frivolität von uns bekämpft worden ist. Das ist «katholische Wahrhaftigkeit» hier in der Umgebung, denn es scheint schon, daß man es
als katholische Wahrhaftigkeit auffaßt, denn gleichzeitig finden Sie eine Mitteilung über die Schildwehr Dorneck-Thierstein. Da heißt es: «Aus der Umgebung. Schildwehr Dorneck-Thierstein (Eing.) Die am 27. Juni 1920 in Grellingen tagende Generalversammlung der Schildwehr Dorneck-Thierstein hatte nun bewiesen, daß alle die ihr früher entgegengehaltenen pessimistischen bei uns im Schwarzbubenlande noch nicht am Platze sind. Welch freudige Überraschung ging durch den Saal, als Hochw. Herr Pfarrer und Redaktor M. Arnet.. .». Dr. ßoos hat ihn hier einen Lügner und geistigen Giftmischer genannt. Ich weiß nicht, ob auf diese Aussage des Herrn Dr. Boos - von hier, von dieser Stelle aus -, die schon vor einiger Zeit geschah, von jener Seite etwas unternommen worden ist. Ist etwas erfolgt? [Einwurf Dr. Boos: Nein, nichts!] Es ist also noch nichts erfolgt, obschon der Pfarrer Arnet von Reinach hier von dieser Stelle aus ein Lügner und geistiger Giftmischer genannt worden ist. - Und nun also weiter: «Welch freudige Überraschung ging durch den Saal, als Hochw. Herr Pfarrer und Redaktor M. Arnet aus Reinach und Hochw. Hr. Pfarrer Hauß aus Münchenstein mit einem Fähnlein von Schildwächtern in unsere Mitte traten. Noch größer war die Begeisterung, als Hochw. Herr Superior aus dem Kloster Mariastein P. Gallus Jecker im schlichten Benediktinergewande erschien», und so weiter, nun kommt das Folgende: «Hochw. Hr. Pfarrer Arnet aus Reinach erhielt das Wort zu seinem Referate. In kurzen und markigen Sätzen, als echter Schildwächter, schilderte er uns in Hauptzügen die Stürme, die die kathol. Kirche durch alle Jahrhunderte hindurch zu bestehen hatte. Aber immer und immer traten wieder Männer auf, vom hl. Geiste erleuchtet und gestärkt, die den Kampf gegen Unwahrheit und Unglaube auf- nahmen, so daß die kathol. Kirche schließlich immer wieder den EndSieg errang.»
So wird hier der «Kampf gegen Unwahrheit aufgenommen», daß in der frivolsten Weise das Gegenteil von dem gelogen wird, was Tatsache ist! Dann redet man in solchen Phrasen: «Nachdem der Referent die Theosophenfrage kurz besprochen hatte, wies er hauptsächlich darauf hin, daß unser kathol. Volk mehr katholische Lektüre statt Romane aller Art studieren sollte.» Dann geht es noch weiter: «Hochw. Hr.
Pfarrer Hauß sprach mit überzeugender Schärfe anhand von Beispielen über die Notwendigkeit der Schildwehrgruppen. Warm und ideal begrüßte Hochw. Hr. P. Gallus O. S. B. das Erwachen des kathol. Jungvolkes. Jedes Dorf sollte einen Bannwald begeisterter Katholiken, Jung und Alt, besitzen, um das Dorf, die Gemeinde vor diesen fürchterlichen Lawinen des Unglaubens zu schützen. In Sachen Theosophie wies Rumpel auf die Katholikentagung der Nordwestschweiz in Dornach hin. Er war der Ansicht, daß dieser Tag geradezu geeignet wäre, um die antitheosophische Bewegung, die nicht nur auf katholischer, sondern auch auf protestantischer Seite im Werden ist, zu fundamentieren, damit recht bald das ganze christlich denkende Schweizervolk wirksam beeinflußt werden kann. Die Agitationszentrale Dornach muß unter allen Umständen bekämpft werden. Vom Jahresprogramm der Schildwehr Dorneck-Thierstein seien kurz die Hauptpunkte erwähnt: Förderung der katholischen Presse» - dieser katholischen Presse, die solche Pröbchen liefert! - «durch Einzelarbeit in den Gemeinden, hauptsächlich am QuartaIwechsel. Kräftige Unterstützung des Kampfes gegen die Steinersche Theosophie, Kampf dem Materialismus, der Verjudung von Presse und Literatur, dem Sozialismus und Liberalismus. Beförderung des Missionswesens. Unterstützung der katholischen Schulfrage (Wahl kath. Lehrer usw.). Kampf gegen den staatsbürgerlichen Unterricht. Beseitigung der Feuerwehrproben an Sonntagen» und so weiter.
Sie sehen, was hier «Wahrheiti> genannt wird! - Aber die Sache versteckt sich ja in allerlei Masken. Sie finden gleichzeitig hier einen Bericht aus Arlesheim von irgendeiner Versammlung, wo es heißt «Auch kann es [das Schul- und Gemeindehaus] in anderer Art fortfahren, Kulturzwecken zu dienen, indem es Arlesheims beide größten Volksbibliotheken, diejenige des Verkehrsvereins und des katholischen Volksvereins,beherbergen soll. Endlich will es auch noch der Wohnungsnot etwas steuern helfen und ein Logis mehr als bisher bieten. Ob es sich wohl träumte, daß es mit der Logisvermehrung einst einer ausländischen Überfremdung vom Dornacher Hügel her nachgeben sollte. Bürger und Einwohner von Arlesheim werden drum auch in der kommenden Gemeindeversammlung zum Rechten
sehen, wie einst bei Verweigerung einer gewissen Bausubvention an die Anthroposophen» und so weiter.
Nun, im Grunde genommen schildert man, indem man solche Beispiele anführt, doch nur die «Wahrhaftigkeit» eines größten Teiles der gegenwärtigen Menschheit, denn schließlich sind das die Führer, und um gar so viel besser als die Führer sind manchmal die Geführten auch nicht. Sie sind ja meistens doch, wenn die Führer so sind, erheblich besser. Aber da sie eben doch geführt sein wollen, so kann- selbst wenn sie besser sind, nichts Besonderes dabei herauskommen.
Leider muß es ja immer wiederum gegen den eigenen Willen sein, daß man solche Sachen hier erwähnt. Aber es muß schon immer wieder auf der einen Seite hingestellt werden, was anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gerade dem Mysterium von Golgatha gegenüber will und soll, und was auf der anderen Seite Sturm läuft gegen sie. Denn es läuft vieles Sturm, und was davon hier angeführt werden kann, das ist ja nur etwas, was zu der übelsten Sorte desjenigen gehört, was eben Sturm läuft. Um so mehr müssen wir das, was wir erfaßt haben von anthroposophischen Impulsen, in unsere Herzen, in unseren Willen aufnehmen. Denn davon, daß die Menschen sich entschließen, den Weg zum Geiste wiederum zu suchen, hängt es ab, ob es möglich sein wird, daß es in der Zukunft noch ein Christentum gebe oder nicht. Das Christentum muß doch ruhen auf dem Jesus-Worte: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.»
Nur in der Wahrheit findet man die Weisheit - so ist das Motto gewesen, das wir geschrieben haben, als wir versuchten, «Grundsätze» drucken zu lassen für die Anthroposophische Gesellschaft. Aber, können Zeitgenossen, die in einer solchen Weise die Unwahrheit sagen, irgendwie sich auf den Christus Jesus berufen, der doch ganz gewiß nicht war der Irrweg, die Unwahrheit und der Tod! Wir wollen in der rechten Weise verstehen, was das Christus-Wort ist: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.» Darum - nehmen wir auf den Sinn für die Wahrheit in unsere Herzen, in unsere Gemüter. Denn nur dadurch werden wir finden die Möglichkeit, eine rechte Fortentwickelung des Christentums zu fördern und zu pflegen. Die Unwahrheit wird das ganz gewiß nicht können.
FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 16. Juli 1920
Den Betrachtungen dieser drei Tage möchte ich heute eine Einleitung voranschicken, welche orientieren soll zunächst von einem gewissen Gesichtspunkte aus über das Verhältnis der anthroposophisch orientierten geisteswissenschaftlichen Bewegung zu älteren geistesforscherischen Bewegungen. Sie haben ja bemerkt, und ich habe es des öfteren erwähnt und charakterisiert, wie es notwendig geworden ist durch die Zeitverhältnisse, dasjenige Wissen, die Erkenntnis der übersinnlichen Dinge, von denen wir sprechen innerhalb unserer geisteswissenschaftlichen Bewegung, anders zu behandeln, als man behandelt hat das Wissen, die Erkenntnis, welche an die Menschen herangebracht worden ist in den alten Mysterien. Sie wissen ja auch, daß der Vergleich dieses geisteswissenschaftlichen Wissens der Gegenwart mit dem Initiationswissen der alten Mysterien berechtigt ist, trotz der Verschiedenheiten der beiden. Es ist allerdings das alte Mysterienwesen so gewesen, daß es Erkenntnisse vermittelte, die durchaus auf einem atavistischen, man möchte sagen, halb traumhaft gearteten Bewußtseinszustand des forschenden Menschen beruhten. Jenes moderne Geisteswissen, von dem wir hier sprechen, ist so geartet, daß alles in ihm bis in die geringsten Einzelheiten hinein mit vollem Bewußtsein erreicht werden muß, mit einem solchen Bewußtsein, das sich völlig gleichstellt dem Bewußtsein, das wir etwa haben, wenn wir geometrisch überschaubare oder überhaupt mathematisch überschaubare Wahrheiten in uns aufnehmen und sie verarbeiten. Also das völlig erwachte Geist-Erleben wird durch diese moderne Geistesbewegung erlangt in einem Seelenleben, das ganz durchleuchtet sein muß mit jenem Lichte, das auch unser waches Tagesleben, wenn wir wirklich wach sind, durchleuchtet. Aber hinführen zu den höheren übersinnlichen Daseinsformen soll dieses Wissen wie das instinktive, halb traumhafte Wissen der alten Mysterien.
Wir haben öfters gesprochen von dem besonderen Charakter dieses alten Mysterienwissens. Wir haben darauf hingewiesen, daß es zurückgeht auf ein Urwissen, auf eine Urweisheit der Menschheit. Nur durch
die Vorurteile moderner materialistisch-darwinistischer Anschauungsweise ist es heute verdeckt, daß die Menschheit nicht ausgegangen ist in ihrer Entwickelung von tierähnlichen Zuständen, sondern von Zuständen, für die es ein Analogon in der heutigen physischen Welt überhaupt nicht gibt, die aber das Leben der Seele so in sich schlossen, daß eben über die ganze bewohnte Erde der damaligen Zeit hin ein Wissen vom Geistigen, instinktiv erworben, vorhanden war. Wir müssen allerdings berücksichtigen, wenn wir diese Tatsache des übersinnlichen Urwissens uns vor Augen halten, daß die Menschheit in jener Urzeit in einer naiveren, elementareren, man möchte sagen, unschuldigeren Lebensauffassung war, daß in dieser Menschheit der Urzeit in gewissem Sinne steckten jene Antriebe, welche die göttlich-geistigen Wesen selber in die Seelen hineinlegten. So daß man sagen kann: Auf dem Gebiete, das wir heute etwa als das moralische bezeichnen könnten, waren die Menschen der Urzeit Wesen, die einfach sich ausnahmen wie Werkzeuge für die Taten göttlich-geistiger Wesen, so daß man von einer eigenen Verantwortlichkeit dieser Menschen, von einer Möglichkeit, persönlich sündhaft zu werden, für diese Zeit nicht sprechen kann, auch nicht von einem eigentlichen Abirren von dem Willen jenes Göttlich-Geistigen, aus dem schließlich die menschliche Seelenhaftigkeit hervorgegangen ist. Gerade das aber schließt auch den Grund ein, warum es in jenen älteren Zeiten möglich war, auszubreiten die Mittel in der Menschheit, ausgebreitet zu halten in der Menschheit ein Wissen über die übersinnlichen Dinge. Dieses Wissen, wenn es ein wahrhaftiges Wissen - auch in seinem atavistischen Zustande der Urzeit - ist, ist ja in Wirklichkeit gerade verknüpft mit der Beherrschung gewisser Kräfte des materiellen Daseins. Wir sind heute stolz darauf, daß wir aus unseren paar naturwissenschaftlichen Ideen heraus unsere Technik geformt haben, daß wir in diesem Sinne durch unsere Naturerkenntnisse die uns vorliegende Natur bis zu einem gewissen Grade beherrschen. In einer ganz anderen Weise konnten allerdings die Menschen der Urzeit vermöge jenes Wissens, das ihnen in ihrer unschuldsvollen Seelenverfassung eigen war, die verschiedenen Naturkräfte des materiellen Daseins beherrschen, und es war ihnen durch diese charakterisierte Seelenverfassung die Möglichkeit genommen, die ihnen von den Göttern
verliehenen übersinnlichen Erkenntnisse zum Schaden der Menschheit zu verwenden.
Sie wissen aus meinen Darstellungen, daß diese Urmenschheit nicht in demselben Sinne dicht-materiell war wie die spätere Menschheit und wie die heutige Menschheit, daß sie in gewisser Beziehung viel weniger materiell war. Damit hing eben auch zusammen, daß die Impulse des göttlich-geistigen Daseins sich in einer viel unmittelbareren Weise aussprechen konnten, als das später der Fall sein konnte. Was in der Entwickelung der Menschheit nach und nach eintrat, ist ja eine Verbindung des Geistig-Seelenhaften mit dem Physisch-Materiellen. Gewissermaßen stieg der Mensch immer tiefer und tiefer in die Materie herab. Aber gerade mit diesem Herabsteigen in die Materie stellte sich auch das ein, was man nennen könnte die Möglichkeit des Sündigens, die Möglichkeit einer Abweichung von den Wegen, die aus den Impulsen der göttlich-geistigen Wesen selber kamen, also die Möglichkeit, Böses zu tun, daher auch die Möglichkeit, die übersinnlichen Erkenntnisse in einem bösen Sinne anzuwenden. Diese Möglichkeit stellte sich erst in einem gewissen Zeitpunkt der menschlichen Entwickelung ein. In diesem Zeitpunkt aber trat etwas ganz Besonderes ein. Da eigentlich konzentrierte sich erst in rechtem Sinne - Sie wissen das aus der Darstellung der atlantischen Welt, die ich in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» gegeben habe - das hauptsächlichste Mysterienwesen in den Orakelstätten, in den Mysterien. Da wurde gewissermaßen der breiten Masse der Menschheit erst entzogen das Wissen von den über- sinnlichen Welten, und es wurde dieses Wissen das Eigentum der in die Mysterien initiierten Menschen. So daß die Entwickelung so geht, daß eigentlich immer mehr und mehr das übersinnliche Wissen aus der großen Masse der Menschen schwindet und in seiner eigentlichen Form bewahrt wird in den Mysterien. Diese Mysterien haben aber damals, wie Sie wissen, noch weite Umfänge urweltweisheitlicher Erkenntnisse in sich beschlossen und sie haben sie in sich beschlossen bis nahe an die christlichen Zeiten heran, einzelne bis in viel spätere Zeiten hinein. Aber verschiedene Mysterien mit dem allertiefsten Wissen, wie zum Beispiel eines, eigentlich zwei, in der Gegend des heutigen Frankreich, sind im Jahrhundert vor der Entstehung des Christentums, wie ich
Ihnen neulich andeutete, durch die Römer mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden, sogar auf eine furchtbar blutige Weise ausgerottet worden. Und an diesen Stätten, auf die man da hinweisen muß, erfloß noch in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten innerhalb Europas ein wunderbares, eindringliches Wissen, das seither für Europa völlig verschwunden ist. So geschah es auch an anderen Orten Europas.
Dann konnte nur noch in recht engen Zirkeln die Urweltweisheit bewahrt werden. In diesen Zirkeln, in denen man nur sehr selten Menschen haben konnte, welche aus eigener Anschauung hinaufdringen konnten in die übersinnlichen Welten, war es auch, daß nach den verschiedensten Richtungen hin dann die Erkenntnis der übersinnlichen Welten im schlimmen, im volksegoistischen Sinne angewendet wurde, was ja bis zum heutigen Tage in den Fällen hervortritt, die ich Ihnen seit Jahren hier charakterisiert habe, namentlich charakterisiert habe als die Arbeit gewisser Geheimgesellschaften der englisch sprechenden Bevölkerung.
Nun, es gibt eine gewisse Art, wie diejenigen Menschen, die eigentlich ganz im Geiste alter Zeiten über die Erkenntnis übersinnlicher Welten denken, heute noch die Gründe darstellen, warum eigentlich das Mysterienwissen von den Trägern der Mysterien der großen Menge so sorgsam vorenthalten worden ist. Die gehorsamen Vertreter von Geheimgesellschaften, die mit größerem oder geringerem Rechte, in besserer oder auch in sehr fragwürdiger Weise dieses Wissen bewahren, reden ja heute noch immer davon, daß man eben der Menge eine gewisse Art, die höchste Art von Wissen über die übersinnlichen Dinge nicht ausliefern könne, weil diese Menge heute für gewisse Inhalte dieses Wissens absolut nicht reif sei. Diese Dinge werden gesagt, und es ist immer eine gewisse Art bedeutsam, wie man dies von gewissen Seiten her begründet. Es ist schon nötig, daß wir uns hierüber heute ein wenig einleitungsweise unterhalten, weil ich ja allerlei wichtige Dinge morgen und übermorgen zu Ihnen zu sprechen habe. Wir müssen das, weil ja eben von hier aus der Grundsatz befolgt wird, sich mit Bezug auf die Verbreitung des Wissens der übersinnlichen Welten geradezu auf den Standpunkt, ich möchte sagen, des demokratischen Wesens zu stellen.
Sie wissen, es wurde von mir nicht zurückgehalten, wenigstens bis zu einer gewissen Stufe hin, selbst der breitesten Uffentlichkeit gegenüber, mit der Mitteilung gewisser übersinnlicher Erkenntnisse. Und Erkenntnisse von der Art, wie sie heute schon, obwohl sie da wenig verstanden werden, in öffentlichen Vorträgen von mir vorgebracht werden, gelten durchaus in einer gewissen Beziehung sehr werten Vertretern des heutigen Mysterienwesens als Erkenntnisse, die man in solcher Weise nicht der Uffentlichkeit mitteilen darf. Man kann da allerdings nicht bis zu gewissen Spitzen der Erkenntnis gehen; aber bis zu einer gewissen Stufe hin müssen einfach diese Erkenntnisse heute der Uffentlichkeit übergeben werden, schon aus dem Grunde, weil, wie ich ja öfters betont habe, sie einfließen müssen in die sozialen Impulse, die der gegenwärtigen Menschheit und der Menschheit der nächsten Zukunft im eminentesten Sinne notwendig sind. Und so ist es denn gekommen, daß ich fortgefahren habe mit den Mitteilungen solcher Erkenntnisse, die, wie gesagt, ja leider sehr wenig verstanden werden. Gerade die wichtigsten Dinge, die auch öffentlichen Vorträgen jetzt schon eingefügt werden und von denen man oftmals glauben sollte, daß sie in einer erschütternden Weise wirken, werden eigentlich so entgegengenommen, daß man sieht: die Seelen, die sie entgegennehmen, schlafen eigentlich einen ganz gesunden Schlaf, indem diese Dinge an ihre Ohren heranprallen. Aber trotzdem müssen diese Dinge heute der Uffentlichkeit mitgeteilt werden, und in einer gewissen Form habe ich immer wieder und wiederum versucht, sie innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft bis zu einer noch höheren Stufe vorzubringen, obschon nicht die besten Erfahrungen dabei gemacht worden sind.
Es wird jeder als eine Lächerlichkeit ansehen, daß man jemandem, der nicht Elementargeometrie kennt, die höhere Geometrie übergeben soll. Der Vergleich hinkt, wie alle Vergleiche, weil das, was man als ein gewisses höheres Wissen aus dem Gebiete anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft gibt, sich nicht ganz so verhält - allerdings nur scheinbar - zu dem Elementaren, wie die höhere Geometrie zu der elementaren Geometrie. Das ist nämlich so: Wer keine elementare Geometrie kennt, für den wird die Tatsache vorliegen, wenn man ihm die
höhere Geometrie vorsetzt, daß er sie zurückweisen wird, weil er sich klar ist darüber, daß er sie nicht versteht. Wenn man aber jemandem, der noch nicht die elementaren Vorkenntnisse der Anthroposophie hat, die höheren Erkenntnisse der Anthroposophie vorsetzt, so nimmt er sie entgegen. Er versteht sie zwar ebensowenig wie der andere die höhere Geometrie, aber da die Erkenntnisse in populäre Worte verständlich gekleidet sein müssen, glaubt er sie zu verstehen, spottet darüber oder redet darüber wie der Pfarrer Kully, und wir haben dann eben das Unmögliche vor uns, daß die höheren Erkenntnisse in einer ganz entstellten Form, in einer verlogenen Form an die Menschheit heran- gebracht werden. Aber wahre Erkenntnisse in einer verlogenen Form an die Menschen heranbringen, heißt, zur Vernichtung der Menschheit beitragen. Daher wäre es schon notwendig, daß man ein Verständnis für solche Dinge voraussetzen könnte, daß man voraussetzen könnte, daß dieses höhere Wissen bewahrt sein sollte vor dem Heranbringen an denjenigen, der nicht schon das niedere Wissen hat. Aber da sind ja gerade seit Jahrzehnten innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft recht böse Erfahrungen gemacht worden, die eigentlich schon dazu drängen könnten, wenn man zum Beispiel die alten Ideen im Kopf hätte über die Verschwiegenheit gegenüber den übersinnlichen Erkenntnissen, die ganze Verkündigung des übersinnlichen Weltensystems einzustellen. Denn, was erlebt man alles! Die Schwatzhaftigkeit, die innerliche und äußerliche Schwatzhaftigkeit ist ja wahrhaft im Laufe der Jahrzehnte eine nicht geringe gewesen; und noch in jüngster Zeit haben wir es erfahren müssen, als wir genötigt waren, zu unserem großen Leid- wesen gegenüber gewissen Tatsachen unsere Schriften vor einem möglichen falschen Verständnis zu schützen, daß von einer gewissen Seite geradezu eine naiv-unverständige Revolte sich erhoben hat. Es nützt nichts, diese Dinge unausgesprochen zu lassen, weil ein völlig durchgreifendes Verständnis für diese Dinge, vor allem für die Heiligkeit dieser Dinge, nicht vorhanden ist. Es wäre, wenn ein Bewußtsein von der Stellung übersinnlicher Erkenntnisse zu dem ganzen sozialen Menschenwesen vorhanden wäre, ja gar nicht möglich geworden, daß in einer solch entstellten, verlogenen Form diejenigen Dinge, die zu den heiligsten Angelegenheiten der Menschheit gehören, schimpfend in die
Welt hinausgetragen worden wären, wo sie dann in einer solchen Weise entkleidet worden sind. Trotz alledem aber, wenn auch von einer großen Anzahl von Menschen das, was mit höchstem Ernst behandelt werden sollte, behandelt wird wie ein leichtes Spiel, trotzdem ist es notwendig, dringend notwendig, daß heute diese Dinge an die Menschheit herangebracht werden. Die Pflicht gegenüber der geistigen Welt, die Pflicht gegenüber den geistig führenden Mächten der Menschheit, die muß heute als das Höhere gelten gegenüber demjenigen, was man von außen in der eben charakterisierten Weise bemerken kann. Es ist heute die Zeit gekommen, wo eine gewisse Summe übersinnlicher Erkenntnisse unbedingt an die Welt überliefert werden muß.
Die übersinnlichen Erkenntnisse bleiben in der Regel ungefährlich, wenn sie in abstrakter Art über Geistiges sich ergehen; aber der Ernst wird sogleich zur Notwendigkeit - wenn überhaupt Ernst gemacht wird -, wo es sich um übersinnliche Erkenntnisse der älteren Eingeweihten handelt. Solche Dinge sind ja nur für denjenigen ganz durchschaubar, der nun wiederum die Weistümer der alten Eingeweihten aus seinen eigenen Forschungen heraus finden kann. Der alte Eingeweihte sagte: Wenn man nur nach der Dreizahl okkulte Wahrheiten mitteilt, dann kann man in der Regel zwar allerlei soziale Schäden anrichten; man kann die Menschen verdummen, man kann die Menschen einschläfern, man kann sie benebeln und so weiter; aber wenn man alle siebenfältigen Formen der Geheimnisse über die übersinnlichen Welten mitteilt, dann teilt man den Menschen etwas mit, das bei ihnen, wenn sie bösartig veranlagt sind, eben zum Bösen führen muß. - Also der Eingeweihte sagt: In der Dreizahl die übersinnlichen Erkenntnisse mitgeteilt, wird unter Umständen nur äußerliche soziale Schäden anrichten, in der Siebenzahl sie mitteilen, das bedeutet eine Gefahr in dem Augenblicke, wo heranrücken an diese heiligen Geheimnisse die Menschen, die des Bösen nach irgendeiner Richtung fähig sind. - Was heißt das?
Sehen Sie, es gibt eine gewissermaßen unschädliche Mystik. Solch eine unschädliche Mystik wird getrieben, wenn man sich sektiererisch in kleinen Zirkeln zusammensetzt und da einer Anzahl, meinetwillen von sieben, acht oder hundert Menschen, allerlei Mitteilungen macht
über den Atherleib, Astralleib, über Wiederverkörperung, über Karma und so weiter, kurz, wenn man in abstrakten Sätzen über diese Dinge ungefähr so spricht, wie man ja auch spricht über die Dinge des gewöhnlichen Lebens, ohne daß man in einer anderen Seelenverfassung als der des gewöhnlichen Lebens ist, höchstens in einer mystischen Andacht nebuloser Art und dergleichen. Da tritt ja natürlich als Schlimmes das hervor, daß schließlich doch die Leute, die sich so zusammensetzen, ein wenig, sagen wir, dem lieben Herrgott den Tag abstehlen, indem es viel gescheiter wäre, wenn sie in derselben Stunde, in der sie anderen solche mystische Mitteilungen machen, nähen oder stricken oder kochen oder waschen würden oder dergleichen. Es ist ein solches abstraktes Treiben mit übersinnlichen Wahrheiten eigentlich im Grunde genommen nicht viel mehr wert als das andere Getriebe, das jetzt durch zahlreiche Kanäle mit sogenannten Weltanschauungen formiert wird. Aber Sie wissen: Wir auf unserem anthroposophischen Boden haben uns niemals da, wo Ernst gemacht wurde, mit solchem abstrakten Zeug eingelassen. Wir haben selbstverständlich immer betont, daß man gewisse inhaltsvolle Erkenntnisse über das Menschenwesen, über das Wesen des Weltalls und so weiter innehaben müsse, wenn man sich wirklich Vorstellungen machen will über das Übersinnliche. Das Streben unserer anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft ging immer dahin, die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse hineinzutragen in das reale Leben, in das medizinische Leben, in das soziale Leben, in das Leben des naturwissenschaftlichen Experimentes und anderes, wo vor allen Dingen ein Hineintragen übersinnlicher Erkenntnisse notwendig ist, bevor man daran denken kann, zu einer sozialen Gesundung unserer katastrophalen Zustände zu kommen. Aber wenn man, sagen wir, in die Medizin übersinnliche Erkenntnisse hineinträgt, dann beginnt sogleich dasjenige Gebiet, von dem die wirklichen Eingeweihten wissen, daß es in der Hand der bösen Menschen Böses anrichten kann. Denn wenn wir unsere Seelenkräfte, Denken, Fühlen, Wollen anstrengen, so wie wir sie zunächst in ihrer Abstraktheit in unserer Seele tragen, dann sind diese Seelenkräfte sehr, sehr stark bloße Bilder, auf das gewöhnliche Bewußtsein angewendet bloße Bilder, stark abgeschattete Bilder. Dadrinnen (Dreieck) ist nur eine sehr geringe Intensität von
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Wirklichkeit. Was die Menschen denken können, das ist, ich möchte sagen, Bild von Bild; was sie fühlen können, erst recht; und ins Wollen steigen sie ja gar nicht hinab, das sehen sie nur an Bildern der äußeren Ereignisse, die sich infolge dieses Wollens auf dem physischen Plan abspielen. Weil nun dasjenige, was da der Mensch erlebt, so wenig mit der Wirklichkeit in Zusammenhang steht, kann da nicht viel Schaden angerichtet werden. Man steigt ja in die Region der abstrakten Begriffe hinein. Man kann sehr schön reden über Atma, Buddhi, Manas und so weiter, aber man redet eigentlich von abstrakten Worten, von Worten, die weit davon entfernt sind, sich wirklich in die Wirklichkeit einzubohren.
Mit unseren Instinkten, also mit alledem, was zugrunde liegt, sagen wir unserem Temperamentswesen, und mit dem, was sonst unserem instinktiven Wesen zugrunde liegt, da stehen wir schon mehr in der Wirklichkeit. Mit dem zum Beispiel, was unser Hunger ist, was aus unserem Hunger wird als Ausfluß unserer Willensinstinkte, stehen wir sehr stark in unserer Wirklichkeit drinnen; und gäbe es nicht den Hunger und die mit dem Hunger zusammenhängenden, heute vielfach perversen Willensinstinkte, es gäbe keinen russischen Bolschewismus und dergleichen. Mit diesem Leben (Viereck), aus dem nur wie ein
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Schatten sich erhebt das Denken, Fühlen und Wollen (Dreieck), mit diesem Leben unserer Instinkte, unserer Triebe, unserer Temperamente
hängt die Wirklichkeit schon mehr zusammen. Diese Wirklichkeit ist ebenso, wie unser Seelenleben ein Dreigliedriges ist, ebenso ist diese Wirklichkeit etwas Viergliedriges und wurde so immer von den Eingeweihten dargestellt. Und betrachtet man so den ganzen Menschen, so hat man eben ein siebengliedriges Wesen. Aber man hat die niederen Glieder, diejenigen, in denen der Mensch in einer gewissen Weise das Tierische wiederholt, mit einem viel intensiveren Wirklichkeitscharakter vor sich, als die schattenhaft destillierte Abstraktion des Denkens, Fühlens und Wollens.
Nun aber greift Erkenntnis der übersinnlichen Welten, wenn man sie nur dem Bewußtsein nach abstrakt ergreifen kann, doch ein in unser Instinktleben, in unser Temperament, in unser Triebleben, und damit greift sie ein in die Welt der wirklichen Tatsachen, in die Realität. Man möchte sagen: Wenn man diese Welt des Seelischen, so wie sie heute der Mensch hat, ganz dünn zeichnet, so möchte man die Welt des Instinktiven, des Triebhaften, des Temperamenthaften ganz dick und real zeichnen, und in diese Welt spielt hinein das übersinnliche Erkennen (siehe Zeichnung). Diese Welt aber, die darf nur veredelt
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werden, denn sonst wird sie zur bösen Welt. Es darf also übersinnliches Erkennen auf diese Welt nur so wirken, daß diese Welt veredelt wird, so daß in dem Augenblicke, wo man an Wirklichkeiten mit dem übersinnlichen Erkennen herantritt, wo man also untertaucht in das Materielle, es durchaus davon abhängt, ob das in reiner ethischer, freier Gesinnung geschieht oder ob es geschieht in unreiner, unmoralischer, unfreier, das heißt emotioneller, triebhafter, tierhafter Gesinnung.
Diese Dinge haben durchschaut diejenigen Bewahrer der menschlichen Urweltweisheit, welche das höhere Wissen in den Mysterien für die dazu Vorbereiteten abgeschlossen haben. Aber dieses Abschließen ist nicht etwas, was man heute als eine absolute Notwendigkeit behaupten darf, und völlig unrecht haben diejenigen Menschen, die heute zum Beispiel Geheimgesellschaften angehören und im abstrakten Sinne die Notwendigkeit der Verschwiegenheit über das höhere Wissen durchaus behaupten wollen. Unrecht haben sie, denn die Zeichen der Zeit verstehen solche Leute durchaus nicht. Sie bewahren alte Traditionen auf, sie sagen heute noch dasjenige, was die großen Lehrer der Mysterienweisheit vor Jahrtausenden gesagt haben. Es ist zum Beispiel interessant, daß Sie in den Büchern der Helena Petrowna Blavatsky gerade da, wo Blavatsky am genialsten über okkultistische Dinge redet, auseinandergesetzt finden Gesinnungen über das Verschweigen von okkulten Weistümern, Gesinnungen, die heute durchaus nicht gelten, die von Blavatsky deshalb vertreten werden, weil sie sie gelernt hat von denjenigen, die eben keine Ahnung haben von den eigentlichen Zeitnotwendigkeiten der Gegenwart. Und so handelte Blavatsky wie eine Persönlichkeit, die auch vor Jahrtausenden gelebt haben könnte; sie hatte keine Ahnung von den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart, redete über das notwendige Verschweigen gewisser Mysterienwahrheiten, wie die Mysterienpriester vor Jahrtausenden geredet haben. Dadurch wird man, auch wenn man es nicht will, unwahr gegen seinen Mitmenschen in der Gegenwart. Und gewisse übersinnliche Strömungen werden gerade von diesem Gesichtspunkte aus im eminentesten Sinne unwahr gegenüber ihren Mitmenschen der Gegenwart, denn die Zeiten, in deinen wir heute leben, sprechen eine klare und deutliche Sprache, und diese Sprache kündet auf geistig-seelischem Gebiete von einer außerordentlichen Verirrung unter den Menschen.
Ich habe Sie erst vor kurzem auf eine literarische Erscheinung allerbedeutsamster Art aufmerksam gemacht, auf das Buch «Der Untergang des Abendlandes» von Oswald Spengler. Ich habe Ihnen gesagt, daß dieses Buch auf die Jugend, namentlich auf die studentische Jugend Mitteleuropas einen tiefgehenden Einfluß hat, und daß, als ich jüngst vor den Studenten der Stuttgarter Technischen Hochschule zu sprechen
hatte über die Bedeutung und das Wesen geisteswissenschaftlich-anthroposophischer Forschung, ich in diesen Vortrag ging durchaus in meinem Gemüte voll des Eindruckes, den diese Spenglerschen Ideen über den Untergang des Abendlandes auf die heutige Jugend, namentlich die akademische Jugend machen. Sie werden vielleicht bemerkt haben, wie berechtigt es ist, heute von dem tief Eingreifenden der Spenglerschen Ideen zu sprechen, denn weit über die Grenzen Mitteleuropas hinaus, überall, wo man heute literarische Erscheinungen beachtet, findet das Spenglersche Buch Berücksichtigung. Die «Times» haben sogar wiederholt ausführliche Besprechungen des Buches gebracht.
Was tritt nun in diesem Spenglerschen Buche für eine merkwürdige Theorie zutage? Wir finden in einem dicken Buche von einem Menschen, der, wie ich Ihnen sagte, zwölf bis fünfzehn Wissenschaften in einer genialen Weise tatsächlich beherrscht, den Beweis geliefert nach dem Muster, wie heute nur irgend in der Wissenschaft Beweise geliefert werden - denn daß der mittlerweile zu hohen Würden aufgestiegene ßenedetto Croce Torheiten über dieses Buch gesagt hat, trotzdem er sonst Gescheites gesagt hat, braucht uns nicht zu beirren -, wir finden, daß da gezeigt wird, wie das ganze Abendland mit seinem amerikanischen Nachwuchs im Altwerden, im Greisenhaftwerden der Zivilisation steht, wie der Tod im Beginne des 3. Jahrtausends dieser abendländischen Kultur bevorsteht, wie die Barbarei da hereinbrechen müsse, wie ungefähr um das Jahr 2200 eben dasjenige, was heute abendländische Zivilisation ist, von der Barbarei abgelöst sein müsse. Wir finden dieses, wie gesagt, mit allem Rüstzeug der heutigen Wissenschaft belegt, und wir müssen erkennen, daß gegen solche furchtbare Ansicht, furchtbar vor allen Dingen wegen des wissenschaftlichen Rüstzeuges, mit dem sie auftritt, daß gegen solche furchtbare menschenzerstörerische Ansicht nur geisteswissenschaftliche Vertiefung aufkommen kann, und daß nur geisteswissenschaftliche Vertiefung imstande ist, den Punkt zu zeigen, wo in der menschlichen Seele selbst aufquillt dasjenige, was das Abendland wiederum heraustreibt aus dem Untergange. Würde das Abendland nur dasjenige behalten, was jetzt auf Universitäten, Gymnasien, Mittelschulen, Volksschulen an die Menschen
herangebracht wird, was herangebracht wird durch unsere Zeitungsliteratur, durch unsere populäre wissenschaftliche Literatur - Spenglers Rechnung, daß im Jahre 2200 die Barbarei über dieses Abendland land hereinbrechen muß, wäre berechtigt. Allein der Appell an den Willen der menschlichen Seele, wie ihn die Geisteswissenschaft geben kann, weil sie geistige Kräfte entflammt in dieser menschlichen Seele, weil sie den äußeren, heute überall zum Niedergang drängenden Kräften diejenige Kraft, die der Mensch aus seinem Willen entgegensetzen muß, entgegensetzt, allein Geisteswissenschaft hat das Recht, gegenwärtig sich aufzubäumen gegen solch wissenschaftliches Rüstzeug, wie es von Oswald Spengler dargeboten wird. Gewöhnliche, profane Widerlegungen des Spenglerschen Buches sind eine Lächerlichkeit.
Aber gerade an diesem Spenglerschen Buche, was erfahren wir? An der ganzen Art, wie es gedacht ist, wie die Forschungen darinnen verarbeitet sind, sieht man, daß dieses Spenglersche Denken ganz hervorgegangen ist aus dem Denken gerade der breiten Masse der heutigen gebildeten Menschheit, nur, daß Spengler eben ungemein viel gescheiter und genialischer ist als der heutige Durchschnittsmensch. Daher sagt er über viele Dinge gerade das Entgegengesetzte von dem, was der heutige Durchschnittsmensch sagt, aber es liegt dasjenige, was er sagt, doch nur in der geradlinigen Fortsetzung dessen, was der Durchschnittsmensch heute denkt, was der Durchschnittsmensch heute für das Richtige hält. Aber wie tritt uns dieses Buch entgegen, das auf Tausende und aber Tausende Seelen heute einen erschütternden Eindruck macht, wenn wir es unbefangen mit dem Blicke, der uns aus der Initiationsweisheit kommen kann, betrachten? Es klärt uns geradezu auf über das innerste Gefüge der heutigen traditionellen Weltanschauung, des heutigen landläufigen Denkens. Es zeigt sich an dem Spenglerschen Buche das Merkwürdige, daß man genial sein kann - Spengler ist genial, außerordentlich genial - und dennoch die größten Torheiten sagen kann; denn in seinem Buche sind auch die größten Torheiten enthalten, aber Torheiten, die eigentlich heute nur ein genialer Mensch finden kann. Die anderen Menschen sind nicht geeignet dazu, solche große Torheiten zu finden, wie sie Spengler gefunden hat. Nun stelle man sich die Verwirrung vor, die in den Gemütern anrichten muß
ein Buch, bei dem man auf jeder Seite die Genialität und die Torheit zu gleicher Zeit bewundern kann!
Die Extreme stoßen heute in einer Weise zusammen, wie man es sich vielleicht vor hundert Jahren, vielleicht vor hundertzwanzig Jahren noch nicht hätte träumen lassen brguchen. Und wenn heute die Philister mir etwa vorwerfen, daß ich jemanden einmal genial nenne und dann auch töricht nenne, so muß ich sagen, daß ich mir das heute schon vorbehalte. Ich begehe dann vielleicht heute auch noch den Fehler, daß ich Oswald Spengler zugleich ein Genie und zugleich einen Toren nenne, denn er ist beides zugleich. Das ist man aber, wenn man heraus- wächst aus der merkwürdigen Konfiguration gerade der heutigen Literatur. Man muß schon so gescheit sein wie Spengler, so grundgescheit, um solch blödsinnige Dummheiten auszusinnen, wie sie Spengler ausgesonnen hat. Mit einem geringen Grad von Gescheitheit kommt man zum Beispiel nicht zu den faszinierenden, blendenden Behauptungen Spenglers, daß der richtige, der wahre Sozialismus das Preußentum ist, und daß die bis zum Jahre 2200 niedergehende, also durchaus dem Tode verfallende abendländische Kultur keinen anderen Ausweg mehr hat, als ganz preußisch, das heißt, ganz sozialistisch im Spenglerschen Sinne zu werden. Und eine Broschüre, die als eine Ergänzung dasteht neben dem Buch «Der Untergang des Abendlandes», «Preußentum und Sozialismus>, ist auf jeder Seite voll des Genialsten, was man an Einblicken in einzelne Detailerscheinungen des geistigen und sozialen Wesens heute haben kann. Was zum Beispiel Spengler da über das Russentum sagt, erinnert mich zuweilen - allerdings indem ich immer Rücksicht nehmen muß auf all das, was ich gerade jetzt über Oswald Spengler gesagt habe - an manches, was ich über das Russentum, über die Zukunft des Russentums und über die Geartetheit des russischen Volkes vor vielen Jahren selbst gesagt habe. Und da Spengler erklärt, daß er das, was er über das Russentum sagt, namentlich über seine wissenschaftliche Berechtigung, in seinem zweiten Bande von «Der Untergang des Abendlandes> weiter ausführen werde, so muß ich sagen: Ich freue mich auf jenen «genialen Kohl», der aus diesem zweiten Bande über die Zukunft Europas unter dem Einfluß des sich weiter entwickelnden Russentums gesagt sein wird.
Sie sehen, man muß heute paradox werden, wenn man wahr schildern will dasjenige, was eigentlich um uns ist, und man kommt nicht zurecht, wenn man nicht in solch paradoxer Form schildert, was unter uns ist. Ein Drittes, was man auch bei Oswald Spengler findet: er schildert ganz und gar einen Pessimismus. Denn es ist doch ein Pessimismus, wenn man sagt: Im Jahre 2200 wird alle abendländische Zivilisation von der Barbarei abgelöst sein. - Und es ist namentlich ein Pessimismus, wenn man das mit zwölf bis fünfzehn Wissenschaften so streng beweist, wie das Spengler tut. Aber Spengler betet in einer gewissen Weise mit religiöser Demut diesen Pessimismus an. Er ergeht sich in diesem Pessimismus, ich möchte sagen, er glorifiziert diesen Pessimismus, diesen Sozialismus oder dieses Preußentum, welches die ganze Welt ergreifen wird, weil nur noch durch Organisation und Durchtränkung der Gesellschaft im preußischen Sinne eben bis zum Jahre 2200 der notwendige Untergang hinausgeschoben werden kann. Das alles ist doch wohl Pessimismus! Aber das ganze, das da Oswald Spengler vor sich hat als diese sozial verpreußte Welt, diese bis zum Jahre 2200 noch lebende, dann sterbende abendländische Welt, sie wird gewissermaßen von ihm noch glorifiziert. Er schildert sie mit innerem Feuer, aber es ist kein nachhaltiges Feuer, es ist ein Theaterfeuer, wenn man genau zusieht.
Ich rede nicht gern abstrakt, rede am liebsten in Tatsachen. Und wenn man nach dem Grund fragen würde: Warum muß heute ein genialer Mensch, indem er gerade eine feine Beobachtung hat für gewisse Detailerscheinungen der gegenwärtigen Zivilisation, zugleich so töricht sein? Warum muß ein so grundgescheiter Mensch zugleich solche Hauptdummheiten behaupten? Warum muß ein solcher Mensch, der den Pessimismus hinmalt, diesen Pessimismus hinmalen mit einem Tlieaterfeuer, das diesen Pessimismus, wenn man vergessen kann, daß er zum Untergange führt, erscheinen läßt wie einen grandiosen Optimismus, wie das Herausfordern der Bewunderung für diesen katastrophalen Untergang? Warum ist das alles?
Ich möchte mit einem ganz konkreten Satze antworten: Oswald Spengler fordert, während er ganz naturwissenschaftlich denkt, für das 20. Jahrhundert Psychologie, aber er hat keine blasse Ahnung von der
menschlichen Seele. Warum? Weil er in demselben Augenblicke, wo er das Wort «Theosophie» - Anthroposophie scheint er nicht zu kennen -, wo er die Worte «Theosophie» und «Okkultismus» in den Mund nimmt, einen roten Kopf bekommt und ganz fuchtig wird. Daher kann sich seine geniale Betrachtungsweise auch nur der Schale widmen, nicht der Innerlichkeit, durch die die Seele aufgesucht werden muß. Daher kann sein Feuer auch nicht dasjenige sein, was aus den elementaren Urgewalten des Menschen hervorgeht, sondern ist im Grunde genommen doch nur ein Theaterfeuer. Oswald Spengler bekommt einen roten Kopf, wenn er die Worte «Theosophie» und «Okkultismus» in den Mund nimmt, und er kann, wie es scheint, kaum einen anderen Zweck finden für Okkultismus und Theosophie, als daß mit ihnen der Bolschewismus, der Spartakismus ein wenig zu einer Art Salonsozialismus aufgepäppelt werde. - Das ist wiederum die grandiose Dummheit eines Menschen, dessen Genie aus der Geistsubstanz der Gegenwart heraus geboren wird. Das bezeugt aber zu gleicher Zeit, daß da, wo keine Ahnung vorhanden ist, sondern nur ein roter Kopf gegenüber der geistigen Vertiefung, daß da eben die verwirrendsten Kulturerscheinungen der Gegenwart zutage treten müssen, auch wenn sie genial auftreten.
Das ist dasjenige, was ich heute als Einleitung den wichtigen Betrachtungen vorausschicken wollte, die ich dann morgen und übermorgen vor Ihnen anstelle.
SECHZEHNTER VORTRAG Dornach, 17. Juli 1920
Ich darf noch einmal erinnern an diejenigen Dinge, die ich gestern am Schlusse der hier vorgebrachten Ideen über das Paradoxe in dem Charakter unserer Gegenwart erwähnt habe. Mir scheint es, daß keine Zeit so charakterisiert hat werden müssen in hervorragenden ihrer Repräsentanten wie gerade diese unsere Gegenwart. Denn bedenken Sie einmal, ich mußte gestern - führen wir uns nur einmal den Tatbestand ordentlich vor Augen - von einem hervorragenden Menschen der Gegenwart sprechen, von einem Menschen, von dem ich sagen konnte, daß er ganz herausgewachsen ist aus dem, was die sogenannte geistige Substanz der Gegenwart ist, von Oswald Spengler. Es ist zweifellos, daß er zunächst einer von denjenigen ist, die namentlich auf die Jugend Mitteleuropas den denkbar größten Einfluß gewinnen, und daß man mit diesem Einfluß rechnen muß. Aber man sieht, wie ich gestern erwähnt habe, diesen Einfluß auch schon weit über Mitteleuropa hinausgehen. Die «Times» haben Artikel gebracht über das, was in dem Buche «Der Untergang des Abendlandes» von Oswald Spengler steht, und es ist einmal eine hervorragende Erscheinung, daß mit einer Geschlossenheit, die man heute eben nur gewöhnt ist in der sogenannten Wissenschaftlichkeit, ein Mensch, der ausgerüstet ist mit zwölf bis fünfzehn Wissenschaften, die er voll beherrscht, strikte beweist, daß bis zum Beginne des 3. Jahrtausends unsere abendländische Kultur zugrunde gehen muß, in die Barbarei verfallen muß. Es ist eine bedeutsame Erscheinung, daß mit denselben Mitteln, mit denselben Forschungs- und Denkweisen, mit denen unsere Zeit glaubte, es so weit gebracht zu haben, jemand klipp und klar beweist, daß diese Zivilisation in so kurzer Zeit vollständig verschwunden sein musse.
Wir haben es da eben durchaus nicht mit einer Anschauung zu tun, die, wie so vielfach in der Gegenwart, im Belletristischen, im Feuilletonistischen steckenbleibt; wir haben es zu tun mit etwas, was mit dem schwersten Rüstzeug wissenschaftlicher Beschlagenheit auftritt, und, vor allen Dingen, wir haben es zu tun mit einem genialen Menschen.
Dieser geniale Mensch verwendet abendländische Wissenschaft dazu, um die Anschauung entsprechend zu begründen, daß die Kultur des Abendlandes zugrunde geht. Und ichmußte Ihnen gestern, um so ganz Oswald Spengler zu charakterisieren, die ärgste Paradoxie sagen. Ich mußte Ihnen sagen, daß dieser Spengler zweifellos ein genialer Mensch ist, daß er aber die größten Torheiten sagt. Ich habe Ihnen Beispiele davon angeführt, so daß wir vor der merkwürdigen Erscheinung im Geistesleben der Gegenwart stehen, daß sich Genialität und Torheit beriihren. Das ist überhaupt etwas Charakteristisches, daß sich die äußersten Extreme in unserer Gegenwart berühren, und man würde schon eine Empfindung bekommen können von diesem erschütternden Berühren, wenn man auf der anderen Seite nicht gar so schläfrig dahinlebte.
Denn ich stelle mir vor: wenn zu einer Versammlung vor hundert- dreißig Jahren in Mitteleuropa so hätte gesprochen werden müssen, wie gestern gesprochen worden ist über Oswald Spengler, so würde eine solche Versammlung vollständig aus dem Häuschen gekommen sein; denn dazumal wachte man noch! Das ist eine allgemeine Erscheinung, daß die Paradoxien in unserer Zeit sich ineinanderweben, und daß die Menschen schon ganz abgestumpft sind gegenüber diesen Paradoxien, weil Geistiges im Grunde genommen auf die Gegenwartsmenschen keinen Eindruck mehr macht.
Und ich mußte Ihnen zweitens sagen, daß dieser Oswald Spengler ein grundgescheiter Mensch ist, daß man schon so gescheit sein muß wie er, um so grandiose Dummheiten zu produzieren, wie er sie produziert hat. Ich knüpfte daran die Bemerkung, daß es Laffen genug gibt, welche zum Beispiel mir vorgeworfen haben, ich sagte über ein und dieselbe Erscheinung bald dieses, bald jenes. Ich habe es mir gestern heraus- genommen, an einem und demselben Abend über eine Persönlichkeit zweierlei zu sagen: daß sie genial und töricht ist, daß sie gescheit und grandios dumm ist. Diese Dinge erleben wir heute. Und ehe es nicht mit Ernst begriffen wird, daß diese Dinge heute erlebt werden können, daß aus den Tiefen der heutigen Bewußtseine diese Dinge aufsteigen, eher wird man nicht einen solchen Einblick in die Notwendigkeiten unserer Zeit gewinnen, daß man die ganze Bedeutung der hier gemeinten Geisteswissenschaft wirklich einsieht.
Es hängt mit dem, was ich in dieser Weise charakterisieren muß, zusammen die Anderung im Usus, im ganzen Gebrauche, den man von den übersinnlichen Erkenntnissen macht. Ich habe Ihnen gestern dargestellt, wie durch Jahrtausende hindurch in den Mysterien die übersinnlichen Erkenntnisse bewahrt worden sind, wie es geradezu eine Selbstverständlichkeit war, daß über sie geschwiegen worden ist. Ich habe Ihnen gesagt, daß heute etwas anderes notwendig geworden ist. Trotzdem es sich gerade herausgestellt hat, daß die Verschwiegenheit nicht einmal in der Außerlichkeit des Bewahrens meiner Vortragszyklen hat erreicht werden können, so mußte dennoch streng der Kurs eingehalten werden, gewisse Wahrheiten, die allerdings noch nicht bis an die höchste Stufe heranreichen, ganz öffentlich zu behandeln. Zu der Verschwiegenheit, wie wir sie in den alten Geheimgesellschaften oder gar in den Mysterien erlebt haben, bringt man es heute nicht in der Zeit, von der ja so viele die «Beweise» haben, «wie wir es so herrlich weit gebracht» haben.
Es ist eben heute durchaus eine gewisse Demokratie notwendig. Demokratie ist einmal seit mehr als einem Jahrhundert eine notwendige Forderung unserer Zeit. Und so wenig es abgeschafft werden kann, daß immer nur Einzelne Geistesforscher werden sein können, immer nur Einzelne durch die Kraft ihres eigenen Seelenlebens sich werden hin- aufleben können in die geistigen Welten, so sehr wird es aber auch notwendig sein, daß gerade, um das soziale Leben in der richtigen Weise zu begründen, die Weisheit, die gewonnen wird durch den Einblick in die übersinnlichen Welten, in die weitesten Kreise getragen werde. Wie notwendig das ist, soll Ihnen aus folgender Betrachtung hervorgehen, einer Betrachtung, die wiederum von der Art ist, daß viele noch reaktionäre, rückschrittliche, aber sonst ehrenwerte Repräsentanten gewisser Geheimgesellschaften es höchst anstößig finden, wenn man solche Dinge heute mitteilt.
Sie wissen ja, die traditionellen Religionsbekenntnisse sprechen eigentlich nur von einer Unsterblichkeit, das heißt, sie meinen, in ihren Predigten, in ihrer Theologie zu den Menschen nur sprechen zu sollen von der Fortdauer der Seele des Menschen nach dem Tode. Ja, es wird nicht nur in der Theologie, in der Predigt von nichts anderem gesprochen
als von dieser Fortdauer nach dem Tode, sondern es wird sogar von den europäischen traditionellen Bekenntnissen als ketzerisch, als häretisch erklärt, wenn man redet von der Präexistenz, von dem Leben der Seele in geistigen Welten vor der Geburt oder, sagen wir, vor der Empfängnis. Ich habe Ihnen auch charakterisiert, warum das allmählich unter dem Gang der europäischen Geistesströmung sich herausgebildet hat. Zu wem sprechen denn eigentlich die Vertreter, die Repräsentanten der traditionellen Religionsbekenntnisse? Sie sprechen im Grunde genommen doch nur zu dem raffinierten Egoismus der Seelen. Sie bringen für die Unsterblichkeit nichts anderes vor als das, was die Menschen aus ihrem Egoismus heraus hören wollen, weil sie das Leben nach dem Tode aus diesem Egoismus heraus ersehnen und begehren.
Dieser Begierde wird ja gefrönt in Tausenden und Tausenden von Predigten und theologischen und religiösen Schriften. Weil die Menschen nicht untergehen wollen im Tode, wird an die Instinkte dieses raffinierten Seelenegoismus appelliert, und von dem aus werden die Menschen herangezogen, zu glauben an die Unsterblichkeit. Für dasjenige, was aber das eigentlich Ewige ist im Menschen und über das man nicht sprechen kann, wenn man nicht von der Präexistenz spricht, für das ist wenig Empfindung vorhanden. Wir haben in den europäischen Sprachen nicht einmal ein entsprechendes Wort dafür. Wir haben das Wort «Unsterblichkeit», wir haben aber nicht das Wort «Ungeborenheit». Ebenso müßten wir das Wort «Ungeborenheit» haben, wenn wir wirklich losgingen auf das Ewige in der Menschenseele, wie wir das Wort «Unsterblichkeit» haben. Wir negieren bloß das Vergehen an dem einen Ende des Lebens, indem wir eine negative Partikel an die Sterblichkeit setzen und von der Unsterblichkeit sprechen. Wir haben kein gebräuchliches Wort etwa wie «Ungeborenheit». Ein solches Wort muß sich aber einleben. Denn spricht man zu den Menschen von der Ungeborenheit, so kann man nicht an ihre egoistischen Seeleninstinkte appellieren. Ich möchte sagen: Die Unsterblichkeit wird zur Selbstverständlichkeit, wenn man in der richtigen Weise diese Ungeborenheit begreift; aber diese Ungeborenheit macht das Leben unbequemer, als die meisten Menschen es haben wollen und als es vor allen
Dingen die Repräsentanten der traditionellen Religionsbekenntnisse haben möchten.
Das alles hat nicht nur eine theoretische Bedeutung, das alles hat eine durchaus praktische, eine reale Bedeutung. Denn eine solche Wahrheit, wie ich sie vor einigen Wochen hier angeführt habe, dürfen wir nicht leicht nehmen. Ich sagte Ihnen: Man spricht heute eigentlich nur im theoretischen, im akademischen, im doktrinären Sinne davon, daß die Menschen materialistisch sind. Man meint: Sie denken materialistisch. - Was ist denn eigentlich gemeint, wenn man sagt: Die Menschen denken materialistisch? - Man denkt dabei: Die Menschen denken falsch, denn der Materialismus ist nicht richtig; die Menschen haben nun einmal eine unsterbliche Seele, das eigentliche Wesen des Menschen ist geistig, daher ist der Materialismus falsch. Man muß also einfach den Materialismus bekämpfen und in der Theorie das Richtige anstreben. - Das ist aber nicht das, worauf es ankommt, sondern die Sache verhält sich so. Gewiß, das menschliche Wesen ist zunächst
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geistig-seelisch. Nehmen wir einmal an - schematisch gezeichnet -, das sei das geistig-seelische Wesen des Menschen (rot). Aber von diesem geistig-seelischen Wesen des Menschen bildet sich nach der Empfängnis beziehungsweise nach der Geburt ein getreulicher Abdruck im Leiblich-Physischen, so daß also von dem, was geistig-seelisch ist, ein völliger Abdruck vorhanden ist im Leiblich-Physischen (weiß).
Alles dasjenige, was im Geistig-Seelischen ist, wird abgedrückt im Leiblich-Physischen. Nun können Sie zweierlei erleben. Sie können es erleben, daß die Menschen sich bekanntmachen mit solchen Gedanken, die aus der geistigen Welt geholt sind, wie sie in unseren anthroposophischen Büchern stehen, Gedanken, wie sie die Materialisten für Unsinn halten, wie es die Materialisten für Phantasie halten, wenn man solche Gedanken denkt. Man braucht nicht selbst Geistesforscher zu sein, aber wenn man denkt mit dem Geistig-Seelischen, so ist das Leiblich-Physische der getreuliche Abdruck davon. Wenn man aber in der Gegenwart Naturforscher ist, wenn man im gewöhnlichen Leben mit Verleugnung des Geistig-Seelischen denkt, dann denkt man wirklich mit dem physischen Gehirn, dann wird man nur ein Abdruck der Materialität. Verleugnet man das Geistig-Seelische, dann wird man wirklich Materialist. Also ist der Materialismus richtig, er ist nicht falsch! Das ist das Wesentliche. Man kann es dahin bringen, daß man nicht eine falsche Ansicht vertritt, wenn man den Materialismus vertritt, sondern daß man so in die Materie herunter- gefallen ist, daß man wirklich materialistisch denkt. Daher sind materialistische Theorien richtig. Daher ist das wesentlichste Charakteristikum unserer Zeit nicht, daß die Menschen unrichtig denken, wenn sie materialistisch sind, sondern das wesentlichste Charakteristikum ist, daß eben die Mehrzahl der Menschen materialistisch wird, indem sie das Geistig-Seelische verleugnen und bloß mit dem physischen Leibe denken, mit dem physischen Leibe eine Nachahmung, eine Imitation des Seelenlebens hervorbringen. Wir haben, indem wir den Materialismus bekämpfen, es nicht zu tun mit einer bloßen Umkehrung der Theone, sondern wir haben es zu tun mit einem Willensentschluß, sich loszureißen vom Materiellen, damit wir nicht etwa bloß theore tisch keine Materialisten seien, sondern damit wir in der Materie nicht versinken, damit der Materialismus unrichtig werde. Er ist richtig für unsere Zeit, und er muß unrichtig werden! Darauf muß die Kraft verwendet werden, daß der Materialismus unrichtig werde. Es handelt sich also nicht um bloße Umwendung von Theorien, sondern es handelt sich um innere geistige Taten, die die Menschheit in unserer Zeit zu verrichten hat, um sich der Materialität zu entreißen.
Damit aber hängt eine bedeutsame, eine große Wahrheit zusammen. Die traditionellen Religionsbekenntnisse reden bloß von dem Postmortem-Leben, von dem Leben nach dem Tode. Wir wissen aus unserer Literatur und aus unseren Vorträgen und sonstigen Darstellungen, daß es selbstverständlich berechtigt ist, von diesem Post-mortem-Leben, von diesem Leben nach dem Tode zu sprechen. Wir beschreiben es ja auch getreulich in seinen Einzelheiten. Aber wir reden nicht aus demselben Geiste, wie die traditionellen Bekenntnisse reden, wir reden aus einem anderen Geiste. Wir reden aus dem Geiste der Erkenntnis, nicht aus dem Geiste bloß des stupiden Glaubens. Aber die traditionellen Bekenntnisse reden eben zum Egoismus, zum raffinierten Seelenegoismus, und sie lehnen ab mit aller Strenge ein vorgeburtliches Leben. Sehen Sie nur, wie häretisch, wie ketzerisch die Annahme eines Lebens vor der Empfängnis von den traditionellen Bekenntnissen angesehen wird. Natürlich ist mit der Präexistenz ganz notwendig verknüpft die Einsicht in die wiederholten Erdenleben; aber mit der Bekämpfung der Präexistenz werden zugleich die wiederholten Erden- leben bekämpft. Indem in der theologischen, in der religiösen Darstellung, in der Predigt nur reflektiert wird auf das Post-mortem-Leben, auf das Leben nach dem Tode, wird die Menschenseele in einer gewissen Weise bearbeitet: Gefühle, Empfindungen gehen in die Menschenseele hinein.
Die Menschenseele ist in einer gewissen Weise geartet. Es ist nicht richtig, daß eine Menschenseele, durch die hindurchgegangen sind Gedanken zum Beispiel meiner «Geheimwissenschaft im Umriß», geradeso aussieht wie eine Menschenseele, zu deren egoistischen Instinkten man bloß in traditionell-religiöser Weise von dem Post-mortem-Leben spricht. Ich habe Sie öfters darauf aufmerksam gemacht: Die reale Logik, das Leben der geistigen Impulse, ist ein anderes als die bloße Gedankenlogik. - Ich habe öfters das Beispiel des Avenarius angeführt, der hier in der Schweiz an der Universität in Zürich gelehrt hat. Er war ein ganz redlicher, braver Bourgeois, ein bürgerlicher Mensch; er hat seine materialistische Philosophie vorgetragen, und kein Mensch konnte etwas anderes sagen, als daß er ein sich in die gewöhnliche, gutbürgerlich-philiströse Sitte hineinfindender braver Mensch gewesen ist.
Wenn Sie, schon im Beginne des 20. Jahrhunderts, bei denjenigen Menschen, die dann in Rußland zu den Bolschewisten geworden sind, angefragt haben, welches ihre offizielle Philosophie sei, dann bekamen Sie die Antwort: Es ist die des Avenarius; sie ist die offizielle Philosophie des Bolschewismus.
Natürlich, wenn jemand ein gescheiter Philosoph ist, ein guter Logiker ist, und er nimmt die Avenariussche Philosophie vor und zieht die Schlußfolgerung daraus, dann kommt wahrhaftig nicht der Bolschewismus heraus; es kommt etwas ganz anderes heraus. Aber das Leben zieht eine andere Logik, als es die Gedankenlogik ist. Im Leben erscheint, nachdem die dritte Generation herangekommen ist, aus der Avenariusschen Philosophie der Bolschewismus. Das ist die Logik des Lebens. In sie dringt man ein, wenn man geisteswissenschaftliche Erkenntnisse aufnimmt. Bei der bloßen abstrakten, bei der intellektuellen Logik bleibt man stehen, wenn man bloß das aufnimmt, was die heutige naturwissenschaftliche oder auch religiöse Weltanschauung gibt.
Solch ein Unterschied der beiden Logiken besteht aber auch für die Wirkung der traditionellen Religionsbekenntnisse und für die Wirkung der Geisteswissenschaft, so wie sie hier anthroposophisch gemeint ist. Denn Leute, die ihre niederträchtigen Angriffe auf die Anthroposophie manchmal mit einigen Phrasen würzen - auf die unsere Anthroposophen dann gewöhnlich hereinfallen! -, die sagen manchmal: Wir Theologen kämpfen ebenso für das Übersinnliche wie die Anthroposophen, und deshalb sind wir in gewisser Weise Kampfgenossen. - Das wird, nachdem die ärgsten Niederträchtigkeiten gesagt sind, manchmal als Phrase angefügt von denjenigen, die in unseren Kreisen noch als die Gutmütigeren genommen werden. Man hat ja das Bestreben, nur ja nicht im Ernste hinzuschauen auf das, was da eigentlich vorliegt. Dennoch, die Tatsachenlogik ist eine ganz andere. Wenn Sie die Tatsachenlogik ziehen aus dem, was über das Post-mortem-Leben in den Kanzelreden gesagt wird, indem man an die raffinierten Seeleninstinkte, an den raffinierten Egoismus appelliert, dann könnte es aussehen, als ob auch da ein Leben über die Sinnlichkeit hinaus angestrebt wird, ein Leben, durch das die Seele eintreten soll, nachdem sie durch
den Tod gegangen ist, in die übersinnliche Welt. Es ist aber nicht so, sondern gerade dadurch, daß einseitig, theoretisch die religiösen Bekenntnisse durch Jahrhunderte, ja Jahrtausende das bloße Post-mortem-Leben gepflegt haben, gerade dadurch ist real logisch herangezüchtet worden die Verleugnung der übersinnlichen Welt, dadurch ist gerade der Materialismus in Wirklichkeit herbeigeführt worden. Denn während man im Kopfe sich belehren läßt durch den Glauben über ein Leben nach dem Tode, strebt das Unterbewußte darnach, dieses Leben mit der irdischen Sterblichkeit zu beschließen. Und während die Kirchen sich bloß zu der Bequemlichkeit entschlossen haben, zu den Instinkten der Menschen über die Unsterblichkeit zu sprechen, wurde in der europäischen Kultur und in ihrem amerikanischen Nachwuchs jener Materialismus herangezogen, der eigentlich im Inneren ganz dar- nach strebt, das Leben mit dem irdischen Sterben zu beschließen. Diejenigen Materialisten, die heute theoretisch, aber auch schon sozial anstreben, indem sie Einrichtungen, soziale Einrichtungen wollen, die eigentlich nur auf das Leben bis zum Tode hin berechnet sind, diese reinen Materialisten ziehen bis zum Bolschewismus hin die getreuen logischen Konsequenzen desjenigen, was die religiösen Bekenntnisse den Menschen anerzogen haben innerhalb der abendländischen Kultur. Denn bloß von der Unsterblichkeit nach dem Tode zu sprechen, heißt heranzüchten im Unterbewußten die Sehnsucht, auch seelisch mit dem physischen Tode zu sterben. Das ist die Wahrheit, von der ich Ihnen heute sprechen möchte. Diese Sehnsucht, nichts zu wissen von einem übersinnlichen Leben, ist gerade durch das einseitige Reden von dem Ewigen nach dem Tode großgezogen worden.
Wenn man diese Wahrheit nicht in allen ihren ernsten Tiefen nimmt, so sieht man eben nicht die Zusammenhänge ein, in denen die Gegenwart der europäischen und amerikanischen Zivilisation mit der Vergangenheit steht. Denn das Vertreten eines bloßen Lebens nach dem Tode ist das Erziehen zu der unterbewußten Sehnsucht, das Leben zu beschließen mit dem physischen Tode. Und man muß sagen, es gibt bereits eine große Anzahl von Menschen in der sogenannten zivilisierten Welt, die eigentlich in ihrem Unterbewußten die ganz intensive Sehnsucht tragen, nichts zu tun haben zu wollen mit der Ideologie von
einem Leben nach dem Tode und mit dem physischen Tode das Leben zu beschließen. Alle diejenigen Menschen, aus deren Herzen hervorgehen die materialistischen Anschauungen, haben in ihrem Unterbewußtsein eigentlich das allerintensivste Streben, mit dem physischen Tode unterzugehen. Wenn sie sich auch in dem Oberbewußtsein der Illusion hingeben, weil ihr Egoismus nichts anderes ertragen kann, nach dem Tode fortleben zu wollen, ihr Unterbewußtsein strebt darnach, mit dem physischen Tode unterzugehen.
Die Wirklichkeit ist in Wahrheit noch viel ernster. Wenn der Mensch nämlich genügend intensiv durch genügend lange Zeit diese unterbewußte Sehnsucht ausbildet, mit dem physischen Tode zugrunde zu gehen, so geht er auch mit dem physischen Tode zugrunde. Dann hört das, was da als Geistig-Seelisches vorhanden ist und was sich sein Abbild schaffte, auf, eine Bedeutung zu haben; dann vereinigt es sich wiederum mit geistigen Welten und verliert die Ichheit. Das Abbild der Ichheit wird ahrimanisch umgestaltet, und die ahrimanischen Mächte bekommen das, was sie wollen: sie bekommen das irdische Leben in die Hand. Das heißt, ein großer Teil der heutigen zivilisierten Welt strebt darnach, nicht die Zivilisation der Erde fortzusetzen, sondern die Menschen zum Sterben zu bringen und ganz anderen Wesen, als die Menschen es sind, das irdische Leben zu übergeben.
Es nützt heute nichts, auf diese Dinge nicht hinzuweisen. Es ist natürlich unbequem, diese Dinge hinzunehmen, und viel bequemer ist es, wenn man sich bloß zu sagen braucht: Der Materialismus ist eben falsch; nun, man bekehrt sich allmählich zu einer besseren Weltanschauung. - Nein, darum handelt es sich nicht. Dasjenige, was im Menschen Gedanken sind, wird zu Wirklichkeiten, und die materialistischen Gedanken werden nach und nach materialistische Wirklichkeiten. In unserer Geisteswissenschaft handelt es sich aber nicht um Theorien, sondern um Dinge, die im Menschen Wirklichkeiten sind, und solange man das nicht voll begreift, daß es sich um Dinge handelt, die im Menschen Wirklichkeiten sind, so lange begreift man weder die Tiefe anthroposophisch gemeinter Geisteswissenschaft noch begreift man die ganze Schwere der Kulturnotwendigkeiten, die in unserer Zeit geschaut werden sollen. Sie sehen also, unsere Zeit steht vor der Gefahr, die
Kultur der Erde zu vernichten, nicht bloß falsche Ansichten zu züchten, sondern in dem Menschen Abbilder dieser falschen Ansichten hervorzubringen und die Menschen von ihrem ewigen Sein wegzubringen.
Ich weiß, wie stark immer wieder und wiederum die Sehnsucht der Menschen ist, auf solche Wahrheiten nicht hinzuschauen, denn es kommen die Menschen, wenn man ihnen so etwas klarmacht, immer wieder und sagen: Aber gibt es nicht doch die Möglichkeit, daß auch diejenigen, die durchaus nicht wollen, selig werden? - Gewisse Vertreter religiöser Bekenntnisse haben es da leichter. Sie bringen denjenigen, die eigentlich nur eine «Tantenreligion» wünschen, bei, daß sie ja nicht durch ihre eigenen inneren Taten der geistigen Welt teilhaftig werden können, sondern daß sie sich nur passiv hinzugeben brauchen dem Glauben an Christus, dann wird der Christus sie selig machen. Das ist gerade die große Schwierigkeit, die man hat, wenn man heute im Ernste Geisteswissenschaft vertreten will, daß man nicht zu dem, was den Menschen so bequem ist, sprechen darf. Denn mancher möchte ein guter Anthroposoph sein; aber nun will es seine Tante nicht, und er will doch nicht, daß die Tante ihre Individualität verliert, und da wird dann zum mindesten die Intensität seiner anthroposophischen Überzeugung sehr, sehr stark beeinträchtigt. - Viele von Ihnen werden wissen, wie sehr ich mit diesen Dingen auf Realitäten hinweise, die es verhindern, daß mit anthroposophischer Geisteswissenschaft jener Ernst verbunden wird, der mit ihr verbunden werden muß. Ich habe ja auch hier schon gesagt: Der Materialismus ist nicht schädlich bloß aus dem Grunde, weil er theoretisch die Leute zu keiner Geisteserkenntnis führen kann, sondern erstens aus dem Grunde, den ich heute angeführt habe, daß der Mensch tatsächlich nach und nach nur materiell wird, wenn er die materialistischen Gedanken auf sich wirken läßt; dann aber weiter im ganzen Kulturgange dadurch, daß der Materialismus gerade dazu verurteilt ist, die Geheimnisse der Materie nicht erforschen zu können. Wir haben hier einen Kursus vor Arzten und Medizinstudierenden gehabt. Er hat darin bestanden, daß einmal die anthroposophische Wissenschaft ganz im Konkreten angewendet worJen ist, um zu zeigen, wie die Erkenntnis des gesunden und kranken Menschen
ist. Man hat wenigstens als Aiifang gezeigt: man kann aus geistiger Betrachtungsweise heraus das Wesen des Gehirnes, das Wesen der Zähne, das Wesen der Knochen, der Milz und der Leber erkennen. Das kann die materialistische Wissenschaft ja nicht. Die materialistische Wissenschaft kann gerade das Wesen der Materie, des materiellen Daseins nicht erkennen. Sie können das an einem Symptom wirklich ersehen.
Schauen Sie sich die heutige Psychiatrie an. Die heutige Psychiatrie ist eigentlich nichts anderes als eine Beschreibung des abnormen Seelenlebens, wie es als seelisches Leben auftritt. Nun hat jede sogenannte Geisteskrankheit ihr Korrelat in einem Materiellen. Wenn einer diese oder jene konfusen Ideen hat, so ist die Milz nicht in Ordnung oder die Lunge nicht in Ordnung; aber den Zusammenhang zwischen dem Geistig-Seelischen und dem Materiellen, das in Wirklichkeit auch ein Geistig-Seelisches ist, den erkennt man nur durch Geisteswissenschaft, nicht durch die materialistische Wissenschaft. Diese materialistische Wissenschaft ist gerade dazu verurteilt, nicht das Wesen der Materie erkennen zu können, daher auch, zum Beispiel in der Medizin, manchen Leuten nicht helfen zu können, denn da muß man materiell helfen. Man muß sogar den Geisteskranken materiell helfen. Wenn im Ernste erkannt wird, was in den Tiefen anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft ruht, so wird man gerade das Hineinströmen der geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse in das materielle Dasein und damit auch in das soziale Leben bewirken. Daher war es eine Selbstverständlichkeit, daß aus dieser Geisteswissenschaft heraus sich die Anschauung von der Dreigliederung des sozialen Organismus ergeben hat; denn alle andere Wissenschaft der Gegenwart ist einfach viel zu wenig intensiv, ist viel zu sehr bloße Gedankenwissenschaft, ergreift nicht Realitäten, und daher kann sie auch nicht in das soziale Leben hineinwirken. Ich habe es gerade bei sozialen Betrachtungen öfters gesagt: Man redet heute von sozialen Idealen, man redet davon, daß ganze Länder sozial eingerichtet werden sollen; von nichts mehr als von Sozialistik wird heute gesprochen. Dabei war keine Zeit so antisozial, in keiner Zeit waren die Menschen in ihren Instinkten so antisozial wie heute. Die Menschen gehen ja heute aneinander vorbei, ohne voneinander
etwas zu wissen. Keiner schaut gewissermaßen in den anderen hinein. Warum denn?
Man kann entweder erkennen, so wie es in anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft der Fall ist, über unserer Welt eine über- sinnliche Welt. Sie wissen, wir reden nicht wie die vertrackten Pantheisten von einer Geistigkeit im allgemeinen. Wir reden gerade so, wie wir hier auf der Erde von einem Tier, von einer Pflanze, von einem Mineral reden, so reden wir, hinauf uns erhebend von einem Reiche des Menschen zu einem Reiche über dem Menschen, zu einem Engelreich, einem Erzengelreich, also zu einem Reiche der Angeloi, der Archangeloi und so weiter. Wir reden von den ganz konkreten Geistwesen, das heißt, wir erheben uns zu der Erkenntnis, zu der Einsicht in das Wesenhafte des Geistes. Man kann das entweder tun, oder man kann es unterlassen. Wenn man es aber unterläßt, wie es seit Jahrhunderten in der abendländischen Kultur getan worden ist, was folgt dann daraus mit Reallogik, nicht mit Gedankenlogik? Es folgt, daß man keinen Sinn, daß man keine Empfindung mehr für das GeistigSeelische hat; denn in seiner eigentlichen Gestalt kann das GeistigSeelische doch nur im Übersinnlichen von uns gedacht werden. Man verliert die Empfindung für das Geistig-Seelische. Aber wenn man als Mensch einem Menschen gegenübertritt, so soll man ja, will man den ganzen Menschen kennen, auch das Geistig-Seelische im Menschen, auf ein Geistig-Seelisches losgehen! Man kann aber nicht das Geistig-Seelische in den physischen Menschen finden, wenn man sich nicht erst den Sinn für das Geistig-Seelische durch das Denken im Übersinnlichen erworben hat. Wer den Umgang mit den Göttern scheut, dem kommt abhanden der Umgang mit dem überphysischen Menschen, mit den Menschen, die hier auf der Erde leben. Denn wer keinen Sinn hat für den Umgang mit den Göttern, der wird bei den Menschen auf der Erde nur den physischen Leib sehen und nicht das Geistig-Seelische, das heißt, er wird zu keiner Entfaltung des wirklich geistig-seelischen Lebens kommen. Wir brauchen einfach den Umgang mit den Göttern, um den Umgang mit den Menschen in der rechten Weise vollenden zu können, und wir brauchen den Umgang mit den Göttern so, daß sich unser Geistig-Seelisches nach diesen Göttern hinwendet - nicht bloß unsere
Gedanken, da werden wir pantheistisch oder so etwas -, sondern es muß sich unser ganzer Mensch hinwenden.
Diese letztere Wahrheit, die hat in ihrer Art die katholische Kirche gut begriffen, denn was tut sie? Sie beschränkt sich nicht allein darauf, in dem Katechismus zu unterrichten, was man durch theologische abstrakte Begriffe den Menschen beibringen kann, sondern sie teilt das Altarsakrament aus als ein Sakrament, und sie bringt ihren Gläubigen getreulich bei, daß in dem Sanktissimum der wirkliche Christus enthalten ist, daß der Christus tatsächlich den Weg des sonst Verdaulichen geht, wenn das Altarsakrament genossen wird. Es sind unter Ihnen vielleicht allzuwenige von denen, die die ganze Bedeutung dessen, was ich jetzt sage, ermessen können, weil die wenigsten vielleicht wissen, in welcher Form das Altarsakrament an die Katholiken herankommt. Da lebt wirklich im Altarsakrament etwas von Urweltweisheit, von der Hingabe des ganzen Menschen an das Göttliche. Daher kann es auch kommen, daß ein solcher Hirtenbrief entsteht wie derjenige, der vor gar nicht so langer Zeit erlassen worden ist von einem Erzbischof und der die Ausführung enthält, daß der Priester mächtiger ist als der Gott, denn der Priester ist imstande, den Gott zu zwingen, im Altarsakrament, im Sanktissimum zu sein. Der Gott muß in die Hostie hinein, wenn der Priester es will; daher ist der Priester mächtiger als Gott. - So steht es in dem Hirtenbrief eines Erzbischofs, der vor wenigen Jahren erlassen wurde. Das ist eine katholische Gesinnung. Der Protestant oder der Evangelische findet sie ganz undiskutabel. Der indische Brahmane würde sie selbstverständlich gefunden haben von seinem Standpunkte aus. Da lebt tatsächlich im Katholizismus etwas fort, was zu den urältesten Bestandteilen der Urweltweisheit gehört und nur richtig verstanden werden muß, natürlich nicht aus weißer Magie in schwarze umgewandelt werden darf, wie es durch jenen Hirtenbrief geschehen ist. Aber es lebt in alledem, was da, ich möchte sagen, als die Aura des Altarsakraments im Katholizismus sich ausbildet, da lebt der Impuls: Du sollst nicht nur in deinem Denken, in deinem abstrakten Denken dich zu der Gottheit hinwenden, du sollst zum Beispiel dich auch hinwenden mit derjenigen Sehnsucht, die in deinem Hunger lebt. Du gehst zu dem Gotte nicht nur, indem du denkst, du gehst zu dem Gotte, indem du am
Altar speisest, und der Gott, der in der Materie lebt, nimmt durch deinen Körper hindurch den Weg, den alles Verdauliche nimmt. Du vereinigst dich ganz materiell mit deinem Gotte! - In dem Verbreiten dieser Gesinnung lebt das Geheimnis einer ungeheuren Macht. Dieses Geheimnis einer ungeheuren Macht darf nicht übersehen werden, jetzt wenigstens nicht, wo die katholische Kirche vorhat, ihren Siegeszug durch das ganze Abendland und den amerikanischen Anhang zu lenken.
In einer der ersten Schriften, die von mir erschienen sind, in meinen «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung,finden Sie die Erkenntnis geschildert, und an einer bestimmten Stelle der gleich darauf erschienenen Einleitung zum zweiten Bande der Naturwissenschaftlichen Schriften Goethes finden Sie für die Erkenntnis, also für dasjenige, was ein geistiger Vorgang ist, gebraucht das Wort «Kommunion»: Die Erkenntnis ist die geistige Kommunion der Menschheit. - Ich weiß nicht, wie viele die ganze kulturhistorische Bedeutung dieses Wortes, dieses Satzes in einer meiner allerersten Schriften verstanden haben. Denn in diesem Satze war gegeben die Hinlenkung der materialistischen Auffassung der Gottgemeinschaft zu einer spirituellen Auffassung der Gottgemeinschaft: die Umwandelung des Brotes in die Seelensubstanz des Erkennens.
Würde man den ganzen Zusammenhang desjenigen erkennen, was versucht worden ist, seit dieser kleinen Schrift «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung» zu geben, mit dem, was dann in anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft eben in weiterem Ausbau gegeben worden ist, dann würde man ersehen, was von anthroposophischer Seite aus für notwendig gehalten werden muß, um dasjenige, was hineinströmen muß in das gegenwärtige soziale Leben zur Gesundung dieses gegenwärtigen sozialen Lebens, wirklich zu durchschauen. Aber dieser Ernst, der einen solchen Zusammenhang erkennt, der fehlt eben vielfach den schlafenden Seelen der Gegenwart und so beachtet man wenig, welche Paradoxien das Leben eigentlich heute bringt, und was diese Paradoxien des Lebens nötig machen.
Ich mußte gestern zu Ihnen von Lebensparadoxien aus den Charakteristiken unseres gegenwärtigen Zeitalters sprechen. Nun bitte ich
Sie, machen Sie sich einmal bekannt mit Reden, die zum Beispiel von hervorragenden Bischöfen oder Erzbischöfen bei hervorragenden Gelegenheiten in der weiteren Gegenwart gehalten werden. Da finden Sie, wie zum Beispiel in den letzten Reden eines Erzbischofs von München-Freising, die nun wahrhaft sehr interessant zu lesen sind, dargestellt wird, wie die Arbeiter in der Gegenwart für den Katholizismus wiederum erobert werden sollen, die Gebildeten und die Arbeiter. Da finden Sie ein Sprechen aus einer allerdings in der Dekadenz, im Untergange befindlichen geistigen Substanz, aber eben doch aus einer geistigen Substanz heraus, und Sie müssen erst anknüpfen an etwas, was zunächst scheinbar abstrakt ist, wenn Sie darauf kommen wollen, was hier Wirklichkeit ist. Jener Erzbischof von München-Freising sagt zum Beispiel: Der Katholizismus muß wiederum die Arbeiter gewinnen. - Und er führt dann die verschiedenen Bedingungen an, unter denen der Katholizismus die Arbeiter gegenwärtig für die katholische Kirche gewinnen kann. Muß man nicht solchen Reden heute entgegen- halten: Ja, Ihr habt doch wahrhaftig, seit nach Eurer Ansicht begründet worden ist der Katholizismus durch das Pontifikat des Petrus in Rom, Zeit genug gehabt, die Arbeiter zu gewinnen! Wenn Ihr heute es nötig findet, von einem Wiedergewinnen der Arbeiter und der Gebildeten zu sprechen, so bezeugt es, daß Ihr sie mit dem, was Ihr seit Jahrhunderten vertretet, verloren habt. Wenn Ihr also dasselbe weiter vertreten wollt, könnt Ihr Euch dann irgendeiner anderen Anschauung hingeben als Euch zu sagen, daß Ihr dasselbe wiederum erreicht, was Ihr bisher erreicht habt, daß Ihr nämlich diejenigen verlieret, die Ihr Euch gewinnen wollt? - Gibt man denn nicht implicite zu, daß man unrichtig gehandelt hat, wenn man auf diese Weise heute von einer Wiedergewinnung sowohl der Ungebildeten wie der Gebildeten zu sprechen nötig findet?
Aber auf solche reale Widersprüche sieht eben die heutige Menschheit nicht hin. Das wäre gerade notwendig, daß man auf solche reale Widersprüche hinsähe. Daher ist es durchaus notwendig, daß solche Dinge tief eingesehen werden. Ja, der Mensch hat ein Geistig-Seelisches, aber wir leben in einer Zeit, in der er es verleugnen kann. Es ist nicht wahr, daß die materialistische Theorie, daß das Gehirn denkt, unrichtig
ist. Nein, wenn der Mensch sein Geistig-Seelisches verleugnet, dann beginnt das Gehirn zu denken wie ein Automat. Und wenn der Mensch nicht will, daß sein Gehirn denkt, wenn er will, daß sein Geistig-Seelisches denkt, dann muß er sich an ein Geistig-Seelisches wenden, das dieses Denken losreißt von der Materie. Denn das Losreißen von der Materie, von dem wahren Materialismus, ist nicht bloß ein Annehmen einer anderen Weltanschauung, sondern ist etwas, was vom ganzen Menschen ergriffen werden muß, durch den ganzen Menschen losgerissen werden muß von dem bloßen materiellen Sein. Denn der Mensch wird nicht nur materialistisch, wenn er Geistiges verleugnet, sondern der Mensch wird materiell, wenn er das Geistige verleugnet. Er wird nur zum Bilde des Geistigen, er wird zum Materiellen, das einfach im Weltenall des Ahrimanischen sich auflösen kann und bloß in der ahrimanischen Welt, bloß als ein unselbständiges, unpersönliches Glied weiter fortzuwirken braucht, während er dazu berufen ist, wenn er in der richtigen Weise das Mysterium von Golgatha versteht, sein Ich zu bewahren und die Erdenzivilisation fortzusetzen.
SIEBZEHNTER VORTRAG Dornach, 18. Juli 1920
Gestern versuchte ich, die ganze Bedeutung des Ernstes anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft dadurch vor Ihnen aufzurollen, daß ich mich bemühte, zu zeigen, welcher Unterschied besteht zwischen bloß abstrakten Vorstellungen und Begriffen und demjenigen, was auch in der Seele in der Form von Vorstellungen und Begriffen entsteht, was auch die Gestalt von Vorstellungen und Begriffen annimmt, dann aber Realität ist, Wirklichkeit ist. Es handelt sich darum, daß man in aller Stärke einsieht, wie der Mensch, indem er immer mehr und mehr durch seine materialistische Gesinnung, dadurch, daß er sich ganz abwendet von geistigen Begriffen, sich nur beschäftigt mit Begriffen des Natürlichen und so weiter, immer ähnlicher und ähnlicher sich macht dem Materiellen, wie er tatsächlich mehr und mehr hinuntersteigt in dieses Materielle, so daß es zuletzt nicht mehr falsch ist, wenn er behauptet, das Materielle seines Leibes denke, sein Gehirn denke, sondern daß sogar das das Richtige ist, daß der Mensch tatsächlich eine Art Automat des Weltenalls wird und nach und nach durch das Verleugnen des Geistig-Seelischen auch das Verlieren dieses Geistig-Seelischen eintritt. Ich sagte, daß dies natürlich für viele eine unbequeme Weltanschauung ist, und daß viele diese Weltanschauung für etwas halten, das sie durchaus nicht annehmen wollen aus dem Grunde, weil sie glauben, der Mensch könne ohne sein Zutun irgendwie auf die Dauer sein Geistig-Seelisches gerettet bekommen. Das ist aber nicht der Fall. Der Mensch kann eben so stark in das Materielle hinein aufgehen, daß er sich losschnürt von dem Geistig-Seelischen, daß er in die ahrimanischen Mächte hinein sich versenkt und mit den ahrimanischen Mächten in einer unserer Welt fremden Weltenströmung weitergeht, aber ohne sein Ich, das ja nicht zur ahrimanischen Welt gehören kann, sondern das nur seine wirkliche Entwickelung finden kann, wenn der Mensch der normal fortschreitenden Evolution folgt, das heißt, wenn er sich verbindet mit alledem, was zusammenhängt mit dem Mysterium von Golgatha; wenn er vor allen Dingen in
unserer Zeit erkennt, wie man den Zusammenhang zu suchen hat mit dem, was durch geistige Forschung an die Menschheit herangebracht werden kann. Es ist ja in dieser Menschheitsevolution seit der Mitte des 15. Jahrhunderts für unser Abendland der Zeitabschnitt eingetreten, in welchem der Mensch, wenn er hinausschaut in seine Umgebung, nur die sinnliche Welt wahrnimmt. Und wenn er in sich hineinschaut, wird er seit dieser Mitte des 15. Jahrhunderts immer mehr und mehr dazu verleitet, die inneren Seelenerlebnisse zu verabstrahieren, zu intellektualisieren, sie dünn zu machen.
Was wir heute erleben als Begriffe, was wir für unsere Weltanschauung aus den gebräuchlichen offiziellen Wissenschaftlichkeiten heraus bekommen, das enthält im Grunde genommen gar keine Beziehung zum Dasein. Das kann auch nicht dazu verwendet werden, in die Wirklichkeiten einzudringen. Es ist nur ein Vorurteil, wenn man glaubt, daß der Mensch, indem er sich die gewöhnlichen abstrakten Gedanken macht, eigentlich seelisch lebt. Diese abstrakten Gedanken sind eigentlich ein wirklichkeitsfremdes Element, sind bloß eine Summe von Bildern, so daß wir sagen können: Außen sieht der Mensch die Sinnes- weIt und innen sieht der Mensch dasjenige, was im Grunde genommen nur Bilderwelt ist, was im Grunde genommen kein wirkliches Verhältnis zum Dasein hat. - Das ist eigentlich das Schicksal der Menschheit seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, außen die Sinneswelt wahrzunehmen - und wir werden gleich sehen, was diese Sinneswelt gegenüber der Gesamt-Weltauffassung für eine Bedeutung hat - und innen zu erleben ein immer mehr und mehr zum bloßen Bild werdendes Seelisches. Man kann die Frage aufwerfen: Warum ist denn die Menschheit der zivilisierten Welt seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in bezug auf das seelische Dasein immer mehr und mehr zum bloßen Bild geworden? Das ist so aus dem Grunde, weil nur dadurch der Mensch aufsteigen kann zu einer wirklichen Freiheit.
Sehen wir uns, um das zu verstehen, einmal unsere Welt, so wie sie uns heute vorliegt, und wie wir selbst drinnen stehen, näher an. Sehen Sie einmal ab von dem Menschen selbst in der ganzen weiten Welt, sehen Sie auf alles dasjenige, was sich in der ganzen weiten Welt findet, sagen wir als Wolken, Berge, Flüsse, als die Gebilde des mineralischen,
des pflanzlichen, des tierischen Reiches, und fragen wir uns: Was ist denn eigentlich in dem ganzen Umkreise dessen, was man so bezeichnen darf, wie ich es eben getan habe? - Wollen wir uns einmal schematisch das aufzeichnen, um was es sich da handelt. Sagen wir: Alles dasjenige, was wir über uns sehen können (siehe Zeichnung, oben), alles
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dasjenige, was sich als Mineralisches (rot), als Pflanzliches (grün) und bis zu einem gewissen Grade auch als tierisches Leben um uns aus- breitet - von dem Menschen sehen wir dabei ab, was es ja natürlich in Wirklichkeit gar nicht geben kann, was wir uns eben hypothetisch vor die Seele führen können -, also wir stellen uns vor, das sei die menschenentblößte Natur. Da, in dieser ganzen menschenentblößten Natur, gibt es keine Götter. Das ist dasjenige, was durchschaut werden muß! Es gibt in dieser menschenentblößten Natur ebensowenig Götter, wie es in der abgesonderten Austernschale die Auster gibt oder in der ab- gesonderten Schneckenschale die Schnecke gibt. Diese ganze Welt, von der ich Ihnen jetzt hypothetisch gesprochen habe, bei der wir absehen vom Menschen, sie ist dasjenige, was die Götterwesen im Laufe der Entwickelung abgesondert haben, wie die Auster ihre Schale absondert. Aber die Götter, die geistigen Wesen, sind nicht mehr darinnen, so wenig wie die Auster oder die Schnecke in ihren abgesonderten Schalen sind. Was wir als die Welt, die ich bezeichnet habe, um uns haben, ist ein Vergangenes. Indem wir hinschauen auf die Natur, schauen wir auf die Vergangenheit des Geistigen hin und auf das, was aus dieser
Vergangenheit des Geistigen als ein Rückstand geblieben ist. Daher gibt es auch keine Möglichkeit, zu einem wirklich religiösen Bewußtse;n bloß durch die Anschauung der Außenwelt zu kommen; denn man soll nur ja nicht glauben, daß in dieser Außenwelt irgend etwas vorhanden ist von dem, was die eigentlich menschheitsschöpferischen geistig-göttlichen Wesen sind. Elementarwesen, gewiß, niedere geistige Wesenheiten, das ist etwas anderes; aber dasjenige, was eigentlich die schöpferischen geistigen Wesenheiten sind, die in das religiöse Bewußtsein als solches einzugehen haben, das gehört dieser Welt nur insofern an, als diese Welt die Schale davon ist, das Residuum, der Rückstand.
Solche Dinge wie das eben Berührte werden ja manchmal von einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten wie ernste Wahrheiten gefühlt, die in der Seele solcher Persönlichkeiten aufgehen. Derjenige, der in der geistigen Entwickelung des 19. Jahrhunderts am tiefsten gefühlt hat, wie das, was als Natur den Menschen umgibt, ein Rückstand göttlich-geistiger Entwickelung ist, das ist Philipp ~1ainla~nder> der durch die ganze Schwere dieser Erkenntnis zu seiner Philosophie des Selbstmordes gekommen ist und dann auch im Selbstmord geendet hat. Es ist manchmal das Schicksal der Menschen, in solche einseitigen Wahrheiten sich zu vertiefen durch ihr Karma. Dann wird auch dieses Schicksal selbst für eine Inkarnation einseitig und schwierig; so bei Philipp Mainländer, dem unglücklichen deutschen Philosophen.
Nun können Sie, nachdem Sie das in sich aufgenommen haben, was wir von dieser hypothetischen äußeren Natur sagen müssen, fragen: Wo sind denn dann die Götter, diejenigen Götter, von denen wir als den eigentlich schöpferischen sprechen müssen? - Da muß ich Ihnen die schematische Zeichnung anders machen, da muß ich Ihnen schematisch den Menschen hineinzeichnen und in den Menschen die Götter. Wenn ich mich so ausdrücken darf: Innerhalb der menschlichen Haut, in den menschlichen Organen sind die eigentlich schöpferischen Götter (siehe Zeichnung: O). Die Menschen sind in ihrer Wesenheit die Träger des gegenwärtigen Göttlich-Geistigen. Also das GöttlichGeistige, das auch das eigentlich Schöpferische in der Gegenwart ist, es ist in dem Menschen drinnen. Und wenn Sie heute sich die ganze
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äußere Natur vorstellen und dann sich denken eine Zukunft, die so und so viele Tausende von Jahren vor uns liegt, es wird nichts da sein von diesen Wolken, von diesen Mineralien, von diesen Pflanzen und selbst von den Tieren. Es wird nichts da sein von alledem, was außerhalb der menschlichen Häute in der Natur lebt. Aber das wird seine Fortentwickelung gewinnen, was die menschliche Organisation im Inneren durchgeistigt und beseelt, das wird Zukunft sein.
Soll ich das schematisch zeichnen, so müßte ich sagen: Wenn das die Natur ist (großer Kreis), das der Mensch (kleiner Kreis) und das im Inneren des Menschen das Menschlich-Göttliche, so wird die Natur
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zerstoben sein in der Zukunft (Strahlen). Der Mensch wird zur Welt erweitert sein, und dasjenige, was heute in ihm ist, wird seine äußerliche Umgebung sein (rot), wird selber dann Natur sein.
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Die Einsicht in die Tatsache, daß das Göttlich-Geistige, das wir als wirklich Schöpferisches der Gegenwart anzusprechen haben, innerhalb der menschlichen Häute liegt, das ist eine ungemein ernste Erkenntnis. Denn das legt dem Menschen eine Verantwortlichkeit auf gegenüber dem ganzen Weltenall. Es macht dieses den Menschen fähig, zu verstehen so etwas wie ein Christus-Wort: «Himmel und Erde werden vergehen», das heißt, die äußere Welt, «aber meine Worte werden nicht vergehen.» Und wenn das Paulinische Wort sich in dem einzelnen Menschen erfüllt: «Nicht ich, sondern der Christus in mir», so leben wiederum die Worte des Christus in dem einzelnen Menschen: «Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte» in dem einzelnen Menschen, das heißt dasjenige, was innerhalb der menschlichen Haut ist und von dem Christus aufgenommen wird, «werden nicht vergehen. »
Aber worauf weist denn dasjenige, was ich gesagt habe, hin? Es weist darauf hin, daß der Mensch durch seine abstrakten Begriffe, durch dasjenige, was er intellektualisiert, in seinem Inneren sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts gewissermaßen leer macht. Wozu macht er sich denn leer? Er macht sich leer, gerade um den Christus-Impuls,
das heißt, das Schöpferisch-Göttliche in sein Inneres aufzunehmen. Wir schauen in die äußere Welt, sagte ich, wir sehen nur das Sinnliche. Da sehen wir nur göttliche Vergangenheit. Unter dem, was aus dieser göttlichen Vergangenheit geblieben ist, sind auch die Elementargeister und so weiter, die auf niederen Stufen stehengeblieben sind. Wir sehen in unser Inneres und sehen in diesem Inneren zunächst die bloß bildhaften, abstrakten Begriffe, das immer mehr und mehr Intellektualisierte, das nur dadurch ein Konkretes, ein Reales wird, daß der Mensch den Geistesimpuls durch geistige Wissenschaft aufnimmt und ihn mit seinem Inneren verbindet. Der Mensch hat die Wahl - und diese Wahl wird immer ernster seit der Mitte des 15. Jahrhunderts -, entweder stehenzubleiben bei den intellektualistischen, abstrakten Begriffen, oder aufzunehmen den lebendigen Inhalt der Geisteswissenschaft. Bleibt er stehen bei den intellektualistischen, abstrakten Begriffen, da wird er eine brillante Naturwissenschaft ausbauen, denn diese Begriffe sind tot, und er wird die tote Natur mit den toten Begriffen in einer wunderbaren Weise begreifen. Aber all das macht ihn zur Mumie, all das verähnlicht ihn der Materie, all das führt dazu, daß er im Ahrimanischen untergeht. Zur Fortführung der irdischen Angelegenheiten, zur Fortführung der ganzen Erdenentwickelung braucht er die Aufnahme des Geistigen, das heute nicht atavistisch instinktiv an den Menschen her- ankommt, sondern das von den Menschen erarbeitet werden muß. So ist die Aufnahme der Geisteswissenschaft nicht eine Theorie, sondern sie ist die Erarbeitung eines Realen. Sie ist die Ausfüllung des sonst leeren Seelen inneren mit spirituellem, mit geistigem Inhalte. Innen leer, außen der Vergangenheit gegenüberstehend, so möchte die Menschheit in ihren Massen heute bleiben, indem sie nur gelten lassen will die Gedankenlogik mit der Experimentierkunst und nicht aufnehmen will, was lebendiges Geistesleben ist. Die Welt steht heute nicht nur vor der Gefahr, im Ahrimanischen unterzugehen, sondern die Welt steht heute vor der Gefahr, daß die Erdenmission verlorengehe.
Wer das durchdenkt und durchempfindet, der wird den ganzen Ernst erst recht empfinden, der mit der Aneignung der Geisteswissenschaft als solcher verbunden sein soll. Und er wird dann die Erkenntnis nicht gering achten, die Menschenerkenntnis ist. Menschenerkenntnis,
sie gibt es innerhalb des heutigen naturwissenschaftlichen Wissens und innerhalb der alten religiösen Traditionen ja gar nicht. Was bieten die alten religiösen Traditionen? Sie lenken den Blick des Menschen in abstrakte, weltfremde Höhen hinauf, sie reden nicht davon, wie die Götter im Inneren der menschlichen Wesenheit doch organisch wohnen. Sie würden diesen Gedanken als einen im eminentesten Sinne ketzerischen erklären. Wollte man heute den traditionellen europäischen und amerikanischen Religionsbekenntnissen beibringen wollen, daß die Götter in den Menschen wohnen, daß das alte Wort ein Wahrheitswort ist: Der menschliche Leib ist der Tempel des Gottes -, sie würden sich aufbäumen gegen solche Ketzerei. Das auf der einen Seite.
Auf der anderen Seite haben wir eine materialistisch orientierte Naturwissenschaft, die gerade deshalb, weil sie materialistisch ist, die Materie nicht versteht. Was versteht diese Naturwissenschaft von der Funktion des menschlichen Gehirnes? Was versteht diese Naturwissenschaft von der Funktion des menschlichen Herzens und so weiter? Ich habe Ihnen schon öfters gezeigt, habe es auch öffentlich ausgesprochen, daß die materialistische Wissenschaft zum Beispiel der Ansicht ist, das menschliche Herz sei eine Art von Pumpe, welche das Blut in den Leib pumpt. Diese allgemeine, als Universitätswissenschaft gelehrte Herzwissenschaft ist ein einfacher Unsinn, nicht mehr und nicht weniger als ein einfacher Unsinn. Denn es handelt sich nicht darum, daß das Herz eine Pumpe ist, welche das Blut nach allen möglichen Seiten drängt und wiederum zurückgehen läßt, sondern das eigentlich Lebendige ist das zirkulierende Blut. Da, im Blut, in der Blutzirkulation selbst lebt dasjenige, was eben im menschlichen Dasein, in der menschlichen Organisation das eigentlich Bewegende ist, und das Herz ist nichts anderes als der Ausdruck dafür. Da zeigt sich die Bewegung (siehe Zeichnung). Wer im Sinne der heutigen Naturwissenschaft heute davon redet, daß das Herz das Blut in den Körper treibe, der redet ungefähr so, wie wenn einer sagt: Als es zehn Minuten vor neun war, da stand der eine Zeiger so gegen neun, der andere Zeiger über zehn, und diese Zeiger mit dem ganzen Uhrwerk, die haben mich hier auf das Podium heraufgetrieben. - Aber das ist ja nicht so; die
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Uhr ist nur der Ausdruck für dasjenige, was sich zuträgt! Ebensowenig ist das Herz das Pumpwerk, das bewirkt, daß das Blut durch den Körper getrieben wird, sondern es ist der Ausdruck dafür; es ist ein- geschaltet in dieses ganze Bewegungssystem und drückt aus dieses Bewegungssystem.
Die NaturwissenscIiaft, wie sie heute allgemein üblich ist, führt ebensowenig in das Innere des Menschen hinein; höchstens macht man das Innere zu einem Außeren, indem man Leichen seziert. Aber dadurch kommt man ja nicht ins Innere, dadurch kommt man nur dazu, das Innere zu einem Außeren zu machen; denn in dem Augenblick, wo man innen den Menschen anatomiert, macht man das, was man da erreicht, zu einem Außeren. Also es handelt sich darum, daß heute im ganzen geistigen Leben keine Neigung vorhanden ist, wirklich ins Innere des Menschen hineinzudringen. Das muß eben Geisteswissenschaft bringen, da muß die Geisteswissenschaft Menschenerkenntnis bringen. Vor dieser Menschenerkenntnis schrecken aber die meisten unserer Zeitgenossen zurück. Warum denn? Weil die religiösen Traditionen der Jahrhunderte die Menschen förmlich umnebelt haben gegenüber jedem wirklichen Erkenntnisstreben. Man bedenke doch nur, welche Nebulositäten, welches Schwimmen in Worten die traditionellen Bekenntnisse den Menschen vorbringen, was sie dann steigern zu der
Predigt davon, daß der Mensch nicht erkennen soll das Ubersinnliche, sondern es glauben soll, bloß dunkel fühlen soll. Das alles ist dazu angetan, in dem Menschen sogar aus seiner Hoffart, aus seiner Selbstüberschätzung und zu gleicher Zeit aus seiner Trägheit heraus die Idee zu gebären: Uber das Göttliche braucht man nicht zu denken, das muß in dunklen Gefühlen und Instinkten aus der Tiefe heraufsteigen. - Es steigt aber dann nichts anderes herauf als die Dünste des Organischen, die sich in Illusionen umsetzen, die dann wiederum verwandelt werden von den auf die Bequemlichkeit zählenden Praktikern und Theologen in allerlei nebulose Dinge.
Durch Jahrhunderte hindurch wurde der Erkenntnisinstinkt, der einzig und allein den Menschen wirklich vorwärtsbringen kann auf der Bahn der irdischen Entwickelung und hinein in die geistige Entwickelung, unterdrückt. Die Menschen bekommen heute förmlich eine Gänsehaut, wenn sie anfangen sollen, nun Wirklichkeitserkenntnis zu entwickeln und in die geistige Welt sich hinaufzuleben. Aber in demselben Maße, wie man diese Gänsehaut bekommt, in demselben Maße schnürt man sich ab von dem geistig-seelischen Wesen und verähnlicht sich dem Materiellen.
Man kann sagen, wenn solche Dinge im Ernste in Angriff genommen werden, dann schrecken die Menschen gleich davor zurück; denn heute wird alles doch äußerlich betrachtet. Und ich möchte etwas, was ich schon neulich bemerkt habe, hier noch einmal einschaltend wiederholen. Wir haben in Stuttgart die Waldorfschule begründet. Diese Waldorfschule wurde begründet ganz aus dem Geiste der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft heraus, das heißt, es wurde eine Pädagogik und Didaktik denjenigen vorgetragen, die ausdrücklich für diese Schule ausgewählt worden sind. Da handelt es sich tatsächlich um den Geist, der in diese Pädagogik und Didaktik hineingedrungen ist. Heute kommt es nun sogar schon vor - denn alles, was von uns begründet worden ist, wird eine Sensation -, daß Leute diese Waldorfschule besuchen wollen, in ein paar Stunden sich anschauen wollen, um zu sehen, ob in diesen paar Stunden ihnen irgend etwas entgegentreten könnte, das etwas anderes ist wie in sonstigen Schulen, also auch nur eine Sensation! Aber, den Geist der Waldorfschule lernt
man erkennen durch anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, nicht indem man um Hospitierstunden ansucht, sich hinsetzt und den Unterricht mehr oder weniger stört. Anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft in sich aufzunehmen, das ist eben unbequemer und weniger sensationell, als zu hospitieren, und hospitieren heißt doch im Grunde genommen, es sich bequem machen zu wollen.
Die Pädagogik und Didaktik, um die es sich da handelt, die rechnet mit den geistigen Welten und sie rechnet vor allen Dingen mit der Präexistenz des Menschen. Wie ist es denn mit dieser Präexistenz des Menschen? Nun, wir denken zurück an unser irdisches Geburtsjahr. Nehmen wir an, wir seien zu dieser Zeit hier (siehe Zeichnung, untere Linie) heruntergestiegen zum irdisch-physischen Leben. Kinder, die
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viel später geboren werden, sind während dieser Zeit noch oben gewesen in der geistigen Welt, steigen zum Beispiel erst da herab (siehe Zeichnung, obere Linie). Wir waren schon auf der Erde während der Zeit, in der diese Kinder noch oben waren. Sie bringen uns etwas mit, was erlebt worden ist in der geistigen Welt, während wir schon unten in der physischen Welt waren.
Das kann man bewußt sehen in den Kindern, die man vor sich hat, wenn man mit Pädagogik und Didaktik unterrichtet so, wie in der Waldorfschule unterrichtet werden soll. Da soll man sich lebendig hineinstellen in den Geist des Kindes, das heißt, Praxis im alltäglichen Leben ausbilden für die Realität desjenigen, was in Vorstellungen und Ideen aus der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft heraus gegeben werden muß. Aber gerade von diesen Dingen wurden eben abgehalten die Menschen durch die traditionellen Religionsbekenntnisse, die vor allen Dingen nicht wollten, daß jene innerliche Aktivität in den Menschen großgezogen werde, die dann auch zu wirklicher Menschenerkenntnis führt und die dem Menschen beibringt die tiefe
Wahrheit, daß der Ort der Götter innerhalb der menschlichen Haut selber ist.
Schauen wir unseren Planeten an von außen. In alledem, was sonst auf dem Planeten ist, ist kein Göttlich-Geistiges. Aus den menschen- ähnlichen Wesen, die darauf sind, aus ihnen leuchtet das Göttliche vom Planeten her (siehe Zeichnung). Ist es deshalb weniger am Planeten,
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weil es aus den Leibern der Menschen heraus leuchtet? Sie werden sich auch formalistisch befreunden können mit diesem Gedanken, wenn Sie ihn hinwegnehmen vom irdischen Leben und ihn versetzen auf einen anderen Planeten. Indem Sie hier auf der Erde stehen, werden Sie freilich finden, daß der Gedanke etwas Zwängendes und Drängendes hat, daß Sie und Ihre Mitmenschen die Träger des GöttlichGeistigen sind. Wenn Sie aber hinauflenken seelisch den Blick auf einen anderen Planeten, dann werden Sie den Gedanken schon eher fassen können, daß bei denjenigen Wesen, die dort das höchste Natur- reich bilden, die Orte sind, aus denen Ihnen das Göttlich-Geistige entgegenglänzt.
Der Gedanke, den wir heute entwickelt haben, ergänzt von einer bestimmten Seite her den anderen ernsten Gedanken, den wir gestern haben vor unsere Seele treten lassen. Wir haben gestern den Gedanken vor unsere Seele treten lassen, daß im menschlichen Inneren sich entwickelt dasjenige, was die weitere Realität der Erdenentwickelung bewirken soll, was die Erdenentwickelung weitertragen soll, während
es im Willen des Menschen liegt, diese Erdenentwickelung zu hindern: allein die ahrimanische Strömung aufzunehmen. Und heute setzen wir dazu den anderen Gedanken, daß ja eigentlich alles, was um uns herum ist, vergängliche äußere Natur ist, denn es stellt heute schon nur einen Uberrest göttlich-geistigen Schaffens dar. Göttlich-geistiges Schaffen, das in der Gegenwart waltend ist und in die Zukunft hinein walten wird, das ist innerhalb der menschlichen Häute vorhanden; so daß es sich zwar paradox ausnimmt, aber doch wahr ist, wenn man sagt Alles dasjenige, was Augen sehen, was Ohren hören aus der menschlichen Umgebung, das vergeht mit der Erde. Dasjenige allein, was heute lebt in den Räumen, die umschlossen werden von menschlichen Häuten, das lebt zum Jupiter hinüber, das trägt das Erdendasein in die künftigen planetarischen Entwickelungen hinein. - Man wird wieder einen Drang bekommen, nun wirklich kennenzulernen die Beziehung des Menschen zum Weltenall, wenn man die ungeheuer ernste Notwendigkeit ins Auge faßt, Menschenkenntnis zu lernen.
Der Mensch lebt ja eigentlich zwischen zwei Extremen drinnen. Wir haben diese Extreme das luziferische und das ahrimanische Extrem genannt. Wir können sie auch, ich möchte sagen, elementarischer fassen. Die Philosophen haben immer davon geredet, daß man an das Sein vom Gedanken heraus eigentlich gar nicht herankommen könne. Das ist eigentlich auch wahr; denn dasjenige, was der Mensch als das Seinsgefühl hat, woher kommt es denn eigentlich? Der Mensch existiert, bevor er durch die Empfängnis beziehungsweise durch die Geburt in das physische Erdendasein eintritt, in übersinnlichen Welten. Er kommt herunter aus übersinnlichen Welten in sein irdisches, physisches, sinnliches Dasein. Da erlebt er vor allen Dingen etwas Neues, was er in den übersinnlichen Welten nicht erlebt hat, was ihn sogleich einfaßt, wenn er heruntergestiegen ist. Das ist dasjenige, was man - aber nur repraseiitativ - die Schwere, die Anziehungskraft der Erde nennen kann, was man nennen kann «Gewicht haben». Nun wissen Sie: der Ausdruck #SE198-296
was mit dem Gewicht haben verwandt ist. Aber weil das Gewicht haben das Repräsentative daraus ist, können wir sagen: Der Mensch stellt sich in die Schwere hinein. Und im Geheimen nimmt der Mensch immer von dieser Schwere etwas wahr, wenn er irgendein Ding der Erde als real bezeichnet.
Umgekehrt, wenn der Mensch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt ist, da ist er, so wie er hier auf der Erde mit der Schwere verbunden ist, dann verbunden mit dem Licht. Denn das Licht hat auch einen Sinn; «mit dem Licht» ist wiederum repräsentativ gebraucht, denn weil wir die meisten unserer höheren Sinneswahrnehmungen, wenn wir sehend sind, durch die Augen bekommen, sprechen wir vom Licht. Aber dasjenige, was in der Sinnesempfindung des Auges lebt als Licht, ist dasselbe, was in der Sinnesempfindung des Ohres lebt als Tönendes und sich in einzelnen Tönen kundgibt, wie sich das Licht in den einzelnen Farben kundgibt. Und so ist es auch für die anderen Sinne. Im Grunde genommen ist es die Tingierung aller Sinne, die man repräsentativ als das Licht bezeichnet, wie man die Schwere repräsentativ bezeichnet. Wir werden aufgenommen in das Außerste der Schwere, wenn wir hinuntersteigen auf die Erde. Wir werden aufgenommen in das Außerste des Lichtes, wenn wir uns im Tode in die Welt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt begeben. Und wir sind eigentlich immer eingefügt in den Mittelzustand zwischen Licht und Schwere, und jede Sinnesempfindung ist im Grunde genommen, indem wir sie hier erleben, halb Licht und halb Schwere. In dem Augenblicke, wo wir vielleicht durch Pathologisches oder durch den Traum ohne unsere Schwere erleben, erleben wir bloß Geistiges, wie eben im Traum oder im Fieberparoxysmus. Der Fieberparoxysmus besteht seelisch darinnen, daß der Mensch Erlebnisse hat, ohne daß er seine eigene Schwere damit erlebt. Dieses Gleichgewicht zwischen Schwere und Licht, in das wir hineingestellt sind, das ist für vieles, was wir hier in der Welt erleben, indem wir als Menschen geistig-physische Wesen sind, geradezu dasjenige, was mit dem Welträtsel ganz innig zusammenhängt. Aber es kommen weder die Weltenströmung, die sich auslebt in den traditionellen Religionsbekenntnissen, noch diejenige, die sich auslebt in den naturwissenschaftlichen Phantasien, zu diesem
Durchbruch: von den abstrakten Begriffen hinein ins Licht, von den sinnlichen Empfindungen hinunter zur Schwere. Die Menschen sind ja blind und taub und stumpf heute geworden für diese Dinge.
Der Mensch lebt mit der Schwere verbunden auf der Erde. Die Schwere empfindet er als ihn zur Erde ziehend (Zeichnung links).
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Nehmen wir einen Kristall; der gibt sich selber seine Form (Zeichnung rechts). Was ist dern dadrinnen für eine Kraft? Dadrinnen ist dieselbe Kraft, die der Mensch fühlt, ihn hinunterdrückend, dieselbe Kraft, die der ganzen Erde die Form gibt. Nehmen Sie sie doch nur einmal da, wo die Erde Form geben kann: in der ganzen Meeresoberfläche, im Wasser; da gibt die Schwere die Form. So gibt dieselbe Kraft dem Kristall die Form. Nur wirkt sie da im Inneren. Die wissenschaftlichen Phantasien gehen darauf hin, zu sagen: Was da hinter der Materie liegt, oder in der Materie liegt, das weiß man nicht, da ist ein «Weltenrätsel». Das, was hinter der Oberfläche der Materie liegt, wir erleben es, indem wir unsere eigene Schwere erleben, denn wir sind hineingestellt in bezug auf die ganze Erde in dieselben Kräfte, die da zum Beispiel im kleinen Körper wirken und die seine einzelnen Teile zusammenhalten. Man muß eben in der Lage sein, im Großen das Kleine, im Kleinen das Große zu erkennen, nicht zu spekulieren, was da hinter der Materie stecken soll. Was über die Materie hinausgeht, das Göttlich-Geistige, das in den Wesen waltet, das muß man erkennen dadurch, daß man anfeuert dasjenige, was im Inneren angefeuert werden kann, was zu höherem innerem Erleben bringt, was zum Verständnisse bringt von Begriffen und Vorstellungen, die sich wirklich auf das beziehen, was in dem Tempel wohnt, der dargestellt wird nach alten Traditionen durch den Menschen selbst.
Es ist in alten atavistischen Weistümern, wie ich oftmals hier betor habe, etwas darinnen, was man tief verehren kann. In der Gegenwai ist man dazu berufen, mit vollem Bewußtsein das wiederum aus de Tiefen des Seins herauszuholen und es zur Richtschnur des geistige und sozialen Handelns und Lebens der Menschen zu machen.
HINWEISE
Von den siebzehn Vorträgen dieses Bandes fallen die ersten fünf in die gleiche Zeit, in welcher in Dornach der erste Ärztekurs (Geisteswissenschaft und Medizin» GA Bibl.-Nr. 312) stattfand. Darum nimmt die Thematik Medizin, Heilkunde-Therapeutik im weitesten Sinne - einen so großen Raum in den Vorträgen dieser Reihe ein.
1m folgenden werden die Einleitungsworte zum ersten Vortrag am 20. März 1920 wiedergegeben. Darin kommen Zeitereignisse zur Sprache, für welche heutige Leser Geschichtsbücher zu Rate ziehen müssten: In Berlin hatte sich nämlich Anfang März 1920 der sog. Kapp-Putsch abgespielt, ein Versuch von Rechtskonservativer Seite, die Macht in Deutschland, die durch den unglücklichen Ausgang des ersten Weltkriegs und die sog. Novemberrevolution an eine linke Koalition übergegangen war, wieder an sich zu reißen. Der Putsch, welcher die sozialdemokratisch orientierte Reichsregierung veranlaßte, Berlin vorübergehend zti verlassen und nach Dresden auszuweichen, scheiterte nach wenigen Tagen und blieb eine Episode in der an Unruhen reichen Nachkriegszeit in Deutschland. Rudolf Steiner suchte dem Chaos durch die Bewegung für die Dreigliederung des sozialen Organismus heilende Kräfte entgegenzustellen. Es wird im weiteren Bezug genommen auf die Gründung der Aktiengesellschaft «Der Kommende Tag AG» in Stuttgart, für die der notarielle Gründungsakt am 13. März 1920 in Stuttgart stattgefunden hatte. Die von Rudolf Steiner erwähnten »Betrachtungen in den letzten Wochen, bevor ich nach Stuttgart gereist bin», sind jetzt zusammengefaßt im Band «Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheitsgeschichte», GA Bibl.-Nr. 196.
Textgrundlagen: Die Vorträge wurden von der Berufsstenographin Helene Finckh aufgenommen und in Klartext übertragen. Dieser Text liegt der Herausgabe zugrunde. Textabweichungen zwischen der Neuauflage 1984 und der 1. Auflage von 1969 sind im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß der erste Vortrag ganz, andere Vorträge teilweise mit dem Originalstenogramm verglichen worden sind. Ferner wurden die lnhaltsangaben und die Hinweise erweitert. Die Zeichnungen im Text wurden nach den Original-Tafelskizzen von Rudolf Steiner von Hedwig Frey angefertigt. Der Titel des Bandes wurde vom Herausgeber der 1. Auflage gewählt.
Zeiischrifienveröffenthchung: Elf der vorliegenden siebzehn Vorträge sind im 5. und 6. Jahrgang 1953154 der Zeitschrift «Blätter für Anthroposophie«, Basel, Herausgeber Dr. Hans Erhard Lauer, erschienen, für den Druck damals durchgesehen und mit Hinweisen versehen von C. S. Picht.
Dem Vortrag gingen folgende einleitende Worte voraus: Meine lieben Freunde! Ich begrüße Sie am heutigen Abend nach meiner Stuttgarter Reise, um wiederum hier gewissermaßen dasjenige fortzusetzen, was dort in Stuttgart in einer gewissen Art geschehen ist. Zuna~chst aber möchte ich nur mit ein paar Worten einleitend bemerken, daß es diesmal in Stuttgart doch gelungen ist, wenigstens zunächst einzuleiten eine Art praktische
Gründung, welche berufen sein soll, vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Weltanschauung auch ins wirtschaftliche Leben einzugreifen. Es wird vielleicht gelingen, einiges beitragen zu können gerade dadurch zu dem, was in der Gegenwart so notwendig geschehen soll. Das Wichtigste in der Gegenwart ist ja allerdings, daß zunächst die Ideen geisteswissenschaftlicher Weltanschauung und die Ideen darüber, was aus dieser geisteswissenschaftlichen Weltanschauung als soziale Konsequenz hervorgeht, in einer genügend großen Anzahl von Menschen Platz greift. Die Seelen einer genügend großen Anzahl von Menschen müssen diese Ideen aufnehmen und trachten, sie zu tatkräftigem Wollen umzugestalten. Das ist das Wichtigste, das ist das Wesentlichste, denn erst wenn eine genügend große Anzahl so vorbereiteter Menschen da sein wird, wird etwas geschehen können von dem, was notwendig für die Menschheit ist. Aber es wird vielleicht doch einiges dadurch beigetragen werden können zu diesem Notwendigen, daß an Vorbildern gezeigt werden kann, wie man ins praktische Leben einzugreifen versuchen muß, wenn man geisteswissenschaftlichen Forderungen gerecht werden will. Und so haben wir denn versucht, in Stuttgart eine Zentrale zu begründen geschäftlichbankähnlicher Art, welche eine Reihe von wirtschaftlichen Unternehmungen organisieren soll, die so geleitet sein sollen, daß ihre Arbeit im Sinne unserer Weltanschauung liegt aber auch, daß ihr Eingreifen in die soziale Struktur der Gegenwart im Sinne dieser Weltanschauung geschehe. Vielleicht könnte es doch sein, daß dadurch Vorbilder geschaffen würden, die in einem gewissen höheren Grade noch überzeugender wirken können als das Wort, dem ja, wie es scheint, leider in der Gegenwart nur so ein langsamer Lauf, ein zu den Notwendigkeiten in solchem Mißverhältnis stehender Lauf gegönnt zu sein scheint. Die Waldorfschule macht ihren erfreulichen Gang, und sie ganz besonders wirkt etwas anfeuernd. Aber all das ist wahrhaftig viel zu wenig, und Sie können sehen, daß es zu wenig ist, wenn Sie es vergleichen mit dem, was Ihnen an zwar vielfach entstellten, aber in der Entstellung dennoch viel sagen- den Nachrichten aus dem früheren Deutschland kommt. Dasjenige, was das Betrübendste ist, ist ja schließlich etwas, was unter der Oberfläche der Erscheinungen sehr, sehr stark bemerkbar ist. Es ist kein Grund vorhanden, meine lieben Freunde, etwa mit einer gewissen Befriedigung zu sagen: Die in Berlin entstandene Regierung hat nach ein paar Tagen abdanken müssen. Das ist ganz einerlei, ob heute in Deutschland, im ehemaligen Deutschland eine Regierung drei Tageslängen am Ruder ist oder so lange wie diejenige, die aus Berlin schnell über Dresden nach Stuttgart geflohen ist; das ist ganz gleichgültig. Auf Zeiten kommt es dabei nicht an. Das Wesentliche ist, daß keine dieser Regierungen wirklich regieren kann, daß überhaupt nicht regiert wer- den kann, daß gewissermaßen der menschliche Wille, insofern er in die öffentlichen Angelegenheiten eingreifen soll, zu etwas Fruchtbarem nicht berufen zu sein scheint und höchstens zu den alten Zerstörungskräftep neue hinzuzufügen in der Lage ist. Solche Vorgänge wie diejenigen, die im ehemaligen Deutschland heute geschehen, zeigen eben nichts anderes an, als daß die Menschen, die noch immer an die Oberfläche geworfen werden, gleichgültig ob durch einen Putsch oder durch irgendeine Wahl und dergleichen, noch
immer von der Art sind, von der Art derjenigen, die die Schreckensereignisse der letzten Jahre mitverschuldet haben. Und der äußere Gang der Ereignisse ist von einer nur geringen Bedeutung gegenüber dem, was hinter diesen Ereignissen steht.
Wir aber müssen hinblicken auf das Hoffnungslose desjenigen äußeren Lebens, das fortsetzen will die alten Kräfte, gleichgültig, ob diese Fortsetzung heute durch die gebräuchlichen linken oder rechten Schlagworte geschieht. Es sind alles keine aufbauenden Kräfte. Die aufbauenden Kräfte sind heute einzig und allein zu suchen in denjenigen Impulsen, die uns aus geistiger Anschauung des Menschendaseins kommen können. Daher wird auch, wenn wir den Versuch machen, durch äußere Gründungen unsere Kraft hineinzuwerfen in den Gang der sozialen Angelegenheiten, die Hauptsache für uns immer wieder und wiederum die bleiben, unsere Erkenntniswenigstens geistig hineinzuvertiefen, damit aus dieser vertieften Erkenntnis das entsprechende, der Gegenwart so notwendige Wollen folgen könne. Der Mensch sollte sich heute sagen: Hin- blicken auf das, was in der einen oder in der anderen Ecke aus den alten Kräften hervorgehen könnte, das frommt heute nicht, demgegenüber ist Pessimismus voll berechtigt und beweist sich jeden Tag aufs neue. Einzig und allein frommt heute den Menschen, zu bauen auf das eine, auf den eigenen erkenntnisgetragenen Willen. Und nur wenn man will, hat man heute das Recht, zu hoffen. Man hat nicht das Recht, zu hoffen, man hat nur das Recht zum Pessimismus, wenn man sich nicht entschließen will, in sein Wollen die geistgetragene Erkenntnis aufzunehmen. Daher wird es immer wieder von der allergrößten Bedeutung sein, diese geistige Erkenntnis zu vertiefen. Lassen Sie uns heute ein Kapitel dieser geistigen Erkenntnis vor die Seele führen, das vielleicht geeignet ist, einiges zu dem beizutragen, was Betrachtung war in den letzten Wochen, bevor ich nach Stuttgart gereist bin.
Werke RudolfSteiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.
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12 Tausendj,ihriges Reich: Der Glaube an ein künftiges tausendjähriges, mit Christi sichtbarer Wiederkunft asihebendes Gottesreich auf Erden taucht seit dem Mittel- alter immer wieder in verschiedener Form im europäischen Geistesleben auf. Uoachim von Floris, 12.113. Jahrh.)
13 Dreigliederung des sozialen Organismus: Siehe Rudolf Steiner «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft« (1919), GA Bibl.-Nr. 23.
16 daß die Griechen anders gesehen hahen als wir: Über den Farbensinn im Altertum haben Lazarus Geiger (vom Vortragenden öfters erwähnt), Hugo Magnus, W. E. Gladstone u. a. im Sinne des Vortragenden geschrieben. Diese Anschauung wird heute als wissenschaftlich widerlegt angesehen. - Siehe auch den Aufsatz von Ch. von Steiger in «Gegenwart«, 7. Jahrg., 1945, Nr. 6.
16 daß uns die römischen &hnftstelirr erzählen: So Plinius, Plutarch u. a. - Vgl. Hugo Magnus «Die geschichtliche Entwicklung des Farbensinnes», Leipzig 1877, S. 14 ff.
23 wichtiges geistiges Ereignis: Siehe hierzu u. a.: «Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis» (1917), GA Bibl.-Nr. 177.
28 Als ich vor ein paar Tagen in Zürich öffentlich vortrug: Vortrag vom 18. März 1920 «Die geistigen Kräfte in der Erziehungskunst und im Volksleben» in «Vom Einheitsstaat zum dreigliedrigen sozialen Organismus» (1920), GA Bibl.-Nr. 334.
erwähnt hatte von der WaLdo,fschuie: Die «Freie Waldorfschule» in Stuttgart, begründet im Frühjahr 1919 von Kommerzienrat Emil Molt für die Kinder der Arbeiter und Angestellten seiner Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik. Die Schule stand unter der Leitung von Dr. Steiner, der auch die an ihr wirkenden Lehrkräfte berief und die vorbereitenden seminarisrischen Kurse erteilte. - Siehe «Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik» (1919), GA Bibl.-Nr. 293; «Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches» (1919), GA Bibl.-Nr. 294.
30 törichte Psychoanalyse: Über Rudolf Steiners Einschätzung der damaligen Psych analyse vgl. namentlich die diesbezüglichen Vorträge in «Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen» (1917), GA Bibl.-Nr. 178.
35 Jakob Mo1eschott, 1822 - 1893, Physiologe. Vgl. «Der Kreislauf des Lebens», zwei Bde., 5. Aufl. Gießen 1887, 18. Kap.: Der Gedanke.
Carl Vogt, 1817- 1895, Zoologe.
William Kingdom Cl£fford, 1845 - 1879, Mathematiker und Philosoph. Entwickelte eine Theorie über den «Seelenstoff», unter dem er als «Dinge an sich» aufgefaßte Empfindungen verstand.
Ernst Haecke~ 1834 - 1919, Naturforscher, Professor der Zoologie in Jena.
Moriz Cari`iere, 1817 - 1895. VgL «Die sittliche Weltordnung», Leipzig 1877, wo es in Kap. 1, S. 25 wörtlich heißt: «Eins fehlt uns immer noch aus jenem Lager: das Bekenntnis, daß die Meinungen des Materialismus und die Dogmen des Syllabus gleich wahr und gleich falsch sind. Denn sie beruhen ja nach Vogt auf Gehirnsekretionen, die sich im Kopfe der Päpste wie der Kraft- und Stoff-Prediger mit derselben mechanischen Gesetzmäßigkeit vollzogen haben, und der Unterschied von Falsch und Wahr ist darum nichtig.»
37 hat der preußische Schulmeistergesiegt: Ausspruch von Oskar Peschel, Professor der Erdkunde in Leipzig, im Aufsatz «Die Lehren der jüngsten Kriegsgeschichte», vom 17. Juli 1866.
38 Herman Grimm, 1828-1901. Aufsätze über Goethes Leben, den «Tasso» und die «Iphigenie» in: «Aufsätze zur Literatur», hg. von Reinhold Steig, Gütersloh 1915. Vgl. auch die «Goethe-Vorlesungen», 2 Bde., 8. Aufl. Stuttgart und Berlin 1903.
43 wie die Erde sich gebildet hat aus dem Urnebel heraus: Die Kant-Laplacesche Theorie der Weltentstehung, hervorgegangen aus Kants «Naturgeschichte und Theorie des Himmels» (1755) bezw. der darin begründeten «Nebularhypothese« und, unabhängig von Kant und in vielem abweichend, aus «Exposition du syste>me du monde» (1796) von Laplace.
45 bis zum nächsten Ende unserer Kulturperioden: Es folgen zunächst sechster und siebenter Zeitraum (Kulturperioden), und dann zwei Große Zeitalter, sechstes und siebentes. Mit diesen schließt die vierte Verkörperung der Erde ab und es folgt die fünfte Verkörperung, derJupiterzustand. - Die atlantische Zeit ist das vierte, die nachatlantische Zeit das fünfte Große Zeitalter, innerhalb dessen unsere Zeit im fünften Zeitraum (Kulturperiode) steht. Vgl. dazu die Ausführungen in «Die ApokaIypse des Johannes» (1908), GA Bibl.-Nr. 104.
46 wenn die Entropie eifüllt ist: Über den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmelehre vgl. die Antwort Rudolf Steiners nach seinem Vortrag vom 12. November 1917 in Zürich in «Die Ergänzung heutiger Wissenschaften durch Anthroposophie» (1917/18), GA Bibl.-Nr. 73.
47 hab`en wehen sehen: Neue Interpretation einer schwer entzifferbaren Stenogrammstelle.
52 Roman Boos,1889-1952, Sozialwissenschafter, Schriftsteller; Leiter der Dreigliederungsarbeit in der Schweiz.
gut christliches Blatt der hiesigen Umgebung: « Katholisches Sonntagsblatt des Kantons Baselland und seiner Umgebung« vom 28. März 1920, Nr. 13. Die Zitate entstammen dem Artikel: Etwas von den Anthroposophen. - Die «Meldung aus Rom» bezieht sich auf den Entscheid des Heiligen Offiziums, Rom, vom 18. Juli 1919, wonach die «Lehren, die man heute theosophische nennt« sich nicht mit der katholischen Lehre vereinigen lassen usw., was vom Jesuiten Otto Zimmermann wdlkurhch auf die anthroposophischen Lehren übertragen wurde. Siehe Otto Zimmernianns, S. J., «Die kirchliche Verurteilung der Theosophie« in «Stimmen der Zeit«, Freiburg i. Br. 1919, Bd. 98, 2. Heft, S. 149 ff.
54 Hypothesen und Theorien,die hier in den letzten Tagen charakterisiert worden sind: In den öffentlichen Vorträgen vom 24. und 27. März 1920 in Dornach (in «Geisteswissenschaft und die Lebensforderungen der Gegenwart»> Heft V. Dornach 1950)> sowie die dazwischen- liegenden Vorträge über Anthroposophie und Fachwissenschaften von Dr. Unger und Dr. Fr. Husemann mit den jeweiligen Schlußworten Dr. Steiners.
57 als Paulus das Ereignis von Damaskus erlebte: Siehe Apostelgeschichte 9.
58 alte Zeiten der Menschheitsentwickelung - das haben wir ja öfter besprochen: Siehe z. B. den Vortrag vom 29. Mai 1917 in Berlin »Das individuelle und das allgemeine Lebensalter der Menschheit» in dem Zyklus «Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten»> GA Bibl.-Nr. 176.
60 wenn die neuere Theologie sogar so weit gegangen ist, das Ereignis von Damaskus wie eine Art Halluzination . . . zu erklären: Vgl. z. B. Adolf v. Harnack »Das Wesen des Christentums«, 4. Aufl. Leipzig 1901, wo es in der 10. Vorlesung, S. 110 heißt «Paulus ist die hellste Persönlichkeit in der Geschichte des Urchristentums; dennoch gehen die Urteile über seine Bedeutung weit auseinander... die ihn als Religionsstifter preisen oder kritisieren, müssen ihn an dem wichtigsten Punkt Zeugnis wider sich selbst ablegen lassen und das Bewußtsein, welches ihn getragen und gestählt hat, für Illusion und Selbsttäuschung erklären. »
bemüht sich eine Anzahl von Theologen . . ., die wirkliche Auferstehung des Christus Jesus abzuleugnen: Siehe a. a. O. 9. Vorlesung S. 101 und 102, wo es heißt: «Die Osterbotschaft berichtet von dem wunderbaren Ereignis im Garten des Joseph von Arimathia, das doch kein Auge gesehen hat, von dem leeren Grabe, in das einige Frauen und Jünger hineingeblickt, von den Erscheinungen des Herrn in verklärter Gestalt -... Aber wer kann unter uns behaupten, daß er sich nach den Erzählungen des Paulus und der Evangelien ein deutliches Bild von diesen Erscheinungen machen könne, und wenn das unmöglich und keine Überlieferung einzelner Vorgänge absolut sicher ist, wie will man den Osterglauben auf sie gründen? Entweder man muß sich entschließen, auf Schwankendes, auf etwas, was immer wieder neuen Zweifeln ausgesetzt ist, seinen Glauben zu stellen, oder man muß diese Grundlage aufgeben, mit ihr aber auch das sinnliche Wunder. »
Oder wie David Friedrich Strauß sich vernehmen läßt in «Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis» in dem Kapitel: Sind wir noch Christen?: «Aber historisch, die Auferstehung Jesu als äußere Tatsache betrachtet, war auch nicht das mindeste daran. Selten ist ein unglaubliches Faktum schlechter bezeugt, niemals ein schlecht bezeugtes an sich unglaublicher gewesen.... Historisch genommen, d. h. die ungeheuren Wirkungen dieses Glaubens mit seiner völligen Grundlosigkeit zusammengehalten, läßt sich die Geschichte von der Auferstehung Jesu nur als ein welthistorischer Humbug bezeichnen.» 11. Aufl. Bonn 1881,5.72 f.
62 «Mein Reich ist nicht von dieser Welt»: Joh. 18, 36.
65 das Paulinische Wort: Gal. 2, 20.
66 einem der angesehensten Theologein Adolf von Harnack, 1851 - 1930. Siehe Hinweis zu Seite 60.
67 wie Herman Grimm. . . die Kant-Laplacesche Theorie nennt: Siehe »Goethe», Vorlesungen in Berlin 1877, 11. Bd., 23. Vorlesung.
70 ein naturwissenschaftlich gebildeter Gelehrter gesagt hat: Thomas Henry Huxley in der berühmt gewordenen Auseinandersetzung mit dem Bischof Samuel Wilberforce am 30. Juni 1860 in Oxford während der Sitzung der British Association for the Advancement of Science. Wörtlich: «Wenn die Frage an mich gerichtet würde, ob ich lieber einen miserablen Affen zum Großvater haben möchte oder einen durch die Natur hochbegabten Mann von großer Bedeutung
und großem Einfluß der aber diese Fähigkeit und den Einfluß nur dazu benutzt um Lächerlichkeit in eine ernste wissenschaftliche Diskussion hineinzutragen, dann würde ich ohne Zögern meine Vorliebe für den Affen bekräftigen». Siehe Johannes Hemleben «Darwin-Monographie«, Rowohlt 1968, S. 117 f.
71 Sie konnten gestern einen merkwürdigen ,Irtikel. . . lesen: «Basler Nachrichten« vom 2. April 1920, 76. Jahrg. Nr. 142. Es handelt sich um einen «Brief aus Hamburg, den ein freundlicher Leser zur Verfügung stellt» (anonym).
79 Woodrow Wilson,1856-1924, von 1913-1921 Präsident der USA. Sein im Vierzehn-Punkte-Programm vom 8. Januar 1918 aufgestelltes Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten wurde an der Pariser Friedenskonferenz nicht angenommen.
80 »Der,den ihr suchet...»: Luk. 24,5 u. 6.
83 Georges Clemenceau,1841-1929, franz. Staatsmann.
84 »Mein Reich ist nicht von dieser WeIL»: Joh. 18, 36.
86 päpstlichen Enzyklika: Die Enzyklika «Quanta cura« von Papst Pius !X. vom 8. Dezember 1864; ihr war ein «Syllabus» beigegeben, ein Verzeichnis in achtzig Sätzen, welches die mit dem römischen Katholizismus nicht verträglichen «Irrtümer» der modernen Zeit enthielt.
87 Gustav Rümehn, 1815-1889, Staatsmann und Schriftsteller. Siehe «Reden und Aufsätze», 3 Bde., Tübingen 1875 - 1894; das Zitat findet sich im 1. Bd. unter »Kleine Betrachtungen und Bekenntnisse vermischten Inhalts», S. 438.
von dem ich Ihnen ne,ilich im Zusammenhang mit Julius Robert Mayer.
gesprochen habe: Vgl. den Vortrag vom 14. Mai 1920 in «Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos», GA Bibl. -Nr.201.
88 Als ich begann,... in öffentlichen Vorträgen gewisse anthroposophische Fragen zu beruhrein Es handelt sich hier um die ersten öffentlichen Vorträge in Berlin und anderen Orten, von denen keine oder nur geringfügige Notizen vorhanden sind. Vgl. jedoch die öffentlichen Vorträge aus den Jahren 1904/05 in «Ursprung und Ziel des Menschen. Grundbegriffe der Geisteswissenschaft», GA Bibl.-Nr. 53.
89 in den letzten Vorträgen dieser Wochen: Siehe «Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Mensch - eine Hieroglyphe des Weltenalls« (1920), GA Bibl.-Nr. 201.
91 Antimodernisteneid: Um 1900 einsetzende Bestrebungen katholischer Theologen, den Katholizismus modernem Denken anzunähern, wurden von Pius X. im Dekret »Lamentabili sane exitu« vom 3. Juli 1907 und in der Enzyklika #SE198-306
Priester im Lehramt und in der Seelsorge ein mit Ablegung des Glaubensbekenntnisses verbundener Eid gefordert, der dem Modernismus abschwört.
92 Es gab immerhin Kleriker: Hier ist wohl an den von Rudolf Steiner sehr geschätzten Antonio Rosmini Serbati (1797-1855) zu denken. Siehe Vortrag vom 15. Januar 1916 in «Die geistige Vereinigung der Menschheit durch den Christusimpuls», GA Bibl.-Nr. 165.
93 Simon Weber, 1866 - 1929. «Theologie als freie Wissenschaft und die wahren Feinde wissenschaftlicher Freiheit», Freiburg i. Br. 1912, Zitat S. 72.
95 in das 13. Jahrhundert zurück, von dem wir uns neulich in öffrntlichen Vorträgen unterhalten haben: Siehe «Die Philosophie des Thomas von Aquino», GA Bibl.Nr. 74.
Albertus Magnus, 1193-1280, seit 1260 Bischof von Regensburg. Der Brief des Ordensmeisters Humbert von Romans ist abgedruckt im Werk von Heribert Christian Scheeben «Albertus Magnus», Köln 1955, S. 124 f.
Thomas von Aquino, um 1225-1274, Dominikaner, 1323 heiliggesprochen. Clemens lV. wollte Thomas zum Erzbischof von Neapel machen, was dieser unter Bitten und Tränen ausschlug. Durch die Enzyklika «Aeterni patris» vom 4. August 1879 von Leo Xlll. wurde der Thomismus zur offiziellen Philosophie der katholischen Kirche erklärt.
96 von jesuitischer Seite . . . Lügen: In der Besprechung des Buches »Manuale di teosofia», vier Teile, Roma 1911 - 1915, von Giovanni Busnelli S. J., sagt Otto Zimmermann S. J.: »Die Werke, auf die sich der Kritiker zumeist bezieht, sind die Rudolf Steiners, des (dem Vernehmen nach) abgefallenen Priesters und jetzigen Generalsekretärs der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, «Christentum als mystische Tatsache»,. . .»; während bei Busnelli im 3. Teile des oben genannten Werkes (S. 17) die Rede ist von einem «ehemals katholischen Priester». Vgl. «Stimmen aus Maria-Laach» (seit 1914 «Stimmen der Zeit») katholische Blätter, Jahrg. 1912, Heft 6, Bd. 83, S. 80 f. - Erst nach mehreren Jahren hat Otto Zimmermann diese Behauptung zurückgenommen in dem Artikel «Anthroposophische Irrlehren» mit der oberflächlichen Wendung »was sich aber nicht aufrechterhalten ließ». Siehe «Stimmen der Zeit», Freiburg i. Br. 1918, Heft 10, Bd. 95, S. 331.
denJesuitenorden aufgehoben hat: Papst Clemens XlV. hob durch Breve «Dominus ac redemptor noster» vom 21. Juli 1773 die Gesellschaft Jesu auf. Durch Pius
Vll. 1814 wieder hergestellt.
97 Friedrich !1. von Preußen, 1712 - 1786.
Katharina von Rußland, 1729-1796.
98 der betreffrnde «Spektator«: Unter diesem Pseudonym schrieb Max Ku11 y, 1878 - 1936, Pfarrer in Ariesheim im «Katholischen Sonntagsblatt». Die Zitate finden sich in Nr. 22 (9. Jahrg.) vom 30. Mai 1920 unter dem Titel «Die Theosophie« -Historisches Drama in 4 Akten. - Vgl. auch Roman Boos: «Aktenmäßige Darstellung der Hetze gegen das Goetheanum« in «Die Hetze gegen das Goetheanum«, Dornach 1920 (in der Gesamtausgabe vorgesehen in Bibl.-Nr. 255.) Enthält auch den in diesem Vortrag angekündigten öffentlichen Vortrag Rudolf Steiners «Die Anthroposophie und deren Verteidigung«, vom 5. Juni 1920.
Dr. Boos: Siehe Hinweis zu Seite 52.
102 Antimodernisteneid: Bezüglich der Dogmengeschichte ist von besonderer Tragweite der folgende Abschnitt: «. . . Auch unterweife ich mich mit der schuldigen Erfurcht und billige mit ganzem Herzen alle Verdammungen, Erklärungen und Vorschriften, die in der Enzyklika (Pascendi) und im Dekret (Lamentabili) enthalten sind, besonders in bezug auf die sog. Dogmengeschichte... «. Die Schluß formel lautet: «Das alles gelobe ich, treu, unverkürzt und aufrichtig zu halten und unverletzlich zu bewahren, niemals im Unterricht oder sonst irgendwie in Wort und Schrift mich davon zu entfernen. So gelobe ich, so schwöre ich<. - Siehe Carl Mirbt «Quellen zur Geschichte des Papsttums und des Römischen Katholizismus», Tübingen 1934, Nr. 658. Siehe ferner den Hinweis zu Seite 91.
Conceptio immaculata: Nach jahrhundertelangen Streitigkeiten, vornehmlich zwischen Dominikanern, Uranziskanern und Jesuiten, wurde am 8. Dezember 1854 die Lehre von der «unbefleckten Empfängnis« Mariae, d. h. ihre Bewahrung vor der Erbsünde im Augenblicke der Empfängnis durch ihre Mutter Anna, als Offenbarungswahrheit dogmatisiert. (Pius lX. Bulle « 1neffabilis Deus «).
Unfehlbarkeitsdogna: Auf dem Vatikanischen Konzil wurde 1870 das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes mit 533 gegen 2 Stimmen angenommen, nachdem vorher 55 Bischöfe abgereist waren, um sich der Abstimmung zu entziehen.
103 die Enzyklika »Aeterni patrh«: Siehe Hinweis zu Seite 95.
einen Satz im letzten »Ba4er Voru`ärts»: Der Artikel «Die Politik der Sowjetregierung auf dem Gebiete der Reiligion» von X. N. am 2. Juni 1920.
Lenin, eigentlich Uljanow, 1870-1924, Führer des Bolschewismus, Gründer der UdSSR.
Trotzkf, eigentlich Leib Bronstein, 1879-1940. Engster Mitarbeiter 1.enins; im mexikanischen Exil ermordet.
107 Vorträge, die ich hier über den Thomismus gehalten habe: Siehe den Hinweis zu Seite 95.
Plothz, um 205-270.
Porpkvrios, um 232 - 304, Schüler Plotins.
107 Jamblichos, um 275 - 330.
Augustinus, 354 - 430.
108 «Die Philosophie der Freiheit» (1894), GA Bibl.-Nr. 4.
109 Rudolf Eucken, 1846- 1926.
110 wann derJesuitenorden begründet worden ist: 1534 durch Ignatius von Loyola (1491 - 1556); im Jahre 1540 durch Papst Paul 111. bestätigt.
Pieter Canisius (de Hondt), 1521 - 1597, heftiger Gegner der Reformation.
dieJesuiten aus der Schweiz verschwinden mußten: Ausweisung der Jesuiten aus der Schweiz am 3. September 1847.
111 der Jesu itenorden offiziell aufgehoben wurde: Siehe Hinweis zu Seite 96.
Cordara, Giulio Cesare, 1704 - 1785.
Paul Grafvon Hoensbroech, 1852 - 1923, Ex-Jesuit. Schrieb « DerJesuitenorden. Eine Enzyklopädie aus den Quellen zusammengestellt und bearbeitet«- 2 Bde. Bern und Leipzig 1926/27. Darin aus den «Denkwürdigkeiten» von Cordara, S. j. zitiert S. 58 ff. und 66 ff.
114 Jesuitenprediger in seiner ersten Predigt: Quelle nicht bekannt.
Dreigliederung des sozialen Organismus: Siehe Hinweis zu Seite 13.
des deutschen Kulturkampfes: Zwischen dem preußischen Staat und der Katholischen Kirche von 1872-1887.
115 ich werde hier am Sonnabend über das Thema... sprechen: Siehe den Hinweis zu Seite 98.
118 Plato spricht ja deutlich davon: Über die Seele, die aus dem Geiste kommt und zum Geiste zurückkehrt` spricht Platon im Dialog «Phaidros».
A ristoteles aber hat.. . die Theorie verfochten: Vgl. hierzu Franz Brentano «Die Psychologie des Aristoteles»` Mainz 1867` S. 197 f.
122 das Paulinische Wort: Gal. 2,20.
Konzil in Konstantinopel: Im Jahre 869. Von Rudolf Steiner oft angeführt, u. a. in GA Bibl.-Nrn. 174a, 174h, 182, 191, 194.
als derJesuit Zimmermann verschiedenes an der... Geisteswissenschaft monierte: Siehe die Aufsätze «Mensch und Christ nach anthroposophischer Vorstellung»
und «Der anthroposophische Mystizismus» in «Stimmen der Zeit«> Katholische Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart, Freiburg i. Br. 1918, Bd. 95, Heft 11 und 12.
123 Hochscholastik, die ich hier zu Pftngsten charakterisiert habe: Siehe den Hinweis zu Seite 95.
125 Solche Artikel: Siehe Hinweis zu Seite 98.
127 eine päpstliche Enzyklika: Siehe den Hinweis zu Seite 91.
129 Farce von Krishnamurti: Gemeint ist das seinerzeit von Annie Besant und Leadbeater propagierte Wiedererscheinen des Christus, zu dessen Träger sie den Hinduknaben Krishnarnurti bestimmten. Dieser hat sich später von dieser ihm zugedachten Rolle distanziert.
130 Gesetz von der Erhaltung des Stoffrs und der Kraft: Die kurze Abhandlung von Julius Robert Mayer »Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur« legte 1842 den Grund zu dem später formulierten Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und der Kraft. Vgl. auch den Hinweis zu Seite 87.
131 der Jesu itenorden begründet worden ist: Siehe Hinweis zu Seite 110.
132 in jenem Karlsruher Zyklus: Siehe «Von Jesus zu Christus« (1911), GA. Bibl.-Nr. 131.
Unsinn- und Unratschmierer: Bezieht sich auf den Pfarrer Max Kully. Siehe Hinweis zu Seite 98.
Es wird die Zeit kommen: An der Weihnachtstagung zur Neubegründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft Ende Dezember 1923 wurde die bisher angestrebte Sekretierung der Zyklen aufgehoben.
134 Oswald Spengler, 1880- 1936. »Der Untergang des Abendlandes. Umrisse der Morphologie der Weltgeschichte»; Bd. 1 «Gestalt und Wirklichkeit«, Wien und Leipzig 1918; Bd. 11 «Welthistorische Perspektiven», München 1922.
135 Ich hatte einen Vortrag zu halten vor den Stuttgarter Studenten der Technischen Hochschule: Am 17. Juni 1920 unter dem Titel «Geisteswissenschaft, Naturwissenschaft, Technik», vorgesehen in Bibl.-Nr. 335. - In diesem Vortrag wurde das Spenglersche Buch nicht erwähnt, war aber im Vortrag vom 15. Juni (s. u.) ausführlich behandelt worden.
bei einem meiner 0ffrntlichen Vorträge: Siehe den Vortrag vom 15. Juni 1920 in Stuttgart «Fragen der Seele und Fragen des Lebens. Eine Gegenwartsrede«, abgedruckt in der Reihe «Geisteswissenschaft und die Lebensforderungen der Gegenwart», Dornach 1952, Heft VIII.
138 Das Buch ist zunächst nur im ersten Bande vorliegend: Vgl. die beim Erscheinen des zweiten Bandes von Rudolf Steiner verfaßten fünf Aufsätze in «DerGoetheanum-Gedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart. Gesammelte Aufsätze aus der Wochenschrift "Das Goetheanum" 1921 - 1925», GA Bibl.-Nr. 36.
139 Benedetto Croce, 1866 - 1952, Philosoph, Historiker und Politiker. Gemeint ist der Artikel «Pessimismo storico in Germania» im «Giornale d`ltalia», Roma, 27. April 1920.
145 Ich habe in Stuttgart. . . gesprochen: Siehe Hinweis zu Seite 135.
154 denn diese Vorträge gehörten zu den allerersten: 25 Vorträge in der Theosophischen Bibliothek, Berlin, vom 5. Oktober 1901 bis zum 22. März 1902. Erschienen als Buch 1902 unter dem Titel » Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums», GA Bibl.-Nr. 8.
158 «Spottet seiner selbst»: «Encheiresin naturae nennt`s die Chemie / Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie. » Goethe, «Faust» 1, Studierzimmer.
159 Konstantin Fehrenbach, 1852-1926, Zentrumspolitiker, 1919 Präsident der Weimarer Nationalversammlung, 1920/21 Reichskanzler.
ich habe ja während des Krieges auf die Ziele solcher Geheimgesellschaften hingewiesen: Siehe »Zeitgeschichtliche Betrachtungen», GA Bibl.-Nr. 173 (1916) und 174 (1917).
160 Oddfellows-Orden: lndependent Order of Oddfellows, im 18. Jahrhundert in England gegründet, eine der zahlreichen freimaurerischen Körperschaften (friendly societies).
164 Max Kully: «Das Geheimnis des Tempels von Dornach», 1. Teil: Geschichtliches über die Theosophie und ihre Ableger, Basel 1920; 11. Teil: Geheimtempel, Geheimlehrer, Geheimlehre . . ., Basel 1921. Zitate S. 56 des l. Teiles.
166 Evangelisches Schulblatt: In Nr. 26 vom 26. Juni 1920. In diesem und dem nächsten Heft der Aufsatz «Ein falscher Prophet» (Eingesandt) anonym, als Erwiderung auf den Artikel von Pfarrer E. Ernst in Nr. 23. Das Zitat in Nr. 27, 5.211 f.
169 Pfarrer Edmund Ernst, 1893-1953, reformierter Pfarrer in Salez/Ostschweiz, Anthroposoph.
172 Lehrer der Arbeiter-Bildungsschule: Rudolf Steiner war 1899 bis 1904 als freier Lehrer, nicht als Parteiangehöriger, tätig an der von Wilhelm Liebknecht gegründeten sozialdemokratischen Arbeiter-Bildungsschule in Berlin für den Unterricht in Geschichte und Redeübungen. Vgl. «Erinnerungen an Rudolf Steiner und seine Wirksamkeit an der Arbeiter-Bildungsschule in Berlin 1899- 1904» von Johanna Mücke und Alwin Alfred Rudolph, Basel 1979.
174 Franz Overbeck, 1837-1903, «Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie», Leipzig 1873. - Das Zitat findet sich in »Christentum und Kultur. Gedanken und Anmerkungen zur modernen Theologie» aus dem Nachlaß herausgegeben von Carl Albrecht Bernoulli, Basel 1919, S. 173 f. Die Besprechung in dem Beiblatt der »Basler Nachrichten» ist von Prof. Dr. W. Köhler, Zürich, in Nr. 26 und 27 vom 27. Juni und 4. Juli 1920.
diese Frage hat nicht bloß... David Friedrich Strauß aufgeworfen: Vgl. »Der alte und der neue Glaube». 11. Aufl. Bonn 1881.
175 Karl Marx, 1818-1883, Vertreter des historischen Materialismus.
Johann Karl Rodbertus, 1805-1875, deutscher Politiker und Nationalökonom, Vertreter des wissenschaftlichen konservativen Sozialismus.
180 Isaak Newton, 1643-1727, engl. Mathematiker und Physiker. Hatte gewisse Grundgedanken der Differentialrechnung schon für seinen Privatgebrauch entwickelt, aber Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646-1716, der umfassende deutsche Philosoph und Physiker, hat diese Gedanken ausgebaut, methodisch entwickelt, für den allgemeinen Gebrauch fruchtbar gemacht und früher als Newton veröffentlicht.
183 Ferdinand Lassalle> 1825 - 1864, sozialistischer Politiker und Philosoph.
190 was ich gestern im 0ffrntlichen Vortrage: Vortrag auf Einladung der Freien Studentenschaft in Bern am 8. Juli 1920 unter dem Titel «Anthroposophie, ihr Wesen und ihre philosophischen Grundlagen», abgedruckt in der Reihe «Geisteswissenschaft und die Lebensforderungen der Gegenwart», Heft VII, Dorn- ach 1951.
194 Fortführung der Waldotfschu>e: Siehe Hinweis zu Seite 28.
199 in meinem Buche «Von Seeknrätseln, GA Bibl.-Nr. 21.
205 RichardAvenarius, 1843-1896, Philosoph. Lebte zuletzt in Zürich, begründete den Empiriokritizismus in seiner «Kritik der reinen Erfahrung», Leipzig 1888/90. Lenin hat den Begriff Empiriokritizismus in seiner Streitschrift »Materialismus und Empiriokritizismus» wieder aufgenommen, polemisierte aber gegen empiriokritische Auslegungen der marxistischen Lehre.
Ernst Mach, 1838-1916, österreichischer Physiker und Philosoph. Zahlreiche Anhänger auch im entstehenden Sowjetreich.
Der eine ist: Hier ist die Nachschrift fraglich; wahrscheinlich Max Adler> 1873- 1937, der ein Buch »Mach und Marx», 1911 schrieb.
205 Friedrich Adler, 1879-1960, österreichischer Sozialist. Erschoß 1916 den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürgkh, wurde 1918 amnestiert.
206 mit Hilfr der A kasha-Chronik: Siehe Rudolf Steiner «Aus der Akasha-Chronik» (1904), GA Bibl.-Nr. 11.
208 Oswald Spengler: Siehe Hinweis zu Seite 134.
210 Vortrag vor der Studentenschaft der Technischen Hochschule: Siehe Hinweis zu Seite 135.
in Stuttgart in einem öffentlichen Vortrag: Am 15. Juni 1920, siehe Hinweis zu Seite 135.
212 «Nicht ich, sondern der Christus in mir»: Gal. 2,20.
213 Adolf von Harnack, 1851 - 1930. Siehe «Das Wesen des Christentums», 4. Aufl. Leipzig 1901, S. 91, wo es wörtlich heißt: «Nicht der Sohn, sondern allein der Vater gehört in das Evangelium, wie es Jesus verkündigt hat, herein.
215 Cartesius, (Rene` Descartes,) 1596-1650, vgl. u. a. «Principia Philosophiae«, Amsterdam 1644.
219 Walter Johannes Stein 1891 - 1957. Siehe «Historisch-kritische Beiträge zur Entwickelung der neueren Philosophie» als Dissertation der philosophischen Fakultät der Universität Wien vorgelegt und von dieser approbiert, Stuttgart 1921. Dr. Stein war von 1919 bis 1932 Lehrer an der Waldorfschule Stuttgart.
223 Die in der Vorauflage an dieser Seite befindliche Zeichnung wurde weggelassen, weil der Bezug zum Text nicht auszumachen ist.
sich verlierend: Hier stand früher «liebend». Das Stenogramm ist undeutlich. Das in eckige Klammern Gesetzte ist eine Interpretation, die dem Sinn der Stelle näher zu kommen scheint.
226 Wir haben in Stuttgart die Waldorftchule begründet: Siehe Hinweis zu Seite 28.
227 Alfons Lehmen, S. J., 1847 - 1910. Das angeführte Werk erschien in Freiburg i. Br. 1904-06 und erlebte zahlreiche Neuauflagen. Rudolf Steiner kommt noch ein- mal auf Lehmen zu sprechen am 22. Aug. 1920 (in GA Bibl.-Nr. 199).
228 «Mein Reich ist nicht von dieser Welt»: Joh. 18, 36.
229 Imprimatur: Die kirchliche Druckgenehmigung ist erforderlich für die Bücher der Heiligen Schrift, theologische und religiöse Schriften, sowie für alle Veröffentlichungen dar Geistlichen und Ordensleute.
235 einer dieser Theologen: Eine entsprechende Stelle bei einem Theologen konnte bisher nicht beigebracht werden. Zu denken wäre in erster Linie an Ernest Renan und Otto von Harnack.
an einer bestimmten Stätte in Frankreich: Alesia, die Stätte alter keltisch-gallischer Kultur; wurde 52 v. Chr. durch Cäsar zerstört. Reste bei dem Dorf Alise Ste.-Reime im Dept. Cote-de´Or - Siehe auch den Vortrag vom 2. April 1918 in «Erdensterben und Weltenleben», GA Bibl.-Nr. 181, 1967, S. 181 f.
237 wie ich es oftmals ausgesprochen habe: Z. B. im Vortrag vom 7. November 1911, Berlin, in «Die Evolution vom Gesichtspunkte des Wahrhaftigen«, GA Bibl.-Nr. 132, 1958, S. 41 f.
243 Woodrow Wilson: Siehe Hinweis zu Seite 79.
245 Joseph Othmar Ritter von Rauscher, 1797-1875, Fürstbischof von Wien, 1855 Kardinal, 1860 in den Reichsrat berufen.
!mprimatur: Siehe Hinweis zu Seite 230.
246 «Das Geheimnis von Dornach»: Siehe Hinweis zu Seite 164.
«Basler Volksblatt»: Vom 10. Juli 1920, Nr. 160.
Stern des Ostens: Der von Annie Besant im Rahmen der Theosophical Society 1911 gegründete «Orden», Hauptgrund der späteren Trennung der deutschen Sektion unter Rudolf Steiner von der Theosophischen Gesellschaft.
248 Bericht aus A rlesheim von irgendeiner Versammlung: Gemeindeversammlung vom 17. Juli 1920.
249 «!ch bin der Weg. . . »: Joh. 14, 6.
«Die Weisheit liegt nur in der Wahrheit«: Motto der Theosophischen Gesellschaft.
252 Mysterien. . ,eigentlich zwei> in der Gegend des heu ti gen Frankreich: Alesia (siehe Hinweis zu Seite 235) und Dreux, westlich von Paris in der Diözese Chartres, von wo aus 52 v. Chr. die Carnuten den Aufstand gegen die Römer entflammten, um alsbald ebenfalls niedergeschlagen zu werden, nachdem Cäsar über Alesia vorgedrungen war.
253 die Arbeit gewisser Geheimgesellschaften: Siehe Hinweis zu Seite 159.
255 Pfarrer Kully: Siehe Hinweis zu Seite 98.
naiv unverständige Revolte: Näheres nicht bekannt.
256 diese heiligen Geheimnisse: Über die «sieben unaussprechlichen oder unnennbaren Geheimnisse» vgl. u. a. Rudolf Steiner «Kosmogonie» GA Bibl.-Nr. 94> 17. Vortrag, S. 111.
258 Dreieck, Viereck usw.: Vgl. zu diesen Ausführungen auch den Vortrag »Das Vaterunser» vom 28. Jan. 1907 (in GA Bibl.-Nr. 96; auch als Einzelausgabe).
260 in den Büchern der . . . Blavatsky: Helena Petrowna Blavatsky, 1831 - 1891. Gründete 1875 mit Oberst H. S. Olcott die indisch orientierte «Theosophische Gesellschaft». Ihre Hauptwerke sind «lsis Unveiled», New York 1877, »The Secret Doctrine», London 1897.
Oswald Spengler: Siehe Hinweis zu Seite 134.
vor den Studenten der Stuttgarter Technischen Hochschule: Siehe Hinweis zu Seite 135.
261 Benedetto Croce: Siehe Hinweis zu Seite 139.
263 eine Broschüre: Oswald Spengler «Preu&ntum und Sozialismus», München 1920.
was ich über das Russentum... gesagt habe: Vgl. »Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie» (1916), GA Bibl.-Nr. 121, ferner die Vorträge vom 11. April 1912 und 5. Juni 1913 in »Der Zusammenhang des Menschen mit derelementarischen Welt» (1912/13/14), GA Bibl.-Nr. 158.
was er über das Russen tu m sagt. . . in seinem zweiten Bande: Der zweite Band erschien in München 1922; siehe Hinweis zu Seite 134. Das Russentum hat Spengler darin aber nicht mehr berührt.
270 eine solche Wahrheit, wie ich sie vor einigen Wochen: Am 21. März 1920, siehe den zweiten Vortrag dieses Bandes.
272 Richard Avenarius: Siehe Hinweis zu Seite 205.
276 Kursus vor A rzten und Medizinstudierenden: Siehe Rudolf Steiner «Geisteswissenschaft und Medizin», GA Bibl.-Nr. 312.
277 Dreigliederung des sozialen Organismus: Siehe Hinweis zu Seite 13.
279 daßein solcherHirtenbriefentsteht: Der Hirtenbrief des FürsterzbischofsJohann Baptist Katschthaler> 1832-1914, von Salzburg vom 2. Februar 1905, betitelt: «Die dem katholischen Priester gebührende Ehre»; abgedruckt in Carl Mirbt «Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus», 5. Aufl. Tübingen 1934, S. 497ff. (Nr. 645). Siehe auch den Hinweis zu Seite 45 des Bandes »Gegensätze in der Menschheitsentwickelung», GA Bibl.-Nr. 197.
280 «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung» (1886), GA Bibl.-Nr. 2.
Einleitung zum zweiten Bande der Naturwissenschaftlichen Schriften Goethes: Siehe auch die Vorrede S. IV. in Bd. 115 von Kürschners «Deutsche National-Litteratur», wo es wörtlich heißt: «Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen. »
281 Reden eines Erzbischoft von München-Freising: Siehe Michael von Faulhaber, 1869-1952, Kardinal, «Zeitfragen und Zeitaufgaben», Gesammelte Reden, 4. und 5. Aufl. Freiburg i. Br. 1919, S. 17 ff: Die Rückeroberung der Arbeiterwelt.
286 Philipp Mainländer (Pseudonym für Philipp Batz), 1841 - 1876. « Die Philosophie der Erlösung», 1. Bd. Berlin 1876, 2. Bd. 1886. Vgl. «Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt» (1914), GA Bibl.-Nr. 18.
288 «Himmel und Erde werden vergehen.. . »: Matth. 24, 35.
das Paulinische Wort: Gal. 2, 20.
290 Der menschliche Leib ist der Tem pel Gottes:Vgl. 1. Kor. 3,16; 3, 17; 6,19. - 2. Kor. 6, 16. - Eph. 2, 19-22.
Ich habe Ihnen schon öfters gezeigt, habe es auch öffentlich ausgesprochen: Siehe z. B. den Vortrag vom 24. Mai 1920 in «Die Philosophie des Thomas von Aquino», GA Bibl.-Nr. 74, und auch den Vortrag vom 22. März 1920 in «Geisteswissenschaft und Medizin», GA Bibl.-Nr. 312.
292 Wir haben in Stuttgart die Waldoiftchule begründet: Siehe Hinweis zu Seite 28.
Literatur
- Rudolf Steiner: Heilfaktoren für den sozialen Organismus, GA 198 (1984), ISBN 3-7274-1980-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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