GA 297

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER ERZIEHUNG

Idee und Praxis
der Waldorfschule

Neun Vorträge, eine Besprechung
und Fragenbeantwortungen zwischen dem
24. August 1919 und 29. Dezember 1920
in verschiedenen Orten

GA 297

1989

Inhaltsverzeichnis


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WELCHE GESICHTSPUNKTE LIEGEN DER ERRICHTUNG DER WALDORFSCHULE ZUGRUNDE? Stuttgart, 24. August 1919

Heute möchte ich zu Ihnen sprechen in Anknüpfung an die von unserem Freunde, Herrn Molt, begründete Waldorfschule. Wie Sie wohl aus den Ankündigungen wissen, soll mit dieser Schule eine Art erster Schritt auf dem Weg zu einem freien Geistesleben getan werden. Herr Molt hatte sich mit der Begründung dieser Waldorfschule in einem hohe Maße bewogen gefühlt, etwas in der Richtung eines freien Geisteslebens zu tun, die - in bezug auf die sozialen Aufgaben der Gegenwart und Zukunft - vorgezeichnet werden soll durch die Dreigliederung des sozialen Organismus. Diese Waldorfschule kann selbstverständlich nur dann gelingen, wenn sie ganz durchdrungen ist von dem Geiste, aus dem heraus die Dreigliederung des sozialen Organismus erstrebt wird. Es ist nur allzu begreiflich, daß ein sol­cher erster Schritt nicht gleich vollkommen sein kann, und die Ein­sicht, daß ein solcher erster Schritt nicht gleich vollkommen sein kann, wird dazugehören zu dem Verständnis, von dem wir so sehr möchten, daß es wenigstens von einigen Zeitgenossen dieser Schul­gründung entgegengebracht würde.

Die Arbeit hat schon begonnen, und zwar damit, daß jene Per­sönlichkeiten, die sich von sich aus zur Mitarbeit entschlossen ha­ben beziehungsweise die von uns in Aussicht genommen wurden, gegenwärtig an einer Art seminaristischem Kurs teilnehmen, der vor kurzem begonnen hat und der eine Vorbereitung für das Wir­ken an der Waldorfschule sein soll. Zu diesem Kurs sind nur einige wenige Persönlichkeiten eingeladen worden, und zwar solche, die durch ihre bisherigen Lebensumstände geeignet erscheinen, im Sinne derjenigen Kulturbewegung zu wirken, welcher die Waldorf­schule dienen soll, und die speziell dazu berufen erscheinen, auf dem pädagogischen Gebiet zu wirken. Aber es besteht natürlich in höchstem Grade die Notwendigkeit, daß der Waldorfschule, we­nigstens zunächst in engerem Kreise, Verständnis entgegengebracht

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wird. Man wird ja immer mehr und mehr bemerken, je mehr man in das Soziale hineinwächst, daß das gegenseitige Verständnis der Menschen mit Bezug auf ihre Leistungen in erster Linie zu dem zukünftig zu begründenden sozialen Leben gehört. Und so schei­nen mir zunächst diejenigen Persönlichkeiten, die von sich aus ihr Interesse bekunden können, am geeignetsten zu sein, bei den Aus­einandersetzungen teilzunehmen, die heute und am nächsten Sonn­tag hier in Anknüpfung an die Bestrebungen der Waldorfschule gepflogen werden sollen.

Am liebsten wäre es mir allerdings, wenn auch noch etwas an­deres zur Pflege dieses Verständnisses zustande kommen könnte:

Ein weitgehendes Interesse an demjenigen, was durch die Waldorf­schule geschehen soll, haben ja zweifellos alle Eltern derjenigen Kinder, welche die Waldorfschule besuchen wollen. Und so wäre es mir ein besonderes Bedürfnis, wenn es zustande kommen könn­te, daß vor der Eröffnung dieser Waldorfschule in der ersten Hälfte des September noch einmal irgendwie eine Versammlung einberu­fen werden könnte, an welcher alle Eltern derjenigen Kinder teil­nehmen würden, welche diese Waldorfschule besuchen wollen; denn nur dasjenige wird in einem wirklich sozial orientierten Ge­sellschaftsleben gedeihen können, was wurzelt in dem Verständnis derjenigen, die mit ihren Seelen und mit ihrem ganzen Leben an solchen Gründungen beteiligt sind.

Was ich Ihnen heute auseinandersetzen möchte, das soll eine Besprechung der Ziele und auch in einigem schon eine Bespre­chung der Methoden der Unterrichts- und Erziehungsweise sein, wie sie durch die Waldorfschule in Angriff genommen werden sollen. Wir möchten ja in der Tat mit der Waldorfschule dasjenige schaffen, was nach unserer Einsicht aus der besonderen Ent­wicklungsstufe der Menschheit heraus geschaffen werden soll, die durch die Gegenwart und für die nächste Zukunft geschichtlich erreicht ist. Man mißverstehe die Gründung der Waldorfschule nicht dahingehend, daß etwa geglaubt würde, im alten Schulwesen sei alles schlecht. Es sollte auch nicht geglaubt werden, daß unsere Ausgangspunkte bei Begründung der Waldorfschule nur eine Kritik

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des alten Schulwesens seien. Es handelt sich vielmehr um etwas ganz anderes.

Es haben sich im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte im gesellschaftlichen Leben ein Staats-Rechts-Leben, ein Geistes- und Kulturleben und ein wirtschaftliches Leben herausgebildet, die eine bestimmte Konfiguration angenommen haben und jetzt, wie ja öfters von mir in diesen Zeiten auseinandergesetzt worden ist, einem Neubau unserer sozialen Verhältnisse, man möchte schon sagen entgegenstürmen. In dieses Vorwärtsstürmen ist das Schul­wesen gerade dadurch besonders eingegliedert, daß dieses Schulwe­sen in den letzten drei bis vier Jahrhunderten ganz abhängig ge­worden ist von dem Staatswesen, so daß man sagen kann: In einer ganz besonderen Weise nimmt das Schulwesen an dem Staatswesen teil. Nun kann man sagen: Bis zu einem gewissen Grade - aller­dings aber nur bis zu einem gewissen sehr niederen Grade - war unser Schulwesen den Einrichtungen, in die die Menschen hinein-gewachsen waren durch die Staatenkonfiguration der zivilisierten Welt, angemessen. Aber gerade nach einer Umwandlung dieser Staatenkonfiguration wird ja gestrebt, und nach den Anschauun­gen, die zugrunde liegen werden den zukünftigen Staatenkonfigu­rationen, wird es nicht möglich sein, das Schulwesen in derselben Verbindung mit dem Staatswesen zu lassen, in dem es bisher ge­wesen ist. Gerade wenn eine soziale Gestaltung des Staats- und Wirtschaftswesens angestrebt wird, dann wird sich um so dringen­der das Bedürfnis herausstellen, das geistige Wesen überhaupt, und insbesondere das Schul- und Erziehungswesen in seiner Verwal­tung, herauszugliedern aus dem Staats-Rechts-Leben und aus dem Wirtschaftsleben. Gefühlt wird die Sache schon sehr, sehr lange. Aber man möchte sagen: alles pädagogische Streben in der jüngsten Vergangenheit und insbesondere in der Gegenwart hat etwas Ge­drücktes, hat etwas, was wenig ausblicken möchte von den großen Gesichtspunkten des Kulturlebens überhaupt. Das alles ist so ge­kommen durch die besondere Art, wie das öffentliche Leben sich in der jüngsten Vergangenheit und insbesondere in der Gegenwart zu solchen Bestrebungen, wie die pädagogischen sind, gestellt hat.

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Natürlich wird die Waldorfschule sich fügen müssen all dem, was vorhanden ist gegenwärtig an öffentlichen Anschauungen und Einrichtungen über Erziehung und Unterricht; wir werden nicht gleich morgen alles dasjenige leisten können, was wir leisten möch­ten - wir werden ganz selbstverständlich genötigt sein, im allgemei­nen stufenweise die Lehrpläne einzuhalten, welche gegenwärtig öffentlich vorgeschrieben sind. Wir werden genötigt sein, bei den von unserer Schule Abgehenden diejenige Stufe zu erreichen, die verlangt wird für den Übergang in höhere Schulen, namentlich in die Hochschulen. Wir werden daher unseren Unterrichtsstoff nicht so gliedern können, wie wir das dem Ideal einer wirklichen Men­schenerziehung entsprechend finden; wir werden gewissermaßen nur die Löcher, die noch gelassen sind von dem dichtmaschigen Netz, das sich ausbreitet über dem Schulwesen, benützen können, um im Sinne eines ganz freien Geisteswesens für den Unterricht und die Erziehung der der Waldorfschule anvertrauten Kinder zu wirken. Diese Maschen werden wir sorgfältig nach jeder Richtung ausnützen. Wir werden gewiß nicht dann schon eine Musterschule schaffen können, werden aber zeigen können, zu welchem Grade innerer Erstarkung und innerer wirklicher Erziehung der Mensch gebracht werden kann, wenn diese innere Erstarkung und Erzie­hung bewirkt wird nicht durch etwas von außen Vorgeschriebenes, sondern rein durch die Anforderungen des geistigen, des Kultur-lebens selber bewirkt wird.

Wir werden gerade mit Bezug auf das Verständnis, das uns heute noch entgegengebracht werden kann, mit vielem Widerstrebenden zu kämpfen haben, werden deshalb mit viel Widerstrebendem zu kämpfen haben, weil ja mit Bezug auf ihr Verständnis in der Ge­genwart - wie ich auch hier an diesem Ort öfters erwähnt habe -die Menschen eigentlich aneinander vorbeigehen. Gerade auf dem Gebiet des Unterrichts- und Erziehungswesens kann man es immer wieder und wiederum erleben, daß man anscheinend von den Ge­sichtspunkten aus, die hier vertreten werden, auch anderswo über eine Umwandlung dieses Erziehungs- und Unterrichtswesens spricht. Die Menschen, die mit ihren Anschauungen ganz in der

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gegenwärtigen Periode jüngstvergangener Unterrichts- und Erzie­hungsprinzipien drinnen stecken, hören einem dann zu und sagen: Ja, das ist ganz richtig, das wollen wir ja längst! - Sie wollen natür­lich etwas ganz anderes in Wirklichkeit. Aber wir haben uns heute, indem wir unsere Worte aussprechen, so sehr entfernt von den Sachen, daß wir uns zuhören und glauben, bei denselben Worten dasselbe zu meinen - und eigentlich das Entgegengesetzte meinen. So stark ist über die zivilisierte Welt hin das geworden, was man in weitestem Umfange als Phrase bezeichnen muß! Haben wir doch wirklich durch lange Zeiten innerhalb dieser unserer zivilisierten Welt in ausgiebigstem Maße erlebt die Herrschaft der Phrase, und in diese Herrschaft der Phrase war eingesponnen das furchtbarste Ereignis, das die Weltgeschichte getroffen hat: die schreckensvolle Kriegskatastrophe der letzten Jahre! Denken Sie nur einmal nach, wie sehr die Phrase bei alldem, was mit dieser Katastrophe zu­sammenhangt, eine Rolle gespielt hat, und Sie werden ein wirklich innerlich Sie entsetzendes Urteil gewinnen über die Herrschaft der Phrase in unserer Zeit.

So kann man heute auch auf pädagogischem Gebiete von denje­nigen, die wahrhaftig etwas ganz anderes innerlich anstreben als das, was hier gemeint ist, hören: es komme beim Erziehen und Unterrichten nicht auf den Lehrstoff an, sondern auf den Zögling. Sie wissen, da wir uns einmal der Worte aus unserem Sprachschatz bedienen müssen, so werden wir auch vielfach zu sagen haben: es komme nicht auf den Lehrstoff, es komme auf den Zögling axi, und wir wollen innerhalb unserer Waldorfschule den Lehrstoff so be­nützen, daß er auf jeder Stufe des Unterrichts nicht zur Übermitt­lung eines äußeren Wissens dient, sondern daß er dient dem Wei­terkommen der menschlichen Entwicklung des Zöglings mit Bezug auf die Willens-, Gemüts-, und Verstandesbildung. Jedes einzelne Unterrichtsfach soll nicht irgendeinen Selbstzweck in sich tragen in bezug auf seine Vermittelung, sondern es soll in der Hand des Lehrers zur Kunst werden, so daß es durch seine Behandlung in der entsprechenden Weise so auf den Zögling wirkt, wie im Sinne einer wirklich begriffenen Menschheitsentwicklung in den betreffenden

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Entwicklungsjahren auf den Zögling gewirkt werden soll, damit er ein dem Leben gewachsener, im Leben seinen Platz aus­füllender Mensch werde. Bewußt muß man sich dabei werden, daß jedes Lebensalter des Menschen aus den Tiefen der Menschennatur die Anlagen zu gewissen Seelenkräften hervortreibt. Werden diese Anlagen in dem betreffenden Lebensalter nicht ausgebildet, so können sie später nicht mehr in Wahrheit ausgebildet werden: sie müssen dann verkümmern, und der Mensch ist in bezug auf seinen Willen, in bezug auf sein Gemüt, in bezug auf seinen Verstand dem Leben nicht gewachsen; er stellt sich nicht in richtiger Weise auf den Platz, auf den er durch das Leben gestellt wird. Gerade zwi­schen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife, in welche Zeit ja gerade die Jahre des eigentlichen Schulwesens hineinfallen, gerade in diesem Lebensalter ist es von eminentester Wichtigkeit, zu er­kennen, welche Seelen- und Körperkräfte aus dem Menschen her­aus wollen, damit er später seinen Platz im Leben ausfüllen könne.

Alles, was ich jetzt gesagt habe, könnte sich zum Beispiel je­mand anhören, der die pädagogischen Gedanken der letzten Jahr­zehnte in sich aufgenommen hat, und er würde sagen: Ganz meine Meinung! Aber das, was er auf Grundlage dieser Meinung erziehe­risch tut, ist durchaus nicht dasjenige, was hier gewollt werden soll. Wir reden eben in der Gegenwart vielfach aneinander vorbei, und deshalb muß versucht werden, in einer etwas tieferen Weise auf das aufmerksam zu machen, was eigentlich die Waldorischule will. Vor allen Dingen ist heute der Mensch, man möchte schon fast sagen besessen von einem gewissen Trieb, alles absolut zu nehmen. Ich meine damit das Folgende: Spricht man heute davon, der Mensch solle in dieser oder jener Weise erzogen werden - wir wollen nur darüber sprechen; man könnte dieselben Betrachtungen in variier­ter Weise auch auf andere Gebiete des Lebens ausdehnen -, so hat man immer im Auge, daß es sich um etwas handeln solle, was nun im absoluten Sinne für den Menschen gilt, was sozusagen das absolut Richtige ist, was, wenn es nur hätte angewendet werden wollen, für den Menschen auch hätte angewendet werden können, zum Beispiel im alten Ägypten, im alten Griechenland, wie es auch

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noch in viertausend Jahren angewendet werden könnte von den Menschen, die dann leben werden, was auch von China, Japan etc. angewendet werden kann. Diese Anschauung, von der der heutige Mensch geradezu besessen ist, daß er etwas absolut Gültiges auf­stellen kann, das ist der größte Feind aller Wirklichkeit. Daher handelt es sich gerade darum, zu erkennen, daß wir nicht im ab­soluten Sinne Menschen sind, sondern Menschen eines ganz be­stimmten Zeitalters; daß die Menschen in bezug auf ihre Seelen­und sogar Körperverfassung im gegenwärtigen Zeitalter anders beschaffen sind, als zum Beispiel die Griechen und Römer waren, und auch, daß sie anders beschaffen sind, als schon die Menschen nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit, nach einem halben Jahr­tausend sein werden. Daher fassen wir die Erziehungsaufgabe nicht im absoluten Sinne, sondern wir fassen sie auf als hervorgehend aus den Bedürfnissen der Gegenwart und der nächsten Zukunft der Menschheitskultur.

Wir fragen: Wie ist die zivilisierte Menschheit heute beschaffen?

- und begründen darauf unsere Anschauung, wie wir sie zu erzie­hen und zu unterrichten haben. Wir wissen ganz gut, ein Grieche oder Römer hat anders erzogen werden müssen, und in fünfhun­dert Jahren schon wiederum wird der Mensch anders erzogen werden müssen. Wir wollen eine Erziehungsgrundlage für unsere Gegenwart und die nächste Zukunft schaffen. Nur dadurch widmet man sich wirklich der Menschheit, daß man sich dieser realen Be­dingung für die Entwicklung der Menschheit bewußt werde und nicht immer nebulose, absolute Ziele ins Auge faßt. Daher ist es notwendig, hinzuweisen auf dasjenige, was gerade mit Bezug auf das Erziehungs- und Unterrichtswesen der Gegenwart droht und was wir von dieser Gegenwart abwenden wollen.

Ich habe eben darauf hingewiesen, wie manche Leute schon sagen, es komme nicht auf den Lehrstoff, es komme auf den Zög­ling an, es komme darauf an, wie der Lehrer sich verhalten soll im Unterweisen des Zöglings, wie er den Unterrichtsstoff zu dieser Unterweisung, zu dieser Erziehung verwende. Aber daneben sehen wir eine merkwürdige andere Richtung gerade bei denjenigen

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Menschen, die solches aussprechen, eine andere Richtung, die ge­wissermaßen das, was sie so mehr für den Zögling als für den Unterrichtsstoff fordern, durchaus paralysiert und unmöglich macht.

Man hat wahrgenommen, wenn man so spricht, daß durch die Spezialisierung des Wissenschaftsstoffes allmählich den Menschen das intellektuelle Leben der Wissenschaft über den Kopf gewach­sen ist und daß der Wissenschaftsstoff in einer gewissen außer­lichen Weise, ohne auf den Zögling hinzuschauen, rein um dessen Erkenntnis willen an ihn herangebracht worden ist. So sagt man jetzt: Das darf man nicht tun, man muß den Zögling so erziehen, wie es im Wesen des jungen Menschenkindes begründet ist. Aber wovon will man denn lernen, wie man den Zögling nun behandeln will? Man will es lernen von derjenigen Wissenschaft, die sich ge­rade ausgebildet hat unter jenem Regime, das man auf der einen Seite bekämpfen will; man will das Wesen des Kindes kennenler­nen, aber man strebt darnach, es zu untersuchen in allerlei expe­rimentellen Psychologien nach denjenigen Methoden, welche die Wissenschaft angenommen hat, indem sie sich eingezwängt hat in jenen Mangel, dem man abhelfen will. So will man auf dem Wege der experimentellen Psychologie an den Universitaten die speziel­len Methoden untersuchen, die für die Pädagogik die richtigen sind. Man will hineintragen in dieses Universitätsleben experimen­telle Pädagogik, will hineintragen alles das, was die Wissenschaft an Einseitigkeiten angenommen hat. Also man will reformieren. Man will reformieren, weil man ein dunkles Gefühl von der Reform­notwendigkeit hat, aber aus dem Geiste heraus, der gerade das Alte gebracht hat, das man behalten will. Eine Erziehungswissenschaft möchte man begründen, aber man möchte etwas begründen aus jenem wissenschaftlichen Geiste heraus, der dadurch gekommen ist, daß man die Menschen nicht richtig erzogen hat.

Solche stark wirkenden Kräfte in unserer Kulturentwicklung sieht man noch gar nicht. Man sieht gar nicht, wie man sich in Widerstreit und Widersprüche einläßt, indem man nach der einen Seite den allerbesten Willen hat. Wenn vielleicht auch der eine oder

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andere eine andere Anschauung haben kann über dasjenige, was ich jetzt aussprechen werde, so kann man aber doch sagen, daß in vielen Richtungen auf pädagogischem Gebiet einer der bedeutsam­sten Persönlichkeiten der neueren Zeit Johann Friedrich Herbart ist. Herbart steht durch die pädagogische Richtung, die er begrün­det hat, eigentlich in einer gewissen Beziehung einzig als pädago­gischer Schriftsteller und als pädagogischer Arbeiter in der neueren Zeit da. Im Jahre 1806 ist seine «Allgemeine Pädagogik» erschie­nen. Er hat dann seine ja selbst pädagogisch geartete Tätigkeit von Jahr zu Jahr so verfolgt, daß er immer Neues lernen konnte. Im Jahre 1835 ist dann der «Umriß» seiner pädagogischen Vorlesungen erschienen, die zeigen, wie er selbst vorgeschritten ist in der Erfas­sung der pädagogischen Probleme. Dann aber kann man sagen, daß ein gut Stück der pädagogischen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgegangen ist von dem Impuls, den die Her­bartsche Pädagogik gebracht hat, da ja zum Beispiel das ganze österreichische Schulwesen inspiriert worden ist von Herbarts Päd­agogik. Und auch in Deutschland lebt heute noch in der Unter­richts- und Erziehungsgesinnung außerordentlich viel von dem Geiste der Herbartschen Pädagogik. Man muß sich daher heute schon - wenn man sich orientieren will gerade in dem Sinn, daß man nicht absolutistisch, sondern mit dem Bewußtsein spricht, daß man in einer bestimmten Kulturepoche steht - etwas mit dem auseinandersetzen, was Inhalt der Herbartschen Pädagogik ist und was wirklich eine pädagogische Kraft, eine pädagogische Wiiklich­keit ist.

Will man Herbart richtig verstehen, so kann man sagen: Dieser Herbart steht mit allen seinen Gedanken und Ideen in jener Kul­turperiode noch voll drinnen, die ihren deutlichen Abschluß ge­nommen hat für den wahren Menschheitsentwicklungs-Betrachter mit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Wir stehen einmal seit der Mitte des 15. Jahrhunderts für die zivilisierte Menschheit in einer neuen Epoche drinnen, aber wir haben noch wenig erreicht in der Verfolgung derjenigen Impulse, die im 15. Jahrhundert aufgegan­gen sind; und dasjenige, was vor dem 15. Jahrhundert gewirkt hat,

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setzt sich noch in unser Leben fort. In unser pädagogisches Leben hinein hat es sich geistvoll, bedeutsam fortgesetzt in alledem, was Herbart selbst gearbeitet hat und was von ihm ausgegangen ist. Wenn man charakterisieren soll, was eigentlich jenem langen Zeit­raum in der Entwicklung der Menschheit, der im 8. vorchristlichen Jahrhundert begonnen hat und in der Mitte des 15. Jahrhunderts schließt, mit Bezug auf die Menschheitsentwicklung zugrunde liegt, so muß man sagen: die Menschheit hat sich innerhalb dieses Zeitraumes so entwickelt, daß alles Verstandes- und Gemütsmäßi­ge wie instinktiv noch war. Seit diesem Zeitpunkt, seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, strebt die Menschheit nach dem Persönlich­keitsbewußtsein, sie strebt darnach, sich auf die Spitze der eigenen Persönlichkeit zu stellen. Keinen wichtigeren Wandel der ge­schichtlichen Impulse für die Entwicklung der Menschheit, inso­fern sie jetzt und in der Zukunft in Betracht kommen, als das instinktive Verständnis, die instinktive Gemütsbetätigung der grie­chisch-lateinischen Epoche, die langsam bis ins 15. Jahrhundert hinein abläuft - und der neueren Epoche, die seit dem 15. Jahrhun­dert begonnen hat! Alle einzelnen Ausführungen zum Beweise dessen, was ich gesagt habe, finden Sie in meinen Schriften und Veröffentlichungen dargestellt. Hier mussen wir es einfach als eine Tatsache hinnehmen, daß mit der Mitte des 15. Jahrhunderts etwas Neues beginnt mit der Menschheit: das Streben nach bewußter Persönlichkeitswirkung, während früher ein instinktives Verständ­nis und Gemütsstreben vorhanden war. Dieses instinktive Ver­ständnis und Gemütsstreben hatte eine gewisse Tendenz, das intel­lektuelle Leben einseitig zu pflegen. Es könnte sonderbar erschei­nen, daß man gerade von einer Zeit, die den Verstand instinktiv orientiert hat, sagt, daß diese Zeit in ihrem Gipfel zu einer beson­deren Ausbildung, einer Überausbildung des Intellektuellen, der Intellektualität des Menschen hingeführt hat. Aber man wird sich nicht mehr über eine solche Idee verwundern, wenn man bedenkt, daß ja das Intellektuelle, was im Menschen wirkt, durchaus nicht immer ein bewußt Persönliches sein muß, daß gerade instinktiv das Intellektuelle im höchsten Grade zum Ausdruck kommen kann.

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Man braucht sich ja nur daran zu erinnern, daß die Menschen viel später das Papier entdeckt haben als die Wespen durch ihren aller­dings instinktiven Intellekt; denn die Wespennester bestehen aus Papier, sind ganz richtig so aus Papier geformt, wie die Menschen aus ihrem Intellekt heraus das Papier formen. Denn Intellekt braucht durchaus nicht bloß durch die Menschen zu wirken, son­dern er kann auch die anderen Wesen durchdringen, ohne daß die Persönlichkeit, die sich erst in unserem Zeitalter entwickeln soll, gleichzeitig zu ihrer höchsten Höhe gebracht wird.

Nun war selbstverständlich aus einer solchen Zeit heraus, in welcher die Intellektualität nach ihrer höchsten Höhe sich zu ent­wickeln bestrebt hat, auch das Bestreben vorhanden, das Erzie­hungswesen und alles, was gedanklich das Erziehungswesen durch­zieht, mit Intellektualität zu durchdringen. Wer nun die Herbart­sche Pädagogik ansieht, der findet zwar innerhalb derselben viel betont, man solle den Willen, solle das Gemüt erziehen. Aber wenn man nicht stehenbleiben würde bei den bloßen Sätzen, sondern wenn man zur Wirklichkeit übergehen würde, so würde man das folgende bemerken. Man würde bemerken, daß die Ausbildung von Regierung und Zucht, wie sie bei Herbarts Pädagogik zutage tritt, etwas krampfhaft immer fordert: es soll der Wille, es soll das Gemüt ausgebildet werden. Was aber Herbart an Inhalt bietet, das ist eigentlich nur geeignet, die Intellektualität auszubilden. Und weil instinktiv gefühlt wird, gerade von Herbart selbst am meisten, daß dasjenige, was er an pädagogischen Grundsätzen bietet, nicht hinreicht, um den ganzen Menschen zu begreifen, sondern nur den Menschen als Intellektualität, so fordert er aus einem gesunden Instinkt heraus immer wieder und wieder: es muß aber auch Gemüts- und Willensbildung da sein.

Es fragt sich nur: Kann man aus diesen Grundlagen heraus wirk­lich Gemüt und Willen in entsprechender Weise, in einer dem Menschenwesen entsprechend begründeten Weise erziehen und unterrichten? Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ja Herbart davon ausgeht, daß alle Pädagogik begründet sein muß auf Psychologie und Philosophie, also auf die allgemeine Weltanschauung

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und auf die Erkenntnis des menschlichen Seelenlebens. Nun hat Herbart ein durch und durch abstrakt gerichtetes Denken, und dieses abstrakt gerichtete Denken hat er ja namentlich in seine Psychologie hineingetragen. Ich möchte Ihnen das an einem Bei­spiel der Herbartschen Psychologie populär auseinandersetzen.

Wir wissen, daß in der menschlichen Wesenheit drei Grundkräf­te wirken: Denken, Fühlen und Wollen. Wir wissen, daß die Ge­sundheit der menschlichen Seele davon abhängt, daß diese drei Grundkräfte - Denken, Fühlen und Wollen - in der entsprechen­den Weise zur Entwicklung kommen, daß jede dieser Grundkräfte zu ihrem Rechte kommt. Was liegt für die Erziehung dieser Grundkräfte innerhalb der Herbartschen Philosophie vor?

Herbart ist der Meinung, daß das ganze Seelenleben im Vorstel­lungsleben zunächst aufgeht, er findet in dem Fühlen eigentlich nur Vorstellungsgebilde. Und auch das Wollen, das Streben, das Begeh­ren sind für Herbart Vorstellungsgebilde. So können Sie von Her­bartianern folgendes hören: Wenn wir streben, Wasser zu trinken, weil wir Durst haben, so streben wir eigentlich durchaus nicht nach dem Inhalt des Wassers, sondern wir streben darnach, jene Vor­stellung, die der Durst in uns auslöst, loszubekommen und in un­serer Seele zu ersetzen durch die Vorstellung des gelöschten Dur­stes. Wir begehren also durchaus nicht das Wasser, sondern wir begehren, daß die Durstvorstellung aufhöre und durch die Vorstel­lung des gelöschten Durstes ersetzt werde. Wenn wir eine angereg­te Unterhaltung erstreben, so erstreben wir nicht den Inhalt dieser angeregten Unterhaltung, sondern wir haben Sehnsucht nach einer Änderung der gegenwärtig in uns befindlichen Vorstellungen und streben eigentlich nach dem, was in uns als Vorstellung auftauchen wird durch die angeregte Unterhaltung. Wenn wir eine Lust haben, so haben wir diese Lust nicht als eine Auswirkung einer elemen­taren Kraft unserer Seele, sondern wir haben sie dadurch, daß ge­wisse Vorstellungen, die uns angenehm sind, leicht in unser Be­wußtsein heraufdringen, die entgegengesetzten Hemmungen leicht uberwinden, und dieses Erleben, daß eine Vorstellung leicht gegen­uber den ihr widerstrebenden Hemmungen in unser Bewußtsein

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eindringt, das ist die Lust. Alles bewegt das Vorstellungsleben, das andere ist eigentlich dasjenige, was sich nur durch das bewegte Vorstellungsleben offenbaren soll. Man kann sagen: Die ganze Herbartsche Denkweise und alles, was sich bis heute darauf aufge­baut hat - und mehr, als man glaubt, hat sich auf der Herbartschen Denkweise aufgebaut -, ist durchdrungen von einem allerdings nicht bewußten, sondern unbewußten Glauben, daß das wahre Seelenleben in dem Ablauf der gegenseitigen Hemmung und Un­terstützung der Vorstellungen besteht, und daß dasjenige, was als Gefühl und Wille zutage tritt, eben nur in den Bewegungen des Vorstellungslebens besteht. Man darf sich nicht beirren lassen durch die Tatsache, daß zwar sehr viele pädagogisch orientierte Leute heute bekämpfen wollen, daß man so unterrichten und erzie­hen will, indem man nur auf das Vorstellungsleben seine Bestre­bungen lenkt. Sie sagen es zwar, aber sie tun nicht das Entspre­chende; sie tun alles, was sie tun, so, daß doch zugrunde liegt: auf die Vorstellung kommt es an! Und das Sonderbarste, was man heute erleben kann, ist ja dieses Leben der Menschen in solchen Widersprüchen. Was wird heute gepredigt und deklamiert davon, daß man eigentlich auf den ganzen Menschen sehen sollte, daß man sehen soll darauf, daß ja das Gemütsleben, also das Gefühls- und Willensleben, nicht zu kurz komme. Ja aber wenn man wieder an die Praxis geht, so ist es gerade bei denjenigen, die so über die Ausbildung des Gefühls- und Willenslebens deklamieren, am mei­sten der Fall, daß sie in der Erziehung und dem Unterricht intel­lektualisieren. Die Menschen verstehen sich eben selbst nicht, weil sich das Wort so sehr von der Sache entfernt hat und zur Phrase geworden ist.

Das sind die Dinge, auf die heute wirklich mit aller Intensität hingeschaut werden muß, wenn man gerade auf dem Gebiete des Erziehens und Unterrichtens zu denjenigen Forderungen strebt, die gerade unserem Kulturzeitraum entsprechen.

Damit komme ich zu einer Hauptsache: Man sagt schon, es komme nicht auf den Lehrstoff an, sondern auf den Zögling, aber, wie ich schon erwähnt habe, nach den Methoden der einseitigen

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Wissenschaft will man durch eine Erziehungswissenschaft den Zögling studieren. Aber man kommt dem Menschen nicht nahe mit der äußerlich gerichteten Wissenschaft der letzten Jahrhunderte. Man braucht eine ganz andere Orientierung, um dem Menschen nahe zu kommen. Und diese Orientierung wird durch unsere anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft angestrebt. Wir wollen die äußerlich gewordene Anthropologie, die äußerlich ge­wordene Menschenerkenntnis ersetzen durch eine andere, die auf den ganzen Menschen, auf seine leibliche, seelische und geistige Wesenheit wirklich eingeht. Gewiß, man betont heute, auch dem Worte nach, das Geistige und das Seelische, aber man kennt es ja nicht.

Und so kommt es, daß man gar nicht aufmerksam darauf gewor­den ist, daß so etwas wie die Herbartsche Weltanschauung gerade mit Bezug auf die Seele ganz intellektualistisch ist, daß sie daher den Weg in unser Kulturzeitalter hinein nicht finden kann. Auf der anderen Seite will Herbart aufbauen auf Philosophie. Aber jene Philosophie, worauf er baut, ist ebenfalls mit dem Ende desjenigen Zeitraumes, der da seinen Abschluß genommen hat in der Mitte des 15. Jahrhunderts, zu ihrem Absterben gekommen. In unserem Zeit­raum will eine wirklich auf das Geistige gehende Weltanschauung Platz haben. Und von dieser Weltanschauung aus kann auch das Seelisch-Geistige des Menschen wirklich so erstarkt werden, daß es verbunden werden kann mit dem, was wir rein anthropologisch finden mit Bezug auf das Leiblich-Körperliche. Denn wahrhaftig groß ist unsere Zeit auch in der Kindheits-Erkenntnis in bezug auf das Leiblich-Körperliche, wenn sie auch vielfach das Seelische nur erwähnt. Aber nehmen Sie eine heutige Psychologie in die Hand und seien Sie dabei gesund empfindende Menschen - fragen Sie sich, was Sie aus einer heutigen Psychologie eigentlich gewinnen können. Da finden Sie Auseinandersetzungen über die Vorstel­lungswelt, über die Gefühlswelt, über die Willenswelt. Aber dasje­nige, was Sie an diese Worte Vorstellen, Fühlen, Wollen geknüpft finden - es ist im Grunde genommen ein Spiel mit Worten. Sie werden nicht klüger über das Wesen von Vorstellung, Gefühl und

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Wille, wenn Sie die heutige Psychologie durchgehen. Daher kann man auf die heutige Psychologie auch nicht gut wirkliche Pädago­gik bauen. Es muß erst wiederum eingegangen werden können auf das Sachliche, auf das wirkliche Wesen von Vorstellen, Fühlen und Wollen. Dazu ist nicht nötig jener überreife, scholastische Geist, der heute in den Psychologien waltet, sondern dazu ist notwendig eine wirkliche Beobachtungsgabe für das menschliche Leben. Was heute beobachtet werden soll in den Psychologien und pädago­gischen Laboratorien, das kommt einem vor wie etwas, was in seinem Streben von dem besten Willen beseelt ist, was aber deshalb diese Richtung genommen hat, die es eben genommen hat, weil im Grunde genommen gar nicht die Fähigkeit da ist, eine wirkliche Menschenbeobachtung zu entfalten.

Man möchte am liebsten heute den werdenden Menschen in das psychologische Laboratorium einspannen und äußerlich kennen­lernen, wie er sich innerlich entwickelt, weil man das lebendige Verhältnis von Mensch zu Mensch verloren hat. Solche Beobach­tung ist für das Leben notwendig, und die ist in hohem Grade verlorengegangen. Wir reden heute über das Geistig-Seelische so, wie wir in bezug auf den Menschen über Äußeres reden. Wenn wir einem Kinde begegnen, einem Menschen mit 35 Jahren begegnen und einem Greis begegnen - wir sagen: dies ist ein Mensch, dies ist ein Mensch, dies ist ein Mensch. Aber eine wirkliche Beobachtung unterscheidet doch so, daß das Abstraktum Mensch seine gewisse Berechtigung hat, daß aber doch schließlich eine Wirklichkeit zu­grunde liegt: daß das Kind ein Mensch von 35 Jahren wird und daß ein Mensch von 35 Jahren ein Greis wird. Einer wirklichen Beob­achtung muß der Unterschied in diesem Werdegang sehr klar vor das Auge treten. Nun ist es verhältnismäßig leicht, ein Kind zu unterscheiden von einem Menschen mit 35 Jahren und von einem Greis. Aber schon etwas schwieriger ist es mit Bezug auf das Inner­liche des Menschen, nun wirkliche Beobachtungen für solche Un­terschiede anzustellen. Daher verwuselt man in der heutigen Zeit immerzu die Einheit mit der Mannigfaltigkeit, die Einheit des seelischen Lebens mit jener Mannigfaltigkeit, die zum Beispiel

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durch die drei Glieder des Seelenlebens - Denken, Fühlen und Wollen - ausgelöst wird. Sind denn Denken, Fühlen und Wollen ganz voneinander verschiedene Dinge? Wären sie das, dann wäre ja unser Seelenleben absolut in drei Glieder gespalten, dann wäre kein Übergang zwischen Wollen, Fühlen und Denken und damit dem Intellektuellen des Menschen, wenn dies drei Glieder des mensch­lichen Seelenlebens wären, die man einfach so, wie es die Menschen heute bequem finden, zur Einteilung nebeneinander stellen könnte. Gerade aus dem Grunde, weil man das nicht kann, versucht Her-bart, Denken, Fühlen und Wollen einheitlich zu betrachten. Aber er hat das Ganze nach der Vorstellungsseite hinübergeleitet, und seine ganze Psychologie ist im Grunde genommen intellektuali­stisch geworden. Man muß einen Sinn in sich entwickeln, auf der einen Seite die Einheit von Denken, Fühlen und Wollen zu sehen und auf der anderen Seite wiederum die Unterschiede von Denken, Fühlen und Wollen zu erkennen.

Betrachtet man nun, nachdem man sich genügend dazu vorbe­reitet hat, das Wollen des Menschen, alles, was mit Begehren und Wollen zusammenhängt, dann kann man dieses Wollen mit etwas vergleichen, was weiter im Seelenleben davon absteht, mit dem Intellektuellen, und man kann sich fragen: Wie verhält sich das Willensleben, das Begehrungsleben zum intellektuellen Vorstel­lungsleben? Und man kommt nach und nach darauf, daß ein Entwicklungsunterschied besteht zwischen dem Wollen, dem Be­gehren und dem Vorstellen, ein solcher Entwicklungsunterschied wie zwischen dem Kinde und dem Greise zum Beispiel. Aus dem Kinde wird der Greis in der Entwicklung; aus dem Wollen wird in der Entwicklung das Vorstellen. Die beiden sind nicht so voneinander verschieden, daß man sie nebeneinander stellen kann und sagen: Das eine ist das, das andere ist das -, sondern sie sind so voneinander verschieden, wie Entwicklungszustände verschie­den sind. Man wird erst das menschliche Seelenleben in seiner Ein­heit richtig verstehen können, wenn man wissen wird: Wenn ein scheinbar reines Begehren in der menschlichen Seele, ein reines Wollen auftritt - so ist das eine jungzuständliche Äußerung des

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Seelenlebens, da lebt die Seele in ihrem Jugendzustand. Tritt intel­lektuelles Leben auf, tritt Vorstellungsleben auf, so lebt die Seele in dem Zustand, der schon voraussetzt die Willensentfaltung, der geworden ist aus der Willensentfaltung, und das Gemüts- und Gefühlsleben steht mitten drin, so wie der fünfunddreißigjährige Mensch zwischen dem Kinde und dem Greise. Durch das Gemüts-element hindurch entwickelt sich das Wollen zum intellektuellen Leben. Nur dadurch, daß man Wollen, Fühlen und Denken nicht wie drei nebeneinanderstehende Seelenfähigkeiten auffaßt, wie es von Herbart bekämpft, aber nicht richtig korrigiert worden ist, sondern dadurch, daß man diese drei Seelenfähigkeiten in ihrer Lebendigkeit, in ihrem Auseinanderhervorgehen auffaßt, kommt man zu einer wirklichen Erfassung des menschlichen Seelenlebens.

Nun wird aber allerdings die Beobachtung leicht getäuscht, wenn wir das Seelenleben nach diesem Gesichtspunkte auffassen. Die Beobachtung wird leicht getäuscht, weil wir niemals innerhalb des Lebens zwischen Geburt und Tod beim Menschen stehenblei­ben können, wenn wir diese Gesichtspunkte zugrunde legen. Wer da glauben wollte, daß das Leben zwischen Geburt und Tod so verläuft, daß einfach aus dem Willen sich die Intelligenz entwickelt, der würde auf einem falschen Boden stehen. Wir sehen, wie sich die Intelligenz allmählich heraus offenbart aus den Untergründen der menschlichen Wesenheit bei dem werdenden Kinde. Wir können dasjenige, was da an Intelligenz auch durch die Erziehung heraus-geholt werden kann, nur herausholen, wenn wir uns bewußt sind, daß dasjenige, was das Kind erlebt nach seiner Geburt, die Vorstel­lung, die Folge dessen ist, was es erlebt hat vor der Geburt be­ziehungsweise in dem vorgeburtlichen Dasein, vor der Empfängnis. Und wir verstehen dasjenige, was als Wille sich ausbildet im Leben zwischen Geburt und Tod nur, wenn wir Rücksicht nehmen dar­auf, daß der Mensch durch die Pforte des Todes geht, in ein geisti­ges Leben eingeht und sich dort sein Willenselement weiter ausbil­det. Wir können nicht, ohne auf das Gesamtleben des Menschen Rücksicht zu nehmen, den Menschen wirklich erziehen. Wenn wir uns bloß sagen: wir wollen das heranerziehen, was in der Zukunft

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da sein soll - dann nehmen wir keine Rücksicht darauf, daß die Menschenwesenheit so beschaffen ist, daß jedes Kind rätselhaft von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr durch das Gewebe des Leibes das offenbart, was sich entwickelt hat im vor­geburtlichen, beziehungsweise vor der Empfängnis liegenden Le­ben. Und mit Bezug auf den Willen werden wir niemals eine rich­tige Ansicht gewinnen, wenn wir uns nicht bewußt werden, daß dasjenige, was sich als Wille geltend macht, nur ein Keim ist, der erst zur vollen Entfaltung kommt, wenn der äußere Leib, in dem er sich wie in einem Boden entwickelt, abgelegt ist. Gewiß, wir müs­sen die sittlichen Ideen in einem Menschen entwickeln, aber müs­sen uns klar sein, daß diese sittlichen Ideen mit ihrem Eingebettet-sein in den Willen noch nicht zwischen Geburt und Tod alles das bedeuten, als was sie sich äußern, sondern daß ihr volles Leben erst auftritt, wenn dieser Leib verlassen ist. Das schockiert den heutigen Menschen noch, wenn man für eine vollständige Menschen-erkenntnis eine Eingliederung des Menschen in die ganze, auch zeitliche Welt fordert, wenn man dazunimmt zu dem, was im Men­schen lebt, dasjenige, was er vor der Geburt durchgemacht hat und was er nach dem Tode durchmachen wird. Aber nimmt man das nicht dazu, betrachtet man den Menschen so, wie es die heutige Anthropologie tut, nur in seinen Äußerungen zwischen Geburt und Tod, so hat man es nicht mit dem vollständigen Menschen zu tun, sondern nur mit einem Stück des Menschen, und dieses Stück des Menschen kann man aus dem Grunde nicht erziehen, weil man sich hinstellt vor das werdende Kind und etwas erziehen will, wovon man nichts weiß. Es wollen die Eigenschaften heraus, die sich entwickeln wollen nach Maßgabe dessen, was vorgeburtlich ist; aber man nimmt keine Rücksicht darauf. Man löst nicht das Rätsel des Kindes, weil man keine Ahnung hat, was in dem Kinde rinnen steckt aus dem Leben vor der Geburt, und man löst das Rätsel des Kindes auch nicht nach der anderen Seite, weil man nicht weiß, was Werdeprinzip ist, was sich erst entwickelt, wenn es durch den Tod gegangen ist.

Das muß eine Hauptforderung der heutigen Erziehung werden,

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aus einer Wissenschaft heraus, die den ganzen Menschen ins Auge faßt; nicht aus einer Wissenschaft heraus, die behauptet, statt auf den Lehrstoff auch auf den Zögling zu sehen; nicht aus einer Wis­senschaft, die nicht den Menschen ins Auge faßt, sondern ein wesenloses Abstraktum des Menschen. Es ist wahrhaftig keine ein­seitige Mystik, die dem Erziehungswesen zugrunde gelegt werden soll, indem so gesprochen wird, sondern es ist nur eine vollständige Beobachtung des ganzen Menschenwesens. Es ist der Wille, wirk­lich den ganzen Menschen in der Erziehung zu begreifen. Strebt man einseitig, so wie Herbart, nach der Entwicklung der Intellek­tualität, so muß Willens- und Gemütsbildung unerzogen und un­entwickelt bleiben, denn man wird dann glauben, daß man durch das Beibringen von gewissen Vorstellungen, durch das Aufstellen und Vorbringen gewisser Vorstellungen jene Bewegung, jene Hem­mung und Sich-Stützung der Vorstellung hervorrufen kann, von der man ja spricht, wenn man von dem Gefühl und dem Willen spricht. Das kann man nicht; man kann nur den altgewordenen Willen, das heißt die Intellektualität, durch eine intellektuelle Er­ziehung entwickeln. Man kann das Gemüt nur durch jenes Verhält­nis entwickeln, das sich herausbildet zwischen Lehrer und Zögling in einer gemüthaften Weise selbst; und man kann den Willen nie­mals anders entwickeln, als indem man sich bewußt wird der ge­heimnisvollen Fäden, die unterbewußt zwischen Zögling und Er­zieher sind. Alles abstrakte Aufstellen von Erziehungsgrundsätzen für die Gemüts- und Willensentwicklung kann nichts fruehten, wenn nicht Rücksicht genommen wird auf die Durchdringung des Erziehers und Unterrichtenden selbst mit solchen Gemüts- und Willenseigenschaften, die geistig - nicht durch Ermahnung, das ist physisch - wirken können auf den Zögling. So muß auch das Erziehungs- und Unterrichtsverhältnis nicht einseitig auf Intellek­tualität gebaut sein, sondern muß ganz auf die Beziehung zwischen Mensch und Mensch gestellt sein. Sie sehen daraus, daß es notwen­dig ist, alles, was auf Erziehung sich bezieht, zu erweitern, also darauf Rücksicht zu nehmen, daß tatsächlich jenes intime Ver­hältnis zwischen Erzieher und Unterrichter und dem Zögling

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hergestellt werden kann, wodurch hinausgehoben wird über die Phrase der Satz: man solle nicht Lehrstoff übermitteln, sondern man solle den Zögling erziehen. Das wird man aber nur können, wenn man sich bewußt wird, daß dann, soll so etwas erstrebt wer­den, das ganze Leben des Unterrichtenden und Erziehenden nicht abhängig sein kann von etwas anderem, von dem staatlichen oder dem Wirtschaftsleben, sondern daß das Erziehungs- und Unter­richtswesen ganz allein auf sich selbst gestellt sein muß, damit es wirken könne aus seinen eigenen Impulsen, aus seinen eigenen Bedingungen heraus.

Was geltend gemacht wird sowohl auf anthroposophischem Ge­biete wie auf dem Gebiete der Dreigliederung des sozialen Orga­nismus, das wird ja eigentlich dumpf von den besseren Persönlich­keiten der gegenwärtigen Menschheit schon gefühlt. Aber da auch diese besseren Persönlichkeiten der gegenwärtigen Menschheit mutlos davor zurückscheuen, sich wirklich einzulassen auf eine geistige Erfassung des Lebens, wie sie angestrebt wird durch eine anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, so können diese Persönlichkeiten beim besten Willen das volle Wesen des Men­schen nicht erkennen, was sie dazu bringen könnte zu sagen:

Gerade das Unterrichts- und Erziehungswesen muß auf die wirk­liche Erfassung und auf das wirkliche Erleben des geistig Impul­siven selbst gestellt sein. Es ist interessant zu sehen, wie, ich möch­te sagen kümmerlich sich durch die Kultur der Gegenwart durchzwängen manche Gefühle besserer Persönlichkeiten nach einer Befreiung des Unterrichts- und Erziehungswesens und wie sie nicht heraus können, weil sie eigentlich nicht wissen, was sie machen sollen, weil sie im Widerspruch drinnen leben, mit einer Wissenschaft reformieren zu wollen, die noch ganz aus dem Alten herausgewachsen ist.

Da liegt ein Buch vor mir über «Entwicklungs-Psychologie und Erziehungswissenschaft» von Doktor Johannes Kretzschmar, der tatsächlich etwas Neues aus dem Unterricht machen will, der da fühlt, daß das Unterrichtswesen nicht richtig in der sozialen Ver­fassung der Gegenwart drinnen steht. Sehen wir uns einmal etwas

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Charakteristisches gerade bei diesem Mann an. Er sagt auf Seite 210 seines Buches:

«Gehen wir nun auf diese Weise vom Standpunkte der selb­ständigen, der forschenden Erziehungswissenschaft aus» - und er meint eine Erziehungswissenschaft damit, die durchaus auf der Grundlage der alten Wissenschaft gebaut ist -, «so wird dadurch nicht nur die Lehrerbildung und die Schularbeit beeinflußt, son­dern auch die Stellung des Lehrers, des Pädagogen im Staate, in der Schulverwaltung. Zunächst ist prinzipiell selbstverständlich, daß der Lehrer, ähnlich wie der Arzt, Staat und Gemeinde gegenüber eine Vertrauensstellung einnehmen muß. Sie müssen ihm zugeste­hen, daß auch die Erziehung - wie die Gesundheitspflege - eine Sache ist, für die in erster Linie das Gutachten des wissenschaftlich geschulten Sachverständigen maßgebend sein muß, nicht die Wün­sche und Forderungen politischer und kirchlicher Parteien; daß ferner die Leitung der Schule weniger eine Verwaltungstätigkeit als eine wzssenschaftliche Funktion ist».

Was fühlt der Mann also? Er fühlt, daß die Verwaltungstätigkeit, die eine staatliche Funktion ist, nicht so voll ausgedehnt werden kann auf den Unterricht und die Erziehung und daß in den Impul­sen des Unterrichtenden und Erziehenden zu wenig von dem drin ist, was man über das Wesen des Menschen wissen kann. Der Mann möchte die Verwaltung ersetzt wissen durch eine Erteilung des Unterrichts- und Erziehungswesens im Sinne desjenigen, was man wissenschaftlich über das Wesen des Menschen erkennen kann. Deshalb sagt er aus einem dumpfen Gefühl heraus: «daß ferner die Leitung der Schule weniger eine Verwaltungstätigkeit als eine wis­senschaftliche Funktion ist, mithin nicht auf dem Wege behörd­licher Verordnungen bis in alle Einzelheiten hinein vorgeschrieben werden kann. Gemeinde und Staat müssen zur Lehrerschaft das volle Vertrauen haben, daß sie ihrem Amte gewachsen ist, daß sie ihrer Pflicht in vollem Umfange sich bewußt und daher von äuße­ren Anregungen unabhängig ist. Dieses Vertrauen wird sich darin äußern, daß - soweit die internen Angelegenheiten des Schulbetrie­bes in Betracht kommen - neben den Direktoren auch die Kollegien

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zu ihrem Recht kommen, der Lehrer also nicht bloß als Untergebener, als Beamter betrachtet wird. Die rechte Würdigung der pädagogischen Tätigkeit wird sich sodann in der Regelung der Schulaufiichtsfrage zeigen müssen. Weder der Geistliche noch der Philolog kann als die geeignete Persönlichkeit für die Schulleitung und Schulauflicht erachtet werden.»

Man fragt sich dann nur: Wieso kommt der Mann noch nicht dazu, auch einzusehen, daß auch der Schulaufseher nicht vom Staat ernannt werden kann, daß er aus dem Schulwesen selber heraus gestellt werden müßte?

«Beides muß durchaus in die Hände von Fachleuten, von Päd­agogen, gelegt werden»: Ja, warum soll es dann nicht gleich vom pädagogischen Felde aus geleitet werden? Warum erst auf dem Umwege von etwas, was im Grunde genommen sachlich nicht mitsprechen kann!

«Daß auch Fürsorgeerziehungsanstalten, Schwachsinnigenschu­len usw. weder von Pfarrern noch von Ärzten zu leiten sind, bedarf wohl keines eingehenden Beweises. - Von größter Wichtigkeit ist aber nun vor allem der Einfluß der Lehrerschaft auf die Schul­gesetzgebung. »

Dieser Einfluß der Lehrerschaft auf die Schulgesetzgebung wird ganz gewiß am allergrößten dann sein, wenn die Lehrer selbst diese Schulgesetze machen in dem selbstverwalteten Geistesleben im Sin­ne des dreigliedrigen sozialen Organismus.

Sie sehen in alledem ein dumpfes Sich-Hinbewegen zu dem, wozu nur der Impuls des dreigliedrigen sozialen Organismus den Mut hat, es wirklich in die Außenwelt einpflanzen zu wollen. Als Bedürfnis ist es bei den besten Menschen der Gegenwart vorhan­den, was der Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus will. Nur sind diese besten Menschen der Gegenwart in ihrem geistigen Atmen so beengt durch die dumpfe Luft des heutigen öffentlichen Lebens, durch die Vorurteile, welche alles zusammen-schweißen in den Einheitsstaat, so daß sie nicht dazu kommen, ihre Gedanken wirklich zu Ende zu bringen. Und so kann man lesen, daß die Gesetzgebung «wird darauf hinzuwirken haben, daß der

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Einfluß der Schule auf das Elternhaus durch den Staat zu stützen und zu stärken ist, daß unter Umständen schulfeindliche und wi­derspenstige Eltern zur richtigen Erziehung ihrer Kinder zu zwin­gen sind. Die Schulsynode würde also den Staat zu bestimmen suchen, daß er nicht nur das Aufiichtsrecht über das Schulwesen ausübt, sondern auch den Lehrer schützt und unterstützt in seiner Wirksamkeit. »

Man fragt sich: Ja, warum soll das der Lehrer nicht alles selber machen können? - Weil solche Menschen, die nach dieser Richtung denken, eben, wie gesagt, die freie Atemluft nicht fühlen, die das freie Geistesleben gewährt. Sie sind durch die Verkümmerung des Denkens im Sinne des alten Einheitsstaates soweit gebracht wor­den, daß sie gar nicht daran denken, welch ein Unding es doch ist, daß dasjenige, was - wie sie es selbst verlangen - von dem geistigen Gliede des sozialen Organismus verwaltet werden soll, nicht erst von dem Rechtsgliede befohlen, nicht erst von dem Rechtsgliede geschützt und unterstützt zu werden braucht. Sind nicht die Wor­te, daß der Lehrer «geschützt und unterstützt werden soll» vom Staate, recht charakteristisch? Das ist so, wie wenn jemand sagt:

Wir getrauen uns nicht, selber diesen Zustand herbeizuführen, der wünschenswert wäre, wir wollen, daß wir angetrieben werden. Aber dieser Antrieb kommt nicht. Denn auf jener Seite, von der man ihn erwartet, besteht eben - selbstverständlich ganz gerecht­fertigt - kein Verständnis für das, was eigentlich geschehen soll.

«Dieser größere Einfluß des Staates auf die Erziehung» - also er will sogar noch einen größeren Einfluß des Staates auf das, was der Lehrer und Erzieher tun soll - «liegt ja ganz logisch in der Rich­tung der historischen Entwicklung.» Ja, in der Richtung der histo­rischen Entwicklung liegt es wirklich, aber die historische Ent­wicklung muß um ihrer Gesundheit willen einen anderen Lauf nehmen als zu dem, wozu sie bis jetzt den Anlauf nimmt. Denken Sie einmal, eine Pflanze würde im Sinne der Goetheschen Meta­morphose immer nur grüne Blätter hervorbringen und nicht vom grünen Laubblatt zum farbigen Blumenblatt übergehen wollen, dann würde sie das Ziel ihrer Entwicklung nicht erreichen. In ähnlichem

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Sinne muß man beachten, daß nicht immer im Sinne der historischen Entwicklung in gleicher Weise weitergegangen werden kann, sondern daß in der Entwicklung eine Epoche die andere ablösen muß.

«Es gab eine Zeit, da der Staat noch kein unmittelbares Interesse am Bildungswesen hatte, und dann kam die Zeit, wo er dieses In­teresse im Schulzwang und im Schulunterricht zum Ausdruck brachte. Der moderne Staat als Verfassungsstaat, in dem das Volk an der Gesetzgebung unmittelbar beteiligt ist, muß neben der po­litischen auf die allgemeine Bildung seiner Glieder ganz besonde­ren Wert legen. Da nun aber die Erziehungsmöglichkeit der Schule nur eine begrenzte ist, so muß der Staat seinen Einfluß auf alle Gebiete der Erziehung ausdehnen, also auch auf die Familie und die Umwelt des Kindes.» - Nun soll der Staat zum Miterzieher berufen werden neben dem, was das Geistesleben aus sich selbst hervorbringen kann. Sie sehen daran, daß man dumpf richtig fühlt und von diesem Gesichtspunkt zu dem Gegensatz von dem ge­langt, was aus einer gesunden Anschauung heraus heute angestrebt werden soll: «Dasjenige Gebiet der pädagogischen Wissenschaft, das für ihn den größten Wert besitzt, ist naturgemäß die pädago­gische Soziologie.»

Also er will das soziale Leben zur Richtschnur für die Pädago­gik machen, während gerade die sozialen Triebe in dem Menschen durch eine richtige Erziehung entfacht werden müssen, damit sie zur Gesundung des sozialen Lebens vorhanden sein können.

«Sie zeigt ihm einerseits den Einfluß der Erziehung auf die öf­fentliche Wohlfahrt und klärt ihn andererseits darüber auf, inwie­weit die Entwicklung des Zöglings nicht bloß von der systemati­schen Erziehung, sondern auch von den Miterziehern abhängig ist. Auf die Wichtigkeit dieser pädagogischen Soziologie muß auch die Schulsynode immer wieder hinweisen, deren Rat für den Staat um so unentbehrlicher wird, je mehr sein Einfluß auf die Erziehung wächst.»

Also Kretzschmar sieht ein: Der Staat wird immer mehr nötig haben, auf die Erziehung zu hören. Trotzdem soll sie nicht unmittelbar

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ausgeführt werden durch eine Einrichtung, die durch das Erziehungswesen selbst geschaffen werden kann, sondern es soll erst der Staat das ausführen; dann wird erst darauf hingewiesen, daß er auch «anordnen» kann. Also gestützt will das sein, was eigentlich die Forderung in unserer Zeit erheben muß, sich frei, unabhängig zu entfalten.

Etwas ist ganz besonders interessant in diesem Buche. Selbstver­ständlich wird ein Mann, der so gutwillig ist wie Kretzschmar, auch aufmerksam darauf, daß die Lehrerbildung anders werden müßte. Er findet, daß in den Lehrerbildungsanstalten auch nicht alles so ist, wie er es haben möchte. Er bemerkt es und sagt sich:

Da muß manches anders werden. Er bemerkt: die Pädagogik wird an den Universitäten so als Nebenfach behandelt, aber sie umfaßt nach seiner Ansicht so vieles, daß sie nicht als Nebenfach behandelt werden dürfte, sondern sie müßte eingegliedert werden in die Universitäten als selbständiges Lehrfach. Nun denkt er nach: die sogenannten vier Fakultäten sind schon durchbrochen worden, man hat schon zu der philosophischen Fakultät die naturwissen­schaftliche hinzugefügt und zur juristischen die staatswissenschaft­liche. Er denkt nun nach, ob man nicht vielleicht die Pädagogik mit irgendeiner Fakultät durch die Erweiterung dieser Fakultäten ver­binden könnte. So gibt es heute Universitäten, die haben neben den bekannten vier Fakultäten - also der theologischen, der philosophi­schen, der medizinischen, der juristischen - noch die staatsrecht­liche und die naturwissenschaftliche Fakultät. Nun meint er, daß es zu allerlei Kalamitäten führen könnte, eine eigene pädagogische Fakultät zu errichten. Aber mit welcher Fakultät sollte man Päd­agogik sonst verbinden? Und es ist sehr charakteristisch, daß er dazu kommt, daß er die Pädagogik der Staatswissenschaft zuweisen und eine staatswissenschaftlich-pädagogische Fakultät begründen möchte.

Sie sehen, so stark wirkt der Zwang, daß vom Staate alles das­jenige ausgehen soll, was auf den Menschen wirkt, daß selbst ein so aufgeklärter Herr es am günstigsten findet, die Pädagogik zum Ge­schwisterwesen des Staatsrechtes zu machen. Ich habe es ja hier

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schon gesagt: die Menschen streben immer dahin, nicht als dasjeni­ge zu gelten, was sie durch ihr Wesen sind, sondern als das, was sie durch die Abstempelung des Staates sein können. Selbst freie Bür­ger sollen sie nicht sein, sondern Menschen, die irgendwie mit ih­ren Bürgerrechten in den Staat eingetragen sind. Die Menschen streben darnach, Glieder der Staatsordnung zu werden. Das bildet den Gedanken aus: Also muß man die Menschen so erziehen und unterrichten, daß sie richtige Glieder des Staates werden. Wo sollte also die Pädagogik besser hingestellt werden als zum Staatsrecht? Es ist interessant, daß ein Mann, der ganz richtige Empfindungen hat für das, was geschehen soll, die entgegengesetzten Schlüsse zieht aus seinen Voraussetzungen, als man meinen sollte.

Sehen Sie, ich habe Ihnen damit heute vor allen Dingen zunächst die Widerstände charakterisiert, mit denen man zu kämpfen haben wird, wenn man eine solche Schule aufbauen will, wie es die Wal­dorfschule werden soll. Sie widerstrebt den Gedanken der Men­schen, selbst den Gedanken der besten Menschen. Sie muß wider­streben; denn würde sie nicht widerstreben, so würde sie nicht in der Richtung der Zukunftsentwicklung arbeiten. Aber es wird in dieser Zukunftsrichtung gerade auf geistigem, erzieherischem und unterrichtendem Gebiete gearbeitet werden müssen. Wir werden wahrhaftig keine einseitige Weltanschauungsschule errichten. Wer glaubt, daß wir eine «Anthroposophenschule» gründen wollen, oder wer das verbreitet, der glaubt oder verbreitet eine Verleum­dung. Das wollen wir ganz und gar nicht, und wir werden es zei­gen, daß wir es nicht wollen. Denn kommt man uns mit allem so entgegen, wie wir allem entgegenkommen, dann wird in der Wal­dorfschule der Religionsunterricht der evangelischen Kinder von dem am Orte lebenden evangelischen Pfarrer beziehungsweise Vi­kar erteilt werden, der katholische Unterricht wird von dem katho­lischen Priester erteilt, der jüdische von dem Rabbiner. Das heißt, wir werden uns nicht darauf einlassen, irgendeine Weltanschau­ungsschule zu begründen, wir wollen nicht den Inhalt der Anthro­posophie in unsere Schule hineintragen, wir wollen etwas anderes. Anthroposophie ist Leben, ist nicht bloß eine Theorie. Und Anthroposophie

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kann übergehen in die Gestaltungsfähigkeit, in die Handhabung des Unterrichts - insofern Anthroposophie pädago­gisch werden kann, insofern durch Anthroposophie die Fertigkeit gewonnen werden kann, zum Beispiel besser das Rechnen zu lehren, als es bisher gelehrt wurde, besser das Schreiben, besser die Sprachen, besser die Geographie zu lehren, als sie bis jetzt gelehrt wurden. Also insofern eine Methode für diese Schule geschaffen werden soll durch Anthroposophie, insofern streben wir. Wir er­streben Methodik, Unterrichtspraxis. Das ist es, in was wir auslau­fen lassen möchten dasjenige, was aus einer wirklichen Erkenntnis des Geistigen wahrhaftig folgen wird. Wir werden eben so lesen lehren, wir werden so schreiben lehren und so weiter, wie es der Wesenheit des Menschen angemessen ist. Dadurch werden wir zunächst ganz absehen von dem, was man uns wahrscheinlich un­terstellen wird: daß wir durch eine Schule schon bei den Kindern Propaganda machen wollen für Anthroposophie. Das werden wir nicht wollen. Denn wir wissen ganz gut, daß die Widerstände, die wir schon zu überwinden haben, ins Unermeßliche steigen. Wir werden nur streben, zu unterrichten insofern, als durch das Durch­lebtsein mit anthroposophischen Impulsen gut unterrichtet und erzogen werden kann. Deshalb wird es uns nicht stören, wenn gewissen Anforderungen genügt wird, die von da oder dort kom­men, zum Beispiel, daß der Religionsunterricht in den einzelnen Konfessionen von den Verwaltern, die innerhalb dieser Konfession stehen, besorgt wird.

Damit habe ich zunächst einiges einleitend über dasjenige ge­sagt, was die Waldorfschule sein will. Ich werde am nächsten Sonn­tag um dieselbe Zeit in diesen Betrachtungen fortfahren.

AUS WELCHEM GEISTE KANN SICH EINE ERZIEHUNGSKUNST DER GEGENWART ENTWICKELN? Stuttgart, 31. August 1919 (nachmittags)

#G297-1989-SE042 Idee und Praxis der Waldorfschule

#TI

AUS WELCHEM GEISTE KANN SICH EINE

ERZIEHUNGSKUNST DER GEGENWART ENTWICKELN?

Stuttgart, 31. August 1919 (nachmittags)

#TX

Vor acht Tagen versuchte ich, die Gesichtspunkte darzulegen, die der Begründung der Waldorfschule zugrunde liegen. Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, daß natürlich diese Begrün­dung nicht ins Blaue hinein gemacht wird, sondern daß sie mit dem wird rechnen müssen, was nun einmal Schulerziehungen der Ge­genwart sind, so daß dasjenige, was unseren Zielen, unseren Er­kenntnissen entspricht, in die Schulentwicklung der Gegenwart nur wird hineingestellt werden können. Ich habe auf Schwierigkeiten hingewiesen, welchen eine wirkliche Erziehungskunst in unserer Gegenwart begegnet. Und ich will heute - ich kann das natürlich nur in einigen allgemeinen Umrissen - auf einiges hinweisen, aus dem Sie werden ersehen können, wie der Geist sein muß, aus dem sich gegenwärtig eine Erziehungskunst entwickeln kann. Es ist ja durchaus so, daß aus den mannigfaltigsten Untergründen heraus in weitesten Kreisen eine dunkle oder auch mehr oder weniger helle khnung davon besteht, daß in unserem Erziehungswesen etwas anders werden muß. Und es hängt eigentlich die wirkliche, richtige Gestaltung der sozialen Menschheitszukunft an der Ausgestaltung einer wahren Erziehungskunst, einer Erziehungskunst, die wirklich den Kulturaufgaben unserer Gegenwart und der nächsten Zukunft gewachsen ist.

Nun handelt es sich dabei vor allen Dingen darum, daß man zur Erziehung und zum Unterricht insbesondere für das kindliche Alter die entsprechende Lehrerschaft hat. Was die Lehrerschaft den Kindern entgegenbringt, die Impulse, aus denen heraus die Lehrer-schaft ihre Kunst ausübt, das ist etwas von dem allerallerwesent­lichsten. Und gerade wenn man diese Gesichtspunkte ins Auge faßt, wird man finden, daß da vieles in der Gegenwart ist, was einem richtigen Einnehmen dieses Gesichtspunktes widerstrebt. Es ist ja nun natürlich, daß der Lehrer, der Erzieher zunächst durch

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diejenigen Bildungsanstalten durchgeht, die aus dem mehr oder weniger wissenschaftlichen Bewußtsein der Gegenwart heraus entwickelt sind. Aber dieses wissenschaftliche Bewußtsein der Ge­genwart ist so, daß es keinen Gesichtspunkt abgibt, den werdenden Menschen wirklich zu erkennen. Und gerade in diesem Punkte hat das erste eingesetzt, was wir notwendigerweise für die Begründung der Waldorfschule tun mußten. Ich habe ja schon im letzten Vor­trag hier gesagt, daß die künftige Lehrerschaft der Waldorfschule bereits vereinigt ist und daß eine pädagogisch-didaktische Vor­bereitung stattfindet. Es handelt sich dabei darum, daß vor allen Dingen die Lehrer dazu kommen, die richtigen Gesichtspunkte zu finden: erstens für das Erkennen der werdenden Menschennatur, wie sich diese in der Kindheit offenbart; zweitens, daß sie dazu kommen, aus der Einsicht in diese werdende Menschennatur die Erziehungskunst auszuüben. Namentlich ist es in der Gegenwart notwendig, eine ganz neue, für die Außenwelt neue Menschen-kunde und Menschenerkenntnis erst herauszuarbeiten.

Unsere wissenschaftliche Gesinnung ist stolz auf ihre Erfah­rungs- und Beobachtungsmethode. Und diese Erfahrungs- und Be­obachtungsmethode hat ja auf naturwissenschaftlichem Felde zu großen Triumphen geführt. Allein, im Grunde genommen haben in der Gegenwart recht viele, die gerade dem Erziehungswesen nahe­stehen, schon herausgefühlt, daß aus dieser Erfahrungs- und Beob­achtungsmethode Gesichtspunkte für das Erziehen nicht zu finden sind. Solche von einer gewissen Seite her einsichtigen Menschen haben sich gefragt: Was machen wir in den aufeinanderfolgenden Lebensepochen des Kindes, um die Entwicklungskräfte, die in die­sen aufeinanderfolgenden Lebensepochen des Kindes herauskom­men, richtig zu benützen? Man braucht nur auf einzelnes hinzu­weisen, dann wird man finden, daß solche Sehnsucht, das Kind seiner Entwicklung nach wirklich kennenzulernen, bei Pädagogen eigentlich schon da ist, daß sich aber diese Pädagogen aus der ge­genwärtigen wissenschaftlichen Gesinnung heraus solchen Fragen gegenüber gewissermaßen nicht zu helfen wissen. Da brauche ich nur darauf hinzuweisen, daß zum Beispiel schon im Jahre 1887 der

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Pädagoge Sallwürk auf das folgende aufmerksam gemacht hat. Er sagte sich: Die Naturwissenschaft hat zum Beispiel herausgefun­den, daß in der Entwicklung der Organismen ein gewisses Gesetz herrscht, das der jüngst verstorbene Ernst Haeckel bezeichnete als das «biogenetische Grundgesetz». Nach diesem biogenetischen Grundgesetz entwickelt sich während des Embryonallebens der einzelne Mensch so, daß er die Stammesentwicklung der Tierreihe verfolgt. Während der embryonalen Entwicklung ist der Mensch in den ersten Wochen einem niederen Tier ähnlich und steigt dann hinauf, bis er sich zum Menschen entwickelt. Die individuelle Entwicklung ist eine kurze Wiederholung einer langen Entwick­lung in der Welt draußen. Nun haben sich die Pädagogen gefragt:

Kann so etwas Ähnliches auch gelten für die Entwicklung des ein­zelnen Kindes in bezug auf das Geistig-Seelische? Und kann die Erziehungswissenschaft irgendeine Stütze finden in einem Gesetz, das nachgebildet wird diesem biogenetischen Grundgesetz?

Sie sehen, es ist das Bemühen schon da, nicht einfach darauflos zu erziehen, sondern einen Gesichtspunkt zu finden gegenüber der Entwicklung des werdenden Menschen. Da war es naheliegend, zum Beispiel zu sagen: Nun, die ganze Menschheit hat durchge­macht die Zeit der Urkultur; dann sind solche Kulturen darauf gefolgt, wie wir sie geschichtlich überliefert haben in den alten orientalischen Kulturen; dann folgte darauf das Griechentum, das Römertum, dann die Entwicklung des Mittelalters und so weiter bis in die neuere Zeit hinauf. Konnen wir für den einzelnen indi­viduellen Menschen sagen, daß er als Kind in der Kindheit die menschliche Urkultur und dann weitere Stufen der menschlichen Entwicklung wiederholt hat? Und können wir, indem wir die Geschichte in ihren Gesetzmäßigkeiten verfolgen, daraus etwas gewinnen für die Entwicklung des einzelnen Kindes? Sallwürk hat schon 1887 in seinem Buch «Gesinnungsunterricht und Kultur­geschichte» in entschiedenster Weise bestritten, daß man aus sol­chen Untergründen heraus irgendwelche Anhaltspunkte für die Er­ziehungskunst gewinnen könne. Ja, schon früher hat der aus der Herbartschen Anschauung hervorgegangene Pädagoge Theodor

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Vogt darauf hingewiesen, daß man in der Gegenwart ohnmächtig ist, sich pädagogisch solche Fragen zu beantworten. Er sagte schon 1884: Gäbe es eine vergleichende Geschichtswissenschaft, wie es eine vergleichende Sprachwissenschaft gibt, so könnte man viel­leicht aus einer solchen vergleichenden Geschichtswissenschaft heraus für die Erziehung des Kindes ebensolche Anhaltspunkte finden, wie man aus der vergleichenden Stammesgeschichte des Tierreiches Anhaltspunkte für das eben gekennzeichnete biogene­tische Grundgesetz gefunden hat. Aber er gestand sich, daß es so etwas wie eine vergleichende Geschichtswissenschaft, aus der sol­che Gesetze gewonnen werden können, eben nicht gibt. Und der Jenenser Pädagoge Rein sprach ihm das 1887 nach, und so liegen die Dinge in der äußeren Pädagogik und äußeren Erziehungskunst noch heute. Sie können mit Recht gegenüber solchen Bestrebungen und in der Diskussion über solche Bestrebungen sagen: Ja, sollte man sich als Erzieher nicht lieber auf den Standpunkt der gesunden Menschenempfindung stellen, statt sich von einer abstrakten Wis­senschaft her diktieren lassen zu müssen, was für die Entwicklung des werdenden Kindes nötig ist? Und Sie haben recht mit einem solchen Einwand. Denn dieser Einwand ergibt sich auch, wenn man die Sache etwas tiefer und gründlicher betrachtet. Er ergibt sich deshalb, weil in der Tat, wenn man nichts hat als diejenige Wissenschaft, die auf den Methoden des gegenwärtigen Natur-erkennens aufgebaut ist, aus den Abstraktionen, die man durch sie gewinnt, nichts für die Entwicklung des Menschengeistes und der Menschenseele gewinnen kann. Man strebt vergeblich, wenn man nach so etwas strebt. Aber man kann auch nicht aus dem bloßen unentwickelten Menschenverstand und Menschenempfinden her­aus wirklich ein Erziehungskünstler werden. Man braucht etwas, was einem Gesichtspunkte gibt. Und gerade hier zeigt sich die Notwendigkeit, eine neue Menschenkunde aufzubauen als Grund­lage für eine wirkliche Erziehungskunst der Zukunft. Die landläu­fige Wissenschaft hat gar nicht die Untergründe für eine solche Menschenkunde. Sie müssen gewonnen werden durch die Erkennt­nis des Menschengeistes und auch des Werdens des Menschengeistes

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innerhalb der Menschheitsgeschichte. Man muß viel weitere Gesichtspunkte haben, als die gegenwärtig auf Naturwissenschaft hin orientierte Wissenschaft hat.

Wenn wir das werdende Kind beobachten, so finden wir zu­nächst - ich habe schon öfter darauf aufmerksam gemacht -, daß ein längerer Entwicklungszeitraum liegt zwischen der Geburt und dem Zahnwechsel gegen das siebente Jahr. Wenn man das, was in der Seele des Kindes sich betätigt in dieser Zeit, vergleicht mit all dem, was sich vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife entfaltet, so ergibt dies einen großen Unterschied. Dieser Unterschied be­steht darin, daß das Kind in den ersten Lebensjahren bis zum Zahnwechsel darauf hinorientiert ist, dasjenige nachzumachen, was es in der Umgebung sieht und hört und wahrnimmt. Das Kind ist ein Nachahmer in dieser Zeit. Vom siebenten bis zum fünfzehnten Jahre, vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, ist das Kind darauf hingeordnet, daß die Autorität seiner Umgebung auf es wirkt. Es ahmt dann in der Hauptsache nicht mehr bloß nach, sondern will von Erwachsenen hören, was richtig, was gut ist. Es will glauben können an die Einsicht der Erwachsenen; instinktiv will es Autorität. Und es kann sich nur entfalten, wenn es diesen Glauben entwickeln kann.

Sieht man dann aber weiter zu, dann ergeben sich wiederum Einschnitte auch in diesen großen Lebensabschnitten. Wir sehen zum Beispiel einen deutlichen Einschnitt innerhalb der Zeit von der Geburt bis zum Zahnwechsel so um das dritte Lebensjahr her­um, wo das Kind in das Entwicklungsstadium eintritt, in dem es zum ersten Mal ein deutliches Ich-Gefühl entwickelt. Da beginnt derjenige Zeitabschnitt, bis zu dem man sich im späteren Leben zurückerinnert, während das frühere Erleben in den Schlaf der Kindheit hineinverschwindet. Und manches andere tritt um diese Lebenszeit in der Entwicklung des Kindes auf, so daß man sagen kann: trotzdem das Kind im wesentlichen ein Nachahmer ist in den ersten sieben Lebensjahren, liegt um die Mitte dieser ersten sieben Lebensjahre herum ein wichtiger Abschnitt, der in der ersten Er­ziehung berücksichtigt werden muß. Dann aber liegen wiederum

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zwei wichtige Abschnitte in der Zeit von dem Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, also gerade in dem Zeitalter des Kindeslebens, in dem die Volksschulerziehung sich abwickeln soll. Wenn sich das Kind ungefähr dem neunten Jahre nähert, wird man einen großen Umschwung in der Entwicklung des Kindes beobachten können. Was im Menschenleben auftritt, ist ja nach der einen Seite hin deutlich da. Es geht wiederum das eine in das andere über. Das Kind ist in den ersten sieben Lebensjahren ein Nachahmer; aber wenn es nach dem Zahnwechsel schon hinneigt zum Autoritätsge­fühl, bleibt ihm noch etwas von der Sehnsucht nachzuahmen aus den früheren Jahren da, so daß sich bis zum neunten Jahre hin im Kinde fortwährend der Drang vermischt, seine Umgebung nachzu­ahmen und schon die Autorität auf sich wirken zu lassen. Wenn man beobachtet, welche Kräfte da im kindlichen Lebensalter her­auskommen aus dem Innern der Menschennatur, dann findet man

- wie gesagt, ich kann diese Dinge heute nur andeuten - durch eine weitere Erwägung und Beobachtung, daß in dieser Zeit bis zum neunten Jahre hin gerade die Kräfte, die da herauskommen, ver­wendet werden müssen, um dem Kinde das beizubringen, was sich als die ersten Anfangsgründe des Lesens und Schreibens ergibt. Und man soll diese Anfangsgründe im Lese- und Schreibunterricht so benützen, daß gerade dasjenige, was, ich möchte sagen ein Zu­sammenklang von Nachahmungstrieb und Autoritätstrieb ist, in Anspruch genommen werde. Wenn man selbst Erziehungskünstler ist und arbeiten kann auf der einen Seite mit dem Lehrstoff, auf der anderen Seite aber mit dem geborenwerdenden Autoritätstrieb, mit dem im Herablähmen begriffenen Nachahmungstrieb, wenn man mit alledem so arbeitet, daß es zusammenklingt, dann arbeitet man etwas heraus im Kinde, was bleibende Kräfte sind für die ganze Lebenszeit des Menschen bis zum Tode hin. Man arbeitet etwas heraus, was man später nicht mehr nachholen kann, weil jedes Lebensalter seine eigenen Kräfte entwickelt.

Gewiß, Sie können sagen: mancher hat sich instinktiv nach sol­chen Gesetzen gerichtet. Das ist auch wahr. Aber es genügt nicht in der Zukunft. In der Zukunft werden solche Dinge zum Bewußtsein

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erhoben werden müssen. Und gegen das neunte Jahr oder um das neunte Jahr herum beginnt alles dasjenige am Kinde sich zu entwickeln, was es geeignet macht, aus dem Menschen mehr her-auszugehen und von dem Menschen aus die Natur zu erfassen. Vor diesem Zeitpunkt ist das Kind nicht sehr geeignet, die Natur als solche zu erfassen. Man möchte sagen: Das Kind ist sehr geeignet bis zum neunten Jahre hin, die Welt moralisierend zu betrachten. Der Erzieher, der Lehrer muß diesem moralisierenden Drange des Kindes entgegenkommen, ohne pedantisch zu werden.

Gewiß war auch das schon etwas instinktiv nach dieser Richtung hin vorhanden. Aber wenn man die didaktisch-methodischen Anlei­tungen, die in der Gegenwart gegeben werden, durchnimmt, in de­nen so hingearbeitet werden soll nach einem Anlehnen mit allem Unterrichtsstoff an das Menschliche selbst, dann könnte man zur Verzweiflung getrieben werden. Ein gewisser richtiger Instinkt ist da; aber die Anleitungen, die gegeben werden für dieses Lebensalter, sind fast durchweg von einer Philistrosität, von einer Banalität durchzogen, die dem werdenden Menschen furchtbar schadet. Man tut in diesem Lebensalter nämlich gut, wenn man, sagen wir Tiere oder auch Pflanzen nur so betrachtet, daß ein gewisses Moralisieren­des durchscheint durch die Betrachtung - zum Beispiel wenn man Fabeln dem Kinde so beibringt, daß es durch die Fabel die Tierwelt erkennen lernt. Aber man soll nur ja sich hüten, in der Besprechung im sogenannten Anschauungsunterricht solch banales Zeug an die Kinder heranzubringen, wie es sehr häufig herausgebracht wird. Vor allen Dingen aber soll man sich hüten davor, eine Fabel dem Kinde so zu erzählen, daß man sie zuerst erzählt, und nachher alle möglichen Erklärungen an diese Fabel anfügt. Alles, was Sie durch das Erzählen dieser Fabel erreichen wollen, das zerstören Sie durch die nachherige Interpretation. Das Kind will das, was in der Fabel drinnen ist, wirk­lich fühlend aufnehmen. Und es ist in seinem Innersten, ohne daß es sich Rechenschaft davon gibt, entsetzlich berührt, wenn es nachher die oftmals recht banalen Erklärungen hinnehmen muß.

Was wird daher derjenige tun, der nicht gleich auf die eigent­lichen Feinheiten der Erzählungskunst gegenüber einer solchen Erkenntnis

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eingehen will? Er wird sagen: Also lasse man die Erklä­rungen hinterher weg und erzähle dem Kinde bloß die Fabel. Nun, schön. Dann versteht es aber die Fabel nicht, und dann wird es erst recht an der Fabel keine Freude haben, wenn es sie nicht versteht. Wenn man zu jemandem chinesisch sprechen will, muß man ihm ja auch zuerst Chinesisch beibringen, sonst wird er doch nicht das richtige Verhältnis zu dem gewinnen können, was man ihm auf chinesisch mitteilt. Also damit ist es auch nicht getan, daß man sagt: Also lasse man die Erklärungen hinterher weg. Man muß versuchen, das, was hinterher durch eine Erklärung sehr häufig versucht wird, zuerst zu geben. Haben Sie die Absicht, dem Kind eine Fabel, solch ein Lesestück wie, sagen wir «Der Wolf und das Lamm» beizubringen - wir könnten das auch anwenden auf das Pflanzenleben -, dann sprechen Sie zuerst mit dem Kinde über den Wolf, seine Eigenheiten, über das Lamm, möglichst in Anlehnung an den Menschen. Suchen Sie alles zusammen, wovon Sie das Ge­fühl haben, daß das Kind Bilder, Empfindungen bekommt, die dann aufklingen, wenn Sie ihm die Fabel oder das Lesestück vor­lesen. Wenn Sie das, was Sie nachher als Erklärung geben wollen, in einer anregenden Vorbesprechung machen, dann töten Sie nicht die Empfindungen, wie Sie es in einer Erklärung hinterher machen, sondern Sie beleben sie gerade. Wenn das Kind vorher gehört hat, was der Lehrer spricht über Wolf und Lamm, dann werden seine Empfindungen lebhafter, dann hat es mehr Freude an der Fabel. Alles, was zum Verständnis geschehen muß, soll vorher geschehen. Das Kind darf vorher die Fabel oder das Lesestück nicht hören. Wenn es sie hört, muß es auf die Höhe gebracht sein in seiner Seele, sie zu verstehen. Dann muß der Abschluß gemacht werden damit, daß man das Lesestück vorliest, die Fabel mitteilt, aber nun nichts mehr tut, als die Empfindungen, die erregt sind, im Kinde verlaufen zu lassen. Man muß das Kind die Empfindungen mit nach Hause nehmen lassen.

So den Unterricht zu gestalten, daß man alles anlehnt an das Menschliche, ist notwendig bis zum neunten Jahr. Und wer einen Sinn hat, den Übergang zu beobachten, der um das neunte Jahr

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herum stattfindet, der wird wissen, daß erst dann für das Kind die Empfänglichkeit beginnt, mehr in die Naturwelt hinauszugehen, aber vom Menschen aus hinauszugehen. Die Natur an sich, wenn man sie ihm beschreibt, ohne Beziehung zum Menschen, begreift das Kind auch nach dem neunten Jahr noch nicht. Man täuscht sich nur, wenn man glaubt, daß es den Beschreibungen, wie sie so sehr häufig gegeben werden in den heutigen Anleitungen zum Anschau­ungsunterricht, schon ein Verständnis entgegenbringt. Man muß zwar nach dem neunten Jahr naturgeschichtlichen Unterricht auf­nehmen, aber man muß ihn immer auf den Menschen beziehen. Man soll gerade im naturgeschichtlichen Unterricht nicht von außermenschlichen Naturwesen ausgehen, sondern immer vom Menschen selbst; man soll immer den Menschen in den Mittel­punkt rücken.

Nehmen wir an, wir wollen begreiflich machen dem Kinde nach dem neunten Jahr den Unterschied der niederen Tiere von den höheren Tieren und vom Menschen; da geht man vom Menschen aus. Man vergleiche die niederen Tiere mit dem, was am Menschen ist; vergleiche die höheren Tiere mit dem, was am Menschen ist. Wenn man den Menschen beschrieben hat seinen Formen nach, seinen Lebensverrichtungen nach, dann kann man das, was man am Menschen so gefunden hat, anwenden auf niedere und höhere Tie­re. Das versteht das Kind. Da soll man nicht aus Banausentum oder Banalität heraus immer die Sorge haben, man rede über den Hori­zont des Kindes hinaus. Heute redet man manchmal über den Horizont der Erwachsenen hinaus; aber nicht über den Horizont des Kindes würde man hinausreden, wenn man zum Beispiel dem Kinde, aber natürlich erstens mit innerer Begeisterung und zwei­tens mit einer wirklichen Auffassung der Sache, beibrächte: Sieh dir die niederen Tiere an! - Man versetze es in die Gelegenheit, sagen wir einen Tintenfisch kennenzulernen. Dann gehe man, immer die entsprechenden Begriffe verwendend, dazu über, zu zeigen: mit welchen Teilen des vollkommenen Menschen ist denn der Tinten­fisch am meisten verwandt? Da kann das Kind dann schon verste­hen, daß der Tintenfisch am meisten verwandt ist mit dem Kopf

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des Menschen. Es ist nämlich die Wirklichkeit so, daß die niederen Tiere zwar einfach gestaltet sind, aber daß die Gestaltung, die ein­fach sich bei den niederen Tieren findet, beim menschlichen Haup­te wiederkehrt. Das menschliche Haupt ist nur komplizierter aus­gestaltet als die niederen Tiere. Und das, was sich bei den höheren Tieren, zum Beispiel bei den Säugetieren findet, das ist nur zu vergleichen mit dem, was sich im Rumpfleben des Menschen vor­findet. Die höheren Tiere müssen wir nicht mit dem Kopfleben des Menschen vergleichen, sondern mit dem Rumpfleben. Und gehen wir beim Menschen über zum Gliedmaßenleben, dann müssen wir sagen: Sieh dir einmal das Gliedmaßenleben des Menschen an; das hat er, so wie es ausgestaltet ist, einzig und allein für sich. So wie der menschliche Arm und die Hände ausgestaltet sind als Anhäng­sel des Leibes, in denen sich das Geistig-Seelische frei bewegt, so ist ein Gliedmaßenpaar in der ganzen Tierwelt nicht vorhanden. Wenn man beim Affen von vier Händen spricht, so ist das nur eine un­eigentliche Ausdrucksweise, denn die dienen schon von der Natur aus zum Halten, zum Fortbewegen des Leibes. Aber beim Men­schen sehen wir in einer merkwürdigen Art differenziert Füße und Hände, Arme und Beine.

Wodurch ist der Mensch eigentlich Mensch? Nicht wahr, nicht durch seinen Kopf; der ist nur eine vollkommenere Ausgestaltung desjenigen, was schon bei den niederen Tieren sich findet. Das, was beim niederen Tier sich findet, ist fortentwickelt am menschlichen Kopf. Aber worin der Mensch Mensch ist, worin er hervorragt über die Tierwelt, das ist sein Gliedmaßensystem. Das, was ich Ihnen jetzt hier gezeigt habe, das können Sie natürlich nicht in dieser Form an die Kinder heranbringen. Aber Sie übersetzen es so, daß das Kind nach und nach solche Dinge aus der Anschauung heraus empfinden lernt. Dann werden Sie durch Ihre Erziehung unendlich viel von dem hinwegschaffen, was aus ganz geheimnis­vollen Untergründen heraus unsere gegenwärtige moralische Kul­tur verdirbt. Unsere gegenwärtige moralische Kultur wird vielfach dadurch verdorben, daß der Mensch auf sein Haupt so unendlich stolz und hochmütig ist - aber er würde es nicht sein, wenn es

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weiter ausgebildet würde, was da zugrunde gelegt werden kann -, während er stolz und hochmütig sein könnte gerade auf sein Gliedmaßensystem, das zur Arbeit dient, das zum Hineinstel­len in die Welt der sozialen Ordnung dient.

Der naturwissenschaftliche Unterricht in bezug auf die Tierwelt kann in unbewußter Weise in die Menschennatur ein richtiges Ge­fühl des Menschen von sich selbst und von der sozialen Ordnung hineininfiltrieren. Das wird Ihnen zeigen, daß die pädagogischen Fragen allerdings viel tiefere Untergründe haben, als man heute ge­wöhnlich glaubt, daß sie zusammenhängen mit großen, umfassenden Kulturfragen. Das wirft doch ein Licht auf den naturwissen­schaftlichen Unterricht, wie er sich zu gestalten hat nach dem neun­ten Jahr. Alles läßt sich in Beziehung auf den Menschen behandeln, aber so, daß jetzt neben dem Menschen überall die Natur auftritt und der Mensch wie eine große Zusammenfassung der Natur erscheint. Das würde dem Kinde viel geben, wenn man bis gegen das zwölfte Jahr hin diese Gesichtspunkte festhalten würde.

Denn um das zwölfte Jahr herum liegt wiederum ein wichtiger Einschnitt in der Entwicklung des Kindes. Da spielt schon herein im zwölften, dreizehnten, vierzehnten Jahr - es ist bei den ein­zelnen Kindern verschieden - dasjenige, was dann nach der Ge­schlechtsreife zum Ausdruck kommt: die Urteilsfähigkeit, das Urteilen. Aber das Urteilen spielt noch durchaus so herein, daß es noch immer zusammenwirken muß mit dem, was nur aus Autori­tätsdrang herauskommt. In diesem Lebensalter des Menschen müs­sen vom Erziehungskünstler Autoritätsdrang und Urteilskraft im Zusammenklingen behandelt werden. Und daraufhin muß der Lehrstoff behandelt werden.

Da beginnt dann die Zeit, wo wir anfangen dürfen, solche naturgeschichtlichen und namentlich physikalischen Tatsachen an den Menschen heranzubringen, die sich vollständig absondern vom Menschen; Strahlenbrechung und dergleichen. Da beginnt aber auch das Verständnis, jetzt umgekehrt die Natur wiederum anzu­wenden auf den Menschen. Bis zum zwölften Jahr will das Kind durch seinen inneren Drang vom Menschen aus die Natur begreifen,

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nicht mehr moralisierend, sondern so, wie ich es Ihnen eben auseinandergesetzt habe. Nach dem zwölften Jahr ist das Kind bereits geneigt, Abgesondertes vom Menschen zu betrachten, aber es wieder zurückzuführen zum Menschen. Und Sie entwickeln et­was, was dem Kind nicht wieder verlorengeht, wenn Sie, sagen wir die Strahlenbrechung durch die Linse dem Kinde klarmachen, und von da aus die Anwendung auf den Menschen machen: die Strah­lenbrechung im Auge, die ganze innere Einrichtung des Auges. Das können Sie in diesem Lebensalter dem Kinde beibringen.

Sie sehen, aus der Menschenerkenntnis der Lebensalter heraus entwickelt sich der wahre Lehrplan. Das Kind selbst sagt uns, wenn wir es wirklich beobachten können, was es in einem Lebens­alter lernen will. Das sind aber Gesichtspunkte, die sich aus der heutigen Naturwissenschaft nicht ergeben. Sie kommen einfach, wenn Sie nur die natürlichen Tatsachen nehmen, nicht an diese Gesichtspunkte heran, die Ihnen die unermeßliche Wichtigkeit je­nes Lebensrubikon, der um das neunte Jahr herum liegt, und des anderen Lebensrubikon, der um das zwölfte Jahr herum liegt, zei­gen. Diese Dinge müssen hervorgeholt werden aus der ganzen Menschennatur. Und diese ganze Menschennatur umfaßt Leib, Seele und Geist; während die Naturwissenschaft der Gegenwart, wenn sie auch glaubt, etwas über Seele und Geist aussagen zu kön­nen, tatsächlich nur auf das Leibliche sich beschränkt. Solche Din­ge, wie sie heute oftmals gesprochen werden - ob man mehr auf das Formale, auf das Moralische in der Erziehung sehen soll, ob man mehr darauf sehen soll, daß der Mensch entwickelt wird nach sei­nen Veranlagungen, oder mehr darauf, daß ihm solcher Wissens-stoff beigebracht werde, wie er für den späteren Beruf notwendig ist, damit der Mensch seinen Platz ausfülle - diese Fragen er­scheinen einem als kindisch, wenn man die tieferen Grundlagen kennenlernt, von denen aus erzogen werden muß. Wie der einzelne Mensch zusammenhängt mit der ganzen Menschheitsentwicklung, das sieht allerdings die äußere Naturwissenschaft nicht ein. Aber eine geistig begriffene Entwicklungsgeschichte der Menschheit sieht das ein.

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Beachten wir folgendes Gesetz, das ebenso ein Gesetz ist wie die naturwissenschaftlichen Gesetze, das aber nicht begriffen wird durch die naturwissenschaftlichen Methoden der Gegenwart:

Wenn wir zurückgehen - ich kann jetzt nur erzählen, in meinen Schriften finden Sie diese Dinge alle aus dem Fundamente heraus entwickelt - in uralte Zeiten der Menschheit, so finden wir, daß da der Mensch entwicklungsfähig blieb bis ins hohe Alter hinauf, so entwicklungsfähig, wie wir nur noch während unserer ersten Kind­heit sind. Gehen wir zurück in menschliche Urzeiten, so finden wir, daß die Menschen sich sagen: Wenn ich fünfunddreißig Jahre, ja in noch älteren Zeiten: wenn ich zweiundvierzig Jahre alt sein werde, so werde ich gewisse, mit meiner Leibesentwicklung zu­sammengehörige Entwicklungsmomente durchmachen, die mich zu einem anderen Menschen machen. Wie man mit dem Zahn-wechsel etwas an die Leibesentwicklung Gebundenes durchmacht, was einen zu einem anderen Menschen macht, wie man mit der Geschlechtsreife etwas an die Leibesentwicklung Gebundenes durchmacht, was einen zu einem anderen Menschen macht, so machte man in alten Zeiten bis in viel höhere Lebensalter hinein solche Dinge durch. Dies hat sich verloren im Laufe der Menschheitsentwicklung. Wir können heute nicht in demselben Maße, wie das in menschlichen Urzeiten der Fall war, in der Kind­heit hinsehen zum alten Menschen und sagen: Ich freue mich, so alt werden zu können einmal, denn dieser Mensch hat etwas erlebt, was mir durch meine Leibesentwicklung noch nicht möglich ist. Darin besteht der Fortgang in der Menschheitsentwicklung, daß wir in immer weniger alte Lebensepochen eine körperliche Entwicklung hineintragen. Wer eine Beobachtungsmöglichkeit für solche Dinge hat, der weiß, daß zum Beispiel noch in der Grie­chenzeit der Mensch bis in die Dreißigerjahre deutlich wahrge­nommen hat, wie wir heute in der Jugend wahrnehmen, was nicht mit dem Äußerlich-Leiblichen zusammenhängt. Heute nimmt das der Mensch wahr höchstens bis zum siebenundzwanzigsten Jahre hin. Und in der Zukunft wird dieser Zeitpunkt noch weiter hinun­tergehen. Das ist der Sinn der menschlichen Entwicklung, daß bis

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zu immer jüngeren Lebensaltern die naturgemäße, die elementari­sche Entwicklung verbleibt. Das ist ein fundamentales Gesetz.

Und mit diesem fundamentalen Gesetz hängt unsere Kulturent­wicklung zusammen, daß in einem bestimmten Alter Lesen und Schreiben auftritt, während es in Urzeiten nicht da war. Das hängt mit diesem auf immer jüngere natürliche Entwicklungsstufen ange­wiesenen Menschentum zusammen. Wer dann weiter durchschaut solche nur aus umfassenden Erkenntnissen heraus zu gewinnenden Anhaltspunkte für die menschliche Kulturentwicklung, der wird wissen, wo die Sehnsucht eines Theodor Vogt, eines Rein, eines Sallwürk befriedigt werden kann. Die heutige naturwissenschaft­lich orientierte Wissenschaft hat ja gar nicht die Möglichkeit, so etwas kennenzulernen, wie dieses seiner natürlichen Entwicklung nach fortwährend auf jüngere Altersstufen herabgedrückte Men­schenleben. Sie hat daher auch gar nicht die Möglichkeit, eine wirklich vergleichende Geschichtswissenschaft auszuschreiben, die einen Anhaltspunkt geben könnte, zu erkennen, wie der Mensch hineingestellt ist in die Kulturentwicklung. Wer aber dieses weiter durchschaut, weiß, daß der Mensch, so wie er geboren wird, ohne­hin auftritt mit Anlagen, die gerade in sein Zeitalter hineinpassen, daß er ein Glied ist dieser umfassenden Menschheitsentwicklung. Entwickelt man das im Menschen, was er, weil er ein Glied der Menschheitsentwicklung ist, ohnedies als Anlage hat, dann entwik­kelt man auch in formaler Beziehung das, was in ihm entwickelt werden soll. Erkennt man die Wirklichkeit, dann wird einem viel von dem, womit man heute solch einen Aufwand treibt, «ob man die Dinge so oder so machen soll», zu einer abstrakten Faselei. Dieses Entweder-Oder löst sich auf für ein wahres, wirkliches Erkennen in ein Sowohl-Als auch.

Das, sehen Sie, möchte man einmal aus einer Lehrerschaft ma­chen, um in einem Punkte etwas zu schaffen für die Zukunft; daß die Lehrer richtig den Menschen erkennen und den Zusammen­hang des Menschen gerade mit der Gegenwartskultur; und daß von diesem Wissen und von diesem Empfinden der Wille, mit dem Kind zusammenzuarbeiten, angefeuert werde. Dann entstehen

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wirklich Erziehungskünstler. Denn das Erziehen ist niemals eine Wissenschaft, sondern eine Kunst. Man muß aufgehen darin und kann das, was man wissen kann, nur als Grundlage für die Er­ziehungskunst zu Hilfe nehmen.

Man soll aber nicht allzusehr davon faseln, daß man dann ganz besonders spezifische Anlagen zum Lehrer haben muß. Die sind mehr verbreitet, als man denkt, sie werden nur in der Gegenwart nicht entwickelt. Man braucht die Kräfte nur herauszuholen aus dem Lehrer in der richtigen Weise durch eine starke Geisteswissen­schaft, dann wird man finden, daß in der Tat Erziehungsbegabung viel verbreiteter ist, als man denkt.

Sehen Sie, damit hängt dann etwas anderes zusammen. Es ist zwar theoretisch heute oftmals gewarnt worden vor einem allzu­sehr Abstraktgestalten des Unterrichts; aber instinktiv macht man dieses Abstraktgestalten noch immer. Und derjenige, der diese Dinge durchschaut, wird bei den Reformplänen und Reformideen, die gegenwärtig so durch die Luft schwirren, die Besorgnis empfin­den, die Abstrahierung des Unterrichts werde durch diese Re­formpläne, die ja allerlei schöne Punkte enthalten, noch viel schlimmer, als sie jetzt ist. Wenn man richtig die Entwicklungsepo­chen studiert: erstens die großen Entwicklungsepochen - bis zum Zahnwechsel, bis zur Geschlechtsreife und über diese hinaus -, dann die kleinen - bis zur Entwicklung des Ich-Gefühis, bis zum Entwickeln des Sinnes für die vom Menschen abgesonderte äußere Natur -, wenn man diese Epochen richtig studiert, und zwar so, daß man sie nicht banal definiert, sondern sie in künstlerisch­Intuitiver Anschauung vor sich hat, dann wird man erst einsehen, wieviel in dem werdenden Menschen dadurch gesündigt wird, daß man die intellektuelle Erziehung in falsche Bahnen lenkt. Wenn man immer betont, der Mensch müsse als ein einheitliches Wesen erzogen werden, so ist das richtig. Aber der Mensch kann als ein einheitliches Wesen nur erzogen werden, wenn man seine Glieder, auch die seelisch-geistigen, kennt und sie auf die Einheit hinzu-ordnen versteht. Man wird niemals den Menschen als Einheit erzie­hen, wenn man im Erziehen Denken, Fühlen und Wollen chaotisch

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durcheinanderwirken läßt, sondern nur dann, wenn man intuitiv weiß, welches der Charakter des Denkens, des Fühlens und des Wollens ist, und diese drei Kräfte des Menschen seelisch-geistig in der richtigen Weise ineinanderwirken läßt. Die Leute sind sehr geneigt, wenn sie so etwas besprechen, gleich immer in Extreme zu verfallen. Wenn einer einsieht: das Intellektuelle ist zu stark in den Vordergrund getreten, man hat die Leute zu stark intellektualisiert, - dann ist er gleich Feuer und Flamme, dieses Element auszumer­zen und zu sagen: Es kommt vorzugsweise auf die Willens- und Gemütserziehung an. Nein, es kommt darauf an, alle drei Elemen­te, Intellekt, Gemüt und Willen, im Menschen in der richtigen Weise zu erziehen, daß man sich in die Lage zu versetzen versteht, diese drei Lebenselemente in der richtigen Weise zusammenwirken zu lassen.

Erzieht man das intellektuelle Element richtig, dann muß man etwas dem Menschen geben gerade in der Volksschulzeit, was mit ihm wachsen kann, im Ganzen sich entwickeln kann. Verstehen Sie mich gerade in diesem Punkt recht, es ist ein wichtiger Punkt. Den­ken Sie, Sie entwickeln in dem Kinde bis zum vierzehnten Jahre jene Begriffe, die Sie fein definiert haben, von denen es weiß, wie es diese Begriffe zu denken hat, dann haben Sie ihm gerade durch jene bessere Definition, die Sie ihm nach Ihrer Meinung gegeben haben, oftmals Begriffe gegeben, die sehr starr sind, die nicht mit-wachsen mit dem Menschen. Der Mensch muß wachsen vom vier­zehnten bis zwanzigsten Jahr, vom zwanzigsten bis fünfundzwan­zigsten Jahr und so weiter, und indem er wächst, müssen seine Begriffe mitwachsen. Sie müssen sich mitentwickeln können. Defi­nieren Sie sie zu stark in scharfen Konturen, so wächst zwar der Mensch, aber seine Begriffe wachsen nicht mit. Sie leiten dann seine intellektuelle Entwicklung in ganz falsche Bahnen. Er kann dann im Kulturleben nichts anderes tun, als sich an die Begriffe zu erin­nern, die Sie ihm mit Mühe beigebracht haben. Aber das sollte er nicht, sondern diese Begriffe sollten mit seiner eigenen Entwick­lung gewachsen sein, so daß er das, was ihm im zwölften Jahre beigebracht worden ist, im fünfunddreißigsten Jahre so verschieden

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hat von der Art, wie es ihm im zwölften Jahre beigebracht wurde, wie sein äußerer leiblicher Mensch verschieden ist im fünfund­dreißigsten Jahr von dem, was er im zwölften Jahr war. Das heißt, bei der intellektuellen Entwicklung müssen wir dem Menschen nicht etwas konturiert Totes, sondern etwas Lebendiges beibrin­gen, etwas, was Leben in sich trägt, was sich verändert. Wir werden also möglichst wenig definieren dürfen. Wir werden, wenn wir Begriffe in das Kind hineinbilden, charakterisieren, und namentlich von vielen Gesichtspunkten aus. Wir werden auf die Frage: Was ist ein Löwe? nicht sagen müssen: «Ein Löwe ist also . . . » und so weiter, sondern wir werden von den verschiedensten Gesichts­punkten aus den Löwen charakterisieren lassen; werden lebendige, bewegliche Begriffe ausbilden, die werden dann mit dem Kinde mitleben. In dieser Beziehung wird viel gesündigt im Erziehen und Unterrichten in der Gegenwart.

Der Mensch muß leben durch sein irdisches Dasein hindurch, und die Begriffe, die wir oftmals in ihm heranziehen und heran-unterrichten, die sterben und sind als seelische Leichname in ihm; die können nicht leben. Mit den groben Begriffen, die die heutige Pädagogik ausbildet, kommen wir aber diesen Dingen nicht bei. Da muß ein ganz anderer geistiger Impuls diese Pädagogik durchzie-hen. Das ist etwas, was in der Waldorfschule angestrebt wird. Daher versuchen wir, die Pädagogik auf eine neue Grundlage zu stellen, in der wir solche Dinge psychologisch berücksichtigen. Wir sind vollständig davon überzeugt, daß aus alten Grundlagen heraus die Menschenkunde nicht entspringen kann, daher sind es auch keine Grundlagen für die Pädagogik, die doch auf Psychologie aufgebaut sein soll. Aber diese Psychologie des werdenden Men­schen kann nicht mit den Methoden, die heute die landläufigen sind, ausgebildet werden.

Sehen Sie, wenn man solche Dinge wirklich richtig zu betrach­ten in der Lage ist, dann wird auch Licht geworfen auf manche Unterbegriffe, die heute für sehr wichtig gehalten werden, die sich von selbst lösen, wenn man die Hauptbegriffe hat. Was wird heute zum Beispiel für Unfug getrieben mit der Einordnung des Spiels in

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den Unterricht, in die Kindererziehung. Bei dieser Einordnung des Spiels wird sehr häufig das Allerwichtigste nicht berücksichtigt: Wenn das Spiel streng geregelt wird und das Kind sein Spiel in einer bestimmten Richtung verlaufen lassen muß, ist es kein Spiel mehr. Das Wesen des Spiels besteht darin, daß es frei ist. Wenn Sie aber das Spiel wirklich zum Spiel machen, wie es nötig ist für den Unterricht und für die Erziehung, dann werden Sie auch nicht mehr in die alberne Redensart fallen: daß auch der Unterricht ein bloßes Spiel sein solle. Dann werden Sie vielmehr in dem Rhyth­mus, der in das Leben des Kindes hineingebracht wird, das Wesentliche suchen, indem Sie Spiel und Arbeit abwechseln lassen.

Die Gemütserziehung, die Gefühlserziehung, die ist solcher Art, daß bei ihr besonders auf die Eigenart des Kindes Rücksicht ge­nommen werden muß. Wir müssen fähig sein als Lehrer, den Un­terricht so zu gestalten, daß das Kind nicht ein Intellektuelles bloß sich erarbeitet im Unterricht, sondern daß das Kind ästhetisch den Unterricht genießt. Das können wir nicht, indem wir die Begriffe für seine Intellektualität ausbilden. Das können wir nur, wenn wir uns als Lehrer zu seinem Gefühlsleben in ein solches Wechselver­hältnis bringen, daß wir tatsächlich immer beim Kinde durch das, was wir für seine Erwartung der Sache uns erarbeiten, die wir dann erfüllen durch das, was wir an Hoffnungen erregen, die eintreffen im kleinen und großen - daß wir dadurch immer jenes Entgegen­kommen beim Kinde zuerst entwickeln, das im ästhetischen Auf­fassen der Umwelt eine Rolle spielen muß. Sie können dem isthe­tischen Bedürfnis des Kindes entgegenkommen, indem Sie sich zu seiner Gefühlswelt in die richtige Beziehung bringen, indem Sie nicht banausisch und oftmals banal, wie es in der Gegenwart ge­schieht, anpreisen, man solle Anschauungsunterricht treiben: Sieh, da hast du eine Maus. Die Maus rennt. War nicht einmal die Maus schon in einem Raum bei deinen Eltern? Hast du nicht schon ein­mal ein Mauseloch gesehen? - Nicht in dieser radikalen Ge­schmacklosigkeit, aber doch ähnlich, werden heute vielfach An­leitungen zum Anschauungsunterricht gegeben. Man hat keine Ahnung, wie sehr man sündigt gegen den guten Geschmack, das

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heißt gegen das ästhetische Erleben beim Kinde, indem man viel von dem gibt, was heute Anschauungsunterricht genannt wird. Gerade in dieser Beziehung muß dadurch, daß das Interesse des Kindes auf große, umfassende Anschauungen gelenkt wird, der Geschmack in ihm entwickelt werden. Denn Geschmack muß herrschen im Unterrichtsleben, im Erziehungswesen, für die rich­tige Entfaltung gerade des Gemüts, des Gefühls. Dann wird man schon auch einen gewissen Instinkt für die erziehungswichtigen Tatsachen bekommen.

Der Intellekt ist das Geistigste zunächst in uns; wenn wir ihn aber einseitig entwickeln, Gefühl und Wille nicht mit ihm, dann entwickeln wir immer den Hang, materialistisch zu denken. Wäh­rend in uns selbst der Intellekt das Geistigste ist während des phy­sischen Erdenlebens, hat dieser Intellekt in uns den Drang nach dem Materialismus hin. Wir dürfen namentlich nicht glauben, daß, wenn wir den Intellekt entwickeln, wir auch das Geistige im Men­schen entwickeln. So paradox das klingt, so ist es doch wahr: wir entwickeln nur im Menschen die Anlage, das Materielle zu begrei­fen dadurch, daß wir seinen Intellekt entwickeln. Erst dadurch, daß wir geschmackvoll in ästhetischer Weise sein Gemüt, sein Gefühls­leben entwickeln, erst dadurch weisen wir den Intellekt des Men­schen auf das Seelische hin. Und erst dadurch, daß wir Willens-erziehung treiben, selbst wenn diese Willenserziehung getrieben wird an äußerer Handfertigkeit, legen wir in den Menschen die Grundlage zum Hinordnen des Intellekts nach dem Geiste. Wenn so wenige Menschen heute einen Hang haben, den Intellekt nach dem Geiste hinzulenken, so beruht das darauf, daß der Wille so falsch erzogen wurde während der Kinderjahre.

Wodurch lernen wir aber als Lehrer, den Willen in der richtigen Weise zu erziehen? Ich habe schon letzthin darauf aufmerksam gemacht: Wir lernen es dadurch, daß wir das Kind vor allen Dingen sich betätigen lassen in der Kunst; daß wir möglichst früh Musik, Zeichnerisches, Malerisches nicht nur anhören und anschauen lassen das Kind, sondern, soweit es möglich ist, mittun lassen. Neben dem bloßen Lese- und Schreibunterricht - ja schon Lese- und Schreibunterricht

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müssen aus dem Künstlerischen, das Schrei­ben aus dem Zeichnerischen und dergleichen sich heraus entwik­keln -, neben all dem muß die Pflege des einfach elementaren Künstlerischen womöglich früh in der Erziehung auftreten, sonst bekommen wir willensschwache Menschen. Dazu kann dann kom­men die Hinlenkung des jugendlichen Menschen auf dasjenige, was er arbeiten muß im späteren Lebensalter.

Sie sehen, daß man gerade im heutigen Zeitalter die Notwendig­keit hat, zu einer neuen Menschenkunde zu kommen, damit diese die Grundlage sein kann für eine neue Erziehungskunst, so gut so etwas möglich ist zu leisten innerhalb all der Hemmungen, die es heute gibt. Weil man eben diese Dinge nicht einsieht, durch die heute Wissenschaft gemacht ist, soll durch die Waldorfschule etwas geschaffen werden, was nach dieser Richtung hingeht.

Es ist dringend notwendig, daß man sich durch vieles, was heute gesagt wird, nicht täuschen läßt. Ich habe vor acht Tagen hier die Bedeutung der Phrase für das gegenwärtige Geistesleben ein wenig zu charakterisieren versucht. Diese Phrase spielt hinein insbeson­dere auch in unsere Erziehungs-Reformpläne. Da tut man sich zugute, wenn man immer wieder und wiederum - man glaubt da­mit sehr pädagogisch zu sein - die Menschen ermahnt, man solle nicht «Berufsmechanismen, sondern Menschen erziehen». Ja, da müßte derjenige, der den Satz ausspricht, erst wissen, was ein wah­rer Mensch ist, sonst hat der Satz in seinem Munde und aus seinem Munde nur die Bedeutung einer Phrase. Und gar, wenn nun heute oftmals gefragt wird: Wozu soll man die Kinder erziehen? Dann wird geantwortet: Zu brauchbaren und glücklichen Menschen. -Damit meint derjenige, der das sagt, einen solchen Menschen, wie er ihn brauchen kann, der so glücklich ist, wie er sich das Glück nach seiner Art vorstellt. Es handelt sich doch darum, daß man zuerst die Grundlage legt, diejenige Grundlage, die uns den wirk­lichen Menschen erst kennenlehrt. Der wirkliche Mensch kann sich uns nicht ergeben aus den alten Vorbedingungen unserer Weltbe­trachtung heraus, der kann sich nur ergeben aus neuen Vorbedin­gungen einer Weltbetrachtung heraus. Und eine neue Erziehungskunst

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wird sich nicht entwickeln, wenn man nicht den Mut hat, zu einer ganz neuen wissenschaftlichen Orientierung zu kom­men. Dem begegnet man heute am allermeisten: die Menschen möchten alles Mögliche, aber sie möchten nicht dasjenige, was die Voraussetzung ist, um überhaupt zu einer neuen Orientierung in der Welterkenntnis zu kommen. Diese neue Orientierung suchen wir nun gerade durch unsere anthroposophisch orientierte Gei­steswissenschaft seit Jahrzehnten. Wenn viele Menschen sich von ihr fernhalten, so geschieht das, weil sie es zu unbequem finden, oder weil sie nicht den Mut haben dazu. Aber das, was man brauchen wird für eine wirkliche Erziehungskunst, das wird nur hervorgehen können aus einer richtig fundierten geistigen Welt­anschauung heraus.

Denken Sie nur einmal, was es für eine bedeutungsvolle Sache ist, was der Lehrer dem werdenden Kinde gegenüber eigentlich darstellt. Wir Menschen hier auf dieser Erde müssen ja im Grunde genommen immerfort vom Leben lernen, wenn wir nicht starr werden wollen in irgendeiner unserer Lebensepochen. Aber das muß man erst lernen, vom Leben zu lernen. Und in der Schule muß das Kind lernen, vom Leben zu lernen, so daß es nicht aufhört -wegen seiner toten Begriffe und dergleichen -, im späteren Dasein vom Leben zu lernen und nicht starr wird. Das ist es, was an den heutigen Menschen nagt: daß ihnen die Schule zu wenig gegeben hat. Wer unsere sozialen Mißstände durchschaut, der weiß, daß sie mit dem eben Gekennzeichneten vielfach zusammenhängen. Die Menschen stehen ohne jeden inneren Halt im Leben, der nur dar­aus resultiert, daß in der richtigen Zeit die Schule das Richtige geben kann. Das Leben wird uns förmlich verschlossen, wenn uns nicht die Schule die Kraft gibt, es uns zu erschließen.

Das kann aber nur sein, wenn in den Volksschuljahren der Leh­rer dem Kinde die Repräsentation des Lebens selbst ist. Das ist ja das Eigentümliche des jugendlichen Alters, daß der Abgrund zwi­schen dem Menschen und dem Leben noch vorhanden ist. Man muß diesen Abgrund erst überbrücken. Die jugendlichen Sinne, der jugendliche Intellekt, das jugendliche Gemüt, der jugendliche

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Wille, sie sind noch nicht so gestaltet, daß der Mensch in der rech­ten Weise vom Leben berührt werden kann. Er wird als Kind vom Leben durch das Medium des Lehrers berührt. Der Lehrer steht vor dem Kinde so, wie später das Leben. In ihm muß sich das Leben konzentrieren. Der Lehrer muß daher durchdrungen sein vom allerintensivsten Interesse für das Leben. Der Lehrer muß das Leben seines Zeitalters selbst in sich tragen. Davon muß er ein Bewußtsein haben. Von diesem Bewußtsein wird ausstrahlen kön­nen dasjenige, was er im lebendigen Erziehen und Unterricht und Verkehr an seine Schüler übertragen muß. Daß so etwas beginne, daß nicht mehr der Lehrer kümmerlich sich in seiner Schulsphäre eingeengt fühlen muß, sondern sich getragen fühlt von der ganzen weiten Kultur der Gegenwart und wie sie in der Zukunft spielt, daß gerade der Lehrer das weiteste Interesse hat, das ist etwas, was wird eintreten müssen. So gut das heute mit Menschen, die aus ihren bisherigen Lebensverhältnissen die notwendigen Vorbedin­gungen mitbringen, gemacht werden kann, so gut soll es unter den heutigen Verhältnissen und trotz der heutigen Hemmnisse in der Schule versucht werden. Es soll nicht gearbeitet werden aus irgend­einem einseitigen Interesse heraus, aus einseitiger Vorliebe für die­ses oder jenes, es soll gearbeitet werden aus dem, was mit gewalti­ger Sprache als das für die Gegenwart und die Menschenzukunft Notwendige in den Entwicklungsimpulsen der Menschheit selbst zu einem spricht. Was man ablesen kann am Entwicklungsgang der Menschheit als notwendig für unsere Zeit, das soll als unterrich­tende und erzieherische Kräfte durch diese neue Gründung der Waldorfschule hindurchspielen.

VORTRAG FÜR DIE ELTERN DER WALDORFSCHULKINDER Stuttgart, 31. August 1919 (abends)

#G297-1989-SE064 Idee und Praxis der Waldorfschule

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VORTRAG FÜR DIE ELTERN

DER WALDORFSCHULKINDER

Stuttgart, 31. August 1919 (abends)

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Dem Vortrag von Rudolf Steiner ging folgende kurze Ansprache von Emil Molt voraus:

Meine sehr verehrten Anwesenden! Nur noch acht Tage trennen uns von dem Zeitpunkt, wo wir in der glücklichen Lage sein werden, das zu verwirklichen, worauf wir uns schon seit vielen Wochen freuen, nämlich auf die Eröffnung der Waldorfschule.

Sie wissen ja alle, aus welchem Geiste heraus wir uns die Absicht vorgelegt hatten, diese eigene Schule ins Leben zu rufen. Sie wissen, daß wir damit eine ernste Absicht zu verwirklichen bestrebt sind, nämlich die, es mit der Sozialisierung ernst zu meinen und die Sozialisierung wenigstens in einer Beziehung durchzuführen, nämlich zuallererst auf dem Gebiet, auf dem es am allermeisten nottut, dem Gebiet des Erziehungs- und Unterrichtswesens. Und ich fühle mich persönlich ungemein beglückt, daß es mir vergönnt war, diesen Plan in die Wirklichkeit zu übertragen.

Indem ich dieses ausspreche, bin ich mir der ungeheuren Verantwortung wohl bewußt, die auf demjenigen liegt, der ein so kühnes Unternehmen in der heutigen Zeit wagt zu vollziehen. Und ich spreche hier offen und klar aus, daß es mir unmöglich gewesen wäre, diesen Plan zu hegen und zu verwirklichen, wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, mich so viele Jahre hindurch durch den Geist der anthroposophischen Weltanschauung befruch­ten zu lassen. Und ich möchte hier gleich bemerken, damit es gar keine Mißverständnisse gibt, daß unsere Schule keinesfalls eine Weltanschauungs-schule sein soll und keinesfalls das gepflegt werden soll als solches, daß aber immerhin ausgesprochen werden muß, daß es der Geist der anthroposophi­schen Weltauffassung war, welcher mich zu diesem Schritt bewogen hat. Und ich fühle es als meine tiefe Pflicht, an dieser Stelle gerade Herrn Dr. Steiner meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen dafür, daß er mir seinen Rat in dieser ungemein schwierigen Angelegenheit hat zuteil werden lassen. Und ich verbinde diesen tiefen Dank mit der herzlichen Bitte, auch in Zukunft uns in diesem neuen geistigen Unternehmen seinen Rat und Hilfe angedeihen zu lassen. Denn ich persönlich bin mir wohl bewußt, daß die Aufgabe eine zu schwere ist und daß wir sie nicht lösen können, wenn wir nicht die Hilfe und den Rat von Herrn Dr. Steiner genießen dürfen.

Meine sehr verehrten Anwesenden! Wir haben Sie heute hergebeten, um Ihnen Gelegenheit zu gehen, durch Herrn Dr. Steiner selbst einiges über unsere Waldorfschule zu hören. Und ich möchte Sie bitten, falls sich irgend-welche Fragen in Ihnen einstellen, daß Sie am Schluß des Vortrages diese Fragen an uns stellen, damit nichts ungeklärt bleibt.

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Wie ich vorhin schon bemerkte, werden wir in acht Tagen das Fest der Einweihung haben, und ich benütze die Gelegenheit, Sie hierzu herzlichst einzuladen. Das Nähere werden Sie noch hören.

Ich möchte nur noch bemerken, daß vor etwa zehn Tagen ein Kursus für die Lehrerschaft begonnen hat unter der Anleitung von Herrn Dr. Steiner und daß in demjenigen, der wie ich das Glück hat, diesen Kursus zu besuchen, das Gefühl aufsteigt, daß es mit dieser Waldorfschule eine ganz besondere Bewandtnis hat. Es ist eine tiefe Andacht und eine tiefe Weihe, die von diesem Kursus ausgeht und die sich auf die Lehrerschaft überträgt. Und ich fühle, wie sich das wiederum übertragen wird auf die Kinder und daß wir die Uherzeugung haben dürfen, daß der Schulunterricht auf diese Weise für die Kinder eine Freude und ein Genuß werden wird. Und nie habe ich es so sehr bedauert wie gerade in diesen Tagen, nicht selbst wieder jung sein zu dürfen und dieser Schule angehören zu dürfen. Denn wenn man Mithörer, Miterleber dieses Kursus sein darf, dann kommt einem zum Bewußtsein, was alles an einem in der Jugend versäumt worden ist, in der Erziehung und im Unterricht, und wie schwer es ist im Alter, alle diese Lücken, all das Versäumte wieder auszufüllen, wieder nachzuholen; wie groß aber auch das Glück für einen sein mag, daß das, was an den Eltern, an den Großen versäumt wurde, nun nachgeholt werden kann an den Jungen.

Und so wissen Sie auch, daß dieser soziale Gedanke es war, der mich besonders geleitet hat: daß Sie, die Sie als Eltern nicht mehr in der Lage sind, sich all die Bildung angedeihen zu lassen, die notwendig ist, um auf höhere Stufen des Berufslebens emporzuklettern, nun wenigstens das Glück haben sollen zu sehen, wie die Jugend die Bildung sich aneignen kann, die eben notwendig ist, um höhere Stufen im Berufsleben und im sonstigen Leben erklimmen zu können. Deshalb war ich so glücklich, daß wir hier als erste

- nicht nur in Stuttgart, sondern vielleicht in Deutschland - in der Lage sind, eine solche Einheitsschule ins Leben zu rufen, welche eben eine Einheits­schule im wahrsten Sinne des Wortes ist und welche das verwirklicht, wovon heute wohl überall gesprochen wird, was aber bisher noch nirgends in die Tat umgesetzt worden ist. Es wird bei uns der Fall sein, daß in dieser Schule allerdings ein merkwürdig zusammengewürfeltes Völklein sich einstellen wird: Es werden nicht nur die Kinder der Volksschule, der Mittelschule, der Realschule, sondern auch die Kinder der Gymnasien auf ein und derselben Schulbank sitzen, Knaben und Mädchen, alles bunt durcheinander geworfen. Und darin liegt, dessen sind wir uns wohl bewußt, eine ungemeine Schwie­rigkeit. Aber gerade angesichts der Tatsache, daß wir uns einerseits der Hilfe und des Beistandes des Herrn Dr. Steiner sicher sein dürfen, und andererseits aufgrund der Auswahl der Lehrkräfte dürfen wir hoffen und die Überzeu­gung hegen, daß auch diese Schwierigkeiten behoben werden. So haben wir den Mut, auch nach dieser Richtung hin der Meinung zu sein, daß diese Schwierigkeiten gelöst werden.

Allerdings, und das möchte ich betonen, können diese Schwierigkeiten in der Hauptsache überwunden werden dann, wenn die richtige Fühlung vorhanden

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ist zwischen Schule und Elternhaus. Und da wird es ganz besonders Ihre Aufgabe sein, sehr geehrte Anwesende und Eltern, daß Sie in der richtigen Weise zusammenwirken mit der Lehrerschaft der Waldorfschule. Dann wird das Werk, das wir heute beginnen, zum Segen und zum Heil nicht nur der Waldorf-Astoria, sondern der Allgemeinheit ausschlagen und gedeihen.

Ich darf vielleicht noch bemerken, daß in dieser Schule zu einem kleinen Teil auch Kinder von unseren nächsten anthroposophischen Freunden anwe­send sein werden, allerdings nur eine beschränkte Zahl. Aber wir hielten es für selbstverständlich, daß auch diese Kinder mit hineingenommen werden sollen zu den Kindern der Waldorf-Leute, weil uns daran lag, gerade da­durch auch zum Ausdruck zu bringen, in welchem Sinne wir uns diese Sozialisierung denken, weil wir wollen, daß eben Kinder aller Schattierungen in der Waldorfschule anwesend sein werden.

Und nun möchte ich Herrn Dr. Steiner bitten, uns seine Ausführungen zu geben, und möchte schließen mit dem herzlichen Wunsche: Unser Werk, das wir heute beginnen - es möge zum Heil und zum Segen von uns allen ausschlagen!

Rudolf Steiner: Als Herr Molt daran ging, zunächst für die An­gehörigen der von ihm geleiteten Fabrik eine Schule zu begründen, da lag es wohl in seiner Absicht, unserer für die Menschheit so sehr schweren Zeit durch ein Mittel zu dienen, durch das vor allen Dingen an der Wiedergesundung unserer sozialen Zustände mitge­arbeitet werden kann. Es ist ja wohl in alle Ihre Seelen geschrieben, daß aus den Verhältnissen, die wir erleben und die sich seit drei bis vier Jahrhunderten in der sogenannten zivilisierten Menschheit

heraufentwickelt haben, sich etwas anderes gestalten müsse. Aber es müßte auch in Ihre Seelen tief eingeschrieben sein, daß vor allen Dingen neben den anderen Verhältnissen auch eine andere Art notwendig ist, den Menschen durch Erziehung, Bildung und Un­terricht in die Welt hineinzustellen, als dies aus den alten Verhält­nissen heraus in den letzten drei bis vier Jahrhunderten veranlagt worden ist und heute eigentlich auf seinen Höhepunkt gediehen ist.

Wir erwarten eine ganz andere soziale Gestaltung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse in der Zukunft, als sie in der Gegen­wart da ist. Und wir erwarten das mit Recht. Wir sehen auf unsere Kinder, auf die nächste Generation, und man darf überzeugt sein,

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daß insbesondere diejenigen, die als Eltern liebend hinschauen auf ihre Kinder, oftmals den Gedanken in ihren Herzen hegen: Wie werden sich diese unsere Lieben hineinstellen in eine Ordnung, die ganz anders sein muß als die gegenwärtige? Wie werden sie auf der einen Seite dem Neuen gewachsen sein, das in die Menschheit kommen muß? Wie werden sie aber selbst heranwachsend nach und nach etwas beitragen können zu einer solchen Gestaltung der sozialen Verhältnisse, daß diejenigen, die nach uns kommen, es anders haben als wir selbst? Daß die nach uns Kommenden in einem ganz anderen Sinne in einem menschenwürdigen Dasein drinnen leben als wir selbst?

Es fühlt ja wohl ein jeder Mensch, daß die Erziehungs- und Unterrichtsfrage in ganz vorzüglichem Sinne - insbesondere in einer solchen Zeit, wie die unsrige ist, in einer Zeit des Umschwun­ges und der Umwandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse - eine soziale Frage allerersten Ranges ist. Und wenn wir zurückblicken auf das Furchtbare, das die Menschheit in den letzten Jahren über das zivilisierte Europa hin erlebt hat, wenn wir auf die Ströme von Blut blicken, die geflossen sind, und wenn wir auf das große Heer der unglücklich gewordenen Menschen sehen, der am Leibe zer­schlagenen, in der Seele zerrütteten Menschen sehen, die aus den unnatürlichen Verhältnissen der letzten Zeit haben hervorgehen müssen, dann quillt wohl in uns die Sehnsucht auf, uns zu fragen:

Wie müssen die Menschen erzogen werden im weitesten Umfang, daß in der Zukunft solches unmöglich werde? - Aus der Not und dem Elend heraus muß auch Verständnis erwachsen für den Anteil der Erziehung an einer besseren sozialen Gestaltung der mensch­lichen Verhältnisse.

Im Grunde genommen hören wir von vielen Seiten dieses ausge­sprochen. Wir müssen uns aber fragen, ob, wenn das von da oder dort ausgesprochen wird, es auch immer im rechten Sinne gemeint ist. Denn heute werden über viele Dinge viele schöne Worte gere­det. Aber diese vielen schönen Worte entspringen nicht immer der inneren Kraft und vor allen Dingen nicht immer der inneren Wahr­heit, welche notwendig sind, um dasjenige zu verwirklichen, was in

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den schönen Worten enthalten ist. Und so kommen heute wohl vor allen Dingen diejenigen, die berufen waren und sind, unsere Kinder schulgemäß zu erziehen und zu unterrichten, und bieten sich mit ihren Meinungen und Anschauungen an und sagen: Wir wissen, wie unterrichtet, wie erzogen werden soll. Man soll nur eben so unter­richten und erziehen, wie wir es immer gewollt haben und wie wir es nicht gekonnt haben, dann wird schon das Rechte dabei heraus­kommen. - Und hinter denen, die so sprechen, hören wir dann wie­derum diejenigen, die sich an den höheren Schulen berufen fühlen, die Lehrer zu erziehen und zu unterrichten. Und sie versichern:

Wir haben die rechte Anschauung über die Art, wie die Lehrer wer­den sollen. Man folge uns nur, und wir werden die rechten Lehrer in die Welt schicken, damit alles mit der Erziehung richtig vor sich geht. - Man möchte aber, gerade wenn man tief hineinsieht in das­jenige, was aus unseren sozialen Verhältnissen geworden ist, sowohl diesen Lehrern wie auch diesen Lehrerbildnern zurufen: Ihr mögt es ja gut meinen, aber Ihr wißt eigentlich nicht, was Ihr redet. Denn nichts hilft der heutigen Erziehung auf, nichts kann diese heutige Erziehung zu einem besseren Zustand erheben, als wenn die Lehrer sich eingestehen: Wir sind herausgewachsen aus den Verhältnissen, die sich gebildet haben durch die letzten drei bis vier Jahrhunderte. Wir sind so vorbereitet worden, wie uns alles das, was die Mensch­heit in ein solches Unglück hineingeführt hat, eben vorbereiten konnte. - Und wiederum diejenigen, die die Lehrerbildner waren, die müßten sich gestehen: Wir haben nichts anderes verstanden, als was sich aus Industrialismus, aus Staatstum, aus Kapitalismus der letzten Jahrhunderte herausgebildet hat, auf die Lehrer zu über­tragen, und wir haben allerdings die Lehrer der Gegenwart geliefert, die in diese Gegenwart passen, in die Gegenwart, die in die Zukunft hinein eben anders werden muß.

Das heißt, wir müssen, geradeso wie wir einen Umschwung, eine Verwandlung für die ganze Breite der sozialen Verhältnisse der Gegenwart in die Zukunft hinein fordern, eine andere Erzie­hungskunst fordern, und wir müssen eine andere Grundlage füi diese Erziehungskunst fordern!

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In vieler Beziehung ist dasjenige, was heute Erziehungsfrage ist, eine Lehrerfrage. Man kann heute das tief Antisoziale, das in unse­rer Menschheit liegt, gerade dann so recht fühlen, wenn man sich oftmals mit denjenigen bespricht, die heute Erzieher, Unterrichten­de sein wollen. Man redet ihnen dann davon, wie die Erziehung in der Zukunft werden soll. Da sagen sie: Ja, das habe ich ja schon längst gesagt, man soll das Kind zum tüchtigen Gegenwarts­menschen, zum brauchbaren Menschen erziehen; man soll nicht so sehr auf die Berufserziehung sehen, sondern auf die Erziehung des ganzen Menschen. - Und alle solche Dinge reden sie her. Und sie gehen von einem fort und sind der Meinung, sie denken ganz dasselbe, was man selber denkt. Sie denken gerade das Gegenteil!

Es ist heute in unserem antisozialen Leben so weit gekommen, daß die Menschen das Entgegengesetzte mit denselben Worten aus­sprechen. Deshalb ist es so schwer, sich zu verständigen. So wie derjenige, der wahrhaft sozial denkt, anders denkt als viele Leute der heutigen Gegenwart, die mit den alten Verhältnissen zufrieden und einverstanden sind, so müssen wir, die wir an einem einzelnen Fall die erzieherische soziale Frage zu lösen versuchen wollen, gründlich anders denken über das Erziehen und über das Unterrichten, als diejenigen, die da glauben, aus ihrer traditionellen Erziehungskunst heraus es schon machen zu können. Man muß heute wahrhaftig gründlicher denken und empfinden, als manche glauben. Man muß sich vor allem klar sein darüber, daß man nicht aus der alten Wissenschaft heraus, nicht aus der alten Erziehungs-kunst heraus etwas Neues schaffen kann, daß die Erziehungskunst und die Wissenschaft selber anders werden müssen.

Damit rechtfertigt sich, daß wir nun das Werk, das Herr Molt einleiten will für die Waldorfschule, zunächst begonnen haben mit einem Kursus für unsere Lehrerschaft. Wir haben versucht, für diese Lehrerschaft solche Persönlichkeiten auszuwählen, welche im alten Erziehungswesen wenigstens bis zu einem größeren oder kleineren Grade - bei dem einen ist das mehr, bei dem anderen weniger der Fall - eingewurzelt sind, aber wir waren auch darauf bedacht, solche Persönlichkeiten zu finden, die Sinn und Herz

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haben für den Neuaufbau unserer sozialen und kulturellen Ord­nung; die Sinn und Herz haben dafür, was es bedeutet, die Kinder von heute zu Menschen einer neuen Ordnung von morgen zu erziehen.

Aber eine andere Überzeugung müssen diese Lehrer noch in ihrer Seele tragen: die Überzeugung, daß für das Alter, das der Mensch hat, wenn er in die Schule kommt, gilt, daß heranerzogen und heranunterrichtet werden darf einzig und allein dasjenige, was uns die menschliche Wesenheit gebietet. In diesem Sinne wollen wir mit der Waldorfschule in des Wortes allerechtestem Sinn eine Einheitsschule begründen. Kennen wollen wir nichts anderes in dem heranwachsenden Kinde als den werdenden Menschen. Und fragen wollen wir den werdenden Menschen aus seiner eigenen Natur heraus, wie er sich als Mensch entwickeln will, das heißt, wie seine Natur, seine Wesenheit sich zum wahren Menschsein in ihm entwickeln soll.

Ganz das, was wir auch wollen, sagen uns die alten Lehrer oder Lehrerbildner. Wir haben ja immer danach gestrebt, Menschen aus­zubilden, auf die Individualitäten zum Beispiel der Menschen Rücksicht zu nehmen.

Ja, müssen wir antworten. Ihr waret bestrebt, Menschen auszu­bilden, das, was Ihr Euch unter Menschen vorgestellt habt, was Ihr gemeint habt hinstellen zu sollen als Menschen in das alte Staats-und das alte Wirtschaftsleben. Mit diesem Begriff vom «Menschen» können wir nichts anfangen und wird die Zukunft der Menschheit nichts anzufangen wissen und nichts anfangen wollen. Es bedarf einer gründlichen Erneuerung.

Es bedarf zum Erziehungswesen der Zukunft erstens einer neuen Menschenkunde. Jene Menschenkunde, die aus dem Sumpfe des Materialismus der letzten Jahrhunderte aufgequollen ist, wenn sie sich auch aufgeputzt hat bei unseren höheren Lehranstalten wie irgend etwas, was die menschliche Natur wirklich begründet, jene Menschenkunde darf in der Zukunft nicht die Grundlage der Pädagogik, der Erziehungskunst abgeben. Es bedarf einer neuen Erkenntnis der Menschennatur. Die kann nur aus einer neuen Wissenschaft

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herauskommen. Diese Wissenschaft, die an den heutigen Anstalten gelehrt wird und die derjenige, der lehren sollte, auch ver­tritt, diese Wissenschaft ist nur das Spiegelbild der alten Zeit. Wie die neue Zeit kommen soll, so muß auch eine neue Wissenschaft, eine neue Lehrerbildungskunst, eine neue Pädagogik, auf neuer mensch­licher Erkenntnis gebaut, kommen. Deshalb pflegen wir jetzt in die­sem Kursus, in dem die Lehrerschaft der Waldorfschule vorbereitet werden soll, vor allen Dingen wirkliche Menschenkunde. Und wir geben uns der Hoffnung hin, daß, indem der Lehrer, der künftig an der Waldorfschule lehren soll, den werdenden Menschen kennen-lernt, daß er diesem werdenden Menschen für das Leben das mitge­ben werde, was die Zukunft verlangen wird von dem Menschen, der in der sozial gestalteten menschlichen Gesellschaft wirken soll. Wir empfinden vieles von dem, was die alte Erziehungskunst über den Menschen gesagt hat, als bloße Phrase. Wir studieren heute, welches die wahre Wesenheit des menschlichen Denkens ist, damit das rich­tige Denken im Kinde ausgebildet werden könne. Wir studieren, welches die wahre Grundlage des echt menschlichen Fühlens ist, damit im richtigen sozialen Zusammenleben die Menschen aus der Menschengleichheit heraus sich Recht schaffen aufgrund wirklichen menschlichen Gefühls. Und wir studieren, was das Wesen des menschlichen Willens ist, damit dieser menschliche Wille das neu-gebaute Wirtschaftsleben der Zukunft in der richtigen Weise sich erarbeiten und durchdringen kann. Wir studieren nicht einseitig ma­terialistisch die Menschen, wir studieren Leib, Seele und Geist des Menschen, damit unsere Lehrer Leib, Seele und Geist des Menschen wirklich ausbilden können. Wir reden nicht von Leib, Seele und Geist mit bloß phrasenhaften Worten. Wir versuchen zu erkennen, wie sich die verschiedenen Lebensalter des Menschen auseinander ergeben. Wir sehen sorgfältig hin, wie das Kind ist, wenn es in die Schule kommt und unsere Lehrerschaft es von den Eltern über­nehmen darf.

Wie oberflächlich ist ein solcher Zeitraum im menschlichen Werden bisher von der sogenannten Erziehungswissenschaft beob­achtet worden! Es gibt einen wichtigen Einschnitt im Leben des

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Kindes. Er liegt gegen das siebente Jahr hin, gerade gegen das Jahr, in dem das Kind in die Volksschule eintreten soll und der Lehrer von den Eltern das Kind für einen Teil des weiteren Unterrichts und der weiteren Erziehung übernimmt. Äußerlich ausgedrückt ist dieser wichtige Lebensabschnitt durch den Zahnwechsel, aber die­ser Zahnwechsel ist nur ein außeres Zeichen für etwas, was im Menschen als Wichtiges vorgeht.

Sie haben gewiß schon von vielem gehört, was notwendig ist, um soziale Reformen und dergleichen heute in der richtigen Weise zu verstehen und aufzufassen. Aber viele von Ihnen waren wahr­scheinlich noch immer der Meinung, daß von den leitenden, füh­renden geistigen Persönlichkeiten aus einer gewissen Kompetenz heraus alles in der nettesten Weise getan sei für die Menschheit. -Die allerwichtigsten Dinge sind nicht getan! So daß es den heutigen Menschen ganz sonderbar anmutet, wenn man ihm sagt: In dem Alter, in dem das Kind die Schule betritt, geht eine ganze innere Revolution mit der Menschenseele, mit dem ganzen Menschen vor sich, die in dem Zahnwechsel nur den äußeren Ausdruck findet. Bis zu diesem Zeitpunkte ist das Kind nachahmendes Wesen, ein We­sen, das durch die Geburt den Drang auf die Welt mitbringt, alles so zu tun wie seine Umgebung. Es gehört einfach zur Men­schennatur in diesen ersten Jahren, sich nur erziehen zu lassen von dem, was man in der Umgebung sieht. Und gerade mit dem Zahn-wechsel beginnt erst die Zeit, in der etwas ganz anderes in der Menschennatur auftritt. Da tritt in der Menschennatur der Drang auf, von anderen etwas zu lernen auf Autorität hin, darauf hin, daß andere das schon können. Und dieser Drang dauert bis zur Ge­schlechtsreife, bis zum vierzehnten, fünfzehnten Jahr. Also gerade die Zeit der Volksschule ist für die Menschennatur von diesem Drange ausgefüllt. Und man kann in der Volksschule nur ordent­lich unterrichten, wenn man diese ganze Revolution, die mit dem Kinde um das siebente Jahr vor sich geht, gründlich, erziehungs­kunstgemäß, kennenlernt. Da gebe ich Ihnen nur eine einzelne Tatsache für dasjenige, was bei der neuen Erziehungskunst gegen­uber der alten gründlich wird beobachtet werden müssen.

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Dann wiederum wird man wissen müssen, daß erst um das neunte Jahr herum die Zeit beginnt, wo wieder neue, innere, leib­liche und seelische Kräfte im Menschen auftreten, so daß man durch den Unterricht, wenn man dasjenige, was man im Lehrplan erst nach dem neunten Jahr einfügen soll, vorher eingefügt hat, dem Kinde für das ganze menschliche Leben Schaden zufügt statt Nutzen.

Man braucht eine gründliche Kenntnis des menschlichen Le­bens, wenn man eine gründliche, eine wahre, eine dem Menschen dienliche Erziehungskunst ausüben will. Man muß wissen, wie man als Lehrer wirken soll vor dem neunten Jahr und nach dem neunten Jahr. Man darf nicht, indem man ein alter, griesgrämiger Schulrat geworden ist, der zum Beirat eines Ministeriums berufen ist, aus irgendwelchen äußeren Rücksichten heraus Lehrpläne aufstellen: das für die erste Klasse; das für die zweite Klasse; das für die dritte Klasse und so weiter - es kommt nichts dabei heraus, was den Menschen stark ins Leben hineinstellen könnte. Die Men­schennatur selber muß uns lehren, was wir in jedem einzelnen Lebensjahr des Kindes mit dem Kinde erzieherisch und unterrich­tend zu vollbringen haben.

Bedenken Sie nur einmal: indem Sie erwachsene Menschen sind, lernen Sie ja eigentlich immer noch vom Leben. Das Leben ist unser großer Lehrmeister. Aber diese Möglichkeit, vom Leben zu lernen, die tritt ja frühestens erst ein mit dem fünfzehnten, sech­zehnten, siebzehnten Lebensjahr. Da erst stehen wir der Welt so gegenüber, daß wir von dieser Welt selbst lernen. Bis dahin ist der Lehrer, der Erzieher, der uns in der Schule entgegentritt, für uns die Welt. Ihn wollen wir verstehen, ihn wollen wir lieben, von ihm wollen wir uns belehren lassen; er soll das an uns heranbringen, was in der Welt draußen ist. Denn zwischen uns und der Welt ist zwischen dem siebenten und dem fünfzehnten Jahr ein Abgrund. Den soll uns der Lehrer überbrücken.

Ja, können Lehrer, die nicht von alledem ergriffen sind, was das Leben gibt, die bloß in dem versauert und verkümmert sind, was ihnen eingetrichtert worden ist - so die Grammatik, so die

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Naturgeschichte, so und so die anderen Fächer lehren und so weiter -, die sich dann nicht um das bekümmern, was die Menschheit in unserem Zeitalter am tiefsten erschüttert, können solche Lehrer dem Kinde durch sieben bis acht Volksschuljahre hindurch das ganze Leben darstellen, offenbaren, wie sie es müßten? - Eine neue Menschenkunde, eine neue Menschen-erkenntnis ist notwendig. Und aus dieser Menschenerkenntnis heraus muß der neue Enthusiasmus kommen, der sich in der Lehrerschaft entwickeln muß.

Das weist Sie hin ein bißchen auf das, was wir in unserem Leh­rerkursus in bezug auf das Denken der Kinder vorbereitend pfle­gen, um den Menschen gründlich kennenzulernen, damit wir aus der Menschennatur selber heraus den Menschen ins Leben hinein­stellen können.

Das Zweite, was entwickelt werden muß in einer Zeit, in der man nach einer sozialen Gestaltung der menschlichen Gesellschaft strebt, das ist vor allen Dingen ein soziales Verhalten des Lehrers zu den Kindern schon in der Schule; das ist eine neue Menschen­liebe. Das ist ein Achten auf gewisse Kräfte, die zwischen dem Lehrer und dem Schüler spielen und die nicht spielen können, wenn der Lehrer nicht wirklich lebensvoll in die Erziehungskunst eingeführt ist.

Ja, daß der Maler malen lernen muß, daß der Musiker ein Mu­sikinstrument beherrschen lernen muß und auch noch manches andere, daß der Architekt die Architekturlehre lernen muß, das gibt man zu, und man stellt gewisse Anforderungen an diese Leute, damit sie Künstler werden. Diese Anforderungen müssen wir auch an die Lehrer stellen, die wahre Menschenkünstler werden sollen. Aber wir mussen sie im Ernste stellen. Dazu müssen wir wissen, daß keine gegenwärtige Pädagogik und keine gegenwärtige Erzie­hungskunst dem Lehrer das gibt, was erst durch eine gründliche Menschenkunde gefunden werden muß, damit eine neue Men­schenliebe im Verkehr zwischen Lehrer und Schüler auftreten kann. Daß der Lehrer auf seinem Gebiete ein wahrer Künstler werde, das muß angestrebt werden.

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Da spielt viel hinein. Der eine Lehrer betritt das Klassenzimmer:

die Kinder fühlen sich das ganze Schuljahr hindurch abgestoßen; sie möchten am liebsten wieder hinaus aus dem Zimmer, weil ihnen das unangenehm ist, was der Lehrer die ganze Zeit über mit ihnen treibt. Ein anderer Lehrer braucht nur das Klassenzimmer zu be­treten und bloß dadurch, daß er da ist, geht etwas durch die Schü­ler, was sogleich eine Brücke schafft zwischen jedem einzelnen Schüler und dem Lehrer. Wovon hängt denn so etwas ab? Der eine Lehrer, der auf die Schüler einen abstoßenden Eindruck macht, der geht nur in die Schule hinein, weil er sich nun auch, wie man sagt, sein Brot verdienen muß, weil er auch leben muß. Er hat sich an­geeignet die äußeren Fähigkeiten, die Kinder zu dressieren. Er geht eigentlich ebenso ungern in die Schule hinein, wie die Kinder in die Schule hineingehen, und er ist auch froh, wenn er wieder draußen ist. Er betreibt die Sache mechanisch.

Mich wundert es nicht, wenn die Mehrzahl der Lehrer der Gegenwart ihren Unterricht mechanisch betreiben, denn die Men­schenkunde, die aus der heutigen Wissenschaft kommt, diese Wis­senschaft, die aus dem industriellen, staatlichen und kapitalisti­schen Leben der letzten drei bis vier Jahrhunderte hervorgegangen ist, ist eine tote Wissenschaft. Sie hat auch nur eine tote Erzie­hungskunst hervorgebracht, höchstens ein spintisierendes Erzie­hen. Diejenige Menschenkunde, die wir hier anstreben, von der wir wollen, daß sie Unterrichtskunst werde durch die Waldorfschule, diese Menscheneinsicht, diese Menschenkunde, die führt so in das Wesen des Menschen hinein, daß sie selber den Enthusiasmus, die Begeisterung, die Liebe erzeugt, daß dasjenige, was da als Kunde vom Menschen in unsere Köpfe hineingeht, unser Tun und unser Fühlen durchtränkt. Wirkliche Wissenschaft ist nicht ein totes Wissen, wie es heute vielfach betrieben wird, sondern ein solches Wissen, das den Menschen mit Liebe zu seinem Gegenstand durch­dringt.

Deshalb soll es so sein, daß bei dem Seminarkursus, den die Lehrer durchmachen, um sich darauf vorzubereiten, Ihre Kinder zu erziehen und zu unterrichten, eine solche Menschenkunde an

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die Lehrer herankommt, die sie selber so durchdringt, daß zu der Menschenkunde, zu dem Verstehen des werdenden Kindes, Men­schenliebe im Unterricht hinzukommt. Und aus der Liebe, die der Lehrer und die Lehrerin bei den Schülern entfalten werden, wird in den Schülern dasjenige entspringen, dasjenige erquellen, was ihnen Kraft geben wird, leichter den Lehrstoff aufzunehmen. Denn aus der rechten Liebe - nicht aus der äffigen Liebe -, sondern aus der echten Liebe, die dasjenige durchdringt, was wir im Schulzimmer oder sonst beim Lehren und Unterrichten und Erziehen machen, aus dieser echten Liebe kommt es, ob der Unterricht dem Kinde leicht oder schwer wird, ob das Erziehen für das Kind gut oder schlecht ist.

Und was wir drittens an dem Kinde heranerziehen wollen und wofür wir unsere Lehrerschaft vorbereiten, damit sie verstehe, es in der richtigen Weise an die Kinder heranzubringen, das ist die Wil­lenskraft. Diese Willenskraft wollen wir so pflegen, daß wir die Kinder schon in verhältnismäßig früher Kindheit anfangen lassen, etwas Künstlerisches zu treiben. Denn dieses Geheimnis kennen die meisten Menschen gar nicht, wie es mit dem Willen zusammen­hängt, sich einmal in der Kindheit in der richtigen Weise mit Zeich­nerischem, Malerischem, Musik und sonstigem Künstlerischem befaßt zu haben. Man tut dem Kinde etwas ungeheuer Gutes, wenn man solches an die Kinder heranbringt.

Unsere Kinder werden selbst Schreiben und Lesen aus dem Le­ben heraus lernen. So ist es beabsichtigt. Sie werden nicht pedan­tisch angehalten werden, Buchstaben schreiben zu lernen, die zu­nächst für jedes Kind, wenn es so abstrakt die Sache lernen soll, ja im Grunde genommen dasselbe sind, was die Buchstaben für die nordamerikanischen Indianer waren, als die europäischen «besse­ren» Menschen hinkamen. Ja, nicht wahr, der europäische «besse­re» Mensch hat ja diesen nordamerikanischen Indianer mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Uns ist die Erzählung von einem der letzten Häuptlinge dieser von den Europäern ausgerotteten Indianer Nordamerikas erhalten geblieben, der eine schöne Rede hielt: Der weiße Mensch, der bleiche Mensch kam, um den dunklen Menschen

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unter die Erde zu bringen in allen seinen Gliedern. Aber der dunkle Mensch hat auch Vorzüge gegenüber dem bleichen Men­schen, so sagte dazumal dieser Häuptling, er hat nicht die kleinen Teufelchen, die ihr auf dem Papier habt. - Man möchte schon sa­gen: Als solche kleinen Teufelchen fühlen die Kinder heute auch zumeist, was ihnen die Lehrer mit aller Pedanterie und Philistrosi­tät auf die Tafel oder aufs Papier hinmalen, damit sie auch lernen, es auf Papier hinzumalen. Alle solchen Dinge können aber aus dem Leben herausgeholt werden. Und wenn es uns gelingt, das auch anzuwenden, was wir versuchen wollen, werden die Kinder schnel­ler lesen und schreiben lernen, weil alles aus dem Leben herausge­holt ist, weil das Schreiben aus dem Zeichnen und nicht aus der Willkür herauskommt. Dadurch werden wir es zu gleicher Zeit erreichen, die Kinder zu willenskräftigen Menschen zu machen, so daß sie später im Leben ihren Mann oder ihre Frau stellen können.

So werden wir nicht einfach oberflächlich sagen: Wir wollen Menschen erziehen, sondern wir fragen uns bescheiden und ehrlich mit einer tiefgründigen Wissenschaft zuerst: Was ist denn das Wesen des Menschen und wie offenbart es sich im werdenden Menschen? Wir gehen nicht und fragen zuerst bei den vorhandenen Ständen:

Wozu sollen wir den Menschen erziehen und unterrichten, damit er seinem Stande genügt? Wir fragen auch nicht: Was schreibt diese oder jene Staatsgemeinschaft vor, wie wir den Menschen erziehen sollen, damit er dasjenige erfüllt, was sie von ihm verlangt? Nein, wir wenden uns an die einheitliche Menschennatur und ihre Anfor­derungen mit unseren Fragen. - Ja, sehen Sie, in dieser Beziehung stößt ja das, was die Menschen heute vielfach aus den alten sozialen Verhältnissen heraus haben, zusammen mit dem, was für eine sozialer gestaltete Menschenzukunft notwendig ist.

Heute übernimmt ja der Staat von den Eltern den werdenden Menschen, das Kind, in einem bestimmten Lebensalter. Er würde es ja früher übernehmen, aber da ist es ihm noch nicht reinlich genug; da überläßt er vorläufig die Erziehung und was mit dem Kinde zu tun ist den Eltern. Aber wenn es soweit gediehen ist, daß es nicht mehr zu schmutzig ist, übernimmt es der Staat, und er

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ordnet dasjenige an, was in das Kind hineingetrichtert werden soll. Selbstverständlich läßt er in das Kind dasjenige hineintrichtern, was er braucht, um seine Stellen zu besetzen, und dasjenige mit dem Menschen zu machen, was er will. Die Menschen sind dann auch, wenn sie herangewachsen sind, oftmals recht zufrieden. Denn es wird ihnen ja gesagt: Ihr bekommt eine sichere Lebensstellung, und wenn ihr nicht mehr arbeiten könnt, werdet ihr pensioniert. -Diese Pensionierung ist etwas, was als ein Ideal gewisser führender Kreise von Leuten vorschwebt. Das erwarten sie in bezug auf Er­ziehung vom Staate. Und dann erwarten sie vom Staate auch noch, daß er ihre Seelen durch den Religionslehrer in die Hand nehme, damit diese Seelen nicht selbst zu arbeiten brauchen, sondern die Kirche diese Arbeit für die Seele übernimmt und diese Kirche sie dann pensioniert in bezug auf ihre Seelen nach dem Tode. So möchte man sich heute alles abnehmen lassen. Das ist das Ergebnis einer ganz falschen Erziehung.

Eine wirkliche Erziehung sorgt dafür, daß Leib, Seele und Geist des Menschen innerlich frei und selbständig werden. Und eine wirkliche Erziehung sorgt dafür, daß der Mensch auch ins Leben hineingestellt wird. Glauben Sie nicht, wenn wir so die Menschen selber befragen - das heißt, des Menschen Natur und Wesenheit befragen -, wie wir sie erziehen sollen, daß wir unpraktische Men­schen machten! Nein, im Gegenteil! Wir erziehen diejenigen Men­schen, die sich dann wahrhaft kräftig in das Leben hineinstellen können. Wir erziehen volksschulmäßig diejenigen Menschen, wel­che im späteren Lebensalter das kennenlernen, was mehr für das äußere, praktische Leben notwendig ist; aber die Leute haben ge­lernt zu denken; die Leute haben gelernt richtig zu fühlen; und die Leute haben gelernt, ihren Willen richtig anzuwenden. Das alles wollen wir so einrichten, daß Wahrheit und Kraft darin walten, nicht daß in der Erziehungskunde und Erziehungskunst sich nur geltend macht die Phrase: man soll den Menschen richtig erziehen; man solle aus ihm einen wahren Menschen machen.

Viel muß in der äußeren Welt geschehen, damit bessere soziale Verhältnisse herbeigeführt werden. Viel muß aber gerade auf dem

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Gebiete geschehen, auf dem die Waldorfschule einen Stein zu ei­nem großen Gebäude aufrichten will. Es wird ein Schönes sein, wenn Sie mit vollem, herzlichem Sinn dabei sind, sich zu sagen:

Pioniere wollen wir sein für ein zukünftiges Erziehungswesen; Pioniere in dem Sinn, daß wir die ersten sein wollen, die ihre Kin­der einer solchen, in ein neues soziales Leben hineinwirkenden Zukunftserziehung anvertrauen. Pioniere wollen wir sein in dem Sinne, daß wir nicht nur glauben, ein paar äußere Einrichtungen werden zur Sozialisierung führen, sondern daß wir glauben, bis in das Innerste von Wissenschaft und Kunst und Erziehung müsse Wandel eintreten, wenn wünschenswerte Zustände der Menschheit herbeigeführt werden sollen.

Wie stellen sich heute die Menschen oftmals vor, was eigentlich geschehen soll? Sozialisiert soll werden, aber die meisten Men­schen, welche selbst ganz ehrlich reden von Sozialisierung, die denken: Nun ja, aber irgendwo da stehen die Universitäten, die haben schon alles recht gemacht. Zwar die äußere Stellung der Uni­versitätsprofessoren, die muß vielleicht etwas geändert werden, aber die Wissenschaft selber, da dürfen wir nicht irgendwie daran rütteln. Mittelschule, Gymnasium, Realschule - die Leute denken gar nicht einmal daran, daß das, was im äußeren Leben ist, hervor­gegangen ist aus diesen Schulen. Denn die Menschen, die in diesen Schulen erzogen werden, die haben das äußere Leben gemacht! Man denkt höchstens daran, man müsse das Volksschulwesen et­was anders gestalten, als es bisher war. Man gibt sich da recht sonderbaren Anschauungen hin, indem man sagt: Der Unterricht muß unentgeltlich erteilt werden. - Ich möchte wissen, wie das in Wirklichkeit gemacht werden soll. Man streut sich ja nur Sand in die Augen, denn der Unterricht muß bezahlt werden; er kann nicht unentgeltlich sein; es geht nur auf dem Umweg durch die Besteue­rung oder dergleichen. Aber man erfindet solche Phrasen, die gar keiner Wirklichkeit entsprechen.

Die Menschen denken, das oder jenes soll ein bißchen an den Einrichtungen geändert werden. Daß alles gründlich von oben bis unten dem Wandel unterworfen werden müsse, daß wir eine andere

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Lehrerbildung brauchen, einen anderen Geist in der Schule, sogar eine andere Liebe, als sie jetzt durch die verbildete Lehrer­schaft in die Schule hineingetragen wird, daran denken leider allzu-wenig Menschen. Und Sie werden sich gegenüber der ganzen Menschheit ein großes Verdienst erwerben, wenn Sie in dieser Beziehung Pioniere sind; wenn Sie zum Heile der allgemeinen Menschheit daran denken, daß das Schulwesen erneuert werden muß, und wenn Sie mit herzlichem Interesse und herzlichem Sinn an dieser Erneuerung des Schulwesens teilnehmen. Je besser Sie daran denken, daran teilzunehmen, sich für dasjenige zu interes­sieren, was in dieser Waldorfschule geschehen soll, desto besser wird es auch der Lehrerschaft gelingen, mit Ihnen im Einklang zu wirken zum Heil und Segen Ihrer Kinder und damit der ganzen zukünftigen Menschheit - wenigstens in den Grenzen, an die wir zunächst denken können.

Es kann der Mensch Ideale ausgestalten in der Einsamkeit. Die Ideale können schön sein. Er kann sie niederschreiben. Sie können diesem oder jenem Menschen gefallen. Gut, im Abstrakt-Idealen kann man einsam denken. Mit solchen Ideen, die sich auf Prakti­sches beziehen, mit Idealen, die verwirklicht werden sollen, wie das Ideal unseres neuen Schulwesens, ist man darauf angewiesen, Ver­ständnis bei der Mitwelt zu finden. Verständnis möchte man dem Ideal der Waldorfschule wünschen, und zuerst bei den Eltern der Kinder, die der Waldorfschule anvertraut werden.

Herr Molt hat gesprochen von der Verantwortung, die ihn trifft. Er hat recht. Diese Verantwortung ist aber eine noch viel weiter­gehende Sache. Dieser Verantwortung sind wir uns alle, indem wir für die Waldorfschule vorarbeiten, bewußt und werden uns immer bewußt bleiben. Denn eine solche Verantwortung liegt immer vor, wenn man in einer so radikalen Weise einem Ideal zustrebt, wie es durch die Waldorfschule geschehen soll, und wenn man genötigt ist, durch die Inangriffnahme dieses Ideals zu brechen mit dem, was Vorurteile in den weitesten Kreisen sind. Es wird heute wahrhaftig nicht leicht, alles dasjenige herauszufinden, was getan werden muß, damit die Kinder richtig erzogen werden, gerade

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volksschulmäßig. Denn die Phrase hat da zu große Verheerungen angerichtet.

Die Kinder sollen spielend unterrichtet werden - das war ja ins­besondere auch das Ideal bürgerlicher Mütter, die in einer gewissen Liebe, man nennt das Affenliebe, den Kindern zugetan sind und die sich dasjenige, was man von der einen Seite mit einem gewissen Recht betonen kann - der Unterricht solle dem Kinde nicht zum Ekel werden -, so umsetzen, daß sie sagen, der Unterricht solle spielend vollzogen werden. - Wir sind uns alle ganz klar darüber: in den Unterricht muß in der richtigen Weise das Spiel wie auch die für das Leben vorbereitende Arbeit eingereiht werden, aber wir sind uns auch dessen bewußt, daß ein Spiel, zu dem die Kinder dressiert werden, kein Spiel mehr ist. Jenes Spielen, das heute in unseren Schulen vielfach gepflegt wird, zu dem die Kinder eben hindressiert werden, wie sie früher pedantisch zum Lernen dres­siert wurden, das ist kein Spiel mehr. Spielen kann nur in Freiheit vollzogen werden. Aber es muß auch das Spiel abwechseln mit anderer Art, sich zu betätigen, so daß das Kind den Ernst der Arbeit kennenlernt, damit es im Leben dem Ernst der Arbeit ge­wachsen ist. Und so werden wir nach keiner Seite hin mit der Phrase arbeiten; wir werden der Arbeit ihre Zeit anweisen und dem Spiel seine Zeit anweisen, und werden alles nach den Offenbarun­gen der Wesenheit des werdenden Menschen, das heißt des Kindes, beurteilen.

Denn so, wie wir uns einleben sollen in wahre Menschenkunde, schwebt es uns vor, daß wir allmählich die Schule dahin bringen, daß die Kinder gerne in diese Schule hineingehen, daß sie sich freu­en, in diese Schule hineinzugehen. Wir werden nichts Unnatürli­ches erziehen. Es wäre selbstverständlich unnatürlich, zu glauben, daß Kinder, die wieder einmal Ferien haben sollten, nicht lieber im Freien herumtollen, statt zur Schule zu gehen. Wir werden auch nicht so unverständig sein, zu glauben, daß Kinder, nachdem sie wochenlang herumgetollt haben, in der ersten Stunde hübsch brav sitzen sollen. Wir werden unsere Kinder verstehen. Aber wir wer­den es doch dahin bringen, daß nach einiger Zeit durch die Art, wie

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wir uns zu den Schülern verhalten, diese Schüler das, was in der Schulzeit geschieht, gerade so gerne tun wie das Herumtollen wäh­rend der Ferien. Und das wird ein Ideal sein für die Waldorfschule, daß die Kinder wirklich aus innerem Antrieb dasjenige tun, was sie tun sollen. Nicht werden wir unser Ziel darin sehen, den Kindern bloß zu befehlen, sondern wir werden unser Ziel darin sehen, uns zu den Kindern so zu verhalten, daß die Kinder an unserem Ver­halten empfinden: Das tue ich gerne, das mache ich gerne durch mit dem, der mir als Lehrerautorität vorgesetzt ist.

Und dann werden Ihre Kinder nach dem Unterricht nach Hause kommen, und wir möchten gerne, daß Sie dann Freude haben, wenn die Kinder Ihnen vorplaudern von dem, was ihnen in der Schule freudigen Genuß bereitet hat. Wir möchten gerne, daß Sie sich erfreuen an den sich freuenden Gesichtern der Kinder, wenn sie aus der Schule nach Hause kommen. Nicht deshalb, weil wir das ganze Leben zu einer Unterhaltung machen möchten, wahrhaf­tig nicht! - sondern weil wir wissen, wieviel von dem, was heute so furchtbare soziale Zustände sind, davon kommt, daß die Sache anders war. Und weil wir wissen, daß noch Schlimmeres in die Menschheit kommen würde, wenn nicht in der Erziehungsfrage sorgfältig angefangen würde, neuen sozialen Zuständen zuzu-streben. Nicht um dem Kinde Freude zu machen, sondern weil wir wissen, was die Freude dem Kinde für eine Kraft gibt, wollen wir alles daransetzen, in dem ernsten Sinn den Unterricht und die Er­ziehung so zu gestalten, wie ich mir erlaubte, es Ihnen zu schildern.

Wir möchten diese neue Schule schaffen wie ein Beispiel; diese Schule, nach der sich eigentlich ahnungsvoll viele Menschen seh­nen, die man aber nicht den Mut hat, wirklich ins Auge zu fassen. Glauben wird man müssen, verstehen wird man müssen, daß das­jenige, was man soziale Frage nennt, durchaus auch an der so cha­rakterisierten Schulfrage hängt; daß dasjenige, was man soziale Umwandlung nennt, sich nicht zuletzt in der Weise wird voll­ziehen müssen, wie das bei der Waldorfschule versucht wird. Es würde ein ungeheurer Schaden sein, wenn gerade der soziale Im­puls verkannt würde, welcher der Begründung der Waldorfschule

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zugrunde liegt. Möge er erkannt werden zuallererst bei denjenigen, die ihre Kinder dieser Waldorfschule anvertrauen. Der Verantwor­tung sind wir uns voll bewußt: etwas in die Welt zu setzen, dem Sie anvertrauen sollen Wohl und Wehe, Entwicklung und Zukunft Ihrer Kinder. Aber wir haben uns zu dem, was geschehen soll unter dieser Verantwortung, wahrhaftig nicht aus irgendeiner Willkür hingewendet. Wir haben uns zu dem aus der Erkenntnis heraus hingewendet, daß unsere Zeit solche Aufgaben notwendig macht; aus der Erkenntnis heraus, wie es besonders jetzt notwendig ist, mit dem Besten, was der Mensch verstehen kann, an den werden­den Menschen, an das Kind heranzutreten.

Ich weiß nicht, ob Sie das Gefühl genau kennen, [das man haben konnte,1 wenn man während dieser furchtbaren Kriegsjahre, den letzten vier bis fünf Jahren, so durch die Welt gegangen ist und die Kinder gesehen hat, wie sie aufgewachsen sind, die Sechs-, Sieben-, Neunjährigen oder noch Kleineren. Dann konnte man zuweilen recht tiefen Schmerz empfinden, wenn man nicht ahnungslos und gedankenlos in der Welt lebte, sondern wenn man ein Bewußtsein hatte von dem, was bevorsteht, wenn nicht an Abhilfe gedacht wird für dasjenige, was die Menschheit in solch furchtbare Lage hineingebracht hat. Da wurde es einem schwer im Herzen, die heranwachsenden Kinder in der letzten Zeit zu sehen. Man konnte sie eigentlich nicht sehen ohne tiefsten Herzschmerz, wenn man nicht zu gleicher Zeit, soweit man selbst dazu in der Lage ist, den Entschluß faßte, eine andere Art des Kindesaufwach­sens herbeizuführen, als diejenige war, durch die viele Menschen der Gegenwart gehen mußten, wodurch aber auch Unglück und Not der Gegenwart so vielfach herbeigerufen worden ist. Mit der Erziehung schaffen wir im eminentesten Sinne ein Stück Men­schenzukunft. Aber man muß sich klar sein darüber, daß man umlernen, umdenken muß mit Bezug auf viele Dinge, denn man erfährt gerade heute bei hohen und niedrigen Erziehern sonderbare Dinge.

Sehen Sie, ich habe in einer Stadt hier in der Nachbarschaft, die eine Hochschule hat, vor einiger Zeit darüber gesprochen, daß es

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zur sozialen Frage unter anderem auch gehöre, daß der Mensch sich, gedrückt durch die Gestaltung der Lebensfragen, wie es in der Gegenwart ist, nicht in einem menschenunwürdigen Dasein befin­de. Ich charakterisierte dann das des weiteren. Da trat nachher -man sollte es wahrhaftig nicht glauben, daß es so etwas gibt in der Gegenwart - ein Universitätsprofessor auf und sagte: er könne nicht fassen, warum ein menschenunwürdiges Dasein sich mit dem Lohnverhältnis des heutigen Proletariats verknüpfe. Er sehe eigent­lich keinerlei Unterschied, wenn zum Beispiel der Caruso singe, und für den Abend dreißig- bis vierzigtausend Mark bekomme als Entlohnung, das sei doch geradeso, wie wenn der proletarische Arbeiter seine Entlohnung bekomme und wie er als Professor seine Entlohnung bekomme. Er sehe keinen Unterschied. Daher sei der Lohn nicht als das Menschendasein entwürdigend anzusehen. Der Caruso bekomme eben nur mehr für einen Abend. Es sei nur ein Unterschied in der Größe der Entlohnung, aber kein prinzipieller Unterschied, Lohn sei alles.

Das bekommt man heute als Antwort von einem hochgebildeten Lehrer der Jugend. Mancherlei Antworten bekommt man auch von an weniger hohen Schulen Lehrenden. Das weist gar sehr hin auf die Notwendigkeit einer Erneuerung unseres Unterrichts- und Erzie­hungswesens. Man kann sagen: Wahrhaftig, wenn man heute in die Nähe so mancher Schulen, höherer Schulen kommt, und gerade von dieser Seite hört, was gesagt wird gegenüber der Neugestaltung un­serer sozialen Verhältnisse, was gesagt wird auch gegenüber der Notwendigkeit, die Schulen neu zu gestalten, so ist das der lebendig­ste Beweis, daß diese Schulen neu gestaltet werden mussen. Denn was diese Leute sagen, können sie wahrhaftig nur dadurch sagen, daß diese Schule bisher eine Gestalt hatte, die anders werden muß.

Nun, zweierlei könnte eintreten. Herr Molt hat sich das Ideal vorgesetzt, die Schule zu begründen, welche heute über acht Tage feierlich eröffnet werden soll. Es könnte sein, daß durch eigentüm­liche Verhältnisse in unserer Zeit die Absicht verkannt würde, daß Widerstände sich auftun würden, so daß dieses Ideal nicht verwirk­licht werden könnte; daß man es aus der Welt schafft, nachdem es

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kurze Zeit gewirkt hat und dergleichen. Dann wird man einmal sagen: Nun ja, Herr Molt hat etwas sehr Ideales gewollt, aber es war eine Utopie. So etwas läßt sich eben nicht so ohne weiteres ver­wirklichen. - Warum ist es eine Utopie gewesen? Weil man es nicht verstanden hat oder weil man Widerstände entgegengesetzt hat!

Oder das Zweite kann eintreten: Verständnis kann sich ergeben für dasjenige, was selber aus einem echten sozialen Verständnis herausgeboren ist, Verständnis für das wirklich Praktische dieses idealen Wollens. Dann wird sich dasjenige, was da gewollt wird, einleben. Es wird sich so einleben, daß Sie zuerst und andere nach­her sagen werden: Da hat einmal ein Mensch praktischer gesehen als die anderen, welche sich ganz mit Praxis angefüllt glaubten. Dann wird man nicht sagen: Eine Utopie hat gewaltet - dann wird man sagen: Etwas richtig Praktisches ist in die Welt gesetzt worden!

Möge von diesen beiden Möglichkeiten die letztere eintreten! Für denjenigen, der Herz und Sinn hat für die soziale Entwicklung der Menschheit in der Gegenwart und in die Zukunft hinein, er­scheint es wahrhaftig als eine Notwendigkeit, daß diese zweite Möglichkeit eintritt. Darum werden wir mit innigster Befriedigung auf die Tatsache blicken dürfen, die dann eintreten würde, wenn Sie als die ersten, die ihre Kinder in die Waldorfschule schicken werden, verständnisvoll den Lehrern, die dort wirken, an die Seite treten, mit Interesse an die Seite treten werden. Das wird der An­fang sein davon, daß das, was mit dieser Schule gedeihen soll, auch wirklich gedeihen kann.

Möge es gedeihen! Möge es so gedeihen, daß diejenigen, die dieses Gedeihen kennenlernen, recht bald an den verschiedensten Orten den Entschluß fassen, dergleichen zu tun. Denn selbstver­ständlich wird nur dasjenige hervorgehen können aus der Waldorf­schule, was aus ihr hervorgehen soll, wenn möglichst bald an recht vielen Orten ein Gleiches aus gleichem Geiste heraus gebildet wird. Dann werden sehr bald sehr viele nachfolgen. Dann wird der Geist frei walten und sich ein freies soziales Unterrichts- und Erzie­hungswesen über die zivilisierte Erde verbreiten. Dann wird dieser

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Geist und dieser Sinn in die zivilisierte Erde einträufeln und wird dort drinnen eine wichtige Kraft sein für alles das, was uns helfen soll, zu einem besseren, menschenwürdigeren Dasein zu kommen in der sozialen Gestaltung.

Möge man begreifen, daß die soziale Frage eine vielgestaltige ist, und daß eine der allerwichtigsten Gestaltungen die Schul- und Er­ziehungsfrage ist. Möge es geschehen, daß in den Herzen recht vieler gegenwärtiger Menschen Verständnis und Einsicht dahinge­hend erstehe, in den Kindern Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens zu entwickeln, so daß diese Kinder, wenn sie erwachsen sein werden, dankbar auf ihre Eltern zurückblicken, die da gestan­den haben und zuerst die soziale Frage gesehen haben, aber noch gelitten haben unter demjenigen, was ihnen versagt wurde, aus dem Grunde, weil sie noch nicht die neue, sozial gestaltete Erziehung haben durchmachen können. Zu diesen Eltern aber, denen der Keimgedanke zu solcher Erziehung verständlich geworden ist, werden die Kinder dankbar zurückblicken, die in eine neue Zeit neben manchem anderen auch die Kraft hineintragen werden, die ihnen in einer wahrhaft menschenrichtigen Erziehung und in einem menschenrichtigen Unterricht geworden ist.

Brauchbar wollen vielfach die Menschen den Menschen machen für das Leben. Das haben sie auch in der alten Unterrichtslehre gesagt. Menschenwürdig wollen wir durch die neue Erziehungsleh­re und Unterrichtskunst den Menschen ins Leben hineinstellen, dann wird durch Menschen, die so erzogen werden, dieses Leben selber so gestaltet werden, daß es menschenwürdig an den Men­schenwürde recht verstehenden Menschen herantritt. - Möge sol­cher Geist walten bei der Begründung des Werkes, das Herr Molt einem Teil der Menschen in seiner Waldorfschule geben will.

Frage: Jn welcher Weise wird in der Waldorfschule der Religionsunterricht erteilt? - Und in welcher Weise wird auf die Gefühle der Kinder, die aus anderen Schulen kommen, Rücksicht genommen?

Rudolf Steiner: Es soll im strengsten Sinne zunächst das festgehal­ten werden, daß die Waldorfschule nicht eine Weltanschauungsschule

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ist. Dasjenige, was aus der Weltanschauung genommen wird, die wir hier seit Jahrzehnten vertreten, das soll nicht dogma­tisch an die Kinder herangebracht werden. Das soll nur dazu ver­wendet werden - weil es verwendet werden kann -, die Unter­richtsmethodik, die ganze Behandlungsweise des Unterrichts zu verbessern, zu reformieren.

Dagegen müssen wir, das fordert unsere heutige Zeit, ganz ab­sehen davon, dem Inhalte nach die Weltanschauung den Kindern zu überliefern. Das katholische Kind soll vom katholischen Religionslehrer in der katholischen Lehre unterrichtet werden; es sollen seine religiösen Übungen vom katholischen Religionslehrer geleitet werden. Ebenso das evangelische Kind. Wir wollen nicht in der Verbreitung irgendeiner Weltanschauung dasjenige suchen, was mit der Waldorfschule geleistet werden soll, sondern wir wollen, daß eine neue Unterrichtsmethode, Unterrichtsbehandlung, eine neue Erziehungsmethode und Erziehungsbehandlung aus dem herausquelle, was wir hinstellen können.

Was mit den Kindern geschieht, die von anderen Schulen über­nommen werden, ist eine sehr wichtige Frage, namentlich für die Kinder im vorgeschrittenen Alter. Wir werden nicht etwa mit der ersten Klasse beginnen und Klassen daraufsetzen, sondern wir wer­den gleich eine ganze Volksschule bis hinauf begründen. Da be­kommen wir Kinder aller möglichen Altersstufen. Wir werden selbstverständlich durch die Methode, die wir jetzt in unserem Seminar besprechen, später manches anders machen können, wenn wir vom ersten Schuljahr an nur Kinder haben, die von uns unter­richtet werden, aber wir werden jetzt alle Rücksicht nehmen auf das, was die Kinder Lbereits an anderen Schulen] in sich aufgenom­men haben. Wir werden bei jeder Jahresklasse durchaus an das anknüpfen, was die Kinder vorher aufgenommen haben, und es nur in dem Sinne durchführen, wie wir es eben unserer Methode gemäß durchgeführt denken müssen. - Wir werden, was wir den Kindern angedeihen lassen wollen an Vorteilen, nur darin suchen, daß wir mit dem Unterricht ökonomisch verfahren. Der Laie weiß nicht, was auf diesem Gebiet alles geleistet werden kann. Wenn man so

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ökonomisch verfahren kann, kann man manches, was heute in zwei Stunden gelehrt wird, in einer Viertelstunde lehren. Das ist eine Sache der Methode, nur muß man die Methode kennen. Da ist es ungeheuer wichtig, daß etwas, was in einer Viertelstunde beige­bracht werden kann, nicht in zwei Stunden beigebracht wird durch eine falsche Methode. Indem wir die richtige Methode, das heißt die der Menschennatur entsprechende Methode anwenden, werden wir ökonomisch im Unterricht verfahren können und dadurch manches leisten, was andere Schulen nicht leisten können, und den­noch überall die Lehrziele erreichen. So daß, solange unsere gegen­wärtige Ordnung besteht, die Schüler, wenn sie bei uns die Schule absolviert haben, in andere Lehranstalten übertreten können, daß sie keine Zeit verlieren und dergleichen. Diese Dinge werden wir uns auch angelegen sein lassen.

ÜBERSINNLICHE ERKENNTNIS UND SOZIAL-PÄDAGOGISCHE LEBENSKRAFT Stuttgart, 24. September 1919

#G297-1989-SE089 Idee und Praxis der Waldorfschule

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ÜBERSINNLICHE ERKENNTNIS UND

SOZIAL-PÄDAGOGISCHE LEBENSKRAFT

Stuttgart, 24. September 1919

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Wenn man in der gegenwärtigen ernsten Zeit hinblickt auf das, was die Menschen angesichts des Ernstes dieser Zeit für notwendig halten, was sie sich vorstellen an notwendigen Neueinrichtungen, an notwendigen Umwandlungen der unhaltbaren Verhältnisse, dann bemerkt man, daß ja gewiß in mancher Hinsicht viel guter Wille bei den Menschen vorhanden ist, sich nach der einen oder anderen Richtung hin einer Neueinrichtung zu widmen und mitzuarbeiten an der Umwandlung dessen, was der Umwandlung bedürftig erscheint. Allein, man wird nicht umhin können - gerade wenn man von diesen zunächst so sehr ins Auge fallenden Umstän­den der gegenwärtigen Zeitkultur sich Rechenschaft gibt -, sich zu sagen: So viel guter Wille ist da, und auch in diesem guten Willen waltende, manchmal ganz schöne Gedanken [sind da. Aber] sogleich, nachdem sie entstanden sind, verpuffen sie, kommen je­denfalls nicht zu dem heute so notwendigen intensiven Ausleben.

Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, jene Geisteswissen­schaft, welche in anthroposophischer Art sucht, den Weg für die gegenwärtige Menschheit zu übersinnlichen Erkenntnissen zu bah­nen, sie möchte seit Jahrzehnten gerade da in die gegenwärtige Kul­Lur eingreifen, wo der Mangel dieser Kultur zu bemerken ist: an dem erlahmenden guten Willen und an den erlahmenden, ganz schönen Gedanken, die in diesem guten Willen leben. Denn die hier von mir seit Jahren vertretene anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft möchte gerade auf das hinweisen, was der Ge­genwart so notwendig ist und was zu gleicher Zeit Menschen dieser Gegenwart mit so großer Sympathie erfassen oder aber mit großer Antipathie eben einfach zurückweisen. Sie möchte hinweisen auf das, was auf der einen Seite Rechnung trägt dem, was Naturwissen­schaft so groß gemacht hat, und auf der anderen Seite Rechnung trägt dem, wofür Naturwissenschaft, wie wir gerade heute besprechen

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wollen, kein Mittel hat, also auf das, was menschliche Willenskultur, menschliche Gemütskultur ist.

Wir leben ja in einer Zeit, in welcher sich der Mensch keines­wegs mehr in der alten Weise, also instinktiv, den Impulsen seines Willens hingeben kann. Man mag noch so viele Vorurteile ins Feld führen, wenn es sich darum handelt, heute zuzugestehen, daß ge­rade unsere Zeitkultur dadurch zu charakterisieren ist, daß das alte, instinktive Leben in vollbewußtes Leben immer mehr und mehr sich überführen muß. Es ist dies eine geschichtliche, es ist dies die bedeutendste geschichtliche Tatsache, die in der Gegenwart gerade­zu zur Krisis geführt hat: daß sich alte instinktive Antriebe in der menschlichen Natur immer mehr und mehr umwandeln müssen in bewußte Antriebe,

Viel ist in dieser Richtung hin in den letzten drei bis vier Jahrhunderten bewirkt worden durch das, was in die allgemeine Zeitkultur und Zeitrichtung fließt aus dem, was Naturwissenschaft groß gemacht hat. Allein, gerade wer heute in die Lage kommt, über Einrichtungen zu sinnen, die herausgewachsen sind aus den wichtigsten Bedürfnissen der Zeit, der muß dazu kommen, das Un­genügende jener Zeitbildung zu empfinden, die nur aus naturwis­senschaftlicher Denkrichtung und Denkungsart kommt. Indem versucht wird, gerade in dieser Zeit, in dieser Stadt, in einem gewis­sen begrenzten Sinn ein soziales Problem zu lösen, ein soziales Problem, das von größerer Wichtigkeit ist, als man vielleicht zunächst glauben möchte, darf einmal am heutigen Abend gerade auf die Schwierigkeiten, die der Lösung eines solchen sozialen Problems entgegenstehen, hingedeutet werden.

Es ist ja gelungen, durch jene wirklich einsichtvolle Art, welcher unser Freund, Herr Molt, durch Jahre hindurch gegenüber der an­throposophisch orientierten Geisteswissenschaft bewiesen hat, nunmehr bis dahin zu kommen, aus dem sozialen Denken für unsere Zeit heraus die sogenannte Waldorfschule zu begründen, jene Schule, welche zunächst für die Kinder der in der Firma Waldorf-Astoria Arbeitenden bestimmt ist und für einige andere Kinder, die sich zunächst angliedern. Diese Schule zeigt ja schon in

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dem Äußeren ihres Entstehens das ganz moderne Gepräge: An-gegliedert an eine industrielle Unternehmung, muß sie in eminen­testem Sinne auf die allerpraktischsten Bedürfnisse der Menschen, die ihre Kinder dieser Schule anvertrauen, Rücksicht nehmen. Und man möchte sagen: Es ist symbolisch, daß diese Schule entsteht in Anknüpfung, in lokaler Anknüpfung an den Industrialismus, der gerade die wichtigsten sozialen Probleme in unsere Zeit hinein­geworfen hat.

Bei der Begründung dieser Schule kamen für die Lehrerschaft, für die ich den einleitenden seminaristischen Kursus durch Wochen zu leiten hatte, sozial-pädagogische Aufgaben im Sinne der gegen­wärtigen Zeitkultur in Betracht. Unsere Zeitbildung fußt ja mehr, als man denkt, ganz und gar auf dem, was sich als Vorstellungsart

- ich deutete es schon an - für die Erkenntnis der äußeren Natur ausgelebt hat. Wiederholt habe ich, ich darf schon sagen durch Jahrzehnte hindurch, hier betont, daß der Wert und die Bedeutung naturwissenschaftlicher Denkungsweise jedenfalls von der hier ge­meinten Geisteswissenschaft voll gewürdigt werden. Dennoch aber muß immer wieder betont werden: Gerade weil diese anthropo­sophisch orientierte Geisteswissenschaft mehr als die Naturwissen­schaft selbst das würdigt, was in der Naturwissenschaft lebt, des­halb muß diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gerade wegen dieser naturwissenschaftlichen Gesinnung über das Naturwissenschaftliche hinausgehen. Und wiederholt habe ich es ja hier betont, auf welchem anderen Wege die Geisteswissenschaft zu ihren Erkenntnissen kommt als die gegenwärtige Naturwissen­schaft. Wiederholt habe ich darauf hingewiesen, wie durch den Weg dieser Geisteswissenschaft wirklich in die übersinnliche Welt hineingegangen werden kann. Ich habe immer wieder angedeutet -das soll heute nur mit ein paar Worten berührt werden -, wie durch die Entwicklung innerer menschlicher Kräfte, die sonst in der Menschennatur schlummern, ein Weg gebahnt wird, so daß der Mensch - geradeso, wie er durch seine Sinne die physische Umwelt erkennt, wie er durch seinen Verstand, durch Kombination die Naturgesetze in der physischen Umwelt finden kann - durch andere

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Kräfte, die entwickelt werden können, hinschauen kann auf die geistige Welt, in der wir leben, die immer um uns ist und die nur deshalb eine unbekannte ist, weil dem Menschen im gewöhnlichen Leben die Empfangsorgane fehlen, die geistigen Sinne nicht auf­geschlossen sind.

Ich möchte nun heute einmal die Frage erörtern: Welche Kräfte gebraucht denn eigentlich diese anthroposophisch orientierte Gei­steswissenschaft, um in die übersinnliche Welt hineinzuschauen? 0, sie gebraucht sehr gesunde, durchaus normale Kräfte der Men­schennatur. Wer tiefere Einblicke wirklich tun will in die Art und Weise, wie diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft vorgeht, dem wird es vergehen, davon zu sprechen, daß sie irgend­wie auf ungesunde Kräfte baut, wie ihr von verleumderischer Seite Immer wiederum vorgeworfen wird. Man kann nämlich in sehr einfacher Art auf die Quellen dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft und ihren Weg in die übersinnliche Welt hin­weisen.

Wenn Sie mein Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höhe­ren Welten?» in die Hand nehmen, dann werden Sie dort die Stufen der übersinnlichen Erkenntnis beschrieben finden, zu denen sich der Mensch erheben kann durch die Entwicklung gewisser, in ihm schlummernder Kräfte: Erstens die imaginative Erkenntnisstufe, zweitens die Erkenntnisstufe der Inspiration, drittens die Erkennt­nisstufe der wahren Intuition. Nun, woher nimmt Geisteswis­senschaft die Kräfte, die funktionieren in so etwas wie Imagination, Inspiration, Intuition? - Wir können darauf hinweisen, daß in der kindlichen Entwicklung des Menschen Kräfte walten, welche der menschlichen Organisation zugrunde liegen. Diese Kräfte, sie lie­gen im späteren Lebensalter, wenn der Mensch eine normale Größe erlangt hat, wenn er sein Wachstum vollendet hat, gewissermaßen brach. Ich habe in diesem Frühling hier schon darauf hingewiesen, welches die Epochen menschlicher Entwicklung sind. Ich habe dar­auf hingewiesen, wie in einem ersten Zeitraum des Lebens der Mensch vorzugsweise ein nachahmendes Wesen ist, wie er instink­tiv hineinwächst in alles, was die Menschen in seiner Umgebung

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machen, und es in seinen Bewegungen, in seinen Lauten, in seiner Sprache, ja selbst in seinen Gedanken nachmacht. Diese nach­ahmende Bewegung, die reicht ungefähr bis zum Zahnwechsel, bis zum siebenten Lebensjahr ungefähr. Dann beginnt für den, der die menschliche Natur genauer beobachten kann, etwas ganz anderes tätig zu sein: Das Bedürfnis der menschlichen Natur, vom sechsten, siebenten Lebensjahr bis zur Geschlechtsreife sich anzulehnen an die Menschen, die schon Erfahrung haben, an Erwachsene, die in ihrer Umgebung sind, an die das Kind hingebungsvoll glauben kann; dann beginnt in dem Kinde das Bedürfnis, unter dem Einfluß verehrter Autoritäten zu handeln. Gegenüber dem früheren Nach­ahmungstrieb tritt jetzt diese Sehnsucht hervor, unter dem Einfluß verehrter Autoritäten zu handeln. - Jene Selbständigkeit dem Leben gegenüber, die auf eigene Urteilskraft aufgebaut ist, jene Selbständigkeit, die darauf beruht, in alle Dinge lebensvoll unterzu­tauchen, sie entwickelt sich im Grunde genommen erst mit der Geschlechtsreife im vierzehnten Lebensjahr bis zum zwanzigsten, einundzwanzigsten Jahr hin.

Das sind drei deutlich voneinander geschiedene Lebensepochen der menschlichen Jugend. Nur wer sein gesundes Urteil verlegt durch allerlei Vorurteile, kann übersehen, wie jene Kräfte, welche bis zum siebenten Jahr als Formkräfte wirken - denn bis dahin ist die Formung des Leibes ungefähr abgeschlossen, die Formen wer­den dann noch größer, aber das Plastische ist ausgebildet bis zum siebenten Jahr -, dann mehr innerlich wirken, indem sie als Le­benskräfte wirken, den Menschen erstarken machen, aber insbe­sondere als innere Wachstumskräfte wirken bis zum vierzehnten Jahre hin. Und sie wirken so, daß sie vom vierzehnten bis zum zwanzigsten Jahr innerlich die Organe kräftigen, welche auf das Verständnis der Umwelt gerichtet sind beim Kinde, also jene Or­gane, welche fähig sind, sich in die Umwelt zu vertiefen. Es arbeitet das Geistig-Seelische am Physisch-Körperlichen des Menschen in verschiedener Art bis zum siebenten Jahr, bis zum vierzehnten Jahr, bis zum einund zwanzigsten Jahr. Kräfte, die ganz deutlich für den Unbefangenen geistig-seelische Kräfte sind, arbeiten sich heraus,

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um die Organe des Menschen zu beherrschen und sie in der Entwicklung weiterzubringen.

Diese Kräfte sind also da, diese Kräfte, die gewissermaßen bis zum siebenten Jahr hin jenen bedeutungsvollen Abschluß hervor­bringen in der menschlichen Organisation, die herauskristallisieren aus der menschlichen Natur die zweiten Zähne! Und dasjenige Ge­heimnisvolle in der menschlichen Organisation, was bis zum vier­zehnten Jahr hin wirkt und zusammenhängt mit dem Wachstum, der Entfaltung, das ist doch da, das wirkt! Nun fragen wir: Wenn wir in den Zwanzigerjahren die Organisation abgeschlossen haben - wo ist denn das, was bis dahin vom Geistig-Seelischen heraus in unsere physisch-leibliche Organisation hineingewirkt hat? Das ist da, das bleibt auch da! Aber geradeso, wie die Kräfte, die wir vom Aufwachen bis zum Einschlafen zu unserer Tagesarbeit und Tages-beobachtung verwenden, vom Einschlafen bis zum Aufwachen in uns schlafen und schlummern, so schlummern vom Beginn der Zwanzigerjahre ab in der menschlichen Natur die Kräfte, die in den Kinder- und Jugendjahren die Organisation durchfeuert haben, die Organisation durchglüht haben, so daß aus dem Kinde ein Erwach­sener geworden ist, mit alledem, was dazu gehört. Wer den ganzen Menschen ins Auge faßt, der weiß: In dem Augenblick, wo die Organisation diesen Punkt erreicht, da treten gleichsam zurück in das Innere der Menschennatur die Kräfte, die im Kinde, im Jüng­ling, in der Jungfrau gewirkt haben. Diese Kräfte schlummern dann. Sie können erweckt werden, jene Kräfte, welche vom vier­zehnten Jahr bis zum zwanzigsten, einundzwanzigsten Jahr in uns gewöhnlich die beobachteten Vorgänge hervorgebracht haben, durch die wir allmählich Verständnis gewinnen für unsere Umge­bung und durch die die Organe in uns ausgebildet werden, die erst nach dem Auftreten der Geschlechtsreife ausgebildet werden kön­nen; Organe, die nicht nur einseitig auf die Geschlechtsliebe gehen, sondern darauf, daß wir uns liebevoll in die ganze Menschheit, in die ganze Welt vertiefen können. Dieses liebevolle Vertiefen erst gibt uns das wirkliche Verständnis der Welt. Was wir bis zum ein­undzwanzigsten Jahr noch zum Wachstum, zum Aufbau von inneren

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Organen verwenden, das wird, möchte man sagen, nüchtern, wird bloß urteilsmäßig, verstandesmäßig im Beginn der Zwanzi­gerjahre. Da hört eine gewisse geistig-seelische Kraft auf, zu orga­nisieren. Da wird sie bloß imaginäre, innere Kraft, seelische Kraft. Da ist sie nicht mehr so stark wie früher, als sie eingreifen mußte in die Organisation. Findet man sie, diese in der Menschennatur schlummernde Kraft, die vorher eine bildende Kraft war und es jetzt nach dem zwanzigsten Jahr nicht mehr ist, und bildet man sie aus, so daß sie vorhanden ist nach dem erreichten zwanzigsten Jahr wie früher, da sie am Leibe wirkte, dann wird sie zur imaginativen Kraft. Dann erlangt der Mensch die Fähigkeit, nicht nur in abstrak­ten Begriffen die Welt zu sehen, sondern in Bildern, die so lebendig sind, wie die Träume sind, und die Wirklichkeit bedeuten wie sonst unsere abstrakten Begriffe. Das, was uns befähigt, die Welt in sol­chen Bildern zu sehen, das, was uns befähigt, die erste Stufe der übersinnlichen Erkenntnis zu erreichen, das ist dieselbe Kraft, die vorher im gesund sich entwickelnden Menschen für die Liebeskraft wirke, die aus der menschlichen Natur hervorgeholt werden kann und die tiefer hineinführt in die Umgebung des Menschen als der gewöhnliche Verstand und die gewöhnlichen Sinne.

Und dann kann man weitergehen, denn auch diejenigen Kräfte sind schlummernd im späteren Menschen, welche ungefähr vom siebenten Jahr ab, also vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, die wesentlichen Vorgänge im menschlichen Organismus bewir­ken. Diese Kräfte schlummern tiefer unter der Oberfläche des gewöhnlichen Seelenlebens als jene Kräfte, die ich eben als die ima­ginativen bezeichnet habe. Wenn diese Kräfte hervorgeholt wer­den, die gewissermaßen im späteren Menschen unbeschäftigte geworden sind gegenüber der leiblichen Organisation, wenn diese geistig-seelischen Kräfte heraufgeholt werden aus ihrem Schlum­mer-, ihrem Schlafzustand, dann sind sie die Kräfte der Inspiration. Und dann sind sie diejenigen Kräfte, die uns vermitteln, daß die Bilder, von denen ich gerade sprach bei der imaginativen Erkennt­nis, sich mit geistigem Gehalt erfüllen, daß wirklich diese Bilder -die auftreten wie Traumbilder, aber nicht Traumbilder sind - eine

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geistige Wirklichkeit wiedergeben, die außer uns in unserer Um­gebung ist.

Und wenn wir gar die noch tiefer in der menschlichen Natur schlummernden Kräfte heraufholen, die Kräfte, die in der ersten Kindheit die organisierenden sind, die von der Geburt bis zum Zahnwechsel als die stärksten gegenüber der menschlichen Organi­sation gewirkt haben, dann aber auch am tiefsten sich zurückgezo­gen haben vom äußeren leiblich-physischen Leben, wenn wir diese Kräfte für die späteren Lebenszeiten heraufholen und mit ihnen durchsetzen, was Imagination, Inspiration ist, dann bekommen wir die intuitiven Kräfte der übersinnlichen Erkenntnis: Kräfte, durch die der Mensch fähig wird, in die Wirklichkeit der geistigen Welt unterzutauchen, wie er durch die Sinne und den gewöhnlichen, an den Leib gebundenen Willen in die physische Welt untertaucht.

In drei Stufen, durch Imagination, durch Inspiration und durch [ntuition gelangt der Mensch in die übersinnliche Welt hinein. Das, was er anwendet als solche Kräfte, sind keine abnormen Kräfte, sondern sind gerade die allernormalsten. Es sind diejenigen Kräfte, durch die der Mensch in gesunder Weise von seiner Geburt bis in die Zwanzigerjahre hinein sich erst entwickelt und die dann brach liegen gelassen werden, die aber hervorgeholt werden können und dann, wenn sie nicht beschäftigt sind, uns zu organisieren, an­gewendet werden können, um uns die geistige Welt zu offenbaren. zu erschließen.

Damit habe ich Sie auf die Quelle derjenigen Kräfte hinge­wiesen, welche den Weg in die übersinnliche Welt hinein bahnen wollen. Wer diesen Weg ernst zu nehmen vermag, der wird zu unterscheiden wissen, was dieser richtig geben kann gegenüber dem, was bloße Naturwissenschaft, bloße naturwissenschaftliche Erkenntnis zu geben vermag.

Und warum betone ich denn eigentlich immerfort diese naturwissenschaftliche Erkenntnis? Man hätte heute nicht so oft die Notwendigkeit, die naturwissenschaftliche Erkenntnis und die Gesinnung, die aus ihr fließt, zu betonen, wenn das, was heute namentlich öffentliches Denken ist und was auch eingreift in das

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Soziale und in die Sozialpolitik, nicht ganz nachgebildet wäre der naturwissenschaftlichen Vorstellungsart. Gewiß, hier liegt etwas vor, worauf sehr viele Menschen noch gar nicht achten, was aber beachtet werden muß, wenn man wirklich etwas zur Gesundung unserer krank gewordenen sozialen Zeitkultur finden will. Man muß sich darüber klar werden: Alles menschliche Denken ist so sehr durchsetzt mit dem, was durch das naturwissenschaftliche Vorstellen heraufgezogen ist, daß, wenn heute der Mensch anfängt, über etwas anderes zu denken, er die naturwissenschaftliche Denkungsweise und Gesinnung hineinträgt.

Was ist denn schließlich das sozial-politische Denken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis ins 20. Jahrhundert hinein, bis heute? Und was ist es im Grunde genommen heute noch, was uns als sozialistische Theorie überall entgegentritt? Es ist ein soziales Denken nach dem Muster des naturwissenschaftlichen Denkens. Warum erscheint uns denn dieses soziale Denken, wie ich es in diesen Vorträgen hier oftmals charakterisieren mußte, so unfruchtbar? Weil dieses soziale Denken - nehmen Sie zum Bei­spiel das marxistisch-englisch-sozialistische Denken - ganz und gar durchseucht ist von nur naturwissenschaftlicher Gesinnung, und weil die naturwissenschaftliche Gesinnung auf ein Gebiet angewen­det wird, wo diese naturwissenschaftliche Gesinnung eben nichts ausrichten kann.

Denn beachten Sie doch einmal, was das wichtigste Kennzeichen dessen ist, was ich Ihnen heute angegeben habe als übersinnliche Erkenntnisse im Sinne der anthroposophisch orientierten Geistes­wissenschaft. Da ist das wichtigste Kennzeichen, daß sich diese übersinnliche Erkenntnis solcher Kräfte bedient, die eng zusam­menhängen mit dem, was der Mensch ist. Wie könnte man sich denn überhaupt mehr mit der menschlichen Natur zusammenhän­gender Kräfte bedienen - für irgendein Ideal, für irgend etwas, was zu verwirklichen ist -, als wenn man die Kräfte dazu verwendet, die der menschlichen Organisation selbst zugrunde liegen, dem zu­grunde liegen, was wir als Mensch hier sind, und die wir aus ihrem Versteck in dem Moment herausholen, da sie der Mensch zu seiner

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Organisation nicht mehr braucht, und die wir dann anwenden zur Erkenntnis.

Demgegenüber ist das, was die gewöhnliche naturwissenschaft­liche Vors tellungsart und das heutige sozial-politische Denken sind, ein Leben in Begriffen, die abstrakt sind, die nur - so könnte man sagen - mit der Organisation des menschlichen Kopfes erfaßt werden, von den Kräften, die der Mensch noch übrig behält, wenn er in den Zwanzigerjahren seine volle Organisation erreicht hat und die Kräfte schlafen oder schlummern läßt, die viel realer sind, weil sie an seiner Organisation selbst arbeiten.

Das, was wir gewinnen in den Begriffen, von denen uns die Naturwissenschaft erzählt und die wir heute so gerne auch auf die soziale Wissenschaft, ja auch auf das sozial-pädagogische Wirken anwenden möchten, diese Begriffe und Ideen - überhaupt alles das, was wir auf solche Weise für unseren Seeleninhalt gewinnen -, das nimmt sich gegenüber dem, was ich Ihnen heute charakterisiert habe als den Inhalt der übersinnlichen Erkenntnis, nur wie die Spiegelbilder einer Wirklichkeit aus. Und in der Tat: Alles, was wir an Begriffen gewinnen, wenn unser Verstand kombiniert über die Sinnesempfindungen und Sinneswahrnehmungen, und auch alles das, was wir wissen von unseren Willensimpulsen, alles das ist eigentlich nur wie ein Schatten, ein Spiegelbild gegenüber dem, was so eng verwoben ist mit menschlichem Werden und Weben und Wesen wie die uns selbst organisierenden Kräfte. Daher der ab­strakte Charakter, der vom Menschen losgelöste Charakter dessen, was durch naturwissenschaftliche Denkweise zustande kommt. Und man ist ja stolz darauf, solche naturwissenschaftlichen Er­kenntnisse zu gewinnen, bei denen der Mensch mit seinem Willen nichts zu tun hat, die, wie man sagt, «ganz objektiv» sind. Geistes­wissenschaft strebt danach, nicht den Menschen herauszuwerfen aus der Welt, wenn es sich um Erkenntnisse handelt, sondern ihn gerade hereinzuziehen, indem sie durch diejenigen Kräfte zu ihren Erkenntnissen kommen will, die die Organisationskräfte des Men­schen selbst sind. Daher kommt es, daß wir überall wahrnehmen können: Naturwissenschaftliches Vorstellen und auch was nach

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diesem Muster heute sozial-politisches Vorstellen ist, befriedigt die menschliche Wißbegierde, befriedigt die Anforderungen des Ver­standes, aber - das ist deutlich - diese Vorstellungen haben keine Kraft, den Willen des Menschen zu moussieren, zu durchsetzen, zu durchfeuern. Und würde diese naturwissenschaftliche Bildung in ihrer Einseitigkeit immer größer und größer, immer mehr allein­herrschend werden, so würde schließlich die menschliche Willens­kraft vollständig erlahmen müssen. In unserer Zeit muß beachtet werden, daß die unter dem Einfluß naturwissenschaftlicher Gesin­nung schon erlahmenden Willenskräfte angefeuert werden durch etwas, was in die Willenskräfte hinein befeuernd fließen kann, weil es aus der menschlichen Organisation herausgeholt worden ist als geisteswissenschaftliche Erkenntnis vom Menschen selbst.

Sehen Sie, das ist dasjenige, was Geisteswissenschaft will und was Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, auch vollbringen kann: eine Erkenntnis bewirken, die nicht bloß für den Verstand da ist, sondern die in Gemüt und Wille übergeht.

Gewiß, man verlangt heute ja immer wieder und wieder, beson­ders auf pädagogischem Gebiet, es solle nicht bloß erzogen und unterrichtet werden für den Erwerb von Wissen, sondern es solle zum Können, zum Arbeiten erzogen werden, es solle der Wille gebildet werden. Hier haben wir einen der Punkte, wo man sagen kann: Unter unseren Zeitgenossen ist viel guter Wille vorhanden. Gewiß, es ist viel guter Wille vorhanden, wenn heute die Menschen sagen, man solle nicht Erkenntnisschulen, sondern Schulen der Arbeitsfähigkeit, Schulen des Könnens begründen. Aber der gute Wille genügt nicht; es muß die Kraft vorhanden sein, diesen guten Willen zu durchhellen, zu durchleuchten mit wirklicher Einsicht. Und diese Einsicht ist an sich nicht damit befriedigt, daß man ein­fach sagt, man solle Schulen nicht des Kennens, sondern des Kön­nens errichten, sondern bei dieser Einsicht geht es darum, daß es in unserem Zeitalter, das immer mehr und mehr vom Instinktiven zum Bewußten übergeht, notwendig ist, nicht nur instinktiv auf den Willen zu wirken, vom Lehrer auf den Zögling instinktiv zu wirken, sondern Begriffe, Ideen, Vorstellungen von dem Lehrer auf

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das Kind übergehen zu lassen; aber solche Vorstellungen, die nicht bloß Vorstellungen sind, die gedacht werden, sondern solche Vor­stellungen, die den Willen befeuern, die den ganzen Menschen er­füllen. Nicht darum handelt es sich, daß man einseitig betont, nur der Wille oder nur das Gemüt sollen gebildet werden. Nein, es handelt sich darum, daß wir die Möglichkeit gewinnen, auf eine solche Einsicht, auf solche Vorstellungen, auf solche Begriffe hin­zuwirken, die in sich die Kraft haben, in den Willen überzugehen, für den Willen das innere Feuer zu bilden. Dies braucht man heute zum Heile unserer in vieler Beziehung kranken Gegenwart, um es in der richtigen Art anzuwenden auf dem zweiten sozial-pädagogi­schen Gebiet.

Das erste dieser sozial-pädagogischen Gebiete ist dasjenige, dem unsere eben gegründete Waldorfschule dienen soll: das Gebiet, das den Jugendunterricht umfaßt, jenen Unterricht und jene Erzie­hung, durch den die Menschen hineingestellt werden sollen in das, was heute und für die nächste Zukunft durch ein wirklich soziales Denken von diesen Menschen gefordert wird. Wir werden sehen, wie sehr dies eine Frage der Geisteswissenschaft ist, wie sehr dies eine Frage des Weges in die übersinnlichen Welten hinein ist.

Das andere Gebiet, das sozial-pädagogisch in Betracht kommt, ist das, von dem ich sagen möchte, es soll vermitteln die «Lehre des Lebens». Wir stehen schlecht im Leben, wenn wir diesem Leben steif und fremd gegenüberstehen. Wir stehen nur dann recht im Leben drinnen, wenn jeder Augenblick, jeder Tag, jede Woche, jedes Jahr für uns eine Quelle ist, für unsere Weiterentwicklung zu lernen. Wir werden unsere Schule - gleichgültig, wie weit wir in ihr gekommen sind - am besten durchgemacht haben, wenn wir durch diese Schule gelernt haben, vom Leben zu lernen. Finden wir die rechte Art, uns jedem Menschen, der uns begegnet, gegenüber-zustellen, dann wird er für uns eine Quelle der Weiterentwicklung in allem, was er uns bewußt oder namentlich unbewußt gibt und ist. In allem, was wir tun, Stunde für Stunde, Tag für Tag, Woche für Woche, erleben wir uns selber so, daß wir durch das, was wir mit uns durch die Umwelt erleben, in uns eine Quelle der stetigen

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Fortentwicklung öffnen. Das Leben ist eine Schule für jeden gesun­den Menschen.

Beide aber, das sozial-pädagogische Gebiet des Jugendunter­richts und das sozial-pädagogische Gebiet des Vom-Leben-Ler­nens, können nicht mehr der Kultur der Gegenwart und der näch­sten Zukunft gewachsen sein, wenn sie nicht durchkraftet werden von dem, was von anthroposophisch orientierter Geisteswissen­schaft ausgehen kann.

Man hält heute dafür, daß «individuell» erzogen werden muß. Auch andere Grundsätze findet man in der modernen Pädagogik. Ich möchte auf die Einzelheiten der modernen Pädagogik nicht eingehen, nur auf eines möchte ich eingehen, und das ist, daß diese moderne Pädagogik gewisse Normen enthält, die dem, der unter­richten soll, der Lehrer werden soll, beigebracht werden. Nach die­sen Normen soll er unterrichten und erziehen. In diesen Normen lebt auch wieder viel guter Wille. Außerordentlich viel gutgemeinte Geisteskraft ist auf diese Pädagogik verwendet worden. Aber was für die Gegenwart und die nächste Zukunft auf diesem Gebiet not­wendig ist, das ist, daß an die Stelle einer abstrakten Pädagogik, welche Normen aufstellt, nach denen unterrichtet werden soll, die lebendige Pädagogik trete, welche von übersinnlicher Menschen­erkenntnis kommt. Diese übersinnliche Menschenerkenntnis ver­nachlässigt durchaus nicht, was sinnliche Menschenerkenntnis ist:

sie nimmt sie voll auf. Aber während diese sinnliche Menschener­kenntnis mit alledem, was sie als Anatomie und Physiologie ent­hält, den Menschen als Abstraktum behandelt, nimmt das über­sinnliche Erkennen die sinnliche Erkenntnis voll auf, fügt aber dazu das Geistig-Seelische des Menschen. Sie betrachtet den ganzen Menschen, vor allen Dingen den ganzen Menschen in seinem Wer-den. Sie kann daher den Blick richten auf diesen ganzen werdenden Menschen, wie er von den Eltern gegen das siebente Jahr hin der Volksschule anvertraut wird, in dieser lebenumgestaltenden Epo­che, in der aus der Nachahmung heraus das entsteht, was sich auf Autorität stützen will, und manches andere. Und nur dann sieht man, was da eigentlich im Menschen lebt, wenn man auf so etwas,

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wie ich es jetzt angedeutet habe, den Blick werfen kann, wenn man in der Lage ist, den Menschen so anzusehen, daß einem, indem man auf einen solchen Umschwung sieht, alles das, was im Men­schen aufsprießt, vor das geistige Auge tritt. Wenn man in der richtigen Weise dies empfindend wahrnimmt, was da im sechsten, siebenten Jahr aus dem Menschen heraus will, dann erwacht, wenn man nicht Pädagoge geworden ist, sondern wenn man Pädagoge ist, innerlich, durch die innerste Lebenskraft, die Fähigkeit, ohne pädagogische Normen richtend einzugreifen in das, was dieses wunderbarste Weltenrätsel, der werdende Mensch, fortwährend vor unser Seelenauge hinstellt.

Und hier liegt nun etwas [vor], was für eine wirklich sozial-pädagogische Neugestaltung, wie sie einer heutigen Einheitsvolks­schule zugrunde liegen muß, ins Auge gefaßt werden muß. Hier ist es so, daß man sagen muß: Im Grunde genommen ist es für den werdenden Lehrer gleichgültig, ob man ihm dasjenige beigebracht hat, was heute oftmals als Pädagogik, als spezielle Methodik beige­bracht wird. Wichtig ist für den zukünftigen Lehrer, daß er durch seine seminaristische Bildung fähig geworden ist, hineinzuschauen in den werdenden Menschen; daß er sich dasjenige angeeignet hat, was man sich durch eine umfassende, wirkliche Menschenerkennt­nis aneignen kann; daß er fähig geworden ist, sich seine Pädagogik jedem Kinde gegenüber und in jedem Augenblicke seiner Erzie­hungs- und Unterrichtstätigkeit neu zu formen.

Für den wirklichen Lehrer muß heute Pädagogik als etwas Lebendiges in jedem Augenblick neu erstehen. Und alles, was er gedächtnismäßig als Pädagoge in der Seele trägt, das ist etwas, was ihn seiner Ursprünglichkeit beraubt. An die Stelle von pädagogi­schen Normal-Grundsätzen oder Normgrundsätzen müssen Ein­sichten in die Natur des werdenden Menschen treten, die eben die Pädagogik fortwährend in dem Menschen, der erziehen und unter­richten soll, neu erstehen und lebendig werden lassen. Man möchte sagen: Die Pädagogik ist die beste - etwas radikal gesprochen -, die vom Lehrer immerzu vergessen wird und immerzu neu angefeuert wird, wenn der Lehrer dem Kinde, dem Zögling gegenübersteht

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und die in ihm lebenden Kräfte der werdenden Menschennatur vor seine Seele gestellt sieht. Wenn dann zu solcher Gesinnung auch noch ein großes Interesse, ein umfassendes Interesse für die Geheimnisse der Welt, für Weltenrätsel, für Weltanschauungen hinzutritt, so wird dasjenige im Lehrer leben, was ihn wirklich befähigt, von seinem Wesen in das kindliche Wesen übergehen zu lassen, was übergehen soll.

Aber wodurch kann die innere Natur des Lehrers so lebendig werden, wie ich es jetzt charakterisiert habe? Nimmermehr durch Vorstellungen der Art, wie sie von naturwissenschaftlicher Er­kenntnis genommen sind, sondern allein dadurch, daß der Wille des Lehrers erkennend angefeuert wird durch eine Wissenschaft, die mit Kräften errungen ist, die mit der menschlichen Organi­sation so zusammenhängen, wie ich es heute charakterisiert habe. Der Lehrer, der in sich das aufgenommen hat, was Geisteswissen­schaft auch über die übersinnliche Natur des Menschen kennt, der dies in sich belebt hat, der eine Wissenschaft lebendig in sich trägt, die aufgebaut ist aus den Kräften, nach denen das Kind, das er erzieht und unterrichtet, heranwächst, der wird diese Erkenntnis als lebendiges Feuer im Erziehen und Unterrichten geltend machen können. Denn seine pädagogische Kunst rührt aus übersinnlicher Erkenntnis, das heißt von denselben Kräften her, die von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr das Heranwachsen und die innere Organisation des Kindes bewirken.

Bedenken Sie einmal, wie nahe die pädagogische Kunst in ihren Quellen dem kommt, was im Kinde aufwächst, wenn übersinnliche Erkenntnisse dasjenige beherrschen, dasjenige orientieren, was als pädagogische Kunst von dem Lehrer an das Kind herangebracht wird! Nicht so sehr neue Abstraktionen, nicht spitzfindige neue pädagogische Grundsätze in dem, was hier sozial-pädagogisches Wirken genannt wird, sollen gesucht werden! Was gesucht werden soll, ist, das Lebendige an die Stelle des Toten, das Konkrete an die Stelle des Abstrakten zu setzen.

Diese Dinge zu fordern, ist heute viel notwendiger, als sich die Welt oftmals noch träumen läßt. Und es ist merkwürdig, wie man

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sich gar nicht denken kann, daß es ein übersinnliches Wissen gibt, das auf dem Gebiet des sinnlichen Wissens und auch des Lebens, des Unterrichts und der Erziehung, zur Geschicklichkeit, zum Können wird. Schon beginnt man das, was der Nerv der Waldorf-schule ist, zu verkennen und deshalb das, was mit der Waldorf-schule gewollt wird, zu verleumden, wenn auch unbewußt. Man glaubt, weil diejenigen, die an ihrer Wiege stehen, von der Geistes-wissenschaft ausgehen, diese Waldorfschule sei eine «Weltanschau­ungsschule», eine Schule, in der den Kindern Anthroposophie bei­gebracht wird. Man ahnt gar nicht, wie sehr man, indem man das voraussetzt - sei es nun anhängerisch oder gegnerisch -, noch in alten Vorstellungen drinnensteht. Wir haben es gar nicht nötig, Anthroposophie dadurch zur Geltung zu bringen, daß wir sie als Weltanschauung zur Geltung bringen, daß wir einzelne anthropo­sophische Begriffe entfalten und darauf sehen, daß die Kinder diese aufnehmen, wie sie früher religiöse Vorstellungen aufgenommen haben. Nein, das betrachten wir nicht als unsere Aufgabe. Wir werden ehrlich einhalten, was wir veranschlagt haben: daß der pro­testantische, der evangelische, der katholische Religionslehrer die evangelische, die katholische Religion zu lehren haben, und wir werden dem Willen, diesen Religionsunterricht zu erteilen, keine Hindernisse irgendwie entgegensetzen. Wir werden diejenigen sein, die halten, was wir diesbezüglich versprochen haben. Wir suchen nicht, irgendeine neue Weltanschauung in dieser Form in die Schu­le hineinzutragen. Wir wollen etwas anderes. Wir sehen darauf hin, wie unsere anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, weil sie herstammt von menschlichen Organisationskräften, übergeht in menschliche Geschicklichkeit, in menschliches Können, wie sie unmittelbar ausfließt in den menschlichen Willen. Wie wir pädago­gisch tätig sind, wie wir in der Schule handeln, wie wir uns den Unterrichtsstoff einteilen, wie wir den Lehrplan, die Lehrziele ge­stalten, also alles das, was methodische Handhabe des Unterrichts ist, was vom bloßem Wissen, von der bloßen Weltanschauung hin-überfließt in die Geschicklichkeit, in das Können des Erziehers, das ist dasjenige, was wir für unsere Aufgabe halten. Und deshalb wird

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sich mancherlei korrigieren, was - wiederum aus gutem Willen heraus, aber durchaus nicht aus der nötigen zugrundeliegenden Einsicht - als Ziel und Inhalt gegenwärtigen pädagogischen Wir­kens betrachtet wird.

Wie sehr betont man heute zum Beispiel, daß Anschauungs­unterricht herrschen soll. Ja gewiß, innerhalb gewisser Grenzen ist es sehr gut, wenn man Anschauungsunterricht pflegt, das heißt, dem Kinde dasjenige beibringt, was man ihm unmittelbar auch vor Augen führen kann. Aber dieser Anschauungsunterricht darf nicht dazu verführen, daß man ins Banale, ins Triviale verfällt, indem man anknüpft an das Allernächststehende. Man will immer nur heruntersteigen zum Anschauungsvermögen des Kindes, und dann kommen alle jene Banalitäten heraus, die man heute findet, wenn man mancherlei Anleitungen zum Anschauungsunterricht liest. Man mußte sich mit diesen Dingen gerade bei der Einrichtung der Waldorfschule beschäftigen. Da konnte man sehen, wie banal, wie trivial der sogenannte Anschauungsunterricht, der ganz und gar herausgewachsen ist aus materialistischer Zeitgesinnung, oftmals getrieben wird und wie es in radikaler Weise getrieben wird, daß man sagt, der Lehrer solle heruntersteigen zur Auffassung des Schülers, er soll nichts beibringen dem Schüler als das, was dieser auch verstehen kann.

Nun, wenn man nur dasjenige an den Schüler heranbringt, was er verstehen kann, dann versündigt man sich gegen etwas, was als Schönstes im menschlichen Leben drinnenstehen kann. Wer nur immer zu dem heruntersteigen will, was der Zögling schon ver­steht, der weiß nicht, was es heißt, wenn man später in reiferen Jahren, vielleicht erst im dreißigsten, im fünfunddreißigsten Jahr, sich zurückerinnert an etwas, was wieder aufsteigt, was man wäh­rend seiner Schulzeit durch den Lehrer übermittelt erhalten hat und was man dazumal, weil man noch nicht reif war, nicht zum vollen Verständnis erheben konnte. Jetzt taucht es wieder auf. Jetzt merkt man, daß man reifer geworden ist, indem man es jetzt ver­steht. Solches Wiedererleben dessen, was man während der Schul­zeit aufgenommen hat, das macht den ersprießlichen Zusammenhang

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zwischen dem ganzen Leben und der Schulzeit eigentlich erst aus. Es ist ungeheuer wertvoll, daß man vieles in der Schule so bekommt, daß man später im Wiedererleben zurückblickt zu dem Bekommenen wie zu etwas, was einem erst jetzt, nach Jahrzehnten, dem vollen Werte nach aufgegangen ist. Dessen beraubt man den Zögling, wenn man nur zu seinem momentanen Verständnis her­untersteigt in einem banalen Anschauungsunterricht.

Was muß aber der Lehrer für eine Aufgabe erfüllen, der dem Kinde etwas beibringen will, das es in sich aufnimmt, obwohl ihm dessen Verständnis vielleicht erst nach Jahrzehnten aufgeht? Da muß der Lehrer in sich die nötige Lebenskraft haben, damit er einfach durch seine Persönlichkeit auch dasjenige, was er in seinen Unterricht hineinlegt, auf das Kind überträgt, was es noch nicht voll verstehen kann. Es gibt ein Verhältnis zwischen Lehrer und Zögling, durch das auf den Zögling Dinge übergehen, übergehen durch die Art, wie sie im Lehrer leben, weil das Erlebnisfeuer, mit dem er durchglüht ist, was in ihm lebt, von dem Schüler mitemp-funden wird. Deshalb nimmt der Schüler es auf. Und es ist etwas ungeheuer Bedeutungsvolles, wenn in dieser Weise der Lehrer zum Führer wird, daß er durch das Feuer, das in ihm lebt, zum Lebens-quell wird für das, was der Schüler als sein eigenes Leben weiter pflegt, während das mit der Schulzeit verglimmt, was man durch den gewöhnlichen banalen Anschauungsunterricht dem Schüler beibringt. So könnte vieles zum Beweis dafür angeführt werden, daß, was Pädagogik ist, ein Lebendiges sein muß, das im Lehrer dadurch angefacht werden soll, daß er eine Wissenschaft vom Menschen bekommt, die so gewonnen ist, wie ich es heute charak­terisiert habe: durch Kräfte der menschlichen Organisation selbst. Mehr als für irgend jemand anderen ist für den Lehrer und Erzie­her eine solche Menschenerkenntnis notwendig, die auf über­sinnlicher Anschauung des Menschen gebaut ist. Und unmittel­bar könnte man - wenn man nur wollte - sehen, wie in der Unterrichtspraxis alles Abstrakte verschwinden und nur die Hand­habung des Notwendigen, des Praktischen selbst hervortreten würde, wenn auf diese Unterrichtspraxis dasjenige angelegt wird,

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was für sie aus übersinnlicher Weltanschauung und Menschener-kenntnis erfließen kann.

Statt sich aber Einsicht zu verschaffen in das, was für Unterricht und Erziehung durch eine solche Anwendung übersinnlicher Er­kenntnisse auf die Sozial-pädagogik geleistet werden könnte, kom­men heute die Menschen, die da glauben, im praktischen Leben zu stehen und die durch ihre Praxis, die doch bloß «Routine» ist, jenes furchtbare Elend und Unglück herbeigeführt haben, das sich im Kriege auslebte und in dem wir heute noch drinnen stecken, die[se Menschen] kommen und sagen, Übersinnliches habe nichts zu tun mit der Praxis des Lebens. Weil sie das immer gesagt haben, weil sie in sträflichem Leichtsinn das, was wirklicher übersinnlicher Le­bensinhalt ist, aus der Lebenspraxis herausgeworfen haben, deshalb haben sie gerade diese Zeit heraufbeschworen. Und indem sie jetzt diese unsinnige Praxis im Zu-Tode-Treten jeder wirklich ernsten Besserungsbestrebung fortsetzen wollen, setzen sie etwas fort, wo­von wir nur eine Weile eine Atempause erleben. Würden aber jene, die nicht sehen wollen, was für die Gegenwart notwendig ist, heute wiederum siegen - in kurzer Zeit hätten wir wieder dasselbe Elend, das 1914 begonnen hat. Denn die Menschen, die heute das von ihnen Verleumdete in allem Übersinnlichen bei einer Unterneh­mung, die wirklich praktisch ist, tottreten wollen, die sind es auch, die die Menschen ins Unglück hineingeführt haben. Das ist das, was heute klar eingesehen werden muß.

Ich würde diese ernsten Worte hier nicht gesprochen haben, wenn sich nicht diese furchtbaren Unkenrufe schon wieder geltend machen würden da, wo doch etwas ganz modern Praktisches hier geschaffen werden soll wie diese Waldorfschule. Solche Dinge ge­ziemt es sich heute von dem Gesichtspunkte aus anzuschauen, daß die furchtbaren Ereignisse der letzten vier bis fünf Jahre doch et­was gelehrt haben sollten und man weiterkommen muß. Diejeni­gen, die nicht weitergekommen sein sollen, die heute da wieder anfangen wollen, wo sie 1914 aufgehört haben, die müssen scharf ins Auge gefaßt werden. Daß sie uns scharf ins Auge fassen, dafür brauchen wir nicht zu sorgen, das tun sie von selber. Aber sie

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müssen scharf ins Auge gefaßt werden. Und all diejenigen müßten sich vereinigen, die einen Sinn dafür haben, daß heute etwas ge­schehen muß, was auf der einen Seite aus dem wirklichen Geiste stammt und was auf der anderen Seite fähig ist, in die ernste, wirkliche Lebenspraxis hineinzuwirken.

Aus solchen wirklich praktischen Untergründen heraus ist es notwendig, daß das, was oftmals als Phrase gebraucht wird - gera­de mit Beziehung auf das Pädagogische -, endlich einmal aus sach­lichem Ernste gehandhabt würde. Notwendig haben wir zum Beispiel, zu berücksichtigen - und auf solche Dinge wurde im se­minaristischen Kursus für die Waldorfschul-Lehrerschaft beson­ders gesehen -, daß um das neunte Lebensjahr herum der Mensch wiederum etwas Wichtiges abschließt und etwas Neues beginnt. Bis zum neunten Lebensjahr ist der Mensch noch ganz verwachsen mit seiner Umgebung. Das Prinzip der Nachahmung ragt noch in das Prinzip der Autorität hinein. Erst im neunten Jahr beginnt die Möglichkeit, das Ichgefühl so zu entwickeln, daß zum Beispiel na­turgeschichtliche Tatsachen, Naturbeschreibungen der Pflanzen-und Tierwelt an das Kind herantreten können. Aber zu gleicher Zeit ist zwischen dem siebenten und neunten Lebensjahr der Ab­schnitt so gestaltet, daß wir gut tun, dem Kinde nichts beizubrin­gen, was nicht elementar und selbstverständlich aus der mensch­lichen Natur herausfließt, sondern nur durch Konvention zustande gekommen ist. - Wir müssen den Menschen allmählich zum Schreiben und Lesen hinführen. Denn wer sähe nicht, daß die Buchstaben, wie wir sie heute haben, etwas Konventionelles sind? Bei der ägyptischen Bilderschrift war das noch anders. Das bedingt aber, daß wir den Schreibunterricht so erteilen, daß wir ihn vom Zeichenunterricht ausgehen lassen, daß wir zunachst nicht auf Buchstaben Rücksicht nehmen, sondern Formen zeichnen lassen; daß wir überhaupt das elementare Zeichnen und Malen - neben Musik - schon in den untersten Schulstufen beginnen, daß wir den ganzen Unterricht und die Erziehung aus dem Kindlich-Künstleri­schen herausarbeiten. Denn das Kindlich-Künstlerische ergreift den ganzen Menschen, Wille und Gemüt, und durch Wille und

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Gemüt erst den Intellekt. Und dann gehen wir, indem wir Zeich­nen und Malen pflegen, indem wir den Willen durch künstlerischen Unterricht angeregt haben, zum Schreiben über, indem wir die Schriftformen sich aus den Zeichenformen heraus entwickeln las­sen. Und dann kommt erst das Lesen, das noch intellektualistischer ist als das Schreiben; dann wird das Lesen aus dem Schreiben ent­wickelt. Ich führe die Einzelheiten an, damit Sie sehen, daß anthro­posophisch orientierte Geisteswissenschaft nicht herumredet im Wolkenkuckucksheim, sondern daß sie in die Praxis des Unter­richtens bis in alle Einzelheiten hineinführt. Bis dahin, wie man Mathematik, wie man Schreibunterricht, wie man Sprachenunter­richt erteilt, führt jene lebendige Menschenerkenntnis, die anstelle der abstrakten Pädagogik treten muß. Soviel zum speziellen Gebiet der Unterrichts-Pädagogik.

Aber das Sozial-Pädagogische umfaßt auch die ganze «Lebens-lehre». Sind wir der Schule entwachsen, dann treten wir ja hinaus ins Leben, und unsere naturwissenschaftliche Bildung richtet eine Kluft auf zwischen uns und dem Leben. Deshalb sehen wir, daß für alle Fragen, welche heute die Menschheit beschäftigen, etwas Instinktives vorwaltet, wodurch diese Fragen zwar Lebensfor­derungen einschließen, aber keine Einsicht für die Lösung solcher Fragen da ist.

Ich möchte auf eine Frage aufmerksam machen, die seit langer Zeit die moderne zivilisierte Menschheit beschäftigt: die sogenann­te Frauenfrage, dasjenige, was die Kluft bildet zwischen Mann und Frau. Mit Recht will man diese Kluft hinwegschaffen, aber man wird sie nicht hinwegschaffen können, wenn man nicht dasjenige wirklich begründet, was gemeinsame Wesenheit in Mann und Frau ist. Sieht man nur auf das, was der Mensch in der physischen Welt und aus der naturwissenschaftlichen Denkweise heraus sich aneig­nen kann, dann bleibt der Unterschied zwischen Mann und Frau ein radikaler. Der Abgrund zwischen Mann und Frau wird erst überbrückt, wenn die Verschiedenheit, die zwischen ihnen besteht im Aufnehmen der Welt, in dem Wirken in der Welt, ausgeglichen wird durch dasjenige, was den Menschen kommen kann durch

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jenes Wissen, jene Willens- und Gemütsbildung, die hervorgehen aus den Kräften, die der menschlichen Organisation selbst zugrun­de liegen. Denn was im Manne nicht enthalten ist, aber in der Frau, das gibt dem Manne diese Geistesbildung. Und was in der Frau nicht enthalten ist, aber im Manne, das gibt der Frau diese Geistes-bildung. Der Frau gibt, während sie körperlich-physisch Frau ist, diese Geistesbildung geistig-seelisch das Männliche, und dem Manne, während er physisch Mann ist, geistig-seelisch das Weib­liche. Würde sich ausbreiten über unsere Zeitbildung, was ihr aus anthroposophisch orientierter Geistesbildung heraus erfließen kann, dann würde erst der Boden geschaffen werden für so etwas wie die Frauenfrage.

Und so könnte Unzähliges angeführt werden. Ich will aber nur noch auf eines aufmerksam machen: Die Menschen schreien nach Organisation. Und es ist selbstverständlich, daß sie danach schrei­en, denn die Kompliziertheit der Verhältnisse im heutigen sozialen Leben, sie bedingt Organisation. Nun, über die Natur solcher Organisation ist hier in den Vorträgen auch schon viel gesprochen worden. Allein man denkt sich, daß nur organisiert werden soll nach den Grundsätzen, die die Menschheit heute hat ohne Geisteswissenschaft, die die Menschheit hat aus bloß naturwissen­schaftlicher Bildung, aus heutiger sozial-politischer Bildung heraus. Lenin und Trotzki organisieren, Lunatscharski organisiert nach diesen Grundsätzen. In ein maschinenartiges Getriebe spannen sie das Wirtschaftsleben ein, und sie wollen auch das Geistesleben ein­spannen. Es geht für mich nicht darum, mich zu stützen auf allerlei Erzählungen von B. und ähnlichen Leuten, die aufgrund eigener Eindrücke urteilen, auch nicht auf das, was Journalisten und andere Leute erzählen, die heute in Rußland gewesen sind. Auf was man sich stützen kann, das sind Lenins Schriften, und die beweisen dem, der Einsicht haben kann, was von dieser Seite gewollt wird, und das ist: Das organisatorische Abtöten all desjenigen, was wahr­haftiger Menschheitsquell ist, desjenigen, was in der individuellen menschlichen Wesenheit und Natur liegt. Es gibt keinen stärkeren Feind des menschlichen Fortschrittes als das, was heute im Osten

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geschieht. Warum ist das so? Weil ganz und gar nicht das zu­grundeliegt, was nur aus der Geistesbildung, der anthroposophisch orientierten Geistesbildung heraus kommen kann, und das ist:

wirkliche sozial-pädagogische Lebenskraft. Wir müssen organi­sieren, aber wir mussen uns bewußt sein: Wenn wir organisieren wollen, so müssen in dieser Organisation Menschen leben, die innerhalb dieser Organisation Gelegenheit haben, dasjenige zu leh­ren, was innerster Quell der Menschennatur ist, was sich verbirgt, wenn der Mensch erwachsen geworden ist, was aber wieder herauf-geholt werden kann aus den schlummernden Kräften seiner Orga­nisation. Es brauchen nicht alle Menschen Hellseher zu werden und in sich zu erleben, was man durch die aufgeweckten Kräfte der menschlichen Organisation erleben kann, wenn man das zwanzig­ste Jahr überschritten hat, aber es können alle Menschen sich inter­essieren für dasjenige, was durch diese lebendige Organisations­kraft des Menschen erreicht werden kann.

Wenn die Menschen sich dafür interessieren, dann erwacht in den Menschen eine neue Fähigkeit, eine Fähigkeit, die man heute am besten charakterisieren kann, wenn man an etwas anknüpft, wofür den Menschen auch schon etwas die Empfindung verloren gegangen ist, anknüpft an dasjenige, was einer zusammengehörigen Menschenrasse mit gleicher Sprache diese Sprache ist. Diejenigen, die eine Sprache sprechen, sie müssen - auch wenn sie die Sprache schon sprechen - ja erst die Sprache mit ihrem Genius, mit ihrem wunderbaren künstlerischen Bau kennenlernen, um zu entdecken, welcher Geist in der Sprache lebt, welcher Geist von der Sprache aus die Menschen durchdringt, die diese Sprache zu einem Ganzen vereinigt. Indem wir sprechen lernen, nehmen wir nicht bewußt, sondern instinktiv und unterbewußt, mit jedem Wort, aber na­mentlich mit jeder Wortwendung etwas auf, was der Genius der Sprache uns lehrend geheimnisvoll offenbart. Soziales Leben ist etwas, was vielfach in Instinkten lebt. Die Sprache ist ein soziales Instrument wunderbarster Art immer gewesen. Nur in der neueren Zeit ist die Sprache, je weiter man von Osten nach Westen geht, um so mehr auch abstrakter geworden. Die Menschen fühlen immer

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weniger, was in den Lauten der Sprache zum Herzen, zum Kopfe und namentlich in den Zusammenhängen, die die Sprache bildet, zu diesen Herzen, zu diesen Köpfen spricht, wie auf geheimnisvolle Weise in den Menschen hineingeht, was der Genius der Sprache ihm mitzuteilen hat.

Manches andere, was auf eine ähnliche Art auf den Menschen wirken soll wie das, was immerzu durch den Genius der Sprache gewirkt hat, wird wirken, wenn allgemeine Menschheitsbildung schon durch die Tätigkeit der niedersten Schule - die nicht als Weltanschauungsschule, sondern durch rationell betriebenen Un­terricht wirken will - verbreitet wird. Dann wird der eine Mensch dem anderen Menschen so gegenüberstehen, daß er wie untertau­chen wird in den anderen Menschen, indem der zu ihm spricht. Jedes Gespräch, jedes Verhältnis zu einem anderen Menschen wird eine Quelle für die Weiterentwicklung der eigenen Seele sein. Und was wir in die Welt hineinstellen, wodurch wir auf die anderen Menschen wirken, das wird eine Quelle unserer Fortentwicklung sein. Wir werden erst dann die Imponderabilien, die wirken kön­nen von Menschennatur zu Menschennatur, recht entwickeln, wenn wir in die Lage kommen, mit den Empfindungen dem ande­ren Menschen entgegenzutreten, die in uns angeregt werden, wenn wir nicht abstrakte Naturwissenschaft treiben, sondern jenes leben­dige Feuer in uns aufnehmen, das von einer Wissenschaft uns zu­kommen kann, die mit der menschlichen Natur selber zusammen­hängt, das heißt auf die Kräfte, die den Menschen bis zum zwanzigsten Lebensjahr gedeihen machen und von da ab zur Pfle­ge einer übersinnlichen Erkenntnis führen können. Und in sozial-pädagogischer Beziehung kann sich anschließen an die Jugendschu­le die Schule des Lebens, wenn in uns diejenigen Kräfte angeregt sind, die uns zu Lernenden machen in dieser Schule des Lebens. Wir werden dann auch mit Menschen in staatlichen oder wirt­schaftlichen Organisationen, also abstrakten Organisationen, zu­sammenkommen. Wir werden dann einen verwandten Zug in ihnen fühlen und werden uns sagen: Es verbindet uns etwas miteinander, mehr als mit jedem anderen. Und neben den aus äußeren Umständen

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entstandenen Organisationen werden in der Zukunft intime, geheimnisvolle Organisationen entstehen können, die sich von Seele zu Seele bilden, wenn in den menschlichen Seelen das Erleb­nis wahrhaftiger Geisterkenntnis lebt. Dann wird der Mensch die Erfahrung machen: Du hast in früheren Erdenleben mit dem oder dem dieses oder jenes erlebt, und jetzt tritt er dir wieder entgegen.

- Durch diese innere Verbindung, die geheimnisvoll in den Tiefen der Seelen ruht, wird etwas Geistig-Seelisches in die sonst kalten, nüchternen Organisationen hineingetragen.

Und wenn ich hier auch seit dem Frühling die drei Organisatio­nen geschildert habe - das geistige Gebiet, das rechtlich-politische Gebiet und das wirtschaftliche Gebiet des sozialen Organismus -, so muß doch betont werden: Das sind drei äußere Organisationen! Innerhalb desjenigen, was diese drei äußeren Organisationen dem Menschen sein werden, werden jene intimen, inneren Organisa­tionen leben, die dadurch von Menschenseele zu Menschenseele geschmiedet werden, daß die Menschen sich genauer erkennen werden, als sie sich heute erkennen. Wenn an die Stelle der anti-sozialen Triebe jene sozialen Triebe gesetzt werden - wodurch erst das wahre soziale Leben begründet wird -, dann erst wird die na­turwissenschaftliche Denkweise für die Menschen voll nützlich werden können. Durch diese naturwissenschaftliche Denkweise werden sie die äußere leblose Natur, die als Technik, als andere Verrichtungen in unser Leben hereintritt, richtig beherrschen kön­nen. Dasjenige aber, was für den Menschen als Nutzen, als Effekt aus diesen Einrichtungen technischer oder sonstiger Art kommt, das werden die Kräfte besorgen, die als ethische, sittliche Kräfte angefacht werden durch die geistige Willenskultur und von der Geisteswissenschaft her kommen können. In die äußeren Organi­sationen wird eine innere Organisation kommen, die die Menschen trägt und das Menschenleben gestaltet. Ohne diese innere Orga­nisation kommen wir auch nicht zu einer fruchtbaren äußeren Organisation.

Das ist dasjenige, was ich heute ein wenig andeuten wollte: daß Geisteswissenschaft, so wie sie hier gedacht ist, nichts irgendwie

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Abstraktes, nichts im Wolkenkuckucksheim schwebendes Meta­physisches ist - wie man sie verleumden will -, sondern daß sie etwas ist, was unmittelbar in den menschlichen Willen hinein-strömt und hineinwirkt und ihn für das Leben geschickt und eigentlich erst lebensfähig macht. Das ist es, was diejenigen verken­nen, die heute die Notwendigkeit unserer Geisteswissenschaft nicht einsehen wollen. Sie werden dann auch nicht einsehen, wie -nicht aus irgendeiner Willkür, sondern aus wahrer Lebenspraxis heraus - so etwas entsteht wie die Waldorfschule. Aber kann man denn heute gerade von den tonangebenden Leuten viel erwarten? Ich habe im Frühling und im Sommer wiederholt davon gespro­chen, das heißt, in meine sozialen Vorträge den Satz einfließen las­sen - ich will das nur als für manches in der Geistesverfassung der gegenwärtigen Zeit Charakteristische anführen -, daß die Arbeits­kraft in der Zukunft nicht Ware sein darf. Und auch in einer Nach­barstadt dieser Stadt hier sprach ich diesen Satz aus: Daß die menschliche Arbeitskraft befreit werden müsse von dem Waren-charakter. - Ich glaube, man braucht heute nur ein kleines bißchen gesunden Menschenverstand zu haben, und man wird das breit ge­sprochene a in dem Wort «Warencharakter» verstehen. Doch ich bekam heute früh eine Zeitung, die in dieser Nachbarstadt heraus­kommt; der Leitartikel schließt mit dem Satz: «Ganz ratlos sehe ich mich dem Satz gegenüber, es müsse die Arbeitskraft befreit werden vom wahren Charakter»! Das ist heute möglich. Es ist heute mög­lich, daß Menschen urteilen über dasjenige, was sich, nicht in vager Weise, sondern aus Erkenntnisuntergründen heraus in die Gegen­wartskultur hineinstellen will, und die nicht einmal soweit sind mit ihrer Zeitbildung, daß sie von selber verstehen etwas wie den Wa­rencharakter. Es muß doch ein solcher Mensch in seinem ganzen Leben niemals etwas von dem «Warencharakter der menschlichen Arbeitskraft» gehört haben! Wie leben solche Menschen in der Ge­genwart? Ist es da ein Wunder, daß wir nicht zurechtkommen mit dem Kulturleben der Gegenwart, wenn überhaupt solches Aus-der-Zeit-heraus-sich-Versetzen möglich ist? Solches ist aber nicht nur möglich bei Leuten wie dem Schreiber dieses Zeitungsartikels,

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dieses Leitartikels, sondern es ist auch möglich bei Leuten, die glauben, die Lebenspraxis gepachtet zu haben, die bei jeder Gele­genheit auf dasjenige herabsehen, was ihnen idealistisch erscheint, die nicht anders über das wirkliche Leben reden als derjenige, der ein hufeisenförmiges Eisen sieht und dem jemand sagt, das sei ein Magnet: «Nein», antwortet er, «mit einem Hufeisen beschlägt man doch Pferde.» So kommen einem die Menschen vor, die heute übersinnliche Erkenntnisse von dem praktischen Leben ausschlie­ßen wollen: wie der Mann, der mit einem Magneteisen als Huf­eisen sein Pferd beschlägt, würden sie das, was ihnen nicht un­mittelbar entgegentritt für ihr Auffassungsvermögen, nicht für wirklich halten.

Es sind heute viel mehr Menschen, als man denkt, die den sozia­len Fortschritt verhindern; Menschen, die durchaus nicht verstehen wollen, daß an den Satz, daß «die letzten vier bis fünf Jahre der Menschheit Europas etwas Furchtbareres gebracht haben, als je­mals da war in dem Zeitraum, den man gewöhnlich als geschicht­lichen bezeichnet», nun auch angeschlossen werden muß der Satz: «daß nun auch Dinge geschehen müssen aus Gedankentiefen her­aus, zu denen man noch nicht vorgedrungen ist im Verlaufe des­jenigen, was man Geschichte nennt». Wir sind in einer Zeitepoche angekommen, in welcher die Menschheit ganz und gar abstrakt denkt; am meisten abstrakt aber sind die Parteimeinungen und Parteiprogramme, die am Beginn des 20. Jahrhunderts da waren, herausgewachsen aus dem, was naturwissenschaftliche Erziehung war. Die Leute wollen nicht begreifen, wie abstrakt, wie mensch­heitsfremd dasjenige ist, womit sie heute das Leben beherrschen wollen. Die Menschen glauben praktisch zu sein. Nur ein Beispiel:

Die Leute sehen heute, wie ihnen das deutsche Geld dem Weltver­kehr gegenüber unter den Fingern zerrinnt, wie die deutsche Valu­ta mit jedem Tag mehr und mehr zerrinnt. Und in Deutschland macht man jeden Tag mehr und mehr die Dinge, unter denen die Valuta selbstverständlich fallen muß. Das heißt: die Praktiker sind wieder stark am Ruder. Und solange man nicht einsehen wird, wie wirkliche Lebenspraxis nicht da liegt, wo man sie bis 1914 gesucht

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hat, sondern in den beherrschenden Ideen des Lebens, solange wird kein Heil werden. Daß die Leute nicht bescheiden genug sind, sich zu gestehen, es müsse eine Vertiefung kommen, die Vertiefung der Einsicht, der gute Wille allein tue es nicht - das ist der Krebs-schaden unserer Zeit.

Es wird notwendig sein, daß man immer mehr und mehr ein-sieht, worauf wirkliche Geisterkenntnis beruht und daß Geist-erkenntnis, weil sie auf der Entwicklung derselben Kräfte, die in gesunder Art den Menschen organisieren, beruht, ihn deshalb auch in gesunder Art sozial-pädagogisch in das Leben hineinstellen kann. Das ist das, was wir heute brauchen: Geist - aber Geist nicht weltfremd, nicht im Wolkenkuckucksheim; nicht metaphysischen Geist, sondern wirklichen Geist, der in die Praxis des Lebens ein­greift, der die Materie beherrschen kann. Und wir brauchen auch praktische Einsicht in das Leben, Stehen im Leben, aber so, daß wir das Leben selber so anschauen, daß wir den Geist in dieses Leben einführen wollen.

Eine Devise muß aus geisteswissenschaftlicher Gesinnung die Menschen ergreifen, sonst wird kein Fortschritt in unserer heil­losen Zeit möglich sein. Und diese Devise muß sein:

Suchet das wirklich praktische materielle Leben,

Aber suchet es so, daß es euch nicht betäubt

über den Geist, der in ihm wirksam ist.

Suchet den Geist,

Aber suchet ihn nicht in übersinnlicher Wollust,

aus übersinnlichem Egoismus,

Sondern suchet ihn,

Weil ihr ihn selbstlos im praktischen Leben,

in der materiellen Welt anwenden wollt.

Wendet an den alten Grundsatz:

«Geist ist niemals ohne Materie, Materie niemals

ohne Geist» in der Art, daß ihr sagt:

Wir wollen alles Materielle im Lichte des Geistes tun.

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Und wir wollen das Licht des Geistes so suchen,

Daß es uns Wärme entwickele für unser praktisches Tun.

Der Geist, der von uns in die Materie geführt wird,

Die Materie, die von uns bearbeitet wird bis zu ihrer Offenbarung,

Durch die sie den Geist aus sich selber heraustreibt;

Die Materie, die von uns den Geist offenbart erhält,

Der Geist, der von uns an die Materie herangetrieben wird,

Die bilden dasjenige lebendige Sein,

Welches die Menschheit zum wirklichen Fortschritt bringen kann,

Zu demjenigen Fortschritt, der von den Besten

in den tiefsten Untergründen der

Gegenwartsseelen nur ersehnt werden kann.

DIE SOZIAL-PÄDAGOGISCHE BEDEUTUNG DER ANTHROPOSOPHISCH ORIENTIERTEN GEISTESWISSENSCHAFT Basel, 25. November 1919

#G297-1989-SE118 Idee und Praxis der Waldorfschule

#TI

DIE SOZIAL-PÄDAGOGISCHE BEDEUTUNG

DER ANTHROPOSOPHISCH ORIENTIERTEN

GEISTESWISSENSCHAFT

Basel, 25. November 1919

#TX

Daß die soziale Frage zu den brennendsten öffentlichen Angele­genheiten der Gegenwart gehört, das braucht man gegenüber den laut und deutlich sprechenden Tatsachen nicht erst zu beweisen. Aber für denjenigen, der diese laut und deutlich sprechenden Tat­sachen vorurteilslos zu beobachten vermag, kann es auch durchaus ersichtlich sein, wie in jene Forderungen, die sich als die sozialen heute geltend machen, nicht nur diejenigen Probleme hineinspielen, die man gewöhnlich unter dem Schlagwort der «sozialen» zusam­menfaßt, sondern viel, viel tiefere Menschheitsfragen.

Man dürfte erkennen, wie gewissermaßen herausspringen aus diesen sozialen Problemen diese tieferen Menschheitsfragen, wenn man auf die Beziehungen, auf die zunächst sich äußerlich offenba­renden Beziehungen des gegenwärtigen Geisteslebens und Geistes­strebens zu den sozialen Tatsachen sein Augenmerk wendet.

Da wird am auffallendsten sein, wie in weitem Umfange unser gegenwärtiges Geistesleben gerade den brennenden sozialen Forde­rungen gewissermaßen ohnmächtig gegenübersteht. Ich brauche nur auf zwei Erscheinungen im Wissenschaftsleben der Gegenwart aufmerksam zu machen, um diese Ohnmacht zu beweisen. Wir wissen ja, daß sich neben anderen wissenschaftlichen Zweigen im Laufe der neueren Kulturentwicklung auch so etwas wie eine Art von akademischer Sozial- oder Nationalökonomie herausgebildet hat. Es dürfte auch bekannt sein, wie die verschiedensten Schul­richtungen sich im Laufe der letzten Jahrhunderte, insbesondere des 19. Jahrhunderts, auf dem Gebiete der Nationalökonomie gel­tend gemacht haben. Man weiß, daß da eine merkantilistische Schu­le, eine physiokratische Schule und so weiter existiert haben, daß Persönlichkeiten gewirkt haben wie Adam Smith und so fort. Und man weiß, wie diese verschiedenen Strömungen sich auf der einen

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Seite Mühe gegeben haben, die sozialen Tatsachen, die im sozialen Leben wirkenden Antriebe zu verstehen, sich aber auf der andern Seite auch Mühe gegeben haben, gewissermaßen herauszufinden, wie in das menschliche Wollen - zum Beispiel in die verschieden­sten Staatswillen - hineingetragen werden kann, was als soziale Erkenntnis dem Menschen erblühen kann.

Aber man mußte sehen, daß sich irgendein wirklich durchgrei­fend fruchtbares soziales Wollen aus den verschiedenen sozial-theoretischen Anschauungen nicht ergeben hat. Der deutlichste Beleg dafür ist ja die Gestalt, welche nach und nach die akademi­sche Nationalökonomie angenommen hat. Sie hat sich gewisser­maßen auf eine Art naturwissenschaftliche Betrachtung des sozia­len und des nationalökonomischen Lebens zurückgezogen, auf eine Art Beschreibung der sozialen Tatsachen. Und gerade die neuesten Bestrebungen auf diesem Gebiete sehen wir zwar in allerlei Be­schreibungen oder Beobachtungen von Statistiken und dergleichen ausmünden; aber wir sehen in alledem nirgends einen Impuls, der in das soziale Wollen wirklich übergehen kann, befruchtend für das soziale Wirken im öffentlichen Leben sein könnte.

So hat sich gerade auf diesem Gebiete die Ohnmacht der natio­nalökonomischen Betrachtungen gezeigt. Auf der anderen Seite sehen wir namentlich aus dem breiten Kreise des Proletariats soziale Ideen, soziale Zivilisationsforderungen herauswachsen.

Gewiß, man hätte viel zu sprechen, wenn man über die ge­schichtliche Entwicklung dieser, in ihrer heutigen Gestalt ja mehr als ein halbes Jahrhundert alten, sozialen Forderungen sprechen wollte. Hier soll nur auf ein Kennzeichen, ein Charakteristikum gerade dieser sozialen Forderungen besonders hingewiesen werden.

Dieses Charakteristikum möchte ich so ausdrücken: Nachdem auch nach dieser Richtung hin ältere Bestrebungen waren, Bestre­bungen, die sich nicht bloß auf die theoretische Betrachtung verlegt haben wie die akademische Nationalökonomie, sondern die sich schon auf Ziele des menschlichen Suchens nach einem sozialen Neuaufbau verlegt haben - man braucht nur zu erinnern an Fou­rier, an Saint-Simon, an Louis Blanc und so weiter -, trat allmählich

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ein ganz anderes Element in diesen Bestrebungen ein. Das kann man dadurch charakterisieren: In den breitesten Massen wie auch unter den Führern dieser breitesten Masse der sozialistischen Kulturkreise ist ein gewisses Mißtrauen, eine Antipathie herr­schend geworden gegen alles dasjenige, was aus dem Geiste heraus, aus dem Nachsinnen, aus dem menschlichen Wollen heraus zu einer Gesundung der sozialen Verhältnisse führen soll. Der Glaube ist entstanden: das alles trägt einen utopistischen Charakter -mögen auch führende Kreise, mögen auch diejenigen, die die geisti­gen Impulse der neueren Zeit in ihr Fühlen, in ihr Denken auf­genommen haben, noch so viel guten Willen haben, um soziale Umschwünge herbeizuführen; aus dem, was der Mensch ersinnen kann, aus dem, was aus dem guten Willen des Menschen stammen kann, ist es unmöglich, Impulse zu erzeugen, die in das praktische soziale Leben, in eine praktische soziale Neugestaltung wirklich eingreifen wollen. - Der Unglaube an den menschlichen Geist und seine sozialen Ideale, er ist in den breitesten Kreisen und in der Führerschaft dieser breitesten Kreise geradezu das Maßgebende geworden.

Dafür ist etwas aufgetreten, was ein außerordentlich Schwieriges ist. Die Überzeugung ist aufgetreten, welche in diesen breitesten Kreisen geradezu als eine Selbstverständlichkeit empfunden wird, so sehr als eine Selbstverständlichkeit empfunden wird, daß ein Kampf dagegen etwas außerordentlich Schwieriges ist: Die Über-zeugung ist aufgetreten, daß nur aus den ökonomischen Verhält­nissen, aus den Antrieben der äußerlichen, materiellen Produk­tionskräfte selber die Umgestaltung kommen könne, daß der menschliche Wille gewissermaßen ohnmächtig sei, daß er zu war­ten habe, bis die Produktionskräfte selber [sich] so gestalten, daß sie eine andere Konfiguration des sozialen Lebens herbeiführen.

Und es ist Gewohnheit geworden, von alledem, was aus dem Geiste erzeugt wird, wie von einer Ideologie zu sprechen, von etwas, was dem Leben gegenüber ohnmächtig ist, und nur von materiellen Verhältnissen, von den materiellen Umwälzungen als von etwas Realem zu sprechen, das gleichsam das Geistige wie

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einen Rauch aus sich hervorbringt. Aus diesem Grunde spricht man von der materiellen Geschichtsauffassung: weil man nur in dem Materiellen, namentlich in den ökonomischen Vorgängen, das Reale sucht und dasjenige, was der menschliche Geist hervorbringt, als etwas ansieht, was wie ein Rauch aufsteigt, wie bloße Ideen sich in einer Art ideologischem Überbau ergeben aus dem, was die wirklichen, in diesem Falle die ökonomischen Vorgänge sind.

Und wenn man nun frägt: Kann man von dem Gesichtspunkte, von dem aus auf der einen Seite, ich möchte sagen theoretische Nationalökonomie nach dem methodischen Muster der naturwis­senschaftlichen Weltbetrachtung entstanden ist, oder kann man nach demjenigen, was durch solche durch und durch ehrlichen, aber aus dem Geistesleben der neueren Zeit heraus schaffenden Persönlichkeiten wie Saint Simon oder Louis Blanc und so weiter auf der anderen Seite gewollt ist - kann man aus dem, was von diesen zwei Seiten gewollt ist, wirklich so unbegreiflich finden, daß ein Unglaube an die geistigen Impulse entstanden ist?

Nein, man kann es nicht. Man kann es vor allen Dingen nicht, wenn man sich den ganzen Grundcharakter des neuzeitlichen Geisteslebens vor Augen führt.

Dieser Grundcharakter des neuzeitlichen Geisteslebens, er ist allmählich, man möchte sagen etwas rein Abstraktes geworden, etwas geworden, was der äußeren Wirklichkeit lebensfremd und lebensfern gegenübersteht.

Immer wieder muß darauf aufmerksam gemacht werden, wie neuere Weltanschauungen aus dem, was Geistesleben der letzten Jahrhunderte geworden ist, allerdings auch Ethiken erzeugt haben, moralische Anschauungen erzeugt haben. Aber diese moralischen Anschauungen, haben sie die Kraft, die äußere Wirklichkeit zu durchziehen? Haben sie die Kraft, in der äußeren Wirklichkeit zu schaffen?

Weder die Wissenschaft noch die moralischen Anschauungen haben vermocht, eine wirkliche Brücke zu schaffen zwischen dem, was im Geiste des Menschen lebt, und demjenigen, was äußerlich in den materiellen oder in den Naturvorgängen liegt. Wir sehen, wie auf

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diese Weise die Angelegenheiten der menschlichen Seele, die Ange­legenheiten des menschlichen Geistes durch lange Zeiten hindurch gewissermaßen das geistige Monopol, das Kulturmonopol derjeni­gen Gemeinschaften geworden sind, die dieses oder jenes Glaubens­bekenntnis zu dem ihrigen gemacht haben. Dadurch ist es allmählich dem wissenschaftlichen Streben ungewohnt geworden, sich mit Geist und Seele zu befassen. Man glaubt, auf der einen Seite recht frei von Vorurteilen zu sein, einer vollständig vorurteilslosen Wis­senschaft zu huldigen, wenn man sagt: Die äußeren wissenschaft­lichen Methoden können sich nur auf das äußerlich Sinnliche be­schränken; sie überschreiten sogleich die Grenze des menschlichen Erkennens, wenn sie sich auf seelisches oder geistiges Gebiet, wenn sie sich auf das übersinnliche Gebiet begeben.

Man glaubt vorurteilslos zu sein, und man folgt doch nur einer Kraft, die aus dem historischen Hergang sich ergeben hat. Diejenigen Bekenntnis-Gemeinschaften, welche durch die geschichtliche Ent­wicklung das Monopol hatten, aus alten Traditionen oder Ähn­lichem heraus Dogmen aufzustellen über das Wesen von Geist und Seele, über das Wesen der menschlichen Unsterblichkeit, die die Möglichkeit hatten, der äußeren Forschung zu verwehren, sich auf diese Dinge zu erstrecken, diese Bekenntnis-Gemeinschaften hatten ihren Druck ausgeübt auf diese äußere Forschung. So daß diese au­ßere Forschung sich früher einfach diesem Druck, diesem Gebot der Bekenntnisse fügte. Und nach und nach glauben die Wissenschaften, daß sie ihrer eigenen Vorurteilslosigkeit, ihrer eigenen Vorausset­zungslosigkeit folgen, weil ihnen nicht mehr bewußt ist, daß dasjeni­ge, dem sie eigentlich folgen, die alten Verbote der Kirche sind. Das auf der einen Seite mit Bezug auf unser Geistesleben, das sich rein auf die äußere sinnliche Wirklichkeit beschränkt und das mit seinen ge­wissenhaften Methoden, mit den Methoden, die gerade in der Naturerkenntnis in der neueren Zeit so große Triumphe gefeiert haben, nicht eingreifen kann in das Gebiet von Geist und Seele. Und so ist das Gebiet von Geist und Seele etwas Lebensfremdes gewor­den. Das Leben, die äußere Wirklichkeit, ist mit gewissenhaften Methoden erfaßt; was aber Geist und Seele betrifft, ist nach und nach

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aller unmittelbar wirklich lebendigen Begriffe entkleidet. Und wer heute die gebräuchlichen, die angesehenen, die offiziellen Hand­bücher, Vortrage, wissenschaftlichen Betriebe der Psychologie und Ähnliches verfolgt, der wird finden, daß in alledem nichts steckt, aus dem Realität hervorsprudelt. Geistesleben ist etwas geworden, was mit dem Leben keine Verbindung hat.

So aber ist das, was einzig und allein als geistige Gesinnung zugrunde liegen könnte, wenn solche Menschen wie Saint Simon, Fourier oder Louis Blanc über das Soziale nachgedacht haben, un­fruchtbar geblieben, weil man das lebendige Eingreifen des menschlichen Geistes in die unmittelbare soziale Wirklichkeit nir­gends erfaßte. Man redete in Abstraktionen herum.

Und so kann man sagen: man kann mit den Mitteln des gewöhn­lichen Geisteslebens gar nicht widerlegen, wenn auf der einen Seite gesagt wird, man könne nur nationalökonomisch die sozialen Tat­sachen beobachten und nicht in das menschliche soziale Wollen die Impulse hineinsenden, oder wenn auf der anderen Seite betont wird, aus dem geistigen Leben heraus selbst ergebe sich nichts, was zu einer wirklichen Gesundung der sozialen Verhältnisse führen könne, man müsse die Entwicklung den äußeren Produktionskräf­ten selber überlassen. Das neuzeitliche Geistesleben ist abstrakt ge­worden. Das neuzeitliche Geistesleben ist gewissermaßen eine Ideologie geworden. Daher glauben weiteste sozialistisch orien­tierte Kreise, alles Geistesleben müsse eine Ideologie sein.

Das ist es, was gerade demjenigen schwer auf der Seele liegt, der zu jener Geisteswissenschaft sich bekennt, von der heute hier die Rede sein soll. Denn diese Geisteswissenschaft will nicht in dem­selben Fahrwasser laufen, in dem Geisteswissenschaft, ausgebrann­te Geisteswissenschaft, wie sie sich in der Neuzeit herausgebildet hat, läuft. Diese Geisteswissenschaft will die Menschheit wiederum zurückführen zum wirklichen Geist, zu dem Ergreifen des wirk­lichen geistigen Lebens, dem der Mensch ebenso angehört, wie er durch seinen Leib der äußeren physischen Wirklichkeit angehört, wie er durch seine materiellen Bedürfnisse der äußeren ökonomi­schen Wirklichkeit angehört.

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Aber sobald man von wirklichem Geiste heute redet, ich möchte sagen sobald man nur Miene macht, von wirklichem Geiste zu reden, dann kommt heute nicht nur Gegnerschaft, dann kommt heute Verhöhnung, jener Hohn, der alles solches geistiges Streben hinstellt als eine Zeiten-Phantasterei, wenn nicht als etwas Schlim­meres. Und wenn gar gesagt werden muß, dasjenige, was hier als Geist gemeint ist, könne nicht mit den gewöhnlichen Erkennt­niskräften erkannt werden, mit jenen Erkenntniskräften, die im all-täglichen Leben und die auch in der gewöhnlichen Wissenschaft unsere Führer sind, sondern wenn betont wird, daß zum Ergreifen, zum Erfassen des Geistes Erkenntniskräfte notwendig sind, die in der menschlichen Natur sonst nur schlummern, die erst erweckt werden müssen, ebenso sehr erweckt werden müssen wie die ge­wöhnlichen Erkenntniskräfte in dem heranwachsenden Kinde -dann begegnet man erst recht dem Unglauben der Gegenwart. Denn der Mensch der Gegenwart will nicht gelten lassen, daß es so etwas geben könne wie eine intellektuelle Bescheidenheit, daß es so etwas geben könne wie ein Weiterentwickeln des menschlichen Inneren, das zu entwickeln ist von unserer Kindheit, wo wir in­stinktiv, dumpf ins Leben hereintreten, um später auferweckt zu werden zum Handhaben der gewöhnlichen Erkenntniskräfte, daß fortgesetzt werden könne diese Entwicklung und daß sie nicht fortgesetzt wird, weil die neuere Geistesentwicklung sich gegen diese Fortsetzung der Entwicklung gestemmt hat.

Nun soll hier nicht in einer unbestimmten Weise vom Geiste und seiner Wirklichkeit herumgesprochen werden. Leichter ist es heute, zu den Herzen, zu den Gemütern der Menschen zu spre­chen, wenn man in allgemeinen Phrasen von Geist und Geistigkeit redet - wie das vielfach geschieht aus der geistigen Entwicklung der letzten Jahrhunderte heraus -, als in so bestimmter Art von dem Geiste zu sprechen, wie es hier geschehen soll. Wenn man vom Geist spricht, so denkt ja jeder gleich an solch ein Abstraktum von Geist, an jenes Lebensfremde, das auch bewirkt hat, daß man zum Beispiel heute sagen kann, daß ein gewisses Richten nach dem Geiste populär geworden ist, von dem man sagen möchte: ihm ist

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der wirkliche Geist so fremd geworden, daß er diesem Geist zumu­tet, er begebe sich, um sich zu offenbaren, nur zuweilen auf «Gast­rollen» in das menschliche Leben herein.

Ich will Sie gewiß nicht lange mit solchen Dingen aufhalten, wie es der landläufige Spiritismus ist, dem auch neuere Gelehrte zum Opfer gefallen sind. Aber was ist schließlich dieser Spiritismus an­deres als der letzte dekadente Ausfluß des Strebens nach einem abstrakten Geistesleben! Ein wirkliches, konkretes Geistesleben muß als ein solches erfaßt werden, mit dem sich der menschliche Geist verbinden kann, mit dem man eingreifen kann bei jedem Schritt des Lebens in die äußere, in die physische natürliche, in die kosmische Wirklichkeit. So hat es mit wirklichem Geistesleben nichts zu tun, wenn Menschen mit irgendwelchen theatralischen Mitteln versuchen, mit Geistern in Kontakt zu treten, wie es bei spiritistischen Sitzungen geschieht oder wie es sonst von abstrakten Mystikern auf andere Weise angestrebt wird. Von Bemühungen um solche Gastrollen des Geistes ist hier nicht die Rede, eines Geistes, der im übrigen nichts zu tun hat mit der äußeren Wirklichkeit, der nur dazu hereingerufen wird, damit der Mensch einmal - ich möchte sagen als Eckensteher des Lebens - die Überzeugung da­von gewinne, es gebe einen Geist. Von einem solchen Geist kann die Geisteswissenschaft, die hier gemeint ist, nicht sprechen. Sie kann nur sprechen von dem Geiste, der in Wahrheit in jedem materiellen Wirken, in jedem materiellen Geschehen drinnensteckt und mit dem der Mensch sich verbinden kann zur Beherrschung dieser äußeren Wirklichkeit.

Daher werde ich vor allen Dingen von derjenigen Wirksamkeit des Geistes zu sprechen haben, auf die wir zuerst unsere Aufmerk­samkeit zu wenden haben, wenn wir sehen wollen, wie der Geist durch den Menschen selber im äußeren Leben wirksam gemacht werden kann. Wir werden unsere Aufmerksamkeit hinzuwenden haben auf die Art und Weise, wie der Geist allmählich sich heraus-entwickelt aus dem werdenden Menschen.

Selbst diese Anschauung des werdenden Menschen, dieses, ich möchte sagen völligen Rätsels der Welt, das wir in der Erziehung

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fortwährend zu lösen haben, selbst dieses Wunderrätsel vom wer­denden Menschen ist in eine gewisse abstrakte, nebulose Höhe ge­bracht worden in der neueren Zeit. Wir reden in der neueren Zeit viel von der Kraft, die wir in die Erziehung hineinlegen sollen. Vieles ist in der letzten Zeit entstanden an Versuchen, diese oder jene Erziehungsgrundsätze anzuwenden. Alle solchen Versuche werden scheitern. Sie werden sich als Dokumente des guten Willens ihrer Träger entpuppen, aber sie werden gegenüber den großen, gegenüber den intensiven Anforderungen unseres Lebens scheitern müssen, wenn sie nicht hervorgehen aus wahrer Erkennt­nis der menschlichen Wesenheit selber.

Diese menschliche Wesenheit selber aber erkennt man nicht, wenn man sie nur mit den Mitteln einer äußeren Wissenschaft oder mit den Mitteln der an der äußeren Wissenschaft gewonnenen Sin­nenbeobachtung und ihrer verstandesmäßigen Verarbeitung erken­nen will. Die menschliche Wesenheit enthüllt sich uns, indem wir uns die Fähigkeit aneignen, tatsächlich jenes geheimnisvolle Etwas zu erforschen, das sich, indem der Mensch hereintritt durch die Geburt oder Empfängnis ins physische Dasein, mit jedem Tage, mit jeder Woche, mit jedem Jahre enthüllt, wenn wir es nur zu beobachten verstehen. Und da müssen wir, wenn wir eben nicht in dem Geiste abstrakt bleiben wollen, sondern auf die geistig konkrete Wirksamkeit in der äußeren Wirklichkeit gehen, da müssen wir ganz bestimmte Abschnitte zunächst im Leben des jugendlichen Menschen beobachten.

Diese Dinge werden heute viel, viel zu wenig gewürdigt. Jener Abschnitt, der sich deutlich beobachten läßt in der Zeit, in welcher der Mensch die Zähne wechselt, so um das sechste, siebente Jahr herum, bedeutet für den Kenner der Menschenwesenheit einen tief-gehenden Umschwung der ganzen menschlichen Natur. Wenn man das Seelenleben vor diesem Abschnitt prüft, wenn man ein Organ dafür hat, wirklich empirisch solche Sachen zu prüfen, wie man heute empirisch prüft in den Laboratorien oder in den physika­lischen Instituten oder der Sternwarte, dann findet man, daß der Mensch in der Zeit, die dem Zahnwechsel vorangeht, im wesentlichen

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ein Nachahmer ist. Was sein ganzes Wesen beherrscht bis zum siebenten Jahre, ist ein Leben in einem nachahmenden Ele­mente, eine Art selbstverständlicher naiver Hingabe an die Umge­bung. Bis in die Bewegung, bis in die Geste, bis in den Tonfall hinein lernen wir in den ersten sieben Jahren unseres Lebens alles durch Nachahmung, durch strengste Anpassung an dasjenige, was in unserer Umgebung ist.

Man kann solche Dinge in der Tat in extremen Fällen leicht beobachten. Unter den vielen Fällen, die einem dann entgegentre­ten, wenn man überhaupt für so etwas einen Sinn hat im Leben, will ich nur einen erwähnen. Ich könnte den einen verhundert­fachen. Ich kannte ein junges Kind, das hinkte; trotzdem ihm nicht das Geringste fehlte, hinkte es, und man konnte ihm das Hinken riicht abgewöhnen. Obwohl im Bein nicht die geringste Veran­lassung war zum Hinken, hinkte es. Und es hinkte aus dem Grun­de, weil ein älteres Geschwisterchen wirklich durch eine Bein-krankheit alle Veranlagung zum Hinken hatte! So drückt sich in einem extremen Falle dieses Nachahmungsprinzip des Menschen aus, das bis zum Zahnwechsel in seinem Leben herrschend ist. Aber man braucht es nicht in solchen extremen Fällen zu beobach­ten - man wird sogar leicht irregeführt, wenn man das tut -, son­dern man kann es beobachten, wenn man Anlagen hat für intime Kindeserkenntnis.

Und dann, wenn dieser Zahnwechsel vorüber ist, dann treten für den wirklichen Beobachter ganz neue Kräfte in das seelisch-leiblich-geistige Leben des Menschen herein. Dann wird sich der Mensch nicht mehr bloß hinwenden an das, was in seiner Umgebung seine Sinne wahrnehmen, sondern dann wird er ganz besonders reif dazu, etwas in seinen Glauben, in seine Meinung hereinzunehmen, etwas, von dem er verspürt, daß es die Meinung, daß es der Glaube derjenigen ist, die ihm wegen ihres Alters, wegen ihres Auftretens in seiner Umgebung eine selbstverständliche Autorität sind.

Und diese Hingabe, diese selbstverständliche Hingabe an die Autorität, ist im Menschenleben drinnen wie ein Naturgesetz bis zu der Zeit, in der der Mensch geschlechtsreif wird. Will man in

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dieser Zeit auf das Menschenwesen sachgemäß wirken, dann muß man sich an dieses selbstverständliche Autoritätsprinzip wenden.

Wer nicht aus Vorurteilen heraus, nicht aus irgendeinem nahe­liegenden Rationalismus, sondern aus den Tatsachen heraus das Leben des jugendlichen Menschen beobachtet, der weiß, was es für das ganze Leben für eine Bedeutung hat, wenn man in der Tat als Kind in der Lage ist, zu einer Autorität, die als Autorität berechtigt ist, hinzuschauen. Wie sich die Gefühle gegenüber einer solchen Autorität im Menschen wandeln, das muß man nur beobachtet haben, nur beobachtet haben, was aus diesen der Autorität zu-gewandten Gefühlen im spateren Leben wird! Alles, was wir in wirklich freiem, unabhängigem, demokratischem Gefühl im Zu­sammenleben der Menschen entwickeln, alles, was wir uns aneig­nen an wahrer Menschenerkenntnis und Menschenachtung, es re­sultiert im Grunde genommen aus der richtigen, sachgemäßen Ent­wicklung unter der selbstverständlichen Autorität in der Zeit der Kindesentwicklung vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife.

Man sollte in diese Dinge nicht hineinpfuschen aus gewissen Programmen heraus, sondern sollte sich gerade auf diesem Gebiete einer rein empirischen Betrachtungsweise hingeben. Dann wird man empfinden, dann wird man finden, an was man zu denken hat, wenn man das Kind aus der Sorgsamkeit der Eltern - oder auch der Unsorgsamkeit, der Verziehung durch die Eltern - empfängt, die namentlich wirkte unter dem Nachahmungsprinzip, wenn man es hereinbekommt in das Schulleben, in jenes Schulleben, in dem man, wenn man wirklich sachgemäß wirken will, aus diesem Prinzip der Autorität heraus wirken muß. Aber man kann nur wirken, wenn man aus Menschenkenntnis heraus seine pädagogischen Maßnah­men, seine ganze Lehr- und Erziehungstätigkeit entwickeln kann.

Nun, wenn man nicht in der Lage ist, von Jahr zu Jahr, von Woche zu Woche zu beobachten, wie [jeweils] andere Anforderun­gen aus dem Zentrum des Kindes sich entwickeln, an die Oberflä­che dringen, denen man entgegenzukommen hat mit dem Lehrstoff und den Lehrmethoden, wird man nicht mit den Kräften der Ent­wicklung des Menschen wirken, man wird gegen sie wirken.

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Wenn man aber nicht weiß, wie die Autorität wirkt, wenn man nicht die intimen Wechselwirkungen kennt zwischen der Autorität und dem aufwachsenden Kinde, dann wird man gerade auf dem Gebiete der Unterrichts- und Erziehungstätigkeit nimmermehr für diese Jahre im lebenfördernden Sinne wirken können.

Ich möchte wiederum einzelnes Konkrete anführen. Aus gewis­sen Programmen, aus gewissen Vorurteilen heraus wird heute viel gesprochen vom Anschauungsunterricht. Anschauungsunterricht:

das heißt, man soll dem Kinde alles einzeln zeigen. Und darinnen liegt sehr häufig auch die Anforderung, man soll ihm nur dasjenige zeigen, was man ihm vor Augen oder wenigstens vor seinem Verstande demonstrieren kann, so daß es aus seiner kindlichen Auffassung heraus alles gleich begreifen kann.

Man nehme nur einmal in die Hand, was heute vielfach als Handbücher zur Anleitung für solchen Anschauungsunterricht gilt. Gewiß, der Anschauungsunterricht ist in gewissen Grenzen sehr berechtigt; allein, gerade was in gewissen Grenzen berechtigt ist, führt zum Unheil, wenn es über die Grenzen hinausgeführt und angewendet wird. Dieser Anschauungsunterricht - man kann es, wie gesagt, aus den Handbüchern ersehen - führt sehr häufig zur äußersten Trivialität. Man sucht sich herunterzuschrauben zu dem­jenigen, was das Kind verstehen soll, zu demjenigen, wovon man glaubt, in seiner Einfalt einfach glaubt, daß es das Kind verstehen könne. Man berücksichtigt dabei aber nicht, was es im Leben des Menschen bedeutet, wenn man zum Beispiel, nun sagen wir fün­funddreißig Jahre alt geworden ist und sich plötzlich erinnert, aus irgendeinem Lebensanlasse heraus, daß einem von einer verehrten Autorität vielleicht im siebenten, achten, neunten oder zehnten Jahre in der Schule etwas beigebracht worden ist. Das, sagt man sich, hast du dazumal nicht verstanden; du blicktest voll Hingabe zu der verehrten Autorität auf; du wußtest, wenn die verehrte Autorität es spricht, wenn sie es in deine Seele hereinleitet - du wußtest das instinktiv, du machtest dir das nicht klar, aber du empfandest es dazumal -, du wußtest: das ist etwas Wertvolles. Du nahmst es hin, vielleicht nur seinem Wortlaute nach, aber es lebte

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in dir nach noch jahrelang. Nach Jahren erinnerst du dich, jetzt, wo du reif dazu geworden bist, rufst du dasjenige, was du einstmals aufgenommen hast, dir in die Erinnerung. Dieses Zurückgreifen von dem Standpunkte der Reife aus auf dasjenige, was man in der Zeit der Unreife aufgenommen hat, auf bloße Autorität hin aufge­nommen hat, das ist nun ein Quell der Kraft. Und man weiß jetzt, was es bedeutet, daß man so etwas als Kind in der Jugend bei­gebracht bekam, wofür man erst in späterer Lebensreife, in der Erinnerung, das volle Verständnis finden kann: Lebendige Kräfte führen wir dadurch einem Menschen zu!

Noch etwas anderes möchte ich anführen für das intime Walten zwischen der Erzieher-Autorität und dem Kinde. Man will gewisse Dinge der Jugend beibringen, und man sagt sich: Die Jugend, sie versteht ja natürlich nicht diese Dinge, die erst für ein späteres Lebensalter sind. Also kleidet man das für die Jugend in allerlei Vergleiche, in allerlei Sinnbilder ein. Wollen wir irgendein solches Sinnbild nehmen, das vielleicht jemand ausdenken könnte: Irgend jemand bildet das Sinnbild für die Unsterblichkeit aus, indem er sie sinnlich einmal dem Kinde vorführen will. Er sagt vielleicht: Mein Kind, hier hast Du eine Schmetterlingspuppe. In dieser Schmetter­lingspuppe, da ist das Tier verborgen drinnen. Das Tier wird aus-kriechen, der schöne Schmetterling tritt aus der Puppe hervor.

Nun geht man weiter und sagt: So wie in dieser Puppe der Schmetterling drinnen ist, so ruht in Deinem Leibe die unsterbliche Seele. Und wenn Du durch die Todespforte gehst, dann wird diese unsterbliche Seele in der geistigen Welt wie der Schmetterling er­scheinen. Erinnere Dich, wie hier in der physischen Welt aus der Puppe heraus der schöne Schmetterling hervortritt.

Man kann solch ein Sinnbild bilden. Das Kind wird vielleicht etwas berührt davon. Allein, was durch ein solches Sinnbild er­reicht werden soll, wird doch nicht erreicht, wenn man als Erzieher bloß das Bewußtsein hat: Du bist gescheit, das Kind ist noch dumm. Du kleidest dasjenige, was das Kind noch nicht verstehen kann, in ein Bild. - Es gibt Imponderabilien im menschlichen Zu­sammenleben, ohne daß irgend etwas zwischen dem Verstand der

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Autorität und dem Verstand des Kindes spielt. Im Unterbewußten wird etwas bewirkt, was ein Ergebnis der Ungläubigkeit des Leh­rers gegenüber seinem Bilde und dem Glauben, der sich durch das Bild bei dem Kinde entwickeln soll, ist.

Man muß eben nur beobachtet haben, wie anders solche Dinge wirken - ich werde jetzt etwas zunächst sehr Paradoxes sagen -, wenn man nun selbst daran glauben kann, daß das Bild von der Puppe und dem Schmetterling nicht ein bloßes Bild ist, wenn man sich klar darüber ist, daß nicht ich dieses Bild mache, sondern die schöpferischen Naturkräfte selber machen dieses Bild. Dieses Bild ist von der einzig großen Künstlerin Natur, die ihr Göttliches in sich trägt, so geprägt, daß es auf einer niedrigeren Stufe dasselbe ausdrückt wie die Unsterblichkeit auf einer höheren Stufe. Wenn man, mit anderen Worten ausgedrückt, völlig an sein Bild glauben kann, wenn das nichts Ausgedachtes ist, wenn das für einen selbst innerlicher Glaube ist, dann wirkt in dem, wie man sich zu dem Kinde verhält, etwas in der Art, daß, wenn es in das Leben des Kindes in der rechten Weise eingreift, das Kind später ein echtes Bild für die Unsterblichkeit der eigenen Seele hat. Man soll nur ja nicht nach den äußeren Dingen urteilen, die man heute mit dem Autoritätsprinzip auch für dieses Lebensalter verbindet. Es ist zumindest noch ein sorgfältiges Studium von jenem Gesichtspunk­te aus, den ich gleich nachher besprechen werde, notwendig, um wirklich zu durchschauen, was da im Leben des Menschen waltet und angewendet werden muß in der Erziehung zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife.

Im Grunde genommen tritt erst nach der Geschlechtsreife in der menschlichen Natur die eigene Urteilsfähigkeit, das freie, unabhän­gige Verständigsein auf. Greift man früher zu diesem unabhängigen Verständigsein, appelliert man bei dem Kinde vor der Geschlechts­reife zu sehr an den Verstand, appelliert man nicht an dasjenige, was von Person zu Person durch Autorität übertragen wird, dann ertötet man vieles von dem, was sich gerade zwischen dem sech­sten, siebenten und vierzehnten, fünfzehnten Lebensjahre, also während der Volksschulzeit, in dem Kinde entwickeln will.

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Nun müssen wir vorher fragen: woher kommen dem Erziehen­den diese Einsichten in die Kräfte, die er bei dem Kinde verwenden soll, wenn es zunächst noch ein Nachahmer ist, dann in der Zeit zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife und dann in dem Lebensalter nach der Geschlechtsreife? Man kann spotten, man kann heute höhnen über dasjenige, was die Geisteswissen­schaft meint, wenn sie davon spricht, daß besondere Kräfte, höhere Erkenntniskräfte in der menschlichen Natur gebildet werden müs­sen, damit man das Geistige erkennen kann, auch wenn es als Gei­stiges so wirkt, wie ich es jetzt beschrieben habe für die verschie­denen Lebensalter des Menschen.

Ich habe in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» im einzelnen beschrieben, wie man sich diese höheren Erkenntniskräfte aneignet; desgleichen im zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft» und in anderen Büchern. Ich habe gezeigt, wie der Mensch, indem er gewissermaßen das gewöhnliche alltägliche Erkennen und das gewöhnliche wissenschaftliche Er­kennen als einen Grund und Boden betrachtet, durch drei Stufen höherer Erkenntnisse aufsteigen kann, die ich - stoßen Sie sich nicht an Namen, man braucht eben gangbare Namen - genannt habe: die imaginative Erkenntnis, die inspirierte Erkenntnis und die intuitive Erkenntnis.

Die imaginative Erkenntnis eignen wir uns an, wenn wir ganz besondere Meditationen machen, systematisch, so wie ich es in den genannten Büchern beschrieben habe, indem wir das Denken über jenen Grad hinaus schulen, den es für das gewöhnliche Leben und für die gewöhnliche Wissenschaft erreicht. Diese imaginative Er­kenntnis gibt uns zunächst die Möglichkeit, in unserem Seelenleben Bilder zu entwickeln, aber Bilder, die nicht Raumesbilder, die nicht Phantasiebilder sind, sondern Bilder, welche die Repräsentanten sind einer geistigen Wirklichkeit.

Man lernt erkennen, daß schließlich alles dasjenige, was der Mensch für das gewöhnliche Leben und für die gewöhnliche Wissenschaft an Ideen, an Vorstellungen, an Übermittlung von Sinneswahrnehmungen entwickelt, allerdings gebunden ist an die

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menschliche Leiblichkeit. Aber man lernt, indem man immer mehr und mehr dazu übergeht, das Denken, die Denkkraft in einer me­ditativen Tätigkeit in sich zu steigern, allmählich das Seelenleben von dem bloßen Leibesleben loszulösen. Und man steigt zunächst auf zu einer imaginativen Erkenntnis, die nur in Bildern besteht, die uns aber Realität vorführt in dem Momente, in dem wir uns so weiterentwickeln, wie ich es in den genannten Büchern beschrieben habe. Wenn das inspirierende Element aus den geistigen Welten, die ebenso um uns herum sind wie die physische Welt, herein-spricht, dann erfüllen sich diese Bilder, für deren Auffassungsfähig­keit wir uns zuerst geeignet gemacht haben, für uns mit Wirkungen aus der geistigen Welt.

Und steigen wir auf zur intuitiven Erkenntnis, so treten wir den geistigen Wesenheiten so gegenüber, wie wir hier in der physischen Welt physischen Wesenheiten gegenübertreten. Ich kann das heute nur andeuten, muß auf die Bücher verweisen, die ich angeführt habe, sowie auf zahlreiche Vorträge, welche ich auch hier in Basel gehalten habe und wobei ich diese Dinge im einzelnen beschrie­ben habe. Wenn der Mensch wirklich aufsteigen kann zu dem, was ich hier nenne imaginative, inspirierte und intuitive Erkenntnis, so ist das keine Phantasterei, Träumerei - so spricht die Geistlosig­keit unserer Zeitgenossen noch, wenn man ihnen von diesen Erkenntnisstufen spricht; höchstens, wenn sie guten Willens sind, sagen sie: «Nun ja, Auswüchse einer krankhaften Phantasie!» Aber man braucht nur auf die wirklichen Grundlagen dieser höheren Erkenntnis hinzuweisen, und das will ich heute tun. Indem ich mich beziehe auf die Charakteristik, die ich sonst gegeben habe, möchte ich hinweisen auf die eigentliche Quelle dieser höheren Erkenntnisse. Wo liegen in der menschlichen Natur diese Kräfte, die entwickelt werden müssen im Leben, damit der Mensch in die geistige Welt hineinsehen kann?

Bedenken Sie nur: bis zum Zahnwechsel hat der Mensch gewisse Kräfte in sich, die ihn zu einem nachahmenden Wesen machen, Kräfte, die später gewissermaßen sich rückbilden. In unserem heutigen gewöhnlichen und sozialen Leben finden diese Kräfte,

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möchte ich sagen, keine Verwendungen. Sie werden rückgebildet. Aber sie bleiben mit der menschlichen Natur verbunden.

Und wiederum die Kräfte, die zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife wirken, die da aus dem Seelisch-Leiblichen heraus jene Hinneigung zum Autoritätsprinzip bewirken, diese Kräfte, die ich Ihnen charakterisiert habe in dem Wirken im Sinne von Imponderabilien zwischen dem Erzieher und dem zu Erzie­henden, diese Kräfte sind reale Kräfte des Kindesalters; sie werden später zurückgebildet. Und noch von der Geschlechtsreife bis in die Zwanzigerjahre hinein haben wir als Menschen solche Kräfte, welche später zurücktreten.

Es ist ja heute allerdings schon eine seltenere Erscheinung, was wir den Idealismus der Jugend nennen, was wir diejenigen Antrie­be der Jugend nennen, die Ideale hinstellen, lebensvolle Ideale, so wie sonst nur für den späteren Menschen das äußere reale Leben empfunden wird. Aber dieselben Kräfte sind es, die erst nach der Geschlechtsreife unsere eigentliche Urteilsfähigkeit begründen, diese Kräfte sind es, die zur besonderen Ausbildung gebracht wer­den müssen, wenn der Mensch geschlechtsreif geworden ist. Diese Kräfte werden nach dem zwanzigsten, einundzwanzigsten, zwei­undzwanzigsten Jahre wiederum zurückgebildet.

So wie in den letzten Jahrhunderten das menschliche Leben sich einzig und allein zur Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten, der äußeren wissenschaftlichen Fähigkeiten, der äußeren Naturbe­obachtung und sozialen Beobachtung entwickelt hat, so werden zunächst diese Kräfte, die in den drei ersten Lebensaltern des Men­schen wirken, zurückgebildet. Sie können wieder heraufgeholt werden. Und nichts anderes ist es, was heraufgeholt wird nach Anleitung meines Buches «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» aus den Tiefen der Menschennatur für das ima­ginative Erkennen, als jene Seelenkräfte, jenes Geisteswirken, die nach der Geschlechtsreife bis in die Zwanzigerjahre hinein den Menschen eigentlich als solchen geistig-leiblich bilden. Was zu­rücktritt, wird wieder hervorgeholt von dem Geistesforscher. Es wird wieder hervorgeholt, damit es ins Bewußtsein herauftritt,

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während es sonst zurückgetreten ist. Da entwickelt es dann die imaginative Erkenntnis.

Schwieriger ist schon, dasjenige hervorzuholen, was im Men­schenleben vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife gewirkt hat, die Kräfte, die wiederum zurückgetreten sind im späteren Leben, die, ich möchte sagen tiefer drinnenstecken in dem Organsystem. Auch sie können durch solche Übungen, wie ich sie beschrieben habe in den genannten Büchern, heraufgeholt werden in das Bewußtsein. Dann erweisen sich diese Kräfte als identisch mit unbekannten, durch keine äußere Wissenschaft aufstellbaren Naturkräften, die gerade im Menschen aber wirken. Dann lernen wir diese Kräfte beherrschen. Dann bringen sie uns gewisse Geist-geheimnisse der Umgebung durch eine inspirierte Wissenschaft in unser Bewußtsein herein. Nicht erfundene Kräfte, nicht irgend et­was, was im Leben nicht vorhanden ist, sondern gerade, was sich in wichtigsten Entwicklungsjahren des Menschen als wirksam er­weist, das wird durch die Geistesforschung wiederum heraufgeholt, um zur Grundlage für Einsichten in die geistige Welt zu werden.

Am schwierigsten hervorzuholen - weil sie eigentlich schon für die Beobachtung verborgen bleiben - sind diejenigen Kräfte, die tätig sind in der menschlichen Natur und später ganz verschwin­den. Es sind dies die Kräfte, die in der menschlichen Natur zwi­schen der Geburt oder sagen wir sogar der Empfängnis und dem Zahnwechsel tätig sind und im Heraustreiben der bleibenden Zäh­ne sozusagen ihren Abschluß, ihren Schlußpunkt finden. Diese Kräfte ziehen sich ganz in das organische System des Menschen zurück, können aber ebenfalls herausgeholt werden, nachdem wir die anderen Kräfte herausgeholt haben.

Dann sehen wir, daß - indem wir diese Kräfte erfassen - wir uns mit unserer Wesenheit, die uns eigentlich den Lebensanstoß gegeben hat, nun verbinden. Wir rollen gewissermaßen das Leben nach dem siebenten Lebensjahre nurmehr ab. Den eigentlichen Anstoß aus der tiefsten Seele heraus, die wir als Geist erkennen, wenn wir sie herauf-holen, den empfangen wir in dem ersten Lebensabschnitt; wenn wir das aus unserem Bewußtsein heraufbringen, was sonst zurückgetreten

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ist, dann empfangen wir die intuitive Erkenntnis. Dann verbin­den wir uns nicht nur mit unserem eigenen Wesen, sondern dann verbinden wir uns mit etwas, wogegen allerdings unsere gewöhnli­chen Gedanken Absurditäten sind, wir verbinden uns mit etwas, was einerlei ist mit dem Wesen der Welt. Dann erkennen wir den Geist in uns im Zusammenhange mit der Geistigkeit der Welt.

Der Erzieher, welcher im Sinne der Geisteswissenschaft sich Menschenkenntnis erwirbt, er blickt, indem er den werdenden Menschen vor sich hat, auf dasjenige hin, was aus dem Geiste her­aus diesen werdenden Menschen bildet. Er kommt mit seinen Bil­dungsmitteln diesem werdenden Menschen entgegen. Der im Sinne der Geisteswissenschaft wirkende Pädagoge hat nicht eine Pädago­gik im Auge, die, wie es heute normal ist, nach abstrakten Regeln einen Zögling heranbilden soll; für ihn ist der einzelne Zögling ein Rätsel. Für ihn ist dasjenige, was im einzelnen Zögling sich auslebt, etwas, das mit jedem Tag, mit jeder Stunde lebendig gelöst werden muß. Aber indem sich der Erzieher die Anschauung dieses leben­dig wirkenden Geistes im lebendig sich entwickelnden Menschen aneignet, nimmt er in sich eine Wirklichkeits-Erkenntnis auf, die nicht in Begriffen, nicht in abstrakten Gewohnheiten bleibt, sondern die seinen Willen mit Geistigkeit durchdringt. Er wird wirklich eine Erkenntniskraft entwickeln können, er wird ein Erkenntnisweiser, und er wird daraus eine Pädagogik entwickeln, die unmittelbar Leben ist, weil sie aus Menschenkenntnis, aus der Erkenntnis des vollen, ganzen Menschen hervorgeht.

Geisteswissenschaft, anthroposophisch orientiert, wie sie hier ge­meint ist, sie ist nichts anderes, als was aus den Kräften geschöpft wird, die in den geistigen Entwicklungsstadien des Menschen die eigentlich wirksamen sind. Nicht aus irgendeiner Phantastik heraus, nicht aus irgend etwas heraus, was in einem Menschen auftreten kann oder nicht auftreten kann, wird der Quell für die Entwicklung der höheren Geisteskräfte geholt, sondern aus dem bewußten Auf­nehmen dessen, was gerade in den gesündesten Wachstums- und Lebenskräften in den drei ersten Lebensaltern des Menschen wirkt. Indem wir Geistesforscher werden, erheben wir ins Bewußtsein zu

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unserer Erkenntnis der Welt und des Menschen herauf, was unser Wachstum, unsere Menschwerdung eigentlich bewirkt.

So verwandt ist Geisteswissenschaft mit dem geistig-seelischen Werk- und Rüstzeug des Erkennens. Deshalb ist Geisteswissen­schaft nicht etwas, was bloß von unserem Verstande aufgenommen wird. Weil es hervorgeholt ist aus den Wesens- und Wachstums­kräften unseres ganzen Menschen, durchdringt es unseren ganzen Menschen, unser Gemüt und unseren Willen. Es wird elementare Menschenkraft in uns. Denn Unreife, Unbewußtheit sind Begriffe, welche vor diesem Walten des Geistes im Menschen ihre Berechti­gung verlieren. Man darf nicht sagen, der Mensch verliere seine instinktive, elementarische Kraft, wenn er den Geist bewußt ent­wickelt - nein, die Naivität geht mit, und gerade dieselbe elemen­tare Kraft, die sonst nur im instinktiven Wirken vorhanden ist, ist auch vorhanden, wenn man in dieser Weise vom Geiste wirklich durchdrungen ist. Da geht Geistiges über, wirklich über in die Wesenheit des Lehrenden, in die Wirksamkeit des Lehrenden, des­jenigen, der unter der Jugend sozial-pädagogische Kraft zu entwik­keln hat. Denn was Geisteswissenschaft ist, stammt aus demselben Quell, aus dem der Mensch selber herauswächst. Und Sich-Ent­wickeln ist nur die Umwandlung unserer Wachstumskräfte.

Das sind Dinge, denen die Menschheit heute vielfach so gegen­übersteht, wenigstens ihrem eigenen tieferen Prinzipe nach so ge­genübersteht, wie sie etwa der modernen Naturwissenschaft gegen­übergestanden hat zu der Zeit, als Kopernikus und Galilei sie inauguriert haben. Aber ebenso sicher, wie dasjenige, was dazumal als eine Absurdität von den weitesten Kreisen angesehen worden ist und heute für diese zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, so sicher wird die Erkenntnis von den drei vorhergehenden Lebensaltern und ihren Grundkräften und der Umwandlung zu Imagination, Inspiration und Intuition in der Geisteswissenschaft eine Selbstverständlichkeit werden.

Unser Zeitalter aber, das bemerken kann, wie das neuere Gei­stesleben - ich habe das an zwei Beispielen ausgeführt - ohnmäch­tig geworden ist gegenüber dem sozialen Leben und sozialen Wollen,

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unser Zeitalter sollte Sympathie und Interesse entwickeln, wenn gezeigt werden kann, daß es nicht nur die abstrakte, lebens­fremde und lebensferne Geisteswissenschaft gibt, die sich in den letzten Jahrhunderten heraufentwickelt hat, sondern eine Gei­steswissenschaft, die aus der Umwandlung der Wachstumskräfte selber hervorgeht, die den lebendigen Geist ergreift, der nicht bloß Gastrollen gibt im Leben, sondern der im Leben auftritt, im Leben wirkt und mit dem sich der menschliche eigene Geist so verbinden kann, daß er ihn entwickeln kann als sozial-pädagogische Kraft.

Warum - legen wir uns diese Frage noch einmal vor -, warum findet denn diese neuere Zeit so wenig die Möglichkeit, dasjenige, was sie an Ideen aufnimmt, was sie an Ideen entwickelt, in soziales Wollen umzuwandeln? Warum ist es denn gekommen, daß ein sol­cher Unglaube eingetreten ist gegenüber der Macht des Geistes, daß man nur von Ideologie spricht?

Nun, die Zeit, die wir eben hinter uns haben, ist die Zeit, in der die großen Triumphe der Naturwissenschaft eingeleitet wer­den sollten. Diese großen Triumphe der Naturwissenschaft konnten nur dadurch eingeleitet werden, daß der Mensch zu­nächst absah von dem, was in ihm selber ist, und sich dem Wirken und Weben der äußeren Natur mit allem seinem Metho­dischen hingab. Gerade derjenige, der Geistesforscher ist, wird die Gewissenhaftigkeit, die Exaktheit der naturwissenschaftlichen Methode der neueren Zeit und auch die Fruchtbarkeit des Wir­kens dieser Methode auf ihren Gebieten anerkennen. Er wird sich durchaus nicht in einer bloßen unverständigen Kritik über das begrenzte und eingeschränkte Naturwissen ergehen. Aber eine Erfahrungstatsache muß geltend gemacht werden, die heute deshalb nicht beobachtet wird, weil man von der einen Seite aus vollberechtigt die Aufmerksamkeit darauf wendet, wie sehr die naturwissenschaftlichen Methoden geeignet sind, ein richtiges Bild des äußeren Naturwirkens oder wenigstens ein Bild des äußeren Wirkens der Natur zu geben; da ist man dann nicht geneigt, zu fragen: Ja, wie wirkt denn aber dieses Bild, das auf solche Art entsteht, nun auf das ganze Wesen des Menschen ein?

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Der Mensch ist in der Naturbeobachtung und in der Erkenntnis der Naturgesetze an das nur hingegeben, was seine Sinne glauben und was sein Verstand bearbeitet. Da schließt er bewußt alles das aus, was aus seinem Gemüts- und Willensleben kommt. Dafür aber greift dasjenige, was er als Naturwissen sich aneignet, auch nicht auf sein Willensleben und auf sein Gemütsleben über. Daher kommt es, daß mit einem gewissen Rechte manche Menschen, die sich vorurteilslos die ganze Sachlage ansehen, anders reden über die Natur­wissenschaft und ihre Wirkung als diejenigen, die eben - wie gesagt, von der einen Seite ist das durchaus berechtigt - sich nur an die Betrachtung der großen Triumphe der Naturwissenschaft hingeben.

Was wir als Naturbild durch die naturwissenschaftliche Metho­de gewinnen, hat etwas Schicksalhaftes, gerade, wenn wir unseren Blick auf die menschliche Wesenheit selber lenken; es ist etwas, was nur unseren Verstand erfüllt, was nicht unseren Willen ergreift. Wenden wir daher die naturwissenschaftliche Methode auch nur in populärem Denken oder in wissenschaftlichem Denken auf das soziale Leben an, flutet uns gewissermaßen das soziale Leben her­aus, es fällt heraus. Wie irgend etwas, das kleinkörnig ist, durch ein Sieb fällt, so fällt uns das wirkliche soziale Leben aus unserer Betrachtung heraus, wenn wir nur mit naturwissenschaftlicher Methode daran gehen. Wir brauchen doch nur zu sehen, wie stren­ges, kausales naturwissenschaftliches Denken durchaus in dem Augenblicke versagt - ich will Ihnen ein empirisches Beispiel dafür anführen -, in dem es sich auf das soziale oder überhaupt auf das äußerliche gesellschaftliche Gebiet begibt. Es gibt vielleicht kein Buch, das auf einem viel angefochtenen Gebiete exaktes natur-wissenschaftliches Denken so schön entwickelt wie das Buch des bekannten Biologen Oskar Hertwig «Das Werden der Organis­men, eine Widerlegung der Darwinschen Zufallstheorie». Man kann nur im höchsten Sinne loben, was da mit diesem Buche an Charakteristik naturwissenschaftlicher Einsichten in das Entwick­lungsgebiet versucht worden ist.

Kurze Zeit, nachdem dieses Buch von Oskar Hertwig erschie­nen ist, ließ Oskar Hertwig auch eine Schrift erscheinen über soziale,

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rechtliche und Staatsfragen, Gesellschaftsfragen überhaupt. Man kann sich etwas Dilettantischeres und Unzulänglicheres nicht denken als diesen Spaziergang eines ausgezeichneten Biologen in das Gebiet, welches wir mit dem Begriff des sozialen Lebens um­spannen!

Solche Beispiele ließen sich verhundertfachen, vertausendfachen. Sie alle zeigen, was man aber auch unmittelbar beobachten kann:

daß gerade die beste Hingabe an naturwissenschaftliche Erkennt­nisse bewirkt, daß wir unser Bewußtsein mit Ideen erfüllen, die wirklich der Inhalt einer Ideologie sind, die nicht wirklich unser Gemüt und unseren Willen durchpulsen können. Gemüts- und willensunfruchtbar bleiben diese Ideen.

Nun möchte ich ausdrücklich betonen, daß ich in der Betrachtung solcher Dinge nicht den verkehrten Weg zu gehen beabsichtige. Ich möchte durchaus nicht behaupten, daß die allgemeine populäre Denkweise der weitaus größten Menge der heutigen Menschen etwa ein Einfluß naturwissenschaftlicher Denkweise ist. 0 nein, im Ge­genteil, die letzten Jahrhunderte haben eine gewisse populäre Denk­weise heraufgebracht - wer Geschichte wirklich studiert, nicht nach dem, was bloß eine «fable convenue» ist, sondern sie wirklich stu­diert, kann sehen, wie seit drei bis vier Jahrhunderten sich das Leben der Menschen, namentlich das soziale Leben der Menschen bis in die bäuerlichsten Kreise hinauf gewandelt hat. Und dasjenige, was als naturwissenschaftliches Denken hervorgetreten ist, das ist nur, ich möchte sagen der äußere Exponent, der äußere Ausdruck dessen, was das menschliche Seelenleben überhaupt ergriffen hat. Ich möch­te das Leben der Menschen, das Denk- und Empfindungsleben der Menschen nicht etwa einen Ausfluß nennen naturwissenschaftlicher Gesinnung und Wissensbereiche, sondern umgekehrt: ich möchte in der naturwissenschaftlichen Gesinnung und Wissensrichtung nur das äußere Zeichen, die Offenbarung für das sehen, was allgemeine Gesinnung des Menschen ist, allgemeine Stimmung dem Leben und der äußeren Wirklichkeit gegenüber.

Was sich so herausgebildet hat, das ist eben gerade die Grundlage für ein lebensfremdes Geistesleben. Nimmt man dagegen auf, was

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die Grundlage für die hier gemeinte anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft ist - ich habe ja gezeigt, wie diese Geisteswis­senschaft nur die Umwandlung gerade der Wachstums- und Bilde-kräfte des Menschen ist -, nimmt man das auf, kann man sich dazu erheben, in diesen Dingen eine wirkliche Welt zu sehen, dann geht dasjenige, was wir so aufnehmen mit dem Wissen vom Geistigen, wiederum über in unsere Gemüts-, in unsere Willenskräfte. Und die­ses ist der einzige Weg zu einem wirklichen sozialen Wollen, den es als einen gesunden für die Menschheit der Gegenwart und der nächsten Zukunft geben kann: Dieses soziale Wollen durchpulsen mit der Erkenntnis, die aus dem Geistigen heraus kommen kann.

Man sage nur ja nicht: Jeder Mensch kann ohne weiteres irgend­wie das erlangen, was da gemeint ist, was die Entwicklung höherer Geisteskräfte ist; das soll hier auch gar nicht behauptet werden. Gewiß, es ist so, nur wenige Menschen werden dazu kommen, die Geheimnisse des geistigen Lebens durch das unmittelbare An­schauen der höchsten geistigen Tatsachen oder hoher geistiger Tatsachen selbst zu erkennen. Denn dieses Erkennen, das ist er­stens verbunden oder gebunden an eine gewisse innere Mutigkeit, an eine gewisse innere Tapferkeit. Man muß den menschlichen Willen, die menschlichen Denkkräfte, alle menschlichen Seelen-kräfte so entwickeln, daß sie über das Maß der gewöhnlichen Stär­ke hinausgehen, damit diese Seelenkräfte etwas ergreifen können, was vor dem gewöhnlichen Erfassen der Menschen ganz vorbei­huscht, was er nicht wahrnimmt: die geistige Welt. Man muß ge­wissermaßen das Feinste ergreifen unter Aufwendung der allertä­tigsten Kräfte. Der Geist tritt einem zunächst nicht so entgegen, wie einem eine äußere Wirklichkeit entgegentritt. Der Geist tritt einem entgegen, wie man sich mit ihm verbindet, wie man in sei­nem eigenen Schmerz und wie man Lust und Leid empfindet. Das ist dasjenige, was durch die eigene Seele flutet, aber etwas sehr Reales ist. So empfindet man, erlebt man und erkennt man das Geistige im Durchfluten durch die eigene Seele; nur weiß man, daß es nicht etwas bloß Subjektives ist wie Lust und Leid. Es ist so intim an die Seele gebunden wie Lust und Leid und Freude und

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Schmerz, aber es ist etwas, was als ein Fremdes, Geistgemäßes in unsere Seele hereinströmt. Dem ist man zunächst nicht angepaßt. Der Mensch ist angepaßt an ganz anderes, äußeres Leben. Daher muß er, indem er ein Leben in sich aufnimmt und um sich herum wahrnimmt, an das er nicht angepaßt ist, dieses Leben in Leid und Schmerzen aufnehmen. Niemand kommt in die geistige Welt hin­ein, der sich diesen Eingang nicht erkämpft, Schritt für Schritt durch Leiden und Schmerzen. Das bezieht sich aber zunächst nur auf die Erforschung der geistigen Welt.

Dagegen muß man sagen, daß die Fähigkeiten, zu begreifen, was der Geistesforscher mitteilt, nur an den gewöhnlichen, gesunden Menschenverstand gebunden sind. Der Geistesforscher ist nicht darauf angewiesen, daß er den Leuten bloß die Versicherung gibt, er sei ein wahrheitsliebender Mensch und sehe und schaue dasjeni­ge, wovon er als dem Geistigen spricht, sondern der Geistesfor­scher kann so sprechen, daß der Mensch aus dem gesunden Menschenverstand heraus die Art und Weise verfolgen kann, wie er seine Gedankengänge aufbaut, die er allerdings aus der geistigen Anschauung heraus aufbaut, denen man es aber anmerken kann, daß sie dieselbe innere Logik haben, die wir an der äußeren sinn­lichen Wirklichkeit erlernen. Daher kann der gesunde Menschen­verstand, wenn er nur nicht eingeengt ist durch die entgegen­gesetzten Vorurteile, darüber urteilen, ob der Geistesforscher Un­sinn spricht oder ob der Geistesforscher durch die Art und Weise, wie er spricht, erkennen läßt, daß ihm die geistige Welt wirklich offen ist, daß er in sie hineinschaut.

Damit aber ist das, was durch den einzelnen Geistesforscher in das soziale Leben hineingebracht wird, selbst eine sozial-pädagogi­sche Kraft.

Bequemen sich die Menschen dazu, sich Verständnis anzueig­nen, jene Gabe des gewöhnlichen gesunden Menschenverstandes, durch die man die überzeugende Kraft von dem empfindet, was die Geisteswissenschaft als die wahre Wirklichkeit des Menschen zu enthüllen versteht, so entwickeln sie ganz andere soziale Kräfte. Kräfte, welche die Menschen zueinander führen und in die Struk­tur

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des sozialen Organismus hineinbringen würden, was auf eine andere Art nicht hineinzubringen ist, so, wie sie in der Vergangen­heit der drei bis vier, fünf letzten Jahrhunderte und in der Gegen­wart geworden ist. Kräfte, welche ein intimeres Erkennen zwischen Mensch und Mensch bilden würden, ein Eingehenkönnen auf den anderen Menschen, ein Aufkeimen wirklicher sozialer Impulse. Das ist es, was gerade durch jenen Verkehr der Menschen ange­wandt werden kann, der sich auf der Grundlage der wirklichen geistigen Erkenntnis und alles dessen, was damit zusammenhängt, entwickelt. Die Menschen werden fühlen, was an sozial-pädagogi­scher Kraft in das soziale Wollen übergehen kann, wenn sie dazu kommen, dasjenige, was zunächst den Wachstums- und Werde-bedingungen des Menschen entnommen ist, nun auf den lebendi­gen sozialen Organismus auszudehnen. Dann erst wird man verste­hen, daß soziale Organismen zum Wesen des Menschen gehören. Man wird hineintragen können in das Volksleben, in den sozialen Organismus, was man erst als die Erkenntnis des im natürlichen Organismus wirksamen Geistes gefunden hat.

Nicht eher wird man zu einer wirklichen sozial-pädagogischen Kraft kommen, bis man in der Lage sein wird, seine sozial-pädago­gische Kraft aus den Antrieben, aus den Impulsen der geistigen Erkenntnis heraus zu schöpfen!

Woraus kommt es aber denn, was der Mensch verstehen wird, indem er die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse verstehen wird? Es kommt doch aus dem, was den Menschen vom kleinen Kinde leiblich und geistig zum erwachsenen Menschen gemacht hat und was sich nur rückgebildet hat. Der Mensch braucht das nicht brach liegen lassen, er braucht es nur anzuwenden; er braucht seine eigentliche Menschenwirksamkeit nur auch in der äußeren sozialen Ordnung wirklich anzuwenden, dann entwickelt sich auf der einen Seite, wie ich gezeigt habe, eine wirkliche sozial-pädagogische Kraft in der Jugenderziehung. Dann aber entwickelt sich auch in dem Umgang zwischen Mensch und Mensch jenes unaussprechba­re, aber sehr real vorhandene Walten eines Erziehungsmomentes, das im menschlichen Verkehre, im menschlichen Umgange selbst

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liegt. Wenn wir verstehen werden, was aus der Persönlichkeit uns entgegentritt, von der wir heute glauben, es sei der ganze Mensch, wenn wir verstehen werden, was Geheimnisvolles in jedem Men­schen liegt, was in jedem Menschen so liegt, daß er über sich selber hinauswächst mit seinem Unter- und Überbewußten, dann wird in dem menschlichen Verkehre selbst eine sozial-pädagogische Kraft liegen. Dann werden die Menschen so miteinander in Verkehr tre­ten, daß das Dasein des einen durch das Dasein des anderen erhöht und getragen werden kann. Kurz, nicht bloß für die Jugenderzie­hung, für das ganze Menschenleben erfließt aus der Erkenntnis des Geistes heraus sozial-pädagogische Kraft.

Sehen Sie, die Idee des dreigliedrigen sozialen Organismus ist wahrhaftig nicht aus irgendeinem Programm heraus entstanden -wie so viele soziale Ideen. Bei meinem letzten Vortrage, den ich hier in Basel über die soziale Frage halten durfte, habe ich das bereits erwähnt. Die Idee des dreigliedrigen Organismus ist aus einer neuen Geistesrichtung heraus entstanden, aus einer Geistes­richtung, die auf der einen Seite der gegenwärtigen Menschheit noch sehr wenig sympathisch ist, nach der sie sich aber, ich möchte sagen mit allen ihren unterbewußten Sehnsüchten und Trieben gerade sehnt und danach lechzt. Denn viel mehr, als die Menschen das in ihrem Bewußtsein glauben, haben sie in ihrem Unterbewuß­ten die Sehnsucht nach dem Geistigen. Wir sehen heute, wie in allen möglichen Formeln und Formen und Forderungen sich das­jenige kleidet, was die Menschen sozial wollen. Wenn man dasjeni­ge angreifen will, was die Menschen uns aus gutgemeinten Willens­kräften heraus, aus richtigen, berechtigten Bedürfnissen heraus als soziale Forderungen entgegentragen, so kann man es in der Regel doch nicht erfassen, nicht so erfassen, daß daraus eine wirklich aufbauende Arbeit entstehen könnte.

Das ist geradezu charakteristisch, und es ist sehr merkwürdig, wie auch diejenigen Menschen, die jahrzehntelang an Ideen, an Programmen gearbeitet haben für einen sozialen Aufbau, wie diese all ihr Denken, all dasjenige, was sie aus ihrem Geistesleben heraus gearbeitet haben, heute versagend finden.

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Es ging neulich durch die Zeitungen ein Brief eines bekannten Sozialrevolutionärs, der es durch Jahrzehnte war, Kropotkin, ein Brief an Georg Brandes, worinnen er die trostlosen Verhältnisse des europäischen Ostens darlegt, worin er in seiner Art die ganze europäische Situation schildert und worinnen er zuletzt schreibt:

Ja, das einzige, auf das wir hoffen können, ist, daß man uns Brot und Werkzeuge gibt, um Brot zu erzeugen.

Dahin ist nun ein Sozialrevolutionär gekommen, der Jahrzehnte hindurch nachdenkt, nachzudenken versuchte, wie die Welt zu gestalten ist, damit die Werkzeuge in der richtigen Weise herbeige­schafft werden können, die Brot erzeugen sollen, damit das Brot so erzeugt wird, daß die Menschheit wirklich ernährt werden kann. Zuletzt ist der abstrakte Schrei nach Brot und Werkzeugen ent­standen! - Unglaube an die abstrakte Geistigkeit, an seine eigene bisherige Geistigkeit!

Man wird durchschauen müssen, daß das moderne Leben in dem Schrei nach Brot ja auch nichts anderes hat als den Schrei nach Geistigkeit; denn nur aus einem Ergreifen des wirklichen Geistes können diejenigen sozialen Wollenskräfte kommen, welche in der richtigen Weise Werkzeuge und Broterzeugung in das Leben hineinstellen.

Es handelt sich nicht darum, heute nach Programmen zu schrei­en, sondern es handelt sich darum, in der richtigen Weise sich an die menschlichen Anlagen, an die menschliche Betätigungskraft zu wenden. Das heißt aber, den Menschen in der richtigen Weise zu erkennen, damit er an den richtigen Ort im Leben gestellt werde und in der fruchtbarsten Weise für Ernährung der Familie, für das ganze Leben seiner Mitmenschen wirken könne.

Zu einer Menschheitsfrage im umfassendsten Sinne müssen wir die soziale Frage machen. Eher wird in ihr kein Heil sein. Erst, wenn wir erkennen, daß wir die soziale Frage nur dann ganz haben, wenn wir aus ihr den Geist heraus empfinden, erst dann kann für diese soziale Frage Heil kommen. Aus einer neuen Geistesrichtung ist dasjenige entstanden, was wir insbesondere für die Dreigliede­rung des sozialen Organismus anstreben aus der Erkenntnis heraus.

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Die Forderungen, die uns heute, trotzdem sie berechtigt sind, so nebulos entgegentreten, sie haben unterbewußt eine Berechtigung, denn in diesen Forderungen lebt unbewußt auch schon die Sehn­sucht nach dieser neuen Geistigkeit. Und in alledem, was man als dekadente Erscheinungen kennt in dem Streben nach Geist, drückt sich nur das, ich möchte sagen noch ungeschickte Hinstreben der Menschen nach dem Geiste aus. Gewiß, es ist eine der dekadente­sten Erscheinungen das Anschauen des Geistes auf die Weise, wie es zum Beispiel im Spiritismus oder in falschen mystischen Rich­tungen gepflogen wird. Denn diese dekadenten Richtungen sind hervorgegangen aus einer jahrhunderte-, ja man könnte in diesem Falle sagen jahrtausendealten Erziehung, durch die der Mensch nicht gelernt hat, in der Wirklichkeit selber den Geist zu suchen, in der Wirklichkeit, der er angehört. In abstrakte Höhen ist das Stre­ben nach dem Geiste dadurch hinaufgetragen worden, daß nut dogmatische Monopole sich dieses geistigen Strebens bemächtigen wollen.

Die hier gemeinte Geisteswissenschaft will geltend machen, daß dieselben Kräfte, die äußerlich die Natur ergreifen können, auch in das geistige Leben eindringen können, wenn sie sich weiter entwik­keln, so wie ich es heute wieder geschildert habe. Dann wird man nicht nach einem abstrakten Geiste streben, nach einem Geiste, der, ich möchte sagen nur zur Befriedigung des menschlichen Bewußt­seins in Gastrollen erfaßt werden soll, sondern nach einem solchen Geiste, der in der Wirklichkeit drinnen ist, der mit dem materiellen Leben eines ist. Denn nicht dadurch erkennen wir den Geist, daß wir die Materie als bloße Materie anschauen und sagen: «Aber das ist ja bloße Materie, der Geist ist irgendwo anders.» - Nein, denn wer den Geist sucht durch abstrakte Formulierungen und meint, er sei nur auf dem Wege des Spiritismus zu suchen, ich möchte sagen in den Ecken des Lebens, der hat noch keine richtige menschliche Beziehung zu dem Geiste hergestellt.

Eine richtige menschliche Beziehung zu dem geistigen Leben haben wir nur dann hergestellt, wenn wir nach einem solchen Geiste gehen, der in dem, was wir um uns herum in der Natur und

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insbesondere im Menschenleben selbst - in der Jugend, im späteren sozialen Zusammenhang, in alle dem, was da äußerlich, sogar im ökonomischen Leben um uns herum ist - erblicken, den Geist walten wissen, aber so suchen, daß wir uns mit dem Geisteswalten verbinden. Eine richtige Geistessuche wird nur das sein, wo der Mensch den Geist ergreifen will, indem er den in ihm selbst wal­tenden Geist liebt und eine Brücke schlägt zwischen der geistigen Wirklichkeit in sich und der geistigen Wirklichkeit in der Welt. Nur durch einen solchen Geist und nur durch das Wissen eines solchen Geistes kann jene sozial-pädagogische Kraft entwickelt werden, die wir wirklich für das Menschenleben schon der Gegen­wart, insbesondere aber auch für dasjenige der nächsten Zukunft brauchen.

Daher kann man immer wiederum nur sagen: Mögen die dun­keln unterbewußten Sehnsüchte, die in menschlichen Herzen, in menschlichen Gemütern leben, hell auflodern im bewußten Leben der Seelen, damit die Menschheit finde gerade in dem Zeitalter, in dem die soziale Frage so brennend geworden ist, die wirkliche geistige Kraft der Welt, mit der sich die geistige Kraft im Innern des Menschen verbinden kann. Denn aus diesem Bunde zwischen Weltengeist und Menschheitsgeist wird die beste Quelle der sozial­pädagogischen Kraft für das menschliche Leben erfließen.

Kurze Diskussion mit Fragenbeantwortung

Herr Wachter: [. ] Wie es mir scheint, hatte Herr Dr. Steiner ganz richtig

erwähnt, daß in unserer [Zeit] Naturwissenschaft, Philosophie, Religion und man darf sogar auch sagen die modernen Künste, vollständig versagt haben. [...] Warum haben diese versagt? [...] - Und da glaube ich, daß der Haupt-grund des Versagens darinnen liegt, weil man eben die Naturwissenschaft, die Religion und die Künste in Abstraktum behandelt. Man hat die Religion wegen der Religion behandelt; man hat die Naturwissenschaft der Naturwis­senschaft zuliebe getrieben; man hat Pädagogik betrieben, nicht um die Kinder zu erziehen, nein, man hat die Kinder gequält der Pädagogik zuliebe. Hat man die Künste getrieben, um den Menschen das Leben zu verschönen? Nein, man hat die Künste getrieben gewissermaßen als kuriose Gedan­kenspiele, einfach der Kunst zuliebe. Und darinnen liegt, glaube ich, der

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Denkfehler, der beseitigt werden muß. Man müßte Religion ins Leben tragen, Naturwissenschaft anwenden im Leben und darinnen den Zweck der Naturwissenschaft sehen, daß man sie im Leben eben verwendet; den Schwerpunkt gerade darauf richtet, daß man die Kunst im Leben drinnen sieht, nicht vom Leben loslöst. Aber es ist deshalb absolut nicht notwendig, daß man diese Sachen alle wegschmeißt und sagt: «Sie bedeuten an sich nichts... ». Denn eine falsche Anwendung der Sache beweist noch lange nicht, daß die Sache nichts wert ist. [...] Und ich glaube, daß gerade die Geistes­wissenschaft, wie sie Herr Dr. Steiner in seinem Vortrag gebracht hat, dazu beitragen und in dieser Richtung sehr Gutes wirken kann, indem sie den Menschen zeigt: Ihr müßt Leben in die Sachen hineinbringen, und die Sachen nicht abstrakt bringen.

Rudolf Steiner: Was der verehrte Vorredner gesagt hat, erfordert ja von meiner Seite aus nicht ein weiteres Eingehen, denn das war ja nur der Hinweis auf einen besonderen Punkt, und zwar in einem Sinne, mit dem ich durchaus einverstanden sein kann.

Selbstverständlich wird gerade derjenige, der im Sinne der von mir hier gemeinten Geisteswissenschaft spricht, nicht der An­sicht sein, daß man dasjenige, was in der neueren Zeit hervorge­treten ist als Naturwissenschaft, als Philosophie, oder - ich bin vollständig einverstanden mit dem, was Herr Wachter gesagt hat

- auch in bezug auf die Künste, daß man das wegzuschmeißen habe aus dem Grunde, weil es in der Tat zu jenem Abwege geführt hat, von dem Herr Wachter gesprochen hat. Aber das soll gerade das Wesen der hier gemeinten Geisteswissenschaft sein, daß alle diese, durch gewisse naturwissenschaftlich notwen­digen Voraussetzungen des Lebens der letzten Jahrhunderte ein­seitig gewordenen menschlichen Betätigungen ihre Einseitigkeit aufgeben und in eine allgemeine Strömung des umfassenden Lebens einmünden.

Sie werden ja, wenn Sie verfolgen, wie ich nicht nur geistes­wissenschaftliche Bücher geschrieben habe, sondern zum Beispiel den Werdegang der Philosophie in meinem Buch «Die Rätsel der Philosophie» beschrieben habe, wie ich versucht habe, das Wesen der Künste zu deuten, und was ich versuche jetzt in Dornach drau­ßen in dem Bau, der als Goetheanum, als Hochschule für Gei­steswissenschaft, auch in bezug auf seine äußere Ausgestaltung ein

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Repräsentant der hier gemeinten Geisteswissenschaft sein soll -wenn Sie das verfolgen, werden Sie nicht von mir voraussetzen, daß ich irgendwie gegen dasjenige bin, was in Naturwissenschaft, in Philosophie, in den Künsten in der neueren Zeit hervorgetreten ist, sofern man es in seinen berechtigten Grenzen auftreten lassen will. Ja, ich möchte sagen, mir erscheint sogar die Einseitigkeit, die auf diesen Gebieten zutage getreten ist, wie etwas Notwendiges. Das Leben entwickelt sich in Gegensätzen. Und so können wir, wenn wir Geschichte innerlich betrachten, sehen, wie immer solche Perioden, in denen gewisse Betätigungen einseitige werden, ab­wechseln mit denjenigen Perioden, in denen diese Betätigungen wiederum einmünden in eine gewisse universelle, dem Leben ent­sprechende, dem Leben gerecht werdende Betätigung.

Also gerade das Fruchtbarmachen naturwissenschaftlicher An­schauungen, das Fruchtbarmachen philosophischer Erwägungen und das Fruchtbarmachen dessen, was in den neueren Kunst-richtungen liegt, das ist dasjenige, was in der Geisteswissenschaft besonders zur Geltung kommen soll.

Nehmen wir zum Beispiel - um etwas, was im Vortrage weniger berührt werden konnte, herauszugreifen - manche neuere Kunst-richtungen. Gewiß, man kann über solche neueren Kunstrichtun­gen leicht spotten. Aber so unvollkommen gewisse Dinge, wie zum Beispiel die, die man heute expressionistische Kunstprodukte nennt, vor unsere Seele treten, so muß man doch sagen: sie sind im Grunde genommen nur die Antwort, nur die noch sehr anfängli­chen, manchmal täppischen Versuche, zu etwas zu kommen, das dem Leben wirklich gerecht wird. Wir sind in dem letzten Jahr­hundert in eine Art Intellektualität verfallen. Die Intellektualität ist unfruchtbar. Und im sozialen Leben und auch in der Kunst - was ist die Folge gewesen? Die notwendige Folge ist gewesen, daß, weil man sich doch hat künstlerisch betätigen wollen, man in den Naturalismus, in die bloße Nachahmung der Natur verfallen ist.

Ja, die bloße Nachahmung der Natur im absoluten Sinne kann niemals Kunst sein, weil, wenn jemand noch so stark nachahmt, was er äußerlich in der Natur sieht, er doch die Natur nie erreichen

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wird. Es wird, wenn man einen Sinn dafür hat, einem die Natur immer noch besser gefallen, als dasjenige, was die Natur nachahmt.

Und es ist nun wirklich der Ausdruck - erlauben Sie, daß ich diese triviale Sache anführe - eines empörend schlechten Ge­schmacks, wenn einem Leute einen Apfel vorführen - ja, es kommt vor, ich habe es schon erlebt - und wenn er ihnen nun besonders in die Augen sticht, schön glänzt und so weiter, daß sie sagen: wie aus Wachs gemacht! Man kann sich nicht etwas empörend Täppi­scheres denken, als wenn jemand dasjenige, was ihm aus der Natur entgegentritt, mit irgendeinem Kunstprodukte, und sei es einem noch so guten Kunstprodukt vergleicht! Also schon aus dem Grunde, weil die wirkliche Natur doch nicht erreicht werden kann in der Kunst, muß der absolute Naturalismus abgewiesen werden.

Etwas ganz anderes ist es, wenn in expressionistischer Weise verkörpert werden will, was der Mensch über das bloße Naturge­mäße hinaus erlebt, und sei es auch zunächst nur ungeschickt ver­körpert. Aber um zu erkennen, wie ungeschickte Keime weder überschätzt werden sollen noch auch unterschätzt werden sollen, muß man in der Tat einen offenen Sinn haben für dasjenige, was man heute durch ein Schlagwort vielfach ausdrückt, was aber doch namentlich mit Bezug auf das menschliche Leben nicht richtig verstanden wird.

Es mag Ihnen wieder paradox klingen: ich gehöre gewiß zu den­jenigen, die Raffael auf das Allerhöchste bewundern. Aber ich möchte behaupten aus meiner Weltauffassung heraus: Heute hat nur der ein Recht, Raffael wirklich zu bewundern, der davon über­zeugt ist, daß, wenn heute einer so malen würde wie Raffael, ge­nauso malen würde, wie Raffael gemalt hat, das unzeitgemäß und unmöglich sein würde. Es würde keine Kunst sein, zu der wir uns heute als zeitgenössische Kunst bekennen könnten. Es mag para­dox klingen. Aber was im Laufe der Menschheitsentwicklung er­scheint, gehört zu der betreffenden Phase der Menschheitsentwick­lung hinzu. Man muß es mit der Entwicklung wirklich ernst mei­nen. Und so ist dasjenige, was sich namentlich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts an Naturwissenschaft, Philosophie, an Künsten entwickelt

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hat, es ist als, ich möchte sagen Erziehungsimpuls der sich entwickelnden Menschheit vollberechtigt gewesen, aber es ist heute in einem Stadium angelangt, in dem der andere Pol angestrebt werden muß. Wir mußten als Menschheit eine Weile durch die einseitige Naturwissenschaft gehen, damit wir, indem wir die Ge­danken dieser Naturwissenschaft aufnehmen, in uns zu der Seelen­stimmung kommen, die gerade dadurch hervorgerufen wird, daß man die Ohnmacht dieser bloßen naturwissenschaftlichen Gedan­ken bemerkt.

Diese Ohnmacht, die ruft im lebendigen Seelenleben die Gegen­kraft hervor: die Gegenkraft nach Geisteserkenntnis, nach Geistes-anschauung.

Wenn man es mit dem Lessingschen Gedanken ernst nimmt, daß die Geschichte eine Erziehung des Menschengeschlechtes ist, dann kommt man gerade mit solchen Dingen am besten zurecht. Und so möchte ich in einem Schlußworte darauf hinweisen, daß man ja in der Tat heute noch bestimmte Gebiete hat, in denen es einem die Vorurteile des Menschen gestatten, wirklich dasjenige, was Geistes­wissenschaft bietet, überzuführen in unmittelbares Sozial-Päd­agogisches, das heißt überhaupt in äußere Wirklichkeits anschauung.

Uns ist es möglich geworden, in dem Dornacher Bau äußerlich künstlerisch zur Anschauung zu bringen, in Formen auszudrücken, was uns innerlich belebt. Und es konnte - ich darf das ja wohl hier erwähnen - in der allerletzten Zeit wirklich der Versuch auf päd­agogischem Gebiete gemacht werden, eine Schule zu begründen. In Stuttgart hat sich unser Freund Emil Molt gefunden, der - auch darüber haben sich die Leute ja in Hohn ergossen - an ein moder­nes Industrieunternehmen, an die Waldorf-Astoria-Zigaretten­fabrik in Stuttgart, die Begründung der Waldorfschule angegliedert, angeknüpft hat, eine Einheitsvolksschule, die nun ganz auf dasjeni­ge aufgebaut sein soll, was für die pädagogische Entwicklung aus der Erfassung der Geistesanschauung, wie sie hier gemeint ist, er­folgen kann. Und ich muß sagen, es gehört zu dem Schönsten, was ich mir als Aufgabe setzen durfte, daß ich den pädagogischen Kurs für die Lehrerschaft dieser Waldorfschule halten konnte. In diesem

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Kurs konnte eine Pädagogik begründet werden, die nun auch wirk­lich seit dem 7. September, seitdem diese Schule begründet ist, von diesen Menschen unmittelbar im Schulleben angewendet wird, eine Pädagogik, die nicht dazu da sein will, Normen zu verwirklichen, von denen man sich vorstellt, daß sie den Menschen dressieren sollen, sondern eine Pädagogik, die aus einer wirklichen Erkenntnis des ganzen Menschen, das heißt des leiblichen, seelischen und geistigen Menschen, hervorgegangen ist, so daß es der Lehrer auf der anderen Seite tatsächlich schwerer hat als mit einer bloßen Normpädagogik.

Wer einer Normpädagogik anhängt, Programme prägt, die ge­wisse Erziehungsgrundsätze geben, nun, der weiß, wie man unter­richtet. Derjenige aber, der aus dem unmittelbaren Leben heraus unterrichten soll, der kann, ich möchte sagen nur die Impulse be­kommen, um zu beobachten, was sich von Jahr zu Jahr, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat in dem werdenden Menschen wirklich ergibt. Da muß man fortwährend, wenn es auch eine noch so große Klasse wäre, in lebendigem Verkehre sein, da muß man Verständnis dafür haben, was es heißt, nicht aus dem Gedächtnis heraus eine eingelernte Pädagogik zu üben, sondern in jedem Momente dem lebendigen Menschen gegenüber die individuelle Methode neu zu erfinden, die man gerade diesem lebendigen Menschen gegenüber anzuwenden hat.

Dasjenige, was im Leben wirken soll, darf nicht auf dem Ge­dächtnis, nicht auf der Gewohnheit beruhen. Was uns ins Gedächt­nis eingeht und was wir gedächtnismäßig üben in unserer mensch­lichen Betätigung, was wir aus der Gewohnheit heraus üben, das wird unter allen Umständen zu etwas wie einer strohernen Schablone. Dasjenige, was aus dem Geistesleben hervorgeht, das kann niemals zu einer strohernen Schablone werden!

Es hat Zeiten gegeben, gibt es bestimmt noch, in denen ich das­selbe Thema Woche für Woche hindurch vorgetragen habe. Ich glaube nicht, daß man mir nachsagen kann, daß ich einen einzigen Vortrag zweimal gehalten habe, daß ich jemals über dasselbe The­ma zweimal hintereinander genau gleich gesprochen habe, weil es

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sich, wenn es sich um das Sprechen aus dem Geiste heraus handelt, um das unmittelbar augenblickliche Produzieren handelt, weil es gar nicht möglich iSt, dasjenige, was aus dem Geiste heraus produ­ziert wird, im gewöhnlichen Sinne dem Gedächtnismäßigen anzu­vertrauen, weil das in unmittelbarem Leben sich fortwährend ent­wickeln muß. Wer aus dem Geist heraus wirkt, dem ist das bloße gedächtnismäßige Aufbewahren irgendeines geistigen Wissens un­gefähr so, wie wenn einer sagen würde: Ich esse heute nicht, denn ich habe ja vorgestern gegessen. Warum soll ich heute wieder es­sen? Mein Leib wird sich schon auf Grund dessen aufbauen, was ich vorgestern gegessen habe. - Ja, unser physischer Organismus ist in der fortwährenden Lage, daß er sich immer erneuert. Dem muß auch der Geist Rechnung tragen. In diesem lebendigen Leben muß auch der Geist drinnenstehen. Der wirkliche Geist muß jeder­zeit ein Schaffendes sein. So muß auch eine vom Geiste getragene Pädagogik eine fortwährend schaffende Kunst sein.

Nicht eher wird Segen namentlich in das Volksschulwesen hin­einkommen, aber auch in das andere Schulwesen Heil hineinkom­men, bis die Pädagogik eine fortwährend lebendig schaffende Kunst wird, die von wirklicher Liebe und von jenen Imponderabi­lien getragen wird, von denen ich heute morgen gesprochen habe.

Und so könnten wir auf allen Gebieten sehen, wenn wir die Zeit dazu hätten, wie notwendig es ist angesichts der unbewußten und unterbewußten Forderungen der Menschheit in der heutigen Ge­genwart -, und in der nächsten Zukunft wird es noch notwendiger sein aus demjenigen, was man zu einem bequemen Programm­Wirken im Geiste machen möchte, überzugehen zu einem wirk­lichen, produktiven Erleben des Geistigen.

Das wird weniger bequem zu erlangen sein als manches, was man heute Geistesleben nennt. Aber das wird eine sozial-pädago­gische Kraft sein, wie wir sie brauchen.

Und wenn es auf der einen Seite auch wahr ist, daß heute die Menschheit, nachdem sie sich so lange Jahre naturwissenschaftli­cher Denkweise hingegeben hat, direkt aus ihren innersten Seelen-bedürfnissen heraus verlangt nach einer unmittelbaren Geisterkenntnis,

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so ist es auf der anderen Seite wahr, daß die sozialen Forderungen nach einer geistigen Vertiefung schreien und daß, was den Gegenstand meines heutigen Themas bildete - «Geisteswissen­schaft als sozial-pädagogische Kraft» -, nicht etwas ist, was in einer willkürlichen Weise als Vortragsthema gedacht ist, sondern was abgelauscht ist dem, was die menschliche Entwicklung eigentlich aus der Gegenwart heraus sagt.

Aber man muß sich dazu auch erst heranerziehen und heranbän­digen. Ich möchte da zum Schlusse doch noch auf etwas hinweisen, was der Gegenwart ganz besonders notwendig ist, weil heute jeder meint, aus den subjektivistischen Willensmeinungen heraus könne irgendein fruchtbares philosophisches Leben entstehen; ich möchte an einem Beispiele hinweisen auf die Art und Weise. wie heute Fragen erfaßt werden müssen.

In einer süddeutschen Stadt - heute ist sie keine deutsche Stadt mehr - habe ich vor vielen Jahren einen Vortrag gehalten, in dem ich gesprochen habe über die «Weisheitslehren des Christentums». Da waren auch zwei Geistliche drinnen im Vortrag. Weil gerade in jenem Vortrage nichts vorgekommen ist, wogegen sie sich inhalt­lich wenden konnten, so traten sie nach dem Vortrag an mich heran und sagten: Gegen den Inhalt desjenigen, was Sie heute gesagt haben, haben wir gar nichts einzuwenden; aber daß Sie für Leute sprechen, die sich in diese Vorstellungsart hineinfinden, aus der heraus Sie sprachen, während wir für alle Menschen sprechen, das hätten wir doch zu der Sache zu sagen. - So sagten sie. - Ich sprach sie natürlich mit dem ihnen gebührenden Titel an. Artig muß man immer sein. Ich sagte: Sehen Sie, daß Sie glauben, Hochwür­den, Sie sprechen für alle Menschen, das finde ich natürlich und selbstverständlich, denn das liegt subjektiv nahe. Aber ob Sie glau­ben, ich spreche [nicht] für alle Menschen, das entscheidet gar nichts, insbesondere in der Gegenwart nicht, wo so sehr das einzel­ne Menschenleben drinnensteht in der sozialen Gesamtheit. Heute mussen wir lernen, uns unsere Aufgaben nicht durch unsere sub­jektive Willkür stellen zu lassen, sondern sie individuell aus der Objektivität und den objektiven Tatsachen zu entwickeln. Und da

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frage ich Sie, Hochwürden, wenn Sie nun auch meinen, für alle Menschen zu sprechen, beobachten Sie die Tatsache: Gehen alle Menschen noch zu Ihnen in die Predigt? - Da konnten sie nicht «Ja» sagen! - Ja, sehen Sie, so sprechen die Tatsachen! Ich sagte ihnen, daß das nicht richtig ist, denn: für diejenigen, die nicht zu Ihnen in die Predigt gehen, für die spreche ich, für die, die heute nicht mehr zu Ihnen in die Predigt gehen. - Das ist dasjenige, was heute die Tatsachen lehren.

Nicht nur auf einen Einwand hin lehren einen die Dinge, son­dern man muß die Tatsachen sehen, wie sie den Einwand machen. Das ist ganz natürlich, daß man sich einbildet, man spreche für alle Menschen. Es handelt sich aber heute darum, daß - während noch aus dem Bewußtsein heraus die große Mehrzahl der Men­schen dem widerstrebt, was gemeint ist mit eigentlichen gei­steswissenschaftlichen Impulsen - man doch weiß, daß im Unter­bewußten sich ankündigt, was wie ein Schrei wirkt auf den, der die Ankündigung verstehen kann: 0 machet dasjenige, was sich ver­einzelt hat nach Philosophie, Naturwissenschaft, nach den Kün­sten, nach der Religion, nach anderen Kulturzweigen, namentlich nach dem Sozialen, machet das wiederum zu einem Ganzen!

Aber ein Ganzes kann es nur werden, wenn wir es seinem Geiste nach verfolgen. Dann erst spricht uns aus allen Dingen nicht eine abstrakte, sondern eine konkrete Einheit an von dem wirklichen Geist, den wir in allen einzelnen Erscheinungen finden, wirklicher Geist, der eins ist in allem. Aber weil das Einheitliche ein konkretes Lebendiges iSt, kann es nicht erfaßt werden, wenn wir es bloß mit abstrakten Begriffen, mit einer Ideologie umspannen wollen. Wir müssen uns entschließen, den lebendigen Geist zu suchen. Den können wir nur suchen, wenn wir mit einer gewissen intellektuel­len Bescheidenheit die Brücke finden zwischen den im mensch­lichen Inneren schlummernden Kräften, die geistiger Art sind, und dem Geiste, der in der Natur, der im Menschenleben, der im gan­zen übrigen Kosmos außer uns lebt. Deshalb möchte ich auch in unserem Schlußwort noch einmal betonen: Dem muß Rechnung getragen werden, daß heute in den Tiefen der Menschenseele die

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Sehnsucht lebt, den Geist im Menschen mit dem Geist der Welt zu verbinden. Und in diesem Bündnisse zwischen Menschengeist und Weltengeist wird die Lösung von vielem liegen. was die Mensch-heit heute als brennendes Rätsel empfindet.

Ich will nicht etwa den Glauben erwecken, daß man jedes Rätsel lösen kann. Aber die Menschheit ist auf dem Wege, Rätsel, die ihr immer aufgegeben werden, teilweise zu lösen. Und gerade in die­sem Teilweise-Lösen liegt der wahre Menschheitsfortschritt, indem man erkennt, wie Geist in allen Dingen lebt, wie dieser Geist uns leuchten kann, wenn wir den Geist in uns selbst erwecken. In die­ser Erkenntnis leben die größten, leben auch die bedeutsamsten sozialen Aufgaben der Gegenwart, und es wird heilsam sein, wenn die Erkenntnis davon sich in immer weitere und weitere Kreise verbreitet.

GEISTESWISSENSCHAFT UND PÄDAGOGIK Basel, 27. November 1919

#G297-1989-SE157 Idee und Praxis der Waldorfschule

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GEISTESWISSENSCHAFT UND PÄDAGOGIK

Basel, 27. November 1919

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Ich rechne es mir zur besonderen Ehre an, in Ihrer Mitte über die Beziehungen jener geisteswissenschaftlichen Weltanschauung, der ich mein Wirken gewidmet habe, zu dem pädagogischen Wirken, dem ja Ihre Tätigkeit gewidmet ist, sprechen zu können. Ich darf nur vielleicht einleitend zwei Bemerkungen vorausschicken: Das Erste ist, daß dasjenige, was ich die Absicht habe, zu Ihnen zu sprechen, ja selbstverständlich in scheinbar theoretische Worte und Fügungen gekleidet sein muß, da man, um Anschauungen auseinanderzusetzen, eben Worte braucht. Ich bemerke aber aus­drücklich, daß es nicht theoretisch gemeint ist. Denn ich würde gerade über das heutige Thema nicht sprechen, wenn nicht immer und immer ein Teil meiner Tätigkeit auch praktisch gerade dem pädagogischen Wirken und der pädagogischen Menschheitskultur zugewendet gewesen wäre, so daß dasjenige, was ich vorbringen möchte, durchaus also so gemeint ist, daß es unmittelbar aus der Praxis heraus auch gedacht ist.

Das Zweite, was ich einleitend vorausschicken möchte, ist, daß ja die hier vertretene Geisteswissenschaft selbst noch etwas in der Gegenwart außerordentlich Angefochtenes ist und daß ich daher durchaus begreiflich finde - gerade weil ich diese Geistes­wissenschaft vertrete, finde ich es begreiflich -, wenn gegenüber dem einen oder dem anderen heute noch vieles, vieles eingewen­det wird, aus dem Grunde, weil die Methode, die in dieser Geisteswissenschaft angewendet wird, den heutigen Anschauun­gen vielfach noch ungewohnt ist. Aber vielleicht wird gerade die Art und Weise, wie versucht werden kann, diese Geisteswissen­schaft zu einer wirklichen Lebenskraft zu machen, wie versucht werden kann, in einem so bedeutsam praktischen Gebiet wie dem pädagogischen diese Geisteswissenschaft einzuführen, gerade dazu beitragen können, auch dieser Geisteswissenschaft selbst näherzukommen.

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Welches Gebiet der Kultur könnte man denn eigentlich anfüh­ren, das der pädagogischen Wirksamkeit, den pädagogischen Inter­essen ferne stände! Demjenigen, der als Pädagoge zu wirken hat, wird der Mensch anvertraut in einem Lebensalter, in dem er sich noch zu allem möglichen in der Welt entwickeln kann. Und nur aus dem allerwärmsten Anteil an der Gesamtkultur der Menschheit kann der Erzieher, kann der Unterrichtende in den zu Erziehen­den, in den zu Unterrichtenden das hineingießen, was in ihn hin-eingegossen werden soll. Wenn wir heute insbesondere das ganz spezielle Thema Geisteswissenschaft und Pädagogik besprechen, so geschieht es von mir aus aus dem Grunde, weil Geisteswissenschaft heute gerade ein geistiges Kulturelement werden soll, welches die in den letzten Jahrhunderten, insbesondere im 19. Jahrhundert, auseinandergetriehenen einzelnen geistigen Menschheitsinteressen wiederum zusammenfassen soll. Durch Geisteswissenschaft ist man in der Lage, dasjenige, was sich spezialisiert hat, wiederum durch eine konkrete Weltanschauung zusammenzufassen, ohne daß man nötig hat, gegenüber den Anforderungen des Spezialistentums zu erlahmen. Und es gibt heute einen ganz besonderen Grund, nachzudenken über die Beziehungen der hier gemeinten Gei­steswissenschaft zur Pädagogik. Es ist der, daß ja auch die Pädago­gik teilgenommen hat an der Beeinflussung allen menschlichen Denkens und aller menschlichen Tätigkeit durch die von so großen Triumphen begleitete neuere Naturwissenschaft.

Mehr als der Einzelne weiß oder sich zum Bewußtsein bringt, hat naturwissenschaftliche Vorstellungsart, hat dasjenige, was gerade in der Naturwissenschaft zu so glorreichen Ergebnissen als Methode geführt hat, Einfluß gewonnen auf all unser Tun, namentlich auch auf dasjenige Tun, das wir als pädagogische Kunst bezeichnen. Und da möchte ich doch, weil ich selbstverständlich nicht die Grundlagen der Geisteswissenschaft als solcher hier entwickeln kann, auf eines hinweisen: ich möchte vergleichsweise auf die besondere Stellung der naturwissenschaftlichen Methode zum Leben hinweisen.

Bedenken Sie, wodurch zum Beispiel das menschliche Auge die­ser Wunderapparat ist, durch den wir in einem bestimmten Sinnesgebiete

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die Außenwelt sehen. Es ist das Auge dadurch diese Wunder­einrichtung, daß es ganz und gar konstruiert ist, die Umwelt zu se­hen und immer - ich rede vergleichsweise - sich selbst bei diesem Sehen zu vergessen. Wir müssen, ich möchte sagen den Standpunkt der Beobachtung vollständig umkehren - wir können das ja mit der äußeren Naturwissenschaft nur annähernd -, wenn wir dieses unser Werkzeug des äußeren Sinnen-Sehens wirklich durchforschen wol­len. Im Sehen selbst können wir nicht zu gleicher Zeit zurückschau­en auf die Wesenheit unseres Auges. Dieses Bild können wir anwen­den auf die naturwissenschaftliche Methode gegenüber dem Leben. Gerade indem der Mensch in der neueren Zeit sorgfältig und gewis­senhaft ausgebildet hat die naturwissenschaftliche Methode, so daß sie in den verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebieten und der­gleichen ein objektives Bild der Außenwelt treu wiedergibt, hat er die zugrundeliegende Seelenverfassung so geformt, daß im natur-wissenschaftlichen Anschauen der Welt vergessen wird das mensch­liche Selbst, vergessen wird alles dasjenige, was unmittelbar zusam­menhängt mit dem menschlichen Leben. Und so ist es gekommen, daß, je mehr wir uns naturwissenschaftlich entwickelt haben, wir mit den naturwissenschaftlichen Methoden um so weniger hinblicken konnten zugleich auf dasjenige, was das eigentlich Menschliche ist.

Geisteswissenschaft möchte nun hinzufügen zur Naturwissen­schaft - ganz aus dem Geist naturwissenschaftlicher Erkenntnis heraus, aber eben aus diesem Geist naturwissenschaftlicher Er­kenntnis über die Naturwissenschaft hinausgehend - jene Umkeh­rung der Beobachtung, die nun wiederum zurück zum Menschen gewendet wird. Das kann nur geschehen, indem man jene Vorgän­ge des Seelenlebens, die ich beschrieben habe in meinem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», die ich kürzer angedeutet habe im zweiten Teil meiner « Geheimwissenschaft», indem man jene Vorgänge vom menschlichen Seelenleben wirklich durchmachen läßt. Es sind das Vorgänge, welche dieses mensch­liche Seelenleben wirklich hinaustragen über dasjenige, in dem es sich befindet im gewöhnlichen Leben und in dem es sich befindet auch innerhalb der naturwissenschaftlichen Welt.

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Um sich wirklich hineinzufinden in eine solche Anschauungs­weise, muß man dasjenige haben, was ich «intellektuelle Beschei­denheit» nennen möchte. Ich habe neulich auch hier in einem öf­fentlichen Vortrage ein Bild gebraucht für dasjenige, was notwen­dig ist: Betrachten wir ein fünfjähriges Kind. Geben wir einem fünfjährigen Kind in die Hand einen Band mit Goethes lyrischen Gedichten. Dieser Band von Goethes lyrischen Gedichten enthält eine ganze Welt. Das Kind wird den Band in die Hand nehmen, irgend etwas damit hantieren, aber es wird nichts davon wahrneh­men, was eigentlich aus diesem Band zu dem Menschen sprechen wird. Das Kind aber kann entwickelt werden, die seelischen Kräfte schlummern in ihm, daß es in zehn, zwölf Jahren wirklich aus dem Band dasjenige herausholen kann, was in diesem Bande drinnen ist. Diese Gesinnung brauchen wir, wenn wir uns hineinfinden wollen in die hier gemeinte Geisteswissenschaft. Wir müssen uns sagen können: Dasjenige, was eine noch so sorgfältige Ausbildung unse­res Intellektes, unserer Beobachtungs- und Experimentiermethode ist, das bringt den Menschen bis zu einer gewissen Stufe. Von der ab kann er seine Entwicklung selbst in die Hand nehmen; von der Stufe ab kann er vorher schlummernde Kräfte entwickeln. Dann wird er gewahr, daß er vorher sowohl der äußeren Natur, ihrer geistig-seelischen Wesenheit nach, wie namentlich dem Menschen-wesen selbst gegenübergestanden hat, wie das fünfjährige Kind dem lyrischen Gedichtband Goethes gegenübersteht. Der Ent­schluß zu dieser intellektuellen Bescheidenheit ist dasjenige, wovon im wesentlichen, prinzipiellen alles abhängt, wie man sich hinein-finden kann in das, was hier als Geisteswissenschaft gemeint ist.

Denn dadurch, daß man durch Anwendung besonderer Denk-, Empfindungs- und Willensmethoden, die hinzielen auf eine Ver­selbständigung des Denkens, auf eine Zucht des Willens dadurch, daß man Willenskultur und Denkkultur immer unabhängiger und unabhängiger macht von den körperlichen Werkzeugen, dadurch gelangt man zur Fähigkeit, gewissermaßen sich wirklich zu beob­achten, den Menschen selbst zu beobachten. Kann man aber den Menschen beobachten, dann kann man auch das, was für die Beobachtung

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so außerordentlich wichtig ist, den werdenden Menschen beobachten. Heute wird ja gewiß auch viel vom Geist gesprochen, von selbständigem Denken gesprochen; allein in diese Sprache kann die hier gemeinte Geisteswissenschaft nicht einstimmen aus dem Grunde, weil sie eben die geistigen Methoden innerlich ent­wickelt, um das konkrete Geistige zu ergreifen und zu erfassen, nicht den Geist, von dem man nebulos so im allgemeinen als den Dingen und der menschlichen Wesenheit selbst zugrundeliegend redet. Die hier gemeinte Geisteswissenschaft muß in Einzelheiten auf das Wesen des Menschen eingehen.

Heute wollen wir von dem Wesen des werdenden Menschen sprechen. Man redet ja gewiß, ich möchte sagen ganz abstrakt von der menschlichen Individualität und ihrer Entwicklung; und man ist mit Recht sich bewußt, daß namentlich der Erzieher Rechnung zu tragen hat der Entwicklung dieser menschlichen Individualität. Allein, ich möchte aufmerksam darauf machen, daß einsichtige Pädagogen sich durchaus klar darüber waren, wie wenig die natur­wissenschaftliche Erziehung der neueren Menschheit in der Lage ist, auf die wirklich gesetzmäßigen Entwicklungsstadien des wer­denden Menschen hinzuweisen. Zwei Beispiele möchte ich anfüh­ren. Der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts öfter genannte Wiener Pädagoge Theodor Vogt hat aus seiner dazumal reformiert vertretenen Herbartschen Anschauung heraus gesagt, wir seien heute in der Geschichtswissenschaft, in der Auffassung des geschichtlichen Lebens der Menschheit durchaus nicht so weit, ein­zusehen, wie sich die Menschheit selbst entwickele, um aus der Anschauung der sich entwickelnden Menschheit etwa ebenso ablei­ten zu können Anschauungen des sich entwickelnden Kindes, wie zum Beispiel der Naturforscher aus der Entwicklung der Arten ableite die embryonale Entwicklung des einzelnen menschlichen Individuums. Diese Anschauung hat dann der Jenenser Pädagoge Rein wiederholt. Sie gipfelt eben darinnen, anzuerkennen, daß wir heute eigentlich keine geisteswissenschaftliche Methoden haben, die wirklich hinweisen könnten auf dasjenige, was der Entwicklung des Menschen zugrundeliegt. Erst die Erweckung solcher Fähigkeiten,

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wie die sind, von denen ich andeutungsweise jetzt gesprochen habe und über deren Entwicklung Sie in meinen Büchern Näheres nachlesen können, befähigt auch wirklich, heranzukommen an je­nes Rätsel, das uns so wunderbar entgegentritt, wenn wir beobach­ten, wie von der Geburt an ein Inneres aus dem Menschen sich herausarbeitet in jede Geste hinein, insbesondere dann auch durch die Sprache sich herausarbeitet, insbesondere auch durch die Ver­hältnisse hindurch, in die der Mensch eingeht zu seiner Umgebung und so weiter. Gewöhnlich beobachtet man heute viel zu sehr äußerlich physiologisch und biologisch die einzelnen menschlichen Lebensarten. Man macht sich nicht ein Bild des ganzen Menschen, in dem Leibliches, Seelisches, Geistiges durcheinander wirken. Beim Kinde, wenn man es sachgemäß erziehen und unterrichten will, muß man sich ein solches Bild machen.

Nun, wer gestärkt durch die geisteswissenschaftlichen Metho­den das sich entwickelnde Kind beobachtet, findet ungefähr in dem Zeitabschnitt, in dem der Zahnwechsel eintritt, so um das sechste, siebente Lebensjahr, einen bedeutsamen Einschnitt in der kind­lichen Entwicklung. Man hat ein Sprichwort, das oftmals angeführt wird: Die Natur macht keine Sprünge. - Das ist bis zu einem ge­wissen Grade durchaus richtig; aber alle solche Anschauungen sind im Grunde genommen einseitig. Ihre Richtigkeit kann man nur durchschauen, wenn man sie in ihrer Einseitigkeit erkennt. Die Natur macht nämlich fortwährend Sprünge. Denken Sie nur an eine wachsende Pflanze, um das Beispiel anzuführen. Gut, man kann das Sprichwort anwenden, die Natur mache keine Sprünge. Aber im Sinne der Goetheschen Metamorphosenlehre müßten wir sagen: Trotzdem das grüne Pflanzenblatt dasselbe ist wie das far­bige Blumenblatt - es macht die Natur einen Sprung von dem Kelchblatt zum farbigen Blütenblatt, von dem farbigen Blumen-blatt zu den Staubgefäßen wiederum einen Sprung und zum Fruchtknoten wiederum einen besonderen Sprung. Wir kommen nicht zurecht im Leben, wenn wir abstrakt anwenden solch eine Anschauung, die Natur oder das Leben überhaupt mache keine Sprünge. Und so ist es insbesondere im Menschen. Es fließt das

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Menschenleben ohne Sprung dahin; aber in dem eben gemeinten Sinne liegen überall solche Sprünge.

Und ein bedeutsamer Einschnitt ist um das sechste, siebente Le­bensjahr dasjenige, was da so durchgreifend eintritt in die mensch­liche Organisation, wovon sich die heutige Physiologie noch nicht eine rechte Vorstellung macht. Es geht etwas vor [im Physischen], aber auch im Seelisch-Geistigen des Menschen. Bis zu diesem Zeit­abschnitte ist der Mensch im wesentlichen ein nachahmendes We­sen. Seine Seelen- und Leibesverfassung ist eine solche, daß er sich ganz und gar hingibt an die Umgebung, daß er sich einfühlt in die Umgebung, daß er aus dem Zentrum seines Willens heraus so sich entwickelt, daß eigentlich die Kraftlinien und Kraftstrahlen seines Willens genau nachgeformt werden demjenigen, was in der Umge­bung vorgeht. Und wichtiger als alles andere, was wir durch Wort­ermahnung, Belehrung in diesem Lebensalter an das Kind heran­bringen, ist die Art und Weise, wie wir uns in der Umgebung des Kindes selbst verhalten. Und da im Leben die Imponderabilien viel stärker wirken als dasjenige, was äußerlich klar beobachtet werden kann, so muß gesagt werden, daß es nicht nur auf das ankommt, was im außerlichen Verhalten des Menschen liegt, wenn das Kind es nachahmt. In jedem Sprachklang, in jeder Geste, die wir als Erziehende anschlagen, die wir in diesem Lebensabschnitt in der Umgebung des Kindes tun, liegt etwas, dem sich das Kind anpaßt. Wir sind als Menschen viel mehr, als wir es wissen, der äußerliche Abdruck unserer Gedanken. Wie wir eine Hand bewegen, wirach­ten im Leben wenig darauf; aber wie wir die Hand bewegen, ist der getreuliche Abdruck der ganzen Art unserer Seelenverfassung, der ganzen Art, wie wir innerlich gestimmt sind. Und während wir mit dem entwickelten Seelenleben des Erwachsenen den Zusammen­hang, den wir zwischen unserem Ausschreiten mit den Beinen, zwischen den Gesten unserer Hände, zwischen unseren Mienen und dem, was als Willens- und Empfindungsimpuls in unserer Seele ruht, wenig beachten, richtet sich das Kind in diese Impon­derabilien des Lebens hinein. Es ist keine Übertreibung, wenn wir sagen: Derjenige, der in der Umgebung des Kindes, insoferne dieses

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vor dem siebenten Jahr steht, sich innerlichst bestrebt, ein guter Mensch zu sein, ein tüchtiger Mensch zu sein, der sich gewissen­haft den Vorsatz bildet, selbst in seinem Gedanken- und Empfin­dungsleben dem Kinde gegenüber sich nichts zu vergeben, auch in dem Unausgesprochenen nicht, der wirkt durch die Lebensimpon­derabilien in der allerstärksten Weise auf das Kind.

In dieser Beziehung ist noch vieles zu beachten, was - wenn ich mich so ausdrücken darf - eigentlich zwischen den Zeilen des Lebens liegt. Indem wir uns allmählich in ein mehr materia­listisches Leben, besonders in bezug auf die Intimitäten des Daseins, hineingesponnen haben, sind wir gewohnt worden, sol­che Dinge gering zu achten. Erst wenn solche Dinge wiederum geschätzt werden, wird ein gewisser Impuls in die Pädagogik hineinkommen, welchen diese Pädagogik durchaus braucht, ins­besondere in einem Zeitalter, das sich ein soziales, ein sozialden­kendes Zeitalter nennen will

Man kann gewisse Lebenserfahrungen nicht in der richtigen Weise einschätzen, wenn man solche Beobachtungen des dem Menschen zugrundeliegenden Geistig-Seelischen nicht ins Auge faßt. Ich erzähle Ihnen durchaus Erfahrungstatsachen. Es kommt zum Beispiel ein Vater ganz verzweifelt und sagt: Ja, was soll ich machen? Mein Kind hat gestohlen! - Man kann natürlich verste­hen, wie ein Vater darüber verzweifelt sein kann. Aber nun ver­sucht man der Sache näher zu kommen. Da kann man sagen: Ja, wie war denn die ganze Sache? - Ja, das Kind hat einfach aus der Schublade Geld herausgenommen. - Was hat das Kind mit dem Gelde getan? - Es hat sogar für seine Kameraden irgend etwas gekauft, Näschereien, hat nicht einmal aus egoistischen Gründen gestohlen. Man hat die Möglichkeit zu sagen: Ja, sieh einmal, das Kind hat nicht gestohlen, es ist gar keine Rede davon, daß das Kind gestohlen hat. Das Kind hat nur Tag für Tag gesehen, wie die Mutter an die Schublade geht, um Geld herauszunehmen, und hat das als vollberechtigt angesehen und nachgemacht. Das ist bloß heraus entstanden aus der Kraft, die die wichtigste ist in diesem Lebensalter: die Imitation, die Nachahmung. Lenkt man in diesem

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Sinne ein Kind richtig, weiß man seine Aufmerksamkeit in die rechte Richtung zu bringen, dann wird diese Aufmerksamkeit auf manche Maßnahmen gelenkt, die gerade in diesem Alter einen ganz bedeutenden Einfluß haben.

Durchaus bewußt müssen wir uns sein, daß Ermahnungen, Be­lehrungen in diesem Lebensalter noch nichts helfen, daß dasjenige allein hilft, was auf den Willen wirkt. Diese Konstitution des Men­schen aber geht bis zu dem Moment, wo sich physiologisch dieser merkwürdige Schlußpunkt des Kindesalters einstellt, der darinnen liegt, daß das Verhärtungsprinzip seinen letzten Anlauf nimmt und die bleibenden Zähne herauskristallisiert aus der menschlichen Organisation. Da hineinzuschauen durch geisteswissenschaftliche Methoden, was da zugrundeliegt dem werdenden Organismus, daß dieser letzte Schlußpunkt, der Zahnwechsel eintritt, das ist außer­ordentlich interessant. Aber viel wichtiger ist, eben auch das zu verfolgen, was ich charakterisiert habe: die parallelgehende geistig-seelische Entwicklung, die durchaus noch von der Nachahmung ausgeht.

Nun beginnt um das siebente Jahr herum ein deutlicher Um­schwung in der geistig-seelischen Verfassung des Kindes, ein Um­schwung, von dem wir sagen können: es bricht in das kindliche Alter die Fähigkeit herein, auf ganz anderes zu reagieren als vorher. Vorher war das Auge bedacht, nachzuahmen, das Ohr bedacht, nachzuahmen. Nun fängt an das Hinhören des Kindes auf das-jenige, was von den Erwachsenen als Meinung, als Anschauung ausgeht. Es verwandelt sich der Nachahmungstrieb in die Hingabe an die Autorität. Ich weiß nun, wie unangenehm es vielen Men­schen heute ist, wenn man das autoritative Prinzip geradezu zu einem wichtigen Faktor in der Pädagogik macht. Allein, man kann sich, wenn man die Tatsachen ernst und ehrlich vertreten will, nicht richten nach Programmen und Schlagworten, sondern eben einzig und allein nach der Empirie, nach den Erfahrungen. Und man muß beobachtet haben, was es bedeutet, wenn das Kind gelei­tet werden kann von einem Lehrer oder Erzieher oder einer Leh­rerin oder Erzieherin, zu denen es hinaufschaut, so daß sie für das

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Kind eine selbstverständliche Autorität sind. Die Tatsache hat eine große Bedeutung im Werden des Menschen, daß dieser werdende Mensch etwas annimmt als seine Gedanken, sich hineinlebt in et­was aus dem Grund, weil der verehrte Erwachsene diesen Gedan­ken hat, diese Empfindung hat, weil ein Zusammenwachsen statt­findet zwischen dem werdenden Menschen und dem erwachsenen Menschen. Und man muß nur wissen, was es für das ganze spätere Lebensverhältnis des Menschen bedeutet, wenn er, ich nenne es ausdrücklich das Glück hatte, zwischen dem Umschwunge, der um das sechste, siebente Jahr herum stattfindet, und zwischen dem letzten großen Umschwunge, der zur Zeit der Geschlechtsreife im vierzehnten, fünfzehnten Jahre eintritt, sich wirklich an eine selbst­verständliche Autorität hingeben zu können.

Nur handelt es sich darum, daß man nicht bei solchen Abstrak­tionen stehen bleibt, sondern daß man nun eingeht auf dieses ganz wichtige Lebensalter, das um das sechste, siebente Jahr herum be­ginnt und mit der Geschlechtsreife schließt. In diesem Lebensalter wird das Kind übernommen aus dem Elternhause, erzogen oder verzogen unter dem Prinzip der Nachahmung, wird der Schule übergeben. Das Wichtigste für das Leben soll in diesem Lebensab­schnitte mit dem Kinde gemacht werden. Da ist es wohl richtig, wenn man darauf hinweist, wie nicht nur jedes Jahr, sondern, man möchte sagen jeder Monat in der Entwicklung des Kindes wirklich seiner Wesenheit nach von dem Erzieher, von dem Unterrichten­den sorgfältig erforscht werden soll, nicht nur im allgemeinen, sondern - so gut es möglich ist auch bei der Massenerziehung - in jedem einzelnen Kindesfall sorgfältig erforscht werden soll. Denn indem das Kind die Schule betritt, sehen wir so ungefähr bis zum neunten Lebensjahre - die Dinge sind alle approximativ selbstver­ständlich - noch die Nachwirkung des Nachahmungstriebes neben dem schon hereinbrechenden Sich-Hingeben an die Autorität. Und wenn wir das Zusammenwirken dieser beiden Grundkräfte im werdenden Menschen richtig beobachten können, dann ist das lebensvolle Ergebnis dieser Beobachtung die richtige Grundlage sowohl für die Lehrmethode wie für den Lehrplan.

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Diese Frage - verzeihen Sie, wenn ich diese persönliche Bemer­kung mache - trat mir insbesondere in diesem Jahre entgegen, als in Stuttgart die Waldorfschule eingerichtet werden sollte. Durch das verständnisvolle Entgegenkommen unseres Freundes Emil Molt waren wir in der Lage, in Anlehnung an die Stuttgarter Firma «Waldorf-Astoria» eine Schule ins Leben zu rufen, die eine voll­ständige Einheits-Volksschule ist, die ganz in ihren Lehrmethoden und in der Verteilung des Lehrstoffes ein Ergebnis sein soll desje­nigen, was Geisteswissenschaft für die Pädagogik sagen kann. Und mir war es vergönnt, im September dieses Jahres den Seminar­Kursus abzuhalten für die Lehrerschaft, die ich zusammenstellen mußte für diese Schule. Da traten alle diese Fragen in einer sehr zeitgemäßen Weise an mich heran. Und dasjenige, was ich nun zu Ihnen sprechen möchte, ist im wesentlichen so etwas wie ein Ex­trakt alles desjenigen, was mitgegeben wurde durch einen semina­ristischen Kursus jener Lehrerschaft, die aus den Forderungen der Geisteswissenschaft und aus den sozialen Forderungen unserer Zeit heute eine wirkliche Einheits-Volksschule leiten sollte.

Es handelt sich darum, daß tatsächlich nicht nur die Lehrmetho­de, sondern vor allen Dingen auch der Lehrplan, die Lehrziele ge­schöpft werden können aus einer lebensvollen Beobachtung des werdenden Menschen. Wenn wir diesen werdenden Menschen ins Auge fassen, werden wir finden, daß noch vieles nach dem sechsten, siebenten Jahr in dem Kinde ist, das herrührt von jener besonderen Willensartung, die es allein möglich macht, daß das Kind in einem solchen Grade, wie ich es geschildert habe, vorher den Nachah­mungstrieb hatte. Der Wille ist es, der diesem Nachahmungstrieb zugrunde liegt, noch nicht der Intellekt. Der Intellekt entwickelt sich im Grunde genommen erst viel später aus dem Willen heraus. Jene intime Verwandtschaft, die zwischen dem einen Menschen, also dem erwachsenen Erzieher, und dem anderen Menschen, dem aufwach­senden Kinde ist, diese intime Beziehung drückt sich aus in einem Verhältnis von Wille zu Wille. Daher kommen wir an das Kind am besten heran in diesem ersten Volksschuljahre, wenn wir auf den Willen in der richtigen Weise zu wirken in der Lage sind.

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Aber wie wirken wir am besten auf den Willen? Auf den Willen können wir nicht wirken, wenn wir zu stark in diesem Jahre schon die äußere Anschauung, den Hinblick auf das äußere materielle Leben betonen. Es stellt sich heraus, daß wir dem Willen besonders nahe kommen, wenn wir in den ersten Jahren tatsächlich die Erzie­hung durchdrungen sein lassen von einem gewissen künstlerisch­asthetischen Elemente. Von einem gewissen künstlerisch-ästhe­tischen Elemente kann man aber wirklich ausgehen. Man kann zum Beispiel nicht mit jenem Beibringen des Schreibens und Lesens beginnen, bei dem eigentlich ein rechter Zusammenhang zwischen dem, was man beibringt, und den Kräften, die aus dem Seelen-zentrum des Kindes herauskommen, nicht besteht. Dasjenige, was heute unsere Lesezeichen, unsere Schriftzeichen sind, ist ja im Grunde genommen etwas sehr Abgeleitetes. Man sehe nur einmal zurück auf die Urschriften - nicht auf die primitiver Völker -, zum Beispiel auf die der hochentwickelten ägyptischen Kultur, man sehe, wie da die Schrift noch etwas war, was durchaus künstlerisch gestaltet war. Das hat sich im Laufe der Zeit allmählich abgeschlif­fen. Unsere Schriftzeichen sind sozusagen konventionelle Zeichen geworden. Wir können aber wiederum zurückgehen zu dem un­mittelbaren, elementaren Verhältnis, das der Mensch zu dem hat, was dann das Schreiben geworden ist. Mit anderen Worten, statt den Schreibunterricht abstrakt zu treiben, können wir beginnen mit einer Art zeichnerischem Schreibunterricht, aber nicht mit einem willkürlich zeichnerischen Schreibunterricht, sondern mit einem solchen, der wirklich aus dem künstlerischen Empfinden des Menschen heraus dasjenige formt, was später umgebildet wird für das werdende Kind zu den abstrakten Schriftzeichen, aber eben formt im künstlerischen Sinne. Man beginne also, wie ich sagen möchte mit einer Art Schreib-Zeichnen oder Zeichnen-Schreiben und verbreite sich überhaupt so von diesem Schreib-Zeichnen aus, daß man wirklich Elemente der bildenden Kunst, des Malerischen, auch des Plastischen an das Kind heranbringt.

Wer ein wirklicher Psychologe ist, der weiß, daß dasjenige, was in dieser Weise an das Kind herangebracht wird, nicht bloß den

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Kopf erfaßt, sondern daß es den ganzen Menschen erfaßt. Dasjeni­ge, was intellektualistische Färbung ist, dasjenige, was nur vom Verstande und namentlich von der Konvention durchdrungen ist wie die gewöhnlichen Lese-Buchstaben oder Schreib-Buchstaben, das erfaßt auch nur den Kopf. Wenn wir den Unterricht für diese Dinge in ein künstlerisches Element tauchen, dann erfassen wir den ganzen Menschen. Daher wird eine zukünftige Pädagogik ver­suchen, das intellektualistische Element, auch den Anschauungs­unterricht, aus einem zunächst Künstlerischen herzuleiten.

Wenn wir künstlerisch an das Kind herankommen, da können wir am besten dieses Ineinanderwirken von Autoritäts-Prinzip und Nachahmungs-Prinzip berücksichtigen. Denn in dem Künstleri­schen liegt etwas von der Nachahmung; in dem Künstlerischen liegt aber auch etwas, was unmittelbar von dem subjektiven Men­schen zu dem subjektiven Menschen geht. Denn dasjenige, was künstlerisch wirken soll, muß durch die Subjektivität des Men­schen durchgehen. Wir stehen ganz anders als Menschen mit unse­rer inneren Wesenheit dem Kinde gegenüber, wenn dasjenige, was wir ihm beibringen, zuerst eine künstlerische Gestalt gewinnt. Dadurch gießen wir von uns selbst substantiell etwas hinein, was als selbstverständliche Autorität erscheinen muß, was uns nicht als einen bloßen Abdruck erscheinen läßt von konventioneller Kultur und dergleichen, sondern was uns als Mensch menschlich dem Kinde nahebringt. Und unter dem Einfluß dieser künstlerischen Erziehung wird sich ganz von selbst das Hereinleben des Kindes in die selbstverständliche Autorität des Unterrichtenden und Er­ziehenden ergeben.

Das ist etwas, was zu gleicher Zeit darauf hinweist, daß Geist walten muß - denn man kann solchen Unterricht nur erteilen, wenn man das, was man mitzuteilen hat, von Geist durchwaltet sein läßt - in der ganzen Handhabung des Unterrichts, daß man leben muß in dem, was man zu übertragen hat. Und da komme ich auf etwas, was wiederum zu den Imponderabilien des unter­richtenden Lebens gehört. Man glaubt so leicht, daß es selbstver­ständlich ist, daß man sich selbst, indem man dem Kinde gegenübersteht,

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als der Verständige, als der Überlegene vorkommt, und das Kind als das einfältige naive Wesen sich gegenübergestellt fin­det. Das kann sehr bedeutsame Folgen für den Unterricht haben. Sehen Sie, ich will das konkrete Beispiel anführen, das ich in ande­rem Zusammenhange schon hier in meinen Vorträgen angeführt habe: Ich will dem Kind einen Begriff beibringen von der Unsterblichkeit der Menschenseele. Ich will, mich anpassend an das kindliche Gemüt, das Beispiel bringen, indem ich ein Bild gebe. Ich weise das Kind ganz anschaulich hin auf die Schmetterlings-puppe, auf den auskriechenden Schmetterling. Nun mache ich dem Kinde klar: Sieh einmal, wie in dieser Puppe unsichtbar für das äußere Auge der Schmetterling ruht, so ruht deine unsterbliche Seele in deinem Leibe. Wie der Schmetterling austritt aus der Pup­pe, so tritt, indem du durch die Pforte des Todes gehst, deine un­sterbliche Seele aus deinem Leibe aus und erhebt sich in die Welt, die im Grunde genommen ebenso eine andere [gegenüber der ge­wöhnlichen] ist, als die des Schmetterlings eine andere [gegenüber der Welt der Puppe] ist.

Nun, man wird das können; gut. Mit dem Verstande denkt man sich ein solches Bild aus. Aber indem man es dem Kinde beibringt, glaubt man als «verständiger» Mensch nicht gern selbst daran. Das aber wirkt auf alles ein in der Erziehung und dem Unterricht, denn es gehört zu den Imponderabilien, daß das Kind eigentlich durch geheimnisvolle Kräfte, die vom Unterseelischen des Kindes zum Unterseelischen des Erziehers wirken, nur dasjenige annimmt, an das ich selber glaube.

Geisteswissenschaft führt einen allerdings dazu, daß man das Bild, das ich eben angeführt habe, nicht bloß als ein vom Verstande ausgeklügeltes Bild nimmt, sondern daß man einsieht: dieses Bild ist von den göttlichen Schöpferkräften in die Natur selbst hinein­gestellt, um die Unsterblichkeit der Seele nicht bloß zu symbolisie­ren in der Willkür des Menschen, sondern weil hier auf einer un­tergeordneten Stufe dasselbe geschieht, was vor sich geht, wenn die unsterbliche Seele aus dem Leibe austritt. Man kann sich dazu auf­schwingen, an dieses Bild unmittelbar so inhaltsvoll zu glauben,

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wie man soll, oder vielmehr, wie man besser sagt, wollen soll, daß das Kind daran glauben soll. Wenn Glaubenskraft in dieser Weise die Seele des Erziehers durchwallt, dann wirkt der Erzieher in der richtigen Weise auf das Kind, dann hat die Autoritätswirksamkeit nicht einen Nachteil, sondern einen großen, einen bedeutsamen Vorteil.

Man muß, wenn man auf solche Dinge hinweist, nur immer darauf aufmerksam machen, daß das ganze Menschenleben ein zusammenhängendes ist: dasjenige, was man in dem Menschen­leben pflanzt, wenn der Mensch noch Kind ist, das erscheint oftmals erst in viel, viel späteren Jahren als Lebenstüchtigkeit oder Lebensüberzeugung. Und man wird so wenig darauf auf­merksam, weil es gewandelt erscheint. Nehmen wir einmal an, es gelingt uns, in dem Kinde eine sehr notwendige Empfindungs­fähigkeit zu erregen, die Verehrungs-Möglichkeit; es gelingt uns, in dem Kinde gegenüber dem, was auch als Göttliches verehrt werden kann in der Welt, die betende Stimmung zu erzeugen. Wer gelernt hat, die Zusammenhänge des Lebens zu beobachten, der weiß, daß gewandelt, metamorphosiert, diese betende Stim­mung im späteren Leben wieder erscheint. Aber man muß sie nur wieder erkennen, denn da erscheint sie so, daß sie sich umgewandelt hat zu einer solchen inneren Seelenkraft, durch die man wohltuend, segnend - wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf - auf den anderen Menschen einwirken kann. Niemand, der als Kind nicht gelernt hat zu beten, wird als alter Mensch die Seelenkraft haben, die segnend in seinen Ermahnungen oder oftmals nur in seinen Mienen wiederum auf das Kind oder auf jüngere Leute übergehen kann. Dasjenige, was wir als Gnaden-wirkung empfangen während der Kindheit, wandelt sich in dem reiferen Lebensalter durch Übergänge, die man gewöhnlich nicht bemerkt, die sich metamorphosieren, in Segenspendendes um.

So wandeln sich alle möglichen Kräfte im Leben. Und ohne daß man auf diese Zusammenhänge achtet, ohne daß man Erziehungs­kunst aus der ganzen breiten, vollen, geistig durchleuchteten Lebensanschauung herausholt, ohne das wird die Erziehung

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nicht dasjenige leisten können, was sie leisten soll: mit den Ent­wicklungskräften des Menschen zu wirken und nicht gegen sie zu wirken.

Wenn der Mensch dann ungefähr das neunte Lebensjahr erreicht hat, dann tritt, zwar nicht so deutlich wie um das siebente Jahr herum, aber doch auch mit einer gewissen Klarheit, ein neues Sta­dium ein. Die Nachwirkungen des Nachahmungstriebes ver­schwinden allmählich, und es tritt etwas für das Kind ein, das, wenn man es sehen will, allerdings intim, beobachtet werden kann:

es tritt ein besonderes Verhältnis des Kindes zu seinem eigenen Ich ein. Das Verhältnis zu dem Ich, das man das seelische Verhältnis nennen kann, tritt ja natürlich viel früher ein. Es tritt in demjenigen Momente bei jedem Menschen ein, bis zu dem er sich im Leben zurückerinnert. Da ist es auch ungefähr, daß das Kind übergeht, statt: «Karichen will das», «Mariechen will das», zu sagen: «Ich will das». Man erinnert sich später bis zu diesem Zeitpunkt zurück. Das Frühere entschwindet dem normalen Menschen meistens ganz. Da tritt das Ich seelisch in das menschliche Innere herein. Aber es ist noch nicht vollständig geistig hereingetreten. Was eigentlich geistig in der Seelenverfassung des Menschen als das Ich-Erlebnis auftritt, das weist uns dasjenige, was um das neunte Jahr, so zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre - alles ist annähernd - mit dem Kinde geschieht. Menschen, die Seelenbeobachter waren, haben zuweilen auf diesen großartig-bedeutsamen Moment im menschli­chen Leben hingewiesen. Jean Paul sagt einmal so schön, daß er als ganz junger Knabe, er wisse sich genau daran zu erinnern, im Hofe seines Elternhauses vor einer Scheune stand - so deutlich spricht er das aus -, da erwachte in ihm das Ich-Bewußtsein. Er wird es nie­mals vergessen, so erzählt er, wie er da hineingeschaut hat in das verhangenste Allerheiligtum der Menschenseele.

Bei dem einen deutlich, bei dem anderen weniger deutlich, tritt um das neunte Lebensjahr herum ein solcher Umschwung ein. Dieser Zeitpunkt ist für das Erziehen und Unterrichten ein außerordentlich wichtiger. Gelingt es uns, bis zu diesem Zeit­punkt in dem heranwachsenden Kinde jene Gefühle zu erregen,

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jene Willensrichtungen zu pflegen, welche man religiös oder moralisch nennt und die man herausholen kann aus allem übri­gen Unterrichten, dann braucht man nur ein guter Kindes-Beobachter zu sein, um seine Autorität in diesem Lebens-abschnitte - wenn man ihn herankommen sieht, wenn man ihn beobachten kann - so wirken zu lassen, daß sich dasjenige befestigt, was man vorher vorbereitend gerade an religiösen Empfindungen in dem Kinde entzündet hat.

In diesem Zeitpunkt entscheidet es sich, ob der Mensch aus dem tiefsten Innern heraus ehrlich und wahr aufblicken kann zu etwas, was göttlich die Welt und das Menschenleben durchseelt und durchgeistigt. Und wer durch Geistesanschauung sich hineinverset­zen kann in das Menschenleben, der wird, man möchte sagen intui­tiv dazu geführt, gerade in diesem Zeitpunkte als Erzieher die richtigen Worte, die richtigen Verhaltungsmaßregeln zu finden. Denn dasjenige, was Pädagogik in Wahrheit ist, das ist etwas Künstlerisches. Mit Pädagogik nicht als Normwissenschaft, mit Pädagogik als Kunst muß man an das Kind herankommen. So wie der Künstler seinen Stoff, sein Material beherrschen muß, es genau und intim kennen muß, so kennt derjenige, der sich durchdringt mit geistiger Anschauung, die Symptome, die heraufziehen um dieses neunte Lebensjahr herum, wo sich der Mensch innerlich so vertieft, daß sein Ich-Bewußtsein ein geistiges wird, wie es vorher ein seelisches war. Dann wird der Erziehende, der Unterrichtende dasjenige, was er früher immer daraufhin abgestellt hat, daß es an-knüpfte an die menschliche Subjektivität, mehr in eine objektive Betrachtung der Dinge umwandeln. Man wird wissen, wenn man diesen Zeitpunkt richtig ins Auge zu fassen versteht, daß man zum Beispiel über naturwissenschaftliche Dinge, über Dinge der Natur-anschauung vor diesem Zeitpunkte zu dem Kind nur so sprechen soll, daß man in Erzählungen, in Fabeln, in Parabeln dasjenige ein-kleidet, was Naturanschauung ist, daß man alles dasjenige, was Naturobjekt ist, vergleichsweise mit menschlichen Eigenschaften behandelt, kurz, daß man den Menschen nicht abtrennt von seiner Naturumgebung. In dem Augenblick, in dem um das neunte

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Lebensjahr herum das Ich erwacht, trennt sich der Mensch selber ab von der Naturumgebung, und er wird reif, die Verhältnisse der Naturerscheinungen nun objektiv zu vergleichen. Wir sollten daher mit dem objektiven Beschreiben desjenigen, was um den Menschen herum in der Natur ist, nicht beginnen vor diesem Zeitpunkte in dem kindlichen Lebensalter. Wir sollten vielmehr genau einen Sinn, ich möchte sagen einen geistigen Instinkt entwickeln für diesen bedeutsamen Umschwung.

Solch ein Umschwung findet dann wiederum so um das elfte, zwölfte Lebensjahr herum statt. Da scheint schon in das Leben, das sich noch ganz unter Autorität stellt, dasjenige herein, was nach der Geschlechtsreife im voll ausgestalteten Sinn auftritt; es leuchtet schon herein, was dann die eigene Urteilsfähigkeit nach der Ge­schlechtsreife ist. So wirken wir als Erzieher, als Unterrichter, daß wir an die Urteilsfähigkeit des Kindes appellieren, daß wir das Au­toritätsprinzip zurücktreten lassen. Aber das, was da in dem Kinde spielt, was sich nach der Geschlechtsreife als eigene Urteilsfähigkeit herausgestaltet, das spielt schon in das Autoritätsalter von dem zwölften Jahre an herein. Da können wir sehen - wenn wir richtig den Umstand, der da in der Seelenverfassung des Kindes eintritt, erblicken -, wie das Kind neue Interessen entwickelt. Richtige Auf­fassungsmöglichkeiten für physikalische Erscheinungen, für selbst die einfachsten physikalischen Begriffe werden erst so um das elfte, zwölfte Jahr herum entwickelt.

Ohne die Beobachtung dieser dem Menschenleben zugrundelie­genden Gesetzmäßigkeiten kann es keine wirkliche pädagogische Kunst geben. Diese pädagogische Kunst will genau angepaßt sein demjenigen, was sich im Menschen heraufentwickelt. Und dem sollte auch abgelesen werden dasjenige, was wir den Lehrplan, die Lehrziele nennen. Was gelehrt und wie gelehrt wird, es soll durch­aus herausfließen aus Menschenerkenntnis. Aber diese Menschen-erkenntnis werden wir nicht gewinnen, wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Weltanschauung im Hinblick auf das Geistige, auf die den äußeren sinnlichen Tatsachen zugrundeliegenden geistigen Tatsachen zu lenken. Dann wird es uns aber auch klar sein, daß die

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Imponderabilien, die ich schon öfter erwähnte, insbesondere in der pädagogischen Kunst eine wirkliche Rolle spielen.

Heute, wo sich unsere pädagogische Kunst - ohne daß wir es oftmals uns voll zum Bewußtsein bringen, ist das der Fall - mehr herausentwickelt hat aus zugrundeliegenden naturwissenschaft­lichen Anschauungen, heute legen wir einen großen Wert auf den sogenannten Anschauungsunterricht. Nun bitte ich Sie überhaupt die Sachen, die ich ausspreche, nicht so aufzufassen, als ob ich po­lemisieren wollte, als ob ich irgend etwas abkanzeln oder abkritisieren wollte. Das ist durchaus nicht der Fall. Ich will nur den Anteil charakterisieren, den Geisteswissenschaft an der Aus­gestaltung einer pädagogischen Kunst der Gegenwart und der Zu­kunft haben kann. Daß wir den Anschauungsunterricht über seine Grenze hinaus betonen, ist im Grunde genommen nur ein Ergebnis jener Denkgewohnheiten, die sich aus naturwissenschaftlichen Anschauungen, aus naturwissenschaftlichen Methoden heraus ent­wickeln. Aber so berechtigt es ist - ich sage es ausdrücklich -, so berechtigt es ist, Anschauungsunterricht zu erhalten im richtigen Lebensalter und den richtigen Dingen gegenüber, so wichtig ist es, zu fragen, ob alles dasjenige, was dem heranwachsenden Kinde vermittelt werden soll, aus der Anschauung fließen kann, ob es nicht auf anderem Wege übergehen muß von der Seele des Leh­renden, des Erziehenden in die Seele des Kindes hinein. Daß es solche anderen Wege gibt, darauf muß durchaus hingewiesen wer­den. Und ich habe ja als auf das durchgreifende Prinzip zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife auf das Autoritätsprin­zip hingewiesen. Daß in dem Lehrenden etwas lebt als Meinung, als Empfindung, das soll der Grund sein, warum das Kind diese Meinung, diese Empfindung annimmt. Da muß wirklich in der Art und Weise, wie der Lehrende dem Kinde gegenübersteht, etwas liegen, das eben imponderabel wirkt. Dann muß etwas da sein, was wirklich herausfließt aus einer solchen zusammenfassenden Le­benserkenntnis und aus dem Interesse an einer solch zusammen­fassenden Lebenserkenntnis, wie ich es charakterisiert habe, indem ich sagte: Dasjenige, was wir im Kindesalter ausbilden, zeigt sich

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metamorphosiert oftmals erst beim erwachsenen Menschen oder sogar erst beim Greise.

Man beachtet, indem man über die Grenze des Anschauungsun­terrichtes hinausgeht, eines zum Beispiel oftmals nicht. Man kann sich ja herunterschrauben zu der Auffassungsweise des Kindes, nur zu demjenigen, was man anschaulich vor das Kind hinstellen will, was das Kind erfassen kann oder wenigstens wovon man glaubt, daß es das Kind nur erfassen könne. Ja, derjenige, der das über ein gewisses Extrem hinaus treibt, er beachtet ein wichtigstes Lebens-gesetz nicht. Das besteht in folgendem: Es ist einfach eine Quelle von Lebenskraft und Lebenskräftigung, wenn man zum Beispiel in seinem fünfunddreißigsten Jahre in die Lage kommt, sich zu sagen:

Du hast als Kind einstmals von deinem Lehrer, von dem, der dich erzogen hat, dies oder jenes gehört. Das hast du aufgenommen in dein Gedächtnis, das hast du bewahrt. Warum hast du es bewahrt? Weil du den Lehrer als Autorität geliebt hast, weil einfach die We­senheit des Lehrers so vor dir stand, daß es dir klar war, wenn er sich zu dem bekennt, dann mußt du es aufnehmen; also verhieltest du dich instinktiv. Jetzt geht dir ein Licht auf, jetzt bist du reif geworden, das zu verstehen auf die geschilderte Weise. - Ich habe etwas aufgenommen, das ich aufgenommen habe aus Liebe zur Autorität. Jetzt tritt eine Reifekraft auf, wodurch ich das wiederum zurückrufe in mir, jetzt erkenne ich es in neuem Sinne, jetzt ver­stehe ich es erst.

Ja, wer über eine solche Lebenskraftquelle lächeln kann, der hat nicht das Interesse am wirklichen Menschenleben, der weiß nicht, wie dieses Menschenleben eine Einheit ist und wie alles in diesem Menschenleben zusammenhängt; der kann daher nicht würdigen, was es heißt, daß man nicht bloß beim normalen Anschauungs­unterricht - der gewiß in seinen Grenzen voll berechtigt ist - ste­henbleiben könne, sondern daß man hineinversenken muß in die Kindesseele dasjenige, auf das das spätere Leben von Reifezustand zu Reifezustand immer wiederum zurückkommen kann. Warum begegnen uns heute so viel innerlich gebrochene Menschen? War­um blutet uns heute das Herz, wenn wir hinsehen auf ganze weite

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Territorien, denen große Aufgaben gestellt sind und in denen die Menschen wie gelähmt herumgehen? Weil nicht Rücksicht genommen worden ist bei den heranwachsenden Kindern auf die Ausbildung derjenigen Kräfte, die dem Menschen im späteren Leben eine starke Stütze sind, so daß er sich hineinstellen kann in dieses Leben.

Das sind die Dinge, die durchaus da berücksichtigt werden müs­sen, wo die bloße pädagogische Normwissenschaft in eine wirkli­che Erziehungskunst übergeführt werden soll. Pädagogik muß, weil sie allgemein sein muß für die Menschheit, zu gleicher Zeit zur individuellen und individuell gehandhabten Kunst des Erziehers und des Unterrichters werden. Man muß gewisse innere Zusam­menhänge einsehen, wenn man dasjenige, was oftmals instinktiv ausgesprochen wird, aber doch eben nicht klar durchschaut wird, klar durchschauen will. Mit einem gewissen Recht verlangt man heute, man solle nicht bloß intellektuell erziehen; es käme nicht so sehr darauf an, daß der heranwachsende Mensch ein Wissen, eine Erkenntnis erhalte, sondern darauf komme es an, daß er ein tüch­tiger Mensch werde, daß das Willenselement ausgebildet werde, daß in ihm wirklich Handfertigkeiten entwickelt werden und der­gleichen. Gewiß, eine solche Forderung ist durchaus berechtigt. Aber es handelt sich darum, daß man einer solchen Forderung nicht entsprechen kann mit allgemeinen pädagogischen Redensar­ten und Normen, sondern nur entsprechen kann, wenn man im konkreten einzelnen auf die Entwicklungsmomente des Menschen wirklich eingehen kann. Da muß man wissen, wie das Künst­lerisch-Ästhetische das Anfeuernde des Willens ist, muß das Ästhetisch-Künstlerische an diesen Willen heranbringen können. Man muß aber auch nicht bloß einen äußeren Zugang zum Willen suchen. Den wird man vergeblich suchen, wenn man den Men­schen bloß durch Physiologie, durch Biologie sucht, wenn man ihn nicht sucht durch das geistig-seelische Element, das in seinem Wesen sich ausdrückt und gerade im Kindesalter in hervorragender Weise sich ausdrückt. Da wird manches zu durchseelen, zu durch-geistigen sein.

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Wir haben in unserer Waldorfschule in Stuttgart zum ersten Male versucht, dasjenige, was sonst im allgemeinen nur, ich möchte sagen auf Physiologisches gestützt ist - wenigstens durch seine Methode, mit Bezug auf seine organisatorische innere Kraft -, nämlich das Turnen, umzuwandeln in eine gewisse eurythmische Kunst. Sehen Sie, dasjenige, was Sie fast an jedem Sonnabend und Sonntag draußen in Dornach sehen können als eurythmische Vorführung, das ist natürlich zunächst als eine besondere Kunst­form gedacht, eine Kunstform, zu der der menschliche Organismus selber mit seinen inneren Bewegungsmöglichkeiten als Instrument verwendet wird. Aber dasjenige, was so als Kunstform gedacht ist, das gibt zu gleicher Zeit Möglichkeiten, die Bewegungen des Men­schen, die wir sonst nur durch das physiologische Turnen haben, zu durchseelen, zu durchgeistigen, so daß der Mensch nicht nur dasjenige ausführt, wovon man frägt: Wie wirkt es auf diesen oder jenen Muskel? -, sondern das ausführt, was naturgemäß fließt aus dieser oder jener seelischen Regung in die Bewegung der Muskeln, in die Bewegung der Glieder hinein.

Eurythmie wird, wie wir, die wir auf dem Boden einer Durch­geistigung des Lebens vom Standpunkte der Geisteswissenschaft stehen, überzeugt sind, Eurythmie wird tatsächlich auf der einen Seite eine große pädagogische, auf der anderen Seite auch eine hygienische Bedeutung haben. Denn es werden die gesunden Ver­hältnisse, diese naturgemäßen Zusammenhänge gesucht, die zwi­schen dem inneren Erleben, Empfinden und Aussprechen der Seele und dem, was im ganzen Menschen als Bewegung sich entwickeln kann, bestehen müssen. Dasjenige, was sonst bloß durch äußerliche Physiologie oder durch sonstige äußerliche Tatsachen gesucht wird, das wird durch die Erkenntnis von der Durchseelung und Durchgeistigung des Menschen gesucht. Und so kann man nicht nur, indem man die gebräuchlichen Künste das Unterrichtsprinzip in den ersten Volksschuljahren durchsetzen läßt, auf den Willen wirken, sondern man kann noch dadurch ganz besonders auf den Willen wirken, daß man so etwas, was ja sonst auch als eine Willenskultur gedacht ist, das Turnen, durchsetzt sein läßt von

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Seelisch-Geistigem, das aber erst vorher in seiner konkreten Wirkungsmöglichkeit, in seinem konkreten Auftreten, erkannt werden muß.

Und so muß man wiederum erkennen, wie zwei Seelenfähig­keiten in dem Menschen zusammenhängen, zwischen denen die heutige Psychologie, die ja in Wirklichkeit von Geisteswissenschaft eben nicht durchdrungen ist, keinen rechten Zusammenhang fin­det. Wenn wir sachgemäß hinblicken können auf den wichtigen Zeitpunkt, den ich als um das neunte Lebensjahr herum liegend bezeichnet habe, so werden wir sehen, daß in diesem Zeitpunkte etwas Besonderes vorgeht in bezug auf die Gefühlsfähigkeiten, das Gefühlsleben des Kindes. Der Mensch verinnerlicht sich. Es treten eben andere Gefühlsnuancen auf. Gewissermaßen wird das innere Seelenleben in seinen Gefühlsnuancen selbständiger gegenüber der äußeren Natur. Dagegen tritt auch etwas auf, was nur bei wirkli­cher intimer Seelenbeobachtung uns entgegentritt - Jean Paul be­merkte das auch und sprach es geistreich aus: Wir lernen gewiß in unseren drei ersten Lebensjahren mehr als in unseren drei akademi­schen Lebensjahren, weil wir sozusagen ein organisch entwickeltes Gedächtnis ja noch haben, weil da das Gedächtnis noch organisch wirkt. Für das Leben lernen wir da nämlich mehr. Aber eine beson­dere Beziehung, eine Beziehung, die mehr in das bewußte Leben hineinspielt, wird gerade zwischen dem Gefühlsleben und zwi­schen dem Gedächtnisleben um das neunte Lebensjahr hergestellt.

Solche Dinge muß man nur sehen. Wenn man sie nicht sehen kann, so sind sie für einen nicht da. Wenn man diese intimen Be­ziehungen zwischen Gefühlsleben und Gedächtnis wirklich durch­schaut, findet man dann, indem man diese Beziehungen pflegt, den richtigen Gesichtspunkt für dasjenige, wofür an das Gedächtnis appelliert werden muß im Unterrichte. An das Gedächtnis soll man eigentlich nicht anders appellieren, als indem man zu gleicher Zeit an das Gefühlsleben appelliert. Namentlich für den geschichtlichen Unterricht, für alle geschichtlichen Mitteilungen wird man die rich­tige Mitteilungsnuance finden, wenn man weiß: was dem Gedächt­nisse einverleibt werden soll, soll in unserer Darstellung immer

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durchdrungen sein von etwas, was hinüberspielt in das selbstän­diger gewordene Empfinden. Man wird diesen geschichtlichen Unterricht auch richtig in den Lehrplan einreihen, wenn man diese Zusammenhänge des Lebens kennt. So wird man dann auch eine richtige Anschauung bekommen über die Gedächtnis-Kultur über­haupt. Und man wird mit dem, wodurch man vorzugsweise auf das Gedächtnis gewirkt hat, ebenso auf das Gefühlsleben wirken, wie man vorerst durch Künstlerisches auf das Willensleben gewirkt hat. Dann wird man die Möglichkeit gewinnen, allmählich nach diesem Lebensabschnitte erst das intellektuelle Element aus dem Willens-element und aus dem Gefühlselement herauswirken zu lassen. Denn wenn in der Erziehung, im Unterrichte nicht das intellek­tuelle Element aus dem Willenselement, aus dem Gefühlselement in der richtigen Weise herausgebildet wird, dann wirken wir gegen die Entwicklungskraft im Menschen, nicht im Sinne der Entwick­lungskraft.

Nun, Sie haben aus der ganzen Haltung des Vortrags gesehen, daß es bei den Beziehungen zwischen Geisteswissenschaft und pädagogischer Kunst darauf ankommt, die Geisteswissenschaft so zu gebrauchen, daß sie zu einer wirklichen Menschenerkenntnis wird. Dadurch gewinnen wir in der Geisteswissenschaft selber et­was, was so übergeht in unseren Willen, wie dasjenige, was künst­lerische Anlage ist, in den menschlichen Willen übergeht. Dadurch kommen wir ab von einer Pädagogik als einer bloßen Normwissen­schaft, die immer weiß: So und so muß man erziehen. Dadurch aber verpflanzen wir in unsere menschliche Wesenheit dasjenige, was wir im Willen drinnen haben müssen, die Durchgeistigung dieses Willens, damit wir aus unserem Willen hinüberwirken können in die Werdekräfte des aufwachsenden Menschen. So soll Pädagogik im geisteswissenschaftlichen Sinne gestützt werden auf wahre wirksame Menschenkenntnis. Ein heiliges Rätsel wird uns dadurch der werdende Mensch, ein heiliges Rätsel, das wir in jeder Stunde lösen wollen. Wenn wir uns so mit unserer pädagogischen Kunst in den Menschheitsdienst hineinstellen, dann dienen wir diesem Leben aus den großen Interessen dieses Lebens. Auf den

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Gesichtspunkt, von dem ich ausgegangen bin, auf den möchte ich zum Schlusse wiederum hinweisen.

Derjenige, der Lehrer oder Erzieher ist, hat es zu tun mit dem Menschen in demjenigen Lebensalter, in dem hineinzupflanzen sind in die menschliche Natur und herauszuholen sind aus der menschlichen Natur alle die Lebensmöglichkeiten, die dann durch das ganze übrige menschliche Leben und Dasein hindurchspielen. Deshalb kann man sagen, daß es kein Gebiet des Lebens gibt, das nicht in irgendeiner Weise berühren soll den, der zu unterrichten und zu erziehen hat. Aber nur der versteht das Leben, der es vom Geiste aus verstehen lernt. Nur derjenige wird das Leben gestalten können, der - um diesen Goetheschen Ausdruck zu gebrauchen -geistig es zu gestalten vermag. Das aber scheint mir in der Gegen­wart vor allen Dingen notwendig zu sein, daß diejenige Lebensge­staltung, die durch die Pädagogik ausgeübt wird, geistgemäß und immer geistgemäßer gestaltet werden kann. Nicht um etwas zu kritisieren, nicht um etwas abzukanzeln, das lassen Sie mich noch­mals betonen, sind die heutigen Worte gesprochen worden, son­dern weil die bescheidene Meinung vorliegt, daß Geisteswissen­schaft mit den Erkenntnissen, die sie gerade über das Wesen des Menschen und daraus auch über das Wesen des werdenden Men­schen gewinnt, der pädagogischen Kunst dienen kann und ihr neue Kraftquellen wird zuführen können.

Das möchte diese Geisteswissenschaft. Denn sie möchte nicht irgend etwas sein, was sich lebensfremd und lebensfern in die Welt hineinstellt, sie möchte ein Lebensferment sein, das alle einzelnen Lebensfähigkeiten und Lebensaufgaben durchdringen kann. Aus dieser Gesinnung heraus versuche ich von dem Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft über die verschiedensten Lebensgebiete zu sprechen und auf die verschiedensten Lebensgebiete hin zu wirken. Schreiben Sie es auch nicht irgendeiner unbescheidenen Anmaßung zu, wenn ich heute über das Verhältnis der Geisteswissenschaft zur Pädagogik gesprochen habe, sondern schreiben Sie es der Gesin­nung zu, die in der Überzeugung wurzelt, daß über den Geist gerade in unserer Zeit allerdings noch viel erforscht werden muß,

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wenn wir geistgemäß im Leben wirken wollen; schreiben Sie es der Gesinnung zu, die in ehrlicher und aufrichtiger Weise mitarbeiten möchte an den verschiedensten Zweigen des Lebens, mitarbeiten möchte an dem herrlichsten, großartigsten, wichtigsten Zweige des Lebens, an der erziehenden und unterrichtenden Gestaltung des Menschen selbst.

Fragenbeantwortung

#G297-1989-SE182 Idee und Praxis der Waldorfschule

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Fragenbeantwortung

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Es folgte eine Diskussion. Die einzelnen Voten sind vom Stenographen teils referiert, teils in direkter Rede festgehalten worden.

Herr Hulliger führt aus, daß er sich die Ausführungen des Referenten über die Pädagogik mit größter Freude angehört habe. Das genau Gleiche erstrebe auch die neue Kunst, die Umkehr in der neuen Kunst. Er weist auf ein Wort Ferdinand Hodlers hin: Dasjenige, was uns Menschen eint, ist stärker als dasjenige, was uns Menschen trennt. - Dann fährt er fort:

Und dasjenige, was uns alle eint, ist eben das Geistige, von dem Herr Dr. Steiner gesprochen hat. Dieses Geistige sucht auch die neue Kunst wieder, und sie wird es finden, trotz aller Anfeindungen. Ich möchte gerade in Anschluß an diesen Gedanken hinweisen auf die morgige Veranstaltung, hei der über die Neuorganisation der Basler Schulen gesprochen wird. Diese Neuorganisation vollzieht sich nicht nach den Gesichtspunkten, die Rudolf Steiner dargelegt hat, sondern nach äußeren Rücksichten. Wenn mehr Zeit zur Verfügung stünde, würde ich morgen für die Einheitsarbeitsschule sprechen, die sich auf die Ausführungen von Rudolf Steiner stützt, und würde vor allem die Forderung stellen, daß nicht schon im zehnten, sondern erst im zwölften Lebensjahr differenziert werden darf - und auch dann nicht nach der Stärke der Begabung, ob gescheit oder weniger gescheit, gescheit oder dumm, sondern nach der Art der Begabung. Rudolf Steiner hat in seinen Ausführungen die Grundlagen zu dieser Differenzierung gegeben.

Nun möchte ich Sie noch auf etwas anderes aufmerksam machen. Wir können die Entwicklung des Kindes in seinen Bildern verfolgen. Wir sehen oft von Kindern gemalte Bilder an den Wänden. Alle diese Bilder sagen uns etwas, wenn wir sie verstehen können. Ich möchte da auf Erfahrungen hinweisen, die ich im Unterricht als Zeichenlehrer selbst gemacht habe. - Da habe ich zum Beispiel ein Bild bekommen, das eine sogenannte Freiarbeit darstellt, eine Wiese, dann ein Gebirge, und in diesem Gebirge eine Einsat-telung. Und in dieser Einsattelung steht eine Kirche. Was sagt das? Ich habe eines Tages die Erkenntnis bekommen, daß das Kind in seinem Bilde, in seiner Zeichnung das ausspricht, was es seelisch erlebt. Zu dieser Kirche herauf führte ein Weg. Dieser Weg ist der Lebensweg des Kindes; die Berge, das sind die Hindernisse, die sich dann entgegenstellen. Die Kirche ist für ihn

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das Geistige, mit dem es die Hindernisse überwindet. Und ich kann aus diesem Bild zurückschauen auf den Charakter des Kindes. Ein anderes Bild:

Es geht durch eine schöne Landschaft ein Weg. Rechts unten ist ein Mäd­chen, links oben ein Knabe, in schönen zarten Farben gemalt, ein schönes Landschaftsbildchen. Das Mädchen, das das Bildchen gemacht hat, ist etwa dreizehnjährig, das heißt, es steht unmittelbar vor der Pubertät. In diesem Bildchen ist ausgesprochen, was es innerlich erlebt und was innerlich vor ihm steht.

Ich habe in einer Klasse Hexen darstellen lassen. Was habe ich nun hier entdeckt? Jedes hat genau in der Hexe diejenige böse Eigenschaft verkörpert, die es selber hatte. Ich hatte ein Schülerin, eine feine, zarte, kränkliche Schülerin. Diese hat die Hexe als den Tod dargestellt. Das stimmte vollstän­dig mit ihr. - Ich habe mich hernach mit dem Klassenlehrer verständigt, und er hat mir gesagt:

Nun noch kurz über die Art, wie die moderne Kunst angeschaut werden kann, angeschaut werden muß. Ich kann Ihnen das an einigen Beispielen zeigen. Wir haben hier vorne eine schwarze Wandtafel. Ich kann diese Wandtafel mit dem Verstand ansehen und sage mir: Diese schwarze Wandta­fel hat vier Ecken, vier rechte Ecken, je zwei gleichlaufende Seiten und eine Fläche, die dunkel, düster ist. Soweit der Verstand. Das Gefühl sagt mir sofort etwas anderes. Das Gefühl sagt mir: Diese schwarze, harte, eckige Form - ich habe den Eindruck von etwas Schwerem, Düsterem, Herbem, Erschütterndem. An was ich nun zunächst beim Anblick dieser Wandtafel denke, das ist vielleicht ein Sarg, der mir in Erinnerung kommt.

Auf diese Art müssen neuere Bilder verstanden werden, nicht mehr mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl: Was empfinde ich bei diesem Bilde und welche Erinnerungen kommen mir? Wenn Sie einmal den Versuch machen: Bilder, die ich ansehe, erinnern mich an das und das, so werden Sie sehen, daß das durchaus richtig ist. Ich habe das erfahren und seit zwei, drei Jahren beständig erprobt, daß es stimmt. Dann haben Sie die Möglichkeit, bei der modernen Kunst zu unterscheiden, was gut ist und was nicht gut ist. Selbstverständlich gibt es dabei eine ganze Menge Bilder, die schlecht sind, hohl, inhaltsleer, total schlecht, und daneben gibt es die feinsten Bilder. Was macht das Publikum? Weil es nicht die Fähigkeit hat, diese Bilder in sich aufnehmen zu können, lehnt es sie ab. Wir müssen die Kinder nicht so sehr zum äußeren Sehen, sondern vielmehr zum Fühlen erziehen.

Herr Wetterwald: Wenn ich das Wort ergreife, so ist es ein innerliches Drängen, das mich dazu veranlaßt, und zwar möchte ich dem Vortragenden meinen herzlichen Dank aussprechen für die schönen Worte, die er vor uns sprach, und für die Bilder, Ideen, Gedanken, die er vor unseren Augen entrollt hat. Seine Worte haben mich außerordentlich sympathisch berührt, weil sie aus Ideen kommen, mit denen ich mich seit Jahren beschäftigt habe, immer und immer wieder.

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Ich wußte nicht, was unter der Geisteswissenschaft zu verstehen war. Jetzt habe ich deutlich gesehen, daß eine enge Beziehung besteht zwischen der Geisteswissenschaft, wie sie der Vortragende eben dargelegt hat, und der Pädagogik. Das ist nun meine vollendete Uberzeugung. Seine Worte haben mich auch noch deshalb sympathisch berührt, weil aus der ganzen Darlegung eine gewisse Entwicklung sich gezeigt hat, die Entwicklung, die wir sehen in der Herbart-Zillerschen Schule, auf die der Vortragende auch aufmerksam gemacht hat. - Auch hat er auf gewisse Stufen in der Entwicklung des Kindes aufmerksam gemacht, und das ist es, was mich veranlaßt, ein ganz kurzes Wort noch zu sagen.

Stufen hat er dargelegt, und in einer Weise, die mich überzeugt hat, daß es wirklich solche Stufen gibt. Wir finden solche Stufen auch schon bei Herbart angegeben. Herbart hat ja schon im Jahre 1804 durch sein sehr interessantes Werk von der ästhetischen Struktur in der Erziehung gezeigt, iuf was es eigentlich in der Erziehung ankommen soll, ankommen muß. Und daraus hat er dann die Stufen-Theorie geschaffen, die von Ziller weiter ausgeführt wurde und von Vogt in Wien bis zu einem gewissen Grade plausibel dargestellt worden ist. Aber alle eben erwähnten Stufen-Theorien haben mich von dieser Tatsache doch nicht so überzeugt wie das, was vom Vortragenden heute vorgebracht worden ist, und dafür noch besonderen Dank.

Nun noch etwas. Sie haben wohl alle empfunden, daß es vor allem auf eines ankommt, was schwer auf unsere Seele fallen muß, auch mir selbst, daß es vor allem ankommt auf die Erzieherpersönlichkeit. Das ist aus dem ganzen Vortrag mit aller Deutlichkeit, mit aller sittlichen Wärme, Tiefe und Verantwortung hervorgegangen. Und das ist es, was mich besonders berühr­te, daß er diesen Gedanken mit aller Schärfe und Bestimmtheit betont hat und uns damit zeigt, welch große Aufgabe und Verantwortung wir haben, wenn wir unseren Beruf als Erzieher ausführen. Ich bin in der Hauptsache mit allen Bildern aus dem Leben durchaus einverstanden. Sie sprachen aus, was ich selber seit Jahrzehnten erlebt, gedacht und empfunden habe. Ich schließe mit dem herzlichen Dank an den Vortragenden für seine Ausführungen.

X (unbekannt): Was ich sagen wollte, hat mir zum größten Teil der erste Vorredner weggenommen, nämlich, wie wir uns durch die Kunst in das Kind hineinleben.

Ich möchte noch etwas als eine Art Kritik üben. Rudolf Steiner sagt, das Turnen, wie man es heute in der Schule hat, soll ersetzt werden durch Eurythmie. Ich habe die Eurythmie-Vorstellungen teilweise besucht und sah, worauf sie ausgehen. Nun glaube ich nicht, daß diese Eurythmie allein in der Schule gepflegt werden darf. Was entwickelt die Eurythmie? Ich glaube, gerade alle diese tanzenden Bewegungen werden den Oberkörper des Men­schen vernachlässigen, die Muskelbildung vernachlässigen. Auf die kommt es aber bei den arbeitenden Menschen, zu denen die meisten unserer Volksschüler

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übergehen, an. Wir werden vernachlässigte, schwache Oberarmmus­keIn, schwache Brustmuskeln, schwache Rückenmuskeln bekommen durch Eurythmie. Die Beinmuskeln werden stark ausgebildet, aber nicht die Oberarmmuskeln, die werden, vernachlässigt, zurücktreten. Wir sehen ja diese Schwachheit heute bereits im sogenannten Mädchenturnen, bei dem auch wohl viel zu viel gewendet wird, viel zu viel Wert gelegt wird auf das Tanzen. Wenn dort eine Anforderung an die Oberarmmuskeln gestellt wird, die allerdings beim Mädchen weniger ausgebildet sind als beim Mann, so versagen diese Muskeln; meist kann nicht einmal die einfachste Stützübung von Mädchen ausgeführt werden. Doch ist dies ja bei den Mädchen für den späteren Beruf viel weniger wichtig als beim Mann. Nimmt man Eurythmie und läßt das physiologische Turnen, Barren-, Reck-, Kletterübungen ganz beiseite, so fürchte ich, daß die Stärke, die der Mann bei seinem Beruf braucht, auch Schaden leiden möchte.

Ich will damit sagen, daß die Eurythmie ja eingeführt werden kann, die Kinder werden dadurch ästhetisch geschult, - aber es soll nicht einseitig bloß Eurythmie geben. Was mir gefallen hat an den Übungen in Dornach, das war das wirklich schöne Linienspiel, die Harmonie in der Bewegung, das Künst­lerische, das Ästhetische. Aber ob diese eurythmischen Übungen dazu bei­tragen werden, den Körper für den Lebensberuf fähig zu machen, daran möchte ich zweifeln. Ich möchte darüber Aufklärung, ob Rudolf Steiner nur eurythmische Aufführungen haben will, ob er dem auf physiologischen Grundlagen ruhenden Schulturnen jede Berechtigung absprechen möchte. Wenn das der Fall wäre, daß den auf der Erkenntnis des menschlichen Körpers beruhenden Körperübungen die Berechtigung ganz abgesprochen wäre, so könnte ich mich mit der Einführung von Eurythmie nicht vollstän­dig einverstanden erklären.

Rudolf Steiner: Damit nicht Mißverständnisse entstehen, möchte ich zu dem letzten Punkt gleich ein paar Worte sagen. Vielleicht ging es aus dem Vortrage nicht klar genug hervor, ich konnte ja die Sache nur kurz berühren - es ist ja selbstverständlich, daß, wenn wir in Dornach Eurythmie vorführen, wir sie vor allem als künst­lerische Leistung vorführen und dabei auf dasjenige, wovon Sie sagten, daß es Ihnen sympathisch ist, Rücksicht nehmen. Daher führen wir gerade diejenigen Dinge vor, die selbstverständlich mehr für das Anschauen, für die Vorstellung, für die künstlerische Vorstellung sind. Im Vortrag wollte ich vielmehr darauf hinweisen, daß durch die Anschauung dieser Eurythmie das Prinzip erkannt werden kann, wie man dasjenige, was heute bloß physiologisch gedacht wird, durchgeistigen und durchseelen kann - natürlich ist

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das auch etwas radikal gesprochen, denn das Turnen ist ja nicht allein physiologisch gedacht. Von der Eurythmie sage ich übrigens in der Einleitung immer, daß sie erst am Anfang stehe, und wenn sie heute einseitig wirkt dadurch, daß einzelne Glieder besonders entwickelt werden, so möchte ich als auf etwas Wesentliches darauf hinweisen, daß auch dieses verschwinden wird, wenn sie weiter entwickelt sein wird. Doch ich wollte nicht den Eindruck her­vorrufen, als ob es meine Meinung wäre, daß das Turnen weg-zufallen habe, wenn man Eurythmie einführt. Wir haben in der Waldorfschule in Stuttgart eine Stunde gewöhnliches Turnen eingeführt und eine Stunde Eurythmie - wobei aber auch da die Eurythmie nicht bloß in dem besteht, was man als künstlerische Darbietung bringt, so daß die Anforderungen, die Sie mit Recht stellen, schon dabei berücksichtigt werden.

Worauf es mir ankommt ist, daß zu dem Physikalischen, Phy­siologischen, das dem Turnen zugrundeliegt, das Seelisch-Geistige hinzutritt. Beides soll da sein, damit auch in den Bewegungen, die der Mensch turnerisch ausführt, das Seelische, das als solches für sich erfaßt wird, mitwirkt, wie sich im Menschen selbst in seiner Ganzheit eine Zusammenwirkung von Leib, Seele und Geist her­ausstellt. Also es handelt sich durchaus nicht um eine Ausmerzung des Turnens; im Gegenteil, ich möchte gerade, daß das Turnen von dem Eurythmischen befruchtet würde. Nicht eine Barrenübung, nicht eine Reckübung soll ausgemerzt werden, nichts, was das Turnen hat, soll ausgemerzt werden. Aber die Eurythmie möchte außer dem, daß man frägt: Wie wird dieser oder jener Muskel vom physiologischen Standpunkt aus behandelt? -, daß man frägt: Wie wirkt ein seelischer Impuls?-, so daß also zu dem, was vorhanden ist, noch etwas hinzutritt. Ich möchte gar nicht das Vorhandene kritisieren, sondern nur eine von der Geisteswissenschaft geforder­te Durchgeistigung und Durchseelung ein wenig kennzeichnen. Ich bin durchaus einverstanden mit dem, was Sie ablehnen, möchte aber durchaus zeigen, daß von der Geisteswissenschaft eine Durch­seelung des Turnens ausgehen kann.

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Herr Blumer führt aus, daß das Prinzip, das Rudolf Steiner entwickelt habe, ungemein lehrreich und fruchtbar für die Schule sei. Wenn man bedenke, wie die Sache in der Schule jetzt gehandhabt werde, so müsse man doch sagen, daß das nicht mit den Stufen, die Rudolf Steiner anführte, übereinstimme. Er fährt fort:

Goethe hat einst gesagt, daß das Kind für die Empfindung die Kulturepo­chen der Menschheit kurz wieder durchlaufen müsse. Und wenn wir an dieses wertvolle Wort von Goethe wieder recht anknüpfen wollten, es fruchtbar machten, würden wir zu Methoden kommen, die mit den Ideen, die wir schon seit Jahren pflegen, absolut im Widerspruch stehen.

Ich möchte nun noch zweitens bemerken: Für den Zeichenunterricht geht man immer von einzelnen Linien, Geraden, Figuren aus. Wenn wir jedoch die Produkte der Höhlenbewohner mit ihren Zeichnungen in den Höhlen betrachten, müssen wir bedenken, daß diese gar keinen Zeichenunterricht bekommen haben. Und ich meine, schon nach diesen ersten Zeichnungen und Darstellungen jener Naturvölker können wir ungemein viel für unseren Kinder-Zeichenunterricht lernen. Oder wiederum im Singen: Jetzt geht man immer von der Tonleiter aus, als wenn das die naturgemäße Grundlage für unser Schulsingen wäre; während, wenn man die Geschichte der Musik studiert, man sofort einsieht, daß die Tonleiter eine Abstraktion ist, zu der die Menschheit erst im Laufe von vielen Jahrhunderten gekommen ist, während das Primäre in der Musik der Dreiklang ist, überhaupt der Akkord. Und so sollte sich unser Gesangsunterricht viel mehr vom Akkord aus aufbauen und erst später zur Tonleiter kommen. Ich glaube, auch für andere Fächer, wie Geographie, Geschichte, sollten wir sehr viel mehr darauf sehen, wie diese ersten Völker diese, ich darf nicht sagen Wissenschaften, sondern einfach diese Kenntnisse sich erworben haben. Und wenn das dann in gleicher Weise von uns übernommen würde, daß zum Beispiel für die Geographie anhand von interessanten Zeichnungen Reisen von Entdeckern der Neuen Welt und so weiter dargeboten würden, so würde das Kind viel, viel mehr Interesse bezeugen. Es könnte das innerlich auch mit durchleben, statt daß ihm die fertigen Ergebnisse der jetzigen Zeit in trockenen Lehr­büchern und trockenen Leitfäden - Leidfäden mit d geschrieben - darge­boten werden.

Herr Weber: Ich muß den Schluß der Diskussion erklären; die Zeit ist leider zu weit vorgeschritten.

Herr Hulliger: Nur noch eine kurze Anfrage: Wäre es nicht möglich, daß wir hier in Basel eine pädagogische Arbeitsgemeinschaft bilden könnten? Wür­den sich nicht Kollegen bereit finden, zusammenzutreten, um diese Proble­me zu besprechen und auch praktische Versuche anzustellen? Ich glaube, wir könnten einander sehr viel nützen. Es ist ja dem einzelnen gar nicht mehr möglich, in die verschiedenen Gebiete einzudringen, und wir könnten einan­der sehr viel bieten durch eine Arbeitsgemeinschaft. Nicht, daß wir einander

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Vorträge halten würden, sondern wir würden ein bestimmtes Gebiet bearbei­ten, uns aussprechen, praktische Versuche machen, soweit möglich, und die Ergebnisse der Versuche besprechen. In Basel besteht noch keine solche Arbeitsgemeinschaft, aber zum Beispiel in Winterthur und in Deutschland.

Herr Weber: Der Sprechende soll die Initiative ergreifen und eine solche zuwege rufen.

Rudolf Stezner: Die Zeit ist zu stark fortgeschritten, als daß ich versuchen könnte, auch nur ein eigentliches Schlußwort zu spre­chen. Es gereicht mir zur tiefsten Befriedigung, daß von den ver­schiedenen Diskussionsrednern eigentlich nur Ergänzungen zum Vorschein gekommen sind, die außerordentlich interessant waren und die sich in einer ganz ungezwungenen Weise in das einreihen, was der Vortrag meint. Nicht wahr, man kann ja begreifen, daß in dem, was in Dornach zu sehen ist, auch in dem, was in dem einzelnen künstlerisch Geleisteten in Dornach vorliegt, eine Art Abdruck der Überzeugungen gegeben ist, die der Geisteswissen­schaft zugrunde liegen.

Nun würde der Herr, der hier in so schöner Weise davon ge­sprochen hat, wie nicht zu äußerem Anschauen, sondern zu künst­lerischem Fühlen erzogen werden kann, sehen, wie gerade durch Geisteswissenschaft versucht worden ist, auch im künstlerischen Streben selbst solchen Dingen gerecht zu werden. Zum Beispiel ist da in Dornach versucht worden, einmal rein aus der Farbe heraus zu malen, so daß also noch der innere Gehalt der Farbe, der farbi­gen Fläche empfunden werde und was als Linie auftritt, aus der Farbfläche heraus entstehen soll. In dieser Beziehung wird auch das Substantielle der Geisteswissenschaft anregend wirken können für manches, was heute berührt worden ist.

Der Hinweis auf die Herbartsche Pädagogik hat mich außeror­dentlich interessiert, denn von Herbart ist im positiven und im negativen Sinne sehr viel zu lernen. Vor allen Dingen, wenn man sieht, wie in der Herbartschen Psychologie trotz allen Strebens nach der Methode der Intellektualismus des Zeitalters eine über­wiegende Rolle gespielt hat. Und gerade, wenn man sich an der

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Herbartschen Pädagogik heranbändigt, muß man aus ihr heraus, manches bekämpfend, gerade zu dem kommen, zu den Prinzipien kommen, die meine heutigen Ausführungen ergeben.

Namentlich mit dem letzten Redner bin ich in fast allen Einzel­heiten einverstanden. Er könnte sich überzeugen, daß solche Din­ge, wie er sie forderte, bis in alle Einzelheiten ausgebildet, ausge­staltet, gerade zu den prinzipiellsten Einrichtungen unserer Wal­dorfschule gehören. Namentlich, was in bezug auf die Methode des Zeichnens, des Musikalischen und des Geographischen gesagt wor­den ist, wurde versucht, zu einer praktischen Ausgestaltung zu bringen, denn gerade auf diese drei Gebiete ist sehr viel Mühe verwendet worden. So haben wir in der Probelektion eine Bearbei­tung des Mississipi-Gebietes ausgearbeitet - ich denke, die Art, wie man die Vorbereitung dieser Probelektion machte, um lebendig und anschaulich das Geographische hinzustellen, so wie es nicht aus irgendeiner Theorie oder Intellektualität, sondern aus dem ganzen Menschlichen herauskommt, würde den verehrten Redner befriedigt haben.

Anstatt eines Schlußwortes möchte ich also nur sagen, daß ich außerordentlich darüber befriedigt bin, daß von so vielen Seiten so schöne und wichtige Ergänzungen zu dem Vortrag gegeben worden sind.

ERZIEHUNG UND SOZIALE GEMEINSCHAFT VOM GESICHTSPUNKT DER GEISTESWISSENSCHAFT Aarau, 21. Mai 1920

#G297-1989-SE190 Idee und Praxis der Waldorfschule

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ERZIEHUNG UND SOZIALE GEMEINSCHAFT

VOM GESICHTSPUNKT DER GEISTESWISSENSCHAFT

Aarau, 21. Mai 1920

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Große Menschheitsfragen stehen vor der Türe. Eine Antwort auf diese will die geisteswissenschaftliche Richtung geben, deren äuße­rer Repräsentant der bekannte Bau in Dornach ist. Ich will hier sprechen von dem, was als pädagogische und soziale Konsequen­zen aus jener anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft sich ergeben. Vorher möchte ich in großen Zügen das Wesen der ganzen geisteswissenschaftlichen Richtung charakterisieren. Bei dieser handelt es sich nicht um etwas, das außerhalb des Menschen gesucht wird, das durch Experimente der Menschheit vorgeführt werden könnte, sondern um eine innerlichste Menschheitsangele­genheit, die aber hofft, ins Allerpraktischste sich umsetzen zu kön­nen. Die Geisteswissenschaft will die Grundlagen aller bisherigen Weltanschauungen nicht stürzen, sondern ihnen etwas Neues bei­fügen: Die Anschauung eines wirklichen geistigen Lebens über das naturwissenschaftliche Erleben hinaus, die Erkenntnis der geistig-seelischen Art des Menschen.

Seit drei bis vier Jahrhunderten haben die Grundvorstellungen naturwissenschaftlicher Denkweise unsere Anschauungen be­herrscht. Zu diesen steht die Geisteswissenschaft nicht im Gegen­satz. Sie anerkennt die großen Triumphe der naturwissenschaft­lichen Weltanschauung, will aber naturwissenschaftlicher sein als diese selber, sie will nicht zurückweichen vor den sogenannten Grenzen menschlicher Erkenntnis, sondern zur wahren Erkenntnis des Menschen gelangen. Wenn man bisher gesagt hat, wo der Supranaturalismus beginne, höre die Wissenschaft auf, so will die Geisteswissenschaft eben auch auf diesem Gebiete wissenschaftlich

* Die Niederschrift dieses Vortrages fand sich im Bundesarchiv Bern unter den

Akten zum Einhürgerungsgesuch Rudolf Steiners. Es ist zu vermuten, daß er im

Auftrag der Schweizerischen Bundesanwaitschaft von einem Manne namens von

Bircher mitgeschrieben wurde.

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arbeiten. Um zu diesem Ziele zu gelangen, muß sie sich zunächst auf den Standpunkt der intellektuellen Bescheidenheit stellen. Ein Vergleich: Wenn man einem fünfjährigen Kinde einen Band lyri­scher Gedichte in die Hand gibt, spielt es mit ihm, zerreißt ihn.

Nach zehn bis zwölf Jahren wird es den Band sinngemäß zu ver­wenden imstande sein. An diese im fünfjährigen Kinde schlum­mernden Entwicklungsmöglichkeiten müssen wir glauben.

Der Geistesforscher sagt nun, was in uns liegt, ist nicht abge­schlossen mit dem, was durch Geburt, Vererbung und gewöhnliche Erziehung herausgebildet wurde. Die Kräfte der menschlichen Natur sind noch über das hinaus entwicklungsfähig. Durch innere intime Seelenarbeit gelangt der Mensch ganz allmählich dazu, Fä­higkeiten, von denen man im gewöhnlichen Leben und [in der gewöhnlichen] Wissenschaft keine Ahnung hat, aus dem Innern der

Seele herausholen zu können. Das Prinzipielle dabei ist, daß der Mensch wirklich ganz methodisch das innerliche Experiment stän­dig wiederhole, daß er ausdauernd einen leicht zu schauenden Gedanken zum Leitstern seines Bewußtseins mache. Diesen selbst­gemachten Gedankeninhalt stellt man in den Mittelpunkt seines Bewußtseins und nimmt alle seelischen Kräfte zusammen, um nichts als diesen Gedankeninhalt sich zum Ziele zu setzen. Grund­lage hierzu ist die intellektuelle Bescheidenheit und der Glaube an Entwicklungsmöglichkeit. Nach einer solchen Übung in Geduld machen wir die Erfahrung, daß menschliches Erleben sich losreißt von dem physisch-leiblichen Werkzeug. Man erlangt ein Denkerle­ben, von dem man weiß, daß es nicht gebunden ist an den mensch­lichen Leib, daß es verfließt im Geistig-Seelischen. Ein großer Moment ist es, wenn man sich sagen kann: Du lebst im Geistig-Seelischen. Man erkennt dann, daß es wirklich höhere geistige Er­kenntnisse gibt, die über das Leben zwischen Geburt und Tod hinausgehen. Es wird etwas geschaffen ähnlich dem Erinnerungs­vermögen, ein Vorstellungvermögen, ein Leben, das wir vorgeburt­liches Leben nennen können. Dieses vorgeburtliche Leben tritt als Erlebnis, als innere Erfahrung vor die Seele. Unsterblichkeit ist nicht mehr etwas, worüber man philosophiert. Die Kräfte, die andere

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zum Philosophieren verwenden, verwendet der Geistesfor­scher dazu, um neue Fähigkeiten zu entwickeln, um andere Erleb­nisse zu erlangen. Auch das Willensvermögen kann ausgebildet werden. Der Geistesforscher nimmt seinen Entwicklungsgang in die Hand, er sucht an sich selbst Willenszucht auszuüben. Da­durch, daß er sich vornimmt, diese oder jene Gewohnheit sich ein­zuverleiben, wird der Wille herangezüchtet. Diese Erkenntnis wird vielleicht von vielen aufgenommen, wie zum Beispiel die Erkennt­nisse eines Kopernikus, eines Giordano Bruno aufgenommen wur­den, als die Menschheit noch an die Grenzen des Firmamentes glaubte.

Wer selbst zum Geistesforscher wird, erlangt einen neuen Über-blick über die Welt und eine tiefe Menschheitskenntnis. Nicht je­der kann ein Geistesforscher werden. Aber in die geistigen Welten kann vermöge der heutigen Weltentwicklung jeder eindringen.

Wie kann nun das pädagogische Leben von der Geisteswissen­schaft befruchtet werden? In der Waldorf-Schule in Stuttgart ist ein praktischer Versuch gemacht worden. Heute wird so viel davon gesprochen, es müsse im Unterricht anders werden. Dennoch wäre es denk-historische Undankbarkeit und welt-historische Unwahr­heit, wenn man sagen würde, die Erziehungswissenschaft stehe im wissenschaftlichen Leben am weitesten zurück. Als ich daran ging, meine Ideen in der Waldorfschule in die Tat umzusetzen, war es meine Überzeugung, daß nicht Pädagogik als Wissenschaft in erster Linie reformbedürftig sei, sondern daß wir eine Weltanschauung brauchen, welche alle Kunst und damit auch die Pädagogik un­mittelbar befruchten könne, daß wir dadurch in die Lage versetzt werden, die ausgezeichneten Grundsätze der Pädagogik, die schon vorhanden sind, überall auch anwenden zu können.

Geisteswissenschaft spricht nicht bloß zum Intellekt, sie ergreift den ganzen Menschen. Vor allem ist durchdringende Menschen­kenntnis nötig. In das wirkliche Leben des Menschen kann man nur durch Geisteswissenschaft eindringen. Durch sie eignen wir uns die Fähigkeiten an, den Menschen zu beobachten von dem Lebensabschnitt an, in dem er die Zähne wechselt. Nur durch Geisteswissenschaft

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gelangen wir eigentlich erst zu einer feineren Be­obachtungsgabe. Diese lehrt uns erkennen, wie der Mensch in den ersten sieben Lebensjahren ein rein nachahmendes Wesen ist. Ein Beispiel: Ein fünfjähriger Junge hat aus der Schublade Geld ent­wendet. Die Eltern sind tief betrübt. Zu Unrecht. Der Junge hat eben gesehen, wie die Mutter der Schublade immer Geld entnimmt.

Greifen wir etwas anderes heraus. Wenn das Kind mit dem sie­benten Jahre die zweiten Zähne bekommt, so bedeutet das zugleich einen inneren organischen Abschnitt. Wenn man gelernt hat, die geistig-seelischen Kräfte zu beobachten, so lernt man erkennen, wie die Kräfte hier zu einem Ubergangspunkt gekommen sind (Metamorphosengesetz von Goethe). In diesem Jahre beginnen sich beim Kinde die menschlichen Vorstellungen so zu formen, daß sie vom Erinnerungsvermögen aufgenommen werden können. Die Kräfte lösen sich los vom Organismus, werden seelisch-geistig und erscheinen als gesonderte Vorstellungskraft. Diese Beobachtungen sind so sicher fundiert wie chemische Beobachtungen.

Sie lassen erkennen, daß diejenigen Fähigkeiten, die das Kind im Spiele bis zum siebenten Jahre entwickelt, später wieder auftreten, aber erst in den zwanziger Jahren. In der Zwischenzeit bleiben sie gewissermaßen unter der Oberfläche. In der Zwischenzeit werden die Kräfte verwendet, um Lebenserfahrungen zu sammeln. Vom siebenten Jahre an wird das Spiel zu einem sozialen Spiel. Indivi­duelles Spiel wird erst wieder lebendig in den zwanziger Jahren als Lebens erfahrungskraft.

Es ist sehr schön, wenn die Erziehungsgrundsätze sagen, man müsse aus dem Kinde die schlummernden Kräfte herausholen. Es kommt aber auf diese Grundsätze nicht an, sondern darauf, daß man weiß, was aus dem Kinde sich herausentwickeln kann.

Nach dem siebenten Jahre - approximativ - tritt zum Nach­ahmungstrieb der Autoritätstrieb hinzu. Wer die Menschennatur kennt, weiß, daß vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife Ver­anlagung vorhanden ist für Hingabe an eine äußere Autorität.

Das neunte Jahr wird wieder zum Rubikon. Das Kind löst sich im inneren Bewußtsein von seiner Umgebung los, unterscheidet

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sich von derselben. Es unterscheidet sich von seiner Autorität, gibt sich ihr aber in Liebe hin.

Diese Erfahrungen müssen im praktischen Unterricht berück­sichtigt werden. Die ersten Handlungen in der Volksschule müssen sich auf den Willen, nicht auf die Intellektualität einstellen. Auf dem Umwege über die Kunst dringt man zum Konventionellen vor. So entwickelt man das Schreiben am besten aus dem Zeichnen und Malen heraus.

Noch andere Versuche sind in Stuttgart gemacht worden. Wir haben eine sichtbare Sprache geschaffen. Die durch übersinnliches Schauen erkannten Bewegungen des Kehikopfes werden in beseel­tes Turnen übertragen (Eurythmie>, bei dem jede Bewegung zum Träger eines seelisch-geistigen Vorganges wird. Sprachen, die das Kind lernen soll, sollen möglichst früh an dasselbe herantreten. Im Lebendigen Wechselverkehr mit dem Lehrer bringen wir schon den Sieben- und Achtjährigen Englisch und Französisch bei, so daß das Kind mit diesen Sprachen verwächst. Wir unterrichten Sprachen, weil wir wissen, daß dadurch die ganze Wesenheit des Menschen entwickelt wird.

Im Alter zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife soll man noch nicht mit Urteilskraft des Kindes rechnen, sondern ihm jede Vorstellung bildlich beibringen. Wenn man dem Kinde zum Beispiel die Unsterblichkeit der menschlichen Seele begrifflich darstellen will, so kann man den Werdegang des Schmetterlings vor Augen führen. Es ist dabei aber unerläßlich, daß der Lehrer selber an das dargestellte Bild glaubt.

Mit dem neunten Jahre beginnt das Kind, sich von der Umwelt abzusondern. Jetzt können wir an seine selbständige Urteilskraft appellieren.

Die Geisteswissenschaft liest also aus der beobachteten Ent­wicklung des Kindes den Lehrplan ab. Sie nimmt die Welt, wie sie wirklich ist, und ist deshalb etwas eminent Praktisches. Technische Fragen, wie zum Beispiel die Festsetzung der Schülerzahl pro Klas­se, treten dabei in den Hintergrund. Wenn der Lehrer von seiner Aufgabe erfüllt ist, so wird auch bei großer Schülerzahl die notwendige

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individuelle Behandlung des einzelnen nicht darunter leiden. Die Schüler werden [sich] selber individualisieren.

(Der Redner machte die Nebenbemerkung, daß er den Welt­krieg schon im Frühling 1914 vorausgesagt habe, als alle Kabinette glaubten, der Weltfrieden sei auf lange Zeit hinaus gesichert.)

Wir müssen aus innerem Erleben heraus an das praktische Leben herantreten. Die nächste Generation darf nicht in derselben Verfassung sein wie die Generation, die das Unglück der letzten Jahre über Europa gebracht hat. Wer geisteswissenschaftlich das Unterrichtswesen betrachtet hat, weiß, daß das Geistesleben auf sich selber gestellt werden muß. Damit kommen wir auf die soziale Bedeutung der ganzen Frage.

Heute ist die Welt antisozialer als je. Es ist notwendig zu erken­nen, daß das geistige Leben nur dann sich entfalten kann, wenn es unter eigene Verwaltung gestellt wird.

Die Geisteswissenschaft erkennt, daß neue Bewegungen, die vorher latent geschlummert haben, jeweils aus den Tiefen der Menschheit an die Oberfläche drängen. Mit dem Gesetze von Ur­sache und Wirkung sind solche Erscheinungen nicht erklärt. So ist zum Beispiel das, was man Demokratie nennt, zum ersten Male im 15. Jahrhundert hervorgetreten und hat sich seither immer weiter entwickelt. Wenn man es mit dieser Demokratie ehrlich meint, so muß man aus derselben alles aussondern, was mit ihr überhaupt nichts zu tun hat. Demokratisch verwaltet werden kann nur das, was jeden mündig Gewordenen in gleicher Weise berührt: Das öffentliche Rechtsleben. Das geistige Leben aber kann nicht vom Staate regiert werden. Es muß in eigene Verwaltung gestellt werden. Diejenigen, die das geistige Leben leiten, sollen es auch verwalten.

Auch beim wirtschaftlichen Leben handelt es sich um etwas, bei dem nur die Leute vom Fach urteilsfähig sind. Auch dieses muß aus der demokratischen Verwaltung herausgenommen werden. Es darf nicht von einer Zentrale aus regiert werden. Aus den Kreisen der Konsumenten und Produzenten heraus müssen sich eigene Verwaltungsorganisationen bilden.

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Diese Dreigliederung des sozialen Staates ist nicht eine Parallele der platonischen Dreiteilung in Wehrstand, Lehrstand und Nähr-stand. Vielmehr muß jeder einzelne in allen drei Gliedern beteiligt sein. Unser heutiges Chaos rührt eben davon her, daß die Men­schen nebeneinander stehen. Im dreigegliederten Sozialismus [so­zialen Organismus] aber sollen sie ihre Kräfte organisch ent­wickeln.

Im Einheitsstaate sind die Worte Gleichheit, Freiheit, Brüder­lichkeit ein hohes Ideal geblieben. Im dreigegliederten Sozialismus

[sozialen Organismus], in dem jeder mit allen drei Gliedern orga­nisch verbunden ist, können sie sich verwirklichen. Im Geistes­leben wird Freiheit herrschen, die demokratische Verwaltung des Rechtslebens wird jedem Gleichheit bringen, das auf sich selber gestellte wirtschaftliche Leben wird in Brüderlichkeit gedeihen.

PÄDAGOGISCH-DIDAKTISCHE KUNST UND DIE WALDORFSCHULE Dornach, 8. September 1920

#G297-1989-SE197 Idee und Praxis der Waldorfschule

#TI

PÄDAGOGISCH-DIDAKTISCHE KUNST

UND DIE WALDORFSCHULE

Dornach, 8. September 1920

#TX

Zuerst darf ich Ihnen, die Sie erschienen sind als die Lehrerschaft unserer nächsten nachbarlichen Umgebung, meine herzliche Freu­de ausdrücken, und ich bin überzeugt davon, daß diejenigen, die tätig Anteil nehmen an unserem Goetheanum und allem, was damit zusammenhängt, mit mir voll übereinstimmen, wenn ich Sie im Namen dieses Goetheanums und seiner Arbeitenden heute herz­lichst begrüße und Ihnen ausspreche, daß wir uns außerordentlich freuen, Sie hier zu Gaste zu haben.

Es ist der Wunsch ausgesprochen worden, daß ich vor unserer eurythmischen Aufführung einiges gerade von dem bespreche, was sich im Gefolge unserer geisteswissenschaftlichen Bestrebungen für die pädagogische Kunst und für das Schulwesen ergibt und zum Teil auch schon praktisch ergeben hat. Vorher aber lassen Sie mich noch eine allgemeinere Bemerkung machen.

Sehen Sie, dasjenige, was hervorgehen soll auch in pädagogischer Beziehung und in didaktischer Hinsicht aus unserer anthropo­sophisch gemeinten Geisteswissenschaft, das hat ja im Grunde ge­nommen heute noch wenig wirklich verständnisvolle Vertreter in der Welt; es hat umso mehr verständnislose Gegner und ebenso viele Leute, die sich gegenüber solchen Bestrebungen aus dem heu­tigen allgemeinen seelischen Schlafzustande der Menschheit heraus gleichgültig verhalten. Aber gerade in der allerletzten Zeit sind Dinge geschehen, die immerhin hier als, ich möchte sagen Kennzei­chen zu betrachten erlaubt sein wird, als Kennzeichen, wie auf der einen Seite sozusagen durch einsame Persönlichkeiten aus der gan­zen Breite unseres Zivilisationslebens heraus der Ausblick gerade auf dasjenige eröffnet wird, was von diesem Goetheanum-Bau in Dornach aus geschehen soll. Ich muß es doch als eine wichtige, wenn auch nur symptomhafte Tatsache bezeichnen, daß der gerade uns ja so wohlbekannte alte Professor Spitta in Tübingen, der in

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diesen Tagen seine Lehrtätigkeit beschlossen hat, seine letzte Vor­lesung so gehalten hat, daß sie gipfelte in einer Besprechung der eminentesten geisteswissenschaftlichen Wahrheit: der Wahrheit der wiederholten Erdenleben. Aber nicht so sehr, daß dieser Universi­tätslehrer in dem feierlichen Augenblicke des Abschlusses seiner Universitätslaufbahn dasjenige noch einmal bekannt hat, was er ja eigentlich sein ganzes Leben vertreten hat - das scheint mir nicht einmal so bedeutungsvoll zu sein wie das andere, daß er gerade bei dieser Vorlesung gesagt hat: Meine Herren, erfassen Sie einmal, was es für das menschliche Erkennen und vor allen Dingen für das menschliche Tun in der Zukunft bedeuten würde, wenn diese Anschauung eine weitere Verbreitung finden würde. - Es ist ein bedeutsames Kennzeichen eines in der Wissenschaft, in der Philo­sophie der Gegenwart altgewordenen Mannes, wenn er mit einem solchen Bekenntnis seine Lehrtätigkeit abschließt! Denn man kann sich ja vorstellen, daß gerade auf eine solche Persönlichkeit die furchtbaren Ereignisse der Zeit einen ganz tiefen Eindruck gemacht haben und daß gerade eine solche Persönlichkeit aus dem einsamen Denken heraus das Bedürfnis fühlt, zu sagen, was der heute im Niedergang begriffenen Menschheit vom Geiste, von der Seele aus aufhelfen könnte, was wiederum zu einem Aufbau führen könnte.

Sehen Sie, das ist von der einen Seite dasjenige, was ich sagen möchte: überall, wo es erkennende, fühlende Seelen gibt, da treten wenigstens als Ahnungen die Anschauungen auf, welche von hier aus in wissenschaftlichem Zusammenhang vertreten werden wollen und von denen auch hier erwartet wird, daß sie, indem sie einflie­ßen in alles zivilisatorische Leben unserer Zeit, dem Niedergang wiederum einen Aufgang entgegenstellen können.

Aber allerdings, das sind solche Lichtblitze, die an einzelnen Orten aufsteigen. Wer sie beobachtet, der wird sie als seltene Licht-blitze wahrnehmen, aber er wird aus ihnen erkennen, wie gerade bei den Besten unserer Zeit das Streben besteht nach einer Erneue­rung des Geisteslebens aus sehr, sehr tiefen Seelenquellen heraus. Dem steht allerdings entgegen dasjenige - ich scheue mich nicht, es auszusprechen -, was heute aus einer gewissen nicht nur Schläfrigkeit,

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sondern, zum mindesten gesagt, aus einer ungeheuren Ober­flächlichkeit unserer Zeit hervorgeht; was hervorgeht aus einer Oberflächlichkeit, die gerade oftmals in den Kreisen, die öffentlich publizistisch tätig sind, gegenüber den großen Fragen des Daseins und des Menschenlebens geradezu zur Frivolität führt. Und nach­dem ich Ihnen zuerst einen Lichtblitz gezeigt habe, möchte ich Ihnen auch gewissermaßen etwas von den Schatten zeigen, die allerdings nicht so vereinzelt auftreten, sondern die weit, weit ver­breitet sind. Ich könnte Hunderte von Tatsachen für die letzte Behauptung anführen; ich will aber jetzt nur eine ganz besonders charakteristische vor Sie hinstellen.

Einer unserer englischen Freunde hat sich in London bemüht, Interesse zu erwecken für dasjenige, was hier in Dornach gesche­hen soll. Er versuchte in einer, wie es scheint angesehenen Zeit­schrift - es gibt ja gegenwärtig viele solcher Zeitschriften und Zei­tungen - einen ganz wahrheitsgemäßen und sachlichen kleinen Artikel unterzubringen. Der Journalist, der sich die Sache anhörte, bei dem der betreffende Herr war, also der Londoner Journalist war sehr freundlich, war außerordentlich entgegenkommend. Er versprach in der Weise für die Sache einzutreten, daß ein Besuch von etwa ebensoviel Menschen, als uns von Ihrer Seite her heute hier die Freude bereiten, da zu sein, arrangiert werden sollte von London her. Der betreffende Journalist hat dann etwa gesagt, wie umgestaltend dasjenige sei, was ihm mitgeteilt worden ist. Über diese Umgestaltung möchte ich Ihnen etwas vorlesen als ein Doku­ment für die Frivolität, mit der man heute von demjenigen, was man nicht kennt, spricht - denn der Journalist hatte natürlich keine Ahnung von dem, was hier in Dornach vorgeht. So etwas zeigt, wie wenig heute die Menschen geneigt sind, überhaupt darauf einzuge­hen, wenn irgendwo aus einer Quelle heraus sich etwas geltend machen will, was in ehrlicher Weise meint, dem Niedergang einen Aufgang entgegenstellen zu können. Da erscheint also in einer Londoner Zeitschrift als Ergebnis dieser, von dem Journalisten wohlwollend geführten Unterredung das Folgende:

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Bemerkungen und Kommentare

Eine Hochschule für Geisteswissenschaft

Eine Hochschule für Geisteswissenschaft ist unter dem Namen «Goethe­anum» in Dornach bei Basel, Schweiz, errichtet worden. Der Bau selbst veranschaulicht ein neues Kunstkonzept, das von Dr. Rudolf Steiner initiiert wurde. Es ist vorgesehen, eine Reise nach Basel zu veranstalten, um es zu besichtigen, und Dr. Steiner hat versprochen, die Teilnehmer während des zehntägigen Besuches, der im August stattfinden soll, persönlich zu unter­richten. Geht man davon aus, daß die Reise vier Tage in Anspruch nimmt, so wird es für die Teilnehmer möglich sein, sich in den übrigen sechs Tagen von dem Schock zu erholen, den der erste Anblick von Dr. Steiners Schöp­fung verursacht. In der Voraussetzung, daß niemand, dem die Reise möglich ist, diese, wie wir erwarten, interessante Erfahrung versäumen möchte, geben wir eine Illustration dessen, was die Teilnehmer am Ende ihrer Pilgerreise erwartet, und falls jemand von unseren Lesern reisen wird, hoffen wir, daß er uns den Gefallen erweist, uns seine Eindrücke nach seiner Rückkehr zu schildern.* [«The Architect», Nr.34, London 16. Juli 19201

Sie sehen also, so behandelt man dasjenige, was man nicht kennt. Das ist heute die Stimmung der Welt, das sind heute die Schwierig­keiten, gegen die man zu kämpfen hat.

Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, Geisteswissenschaft ist für viele da und sie soll - das wird ja vor allen Dingen unser Herbstkurs, der am 26. September eröffnet werden soll, zeigen -auf alle möglichen Zweige des Geisteslebens einen befruchtenden Einfluß ausüben. Im Frühling wurde ja hier schon in einem enge­ren Kursus dargestellt, wie gerade das Medizinisch-Therapeutische befruchtet werden kann von dieser Geisteswissenschaft. Und so ist es für die verschiedensten Gebiete. Was in künstlerischer Weise versucht wird von dem, was sich in unsere Empfindungen einleben kann durch die Geisteswissenschaft, davon soll ja die äußere For­mung des Baues selbst Zeugnis ablegen. Aber heute will ich Ihnen reden von dem, was Geisteswissenschaft als Folge haben kann in pädagogisch-didaktischer Hinsicht. Ich rede Ihnen ja da nicht von irgendeinem bloßen Programm, auf das wir nichts geben würden, auch nicht bloß von irgendwelchen theoretischen pädagogischen

* Das englische Original ist in den Hinweisen abgedruckt.

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Erörterungen, sondern von etwas, was immerhin praktisch wäh­rend eines Schuljahres in unserer «Freien Waldorfschule» in Stutt­gart sich bereits ausgelebt hat. Diese Freie Waldorfschule in Stutt­gart ist eine Schöpfung von Emil Molt. Sie hat sich zunächst zur Aufgabe gestellt, praktisch dasjenige zum Leben zu erwecken, was hervorgehen kann aus einer Ausgestaltung dessen, was in unserer Geisteswissenschaft vor allen Dingen für eine wirkliche Menschen-und damit auch Kindes-Erkenntnis liegen kann.

Sehen Sie, ich lege einen besonderen Wert darauf, daß wir auch schon ein Jahr wirklicher Schulpraxis hinter uns haben. Ich lege deshalb einen besonderen Wert darauf, weil diese ganze Geistes­wissenschaft, wie sie hier vom Goetheanum in Dornach aus in die Welt gesetzt werden soll, im Grunde genommen auch nichts wäre als irgendeine neue sektiererische Bewegung oder irgendeine Welt­anschauungstheorie oder dergleichen - solch schöne Dinge gibt es ja schon viele in der Welt -, wenn nicht etwas anderes da wäre; wenn nicht gerade diese Geisteswissenschaft gegenüber allem, was in dieser Art in die Welt tritt, etwas ganz anderes wollte. Diese Geisteswissenschaft will nicht Ideen zu einer neuen Weltanschau­ung hervorbringen; diese Geisteswissenschaft will nicht irgendeine Theorie oder gar ein neues religiöses Bekenntnis sein, wie man ihr verleumderisch nachsagt - das letztere am allerwenigsten. Dasjeni­ge, was sie sein will, ist eigentlich ursprünglich gar nicht mit Bezug auf irgendein religiöses Bekenntnis konzipiert worden, sondern es ist konzipiert worden auf die naturwissenschaftliche Denkungsart und Gesinnung unserer Zeit hin. Es ist gefaßt worden als dasjenige, was für den Geist und für die Seele ebenso als Erkenntnis vom Menschen hervorgebracht werden kann, wie die für unsere Zeit so befruchtende Naturwissenschaft als Erkenntnis für das physische Leben hervorgebracht worden ist. Und es beruht diese Geisteswis­senschaft darauf, daß, wenn man die rechten Methoden anwendet, die ich geschildert habe in meinen Büchern «Die Geheim-wissenschaft im Umriß» und «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», man in der Lage ist, ebenso sichere Erkenntnis­se, so umschlossene, konturierte Erkenntnisse zu gewinnen über

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Seele und Geist, wie man sie gewinnen kann durch die naturwis­senschaftlichen Methoden der Gegenwart für die physische Welt.

Allerdings, dasjenige, was zu tun ist, um in einer wirklich me­thodischen Weise zu geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen zu kommen, das ist nicht bequemer und nicht leichter als das, was etwa zu tun ist im chemischen, im physikalischen Kabinett, auf der Sternwarte, in der Klinik. Nur weil sich die Menschen vorstellen:

anthroposophisch Forschende sind solche Leute, die sich allerlei Einfälle zukommen lassen, die man schnell haben kann, die schnell aus der Phantasie geschöpft sind - nur weil sich die Leute dieses vorstellen, deshalb verkennen sie die Wege, die von der Anthropo­sophie aus in die geistige Welt hinein gegangen werden sollen. Wenn man sich bekannt macht mit der ganzen Art und Weise, wie der Mensch in einer Selbsterziehung seines ganzen Wesens allein dazu kommen kann, in sich die Ausblicke zu eröffnen in die gei­stige Welt, die dann ebenso exakt und sicher sind wie die natur-wissenschaftlichen Ergebnisse; nur wenn man sich davon unter­richtet, wie lange für verhältnismäßig kleine, unbedeutende Wahr­heiten, die zu dem äußerlich-physischen Wissen hinzugebracht werden - sagen wir zum Beispiel für die menschliche Sinneslehre, für die menschliche Anatomie oder dergleichen -, geforscht werden muß; nur wenn man sich das klar macht, wie jahrzehntelange For­schung oftmals notwendig ist für die allergeringfügigsten Kleinig­keiten auf geisteswissenschaftlichem Gebiet: dann wird man einse­hen lernen, daß das Forschen auf diesem Gebiet keineswegs beque­mer und leichter ist als das Forschen auf klinischem Gebiet, auf der Sternwarte, im physikalischen oder chemischen Laboratorium. Aber man hat heute noch nicht den Willen, darauf einzugehen, daß es eine solche Geistes- und Seelenforschung geben kann.

Groß und gewaltig sind die Absichten gewesen, die in den letz­ten drei bis vier Jahrhunderten und insbesondere im 19. Jahrhun­dert für das naturwissenschaftliche Erkennen zutage getreten sind. Und ich brauche Ihnen nicht zu erwähnen, was diese naturwissen­schaftliche Erkenntnis der Welt gebracht hat. Aber das eine möchte ich erwähnen: daß derjenige, der ganz fest auf dem Boden unserer

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anthroposophisch gemeinten Geisteswissenschaft steht, der aller­letzte sein wird, der irgend etwas Berechtigtes in der naturwissen­schaftlichen Forschung irgendwie abfällig kritisieren wird. Denn darum handelt es sich zunächst: daß derjenige allein feststehen kann auf dem Gebiete unserer Geisteswissenschaft, der nicht dilettantisch oder gar laienhaft in dem naturwissenschaftlichen Betriebe der Gegenwart drinnensteht. Erst wenn man sich wissen­schaftliche Gewissenhaftigkeit und wissenschaftlich-strenge For­schungsmethoden im Laboratorium, auf der Sternwarte und so weiter [angeeignet hat], wenn man sich selbst erzogen hat zu dem, was da an Exaktheit des Forschens angestrebt wird, dann hat man die innere Weltanschauungs-Moral in sich erweckt, welche not­wendig ist, um ein Geistesforscher zu werden. In der äußeren Welt hat man immer vor sich, wie man sagt, die rauhe Wirklichkeit, die einen korrigiert. Bin ich ein schlechter Brückenbauer in der Theo­rie und rechne eine Brücke schlecht aus, dann belehrt mich der herunterstürzende Eisenbahnzug, daß ich meine Brücke schlecht gebaut habe. Und so ist die Korrektur immerfort da, wenn man in der äußeren physischen Wirklichkeit die vom Geiste erschauten Gesetze anwenden will. Allerdings, je weiter wir von den unteren Grundlagen der physischen Wirklichkeit hinaufkommen und uns der eigentlichen Geistes- und Seelenforschung nähern, desto wack­liger wird ihre Erforschung für die Wirklichkeit. Und wenn Sie ebenso streng wären in der Beurteilung desjenigen, der zerstörte Gesundheiten als Arzt wiederum aufzubauen hat, wie Sie es durch die Natur finden, wenn sie durch den abstürzenden Eisenbahnzug den schlechten Mechaniker korrigiert, da würden Sie nach heutiger Auffassung nicht in der Weise vorgehen können. Denn als Mecha­niker können Sie von der Natur nachgeprüft werden. Ob einer gestorben ist trotz oder sogar wegen der Medizin - da wird die Sache schon etwas wackliger! Und wenn man erst hinaufkommt in das geistige und in das seelische Gebiet, da muß man die innere Gewissenhaftigkeit mitbringen und vor allen Dingen das ernsteste, strengste Wahrheitsgefühl, wenn man übersinnlich forschen will, denn da ist es leicht, sich Phantasie für Wirklichkeit vorzumachen.

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Aber es tritt nun etwas ganz Besonderes ein, wenn man auf diese Weise durch innere Seelenerziehung und Seelenzucht sich die Methode für die Geistesforschung aneignet. Es tritt das nämlich ein, daß man den Dingen der Welt näher kommt, als man will als außerlicher Naturforscher. Denn sehen Sie, das ist ja gerade das Merkwürdige bei der mehr auf das Materielle hingehenden Natur­forschung der neueren Zeit, daß sie sich auf der einen Seite vor die Tatsachenwelt der äußeren Sinne stellt, daß sie aber, indem sie sich Ideen, die sie sich in Naturgesetzen stellt, von dieser äußeren Sin­nenwelt schafft, immer mehr und mehr zum Intellektualistischen, zum Theoretischen, zum Wirklichkeitsfremden kommt, so daß die neueren Weltanschauungsforscher nicht mehr wissen, wie sie eigentlich die Ideen, die sie aushecken, an die Wirklichkeit anknüp­fen sollen. Sie forschen vielfach darüber, ob die Ideen, die der Mensch in der Seele trägt, überhaupt noch etwas zu tun haben mit der äußeren Wirklichkeit. Das ist das Tragische der modernen, naturwissenschaftlich-orientierten Weltanschauung, daß die Men­schen wohl zu dieser Weltanschauung sich bekennen; sie wollen mit der Wirklichkeit, mit der bloß äußeren Wirklichkeit sich befas­sen und kommen von dieser äußeren Wirklichkeit gerade durch ihre Ideen ab. Sie haben nicht mehr die lebendige Verbindung, die Verbindung der ganzen Menschenwesenheit mit der lebendigen Wirklichkeit. Sie wollen auf die Wirklichkeit losgehen und wach­sen aus der Wirklichkeit heraus. Zu abstrakten intellektualistischen Seeleninhalten kommt man. Und so kommt es, daß, je mehr der Mensch in den Materialismus hineinwächst, er um so mehr aus der Wirklichkeit herauswächst.

Begibt man sich nun auf den Weg der Geistesforschung, da hat man sofort das innere Erlebnis: Du tauchst in die Wirklichkeit unter; du stehst nicht nur da und schaust dein Objekt an, sondern tauchst in diese Wirklichkeit mit dem ganzen Seelenleben ein; du wirst eins mit der Wirklichkeit. Deshalb kann dasjenige, was hier als Geisteswissenschaft gemeint ist, niemals bestehen, ohne daß man dasjenige, was man erkennen will, zu lieben anfängt und im­mer mehr und mehr liebt. Geisteswissenschaft ist zugleich etwas,

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was, wenn es sich in unserer Seele geltend macht, uns mit der Liebe für die Welt durchdringt; was gar nicht sein kann, trotzdem es mathematische Klarheit anstrebt in der Ideenfassung und Ideen-gestaltung, ohne daß es den ganzen Menschen, das Fühlen und Wollen ergreift. Deshalb darf ich sagen: Die praktische Erpro­bung dessen, was pädagogisch-didaktisch folgt aus der Geistes­wissenschaft, ist eigentlich dasjenige, was uns erst wertvoll sein kann. Denn reden über irgend etwas aus noch so schönen Theorien heraus, wenn man fremd gegenübersteht dem, worüber man redet:

das ist im Grunde genommen leicht und ist heute die Aufgabe, die sich zahlreiche Weltanschauungs-Menschen und Bekenntnis-begründer setzen. Mit dem hat dasjenige, was hier gewollt wird, gar nichts zu tun. Sondern gerade dieses Untertauchen in die Wirklich­keit und besonders die menschliche Wirklichkeit, ist es, was im Gefolge dieser Geisteswissenschaft ganz von selbst durch die Na­tur, durch die Wesenheit dieser Geisteswissenschaft auftritt.

Und so kommt es denn, daß vor allen Dingen dasjenige, was durch diese Geisteswissenschaft auftritt, ein intimeres Erkennen der menschlichen Wesenheit selber ist. Ein solches Erkennen der menschlichen Wesenheit, daß derjenige, der nun vor dem werden­den Menschen, dem Kinde steht - vor diesem wunderbaren Wel­tenrätsel, das geboren wird, das in den ersten Tagen seines äußeren Weltendaseins uns den wunderbaren Aufbau eines physischen Organismus aus dem Geistig-Seelischen heraus in jedem Augen­blick zeigt, das uns dann zeigt, indem es heranwächst, wie aus dem Innern, dem Geistig-Seelischen heraus alles gestaltet wird -, daß derjenige, der nun als Lehrer oder als Erzieher gegenübergestellt ist diesem lebendigen Weltenrätsel, diesem werdenden Menschen, in einer Weise zusammenwächst mit seiner Aufgabe, daß man wirk­lich sagen muß: Die Geisteswissenschaft ist dann das Feuer, durch welches die Liebe zu der Erziehung, zum Unterricht unmittelbar erweckt wird. Das ist es, was das Ziel unseres ganzen Strebens hier ist: den Menschen kennen zu lernen.

Aber man kann den Menschen nicht kennen lernen, ohne ihn als werdend kennen zu lernen. Und geht man einmal wirklich darauf

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zu, den Menschen als Werdenden kennen zu lernen, dann muß man sogar unsere Sprache mit einem neuen Worte bereichern. Für denjenigen, der etwas tiefer hineinschaut in die Wirklichkeit des Lebens, für den haben alle europäischen Zivilisationssprachen für die Grundtatsache des Lebens nur ein Wort, und zwei müßte es dafür geben! Ein Wort haben sie. Nun, wenn wir in Urweitzeiten zurückgehen, in jene Zeiten des Menschenlebens, von denen nur noch alte Dokumente in mythischer Weise reden, dann finden wir noch etwas Ähnliches von dem, was wir wieder brauchen: wir brauchen, wenn wir von dem Ewigen, von dem Unzerstörbaren im Menschenwesen reden gegenüber dem zerstörbaren, vergänglichen Leibe, wir brauchen zu unserem Wort «Unsterblichkeit», das uns hinweist auf das physische Lebensende, ein anderes Wort; wir brauchen das Wort «Ungeborenheit». Denn ebenso, wie wir mit unserem ewigen, geistigen Teil durch die Todespforte gehen und in der geistigen Welt weiterleben ein anderes Leben, das für die Gei­stesforschung durchschaubar ist, ebenso treten wir aus geistigen Welten, bevor wir hier geboren beziehungsweise empfangen wer­den, herunter zu dieser physischen Erdenverkörperung. Wir gehen nicht nur als Unsterbliche durch die Todespforte - wir kommen als Ungeborene durch die Geburtspforte. Wir brauchen das Wort Ungeborenheit zu dem Worte Unsterblichkeit dazu, wenn wir den Menschen in seiner Wesenheit ganz erfassen wollen.

Dasjenige, was ich Ihnen hier andeute, finden Sie in meinen Schriften nach allen Seiten hin ausgeführt. Ich kann nur sozusagen resultathafte Züge Ihnen anführen, weil ich ja darauf hinzielen möchte, dasjenige darzustellen, was nun aus dem menschlichen Le­ben und der menschlichen Empfindung wird, wenn wir eine solche Anschauung fruchtbar machen wollen.

Stellen Sie sich den Lehrer vor, der - wie unsere Waldorflehrer in Stuttgart - dasjenige durchgemacht hat, was man durchmachen kann, wenn man Geisteswissenschaft auf seine Seele wirken läßt. Stellen Sie sich ihn vor: Er steht vor dem werdenden Menschen, vor dem Kinde. Er hat nicht nur als eine graue Theorie, er hat als einen lebendigen Lebensinhalt in sich dieses, daß er sich sagt: Aus geistigen

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Welten sind heruntergestiegen die Seelen, diese Seelen, an de­nen ich nun zu arbeiten habe. - Und nun wird ihm von derjenigen Pädagogik und Didaktik, die aus der Geisteswissenschaft folgt, eine Erkenntnis übermittelt, wie diese Seelen nun von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat behandelt werden können. Und ich darf Ihnen, da Sie ja alle Jugenderzieher sind, vielleicht aus einer Kleinigkeit heraus, die bei mir allerdings das Ergebnis einer mehr als drei Jahr­zehnte lang dauernden Forschung ist, eine Idee entwickeln, die dann, wenn sie nicht Idee bleibt, nicht Gedanke bleibt, sondern wenn sie lebendiges Tun im Erzieher und Unterrichter wird, eben ein merkwürdig impulsierendes Verhältnis des Lehrers zum Schü­1er, des Erziehers zum zu erziehenden Kind hervorruft. Sehen Sie, man redet heute viel in der Psychologie von der Beziehung des Physischen zum Geistigen. Und es gibt Theorien, die sagen, wie Seele und Leib aufeinander wirken sollen. Aber man studiert diese Dinge nicht. Man hat nicht die Methode der Geisteswissenschaft, durch die man diese Dinge studieren kann. Denn man muß sie im einzelnen studieren. Man kann nicht, indem man so im allgemeinen herumschwafelt, reden von einem Verhältnis der menschlichen Seele zum Leibe, sondern da muß man alle Einzelheiten kennen. Denn Einzelheiten der Seele wirken auf Einzelheiten des mensch­lichen Leibes. Nur andeuten will ich, welche von den einzelnen Ideen, um die sich die Sache dreht, ich eigentlich meine.

Wir beobachten zunächst das Kind vor seiner Schulzeit. Wir wissen, es hat zunächst die sogenannten Milchzähne. Es treibt dann vom sechsten bis achten Jahr an die dauernden Zähne hervor. Das ist für denjenigen, der nicht bloß den äußeren Menschen beobach­tet, sondern durch Geisteswissenschaft den ganzen Menschen beobachtet, eine außerordentlich wichtige Lebensepoche. Nicht zufällig fällt sie zusammen mit derjenigen, in der das Kind der Volksschule übergeben wird. Denn was da zuletzt sich herausstößt als Zähne, das entstammt Kräften, die ja im ganzen Menschen vor­handen sind, die am ganzen Menschen tätig sind; und das ist sozu­sagen der Schlußpunkt; wenn diese zweiten Zähne erscheinen, wird mit etwas, was bis dahin im menschlichen Organismus tätig ist, ein

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Schlußpunkt gemacht. Dasjenige, was da tätig war, das ist bis zum Hervorbringen der Zähne gegangen.

Nun, wer das menschliche Leben tiefer beobachtet, der findet, daß gerade von einem Abschnitt des menschlichen Lebens an das Gedächtnis, namentlich aber die Kombinationsfähigkeit und die Vorstellungsfähigkeit eine ganz bestimmte Struktur erreicht. Das­jenige, was später intellektuelles Leben wird, das tritt von diesem Lebensabschnitt an ganz besonders auf. Und verfolgt man nun, was sich in dem Seelisch-Geistigen des Kindes abspielt bis zu dem Zeit­punkte, in dem hauptsächlich die zweiten Zähne hervorschießen, verfolgt man das ganz sachgemäß, wie man ein Naturobjekt ver­folgt unter dem Mikroskop: Was wird mit der Seele, wenn die Zähne heraus sind? - dann entdeckt man, daß es dieselbe Kraft ist, die zuerst den Organismus durchflutet und durchsetzt hat und die dann sich emanzipiert vom Organismus und frei im Seelischen zum intellektuellen Vermögen wird.

Sie beobachten das Kind vom siebenten, neunten Jahr an, sein seelisch-verstandesmäßiges Leben, und sagen sich: Was jetzt her­auskommt als Verstand, das hat früher, wo es noch im Unter­bewußten war, gearbeitet im Organismus. Das war als Seelisches am Leibe tätig.

Ich füge Ihnen jetzt etwas zusammen, was, wie gesagt, Ergebnis einer mehr als drei Jahrzehnte langen Forschung ist. Da haben Sie in ganz konkreter Weise im einzelnen festgestellt, wie das Seeli­sche, das allerdings in den ersten sieben Jahren noch nicht in seiner Urform, seiner Naturform auftritt, am Leibe arbeitet. - So ist es überall mit unserer Geisteswissenschaft. Aus strengen Forscher-prinzipien heraus redet sie über das Verhältnis von Seele und Leib, nicht philosophisch-schwafelnd, sondern nach konkreten Er­gebnissen, wie das einzelne Seelische, also in diesem Falle der Verstand, zuerst gearbeitet hat am Leibe. Wir verfolgen, wie der Verstand drinnen am Leibe arbeitet und allmählich den Leib organisiert, bis die Zähne herausgestoßen sind.

Und so kann man es immer weiter und weiter machen und kann zum Verständnis des ganzen menschlichen Leibes aus dem Geistig-Seelischen

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heraus kommen. Da werden nicht Theorien aufgestellt über die Wechselwirkung von Seele und Leib. Da wird nicht bloß das unmittelbar in einem Zeitabschnitt vorliegende Menschen­wesen angeschaut, sondern das ganze menschliche Wesen wird ver­folgt. Man kann nicht fragen: Wie wirken Seele und Leib zusam­men von der Geburt bis zum Zahnwechsel? Denn dasjenige, was da gewirkt hat, erscheint äußerlich erst vom siebenten bis zum vier­zehnten Lebensjahr. Dann beginnt wiederum eine neue Epoche. Und so wird Stück für Stück aus der Geisteswissenschaft heraus studiert, was dieser Mensch eigentlich ist. Das ergibt dann nicht jene abstrakte, jene graue Theorie vom Menschen, die man heute gewohnt ist, in den gebräuchlichen Lehr- und Handbüchern zu finden; das gibt etwas, was uns so mit der Erkenntnis erfüllt, wie wir in einem individuellen, persönlichen Verhältnis von etwas er­füllt werden, was uns im Leben entgegentritt und uns unmittelbar aus dem Leben heraus interessiert.

Das öffnet den Blick zur Betrachtung des werdenden Menschen, des Kindes: wie die Seele des Kindes sich immer mehr und mehr ausgestaltet im äußeren Leibe. Und das durchfeuert den Willen, in der pädagogisch richtigen Weise an dieses werdende Kind heranzu­gehen. Da erlangt man dann die Fähigkeit, sich zu sagen, wie das werdende Kind eigentlich steht zu dem, was ihm dargeboten werden soll.

Sehen Sie, wir lehren unsere Kinder Lesen und Schreiben. Wenn man absieht von gewissen Urzeiten der Menschheit, in denen Le­sen und Schreiben noch sehr nahe war dem menschlichen Empfin­den - ich erinnere nur an die alten Bilderschriften -, und wir auf unsere Zeiten, auf unsere Zivilisationszeiten blicken - und das müssen wir ja, in denen leben wir und haben wir zu erziehen -, ja, was sind denn unsere Schriftzeichen, was sind unsere Buchstaben anderes als etwas, was dem ursprünglich-elementaren kindlichen Erleben sehr ferne steht! Das Kind wird ja eigentlich in eine ihm ganz fremde Welt eingeführt, wenn es Lesen und Schreiben lernen soll. Mit dem Rechnen ist es nicht so, denn das liegt mehr im Menschen. Zählen ist etwas viel mehr dem Ursprünglich-Elementaren

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der Menschenseele Naheliegendes als gerade Lesen und Schreiben. Die Schrift hat sich weiterentwickelt, und aus den Bil­dern sind Zeichen geworden, durch die man wie in eine fremde Welt hineinkommt.

Nun haben wir aus ganz wesentlichen Erkenntnissen der Men­schennatur heraus für unseren Waldorf-Lehrplan das in Aussicht genommen, daß das Kind, indem es gerade im Anfang volksschul­mäßig erzogen und unterrichtet wird, aus dem künstlerischen Er­fassen der Schrift heraus das Schreiben lernt und dann aus dem Schreiben das Lesen. Also wir bringen an das Kind nicht die fremdartigen Schriftzeichen heran, sondern wir suchen aus der Kindesnatur - die uns geisteswissenschaftlich die Anleitung gibt, sie genauer zu erkennen - heraus die Art und Weise: Wie möchte sich die Hand bewegen? Was erlebt die Hand, wenn sie einen Strich, eine Handlung vollzieht? Wir lassen das Kind zeichnen. Wir lassen das Kind dasjenige entwickeln, was mit seinem Elementari­schen zusammenhängt; und daraus entwickeln wir erst die Schrift­zeichen. Also wir gehen vom Leben aus und führen zum Abstrak­ten hin. Wir vermeiden überall, das Intellektualistische irgendwie in den Vordergrund zu stellen. Wir gehen vom Leben aus.

Und auch so gehen wir vom Leben aus, daß wir zum Beispiel in den Lehrplan hinein nicht jene, von manchem so wohltätig emp­fundene Abwechslung bringen, daß jede Stunde etwas anderes ge­trieben wird, sondern wir treiben irgendeinen Gegenstand in den hauptsächlichsten Schulstunden so lange, bis ihn das Kind be­herrscht, bis das Kind drinnen ist in der Sache. Wir haben daher nicht den stundenmäßigen Lehrplan, sondern für die hauptsäch­lichsten Schulfächer haben wir einen Lehrplan, der etwa durch drei Monate bei dem Gleichen bleibt. Natürlich ist davon ausgeschlos­sen das Sprachenmäßige und so weiter.

Und dann versuchen wir, alles dasjenige, was zu lernen ist, ge­nau in den Zeitpunkt hineinzustellen, in dem das Kind die Sache aus sich selbst heraus entwickeln kann. Wir versuchen zum Beispiel alles das zu studieren, was nun folgt daraus, daß gewissermaßen dasjenige, was zuerst im Organismus gearbeitet hat, dann aufhört

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zu arbeiten beim Zahnwechsel, indem das von Jahr zu Jahr im achten, neunten, zehnten Jahr herauskommt. Wir verfolgen, was wir etwa vom Rechnen beibringen können in einem bestimmten Jahr; was wir von den allerersten Anfangsgründen aus der Natur­beobachtung, aus dem Geschichtsleben dem Kinde beibringen können. Wir versuchen wahr zu machen, was heute vielfach gesagt wird, was aber abstrakt bleiben muß. Die Pädagogik, die wir heute haben, soll gar nicht kritisiert werden. Ich schätze dasjenige, was an theoretischer Pädagogik und an Anleitungen zum Pädagogischen vorhanden ist, außerordentlich hoch. Ich glaube nicht, daß wir da etwas Wesentliches hinzufügen können. Aber worin wir, weil es ein Lebendiges ist, aus der Geisteswissenschaft etwas hinzufügen können, das ist in der Erweckung des pädagogischen Handgriffes, des Didaktischen, in der Verwertung der genauen Menschen-erkenntnis beim Kinde. So kann man sorgfältig studieren, wenn einen die Erkenntnisse der Geisteswissenschaft anleiten, wie um das neunte Lebensjahr herum wiederum ein ganz wichtiger Ab­schnitt in der kindlichen Seele ist. Bis dahin ist eigentlich das Kind immer in einer solchen Verfassung, daß es sich von der Umwelt nicht wesentlich unterscheidet. Um das neunte Jahr herum fängt das Kind an, sich soweit von der Umwelt zu unterscheiden, daß wir von da ab anfangen, über die Pflanzen und Tiere mit ihm ganz anders als vorher zu reden. Und der Geschichtsunterricht sollte überhaupt nur in marchenhafter und legendenhafter Weise, in bild­hafter Weise vorher getrieben werden. Er sollte überhaupt - auch in den ersten Anfangsgründen - erst getrieben werden, nachdem das Kind sich unterscheiden gelernt hat von der Umwelt, also so um das neunte Jahr herum.

So wird aus dieser prinzipiellen Menschenerkenntnis heraus, die wir anstreben durch Geisteswissenschaft - nicht nur im allgemein Pädagogischen und Didaktischen -, dasjenige, was uns zeigt, was wir Tag für Tag der Wesenheit des werdenden Menschen wegen an diesem Menschen zu vollbringen haben. Aber das alles hat noch immer einen Anstrich von Denken, von Ideenhaftem. Etwas wesentlich Wichtigeres ist noch das andere.

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Denken Sie nur einmal nach, was es für die Erziehung heißt, wenn man auf dem Standpunkt steht: Wir haben im Menschen bloß das höchste Wesen der Tierreihe vor uns, und wir haben das in ihm zu entwickeln, was er durch die physische Geburt mitbekommt. Durch die Geisteswissenschaft geht der Lehrer dagegen von der Grundlage aus: Aus der geistigen Welt ist ein geistig-seelisches Wesen heruntergestiegen; es hat sich in einem Menschenwesen physischer Art verkörpert. Es hat Geistiges aus der geistigen Welt gebracht und mit dem verbunden, was aus der Vererbungs­strömung herstammt. Wir haben dieses ganze lebendige Menschen-rätsel vor uns und haben an seinem Werden zu arbeiten. - Wie überkommt einen da eine ungeheure Ehrfurcht vor dem werden­den Menschen! Denn ehrfurchtgebietend steht vor uns, was uns die Götter vom Himmel zur Erde heruntergeschickt haben.

Und das zweite Gefühl, was uns beschleicht, wenn wir dem Kinde gegenüberstehen, das ist ein ungeheures Verantwortungs­gefühl; aber ein Verantwortungsgefühl, das uns trägt, das uns wirk­lich Kraft und Wollen gibt zum Erziehen und zum Unterrichten. Es ist also das etwas, was lebendig in den Menschen hineinfahren kann. Ich möchte nicht mißverstanden werden, ich meine: was als Leben - nicht als Theorie, nicht als theoretische Pädagogik, nicht als lehrhafte Pädagogik - in den Menschen hineingeht, das ist dasjenige, was uns durch Geisteswissenschaft zukommt. Denn Geisteswissenschaft will [nicht] nur in den Ideen wiedergeben das allgemeine Weltenleben; sie will den Menschen teilhaftig werden lassen an diesem allgemeinen Weltenleben. Deshalb spielen bei dem aus der Geisteswissenschaft hervorgehenden pädagogischen Tun Dinge eine Rolle, die man eigentlich erst bemerkt, wenn man auf dieses Geisteswissenschaftliche sich einläßt.

Wir kommen oftmals in die Lage, den Kindern irgend etwas zu sagen, was zunächst, wenn wir es ihnen in Begriffen beibringen, über ihr Verständnis hinausgeht. Nehmen wir an, wir wollen einem Kinde das Wesen der unsterblichen Menschenseele beibringen. Wer Erfahrung hat, weiß, wie schwierig das ist, wenn man die Sache verantwortungsvoll und ehrfurchtsvoll nehmen will. Nehmen

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wir an - ich will von einem Vergleich ausgehen -, wir schauen eine Schmetterlingspuppe an. Wir sagen zu dem Kinde: Sieh, der Schmetterling fliegt heraus aus dieser Puppe; den Schmetterling siehst du, wenn er aus der Puppe kommt. So ist es auch mit der Menschenseele; die Menschenseele verläßt die Puppe des Leibes im Moment des Todes. Diese Seele kannst du nur nicht sehen. - Ein Bild stellt sich vor die Kinder hin.

Die Menschen denken nun oftmals, wenn einer dies so macht, sei es dasselbe, als wenn es ein anderer so macht. Geisteswissenschaft zeigt uns, daß das nicht so ist. Wenn ich aus meiner Gescheitheit heraus erst nachzudenken habe, um darauf zu kommen, daß die Schmetterlingspuppe mit dem herausfliegenden Schmetterling ein Bild für die unsterbliche Menschenseele ist, wenn ich, weil das Kind dümmer ist als ich, mir das Bild zusammenstopple und es ihm bringe, damit es die Unsterblichkeit verstehen kann - wenn man mit dieser Gesinnung an das Kind herangeht, bringt man die Sache dem Kinde nicht bei. Nur, wenn man selber an das Bild glaubt, bringt man auch dem Kinde das Richtige bei. Und ich gestehe Ihnen offen: aus der Geisteswissenschaft heraus ist das für mich kein zusammengestoppeltes Bild, sondern da ist es eine Tatsache; die Menschenseele macht das durch, was der Schmetterling im Bil­de zeigt. Und nicht mein Verstand hat in diesem Schmetterling das Bild gefunden für die Unsterblichkeit, sondern: auf einer unteren Naturstufe steht ganz derselbe Vorgang da. Durch die Natur, durch den Geist der Natur selbst ist das Bild gemacht. Nicht ich mache das Bild, sondern ich glaube, daß die schöpferischen Kräfte der Natur in dem Ausfliegen des Schmetterlings dasselbe hinstellen wie die Menschenseele, die aus dem Leibe geht. Ich glaube nicht:

das Kind ist dumm und ich bin gescheit, sondern ich stelle mich auf dieselbe Stufe, weil ich ehrlich mir dasjenige errungen habe im Bewußtsein, was ich dem Kinde sage. In demselben Maße und in derselben Art, wie ich es dem Kinde beibringen will, muß ich es glauben. Dann ist da etwas Imponderables, dann ist es wirklich meine Seele und die Kindesseele, die in diesem Momente noch durch ganz andere Kräfte miteinander verbunden sind als durch die

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Worte, die in Begriffen und Gedanken und Theorien leben. Dieses Verbundensein mit der werdenden Kindesseele durch solche Din­ge, das ist es, worauf es oftmals ankommt.

Und wiederum sehen wir, wie in der letzten Zeit manches in einseitiger Weise mißverstanden worden ist. Man hat immer mehr und mehr danach gestrebt, dem Kinde dasjenige beizubringen, was es verstehen kann. Aber dadurch kommt man ja immer mehr und mehr in die furchtbarste Trivialität hinunter. Man denke nur dar­über nach, wie banal man die Dinge vorbringen müßte, wie ge­wöhnlich, um sie dem Kinde verständlich zu machen! Und wenn man die methodischen Lehrbücher daraufhin anschaut, die darstel­len, wie man die Dinge behandeln soll, was für Banalitäten man dem Kinde zumuten soll - es ist zum Die-Wände-Hinaufkriechen!

Man weiß eben eines nicht, das für das Menschenleben so wich­tig und bedeutungsvoll ist. Lernt man das Menschenleben kennen, so ist es doch so: Man erinnert sich zuweilen, vielleicht mit fünf­unddreißig Jahren, an etwas, was man vielleicht im achten Jahr gelernt hat. Hat man es richtig gelernt, aus dem richtigen Geiste heraus, so weiß man es so deutlich, als wenn es gestern geschehen wäre. Man erinnert sich auch: Das hast du nicht verstanden, das hast du auf Autorität hin angenommen. - Du hast das gefühlt: Ich bin jünger, der Lehrer ist älter, der versteht es, ich verstehe es nicht. Jetzt, mit fünfunddreißig Jahren, kommt das Ganze wieder herauf. Jetzt verstehst du es dadurch, daß du reifer geworden bist. Wenn einmal die Menschen schätzen werden, was das bedeuten kann, wenn man sich im späteren Leben durch eigene Reife befähigt fühlt, etwas zu verstehen, was man früher nur geglaubt hat, weil man den Menschen geschätzt hat, der es einem sagte, weil der ei­nem Autorität war - wenn das einmal die Menschen begreifen werden, dann werden sie auch schätzen können, was es heißt, daß Geisteswissenschaft sagt: Man muß hinschauen auf das werdende Kind bis zum siebenten Jahr ungefähr, da findet man, daß das Kind vor allen Dingen ein Nachahmer ist. Es tut alles das, was seine Umgebung tut. Das ist ein Grundgesetz der sich in diesen Jahren entwickelnden Menschennatur. Da kann man nicht durch Ermahnungen

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erziehen, sondern nur durch das Vorbild, bis in die Gedan­ken hinein. Wer unreinliche Gedanken in der Kinderstube hat, wirkt schlecht auf die Kinder. Denn die Seelen haben einen unter­bewußten Zusammenhang. Also bis zu den Gedanken hin wird von dem Kinde bis zum Zahnwechsel hin alles nachahmend erlebt und nachahmend dem ganzen Menschenwesen einverleibt.

Dann aber beginnt mit dem Zahnwechsel, mit dem Eintreten des Verstandesteiles der Seele, dasjenige, was die Menschenseele bis zur Geschlechtsreife will: Hingabe an eine verehrte Autorität. Beson­ders unserer Zeit sollte das gesagt werden, daß das einem mensch­lichen Entwicklungsgesetz entspricht. Das Kind kann deshalb Wahrheiten aufnehmen in dieser Zeit, weil es sieht: die verehrte Autorität hängt an diesen Wahrheiten. Wer das nicht erlebt hat, ungefähr vom siebenten bis zum vierzehnten Jahr aus dem Autoritätsgefühl heraus Wahrheiten aufzunehmen, der steht später kaum als ein selbständiger und freier Mensch im Leben drinnen, denn er hat in seinem Menschenwesen nicht das richtige Verhältnis von Mensch zu Mensch entwickelt!

Daher geht als Grundimpuls durch unsere Pädagogik: die päd­agogische und didaktische Erziehung bis zum siebenten Jahr durch Nachahmung. Es sieht sich dann der Lehrer der Volksschulzeit bis zum vierzehnten Jahr so auf sich selbst gestellt, daß er die selbst­verständliche Autorität ist. Es hat eine ungeheure Bedeutung für das Leben, wenn man sich später erinnern kann: Durch eigene Reife hast du jetzt etwas errungen, was in der Schulzeit veranlagt war. Das gibt eine besondere Kraft. Da wirkt die Schule und Erzie­hung in das spätere Leben hinein, wenn der Lehrer durch selbstver­ständliche Autorität das dem Kind beibringt, was es erst später versteht. Es ist im allgemeinen leicht und für die oberflächliche Betrachtung einleuchtend: Man will dem Kinde nur beibringen, was es versteht. Dann macht man aber die Menschen früh alt. Man zerstört das Leben. Man gibt dem Menschen nicht das richtige Erdengut für das spätere Leben.

Durch diese Wahrheiten wollte ich nur klarmachen, wie nicht aus theoretischer Pädagogik, sondern durch das im lebendigen

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Menschen, was er werden kann durch das Sich-Durchdringen mit der Geisteswissenschaft, im menschlichen Verhältnis eben das­jenige geleistet wird für das Kind, was wir hinzufügen möchten zu dem, was an Groß artigem die Pädagogik des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat, in ganz großartige Prinzipien gebracht hat. Geisteswissenschaft möchte aus dem Bedürfnis unserer Zeit heraus das lebendige Leben befruchten, weil sie ja ein Erkennen ist, das den Menschen ganz durchdringt in seiner innersten Wesenheit. Deshalb muß das auch in allen Einzelheiten so durchgeführt wer­den. Aus der unmittelbaren Menschenerkenntnis heraus sollen unsere Pädagogen und Didaktiker wirken. Daher beurteilt derjeni­ge schlecht, was wir wollen, der uns nachsagt, wir wollten ein neues Bekenntnis, eine Weltanschauung in die Schule hineintragen.

In unserer Freien Waldorfschule in Stuttgart, deren oberste Lei­tung mir ja unterstellt ist und die ich von Zeit zu Zeit wiederum zu inspizieren habe, da habe ich, da von mir der Lehrplan und die ganze Konstitution herrührt, von vorneherein gesagt: Das ist un­möglich, daß wir den Inhalt einer Weltanschauung in die Schule hineintragen. Die evangelischen Kinder werden von evangelischen Pfarrern, die katholischen Kinder von katholischen Pfarrern in ih­rem Bekenntnis unterrichtet. Dissidentenkinder können Dissiden­tenkinder bleiben. Wenn dann eine ganze Anzahl von diesen Kin­dern beziehungsweise die Eltern dieser Kinder gekommen sind und uns gesagt haben: Ja, dasjenige, was Ihr die Kinder lehrt, das er­weckt in ihnen das Gefühl, sie müßten auch einen religiösen Impuls empfangen - so sind die Dissidenteneltern gekommen, nicht etwa bloß diejenigen, die in irgendeinem Bekenntnis drinnenstehen; die gegenwärtigen Bekenntnisse bringen es nicht zustande, daß un­mittelbar ein so reges religiöses Bedürfnis entsteht. Wir waren ge­nötigt - weil bei den anthroposophisch erzogenen Kindern aus dem Geiste unseres Unterrichts heraus das religiöse Bedürfnis kam und weil die Dissidenteneltern ihre Kinder in konfessionellen Religionsunterricht nicht schicken wollen -, einen allgemeinen Religionsunterricht einzurichten. Die Kinder, die diesen Unterricht genießen, die hätten sonst überhaupt keinen genossen. Und wie

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gesagt, die katholischen Kinder genießen einen katholischen Reli­gionsunterricht, die evangelischen Kinder einen evangelischen. Wir können, weil wir eben nicht eine Weltanschauung in die Schule hineintragen wollen, durchaus im wahren, echten Sinne tolerant sein in dieser Beziehung. Und diese Toleranz trägt in der Praxis wahrlich keine schlechten Früchte. Denn dasjenige, was wir suchen, ist nicht, eine Weltanschauung in die Schule hineinzutragen oder ein Bekenntnis, sondern eine praktische Pädagogik und Didaktik, die aus Geisteswissenschaft und nur aus Geisteswissen­schaft kommen kann. Ein ganz sachliches pädagogisches Interesse haben wir bei der Einrichtung unserer Schule und nicht, Propagan­da zu machen für irgendeine Weltanschauung. Und derjenige, der das letztere behauptet, wir hätten ein Interesse aus unserer Gei­steswissenschaft, für diese Propaganda zu machen, für eine Weltan­schauung Propaganda zu machen, der lügt. Nur derjenige beurteilt das, was wir wollen, richtig, der da weiß, wie wir nichts anderem dienen wollen als dem praktischen Leben durch dasjenige, was diesem Leben gegenüber nicht in weltfremden Fernen steht, son­dern gerade durch diese Erkenntnis, wie ich sie Ihnen eben ge­schildert habe, mit dem praktischen Leben zusammenhängt.

Daher konnten wir auch in den Lehrplan die Eurythmie aufneh­men als obligatorischen Unterrichtsgegenstand. Sie werden mich nicht für so albern halten, daß ich gegen die segensreiche Wirkung des Turnens, die im 19. Jahrhundert mit Recht hervorgehoben worden ist, etwas einwenden werde. Aber es wird einmal eine Zeit kommen, in der man über diese Dinge etwas objektiver denkt. Dann wird man finden: Ja, das Turnen, es entspricht der Physiolo­gie des Menschen; es bringt diejenigen körperlichen Bewegungen an das Kind, an den Menschen heran, welche dem Studium der menschlichen Körperlichkeit entsprechen. Dazu fügen wir nun -aber nicht, indem wir das Turnen anfechten - unsere Eurythmie.

Was ist diese Eurythmie? Es ist zunächst eine Kunst, wie sie hier in öffentlichen Vorstellungen dargeboten wird. Aber daneben hat sie auch ein hygienisch-therapeutisches und außerdem ein starkes pädagogisch-didaktisches Element in sich. Sie beruht nicht auf irgendwelchen

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ausgedachten Gebärden - durch zufällige Zusammen­hänge der äußerlichen Gebärden oder der Mimik mit dem, was in der Seele vorgeht -, sondern sie beruht auf dem, was man im sorg­fältigen Studium gewinnen kann durch das, was ich im Sinne Goethes «sinnlich-übersinnliches Schauen» nennen möchte. Wenn man das menschliche Sprachorgan mehr von innen studiert und das, was sich - jetzt nicht an Bewegungen, Modulationsbewegun­gen, sondern an Bewegungsanlagen - vollzieht, durch sinnlich­übersinnliches Schauen erschaut, dann kann man es, ganz nach dem Prinzip der Goetheschen Metamorphosenlehre, auf den ganzen Menschen übertragen. Goethe sieht in der ganzen Pflanze nur ein komplizierter ausgestaltetes Blatt. Was Goethe im Hinblick auf die Formen in seiner Morphologie ausgeführt hat und was erst später einmal geschätzt werden wird, das versuchen wir funktionell in der menschlichen Tätigkeit künstlerisch zur Anwendung zu bringen. Wir versetzen den ganzen Menschenorganismus oder Menschen­gruppen in solche Bewegungen, die abgelesen sind von der Laut-sprache. Das heißt, wir lassen Hände, Beine und den Kopf solche Bewegungen ausführen, die den Bewegungstendenzen des Kehl­kopfes und seiner Nachbarorgane entsprechen. Wir machen sozu­sagen den ganzen Menschen zum Kehlkopf und schaffen so eine tonlose, aber sichtbare Sprache - nicht eine Gebärdensprache, die der Willkür der Phantasie entstammt. Wir schaffen eine Sprache, die wir auf den Menschen und seine Bewegungen übertragen. Sie ist ebenso gesetzmäßig ausgebildet - nur eben durch Studium aus­gebildet - wie von der Natur ausgebildet ist, was vom Kehlkopf und den Nachbarorganen ausgeführt wird.

Und wenn wir nachher, nach einer kurzen Pause, etwas von Kindern vorführen lassen werden, damit auch das pädagogisch-di­daktische Element zum Ausdruck kommt, dann werden Sie sehen, daß diese Eurythmie neben dem, daß sie eine Kunst ist, zu gleicher Zeit ein beseeltes Turnen ist. Jede Bewegung wird nicht ausgeführt aus physiologischer Einsicht, sondern aus der Erkenntnis des Zu­sammenhanges zwischen Körper und Seele. Jede Bewegung ist durchseelt, wie der Laut durchseelt ist. Der ganze Mensch wird

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zum Sprachorgan. Daher tritt da auch zutage, was in der Dichtung künstlerisch gestaltet werden kann. Heute haben die Menschen keine Ahnung davon, daß der Prosainhalt nicht die Hauptsache ist in bezug auf die Dichtung. Es wird ja heute überhaupt neunund­neunzig Prozent zuviel gedichtet! Dasjenige, was Dichtung ist, beruhte entweder in Goethescher Art auf Gestaltung der Sprache, oder auf dem Rhythmus der Sprache - man braucht nur auf Schiller hinzuweisen; man könnte viele andere Beispiele anführen. Schiller sagte, Gedichte wie zum Beispiel «Der Taucher» oder «Der Spa­ziergang» hätten nicht zuerst prosamäßig in seiner Seele gelebt, sondern etwas wie Musik, etwas wie ein Bild, etwas Visionäres lebte in ihm. Und aus diesem Wortlos-Melodiösen, aus dem Wort­los-Bildlichen haben Schiller und auch Goethe erst die Worte ge­bildet, haben sie gleichsam angefügt an das Wortlose oder Musika­lische oder innerlich Plastische. Und so sind wir auch, wenn zum Beispiel rezitiert werden muß, genötigt, auf das Rhythmische der gewöhnlichen Sprache zurückzugehen. Denn Sie werden hören, daß die eurythmische Vorstellung - wie ich sagte, der Mensch als lebendiger Kehlkopf vor Ihnen auf der Bühne sich bewegend - auf der einen Seite durch Rezitation, auf der anderen Seite durch Musik begleitet sein wird. Man kann es auch begleiten von dem, was man nicht ausdrückt mit der Dichtung. Dann muß aber nicht so rezitiert werden, wie in unserem unkünstlerischen Zeitalter rezitiert wird, wenn man eben den Inhalt der Dichtung aus dem Untergrund der Seele herausholt, sondern dann muß gerade Takt und Rhythmus und die Zusammenhänge, die gestaltet sind im Reim, also das eigentlich Künstlerische, in der Rezitation zum Ausdrucke kom­men. Denn mit dem gewöhnlichen heutigen unkünstlerischen Re-zitieren könnte man die Eurythmie nicht begleiten. Daher wird die Eurythmie auch gesundend zurückwirken auf das, was in unseren übrigen Künsten im Rückgang ist.

Vor allen Dingen wird es Sie gewiß interessieren, daß die Eurythmie ein pädagogisch-didaktisches Element in sich hat. Das Turnen ist etwas Ausgezeichnetes für den Menschen, aber es ent­wickelt nur den äußeren, physischen Organismus. Eurythmie als

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obligatorischer Gegenstand in der Schule wirkt vor allen Dingen auf dasjenige, was ich nennen möchte die Willensinitiative, die Selbständigkeit der menschlichen Seele. Und das ist dasjenige, was wir eigentlich für das nächste Zeitalter der Menschheit brauchen. Wer hineinschaut in das heutige Chaos unserer sozialen Zustände, der weiß, daß den Menschen vor allen Dingen diese Seeleninitiative fehlt.

Ich sagte schon, der Lehrer und der Erzieher können nicht aus­kommen ohne das Bewußtsein, das sie mit Ehrfurcht erfüllen kann, aber auch mit Verantwortung: daß er zu arbeiten hat an den Seelen, die aus der geistigen Welt kommen, aber so, daß sich die nächste Generation in einer richtigen Weise in die Welt hineinstellt. Wer die heutige Zeit ansieht, der fühlt schon, wie wichtig es ist, was wir als nächste Generation in die Welt hineinstellen. Und deshalb hat man eine solche innere Befriedigung, wenn man sehen kann, wie, ohne daß man Weltanschauung in die Schule hineinträgt, von un­seren Lehrkräften zum Beispiel in der fünften Klasse Anthropolo­gie behandelt wird: nicht in trockenem Sinne, nicht etwa anthropo­logisch-theoretische Erkenntnisse, sondern so, daß man dasjenige, was man als erste Anthropologie an die Kinder heranbringt, durch-leuten und durchwärmen läßt vom Geiste aus. Wenn man das den Kindern so beibringt, dann fangen die Kinder an, in ganz anderer Weise beim Unterricht dabei zu sein; da gründen sie etwas in sich, was ihnen für das ganze Leben bleibt.

Ebenso habe ich die tiefste Befriedigung gehabt, wie von unse­rem Lehrer der siebenten Klasse in dieser geisteswissenschaftlichen Weise Geschichte vor den Kindern entwickelt worden ist - aber wie gesagt, nicht Geisteswissenschaft, sondern die Geschichte gei­steswissenschaftlich-methodisch behandelt. Da verwandelt sich dasjenige, was sonst mehr oder weniger den Kindern fremd bleibt, in etwas, was das Kind unmittelbar verwandt mit seiner eigenen Wesenheit weiß. Und da kann man überall die Brücke herstellen zwischen dem, was das Kind erfährt vom Entwicklungsgang der Menschheit und dem, was in das Kind hineinsprühen kann, damit es ein brauchbares Mitglied der künftigen Menschheit sein soll.

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Diese paar Worte wollte ich voranschicken den eurythmischen Darbietungen. Und nun möchte ich noch einmal am Schlusse sa­gen: Wenn ich hinschaue auf solche Leute wie Spitta, auf dasjenige, was fließen kann aus einer Erneuerung des Geisteslebens, wenn ich, auf diesen hinschauend, dasjenige Werturteil über die Geisteswis­senschaft ausdrücken soll, was mich selbst beseelt, so lassen Sie mich meine Freude ausdrücken. Diese Freude erfüllt ganz gewiß diejenigen, die hier am Goetheanum und vom Goetheanum aus sich geisteswissenschaftliche, anthroposophisch-orientierte Auf­gaben gestellt haben. Und ich hoffe nicht, daß es gerade unbedingt das allein Richtige sein könnte, Ihnen zu wünschen, daß Sie - nach­dem Sie die Güte gehabt haben, mich fünf Viertelstunden anzu­hören und nachdem Sie noch die Güte haben werden, nach einer kurzen Pause die eurythmische Vorstellung sich anzuschauen und anzuhören, was gespielt und rezitiert wird - danach noch nötig haben werden, sich nach den Worten des englischen Journalisten von dem «Schock», den Sie erlitten haben, just zu erholen in einer sechs Tage langen Zeit!

BESPRECHUNG PÄDAGOGISCHER UND PSYCHOLOGISCHER FRAGEN Dornach, 8. Oktober 1920

#G297-1989-SE222 Idee und Praxis der Waldorfschule

#TI

BESPRECHUNG PÄDAGOGISCHER UND

PSYCHOLOGISCHER FRAGEN

Dornach, 8. Oktober 1920

anläßlich des ersten

Anthroposophischen Hochschulkurses am Goetheanum

#TX

Frage: Wie erkennt man die verschiedenen Temperamente in den Kindern und an sich selber?

Rudolf Steiner: Zu den Temperamenten möchte ich nur ganz kurz einiges sagen, mehr um darauf hinzuweisen, wie unter dem Einfluß derjenigen Pädagogik, die wir pflegen möchten in der Waldorf-schule, das Intellektualistische und das sonstige Seelische allmäh­lich zur Kunst des Erziehens wird. Es handelt sich darum, daß wirklich nicht eine Geschicklichkeit, nicht eine Wissenschaft des Erziehens, sondern eine Kunst des Erziehens herauskommt. Das setzt voraus, daß man die Wesenheit des Menschen von den ver­schiedensten Seiten her wirklich zu betrachten vermag, daß man sich also viel Mühe gegeben hat, zum Beispiel diese Nuancierungen des Seelenlebens, welche sich in den Temperamenten offenbaren, tatsächlich aufzufassen. Zunächst mehr theoretisch, dann, indem man - sobald man begriffen hat, was Sie ja in unserer anthroposo­phischen Literatur verschiedentlich als die Beschreibung der Tem­peramente finden - dieses anwendet auf das Leben. Das ist ja über­haupt vielfach eine Methode sich zu überzeugen von der Wahrheit, daß durch die Anthroposophie geholfen werden kann, wenn es im Geiste geschaut ist; es ist eine Methode, das vom Leben bestätigen zu lassen. Die Erfahrungen des Lebens werden uns auf Schritt und Tritt entgegenbringen, wie sich das im Geiste Geschaute - oder auch nur dadurch Angeeignete, daß man das vom Seher Geschaute eben gelernt hat - dann ins Leben übertragen muß.

Also ein mehr oder weniger langer Weg des eigenen Studiums über die Wesenheit des Menschen müßte es sein, und ich möchte sagen über die ganze menschliche Wesenheit. Wenn das in den

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Lehrer übergegangen ist, dann ist dasjenige, was zum Schluß her­auskommt, etwas wie eine gerundete Lebenshandhabung. Nehmen wir an, ein Lehrer wäre in der Art, wie ich es jetzt nur skizzieren konnte, vorgebildet, indem er gewisse Blicke in die Wesenheit des werdenden Menschen hinein getan hat, und er käme nach solchen Vorbereitungen ans Unterrichten. Dann kann folgendes geschehen:

Er redet in der Klasse mit einem Kinde. Dieses Kind, an das er eine Frage stellt, wird mit einer gewissen Leichtigkeit und Gleichgültig­keit sich anschicken, die Antwort zu geben. Der Lehrer hat eine gewisse Vorstellung, wie etwa die Antwort sein sollte. Das Kind entschließt sich leicht, die Antwort zu geben, gibt eine Antwort, ohne daß man sieht, daß ihm der Entschluß schwer wird. Man wird [dann] zuletzt das Gefühl haben - man eignet sich eine gewisse Sicherheit in diesem Gefühl nur dadurch an, daß man eben das vorangehen läßt, was ich beschrieben habe - Ja, das ist eine Ant­wort, die gilt ungefähr, aber es kam diese Antwort dadurch zustan­de, daß dieses Kind mancherlei von dem, was ich im Unterrichte schon vorgebracht habe, vergessen hat. Die Antwort ist so, daß zu ihr noch manches hinzugefügt werden könnte. Und ich werde viel­leicht veranlaßt sein, noch manches hinzuzufügen. Das Kind nimmt das hin und setzt sich wieder nieder. Ich habe es mit einem sanguinischen Kinde zu tun.

Ich stelle eine Frage an ein zweites Kind. Das Kind zeigt mir schon beim Aufstehen, daß es einen gewissen Entschluß braucht, heranzukommen an die Frage. Es läßt also die Frage an sich heran­kommen, indem es mit dem Gesicht sich nicht hin und her bewegt, sondern ziemlich starr mich anblickt. Es läßt die Frage an sich herankommen. Nun, nachdem es die Frage gehört hat, schweigt es etwas. Es wird eine besondere Kunst dazugehören, solche Reaktio­nen im Frage- und Antwortspiel beim Unterrichten in der richtigen Weise zu beobachten und zu taxieren. Erst nachdem eine gewisse Pause da war, die gewissermaßen ganz neutral verläuft, sieht man an dem Kinde eine Anstrengung, nun zum Entschluß zu kommen, die Antwort sich zu formulieren. Man wird finden, daß die Ant­wort ihm schwer wird, daß das Kind sich die Antwort etwas herausringen

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muß. Für solche Dinge muß man eben ein nötiges Takt-gefühl sich aneignen können. Und man wird in der Regel finden, daß dieses Kind alles dasjenige einem heranbringt - es mag man­ches vergessen haben, damit hat es nichts zu tun -, was es nur irgendwie aufzubringen vermag, um die Antwort zu geben. Und man wird bemerken an dem ganzen Habitus des Kindes - nament­lich daran, daß es wahrscheinlich das Gesicht etwas senkt -, daß es selber mit seiner Antwort nicht so ganz zufrieden ist. Man wird also Vor- und Nachgefühl, Vor- und Nachempfindung vor und nach der Antwort bemerken können: Man hat es mit einem melan­cholischen Kinde zu tun.

Man stellt an ein drittes Kind eine Frage. Man hat vielleicht nötig, die Frage sogar zum zweiten Male zu stellen, denn man merkt, sie ist nicht vollständig hineingegangen in das Kind. Das Kind nimmt kaum vollständig die Frage auf, man muß sich viel­leicht anstrengen, noch einmal die Frage eindringlich zu formulie­ren und so weiter. Dann macht das Kind nicht mit der Hand, aber in der Seele diese Gebärde [Rudolf Steiner demonstriert die Gebär­de]. Es sagt einem etwas hin; es liegt in den Worten dann - dafür muß man ein Gefühl haben - zuweilen etwas, was mit der Frage nicht das Entsprechende zu tun hat: Man hat es mit einem phleg­matischen Kinde zu tun.

Dann ein viertes Kind. Man hat lange schon bemerkt: das drängt sich zu antworten, das will gefragt sein. Man stellt an es die Frage und man vernimmt, wie es die Antwort heraussprudelt. Wie es einem in irgendeiner Weise noch etwas sagt über die Antwort hin­aus, die man erwartet hat. Das hat nichts mit der Methode zu tun, daß die Antwort vielleicht nicht richtig gegeben ist, sondern es handelt sich dabei um den Habitus, wie sich das Kind benimmt, namentlich, daß es sich dazu drängt. Man muß sich für dasjenige, was gerade in der Temperamentssphäre verläuft, ein Gefühl aneig­nen - denn es ist durchaus nicht etwa so, daß das Kind, das so sich drängt zu antworten und gefragt sein will, daß dieses Kind etwa viel mehr weiß als das andere. Vielleicht weiß es nicht einmal so viel wie das phlegmatische Kind. Auf die Methode oder so etwas,

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das gelernt ist, kommt es dabei nicht an, sondern auf den Gefühls­habitus, auf den Empfindungshabitus. Es gibt vielleicht eine ganz schlechte Antwort. Dennoch, an der Art und Weise, wie es sich verhält, erkennt man das cholerische Kind. Und so kann man -wenn man in der richtigen lebendigen Art die Wesenheit des Men­schen beobachtet -, wenn man in der ersten Schulstunde den Kin­dern gegenübersteht, aus dieser entsprechenden Äußerung - wenn man sie nur richtig zu taxieren vermag -, ablesen, mit welchem Temperamente man es zu tun hat.

Selbstverständlich ist dieses nur ein herausgegriffenes Beispiel. Es kann auch noch auf andere Weise beobachtet werden. Worauf es ankommt ist, daß die aus der Anthroposophie gewonnene Erzie­hungslehre eine Erziehungskunst wird, so daß man, wie der Künst­ler in der Farbe nuanciert, in der Farbe etwas sieht, was der andere nicht sehen kann, so bei dem Kinde etwas sieht, was der andere nicht sieht und wahrnimmt, also sich zunächst mit dem Wesen des Kindes bekanntzumachen hat.

Frage: Wie kann man auf die Temperamente durch die Farben wirken?

Rudolf Steiner: Ich verweise dabei auf das Büchlein «Die Erzie­hung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft», das vor vielen Jahren erschienen ist. Ich werde versuchen, Ihnen einiges darüber auszuführen.

Nehmen wir also an, ein Kind tritt einem im frühen Lebensalter als ein cholerisches Kind gegenüber. Es wird nicht ein Frage- und Antwortspiel erst brauchen, um darauf zu kommen, sondern es wird sich vielleicht dadurch schon zeigen, daß es furchtbar stram­pelt bei jeder Gelegenheit, daß es sich auf den Boden wirft, um sich schlägt. Alle diese Äußerungen sind die entsprechenden bei dem cholerischen Kinde.

Nun wird man, wenn man Laie ist, wahrscheinlich glauben, daß man ein solches Kind bändigen kann, indem man es möglichst in eine beruhigende farbige Umgebung bringt. Das ist aber nicht wahr. Wenn Sie das cholerische Kind mit Blau umgeben oder ihm

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blaue Kleider anziehen, dann wird es gerade dadurch, daß es gewis­sermaßen die Anlage dazu hat, wenn es diese beruhigende blaue Farbe um sich hat, die es nicht stößt, da wird es ja gerade sein cholerisches Temperament hinein ausleben. Es wird gerade noch «z'widerer», polternder werden. Dagegen wird in einer Umgebung, in der es überall mit roter Farbe umgeben ist, mit der aufregenden roten Farbe - Sie wissen ja aus anderen Vorträgen, daß die Gegen-farbe die grüne ist - die grün-bläuliche Gegenfarbe hervorgerufen. Da muß sich das Kind innerlich, indem es fortwährend mit Rot umgeben wird, anstrengen, um innerlich die Gegenfarbe zu erleben und wird gerade nicht äußerlich aufgeregt. Also das Gleiche, das ist dasjenige, was bändigend auf ein aufgeregtes Kind wirkt.

Auf der anderen Seite wird man auf ein melancholisches Kind gut wirken, wenn man es gerade veranlaßt, aus sich herauszugehen, indem man es in eine blaue, grünlich-blaue Umgebung bringt; also sich nicht etwa davor fürchtet, daß, wenn man ihm eine beruhigen­de, eine zur Verehrung herausfordernde Umgebung gibt, daß man es dadurch noch melancholischer macht.

Hier handelt es sich darum, wirklich einzusehen, wie aus der Wesenheit des Menschen folgt, daß man Gleiches mit Gleichem bekämpft. Sie sehen, es handelt sich überall darum, von der Wesen­heit des Menschen auszugehen und mit der Erkenntnis, die man da gewinnt, ans Leben heranzukommen. Ich möchte aber ausdrück­lich bemerken, daß es nicht zu einer Schematisierung kommen soll, wenn man das Erziehungswesen als Kunst betrachtet, und daß, wenn man sagt: Wie kann man die Temperamente durch Farben beeinflussen und dergleichen, daß das schon wiederum so eine in­tellektuelle Systematisiererei wird. Wird das Erziehungswesen zur Kunst, dann kommt man nicht zu solchem intellektualistischen Schematisieren. Da wird man nicht, wenn es sich um die Farbe handelt, auf die Temperamente blicken, sondern da wird man im allgemeinen mehr darauf bedacht sein, ob das Kind ein aufgeregtes oder ein abgeregtes Kind ist. Es kann zum Beispiel auch vor­kommen, daß unter Umständen auch ein phlegmatisches Kind in derselben Weise mit den Farben behandelt werden muß wie ein

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melancholisches Kind und dergleichen. Kurz, es wird sich darum handeln, daß man aus einer lebendigen Erziehungswissenschaft auch eine lebendige Erziehungskunst entwickle.

Frage: Ist es für die Kinder förderlich, Fünf- bis Sechsjährige schon Rück-schau machen zu lassen?

Rudolf Steiner: Ich weiß nicht, aus welchen Untergründen heraus die Frage gestellt worden ist nach der Rückschau der Kinder. Ich weiß auch nicht, ob die Frage etwa aus der Erfahrung hervorgeht. Es scheint so; denn es steht hier. Es wundert mich eigentlich, daß diese Frage gestellt wird, denn ich hätte gedacht, daß solcher Un­fug, fünf bis sechs Jahre alte Kinder eine Rückschau üben zu lassen, eigentlich nicht vorkomme. Rückschau wird ja, wie Sie aus meinen Schriften wissen, namentlich aus «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», geübt, um sich geistig vorwärts zu bringen, um allmählich zu einer wirklichen geistigen Anschauung zu kom­men. Und was tief Einschneidendes im Menschen vorgeht, wenn eine solche Rückschau geübt wird, das werden Sie ja leicht ermes­sen, wenn Sie bedenken, daß das andere Denken, das im Laufe der Naturerscheinungen mit fortläuft, dasjenige ist, das überhaupt das Denken des gewöhnlichen Bewußtseins ist. Wenn wir nun aus einer gewissen inneren Anstrengung heraus versuchen, eine Rück­schau so zu formulieren, daß wir gewissermaßen die Ereignisse des Tages rückwärts durchlaufen lassen vom Abend zum Morgen, ent-reißen wir uns gerade diesem gewöhnlichen Denken und Vorstel­len und Erleben der Dinge. Wir reißen uns los. Und dadurch, daß wir dieses radikal, ja entgegengesetzt Andere tun, dadurch kom­men wir dazu, allmählich das seelisch-geistige Element des Men­schen überhaupt innerlich zu emanzipieren. Es bildet ein solches Üben eine Stütze, um geistig vorwärts zu kommen.

Nun könnte gemeint sein - es ist in der Frage nicht klar ausge­drückt -, daß einer solchen, eben für geistiges Vorwärtskommen im späteren Lebensalter entsprechenden Übung eine Rückschau bei Kindern angepaßt würde. Das wäre einfach ein Unfug aus dem Grunde, weil man in das Verhältnis zwischen dem Geistig-Seelischen

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und dem Leiblich-Ätherischen des Kindes eine absolute Un­ordnung hineinbrächte. Man würde schon sehen, daß man Furcht­bares anrichtete. Bei Kindern solches Üben zuzulassen, würde bedeuten, daß man ganz frühzeitig dasjenige, was entspricht dem Vorstellen, dem Fühlen, dem Wollen, auseinanderreißt, daß man die ganze seelisch-geistig-physische Organisation des Kindes so in Unordnung bringt, daß man das Kind geradezu hineinentwickelt, willentlich hineinentwickelt in den kindlichen Schwachsinn, in eine Art Dementia praecox. Wenn man also von solchen Dingen über­haupt hört, wenn man solche Dinge kennenlernt, so handelt es sich darum, daß man wirklich weiß, man soll sie nicht novellistisch an­wenden, und namentlich, daß sie nicht nur nicht für das kindliche Alter von fünf bis sechs Jahren gedacht sind, sondern daß es über­haupt ein Unsinn ist, sie bei den Menschen vor der Geschlechtsrei­fe anzuwenden. - Ist eine Rückschau so gemeint, daß man etwa das Kind sich zurückerinnern läßt an die Ereignisse des Tages, so darf eine solche Sache zumindest nicht irgendwie ins Extrem getrieben werden. Es kann manchmal nötig sein, daß das Kind an irgendeine Ungezogenheit sich erinnert oder daß man es an eine Freude, die es erlebt hat, aus diesem oder jenem Grunde erinnert, aber eine gewisse Hypochondrie beim Kinde durch eine solche Rückschau heranzuerziehen, das ist etwas, was durchaus im Grunde genom­men auch eine Art Unfug, wenn auch ein kleiner Unfug ist gegen­uber dem, wenn etwa da gemeint sein sollte, daß man das Kind gerade geisteswissenschaftliche Übungen machen lasse.

Eine Frage über einen dreiundzwanzigjährigen schwachsinnigen Menschen:

Ob der Schwachsinn in Zusammenhang mit einem vorigen Erdenleben stehe und wie der betreffende Mensch erzieherisch zu behandeln sei?

Rudolf Steiner: Bei solchen Dingen handelt es sich darum, daß je­der Fall wirklich ein individueller ist und daß aus solchen paar Angaben, wie sie hier auf diesem Zettel gemacht worden sind, durchaus nicht irgendwie etwas gesagt werden kann, am wenigsten, wie der betreffende Schwachsinn zusammenhänge mit irgendeinem vorhergehenden Erdenleben. - Wie er erzieherisch zu behandeln

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sei - ja, das hängt wirklich ganz davon ab, wie der Mensch früher war. Vor allen Dingen müßte der Mensch daraufhin verfolgt wer­den in bezug auf das Erzieherische: Was ist da mit dem Menschen vorher gemacht worden? Hat man denn da nicht darauf geachtet, daß irgendwelche Abnormitäten schon früher vorgelegen haben? Es handelt sich wirklich darum, daß man nicht davon sprechen kann, daß ein dreiundzwanzigjähriger, junger Mensch, wenn es nicht durch eine äußere Notwendigkeit geschieht, schwachsinnig wird, sondern darum, daß die Dinge, die vorangegangen sind, schon in der entsprechenden Weise hätten behandelt werden müs­sen. Um aber das nun zu beantworten, was zu tun ist, nachdem er dreiundzwanzig Jahre alt geworden ist, dazu müßte man den Fall, den Menschen als solchen ganz genau kennen.

Ich darf vielleicht bei dieser Gelegenheit auf ein paar andere Dinge, die mir im Laufe des Abends aufgefallen sind, noch zurück­kommen. Zunächst die Sache mit dem neunten Lebensjahr. Es ist tatsächlich so, daß ja die Haupt-Lebensepoche des sich entwickeln­den Menschen von der Geburt bis zum Zahnwechsel verläuft, dann wiederum vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, daß man aber so zwischen dem neunten und zehnten Jahre etwas hat, was außerordentlich bedeutsam in das kindliche Leben eingreift. Sie wissen ja, daß das Ich-Bewußtsein zunächst in Form eines Ich­Gefühles auftritt. Dieses Ich-Gefühl, es tritt mit dem zweiten, drit­ten, manchmal auch mit dem vierten Lebensjahr erst auf. Es ist noch nicht ein eigentliches Ich-Bewußtsein, und dieses Ich-Bewußtsein ist in einer durchsichtig klaren Weise auch noch nicht beim Zahnwechsel eigentlich vorhanden. So daß man dem Kinde nicht etwas gibt, was in der Richtung seiner Entwicklung liegt, wenn man Dinge an es heranbringt, welche scharf herausfordern, daß sich das Kind von seiner Umgebung absondere, daß es ein starkes Ich-Bewußtsein habe. Man soll alles dasjenige, was man auffaßt, wenn man sich stark absondert von der Umgebung, wenn man das andere Wesen als ein anderes empfindet, man soll über das möglichst wenig an das Kind bis zum neunten Lebensjahre heran­bringen, sondern soll das Kind in der Weise leiten, daß es die

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Außenwelt gewissermaßen nur wie eine Fortsetzung seines eigenen Wesens empfindet. Man soll gerade dieses sich nicht von der Au­ßenwelt absondernde Gefühl pflegen. Man soll das Kind so heran­erziehen, daß es erfühlen, empfinden kann, was draußen ist, wie sich herein fortsetzend in seine eigene Organisation und wiederum umgekehrt. Und erst um das neunte Lebensjahr herum erwacht im Grunde genommen klar ein deutliches Ich-Bewußtsein, jenes Ich­Bewußtsein, von dem eigentlich Jean Paul sagt, daß es im innersten Allerheiligsten des Menschen ist und das einem eigentlich erst das Menschliche als solches, die Menschenwesenheit innerlich empfin­den läßt. Dieses Ich-Bewußtsein erwacht im neunten Jahr. Und mit diesem Jahre, zwischen dem neunten und zehnten Jahre - die Din­ge sind ja natürlich approximativ -, da tritt auch die Welt ein, die Außenwelt; das Kind unterscheidet sich von der Außenwelt, darf von sich selber aus sich unterscheiden. Es tritt dann die Möglich­keit ein, mit dem einfachsten Vorstellen und Anschauen aus dem Pflanzenreich, aus dem Tierreich an das Kind heranzutreten, die Dinge nicht mehr bloß in märchenhafter, in legendenhafter oder erzählender Form an das Kind heranzubringen, sondern sie wirk­lich so heranzubringen, daß es sich etwaige Vorstellungen - ich meine nicht systematisch wie in der Wissenschaft - erwirbt. Das ist dasjenige, was dabei zu beobachten ist.

Was für die Erziehungskunst nicht genug stark hervorgehoben werden kann, das ist, daß man ja nicht dem Unfuge folgen darf, die wissenschaftlichen Kategorien in das Schulleben hineinzubringen. Es sind ja leider schon die Schulbücher der niederen Volksschul­klassen heute vielfach so zusammengestellt, daß ihr Inhalt heraus­genommen ist in seiner Struktur, in seiner Richtung aus den wis­senschaftlichen Büchern. Aber Botanik, Zoologie und so weiter sollten dem Kinde nicht so beigebracht werden, wie wenn man glauben wollte, es sollte ein Botaniker oder Zoologe werden; son­dern gerade, weil man annimmt, es solle ganz gewiß kein Botaniker oder Zoologe werden, nicht so, daß man ihm alle Rosinen schon vorsetzt, sondern so, daß man diejenigen Anlagen verwendet, die das Kind gerade hat, denen man dann zum Durchbruch verhilft.

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Das ist es, was aus einer naturgemäßen Erziehungskunst, wie sie in der Waldorfschule angewendet wird, folgen wird: daß man nicht die Leute hindressiert nach einem gewissen Spezialismus, sondern daß man sie zu Menschen macht. Und indem sie dann nach der einen oder anderen Richtung sich entwickeln, so wird es deshalb sein, weil die ursprünglichen Anlagen nicht unterdrückt waren und nun in gewissem Sinne sich entwickeln können. Das ist dasjenige, was den Menschen zum Menschen macht.

Zum Referat von Rudolf Meyer, Berlin:

Es würde gewiß interessant sein, die von Herrn Meyer in seinem Referat so schön angestellten Betrachtungen über das Verhältnis von Fichte, Pestalozzi, Herbart auch psychologisch noch weiter zu verfolgen. Aber lassen Sie mich darüber nur ein paar Gedanken außern.

Es ist außerordentlich interessant, daß man aus der Betrachtung Pestalozzis die Vorstellung bekommt, daß die Erfolge, die er mit seiner Erziehungskunst gehabt hat, im wesentlichen darauf be­ruhen, daß er eine, wie es scheint, unbegrenzt liebenswürdige Per­sönlichkeit war, gerade Kindern gegenüber, und daß er aus einer gewissen Kindesliebe heraus instinktiv eine in hohem Grade vollkommene Erziehungskunst angewendet hat.

Etwas anderes ist es schon, wenn man darauf hinschaut, was gerade um Pestalozzi herum entstanden ist. Da bekommt man nicht gerade den Eindruck, als ob Pestalozzi auch in der Lage ge­wesen wäre, dasjenige, was er als Erziehungskunst durch das inner­lich so Liebenswürdige seiner Persönlichkeit besaß, auch auf ande­re zu übertragen. Und wenn man die eigentlichen pädagogischen Prinzipien, das mehr Prinzipielle ins Auge faßt, wenn man nicht eben die außerordentlich liebenswürdigen Darstellungen, die Pesta­lozzi über das Leben mit Kindern gegeben hat, betrachtet - was ungeheuer anregend wirken kann gerade für den Erzieher -, son­dern wenn man die anderen Menschen frägt nach den Anleitungen, die er gab, da sieht man, daß er eben nicht in der Lage war, sich das selbst zum Bewußtsein zu bringen, was in ihm instinktiv als Erziehungskunst

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liebenswürdig wirkte, so daß er es auf andere hätte übertragen können. Daher wird die Liebe, die Pestalozzi entgegen­gebracht wird, eigentlich mehr darauf beruhen, daß aus allen seinen Schriften eben diese liebenswürdige Persönlichkeit spricht, und das, was man da fühlt, indem man diese Schriften liest, das löst aus dem Inneren des Menschen manche Erziehungsimpulse heraus, während - ich brauche nur etwa zu erinnern an die Anweisungen, die Pestalozzi gibt, man müsse schon ganz kleinen Kindern in einer ganz und gar nicht naturgemäßen Weise die Teile des menschlichen Leibes beibringen -, wenn man auf das sieht, was Formulierungen Pestalozzis sind in seiner Erziehungskunst, so muß man sagen: das ist nicht geeignet, anregend zu wirken auf andere Erzieher.

Aber etwas anderes zeigt sich in ganz eklatanter Weise. Es kann durchaus sein, daß Pestalozzi auch so verfahren ist mit kleinen Kindern, wie er es beschreibt, und großartige Erfolge hatte; wäh­rend ein anderer - sogar ein unmittelbarer Schüler Pestalozzis, wir können das nachweisen, daß es so war -, der dieselben Anweisun­gen befolgte, nun ganz und gar nichts erreichte. Da stand eben dann nicht die bedeutsame Persönlichkeit Pestalozzis dahinter.-Auf all das Inhaltliche kommt es im Grunde genommen bei einer solchen Pädagogik, die darauf hinarbeitet, Erziehungskunst zu werden, gar nicht an. Bei der Pädagogik, die im Waldorfschul-Unterricht gepflegt wird, handelt es sich eigentlich darum, daß -unter Umständen sogar, wenn der Inhalt dessen, was beigebracht wird, aus falschen Voraussetzungen heraus ist, es braucht nicht so sein, aber es kann so sein - dennoch durch das Wie der Erziehungs-kunst in einer entsprechenden Weise auf das Kind gewirkt werden kann. Man möchte sagen, es kommt in der Waldorfschulpädagogik uberhaupt nicht so sehr auf das Inhaltliche des Unterrichtes an als auf die Handhabung des Unterrichtes, und das rührt davon her, daß Geisteswissenschaft eben im Grunde genommen nicht etwas ist, was bloß eine inhaltliche Weltanschauung geben will - das ist im Grunde genommen sogar nicht das Allerbedeutsamste -, son­dern Geisteswissenschaft besteht im wesentlichen darin, daß sie ein Lebendiges als Weltanschauung gibt, daß sie dasjenige, was sie als

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Weltanschauung gibt, wirklich erleben läßt. Daher wird Geistes­wissenschaft eigentlich so schlecht verstanden. Denn sehen Sie, im Sinne unserer Geisteswissenschaft hier - und ich sage das gerade im Hinblick auf Geisteswissenschaft als Grundlage einer pädagogi­schen Kunst - ist es gewiß ein Irrtum, wenn einer reiner Materialist ist, wenn einer materialistische Theorien hat; aber man kann mate­rialistische Theorien doch auch sehr geistreich formulieren. Man kann Geist haben und Materialist sein. Und man kann umgekehrt auch Spiritualist, Theosoph, Anthroposoph sein, die Theorien aus Spiritualismus, Theosophie oder Anthroposophie am Finger her-zahlen können und dabei furchtbar geistlos sein. Dann handelt es sich darum, daß im Sinne einer wirklichen Anthroposophie der Geist des Materialismus, der aber eben waltet, höher geschätzt werden muß als die Geistlosigkeit des Anthroposophen, die alles mögliche schematisch hererzählt, was Theorie oder unlebendige Lebensanschauung ist. So daß man sagen kann: Auf das wirkliche Leben des Geistes geht Anthroposophie hin. Und dieses wirkliche Leben des Geistes, das geht wirklich auch in den ganzen Menschen über. Der Geist soll gewissermaßen hereingebannt werden in das­jenige, was der Mensch tut. Und das ist es, was aus der Geistes­wissenschaft heraus den Lehrer bis in die Fingerspitzen hinein, wenn ich mich radikal aussprechen darf, geschickt macht im Hand­haben des Erziehungswesens, was es ihm möglich macht, das Erziehungswesen zur Kunst wirklich umzubilden.

Das ist dasjenige, was Rudolf Meyer in so schöner Weise in seinem Vortrag dargestellt hat und woran er den Intellektualismus Herbarts gemessen hat, der eine so große Rolle gespielt hat in der Pädagogik, die wir hoffentlich recht bald hinter uns haben werden, die wir sehr bald durch eine andere ersetzt haben werden.

Es ist Ihnen heute auch in sehr schöner Weise dargelegt worden, wie durch Vererbungsverhältnisse Herbart gerade zu seinen An­schauungen hat kommen können. Allein es kommt dabei in der Beurteilung Herbarts noch auf etwas anderes an, nämlich darauf, wie die Selektion gewirkt hat. Denn das kulturhistorisch wichtige Phänomen ist das, daß man hinsieht auf diesen Herbart, der also

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rein intellektualistisch war, der aber eine umfassende pädagogische Schule begründet hat, die dann auf das pädagogische Wirken einen ungeheuren Einfluß gehabt hat. Man muß sagen: Daß aus dem Umfange der Philosophen und sonstigen Weltanschauungsdenker durch das Schicksal Mitteleuropas gerade dieser Intellektualist Herbart als pädagogischer Impulsgeber herausgewählt wurde, dies ist eben doch zurückzuführen auf den ganz intellektualistischen Hang, den das Geistesleben des 19. Jahrhunderts genommen hat.

Besonders anschaulich kann man sich das bei Herbart auch noch durch das Folgende machen: Man könnte zum Beispiel darauf hin­weisen - das hat Rudolf Meyer sehr schön dargestellt, man kann es auch noch mit anderen Persönlichkeiten tun -, daß ja auch Schillers «Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen» eine Art pädagogischer Impuls sind. Schiller - der so großartig darstellt, wie der Mensch auf der einen Seite nach dem Intellektualismus hin-neigt, wie er auf der anderen Seite hinneigt nach den bloßen sinn­lich-physischen Instinkten - weist darauf hin, wie der Mensch in der Logik, im Intellektuellen also, der Vernunftnotwendigkeit folgt, wie er auf der anderen Seite im gewöhnlichen Leben der sinnlichen Notdurft folgt. Und dann stellt Schiller das Schöne hin, das zwischen beiden der Ausgleich ist, den man dadurch erlangt, daß man in die Lage kommt, das Geistige nicht bloß logisch im Intellekt zu verfolgen, sondern es schon in der sinnlichen Anschau­ung zu haben, so daß man auch das Angenehme als durchaus schön empfinden darf. Auf der anderen Seite fordert er, daß man dasjeni­ge, was man sinnlich erlebt, schon durchgeistigt habe, so daß es hinaufgeführt wird, daß man es als Geistiges erlebt. Schiller will also eigentlich im Schönen einen Ausgleich schaffen zwischen dem Intellektualistischen und zwischen dem Sinnlich-Anschaulichen oder instinktiven Wollen. Und er will im Grunde genommen das ganze Leben mit demjenigen durchdringen, was aus den Menschen hervorgeht, wenn sie für einen solchen Ausgleich erzogen werden. Da sehen wir gerade bei Schiller, wie er vom Geiste her den Men­schen zum Tun bringen will, wie er hinwirkt auf diesen Ausgleich zwischen Intellektualismus und zwischen dem Instinktiven, also

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dem dumpf-willensmäßigen Elemente, das aber durchgeistigt werden soll, wie er darauf hinweist, daß der ganze Mensch in die Welt hineingestellt werden soll.

Dem steht dann gegenüber der Herbartianismus - ja, man kann schon ein Lied davon erzählen, wenn man den Herbartianismus so stark erlebt hat, wie das bei den Menschen der Fall ist, die noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Jugend in Österreich verlebt haben, wo der Herbartianismus als Philosophie von allen Lehrkanzeln herunter verkündet worden ist. Erst Brentano hat ja dahinein eine Änderung gebracht, aber es blieb ein Einzelnes. Der Herbartianismus wurde weiter verkündet bis in die Jahrhundert­wende, oder wenigstens bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahr­hunderts, und alles, was auf pädagogischem Felde geleistet wurde, das ruht, wie Sie sehen, auf herbartianischer Grundlage.

Einer dieser «Herbartianer» war Robert Zimmermann, ein sehr geistvoller Mann, ein bedeutender Mann und auch eine sittlich hochstehende Persönlichkeit; aber er war durch und durch Herbar­tianer. Und er hat eine «Philosophische Propädeutik» geschrieben für die Gymnasiasten. Diese «Philosophische Propädeutik» enthielt auch eine Psychologie. In dieser Psychologie findet sich - ungefähr

- der folgende Satz: Der Mensch erlebt ja den Hunger oder die Sättigung durch die Speise nicht durch etwas anderes als durch die Vorstellungen, die er sich davon macht. - So daß da ziemlich breit auseinandergesetzt wird, es käme gar nicht an auf den ja ohnedies hinter dem Phänomen liegenden realen Prozeß, wie der Hunger in die Sättigung übergeführt wird, sondern es käme darauf an - und jetzt zitiere ich fast wörtlich - daß, wenn man in einem bestimmten Momente des Tages die Vorstellung des Hungers habe, diese Vor­stellung des Hungers durch die entgegengesetzte der Sättigung unter die Schwelle des Bewußtseins hinuntergedrängt würde.

Dieser Ersatz der Ernährung durch den rein intellektuellen Vorgang, das ist ja etwas, was tatsächlich in die Gymnasiallehrer-Bücher der Psychologie hineingekommen ist, und man kann sich denken, wie die Gemüter derjenigen gefärbt werden mußten, die eine solche Psychologie aufnahmen, ohne daß sie es wußten.

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Aber ich möchte noch auf etwas anderes aufmerksam machen. Ganz kurz will ich berühren, wie die Herbartsche Ästhetik im Ge­gensatze steht zu im Grunde genommen allen anderen ästhetischen Weltanschauungen, die innerhalb Mitteleuropas aufgetreten sind. Wenn man von Ästhetik redet, dann kommt es darauf an, daß man von dem redet - ich will es jetzt im allgemeinen sagen -, was als das Schöne zu einem spricht oder was als das Häßliche einen abstößt, daß man also im wesentlichen auf dem Gebiete des Geschmacks­urteiles stehen bleibt. Dann unterscheidet man von dieser Ästhetik

- und das ist es, was die Ästhetik ja sonst von den Ethiken unter­scheidet, die innerhalb Mitteleuropas sich finden - dasjenige, was als Wille die sittliche Handlung impulsiert oder was im Willen krank ist bei der unsittlichen Handlung. Was nun die anderen Menschen Mitteleuropas als Ästhetik ausbildeten, was sie heraus-suchten aus dem unmittelbaren Impulse des Willens, das existiert für Herbarts philosophische Betrachtungen nicht. Denn die Ethik ist nur ein Spezialkapitel der Ästhetik. Und geradeso, wie in der Kunst der Einklang, wenn zum Beispiel zwei Gebilde irgend etwas miteinander gleich haben, das Zusammenfassende, das Harmoni­sche ist, so ist das für Herbart so in bezug auf das sittliche Urteil. Er redet von fünf Formen: das Verhältnis von Handlung zu Hand­lung oder Handlung zum Gedanken und dergleichen, und er sagt:

eine starke Handlung gefällt neben einer schwachen. Er sieht auf den ästhetischen Eindruck, nicht auf den Willensimpuls, gibt sei­nem Gefallen-Urteil den Ausdruck «Vollkommenheit». So daß also bei der Vollkommenheit nicht das Willenselement als Willensim­puls wirksam auftritt in der menschlichen Wesenheit, sondern daß er sagt: Wenn ich einmal eben stärker will und das andere Mal schwächer, so gewinne ich den ästhetischen Eindruck, daß das Starke besser gefällt als das Schwache. Daher ist es vorherrschend.

Sehen Sie, es wird dasjenige, was ein mächtiger Antrieb sein sollte, in ein Gefallens oder Mißfallens-Urteil zurückverlegt. Sie haben dann wieder die Idee des Wollens, der sittlichen Freiheit, des Rechtes und der Vergeltung. Diese fünf ethischen Ideen werden also von Herbart betrachtet, nicht indem sie aus der Natur des

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Willens, des Ethos herausgeholt werden, sondern indem man ge­wissermaßen acht gibt, wie das Handeln des Menschen gefällt oder mißfällt, wenn es angeschaut wird. Also Sie haben hier selbst die Ethik, die im wesentlichen aus dem Willen heraus entspringen soll­te auf dem Wege zum Intellektuellen wenigstens hinzuleiten. Ich sagte, man müsse auf die Selektion schauen, warum gerade Herbart von dem Schicksal Mitteleuropas heraus erwählt wurde. Das be­ruht darauf, daß eben das Zeitalter als solches durch den Intellek­tualismus durchgehen mußte, daß das Zeitalter als solches den Intellektualismus forderte.

Nun, wir haben ja in der Tat durch den Intellektualismus man­ches gewonnen. An Herbarts Wirken zeigen sich manche Schatten­seiten und manche Lichtseiten dieses Intellektualismus. Sie sehen -das hat ja gerade vorhin Rudolf Meyer bemerkt -, in die Volks­schul-Pädagogik ist ja Herbart immerhin nur auf Umwegen etwas hineingekommen, nicht gerade ganz direkt, [sondern] auf Umwe­gen; aber umso mehr in die Gymnasial-Pädagogik. Nur daß es in der Tat da auch beim Intellektuellen geblieben ist und zu keiner rechten Erziehungskunst, überhaupt zu keinem richtigen Betreiben der Pädagogik gekommen ist. Denn was war schließlich diese Gymnasial-Pädagogik? Sie wissen ja, in der Regel hat sie der Phi­losoph an der philosophischen Fakultät im Nebenfach, nicht ge­rade aus großer Sympathie, betreiben müssen. Und ausgeübt - nun, davon wollen wir lieber gar nicht reden, wie Pädagogik an den Gymnasien ausgeübt worden ist. Man konnte eben nicht dasjenige, was aus bloßen intellektuellen Quellen schöpft, mit hineinbringen in die wirkliche Erziehungskunst. Aber auf der anderen Seite darf man auch das nicht vergessen, nicht übersehen, daß Herbart, der so breit gewirkt hat, der so weite Verbreitung gefunden hat, doch ungeheuer disziplinierend auf das Denken wirkte, daß das innere Weben in Gedanken nicht der reinen Willkür, sondern gewissen, zugrundeliegenden Gesetzen zu folgen hat, was ja auch richtig ist. Und in dieser Beziehung ist es nicht gerade besser geworden, als der Herbartianismus - es war erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts

- dann allmählich mehr oder weniger zurückging; sondern im

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Gegenteil, man muß sagen, es lag etwas Disziplinierendes in Her­barts Philosophie, etwas, was immerhin - wenn es auch leicht die Gedanken in einen noch größeren Pedantismus hineinbrachte -doch wiederum diesen Pedantismus einem nicht so unerträglich macht, als wenn der Pedantismus noch dazu ohne innerliche Ge­setzmäßigkeit des Denkens verläuft. Im Ganzen muß man sagen, daß aus jenem Drang der Menschheit im 19. Jahrhundert es dahin gekommen ist, das Denken innerlich zu disziplinieren, was ja auch dann in der Naturwissenschaft bis in die jüngste Zeit hineingewirkt hat und was eine gewisse Bedeutung hat. Man muß sagen, daß in dieser Beziehung Herbart durchaus disziplinierend gewirkt hat.

Aber heute stehen wir vor einer Weltenforderung, der gegen­über wir sagen mussen: Mit einem solchen Intellektualismus kom­men wir nicht weiter. Wir dürfen nicht mehr gewissermaßen die Vorstellung des Hungers und der Sättigung - scheinbar kann es ja nur sein - an die Stelle des realen Prozesses setzen und uns ganz und gar dadurch in unseren Kopf wie in eine Festung verschanzen. Wir müssen durch das, was wir treiben, den ganzen Menschen erfassen. Bei dem, was hier auseinandergesetzt wurde über den Intellektualismus Herbarts, hatte ich immer im Gefühl, wie eigent­lich das ganze 19. Jahrhundert insbesondere für Mitteleuropa im Zeichen des Intellektualismus verlaufen ist. Und mir trat das ein­mal vor vielen Jahren ganz lebhaft entgegen. Da hatte ich einmal ein Gespräch mit dem längst verstorbenen österreichischen Dichter Hermann Rollett. Er war eine merkwürdige Persönlichkeit. Er stand ganz drinnen im Intellektualismus. Er konnte sich die Welt nicht anders denken. Er sagte, alles andere sei eben doch nicht ordentlich, hätte keine Denkdisziplin, man musse intellektua­listisch denken, atomistisch denken und so weiter. Aber dabei war er furchtbar pessimistisch, und mir sagte er einmal: Da haben wir für unsere Entwicklung als Zivilisation, als zivilisierte Erdenmen­schen in Aussicht für uns, schließlich an allen unseren Gliedern zu verkümmern und nur noch Kopf zu sein, Kugel zu sein! Dieses war die Welt Rolletts, es war das, was ihn dazu führte, an dem Fortschritt der Menschheit zu verzweifeln, weil er glaubte, daß die

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Glieder immer mehr und mehr verkümmerten, der Mensch nur noch als Kopfkugel fortrollen werde und man da so kleine Stück­chen herausstehen haben werde von Armen und Füßen. Das malte er als Bild lebendig hin.

Aber es ist schon notwendig, daß wenigstens in geistig-seeli­scher Beziehung alles getan werde von jetzt ab, um zu verhindern, daß der Mensch als ein bloßer Kopfmensch sich dereinst entwickle. Es muß so aufgefaßt werden, daß man ihm vom Geist nicht nur redet, sondern daß er hereingebannt werde in das menschliche Leben. Wenn aber der Geist den ganzen Menschen so ergreift, daß dieser ganze Mensch auch noch in das soziale Dasein den Geist ausstrahlt, so ist es dies, was die Zeit mit aller Energie von uns fordert und dem wir nachkommen müssen: Die Bildung des Men­schen nicht bloß als Kopfmenschen und zu irgend einer Einseitig­keit hin, sondern die Bildung des ganzen Menschen durch die Geisteswissenschaft.

ANTHROPOSOPHIE UND PÄDAGOGISCHE KUNST Olten, 29. Dezember 1920

#G297-1989-SE240 Idee und Praxis der Waldorfschule

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ANTHROPOSOPHIE UND PÄDAGOGISCHE KUNST

Olten, 29. Dezember 1920

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Im Herbste dieses Jahres, September und Oktober, haben wir im Goetheanum in Dornach Hochschulkurse abgehalten, in denen versucht worden ist, den anthroposophischen Gesichtspunkt so­wohl in die verschiedensten Wissenschaften wie auch in die ver­schiedensten Gebiete des praktischen Lebens hineinzutragen. Es sollte gerade bei diesen Hochschulkursen nicht etwa bloß Anthroposophie als solche verhandelt werden, sondern es waren zusammengekommen Fachleute aus den verschiedensten Wissen­schaften, Künstler und auch Praktiker des Lebens, Praktiker des kommerziellen Lebens, des industriellen Lebens, und es handelte sich gerade darum, daß diese zeigen sollten, wie sich der anthropo­sophische Gesichtspunkt, die anthroposophische Art, Leben und Welt zu untersuchen, verwenden lassen, um die verschiedensten wissenschaftlichen und praktischen Gebiete des Lebens zu be­fruchten.

Sie wissen ja, daß der Wissenschaftler - trotz der gerade von der Geisteswissenschaft voll anerkannten großen Triumphe insbesonde­re auf dem Gebiete der Naturwissenschaft - heute überall an gewisse Grenzen kommt, wo Fragen vorliegen, die mit denjenigen Metho­den, mit denjenigen Anschauungsmitteln, welche die offizielle Wis­senschaft heute anerkennt, sich durchaus nicht beantworten lassen. Man kommt dann wohl darauf, zu sagen: Nun, da lägen ja unüber­steigliche Grenzen für das menschliche Erkenntnisvermögen, für die menschliche Erkenntniskraft vor und der Mensch könne eben ein­fach nicht diese Grenzen überschreiten. Anthroposophische Gei­steswissenschaft soll gerade zeigen, wie die Forschungsmethoden, die Denk- und Anschauungsweise, welche die mehr materialistisch gerichtete Wissenschafts- und Lebensgesinnung der neueren Zeit heraufgebracht haben, befruchtet werden können dann, wenn man zu einer ganz andern Art des Erkennens, zu einer ganz andern Art der Anschauungsweise übergeht.

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Und hier berühre ich gleich einleitend den Punkt, welcher der Anthroposophie als solcher in der Gegenwart noch die meisten Gegner, ja Feinde einträgt. Die Gegnerschaft gegen Anthroposo­phie ist ja nicht so sehr heraus entspringend aus gewissen logischen Untergründen oder aus wissenschaftlichen, gut geprüften Einwän­den, sondern diese Gegnerschaft kommt von einer Seite her, die vor kurzem - es erscheinen ja jetzt schon ganze Bücher, fast jede Woche eines, zur Widerlegung der Anthroposophie - ein Lizentiat der Theologie in der folgenden Art bezeichnet hat: Er sagte, die Anthroposophie mache einen ärgerlich, sie sei unleidlich und aufregend. - Also nicht aus logischen Untergründen heraus erhebt sich ein gewisser Antagonismus, sondern, man möchte sagen aus dem Gefühle heraus. Und das rührt davon her, daß An­throposophie nicht einfach hinnimmt die Erkenntnis, wie sie die Menschheit bis heute ausgebildet hat, die einfach so aufgebaut wird, daß man sagt: Der Mensch hat gewisse Fähigkeiten für sein Erkennen geerbt; die bringt er allmählich durch seine natürliche Entwicklung zum Vorscheine; durch die gewöhnliche Erziehung wird er dann weiter ausgebildet zu einem nützlichen Gliede der menschlichen Gesellschaft - und so weiter, und so weiter. Mit dem, was man auf der einen Seite sich aneignet, tritt man nun auch heran an die Erkenntnis selber, an das wissenschaftliche Leben. Man ver­sucht dann verschiedene Methoden auszubilden: Beobachtungsme­thoden, Experimentiermethoden, logische Methoden und so wei­ter. Aber wenn man diese ganze Methodik heutiger Wissenschaft­lichkeit überblickt, so geht sie doch davon aus, daß man einmal eben im Normalen etwas erreicht hat an Erkenntniskraft, und dar­über wird nicht hinausgegangen. Bewaffnet man sich noch so sehr mit dem Mikroskop, mit dem Teleskop, mit dem Röntgenapparat und so weiter - man geht nicht hinaus über eine gewisse Stufe des Erkenntnisvermögens, das man heute als das durchschnittlich menschliche einmal anschaut. Man dringt weiter im wissenschaft­lichen Leben, indem man in komplizierter Weise oder aber ins Ge­naue hinein diese gewöhnliche Erkenntnismethode ausbildet, aber man denkt vor allen Dingen nicht an dasjenige, woran zuallererst

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die Anthroposophie denkt. Sie geht aus von dem, was ich nennen möchte «intellektuelle Bescheidenheit». Und da wird sie eben auf­reizend für die Menschen der Gegenwart, die sich gewissermaßen so etwas von vornherein überhaupt nicht sagen lassen wollen. Aber man kann doch nicht anders, als eben die Tatsachen ungeschminkt hinstellen.

Sehen Sie, wenn ein fünfjähriges Kind einen Band Goethescher Gedichte in die Hand bekommt, so wird es mit diesem Band Goe­thescher Gedichte vielleicht nichts anderes anzufangen wissen, als ihn zu zerreißen. Wenn das Kind zehn Jahre älter geworden ist, wird es ganz etwas anderes machen mit dem Band Goethescher Gedichte. Es wird eindringen in das, was auf dem einzelnen Blatt steht. Es ist etwas herangewachsen mit dem Kinde. Das Kind ist reifer geworden. Das Kind hat aus seinem Untergrund etwas her-ausgeholt, was vor zehn Jahren bei ihm nicht da war. Es hat sich ein realer, nicht bloß ein logischer Prozeß vollzogen. Das Kind ist gewissermaßen ein anderes Wesen geworden.

Intellektuelle Bescheidenheit, sagte ich, muß derjenige haben, der Geistesforscher im anthroposophischen Sinne werden will. Er muß sich sagen können in einem gewissen Momente seines Lebens:

Gerade so, wie ein realer Prozeß vorgeht mit dem Kinde zwischen dem fünften und fünfzehnten Jahre, wie tatsächlich Kräfte der Seele, die sich früher nicht geoffenbart haben, nach zehn Jahren zum Vorschein kommen, so kann man dasjenige, was das Er­kenntnisvermögen, was die Seelenkräfte überhaupt im gewöhn­lichen Leben sind, weiter ausbilden. Man kann weggehen von dem­jenigen wissenschaftlichen Standpunkte, den man einmal als den normalen annimmt; man kann einen realen Prozeß in seinem Er­kennen durchmachen. Man kann auch dasjenige, was die meisten Menschen heute schon als ein Ende des Erkenntnisvermögens betrachten und in der Wissenschaft höchstens logisch weiter ausbilden oder durch Versuchsanordnungen ausbilden - man kann das noch weiter ausbilden, indem man aus dem Innern der Seele weitere Kräfte hervorholt. Und auf diesem Hervorholen von in der Seele schlummernden Kräften beruht die anthroposophische

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Methode. Sie beruht darauf - ich will gleich ganz im Konkreten charakterisieren -, daß man dasjenige, was sonst als Denken vor­liegt bloß in Anlehnung an die Außenwelt, daß man das vollständig dem Willen unterordnet.

Wie denken wir denn eigentlich im gewöhnlichen Leben? Wie denken wir in der Wissenschaft? Wir denken in der Wissenschaft so, daß wir uns der Außenwelt oder den Erlebnissen überlassen. Wir denken gewissermaßen fort den Faden der Erlebnisse oder der Erscheinungen. Wir wenden zwar in einem gewissen Grade den Willen auf das Denken an, im Urteil, im Schlüsseziehen; aber ganz anderes entsteht noch, wenn dasjenige, was sonst nur unwillkürlich als Gedanke logisch im Menschen lebt, wenn das ganz und gar -wenn ich mich des Vergleiches bedienen darf - vom Menschen innerlich in Selbsterziehung in die Hand genommen wird.

Wenn der Mensch jahrelang Übungen dahingehend macht, daß er leicht überschaubare Vorstellungen in sein Bewußtsein herein-setzt, daß er also ganz und gar durch seinen Willen, nicht durch Anregungen der Außenwelt, gewisse - ich sage ausdrücklich leicht überschaubare - Vorstellungen in den Mittelpunkt seines Bewußt­seins bringt, und dann wiederum mit Aufwendung seines vollen Willens auf solchem inneren Vorstellen ruht, innerlich ruht, die Aufmerksamkeit von allem übrigen ablenkt und innerlich ruht auf einem Vorstellungskomplex, den er selber in den Mittelpunkt sei­nes Bewußtseins gestellt hat, kann er auf eine solche Weise in an­derer Art die Seelenkräfte üben, als man das im gewöhnlichen Leben und auch in der Wissenschaft tut. Und geradeso, wie ein Muskel eine gewisse Kraft erhält, wenn er geübt wird, so erhalten die Seelenkräfte durch Übung eine bestimmte Kraft. Sie werden nach einer ganz bestimmten Richtung ausgebildet, wenn man diese inneren Methoden, diese intimen Seelenmethoden, die ich geschil­dert habe, auf sich als Geistesforscher anwendet. Ich habe die Methoden ausführlich in meinem Buche «Wie erlangt man Er­kenntnisse der höheren Welten?», in meiner «Geheimwissenschaft» und in anderen Büchern geschildert; da kann man dasjenige in allen Einzelheiten nachlesen, was ich jetzt nur dem Prinzip nach charakterisieren

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will. Ich habe dasjenige, was da die Seele mit sich vornimmt, was eine innerliche, intime geisteswissenschaftliche Methode ist, Meditieren und Konzentrieren genannt. Aber ich be­merke ausdrücklich: diese Dinge lassen sich nicht in kurzer Zeit abmachen, sondern es handelt sich durchaus darum - allerdings, je nachdem der eine so oder so veranlagt ist, geht es kürzer oder länger -, aber im allgemeinen handelt es sich darum, daß die gei­steswissenschaftliche Forschung nicht weniger Zeit in Anspruch nimmt, als etwa die Forschungen in Kliniken, in chemischen La­boratorien oder auf der Sternwarte. Wie man dort in jahrelangen Übungen die Methoden sich aneignen muß, so muß man, und zwar mit einer starken inneren Konzentrationskraft, größerer Gewissen­haftigkeit noch, die Seelenfähigkeiten, die sonst im Menschen schlummern, aus der Seele selbst herausholen.

Und dann, wenn man solche Methoden auf die Seele anwendet, erweitert sich das Erkenntnisvermögen. Dann kommt man aller­dings dazu, zu sehen, wie der Mensch noch ganz anderes erkennen kann, als er erkennen kann durch seine sinnlichen Augen und durch die Kombination der Erscheinungen, die die sinnlichen Au­gen oder überhaupt die Sinne darbieten.

Das ist der eine Weg. Er geht über die Konzentration, über das Vorstellungsvermögen, und man gelangt dadurch zu innerem An­schauen, zu dem, was ich in meinem Buche «Von Seelenrätseln» genannt habe das Schauungsvermögen des Menschen, das schauen­de Erkennen.

Man kann auch nach einer andern Weise die Seelenkräfte ausbil­den, ja man muß es sogar, wenn man wirklich zu etwas kommen will. Man muß außerdem ausbilden dasjenige, was Sie alle gut ken­nen in seiner einfachsten Erscheinung: die Aufmerksamkeit. Wir verhalten uns zum Außenleben und zu den inneren Erscheinungen nicht bloß so, daß wir uns ihnen ganz passiv überlassen, sondern wir richten unsere Merkkraft, unsere Aufmerksamkeit auf irgend etwas, was wir besonders, ich möchte sagen herausschneiden aus unserer Umgebung. Auch indem wir wissenschaftlich forschen, mussen wir irgend etwas besonders in den Mittelpunkt unserer

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Untersuchungen rücken und die andern Dinge daran anknüpfen. Dann, wenn man wiederum durch inneren Willen, durch Aufwen­dung der aktivsten Seelenkräfte dieses Aufmerksamwerden ausbil­det, wenn man geradezu solche Übungen macht, daß man jene Kraft, von der man merkt, man wendet sie an bei dem Aufmerk­samwerden auf irgend etwas, wenn man diese Hinlenkekraft, dieses Sichzusammennehmen im Seelenleben, um sich zu konzentrieren auf irgend etwas aus dem Leben Herausgeschnittenes, wenn man dieses immer wieder und wiederum übt, dann macht man eine merkwürdige Entdeckung. Dann macht man die Entdeckung, daß man allmählich diejenige Seelenkraft immer mehr ausbildet, welche uns sonst nur in dem entgegentritt, was wir das Interesse an der Umwelt nennen. Wir wenden dem einen Gegenstand mehr, dem anderen weniger Interesse zu. Da zeigt sich eine Stufenfolge in unserem Seelenverhalten zur Innenwelt. Dieses Interesse wird von einer ungeheuren Lebhaftigkeit; es wird zu einer solchen Lebhaf­tigkeit, daß man wirklich sagen kann: es wird zu etwas ganz ande­rem, als es im gewöhnlichen Leben und in der Wissenschaft ist. Es wird zu dem, was man nennen kann: man fühlt sich eins werden mit den Dingen. Die Seelenkräfte durchziehen sich allmählich mit dem Wesen der Dinge. - Und dieses Erleben einer erhöhten Inter­essekraft geht noch weiter. Das geht jetzt bis zum Ausbilden einer besonderen Kraft, die sonst nur auf einem anderen Gebiete des Lebens zur Geltung gebracht wird, die aber durch anthroposophi­sche Geisteswissenschaft eine Erkenntniskraft wird.

Wir sind wiederum an einem Punkte, wo man in ganz begreif­licher Weise gegenüber den Anschauungen der heutigen Zeit ein­fach für einen Dilettanten oder für einen Phantasten gehalten wird, wenn man die Dinge, die einfach Realität innerhalb der Anthropo­sophie sind und sich als solche zeigen, ausspricht. Dasjenige, was zunächst an sich Aufmerksamkeit ist, es verwandelt sich in diejeni­ge Interessekraft, womit man so deutlich erlebt, wie der ganze Mensch aus der Welt herauszuholen ist; wie man nicht erst nachzuweisen hat und Hypothesen aufzustellen hat, ob dem Rot diese oder jene Wellenschwingungen, dem Blau diese oder jene

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Schwingungen zugrunde liegen, sondern wo man zusammenwächst mit dem Rot und Blau; wo das weiter ausgebildet ist, was Goethe so geistvoll ausgebildet hat in dem Kapitel «Sinnlich-sittliche Wir­kung der Farbe» in seiner Farbenlehre, wo wirklich der Mensch gewissermaßen sein Seelenleben hinausfließen fühlt in die Welt, so daß sein Erkenntnisvermögen wie ein Hinausfließen seines Seelen­lebens in die Welterscheinungen wird. Und es verwandelt sich sei­ne Erkenntniskraft eben in dasjenige, was wir sonst im Leben die Liebe nennen. Die Liebe, durch die wir eins werden mit einem andern Wesen, sie ist im gewöhnlichen Leben, ich möchte sagen nur in ihrem Anfang vorhanden; durch die angedeuteten Seelen-übungen wird sie eine solche Seelenkraft, die sich erkennend in der ganzen Umwelt ergeht.

Und so kann man sagen - ich kann das alles nur andeuten, in meinen Büchern ist es ausführlicher dargestellt -: Indem man auf der einen Seite die Vorstellungskraft ausbildet, auf der andern Seite die dem Willensleben zugrundeliegende Kraft der Aufmerksam­keit, Kraft des Interesses, Kraft der Liebe, entwickeln sich neue Erkenntniskräfte, und der Mensch erlebt eine Erweiterung seines Erkennens. Was sonst Grenze des Erkennens genannt wird und was vielfach gerade von Forschern der Gegenwart als unübersteig­bar bezeichnet wird, das kann nur überschritten werden durch eine Ausbildung der inneren Seelenkräfte - nicht durch die Bewaffnung des Auges mit dem Mikroskop und Teleskop oder mit dem Rönt­genapparat, sondern nur durch die Ausbildung des menschlichen Innern selber, indem man jene Erkenntniskraft entwickelt, welche uns hinausbringt über das Sinnliche und die Kombination des Sinn­lichen durch den Verstand. Dasjenige, was nun dem Menschen sich offenbart, das ist nicht eine zweite Auflage der Sinneswelt etwa -das ist die wirkliche geistige Welt. Und indem der Mensch auf diese Weise erweckt, was als geistiges Leben übersinnlich in ihm arbeitet

- denn das wird erweckt durch diese zwei Kräfte, die ich genannt habe -, indem der Mensch das in sich erweckt und zur wirklichen Exaktheit bringt, wie sonst nur die Mathematik zur Exaktheit kommt, wird er nicht durch Spekulation über Atome und Molekü­le,

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sondern durch das unmittelbare Erleben und Schauen über das­jenige, was die Sinne darbieten, über die sinnliche Welt hinaus-geführt. Und der Mensch lernt dasjenige erkennen, was als über­sinnliche Welt ihm geradeso zugrundeliegt, wie sein sinnlicher Leib ihm als Sinnliches zugrundeliegt. Der Mensch lernt die geistige Welt kennen.

Jene anthroposophische Geisteswissenschaft, die vom Goethea­num in Dornach ausgeht, sie ist nicht zu verwechseln mit dem, was heute vielfach den Geist untersuchen will in Nachahmung derjeni­gen Methoden, die sonst Labor-Methoden sind. Da gibt es gewisse Leute - Sie brauchen nur an den Spiritismus zu denken -, die glau­ben heute, durch äußerliche Verrichtungen, durch äußerliche Expe­rimente tiefer in das Wesen der Dinge einzudringen; sie möchten das Übersinnliche durch sinnliche Forschung erkennen. Das ist ja gerade das Wesentliche, daß das Übersinnliche nur mit übersinn­lichen Kräften erkannt werden kann. Und indem diese übersinn­lichen Kräfte zunächst im Menschen schlummern - weil er so, wie er einmal zwischen Geburt und Tod beschaffen ist, zunächst für die sinnliche Welt tüchtig werden soll -, muß er dasjenige durch die Entwicklung übersinnlicher Kräfte kennenlernen, was über Tod und Geburt hinausgeht, was ihm angehörte, schon bevor er durch die Geburt in dieses Dasein geschritten ist, was er behält, wenn er durch die Pforte des Todes geht.

Ich will nur kurz erwähnen, wie tatsächlich dadurch, daß der Mensch zu diesem übersinnlichen Erkenntnisvermögen vordringt, Gebiete erschlossen werden, die auf eine andere Weise nicht er­schlossen werden können, nämlich eben dasjenige, was über die Geburt und über den Tod hinaus ist. Heute ist es fast lediglich dem Glauben der Bekenntnisse überlassen, den Menschen irgend etwas beizubringen von dem, was über den Tod hinaus ist. Aber schon unsere Sprache bezeugt uns, daß wir in dieser Beziehung eigentlich wesentlich einseitig vorgehen. Wir haben das Wort «Unsterblich­keit». Es stammt allerdings nicht aus Wissen, es stammt aus Glau­ben. Aber diese Unsterblichkeit, sie will ja nur sprechen von dem Leben, das über den Tod hinaus ist. Geisteswissenschaft zeigt

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dadurch, daß sie die übersinnlichen Welten erschließt, wie der Mensch auch vor der Geburt, oder sagen wir vor der Empfängnis, in der geistigen Welt da war. Und daß wir das Wort «Ungeboren­heit» nicht haben, das bezeugt, daß wir eben in der Gegenwart eine wirkliche Geisteswissenschaft nicht anerkannt haben. Sobald der Mensch durch Wissen, nicht bloß durch Glauben in die über­sinnliche Welt eindringt, eröffnet sich ihm nicht nur die Aussicht nach dem Unsterblichen seines Wesens, sondern auch nach dem Ungeborenen seines Wesens.

Das alles kann ich nur kurz andeuten, denn meine Aufgabe ist es heute, zu zeigen, wie diese antliroposophische Geisteswis­senschaft - die durchaus nachgebildet sein soll einer sehr exakten Wissenschaft, die aber auch ganz aus dem menschlichen Inneren herausgeholt ist: der Mathematik - tatsächlich erkennend in das geistig-übersinnliche Leben hineinführen kann. Die Mathematik, wir schöpfen sie aus dem Innern, und wenn einer den pythago­reischen Lehrsatz kennt, dann könnten Tausende, Millionen von Menschen kommen und könnten ihn leugnen - er wüßte einfach dadurch, daß er diesen Inhalt im Bewußtsein hat, die Wahrheit des mathematischen Gebietes. Ebenso ist es mit den inneren Erlebnissen des Übersinnlichen, wie sie durch die Geisteswis­senschaft zutage treten. Diese Geisteswissenschaft ist heute schon in vielen Einzelheiten ausgebildet, und sie kann - wie ich einleitend angedeutet habe - befruchtend wirken sowohl auf die einzelnen Wissenschaften wie auch auf das praktische Leben. Ich habe - obwohl diese Geisteswissenschaft im Medizinisch-Thera­peutischen zum Beispiel jetzt schon eifrig forscht - selber im Frühling dieses Jahres in Dornach einen Kursus abgehalten für Ärzte und Medizinstudierende, in dem ich zu zeigen versuchte, wie man zu einer viel rationelleren Therapie, als die heutige es ist, durch geisteswissenschaftliche Betrachtungen vorrücken kann.

Wir haben auch schon Institutionen des praktischen Lebens be­gründet, wie zum Beispiel das «Futurum» in Dornach, welches eine rein praktische Unternehmung sein soll und eine Assoziation begründen

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soll, in der verschiedene Industriezweige vereinigt sind, um in rationeller Verwaltung weiter vorwärts zu kommen, als es die Zeit gebracht hat, die uns wirtschaftlich so sehr in eine Kata­strophe hineingeführt hat. Alles, was auch im praktischen Leben steht, bezeugt heute, daß die Menschheit an einer Grenze steht, über die hinausgeschritten werden muß.

Nun, ich habe mich heute nicht zu verbreiten über die anderen Gebiete, in denen Geisteswissenschaft durchaus schon ihre Frucht­barkeit beweisen will durch die Lebenspraxis selber, ich habe vor­zugsweise zu sprechen über die Befruchtung, welche das Erzie­hungswesen, die pädagogische Kunst, durch diese Geisteswissen­schaft erfahren kann.

Da darf zunächst darauf aufmerksam gemacht werden, daß das­jenige Wissen, dasjenige Erkennen, welches auf die Art gewonnen wird, wie ich es eben dargestellt habe, nicht ein solches ist, wie es besonders an die Menschheit herangebracht worden ist in den letz­ten drei bis vier Jahrhunderten. Dieses Wissen in den letzten drei bis vier Jahrhunderten ist, trotzdem es auf Experiment und Beob­achtung fußt, im wesentlichen ein solches, das durch den Intellekt ausgebildet wird und auch nur zum Intellekt spricht. Es ist im wesentlichen ein Kopfwissen. Dasjenige Wissen und Erkennen, welches durch anthroposophische Geisteswissenschaft gewonnen wird, es spricht zum ganzen Menschen. Es ergreift nicht nur den Intellekt, sondern es breitet sich aus so, daß dasjenige, was da er­kannt werden kann, zugleich unser Gefühlsleben durchsetzt. Nicht aus dem Gefühle heraus etwa schöpfen wir eine Erkenntnis - das wäre eine Unklarheit, eine nebulose Mystik. Eine Erkenntnis wird durch Schauung erreicht. Aber was auf diese Weise erreicht wird, das wirkt dann auf das menschliche Gefühlsleben, es regt an das menschliche Willensleben, es bringt den Menschen dazu, bis zum täglichen Leben hinein dieses Wissen, diese Erkenntnis auszubil­den, so daß sie ihn durchdringt wie ein Seelenblut, das aber wieder­um sich mitteilt den Verrichtungen, den Impulsen der Leiblichkeit, den Impulsen des praktischen Lebens. Und so kann man sagen: es wird der ganze Mensch ergriffen.

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Und gerade deshalb ist diese anthroposophische Geisteswissen­schaft, wenn sie den einzelnen durchdringt, eine Grundlage für dasjenige, was gerade der Erzieher, der Unterrichtende als Aufgabe hat gegenüber dem werdenden Menschen. Sie wissen ja, es wird heute immer betont, daß sich dasjenige, was pädagogische Kunst ist, auf Psychologie, auf Seelenkunde begründen müsse. Wenn man aber wiederum sich umsieht in demjenigen, was für die Zeitgenos­sen Seelenkunde ist, so muß man sagen: diese Seelenkunde zeigt gerade durch die vielerlei Beurteilungen und Diskussionen, die da sind, wie sehr alles Phrase ist, wie wenig diese zeitgenössische Wissenschaft, die so große Triumphe in den Forschungen der äußeren Natur errungen hat, eindringen kann in die eigentliche Kenntnis des Menschen. Das ist die Eigentümlichkeit der an­throposophischen Geisteswissenschaft, daß sie sich diese nicht durch äußere experimentelle Psychologie erwirbt - gegen die aber gar nichts gesagt werden soll, denn ihre Resultate werden erst recht fruchtbar, wenn sie auch von anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft befruchtet werden. Was man in der Seelen­kunde durchdringen muß, wenn man Erzieher, Unterrichtender werden will, eignet man sich an, indem man sich von anthroposo­phischer Geisteswissenschaft ergreifen läßt. Man lernt erkennen, was eigentlich im Menschen als Leib, Seele und Geist lebt, wenn rnan an die anthroposophischen Methoden herantritt und durch sie den Menschen innerlich erfaßt.

Ich habe ja dargestellt, wie es ein innerliches Erfassen desjenigen ist, was in unserer Umgebung lebt, was anthroposophische Gei­steswissenschaft mit ihren besonderen Erkenntnismethoden an­strebt. Den Menschen aber, insbesondere wenn man ihn pädago­gisch behandeln will, muß man innerlich durchdringen. Und da handelt es sich darum, daß ja unsere Zeit überhaupt gar nicht eine Brücke schlagen kann zwischen dem Seelisch-Geistigen auf der einen Seite und dem Physisch-Leiblichen auf der anderen Seite. Alle möglichen psychologischen Hypothesen von der Wechselwir­kung von Leib und Seele sind aufgestellt worden bis zum «psycho­physischen Parallelismus», um dieses Rätsel, das vor uns steht in

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dem Verhältnis zwischen Leib und Seele oder dem Geistig-Seeli­schen und dem Leiblich-Physischen, um dieses Rätsel dem Men­schen so nahe zu bringen, wie er es haben muß, wenn er Erzieher, Unterrichtender werden will. Aber unsere Psychologie - weil sie gerade nicht mit geisteswissenschaftlichen Methoden forscht - ist eben durchaus nicht so weit, daß sie irgendeine Grundlage für wirkliche Pädagogik, für wirkliche pädagogische Kunst abgeben könnte. Und ich muß da auf etwas hinweisen, was ich in meinem Buche «Von Seelenrätseln» zunächst nur andeutungsweise darge­stellt habe, was bei mir selbst aber das Ergebnis einer dreißigjähri­gen Forschung ist. Ich würde es mir nicht früher auszusprechen erlaubt haben, was ich nun zu sagen habe und was ich dort in jenem Buche angedeutet habe nach dreißigjähriger Forschung. Es ist das, daß man ja heute gewöhnlich glaubt, seelisches Leben wer­de lediglich nur durch das Nervensystem vermittelt. Das Nerven­system, das betrachtet man als die alleinige physische Grundlage des menschlichen Seelenlebens. So ist es nicht! Es läßt sich bis in die Einzelheiten hinein - und ich habe auch solche Einzelheiten in meinem Buche «Von Seelenrätseln» angedeutet - zeigen, daß nur dasjenige, was wir das Vorstellungsleben nennen, zu seiner physi­schen Grundlage das Nerven-Sinnessystem hat und daß das eigent­liche Organ des Gefühlslebens im Menschen nicht das Nerven­Sinnessystem ist, sondern unmittelbar das rhythmische System, das Atmungs-, das Blutzirkulationssystem. Geradeso, wie das Nerven­system dem Vorstellungsleben zugrunde liegt, so liegt zugrunde das rhythmische System dem Gefühlsleben des Menschen, und dem Willensleben liegt zugrunde das Stoffwechselsystem.

Diese drei Systeme sind aber alles, was der Mensch an innerli­chen Prozessen durchlebt. Der Mensch ist ein dreigliedriges We­sen. Nur darf man sich nicht vorstellen, daß diese drei Glieder der menschlichen Wesenheit - Nerven-Sinnessystem, rhythmisches System, Stoffwechselsystem - nebeneinander liegen. Nein, sie liegen ineinander, und man muß sie auf geistig-seelische Art von­einander trennen, wenn man überhaupt das Wesen des Menschen durchschauen will; denn selbstverständlich müssen die Nerven

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auch ernährt werden. Das Stoffwechselsystem spielt also auch in das Nervensystem hinein, spielt auch in die Organe des rhythmi­schen Systems hinein; aber die Organe des rhythmischen Systems dienen nur dem Willen, insoferne der Stoffwechsel in sie hinein spielt; dagegen insoferne sie eigentliche rhythmische Bewegungen repräsentieren, dienen sie dem Gefühlsleben. Und wiederum, wenn unser rhythmisches Wesen anstößt, wenn unser Atmungsrhythmus zum Beispiel auf dem Umwege durch das Gehirnwasser anstößt an unser Nervensystem, so entsteht die Wechselwirkung zwischen dem Gefühls- und Vorstellungsleben. Kurz, der Mensch ist ein komplizierteres Wesen, als man gewöhnlich glaubt. Auch dasjeni­ge, was man physisch vom Menschen als die richtige Anschauung zuletzt haben kann, läßt sich nicht erringen mit den heutigen naturwissenschaftlichen Methoden, sondern nur durch innerliches Anschauen, durch Zusammenwachsen mit dem Menschen selber in einer solchen Erkenntnis, wie ich sie dargestellt habe.

Wenn man in dieser Weise mit dem Wesen des Menschen zu sammenwächst, wenn man das Seelische hineinwirken sieht in das Physisch-Leibliche, dann stellt sich auch der heranwachsende Mensch in einem neuen Lichte dar. Es ist ja zunächst für einen Menschen, der nicht bloß mit dem nüchtern-trockenen Verstande erfaßt, sondern der die Welt fühlend erkennen kann, das heranwachsende Kind ein wunderbares Rätsel, wie es von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr im Äußeren immer mehr ein Innerliches offenbart. Dasjenige, was wir nicht betrachten können bloß mit dem abstrakten Erkenntnis­vermögen, was wir nur betrachten können, wenn wir selbst inner­lich untertauchen können in dasjenige, was da auf dem Antlitz sich offenbart, was sich offenbart in den Bewegungen, was sich offen­bart in der Entwicklung der Sprache und so weiter, das läßt sich nur mit einer innerlich die Außenwelt durchdringenden Erkenntnis wirklich erfassen.

Und eine solche Erkenntnis dringt an uns heran, nicht indem sie nur unseren Verstand erfaßt - mit diesem Verstand wollen wir dann auch wieder äußerlich die Hantierungen erkennen, die wir

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anwenden sollen, um das Kind zu erziehen, zu unterrichten -, nein, anthroposophische Geisteswissenschaft erfaßt den ganzen Men­schen. Und indem sie für den ganzen Menschen das werdende Kind offenbar werden läßt in seinem Zusammenwirken von Leib, Seele und Geist, durchdringt - ich möchte sagen in einer so selbst­verständlichen Weise wie das vom Atem belebte Blut den Leib des Menschen - die anthroposophische Erkenntnis unser Gemütsver­mögen, unseren Willen. Wir stehen nicht nur mit dem Verstande, wir stehen mit dem Gemüte innerlich verbunden mit dem Kinde da. Wir stehen da mit unserem Willen, indem wir unmittelbar wis­sen: wenn wir erkennen, wie das Kind sich entwickelt, wissen wir, was wir zu tun haben in diesem oder jenem Jahre der kindlichen Entwicklung. Gerade so, wie die Luft unser Blut in entsprechende Bewegung geraten läßt, gerade so, wie der Organismus durch das­jenige, was die Außenwelt in ihm erkraftet, in seine Funktionen hineinkommt, wie er ergriffen wird von dem, was die Außenwelt an ihm vollbringt, so wird unser Seelisch-Geistiges ergriffen durch eine solche lebendige Erkenntnis, wie wir sie bekommen durch anthroposophische Geisteswissenschaft. Und dann, dann offenbart sich uns dasjenige, was im Menschen heran sich entwickelt als seine Individualität, und wir lernen auf eine innerliche Weise diese Indi­vidualität erziehend und unterrichtend behandeln.

Erwarten Sie nicht von anthroposophischer Geisteswissenschaft, daß sie etwa neue Erziehungsgrundsätze aufstellt. Erziehungs­grundsätze, schöne - ich meine das in vollem Ernste -, tief eindrin­gende pädagogische Regeln: die großen Pädagogen haben sie gefun­den, und gegen die Genialität der großen Pädagogen des 18. und 19. Jahrhunderts wird am wenigsten Geisteswissenschaft etwas ein­wenden. Aber es liegt da etwas vor, auf das ganz besonders deutlich hingewiesen werden muß.

Sehen Sie, man sagt ja heute und hat es schon vor Jahrzehnten gesagt: es dürfe die Erziehung nicht so verlaufen, daß man nur immer an das Kind etwas heranbringe; man müsse dasjenige, was im Kinde ist, seine innerliche Individualität, entwickeln. Man müs­se alles aus dem Kinde herausholen. In einer abstrakten Form muß

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auch Geisteswissenschaft so sagen. Allein, gerade deshalb wird Geisteswissenschaft mißverstanden. Wenn ich mich verständlich machen will, so möchte ich an etwas erinnern, was ich zum Ver­gleich heranziehe. Es war im Jahre 1858, da wurde der Sozialist Proudhon angeklagt, daß er die Gesellschaft in Unordnung bringe, und nachdem ihm die Richter Verschiedenes vorgehalten haben, da sagte er, es sei durchaus nicht sein Ziel, die menschliche Gesell­schaft in Unordnung zu bringen, sondern gerade die menschliche Gesellschaft besseren Zuständen entgegenzuführen. Darauf sagten die Richter: Ja, das wollen wir ja alle, wir wollen dann ganz genau dasselbe wie Sie. - So sagt Geisteswissenschaft: Wir wollen die menschliche Individualität entwickeln. So wird auch in einer gewis­sen abstrakten Form seit langem gesagt, es solle die menschliche Individualität entwickelt werden. Aber dasjenige, um was es sich da handelt, ist nicht, daß man in abstrakten Formen einen solchen Grundsatz ausspricht; dasjenige, um was es sich handelt, ist, daß man wirklich im lebendigen Anschauen diese menschliche Indi­vidualität sich entwickeln sieht, daß man wirklich den Menschen innerlich erfassen kann.

Und nun möchte ich einmal anschaulich machen, wie sich der werdende Mensch darstellt für dasjenige, was Geisteswissenschaft an ihm finden kann. Da haben wir zunächst deutlich abgrenzbare Lebensabschnitte im Menschen. Wir haben zunächst einen Lebens­abschnitt, der geht von der Geburt bis ungefähr zum Zahnwechsel, bis um das siebente Jahr. Dann vollzieht sich beim Menschen -wenn man nur richtig beobachten kann, so offenbart sich einem das ganz intensiv - leiblich, seelisch und geistig ein Umschwung. Dann geht wieder die Entwicklung weiter ungefähr bis zur Geschlechts-reife, wo ein neuer Umschwung sich vollzieht. Innerhalb dieser einzelnen Lebensabschnitte sind wiederum kleinere Abschnitte. Ich möchte sagen: in jedem dieser Abschnitte können wir wiederum drei kleinere Abschnitte unterscheiden, die man nur richtig bekom­men kann durch eine Beobachtung, die in das innere Wesen des Menschen eindringt. Darum handelt es sich. Denn dasjenige, was wir wissen wollen über den Menschen, ist zu gleicher Zeit Willensantrieb

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für das Pädagogische, indem das Pädagogische Kunst werden soll.

Da handelt es sich zunächst darum, daß der erste Lebensabschnitt bis zum siebenten Jahre hin uns vor allen Dingen zeigt, wie der Mensch als geistig-seelisch-leibliches Wesen ganz und gar darauf hintendiert, ein nachahmendes Wesen zu sein. Wenn man den Men­schen in diesem Lebensabschnitt so durchdringt, daß man sieht, wie stark er dazu veranlagt ist, sich ganz und gar hinzugeben an die Umgebung, in sich dasjenige zu vollziehen, dasjenige zur Darstel­lung zu bringen, was in seiner Umgebung für ihn anschaulich wird, dann versteht man den Menschen. Aber man muß das im Konkreten wirklich beobachten können. Man muß dann sehen, wie etwa in den ersten zweieinviertel Lebensjahren - das sind natürlich alles approxi­mative Zahlen - das, was im Menschen auftritt, sich noch gar nicht als wirkliche Nachahmung zeigt, wie da innerlich organisierende Kräfte walten, welche aber dann, indem der Mensch im dritten Le­bensjahr vorschreitet, sich so zeigen, daß der Mensch mit diesen Kräften aufmerksamer wird auf seine Mitmenschheit, daß er ge­wissermaßen diese Kräfte hinlenkt zu dem, was von seinen Mit­menschen ausgeht. Und dann ungefähr um das fünfte Jahr herum beginnt die Zeit, in welcher der Mensch ein eigentlich nachahmendes Wesen wird. Und da muß man nun in der richtigen intimen Weise beobachten können, wie das Verhältnis von Mensch zu Mensch, also auch zwischen Erzieher und Kind ist. Da muß man wissen, daß das tiefgehend ist für die ganze menschliche Entwicklung, daß dieser Lebensabschnitt zur Nachahmung hintendiert.

Da kommt an denjenigen, der mit solchen Dingen, ich möchte sagen berufsmäßig zu schaffen hat, manches heran, was zum Bei­spiel eine Mutter oder ein Vater klagt. Sie kommen und sagen: mein Kind hat gestohlen! - Nun, man frägt: Ja, was hat denn das Kind eigentlich getan? - Es hat die Schublade aufgemacht im Schrank, hat Geld herausgenommen, hat dieses Geld - ich erzähle einen konkreten Fall - gar nicht dazu verwendet, bloß es selbst zu verna­schen, sondern hat sogar dasjenige, was es gekauft hat, unter seine Mitschüler verteilt! - Man muß dann sagen: Ja, meine liebe Frau,

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das ist in diesem Lebensalter noch gar nicht als ein Diebstahl zu bezeichnen, denn das Kind hat anschaulich gesehen, wie Sie selbst an jedem Tag zum Schrank gehen, die Schublade aufmachen; das Kind hat auch nichts anderes unternommen, als daß es das versuch­te, selber zu vollziehen. Es macht das nach. Man kann in den ersten sieben Jahren gar nicht anders an das Kind herankommen, als wenn man ihm vorlebt und das Kind intim nachahmen läßt dasjenige, was durch Erziehung an das Kind herangebracht werden soll. Daher ist es für die ersten sieben Lebensjahre von einer so großen Wichtigkeit, daß man, weil, ich möchte sagen Imponderabilien von dem Erzieher, von den Eltern zu dem Kinde herüberspielen, nicht nur in den äußeren Handlungen vorbildlich ist, so daß alles nach­geahmt werden kann, sondern daß man bis in die Gedanken und Empfindungen hinein nur solches denkt, nur solches fühlt, was das Kind nachdenken, nachfühlen kann. Es ist keine Grenze zwischen dem, der ein Kind in seiner Umgebung hat, und diesem Kinde. Durch geheimnisvolle Kräfte geht auch unser innerstes Denken auf das Kind über. Wer ein sittlicher Mensch ist, wer ein wahrhaftiger Mensch ist, der macht andere Bewegungen, hat andere Mienen, geht anders als ein Mensch, der lügenhaft ist. Das ist etwas in der außeren Anschauung, was sich uns im späteren Lebensalter ganz verwischt - für das Kind ist das da. Das Kind sieht nicht etwa bloß durch seine Vorstellungen die Sittlichkeit desjenigen, der um es herum ist, sondern das Kind sieht an den Bewegungen, nicht mit einem intellektualistischen Wissen, sondern durch ein tief im In­nersten ruhendes unterbewußtes Wissen - wenn ich das paradoxe Wort gebrauchen darf -, aus geheimnisvollen Andeutungen in dem, wie sich der Mensch äußert, dasjenige, was es nachahmen soll. Es gibt nicht nur in der Natur Imponderabilien, es gibt durchaus im menschlichen Leben Imponderabilien.

Dann, wenn das Kind über das Nachahmezeitalter hinausge­kommen ist, tritt dasjenige ein, was das Kind ja in die Schule bringt und wo man insbesondere darauf sehen muß, daß das Unterrichten, das Erziehen wirklich den werdenden Menschen in bezug auf seine Individualität dem Menschenwesen und der Menschenwürde ent­sprechend

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weiterbringt. Wir haben in dieser Beziehung schon einen praktischen Versuch gemacht. Die Waldorfschule besteht seit mehr als einem Jahr in Stuttgart, und da wird ganz nach den Grundsät­zen unterrichtet, die aus dieser anthroposophischen Weltanschau­ung und Wissenschaftsart hervorgehen.

Die Waldorfschule in Stuttgart ist keine Weltanschauungsschule. Wir haben nicht ein Interesse daran, etwa Anthroposophie theore­tisch wie eine Religion an die Kinder heranzubringen. 0 nein, das ist nicht dasjenige, was wir als die Hauptsache betrachten. Wir lassen, weil das in der Gegenwart auch gar nicht anders sein kann, durchaus den Eltern und den Kindern selbst ihre Freiheit. Diejeni­gen, die im evangelischen Bekenntnis unterrichtet werden wollen, werden vom evangelischen Pfarrer unterrichtet, diejenigen, die im katholischen Bekenntnis unterrichtet werden wollen, vom katholi­schen Pfarrer; denjenigen, die einen freien Religionsunterricht im Sinne ihrer Eltern oder durch ihren eigenen Willen haben wollen, geben wir einen solchen. Wir können nichts dafür, daß die Anzahl der letzteren - aber nicht durch unsern Willen, sondern in Gemäß­heit der heutigen Zeitumstände - eine überwiegend große ist gerade in der Waldorfschule. Wir haben aber nicht ein Interesse, die Waldorfschule zu einer unmittelbaren Weltanschauungsschule zu machen, sondern wir wollen dasjenige, was die anthroposophische Erkenntnis gibt, eben in die pädagogische Kunst, in die Handha­bung dieser pädagogischen Kunst hineinfließen lassen. Wie man es macht mit dem Kinde, nicht was man an das Kind heranbringt, das ist es, um was es sich bei uns handelt.

Und so sieht man, daß, indem das Kind über den Zahnwechsel herüberkommt und ein bedeutsamer Lebenspunkt überschritten ist, da ja noch das Nachahmungsvermögen weiter wirkt ins sieben­te, achte Lebensjahr hinein. Ungefähr bis über das achte Lebensjahr hinaus wirkt das Nachahmungsvermögen weiter. Es ist namentlich in dieser Zeit dasjenige im Kinde besonders stark, was ein Willens-element in dem Menschen ist.

Man sollte in dieser Zeit, in der das Kind die Schule betritt, durchaus nicht auf das Intellektuelle sehen, sondern man sollte da

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gerade den ganzen Menschen in Anspruch nehmen. Ich möchte das gleich in bezug auf etwas Konkretes ausführen. In der Waldorf­schule beachten wir das. Wir beginnen nicht etwa damit, daß wir dem Kinde das Schreiben so beibringen, daß wir es die Buchstaben lehren. Diese heutigen Buchstaben, die sprechen eigentlich nur zum Intellekt. Das sind konventionelle Zeichen schon geworden. Da muß einseitig der Kopf angestrengt werden. Wir lehren daher schreiben, indem wir ausgehen vom Zeichnen oder gar vom Malen von anschaubaren Formen. Wir bringen zunächst etwas, was ein künstlerisches Element ist, an das Kind heran und entwickeln dann aus dem Künstlerischen heraus, aus dem Zeichnen, aus dem Malen, die Formen der Buchstaben. Es ist ja nicht so wichtig, daß man etwa zurückgeht auf das Studium wilder Völker und Urvölker, die ja auch in ähnlicher Weise die Schrift ausgebildet haben, sondern man kann da durchaus die einzelnen Buchstaben auf dasjenige, was man selber aus ihnen machen kann in malerischer, in zeichnerischer Beziehung, zurückführen. Aber das Wesentliche ist, daß man methodisch ausgeht von demjenigen, was den ganzen Menschen ergreift, worüber nicht bloß nachgedacht werden soll, sondern wo der Wille zum Ausdruck kommt. In dem, was das Kind malerisch vollbringt, da lebt der ganze Mensch, da wird der ganze Mensch gewissermaßen eins mit dem, was das Kind schaffen kann. Dann kann man auf der einen Seite auch dasjenige, was den Kopf inter­essieren soll, aus dem entwickeln, was den ganzen Menschen in Anspruch nimmt.

So gehen wir aus von demjenigen, was zunächst auf die Willens-natur des Kindes wirkt. Und auch, was intellektualistisch im Schreibunterricht sich äußert, entwickeln wir erst aus dem Willen heraus. Es wirkt dann ganz besonders das Gemüt mit. Das Kind fühlt etwas, indem es erst die Form entwickelt, und dann die For­men übergehen läßt in die bestehenden Zeichen. Dann erst entwik­keln wir aus dem, was das Schreiben geworden ist, wieder mehr das Lesen. So daß wir, wie gesagt, an den ganzen Menschen appellieren, nicht bloß an den Kopf. Und es zeigt sich, wenn wir so etwas durchführen, was das für einen Unterschied macht, ob man einfach

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nach dem Standpunkte des gegenwärtigen äußeren sozialen Lebens den Menschen eben unterrichtet in demjenigen, wozu er noch kei­nen Bezug hat, oder dasjenige heranbringt, was man herausholt aus seinem inneren ganzen Menschen, was in ihm innerlich veranlagt ist.

In dieser Zeit vom siebenten Jahre bis zur Geschlechtsreife se­hen wir, wie das Kind durch seine innerliche Entwicklung hinge-ordnet ist nicht auf die Nachahmung - die noch bis übers achte Jahr hinaus wirkt mit besonderer Anwendung des Willens -, son­dern wir sehen jetzt allmählich eine ganz andere Kraft in das kind­liche Leben hereintreten. Das ist dasjenige, was ich nennen möchte das naturgemäße Autoritätsgefühl. Das ist etwas, was vielleicht heute auch mehr oder weniger wohl erwähnt wird, was aber nicht richtig angeschaut wird. So wie die Pflanze ihre Wachstumskräfte haben muß, wenn sie die Blüte entwickeln will in einem bestimm­ten Zeitpunkt, in einer bestimmten Weise, so muß das Kind vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, weil das zu seinen leiblich-seelisch-geistigen Wachstumskräften gehört, in sich das elementare Autoritätsgefühl entwickeln. Es muß sich an den Lehrer und Erzie­her anlehnen, und es muß die Dinge, die es dann glaubt, die dann an es herantreten, die ihm Inhalt seines Fühlens, seines Wollens werden, es muß sie, geradeso wie es bis zum Zahnwechsel in der Nachahmung lebt, jetzt daraufhin annehmen, daß es sie in dem Verhalten des Lehrers sieht, daß es sie vom Erzieher aussprechen hört und daß das Kind zu seinem Erzieher so hinaufsieht, daß richtunggebend für es ist, was in dem Erzieher lebt. Das ist nicht etwas, was man - sagen wir in einer freigeistigeren Zeit als der heutigen, der man glaubt, entgegenleben zu sollen - durch irgend etwas anderes erhoffen kann. Nein, man kann dasjenige, was ein­fach mit uns heranwächst durch dieses elementare Autoritäts­gefühl, durch die Hingabe an den Erzieher oder Unterrichter, durch nichts anderes ersetzen. Und das ganze Leben hindurch hat es eine ungeheure Bedeutung, ob man zwischen seinem siebenten und vierzehnten Jahre an der Seite von Lehrern oder Erziehern gewesen ist, denen gegenüber man ein natürliches Autoritätsgefühl entwickelt hat.

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Da wird ein Punkt berührt, wo die materialistische Gesinnung gar zu sehr äbirrt, wo zum Beispiel gesagt wird: Was tut schließlich die Individualität des Lehrers in ihrer Wirkung auf das Kind! Wir sollen das Kind vorzugsweise aus der Anschauung unterrichten, wir sollen es zum Selbstdenken, zum Selbstempfinden bringen. -Nun, ich möchte gar nicht sprechen davon, bis zu welcher Trivia­lität wir in manchen methodischen Anleitungen dadurch gekom­men sind, daß wir an das Kind nur dasjenige heranbringen sollen, was es schon selbst versteht, so daß es dies gleichsam in eigenen Anschauungen selbst zergliedert. Ich will auf folgendes aufmerk­sam machen: In diesem Lebensabschnitt, von dem ich jetzt rede, handelt es sich darum, daß von ganz besonderer Wichtigkeit ist, was wir auf Autorität hin annehmen, aufnehmen aus dem Autori­tätsgefühl heraus, auch wenn wir es nicht gleich verstehen, und daß wir uns nicht bloß das Anschauliche aneignen. Denn so, wie die Willenskraft in den ersten sieben Lebensjahren dem Nachah­müngstrieb zugrunde liegt, so liegt jetzt zwischen dem siebenten Jahre und dem Jahr der Geschlechtsreife alles Gedächtnismäßige den Äußerungen des Kindes zugrunde. Das Kind will unter Ein­wirkung des Autoritätsgefühles sich gedächtnismäßig die Dinge an­eignen. Und gerade das, was gegen das Gedächtnismäßig-sich-An-eignen gesagt wird, das zeigt, daß man im Grunde genommen aus Theorien heraus heute alle mögliche Lebenspraxis aufbaut, ohne daß man das ganze Menschenleben berücksichtigt.

Wer alles auf Anschauung zurückführen will, der berücksichtigt zweierlei nicht: Erstens, es gibt ganz weite Gebiete der Welt, die nicht anschaulich gemacht werden können. Das sind die Gebiete des Schönen; das ist aber vor allem das sittlich-religiöse Gebiet. Wer alles auf Anschauung begründen will, der berücksichtigt nicht, daß das Wertvollste, ohne das der Mensch nicht sein kann, das Sittlich-Religiöse und seine Impulse, nicht anschaulich an den Menschen herangebracht werden kann - besonders nicht in diesen Lebensjahren -, sondern daß es gerade übersinnlich den Menschen ergreifen muß. Das kann es in diesen Lebensjahren, wo es an der Zeit ist, nur auf Aütoritätsgefühl hin. Das ist das eine.

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Das andere aber ist das Folgende. Wenn man das ganze mensch­liche Leben überblickt, nicht nur aus der Theorie heraus einen Lebensabschnitt, dann weiß man, was es bedeutet, wenn man fünf­unddreißig oder vierzig Jahre alt ist und zurückschäüt auf irgend etwas, was man in der Kindheit erlebt, angenommen hat, ohne daß man es dazumal verstanden hat, deshalb, weil man sich sägte: der­jenige, der als Unterrichtender neben einem lebt, der weiß es, das muß so sein. Man nimmt es an. Man ist in viel älteren Jahrzehnten

- es taucht wieder herauf. Jetzt ist man reif, es zu verstehen. Es ist eine Kraft des Lebens geworden. Es ist etwas Wunderbares im menschlichen Leben, wenn man aus den Tiefen der menschlichen Seele etwas heräuftäuchen sieht, wofür man im späteren mensch­lichen Leben reif ist, was aber schon in der Jugend eingepflanzt worden ist. Es ist ein Mittel gegen das Älterwerden, es ist eine Lebenskraft. Man hat ungeheuer viel von dem, was man in der Kindheit aufgenommen hat.

Es handelt sich nicht darum, aus irgendwelchen Vorurteilen her-aus zu fordern, aus Aütoritätsgefühl etwas aufzunehmen, auf bloße Autorität hin oder gedächtnismäßig etwas wörtlich anzunehmen, sondern es handelt sich darum, daß man dieses fordert um des Menschenheiles willen. Warum werden seelisch die Menschen heu­te so bald alt? Weil sie keine Lebenskräfte in sich haben. Man muß im einzelnen wissen, welche Kräfte man in das Kind hinein verpflanzen muß, wenn in späteren Lebensjahrzehnten solche Kräfte verjüngend auftauchen sollen.

Ich will jetzt ein anderes Beispiel nennen. Wer gut versteht, wie das Kind in den ersten Lebensjahren, etwa bis zum fünften Jahre hin spielt, wer aus dem ganzen Charakter der kindlichen Indivi­dualität ihm sein Spiel angenehm herrichtet, der bereitet in dem Kinde etwas vor, was nun wiederum im viel späteren Leben zum Ausdruck kommt. Dazu muß man eben das menschliche Leben in seiner Totalität zu betrachten verstehen. Der Botaniker betrachtet die Pflanze in ihrer Totalität. Was heute «Psychologie» sein will, das betrachtet nur immer im Augenblick. Wer einen Menschen betrachtet etwa im fünfündzwanzigsten, sechsundzwanzigsten,

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siebenundzwanzigsten, ächtundzwanzigsten Jahre - oder etwas früher -, wenn er sich in die Lebenserfahrung hineinfinden soll, ein Verhältnis finden soll zur Lebenspräxis, ein geschickter Mensch, ein zielbewußter Mensch werden soll, wer den Menschen in diesem Lebensalter sachgemäß, exakt zu beobachten versteht, der sieht, wie im kindlichen Spiel - zwischen der Geburt und dem fünften Lebensjahre etwa -, in der Natur des Spielens sich die Art ange­kündigt hat, wie dann in den Zwanzigerjähren der Mensch sich in das Leben als ein praktischer Mensch hineinfindet, als ein geschick­ter, als ein zielbewußter Mensch. Im frühesten Kindesalter bringen wir das, ich möchte sägen mit der Wurzel zur Entwicklung, was später erst als Blüte herauskommt. Das aber muß aus einem sol­chen innerlichen Erkennen, wie Anthroposophie, die in die menschliche Natur untertaucht, es darbietet, verstanden werden. Das muß erkannt werden durch die Beobachtung des ganzen Men­schen. Wir müssen gewissermaßen, wenn wir Unterrichtende und Erzieher sein wollen, die ganze Läst des Menschen auf uns geladen fühlen. Wir müssen fühlen, was wir aus jedem Einzelnen, was wir im Kinde veranlagt finden, lernen können.

Und so kann man wissen, daß bis zum neunten Lebensjahre hin etwa das Kind noch nicht in der richtigen Weise zwischen Subjekt und Objekt unterscheidet. Die äußere Welt fließt mit der inneren zusammen. Daher ist in diesen Jahren nur dasjenige an das Kind heranzubringen, was, ich möchte sägen mehr in Phäntasiegestält, in Bildern lebt - so [soll] alles [gestaltet sein], was man überhaupt als Unterricht in diesen Jahren heranbringen will. Beobachtung von Pflanzen, einfaches Näturwissenschäftliches, Geschichtliches läßt sich erst vom neunten Jahre ab dem Kinde beibringen. Physika­lisches oder was in der Geschichte nicht das Biographische ist, son­dern der Zusammenhang der geschichtlichen Epochen, das ist erst nach dem zwölften Jahre dem Kinde beizubringen, weil es da erst auf etwas Verwandtes in der kindlichen Natur aufbaut. Und wie­derum so, daß man nicht bei dem abstrakten Grundsätze bleibt, man solle die Individualität ausbilden, sondern man muß diese Individualität wirklich beobachten können von Woche zu Woche.

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Das ist es, was sich als eine fruchtbare Methode in der Waldorf-schule ergeben hat und was wirklich durch seine eigene Natur als eine solch fruchtbare Methode einleuchten muß. Indem der Lehrer durchzuckt und durchglüht wird von demjenigen, was von seinem Gemüt und Willen angeregt werden kann, tritt er eben in ein ganz anderes Verhältnis zu seinen Kindern. Das will ich wiederum an einem Beispiel klar machen. Es ist das nicht nur die grobe Linie, die sich hinzieht von dem Erziehenden zu dem Kinde oder dem Unterrichtenden zu dem Kinde, die der äußeren materialistischen Beobachtungsweise vorliegt, sondern es spielen da immerfort die Imponderabilien. Nehmen wir an, man habe dem Kinde in einem geeigneten Lebensalter beizubringen die Idee der Unsterblichkeit. Nun kann man diese Idee der Unsterblichkeit sehr leicht im Bilde bringen, und bis zum neunten Lebensjahre soll man eigentlich ganz bildlich unterrichten. Alles soll ins Bild gewandelt werden. Wenn man aber selbst mit seinem Verstande das Bild erst ausgestaltet, wenn man abstrakt vorgeht in dem Ausgestalten des Bildes, dann steht man nicht in dem Bilde drinnen. Man kann zum Beispiele dem Kinde sagen: Sieh dir eine Schmetterlingspuppe an; es kriecht der Schmetterling aus der Puppe. So wie der Schmetterling hier sichtbar auskriecht aus der Schmetterlingspuppe, so entringt sich des Menschen unsterbliche Seele dem Leibe. - Wenn ich aber dieses Bild erst aus meiner inneren Abstraktion zurechtgemacht habe, selbst nicht dabei bin, erst alles für das Kind zurechtrücke, bringe ich dem Kinde nichts bei. Das ist ein eigentümliches Geheimnis, daß, wenn man, wie es bei der Geisteswissenschaft selbstverständ­lich ist, die ganze Natur als durchgeistigt ansieht, man sich dann das Bild nicht bloß zurechtrückt, sondern weiß: Was auf einer ge­wissen höheren Stufe lebt als Unsterblichkeit, das wird nicht durch meinen Verstand, sondern durch die Dinge selbst vorgebildet; zum Beispiel der sich aus der Puppe ringende Schmetterling - das ist von der Natur selber als Bild hingestellt. Ich glaube an das, was ich dem Kinde sage, ich bin desselben Glaubens und derselben Über­zeugung, von der ich wünsche, daß sie in das Kind übergehe. Wer beobachten kann, kann sich davon überzeugen, daß es ganz anders

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auf das Kind wirkt, wenn ich ihm ein Bild beibringe, an das ich selber glauben kann, das ich nicht bloß verstandesmäßig an das Kind heranbringe und es ausgesprochen habe, weil ich so gescheit bin und das Kind noch so dumm ist.

Das zeigt, welche Imponderabilien da spielen. Und noch eines möchte ich erwähnen. In der Volksschulzeit ist die Sache so, daß zunächst etwa bis zum neunten Jahre hin noch dasjenige mit der Nachahmung nachwirkt, was der präponderierende Wille ist. Dann tritt aber etwas ein für das Kind, wodurch es sich unterscheiden lernt von seiner Umgebung. Jeder, der wirklich Kinder zu beob­achten vermag, der weiß, daß zwischen Subjekt und Objekt, sich selber und der Umgebung, das Kind eigentlich erst so zwischen dem neunten und zehnten Jahre richtig unterscheidet. Daraufhin muß man alles einrichten. Aber man würde vieles im Leben anders betrachten, als man es eben betrachtet, und namentlich anders gestalten, als man es gestaltet, wenn man auf eines sehen würde: in derselben Lebensphase, in der das Kind zwischen dem neunten und zehnten Jahre sich richtig unterscheiden lernt von der Umgebung, in dieser Lebensphäse ist es unerläßlich für das ganze sittliche Le­ben des Menschen in aller Zukunft, daß er mit der höchsten Ach­tung und mit dem höchsten Autoritätsgefühl an jemandem hängen kann, der sein Lehrer oder Erzieher ist.

Überschreitet das Kind diesen Rubikon zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre ohne dieses Gefühl, so hat es ein Manko in seinem ganzen Leben und kann später höchstens mit aller Mühe aus dem Leben selber wiederum das sich erobern, was auf eine naturgemäße Weise in diesem Lebenspunkte dem Kinde übermit­telt werden sollte. Daher sollten wir unsere Erziehung und unseren Unterricht so einrichten, daß wir gerade in der Klasse, wo das Kind den Rubikon zwischen dem neunten und zehnten Jahre überschrei­tet, so vor dem Kinde stehen, daß wir wirklich durch unsere eigene innere Moralität, durch dasjenige, was wir an innerer Wahrhaftig­keit, an innerem seelischen Gehalte haben, dem Kinde wirklich manches sein können, daß wir nicht bloß vorbildlich auf dasselbe wirken, daß alles, was wir zu ihm sprechen, von ihm empfunden

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wird als die Wahrheit. Und man muß das Gefühl in ihm be­gründen, das es im sozialen Leben geben muß zwischen dem heranreifenden Kinde und dem Erwachsenen und dem alten Men­schen. Daß dieses Kind seine Ehrfurcht durchmacht in diesem Le­benspunkte zwischen dem neunten und zehnten Jahre, darauf ruht auch dasjenige, was sittlich religiöse Erziehung ist. Eine zu frühe Entwicklung der Intellektualität, ein Nichtberücksichtigen dessen, daß auf den Willen durch Bilder gewirkt werden muß - namentlich von der Volksschulzeit an -, daß da nicht gleich ins Abstrakte des Schreibens und Lesens hineingedrungen werden darf, ein solches Verständnis für den Menschen liefert zu gleicher Zeit [auch nicht] jene Gefühle und Empfindungen, die dann wiederum brauchbar werden, wenn wir dem Kinde moralische Mäximen, sittliche Grundsätze, wenn wir ihm religiöse Gefühle beibringen wollen. Sie greifen später nicht ein, sie wirken auch nicht durch Autori­tätsgefühl, wenn wir nicht in der Läge sind, aus dem ganzen Men­schen heraus die individuelle Veranlagung etwa von der Volks-schulzeit an, etwa vom siebten Jahre an zu verwenden.

Und so kann man die Entwicklung des Kindes wirklich konkret verfolgen. Aus dem Lehrer und Erzieher wird ein pädagogischer Künstler, wenn er in sich wirken läßt, was er durch anthroposophi­sche Geisteswissenschaft über den Menschen erfahren kann. Wir wollen nicht neue abstrakte Erziehungsgrundsätze aufstellen, son­dern wir glauben, daß des Menschen ganze Persönlichkeit angeregt wird durch das, was Anthroposophie als Lebensodem, als geistig-seelischer Lebensodem dem Menschen geben kann. Wie das Blut auf selbstverständliche Weise den Organismus belebt, so soll die Geisteswissenschaft den, dessen Beruf das Erziehen und Unterrich­ten ist, so beleben, daß er mit dem Kinde wirklich eins werde und die Erziehung, der Unterricht etwas Selbstverständliches wird. Daß, wer die Pforten seiner Klasse durchschreitet, mit einer sol­chen Gesinnung vor die Kinder hintritt, das möchten wir in der Waldorfschule.

Nicht, weil wir auf allen möglichen Gebieten unseren «Senf» dazu geben möchten, reden wir auch über pädagogische Kunst,

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pflegen wir auch pädagogische Kunst, sondern weil wir aus unse­ren Erkenntnissen heraus glauben müssen, daß da tatsächlich auch eine Neubefruchtung notwendig ist. Die Erscheinungen des Le­bens haben ja in so furchtbare Zeiten hineingeführt, daß sie eine neue Befruchtung herausfordern. Nicht aus einer albernen Gesin­nung oder Ideologie heraus oder darum, weil sie für irgend etwas agitieren will, sondern aus der Erkenntnis der wahrhaftigen Be­dürfnisse unserer Zeit will Anthroposophie auch auf die pädagogi­sche Kunst befruchtend wirken. Sie will richtig verstehen und rich­tig fühlen dasjenige, was aller wirklichen Erziehung und allem wirklichen Unterrichten zugrunde liegen muß. Ein rechtes Emp­finden davon kann man zusammenfassen in die Worte, mit denen ich heute schließen will, weil ich glaube, daß, wenn Anthroposo­phie zeigt, daß sie Verständnis hat für diese Worte, innerlichstes, währhaftigstes Verständnis, man ihr auch ihre Berufung nicht absprechen wird, in die pädagogische Kunst, in die Erziehungskun­de hineinzureden. Sie will das nicht aus irgendeiner revolutionären Gesinnung heraus, sie will das aus den Bedürfnissen der Zeit, und sie will das aus den großen Menschheitswahrheiten, die darinnen liegen, daß man sägt: Oh, in die Hand des Erziehenden, in die Hand des Unterrichtenden ist der Menschheit Zukunft, der Menschheit nächste Zukunft, die Zukunft der nächsten Generation gegeben. Von der Art und Weise, wie erzogen wird, wie der Mensch als Werdender ins Leben hineingestellt wird, hängt es er­stens ab, mit welcher inneren harmonischen Festigkeit er in sich selber als einzelner zu seiner inneren Befriedigung sein Leben füh­ren kann. Und davon hängt es ab, in welcher Weise er ein nutz­liches, ein heilsämes Mitglied der menschlichen Gesellschaft wird. Der Mensch erfüllt doch seine Bestimmung nur, wenn er erstens harmonische Festigkeit in sich selber hat, so daß er innerlich mit sich nicht leichtfertig zufrieden sein kann, sondern immerzu aus dieser Harmonie die Kräfte zur Arbeit, die Kräfte zum Wirken und zum Mitfühlen seiner Umgebung finden kann, und wenn er auf der andern Seite durch seine Tüchtigkeit, durch sein Zusammen­gewachsensein mit den Bedürfnissen der Zeit und der ihn umgebenden

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Menschheit ein nützliches, ein heilsam wirkendes Mitglied der ganzen Gesellschaft ist. Ihn zu einem solchen zu machen, möchte anthroposophische Geisteswissenschaft beitragen, aus dem Grunde, weil sie glaubt, daß man auf ihrem Wege eine ganz beson­dere Menschenkunde finden kann und dadurch auch eine ganz be­sondere Menschenbehandlungskunst.

Fragenbeantwortung

Rudolf Steiner: Es ist zunächst hier eine schriftliche Frage einge­laufen:

In welcher Weise sollte die Individualität des Kindes durch das Spiel beein­flußt werden?

Die hier gemeinte Geisteswissenschaft soll durchaus wirklichkeits­gemäß und niemals als Abstraktion und aus Theorien heraus arbei­ten; daher sind diejenigen Fragen, die man sonst gewöhnlich gern, ich möchte sägen in Kürze, in Bausch und Bogen beantwortet, für Geisteswissenschaft nicht in Kürze zu beantworten. Aber man kann wenigstens immer auf dasjenige hinweisen, wo Geistes­wissenschaft die Richtung sieht. Man wird es ja beim Spiel mit den kleinsten Kindern zu tun haben. Das Spiel ist am charakteristisch­sten etwa bis zum fünften Jahr. Natürlich spielen nachher die Kin­der auch, aber da mischen sich schon in das Spiel allerlei andere Dinge hinein, und das Spiel verliert den Charakter, ganz, ich möchte sagen aus der Willkür des Inneren heraus zu fließen.

Nun wird man, wenn man das Spiel sachgemäß leiten will, vor allen Dingen ein Auge haben müssen für dasjenige, was man die Temperamentsänlägen des Kindes nennt, und andere Dinge, die mit den Temperamentsanlagen zusammenhängen. Da handelt es sich dann darum, daß man gewöhnlich meint, man solle ein Kind, das zum Beispiel einen phlegmatischen Charakter zeigt, durch et­was besonders Lebendiges, das es aufrege, auf den richtigen Weg bringen; oder ein Kind, das Anlage zeigt zu einem mehr in sich geschlossenen Wesen, etwa zu einem melancholischen Temperament

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- wenn das als solches auch noch nicht bei dem Kinde auf­tritt, aber es kann in der Anlage da sein -, möchte man wiederum durch etwas Erheiterndes auf den richtigen Weg bringen. Das ist im Grunde genommen, namentlich insoferne es das Spiel betrifft, nicht sehr richtig gedacht, sondern es handelt sich im Gegenteil darum, daß man versuchen soll, den Grundchärakter des Kindes zu studieren - sägen wir, ob es ein langsames oder ein schnelles Kind ist -, und man soll dann auch versuchen, das Spiel dem anzupassen. Man soll also versuchen, für ein Kind, das langsam ist, gewisserma­ßen auch im Spiel ein langsames Tempo einzuhalten, für ein Kind, das schnell ist, auch im Spiel ein schnelles Tempo einzuhalten und nur einen allmählichen Übergang suchen. Man soll gerade das dem Kinde entgegenbringen, was aus seinem Inneren fließt. Man macht ja die schlimmsten Erziehungsfehler eben dadurch, daß man meint, Gleiches sollte nicht gleich behandelt werden, sondern Entgegen­gesetztes sollte durch Entgegengesetztes behandelt werden. Es ist auf eines da hinzuweisen, was besonders immer verfehlt wird.

Es gibt aufgeregte Kinder. Diese aufgeregten Kinder, die möchte man selbstverständlich abregen, und man glaubt dann, wenn man ihnen etwa Spielzeuge anschafft, die in dunkleren Farben gehalten sind, also in den weniger aufregenden Farben, Blau und der­gleichen, oder wenn man ihnen Kleider anschafft in Blau, so würde das gut sein für das Kind. Ich habe in meinem kleinen Büchelchen «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswis­senschaft» darauf hingewiesen, daß das nicht der Fall ist, daß man gerade dem aufgeregten Kinde die Spielzeuge rötlich machen soll, dem lässigen Kinde, dem nicht lebhaften Kinde die Spielzeuge blau und violett machen soll. Durch alle diese Dinge wird man eben herausfinden, was für das Kind gerade nach seiner besonderen individuellen Anlage geeignet ist. Es ist eben außerordentlich viel zu berücksichtigen. Sehen Sie, man glaubt gewöhnlich - so sagte ich -, wenn man ein lebhaftes, ein zu lebhaftes Kind hat, so solle man ihm durch dunkle Farben, durch Blau oder Violett heikom­men; aber Sie können sich überzeugen davon, daß, wenn Sie auf Rot, auf eine rote Fläche schauen und dann wegschauen auf eine

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weiße, Sie in sich die Tendenz haben, die sogenannte Komplemen­tärfarbe als subjektives Gebilde zu schauen. Es wird also innerlich erregt gerade die Gegenfarbe. Es werden die dunklen Farben inner­lich erlebt an den hellen. Daher ist es gut, wenn ein Kind aufgeregt ist, es in hellen Farben in seinem Spielzeug und auch in seinen Kleidern zu halten, damit es gerade innerlich erregt wird. Also auch diese Dinge dürfen nur so betrachtet werden, daß man gewis­sermaßen in das Innere der menschlichen Natur und Wesenheit hineindringt.

Dann mache ich darauf aufmerksam, daß man in der Regel gar nicht die Individualität oder gar keine Individualität eines Kindes trifft, wenn man durch die Spiele zu sehr auf das Kombinatorische hinhorcht. Daher muß der Geisteswissenschafter von seinem Standpunkte eigentlich alles dasjenige, was Kombinätionsspiele sind, Bausteine und dergleichen, das muß er als geringerwertig ansehen, weil es zu stark an den kindlichen Intellekt heränwill; dagegen wird alles dasjenige, was mehr Leben vor das Kind bringt

- entsprechend variiert nach der Individualität -, ein besonders günstiges Spielzeug abgeben. Ich habe mich schon lange bemüht, irgendwie eine Bewegung dafür hervorzubringen - aber es ist ja in der Gegenwart so schwer, die Leute für solche Kleinigkeiten, scheinbare Kleinigkeiten zu begeistern -, daß wieder mehr einge­führt würden die beweglichen Bilderbücher für die Kinder. Es waren da früher solche Bilderbücher, welche Bilder hatten und man konnte unten an Fäden ziehen; da bewegten sich die Bilder, da wurden ganze Geschichten aus den Bildern daraus. Das ist etwas, was in ganz besonders günstiger Weise, wenn es verschieden vari­iert wird, auf Kinder wirken kann. Dagegen alles, was ruhig bleibt und was namentlich auf Kombination Anspruch macht wie die Baustein-Geschichte, das ist etwas, was für das kindliche Spiel eigentlich nicht geeignet ist, und es sind auch die Bausteine nur ein Ausfluß unserer materialistischen Zeit.

Dann mache ich noch darauf aufmerksam, daß man bei den Spielen vorzugsweise darauf sehen muß, wie weit die kindliche Phantasie wirkt. Sie können die schönsten Kräfte in einem Menschen

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dadurch ertöten, daß Sie ihm, dem werdenden Menschen, als Knaben einen «schönen» Bajäzzo oder als Mädchen eine sehr «schöne» Puppe geben - sie ist ja doch immer scheußlich vom künstlerischen Standpunkte, aber man strebt nach «schönen Pup­pen». Dem Kinde wird am besten gedient, wenn man womöglich der Phantasie selber gerade solchen Spielzeugen gegenüber den allergrößten Spielraum läßt. Das Kind fühlt sich im Grunde ge­nommen am glücklichsten, wenn es aus seinem Taschentuch, das oben zusammengebunden wird und ein kleines Köpfchen hat, eine Puppe machen kann oder einen Bajazzo. Das ist etwas, was man pflegen soll. Es soll im Grunde genommen die Seelentätigkeit in Regsamkeit versetzt werden können. Da wird man durchaus das Richtige treffen, wenn man ein Auge hat für das Temperament, wenn man also zum Beispiel einem besonders aufgeregten Kinde wirklich möglichst komplizierte Spielzeuge in die Hand gibt und einem langsamen Kinde möglichst einfache Spielzeuge in die Hand gibt, und dann, wenn es zu Hantierungen kommt, auch wiederum in dieser Weise vorgeht. Es ist ja auch dasjenige, was das Kind nun mit sich selber vornimmt, dann in späteren Jahren von besonderer Wichtigkeit. Man kann dem auch darinnen folgen, ob man ein Kind schnell oder langsam laufen läßt: Ein aufgeregtes Kind läßt man gerade schnell laufen, und ein lässiges Kind, ein denkfaules Kind zwingt man dazu, daß es langsam läuft in irgendwelchen Spielen und dergleichen. Also es handelt sich darum, daß man beim Anpassen des Spieles an die Individualität Gleiches mit Gleichem behandeln soll und nicht etwa mit dem Entgegengesetzten. Das wird denjenigen sehr weit führen, der in dieser Richtung wirklich danach strebt, die Kinder entsprechend zu behandeln.

Frage: Wie verhält sich das mit dem Heranbringen von Märchen an das Kind? Wenn wir zum Beispiel das Bild von der Schmetterlingspuppe und dem Schmetterling bringen, so können wir selbst daran glauben; wenn wir ihm nun aber Geschichten erzählen wie zum Beispiel von dem «Osterhasen» oder «Nikolaus», also Geschichten, an die wir ja selber nicht glauben und die doch die Kinder so glücklich machen, wirkt das schädigend auf das Kind, oder ist das harmlos, einfach als Bild?

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Rudolf Steiner: Da handelt es sich nur darum, daß man an diese Dinge in der richtigen Weise herantritt. Nicht wahr, es gibt natür­lich durchaus Dinge, die man dem Kinde in seiner kindlichen Weise zu erzählen hat, und das wird bei solchen Dingen der Fall sein, weil das Bild etwas weit äbliegt von demjenigen, um was es sich dabei handelt. Aber ich kann zum Beispiel durchaus nicht sägen, daß ich nicht an den Osterhasen glaube! Also es handelt sich nur darum, daß man den Weg findet zu diesem Glauben. Sie verzeihen, daß ich so offen das Geständnis mache. Aber ich kenne gerade auf diesem Gebiete nichts, was ich zum Beispiel nicht glau­ben könnte, wenn ich nur den Weg dazu finde. Es handelt sich darum, daß, wo die Sachen nicht so einfach liegen wie beim Schmetterling, sondern komplizierter, man dann auch einen gewis­sen komplizierteren Seelenvorgang durchmachen muß, um in sich die Seelenstimmung zu haben, die das in der richtigen, gläubwür­digen Weise an das Kind heranbringt. Es hat schon einen Sinn, wenn in gewissen Gegenden des Orientes die Legende lebt, daß der Buddhä bei seinem Tod auf den Mond versetzt worden ist und da in der Gestalt eines Hasen auf uns herunterschaut. Diese Dinge, die gerade in tieferen Legenden ursprünglich veranlagt sind, die weisen überall darauf hin, daß tiefe Naturgeheimnisse den Dingen zugrun­de liegen.

Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß heute solche Dinge außerordentlich schwer beurteilt werden können. Es gibt einen sehr berühmten philosophischen Naturforscher, naturforschenden Philosophen, Ernst Mach. Die meisten von Ihnen werden den Na­men kennen. Mach behauptet geradezu, es sei nicht mehr an der Zeit, den Kindern Märchen beizubringen oder dergleichen; das schicke sich nicht für eine so aufgeklärte Zeit wie die unsrige. Er versichert, er hätte seine Kinder ganz ohne Märchen und derglei­chen erzogen. Nun hat uns Mach auch ein merkwürdiges Beispiel gegeben von seiner Unmöglichkeit, an das menschliche Ich über­haupt heranzukommen. Mach sägte einmal - ich will durchaus nichts gegen seine Bedeutung auf einem eingeschränkten Gebiete, wo er sie hat, sagen; aber wir leben in einer Zeit, in der selbst ein

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solcher Mensch so etwas sägen kann -, er sagte: Selbsterkenntnis ist eigentlich etwas, was einem Menschen ganz ferne liegt, denn er sei einmal ganz ermüdet - er wär Universitätsprofessor - auf der Stra­ße gegangen, es sei gerade ein Omnibus gekommen, da sei er hin-eingesprungen und sah vor sich einen merkwürdigen Menschen auf der anderen Seite einsteigen - als wenn der Omnibus von der an­deren Seite auch bestiegen hätte werden können. Darüber wunder­te er sich, aber er sah eben einen Menschen herankommen, und er dachte sich: Was für ein verkommener Schulmeister steigt denn da ein! Da merkte er erst, daß da ein Spiegel auf der anderen Seite wär und daß er so wenig seine eigene äußere Gestalt kannte, daß er sein Spiegelbild nicht erkannt hätte. - Ein andermal begegnete ihm die­selbe Sache, indem er auf der Straße das Trottoir entlang ging und eine Spiegelscheibe etwas schief stand, so daß er sich da auch sah, ohne sich sofort zu erkennen.

Es ist hier von ihm dieses als eine Art Begründung angebracht, wie wenig der Mensch eigentlich zu seinem Selbst vordringt. Er be­trachtet diese Selbsterkenntnis auch nur von einem ganz äußeren Standpunkte. Er lehnt aus demselben Impuls heraus die Märchen ab. Nun handelt es sich ja darum, daß ja natürlich so, wie die Märchen heute vielfach vorliegen, es scheinbar so ist, daß man nicht mit inne­rem Anteil, mit einer gewissen inneren Überzeugungskraft an den Märchen hängen kann als Erwachsener; aber das ist doch etwas Trügerisches. Geht man zurück auf dasjenige, was da eigentlich erlebt wird, dann kommt man zu etwas ganz anderem.

Gerade in dieser Beziehung ist es ja wirklich außerordentlich bedauerlich, daß gewisse Anfänge, die eigentlich nach der Geistes­wissenschaft schon seit langer Zeit hintendierten, daß die gar nicht ausgebaut worden sind. Mein älter Freund Ludwig Läistner hatte in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sein zweibändiges Werk geschrieben «Das Rätsel der Sphinx», worinnen er nachweist, was für ein törichter Gedanke es ist, daß man glaubt, die Mythen, Sagen, Legenden seien dadurch entstanden, daß das Volk irgend etwas über Wolken, irgend etwas über Sonne, Erde und derglei­chen gedichtet hat; Frühlingsmythen seien dadurch entstanden, daß

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die Volksphantasie gedichtet hat. Ludwig Laistner - insofern ist sein Buch natürlich unvollkommen, weil er nichts weiß von dem, wie eigentlich die Seelenverfassung früherer Menschen war, sie wär eben mehr nach dem wirklichen Anschauen des Wirklichen hin gerichtet - schreibt alles dem Träume zu, aber wenigstens ist er so weit, daß er jedem Sägengebilde ein Erlebnis, wenn auch ein Traumerlehnis zuschreibt.

Nun, betrachten wir aber den Traum. Er entspricht gewiß nicht einer solchen Erkenntnis, wie wir sie am Tage haben, wo wir durch unsere Sinne an die Dinge herankommen; aber wer das Träumleben intim studiert - man braucht natürlich deshalb nicht nach der Seite der Träumbücher äbzuirren -, der wird sehen, daß das Traumleben auch ein Ausdruck ist von einer Wirklichkeit. Sie träumen von einem Kachelofen, verspüren, wie die Hitze Sie änstrählt - und wachen auf mit heftigem Herzklopfen. Der Traum hat Ihnen sym­bolisiert einen inneren Vorgang. Sie träumen - ich erzähle wirk­liche Dinge - von Schlangen, die allerlei vor Ihnen darstellen, Sie wachen auf und haben irgendwelche Schmerzen in den Gedärmen; die Schmerzen in den Gedärmen werden symbolisiert durch die Schlangen. Jeder Traum ist im Grunde genommen hindeutend auf innere Vorgänge des Menschen, und die inneren Vorgänge des Menschen sind wiederum Ausdruck für die großen Seelenvor-gänge. Wahrhaftig, die Welt ist eben durchaus tiefer, als wir sie heute in unserer sogenannten aufgeklärten Zeit denken. Und wer eigentlich die Märchen studiert, der findet in den Märchen eine so bedeutende Physiologie zum Beispiel, daß es schon einen Weg gibt, um an die Märchen zu glauben, so daß durchaus der Grad von innerer Seelenstimmung, den ich gebrauche, um dem Kinde irgend etwas beizubringen vom «Schneewittchen» oder dem «Osterhasen» oder vom «Nikolaus», so ist, daß durchaus das Gefühl entstehen kann, das in mir selbst eine Gläubigkeit hat. Ich muß nur innerlich durchdrungen sein von einer Beziehung zu der Sache. Nehmen Sie den «Nikolaus»: Der Nikolaus ist durchaus dasjenige, was zurück-führt auf den alten germanischen Wotan, ist eigentlich dasselbe, wie der alte germanische Wotan, und wir kommen dann zu dem Weltenbaume,

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und wir haben in dem Zweig, den ja Nikolaus trägt, einen Hinweis. Dieser Zweig ist es - der Weihnachtsbäum ist ja kaum hundertfünfzig Jahre alt, ist ja ganz jung noch -, der sich allmählich zum Weihnachtsbäum auswächst. Sie sehen, daß da überall innere Zusammenhänge sind. Es ist nur notwendig, daß man sich in diese inneren Zusammenhänge hineinfindet, aber es ist das schon möglich. Und dann sind es ganz andere Imponderabilien, die sich vom Lehrer- und Erziehergemüt zum Kindergemüt hin ziehen. - Ich weiß nicht, ob ich Ihre Frage mit dieser Antwort ganz genau getroffen habe; es handelt sich mit um dieses.

Frage [nicht wörtlich festgehalten]. Welches Verhältnis hat die Psychoanalyse zur Geisteswissenschaft?

Rudolf Steiner: Sehen Sie, in bezug auf viele Dinge ist die anthroposophische Geisteswissenschaft in der Läge, daß sie spre­chen muß. Es sind kleine Kreise, und sie bildet einen großen Kreis; der kleine liegt im großen drinnen, aber der große liegt nicht im kleinen, und meistens sind diejenigen Menschen, die die kleinen Kreise haben, die fanatischsten. Anthroposophie ist absolut das Gegenteil von jedem Fanatismus. Nicht wahr, in der Psychoanaly­se liegt eine viertels oder halbe Wahrheit. Man versucht herauszu­holen aus dem Inneren die Seelenprovinzen und so weiter, die iso­lierten Seelenprovinzen und so weiter. Darinnen liegt eine Wahr­heit, aber man muß weiter schürfen, wenn man die eigentliche Grundlage finden will. So daß man, wie wir das bei sehr vielen Anschauungen finden, sagen kann: Ja, aber der ändere bringt uns nicht die gleiche Gegenliebe entgegen, er findet, daß, weil man es umfassender darstellen muß, man ihm widerspricht.

Ich erinnere Sie nur an das Glanzbeispiel, das ja fast in den meisten Büchern der Psychoanalyse vorgebracht wird. Sie wer­den sich erinnern, wenn Sie sich mit dem Stoff beschäftigt haben: Es wird eine Dame in eine Abendgesellschäft eingeladen. Die Dame des Hauses - nicht die Eingeladene - soll gerade an jenem Abend in ein Bad abfahren, und der Herr des Hauses soll dann allein zu Hause bleiben. Nun wird die Abendgesellschaft

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veranstaltet; die Dame des Hauses wird abgeschickt nach dem Bade, der Herr ist wieder zurück, die Abendgesellschaft löst sich auf. Die Leute gehen auf der Straße. Um die Ecke herum saust eine Droschke - nicht ein Auto, eine Droschke. Die Abend-gesellschaft weicht links und rechts aus, die eine Dame aber läuft vor den Pferden her, immer fort, läuft, läuft, läuft, wie sich die anderen auch bemühen und der Kutscher schimpft und flucht, aber sie läuft, bis ein Bach kommt. Sie weiß wohl ganz gut, daß man in dem Bach nicht ertrinken kann - sie wirft sich hinein und wird nun natürlich gerettet. Die Leute wissen nichts anderes zu tun: Sie wird in das Haus zurückgebracht, wo sie eben hergekommen ist, wo der Herr des Hauses ist, in dem die Dame des Hauses soeben ins Bad geschickt worden ist.

Nun, nicht wahr, der richtige Freudianer - ich habe das von Anfang an verfolgt, war sehr gut bekannt mit Doktor Breuer, der zunächst mit Freud die Psychoanalyse aufgebracht hat -, ja, ein richtiger Freudianer sucht nach irgendeinem verborgenen Seelen-komplex: In ihrem siebten, achten Jahre, als die Dame noch ein Kind war, da wurde sie von einem Pferd verfolgt; das ist nun ein unterdrückter Seelenkomplex, der kommt jetzt heraus. - Aber so einfach liegen die Dinge eben nicht. Ich muß jetzt um Entschuldi­gung bitten, aber die Dinge liegen eben so, daß das Unterbewußt­sein manchmal ein recht raffiniertes sein kann. Dieses Unterbe­wußtsein, das arbeitet schon die ganze Zeit in der Dame: Wenn sie nur, nachdem die ändere ins Bad abgeschoben wird, wenn sie nur bei dem Manne sein könnte! Und nun richtet sie alles her - also im Oberbewußtsein würde sich die Dame natürlich furchtbar schä­men, das zu tun, das braucht man ihr nicht zuzutrauen im Ober-bewußtsein, aber das tiefere, das Unterbewußtsein ist viel raffinier­ter, viel schlechter -, weiß alles so einzurichten, weiß das ganz gut voraus: Wenn sie da vor dem Pferde herläuft und sich ins Wasser stürzt, wird sie zurückgetragen in das Haus, weil ja die anderen [von ihrer eigentlichen Absicht] nichts wissen.

Da muß man auf ganz andere Dinge manchmal sehen. Es ist viel zu viel Verkünsteltes heute in der Methode der Psychoanalyse,

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obwohl sie im Grunde genommen ja auf einen Teil der Wahrheit hinweist. Es ist eben ein Versuch mit unzulänglichen Mitteln, was begreiflich ist aus der materialistischen Zeitgesinnung heraus, wo man auch das Geistige zunächst mit materialistischen Methoden sucht.

ZEITUNGSBERICHTE Zum Vortrag in Stuttgart am 24. September 1919

#G297-1989-SE277 Idee und Praxis der Waldorfschule

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ANHANG

ZEITUNGSBERICHTE

NOTIZBUCHEINTRAGUNGEN

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ZEITUNGSBERICHTE

Zum Vortrag in Stuttgart am 24. September 1919

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In der Wochenschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus»,

Nr.13, Oktober 1919, erschien folgender Bericht über den Vortrag:

Rudolf Steiner's Vortrag im Siegle-Haus

Im vollbesetzten Saale des Siegle-Hauses hielt Dr. Rudolf Steiner am 24. ds. Monats einen Vortrag über: ,,Übersinnliche Erkenntnis und sozial-pädagogi­sche Lebenskraft". Anknüpfend an die Gründung der Waldorf-Astoria-Schule, die, wie erneut zu wiederhoen sich als notwendig erwies, keine Weltanschauungsschule ist, sondern in der eine geistige Erkenntnis der

menschlichen Wesenheit, eine Erkenntnis der geistigen Wachstumsbedingun­gen des werdenden Menschen methodisch angewandt werden soll, wurde von Dr. Steiner der tiefe Zusammenhang von übersinnlicher Erkenntnis und volkspädagogischer Lebenskraft dargelegt. Von einer die Zuhörer durchdrin­genden Uberzeugungskraft waren die Ausführungen über die Beschaffenheit und den Quell der im Menschen zu entwickelnden übersinnlichen Kräfte der Seele.

Keine stärkere und wirkungsvollere Widerlegung, der oft schon gegen die Geisteswissenschaft erhobenen Einwände, was sie wolle sei Metaphysik oder eine unkontrollierbare künstliche Entwickelung von mehr oder weniger dunklen Kräften, war die Klarlegung, daß die Entwickelung der übersinn­lichen Kräfte des Menschen beruhe und geholt werde aus den natürlichen Wachstumskräften der Leibesorganisation des Menschen selber. Die Wachs­tumskräfte, die den Menschen bis zum Ablauf des 20. Jahres aufbauen, ziehen sich, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt haben, zurück. Entläßt gewis­sermaßen der fertig entwickelte menschliche Organismus diese Kräfte, dann können sie fortbenutzt werden zur Entwickelung übersinnlicher Erkennt­nisse und der sich aus ihr ergebenden Lebenskraft. Diese Kräfte, die den wachsenden Menschen physisch aufbauen, sie bauen den erwachsenen Men­schen geistig auf. Wird also der werdende Mensch nach einer pädagogischen Methodik erzogen, die aus übersinnlicher Erkenntnis stammt, dann wird er in Übereinstimmung mit seinen natürlichen Wachstumskräften erzogen. Dadurch aber wird er zu einem wahrhaft sozialen Wesen herangebildet.

Die naturwissenschaftliche Gesinnung, wie sie im 19. Jahrhundert aufge­kommen ist, hat zu einer Erlahmung der Willenskraft für alle Geistentfaltung geführt. Was sich in der gegenwärtigen Zeit als Soziales gestalten will, ist nachgebildet der naturwissenschaftlichen Denkweise. Diese Denkweise hat den Geist aus unserer Kultur herausgetrieben, sie hat diese zum Zusammen­bruch geführt.

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Der Redner wurde von starkem Beifall unterbrochen als er aussprach, daß die Tendenz gewisser Kreise oder gewisser Menschen da wieder anzufangen, wo sie 1914 aufgehört haben, zu nichts als zu einer Erneuerung und Wieder­holung der hinter uns liegenden furchtbaren Katastrophe führen könne.

Es wird die übersinnliche Erkenntnis, die Entwickelung übersinnlicher Erfahrung und Lebenskräfte von der gegenwärtigen Menschheit dringend gebraucht, wenn sie sich aus dem Unheil, in das sie hineingekommen ist, herausbringen will. Der äußeren Organisation, wie sie in der Dreigliederung als Gesundung des sozialen Zusammenlebens und Arbeitens gewollt wird, muß sich zur Seite stellen eine innere Organisation der menschlichen Seelen-kräfte, indem sie forthenutzt die eigenen, zum Abschluß gekommenen, natürlichen Wachstumskräfte.

Geistiges Leben darf nur so gewollt werden, daß es sich gestalten kann im materiellen Leben. Materielles Leben muß gewollt werden, aber so, daß sich in ihm der Geist auswirken kann. Geistiges und Materielles geistgemäß zu verbinden, nicht metaphysische Spekulation, das ist der Kernpunkt der Geisteswissenschaft auch in ihrer Anwendung auf die soziale Frage.

Der Vortrag hinterließ einen starken gesammelten Eindruck, der sich im allgemeinen anhaltenden Beifall zur gemeinsamen Kundgebung erhob.


Zum Vortrag in Aarau am 21. Mai 1920

Im »Aargauer Tagblatt» erschien in der Rubrik «Lokales» am 21. Mai 1920 eine Ankündigung zum Vortrag:

Verein ehemaliger Kantonsschüler

(Einges.> Seiner Bestimmung entsprechend erachtet es der Verein ehemaliger Kantonsschüler als eine seiner Hauptaufgaben, den pädagogischen Bewegun­gen und Versuchen unserer aufgewühlten Zeit seine besondere Aufmerksam­keit zuzuwenden und, ohne sich und seine Mitglieder auf irgend eine bestimmte Richtung zu verpflichten, doch ernsthaft alles zu prüfen, was irgendwie wegweisend für die Zukunft werden könnte. Daher bemüht er sich, möglichst viele von den Persönlichkeiten, welche berufen erscheinen, wirklich etwas beizutragen zur Lösung des ganzen Erziehungsproblems, aus direkter Anschauung und durch das lebendige Wort kennen zu lernen. So hat er uns im Februar Gelegenheit gegeben, Gustav Wyneken über Einheits- und Kulturschule sprechen zu hören. Dominiert hat damals bei vielen Zuhörern der Eindruck, daß Wyneken wohl die Schwächen und Übel unserer Zeit außerordentlich scharf zu erblicken vermöge, daß er aber nicht imstande sei, selber etwas Positives zum Aufbau der kommenden Zeit durch die junge Generation beizutragen. Aus diesem Grunde ist es besonders zu begrüßen, daß wir, wiederum auf Veranlassung des Vereins ehemaliger Kantonsschüler,

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heute Gelegenheit erhalten werden, einen anderen Mann zu hören: Dr. Rudolf Steiner. Das in Aussicht genommene Thema lautet: Erziehung und soziale Gemeinschaft vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft. Wer Steiner kennt, weiß, daß es zwar nicht immer leicht ist, seinen Gedankengän­gen rasch zu folgen, daß aber seine Natur- und Geisteswissenschaften gleich intensiv umfassende Weltbetrachtung ihm doch die Möglichkeit gibt, die Menschen in mancher Beziehung auf neue Wege zu weisen. Wir dürfen den Besuch des Vortrages um so eher empfehlen, als gerade in der Lösung von sozialen und Erziehungsaufgaben in ihrer Zusammengehörigkeit Steiner nicht nur Theoretiker ist, sondern viele seiner Ideen, wenn auch im Kleinen, in Wirklichkeit umgesetzt hat. Die große Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria in Stuttgart, die in ihrem Betrieb ganz nach den Ideen Steiners über das soziale Leben organisiert ist, hat sich auch eine besondere Schule angeglie­dert, in der die Kinder aller Angestellten und Arbeiter erzogen werden, vom Besitzer und Direktor bis zum einfachen Arbeiter. Diese Schule ist ganz nach den Ideen Steiners aufgebaut. Sie ist ebenso eng mit der industriellen Unter­nehmung verbunden, wie Steiners Ideen über Erziehung und über sozialen Aufbau ein organisches Ganzes bilden. - Der Vortrag findet am Freitag Abend acht Uhr in der Aula der Kantonsschule statt.

Im Feuilleton vom «Aargauer Tagblatt» vom 27. Mai l92OfoIgte ein Bericht:

Vortrag von Dr. Rudolf Steiner.

Erziehung und soziale Gemeinschaft vom Standpunkte der Geisteswissen­schaft.

Der Vorstand des Vereins ehemaliger Kantonsschüler verfolgte offenbar mit der Berufung von Dr. Rudolf Steiner zum Vortrag vom letzten Freitag eine zwiefache Absicht. Er wollte durch den begeisterten und beredten Führer der Anthroposophengemeinde in Dornach die Ideen der geisteswissenschaft­lichen Bewegung auseinandersetzen und gleichzeitig einige wichtige Zeitpro­bleme in dieser besondern Beleuchtung darstellen lassen. Der Vortragende charakterisierte einleitungsweise Ziel und Methode der Forschung, die sich den Namen Geisteswissenschaft beigelegt hat. Er betont dabei, daß es sich wohl zunächst um eine recht innerliche Angelegenheit handle, daß aber die gewonnenen Erkenntnisse weiter wirken möchten, ins praktische Leben hinein, um die naturwissenschaftliche Weltauffassung mit den Anschauungen eines wirklich geistigen Lebens zu durchdringen. Die Grundvorstellungen naturwissenschaftlicher Denkweise werden dabei nicht geleugnet; doch geht die Geisteswissenschaft von der Annahme aus, daß die seelische Natur des Menschen nicht mit den Methoden der materialistischen Denkweise, sondern nur auf rein geistigem Wege in ihrer letzten Tiefe erkannt werden könne. Indem der Vertreter der Geisteswissenschaft einen leicht überschaubaren Gedankeninhalt in den Mittelpunkt seines Bewußtseins stellt und alle Kräfte der Seele darauf konzentriert, gelangt er zu einem verstärkten innern Gedankenvermögen

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und mit dessen Hülfe zu der Einsicht, daß das menschliche Denken sich losreißen kann von der körperlichen Wirklichkeit, daß es weitergebildet werden kann zu einer Geistesfähigkeit, die über das Leben zwischen Geburt und Tod hinausreicht.

Von dieser Geisteswissenschaft soll nun das pädagogische und soziale Leben befruchtet werden. Ihre praktische Anwendung zu diesen Zwecken hat sie bereits gefunden in der Waldorf-Astoria-Schule bei Stuttgart. Die Pädagogik hat uns unleugbar zu tiefen und bedeutenden Erkenntnissen geführt; aber erst die Geisteswissenschaft, die uns Einsicht in höhere Zusam­menhänge und eine gesteigerte Menschenkenntnis verschafft, weist dem Erzieher die Wege zur Verwirklichung seiner höchsten Ideen. Sie zeigt, wie das geistig-seelische Wesen des Menschen sich in scharf gesonderten Alters-Epochen entwickelt. Bis zum Zahnwechsel lebt das Kind in einer Art Traumleben. Es ist völlig hingegeben an seine Umgebung und seelisch beherrscht vom Triebe zur Nachahmung. Daher seine Liebe zum Spiele und seine Befähigung, sich fremde Sprachen anzueignen, die während dieser Periode in der Erziehung besonders ausgenutzt werden sollte. Zwischen dem 7. und 9. Altersjahr beginnen die geistigen Eigenschaften sich zu entwickeln. Das Kind fängt an, sein Ich deutlich von der Umgebung zu unterscheiden. Aber sein Innenleben ist hingegeben an die Autorität des Erziehers. Es will gläubig emporschauen zu einem erwachsenen Menschen, dessen geistige Sicherheit ihm unfehlbar erscheint; es will glauben und wissen, was er glaubt und weiß, - um seinetwillen. Und es will Mensch werden; aber seine Natur verlangt nicht rein einseitige Hinwirkung auf die intellektuellen Anlagen, sondern eine harmonische Ausbildung aller Kräfte. Darum ist in der Erzie­hung während dieser Jahre Wert zu legen auf das Künstlerische des Unter­richts, auf Zeichnen, Malen, Musik, und auf die Entwicklung des Willens. Besondere Bedeutung kommt dem Turnen zu, nicht nur seiner physiologi­schen Wirkungen wegen, sondern weil in seinen rhythmischen Bewegungen der Ausdruck geistig-seelischer Vorgänge stattfindet und weil die Willenser­ziehung dadurch mächtig gefördert wird. Zur vollen Auswirkung aber kommt alle erzieherische Tätigkeit erst dann, wenn der Lehrer aus einem lebendigen Ergriffensein heraus den Stoff an die Schüler heranbringt. Dann ergibt sich auch die wünschenswerte Individualisierung von selbst.

Ähnlich nun, wie die Entwicklung des einzelnen Menschen vollzieht sich auch das geschichtliche Werden der Völker. Auch hier lassen sich deutlich geschiedene Entwicklungsperioden erkennen. Gewisse Ideen beherrschen eine jede. Sie mögen latent in der Tiefe ruhen; aber von Zeit zu Zeit kommen sie wieder zum Vorschein. So seit dem 15. Jahrhundert der Gedanke der Demokratie. Das Verhältnis der mündigen Menschen zu einander, wie es durch diese Staatsauffassung geregelt wird, muß fortdauern; denn in staat­lich rechtlicher Beziehung stellt es die höchstentwickelte Erscheinungsform dar. Dagegen soll das geistige Leben dem Staate abgenommen und in eigene Verwaltung gestellt werden. Was die geistig Reifen für richtig erkennen, das muß unmittelbar verwirklicht werden können. Ganz auszusondern anderseits

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wäre das wirtschaftliche Leben. Es soll sich selbständig in wirtschaft-lichen Verbänden entwickeln. So ergibt sich eine Dreigliederung des sozialen Organismus, an der der einzelne Mensch nach Maßgabe seiner innersten Natur Anteil hat.

Der Vortrag verlangte von den Hörern ein lebhaftes geistiges Mitgehen und ließ auch dann in seiner Gedankenfolge noch manche Stelle, wo Zweifel und Bedenken rege wurden. Einigen derselben gab Herr Professor H. Käslin in der Diskussion zum Ausdruck. Sie richteten sich zum Teil gegen die Anschauung, daß die Geisteswissenschaft tiefer in die Erziehungsprobleme eindringe als der einfache pädagogische Instinkt der Mutter, zum Teil auch gegen die Gefahren, die in einer mehr oder weniger willkürlichen Ausschei­dung des wirtschaftlichen Lebens aus dem Staatsorganismus liegen. So be­rechtigt diese Einwendungen waren, und so sehr sich noch manche andere aufdrängen mochten, verließen die Zuhörer doch den Saal nicht, ohne einen starken Eindruck von der Persönlichkeit des Referenten und der von ihm mit leidenschaftlicher Hingebung verfochtenen Sache mitzunehmen.

A. F

Im Feuilleton der «Neuen Aargauer Zeitung» vom 29. Mai 1920 erschien ein weiterer Bericht zum Vortrag Rudolf Steiners in Aarau:

Geisteswissenschaft. Vortrag von Dr. Rudolf Steiner.

Der vom Verein ehemaliger Kantonsschüler in Aarau veranstaltete Vortrags­abend vermittelte uns die Bekanntschaft mit dem hochgeistigen Philosophen und Propagandisten der Geisteswissenschaft, Dr. Rudolf Steiner. Der Vor­tragende definierte vorerst das Wesen der Geisteswissenschaft, die anfängt, wo die reine Naturwissenschaft aufhört. Sie beruht auf dem Glauben an die Entwicklungsmöglichkeit der Erkenntnisfähigkeiten des Menschen durch die innere Energie des Vorstellens, durch Meditation. Das Ergebnis ist die Erkenntnis des geistig-seelischen Wesens des Menschen in der körperlichen Hülle, aber zeitlich durch diese nicht beschränkt. - Pädagogisch strebt die Geisteswissenschaft dahin, in das innere Wesen des Menschen in seinen verschiedenen Entwicklungsepochen einzudringen. Auf diesem Prinzip ist die Waldorfschule in Stuttgart methodisch aufgebaut. Der Mensch bildet sich in den ersten 7 Jahren durch Nachahmungstrieb. Mit dem Eintreten der zweiten Zähne kommt die Vorstellungskraft und das Erinnerungsvermögen, losgelöst vom Organismus. Es stellt sich auch der Autoritätstrieb ein. Das Kind will Menschen um sich haben, von denen es weiß, daß sie das wollen und können, was es ihnen nachahmen soll. Mit etwa dem 9. Jahr löst sich das Ich des Kindes von seiner Umgebung los. Man wirkt im Sinne der Entwick­lungskräfte des Kindes, wenn man mehr auf den Willen und das Wesen, als auf die Intellektualität künstlerisch einwirkt. Ein Mittel hiezu ist die Eury­thmie, das beseelte Turnen, durch das Willensaktivität, Initiative des Willens geschaffen wird. Willenserziehung ist das höchste Ziel. Man muß alles

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bildlich an das Kind heranbringen. Der Erzieher muß von einem lebendigen Geistesleben durchdrungen sein, wenn er das Kind durchdringen will. Hu­mor muß mit Ernst im Unterricht abwechseln. Das gibt Rhythmus. Den Humor bringen wir aber nur auf, wenn wir von den Dingen innerlich ergriffen sind.

Mit der Geschlechtsreife erwacht die Urteilskraft. Die Geisteswissen­schaft richtet den Lehrplan auf die Entwicklung praktisch ein. Sie will aus dem Leben herausholen, was im Leben ist. Wenn der Lehrer im richtigen Geist an die Schüler herantritt, individualisieren diese selbst und man braucht dann auch nicht vor großen Klassen Angst zu haben, denen zwar der Redner nicht das Wort reden will. - Das Geistesleben muß ganz auf sich abgestellt, ganz in seine eigene Verwaltung gestellt sein. Das Erziehungswe­sen ist nur ein Teil des Geisteslebens, aber der wichtigste. Das soziale Leben ist nur ein Ausdruck des geistigen, das bei den Völkern wie beim Kinde Entwicklungsphasen durchmacht. Aus den innern Kräften der Menschheit ist im 13. [18.] Jahrhundert die demokratische Idee herausgewachsen. Die ehrliche Demokratie muß heute für alles in Wirkung treten, was das staat-lich-rechtliche Verhältnis der mündigen Menschen zueinander betrifft. Frei­heit, Gleichheit und Brüderlichkeit können sich aber im Einheitsstaat nicht auswirken, sondern nur durch Dreigliederung des sozialen Organismus im Sinne der Selbständigmachung des staatlichen, des wirtschaftlichen und des geistigen Lebens auf Grundlage von Assoziationen, durch die der Mensch in allen drei Gliedern teilnimmt. Dadurch werden die Stände (Wehrstand, Nährstand, Lehrstand) überwunden. Dann gedeiht im Geistesleben die wah­re Freiheit, im Staats- und Rechtsleben die wirkliche Gleichheit und im Wirtschaftsleben die wahre Brüderlichkeit. Nicht durch soziale Rezepte und Programme, sondern durch innerliche wahrhaft soziale Menschen wird die soziale Frage gelöst.

Die mit hinreißendem, idealistischen Feuer vorgetragenen Darlegungen fanden starken Beifall. In der Diskussion sprach Prof. Dr. Käslin den Zweifel aus, ob die von den Geisteswissenschaften geübte, an den Mystizismus des Mittelalters erinnernde Meditation in der Kindererziehung mehr erreiche, als jede Mutter in ihrem natürlichen Instinkt und fragte, ob die Emanzipation des Wirtschaftlichen im Staat nicht wieder zu einer Art Manchestertum führen würde.

Dr. Steiner, der seine in mehreren Büchern ausgearbeiteten Ideen nur in großen Zügen, als Kohlenzeichnung, wie er es nannte, darlegen und das System der sozialen Dreigliederung am Schlusse überhaupt nur streifen konnte, dürfte mit seiner Antwort manche Unklarheit und manches Mißver­ständnis beseitigt haben. Sie gipfelte in dem Satze: Die Geisteswissenschaft ist etwas durchaus Konkretes: sie will den wirklichen Bedürfnissen der Zeit entgegenkommen, deren sich sonst niemand annimmt.

Das braucht unsere Zeit: Eine Wissenschaft des Geistes, die über alle abgestandene Psychologie und Philosophie hinweg sich der geistig-seelischen Bedürfnisse des Menschen annimmt, die durch das Spezialistentum zerrissenen

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Wissenschaften wieder durch einen geistigen Leitgedanken verbindet und belebt (Dr. Steiner gibt geisteswissenschaftliche Kurse nicht nur für Pädagogen, sondern z. B. auch für Mediziner), eine Menschheitswissenschaft (Anthroposophie>, die den Humanismus nach den Bedürfnissen der neuen Zeit durch die Pflege der Persönlichkeits-, Willens- und Charakterbildung

und die Demokratie durch Beseitigung ihrer organischen Hemmnisse weiter­entwickelt. Solche Bestrebungen sind zwar nicht das Monopol der Anthro­posophen, aber ihr Verdienst ist, daß sie ihnen eine einheitliche, systemati­sche Richtung weisen. - Es ist selbstverständlich, daß der natürliche pädago­gische Instinkt der Mutter nicht in Parallele gesetzt werden kann zur Uberlegung und Erkenntnis, mit der die Geisteswissenschaft die modernen Erziehungs- und Bildungsfragen zu lösen sucht. Mit dem mütterlichen Instinkt läßt sich z. B. in der Mittelschulreform nichts anfangen, deren fortschrittliche Förderer sich übrigens ganz in den Intentionen der Geistes­wissenschaft bewegen: Durchgeistigung und Vereinfachung des Stofflichen und Entwicklung der Persönlichkeit.

Die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus in ein Rechts-, Geistes- und Wirtschaftsorgan, in deren jedem der Einzelne teilnehmen kann, halten wir für durchaus richtig und entwicklungsgemäß. Die Leitung des Schulwesens soll einem Fachparlament überlassen sein, das alle Erzie­hungsfragen nach ihren Zusammenhängen, unbeeinflußt von Staat und Poli­tik, behandelt. Die Republik Baden hat bereits das Schulparlament einge­führt. Der Gedanke der Loslösung der wirtschaftlichen Angelegenheiten von den formalpolitischen äußert sich bereits unter dem Zwang der Entwicklung im Ruf nach dem Wirtschaftsparlament, da die politischen Parlamente, Behörden und Parteien einfach dem komplizierten Mechanismus des Wirt­schaftslebens nicht mehr gewachsen sind. Für sie bieten die allgemeinen staatlichen Angelegenheiten noch Arbeit genug. Das Wirtschaftsparlament wurde das Gegenteil von Manchestertum bringen, nämlich statt des brutalen freien Spiels der Kräfte die Wirtschaftsdemokratie, in welcher jede Erwerbs-gruppe auf Grund gegenseitiger Verständigung und rationeller Zusammenar­beit ihr Auskommen und ihren Frieden hat. Die Naturwissenschaft hört beim Darwinismus auch für das menschliche Gesellschaftsleben auf, - die Geisteswissenschaft soll und will den Sieg des menschlichen Geistes und der Seele über das Stoffliche und Tierische herbeiführen.

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#Bild s. 286

NOTIZBUCHEINTRAGUNGEN

#G297-1989-SE287 Idee und Praxis der Waldorfschule

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NOTIZBUCHEINTRAGUNGEN

zum Vortrag vom 24. April 1919, Stuttgart:

aus dem Notizbuch Archiv-Nr. 57 (leicht verkleinert)

Seiten 288 - 297

zum Vortrag vom 25. November 1919, Basel:

aus dem Notizbuch Archiv-Nr. 286

Seiten 298 - 300

zum Vortrag vom 27. November 1919, Basel:

aus dem Notizbuch Archiv-Nr. 286

Seiten 302 - 305

zur Diskussion nach

dem Vortrag vom 27. November 1919:

aus dem Notizbuch Archiv-Nr. 286

Seiten 306 + 307

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HINWEISE

#G297-1989-SE309 Idee und Praxis der Waldorfschule

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HINWEISE

Zu dieser Ausgabe

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Im zeitlichen Umkreis der Begründung der Waldorfschule in Stuttgart am 7. September 1919 hielt Rudolf Steiner viele Vorträge, in denen er das pädago­gische Konzept dieser neuen Schule aus dem geisteswissenschaftlichen Men­schenbild heraus und, damit verbunden, die Notwendigkeit einer neuen Menschenkunde ausführlich darlegt. Rudolf Steiner geht in den Vorträgen einerseits immer von ganz konkreten Erziehungsfragen aus, andererseits verknüpft er die Erziehungsfrage mit der sozialen Frage, indem er auf die Notwendigkeit eines freien Geisteslebens hinweist. Dabei berücksichtigt er auch andere pädagogischen Reformbestrebungen der neueren Zeit.

Viele dieser Vorträge aus den Jahren 1919 und 1920 sind speziell für Lehrer gehalten, so die Vorträge vom 27. November 1919 in Basel, vom 8. September 1920 in Dornach und vom 29. Dezember 1920 in Olten. Insbe­sondere der Vortrag vom 27. November 1919 für die Basler Lehrerschaft, zu dem Rudolf Steiner vom Erziehungsdepartement Basel eingeladen worden war, hatte weitere Konsequenzen: Eine Gruppe von über 60 Teilnehmern fühlte sich von dem Vortrag so angesprochen, daß sie Rudolf Steiner bat, eine ganze Vortragsreihe über Waldorfpädagogik zu halten. Dieser grundle­gende Kurs, «Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft» (GA 301), kam im Frühjahr 1920(20. April bis ii. Mai) zustande. - Mit dem Vortrag vom 31. August 1919, abends, wollte Rudolf Steiner die Eltern, die ihre Kinder in die neubegründete Waldorfschule schickten, in die Grundprinzipien der neuen Pädagogik einführen. Um auch die Mitglieder des Stuttgarter Zweiges über das Schulprojekt und die ihm zugrundeliegenden Überlegungen zu orientieren, hielt Rudolf Steiner im Umfeld der Schulgründung zwei Vorträge im Stuttgarter Zweig, den einen, vom 24. August 1919 halböffentlich, den anderen, am 31. August 1919, nachmittags, nur für Mitglieder.

Daneben sprach Rudolf Steiner auch in öffentlichen Vorträgen über die Gesichtspunkte, die sich aus geisteswissenschaftlicher Sicht für die gegen­wärtige Erziehung sowie ihre sozialen Bedingungen und Wirkungen ergeben:

so in Stuttgart am 24. September 1919 und in Basel am 25. November 1919. Schließlich wäre noch der pädagogischen Fragen gewidmete Abend inner­halb des für Studenten gehaltenen ersten Dornacher Hochschulkurses am 8. Oktober 1920 zu nennen. - Eine Besonderheit stellt der Aarauer Vortrag vom 21. Mai 1920 dar. Rudolf Steiner war vom «Verein ehemaliger Kantons-schüler», der es als eine seiner Hauptaufgaben betrachtete, «den pädagogi­schen Bewegungen und Versuchen unserer aufgewühlten Zeit seine besonde­re Aufmerksamkeit zuzuwenden und, ohne sich und seine Mitglieder auf irgendeine bestimmte Richtung zu verpflichten, doch ernsthaft alles zu prüfen, was irgendwie wegweisend für die Zukunft werden könnte» (vgl. den

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Zeitungsausschnitt S.281) eingeladen worden, über «Erziehung und soziale Gemeinschaft vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» zu sprechen. Bemerkenswert ist auch, daß im Auftrag der Schweizerischen Bundesanwalt-schaft, die gerade das Einbürgerungsgesuch Rudolf Steiners zu prüfen hatte, der Vortrag von einem Herrn von Bircher mitnotiert wurde. Da sonst kein Stenograph zugegen war, verdanken wir diesem Manne die, allerdings wohl nicht vollständige, Nachschrift dieses Vortrages.

Textgrundlagen: Abgesehen vom Aarauer Vortrag am 21. Mai 1920 (siehe oben) wurden alle Vorträge mitstenographiert und nach der Klartextübertra­gung der jeweiligen Stenographen herausgegeben. Die Vorträge vom 25. und 27. November 1919, vom 8. Oktober und vom 29. Dezember 1920 wurden von der Berufsstenographin Helene Finckh stenographiert; die Original-stenogramme dieser Vorträge liegen im Archiv vor. Die Vorträge vom 31. August (nachmittags und abends) und vom 24. September 1919 sowie vom 8. September 1920 wurden von Hedda Hummel, der Vortrag vom 24. August 1919 von Hedda Hummel oder W. Vogel mitstenographiert (nur vom Vortrag 8. September 1920 liegt das Originalstenogramm im Archiv vor).

Originaltafelzeichnungen liegen nicht vor.

Der Titel des Bandes stammt von den Herausgebern.

Frühere Veröffentlichungen:

Stuttgart, 24. August 1919

«Zur Pädagogik Rudolf Steiners», Nr.1-2/1932

«Welche Gesichtspunkte liegen der Errichtung der Waldorfschule zu Grunde?», Dornach 1932

«Die Waldorfschule und ihr Geist», 1. Vortrag, Stuttgart 1956, Dornach 1980, 1990

Stuttgart, 31. August 1919, nachmittags

Sondernummer «Die Waldorfschule und ihr Geist» zum «Nachrichten-blatt» der Zeitschrift «Das Goetheanum», Nr.29/1926

«Die Waldorfschule und ihr Geist. Welche Gesichtspunkte liegen der Errichtung der Waldorfschule zu Grunde?», 2. Vortrag, Stuttgart 1956, Dornach 1980, 1990

Stuttgart, 31. August 1919, abends

«Die Menschenschule», Nr. 1/1951

«Die Waldorfschule und ihr Geist. Welche Gesichtspunkte liegen der

Errichtung der Waldorfschule zu Grunde?», 3. Vortrag, Stuttgart 1956,

Dornach 1980, 1990

Stuttgart, 24. September 1919

«Die Menschenschule», Nr. 1/1936 (irrtümliches Datum: 23. September 1919)

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Basel, 25. November 1919

«Die Menschenschule», Nr.4/1958 Basel, 27. November 1919

«Die Menschenschule», Nr.3/1936 und Nr.5/1958 Dornach, 8. September 1920

«Die Menschenschule», Nr. 1-2/1941

Dornach, 8. Oktober 1920

«Die Menschenschule», Nr. 3/1959

Olten, 29. Dezember 1920

«Die Menschenschule», Nr. 1/1945

«Die Menschenschule», Nr .11-12/1940 (Fragenbeantwortung)

«Gegenwart», Nr.4-5/1965-66

Hinweise zum Text

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Geiamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angeführt. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

zu Seite

15 Emil Molt, 1876-1936, Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stutt­gart, Kommerzienrat. Er richtete für die Angehörigen seines Unternehmens Arbeiterbildungskurse ein. Hieraus entstand schließlich der Gedanke, eine Schu­le für die Kinder der Arbeiter einzurichten. Für den Aufbau und die Leitung dieser Waldorf-Schule berief er Rudolf Steiner. Molt war 1919 einer der en­gagierteiten Vertreter der Dreigliederungsidee Rudolf Steiners. Siehe Emil Molt, «Entwurf einer Lebensbeschreibung», Stuttgart 1972, sowie einige seiner Auf­sätze in der Schriftenreihe «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Heft 1C3, Michaeli 1989. - Vgl. auch den Vortrag vom 24.Sept.1919 in diesem Band.

Dreigliederung des sozialen Organismus: Näheres siehe Rudolf Steiner «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft« (1919), GA 23, insbesondere auch Rudolf Steiners Vorwort zur 4. Aufl. 1920, ferner «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921», GA 24, und die Schriftenreihe «Beiträge zur Ru­dolf Steiner Gesamtausgabe», Hefte 24/25, 27/28, 88, 106.

an einer Art seminaristischem Kurs: Zur Vorbereitung der künftigen Waldorfleh­rer fand in Stuttgart vom 24. August bis 4. September 1919 ein pädagogischer Kursus statt, der sich in drei Teile gliederte morgens wurde ein Vortrag uber «Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Padagogik» (GA 293) gegeben darauf folgte ein weiterer uber methodisch didaktische Fragen (»Erziehungs kunst. Methodisch-Didaktisches», GA 294) und am Nachmittag wurden in se minaristischer Form padagogische Besprechungen abgehalten ( Erziehungs kunst. Seminarbesprechungen und Lehrplanvortrage» GA 295)

16 Auseinandersetzungen , die heute und am nachsten Sonntag hier in Anknup fung an die Bestrehun gen der Waldorfichule gepflo gen werden sollen Gemeint

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ist der Vortrag vom 31. August 1919 (nachmittags, siehe 5. 42ff.) für die Mitglie­der des Stuttgarter Zweiges und Interessierte.

16 eine Versammlung , , an welcher alle Eltern derjenigen Kinder teilnehmen würden, welche diese Waldorfichule hesuchen wollen: Sie fand ebenfalls am 31. August 1919 (abends) statt; vgl. 5. 64ff.

19 Herrschaft der Phrase: Siehe hierzu auch Rudolf Steiners Aufsatz «Zur Psycho­logie der Phrase« in «Gesammelte Aufsätze zur Dramaturgie», GA 29, und die Vorträge vom 12. September 1919 in «Der innere Aspekt des sozialen Rätsels», GA 193; vom 5. Mai 1920 in «Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft«, GA 301; vom 6. August 1922 in »National-ökonomischer Kurs», GA 340.

23 Johann Friedrich Herbart, 1776-1841, Philosoph und Pädagoge; lehrte in Göt­tingen, zeitweise Hauslehrer in Bern. Gilt als Begründer der wissenschaftlichen Pädagogik, die ihrerseits eng mit der praktischen Philosophie (Ethik) und der Psychologie verknüpft sein muß. Rudolf Steiner spricht über Herbarts Weltan­schauung im Kap. «Reaktionäre Weltanschauungen» in «Die Rätsel der Philoso­phie«, GA 18. Siehe auch den Vortrag vom 4. Dezember 1903 in «Spirituelle Seelenlehre und Weltbetrachtung», GA 52; vgl. außerdem die Fragenbeantwor­tung vom 27. November 1919 im vorliegenden Band. Werke: »Allgemeine Pad­agogik» (1806), «Umriß pädagogischer Vorlesungen» (1835).

24 finden Sie in meinen Schriften und Veröffentlichun gen dargestellt: Über die Kulturepochen siehe u.a. das Kapitel »Die Weltentwickelung und der Mensch», in «Die Geheimwissenschaft im Umriß« (1910), GA 13, die Schrift «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit«, GA 15, und die Vorträge vom 7. und 14. Juni1906 in «Kosmogonie», GA 94.

34 Johannes Kretzsch mar, geb. 1876, Realsehuloberlehrer und Assistent am Institut für Kultur- und Universalgeschichte an der Universität Leipzig. «Entwicklungs-psychologie und ErziehungswissenschafL Eine pädagogische Studie auf entwick­lungstheoretischer, ethnologischer und kulturhistorischer Grundlage», Leipzig

1912.

35 «Gehen wir nun ...»: Ebenda, S. 211.

36 Dreigliederung des sozialen Organismus: Siehe den entsprechenden Hinweis zu

S.15.

36f. «wird darauf hinzuwirken haben»: «Entwicklungspsychologie und Erziehungs-wissenschaft«, S.211.

37 «Dieser größere Einfluß ...»: Ebenda, S.212

38 «Es gab eine Zeit, ...»: Ebenda.

«Dasjenige Gebiet ... «: Ebenda.

39 daß die Lehrerbildung anders werden müßte: Ebenda, 2. Kapitel 3. «Seelische Entwicklung und pädagogische Forschung« und 4. «Erziehung und Erziehungs-wissenschaft im Staate der Zukunft«.

313

39 daß er die Pädagogik der Staatswissenschaft... zuweisen möchte: «Es wäre viel­leicht vorteilhaft, den Gedanke der pädagogischen Fakultät mit dem er staats-wissenschaftlichen zu verbinden. Die Beziehungen zwischen beiden Wissen­schaften sind ja außerordentlich enge ... Eine staatswissenschaftlich-pädagogi-sehe Fakultät würde also sehr gut denkbar sein, sie wäre mehr als eine bloße Utopie.» («Entwicklungspsychologie und Erziehungswissenschaft», S.194)

41 Ich werde am nächsten Sonntag: Siehe Vortrag vom 31. August 1919 (nachmit­tags) im vorliegenden Band.

42 Vor acht Tagen: Vortrag vom 24. August 1919, siehe S. 15ff

43 schon im letzten Vortrag: Siehe vorstehenden Hinweis.

daß eine pädagogisch-didaktische Vorbereitung stattfindet: Siehe den entspre­chenden Hinweis zu S.15.

44 Ernst von Sallwürk (E. S. von Wenzelstein), 1839-1926, Ministerialdirektor in Baden, Schulmann und pädagogischer Schriftsteller. Ursprünglich die Herbart­sehe Pädagogik vertretend, wandte er sich später der voluntaristischen Päd­agogik zu. Auf verschiedensten Gebieten der Pädagogik (Arbeitsschule, Kunst-erziehung etc.) brachte er selbständige Arbeiten hervor.

das der jüngst verstorbene Ernst Haeckel bezeichnete ali das «bio genetische Grundgesetz«: Ernst Haeckel (1834-1919), Zoologe und Professor in Jena. -Über das «biogenetische Grundgesetz» macht Rudolf Steiner in seiner im Jahre 1900 erschienenen Schrift «Haeckel und seine Gegner» folgende Anmerkung:

«Haeckel hat die allgemeine Geltung und weittragende Bedeutung des biogene­tischen Grundgesetzes in einer Reihe von Arbeiten nachgewiesen. Die wichtig­sten Aufschlüsse und Beweise findet man in seiner «Biologie der Kalkschwäm­me> (1872) und in seinen (1873-84). Seitdem haben diese Lehre andere Zoologen ausgebaut und bestätigt. In seiner neuesten Schrift >Die Welträtsel> (1899) kann Haeckel von ihr sagen (S.72):

Ernst von Sallwürk, »Gesinnungsuntericht und Kulturgeschichte«> 1887. Herhartsche Anschauung: Siehe den Hinweis zu S. 23.

44f. Theodor Vogt, 1835-1908, Philosoph und Pädagoge, Professor in Wien, ab 1882 Leiter des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik und Herausgeber dessen Jahrbuchs; Herbartianer und Vertreter einer formalistischen Ästhetik. «Das pädagogische Universitätsseminar», 1884.

45 Wilhelm Rein, 1847-1929, Pädagoge, seit 1886 Professor in Jena, Lehrerbildner in Weimar und Eisenach. Er stellte der Pädagogik eine doppelte Aufgabe: zum

314

einen sollte sie als historische Pädagogik die Bedingungen der Entwicklung der Erziehung betrachten, zum anderen sah er sie als eine von der Ethik und der Psychologie abhängige technologische Wissenschaft; als eine solche syste­matische Erziehungslehre sollte sie vor allem die Frage nach dem erzieherischen Sollen beantworten. «Pädagogik im Umriß«, 1870.

48 zum Beispiel wenn man Faheln dem Kinde so beibringt: Vgl. hierzu auch die Seminarbesprechung vom 27. August 1919 in «Erziehungskunst. Seminarbespre­chungen und Lehrplanvorträge», GA 295.

49 «Der Wolf und das Lamm«: Berühmte Fabel, die wohl ursprünglich auf Äsop (620-560 v.Chr.) zurückgeht, jedoch von verschiedenen Dichtern wie Phaedrus, Luther, Lafontaine und Lessing leicht variiert wiedergegeben wird. Die Fabel zeichnet ein Bild dafür, wie der Gerechte mit vorgeschobenen Argumenten ver­nichtet werden soll: Der Wolf beschuldigt das Lamm mit verschiedensten vor­geschobenen Anklagen, die es alle wahrheitsgemäß widerlegen kann; trotzdem wird es schließlich vom Wolf gefressen.

54 in meinen Schriften finden Sie alle diese Dinge aus dem Fundament heraus entwickelt: z.B. in «Die Geheimwissenschaft im Umriß», GA 13. - Uber das Jüngerwerden der Menschheit spricht Rudolf Steiner u.a. in den Vorträgen vom 19. Mai 1917 in «Mitteleuropa zwischen Ost und West«, GA 174a; vom S. Sep­tember 1915 in «Zufall, Notwendigkeit und Vorsehung», GA 163; vom 13. Mai 1917 in «Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges», GA 174b, und vom 16. Januar 1920 in »Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheits-entwickelung», GA 196.

66 Als Herr Molt daranging: Siehe den entsprechenden Hinweis zu S.15.

69 mit einem Kursus für unsere Lehrerschaft: Siehe den entsprechenden Hinweis zu

S. 15.

75 Seminarkursus: Siehe den entsprechenden Hinweis zu S.15.

76 Uns ist die Erzählung erhalten geblieben von einem der letzten Häuptlinge ... , der eine schöne Rede hielt: Rudolf Steiner entnahm diese Rede dem Buch »Der Occultismus der nordamerikanischen Indianer» von L. Kuhlenbeck, Leipzig o.J., Verlag Wilhelm Friedrich. Sie ist die Antwort eines Choctaw Häuptlings -die Choctaws waren ein seßhaftes Volk von Ackerbauern im südöstlichen Teil der heutigen USA - auf die Rede eines Unterhändlers der Vereinigten Staaten. Wörtlich heißt es (S. 8):« Der rote Mann hat keine Bücher, und wenn er seine Meinung mitteilen will, wie sein Vater vor ihm, so spricht er sie aus durch seinen eigenen Mund. Er fürchtet die Schrift. Wenn er selbst spricht, weiß er, was er sagt, der große Geist hört ihn. Schrift ist die Erfindung der Bleichgesichter, sie gebiert Irrtum und Streit. - Der große Geist spricht - wir hören ihn im Donner, im brausenden Sturm, in der mächtigen Woge - aber schreibt niemals, Brüder!«

- Rudolf Steiner erwähnt diese Rede auch im Vortrag vom 12. Juni 1910 (mor­gens) in «Die Mission einzelner Volksseelen», GA 121.

83 in einer Stadt hier in der Nachbarschaft: Vermutlich spricht Rudolf Steiner hier von dem Vortrag vom 2. Juni 1919 in Tübingen: «Die sozialen Forderungen der Gegenwart und ihr praktischen Verwirklichungen« (noch unveröffentlicht).

315

84 Enrico Caruso, 1873-1921, legendärer Sänger (lyrischer Tenor), der Maßstäbe für kunstvolles Singen verbunden mit darstellerischem Ausdruck setzte. Caruso war die überragende Sängerpersönlichkeit seiner Zeit.

90 unser Freund, Herr Molt: Siehe den entsprechenden Hinweis zu S. 15

91 den einleitenden seminaristischen Kursus: Siehe den entsprechenden Hinweis zu

S.15.

92 »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (1904/05), GA 10.

Stufen der übersinnlichen Erkenntnis: Siehe »Die Stufen der höheren Erkennt­nis» (1905-1908), GA 12. Ursprünglich waren diese Aufsätze, die die Erkennt­nisstufen der Imagination, Inspiration und Intuition behandeln, als »Zwischen-betrachtung» zu den vorherigen Aufsätzen über das Thema »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» gedacht, die demnach weitergeführt werden sollten. Aufgrund anderer Verpflichtungen mußte Rudolf Steiner jedoch die Zeitschrift «Lucifer - Gnosis», in der diese Aufsätze erschienen waren, 1908 einstellen, so daß die Aufsatzreihe nicht mehr zu Ende gebracht wurde. Wie jedoch aus dem vorliegenden und anderen Vorträgen hervorgeht, gehörten für Rudolf Steiner die Aufsätze über die «Stufen der höheren Erkenntnis» unmittel­bar zu den Aufsätzen über die Frage »Wie erlangt man Erkenntnisse der höhe­ren Welten?».

Ich habe in diesem Frühling hier schon darauf hingewiesen: Siehe die drei Vor­träge über Volkspädagogik (11. und 18. Mai, 1. Juni 1919) in «Geisteswissen­schaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen», GA 192; über die Lebensepochen insbesondere den Vortrag vom ii. Mai 1919.

97 marzistisch-englisch-sozialistische Denken: Gemeint ist vermutlich «sozialisti­sches Denken im Sinne von Marx und Engels».

108 im seminaristischen Kursus: Siehe den entsprechenden Hinweis zu S.15.

109 die sogenannte Frauenfrage: Siehe hierzu Rudolf Steiners Vortrag vom 17. November 1906 über »Die Frauenfrage», enthalten in »Die Welträtsel und die Anthroposophie», GA 54.

110 Iljitsch Wladimir Lenin, eigentlich Uljanow, 1870-1924, Sozialrevolutionär,

bedeutendster Theoretiker des dialektischen Materialismus. Aus russischem

Bauernadel stammend; Führer der Bolschewisten, wurde im November 1917

(Novemberrevolution) Vorsitzender der Volkskommissare. Gründer der

Sowjetunion (1922), deren Regierungschef er bis zu seinem Tode blieb.

Leo Trotzki (Leib Bronstein), 1879-1940, engster Mitarbeiter Lenins, maß­gebend für den Aufbau der Sowjetunion als Militärmacht. Wurde 1929 von Stalin verbannt, emigrierte nach Mexiko., wo er 1940 ermordet wurde.

Anatol Wassiljewitsch Lunatscharski< 1875-1933, russischer Schriftsteller und Politiker, Kommissar für Volksbildung in Rußland nach der Oktoberrevolution von 1917-1929; danach Präsident der Akademie der Künste in Moskau.

von B. und ähnlichen Leuten: So in der maschinenichriftlichen Übertragung des Stenogramms. Da das Originalstenogramm nicht vorliegt, ist der Name nicht mehr zu eruieren.

316

113 Und wenn ich hier auch seit dem Frühling die drei Organisationen geschildert habe: Von April bis Juli1919 hielt Rudolf Steiner in Stuttgart und Umgebung zahlreiche Vorträge über die soziale Dreigliederung. Vgl. die Bände «Geistes-wissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen», GA 192; «Neugestaltung des sozialen Organismus», GA 330; «Betriebsräte und Soziali­sierung», GA 331; und «Gedankenfreiheit und soziale Kräfte«, GA 333.

an die Stelle der antisozialen Triebe jene sozialen Triebe: Vgl. hierzu die Vor­träge vom 6. und 12. Dezember 1918, «Soziale und antisoziale Triebe im Menschen«, enthalten in «Die soziale Grundforderung unserer Zeit. In geänder­ter Zeitlage«, GA 186.

114 meine sozialen Vorträge: Siehe vor allem die Vorträge über «Geisteswissen­schaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen», GA 192; «Neuge­staltung des sozialen Organismus», GA 330, und «Betriebsräte und Sozialisie­rung«, GA 331. Über «Arbeit als Ware» vgl. insbesondere die Vorträge vom 22. April und 13. Mai 1919 in «Neugestaltung des sozialen Organismus», GA 330, und den Diskussionsabend vom 22. Mai 1919 in «Betriebsräte und Sozialisie­rung«, GA 331.

tn ein er Nachbarstadt dieser Stadt hier sprach ich diesen Satz aus: Es handelt sich wahrscheinlich um den Vortrag vom 2. Juni1919 in Tübingen mit dem Titel:

«Die sozialen Forderungen der Gegenwart und ihre praktische Verwirkli­chung»; es existiert keine Nachschrift dieses Vortrages, jedoch ein ausführliches Referat von Hermann Heisler in der «Tübinger Chronik« vom 7. Juni 1919. Tatsächlich findet sich in diesem Leitartikel der Satz «Deshalb muß die Arbeits­kraft erlöst werden vom wahren Charaktere; jedoch lassen die weiteren Ausfüh­rungen vermuten, daß es sich um einen Druckfehler handelt und das Mißver­ständnis nicht auf seiten des Autors lag. Da der betreffende Satz auch nicht am Schluß des Artikels steht, ist es nicht ganz sicher, ob dies der von Rudolf Steiner gemeinte Artikel ist. Der oben erwähnte Artikel ist faksimiliert abgedruckt im Heft 103 der Schriftenreihe «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe».

115 wie die deutsche Valuta mit jedem Tag mehr und mehr zerrinnt: In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg verfiel die deutsche Währung zusehends, bis im Jahre 1922 ein Höhepunkt erreicht war - man zahlte für einfache tägliche Dinge Billionen - und die Währung neu geordnet wurde.

116 Und diese Devise muß sein:« Suchet das wirklich praktische materielle Lehen ...»: Von Rudolf Steiner liegt keine handschriftliche oder sonstige Fassung dieses Schluß-Leitsatzes vor, auch befindet sich im Archiv der Rudolf Steiner-Nach­laßverwaltung kein Original des Stenogrammes von Frau Hummel, nur eine maschinenschriftliche Nachschrift. Jedoch gibt es im Archiv eine Fassung des Spruches in der Handschrift von Marie Steiner mit dem Datum Stuttgart, 23. September 1919, die in mehreren Punkten von der von Frau Hummel überlie­ferten abweicht. Die Herausgeber haben sich dafür entschieden, im Text die Fassung zu nehmen, die sich auch in «Wahrspruchwo.rte«, GA 40, und in «Ri­tualtcxte , GA 269, findet. Diese entspricht im wesentlichen derjenigen von Frau Hummel, nur heißt es bei Hummel in Zeile 11 «entwickelt« statt «entwik­kele« (ebenso. bei Marie Steiner), in Zeile 15 «geoffenbart« statt «offenbart« und in Zeile 19 «der von den besten Sehnsuchten in den tiefsten Untergründen» statt «der von den Besten in den tiefsten Untergründen«. Die Unterschiede zwischen

317

der Fassung von Frau Hummel und derjenigen von Marie Steiner sind gravieren­der. Für die Ausgabe «Wahrspruchworte. Richtspruchworte« (Dornach 1953) hatten sich die Herausgeber für die Fassung Marie Steiners entschieden. Somit sind beide Varianten schon einmal veröffentlicht worden. Zur Übersicht sind im folgenden die Zeilen, in denen die beiden Fassungen voneinander abweichen, einander gegenübergestellt (1. Zeile: Hummel; 2. Zeile: Marie Steiner):

1 Suchet das wirklich praktische materielle Leben

Suchet das wirkliche, praktische materielle Leben

4 Aber suchet ihn nicht in übersinnlicher Wollust, aus übersinnlichem Egoismus Aber nicht in übersinnlicher Wollust, aus übersinnlichem Egoismus

13 Die Materie, die von uns bearbeitet wird, bis zu ihrer Offenbarung bis zu ihrer Offenbarung

14 Durch die sie den Geist aus sich selber heraustreibt Ohne die sie den Geist am Leibe selbst heraustreibt

16 Der Geist, der von uns an die Materie herangetrieben wird Der Geist, der von uns in die Materie hineingehoben wird

18 welches die Menschheit zum wirklichen Fortschritt bringen kann Welches die Menschheit zum wirklichen Fortschritte bringen kann

19 Zu demjenigen Fortschritt, der von den besten Sehnsuchten Zu demjenigen Fortschritte, der von den Besten

116 «Geist ist niemals ohne Materie, Materie niemals ohne Geist«: Vgl. hierzu Ru­dolf Steiners Ausführungen im Giordano-Bruno-Bund, abgedruckt in «Beiträge zur Rudolf Steiners Gesamtausgabe», Heft 79/80.

118 daß da eine merkantilistische Schule, eine physiokratische Schule und so weiter ezistiert haben: Während die Merkantilisten im absolutistischen Frankreich des 18. Jahrhunderts die Erreichung eines allgemeinen Wohlstandes durch die staat­liche Lenkung und Förderung von Industrie und Handel anstrebten, sahen die Physiokraten in der Landwirtschaft die Hauptquelle der Produktion und des Reichtums.

Adam Smith,1723-1790, britischer Philosoph und Volkswirtschaftler. Gilt als Begründer der «klassischen Nationalökonomie». Er hat als erster die individua­listischen und liberalen Wirtschaftstheorien des 18. Jahrhunderts geschlossen zur Darstellung gebracht. Hauptwerk: «An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations« (1776), 4 Bde., deutsch von Max Stirner 1846/47.

119 François Marie Charles Fourier, 1772-1837, französischer Sozialteformer, arbei­tete u.a. ein soziales System aus, in dem durch die Produktivassoziation Land­wirtschaft und Industrie verbunden und jeder Zwischenhandel ausgeschaltet werden sollte. - Glaude Henry de Saint-Simon, 1760-1825, wird auch als »reli­giöser Sozialist« bezeichnet; Hauptwerke: «Catéchisme des industrielse (1823), »Nouveau Christianisme» (1825). - Louis Blanc, 1811-1882, Historiker und Politiker, propagierte den genossenschaftlichen Zusammenschluß der Arbeiter gleicher Berufsgruppen zu gemeinschaftlicher Erzeugung («soziale Werkstatt»).

- Über die «utopischen Sozialisten« vgl. die Vorträge vom 3. Februar 1919 in

318

«Die soziale Frage», GA 328, vom 30. Juli 1919 in »Neugestaltung des sozialen Organismus», GA 330, und vom 24. Oktober 1919 in »Soziale Zukunft», GA 332a.

132 «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« (1904/05), GA 10; «Die

Geheimwissenschaft im Umriß» (1910), GA 13, siehe dort das Kapitel «Die

Erkenntnis der höheren Welten«, S. 299ff. Über die drei Stufen höherer

Erkenntnisse siehe auch die Aufsätze über «Die Stufen höherer Erkenntnis»,

GA 12, die ursprünglich als Zwischenbetrachtung zu »Wie erlangt man Er­kenntnisse der höheren Welten?» geplant waren.

137 Nikolaus Kopernikus, 1473-1543, Humanist, Mathematiker, Astronom, Arzt, Jurist. Begründer der neuzeitlichen Astronomie.

Galileo Galilei, 1564-1642, unter anderem Entdecker der Pendel- und zahlrei­cher astronomischer Gesetze.

139 Oskar Hertwig, 1849-1922, Anato.m und Biologe. Nach einer zehnjährigen Pro­fessur in Jena leitete er ab 1888 das anato.misch-biologische Institut in Berlin.

Rudolf Steiner verweist in Schriften und Vorträgen immer wieder auf die Werke

Hertwigs, in denen er sich gegen Darwins Entwicklungstheorie wendet. «Das

Werden der Organismen. Eine Widerlegung von Darwins Zufalltheorie», Jena

1916;« Zur Abwehr des ethischen, des sozialen, des politischen Darwinismus»,

Jena 1918. Zu diesen beiden Büchern Hertwigs vgl. auch die Vorträge Rudolf

Steiners vom 15. April 1918 in «Das Ewige in der Menschenseele», GA 67; vOm

23. April 1918 in »Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges», GA

174b; vom 30. Juni 1918 in «Der Tod als Lebenswandlung», GA 182; und vom

9. April 1919 in «Die Befreiung des Menschenwesens als Grundlage für eine

soziale Neugestaltung», GA 329. Im letztgenannten Band findet sich in den

Hinweisen (zu S. 161), ein konkretes Beispiel für das hier Angesprochene.

144 Bei meinem letzten Vortrage, den ich hier in Basel über die soziale Frage halten durfte: Es handelt sich um den Vortrag vOm 9. April 1919, abgedruckt im Band «Die Befreiung des Menschenwesens als Grundlage für eine soziale Neugestal­tung«, GA 323.

145 Pjotr Alexejewusch Kropotkin, 1842-1921, russischer Revolutionär und Anar­chist, bedeutender Geograph. Er setzte Darwins «Kampf ums Dasein« das Prin­zip der «gegenseitigen Hilfe» («Gegenseitige Hilfe in der Entwicklung», 1902) entgegen. Kro.po.tkin lebte während des Ersten Weltkrieges in London.

ein Brief Kropotkins an Georg Brandes: Max Nettlau erwähnt in seinem Werk «Anarchisten und Syndikalisten» (Topos Verlag Vaduz 1984), Teil I, S. 300, folgendes: «P. Kropotkin schrieb 1898 einen Brief an Georg Brandes, den das Tagbiatt Politiken (Kopenhagen) veröffentlichte ... « Dieser Brief stand in Zu­sammenhang mit der Ermordung der Kaiserin Elisabeth von Österreich durch Luigi Luccheni am 10. September 1898 in Genf, die die anarchistische Welt in zwei Teile (Gewaltbefürworter und Gewaltgegner) spaltete. - Es ist freilich sehr fraglich, ob Rudolf Steiner sich hier (im Jahre 1919!) auf diesen Brief bezieht, jedoch ist kein weiterer Brief von Kro.po.tkin an Brandes bekannt.

Georg Brandes,1842-1927, eigentlich Morris Co.hen, dänischer Kritiker, Litera­turhistoriker und Biograph, lebte lange Zeit in Deutschland; Vertreter einer

319

aufklärerischen positivistischen Weltanschauung; Wegbereiter der realistischen skandinavischen Literatur (Ibsen, Hamsun).

145 Dreigliederung des sozialen Organismus: Siehe den entsprechenden Hinweis zu

S.15.

146 das Anschauen des Geistes auf die Weise, wie es zum Beispiel im Spiritismus oder in falschen mystischen Richtungen gepflo gen wird: Manfred Kyber schildert in seinem Buche «Einführung in den Okkultismus« (Stuttgart 1923) im Kapitel «Spiritismus, Hypnose ...» den Unterschied zwischen Spiritismus und Hellse­hen folgendermaßen: «Sie müssen sich den Unterschied zwischen Spiritismus und Hellsehen ungefähr so vorstellen: Sie befinden sich im Erdgeschoß und wollen nun die Gewißheit erlangen, daß es im ersten Stockwerk ebenfalls ein Zimmer gibt und daß dieses Zimmer bewohnt und ähnlich geartet ist. Sie kön­nen nun eine Leiter aufstellen und ein kleines Loch in die Decke schlagen; durch dieses Loch strecken Sie die Hand hindurch und holen irgend einen Gegenstand herunter, der Ihnen - tatsächlich - den Beweis der Existenz und der Bewohnt­heit des ersten Stockes gibt, aus dem aber Folgerungen auf die Bewohner zu ziehen mehr als fragwürdig und riskant sein wird. Das ist der Vorgang beim Spiritismus und seinen verwandten Erscheinungen. Sie können nun anderseits, wenn Ihre Kraft und Geschicklichkeit ausreicht, das Loch in der Decke so. ver­größern, daß Sie den Kopf hindurchitecken und sich selbst wenigstens zum Teil in das erste Stockwerk hineinversetzen. Ein weiteres persönliches Hinaufklet­tern in noch weitere Stockwerke würde ungefähr dem Vorgang entsprechen, der bei höherer Entwicklung des Menschen ins Geistige hinein stattfindet. Aber auch das erste Hineinschauen in das erste Stockwerk ist immer schon unendlich viel sicherer und Folgerungen und Wahrnehmungen zugänglicher, als das Her­abzerren eines beliebigen Gegenstandes nach unten. Der zweite Vorgang wäre nun dem Hellsehen ähnlich, das in die geistige Welt hinaufgeht, sich zu ihr emporentwickelt. Der Spiritismus ist also die niedrigste Wahrnehmungsmög­lichkeit einer übersinnlichen Welt und damit ihre irrtumreichste.» - Vgl. zu diesem Thema auch Rudolf Steiners Vorträge «Das Initiatenbewußtsein. Die wahren und die falschen Wege der geistigen Forschung«, GA 243.

148 «Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt» (1914), GA 18.

wie ich versucht habe< das Wesen der Künste zu deuten: Siehe - neben den speziellen Vorträgen zu den einzelnen Künsten - z. B. den Vortrag vom 28. Oktober 1909 «Das Wesen der Künste» in «Kunst und Kunsterkenntnis», GA 271, oder die Bände »Kunst im Lichte der Mysterienweisheit«, GA 275, und «Das Künstlerische in seiner Weltmission», GA 276.

149 expressionistische Kunstprodukte: Der Expressionismus entstand zunächst aus einer Opposition gegen überkommene Tradtionen, von denen sich die Künstler in den ersten beiden Jahrzehnten des Jahrhunderts nicht mehr getragen fühlten und von denen sie sich demonstrativ abwandten. Dem seelischen Erleben selbst sollte Ausdruck gegeben werden. Die Bildmittel - Farbe und Form - erhielten eigenständigen Ausdruckswert. Die äußerlich gegebenen Formen und/oder Far­ben wurden umgebildet, verzerrt oder ganz aufgelöst. Wegbereiter waren Maler wie Cezanne, Gauguin, van Gogh, Muneh, Hodler. In Deutschland entstanden Künstlervereinigungen wie die «Brücke» (Kirchner, Schmidt-Rottluff u.a.) oder

320

der «Blaue Reiter» (Kandinsky, Marc, Macke u.a.). In der Bildhauerkunst wirk­ten in diese Richtung vor allem Barlach und Lehmbruck. - Die expressionisti­sche Dichtung mit ihrer Suche nach dem Wesenhaften der Dinge und nach dem «neuen», friedfertigen und brüderlichen Menschen hatte vor allem in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ihre Blüte (Werfel, Lasker-Schüler, Benn, Stramm, Schwitters u.a.).

150 Raffael Santi, 1483-1520, italienischer Renaissaneemaler. - Über Raffael vgl. auch den Vortrag vom 30. Januar 1913 in «Ergebnisse der Geistesforschung», GA 62; eine chronologische Übersicht über Vorträge Rudolf Steiners, in denen sich Ausführungen über Raffael und sein Werk befinden, ist publiziert in der Schriftenreihe «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Heft 82, Dornach Weihnachten 1983.

151 Gotthold Ephraim Lessing, 1729-1781, «Die Erziehung des Menschen­geschlechts», Berlin 1780.

in dem Dornacher Bau äußerlich künstlerisch zur Anschauung zu bringen:

Vgl. hierzu die Vorträge «Wege zu einem neuen Baustil», GA 286.

Emil Molt: Siehe den entsprechenden Hinweis zu S.15.

den pädagogischen Kurs für die Lehrerschaft: Siehe den entsprechenden Hinweis zu S.15.

154 In einer süddeutschen Stadt ... habe ich vor vielen Jahren einen Vortrag gehal-ten: Es handelt sich um den Vortrag vom 21. November 1905, «Die Weisheits­lehren des Christentums im Lichte der Theosophie», in Colmar, von dem keine Nachsehrift erhalten ist. - Über die Begegnung mit den beiden Geistlichen be­richtet Rudolf Steiner auch im Vortrag vom 1. Februar 1906 in Berlin im Band »Die Welträtsel und die Anthroposophie», GA 54.

157 dem pädagogischen Wirken, dem ja Ihre Tätigkeit gewidmet ist: Vgl. die obigen Hinweise »Zu dieser Ausgabe»

159 «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (1904/05); »Geheimwis­senschaft im Umriß» (1910), GA 13, Kap. «Die Erkenntnis der höheren Welten (Von der Einweihung oder Initiation)».

160 Ich habe neulich auch hier in einem öffentlichen Vortrage ein Bild gebraucht: Im Vortrag vom 20. Oktober 1919 über «Geisteswissenschaft und die Bedingungen der Kultur in Gegenwart und Zukunft», enthalten im Band «Die Befreiung des Mensehenwesens als Grundlage für eine soziale Neugestaltung», GA 329.

161 Theodor Vogt: Siehe den Hinweis zu S. 44f. und den Vortrag vom Abend des

31. August 1919.

Wilhelm Rein: Siehe den Hinweis zu S. 45 und den Vortrag vom Abend des 31. August 1919, in dem Rudolf Steiner ebenfalls auf Vogt und Rein zu sprechen kommt.

162 über deren Entwicklung sie in meinen Büchern Näheres nachlesen können: Siehe den Hinweis zu S. 54.

321

162 im Sinne der Goetbeschen Metamospbosenlebre: Siehe J.W. von Goethe «Zur Moiphologie 1: Die Metamorphose der Pflanzen» (1817) in Band I von Goethes »Naturwissenschaftlichen Schriften», herausgegeben und kommentiert von Ru­dolf Steiner in Kürschners «Deutsche National-Litteratur« 5 Bde (1883 97)

Nachdruck Dornach 1975, GA 1a-e. , . - ,

167 Emil Molt: Siehe den entsprechenden Hinweis zu S.15.

Seminar-Kursus ... für die Lehrerschaft: Siehe den entsprechenden Hinweis zu

S.15.

172 Jean Paul sagt einmal so schön: Jean Paul, 1763-1825, eigentlich Johann Paul Friedrich Richter, tätig als Hauslehrer und Schulleiter, berühmt geworden als Erzähler und Humorist aber auch als Padagoge und Asthetiker Das Erwachen des Selbstbewußtseins schildert er in der zweiten der drei Vorlesungen ub s

Leben («Aus Jean Paul s Leben» in »Jean Paul s sammtlsche Werke B 1 1862, 34. Bd.). Wörtlich lautet die Stelle Nie vergeß' ich die noch keinem Menschen erzählte Erscheinung in mir, wo ich bes der Geburt meines Selbstbe wußtseins stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiß An einem Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Hausthure und sah nach links nach der Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht, ich bin ein Ich, wie ein Blitzstral vom Himmel vor mich fuhr, und seitdem leuchtend stehen blieb da hatte mein Ich zum erstenmale sich selber gesehen und auf ewig Tauschungen d E

nerns sind hier schwerlich gedenkbar, da kein fremdes Erzählen sich in eine bios im verhangen Allerheiligsten des Menschen vorgefallne Begebenhe t d e Neuheit allein so alltaglichen Nebenumstanden das Bleiben gegeben, mit Zusat zen mengen konnte (5 26) Rudolf Steiner erwahnt dieses Erlebnis sehr oft Siehe vor allem die Aufsatze Von der Aura des Menschen» und «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» b . . . f

, in «Lucier

Gnosis. Grundlegende Aufsatze zur Anthroposophie und Benehte aus L z fe und «Lucifer-Gnosis' 1903 1908», GA 34 enthalte

179 Jean Paul bemerkte das auch und sprach es geistreich aus D e erwah te Stelle

findet sich in »Levana oder Erziehlehre» (1807), 6 Bruchstuck 4. Kap , § 123

und lautet im Original »Die Fruchte rechter Erziehung der ersten drei Jah (ei

höheres Triennium als das akademische) konnt ihr nicht unter dem Sae e t

. . . aber nach einigen Jahren wird euch der hervorkeimende Reichtum b

raschen und belohn

182 Ferdinand Hodler, 1853 1918, schweizerischer Maler Seine Werke bewegen sich zwischen Realismus, Symbolismus' und Jugendstil Seine ausdruckss'tarken Figurengestaltungen wiesen auf den Expressionismus voraus und regten ihn an

184 Herbart-Zillersche Schule Tuiskon Ziller, 1817 1882, Professor und Leiter des pädagogischen Seminars' in Leipzig, begrundete die Herbart-Zillersche Schule Er forderte eine «Konzentration des Unterrichts» um die gesinnungsbildenden Fächer und gestaltete die »formalen Stufen» für die Unterrichtslektion (Analyse, Synthese, Assoziation, System, Methode) aus'. Werke: «Einleitung in die allge­meine Pädagogik«, Langensalza 1901; «Grundlegung zur Lehre vom erziehen­den Unterricht», Leipzig 1884; «Allgemeine philosophische Ethik», Langensalza 1886.

184 Theodor Vogt: Siehe Hinweis zu S. 44f

322

187 Goethe hat einst gesagt: Wohl sinngemäße Wiedergabe eines' Aus's'pruches' Goe­thes', den J.P. Eckermann aus' dem Ges'präch vom 17 Januar 1827 berichtet:

«Wenn auch die Welt im ganzen vo.rs'chreitet, die Jugend muß doch immer wieder von vorne anfangen und als Individuum die Epochen der Weltkultur durchmachen.« («Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens», Weimar 1835)

daß wir hier in Basel eine pädagogische Arbeitsgemeinschaft bilden könnten. Tatsächlich bildete sich nach dies'em Vortrag eine Gruppe von etwa 60 Lehrern, die Rudolf Steiner zu einer Vo.rtrags'rcihe einluden. Von seiten des' Basler Erzie­hungs'departements wurde die Aula des' De Wette-Schulhauses in Bas'el zur Verfügung gestellt. So konnte, nachdem eine entsprechende Einladung an die gesamte Lehrerschaft Basels und Umgebung ergangen war, die sich über vier­zehn Tage bzw. Abende hinziehende Vo.rtragsreihe mit dem Titel »Die Erneue­rung der pädagogisch-didaktisehen Kunst« am 20. April beginnen und am II. Mai 1920 abschließen. - Der Vo.rtragszyklus ist unter dem gleichen Titel in der Gesamtausgabe erschienen (GA 301).

188 Herbart. Siehe den Hinweis zu S. 23.

192 Nikolaus Kopernikus: Vgl. Hinweis' zu S. 137.

Gio.rdano Bruno, 1548-1600, italienischer Philosoph; leidenschaftlicher Gegnei der aristotelischen Lehren. Er vollendete die kopernikanische Revolution, indem er den festen Fixsternhimmel verwarf und damit den Blick ins' Unendliche eröff­nete. 1600 in Rom als Ketzer verbrannt.

193 Metamorphosengesetz von Goethe: Vgl. Hinweis zu S. 162.

195 daß er den Weltkrieg schon im Frühling 1914 vorausgesagt habe: Dies bezieht sich wahrscheinlich auf den Vortrag vom 14. April 1914 in Wien (enthalten im Band «Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Ge­burt«, GA 153). Dort führt Rudolf Steiner aus, wie die derzeitigen Produktions-verhältnisse eine Art Kulturkarzinom erzeugen, das schlimmste Folgen befürch­ten läßt. - An einer der vorliegenden ähnlichen Stelle, in einem Vortrag vom 14. Oktober 1919 im Band «Die Befreiung des Menschenwesens' als Grundlage für eine soziale Neugestaltung«, GA 329, formulierte es Rudolf Steiner rückblik­kend so.: «Ich mußte im Frühfrühling 1914 in Wien es aussprechen, daß dem, der vom geisteswissenschsftlichen Gesichtspunkte aus die Entwickelung der moder­nen Menschheit anschaut, vorschwebt, wie die moderne soziale Entwickelung einer Krankheit, einer Art Geschwürbildung gleiche, die in der nächsten Zeit in einer furchtbaren Weise würde zum Ausbruche kommen können.«

196 Wehrstand, Lehrstand< Nährstand: Die Formulierung «Nährstand, Wehrstand, Lehrstand« stammt von Erasmus Alberus (1500-1553) und findet sich ähnlich auch bei Luther. Sie faßt das von Plato. in der «Politeia» über die Stände Gesagte zusammen; so. im «phönikischen Mythos«, wonach Gott den Herrschenden (Weisen) bei der Geburt Gold, ihren Beihelfern, den Wächtern, Silber, den Bauern und Handwerkern aber Eisen und Erz beigemischt habe (»Politeis«, II. Buch, S. 414ff.). Siehe hierzu auch Vincenz Knauer, »Die Hauptprobleme der Philosophie», Wien und Leipzig 1892 (dieses Buch befindet sich in der Biblio­thek Rudolf Steiners). Dort heißt es in den Vorlesungen über Plato (S. 124):

»Wie sich das Seelische im einzelnen Menschen in das Vernünftige, Iraseible und

323

Concupiscible gliedert, s'o finden sich im Staate drei Stände, die wir einer uns geläufigen Redeweise ganz entsprechend als Lehr-, Nähr- und Wehrs'tand bezeichnen können.»

197 Heinrich Spitta, «1849, Philos'ophieprofes's'or in Tübingen. Werke: »Die Schlaf-und Traumzustände der mens'chlichen Seele», Tübingen 1878; »Einleitung in die Psychologie als' Wissenschaft», 1886.

199 Einer unserer englischen Freunde: Vermutlich handelt es sieh um den dänischen, in England lebenden Baron Arild von Rosenkrantz (1870-1964), dessen Initia­tive der »Summer Art Course» im August 1921 zu verdanken ist, der ursprüng­lich schon für den August 1920 geplant war. Dieser Kurs' ist wohl in dem Artikel vom 16. Juli 1920 gemeint, wenn von einem «zehntägigen Besuch, der im August stattfinden soll« die Rede ist.

200 Betrerkungen und Kommentare: Im englischen Original (»The Architeet», Nr.

34/1920) heißt es:

»Notes and Comments: A Co.llege für Spiritual Science. - A College für Spiri­tual Science has been erected under the name of the

unser Herhstkurs, der am 26. September eröffnet werden soll: Der sogenannte »Erste anthropo.sophische Hochschulkurs» (26. September-16. Oktober 1920), welcher mit etwa 100 Vorträgen zu den verschiedensten Wissenschafts- und Lebensbereichen und zahlreichen künstlerischen Veranstaltungen die Arbeit im Ersten Goetheanum eröffnete. Siehe dazu vor allem die Vorträge »Grenzen der Naturerkenntnis«, GA 322; »Die Kunst der Deklamation» in »Die Kunst der Rezitation und Deklamation», GA 281, und »Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft. Zur Therapie und Hygiene», GA 314.

Im Frühling wurde ja hier schon in einem engeren Kurse dargestellt: Es handelt sich um die zwanzig Vorträge für Ärzte und Medizinstudierende, die in Dorn-ach vom 21. März bis zum 9. April 1920 gehalten wurden und in dem Band «Geisteswissenschaft und Medizin», GA 312, versammelt sind.

davon soll ja die äußere Formung des Baues selbst Zeugnis ablegen: Vgl. dazu die in dem Band «Wege zu einem neuen Baustil«, GA 286, versammelten Vorträge Rudolf Steiners.

201 Diese Freie Waldorfichute in Stuttgart ist eine Schöpfung von Emil Molt: Siehe den entsprechenden Hinweis' zu S.15.

218 nach dem Prinzip der Goetheschen Metamospbosenlebre: Vergleiche den ent­sprechenden Hinweis zu S. 162.

324

219 Man kann es auch begleiten: Dieser nicht ganz verständliche Satz fand sich so in der Klartextübertragung von Frau Hummel. Auch das Heranziehen des Ori­ginals'tenogramms ergab keine befriedigende Lösung, da die beiden Worte zwi­schen «was . . . ausdrückt» unleserlich sind.

222 Temperamente: Vgl. hierzu auch den Vortrag vom 4. März 1909 »Das Geheim­nis der menschlichen Temperamente», in «Wo und wie findet man den Geist?», GA 57; viele Hinweise zu den Temperamenten finden sich in den pädagogischen Vorträgen, ins'beso.ndere in dem Band «Erziehungskunst. Seminarbespreehungen und Lehrplanvorträge», GA 295.

225 »Due Erziehung des Kundes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» (1907) in «Lucifer-Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Berichte aus den Zeitschriften ,Luzifer' und

227 «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« (1904/05), GA 10.

230 von dem eigentlich Jean Paul sagt: Siehe hierzu den Hinweis zu S. 172.

231 die von Herrn Meyer in seinem Referat so schön angestellten Betrachtungen:

Rudolf Meyer, 1877-1947, von Rudolf Steiner 1919 zum Leiter des Berliner Zweiges bestimmt. 1925 zog er sich von der öffentlichen Wirksamkeit innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft zurück, gründete dann aber 1946 das «Studienhaus Hammerberge in Uchte bei Bremen. - Seine drei Vorträge beim ersten Hochschulkurs über »Johann Friedrich Herbarts Lehre vom Menschen und dessen Erziehung vom Standpunkte der Anthroposophie» sind abgedruckt im dritten Band «Kultur und Erziehung», Der Kommende Tag A.G./Verlag, Stuttgart 1921, S. 113ff.

Johann Heinrich Pestalozzi, 1746-1827, führte zunächst in der Schweiz (auf dem Neuenhof) eine Armenanstalt für Kinder, die er in Verbindung von Land- und gewerblicher Arbeit unterwies' und erzog. Ab 1780 schriftstellerisch tätig; er wandte sich in seinen kulturkritischen Schriften gegen die unmenschlichen Ver­hältnisse seiner Zeit. 1798 bemühte er sich um durch Kriegswirren verwaiste Kinder in Stans. Ab 1799 war er pädagogisch tätig in Burgdorf, ab 1805 in Yverdon. Mit seiner dortigen Arbeit wurde er weltweit bekannt. Insbesondere bemühte er sich um die Verbindung von Schule, Lehrerbildung, Pensionsanstalt und Waisenhaus. Mit seinen pädagogischen Schriften hat er das Schulwesen maßgebend beeinflußt. Werkauswahl: «Abendstunde eines' Einsiedlers« (1870), «Lienhard und Gertrud« (1781-87), «Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechtes» (1797), «Wie Gertrud ihre Kinder lehrt« (1801).

Johann Gottlieb Fichte, 1762-1814, Philosoph des deutschen Idealismus; zu­nächst Professor an der Universität in Jena, dann, da er dort infolge eines schein­bar gegen die Religion gerichteten Artikels entlassen wurde, in Berlin. - Zu dem vorliegenden pädagogischen Zusammenhang siehe insbesondere den Vortrag Rudolf Steiners vom 8. Januar 1917 in «Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit - Zweiter Teil«, GA 174, in dem Rudolf Steiner über Fichtes «Reden an die deutsche Nation« (Berlin 1808) als Aufruf zur Selbsterziehung spricht.

325

233 Herbart: Siehe den Hinweis zu S. 23.

234 Schillers »Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen»: Friedrich Schil­ler, 1759-1805, »Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen» (1795). Über das' Folgende siehe insbesondere den 12.-18. Brief.

235 Franz Brentano, 1838-1917, ein Neffe Clemens Brentanos, katholischer Theolo­ge und Professor für Philosophie und Psychologie in Würzburg, bis er 1873 aufgrund des Infallibilitätsdogmas aus der Kirche austrat und seine Professur niederlegte. Ab 1874 wirkte er als Professor und später als' Privatdozent in Wien. Rudolf Steiner widmete ihm 1917 in der Schrift »Von Seelenrätseln», GA 21, einen Nachruf. Siehe auch die Aufsätze über ihn in »Methodische Grundlagen der Anthroposophie», GA 30, S. 526ff., in »Der Goetheanumgedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart», GA 36, S. 153ff. und S. 158ff., und den Vor­trag vom 12. Dezember 1911 in »Anthroposophie - Psychosophie - Pneumato­sophie», GA 115. Werke: »Die Psychologie des Aristoteles» (Mainz 1867); »Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis» (Leipzig 1889).

Robert Zimmermann, 1824-1898, Ästhetiker und Philosoph. Von 1861-1895

Professor der Philosophie an der Wiener Universität. Einer der bedeutendsten

Vertreter der Herbartschen Schule. Die «Philosophische Propädeutik» erschien

1852. Außerdem erschien von Zimmermann eine «Anthroposophie im Umriß.

Entwurf eines Systems idealer Weltansicht auf monistischer Grundlage», Wien

1882.

238 Hermann Rollett, 1819-1904, österreichischer Dichter, wegen seiner politischen Gesinnung in den 1840er Jahren verfolgt, 1851-54 in der Schweiz, ab 1876 Archivar in seiner Vaterstadt Baden bei Wien. Er veröffentlichte Ge­dichtsammlungen, kunitgeschichtliche (z. B. »Die Goethe-Bildnisse biogra­phisch-kunstgeschichtlich dargestellt«, 1883) und geschichtliche Schriften.

239 der Mensch nur noch als Kopfrugel fortrollen werde: Dieselbe Anekdote erzählt Rudolf Steiner auch im Vortrag vom 13. Oktober 1922, enthalten in »Geistige Wirkenikräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation. Pädagogi­scher Jugendkurs«, GA 217; er erwähnt, daß er in seinen jungen Jahren mit Schröer zusammen Rollett einen Besuch abgestattet habe, wobei Rollett über seine «heillose Kulturangst» gesprochen habe und in diesem Zusammenhang auf seine Zukunftsvis'io.n der «rollenden Kopfkugeln» zu sprechen gekommen sei.

240 Im Herbste dieses Jahres . . . haben wir . . . Hochsehulkurse abgehalten: Siehe den Hinweis zu S. 202.

241 ein Lizentiat der Theologie: Kurt Leese, Lic. theol. »Moderne Theosophie. Ein Beitrag zum Verständnis der geistigen Strömungen der Gegenwart», Berlin 1920. In diesem Buch heißt es auf S. 58: »Derartige Bravourstücke verzwickter Di­stinktionen, die von vornherein im ideellen Dienst eines vorgefaßten Schemas stehen, machen die Lektüre der Steinerschen Schriften nicht nur zu einer schwierigen, sondern auch zu einer ärgerlichen und unleidlichen.» Vgl. dazu auch die Vorträge vom 12. und 26. Dezember 1920 im Band »Die Brücke zwi­schen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen», GA 202.

243 «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (1904/05), GA 10; «Die Geheimwissenschaft im Umriß» (1910), GA 13. Siehe auch den Hinweis zu S. 54.

326

244 was ich in meinem Buche «Von Seelenrätseln« genannt habe das Scbauungsver­mögen des Menschen: «Von Seelenrätseln« (1917), GA 21.

246 was Goethe so geistvoll ausgebildet hat in dem Kapitel «Sinnlich-sittliche Wir­kung der Farbe»: Siehe Band III «Zur Farbenlehre», Sechste Abteilung, S. 289, GA 1c, in «Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften», 5 Bände, herausgege­ben und kommentiert von Rudolf Steiner in Kürs'chners «Deutsche National-Litteratur« (1884-97), Nachdruck Dornach 1975.

Was sonst Grenze des Erkennens genannt wird und was vielfach gerade von Forschern der Gegenwart als unübersteiglich bezeichnet wird: Zum Beispiel der von Rudolf Steiner oft genannte Du Bois' Reymond, 1818-1896, deutscher Phy­siologe, Professor in Berlin und ab 1867 ständiger Sekretär der Berliner Akade­mie der Wissenschaften in seiner Rede «Uber die Grenzen des Naturerkennens» (gehalten am 14. August 1872; Leipzig 1872). Dort heißt es (S. 12f.): «Nie wer­den wir besser als heute wissen, was, wie Paul Erman zu sagen pflegte,

248 im Frühling dieses Jahres einen Kursus . . . für Ärzte und Medizinstudierende:

Siehe den entsprechenden Hinweis zu S. 200.

das «Futurum» in Dornach: Die «Futurum A.G.« war eine ökonomische Gesell­schaft mit Sitz in Dornach von 1920 bis 1924 bzw. 1927 zur internationalen Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte. Sie wurde am 16. Juni 1920 als assoziatives Unternehmen im Sinne der sozialen Dreigliederung begründet, be­ruhend auf den im November 1919/Februar 1920 von Rudolf Steiner ausgearbei­teten «Leitsätze für eine zu gründende Unternehmung« (siehe GA 24). Die Zielsetzung war «die Gründung eines bankähnlichen Institurs, das in seinen finanziellen Maßnahmen wirtschaftlichen und geistigen Unternehmungen dient, die im Sinne der anthro.po.so.phisch orientierten Weltanschauung sowohl nach ihren Zielen wie nach ihrer Haltung orientiert sind«. Bis März 1922 war Rudolf Steiner Präsident des Verwaltungsrates, bis er auf Betreiben eines Kreises um Willy Storrer und Willy Stokar abgewählt wurde; sie wollten ihn von der Last der Verantwortung befreien. Das Unternehmen konnte sich infolge innerer Schwierigkeiten und der allgemeinen Wirtschaftskrise nicht behaupten und mußte 1924 liquidiert werden: es fusionierte mit der «Internationalen Labora­torien A.G.« (heute «Weleda A.G.»).

327

251 »Von Seelenrätseln» (1917), GA 21; dort insbesondere das' Unterkapitel »6. Die physischen und die geistigen Abhängigkeiten der Menschen-Wesenheit» des Kapitels' »IV. Skizzenhafte Erweiterungen des Inhaltes dieser Schrift»

252 wenn unser AtmungsrbythmMs zum Beispiel auf dem Umwege durch das Ge­birnwasser anstößt an unser Nervensystem: Siehe dazu unter anderem auch die Vorträge vom 15. Januar 1914 in »Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit. Zweiter Teil», GA 174; vom 6. Mai und vom 1. Juni 1918 in «Kunst und Kuns'terkenntnis», GA 271, und vom 21. August 1919 in «All­gemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik», GA 293

254 PierreJosepb Proudbon, 1809-1865, französischer Sozialist. Der gelernte Schrift­setzer gab 1840/41 die Schrift »Qu'es't-ce que la propriéte?» (Besaneon 1840/41; deutsch Bern 1844) heraus, in der er behauptete: »Eigentum ist Diebstahl!» - Im Jahre 1848 wurde er in die Nationalversammlung gewählt. 1849 gründete er eine nur für kurze Zeit bestehende Bank, durch die er Kredit ohne Zins mit Hilfe von Kreditscheinen auf Gegenseitigkeit organisieren wollte. 1858 wurde er aufgrund seiner Schrift »De la justice dans la Révolution et dans l'Eglise» zu drei Jahren Gefängnis verurteilt (auf diesen Prozeß bezieht sich Rudolf Steiner wahrschein­lich), floh nach Brüssel und kehrte erst 1862 nach Paris' zurück. Er gilt auch als' Begründer der anarchistischen Bewegung, da er den Staat durch freiwillige Or­ganisationen von Gruppen und Verbänden ersetzen wollte. - Uber die soge­nannten «utopischen Sozialisten» siehe auch den Hinweis zu S. 119.

257 Die Waldorfichule besteht seit mehr als einem Jahr in Stuttgart: Siehe den Hin­weis zu S.15 (Emil Molt).

268 «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» (1907) in «Lucifer-Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Berichte aus den Zeitschriften

271 wenn in gewissen Gegenden des Orientes die Legende lebt, daß der Buddha bei seinem Tod auf den Mond versetzt worden ist und da in der Gestalt eines Hasen auf uns berunterschaut: Siehe «Die Erzählung von dem Hasen» (Nr.316) in «Jatakam. Das Buch der Erzählungen aus' früheren Existenzen Buddhas», Dritter Band, übersetzt von Julius Dutoit, Leipzig 1911. - In dieser Erzählung stellt der Gott Sakka den in einem Hasen verkörperten Buddha auf die Probe, indem er Nahrung von ihm fordert. Der Hase ist bereit, da er nichts' anderes zu bieten hat, sich selbst hinzuopfern, sich selbst als Nahrung zu geben. «Darauf sprach

Sakka:

Ernst Mach, 1838-1916, Physiker und materialistischer Philosoph, einer der Begründer des Empiriokritizismus. In der Erkenntnistheorie erneuerte er die Anschauungen Berkeleys und Humes. Seine erkenntnistheoretischen Anschau­ungen waren von großem Einfluß auf die theoretische Physik (Mach'sche Zahl); im entstehenden Sowjetreich fand seine Philosophie zahlreiche Anänger. Werke:

«Beiträge zur Analyse der Empfindungen» Uena 1886); «Die Mechanik in ihrer Entwicklung» (1883); «Erkenntnis und Irrtum. Skizzen zur Psychologie der Forschung» (1905).

328

271 Mach behauptet geradezu, es sei nicht mehr an der Zeit, den Kindern Märchen beizubringen: In der 1. Auflage der »Beiträge zur Analyse der Empfindungen» findet sich im Kapitel «Die Hauptgesichts'punkte für die Untersuchung der Sinne» in einer Anmerkung, in der er u.a. über die Gespensterfurcht spricht, der Satz: «Diese letztere Beobachtung bekräftigte mir die schon vorher gefaßte Ansicht, daß die Gespensterfurcht meiner Kinder nicht von den (sorgfältig fern­gehaltenen) Ammenmärchen herrührte, sondern angeboren war.» (S. 36)

Mach sagte einmal: Siehe die erste Anmerkung zum Kapitel »Antimetaphysische Vorbemerkungen« (in «Beiträge zur Analyse der Empfindungen», S. 3). Dort heißt es: «Man kennt sieh persönlich sehr schlecht. - Als junger Mensch erblick­te ich einmal auf der Straße ein mir höchst unangenehmes widerwärtiges Gesicht im Profil. Ich erschrak nicht wenig, als ich erkannte, daß es mein eigenes sei, welches ich an einer Spiegelniederlage vorbeigehend durch zwei gegen einander geneigte Spiegel wahrgenommen hatte. - Vor nicht langer Zeit stieg ich nach einer anstrengenden nächtlichen Eisenbahnfahrt sehr ermüdet in einen Omni­bus, eben als von der andern Seite auch ein Mann hereinkam.

272 Ludwig Laistner, 1845-1896, Pfarrer, Hauslehrer, seit 1880 freier Schriftsteller, literarischer Beirat der Co.ttaschen Verlagsbuchhandlung in Stuttgart. Durch Laistner wurde Rudolf Steiner Herausgeber der Werke Schopenhauers und Jean Pauls, die in der Cottaschen Verlagsbuchhandlung erschienen. »Das Rätsel der Sphinx. Grundzüge einer Mythengeschichte» (2 Bde.), Berlin 1889. Siehe über ihn und sein Werk auch den Vortrag vom 12. April 1914 in »Inneres Wesen des' Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt», GA 153, und vor allem das 15. Kap. von «Mein Lebensgang» (1923-1925), GA 28, S. 224f.

274 in der Psychoanalyse liegt eine viertels Wahrheit: Ausführlich spricht Rudolf

Steiner über die Psychoanalyse in den Vorträgen vom 10. und II. November

1917 in «Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen»,

GA 178, und vom 22. Januar und 12. März 1918 in «Erdensterben und Welten-

leben. Anthro.poso.phische Lebensgaben. Bewußtseins-Notwendigkeiten für

Gegenwart und Zukunft«, GA 181.

Ich erinnere sie nur an das Glanxheispiel: Das' »Glanzbeispiel» der vor der Droschke herlaufenden Frau wird von Rudolf Steiner des öfteren angeführt (sie­he z. B. die obenerwähnten Vorträge). C. G. Jung (1875-1961) führt diese Be­gebenheit in seinem Werk «Die Psychologie der unbewußten Prozesse» (Zürich 1917) an. Dieses Werk wurde später von ihm mehrfach überarbeitet: 1925 er­schien es unter dem Titel «Das Unbewußte im normalen und kranken Seelenle­ben«, 1942 nach erneuter Überarbeitung unter dem Titel «Über die Psychologie des Unbewußten«. Die hier wohl gemeinte Stelle in der Ausgabe von 1917 lau­tet: «Ich kenne den Fall einer jungen Dame, die an schwerer Hysterie infolge eines plötzlichen Erschreckens' litt. Sie war eines Abends' in Gesellschaft gewe­sen und befand sich etwa um 12 Uhr nachts' in Begleitung mehrerer Bekannter suf dem Heimweg, als' plötzlich ein Wagen in schnellem Trabe von hinten herankam.

329

Die andern wichen aus, sie aber blieb, vom Schrecken gebannt, in der Mitte der Straße und rannte vor den Pferden davon. Der Kutscher knallte mit der Peitsche und fluchte; es half nichts, sie rannte die ganze lange Straße hinun­ter, die auf eine Brücke führte. Dort verließen sie die Kräfte, und, um nicht unter die Pferde zu geraten, wollte sie in vollster Verzweiflung in den Fluß springen, konnte aber von Passanten daran verhindert werden...»

275 Josef Breuer, 1842-1925, Physiologe und Internist in Wien; er wandte eine »ka­thartische» Methode zur Behandlung neurotischer und hysterischer Störungen an, die Freud später ausbaute und als »Psychoanalyse» bekanntmachte; mit Freud zusammen gab er auch die »Studien über Hysterie» (Leipzig und Wien 1895) heraus. Siehe dazu auch das 13. Kap. in »Mein Lebensgang» (1923-1925), GA 28, S. 195f.

Sigmund Freud, 1856-1939, Arzt und Psychiater, Dozent für Neuropathologie an der Universität Wien. Mit Breuer zusammen Begründer der Psychoanalyse. Als Hauptantriebs'kraft des Menschen bezeichnete Freud den Sexualtrieb; so betrachtete er auch alle kulturellen Leistungen des Menschen als reine Ersatz-handlungen, beruhend auf der Unterdrückung des Sexualtriebes. Werke u.a. «Die Traumdeutung» Wien 1900; «Zur Psychopathologie des Alltagslebens« Wien 1901; «Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse» (1916/17).

NAMENREGISTER

#G297-1989-SE331 Idee und Praxis der Waldorfschule

#TI

NAMENREGISTER

#TX

* keine namentliche Erwähnung

( ) Erwähnung in Voten anderer Personen

Blanc, Louis 119, 121, 123

Brandes', Georg 145

Brentano, Franz 235

Breuer, Joseph 275

Bruno, Giordano 192

Carus'o, Enrico 84

Fichte, Johann Gottlieb 231

Fourier, François Marie Charles 119. 123

Freud, Sigmund 275

Galilei, Galileo 137

Giordano Bruno 192

Goethe, Johann Wolfgang von 160, 181, (187), 219, 242

Haeckel, Ernst 44

Herbart, Johann Friedrich 23-28, 30f., 33, 161, (184), 188f., 231,

233-238

- Allgemeine Pädagogik 23

- Umriß pädagogischer Vorstellun­gen 23

Hertwig, Oskar 139f.

- Das Werden der Organismen 139

- Zur Abwehr des ethischen, des sozialen, des politischen Darwinismus 139f.*

Hodler, Ferdinand (182)

Jean Paul 172, 179, 230

Kopernikus', Nikolaus 137, 192

Kretzs'chmar, Johannes 34-39

- Entwicklungs-Psychologie und Erziehungswissens'chaft 34-39

Kropotkin, Pjotr Alexejewitsch 145

Laistner, Ludwig 272f.

- Die Rätsel der Sphinx 272

Lenin, Iljitseh Wladimir 110

Lessing, Gotthold Ephraim 151

- Die Erziehung des Menschen­geschlechts 151

Lunats'chars'ki, Anatol Wassilje­witsch 110

Mach, Ernst 271f.

Marx, Karl (97)

Meyer, Rudolf 231, 233f., 237

Molt, Emil 15, (64), 66, 69, 80, 84-86, 90,151, 167, 201

Pestalozzi, Johann Heinrich 231f. Proudhon, Pierre Joseph 254

Raffael Santi 150

Rein Wilhelm 45, 55, 161

Rollett, Hermann 238f.

Saint-Simon, Claude-Henri de 119, 121, 123

Sallwürk, Ernst von 44, 55

- Gesinnungsunterrieht und Kultur­geschichte 44

Sehiller, Friedrich 219, 234

- Gedichte (Der Taucher; Der Spaziergang) 219

- Briefe über die ästhetische Erziehung des' Menschen 234

Smith, Adam 118

Spitta, Heinrich 197f., 221

Steiner, Rudolf (64-66), (182) Werke und Vorträge:

- Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (GA 10) 92, 132-134, 135*, 159, 201, 227, 243

- Die Geheimwissenschaft im Umriß

(GA 13) 132f., 135*, 159, 201, 243

- Die Rätsel der Philosophie

(GA 18) 148

- Von Seelenrätseln (1918), GA 21

- Die Erziehung des Kindes . . . (in GA 34) 225, 268

- Physiologiseh-Therapeutisches

(GA 314) 240*

332

- Grenzen der Naturerkenntnis

(GA 322) 240*

- Die Befreiung des Menschenwesens

(GA 323) 144*

Trotzki, Leo 110

Vogt, Theodor 44f., 55*, 161, (184)

- Das pädagogische Universitäts-seminar 184*

Ziller, Tuiskon (184)

Zimmermann, Robert 235

- Philosophische Propädeutik 235

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.