GA 143

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Erfahrungen des Übersinnlichen
Die drei Wege der Seele zu Christus

ZVierzehn Vorträge
gehalten zwischen Januar und Dezember 1912
in verschiedenen Städten

GA 143

1970


Inhaltsverzeichnis


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NERVOSITÄT UND ICHHEIT München, 11. Januar 1912

Es sollen heute einige Anregungen gegeben werden im Zusammenhang mit manchem, was wir schon kennen, was aber doch für den einen oder den anderen von uns nützlich sein kann und was uns auch hineinführen kann in eine genauere Anschauung der Wesenheit des Menschen und seines Zusammenhanges mit der Welt. Es wird ja der Anthroposoph sehr häufig Gelegenheit haben können, daß ihm außer den mancherlei Entgegnungen und Einwänden gegen die Geisteswissenschaft, von de­nen in den öffentlichen Vorträgen diesmal gesprochen worden ist, noch mancherlei anderes von Außenstehenden vorgebracht wird. So na­mentlich wird immer wieder und wiederum von gelehrten und ungelehrten Leuten vieles dagegen eingewendet werden, daß wir im Sinn der Geisteswissenschaft sprechen müssen von einer Gliederung der ganzen menschlichen Wesenheit in jene vier Glieder, die wir immer anführen: in den physischen Leib, Äther- oder Lebensleib, Astralleib und das Ich. Und es kann dann wohl von Zweiflern sozusagen einge­wendet werden: Ja, vielleicht stellt es sich so heraus für den Menschen, welcher gewisse verborgene Kräfte der Seele entwickelt, daß er so et­was sehen kann wie eine solche Zusammensetzung der Menschen; aber für denjenigen eben, der so etwas nicht sieht, für den könnte es ja doch keine Gründe geben, sich zu einer solchen Meinung hinzuwenden. - Nun muß aber doch betont werden, daß das Leben des Menschen in einer gewissen Weise, wenn man aufmerksam auf dieses Leben ist, nicht nur Bestätigungen gibt dessen, was die Geist-Erkenntnis zu sagen hat, sondern daß, wenn man anwendet dasjenige, was man aus der Geist-Erkenntnis sozusagen für das Leben lernen kann, sich dann solch eine Anwendung auf das Leben außerordentlich nützlich erweist. Und man wird schon dahinterkommen, daß dieser Nutzen - ich meine jetzt nicht in einem niederen Sinne Nutzen, sondern jenen Nutzen, der ein Nutzen im schönsten Sinne für das Leben ist - uns allmählich eine Art von Überzeugung beibringen kann, auch wenn wir nicht auf das ein­gehen wollen, was sich der hellseherischen Beobachtung darbietet.

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Es ist ja nur allzu bekannt, daß in unserer Zeit viel geklagt wird über das, was nun einmal mit dem vielgefürchteten Wort Nervosität umspannt wird, und man darf sich gar nicht wundern, wenn der oder jener sich zu dem Ausspruch hingedrängt fühlt: In unserer Zeit gibt es eigentlich keinen Menschen mehr, der nicht nervös wäre in irgend­einer Beziehung. - Und wie sollten wir nicht in einer gewissen Weise einen solchen Ausspruch begreiflich finden! Ganz abgesehen von den sozialen Verhältnissen und Zuständen, denen wir diese oder jene Ur­sache bei dieser Nervosität zuschreiben können, sind eben solche Zu­stände, die so bezeichnet werden können, da. Sie äußern sich ja im Leben in der verschiedensten Weise; sie äußern sich vielleicht, man könnte sagen, in der leichtesten Weise, in der am wenigsten unbeque­men Weise dadurch, daß der Mensch das wird, was man einen seelischen Zappelfritzen nennen könnte. Einen solchen möchte ich denjenigen nennen, der unvermögend ist, einen Gedanken ordentlich festzuhalten und in wirklicher Weise in seinen Konsequenzen zu verfolgen, der im­mer überspringt von einem Gedanken zu dem anderen, und wenn man ihn festhalten will, dann ist er schon längst zu einem anderen übergesprungen. Eine Hast des seelischen Lebens, das ist oftmals die leich­teste Art von Nervosität.

Eine andere Art von Nervosität ist diese, daß die Menschen mit sich selber nicht viel anzufangen wissen, daß sie sozusagen gegenüber Din­gen, bei denen sie zu Entschlüssen kommen sollten, nicht zu Ent­schlüssen vorrücken können, sondern eigentlich niemals so recht wis­sen, was sie in der oder jener Angelegenheit tun sollen.

Dann können aber auch diese Zustände vorrücken zu anderen, schon bedenklicheren, indem sich allmählich immer mehr und mehr in eigent­lichen Krankheitsformen, für die man vielleicht keine organischen Ur­sachen angeben kann, auslebt diese Nervosität; in Krankheitsformen, die zuweilen organische Krankheiten in einer täuschenden Weise nachbilden, so daß man glauben könnte, der Mensch habe etwa ein schweres Magenleiden, während er nur unter dem leidet, was man zwar recht trivial und nicht bedeutungsvoll, aber eben doch zusammenfaßt unter dem Wort: Nervosität. Und zahlreiche andere Zustände: wer kennt sie nicht, wer leidet nicht darunter, indem er sie selber hat, oder indem

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sie die anderen in seiner Umgebung haben und so weiter. Man braucht ja - ich will jetzt nicht auf ein anderes Gebiet abschweifen - nicht gleich so weit zu gehen, daß man in bezug auf die großen Ereig­nisse des äußeren Lebens von einem «politischen Alkoholismus» spricht; aber es ist ja in der letzten Zeit gesprochen worden von jener Art und Weise nervösen Treibens in dem öffentlichen Leben wie von einer Art von Gebaren, das sich sonst bei dem einzelnen Menschen eigentlich nur äußert, wenn er eben ein bißchen vom Alkoholismus angestochen ist. Das Wort ist gefallen für die Art und Weise, wie politische Angelegen­heiten in den letzten Monaten in Europa getrieben worden sind. Da sehen Sie auch im äußeren Leben etwas, von dem man sagen könnte: Auch da merkt man nicht nur, daß die Nervosität da ist, sondern daß man diese in gewisser Beziehung als recht unbehaglich empfindet. Überall also ist so etwas wie diese Nervosität vorhanden.

Nun wird das, was damit angedeutet ist, ganz gewiß in den nächsten Zeiten für die Menschen nicht besser, sondern immer schlechter und schlechter werden. Gute Aussichten für die Zukunft, wenn die Men­schen so bleiben, wie sie jetzt sind, können keineswegs irgendwie ge­geben werden. Denn es gibt verschiedene Schädlichkeiten, die unser gegenwärtiges Leben in einer ganz außerordentlichen Weise beein­flussen und die sich, man möchte sagen, epidemisch von einem Men­schen auf den anderen übertragen, so daß nicht nur der in dieser Rich­tung ein wenig krankhaft ist, der davon befallen ist, sondern daß auch andere, die vielleicht nur schwach, aber sonst gesund sind, wie angesteckt werden.

Etwas ungeheuer Schädliches für unsere Zeit ist das, daß eine große Anzahl von denjenigen Menschen, die in hervorragende Stellungen hineinkommen für das öffentliche Leben, in der Art studieren, wie gegenwärtig studiert wird. Es gibt ja geradezu ganze Zweige des Stu­diums, wo man, sagen wir, so an der Universität lebt, daß man eigent­lich das ganze Jahr hindurch ziemlich andere Sachen treibt als das Durchdenken und Durchstudieren dessen, was die Professoren in den Kollegien sagen; man geht ab und zu hinein, aber das, was man sich eigentlich aneignen will, eignet man sich in ein paar Wochen an, das heißt, man paukt es sich ein. Das Schlimme dabei ist eine solche Einpaukerei.

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Und da in gewisser Beziehung das Einpauken bis in die niederen Schulen geht, so sind die Übel, die davon kommen, keineswegs so unbedenklich. Das Wesentliche bei dieser Einpaukerei ist, daß eine eigentliche Verbindung des Seeleninteresses, des innersten Wesensker­nes mit dem, was man sich so einpaukt, nicht vorhanden ist. Es herrscht ja sogar auf den Schulen vielfach die Meinung bei den Schülern: Ach, wenn ich nur das, was ich mir aneigne, bald wieder vergessen hätte! - Also jenes vehemente Wollen des Besitzes dessen, was angeeignet ist, ist nicht da. Ein geringes Band von Interesse verbindet sozusagen den menschlichen Seelenkern mit dem, was die Menschen annehmen.

Nun gibt es gerade als Folge dieser Tatsachen das, daß eigentlich die Menschen auf diese Art geeignet gemacht werden können in ge­wisser Beziehung, in das öffentliche Leben einzugreifen, weil sie die Sache eingepaukt, will sagen, gelernt haben, die sie lernen wollen. Aber da sie innerlich damit nicht verbunden sind, so stehen sie seelisch dem, was sie treiben mit ihrem Kopf, sehr fern. Nun gibt es für die gesamte Wesenheit des Menschen kaum etwas Schlimmeres, als wenn man see­lisch mit seinem Herzen dem fern steht, was der Kopf treiben muß. Das ist nicht nur etwas, was einem feineren, sensitiveren Menschen wider­spricht, sondern etwas, was im höchsten Grade die Stärke und Energie des menschlichen Ätherleibes beeinflußt, gerade des Ätherleibes. Der Äther- oder Lebensleib wird immer schwächer unter einem solchen Treiben wegen der geringen Verbindung, die besteht zwischen dem menschlichen Seelenkern und demjenigen, was der Mensch treibt. Je mehr der Mensch treiben muß von dem, was ihn nicht interessiert, desto mehr schwächt er seinen Äther- oder Lebensleib.

Nun sollte Anthroposophie auf diejenigen Menschen, welche in einer gesunden Weise sich diese Anthroposophie aneignen, ja so wirken, daß man nicht nur lernt: Der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib und so weiter, sondern es sollte diese Anthroposophie so wirken, daß im Menschen in einer gesunden Weise diese einzelnen Glieder der menschlichen Natur stark und kräftig zur Entfaltung kommen.

Wenn nun der Mensch einen sehr einfachen Versuch macht, aber diesen Versuch mit Emsigkeit wiederholt, so kann eine Kleinigkeit geradezu Wunder wirken. Verzeihen Sie, wenn ich heute eben von einzelnen

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Beobachtungen spreche, von Kleinigkeiten, die aber sehr be­deutende Dinge sein und werden können für das Leben des Menschen. Nämlich es hängt innig zusammen mit dem, was ich eben jetzt charak­terisiert habe, die leichte Vergeßlichkeit, die die Menschen zuweilen zeigen. Leichte Vergeßlichkeit, sie ist etwas Unbehagliches im Leben; Anthroposophie kann uns aber auch zeigen, daß sie, diese Vergeß­lichkeit, etwas im eminentesten Sinne Gesundheitsschädliches ist. Und so sonderbar es klingt, es ist wahr: Viele, geradezu an das stark Krankhafte grenzenden Ausbrüche der menschlichen Natur würden vermieden werden, wenn die Menschen weniger vergeßlich wären. Nun können Sie sagen: Sie sind eben vergeßlich, die Menschen; wer kann denn - wir werden das leicht uns klarmachen können, wenn wir einen Überblick über das Leben haben -, wer kann ganz und gar sich freisprechen von Vergeßlichkeit? - Nehmen wir also einen recht klein­lichen Fall, den Fall: ein Mensch ertappt sich bei der Vergeßlichkeit, daß er immer nicht weiß, wohin er die Dinge gelegt hat, die er braucht. Nicht wahr, es ist das etwas, was im Leben vorkommt. Der eine findet nie seinen Bleistift, der andere nie seine Manschettenknöpfe, die er abends abgelegt hat und so weiter. Es sieht sonderbar und banal aus, wenn man über diese Dinge spricht; aber sie kommen doch im Leben vor. Und es gibt nun gerade unter Beobachtung dessen, was wir aus der Anthroposophie lernen können, eine gute Übung, nament­lich solche Vergeßlichkeit, wie sie gerade jetzt charakterisiert worden ist, allmählich bei sich besser zu machen; nämlich das sehr einfache Mittel: Nehmen wir nun an, eine Dame legt abends meinetwillen eine Brosche oder ein Herr seine Manschettenknöpfe irgendwohin, und er entdeckt die Eigenschaft, daß er sie am nächsten Morgen nicht findet. Nun könnten Sie ja sagen: Ja, gewiß, man kann sich angewöhnen, sie immer an einen und denselben Platz zu legen. - Für alle Gegen­stände wird man das nicht ausführen können; aber von dieser Art, sich zu kurieren, wollen wir auch im gegenwärtigen Moment nicht sprechen, sondern von einer viel wirksameren Art. Wir nehmen näm­lich an, ein Mensch, der seine Vergeßlichkeit bei sich bemerkt, der würde gerade sich sagen: Ich will jetzt die Gegenstände an recht ver­schiedene Orte legen, aber ich will niemals einen solchen Gegenstand,

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den ich dann wiederum leicht finden soll, anders an einen bestimmten Ort legen, als indem ich, wenn ich ihn hinlege, den Gedanken ent­wickle: Ich habe diesen Gegenstand an diesen Ort gelegt! - Und dann versucht man, ein klein wenig das Bild der Umgrenzung sich einzu­prägen. Nehmen wir an, wir legen eine Sicherheitsnadel an eine Tisch­kante, wo eine Ecke ist; wir legen sie mit dem Gedanken hin: Ich lege diese Nadel an diese Kante hin und ich präge mit den rechten Winkel ein, der sich darum herumzieht, als ein Bild, daß die Nadel an zwei Seiten von Kanten umgeben ist und so weiter, und ich gehe beruhigt von der Sache weg. Und ich werde sehen, daß, wenn mir die Sache zu­nächst auch nicht in allen Fällen gelingen mag, doch, wenn ich es mir zur Regel mache, meine Vergeßlichkeit immer mehr und mehr von mir schwindet. - Die Sache beruht nämlich darauf, daß ein ganz bestimmter Gedanke gefaßt worden ist, der Gedanke: Ich lege die Nadel dorthin. Mein Ich habe ich in Verbindung gebracht mit dem Faktum, das ich ausführte, und außerdem noch etwas von einem Bild hinzugefügt. Bildlichkeit in dem Denken dessen, was ich selber tue, Bildlichkeit, bildhaftes Vorstellen und außerdem, daß ich das Faktum in Verbin­dung mit meinem Wesenskern bringe, dieses Zusammenbringen des geistig-seelischen Wesenskernes, wie er angesprochen wird mit dem Wörtchen Ich, mit der Bildlichkeit, das ist das, was uns sozusagen das Gedächtnis ganz wesentlich schärfen kann, so daß wir auf diese Weise schon den einen Nutzen für das Leben haben, daß wir weniger ver­geßlich werden. Aber man brauchte vielleicht gar nicht einmal be­sonders viel Wesens davon zu machen, wenn nur das erreicht werden könnte. Es kann aber dadurch viel mehr erreicht werden.

Nehmen wir an, es würde eine Art von Gebrauch unter den Men­schen, solche Gedanken zu hegen beim Ablegen gewisser Gegenstände, so würde einfach dieser Gebrauch eine Stärkung des menschlichen Ätherleibes hervorrufen. Der menschliche Ätherleib wird nämlich dadurch, daß man so etwas macht, tatsächlich immer mehr und mehr konsolidiert, immer stärker und stärker und stärker. Wir haben aus der Anthroposophie gelernt, daß der Äther- oder Lebensleib in einer ge­wissen Weise als Träger des Gedächtnisses uns zu gelten hat. Tun wir etwas, was die Gedächtniskräfte stärkt, so können wir es von vorneherein

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begreifen, daß eine solche Stärkung der Gedächtniskräfte unse­rem Äther- oder Lebensleibe zum Nutzen kommt. Als Anthroposo­phen brauchen wir uns nicht zu verwundern darüber. Aber nehmen Sie einmal an, Sie raten - nicht bloß deshalb, weil ein Mensch vergeßlich ist, sondern weil er gewisse Zustände der Nervosität zeigt -, Sie raten ihm dies, was charakterisiert worden ist. Sie sagen einem im Leben zappeligen oder nervösen Menschen, er solle dies tun, er solle das Ablegen von Gegenständen mit solchen Gedanken begleiten, so wer­den Sie sehen, daß er nicht bloß weniger vergeßlich wird, sondern daß er auch durch die Stärkung seines Ätherleibes allmählich gewisse so­genannte nervöse Zustände ablegt. Dann haben Sie durch das Leben einen Beweis geliefert, daß die Sachen richtig sind, die wir vom Ätherleibe sagen. Denn wenn wir uns in der entsprechenden Weise gegen den Ätherleib verhalten, dann zeigt er allerdings, daß er diese Kräfte annimmt; also ist richtig, was wir über ihn sagen. Das Leben beweist in solchem Falle, daß das außerordentlich wichtig ist.

Eine andere Sache, die wiederum scheinbar eine Kleinigkeit sein könnte, die aber außerordentlich wichtig ist! Sie wissen, daß unmittel­bar aneinandergrenzen in der menschlichen Wesenheit das, was wir nen­nen können den physischen Leib und den Ätherleib. Der Ätherleib ist unmittelbar in den physischen eingeschaltet. Nun können Sie in un­serer heutigen Zeit eine Beobachtung machen, die gar nicht so selten ist, eine Beobachtung, deren Bestehen die Menschen, an denen man sie macht, meistens nicht kennen. Indem wir diese Beobachtung machen und eine gesunde, mitleidige Seele in der Brust tragen, werden wir gerade Mitleid mit diesen Menschen haben, an denen wir eine solche Beobachtung machen können. Oder hätten Sie noch nicht, sagen wir, Leute am Postschalter sitzen sehen oder irgendwie vielschreibende Leute gesehen, welche ganz eigentümliche Bewegungen machen, be­vor sie ansetzen einen Buchstaben zu schreiben, die, bevor sie an­setzen ein B zu schreiben, erst in der Luft einige Bewegungen machen und dann ansetzen! Oder es braucht nicht einmal bis dahin zu kom­men; denn dieses ist schon die Anlage zu einem üblen Zustand, wenn die Menschen durch ihren Beruf gezwungen sind, solches zu machen; es kann dabei bleiben, daß die Menschen - beachten Sie es einmal -

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sozusagen, indem sie schreiben, erst sich einen gewissen Ruck geben müssen zu jedem Strich, und in der Tat ruckweise schreiben, nicht gleichmäßig hinauf- und herunterfahren, sondern ruckweise. Sie kön­nen das den Schriften ansehen, die so geschrieben sind.

Wir können einen solchen Zustand nun aus den geisteswissenschaft­lichen Erkenntnissen heraus in der folgenden Art begreifen: Bei dem vollständig gesunden Menschen - gesund in bezug auf den physischen und Ätherleib - muß nämlich der Ätherleib, der vom astralischen Leib dirigiert wird, immer die absolute Fähigkeit haben, in den physi­schen Leib einzugreifen, und der physische Leib muß überall, in allen seinen Bewegungen, ein Diener des Ätherleibes werden können. Wenn der physische Leib auf eigene Rechnung Bewegungen ausführt, die über das hinausgehen, was eigentlich die Seele wollen kann, was nämlich der astralische Leib wollen kann, dann ist das ein ungesunder Zustand, ein Übergewicht des physischen Leibes über den ätherischen Leib. Und bei all denjenigen, welche die eben beschriebenen Zustände haben, haben wir es wiederum mit einer Schwäche des ätherischen Leibes zu tun, die darin besteht, daß er den physischen Leib nicht mehr vollständig dirigieren kann. Dieses Verhältnis des ätherischen Leibes zum physischen Leibe liegt ja okkultistisch allen Krampfzuständen zugrunde, die im wesentlichen damit zusammenhängen, daß der äthe­rische Leib eine geringere Herrschaft über den physischen Leib ausübt, als er ausüben sollte, daher der physische dominiert und auf eigene Faust allerlei Bewegungen ausführt, während der Mensch nur dann in bezug auf das Volle seines Wesens gesund ist, wenn alles das, was er tut, dem Willen des astralischen Leibes unterstellt ist.

Nun gibt es wiederum eine Möglichkeit, wenn dieser Zustand nicht gar zu sehr überhandgenommen hat bei einem Menschen, ihm zu helfen; nur muß man eben mit den okkulten Tatsachen rechnen. Man muß damit rechnen, daß der ätherische Leib als solcher gestärkt wer­den muß. Man muß gewissermaßen glauben an die Existenz und Wirkungsfähigkeit des Ätherleibes. Nehmen Sie an, ein armer Mensch habe sich wirklich so ruiniert, daß er mit den Fingern fortwährend zappelt, bevor er einen Ansatz zu diesem oder jenem Buchstaben macht. Nun wird es unter allen Umständen gut sein, wenn man dem

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Menschen den Rat gibt: Ja, nimm dir Urlaub, schreib eine Zeitlang weniger und du wirst über eine solche Sache wegkommen! - Aber dieser Rat ist nur ein halber Rat; denn viel mehr könnte man tun, wenn man dem Menschen zugleich noch einen anderen, den zweiten Teil des Rates dazu gäbe, wenn man ihm riete: Und bemühe dich, ohne daß du dich dabei anstrengst - täglich eine viertel oder eine halbe Stunde genügen dazu -, bemühe dich, eine andere Schrift anzu­nehmen, deine Schriftzüge zu ändern, so daß du genötigt bist, nicht mechanisch so zu schreiben wie bisher, sondern achtzugeben! Sagen wir: Während du sonst in der Weise das F schreibst, schreib es nun steiler und in ganz anderer Form, so daß du achtgeben mußt! Ge­wöhne dir an, die Buchstaben zu malen.

Wenn sich Geisteserkenntnis mehr verbreiten würde, so würden die Prinzipale, wenn ein solcher Armer zurückkommt vom Urlaub und sich eine andere Schrift angewöhnt hat, auch nicht sagen: Was bist du für ein verrückter Kerl, hast eine ganz andere Schrift! - Man würde einsehen, daß dies ein wesentliches Heilmittel ist. Der Mensch ist nämlich gezwungen, wenn er also seine Schrift ändert, Aufmerksam­keit auf das zu verwenden, was er tut; und Aufmerksamkeit zu ver­wenden auf das, was man tut, heißt immer, seinen innersten Wesens-kern mit der Sache in innigen Zusammenhang zu bringen. Alles das wiederum, was unseren innersten Wesenskern in Zusammenhang mit dem bringt, was wir tun, stärkt unseren Äther- oder Lebensleib. Und wir werden dadurch gesündere Menschen. Und es wäre gar nicht einmal so töricht, wenn man geradezu systematisch in der Erziehung und in der Schule hinarbeiten würde auf eine gewisse Stärkung des Ätherleibes schon in der Jugend. Da muß Anthroposophie heute schon einen Vorschlag machen, der noch lange nicht ausgeführt werden wird, weil Anthroposophie noch lange bei den maßgebenden Faktoren, die die Erziehung zu leiten haben, als irgend etwas Verrücktes gelten wird; aber das macht nichts. Nehmen wir an, man würde, wenn man die Kinder schreiben lehrt, ihnen eine gewisse Schriftlage zunächst bei­bringen und dann darauf sehen, nachdem sie ein paar Jahre so geschrie­ben haben, daß sie einfach den Schriftcharakter ändern ohne anderen Anlaß: so würde ein solches Ändern des Schriftcharakters und die Verstärkung

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der Aufmerksamkeit, die geltend sein muß, während dieser Schriftcharakter geändert wird, einen ungeheuer stärkenden Einfluß auf den sich entwickelnden Ätherleib haben, und mancherlei von den nervösen Zuständen bei den Menschen würde nicht auftreten.

So sehen Sie, daß man im Leben etwas tun kann, um seinen Äther - oder Lebensleib durchaus zu stärken, und das ist von einer außer­ordentlichen Wichtigkeit; denn gerade die Schwäche des Äther- oder Lebensleibes ist es, die zahlreiche wirklich ungesunde Verhältnisse in unserer Gegenwart herbeiführt. Es darf sogar gesagt werden - denn es ist wahrhaftig nicht zuviel gesagt -, daß auch gewisse Krankheits­formen, die ja in Dingen begründet sein können, gegen die zunächst nichts zu machen ist, ganz anders verlaufen würden, wenn der Ätherleib eben stärker wäre, als sie verlaufen bei dem geschwächten Ätherleib, der geradezu ein Kennzeichen des gegenwärtigen Menschen ist. Damit haben wir schon auf etwas hingewiesen, was man Bearbeitung des Ätherleibes nennen kann. Wir wenden gewisse Dinge auf den Ätherleib an. Auf etwas, was man geradezu ableugnen kann, was nicht da wäre, kann man nicht alles anwenden. Indem man zeigt, daß es nützlich ist, gewisse Dinge auf den Ätherleib anzuwenden, und be­weisen kann, daß diese Dinge eine Wirkung haben, zeigt man, daß so etwas wie der Ätherleib da ist. Das Leben liefert überall die entspre­chenden Beweise für das, was Anthroposophie zu geben hat.

Unseren Ätherleib kann im wesentlichen auch stärken, wenn wir noch etwas anderes tun zur Aufbesserung unseres Gedächtnisses. Das ist ja in anderem Zusammenhange vielleicht auch hier schon erwähnt worden. Aber bei allen Krankheitsformen, bei denen Nervosität mit­spielt, sollte man geradezu auch zu Ratschlägen, die aus diesem Gebiet genommen werden können, greifen. Man kann nämlich ungeheuer viel tun zur Stärkung des Äther- oder Lebensleibes, wenn man Dinge, die man weiß, nicht nur in Gedanken so durchläuft, wie man sie ge­wöhnlich weiß, sondern wenn man sie rückwärts durchläuft. Sagen wir - man muß schon einmal in der Schule, nun, eine Reihe von Herr­schern oder von Schlachten oder sonstigen Ereignissen lernen. Man lernt sie in Gemäßheit der Jahreszahlen. Außerordentlich gut ist es, wenn man nicht nur lernen läßt oder selbst lernt in der Reihenfolge,

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die die ordentliche ist, sondern auch die Sache sich aneignet in der umgekehrten Reihenfolge, indem man alles sich vorführt von hinten nach vorne. Das ist eine außerordentlich wichtige Sache. Denn wenn wir in einem umfassenderen Maße so etwas machen, tragen wir wieder­um bei zu einer ungeheuren Stärkung unseres Ätherleibes. Ganze Dra­men von rückwärts nach vorne, das, was wir gelesen haben an Erzäh­lungen oder dergleichen, vom Ende nach vorne durchdenken, das sind Dinge, die im höchsten Grade für die Konsolidierung des Ätherleibes von Wichtigkeit sind.

Nun werden Sie so ziemlich von allem, was bis jetzt genannt worden ist, im heutigen Leben erfahren können, daß man es nicht tut, daß man es gar nicht anwendet; man hat ja auch gar nicht viel Gelegenheit im gegenwärtigen rastlosen Treiben des Tages, zu innerer Ruhe zu kom­men, die uns solche Übungen ausführen läßt. Der Mensch ist gewöhn­lich, wenn er in einem Berufe steht, abends so ermüdet, daß er nicht dazu kommt, die Gedanken zu hegen, von denen vorhin Erwähnung geschehen ist; aber wenn Geisteswissenschaft in die Herzen und Seelen der Menschen wirklich eindringen wird, dann wird man sehen, daß unendlich vieles von dem, was heute geschieht, eben eigentlich er­spart werden kann und daß die Zeit, in der solche stärkenden Übun­gen vorgenommen werden können, eigentlich im Grunde genommen doch für jeden Menschen schon zu gewinnen ist. Man wird sehr bald merken, wenn man insbesondere auf dem Gebiet der Erziehung auf solche Dinge Sorgfalt legt, daß dann ungeheuer günstige Resultate die Folge davon sind.

Noch eine Kleinigkeit sei erwähnt, die allerdings nicht gerade im späteren Leben so sehr nützlich ist. Aber wenn der Mensch sie in früher Jugend nicht gepflegt hat, so ist es gut, wenn er sie im späteren Leben treibt. Das ist das, daß wir gewisse Dinge, die wir vollbringen - gleichgültig ob die Dinge, die wir vollbringen, eine Spur hinterlassen oder nicht -, zugleich anschauen. Bei dem, was man schreibt, läßt sich das verhältnismäßig leicht machen. Ich bin sogar davon überzeugt, daß mancher eine scheußliche Schrift sich abgewöhnen würde, wenn er versuchte, Buchstaben für Buchstaben anzuschauen von dem, was er geschrieben hat, wirklich das Auge noch einmal über das schweifen

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zu lassen, was er geschrieben hat. Dabei läßt es sich verhältnismäßig ganz gut ausführen. Aber übungsweise ist auch noch etwas anderes gut. Das ist, wenn der Mensch versucht, sich zuzuschauen, wie er geht, wie er die Hand bewegt, seinen Kopf bewegt, bei der Art und Weise, wie er lacht und so weiter, kurz, wenn er versucht, sich von seinen Gebärden eine bildhafte Rechenschaft zu geben. Die wenigsten Menschen nämlich - davon können Sie sich durch genügende Lebensbeobachtung überzeugen - wissen eigentlich, wie sie gehen. Die we­nigsten haben eine Vorstellung davon, wie es aussieht, wenn man das Auge auf sie richtet, während sie gehen. Es ist aber gut, etwas dazu zu tun, so von sich eine Vorstellung zu gewinnen. Denn abgesehen da­von, daß wir ganz sicher viel an uns korrigierten, wenn wir solch eine Sache im Leben anwendeten, ist dieses wiederum - es darf, wie gesagt, nicht immer fortgesetzt werden, sonst trägt es zu stark zur mensch­lichen Eitelkeit bei - von ungeheuer günstiger Wirkung auf die Konsolidierung des Äther- oder Lebensleibes, aber auch auf die Be­herrschung des Ätherleibes durch den astralischen Leib. Und es hat der Mensch davon, daß er seine Gebärden beobachtet, daß er das an­schaut, was er tut, daß er sich eine Vorstellung von seinen Taten macht, den Erfolg, den Nutzen, daß die Herrschaft seines astrali­schen Leibes über den Ätherleib eine immer stärkere und stärkere wird, das heißt, daß der Mensch in die Lage kommt, wenn es nötig ist, auch einmal irgend etwas zu unterdrücken. Immer weniger und we­niger kommen die Menschen dazu, gewisse Dinge, die in ihren Gewohnheiten liegen, ganz willkürlich auch einmal unterdrücken zu kön­nen oder anders machen zu können. Aber es gehört geradezu zu den größten Errungenschaften des Menschen, Dinge, die man tut, unter Umständen auch anders machen zu können. Es soll ja hier gewiß nicht entwickelt werden eine, sagen wir, Schule des Schriftverstellens; denn heute lernen eigentlich die Menschen die Schriftzüge nur etwas an­ders zu gestalten, wenn sie sie zu unrecht anwenden wollen. Aber es ist, wenn man sich dabei vornimmt durchaus ehrlich zu bleiben, für die Konsolidierung des Ätherleibes gut, andere Schriftzüge an­zunehmen. Es ist aber überhaupt gut, sich die Fähigkeit anzueignen, in diesem oder jenem, was man als Verrichtungen vorzunehmen hat,

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die Sache auch anders machen zu können, durchaus nicht darauf an­gewiesen sein zu müssen, daß man die Sache nur in einer Weise ma­chen muß. Und so braucht der Mensch durchaus nicht gleich ein fana­tischer Anhänger zu sein der gleichen Benützbarkeit der linken und der rechten Hand; aber wenn er doch in einer mäßigen Weise ver­sucht, wenigstens gewisse Verrichtungen auch mit der linken Hand vornehmen zu können - er braucht das nicht weiterzutreiben, als daß er eben einmal imstande ist, das zu tun -, so übt das einen günstigen Einfluß aus auf die Herrschaft, die unser astralischer Leib auf den äthe­rischen ausüben soll. Stärkung des Menschen im Sinne, der gegeben werden kann durch geisteswissenschaftliche Einsicht, das ist etwas, was auch zu dem gehört, was unserer Kultur gebracht werden soll durch die Verbreitung der Geisteswissenschaft.

Und namentlich ist ja das von einem großen Belang, was man nennen könnte die Willenskultur. Es ist vorher schon hervorgehoben worden, daß gerade darin sich vielfach Nervosität ausdrückt, daß die Menschen in der heutigen Zeit oftmals nicht recht wissen, wie sie eigentlich dazu kommen wollen, das zu tun, was sie nun wirklich wünschen oder eigentlich wünschen sollen. Sie schrecken zurück, das auszuführen, was sie sich vorgenommen haben, sie kommen zu nichts rechtem und dergleichen. Dieses, was wir als eine gewisse Willens­schwäche auffassen können, das beruht wiederum auf einer geringen Herrschaft des Ich über den astralischen Leib zunächst. Da ist immer nicht die genügende Beherrschung des astralischen Leibes durch das Ich vorhanden, wenn eine so geartete Willensschwäche eintritt, daß die Menschen gleichsam etwas wollen und doch wiederum es nicht wollen oder wenigstens nicht dazu kommen, wirklich auch auszu­führen, was sie wollen. Manche kommen nicht einmal dazu, es ernst­lich zu wollen, was sie wollen wollen. Nun gibt es ein einfaches Mittel, den Willen zu stärken für das äußere Leben, und dieses Mittel ist das: Wünsche, die zweifellos vorhanden sind, zu unterdrücken, sie nicht zur Ausführung zu bringen, wenn die Nichtausführung der Wünsche keinen Schaden bringt, sondern es durchaus möglich ist, daß die ent­sprechenden Wünsche nicht zur Ausführung kommen. Wenn man sich nämlich prüft im Leben, so wird man schon vom Morgen bis zum

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Abend zahllose Dinge, die man wünscht, finden, von denen es zwar auch nett ist, wenn sie einem erfüllt werden, aber man wird eben zahl­reiche solche Wünsche finden, bei denen man auch auf die Erfüllung Verzicht leisten kann, ohne daß jemand anderem ein Schaden zuge­fügt wird und ohne daß man selber seine Pflicht verletzt: Wünsche, deren Befriedigung einem gewissermaßen Freude macht, die aber eben auch unbefriedigt bleiben können. Wenn man geradezu systematisch darauf ausgeht, unter mancherlei Wünschen auch solche zu finden, von denen man sagt: Nein, der Wunsch soll jetzt nicht erfüllt werden - man darf nur die Sache nicht am unrechtesten Ort anfassen, sondern es muß so etwas sein, was keinen Schaden bringt, was durch die Er­füllung weiter nichts bringt als Behaglichkeit, Freude, Lust -, wenn man solche Wünsche systematisch unterdrückt, dann bedeutet jede Unterdrückung irgendeiner Wunschgattung einen Zufluß an Willens­stärke, an Stärke des Ich über den astralischen Leib. Und wir werden, wenn wir im späteren Leben noch uns einer solchen Prozedur unter­werfen, in dieser Beziehung manches nachholen können, was ja auch die Erziehung gegenwärtig vielfach vernachlässigt.

Nun ist es eigentlich im Grunde genommen schwierig, pädago­gisch gerade auf dem Gebiet, das jetzt charakterisiert worden ist, zu wirken; denn man muß auch berücksichtigen, daß, wenn man selbst, sagen wir, als Erzieher in der Lage ist, irgendwelchen auftretenden Wunsch des zu erziehenden Kindes oder jungen Menschen zu befrie­digen und man den Wunsch versagt, daß man dann nicht nur das Ver­sagen herbeiführt, sondern auch eine Art Antipathie. Das kann aber in pädagogischer Weise schlimm sein; so daß man vielleicht sagen könnte: Ja, da erscheint es denn doch etwas zweifelhaft, in die Erziehungsprinzipien die Nichterfüllung der Wünsche der Zöglinge ein­zuführen. Da steht man sozusagen vor einer Lebensklippe. Wenn ein Vater dadurch seine Jungen erziehen will, daß er möglichst sagt: Nein, Karl, das bekommst du nicht! - so wird er doch in stärkerem Maße das erreichen können, daß die Jungen eine Abneigung gegen ihn ha­ben, als daß er das andere Gute erreichen kann, was durch die Nicht­erfüllung der Wünsche erzielt wird. Da kann man fragen: Was soll man dann machen? - Dann könnte man so etwas gar nicht einführen.

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Es gibt aber doch ein sehr einfaches Mittel, es einzuführen: man versagt nämlich nicht dem Zögling die Wünsche, sondern sich selber, aber so, daß der Zögling gewahr wird, daß man sich dieses oder jenes versagt. Nun herrscht ja in den ersten sieben Jahren des Lebens, aber auch später noch als Nachwirkung, ein starker Nachahmungstrieb, und wir werden sehen, wenn wir uns in Gegenwart derer, die wir zu erziehen haben, dieses oder jenes deutlich bemerkbar versagen, daß sie das nachmachen, daß sie das als etwas Erstrebenswertes finden, und damit werden wir etwas ungeheuer Bedeutungsvolles machen.

So sehen wir, wie unsere Gedanken nur in der richtigen Weise ge­lenkt und geleitet zu werden brauchen durch das, was uns Geistes­wissenschaft sein kann; dann wird Geisteswissenschaft nicht nur Theorie, dann wird sie Lebensweisheit werden, wirklich etwas, was uns trägt und fortführt im Leben.

Ein sehr wichtiges Mittel, die Herrschaft unseres Ich über den astralischen Leib zu stärken, ist nun das, was man lernen kann ge­wissermaßen aus den zwei öffentlichen Vorträgen, die ich hier gehalten habe. Nämlich das Eigenartige dieser zwei Vorträge war, daß das ange­führt worden ist, was sich für und wider eine Sache sagen läßt. Wenn Sie nun wiederum prüfen, wie die Menschen mit ihren Seelen sich in das Leben hineinstellen, so werden Sie sehen, daß die Menschen meistens, wenn sie irgend handeln oder denken, eigentlich immer nur das eine sagen, was sich für oder was sich gegen eine Sache sagen läßt. Das ist das Gewöhnliche. Aber es gibt gar keine Sache im Leben, die sich nicht so behandeln ließe, daß es ein Für und Wider gibt, keine einzige Sache. Für alles gibt es ein Für und Wider, und für alle Sachen ist es gut, wenn wir uns angewöhnen, nicht nur das eine, sondern auch das andere, nicht nur das Für oder das Wider, sondern das Für und das Wider zu berücksichtigen. Auch bei den Dingen, die wir dann tun, ist es gut, sich vorzuführen, warum wir sie unter gewissen Umständen besser unterließen oder überhaupt, wenn wir sie auch besser tun, sich klarzumachen, daß es auch Gründe dagegen gibt. Die Eitelkeit spricht in vieler Beziehung dagegen, sich für etwas, was man tun soll, die Gegengründe anzuführen, denn die Menschen möchten gar zu gerne nur gute Menschen sein. Man kann sich so recht das Zeugnis ausstellen,

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ein guter Mensch zu sein, wenn man sagen kann: Man tut nur das, wofür sich etwas sagen läßt. Und die Überzeugung ist etwas unbequem, daß man eigentlich fast gegen alles, was man im Leben tut, auch vieles einwenden kann. Man ist nämlich gar nicht so - ich sage das, weil es für das Leben außerordentlich wichtig ist -, gar nicht so gut, als man glaubt. Aber diese Allgemeinheit, die hat nicht sehr viel Zweck, sondern sie hat erst dann einen Zweck, wenn man sich wirklich bei den einzelnen Dingen, die man tut, trotzdem man sie ausführt, weil eben das Leben sie fordert, auch das vorführt, was zur Unterlassung führen könnte. Was man dadurch erreicht, können Sie sich in folgender ein­facher Weise vor die Seele führen: Sie werden gewiß schon Menschen begegnet sein, die in der Weise willensschwach sind, daß sie eigentlich am liebsten selber sich gar nicht zu etwas entschlössen, sondern immer gerne hätten, daß ein anderer für sie den Entschluß faßt, und sie nur auszuführen haben, was sie tun sollen. Sie wälzen gleichsam die Ver­antwortung ab, fragen lieber, was sie tun sollen, als daß sie selbst die Gründe zu diesem oder jenem Tun finden. Nun, ich führe diesen Fall nicht deshalb an, um ihn selbst als bedeutungsvoll in diesem Augen­blick hinzustellen, sondern um etwas anderes zu gewinnen.

Nehmen wir einen solchen Menschen, der gerne andere fragt - aber das kann auch so aufgefaßt werden, daß das, was ich gesagt habe, etwas ist, wogegen sich viel vorbringen läßt, es läßt sich auch viel dafür sagen, man kann fast nichts im Leben aussprechen, ohne daß es in gewisser Weise widerlegt werden könnte -, nehmen wir solch einen Menschen, der gerne andere fragt. Er steht zwei Menschen gegenüber, die ihm Ratschläge in derselben Sache geben. Der eine sagt: Ja! - Der andere sagt: Tue es nicht! - Da werden wir sehen im Leben, daß der eine Berater den entschiedenen Sieg erringt über den anderen Berater. Der, der einen stärkeren Willenseinfluß hat, der erringt den Sieg über den anderen. Was für eine Erscheinung haben wir da eigentlich vor­liegen? So unbedeutend es auch aussieht: eine höchst bedeutungs­volle Erscheinung. Wenn ich zwei Menschen gegenüberstehe, von denen der eine sagt Ja, der andere Nein, und ich führe das Ja aus, so wirkt sein Wille in mir weiter, seine Willensstärke hat sich geltend gemacht so, daß sie mich zu meiner Tat erkraftete. Seine Willensstärke

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hat in mir über den anderen Menschen einen Sieg davongetragen, die Stärke also eines Menschen hat in mir gesiegt. Nehmen Sie einmal an: Wenn ich jetzt nicht zwei anderen Leuten gegenüberstehe, von denen der eine Ja und der andere Nein sagt, sondern wenn ich ganz allein da­stehe und mir im eigenen Herzen das Ja oder Nein vorführe und mir dabei die Gründe anführe, wenn kein anderer zu mir kommt, sondern ich mir selber die Gründe für das Ja oder Nein anführe, und dann hingehe und sie ausführe, weil ich mir Ja gesagt habe, dann hat das eine starke Kraft entfaltet, aber jetzt in mir selber. Was früher der andere in mir ausgeübt hat, das habe ich jetzt selber als eine Stärke in meiner Seele ausgebildet. So daß also, wenn man sich innerlich vor eine Wahl stellt, man ja eine Stärke über eine Schwäche siegen läßt. Und das ist ungeheuer wichtig, weil dies wiederum die Herrschaft über den astralischen Leib in ganz ungeheurer Weise stärkt. Das ist nun überhaupt etwas, was man nicht als eine Unbequemlichkeit betrachten soll, das Für und Wider in allen einzelnen Fällen, wo es nur sein kann, wirklich ernstlich zu prüfen, und man wird sehen, daß man für die Stärkung seines Willens sehr viel hat, wenn man in dieser Weise aus­zuführen sucht, was eben charakterisiert worden ist.

Aber diese Sache hat auch eine Schattenseite, nämlich die, daß statt der Stärkung des Willens eine Schwächung eintreten kann, wenn man dann, nachdem man so die Gründe für oder wider in sich geltend gemacht hat, eigentlich nicht handelt unter dem Einfluß der einen oder anderen Gewalt, sondern aus Nachlässigkeit gar nichts tut, weder dem einen noch dem anderen folgt. Man ist scheinbar dann dem Nein gefolgt, aber in Wirklichkeit ist man bloß faul gewesen. Daraus folgt das Folgende: daß man gut tut, selbst bis zu diesem Grade Geistes­wissenschaft zu berücksichtigen, daß man ein solches Vor-sich-Hin-stellen des Für oder Wider nicht dann vornimmt, wenn man ermüdet ist, nicht dann, wenn man in irgendeiner Weise abgemattet ist, sondern dann, wenn man sich stark fühlt, so daß man weiß: Du bist nicht er­mattet, du kannst auch wirklich dem folgen, wofür du das Für und Wider vor deine Seele stellst. Also man muß wiederum auf sich selbst achtgeben, damit man zur rechten Zeit solche Dinge auf seine Seele wirken läßt.

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Ferner gehört es im eminentesten Sinne zu denjenigen Dingen, die die Herrschaft unseres Ich über unseren astralischen Leib stärken, wenn wir alles dasjenige von unserer Seele wegweisen, was in gewisser Beziehung einen Gegensatz zwischen uns und der übrigen Welt auf­richtet, zwischen uns und unserer Umgebung. Allerdings sollte es gehören zu der Selbstverpflichtung, die sich der Anthroposoph auf­erlegt, nicht etwa berechtigte Kritik sich zu verbieten. Wenn die Kritik eine sachliche ist, so wäre es natürlich eine Schwäche, das Schlechte für gut - sozusagen aus rein geisteswissenschaftlichen Gründen - aus­zugeben. Das braucht man aber auch gar nicht. Aber man muß unter­scheiden lernen zwischen dem, was man um seiner selbst willen tadelt, und dem, was man wegen seines Einflusses auf die eigene Persönlich­keit unbequem, benörgelbar findet. Und je mehr man sich angewöhnen kann, unabhängig zu machen die Beurteilung namentlich unserer Mit­menschen von der Art und Weise, wie sie sich zu uns stellen, je mehr man das kann, desto besser ist es für die Stärkung unseres Ich in bezug auf seine Herrschaft über den astralischen Leib. Es ist sogar gut, sich sozusagen eine Entsagung aufzuerlegen. Nicht um sich die Fin­ger abzulecken und zu sagen: Du bist ein guter Mensch, wenn du dei­nen Mitmenschen nicht kritisierst -, sondern um sich stark zu machen, soll man sich auferlegen die Dinge, die man nur deshalb übel finden kann, weil sie einem selber unangenehm sind, nicht übel zu finden und gerade auf dem Gebiet, wo es sich um Menschenbeurteilung han­delt, negative Urteile lieber da anzuwenden, wo man selber gar nicht in Frage kommt. Man wird schon sehen, daß das als theoretischer Grundsatz sich leicht ausnimmt, daß es aber im Leben außerordent­lich schwierig auszuführen ist. Es ist gut, wenn man zum Beispiel bei einem Menschen, der einen angelogen hat, mit seiner Antipathie gegen ihn, weil er einen gerade selber angelogen hat, zurückhält. Es handelt sich nicht darum, zu anderen zu gehen und das weiterzuerzählen, was er erzählt hat, sondern es kann sich darum handeln, das Gefühl der Antipathie zurückzuhalten, weil er uns angelogen hat. Das, was wir an dem Menschen bemerken können an dem einen und anderen Tag, wie seine eigenen Handlungen zusammenstimmen, das können wir sehr wohl zu einem Urteil über den Betreffenden gebrauchen. Wenn

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einer einmal so, das andere Mal anders redet, dann brauchen wir nur, was an ihm selber ist, zu vergleichen, dann haben wir eine ganz andere Unterlage zu seiner Beurteilung, als wenn wir sein Verhalten zu uns betonen. Und das ist wichtig, daß man die Dinge als solche für sich selbst sprechen läßt, oder die Menschen als solche in ihren eigenen Handlungen begreift, nicht aus einzelnen Handlungen sie beurteilt, sondern aus dem, wie ihre Handlungen zusammenstimmen. Man wird schon finden, daß selbst bei demjenigen, den man für einen ausge­pichten Schurken hält und sagt: Der tut niemals etwas anderes, als was zum Begriff eines solchen stimmt -, daß man selbst bei einem sol­chen sehr viel findet, was nicht zu dem stimmt, was dem widerspricht, dem, was er selbst tut. Und man braucht gar nicht das Verhältnis zu einem selbst ins Auge zu fassen, man kann von sich selbst absehen, um sich den Menschen in seinem eigenen Verhalten vor die Seele zu stel­len, wenn es überhaupt nötig ist, ein Urteil über ihn zu fällen. Aber gut ist es zur Stärkung des Ich, darüber nachzudenken, daß wir einen großen Teil, neun Zehntel der Urteile, die wir fällen, in allen Fällen unterlassen können. Wenn man ein Zehntel von den Urteilen, die man über die Welt fällt, ein Zehntel nur sozusagen wirklich in seiner Seele erlebt, so genügt das reichlich für das Leben. Es wird das Leben in keiner Weise, auch für uns selber nicht, beeinträchtigt dadurch, daß wir uns versagen, die übrigen neun Zehntel zu fällen, die wir eben nun sehr häufig fällen.

Ich habe Ihnen heute scheinbar Kleinigkeiten angeführt; aber solche Dinge zu betrachten, muß auch ab und zu unsere Aufgabe sein. Denn gerade durch solche Dinge kann gezeigt werden, wie das Kleine in seinen Wirkungen groß ist, wie sozusagen wir an ganz anderen Enden anfassen müssen das Leben, wenn wir es gesund und kräftig gestalten wollen, anders als man es gewöhnlich anfaßt. Es ist doch nicht immer das Richtige, daß man sagt: Nun, wenn einer krank wird, wollen wir ihn in die Apotheke schicken, da wird er finden, was er braucht. - Das Richtige wird sein, das ganze Leben so zuzurichten, daß die Menschen weniger von Krankheiten befallen werden, oder daß die Krankheiten weniger drückend sind. Sie werden weniger drückend sein, wenn durch solche kleine Dinge der Mensch stärkt den Einfluß des Ich auf den

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Astralleib, des Astralleibes auf den Ätherleib und des Ätherleibes auf den physischen Leib. Selbsterziehung und Einwirkung auf die Erzie­hung sind eben Dinge, die aus unserer anthroposophischen Grundüber­zeugung hervorgehen können.

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DIE MENSCHLICHEN SEELENBETÄTIGUNGEN IM WANDEL DER ZEITEN Winterthur, 14. Januar 1912

Es wird vielleicht heute gut sein, wenn wir eine Betrachtung anstellen über geisteswissenschaftliche Fragen, welche dem einen und anderen Dienste leisten können, wenn es sich darum handelt, die Geisteswissenschaft nach außen hin zu verteidigen. Denn gerade dann, wenn man das erste Mal an einem Orte zusammentrifft, wo sozusagen wiederum eine Art von Anfangs- oder Ausgangspunkt der geisteswissenschaftlichen Be­wegung in Aussicht genommen werden soll, ist es ganz gut, sich manches vor die Seele zu führen von den moralischen Fragen, die oftmals an uns herantreten, besonders wenn wir selber schon in diesem oder jenem Zweige arbeiten und dann vor Menschen stehen, die ohne Bekannt­schaft mit der Geisteswissenschaft hineinkommen und etwas wissen wollen, was vielleicht dazu führen könnte, sie zu einer Überzeugung oder wenigstens zu einem Verhältnis gegenüber der Geisteswissenschaft zu bringen.

Da muß sich ja Geisteswissenschaft berufen auf übersinnliche, auf geistige Erfahrung. Und so wie uns heute die Botschaft der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung gebracht wird, ist sie eine Erzäh­lung, eine Erzählung von demjenigen, was der Geistesforscher - da­durch, daß er seine Seele zu einem Instrumente gemacht hat, um in der geistigen Welt zu forschen - offenbaren kann und was für ihn eine solche Gewißheit hat, wie für die äußere Anschauung die Tatsache, daß es Rosen oder Tische und Stühle gibt, also eine unmittelbare Anschauungsgewißheit.

Aber was geht das uns an, die wir eine solche unmittelbare Anschau­ungsgewißheit nicht haben? - möchten die anderen fragen. Für uns kann es doch nur dazu führen, daß wir das glauben, was der Geistesforscher sagt. - Nun ist von mir immer betont worden, daß die Sache nicht so liegt. Zwar können die Dinge der höheren Welt nur dadurch gewußt werden, daß man in diese eindringt; aber wenn sie dann nur logisch dargestellt werden, ist es so, daß jeder sie begreifen kann, wenn

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er seine Vernunft in richtiger Weise anwendet, so daß er sich sagen kann: Alles, was da gesagt wird, stimmt mit den Tatsachen mehr über­ein als alles, was durch eine andere Philosophie gesagt wird. - Wir können also unsere Vernunft ruhig anwenden und finden, daß aus der Logik, die den Dingen zugrunde liegt, die Sache schon begriffen wer­den kann. Zwar ist es nicht so leicht, aber es kommt doch dazu, daß auch der Nichtschauende sich eine ganz gegründete Überzeugung bil­den kann.

Für die eigentlichen Beweise wird das natürlich nicht ausreichen, was man den Außenstehenden sagen kann. Aber wenn man gewisse Dinge, die jeder wissen kann, nimmt und vergleicht mit dem, was der Geistesforscher sagt, dann können wir im Grunde schon recht weit kommen. Nehmen wir nur eine ganz elementare geisteswissenschaft­liche Wahrheit, die Wahrheit, daß der Mensch aus vier Gliedern be­steht, dem physischen Leib, dem Äther- und dem Astralleib und dem, was wir das Ich nennen. Von diesen vier Gliedern kennt die äußere Welt ja nur den physischen Leib, und es steht natürlich jedem frei, ab­zuleugnen, daß es so etwas wie einen Ätherleib oder einen Astralleib oder das Ich gibt.

Man kann zwar sagen: Jeder spricht vom Ich; aber widerlegt wird es doch. Das Ich ist wie eine Art Flamme, und wird durch den Brenn­stoff des Physisch-Leiblichen wie ein Docht verzehrt. - So hat man den Philosophen Bergson widerlegen wollen, der sich auf die Fortdauer des Ich beruft.

Wir können aber sehen, wie das Ich einzelne Vorstellungen überlebt. Jeder Tag zeigt ja das, indem in jeder Nacht das Ich ausgelöscht ist, nicht als etwas ununterbrochen Fortdauerndes erlebt werden kann.

Man könnte ja hinnehmen, daß diese übersinnlichen Glieder geleug­net werden können; aber eines wird der Mensch nicht leugnen können, nämlich, daß er in sich selbst dreierlei innere Erlebnisse wahrnimmt. Das eine ist, daß er in seiner Seele Vorstellungen erlebt. Denn ein jeder weiß, wenn er sich einen Gegenstand ansieht und sich dann umwendet und noch den Eindruck davon hat, dann hat er eine Vorstellung erlebt. Das zweite, was der Mensch erlebt, und was er unterscheiden muß von seinen Vorstellungen, das sind die Gemütsbewegungen: Lust und Leid,

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Freude und Schmerz, Sympathie und Antipathie. Und ein drittes kann der Mensch nicht leugnen: daß er Willensimpulse hat.

Nehmen wir die Vorstellungswelt: Der Mensch kann sich eine Vor­stellung machen, indem er die Welt der Wahrnehmungen auf sich wir­ken läßt. Er kann sich auch Vorstellungen machen, indem er einen Ro­man liest, denn der Mensch hat auch, indem er etwas liest, Vorstellungen. Sie alle wissen, daß der Mensch es in bezug auf seine Vorstellungen manchmal schwer und manchmal weniger schwer hat. Die Vorstellun­gen, denen sich der Mensch instinktiv gern hingibt, wirken anders als diejenigen, denen er sich mit Widerwillen hingibt, oder die ihm Schwie­rigkeiten machen. Sie alle wissen, daß eine schwierige Rechnung eine andere Wirkung auf Ihre Vorstellungsart macht als ein Roman. Wir merken, daß wir müde werden vom Vorstellungsleben, wenn es uns Anstrengung macht. Das kann um so weniger bezweifelt werden, da es ein Mittel ist, um leichter einzuschlafen. Es müssen aber nicht Vorstel­lungen sein, die uns besonders irritieren, auch nicht solche, die Sorgen machen, sondern solche, die für uns schwierig sind. Jedenfalls, das eine kann jeder Mensch an sich erleben: daß er äußerlich verhältnismäßig leicht einschläft, wenn er sich vor dem Einschlafen mit einer solchen Vorstellungswelt durchdringt, an die ihn das Pflichtgefühl bindet.

Nehmen wir jetzt die Gemütsbewegungen. Lust und Leid, Freude und Schmerz, Sorgen, Bekümmernis und dergleichen sind etwas, was uns unter Umständen für solche Momente äußerlich Schwierigkeiten machen kann. Ein Mensch, der schwer mitgenommen ist von seinen Gemütsbewegungen, schläft schwer ein. Selbst freudige Erfahrungen werden ihn verhindern, ruhig einzuschlafen.

Wenn man auf solche Dinge achtgibt, wird man bald bemerken, daß Gemütsbewegungen ein größeres Hemmnis als Vorstellungen beim Übergehen in den Schlafzustand geben, und insbesondere Gemütsbe­wegungen, die zusammenhängen mit den intensivsten Interessen des Ich. Wenn der Mensch ein besonderes Ereignis, das ihn erwartet, vor sich hat, schläft er oft wochenlang nicht. Versuchen Sie es nur einmal:

Ein Ereignis, das mit einer gewissen Sicherheit eintreten muß, zum Beispiel das Auftreten eines Kometen - wenn Sie nicht gerade ein Astronom sind, der sein Ich-Interesse dabei hat -, das wird Sie recht

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gut einschlafen lassen. Den Astronomen nicht, weil er gerechnet hat und sorgenvoll wartet, ob seine Rechnung stimmt.

Nun können wir noch von einer anderen Seite diese Gemütsbe­wegungen ins Auge fassen. Wir können ja in einer gewissen Beziehung den Schlaf mit dem Hellseherischen des Menschen in Zusammenhang bringen. Der Schlafzustand ist ein solcher, daß der Mensch bewußtlos ist. Hellsehen ist nur: von geistigem Licht durchdrungenes Schlafen, bewußtes Schlafen, wenn wir so definieren dürfen. Es müßte also günstig sein für die hellseherischen Zustände, wenn man von allen Ge­mütsbewegungen frei ist, und ungünstig, wenn man von solchen er­füllt ist. Das kann man durch manches, was man auch äußerlich wis­sen kann, bestätigt finden, zum Beispiel an Nostradamus, der im 16. Jahrhundert ein bedeutender Hellseher von der Art war, daß er pro­phetisches Hellsehen besaß, so daß selbst die reinen Historiker nicht zweifeln können, daß sich Ereignisse, die er in Verse gebracht, erfüllten und die, wenn man vergleicht, zeigen, daß er ganz wunderbare An­gaben gemacht hat. Selbst vom Historiker Kemmerich ist das aner­kannt, weil es sich nicht leugnen läßt. Kemmerich selbst erzählt, daß er sich ganz andere Aufgaben gestellt hatte: er wollte nur den Beweis liefern, daß die Gesundheitsverhältnisse für den Menschen sich seit dem 16. Jahrhundert gebessert haben. Und da kam er dazu, sich mit Nostradamus zu beschäftigen.

Wenn wir Nostradamus verfolgen, so ist es interessant, seine Le­bensverhältnisse ins Auge zu fassen. Er war ein Mensch, der solche hellseherischen Kräfte besaß, die auf Anlage beruhen, so daß sie bei der ganzen Familie sich fanden. Bei ihm aber kamen sie in besonderer Weise herauf dadurch, daß er ein hingebungsvoller, wunderbarer Arzt war. Großartiges hat er besonders bei einer Pestepidemie in der Pro­vence geleistet. Aber dann kam auf, daß man sagte, er sei ein geheimer Calvinist. Das schadete ihm so, daß er nicht anders konnte, als seine ärztliche Praxis aufzugeben. Was das heißt, muß man verstehen! Die Kräfte sind doch in der Persönlichkeit! Die Physiker finden: Wenn irgendwo Kräfte in der Natur sich auflösen, dann werden sie ander­weitig verwertet. Nur auf geistigen Gebieten, da wollen die Menschen so etwas nicht wissen.

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Wenn nun der Mensch solche Kräfte entwickelt in seinem Beruf, so segensreich entfaltet wie dieser als Arzt, so müssen solche Kräfte, die da frei werden, anderweitig sich kundtun. Und sie wandelten sich bei Nostradamus alle in hellseherische Kräfte um, weil er ein gewisses ursprüngliches Hellsehen hatte, wie es auch Paracelsus hatte.

Nun sehen Sie: da schildert uns gerade Nostradamus recht schön, wie er dazu kam, zukünftige Ereignisse vorauszusehen. Er hatte ein La­boratorium. Das war aber kein Laboratorium, wie es die Chemiker haben. Es war ein Raum, ein Zimmer, neben seiner Wohnung, mit einem Glasdach. Von dort betrachtete er den Gang der Gestirne, ließ die Umformung der Sternbilder auf seine Seele wirken. Und da kamen ihm diejenigen Dinge, die er von der Zukunft sagen konnte. Das ergab sich als eine Intuition. Das sprang aus seinem Gemüte heraus. Aber damit ihm solche Dinge kamen, mußte er ganz frei sein von Kummer und Sorgen und Gemütsaufregungen. Da haben wir ein Beispiel, wie beim Hellsehen, ebenso wie beim gesunden Schlaf, ein Freisein von Gemüts­bewegungen da sein muß.

Jetzt gehen wir weiter und erkundigen uns über den Zusammenhang des Menschen mit seinen Willensimpulsen, sofern als diese Willensim­pulse einen Zusammenhang haben mit dem Moralischen. Betrachten wir wiederum den Moment des Einschlafens. Es ist dies ein wichtiger Moment für den Menschen, denn wie uns die Geisteswissenschaft sagt, geht er da über in die astralische Welt.

Betrachten wir die moralischen Impulse in diesem Moment des Ein­schlafens. Um diese zu beobachten, muß man schon große Aufmerk­samkeit auf solche Vorgänge wenden. Diejenigen Menschen, die so achtgeben, machen folgende Erfahrung: Es rückt also heran der Mo­ment des Einschlafens. Während vorher das Auge klar gesehen hatte, werden nun die Umrisse der Gegenstände unbestimmter. Etwas wie Nebel legt sich darüber. Es ist, wie wenn der Mensch sich abgeschlossen fühlen würde von der Umgebung. Auch im physischen Leib tritt in bezug auf ein bestimmtes Etwas eine Veränderung ein: man kann nicht mehr die Glieder bewegen. Einer Kraft, der sie früher folgten, können sie nicht mehr folgen. Im weiteren bemerkt der Mensch, daß er sich so fühlt, daß er wie ganz von selber gewisse Dinge, die man als Willensimpulse

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bezeichnen muß, sich vor die Seele gerückt fühlt. Wie eine Ein­heit treten vor ihm auf die Dinge, die er gemacht hat; die er so gemacht hat, daß er sich keine Vorwürfe zu machen braucht. Und er empfindet eine ungeheure Seligkeit über alles, was er gut gemacht hat. Durch gute Geister sind die Menschen davor geschützt, daß das Schlimme so vor die Seele tritt. Seligkeit zu empfinden über das Gute, das verrichtet worden ist, kann natürlich nicht auftreten, wenn nichts Gutes verrich­tet worden ist. Aber so schlimm sind ja die Menschen im allgemeinen nicht, daß sie gar nichts Gutes tun.

Wer achtgibt, empfindet, wie etwas auftritt wie ein Gedanke, der dunkel und doch deutlich vor der Seele bleibt: Ach, könnte dieser Au­genblick festgehalten werden, ach, könnte das immer so bleiben! -Dann kommt ein Ruck, und das Bewußtsein ist verschwunden.

Während die guten Impulse Seligkeit hervorrufen und das Ein­schlafen fördern, hindern es schlechte Impulse noch mehr als Gemütsbewegungen. Über Gewissensbissen schläft ein Mensch außerordentlich schwer ein. Willensimpulse sind unter Umständen ein noch schlimmeres Hindernis als Gemütsbewegungen, um einzutreten in die geistige Welt, in die wir eintreten sollen. Das Vorstellungsleben macht es verhältnis­mäßig leicht, die Gemütsbewegungen schon schwerer, und am aller­wenigsten lassen uns Gewissensbisse über Handlungen, über die wir uns Vorwürfe machen können, eintreten in die geistige Welt.

Gewöhnlich halten die Vorstellungen, das heißt unsere Vorstellun­gen, Wache; indem wir die Bilder des Tages an uns vorüberziehen las­sen, schlafen wir gewöhnlich ganz gut ein. Wenn aber Empfindungen hinzukommen, so sind diese eine weniger gute Wache; wir schlafen unter Erregung weniger gut ein. Am meisten aber halten Wache über unseren Schlaf, daß wir am besten ins Devachan kommen, die Willensimpulse, die Willensimpulse, die uns zu moralischen Taten geführt ha­ben. Wenn wir in unserer Rückschau an einen Punkt kommen, der uns mit Befriedigung, mit moralischer Genugtuung über eine gute Tat er­füllt, in der unser Willensimpuls zum Ausdruck gekommen ist, dann ist der Moment der Seligkeit da, der uns hinüberträgt ins Devachan.

Wenn man beachtet, was die Geisteswissenschaft sagt, so wird man finden, daß schon Übereinstimmung herrscht zwischen diesen Beobachtungen

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und dem, was hellseherisch gefunden wird. Denn Geisteswissen­schaft sagt uns: Der Mensch gehört mit seinem Ätherleib der astrali­schen Welt an. Dadurch, daß er mit dem Ätherleib der astralischen Welt angehört, lebt er in seinen Vorstellungen als in etwas, was der physischen Welt gar nicht eigen ist. Die physische Welt gibt uns Wahr­nehmungen. Aber von ihnen müssen wir uns abwenden, und dann bleibt uns noch etwas: Vorstellungen. Sie sind schon etwas Übersinn­liches. Diese Vorstellungen hat der Mensch dadurch, daß die Kräfte der Astralwelt in seinen Ätherleib hineinreichen, so daß der Mensch durch seine Vorstellungen in einem gewissen Zusammenhang mit der Astralwelt steht. Zweitens sagt uns die Geisteswissenschaft: Gemütsbewe­gungen sind etwas, was nicht bloß Zusammenhang hat mit der astra­lischen Welt, sondern auch mit einer höheren; denn die Gemütsbewegungen hat der Mensch auch im Zusammenhang mit dem unteren De­vachan. Drittens lehrt Geisteswissenschaft und aller Okkultismus: Durch das moralische Wirken der Willensimpulse steht der Mensch mit der höheren Devachanwelt, der Welt des sogenannten formlosen Devachan in Verbindung.

So weisen in dem Menschen diese drei Arten des Seelenlebens auf drei Arten des Zusammenhanges mit den höheren Welten hin. Ver­gleichen Sie das, was so im gewöhnlichen Leben erlebt wird, mit dem, was die Geisteswissenschaft sagt. Es stimmt zusammen. Vorstellungen sind zum Einschlafen nicht hemmend; denn wir müssen durch sie in die astralische Welt kommen. Dagegen um in die Devachanwelt zu kommen, müssen wir solche Gemütsbewegungen haben, die uns in eine höhere Geisteswelt kommen lassen. Durch eine solche Gemütsbewegung, welche uns herumwälzen läßt auf dem Lager, können wir nicht zum Einschlafen kommen. Die Welt der moralischen Willensimpulse bedeutet unseren Zusammenhang mit der höheren Devachanwelt. Da werden wir erst recht nicht eingelassen, wenn wir nicht solche Willensimpulse haben, über die wir uns keine Vorwürfe zu machen brauchen. Wir können also zum wirklichen Schlafen nicht kommen, wenn wir Gewissensbisse haben. Wir werden da ausgesperrt. Und die geschilderte Seligkeit, die wir empfinden über eine gute Tat, ist wie ein äußeres Zeichen dafür: Du darfst in die Devachanwelt hinein. - Kein Wunder,

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daß die Menschen dies als Seligkeit empfinden, in der sie immer leben möchten. Sie fühlen sich da verwandt mit der höheren Devachanwelt, so daß sie da bleiben möchten. Wenn der Mensch nicht Hellseher ist, kann er sich keine andere Vorstellung von diesen höchsten Zuständen machen als das Einschlafensgefühl, das da eintritt als Seligkeit und mo­ralische Empfindung.

So können wir dem Menschen zeigen: Du hast dein Seelenleben in dir. Was du vorstellst, zeigt sich so, daß es dich in Zusammenhang bringt mit einem Höheren, und zwar so, daß es dir am leichtesten wird, in die höhere Welt zu kommen; es ist verwandt mit dem Astralischen. Was der Mensch so auslebt, ist wie ein Schatten der höheren Welt. Gemütsempfindungen trennen uns schon mehr, weil durch sie der Mensch mit der niederen Devachanwelt zusammenhängt; Wil­lensimpulse hingegen trennen uns noch mehr, denn sie hängen mit der höheren Devachanwelt zusammen.

Das ganze steht aber noch in Zusammenhang mit anderen Tatsa­chen: Das, was nach dem Tode im Kamaloka am wirksamsten ist, sind die Gemütsbewegungen und moralischen Impulse. Vorstellungen über die Sinneswelt sterben ab, nur die von Übersinnlichem kann der Mensch mitnehmen. Dagegen verfolgen uns die Gemütsbewegungen nach dem Tode ganz gewaltig und bleiben. Denn sie sind es, die uns eine gewisse Zeit im Kamaloka halten. Zum Beispiel ein Mensch, der ganz schlecht wäre, würde durch seine Gewissensbisse zwischen Tod und neuer Ge­burt überhaupt nicht ins Devachan hinaufkommen können, sondern müßte sich ohne das wieder inkarnieren. Ohne moralische Regungen würde er nicht hinaufkommen in die höhere Devachanwelt; er würde in kurzer Zeit wiederkommen und nachholen mussen. Da er keine guten Gemütsbewegungen hatte, ist ihm auch das niedere Devachan verschlossen.

So können wir vergleichen und zeigen, daß wir eine Anschauung von den Tatsachen des gewöhnlichen Lebens, des gewöhnlichen Seelen­lebens gewinnen können, wenn wir sie erklären durch das, was die Geisteswissenschaft zu sagen hat.

Anknüpfen möchte ich an das eben Gesagte eine andere Tatsache, die Ihnen wichtig erscheinen wird, wenn Sie den geistigen Blick lenken

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auf die Tatsache der Lehre von der Reinkarnation, von den wie­derholten Erdenleben. Wenn wir wiederholt auf Erden uns verkörpern, so muß das doch einen gewissen Zweck haben. Es würde die Entwicke­lung ja keinen Zweck haben, wenn wir dadurch nicht etwas erleben würden! Was hat es für einen Sinn, daß man sich wiederverkör­pert? Durch die Tatsachen der geistigen Anschauung kommen wir da­zu, zu sehen, wie sehr verschieden das menschliche Leben in den ver­schiedenen Zeitaltern ist. Denken wir zurück an die alten Zeiten, als man Griechisch oder Latein gesprochen und das getan hat, was damals üblich war! Was man heute verlangt: daß man Kinder in die Schule schickt, das kam erst spät auf. Während man heute in einem Analpha­beten einen ungebildeten Menschen sieht, war das früher nicht so. Sonst müßte unsere Statistik zum Beispiel Wolfram von Eschenbach einen ungebildeten Menschen nennen. Etwas anderes, was man heute nicht als Bildung ansieht, hatte man zum Beispiel im alten Rom: Da wußte jeder römische Bürger - auch der sein Feld mit dem Pfluge durchzog -genau den Inhalt der Zwölftafelgesetze und vieles andere, was mit der Gestaltung des bürgerlichen Staates zusammenhängt. Der Römer hatte nicht nötig, um jede Kleinigkeit zum Rechtsanwalt zu rennen. - Das ist ein Beispiel. Wenn diese großen Verschiedenheiten gekannt würden, so würde es den Menschen vergehen zu fragen, warum wir immer wie­der als Kinder inkarniert werden müssen; das sei doch nicht nötig! Nein, so ist es nicht! Jedesmal, wenn wir wiederkommen, hat sich die Kultur so verändert, daß wir wieder etwas lernen müssen. Also: Wir sind ge­boren gewesen in ganz anderen Verhältnissen, und es ist durchaus nö­tig, immer wieder zu kommen, bis die Erde an ihrem Ziel angekom­men sein wird.

Nun unterscheiden wir dieses, was der Mensch in den aufeinander­folgenden Kulturen werden kann, am besten, wenn wir wissen, daß die verschiedenen Eigenschaften, die heute aufgezählt wurden als in­neres Seelenleben, in der äußeren Kultur sich nach und nach entwik­keln. In unserer Zeit findet man als Charakteristisches, daß von den aufgezählten Impulsen der größte Wert auf die Vorstellungen gelegt wird. Wir leben in einer Kultur des Vorstellungslebens. Der Intellekt wird entwickelt. In der griechischen und römischen Kultur hat man

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nicht so viel gedacht, dafür aber mehr wahrgenommen, als es die heu­tigen Menschen tun. Etwas Komisches, aber gleichzeitig etwas Groß­artiges liegt in dem, was sich Hebbel, der Dramatiker, in sein No­tizbuch schrieb: Nehmen wir an, daß Plato wiedergeboren würde; dann würde er ein Gymnasiast und müßte in der griechischen Spra­che den Plato lesen, und der Gymnasiallehrer ist furchtbar unzu­frieden, weil er den Plato nicht versteht, prügelt ihn. - Das wollte Hebbel dramatisieren. Nun, das ist auf der einen Seite recht ko­misch, aber auf der anderen recht begreiflich. Denn wahr ist, daß heute der Gymnasiallehrer viel mehr vorstellt als selbst der große Phi­losoph Plato zu seiner Zeit. Man sieht nur die Welt in gewisser Weise heute kurzsichtig an. Der heutige Bauer denkt mehr, als der griechi­sche Philosoph gedacht hat. Dagegen wurde dazumal das Wahrneh­mungsvermögen viel mehr ausgebildet. Der Mensch hing mit der gan­zen Natur zusammen. Die Wahrnehmung war da dasselbe, was jetzt bei uns die Vorstellung ist. Heute wird ja das Wahrnehmen gar nicht mehr gelernt, nur von denen, die eine Schulung durchmachen. Es ist durchaus möglich, daß einer in dem, was er laboratoriumsmäßig lernt, weit kommt, und doch draußen sehr unerfahren ist, den Weizen nicht vom Roggen unterscheiden kann. So daß wir sagen können, daß die Menschen heute viel Vorstellungsvermögen haben, damals aber im Wahrnehmen geschult wurden. Daher können wir zwei Epochen un­terscheiden: Eine Epoche der Wahrnehmungen und eine der Vor­stellungen. Dann wird eine dritte folgen, durch die werden die Ge­mütsbewegungen ausgebildet sein, die heute nur nebenher gehen.

Ein Mensch, der beginnt, eine gewisse Entwickelung durchzuma­chen, muß in der Tat schon vorausnehmen, was allgemeine Menschenkultur in späterer Zeit werden soll. Er muß also die Gemütbewegungen fördern. Da kann es leicht vorkommen, daß irgendein Mensch den An­fang gemacht hat mit der Ausbildung seiner Gemütsbewegungen nach höheren Welten hin und dann in Berührung mit den anderen Menschen die Vorstellungskultur hat. Dann wird er die Beobachtung machen, daß einmal das Richtige, ein andermal das Falsche gefühlt wurde. Ein bloß intellektueller Mensch wird aus logischen Gründen das Richtige annehmen und das Falsche abweisen.

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Es wird lange dauern, bis eine höhere Kulturstufe kommen wird, in der man gegenüber dem Richtigen ein Wohlgefallensgefühl und ge­genüber dem Unrichtigen ein Mißfallensgefühl empfinden wird. Das gibt einem dann Sicherheit gegenüber dem wahren und falschen We­sen; denn verlangt wird nicht nur eine Vorstellung von wahrem und falschem Wesen. Da haben wir nicht lange zu tun, um eine Sache zu beweisen, da wir sie im Nu erfassen. Heute müssen wir beweisen, ent­wickeln. Dann wird man nicht mehr zu beweisen brauchen, sondern zu gefallen. Daher wird auf die Wahrnehmungskultur der Griechen und die Vorstellungskultur unserer Zeit eine Seelenkultur folgen, wenn wir uns wieder inkarnieren. Dann folgt noch eine Kultur in bezug auf die Impulse; dann werden die Willensimpulse eine große Ausbil­dung erfahren. Diejenigen Menschen, die da inkarniert werden, wer­den verfolgen, was sozusagen ein sokratisches Idealist. Wäre das nicht, so könnte ein Mensch, der noch so klug ist, ein idealer Schurke sein; um­sonst hätte Hamlet auf seine Schreibtafel geschrieben, daß einer lächeln und immer lächeln und doch ein ausgemachter Schurke sein kann.

Auf die Epoche der Gemütsbewegungen folgt eine Epoche ausge­prägter Moralität. Da wird sich, wie die okkulten Forschungen zei­gen, noch ein ganz besonderer Fall darstellen. Nehmen wir an, es wür­den die Leute immer klüger und klüger werden. Man kann es werden nach der Art der heutigen Vorstellungsweise. Man kann sogar seine Klugheit brauchen, um böse Taten zu inszenieren. Aber merkwürdiger­weise wird in unserer übernächsten Epoche dieses stattfinden, daß Schlechtigkeit der Willensimpulse lähmend wirken wird auf die Intellektualität! Das wird das Eigentümliche der moralistischen Kulturepoche sein, daß die Immoralität die Kraft haben wird, die Intellek­tualität abzutöten. Ein Mensch dieser Epoche muß sich deshalb so wei­ter entwickeln, daß er mit seiner Moralität seiner Intellektualität nach­kommen muß. Wir können also sagen: Wir haben die griechisch-römi­sche Kultur als Zeit der Wahrnehmungskultur, die unsrige als Zeit der intellektuellen. Dann kommt die Zeit der Gefühlskultur und darauf die Zeit der eigentlichen Moralität.

Nun ist es interessant zu beobachten, wie ein wichtiger Impuls auf die Menschen wirkt in diesen aufeinanderfolgenden Kulturepochen.

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Da müssen wir uns auf das vorher Gesagte beziehen, daß das Wahr­nehmungsvermögen uns verbindet mit dem Astralischen, die Gemüts­bewegungen mit dem niederen Devachan und die Moralität mit dem höheren Devachan.

Wenn also an den Menschen ein Impuls herankommen sollte im Griechen- und Römertum, dann war der Mensch geschult, besonders wahrzunehmen das, was äußerlich herantritt. Daher tritt der Impuls des Christus-Ereignisses als äußere Wahrnehmung in die Welt. Jetzt leben wir in der Kultur der Vorstellungen. Daher wird unsere Kultur­epoche ihr Ziel erreichen dadurch, daß man Christus wissen wird als etwas, was aus der astralischen Welt heraus wahrgenommen wird als innere Vorstellung. Als Äthergestalt wird er sich kundgeben aus der Astralwelt heraus. In der nächsten Epoche, in der Zeit der Gemütsbewegungen, wird der Mensch ganz besonders seine Gemütsbewegun­gen kundgeben, um den Christus astral zu sehen. Und dann in der Moralitätsepoche wird sich der Christus kundgeben als das Höchste, was der Mensch erleben kann: als ein Ich, das hereinleuchtet aus der oberen Devachanwelt.

Also auch die Wahrnehmung des Christus wird sich fortentwickeln. In seinen Vorstellungen, in seinen Imaginationen wird der Mensch jetzt auf natürliche Weise wahrnehmen den Christus.

So sehen wir aus diesen Darstellungen, daß der Mensch eine ge­wisse Übereinstimmung finden kann zwischen dem, was Geisteswis­senschaft sagt, und dem, was in der Welt geschieht - vorausgesetzt, daß der Mensch ihm etwas entgegenbringt.

Das sind Punkte, wie sie für eine lokale Vereinigung berührt wer­den können, um irgend etwas von den zahlreichen Fragen zu beant­worten, durch die der Mensch an die geistige Welt herankommen kann

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DER WEG DER ERKENNTNIS UND SEIN ZUSAMMENHANG MIT DER MORALISCHEN NATUR DES MENSCHEN Zürich, 15. Januar 1912

Die Aufeinanderfolge von Vorträgen, die wir heute und morgen ha­ben, könnte vielleicht einmal dazu benutzt werden, um Dinge zu be­sprechen, welche zwar ähnlich sind, nur daß man sie das eine Mal be­spricht, wie sie geeigneterweise besprochen werden sollen für Mitglieder, für solche Freunde, welche eine gewisse Zeit sich innerhalb eines Zweiges damit beschäftigt haben, die Gesichtspunkte, von denen wir aus­gehen, bei ihrer Weltbetrachtung zugrunde zu legen, während dann morgen beim öffentlichen Vortrag ähnliche Dinge und ähnliche Aus­gangspunkte in Betracht kommen sollen, aber so, wie sie mehr geeignet sind für diejenigen, die sozusagen unmittelbar vom Außenleben her, noch wenig mit der Geisteswissenschaft bekannt, an diese Bewegung herankommen.

Heute soll gleichsam der Ausgangspunkt genommen werden von dem, was eine sehr bekannte Forderung ist für alle diejenigen, welche nicht nur in der Geisteswissenschaft allein, sondern vielleicht auch in der Entwickelung ihres inneren Menschen vorwärtskommen wollen. Es wird ja immer wieder und wiederum betont, daß für die innere Ent­wickelung eines Menschen - damit diese vielleicht dahin führt, daß er selber Erlebnisse haben kann in der geistigen Welt - die Reinheit und das Liebevolle der Ziele und Absichten von ganz besonderer Wichtigkeit ist. Wir könnten vielleicht, wenn auch in einer gewissen Beziehung einseitig - aber alles, was man sagt, muß ja einseitig sein -, sagen: Ein Geistesforscher, oder überhaupt jemand, der hinaufkommen will in die geistigen Welten und irgendwie selber etwas finden will von diesen geistigen Welten, muß vor allen Dingen eine bestimmte Seeleneigenschaft haben. Diese Eigenschaft der Seele muß so sein, daß er sym­pathisiert, und zwar energisch sympathisiert mit dem Guten, mit dem Edlen, mit dem Schönen, und daß er gewissermaßen Abneigung empfindet gegenüber dem Bösen, dem Häßlichen. Die Reinheit der moralischen Seelennatur, sie wird ja in bezug auf den Weg in die gei­stigen

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Welten immer wieder gefordert und wir könnten wohl sagen: Für ein wirklich im Sinne unserer gegenwärtigen Zeit gelegenes Hinauf­steigen in die geistigen Welten ist ein völliges Durchdrungensein der Seele von wahren, moralischen Absichten und Zielen durchaus nötig. Wir werden nachher hören, daß es allerdings möglich ist, zu hellse­herischen Kräften auch ohne diese Grundbedingungen zu kommen; aber hellseherische Kräfte sich zu erwerben ohne die eben charakteri­sierten Grundbedingungen, hat immer etwas Bedenkliches.

Um das einzusehen, wollen wir uns jetzt einmal klarmachen, was wir eigentlich unter der moralischen Natur des Menschen verstehen können. Wir werden veranlaßt, von der moralischen Natur des Men­schen zu sprechen, wenn wir auf der einen Seite ins Auge fassen zu­nächst die Antriebe, die dem Menschen zum Handeln, zum Wollen oder Wünschen von der Außenwelt her kommen. Wenn der Mensch durch irgend etwas, was zu seinen natürlichen Bedürfnissen gehört, etwa Hunger oder Durst, veranlaßt wird, diese oder jene Handlung vorzunehmen, oder auch nur diese oder jene Handlung zu wünschen oder zu wollen, so sagen wir bekanntlich nicht, daß solches Wünschen oder Wollen moralische Handlungen seien. Selbstverständlich brau­chen sie deshalb nicht unmoralisch zu sein. Aber wenn ein Stein zur Erde fällt, so ist das auch keine moralische Handlung und wir fühlen uns überhaupt nicht veranlaßt, die Moralität als Maßstab anzulegen. Ebensowenig fühlen wir uns veranlaßt, von Moral zu sprechen, wenn der Mensch die natürlichen Anforderungen seines Organismus durch Essen und Trinken befriedigt. Wir fühlen uns auch nicht veranlaßt, von Moralität zu sprechen, wenn der Mensch irgendwo eine schöne Blume oder etwas anderes Schönes sieht, und, weil das Betreffende einen schö­nen, wohlgefälligen Eindruck macht, dadurch veranlaßt wird, es zu begehren, es zu verlangen. Da sprechen wir auch nicht von Moralität.

Wann sprechen wir eigentlich von Moralität bei der menschlichen Natur? Doch erst dann, wenn nicht solche äußeren Veranlassungen, wie Hunger und Durst oder das Wohlgefühl, das irgendein Gegenstand in uns erregt, die Veranlassung sind, dieses oder jenes zu tun, sondern wenn die Veranlassung aus dem innersten Kern unseres Wesens heraus wie ein Befehl erfolgt, ein Befehl aus unserem Inneren, der unabhängig

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ist von der äußeren Veranlassung. Wir werden insbesondere gewahr den Unterschied, der da liegt zwischen diesem Moralischen und dem, ich sage jetzt nicht Unmoralischen, sondern dem moralisch Gleichgültigen, wenn wir in Betracht ziehen, wie wir durch die äußere Ver­anlassung vielleicht dieses oder jenes tun können, das wir dann nicht tun, weil der innere Befehl, den wir einen moralischen Impuls nennen, dagegen spricht.

Nehmen wir zum Beispiel den ganz naheliegenden, trivialen Fall, daß irgend jemand eine mächtige Neigung hat, zuviel zu trinken. Dann würde er, wenn er in der Lage dazu wäre, eben trinken. Oder er kann aber auch einer inneren Stimme folgen, die nichts zu tun hat mit der Nei­gung, sondern die entgegengesetzt ist dieser äußeren Veranlassung und die sagt: Das soll nicht sein, was durch die äußere Veranlassung ge­schehen will! - Da sehen wir, daß in uns etwas sprechen kann, was der äußeren Veranlassung widerspricht. Alles nun, was gleichkommt einem solchen Widersprechen und innerem Verurteilen unserer Hand­lungen, nennen wir ein Moralisches. Von einem moralischen Handeln können wir also nur dann sprechen, wenn wir von allen äußeren Eindrücken, von allem, wozu wir durch Äußeres gezwungen sind, absehen und nur hinsehen auf das, was aus unserem Inneren heraus spricht. Da­durch ragt ja der Mensch über die Tierheit hinaus, daß er so etwas in seinem Inneren hören kann, was über die Veranlassung von außen geht, was sogar dieser Veranlassung von außen widersprechen kann.

Wir müssen empfinden, daß wir in der Moralität etwas haben, was durch sich selbst wahr ist. Das ist der wesentliche Gründzug aller mo­ralischen Impulse, daß sie durch sich selbst wahr sind, und die äußeren Verhältnisse nichts beitragen können, wenn irgendeine Handlung als moralisch oder unmoralisch bezeichnet werden soll. Wenn wir schein­bar irgend etwas auf äußere Veranlassung hin doch als moralisch bezeichnen, so geben wir uns oftmals bei einer solchen Bezeichnung einer Illusion hin. Würde man zum Beispiel sagen: Der Mensch richtet sich so ein, daß er in bezug auf Essen und Trinken nicht bloß Hunger und Durst folgt, sondern dem Grundsatz, daß nun einmal notwendig sei, seinen Organismus zu pflegen, um sich in der Außenwelt zu erhalten, so daß man da doch die äußeren Erfordernisse des Lebens als die maßgebenden

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Impulse ansehen könne, so wäre das eine Illusion. Nur wenn wir zu dem äußeren hinzufügen können den inneren Impuls: daß es richtig und gut ist, daß der Mensch sich auf Erden erhält, und zwar nicht nur um der äußeren Aufgabe, sondern um der inneren Aufgabe des Menschen willen, die daraus folgen kann, nur dann ist Moralität gegeben; sonst ist sie nur eine scheinbare. Das Kennzeichen für das, was moralisch ist, ist also, daß der Impuls nicht von der Außenwelt veranlaßt wird, sondern rein den Kräften unserer Seele entspringt.

Nun könnte natürlich jemand sagen: Es gibt aber doch auch böse Stimmen in unserem Inneren; wir folgen doch oft Impulsen, die wir deutlich als innere Impulse erkennen und die durchaus nicht solche sind, die wir als moralische bezeichnen können. Da kann man sagen - aber wir können dieses Kapitel gerade heute nicht eingehend bespre­chen, weil wir uns heute eine andere Aufgabe stellen -: Wenn der Mensch solchen scheinbar inneren Impulsen folgt, die schlecht, die böse sind, so folgt er in Wahrheit nicht sich selbst, sondern er folgt Impulsen, deren Ursprung er nicht kennt und die er verwechselt mit solchen, die von innen kommen. Wir kennen ja alle aus unseren geistes-wissenschaftlichen Betrachtungen die luziferischen Kräfte. Die kom­men nicht von innen, sondern gewissermaßen von außen, indem sich die luziferischen Wesenheiten in unserem Astralleib und nicht in unse­rem Ich festgesetzt haben, so daß wir, wenn wir das Moralische so definieren, zahlreichen Widersprüchen ausgesetzt sind. Wenn wir ge­nauer auf das eingehen, werden wir als das Charakteristische des Moralischen finden, daß alle moralischen Impulse aus unserem innersten Wesenskern aufsteigen müssen. Da können wir das, was uns sozusagen moralisch gefällt, unser moralisches Wohlgefallen hervorruft, uns mit Entzücken, mit Enthusiasmus erfüllen kann, gleichsam als Ideal hinstellen für das, wobei der Mensch so ganz bei sich selbst, so ganz in seinem Inneren ist. Und wenn es schon im gewöhnlichen Leben außer­ordentlich nützlich und notwendig ist, daß der Mensch sich klarmacht, daß er nur bei den moralischen Urteilen ganz bei sich selbst ist, oder bei Urteilen, welche in ähnlicher Weise entstehen, so ist dieses für den praktischen Okkultismus geradezu eine Grundforderung. Sie muß an­erkannt werden als Grundsatz des Okkultisten. Es kommt darauf an,

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daß alle Ereignisse bei ihm nach dem Muster der moralischen Impulse ablaufen, daß nichts geschieht in der Seele, wenn man in den höheren Erkenntnispfad eintritt, was nicht nach dem Muster eines wirklichen moralischen Impulses geschieht.

Bedeutsam ist, daß der Mensch, der praktischer Okkultist werden, der den Erkenntnispfad gehen will, sich vornehmen soll, nichts aus­zuführen, von dem er nicht sagen kann: Wenn ich es vergleiche mit dem, was im menschlichen Inneren ist, was ich als moralisch bezeichne, muß beides ähnlich sein. - Der Erkenntnispfad darf auf keiner Stufe abweichen von dem, was sich dem moralischen Verhalten des Men­schen ähnlich erweist. Die Ähnlichkeit des Erkenntnispfades mit den moralischen Impulsen geht sogar bis in die Einzelheiten. Das soll an einem ganz bestimmten Beispiel klargemacht werden.

Es ist, so wie die Menschen nun einmal in der Gegenwart sind, mit der Moralität etwas ganz Besonderes. Im Grunde sind eben die Zehn Gebote doch noch das Bedeutendste unter unseren Gesetzen. Die Zehn Gebote sind, wenn wir näher darauf eingehen, in einer ganz besonderen Weise aufgebaut. Von den zehn sind nur drei so gebaut, daß es heißt: Du sollst etwas tun. - Die anderen sieben sind so gebaut, daß man sagt: Du sollst nicht! Daraus geht hervor, daß die Weltenmächte viel mehr Not­wendigkeit sehen, den Menschen moralische Gesetze zu geben, die sagen: Du sollst etwas nicht tun -, als solche, die sagen: Du sollst etwas tun. - Denn das, was geboten wird, nicht zu tun, verhält sich zu dem, was geboten wird, zu tun, wie sieben zu drei. Wir können also sagen:

Die Moralität muß im allgemeinen in der Menschennatur so wirken, daß sie sich besonders auf den Standpunkt stellt, zu sagen: Du sollst etwas nicht.

Wir können dies Verhältnis sieben zu drei in den Zehn Geboten näher vergleichen. Wenn wir die sieben betrachten, die besagen: Du sollst etwas nicht tun -, so beziehen sich diese alle auf Dinge der äuße­ren Welt, auf das, was man nicht tun soll in der physischen Welt; dagegen beziehen sich die drei Gebote, die das «Du sollst» enthalten, eigentlich auf dasjenige, was über die physische Welt hinausgeht. Da heißt es: Du sollst an einen einzigen Gott glauben -, Du sollst den Na­men dieses Gottes nicht mißbrauchen - und so weiter. Daraus sehen

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wir, daß in bezug auf die eigentlich geistigen Angelegenheiten der Seele die Gebote positiv sind; dagegen haben alle Gebote, welche sich auf eigentliches moralisches Verhalten im äußeren physischen Leben beziehen, ein «Du sollst nicht». Wenn wir nämlich auch vermeinen, das vierte Gebot «Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest auf Erden» sei positiv, so spüren wir doch, daß es im Grunde genommen einen stark negativen Charakter hat, wie die anderen sechs Gebote auch. Es ist eine Art Übergangsgebot, das sich zwar auf die physische Welt bezieht, aber gleichwohl von dieser physischen Welt schon hinaufführt in die geistige Welt. Auch das können wir bis ins kleinste nachweisen, möchte ich sagen, denn bei allen älteren Völ­kern lag der sogenannte Ahnendienst der Religion zugrunde, und in den Vorfahren, den Vorvätern war zugleich ein Göttliches gegeben. Insofern war die Verehrung der Ahnen, von denen die unmittelbaren Vorfahren nur ein Spezialfall sind, eine Art Übergang von der Sinnen­welt zu der höheren Welt. Aber insbesondere wurde dieses vierte Ge­bot doch auf die unmittelbare physische Welt, auf das Verhältnis der Kinder zu den Eltern bezogen. In bezug auf die Eltern können wir die­ses Gebot erfüllen, wir können fühlen, daß das vierte Gebot zunächst in positiver Weise gegeben ist, daß es aufgerichtet ist über den Men­schen, um zu verhüten, daß etwas geschieht. Bei den ersten Geboten ist der Gegenstand, auf den hingedeutet ist, in der physischen Welt noch gar nicht vorhanden.

Durch die Struktur dieses Zehn-Gebote-Wesens wird uns hinge­deutet auf das, was einen wesentlichen Grundzug der Moral in der sinnlichen Welt ausmacht: daß die moralischen Impulse widersprechen dürfen demjenigen, was der Mensch tun würde, wenn er bloß den An­trieben der physischen Welt folgte. Damit wird für den Erkenntnispfad, der nach dem Muster der moralischen Impulse aufgebaut werden muß, deutlich gesagt: Wir müssen auf dem okkulten Erkenntnispfad unser ganzes Erkennen moralisieren, unsere sonst bloß theoretischen Erkenntnisgesetze müssen innerliche Moralgesetze werden. - Es muß also dasjenige, was sich vorzugsweise auf den physischen Plan bezieht, wenn der Mensch durch innere Erkenntnis der Dinge ihm gegenüber­steht, so werden, daß er das, was unmittelbar vor ihm sich ausbreitet,

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auslöscht, daß er sagt: Ich lösche es aus, so wie die niederen Neigungen ausgelöscht werden, wenn das moralische «Du sollst nicht» ruft. - In der Tat wird aus diesem Grunde in jeder wahrhaften Schilderung des Erkenntnispfades darauf hingewiesen, daß man durch Veredelung der moralischen Impulse die Erkenntniskräfte am sichersten in die höhere Welt hinaufhebt. Das drückt sich schon in allen Einzelheiten aus. Neh­men wir an, wir hätten irgendeine Pflanze. Was können wir zunächst als äußeren Impuls bezeichnen, der von ihr ausgeht? Nehmen wir das Blatt der Pflanze. Da können wir als äußeren Impuls bezeichnen, daß die Blätter auf uns grün wirken. So sind in der physischen, sinnlichen Welt zum Beispiel die Rosenblätter grün. Nehmen wir nun an, es würde von demjenigen, der als praktischer Okkultist wirklich zur höheren Erkenntnis gelangen wollte, gefordert, daß er sich nach dem Muster moralischer Erkenntnisse bilden sollte, so müßten die meisten Bilder so entstehen, daß er sich dieses grüne Blatt vorhält und gegen­über der Grünheit der Pflanze der innere Impuls erwacht: Du sollst nicht grün sein. - Es müßte möglich sein, daß wir das grüne Blatt mit einer solchen Sehkraft anschauen, daß der äußere Impuls nicht wirkt, daß ebenso, wie vor dem moralischen Urteil die schlechte Neigung er­lischt, die Grünheit des Blattes durch eine andere, sagen wir, hellsehe­rische Kraft erlischt. In der Tat, wenn der Mensch in richtiger Weise, so wie es beschrieben ist in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten»?, seine hellseherischen Kräfte entwickelt, dann lernt er das grüne Blatt anschauen und, so wie moralische Urteile schlechte Nei­gungen auslöschen, so erlischt die nur für den physischen Plan geltende Grünheit des Blattes. Und wo sonst Grünheit erscheint, haben wir gegenüber dem hellseherischen Vermögen in diesem Falle eine hellrosenrote oder eine der Pfirsichblüte ähnliche Farbe. Die erscheint dann, wenn wir durch unsere hellseherische Kraft wegschaffen kön­nen, was in der Maja ist, was auf dem physischen Plan ist. So schaffen wir durch die hellseherische Kraft das, was auf dem physischen Plan ist, weg und lösen das aus, was als ein Übersinnliches dem Sinnlichen zu­grunde liegt. So können wir sagen: Das Betreten des Erkenntnispfades geschieht wirklich so wie das moralische Erleben des Menschen. Es wirkt das Gegenüberstellen der übersinnlichen und der sinnlichen Welt

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gerade so, wie der moralische Impuls auf die unmoralischen Neigungen wirkt. Wenn man dagegen die Rosen selber anschauen würde, etwa diese Rose hier, die auf dem physischen Plan so ein sattes Rot hat, so würde man für diese Rose ein helleuchtendes, durchsichtiges Grün er­kennen, für die hellere Rose eine Art sattes Grün, mit einer etwas blauen Nuance.

So haben wir in einem einzelnen Fall gesehen, daß okkulte Urteile, die dem hellseherischen Schauen entsprechen, so aufgebaut sind see­lisch, wie die moralischen Urteile, die das auslöschen, was unmoralisch ist. Daraus können wir schließen, daß das, was wir an unserem Aus­gangspunkt gesagt haben, erhärtet wird. Wir müssen ja, um zu höheren Erkenntnissen zu kommen, lernen, aller physischen, äußeren Welt ge­genüber die unmittelbaren Eindrücke auszulöschen, die Maja verschwinden zu machen, so daß sich etwas anderes an die Stelle der Maja setzt. Nun lernt man bekanntlich eine Sache am besten, wenn man sie sich durch Dinge einprägt, die dem zu Lernenden ähnlich sind. Kein Mensch wird, um zu lernen, sich an Dingen üben, die mit dem betref­fenden Gegenstand nichts zu tun haben. Ich habe nie gehört, daß einer Mathematiker wird dadurch, daß er spazierengeht, einfach weil dies nicht etwas Ähnliches ist. So wird man sich solche seelischen Vermö­gen, welche moralischen Impulsen ähnlich sind, nur aneignen können, wenn man sich an dem übt, was der Mensch schon im gewöhnlichen Leben hat. Das Hellsehen hat er noch nicht, das ist etwas, was langsam und mühsam erworben werden muß. Aber der Mensch hat immer die Möglichkeit, so in seiner Seele Einkehr zu halten, daß er sich frägt: Welche Dinge finde ich moralisch gut und welche moralisch verwerf­lich? - Die meisten Menschen handeln ja nicht deshalb nicht moralisch, weil sie nicht wissen, was moralisch ist, sondern nur, weil ihre Neigun­gen, Triebe, Begierden oder Leidenschaften ihrer moralischen Erkennt­nis widersprechen. Dann, wenn wir uns so erforscht haben, können wir zurückgehen auf etwas, was wir in uns entdecken, wie die Zustimmung zu dem, was wir moralisch nennen können. Und wenn wir uns nun üben in dieser Meditation, indem wir uns fragen: Wie können wir uns dieses oder jenes in der Welt nach unserem moralischen Urteil den­ken? - und uns Bilder schaffen und uns in diese versenken, so werden

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wir in unserer Seele Dinge und Gefühlsgewohnheiten erleben - sie wer­den in unserer Seele wirklich reifen -, die verwandt sind den Hellseherkräften.

Also das nächste, was der Mensch tun kann, um die hellseherischen Kräfte wachzurufen, ist, daß die Moralität und die Handlungen eins werden. Dies ist die beste Schulung für die hellseherischen Kräfte. Des­halb wird immer betont, daß man eigentlich durch nichts anderes als durch Erhöhung des moralischen Charakters zu den hellseherischen Kräften kommen sollte.

Fassen wir das ins Auge, so werden wir ja allerdings uns die Frage vorlegen müssen: Gibt es denn nicht vielleicht auch andere Wege zum hellsichtigen Schauen? Wir sehen doch vielfach, daß Menschen zu hohen Graden hellseherischen Vermögens kommen, die auf uns gar keinen besonders moralischen Eindruck machen, so daß wir von ihnen nicht annehmen können, daß sie zuerst ihre Moral, ihr Wohl- und Miß­fallen, ihren Enthusiasmus am moralischen Urteil gepflegt haben. Wir sehen, daß Leute, die durch allerlei anderes hellseherische Kräfte entwickelt haben, gewisse schlimme Eigenschaften zeigen, die sie früher nicht oder kaum gehabt haben; zum Beispiel wahre Lügenhälse wer­den, wenn sie anfangen, hellseherische Kräfte zu entwickeln. - Ja, zu­weilen wird es eine ganz gefährliche Sache für den Charakter eines Menschen, namentlich wenn er zur Hellhörigkeit kommt. Hellsichtig­keit ist noch nicht so gefährlich wie Hellhörigkeit. Wie stimmt das zu­sammen mit dem, was gesagt worden ist? Nun, es ist ja, wie Sie sich vielleicht erinnern, in meiner Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» überall an den entscheidenden Stellen darauf hingewiesen, daß der Weg zur Erkenntnis der höheren Welten so, wie es heute charakterisiert worden ist, gehalten sein muß. Aber es ist eben­so zweifellos, daß es auch andere Wege gibt. Diesen Weg muß man nur in der richtigen Weise studieren, dann wird man bald einsehen, warum Eigenschaften auftreten können, wie sie eben charakterisiert wurden. Wir müssen uns klar sein, daß wir zunächst in uns haben den geistig-seelischen Wesenskern, den wir zusammenfassen in seinem Mit­telpunkt, wenn wir «Ich» oder «Ich bin» sagen. Dieser geistig-seelische Wesenskern ist eingebettet in den Astral-, Äther- und physischen Leib.

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So wie der Mensch jetzt in der Welt lebt, leben wir eigentlich, wenn wir innerlich leben, in unserem Ich; denn alle Seelentätigkeiten sind bei dem wachen Menschen mit dem Ich in irgendeiner Weise verknüpft, er­scheinen gleichsam alle auf dem Hintergrunde des Ich.

Ich habe öfters ein selbsterlebtes Beispiel angeführt von einem mei­ner Schulkameraden, der schon als junger Schüler durchaus ein mate­rialistischer Denker war und sagte: Wenn wir denken und wenn wir fühlen, da haben wir es nur zu tun mit Vorgängen im Gehirn; vermöge der Bewegungen unseres Gehirns denken und fühlen wir. - Er entwik­kelte schon damals ganz materialistische Theorien: Wie soll man vom Ich, vom Wesenskern sprechen? Das Gehirn ist es, das fühlt, will und denkt! - Ich erwiderte ihm: Ja, warum lügst du dann in einem fort und sagst immer: Ich denke, ich fühle, ich will, wenn du weißt, daß dein Gehirn das tut? - Natürlich könnte man sagen, das sei ein billiger, trivialer Einwand; aber worauf es ankommt, ist, daß er richtig, erheb­lich und unmittelbar gültig ist. Wir leben eben vom Aufwachen bis zum Einschlafen in Zusammenhang mit unserem Ich und können unser Ich von gar nichts, was wir denken, fühlen oder wollen, abtrennen. Nun ist das, was wir so innerlich erleben und was durchaus mit unserem Ich verknüpft ist, wie eingebettet in den astralischen, ätherischen und phy­sischen Leib. Diese Leiber erleben wir nicht unmittelbar im normalen Leben. Aus dem Astralleib tauchen allerlei verborgene, unerklärliche Dinge herauf, aber was darin vorgeht, ist dem Menschen unbekannt, so wie demjenigen, der nur das obere Wellenspiel des Meeres betrachtet, unbekannt ist, was in den Tiefen vorgeht. Der Mensch soll nur einmal das Leben beobachten und sehen, wie unbekannt das ist, was im Ver­borgenen des Lebens vorgeht.

Da haben wir zum Beispiel ein Kind, das im siebenten Lebensjahre nur einmal erlebte, daß es vom Vater oder der Mutter ungerecht be­handelt worden ist. Das hatte eine gewisse Aufregung beim Kinde zur Folge, die man aber nicht beachtete, weil das für die äußere Welt scheinbar sehr bald verschwunden ist. Es ist aber nur in den Astralleib hinuntergestiegen; da unten wogt und treibt es. Das Kind lebt weiter bis zum sechzehnten, siebzehnten Jahre. Es ist auf der Schule. Da kommt irgend etwas vor, der Lehrer macht dieses oder jenes. Ein

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anderes Kind hätte sich darüber nur aufgeregt, aber dieses Kind begeht Selbstmord! Wer das Leben dieses Kindes nur äußerlich betrachtet, wird allerlei Zeug reden über die Gründe, die es zum Selbstmord veranlaßten. Nur wer das Leben in seinen Tiefen betrachtet, da wo es wogt und treibt, im Astralleib, der wird wissen, daß zu den wichtigsten Ursachen das Erlebnis der Ungerechtigkeit im siebenten Jahre gehörte. Das lebt da unten im Verborgenen fort und wird nur heraufgerissen durch das Vorkommnis in der Schule; wäre das nicht dagewesen, so wäre der Selbstmord nicht vorgekommen.

Was unmittelbar unter der Schwelle des Bewußtseins sich abspielt, wenn der Astralleib Erlebnisse der unmittelbaren Gegenwart hat, nicht einmal darüber haben wir Gewißheit, noch viel weniger darüber, wie der Astralleib in seiner Struktur, in seiner Formation aufgebaut, zu­sammengesetzt ist, was seine Elemente, seine Wesenheiten sind. Da sind wir eingebettet in dem, was uns geistig-seelische Mächte, die wir als die Hierarchien kennen, einorganisiert haben. Da unten im Astralleib sind viele Kräfte, wie in der Tiefe des Meeres viele sind, die man nicht sehen kann, wenn man nur das Gekräusel der Oberfläche be­merkt. Und wie das Gekräusel der Oberfläche sich verhält zu dem, was unten im Meer ist, so verhält sich das bewußte Ich zu dem, was unten im Astralleib vorgeht. Da muß schon der Taucher kommen, der untertauchen kann in diese Welt des Astralleibes, und dieser Taucher ist eben nur der Hellseher.

In einem noch höheren Maße ist das beim Ätherleib der Fall; da haben wir noch verborgenere Tiefen. Und erst beim physischen Leib! Den hat zwar der Mensch von außen vor sich, aber über den hat er die geringste Gewalt und da vermag er eigentlich nur, was der Magen will. Wenn er wählen müßte, ob er einen schlimmen Magen bekämpfen soll oder unmoralische Neigungen, so würde er alle moralischen Bemühun­gen beiseitestellen und sich um einen gesunden Magen bemühen. Der physische Leib ist Gesetzen unterstellt, die der Mensch nicht in seinem bewußten Ich hat, die er sich von außen in der Maja aneignet. Astral-, Äther- und physischer Leib sind mit Kräften durchsetzt von den We­senheiten der höheren Hierarchien. Das aber hindert nicht, daß diese heraufspielen in das bewußte Ich, daß aus den verborgenen Tiefen des

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Menschenwesens die Kräfte zufließen, heraufspielen in das bewußte Ich, wie wir es ja in dem Falle des Kindes gesehen haben, der wirklich passiert ist. Vom siebenten Jahre an war im Astralleib durch die Er­scheinung der Ungerechtigkeit eine Kraft ausgelöst worden, die dann heraufspielte in das Bewußtsein, als der Lehrer den Lappen nahm, mit dem man die Tafel abwischt, und dem Jungen, der inzwischen sech­zehn Jahre alt geworden war, einen Schlag ins Gesicht gegeben hatte. Der verläßt das Klassenzimmer, findet zufällig das Chemiezimmer offen, geht hinein und nimmt Gift. Mit allen Mitteln der psycholo­gischen Wissenschaft könnte man nachweisen, wie durch die Gewalt dessen, was da unten im Astralleib war, die Sache heraufgespielt wor­den ist.

Es kann aber auch das, was da unten in dem Menschen vorhanden ist, durch gewisses Verhalten ins bewußte Ich heraufgezogen werden. Wir könnten durch das bewußte Ich Kräfte aus dem Astralleib herauf­pumpen und dadurch in den Besitz von hellseherischen, das heißt, übersinnlichen Kräften im Bewußtsein kommen. Da pumpen wir aber aus dem, was uns die Götter gegeben haben, gleichsam Kräfte herauf. Das ist in der Tat etwas, was vielfach in Büchern, die Anweisung geben, einen Erkenntnispfad zu betreten, anempfohlen wird. Sehr häufig ist es so, daß diejenigen, die solche Bücher schreiben, auch keine Ahnung haben von dem wahren Vorgang, weil diese Dinge gar nicht mit der Gewissenhaftigkeit gemacht werden, mit der sie gemacht werden müs­sen. Nun ist es aber zu begreifen, daß die Kräfte, die von höheren Hier­archien unserem astralischen, ätherischen und physischen Leib ein­geflößt sind, dahin gehören. Pumpen wir sie herauf, so entziehen wir etwas unserer Organisation; wir nehmen dem, was uns die Götter ge­geben haben, etwas weg, wir schwächen uns dadurch. Die Schwächung kann sich so zeigen, daß die von den Göttern eingeflößte Wahrhaftig­keit Schaden nimmt. In einem solchen Grade werden diese Kräfte, die den Menschen früher verhindert haben zu lügen, heraufgepumpt, daß er nun anfängt zu lügen. Hier ist der große Unterschied zwischen die­ser Art, zu hellseherischen Kräften zu kommen, und der vorher geschilderten, wie Sie sie ja konsequent durchgeführt finden in meiner Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Worauf

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stützt sich diese Art? Eben darauf, daß auf dem Erkenntnispfade nichts entwickelt wird, das nicht nach dem Muster des rein moralischen Urteils ausgeführt wird. Dieses fließt aber niemals aus dem Astralleib, sondern es muß erworben werden wie etwas, was wie eine innere Stimme aufsteigt in dem bewußten Ich. Denn, was nicht ein bewußtes Ich hat, können wir nicht als ein moralisches Wesen ansprechen. Wir sprechen von Moralität nur bei einem Wesen, das in der Lage ist, aus dem mit seinem inneren Wesen verknüpften Wesenskern Impulse aufsteigen zu lassen.

Nun sollen aber außer den moralischen Kräften solche aufsteigen, welche die Seele hinaufführen in die höhere Welt. Wenn diese nun nicht aus unserem Astralleib kommen sollen, so können sie überhaupt nicht aus uns selber kommen. Sie können unmöglich aus uns selber kommen, denn, was aus uns selber kommt, müßte aus dem bewußten Ich kom­men. Aber außer den moralischen Impulsen steigen beim Menschen höchstens die ästhetischen Urteile, die über das Schöne entscheiden, und in gewissem Sinne mathematische Urteile aus dem bewußten Ich herauf. Aus dem Astralleib sollen die Dinge aber nicht heraufgepumpt werden; woher können sie also nur kommen? Aus der übersinnlichen Welt, in welche wir hineingestellt sind und welche allerdings unsere drei Leiber hervorgebracht hat. Aber nicht aus diesen drei Leibern sel­ber müssen diese Kräfte kommen. Es muß also nicht der Umweg durch die drei Leiber gewählt werden, sondern ein Weg, der uns unmittelbar in Zusammenhang bringt mit den geistigen Reichen, mit den Wesen­heiten der Hierarchien, so daß unmittelbar in uns diese Kräfte der höheren Welt einfließen. Wir müssen also einen Zugang zu diesen Welten haben, durch die höhere Kräfte in unsere Seelen fließen kön­nen. Dazu ist nötig, daß alle höhere Erkenntnis mit etwas anderem als mit der gewöhnlichen Erkenntnis in Verbindung ist. Mit der ge­wöhnlichen Erkenntnis kommt man nicht in die höheren Welten hin­ein. Um in die höheren Welten hineinzukommen, ist eine ganz bestimmte Grundstimmung der Seele notwendig. Das ist das erste, was selbst schon die alten griechischen Philosophen betont haben: Jemand, der bloß gut denken kann, der bloß intellektuell, durch bloßes Denken und Philosophieren die Dinge auffassen will, kann nicht in die geistigen

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Welten kommen. Man muß von etwas anderem ausgehen. Bevor man einer Sache erkennend gegenübersteht, muß man ihr in anderer Weise gegenüberstehen.

Alle Erkenntnis beginnt mit dem Staunen, und nur wer von dem Staunen, von dem Verwundern ausgeht, ist auf dem Wege zur rich­tigen Erkenntnis. Alles, dem wir nicht erst als Staunende, als Ver­wunderte gegenübergestanden haben, kann überhaupt nicht zum Er­kenntnispfade führen. Lassen Sie alle Pädagogik deklamieren, daß man ausgehen müsse von der Anschauung; wenn nicht erst Staunen, Ver­wundern da ist, bleibt es beim bloßen intellektuellen Erkennen. Stau­nen ist das erste, was man haben muß.

Das zweite, was uns in die geistige Welt eintreten läßt, ist, daß wir verehren lernen. Ein Verehren dessen, was durch den Gegenstand wirkt. Eine Erkenntnis, die nicht so verknüpft ist mit der Seele, daß die Seele den Erkenntnispfad in dem Sinne geht, daß sie zuerst lebt in Staunen und in Verehrung dessen, was sich durch den Gegenstand kundgibt, kommt über eine intellektuelle Erkenntnis nicht hinaus.

Das dritte ist, sich in Harmonie zu fühlen mit dem Weltgeschehen. Dazu gibt ja die geisteswissenschaftliche Lehre viele Mittel insbeson­dere dadurch, daß wir die Karmaidee mit allem Lebensernst in uns tragen. Es ist ein weiter Weg von der Überzeugung vom Karma im Menschenleben bis dahin, daß sie zum wahren Lebensernst wird. Wenn wir wirklich überzeugt sind von Karma, dann dürfen wir, wenn uns jemand eine Ohrfeige gibt, nicht sagen: Mir ist das unsympathisch, daß du mir diese Ohrfeige gibst! -, sondern man müßte sagen: Wer hat mir eigentlich diese Ohrfeige gegeben? Ich selber, denn ich habe in mei­nem früheren Leben irgendeinmal etwas getan, was die Veranlassung gewesen ist, daß der andere mir diese Ohrfeige gibt, und ich habe nicht die geringste Ursache, ihm zu sagen, er tue mir Unrecht, sondern ich habe mir in gewisser Weise einen Automaten hingestellt. - Nicht im Widerspruch, sondern im Einklang mit dem Weltgeschehen sich befin­den, das ist das dritte. Das Evangelium selbst gibt eine entsprechende Lehre: So dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dann biete den anderen auch dar. - Wenn man weiß, daß man durch Karma die Ursache in sich zu suchen hat, wenn man erkennt, wie nur

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sich auslebt, was man durch eigene Willkür, durch eigene Schuld her­vorgerufen hat, so kommt man zu dem Sich-in-Einklang-Wissen mit dem Weltenprozeß. Das ist das dritte.

Und das vierte ist: Völlige Hingabe an den Weltenprozeß, sich so betrachten, wie wenn man eigentlich nur ein Glied davon wäre. So daß wir vier Eigenschaften aufzählen können, mit welchen wir uns zur Außenwelt, zur Außenseite des Lebens stellen können: Erstens bewun­dern, staunen, zweitens verehren, drittens sich im Einklang wissen mit dem Weltenprozeß, viertens sich völlig hingeben an diesen Weltenprozeß.

Indem wir diese Eigenschaften entwickeln, machen wir unsere Seele offen, öffnen sie so, daß hineinfließen können jene Kräfte, die gleich­sam jungfräulich herausfließen aus der geistigen Welt, Kräfte, die wir so einatmen wie frische Gebirgsluft, nachdem wir vorher irgend­welche durch andere Organismen verbrauchte Luft eingeatmet haben. So sehen wir, welch ein großer Unterschied ist zwischen dem, was sozusagen durch Gnade gegeben werden kann durch die höheren Hier­archien selbst, und dem, was wir uns so aneignen, daß wir aus dem, was sie in unsere Organisation an Kräften legen, etwas heraufpum­pen. Durch eine solche Betrachtung lernen wir wahrhaftig unterschei­den zwei Wege, die beide zu wirklichem Hellsehen führen. Aber der eine Weg führt zum Hellsehen dadurch, daß der Mensch sich den We­senheiten der höheren Hierarchien unmittelbar entgegensetzt.

So wie der Mensch als moralisches Wesen dasteht, war er nicht im­mer. Solange der Mensch erst ausgebildet hatte den Astralleib, den Ätherleib und den physischen Leib, konnte man von moralischen Im­pulsen nicht reden. Wir sprechen von alten Sonnenmenschen, die sich den Ätherleib aneigneten, und von Mondenmenschen, die hinzube­kamen den Astralleib. Aber es gab während dieser Entwickelungspe­rioden nirgends ein Reich der Moralität. Das ist die Erdenmission, daß zu dem, was der Mensch sonst erleben kann, die Moralität hinzutritt. Das ist die Aufgabe für die Aneignung solcher Kräfte, die in die gei­stige Welt führen: der Mensch muß sich über das hinausentwickeln, was er sich angeeignet hat im Laufe der Saturn-, Sonnen- und Mondentwickelung.

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Aus alledem kann entnommen werden, daß, weil es ja unmittelbar durch die Vernunft nachgewiesen werden kann, man nicht sagen darf, daß der Mensch sich den angebotenen Erkenntnispfaden ganz urteilslos anvertrauen kann, der schwarzen Magie ebenso wie den morali­schen Impulsen. Man muß sich nur darauf einlassen, durch die Ver­nunft zu prüfen. Man versuche nur, durch die heutige Beschreibung richtig darauf einzugehen, so wird sich das Gesagte als wahr erweisen, so daß, wenn man solche Maßstäbe an die Beschreibung von Erkennt­nispfaden anlegt, man sie wirklich ohne weiteres unterscheiden kann. Und es ist wichtig, daß der Mensch lerne, sich zu sagen: Für mich ist die Schilderung eines Erkenntnispfades, bei dem nicht alles nach dem Muster eines moralischen Impulses ist, von vornherein verdächtig. - Der Mensch, der nicht als verdächtig ansieht einen Pfad, der im Wider­spruch stünde mit dem, was man tatsächlich als moralische Impulse empfinden kann, der die Notwendigkeit der moralischen Impulse nicht fühlen kann, müßte es sich dann selber zuschreiben, wenn er in Gefahr geriete. Deshalb war es durchaus nicht unnötig, unter den Betrachtun­gen, die gepflegt werden können, auch einmal diese Betrachtung vor­zunehmen, denn es ist ja ganz richtig und gut, daß derjenige, der sich heute für Geisteswissenschaft interessiert, nicht nur die Dinge, die er­forscht sind, hinnimmt, sondern sich auch in gewisser Weise bekanntmacht damit, wie die Dinge gefunden werden. Nehmen wir an, einer will Geisteswissenschaft annehmen, aber den Erkenntnispfad selbst nicht betreten für diese Inkarnation. Auch für ihn ist es nützlich, wenn er sich eine Vorstellung davon macht, wie die Erkenntnisse gewonnen werden. Er kann darüber eine Ansicht gewinnen, so wie ein Chemiker eine Wahrheit annimmt, weil er sich das Experiment beschreiben läßt, durch welches die betreffenden Erkenntnisse gewonnen werden, auch wenn er das Experiment selber nicht gemacht hat.

Nun ist es ja in unserer Zeit besonders notwendig für den, der den Weg zur höheren Erkenntnis gehen will, die Dinge zu beobachten, die heute charakterisiert worden sind; denn wir leben in einem Zeitalter, wo der Mensch durch höhere Mächte aufgerufen wird, immer selb­ständiger und selbständiger zu werden. In den Zeiten, die verflossen sind bis zum Mysterium von Golgatha, war es so, daß dem Menschen

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ohne sein Zutun in gewisser Weise hellseherische Kräfte zuflossen; das war wie eine Erbschaft aus menschlichen Urzeiten. Aber seit dem Mysterium von Golgatha lebt der Mensch so, daß er sich bewußt zu den Dingen stellen muß. Daher ist es notwendig, daß der Mensch lerne, gerade jene Stimmung in der Seele sich anzueignen, welche durch die vier Tugenden erreicht wird, durch die vier Kräfte: Staunen, Bewun­dern, Verehren, Harmonie empfinden mit dem Weltenprozeß, und sich dem Weltenprozeß hingeben, und daß er gerade durch die Entwickelung dieser Tugenden sich frei öffne jenen Einflüssen, die ihm aus den höheren Hierarchien zukommen können.

Nun gibt es eine Möglichkeit, sozusagen wie aus den fundamen­talsten Seelenimpulsen heraus sich in eine solche Stimmung der Welt gegenüber zu versetzen wie in diesen vier Tugenden: Wenn wir immer wieder und wiederum in der Seele uns dem Gedanken hingeben, daß wir, so wie wir dastehen in der Welt, wie wir hineinverwoben sind in die Welt der Maja, der großen Illusion, mit dieser Maja, dieser Illu­sion, die ihren Ursprung immer in der geistigen Welt hat, entsprungen sind aus den göttlichen Kräften. Daß wir in der Welt der Maja, der Illusion leben, das hindert nicht, daß wir uns in der Welt voll Maja und Illusion den geistigen Kräften hingeben, denen sie entsprungen ist. Maja ist gleich dem Leben in dem Wellenspiel, das auf dem Meere ist, aber es wird doch aufgeworfen von dem Meere und wird gebildet aus der Substanz des Meeres. So wahrhaftig wie das Wellenspiel aus der Welt des Meeres, der Schaum ein Gebilde aus der Substanz des Meeres ist, so erhebt sich die Welt der Maja aus dem geistigen Untergrunde, so daß wir sagen können: Wenn wir auch eingesponnen sind in diese Welt der Illusionen, so sind wir doch aus dem Göttlichen hervorgegangen. - Das drückt die abendländische Esoterik aus mit den Worten: Aus dem Göttlichen sind wir geboren - Ex deo nascimur.

Und ein zweites ist die fundamentale Empfindung, daß wir nicht diejenigen Kräfte heraufpumpen dürfen, welche die göttlichen Mächte in unseren Astral-, Äther- und physischen Leib verlegt haben, sondern daß wir uns unmittelbar der geistigen Welt hingeben, hinsterben müssen an die Welt. Das tun wir durch die vier Tugenden: Staunen und Verwundern, Verehren, Harmonie und Hingabe empfinden an den

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Weltenprozeß. Das sind eben Dinge, die uns immer tiefer in die Stim­mung hineinbringen, welche die abendländische Esoterik so ausdrückt:

In dem Christus sterben wir - In Christo morimur.

Da geht uns dann die Hoffnung auf, daß wir der Erweckung in der geistigen Welt entgegengehen, daß uns Kräfte aufgehen, die uns da neu gespendet werden, wie sie einstmals geschenkt wurden dem astralischen Leib. Durch den Heiligen Geist werden wir wiederum erweckt werden, werden wir wieder in die geistige Welt versetzt, so daß der Mensch wieder hinaufkommen kann in die höhere Welt: Per spiritum sanctum reviviscimus.

Wir sollen wissen, daß eine jede für die heutige Zeit richtige Esote­rik alle Methoden verbannen muß, welche aus den niederen Leibern in das Ich heraufpumpen die Kräfte, die zur höheren Erkenntnis füh­ren sollen; denn dadurch sind wir gesund, daß diese Kräfte unten bleiben. Ein falscher esoterischer Pfad ist es, wenn wir uns benebeln in dieser oder jener Weise und dann gewisse Dinge für richtig halten, einfach weil wir uns die Kräfte heraufgepumpt haben, die uns, wenn sie an ihrem Orte blieben, nicht erlauben würden, diese Dinge für richtig zu halten. Das sind ernste Angelegenheiten, die dazu führen, erst richtig zu verstehen, warum in der Schrift «Wie erlangt man Er­kenntnisse der höheren Welten?» die Kräfte zur Entwickelung der hellseherischen Fähigkeiten unmittelbar in der Gegend unseres Kehlkopfes lokalisiert sind. Es sind das im höchsten Sinne moralische Fähig­keiten, die auch in der Buddha-Lehre als der achtgliedrige Pfad dar­gestellt werden. Bis zu einem gewissen Grade sind sie moralische; im weiteren führen sie den Menschen hinauf zu einer Durchmoralisierung auch unserer Erkenntnis, zu einer Imprägnierung derselben mit dem, was sonst bloß in unserer Moral ist.

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ANTHROPOSOPHIE ALS EMPFINDUNGS-, ERKENNTNIS- UND LEBENSGEHALT Breslau, 3. Februar 1912

Es wird vielleicht gut sein, wenn wir heute, da wir so selten zusam­menkommen können, Fragen berühren, bei denen sich Anthroposophie unmittelbar berührt mit dem Leben. Es wird recht oft an den Anthro­posophen die Frage herantreten: Wie verhält sich Anthroposophie zu dem, der noch nicht in der Lage ist, durch ein hellsichtiges Bewußtsein hineinzublicken in die geistigen Welten? - Denn im wesentlichen ist ja dieser geisteswissenschaftliche Inhalt der Mitteilungen empfangen, ent­nommen und mitgeteilt worden aus den Forschungen des hellsichtigen Bewußtseins.

Es muß hierbei immer und immer wieder betont werden, daß alles, was da an Tatsachen und Zusammenhängen aus hellsichtiger Erkennt­nis erforscht und mitgeteilt werden kann, mit dem gesunden Menschen­verstand eingesehen werden muß. Denn wenn die durch hellseherisches Bewußtsein gefundenen Dinge einmal da sind, so können sie begriffen und verstanden werden mit der jedem natürlichen Menschen eingeprägten Logik, wenn nur die Beurteilung vorurteilsfrei genug dabei vorgeht.

Darüber hinaus kann aber noch gefragt werden: Gibt es denn nichts, gibt es denn nicht gewisse Tatsachen im normalen Menschenleben, ge­wisse Erlebnisse dieses normalen Menschenlebens, die von vornherein hinweisen auf die Behauptung der geistigen Forschung, daß unserer physischen Welt und allen ihren Erscheinungen eine geistige Welt zugrunde liegt? - Nun, es gibt schon im gewöhnlichen Leben viele solche Tatsachen, von denen wir sagen können, der Mensch wird sie niemals begreifen können - obgleich er sie hinnehmen muß -, wenn er nichts weiß von dem Bestande einer geistigen Welt.

Heute wollen wir im Beginne unserer Betrachtungen hinweisen auf zwei Tatsachen des gewöhnlichen normalen Bewußtseins im Menschenleben, die einfach etwas Unerklärliches sein müssen, wenn der Mensch nicht die Tatsache des Vorhandenseins einer geistigen Welt annimmt.

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Wovon gesprochen werden soll, sind zwei Tatsachen, die der Mensch ja allerdings als etwas Alltägliches kennt, aber die er in der Regel gar nicht in das richtige Licht rückt; denn wenn er das täte, dann würde irgendeine Notwendigkeit für eine materialistische Weltan­schauung nicht vorliegen. Wenn wir somit zunächst die eine der beiden Tatsachen uns vor die Seele führen wollen, so sei es die folgende, und es geschehe in der Weise, daß wir an sehr gewöhnliche Ereignisse des gewöhnlichen Lebens anknüpfen.

Wenn ein Mensch vor eine Tatsache hingestellt wird, die er sich nicht erklären kann mit denjenigen Begriffen, die er sich bis dahin an­geeignet hat, so geschieht es, daß er sich in Verwunderung setzt. In der Tat, um ein ganz konkretes Beispiel zu gebrauchen, müßte doch der­jenige, der zum erstenmal ein Automobil oder eine Eisenbahn fahren sieht - wenn auch das bald sogar im Inneren Afrikas nichts Ungewöhnliches mehr sein wird -, im höchsten Grade erstaunt sein, weil in seiner Seele etwa folgender Denkinhalt vor sich geht: Nach allem, was mir bisher entgegengetreten ist, erscheint es mir doch unmöglich, daß etwas über die Erde brausen kann, ohne daß da etwas vorgespannt ist, was dieses zieht. Dennoch aber sehe ich, daß es daherbraust, ohne gezogen zu werden! Das ist erstaunlich. - Also das, was der Mensch noch nicht kennt, ruft Verwunderung hervor, und was er schon ge­sehen hat, ruft keine Verwunderung mehr hervor. Nur solche Dinge, die der Mensch nicht anknüpfen kann an das, was er schon erlebt hat, verwundern. Diese Tatsache des gewöhnlichen Lebens wollen wir ein­mal fest im Auge behalten.

Und nun können wir sie zusammenhalten mit einer anderen Tatsache, die auch sehr merkwürdig ist. Der Mensch wird nämlich im täglichen Leben vor sehr viele Dinge gestellt, die er noch nie gesehen hat und die er dennoch hinnimmt, ohne daß er erstaunt. Zahlreiche derartige Ereignisse gibt es. Was sind das für Ereignisse? Nun, es würde doch zum Beispiel gewiß etwas sehr Erstaunliches sein, wenn es der Mensch im gewöhnlichen Zusammenhange der Dinge erlebte, daß er plötzlich, während er bisher ruhig auf dem Stuhle gesessen hätte, anfinge durch den Schornstein in die Luft zu fliegen. Das wäre in der Tat sehr erstaunlich, aber wenn das im Traume auftritt, dann

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macht er das mit, ohne daß er sich wundert. Und noch viel tollere Sachen erleben wir im Traume, denen gegenüber wir gar nicht er­staunt sind, obgleich sie sich gar nicht anknüpfen lassen an die täg­lichen Ereignisse. Im Wachen sind wir schon erstaunt, wenn jemand einmal einen hohen Luftsprung tut, und im Traume fliegen wir und sind gar nicht erstaunt. Da stehen wir vor der Tatsache, daß wir im Wachen verwundert sind über Dinge, die wir noch nicht erlebten, während wir im Traum gar nicht in Erstaunen geraten.

Die zweite Tatsache, auf welche wir heute zur Einleitung unserer Betrachtungen die Aufmerksamkeit richten wollen, ist die Frage nach dem Gewissen. Bei dem, was der Mensch tut - und bei einem fein emp­findenden Menschen schon, wenn der Mensch denkt -, regt sich in uns etwas, was wir Gewissen nennen. Von dem, was die Ereignisse draußen bedeuten, ist das Gewissen eigentlich ganz unabhängig. Denn wir könn­ten beispielsweise etwas getan haben, das uns vielleicht recht nützlich wäre, und dennoch könnte diese Tat von unserem Gewissen verurteilt werden. Bei der Regung des Gewissens aber fühlt jeder Mensch, daß da in die Beurteilung einer Tat etwas hineinfließt, das nichts zu tun hat mit deren Nützlichkeit. Es ist wie eine Stimme, die in uns spricht: Du hättest das eigentlich tun - oder: Du hättest es nicht tun sollen! - Da stehen wir vor der Tatsache des Gewissens, und wir wissen, wie stark die warnende Macht des Gewissens sein kann, und wie es uns verfolgen kann im Leben, und wir wissen auch, daß man das Vorhandensein des Gewissens nicht ableugnen kann.

Nun verfolgen wir wiederum die Tatsache des Traumes, daß wir da die sonderbarsten Sachen machen, die, wenn wir sie im Wachen täten, uns die fürchterlichsten Gewissensbisse machen würden. Jeder kann aus eigener Erfahrung bestätigen, daß er im Traume Dinge tut ohne die geringste Regung des Gewissens. Dinge, die, wenn er sie im Wachen täte, seine Gewissensstimme erklingen lassen würden. Also die beiden Tatsachen, die Tatsache des Staunens und der Verwunde­rung und die Tatsache des Gewissens, sind merkwürdigerweise im Traume ausgeschaltet. Solche Dinge läßt der Mensch im gewöhnlichen Leben zwar unbeachtet vorübergehen, dennoch aber leuchten sie tief hinein in die Untergründe unseres Daseins.

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Um diese Dinge ein wenig zu beleuchten, möchte ich noch auf eine andere Tatsache hinweisen, welche weniger das Gewissen als die Ver­wunderung betrifft. Im alten Griechenland ist der Satz aufgekommen, daß alles Philosophieren von dem Staunen, von der Verwunderung ausgeht. Die Empfindung, die in diesem Satze liegt - und gemeint ist die Empfindung, die die alten Griechen dabei hatten -, sie kann man in den älteren Zeiten der griechischen Entwickelung nicht nachweisen; sie findet sich erst von einem gewissen Zeitpunkt ab in der Geschichte der Philosophie. Das liegt daran, daß die älteren Zeiten noch nicht so empfunden haben. Woher kommt es denn, daß just im alten Griechen­land von einer bestimmten Zeit an es aufkommt, festzustellen, daß wir erstaunt sind? Nun, wir hatten ja soeben gesehen, daß wir erstaunen über das, was nicht hineinpaßt in unser bisheriges Leben. Aber wenn wir nur dieses Erstaunen haben, das Erstaunen des gewöhnlichen Lebens, so liegt darin noch nichts Besonderes, nicht mehr als eben gerade das Staunen über das Nichtgewohnte. Wer über Automobil und Eisen­bahn erstaunt, ist noch nicht gewöhnt, das zu sehen, und sein Staunen ist nichts anderes als das Staunen über das Nichtgewohnte. Viel ver­wunderlicher als das Staunen über Automobil und Eisenbahn, als das Staunen über das Nichtgewohnte ist die Tatsache, daß der Mensch auch anfangen kann sich zu verwundern über das Gewohnte. Da ist zum Beispiel die Tatsache, daß die Sonne jeden Morgen aufgeht. Die­jenigen Menschen, die mit dem gewöhnlichen Bewußtsein an diese Tat­sache gewöhnt sind, erstaunen nicht darüber. Aber wenn es ein Erstau­nen gibt über die alltäglichen Dinge, die man zu sehen gewöhnt ist, dann entsteht Philosophie und Erkenntnis. Die erkenntnisreicheren Menschen sind diejenigen, welche Verwunderung haben können über Dinge, die der gewöhnliche Mensch hinnimmt. Erst in diesem Falle wird man ein erkenntnisstrebender Mensch, und aus diesem Grunde haben die alten Griechen den Satz geprägt: Alles Philosophieren kommt vom Staunen.

Wie ist es nun mit dem Gewissen? Wiederum ist es interessant, daß das Wort «Gewissen» - also offenbar der Begriff, denn erst wenn eine Vorstellung von etwas auftaucht, taucht auch das Wort auf - im alten Griechenland auch nur von einer gewissen Zeit an zu finden ist. Es

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gibt keine Möglichkeit, in der älteren griechischen Literatur, ungefähr zu Äschylos' Zeiten, ein Wort zu finden, welches mit dem Wort «Ge­wissen» zu übersetzen wäre. Dagegen finden wir ein solches bei den jüngeren Schriftstellern Griechenlands, zum Beispiel bei Euripides. So­mit kann man wie mit Fingern darauf hinweisen, daß ebenso wie das Staunen über das Gewohnte auch das Gewissen etwas ist, wovon der Mensch erst von einem gewissen Zeitpunkt des alten Griechenlands an etwas wußte. Was später von einem gewissen Zeitpunkt an als Ge­wissensregungen eintrat, das war bei den Griechen der alten Zeit etwas ganz anderes. In den älteren Zeiten geschah es nicht, daß Gewissenspein eintrat, wenn der Mensch etwas Unrechtes getan hatte. Damals hatten die Menschen ein ursprüngliches, elementares Hellsehen, und wenn wir nur kurze Zeit zurückgehen würden vor die christliche Zeit­rechnung, dann würden wir finden, daß alle Menschen dieses ursprüngliche Hellsehen noch hatten. Wenn da der Mensch etwas Unrechtes getan hatte, gab es keine Gewissensregung, sondern es erschien für das alte Hellsehen eine dämonische Gestalt, die ihn peinigte, und diese Gestalten bezeichnete man mit den Namen Erinnyen und Furien. Erst dann, als die Menschen die Fähigkeit, diese dämonischen Gestalten zu sehen, verloren hatten, da bekamen sie, wenn sie etwas Unrechtes ge­tan hatten, die Fähigkeit, das Gewissen als ein inneres Erlebnis zu fühlen.

Wir müssen uns nun fragen, was uns solche Tatsachen zeigen, und was da eigentlich vor sich geht bei der alltäglichen Tatsache des Er­staunens, wie sie zum Beispiel ein Wilder aus unkultivierter Gegend Afrikas erleben würde, den man nach Europa versetzt und der nun hier Eisenbahnen und Automobile fahren sehen würde. Sein eintre­tendes Erstaunen setzt voraus, daß da in sein menschliches Leben et­was hineintritt, was früher nicht da war, etwas, was er früher anders gesehen hat.

Wenn nun gerade der vorgerückte Mensch den Drang hat, sich vie­les zu erklären, sich Alltägliches zu erklären, weil er auch über Alltäg­liches zu staunen vermag, so setzt das in gleicher Weise voraus, daß er früher die Sache anders gesehen hat. Niemand würde zu einer anderen Erklärung des Sonnenaufganges gekommen sein als eben zu derjenigen

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des bloßen Augenscheines, daß die Sonne aufgeht, wenn nicht in seiner Seele die Empfindung liegt, daß er es früher anders gesehen habe. Aber, so könnte man einwenden, den Sonnenaufgang sehen wir doch von frühester Jugend an in der gleichen Weise sich abspielen, und wäre es da nicht geradezu tölpelhaft, darüber in Erstaunen zu geraten? - Da­für gibt es keine andere Erklärung als diese, daß, wenn wir dennoch darüber in Erstaunen geraten, wir es früher in einem anderen Zustande einmal anders erlebt haben müssen als heute, als jetzt in diesem Leben. Denn wenn eben die Geisteswissenschaft sagt, daß der Mensch zwi­schen der Geburt und einem vorhergehenden Leben in einem anderen Zustand vorhanden war, so haben wir in der Tatsache des Erstau­nens über einen so alltäglichen Vorgang wie denjenigen des gewohnten Sonnenaufgangs nichts anderes als einen Hinweis auf diesen früheren Zustand, in welchem der Mensch auch diesen Sonnenaufgang wahrge­nommen hat, aber in einer anderen Weise, ohne körperliche Organe. Da hat er alles dieses mit Geistesaugen und mit Geistesohren wahrge­nommen. Und in dem Augenblicke, wo er dunkel fühlend sich sagt: Du stehst gegenüber der aufgehenden Sonne, gegenüber dem brausen­den Meer, gegenüber der sprossenden Pflanze, und du bist erstaunt! - liegt in dem Erstaunen die Erkenntnis, es einmal anders wahrgenom­men zu haben als mit dem leiblichen Auge. Es sind eben seine geistigen Organe, mit denen er das geschaut hatte, bevor er hereingetreten ist in die physische Welt. Er fühlt nun dunkel, daß es doch anders ausschaut, als er es früher gesehen hat. Das war und kann nur gewesen sein vor der Geburt. Diese Tatsachen nötigen uns anzuerkennen, daß eine Er­kenntnis überhaupt nicht möglich wäre, wenn der Mensch in dieses Leben nicht aus einem vorhergehenden übersinnlichen Dasein einträte. Sonst gäbe es keine Erklärung für das Staunen und für die dadurch be­dingte Erkenntnis. Natürlich erinnert sich der Mensch nicht in klaren Vorstellungen an das, was er vorgeburtlich anders erlebte, aber wenn es auch gedanklich nicht klar ist, so tritt es eben im Gefühl auf. Nur durch die Einweihung kann es als klare Erinnerung mitgebracht werden.

Wir wollen nun auf die Tatsache eingehen, warum wir im Traum nicht erstaunen. Da müssen wir zunächst die Frage beantworten, was der Traum denn eigentlich ist. Der Traum ist ein altes Erbstück aus

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früheren Inkarnationen. Die Menschen haben in früheren Inkarnatio­nen andere Bewußtseinszustände hellseherischer Art durchgemacht. Im weiteren Verlauf der Entwickelung hat jedoch der Mensch die Fähigkeit, hellseherisch in die geistig-seelische Welt hineinzuschauen, verloren. Es war ein dämmerhaftes Hellsehen, und die Entwickelung ging aus dem früheren dämmerhaften Hellsehen allmählich zu unse­rem jetzigen klaren Wachbewußtsein hin, das sich in der physischen Welt entfalten konnte, um dann, wenn es voll entwickelt ist, wieder hinaufzusteigen in die geistig-seelischen Welten mit den Fähigkeiten, die der Mensch mit dem Ich sich in dem Wachbewußtsein erworben hat. Was aber hat sich denn der Mensch damals im alten Hellsehen er­worben? Davon ist etwas zurückgeblieben, und das ist eben der Traum. Der Traum unterscheidet sich aber von dem alten Hellsehen dadurch, daß er ein Erlebnis des jetzigen Menschen ist, und dieser jetzige Mensch hat ein Bewußtsein ausgebildet, das den Drang nach Erkenntnis ent­hält. Der Traum als Rest eines früheren Bewußtseins enthält nicht den Drang nach Erkenntnis, und deshalb empfindet der Mensch den Un­terschied zwischen Wachbewußtsein und Traumbewußtsein. Aber, was früher im alten dämmerhaften Hellsehen nicht darinnen war, das Stau­nen, das kann auch heute nicht hinein in das Traumbewußtsein. Das Erstaunen, die Verwunderung kann nicht hinein in den Traum, aber wir haben es im Wachbewußtsein, wenn wir zu der äußeren Welt hingewendet sind. Im Traum ist der Mensch nicht in der äußeren Welt; der Traum ist ein Hineingestelltsein in die geistige Welt, da erlebt der Mensch nicht die Dinge der physischen Welt. Aber gerade gegenüber der physischen Welt hat sich der Mensch das Erstaunen angelernt. Im Traum nimmt er alles so hin, wie er es im alten Hellsehen hingenommen hat. Damals konnte er auch das so hinnehmen, weil die geistigen Ge­stalten kamen und ihm zeigten, was er Gutes oder Böses getan hatte; deswegen brauchte der Mensch damals die Verwunderung nicht. So zeigt uns gerade der Traum durch das, wie er ist, daß er ein Erbstück aus alten Zeiten ist, wo es noch kein Erstaunen gegenüber den alltäg­lichen Dingen gab und noch kein Gewissen.

Da stehen wir nun an dem Punkte, wo wir uns fragen, weshalb es denn notwendig gewesen sei, daß der Mensch, wenn er schon einmal

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hellsichtig war, es nicht bleiben konnte. Weshalb ist er herunterge­stiegen? Haben ihn die Götter etwa in nutzloser Weise herunterge­jagt? - Nun, es ist tatsächlich so, daß der Mensch das, was im Erstau­nen liegt, und das, was im Gewissen liegt, nie hätte erlangen können, wenn er nicht heruntergestiegen wäre. Damit er sich Erkenntnis und Gewissen aneignen konnte, ist der Mensch heruntergestiegen; denn er kann sie sich nur erwerben, wenn er von diesen Geisteswelten eine Weile getrennt ist. Und er hat sich Erkenntnis und Gewissen hier unten er­worben, um mit ihnen wieder hinaufsteigen zu können.

Geisteswissenschaft zeigt uns, daß der Mensch jedesmal zwischen dem Tode und einer neuen Geburt eine gewisse Zeitspanne in einer rein geistigen Welt durchlebt. Zuerst nach dem Tode erleben wir die Kama­lokazeit, den Zustand im läuternden Ort der Begierden in der Seelenwelt, wo der Mensch sozusagen erst halb in der geistigen Welt steht, weil er da noch auf seine Triebe und Sympathien herunterblickt und dadurch noch angezogen wird von dem, was ihn mit der physischen Welt verband. Dann erst, wenn diese Kamalokazeit ausgelöscht ist, erlebt er ganz das rein geistige Leben oder Devachan.

Wenn der Mensch in diese rein geistige Welt eintritt, was erlebt er denn da? Wie erlebt sie ein jeder Mensch? Nun, schon eine ganz ge­wöhnliche Verstandesüberlegung zeigt, daß es zwischen dem Tode und der neuen Geburt in unserer Umgebung ganz anders aussehen muß als hier bei uns im physischen Leben. Hier sehen wir Farben, weil wir Augen haben; hier hören wir Töne, weil wir Ohren haben. Aber wenn wir nach dem Tode im geistigen Dasein keine Augen, keine Oh­ren haben, dann können wir diese Farben, diese Töne nicht wahrneh­men. Wir sehen und hören ja hier schon schlecht oder gar nicht, wenn wir keine guten Augen und Ohren haben. Für den, der nur ein wenig darüber nachdenkt, sollte das selbstverständlich sein. Es ist ganz klar, daß wir uns die geistige Welt ganz anders vorzustellen haben als die Welt, in der wir zwischen Geburt und Tod hier leben. Wie diese Welt sich verändern muß, wenn wir die Pforte des Todes überschreiten, davon können Sie sich eine Vorstellung machen an einem kleinen Ver­gleich, den wir anstellen wollen. Nehmen wir einmal an, der Mensch sieht ein Lamm und einen Wolf. Der Mensch kann dieses Lamm und

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diesen Wolf wahrnehmen mit all den Wahrnehmungsorganen, die ihm im physischen Leben zur Verfügung stehen. Da sieht er eben dieses Lamm als materielles Lamm und den Wolf als materiellen Wolf. Auch andere Lämmer und Wölfe erkennt er wieder und nennt sie Lamm und Wolf. Er hat dann ein Begriffsbild vom Lamm und auch ein solches vom Wolf. Man könnte nun sagen und man sagt es auch: Das Begriffsbild des Tieres ist nicht sichtbar, das lebt im Tiere darinnen; man sieht materiell eigentlich nicht, was das Wesen von Lamm und Wolf ist. Man bildet sich Vorstellungen vom Wesen des Tieres; aber das Wesen des Tieres ist ja unsichtbar.

Es gibt Theoretiker, die der Ansicht sind, daß das, was wir uns an Begriffen von Wolf und Lamm bilden, nur in uns lebe, und daß das mit dem Wolf und dem Lamm selbst nichts zu tun habe. Einen Mann, der solches behauptet, sollte man veranlassen, einen Wolf so lange Zeit mit Lämmern zu füttern, bis nach wissenschaftlichen Forschungen alle materiellen Teilchen des Wolfskörpers sich erneuert haben, der Wolf also ganz aus Lamm- Materie aufgebaut sei. Und nun sollte dieser Mann einmal sehen, ob aus dem Wolf ein Lamm geworden ist! Wenn es sich herausstellt, daß der Wolf kein Lamm geworden ist, so ist erwiesen, daß das, was Objekt «Wolf» ist, sich unterscheidet von dem materiellen Wolf, und daß das Objektive am Wolfe über das Materielle hinaus­geht.

Dieses Unsichtbare, was man sich im gewöhnlichen Leben nur als einen Begriff bildet, das sieht man nach dem Tode. Nicht die weiße Farbe des Lammes sieht man da und nicht die Töne, die das Lamm von sich gibt, hört man da, sondern das schaut man, was als das unsichtbar Waltende im Lamme wirkt, das ebenso wirklich ist und das da ist für den, der in der geistigen Welt lebt. An derselben Stelle, an der das Lamm steht, steht auch ein real Geistiges, das man dann nach dem Tode sieht. Und so ist es mit allen Erscheinungen der physischen Umwelt. Man sieht die Sonne anders, den Mond anders, alles anders; und davon bringt man etwas mit, wenn man durch die Geburt ins neue Dasein tritt. Und wenn einen hierdurch dann die Empfindung ergreift, man habe das einmal ganz anders gesehen, dann kommt mit dem Staunen, mit der Verwunderung die Erkenntnis herunter.

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Ein anderes ist es, wenn man die Handlung eines Menschen betrach­tet. Da kommt das Gewissen hinzu. Wollen wir wissen, was das ist, so müssen wir auf eine Tatsache des Lebens achten, die feststellbar ist, ohne daß man Hellsehen entwickelt hat. Man muß da auf den Moment des Einschlafens achtgeben. Das kann man lernen ohne alles Hellsehen, und was dabei erlebt werden kann, könnte jeder Mensch erleben. Wenn man im Begriff ist einzuschlafen, da verlieren zuerst die Dinge ihre scharfen Konturen, die Farben erblassen, die Töne werden nicht nur schwächer, sondern es ist, als ob sie fortgehen, weit weggehen; wie aus der Ferne kommen sie, wie ein Sich-Entfernen kann man sich dieses Schwächerwerden erklären. Das ganze Weniger-deutlich-Werden der sinnlichen Welt ist eine Verwandlung, wie wenn Nebel eintreten. Es werden dann auch die Glieder schwerer. Man fühlt in ihnen etwas, was man vorher im Wachen nicht an den Gliedern gefühlt hatte, es ist, als ob sie ein Gewicht, eine Schwere erhielten. Im Tageswachen, wenn man sich darüber Rechenschaft gäbe, sollte man eigentlich die Emp­findung haben, daß das Bein, wenn man so dahingeht, oder die Hand, die man so erhebt, für uns selbst kein Gewicht hat. Man sollte sich eigentlich sagen: Wenn ich so gehe und meine Hand hebe, so hat meine Hand kein Gewicht. Warum hat die Hand kein Gewicht? Weil das Glied zu meinem Körper gehört. Denken wir uns nun, daß wir in jeder Hand einen Zentner tragen, weshalb fühlen wir den Zentner als Ge­wicht? Die Hand gehört zu mir, deswegen verspüren wir nicht ihre Schwere; aber der Zentner ist außer mir, und weil er nicht zu mir ge­hört, hat er Gewicht. Denken wir uns den Fall, ein Marswesen würde herunterkommen auf die Erde, ohne daß ihm von den Dingen der Erde etwas bekannt wäre, und das erste, was dieses Marswesen erblicken würde, wäre ein Mensch, der in jeder Hand ein Gewicht hielte. Das Marswesen würde zunächst der Meinung sein müssen, daß die beiden Gewichte zu dem Menschen gehören so, als ob sie ein Teil seiner Hände, ein Teil des ganzen Menschen wären. Wenn es dann später die Vor­stellung aufnehmen müßte, daß der Mensch einen Unterschied emp­findet zwischen Zentner und Hand, so müßte es erstaunt sein. Es ist wirklich so, daß wir nur das als Gewicht erst empfinden, was außer uns ist. Wenn der Mensch also beim Einschlafen seine Glieder als

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schwer zu empfinden beginnt, so ist das ein Anzeichen, daß der Mensch aus seinem Körper herauskommt, aus seinem physischen Leib hinaus­geht.

Es kommt nun auf eine feine Beobachtung an, die in dem Augenblick des Schwerwerdens der Glieder angestellt werden kann. Eine ganz merkwürdige Empfindung tritt hierbei auf. Sie besteht darin, daß sie zu uns spricht: Das hast du getan, das hast du unterlassen. - Wie ein lebendiges Gewissen treten so die Taten des verflossenen Ta­ges heraus. Und wenn darinnen etwas ist, was wir nicht billigen kön­nen, dann wälzen wir uns auf unserem Lager und können nicht ein­schlafen. Wenn wir aber zufrieden sein können mit unseren Taten, da kommt beim Einschlafen ein seliger Augenblick, in dem der Mensch sich sagt: O könnte es doch immer so bleiben! - Und dann kommt ein Ruck - das ist, wenn der Mensch heraustritt aus seinem physischen und ätherischen Leib, und dann ist der Mensch in der geistigen Welt.

Wir wollen den Augenblick, in welchem wir die Erscheinung haben, die wie ein lebendiges Gewissen auftritt, genauer ins Auge fassen. Ohne daß der Mensch eigentlich die Kraft hat, irgend etwas Vernünf­tiges zu tun, wälzt er sich auf seinem Lager herum. Das ist ein un­gesunder Zustand, er verhindert ihn am Einschlafen. Das fällt in den Augenblick, wo wir beim Einschlafen den physischen Plan zu verlassen im Begriff sind, um hinaufzugehen in eine andere Welt, die aber nicht aufnehmen will das, was wir «schlechtes Gewissen» nennen. Der Mensch kann nicht einschlafen, weil er zurückgestoßen wird von der Welt, in die er beim Einschlafen eintreten soll. Daher bedeutet der Ausspruch: eine Handlung in bezug auf sein Gewissen zu betrachten - nichts anderes, als eine Vorahnung zu haben davon, wie man als Mensch in Zukunft sein soll, um in die geistige Welt eintreten zu können.

So haben wir im Staunen einen Ausdruck für das, was wir früher gesehen haben, und so ist das Gewissen der Ausdruck für ein späteres Schauen in der geistigen Welt. Das Gewissen gibt an, ob wir zurückschrecken werden, oder ob wir beseligt sein werden, wenn wir im De­vachan unsere Handlungen werden schauen können. So ist das Ge­wissen ein Vorgefühl prophetischer Art, wie wir unsere Taten nach dem Tode erleben werden.

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Erstaunen und Erkenntnistrieb einerseits und Gewissen andererseits, sie sind lebendige Zeichen der geistigen Welt. Man kann diese Er­scheinungen nicht erklären, wenn man nicht die geistigen Welten zur Erklärung heranzieht. Es wird derjenige Mensch leichter geneigt sein, Anthroposoph zu werden, der gegenüber den Tatsachen der Welt so empfinden kann, daß ihn Ehrfurcht ankommt; Ehrfurcht und Ver­wunderung vor den Tatsachen der Welt. Gerade die entwickelteren Seelen sind es, die sich immer mehr und mehr verwundern können. Je weniger man sich verwundern kann, desto weniger vorgerückt ist die betreffende Seele. Nun ist es ja so, daß der Mensch demjenigen, was er am Tage erlebt - den alltäglichen Erscheinungen des Lebens -, weit weniger Verwunderung entgegenstellt, als es zum Beispiel der Fall ist, wenn er den Sternenhimmel in seiner Pracht bewundert. Aber die eigentlich höhere Entwickelung der Seele beginnt dann erst, wenn man sich über die kleinste Blume, über das kleinste Blumenblatt, über das unscheinbarste Käferchen oder Würmchen so wundern kann wie über die größten kosmischen Vorgänge. Es ist im Grunde genommen ganz merkwürdig mit diesen Dingen. Im allgemeinen wird der Mensch leicht bewogen werden, eine Erklärung solcher Dinge zu verlangen, die ihn sensationell berühren. Die Umwohner eines Vulkans zum Bei­spiel werden nach Erklärung der Ursachen vulkanischer Ausbrüche verlangen, weil die Menschen dort auf solche Sachen besonders auf­merksam sein müssen und daher auch mehr Aufmerksamkeit aufwen­den als bei alltäglichen Vorgängen. Und auch die Menschen, die fern von Vulkanen wohnen, verlangen darüber eine Erklärung, weil diese Ereignisse auch für sie überraschend und sensationell sind. Aber wenn ein Mensch mit einer so gearteten Seele ins Leben tritt, daß er über alles staunt, weil er von allem, was ihn umgibt, etwas Geistiges ahnt, so ist er über den Vulkan nicht besonders mehr erstaunt als etwa über die kleinen Bläschen und Kraterchen, die er in der Tasse Milch oder Kaffee seines Frühstückstisches bemerkt. Genauso interessiert ist er über das Kleine wie über das Große.

Überall mit der Verwunderung hinkommen zu können, das ist eine Erinnerung an das Schauen vor der Geburt. Überall mit dem Ge­wissen hinkommen zu können zu unseren Taten, das heißt, die lebendige

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Ahnung haben, daß jede Tat, die wir vollbringen, uns in der Zu­kunft in einer anderen Gestalt erscheinen wird. Menschen, die so füh­len, sind mehr als andere dazu prädestiniert, an die Geisteswissenschaft heranzukommen.

Nun leben wir ja in einer Zeit, in der gewisse Dinge sich enthüllen, die nur durch die Geisteswissenschaft sich erklären lassen. Gewisse Dinge trotzen jeder anderen Erklärung. Und solchen Dingen gegen­über verhalten sich die Menschen recht verschieden. In unserer Zeit haben wir ja zweifellos viele Menschencharaktere zu beobachten, doch werden uns innerhalb der verschiedensten Charakternuancen haupt­sächlich zwei Naturen entgegentreten.

Wir können die einen als sinnige Naturen, als zur Betrachtung nei­gende Naturen bezeichnen, die überall Erstaunen fühlen können und überall das Gewissen sich regen fühlen. So manches Leid, so manche düstere, melancholische Stimmung kann unter unbefriedigter Erklä­rungssehnsucht sich in der Seele ablagern. Ein zartes Gewissen kann das Leben sehr erschweren. Aber auch eine andere Art von Menschen ist in der Gegenwart vorhanden. Sie will nichts wissen von einer solchen Erklärung der Welt. Für sie ist es schrecklich langweilig, was da alles vorgebracht wird an Erklärungen der Dinge aus geistiger Forschung, und sie leben lieber robust darauf los, als daß sie nach Erklärungen verlangen, und wenn man nur anfängt von Erklärungen zu sprechen, da fangen sie auch schon an zu gähnen. Und das ist gewiß wahr, daß bei so gearteten Naturen das Gewissen sich weniger regt als bei den anderen. Wie aber kommt es, daß solche Charaktergegensätze sich zei­gen? Geisteswissenschaft ist geneigt, darauf einzugehen, woher es kommt, daß der eine Charakterzug durch seine Sinnigkeit mit dem Durst nach Erkenntnis sich auszeichnet, während der andere darauf ausgeht, das Leben nur zu genießen, ohne nach Erklärung zu ver­langen.

Wenn man mit den Mitteln der geistigen Forschung den Umfang der menschlichen Seele prüft - und man kann nur einzelne Andeu­tungen machen, da man viele Stunden brauchte, um ausführlicher darauf einzugehen -, so findet man, daß viele Menschen von denen, die mit sinnigem Leben begabt sind, die gar nicht leben können ohne

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sich aufzuklären, in früheren Verkörperungen so gelebt haben, daß sie unmittelbar in der Seele etwas gewußt haben von der Tatsache der Wiederverkörperung. Es gibt ja auch heute noch zahlreiche Men­schen auf der Erde, die davon wissen und denen die Wiederverkörpe­rung eine absolute Tatsache ist. Man denke nur an die Asiaten. Also solche Menschen, die in der Gegenwart ein sinniges Leben haben, schließen ihr jetziges Leben an - wenn auch nicht unmittelbar -, aber sie schließen es dennoch an ein anderes Leben einer vorhergehenden Verkörperung an, wo sie von der Wiederverkörperung etwas wußten.

Aber die anderen, robusteren Menschennaturen, sie kommen aus sol­chen Leben herüber, in denen man nichts gewußt hat von früheren Erdenleben. Bei ihnen ist kein Drang vorhanden, sich viel mit Ge­wissen zu belasten über die Taten ihres Lebens, noch auch sich viel um Erklärungen zu kümmern. So geartet sind bei uns im Abendlande sehr viele Menschen, und es ist eben der Charakter der abendländischen Kultur, daß die Menschen sozusagen vergessen haben ihre früheren Erdenleben. Ja, sie haben sie vergessen; aber wir stehen mit der Kultur an einem Wendepunkt, wo die Erinnerung wieder aufleben wird an die vergangenen Erdenleben. Daher gehen diejenigen Menschen, welche heute leben, einer solchen Zukunft entgegen, die man als ein Wieder­herstellen des Zusammenhanges mit der geistigen Welt charakterisie­ren kann.

Heute ist es noch bei wenigen Menschen der Fall, aber es wird ganz gewiß noch im Laufe des 20. Jahrhunderts eine allgemeine Ei­genschaft der Menschen werden. Und das wird so sein: Nehmen wir einmal an, ein Mensch habe dieses oder jenes getan, und es plagte ihn hinterher das böse Gewissen. So ist es jetzt. Später aber, wenn der geistige Zusammenhang sich wieder herstellen wird, dann wird der Mensch, wenn er dieses oder jenes getan hat, den Drang empfinden, sich so wie mit gebundenen Augen etwas zurückzubewegen von seiner Tat. Und da wird dem Menschen auftauchen wie ein Bild, wie eine Art Traumbild, aber doch wie ein ganz lebendiges Traumbild etwas, das wegen seiner Tat in Zukunft zu geschehen hat. Und die Menschen werden sich, wenn sie dieses Bild erleben, sagen, etwa so: Ja, ich bin es, der das erlebt, aber das habe ich noch nicht erlebt, was ich da sehe!

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Für alle Menschen, die nichts von Geisteswissenschaft gehört haben, wird das etwas Furchtbares sein. Diejenigen Menschen aber, die sich vorbereitet haben auf das, was an alle herantreten wird, werden sich sagen: Ja, das habe ich zwar noch nicht erlebt, aber ich werde es noch in der Zukunft erleben als karmischen Ausgleich für das, was ich soeben getan habe.

Wir stehen jetzt wie in einem Vorhof der Zeit, wo der karmische Ausgleich im prophetischen Traumbild dem Menschen erscheinen wird. Und nun denken Sie sich dieses Erleben im Laufe der Zeit immer ge­steigerter und gesteigerter werdend, dann haben Sie den Zukunftsmenschen, der schauen wird, wie seine Taten karmisch gerichtet werden.

Wodurch tritt denn so etwas ein, daß die Menschen fähig werden, diesen karmischen Ausgleich zu sehen? Das hängt zusammen mit der Tatsache, daß die Menschen früher kein Gewissen gehabt haben, son­dern daß sie nach schlechten Taten von den Furien gequält wurden. Das war altes Hellsehen, das ist vergangen. Dann kam die Zeit, wo sie die Furien nicht mehr sahen, die mittlere Zeit, wo aber das, was die Furien früher verrichteten, innerlich als Gewissen auftrat. Und nun kommen wir allmählich an eine Zeit heran, in der wir wieder etwas sehen werden, und zwar den karmischen Ausgleich. Daß der Mensch einmal das Gewissen erworben hat, das befähigt ihn, nunmehr bewußt in die geistige Welt zu schauen.

Wenn gewisse Menschen in der Gegenwart sinnige Naturen wur­den dadurch, daß sie in früheren Verkörperungen Kräfte erworben haben, die im Staunen als Erinnerung an frühere Leben sich offen­baren, so werden auch die heutigen Menschen in die nächsten Inkar­nationen Kräfte mitnehmen, wenn sie heute ein Wissen von den geisti­gen Welten erwerben. Aber denen, die sich jetzt gesträubt haben, eine Erklärung von dem Gesetz der Inkarnationen aufzunehmen, wird es im Gegenteil recht übel ergehen in der zukünftigen Welt. Für diese Seelen wird das eine furchtbare Tatsache sein. Heute stehen wir ge­rade in einem Zeitalter, wo die Menschen noch auskommen im Leben, auch wenn sie keine Erklärungen des Lebens haben mit Beziehung auf die geistigen Welten. Aber dieses Zeitalter, welches die kosmi­schen Mächte sozusagen einmal erlaubt haben, das hört wieder auf,

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und zwar so, daß die Menschen, die keinen Zusammenhang mit der geistigen Welt haben, im nächsten Leben so aufwachen werden, daß ihnen die Welt, in die sie bei der nächsten Verkörperung wieder hin­eingeboren werden, unverständlich ist. Und wenn sie dann weiter das ihnen unverständlich gewesene physische Dasein im Tode wieder ver­lassen, dann werden sie nach ihrem Tode auch kein Verständnis mehr haben für die geistige Welt, in die sie hineinwachsen. Es ist ja selbstverständlich, daß sie hineinkommen in die geistige Welt, aber begrei­fen werden sie sie nicht. Sie befinden sich dann eben in einer Umge­bung, die sie nicht begreifen und die ihnen so vorkommt, als ob sie nicht zu ihnen gehörte, und die sie so quält, wie ein böses Gewissen nur quälen kann. Und wenn sie dann wieder in eine neue Verkörpe­rung hineinkommen, ist es ebenso schlimm; denn da werden sie allerlei Triebe und Leidenschaften haben und in diesen werden sie, weil sie kein Erstaunen entwickeln können, wie in Illusionen und Halluzinationen leben. Die Materialisten der heutigen Zeit sind es, die einer Zukunft entgegengehen, wo sie von Halluzinationen und Illusionen in furcht­barer Weise werden gequält werden; denn, was der Mensch heute in die­sem Leben denkt, das erlebt er dann als Illusion und Halluzination.

Man kann sich das schon recht real vorstellen. Nehmen wir bei­spielsweise an, es gehen heute zwei Menschen auf der Straße zusam­men. Es sei ein Materialist und ein Nichtmaterialist. Dieser sagt zum Beispiel zu jenem etwas über die geistige Welt. Der andere aber sagt oder denkt: Ach, das ist ja Unsinn! Das sind ja nur Illusionen! - Ja, für diesen sind es Illusionen, aber für jenen, der die Äußerung über die geistige Welt machte, sind es keine Illusionen. Schon nach dem Tode werden für den Materialisten die Folgen eintreten und erst recht dann noch später bei dem nächsten Erdenleben. Da wird es dann für ihn so sein, daß er die geistigen Welten als quälend empfindet, so daß sie ihm ein lebendiger Vorwurf sind. In seiner Kamalokazeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt wird er sozusagen keinen Unterschied empfinden zwischen Kamaloka und Devachan. Und wenn er wieder geboren ist, und die geistige Welt tritt vor ihn hin in der geschilderten Weise, dann erscheint sie ihm als etwas Unwirkliches, als Illusion, als Halluzination.

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Geisteswissenschaft ist nichts, was unsere bloße Neugier befriedigen soll. Nicht, weil wir in bezug auf die übersinnliche Welt bloß neugie­riger sind als andere Leute, sitzen wir hier zusammen, sondern weil wir mehr oder weniger ahnen, daß die Menschen der Zukunft gar nicht werden leben können ohne Geisteswissenschaft. Alle anderen Bestre­bungen, die diese Tatsache nicht berücksichtigen, gehen der Dekadenz entgegen. Nun, es ist ja so eingerichtet, daß diejenigen, die sich heute sträuben, Geisteswissenschaft anzunehmen, in späteren Verkörperun­gen noch Gelegenheit haben werden, an sie heranzukommen. Vorposten aber müssen sein. Menschen, die durch ihr Karma schon heute Sehn­sucht haben nach Geisteswissenschaft, haben dadurch Gelegenheit, Vor­posten zu werden. Diese Gelegenheit tritt an sie heran, eben weil sie Vorposten sein müssen und werden müssen.

Die anderen Menschen werden mehr aus dem allgemeinen Menschheitskarma heraus die Sehnsucht nach Geisteswissenschaft entstehen sehen.

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SPIEGELUNGEN DES BEWUSSTSEINS. OBERBEWUSSTSEIN UND UNTERBEWUSSTSEIN München, 25. Februar 1912

Es wird heute und übermorgen meine Aufgabe sein, einige der wichti­geren Tatsachen des Bewußtseins und auch der karmischen Zusammenhänge zu besprechen.

Im wesentlichen möchte ich gerne an die Auseinandersetzungen anknüpfen, die gestern im öffentlichen Vortrage gegeben worden sind. Es ist ja bei uns einmal so, daß in den öffentlichen Vorträgen für ein größeres Publikum gewisse Dinge anders besprochen werden müssen, als es in den Zweigversammlungen möglich ist, weil die Mitglieder eines Zweiges durch das längere Zusammenarbeiten, durch das längere Sich-Beschäftigen mit den Gegenständen in ganz anderer Weise vor­bereitet sind, die Dinge entgegenzunehmen, zu verstehen, als das eben bei einem größeren Publikum der Fall sein kann. Wir haben gestern gesehen, daß wir sprechen können von verborgenen Seiten des mensch­lichen Seelenlebens und wir müssen diese verborgenen Seiten des menschlichen Seelenlebens gegenüberstellen den Tatsachen des gewöhn­lichen, alltäglichen Bewußtseins.

Wenn Sie einmal nur einen oberflächlichen Blick tun auf dasjenige, was in unserer Seele vom Aufwachen morgens bis zum Einschlafen abends lebt an Vorstellungen, Gemütsstimmungen, Willensimpulsen, wenn Sie dabei natürlich auch alles dasjenige. hinzurechnen, was durch die Wahrnehmungen von außen an unsere Seele herankommt, dann ha­ben Sie alles das, was man die Gegenstände des gewöhnlichen Bewußt­seins nennen kann. Alles das, was so in unserem Bewußtseinsleben vor­handen ist, ist in diesem unserem gewöhnlichen Bewußtsein angewiesen auf die Werkzeuge des physischen Leibes. Sie haben ja die nächstlie­gende, selbstverständliche Beweistatsache für das, was eben gesagt wor­den ist, darin, daß der Mensch eben aufwachen muß, um in diesen Tat­sachen des gewöhnlichen Bewußtseins zu leben. Das heißt aber für uns, der Mensch muß untertauchen mit dem, was während des Schlafzustandes außerhalb des physischen Leibes ist, in den physischen Leib,

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und es muß ihm sein physischer Leib mit seinen Werkzeugen zur Verfügung stehen, wenn die Tatsachen des gewöhnlichen Bewußtseins ab­laufen sollen. Nun entsteht natürlich sofort die Frage: In welcher Weise bedient sich der Mensch als geistig-seelisches Wesen seiner leib­lichen Werkzeuge, der Sinnesorgane, des Nervensystems, um im alltäglichen Bewußtsein zu leben? - Da ist ja zunächst der Glaube vorhanden draußen in der materialistischen Welt, daß der Mensch eigent­lich in seinen leiblichen Werkzeugen dasjenige habe, was seine Be­wußtseinstatsachen hervorbringt. Ich habe schon öfters darauf aufmerksam gemacht, daß dies nicht so ist, daß wir uns nicht vorzustellen haben, die Sinnesorgane oder das Gehirn brächten die Bewußtseinstatsachen so hervor, wie etwa die Kerze eine Flamme. Das Verhältnis dessen, was wir Bewußtsein nennen, zu den leiblichen Werkzeugen ist ganz anders. Es ist so, daß wir es vergleichen können mit dem Ver­hältnis eines Menschen, der sich in einem Spiegel sieht, zu diesem Spie­gel. Wenn wir schlafen, leben wir so in unserem Bewußtsein, wie wenn wir einfach geradeaus in einem Raume gehen. Wenn wir geradeaus in einem Raume gehen, dann sehen wir uns nicht, dann sehen wir nicht, wie unsere Nase aussieht, wie unsere Stirn aussieht und so weiter. In dem Augenblick, wo jemand mit einem Spiegel vor uns hintritt und ihn uns entgegenhält, sehen wir uns. Dann tritt das, was aber schon früher da war, uns entgegen; das ist dann für uns da. So ist es mit den Tatsachen unseres gewöhnlichen Bewußtseins. Sie leben fortwährend in uns; sie haben so, wie sie sind, eigentlich gar nichts zu tun mit dem physischen Leibe, so wenig wie wir selbst mit einem Spiegel zu tun haben.

Die materialistische Theorie ist auf diesem Gebiete nichts weiter als ein Unsinn. Sie ist nicht einmal eine mögliche Hypothese. Denn, was der Materialist behauptet, läßt sich mit nichts anderem verglei­chen als damit, daß jemand behaupten würde: Weil er sich im Spiegel sieht, so bringe ihn der Spiegel hervor. Wenn Sie sich der Täuschung hingeben wollen, daß der Spiegel Sie hervorbringt, weil Sie sich erst wahrnehmen, wenn der Spiegel Ihnen entgegengehalten wird, dann können Sie auch glauben, daß die Gehirnpartien oder Ihre Sinnesor­gane den Inhalt des Seelenlebens hervorbringen. Beides wäre gleich

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«geistreich» und gleich «wahr», und so wahr wie die Behauptung, daß Spiegel Menschen schaffen, ebenso wahr ist es, daß Gehirne Gedanken schaffen. Die Tatsachen des Bewußtseins bestehen. Notwendig ist nur für unsere Organisation, daß wir diese bestehenden Tatsachen des Bewußtseins auch wahrnehmen können. Dazu muß uns das entgegen­treten, was Spiegelung des Tatsachenbewußtseins ist in unserem phy­sischen Leib. So daß wir also in unserem physischen Leibe etwas haben, was wir nennen können einen Spiegelungsapparat für die Tatsachen unseres gewöhnlichen Bewußtseins. Es leben also die Tatsachen un­seres gewöhnlichen Bewußtseins in unserem geistig-seelischen Wesen, und wir nehmen sie wahr dadurch, daß wir dem, was in uns ist, was wir aber nicht wahrnehmen können seelisch - wie wir uns selber nicht wahrnehmen, wenn kein Spiegel uns gegenübersteht -, den Spiegel der Leiblichkeit entgegengehalten bekommen. Das ist der Tatbestand. Nur hat man es bei dem Leibe nicht mit einem passiven Spiegelungs­apparat zu tun, sondern mit etwas, worin Vorgänge sind. Sie können sich also vorstellen, daß, statt daß der Spiegel belegt ist, um die Spie­gelung hervorzubringen, da rückwärts allerlei Vorgänge stattfinden müssen. Der Vergleich reicht hin, um wirklich das Verhältnis unseres geistig-seelischen Wesens zu unserem Leibe zu charakterisieren. Das also wollen wir uns vorhalten, daß für alles das, was man im alltäglichen Bewußtsein erlebt, der physische Leib der entsprechende Spiegelungsapparat ist. Hinter oder meinetwillen unter diesen gewöhnlichen Be­wußtseinstatsachen liegen noch die Dinge, die da herauffluten in unser gewöhnliches Seelenleben und die wir als die Tatsachen bezeichnen, die in den verborgenen Tiefen der Seele leben.

Einiges von dem erlebt ja der Dichter, der Künstler, der, wenn er ein wirklicher Dichter, ein wirklicher Künstler ist, weiß, daß ihm nicht auf die gewöhnliche Weise, wie man sonst logisch überlegt, oder durch äußere Wahrnehmungen, das, was er in seiner Dichtung auslebt, zu­kommt; sondern er weiß, daß die Dinge herauftauchen aus unbekann­ten Tiefen und wirklich da sind, ohne daß sie erst zusammengestellt werden durch die Kräfte des gewöhnlichen Bewußtseins. Aber es tau­chen ja aus diesen verborgenen Tiefen des Seelenlebens auch andere Dinge auf. Damit haben wir dann diejenigen Dinge gegeben, welche,

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ohne daß wir im gewöhnlichen Leben so recht ihren Ursprung kennen, mitspielen im gewöhnlichen Bewußtsein.

Aber wir haben gestern schon gesehen, daß man auch tiefer hinuntersteigen kann, da, wo das Gebiet des Halbbewußtseins ist, das Gebiet der Träume, und wir wissen, daß die Träume etwas heraufhe­ben aus den verborgenen Tiefen des Seelenlebens, das wir nicht auf eine einfache, gewöhnliche Weise, durch Anstrengung unseres Bewußt­seins heraufheben können. Wenn dem Menschen etwas, was er längst für seine Erinnerung begraben hat, in einem Traumbild vor die Seele tritt, wie das immer und immer wieder geschieht, so ist das so, daß der Mensch in den weitaus meisten Fällen niemals in die Lage kommen könnte, diese Dinge durch bloßes Besinnen aus den verborgenen Schach­ten des Seelenlebens heraufzuholen, weil eben das gewöhnliche Be­wußtsein nicht bis da hinunterreicht. Aber das, was für das gewöhn­liche Bewußtsein nicht mehr erreichbar ist, das ist für das Unterbe­wußtsein sehr wohl erreichbar. Und in jenem halbbewußten Zustand, der im Traum vorhanden ist, da wird eben manches, was sozusagen ge­blieben ist, was aufgespart ist, dann heraufgeholt; das schlägt herauf. Nur diejenigen Dinge schlagen herauf, die eigentlich nicht ihre Wir­kung gefunden haben in der Art, wie sonst das, was hinuntergetaucht ist aus der Erfahrung in die verborgenen Seelentiefen, seine Wirkung findet. Wir werden gesund oder krank, mißgestimmt oder heiter ge­stimmt, aber so, daß wir das nicht so im gewöhnlichen Verlauf unseres Lebens haben, sondern daß es ein körperlicher Zustand ist durch das, was von unserer Lebenserfahrung hinuntergetaucht ist, was nicht mehr erinnert werden kann, was aber da unten im Seelenleben arbeitet und uns so macht, wie wir im Verlaufe des Lebens werden. Manches Leben würde uns sehr erklärlich werden, wenn wir wüßten, was in die ver­borgenen Tiefen im Verlauf des Lebens hinuntergetaucht ist. Wir wür­den manchen Menschen in seinem dreißigsten, vierzigsten, fünfzigsten Jahr besser verstehen können, würden wissen können, warum er diese oder jene Anlage hat, warum er sich in dieser oder jener Beziehung so tief unbefriedigt fühlt, ohne daß er sagen kann, was diese Mißstim­mung hervorruft, wenn wir das Leben eines solchen Menschen in die Kindheit zurückverfolgen könnten. Wir würden dann eine Anschauung

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davon gewinnen, wie Eltern, wie die sonstige Umgebung auf das Kind gewirkt haben, was hervorgerufen worden ist an Leid und Freude, Lust und Schmerz, was vielleicht total vergessen ist, aber an der ge­samten Stimmung des Menschen arbeitet. Denn, was aus unserem Be­wußtsein hinunterrollt und hinunterwogt in die verborgenen Tiefen des Seelenlebens, das arbeitet da unten weiter. Nun ist es das Eigentümliche, daß das, was so arbeitet, zunächst an uns selbst arbeitet, daß es sozusagen die Sphäre unserer Persönlichkeit nicht verläßt. Wenn deshalb das hellseherische Bewußtsein da hinuntersteigt - und das ge­schieht schon durch die Imagination, durch das, was man imaginative Erkenntnis nennt -, dahin, wo im Unterbewußtsein die Dinge walten, die jetzt charakterisiert worden sind, dann findet der Mensch eigent­lich immer sich selbst. Er findet, was da wogt und lebt, in sich selber. Und das ist gut. Denn eigentlich muß der Mensch in wahrer Selbster­kenntnis sich so kennenlernen, daß er all die Triebkräfte wirklich an­schaut und kennenlernt, die in ihm wirken.

Wenn der Mensch mit dem hellseherischen Bewußtsein durch die Übungen der imaginativen Erkenntnis hinunterdringt ins Unterbe­wußtsein und nicht aufmerksam ist darauf, daß er da zunächst nur sich selbst findet mit alldem, was er ist und was in ihm wirkt, dann ist der Mensch den allermannigfaltigsten Irrtümern ausgesetzt; denn durch irgendwelche mit den gewöhnlichen Bewußtseinstatsachen vergleich­bare Art wird man keineswegs gewahr, daß man es zu tun hat nur mit sich selber. Es tritt auf irgendeiner Stufe die Möglichkeit auf, sagen wir, Visionen zu haben, Gestalten vor sich zu sehen, die durchaus etwas Neues sind gegenüber dem, was man sonst durch die Lebenserfahrun­gen kennengelernt hat. Das kann auftreten. Wenn man aber etwa die Vorstellung haben sollte, daß das schon Dinge sein müßten der höheren Welten, so würde man sich einem schweren Irrtum hingeben. Diese Dinge stellen sich nicht so dar, wie sich für das gewöhnliche Bewußt­sein die Dinge des inneren Lebens darstellen. Wenn man Kopfschmer­zen hat, so ist das eine Tatsache des gewöhnlichen Bewußtseins. Man weiß, daß die Schmerzen in unserem eigenen Kopfe sitzen. Wenn man Magenschmerzen hat, nimmt man sie in sich selber wahr. Wenn man in die Tiefen, die wir die verborgenen Seelentiefen nennen, hinuntersteigt,

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dann kann man durchaus nur in sich selbst sein, und dennoch kann das, was einem entgegentritt, sich so hinstellen, als wenn es außer uns wäre. Nehmen wir als Beispiel einen eklatanten Fall, nehmen wir an, je­mand hätte den allersehnlichsten Wunsch, die Wiederverkörperung der Maria Magdalena zu sein. Ich habe schon einmal erzählt, daß ich vierundzwanzig Magdalenas in meinem Leben gezählt habe. Nehmen wir aber auch an, daß er sich zunächst diesen Wunsch nicht gesteht: Wir brauchen ja nicht mit dem oberen Bewußtsein unsere Wünsche uns zu gestehen, das ist nicht notwendig. Also irgend jemand liest in der Bibel die Geschichte der Maria Magdalena, sie gefällt ihm außerordentlich. Nun kann in seinem Unterbewußtsein sogleich die Begierde auf­steigen, die Maria Magdalena zu sein. In seinem Oberbewußtsein ist nichts anderes vorhanden als das Gefallen an dieser Gestalt. Im Unter­bewußtsein, das heißt so, daß der Mensch nichts davon weiß, lebt aber sogleich die Begierde sich ein, diese Maria Magdalena zu sein. Jetzt geht dieser Mensch durch die Welt. Solange sonst nichts eintritt, so lange gefällt ihm für sein Oberbewußtsein, das heißt für das, was er weiß, die Maria Magdalena. Im Unterbewußtsein ist die brennende Begierde, selber die Maria Magdalena zu sein; aber davon weiß er gar nichts. Das geniert ihn also auch weiter nicht. Er richtet sich nach den Tatsachen seines gewöhnlichen Bewußtseins; er kann durch die Welt gehen, ohne daß er irgendwie in seinem Oberbewußtsein solch eine schlimme Tatsache zu haben braucht wie die Begierde, Maria Magdalena zu sein. Aber nehmen wir an, solch ein Mensch komme dazu, durch irgendwelche Handhabung von den oder jenen okkulten Strebemitteln etwas in seinem Unterbewußtsein zu erreichen. Dann steigt er hinunter in sein Unterbewußtsein. Er braucht nicht diese Tatsache, «in mir ist die Begierde, Maria Magdalena zu sein», so wahrzunehmen, wie man den Kopfschmerz wahrnimmt. Würde er wahrnehmen die Be­gierde, Maria Magdalena zu sein, dann würde er vernünftig sein kön­nen. Er würde sich gegenüber dieser Begierde so verhalten, wie man sich gegenüber dem Schmerz verhält und würde sie loszukriegen su­chen. Aber so stellt sich das, wenn eben eine irreguläre Eindringung stattfindet, nicht dar, sondern es stellt sich diese Begierde außerhalb der Persönlichkeit des Menschen als Tatsache hin, es stellt sich die Vision

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hin: Du bist Maria Magdalena. - Es steht da vor dem Menschen, es projiziert sich diese Tatsache. Und dann ist ja ein Mensch, so wie heute nun einmal die menschliche Entwickelung ist, nicht mehr imstande, mit seinem Ich eine solche Tatsache zu kontrollieren. Bei regelrechter, bei guter, bei absolut sorgfältiger Schulung kann das nicht ein­treten; denn da geht das Ich mit in alle Sphären. Aber sobald etwas ein­tritt, ohne daß das Ich mitgeht, da tritt das als eine objektive äußere Tatsache auf. Der Betrachter glaubt sich zurückzuerinnern an das, was die Ereignisse in und um Maria Magdalena waren, und fühlt sich identisch mit dieser Maria Magdalena. Das ist durchaus eine Möglichkeit.

Ich hebe diese Möglichkeit heute aus dem Grunde hervor, weil Sie daraus sehen sollen, daß eigentlich nur die Sorgfalt der Schulung, nur die Sorgfalt, wie man sich hineinfindet in den Okkultismus, einen davor retten kann, Irrtümern zu verfallen. Wenn man weiß: Du mußt zuerst eine ganze Welt vor dir sehen, mußt Tatsachen um dich herum wahrnehmen, nicht aber etwas, was du auf dich beziehst, was in dir ist, aber wie ein Welttableau erscheint, wenn man weiß, daß man gut tut, das, was man zuerst sieht, bloß als die Hinausprojektion seines eigenen In­nenlebens zu betrachten, dann hat man ein gutes Mittel gegenüber den Irrtümern auf diesem Wege. Das ist das allerbeste: zunächst alles wie Tatsachen zu betrachten, welche aus uns selber aufsteigen. Meistens steigen die Tatsachen aus unseren Wünschen, Eitelkeiten, aus unserem Ehrgeiz, kurz, aus den Eigenschaften auf, die mit dem Egoismus des Menschen verknüpft sind.

Diese Dinge projizieren sich hauptsächlich nach außen, und Sie können jetzt die Frage aufwerfen: Wie entkommt man nunmehr diesen Irrtümern? Wie kann man sich vor ihnen retten? - Durch die gewöhn­lichen Tatsachen des Bewußtseins kann man sich eigentlich nicht vor ihnen retten. Es kommt gerade dadurch der Irrtum zustande, daß man sozusagen, während einem sich in Wirklichkeit ein Welttableau gegen­überstellt, nicht aus sich herauskann, in sich ganz verstrickt ist. Daraus können Sie schon entnehmen, daß es eigentlich darauf ankommt, daß wir in irgendeiner Art aus uns herauskommen, in irgendeiner Art unter­scheiden lernen: Hier hast du eine Vision und hier eine andere. Die

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Visionen sind beide außer uns. Die eine ist vielleicht nur die Projektion eines Wunsches, die andere ist eine Tatsache. Aber sie sind nicht so verschieden, wie es im gewöhnlichen Leben ist, wenn ein anderer sagt, er hat Kopfschmerz, und wenn man selber Kopfschmerz hat. Geradeso herausprojiziert in den Raum ist das eigene Innere wie das fremde. Wie kommen wir zu einer Unterscheidung?

Wir müssen nämlich innerhalb des okkulten Feldes zur Unterschei­dung kommen, wir müssen die wahre Impression von der falschen un­terscheiden lernen, obwohl sie alle durcheinandergehen und alle mit dem gleichen Anspruch auf Richtigkeit auftreten. Es ist, wie wenn wir hineinschauen würden in die physische Welt und da neben wirkliche Bäume Phantasiebäume gestellt wären: Wir könnten sie nicht unter­scheiden. Wie wenn miteinander da wären wahre und falsche Bäume, sind wirkliche Tatsachen da, die außer uns sind, und Tatsachen, die nur in unserem eigenen Inneren aufsteigen. Wie lernen wir diese beiden Gebiete, die ineinandergeschachtelt sind, unterscheiden?

Man lernt sie nicht unterscheiden durch sein Bewußtsein zunächst. Wenn man nur innerhalb des Vorstellungslebens bleibt, da gibt es ei­gentlich gar keine Möglichkeit der Unterscheidung, sondern die Mög­lichkeit liegt nur in der langsamen okkulten Erziehung der Seele. Wenn wir immer weiter und weiter kommen, kommen wir eben auch dazu, wirklich unterscheiden zu lernen, das heißt, auf dem okkulten Gebiete das zu machen, was wir machen müßten, wenn Phantasie- und wirkliche Bäume nebeneinander wären. Durch die Phantasiebäume können wir hindurchgehen; an den wirklichen Bäumen stoßen wir uns. So etwas Ähnliches, aber jetzt natürlich nur als geistige Tatsache, muß uns entgegentreten auch auf dem okkulten Felde. Nun kann man, wenn man richtig vorgeht, in verhältnismäßig einfacher Weise unter­scheiden lernen das Wahre vom Falschen auf diesem Gebiet, aber nicht durch Vorstellungen, sondern durch einen Willensentschluß. Dieser Willensentschluß kann auf folgende Weise zustande kommen: Wenn wir unser Leben überschauen, so finden wir in diesem unserem Leben zwei deutlich unterscheidbare Gruppen von Vorkommnissen. Wir fin­den oftmals, daß dieses oder jenes, das uns gelingt oder mißlingt, eben in ganz regulärer Weise mit unseren Fähigkeiten zusammenhängt. Wir

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finden es also begreiflich, weil wir auf irgendeinem Gebiet nicht gerade sonderlich gescheit sind, daß uns da nichts Besonderes gelingt. Wo wir uns wiederum Fähigkeiten zumuten, da finden wir es auch ganz be­greiflich, daß uns dieses oder jenes gelinge. Vielleicht brauchen wir gar nicht immer so deutlich den Zusammenhang zwischen dem, was durch uns ausgeführt wird und unserer Fähigkeit einzusehen. Es gibt auch eine unbestimmtere Art, diesen Zusammenhang einzusehen. Wenn zum Beispiel irgend jemand in seinem späteren Leben von diesem oder je­nem Schicksalsschlag verfolgt wird, so kann er zurückdenken und sich sagen: Ich war ein Mensch, der wenig dazu getan hat, sich energisch zu machen -, oder: Ich war immer ein leichtsinniger Kerl. - Ander­seits wird er sich auch sagen können: Es ist mir nicht unmittelbar ein­leuchtend, wie der Zusammenhang zwischen meinem Mißlingen und den Dingen ist, die ich getan habe; aber es leuchtet mir ein, daß einem leichtsinnigen, faulen Menschen nicht alle Dinge so gelingen können, wie einem gewissenhaften und fleißigen. - Kurz, es gibt solche Dinge, bei denen wir begreiflich finden, daß sie sich so als unser Mißlingen oder Gelingen abspielen, wie sie sich eben abspielen, aber bei anderen kommt es vor, daß wir den Zusammenhang nicht einsehen, daß wir uns sagen: Trotzdem wir eigentlich diese oder jene Fähigkeiten haben, nach denen uns das eine oder andere hätte gelingen müssen, ist es eben nicht gelungen. Es gibt eben auch den Typus von Gelingen oder Mißlingen, wo wir zunächst nicht einsehen können, wie das mit unseren Fähigkeiten zusammenhängt. Das ist das eine. Das andere ist, daß wir gewissen Dingen gegenüber, die uns sonst äußerlich in der objektiven Welt als Schicksalsschläge treffen, zuweilen sagen können: Nun ja, es scheint uns schon recht, denn eigentlich haben wir alle Vorbedin­gungen dazu geliefert. - Aber andere Dinge, von denen können wir die Meinung haben: Sie treten ein, ohne daß wir etwas finden, was wir als Ursachen angeben können. - Wir haben also zwei Typen von Er­lebnissen: Solche, die aus uns selber stammen und bei denen wir den Zusammenhang mit dem, was wir selber als Fähigkeiten haben, ein­sehen; und den anderen Typus, den wir auch charakterisiert haben. Und wiederum bei äußeren Erlebnissen solche Ereignisse, bei denen wir uns nicht sagen können, daß wir die Bedingungen dazu herbeigeführt

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haben, gegenüber anderen, bei denen wir wissen: Wir haben die Bedingungen herbeigeführt.

Nun können wir ein wenig Umschau halten in unserem Leben. Da gibt es ein Experiment, das jedem Menschen nützlich ist, das in folgen­dem besteht. Wir könnten uns alle diejenigen Dinge zusammenstellen, für die wir die Ursachen im Leben nicht einsehen, also Dinge, die uns gelungen sind und bei denen wir uns sagen müssen: Da hat wieder ein­mal ein blindes Huhn ein Korn gefunden -, bei denen wir uns also für das Gelingen durchaus kein Verdienst zuschreiben. Aber auch Fälle des Mißlingens, an die wir uns erinnern, fassen wir so zusammen. Dann fassen wir äußere Ereignisse ins Auge, die uns wie Zufall getroffen ha­ben, bei denen wir nichts wissen von irgendeiner Motivierung. Und nun machen wir folgendes Experiment: Wir konstruieren gewisser­maßen einen künstlichen Menschen, der gerade so geartet ist, daß er all das, von dem wir nicht wissen, warum es uns gelungen ist, durch seine eigenen Fähigkeiten herbeigeführt hat. Wenn uns also einmal etwas gelungen ist, wozu Weisheit notwendig ist, während wir da gerade dumm sind, so konstruieren wir uns einen Menschen, der auf diesem Gebiet besonders weise ist und dem die Sache hat gelingen müssen. Oder für ein äußeres Ereignis machen wir es so: Sagen wir, uns fällt ein Ziegelstein auf den Kopf. Wir können zunächst die Ursachen nicht ein­sehen, aber wir stellen uns einen Menschen vor, der dieses Ziegel-auf-den-Kopf-Fallen in folgender Weise hervorruft: Er läuft zunächst auf das Dach und zieht dort den Ziegelstein so weit los, daß er nur ein klein wenig zu warten hat, bis er herunterfällt; dann läuft er rasch hin­unter, und der Ziegelstein trifft ihn. Und so machen wir es mit bestimmten Ereignissen, von denen wir durchaus wissen, daß wir sie nicht selber herbeigeführt haben nach unserem gewöhnlichen Bewußtsein, die uns sogar sehr gegen unseren Willen kommen.

Nehmen wir an, es hätte uns irgend jemand einmal in unserem Leben geschlagen. Damit uns das nicht so schwer ankommt, können wir ein solches Ereignis in die Kindheit zurückverlegen. Denken wir uns, wir hätten irgendwie einen Menschen angestellt, der uns prügelte. Wir hätten also durchaus alles getan, um diese Prügel zu bekommen. Wir konstruieren uns also einen Menschen, der just alles auf sich lädt, wovon

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wir da den Zusammenhang nicht einsehen können. Ja, sehen Sie, wenn man im Okkultismus vorwärtskommen will, muß man schon manche Dinge machen, die dem, was gewöhnliche Tatsachen sind, zu­widerlaufen. Wenn man nur das macht, was gewöhnlich vernünftig erscheint, dann kommt man im Okkultismus nicht weiter, denn, was sich auf höhere Welten bezieht, kann zunächst dem gewöhnlichen Menschen als etwas Närrisches erscheinen. So schadet es nicht, wenn schon die Methode dem äußeren Nüchterling als etwas Närrisches er­scheint. Also wir konstruieren uns diesen Menschen. Zunächst erscheint es nur als groteske Tatsache, wenn man diesen Menschen konstruiert als etwas, von dem man den Zweck vielleicht nicht einsieht, aber jeder, der das versucht, wird eine sonderbare Entdeckung an sich machen, nämlich daß er von diesem Menschen, den er sich da zurechtgebildet hat, nicht mehr loskommen will, daß der anfängt, ihn zu interessieren. Wenn Sie den Versuch machen, werden Sie schon sehen: Sie kommen von diesem künstlichen Menschen nicht wieder los; der lebt in Ihnen. Und sonderbarerweise: Es lebt nicht nur in uns, sondern verwandelt sich in unserem Inneren und verwandelt sich sehr stark, so daß er zu­letzt eigentlich etwas ganz anderes wird, als er vorher gewesen war. Et­was wird er, von dem wir gar nicht anders können, als uns zu sagen: Es ist doch etwas, was in uns steckt. - Das ist eine Erfahrung, die wirklich jeder machen kann. Man kann von dem, was jetzt beschrie­ben worden ist, was nicht der ursprünglich zusammenphantasierte Mensch ist, sondern was aus diesem geworden ist, sich sagen: Es ist etwas von dem, was in uns sitzt. Nun ist es gerade das, was die sonst scheinbar ursachlosen Dinge in unserem Leben sozusagen bewirkt hat; so daß man in sich etwas findet, was das sonst Nichterklärliche wirk­lich hervorruft. Es ist, mit anderen Worten, das, was ich Ihnen beschrie­ben habe, der Weg, um nicht bloß in sein eigenes Seelenleben hineinzu­gaffen und etwas zu finden, sondern es ist ein Weg aus dem Seelenleben heraus in die Umgebung. Denn das, was uns mißlingt, bleibt nicht bei uns, sondern gehört der Umgebung an. So haben wir aus der Umgebung etwas herausgeholt, was nicht mit unseren Bewußtseinstatsachen stimmt, sich aber so darstellt, wie wenn es in uns selbst wäre. Dann erhält man eben das Gefühl, daß man doch etwas mit dem zu

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tun hat, was einem so unverursacht im wirklichen Leben scheint. Man erhält auf diese Art ein Gefühl seines Zusammenhanges mit seinem Schicksal, mit dem, was man Karma nennt. Durch dieses Seelenexperi­ment ist ein realer Weg gegeben, um das Karma in sich in einer gewissen Weise zu erleben.

Sie können sagen: Ja, was du da sagst, ich verstehe es eigentlich nicht recht. - Aber wenn Sie das sagen, dann verstehen Sie nicht das nicht, wovon Sie glauben, daß Sie es nicht verstehen, sondern Sie verstehen etwas nicht, was eigentlich kinderleicht zu verstehen ist, woran Sie nur nicht denken. Es ist gar nicht möglich, daß irgend jemand, der das Experiment nicht ausgeführt hat, diese Dinge einsieht, sondern erst der kann sie einsehen, der es ausgeführt hat. So sind diese Dinge nichts anderes als die Beschreibung eines Experimentes, das man machen und das jeder erleben kann. Jeder kommt dazu, einzusehen, daß in seinem Inneren etwas lebt, was mit seinem Karma zusammenhängt. Wenn das jemand von vornherein wüßte, dann brauchte man ihm nicht eine Regel zu geben, durch die er dazu kommt. Das ist ganz in der Ordnung, daß derjenige dieses nicht einsieht, der das Experiment noch nicht gemacht hat. Es handelt sich aber nicht um Einsehen einer Mitteilung über etwas, was unsere Seele vornehmen kann. Wenn nun unsere Seele sol­che Wege geht, gewöhnt sie sich, nicht bloß in ihrem Inneren zu leben, in ihren Wünschen und Begierden, sondern daran, äußere Vorkomm­nisse auf sich zu beziehen, wirkliche äußere Vorkommnisse ins Auge zu fassen. Daran gewöhnt sich unsere Seele dadurch. Gerade die Dinge, die wir nicht selber gewünscht haben, die haben wir hineinkonstruiert in das, um was es sich gehandelt hat. Und wenn wir noch dazu kom­men, unserem gesamten Schicksal gegenüber uns so zu stellen, daß wir es in Gelassenheit auf uns nehmen, daß wir uns von dem, wogegen wir ge­wöhnlich murren und uns empören, denken: Wir nehmen es gerne auf uns, denn wir haben es selbst über uns verhängt -, dann bildet sich eine Gemütsverfassung heraus, die so ist, daß wir, wenn es sich darum han­delt, bei dem Hinabdringen in die verborgenen Seelentiefen das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, mit absolüter Sicherheit das Wahre vom Falschen unterscheiden können. Denn dann ergibt sich mit einer wunderbaren Klarheit und Sicherheit, was wahr und was falsch ist.

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Wenn man mit dem geistigen Auge auf irgendeine Vision sieht und man sie einfach dadurch, daß man alle seine Kräfte, die man als sein Inneres fühlt, die man dann kennengelernt hat, wegschaffen, weg­zaubern kann, sozusagen durch seinen bloßen Blick, dann ist sie ein bloßes Phantasma. Wenn man es aber nicht wegschaffen kann auf diese Weise, sondern wenn man höchstens wegschaffen kann, was an die äußere Sinneswelt erinnert, also das eigentlich Visionhafte, das Geistige aber dableibt wie eine feste Tatsache, dann ist es wahr. Aber diesen Unterschied kann man nicht machen, bevor man das getan hat, was beschrieben worden ist. Daher gibt es ohne die beschriebene Erzie­hung keine Sicherheit im Unterscheiden des Wahren und Falschen auf dem übersinnlichen Plan. Das Wesentliche bei dem Seelenexperiment ist dieses: Mit dem gewöhnlichen Bewußtsein sind wir bei dem, was wir wünschen, eigentlich immer dabei. Durch dieses Seelenexperiment ge­wöhnen wir uns, das als von uns gewollt anzuschauen, was wir für das gewöhnliche Bewußtsein gar nicht wünschen, was uns gewöhnlich eigentlich widerstrebt. Man kann in einer gewissen Beziehung in der inneren Entwickelung zu einem bestimmten Grad gekommen sein; wenn man aber nicht dem, was als Wünsche, als Begierden, als Sym­pathie und Antipathie in der Seele lebt, entgegenstellt durch ein sol­ches Seelenexperiment unseren Zusammenhang mit dem, was wir nicht gewünscht haben, dann wird man überall Fehler über Fehler machen. Der größte Fehler gerade auf dem Gebiet der Theosophischen Gesell­schaft ist ja zuerst von H.P. Blavatsky dadurch gemacht worden, daß sie den geistigen Blick auf jenes Feld gerichtet hat, wo der Christus zu suchen ist, und weil sie in ihren Wünschen, in ihren Begierden, kurz, in dem, was im Oberbewußtsein war, fortwährend eine Antipathie, sogar eine leidenschaftliche Abneigung gegenüber allem Christlichen und Hebräischen hatte, während sie eine Vorliebe für alles hatte, was sich an geistiger Kultur auf der Erde ausbreitet außer dem Christlichen und Hebräischen. Und weil sie niemals das durchgemacht hat, was heute beschrieben worden ist, so stellte sich eben eine ganz falsche Christus-Auffassung vor sie hin, und das ist ganz natürlich. Und von ihr ist es übergegangen auf ihre engeren Schüler und wird bis heute fortgeschleppt, nur noch ins Groteske vergröbert. Diese Dinge gehen

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bis in die höchsten Sphären hinauf. Man kann viele Dinge auf dein okkulten Plane sehen, aber das Unterscheidungsvermögen ist noch et­was anderes als das bloße Sehen, das bloße Wahrnehmen. Das muß scharf betont werden.

Nun ist die Frage diese: Wir kommen also, wenn wir in unsere ver­borgenen Seelentiefen hinuntertauchen - und jeder Hellseher muß das -, zunächst in uns selbst, im Grunde genommen. Und wir müssen uns selbst dadurch kennenlernen, daß wir wirklich jenen Übergang ma­chen, indem wir zunächst eine Welt vor uns haben, von der uns Lu­zifer und Ahriman jederzeit versprechen, daß sie uns die Reiche der Welt schenken werden. Das heißt, es wird uns unser Inneres hingestellt, und der Teufel sagt: Das ist die objektive Welt. - Das ist eben die Versuchung, der selbst der Christus nicht entging. Es wurden hingestellt die Illusionen des eigenen Inneren. Nun war Christus durch seine Energie so stark, auf den ersten Anhieb zu erkennen, daß das nicht eine wirkliche Welt ist, sondern daß das im Inneren ist. Durch dieses Innere erst, bei dem wir unterscheiden müssen zwei Glieder, von dem wir das eine hinwegschaffen können - eben unser Inneres -, während das andere bleibt, kommen wir durch die verborgenen Tiefen unseres Seelenlebens in die objektiv übersinnliche Welt hinaus. Und so wie unser geistig-seelischer Kern für die äußere Wahrnehmung, für das, was die gewöhnlichen Bewußtseinstatsachen sind, sich des Spiegels unseres physischen Leibes bedienen muß, so muß sich der Mensch in bezug auf seinen geistig seelischen Kern für die zunächst ihm gegen­übertretenden geistigen übersinnlichen Tatsachen seines Ätherleibes als Spiegelungsapparat bedienen. Die höheren Sinnesorgane, wenn wir sie so nennen können, treten im astralischen Leib auf; aber spiegeln muß sich das, was in ihnen lebt, am Ätherleibe, so wie sich unser Geistig Seelisches, das wir im gewöhnlichen Leben wahrnehmen, am physischen Leibe spiegelt. Wir müssen nun lernen, unseren Ätherleib zu hand­haben. Und nun ist es ganz natürlich, da uns unser Ätherleib gewöhn­lich nicht bekannt ist, er aber das darstellt, was uns eigentlich belebt, daß wir ihn selber zuerst kennenlernen müssen, bevor wir das er­kennen lernen, was aus der übersinnlichen Außenwelt in uns herein­kommt und an diesem Ätherleibe sich spiegeln kann.

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Das, was wir so erleben, indem wir in die verborgenen Tiefen unseres Seelenlebens kommen und zuerst sozusagen uns selbst, die Projektion unserer Wünsche erleben, das ist dem Leben sehr ähnlich, das man gewöhnlich das Kamaloka nennt. Es unterscheidet sich nur dadurch vom Kamalokaleben, daß, während man so im gewöhnlichen Leben vordringt bis zu dem Eingesperrtsein in sich selbst - denn so ist es zu nen­nen -, unser physischer Leib aber noch da ist, zu dem wir immer wieder zurückkehren können, es im Kamaloka so ist, daß der physische Leib fort ist, sogar ein Teil des Ätherleibes fort ist, der Teil, der uns zunächst überhaupt spiegeln kann. Aber es ist der allgemeine Lebensäther um uns herum, der als das spiegelnde Werkzeug uns dient, und an dem sich alles das spiegelt, was in uns ist. Die Kamalokazeit ist eine solche, daß unsere innere Welt, welche sich in allen Wünschen, Begierden, in allem, wie wir innerlich fühlen und gestimmt sind, sich um uns herum als unsere objektive Welt aufbaut. Das ist wichtig, daß wir das ein­sehen, daß zunächst das Kamalokaleben dadurch charakterisiert ist, daß wir in uns eingesperrt sind und die Einsperrung in uns selber das Gefängnis ist, um so mehr verriegelt zunächst, als wir nicht zu irgend­einem physischen Leben zurückkehren können, auf das sich unser gan­zes Leben bezieht. Erst wenn wir dieses Kamalokaleben durchleben so, daß wir allmählich darauf kommen - man kommt eben nur allmählich darauf -, daß alles das, was da ist, nicht anders aus der Welt geschafft werden kann, als daß man sich eben in anderer Weise erfühlt als durch bloße Begierden und so weiter, erst dann ist unser Kamalokagefängnis gesprengt.

Wie ist das gemeint? Nehmen wir an, es stirbt jemand mit einem bestimmten Wunsch. Der Wunsch gehört zu dem, was sich hinausprojiziert, was in irgendwelchen Gebilden dann um ihn herum aufgebaut ist. Solange nun der Wunsch in ihm lebt, ist es unmöglich, daß er sich in bezug auf diesen Wunsch das Kamaloka mit irgendeinem Schlüssel eröffnet. Erst wenn er gewahr wird, daß dieser Wunsch nur dann be­friedigt werden kann, wenn er ausgeschaltet wird, wenn er aufgegeben wird, wenn nicht mehr gewünscht wird, wenn also dieser Wunsch aus der Seele gerissen wird, also wenn man sich in entgegengesetzter Weise dazu verhält, erst dann wird zugleich mit dem Wunsch nach und nach

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alles, was uns im Kamaloka einsperrt, aus der Seele gerissen. Dann erst kommen wir in das Gebiet zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, das wir bezeichnet haben als das devachanische, in das man auch durch Hellsichtigkeit kommen kann, wenn man erkannt hat dasjenige, was nur zu einem selbst gehört. In der Hellsichtigkeit erlangt man es durch eine bestimmte Stufe der Reife, im Kamaloka durch die Zeit, einfach weil uns die Zeit so quält durch unsere eigenen Wünsche, daß sie durch die Dauer sich überwinden. Dadurch wird das, was uns so vorgegaukelt wird, als ob es die Welt und ihre Herrlichkeit wäre, zersprengt.

Die Welt der übersinnlichen realen Tatsachen ist das, was man gewöhnlich das Devachan nennt. Wie tritt uns diese Welt der übersinn­lichen realen Tatsachen entgegen? Hier auf diesem Erdenrund kann der Mensch nur vom Devachan sprechen aus dem Grunde, weil in der Hellsichtigkeit, wenn wirklich das Selbst überwunden ist, wir ja auch schon eintreten in die Welt der übersinnlichen Tatsachen, die objektiv vorhanden sind, und es fallen diese Tatsachen mit dem, was im De­vachan vorhanden ist, zusammen. Nun ist das wichtigste Charakte­ristikum dieser devachanischen Welt, daß sich moralische Tatsachen nicht mehr unterscheiden von physischen Tatsachen, von physischen Gesetzen, sondern daß moralische Gesetze mit physischen Gesetzen zusammenfallen. Was heißt das? Nun, nicht wahr, in der gewöhnlichen physischen Welt scheint die Sonne über Gerechte und Ungerechte. Den­jenigen, der ein Verbrechen begangen hat, kann man vielleicht ins Ge­fängnis setzen, aber die physische Sonne verfinstert sich nicht. Das heißt, es gibt in der Welt des Physischen eine moralische Gesetzmäßig­keit und eine physische, die gehen zwei ganz verschiedene Wege. So ist es nicht im Devachan, ganz und gar nicht; sondern da ist es so, daß alles, was aus Moralischem, aus intellektuell Weisem, aus ästhetisch Schönem und dergleichen hervorgeht, ein solches ist, das zur Entste­hung führt, und daß dasjenige, was aus Unmoralischem, aus intellek­tuell Unwahrem, aus ästhetisch Häßlichem hervorgeht, zum Vergehen, zum Untergang führt. Und zwar sind dort die Naturgesetze wirklich so, daß nicht die Sonne über Gerechte und Ungerechte scheint, son­dern daß sie sich, wenn wir bildlich sprechen dürfen, vor dem Unge­rechten wirklich verfinstert. Der Gerechte, der durch das Devachan

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geht, hat also den geistigen Sonnenschein dort, das heißt die Einwirkung der befruchtenden Kräfte, die ihn im Leben vorwärtsbringen. Der lügnerische oder häßliche Mensch geht so durch, daß sich die geistigen Kräfte vor ihm zurückziehen. Dort ist die Einrichtung möglich, die hier nicht möglich ist. Wenn hier zwei Menschen nebeneinander gehen, ein gerechter und ein ungerechter, dann kann die Sonne nicht den einen bescheinen und den anderen nicht. Dort aber, in der geistigen Welt, ist das absolut so, daß es von der Qualität des Menschen abhängt, wie die geistigen Kräfte auf ihn wirken. Das heißt, die Naturgesetze und die geistigen Gesetze gehen dort nicht zwei getrennte Wege, son­dern dieselben Wege. Das ist das Wesentliche, worauf es ankommt: In der devachanischen Welt fallen die Naturgesetze mit den moralischen und intellektuellen Gesetzen zusammen.

Dadurch geschieht das Folgende: Wenn der Mensch eingetreten ist in die devachanische Welt und diese durchlebt, so ist in ihm alles das, was verblieben ist aus dem letzten Leben an Gerechtem und Ungerech­tem, an Gutem und Bösem, an ästhetisch Schönem und Häßlichem, an Wahrem und Falschem. Alles das wirkt aber so, daß es sich dort so­gleich der Naturgesetze bemächtigt. So ist dort Gesetz, was wir in der physischen Welt so beschreiben könnten, daß einer, der gestohlen oder gelogen hätte und an die Sonne ginge, von dieser nicht beschienen würde und er sich allmählich dadurch, daß er des Sonnenlichtes ent­behrt, eine Krankheit zuziehe. Oder nehmen wir an, jemandem, der gelogen hat, würde der Atem verschlagen in der physischen Welt. Das wäre zu vergleichen mit dem, was alles in. der devachanischen Welt der Fall ist. Derjenige, der das oder jenes auf sich geladen hat, dem geschieht so etwas in bezug auf sein Geistig-Seelisches, daß das Natur-gesetz zugleich absolut dem Geistesgesetz entspricht. Daher werden, wenn nun die Weiterentwickelung dieses Menschen durch die deva­chanische Welt so geschieht, er allmählich weiter und immer weiter geht, sich immer mehr und mehr in ihm solche Eigenschaften einleben, daß das, was er dann ist, seinen Qualitäten entspricht, die er sich mit­gebracht hat aus dem vorhergehenden Leben. Nehmen wir an, jemand ist zweihundert Jahre im Devachan, nachdem er in einem vorhergehenden Leben viel gelogen habe. Er lebt dieses Devachan durch, aber die Geister

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der Wahrheit entziehen sich ihm. Das stirbt in ihm, was in einer anderen Seele, die die Wahrheit gesprochen hat, auflebt.

Oder nehmen wir an, jemand geht mit einer ausgesprochenen Quali­tät von Eitelkeit, die er nicht abgelegt hat, durch das Devachan. Diese Eitelkeit ist im Devachan eine außerordentlich übelriechende Ausdünstung, und gewisse geistige Wesenheiten meiden eine solche Individualität, welche die übelriechende Ausdünstung von Ehrgeiz oder Eitelkeit um sich herumströmt. Das ist nicht eigentlich bildlich gesprochen. Eitelkeit und Ehrgeiz sind im Devachan außerordentlich übelriechende Ausdünstungen, und dadurch kommt der wohltätige Einfluß gewisser Wesenheiten, die sich dann eben zurückziehen, nicht zustande. Es ist so, wie wenn eine Pflanze im Keller wachsen soll, wäh­rend sie nur im Sonnenlicht gedeihen kann. Der Eitle kann nicht ge­deihen. Nun wächst er heran unter den Auswirkungen dieser Eigen­schaft. Wenn er sich wiederverkörpert, hat er nicht die Kraft, die guten Einflüsse hineinzubauen. Statt daß er gewisse Organe in ge­sunder Weise ausbildet, bildet er sie als ein krankhaftes Organsystem aus. Wie wir daher im Leben als Menschen werden, das zeigen uns nicht nur unsere physischen Bedingungen, sondern auch unsere mora­lischen und intellektuellen. Erst dann, wenn wir aus dem physischen Plan heraus sind, dann gehen nebeneinander Natur- und Geistesge­setz. Zwischen Tod und einer neuen Geburt sind die aber eins, sind Naturgesetz und Geistesgesetz eins, sind ein Ganzes. Und in unsere Seele werden eingepflanzt die Naturkräfte, die zerstörend wirken, wenn sie die Folge sind von unmoralischen Taten vorhergehender Le­ben, die aber befruchtend wirken, wenn sie die Folge sind von mora­lischen Taten. Das bezieht sich nicht nur etwa auf unsere innere Konfi­guration, sondern auch auf das, was uns von außen trifft als unser Karma.

Das Wesentliche des Devachan ist also, daß es dort keine Unterscheidung gibt zwischen Natur- und Geistesgesetz. Und so ist es auch für den Hellseher, der wirklich hindurchdringt zu den übersinnlichen Welten. Da sind diese übersinnlichen Welten recht sehr verschieden von den Welten, die hier auf dem physischen Plan herrschen. Es ist einfach nicht möglich für den Hellseher, jene Unterscheidung zu machen,

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die der materialistische Sinn macht, indem man sagt: Das ist bloß ein objektives Naturgesetz. - Hinter diesem objektiven Naturgesetz steht in Wahrheit immer ein Geistesgesetz, und der Hellseher kann zum Beispiel nicht über eine ausgedörrte Wiese gehen, über eine überschwemmte Gegend, kann nicht gewahr werden einen Vulkanausbruch, ohne zu denken, daß hinter dem, was Naturtatsachen sind, geistige Mächte, geistige Wesenheiten stecken. Für ihn ist ein Vulkanausbruch zugleich eine moralische Tat, wenn auch vielleicht die Moral auf einem ganz anderen Plan liegt, als man es sich zunächst träumen läßt. Die Menschen, die immer die physische Welt mit den höheren Welten verwechseln, werden sagen: Ja, wenn unschuldige Menschen durch einen Vulkanausbruch vernichtet werden, wie kann man da annehmen, daß das eine moralische Tat ist? Ein solches Urteil wäre so grausam phili­strös, wie es das entgegengesetzte Urteil auch wäre, nämlich, wenn man den Ausbruch als eine Strafe Gottes ansehen würde gerade für die Menschen, die um den Vulkan herum sitzen. Beide Urteile können nur vom philisterhaften Standpunkt des physischen Planes gefällt werden. Nicht darum handelt es sich, sondern es kann sich dabei um viel universellere Dinge handeln. Die Menschen, die am Abhang eines Vulkanes wohnen und deren Besitz durch ihn zerstört wird, die können ganz unschuldig sein in bezug auf dieses Leben. Es wird ihnen dann später ein Ausgleich geschaffen. Das heißt nicht, daß wir etwa hartherzig sein und ihnen nicht helfen sollen - das würde wiederum eine philiströse Auslegung der Tatsachen sein -, aber es ist so, daß zum Beispiel für Vulkanaus­brüche die Tatsache vorliegt, daß eben im Verlauf der Erdenentwicke­lung durch die Menschen gewisse Dinge geschehen, die die ganze Menschheitsentwickelung aufhalten. Und es müssen gerade gute Götter für den Ausgleich arbeiten, so daß in der Tat in solchen Naturphäno­menen zuweilen ein Ausgleich geschaffen wird. Den Zusammenhang von dieser Sache sieht man manchmal erst in okkulten Tiefen. So kön­nen dadurch Ausgleiche geschaffen werden für das, was gegen den Geistesverlauf in der wirklichen Entwickelung des Menschengeschlech­tes von den Menschen selbst getan wird. Jedes Ereignis ist in seinen Untergründen, auch wenn es ein bloßes Naturereignis ist, zugleich etwas Moralisches. Und geistige Wesenheiten sind es in den höheren

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Welten, welche die Träger dieses Moralischen sind, das hinter den physischen Tatsachen sitzt. Wenn Sie also einfach eine Welt vorstellen, in der es nicht möglich ist, von einem Auseinanderfallen des Natur- und Geistesgesetzes zu sprechen, eine Welt, in der, mit anderen Worten, Gerechtigkeit als Naturgesetz herrscht, dann haben Sie die devacha­nische Welt. Daher brauchen in dieser devachanischen Welt auch nicht strafbare Handlungen durch irgendeine Willkür bestraft zu werden, sondern mit derselben Notwendigkeit, mit der das Feuer Brennbares anzündet, vernichtet das Unmoralische sich selbst und das Moralische fördert sich selbst.

So sehen wir, daß gerade die innerste Charakteristik, der innerste Nerv sozusagen des Daseins ganz verschieden ist für die verschiede­nen Welten. Wir bekommen keine Vorstellung von den einzelnen Wel­ten, wenn wir nicht diese Eigentümlichkeiten, die in radikaler Weise für die einzelnen Welten verschieden sind, ins Auge fassen können. Und so können wir gut charakterisieren: physische Welt, Kamaloka und Devachan. Physische Welt so, daß in ihr Natur- und Geistesge­setz zwei nebeneinanderlaufende Tatsachenreihen sind; Kamalokawelt so, daß in ihr eingeschlossen ist der Mensch in sich selber wie in dem Gefängnis seiner eigenen Wesenheit; die devachanische Welt das reine Gegenteil der physischen Welt: Natur- und Geistesgesetz eines und dasselbe. Das sind die drei Charakteristiken, und wenn Sie dieselben genau ins Auge fassen, zu empfinden versuchen, wie radikal eine Welt von der unsrigen verschieden ist, in welcher das moralische, das intellek­tuelle, wie auch das Schönheitsgesetz zugleich Naturgesetz ist, dann wer­den Sie eine Empfindung haben von der Art, wie es in der devachanischen Welt ist. Wenn wir in unserer physischen Welt einem häßlichen oder einem schönen Gesicht begegnen, so haben wir kein Recht, den häß­lichen Menschen so zu behandeln, als wenn er geistig-seelisch irgend­wie abzulehnen wäre, so wenig wir den schönen Menschen so betrachten dürfen, als ob wir ihn unmittelbar geistig oder seelisch hochstellen müßten. Im Devachan ist das ganz anders. Da begegnen wir keiner Häßlichkeit, die nicht verschuldet ist, und ein Mensch, der durch seine vorhergehende Inkarnation in die Notwendigkeit versetzt worden ist, in irgendeiner jetzigen Inkarnation ein häßliches Antlitz zu tragen,

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der sich aber in diesem Leben befleißigt, wahr und ehrlich zu sein, bei dem ist es unmöglich, daß er uns im Devachan mit einer häßlichen Form begegnet, der hat ganz gewiß dann seine Häßlichkeit in Schön­heit verwandelt. Aber ebenso wahr ist es, daß derjenige, der lügenhaft, eitel, ehrgeizig ist, in häßlicher Form auf dem Devachan herumwan­delt. Dafür ist aber auch noch etwas anderes wahr. Wir sehen nicht, daß ein häßliches Gesicht im gewöhnlichen physischen Leben sich selber fortwährend etwas nimmt, oder ein schönes sich selber fortwährend etwas gibt. Im Devachan ist es so: Das Häßliche ist das Ele­ment einer fortwährenden Zerstörung, und wir können kein Schönes wahrnehmen, von dem wir nicht annehmen müssen, daß es das Werk einer fortwährenden Förderung, einer fortwährenden Befruchtung ist. Ganz anders also müssen wir empfinden gegenüber der devachanischen oder mentalen Welt als gegenüber der physischen Welt.

Und dies ist notwendig, daß Sie in diesen Empfindungen unter­scheiden, das Wesentliche sehen, worauf es ankommt, daß Sie sich an­eignen nicht bloß die äußere Beschreibung von diesen Dingen, sondern daß Sie mitnehmen Gefühle und Empfindungen gegenüber dem, was in der Geisteswissenschaft beschrieben wird. Wenn Sie sich aufzu­schwingen versuchen zu der Empfindung von einer Welt, in der das Moralische, das Schöne, das intellektuell Wahre mit der Notwendig­keit eines Naturgesetzes auftritt, dann haben Sie eben die Empfindung der devachanischen Welt. Und deshalb müssen wir so viel sozusagen zusammentragen und arbeiten, damit wir zuletzt die Dinge, die wir uns erarbeiten, in eine Empfindung zusammenschmelzen können. Es ist unmöglich, daß jemand leichter Hand zu einer wirklichen Erkennt­nis dessen kommt, was notwendig durch die Geisteswissenschaft all­mählich der Welt klargemacht werden muß. Es gibt gewiß heute viele Bestrebungen, die da sagen: Ach, warum müssen in der Geisteswissenschaft so viele Dinge gelernt werden? Sollen wir denn wieder Schüler werden? Es käme doch nur auf die Empfindung an. - Es kommt auf sie an; aber auf die richtige Empfindung kommt es an, die man erst herausarbeiten muß! So ist es bei allem. Schließlich wäre es für den Maler auch angenehmer, wenn er nicht erst die einzelnen Handgriffe seiner Kunst erlernen und wenn er das Bild nicht erst langsam auf die

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Leinwand bringen müßte, sondern bloß zu hauchen hätte, um sein Werk fertig vor sich zu haben! Nun ist das Eigentümliche in unserer Welt, daß, je mehr die Dinge gegen das Seelische zugehen, die Menschen um so schwerer einsehen, daß es mit dem bloßen Hauchen nicht getan ist! Für das Musikalische wird kaum jemand zugeben, daß ein jeder schon ein Komponist ist, der gar nichts gelernt hat; da ist es ganz selbstverständlich. Für die Malerei wird es auch noch ein wenig zugegeben, obwohl da schon etwas weniger. Für die Dichtung, da schon noch we­niger; sonst würde es in unserer Zeit nicht so viele Dichter geben. Denn es ist eigentlich keine Zeit so undichterisch wie unsere, aber es gibt so viele Dichter. Man braucht es eben nicht gelernt zu haben; man braucht, was natürlich nichts mit Dichtung zu tun hat, bloß schreiben zu können - allerdings noch orthographisch -, man braucht bloß seine Gedanken richtig ausdrücken zu können! Na, und zum Philosophieren, dazu gehört noch weniger! Denn daß ein jeder heute über alles mög­liche, was zur Welt- und Lebensanschauung gehört, ohne weiteres ur­teilen kann, das gilt doch für selbstverständlich; denn ein jeder hat seinen Standpunkt. Und da erlebt man immer wieder und wiederum, daß es nichts gilt, wenn einer mit allen Mitteln innerer Arbeit dazu ge­kommen ist, etwas zu erkennen und zu erforschen in der Welt. Heute gilt als selbstverständlich, daß gleichberechtigt ist der Standpunkt des­jenigen, der lange gearbeitet hat, um überhaupt nur ein weniges über die Weltgeheimnisse sagen zu können, mit dem Standpunkt dessen, der sich einfach vorgenommen hat, eben auch einen Standpunkt zu haben. Daher ist im Grunde genommen ein Weltanschauungsmensch heute ein jeder. Und nun gar ein Theosoph! Dazu scheint noch weniger nach mancher Ansicht notwendig zu sein; denn dazu soll einfach ausreichen, daß man nicht einmal die drei Grundsätze der Theosophischen Gesellschaft, sondern nur den ersten derselben anerkennt, und den ganz in seiner Art! Da aber dazu wirklich nichts anderes gehört, als daß man mit mehr oder weniger Wahrhaftigkeit sich dazu bekennt, ein liebender Mensch zu sein - ob man es ist, darum handelt es sich nicht -, dann ist man einfach ein Theosoph und dann hat man die rechte Empfin­dung! So daß wir fortwährend herunterkommen, wenn wir die Wertschätzung des Standpunktes und der Urteilsfähigkeit beginnen beim

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Musikalischen und durch die Dinge, die immer weniger und weniger verlangen, bis gar zur Theosophie herunterdringen! Denn da genügt es eben - was man in der Malerei nicht für genügend betrachten würde -, daß man bloß zu hauchen braucht: Wir begründen den Kern einer allgemeinen Menschenverbrüderung; da sind wir Theosophen! - Zu lernen braucht man weiter gar nichts! Das aber ist es, worauf es ankommt, daß wir mit aller Energie arbeiten, damit wir das, was wir uns erarbeiten, allerdings zuletzt in Empfindungen zusammentragen, welche durch ihre Färbung erst die allerhöchste, die wahrste Erkennt­nis geben. Ringen Sie sich durch, dadurch daß Sie zunächst arbeiten, zu einer solchen Empfindung, die da geht nach der Impression einer Welt, bei der Natur- und Geistesgesetz zusammenfallen. Wenn Sie im Ernst arbeiten - mögen Sie sich noch so sehr angestrengt haben beim Durcharbeiten dieser oder jener Theorie -, so macht das auf die devachanische Welt einen Eindruck. Haben Sie sich eine Empfindung nicht bloß anphantasiert, sondern erarbeitet, haben Sie sich dieselbe in jahrelanger Arbeit sorgfältig erarbeitet, dann hat diese Empfindung, dann haben diese Empfindungsnuancen jene Stärke, die Sie weiter-bringt als bloß diese Nuancen reichen; dann sind sie wahr durch ern­stes eifriges Studium geworden. Dann sind Sie nicht weit entfernt von dem, daß die Empfindungsnuance aufspringt und wirklich auch das vor Ihnen liegt, was Devachan ist. Denn wenn die Empfindungsnuance wahr erarbeitet ist, dann wird sie zur Wahrnehmungsfähigkeit. Daher sind, wenn wahr und wahrhaftig außerhalb aller Sensation nur auf Grundlage der Ehrlichkeit gearbeitet wird in unseren Zweigen, wenn geduldig geübt wird, diese Arbeitsstätten, was sie sein sollen: Schulen, um hinaufzuführen die Menschen in die Sphären der Hellsichtigkeit. Und nur derjenige, der das nicht erwarten kann oder nicht mitarbeiten will, kann über diese Dinge eine falsche Ansicht haben.

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VERBORGENE KRÄFTE DES SEELENLEBENS München, 27. Februar 1912

Wir haben in diesen Tagen mancherlei von dem Vorhandensein ver­borgener Seelentiefen gesprochen, und es ist unter allen Umständen gut, wenn wir gerade in bezug auf dieses Thema uns noch mit aller­lei Dingen beschäftigen, welche dem Schüler der Geisteswissenschaft nützlich sein können zu wissen. Im ganzen muß man sagen, daß ei­gentlich eine volle Aufklärung über diese Dinge nur möglich ist, wenn man sie herausarbeiten kann aus dem, was in der Geisteswissenschaft zunächst gegeben wird.

Nun haben wir ja alles das, was man die Gliederung des Menschen nennen könnte, von den verschiedensten Gesichtspunkten aus verfolgt. Es wird daher jedem leicht möglich sein, das, was von einem anderen Gesichtspunkt aus dann erscheint, wenn wir in die verborgenen Seelentiefen ein wenig hindeuten wollen, auf das Richtige zu beziehen im Hinblick auf die Gliederung des Menschen, wie wir sie kennen aus der mehr oder weniger elementaren Darstellung der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung.

Das ist wiederholt gesagt worden in diesen Tagen, daß man alles das, was unsere Vorstellungen, unsere Wahrnehmungen, unsere Wil­lensimpulse, unsere Gefühle und Empfindungen umfaßt, also kurz, alles das, was sich abspielt in unserer Seele in dem normalen Seelenzustand vom Aufwachen bis zum Einschlafen, nennen kann eben die Tätigkei­ten, die Eigentümlichkeiten, die Kräfte des gewöhnlichen Bewußtseins. Nun wollen wir einmal alles das, was in dieses gewöhnliche mensch­liche Bewußtsein hineinfällt, also alles das, was der Mensch weiß, fühlt, will vom Aufwachen bis zum Einschlafen, sozusagen graphisch da­durch darstellen, daß wir es in diese zwei Parallellinien einfassen.

Nicht wahr, es gehört ja dann in dieses Gebiet der beiden Parallellinien sowohl unser Vorstellen wie auch ein jegliches Wahrnehmen. Also wenn wir uns in Korrespondenz versetzen durch unsere Sinne mit der Außenwelt und uns dadurch in allen möglichen Sinneseindrücken ein Bild der Außenwelt verschaffen noch im Zusammenhang

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in Berührung mit der Außenwelt, so gehört das auch zu unserem gewöhnlichen Bewußtsein. Es gehören aber auch dazu alle unsere Ge­fühle und Willensimpulse, kurz, alles das, was unser gewöhnliches Bewußtsein umfaßt. Man möchte sagen, es gehört in diese Sphäre, die da dargestellt wird durch diese Parallellinien, alles das, worüber das normale Seelenleben im Alltag Auskunft zu geben vermag.

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Nun handelt es sich darum, daß wir ganz genau wissen, daß dieses sogenannte normale Seelenleben darauf angewiesen ist, sich der Werkzeuge des physischen Leibes zu bedienen, also aller der Werkzeuge, die die Sinne und das Nervensystem umfassen. Wenn wir diesen zwei Parallellinien zwei andere gegenüberstellen, so können wir sagen: Es entsprechen in unserem physischen Organismus die Sinnesorgane und das Nervensystem demjenigen, was wir nennen können Werkzeuge für dieses Bewußtsein, Sinnesorgane vorzugsweise, aber auch in einem ge­wissen Grade das Nervensystem.

Unter der Schwelle dieses gewöhnlichen Bewußtseins liegt nun alles das, was wir in diese Parallellinien einfassen und was wir bezeichnen können als die verborgenen Seiten des Seelenlebens oder aber auch als das Unterbewußtsein. Wir werden eine gute Vorstellung von alle­dem bekommen, was in diesem Unterbewußtsein sozusagen eingebettet ist, wenn wir uns erinnern, daß sich der Mensch durch die geistige Schulung aneignet Imagination, Inspiration, Intuition. So wie wir also Vorstellungen, Gefühle und Willensimpulse zu versetzen haben in das gewöhnliche Bewußtsein, so gehören Imagination, Inspiration und Intuition

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dem Unterbewußtsein. Wir wissen aber auch, daß ein Arbeiten des Unterbewußtseins nicht nur dann eintritt, wenn eine solche geistige Schulung vorhanden ist, sondern daß es auch eintreten kann wie ein altes Erbstück eines ursprünglichen, eines primitiven menschlichen Be­wußtseinszustandes, wie ein Atavismus. Da treten diejenigen Dinge auf, die wir als Visionen bezeichnen, und Visionen bei dem - wir können es so nennen - naiven Bewußtsein würden beim primitiven Bewußtsein entsprechen den schulgerecht ausgearbeiteten Imaginationen. Es treten auf Ahnungen; die wären primitive Inspirationen. Wir können gleich an einem bedeutsamen Beispiel anführen, welches der Unterschied zwi­schen einer Inspiration und einer Ahnung ist.

Wir haben ja schon öfter davon Erwähnung getan, daß im Laufe des 20. Jahrhunderts innerhalb der menschlichen Entwickelung das eintritt, was man eine Art geistige Wiederkunft des Christus nennen kann, und daß es eine Anzahl von Personen geben wird, welche das Hereinarbeiten des Christus in unsere Welt vom astralischen Plan her­unter in einer ätherischen Gestalt erleben. Man kann sich eine Erkennt­nis von dieser Tatsache dadurch verschaffen, daß man durch regel­rechte Schulung eben erkennt, wie der Gang der Entwickelung ist, und sozusagen in regelrechter Schulung dahin kommt, einzusehen, daß sich das so im 20. Jahrhundert zutragen müsse. Es können aber auch durch­aus, wie es ja in unserer Gegenwart vielfach vorkommt, Persönlichkei­ten da oder dort mit einem natürlichen primitiven Hellsehen begabt werden, welche sozusagen eine Art von dunkler Inspiration, die wir eben eine Ahnung nennen werden, von dem Herannahen des Christus haben. Vielleicht würden solche Persönlichkeiten nicht genau Bescheid wissen um das, worum es sich handelt; aber selbst eine so wichtige In­spiration kann durchaus in der Form einer Ahnung auftreten, wenn sich nun für das primitive Bewußtsein etwas ergibt, was nicht bei dem Ahnungs- oder visionären Charakter stehenbleibt. Die Vision ist das Hineinstellen irgendeines Bildes für einen geistigen Vorgang. Wenn zum Beispiel irgend jemand einen Menschen verloren hat, so daß dessen Ich durch die Pforte des Todes gegangen ist, nunmehr in der geistigen Welt verweilt, und eine Art Verbindung sich herstellt zwischen diesem und dem in dieser Welt Lebenden, so kann vielleicht der in dieser Welt

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Lebende durchaus nicht richtig wissen, was der Tote von ihm will, kann eine falsche Vorstellung von dem haben, was der Tote dort in sei­ner Seele erlebt. Aber die Tatsache, daß überhaupt ein solcher Zusammenhang da ist, stellt sich in einer Vision dar, die als Bild falsch, aber auf der richtigen Tatsache begründet sein kann, daß der Tote mit dem Lebenden eine Verbindung herstellen will. Das macht sich als Ahnung geltend. So daß der, der Ahnungen hat, sozusagen gewisse Dinge weiß, entweder für die Vergangenheit oder für die Zukunft, die im normalen Bewußtseinszustand nicht erreichbar sind. Wenn aber irgend etwas sich vor die menschliche Seele hinstellt in einer deutlichen Wahrnehmung, nicht bloß als eine Vision, die unter Umständen auch falsch sein kann, sondern als eine deutliche Wahrnehmung - sei es irgendein Vorgang in der Sinneswelt, aber so, daß man mit gewöhnlichen Sinnen die Sache nicht sehen kann, sei es ein Vorgang der übersinnlichen Welt -, so be­zeichnet man eine solche Erscheinung im Okkultismus mit einem be­stimmten Wort: Man spricht dann von der Deuteroskopie oder dem zweiten Gesicht. Damit aber habe ich Ihnen nur geschildert, was, sei es als Erreichbares in regelrechter Schulung, sei es wie eine natürliche Hellsichtigkeit auftretend, im Bewußtsein, wohl im Unterbewußtsein, aber eben in der menschlichen Seele selber vorgeht.

Nun unterscheidet sich aber alles, was hier in der menschlichen Seele selber vorgeht, wenn wir von dem Unterbewußtsein im Gegen­satz zum gewöhnlichen Bewußtsein reden, ganz beträchtlich von all den Vorgängen des gewöhnlichen Bewußtseins. Die Vorgänge des ge­wöhnlichen Bewußtseins sind gegenüber alldem, worauf sie sich eigent­lich beziehen, wirklich so, daß von der Ohnmacht des gewöhnlichen Bewußtseins gesprochen worden ist. Das Auge sieht eine Rose; aber dieses Auge, das an sich zwar so sich verhält, daß in uns die Vorstellung der Rose entsteht, ist für das gewöhnliche Bewußtsein mit all sei­ner Wahrnehmung und der Vorstellung von der Rose, sagen wir gegen­über dem Wachsen und dem Entstehen und Vergehen der Rose, ja ganz machtlos. Die Rose wächst und vergeht durch ihre Naturkräfte, aber das Auge vermag nichts, solange nur das gewöhnliche Bewußtsein wirkt, als die unmittelbare Gegenwart zu fassen. Nur diese ist seiner Wahrnehmung zugänglich. So ist es nun nicht bei den Tatsachen des

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Unterbewußtseins. Und das ist das, was wir zunächst festhalten müs­sen, denn es ist außerordentlich wichtig. Wenn wir durch unser Auge im normalen Sehen irgend etwas wahrnehmen, Farbenbilder oder sonst irgend etwas, so können wir nicht nur nichts ändern durch das Wahr­nehmen selber an dem objektiven Tatbestand, sondern, wenn nicht ir­gend etwas anderes gegenüber dem Auge auftritt als das bloße Sehen, so bleibt auch durch das Sehen das Auge unverändert. Erst wenn wir über die Grenze hinausgehen vom normalen Licht zum blendenden, verletzen wir das Auge. So daß wir sagen können: In den Tatsachen des normalen Bewußtseins wirken wir nicht einmal, wenn wir in die­sen verharren, auf uns selbst zurück. Unser Organismus ist eben so konstruiert, daß durch die Tatsachen des gewöhnlichen Bewußtseins auch nicht in uns selber gewöhnliche Veränderungen hervorgerufen werden.

Anders ist es mit dem, was im Unterbewußtsein auftritt. Nehmen wir einmal an, wir bilden uns eine Imagination, oder wir haben eine Vision. Nun nehmen wir an, diese Imagination oder Vision entspreche einem guten Wesen. Dieses gute Wesen ist dann nicht in der physisch sinnlichen Welt, sondern es ist in der übersinnlichen Welt, und wir wol­len jetzt die Welt, in der dann die Wesen sind, die wir etwa wahrnehmen durch eine Imagination oder Vision, zwischen diese zwei Parallellinien hineingerückt denken (siehe Schema S.100). In dieser Welt, die wir uns hier hineingerückt denken, wollen wir suchen alles das, was Gegenstand, Wahrnehmung, Objekt werden kann für das Unterbewußtsein. Wir wol­len zunächst noch nichts hineinschreiben in diesen Raum. Aber es ist nicht so, wenn wir irgend etwas, was in dieser Welt ist als ein schlechtes, als ein dämonisches Wesen im imaginären Bild oder in der Vision vor­stellen, daß wir zunächst in bezug auf dieses Wesen selber so machtlos sind, wie das Auge machtlos ist gegenüber der Rose. Wenn wir bei einer Imagination oder Vision eines schlechten Wesens das Gefühl entwik­keln, es soll von uns weichen, und wir tun dies bei der vollständig klaren, visionären, imaginativen Vorstellung, so muß das Wesen, das in dieser Welt ist, tatsächlich fühlen, wie wenn es mit einer Kraft von uns hinweggestoßen, hinweggeschoben würde. Ebenso ist es, wenn wir von einem guten Wesen eine entsprechende Imagination oder Vision

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haben. Auch da ist es so, daß wir, wenn wir ein Gefühl der Sympathie entwickeln, dieses Wesen in der Tat die Kraft in sich verspürt, an uns heranzukommen, sich mit uns zu verbinden. Alle Wesen, welche ir­gendwie in dieser Welt wohnen, spüren unsere Anziehungs- oder Ab­stoßungskräfte, wenn wir Visionen von ihnen entwickeln. So daß wir also mit unserem Unterbewußtsein in einer ähnlichen Lage sind, wie etwa das Auge wäre, wenn es nicht nur eine Rose sehen könnte, son­dern durch das einfache Sehen die Begierde entwickeln könnte, daß diese Rose ihm naht, und diese Rose an sich heranziehen könnte, oder wenn das Auge etwas Ekelhaftes sieht, daß es nicht nur zu dem Urteil kommen könnte: Dieses ist ekelhaft -, sondern dieses Ekelhafte ent­fernen könnte durch die bloße Antipathie. Mit einer Welt also steht das Unterbewußtsein in Berührung, auf welche Sympathie und Anti­pathie, die in der menschlichen Seele Platz greifen, wirken können. Das ist notwendig, daß wir uns dieses durchaus einmal vor die Seele führen.

Nun aber wirken die Sympathie und Antipathie, wirken überhaupt die Impulse, welche im Unterbewußten sind, nicht etwa bloß in der angedeuteten Weise auf diese Welt, sondern sie wirken auf das, was vor allen Dingen in uns selber drinnen ist, und was wir nun als einen Teil des menschlichen Ätherleibes - aber nicht nur als einen Teil des menschlichen Ätherleibes, sondern sogar als gewisse Kräfte des physischen Leibes - eingeschlossen denken müssen innerhalb dieser beiden Parallellinien. Innerhalb dieser beiden Parallellinien müssen wir uns nämlich dasjenige denken, was im Menschen lebt erstens als diejenige Kraft, welche das menschliche Blut durchpulst, das heißt die Wärmekraft des Blutes, und dann noch eine andere Kraft, die da liegt in un­serem mehr oder weniger durch unseren ganzen Organismus bedingten gesunden oder krankhaften Atem, also die mehr oder weniger gesunde Atemkraft, wir können sagen: die Verfassung der Atemkraft. Fernerge-hört zu alledem, worauf das Unterbewußtsein in uns selber wirkt, ein großer Teil dessen, was man den menschlichen Ätherleib zu nennen hat. In uns selber also wirkt unser Unterbewußtsein, oder wirken die ver­borgenen Kräfte des Seelenlebens so, daß beeinflußt wird unsere Blutwärme, und da von unserer Blutwärme abhängig ist die ganze Pulsation,

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die Lebhaftigkeit oder Trägheit unserer Blutzirkulation, so kön­nen Sie einsehen, daß mit unserem Unterbewußtsein in gewisser Weise zusammenhängen muß unsere ganze Blutzirkulation. Ob ein Mensch eine schnellere oder langsamere Blutzirkulation hat, das hängt im we­sentlichen mit den Kräften seines Unterbewußtseins zusammen.

Wenn nun die Wirkung auf alles das, was da draußen in der Welt liegt an dämonischen oder guten Wesen, nur dann auftritt, wenn der Mensch mit einer gewissen Deutlichkeit Visionen oder Imaginationen oder sonstiges Wahrnehmen im Unterbewußtsein hat, das heißt, wenn es gewissermaßen vor ihm steht, wenn dann nur durch Sympathie oder Antipathie gewisse Kräfte wie magisch wirksam werden in dieser Welt, so ist dieses deutliche Vor-die-Seele-Treten im Unterbewußtsein nicht notwendig für die Wirkung auf das Innere unseres eigenen Orga­nismus, das in dem besteht, was hier aufgeschrieben worden ist (siehe Schema). Ob der Mensch nun weiß oder nicht, welche Imaginationen entsprechen würden dieser oder jener Sympathie in ihm, diese Sympa­thie wirkt auf seine Blutzirkulation, auf sein Atemsystem, auf seinen Ätherleib ein. Nehmen wir also an, irgendein Mensch würde geneigt sein, eine gewisse Zeit hindurch nur Empfindungen des Ekelerregenden zu haben. Er würde, wenn er visionär oder imaginativer Erkenner wäre, gewisse Visionen oder Imaginationen, so wie das vorgestern geschildert worden ist, als Wahrnehmungen des eigenen Wesens vor sich haben. Das würde zwar hinausprojiziert sein in den Raum, aber es würde doch nur seiner eigenen Welt angehören. Es würden solche Visionen und Imaginationen das darstellen, was als Kräfte der Ekelgefühle in ihm lebt. Aber auch wenn der Mensch nicht in dieser Weise Selbsterkenntnis üben kann, sondern wenn er einfach solche Ekelgefühle hat, wenn sie in ihm leben, so wirken sie auf ihn selber. Sie wirken so, daß sie tatsächlich die Wär­mekraft seines Blutes und auch seine Atemkraft beeinflussen. So daß in der Tat ein Mensch einen mehr oder weniger gesunden Atem hat, daß er eine mehr oder weniger gesunde Blutzirkulation hat, je nachdem er diese oder jene Dinge in seinem Unterbewußtsein erlebt. Und na­mentlich ist die Tätigkeit des Ätherleibes, sind alle Vorgänge im Ätherleib in ihm abhängig von der Gefühlswelt, die in einem Menschen lebt.

Nun aber - und das zeigt sich, wenn die Tatsachen des Unterbewußtseins

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wirklich von der Seele erlebt werden - ist nicht nur dieser Zusammenhang da, sondern dadurch, daß dieser Zusammenhang da ist, wird auf die gesamte Verfassung des Menschen fortwährend eine Wir­kung ausgeübt, so daß es gewisse Gefühle, gewisse Empfindungen gibt, die ins Unterbewußtsein hinabspielen und dadurch, daß sie bestimmte Formen der Wärmekraft des Blutes, bestimmte Verfassungen der Atemkraft und des Ätherleibes hervorrufen, entweder fördernd auf den Or­ganismus einwirken, oder das ganze Leben hemmen, so daß durch das, was in das Unterbewußtsein hinabspielt, beim Menschen immer etwas entsteht oder vergeht. Der Mensch nimmt sich entweder Lebenskräfte, oder er fügt sich solche hinzu durch das, was er hinunterschickt aus seinem Bewußtseinszustand in die unterbewußten Zustände. Und wenn der Mensch an einer Lüge, die er begeht, Wohlgefallen hat oder auch nur Nachsicht in bezug auf sie, wenn er also vor der Lüge, die er be­geht, nicht Abscheu hat, was das normale Gefühl gegenüber der Lüge ist, sondern in bezug auf das Lügen lässig ist, oder sogar Wohlgefallen daran hat, so wird dasjenige, was Gefühlszusatz ist gegenüber dem, was man lügt, hinuntergeschickt in das Unterbewußtsein. Das, was hier in das Unterbewußtsein geht, das verdirbt die Blutzirkulation, die Atemverfassung und die Kräfte des Ätherleibes, und die Folge davon ist, daß der Mensch in bezug auf alles das, was ihm bleibt, wenn er durch die Pforte des Todes geht, sich durch dieses, was eben geschildert worden ist, verkümmert macht, daß er ärmer geworden ist an Kräften, daß etwas in ihm erstorben ist, was aufgelebt wäre, wenn der Mensch Abscheu, Ekelgefühl gehabt haben würde vor der Lüge, weil dies das normale Gefühl ihr gegenüber ist. Denn wäre hinuntergetaucht das, was Abscheugefühle sind gegenüber der Lüge, so würde sich das übertragen haben auf die Kräfte, die hier verzeichnet sind, und der Mensch würde etwas Förderndes, etwas von den Entstehungs­kräften in seinen Organismus hineingeschickt haben (siehe Schema).

So sehen wir also, wie in der Tat der Mensch dadurch, daß von seinem Oberbewußtsein, von seinem gewöhnlichen Bewußtsein fort­während Kräfte abgegeben werden an sein Unterbewußtsein, aus die­sem Unterbewußtsein heraus zunächst an seinem Entstehen und Ver­gehen arbeitet. Der Mensch ist allerdings, so wie er heute ist, noch

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nicht mächtig genug, um auch von der Seele aus sozusagen andere Glieder seines Organismus als gerade nur die Blutzirkulation und Atemverfassung und den Ätherleib zu verderben; er kann nicht auch die gröberen und festeren Teile seines physischen Organismus damit verderben. Der Mensch ist nur in bezug auf einen Teil seiner Organisation in der Lage, sich sozusagen zu verderben. Besonders deutlich aber tritt das, was da verdorben wird, dann hervor, wenn dasjenige, was übrigbleibt vom Ätherleib - denn der Ätherleib steht in fort­währendem Zusammenhang mit der Wärmekraft des Blutes und der Atemverfassung -, in dieser Weise beeinflußt worden ist: Dann verkümmert es durch schlechte Gefühle. Es bekommt aber in sich befruch­tende, verstärkende, befördernde Kräfte durch gute, normale, echte Ge­fühle. Wir können also sagen, daß der Mensch durch das, was sich in seinem Unterbewußtsein abspielt, unmittelbar an Entstehen und Ver­gehen, das heißt, an dem realen Geschehen, an der Wirklichkeit seines Organismus arbeitet, daß er untertaucht von der Region der Ohnmacht des gewöhnlichen Bewußtseins in jene Region, wo etwas entsteht und vergeht in der eigenen Seele und dadurch in der Gesamtorganisation des Menschen.

Nun haben wir gesehen, wie dadurch, daß das Unterbewußtsein mehr oder weniger für unsere Seele erlebbar wird, etwas gewußt wird von ihm, es auch Einfluß erhält auf eine Welt, die, wenn wir einen Ausdruck gebrauchen, der durch das ganze Mittelalter hindurch ge­braucht worden ist, genannt werden kann die elementarische Welt. Doch kann der Mensch nicht direkt in irgendeine Beziehung treten zu dieser elementarischen Welt, sondern nur auf dem Umweg, daß er zu­nächst in sich selbst diese Erlebnisse hat, die als Wirkungen des Unterbewußtseins sich auf den Organismus ergeben. Wenn aber der Mensch eine Zeitlang so sich selber kennengelernt hat, daß er weiß: Wenn du dieses fühlst, dieses oder jenes aus dem, wie du dich benimmst, in dein Unterbewußtsein hinunterschickst, da zerstörst du gewisse Dinge und verkümmerst sie; wenn du andere Dinge erlebst und hinunterschickst gewisse Erlebnisse davon, dann förderst du dich -, wenn der Mensch dieses Aufundabwogen von zerstörenden und fördernden Kräften in sich selber erlebt eine Zeitlang, dann wird er an Selbsterkenntnis immer

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reifer und reifer. Das ist eigentlich die wahre Selbsterkenntnis. Vergleichen läßt sie sich eigentlich nur mit einem Bild. Man gewinnt näm­lich auf diese Weise eine Selbsterkenntnis, die wirklich so ist, wie wenn wir, durch eine Lüge und durch ein nicht richtiges Empfinden gegen­über einer Lüge, wenn sie in unseren Trieben aufsteigt, sogleich her­beiführen würden, daß uns ein Skorpion eine Zehe abbeißt: Man kann überzeugt sein, daß beim Wahrnehmen einer solchen realen Wirkung die Menschen weniger lügen würden, als sie es tun. Wenn also unmittel­bar in der physischen Welt herbeigeführt würde eine Verstümmelung unseres physischen Organismus, so wäre das zu vergleichen mit dem, was nun wirklich geschieht in bezug auf das, was man gewöhnlich nicht wahrnimmt, durch das, was von diesen täglichen Erlebnissen ins Unterbewußtsein hinuntergeschickt wird. Was von einer lässigen Empfindung einer Lüge gegenüber hinuntergeschickt wird, das ist so, daß es uns etwas abbeißt, etwas wegnimmt, was wir dann nicht mehr haben, wodurch wir verkümmert sind, was wir uns erst dann im weiteren Karma wieder aneignen müssen. Und wenn wir eine richtige Empfin­dung hinuntersenden in das Unterbewußtsein - es ist natürlich eine tausendfältige Skala der Empfindungen zu denken, die also hinunter tauchen können -, dann wachsen wir an uns selber, bilden uns neue Lebenskräfte in unseren Organismus hinein. Dieses Zuschauen seinem Ent­stehen und Vergehen, das ist es, was bei einer wirklichen Selbsterkennt­nis zunächst im Menschen auftritt.

Nun ist mir gesagt worden, daß nicht gut verstanden worden sei vorgestern, wie man unterscheiden könne eine wirkliche Vision oder Imagination, die einem Objektiven angehört, von dem, was bloß sich in den Raum hinausstellt und unserem Subjektiven angehört. Ja, man kann nicht sagen: Schreibe dir diese oder jene Regel auf, dann wirst du unterscheiden können. - Solche Regeln gibt es nicht. Sondern man lernt das nach und nach durch die Entwickelung. Und richtig unter­scheiden zwischen dem, was nur uns selber angehört, und dem, was als äußere Vision einer wirklichen Wesenheit angehört, kann man erst dann, wenn man das durchgemacht hat, daß man das fortwährende Angefressenwerden durch tötende unterbewußte Vorgänge an sich er­fahren hat. Dann ist man mit einer gewissen Sicherheit ausgestattet.

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Dann tritt aber auch der Zustand ein, wo man immer bewirken kann, daß man sich einer Vision oder Imagination gegenüberstellt und sich sagt: Kannst du durch die Kraft deines geistigen Schauens durch­schauen, bleibt die Vision stehen; wenn man die aktive Kraft des Hin­schauens entwickelt, so entspricht sie einer objektiven Tatsache. Löscht die aktive Kraft des Hinschauens die Vision aus, dann gehört sie nur uns selber an. So kann ein Mensch, der in dieser Beziehung nicht acht­gibt, meinetwillen tausend und aber tausend Bilder von der Akasha­-Chronik vor sich haben; wenn er die Prüfung nicht anstellt, ob es aus­gelöscht wird oder nicht, bei einem absolut aktiven Hinschauen, dann gelten die Akasha-Bilder, die noch so sehr Tatsachen erzählen können, nur so, daß wir sie ansehen können als Bilder für das eigene Innere. Und es könnte geschehen - ich sage, es könnte geschehen -, daß irgend je­mand nichts anderes schaut als sein eigenes Inneres, und daß dieses sich projiziert in ganz dramatischen Bildern, die er ausgedehnt denkt meinetwillen durch die ganze atlantische Welt, durch Generationen von Menschenentwicklung hindurch. Das braucht unter Umständen nichts anderes zu sein, auch wenn es scheinbar mit noch so großer Objektivität auftritt, als nur ein Hinausprojizieren des eigenen Inneren.

Nun, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist, dann tritt in ihm unter allen Umständen das ein, daß die Hindernisse nicht mehr da sind, durch welche Subjektives, das in ihm lebt, zur objektiven Vision oder Imagination wird. Im gewöhnlichen gegen­wärtigen Menschenleben wird ja das, was der Mensch innerlich unter­bewußt erlebt, was er hinunterschickt in sein Unterbewußtsein, nicht immer Vision und Imagination. Imagination wird es bei regelrechter Schulung, Vision bei atavistischer Hellsichtigkeit. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist, dann wird das gesamte Innere sofort eine objektive Welt, dann ist es da. Und Kamaloka ist im wesent­lichen nichts anderes als eine Welt, die um uns herum aufgebaut ist aus dem, was in unserer eigenen Seele erlebt wird; erst im Devachan wird es geradezu umgekehrt. So können wir leicht einsehen, daß das, was ich in bezug auf Wirksamkeit der in den Visionen, Imaginationen, Inspirationen, Ahnungen und so weiter vorhandenen Sympathie und Antipathie gesagt habe, unter allen Umständen wirkt auf die objektive

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elementarische Welt. Ich habe in bezug auf diese Wirksamkeit gesagt:

Bei dem Menschen, der im Physischen verkörpert ist, wirkt nur das, was er bis zur Vision und Imagination bringt, auf diese elementarische Welt. Bei dem Toten wirken die Kräfte, die im Unterbewußtsein vorhanden waren, und die dann auch immer mitgenommen werden, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geschritten ist, in die elementa­rische Welt hinein. - Alles das, was der Mensch erlebt nach dem Tode, spielt also in die elementarische Welt durchaus hinein. Ebenso wie erregte Wellen in einem Fluß wie Luftströmungen sich fortpflanzen, mit derselben Sicherheit pflanzen sich die Erlebnisse des Toten in der Ele­mentarwelt weiter fort. Daher ist die elementarische Welt fortwährend erfüllt von dem, was erregt wird in dieser elementarischen Welt durch das, was Menschen sich aus ihrem Unterbewußtsein mitnehmen, wenn sie durch die Pforte des Todes schreiten. Es handelt sich daher auch immer nur darum, daß wir in die Lage kommen, Bedingungen herbeizuführen, die Dinge in der elementarischen Welt zu sehen, wahrzu­nehmen. Der Hellsichtige ist so, daß man sich ihm gegenüber gar nicht zu verwundern braucht, wenn er die Dinge, die in der elementarischen Welt vorkommen, in der richtigen Weise als Wirkungen der Toten re­kognosziert. Aber man kann, wie Sie sehen werden, bis in die physische Welt hinein - allerdings unter gewissen Voraussetzungen - diese Wir­kungen der Erlebnisse der Toten verfolgen, die sich ja zunächst in der elementarischen Welt ausleben. Wenn nämlich der Hellseher selber alles das, was ich beschrieben habe, durchgemacht hat und gekommen ist bis dahin, wo er die elementarische Welt wahrnimmt, dann gelangt er nach einer gewissen Zeit dazu, merkwürdige Erlebnisse haben zu können.

Nehmen wir an, ein Hellseher mache folgenden Gang durch: Zu­nächst kann er, sagen wir, eine Rose ansehen. Er sieht sich diese Rose mit dem physischen Auge an. Wenn sie der Hellseher so ansieht, so be­kommt er den sinnlichen Eindruck. Nehmen wir nun an, der Hellseher habe sich dazu erzogen, an der roten Farbe ein ganz bestimmtes Gefühl von ganz bestimmter Schattierung zu empfinden. Das ist notwendig, sonst geht die Sache nicht weiter. Ohne daß man an Farben und Tönen ganz bestimmte Gefühlsnuancen erlebt, geht dieses Hellsehen, das auf

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äußere Gegenstände gerichtet ist, nicht weiter. Nehmen wir an, er legt die Rose beiseite. Dann würde, wenn er kein Hellseher wäre, das, was er empfunden hat, untergetaucht sein in das Unterbewußtsein und wäre da unten, würde arbeiten an seiner Gesundung oder Erkran­kung. Wenn er aber ein Hellseher ist, so wird er nun wahrnehmen, wie die Imagination der Rose in sein Unterbewußtsein wirkt, das heißt, er wird ein visionäres Bild haben, eine Imagination von der Rose. Er wird zugleich wahrnehmen, wie das, was er an der Rose emp­findet, fördernd oder zerstörend wirkt auf seinen Ätherleib oder auch auf das, was hier vom physischen Leib gesagt worden ist. Er wird bei allem die Wirkung auf seine eigene Organisation wahrnehmen. Wenn er die Imagination nun hat, so wird er dadurch eine Anziehungskraft ausüben können auf diejenige Wesenheit, die wir die Gruppenseele der Rose nennen können, die der Rose zugrunde liegt. Er wird also hin­einschauen in die elementarische Welt, und die Gruppenseele der Rose, insoferne sie als diese in der elementarischen Welt drinnen lebt, sehen. Wenn aber der Hellseher nun noch weitergeht - also ausgegangen ist vom Anblick der Rose, die Rose weggegeben hat und den inneren Vor­gang verfolgt des Hingegebenseins an die Rose und der Wirkungen daraus, und dazu gekommen ist, etwas zu sehen von der Rose in der elementarischen Welt -, so sieht er an der Stelle, wo die Rose ihm er­schien, eine Art von ganz wunderbar leuchtendem Bild, das der ele­mentarischen Welt angehört. Dann aber, wenn man den Vorgang bis hierher verfolgt hat, dann tritt etwas ein. Man kann absehen von dem, was man vor sich hat, man kann sich selber befehlen: Sieh das mit deiner inneren Schauung nicht, was du wie ein in die Welt hinausgehendes lebendiges Ätherwesen hast! Dann tritt das Eigentümliche auf, daß der Hellseher etwas sieht, was durch sein Auge geht und was ihm zeigt, wie die Kräfte wirken, die aus dem Ätherleib des Menschen heraus das Auge aufbauen, er sieht diejenigen Kräfte, die zu den aufbauenden Kräften seines eigenen physischen Leibes gehören. Er sieht geradezu sein physisches Auge, wie er sonst einen äußeren Gegenstand sieht. Das ist in der Tat etwas, was auftreten kann. Man kann den Weg machen von dem äußeren Gegenstand bis zu dem Punkt, wo man in sonst absolut dunklem Raum - man darf keine andere Sinneswahrnehmung

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in sich einlassen - das wahrnimmt, wie das Auge ausschaut in einem geistigen Bild. Man sieht sein inneres Organ selber. Dann ist man nämlich in diese Region hieher gekommen, und diese Region ist das, was in Wahrheit das Schaffende in der physischen Welt ist: die schöpferische physische Welt (siehe Schema). Man nimmt sie zuerst wahr, indem man wahrnimmt seine eigene physische Organisation. Man macht also den Weg zu sich selber wieder zurück. Was hat denn in unser Auge solche Kräfte hineingeschickt, daß wir förmlich unser Auge so sehen, als wenn Lichtstrahlen ausgehen, die ganz eigentlich dem Wesen des Sehens erst entsprechen? - Dann sehen wir das Auge in einer Art von gelbem Schein begrenzt; wir sehen das Auge in uns selber eingeschlossen. Das hat bewirkt der ganze Verlauf der Kräfte, die end­lich den Menschen bis hierher gebracht haben.

Denselben Verlauf machen nun Kräfte, welche von einem Toten ausgehen können. Der Tote nimmt den Inhalt seines Unterbewußtseins in die Welt mit, die er durchlebt, nachdem er durchgeschritten ist durch die Pforte des Todes. So wie wir hineinkommen in unser eigenes phy­sisches Auge, so kommen die Kräfte, welche der Tote aussendet, aus der elementarischen Welt zurück in die physische Welt. Der Tote erlebt vielleicht eine besondere Sehnsucht nach irgendeinem Menschen, den er zurückgelassen hat. Diese besondere Sehnsucht ist zunächst im Unterbewußtsein. Sie wird sogleich zu einer lebendigen Vision, durch diese wirkt er auf die elementarische Welt. In der elementarischen Welt wird das, was hier bloß lebendige Vision ist, zugleich zur Kraft. Diese Kraft nimmt den Weg, der ja angegeben ist durch die Sehnsucht nach dem Lebenden, und wenn die Möglichkeit vorhanden ist, so poltert es in der physischen Welt, in der Nähe des Lebenden: Sie hören irgendwelche Poltertöne oder dergleichen, die Sie durchaus so wahr­nehmen, wie Sie irgendeine physische Sache wahrnehmen. Gerade diese Dinge, die von einem solchen Zusammenhange herrühren, würden viel mehr Menschen überhaupt in der Welt wahrnehmen als gewöhnlich, wenn die Menschen nur achtgeben würden auf die Zeiten, die am günstigsten sind solchen Einwirkungen. Die gunstigsten Zeiten dafür sind die des Einschlafens und Aufwachens. Und eigentlich geben die Menschen nur nicht darauf acht, aber solche Menschen kann es eigentlich

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gar nicht geben, die noch niemals Kundgebungen aus der über­sinnlichen Welt in den Übergängen zwischen Einschlafen und Auf­wachen wahrgenommen haben, als irgendwelche Poltertöne bis zu Worten.

Das, meine lieben Freunde, wollte ich Ihnen heute andeuten aus dem Grunde, weil ich eben zeigen wollte in wirklicher Realität, wie der Zusammenhang ist zwischen dem Menschen und der Welt. Macht­los und wie ohne realen Zusammenhang mit dieser Sinneswelt selber ist das, was der Mensch im gewöhnlichen Bewußtsein von einer objektiven Sinneswelt hat. Aber sobald das, was der Mensch erlebt, hinuntergeht ins Unterbewußtsein, wird gleich ein Zusammenhang hergestellt mit Realitäten. Die Ohnmacht des vorherigen Bewußtseins geht in eine feine Magie über. Und wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist, befreit ist vom physischen Leib, so sind seine Erlebnisse so, daß sie in eine elementarische Welt hineinspielen und unter günsti­gen Verhältnissen bis in die physische Welt hineinwirken und da auch von dem gewöhnlichen Bewußtsein wahrgenommen werden können.

Ich habe Ihnen den einfachsten Fall angegeben, der stattfinden kann, weil man doch einmal beim einfachsten Fall anfangen muß. Selbstverständlich werden wir im Laufe der Zeit, wie wir uns immer Zeit gelassen haben, das, was wir zu wissen brauchen, nach und nach zu erarbeiten, auch zu komplizierteren Dingen übergehen, die uns sozusagen in die intimeren Zusammenhänge zwischen Welt und Menschen führen können.

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DIE DREI WEGE DER SEELE ZU CHRISTUS Erster Vortrag, Stockholm. 16. April 1912

Wir werden an diesen zwei intimeren Abenden zu sprechen haben über eine Frage, über eine Angelegenheit der Menschheit, welche in einer zweifachen Beziehung ganz außerordentlich tief in unsere Seelen ein­greift, einmal darum, weil die Christus-Frage ja eine solche ist, welche nun schon zwei Jahrtausende hindurch nicht etwa bloß zahlreiche Seelen der Erde beschäftigt hat, sondern aus welcher für zahlreiche Erdenseelen geflossen ist geistiges Lebensblut, seelische Kraft, Trost und Hoffnung im Leiden, Stärke und Sicherheit im Handeln. Und nicht allein das, sondern wenn wir in Betracht ziehen alles dasjenige, was wir an äußerer, exoterischer Kultur um uns herum haben, was ge­schaffen haben viele Jahrhunderte, dann sehen wir bei tieferer Er­kenntnis, daß alles das unmöglich gewesen wäre, wenn der Christus-Impuls nicht einen großen Teil der Menschheit ergriffen hätte. Dies ist die eine Überlegung, die uns zeigt, welch starkes Interesse die Christusfrage bieten muß, wenn wir nun mit den Erkenntnissen der Anthroposophie uns der Christus-Frage nahen. Dies ist nur die eine Seite des Interesses, welches wir diesem Problem entgegenbringen; die andere Seite des Interesses, sie kommt aus den besonderen seelischen und geistigen Verhältnissen gerade unserer Zeit, unserer Epoche. Wir brauchen nur herumzuschauen in der Welt und verstehen wollen die Sehnsuchten, das Suchen der menschlichen Seele, und wir werden uns sagen können: Immer mehr suchen die menschlichen Seelen nach et­was, was mit dem Namen des Christus verbunden worden ist in den Seelen durch die Jahrhunderte hindurch, und immer mehr kommen die Seelen zu der Überzeugung, daß Erneuerung der Wege, Erneuerung des Interesses, Vertiefung der Erkenntnisse nötig sei, wenn die Bedürf­nisse der menschlichen Seelen, so wie sie stets mehr kommen werden in bezug auf den Christus, befriedigt werden sollen. Finden wir auf der

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einen Seite ein Lechzen nach Aufschlüssen über den Christus, so fin­den wir auf der anderen Seite bei zahlreichen Seelen der Gegenwart Bedenklichkeit und Unsicherheit in bezug auf die bisherigen Mittel. Und so ist denn gerade diese Frage, wegen der Sehnsucht eine Antwort haben zu müssen und wegen der Unsicherheit die Wahrheit zu erfahren, eine der brennendsten in der Gegenwart.

Selbstverständlich ist es daher, daß eine geistige Bewegung, die tiefer in die spirituellen Grundlagen hineindringt, die Aufgabe hat, über diese Frage Klarheit zu schaffen. Stehen heute die Dinge so, in verhältnismäßig kurzer Zeit, wahrhaftig in recht kurzer Zeit werden sie noch ganz anders stehen! Wenn wir ein wenig unegoistisch auf dasjenige sehen, was in bezug auf den Christus die Menschen bedürfen werden, die Nachkommen sind unserer Zeit, dann werden wir uns sagen müssen: Wenn auch viele Menschen der Gegenwart aus dem, was da ist, Befriedigung schöpfen, so werden doch immer mehr die Seelen sich unsicher fühlen, und immer mehr werden sie lechzen nach Aufschlüssen. So sprechen wir, wenn wir von dem Christus heute sprechen, von dem, wovon wir voraussehen, daß es notwendig für die Menschen einer ganz nahen Zukunft sein wird. Anthroposophie würde ihre Auf­gabe nicht erfüllen, wenn sie sich nicht in die Lage versetzen würde, mit ihren Erkenntnissen Klarheit zu schaffen über diese Punkte, inso­weit das heute möglich ist.

Mein Ausgangspunkt soll sein, hinzuweisen auf die drei Wege, auf denen nach dem Gange der Menschheitsentwickelung die Seele zum Christus gelangen kann. Wenn man von den drei Wegen spricht, muß man auch kurz hinweisen auf den ersten Weg, der heute kein Weg mehr ist, es aber war; der heute kein exoterischer Weg sein muß, so wie ge­rade in unserer Zeit der anthroposophische Weg es ist, der aber ein Weg war für Millionen von Seelen durch die Jahrhunderte hindurch. Dieser erste Weg ist der durch die sogenannten christlichen Urkunden, durch die Evangelien. Dieser Weg war für Millionen und aber Millio­nen von Menschen und ist noch heute für unzählige Menschen der einzig mögliche. Der zweite Weg, auf dem die Menschenseele den Chri­stus suchen kann, ist der, den man nennen kann den Weg durch innere Erfahrung, den vorzugsweise zahlreiche Seelen in der Gegenwart und

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in der nächsten Zukunft aus ihrer besonderen Beschaffenheit und ihren besonderen Eigenschaften heraus gehen müssen. Der dritte Weg ist der, welcher wenigstens begonnen werden kann verstanden zu werden in unserer Zeit von der anthroposophischen Bewegung aus, der Weg durch die Initiation. - So gibt es also drei Wege zum Christus: erstens den Weg durch die Evangelien, zweitens den Weg durch die innere Erfah­rung und drittens den Weg durch die Initiation.

Der erste Weg, der durch die Evangelien, braucht hier zunächst nur kurz charakterisiert zu werden. Wir wissen ja alle, daß die Evange­lien im Laufe der Jahrhunderte die Herzens- und Seelennahrung ge­worden sind für unzählige Menschen. Wir wissen auch, wie die aufge­klärtesten, die kritischsten Naturen - und das sind nicht die irreli­giösen - beginnen, kein Verhältnis mehr zu haben zu diesem Weg, weil geltend gemacht wird, daß heute aus einem außeren Wissen nicht zu erkennen sei, welche historischen Tatsachen eigentlich hinter dem ste­hen, was die Evangelien erzählen. Würden die Menschen der vergan­genen Jahrhunderte die Evangelien gelesen haben, wie sie heute etwa ein Gelehrter liest, ein Mensch, der durch die heutige naturwissenschaft­liche Bildung gegangen ist, es würden die Evangelien nicht die gewal­tige Wirkung haben ausüben können, die Lebenswirkung, die von ihnen ausgegangen ist. Nun, wenn die Evangelien nicht so, wie der heutige gebildete Mensch sie liest, in den verflossenen Jahrhunderten gelesen worden sind, wie sind sie dann gelesen worden? - Nachzudenken von vorneherein, was sich zugetragen habe in Palästina im Anfange unserer Zeitrechnung, daran haben die Evangelienleser von früheren Jahrhunderten nicht gedacht, und daran denken auch jetzt noch zahlreiche Evangelienleser nicht. Diejenigen, die beginnen in den Evangelien zu prüfen, was sich vor den Augen der Bewohner von Palästina zugetra­gen habe im Anfange unserer Zeitrechnung, werden irre an dem histo­rischen Charakter der Ereignisse von Palästina. So haben die Menschen der vorigen Jahrhunderte nicht gelesen. So haben sie gelesen, daß sie wirken ließen auf ihre Seelen ein Bild, wie zum Beispiele die Samari­terin am Brunnen, oder Christus seinen Jüngern die Bergpredigt hal­tend. An die Frage nach der äußeren physischen Realität dachten die Evangelienleser von vorneherein nicht. Wie ihnen das Herz aufging,

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wie die Empfindungen spielten bei diesen großen, gewaltigen Bildern, das war diesen Menschen die Hauptsache. Dann war ferner die Hauptsache, was im Herzen sich bildete, was sie an Kraft, an Lebenssinn aus diesen Bildern gewannen. Sie fühlten, daß ihnen geistiges Lebensblut, Stärke zufloß aus diesen Bildern. Wenn sie diese Bilder auf ihre Seelen wirken ließen, dann fühlten sie sich stark; sie fühlten, daß sie schwach sein müßten ohne diese Bilder. Und dann fühlten sie lebendige, per­sönliche Beziehungen zu dem, was in den Evangelien erzählt wird, dann fiel ihnen die Frage nach der historischen Realität nicht weiter auf. Realität waren die Evangelien selber, sie waren als Kraft da, man brauchte nicht zu fragen, woher sie kamen; man wußte, daß Leute sie geschrieben haben nicht mit irdischen Mitteln, sondern mit Im­pulsen aus den geistigen Welten. Ich behaupte nicht, daß man nun heute auch so fühlen muß - was man muß, hängt ab von der Entwicke­lung der Menschheit -, sondern ich behaupte, daß das Fühlen der Men­schen so war durch die Jahrhunderte hindurch.

Warum konnte es so sein? Nun, darüber unterrichtet uns erst jetzt die Geisteswissenschaft. Wenn wir beginnen, die Evangelien geisteswissenschaftlich zu verstehen und versuchen einzudringen in das, was herunterfließend aus geistigen Welten in den Evangelien enthalten ist, so stehen wir so vor den Evangelien, daß wir sagen: Wir erkennen aus den geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen heraus, ganz unabhängig von diesen Evangelien, dasjenige, was geschehen ist in der Menschheits­entwickelung mit dem Christus-Impuls, und finden dann das, was in den Evangelien enthalten ist, unabhängig von ihnen. Wie fassen wir daher geisteswissenschaftlich die Evangelien?

Wenn ich einen einfachen Vergleich gebrauchen darf, so könnte ich sagen: Nehmen wir an, ein Mensch habe sich Aufklärung verschafft über eine Sache. Mit dieser Aufklärung begegnet er einem zweiten Menschen und beginnt mit diesem zu sprechen. Er will zunächst gar nicht voraussetzen, daß der andere etwas davon weiß, wovon er sich Aufklärung verschafft hat; aus dem Gespräch merkt er aber: der weiß das ebensogut wie ich. Was ist dann vernünftig, anzunehmen? Das Vernünftige ist, anzunehmen, daß der andere sich aus denselben oder ähnlichen Quellen Aufklärung verschafft hat. So geht es auch

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mit den Evangelien. Wir können das tun, von welchem Standpunkte wir auch immer an die Evangelien herankommen. Es könnte eine Ge­sellschaft begründet werden von Menschen, die in der geschilderten Art Leser der Evangelien sind. Dann könnten in einer solchen Gesell­schaft auch solche sein, die von vorneherein ganz Gegner der Evan­gelien sind und die sagen: Prüfen wir diese Evangelien nach den Metho­den der äußeren Wissenschaft, so finden wir, daß diese Evangelien viel später geschrieben sind als die Ereignisse von Palästina geschehen sein können; die Berichte widersprechen einander, kurz, diese Evange­lien können nicht als historische Urkunden gelten. - Solche Menschen könnten auch da sein in einer solchen Gesellschaft und man könnte doch sagen: Gut, lassen wir die Evangelien zunächst in Ruhe, aber forschen wir in den übersinnlichen Welten! - Und treiben wir wahrhafte Geistesforschung, gewinnen wir wahrhafte übersinnliche Er­kenntnisse, so würden wir finden können, daß im Laufe der Mensch­heitsentwickelung einmal eingetreten ist ein gewaltiger Impuls, der aus den geistigen Welten heraus als Impuls in die Menschheitsentwickelung eingeschlagen hat, von dem Ungeheures ausgegangen ist für die Menschheitsentwickelung, und dann würden wir sehen, daß dieser Impuls zunächst ergriffen hat einen besonders dazu geeigneten Menschen im Beginne unserer Zeitrechnung. Dies alles und viele andere Erkenntnisse, die sich angliedern an diese Erkenntnis und die wir nur aus übersinn­licher Forschung schöpfen, wir würden sie haben und es könnten sie diejenigen, die von den Evangelien nichts wissen wollen, ebenso wie die anderen haben. Dann kann man an die Evangelien herangehen und sagen: Nun gut, wir haben uns zunächst gar nicht bekümmert um diese Evangelien; merkwürdig, wenn wir sie vorsichtig lesen, dann sehen wir, daß darinnen ist, was wir unabhängig von ihnen auf geisteswis­senschaftlichem Felde finden. Jetzt erkennen wir ihren Wert von ganz anderer Seite her. - Dann sind wir uns klar darüber, daß das nicht anders sein kann, daß diejenigen, die die Evangelien geschrieben ha­ben, aus derselben Quelle schöpfen, die sich nun öffnet durch die spiri­tuelle Bewegung für die Menschheit. Das ist gerade dasjenige, vor dem wir stehen, das immer mehr kommen wird, das sich Geltung verschaf­fen wird für die Schätzung der Evangelienurkunden. Wenn das so ist,

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so müssen wir sagen: Die Menschen werden auf anderen Wegen das finden können, was aus diesen Urkunden erkannt werden kann. Und so beginnen uns diese Erkenntnisse immer mehr und mehr heilig zu werden durch die spirituellen Erkenntnisse der Gegenwart. Sie wirkten schon durch die Kraft der Evangelien. Weil die Evangelien durch­tränkt sind mit den heiligsten Erkenntnissen, den geistigsten Impulsen der Menschheit, darum wirkten sie auch da, wo man sie naiv hinnahm. Geistige Erkenntnisse wirken nicht nur abstrakt, nicht nur in der Theo­rie, sondern da, wo sie sind, wirken sie als Lebenskraft, als seelisches Lebensblut. Und immer mehr und mehr wird man erkennen, wie Trost und Kraft und Sicherheit aus diesen Erkenntnissen fließen.

Wenn wir dagegen von dem inneren Wege zum Christus sprechen, dann begegnen wir immer mehr und mehr Dingen, welche erst ver­standen und empfunden werden können in der Gegenwart, wenn man mit richtigem geisteswissenschaftlichem Verständnis an sie herantritt. Es soll versucht werden, von der inneren Christus-Erfahrung so zu spre­chen, daß man sehen kann, wie sie in jedem Menschen, von irgendeiner Überlieferung unabhängig, sich einstellen kann. Allerdings müssen wir dazu die menschliche Wesenheit betrachten mit den Erkenntnissen, die wir durch Geisteswissenschaft gefunden haben. Wenn wir uns vertiefen in diese Erkenntnisse, dann finden wir, daß auch die elementarsten Erkenntnisse fruchtbar werden, wenn wir sie anwenden auf das Leben. Es zeigt sich uns, daß man herauskommt aus der abstrakten Schematik über die sieben Glieder des Menschen, wenn man das Werden und Ent­stehen des Menschen ins Auge faßt. Der physische Menschenleib hat seine besondere Entwickelung in den ersten sieben Lebensjahren. Wir merken ferner, daß in den zweiten sieben Lebensjahren, vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, im Menschenwesen die Kräfte des ätherischen Leibes spielen. Dann beginnen im Menschen die Kräfte des astralischen Leibes zu spielen, und dann erst, um das zwanzigste oder einundzwanzigste Jahr herum, beginnt - je nachdem, wie seine ganze Organisation ist und je nachdem, wie die Kräfte in ihm sind - das­jenige im Menschen, was auftritt als Ich, als Träger des Ich mit der Kraft, die es eigentlich hat durch seine Organisation für das gesamte Leben des Menschen als Träger des Ich. Es wird eigentlich in unserer

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heutigen Zeit noch nicht viel bemerkt, daß der Träger des Ich erst recht lebensfähig wird im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahre, weil die Gegenwart noch nicht geneigt ist, auf diese Dinge zu achten.

Was heißt das, daß der Träger des Ich erst recht regsam wird im zwanzigsten oder einundzwanzigsten Jahre? Da muß man mit den Mitteln des Okkultismus den werdenden Menschen betrachten und seine tieferen Organisationskräfte schauen. Seine Organisationskräfte ändern sich fortwährend: Von der Geburt bis zum siebenten Jahre, vom siebenten Jahre bis zur Geschlechtsreife, von der Geschlechtsreife bis zur Ich-Entwickelung. Sie ändern sich aber so, daß man sie nicht mit den Mitteln der gewöhnlichen Physiologie oder Anatomie prüfen kann. Wohl aber kann man sie mit den Mitteln des Okkultismus erkennen und man kann sagen: Erst um das zwanzigste Jahr herum entwickelt der Mensch die Kräfte so, daß ein vollständig sich selber angemessener Ich-Träger da ist. Vorher ist dieser Ich-Träger noch nicht ausgebildet. Vorher ist die menschliche Leiblichkeit, auch die übersinnliche, noch kein richtiger Ich-Träger. Wenn wir also die Glieder des Menschen be­trachten aus dem großen Weltenprinzipe heraus, so müssen wir sagen:

So richtig reif, ein Ich zu entwickeln aus sich selber heraus, wird der Mensch durch die Eigentümlichkeit seiner Organisation erst im zwan­zigsten und einundzwanzigsten Jahre, nicht früher.

Dieser Tatsache können wir eine andere entgegensetzen, nämlich die, daß wir in den ersten Lebensjahren, bei normalem Bewußtsein, uns förmlich ins Leben hineinträumen, hineinschlafen, und daß erst von einem bestimmten Zeitpunkte an das Leben so verläuft, daß die eigene Erinnerung beginnt. Von dem, was vor diesem Zeitpunkte war, können uns die Eltern oder ältere Geschwister erzählen; von diesem Zeitpunkte an sagt der Mensch in der inneren Seele: Ich bin dieser, der ich bin. - Von da an, wo er sagt: Ich habe das getan, ich habe das gedacht -, rechnet der Mensch seelisch sein Ich. Was vorher war, ver­liert sich in Seelendämmerung. Unsere Erinnerung reicht nur bis zu diesem charakterisierten Zeitpunkte. Was liegt denn dann vor, wenn wir die beiden Tatsachen zusammenhalten: Diejenige, daß der eigent­liche Ich-Träger des Menschen geboren wird im zwanzigsten und ein­undzwanzigsten Jahre, mit derjenigen, daß wir uns seelisch als ein Ich

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bezeichnen vom dritten und vierten Jahre an? Da liegt vor, daß der Mensch im gegenwärtigen Zyklus seiner Entwickelung über sich selbst ein Meinen, ein Gefühl hat, das nicht seiner inneren Organisation, so wie diese geworden ist, entspricht. Denn das Bewußtsein des Ich tritt mit dem dritten und vierten Jahre auf, die Organisation für das Ich aber erst im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahr. Diese Tat­sache ist von fundamentaler Wichtigkeit für das Verstehen des Men­schen. Wenn man diese Tatsache abstrakt hinstellt als geisteswissen­schaftliche Erkenntnis, dann wird man darüber nicht besonders auf­geregt sein; aber weil diese Tatsache wahr ist, sind zahlreiche Erleb­nisse vorhanden, die der Mensch sehr gut kennt, aber nicht im Lichte dieser Tatsache schaut. Alles, was der Mensch erleben kann an Zwie­spalt zwischen äußerlicher Organisation und innerer Erfahrung, an Leiden und Schmerzen im Leben dadurch, daß ihm gewisse Dinge ver­möge seiner Organisation nicht möglich sind, an Disharmonie zwischen dem, was er wünschen und wollen und dem, was er ausführen kann, die Tatsache, daß er Ideale haben kann, die über seine Organisation hinausführen, all das führt zurück auf die Tatsache, daß das Bewußt­sein unseres Ich einen ganz anderen Weg geht als der Träger unseres Ich. In dieser Hinsicht sind wir ein zweifacher Mensch: ein äußerer Mensch, der darauf hinorganisiert ist, seine Ichheit im zwanzigsten oder einundzwanzigsten Jahre zu entwickeln, und ein innerer Seelenmensch, der sich schon im vierten und fünften Jahre auf sein Seelenleben hin von seiner äußeren Organisation emanzipiert. Emanzipation des Ich-Bewußtseins von der äußeren Organisation findet statt im Kin­desalter. Wir machen in unserer Seele etwas durch, was von unserer äußeren Organisation unabhängig verläuft, was sogar in herben Wi­derspruch kommen kann mit unserer äußeren Organisation. Wir sind in bezug auf das innere Bewußtsein des Ich geneigt, außer acht zu las­sen unsere Organisation, das, was unten in unseren Leibern ist. Seelisch entwickeln wir uns ganz anders als unsere Leiber sich entwickeln.

Der Gang der inneren Menschheitsentwickelung ist daher ein zwie­facher. Der Gang der Entwickelung unserer Organisation geht vom ersten bis zum siebenten Jahre, dann vom siebenten bis zum vierzehn­ten Jahre, vom vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Jahre in der

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Weise, wie das geschildert worden ist. Der Gang der inneren Entwickelung ist so, daß wir von dem vorigen ganz unabhängig sind, daß das Bewußtsein unseres Ich sich emanzipiert vom zartesten Kindesalter an und einen selbständigen Weg durch das Leben macht. Was aber ist die Folge von dieser eigentümlichen Tatsache der menschlichen Entwickelung? Das kann nur der Okkultist uns erzählen.

Wenn wir in alldem Umschau halten, was der Okkultist lehren kann, so kommen wir zu einer eigentümlichen Erkenntnis. Wir kom­men nämlich dazu, einzusehen, daß Krankheit, Gebrechlichkeit der menschlichen Organisation, daß alles dasjenige, was Siechtum, Alter, Tod allein möglich macht, davon herrührt, daß wir eigentlich eine Zweiheit sind. Wir sterben, weil wir in einer gewissen Weise organi­siert sind und in unserer Organisation keine Rücksicht nehmen auf un­sere Ich-Entwickelung. Daß wir mit unserem Ich einen selbständigen Weg gehen, der sich nicht kümmert um unsere Organisation, daran er­innert uns diese Organisation, wenn sie der Ich-Entwickelung in Krank­heit, Siechtum, Tod ein Hemmnis entgegensetzt. Wir werden daran er­innert, daß unsere Ich-Entwickelung ganz abgesondert verläuft von unserer Organisation. Woher kommt denn nun eigentlich diese eigen­tümliche Tatsache der Zweiheit in der menschlichen Natur?

Wenn wir die verschiedenen Dinge betrachten und den Menschen im Zusammenhange mit der Wirklichkeit betrachten, so zeigt es sich uns, daß, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkte der Erdenentwicke­lung, nämlich in der lemurischen Zeit, nur fortschreitende Kräfte in die Menschheitsentwickelung eingegriffen hätten, die Jugendentwickelung des Menschen heute ganz anders verlaufen würde, nämlich so, daß sie gleichen Schritt hielte mit der Ich-Entwickelung. Jederzeit würde die seelische Entwickelung genau übereinstimmen mit der leiblichen Ent­wickelung. Der Mensch würde dann unmöglich sich anders entwickelt haben können, als wie es als Ideal gefordert wird heute zum Beispiele in meiner kleinen Schrift «Die Erziehung des Kindes vom Gesichts­punkte der Geisteswissenschaft». Wären damals nur fortschreitende Kräfte tätig gewesen, so würde das Sonderbare sich ergeben haben, daß in den ersten zwanzig Lebensjahren der Mensch viel unselbständiger geworden wäre, als er jetzt ist. Diese Unselbständigkeit ist nicht in üblem

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Sinne gemeint, sie ist so gemeint, daß eigentlich jeder von Ihnen mit dieser Unselbständigkeit sehr einverstanden wäre. Es ist nämlich die menschliche Natur in den ersten sieben Lebensjahren rein auf Nachahmung angelegt. Da die Menschen im erwachsenen Zustande, wenn nur die fortschreitenden Kräfte tätig gewesen wären in der lemurischen Zeit, nichts Schandbares tun würden, so würden die Kinder vom ersten bis zum siebenten Lebensjahre nichts Schlechtes nachahmen können. In den zweiten sieben Lebensjahren würde das Prinzip der Autorität herrschen, während es heute nicht nur zur Landplage, sondern zur Erdenplage gehört, daß die Menschen zwischen dem siebenten und vier­zehnten Jahre selbständig werden wollen, ja sogar dazu erzogen wer­den, selbständige Urteile zu haben. Die Erwachsenen würden für die Kinder die selbstverständlichen Autoritäten gewesen sein. Vom vierzehnten bis einundzwanzigsten Jahre würde der Mensch noch viel weniger auf sich selbst in sein Inneres hineingesehen haben, er würde sich mehr nach außen gewandt haben. Es würde die Kraft der Ideale, die Kraft, sich hineinzuleben in die Lebensträume, ungeheuer bedeut­sam für ihn geworden sein. Es würden aus seinem Herzen sprießen Le­bensträume, und dann würde volles Ich-Bewußtsein aufgetreten sein im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahre. Also es würde auftreten in den ersten sieben Lebensjahren die Periode der Nachahmung, dann in den zweiten sieben Lebensjahren Aufschauen zu Autoritäten, dann in den dritten sieben Lebensjahren Hervorsprießen der Ideale, die den Menschen zu seinem vollen Ich-Bewußtsein bringen würden. Von die­sem Gange der Entwickelung hat abgebracht im Laufe der Mensch­heitsentwickelung die Summe der auch in der Evolution wirkenden Kräfte, die die luziferischen Kräfte genannt werden. Sie haben seit der lemurischen Zeit das Ich-Bewußtsein losgerissen von der Grundlage der Organisation. Daß wir schon im zartesten Alter das Ich-Bewußt­sein haben, das ist eben auf die luziferischen Kräfte zurückzuführen.

Wie griffen die luziferischen Kräfte ein? Die luziferischen Kräfte sind Wesenheiten, welche auf dem Monde zurückgeblieben sind und daher keinen Sinn haben für die Erdenmission, für das, was sich erst auf der Erde entwickeln sollte vom einundzwanzigsten Jahre ab, das Ich. Sie nahmen den Menschen so, wie er herübergekommen ist vom

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Monde und legten in ihn als Keim die selbständige seelische Entwickelung. So daß in der Verfrühung des Ich-Bewußtseins, in diesem eigen­tümlichen Zwiespalt der menschlichen Natur die luziferischen Kräfte liegen. Das Erkennen einer solchen Tatsache gibt erst heute die Anthro­posophie. Fühlen kann das jeder Mensch, der nur naturgemäß empfin­den kann. Denn jeder Mensch kann fühlen, daß in ihm etwas ist, was ihn von seiner vollen Menschlichkeit trennt. Alles, was wir unberechtig­ten Egoismus in unserer Natur nennen, Abgeschlossenheit von dem eigentlichen Tun der Menschheit, rührt daher, daß das Ich nicht den richtigen Weg der Organisation mitgeht. So sehen wir vor uns den Menschen, Dann, wenn er fühlen kann: Ich könnte anders sein als ich bin, ich habe etwas in mir, was nicht einverstanden ist mit mir selbst -, dann fühlt er den Widerstreit der fortschreitenden Gewalten mit den luziferischen Gewalten in seinem Inneren. Diese Tatsache mußte ein­mal geschaffen werden im Laufe der Menschheitsentwickelung. Sie war notwendig, weil ja der Mensch niemals wirklich frei geworden wäre ohne die luziferischen Wesenheiten, er wäre immer an seine Organisa­tion gebunden gewesen. Was den Menschen auf der einen Seite in Zwie­spalt bringt mit seiner Organisation, das gibt ihm auf der anderen Seite erst die Möglichkeit, frei zu sein. Aber eines bleibt aus dieser Zweiheit der Organisation für das gewöhnliche menschliche Leben. Das zeigt sich darin, daß wir von unserem Ich empfinden, daß es unvermögend geworden ist, von sich selber aus die Organisation umzuändern.

Wenn wir im weiten Umkreise dessen, was den Menschen konstituiert, geschaffen hat, Umschau halten, so gibt es da die zwei geschilder­ten Kräfte. Es gibt da die organischen Kräfte unserer menschlichen Natur, die gemeint sind zur Entwickelung zu kommen von sieben zu sieben Jahren, und auf der anderen Seite die luziferischen Kräfte. Gibt es nichts anderes im Verlaufe der Menschheitsentwickelung in der Na­tur und im Geistesleben, so wird das eintreten, daß der Mensch niemals durch sein emanzipiertes Ich zum vollen Einklang mit seiner Natur kommen könnte. Ergäbe sich nichts anderes aus dem Umkreise des Erdenseins, dann könnte die Entwickelung keine andere sein, als daß der Mensch von seiner Organisation sich immer mehr entfremden würde, daß seine Organisation immer siecher, immer vertrockneter würde, daß

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der Zwiespalt immer größer werden müßte. Wenn der Mensch nur ein­mal dazu kommt, das so recht zu fühlen als eine geisteswissenschaftliche Erkenntnis, dann kommt ein großer Moment in seinem Leben, in wel­chem er sich sagt: Da stehe ich mit meiner menschlichen Organisation, die mir gegeben ist von den fortschreitenden Kräften, die von sieben zu sieben Jahren wirken, er braucht das nicht so in klaren Worten auszuspre­chen, er braucht es nur unbestimmt zu fühlen, aber weil diese Organi­sation eine Gegenkraft hat, die sich selbständig entwickelt, darum wird sie siech und krank und stirbt endlich. - In den Tiefen seines Seelen­lebens fühlt der Mensch das. Er braucht nur das Gefühl von dieser Dis­krepanz des inneren Ich mit der äußeren Organisation zu haben. Wenn er so recht lebt in dieser Empfindung, dann kommt, auch ohne daß er etwas von Anthroposophie zu kennen braucht, - ja, von woher, er weiß zunächst nicht, woher? -, aber es kommt in seine Seele etwas her­ein, wovon er fühlt: Ich selbst mit dem Ich, woran ich mich zurück­erinnere, vermag nichts gegen meine Organisation, der ich nicht ge­wachsen bin. Aber es gibt etwas, was ich als Kraft aufnehmen kann in mein Ich, was ich aufnehmen kann in mein Bewußtsein als Überzeu­gung; unmittelbar aus den geistigen Welten kommt etwas herein, das nicht in mir liegt, das aber meine Seele durchdringt. Etwas kann her­einfließen aus unbekannten Welten in meine Seele. Wenn ich es auf­nehme in mein Herz, wenn ich mein Ich damit durchdringe, dann hilft es mir unmittelbar aus den geistigen Welten heraus. Man nenne das, was aus den geistigen Welten kommt, wie immer man will, darauf kommt es nicht an, auf die Empfindung kommt es aber an.

Nehmen wir einmal an, ein Mensch würde mit dem Leben heute nicht zurechtkommen und sich sagen: Also muß ich suchen in dem wei­ten Umkreise dessen, was ich auf der Erde finde, ob mir irgendwo eine Kraft ersprießen kann, die mir etwas geben kann, wodurch ich aus dem Zwiespalt herauskomme, die mir hinaushilft. - Es ist naturgemäß, daß der Mensch mit den Mitteln der alten Konfessionen nicht mehr zurechtkommen kann, daß er mit den alten kirchlichen Vorstellungen nichts mehr verbinden kann, was ihm diese Kraft, die er sucht, geben kann. Nehmen wir aber an, um ein konkretes Beispiel anzuführen, ein solcher Mensch ginge zu einer der alten heiligen Religionen, er ginge

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zum Beispiel zum Buddhismus und vertiefte sich in die außerordentlichen Lehren des Buddhismus. Wenn der Mensch naturgemäß in aller Stärke den charakterisierten Zwiespalt empfindet - ich sage nicht, daß sich das aus einer Theorie ergibt, sondern aus einer unbestimmten Emp­findung -, dann würde er so empfinden: In der Persönlichkeit, der In­dividualität des Gautama Buddha hat etwas gelebt, was in der Welt erst auf Grundlage einer langen Entwickelung kommen kann. Diese Individualität ist durch viele Inkarnationen hindurchgegangen, hat immer höhere und höhere Grade der Evolution erreicht und ist endlich soweit gekommen, daß sie im neunundzwanzigsten Jahre ihres Lebens als Gautama Buddha vom Bodhisattva zum Buddha aufsteigen konnte, so aufsteigen konnte, daß diese Individualität nicht mehr in einen phy­sischen Leib zurückzukehren brauchte. Was da ausfließt aus dieser In­dividualität, wie ist es zustande gekommen? Fühlen kann jedes un­befangene Gemüt das, was aus dem Buddha spricht, was erst durch den Bodhisattva innerhalb der Erdenentwickelung, innerhalb vieler Inkar­nationen geworden, herangewachsen ist. Das alles enthält im schön­sten, großartigsten Sinne die Kräfte, die sich im Umkreise der Erde fin­den, in dem Zusammenspiel der Kräfte der Organisation und der luzi­ferischen Kräfte. Daher wirkt das, was vom Bodhisattva zum Buddha fließt, weil es gegangen ist von Inkarnation zu Inkarnation, weil es aus denselben Kräften stammt, aus denen die Menschenkräfte stammen, deshalb wirkt es so, daß die unbefangene Seele nicht fühlt, was den vollen Einklang hervorrufen kann zwischen dem Ich des Menschen und seiner Organisation. Es fühlt die Seele: Etwas muß es geben, was nicht von Inkarnation zu Inkarnation geht, sondern, was unmittelbar hereinströmen kann aus den geistigen Welten in jede Menschenseele. - Wenn die Menschenseele fühlt, daß sie eine Beziehung haben muß zu dem, was von den Himmeln herunterströmt, dann fängt sie an, eine innerliche Erfahrung von dem Christus zu haben. Dann wird es ihr auch begreiflich, daß in dem Christus Jesus etwas auftreten mußte, was sich unterscheidet von alledem, was vorher war. Das ist der radi­kale, der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Leben des Chri­stus und dem des Buddha.

Der Buddha ist aus einem Bodhisattva zum Buddha geworden mit

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den Kräften, die den Menschen von Inkarnation zu Inkarnation aufsteigen lassen, wie es auch bei anderen großen Religionsstiftern ist. In das Leben des Jesus von Nazareth trat etwas ein, etwas wirkte in die Individualität des Jesus von Nazareth hinein während dreier Jahre, was aus den geistigen Welten unmittelbar herabströmte, was mit der menschlichen Evolution nichts zu tun hatte, was vorher nicht mit einem menschlichen Leben verbunden war. Diesen Unterschied müssen wir uns recht klar vor die Seele führen, wenn wir begreifen wollen, warum in dem, was die vierte nachatlantische Zeitepoche den Christus ge­nannt hat, etwas lag, was verschieden war von allen anderen religiösen Impulsen, und warum die anderen Religionen die Menschheit immer hingewiesen haben auf diesen Christus.

Wenn wir in der nachatlantischen Zeit zurückschauen in die uralt heilige indische Kultur, da sehen wir auftreten die sieben heiligen Rishis, in deren Seelen etwas lebte von dem unmittelbaren Anschauen der geistigen Welten. Wenn man einen der sieben heiligen Rishis um die Grundstiinmung seiner Seele gefragt hätte, so hätte er gesagt: Wir schauen hinauf zu den spirituellen Mächten, aus denen alle Menschenentwickelung geworden ist. Das offenbart sich uns in sieben Strahlen, aber darüber ist etwas anderes, etwas, das über unserer Sphäre liegt. -Vishva-Karman nannte man das später, was die sieben heiligen Rishis so empfanden. Von einer Gewalt, die nicht mit der Erde sich entwickelt hat, sprachen die sieben heiligen Rishis.

Dann kam die Zarathustra-Kultur. Zarathustra sprach, wenn er den Blick auf die Geister der Sonne richtete, von etwas, was in die Menschheitsentwickelung einfließen sollte unmittelbar durch eine Strömung aus den geistigen Welten. Was wir den Menschen geben können, so sagte Zarathustra, ist nicht das, was einst von den Sonnenfernen un­mittelbar aus den geistigen Welten in die Menschheit einfließen wird. Was in der Sonne geistig ist, das ist das, was die spätere persische Kul­tur Ahura Mazdao genannt hat.

Aus einem besonders tragischen Einschlag heraus empfand man in den ägyptischen Mysterien die Christus- Frage. Man empfand sie in der allertiefsten Weise, wenn wir unter Tiefe verstehen eine solche Gestal­tung der menschlichen Empfindung, wo ganz besonders stark in die

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Seele hinein sich schreibt das Bewußtsein: Von dem, was geistig ist, stammt die Menschheit her. Der ägyptische Eingeweihte sagt sich: Überall, wo wir den Blick hinwenden, empfinden wir in dem, was uns umgibt, den Abfall von dem ursprünglich Geistigen. Unmittelbar, un­vermischt ist nirgends das Geistige in der äußeren Welt zu finden. Dann erst, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes schreitet, wird er ansichtig desjenigen, von dem er stammt. Man muß erst sterben -in bezug auf die innere Erfahrung, nicht in bezug auf die Einweihung -, dann wird man vereinigt mit dem Osiris-Prinzip, so nannten die alten Agypter das Christus-Prinzip, im Leben geht es nicht, da ist die Diskrepanz. Alles, was im Umkreise der Erde ist, das führt nicht zum Osi­ris, die Seele muß durch die Pforte des Todes getreten sein, um mit dem Osiris vereinigt zu werden. Dann, im Tode, wird die Seele ein Stück des Osiris, sie wird selbst eine Art Osiris. Die Welt außen ist so geworden, daß sie zerstückelt hat den Osiris durch seinen Feind, das heißt durch all das, was zur äußeren Welt gehört. Und es sagte der Eingeweihte der ägyptischen Mysterien: So wie die Menschheit jetzt ist in unserer Kultur, ist sie eine Art Rückerinnerung an die alte Mondenzeit. So wie die Kultur der sieben heiligen Rishis eine Art Rückerinne­rung ist an die alte Saturnzeit, so wie die Zarathustra-Kultur eine Rück­erinnerung ist an die alte Sonnenzeit, so ist die Osiris-Kultur eine Rück­erinnerung an die alte Mondenzeit, wo sich zuerst der Mond mit seinen Wesenheiten abtrennte von der Sonne, auf der aber geblieben sind die Wesenheiten, von denen der Mensch seinen Ursprung genommen hat. Da hat die Abtrennung des Menschen stattgefunden von den guten Kräften seiner Organisation, von dem Quell seiner Lebenskräfte. Aber es wird für die Menschen durch das, was sie durchmachen werden an Sehnsucht und Entbehrung in bezug auf das Geistige, die Zeit kom­men, da wird Osiris heruntersteigen und als etwas sich erweisen, was als neuer Einschlag kommen muß, was vorher auf der Erde nicht war, weil es sich schon während der alten Mondenzeit von der Erde getrennt hatte.

Alles das, worauf die sieben heiligen Rishis und Zarathustra hin­wiesen und wovon die Ägypter sagten, daß die Menschen in ihrer Zeit es im Leben überhaupt nicht erreichen könnten, das war die Kraft, der Impuls, der drei Jahre lang im Leibe des Jesus von Nazareth sich offenbarte.

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Alle großen Religionen haben von ihm gesprochen; geoffenbart hat er sich im Jesus von Nazareth, worauf alle Religionen hinwiesen. So haben nicht nur die Christen vom Christus gesprochen, sondern auch die Bekenner aller alten Religionen. So trat etwas ein im Laufe der Menschheitsentwickelung, was der Mensch braucht und was der inneren Erfahrung erreichbar ist.

Nehmen wir einmal an, ein Mensch wüchse auf einer einsamen Insel heran. Diejenigen, die ihn erziehen, erzählten ihm nichts von dem, was in der Welt geschieht in bezug auf den Christus-Namen und auf die Evangelien, sondern sie erzählten ihm nur das, was in der Kultur da ist, ohne die Evangelien und ohne den Christus-Namen zu gebrauchen. Was unter dem Einfluß des Christus in der Kultur entstanden ist, aber entkleidet des Christus-Namens, das würde man an ihn heranbringen. Was würde da geschehen? Dann würde bei einem solchen Menschen folgende Stimmung auftreten müssen, eines Tages würde er sagen: In mir lebt etwas, was meiner allgemeinen Menschheitsorganisation gemäß ist, daran kann ich zunächst nicht heran. Denn das, worin mein Ich-Bewußtsein lebt, es stellt sich mir so dar, daß ich da etwas brauche, was mir durch die Menschheitskultur nicht zukommen kann, einen Impuls aus den geistigen Welten, um das Ich wieder kräftiger zu ma­chen in seiner Organisation, von der es sich emanzipiert hat. - Wenn ein solcher Mensch nur stark empfinden kann, was der Mensch braucht, dann kann über ihn etwas kommen, woraus er erkennt: es müsse un­mittelbar aus den geistigen Welten etwas herausströmen, was sich un­mittelbar einlebt in sein Ich. Er weiß nicht, daß das Christus heißt, er weiß aber, daß er sich in seinem Bewußtsein durchdringen kann davon, daß er das, was aus den geistigen Welten zu ihm kommt, hegen kann in seinem Ich. Dann wird ihm etwas kommen, wovon er sich sagen darf:

Nun ja, ich kann krank sein, ich kann schwach sein, ich kann sterben, aber von meinem Ich aus kann ich mich stärker machen, kann ich etwas in meine Organisation hineinsenden, was mir Stärke, was mir Kraft gibt unmittelbar aus den geistigen Welten heraus. - Wie er es nennt, ist gleich. Wenn der Mensch zu dieser Empfindung kommt, dann ist er vom Christus-Impuls ergriffen. Nicht derjenige, der sagt, daß er etwas haben kann von einem Lehrer, der von Inkarnation zu Inkarnation gegangen

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ist, sondern derjenige, der empfindet, daß unmittelbar aus der geistigen Welt Impulse der Kraft, der Stärke kommen können, der ist vom Christus-Impuls ergriffen. Diese innere Erfahrung können die Menschen machen, ohne sie können die Menschen nicht leben, ohne sie werden die Menschen in der Zukunft nicht leben können. Sie können diese innere Erfahrung machen aus dem Grunde, weil einmal drei Jahre lang objektiv im Jesus von Nazareth gelebt hat dieser Impuls, der unmittelbar aus den geistigen Welten hereinkam. So wahr es ist, daß man ein Samenkorn in die Erde legen kann und daß viele andere Samenkör­ner aus diesem einen hervorkommen können, ebenso wahr ist es, daß einmal in die Menschheit gelegt worden ist der Christus-Impuls, und daß seit jener Zeit etwas da ist in der Menschheit, was früher nicht da war.

Darum ist das ägyptische Leben so tragisch, weil man empfand, daß man in seinem Leben nicht zum Osiris kommen konnte, daß man erst durch die Pforte des Todes schreiten mußte, um mit ihm vereinigt zu werden, das heißt, nur für die innere Erfahrung, von der Einwei­hung sprechen wir noch. Seit jener Zeit des Mysteriums von Golgatha aber ist das möglich, was früher nicht möglich war, daß der Mensch aus sich heraus sucht seine Verbindung mit der geistigen Welt, aus sei­ner einzelnen Inkarnation heraus. Und das rührt davon her, daß der Impuls, der durch das Mysterium von Golgatha gegeben worden ist, aufleuchten kann in jeder Seele, und seit jener Zeit durch die innere Erfahrung in jeden Menschen einziehen kann. Nicht der Christus, der auf Erden war - um den kümmert sich die Seele nicht -, aber der Chri­stus, der durch innere Erfahrung erreichbar ist. Seit dem Mysterium von Golgatha ist es möglich, in den einzelnen Inkarnationen einen Zu­sammenhang mit dem Geistigen zu gewinnen. Und weil es so ist, deshalb ist mit der einen Tatsache von Golgatha etwas geschehen, was aus­strahlen kann in die Menschheit, was nicht durch Errungenschaften der aufeinanderfolgenden Inkarnationen gegeben ist. Deshalb ist es un­möglich, daß der Christus sich auf eine Weise zeigt, die eine Folge ist aus vielen Inkarnationen, so wie es der Buddha geworden ist aus seinen Inkarnationen als Bodhisattva.

Wir werden morgen sehen, wie für die Zukunft der Weg zum Chri­stus in der Menschheitsentwickelung gefunden werden kann.

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DIE DREI WEGE DER SEELE ZU CHRISTUS Zweiter Vortrag, Stockbolm, 17. April 1912 Der Weg der Initiation

Wenn mit einigen Worten noch einmal kurz hingewiesen werden darf auf dasjenige, worin die gestrigen Darstellungen gipfelten, so möchte ich sagen, daß aus ihnen für jeden Menschen die Möglichkeit hervorgehen sollte, durch eine entsprechende Vertiefung seines Wesens, durch ein in die geistigen Welten gefaßtes Vertrauen eine solche Seelenstimmung, eine solche Seelenverfassung in sich aufkommen zu lassen, die ihm sagt: In den Menschen fließen nicht nur diejenigen Dinge ein, die in dem Umkreise der Erde vorhanden sind, nicht nur die Dinge, welche aus der Evolution der Erde selbst stammen, sondern es ist dem Menschen möglich, seine Seele so zu stimmen, daß er aus den geistigen Welten heraus Hilfskräfte erhält, die in ihn einfließen können, die einen Aus­gleich herbeiführen zwischen dem einzelnen egoistischen Ich und der Gesamtheit unserer Organisation, wenn er dieser Möglichkeit sich öff­net, die in die Erdenmission eingeflossen ist. Wer erringen kann das Vertrauen an diesen Zufluß aus den geistigen Welten, der hat - wie er dies innere Ereignis, dies innere Erlebnis auch nennen mag - die per­sönliche Christus-Erfahrung im Inneren erlebt. Alles übrige über diese Sache wird sich uns ergeben, wenn wir heute einmal ausgehen von dem dritten Wege zu Christus, von dem Wege der Initiation

Wenn wir so angeführt haben den Weg der Evangelien und den Weg der inneren Erfahrung, so haben wir die beiden Wege, die einem jeden Menschen zum Christus hin zugänglich sind; ich sage ausdrück­lich: einem jeden Menschen. Zu dem Wege der Initiation gehört eine ge­wisse Vorbereitung, wie es jedem verständlich sein sollte. In unserer Zeit gehört zunächst dazu ein wirkliches, nicht nur theoretisches Vertiefen in die wahre, echte Geisteswissenschaft, die zunächst, wenig­stens in unserer Gegenwart, immer der Ausgangspunkt sein muß, wenn wir verstehen wollen, was das ist: der Weg der Initiation. Nun ist es gut, wenn wir einige Worte über das Wesen der Initiation in einer gewissen

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Richtung vorausschicken. Die Initiation ist das Höchste, was der Mensch im Laufe der Erdenentwickelung zuletzt erlangen kann; denn sie führt den Menschen zu einem gewissen Verständnis, in eine wirkliche Einsicht in die Geheimnisse der geistigen Welt. Was vorgeht in den geistigen Welten, das ist ja der Inhalt, der Gegenstand der In­itiation, und ein wirkliches Wissen, ein unmittelbares Wahrnehmen von Vorgängen in den geistigen Welten wird auf dem Wege der Initiation erreicht. Schon wenn in einer solchen Weise die Initiation charakte­risiert wird, so muß einem jeden, der diese Charakteristik auf seine Seele wirken läßt, etwas ganz Besonderes auffallen. Es ist im Grunde genommen damit schon gesagt, daß die Initiation ein, gestatten Sie den Ausdruck, überreligiöser Weg ist. Nun sind die großen Religionen, welche über den Erdenkreis im Laufe der Menschheitsepochen sich ver­breitet haben und heute noch in der Menschheit sind, alle, wenn wir sie bei ihrem Ausgangspunkte studieren, ursprünglich gestiftet von der Initiation, von den Initiierten aus. Sie sind aus dem geflossen, was große Eingeweihte den Menschen haben geben können. Aber die Religionen sind dem Menschen so gegeben worden, daß in den Inhalten dieser Re­ligionen die Menschen dasjenige empfingen, was für sie, je nach der Zeitepoche, in der sie lebten, je nach der Rasse, der sie angehörten, ja wohl gar nach dem Erdenstriche, in dem sie lebten, diesen Beziehungen angemessen war.

Nun leben wir heute innerhalb der Menschheitsentwickelung in einer ganz besonderen Zeitepoche, und es ist gerade die Aufgabe der Geisteswissenschaft, zu verstehen, daß wir in einer besonderen Zeit leben. So wie heute Geisteswissenschaft für unsere Mitmenschen vorgetragen und verbreitet werden kann, so war das innerhalb der ver­flossenen Zeitepochen nirgends noch möglich. Anthroposophie als solche konnte nicht in der Öffentlichkeit gelehrt werden. Wir beginnen erst in unserer Zeit Anthroposophie zu lehren. Die Religionen waren eben die Wege, um in die Menschheit einfließen zu lassen die Geheimnisse der Initiation in einer jeweilig einer Gruppe von Men­schen angemessenen Art. Aber heute sind wir in der Lage, durch An­throposophie etwas zu geben, was nicht einer einzelnen Rasse, nicht einem einzelnen Erdstrich, nicht einer einzelnen Gruppe von Menschen

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angemessen ist, sondern was jedem Menschen, wo er sich auch findet auf der Erde, etwas bringen kann über jene Geheimnisse des Daseins, nach deren Erkenntnis die Seelen sich sehnen, die sie haben müssen, wenn die Herzen stark sein sollen in ihrem Wirken auf der Erde. Damit zeigt sich aber schon, daß durch Anthroposophie etwas gegeben sein soll, was einen höheren Standpunkt einnimmt als die re­ligiösen Standpunkte waren und heute noch sind, da, wo diese religiö­sen Standpunkte geltend gemacht werden. Es ist Anthroposophie gewissermaßen dasjenige, was die Geheimnisse der Initiation allgemein menschlich heute auszubreiten hat, während in den verschiedenen alten Religionssystemen der Erde immer auf eine besondere Art, in einer differenzierten Weise, angemessen den einzelnen Menschengruppen, die Geheimnisse der Initiation ausgesprochen wurden.

Was folgt daraus? Daraus folgt, daß wir die verschiedensten Religionen über die Erde hin verbreitet finden, die alle zurückweisen auf diesen oder jenen Religionsstifter. Wir finden erstens die Krishna-Re­ligion auf Krishna zurückführend, zweitens die Buddha-Religion auf den Buddha zurückführend, drittens die althebräische Religion auf Mo­ses zurückführend, und wir finden das Christentum auf Jesus von Na­zareth zurückführend. Da die Religionen aus der Initiation geflossen sind, so müssen wir uns klarmachen, daß wir heute nicht auf dem Bo­den stehen können, der etwa von den aufgeklärt sein wollenden Reli­gionsphilosophen eingenommen wird. Die vergleichenden Religionsphilosophen haben eine geheime Anschauung über die Religionen: sie sehen sie nämlich alle für falsch an oder für kindliche Stufen der Menschheitsentwickelung. Wir stehen aber als Anthroposophen, da wir erkennen lernen, daß die Religionen nur differenzierte Ausbildungen der Initiationswahrheiten sind, auf dem Boden, das Wahre und nicht das Falsche in den verschiedenen Religionssystemen zu verstehen. Wir lassen den Religionssystemen ihr volles Recht nebeneinander wider­fahren. Wir sehen sie an als gleichberechtigte Offenbarungen der gro­ßen Initiationswahrheiten.

Und daraus folgt etwas ungeheuer Wichtiges für das praktische Gefühl und die praktische Betätigung. Und was ist dieses Wichtige? Daß aus der anthroposophischen Stimmung das volle Verständnis, die

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innige Achtung und die volle Anerkennung des Wahrheitskernes aller Religionen folgen wird, und daß diejenigen, die aus anthroposophischer Gesinnung heraus über die Welt und ihren Entwickelungsgang denken, respektieren werden die Wahrheiten, die in den einzelnen Religions-systemen vorhanden sind. Es wird die höchste Achtung sich ergeben und der höchste Respekt wird Platz greifen. Ja, meine lieben Freunde, das wird sich ergeben aus der anthroposophischen Geistesströmung für die einzelnen Religionsbekenntnisse auf Erden: Man wird hinge­hen zu den Bekennern der einzelnen Religionssysteme der Erde und man wird nicht glauben, ihnen aufpfropfen, einimpfen zu können an­dere Bekenntnisse. Wir werden vielmehr zu ihnen gehen und aus unse­rem eigenen Religionsbekenntnisse heraus werden wir entwickeln, was in ihrem Bekenntnisse an Wahrheit ist. Und man wird, wenn man her­ausgeboren ist aus einer Gegend, wo eine bestimmte Religion herrscht, aus dieser Religion heraus nicht intolerant abweisen die anderen Religionen, sondern wird doch eingehen können auf das, was als Wahrheit in den verschiedenen Religionen enthalten ist. Nehmen wir ein Beispiel. Solch ein Beispiel kann nur verstanden werden von denen, die in ihrer tiefsten Seele Ernst machen mit der anthroposophischen Gesin­nung, mit dem, was folgen muß aus der Erkenntnis der Grundbedin­gungen des Wesens der Initiation. Nehmen wir an, ein Abendländer sei aufgewachsen innerhalb des Christentums. Er wird das Christen­tum vielleicht dadurch kennengelernt haben, daß er die großen Wahr­heiten seiner Evangelien in sich aufgenommen hat. Vielleicht ist er auch schon zu dem gelangt, was genannt wird der Weg der inneren Erfah­rung zu dem Christus Jesus, vielleicht hat er schon in seiner inneren Erfahrung den Christus erlebt. Nehmen wir an, er lernt nun eine an­dere Religion kennen, zum Beispiel den Buddhismus. Er lernt bei den­jenigen, welche ganz in den heiligen Wahrheiten und Erkenntnissen des Buddhismus darinnenstehen, kennen dasjenige, was dem materialisti­schen Abendländer ein Ärgernis ist, was wir Anthroposophen aber ver­stehen können, er lernt kennen, daß der Stifter ihrer Religion, nach­dem er viele Inkarnationen auf Erden als Bodhisattva gelebt hat, wiedergeboren wurde als Königssohn, als Sohn des Suddhodana; er lernt weiter erkennen, daß er im neunundzwanzigsten Jahre seines Lebens

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als Bodhisattva zum Buddha aufgerückt ist, daß mit diesem Aufsteigen zum Buddha gegeben ist in dieser Religion, da sie aus der Initiation stammt, die eine große Wahrheit, die nicht nur für den Buddhismus, die für alle Menschen gilt, die jeder Initiierte anerkennen wird, und die alle Menschen anerkennen, die den Buddhismus verstehen, er lernt erkennen, daß der Bekenner des Buddhismus mit Recht sagt: Wenn der Bodhisattva in einer menschlichen Inkarnation zum Buddha wird, so ist diese Inkarnation, die der Buddha auf Erden durchzumachen hat, die letzte; dann kommt er nicht wieder in einen menschlichen Leib zurück.

Demjenigen, der im Buddhismus drinnensteht, würde tiefer Schmerz zugefügt, wenn man behaupten wollte, daß der Buddha wiederkehren würde in einem fleischlichen Leibe. Tiefes Leid würde einem solchen Bekenner des Buddha zugefügt, wenn ihm von irgendeiner Macht bestritten würde diese Wahrheit, daß der Bodhisattva, der zum Buddha geworden ist, niemals wieder in einem physischen Leibe auf Erden erscheinen könnte. Wir Anthroposophen aber, wir erkennen den Wahr­heitsgehalt der Religionen, wir stehen auf dem Boden, zu suchen die Wahrheit der verschiedenen Religionen und nicht ihren Irrtum. So gehen wir zu denen, die den Buddhismus verstehen, und lernen erkennen, oder lernen aus der Initiation erkennen, daß es wahr ist: Jene Individualität, welche als Bodhisattva gelebt hat auf der Erde und zum Buddha wurde, sie hat seit jener Zeit die geistigen Höhen erreicht, aus denen sie nicht wieder herabzusteigen hat auf dieses physische Erdenrund. Von dem Augenblicke an werden wir nicht mehr einem Buddhisten, wenn wir auf dem Boden der Reinkarnationslehre stehen, die Behauptung entgegenhalten, daß der Buddha in einem physischen Leibe wiederkehren könnte. Wahre, echte Erkenntnis wird ein Ver­ständnis für eine jede aus der Initiation hervorgehende Religionsform schaffen. Wir respektieren die Religionsformen, die sich auf Erden entwickelt haben, indem wir erkennen, was sie als Wahrheit zu geben haben. Ja, ich bekenne es aufrichtig und ehrlich, so wie der strengste Buddhist sich zu dieser Wahrheit bekennen kann: daß der Bodhisattva, der auf Erden war und zum Buddha aufstieg, damit eine Höhe der menschlichen Entwickelung erreicht hat, die es ihm möglich macht,

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nicht mehr herunterzusteigen auf die Erde. Das heißt Verständnis haben für die verschiedenen Religionsformen der Erde.

Nehmen wir den entgegengesetzten Fall: daß ein Bekenner des Buddhismus sich aufschwingt zur anthroposophischen Erkenntnis. Er würde es in sich zur Klarheit bringen lassen, entweder aus der wirk­lichen Erkenntnis des Christentums oder aus dem Einweihungsprinzipe heraus, daß es für ein anderes Gebiet der Erde eine andere Religionsform gibt, wo diejenigen, die diese Religionsform verstehen, sich klar darüber sind, daß einstmals gelebt hat eine Persönlichkeit, die eigent­lich keiner Nation angehört hat, am allerwenigsten dem Abendlande, daß von dem dreißigsten bis dreiunddreißigsten Jahre gelebt hat in dieser Persönlichkeit ein solcher Impuls, eine solche Kraft des geistigen Lebens, auf welche wir schon gestern hinweisen konnten, auf welche hingewiesen haben die sieben heiligen Rishis in ihrem Vishva-Karman, auf welche hingewiesen hat Zarathustra in seinem Ahura Mazdao, auf welche hingewiesen haben die Ägypter als auf ihren Osiris und welche die vierte nachatlantische Kulturperiode den Christus genannt hat. Aber darauf kommt es nicht an; es kommt darauf an, in dem Christus dasjenige zu erkennen, was drei Jahre lang als Impuls gelebt hat in der Persönlichkeit des Jesus von Nazareth, was vorher nicht da war auf Erden, was aus geistigen Höhen herabgestiegen ist in die Persönlich­keit des Jesus von Nazareth, was in dieser Persönlichkeit durchge­macht hat das Mysterium von Golgatha und was als solcher Christus-Impuls für die Erde ein einmaliger Impuls ist und nicht zusammenfällt mit irgendeiner gewöhnlichen Inkarnation der Menschheit; was also als Christus einmal da war und in keinem Menschen wiederkehren kann, sondern, wie die Bibel es nennt, kommen wird in den Wolken des Himmels, das heißt, als geistige Offenbarung sich der Menschheit zeigen wird. Das ist christliches Bekenntnis.

Wer nun innerhalb des Buddhismus steht, durchdrungen von geisteswissenschaftlichem Ernste und geisteswissenschaftlicher Würde, wird bekennen müssen, daß er auch dies christliche Bekenntnis achten und respektieren muß, wie der Christ das seine zu respektieren hat. Derjenige Buddhist, der aufgestiegen ist zur Geisteswissenschaft und Ernst mit ihr macht, wird sagen: Wie du als Christ Vertrauen entgegenbringst

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der Lehre, daß der zum Buddha gewordene Bodhisattva nicht mehr zurückkehrt auf die Erde, wie es mir angemessen erscheint, daß du weißt, daß der Buddha nicht wiederkehren kann, so erkenne ich als Buddhist an, daß dasjenige, was ihr den Christus nennt, nicht wieder­kehren kann in einer physischen Inkarnation, sondern als einmaliger Impuls nur während drei Jahren in einem physischen Menschenleib gelebt hat. - Finden wir in der Anthroposophie das gegenseitige Ver­ständnis der Religionen so, daß das Initiationsprinzip eindringen kann in die Herzen der Menschen, daß der eine Mensch dem anderen keine fremde Sphäre auferlegen soll, dann bringen wir es zu einem Verständ­nis, das über die ganze Erde die Menschen vereint, dann stiften wir den Frieden unter den einzelnen Religionsbekenntnissen auf Erden.

In dem Christentum lebt als Religionsstifter Jesus von Nazareth. Das christliche Initiationsprinzip hat mit dem Religionsstifter Jesus von Nazareth nur als mit einer Tatsache zu tun, einer Tatsache, die von den Okkultisten als eine Tatsache untersucht werden kann. Mit der gleichen Liebe, mit der gleichen Sorgfalt, wie untersucht wird das Leben des Buddha oder eines anderen Religionsstifters, wird von de­nen, die das Initiationsprinzip kennen, untersucht das Leben des Jesus von Nazareth. Wie sich dieses Leben des Jesus von Nazareth rein auf dem Boden des Okkultismus ergibt, das finden Sie dargestellt in meiner kleinen Schrift «Die geistige Führung des Menschen und der Mensch­heit». Das eigentliche christliche Initiationsprinzip bezieht sich aber darauf, den Christus zu erkennen, bezieht sich auf den Weg zum Chri­stus. Und dieses christliche Religionsprinzip bereitete seit vielen Jahr­hunderten das vor, was jetzt charakterisiert worden ist als ein Frie­densprinzip über die ganze Erde hin, indem es überhaupt nicht aus­geht von einem Religionsstifter als solchem, sondern von einer Tat­sache, die einmal geschehen ist in der Welt.

Das ist der Grundunterschied zwischen dem Christentum und den anderen Religionen: Dasjenige, was das Initiationsprinzip, das zum Christus führt, als Aufgabe hat in der Welt, ist verschieden von den Kulturen, die von den anderen Religionsprinzipien ausgegangen sind. Das, was das christliche Initiationsprinzip als Aufgabe innerhalb der Weltenmission hat, ging aus von einer Tatsache, von einem Geschehnis,

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nicht von einer Persönlichkeit. Zu verstehen wird das sein, wenn wir einige Vorbedingungen vorausschicken. Man kann ja einen ein­zigen Satz hinstellen, eine einzige Angabe machen, dann hat man, ob­wohl äußerlich, charakterisiert den Ausgangspunkt des esoterischen Christentums, der christlichen Initiation: Es ist der Tod, der erlebt worden ist in der Vereinigung des Christus mit dem Jesus von Naza­reth. Die Tatsache jenes Todes, die wir nennen das Mysterium von Golgatha, ist das, was verstanden werden soll aus dem Prinzip der christlichen Initiation Nun kann man ein wirkliches Verständnis dieses Todes nur dann gewinnen, wenn man sich die Mission des Todes in­nerhalb unserer Erdenentwickelung überhaupt klarmacht. Gestern wie­sen wir darauf hin, daß Gebrechlichkeit, Siechtum, Krankheit und Tod zusammenhängen mit dem Nichtübereinstimmen unseres von dem luziferischen Prinzipe durchzogenen Ich mit unserer Organisation. Letzten Endes hängt der Tod zusammen mit dem luziferischen Prin­zip, und zwar auf eine sehr besondere Weise. Es wäre eine ganz falsche Auffassung, wenn man annehmen würde, daß Luzifer den Tod ge­bracht hat. Luzifer hat nicht den Tod gebracht. Er hat gebracht, was wir nennen können die Möglichkeit des Irrtums, auch des moralischen, die Differenzierung der Menschen in Rassen und die Möglichkeit der Freiheit. Das hat Luzifer gebracht. Wenn alles das, was Luzifer ge­bracht hat, allein wirksam gewesen wäre in der Menschheit, wenn ihm nichts entgegengesetzt worden wäre, dann hätte dieses luziferische Prinzip dazu geführt, daß die Menschheit aus der fortlaufenden gött­lichen Evolution herausgefallen, herausgebrochen wäre. Die Menschheit hätte sich zwar vergeistigt, aber nach einer ganz anderen Seite hin, als wohin die fortschreitende göttliche Evolution ging. Um die Mensch­heit innerhalb dieser göttlichen Evolution zu erhalten, um sie nicht verlorengehen zu lassen für die göttliche Evolution, mußte eine beson­dere Einrichtung getroffen werden: daß der Mensch immerfort daran gemahnt wird, was es für Folgen hat, wenn er die Möglichkeit des Irr­tums und der Freiheit mißbraucht. Alle Krankheit, Gebrechlichkeit, Siechtum und Tod sind Mahnungen, daß der Mensch sich entfernen müßte von der fortlaufenden göttlichen Evolution, wenn er zu der Möglichkeit der luziferischen Freiheit auch noch gesund und kraftvoll

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wäre. So sind Krankheit, Siechtum und Tod nicht Gaben des Luzifer, sondern Gaben der guten, weisheitsvollen göttlichen Mächte, die da­mit einen Damm vorgesetzt haben den Einflüssen des Luzifer.

So müssen wir sagen: Alles, was uns entgegentritt in der Welt als von außen kommendes fortgesetztes menschliches Übel, als Krankheit und Tod, das ist da, damit wir Menschen an das Erdendasein so lange gefesselt bleiben, bis wir Gelegenheit haben zum Gutmachen, damit wir eine Erziehung haben, uns an unsere Organisation anzupassen. Wir leiden, damit wir aus unserem Leid heraus die Erfahrungen schöp­fen, den Ausgleich zu finden für unser von Luzifer durchzogenes Ich und unsere göttlich durchzogene Organisation. Unsere Organisation entfällt uns so oft, bis wir uns ganz durchdrungen haben in unserem Ich von den Gesetzen der im göttlichen Sinne fortschreitenden Evolu­tion. Jeder Tod ist damit der Ausgangspunkt für etwas anderes. Es kann der Mensch nicht sterben, ohne daß er mitnimmt das, was ihm die Möglichkeit gibt, einstmals den Tod zu überwinden in seinen fort­laufenden Inkarnationen. Alle Schmerzen sind da, damit wir aus den Leiden heraus die Erfahrungen schöpfen, wie wir uns unserer fort­laufenden göttlichen Organisation anzupassen haben. Diese Frage kann aber nicht ohne weiteres außer dem Zusammenhange mit der ganzen Evolution behandelt werden.

Wir können eine solche Sache besonders gut studieren, wenn wir okkult prüfen die Beziehungen des Menschen zu dem nächst niederen Reiche, dem Tierreiche. Wir wissen, daß im Laufe der Entwickelung der Mensch immer den Tieren Schmerz zugefügt hat, daß er Tiere ge-tötet hat. Derjenige, der für das Menschenleben Karma zu erkennen lernt, findet es oft sehr ungerecht, daß das Tier, das sich doch nicht reinkarniert, leiden sollte, Schmerzen ertragen sollte und sogar, was die höheren Tiere betrifft, mit einem gewissen Bewußtsein durch den Tod gegen sollte. Da soll kein karmischer Ausgleich stattfinden! Der Mensch hat natürlich karmischen Ausgleich im Kamaloka für die Schmerzen, die er den Tieren zugefügt hat, aber darüber will ich jetzt nicht sprechen, ich spreche von dem Ausgleich für die Tiere. Machen wir uns einen Gedanken klar. Wenn wir die Menschheitsentwickelung betrachten, so sehen wir, wie viele Schmerzen der Mensch über das

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Tierreich ausgestreut hat und wieviel Tiere er getötet hat. Was bedeu­ten diese Schmerzen, diese Tode im Laufe der Evolution?

Da zeigt uns das okkulte Studium, daß jeder Schmerz, der einem schmerzempfindenden Wesen außer dem Menschen zugefügt wird, daß jeder Tod eine Aussaat ist für die Zukunft. So wie die Tiere gewollt sind durch die fortschreitende göttliche Entwickelung, sind sie nicht bestimmt, Inkarnationen zu haben wie die Menschen. Aber wenn eine Änderung eintritt in diesem weisheitsvollen Weltenplan, wenn der Mensch eingreift und die Evolution der Tiere nicht sein läßt, wie sie sein sollte ohne den Menschen, was geschieht dann? Nun, die okkulte Forschung lehrt uns, daß jeder Schmerz, jeder Tod, den der Mensch den Tieren zufügt, daß diese alle doch wiederkehren und auferstehen, nicht durch Reinkarnation, sondern weil den Tieren Schmerzen und Leiden zugefügt wurden. Diese Schmerzen, diese Leiden rufen die Tierheit wieder hervor. Die Tiere, denen Schmerz zugefügt wurde, werden zwar nicht in derselben Form wiedererstehen, aber das, was in ihnen Schmerz fühlt, das kommt wieder. Es kommt so wieder, daß die Schmerzen der Tiere ausgeglichen werden, so daß jedem Schmerze sein gegenteiliges Gefühl hinzugefügt wird. Diese Schmerzen, diese Leiden, dieser Tod, sie sind die Saat, die der Mensch gestreut hat; sie kommen so wieder, daß jedem Schmerze sein gegenteiliges Gefühl zugefügt wird in der Zukunft. Um ein konkretes Beispiel zu gebrauchen: Wenn die Erde vom Jupiter ersetzt sein wird, dann werden die Tiere in ihrer heutigen Form zwar nicht erscheinen, aber ihre Schmerzen und Leiden werden auferwecken die Empfindungskräfte der Schmerzen. Sie werden leben in den Menschen und sich in den Menschen verkörpern als parasitäre Tiere. Aus den Empfindungen und Gefühlen dieser Menschen heraus wird der Ausgleich geschaffen werden zu ihren Schmerzen. Das ist die okkulte Wahrheit, die man objektiv und ungeschminkt sagen kann, wenn es auch dem heutigen Menschen nicht angenehm ist. Der Mensch wird es einmal erleiden, und das Tier wird in einem bestimmten Wohl­gefühl, in einer guten Empfindung den Ausgleich seiner Schmerzen haben. Das geschieht auch langsam und allmählich schon im Laufe des gegenwärtigen Erdenlebens, so sonderbar es scheint. Warum werden denn die Menschen gequält von Wesen, die eigentlich weder Tiere

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noch Pflanzen sind, sondern zwischen beiden stehen, die ein Wohlge­fühl daran haben, wenn der Mensch leidet, von Bazillenarten und der­gleichen Geschöpfen? Dieses Schicksal haben sie in früheren Inkarna­tionen, dadurch daß sie Leiden und Tod den Tieren zugefügt haben, sich geschaffen. Denn das Wesen, wenn es auch nicht in derselben Form erscheint das empfindet hinüber über die Zeiten und empfindet den Ausgleich der Schmerzen in den Leiden, die der Mensch erfahren muß. So ist alles dasjenige, was an Leiden und Schmerzen geschieht, durchaus nicht ohne Folge. Es ist eine Aussaat, aus der dasjenige her­vorgeht, was durch Schmerz und Leid und Tod bewirkt worden ist. Es kann kein Leid, kein Schmerz, kein Tod geschehen, ohne daß dadurch etwas bewirkt wird, was später aufgeht.

Betrachten wir in diesem Lichte den Tod auf Golgatha, der folgte aus der Vereinigung des Christus mit dem Jesus von Nazareth. Das erste, was demjenigen, der die entsprechende Initiation durchmacht, klar wird, ist, daß dieser Tod auf Golgatha kein gewöhnlicher Tod auf Erden war wie ein gewöhnlicher menschlicher oder ein anderer Tod. Diejenigen Menschen, die noch nicht an das Übersinnliche glauben, können sich überhaupt von diesem Tod auf Golgatha keinen Begriff machen. Denn schon äußerlich hat dieses Mysterium von Golgatha etwas sehr Eigentümliches, etwas, woraus für die Menschen viel zu er­lernen ist. Von dem Mysterium von Golgatha nämlich erzählt keine Geschichtsschreibung, und die Evangelienkritiker behaupten, daß die Evangelien als historische Urkunden gar nicht maßgebend sind. Es sind Initiationsprinzipien auf das angewandt, was nicht aus histori­scher Beobachtung geschrieben worden ist. Was auf Golgatha gesche­hen ist, das können die Initiierten heute noch wahrnehmen, das kön­nen die Menschen, die das Initiationsprinzip durchmachen, noch heute sehen in der Akasha-Chronik. Die Evangelienschreiber haben es auch nur aus der Akasha-Chronik heraus geschrieben. Ein Ereignis ist be­schrieben, aber die ursprünglichen Evangelienschreiber haben nicht daran gedacht, die Wahrnehmungen des physischen Planes dabei zu Rate zu ziehen. So stark war damals schon das Bewußtsein, daß man es zu tun habe mit etwas, das in Beziehung steht zu den übersinnlichen Welten, und daß es das Wichtigste sei, ein Verhältnis zu gewinnen zu

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den übersinnlichen Welten. Von der sinnlichen Welt aus kann ein richtiges Verhältnis zu diesen Ereignissen nicht gewonnen werden. Was geschehen ist, wird durch die Initiation klar. Wenn man sagen würde: Im Beginne unserer Zeitrechnung habe ein Mensch gelebt, Je­sus von Nazareth, er hätte im dreißigsten Jahre seines Lebens eine bestimmte Veränderung erfahren durch die Aufnahme des Christus und wäre nach drei Jahren gekreuzigt worden -, so würde das ein Er­eignis der fortlaufenden Menschheitsgeschichte bedeuten. Wenn man das so sagen würde, so wäre es das Gegenteil von dem, was der Initiierte kennenlernt; es wäre eine Angelegenheit der Menschheit auf der Erde, wenn man es auch noch so sehr vergeistigte. Darauf kommt es bei dem Initiationsprinzip nicht an.

Im Grunde genommen könnte man sagen - aber Sie müssen mich nicht mißverstehen -, radikal könnte man sagen: Zunächst war das, was auf Golgatha geschah, kein Ereignis, das die Menschen etwa an­geht insofern sie auf dem physischen Plan sind. Zunächst! Nicht so, daß man erzählt, daß ein Mensch gelebt habe, Jesus von Nazareth, im Be­ginne unserer Zeitrechnung, der im dreißigsten Jahre seines Lebens eine bestimmte Veränderung erfahren habe durch die Aufnahme des Chri­stus und dann gekreuzigt worden ist in seinem dreiunddreißigsten Jahre, nicht so erzählt man die Initiationswahrheit des Christentums. Man müßte ungefähr so sagen: Der in das christliche Prinzip zu Inituerende erfährt das Folgende. Der Erde ging voran ein Mondenzustand. Wäh­rend dieses Mondenzustandes blieben die luziferischen Wesenheiten zurück. Diese luziferischen Wesenheiten entwickelten sich neben den fortlaufenden göttlich-geistigen Wesenheiten weiter. In der lemuri­schen Zeit kam Luzifer an die Menschen heran, fügte sich in die mensch­liche Erdenentwickelung ein und bewirkte dasjenige, was gestern cha­rakterisiert worden ist. So war Luzifer drinnen in der ganzen mensch­lichen Entwickelung. Wäre die Menschheitsevolution mit dem Luzifer so fortgegangen, so wäre es allmählich geschehen, daß die Mission der Erde nicht an ihr Ziel gekommen wäre. Die Menschheit wäre vertrock­net, das menschliche Ich hätte sich losgelöst, wäre herausgebrochen aus der göttlich-geistigen Evolution. Auf dem alten Monde haben eine Reihe von Wesenheiten, die den übersinnlichen Welten angehören, sozusagen

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erfahren, daß Luzifer abgefallen ist, sich ihnen feindlich gegenübergestellt hat. So mußten die Götter sehen, daß Luzifer der Gegner der fortschreitenden göttlichen Entwickelung geworden ist. Vollständig kann man zunächst außer acht lassen, was den Menschen dabei angeht. Betrachten wir das als eine Angelegenheit der Götter und ihrer Gegner, der luziferischen Wesenheiten, und betrachten wir das Menschengeschlecht wie eine Schöpfung der Götter. So war die Situation.

Nun gibt es ein gewisses Eigenartiges in den geistigen, den übersinn­lichen Welten. Da ist eines nicht vorhanden, was auf der Erde vorhan­den ist, da gibt es den Tod in allen seinen Formen nicht. In den über­sinnlichen Welten verwandelt man sich, man stirbt aber nicht. Meta­morphose, nicht Geburt und Tod sind da vorhanden. Zum Beispiel die Gruppenseelen, die in den übersinnlichen Welten sind, sie sterben nicht, sondern sie verwandeln, metamorphosieren sich. Geburt und Tod be­stehen dort nicht, wo die physische Welt niemals hineingewirkt hat. Nur dort, wo die Eigenschaften der physischen Welt schon einiger­maßen übergegangen sind in die Wesenheiten der übersinnlichen Welt, da ist etwas, was man als analog dem Tode betrachten kann, so wie bei den Naturgeistern; aber darauf können wir uns heute nicht ein­lassen. Bei der eigentlichen übersinnlichen Welt ist nicht Geburt und Tod, sondern nur Verwandlung, Metamorphose.

Bei den göttlich-geistigen Wesenheiten, die als die Schöpfer der Menschen zu bezeichnen sind, kommt Geburt und Tod nicht in Betracht. Luzifer inkarniert sich auch nicht als menschliches Wesen auf der phy­sischen Welt. Er wirkt im Menschen, durch den Menschen, gebraucht die Menschen gleichsam als sein Vehikel. So haben wir es zu tun mit den Göttern und mit den luziferischen Wesenheiten, die auf ihre Schöp­fungen sozusagen hinunterschauen. Wäre die Evolution so fortgegan­gen, wäre nichts geschehen in der Welt der Götter, so wäre die Absicht der Götter mit den Menschen nicht erfüllt worden. Dann hätte Luzifer den Plan der Götter durchkreuzt. Es mußten die Götter ein Opfer brin­gen - das war ihre Angelegenheit -, sie mußten etwas erleben, das in ihre Sphäre so hineinspielte, daß es eigentlich Götter gar nicht erleben können, wenn sie in ihrer Sphäre bleiben. Sie mußten aus ihren Reihen

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ein Wesen auf den physischen Plan schicken, das etwas erlebte, was sonst Götter in den geistigen Welten gar nicht erleben können. Die Götter mußten den Christus auf die Erde herunterschicken zur Be­kämpfung des luziferischen Prinzips. Im Laufe der Zeit, als die Zeit erfüllet war, da schickten die Götter, die man unter dem Namen der gdttlichen Vaterwelt zusammenfaßt, den Christus herab, daß er ken­nenlernte die unendlichen Schmerzen der Menschen, die für einen Gott noch etwas ganz anderes bedeuten als für einen Menschen. Ein­getreten sind damit die Götter in die Erdensphäre zur Bekämpfung der luziferischen Geister. Erleiden mußte ein Gott den Tod am Kreuze, den schimpflichsten menschlichen Tod, wie Paulus besonders betont. Wir durften einmal in der Erdenentwickelung Zeugen werden, indem wir wie durch ein Fenster hineinschauten in die geistigen Welten, von einer Angelegenheit der Götter.

Vorher - so sagt das Initiationsprinzip - mußte der Mensch unter allen Umständen hinaufsteigen in die göttlich-geistigen Welten, um des Initiationsprinzipes teilhaftig zu werden. Vor der ganzen Mensch­heit steht da das Initiationsprinzip in dem Mysterium von Golgatha, ein Ereignis, das zugleich sinnlich auf dem physischen Plane - wenn die Menschen es nur sehen wollen - und übersinnlich ist, eine eigentliche Angelegenheit der Götter. Das ist das Wesentliche, daß einmal ein Gott durch den Tod gegangen ist, als Ausgleich für Luzifer, und die Menschen dabei haben zusehen dürfen. Das ist dasjenige, was das In­itiationsprinzip als christliche Weisheit gibt, und was der eigentliche Ursprung des Vertrauens ist zu der Tatsache, daß den Menschen als Menschen etwas als Kraft zufließen kann, was sie über die Erdensphäre und über den Tod hinausbringen kann: weil einmal die Götter ihre Angelegenheit auf Erden ausgemacht haben und die Menschen dabei haben zusehen lassen. Deshalb ist dasjenige, was vom Mysterium von Golgatha ausströmt, etwas Allgemein-Menschliches. Und wenn schon jeder Schmerz, ein jedes Leid, ein jeder Tod ihre Wirkung haben - so­gar diejenigen, die die Menschen den Tieren zufügen -, so hat auch dieser Tod seine Wirkung. Dieser Tod war eine Saat, die von den Göt­tern ausgesät war, war etwas, was mit der Erde verbunden blieb und seitdem verbunden geblieben ist, so verbunden geblieben ist, daß jeder

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Mensch durch das Vertrauen, durch die Liebe zu den geistigen Welten es finden wird. Er findet es! Der Initiierte erkennt, daß es so ist; der gläubig-vertrauende Mensch fühlt, daß ihm aus den geistigen Welten Hilfe werden kann für sein Streben, wenn er nur genug Glauben und Vertrauen entwickeln kann. In einer ganz bestimmten Weise wird sich das entwickeln.

Da waren diejenigen, die Zeitgenossen der ägyptischen Eingeweih­ten waren. Diese Eingeweihten haben durch Initiation den Schülern die ganze Tragik des Konfliktes der Götter mit Luzifer klargemacht, indem sie in ihren Mysterien symbolisch die Osiris-Seth-Mythe vor die Menschen hinstellten. Schon gestern haben wir betrachtet, was für Empfindungen bei den Ägyptern die Osiris-Seth-Mythe hervorrief. Da lebte das Göttlich-Geistige, zu dem die Menschen gelangen wollten; das nannte man Osiris. Aber auf der Erde kann der Mensch sich mit Osiris nicht vereinigen, er muß erst durch die Pforte des Todes gehen. Auf der Erde konnte Osiris nicht leben, er wurde gleich zerstückelt; hier war nicht der Platz für das in Osiris Verkörperte. Wie zu einem Jen-seits sah die letzte Kulturepoche vor der griechisch-lateinischen zu dem Christus, zu dem Osiris-Prinzip auf. Dann kam die griechische Zeit, die so ganz durchdrungen war von der Empfindung, daß es besser sei, ein Bettler zu sein auf der Oberwelt als ein König im Reiche der Schat­ten. In der Zeit, in der dies noch innerhalb Griechenlands gefühlt wurde, in der alten Heroenzeit, da fühlte man die ganze Diskrepanz des vom luziferischen Prinzip durchzogenen Ich mit der fortlaufenden menschlichen Organisation. Da fühlten die Menschen, daß die vierte nachatlantische Kulturperiode so ablief, daß sie viel hineinzudrängen hatten von dem, was man gerade auf dem Erdenrund erleben kann. Daher das Abnorme, das Sonderbare dieses Zeitraumes. In keinen an­deren Zeitraum fallen so viel merkwürdige Inkarnationsfolgen, wie in diesen vierten Zeitraum. Da müssen die Menschen hier auf der Erde viel austragen, weil sie mehr auf die Erde schauen als auf die jenseitige Welt, wie noch die dritte Kulturepoche getan hatte. Die Griechen schätzten diese Einverleibung in den Osiris nicht, sie sahen mehr dar­auf, soviel wie möglich in die menschlichen Inkarnationen selbst hin­einzulegen, sie wollten in den Inkarnationen möglichst viel ausleben.

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Daher die merkwürdige Tatsache, daß Pythagoras, der große Initia­tor einer gewissen Richtung der griechischen Kultur, in einer früheren Inkarnation als Trojanerheld mitgekämpft hat auf seiten der Tro­janer, so wie er selbst sagt, daß er der trojanische Held war, der im Homer entsprechend angeführt wird, und daß er sich als Gegner der Griechen wiedererkannte, weil er seinen Schild wiedererkennt. Wenn Pythagoras erzählt, daß er Euphorbos gewesen ist, so lehrt Anthropo­sophie dies Bekenntnis voll verstehen. Die Griechen haben besonderen Wert gelegt auf das, was die einzelnen physischen Inkarnationen für sie bedeuten, auch die größten unter ihnen.

Aber der vierte nachatlantische Zeitraum sollte auch die Menschen dazu führen, die geistigen Welten in ihrer vollen Bedeutung zu emp­finden, denn in jene Zeit fiel das Mysterium von Golgatha. Während im Griechentum die Menschen die äußere Welt am meisten schätzten, da ereignete sich in einem unbekannten Winkel der Erde das Myste­rium von Golgatha, da machten die Götter auf dem irdischen Schau-platze, wo die Menschen sonst ihre menschlichen Angelegenheiten aus­machen, ihre eigenen Angelegenheiten aus.

Sah der Ägypter zum Tode hinauf, wenn er an seinen Osiris dachte, so lernte man in dem vierten nachatlantischen Zeitraume kennen, wie eine zeitgenössische Religionsform da war, in welcher der Impuls lebte, der den Menschen die Empfindung bringen konnte, daß in dieser phy­sischen Welt sich etwas abspielt, was eigentlich eine göttliche Angele­genheit ist, die lebendige Widerlegung dessen, was die Griechen bis jetzt geglaubt hatten: Es ist besser, ein Bettler zu sein auf der Ober-welt, als ein König im Reiche der Schatten. - Denn nun lernten die Griechen den kennen, der als König aus dem Reiche der Götter herab­gestiegen war und als Bettler sein Schicksal auf der Erde unter den Men­schen ausgelebt hatte. Das war die Antwort auf die Empfindung des vierten nachatlantischen Zeitraumes. Das ist aber auch jener Empfin­dungskomplex, von dem die Strahlen für die zukünftige Erdenent­wickelung ausgehen können. Der Ägypter hatte aufgeschaut zu Osiris, der für ihn der Christus war, um sich mit ihm zu vereinigen nach dem Tode; im vierten nachatlantischen Zeitraume sah man auf das Myste­rium von Golgatha als auf den zeitgenössischen Akt, der die Menschen

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lehrte, daß auf der physischen Welt ein Ereignis sich abgespielt hat, das eine Angelegenheit der Götter war.

Wir leben im fünften nachatlantischen Zeitraume. In unserem fünf­ten nachatlantischen Zeitraume werden die Menschen hinzufügen die großen Lehren von Karma zu dem anderen, sie werden lernen ihr Karma verstehen. In unserem fünften nachatlantischen Zeitraume er­leben die Menschen den dritten Akt, der sich konsequent anschließt an den Osiris-Akt und an den Akt des Mysteriums von Golgatha. Sie werden lernen zu begreifen die Vorstellung: Ich bin auf die Erde durch die Geburt hineingestellt; mein Schicksal ist auf der Erde, ich erlebe Freude und Leid, ich muß verstehen, daß das, was ich erlebe als Freude und Leid, nicht umsonst an mich herantritt, daß es mein Karma ist, und daß es zu mir kommt, weil es mein Karma ist, mein großer Erzie­her. Ich blicke auf das, was vor meiner Geburt war, was mich in diese Inkarnation hineingestellt hat, weil dieses mein Schicksal für meine Weiterentwickelung notwendig ist. Wer hat mich hergeschickt? Wer wird mich so lange hineinstellen in mein Schicksal auf dieser Erde, bis ich mein Karma abgetragen habe? Ich werde dies danken dem Christus, daß die Menschen immer wieder berufen werden können zum Erleiden der Schicksale, bis sie ihr Karma auf Erden ausgetragen haben. - Des-halb konnte Jesus von Nazareth, aus dem der Christus sprach, nicht zu den Menschen sagen: Versucht, so schnell wie möglich aus dem phy­sischen Leibe herauszukommen -, sondern er mußte zu den Menschen sagen: Ich werde euch so lange in euer Schicksal auf diese Erde hinein­stellen, bis ihr euer Karma abgetragen habt. Ihr müßt euer Karma austragen. - Die Menschen werden, je mehr wir uns der Zukunft nähern, lernen, daß sie mit dem Christus vereinigt waren vor der Ge­burt, daß sie von ihm die Gnade erlebt haben, ihr altes Karma in den Inkarnationen abzutragen.

So schauten die Menschen des vierten nachatlantischen Zeitraumes zu dem Jesus von Nazareth auf als zu dem Träger des Christus. So werden die Menschen unserer Zeit lernen, daß der Christus immer übersinnlicher sich offenbaren wird und immer mehr regieren wird die Karmafäden in den Angelegenheiten der Erde. Sie werden kennen­lernen jene geistige Macht als jenes Schicksal, das die Griechen noch

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nicht erkennen konnten: das die Menschen dazu bringen wird, auf die angemessenste Weise in den nächstfolgenden Inkarnationen ihr Karma auszutragen. Als zu einem Richter, als zu einem Herrn des Karma wer­den die Menschen in der Aufeinanderfolge der Inkarnationen auf­schauen zu dem Christus, wenn sie ihr Schicksal erleben. So werden die Menschen zu ihrem Schicksal stehen, daß sie dadurch angeregt werden, ihre Seelen immer mehr zu vertiefen, bis sie sich sagen können: Mir wird dies Schicksal nicht zuerteilt durch eine unpersönliche Macht, mir wird dies Schicksal zugeteilt durch dasjenige, mit dem ich mich verwandt fühle in meinem innersten Wesen. Im Karma selbst nehme ich wahr, was mit meinem Wesen verwandt ist. Mein Karma habe ich gern, weil es mich besser und besser macht. - So lernt man Karma lie­ben, und dann ist dies der Impuls, den Christus zu erkennen. Ihr Karma lieben, lernten die Menschen erst durch das Mysterium von Golgatha. Und immer weiter und weiter wird dies gehen und immer mehr wer­den die Menschen lernen, daß unter Luzifers Einfluß allein die Erde niemals an ihr Ziel hätte kommen können, daß die Menschheitsent­wickelung immer mehr hätte verderben müssen ohne den Christus.

Aber das Christentum sieht nicht auf den Christus als auf eine Per­sönlichkeit, als auf den Stifter eines abstrakten Religionssystems. In unserer heutigen Zeit stiftet ein Religionsstifter nach den Anforderun­gen unserer Zeit nur Unfrieden. Nicht von einer Persönlichkeit geht die christliche Initiation aus, sondern von einer Tatsache, einem unper­sönlichen Götterakt, der sich abgespielt hat vor den Augen der Men­schen. Daher ist dies Geheimnis von Golgatha, von dem, was sich ab­gespielt hat am Anfange unserer Zeitrechnung, wovon ausgegangen ist die Saat dieses einzigartigen Todes, die nun aufgeht als die Liebe des Menschen zu seinem Schicksal, zu seinem Karma, in einer besonderen Art der Menschheit überliefert worden.

Wir haben gesehen, daß der Tod, den die Menschen den Tieren zu-fügen, eine gewisse Folge hat. Der Tod auf Golgatha wirkt wie ein Same in der menschlichen Seele, die da fühlt ihre Beziehung zum Chri­stus. So war es mit dem Mysterium von Golgatha: Der Eine ist gestor­ben, so wie wir den einen Samen nehmen können und ihn in die Erde legen können, daß er aufsprießt auf dem Acker und dasjenige sich vermehrt,

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was aus dem einen Samen aufgegangen ist. So wurde der Tod eines Gottes am Kreuze realisiert. Das Samenkorn wurde ausgestreut auf Golgatha, der Boden war die menschliche Seele; was aufsprießt, sind die Beziehungen des Menschen zum übersinnlichen Christus, der nie mehr verschwinden wird aus der Evolution der Erde, der immer auf die allerverschiedenste Weise den Menschen erscheinen wird. So wie die Menschen ihn physisch geschaut haben in der Zeit des Myste­riums von Golgatha, so werden sie in einer nahen Zukunft sich erhe­ben zu einem ätherischen Christus-Bilde: sie werden den Christus schauen, wie Paulus ihn geschaut hat.

Dasjenige, was die christliche Initiation birgt, ist bewahrt worden im Sinnbilde des Heiligen Grales, es ist gebracht worden in diejenige Gemeinschaft, die die christliche Initiation erteilt. Für diejenigen, die die christliche Initiation erhalten, ist das, was hier gesagt ist, nicht eine abstrakte Theorie, nicht eine Hypothese, sondern eine Tatsache der übersinnlichen Welten. Die Pflege der christlichen Initiation, sie wurde übertragen denen, die Pfleger waren des Heiligen Grals und später den Pflegern der Gemeinschaft des Rosenkreuzes. Unpersönlich sollte wirken seiner ganzen Natur nach, was von der christlichen In­itiation ausgeht. Alles Persönliche sollte dabei ausgeschlossen sein; denn das Persönliche hat nur Streit und Hader in die Menschheit gebracht und wird es in der Zukunft immer mehr bringen. Daher ist es ein stren­ges Gesetz für diejenigen, die - symbolisch gesprochen - dem Heiligen Gral dienen, oder - wirklich gesprochen - der Pflege der christlichen Initiation dienen, daß keiner von denen, die eine führende Rolle erster Ordnung zu spielen haben innerhalb der Brüderschaft des Heiligen Grals oder der Gemeinschaft des Rosenkreuzes, weder sie noch die in ihrer Umgebung leben, von den Geheimnissen, die in ihnen walten, sprechen dürfen, bevor hundert Jahre nach ihrem Tode verflossen sind. Es gibt keine Möglichkeit, zu erfahren, was es für eine Bewandtnis mit einer führenden Persönlichkeit erster Ordnung hat, bevor hundert Jahre nach ihrem Tode verflossen sind.

Das ist ein strenges Gesetz innerhalb der Rosenkreuzergemeinschaft seit ihrer Gründung. Wer ein Führer innerhalb der Rosenkreuzergemein-schaft ist, davon erfährt exoterisch nie jemand etwas, bevor nicht hundert

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Jahre verflossen sind nach seinem Tode. Dann ist das, was er gege­ben hat, schon übergegangen in die Menschheit, ist ein objektives Gut der Menschheit geworden. Daher ist alles Persönliche ausgeschlossen. Nie­mals wird es möglich sein, auf eine Persönlichkeit im irdischen Leibe hinzuweisen als Träger des christlichen Geheimnisses. Erst hundert Jahre nach dem Tode einer solchen Persönlichkeit würde dieses mög­lich sein. Das ist ein Gesetz, das alle Brüder des Rosenkreuzes wohl beobachten. Nie wird ein Rosenkreuzerbruder hinweisen auf eine le­bende Persönlichkeit als auf einen Führer erster Ordnung in bezug auf dasjenige, was als christliche Initiation einfließen soll in die Mensch­heit. So wie in den alten Zeiten schon prophetisch hingewiesen werden konnte auf diejenigen, die da kommen würden, so wie den Propheten ihre Vorläufer vorangingen, ihre Propheten, so wie diese Propheten hinwiesen auf die Religionsstifter, die später kommen sollten, so wie in der Zeit des Jesus von Nazareth die Zeitgenossen, zum Beispiel der Täufer, hinwiesen auf denjenigen, der ihr Zeitgenosse war, so wurde die geistige Organisation der Menschheit notwendigerweise nach dem Mysterium von Golgatha in der Weise verändert, daß es Prophetenart nicht mehr sein kann, hinzuweisen auf eine Persönlichkeit, die kom­men wird oder da ist. Sondern es wird auf eine Persönlichkeit, die Trä­ger war des christlichen Geheimnisses, jener geistigen Tatsache, die ge­prüft ist von den Menschenherzen, erst hundert Jahre nachdem sie durch die Pforte des Todes vom physischen Plane geschritten ist, hin­gewiesen werden.

Alle diese Dinge geschehen nicht aus menschlicher Willkür heraus, sondern aus dem Grunde, weil sie geschehen müssen. Sie müssen ge­schehen, weil die Menschheit jetzt vor einer Zeit steht, wo Liebe, Friede und Verständnis sich verbreiten müssen in dem Prozesse der Menschheitsentwickelung. Sie werden sich aber nur verbreiten, wenn wir das, was da ist, unpersönlich nehmen lernen, wenn wir das ver­treten lernen, was der Menschheit gegeben worden ist im Laufe der Menschheitsentwickelung, worinnen die Wahrheit gewirkt hat. Nicht mehr werden wir jemals, wenn wir als Abendländer einem Buddhisten entgegentreten, ihn überredend oder zwangsweise zu einem Christen machen wollen, weil wir glauben, daß das, was ihm selbst gegeben ist

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und was als das Tiefste in seiner Religion enthalten ist, ihn schon zum Christus hinführen wird. Wir glauben vor allen Dingen seiner eigenen Wahrheit. Wir verletzen nicht das Gefühl des Buddhisten, indem wir sagen, es sei nicht wahr, daß sein Religionsstifter, nachdem er als Bo­dhisattva unter den Menschen gelebt hat, als Buddha keine Anwart­schaft mehr hat auf physische Inkarnationen. Dadurch stiften wir Frie­den innerhalb der Religionsbekenntnisse. So wird in Zukunft der Christ den Buddhisten, so wird der Buddhist den Christen verstehen. Der Buddhist, der das Christentum verstehen wird, wird sagen: Ich begreife, daß der Christ ein Unpersönliches zu seinem Religionsprinzip macht, eine unpersönliche Tatsache, die Tatsache des Mysteriums von Golgatha, eine Götterangelegenheit, wo der Mensch zusehen und auf­nehmen darf, was ihn mit dem Göttlichen verbinden kann. - Kein verständiger Buddhist wird kommen und dem Christen sagen, daß der Christus verkörpert werden kann in einem physischen Leibe. Er wird vielmehr darin eine Übertretung des wahren Religionsprinzips sehen. Kein neues, Unfrieden stiftendes Bekenntnis mit einem religiösen Füh­rer persönlicher Art wird auf diese Weise in die Welt gestellt werden, sondern das Einweihungsprinzip selbst mit seinem Frieden, seiner Har­monie, seiner Verständnis stiftenden Art, wird allen Religionen bele­bendes Verständnis entgegenbringen und nicht die Wahrheit einer Re­ligion der anderen aufdrängen wollen. So wie der morgenländische Buddhist dem Abendländer, der ihm sagen würde, daß der Buddha im fleischlichen Leibe erscheinen könne, antworten würde: Dann ver­stehst du nichts davon, dann weißt du eben nicht, was ein Buddha ist -, so würde der Buddhist, der den wahren Nerv des Christentums erfaßt hat und Geist-Erkenntnis in Ernst und Würde vertritt, demjenigen, der ihm sprechen würde von einem im Fleische verkörperten Christus, ant­worten: Du verstehst das Christentum nicht, wenn du glaubst, daß der Christus wiederkommt im fleischlichen Leibe, du verstehst das Chri­stentum ebensowenig, wie derjenige den Buddhismus versteht, der glau­ben würde, daß der Buddha in einem fleischlichen Leibe erscheinen könnte. - Was der Christ, wenn er Anthroposoph ist, dem Buddhisten immer zubilligen wird, das wird der Buddhist, wenn er Anthroposoph ist, dem Christen auch zubilligen. Und so jeder Bekenner jedes Religionsbekenntnisses

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der Erde. So wird Anthroposophie die große, ver­ständnisvolle Vereinigung, die Synthese der religiösen Bekenntnisse auf der Erde bringen.

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DIE GEHEIMNISSE DER REICHE DER HIMMEL IN GLEICHNISSEN UND IN WIRKLICHER GESTALT Köln, 7. Mai 1912

Welche Bedeutung Theosophie für die Menschen der Gegenwart und Zukunft immer mehr gewinnen muß, das wird man erst langsam und allmählich einsehen. Man wird es einsehen, wenn man sich hineinleben wird in das Verständnis gewisser Dinge, die ja angedeutet sind in reli­giösen und okkulten Schriften, die aber gewöhnlich nicht tief genug ge­nommen werden. Da könnte man auf tausend und aber tausend Stellen hinweisen in solchen religiösen und okkulten Schriften, deren Tiefe gar nicht erkannt wird, weil die Menschen nur oberflächlich darauf hin­schauen. Heute will ich nur hinweisen auf eine tief, tief bedeutsame Stelle in den Evangelien: «Denjenigen, die draußen stehen, ihnen werden die Geheimnisse offenbart in Gleichnissen, so daß sie sehen und doch nicht sehen, daß sie hören und doch nicht hören, daß sie verstehen und doch nicht begreifen. Euch aber sollen die Geheimnisse der Reiche der Himmel ohne Gleichnis in ihrer wahren Gestalt offenbar werden.»

Man denkt gewöhnlich gar nicht daran, welche unendlich tiefe Bedeutung solch eine Stelle hat. Was heißt denn dies, und wo sind diese wichtigsten Gleichnisse, von denen der Christus zu seinen Jün­gern spricht? Die wichtigsten Gleichnisse sind diejenigen, die man gewöhnlich gar nicht als Gleichnis auffaßt.

Der Mensch nimmt dasjenige, was er sieht im mineralischen, im pflanzlichen, im tierischen Reich neben sich auf dem physischen Plan, an als eine Wirklichkeit, als etwas, was da ist. Er sieht dieses Tier, jene Pflanze und stellt sich vor, das seien Dinge, die wirklich da sind. Er sieht Vorgänge in Luft und Wasser und stellt sich vor, das seien Vorgänge, die wirklich da wären. Sie sind es nicht. Denn alle diese Vorgänge in den Naturreichen um uns herum, alles, was sich abspielt in Luft und Wasser, ist nichts anderes als Vorgänge in der geistigen Welt, die sich offenbaren durch das, was im Physischen geschieht. Sie sind Offenbarungen geistiger Vorgänge. Diese sind die wahre Wirk­lichkeit, die Realität. Nichts ist real als die geistige Welt, und erst

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wenn wir in allen Dingen und Vorgängen das Geistige erkennen kön­nen, dann haben wir in Wahrheit die Realität erkannt. Alles in der physischen Welt hat nur den Wert eines Gleichnisses für dasjenige, was dahintersteht, die geistige Welt. Alle Vorgänge in der Tier- und Pflan­zenwelt müssen wir so betrachten lernen und auch alles, was wir im Menschenreich sehen, was Eindruck macht auf den Verstand, den In­tellekt. Alles das sind nichts als Gleichnisse, und erst derjenige, der sie deuten lernt, kommt zu der Wirklichkeit, der Realität.

So gehen die Menschen durch die Welt, schauen sich die Vorgänge an und wissen nicht, daß diese nur Gleichnisse sind. Durch Gleich­nisse wird durch die Natur selbst zum Menschen gesprochen; erst dann wird von der Wirklichkeit gesprochen, wenn vom Geiste die Rede ist. - In Bildern, die der Natur entnommen sind, erklärt der Christus Jesus seinen Jüngern Vorgänge, die dem Geiste angehören. Da spricht er vom Samenkorn, das ausgestreut wird und die verschiedensten Schicksale erlebt. Das kann nur Gleichnis sein, weil die Dinge in der Natur ja selber Gleichnisse sind. Dann aber, wenn er seinen Jüngern klarmacht, daß er eins ist mit der geistigen Natur alles Daseins, daß er durchgehen müsse durch den Tod, daß dasjenige, was in ihm lebt und was hineingesenkt werden muß in den Tod, um dann aufzugehen als eine Kraft der Menschenseelen und Menschenherzen, die er allen Menschen geben soll durch diesen Tod, da spricht er von der Wirklichkeit, denn da spricht er vom Geiste und davon, was durch diesen Geist geschieht. Daher ist es auch nur dann eine wahre Erkenntnis, wenn der Mensch nach und nach hinter die Geheimnisse der Welt so kommt, daß er das­jenige, was ihm draußen entgegentritt, kennenlernt als Gleichnis für geistige Vorgänge. In der Tat bereichert sich die Seele des Menschen dann erst fruchtbringend, wenn er diesen Standpunkt finden kann ge­genüber der Außenwelt.

Wenn sich ihm diese Außenwelt nach und nach vom Geiste durch­leuchtet zeigt, da lebt sich der Mensch anders in sie hinein als vorher, da findet er überall die Spuren des Geistes in ihren Rhythmen. Wir sehen an uns selber ein immer wiederkehrendes rhythmisches Ereignis:

das Einschlafen und Aufwachen. Wir wissen, daß der Mensch inner­halb vierundzwanzig Stunden wiederholen muß dieses Aufglänzen

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des normalen Tagesbewußtseins und wiederum das Herabdunkeln in den Schlafzustand. Wenn wir uns nun fragen, was sich denn draußen in der großen Welt vergleichen läßt mit diesem rhythmischen Wechsel von Schlafen und Wachen beim Menschen, so würde ja vielleicht vie­len einfallen der rhythmische Wechsel im Pflanzenreich, das Wachsen der Pflanzen im Frühling und ihr Verwelken im Herbst. Der Mensch sieht im Frühling die Pflanzen sprossen und sprießen bis in den Som­mer hinein, er sieht im Herbst die Früchte reifen durch die Kraft der Sonne, die im Frühling und Sommer in die Erde hineinströmt. Ausge­löscht scheinbar ist dann alles im Winter, um dann wiederum im Früh­ling aufzusprießen. Da könnte der Mensch wohl vergleichen sein eige­nes Aufwachen am Morgen mit dem Aufwachen der physischen Na­tur, und sein Einschlafen mit dem Verwelken im Herbst. Aber das wäre ein schwerer Irrtum, dem wir uns nicht hingeben dürfen, wenn wir auf die Wahrheit sehen.

Was erleben wir denn, wenn wir einschlafen? Da geht hinaus Astral­leib und Ich. Sie verlassen den physischen und den Ätherleib. Wenn wir nun sehen würden, was physischer und ätherischer Leib in der Nacht tun, da würden wir beobachten können, daß sie in ganz anderer Tätig­keit sind als in einer solchen, die man mit dem Verwelken im Herbst vergleichen könnte. Das kann man aber nur sehen, wenn man von der geistigen Welt aus hinabschaut auf den physischen und ätherischen Leib. Da sieht man sie sich anders verhalten als am Tage. Denn am Tage sieht man, daß sie sich abnutzen, und wenn wir abends ermüdet sind, so ist das nur ein Zeichen dafür, daß wir unseren physischen und ätherischen Leib abgenützt haben. Das Leben im vollen Tagesbewußt­sein ist ein Ruinieren, ein Zum-Absterben-Bringen unseres physischen und ätherischen Leibes. Abends sind sie am meisten abgenutzt; dann schlafen wir ein. Und wenn wir dann geistig hinschauen auf sie, da sehen wir, wie im physischen und Atherleibe eine rein vegetative Tä­tigkeit beginnt, die wir vergleichen können mit dem, was im Frühling geschieht. Es beginnt da wie zu blühen, zu sprossen, zu grünen im physischen und Ätherleibe, als ob im Inneren des Menschen sich etwas vollzöge, was sich vergleichen läßt mit dem, was im Frühling draußen in der Natur geschieht. Den Moment des Einschlafens müssen wir also

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vergleichen mit dem Frühling, und je tiefer wir in die Nacht hinein­schlafen, desto mehr ist es so, daß wir das, was im Inneren des Men­schen sich vollzieht, vergleichen können mit dem, was im Sommer draußen geschieht. Denn immer intensiver wird diese vegetative Tätig­keit in unserem Leibe. Dann aber beim Aufwachen ist es wie der Herbstzustand draußen in der Natur. Da tritt mit dem aufwachenden Bewußtsein das ein, was den Sommerzustand zum Welken bringt, und im Laufe des Tages tritt eine solche Öde des physischen und ätheri­schen Leibes ein, daß dasselbe verursacht wird wie der Winterzustand draußen, wenn die Pflanzen verwelkt sind und die vegetative Tätig­keit erstorben ist. - So müssen wir im geisteswissenschaftlichen Sinne das Einschlafen mit dem Frühling und das Aufwachen mit dem Herbst vergleichen.

Beim Einschlafen, also im Frühlingszustande, verläßt nun der astra­lische Leib und das Ich den physischen und den ätherischen Leib. Drau­ßen in der Natur ist es in der Tat auch so, daß die Geister der Erde, die verbunden sind mit dem Pflanzenreich, sich im Frühling sozusagen freimachen von dem Physischen der Pflanzenwelt und daß diese dann erst eigentlich so recht in wirkenden Tätigkeitszustand kommt. Es schlafen im Sommer diese geistigen Wesenheiten, die mit dem Pflanzen­reich verbunden sind, und im Winter wachen sie auf und durchziehen die Planetenmasse. Nun ist es ja so, daß, während Winter ist auf der einen Hälfte der Erde, ist Sommer auf der anderen. Wie wirkt sich das aus? - Das rhythmische Spiel ist so, daß die Geister der Erde, wenn sie im Sommer die Nordhälfte der Erde verlassen, nach der Süd-hälfte hinziehen. Sie durchziehen und umkreisen rhythmisch die Erde. Im Menschen geschieht dasselbe. Er glaubt zwar, sein Denken, sein Bewußtsein sei nur im Kopfe, und wenn er nachts heraußen sei, glaubt er, in ihm sei nichts mehr, was da denkt. Aber in Wahrheit ist es so, daß dann die untere Hälfte seines Leibes tätig ist, daß da ein Denken und Be­wußtsein anderer Art als das menschliche sich abspielt, so daß da auch ein rhythmisches Umkreisen im Leibe des Menschen stattfindet. Im Frühling können wir sagen: Nun beginnen die Erdgeister zu schlafen; sie haben sich zurückgezogen von dem Teil der Erde, wo Sommer ist. Da ist dann vegetatives Leben wie beim Menschen, wenn er einschläft und

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in seinem Leibe das vegetative Leben beginnt. Im Winter aber wachen die Erdgeister. Da sind sie mit der Erde vereinigt, wie im Menschen im Tagesleben sein waches Bewußtsein in ihm ist. Wenn wir im Sommer auf der Erde stehen, haben wir die physische Natur um uns, die auf-jubelt in ihrem Physischen. Da sprießt und sproßt alles in der Pflan­zenwelt, und auch alle niederen geistigen Wesenheiten, die die Bau­meister sind am Pflanzenwuchs, sind da in Tätigkeit. Im Winter aber, wenn die Schneedecke sich über die Erde breitet, wenn die vegetative Tätigkeit schlummert, da wissen wir, daß die höchsten göttlichen We­senheiten, die da schaffend, wirkend, webend sind im kosmischen All, daß diese um uns sind, daß das höchste göttliche Leben, göttliches Bewußtsein in der Erde wirkt. So ist es, wenn es Winter ist, nicht, wenn es Sommer ist. - Das lehrt uns erkennen eine wahre Geisteswis­senschaft.

Die Geisteswissenschaft, die mit vollem, klarem Bewußtsein in diese Dinge einzudringen vermag, weiß, daß der Mensch, wenn er dies alles nicht nur theoretisch im Kopfe hat, sondern es auch mit dem Herzen fühlen kann, sagen kann: 0 du heraufkommende Frühlings­und Sommerkraft, du bringst alles in der physischen Natur zum Sprie­ßen und Blühen, du rufst die Elementarwesen heraus aus der Erde an ihre Arbeit. - Und während des Sommers, in der Sommermitte, da feiern diese niederen Elementarwesen etwas wie eine Ekstase, wie einen Paroxysmus. Das ist dann, wenn die Sonnenwende, das Johannifest gefeiert wird. Dann kommt der Herbst und die Winterzeit, und da soll der Mensch in tiefster Seele fühlen: Mit dem Nachlassen der äuße­ren physischen Sonnenkräfte, mit dem Heraufkommen der Winter­zeit, wenn alles draußen abstirbt, wenn es dunkler und immer dunkler wird, dann vereinigen sich die höchsten göttlich-geistigen Kräfte mit dem Erdenstück, auf dem wir leben, da fühlen wir uns wie eingehüllt in diese höchsten geistigen Wesenheiten, fühlen uns ihnen in tiefster Seele zugehörig. So fühlen wir tiefste Andacht, wenn wir das wissen, daß wir beim Heraufkommen des Winters zuschauen dürfen den dem Menschen urverwandten geistigen Kräften, wie sie sich unmittelbar in unserer Umgebung offenbaren. Sie kennenzulernen, dazu ist Theoso­phie berufen. Sie wird über dieses alles den Menschen Klarheit bringen.

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Wir wissen, daß Theosophie uns wiederzubringen hat dasjenige, was die Menschen einst in traumhaft-dumpfem Hellsehen besessen ha­ben. Wir erobern uns wieder eine uralte Erbschaft der Menschen. Eine traumhafte hellseherische Uroffenbarung war das für die Menschen, und es gibt Zeugnisse dafür, daß dem so war. Denn deshalb ist das Johannifest in die Mitte des Sommers verlegt, weil es die Menschen hinführen soll zu dem Bewußtsein: Jetzt ist das Physische am meisten entfaltet, jetzt feiern die niederen Elementarwesen etwas wie eine Ekstase in der Entfaltung ihrer stärksten Kräfte. Die Zeit des Jo­hannifestes ist festgelegt aus einem uralten Bewußtsein der Menschen heraus. In dieser Ekstase des Physischen vergißt der Mensch sein Gei­stiges, da gibt er sich hin an die unmittelbare Pracht der physischen Natur. Aber gewußt haben diese alten Hellseher ebensogut, daß im Winter sich vereinigen die höchsten geistigen Kräfte mit unserem Er­denleibe. Daher hat jenes alte Bewußtsein überall, wo es tätig sein konnte, jenes Fest, das andeuten soll, daß der Mensch sich vereinigt fühlt mit dem Geistigen der Erde, das Weihnachtsfest, in die Mitte des Winters gelegt. Das Fest des göttlichen Wesens, des Erdgeistes, konnte eine hellsichtig wissende Menschheit niemals in die Sommerzeit legen, sondern es mußte in der Winterzeit gefeiert werden. In der Weihezeit, da fühlte sich die Seele vereinigt mit den göttlich-geistigen Kräften, die dann die Erde durchdringen. Das Weihnachtsfest gehört in den Winter, wie das Johannifest in den Sommer gehört.

Wenn man dies gewahr wird, wie die Feste lebendig zu uns sprechen in dem Sinne, wie das alte Menschheitsbewußtsein sie festgesetzt hat, da fühlt man sich geistig vereinigt mit dem Sinn dieser Feste. Man er­kennt, was durch eine solche Erkenntnis in der Menschenseele ange­regt werden soll.

Das Herabkommen des äußeren physischen Sonnenlichtes, der phy­sischen Himmelskräfte auf die Erde im Frühling und das sich Zurück­ziehen des Geistes in die heiligen Sphären - wie sich in der Nacht zu­rückzieht der Geist des Menschen in die geistige Welt -, das ist wun­derbar ausgedrückt im Osterfest, das festgelegt ist so, daß die Kon­stellation von Sonne und Mond und der Gestirne zur Festsetzung dieses Festes benutzt sind. Wie sichtbarlich einschlafen die geistigen Kräfte

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im Frühling, das wird durch diese Konstellation ausgedrückt. Es ist charakteristisch für unsere materialistische Zeit, daß man daran denkt, weil es der Materialismus so braucht, das Osterfest festzulegen, es zu fixieren, das also, was ihm seinen Sinn gibt, aufzugeben um industriel­ler und kommerzieller Erleichterungen willen. Ein rechter Ausdruck des materialistischen Sinnes unserer Zeit! Für den Abschluß gewisser Rechnungen mag es ja bequem sein, daß das Osterfest nicht einmal im April und im nächsten Jahre im März gefeiert wird, aber gerade dieses Bestimmen des Osterfestes nach der Konstellation am Himmel drückt aus, wie Irdisches und Himmlisches zusammenwirken. In dieser Fest­setzung der Feste ruht eine große Weisheit der Urmenschheit. Aller­dings siegen werden wohl die kommerziellen Interessen, und man wird wohl das Osterfest auf eine äußere Zeit fixieren, aber es würde schlimm stehen um dasjenige, was die Menschheit sich bewahren soll, wenn man den Sinn eines solchen Festes vergessen würde. Daher wird die Theo-sophie berufen sein, wenn auch das Osterfest nach äußeren Interessen festgelegt wird, es fortzuzählen als ein bewegliches Fest, das allein fixiert werden kann durch die Konstellation von Sonne, Mond und Gestirnen.

Neben dem materialistischen Osterfest wird es daher ein spirituel­les Osterfest geben, das wir in unseren Herzen weiter feiern, so daß wir uns des Zusammenhangs mit der geistigeh Welt bewußt sind. Dieses spirituelle Osterfest wird sein ein Gleichnis für den geistigen Vorgang:

Im Frühling schlafen ein die Bewußtseine der höheren geistigen Wesen­heiten. Im Herbste aber erwachen die höchsten geistigen Bewußtseine, und im Winter sind sie mit unserer Erde verbunden. - Wenn man das recht fühlt, dann wird man auch nach und nach erkennen, daß der Mensch überhaupt zum Geiste gehört und daß die äußere physische Natur nur ein Gleichnis ist. Und immer mehr wird der Mensch erfah­ren wollen, wie er zum Geiste, nicht aber, wie er zur äußeren Natur, dem Gleichnis, steht.

Wir leben im fünften nachatlantischen Zeitraum, und öfter ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß dieser Zeitraum eine Wie­derholung des dritten, des ägyptischen Zeitraums ist. Wir leben so, daß in unserem Denken, Fühlen und Wollen dasjenige wieder herauskommt,

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was im alten Ägyptertum lebte. Nun sollten im ägyptisch-chaldäischen Zeitraum die Menschen hauptsächlich ihren Zusammenhang mit der Sternenwelt entwickeln. Die Astrologie wurde in diesem Zeitraum ge­funden und besonders gepflegt. Da wußten die Menschen unmittelbar hellsichtig, wie die Sternkonstellation zusammenhängt mit dem Leben und Schicksal des Menschen. Man sah tief hinein in die geheimnisvollen Zusammenhänge zwischen dem Sternenraum und dem menschlichen Schicksal. Es hat außerordentliche, große Geister gegeben in der Neu­zeit, in denen das gleichsam weiterwirkte. Sie waren ja auch im ägyp­tisch-chaldäischen Zeitraum inkarniert, und in den darauffolgenden Inkarnationen leuchtete ihnen wie unmittelbar aus einer inneren See­lenkraft auf ein tiefes, intuitives astrologisches Wissen. So war es bei dem wiedergeborenen Julian Apostata, bei Tycho Brahe. Er hat viel auf jenen geheimnisvollen Zusammenhang gegeben, wie man das mensch­liche Schicksal verknüpft denken kann mit dem, was als geheimnis­volle Formen in den Sternkonstellationen sich bildet. Das gilt heute der Wissenschaft als unumstößlich, daß Tycho Brahe ein großer Astro­nom war, der eine Anzahl neuer Sterne am Himmel entdeckt, eine Sternkarte gezeichnet hat. Da ist es verzeihlich, so sagen die Wissen­schafter, daß er auch ein Astrolog war, der aus den Sternen heraus den Leuten allerlei prophezeite. Sie verzeihen es dem Tycho Brahe, daß er durch seine tiefen astrologischen Erkenntnisse den Tod des Sultans Soliman voraussagte, als er an der Universität Rostock lehrte. Sie ver­zeihen es ihm, daß er durch eine solche Voraussage die Welt in Erstau­nen setzte und sagen, das war nur eine Schwäche dieses sonst großen Mannes, über die man hinwegsehen muß. Und sie verzeihen es ihm so­gar, daß der Tod des Sultans genau nach der Prophezeiung wirklich eingetroffen ist! - In Tycho Brahe aber sehen wir die alte ägyptische Weisheit wiederum aufleuchten. Sie muß hineinleuchten in unsere Zeit, die eine Wiederholung der ägyptischen Zeit ist. Heute müssen wir auch den Zusammenhang des Irdischen mit dem Göttlichen aufsuchen. Da müssen wir aber nicht nur in den Himmelsraum hinausschauen, sondern wir müssen studieren die Gleichnisse für die göttlichen Welten, die wir in der physischen Welt finden. Im Kleinsten und im Größten können wir die finden. Wenn wir zum Beispiel studieren, wie an jeder Pflanze

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die Blattansätze sind, da werden wir finden, wenn wir die Linie ver­folgen, wie um den Stengel herum sich Blatt an Blatt ansetzt, daß wir da eine Spirallinie bekommen. Wir sehen, daß die Blätter in Spiralen rhythmisch um den Stengel wachsen da, wo der Stengel steif ist. Bei anderen Pflanzen, zum Beispiel bei der Ackerwinde, da sehen wir den Stengel selber diese Spirallinie beschreiben. Die Menschen beachten solche Dinge nicht. Wenn sie so etwas studieren würden, da würden sie eine neue Entdeckung machen. Sie würden sehen, daß diese Spiral -bewegung abhängt von Kräften, die gar nicht auf der Erde sind, die von den Planeten herabwirken. Diese Planeten machen eine spiralige Bewegung im Himmelsraum und wirken so herab, daß sie die Pflan­zen veranlassen, dieselbe spiralige Bewegung um ihren Stengel zu ma­chen. Der Stengel wächst aber von unten nach oben. Durch diese Be­wegung wird durchschnitten diese Spiralbewegung. Das ist die Kraft, die den Abschluß macht nach oben, die die Blüte zum Ansatz bringt. Diese Kraft geht von der Erde aus zur Sonne und umgekehrt. Eine Pflanzenart ist dem einen, eine andere dem anderen Planeten mit ihrer Bewegung zugeteilt. Es wird eine Zeit kommen, wo man wissen wird, wie sich die Venus oder ein anderer Planet bewegt. Nicht aus einer äußeren astronomischen Berechnung heraus wird man das wissen, son­dern man wird studieren die Pflanzen, die Venuswesen sind und die in ihrer Spiralbewegung ein Spiegelbild sind im Kleinen zu der absoluten Venusbewegung. Droben zieht die Venus die große Spirale im kosmi­schen Raum, und die Pflanzen ahmen sie nach in ihrer Bewegung in ihren kleinen Spiralen. Ihre Schriftzüge prägen in die Erde die Ge-stirne ein im Pflanzenwachstum, und die Sonne macht den Abschluß. Sie ergießt sich über alles und regiert dasjenige, was die Planeten tun. In dem spiraligen Wachstum der Pflanzen wird man studieren das Zusammenwirken der irdischen Reiche mit den himmlischen Reichen. Das Pflanzenwachstum ist Gleichnis für Tatsachen geistiger Wesen im Weltenraum.

So wird man für die einzelnen physischen Wesen ihre Zugehörig­keit finden zum Weltenraum. Man wird sie anknüpfen an die Taten im Weltenraum, und so wird man sich nach und nach erobern die Zuge­hörigkeit von Mineralien, Pflanzen, Tieren und auch des Menschen

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in seinen Taten und Schicksalen zum Weltenraum. Im Kleinen begin­nen wir solche Dinge zu studieren in der Art, wie wir es geisteswissen­schaftlich heute hier getan haben. Nur wird man lange brauchen, um in der Wissenschaft diese Wege zu gehen und bis man aus okkulten Quellen heraus diese Dinge in ihrem wahren Zusammenhang studieren wird. Aber geschehen muß es.

Wenn man im Sinne der heutigen okkulten Entwickelung sich wie­derum der Welt gegenüberstellt und alles Äußere als Zeichen und Gleichnis nimmt, wird man in unserem «Seelenkalender» einen Leit­faden haben. Aber man darf nicht glauben, daß die Zeichen für die Tierkreisbilder diese selbst bedeuten. Das Zeichen des Widders be­deutet nicht das Sternbild des Widders, sondern daß sich die Sonne oder der Mond in einem bestimmten Verhältnis zu diesem Sternbild befinden und daß da besondere Kräfte wirken. Nicht ein in den Raum Gestelltes bedeuten diese Zeichen, sondern daß Kräfte so oder so wirk­sam sind. Das, was man Raum nennt, ist ein Phantasterei. Geistige Kräfte wirken von überall her, und wie sie wirken, das drücken diese Zeichen aus. Wenn die Sonne zum Beispiel morgens, wenn sie aufgeht, über dem Sternbild der Fische steht, so ist diese Konstellation der Aus-druck für eine ganz bestinimte Art des Wirkens von geistigen Kräften hinab auf die Erde.

Das alles können wir fühlen und umsetzen in imaginative Erkennt­nis. Was aus unserer Seele heraussprießen kann, wenn wir wirklich das fühlen, was uns aus der geistigen Welt entgegenstrahlt, das haben wir versucht, in dem Kalender, der für dieses Jahr innerhalb der theoso­phischen Bewegung erschienen ist, zum Ausdruck zu bringen. Andere Zeichen finden wir da als die traditionellen alten Kalenderzeichen, als neuen Ausdruck dessen, was die Seelen in diesem Zeitraum neu zu lernen haben. Sie sind so entstanden, daß verfolgt wurde mit dem Ge­fühl, nicht mit dem Verstand, das, was wir als den rhythmischen Wechsel auf unserer Erde eben betrachtet haben: das Einschlafen der geistigen Wesenheiten, die mit unserer Erde in Verbindung stehen, im Frühling, ihr Aufwachen im Herbst. Eine Erneuerung dieser Dinge, die in unsere Feste aus uralter hellsichtiger Weisheit hineingegossen sind, ist notwendig. Sie müssen erneuert werden, weil im fünften Zeitraum

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wiederum aufersteht dasjenige, was Weisheitsgut des dritten Zeitraums war.

Allerdings muß es Außenstehenden als äußerste Verdrehtheit er­scheinen, daß wir das Jahr 1879 an den Anfang des Kalenders setzten. Da wollten wir aufmerksam machen darauf, daß es außerordentlich wichtig ist, das Jahr des Mysteriums von Golgatha als Anfang unserer Zeitrechnung zu nehmen, und nicht das Jahr der Geburt des Jesus. An einem Freitag, am 3. April des Jahres 33, drei Uhr am Nachmittag fand das Mysterium von Golgatha statt. Und da fand auch statt die Geburt des Ich in dem Sinne, wie wir es oftmals charakterisiert haben. Und es ist ganz gleichgültig, auf welchem Erdenpunkte der Mensch lebt, oder welchem Religionsbekenntnis er angehört, das, was durch das Myste­rium von Golgatha in die Welt kam, gilt für alle Menschen. So wie es für alle Welt gilt, daß Cäsar an einem bestimmten Tage gestorben ist, und nicht für die Chinesen ein anderer und für die Inder wieder ein anderer Tag dafür gilt, ebenso ist es eine einfache Tatsache des okkul­ten Lebens, daß das Mysterium von Golgatha sich an diesem Tage zu­getragen hat und daß man es da zu tun hat mit der Geburt des Ich. Das ist eine Tatsache ganz internationaler Art. Und man muß sich wun­dern, daß von einer gewissen Seite her behauptet wird, das, was hier getrieben werde, diese unsere rosenkreuzerische Theosophie, die das Mysterium von Golgatha als den Mittelpunkt von allem betrachtet, sei eine Theosophie, die nur auf das Deutschtum zugeschnitten und für die anderen Völker nicht geeignet sei.

Wo solche Dinge behauptet werden, da hat man allerdings nicht die Neigung, sich mit solchen Dingen, wie wir sie hier trei13en, zu be­schäftigen. Da versteht man eben einfach nichts vom Christus und vom Mysterium von Golgatha. Da setzt man Entstellungen in die Welt, und leider werden solche Entstellungen auch geglaubt. Es ist aber heilige Pflicht, die Menschen vor Irrtum zu bewahren. Es ist zwar keine an­genehme Aufgabe, ihnen solche Wahrheiten zu sagen, aber es muß ge­schehen. - Da sagt man an anderer Stelle, gleiches Recht gelte für alle, aber man bricht selber das Recht. Nicht darum handelt es sich, daß man diese oder jene Dinge sagt und drucken läßt, sondern darum, daß Wahr­heit herrsche unter uns und daß Wahrheit unser heiliges Gesetz sei.

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Wir wollen die Geburt des Ich in unserem Kalender zum Ausdruck bringen. Damit ist aber verbunden, daß wir den Zeitpunkt dieser Ge­burt als Ausgangspunkt nehmen mußten. Also mußten wir von Ostern bis Ostern zählen, und nicht von Neujahr bis Neujahr. Wenn dadurch vielleicht auch neues Ä rgernis gegeben wird und neuer Spott und Hohn hervorgerufen wird, so darf uns das wenig kümmern, denn wir wissen, wollten wir nur immer ein Altes, schon Dagewesenes in gleicher Weise wiederholen, so würde kein neues Leben entstehen. Das Gleiche, immer Wiederholte ist das Tote; das Ungleiche, in das Gleiche eingerückt, ist das Leben. Eine Lebensaufgabe aber ist unser Kalender. Und haben wir ihn jetzt sehr schlecht gemacht, so werden wir ihn im nächsten Jahre besser machen.

Wichtig vor allem ist der zweite Teil, der «Seelenkalender». Da suchte ich zusammenzustellen Woche für Woche solche Meditations­formeln, wie sie die Seele innerlich meditativ durchleben kann, und die so wirken in der Seele, daß diese den Zusammenhang findet zwischen ihrem eigenen innerlichen Erleben und dem, was durch göttlich-gei­stige Wesenheiten im Zeitenlauf dirigiert wird. Wahrhaft zum Erle­ben dieser Wesenheiten führen diese Meditationen, wenn sie ernst und hingebungsvoll gemacht werden. Lange okkulte Erfahrung und For­schung ist in diese zweiundfünfzig Formeln zusammengedrängt, die die Zeitformeln sein können für ein inneres Seelenerleben, das dadurch angeschlossen sein kann an die Vorgänge des göttlich-geistigen Erle­bens. Sie sind etwas Zeitloses, das darstellt die Beziehung zwischen dem Spirituellen und dem sinnlich Angeschauten. Jeder wird nach und nach den Wert dieses «Seelenkalenders» einsehen, der seine Bedeutung be­halten wird für alle Jahre, und wird nach und nach den Weg finden aus der menschlichen Seele heraus in den Geist, der das ganze Welten-all durchlebt und durchwebt. Aber es ist nicht so leicht, diese Medita­tionsformeln ganz in ihrem tiefen Sinn sich zu eigen zu machen. Dazu braucht die Menschenseele Jahre und Jahre. So dokumentiert sich in diesem Kalender nicht ein bloßer Einfall, der plötzlich gekommen ist, sondern eine Tat, die in organischem Zusammenhang steht mit unserer ganzen Bewegung, und nach und nach wird schon erkannt werden, warum in ihm dieses so und jenes anders gemacht ist.

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VORVERKÜNDIGUNG UND HEROLDTUM DES CHRISTUS-IMPULSES. DER CHRISTUS-GEIST UND SEINE HÜLLEN: EINE PFINGSTBOTSCHAFT Köln, 8. Mai 1912

Der heutige Tag fordert eine Einleitung zu unseren Betrachtungen. Ist es doch der Tag, den wir in der theosophischen Bewegung bezeichnen als den «weißen Lotustag», der uns alljährlich in Erinnerung ruft das Verlassen des physischen Planes durch Frau Helena Petrowna Bla­vatsky, der Begründerin der theosophischen Bewegung in der neueren Zeit. Und es braucht wohl nur ein wenig angeschlagen zu werden ein Ton, der wohl in jeder Seele, die sich heute hier befindet, vorhanden ist, um hervorzurufen Gefühle und Empfindungen der Bewunderung, der Verehrung, des Dankes gegenüber derjenigen Individualität, wel­che auf der Erde verweilte in Frau Blavatsky und wieder erneuert den Blick der Menschen geschärft hat für die uralt heiligen Mysterien der Menschheit, aus denen für die Menschen immer hervorgegangen ist alles, was die geistige Entwickelung an Kräften und Impulsen braucht. Die Aufgabe der neueren Zeit verständnisvoll ergreifend, konnte H.P. Blavatsky dasjenige, was ihr zugänglich war an Mysterienweisheit, in einer populären Form geben, so daß diese populäre Form das abwei­chende ist gegenüber der Art und Weise, wie durch geheime Kanäle und Strömungen, Mysterienweisheit in menschliches Arbeiten und Schaffen eingeflossen ist. Das ist gerade die Bedeutung der neueren Zeit in dieser Beziehung, daß in allgemeinerer Form gegeben werden muß, was früher nur wenigen zugänglich war. Und zuerst im Sinne dieses Zuges der neueren Zeit gehandelt zu haben, das war die Mission von Frau Blavatsky. Sie hat damit der Menschen Sinn hingelenkt auf etwas, was in der Tat zu allen Zeiten heilig war denjenigen, die davon wußten. Daß dies so ist, soll jetzt gleich am Ausgangspunkte unserer heutigen Betrachtung dadurch nahegebracht werden, daß vorgetragen werden soll die Dichtung eines Denkers, den die große Masse der Ge­bildeten nur kennt, oder besser gesagt, nicht kennt, als einen trockenen,

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begrifflichen Denker, nur als einen Werk- und Baumeister von weit, weit entlegenen Ideengebilden. Daß aber dieser Denker dasjenige, was er scheinbar nur in kristallinischen Ideenbauten gegeben hat, in sich selber als das wärmste Gefühl besaß, und daß nicht Ideen allein das Gewand sind für dasjenige, was aus seinem Herzen stammt, zeigt er uns in einem Gedicht, das er eben an die heiligen Mysterien richtet.

Hegel - wie man sagen kann: der Denker Europas -, der so bekannt den modernen Gebildeten geworden ist, daß man heute noch immer vielen unaufgeschnittenen Büchern von ihm in den Bibliotheken be­gegnen kann, hat uns eine mit Herzblut geschriebene Dichtung hinter-lassen. Ich meine die Dichtung «Eleusis», die nun hier durch Fräulein v. Sivers vorgetragen werden soll. Wir wollen mit dieser Dichtung aus mitteleuropäischer Kultur heraus unseren Tribut zahlen an die Manen von H.P. Blavatsky.

«Eleusis»

An Hölderlin

Um mich, in mir wohnt Ruhe. Der geschäft'gen Menschen

Nie müde Sorge schläft. Sie geben Freiheit

Und Muße mir. Dank dir, du meine

Befreierin, 0 Nacht! - Mit weißem Nebelflor

Umzieht der Mond die ungewissen Grenzen

Der fernen Hügel. Freundlich blinkt der helle Streif

Des See's herüber.

Des Tags langweil'gen Lärmen fernt Erinnerung,

Als lägen Jahre zwischen ihm und jetzt.

Dein Bild, Geliebter, tritt vor mich,

Und der entfloh'nen Tage Lust. Doch bald weicht sie

Des Wiedersehens süßern Hoffnungen.

Schon malt sich mir der langersehnten, feurigen

Umarmung Szene; dann der Fragen, des geheimern,

Des wechselseitigen Ausspähens Szene,

Was hier an Haltung, Ausdruck, Sinnesart am Freund

Sich seit der Zeit geändert; - der Gewißheit Wonne,

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Des alten Bundes Treue, fester, reifer noch zu finden,

Des Bundes, den kein Eid besiegelte:

Der freien Wahrheit nur zu leben,

Friede mit der Satzung,

Die Meinung und Empfindung regelt, nie, nie einzugehni

Nun unterhandelt mit der trägen Wirklichkeit der Sinn,

Der über Berge, Flüsse, leicht mich zu dir trug.

Doch ihren Zwist verkündet bald ein Seufzer und mit ihm

Entflieht der süßen Phantasien Traum.

Mein Aug' erhebt sich zu des ew'gen Himmels Wölbung,

Zu dir, o glänzendes Gestirn der Nacht!

Und aller Wünsche, aller Hoffnungen

Vergessen strömt aus deiner Ewigkeit herab.

Der Sinn verliert sich in dem Anschaun,

Was mein ich nannte, schwindet.

Ich gebe mich dem Unermeßlichen dahin.

Ich bin in ihm, bin alles, bin nur es.

Dem wiederkehrenden Gedanken fremdet,

Ihm graut vor dem Unendlichen, und staunend faßt

Er dieses Anschauns Tiefe nicht.

Dem Sinne nähert Phantasie das Ewige.

Vermählt es mit Gestalt. - Willkommen, ihr,

Erhab'ne Geister, hohe Schatten,

Von deren Stirne die Vollendung strahlt,

Er schrecket nicht. Ich fühl', es ist auch meine Heimat

Der Glanz, der Ernst, der euch umfließt.

Ha! Sprängen jetzt die Pforten deines Heiligtums,

O Ceres, die du in Eleusis throntest!

Begeistrung trunken fühl' ich jetzt

Die Schauer deiner Nähe,

Verstände deine Offenbarungen.

Ich deutete der Bilder hohen Sinn, vernähme

Die Hymnen bei der Götter Mahle,

Die hohen Sprüche ihres Rats.

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Doch deine Hallen sind verstummt, o Göttin!

Geflohen ist der Götter Kreis in den Olymp

Zurück von den entheiligten Altären,

Geflohn von der entweihten Menschheit Grab

Der Unschuld Genius, der her sie zauberte.

Die Weisheit deiner Priester schweigt. Kein Ton der heil'gen Weih'n

Hat sich zu uns gerettet, und vergebens sucht

Der Forscher Neugier mehr, als Liebe

Zur Weisheit. Sie besitzen die Sucher und verachten dich.

Um sie zu meistern, graben sie nach Worten,

In die dein hoher Sinn gepräget wär'.

Vergebens! Etwas Staub und Asche nur erhaschen sie,

Worein dein Leben ihnen ewig nimmer wiederkehrt.

Doch unter Moder und Entseeltem auch gefielen sich

Die Ewigtoten, die Genügsamen! - Umsonst! es blieb

Kein Zeichen deiner Feste, keines Bildes Spur.

Dem Sohn der Weihe war der hohen Lehren Fülle,

Des unaussprechlichen Gefühles Tiefe viel zu heilig,

Als daß er trock'ne Zeichen ihrer würdigte.

Schon der Gedanke faßt die Seele nicht,

Die außer Zeit und Raum in Ahnung der Unendlichkeit

Versunken, sich vergißt und wieder zum Bewußtsein nun

Erwacht. Wer gar davon zu andern sprechen wollte,

Spräch' er mit Engelzungen, fühlt der Worte Armut.

Ihm graut, das Heilige so klein gedacht,

Durch sie so klein gemacht zu haben, daß die Red' ihm Sünde deucht,

Und daß er bebend sich den Mund verschließt.

Was der Geweihte sich so selbst verbot, verbot ein weises

Gesetz den ärmern Geistern, das nicht kund zu tun,

Was sie in heil'ger Nacht gesehn, gehört, gefühlt.

Daß nicht den Bessern selbst auch ihres Unfugs Lärm

In seiner Andacht stört'; ihr hohler Wörterkram

Ihn auf das Heil'ge selbst erzürnen machte, dieses nicht

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So in den Kot getreten würde, daß man dem

Gedächtnis gar es anvertraute, daß es nicht

Zum Spielzeug und zur Ware der Sophisten,

Die er obolenweis verkaufte,

Zu des beredten Heuchlers Mantel, oder gar

Zur Rute schon des frohen Knaben und so leer

Am Ende würde, daß er nur im Widerhall

Von fremden Zungen seines Lebens Wurzel hätte.

Es trugen geizig deine Söhne, Göttin,

Nicht deine Ehr' auf Gass' und Markt, verwahrten sie

Im innern Heiligtum der Brust.

Drum lebtest du auf ihrem Munde nicht.

Ihr Leben ehrte dich. In ihren Taten lebst du noch.

Auch diese Nacht vernahm ich, heil'ge Gottheit, dich.

Dich offenbart oft mir auch deiner Kinder Leben,

Dich ahn ich oft als Seele ihrer Taten!

Du bist der hohe Sinn, der treue Glauben,

Der einer Gottheit, wenn auch alles untergeht, nicht wankt.

In vollem Einklange fühle ich mich mit der Individualität von H.P. Blavatsky, wenn gerade an diesem Tage einige Worte, man möchte sagen, der vollen, klaren Wahrheit über sie gesprochen werden. Es war ihr eigen, dann, wenn sie ganz sie selbst war, vor allen Dingen wahr sein zu wollen. Daher ehren wir sie am besten, wenn wir unsere dank­baren Gedanken zu ihr hinwenden und einige wenige Worte der rein­sten Wahrheit sprechen.

Gerade H. P. Blavatsky zeigte in ihrer Ganzheit, in ihrer Indivi­dualität, welche innere Kraft, welcher starke Impuls jener spirituellen Bewegung eigen war, die wir die theosophische Bewegung nennen. Um das zu erhärten, sei nur hingewiesen auf das erste größere Werk von H. P. Blavatsky, auf die «Entschleierte Isis». Dieses Buch macht auf den gewöhnlichen Leser den Eindruck wirklich eines chaotischen Werkes, in dem es drunter und drüber geht. Nimmt dieses Werk aber

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jemand zur Hand, der weiß, daß es eine uralte, in den Mysterien ge­hütete Weisheit gibt, die eben gehütet worden ist durch viele Zeiten hindurch vor den profanen Blicken, und der weiß, daß nicht in äuße­ren Menschenwerken, sondern in geheimen Gesellschaften vorbereitet worden ist diese Weisheit, der findet dann allerdings noch immer Chao­tisches in dem Buche, aber auch noch etwas anderes. Er findet nämlich zum ersten Male ein Werk, das mutig und kühn gewisse Geheimnisse der Mysterien vor die pro fane Welt hinstellt. Und wer diese Dinge ver­steht, der findet, wie unendlich vieles richtig gedeutet worden ist, so wie es nur deuten konnten Eingeweihte. Der chaotische Eindruck bleibt, und man kann ihn sich durch folgende, vernunftgemäße Beob­achtung erklären: Die äußere Persönlichkeit von H. P. Blavatsky, in­sofern sie in ihrem physischen Leibe verkörpert war, mit ihrem Intel­lekt, auch mit ihren persönlichen Eigenschaften, ihrer Sympathie und Antipathie, sie zeigt uns in der Art, wie die «Entschleierte Isis» ge­schrieben ist, daß sie durchaus nicht aus ihrer Persönlichkeit, aus ihrer eigenen Seele hat hervorbringen können dasjenige, was sie der Welt zu geben hatte. Sie teilt Dinge mit, die sie selbst gar nicht hat verste­hen können, und wenn man diesen Gedankengang weiter verfolgt, dann ist er ein Beweis dafür, daß höhere, spirituelle Individualitäten den Leib und die Persönlichkeit von H. P. Blavatsky benutzt haben, um dasjenige, was notwendig war, was einfließen mußte in die Mensch­heit, mitzuteilen. Gerade weil man Blavatsky nicht zuschreiben kann, was sie gegeben hat, gerade das ist ein lebendiger Beweis dafür, daß diejenigen Individualitäten, die mit der theosophischen Bewegung sind, die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen, in ihr ein Instrument fanden. Diejenigen, die in diesen Dingen klar sehen, wissen, daß die Dinge nicht von ihr selbst stammen, daß sie durch sie geflossen sind von hohen spirituellen Individualitäten aus. Es ist natürlich heute nicht Gelegenheit dazu, im einzelnen über diese Dinge zu sprechen.

Man könnte nun die Frage aufwerfen, und sie wird oft aufgewor­fen: Warum haben denn jene hohen Individualitäten gerade Frau Bla­vatsky als Werkzeug ausgesucht? Weil es trotzdem das geeignetste war Warum ist denn nicht einer der gelehrten Herren, die vergleichende Religionswissenschaft

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trieben, zu diesem Instrumente ausersehen worden? Wir brauchen nur den größten, verehrungswürdigsten Kenner der orien­talischen Religionssysteme, den großen Max Müller, ins Auge zu fas­sen, und wir werden an seinen eigenen Aussprüchen sehen, warum er nicht hat verkünden können dasjenige, was durch das menschliche In­strument von Frau Blavatsky mitgeteilt werden mußte. Als die orien­talischen Religionssysteme und ihre Erklärungen durch Frau Bla­vatsky bekannt wurden, da sagte Müller: Wenn irgendwo auf der Straße gesehen wird ein Schwein, das grunzt, dann findet man das gar nicht merkwürdig, wenn aber ein Mensch auf der Straße geht und grunzt wie ein Schwein, dann findet man das sehr merkwürdig. - Es sollte also gesagt werden: wer das, was orientalisches Religionssystem ist, nicht im Sinne von Max Müller verballhornt, der sei wie ein Mensch, der grunzt wie ein Schwein. Auch sonst scheint mir nicht viel Logik in dem Vergleich zu stecken, denn, was hätte man wohl für einen Grund, besonders erstaunt zu sein, wenn ein Schwein grunzt; dagegen wenn ein Mensch grunzt, dann ist das doch schon eine Kunst, das kann nicht ein jeder. Dieser Vergleich ist also etwas hinkend, aber daß er überhaupt gemacht werden konnte, das zeigt, daß die Persönlichkeit von Max Müller nicht die richtige war.

So mußte eine Persönlichkeit ausgewählt werden, die intellektuell zwar nicht besonders hoch stand, und das hatte natürlich alle möglichen Nachteile. Frau Blavatsky hat dadurch in die große Botschaft mit-hineingebracht alle Sympathie und Antipathie ihres stark leidenschaft­lichen Charakters. Nun hatte sie eine starke Antipathie gegen diejenige Weltanschauung, welche strömt aus den alttestamentlichen und neu­testamentlichen Urkunden, sie hatte eine starke Antipathie gegen das hebräische und christliche Element. Eines ist aber nötig, um die Ur­weisheit der Menschheit in ihrer reinen Urgestalt zu erkennen, und das ist, mit vollem Gleichmaß der Gefühle den Offenbarungen, die von den höheren Welten kommen, gegenüberzustehen. Antipathie und Sym­pathie bilden eine Art Nebel vor unserem inneren Auge. So kam es, daß Frau Blavatsky immer mehr dazu gedrängt wurde, einen Nebel vor sich zu bekommen, und deutlich nur sehen konnte dasjenige, was durch die sogenannten rein arischen Überlieferungen gegangen ist. Das

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sah sie in seinen spirituellen Tiefen mit besonderer Klarheit, aber sie wurde dadurch einseitig und so kam es, daß sie in ihrem zweiten gro­ßen Werke, der «Geheimlehre», einseitig die gewaltige, alte arische Urreligion darstellte. Das Mysterium vom Sinai und von Golgatha darf man nicht suchen bei Frau Blavatsky, weil sie diesem Antipathie entgegenbrachte. Daher wurde sie gelenkt nach Mächten hin, die mit großer Gewalt und großer Klarheit geben konnten alles dasjenige, was außerchristlich ist. Das ist zu suchen in den wunderbaren «Dzyan»­Strophen, die Frau Blavatsky in der «Geheimlehre» mitgeteilt hat. Aber sie wurde dadurch auch abgedrängt vom Pfade der Initiation in der physischen Welt, die in der «Entschleierten Isis» zwar heraus­kommt, aber nur in gebrochenen Strahlen. In der «Geheimlehre» aber konnte Frau Blavatsky nur darstellen - weil sie einer einseitigen In­itiation unterlag - diese einseitige Strömung, die gelenkt wurde durch jene außerchristliche Weltanschauung. So kam denn in der «Geheim-lehre» ein eigenartiges Buch zustande, in dem die größten Offenbarun­gen stehen, welche die Menschheit damals empfangen konnte. Es ste­hen Dinge darinnen, die auch in einer anderen Schrift hervorgehoben sind: die sogenannten Meisterbriefe der «Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen». Da findet man wiederum ein Größtes, das der Menschheit geoffenbart worden ist. Aber es gibt auch andere Partien in der «Geheimlehre». Es gibt da zum Beispiel ausführ­liche Mitteilungen über die Theorie der Masse. Gerade wer aus richti­gem Verständnis heraus die Dzyan-Strophen und die Meisterbriefe zu dem Höchsten zählt, was der Menschheit mitgeteilt ist, hat aus den weit ausgedehnten Partien über die Theorie der Masse den Eindruck, als ob sie herrührten von jemandem, der an dem Schreibwahnsinn ge­litten hat, der immer nur hingeschrieben hat, was ihm eingefallen ist und nicht die Feder aus der Hand legen konnte. Und andere Partien sind darin, wo die tiefe leidenschaftliche Natur über wissenschaftliche Dinge spricht, ohne daß eine genaue Kenntnis der Sache vorliegt. So ist die «Geheimlehre» ein zusammengeschachteltes Buch von Dingen, die man ausschalten sollte, aber auch von Dingen der höchsten Weisheit. Begreiflich wird das, wenn man danebenhält die Erklärung eines tiefen Kenners und guten Bekannten von Frau Blavatsky. Er sagt: Frau Blavatsky

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war eigentlich ein dreifaches. Zunächst war sie die kleine, häß­liche Frau, mit unlogischem Denken, mit leidenschaftlichem Charakter, die sich immer ärgerte über irgend etwas, die zwar gutmütig, liebevoll und mitleidvoll war, aber durchaus nicht, was man eine begabte Frau nennt. Zum zweiten war sie, wenn die großen Wahrheiten aus ihr re­deten, ein Schüler der großen Meister: dann veränderten sich ihre Züge, ihre Gebärden, dann war sie eine andere, dann redeten die gei­stigen Welten aus ihr. Dann gab es noch eine dritte, das war eine kö­nigliche Erscheinung: ehrfurchtgebietend, alles überragend. Das war in den seltenen Momenten, wo die Meister selber aus ihr redeten und sich kundgaben in ihren Worten und Schriftzügen. Diejenigen, die vom Wahrheitssinn beseelt sind, werden immer sorgfältig unterscheiden, auch in den Werken von Frau Blavatsky, um was es sich handelt. Kein größerer Dienst könnte gerade Frau Blavatsky getan werden, zu der wir heute den Blick richten, als sie im Lichte der Wahrheit zu erken­nen; kein größerer Dienst könnte ihr getan werden, als die theosophi­sche Bewegung im Lichte der Wahrheit zu führen.

Es war nur selbstverständlich, daß am Ausgangspunkte der theoso­phischen Bewegung eine individuelle Richtung stand; aber groß und bedeutsam ist es geworden, notwendig ist es geworden, einen anderen Strom dieser theosophischen Bewegung zuzuführen. Es ist notwendig geworden, dem Strom der theosophischen Bewegung die okkulten Quellen hinzuzufügen, die seit dem 13. Jahrhundert fließen: dasjenige, was Frau Blavatsky verschlossen war.

So haben wir heute durchaus den Sinn der theosophischen Bewegung erfüllt, indem wir nicht nur anerkennen die orientalischen Bekenntnisse und Weltanschauungen, sondern auch hinzufügen die Weltanschau­ungen, die ihren Ausdruck gefunden haben in den Offenbarungen vom Sinai und in dem Mysterium von Golgatha. Und es darf vielleicht heute gerade eine Frage angedeutet werden: Liegt das Umfassende der theo­sophischen Bewegung darin, hinzuzufü gen dasjenige, das am Ausgangs­punkte der Bewegung durch die Natur der Verhältnisse nicht gegeben werden konnte, oder darin, daß man einen Spezialismus höchst frag­würdiger Art, durch ein Diktum, durch eine Doktrin, durch ein Dog­ma, als das Wahre bezeichnet? Ich meinerseits sage unverhohlen: Ich

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weiß, daß wir uns versündigen müßten an dem Geist von H. P. Bla­vatsky, der heute in der geistigen Welt ist, wenn wir das letztere be­folgen. Ich weiß, daß man sich nicht versündigt an diesem Geiste, son­dern ihm Rechnung trägt, wenn man das tut, was er heute will: wenn man hinzufügt zur theosophischen Bewegung dasjenige, was er im Er­denleibe zu geben nicht imstande war. Und ich weiß, daß ich nicht nur nicht gegen, sondern in vollem Einklange mit Frau Blavatsky zu Ihnen spreche, wenn ich sage: Eines möchte ich, daß unsere abend­ländische Strömung sich in dieser theosophischen Bewegung zur Gel­tung bringt. - Es sind mancherlei Erkenntnisse und Wahrheiten in den letzten Jahren hinzugekommen. Nehmen wir nun an, nehmen wir wirklich an, in fünfzig Jahren würde alles korrigiert werden müssen, nehmen wir an, kein Stein unseres Geistesbaues, wie die Dinge heute dargestellt werden, würde auf dem anderen bleiben können, die okkulte Forschung müßte in den nächsten fünfzig Jahren alles von Grund auf rektifizieren - das alles würde von mir nur so charakterisiert werden müssen, daß ich sagen müßte: Mag sein, aber eines wird bleiben von dem, was wir hier wollen, und daß dies bleibe, dahin geht das Haupt-streben unserer abendländischen theosophischen Bewegung. Das eine möge sein, daß man sagen wird, daß es eine theosophische Bewegung gegeben hat, die auf dem Felde des Okkultismus nichts anderes zur Geltung bringen wollte als dasjenige, was aus dem ungetrübtesten, rein­sten Wahrheitssinn hervorgegangen ist. - Das ist unser Bestreben, daß man dieses einmal sagen möge. Lieber sollen Dinge nicht gesagt wer­den, die noch fraglich sind, als daß irgendwie abgewichen würde von dem, was im reinsten Wahrheitssinn vor allen spirituellen Mächten verantwortet werden kann.

Daraus aber folgt ein anderes, nämlich, daß da oder dort irgend jemand sich berufen fühlt zu sagen: Warum lehnt ihr dies oder jenes ab, was da erscheint? - Mögen andere Toleranz mit einem anderen Begriff verbinden, wir gebrauchen diese Begriffe so, daß wir uns verpflichtet fühlen, die Menschheit zu bewahren vor demjenigen, was vor dem reinen Wahrheitssinn nicht bestehen kann. Möge man entstellen, was wir tun, wir werden nicht weichen, wir werden unsere Aufgabe dahin zu erfüllen suchen, daß wir ablehnen alles, was wir ablehnen müssen,

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wenn wir demjenigen dienen, was eben ausgesprochen ist. Daher, aber nur dann, wenn mit unserem Wahrheitsgefühl irgend etwas in Dis­harmonie kommt, lehnen wir es ab. Andere Gründe, andere Gefühle kennen wir nicht. Wir werden nicht in faden Redensarten uns erge­hend, von Gleichheit der Meinungen sprechen, von Brüderlichkeit und so weiter, wir werden wissen, daß auch die Liebe der Menschen unter­einander nur gedeihen kann, wenn sie eine aufrichtige und wahre ist. Dieses Beseelt-sein-Wollen von dem reinen Wahrheitssinn, das sei heute insbesondere an diesem festlichen Tage einmal gesagt.

Dadurch, daß auf diese Weise Neues so hinzugekommen ist, da­durch trat mancherlei zutage, was zu Erklärungen der Geheimnisse des Weltenalls beitragen kann. Nicht werden die Dinge gesagt, um irgendeine große Kultur oder religiöse Bewegung der Menschheit in den Schatten zu stellen gegenüber einer anderen. Wie oft wurde es doch erwähnt, daß, wenn wir hinschauen auf die erste nachatlantische Zeit mit ihrer spirituellen Kultur der heiligen Rishis, wir innerhalb dieser ersten nachatlantischen Kulturperiode ewas haben, was höher war an Spirituellem als alles, was gefolgt ist. Ebensowenig fällt es uns ein, dem Buddhismus unrecht tun zu wollen, wir heben gerade seine Vor­züge hervor, wir wissen, daß er der Menschheit Dinge gegeben hat, die das Christentum sich erst in der Zukunft wird erobern müssen. Aber ungeheuer bedeutungsvoll ist es, daß wir immer wieder auf den Unter­schied hinweisen, der gerade zwischen der orientalischen und der abendländischen Kultur sich ergibt.

Die orientalische Kultur spricht nur von solchen Individualitäten, die durch die Entwickelung durch verschiedene Inkarnationen hin­durchgegangen sind. Es spricht zum Beispiel die orientalische Kultur von den Bodhisattvas und spricht von ihnen als Individualitäten, die schneller die Menschheitsentwickelung durchmachen. Sie faßt aber da­bei nur ins Auge dasjenige, was als Individualität von Inkarnation zu Inkarnation geht, und daß in einer bestimmten Inkarnation ein solcher Bodhisattva zum Buddha wird. Dann ist ein solcher Bodhisattva so weit gekommen, wenn er ein Buddha geworden ist - was er nur auf Erden kann -, daß er nicht mehr herabzusteigen braucht in einen fleischlichen Leib. Man hat also, je weiter wir zurückgehen, nur die

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Individualität im Auge und hebt weniger hervor die einzelne Ver­körperung. Man spricht viel mehr von dem Buddha als von einer Stufe, von einer Würde, die andere Bodhisattvas auch im Laufe ihrer Leben erreichen, als von dem historischen Buddha, dem Suddhodana­Prinzen.

Im Abendlande dagegen ist das anders. Wir haben eine Kultur durchgemacht, in der wir gar nicht sprechen von der Individualität, die von Leben zu Leben geht, sondern der abendländischen Kultur ist wert geworden die einzelne Persönlichkeit. Wir sprechen von Sokra­tes, Plato, Cäsar, Goethe, Spinoza, Fichte, Raffael, Michelangelo und denken sie uns in einer Inkarnation. Wir sprechen nicht von der Indi­vidualität, die von Inkarnation zu Inkarnation geht, sondern von der Persönlichkeit; wir sprechen nur von einem Sokrates, von einem Plato, Goethe und so weiter, nur von einem einzelnen Ausdruck, den diese Individualität gefunden hat, sprechen wir. Die abendländische Kultur war bestimmt, die einzelne Persönlichkeit zur Geltung zu bringen, sie frisch und charakteristisch zu gestalten und abzusehen von demjenigen, was von Leben zu Leben als Individualität hindurchgeht. Jetzt aber stehen wir wieder davor, allmählich zu erkennen, wie durch die ein­zelnen Persönlichkeiten hindurchgeht die ewige Individualität. Jetzt erleben wir, wie die Menschheit dahin strebt, hinzublicken auf das­jenige, was von Persönlichkeit zu Persönlichkeit lebt. Das wird bedeu­ten eine neue Befeuerung der menschlichen Seele, ein neues Verständ­nis bringendes Licht, das sich ausbreiten wird über die menschlichen Seelen. Was kommen wird, wie man die einzelne menschliche Persön­lichkeit auffassen wird, das können wir an einem einzelnen Beispiele sehen.

Wir wenden den Blick hin auf eine solche Gestalt, wie der Prophet Elias es ist. Zunächst betrachtet man den Propheten Elias für sich. Das Wesentliche aber, worauf es ankommt bei dem Propheten Elias, ist, daß er in einer gewissen Weise vorbereitet hat auf das Mysterium von Golgatha. Daß er hingewiesen hat darauf, daß der Jahve-Impuls etwas ist, das nur im Ich verstanden und begriffen werden kann. Er hat nicht auf die ganze Bedeutung des menschlichen Ich hinweisen können, er ist eine Zwischenstufe in der Ich-Erkenntnis zwischen der Moses-Idee

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von Jehova und der christlichen Christus-Idee. So erscheint uns der Prophet Elias wie ein gewaltiger Herold, wie ein Vorherverkünder des Christus-Impulses, desjenigen, was durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist. Und da erscheint er uns groß und gewaltig.

Und nun gehen wir weiter, betrachten wir eine andere Gestalt. Vom abendländischen Sinne aus sind wir gewohnt, sie als eine einzelne Per­sönlichkeit zu betrachten. Betrachten wir Johannes den Täufer. Be­grenzt als Persönlichkeit stellt sie hin der abendländische Sinn. Wir aber lernen ihn kennen als den Herold des Christus selbst, wir lernen ihn kennen, wie er gelebt hat als der Vorläufer des Christus, als der­jenige, der zuerst die Worte gesprochen hat: Ändert eure Seelenverfas­sung, denn die Reiche der Himmel sind nahe. - Hingewiesen hat er ganz auf dasjenige, was Impuls werden sollte durch Golgatha: daß in dem menschlichen Ich ein Ganzes, Göttliches gefunden werden kann, daß das Christus-Ich einziehen soll in das menschliche Ich immer mehr und mehr, und daß der Impuls dazu nahe ist. Nun lernen wir durch die geisteswissenschaftliche Erkenntnis, daß es wahr ist, was auch die Bibel andeutet: daß dieselbe Individualität, die im Propheten Elias ge­lebt hat, in Johannes dem Täufer lebte. So daß derjenige, der Herold sein sollte für den Christus, sich auslebte als Elias, wiederkommt als Johannes der Täufer und abermals Herold wird für den Christus, wie es angemessen war für seine Zeit. Jetzt verbinden sich uns diese beiden Gestalten. Die morgenländische Kultur machte es anders: sie geht gleich zu auf die Individualitäten und vernachlässigt die einzelne Per­sönlichkeit.

Wenden wir den Blick nun weiter, so finden wir jene eigentümliche Gestalt des Mittelalters, die da geboren ist - wie um äußerlich anzu­deuten, daß sie zu der geistigen Welt in besonderer Weise steht - an einem Karfreitage im Jahre 1483, und die jugendlich wieder dahinge­gangen ist im siebenunddreißigsten Lebensjahre, die so mächtig gewirkt hat durch das, was sie der Menschheit gegeben hat: die Gestalt des Raffael. Er wurde geboren an einem Karfreitage, wie um anzudeuten, daß er verbunden ist mit dem, was am Karfreitage gefeiert wird. Was wird der abendländische Sinn im Sinne der Geisteswissenschaft an der Gestalt des Raffael erfahren können? Wenn wir diese Gestalt mit den

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Mitteln der Geisteswissenschaft ins Auge fassen, können wir erfahren, daß sie mehr leistete für die Verbreitung des Christentums, für das Hin­einleben eines interkonfessionellen Christentums in die Herzen und Ge­müter der Menschen, als alle theologischen Interpreten, als alle Kar­dinäle und Päpste seiner Zeit. Vor Raffaels Blick mag gestanden ha­ben, was in der Apostelgeschichte steht: Wie einer unter die Athener tritt und sagt - sogar die Gebärde ist dort dargestellt -: Ihr Leute von Athen, ihr habt den Göttern Opfer gebracht in äußeren Zeichen. Es gibt aber eine Erkenntnis jenes Gottes, der in allen Leben lebt und webt. Das ist der Christus, der durch den Tod gegangen und aufer­standen ist, und der dadurch den Menschen den Impuls gegeben hat zur Auferstehung. - Die einen hörten nicht zu und die anderen fanden es sonderbar. In Raffaels Gemüt wurde das zu jenem Bilde, das wir heute im Vatikan finden, das den unrichtigen Namen trägt «Die Schule von Athen». In Wirklichkeit zeigt es die Gestalt des Paulus, die Athener belehrend über das Grundwesen des Christentums. Da hat Raffael etwas gegeben, was wie eine Heroldschaft des über den Kon­fessionen stehenden Christentums erscheint. Wenig ist das verstanden worden bisher, der tiefe Sinn dieses Bildes ist den Menschen noch nicht aufgegangen.

Wenn wir die anderen Bilder Raffaels nehmen, so müssen wir sa­gen: Von dem, was Päpste und Kardinäle dazumal geleistet, der Menschheit gegeben haben, ist wahrhaftig nichts geblieben. In jener Zeit hat Raffael so gewirkt, daß es heute erst wahrhaft lebt. Wie we­nig man ihn in früheren Zeiten verstand, das kann man daran ersehen, daß Goethe in Dresden nicht etwa die Sixtinische Madonna bewun­derte; denn er hatte von dem Museumsbeamten gehört, was damals allgemeine Meinung war, das Jesuskind habe im Gesichtsausdruck et­was Gemeines, die beiden Engel unten könne überhaupt nur ein Stüm­per hinzugemalt haben, die Madonna selbst könnte so, wie wir sie sehen, nicht von Raffael herrühren, sie müsse übermalt worden sein. - Wir können die ganze Literatur des 18. Jahrhunderts durchgehen, wir fin­den kaum etwas über Raffael, selbst Voltaire erwähnt ihn nicht.

Und heute! Heute können die Leute Protestanten oder Katholiken oder sonst etwas sein, in allen Gemütern wirken Raffaels Bilder. Man

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kann sehen, wie in der Sixtinischen Madonna ein großes kosmisches Mysterium sich in die Menschenherzen hineinprägt, und man wird in Zukunft darauf fortbauen können - wenn die Menschheit geführt sein wird zu einem interkonfessionellen, weiten und umfassenden Christen­tum, das heute schon die Geisteswissenschaft darstellt -, man wird fortbauen können darauf, daß auf die menschlichen Gemüter etwas so wunderbar Mysterienhaftes gewirkt hat wie die Sixtinische Madonna. Öfters ist von mir schon hingewiesen worden darauf, daß, wenn der Mensch Kindern ins Auge schaut, er wissen kann, daß aus dem kind­lichen Auge etwas herausschaut, was nicht durch die Geburt ins Da­sein getreten ist, was menschliche Seelentiefen herausschauen läßt. Wer die Kinder auf den Madonnenbildern von Raffael anschaut, der sieht, daß aus seinen Kinderaugen herausschaut das Göttliche, das Verborgene, das Übermenschliche, das mit dem Kinde in den ersten Zeiten nach der Geburt noch verbunden ist. Das kann man auf allen Kinderbildern Raffaels beobachten, mit Ausnahme eines einzigen Ein Kindesbild wird man nicht so deuten können, und das ist das Jesus­kind der Sixtinischen Madonna. Wer diesem Kinde ins Auge schaut, der weiß, daß mehr, als was in einem Menschen sein kann, schon aus dem Auge dieses Kindes herausschaut. Diesen Unterschied hat Raffael gemacht, daß in diesem einzigen Kinde der Sixtinischen Madonna et­was lebt, was ein rein Geistiges, ein Christushaftes schon im voraus erlebt.

So ist Raffael ein Herold, der verkündet hat den geistigen Christus, der von der Geisteswissenschaft wieder erfaßt wird. Und durch die Geisteswissenschaft erfahren wir, daß es nun wiederum dieselbe Indi­vidualität ist, die in Elias und Johannes dem Täufer gelebt hat, die auch in Raffael lebte. Und wir lernen verstehen, daß die Welt, innerhalb welcher er war als Johannes der Täufer, wieder aufersteht in Raffael dadurch, daß er andeutet, in welcher Beziehung er zu dem historischen Christus-Ereignis steht, indem er an einem Karfreitag geboren wird.

Da finden wir das dritte Heroldtum nach Elias und Johannes dem Täufer. Jetzt verstehen wir mancherlei von den Fragen, die der Weiter­blickende aufwerfen muß, wenn wir hinblicken auf die Gestalt Johan­nes des Täufers. Er stirbt den Märtyrertod, bevor das Ereignis von

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Golgatha herannaht, er macht mit die Zeit der Morgenröte des Myste­riums von Golgatha, die Zeit der Prophezeiungen, der Vorhersage, gleichsam die Zeit des Frohlockens, er macht aber nicht mit die Zeit der Klage, des Leides. Wenn sich diese Gemütsstimmung nun fortpflanzt in die Persönlichkeit des Raffael hinein, finden wir es da nicht begreif­lich, daß Raffael mit so großer Hingabe Madonnenbilder, Kinderbilder malt, verstehen wir da nicht, warum er keinen Verrat des Judas, keine Kreuztragung, kein Golgatha, keinen Ölberg malt? Die in dieser Art existierenden Bilder müssen auf Bestellung gemacht sein, in ihnen drückt sich wirklich nicht das Wesen Raffaels aus. Warum liegen ge­rade diese Bilder nicht in Raffael? Weil er als Johannes der Täufer nicht mehr mitgemacht hat das Mysterium von Golgatha.

Und dann, wenn man so betrachtet die Gestalt des Raffael, der durch die Jahrhunderte gelebt hat und heute noch lebt, und nun den Blick wendet auf das, was heute noch da ist und was schon zerstört ist von seinen Werken, und wenn man sich überlegt, daß alles, was im Materiellen da ist, den Weg der Vergänglichkeit gehen muß, dann weiß man gut, daß dasjenige, was in diesen Bildern lebt, aufgenom­men sein wird, ehe sie vergehen, in die Seelen der Menschen. Es wer­den ja für viele Jahrhunderte Reproduktionen da sein, aber dasjenige, was doch nur eine Vorstellung geben kann von der Persönlichkeit Raffaels, von dem, was Raffael war, was er selber gemacht hat, das zerstiebt, das wird Staub sein, vergangen werden sie sein, seine Werke. Und nichts Irdisches, nichts auf unserer Erde ist imstande, das zu er­halten.

Uns aber wird durch die Geisteswissenschaft klar, daß das, was in Raffael als Individualität lebt, dasjenige, was sie sich erarbeitet hat, weiterträgt, und daß dieses Erarbeitete wieder erscheint mit ihr. Und wenn wir erfahren, daß diese selbe Individualität wiedererscheint in dem Dichter Novalis, und wenn wir nun des Novalis erste Verkün­digung nehmen, die wie eine Morgenröte einer neuen lebendigen Chri­stus-Idee erscheint, dann sagen wir uns: Lange bevor in der äußeren Welt verschwindet, was Raffael geleistet hat, lange vorher ist die In­dividualität dieser Persönlichkeit wieder da, um in neuer Form zu geben dasjenige, was sie der Menschheit zu geben hat. Wie gut war es,

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daß eine Zeitlang die abendländische Kultur nur die abgegrenzte Per­sönlichkeit betrachtet, daß wir eine Persönlichkeit schon durch ihr Einzelleben lieben gelernt haben! Wie unendlich bereichert wird nun unser Gemüt, wenn wir lernen, wie das Ewige des Menschen von Per­sönlichkeit zu Persönlichkeit geht! Und wenn uns diese Persönlich­keiten noch so verschieden erscheinen, irgendwo werden wir Verständ­nis finden durch dasjenige, was spirituelles Wissen uns geben kann an konkreten Tatsachen über menschliche Wiederverkörperung und Karma. Nicht so sehr von den allgemeinen Begriffen und Lehren, son­dern gerade von demjenigen, was Licht hineintragen kann in das ein­zelne, wird die Menschheit etwas haben. Dann kann so mancherlei, das nur durch intuitives Schauen und durch die okkulte Forschung er­langt werden kann, sich an diese Dinge anschließen, dann können wir endlich hinrichten den Blick auf das Mysterium von Golgatha selber, können uns erinnern, daß im dreißigsten Jahre des Lebens des Jesus von Nazareth in ihn die Christus-Wesenheit einzog und durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist.

Wenn man heute davon spricht, daß die Christus-Wesenheit nicht mehr in einem fleischlichen Leibe sich verkörpern kann, so muß man sagen, daß das eigentlich überhaupt niemals behauptet worden ist. Denn auch damals war der fleischliche Leib die Hülle des Jesus von Naza­reth, in die hineinsteigt die geistige Christus-Wesenheit. Es ist da nicht wie bei anderen Individualitäten, die sich ihren Leib selbst bauen; sondern in den Leib, den der Jesus von Nazareth vorbereitet hatte, senkte sich die Christus-Wesenheit erst später hinein. Allerdings ver­schmolz sie dann mit ihm. Wir können da also auch eigentlich nicht von einer fleischlichen Verkörperung des Christus sprechen. Das sind Dinge, die für den Kenner selbstverständlich sind.

Aber nun wissen wir, daß durch diesen Christus-Impuls etwas auf die Erde gekommen ist, etwas eingeflossen ist in die Menschheit, das der ganzen Menschheit zugute kommt, indem es ausströmt in die Menschheitskulturen. So daß dasjenige, was durch den Tod ging, wie ein Samenkorn ist, das sich vermehrt und in die einzelnen Seelen der Menschen hineinkommen und aufgehen kann. Da wir nun wissen, daß die Christus-Wesenheit, die durch den Tod ging und dadurch sich in

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die Erde hineinsenkte, aufgenommen wurde von dem Leibe des Jesus von Nazareth, fragen wir uns: Was wird denn daraus, wenn die Erde an ihrem Ziel, an ihrem Ende angekommen sein wird? - Der Christus, der sich aus Erdenfernen näherte und sich mit der Erde verband, er wird an ihrem Ziel das Reale sein auf der Erde, er wird der Geist der Erde sein. Der ist er zwar jetzt auch schon, nur werden dann die Men­schenseelen von ihm durchdrungen sein, die Menschen werden ein Gan­zes mit ihm bilden.

Jetzt fragen wir etwas anderes. Wir haben gelernt, daß wir als Maja zu betrachten haben den Menschen in seiner Gestalt auf der Erde. Diese Gestalt versprüht mit dem Tode, ein Scheinbild ist, was als äußere Gestalt des menschlichen Leibes vor dem Menschen dasteht. Sie wird nicht bleiben, die äußere Gestalt des physischen Leibes, ebenso­wenig wie die physischen Leiber der Pflanzen, der Tiere und die Mi­neralien bleiben werden. Die physischen Leiber werden übergehen in dasjenige, was zersprüht, was Weltenstaub wird. Das, was man sieht, die physische Erde, wird völlig verschwunden sein, wird nicht mehr da sein. Und die Ätherleiber? Sie haben nur einen Sinn, solange sie physische Leiber zu erneuern haben; auch sie werden nicht mehr vor­handen sein. Wenn nun die Erde an ihr Ziel gekommen sein wird, was wird dann von alledem da sein, was der Mensch sieht? Nichts mehr, gar nichts mehr wird da sein, nichts von ihm selbst, nichts von den anderen Wesen der übrigen Naturreiche. Wenn das Geistige frei sein wird, wird von der Materie nichts als ungeformter Staub da sein, denn nur der Geist ist wirklich. Aber eines ist dann wirklich geworden, das früher gar nicht vereint war mit der Erde, mit dem sich die mensch­lichen Seelen vereinen werden, eines ist dann wirklich: der Christus-Geist. Er wird das einzige Reale sein, was bleiben kann von der Erde.

Aber wie kommt dieser Christus-Geist zu seinen geistigen Hüllen? Er ist als Impuls, gleichsam als die Seele der Erde heruntergestiegen in die Erdensphäre bei dem Mysterium von Golgatha.

Auch bei dem Christus-Wesen muß sich etwas bilden, was man seine Hüllen nennen könnte. Woraus nimmt sich eine solche Wesenheit ihre Hüllen? Nicht wie bei dem Menschen geschieht das, aber auch der Christus wird eine Art vergeistigten physischen Leibes, eine Art Ätherleib

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und eine Art Astralleib haben. Woraus werden diese Leiber be­stehen?

Das sind Dinge, die vorläufig nur angedeutet werden können. Als die Christus-Wesenheit auf die Erde herniederstieg, mußte sie sich etwas Ähnliches schaffen, wie es der Mensch in seiner Umhüllung hat:

einen physischen Leib, einen Ätherleib und einen Astralleib. Nach und nach gliederte sich im Laufe der Epochen um den ursprünglichen, rein geistigen Christus-Impuls, der in der Johannestaufe herniederstieg, etwas herum, das wie ein Astralleib, Ätherleib und physischer Leib ist. Alle diese Hüllen werden aus Kräften gebildet, die von der Mensch­heit auf der Erde entwickelt werden müssen. Welche Kräfte sind das?

Die Kräfte der äußeren Wissenschaften können dem Christus kei­nen Leib geben, man erfährt durch sie nur etwas über Dinge, die ver­schwunden sein werden in der Zukunft, die später nicht mehr vor­handen sein werden. Eines aber geht der Erkenntnis voraus, was für die Seele einen unendlich höheren Wert hat als die Erkenntnis selbst. Das ist dasjenige, was die griechischen Philosophen als den Anfang aller Philosophie ansahen: das Verwundern oder das Erstaunen. Sind wir zum Erkennen gekommen, dann ist eigentlich schon vorbei, was in der Seele Wert hat. Die Menschen, die sich verwundern können über die großen Erkenntnisse und Wahrheiten der geistigen Welt, die prägen sich ein dieses Gefühl der Verwunderung, und was sie sich da ein­prägen, das bildet im Laufe der Zeiten eine Kraft, die eine Anziehungs­kraft für den Christus-Impuls bedeutet, die heranzieht den Christus-Geist: der Christus-Impuls verbindet sich mit der einzelnen Seele des Menschen, insoweit sich die Seele über die Geheimnisse der Welt ver­wundern kann. Der Christus nimmt seinen astralischen Leib aus der Erdenentwickelung aus all den Gefühlen, die als Verwunderung in den einzelnen Seelen der Menschen gelebt haben.

Das zweite, was die Menschenseelen ausbilden müssen, wodurch sie den Christus-Impuls heranziehen, das sind alle Gefühle des Mit­leids. Und jedesmal, wenn ein Gefühl des Mitleids oder der Mitfreude in der Seele entwickelt ist, so bildet das eine Anziehungskraft für den Christus-Impuls, und der Christus verbindet sich durch Mitleid und Liebe mit der Seele des Menschen. Mitleid und Liebe sind die Kräfte,

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aus denen der Christus sich seinen Ätherleib formt bis zum Ende der Erdenentwickelung. Mit Bezug auf Mitleid und Liebe könnte man ge­radezu von einem Programm sprechen - wenn man grob sprechen wollte -, das die Geisteswissenschaft erfüllen muß in der Zukunft. Der Materialismus hat es heute auf diesem Gebiete sogar - was niemals vor­her auf der Erde geschehen ist - zu einer schändlichen Wissenschaft gebracht. Das Schlimmste, was geleistet wird heute, ist das Zusammen­werfen von Liebe und Sexualität. Das ist der schlimmste Ausdruck des Materialismus, das Teuflischste der Gegenwart. Die Dinge, die auf diesem Gebiet geleistet werden, sie werden erst herausgeschält werden müssen. Sexualität und Liebe haben gar nichts miteinander zu schaf­fen. Sexualität ist etwas, das mit der reinen, ursprünglichen Liebe überhaupt nichts zu tun hat. Die Wissenschaft hat es bis zur Schänd­lichkeit gebracht, indem sie eine ganze Literatur aufbrachte, die sich damit beschäftigt, diese beiden Dinge in Zusammenhang zu bringen, die gar nicht im Zusammenhang stehen.

Ein Drittes, das hereinzieht in die Menschenseele wie aus einer hö­heren Welt, das ist das Gewissen, dem sich der Mensch fügt, dem er einen höheren Sinn beilegt als seinen eigenen, individuellen moralischen Instinkten. Mit ihm verbindet sich der Christus am innigsten: Aus den Gewissensimpulsen der einzelnen Menschenseelen entnimmt der Chri­stus seinen physischen Leib.

So wird ein Ausspruch in der Bibel sehr real, wenn man weiß, daß aus den Mitleids- und Liebegefühlen der Menschen der Lebensleib des Christus sich bildet: «Was ihr einem der geringsten meiner Brüder ge­tan habt, das habt ihr mir getan», denn Christus bildet seinen Lebens-leib bis ans Ende der Erdentwickelung aus Mitleid und Liebe der Menschen. Wie der Christus seinen astralischen Leib aus dem Verwun­dern und Erstaunen bildet, wie er seinen physischen Leib aus dem Ge­wissen bildet, so bildet er seinen Ätherleib aus den Gefühlen des Mit­leids und der Liebe.

Warum können wir jetzt gerade diese Dinge sagen? Weil einmal ein großes Problem gelöst werden wird für die Menschen, nämlich die Chri­stus-Gestalt auf den verschiedensten Gebieten des Lebens darzustellen, wie sie wirklich ist. Dann erst wird man sie schauen, wie sie ist, wenn

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man mancherlei von dem berücksichtigt, was Geistesforschung zu sagen hat. Wenn man nach langem Vertiefen in die geisteswissenschaftliche Christus-Idee einmal versuchen wird, den Christus darzustellen, da wird man eine Gestalt bekommen, an der man erkennt, daß in seinem Ant­litz etwas enthalten ist, woran sich alle Kunst abmühen kann, aber auch abmühen muß und wird: in seinem Antlitz wird dann etwas enthalten sein von dem Sieg der Kräfte, die nur im Antlitz sind, über alle anderen Kräfte der menschlichen Gestalt. Wenn die Menschen werden bilden können ein Auge, das lebt und nur Mitleid strahlt, einen Mund, der nicht geeignet ist, zu essen, sondern nur zum Sprechen jener Wahrheits­worte, die das auf des Menschen Zunge liegende Gewissen sind, und wenn eine Stirn gebildet werden kann, die nicht schön und hoch, son­dern die in der deutlichen Ausgestaltung dessen schön ist, was sich nach vorn spannt zu dem, was wir die Lotusblume zwischen den Augen nen­nen - wenn einmal dies alles gebildet werden kann, dann wird ge­funden werden, warum der Prophet sagt: «Er ist ohne Gestalt und Schöne.» Dies heißt nicht Schönheit, sondern es ist das, was siegen wird über die Verwesung: die Gestalt des Christus, wo alles Mitleid, alles Liebe, alles Gewissenspflicht ist.

Und so geht die Geisteswissenschaft als ein Kern hinüber in das menschliche Fühlen, in das menschliche Empfinden. Alle Lehren, wel­che die Geistesforschung zu geben vermag, bleiben nicht, sie verwan­deln sich in unmittelbares Leben in der menschlichen Seele. Und die Früchte der Geisteswissenschaft werden Lebensverhältnisse allmählich sein, welche wie eine äußere Verkörperung erscheinen werden der Gei­steserkenntnis selbst, dieser Seele der zukünftigen Menschheitsent­wickelung, so wie sie werden muß.

Mit solchen Gedanken möchte ich einiges in Ihrer Seele angeschla­gen haben, was angeschlagen werden kann, wenn man nicht mit trocke­nen Worten, sondern so gerne mit Gefühlsideen und Gefühlsnuancen sprechen möchte zu den geisteswissenschaftlich Strebenden, so daß diese Gefühlsnuancen und -ideen leben und wirken, damit sie draußen da sein können in der Welt. Wenn in den Herzen solche Gefühls­nuancen leben, so werden sie ein Quell von Wärme sein, die ausströmt in die ganze Menschheit. Und diejenigen, die daran glauben, werden

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auch an die Wirkung ihrer schönen Empfindungen glauben, werden glauben daran, daß eine jede Seele so empfinden - auch wenn sie das Karma nicht anweist, äußerlich davon Ausdruck zu geben - und da­durch unsichtbare Wirkungen erzeugen kann, welche das, was durch die Geisteswissenschaft in die Welt kommen soll, wirklich in die Welt bringen.

Das ist dasjenige, was ich so gerne bei dieser meiner diesmaligen Anwesenheit in Köln als ein Gefühl bei Ihnen hervorgerufen haben möchte.

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ZUR SYNTHESE DER WELTANSCHAUUNGEN. EINE VIERFACHE HEROLDSCHAFT München, 16. Mai 1912

Geisteswissenschaft muß ein Instrument gegenseitigen Verständnisses werden, wodurch wir sozusagen über die ganze Menschheit hin bis in die Seele hinein uns verstehen lernen. Und dieses Sich-bis-in-die-Seele­hinein-Verstehenlernen, das muß sozusagen als anthroposophische Ge­sinnung uns durchdringen, muß in uns leben, sonst werden uns auch die okkuiten Wahrheiten nicht gut verständlich werden, die durch die Geisteswissenschaft in die Menschheit hineinfließen. In dieser Bezie­hung kann ja Geisteswissenschaft - weil sie sozusagen der Schlüssel ist zu dem Verständnis des Innersten - Frieden und Harmonie über die Erde hin stiften. Wie kann sie das?

Wir wollen uns das an einem konkreten Beispiel einmal veranschau­lichen. Nehmen wir zum Beispiel das Verhältnis von zwei Menschen, welche über die Erde hin verschiedene Religionsbekenntnisse haben, sagen wir das Christentum und den Buddhismus. Dasselbe, was wir sagen können in bezug auf Christen und Buddhisten, die uns nur klas­sische Beispiele abgeben, könnten wir natürlich auch sagen für die Weltanschauungsbekenntnisse zweier hier nebeneinander lebender Menschen in Europa; denn, was im Großen gilt, wird durch die Geist-Erkenntnis auch gelten im Kleinen. Wenn wir den Christen nehmen und den Buddhisten, wie sie in den hergebrachten orthodoxen Be­kenntnissen sind, wie stehen sie sich gegenüber? Nun, so, daß der Christ eigentlich glaubt, der Buddhist könne nur selig werden, wenn er das Christentum in der Form annimmt, wie gerade er es hat. Und so sehen wir die Missionstätigkeiten der Christen unter den Buddhisten; sie tragen ihr spezielles Bekenntnis dorthin. Und in ganz entsprechender Weise benimmt sich auch der orthodoxe Buddhist. Nehmen wir an, beide würden Anthroposophen. Wie kann sich der Christ, als anthr0-posophischer Christ, zum Buddhisten verhalten? - Nun, sagen wir, er hört das, was zu den hauptsächlichsten Dingen des Buddhismus gehört und was im Grunde genommen nur recht verstanden wird von einem,

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der im Buddhismus selber drinnen lebt. Man hört ja heute auf zwei Wegen etwas über das, was man die Inhalte der verschiedenen Reli­gionsbekenntnisse nennt: Von Leuten, die vergleichende Religionswis­senschaft treiben, und von denen, die in geisteswissenschaftlicher Weise den Inhalt der verschiedenen Religionsbekenntnisse kennenlernen. Wenn man diejenigen ins Auge faßt, welche vergleichende Religions­wissenschaft treiben, so muß man sagen, es sind außerordentlich flei­ßige, regsame Leute, die sich bemühen, die gelehrtenhafte Vergleichung der verschiedenen Religionsbekenntnisse zu pflegen. Wenn sie aber diese Religionsbekenntnisse vergleichen, dann stellt sich doch etwas ganz Be­sonderes heraus; dann ist das, was sie suchen, wenn sie das auch nicht zugeben, eigentlich doch nur die Unwahrheit der verschiedenen Reli­gionsbekenntnisse. Die Leute suchen, was nicht wahr ist, was eben in kindlichen Zeiten von den verschiedenen Religionsbekenntnissen an­genommen worden ist; das heißt, sie suchen die Unwahrheit. Derjenige, der als Geisteswissenschafter sich damit beschäftigt, der sucht den Hauptkern in den einzelnen Religionsbekenntnissen, er sucht das, was zwar in einer einzelnen Nuance, aber doch als Wahrnehmungsnuance in diesem oder jenem Religionsbekenntnis enthalten ist. Er sucht also das, was wahr ist in den einzelnen Religionsbekenntnissen, nicht was falsch ist.

In dieser Beziehung kann es ja sonderbar gehen. Nicht wahr, kein Mensch, der die Tatsachen kennt, wird etwas anderes als den größten Respekt haben vor dem vielleicht größten religionsvergleichenden Ge­lehrten oder größten Kenner der Religionswissenschaften Max Müller. Auch er hat nicht viel anderes gegeben als das, was man nennen könnte:

die Unwahrheit der orientalischen Bekenntnisse. Aber er hat geglaubt, er gibt damit alles. Und da ist H.P. Blavatsky aufgetreten und hat ganz anders gesprochen. Sie hat so gesprochen, daß man in ihr sah: sie weiß den Hauptkern der orientalischen Bekenntnisse.

Was hat da Max Müller gesagt? Sein Urteil ist etwas grotesk und zeigt, daß ein Gelehrter nicht gerade in der Logik fest beschlagen zu sein braucht. Er hat gemeint, die Leute laufen der Blavatsky nach, die ihnen doch nur eine ganz falsche Darstellung der orientalischen Reli­gionen gäbe, während sie die wahre Darstellung derselben nicht berücksichtige,

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die zum Beispiel er, Max Müller, gibt. Und er gebrauchte folgenden Vergleich: Ja, wenn die Leute so auf der Straße laufen und ein wirkliches Schwein sehen, das da grunzt, so sind sie nicht beson­ders verwundert darüber, aber wenn sie einen Menschen sehen, der wie ein Schwein grunzt, so macht das Aufsehen. - Er wollte vergleichen dasjenige, was auf naturgemäße Weise die orientalischen Religions­systeme gibt, nämlich seine Art von Religionsvergleichung, mit dem Schwein, das auf natürliche Weise grunzt - ich mache ja nicht den Vergleich! - und wollte vergleichen das, was die H. P. Blavatsky ge­geben hat, mit einem Menschen, der so grunzt. Nun, über das Ge­schmackvolle des Vergleiches will ich gar nicht sprechen; denn es dünkt mich gar nicht sehr logisch: etwas überrascht wäre ich doch, wenn mir ein Mensch begegnete, der täuschend grunzen könnte. Aber ich würde ja auch nicht, wirklich nicht, den anderen Vergleich der vergleichenden Religionswissenschaft mit dem besagten Tier gebrauchen, und es ist sonderbar, daß Max Müller ihn selber gebraucht hat.

Geisteswissenschaft macht uns bekannt mit dem Wahrheitskern der verschiedenen Religionen. Nehmen wir einen springenden Punkt im Buddhismus: Der Buddhist weiß, wenn er den Grundnerv seines Be­kenntnisses verstanden hat, daß es Bodhisattvas gibt, und er weiß, daß diese Bodhisattvas, einmal als eine Individualität beginnend, eine ra­schere Entwickelung als die anderen Menschenindividualitäten durch­machen und dann aufsteigen zum Buddha. Buddha ist ein genereller Name für alle diejenigen, die in einer menschlichen, fleischlichen In­karnation vom Bodhisattva zum Buddha aufsteigen. Und einer von denen, die mit dem Namen Buddha besonders ausgezeichnet werden, ist eben der Sohn des Suddhodana: Gautama Buddha. Und von ihm muß man anerkennen, wie von jedem Buddha, daß, wenn er im neun­undzwanzigsten Jahre seines Lebens die Buddha-Würde erreicht, daß dann diejenige Inkarnation, in welcher dies geschieht, als letzte In­karnation verläuft, daß er dann nicht wieder herunterzusteigen braucht zu einer fleischlichen Erdeninkarnation. Das sieht der Buddhist als eine Wahrheit an. Als eine Kinderei würde es der vergleichende Religions­forscher anschauen. Der Anthroposoph aber, der sich bekanntmacht mit den Geheimnissen der Religionen auf allen Gebieten, der tritt dem

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Buddha nicht so entgegen, sondern er weiß, daß eine solche Sache eine Wahrheit ist. Und so wie nur irgendein gläubiger Buddhist steht der Anthroposoph dem Buddhismus gegenüber und sagt: Ja, ich weiß, daß es so etwas gibt wie Bodhisattvas, die zum Buddha aufsteigen, der sich nicht wieder zu verkörpern braucht. Das ist einer der Sätze deiner Religionsgemeinschaft, ich erkenne ihn an, so wie du selber, und indem ich das anerkannt habe, kann ich verehrend zu deinem Buddha auf-blicken wie du selber. - Das heißt, der anthroposophische Christ be­ginnt voll zu verstehen dasjenige, was der Buddhist sagt, und er hat mit ihm dieselben Empfindungen und Gefühle, er teilt sie mit ihm, und sie verstehen sich von der einen Seite zunächst.

Nehmen wir den anderen Fall, daß der Buddhist nun auch Anthro­posoph geworden sei und erkennen lernt das, was wiederum der Christ, der sich hinausgehoben hat über das Engbegrenzte des konfessionellen orthodoxen Standpunktes, über das Christentum weiß. Nehmen wir gleich an, es hört dieser anthroposophische Buddhist dasjenige, was ein solcher Christ zu sagen weiß über den Christus-Impuls selber. Er hört, daß innerhalb des Christentums, innerhalb der christlichen Esoterik erkannt wurde, daß einmal im Verlaufe der Erdenentwickelung an den Menschen in seiner Entwickelung dasjenige herangetreten ist, was man Luzifer nennt; er hört dann, daß dadurch dieses Menschenwesen tiefer heruntergestiegen ist, als es der Fall gewesen wäre, wenn kein luzife­rischer Einfluß stattgefunden hätte; und er hört dann, daß es also eigentlich etwas ist, wo wir hinaufschauen wie in eine Angelegenheit der Götter, wenn wir das Aufbäumen, die Empörung des Luzifer ge­genüber den fortschreitenden Göttergewalten ins Auge fassen. Also in eine Angelegenheit der Götter schauen wir hinein. Und dann hören wir von dem Christen, der sein Christentum wirklich versteht, daß der Ausgleich für diese Angelegenheit der Götter, die sich abgespielt hat zwischen den fortschreitenden Göttern und Luzifer, dasjenige wer­den mußte, was wir das Mysterium von Golgatha nennen. Und warum?

Ja nun, in seiner gegenwärtigen Form ist der Tod und alles, was mit dem Tod verbunden ist, wirklich durch den luziferischen Einfluß ge­kommen. Der Tod aber ist etwas, was nur in der physischen Welt zu finden ist. Tod gibt es nicht in einer übersinnlichen Welt, insofern übersinnliche

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Welten dem Menschen erreichbar sind mit seinem hellsehe­rischen Bewußtsein. Nicht einmal die Gruppenseelen der Tiere sterben; sie verwandeln sich nur. Metamorphose gibt es, aber nicht das, was man Tod nennt. Das Zerfallen, das Auseinanderfallen eines Teiles einer bestimmten Wesenheit, Tod, gibt es nur in der physischen Welt. Nun mußte als Ausgleich gewählt werden - das kann nur angedeutet wer­den - von überirdischen Wesen das Erleiden des Todes, um mit den Menschen eine gemeinsame Angelegenheit zu haben, etwas, das ein Ausgleich sein konnte für die luziferische Empörung. Um Luzifer zu besiegen, mußte das Göttliche durch den Tod gehen; dazu mußte es auf die Erde heruntersteigen.

Es ist also das, was durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist, eine Götterangelegenheit, durch die ein Ausgleich geschaffen wor­den ist für die Luziferangelegenheit. Es ist die einzige Götterangele­genheit, die sich vor den Augen der Menschen abgespielt hat. Dieser einmalige Impuls, der nicht anders vorgestellt werden darf als das Durchgehen des Göttlichen durch den Tod auf dem physischen Plan und das Ausströmen des Christus-Impulses in die geistige Atmosphäre der Erde von diesem Zeitpunkt an, betrachtet nun derjenige, der das Christentum kennt, als das Urwesentliche dieses Christentums. Es un­terscheidet sich das Christentum, in tieferern Sinne gefaßt, dadurch von allen anderen Religionen, daß die anderen Religionen die Haupt­sache sehen in irgendeinem Religionsstifter, in einer Persönlichkeit; daß aber das Christentum das Wesentliche nicht in der Person des Jesus von Nazareth, sondern in diesem persönlichen Stifter nur den Träger des Christus-Impulses sieht. Das Christentum sieht also das Wesentliche in einer Tatsache, die sich als solche einmal vollziehen mußte in der Erdenentwickelung: in dem Durchgehen des Göttlichen durch den Tod. Das ist es, was die besondere Wahrheitsnuance des Christentums ist: daß nicht eine Individualität, sondern eine Tatsache, ein Geschehnis, ein Erlebnis an den Ausgangspunkt gestellt wird. Da­her kommt es natürlich durchaus nicht darauf an, wenn man uns etwa sagt: Ja, schaut hin, der Jesus von Nazareth hat allerlei Leidenschaften, allerlei Eigenschaften noch, welche ein, sagen wir, nach orientalischen Anschauungen irgendwie vorgerückter Mensch nicht mehr haben darf.

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Darauf kommt es gar nicht an. Der versteht gar nichts vom Christen­tum, der sich dadurch beirren läßt; denn es kommt dem Christentum gar nicht auf den Jesus von Nazareth an, sondern auf das Geschehnis von Golgatha, auf jene Tatsache. Lassen Sie ruhig andere Religions­stifter persönliche Eigenschaften haben, die anderen Völkern besser ge­fallen als diejenigen des Jesus von Nazareth! Aber diejenigen, die als Buddhisten Anthroposophen werden, die sehen ein, daß es im Chri­stentum auf das Ereignis von Golgatha ankommt, und sie werden dem Christen zurückgeben, was er ihnen gegeben hat. Sie werden sagen:

Geradeso wie du selbst zugibst, daß es Bodhisattvas gibt, die als Indi­vidualitäten sich entwickeln, zum Buddha aufsteigen und sich dann nicht wieder zu verkörpern brauchen, so geben wir zu, daß einmal in der Entwickelung der Menschen ein solches Durchgehen des Göttlichen durch den Tod geschehen ist. Du gibst uns die Wahrheitsnuance in un­serer Religion zu, und wir dir die Wahrheitsnuance in deiner Religion. -So verstehen sich beide. Nicht verstehen würden sie sich zum Beispiel und Unfrieden würde gestiftet werden, wenn Christen kämen, die ver­meinten, Anthroposophen geworden zu sein und sagen würden: Das glaube ich dir nicht, daß ein Buddha nicht mehr im fleischlichen Leib erscheinen kann, sondern ich nehme an, daß in einer bestimmten Zeit der Buddha wieder in einem fleischlichen Leibe erscheint. - Das wäre eine Unmöglichkeit gegenüber dem, der den Buddhismus in seinem Kern erkennt. Unmöglich wäre es, dem Buddhisten zuzumuten, zu glauben, daß sein Buddha wiederum im Fleisch erscheinen könnte. Der Buddhist würde sagen: Da verstehst du den Buddhismus nicht. - Und es ist ganz selbstverständlich und sollte gar keine Diskussion darüber sein, daß ebenso, wie der nicht den Buddhismus kennt, welcher behauptet, ein Buddha würde wieder im Fleische kommen, derjenige nicht vom Christentum spricht, der behauptet, ein Christus könne im Fleische wiederkommen, der also nicht einsieht, daß es sich hier um ein ein­maliges Leben einer göttlichen Wesenheit auf der Erde handelt, eben zum Behufe durch den Tod zu gehen auf dem physischen Plan, und nicht um irgend etwas anderes. So handelt es sich um ein gegenseitiges Verstehen über die ganze Erde hin, um ein sich wirklich Begreifen und dadurch Frieden stiften. Unfrieden würde man stiften, wenn man

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behaupten würde dem Buddhisten gegenüber, der Buddha erschiene wieder im Fleische; und Unfrieden würde man stiften, wenn man be­haupten würde, der Christus könne wieder im Fleische kommen. Sol­che Dinge würden sich tief rächen müssen, denn sie sind Unmöglich­keiten gegenüber dem, was wirklich lebt in der Menschheitsentwicke­lung. Grotesk wäre es, wenn irgend jemand gar behaupten wollte, daß der Christus wiederkommen müßte und die Menschen ihn jetzt besser verstehen müßten als damals und sich jetzt besser vorbereiten müßten auf ihn und ihn nicht töten müßten: ein solcher würde nicht wissen, daß es gerade auf die Tötung angekommen ist und daß es ohne sie gar kein Christentum geben würde! Der gute Wille zum Verständnis führt wirklich zum gegenseitigen Verstehen, und wir sehen, wie Geisteswis­senschaft ein Instrument sein kann, um in den einzelnen Religionsbe­kenntnissen überall den Hauptkern zu suchen. Wenn man nur will, findet man ihn. Daher ist sie die Friedensbotschaft über die Welt hin. Geisteswissenschaft wird zu dem materiellen Kulturleib, der heute in industrieller und kaufmännischer Beziehung über die ganze Erde hin vorhanden ist, eine Kulturseele über die ganze Erde hin zu schaffen haben. Gerade dadurch, daß wir das Mannigfaltige erkennen, was der Menschheit gegeben worden ist in den verschiedenen Religionsbekennt­nissen, und dann wiederum darauf beziehen dasjenige, was als Wahr­heitskern gerade durch Geisteswissenschaft uns erscheint, gerade da­durch erlangen wir eine Art Synthese, einen Zusammenschluß der ver­schiedenen Weltanschauungen in unserer Zeit. In bezug auf einen Punkt sei dies hervorgehoben.

Es ist niemals das Bestreben gewesen, innerhalb der anthroposophisch orientierten Bewegung, die wir hier treiben, sozusagen die Verschie­denheiten der Religionsbekenntnisse darzustellen in der Art, daß man dem einen Religionsbekenntnis Vorzüge und dem anderen Nachteile zuschreibt, sondern man charakterisiert. Wie oft ist gesagt worden:

Die spirituelle Höhe, die da war unmittelbar nach der atlantischen Katastrophe in der Kultur der altindischen Rishis, ist überhaupt heute noch nicht erreicht worden. Sie ist also auch nicht vom Christentum, wie es heute besteht, erreicht worden. Wir geben nicht Vorzüge und Nachteile an, sondern stellen die einzelnen Religionen in ihrer Wesenheit

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dar. So stellen wir auch nur dar, wenn wir aufmerksam machen auf andere Unterschiede. Wenn wir die mehr orientalische Denkweise verfolgen, namentlich diejenige, welche die meisten Bekenner hat, die buddhistische, so werden Sie eines sehen: Es ist dort das Hauptinteresse der Leute in Anspruch genommen durch das, was man den Durchgang durch die verschiedenen Inkarnationen nennt. Man redet dort von einem Bodhisattva; aber ein Bodhisattva ist nicht ein solcher, der vom Geburtsjahr bis zum Todesjahr nur lebt, sondern einer, der immer und immer wiederkommt und dann zum Buddha wird; und man spricht von Bodhisattvas, als wenn sie in verschiedener Zahl innerhalb der Menschheitsentwickelung aufträten. Man generalisiert mehr, man faßt mehr die Individualitäten, die bleiben. Wie machte man es aber bisher in der abendländischen Anschauung? Das gerade Gegenteil war der Fall. Wenn die Menschen von Sokrates, Plato, Raffael, Michelangelo sprachen, so gaben sie Persönlichkeiten an, und da stellt die abendlän­dische Anschauung die in sich begrenzten Wesenheiten als das Wesen-hafte hin. Das hatte sein Gutes, weil dadurch eine besondere Erziehung geleistet worden ist, um herauszuziselieren, herauszuarbeiten die einzel­nen menschlichen Persönlichkeiten. Das war im wesentlichen gerade der Fall bei denjenigen Anschauungen, die zum Beispiel auch H. P. Blavatsky nicht verstanden hat: bei der althebräischen und der neu­testamentlichen Anschauung.

Man richtete den Blick zum Beispiel auf Elias. Die okkulten For­schungen über ihn haben etwas Überraschendes. Ich brauche nur zu sagen, daß uns das Einzigartige auffällt, wodurch er wie ein Vorbote dessen ist, was durch den Christus-Impuls hatte geschehen sollen. Noch faßt er die Sache so auf, daß das göttliche Wesen im Volks-Ich zum Ausdruck kommt; aber schon macht er darauf aufmerksam, daß das würdigste Erkennungsmittel im Ich selber liegt. Insofern ist Elias wie eine Art Herold des Christentums aufzufassen, und keiner der anderen Propheten scheint mir in solcher Weise ein Herold zu sein wie Elias. Noch ist die Jehova-Nuance in seinen Worten; aber schon finden wir bei ihm den Jehova so weit zum menschlichen Ich herabgerückt als nur möglich.

Dann richten wir den Blick auf eine andere Gestalt, wiederum als

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Einzelpersönlichkeit, auf Johannes den Täufer. Wir finden, wie er dem Christus-Impuls vorausgeht, wie Johannes der Täufer sich wirklich als derjenige darstellt, der in Worten den Christus-Impuls charakterisiert. Er sagt: Ändert den Sinn, blickt nicht mehr nach den Zeiten des alten Hellsehens, sondern sucht im eigenen Menscheninnern die Reiche des Himmels! - Das, was der Christus-Impuls in Realität ist: der Täufer Johannes charakterisiert es. Er ist ein Herold des Christentums in einer ganz wunderbaren Weise. Wie eine Art Fortbildung, innerer spirituel­1er Fortbildung erscheint uns das, was im Herzen Johannes des Täu­fers lebt, gegenüber dem, was in Elias lebte.

Wir wenden dann den Blick zu Raffael und schauen ihn an als scheinbar eine ganz andere Gestalt wie Johannes den Täufer; aber in­dem wir den Raffael anschauen - ja, wir brauchen uns nur ein wenig so recht menschlich in ihn zu vertiefen, und wir finden in ihm einen Herold des Christentums.

Nehmen wir einmal das Folgende. Wir schlagen eine Stelle der Apostelgeschichte auf, die Stelle, wo da steht: «Und Paulus kam nach Athen und es versammelten sich die Athener um ihn herum, und Pau­lus trat vor sie hin und sagte: Ihr Frauen und Männer Athens, ihr habt bisher verehrt in allerlei Zeichen eure Götter; doch die Gottheit lebt nicht in äußeren Zeichen in Wirklichkeit. Ihr habt allerdings auch einen Altar, darauf steht: Dem unbekannten Gott! Ich aber sage euch, jener unbekannte Gott ist derjenige, der allerdings nicht durch äußere Zei­chen angedeutet werden kann in seiner wahren Gestalt, der aber allem Lebendigen, allem Seienden zugrunde liegt. Er ist der, der da gelebt hat auf Erden und auferstanden ist, derjenige, der durch die Auferstehung den Menschen selber zur Auferstehung führen wird.» Und weiter er-zählt die Apostelgeschichte - und wir sehen förmlich Paulus vor den Athenern stehen - wie einige Athener glaubten und andere nicht. Unter den ersteren war Dionysios, der Areopagite. Dann schauen wir uns das Bild an, das in der Camera della Signatura in Rom hängt und von Raffael gemalt ist, und das man «Die Schule von Athen» nennt. Neh­men wir nun an, Raffael habe - wie es dazumal ganz natürlich war -vor sich gehabt die Stelle der Apostelgeschichte, von der eben die Rede war, sie ist in ihm lebendig geworden. Und jetzt schauen wir die verschiedenen

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Athener an, denen er die Gesichter gegeben, und bis auf die Handbewegung sehen wir heraustreten - unter die Athener treten -eine Gestalt, die wir wiedererkennen, wenn wir nur den Paulus der Apostelgeschichte ins Auge fassen.

Und so könnten wir die verschiedensten Dinge bei Raffael durch­gehen. Wenn wir den Blick richten auf seine verschiedenen Madon­nen, müssen wir uns allerdings fragen: Ist nicht eines sonderbar bei Raffael, er ist groß, wenn er die Szenen malt, die das Werdende, das Wachsende in der Entstehung des Christentums zeigen, den kleinen Jesus wie etwas, was wie im Keim das ganze werdende Christentum enthält. Wir finden aber keinen Verrat des Judas von Raffael gemalt, eigentlich auch keine Kreuztragung, denn seine Kreuztragung erscheint uns wie zusammengetragen, gar nicht gleich den anderen Raffael­Werken. Wir finden dafür die Verkündigung, die Himmelfahrt, also die Dinge, die gerade auf das Werdende des Christentums hindeuten.

Und wie sprachen diese Dinge zu den Menschen? Ja, sie sprachen höchst eigentümlich. Sie wissen, daß sich in Dresden eines der herr­lichsten Werke Raffaels befindet: die Sixtinische Madonna. Die Men­schen, die kurz denken, denken vielleicht, das sei ein Bildwerk, das wie ein Sieger eingezogen sei in Deutschland. Auf Goethe machte es gar keinen Eindruck, weil er gehört hatte, wie man allgemein dachte über dieses Werk. Goethe war als junger Mann auch noch nicht so sicher im Urteil wie im Alter und war noch zugänglich dem, was die Leute sagten. Was erzählten ihm die Museumsbeamten in Dresden? Nun, daß das Kind in seinem ganzen Ausdruck eben gemein sei, daß die Madonna von einem Stümper übermalt sei, daß die kleinen Putten unten von irgendeinem Handlanger dazugemalt seien. Das war noch die Stimmung der Sixtinischen Madonna gegenüber, als Goethe als junger Mensch nach Dresden kam. Aber sehen wir, wie es jetzt ist. Fassen wir ins Auge, was Raffael eigentlich den Menschen geworden ist! Raffael wirkte ja in Rom in einer Zeit, in der über religiöse Dogmen viel gestritten wurde. Die Art, in der Raffael die christlichen Geheim­nisse malt, ist interkonfessionell. Wenn wir die späteren großen italie­nischen Maler nehmen, da sehen wir die religiösen Geheimnisse so ge­malt, daß wir erkennen: das ist das Christentum der lateinischen Rasse.

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Raffael malt so, daß wir es mit über den Völkern stehenden allgemei­nen Wiedergaben christlicher Geheimnisse zu tun haben. Darum se­hen wir, wie in kurzer Zeit die Sixtinische Madonna selbst in protestan­tischen Gegenden sich in die Seelen einlebt. Und wenn Anthroposophie wirken soll für das Verständnis der christlichen Mysterien, wird sie in denjenigen Seelen am besten Eingang finden, in denen die Empfindun­gen leben, welche gewonnen sind an Bildern wie die Sixtinische Ma­donna, in denjenigen Seelen, die auf diese Weise vorbereitet sind. Und wenn wir heute davon sprechen, daß das Christentum erst im Anfang seiner Entwickelung ist, daß es erst durch den spirituellen Schlüssel, den die Anthroposophie zu geben vermag, seine wahre Gestalt er­halten wird, dann wissen wir, daß diesem Christentum gegenüber wie ein Herold dasteht Raffael.

Und wiederum wenden wir den Blick noch nach einer anderen Gestalt, indem wir durchaus nur das zu Hilfe nehmen, was abendlän­dische Anschauungsweise ist: wir wenden den Blick zu der Gestalt des deutschen Dichters Novalis. Schlagen wir Novalis auf - überall fin­den wir Ansätze zu der reinsten anthroposophischen Lehre bis in Ein­zelheiten hinein, man braucht sie nur sozusagen aufzudröseln. So sieht man, wie Novalis durchdrungen ist von einem anthroposophischen Christentum.

So haben wir vier Gestalten als Persönlichkeiten gebracht. Das war abendländische Anschauung. Nun kommt die geisteswissenschaftliche Vertiefung. Durch diese werden die Menschen schon erfahren, warum zum Beispiel Raffael jene magnetische Anziehungskraft verspürt, in die Erde herein inkarniert zu werden just an einem Karfreitage, um durch die Geburt am Karfreitag äußerlich anzudeuten, daß er etwas zu tun hat mit dem Ostergeheimnis. Diese Dinge können heute nur an­gedeutet werden; wenige Jahrzehnte werden vergehen, dann werden die Leute die Dinge, die damit behauptet werden, so einsehen, wie sie heute naturwissenschaftliche Tatsachen einsehen: daß nämlich die­selbe Individualität es ist, die in Elias, Johannes dem Täufer, Raffael und Novalis gelebt hat. Erst werden sie die Persönlichkeiten erkennen, dann die Individualität, wie sie durch jene hindurchgegangen ist. Und nun begreifen wir die vierfache Heroldschaft und das Aufsteigen in

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dieser vierfachen Heroldschaft. Nun stehen wir zu einer solchen Sache ganz anders, als wir früher zu ihr gestanden haben. Heute weiß man ja schon, daß man die Stanzen in Rom nicht mehr in ihrer ursprüng­lichen Form sieht; sie sind verdorben, sind nicht mehr so, wie sie von Raffaels Hand hingemalt worden sind, und es brauchen nur noch Jahrhunderte zu vergehen, daß diese Dinge verschwinden. Wenn auch die Nachbildungen ein längeres Leben haben werden, wird das in seine Atome aufgelöst, was die Individualität geschaffen hat. Mögen die physischen Werke von Raffael aber auch pulverisiert werden im Laufe der Zeit, wir wissen, daß dieselbe Individualität, die jene Werke her­gestellt hat, schon wieder da war in Novalis und auf eine andere Weise bewirkt hat, was in ihr war.

So sehen wir, wie heute zu dem, was die abendländische Anschau­ungsweise ausgemacht hat, das begrenzte Anschauen der Persönlich­keiten, hinzugefügt wird die Individualität; wie also zusammengefügt wird das Beste, was die abendländische Weltanschauung ausmacht, mit dem Besten, was die morgenländische Anschauung hat. So schreitet die Zeitentwickelung vorwärts. Indem die Menschheit so vorwärtsschrei­tet und solche Dinge einsieht, wird die geistige Welt nicht stumm blei­ben, sondern sie wird zu der Menschheit auch in den alltäglicheren Er­scheinungen sprechen. Und die Menschen werden sozusagen nicht bloß wie durch eine Art Erkenntnis sich zu erheben haben zur geistigen Welt, sondern immer mehr und mehr wird sich diese Erkenntnis um­gestalten zu einer Art, man möchte sagen, Erfahrung. Dazu ist aber heute eine wirkliche spirituelle Bewegung notwendig. Daß eine solche notwendig ist, zeigt sich einfach daran, daß man selbst das Einfachste nicht mehr in der richtigen Weise beurteilt.

Es sei eine Einzelheit heute noch herausgegriffen. Der Mensch geht, wenn er ein gesundes Leben führt, im Verlauf von vierundzwanzig Stunden durch Wachen und Schlafen. Wir wissen, daß, wenn er ein­schläft, physischer und Ätherleib im Bette liegenbleiben und daß her­ausgehen Astralleib und Ich. Was geschieht denn nun mit dem, was im Bette liegenbleibt? Wenn der Hellseher zurückschaut aus seinem astralischen Leib auf das, was im Ätherleib und physischen Leibe vor sich geht, so sieht er, wie da ein mehr vegetatives Leben beginnt, ein

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Leben, das eigentlich zerstört worden ist durch das Tagesbewußtsein. Die Ermüdung wird ausgeglichen; das heißt, es blüht und sprießt nun im Ätherleib und im physischen Leibe, und der astralische Leib und das Ich sind zurückgezogen worden. Wenn sie morgens wiederum in den physischen Leib und Ätherleib untertauchen, dann haben sie diese wiederum zur Ermüdung zu bringen; sie grasen ab, lassen verwelken, was während der Nacht aufgesproßt ist.

Alles das, was im Mikrokosmos ist, ist auch im Makrokosmos vor­handen. Wenn wir im Frühling sehen, wie die Erde ihr Grünes her­ausschießen läßt in den Pflanzen, wie aufsprießen Blüten und Blätter und wie die Pflanzen sich vorbereiten, Früchte zu tragen, was haben wir denn da? Derjenige, der äußerlich vergleicht, wird sagen, es läßt sich das Aufwachen am Morgen vergleichen mit dem Aufwachen der Natur im Frühling. Das Umgekehrte ist aber wahr! Wir müssen das Aufblühen im Frühling mit dem Einschlafen vergleichen. Wir müssen vergleichen das Hervorkommen und Hervorwachsen der Pflanzen im Frühling mit dem, was im Äther- und physischen Leib des Menschen beim Einschlafen vor sich geht. Dann wird das immer lebendiger, wenn es dem Sommer entgegengeht, wie im menschlichen physischen und Ätherleibe in der Mitte der Schlafenszeit. Und im Herbst wird es so, wie wenn der Mensch am Morgen hinuntertaucht in den physischen und Ätherleib, im Herbst, der zum Verwelken bringt dasjenige, was während des Frühlings und Sommers aufgesproßt ist. Man muß rich­tig zusammenstellen, was draußen und drinnen geschieht, man darf nicht äußerliche Allegorien suchen und den Frühling mit dem Auf­wachen, den Herbst mit dem Einschlafen vergleichen, sondern um­gekehrt.

So daß wir sagen können: Das, was die Geister der Erde sind, das geht im Frühling schlafen und wacht als Erdengeister im Herbst und Winter auf. Im Winter sind sie als Erdengeister mit der Erde verbun­den, um wieder hinaufzusteigen im Frühling und Sommer in die Him­melshöhen, in die astralischen Höhen und auf die andere Seite der Erde. Wenn wir wieder Frühling haben, dann gehen sie wieder schlafen.

Dem widerspricht nicht, daß die Erde einmal auf der einen und das andere Mal auf der anderen Hälfte schläft. Ähnliches ist in gewisser

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Beziehung auch beim Menschen der Fall. Derjenige, der die Vorgänge hellseherisch verfolgt, sieht, wie es im Frühling geradeso ist wie beim menschlichen Einschlafen, wo der einzelne Geist sich zurückzieht in die astralische Welt; er sieht, daß sich im Frühling dasjenige, was wir die Er­dengeister nennen, in die astralische Welt zurückzieht, und umgekehrt. Ja, die heutige Menschheit - mit Ausnahme derer, die hier sitzen - würde wahrscheinlich ein helles Gelächter anstimmen, wenn man so vom Einschlafen und Aufwachen der Erdengeister reden würde. Das glaubt man dieser Menschheit; sie tut ja alles, um zu beweisen, daß sie keine Ahnung hat von den wirklichen Vorgängen der Welt. Es war aber nicht immer so, durchaus nicht, sondern es war früher auch einmal anders! Es gab nämlich ein altes menschliches Hellsehen, und das hat diese Tatsachen richtig gesehen. Da hat man gesehen, daß dasjenige, was Erdengeister sind, sich zurückzieht im Frühling, um sozusagen hinauf-zugehen in kosmische Höhen. Im Herbst steigen diese Geister wieder herunter. Das hat man in alten Zeiten gesehen. Da war es natürlich, darauf hinzuweisen, daß in der Mitte des Sommers etwas vorliegt wie ein Abwesendsein des eigentlichen Erdengeistigen von der Erde. Dafür findet statt ein Aufschießen der Elementarnaturgeister wie in einem Paroxysmus, und ein Zurückbleiben dessen, was irdisch-leiblich an der Erde ist, was also durch das Sinnliche hervortritt. Man hätte das nicht besser anschaulich machen können, als indem man das Johannifest just in diese Zeit verlegte, um hinzuweisen darauf, wie gerade die sprie­ßenden Naturgeister wirken, während die eigentlichen Geister der Erde, das Ich und der Astralleib der Erde, fort sind.

Wie ist es aber, wenn es gegen den Winter zugeht? Da wacht die Erde auf, da ist mit der Erde der Astralleib und das Ich verbunden. Dahin muß man die Feste verlegen, die sich vorzugsweise auf das Gei­stige des Menschen beziehen. Dahin wurde das Weihnachtsfest verlegt. Und dann, wenn der Erdengeist weggeht in Höhen hinauf - was durch das Osterfest angedeutet wird -, da bezog man dieses Hinweggehen von der Erde, dieses Hineingehen in das Astralische, auf das Verhältnis von Sonne und Mond.

Alle diese Dinge, in die wir da hineinschauen, verbinden uns in wunderbarer Weise mit dem alten Hellsehen, zeigen uns, wie wir in

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demjenigen, was von alten Zeiten hereinragt, etwas zu sehen haben, was mit uraltem Hellsehen beim Menschen zu tun hat. Es ist für die materialistische Weltanschauung ganz selbstverständlich, daß sie sagt, sie habe ja nur den Leib auszubilden, daß sie sagt: Es ist uns unbequem, namentlich in bezug auf Scheckverkehr und ähnliche Dinge, das Oster­fest einmal früh im Jahr, das andere Mal spät zu haben, und dem müsse man abhelfen, damit Handel und Industrie möglichst bequem weg­kommen. Da müsse das Osterfest, sagen wir, stets am ersten Sonntag des April gefeiert werden! - So schickt es sich aber nur für die materia­listische Zeit, die bar ist allen Zusammenhangs mit der geistigen Welt. Ebenso wie es sich schickt für den Materialismus, solche Ideen zu he­gen, ebenso wahr ist es, daß eine spirituelle Bewegung bewahren muß den Zusammenhang mit den alten Festsetzungen der Menschheit. Und nicht werden wir deshalb uns irgendwie zurückhalten gerade auch in bezug auf die praktische Betätigung, dasjenige zu tun, was einer spiri­tuellen Weltanschauung angemessen ist.

Und das sollte ausgedrückt werden in dem, was Ihnen in unserem Kalender vorliegt, der natürlich für die äußere Welt lächerlich er­scheint, der wir ihn gleichwohl nicht vorenthalten wollen, wenn sie uns auch deshalb für Narren hält. Es ist durch diesen Kalender zum Ausdruck gebracht, daß wir den Zusammenhang festzuhalten haben mit alten Zeiten. In dem Illustrativen des Kalenders, das ja durch ein von uns sehr verehrtes und liebes Mitglied hergestellt worden ist, haben Sie eine Erneuerung dessen, was schon trocken und öde geworden ist:

der Imaginationen, die sich beziehen auf die Konstellationen von Sonne und Mond und der Zeichen des Tierkreises, erneuert für die heutige Seele, gegeben in solcher Weise, daß Sie wirklich, wenn Sie die Auf­einanderfolge der Wochen und Tage betrachten, etwas davon haben. Wenn Sie die Frage stellen: Wie kann man selber zu solchen Dingen kommen, dann sehen Sie sich doch den «Seelenkalender» an: Jene Me­ditationen sind das Ergebnis vieljähriger okkulter Untersuchungen und Erfahrungen. Wenn Sie diese in der Seele wirksam machen, dann wer­den Sie sehen, daß sich in dieser Seele dasjenige herstellt, was den Zu­sammenhang der Wirksamkeit von geistigen Welten in der Zeitenfolge bildet.

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Und dasjenige, was wir das Mysterium von Golgatha nennen, das haben wir äußerlich, exoterisch so gemacht, daß es nicht gleich auf den allerersten Blick schockiert. Wir haben einen Bogen ringsherum gemacht, auf dem 1912/13 steht, aber innerlich ist der Kalender so gerechnet, daß da der Anfang gemacht ist mit der Geburt des mensch­lichen Ich-Bewußtseins, das heißt mit dem Mysterium von Golgatha. Und außerdem geht die Jahreszählung so, wie es schon recht unbe­quem sein wird für das kommerzielle Leben, aber wie es notwendig ist für das spirituelle Leben: von Ostern zu Ostern!

So daß damit etwas gegeben ist, was herausgewachsen ist aus un­serer Denkweise und was für jeden benützbar ist, auf daß er sich durch die Benützung wiederum einen Schritt näher in die Bahn des Spiri­tuellen hineinbegeben kann, als das durch andere Mittel erreicht wer­den kann.

Es wird sich immer mehr und mehr zeigen, wie von einem einheit­lichen Grundprinzip und Grundimpuls aus die Dinge eigentlich ge­dacht sind, die wir innerhalb unserer anthroposophischen Bewegung unternehmen, und wie das einzelne nicht einer Laune sein Dasein ver­dankt, sondern so hineingestellt wird, daß es sich als einzelner Bau­stein in unsere ganze Arbeit wirklich hineinfügt. Dazu ist natürlich notwendig, daß immer mehr und mehr auch den einzelnen Mitgliedern aufgeht ein Verständnis für dieses Zusammenwirken, und daß man hinauskommt über die Sonderinteressen und Sonderbestrebungen und sich mehr richtet auf das, was uns vereint. Gewiß, es ist ja begreiflich, daß viele Sonderbestrebungen und Sonderwünsche bei den einzelnen Mitgliedern sind, daß die einen dies und die anderen das hineintragen möchten in die anthroposophische Bewegung. Aber insbesondere hier an diesem Orte, wo ein wirklich selbstloses Zusammenwirken notwen­dig sein wird, wenn wir das Projektierte wirklich zusammenbringen wollen, muß es sich tief, tief in die Herzen einwurzeln, daß wir nur dann günstig wirken werden, wenn wir nicht unsere Sonderbestre­bungen geltend machen, sondern dasjenige, was sich eingliedert dem Ganzen, das angestrebt wird, als ein Baustein. Denn sonst kann es nicht ein Ganzes werden. Das ist so außerordentlich wichtig, und in dieser Beziehung glaube ich, ist auch das Zustandekommen dessen, was

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da geschehen soll, die Grundlage für ein Studium dessen, wie die an­throposophische Bewegung sich entwickeln sollte.

So versuchte ich Ihnen einzelnes aus unserer anthroposophisch orien­tierten Anschauung heute darzulegen, und wir haben damit sozusagen eine Art Ersatz uns geschaffen für das, was diesmal hätte sein sollen, was aber nicht hat sein können, weil eben noch nicht alle behördlichen Bewilligungen erreicht sind: nämlich die Grundsteinlegung unseres Johannesbaues. Wir wollen aber hoffen, daß es uns in nicht gar zu fer­ner Zeit gelingen möge, dieses nachzuholen. Denn wir werden ja viel­leicht gerade damit auch den Grundstein für eine Neubelebung der anthroposophischen Bewegung legen, wie wir sie innerhalb des Abend­landes meinen. Und wenn es uns gelingt, das Richtige auf diesem Ge­biet zu tun, dann werden wir schon den Beweis liefern, daß wir in allem treuen Wahrheitssinn, von dem wir ja allein uns beseelt sein lassen wollen, ohne irgendwelche Hinneigung zu Sensationellem, jene okkulten Bestrebungen zu den unserigen machen, welche die heutige Menschheit zu ihrer Fortentwickelung braucht.

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DIE LIEBE UND IHRE BEDEUTUNG IN DER WELT Zürich, 17. Dezember 1912

Wenn wir davon sprechen, daß der Mensch in dem gegenwärtigen Zeit­punkte der Entwickelung herankommen muß an dasjenige, was man nennen kann das Verständnis des Christus-Impulses, da kann uns wohl der Gedanke auftauchen, wie es nun ist mit einem Menschen, der von dem Christus-Impuls nichts gehört hat, vielleicht nicht einmal den Namen des Christus je gehört hat. Wird der Mensch deshalb verlustig gehen müssen des Christus-Impulses, weil er nicht den Namen des Chri­stus gehört hat? Muß man theoretisch dasjenige kennen, was Christus Impuls genannt wird, damit die Kraft des Christus sich in die Seele senkt? Wir wollen uns über die Frage aufklären durch folgende Betrachtungen über das menschliche Leben von der Geburt bis zum Tode.

Der Mensch tritt herein in die Welt; er ist halb schlafend in der ersten Kindheit. Wir müssen erst lernen, uns selber als Ich zu empfinden, uns als Ich zu finden, und immer reicher wird unser Seelenleben durch die Aufnahme alles dessen, was uns durch dieses Ich zuteil wird. Beim Nahen des Todes ist dieses Seelenleben am reichsten, am reifsten, daher können wir die große Frage aufwerfen: Wie steht es mit unserem Seelenleben, wenn der Leib abfällt? Es ist eine Eigenschaft besonders unseres physischen und unseres Seelenlebens, daß das, was wir in der Seele tragen an Lebenserfahrungen, an Lebenswissen, immer bedeu­tender wird, je mehr wir dem Tode zugehen, daß uns aber auch, je mehr es dem Tode zugeht, immer mehr und mehr gewisse Eigenschaften abhanden kommen und andere auftreten, die ganz individuell ver­schieden sind. In der Jugend sammeln wir Kenntnisse, machen Lebens­erfahrungen, hegen Hoffnungen, die wir meist erst später verwerten können. Je mehr wir dem Alter zugehen, desto mehr beginnen wir die Lebensweisheit zu lieben. Die Liebe zu der Weisheit ist nicht egoistisch, denn diese Liebe wird immer größer, je mehr wir uns dem Tode nähern; sie wächst in dem Maße, als die Aussicht, etwas zu haben von unserer Weisheit, kleiner wird. Immer mehr lieben wir diesen Seeleninhalt.

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Geisteswissenschaft kann zunächst sogar so zur Versucherin werden, indem der Mensch erfassen kann, daß das nächste Leben abhängt von der Erwerbung von Weisheit in diesem Leben. Ein gut Teil Egoismus über dieses Leben hinaus kann uns so aus der Geisteswissenschaft er­wachsen, und darin liegt eine Gefahr. So kann es geschehen, daß die in der Seele zu unrecht aufgefaßte Geisteswissenschaft eine Versucherin werden kann; das ist die Verlockung der Geisteswissenschaft. Sie liegt in ihrem Wesen. Man kann beobachten, daß die Liebe zur Lebensweis­heit so eintritt, wie das Blühen der Pflanze, wenn diese reif dazu ist. Wir können also beobachten, daß die Liebe auftritt zu etwas, was in uns selber ist. Der Mensch hat vielfach versucht, den Impuls der Liebe zu etwas, was in uns selbst ist, in einem höheren Sinne zu überbrücken. Wir finden zum Beispiel bei Mystikern das Bestreben, den Trieb der Selbstliebe im Sinne der Liebe zur Weisheit zu entwickeln und diese in einem schönen Lichte erstrahlen zu lassen. Sie versuchen durch Ver­tiefung in das eigene Seelenleben in sich den Gottesfunken zu finden, ihr höheres Selbst als diesen Gottesfunken zu empfinden. Eigentlich bildet aber der Mensch als Lebensweisheit nur den Keim zu seinem nächsten Leben aus. Es ist wie mit dem Samen, nachdem die Pflanze durch das Jahr hindurchgegangen ist. Wie der Same bleibt, so bleibt die Lebensweisheit; der Mensch geht durch die Pforte des Todes hin­durch, und das, was da heranreift als geistiger Wesenskern, das ist der Same zum nächsten Leben. Der Mensch spürt dieses, er kann Mystiker werden, und das, was nur Same für das nächste Leben ist, für den Gottesfunken ansehen, als etwas Absolutes ansehen. Man interpretiert es nun so, weil man sich geniert, sich einzugestehen, daß man es doch nur selbst ist, dieser Geistessame. Meister Eckhart, Johannes Tauler sprechen ihn an als den Gott in uns selber, weil sie von Reinkarnation nichts wissen. Erfassen wir das Gesetz der Reinkarnation, so erkennen wir die Bedeutung der Liebe in der Welt im Einzelnen und im Ganzen. Wir verstehen unter Karma dasjenige, was in dem einen Leben die Ursache ist und seine Wirkung im nächsten Leben hat. In dem Sinne von Ursache und Wirkung können wir als Menschen nicht recht von Liebe sprechen, nicht im Sinne von Liebestat und Ausgleich dafür. Es handelt sich da um ein Tun und um einen Ausgleich dafür, aber das hat

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nichts mit Liebe zu tun: Taten der Liebe sind solche Taten, die zunächst nicht ihren Ausgleich im nächsten Leben suchen.

Denken wir uns beispielsweise, daß wir arbeiten und dadurch ver­dienen. Das kann aber auch anders sein, nämlich so, daß wir arbeiten und keine Freude daran haben, weil wir nicht um Lohn arbeiten, son­dern um Schulden zu zahlen. Wir können uns vorstellen, daß der Mensch schon verbraucht hat dasjenige, was er nun durch die Arbeit verdient. Lieber hätte er es, wenn er keine Schulden hätte, so aber muß er arbeiten zum Zahlen seiner Schulden. Dieses Beispiel wollen wir nun übertragen auf unsere allgemeine menschliche Handlung: Alles, was wir aus Liebe tun, stellt sich so heraus, daß wir damit Schulden be­zahlen! Okkult gesehen bringt alles, was aus Liebe geschieht, keinen Lohn, sondern ist Ersatzleistung für bereits verbrauchtes Gut. Die einzigen Handlungen, von denen wir in der Zukunft nichts haben, sind diejenigen, die wir aus echter, wahrer Liebe tun. Man könnte erschrecken über diese Wahrheit. Zum Glück wissen die Menschen in ihrem Ober-bewußtsein nichts davon. In ihrem Unterbewußtsein aber wissen es alle Menschen, darum tun sie so ungern die Taten der Liebe. Das ist der Grund, warum so wenig Liebe in der Welt ist. Die Menschen fühlen instinktiv, daß sie von den Taten der Liebe für die Zukunft nichts haben für ihr Ich. Eine Seele muß schon weit vorgeschritten sein in ihrer Entwickelung, wenn sie Gefallen hat an Handlungen der Liebe, von denen sie selbst nichts hat. Der Impuls dazu ist nicht stark in der Menschheit; aber aus dem Okkultismus heraus kann man doch auch starke Impulse für Taten der Liebe gewinnen.

Wir haben für unseren Egoismus nichts von Taten der Liebe, aber die Welt hat davon um so mehr. Der Okkultismus sagt: Die Liebe ist für die Welt dasjenige, was die Sonne für das äußere Leben ist. Es wür­den keine Seelen mehr gedeihen können, wenn die Liebe weg wäre von der Welt. Die Liebe ist die moralische Sonne der Welt. Wäre es für einen Menschen, der Wohlgefallen, Interesse hat an dem Blumenwachs­tum einer Wiese, nicht absurd, wenn er wünschen würde, daß die Sonne verschwinde aus der Welt? Ins Moralische übertragen heißt das: Man muß Interesse haben daran, daß eine gesunde Entwickelung sich durch-ringt in den Menschheitszusammenhängen. Weise ist es, wenn wir so

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viel Liebe wie möglich über die Erde ausgestreut haben. Einzig weise ist es, wenn wir die Liebe fördern auf der Erde.

Was gibt uns die Geisteswissenschaft? Man erfährt die Tatsachen der Erdenevolution, man hört über den Geist der Erde, über ihre Ober­fläche und ihre Veränderungen, über das Werden des menschlichen Lei­bes und so weiter, man lernt genau kennen das, was in der Entwicke­lung lebt und webt. Was bedeutet das? Was bedeutet es, wenn die Men­schen nichts von der Geisteswissenschaft wissen wollen? Sie haben kein Interesse für das, was da ist. Denn wer den Saturn nicht kennt, wer das Wesen der Sonne und des alten Mondes nicht kennenlernen will, der kennt auch die Erde nicht. Interesselosigkeit, krassester Egoismus ist es, wenn die Menschen kein Interesse haben an der Welt. Interesse an allem Sein haben, das ist Menschenpflicht. Wünschen wir also und lieben wir die Sonne mit ihrer Schöpferkraft, mit ihrer Liebe für das Gedeihen der Erde und der Menschenseelen! Dieses Lernen des Erden­werdens, das soll sein die geistige Aussaat für die Liebe zur Welt, denn eine Geisteswissenschaft ohne Liebe wäre eine Gefahr für die Mensch­heit. Aber wir sollen nicht die Liebe predigen, sondern sie soll und wird dadurch in die Welt kommen, diese Liebe, daß wir verbreiten die Er­kenntnis der wirklichen geistigen Dinge. Geisteswissenschaft und wirk­liche Liebeshandlungen und Liebestaten sollen eines sein.

Die Liebe, die sinnliche, ist der Ursprung für das Schöpferische, das Entstehende. Ohne sinnliche Liebe würde es nichts Sinnliches mehr geben auf der Welt; ohne die geistige Liebe entsteht nichts Geistiges in der Entwickelung. Wenn wir Liebe üben, Liebe pflegen, so ergießen sich Entstehungskräfte, Schöpferkräfte in die Welt. Sollen wir das durch den Verstand begründen? Die Schöpferkräfte haben sich doch auch in die Welt vor uns und unserem Verstande ergießen müssen. Gewiß, als Egoisten können wir der Zukunft die Schöpferkräfte entziehen; aber die Liebestaten und die Schöpferkräfte der Vergangenheit, die können wir nicht auslöschen. Den Taten der Liebe der Vergangenheit schulden wir unser Dasein. So stark wir dadurch sind, so stark auch sind wir der Vergangenheit verschuldet, und was wir an Liebe jemals aufbringen können, ist Schuldenbezahlen für unser Dasein. Daher werden wir begreifen die Taten eines hochentwickelten Menschen, denn ein hochentwickelter

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Mensch hat größere Schulden an die Vergangenheit. Weise ist es, seine Schulden zu bezahlen durch Taten der Liebe. Der Impuls zur Liebe wächst mit dem Höherkommen eines Menschen; Weisheit allein genügt dazu nicht. Die Bedeutung der Liebe im Wirken der Welt wollen wir uns so vor die Seele führen: Liebe ist dasjenige, was uns immer auf Lebensschulden der Vergangenheit verweist, und weil wir vom Bezahlen der Schulden für die Zukunft nichts haben, darum haben wir selbst nichts von unseren Liebestaten. Wir müssen unsere Liebes-taten zurücklassen in der Welt, da aber sind sie eingeschrieben in das geistige Weltengeschehen. Wir vervollkommnen uns nicht durch unsere Liebestaten, nur durch die anderen Taten, aber die Welt wird reicher durch unsere Liebestaten. Denn Liebe ist das Schöpferische in der Welt.

Es gibt neben der Liebe noch zwei andere Mächte in der Welt. Wie lassen diese sich mit der Liebe vergleichen? Die eine Macht ist die Kraft, die Stärke; die zweite ist die Weisheit. Bei der Stärke kann man von schwacher Macht, von einer stärkeren Macht und von Allmacht reden; ebenso bei der Weisheit - da gibt es auch Stufen bis zur Allwissenheit, zur Allweisheit. In demselben Sinne von Stufen der Liebe zu reden, geht nicht recht an. Was ist All-Liebe, Liebe zu allen Wesen? Man kann nicht so bei der Liebe von einer Steigerung sprechen, wie von einer Steigerung des Wissens oder der Macht bis zur Allwissenheit oder All­macht. Durch solche Steigerung wird unsere eigene Wesenheit voll­kommener. Das ist aber nicht so der Fall, wenn wir ein paar Wesen oder mehr lieben; das hat in dieser Weise mit der Vervollkommnung unseres Wesens nichts zu tun. Liebe für alles, was lebt, läßt sich nicht vergleichen mit Allmacht; die Begriffe der Größe, der Steigerung lassen sich nicht recht auf die Liebe anwenden. Dem göttlichen Wesen, das durch die Welt lebt und webt, kann man ihm das Prädikat der Allmacht beilegen? Gefühlsvorurteile müssen dabei schweigen: Wenn Gott all­mächtig wäre, dann würde er alles das tun, was geschieht, es wäre also die menschliche Freiheit dann unmöglich. Die Allmacht Gottes würde die menschliche Freiheit ausschließen! Die Allmacht der Gottheit ist zweifellos nicht vorhanden, wenn der Mensch frei sein kann.

Hat das Göttliche Allwissenheit? Da das Hinstreben zur Gottähn­lichkeit des Menschen höchstes Ziel ist, müßte unser Streben nach Allweisheit

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gehen. Ist denn Allweisheit das höchste Gut? Wenn Allweis­heit das höchste Gut ist, dann müßte in jedem Augenblick sich eine un­geheure Kluft zwischen dem Menschen und dem Gott, der allweise ist, auftun. Der Mensch müßte in jedem Augenblick sich dieser Kluft be­wußt sein, wenn es so wäre, daß der Gott das höchste Gut, die Allweis­heit, für sich hat, und sie dem Menschen vorenthalten hat. - Nicht ist die umfassendste Eigenschaft der Gottheit die Allmacht, nicht die All-weisheit, sondern die Liebe, die Eigenschaft, bei der keine Steigerung mehr möglich ist. Gott ist voller Liebe, ist reine Liebe, ist sozusagen aus der Substanz der Liebe geboren. Gott ist reine, lautere Liebe, nicht höchste Weisheit, nicht höchste Macht. Gott hat behalten die Liebe, geteilt aber hat er die Macht und die Weisheit mit Luzifer und Ahri­man. Die Weisheit hat er geteilt mit Luzifer und mit Ahriman die Macht, damit der Mensch frei sei, damit der Mensch unter dem Einfluß der Weisheit weiterschreiten könne.

Suchen wir alles Schöpferische zu ergründen, so kommen wir auf die Liebe; der Grund alles Lebendigen ist die Liebe. Ein anderer Impuls ist es innerhalb der Entwickelung, der dahin führt, daß die Wesen immer weiser und mächtiger werden. Vervollkommnung wird erreicht durch Weisheit und Macht. Wie sich die Entwickelung von Weisheit und Macht ändert, das sehen wir am Werdegang der Menschheit: Wir haben eine fortlaufende Entwickelung, dann den Christus-Impuls, der einmal hereingekommen ist in die Menschheit durch das Mysterium von Golgatha. Die Liebe ist also nicht stückweise hereingekommen in die Welt, sondern es strömt die Liebe als eine Gabe der Gottheit herein in die Menschheit. Als ein fertig Abgeschlossenes fließt die Liebe in die Menschheit herein; der Mensch aber kann nach und nach den Impuls aufnehmen. Ein einmaliger Impuls ist der göttliche Impuls der Liebe, so wie wir ihn als Erdenimpuls brauchen.

Die wahre Liebe ist nicht fähig der Verminderung und der Vermeh­rung. Liebe ist etwas, was eine ganz andere Natur hat als Weisheit und Macht. Liebe erweckt keine Hoffnungen auf die Zukunft, Liebe ist Ab­schlagszahlung für die Vergangenheit. So auch stellt sich das Mysterium von Golgatha in die Weltentwickelung herein. War denn die Gottheit der Menschheit etwas schuldig?

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Durch den Luzifer-Einfluß zog ein gewisses Element in die Mensch­heit ein, dem gegenüber etwas von dem, was früher da war, ihr genom­men werden mußte. Dieses, was da neu einzog, führte zur absteigenden Linie, dem das Mysterium von Golgatha entgegenbrachte die Möglich­keit, alle Schuld abzuzahlen. Der Impuls von Golgatha ist nicht ge­kommen, um uns unsere Sünden, die wir in der Entwickelung begehen, abzunehmen, sondern er ist gekommen, damit das sein Gegengewicht erhalte, was durch Luzifer eingezogen ist in die Menschheit. Nehmen wir an, daß jemand nichts wisse von dem Namen des Christus Jesus, nichts von dem, was in den Evangelien mitgeteilt ist, daß er aber Kennt­nisse habe von dem radikalen Unterschied zwischen dem Charakter von Weisheit und Macht und demjenigen der Liebe. Ein solcher Mensch ist in echt christlichem Sinne, auch wenn er nichts weiß von dem Myste­rium von Golgatha, ein Christ. Wer die Liebe so kennt, daß er weiß, Liebe ist da um Schulden zu zahlen und bringt keinen Vorteil für die Zukunft, der ist ein Christ. Das Begreifen der Natur der Liebe - heißt Christ sein! Durch bloße Theosophie mit «Karma» und «Reinkarna­tion» kann man ein großer Egoist werden, wenn man nicht hinzu-nimmt den Liebesimpuis, den Christus-Impuls; denn dann erst erreicht man das, was überbrückt den Egoismus der Theosophie. Man erreicht den Ausgleich durch ein Verständnis des Christus-Impulses. Weil Theo-sophie der Menschheit nötig ist, wird sie ihr heute gegeben. Aber es liegt die starke Gefahr darinnen, daß, wenn bloß Theosophie getrieben wird ohne den Christus-Impuls, den Impuls der Liebe, daß dann die Men­schen durch Theosophie den Egoismus in sich nur größer machen, daß sie ihn züchten, sogar über den Tod hinaus. Wir dürfen daraus nicht den Schluß ziehen, daß man keine Theosophie treiben soll, sondern wir müssen einsehen lernen, daß das Verständnis der Substanz der Liebe zur Theosophie hinzugehört.

Was geschah denn eigentlich bei dem Mysterium von Golgatha? Wir wissen, daß Jesus von Nazareth geboren wurde, sich in der Weise ent­wickelt hat, wie es die Evangelien berichten, daß die Jordantaufe im dreißigsten Jahr stattgefunden hat, daß der Christus dann drei Jahre lang gelebt hat in dem Leibe des Jesus von Nazareth und das My­sterium von Golgatha vollbracht hat. Es glauben nun viele Menschen,

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dieses Mysterium von Golgatha so menschlich wie möglich darstellen zu müssen, sie glauben, das wäre eine Tat, die innerhalb der Erde zu verzeichnen wäre, eine Erdentat. Das ist es aber nicht. Von den höheren Welten her betrachtet, ist es erst zu sehen, das Mysterium von Golgatha, wie es auf der Erde sich vollzogen hat.

Wir wollen wieder den Anfang der Erdenentwickelung und den des Menschen vor uns hinstellen. Der Mensch hat damals gewisse geistige Kräfte gehabt; dann kam Luzifer an ihn heran, und damit stehen wir an dem Punkte, wo man sagen kann: sie, die fortschreitenden Götter, geben ab ihre Allmacht an Luzifer, damit der Mensch frei werden kann. Tiefer aber als beabsichtigt war, sank der Mensch in die Materie; er entgleitet den fortschreitenden Göttern, er geht weiter hinunter, als es gewollt war. Wie können nun die fortschreitenden Götter den Men­schen wieder zu sich heraufziehen? Um dieses zu verstehen, müssen wir hinschauen in den Rat der Götter, nicht auf die Erde. Für die Götter vollbringt der Christus die Tat, um den Göttern die Menschen zurück­zuholen. Die Tat des Luzifer ist also eine Tat in der übersinnlichen Welt; die Tat des Christus geschieht in der übersinnlichen, aber auch in der sinnlichen Welt - ein Mensch kann sie nicht ausführen. Die Tat des Luzifer vollzog sich in der übersinnlichen Welt. Aber nun ist der Christus auf die Erde heruntergestiegen, um auf der Erde seine Tat zu vollbringen, und die Menschen sind die Zuschauer dieser Tat. Eine Göttertat, eine Götterangelegenheit ist das Mysterium von Golgatha, wobei die Menschen zuschauen. Das Tor des Himmels ist geöffnet, und herein leuchtet eine Göttertat. Die einzige Tat der Erde ist es, die ganz übersinnlich ist, daher ist es kein Wunder, wenn diejenigen, die nicht an Übersinnliches glauben, an die Tat des Christus ganz und gar nicht glauben. Göttertat ist die Tat des Christus, die Tat, welche die Götter für sich vollziehen. Seinen Glanz und seine einzigartige Bedeutung erhält das Mysterium von Golgatha dadurch, und die Menschen sind geladen zu Zeugen dieser Tat. Ein geschichtliches Zeugnis dafür ist darum auch nicht zu finden, denn die Menschen haben nur das Äußere davon gesehen; die Evangelien aber sind aus der Anschauung des Über­sinnlichen geschrieben, daher sind sie leicht zu leugnen, wenn man für das Übersinnliche keinen Sinn hat.

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Zu den höchsten Erfahrungen innerhalb der geistigen Welt gehört von einem gewissen Gesichtspunkte aus die Tatsache des Mysteriums von Golgatha. Die Tat des Luzifer spielt sich ab zu einer Zeit, wo der Mensch noch Teilnehmer der übersinnlichen Welt war, die Tat des Christus spielt sich ab mitten im materiellen Leben: sie ist eine physisch­spirituelle Tat. Die Tat des Luzifer können wir begreifen, wenn wir die Welt weisheitsvoll erforschen. Um die Tat des Mysteriums von Golgatha zu begreifen, dazu reicht keine Weisheit aus. Alle Weisheit dieser Welt können wir haben, aber unverständlich kann uns doch die Tat des Christus sein. Denn Liebe ist zum Verständnis des Mysteriums von Golgatha nötig. Erst wenn die Liebe in die Weisheit strömt und wieder umgekehrt, dann wird es möglich, das Mysterium von Golgatha zu begreifen, dann erst, wenn der Mensch gegen den Tod hin Liebe zur Weisheit entwickelt. Die mit Weisheit vereinte Liebe, die brauchen wir, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen, weil wir sonst sterben ohne eine Weisheit, die mit Liebe vereinigt ist. Wozu brauchen wir sie? Philosophie ist Liebe zur Weisheit. Die alte Weisheit war nicht Philo­sophie, denn die alte Weisheit ist nicht durch Liebe geboren, sondern durch Offenbarung. Eine Philosophie des Orients gibt es nicht, aber eine Weisheit des Orients gibt es. Die Philosophie als Weisheitsliebe ist hereingekommen in die Welt mit dem Christus; da also haben wir den Einzug der Weisheit aus dem Impuls der Liebe heraus. Durch den Christus-Impuls ist er in die Welt gekommen. Wir müssen nun den Impuls der Liebe anwenden auf die Weisheit selber.

Die alte Weisheit, die der Seher durch Offenbarung erlangte, sie ist ausgedrückt in den erhabenen Worten aus dem Urgebet der Mensch­heit: Ex Deo nascimur, «Aus dem Gotte sind wir geboren». Das ist alte Weisheit. Christus, der herausgetreten ist aus den geistigen Welten, er hat die Weisheit mit der Liebe verbunden, sie wird den Egoismus über­winden, das ist ihr Ziel. Aber sie muß selbständig, frei dargebracht werden von Wesen zu Wesen: deshalb begann die Ära der Liebe zugleich mit der des Egoismus. Der Ausgangspunkt des Kosmos ist die Liebe; aus ihr ist ganz von selbst der Egoismus herausgewachsen. Doch der Impuls des Christus, der Impuls der Liebe wird mit der Zeit das Trennende, das in die Welt gekommen ist, überwinden und der Mensch

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kann nach und nach dieser Liebeskraft teilhaftig werden. In eigentüm­lich monumentalen Worten fühlen wir die Liebe sich in das Herz der Menschen ergießen in den Christus-Worten: «Wo zwei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.» So tönt der alte Rosenkreuzerspruch in die mit Weisheit verbundene Liebe herein:

In Christo morimur, «In dem Christus sterben wir».

Vorbestimmt war der Mensch durch Jehova zur Gruppenseelen­haftigkeit, zur allmählichen Durchdringung mit Liebe durch die Bluts-verwandtschaft; als Persönlichkeit lebt er durch Luzifer. Es gab also ursprünglich einen Zusammenschluß der Menschen, dann ein Getrennt-werden durch das luziferische Prinzip, das die Selbstsucht und Selb­ständigkeit des Menschen fördert. Mit der Selbstsucht kam das Böse in die Welt. Es mußte dies geschehen, weil das Gute nicht ergriffen werden konnte ohne das Böse. Es liefert durch die Siege des Menschen über sich selbst die Möglichkeit für die Entfaltung der Liebe. Christus brachte dem in Egoismus versinkenden Menschen den Antrieb zu dieser Selbst­überwindung und die Kraft, dadurch das Böse zu besiegen. Und nun werden durch die Christus-Taten zusammengeführt diejenigen, die durch die Selbstsucht getrennt waren. Wahr im tiefsten Sinne werden so die Worte des Christus, der von den Taten der Liebe spricht, indem er uns sagt: «Was ihr getan habt einem der Geringsten, das habt ihr mir getan!» - Auf die irdische Welt zurückgeflutet ist jene göttliche Tat der Liebe, sie wird nach und nach die Menschheitsentwickelung durch-strömen und trotz der absterbenden physischen Kräfte sie im Geiste wiederbeleben, weil sie nicht aus dem Egoismus heraus geschehen ist, nur aus dem Geiste der Liebe: Per spiritum sanctum reviviscimus, «Durch den Heiligen Geist werden wir auferstehen».

Die Menschheitszukunft wird aber noch aus etwas anderem als aus Liebe bestehen. Geistige Vervollkommnung wird für den irdischen Menschen das erstrebenswerteste Ziel sein. Sie finden dies geschildert am Anfang meiner Mysteriendichtung «Die Prüfung der Seele», aber niemand, der die Taten der Liebe versteht, wird im eignen Streben nach Vervollkommnung etwas sehen, wovon er noch sagen könnte: es sei dieses Streben selbstlos. Vervollkommnung ist etwas, wodurch wir unser Wesen, unsere Persönlichkeit stärken und fördern wollen. Unseren

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Wert aber für die Welt müssen wir lediglich in den Taten der Liebe sehen, nicht in den Taten der Selbstvervollkommnung. Darüber dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben. Sucht einer, dem Christus nachzufolgen auf dem Wege der Liebe zur Weisheit, so gilt von sol­cher Weisheit, die er in den Dienst der Welt stellt, nur so viel, als was von ihr mit Liebe durchsetzt ist.

Weisheit, die in Liebe getaucht ist, die zugleich die Welt fördert und sie dem Christus zuführt, diese Liebe zur Weisheit schließt auch die Lüge aus. Denn Lüge ist der Gegensatz der Tatsachen, und wer in Liebe aufgeht innerhalb der Tatsachen, der kennt keine Lüge. Die Lüge ent­stammt dem Egoismus, ausnahmslos. Wenn wir durch die Liebe den Weg zur Weisheit gefunden haben, dann sind wir hindurchgedrungen durch die wachsende Kraft der Überwindung, durch die selbstlose Liebe, auch zur Weisheit. Dadurch wird der Mensch zur freien Persönlichkeit. Das Böse war der Untergrund, in den das Licht der Liebe hineinscheinen konnte; sie aber ist es, die den Sinn des Bösen, die Stellung des Bösen in der Welt erkennbar macht. Das Licht ist erkennbar geworden durch die Finsternis. Nur der freie Mensch kann ein rechter Christ werden.

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DIE GEBURT DES ERDENLICHTES AUS DER FINSTERNIS DER WEIHENACHT Berlin, 24. Dezember 1912

Schön ist es, meine lieben Freunde, daß die Verhältnisse es gestatten, daß wir uns heute abend an diesem Festtage hier vereinigen können. Es gibt ja unter uns viele Freunde, welche an diesem Tage in einer ge­wissen Beziehung allein stehen, während selbstverständlich die weit­aus größte Zahl das Fest der Liebe und des Friedens draußen im Kreise derjenigen zu feiern hat, mit denen sie sonst in der Welt verbunden sind. Doch ist es ja so selbstverständlich, daß auch wir anderen, die wir in einer solchen Weise nicht da oder dorthin gebunden sind, gerade durch die Geistesströmung, innerhalb welcher wir stehen, am aller­wenigsten ausgeschlossen sind von der Teilnahme an dem Fest der Liebe und des Friedens. Was sollte denn auch in einem schöneren Sinne geeignet sein, uns am heutigen Abend zu vereinigen in der Atmo­sphäre, in der geistigen Luft von gegenseitiger Liebe und von unsere Herzen durchziehendem Frieden, als eine der Erforschung des Gei­stigen dienende Bewegung? Und auch insofern dürfen wir es als ein gutes Geschick bezeichnen, daß wir gerade in diesem Jahre an diesem Abend vereinigt sein können und dieses Fest durch eine kleine Betrach­tung unseren Herzen naheführen können, aus dem Grunde dürfen wir es noch, da wir in diesem Jahre selber vor der Geburt desjenigen stehen, das uns, wenn wir es in der richtigen Weise verstehen, gar sehr am Herzen liegen muß: vor der Geburt unserer Anthroposophischen Ge­sellschaft. Wenn wir das große Ideal, das wir durch die Anthroposo­phische Gesellschaft zum Ausdruck bringen wollen, in der richtigen Weise gelebt haben, und wenn wir geneigt sind, unsere Kräfte in der entsprechenden Weise für dieses große Ideal der Menschheit einzu­setzen, so muß es uns nahe liegen, von diesem unserem geistigen Lichte oder Lichtesmittel die Gedanken schweifen zu lassen zu dem Aufgange des großen Lichtes der Menschheitsevolution auf der Erde, der durch diese Nacht der Liebe und des Friedens gefeiert wird, in welcher wir ja wirklich dasjenige, geistig oder seelisch, vor uns haben, was man

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nennen kann die Geburt des Erdenlichtes, des Lichtes, das aus der Finsternis der Weihenacht herausgeboren werden soll, das aber leuch­ten soll den Menschenseelen und den Menschenherzen für alles, was diese Menschenseelen und Menschenherzen nötig haben, um den Weg zu den geistigen Höhen hinauf zu finden, die durch die Erdenmission erstiegen werden sollen.

Wenn wir uns ins Herz hineinschreiben wollen, was wir in dieser Weihenacht empfinden können, was ist es denn eigentlich?

Es sollte sich in dieser Weihenacht in unsere Seele gießen die mensch­liche Grundempfindung von Liebe, die Grundempfindung davon, daß gegenüber allen anderen Kräften und Mächten und Gütern der Welt das Gut und die Kraft und die Macht der Liebe das Größte, das Inten­sivste, das Wirksamste ist. Ins Herz, in die Seele sollte sich die Empfin­dung davon ergießen, daß Weisheit etwas Großes ist - etwas Größeres noch die Liebe; daß Macht etwas Großes ist - etwas Größeres noch die Liebe. Aber so stark sollte sich die Empfindung von der Macht und der Kraft und der Stärke der Liebe in unsere Herzen gießen, daß von dieser Weihenacht etwas überströmen könnte in alle unsere Empfin­dungen des übrigen Jahres, so etwas überströmen, von dem wir sagen können, daß es etwa das ausdrückte, was wir immer fühlen: Wir müs­sen uns eigentlich schämen, wenn wir in irgendeiner Stunde des Jahres etwas tun, was nicht bestehen kann vor dem geistigen Hinblicke zu jener Nacht, in welcher wir die Allkraft der Liebe in unsere Herzen gießen wollen. Möchten die Tage, möchten die Stunden des Jahres so verlaufen können, daß wir uns nicht zu schämen brauchen vor der Empfindung, die wir in der Weihenacht in unsere Seelen hineingie­ßen wollen!

Wenn wir so empfinden und fühlen können, dann fühlen wir mit allen den Wesen, welche der Menschheit die Bedeutung der Weihe-nacht nahebringen wollten, die Bedeutung der Beziehung der Weihe-nacht zu dem ganzen Christus-Impuls innerhalb der Erdenevolution.

Vor uns steht ja dieser Christus-Impuls, man kann sagen, in drei­facher Gestalt. Und bedeutungsvoll kann an dem Fest des Christus heute in dreifacher Gestalt der Christus-Impuls vor uns stehen. Die eine Gestalt gibt uns der Hinblick auf das Matthäus-Evangelium. Die

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Wesenheit, die geboren wird, oder deren Geburt wir in dieser Weihe-nacht feiern, sie tritt in die Menschheitsentwickelung so hinein, daß drei Spitzen der Menschheit, drei Vertreter der hohen Magie herbei-kommen, um dem königlichen Wesen zu huldigen, das in die Mensch­heitsentwickelung eintritt. «Könige» im geistigen Sinne des Wortes, magische Könige kommen, dem großen Geistkönige zu huldigen, der da erscheint in der Gestalt, die er erlangen konnte dadurch, daß ein so hohes Wesen, wie es einst der Zarathustra war, seine Entwickelungs-stadien durchmachte, um zu der Höhe jenes Geisteskönigs zu gelangen, dem die magischen Könige huldigen wollten. Und so steht der Geistkö­nig des Matthäus-Evangeliums vor unserem geistigen Blicke, daß er in die Menschheitsentwickelung hereinbringt einen unendlichen Quell der Güte und einen unendlichen Quell mächtiger Liebe, jener Güte und je­ner Liebe, vor der menschliche Bosheit sich zum Kampfe aufgerufen fühlt. Daher sehen wir in zweiter Weise den Geistkönig so in die Mensch­heitsentwickelung hereintreten, daß dasjenige, was die Feindschaft ge­genüber dem Geisteskönig sein muß, sich aufgerufen fühlt in der Ge­stalt des Herodes, und daß der Geistkönig fliehen muß vor dem, was Feind ist der Geisteskönigschaft. So steht er vor unserem geisti­gen Blicke in majestätischer, magischer Glorie. Und vor unserer Seele taucht das wunderbare Bild des Geisteskönigs auf, des wiederver­körperten Zarathustra, der edelsten Blüte der Menschheitsentwicke­lung - wie sie durchgegangen ist von Inkarnation zu Inkarnation auf dem physischen Plan und die Weisheit eine Vollendung hat erreichen lassen -, umgeben von den drei magischen Geistkönigen, selber Blüten und Spitzen der Menschheitsentwickelung.

Noch in anderer Gestalt kann der Christus-Impuls vor unsere Seele treten: wie er uns im Markus-Evangelium, im Johannes-Evangelium erscheint, wo wir gleichsam hingeführt werden zu dem kosmischen Christus-Impuls, der ausdrückt, wie der Mensch seinen ewigen Zu­sammenhang mit den großen kosmischen Kräften dadurch hat, daß wir durch das Verständnis des kosmischen Christus gewahr werden, wie in die Erdenentwickelung selber ein kosmischer Impuls durch das Mysterium von Golgatha hereingenommen wird. Noch als etwas un­endlich Größeres und Gewaltigeres als der Geistkönig, der von den

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Magiern umgeben vor unserem geistigen Auge steht, tritt vor uns hin die mächtige kosmische Wesenheit, welche Besitz ergreifen will von dem Träger jenes Menschen, der da ist der Geisteskönig, die Blüte und Spitze der Erdentwickelung selber. Es ist im Grunde genommen nur der heutigen Menschen Kurzsichtigkeit, wenn nicht die ganze Größe und Macht des Einschnittes gefühlt wird, der in der Menschheitsent­wickelung dadurch gegeben war, daß der Zarathustra zum Träger des kosmischen Christus-Geistes wurde, wenn nicht gefühlt wird die ganze Bedeutung desjenigen, was als «Christus-Träger» in jenem Momente der Menschheitsentwickelung vorbereitet wurde, den wir durch die christliche Weihenacht feiern. Ein etwas tieferes Hineingehen in die Menschheitsentwickelung zeigt uns überall, wie tief einschneidend in die ganze Erdevolution das Christus-Ereignis ist. Fühlen wir es durch eine einschlägige Betrachtung an diesem Abend, damit von dieser Be­trachtung etwas ausstrahlen kann in unsere übrige anthroposophische Vertiefung und Versenkung.

Vieles könnte dazu angeführt werden. Es könnte gezeigt werden, wie vor die Menschheit hintrat in Zeiten, die dem Spirituellen noch näher standen, ein ganz neuer Geist gegenüber dem, der in der vor-christlichen Zeit in der Erdenentwickelung gewaltet und gewirkt hat. Eine Gestalt wurde zum Beispiel geschaffen, eine Gestalt, die aber ge­lebt hat, und die uns ausdrückt, wie es auf eine Seele der ersten christ­lichen Jahrhunderte gewirkt hat, wenn diese Seele sich erst noch ganz hineingestellt empfand in die alten heidnischen Geisteserkenntnisse, und dann empfand, wie sich alles in der Seele änderte, wenn sie mit den alten heidnischen Geisteserkenntnissen unbefangen und vorurteilsfrei sich dem Christus-Impuls entgegenstellte. - Wir verstehen heute im­mer mehr und mehr eine solche Gestalt wie die des Faust. Wir fühlen in dieser Gestalt, die ein neuerer Dichter, Goethe, sozusagen wieder-erweckt hat, das Höchste von menschlichem Streben ausgedrückt, empfinden aber auch, wie die Möglichkeit tiefster Schuld in ihr aus­gedrückt werden soll. Aber wenn man von allem absieht, was neuere dichterische Kraft an Künstlerischem geben kann, so kann man sa­gen: Tiefes und Bedeutungsvolles, das in einer Seele lebte, kann man Fühlen, wenn man zum Beispiel sich vertieft in die Dichtung der griechischen

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Kaiserin Eudokia, die eine Wiederbelebung der alten Legende von Cyprianus geschaffen hat, welche einen Menschen schildert, der ganz in der alten heidnischen Götterwelt lebte und in sie verstrickt werden konnte, einen Menschen, der noch nach dem Mysterium von Golgatha ganz den alten heidnischen Geheimnissen, Kräften und Mäch­ten hingegeben war. Schön ist jene Szene, in der geschildert wird, wie Cyprianus die Justina kennenlernt, die schon von dem Christus-Im­puls berührt ist, die hingegeben ist jenen Mächten, die durch das Chri­stentum dargestellt werden. Die Versuchung tritt an ihn heran, sie von ihrem Wege abzubringen, die Versuchung, sich zu diesem Zwecke der alten heidnischen Zaubermittel zu bedienen. Alles, was zwischen Faust und Gretchen spielt, spielt in dieser Atmosphäre des Kampfes alter heidnischer Impulse gegen den Christus-Impuls. Es nimmt sich, wenn wir von dem Spirituellen absehen, grandios noch aus in der Erzählung von dem alten Cyprianus und in der Versuchung, der er ausgesetzt war gegenüber der Christin Justina. Und wenn die Dichtung der Eudokia auch nicht besonders gut ist, so muß man doch sagen: Da steht das Erschütternde des Zusammenpralles der alten vorchristlichen Welt mit der christlichen Welt; da steht in Cyprianus ein Mensch, der sich noch fernstehend dem Christentum fühlt, der sich noch ganz hinge­geben fühlt den alten heidnischen Götterkräften: es ist eine gewisse Ge­walt in der Schilderung. Einige Stellen nur seien heute vorgeführt, wie Cyprianus sich fühlt gegenüber den Zauberkräften der vorchristlichen Geistesmächte. So hören wir von ihm in der Dichtung der Eudokia:

Bekenner Christi, die ihr treu und warm

Im Herzen hegt den viel gepries' nen Heiland,

Seht meiner Tränen frischen Strom, und dann

Vernehmet, aus welchem Quell mein Kummer stammt.

Und ihr, die noch der finstre Wahn umstrickt

Der Götzenbilder, merkt auf das, was ich

Von ihrem Lug und Trug erzählen werde.

Denn nimmer hat ein Mensch gelebt, der so wie

Ich den falschen Göttern war ergeben

Und der Dämonen Art so gründlich kannte.

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Ja, Cyprianus bin ich, den als Kind

Die Eltern dem Apollo dargebracht.

Es war des zarten Säuglings Wiegenlied

Gelärm der Orgien, wenn man das Fest

Des grausen Drachen feiert'. Siebenjährig

Ward ich geweiht dem Sonnengotte Mithras.

Ich wohnt' in der erhab'nen Stadt Athen

Und ward ihr Bürger auch. Denn so gefiel's

Den Eltern. Als ich zehn der Jahre zählte,

Hab ich Demeters Fackeln angezündet

Und mich versenkt in Koras Trauerklage.

Ich hegt' der Pallas Schlange auf der Burg

Als Tempelknabe.

Dann zum Waldgebirg

Olympos stieg ich auf, wo Toren sich

Den lichten Wohnsitz sel'ger Götter denken.

Die Horen sah ich und den Schwarm der Winde,

Der Tage Chor, die phantasiebeflügelt

Mit Gaukelbildern durch das Leben ziehn.

Ich sah Gewühl von Geistern kampfentbrannt,

Und Hinterhalte voller List; von Spott

Und Lachen berstend die, und jene ganz

Von Schreck erstarrt. Die Reihen sah ich all'

Der Göttinnen und Götter. Denn wohl vierzig

Und noch mehr Tage hab ich dort verweilt.

Es war mein Mahl, wenn Helios niedersank,

Der dichtbelaubten Wipfel Frucht. Wie

Als wären sie aus hoher Königsburg

Entsandt, durchziehn die Luft die Geisterboten,

Um dann zur Welt hinab zu steigen, wo

Die Menschheit sie mit tausend Übeln plagen.

Ich zählte fünfzehn Jahr' und kannte schon

Die Wirkenskraft der Götter und der Geister,

Denn mich belehrten sieben Oberpriester.

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Der Eltern Wille war's daß ich gewönne

Vor allem Wissenschaft, was ist auf Erden,

Im Reich der Lüfte und im tiefen Meer.

Ich hab' durchforscht, was in der Menschenbrust

Verderben brütet, was im Kraute gärt,

Im Saft der Blume, was um müde Leiber

Als Siechtum schleicht, und was die bunte Schlange,

Der Fürst der Welt voll arger List erschafft,

Um Gottes ew'gen Ratschluß zu bestreiten.

Ins schöne Land von Argos zog ich hin,

Das rossenährende. Das Fest der Eos,

Der weißgewand'gen Gattin des Tithonos,

Beging man grad, und dort ward ich ihr Priester.

Ich lernte kennen, was geschwisterlich

Die Luft und dieses Poles Rund durchzieht,

Was Wasser macht der Ackerflur verwandt,

Und was den Himmel trübt als Regenschauer.

So hatte Cyprianus alles kennengelernt, was man kennenlernen konnte, wenn man sozusagen eingeweiht wurde in die vorchristlichen Myste­rien. Oh, er schildert sie genau, diese Mächte, zu denen diejenigen auf-blicken konnten, die mit den alten Einweihungsurkunden nur betraut waren in der Zeit, als diese alten Urkunden nicht mehr galten; er schildert sie hinreißend in ihrer nicht mehr in die Zeit hineingehören­den Furchtbarkeit.

Ich sah den Dämon selbst von Angesicht,

Nachdem ich ihn mit Opfern mir gewonnen;

Ich sprach zu ihm, und er erwidert' mir

Mit Schmeichelworten. Meine Jugendschöne

Und mein Geschick zu seinen Werken rühmend,

Verhieß er mir die Herrschaft dieser Welt

Und gab mir Macht, den Geistern zu gebieten.

Er grüßte mich mit meinem Namen, als

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Ich schied, und staunend sahn es seine Großen.

Sein Antlitz gleicht der Blume reinen Goldes;

Er trägt ein Diadem von Funkelsteinen

Und flammendes Gewand. Die Erde bebt,

Wenn er sich rührt. In dichten Reih'n umstehn

Speerträger seinen Thron, den Blick gesenkt.

So dünkt er sich ein Gott, so äfft er nach

Des Ew'gen Werke, den er frech bestreitet.

Doch machtlos schafft er nicht'ge Schemen nur;

Denn der Dämonen Wesenheit ist Schein.

Und wie die Versuchung ihm naht, wie das alles auf ihn wirkt, bevor er kennenlernt den Christus-Impuls, auch das wird uns geschildert.

Ich zog vom Land der Perser fort und kam

Nach Antiochia, der großen Stadt

Der Syrer; hier verübt' ich Wunders viel

Von Zauberei und höllischer Magie

Ein Jüngling sucht mich auf, Aglaidas,

Von Lieb' entbrannt, und mit ihm viel Gefährten.

Ein Mädchen war's, Justina ist ihr Name,

Für das er glüht', und meine Knie umschlingend

Beschwor er mich, in seine Arme sie

Durch Zauberkunst zu ziehn. Und da zuerst

Ward mir des Dämons Ohnmacht offenbar.

Denn so viel Geisterscharen er beherrscht,

So viel entsandt er wider jene Jungfrau,

Und alle kehrten sie beschämt zurück.

Auch mich, Aglaidas' Beförd'rer, machte

Justinas fromme Glaubenskraft zu Schanden;

Sie zeigte mir, wie eitel meine Kunst.

Manch schlummerlose Nacht durchwacht' ich da

Und quälte mich mit Zaubereien ab.

Zehn Wochen lang bestürmt' der Fürst der Geister

Das Herz der Jungfrau. Eros hatte, ach!

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Nicht den Aglaidas allein verwundet,

Auch mich ergriff der Liebe Raserei.

Und aus dieser Verwirrung, in die ihn die alte Welt gebracht hatte, wird Cyprianus geheilt durch den Christus-Impuls - es ist etwas wie eine Abschattung, nur in eine größere dichterische Gewalt getaucht, was wir dann in der Faust-Dichtung vor uns haben -, indem er den alten Zauber von sich wirft, um den Christus-Impuls in seiner ganzen Größe zu verstehen. - An einer solchen Gestalt zeigt sich uns so recht, wie in den ersten christlichen Jahrhunderten gefühlt wurde, was wir uns in zweifacher Gestalt, manches wiederholend, jetzt vor die Seele geführt haben.

Eine dritte Gestalt, gleichsam ein dritter Aspekt des Christus-Impulses ist der, welcher uns so recht zeigen kann, wie wir durch das, was wir im ganzen Sinne des Wortes «Theosophie» nennen kön­nen, uns verbunden fühlen können mit allem, was menschlich ist. Das ist jener Aspekt, den in einzigartiger Weise das Lukas-Evangelium schildert, und der fortgewirkt hat in der Darstellung des Christus-Impulses, wie er vorbereitet wird durch das «Kind». In jener Liebe und Einfalt und zugleich Ohnmacht, wie uns das Kind Jesus im Lukas-Evangelium entgegentritt, war der Christus-Impuls geeignet, hinge-stellt zu werden vor alle Herzen. Alle konnten sich verwandt fühlen mit dem, was so einfach, so eben als Kind kindlich und doch so groß und gewaltig zu den Menschen sprach aus dem Kinde des Lukas-Evangeliums, das nicht dargestellt wird den magischen Königen, das dargestellt wird den armen Hirten des Feldes. Jenes Wesen des Mat­thäus-Evangeliums steht an der Spitze des Menschheitswerdens, und huldigend kommen geistige Könige, magische Könige. Das Kind des Lukas-Evangeliums steht in Einfachheit da, ausgeschlossen von der Menschheitsentwickelung, als Kind zunächst, von keinen Großen emp­fangen, aber empfangen von den Hirten des Feldes. Nicht so steht es drinnen im Menschheitswerden, das Kind des Lukas-Evangeliums, daß wir etwa im Lukas-Evangelium gleichsam selber darauf aufmerksam gemacht würden, wie die Bosheit der Welt sich aufgerufen fühlt gegen seine königliche Geistesmacht. Nein. Das aber tritt uns klar entgegen -

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wenn auch nicht gleich des Herodes Gewalt und Bosheit uns entgegen­tritt -, daß das, was in diesem Kinde gegeben ist, so groß, so edel, so bedeutend ist, daß die Menschheit selber es nicht in ihre Reihen auf­nehmen kann, daß es arm und verlassen von der Menschheitsentwicke­lung, wie in die Ecke geworfen erscheint und dadurch auf eine merk­würdige Weise seinen außermenschlichen, seinen göttlichen oder, was dasselbe ist, seinen kosmischen Ursprung uns zeigt. Und wie war dann dieses Lukas-Evangelium inspirierend für alle die, welche in zahlrei­chen künstlerischen und anderen Darstellungen Szenen, die eben durch das Lukas-Evangelium angeregt waren, immer wieder und wieder ge­geben haben! Fühlen wir nicht gegenüber den anderen künstlerischen Darstellungen, daß jene künstlerischen Darstellungen, die Jahrhun­derte hindurch durch das Lukas-Evangelium angeregt waren, uns den Jesus darstellen als ein Wesen, mit dem jeder Mensch, selbst der ein­fachste, sich verwandt fühlen könnte? Der einfachste Mensch lernte durch das, was durch den Lukas-Jesus-Knaben fortwirkte, das ganze Ereignis von Palästina wie ein Familienereignis fühlen, das ihn sel­ber anging wie das Ereignis eines unmittelbar nahen Verwandten. Kein Evangelium hat so fortgewirkt wie das Lukas-Evangelium in sei­ner holdseligen Stimmung und Strömung, indem es der Menschenseele die Jesus-Wesenheit intim gemacht hat. Und doch, alles ist drinnen in dieser kindlichen Darstellung, alles, was drinnen sein soll in einem gewissen Aspekt des Christus-Impulses: daß das Höchste in der Welt, in der ganzen Welt, die Liebe ist; daß die Weisheit Großes ist, erstre­benswert ist, daß ohne Weisheit die Wesen nicht bestehen können, daß die Liebe aber etwas Größeres ist; daß die Macht und die Kraft, durch welche die Welt gezimmert ist, etwas Großes ist, ohne das die Welt nicht bestehen kann, daß die Liebe aber etwas Größeres ist. Dcrjenige fühlt nur den Christus-Impuls richtig, der auch das Höhere der Liebe gegenüber der Macht und der Stärke und der Weisheit fühlen kann. Weisheit müssen wir erstreben, vor allem als menschliche Geistindi­vidualitäten, denn Weisheit gehört zu den göttlichen Impulsen der Welt. Und daß wir Weisheit erstreben müssen, daß Weisheit das hei­lige Gut sein muß, das uns vorwärtsbringt, das sollte ja gerade in der ersten Szene der «Prüfung der Seele» dargestellt werden: daß wir die

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Weisheit nicht versiegen lassen dürfen, daß wir sie pflegen müssen, um auf der Leiter der Menschheitsentwickelung durch die Weisheit aufzusteigen. Aber überall, wo Weisheit ist, da ist ein Zweifaches:

Weisheit der Götter, Weisheit der luziferischen Gewalten. Nahe kommt das Wesen, das nach Weisheit strebt, unter allen Bedingungen auch den Gegnern der Götter, der Schar des Lichtträgers, der Schar des Luzifer. Daher gibt es keine göttliche Allweisheit, weil der Weisheit immer gegenübersteht ein Opponent: der Luzifer.

Und die Macht und die Kraft! Durch die Weisheit wird die Welt begriffen, durch die Weisheit wird sie erschaut, wird sie erleuchtet; durch die Macht und die Kraft wird die Welt gezimmert. Alles, was zustande kommt, es kommt zustande durch die Macht und die Kraft, welche in den Wesen ist, und wir würden uns ausschließen von der Welt, wenn wir nicht unseren Anteil suchten an der Macht und der Kraft der Welt. Wir sehen diese Macht und Kraft der Welt, wenn der Blitz durch die Wolken zuckt, wir nehmen sie wahr, wenn der Donner rollt, wenn der Regen sich aus den Himmelsräumen herunterergießt auf die Erde, um sie zu befruchten, oder wenn die Sonnenstrahlen nie­derschießen, um die in der Erde schlummernden Pflanzenkeime her­vorzuzaubern. In den Naturkräften, die auf die Erde niederwirken, sehen wir diese Macht und Kraft heilbringend als Sonnenschein, als Regen- und Wolkenkräfte; aber auf der anderen Seite sehen wir diese Macht und Kraft zum Beispiel in den Vulkanen, wie gegen die Erde selbst sich erhebend: Himmelskraft gegen Himmelskraft. Und wir schauen hinein in diese Welt, und wir wissen: Wenn wir selber Wesen des Weltalls sein wollen, so muß etwas von ihnen auch in uns wirken, wir müssen unseren Anteil an der Macht und der Kraft haben. Da­durch stehen wir in der Welt drinnen: die göttlichen und die ahrimani­schen Gewalten durchleben und durchzucken uns. Die Allmacht ist nicht allmächtig, denn immer hat sie ihren Gegner Ahriman gegen sich.

Zwischen ihnen - zwischen der Macht und der Weisheit - steht die Liebe, und wir fühlen, wenn sie richtige Liebe ist, daß sie einzig und allein göttlich ist. Von Allmacht, Allstärke können wir reden wie von einem Ideal; aber ihr steht gegenüber Ahriman. Von Allweisheit kann man sprechen wie von einem Ideal; aber ihr gegenüber steht die Kraft

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des Luzifer. «All-Liebe» zu sagen, erscheint absurd, denn sie ist keiner Steigerung fähig, wenn wir sie richtig üben. Weisheit kann klein sein -sie kann vergrößert werden; Macht kann klein sein - sie kann ver­größert werden. Daher kann als Ideal gelten Allweisheit und Allmacht. Weltenliebe - wir fühlen, daß der Begriff der All-Liebe von ihr ausge­schlossen sein muß; denn Liebe ist etwas Einziges.

Geradeso wie im Lukas-Evangelium das Jesus-Kind vor uns hinge-stellt wird, so erscheint es uns als die Personifikation der Liebe; aber es erscheint uns als Personifikation der Liebe zwischen der Weisheit oder Aliweisheit und Allmacht. Und im Grunde genommen erscheint es uns so, weil es eben Kind ist. Die Steigerung liegt nur darin, daß das Kind zu allem, was das Kind sonst hat, noch die Eigenschaft der Ver­lassenheit, des Hinausgeworfenseins in eine Menschheitsecke hat. Den Wunderbau des Menschen, wir sehen ihn schon im kindlichen Orga­nismus veranlagt. Wo wir im weiten Weltenall das Auge hinwenden, es gibt nichts, das so sehr nur durch Weisheit zustande kommt wie dieser Wunderbau, der uns, noch dazu unverdorben, im kindlichen Organismus vor Augen tritt. Und so, wie im Kinde erscheint, was Allweisheit im physischen Leibe ist, so erscheint sie dann auch an sei­nem Ätherleibe, wo die Weisheit von kosmischen Mächten sich aus­drückt, so im Astralleibe, und so im Ich. Wie ein Extrakt der Weisheit, so liegt das Kind da. Und wenn es gleichsam in eine Ecke geworfen ist, wie das Kind Jesus, dann fühlen wir: Abgesondert liegt ein Bild von Vollkommenheit da: die konzentrierte Weltenweisheit.

Aber auch die Allmacht erscheint uns personifiziert, wenn das Kind so daliegt, wie es uns im Lukas-Evangelium geschildert wird. Wie es mit der Allmacht im Verhältnisse zu dem Kindesleib und dem Kindeswesen beschaffen ist, das fühlt der, der die ganze Kraft dessen in seiner Seele sich vergegenwärtigt, was göttliche Mächte und Natur­kräfte vollbringen können. Man vergegenwärtige sich die Gewalt der Naturmächte und -kräfte nahe der Erde, wenn die Wetter walten; man vergegenwärtige sich die Naturmächte, die drunten in der Erde walten, stürmisch und bewegt; man denke sich das ganze Brodeln der Weltenmächte und Weltenkräfte, alles dessen, was von den guten Mächten und den ahrimanischen Mächten zusammenstürmt; man

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denke sich, wie es wütet und wühlt. Und nun denke man sich, daß alles, was so durcheinanderstürmt, von einem kleinen Plätzchen der Welt hinweggeschoben wird, damit an diesem kleinen Plätzchen der Wun­derbau des Kinderkörpers liegen kann, um einen kleinen Körper aus­zusondern: denn geschützt muß der Kindeskörper sein; wäre er nur einen Augenblick der Gewalt der Naturmächte ausgesetzt, er würde hinweggefegt! Da fühlt man das Hineingestelltsein in die Allmacht. Und man fühlt jetzt, wie die Menschenseele empfinden kann, wenn sie unbefangen auf das hinschaut, was das Lukas-Evangelium also ausdrückt: Man gehe mit Weisheit heran an diese konzentrierte Weis­heit des Kindes, man gehe mit der größten Menschenweisheit an sie heran: Spott und Torheit ist diese Weisheit! Denn so groß kann sie doch nie sein, wie die aufgewendete Weisheit war, damit der Kindes-leib vor uns liegen kann. Die höchste Weisheit bleibt Torheit und muß scheu stehen vor diesem Kindesleib und verehren himmlische Weis­heit, aber sie weiß, daß sie an jene nicht herankommen kann: Spott nur ist diese Weisheit, zurückgestoßen muß sie sich fühlen in ihrer eigenen Torheit.

Nein, mit Weisheit kommen wir nicht an das heran, was uns als das Jesus-Wesen im Lukas-Evangelium hingestellt wird. Kommen wir mit Macht heran?

Wir kommen nicht mit Macht heran. Denn Macht anzuwenden, hat nur einen Sinn, wo Gegenmacht sich geltend macht. Das Kind aber begegnet uns - ob wir viel, ob wir wenig Macht anwenden wol­len - mit seiner Ohnmacht und spottet in seiner Ohnmacht unserer Macht! Denn es hätte keine Bedeutung, mit der Macht an das Kind heranzukommen, da es uns nichts als Ohnmacht entgegenstellt.

Das ist das Wunderbare, daß uns der Christus-Impuls, indem er uns in seiner Vorbereitung in dem Kind Jesus hingestellt wird, gerade in dieser Weise im Lukas-Evangelium entgegentritt, daß wir, und wären wir noch so weise, mit unserer Weisheit nicht herankommen können, mit unserer Macht ebensowenig herankommen können. Alles, was uns sonst mit der Welt verbindet, es kann nicht herankommen an das Kind Jesus, wie es im Lukas-Evangelium geschildert wird. Eines kann nur herankommen - nicht Weisheit, nicht Macht: Liebe. Und diese in unbegrenzter

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Art dem kindlichen Wesen entgegenzubringen, das ist das einzig mögliche. Die Macht der Liebe, und die alleinige Rechtfertigung und die alleinige Bedeutung der Liebe, das ist es, was wir so tief fühlen können, wenn wir das Lukas-Evangelium auf unsere Seele wirken lassen.

Wir leben in der Welt, und keiner darf der Impulse der Welt spot­ten. Es hieße seine Menschheit verleugnen und die Götter betrügen, wollte man nicht nach Weisheit streben. Jeder Tag und jede Stunde des Jahres ist gut angewendet, wo wir uns klar werden, daß es unsere Menschheitspflicht ist, nach Weisheit zu streben. Jeder Tag und jede Stunde des Jahres zwingen uns aber auch, daß wir gewahr werden, wie wir in die Welt hineingestellt sind und ein Spiel der Kräfte und Mächte der Welt sind, der die Welt durchpulsenden Allmacht. Aber einen Augenblick gibt es, wo wir es vergessen dürfen und uns dessen erinnern, was das Lukas-Evangelium vor uns hinstellt: wo wir des Kindes ge­denken, das noch ohnmächtiger ist und noch weisheitsvoller als andere Menschenkinder, und dem gegenüber die höchste Liebe in ihrer Be­rechtigung sich darstellt, dem gegenüber die Weisheit stillestehen muß, dem gegenüber die Macht stillestehen muß.

So können wir so recht fühlen, welche Bedeutung es hat, daß gerade dieses von den einfachen Hirten empfangene Christus-Kind als der dritte Aspekt des Christus-Impulses vor uns hingestellt wird: neben dem großen kosmischen Aspekt, neben dem geistköniglichen Aspekt der kindliche Aspekt. Der geistkönigliche Aspekt tritt an uns so her­an, daß wir an die höchste Weisheit erinnert werden, und daß das Ideal höchster Weisheit vor uns hingestellt wird. Der kosmische As­pekt tritt so vor uns hin, daß wir wissen, daß durch ihn die ganze Richtung der Erdenentwickelung neu gestaltet wird. Höchste Macht durch den kosmischen Impuls zeigt sich vor uns, höchste Macht so groß, daß sie selbst den Tod besiegt. Was als Drittes hinzukommen muß zu Weisheit und Macht und sich in unsere Seele senken muß als das über die beiden Hinausgehende, es wird uns als das dargestellt, von dem die Menschheitsentwickelung auf der Erde, auf dem physi­schen Plane ausgeht. Und das hat genügt, um der Menschheit durch die immer wiederkehrende Darstellung der Jesus-Geburt in der Weihenacht

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die ganze Bedeutung der Liebe in der Welt- und Menschheits­entwickelung nahezubringen. So ist es in der Weihenacht, daß vor uns hingestellt wird die Geburt des Jesus-Kindes, daß aber geboren werden kann in jeder Weihenacht durch den Anblick dieser Geburt des Jesus-Kindes in unserer Seele das Verständnis echter, wahrer, alles übertö­nender Liebe. Und wenn in der rechten Weise in der Weihenacht Ver­ständnis der Empfindung der Liebe in unserer Seele erwacht, wenn wir diese Christus-Geburt feiern: das Erwachen der Liebe-, dann kann von jenem Augenblicke, den wir erleben, das ausstrahlen, was wir für die übrigen Tage und Stunden des Jahres brauchen, auf daß gesegnet und damit durchtränkt werde das, was wir an jedem Tage und in jeder Stunde des Jahres an Weisheit anstreben können.

In einer merkwürdigen Weise hat gerade durch diese Betonung des Liebe-Impulses das Christentum sich schon in der Römerzeit in die Menschheitsentwickelung hineingestellt: daß etwas gefunden werden kann in den Menschenseelen, wo sich die Seelen einander nahekommen, indem sie nicht berühren, was die Welt den Menschen gibt, sondern was die Menschenseelen durch sich selber haben. Man hatte immer das Bedürfnis, ein solches Nahekommen der Menschheit in Liebe zu haben. Aber als das Mysterium von Golgatha herankam, wozu war es da in der römischen Welt geworden? Zu den Saturnalien war es ge-worden. In den Dezembertagen, vom siebzehnten ab, begannen die Saturnalien, wo die Rang- und Ständeunterschiede aufgehoben waren. Da stand nur der Mensch dem Menschen gegenüber, hoch und niedrig hörte auf, alles redete sich mit Du an. Was von der äußeren Welt kam, das war hinweggefegt. Aber zum Scherz und Spaß schenkte man dann auch den Kindern die «Saturnaliengeschenke», die dann später zu un­seren Weihnachtsgeschenken wurden. Daß man zum Scherz, zum Spaß, seine Zuflucht nehmen muß, wenn man über die sonst herrschenden Unterscheidungen hinauskommen will, dazu war das alte Römertum gekommen.

Mitten hinein stellte sich um diese Zeit das Neue, wo die Menschen nicht den Scherz und den Spaß, sondern das Höchste in ihrer Seele, das Geistige aufrufen. So stellte sich das Gleichfühlen von Mensch zu Mensch in das Christentum hinein zu jener Zeit, in welcher es in Rom

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die ausgelassene Gestalt der Saturnalien angenommen hat. Das aber bezeugt uns auch den Aspekt der Liebe, der allgemeinen Menschen-liebe, die von Mensch zu Mensch walten kann, wenn wir den Men­schen in seinem Tiefsten erfassen. Wir erfassen ihn zum Beispiel in seinem Tiefsten, wenn das Kind am Weihnachtsabend wartet des Kom­mens des Weihnachtskindes oder des Weihnachtsengels. Wie wartet denn das Kind dann? Es wartet so auf das Kommen des Weihnachts-kindes oder des Weihnachtsengels, daß es weiß: Der kommt nicht aus Menschenlanden her; der kommt aus der geistigen Welt her! Es ist eine Art von Verständnis der geistigen Welt, in dem sich das Kind ähnlich erweist mit den Erwachsenen. Denn auch die wissen dasselbe, was das Kind weiß: daß der Christus-Impuls aus höheren Welten in die Erden-entwickelung hineingekommen ist! Und so tritt nicht nur das Kind des Lukas-Evangeliums vor unsere Seele geistig in der Weihenacht, sondern es tritt das, was die Weihenacht an das menschliche Herz her­anbringen soll - in schönster Weise auch vor jede Kindesseele - und vereinigt Kindesverständnis mit Erwachsenenverständnis. Alles, was das Kind fühlen kann, wenn es nur anfängt, überhaupt etwas denken zu können, das ist der eine Pol. Und der andere Pol ist das, was wir fühlen können in unseren höchsten geistigen Angelegenheiten, was wir fühlen können, wenn wir treu hingegeben sind jenem Impuls, der im Ausgangspunkte unserer heutigen Betrachtung erwähnt worden ist, wo wir den Willen entwickeln zu dem, was wir in der nun zu schaffen­den Anthroposophischen Gesellschaft als ein geistiges Licht erstreben. Denn auch da wollen wir, daß dasjenige, was in die Menschheitsent­wickelung hereinkommen soll, von etwas getragen werde, was aus gei­stigen Reichen als ein Impuls zu uns hereinkommt. Und ebenso wie das Kind fühlt gegenüber dem Weihnachtsengel, der ihm seine Weih­nachtsgeschenke bringt - es fühlt sich verbunden mit dem Spirituellen, in seiner naiven Art -, so dürfen wir uns verbinden mit dem Spiri­tuellen, das wir in der Weihenacht ersehnen als den Impuls, der das bringen kann, was wir als ein so hohes Ideal erstreben. Und finden wir uns in diesem Kreise in solcher Liebe vereinigt, wie sie hereinströmen kann aus dem richtigen Verständnis der Weihenacht, dann werden wir erreichen können, was erreicht werden sollte durch unsere Anthroposophische

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Gesellschaft, durch unser anthroposophisches Ideal. Wir werden das, was erreicht werden soll, in vereinigter Arbeit erreichen, wenn ein Strahl jener Liebe von Mensch zu Mensch uns erfassen kann, über den wir belehrt werden können, wenn wir uns in richtiger Weise dem Verständnis der Weihenacht hingeben.

So ist es für diejenigen der lieben Freunde, die heute abend mit uns vereinigt sind, gewissermaßen ein Vorzug des Gefühles, den sie haben dürfen. Wenn sie auch nicht da oder dort, verbunden mit dem oder jenem, in der im gegenwärtigen Zeitenzyklus üblichen Weise unter dem Weihnachtsbaume sitzen, so sitzen diese unsere lieben Freunde doch unter dem Weihnachtsbaume. Und Sie alle, meine lieben Freunde, die Sie heute hier mit uns unter dem Weihnachtsbaume die Weihenacht be­gehen, versuchen Sie in Ihren Seelen etwas von der Empfindung wach-zurufen, die uns beschleichen kann, wenn wir fühlen, wie wir gerade aus dem Grunde hier versammelt sind, damit wir jetzt schon lernen jene Impulse der Liebe in unserer Seele zu verwirklichen, die einst in fernerer und immer fernerer Zukunft immer mehr kommen müssen, wenn der Christus-Impuls, an den uns so schön die Weihenacht ge­mahnt, mit immer größerer und größerer Stärke, mit immer größerer und größerer Macht und mit immer tieferem und tieferem Verständ­nis in die Menschheitsentwickelung eingreift. Er wird ja nur eingrei­fen, wenn sich Seelen finden, die ihn in seiner ganzen Bedeutung ver­stehen. Zum Verständnis gehört auf diesem Gebiete aber die Liebe, die wir als das Schönste in der Menschheitsentwickelung gerade dann in unseren Seelen ausgebären können, wenn wir an diesem Abend oder in dieser Nacht unsere Herzen durchdringen mit dem geistigen Hin­blick auf das Jesus-Kind, das von der übrigen Menschheit ausgestoßen und in die Ecke geworfen, geboren in einem Stalle, uns bildlich vor­geführt wird: so gleichsam «von außen» zu der Menschheitsentwicke­lung hinzukommend, aufgenommen von den Einfachsten an Geistig­keit, von den armen Hirten. Wenn wir das, was von diesem Bilde an Liebesimpuls in unsere Seele sich ergießen kann, heute versuchen in unseren Seelen auszugebären, dann wird es die Kraft haben bei dem, was wir vollbringen wollen und was wir vollbringen sollen, beizutra­gen zu der Förderung der Aufgaben, die wir uns auf theosophischem

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Felde gesteckt haben, und die uns auf anthroposophischem Felde das Karma als tiefe und berechtigte Aufgaben gezeitigt hat.

Nehmen wir es aus der heutigen Betrachtung der Weihenacht mit, daß wir uns sagen: wir seien versammelt gewesen, um diesen Impuls der Liebe mit hinauszunehmen nicht nur für kurze Zeit, sondern für all unser Streben, das wir uns vorgesetzt haben, so wie wir es verstehen können aus dem Geiste unserer Weltanschauung heraus.

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NOVALIS ALS VERKÜNDER DES SPIRITUELL ZU ERFASSENDEN CHRISTUS-IMPULSES Köln, 29. Dezember 1912

Wenn wir in solcher Art die Herzensklänge hören unseres lieben No­valis, durch die er so innig zu künden wußte von der Sendung des Christus, fühlen wir etwas von Rechtfertigung für unsere Geistesströ­mung, denn wir fühlen das aus einer Persönlichkeit, wie ihre ganze Art tief verwachsen ist mit allen Weltenrätseln und Weltgeheimnissen, fühlen, wie aus ihr heraustönt etwas wie Sehnsucht nach jenen gei­stigen Welten, die der neuere Mensch suchen muß eben durch die­jenige Weltanschauung, nach welcher wir hinstreben. Es ist etwas Wunderbares, sich zu versenken in Herz und Seele eines solchen Men­schen, wie Novalis einer war. Wie er herauswuchs aus einer Tiefe des abendländischen Geisteslebens, selber tief in seinem ganzen Erfassen der Sehnsuchten nach der geistigen Welt. Und wenn wir dann so auf uns wirken lassen, wie er in dieser seiner Inkarnation in sein jugend­liches Herz hereinströmen ließ die Geisteswelten, und wie ihm durch­leuchtet wurden diese Geisteswelten von dem Christus-Impuls, dann empfinden wir dies wie eine Aufforderung an unsere eigenen Seelen, unsere eigenen Herzen, mit ihm zu streben nach demjenigen, was ihm wie ein hehres Licht vorglänzte unablässig, dem er entgegenlebte sein kurzes diesmaliges Dasein. Und wir fühlen, wie er war einer der Pro­pheten der neueren Zeit in dieser Inkarnation für dasjenige, was wir suchen wollen in den Geisteswelten, fühlen auch, wie wir zu diesem Suchen am besten begeistert werden können durch jene Begeisterung, die im Herzen, in der Seele eines Novalis lebte und die da ihm ward aus dem innigen Durchdrungensein mit dem Christus-Impuls. Und wir dürfen gerade im jetzigen Augenblick unseres Strebens, da wir auf der einen Seite die Anthroposophische Gesellschaft begründen, die alle menschlichen Rätsel in sich schließen soll, in dem gegenwärtigen Augen­blick, in dem wir auf der anderen Seite auch betrachten wollen im Zu­sammenhang mit dem Christus-Impuls das Licht, das aus dem Orient

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herüber so glanzvoll strahlt, wir dürfen uns in diesem Augenblick ver­binden mit dem, was als ein Ausdruck des Christus-Impulses in dieser Seele des Novalis lebte.

Wir wissen, daß es einstmals im hebräischen Altertum ertönte als große Prophezeiung und als das bedeutsame, aus der Schöpfung her­ausquellende Elias-Wort. Wir wissen, daß es der Impuls war, der ge­genwärtig war, als herunterstieg die kosmische Christus-Wesenheit in den Leib des Jesus von Nazareth. Wir wissen, daß es derselbe Impuls war, der dazumal prophetisch vorherverkündete das, was einverleibt werden soll der Menschheitsentwickelung. Wir wissen, daß es derselbe Impuls war, der in Raffaels Seele hinzauberte vor die menschlichen Anblicke die unendlichen Geheimnisse des Christentums. Und sehn­süchtig und Rätsel empfindend wenden wir uns der wiederverkörper­ten Seele des Elias, des Täufers Johannes, des Raffael in Novalis zu und fühlen mit dieser Seele, wie all ihr geistiges Vibrieren durchzieht und durchglüht die Sehnsucht nach einem neuen Geistesleben der Menschen, und fühlen dann den Mut und fühlen, daß uns etwas von der Kraft kommt, entgegenzuleben diesein neuen Geistesleben der Menschheit. Oh, warum ist er denn hineingeboren, dieser Novalis, in die neuere Zeit, prophetisch vorherzuverkünden den spirituell zu erfassenden Christus-Impuls? War es doch um ihn herum in seinem geistigen Ho­rizont wie ein Aufleben der großen geistigen Strömungen der Gesamt-menschheit. Heraus wuchs er, Novalis, aus dem Kreise, in dem das geistige Leben selber erglühte, wie eine Erstverkündigung theosophisch­anthroposophischer Weltanschauung des Abendlandes. Im Glanze der Goethe-Sonne, der Schiller-Sonne reifte diese dem Christus-Impuls ent­gegenwebende und -sehnende Seele heran.

Was lebte für eine Geistesströmung in Goethe? Wie drückt sich die Geistessonne durch Goethe aus und strahlt hin auf Novalis, den jungen Zeitgenossen Goethes? Aus Spinozas Weltanschauung hatte Goethe gesucht herauszuempfinden alles dasjenige, was seine glühend heißen Leidenschaften beruhigen, beseligen und dem Geiste zuwenden konnte. Aus Spinozas umfassender Weltanschauung heraus hatte Goethe ge­sucht den Ausblick in die Weltenweiten und zu den geistigen Wesen­heiten, welche diese Weltenweiten durchweben und hereinstrahlen in

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die Menschenseele, so daß diese menschliche Seele die Natur und ihre eigenen Rätsel lösen kann, indem sie empfindet und erkennt das Da­sein, das in allen Wesen und Welten lebt und webt. Zur Reinheit und Anschauung sich aufzuschwingen aus dem, was er aus Spinoza haben konnte, so strebte Goethe. So fühlte er etwas von jener monotheisti­schen Weltanschauung im spirituellen Sinne, die uns schon herüber-klingt und aufleuchtet aus dem alten Vedenworte; und man kann in schönster Weise zusammenklingen hören, wenn man nur darauf ein­gehen will, Goethes wie sich erneuerndes Welten-Vedenwort mit der warmen Begeisterung, die aus Novalis aufklingt, in dem Christus-Ge­heimnis der Welt. Licht strömt uns aus Goethes Vedenwort, Liebe und Wärme strömt in das Licht, wenn wir des Novalis Christus-kündende Worte sich ergießen fühlen in Goethes lichtvolle Worte. Und wenn wir an anderer Stelle Goethe erfassen, da wo Goethe mit voller Wahrung der Welten-Einheitserkenntnis anerkennt einer jeden Seele Selbständig­keit im Leibnizschen Sinne, dann weht uns nicht in Worten von Goethe aus an, doch aber der Gesinnung nach die abendländische Monaden­lehre, die ein Wiedererklingen ist in der Sankhyaphilosophie. Heran­reifte in all dem, was so wie ein Wiedererklingen der Sankhyaphiloso­phie das damalige Weimar, das damalige Jena erlebte, heranreifte mit seinem Christus zugewandten Herzen Novalis. Und man fühlt zuwei­len einen solchen Geist, der in neuzeitlicher Nuance durchdrungen ist von Sankhyagesinnung wie Fichte in seiner Sprödigkeit, man fühlt, wie er gemildert wird zum wahren Geiste der Zeit, wenn man neben ihn und ihn annehmend in hingebungsvoller Begeisterung sich Novalis denkt. Man hört auf der einen Seite Fichtes merkwürdige Erneuerung des alten Inderwortes, daß die Welt, wie sie uns umgibt, nur ein Traum ist, und das Denken, wie es gewöhnlich ist, ein Traum von diesem Traum ist, Wirklichkeit aber die Menschenseele, die ihren Willen er­gießt als Kraft in diese Traumeswelt. So Fichtes wieder erneuerte Ve­dantaworte. Daneben Novalis' Zuversicht. Oh, er fühlt diese Zuver­sicht etwa so: Ja, ein Traum das physische Dasein, das Denken ein Traum vom Traume, aber aus diesem Traum erquillt alles dasjenige, was die Menschenseele als ihr Wertvollstes erfühlt und empfindet und im Fühlen und Empfinden geistig tun kann. Und aus dem Traume des

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Lebens erschafft aus dem Christus-begeisterten Ich die Seele des No­valis magischen Idealismus, wie er ihn nennt, das heißt, geistgetrage­nen Idealismus. Und wir fühlen, wie fast harmonischer, als es im Wel­tentraum sonst sein kann, sich etwas verbindet, wenn wir des Novalis liebevolle Seele stehen sehen neben einem weiteren Geistesheroen sei­ner Zeit, anhörend, wie Schiller versucht die Welt zu begeistern mit seinem Idealismus, und wie Novalis, indem er Schillers ethischen Idea­lismus malt, aus dem Herzen, das in ihm selbst Christus-begeistert ist, verkündet seinen magischen Idealismus. Wie tief spricht es doch zu unserer Seele, dieses, was wir das Gutsein, das innerste abendländische innige Gutsein des Novalis nennen möchten, wenn er einmal über Schiller begeistert schreibt. Da drückt sich die ganze Güte einer Men­schenseele, die ganze Liebefähigkeit einer Menschenseele aus, wenn wir auf uns wirken lassen ein solches Novalis-Wort, wie Novalis es aussprach, um Schiller zu loben für das, was dieser Schiller ihm war, für das, was er der Menschheit war. Um dieses Lob auszusprechen, sagt Novalis etwa das Folgende:

Wenn sie vernehmen können in den Geisteshöhen, die begierdelo­sen Wesen, die wir Geister nennen, solches Wort und solches Menschen­wissen, wie sie von Schiller strömen, dann mögen wohl auch diese be­gierdelosen Wesen, die wir Geister nennen, einmal von dem Wunsche erfüllt werden, herabzusteigen in die Menschenwelt und hier verkör­pert zu werden, um zu wirken in wahrer Menschheitsentwickelung, die aufnehmen darf solches Wissen, wie es von einer solchen Persönlich­keit strömt.

Liebe Freunde! Welches Herz so verehren, welches Herz so lieben kann, das ist ein Musterherz für alle diejenigen, die sich ergeben wollen dieser Empfindung von echter, wahrer, hingebungsvoller Verehrung und Liebe. Solches Herz kann auch in einfachster Weise aussprechen dasjenige, was die Geheimnisse der Welt und der Menschenseele sind. Deshalb hat auch manches Wort, das aus Novalis' Munde kommt, den Wert, als ob es wiederklingen ließe dasjenige, was aus der dreifachen Menschenströmung zum Geiste hin in allen Zeiten so sehnsuchtsvoll und zuweilen auch so lichtvoll hat erklingen dürfen. So steht er vor uns, dieser kaum das dreißigste Jahr erreichende Novalis, dieser wiedergeborene

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Raffael, dieser wiedergeborene Johannes, dieser wieder­geborene Elias; so steht er vor uns, und so dürfen wir ihn selber ver­ehren, so kann er unter vielen einer der Vermittler sein, die uns den Weg lehren, wie wir zu den Geistesoffenbarungen, die wir erstreben in unserer geistigen Weltanschauungsströmung, hinzufinden können das rechte Herz, die rechte Liebe, den rechten Enthusiasmus, die rechte Hingebung, damit es uns gelingen möge, dasjenige, was wir herunter-holen wollen aus hehren Geisteshöhen, auch fließen zu lassen in die einfachsten Menschenseelen. Denn, was auch der eine oder andere wird sagen mögen über das Schwerverständliche der neueren Geistes-forschung, Lügen strafen wird diese Schwerverständlichkeit gerade das einfache Herz, das einfache Gemüt; denn sie werden verstehen, was aus geistigen Höhen heruntergeholt wird durch dasjenige, was wir in unserer Geistesströmung suchen. Den Weg aus geistigen Höhen sollen wir finden nicht nur zu jenen, die ein gewisses gelehrtes Geistesleben in irgendeiner Form auf sich haben wirken lassen, den Weg sollen wir suchen zu allen sehnenden Seelen, die nach Wahrheit und nach dem Geiste sich sehnen. Und wie unser Geleitwort sein soll das Goethe-Wort, das in seiner Einfachheit nur tief genug ergriffen werden muß:

«Die Weisheit ist nur in der Wahrheit», so muß unser Strebensziel sein, so zu verwandeln das spirituelle Leben, das wir suchen und von dem wir hören, daß es durch die Gnade der spirituellen Mächte uns zuteil wird, so zu prägen dieses spirituelle Leben, daß es den Zugang findet zu allen, allen sehnenden Seelen. Das muß unser Bestreben sein. In Wahrheit wollen wir wirken und emsig darauf bedacht sein, den Weg zu finden zu allen suchenden Seelen, auf welchen Stufen ihrer Inkar­nation sie auch stehen. Die Geheimnisse der Inkarnation sind tief, das zeigt uns ein solcher Inkarnationsweg wie der des Novalis gerade. Aber gerade er kann uns wie eine Art von Leitstern voranleuchten, so voran-leuchten, daß wir, ihm empfindend folgend, zugleich den guten Willen haben, mit aller Anstrengung uns hinaufzuarbeiten zu ihm in der Er­kenntnis, und auf der anderen Seite den lebensvollen Willen pflegen, mit der Erkenntnis heranzudringen an jedes Menschenherz, das in Wahrheit nach dem Geistigen sucht. So darf uns voranleuchten das­jenige, was Novalis selber so schön sagt und was uns auch wie eine

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Art von Motto sein kann für dasjenige, wozu wir uns entschlossen ha­ben, am Ausgangspunkt der anthroposophischen Geistesströmung.

Worte sind nicht mehr bloß Worte, wenn Geistesworte weltan­schauungsgründend sind, dann werden diese Worte erleuchtend und erwärmend für die höchsten und für die einfachsten Seelen. Das muß unsere Sehnsucht sein. Das war auch Novalis' Sehnsucht. Er drückt es aus in schönen Worten, die ich mit Abänderung nur eines einzigen Wortes am Schlusse dieser Worte anführen möchte und die da ge­sprochen sein sollen zu Ihren Herzen, meine lieben Freunde. Ich än­dere dieses Wort bei Novalis, wenn auch vielleicht die Philister, die sich gerade freie Geister dünken, dann eben ein wenig erzürnt werden können. Und so sei denn unser Leitstern neben anderen Leitsternen auch dasjenige, was in Novalis' schönen Worten liegt:

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die, so singen oder küssen,

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben

Und in die Welt wird zurückbegeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

Zu echter Klarheit werden gatten,

Und man in Märchen und Gedichten

Erkennt die ewgen Weltgeschichten,

Dann fliegt vor einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Herden-Wesen fort.

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HINWEISE

#G143-1970-SE239 - Erfahrungen des Übersinnlichen - Die Wege der Seele zu Christus

#TI

HINWEISE

#TX

Vorbemerkung des Herausgebers: Die in diesem Band vereinigten Vortragsnach­schriften sind lückenhaft. Infolge mangelhafter stenographischer oder sonstiger Wie­dergabe müssen die Texte als nicht immer ganz verläßlich angesehen werden. Der für diesen Band ursprünglich vorgesehene Vortrag Köln, 6. Mai 1912 wurde nicht aufgenommen, weil die Nachschrift besonders unzureichend ist.

zu Seite

9/23 in den öffentlichen Vorträgen: Die Vorträge in München vom 8. Januar 1912, «Wie widerlegt man Theosophie?», und vom 10. Januar 1912 «Wie begründet man Theosophie?». Von diesen beiden Vorträgen gibt es nur ungenügende Nachichriften; sie sind deshalb nicht in die Gesamtausgabe aufgenommen. Die entsprechenden Parallelvorträge in Berlin sind wiedergegeben in «Ergeb­nisse der Geistesforschung», Gesamtausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 62.

30 Henri Bergson, 1859-1941, französischer Philosoph. Die Wiedergabe ist wohl mangelhaft.

32 Nostradamus, eigentlich Michel de Notredame, 1503-1566. Nostradamus ver­faßte rund 1000 Weissagungen in Form von Sprüchen, die er auf 10 Bücher verteilte, so daß jedes Buch 100 (Centuries) umfaßt. Sie wurden sämtlich von ihm selbst herausgegeben; die ersten 7 Bücher erschienen in Lyon im Jahre 1555, drei weitere folgten 1558.

Max Kemmerich, 1876-1932, Kunst- und Kulturhistoriker. In seinem Buch «Prophezeiungen. Alter Aberglaube oder neue Wahrheit», München 1911, ist das zehnte Kapitel dem Leben und Wirken des Nostradamus gewidmet.

33 Paracelsus, Theophrastus Bombastus von Hohenheim, gen. Paracelsus, 1493

1541.

37 Wolfram von Eschenbach, um 1 170-1220. Hat seine Dichtungen, z. B. den «Parzival», einem Pater diktieren müssen, da er nicht selber schreiben konnte.

38 Friedrich Hebbel, 1813-1863. Siehe «Tagebücher», hg. von Theodor Poppe, Nr.1336, wo es wortwörtlich heißt: «Nach der Seelenwanderung ist es mög­lich, daß Plato jetzt wieder auf einer Schulbank Prügel bekommt, weil er den Plato nicht versteht.»

39 umsonst hätte Hamlet auf seine Schreibtafel geschrieben:

«Schreibtafel her! Ich muß mir's niederschreiben,

Daß einer lächeln kann, und isnmer lächeln,

Und doch ein Schurke sein - zum wenigsten

Weiß ich gewiß, in Dänmark kann's so sein.»

»Hamlet», 1. Aufzug, 5. Auftritt.

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41 Zum Vortrag vom 15. Januar 1912: Die Nachschrift dieses Vortrages dürfte trotz des scheinbar fortlaufenden Textes einige erhebliche Lücken aufweisen. Gleichwohl mochte der Herausgeber auf eine Aufnahme in den vorliegenden Band nicht verzichten.

morgen beim öffentlichen Vortrag: Am 16. Januar 1912 in Zürich unter dem Titel «Tod und Unsterblichkeit im Lichte der Geisteswissenschaft». Von diesem Vortrag ist keine Nachschrift vorhanden.

54 Das Evangelium selbst gibt eine entsprechende Lehre: Matth. 5, 39.

62 haben die alten Griechen den Satz geprägt: Von Plato und Aristoteles ge­prägter Satz in etwas verschiedener Formulierung.

63 Euripides, 480-406 v. Chr., neben Äschylos, 525456 v. Chr., und Sophokles,

496406 v. Chr., der jüngste der drei großen attischen Tragiker.

76 die gestern im öffentlichen Vortrage gegeben worden sind: Am 24. Februar

1912 in München «Die verborgenen Tiefen des Seelenlebens»; noch nicht ge­druckt.

88 Helena Petrowna Blavatsky, geb. von Hahn, 1831-1891. Gründete zusam­men mit Col. H. S. Olcott in New York die Theosophical Society, die ihr Zen­trum bald darauf nach Indien (Adyar bei Madras) verlegte. Ihre bedeutendsten Werke sind «Die Geheimlehre. Die Vereinigung von Wissenschaft, Religion und Philosophie», London 1888; aus dem Englischen der 3. Aufl. übersetzt von Robert Froebe, Leipzig o. J. (1899-1906) und «Die entschleierte Isis. Ein Meisterschlüssel zu den alten und modernen Mysterien, Wissenschaft und Theo­logie», 2 Bde., New York 1877, deutsch Leipzig o. J. (1909).

97 die drei Grundsätze der Theosophischen Gesellschaft:

1. Den Kern eines allgemeinen Bruderbundes der Menschen zu bilden, ohne Unterschied des Glaubens, des Standes und des Geschlechtes.

2. Die Erkenntnis des Wahrheitskerns aller Religionen zu pflegen.

3. Die tieferen geistigen Kräfte zu erforschen, welche in der Menschennatur und in der übrigen Welt schlummern.

114 Zu Beginn des Vortrags sagte Rudolf Steiner folgende Dankesworte: «Von Herzen danke ich für die lieben Worte des Generalsekretärs der schwedischen Sektion, Oberst Kinell, und ich darf als Erwiderung vielleicht nur die aus innerster Seele kommenden Worte zu Ihnen sprechen, daß es mir in tiefstem Herzen befriedigend ist, bei der Reise von Helsingfors in Stockholm wieder einige Tage mit Ihnen über diejenigen Dinge und Wahrheiten sprechen zu dür­fen, die uns alle so nah berühren. Mein herzlicher Gruß ist ebenso warm ge­fühlt wie die liebevollen Worte des Generalsekretärs.»

144 wie Paulus besonders betont: Phil. 2,8.

145 besser. . ., ein Bettler zu sein auf der Oberwelt, als ein König im Reiche der Schatten: Vgl. die Schilderung der Totenwelt im XI. Gesang von Homers «Odyssee».

146 dafl Pythagoras... der trojanische Held war, der im Homer entsprechend an-geführt wird: Euphorbos, Sohn des Panthoos, der von Menelaos getötet wird. Siehe den XVI. und XVII. Gesang von Homers «Ilias».

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153 Einleitend zum Vortrag sprach Rudolf Steiner Gedenkworte für die verstor­benen Mitglieder Terwiel und Baron Hoffmann, die hier nicht wiedergegeben, sondern an anderer Stelle veröffentlicht werden.

tief bedeutsame Stelle in den Evangelien: Matth. 13,11 f.; Mark. 4,11 f.

159 öfter ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß dieser Zeitraum eine Wie­derholung... des ägyptischen Zeitraums ist: Siehe u. a. «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit», Gesamtausgabe Dornach 1963, Bibl.-Nr. 15, und «Welt, Erde, Mensch, deren Wesen und Entwickelung, sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegen­wärtiger Kultur», Gesamtausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 105.

160 dem wiedergeborenen Julian Apostata, bei Tycho Brahe: Vgl. dazu die ein­gehenden Ausführungen Dr. Steiners in «Okkulte Geschichte. Persönlichkeiten und Ereignisse der Weltgeschichte im Lichte der Geisteswissenschaft», Ge­samtausgabe Dornach 1956, Bibl.-Nr. 126, S. 81ff.

Julian Apostata, 332-363, römischer Kaiser von 361-363.

Tycho Brahe, 1546-1601. Anläßlich einer Mondfinsternis im Jahre 1566 schlug Brahe auf der Universität Rostock einige lateinische Verse an, in denen er den Tod des Sultans vorhersagte. - Siehe «Tycho Brahe. Ein Bild wissen­schaftlichen Lebens und Arbeitens im 16. Jahrhundert» von J. L. E. Dreyer, ins Deutsche übersetzt von M. Bruhns, Karlsruhe 1894, Kap. II.

Soliman IL der Große, 1495-1566, türkischer Sultan; starb auf einem Heeres-zug gegen Ungarn.

162 Kalender, der dieses Jahr . . . erschienen ist: Dieser Kalender wurde in der Form, mit den Zeichen, wie sie Imme von Eckartstein wiedergegeben hat, nicht wieder aufgelegt. Bei der Neuauflage im Jahre 1925 erhielt der «Seelenka­lender» auf ausdrücklichen Wunsch von Rudolf Steiner die seither beibehaltene Form.

163 die Geburt des Ich in dem Sinne, wie wir es oftmals charakterisiert haben:

Vgl. «Der Christus-Impuls und die Entwickelung des Ich-Bewußtseins», Ge­samtausgabe Dornach 1961, Bibl.-Nr. 116, und «Das esoterische Christen­tum und die geistige Führung der Menschheit», Gesamtausgabe Dornach 1962, Bibl.-Nr. 130.

165 den «weißen Lotustag>: Todestag von H. P. Blavatsky, am 8. Mai 1891. Siehe Hinweis zu S. 88.

166 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 1770-1831. Das Gedicht «Eleusis. An Höl­derlin», wurde im August 1796 verfaßt; abgedruckt in «G. W. F. Hegel's Leben», beschrieben durch Karl Rosenkranz, Berlin 1844, S. 78 f.

171 Max Müller, 1823-1900, Orientalist, Sprach- und Religionsforscher.

172 die sogenannten Meisterbriefe: Veröffentlicht in dem Werk von A. P. Sinnett «Die okkulte Welt», 1881; übersetzt von Eduard Herrmann, Leipzig o. J.

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172 tiefen Kenners und guten Bekannten von Frau Blavatsky: Der Präsident und Mitbegründer der Theosophischen Gesellschaft Henry Steel Olcott, 1832-1907. Vgl. «OId Diary Leaves», London 1904.

175 oft wurde es doch erwähnt: Siehe u. a. «Geistige Hierarchien und ihre Wider­spiegelung in der physischen Welt», Gesamtausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 110; «Der Orient im Lichte des Okzidents», Gesamtausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 113; «Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistesoffenbarungen», Gesamtausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 129.

177 der Vorläufer des Christus . . . die Worte gesprochen hat: Matth. 3,2.

Raffael Santi, 6. April 1483-1520.

178 was in der Apostelgeschichte steht: Apg. 17,22ff.

daß Goethe in Dresden nicht etwa die Sixtinische Madonna bewunderte: Goethe bemerkt anläßlich seines heimlichen Besuches in Dresden nur: «Die wenigen Tage meines Aufenthalts in Dresden waren allein der Gemäldegalerie gewid­met. Die Antiken standen noch in den Pavillons des Großen Gartens; ich lehnte ab, sie zu sehen, sowie alles übrige, was Dresden Köstliches enthielt, nur zu voll von der Überzeugung, daß in und an der Gemäldesammlung selbst mir noch vieles verborgen bleiben müsse. So nahm ich den Wert der italienischen Meister mehr auf Treu und Glauben an, als daß ich mir eine Einsicht in den­selben hätte anmaßen können.» - «Dichtung und Wahrheit», II. Teil, 8. Buch. Herman Grimm gibt die Anschauung der damaligen Zeit folgendermaßen wieder: «Die Dresdener Autoritäten sprachen aus, das Kind auf dem Arme der Madonna sei gemeiner Natur und sein Ausdruck verdrießlich. Die beiden Engel unten scheine ein Schüler hinzugefügt zu haben. Behauptet wurde sogar, die Madonna selber sei von einem Gehülfen Raphael's untermalt worden, oder, noch schlimmer, sie rühre ganz und gar nicht von Raphael her. Möglich, daß Goethe durch Galeriebeamte, deren Bekanntschaft er in Dresden damals machte, in diese Stimmung mit hineingerissen, die Kraft nicht besaß, sein viel­leicht widersprechendes inneres Gefühl aufrecht zu erhalten . . . Raphael's Six­tinische Madonna hätte ihn wie eine Sonne anscheinen müssen: er übergeht sie» -Aus «Das Leben Raphaels», Kap. IX, 4. Aufl. Stuttgart und Berlin 1903, S. 284.

180 Novalis, Friedrich von Hardenberg, 1772-1801.

184 So wird ein Ausspruch in der Bibel: Matth. 25,40.

185 «Er ist ohne Gestalt und Schöne»: Jesaja 53,2.

187 Vgl. zu diesem Vortrag Marie Steiners Einleitung zu «Vorverkündigung und Heroldstum des Christus-Impulses», Dornach 1936.

188 Max Müller: Siehe Hinweis zu S. 171.

H. P. Blavatsky: Siehe Hinweis zu S. 88.

193 der Christus könne wieder im Fleische kommen: Um diese Lehre zu verbreiten, war von Annie Besant und Leadbeater der Orden vom «Stern des Ostens» ge­gründet worden, einer Vereinigung innerhalb der Theosophischen Gesellschaft.

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196 Kreuztragung von Raffael: Dieses Bild befindet sich in der Nationalgalerie in

London.

201 was Ihnen in unserem Kalender vorliegt: Siehe Hinweis zu S. 162.

202 das Projektierte: Gemeint ist der projektierte Bau, der zuerst in München ge­plant worden war, aber später in Dornach errichtet wurde. Nach der Mittel­punktsgestalt der Mysteriendramen, Johannes Thomasius, sollte der Bau «Jo­hannesbau» heißen. Schwierigkeiten mit der Baubehörde führten zur Verlegung des Baues nach Dornach.

205 Meister Eckhart, um 1260-1327.

Johannes Tauler, 1300-1361.

213 «Wo zwei in meinem Namen . . .»: Matth. 18,20.

meiner Mysteriendichtung «Die Prüfung der Seele»: Siehe Rudolf Steiner

«Vier Mysteriendramen», Gesamtausgabe Dornach 1962, Bibl.-Nr. 14.

215 Geburt unserer Anthroposophischen Gesellschaft: Die Trennung Rudolf Stei­ners von der Theosophischen und die Begründung der Anthroposophischen Ge­sellschaft fand zur Weihnachtszeit 1912 in Köln statt.

219 Dichtung der griechischen Kaiserin Eudokia: Siehe «Cyprianus und Justina», zweiter Gesang; ins Deutsche übertragen von Ferdinand Gregorovius «Athe­nais. Geschichte einer byzantinischen Kaiserin», 2. Aufl. Leipzig 1882, S. 267 ff. - Eudokia, Gemahlin des oströmischen Kaisers Theodosius II., vorher Athenais geheißen, lebte um 400-460.

233 Novalis, Friedrich von Rardenberg, 1772-1801.

das Licht . . . aus dem Orient: Siehe die Vorträge in Berlin vom 28. Dezember 1912 bis l. Januar 1913 «Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe». Gesamt­ausgabe Dornach 1960. Bibl.-Nr. 142.

234 Aus Spinozas Weltanschauung hatte Goethe gesucht herauszuempfinden: In «Dichtung und Wahrheit» äußert sich Goethe darüber folgendermaßen: «Dieser Geist, der so entschieden auf mich wirkte und der auf meine ganze Denk­weise so großen Einfluß haben sollte, war Spinoza. Nachdem ich mich nämlich in aller Welt um ein Bildungsmittel meines wunderlichen Wesens vergebens umgesehen hatte, geriet ich endlich an die «Ethik» dieses Mannes. Was ich mir aus dem Werke mag herausgelesen, was ich in dasselbe mag hineingelesen haben, davon wüßte ich keine Rechenschaft zu geben: genug, ich fand hier eine Be­ruhigung meiner Leidenschaften, es schien sich mir eine große und freie Aus­sicht über die sinnliche und sittliche Welt aufzutun. . . . Die alles ausgleichende Ruhe Spinozas kontrastierte mit meinem alles aufregenden Streben, seine ma­thematische Methode war das Widerspiel meiner poetischen Sinnes- und Dar­stellungsweise, und eben jene geregelte Behandlungsart, die man sittlichen Ge­genständen nicht angemessen finden wollte, macht mich zu seinem leiden­schaftlichen Schüler, zu seinem entschiedensten Verehrer. Geist und Herz, Verstand und Sinn suchten sich mit notwendiger Wahlverwandtschaft und durch diese kam die Vereinigung der verschiedensten Wesen zustande.» - «Ich

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ergab mich dieser Lektüre und glaubte, indem ich in mich selbst schaute, die Welt niemals so deutlich erblickt zu haben.» (III. Teil, 14. Buch und IV. Teil, 16. Buch.)

235 wo Goethe . . . anerkennt einer jeden Seele Selbständigkeit im Leibnizschen Sinne: An Wielands Begräbnistage, am 23. Januar 1813, äußert Goethe im Gespräch mit Falk: .... ich nehme verschiedene Klassen und Rangordnungen der letzten Urbestandteile aller Wesen an, gleichsam der Anfangspunkte aller Erscheinungen in der Natur, die ich Seelen nennen möchte, weil von ihnen die Beseelung des Ganzen ausgeht, oder noch lieber Monaden - lassen Sie uns immer diesen Leibnizschen Ausdruck beibehalten! Die Einfachheit des ein­fachsten Wesens auszudrücken, m&hte es kaum einen bessern geben. - Nun sind einige von diesen Monaden oder Anfangspunkten, wie uns die Erfahrung zeigt, so klein, so geringfügig, daß sie sich höchstens nur zu einem untergeordne­ten Dienst und Dasein eignen; andere dagegen sind gar stark und gewaltig. Die letzten pflegen daher alles, was sich ihnen naht, in ihren Kreis zu reißen und in ein ihnen Angehöriges, d. h. in einen Leib, in eine Pflanze, in ein Tier oder noch höher herauf in einen Stern zu verwandeln. Sie setzen dies so lange fort, bis die kleine oder große Welt, deren Intention geistig in ihnen liegt, auch nach außen leiblich zum Vorschein kommt. Nur die letzten möchte ich eigent­lich Seelen nennen. Es folgt hieraus, daß es Weltmonaden, Weltseelen, wie Ameisenmonaden, Ameisenseelen gibt und daß beide in ihrem Ursprunge, wo nicht völlig eins, doch im Urwesen verwandt sind.»

Fichtes wieder erneuerte Vedantaworte: Siehe Johann Gottlieb Fichte, 1762-1814, «Die Bestimmung des Menschen», Berlin 1800, wo es im 2. Buch: «Wis­sen», heißt: «Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt; in einen Traum, der in einem Traum von sich selbst zusammenhängt. Das An­schauen ist der Traum; das Denken, - die Quelle alles Seins und aller Reali­tät, die ich mir einbilde, meines Seins, meiner Kraft, meiner Zwecke, - ist der Traum von jenem Traume.»

236 wenn er (Novalis) einmal über Schiller begeistert schreibt: Am S. Oktober 1791 schreibt Novalis an seinen Philosophielehrer Professor Reinhold in Jena: «Schil­ler, der mehr ist, als Millionen Alltagsmenschen, der den begierdelosen Wesen, die wir Geister nennen, den Wunsch abnötigen könnte, Sterbliche zu werden, des­sen Seele die Natur con amore gebildet zu haben scheint, dessen sittliche Größe und Schönheit allein eine Welt, deren Bewohner er wäre, vom verdienten Untergange retten könnte, ...» - Novalis Schriften, hg. von Paul Kluckhohn, Leipzig o. J., 4. Bd. «Briefe und Tagebücher», S. 22 (Nr.21).

237 das Goethe-Wort.. . «Die Weisheit ist nur in der Wahrheit>: «Sprüche in Prosa», l. Abtl.: Das Erkennen.

238 in Novalis' schönen Worten liegt: Dieses Gedicht sollte eine Stelle in «Hein­rich von Ofterdingen» finden. Die letzte Zeile heißt bei Novalis: «das ganze verkehrte Wesen fort».

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.