GA 264

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Zur Einführung RUDOLF STEINERS STELLUNG IN DER GESCHICHTE DER OKKULTEN BEWEGUNG

#G264-1984-SE009 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

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Zur Einführung

RUDOLF STEINERS STELLUNG

IN DER GESCHICHTE DER OKKULTEN BEWEGUNG

Freie Esoterik - eine Frage der Methodik

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Rudolf Steiner ist der bahnbrechende Führer geworden auf dem Gebiete der Esoterik, auf dem durch ihn der Mensch der Freiheit übergeben werden sollte. 1)

Als erster moderner Wissenschaftler des Übersinnlichen war Rudolf Stei­ner ganz auf sich gestellt. Stets lehrte er nur, was er aus persönlicher Erfah­rung geben und verantworten konnte. Seiner Zeit weit vorausschauend, hatte er erkannt, daß die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert nicht nur ein neues Jahrhundert, sondern ein völlig neues Zeitalter einleitet, in dem die Menschheit sich mit sozialen Umwälzungen ungeahnten Ausmaßes werde konfrontiert sehen. Mit dem immer stärker einsetzenden Individualbe­wußtsein werde ein ungeheures Ringen um Freiheit beginnen; durch die immer lebensbeherrschender werdende agnostisch-pragmatische Denk­weise der mechanisch-materialistischen Wissenschaften werden zwar große technisch-wirtschaftliche Fortschritte erzielt werden, aber zugleich die letzten Reste des altvererbten Wissens vom Zusammenhang mit der Welt des Schöpferisch-Geistigen als dem wahren Urgrund und Ziel allen Daseins verlorengehen. Die unausbleibliche Folge davon müssen weltweite geistige Verödung und das Gefühl von Sinnlosigkeit des Lebens werden.

Aus dieser Einsicht gewann Rudolf Steiner die Überzeugung, daß die­sem um des allgemeinen Fortschrittes notwendigen geschichtlichen Prozeß nur durch eines begegnet werden könne: durch eine im modernen Indivi­dualbewußtsein wurzelnde, aber wiederum nach dem Schöpferisch-Geistigen orientierte neue Welt- und Lebensanschauung. Und so ent­wickelte er aus seinem persönlichen Erfahrungswissen von der übersinnli­chen Welt- und Lebensbestimmung die moderne Geisteswissenschaft «Anthroposophie» und lebte und lehrte dem Geiste der neuen Zeit gemäß nach dem Grundsatz: Freiheit durch modernen Wissenschaftsgeist auch auf dem Gebiete des Übersinnlichen, der Esoterik.

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1) Marje Steiner, Vorwort zu Rudolf Steiner «Die Stufen der höheren Erkenntnis», GA 12.

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Mit dieser Grundintention bewirkte er zugleich einen Wendepunkt in der Geschichte der okkulten Bewegung. Denn deren Weisheitsgut stammte aus anderen Bewußtseinsquellen. Es ging zurück auf die sogenannte Ur­weisheit, die der Menschheit in Urwelttagen geoffenbart worden war und ihr eine sehr weitgehende Beherrschung der materiellen Daseinskräfte er­möglicht hatte. Solange der Mensch noch ohne Eigenverantwortlichkeit in voller Übereinstimmung mit den Intentionen der spirituellen Welten han­delte, bildete diese Weisheit ein allgemeines Wissensgut. Als aber auf dem Wege zur Persönlichkeitsbildung der Egoismus auftrat und die selbstver­ständliche Verbindung mit den übersinnlichen Welten mehr und mehr da­hinschwand, mußte das machtverleihende übersinnliche Wissen vor Miß­brauch geschützt werden. Es wurde in die Mysterien zurückgezogen. Von da aus bestimmte es aber noch lange, bis in die Anfänge der christlichen Zeit hinein, das öffentliche Kulturleben. Erst als durch das Christentum und den heraufziehenden Intellektualismus sich das fortschrittliche Kultur-bewußtsein immer stärker nur auf die Erkenntnis der materiellen Weltge­setze richtete, verloren die alten Mysterien nach und nach ihre dominieren­de Stellung und wurden schließlich als öffentliche Institutionen ausgerot­tet. Seitdem konnte die alte Mysterienweisheit nur noch in geheimen en­gen Zirkeln gepflegt werden. Dort war sie streng behütet worden, bis im

19. Jahrhundert die Zeichen der Zeit forderten, dem ausschließlich materialistisch-agnostischen Kulturdenken einen spirituellen Gegenpol zu schaffen.

Diese Aufgabe hatte eine Frage erzeugt, die zu einem schwerwiegenden Problem für die okkulte Bewegung des 19. Jahrhunderts geworden war. Es war die Frage, ob unter diesen Umständen das Weisheitsgut noch weiter­hin geheimgehalten werden soll, oder ob es nicht richtiger wäre, es zu po­pularisieren. Diese Frage rührte so tief an den Lebensnerv der bisher geüb­ten Arbeitsweise - da man ja seit altersher verpflichtet war, die höheren Wahrheiten nur an entsprechend Vorbereitete weiterzugeben, um sie vor Mißbrauch zu schützen -, daß man sich nicht sofort zu einer Popularisie­rung entschließen konnte. Man versuchte es mit der Kompromißlösung, zuerst einmal gewissermaßen zu testen, wie das öffentliche Bewußtsein auf die Kunde von der Existenz geistiger Welten und Wesen überhaupt rea­gieren würde. So kam es zu den Kundgebungen der spiritistisch­mediumistischen Bewegung der vierziger bis siebziger Jahre des 19. Jahr­hunderts. Das Ergebnis war allerdings anders als erwartet, doch war der Damm der strengen Geheimhaltung durchbrochen und so wurde es nun

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doch unumgänglich, wenigstens die Grundwahrheiten zu popularisieren. Dies geschah über die im Jahre 1875 durch die Russin Helena Petrowna Blavatsky und den Amerikaner Henry Steel Olcott gegründete Theosophi­sche Gesellschaft.

Zwar hatten diese beiden Versuche zu aufsehenerregenden Bewegungen geführt, mußten im tieferen Sinne aber doch als gescheitert gelten, vor­nehmlich, weil das kulturbestimmende naturwissenschaftliche Denken den medialen Weg als unwissenschaftlich ablehnte. Dies war insofern berech­tigt, als der mediale Weg nicht nur ein Zurückkehren zu früheren Bewußt­seinsstufen, sondern auch eine Beeinträchtigung des freien Selbstbestim­mungsrechtes bedeutete. Andererseits war der Mediumismus die einzige bis dahin bestehende Methode für übersinnliches Forschen. 1)

Während man so in der okkulten Bewegung noch am Ende des 19. Jahr. hunderts diesem Dilemma gegenüberstand, war das Problem durch Rudolf Steiner auf seinem ganz individuellen Geistesweg gelöst worden. Dem Übersinnlichen nicht über die in den Geheimgesellschaften bewahrten tra­ditionellen Lehren, sondern seit seiner Kindheit durch eigenes Erleben ganz selbstverständlich verbunden, und aufgrund seines naturwissenschaft­lichen Bildungsganges auch die mechanisch-materialistische Denkweise der Wissenschaften beherrschend, hatte er die entscheidende Erkenntnis ge­wonnen, daß sich übersinnliches Wissen und Wesen nur dann heilsam mit dem modernen Kulturbewußtsein werde verbinden lassen, wenn die Me­thode ebensolche Sicherheit und Unabhängigkeit gewähren könne, wie dies in der modernen Naturforschung der Fall ist.

Aufgrund dieser Erkenntnis hatte er es sich zu seiner ersten Aufgabe ge-macht, eine ganz auf naturwissenschaftlichen Prinzipien beruhende Metho­de für übersinnliches Forschen zu entwickeln. Auf dem Wege strenger Selbstschulung vom sinnlichkeitserfüllten zum sinnlichkeitsfreien Denken fand er die notwendige Wissenssicherheit über das Geistige als solches. Zu­gleich entdeckte er die Freiheit als reales Erlebnis und als Träger des eigent­lichen Sittlichen. So wurde ihm das sinnlichkeitsfreie Denken zum Ansatz-punkt für eine wissenschaftlich klare Verbindung zur übersinnlichen Welt und zu einer Wissenschaft der Freiheit als Grundlage eines «ethischen Indi­vidualismus».

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1) Eingehend dargestellt in «Die okkulte Bewegung im 19. Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur», GA 254. Vgl. auch «Spirituelle Seelenlehre und Weltbetrachtung», GA 52

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Das konsequent weitergebildete Erleben vom Wesen des Ich führte im weiteren zur Erkenntnis des makrokosmischen Repräsentanten der Ich­heit, des Christus-Geistes, dessen Natur sich in wahrer Freiheit und Liebe offenbart. Somit hatte sich Rudolf Steiner auch einen Weg gebahnt zum zeitgemäßen Verständnis der beiden größten christlichen Ideale, Freiheit und Liebe, wie sie sich dann später immer wieder von ihm dargelegt finden als die Grundimpulse des Mittelpunktsereignisses der Menschheitsentwick­lung, des Mysteriums von Golgatha und der damit zusammenhängenden tiefsten Aufgabe der Menschheit: die Erde zu einem Kosmos der Freiheit und Liebe zu gestalten (Düsseldorf, 18. April 1909).

Auf dieses Verhältnis von Menschen-Ich und Welten-Ich weist die späte­re Äußerung, daß der ethische Individualismus der «Philosophie der Frei­heit» bereits auf den Christus-Impuls gebaut ist, auch wenn dies dort nicht direkt ausgesprochen ist (Dornach, 24. Mai 1920), sowie die andere Äuße­rung, daß es in der Gegenwart keinen anderen Weg gebe, «ursprüngliche Initiationsweisheit unmittelbar mitzuteilen, als wenn man die Gemein­schaft mit dem Christus hält» (Stuttgart, 7. März 1920).

Aufgrund dieser Gemeinschaft mit der über das sinnlichkeitsfreie Den­ken erreichten «Emanzipation des höheren Menschheitsbewußtseins von den Fesseln jeglicher Autorität»1) hatte sich Rudolf Steiner die Voraus­setzung errungen für eine gesunde Befreiung der Esoterik aus der Epoche ihrer Bindung an besondere Kreise. Vermochte man früher nur bei herab-gedämpftem Bewußtsein unter der Leitung eines geistigen Führers, dessen Autorität bedingungslos anzuerkennen war, zu der Welt der geistigen Rea­litäten vorzudringen, so vermag dies heute durch Rudolf Steiners Pionier-tat jeder ernsthaft Strebende bei klarem Bewußtsein und in freier Selbst­verantwortung.

Die einzige damit verbundene Forderung, die jedoch ein jeder an sich selbst zu stellen hat, ist seelisch-geistige Aktivität. Sie ist nicht nur für den individuellen, sondern ebenso für den allgemeinen Fortschritt unerläßlich, sogar so weitgehend, daß die Zivilisation untergehen muß, wenn nicht je­der Einzelne gewillt wird, durch die neuen Geist-Erkenntnisse der Zivilisa­tion einen neuen Antrieb zu geben. Dies wurde von Rudolf Steiner schon vor mehr als sechs Jahrzehnten ausgesprochen (Dornach, 2. Juli 1920).

Gerade durch diesen im Hinblick auf die soziale Mitverantwortlichkeit zu aktivierenden Willen des Einzelnen unterscheidet sich die anthroposophisch

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1) Brief an Rosa Mayreder vom 14. Dezember 1893, in «Briefe II», Dornach 1953 (GA 39).

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orientierte Geisteswissenschaft aber auch grundsätzlich von der in der okkulten Bewegung bewahrten alten Weisheit. Denn aus deren Vor­stellungen, die hervorgegangen sind aus den Offenbarungen einer Mensch­heitsepoche, die noch im Gruppenbewußtsein wurzelte, können keine neuen tragenden Sozialimpulse mehr kommen. Andererseits ist ohne In­itiationserkenntnis kein soziales Denken zu entwickeln. Darum versteht sich die Anthroposophie aus sozialer Notwendigkeit als Instrument neuer Geistesoffenbarungen, die mit dem Persönlichkeitsbewußtsein rechnen. Diese neuen Offenbarungen, wie sie insbesondere seit dem Ablauf des Kali Yuga im Jahre 1899 eingesetzt haben, der Menschheit verständlich zu ma­chen und durch sie den Sinn des größten Menschheitsereignisses, des My­steriums von Golgatha, neu zu erschließen, war zu einer kulturgeschichtli­chen Aufgabe geworden, der sich Rudolf Steiner stellte und von der er ein­mal sagte: «Wer die Anthroposophie nicht in diesem Sinne versteht, der versteht sie überhaupt nicht.» (Dornach, 20. Dezember 1918). Darum ap­pellierte er in der Zeit, in der er begonnen hatte, seine Sozialerkenntnisse vorzutragen, an das Unterscheidungsvermögen in den eigenen Reihen, in­dem er darauf aufmerksam machte:

«Wo redet man denn in einer wirklich modern eingreifenden Weise, so daß es der Wirklichkeit angepaßt ist, über die brennenden Fragen der Gegenwart? Aus den Ritualien und Vorschriften der einen oder anderen Maurerei- oder Konfessionsgemeinschaft werden Sie diese Dinge nicht herausfinden können. Da möchte man, daß ein Unterscheidungsvermö-gen Platz griffe!» (Dornach, 15. Dezember 1918).

In diesem selben Zusammenhang machte er auch geltend, daß die von ihm vertretene Geistesströmung nie von irgendeiner anderen abhängig gewesen sei und daß er darum auch niemandem gegenüber verpflichtet sei, etwas, wovon er selbst finde, daß es in der Gegenwart gesagt werden solle, zu verschweigen:

«Ein Gebot des Verschweigens gibt es bei demjenigen nicht, der nieman­dem gegenüber mit Bezug auf sein geistiges Gut verpflichtet ist. Das gibt schon die Grundlage für die Unterscheidung dieser Bewegung von ande­ren Bewegungen. Denn wer jemals behaupten sollte, daß dasjenige, was innerhalb der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft ver­kündet wird, anders verkündet wird als im Sinne des in meiner «Theoso­phie» stehenden Wortes, daß ich rein persönlich dafür eintrete, der mag

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meinetwillen die Verhältnisse nicht kennen und oftmals nicht dagewe­sen sein, sondern sie von außen ansehen, er verkündet aber die Unwahr­heit, aus Böswilligkeit oder nicht aus Böswilligkeit. Wer aber oftmals bei uns war und anderes sagt, etwa irgendeine Vergangenheit oder einen Zu­sammenhang dieser geistigen Bewegung mit einer anderen konstatiert, wenn er die Verhältnisse hier kennt, der lügt. Das ist es, um was es sich handelt. Entweder wird er aus Unkenntnis der Verhältnisse die Un. wahrheit sagen oder es wird bei Kenntnis der Verhältnisse gelogen. So ist auch alle Gegnerschaft gegen diese Bewegung aufzufassen.

Deshalb muß ich immer wieder betonen: Ich habe nur dasjenige zu verschweigen, von dem ich weiß, daß es der gegenwärtigen Menschheit wegen ihrer Unreife noch nicht mitgeteilt werden kann. Aber ich habe nichts aus irgendeinem Grunde zu verschweigen, weil jemandem gegen­über ein Gelöbnis oder dergleichen abgelegt worden wäre. Niemals ist in diese Bewegung etwas eingeflossen, was von einer anderen Seite gekom­men wäre. Diese Bewegung war geistig nie abhängig von einer anderen; die Zusammenhänge waren nur äußere.» (Dornach, 15. Dezember 1918).

Aufgrund dieser Aussage stellt sich die Frage, warum Rudolf Steiner sich dann überhaupt an andere Bewegungen angeschlossen hat, wenn er sich doch verpflichtet fühlte, sowohl die alte Geheimhaltungspraxis wie auch die alte Forschungsmethode abzulehnen?

Dieser Widerspruch löst sich nur, wenn die beiden Hauptgesetze des eso­terischen Lebens berücksichtigt werden, denen RudolfSteiner immer soweit als nur irgend möglich nachzukommen suchte. Es sind dies die beiden Gebo­te nach absoluter Wahrhaftigkeit und nach Aufrechterhaltung der Kontinui­tät. Diese beiden Gesetze stellte Rudolf Steiner seinen esoterischen Schülern smmer wieder vor die Seele. 1> Er selbst folgte dem Gebot unbedingter Wahr­haftigkeit, indem er nur lehrte, was er durch eigene Forschung für wahr er-kannt hatte, und dem Gebot der Kontinuität, indem er nicht einfach etwas völlig Neues, Vollkommeneres an die Stelle von Unvollkommenerem setzte. sondern überall an schon Bestehendes anknüpfte und es in ein Vollkommene res umzuwandeln suchte. Ihm bedeutete dies, den tiefsten christlichen Gedan ken, den der Auferstehung, im Bereiche der Vorstellungen lebendig zu ma chen. Wenn man so in sich das lebendige Fortleben der Gegenwart erlebe unc dadurch das Christus-Wort erfülle, nicht nur an die Leiber mit dem Blute

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1) Überliefert von einem Angehörigen der esoterischen Arbeitskreise, von Adolf Arenson. einem Brief vom 24. Dezember 1926 an Albert Steffen.

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sondern an die Seelen mit dem Geiste anzuknüpfen, so könne dies ein Weg zur Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha werden (Berlin, 24. April 1917).

Vieles würde nach Rudolf Steiners Überzeugung gewonnen werden, wenn in diesem Sinne die später Lebenden sich an den Verstorbenen orien­tieren würden, um dadurch die Kontinuität in der Entwicklung bewußt aufrechtzuerhalten. Er selbst habe, als er über Goethe schrieb, von seiner eigenen Meinung völlig abgesehen und versucht, nur die Gedanken auszu­drücken, die aus Goethe kommen konnten; er habe eine Erkenntnistheorie der Goetheschen, nicht seiner Weltanschauung geschrieben. Ebenso wie in die Gedankenwelt von Goethe, so sei er auch in die von Nietzsche und Haeckel untergetaucht, da man zu wirklicher Erkenntnis nur gelangen könne, wenn man nicht den eigenen Standpunkt absolut vertreten wolle, sondern in fremde Geistesströmungen untertauche. Und erst, nachdem er sich durch zwei Jahrzehnte hindurch bemüht hatte, aus solcher Einsicht zu wirken, um sich gewissermaßen erst die Berechtigung zu erwerben, auf die Lebenden wirken zu dürfen, trat er für die öffentliche Verbreitung der Gei­steswissenschaft ein. Denn nun konnte niemand mehr mit Recht behaup­ten, «dieser Okkultist spricht von der geistigen Welt, weil er die philoso­phischen und naturwissenschaftlichen Errungenschaften der Zeit nicht kennt». 1)

Dieser für das gewöhnliche Denken und Empfinden so ungewöhnliche Weg Rudolf Steiners konnte von Gegnern überhaupt nicht, und sogar von Freunden seiner geisteswissenschaftlichen Weltanschauung nur schwer ver­standen werden. Weil er sich dieser Schwierigkeit bewußt war, bemühte er sich von Zeit zu Zeit immer wieder, wenigstens seinen anthroposophi­schen Freunden klarzumachen, daß die von ihm vertretene Geistesströ­mung nie von einer anderen abhängig war und daß gewisse Zusammenhän­ge nur äußerliche gewesen waren. Er gebe zwar zu, daß die Unterscheidung aufgrund der historischen Vorgänge erschwert sei. Doch wenn es auch äu­ßerlich gesehen vielleicht gescheiter gewesen wäre, die Anthroposophische Gesellschaft ohne irgendeine Beziehung zu anderen Gesellschaften zu be­gründen, so seien die Beziehungen doch schicksalsmäßig gerechtfertigt ge­wesen (Dornach, 15. Dezember 1918).

Diese Bemerkung macht deutlich, daß der seinerzeitige Anschluß an an­dere Gesellschaften begründet war in dem Spannungsverhältnis der Polarität

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1) Siehe die autobiographische Skizze von 19C7 in «Briefwechsel und Dokumente 1901 -

1925«, GA 262; ferner den Vortrag Zürich, 3. Dezember 1916.

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Freiheit und Liebe in ihrer für das esoterische Leben geltenden Form von Wahrhaftigkeit und Kontinuität. Wahrheits- und Erkenntnisstreben bedarf der Freiheit, gleichzeitig aber soll das als wahr Erkannte sich brüder­lich mit dem in der Welt schon Bestehenden verbinden. Es ist einleuch­tend, daß selbst Rudolf Steiners starke Kraft den Pol eines freien wahrhafti­gen Erkennt nislebens mit dem Pol der Kontinuität als Brüderlichkeit nicht immer auszugleichen vermochte. Dies war objektiv schon darum nicht möglich, weil an dem Pol der Kontinuität die Welt beteiligt ist und gerade diese von ihm aufgrund seines Freiheits- und Liebe-Ideales in einem weit über das Normale hinausgehenden Maße respektiert worden ist. Jedoch Brüderlichkeit auf Kosten der Wahrhaftigkeit zu pflegen war ihm nicht möglich. Als dies in der Theosophischen Gesellschaft zum Problem gewor­den war, kam es zur Trennung.

Nur wenn man Rudolf Steiners subtiles Verhalten gegenüber den beiden Polen des esoterischen Lebens nicht berücksichtigt, kann das zu Mißver­ständnissen und Mißurteilen in bezug auf seine geistige Unabhängigkeit führen. Aber über alle derartigen Tagesurteile hinweg wird sich immer mehr die historische Bedeutung seiner Kulturtat erhärten, die gerade darin liegt, mit seiner Methode zur Erforschung der übersinnlichen Wirklichkei­ten eine Wissenschaft geschaffen zu haben, durch die Freiheit auch auf dem Gebiete der Esoterik möglich wurde.

Hier könnte eingewendet werden, daß Rudolf Steiner mit seiner Esoteri­schen Schule aber doch auch Geheimhaltung praktiziert habe. Dieser Ein­wand wäre jedoch nicht berechtigt. Denn für Rudolf Steiner hat es sich nie, auch nicht in der Esoterischen Schule, um Geheimhaltung im üblichen Sin­ne gehandelt. Ihm ging es stets nur um die Wahrung echt wissenschaftli­chen Geistes, der im öffentlichen Bildungsleben ganz selbstverständlich be­dingt, daß seriöses Wissen nur stufenweise vermittelt werden kann. Zum Beispiel kann niemandem höhere Geometrie vorgetragen werden, wenn er nicht die Grundlagen kennt. Während dies in bezug auf die Geometrie je­dermann klar ist, herrscht in bezug auf die übersinnlichen Erkenntnisse der weitverbreitete Glaube, daß man auf diesem Gebiete ohne irgendwel­che Voraussetzungen alles verstehen und beurteilen könne.

Einzig im Sinne dieses sachlich bedingten stufenweisen Lehrens gliederte sich Rudolf Steiners Lehrtätigkeit von der völlig voraussetzungslosen öf­fentlichen zu derjenigen mit Voraussetzungen. Ihre gemeinsame Wurzel hatten alle Lehrstufen in dem, was er vor dem öffentlichen Beginn seiner

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Wirksamkeit für eine Wissenschaft des Übersinnlichen als seine «Inaugura­tionstat» bezeichnete:

«Ich will auf die Kraft bauen, die es mir ermöglicht, auf die Bahn der Entwickelung zu bringen. Das wird meine Inaugurations­tat allein bedeuten müssen». 1)

Die Esoterische Schule diente dem insofern in besonderer Weise, weil hier die Schüler ganz nach ihren individuellen Veranlagungsbedürfnissen belehrt wurden. Doch bei der Neubegründung der Esoterischen Schule als «Freie Hochschule für Geisteswissenschaft» im Jahre 1924 wurde nun auch der esoterische Unterricht streng methodisch und allgemein gültig aufge­baut. Allerdings konnte dies nur für die erste Klasse durchgeführt werden. Das Versagen der physischen Kräfte im Herbst 1924 machte es Rudolf Stei­ner unmöglich, sein großangelegtes letztes Werk zu vollenden.

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1) Brief vom 16. August 1902 an den damaligen Repräsentanten der deutschen Theosophen, Wilhelm Hübbe-Schleiden (in «Briefe II», Dornach 1953).

I ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE UND AUS DEM LEHRGUT DER ERSTEN ABTEILUNG DER ESOTERISCHEN SCHULE 1904 - 1914

#G264-1984-SE021 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

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I

ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE

UND AUS DEM LEHRGUT

DER ERSTEN ABTEILUNG

DER ESOTERISCHEN SCHULE

1904 - 1914

Vorbemerkungen des Herausgebers

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Bei der Neubegründung der Anthroposophischen Gesellschaft zu Weih­nachten 1923/24 sprach Rudolf Steiner von seinem Plan, die neue esoteri­sche Schule künftig als «Freie Hochschule für Geisteswissenschaft» mit drei Klassen einzurichten und wies darauf hin, daß solche drei Klassen schon früher dagewesen seien, nur in einer etwas anderen Form. Es waren dies die drei Arbeitskreise oder Abteilungen der Esoterischen Schule, wie sie von 1904 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 bestanden hatten. Getreu dem Gebot, soweit wie nur möglich Kontinuität zu wahren, hatte er auch für diese Kreise an damals schon Bestehendes angeknüpft, das in der Richtung seiner eigenen Intentionen lag: für den ersten Kreis an die Esoteric School of Theosophy der Theosophischen Gesellschaft, für den zweiten und dritten Kreis, aus denen sich die erkenntniskultische Abtei­lung bildete, an eine Gesellschaft mit maurerischen Kukformen.1)

Vom Aufbau

Die Esoteric School of Theosophy - abgekürzt E. S.T. oder E. S. genannt -war im Jahre 1888 durch H.P. Blavatsky eingerichtet worden und stand bis zu ihrem Tode im Jahre 1891 unter ihrer alleinigen Leitung. Zur Nachfol­gerin hatte sie ihre Schülerin Annie Besant bestimmt.2) Die wenigen deut­schen Theosophen, sofern sie esoterische Schulung suchten, waren dieser E. S. in London angeschlossen. Erst durch Rudolf Steiner wurde zusammen mit der deutschen Gesellschaft auch eine deutsche Esoterische Schule auf­gebaut.

Über den sukzessiven Aufbau des anfänglich an die E. S.T. angeschlosse­nen ersten Kreises läßt sich heute noch folgendes rekonstruieren.

Am 20. Oktober 1902 wurde offiziell die deutsche Sektion der Theoso­phischen Gesellschaft, Sitz Berlin, mit Rudolf Steiner als Generalsekretär und Marie von Sivers als Sekretär begründet. Annie Besant, eine der aktiv­sten Repräsentanten der Theosophical Society und damalige Leiterin der

1) Die Dokumentation zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abtei­lung ist vorgesehen für einen späteren Band.

2) Zur Entstehungsgeschichte der E.S.T. siehe die Vorbemerkungen zum zweiten Teil des vorliegenden Bandes.

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Esoteric School, kam nach Berlin und überbrachte die Stiftungsurkunde. Bei dieser Gelegenheit ließ sich Rudolf Steiner von ihr in die E.S. aufneh­men. 1) Er berichtet darüber in seinem «Lebensgang» (32. Kapitel) wie folgt:

«In diesem Zusammenhang muß ich etwas besprechen, was von gegneri­scher Seite, in einen Nebel von Mißverständnissen gehüllt, immer wie­der vorgebracht wird. Aus inneren Gründen brauchte ich gar nicht dar­über zu reden, denn es hat weder auf meinen Entwickelungsgang noch auf meine öffentliche Wirksamkeit einen Einfluß gehabt. Und gegen-über allem, was ich hier zu schildern habe, ist es eine rein «private» An­gelegenheit geblieben. Es ist meine Aufnahme in die innerhalb der Theo­sophischen Gesellschaft bestehende «Esoterische Schule».

Diese «Esoterische Schule» ging auf H.P. Blavatsky zurück. Diese hatte für einen kleinen inneren Kreis der Gesellschaft eine Stätte geschaf­fen, in der sie mitteilte, was sie in der allgemeinen Gesellschaft nicht sa­gen wollte. Sie hielt es wie andere Kenner der geistigen Welt nicht für möglich, gewisse tiefere Lehren der Allgemeinheit mitzuteilen.

Nun hängt all das zusammen mit der Art, wie H.P. Blavatsky zu ih­ren Lehren gekommen ist. Es gab ja immer eine Tradition über solche Lehren, die auf alte Mysterien-Schulen zurückgehen. Diese Tradition wird in allerlei Gesellschaften gepflegt, die streng darüber wachen, daß von den Lehren aus den Gesellschaften nichts hinausdringe.

Aber von irgendeiner Seite wurde es für angemessen gehalten, an H.P. Blavatsky solche Lehren mitzuteilen. Sie verband dann, was sie da erhielt, mit Offenbarungen, die ihr im eigenen Innern aufgingen. Denn sie war eine menschliche Individualität, in der das Geistige durch einen merkwürdigen Atavismus wirkte, wie es einst bei den Mysterien-Leitern gewirkt hat, in einem Bewußtseinszustand, der gegenüber dem moder­nen von der Bewußtseinsseele durchleuchteten ein ins Traumhafte her­abgestimmter war. So erneuerte sich in dem «Menschen Blavatsky» etwas, das in uralter Zeit in den Mysterien heimisch war.

Für den modernen Menschen gibt es eine irrtumsfreie Möglichkeit, zu entscheiden, was von dem Inhalte des geistigen Schauens weiteren Kreisen mitgeteilt werden kann. Mit allem kann das geschehen, das der Forschende in solche Ideen kleiden kann, wie sie der Bewußtseinsseele eigen und wie sie ihrer Art nach auch in der anerkannten Wissenschaft zur Geltung kommen.

1) Am 23. Oktober 1902. Marie von Sivers war ichon fräher Mitglied der E.S.T. geworden.

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Nicht so steht die Sache, wenn die Geist-Erkenntnis nicht in der Be­wußtseinsseele lebt, sondern in mehr unterbewußten Seelenkräften. Die­se sind nicht genügend unabhängig von den im Körperlichen wirkenden Kräften. Deshalb kann für Lehren, die so aus unterbewußten Regionen geholt werden, die Mitteilung gefährlich werden. Denn solche Lehren können ja nur wieder von dem Unterbewußten aufgenommen werden. Und Lehrer und Lernender bewegen sich da auf einem Gebiete, wo das, was dem Menschen heilsam, was schädlich ist, sehr sorgfältig behandelt werden muß.

Das alles kommt für Anthroposophie deshalb nicht in Betracht, weil diese ihre Lehren ganz aus der unbewußten Region heraushebt.

Der innere Kreis der Blavatsky lebte in der «Esoterischen Schule» fort. - Ich hatte mein anthroposophisches Wirken in die Theosophische Gesellschaft hineingestellt. Ich mußte deshalb informiert sein über alles, was in derselben vorging. Um dieser Information willen und darum, weil ich für Vorgeschrittene in der anthroposophischen Geist-Erkennt­nis selbst einen engeren Kreis für notwendig hielt, ließ ich mich in die «Esoterische Schule» aufnehmen. Mein engerer Kreis sollte allerdings ei­nen andern Sinn als diese Schule haben. Er sollte eine höhere Abteilung, eine höhere Klasse darstellen für diejenigen, die genügend viel von den elementaren Erkenntnissen der Anthroposophie aufgenommen hatten. -Nun wollte ich überall an Bestehendes, an historisch Gegebenes an-knüpfen. So wie ich dies mit Bezug auf die Theosophische Gesellschaft tat, wollte ich es auch gegenüber der «Esoterischen Schule» machen. Deshalb bestand mein «engerer Kreis» auch zunächst in Zusammenhang mit dieser Schule. Aber der Zusammenhang lag nur in den Einrichtun-gen, nicht in dem, was ich als Mitteilung aus der Geist-Welt gab. So nahm sich mein engerer Kreis in den ersten Jahren äußerlich wie eine Abteilung der «Esoterischen Schule» von Mrs. Besant aus. Innerlich war er das ganz und gar nicht. Und 1907, als Mrs. Besant bei uns am theoso­phischen Kongreß in München war, hörte nach einem zwischen Mrs. Besant und mir getroffenen Übereinkommen auch der äußere Zusam­menhang vollständig auf.

Daß ich innerhalb der «Esoterischen Schule» der Mrs. Besant hätte et­was Besonderes lernen können, lag schon deshalb außer dem Bereich der Möglichkeit, weil ich von Anfang an nicht an Veranstaltungen dieser Schule teilnahm, außer einigen wenigen, die zu meiner Information, was vorgeht, dienen sollten.

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Es war ja in der Schule damals kein anderer wirklicher Inhalt als derje­nige, der von H.P. Blavatsky herrührt, und der war ja schon gedruckt. 1) Außer diesem Gedruckten gab Mrs. Besant allerlei indische Übungen für den Erkenntnisfortschritt, die ich aber ablehnte.

So war bis 1907 mein engerer Kreis in einem auf die Einrichtung bezügli­chen Sinne in einem Zusammenhang mit dem, was Mrs. Besant als einen solchen Kreis pflegte. Aber es ist ganz unberechtigt, aus diesen Tatsachen heraus das zu machen, was Gegner daraus gemacht haben. Es wurde ge­radezu die Absurdität behauptet, ich wäre zu der Geist-Erkenntnis über­haupt nur durch die esoterische Schule von Mrs. Besant geführt worden.»

Die im erstenTeil dieses Bandes zusammengefaßtenBriefe dokumentieren, daß Rudolf Steiner unmittelbar nach der Begründung der deutschen Sektion um esoterische Anweisungen gebeten worden war, also noch bevor er imJah­re 1904 offiziell zum Arch-Warden (Landesleiter) der Esoteric School nomi­niertwurde. Dievon ihm für notwendig erachtete undvon seinenerstenSchü­lern erhoffte Kreisbildung wird angedeutet im Brief an Marie von Sivers vom 16. April 1903, in dem es heißt: «Ohne einen Grundstock von wahren Theo­sophen, die in fleißigster Meditationsarbeit das Gegenwart-Karma verbes­sern, würde die theosophische Lehre doch nur halbtauben Ohren gepredigt.» (GA 262), sowie durch die Antwort auf eine entsprechende Frage von Mat­hilde Scholl: «Es wäre überhaupt recht schön, wenn die neueren Mitglieder der E.S. in Deutschland sich in irgendeiner Weise näher zusammenschließen würden. Wir brauchen das gerade in Deutschland. Denn die E.S. muß die See­le der Theosophischen Gesellschaft werden.» (Brief vom 1. Mai 1903, S. 43)

Ein Jahr nach dieser Äußerung, im Mai 1904, hielt sich Rudolf Steiner zusammen mit Marie von Sivers eine Woche lang in London auf, um mit Annie Besant seine Funktion in der E.S. zu regeln. Marie von Sivers war bei seinen persönlichen Unterredungen mit Annie Besant immer als Dol­metscherin dabei. Mit einem Rundschreiben vom 10. Mai 1904 an alle Mit­glieder der E.S. in Deutschland und Österreich gab Annie Besant bekannt, daß Rudolf Steiner autorisiert sei, als Arch-Warden für Deutschland und Österreich zu wirken. Nach seinen Angaben war er auch für die deutsche Schweiz und Ungarn zuständig.2) Das Rundschreiben Annie Besants vom 10. Mai 1904 lautete wörtlich (siehe Faksimile auf Seite 26):

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1) «Esoterik» (3. Band zu Blavatskys «Geheimlehre»), als nachgelassene Schriften herausgege­ben von Annie Besant (1897)

2) Vergleiche unter «Regeln», Seite 144

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To all members of the E.S. in Germany and Austria.

I hereby appoint Dr. Rudolf Steiner as Arch-Warden of the E.S. in Germa­ny and the Austrian Empire, with full authority, as my representative, to call meetings of the school, to organise groups and appoint Wardens, and to do all else necessary for the welfare of the school, remaining in direct communication with myself. Annie Besant.

(An alle Mitglieder der E.S. in Deutschland und Österreich.

Ich ernenne hiermit Dr. Rudolf Steiner zum Erzlenker [Landesleiter] der E.S. in Deutschland und Österreich, mit voller Berechtigung, als mein Re­präsentant Versammlungen der Schule abzuhalten, Gruppen zu organisie­ren und Leiter zu ernennen und in direktem Einvernehmen mit mir selbst alles Notwendige für das Wohlergehen der Schule zu tun. Annie Besant.)

Von London nach Berlin zurückgekehrt, ging Rudolf Steiner neben sei­nen Aktivitäten für die öffentliche Verbreitung der Geisteswissenschaft und den Aufbau der Gesellschaft nun auch daran, seine Esoterische Schule aufzubauen. Da er den Hauptakzent seiner Tätigkeit von Anfang an auf die öffentliche Arbeit legte, begann er damit, in der von ihm begründeten und herausgegebenen öffentlichen theosophischen Zeitschrift «Luzifer-Gnosis» den für das Abendland notwendigen christlich-rosenkreuzerischen Schu­lungsweg in fortlaufenden Aufsätzen darzustellen: «Wie erlangt man Er­kenntnisse der höheren Welten?» (Juni 1904 bis 1908, 1. Buchausgabe 1909). Aus diesem Juni-Monat des Jahres 1904 stammt auch das früheste Datum einer von ihm in seiner Funktion als Arch-Warden der E.S.T. vor­genommenen E.S.-Veranstaltung. Es war in den Tagen des theosophischen Kongresses in Amsterdam, der vom 18. bis 21. Juni 1904 währte, an dem außer Rudolf Steiner und Marie von Sivers auch einige deutsche Theoso­phen teilnahmen; u.a. Mathilde Scholl aus Köln, Sophie Stinde und Pauline von Kalckreuth aus München, Günther Wagner aus Lugano und dessen Schwester Amalie Wagner aus Hamburg. Mathilde Scholl berichtet, daß Amalie Wagner damals in die E.S. aufgenommen werden sollte und Rudolf Steiner diese Aufnahme in ihrem Hotelzimmer veranstaltete. Dabei kann es sich aber doch nur um eine Art Vorausnahme gehandelt haben, da die offizielle E.S.-Arbeit erst nach dem Amsterdamer Kongreß von Berlin aus aufgebaut wurde. Dort fanden am 9. und 14. Juli 1904 die ersten esoterischen Stunden statt; jedenfalls sind dies die beiden frühesten bekannten Daten von esoterischen Stunden in Berlin, und aus den vorhandenen Notizen ist zu entnehmen, daß damals mit der E.S.-Arbeit in Berlin begonnen worden

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ist. Aber auch diese Stunden müssen eigentlich noch zu den Vorstadien gerechnet werden, die sich im Grunde genommen bis in den Herbst 1905 hinein erstreckten. Denn erst als damals auch die zweite und dritte Abteilung eingerichtet wurden, war die Schule in ihrem vollen Umfang gebildet.

Im Ferienmonat August des Jahres 1904 richtete Rudolf Steiner an ver­schiedene auswärtige Mitglieder persönliche Briefe, durch die er sie in die Schule aufnahm oder zum Eintreten einlud. Für den Anfang September war wieder eine E. S.-Versammlung geplant (laut Brief vom 29. August 1904 an Günther Wagner); ob diese tatsächlich stattgefunden hat, ist aller­dings nicht bekannt.

In der zweiten Hälfte des September 1904 begleitete Rudolf Steiner An-nie Besant auf deren Vortragsreise durch mehrere deutsche Städte und gab die von ihr in englisch gehaltenen öffentlichen Vorträge auf deutsch wie­der. Auf der letzten Station dieser Reise, in Köln, wo beide bei Mathilde Scholl wohnten, fand nach deren Bericht auch eine Zusammenkunft der E. S.-Mitglieder statt: «Mrs. Besant, Dr. Steiner, Fräulein von Sivers, Miß Bright, Mr. Keightley, Mathilde Scholl in Mrs. Besants Zimmer. Ehe wir das Zimmer verließen, sprach Mrs. Besant mit Dr. Steiner über das Studien-material für Schüler der E. S. Sie empfahl Leadbeaters . Höflich, aber bestimmt, antwortete Dr. Steiner, er könne dieses Buch für seine Schüler nicht gebrauchen.»

In dem darauffolgenden Zeitraum bis Mai 1905 haben dann in Berlin ei­nige wenige esoterische Stunden stattgefunden. Aber die erste offizielle Orientierung durch den «seit langem vorbereiteten Rundbrief an die deut­schen E. S.-Mitglieder» mit Regeln erfolgte erst Anfang Juni 1905.

Im Oktober 1905, als anläßlich der Generalversammlung der deutschen Sektion und auf ausdrückliche Bitte Rudolf Steiners Mitglieder in grösserer Zahl nach Berlin gereist kamen und die Schule um die erkenntniskultische, respektive die zweite und dritte Abteilung erweitert wurde, fanden auch mehrere E. S.-Stunden statt. Den Inhalt derjenigen vom 24. Oktober 1905 hat Rudolf Steiner für Anna Wagner, die Frau von Günther Wagner, die aus Gesundheitsgründen nicht hatte teilnehmen können, eigenhändig nie­dergeschrieben. 1) Es ist dies die einzige von seiner Hand aufgezeichnete esoterische Stunde, abgesehen von dem kurzen brieflichen Resumé der Stunde vom 4. Oktober 1905 für Adolf Kolbe in Hamburg. Alles, was sich

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1) In «Anweisungen für eine esoterische Schulung», GA 245

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sonst an Aufzeichnungen von solchen Stunden erhalten hat, ist von Teil­nehmern hinterher aus dem Gedächtnis festgehalten worden, da während der Stunden selbst nicht mitgeschrieben werden durfte.

Von dieser Herbstzeit des Jahres 1905 an fanden mehr und mehr esoteri­sche Stunden nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen deutschen Städ­ten und später auch in anderen Ländern statt, wo Schüler Rudolf Steiners in dieser Art arbeiteten. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Som­mer 1914 wurde die esoterische Arbeit eingestellt, weil streng geschlosse­nen Veranstaltungen mißtraut werden konnte, aber auch, weil in einer von so starken Emotionen belasteten Zeit nicht esoterisch gearbeitet werden könne. Erst zehn Jahre später im Zusammenhang mit der Neubegründung der Anthroposophischen Gesellschaft wurde auch wiederum eine Esoteri­sche Schule eingerichtet.

Die Regeln

Aus den entsprechenden Dokumenten geht hervor, daß in der Aufbau-zeit des ersten esoterischen Arbeitskreises «Regeln» gegeben wurden, die sich an diejenigen der E.S.T. anlehnten. Letztere sollen ursprünglich sehr streng gewesen, aber im Laufe der Zeit mehrfach modifiziert worden sein. Zur Zeit von Rudolf Steiners Anschluß konnte die Aufnahme nach zwei­jähriger Mitgliedschaft in der T.S. beantragt werden. Die Schule war in Grade gegliedert, die auf vier verschiedenen Wegen oder Methoden (Diszi­plinen) erarbeitet werden konnten: einer allgemeinen, einer speziellen Yoga-, einer christlich-gnostischen und einer pythagoräischen Disziplin. Bevor man jedoch zur eigentlichen Schulung zugelassen wurde, mußte man mindestens ein, später zwei Jahre dem Prüfungs- oder Hörerorden (englisch Probationary- oder Hearer-, indisch Shrävaka-Orden) angehören. Bei der Aufnahme mußte ein schriftliches «Versprechen» gegeben werden, die erhaltenen Papiere vertraulich zu behandeln und auf Aufforderung zu­rückzugeben. Nach der vorgeschriebenen Prüfungszeit konnte man in den eigentlichen ersten Grad aufgenommen werden, sofern man gewillt war, das schriftliche Gelöbnis zu leisten, die Theosophie zum alles bestimmen­den Faktor seines Lebens zu machen.

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Da Rudolf Steiners erster esoterischer Arbeitskreis äußerlich dem Prü­fungsorden der E.S.T., und zwar innerhalb der allgemeinen Disziplin -daher in den ersten von ihm ausgegebenen Regeln die Bezeichnung «Shrâvaka-Orden» - angeschlossen war, hatten auch seine Schüler das obli­gatorische «Versprechen» zu geben, wie aus verschiedenen Briefen hervor­geht. Davon unabhängig führte er seinen Arbeitskreis völlig selbständig. Zum Beispiel gab es keine zu wählenden Disziplinen, wenn auch in den Briefen an Anna und Günther Wagner vom 2. Januar 1905 die vier Diszi­plinen erwähnt werden. Aber zu dieser Zeit war alles noch im Werden und bald darauf war es offensichtlich selbstverständlich geworden, sich nach Rudolf Steiners Intentionen zu richten. So schrieb ihm beispielsweise am 23. Januar 1905 Mathilde Scholl, die durch seine Vermittlung im Mai 1904 von Annie Besant in den ersten Grad der E.S.T. in London aufgenommen worden war, aber noch nicht dessen Instruktionen erhalten hatte: «Mir persönlich ist es nun überhaupt gar nicht wichtig, ob Mrs. Mead die Schrif­ten schickt oder nicht, denn alles, was ich brauche, geben Sie mir und wird mir gegeben und das ist so viel, daß ich nur mit ehrfurchtsvollem Staunen den Blick erheben kann zu all dem, was kommt.» Ähnliches spricht aus ei­nem Brief von Günther Wagner, der ihm am 3. April 1905 schrieb: «Vor Monaten schon erhielt ich von Mrs. Oakley eine englische E.S.-Druck­schrift, in der Mitteilungen über die vier Wege sind, die in der E.S. gemacht würden, deren Sie auch in Ihrem werten lieben Schreiben an meine Frau Erwähnung tun. Meine Frau und ich haben uns entschlossen, den Pfad zu gehen und fragen nun an, ob auch wir in Deutschland mit dem 1. April beginnen sollen, wie dies dort in der englischen Druckschrift angegeben wird. Wird eine deutsche Belehrung herausgegeben werden? Wohl wahrscheinlich, da Sie doch nicht allen E.S.-Mitgliedern, die aus­wärts leben, schriftliche Instruktionen geben können. Ich würde auch gern wissen, ob es für Schüler ersten Grades (nach alter Einrichtung) andere Vorschriften gibt als die in der englischen Druckschrift, oder ob alle von jetzt an diesen folgen sollen. Meiner Frau schrieben Sie am 2. Januar vor, vom 6. Januar etwa an vier Wochen die Übungen durchzuführen. Das hat sie getan und fährt damit auch jetzt noch fort, doch bittet auch sie um wei­tere Instruktionen.» Diese Fragen wurden mit dem ersten E.S.-Rundbrief vom S. Juni 1905 und den im weiteren gegebenen Anweisungen mehr und mehr beantwortet.

Soweit läßt sich der allmähliche Aufbau des ersten Kreises rekonstruie­ren. Offen bleiben muß jedoch die Frage, wie es mit dem Gelöbnis der

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E. S.T. gehandhabt wurde, da Rudolf Steiners Schüler ja nicht die Grade der E. S.T. durchmachten und doch einige solche Gelöbnisse vorliegen, die, soweit sie datiert sind, aus dem Jahre 1906 stammen. Ob sie gegeben wur­den bei der Aufnahme in den ersten Grad der erkenntniskultischen Abtei­lung oder in anderem Zusammenhang, ist nicht bekannt. Jedenfalls schrieb Rudolf Steiner in dem gleichen Jahre 1906 einem esoterischen Schüler auch dies: «Das Geheimhalten betrachten Sie bitte nicht als prinzipielle Ver­pflichtung, sondern als temporäre, durch die verworrenen gegenwärtigen Verhältnisse in E. S. und T.S. bedingt. ...Ich wäre selbst froh, wenn auch dies nicht zu sein brauchte.» Mit dieser Aussage stimmt überein, daß nichts davon überliefert ist - obwohl der Schülerkreis schon groß geworden war -, daß nach der im Mai 1907 erfolgten Trennung von der E.S.T. Rudolf Stei­ner noch schriftliche Versprechen hätte geben lassen. Tatsächlich wurde bei der Neubegründung der Esoterischen Schule im Jahre 1924 mit Bezug auf die Verpflichtung, das erhaltene Lehrgut vertraulich zu behandeln, nur an das Verantwortungsbewußtsein des Einzelnen appelliert. In diesem Sin­ne schrieb Marie Steiner nach Rudolf Steiners Tod: «Er war nicht der An­sicht, daß man noch Esoterik treiben könne wie in früheren Zeiten, in tief­ster Abgeschlossenheit, mit streng bindenden Gelöbnissen. Diese vertru­gen sich nicht mehr mit dem Freiheitsgefühl des Einzelnen. Vor das eigene höhere Ich muß die Seele treten und erkennen, was sie diesem Ich und der geistigen Welt an ehrfurchtsvollem Schweigen schuldig ist.» 1)

Das Lehrgut

Der Unterricht gliederte sich gewissermaßen dreifach: in die für alle Schü­ler gleich geltenden Regeln und Übungen; in die persönlichen Übungen; in die esoterischen Stunden, in denen hauptsächlich auf Intimitäten des Schu­lungsweges eingegangen und das Bewußtsein auf die großen Menschheitsleh­rer, die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen, als den eigentlichen Leitern der Schule gelenkt wurde. Lag doch das ideale Ziel der Schulung darin, aus dem durch die Übungen zu entwickelnden höheren Bewußtsein heraus nach und nach selbst Zugang zu den Meistern zu finden.

1) Vorwort zur Erstausgabe der Vorträge «Die karmischen Zusammenhänge der anthroposc> phischen Bewegung«, Dornach 1926, neu abgedruckt in «Beiträge zur Rudolf Steiner Ge samtausgabe» Nr.23 Weihnachten 1968.

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Eine Hilfe auf diesem Wege sollten die Darstellungen von dem Wesen und Wirken der Meister geben, wie sie in esoterischen Stunden vermittelt wurden. Das Wenige, was davon überliefert wurde, ist in dem Abschnitt über die Meister zusammengefaßt. Da Rudolf Steiner jedoch nicht nur in esoterischen Stunden, sondern auch in den Vorträgen für die Mitglieder der Gesellschaft und sogar öffentlich davon gesprochen hat, läßt sich von dem Bild, das von den Meistern gezeichnet wurde, doch eine zureichende Vorstellung gewinnen. Siehe hierzu den Versuch einer Überschau im An­hang zu dem Abschnitt «Aus dem Lehrgut über die Meister...».

Das Wissen um die Meister war in der Theosophical Society und deren Esoteric School seit ihrem Bestehen von grundlegender Bedeutung. 1) Für Rudolf Steiner selbst war die Existenz der Meister schon Jahrzehnte vor seiner Verbindung mit der Theosophischen Gesellschaft persönlich erlebte Realität. Das hat er mehrfach selbst bezeugt.2) Auch dafür, daß er von der Notwendigkeit, die Wahrheiten des Okkultismus der Welt zu lehren, durch seinen Meister überzeugt worden war, liegt sein persönliches Zeug­nis vor:

... . wenn der Meister mich nicht zu überzeugen gewußt hätte, daß trotz alledem [der Unreife der Zeit für die hohen Wahrheiten des Okkultismus] die Theosophie unserem Zeitalter notwendig ist: ich hätte auch nach 1901 nur philosophische Bücher geschrieben und literarisch und philosophisch gesprochen.» (Brief vom 19. Januar 1905 an Marie von Sivers, GA 262).

Und auch der Gesellschaft hatte er sich erst angeschlossen, nachdem er am «Endpunkt einer langjährigen inneren Entwickelung» gewußt hatte, daß «die geistigen Kräfte, denen ich dienen muß, in der T.S. vorhanden sind.»3)

Während jedoch in der T.S. von den Meistern immer nur als von den «Meistern der Weisheit» gesprochen wurde, sprach er von ihnen als den «Meistern der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen» oder auch der «Menschheitsempfindungen», weil sie nicht nur einen hohen

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1) Näheres darüber in den Vorbemerkungen zum zweiten Teil.

2) Siehe die Aufzeichnungen für Edouard Schuré und Briefe an Marie Steiner-von Sivers, bei­des in «Briefwechsel und Dokumente...», GA 262; ferner den autobiographischen Vortrag Berlin, 4. Februar 1913 in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe«, Heft 83/84, 1984.

3) In einem Entwurf für ein erstes Rundsclsreiben an die deutschen theosophischen Logen im Sommer 1902 vor der offiziellen Gründung der deutschen Sektion. In «Briefe und Do kumente...», Hinweis zu Seite 17.

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Grad von Weisheit, sondern auch einen «unbegrenzten Quell von Men­schenliebe» besitzen (Brief vom 2. August 1904, S. 62). Diese Nuance weist wie alles bei ihm auf den Zentralpunkt seiner Geist-Erkenntnis: die einzig­artige Bedeutung des Christus-Prinzipes für die ganze Menschheits- und Er­denentwickelung. Ihm war Christus der Meister aller Meister und die «Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen» die­jenigen, die «in unmittelbarem Zusammenhang mit den Kräften der höhe­ren Hierarchien stehen» (Vortrag Düsseldorf, 15. Juni 1915) und die begrif­fen haben, «daß der Fortschritt der Menschheit abhängt von dem Begreifen des großen Ereignisses von Golgatha» (Berlin, 22. März 1909).

Am aufklärendsten für Rudolf Steiners persönliches Verhältnis zu den Meistern kann wohl gelten, was er in einer seiner allerersten öffentlichen Berliner Vortragsreihen geäußert hat. Auf die Darstellung dieser hochent­wickelten Individualitäten in Sinnetts «Geheimbuddhismus» verweisend, versuchte er klarzumachen, daß für europäisches Denken der Meisterbegriif nichts Absonderliches zu sein brauche, wenn berücksichtigt werde, daß es auf der Stufenleiter der Entwicklung - vom wenigst Entwickelten bis zum Beispiel zu Goethe und darüber hinaus - unendlich viele Möglichkeiten gibt. Und dann folgen die in bezug auf ihn selbst so entscheidenden Worte:

«...daß die sogenannten Meister für uns große Anreger sind - weiter nichts -, große Anreger auf geistigen Gebieten. Allerdings geht deren Entwickelung weit über das Maß hinaus, das die landläufige Kultur bie­tet. Große Anreger sind sie uns; sie fordern aber nicht den Glauben an irgendeine Autorität, nicht den Glauben an irgendein Dogma. Sie appel­lieren an nichts anderes als an die eigene menschliche Erkenntnis und ge ben Anleitung, durch bestimmte Methoden die Kräfte und Fähigkeiten, die in jeder Menschenseele liegen, zu entwickeln, um zu den höheren Gebieten des Daseins hinaufzusteigen.» (Berlin, 13. Oktober 1904)

In dem darauffolgenden Vortrag charakterisiert er die Meister so, daß verständlich werden kann, wie gerade von ihnen die menschliche Freiheit in höchstem Maße respektiert werde, so daß keinerlei Abhängigkeit entste­hen könne. Niemand könne zum Beispiel durch die Regeln in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» im Gegensatz zu vielem anderen, was auf solchem Gebiete heute angepriesen wird, Schaden erleiden. Weil aber so vieles angepriesen wird, was nicht nur wertlos, sondern auch schäd­lich sein kann, «haben die Meister die Erlaubnis gegeben zur Veröffentli­chung solcher Regeln». (Berlin, 15. Dezember 1904).

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Nimmt man die verschiedenen Äußerungen über die Meister, so schei­nen sie auf den ersten Blick hin einander zu widersprechen. Insbesondere scheint das aus dem Vortrag Berlin, 13. Oktober 1904 Angeführte zu wi­dersprechen dem, was in Briefen an esoterische Schüler zu lesen ist: «Ich kann und darf nur so weit führen, als der erhabene Meister, der mich selber führt, mir die Anleitung gibt» (Brief vom ii. August 1904); oder auch wenn es heißt, daß die theosophischen Lehren auf die Meister zurückgehen:

«Wir sagen mit Recht, daß die Theosophie nicht durch dieses oder jenes Buch, nicht durch diese oder jene Summe von Dogmen in die Welt ge­kommen ist. Die Theosophie rührt von jenen hohen Individualitäten her, die wir die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen nennen, da sie die Quellen des geistigen Lebens eröffnet haben, das von da ab einströmen kann in die Menschen.»

(Berlin, 21. Juni 1909)

«Spirituelles Leben geht zuletzt zurück auf diejenigen Quellen, die wir bei jenen Individualitäten suchen, welche wir nennen die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen. Bei ihnen fin­den wir die Impulse, wenn wir sie richtig suchen, wie wir von Epoche zu Epoche, von Zeitalter zu Zeitalter wirken sollen.»

(Berlin, 26. Dezember 1909)

Vertieft man sich jedoch in diese verschiedenen Aussagen, dann löst sich der scheinbare Widerspruch zwischen ihnen auf. Es wird erkennbar, daß Rudolf Steiner selbst zu jenen Eingeweihten gehört, die die Impulse der Meister mit ihren freien Denkkräften entgegennehmen und für den Fort-schritt der Menschheit auszuarbeiten haben. Die Welt des Übersinnlichen und somit auch der Meister hat ja ihre eigene Sprache. Sie offenbart sich in Zeichen und Symbolen, deren Erforschung und Deutung nur durch beson­dere Schulung möglich ist. Die Art der Übersetzung, Deutung und Anwen­dung der okkulten Oifenbarungssprache hängt ganz von der Tiefe der Er­kenntnisfähigkeit wie auch von dem moralischen Verantwortungsbewußt-sein desjenigen ab, der sie vertritt. Rudolf Steiners Leistung für den Kultur-fortschritt liegt ganz offensichtlich darin, daß er die Zeichensprache des al­lem Dasein zugrundeliegenden Schöpferisch-Geistigen in die dem moder­nen Bewußtsein gemäße Begriffssprache der Anthroposophie umzusetzen vermochte. Diese persönliche Tat hatte er in der Welt zu vertreten, ohne sich auf die Autorität der Meister berufen zu müssen. Wie er lehrte, hatte er

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ganz persönlich zu verantworten. Vielleicht liegt hier einer der Gründe, weshalb er, je stärker der Wissenschaftscharakter der Anthroposophie, ins­besondere in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, herausgearbeitet wur­de, von den Meistern in der intimen Weise der früheren Jahre nicht mehr gesprochen hat.

Von der Lehrweise in der Esoterischen Schule

Hatte Rudolf Steiner in dem obigen Sinn die Art, wie er seine übersinnli­chen Erkenntnisse öffentlich lehrte, persönlich zu verantworten, so galt das nicht in gleicher Weise in bezug auf die Esoterische Schule. Er selbst hat aus­gesprochen, daß die Schule unter der unmittelbaren Leitung der Meister stehe und deshalb als eine Grundverpflichtung der Schule gelten müsse, daß alles, was durch sie hindurchfließt, nur ausgehe von den Meistern der Weis­heit und des Zusammenklanges der Empfindungen, während die Grundver­pflichtung für die Schüler darin bestünde, auf alles, was gelehrt wurde, die ganze Vernunft anzuwenden und sich zu fragen, ob es vernünftig sei, die­sen Weg zu gehen. (Esoterische Stunde Düsseldorf, 19. April 1909, S. 222).

Offenbar nicht immer, aber in gewissen esoterischen Stunden oder in ge­wissen Momenten esoterischer Stunden sprach Rudolf Steiner so als unmit­telbarer Bote der Meister. Ein Teilnehmer an der Düsseldorfer Stunde vom 19. April 1909 berichtet, daß diese besondere Stunde mit den Worten be­gonnen wurde: «Meine lieben Schwestern und Brüder! Diese esoterische Stunde ist eine solche, die nicht steht unter der Verantwortung desjenigen, der da spricht!» Und das sei deshalb gesagt worden, weil in der darauffol­genden Schilderung, wie einst Zarathustra von dem Sonnengeist einge­weiht worden war, Rudolf Steiner in diesem Augenblicke selber Zarathu­stra gewesen sei. Als ein gewaltiges Erlebnis hätte wahrgenommen werden können, wie «unser großer Lehrer, der uns das Ergebnis seiner Forschun­gen mitgeteilt hatte, nun selber uns zeigte , wie ein alter Menschheitsführer und Lehrer sich inspirierend offenbaren konnte», wie Rudolf Steiner als er­ster Mensch der Neuzeit durch eigene strenge Schulung nicht als Medium, sondern als vollbewußter Geistesforscher sich zu einem dienenden Werk­zeug für geistige Wesenheiten bilden konnte. 1)

1) Elisabeth Vreede in einem in Stuttgart gehaltenen Vortrag vom 9. Juli 1930 (ungedruckte Nachschrift).

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Von dieser ganz besonderen Art und Weise, wie Rudolf Steiner in den esoterischen Stunden als Bote der Meister erlebt werden konnte, haben nur Wenige etwas überliefert. Einer kleidete seine Erinnerung in die Worte:

«Ich erinnere mich genau, wie Rudolf Steiner hereintrat. Er war es und er war es nicht. Wenn er zu den esoterischen Stunden kam, sah er nicht aus wie Rudolf Steiner, sondern nur wie sein Gehäuse. , begann er. Es war stets feierlich. Man kann das gar nicht vergessen, den Ausdruck seines Gesichtes.» 1)

Ein anderer berichtet von dem tiefen Eindruck, als er zum erstenmal an einer esoterischen Stunde teilnehmen konnte, mit den folgenden Worten:

«Alles saß schweigend. Als Rudolf Steiner eintrat, schien mir ein überirdi­sches Licht auf seinem Antlitz nachzuleuchten, aus dessen Bereich er zu uns kam - es schien nicht bloß so: es war an dem. Wie aus unmittelbarem Wissen und Kennen sprach er von den großen Meistern, die über uns unser Leben und Streben lenken: Kuthumi, Morya, Jesus und Christian Rosen­kreutz - den «Meistern der Weisheit und des Zusammenklanges der Emp­findungen».

Es darf so viel gesagt werden, daß die Weihe dieser Stunde unbeschreib lich schön war. Hier erschien Rudolf Steiner ganz als der Bote einer höheren Welt. Der Eindruck ist unvergeßlich.»2)

Am eingehendsten und in sprachlich subtilerForm schildert der bekannte russische Dichter Andrej Belyj in seinem Erinnerungsbuch «Verwandeln des Lebens» (Basel 1975), wie er es in der «Klasse des Hörens» als Aufgabe erlebte, die Aufmerksamkeit zu schulen mehr für das Wie als das Was. Denn einen äußeren Unterschied zwischen den esoterischen und den ande­ren Vorträgen habe es nicht gegeben, da alles einen esoterischen Grundton hatte, umso feiner, je populärer Rudolf Steiner gesprochen habe. Was aber in den esoterischen Stunden konzentriert hätte erlebt werden können, das sei gerade das gewesen, wie das Wie zum Was geworden und alles über-strahlt habe.

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1) Jenny Schirmer-Bey in «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht. Nachrich ten für deren Mitglieder», 1974, Nr.35 vom 1. September 1974

2) Ludwig Kleeberg, «Wege und Worte», Stuttgart 1961

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Briefe an esoterische Schüler

mit Ubungen

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Der Brief vom 20. September 1907 wurde an den An­fang gestellt, da er Grundsätzliches über esoterische Schulung beinhaltet. Dann folgen in chronologischer Reihenfolge die Briefe, die Rudolf Steiner als esoteri­scher Lehrer geschrieben hat, soweit sie erhalten und bekannt sind. Die Briefe an Mathilde Scholl wurden vom Goetheanum zur Verfügung gestellt.

Die in den Briefen angegebenen Zeiten für den Beginn der Meditation hängen mit den Mondphasen zusam­men. Es sollte nur bei zunehmendem Mond begonnen werden.

Zu den einzelnen Übungen und den erwähnten Exege-sen zu «Licht auf den Weg» von Mabel Collins und zu «Die Stimme der Stille» von H.P. Blavatsky vergleiche man den Band «Anweisungen für eine esoterische Schu­lung», GA 245.

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An Martha Langen in Eisenach über Grundsätzliches zur esoterischen Schulung

Berlin, 20. September 1907

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Verehrte Frau Langen!

Erst heute kann ich Ihnen auf Ihren Brief antworten. I Allerdings würde die Antwort in voller Ausdehnung nur mündlich gegeben werden können; doch möchte ich Jhnen vorher schriftlich einige Be­merkungen senden> damit Sie sehen, ob es sich gegenwärtig für Sie als praktisch und wünschenswert betrachten läßt, etwa die Reise nach Hannover zu machen.

Durch die Art, wie in unserer Zeit Theosophie verbreitet werden muß, machen sich nur zu leicht Mißverständnisse über deren Grundlagen, zum Beispiel über den Okkultismus und seine Schu­lung geltend. Ein solches Mißverständnis besteht zum Beispiel darin, daß die Theosophie einen jeden Menschen, der sie in irgendeiner Form annimmt, auch zur okkulten Schulung drängen müsse. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Aufgefunden können die okkulten Wahrheiten nur von okkult Geschulten; verstanden können sie wer­den durch den ganz gewöhnlichen Menschenverstand. Und auch an­gewendet können sie im Leben werden auf Grund eines solchen durch die gewöhnlichen Seelenkräfte erlangten Verständnisses. Ich selbst werde nie öffentlich etwas lehren, was - wenn es durch okkul­te Wege gefunden ist - nicht durch die gewöhnlichen Seelenkräfte begriffen werden könnte, wenn man diese nur anwenden will. Theo-sophie ist unserem Zeitalter notwendig; und die Menschheit müßte auf dem gegenwärtigen Punkte ihrer Entwickelung in absolute Ödheit und allseitige Unfruchtbarkeit verfallen, wenn ihr die Theo-sophie nicht als ein mächtiger Kraftstrom zufließen würde. Schlimm aber wäre es, wenn ein jeder Theosoph auch zum okkulten Schüler werden wollte. Das wäre - verzeihen Sie den trivialen Vergleich - ge­rade so, wie wenn deswegen, weil alle Menschen Kleider brauchen, auch ein jeder müsse Schneider werden. Theosophie brauchen alle

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1) Dieser Anfragebrief liegt nicht vor.

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Menschen unter gewissen Voraussetzungen; esoterische Schulung wenige.

Auf der andern Seite aber kann niemand diese Schulung verwei­gert werden, wenn er sich dazu eignet. Denn wie viele sie auch su­chen: gegenwartig werden es vorläufig zu viele nicht sein. Also steht in gewisser Beziehung der okkulten Schulung keines Menschen et­was im Wege. Da nun unter solchen Umständen viele heute die Schulung anstreben> so können Mißverständnisse selbst unter Schü­lern nicht ausbleiben. Heute denkt ein jeder, was für ihn gut ist, müsse es auch für andere sein. So bilden sich allgemeine Ansichten über die Schulung heraus> welche im Grunde so unrichtig wie nur möglich sind. Der okkulte Lehrer ist natürlich genötigt zu sagen, daß der Weg, den ein in sexueller Beziehung asketischer Mensch geht, anders ist, als derjenige> den ein Mensch geht, welcher sich in dieser Beziehung der Aufgabe nicht entzieht, der Menschheit Dien­ste zu leisten. Was von dem okkulten Lehrer in dieser Richtung ge­sagt wird, das erfährt dann bald die Umdeutung: die Askese sei eine Bedingung okkulter Entwickelung. Wahr ist vielmehr etwas ganz anderes. Die Askese in sexueller Beziehung erleichtert den okkulten Pfad, macht ihn in einer gewissen Beziehung bequemer. Wer also aus reinem Egoismus der Erkenntnis heraus vor allem «Schauen» will, der kann sich versprechen, bald zu einem gewissen Ziele zu kommen durch eine gewissen Askese nach dieser Richtung. Es kann aber keine Verpflichtung zu einer solchen Askese geben, sondern nur eine Berechtigung, die man sich erst erwerben muß. Sie besteht ein­zig darinnen, daß man die Möglichkeit erlangt, der Menschheit ei­nen vollgültigen Ersatz dafür zu geben, wenn man sich der sonst vor-liegenden Verpflichtung entzieht, Gelegenheit zur Verkörperung von Seelen zu geben. Sie sehen also, daß Askese in dieser Richtung nicht Regel sein darf, sondern nur unter gewissen Voraussetzungen manchem Okkultisten zugestanden werden kann.

Nach den Voraussetzungen, mit denen Sie an den Okkultismus herantreten, werden Sie ja ohnedies leicht begreifen, daß jede Art von Egoismus, auch wenn er der verborgenste, maskierteste ist, in der okkulten Schulung doch nicht weit kommen läßt. Natürlich

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wird die Frau bald weiter sein, die sich ihren weiblichen Pflichten nicht entzieht, wenn sie unter Voraussetzung derselben das richtige tut, als diejenige, welche unbekümmert um das Schicksal der Menschheit in im Grunde doch egoistischer Entsagung nach «Er­kenntnis» strebt.

Damit ist ja wohl ein größerer Teil der Fragen Ihres Briefes beant­wortet. Ablenken von seinen Lebensaufgaben kann die okkulte Schulung niemand, wenn er nicht einen falschen Weg geht. Gewiß, Sie können viele sogenannte «Schüler» finden, die Sie zu einem er­sprießlichen Wirken unbrauchbar finden. Aber man bildet sich ein falsches Urteil, wenn man diese «Schüler» vergleicht mit denen, wel­che, ohne von Theosophie etwas wissen zu wollen, ihre Lebensauf­gaben lösen. Man müßte die ersteren nicht mit den letzteren verglei­chen, sondern sich fragen: Wie unnütz wären diese erst ohne Theo-sophie? Und bezüglich der zweiten wäre die richtige Frage: Wie würde der Inhalt ihres Wirkens erhöht, wenn sie ihrem Leben die Theosophie, oder gar die Schulung einfügen könnten?

Zu «üben» ohne Anleitung könnte ich Ihnen auch nicht empfeh­len. Überreden, sich der «Schulung» anzuvertrauen, möchte ich nie­mand. Bei jedem muß es eigner, freier Entschluß sein.

Die Vorgänge Ihres inneren und äußeren Lebens drängen Sie zu dieser Schulung hin. Ihre Lebensaufgaben werden Sie gewiß mit Hil­fe der Schulung leichter und sicherer lösen können. Ihr Mann hat es viel schwerer mit der Theosophie als Sie selbst. Das kann nur je­mand beurteilen, der weiß, daß gegenwärtig eine gelehrte Bildung geradezu unüberwindliche innere Hindernisse gegenüber den theo sophischen Wahrheiten auftürmt. Und vielleicht ist aber anderer­seits nichts so sehr geeignet, diese Hindernisse zu überwinden, als ein praktischer Beruf, wie [er] sich gerade Ihrem Mann gegenwärtig eröffnet.

Ihre Schulung wird nur die richtige sein, wenn sie Ihnen nichts nimmt und zu dem, was Sie haben, manches hinzugibt: an Gesund­heit, Kraft des Lebens, Sicherheit des Wirkens und innerem Frieden, den der Mensch nicht um seinetwillen, sondern für die Mitmen­schen braucht. Kein Wirken dient der Menschheit, das nicht aus innerem

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Frieden stammt. Jedes Wirken, das aus einer innerlich unbe­friedigten Seele stammt, zerstört die gesunde Menschheitsentwicke­lung, wo es auch immer statthat.

Wollen Sie es, nach diesen Bemerkungen, versuchen, so wird Ih­nen jeder mögliche Anhalt von mir geboten werden. In Hannover bin ich vom 21. September abends bis zum 4. Oktober. Wenn Sie Ihre Anwesenheit daselbst per Karte anzeigen wollten, dann werde ich alles einrichten für eine gründliche Aussprache. Adresse: Dr. Ru­dolf Steiner, z.Zt. Hannover, Ferdinandstraße 11 bei Fleissner.

Grüßen Sie herzlichst Ihren lieben Mann und seien Sie selbst herzlichst gegrüßt von

Dr. Rudolf Steiner

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An Mathilde Scholl in Köln

Mathilde Scholl hatte am 11. Februar 1903

an Rudolf Steiner geschrieben:

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. . . In Anknüpfung an unser Gespräch möchte ich nun Folgendes fragen. Auf der Tafel XXVI des Leadbeaterschen Buches [«Man visible & invisi­ble»] ist die Aura eines Schülers des Buddha, eines Schülers, der die vierte Stufe auf dem Pfade, die Stufe eines Arhat erreicht hat. Die Aura ist kon-zentrisch geordnet, die Farbenfolge von der Mitte an:

1) gelb = Intelligenz

2) rosa = Liebe

3) hellblau = Hingebung

4) grün = Mitgefühl (Sympathie)

5) violett = Spiritualität

alles dieses umgeben von einem regenbogenfarbigen oder vielmehr perl­mutterfarbigen Strahlenkranz und durchströmt von lebenden Lichtstrah­len, die von dem Körper des Arhat ausgehen. - Leadbeater sagt, an der Rei­henfolge der Farben könne man die Art des Arhat, resp. auch des Meisters erkennen.

Zu welcher Art oder Hierarchie könnte nun ein Wesen gehören, bei des­sen Aura vom Zentrum aus beginnend zunächst 1) hellblau = Hingebung und dann 2) rosa = Liebe folgt. Die Anordnung ist ebenfalls konzen­trisch, geradeso wie bei der abgebildeten Aura - doch waren keine anderen

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Farben als hellblau und rosa sichtbar. [In einem Traumerlehnis.] Jedoch erschien der physische Körper nur in Umrissen und durchsichtig, nicht pla­stisch - und in demselben erschienen Zentren (gleich der Swastika oder gleich Rädern) die sich in schnellster Bewegung um sich selbst drehten und Licht ausströmten. Das Gesicht hatte die Züge und den Ausdruck des Meisters M.

Wenn Sie mir sagen können und dürfen, wer dieses Wesen ist oder auf welche Weise ich selbst eine Erklärung finden kann, wäre ich glücklich. ...

Sollte später ein Zusammenschließen der E.S. in Deutschland möglich sein, würde ich mich freuen. Manche äußere Dinge sind mir noch eine Hil­fe. Z.B. wäre es mir lieb, regelrechte Vorschriften zum Studium zu haben -anfangs, also vor 2 1/2 Jahren, wurde auf der einen Instruktion angegeben, welche Verse ich mir Abends einprägen sollte. Da aber dann keine weite­ren Angaben kamen, nahm ich auf diese Weise die Bhagavad Gita durch -und dann die «Stimme der Stille», bei der ich jetzt am Ende des 2. Buches angelangt bin. Für mich wäre es eine Hilfe, nicht führerlos meine Studien zu machen und z.B. zu wissen, am Morgen bei der Meditation, daß viele ih­re Gedanken mit mir auf dasselbe richten - zu wissen, daß andere mit mir dasselbe Buch studieren, und so manches andere. . .

Rudolf Steiner antwortete wie folgt:

Schlachtensee bei Berlin, 1. Mai 1903

Verehrtestes Fräulein Scholl!

Längst hätte ich Ihnen schreiben sollen. Allein die Verpflichtun­gen bezüglich des «Luzifer» 1) wirkten vorläufig - zu allem übrigen -etwas drückend. Nun wird er endlich in ein paar Tagen herauskom­men; und ich werde dann auch hoffentlich in ganz geregelte Tätig­keit kommen. Jedenfalls werde ich in Hinkunft mit dem Antworten nicht so lang warten, wie es bis jetzt - leider - der Fall war.

Erst lassen Sie mich auf Ihre Hauptfrage kommen. Die Aura, die Sie beschreiben, ist mir nicht klar genug, um etwas Erhebliches dar­über sagen zu können. Sie sagen nichts von Strahlen, die von dem be­schriebenen Wesen ausgehen. Nun sind bei einem vorgeschritteneren

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1) Die von R.Steiner begründete und redigierte Zeitschrift. Siehe GA 34.

#SE264-044

Menschen im Kausalkörper immer Strahlen vorhanden. Diese Strah­len sind nämlich der Ausdruck der aktiven Kräfte, die der Mensch seinem fortschreitenden Karma einfügt. Es scheint also das, was Sie beschreiben, nicht ein Kausalkörperbild zu sein. Nun will ich aber durchaus nicht sagen, daß wir es in Ihrem Falle nicht mit einem hö­her entwickelten Wesen zu tun haben. Dann aber könnte es sich nur um die Projektion des Kausalkörpers in Mental-Materie handeln. Und in diesem Falle verstehe ich die Svastiken nicht, die wieder auf ein ast rales Element deuten. Ich bitte Sie deswegen, mir etwas genau­eres über die Sache noch zu schreiben. Ich möchte gerne, daß wir darüber klar würden. 1)

Es wäre überhaupt recht schön, wenn die neueren Mitglieder der E.S. in Deutschland sich in irgendeiner Weise näher zusammen­schließen würden. Wir brauchen das gerade in Deutschland. Denn die E.S. muß die Seele der Theosophischen Gesellschaft werden. In Deutschland muß sie das aus dem Grunde noch ganz besonders, weil wir wohl noch lange auf tieferes, inneres Zusammenwirken nur bei Einzelnen hoffen können und größere Kreise nur äußerlich sich anschließen werden. Aber die Einzelnen werden einen um so treue-ren, sichereren und kraftvolleren Grundstock bilden. Und den brau­chen wir, da bei uns so viel verfahren ist.

In Weimar ging alles recht gut. Wir haben nun auch dort eine Lo­ge. Die Vorträge waren außerordentlich gut besucht. - Nach Köln möchte ich aus den allerverschiedensten Gründen gerne kommen,

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1) Darauf antwortete Mathilde Scholl am 7. Mai 1903 noch folgendes: »...Meinen herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Frage. Das Traumbild, welches ich Ihnen beschrieb, strahlte allerdings Licht aus, und dieses Licht schien hervorzusprudeln aus den Swastiken, die sich im Kopf und Oberkörper befanden. Überhaupt waren nur Kopf und Oberkörper sichtbar und das nur in Umrissen. Das Wesen erschien nicht körperlich, sondern schien nur eine Lichterscheinung zu sein. Der Eindruck aber war so stark, daß ich im Traum glaubte, mich diesem Wesen zu Füssen zu werfen und besinnungslos zu werden. Beim Er­wachen stand mir alles lebhaft vor Augen und ich fühlte noch lange nachher die innere Er­griffenheit. Nach einer Erklärung suchte ich in der ersten Zeit überhaupt nicht. Durch das Leadbeatersche Buch habe ich erst verstanden, wie es möglich ist, daß man eine solche Far­benanordnung sieht. Aber gern möchte ich wissen, wer dieses Wesen war, denn wenn es auch die Züge des Meisters M. zu haben schien, kann das ebensowohl auf meiner indivi­duellen Stimmung wie auf Wirklichkeit beruht haben.» [Die Antwort auf diese Frage ist nicht bekannt.)

#SE264-045

um auch dort vorzutragen. Bitte, vielleicht können Sie dort ein we­nig den Boden ebnen. Es hängt viel, sehr viel davon ab, daß wir neue Zentren schaffen. Bisher haben fast alle deutschen Theosophen ei­nen viel zu losen Zusammenhang mit der englischen Mutterbewe­gung gesucht. Und nur aus dieser heraus, in innigstem Zusammen-hange mit ihr müssen wir jetzt wirken. Es war in Deutschland zu viel Hang zur Dogmatik, zur bloß intellektuellen Erfassung der Doktrinen vorhanden> während für die lebendige Spiritualität kein rechtes Verständnis zu finden ist. Erst wenn wir dieses letztere wecken, wenn wir das Auge dafür eröffnen, daß für den Fortgang der theosophischen Strömung nicht bloß das Erlernen der Dogmen (Hartmann), sondern der spirituellen Zusammengehörigkeit mit den zentralen Individualitäten gehört, von denen die Weisheit stammt, und bei denen sie ihre fortsprudelnde Quelle hat: - erst dann können wir vorwärts kommen. - Wir müssen klarmachen -nicht durch Worte, sondern durch Imponderabilien -, daß es sich um eine fortlaufende Befruchtung der Träger der T.S. durch zentra­le Individualitäten handelt. Ganz verstehen werden alle diese Dinge doch nur die esoterisch arbeitenden; aber dafür müssen diese auch in klar bewußter und kraftsicherer Weise zusammenstehen und weckend für die andern sein.

Es war mir tief befriedigend, mit Ihnen in Düsseldorf einige Stun­den haben zubringen zu können. Es ist das jene Befriedigung, die

wir haben, wenn wir den andern auf dem Wege sehen, auf dem stets i die Meilenzeiger «Vorwärts» stehen. Es gibt eben für den Theoso­phen ein Tor, durch das er nur einmal, d.h. hingehen soll, und das er kein zweites Mal - zum Zurück - betreten soll.

Wir haben in Deutschland ganz sichere Persönlichkeiten nur vier oder fünf. Und deshalb müssen wir intensiv arbeiten. Tun wir das, dann werden wir die Mittel und Wege finden, vorwärts zu dringen. Finden wir diese Mittel und Wege in Deutschland nicht, dann wür­den wir wohl jetzt etwas unterlassen, was so schnell nicht wieder gut gemacht werden kann.

Meine nächste exoterische Aufgabe ist, soviel ich nur kann> die Lehre zu verbreiten.

#SE264-046

Hoffentlich leben Sie sich, liebes, verehrtestes Fräulein Scholl, in Köln gut ein und können dort für unsere Sache und zu Ihrer Befrie­digung wirken. Wie geht es Ihrer Pflegebefohlenen?

In der Hoffnung, bald wieder von Ihnen zu hören, bin ich herz­lichst grüßend

ganz

Frl. von Sivers läßt herzlichste Grüße senden. Ihr Rudolf Steiner

#TI

An Günther Wagner in Lugano

Günther Wagner hatte am 14.Nov.1903

an Rudolf Steiner geschrieben:

#TX

Geehrter Herr Doktor!

Eingeschlossen, respektive mit gleicher Post sende ich Ihnen das Manu­skript des Leadbeaterschen Artikels «Unser Verhalten den Kindern gegen­über», um den Sie mich bei Gelegenheit meiner Anwesenheit in Berlin ba­ten, um ihn in dem «Luzifer» abzudrucken. 1)

Es war mir sehr erfreulich, Sie bei der Jahresversammlung haben ken­nenlernen zu können, und ich hoffe, daß wir noch lange am gemeinsamen Werke tätig sein und uns gegenseitig unterstützen werden.

Lieb wäre es mir, wenn Sie mir eine spezielle Auskunft geben möchten:

Die Andeutung über ein Rätsel, das jede Rasse zu lösen habe, war mir voll­ständig neu; in der «Secret Doctrine» habe ich nichts darüber gefunden.

Würden Sie mir die vier Rätsel nennen können, die die vier ersten Rassen (anscheinend doch> gelöst haben? Auch H.P. B.'s Andeutung darüber wür­de ich gern lesen, vielleicht geben Sie mir die genaue Stelle an.»2)

Inzwischen zeichnet hochachtungsvoll

Ihr Günther Wagner

1) Erschienen in Nr.7 vom Dezember 1903 der von Rudolf Steiner begründeten una heraus gegebenen Zeitschrift «Luzifer». Zeitschrift für Seelenleben und Geisteskultur - Theoso­phie.

2) Die Frage bezieht sich auf Ausführungen Rudolf Steiners bei der ersten Generalversamm­lung der deutschen Sektion in Berlin am 18. Oktober 1903, an der Günther Wagner teilge­nommen hatte. Vgl. hierzu Seite 255 f. im Anhang zu «Die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen» (Abschnitt «Rudolf Steiners Wirken und das fünfte der sieben großen Geheimnisse des Lebens»).

#SE264-047

#TI

Rudolf Steiner antwortete wie folgt:

Berlin, 24. Dezember 1903

#TX

Streng vertraulich!

Verehrter lieber Herr Wagner!

Seite 73 der (deutschen Ausgabe) «Geheimlehre» steht mit Bezug auf Strophe I, 6 (Dzyan): «Von den sieben Wahrheiten oder Offen­barungen sind uns bloß vier ausgehändigt, da wir noch in der vierten Runde sind.» - Ich habe nun - als Sie in Berlin waren - im Sinne ei­ner gewissen okkulten Tradition darauf hingedeutet, daß die vierte der oben gemeinten sieben Wahrheiten zurückgeht auf sieben esoteri­sche Wurzelwahrheiten> und daß von diesen sieben Teilwahrheiten (die vierte als das Ganze betrachtet) jeder Rasse eine - in der Regel -ausgeliefert wird. Die fünfte wird ganz offenbar werden, wenn die fünfte Rasse ihr Entwickelungsziel erreicht haben wird. Nun möch­te ich Ihrer Frage entsprechen> so gut ich es kann. Gegenwärtig liegt die Sache so, daß die vier ersten Teilwahrheiten Meditationssätze für die Aspiranten der Mysterien bilden und daß nichts weiter gegeben werden kann als diese (symbolischen) Meditationssätze. Aus ihnen geht dann für den Meditierenden auf okkultem Wege manches Hö­here hervor. Ich setze also die vier Meditationssätze - in deutsche Sprache aus der symbolischen Zeichensprache übertragen - hierher:

I. Sinne nach: wie der Punkt zur Sphäre wird und doch er selbst bleibt. Hast du erfaßt, wie die unendliche Sphäre doch nur Punkt ist, dann komme wieder, denn dann wird dir Unendli­ches in Endliches scheinen.

II. Sinne nach: wie das Samenkorn zur Ähre wird, und dann kom­me wieder, denn dann hast du erfaßt, wie das Lebendige in der Zahl lebt.

III. Sinne nach: wie das Licht sich nach der Dunkelheit, die Hitze nach der Kälte, wie das Männliche nach dem Weiblichen sich sehnt, dann komme wieder, denn dann hast du erfaßt, welches Antlitz dir der große Drache an der Schwelle weisen wird.

#SE264-048

IV. Sinne nach: wie man in fremdem Hause die Gastfreundschaft genießt, dann komme wieder, denn dann hast du erfaßt, was dem bevorsteht, der die Sonne um Mitternacht sieht.

Nun ergibt sich, wenn die Meditation fruchtbar war, aus den vier Geheimnissen das fünfte. Lassen Sie mich vorläufig nur so viel sagen, daß die Theosophie - die Teil-Theosophie, die etwa in der «Geheim-lehre» und ihrer Esoterik liegt - eine Summe von Teilwahrheiten des fünften ist. Eine Andeutung, wie man darüber hinauskommt, finden Sie in dem von Sinnett angeführten Briefe des Meisters K. H., der mit folgenden Worten beginnt: «Ich habe jedes Wort zu lesen...». In der ersten (deutschen) Ausgabe der «Okkulten Welt» steht er auf Seite 126 und 127.s>

Ich kann Ihnen nur die Versicherung geben, in dem Satze K. H.'s (Seite 127) «Wenn die Wissenschaft gelernt haben wird, wie Ein­drücke von Blättern ursprünglich auf Steinen zu Stande kommen...», in diesem Satze liegt fast das ganze fünfte Geheimnis auf okkulte Weise verborgen.

- - -

1) Der erwähnte Wortlaut aus »Die okkulte Welt« von A. P. Sinnett lautet:

« -- Natürlich wünschte ich mehr hierüber zu erfahren; war es ein Prozeß, vermittelst des­sen die Gedanken schneller ausgedrückt werden konnten als durch die uns bekannten? Und in bezug auf empfangene Briefe - wurdsn sie von dem okkulten Empfänger auf ge­wöhnliche Art gelesen, oder verstand er den Inhalt ohne dieses?

K. H.'s Antwort war: Ich habe jedes Wort zu lesen, das Sie schreiben, sonst würde ich ei­ne schöne Unordnung machen. Und ob dies nun mit meinem physischen oder geistigen Auge geschieht - beides erfordert gleich viel Zeit. Dasselbe kann ich von meinen Antwor­ten sagen; denn ob ich sie diktiere oder präzipitiere, oder selbst schreibe, der Unterschied in der dadurch gesparten Zeit ist sehr klein. Ich muß sie erst überdenken, dann jedes Wort, jeden Satz, sorgfältig in meinem Gehirn photographieren, ehe es durch Präzipitation wie­derholt werden kann. Ebenso wie beim Photographieren, das Fixieren von Bildern auf che­misch präparierten Platten, eine vorherige Anordnung innerhalb des Brennpunktes des darzustellenden Gegenstandes nötig macht, - da sonst, wie oft an schlechten Photogra­phien zu sehen ist, die Beine des Sitzenden außer allem Verhältnis mit dem Kopfe stehen usw. - so auch müssen wir zuerst unsere Sätze ordnen, und jeden Buchstaben, der auf dem Papier erscheinen soll, unserem Geist einprägen, ehe er gelesen werden kann. Das ist für jetzt alles, was ich Ihnen sagen darf. Wenn die Wissenschaft mehr über das Geheimnis des Litophyls (oder Lithobiblion) gelernt haben wird, und wie die Eindrücke von Blättern ur­sprünglich auf Steinen zu Stande kommen, dann wird es mir möglich sein, Ihnen den Pro­zeß klarer zu machen. Vor allem müssen Sie eines wissen und im Gedächtnis behalten:

- daß wir nur der Natur folgen und sie in ihren Werken ganz genau kopieren.»

Zu diesen sogenannten präzipitierten Meisterbriefen siehe die Vorbemerkungen des Herausgebers zur Trennung von der Esoteric School of Theosophy auf Seite 263 f.

#SE264-049

Das ist alles, was ich zunächst über Ihre Fragen zu sagen vermag. Weiteres vielleicht auf weitere Fragen.

Die vier obigen Sätze sind das, was man lebendige Sätze nennt, d.h. sie keimen während der Meditation und es wachsen aus ihnen Sprossen der Erkenntnis.

Mit frohem Weihnachtsgruß in Treuen ganz Ihr

Rudolf Steiner Berlin W, Motzstrasse 17

#TI

An Mathilde Scholl in Köln [Postkarte]

Berlin, 24. Dezember 1903

#TX

Verehrtestes Fräulein Scholl!

Herzlichsten Weihnachtsgruß Ihnen dreien 1) und die Nachricht, daß Sie Sonnabend erhalten die Diplome und die Exegese zu «L.a.d.W.» [«Licht auf den Weg»]. Bitte noch bis dahin Geduld.

Schönsten Gruß ganz Ihr

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Mathilde Scholl in Köln

Berlin, 28. Dezember 1903

Verehrtes liebes Fräulein Scholl!

#TX

Beifolgend den Anfang zur Interpretation von «Licht auf den Weg». Diese soll den Weg geben, auf dem über das Buch meditiert werden soll. Ich setze baldigst für Sie die Interpretation fort.

1) Gemeint sind Mathilde Scholls Freunde und Hausgenossen, Maud und Eugen Künstler.

#SE264-050

Die Diplome sende ich spätestens morgen nach. Ich möchte, daß dieser Brief sogleich an Sie abgeht.

Grüßen Sie herzlichst Ihre lieben Hausgenossen [Künstlers]

und nehmen Sie selbst die

herzlichsten Grüße entgegen Ihres

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Clara Smits in Düsseldorf

Berlin, 28. Dezember 1903

#TX

Verehrteste gnädige Frau!

Sie haben wohl die Übungen in der begonnenen Weise fortge­setzt. Ich bitte Sie nun, auch im Monate Januar noch in ganz genau derselben Weise zu verfahren, wie ich es in meinem letzten Briefe beschrieben habe. 1) Nur den Satz, den ich damals angegeben habe, bitte ich Sie, durch den nachfolgenden zu ersetzen:

Ein jedes Wesen, dem du deine Liebe schenkst, eröffnet dir sein Wesen; denn die Lieblosigkeit ist ein Schleier, der sich vor die Dinge der Welt legt und sie verhüllt. - Soviel du Liebe ausströmst, so viel Erkenntnis strömt dir zu.

*

Ich möchte zum Verständnis dieses Meditationssatzes einiges hin­zufügen. Es ist durchaus so, daß uns so viel von Erkenntnis aus der Welt zuströmt, als wir selbst Liebe ausströmen. Allerdings dürfen wir nicht glauben, daß uns in jeder Entwickelungsphase des Lebens alle Erkenntnis sogleich bewußt ist. Vieles ist zunächst unbewußt in uns. Und deshalb bitte ich Sie, standhaft die Meditation fortzuset­zen. Nur wenn wir das tun, und uns klar sind, daß kein Tag verloren

- - -

1) Dieser Brief liegt nicht vor.

#SE264-051

ist, den wir ihr widmen, kommen wir vorwärts. Jeder Tag spei­chert Erkenntnis in uns auf; und auch der kommt gewiß, der sie uns dann in vollem Bewußtsein erscheinen läßt. - Die Sätze, über die wir meditieren, sind nicht Verstandessätze, die wir bloß begreifen sollen; ich kann nur immer wieder und wieder sagen: es sind Sätze, die leben, und mit denen wir selbst leben sollen, wie wir mit Kin­dern leben. Auch die Kinder kennen wir ja genau, und dennoch be­schäftigen wir uns jeden Tag aufs neue mit ihnen. So soll es mit un­seren Meditationssätzen sein.

Also alles andere bleibt auch im Januar in Ihrer Meditation so wie es war; nur der Satz des Dezember wird durch den oben angegebe­nen ersetzt. Ich bitte Sie, verehrteste gnädige Frau, immer alles so fortzusetzen, wie einmal angegeben, bis ich Ihnen wieder schreibe. Sie können sicher sein, daß Sie von Zeit zu Zeit den entsprechenden Brief erhalten. Wenn es einmal ein paar Tage nach der erwarteten Zeit geschieht, so schadet das nicht.

Es war mir sehr lieb, daß ich Sie auch das letzte Mal in Köln gese­hen habe. Gerne hätte ich Sie damals nochmals aufgesucht - aber die Zeit drängte so. Lohf hat nun die Aussicht eröffnet, daß sich in Düs­seldorf wenigstens 6 Personen finden werden> mit denen er den Zweig rekonstruieren kann. Es wäre das sehr zu wünschen. Von Ih­nen, verehrteste Frau, weiß ich, daß Sie das mögliche tun. Auch weiß ich, wie schwer alles ist. Aber unserem vereinigten Zusammen­wirken muß gelingen, was die theosophische Bewegung von denen verlangt, die ihre Bedeutung erkennen. Niemand kann sich dieser Bewegung dann noch entziehen, wenn er ihre Bedeutung erkannt hat.

Hoffentlich sehen wir uns auch recht bald wieder.

Herzlichst ganz Ihr Dr. Rudolf Steiner

Berlin W, Motzstrasse 17

#SE264-052

#TI

An Clara Smits in Düsseldorf

Berlin, 24. Februar 19C4

#TX

Sehr verehrte Frau Smits!

In den nächsten Tagen hoffe ich Sie also zu sehen. Fräulein Scholl schrieb mir, daß Sie für Montag in Düsseldorf einige Leute zusam­menbringen wollen. Das wird schön sein, wenn es auch noch so we­nige sind. Bitte nur eine geeignete Stunde zu wählen. Ich richte mich ganz danach, was Sie für angemessen halten.

Es ist mir sehr lieb, Sie wegen Ihrer Meditation wieder sprechen zu können. Jch hoffe, es ist bis jetzt alles gut gegangen. Ich gebe Ih­nen, wenn ich bei Ihnen sein werde, genaue Angaben über die Fort-setzung.

Also auf Wiedersehen

ganz Jhr

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Doris und Franz Paulus in Stuttgart

Zürich, 14. April 1904

#TX

Verehrteste Frau und Herr Doktor!

Bevor der 16. heranrückt, möchte ich Ihnen noch einige Zeilen über die nächsten Tage der Meditation schreiben. Ich bitte Sie also den Teil, der in meinen Ausführungen angezeigt ist, mit der «Stim­me der Stille» so auszufüllen, daß Sie in den ersten vierzehn Tagen die ersten beiden Sätze der Schrift in dem Blickfeld des Bewußtseins sein lassen. Ich meine (mit Auslassung des allerersten Satzes) die fol­genden:

«Wer des Geistes Stimme außer sich verstehen will, der muß des

eigenen Geistes Wesen erst erleben -

#SE264-053

Wenn der Suchende die Welt der Sinne nicht mehr allein hören will, so muß er den suchen, welcher diese Welt erzeugt, er muß in Gedanken leben, welche die Sinnenwelt zur Scheinwelt machen.»

Es kommt nicht darauf an, daß man über diese Sätze spekuliert, sondern darauf, daß man ein paar Minuten mit ihnen lebt. Dazu muß man sich ihren Inhalt vorher so angeeignet haben, daß man ihn mit einem geistigen Blicke überschauen, geistig vor sich hinstellen [kann), und ohne daß man über ihn spintisiert, hingebend auf sich wirken läßt. Denn nur dadurch wird die Meditation fruchtbar, daß man die zu meditierenden Gedanken auf sich in voller Ruhe ein­strömen läßt.

Sollte etwas nicht stimmen oder unklar sein, so bitte ich um dies­bezügliche Fragen, die ich sogleich beantworten werde. Von Lugano aus schreibe ich Ihnen die versprochene Interpretation der sieben Stimmen, die ja erst in den zweiten vierzehn Tagen daran kommen können. 1)

Desgleichen schreibe ich dann sogleich, wenn ich ankomme, über die Bresch-Ausführungen. 2)

Heute möchte ich Ihnen beiden nur noch sagen, daß ich mit tief­ster Befriedigung erfüllt worden bin durch die Neigung, die Sie für die Theosophie haben. Wenn man den Weltberuf der Theosophie kennt, dann weiß man die Anteilnahme tieferer Naturen zu schät­zen. Über die Mitteilungen von Frau Doktor werde ich in den näch­sten Tagen noch manches zu schreiben haben. In München war jede Stunde ausgefüllt, und auch hier in Zürich sind die Theosophen von hier und der Umgebung versammelt. In kurzer Zeit aber geht der Zug ab.

Also vorläufig alles herzliche Ihnen beiden und Arensons

Adresse vorläufig: von Ihrem

Dr. Rudolf Steiner

bei Herrn Günther Wagner Rudolf Steiner

Lugano Castagnola (Schweiz)

1) Erfolgte mit Brief vom ii. August 1904.

2) Oh dies erfolgt ist, ist nicht bekannt.

#SE264-054

#TI

An Doris und Franz Paulus in Stuttgart

London, 14. Mai 1904

#TX

Streng vertraulich.

Verehrteste Frau und Herr Doktor!

Vielfache Arbeit und Reisen haben es mir bis heute nicht möglich gemacht> Ihre lieben Briefe ausführlich zu beantworten. Ihr letztes Schreiben ist mir besonders lieb, denn ich sehe, daß Sie die Medita­tionsarbeit fortgesetzt haben, und das bitte ich immer so zu halten. Sie können versichert sein, daß Sie zur rechten Zeit immer von mir das Nötige erhalten. Ich mußte gerade wegen unserer esoterischen Arbeit in Deutschland die letzten Tage in London hier bei unserem spirituellen Oberhaupte Mrs. Besant zubringen, um von ihr volle esoterische Autorisation für alles zu erlangen, was ich auf diesem Felde tue. Denn Sie können versichert sein, daß im Esoterischen je­de Anweisung, jeder Rat in der allersorgfältigsten Weise und unter wirklicher Leitung der großen spirituellen Führer des Menschenge-schlechtes gegeben werden. Zweifeln Sie nicht, daß Sie über kurz oder lang durch die Meditationsarbeit selbst den Weg zu diesen Füh­rern finden werden. Wer erlebt hat, was ich erlebt habe, der darf so sprechen. Ich bitte Sie nun, auch noch in den nächsten Wochen die Teile der «Stimme» zu meditieren, welche den sieben Stimmen vor­angehen. Ich werde unter Autorisation in den nächsten Tagen diese sieben Stimmen interpretieren und Sie erhalten dann ein erstes Exemplar der Interpretation. Es wird dann noch viel mehr Wert für Sie haben, als wenn ich es Ihnen vor 14 Tagen noch ohne volle Au­torisation gegeben hätte. Denn mein esoterisches Wirken hat erst in den letzten Tagen noch die volle Weihe erhalten.

Nun wende ich mich zu Ihren Fragen, liebe Frau Doktor. Wäre ich nicht Esoteriker und stünde ich nicht im spirituellen Leben, so würde ich vielleicht sagen: Ihre Fragen in Stuttgart und später die brieflichen haben mich überrascht. Aber durch die genannten Eigenschaften

#SE264-055

war ich für die Erkenntnis Ihres tiefen psychologischen Blickes voll vorbereitet. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie haben gute psychische Gaben und eine schöne Vorbedingung sowohl zur spiri­tuellen Erkenntnis wie auch zum Wirken in der physischen Welt von den spirituellen Plänen aus. Was Sie erleben, zeigt einfach, daß Sie Verbindung haben mit den spirituellen Mächten der Welt, und Ihre ganze Art zeigt wieder, daß Sie berufen sind, diese geistigen Ga­ben in edler Art zur Hilfe für die Menschen anzuwenden. Sie fragten mich u.a. wiederholt, wer ich sei. Es wird wohl auch die Zeit kom­men, in der wir darüber sprechen können. Doch heute will ich Ih­nen nur sagen, daß ich Berechtigung zu dem Glauben habe: Sie ha­ben mir selbst in einem früheren Leben einmal einen recht großen Dienst geleistet. Mißverstehen Sie mich nicht. Irrtümer sind natür­lich auch bei spirituellen Beobachtungen nicht ausgeschlossen. Ich bin aber kein Mensch, der in Illusionen lebt. Ich bin auf den spiri­tuellen Feldern einer derjenigen, die man vorsichtig, und wohl auch «nüchtern» nennt. Deshalb darf ich von berechtigtem Glauben spre­chen. Es hat in meinem früheren Leben vor Jahrhunderten eine Per­sönlichkeit die Rolle gespielt, daß sie mich einer gewissen Familien-sphäre entriß und mir die Wege damals möglich machte, die zu mei­nem damaligen Berufe, einem katholischen Priester, nötig waren. Es waren Zeiten, in denen die Kirche noch nicht ganz verfallen war wie heute. Sie bewiesen damals die Vorurteilslosigkeit, die mir auch heu­te so groß an Ihnen erscheint. Sie haben sich damals wohl auch die Bedingungen zu Jhrem heutigen Leben geschaffen. Das sind Andeu­tungen, die ich Sie bitte so kritisch wie möglich aufzunehmen; aber ich kann Ihnen nur sagen, daß ich sie mit Grund für vollberechtigt halte. Es wird Ihnen, wenn Ihnen plausibel erscheint, was ich sage, auch klar sein, daß Sie zu psychischem Leben berufen sind. Er­schrecken Sie vor dieser Veranlagung nicht. Solche Gaben müssen wir als ein Heiligtum betrachten; wir müssen mit ihm leben, so ver­traut, wie wir mit den Tischen und Personen unserer physischen Umgebung leben. Wir müssen Sie ganz objektiv hinnehmen, und unser Selbstbewußtsein, unser «Ich» stets intakt und als festen Mit­telpunkt erhalten.

#SE264-056

Niemals dürfen wir uns unfrei machen lassen von solchen Einflüs­sen. Sie sind uns geschenkt; aber niemals mit der Absicht, uns zu überwältigen. Was auch kommen mag, halten Sie fest an dem Grundsatz: alle Mächte der Welt, physische wie geistige, sind in der gegenwärtigen Entwickelungsepoche der Welt dazu da, daß der Mensch als freies, selbstbewußtes, denkendes, auf sich selbst gestütz­Les Wesen zunächst hier auf dieser Erde seine Aufgabe erfülle. Die geistigen Mächte und Einflüsse sollen ihn nur leiten, hier die rechten Wege zu finden. Und insbesondere ist heute die Frau berufen, ihr Selbst zu finden und geltend zu machen. Alles, was auf diesem Ge­biete geschieht, wird zum Heile der Menschheit beitragen.

Ich bin am 17. Mai wohl wieder in Berlin und schreibe Ihnen dann diesen Brief weiter. 1) Für heute sage ich Jhnen beiden noch allerherzlichste Grüße von hier aus

in Treuen ganz Jhr

Rudolf Steiner

#TI

An Adolf Arenson in Bad Cannstatt

aus London, 14. Mai 1904

#TX

Dieser Brief hat sich nicht erhalten, jedoch die Antwort von Adolf Arenson vom 27 Mai 1904:

Lieber Herr Doktor!

Ihre freundliche Mitteilung aus London hat mich sehr erfreut und be­glückt. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen zu mir - ganz gewiß, ich werde mich dessen würdig zeigen, auch wenn meine Meditationsversuche viel­leicht nicht den Erwartungen entsprechen sollten. Das hängt zum Teil nicht nur von meinem Willen ab; aber daß diese tägliche Sammlung mei­nen Charakter beeinflußt und mich strenger gegen mich selbst macht, das empfinde ich schon jetzt. Ich fühle einerseits meine Mängel empfindlicher

- - -

1) Brief vom 11. August 1904

#SE264-057

als je, andererseits ist trotzdem mehr Ruhe in mir, weil ich mich auf richti­gem Pfad weiß. 1)

Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Herzlich und ergeben

Ihr Adolf Arenson.

#TI

An Mathilde Scholl in Köln

Berlin, 18. Mai 1904

#TX

Verehrtes liebes Fräulein Scholl!

Eben bin ich aus London zurückgekommen. Auf der Herreise ha­be ich noch in Hannover einen Vortrag gehalten. 3)

Es obliegt mir nun vor allem, auf Ihre Meditationsarbeit einzuge­hen. Ihr Brief vom 15. d. M. 3) drückt eine Empfindung aus, die Siege­genüber Ihrem inneren Erfahren haben. Sie sagen: «ich bin nicht mehr verzweifelt darüber, wenn ich das geistige Leben zeitweise we­niger stark empfinde.» Das ist die rechte Stimmung der Gelassenheit, die den innerlich Arbeitenden immer mehr beherrschen muß. Der rechte Fortgang stellt sich immer mehr ein, je mehr man in die Stim­mung kommt: alles in Stille und Ergebenheit hinzunehmen, was sich auch einstellen mag. Man muß durchaus nichts erzwingen wollen, sondern gelassen warten, was kommt. Wie es Ihnen auch selbst erscheinen

- - -

1) Der Brief Rudolf Steiners enthielt offenbar die Mitteilung, daß Adolf Arenson in die Esote­ric Schnol aufgenommen wird. Er hatte aber schon vorher von Rudolf Steiner Anweisun­gen erhalten (siehe unter «Individuell gegebene Übungen»), denn er schrieb ihm am 9. Mai 1904: »Unserer Verabredung gemäß berichte ich Ihnen heute, wie es mir mit meinen Medi­tationaversuchen ergangen ist.» Und am Schluß dieses Briefes heißt es: «Dann möchte ich Sie bitten, mich der Esoteric Society vorzuschlagen; ich äußerte ja bei Ihrem Hiersein den Wunsch, einzutreten. Ich weiß allerdings nicht, welche Bedingungen gestellt werden, auch nicht, wozu es verpflichtet; aber was auch verlangt werde, ich fühle, wenn auch nicht die Kraft, so doch den ehrlichen Willen in mir, es unentwegt anzustreben. - Muß ich direkt um Aufnahme bitten? Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir auf diese Fragen eine Zeile der Antwort zukommen lassen würden. In dankbarer Verehrung Ihr Adolf Arenson.»

2) Am 15. Mai 1904 öffentlich über »Geburt und Tod im Leben der Seele, ein Blick in die eheosophische Weltanschauung» (keine Nachschrift).

3) Dieser Brief liegt nicht vor.

#SE264-058

mag: Sie sind weiter gekommen, und werden immer weiter kommen. Ich habe in dieser Beziehung über Sie auch zu Frau Besant gesprochen. Denn es war im wesentlichen meine Mission jetzt in London, mit Frau Besant über die E. S. und ihre Aufgabe in Deutschland zu sprechen. Nun konnte mich schon jetzt Frau Besant zum «Arch-Warden of the E.S.» ernennen mit der Bestimmung, daß, was ich tue, in ihrem eigenen Namen getan ist. Zu dem nächsten, was ich nun mit ihr zu besprechen hatte, war, Sie, wirklich als Mit­glied «ersten Grades» in die Schule aufzunehmen. Ich werde Ihnen nun in einigen Tagen die «Regeln» des «ersten Grades» senden, und Sie werden mir dann sagen, wie Sie sich stellen. - Vorerst aber habe ich Ihnen zu sagen, daß die Mitglieder der E.S. durch die Aufnahme in den «ersten Grad» in wirkliche okkulte Verbindung mit dem spi­rituellen Strom kommen, der von den Meistern ausgeht, und daß Ih­nen das im Laufe der Zeit immer mehr und mehr - wenn auch viel-leicht langsam - zum Bewußtsein kommt. Daß Sie die Stufe zur Aufnahme erreicht haben, kann ich vor den «gesegneten Meistern» voll vertreten. Was ich Ihnen mündlich mitzuteilen habe, teile ich Ihnen mit, wenn wir uns nachstens treffen - wohl in Amsterdam. 1) Der Erfolg der deutschen theosophischen Bewegung hängt davon ab, daß wir einen Grundstock von solchen Theosophen haben, die esoterisch arbeiten. Sie sind ausersehen, auch vor allem in dieser Richtung zu helfen. Es sind ernste Worte, die ich an Sie richte, doch sind Sie ja immer bereit> das Ernste auch ernst aufzunehmen.

Über alles andere in dieser Richtung schreibe ich Ihnen nächstens noch mehr.

Lassen Sie sich vor allen Dingen nicht schrecken durch Dinge, wie die sind, die Sie, nach Ihrem Briefe, erlebt haben. Solches sind Rückwirkungen (Reaktionen) des durch die Meditation engagierten Astralkörpers auf den Äther- und dadurch auf den physischen Kör­per. Was Sie sehen, sind zunächst physisch-ätherische Vorgänge, die in Ihren eigenen physischen Organen mitbegründet sind. Die Ursa­chen dazu liegen in Ihrem Astralkörper, der durch die Meditation erregt

1) Beim Kongreß der Föderation europäischer Sektionen der Theosophischen GeseI]schaft im Juni 1904.

#SE264-059

wird. Das alles wird überwunden. Und an die Stelle dieser Din­ge tritt später die Verkörperung wirklicher übersinnlicher Erlebnis­se. Es muß eben alles durchgemacht werden. In Ruhe.

Das Diplom für Frl. v. Dessauer lege ich bei 1) - alles übrige dar­über erledigen Sie, bitte, mit Frl. von Sivers

In Köln geht es also wohl gut vorwärts. - Es wäre recht notwen­dig, daß auch in Düsseldorf der formelle Zusammenschluß recht bald erfolgte.

Grüßen Sie aufs herzlichste Ihre Hausgenossen und seien Sie

selbst herzlichst gegrüßt von Ihrem

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Mathilde Scholl in Köln

Mathilde Scholl hatte am 13. Juli1904

an Rudolf Steiner geschrieben:

#TX

Eben schreibt mir Frau Lübke, daß sie in England das «pledge» unter­schrieben habe und macht mich mit Besorgnis darauf aufmerksam, daß ich Sie bitten soll, mich doch auch gleich das «pledge» unterschreiben zu las-sen, falls Sie mir die anderen Papiere auch noch nicht schicken könnten. Es seien einige Änderungen in der Schule gemacht, über die sie aber mir nichts Näheres mitteilen könne, ehe ich das «pledge» unterschrieben hätte.

Ich habe nun überhaupt nichts darüber geäußert, daß ich noch nicht un­terschrieben hätte oder keine Papiere erhalten, weil ich das nicht für so wichtig hielt. Da Frau Lübke sich aber Sorgen deshalb zu machen scheint, teile ich Ihnen dieses mit. Da Sie selbst und Mrs. Besant mich aufgenom­men haben, halte ich dies allein für wichtig. Meine Gesinnung kennen Sie ja ganz und gar, gleichviel ob ich noch mündlich oder schriftlich ein beson­deres Versprechen gebe. Sie wissen, daß ich im Grunde zu allem bereit bin,

1) Bezieht >ich auf die Mitgliedschaft in der Theosophischen Gesellschaft.

#SE264-060

was man auch von mir verlangen könnte. Ich verstehe nicht, wie äußere Veränderungen in der Schule den Grad der Entwickelung eines Menschen beeinflussen könnten. - Doch muß irgend etwas Ernstes und Wichtiges da­bei sein, da Frau Lübke, deren rechte Hand unbrauchbar und in ärztlicher Behandlung ist, mir mit großer Mühe mit der linken Hand schrieb. Ich bin ihr gewiß dankbar dafür, aber ich glaube, sie ängstigt sich umsonst. Sie wer­den ja sehen, was Sie tun wollen. . .

#TI

Rudolf Steiner antwortete wie folgt:

Berlin, 14. Juli1904

#TX

Liebes Fräulein Scholl!

In der Anlage sende ich Ihnen die Pledge. Ich bitte, sie abzuschrei­ben und mir Ihre Abschrift mit Ihrer Unterschrift zu senden zur Weitergabe an Mrs. Besant. 1) Es ist in der Pledge enthalten, was die Mitglieder der E.S. vereint. Selbstverständlich gelten alle Verpflich­tungen, die schon der Shrâvaka übernommen hat, fort. Wenn Sie mir die Pledge unterschrieben gesandt haben, sende ich Ihnen auch provisorisch einige Papiere. Anderes kann jetzt augenblicklich noch nicht gegeben werden, aber bald.

Wegen etwaiger Änderungen in der Schule ängstigen Sie sich nur ja nicht. Solche Dinge beziehen sich ja nie auf die innere Entwicke­lung der einzelnen Mitglieder, sondern auf das Herabwirken der

1) Erfolgte am 15. Juli mit folgendem Begleitbrief:

«Einliegend sende ich Ihnen das «Versprechen». Ich gebe es gern und in jedem Punkt von ganzem Herzen. Möchte es mir gelingen, es möglichst treu zu erfüllen.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre freundlichen Worte. Viel Ruhe, Mut und Kraft schöpfe ich Immer aus dem, was Sie mir sagen, ebenso aus dem, was Sie in Ihren Schriften sagen, so jetzt aus dem letzten «Luzifer«.Heft. So sehr ich mich über jede Zeile von Ihnen freue und so lieb es mir sein wird, die Fortsetzung der Exegese von »Licht auf den Weg» zu bekom­men, so bitte ich Sie, diese doch nur dann zu schreiben, wenn Sie Zeit finden können, ohne von der zu Ihrer Ruhe unbedingt nötigen Zeit etwas darauf zu verwenden. Ihre Kraft muß uns vor allem erhalten bleiben. Darum sollten Sie sich auch physisch nur ja nicht überar­beiten. Wir machen uns alle Sorgen darum. Aber ich vertraue darauf, daß Sie auch selbst als notwendig ansehen, sich der Welt und uns zu erhalten. Wir wollen und müssen alle noch so viel von Ihnen hören und lernen.»

#SE264-061

Schule von den höheren auf den physischen Plan vor und in der Welt. Da muß man natürlich immer berücksichtigen,' was der Welt frommt. Sie, die Sie eine treue, hingebungsvolle Schülerin der E.S. sind und die Sie sich durchaus auf dem rechten Wege befinden, wird die Änderung überhaupt nicht erheblich berühren. 1)

Die einzelnen Punkte der Pledge sind notwendig zu halten, wenn wir vorwärts kommen wollen auf dem okkulten Pfade. Es braucht aber nichts pedantisch, nur alles streng genommen zu werden. Auf die Gesinnung kommt es allein an. Wie man der theosophischen Be­wegung eine Stütze zu sein hat, dies kann man ganz selbst entschei­den. Es kann durch Stellung, Lage, sogar notwendig sein, vor der Welt nicht zu sagen, daß man Theosoph ist. Wirkt man - noch so still - aber ernstlich, so hat man sein Wort gelöst.

Auf die Rede zu sehen, daß man immer weniger und weniger an­dere durch sie verletzt, kommt vieles an. Das führt zur Öffnung des Tores> das von den Meistern abschließt. Schwächen Anderer sollen nie unseren Tadel - wenigstens nicht den unseres Herzens - finden, sondern sie sollen auf jede Art von uns zu verstehen gesucht werden.

Das Studium übernimmt jeder E.S. Schüler als eine Pflicht.

Die Interpretation von «L. a. d. W.» [«Licht auf den Weg»] erhal­ten Sie jetzt sicher bald.2) Alles andere beantworte ich auch sicher noch diese Woche.

Herzlichst

ganz Ihr

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

1) Näheres nicht bekannt.

2) Siehe Brief vom 9. August 1904

#SE264-062

#TI

An Amalie Wagner in Hamburg

Berlin, 2. August 1904

#TX

Verehrtes, liebes Fräulein Wagner!

Heute ist es mir möglich, Ihnen die ersten Mitteilungen bezüglich der E.S. zukommen zu lassen. Das erste muß sein, über die Bedeu­tung der Schule zu sprechen. Die esoterische Schule ist eine okkulte Einrichtung, das heißt, sie steht unter der Leitung von hochentwik­kelten Individualitäten. Das sind Menschen> welche den Weg bereits durchgemacht haben, welcher der Mehrzahl der Menschen noch be­vorsteht. Solche hochentwickelten Individualitäten sind im Besitze eines hohen Grades von Weisheit, sind ausgestattet mit einem unbe­grenzten Quell von Menschenliebe und mit der Gabe, denjenigen zu helfen, welche den Pfad der Vollkommenheit gehen wollen.

Diejenigen, welche in den Orden der Shrâvakas eintreten, ver­pflichten sich zu nichts anderem als dazu, bewußt nach Kräften an ihrer eigenen Vervollkommnung zu arbeiten, damit sie immer mehr und mehr auch zu Dienern in der Vervollkommnung des ganzen Menschengeschlechts werden. Jeder kann natürlich nur so viel tun, als in seinen Kräften liegt. Die Schule verlangt nichts. Sie will nur die Mittel an die Hand geben, durch welche jeder sich so vervoll­kommnen kann, wie es für ihn selbst und für die Menschheit not­wendig ist. Und um solches zu erreichen, sind die genannten voll­kommenen Individualitäten auf okkulte Art behilflich. Wer das «Versprechen» unterschreibt, für den beginnt auf eine ihm vorläufig vielleicht ganz unbewußte Art der Einfluß dieser vollkommenen In­dividualitäten. So arbeitet er einfach durch seine Zugehörigkeit zur Schule für die ganze Menschheit. - Alle Verpflichtungen, die der S. [Shrâvaka] übernimmt, übernimmt er nur gegen sich selbst. Denn ohne die Einhaltung dieser Verpflichtungen ist es unmöglich, das ge­steckte Ziel zu erreichen: und die Mitgliedschaft an der Schule wäre zwecklos.

Verehrtes Fräulein Wagner! Jch will Ihnen nun in aller Kürze ge­nau angeben, was zu tun ist. Beginnen können Sie mit allem erst am

#SE264-063

18. August. Und zu diesem Zeitpunkt müßte ich Sie bitten, den An­fang zu machen. Aus Gründen, die nur dem Okkultisten bekannt sind, muß der Anfang zu ganz bestimmten Zeiten gemacht werden. Später wird Ihnen das alles klar werden.

Dann wäre folgendes zu tun. 1. Am Abend, bevor Sie sich zur Ruhe begeben - am besten ganz vor dem Einschlafen - bitte ich Sie, zuerst folgenden Satz in Gedanken - jeden Abend - zu wiederholen:

Strahlender als die Sonne

Reiner als der Schnee

Feiner als der Äther

Ist das Selbst,

Der Geist in meinem Herzen.

Dies Selbst bin Ich,

Ich bin dies Selbst.

Wenn Sie dies durchdacht haben, aber so durchdacht, daß sich kein fremder Gedanke in Ihr Bewußtsein drängt, während Sie sich diesen Satz vorhalten: dann verwenden Sie 4 - 5 Minuten darauf, ei­ne Rückschau auf die Erlebnisse des Tages anzustellen. Da bitte ich Sie, diese Erlebnisse des Tages vor Ihrer Seele kurz vorüberziehen zu lassen und sich selbst klar zu machen, wie Sie sich zu diesen Ereig­nissen stellen. Man beobachtet sich da selbst, und fragt sich, ob und inwiefern man mit sich selbst einverstanden ist, was man besser hät­te erleben können, was man besser hätte machen können. So wird man sein eigener Beobachter. Der Sinn ist dabei der, daß man sich selbst von einem höheren Gesichtspunkt aus beobachtet, und all­mählich so das «höhere Selbst» über den Alltagsmenschen zum Herrscher wird. Dabei sollte aber alles wegfallen, was der Sorge, dem Kummer über das Erlebte gleichkommt. Wir sollen lediglich von unserm eigenen Leben lernen, es zur Lektion machen. Wir sol­len nicht in Reue an die Vergangenheit denken - dazu ist den übri­gen Tag hindurch ja Zeit - sondern mutig diese Vergangenheit für die Zukunft benutzen. Dann lernen wir für unser gegenwärtiges per­sönliches Dasein, und wir lernen vor allem für die Zeit, die über den Tod hinaus liegt.

#SE264-064

Wenn man in dieser Art die Tagesrückschau vollbracht hat, dann schläft man ein mit dem Gedanken an die Menschen> die man lieb hat und denen man helfen will. Es kann sich daran noch schliessen die Vorstellung eines Lebensideals, mit dem man besonders ver­wachsen ist.

Nun am Morgen. Möglichst bald nach dem Erwachen ist eine kleine Meditation zu leisten. Sie besteht in folgendem:

1. Wieder vorhalten obigen Gedankens: «Strahlender...»

2. Die eigentliche Meditation (6-8 Minuten)

Ich bitte Sie, dazu jeden Tag einen Satz zu nehmen aus der «Nach­folge Christi» von Thomas a Kempis. Dies in folgender Weise.

Sie nehmen in den ersten 8 Tagen aus dem 3. Kapitel «Wohl dem, den die Wahrheit.» Diesen Satz prägen Sie sich gut ein, so daß er Ih­nen ganz im Gedächtnis ist. Dann erfüllen Sie die angezeigten 6 bis 8 Minuten Ihr ganzes Bewußtsein mit diesem Satze. Es soll jeglicher andere Gedanke ausgeschlossen sein. Wir erreichen dadurch, daß wir einen solchen spirituellen lebendigen Satz in unser ganzes We­sen aufnehmen. Wir durchdringen uns mit ihm. Und er strahlt dann über alles, was wir tun und sind, seine Kraft aus. Sie behalten densel­ben Satz jeden Tag durch 8 Tage bei. Dann kommt der nächste Satz und so fort.

Der dritte Teil der Morgenmeditation ist die Devotion zu dem, was uns göttlich-heilig ist, zum Beispiel zu Christus. Das soll minde­stens 4 bis 6 Minuten dauern und in hingebender Verehrung unseres Heiligen Wesens bestehen.

Das sind zunächst alle Übungen. Durch diese Übungen wird es den vollkommenen Wesen (Meistern) möglich, an uns heranzukom­men, uns aufzunehmen in den Strom, der zur Vervollkommnung führt. Bezüglich 6. der Regeln 1) bemerke ich nur noch, daß die einzi­ge Ausnahme, in der ein Schluck Wein genommen werden darf, das heilige Abendmahl ist; da ist die schädliche Wirkung nicht vorhan­den, weil es sich um eine Zeremonie handelt. Diese Enthaltsamkeit

1) Dem Brief waren Regeln und ein Versprechen-Text beigefügt, siehe Seite 139.

#SE264-065

sonst sollte allerdings ganz streng geübt werden. Es handelt sich nicht darum, eine Pflicht gegenüber der Schule zu erfüllen, sondern darum, die Vollkommenheit zu fördern. Insbesondere beim Shrâva­ka wird es genügen, wenn im wesentlichen der Alkoholgenuß ver­mieden wird. Doch besser ist auch hier besser.

Das Buch 3. schreibe ich nächstens. 1) «Engel» ist der Engel in Ber­lin. Er hat die «Briefe, die mir geholfen haben» übersetzt.2) Ich bitte Sie aber, vorläufig die Dinge, die da angegeben sind, nicht zu üben, sondern. . . [Schluß des Briefes fehlt].

#TI

An Mathilde Scholl in Köln

Berlin, 9. August 1904

#TX

Verehrtes, liebes Fräulein Scholl!

Ich sende Ihnen anliegend, was Sie jetzt brauchen. 3) Baldigst Fort­setzung. Über Herrn Künstlers Anfrage in einem sogleich folgenden

Brief. 4) Herzlichst

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

1) Vermutlich ist damit die «Geheimwissenschaft im Umriß» als das drstte theosophische Buch gemeint (1. Buch »Das Christentum als mystische Tatsache» (1902), 2. Buch «Theoso­phie» (Mai 1904). Die »Geheimwissenschaft« war ursprünglich als zweiter Teil der «Theo­sophie» geplant und seit 1905 als in Vorbereitung angekündigt, konnte jedoch infolge der tlberbeanspruchung erst Ende 1909 erscheinen.

2) Ubersetzung aus dem Englischen; näheres nicht bekannt.

3) Aus der Antwort von Mathilde Scholl vom 10. August 1904 geht hervor, daß es sich bei der Beilage um eine Meditationsanweisung und um die Fortsetzung der Exegese von »Licht auf den Weg» gehandelt hat, um die sie ihn im Brief vom 13. Juli1904 gebeten hatte, siehe Seite 59.

4) Die Anfrage Eugen Künstlers bezog sich auf die im September vorgesehene Vortragsreise von Annie Besant. Rudolf Steiner antwortete ihm am 16. August 1904. Dieser Brief ist vor­gesehen für GA Nr. .263.

#SE264-066

#TI

An Doris und Franz Paulus in Stuttgart

Berlin, 11. August 1904

#TX

Verehrteste Frau und Herr Doktor!

Sie haben mir, liebe Frau Doktor, einen schönen poetischen Aus­druck Ihrer Stimmung geschickt. Er ist mir sehr wertvoll. Fr ist ja so voll von den in den Tiefen Ihres Wesens auferstehenden mystischen Gewalten, daß ich nur bewahrheitet finden muß, was ich vom An­fang unserer Bekanntschaft an Ihnen sah: Sie haben große Kräfte, gnädige Frau, und Sie vermögen viel. Und in gar nicht zu ferner Zeit wird sich Ihnen Ihre innere Fülle - zum Heil der Menschheit - auf eine Ihnen überraschende Weise offenbaren. Sie sind so lieb, mich in Ihrem Briefe «Führer» zu nennen. Ich kann und darf nur so weit führen> als der erhabene Meister, der mich selbst führt, mir die An­leitung gibt. Ich folge ihm mit vollem Bewußtsein bei allem, was ich Anderen sage. Und wenn Sie das anerkennen> so bitte folgen Sie mir in Einem, vielmehr folgen Sie ihm: in Geduld. Die rechte Stimmung ist die Geduld. Ich sage das nicht, weil ich ausdrücken will, daß Sie, verehrte Frau, diese Geduld nicht hätten, sondern weil wir uns im­mer wieder und wieder diese Geduldsstimmung vorhalten müssen.

Sie sagen, in einem früheren Briefe, daß Sie nicht ausdrücken kön­nen, was Sie bewegt. Ich kann Ihnen nur die Versicherung geben:

das Ihnen ganz entsprechende Ausdrucksvermögen wird kommen. Aber nochmals: Geduld. Die Stimmung des Wartens beschleunigt unsere Schritte.

Sie meinen, wenn man in der Meditation die Worte, die eigentlich selbstverständlich sind> wiederhole> so sei das doch zwecklos. Das aber ist nicht der Fall. Käme es auf das Wissen an> dann wäre es zwecklos. Aber es kommt eben darauf an, daß man wieder und im­mer wieder durch sich selbst erlebt> was man sein soll> und was man selbsttätig aus sich machen soll. Sie finden darüber Näheres in den Zusätzen, die ich Ihnen zur «Stimme der Stille» versprochen habe und Ihnen heute beilege.

#SE264-067

Sehen Sie, verehrteste gnädige Frau, die innere Kraft wird nicht dadurch gesammelt> daß wir den Zwang hassen. Sondern dadurch, daß wir uns freiwillig> allerdings ganz freiwillig einen Zwang aufer­legen. Bitte fassen Sie solche Formelvorlagen, wie ich sie Ihnen in Stuttgart gegeben habe, nicht anders auf denn als Rat> und nur als Rat. Aber es ist ein Rat, der auf der Erfahrung der Okkultisten vie­ler langer Zeiträume beruht.

Deshalb möchte ich Sie, verehrteste Frau Doktor und auch Sie> lieber Herr Doktor, bitten, in der Meditation so fortzufahren, wie Sie begonnen haben. Die angeführte Formel müßte noch lange kurz> aber allerdings kurz jeden Morgen durch Ihre Seele ziehen. Ich mei­ne, Sie halten vielleicht zu lange gerade auf dieser Formel. Das ist nicht notwendig. Aber bedenken Sie doch> daß auch Adepten jeden Morgen sich, wenn auch blitzschnell> diese Formel durch die Seele ziehen lassen als eine fortwährende Selbstmahnung, daß das Leben nie abgeschlossen sein darf, sondern jedes Selbst noch ein höheres Selbst gebären muß.

Die ganze Meditationsarbeit würde demnach weiterhin bestehen für Sie beide:

1. Abends, vor der Ruhe> Lebensrückschau auf den Tag.

2. a) Morgens, durch die Seele gehen lassen der Formel für das hö­here Selbst. 1)

b) Meditation über «Licht auf den Weg». Von 8 zu 8 Tagen ei­nen neuen Satz. Aber geduldig die 8 Tage bei Einem bleiben. (Näheres darüber in dem Beiliegenden).2)

c) Devotionelle Stimmung zu dem, was wir als das höchste, das Göttliche verehren.

Schränken Sie, Frau Doktor, die Zeit so ein, wie Sie es dienlich halten, wenn Sie noch eine besondere, von Ihnen beschriebene Me­ditation vornehmen wollten. Das aber, was ich angegeben habe> ist wirksam und fruchtbar und führt hinan den Pfad der Erkenntnis.

1) «Strahlender als die Sonne...»

2) Liegt nicht vor; vermutlich handelte es >ich um die Exegese zu «Licht auf den Weg».

#SE264-068

Ob wir das, was wir wissen, als selbstverständlich empfinden oder nicht, davon hängt nichts ab, sondern daß es durch unsere Seele geht.

Ihren Empfindungen von Ihrem Kennen inbezug auf mich dürfen Sie trauen. Auch ich weiß, daß Sie eine rege Phantasie haben. Aber eine rege Phantasie als solche ist noch nicht unbedingt irreführend. Sie kann es sein; aber sie kann auch die Gelegenheitbringerin sein für den Zufluß höherer Erfahrungen. Und Sie sehen, liebste gnädige Frau, wie Ihre Erfahrungen mit den meinen in gewisser Beziehung zusammenstimmen. Davon habe ich Ihnen ein Vorläufiges in mei­nem Briefe aus London geschrieben. Ein weiteres schreibe ich Ihnen bald. Und was mich betrifft, so weiß ich, daß mir jede Phantastik so ferne wie möglich liegt; auch halte ich mich mit aller Kraft von jegli­cher Phantastik ganz fern. Liebe Frau und Herr Doktor, glauben Sie mir, was ich sage> entspringt in meiner Erfahrung ganz mit der Strenge, die der Mathematiker sich auferlegt. Und ich habe, bevor ich mich in die Theosophie gewagt habe, im gegenwärtigen Leben al­les daran gewendet, daß keine Art von Phantastik mich verführen kann. Darauf war mein Leben durch lange Jahre trainiert.

Den jungen Gräser beschreiben Sie richtig. So zu sein, wie er ist, ist gewiß nicht ohne Gefahr. Und Leute seiner Art sind symptoma­tisch für die Gegenwart. Ich habe ihn an Sie empfohlen, weil ich weiß, wie Sie anders sind als Andere.

Was Sie über Deinhard und Bresch schreiben, ist gewiß richtig. Doch seien wir nachsichtig. Beide Herren können eben nicht anders sein, als es ihr Karma mit sich bringt. 1) Halten wir zusammen, stüt­zen wir uns auf das, was wir für das Richtige ansehen und sehen wir über die Schwächen der andern hinweg.

Es ist mir sehr, sehr lieb, daß im September Mrs. Besant nach Stuttgart kommt.

Vorläufig Ihnen beiden alles Herzliche von Ihrem

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

1) Zu Deinhard und Bresch siehe die Briefe an Marie Steinee-von Sivers vom 18. und 19. April

1903 in »Briefwechsel und Dokumente...», GA 262

#SE264-069

Franz Paulus antwortete auf diesen Brief Rudolf Steiners ans 30. November 1904:

In erster Linie möchte ich Ihnen heute meinen Entschluß kund tun, auf­grund der uns von Ihnen eingehändigten «Regeln» Zögling der E.S.T. zu werden; ich werde daher, weiterer eventueller Weisungen von Ihnen har­rend, morgen damit beginnen, täglich zu notieren, wie ich mich von der Einhaltung der Regeln i, 2, 3 befriedigt fühle.1)

#TI

An Horst von Henning in Weimar

Berlin, 12. August 1904

#TX

Mein verehrter lieber Herr von Henning!

Verzeihen Sie die verspätete Antwort. 2) Ich werde erst jetzt all­mählich aus der Arbeitslast herauskommen. Und künftig sollen Sie gewiß nicht mehr so lange zu warten brauchen. Ich war froh, Sie im Bade zu wissen, und hoffe, daß Ihre Erholung einen recht guten Fortgang genommen hat. Praktische Meditationsarbeit während ei­ner Erholungszeit zu beginnen, ist nicht gut. Weder für die Gesund­heit, noch für die Meditation. Raten kann ich Ihnen nur, wenn Sie Meditation üben wollen, sie während der ganz gewöhnlichen Berufs­tätigkeit zu beginnen. Denn Meditation soll keine Zeit rauben. Das ist sogar Grundbedingung, wenn sie fruchtbar sein soll. Ich will Ih­nen nun «im Vertrauen» (das heißt nur für Sie) angeben, worin die Meditation besteht. Abends vor dem Einschlafen, - ganz kurz, drei bis vier Minuten - Rückschau auf das, was man den Tag über getan hat und erlebt hat. Es kommt dabei darauf an, daß man die wichtig­sten Begebenheiten des Tages an sich vorüberziehen läßt. Man fragt

11 Doris Paulus dagegen trat erst etwas später der E.S.T. bei.

2) Die Karte, auf die hier geantwortet wird, liegt nicht vor.

#SE264-070

sich dabei: Habe ich dieses Ereignis so mit beobachtendem Blicke verfolgt, daß ich für mein künftiges Leben daraus lernen kann; und wie hätte ich es tun müssen, um diesen Zweck zu erreichen? Oder bezüglich einer Handlung, die man getan hat: Habe ich diese so getan, daß ich jetzt, wo ich nicht mehr mitten darinnen stehe, sondern mich betrachte, als ob ich ein anderer wäre, mir noch recht geben kann? Das alles soll so geschehen, daß man von sich selbst lernt, daß man das Leben zu einer Lektion macht. Man erreicht dadurch wirklich nach und nach die Erhebung zum «höheren Selbst», das über das niedere hinausgeht. Und - glauben Sie das der okkulten Erfahrung - : nicht nur zur Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten, sondern auch zur Gesundung in jeder Beziehung trägt das bei.

Dann am Morgen: Gleich nach dem Aufstehen. Bevor man Nah­rung zu sich genommen hat, verwendet man ein paar Minuten - län­ger erst später - zur eigentlichen Meditation. Wenn 1/4 Stunde möglich ist, dann ist es besser. Sie besteht in einer Erhebung zum «höheren Selbst», wofür es eine ganz bestimmte Formel gibt, die man in Gedanken vor sich hinsagt. Ich teile Ihnen diese Formel «im Vertrauen» sofort mit, wenn Sie mir schreiben, daß Sie sie verwen­den wollen. Dann schließt sich zweitens daran eine Konzentration, bestehend in einem Leermachen des Bewußtseins von allem> was uns das Leben des Alltags bringt. Da muß für ein paar Minuten alles aus dem Bewußtsein entschwinden, was uns sonst beschäftigt, auch die Erinnerung an die Geschäfte und Obliegenheiten des Alltags. Dann lassen wir in dieses also entleerte Bewußtsein einen Satz aus ei­ner inspirierten Schrift eintreten und geben uns ganz seinem Ein­drucke hin. Wir spekulieren nicht über den Satz, wir leben mit ihm, wie wir mit einem geliebten Kinde leben. Und wir behalten diesen selben Satz dann wochenlang bei. Denn erst dann gibt er uns seine Kraft her. Erst dann, nach Wochen, ersetzen wir ihn durch einen an­dern Satz. So nehmen Meditierende zum Beispiel «Licht auf den Weg» Satz für Satz durch, was ihrer Meditation lange Inhalt gibt. «Licht auf den Weg», «Die Stimme der Stille», «Bhagavad Gita» ge-hören zu den besten Meditationsbüchern.

#SE264-071

Der letzte Teil der Meditation ist dann das Erzeugen der devo­tionellen Stimmung in sich gegenüber dem, was Einem das Höch­ste, das Göttliche ist. Da kommt nicht diese oder jene Vorstellung vom Göttlichen in Betracht, sondern diejenige, welche uns - nach unserer Subjektivität - wirklich intim ist. Dem Christen kann es Christus, dem Hindu der «Meister», dem Mohammedaner «Moham­med» sein, ja es kann sich ein moderner Wissenschafter in die «gött­liche Natur» devotionell versenken. Es kommt auf das devotionelle Gefühl an, nicht auf die Vorstellung, die man sich vom «Göttlichen» macht.

Wenn Sie> mein lieber Herr von Henning, fortschreiten wollen in der Entwickelung der mystischen Kräfte, so kann ich Ihnen die We­ge dazu noch weiter angeben. Ich sage Ihnen im Voraus, daß da­durch gewiß keine Gefahr in irgendwelcher Hinsicht verknüpft ist. Und im Anschlusse an Ihre Frage und bei der Art, wie ich Sie kenne, daf ich Ihnen sagen, daß es einen «engen Kreis» gibt, in den ich Sie aufnehmen darf, wenn Sie wollen. Sonst gibt es für den Anfang keine Verpflichtung, als die gegen sich selbst, die ich Ihnen schon in diesem Briefe ausgesprochen habe. Nur noch die völlige Enthaltung von Al­kohol kommt in Betracht. Die aber muß sein, weil sonst alle okkul­te Arbeit unter gewöhnlichen Umständen umsonst ist. Wenn Sie al­so Meditation suchen, dann schicke ich Ihnen die «Regeln» und Sie können sich entscheiden. Wenn Sie aber ohne solchen Anschluß Meditation üben wollen, so stehe ich Ihnen auch ratend zur Seite; nur bietet der Anschluß an den «engeren esoterischen Kreis» zu­gleich die okkulte Einschaltung, die an sich schon Hilfe und seeli­schen Fortschritt bringt.

Damit möchte ich Ihre mir so willkommene Karte beantworten. Wenn Sie den Anschluß nicht wünschen, dann bitte ich Sie über das zu schweigen, was ich Ihnen geschrieben habe.

Herzliche Grüsse von Ihrem

Dr. Rudolf Steiner

Berlin W, Motzstrasse 17

#SE264-072

#TI

Horst von Hennings Antwort:

Weimar, 24. Oktober 1904

#TX

Mein lieber und verehrter Herr Dr.!

Wenn ich Ihnen erst heute, nach Verlauf von über zwei Monaten, für Ihr gütiges Schreiben danke, so geschieht dies nicht aus Trägheit oder Indif­ferenz, sondern, weil ich gerade in letzter Zeit außergewöhnlich mit Arbeit überlastet war und mir zur Beantwortung Ihres so ernsten Briefes die not­wendige Ruhe fehlte. Gleichzeitig fand ich auf diese Weise Zeit genug, mich zu prüfen und freue mich nun umsomehr, das, was ich Ihnen bei Ge­legenheit Ihres letzten Hierseins infolge der besonderen Umstände nur an­deuten konnte, nun schriftlich wiederholen zu können, nämlich daß ich mich sehr freuen würde, wenn Sie mich als Ihren Schüler betrachten und mich als solchen zur Aufnahme in den «engeren Kreis» vorbereiten woll­ten, sofern Sie mich dessen fähig und würdig erachten. - Das mir von Ih­nen entgegengebrachte Vertrauen hat mich beglückt und werde ich mich redlich bemühen, die mir durch den «Eintritt» etwa auferlegten Pflichten zu erfüllen und so bewußt beizutragen zum Wohle meiner Mitmenschen. -Es ist, wie ich Ihnen versichern kann, nicht der Wunsch nach persönlichen Vorteilen (auch nicht nach solchen geistiger Natur)> der mich antreibt, den Anschluß an den esoterischen Kreis zu suchen, sondern die innere Über­zeugung, daß die mir innewohnenden Eigenschaften mir die Pflicht aufer­legen, diesen Weg zu beschreiten, wenn mir die Hand dazu freiwillig gebo­ten wird, und ist es mir ernst mit meinem Entschluß, geistig fortzuschrei­ten, soweit dies in meinen Kräften steht.

Ich richte deshalb die herzliche Bitte an Sie: nehmen Sie meine Führung in Ihre Hände und geben Sie mir, was Sie mir nach Lage meiner Verhältnis­se und Fähigkeiten jeweilig geben zu dürfen glauben; an gutem Willen, Dankbarkeit und Geduld soll es meinerseits nicht fehlen.

Unter treulichen Grüßen

Ihr allzeit dankbar ergebener

Horst von Henning

#SE264-073

#TI

An Eliza von Moltke in Bankau/Oberschlesien

Eliza von Moltke schrieb ans 20. Juli 1904:

#TX

Mein lieber Dr. Steiner!

Haben Sie mich ganz vergessen! Ich weiß, eine der Hauptsachen, die wir Menschen anstreben müssen, ist Geduld und ich würde auch noch länger geduldig gewartet haben, wenn ich nicht so sehr nötig etwas geistige Hülfe brauchte - Sie wollten sich gütig meiner in dieser Beziehung annehmen, mir Winke geben, wie ich mit mir arbeiten muß, um das sehnlich gehoffte Ziel einst zu erreichen: den Menschen zu helfen... Nun möchte ich aber so sehr gern mit Erfolg an mir arbeiten, wie Sie es für richtig halten - und wenn Sie die diesbezüglichen Anweisungen erhalten haben, die Sie erst ein­holen wollten auf dem höheren Plan, dann seien Sie [so] gut und teilen Sie es mir mit. . »

#TI

Auf diesen Brief antwortete Rudolf Steiner:

Berlin, 12. August 1904

#TX

Sehr verehrte> gnädige Frau!

Glauben Sie nicht, bitte, daß ich in Zukunft Ihnen gegenüber an meinem Usus hängen werde, so wenig wie möglich Briefe zu schrei­ben. Warum dieser erst so spät kommt, werde ich Ihnen einmal mündlich sagen. Zukünftig werde ich Ihnen ganz regelmäßig schrei­ben.

Das beifolgende Schriftstück1> betrachten Sie, bitte, als ein ganz vertrauliches. Ich bin in solchen Dingen nur Werkzeug von höheren Wesenheiten, die ich in Demut verehre. Nichts ist mein Verdienst; nichts kommt dabei auf mich an. Das einzige, was ich mir selbst zu­zuschreiben habe, ist, daß ich eine strenge Trainierung durchge­macht habe, die mich vor jeder Phantastik schützt. Dies war für mich Vorschrift. Denn, was ich erfahre auf geistigen Gebieten, ist

1> Liegt nicht vor.

#SE264-074

dadurch frei von jeder Einbildung, von jeder Täuschung, von jedem Aberglauben. Doch auch davon spreche ich heute zu wenigen. Die Leute mögen mich für einen Phantasten halten; ich weiß Wahrheit und Trug zu unterscheiden. Und ich weiß, daß ich den Weg gehen muß, den ich gehe.

Wenn Sie die im beigelegten Schriftstück vorgezeichneten Übun­gen zu den Ihrigen machen, verehrteste gnädige Frau, dann dürfen Sie nicht vor dem 19. August, und nicht nach dem 3. September be­ginnen. Das steht so, wie der Okkultist sagt, in «den Zeichen des Himmels» geschrieben. Wollen Sie aber nicht zwischen dem 19. Au­gust und dem 3. September beginnen, so wäre für eine spätere Zeit wieder notwendig, daß Sie sich noch einmal mit mir verständigten. Zwischen dem 19.8. und dem 3.9. ist jeder Tag möglich.

Ich denke oft an die schönen Stunden, die ich in Ihrem Hause [in Berlin] zubringen durfte. Ich habe ja auch Ihren Herrn Gemahl sehr lieb gewonnen und hoffe viel auf seine spirituelle Zukunft. Manch­mal gehen die Menschen besondere Wege; aber viele Wege führen zur Erkenntnis. 1)

Möge es Ihnen in Schlesien gut ergehen und Sie die innere Ruhe haben, der Sie bedürfen.

In herzlicher Hochachtung

Ihr

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

1) Helmuth von Moltke war nicht Theosoph, fand aber später ein tiefes Interesse an der Gei-steswissenschaft Rudolf Steiners Siehe die Gedenkworte zu Moltkes Tod vor dem Vortrag Berlin, 20. Juni 1916, in «Unsere Toten», GA 261.

An Michael Bauer in Nürnberg

#G264-1984-SE075 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

#TI

An Michael Bauer in Nürnberg

#TX

Michael Bauer hatte am 28. Juli1904 offenbar aufgrund eines vorhergegangenen Ge­spräches an Rudolf Steiner geschrieben:

Sehr verehrter Herr Doktor!

Ohne viel Umschweife will ich sagen, was mir lieb wäre: ich möchte ei­ne Zeitlang Ihr Schüler sein und wäre froh, wenn Sie mir eine Aufgabe ge­ben wollten, wie sie für mich not tut. Es grüßt Sie in Liebe

Ihr Michael Bauer

#TI

Rudolf Steiner notierte am Rande: «beantw. mit Regeln 14.8.04». Seine Antwort:

Berlin, 14. August 1904

#TX

Sehr verehrter, lieber Herr Bauer!

Auf Ihre lieben Zeilen darf ich Ihnen folgendes erwidern. Ihr Ver­hältnis zur theosophischen Bewegung ist ein so intimes, daß Sie in Ihrem esoterischen Leben am besten Befriedigung finden werden, wenn Sie sich der sogenannten «Esoterischen Schule» anschliessen. Ich bitte Sie aber die Mitteilungen, die ich Ihnen darüber mache, als nur für Sie bestimmt und ganz vertraulich zu betrachten. Es wird niemand aufgefordert, dieser okkulten Schule beizutreten. Aber wir dürfen dem, bei dem wir es möglich finden, Mitteilung von ihrem Bestehen machen. Und eine solche Mitteilung will ich Ihnen ma­chen. Finden Sie es nicht angemessen für sich, beizutreten, dann be­trachten Sie die Mitteilungen als nicht gemacht, und schreiben mir dies. Ich werde Ihnen dann auch sofort, ohne daß Sie Mitglied der Schule sind, das Nötige für einen esoterischen Entwickelungsgang angeben und allen Ihren Wünschen entsprechen.

Zunächst finden Sie beiliegend die Regeln des sogenannten Shrâvaka-Ordens, [siehe Seite 141]. Man muß erst Shrävaka (d.i. Zu-hörer wörtlich) werden und den vorgeschriebenen Regeln folgen, dann wird man zu den höheren Graden befördert.

Sie werden ersehen, daß die Einhaltung der «Regeln» für den An­fang ganz leicht ist. Allerdings die genaue Einhaltung ist erforderlich,

#SE264-076

weil nur unter dieser Voraussetzung ein wirklicher Fortschritt im spirituellen Leben möglich ist.

Sind Sie bereit, einzutreten, so bitte, schreiben Sie mir dies. Ich sende Ihnen dann ein kurzes «Versprechen», durch das Sie Mitglied werden und gebe Ihnen dann, etwa am 22. oder 23. September, alles weitere an.

Ich möchte Ihnen nur noch Einiges über die Natur der Schule schreiben. Sie wissen, daß die «Theosophische Gesellschaft» in dem Verhältnisse zu unseren erhabenen Meistern steht, daß diese die theo­sophischen Impulse an H.P. B. [H.P. Blavatsky] gegeben haben, es ihr dann überlassend, wie sie auf dem physischen Plane die Bewegung gestalten will. Die «Theosophische Gesellschaft» wurde deswegen von H.P. Blavatsky und Olcott 1875 gegründet. Mit dieser hat nun unsere okkulte Schule nichts offiziell zu tun. Denn sie ist eben eine «okkulte». Sie ist direkt von den Meistern gegründet und steht unter der Führung dieser Meister. Und der Theosophischen Gesellschaft fließt daher fortwährend das wirklich lebendige Erkennen aus dieser okkulten Schule zu. Nach und nach führen die Übungen, welche die Schule vorschreibt, zu der Erkenntnis der Meister. Das Haupt der Schule war, so lange sie auf Erden weilte, H.P. Blavatsky. Jetzt ist es Annie Besant. Innerhalb Deutschlands, Österreichs und der deutsch­sprechenden Schweiz ist mir die Führung der Schule übertragen.

Das alles soll, wie gesagt, kein Drängen sein, sondern nur eine auf Vertrauen sich stützende Mitteilung. Treten Sie bei, so erwächst Ih­nen keine Verpflichtung außer der Einhaltung der Regeln. Können Sie es nicht, dann schicken Sie mir die Regeln wieder zurück. Und ich beantworte Ihnen dann Ihren Brief in anderer Form, so daß Ihre Wünsche auch außer der Schule befriedigt werden. Doch hat man innerhalb der Schule ja die so notwendige Unterstützung von den höheren Planen aus.

Wer in Deutschland Mitglied ist, schreibe ich Ihnen sofort, wenn Sie mir Ihre Geneigtheit kundgeben. Ebenso alle Anweisungen zu einer regelrechten Meditation, die okkultes Wissen vermittelt.

Annie Besant kann es möglich machen, im September in Deutschland einige Vorträge zu halten. Da sie aber nur einige Tage

#SE264-077

sich in Deutschland aufhalten kann, wird sie nur in München für Bayern vortragen können. Glauben Sie es mir, lieber Herr Bauer, wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich auch in Nürnberg an einen Vortrag Annie Besants gedacht. Es geht aber wegen der beschränk­ten Zeit Frau Besants absolut nicht. Sie wird am 18. September in Weimar, am 20. September in München sprechen; und ich gebe mich der Hoffnung hin, daß Sie und Ihre Frau Gemahlin an einem der Orte den Vortrag anhören können.

Grüßen Sie Frau und Familie Herzlichst

ganz Ihr

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Mathilde Scholl in Köln

Berlin, 27. August 1904

#TX

Verehrtes, liebes Fräulein Scholl!

Ganz rasch möchte ich Ihnen vorläufig auf Ihren Brief einiges antworten. 1) Falls Mr. Keightley nach Deutschland kommt, so kann für uns nur Eines maßgebend sein: die Sache so unbefangen wie möglich anzusehen. Wer Mrs. Besant kennt, der weiß, wie sie sich in einem solchen Falle verhält. Sie läßt die Dinge geschehen, und ver­traut auf die geistigen Kräfte, die mit ihr sind. Und ich tue es nicht anders. Diplomatisches Denken muß uns, die wir nicht menschli­chen Verstandeserwägungen, sondern den Meistern folgen, ganz fern liegen. Wir fragen deshalb auch gar nicht «warum» in einem solchen

1) Mathilde Scholl hatte am 26. August geschrieben, wie besorgt sie sei, aus England zu erfah­ren, daß Keightley Annie Besant auf ihrer Deutschlandreise begleiten und ihre Vorträge übersetzen werde. Offenbar bestanden damals gegenüber Keightley gewisse Aversionen. Siehe hierzu Rudolf Steiners Brief an Marie von Sivers vom 27. August 1904 in GA 262.

#SE264-078

Falle. Mrs. Besant hat nur einmal an Frl. v. Sivers geschrieben, sie «erwarte mit Mr. Keightley» in Hamburg zusammenzutreffen. Das ist alles. Und ich frage nicht nach anderem. Aber, liebes Fräu­lein Scholl: Eines ist notwendig, daß wir, die um Mrs. Besant, in der nächsten Zeit fest und innig zusammenstehen. Was wir tun werden, das wird sich in jedem einzelnen Fall ergeben. Ich bitte Sie nun auch, nicht aus irgendwelchen Erwägungen zur Zeit von K's Anwe­senheit von Frl. Link fernzubleiben, sondern so zu tun, wie Sie oh­ne Rücksicht auf ihn getan hätten, und seine Anwesenheit als etwas nicht weiter Verwunderliches anzusehen. 1)

Bitte betrachten Sie diese Zeilen als Vertrauenssache. Sie müssen kurz sein, wenn sie Sie morgen früh noch treffen sollen. In den Dis­positionen für das Datum usw. ist nichts maßgebend, als was zwi­schen Ihnen und Frl. Sivers abgemacht worden ist.

Morgen weiteres. Ich muß diese Zeilen in den Kölner Zug werfen.

Herzlich

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Mathilde Scholl in Köln

Berlin, 29. August 1904

#TX

Verehrtes liebes Fräulein Scholl!

Ihr Verhältnis zu Annie Besant ist durchaus das richtige. So soll­ten alle Theosophen zu ihr stehen. Aber man muß ruhig bleiben auch dann, wenn man die Erfahrung machen sollte, daß andere nicht so zu ihr stehen. Maya ist mächtig, und mancher kommt gera­de dadurch in eine schwierige Lage, daß er von einem sicheren Ge­fühl zu einem unsicheren Urteil vorrückt. Es kommt viel weniger darauf an, daß wir dem Unrichtigen widerstreben, als daß wir selbst

1) Nach dem Brief von Mathilde Scholl vom 26: August war Frl. Link mit Keightley befreun­det und bei dieser als Gast angemeldet.

#SE264-079

dem Richtigen dienen. Ich weiß, daß auf die Dauer nichts passieren kann, wenn wir in Annie Besants Namen das Richtige tun; zeitwei­lig mag aber manches sich ereignen, was die Lage schwierig erschei­nen lassen kann. Annie Besant ist der Bote der Meister. 1) Sie hat nicht notwendig, auf diplomatische Züge sich einzulassen, kann es als wahre Okkultistin auch gar nicht. Sie, liebes Fräulein Scholl, können mir glauben, daß überall, wo ein Diplomatisieren sich gel­tend macht, der Zusammenhang mit den Meistern nicht vorhanden ist. Ich weiß, daß es in Annie Besants Sinne ist, wenn wir uns, falls Keightley kommt, ganz unbefangen verhalten, wie wenn wir seine Anwesenheit als etwas ganz Selbstverständliches hinnehmen wür­den. Und innerlich auch müssen wir das tun. Ihre Beunruhigung hat auch recht. Aber wir müssen selbst gegenüber solchen Beunruhigun­gen ruhig bleiben. Es gibt in Deutschland so viel, was äußerlich ge­gen uns ist; aber stören wir unsere positiven Kräfte nicht durch zu große Rücksicht auf solche Gegnerschaft.

Es ist ein Gesetz des Okkultismus, daß diejenigen, welche in die esoterische Strömung aufgenommen werden, starken Widerständen zunächst begegnen können. Es kann zu ihrer Prüfung gehören, daß sie sich solchen Widerständen gegenüber aufrecht erhalten. Wer Ok­kultist wird, der muß in Kürze Dinge absolvieren, die ihm sonst vielleicht erst in mehreren Leben begegnet wären. Wenn er seiner geraden Erkenntnis folgt, so wird er auch vorwärts schreiten. Er muß nur den ganzen Mut zu seiner Erkenntnis haben. Solch ganzer Mut ist ein starker Probierstein. Viel hat der gewonnen, der wie Sie unerschütterlich an einem Menschen wie Annie Besant hängt. Sie werden gerade durch dieses Verhältnis die schönsten Fortschritte machen.

Wenn es Menschen gibt, die nicht so zu Annie Besant stehen, so fügen sich diese selbst die schwerste Schädigung zu. Aber viele von denen, die heute in dieser Beziehung irren, werden wieder zum rich­tigen Urteil kommen.

- - -

1) Vgl. hierzu auf Seite 347 die Niederschrift für Edouard Schuré aus dem Jahre 1907.

#SE264-080

Der Okkultist frägt in gewissen Dingen einfach nicht. So möchte ich zum Beispiel nicht einmal mich in Gedanken viel mit der Tatsa­che beschäftigen, daß Keightley nach Deutschland kommt. Ich habe von Frl. v. Sivers gehört, daß Annie Besant den Satz schrieb: «Ich er­warte, in Hamburg Mr. Keightley zu treffen». Und dann hat wohl auch Frau Lübke an Frl. v. Sivers davon geschrieben. Frl. v. Sivers fragte dann auch mich, wie ich mich dazu verhalte. Ich sagte ihr:

«gar nicht.»

Wenn Annie Besant die Übersetzung ihrer Vorträge von Keight­ley wünschen wird, so wollen wir sehen. Mir selbst hätte es ja als das richtigste erschienen, wenn Frl. v. Sivers überall übersetzt hätte. 1)

Ich kann Ihnen augenblicklich noch nicht die Fortsetzung des letzten auf «Licht auf den Weg» bezüglichen Briefes senden. Aber sicher noch in dieser Woche. 2)

Grüßen Sie Künstlers herzlich und seien Sie selbst herzlich ge­grüßt

von Ihrem

Berlin W, Motzstrasse 17 Rudolf Steiner

#TI

An Günther Wagner in Lugano

Berlin, 29. August 1904

#TX

Lieber verehrter Herr Wagner!

Als vor kurzem Fräulein Scholl die Frage stellte, ob die beiden auf die christliche Frage bezüglichen Reden Annie Besants übersetzt werden sollen, habe ich nicht zuraten können. Fassen Sie, lieber Herr Wagner, das nicht so auf, als wenn ich gegen das Übersetzen wäre. Ich werde sogar mit Befriedigung begrüßen, wenn wir wieder eine Schrift von Annie Besant in deutscher Sprache erscheinen sehen

- - -

1) Das deutsche Referat übernahm dann Rudolf Steiner

2) Diese weitere Exegese ist offenbar nicht mehr erfolgt.

#SE264-081

werden. Aber der Okkultist muß streng unterscheiden zwischen di­rektem Zuraten und dem, was ich soeben gekennzeichnet habe. Wenn ich mich trivial ausdrücken darf, ich möchte mich in dieser Frage «der Abstimmung enthalten». Ich möchte aber in diesem Falle durchaus, daß meine Meinung dabei ganz unberücksichtigt bleibt. 1)

Mißverstehen Sie mich nicht, lieber Herr Wagner. Ich möchte gerne, daß Sie mich hören, wenn ich urteile; aber ich möchte auch immer scharf bezeichnen, wann mein Urteil gar nicht in Betracht kommen soll. Nur, wenn wir, die wir in der esoterischen Schule ver­eint sind, uns so gegenüberstehen, ist die volle Freiheit garantiert, die der Okkultismus verlangt.

Nächstens sende ich Ihnen die Regeln der deutschen E.S. Da wer­de ich auch noch auf die Bewegung zu Gunsten des Johannes-Evangeliums Genaueres an Sie schreiben. 2)

Vorläufig bitte ich Sie, für die nächsten Wochen es mit Ihrer Stel­lung in der E.S. zu halten wie bisher.

Ihre Schwester Amalie ist E.S.-Mitglied. Ihre andere wird es wohl in wenigen Tagen sein.

In Nr.15 von «Lucifer-Gnosis» bringe ich eine ausführliche Be­sprechung der «vier großen Religionen». 3) Ich hoffe, daß dieses Buch einen guten Weg machen wird. Es ist geeignet, viele Herzen zu ge­winnen.

1) Wie aus zwei Briefen Günther Wagners an Rudolf Steiner vom 1. und 2. September 1904 hervorgeht, bestand der Plan, die auf englisch vorliegende Broschüre «Is Theosophy an­tichristian?» von Annie Besant ins Deutsche zu übersetzen und in Deutschland unter Geist­lichen zu verbreiten. Offenbar konnte Rudolf Steiner sich mit dieser Absicht nicht be­freunden.

2) Ein Brief darüber liegt nicht vor. Rudolf Steiner hatte im Juli1904 in Berliner Zweigvor­trägen - die Günther Wagner mitgehört hatte - darauf hingewiesen, daß aus dem Schoße der Theosophiscben Gesellschaft «eine Bewegung» herausgeboren würde, welche «ein wah­res Verständnis des Christentums bringen wird, das man nicht im gewöhnlichen Sinne ha­be» (11. Juli 1904). Und am 18. Juli1904 worde von einer «Johannes-Gesellschaft», einer «Johannes-Evangelium-Abteilung» gesprochen, deren Aufgabe darin bestünde, in weite­sten Kreisen bekanntzumachen, welche unausschöpflichen Tiefen im Johannes-Evan­gelium liegen. Wer wisse, was da zu suchen und zu lernen ist, dürfe »aus vollem Renten sich dieser Johannes-Evangelium-Abteilung anschließen».

3) Vier Vorträge von Annie Besant, gehalten bei der 21. Jahresversammlung der Theosophi­schen Gesellschaft in Adyar, ins Deutsche übersetzt von Günther Wagner, Verlag Max Alt-mann, Leipzig 1904. Die Besprechung von Rudolf Steiner findet sich in GA Nr.34, «Luzifer-Gnosis».

#SE264-082

Anfangs September wird wohl hier auch wieder eine E.S. Versammlung sein. Es wird sich dabei wahrscheinlich darum han­deln, den E.S.-Mitgliedern von dem Wesen der «Meister» zu spre­chen, und von der Hilfe, die sie den E.S.-Arbeitern gewähren. Am 12. September werde ich dann eine T.S. Versammlung halten, um auf Annie Besants Besuch vorzubereiten. Und dann wollen wir mit unserer «Seele» den Weg durch Deutschland machen. Ich sehe dem mit großer Befriedigung entgegen. Am 25. September werde ich dann in Dresden über «Theosophie und moderne Wissenschaft» sprechen. - Ich weiß, daß dieser Schritt viel mißverstanden werden wird. Aber ich habe keine andere Möglichkeit, als ihn zu tun. Miß­verstanden kann es werden; aber ungünstig wirken - im höhern Sin­ne - kann er nicht.

Es war mir sehr lieb, daß Sie, lieber Herr Wagner, im Juli bei uns gewesen sind. Hoffentlich sind Ihre liebe Frau und Sie wohl in Luga­no wieder angekommen. Grüßen Sie schönstens und empfangen Sie herzlichsten Gruß

Ihres getreuen

Berlin W, Motzstrasse 17 Rudolf Steiner

#TI

An Günther Wagner in Lugano

Berlin, 14. September 1904

#TX

Lieber Herr Wagner!

Es ist ja zweifellos richtig, daß der Vortrag Annie Besants «Is Theosophy antichristian» in Deutschland nicht in gleichem Sinne verstanden werden könnte wie in England, weil bei uns die Diskus­sion der christlichen Grundfragen in den letzten Jahrzehnten in den Kreisen der Theologen und denen der von ihnen geistig abhängigen Prediger etc. einen ganz anderen Charakter angenommen hat als in England.

#SE264-083

Von Seite unserer geistigen Führer geht uns fortwährend die Wei­sung zu, mit Rücksicht auf die einzelnen Länder zu individualisie­ren. Was nun insbesondere die christliche Propaganda durch uns be­trifft, so soll sie so sein, daß sie nicht unter der Flagge «Theosophie» geht. Sie soll von Theosophen ausgehen, aber nirgend das direkt sa­gen. Christliche Mystik, Interpretation der christlichen Symbole usw. soll betrieben werden. Es wird unsere Aufgabe gewiß sein, Pre­diger, sogar katholische Priester für das esoterische Christentum zu gewinnen. An diesen wird es dann sein, die Esoterik einströmen zu lassen in ihre Lehren. Uns selbst würde man doch nur Opposition machen, wenn wir direkt an die christlichen Kreise herantreten wollten.

In Deutschland würde eine Auseinandersetzung darüber, ob Theo-sophie antichristlich sei oder nicht, nur neue Opposition gegen die Theosophie erwecken. Es ist eine große Abneigung gegen alles, was Theosophie heißt, insbesondere in Pastorenkreisen. Und sie wächst augenblicklich. Wenn Bresch die Dinge übersetzt, so können wir nichts machen. Denn er macht ja immer eine ganz bestimmte Oppo­sition. Er hat sich zum Beispiel jetzt dagegen verwahrt, daß Annie Besant nach Leipzig komme. Da können wir gar nichts machen; wir müssen Bresch gewähren lassen. Es kommt aber darauf an, daß wir selbst suchen, das Richtige zu tun.

Sehen Sie, lieber Herr Wagner, wir sollen auf der einen Seite ent­schieden die Theosophie betonen und auf der anderen Seite, da, wo dies nicht angeht, die Sache höher stellen als den Namen und die Form. Es wird uns bedeutet: «Seid Theosophen; wie Ihr es seid, das müßt Ihr selbst bestimmen.»

Ich sagte in meinem vorigen Briefe, ich «möchte mich der Ab­stimmung enthalten». Der Grund für diesen Ausdruck war folgen­der. Ich habe die Weisung, das christliche Element zu pflegen, und in dem besonderen Falle konnte ich, was mir bedeutet wurde, nur so interpretieren, daß der Vortrag nicht übersetzt werden soll. Nun be­ginnt aber erst die eigene Verstandesarbeit, und da fand ich genau den Grund, den auch Sie angeben. Nachdem Sie ihn selbst ausspre­chen, kann ich auch sagen, daß er auch für mich gilt. Vorher konnte

#SE264-084

ich nur sagen: ich kann nicht dafür sein. Ich bin sicher, daß Sie mich verstehen werden.

Morgen werde ich Mrs. Besant empfangen - in Hamburg - Frei­tag wird sie dann in Berlin sein.

Herzlichst ganz

Ihr

Herzlichen Gruß an Ihre verehrte Frau Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Günther Wagner in Lugano

Günther Wagner hatte am 13. Oktober 1904 an Rudolf Steiner geschrieben:

#TX

Heute komme ich, Sie zu fragen, ob Sie meine liebe Frau in die E.S. aufneh­men wollen. Sie war längere Zeit schwankend, ob sie wohl würdig genug sei, aber stets kam doch wieder der Wunsch durch, diese günstige Chance, auf ihrem Lebenswege weiter zu kommen, auch zu benutzen und so hat sie mich gebeten, Sie um Rat zu fragen, ob Sie ihr zureden oder (unter der Hand) abraten. Wenn Sie auch äußerlich sich nicht so gedrängt fühlt, für unser Streben das Wort zu nehmen, so weiß ich doch, daß es ihr mit der Herrschaft über sich selbst ernst ist. Ich möchte ihr daher gerne gönnen, persönlich in die engere innere Bewegung hineingezogen zu werden. Sie ist schon seit 5 oder 6 Jahren Mitglied der T.S. Ihrer freundlichen Antwort se­hen wir mit Spannung entgegen.

Mit bekannter Hochachtung

Günther Wagner

#TI

Rudolf Steiner antwortete.

München-Stuttgart, 24. November 1904

#TX

Verehrter, lieber Herr Wagner!

Im Eisenbahnwagen möchte ich Ihnen vorläufig nur schreiben, daß ich allernächstens Ihre Frage bezüglich Ihrer lieben Frau bejahend

#SE264-085

beantworten werde. Ich bin auf einer Vortragsrundreise, habe in Nürnberg, Regensburg, München eine Reihe von Vorträgen ge­halten, gehe jetzt nach Stuttgart, Karlsruhe, Heidelberg, Köln und Düsseldorf. Dann nach Leipzig, Hamburg. Ich werde Ihnen darüber und über Mehreres noch berichten.

In Berlin werde ich doch immer mehr entlastet, und dann - Sie werden sehen - wird auch alle Korrespondenz endlich regelmäßig werden.

Ihrer lieben Frau und Ihnen einstweilen herzlichste Grüße

ganz Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Günther Wagner in Lugano

Berlin, 2. Januar 1905

#TX

Mein lieber Herr Wagner!

Beifolgend sende ich Ihnen den ersten E.S.-Brief an Ihre liebe Frau. Ich bitte Sie, ihr alles zu sagen und mitzuteilen, was Sie für richtig halten. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich Gatten, die beide zur E.S. gehören, gegenseitig stützen und tragen.

Die offiziellen Regeln über die vier Disziplinen sende ich Ihnen ehebaldigst.

Ihnen selbst werde ich auch bald über die E.S. schreiben. - Unsere E.S.-Mitglieder sollen zunächst folgendes wissen:

«Die deutsche theosophische Bewegung ist von besonderer Wich-tigkeit. Die Deutschen sind die Avantgarde der sechsten Unter-rasse und werden sich dieser ihrer Sendung immer mehr bewußt werden. Das sollen sie in aller Demut. Sie sollen sich vertiefen in ihre eigenen Idealisten.»

Das ist Meisters Stimme. Und dazu: «Lest Euere großen Idealisten:

J. G. Fichte, Jacob Böhme, besonders aber Angelus Silesius.»

#SE264-086

Ich mache Sie im besonderen aufmerksam auf J. G. Fichtes «Be­stimmung des Menschen». Es ist in Reclams Universalbibliothek zu haben. Nicht theosophische Lehren sind darinnen; aber indem wir solches lesen, formen wir unsere Gedankenformen im Sinne der Esoterik, und die Lehren der Meister werden uns dadurch lebendi­ger.

Vielen Dank für die Übersetzung des Besant'schen Mystik-Aufsatzes. Er ist mir für eines der nächsten «Lucifer»-Hefte recht willkommen. 1)

Morgen gehe ich nach Stuttgart, dann nach München.

Herzlichst Ihr

Vom 6. bis 9. Januar ist meine Adresse: Rudolf Steiner

München bei Frau Gräfin Kalckreuth

Adalbertstrasse 55.

#TI

An Frau Anna Wagner in Lugano

Berlin, 2. Januar 1905

#TX

Meine sehr verehrte, liebe Frau Wagner!

Nur kurz konnte ich Ihnen vor einigen Wochen die Mitteilung machen, daß Ihre Zugehörigkeit zur Esoterischen Schule verwirk­licht werden kann. Man tritt in diese Schule als «Shrâvaka», das ist wörtlich «Zuhörer» oder «Schüler», ein.

Nun obliegt es mir zunächst, Ihnen von dem Wesen und der Be­deutung der Schule zu sprechen. Sie wissen, daß hinter der ganzen theosophischen Bewegung hochentwickelte Wesen stehen, die wir «Meister» oder «Mahatma» nennen. Diese erhabenen Wesenheiten haben den Weg bereits zurückgelegt, den die übrige Menschheit noch zu gehen hat. Sie wirken nun als die großen «Lehrer der Weis­heit und des Zusammenklangs der Menschheitsempfindungen». Sie

1) Im «Luzifer» doch nicht erschienen.

#SE264-087

sind heute bereits tätig auf den höheren Planen (Ebenen), zu denen sich die übrigen Menschen im Laufe nächster Entwicklungszeiten, sogenannter «Runden», hinauforganisieren werden. Auf dem physi­schen Plane wirken sie durch die von ihnen beauftragten «Boten», deren erster H.P. Blavatsky war, das heißt für die theosophische Be­wegung erster. Eine äußere Organisation oder Gesellschaft begrün­den die Meister weder, noch stehen sie einer solchen vor. Die Theo­sophische Gesellschaft ist zwar von ihren Begründern (H.P. Blavats­ky, Olcott u.a.) ins Leben gerufen, um das Werk der Meister auf dem physischen Plan zu fördern, doch haben auf die Gesellschaft selbst äls solche diese Meister selbst nie einen Einfluß genommen. Sie ist nach Wesen und Führung das Werk von Menschen rein auf dem physischen Plane.

Anders steht die Sache bezüglich der «Esoterischen Schule». Sie ist von den Meistern selbst begründet und steht unter der Leitung der Meister. Alles, was der theosophischen Bewegung an Wissen und Kraft zuströmt, strömt ihr durch diese Schule zu. Die Angehö­rigen machen ihre Probezeit durch und gelangen zuletzt zum unmit­telbaren Verkehre mit den Erhabenen selbst. In welcher Zeit das be­wirkt werden kann, das hängt natürlich ganz von diesen Angehöri­gen selbst ab. Zunächst kann jeder nicht mehr tun, als in treuer Hin­gabe das Werk der Meister fördern.

Zum ersten «Haupt der Schule» wurde von den Meistern Frau H.P. Blavatsky bestellt. Das gegenwärtige Haupt ist unsere liebe, hochverehrte Annie Besant.

Der Shrâvaka soll so weit kommen, daß für ihn Reinkarnation und Karma nicht bloß Theorie, sondern Gewißheiten des Lebens sind, und weiter dazu, daß er durch sich selbst die große Sendboten-schaft von H.P. Blavatsky erkennt. Aufgedrängt wird keinem in der Schule irgend etwas; nur angeregt wird zur Selbsterkenntnis. Nun kann man den Weg des Shrâvakas auf vier Arten zurücklegen. Uber diese vier Arten werden Sie ehebaldigst weitere Mitteilungen erhal­ten. Dann bitte ich Sie, dieselben sorgfältig mit Ihrem lieben Ge­mahl durchzunehmen und mir zu sagen, welchen der vier Wege sie zu wählen gedenken.

#SE264-088

Als zugehörig zur Schule können Sie sich schon jetzt betrachten, wenn Sie an dem durch die Sternkonstellation bedingten Tage eine Meditationsübung beginnen. Diese will ich Ihnen vorläufig be­schreiben. Modifiziert wird sie später.

Vorläufig hätte diese Übung in folgendem zu bestehen:

1. Frühmorgens, bevor eine andere Tagesarbeit begonnen wird, womöglich vor dem Frühstück, wenn das nur irgend mit den sonsti­gen Familien- usw. Pflichten vereinbar ist, soll Folgendes geschehen:

I. Man soll vollständig wach, innerlich ganz ruhig und gesammelt werden. Keine äußeren Eindrücke sollen da Zugang gewinnen zu unserem Inneren. Auch sollen wir die Erinnerung an alle all­täglichen Erlebnisse unterdrücken. Haben wir so die vollständi­ge «innere Stille» hergestellt, so treten wir ein in die Erhebung zu unserem höheren Selbst.

Dies geschieht, indem wir intensiv in Gedanken uns die folgen­de Formel vorhalten:

Strahlender als die Sonne

Reiner als der Schnee

Ist das Selbst,

Der Geist in meinem Herzen.

Dies Selbst bin Ich; Ich bin dies Selbst.

Darauf sollen etwa fünf Minuten verwendet werden.

II. Dann folgt das stille, in sich versenkte Nachdenken über einen Satz aus einer der inspirierten Schriften. Es würde sich darum handeln, daß Sie sich in diesem Teile der Meditation vorläufig vier Wochen nachdenklich versenkten in den Satz:

«Die Standhaftigkeit steht höher als aller Erfolg».

Diesen Satz haben uns die Meister gegeben, um uns vor allem einzuschärfen, daß wir niemals uns in unserem Tun durch ir­gendeinen Mißerfolg ablenken oder entmutigen lassen. Hun­dert Mißerfolge sollen uns nicht abhalten, das zu tun - zum hunderteinten Male -, was wir als das Rechte erkannt haben.

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III. Dann folgt, nachdem II. fünf Minuten gedauert hat, die wieder fünf Minuten dauernde gebetartige Hingabe an das, was uns das Höchste, das Göttliche ist. Es handelt sich nicht, dies oder jenes als göttlich anzusehen, sondern alle unsere Gedanken, Gefühle und unseren ganzen Willen auf das zu lenken, was wir immer schon als das Göttliche angesehen haben. Das kann von dem ei­nen so, von dem anderen anders benannt werden. Nicht darum handelt es sich, ob wir das, dem wir uns hingeben, Gott, Chri­stus oder den «Meister» nennen, sondern um die hingebende (devotionelle) Stimmung selbst.

Damit ist die dreiteilige Morgenmeditation, welche fünfzehn Minuten dauert, erledigt.

2. Abends vor dem Einschlafen hat jeder Schüler einen Rückblick auf sein Leben während des Tages zu werfen. Es kommt dabei nicht darauf an, daß wir möglichst viele Tagesereignisse an unserer Seele vorüberziehen lassen, sondern darauf, daß wir dies mit dem Wich­tigsten tun. Wir fragen uns: Was können wir aus dem lernen, was wir erlebt oder getan haben? So machen wir unser Leben zu einer Lektion. Wir stellen uns selbst so gegenüber, daß wir von jedem Tag für jeden Tag lernen. - Dadurch nehmen wir die Vergangenheit mit hinüber in die Zukunft und bereiten unsere Unsterblichkeit vor. Dann schließen wir etwa den Tag mit dem Gedanken an liebe Mit­menschen ab, die unserer guten Gedanken bedürfen.

Es macht bei dieser Abendübung nichts, wenn der Schüler darü­ber einschläft. Denn dann entschläft er mit der Tendenz zur Auf­wärtssentwicklung. Und auch das ist gut. Nur die Morgenmedita­tion muß vom Anfang bis zum Ende in ganz wachem Zustande er­folgen. Nur bitte ich Sie, die Abendrückschau rücklaufend zu ma­chen, das heißt so, daß Sie mit den Ereignissen am Abend beginnen, dann zurückgehen bis zum Morgen.

Den Anfang mit der Meditation können Sie an einem der Tage machen, welche liegen zwischen dem 6. Januar und dem 20. Januar. Nach diesem Tage kann nicht angefangen werden. Wenn Sie verhin­dert wären, in dieser Zeit zu beginnen, dann könnten Sie erst wieder

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anfangen zwischen dem 6. Februar und dem 18. Februar. Ich kann Ihnen heute noch nicht sagen, warum das so ist. Doch wird eine Zeit kommen, wo Ihnen das ganz selbstverständlich sein wird.

Ich brauche Ihnen, da Sie Ihr Leben längst als Theosophin einge­richtet haben, vorläufig nichts weiteres zu sagen. Wein oder andere Alkoholika verhindern die Entwicklung.

Wenn wir das vollziehen, was ich angegeben habe, dann finden die «Erhabenen Meister» den Zugang zu unserer Seele. Diese kön­nen uns helfen und wir nehmen unter ihrem gesegneten Einfluße zu an Kraft, Wissen und Lebenszuversicht. Unsere liebe Annie Besant betont immer wieder und wieder, die Esoterische Schule ist das «Herz der theosophischen Bewegung». Und so ist es. Glauben Sie mir das eine, liebste, verehrteste Frau Wagner: In dieser Schule han­delt es sich viel weniger um Lernen und intellektuelle Arbeit, son­dern um treue Hingabe an die theosophischen Ideale. Liebe zum gei­stigen Leben und dadurch echte große Menschenliebe führt dorthin, wohin wir kommen sollen. Das Studium ist weiter nichts als ein Mittel. Wir sollen es so weit treiben, als wir jeder können. Aber die theosophische Gesinnung macht den echten E.S.-Schüler.

Und damit begrüße ich Sie zunächst als zu uns gehörig im Namen der heiligen Meister, denen ich zu Füßen lege, was ich vermag, und gegen deren Willen ich niemals im Leben bewußt etwas tun will. Gesegnet seien sie, die Erhabenen.

In Herzlichkeit

ganz Ihr

Dr. Rudolf Steiner

Bitte ausdrücklichst: Fragen Sie mich um alles, was Sie in bezug auf die E.S. zu wissen nötig haben. Ich werde mir künftig eine Zeit aussondern lediglich für E.S.-Mitteilungen.

#SE264-091

#TI

An Günther Wagner in Lugano

Berlin, 24. Mai 1905

#TX

Mein lieber, verehrter Herr Wagner!

Seit lange hatte ich vor, Ihnen beziehungsweise auch Ihrer lieben Frau zu schreiben; nun soll es aber wirklich in Kürze geschehen. Es oblag mir in diesem Winter, das Wenige, was ich tun kann, zur Fe­stigung der deutschen theosophischen Bewegung beizutragen. Daß so viel zu tun ist, darunter müssen alle leiden. Jetzt bin ich dabei, den seit lange vorbereiteten Rundbrief an die deutschen E.S.­Mitglieder zu Ende zu führen.

Für heute nur so viel, daß ich völlig einverstanden bin, wenn Ihre liebe Frau die Shrâvaka-Übungen bei unserer lieben verehrten An-nie Besant mitmacht.

In Herzlichkeit ganz Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Günther Wagner in Lugano

Berlin, 23. Juli1905

#TX

Verehrter lieber Herr Wagner!

An dem Schicksalsfall, der Ihre liebe Frau und Sie betroffen hat, nehme ich mit ganzer Seele Anteil, wenn ich auch erst heute im Stande bin, Ihnen das brieflich auszudrücken. Meine Gedanken wei­len oft bei Ihnen. Wir Theosophen müssen ja im Stande sein, auch schwere Schicksalsfälle anders hinzunehmen, als wir das vor unserer theosophischen Zeit konnten. Zwar wird niemals die Liebe und die Teilnahme durch das theosophische Leben sich verringern können, doch das Verständnis und die Kraft, zu tragen, werden größer. Wir können durch die Theosophie nichts verlieren, aber wir gewinnen sehr viel. Verlieren würden wir, wenn die Gefühle, die zu den schönsten des Lebens gehören, nur im geringsten verblassen könnten.

#SE264-092

Deshalb weiß ich, was Sie fühlen, aus Ihrer edlen und herrlichen Liebe heraus. Aber ich kenne Sie auch als einen wahren echten Theo­sophen und weiß, daß Ihnen die karmischen Zusammenhänge keine bloße Doktrin sind, sondern daß Sie in Ihnen leben. Aber einige Ge­danken möchte ich gerade jetzt mit Ihnen tauschen. Man faßt so leicht alles, was sich als ein Kettenglied in unser Karma eingliedert auf wie eine karmische Verschuldung. Und das ist keineswegs im­mer der Fall. So wahr Karma ein wahres alles umfassendes Gesetz ist, so wahr ist es auch, daß karmische Fälle sich als schlechthin erste in unseren ursächlichen Zusammenhang einschieben können. Nicht immer sind Fälle, die uns treffen, Ausgleiche für Vergangenes, oft sind sie erste Posten in unserem Lebenskonto, die erst in der Zu­kunft ihren entsprechenden Ausgleich finden. Wie ein Kaufmann Posten zum ersten Male auf der einen Seite einzutragen hat, so ist es auch mit den Posten unseres karmischen Kontobuches. Diese Ge­danken durchzogen in den letzten Wochen immer dann meine See­le, wenn ich die Gedanken hinlenkte nach Ihrem lieben Sitz in Lu­gano, und diese Gedanken empfingen in meinem Sehfelde jenen Charakter, der zeigt, daß Gedanken einer Realität entsprechen. Sie verstehen mich, indem ich Ihnen, verehrter lieber Herr Wagner, die­ses innere Erlebnis - denn es ist ein solches - schreibe. Und viel­leicht nehmen Sie nach Ihrem Ermessen auch als Realität an, was für mich eine solche ist.

Gar sehr verlangt es mich, Sie beide wieder einmal begrüßen zu können. Ich hoffe, es wird doch bald auch sein können.

Die Londoner Kongreßfestlichkeiten, bei denen Sie leider nicht sein konnten, sind vorbei. 1) Es liegt in der Natur der Sache, daß sol­che Festlichkeiten, selbst wenn sie von Theosophen veranstaltet werden, nicht viel über Äußeres hinausgehen können. Doch meine ich, daß, wer gewollt hat, doch auch von da Dinge zur Stärkung für sein Gemüt und Herz hat mitnehmen können. Frau Besant z.B. hat Vorträge gehalten, die voll des spirituellen Impulses waren. Zunächst

1) Am 8., 9. und 10. Juli 1905 fand in London der 3. Kongreß der Föderatson europäischer Sek­tionen der Theosophischen Gesellschaft statt. Rudolf Steiner sprach am 10. Juli über »Die okkulten Grundlagen in Goethes Schaffen», in Philosophie und Anthroposophie», GA 35.

#SE264-093

am Donnerstag vor dem Kongreß über die «Schülerschaft» von H.P. B. mit Rücksicht auf manche Angriffe, die in der letzten Zeit auf die große Begründerin der theosophischen Bewegung gefal­len sind. Es scheint mir doch sehr wichtig, daß diese spirituell so hochstehende Frau Besant so rückhaltlos immer wieder und wieder darauf hinweist, wie H.P. B. für sie nicht ein Mensch war wie ein anderer Hervorragender, der in ihr Leben eingetreten ist, sondern -wie sie sagte - der «Lichtbringer» schlechthin. Flecken, sagte sie, sol­len nicht etwa abgeleugnet werden; aber es sind Flecken wie die Son­nenfiecken und diese sind eben nur da, wo Sonne ist. Ich fühlte dabei so recht die inneren Erfahrungen des eigenen Lebens in der letzten Zeit nachklingen. Denn ich muß sagen, je weiter ich selbst vorwärts komme, desto mehr lerne ich die unermeßliche Kraft kennen, die von H.P. B. ausstrahlt und desto mehr werde ich gewahr, daß ich selbst erst noch viel werde lernen müssen, um nur ein bißchen die Tiefen von H.P. B.'s Schaffen und Wirken zu erkennen.

Dann war am Freitag die Convention der britischen Sektion. Von dem da Vorgekommenen wird Sie interessieren, daß Bertram Keightley von dem Posten des Generalsekretärs zurückgetreten ist, und daß Miss Kate Spink an seine Stelle gekommen ist. Zunächst geht Keightley auf vier Monate nach Indien, dann will er sich auf ei­ne Art der theosophischen Bewegung widmen, die ihm möglich ge­macht wird durch Entlastung von den offiziellen Obliegenheiten des Generalsekretärs.

Ferner war in dieser Zeit die Eröffnung der #SE264-094

Am Sonnabend morgens wurde mit einer Rede von Frau Besant der eigentliche Kongreß eröffnet. Es war einer jener großen Um-blicke über die Aufgaben und Ziele der theosophischen Bewegung, wie sie Frau Besant bei solchen Gelegenheiten gibt. Es wird Sie in­teressieren, daß sie das Skulpturwerk eines italienischen Bildhauers Ezechiel, einen «Christus» erwähnte, von dem sie sagte, daß er die Idee, die sie sich als Theosophin über die Christus-Individualität ma­chen müsse, in Einigem entspreche. Auch wird für Sie von Interesse sein, daß Frau Besant bei dieser Gelegenheit auf Richard Wagner hinwies, in dessen Tönen die Geheimnisse der astralen Welt hörbar seien. Mir war das ganz besonders bemerkenswert, denn ich habe ja in diesem Frühling vor den Berliner Theosophen vier Vorträge über den spirituellen Gehalt in Richard Wagners Schaffen gehalten. 1)

Auf die Eröffnungsrede von Frau Besant folgte etwas ungemein mannigfaltiges. Denn die Abgesandten aller europäischen theoso­phischen Gebiete hielten nun ihre Begrüßungsansprachen in ihrem eigenen Idiom. So konnte man da nacheinander kurze Reden in fol­genden Sprachen hören: Holländisch, Schwedisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, Finnisch, Russisch, Ungarisch, In-disch.

Am vorhergehenden Abend hatte Mrs. Besant vor einigen tau­send Menschen in Queen's Hall über das «Werk der Theosophie in der Welt» eine groß angelegte, umfassende Rede gehalten. Sie wies hin auf die Notwendigkeit einer spirituellen Vertiefung in unserer Zeit, auf das Werk, das dabei in den verschiedensten Gebieten der Welt zu leisten ist. Alles, was sie da sagte, war von schöner Weither­zigkeit und Größe.

Am Sonnabend abends folgte dann die Theatervorstellung. Dabei wird man wohl den guten Willen, der dabei obgewaltet hat, vor al­len Dingen in Rechnung ziehen müssen. Allerdings ist es mir beson­ders an diesem Abend klar geworden, in welcher Art die Idee dieser Kongresse wird ausgebaut werden müssen, wenn sie ihren Zweck werden voll erfüllen sollen. Nicht auf das wird zu sehen sein, was

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1) In Berlin am 28. März, 5., 12. und 19. Mai 1905.

#SE264-095

die Kongreßteilnehmer hier für sich genießen, sondern vor allen Dingen darauf, daß sie theosophische Nahrung finden für ihre Seele, die sie dann in ihre theosophische Heimat mitnehmen können zu Nutz' und Frommen derer, die nicht selbst an den Zusammenkünf­ten teilnehmen können. Ein Zentrum spirituellen Lebens sollten die Kongresse sein, von dem Ströme dann überall hingehen in die Welt.

Nun folgten die Departements-Sitzungen. Ich sende Ihnen ein Programm unter Kreuzband, aus dem Sie wenigstens die Titel ent­nehmen können des Reichhaltigen, was da dargeboten worden ist. Im besonderen erwähnen möchte ich nur noch den Vortrag von Mrs. Besant am Sonntag über die okkulten Untersuchungsmetho­den. Das war etwas ganz großartiges. In der allerschönsten Weise hat sie dargelegt, welches die Erfordernisse der okkulten Forschung auch im Abendlande sind, und was für Vorsichten u.s.w. bei solchen Forschungen zu beobachten sind.

Ich selbst habe am Montag morgen einen kleinen Beitrag gegeben über die «okkulte Grundlage in Goethes Schaffen».

Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht ausführlicher schreiben kann; allein vor mir liegen die letzten wartenden Arbeiten für «Lucifer» Nr.24 und 25. Und Sie können ermessen, wie mich das in Anspruch nimmt. Es ist notwendig, daß ich diese geheimwissenschaftlichen Dinge, welche der Lucifer in den letzten Zeiten gebracht hat, veröf­fentliche. Allein die Verantwortung lastet schwer auf mir. Und ich muß jede Zeile, jede Wendung zehnmal erwägen, um möglichst ge­nau den geistigen Inhalt wiederzugeben, der mir zu geben obliegt, und der mir doch selbst in ganz andrer Form und Sprache überlie­fert wird.

Herzlichste Grüße Ihrer lieben Frau und Ihnen von

Ihrem immer gleich getreuen

Dr. Rudolf Steiner

Berlin W, Motzstrasse 17

#SE264-096

#TI

An Paula Stryczek in Hannover

Berlin, 17. Juni1905

#TX

Liebes Fräulein Stryczek!

In diesen Tagen schreibe ich Ihnen ausführlich, was Sie für die E. S.-Übungen in der nächsten Zeit brauchen. Einstweilen setzen Sie fort, was ich das letzte Mal angegeben habe.

Es war mir sehr lieb, unseren guten Dr. Hübbe-Schleiden letzten Donnerstag wieder einmal haben besuchen zu können.

Herzlichste Grüße Ihres

Dr. Rudolf Steiner

Beifolgend sende ich Ihnen die ersten Blätter für die deutschen Shrâvakas. 1) Für Sie haben sie nur die Bedeutung, daß Sie alles, was von hier ausgeht, in Vollständigkeit haben. Sie wissen all das schon. 2)

#TI

An Mathilde Scholl in Köln

[Haubinda, Klosterheim.

Poststempel: Friedrichshall (Sachsen-Meiningen) 14.8.05]

#TX

Liebes Fräulein Scholl!

Ihr - vorletzter - Brief spricht von Ihren jetzigen Depressionszu­ständen. 3) Machen Sie sich darüber nur ja keine Sorgen. Solche Er­lebnisse sind notwendige Begleiterscheinungen einer wirksamen eso­terischen Arbeit. Die Hauptsache bei alle dem ist, daß wir uns in klarer Art selbst in die Hand nehmen. Namentlich kommt es darauf an, stets zu achten darauf, daß wir den harmonischen Zusammenhang

1) Siehe den ersten hektographieren E.S.-Rundbrief auf Seite 145.

2) Paula Stryczek war schon vor 1902 Mitglied der E.S.T. in London.

3) Dieser Brief liegt nicht vor.

#SE264-097

mit unserer jeweiligen Umgebung keine Beeinträchtigung er­fahren lassen. Sie sind eine sehr starke, aber auch eine sehr empfäng­liche Natur und nichts hindert Sie, ganz gefahrlos die immerhin doch tiefgehenden Verwandlungen zu überdauern, welche durch Ih­re gegenwärtigen Übungen Ihr Astral- und auch schon Ihr ätheri­scher Leib durchmacht. Es sind unter den deutschen Mitgliedern der theosophischen Gesellschaft nicht viele, die den gleichen Weg ge­hen, bezw. gehen können; aber alle, die es tun, haben dieselben Er­lebnisse wie Sie. Und ich muß diese Erlebnisse als Signum des wirk­lichen Fortschrittes betrachten. Ohne die Lockerung gewisser Zen­tren im Äther- und Astralleib ist ein wirklicher Fortschritt gar nicht möglich.

Ein höheres Bewußtsein erwacht, wenn Zentren, die vorher durch einen unbewußten Organismus in ihrem Zusammenwirken geregelt wurden, aus ihrer Verbindung gelöst werden. Dann wird der vorher unbewußte Organismus in einen bewußten nach und nach verwandelt, und diesem letzteren werden die gelockerten Zen­tren unterstellt. Ich möchte mich durch eine kleine Zeichnung ver­ständlich machen.

#Bild s. 97

#SE264-098

So ist der gegenwärtige «Normalzustand des Menschen». Nun be­ginnt durch die esoterische Arbeit

1. Die Lockerung von Zentrum A B C

2. Das psychische Unterbewußtsein wird zum psychischen Über-bewußtsein heraufgehoben, und die Ergebnisse des hellen Tagesbe­wußtseins verwandeln sich in Dinge der Vergangenheit. Die Sache ist dann so:

#Bild s. 98

In D E F G bilden sich neue Zentren, die von dem erworbenen hellen Tagesbewußtsein durch seine im Sinnesleben erlangte Festig­keit geregelt werden. Die Zentren A B C stehen jetzt isoliert, und werden einzeln willkür/ich von dem erwachten höheren Bewußtsein später zu regeln sein.

Die Meditation von «Ich bin, Es denkt, Es fühlt, Er will» bewirkt die angedeutete Lockerung. 1) Das Denk-, Fühl- und Willenszentrum sondern sich und treten mit den Urkräften des Universums in Ver­bindung, welche Sie in Mrs. Besants letzter Schrift 2) bezeichnet fin­den als Wille, Weisheit, Tätigkeit, und zwar so:

1) Siehe «Anweisungen für eine esoterische Schulung», GA 245

2) Annie Besant, »A Study in Concsiousness», London und Benares 1904

#SE264-099

#Bild s. 99

Bitte ja die Zuordnung richtig zu betrachten: Das subjektive Ge­fühl z.B. entspricht der objektiven Weisheit im Universum, und das subjektive Denken entspricht der Tätigkeit.

Nun treten bei Herausbildung der Lockerung gewisse Inkuba­tionszustände ein, die mit Dämmerungen verbunden sind. Und sol­che fühlen Sie jetzt.

Wir werden bei Ihrer Anwesenheit in Berlin auch von solchen Dingen viel zu sprechen haben.

Jetzt bitte ich Sie, die angegebenen Übungen genau fortzusetzen. Wenn Sie finden, daß die Sache mit dem wirklichen Atmen besser zusammengeht, so ist das sehr gut. Später müßte es auf alle Fälle da­mit zusammenkommen. Man läßt aber gewöhnlich vorher das «gei­stig-symbolische» Atmen als Vorstufe üben. Aber verbinden Sie es nur gleich mit dem wirklichen physischen Atmen.

Mit Ihrem letzten Briefe bin ich ganz einverstanden. Im Vertrau­en will ich Ihnen nur sagen, daß ich weiß, daß der gute Bresch nicht so beurteilt werden darf, wie ein gesunder Mensch. Solche Zustände, wie sich bei ihm einer herausbildet, können aber ganz langsam sich entwickeln und für ungenaue Beobachter bleibt dann verborgen, daß die betreffende Persönlichkeit die Grenze des Gesunden schon überschritten hat. Sie können sich vorstellen, wie dies für mich die ganze Sache schwer und sorgenvoll macht, denn ich kann ja öffent­lich die Wahrheit über Bresch nicht sagen, wie ich sie ansehe.

Herzlichst - auch an Künstlers -

Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#SE264-100

#TI

An Adolf Kolbe in Hamburg

#TX

(Teil des sonst unbekannten Briefes, der den Inhalt der esoterischen Stunde zusam­menfaßt, die in Berlin am gleichen Tage gehalten worden ist)

Berlin, 4. Oktober 1905

AUM

«Suche den Weg»

«Suche den Weg in der inneren Versenkung»

«Suche den Weg, indem kühn du heraus aus dir selbst trittst»1)

Nur scheinbar widersprechen sich die beiden letzten Sätze. In Wahrheit drücken sie zwei ganz außerordentlich richtige Tatsachen aus.

Die innere Versenkung ist nämlich die erste Hälfte eines Weges. Zunächst lebt der Mensch auf seiner gegenwärtigen Entwickelungs-stufe in den Sinneswahrnehmungen der Außenwelt. Auch wenn er mit seinem Verstande und seiner Vernunft diese Sinneseindrücke verarbeitet, bleibt er doch «im Außen».

Macht er sich nun frei von den Sinneseindrücken, zieht er sich in sich selbst zurück, so bleibt ihm die Kraft des Denkens. Dieses Den­ken ist dann ausgeleert von dem äußeren Inhalte. Das ist die «innere Versenkung». Aber eben deshalb, weil das Denken «entleert» ist, kann ihm nun neuer Inhalt von Innen zufließen.

Und dieser Inhalt ist geistiger Art, wie der vorhergehende sinnli­cher Art war. - Eben dadurch aber tritt nun der Mensch wieder aus sich heraus. Er tritt aus der Sphäre des niederen Ich in die «geistige Außsenwelt». Und das wird mit dem Satze angedeutet: «Suche den Weg, indem kühn du heraus aus dir selbst trittst».

Nun verbindet der Mystiker mit der Silbe AUM alle drei Sätze. Das A ist zunächst das Festhalten des Zustandes, in dem sich der Mensch immer befindet auf der gegenwärtigen Stufe seiner Evolu­tion.

Das U ist das Sinnbild der inneren Versenkung und das M ist der Heraustritt in die geistige Außenwelt.

1) Aus den Leitsätzen in «Licht auf den Weg».

#SE264-101

#TI

An Paula Stryczek in Hannover

Berlin W 30,

Motzstrasse 17 31. Dezember 1905

#TX

Liebes Fräulein Stryczek!

In der uns treffenden traurigen Sache lassen Sie mich Ihnen das Folgende sagen 1).

Es ist beim Übertritte eines uns lieben Menschen in die andern Welten ganz besonders wichtig, daß wir unsere Gedanken und Ge­fühle zu ihm senden, ohne daß wir die Vorstellung aufkommen las­sen, als wollten wir ihn zurückhaben. Dies letztere erschwert dem Hingegangenen das Dasein in der Sphäre, in die er einzutreten hat. Nicht das Leid, das wir haben, sondern die Liebe, die wir ihm geben, sollen wir in seine Welten senden. Mißverstehen Sie mich nicht. Nicht etwa hart sollen wir werden oder gleichgültig. Aber es soll uns möglich sein, auf den Toten zu blicken mit dem Gedanken:

«Meine Liebe begleite dich! Du bist von ihr umgeben.» Nach mei­nen Erkenntnissen ist ein solches Gefühl eine Art Flügelkleid, das den Toten aufwärts trägt; während die Gefühle vieler Leidtragender wie etwa: «Ach wärest du doch noch bei uns», ihm zum Hemmnis werden. Das wäre also ein allgemeiner Hinweis, wie wir uns in ei­nem solchen Falle mit unseren Gefühlen einzurichten haben.

Im besonderen darf ich Ihnen nun das folgende raten. Ich schreibe Ihnen die Gedanken hin, die mir noch nicht in ganz guter deutscher Sprache eigen sind; doch beruhen sie auf alter okkulter Tradition in solchem Falle. Werden Sie ganz still in sich dreimal des Tages, wo­von das eine Mal unmittelbar am Abend vor dem Einschlafen sein soll, so daß Sie die Gedanken selbst mit hinübernehmen in die geisti­ge Welt. Am besten ist es, Sie schlafen mit den Gedanken ein:

Meine Liebe sei den Hüllen,

Die dich jetzt umgeben -

1) Es handelte sich, wie aus dem Schluß des Briefes hervorgeht, um den Tod eines Herrn Wag­ner, vermutlich aus der Familie von Günther Wagner.

#SE264-102

Kühlend alle Wärme,

Wärmend alle Kälte -

Opfernd einverwoben!

Lebe liebgetragen,

Licht beschenkt nach oben!

Es kommt darauf an, daß Sie bei den Worten «Wärme» und «Käl­te» die richtigen Gefühle haben. Es sind nicht physische «Wärme» und «Kälte» gemeint, sondern etwas von Gefühlswärme und Ge­fühlskälte, obwohl der in physischer Hülle befindliche Mensch sich nicht ganz leicht eine Vorstellung von dem machen kann, was diese Eigenschaften für den Entkörperten bedeuten. Dieser muß nämlich zunächst gewahr werden, daß das noch an ihm befindliche Astrale wirksam ist, ohne daß es sich der physischen Werkzeuge bedienen kann. Vieles, wonach der Mensch hier auf Erden strebt, wird ihm durch die physischen Werkzeuge gegeben. Nun sind diese nicht da. Dieses Nichthaben der physischen Organe gleicht - aber eben gleicht nur - dem Gefühle des brennenden Durstes ins Seelische übertragen. Das sind die starken «Hitzeempfindungen» nach der Entkörperung. Und ebenso ist es mit dem, wonach unser Wille ver­langt, es zu tun. Er ist gewohnt, sich physischer Organe zu bedienen und hat sie nicht mehr. Diese «Entbehrung» kommt einem seeli­schen Kältegefühl gleich. Gerade diesen Gefühlen gegenüber kön­nen die Lebenden eingreifen helfend. Denn diese Gefühle sind nicht etwa bloß Ergebnisse des individuellen Lebens, sondern sie hängen zusammen mit den Mysterien der Inkarnation. Und es ist deshalb möglich, dem Entkörperten zu Hilfe zu kommen.

Nun noch etwas, worum ich Sie bitte. Lassen Sie den obigen Sät­zen einige Gedanken an unseren Herrn Wagner vorangehen, etwa mit dem folgenden Inhalte: «Ihre treue Liebe hat dich bisher umge­ben; sie umgibt dich unverändert fort; sie halte dich als Kraft des Geistes, wie sie dich bisher in sichtbarer Gegenwart beleuchtet hat.»

Ich wollte Ihnen dieses schon heute alles schreiben. Es lastet auf mir augenblicklich so viele Arbeit auf dem physischen Plan, daß ich Ihnen außer dem obigen allgemeinen nichts besonderes noch sagen

#SE264-103

kann, denn die physische Arbeit umdüstert das spirituelle Erfahren. Selbstverständlich steht es Ihnen frei, meine Zeilen allen mitzutei­len, bei denen Sie selbst es für richtig halten. Ich möchte, daß viele Herzen sich auf die liebe Persönlichkeit richten.

Sagen Sie die herzlichsten Grüße dem lieben Doktor und empfan­gen Sie solche auch für sich von Ihrem

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Jan Lagutt in Binningen bei Basel

Berlin, 12. Januar 1906

#TX

Verehrtester Herr Doktor!

Der richtige Anfang des Meditierens ist der folgende:

Man sucht in einer Morgenzeit, in der noch keine anderen Eindrücke durch die Seele gezogen sind - am besten gleich nach dem Erwachen -die volle Windstille der Seele herzustellen. Vollkommene Ablenkung der Aufmerksamkeit von allen äußeren Eindr ücken und auch von allen Gedächtnisvorstellungen, die sich auf das alltägliche Leben be­ziehen.

Aus dieser so still gewordenen Seele läßt man dann aufsteigen die folgenden Sätze, so daß das ganz Innere davon (3-5 Minuten> erfüllt ist:

«In den reinen Strahlen des Lichtes

Erglänzt die Gottheit der Welt

In der reinen Liebe zu allen Wesen

Erstrahlt die Göttlichkeit meiner Seele

Ich ruhe in der Gottheit der Welt

Ich werde mich selbst finden

In der Gottheit der Welt.»

Es kommt darauf an, daß diese Sätze ganz wörtlich vorgestellt werden.

#SE264-104

Dann folgt (durch weitere 3-5 Minuten)

im i. Monat: der erste

im 2. ,, : der zweite

im 3. ,, : der dritte Satz in «Licht auf den Weg» im 4. ,, : der vierte J

Dann (durch weitere 3 - 5 Minuten) devotionelle Hingabe an sein göttliches Ideal, woran man schließt die intensive Empfindung des Wertes einer Tugend, die man sich einimpfen möchte.

Abends: Rückschau auf die Taten und Erlebnisse des Tages. Rückläufig, vom Abend zum Morgen. Ohne Reue, bloß mit der Tendenz, vom Leben zu lernen. Schläft man dabei ein, so macht es nichts. Es kommt nicht auf Vollständigkeit, sondern darauf an, die Gesinnung zu entwickeln, vom Leben zu lernen.

Nur morgens bei der Meditation muß vollkommenes Wachsein stattfinden.

Mit den herzlichsten Grüßen

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Anna R. Minsloff in Rußland

Berlin W 30,

7. März 1906 Motzstrasse 17

#TX

Liebes Fräulein Minsloff!

Bezüglich Ihrer eigenen Übungen brauche ich Ihnen nur zu sa­gen, daß Sie dieselben, so wie wir sie besprochen, fortsetzen mögen. Wenn Sie dies tun, befestigen Sie die in Ihnen liegenden schönen Kräfte und dies ist es, was ganz Ihrer Wesenheit entspricht. Der Er­folg wird bei Ihnen nicht ausbleiben. Eine Änderung in den Übun­gen können wir jetzt noch nicht eintreten lassen: gerade das würde Ihren weiteren Gang in der geistigen Welt stören. Sie sind so veran­lagt, daß Sie durch Beibehaltung der gleichen Übungen schnell vor­wärtskommen, während viele andere durch Änderungen weiter schreiten müssen. Die besten geistigen Wesenheiten stehen schützend

#SE264-105

Ihnen zur Seite. Ihre Seele ist dazu berufen, der Menschheit viel Hilfe zu bringen. Sie sind von einem so richtigen Gefühle zur geistigen Welt durchdrungen, daß ich heute nicht mehr zu Ihnen selbst zu sprechen brauche, sondern nur noch Ihnen sage, daß ich den Schutz der «ehrwürdigen Meister» immer für Sie erbitten werde.

Nun sagt mir Fräulein von Sivers von der Dame, die sich an Sie gewandt hat. Bei guter und energischer Behandlung kann derselben geholfen werden. Doch ist es gerade jetzt in deren Zustande nicht leicht, da sie doch ein Kind erwartet. Dennoch möchte ich Ihnen ra­ten, nach Möglichkeit mit ihr eine Behandlung auszuführen. Diese Behandlung wirkt ja auch auf die Entwickelung des Kindes ein; doch wird dieser Einfluß weniger schlimm sein, als wenn die Dame ganz ohne psychische Behandlung bleibt.

Zu raten ist nun folgendes.

Sie sollten sich die Dame kommen lassen. Zunächst drei Tage hin­tereinander zu einer bestimmten Stunde. Eine halbe Stunde, bevor sie zu Ihnen kommt, denken Sie selbst in folgender bestimmter Wei­se nach. Sie denken zuerst an Ihre Füße, so wie wenn Ihr ganzes Ich in der Fußsohle wäre, dann ziehen Sie das Gefühl, das Sie auf diese Art in der Fußsohle erhalten, durch den ganzen Körper herauf zum Herzen, immer denken Sie dabei «Ich»; dann denken Sie an Ihre Fin­gerspitzen und sagen, wie wenn Sie den Gedanken in die Fingerspit­zen senden wollten: Ich will damit alles Schädliche abwehren.

Dann also kann die Dame zu Ihnen kommen. Nun sagen Sie zu ihr folgendes:

«Ihr Körper ist ein Kampfplatz zweier einander bekämpfender Mächte. Wir werden das ganze zurecht bringen, wenn Ihr Ich Herr­scher wird über den eigenen Körper. Dadurch schädigen wir die bei­den Kämpfer nicht, sondern wir nützen ihnen; aber Sie selbst erlan­gen auch Ihre Ruhe und Festigkeit.» Wenn Sie der Dame das gesagt haben, lassen Sie sie vor Ihnen stehen und Ihnen in die Augen schau­en. Dabei nehmen Sie mit Ihrer rechten Hand die linke Hand der Dame. Dann sagen Sie ihr: «Denken Sie jetzt ganz fest , nun machen Sie so, daß Sie ganz intensiv an Ihre Füße denken, so daß Sie

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alles bis ins Kleinste fühlen in Ihren Füßen; nun ziehen Sie dieses Gefühl durch den ganzen Körper zum Herzen und denken ans Herz nur mit der einzigen Vorstellung .» Das muß so lange fortge-setzt werden, bis eine halbe Stunde zu Ende ist. Und die Dame darf dabei gar nicht an ihren Kopf denken. Dies letzte muß besonders streng eingehalten werden. Dann, wenn dies geschehen ist, streichen Sie in zwei Strichen zu beiden Seiten des Rückgrates bei der Dame, vom Rückenende bis zum Kopfe und sprechen dabei laut: «die feind­lichen Mächte verschwinden». Dabei schärfen Sie der Dame ein, daß sie, während Sie so sprechen, an nichts denken darf, als was Sie sagen.

Dann muß die Dame ohne Sie öfter am Tage wenigstens 7mal ste­hend allein das Denken an die Füße bis zum Herzen wiederholen.

Wenn das drei Tage lang geschehen ist, so soll alles so bleiben, nur das Denken an die Füße wird ersetzt durch weitere drei Tage durch Denken an die Beine von Ferse bis zum Knie,

dann drei Tage von Knie bis Hüfte,

dann drei Tage Denken an Körpermitte bis zum Nabel,

dann drei Tage an Körper vom Nabel bis Herz,

dann drei Tage von Herz bis Schultern, dann drei Tage an Oberarme

drei Tage an Unterarme

drei Tage an Hände bis Fingerspitzen.

Wenn das energisch durchgeführt wird, dann wird die Dame nach der Zeit beruhigt sein, doch ist es noch nicht ganz der Fall, dann muß sie das ganze wiederholen.

Jedesmal, wenn die Sache vorbei ist, muß die Dame sagen:

«In den reinen Strahlen des Lichts

Erglänzt die Gottheit der Welt.

In der reinen Liebe zu allen Wesen

Erstrahlt die Göttlichkeit meiner Seele.

Ich ruhe in der Gottheit der Welt

Ich werde mich selbst finden

In der Gottheit der Welt.»

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Das soll sie wieder 7mal am Tage nach der anderen Sache sich sagen.

Wenn Sie die Striche am Rücken ausgeführt und die oben angege­benen Worte «die feindlichen Mächte verschwinden» gesagt haben, dann nennen Sie ganz fest den Namen (Vornamen) der Dame und streichen dabei nochmals von unten nach aufwärts mit beiden Hän­den über den Rücken.

Auf Wiedersehen herzlichste Grüße ganz Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Michael Bauer in Nürnberg

Berlin W 30, 3. Juli 1906

Motzstrasse 17

#TX

Mein lieber Herr Bauer!

Gerne hätte ich Ihnen längst geschrieben. Doch war meine Zeit recht in Anspruch genommen. Erst war ich in Paris, wo ich vier Wochen hindurch einen Vortragszyklus gehalten habe. 1) Dann nah­men mich viele Arbeiten in der Heimat in Anspruch. Daß ich zu dem Nürnberger Kongreß nicht komme, wird wohl Ihre Zustim­mung haben. Ich glaube nicht, daß man in einer so kurzen Zeit, wie mir zugemessen worden wäre, etwas Ernstes leisten könnte.

Dagegen möchte ich, wenn es Ihnen recht ist, Sie und unsere an­dern lieben Mitglieder in der Zeit um den 8. August herum besu­chen. Das heißt innerhalb der Tage nach dem 8. Vielleicht bekom­men Sie dann eine Logensitzung zusammen. Den Tag schreibe ich Ihnen noch. Ich komme nämlich in diesen Tagen wegen einer an­dern Sache in die Nähe Nürnbergs.2)

1) Siehe «Kosmogonie», GA 94

2) Rudolf Steiner war am 6.17. August 1906 mit Marie von Sivers für eine Parsifal-Auffüh­rung in Bayreuth. Ob der Besuch in Nürnberg erfolgte, ist nicht bekannt.

#SE264-108

Der Fall Leadbeater ist schwerwiegend. Ich habe ein Zirkular ver­faßt darüber, das in den nächsten Tagen an unsere sämtlichen Mit­glieder abgehen wird. 1) Man muß in dieser Sache auf die tieferen Un­tergründe eingehen. Es ist im Okkultismus nun einmal so, daß bei der Methode, die Leadbeater zu der seinigen gemacht hat, der Ab­sturz ungemein leicht möglich ist. Eigentlich ist aber der Fall nur vom okkulten Standpunkte aus richtig zu beurteilen. Ich hoffe, Ih­nen mündlich die ganze Sache in den nächsten Tagen auseinanderzu­setzen.

[ . . . ]2)

Herzlichstes Ihrer Frau und allen Mitgliedern, sowie Ihnen selbst

von Ihrem

Dr. Rudolf Steiner

In der E.S.-Arbeit tritt ja zunächst keine Veränderung ein. -An Eugenie von Bredow in Landin/Westhavelland

Berlin W 30, 14. August 1906

Liebe Frau v. Bredow! Motzstrasse 17

So traurig auch die Mitteilungen sind, welche Sie mir bezüglich unserer guten Mathilde Scholl machen: sie bieten mir nichts Überra­schendes. Es wird aber auch jetzt nicht möglich sein, durch irgend etwas ihr zu helfen, woran sie sich selbst beteiligen müßte. Die Sa­che liegt durchaus so, daß sie vor einer Prüfung steht, die ihr unmög­lich abgenommen werden kann. Was Sie und ich tun können, das ist, den rechten Ton in unserem eigenen Innern zu ihr anschlagen. Und der Ton, den als den Ihrigen Ihr mir eben geschriebener Brief zeigt, ist der richtige. Sie werden ihr am besten helfen, wenn Sie gerade

1) Siehe den Rundbrief vom Juli 1906 in Teil II «Zur Geschichte der Gliederung der Esoteric Scbool of Theosophy in eine östliche und westliche Schule».

2) Diese Ausbihrungen beziehen sich auf die erkenntniskultische Abteilung von Rudolf Steiners Esoterischer Schule, und werden in dem betreffenden Band abgedruckt werden.

#SE264-109

in diesem Tone stark bleiben. Es wäre ja auch nicht gerade rich­tig, wenn man Mathildens jetzige Seelenverfassung als «Schwäche» auffassen wollte. Bei der okkulten Stufe, auf der sie lebt, handelt es sich dabei nicht um ihre innere Schwäche, sondern vielmehr um die Stärke der Angriffe, die von gewissen Mächten auf ihre Seele ausge­übt werden. Man bekommt den richtigen Gesichtspunkt, wenn man die Gestalt, in welcher sich bei ihr die Freundschaft äußert, eben als Prüfung ansieht. Von einer «Schuld» Ihrerseits, liebe Frau, kann nicht gesprochen werden. Wenn Sie der Richtung treu blei­ben, die Sie eingeschlagen haben, werden Sie in bezug auf sich und auch aüf Mathilde das Richtige treffen.

Sie müssen beide den festen Punkt Ihrer Freundschaft in dem Hinblicke auf das geistige Ideal haben. Ich selbst werde an Mathilde in einigen Tagen schreiben. Heute wäre es nicht an der richtigen Zeit. Wenn Sie aus dieser Prüfung siegreich hervorgeht, dann wird ihr zuletzt um so mehr Kraft zuströmen.

In der Zeit, die ich bei Ihnen zubringen durfte, wäre ich Ihnen mehr gewesen, wenn jetzt nicht gerade große Pflichten vor mir stünden, die erledigt werden müssen. Doch die Hauptsache ist, daß Sie die Möglichkeit gefunden haben, in Ihren schwierigen Verhält­nissen die Ihnen angemessene Linie einzuhalten. Von solchen Din­gen hängt in der menschlichen Entwickelung viel ab. Sicherheit der Seele ist eine mächtige Kraft für den geistigen Fortschritt. Sie wer­den den Mut in Schwierigkeiten nicht verlieren, auch wenn sich Ih­nen ungeahnte ergeben sollten. Dem Gefühle nach stehen Sie ja auch richtig zu Ihrer Umgebung. Und wenn Ihnen auch oft dünkt, daß da Ihr Einfluß nicht groß genug ist, so werden Sie nach und nach erkennen, daß er mittelbar doch die richtigen Wege sucht und sie letzten Endes finden wird.

Lassen Sie die geistigen Mächte, die Sie gesucht haben, bei Ihnen dadurch sein, daß Sie beibehalten und ausbilden den Pfad, auf dem Sie seit einer Weile zu wandeln bestrebt sind.

Herzlichen Gruß

Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#SE264-110

#TI

An A. W. Sellin in Hamburg

Berlin W 30, 15. August 1906

Motzstrasse 17

#TX

Sehr verehrter Herr Direktor!

[ . . . ]1)

Heute haben ich Ihnen nun auch etwas zu Ihrer Übung zu sagen. Es ist richtig, sie in der bisherigen Weise etwa bis zum 23. August fortzusetzen. Dann hätte sie sich in der folgenden Art zu gestalten. 2) Sie beginnen Ihre Morgenmeditation mit einer

1. Atmungsübung. Bevor Sie sich anschicken, die übungsgemäs­sen Atmungszüge zu machen, stellen Sie sich, so lebhaft als es nur geht, eine Ihnen wohlbekannte Pflanze vor. Sie muß Ihnen in allen Teilen bekannt sein, damit die Imagination eine ganz genaue sein kann. Diese Vorstellung behalten Sie als einzigen Bewußtseinsinhalt vor der Seele, so lange die 8 Atmungszüge dauern, die nun kommen.

Sie machen nun nämlich folgendes:

Einatmung - Atemhalten - Ausatmen, so daß sich die drei zuein­ander den Zeitintervallen nach verhalten wie

1: 4 : 2 (nach dem Gefühle)

also wenn die Einatmung zum Beispiel 2 Sekunden dauert, dauert das Atemhalten 8, das Ausatmen 4 Sekunden. (Können Sie nicht nacheinander so atmen, so können sich gewöhnliche Atemzüge da­zwischenschieben, doch die Vorstellung der Pflanze darf nicht un­terbrochen werden.)

Beim Einatmen und dem ersten halben Atemhalten meditieren Sie im Hinblick auf die Pflanze:

«Dein Tod - mein Leben»

1) Der erste Teil des Briefes handelt von der erkenntniskultischen Abteilung der Esoterischen Schule und wird in dem betreffenden Band erscheinen.

2) Zu der angegebenen Übung siehe auch die Übung in «Anweisungen für eine esoterische Schulung - Aus den Inhalten der Esoterischen Schule», GA 245.

#SE264-111

Beim zweiten halben Atemhalten und beim Ausatmen meditieren Sie

«Mein Tod - dein Leben»

(Der Sinn dieser Worte wird sich Ihnen von selbst nach und nach ergeben).

Dies geschieht durch 7 Atemzüge hindurch.

Beim achten suchen Sie so gut es geht Ihr Bewußtsein in die Pflan­ze selbst hineinzuversetzen, so, wie wenn Sie in der Pflanze wären und sich selbst als Objekt von außen ansähen. (Also wie wenn Sie aus sich herausgegangen wären und vor sich stünden); dabei meditieren Sie im Hinblick jetzt auf sich selbst

beim Einatmen und halbem Atemhalten

«Mein Tod - dein Leben»

beim zweiten halben Atemhalten und Ausatmen:

«Dein Tod - mein Leben»

Dies nur einmal.

Dann folgt:

Lebhaftes Denken an den Punkt zwischen und etwas hinter den

Augenbrauen (Nasenwurzel) und dabei meditieren:

Ich bin

Lebhaftes Denken an das Kehlkopf-Innere und dabei meditieren:

Es denkt

Lebhaftes Denken an Arme und Hände, dabei meditieren:

Sie fühlt

Lebhaftes Denken an den ganzen Körper, dabei meditieren:

Er will.

Herzlichen Gruß

ganz Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#SE264-112

#TI

An Günther Wagner in Lugano

Barr (Elsaß), 8. September 1906

#TX

Lieber Herr Wagner!

Wohl ist es richtig, daß im allgemeinen die beiden Meditationen aufeinanderfolgen; doch war in Ihrem Falle die Sache so gemeint, daß sich die zweite (geschriebene) jeden Tag unmittelbar an die erste anschließt. Sollte das aber zu viel sein, dann wäre es gut, morgens das zu machen, was in der hektographierten Anweisung steht und im Laufe des Tages zunächst wie als Vorbereitung die geschriebene Anweisung auszuführen. Sie kämen dadurch schneller vorwärts.1)

Sogar wenn Sie abends vor dem Einschlafen die Sache ausführen, wird sie Ihnen das leisten, was Sie zu Ihrer Schlafensruhe brauchen.

Wegen dieser Schlafensruhe nun, so ist das Beste das folgende. Sie versuchen in dem Augenblicke, wo Sie den Schlaf suchen und nicht finden können, recht lebhaft an Ihre Füße zu denken und wie wenn Sie das ganze Bewußtsein in die Füße verlegten, denken Sie in die Füße das Wort «Meine Lebenskraft» hinein. Es wird nicht lange dauern, und der Schlaf wird sich einstellen. Notwendig ist nur, daß der ganze Vorgang so innerlich ungezwungen wie möglich verläuft, so daß in jedem Augenblicke die Vorstellung eben sich selbst in die Vorstellungslosigkeit überführen kann.

Auf Wiedersehen

herzliche Grüße Ihr

Dr. Rudolf Steiner

1) Mit «hektographierter Anweisung» ist gemeint, was als Hauptübung 1 sich in «Anweisun­gen für eine esoterische Schulung», GA 245, findet; die «geschriebene Anweisung» war eine für Günther Wagner ganz persönlich gegebene Übung.

#SE264-113

#TI

An Edouard Schuré in Barr/Elsaß

München, 20. Dezember 1906

Hochverehrter Freund!

. . . Daß Ihnen die in Barr aufgeschriebenen Übungen etwas sind, ist mir lieb. Sie sind ja im Einklange mit der rosenkreuzerischen Weisheit. Und wenn ich Sie um etwas bitten darf, dann ist es dieses:

nicht die Geduld zu verlieren, wenn der Zeitpunkt einer wahrnehm­baren Wirkung auch etwas auf sich warten läßt. Der Weg ist ein si­cherer, aber er braucht viel Geduld. In einer kurzen Zeit, wenn der rechte Augenblick dazu sein wird, schreibe ich gewiß die Fortset­zung davon. - Zunächst erfährt man ja die Wirkung nur durch ganz intime Vorgänge des Seelenlebens. Und es bedarf eigentlich großer und zugleich subtiler innerer Aufmerksamkeit, um zu verspüren, wie sich die Manifestationen aus einer anderen Welt einstellen. Die­se sind sozusagen zwischen den sonstigen Ereignissen des inneren Le­bens nur zu merken....1)

#TI

An Alfred Meebold in Heidenheim a. d. Brenz

[1906, ohne näheres Datum]

#TX

Lieber Herr Meebold!

Schnell möchte ich summarisch Ihnen die gestellten Fragen bezw. berührten Punkte noch beantworten.

Die Frage der Meister habe ich nur implicite berührt durch den Hinweis, daß nicht «Ich» bedeutet, wenn ich «Ich» sage. Ich wußte, daß Sie mich richtig verstehen, denn ich schätze die von Ihnen im Leben gemachten Erfahrungen sehr hoch und sprach deshalb mit vollem Vertrauen zu Ihnen.

1) Der volle Inhalt des Briefes ist vorgesehen für GA Nr.263, bereits abgedruckt in «Nach-

richten der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung», Nr.6.

#SE264-114

Daß Ihnen die Nebenübungen vertraut sind, ist mir bekannt. Doch ist es notwendig, daß man sie systematisch einmal durchübt. Was Sie als eine «innere Erfahrung» bezeichnen, verdanken Sie der bisherigen Übung. Und Sie werden auch das Übrige in meiner Ih­nen gegebenen Beschreibung in künftigen Zeiten als Ihr Erlebnis ha­ben, und zwar wird wirklich aus jeder besonderen Übung auch ein besonderes Gefühl ersprießen. Denken Sie, das bitte ich Sie, ja dabei nicht an «Suggestion». Mit solchen Begriffen wirft man sich nur Stei­ne in den Weg.

Der Sinn der «Atementhaltung» wird sich Ihnen ergeben, wenn Sie Ihre Gedanken in die folgende Richtung lenken: Der Prozeß der irdischen Einkörperung ist bedingt durch das «Lungenatmen»; die Aufwärtsbewegung zur Spiritualität muß daher übungsweise diesen Prozeß rückgängig machen usw. usw. Damit ist natürlich der Ge­danke nur angeschlagen, den ich Sie bitte, weiter zu denken. 1)

Das «Geheimhalten» betrachten Sie bitte nicht als prinzipielle Verpflichtung, sondern nur als temporäre, durch die verworrenen gegenwärtigen Verhältnisse in E.S. und T.S. bedingt. Ich lege Ihnen intimen Freunden gegenüber prinzipiell kein Schweigen auf, wenn diese Freunde Ihr absolutes Vertrauen genießen. Vorläufig aber be­trachten Sie dieses «Schweigen» nur so, wie wenn ein Freund dem andern etwas anvertraut und ihm sagt: Bitte sprechen Sie darüber zu niemand. Es wird die Zeit ja gewiß kommen, wo wir uns auch dar­über verständigen können, daß solchen Freunden [gegenüber] die Schweigepflicht nicht mehr notwendig sein werde. Also nur in die­sem Sinne betrachten Sie die vertrauliche Mitteilung vorläufig als vertraulich. Ich wäre selbst froh, wenn auch dies nicht zu sein brauchte. Ich bin selbst gerade von denen meiner Schüler sehr be­friedigt, die verstehen lernen, mein Verhältnis zum Okkultismus nicht anders aufzufassen, als das eines Mathematikers zur Mathe­matik. Damit ist wohl auch die leidige Autoritätsfrage restlos ge­troffen.

1) Vgl. hieiüber «Anweisungen für eine esoterische Schulung - Aus den Inhalten der Esoteri­schen Schule», GA 245

#SE264-115

Lieb würde es mir doch sein, Sie am Kongresse zu sehen. 1) Es ge­währt mir große Befriedigung, daß Sie so bald mit den Übungen beginnen. Ich werde auch brieflich stets für Wichtiges Ihnen zu Diensten sein.

Herzlichste Grüße

Ihres

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Michael Bauer in Nürnberg

Berlin, 4. August 1907

#TX

Mein lieber Herr Bauer!

Beifolgend sende ich Ihnen die «Nebenübungen», welche auch die drei letzten Zeiträume umfassen. Sie schrieben mir vor einiger Zeit, daß diese den Nürnbergern noch fehlen. Ich sende sie Ihnen, damit Sie sie, wann Sie es richtig finden, Ihren Esoterikern geben. Das kann natürlich auch nach Ihren Ferien geschehen. Denn es ist im­mer gut, wenn die Übenden möglichst lange bei einer Sache bleiben.

Für Sie selbst sende ich sieben Sprüche, die sich auf die sieben Wochentage verteilen. 2) Man übt sie so, daß man sich am Freitag in den für Sonnabend, am Sonnabend in den für Sonntag usw. vertieft. Sie können dies mehrmals im Tage machen und versuchen, 20-30 Minuten die Tiefe eines solchen Spruches auszuschöpfen. Sie wer-den sehr viel davon haben für die Gewinnung eines Zusammenhan­ges mit dem Mysterium der alldurchdringenden Siebenheit.

Zugleich sende ich Ihnen Esoterische Blätter, die Ihnen eine Handhabe geben werden, die Ihnen bekannten vier Sprüche noch weiter in deren Kraft zu erleben.3)

1) Da der Brief kein genaues Datum trägt, kann es sich nur entweder um den Pariser Kongreß im Mai 1906, oder um den Münchner Kongreß Mai 1907 gehandelt haben.

2) Michael Bauer war für Nürnberg »SubWarden», d.h. Leiter einer regionalen esoterischen Gruppe, so wie z.B. Adolf Arenson für Stuttgart, Sophie Stinde für München. Die «Ne­benübungen» und »sieben Sprüche» sind in »Anweisungen für eine esoterische Schulung» enthalten.

3) Die »Esoterischen Blätter» liegen nicht vor, u.U. könnte es sich um die Exegese zu «Licht auf den Weg» gehandelt haben.

#SE264-116

Dehnen Sie während Ihrer Muße die Übungszeit so weit aus, als Sie es mit Ihrer Kraft vereinen können. Doch jedenfalls nicht über das Maß hinaus.

Sie senden mir doch bald die Abschrift Ihres Münchner Vortra­ges. Ich muß das «Jahrbuch der Föderation» fertig machen. Und da muß Ihr Vortrag erscheinen. 1)

Grüßen Sie Ihre liebe Frau herzlich. Sie soll in der gleichen Art weiter üben.

Herzlich Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Eugenie von Bredow in Landin/Westhavelland

Berlin, 4. August 1907

#TX

Meine liebe Eugenie von Bredow!

Es wird das beste sein, Ihrer Schwester ganz anheimzustellen, ob sie die intimere theosophische Tätigkeit fortsetzen will oder nicht. Die Zweifel und Bedenken, in welche sie kommt durch ihren Glau­ben, sie tue nicht das rechte, die sind doch auch das störende. Eine okkulte Entwickelung ist nur möglich, wenn der Mensch energisch gerade solche Zweifel und Bedenken von sich weghält. Gut, sie zu überreden, ist jedenfalls nicht. Deshalb empfiehlt es sich nur, ihr den Zweifel zu benehmen, als ob sie durchaus nicht könnte, ihr zu sa­gen, daß die Mutlosigkeit zu weit gehe; im übrigen aber alles in ih­ren eigenen Willen stellen. Man sollte nicht glauben, daß die Theo-sophie als solche nicht den Menschen schon weiterbringe. Und die­ser will ja Ihre Schwester treu bleiben.

In diesem Sinne mögen Sie das halten. Dann ist auch für Sie kein Grund zur Traurigkeit über die Sache.

Ihnen selbst sende ich die besten Gedanken und bin stets in Herz­lichkeit

Ihr

Abreisen können wir nun doch erst heute. 2) Dr. Rudolf Steiner

1) Vortrag beim Münchner Kongreß im Mai 1907 über die Pflege des Okkultismus innerhalb der Gesellschaft Das «Jahrbuch der Föderation, ist jedoch nicht erschienen.

2) Rudolf Steiner und Marie von Sivers verbrachten den August in Italien.

#SE264-117

#TI

An Mathilde Scholl in Köln

Berlin, 4. August 1907

#TX

Meine liebe Mathilde Scholl!

Ihr Brief ist ein schöner Beleg dafür, daß Sie den Mittelpunkt Ih­res Wesens in sich suchen; fahren Sie in dieser Art fort, bringen Sie zur Ausführung, was Sie sich selbst als Ihr Ziel setzen. Das Licht, das dem Menschen die Geisteswissenschaft gibt, ist ein solches, das alle seine Handlungen und Gedanken, auch alle seine Verhältnisse zu an­dern Menschen beleuchten kann. Erst dann findet er die rechte Art, sich zu diesen andern Menschen zu stellen, wenn er seine Beziehun­gen in dieses Licht rückt. Dann kann ihm nichts gefährlich werden, welche Gestalt auch dieses oder jenes äußerlich annehmen mag. Un­sere Lebensverhältnisse werden nicht kälter, wenn wir dieses Licht auf sie fallen lassen. Aber wir kommen leicht in ein falsches Geleise, wenn wir einmal uns in dieses Licht gerückt haben, und dann nicht alles von ihm beleuchtet sein lassen. So sehen Sie jetzt die Sache an, und so fahren Sie fort. - Ihre Nichte ist auf schönem Wege. Geben Sie Ihr beifolgende wenige Worte. 1)

Empfangen Sie die herzlichsten Grüße und die besten Gedanken von mir.

Ihr stets gleicher

An Künstlers herzliche Grüße Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Anna R. Minsloff in Rußland

Berlin, 23. März 1908

#TX

Mein liebes Fräulein Minsloff!

Herzlichen Gruß vor allem. Die Übungen waren nicht so ge-meint, daß sie eines Tages aufhören sollten, sondern immer fortgesetzt

1) Liegen nicht vor.

#SE264-118

werden, bis Sie neue erhalten. Es wird nun gut sein, wenn Sie die Morgen- und Abendübung genau in der Art weiter machen, wie Sie dieselbe bei Ihrem letzten Hiersein beschrieben erhalten haben. In dieser Übung liegen viele Mysterien verborgen, welche sich durch die innerliche Identifizierung mit dem Inhalte in jahrelanger Energie enthüllen. Sie insbesondere werden durch das geduldige Fortsetzen dieser Übung zu echten inneren Offenbarungen kom­men. Wenn Sie jetzt zuweilen eine Schwächung der Kräfte fühlen, so ist das eine vorübergehende Erscheinung, die weiter keine Bedeu­tung hat und die wieder in Energie übergehen wird. Besonders wich­tig in der Morgenübung sind: 1.) Die Ihnen bekannten 7 Zeilen; 2.) Die vier Meditationen über «Ich bin»; «Es denkt»; «Sie fühlt»; «Er will» im Zusammenhange mit den Ihnen beschriebenen Atmungen. 3.) Das Kraftwort, das Ihnen gegeben worden ist. 4.) Die Devotion an das göttliche Ideal. Zwischen das 2. und 3. fügen Sie ein die leb­hafte Vorstellung einer Pflanze (Imagination) und suchen sich ganz zu versenken in die Vorstellung, wie der Mensch der Pflanze sein Leben verdankt. Man macht dies so:

Einatmung mit dem Anschauen der Pflanze und dem Gedanken:

Dein (der Pflanze) Tod - mein Leben

Dann Atemhalten und dabei imaginatives Hinschauen auf die vorgestellte Pflanze;

dann

Ausatmen mit dem Gedanken:

Mein Tod - dein Leben.

Dies wiederholt man dreimal; dann läßt man folgen:

Einatmung wieder mit dem Satz:

Dein Tod - mein Leben; dann Ausatmung

Mein Tod - dein Leben;

dann enthält man sich des Atmens eine Weile (dreimal so lang als man eingeatmet hat).

Dies wiederholt man wieder dreimal.

Dann versetzt man sich in die Pflanze; man identifiziert sich mit

#SE264-119

derselben in Gedanken, und sieht in Gedanken auf sich selbst, als ob man ein ganz anderes Wesen wäre, dabei

Einatmung mit Gedanken:

Mein Tod - dein Leben

Ausatmung mit dem Gedanken:

Dein Tod - mein Leben; dann wieder eine Weile Atementhal­tung.

Dies macht man einmal.

Dabei hat man in der Vorstellung immer die Pflanze vor dem gei­stigen Auge.

Abends die Übungen, die Ihnen beschrieben worden sind.

Die Nebenübungen: Gedankenkonzentration, Initiativhandlun-gen; Überwinden von Lust und Leid, Positivität, Unbefangenheit wiederholt man so, daß wenn man sie durchgenommen hat, [ man] immer wieder von vorne beginnt; einen Monat Gedanken-konzentration, dann einen Monat Initiativhandlung folgen läßt usw., wie es in Ihren Papieren beschrieben ist.

Wenn Sie diese Übungen ausführen, wird alles gut gehen.

Und wenn Sie, mein liebes Fräulein Minsloff, Ihre Kraft nicht überanstrengen, dann kann ich mit allen den Dingen, die Sie für an­dere Menschen tun, ganz einverstanden sein. Sie werden segensreich wirken. Es ist alles recht, wie Sie es machen.

Nun noch einiges über die russische Sektionsgründung. Es wird wohl für die große geistige Sache, die allein heilsam sein kann und welche wichtig ist, durch diese Sektionsgründung nicht viel bewirkt werden. In Deutschland ist die Sektion in vieler Hinsicht schon ein Hemmschuh; aber ein notwendiger, der nicht außer Acht gelassen werden durfte. Wir mußten hier die Sektion haben. Bei Ihnen wird die Sektion noch weniger förderlich sein. Sie haben im Lande und namentlich im Volke den großen theosophischen Schatz, welcher

#SE264-120

durch eine geistige Verbindung mit dem, was Sie hier kennen ge­lernt haben als wahre Theosophie und auch als echtes lebenspenden-des zukunftsicheres Christentum, zu der höchsten geistigen Blüte gerade im Osten Europas kommen muß. Im nicht theosophischen Geistesleben des Westens gibt es eine Wissenschaft, die in geistiger Beziehung für die Zukunft nur durch ihre umfassende Gedanken-technik Wert hat. Diese Gedankentechnik muß in aller Zukunft dem Geistesleben eingeimpft werden. Im Osten aber haben Sie ei­nen Volks-Seelen-Inhalt, der zur Evolution gebracht werden muß zum Heile der ganzen Menschheit. Dieser Volks-Seelen-Inhalt macht es, daß in Vielem aus dem Osten große Weisheiten mit weni­gen Sätzen geprägt werden, welche im Westen nicht mit ganzen Bü­chern zu erschöpfen sind. Die Leiden in Ihrem Lande sind die Ge­burtswehen dieses Volks-Seelen-Inhaltes. Wie ein Zauberhauch aber erscheint der Keim dieses Volks-Seelen-Inhaltes dem wahren Erken­ner der Verhältnisse. Da ist große geistige Arbeit zu tun. Was Frl. Ka­mensky in München vorgebracht hat als Vortrag auf dem Kongres­se, hat mit dieser geistigen Sache gar nichts zu tun, denn das sind im Grunde nur theoretische Reflexe des Westens; die Volks-Seele liegt viel tiefer. Vieles keimte von dieser Volksseele in Tolstoi hervor; doch muß sich dieses alles verbinden mit echter Theosophie, wenn daraus das echte werden soll.

Gegen das alles, was, wie ich weiß, auch Ihren Zielen, mein liebes Fräulein Minsloff, eingeprägt ist, gegen das alles ist die Sektions­gründung eine kindliche Pygmäenarbeit, das unschuldige Spiel eini­ger theoretisierender Menschen, welche innerlich fanatisiert sind durch die Eine Form der Theosophie, welche sie kennen gelernt ha­ben. Und denen gegenüber ist das beste: man läßt sie gewähren mit ihrer Sektionsgründung und sagt sich, sie mögen tun, was sie wol­len. Der Sache wird die Sektionsgründung nur durch das nützen, was man in das Sektionsgefäß hineingießt. Aus diesem Grunde wäre es wohl auch nicht ganz gut, wenn ich gerade jetzt Vorträge dort hielte. Mag erst die Sektion begründet sein. Wir werden mit und oh­ne Sektion von dem Wege keinen Schritt abkommen, auf dem wir wandeln. Und diesem ernsten Wege wird die Sektion bei Ihnen

#SE264-121

nichts nützen, aber auch nicht erheblich schaden. So scheint es das beste: Wir warten mit meinen Vorträgen eine kleine Weile, wenn auch nicht lange; lassen die Sektionsgründung ihre Wege gehen. Ihre eigene Arbeit, mein liebes Fräulein Minsloff, setzen Sie so fort, wie Sie sie bisher gemacht haben. Es ist besser, wenn Sie diese wertvolle Arbeit positiv tun und die Sektion trotzdem ruhig entstehen lassen. Ob Sie und die wenigen Angehörigen der deutschen Sektion der rus­sischen Sektion beitreten sollen: das braucht jetzt noch gar nicht entschieden zu werden. Das kann dann geschehen, wenn die russi­sche Sektion gegründet ist, falls es überhaupt geschehen soll.

Diesen Brief schreibe ich nur für Sie, und ich bitte Sie, den Inhalt ntemand von den andern Theosophen mitzuteilen, mit nur Einer Ausnahme, wenn Sie dazu Gelegenheit haben: Fräulein Olga von Si-vers. Doch auch diese soll die Sache nur als Richtschnur für sich be­trachten und nicht dieses andern sagen.

In immer gleicher Art, ganz Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Sophie Stinde in München

Köln a. Rh., 10. Juni 1908

#TX

Mein liebes Fräulein Stinde!

Nicht wahr, nach dem von uns festgestellten Programm bleibt es bei E.S. Sonntag vormittags und Loge Sonntag abends. Nun gäbe ich gerne noch eine philosophische Stunde Sonntag, etwa 5 Uhr für die Zuhörer von damals bei der philosophischen Stunde und für sol­che, die Sie für geeignet halten. Doch ganz nach Ihrem Ermessen soll das alles eingerichtet werden. Es sollen Stockmeyers in F. M. diesmal aufgenommen werden. 1) Es wird wohl nicht gehen, daß eine

1) F. M = Freimaurerei, beziehungsweise die erkenntniskultische Abteilung der Esoterischen Schule Rudolf Steiners.

#SE264-122

kurze Vorfeier Montag für die F. M. gemacht werde. Stockmeyer hat den dringendsten Wunsch, gerade zu seinem 50. Geburtstage aufge­nommen zu werden. Die Aufnahme kann natürlich erst Dienstag -einen Tag nach seinem Geburtstag sein - doch könnte man kurz -vielleicht ohne Logenausstattung - Montag Vorfeier der Aufnahme, die besonders gestaltet würde, machen. Doch wenn es Ihnen zu viel Scherereien macht, dann mag Stockmeyer ruhig bis Dienstag war­ten. Gerne möchte ich ja auch im Laufe des Montags Stunde für vor­gerückte Esoteriker.

Herzlichstes der Gräfin und Ihnen Ihr

Dr. Rudolf Steiner

Ankommen werde ich frühestens Sonnabend abends von Eisenach aus kommen können, wo die Loge eröffnet werden soll.

#TI

An Maria Kili in Straßburg

[Undatiert, August 1908]

#TX

Gesprochen darf über die Übung mit niemand werden. Dieses schreiben Sie ab und senden es mir wieder zurück.

Liebes Fräulein Kili!

Die Ihnen bei meinem Straßburger Aufenthalt versprochenen Übungen sind folgende:

Morgens früh, möglichst bald nach dem Erwachen, wenn noch keine andern Gedanken durch die Seele gezogen sind, versuche man die Aufmerksamkeit von der Umgebung und auch von allen alltägli­chen Gedanken abzulenken und sich durch 5 Minuten (doch nicht nach der Uhr, sondern nach dem Gefühl) ganz in die folgenden 7 Zeilen zu vertiefen:

#SE264-123

In den reinen Strahlen des Lichtes

Erglänzt die Gottheit der Welt

In der reinen Liebe zu allen Wesen

Erstrahlt die Göttlichkeit meiner Seele.

Ich ruhe in der Gottheit der Welt

Ich werde mich selbst finden

In der Gottheit der Welt.

Nachdem dies geschehen, mache man einen tiefen Atemzug, wie wenn man J einatmete; nachdem man eingeatmet hat, setze man zum J noch CH hinzu, so daß man «Ich» in sich hat, wie die Kraft, welche die Atemluft durchdringt. Diese Kraft (nämlich «Ich» in der Atemluft) lasse man im Gedanken durch den ganzen Körper drin­gen; dann wieder zurück in die Brust. Dann atme man CH aus und J behalte man im Körper. Man soll dabei den Gedanken haben, J be­deute auch noch Jesus und CH Christus. Dieses Atmen wird drei­mal wiederholt.

Dann soll das Bild einer Pflanze, wie sie aus dem Samenkorn ent­steht, wie sie wächst, blüht, Frucht trägt, wieder verwelkt und er­stirbt, die Seele durch etwa 5 Minuten (nicht nach der Uhr, sondern nach dem Gefühle) erfüllen.

Abends 7-8 Zeilen lesen aus Dr. Steiners «Theosophie» und dann darüber etwa 1/4 Stunde eigene Gedanken machen.

Darnach Rückschau auf die Tageserlebnisse und zwar von Abend angefangen, am Morgen aufgehört.

Mit diesen Übungen wird fortgefahren, Tag für Tag, bis von mir neue an die Stelle gesetzt werden. Man muß Geduld haben, genau dasselbe Monate lang, vielleicht Jahre lang zu üben. Die Fricht wird schon kommen.

Theos. herzl. Gruß

Dr. Rudolf Steiner

#SE264-124

An Wilhelm Hübbe-Schleiden in Hannover

Berlin, 15. November 1908

#TX

Verehrter, lieber Herr Doktor!

Meine Einführungen zu «Goethes naturwissenschaftlichen Schrif­ten in Kürschners National-Literatur» sind meinem Wissen nach nicht im Separatdruck erschienen. Sollte damals der Verleger einen solchen haben erscheinen lassen, so wäre es ohne mein Wissen ge­schehen. Aber es wird nicht der Fall sein.

Die in Hannover von mir erwähnte Schrift heißt: «Der Aufbau des Atoms und das Leben» von Dr. Adolf Drescher (Verlag von Emil Roth in Gießen 1908). Sie finden in der Vorrede dieser Schrift auch das von Ihnen genannte frühere Buch des gleichen Verfassers erwähnt. Drescher läßt bei seinen Atomkonstruktionen den Okkul­tismus unberücksichtigt. Deshalb zog ich ihn auch nur zu einem prinzipiellen Vergleich heran. 5)

Bezüglich der Farbe des Pentagramms! Es wird auch für Sie die Färbung der beifolgenden Pentagrammfigur die beste sein, die ich für einzelne Esoteriker habe machen lassen. Doch ist diese Vorstel­lung kompliziert. Wenn eine Farbe verwendet wird, dann ist die wirksamste die des Hornes zu (violettrötlich).

Die Schlange wird am besten in dem Gelb vorgestellt, wie Sie es bei Pentagramm und Hexagramm finden. 2)

Siegel Rosenkreuz blauer Grund - schwarzes Kreuz - 7 Sterne (in München sollte exoterisch 8 für esoterisch 7 stehen). 3)

Anordnung

#Bild s. 124

1) Rudolf Steiner war am 4. und 5. November 1908 zu Vorträgen in Hannover und hatte bei dieser Gelegenheit wohl ein Gespräch mit Hübbe-Schleiden, der sich viel mit Atomkon­struktionen befaßte.

2) Vgl. die Abbildung und Text Seite 190.

3) Bezieht sich auf das von Rudolf Steiner für den Münchner Kongreß erstmals gegebene Ro senkreuz~Siegel. Vgl. «Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongreß Pfing­sten 1907 und seine Auswirkungen«, GA 284/85.

#SE264-125

Verzeihen Sie die Kürze; es ist Abreisezeit. Deshalb nur noch

herzlichst freundschaftlichst

ganz Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An Anna R. Minsloff in Rußland

Berlin, 16. November 1908

#TX

Mein sehr liebes Fräulein Minsloff!

Aus Ihren lieben Briefen geht hervor, daß Sie gerade in diesem Zeitpunkte meine Reise nach Rußland für notwendig halten. Nun können Sie überzeugt sein, daß ich jederzeit alles tun werde, was in der Möglichkeit [liegt], um die Sache, der wir dienen, bei Ihnen zu fördern. Und auch jetzt wäre ich bereit, Hindernisse zu überwin­den, wenn die Angelegenheiten nicht so lägen, daß gerade im gegen­wärtigen Augenblicke meine Reise nach Rußland nicht nützen, son­dern schaden würde, wenn sie so arrangiert würde, wie sie jetzt ar­rangiert werden müßte. Und der Schaden wurde um so größer sein, als eine Reise in einem späteren Zeitraume viel Nutzen bringen wird. Diesen aber nehmen wir uns selbst, wenn wir jetzt, im ungün­stigsten Zeitpunkt, etwas tun, was nichts anderes sein könnte als ein Schlag ins Wasser. Es gibt viele Gründe, die für alles dieses sprechen. Erstens der wesentlichste: Die über die pirituelle Bewegung wachen-den Mächte bezeichnen einen späteren Zeitpunkt als den, wo die theoso­phische Mission bei Ihnen zu beginnen hat. Denn diese muß in Ruß­land auf einem gediegenen wissenschaftlichen Boden stehen, sonst bleibt sie unfruchtbar.

Zweitens kann meine Reise im gegenwärtigen Zeitpunkt nur Mißverständnisse hervorrufen. Vor allem Mißverständnisse in der theosophischen Gesellschaft. Da haben wir aber schon Mißverständ­nisse genug. Es handelt sich darum, daß wir in nicht sehr ferner Zeit in der theosophischen Gesellschaft vor ganz neuen Situationen stehen

#SE264-126

werden. Diese Angelegenheiten wurden wir in einer ungünsti-gen Weise bestimmen, wenn wir jetzt meine Reise so arrangierten, daß ich gleichsam gerufen von Opponenten der russischen theoso­phischen Sektion in Rußland vortrüge. Wir hätten dann alles, selbst in Adyar, gegen uns. Uns handelt es sich aber doch um die Sache, und der schaden wir, wenn wir als Opponenten gegen die russische Sektion aufgefaßt würden. Es wäre jetzt sogar notwendig, daß vor meinem Kommen nach Rußland, ich verlangen würde müssen, um der Sache nicht zu schaden, daß alle unsere deutschen Mitglieder in die russische Sektion eintreten. Dann, wenn ich von einer Gruppe russischer Sektionsmitglieder gerufen würde, wäre ja äußerlich gegen mein Kommen nichts einzuwenden; innerlich bliebe aber der gegen­wärtige Zeitpunkt doch so ungünstig wie nur möglich. Ob Sie in die russische Sektion eintreten oder nicht, darin werde ich Sie nie beein­flussen. Ihr und Ihrer Genossen Verhältnis zu mir wird in nichts ge­ändert, ob Sie Mitglieder der deutschen oder der russischen Sektion sind. Es handelt sich nur darum, daß Sie in der Sache den Ihnen ent­sprechenden Weg gehen. Und dieser besteht darinnen, bei Ihnen ei­ne theosophische Sache vorzubereiten, die auf einem gediegenen Grunde steht, die allem theosophischen Dilettantismus aus dem We­ge geht, und mit der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit rechnet. Von alledem sind Sie, mein liebes Fräulein Minsloff, bei al­lem Ihren bisherigen Vorgehen geleitet gewesen. Ihnen selbst muß es natürlich überlassen bleiben, wie Sie sich zur neubegründeten rus­sischen Sektion verhalten. In Adyar scheint man zu glauben, daß ich auf Ihre Entschlüsse einen Einfluß genommen habe, während Sie doch rein selbst gefunden haben, daß diese Sektion mit diesen Ein­richtungen den russischen Verhältnissen nicht entspricht.

Aber ob Sektion oder nicht Sektion: die Dinge gehen ihren Lauf, wie sie ihn nach spirituellen Notwendigkeiten gehen müssen. Bei al­len Entscheidungen, die Sie treffen, werden Sie sich ja immer die Frage vorlegen müssen: liegt das Handeln im Sinne der spirituellen Notwendigkeiten? Zu bloßen Abstraktionen, wie man sie gegen­wärtig in manchen theosophischen Kreisen liebt, sind heute die Zei­ten zu ernst.

#SE264-127

Also, wie gesagt, lassen Sie die Situation der theosophischen Ge­1 sellschaft auch in Rußland klären. Manches, was in nächster Zeit in der theosophischen Gesellschaft geschehen wird, wird zu einer sol­chen Klärung beitragen. Es wird doch alles gut werden. Dieser Brief ist nur für Sie.

Herzlichst und in Treuen

Ihr

Dr. Rudolf Steiner

#TI

An ... [Empfänger unbekannt]

[ohne Datum]

#TX

Sehr verehrter Herr Doktor!

Beifolgend habe ich Ihnen aufgeschrieben, was zu dem besproche­nen Zwecke zunächst dienlich ist. Ich bemerke, daß die Beschrei­bung solcher Übungen immer nur eine Art Richtung angibt; man findet sich bei Einhaltung der Übung dann in eine gewiße Praxis selbst hinein. Unter dieser Voraussetzung darf ich auch annehmen, daß die skizzenhafte Angabe genügt und nichts fraglich läßt.

Mit theos. Gruß

Berlin W, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

Beilage:

Sehr verehrter Herr Doktor!

Zu dem besprochenen Ziel ist folgendes zu raten:

Am Abend, nach Vollendung des gesamten Tagewerkes, so daß kei­ne Tagessorgen etc. zwischen diese Übung und das Einschlafen fal­len: Ausfüllen des gesamten Bewußtseinshorizontes mit einem ern­sten, der Weltanschauung entnommenen Gedanken, den man in we­nige Silben zusammenfaßt.

#SE264-128

Z.B. man denke über das Leben der Weltseele in der Menschenseele durch einige Minuten nach, so daß einem konkrete Gedanken über die Sache durch die Seele ziehen und das ganze Nachdenken einen hingebungsvollen Charakter hat. Man denkt nicht bloß die Wahr­heiten; man empfindet, fühlt sie. Man faßt sie dann zusammen, so:

Weltseele im Ich

Auf eine solche Vorstellung - die also Endergebnis einer Gedanken-und Gefühlsreihe ist - konzentriere man das gesamte Bewußtsein; erfülle sich mit demselben so, daß man alles andre Denken, Fühlen und Empfinden ausschließt.

Dann erfülle man die eigene Leibesform ganz mit dieser Vorstel­lung, indem man sie im Gedanken vom Kopfe durch den Leib in die Füße und Hände gleiten läßt. (Zeit etwa 10 Min. für das Ganze. Nicht nach der Uhr; nach dem Gefühle).

Lage des Körpers etc. ist an sich gleichgültig. Es kommt nur dar­auf an, daß man sich in eine solche Situation versetzt, in welcher man durch nichts abgelenkt werden kann. Je länger man dann - oh-ne die Sache zu übertreiben - in der Seele den Nachklang der Übung

- ohne andre Vorstellungen - festhalten kann, desto besser.

Am Morgen, nach dem Erwachen, wiederhole man den ganzen Übungsvorgang.

Man kann den gleichen Vorgang viele Tage fortsetzen - am be­sten kommt man vorwärts, wenn man die Geduld hat, mit den glei­chen Vorstellungen wochenlang zu arbeiten - dann variiert man ihn.

Allgemeine Regeln der Schule

#G264-1984-SE131 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

#TI

Allgemeine Regeln der Schule

#TX

Zu diesen Regeln siehe auch die «Allgemeinen Anforde­rungen (Nebenübungen)» sowie die «Hauptübungen» und deren Erklärungen in «Anweisungen für eine esc­terische Schulung - Aus den Inhalten der Esoterischen Schule», GA 245

Die Regeln der Englischen Schule

Die esoterische Schule

Während die «drei Ziele» der Theosophischen Gesellschaft allgemein be­kannt sind, hat sie noch ein weiteres Ziel, über das öffentlich nicht gespro­chen wird, nämlich eine Hilfe zu sein bei der Entwicklung des inneren Le­bens der ernsteren und hingebenderen ihrer Mitglieder, ihnen den Weg zu weisen zu dem «engen, alten Pfad» und zwar entsprechend ihren verschie­denen Temperamenten, wenn sie sich entschließen, ein Leben anzufangen, das höheren Zwecken gewidmet ist. In dem langen Leben jedes Individu­ums gibt es einen Wendepunkt, in welchem man sich abwendet von den gewöhnlichen Zielen des irdischen Lebens: Wohlstand, Ruhm, Macht, und man sich selber zu finden sucht. Die genannten Ziele mögen den Menschen weiterhin interessieren, ja sogar Anziehungskraft auf ihn ausüben, aber sie stehen nicht mehr an erster Stelle und im Falle eines Konfliktes würden sie den höheren Zwecken geopfert. Zu wissen, zu lieben oder zu dienen, also einen der drei Pfade des Wissens, der Hingabe, des Dienstes zu betreten, ist zur gebietenden Notwendigkeit des Lebens geworden, dem alles andere un­tergeordnet wird. Der Mensch ist entschlossen, vor allem anderen «das Reich Gottes und der Gerechtigkeit» zu suchen.

Solchen ernsten und aufrichtigen Suchern öffnet die esoterische Schule der Theosophie ihre Pforten, und ist bemüht, ihre Methoden den Bedürf­nissen dieser Menschen anzupassen. Zu diesem Zwecke bietet sie gegenwär­tig drei besondere Methoden an, entsprechend drei grundsätzlich verschie­denen Temperamenten, zu welchen weiteres hinzugefügt werden kann, so-fern nötig, sowie eine allgemeine Methode, die von jedem befolgt werden kann, der sich nicht von Anfang spezialisieren will und die als Grundlage dient, auf welcher eine spezielle Disziplin später aufgebaut werden kann. Es gibt also vier Wege: die allgemeine Disziplin; die christlich-gnostische oder Disziplin der Hingabe; die pythagoräische oder intellektuelle und künstlerische Disziplin; die karmische oder Tathandlungs-Disziplin. Die Methoden sind verschieden, aber das Ziel ist stets dasselbe - die Verwirkli­chung des Gottes im Innern. Dies ist die wahre Weisheit, die wahre Gno­sis; es ist direkte Erkenntnis des Ewigen durch die Enthüllung unseres eigenen ewigen Wesens, und daß der Mensch hierzu im Stande ist, ist das

#SE264-132

eigentliche Wesen der Theosophie. Durch die Einheit der Ziele gehören al­le einer esoterischen Schule an, und die Verschiedenheit der Methoden dient dem gleichen Ziel. Es ist notwendig, daß diese Einheit gewahrt blei­be, wenn die Schule ihren Zweck erflillen soll, die das Herz der Theosophi­schen Gesellschaft bildet. Daher wird von jedem Mitglied erwartet, daß es, obwohl es seine eigene Methode als die seinem Temperament angemessene bevorzugt, Achtung und ein brüderliches Gefiihl seinen Mitstreitern entge­genbringt, in welchen der innere Gott gleichfalls sich zu offenbaren sucht. Nur durch eine solche weitherzige Toleranz kann die Einheit der Schule aufrechterhalten werden, während sie sich durch das umfassende ihres Charakters der immer größer werdenden Ausdehnung der Theosophi­schen Gesellschaft anpaßt.

Die esoterische Schule hat zwei Abteilungen. Die erste besteht in dem Orden der Prüfung, der Hörer. Die zweite besteht aus den Mitgliedern, die ein Gelöbnis abgelegt haben; sie ist in Grade eingeteilt. Der Übertritt von dem einen Grad zum anderen hängt von dem gemachten Fortschritt ab und wird beschlossen von dem korrespondierenden Sekretär der Abtei­lung, der einen Bericht von dem Sub-Warden (Gruppenleiter) des Kandida­ten beizieht.

Vom Neuling wird kein Gelöbnis gefordert außer dem Versprechen, die Papiere auf Verlangen zurückzugeben und sie als privat anvertraut zu be­trachten, solange sie in seinem Besitz sind und auch danach. Nichteinhal­ten dieses Versprechens, wenn es auf dem physischen Plan bekannt wird, hat Ausschluß zur Folge und wenn es nicht ruchbar wird, macht es jeden Inneren Fortschritt zunichte.

Nach zwei Jahren im Prüfungsorden und nachdem der Prüfling bewie­sen hat, daß er mit der theosophischen Lehre genügend vertraut ist, kann er die Erlaubnis erhalten, ein Gelöbnis abzulegen. Um dieses Privilegs teil­haftig zu werden, muß er ernsthaftes Streben und Hingabe im Studium und im praktischen Leben bewiesen haben, wodurch er sich würdig macht, ein angelobtes Mitglied zu werden; und er muß eine Empfehlung seines Gruppenleiters an den korrespondierenden Sekretär haben.

Das Gelöbnis darf nicht abgelegt werden, bevor der Prüfling nicht min­destens zwei Jahre im Prüfungsorden verbracht hat, er kann aber auch in diesem Orden verbleiben, nachdem er es abgelegt hat, und er muß darin verbleiben, bis er vorbereitet ist für die Studien des nächsten Grades. Die Erlaubnis, ein Gelöbnis abzulegen, setzt Charakterfestigkeit voraus, sowie

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eine gewisse Stufe im Wissen und in der Meditation, und angelobte Mitglie­der dürfen gewisse Versammlungen der Schule besuchen, von welchen die nichtangelobten ausgeschlossen sind.

Der Eintritt in eine Disziplin erfolgt auf dem Wege der Prüfung, um dem Kandidaten ein Urteil zu ermöglichen darüber, ob die angewandte Methode seinem Temperament entspricht. Die Einzelheiten der Methoden finden sich auf den folgenden Seiten, wo Anweisungen für jede einzelne von ihnen gegeben werden. Diese Blätter werden den Kandidaten für sechs Monate übergeben, während welchen sie die allgemeine und die speziellen Methoden, die Lektüren und Meditationen studieren und sich entschließen können, welchem Pfad sie folgen wollen. Der Kandidat sollte jeder Diszi­plin einen Monat täglicher Praxis widmen, und die Wirkung, die sie auf ihn ausübt, geistig, gefühlsmäßig und physisch sorgfältig notieren. Dies wird vier Monate seiner Kandidatur ausfüllen. Der fünfte und sechste Monat sollten dazu dienen, die Arbeit der vorangegangenen Monate aufzufri­schen, bis zum sorgfältig gefaßten Entschluß, welcher Weg zu wählen sei.

Während dieser Zeit wird der Schüler als zugehörig zur Klasse der Kan­didaten des Prüfungsordens betrachtet. Er kann Zusammenkünften von je-der Gruppe beiwohnen, zu welchen der betreffende Gruppenleiter ihn zu­läßt. Informationen über Gruppenzusammenkünfte erteilt der korrespon­dierende Sekretär.

Am Ende der sechs Monate kann der Kandidat seine Disziplin bestim­men, und sich an den korrespondierenden Sekretär für die Aufnahme mel­den. Er wird dann aufgefordert, das folgende Versprechen mit der Hand zu schreiben und zu unterzeichnen:

Ich verspreche, niemandem außerhalb der E. S. irgendwelche Unterlagen des Prüfungsordens der E. S. zu zeigen, sowie die Regeln der Diszi­plin, in welche ich nun eintrete, zu befolgen. Ich verspreche ferner, dem äußeren Haupt der Schule oder ihrem Vertreter auf Verlangen erhaltene Unterlagen zurückzugeben.

Name

Adresse

Datum

Alter

Religion

Kaste, Kirche oder Sekte

verheiratet oder ledig

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Die Ordensregeln bilden ein Ganzes, aber der Lernende muß in seiner Meditation diejenigen befolgen, die seiner Disziplin entsprechen. Er kann von sich aus Regeln hinzufügen, die ihm gemäß sind, aber er darf keine we­glassen.

Am Ende seiner zweijährigen Probezeit darf er eine andere Disziplin wählen, muß aber in diesem Falle von neuem anfangen und wieder zwölf Monate in der neugewählten Disziplin arbeiten, bis er in den ersten Grad eintreten oder das Gelöbnis der Schule ablegen kann. Er braucht auch eine Empfehlung von dem Sekretär der Disziplin, welche er aufgibt.

Die allgemeinen Richtlinien finden sich in den Regeln der einzelnen Prüfungsdisziplinen, mit zusätzlichen Einzelheiten und Erweiterungen, je nach den erzielten Fortschritten. Ganz allgemein folgt die allgemeine Dis­ziplin der alten hinduistischen und buddhistischen Methode der Beherr­schung des Körpers durch Diätvorschriften, der Gemütsbewegungen durch eine freiwillige Regelung derselben, des Denkvermögens durch vor­geschriebene Meditationen, die zu der Praxis des Yoga hinleitet; die christ­lich-gnostische oder Disziplin der Hingabe führt ihre Jünger zur Erleuch­tung durch Gebete, durch hingebende Meditation, Selbstprüfung, Studium und gelegentliches Fasten; die pythagoräische Disziplin erzieht durch Schweigen, Sich-versenken in der Meditation, Kontemplation des Guten und Schönen, Studium der Ideen und der wahren «Mathematik und Mu­sik»; die karmische oder Tathandlungs-Disziplin verlangt geregelte Opfer-handlungen und strenge selbstlose Arbeit, Trainierung des Willens zur Un­terordnung und zur Zusammenarbeit und des Körpers zu stetiger wacher Dienstbereitschaft. Sie alle bilden einen einzigen Pfad im Hauptsächlichen mit Unterschieden im einzelnen. Es bräuchte eigentlich nicht erwähnt zu werden, daß die tieferen Lehren nur vom individuellen Lehrer dem indivi­duellen Schüler gegeben werden und daß die Hilfe, welche die Schule ge­währt, Vorbereitung ist für den Prüfungspfad.

Regeln der allgemeinen resp. raja-yoga Disziplin

1. Der Angehörige der Schule soll zu einer bestimmten Zeit aufstehen (entsprechend seiner Gesundheit und seinen Familienverhältnissen) und soll, nachdem er gebadet hat, sich der Meditation zuwenden, bevor er Nahrung zu sich genommen hat.

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2. Jeder Angehörige der Schule soll wenigstens eine viertel Stunde an die ihm gegebene Meditation wenden; mittags muß er den Satz sagen, der ihm gelehrt wird; bevor er zu Bett geht, muß er eine Rückschau auf den Tag halten und sein eigenes Verhalten einem Urteil unterwerfen.

3. Jeder Angehörige der Schule muß wenigstens eine halbe Stunde täglich ein Buch aus der beigefügten Liste studieren.

4. Jeder Angehörige der Schule muß einer lokalen Gruppierung angehö­ren oder durch Korrespondenz an sie angeschlossen sein, und muß die Arbeiten mitmachen, welche von der Gruppe beschlossen werden. Die Gruppe wird von einem Sub-Warden (Gruppenleiter) betreut.

5. Die Gruppe soll zu bestimmten Zeiten zusammenkommen, die vom Sub-Warden bestimmt werden, und Mitglieder am Ort müssen regel­mäßig teilnehmen bzw. im Falle von unvermeidlicher Abwesenheit sich schriftlich entschuldigen. Der Sub-Warden führt eine Anwesenheitsli­ste. Korrespondenz-Mitglieder müssen in Verbindung stehen mit einem Gruppenteilnehmer, der sie auf dem Laufenden hält über Angelegenhei­ten von Interesse sowie von Beschlüssen, die gefaßt werden.

6. Jeder Angehörige der Schule muß ein Tagebuch führen über seine Beob achtung der Regeln 2 und 3, und muß dem Sub-Warden an der ersten Zusammenkunft des Monats eine schriftliche Bescheinigung geben, daß er die Regeln befolgt hat, oder, wenn dies nicht der Fall war, welche Unterlassungen er gegangen hat, und aus welchem Grunde. Nachläßige Schüler werden nach drei Verwarnungen aufgefordert, ihre Papiere zu­rückzugeben und gelten nicht mehr als Mitglieder der Schule.

7. Die Diät betreffend: Wein, überhaupt alle alkoholischen Getränke so­wie jede narkotische oder giftige Droge sind strengstens verboten. Wenn dies nicht beachtet wird, gibt es keinen Fortschritt und die Bemü­hungen des Lehrers sowohl wie des Schülers sind nutzlos. Alle solche Substanzen haben eine geradezu vernichtende Wirkung auf den Ver­stand, und besonders auf die Zirbeldrüse.

8. Fleisch ist nicht verboten, aber wenn der Schüler ohne es auskommen kann, wird empfohlen, darauf zu verzichten. Enthaltsamkeit von Fleisch und Fisch ist obligatorisch vom ersten Grad an. Fleischessen stärkt die Leidenschaftsnatur und das Bedürfnis, Besitzungen anzuhäuffen

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und macht den Kampf mit der niederen Natur des Menschen zu ei­nem schwereren.

9. Der Hörer, in dieser Disziplin Shrävaka genannt, muß seinen Sub­Warden eine hinreichende Kenntnis von zweien der für das Studium vorgeschriebenen Bücher nachweisen, bevor er in den ersten Grad auf­steigen kann.

Geschäftliche Regeln

1. Für alle Schriften muß der Empfang unverzüglich bestätigt werden. Das Wort «erhalten» auf einer Postkarte mit den Initialen des Schülers ge­nügt.

2. Schüler sollten alle Papiere in einer verschlossenen Schachtel, die nur diesem Zwecke dient, aufbewahren, und dafür sorgen, daß diese Schach­tel im Todesfalle an den Sekretär ihrer Disziplin gesandt wird; dem Sub­Warden ihrer Gruppe müssen sie von ihren diesbezüglichen Dispositio­nen Mitteilung machen.

3. Wer sich aus einer Disziplin zurückziehen will, kann seinen Namen aus der Mitgliederliste streichen lassen durch einen schriftlichen Antrag bei dem Sekretär der Disziplin, und der Angabe derjenigen Disziplin, in welche er übertreten will.

4. Wer aus dem Orden austreten will, muß dies dem Sekretär der Disziplin mitteilen und alle Papiere zurückgeben.

5. Jede Adreßänderung muß dem Sekretariat der Disziplin sofort mitge­teilt werden, auch ist der Sub-Warden der lokalen Gruppe zu benach­richtigen.

Die tägliche Praxis des Shrâvaka

Der Shrâvaka sollte sich täglich vor Augen halten, daß das unmittelbarste Ziel seines Lebens der Eintritt in den Schulungsweg ist. Zu diesem Zweck sucht er die Kontrolle über seine Gedanken zu erwerben und ein reines Le-ben zu führen.

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Wenigstens dreimal am Tage sollte er den schweifenden Geist zur Ord­nung rufen und ihm sein Ideal vorhalten; diese drei Fixpunkte sollten sein:

die Morgenmeditation, Mittag, abends vor dem Schlafengehen.

Meditation: Setze dich mit gekreuzten Beinen auf den Boden oder auf ei­nen niedrigen Stuhl mit den zwei Handflächen nach unten auf den Knien. Rücken gerade, nicht krumm, Augen geschlossen. Sage langsam den Vers, welcher am vorangehenden Abend dem Gedächtnis eingeprägt wurde; den­ke darüber nach, versuche seinen Sinn zu ergründen und lasse den Geist nicht auf etwas anderes abschweifen; wenn er es doch tut, hole ihn zurück und fixiere ihn auf den Vers. Tue das während fünf Minuten. Wende dann deine Gedanken auf das höchste Selbst als den Gott außer dir und in dir, und präge dir ein, daß du eins mit ihm bist; sage dazu: «Strahlender als die Sonne, reiner als der Schnee, feiner als der Äther ist das Selbst, der Geist in meinem Herzen. Dies Selbst bin ich. Ich bin dies Selbst.» Auch dies wäh­rend fünf Minuten. Richte deine Gedanken sodann auf den vollkommenen Menschen, den Meister, strahlend von Liebe und göttlicher Schönheit; den­ke ihn dir als die Verkörperung der Monatstugend. Angenommen, diese Tugend sei «Mitgefühl», so stelle dir vor, wie sich das in deinem Verhalten ausdrücken würde, und schließe ab mit dem ernsten Wunsch: «Moge ich, durch Mitgefühl mit allen Wesen, mich bereiten, um Schüler zu werden von IHM, der selber Mitgefühl ist.» Auch hierfür fünf Minuten. Wenn die Möglichkeit besteht, eine halbe Stunde zu meditieren, können die Zeiten auch verdoppelt werden.

Mittags: Um die Mittagszeit nimm deine Gedanken zusammen und fixiere sie auf die Vorstellung, daß du weder dein Körper noch dein Geist bist, sondern der geistige Mensch. Wiederhole: «Strahlender als die Sonne» etc.

Vor dem Schlafengehen: Laß die Ereignisse des Tages an dir vorüberzie­hen, mit besonderer Hinsicht auf deine Gedanken, deine Wünsche, und die Wirkung deines Verhaltens auf das Wohlbefinden deiner Umgebung. Prä­ge dir den Vers für die Morgenmeditation des folgenden Tages ein.

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Das Gelöbnis der Esoteric School of Theosopby

Pledge of the School

I pledge myself to endeavour to make Theosophy a living power in my life, and to support the Theosophical movement before the world.

I pledge myself to maintain a constant struggle against my lower nature, to abstain from untruthful und injurious speech, and to be charitable to the weaknesses of others.

I pledge myself to do all in my power, by study and otherwise, to fit my­self to help and teach others.

To all this I pledge my word of honour, invoking my Higher Self.

Name

Deutsche Wiedergabe nach einer handschriftlichen Vorlage Rudolf Steiners Archivnummer 3211

Ich verbürge mich, bestrebt zu sein, die Theosophie zu einer lebendigen Macht in meinem Leben zu machen und die theosophische Bewegung in der Welt zu kräftigen.

Ich verbürge mich, eine beständige Strenge zu bewahren gegen meine niedrige Natur, mich von unwahrhaftigem und unrechtem Sprechen fern-zuhalten und liebreich mit den Schwächen Anderer zu verfahren.

Ich verbürge mich, alles, was in meiner Gewalt ist, zu tun, durch Studi­um und auf andere Weise mich selbst vorwärts zu bringen und andere zu lehren.

Darauf gebe ich mein Ehrenwort, unter Anrufung meines höheren Selbstes.

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Erste von Rudolf Steiner gegebene Regeln aus dem Jahre 1904

Beilage zum Brief an Amalie Wagner vom 2. August 1904 Originalhandschrift liegt nicht vor.

Vertraulich

E.S.T.

Orden der Shrâvakas

Meditation im Auftrag des Hauptes der Schule

I Regeln

1. Jeden Morgen, möglichst vor Einnahme einer Mahlzeit, soll eine Meditation vorgenommen werden.

Die Art der Meditation wird durch den Arch-Warden bestimmt.

2. Abends, bevor man sich zur Ruhe begibt, soll eine Sentenz, die durch den Arch-Warden angegeben wird, in Gedanken wieder­holt und dann eine kurze Rückschau auf die Erlebnisse des Tages geworfen werden.

3 . Es soll täglich eine Viertelstunde zum Studium eines Buches ver­wendet werden, das von der Leitung der Schule bestimmt wird.

4. Alle 14 Tage soll mit kurzen Worten dem Arch-Warden ange­zeigt werden, ob die täglichen Übungen ausgeführt worden sind, oder falls das nicht der Fall sein sollte, aus welchem Grunde sie unterlassen worden sind.

5. Der Shrâvaka soll sich ein Notizbuch anlegen, und in dieses jeden Tag eintragen, ob er die Übungen gemacht hat.

6. Der Genuß aller Arten von alkoholartigen Getränken ist den Shrâvakas verboten, da solche auf das Gehirn und besonders auf dasjenige Organ schädlich einwirken, das zu spiritueller Erkennt­nis führt. Ohne die Beobachtungen dieser Regel sind alle Anstrengungen

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sowohl des Lehrers wie auch des Shrâvakas vergeb­lich. Nur wenn der Arzt alkoholische Getränke verordnet, kann eine Ausnahme gemacht werden.

7. Die Enthaltung von Fleischgenuß wird nicht verlangt, doch wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Enthaltung den Kampf ge­gen die niedere Menschennatur erleichtert. Diätänderungen aller Art müssen mit größter Vorsicht vorgenommen werden.

IL Geschaftliche Regeln

1. Empfang der erhaltenen Papiere etc. anzeigen

2. in verschlossenem Kasten aufbewahren etc.

3. beim Austritt zurückgeben

4. Wohnungsveränderung anzeigen.

JIL Versprechen

(Ist abzuschreiben und mit vollem Namen und Adresse an den Arch­Warden zu senden)

Ich gebe mein Ehrenwort, daß ich die Regeln des Ordens sorgfältig gelesen habe und daß ich mich bemühen werde, sie genau innezuhal­ten. Auch verspreche ich, daß ich niemandem, der nicht zur Schule gehört, irgendeines der Papiere oder Bücher zeigen werde, die mir gegeben werden mit der Bezeichnung: «Vertraulich, ausgegeben durch das Haupt der E. S. T.»

Ferner verspreche ich, daß ich über Aufforderung alle Papiere an die Leitung der Schule zurückgeben werde.

Alter: Name:

Religion: Adresse:

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Handschriftliche Beilage zum Brief an Michael Bauer vom 14. August 1904. Das Deckblau trägt die Aufschrift:

Vertraulich. Im Auftrage des Hauptes der Schule E.S.T. (Esoteri­sche Theosophische Schule).

Regeln des Shrâvaka-Ordens

1. Jedes Mitglied soll zu einer bestimmten Stunde des Morgens (so wie es mit seiner Gesundheit und seinen Pflichten verträglich ist) eine Meditation pflegen, und zwar, bevor es irgendeine Nahrung zu sich nimmt.

2. Jedes Mitglied soll vor dem Schlafengehen eine Viertelstunde der Meditat ion in folgender Art pflegen: a) es soll den Gedanken zum höheren Selbst erheben, indem es still, in der Vorstellung, einen ganz bestimmten Satz sich vergegenwärtigt. b) auf die Erlebnisse und Handlungen des Tages eine Rückschau hält.

3. Jedes Mitglied soll eine halbe Stunde des Tages auf das Studium eines ernsten Buches verwenden, das ihm von der Schule ausge­wählt wird.

4. Jedes Mitglied soll sich ein Notizbuch anlegen, in welches es Tag für Tag - ganz kurz - [einträgt], ob es meditiert hat, und wenn es die Meditation unterlassen hat, aus welchen Gründen. Über den Erfolg der Meditation ist dem Leiter der betreffenden Abteilung alle 14 Tage Mitteilung zu machen. Nachlässige Mitglieder wer­den nach dreimaliger Verwarnung aufgefordert, den Orden zu verlassen, und haben ihre Papiere zurückzugeben.

5. Die Mitglieder sollen den Genuß aller alkoholhaltigen Getränke unterlassen, ausgenommen, wenn ihnen solche durch einen Arzt verordnet sind. Solche Getränke wirken nachteilig auf das Ge­hirn und insbesondere auf diejenigen Organe, die der Ausbildung des spirituellen Lebens dienen.

Der Genuß von Fleisch ist nicht untersagt, aber es wird darauf aufmerksam gemacht, daß es besser ist, kein Fleisch zu essen, weil dadurch der Kampf gegen die niedere Natur leichter wird.

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Vorlage für die vermutlich ersten hektographiert ausgegebenen Regeln. 1904. Nacl zwei handschriftlichen Blaättern mit einem Deckblatt, Archivnummer 3023-25. Das Deckblatt trägt die Aufschrift:


Vertraulich. Im Namen des Hauptes der Schule. Shrâvaka-Orden der E. S. T. Regeln. Übergeben durch Dr. Rudolf Steiner, Arch­Warden E.S.T. für Deutschland, Österreich und die deutsche Schweiz.

1. Jeder Zögling soll zu einer (von ihm selbst) festgesetzten, mit seiner Gesundheit und seinen Familienverpflichtungen zu verein­barenden Stunde aufstehen und nach dem Waschen, bevor er irgendeine Nahrung zu sich genommen hat, eine Meditation vollziehen.

2. Der Zögling soll zu dieser Meditation so viel Zeit verwenden als er vermag, um sie intensiv und ungestört zu verrichten. (Durch­schnittszeit ungefähr 15 Minuten).

3. Der Zögling soll einige Minuten vor dem Einschlafen zu einer Tagesrückschau verwenden.

4. Der Zögling soll sich einer Lektüre widmen, wenn ihm eine sol­che von der Schule vorgezeichnet wird.

5. Der Zögling soll ein Notizbuch führen, in dem er täglich ein-zeichnet, wie er sich selbst befriedigt fühlt von der Einhaltung der Regeln 1.2.3.

6. Der Zögling soll sich mit andern Mitgliedern der Schule zu einer Gruppe zusammenschließen, wenn der Leiter der Schule solches vorzeichnet. 1)

1) Regionale Gruppen, die von einem sogenannten «Sub-Warden» geleitet wurden, gab es un­ter Rudolf Steiner ebenfalls. Zum Beispiel in Nürnberg unter Michael Bauer (siehe Ru­dolf Steiners Brief an ihn vom 4. August 1907), ferner in Stuttgart unter Adolf Arenson, der nach dessen Zeugnis von Rudolf Steiner 1906 dazu bestellt wurde und auch Versammlun­gen abhielt.

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7. Der Genuß von alkoholischen Getränken ist streng ausgeschlos­sen, weil nach okkulten Erfahrungen solcher Genuß die spirituel­len Organe zerstört und alle Anstrengungen der Zöglinge und Leiter unmöglich macht. Eine Ausnahme könnte nur auf ärztli­che Verordnung gemacht werden.

8. Fleischgenuß ist nicht ausgeschlossen, doch wird der Zögling bei Enthaltung von demselben erfahren, daß ihm der Kampf gegen seine niederen Prinzipien erleichtert wird.

Zur folgenden Seite:

Erstes Blatt der Carl Unger in Stuttgart persönlich übergebenen handschriftlichen Regeln, Archivnummer 6851-53. Der Wortlaut ist derselbe wie der vorhergehende.

Ferner folgt die Meditation (gleich wie beim ersten Rundbrief vom S. Juni 1905) mit der Angabe «Beginn 14. Dezember 1904».

#SE264-144

#Bild s. 144

#SE264-145

Erster Rundbrief, hektographiert verschickt am 5. Juni1905 1)

Auf sieben undatierten handgeschriebenen Blättern (Archivnr. 4407-13).

Das Deckblatt lautet:

Vertraulich. Erste Regeln der Esoterischen Schule der T.S. Im Auf­trage des Hauptes der Schule.

Die esoterische Schule der Theosophie

Während die «drei Ziele» der Theosophischen Gesellschaft allge­mein bekannt sind, hat sie noch ein weiteres Ziel, über das öffentlich nicht gesprochen wird, nämlich eine Hilfe zu sein bei der Entwicke­lung des inneren Lebens der ernsteren und hingebenderen ihrer Mit­glieder, ihnen den Weg zu weisen zu dem «engen, alten Pfad», der sie zu den höheren Gebieten des Daseins führt.

Durch dieses Ziel ist die esoterische Schule das Herz der Theoso­phischen Gesellschaft.

Die Schule ist in Grade eingeteilt. Der erste Grad besteht in dem Orden der Prüfung; der nächste ist der erste Grad, der nächste der zweite und so weiter.

Der neu Eintretende kommt in den Orden der Prüfung. Er hat noch kein Gelübde abzulegen, sondern nur das Versprechen zu ge­ben, seine Papiere zurückzuerstatten, wenn er dazu aufgefordert wird und sie als eine Sache anzusehen, von der man nur Mitgliedern der Schule gegenüber spricht.

Für diejenigen, welche in die Schule eintreten, wird im Laufe der nächsten drei Wochen eine Beschreibung der weiteren Einrichtung der Schule ausgegeben werden.

Hier aber wird zunächst von den allernächsten Aufgaben gespro­chen werden, durch welche der auf dem Prüfungspfad Befindliche zu seinen Zielen gelangt. Diese Anweisungen gelten zunächst für die ersten beiden Monate. Nach Ablauf derselben erfolgt weitere An­weisung. Man hat mindestens zwölf Monate auf dem Prüfungspfade zu verbleiben. Dann kann Erhebung in den ersten Grad erfolgen.

1) Eintragung in Notizbuch (Archivnummer 124): «5.VI. 05 Esot. Mitt. I gesandt an 8 Mitgl.»

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Man erreicht die Ziele des Prüfungspfades zunächst durch Beob­achtung einer «täglichen Regel». Sie besteht in folgendem:

Der Angehörige der Schule soll zu einer bestimmten Stunde auf­stehen, und bevor er eine Mahlzeit zu sich genommen hat, eine Me­ditation pflegen. Die Stunde dazu wird nicht von der Schule be­stimmt. Es soll sie jeder sich selbst festsetzen, dann aber streng ein­halten. Nur durch die regelmäßige (rhytmische) Gestaltung des Le­bens kann der Mensch sich dem rhythmischen Universum einglie­dern und auf diese Art die göttlichen Gesetze dieses Universums selbst nachbilden. In dieser Nachbildung der großen Weltgesetze liegt aber die Möglichkeit, zum höheren Dasein zu kommen.

1. Die Morgenmeditation hat damit zu beginnen, daß der auf dem Prüfungspfad Befindliche vollkommene Sammlung in sich selbst sucht, so daß er während der für diese Sammlung bestimmten Zeit nichts Äußeres hört, sieht und so weiter, sich auch an nichts dem gewöhnlichen Leben Angehöriges erinnert. Zunächst soll er bei solch innerer Stille die Gedanken nach dem Göttlichen im Weltall lenken. Und dann soll er sich klarmachen, daß das eigene Selbst Eins ist mit diesem Weltall. Zu diesem Zwecke soll er in vollkommener Konzentration sich in seiner Seele die [folgenden] Worte sagen. Die­se Worte sollen nicht bloß zum Verstand sprechen, sondern zum ganzen Menschen; sie sollen ein vollkommenes innerliches Erleben sein 1):

Strahlender als die Sonne

Reiner als der Schnee,

Feiner als der Ather

Ist das Selbst

Der Geist in meinem Herzen

Dies Selbst bin Ich

Ich bin dies Selbst.

1) Erläuterungen dieser Meditation in der Esoterischen Stunde Berlin, 24. Oktober 1905 in «Anweisungen für eine esoterische Schulung», GA 245

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2. Nachdem man damit fertig ist, konzentriere man sich auf einen der Sätze aus «Licht auf dem Weg» und zwar die ersten 14 Tage auf

«Bevor das Auge sehen kann, muß es der Tränen sich entwöhnen»,

die folgenden 14 Tage auf:

«Bevor das Ohr vermag zu hören, muß die Empfindlich­keit ihm schwinden»,

weitere 14 Tage auf.

«Eh' vor den Meistern kann die Stimme sprechen, muß das Verwunden sie verlernen»,

weitere 14 Tage auf:

«Eh' vor ihnen stehen kann die Seele, muß ihres Herzens Blut die Füße netzen».

Es handelt sich nicht darum, daß man über diese Sätze spekuliert, sondern daß man ein paar Minuten innerlich mit ihnen lebt, sich lie­bevoll in sie versenkt.

3. Nachdem auch dies vollendet ist, soll jeder die Gedanken zu dem lenken, was ihm das Göttliche ist. Er soll sich in voller Devo­tion diesem Göttlichen hingeben. Dieser dritte Teil soll eine Art Ge­fühlshingabe an das sein, was man als seinen Gott anerkennt.

Die ganze Meditation sollte etwa 15 Minuten dauern. Es ist streng darauf zu sehen, daß man während der Meditation vollkommen wach sei, nicht in einen Dämmerzustand des Bewußtseins verfalle.

4. Des Abends vor dem Einschlafen werfe man durch 3 4 Minu­ten einen Rückblick auf die Erlebnisse des Tages. Man frage sich dem gegenüber, was man erlebt hat, ob man genügend Nutzen da­raus gezogen habe; und dem gegenüber, was man getan hat, frage man sich, ob man es nicht hätte besser machen können. So werde

#SE264-148

man sich selbst zum objektiven Richter. Nicht Reue soll man ent­wickeln. Diese ist für die eigene Persönlichkeit und für die Welt wertlos. Aber lernen sollen wir jeden Tag aus unserer Vergangenheit für unsere Zukunft, und so das Leben zu einer Lektion machen. Darin besteht alle Evolution. Der Rückblick ist so zu halten, daß man mit den letzten Erlebnissen am Abend beginnt und gegen den Morgen (rückläufig) vorschreitet.

S. Man soll ein Notizbuch führen, in das man täglich mit ein paar Worten einträgt, wie die Morgen- und Abend-Meditation gelungen ist und aus dem man über Aufforderung den Leiter der Schule von seinen Fortschritten verständigt.

6. Der Genuß von alkoholischen Getränken ist unvereinbar mit den Aufgaben der Meditation.

7. Die Enthaltung von Fleischspeisen ist nicht geboten, wird aber angeraten, weil sie die Erreichung der Ziele der esoterischen Schule fördert.

Weiteres in den nächsten drei Wochen. 1)

1) Ist nicht bekannt.

#SE264-149

Zweiter Regel-Rundbrief an alle esoterischen Schüler

Nach einer handschriftlichen Vorlage

Berlin, den 17. Oktober 1906

Vertraulich!

Allen denen, welche an mich herangetreten sind, um ihre esoteri­sche Schulung zu suchen, sei mit den besten Grüßen «im Geiste und in der Wahrheit» das Beifolgende mitgeteilt. 1)

Diese Mitteilung enthält Dinge, deren Beobachtung sich jeder zur Pflicht machen soll, der eine esoterische Entwickelung anstrebt. Sie gehören nicht zu der eigentlichen Meditation, sondern sollen außer dieser gepflegt werden. Die Sache ist so aufzufassen, daß die esoteri­sche Schulung nur dann berechtigt ist, wenn gleichzeitig diese Forde­rungen von dem Schüler an sich gestellt werden. Ein guter Erfolg kann nur in diesem Falle erzielt werden.

Gleichzeitig soll hier darauf aufmerksam gemacht werden, daß zur esoterischen Schulung Geduld notwendig ist. Es möge doch nie­mand glauben, daß sein Erfolg größer werde, wenn er nach neuen Anweisungen sich sehnt oder solche verlangt. Jeder möge energisch bei den ihm einmal gegebenen Anweisungen bleiben; solche immer wieder und wieder wiederholen, bis er neue erhält. Niemand, der wirklich etwas braucht, wird zur rechten Zeit unberücksichtigt blei­ben. Ob in dieser Geduld geübt wird, davon hängt viel ab.

Von allem, was der Schüler an Unregelmäßigkeiten infolge der Übungen an seinem seelischen und leiblichen Befinden bemerkt oder zu bemerken glaubt, möge er mir sogleich berichten. Ebenso von allem, worüber er sonst Rat oder seelischen Beistand braucht.

Weitere notwendige Sendungen werden zur rechten Zeit folgen. Wenn alles richtig beobachtet wird, werden die Meister der Wahr­heit den Weg des Schülers leiten.

In solchem Sinne

Berlin, Motzstrasse 17 Dr. Rudolf Steiner

1) Die sogenannten «Nebenübungen», siebe «Anweisungen für eine esoterische Schulung»,

GA 245.

ANHANG Bei den folgenden Niederschriften handelt es sich offenbar um Entwürfe zu einer Schrift über die Esoterische Schule, die jedoch nicht realisiert wurde

#G264-1984-SE150 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

#TI

ANHANG

Bei den folgenden Niederschriften handelt es sich offenbar um Entwürfe zu einer Schrift über die Esoterische Schule, die jedoch nicht realisiert wurde.

Undatierte Handschrift, Archivnummer 3220

1. Die Schule spricht:

Hinweisend darauf, daß der Mensch sich nicht im Sinnensein findet.

2. Die Schule spricht von der Erkenntniswelt als einer solchen, die ein Geistesbote vermittelt.

3. Die Schule spricht vom geisterschaffenen Worte.

4. Die Schule zeigt, wie der Mensch in sich die Erkenntnisfeinde überwinden muß. -

Undatierte Handschrift, Archivnummer 3196/97

Vor dern Tore der Schule

Lehrer: Was willst du von mir?

Schüler: Ich will alles prüfen und das Beste behalten.

Lehrer: Dann hast du in dieser Schule nichts zu suchen, denn dann weißt du ja schon, welches die Norm ist für das Beste.

#SE264-151

In der Vorschule

Lehrer: Was willst du von mir?

Schüler: Ich strebe nach der Wahrheit.

Lehrer: Dann lasse dich von der Wahrheit prüfen; sie wird das Beste von dir behalten.

II

Lehrer: Was hast du gelernt?

Schüler: Ich habe gelernt, die Wahrheit über mich urteilen zu las­sen.

Lehrer: Dann weißt du, was Demut ist: übe sie, bis sie ganz dein eigen ist.

Frage

Du strebst nach Selbsterkenntnis? Wird dein sogenanntes Selbst für die Welt morgen mehr bedeuten als heute, wenn du es erkannt hast?

1. Antwort

Nein: wenn du morgen nichts anderes bist als heute und dein Erken­nen von morgen nur dein Sein von heute wiederholt.

2. Antwort

Ja: wenn du morgen ein anderer bis als heute und dein neues Sein von morgen die Wirkung deines Erkennens von heute ist.

Theosophie ist die Erkenntnis des göttlichen Selbst im Menschen; aber viele glauben Theosophen zu sein, wenn sie ihr eigenes kleines Selbst als göttliches ansehen.

#SE264-152

Selbsterkenntnis ist in vielen Fällen nichts als egoistische Selbstbe­spiegelung.

Manche Theosophen glauben in sich das göttliche Selbst Zu er­kennen; sie verwechseln aber bloß ihr kleines menschliches Selbst mit dem göttlichen.


Du willst den Meister nur in dir, nicht im andern finden; wie tief bist du doch ins Sonderdasein verstrickt! Weißt du denn nicht, daß des Führers Selbst dein Selbst ist!?


Man sagt: die Meister seien überall zu finden; das ist gewiß richtig -wenn du aber nirgends bist, so kannst du sie im «Überall» nicht finden.

Über die Hierarchie der Adepten

Undatierte Handschrift, Archivnummer 3207/08

Seit die Wurzelrasse der Hierarchie der Adepten zur Erde niederge­stiegen ist und die Söhne des Feuernebels als Lehrer der Menschheit herniederkamen, ist die Welt niemals ohne Lehrer gewesen, und es hat niemals ein Glied gefehlt in der heiligen Kette, die beginnt bei dem namenlosen Einen, der der große Jnitiator ist, und die endet bei den niedersten Zöglingen, die sich zum Dienste der großen Loge verpflichten auf einem der vorgeschriebenen Wege. Die Schlußabtei­lung der Hierarchie, die ihren Anfang bei den ersten, den großen Initiierten

#SE264-153

nimmt, wird aus den Reihen der Schüler der heiligen Wis­senschaft gebildet. Und als Zöglinge sind diese anerkannt, wenn sie in die Schule eintreten und zum Prüfungspfade zugelassen werden. Dann werden ihnen die ersten Instruktionen gegeben, die ihnen hel­fen, die ersten Schritte zu tun.

In solch eine Schule trittst Du heute als verpflichtetes Glied ein, das Tor des Prüfungspfades schwebt über Dir und schließt sich; wir begrüßen Dich darinnen im Namen der Meister, die gewährt haben die Mittel zum Eintreten in den Tempel, in dem die wahre Initiation gegeben wird, und zu denen Du richten sollst Herz und Gedanke je-den Tag. Denn unnütz wäre Dein Eintritt, wenn er nicht selbst schon der erste Schritt auf dem Prüfungspfade ist. Und was nützt es einen Pfad zu betreten, den man nicht bis zum Ende geht. Es gibt dabei keine Schwierigkeit, die Du Dir nicht selbst bereitest; es gibt kein Hindernis, das der Gott in Dir nicht überwinden könnte.

Höre, was unser Meister sagt:

«Ein klares Leben, einen offenen Geist, ein reines Herz, einen ernsten Verstand, eine sich erschließende spirituelle Auffassung, brüderliche Zuneigung zu jedem Mitschüler, Bereitwilligkeit, zu geben und zu empfangen Rat und Unterweisung, einen loyalen Sinn für die Pflicht gegenüber dem Lehrer, willige Unterwerfung unter die Anforderungen der Wahrheit, Vertrauen zum Lehrer und den Glauben, daß er im Besitze der Wahrheit ist; mutiges Er­tragen von persönlicher Unbill, tapfere Erklärung der Prinzipien, eine rückhaltlose Verteidigung derjenigen, die ungerecht angegrif­fen werden, und ein beständiges Auge für die Ideale des mensch­lichen Fortschrittes und der Vervollkommnung, welche von der heiligen Wissenschaft beschrieben wird: dies sind die goldenen Sterne auf dem Wege, den der Lernende gehen muß zum Tempel der Weisheit.>)

#SE264-154

Gespräch zwischen Meister und Schüler 1)

Aufzeichnung aus einem Notizbuch aus dem Jahre 1906, Archivnummer 488

Es sprach zum Meister der Schüler:

Welches ist der Weg zum Leben in den Reichen

des Übersinnlichen, in denen die Geister schaffen

und die Seelen erkennen?

Es sprach der Meister:

Wenn du vermagst eine Weile da zu sein, wo

keines der abhängigen Wesen dich berührt, so

stehst du in der Geister Schaffen, wenn du

vermagst eine Weile da zu sein, wo keiner der

wahrnehmenden Sinne dir spricht, so erkennst

du durch der Seele Kraft.

Es sprach zum Meister der Schüler:

Wo ist der Ort, zu dem ich also gewiesen?

Es sprach der Meister:

Der Ort ist im Ich; doch findest du ihn

nur, wenn dein Ich du verläßt, wenn

schweigsam dein Wollen und ausgelöscht

dein Sinnen; und sprechen das «Ich will»

und lebendig das «Ich denke».

Es sprach zum Meister der Schüler:

Wie vermag ich zu sprechen: «Ich will», wenn

schweigsam mein Wollen; wie vermag ich

zu beleben das «Ich denke», wenn ausgelöscht

mein Sinnen?

Es sprach der Meister:

Nur das Wollen, das du nicht willst, offenbart

«Ich»; nur der Gedanke, den du nicht denkst,

kündet den «Geist».

1) In überlieferten Teilnehmer-Notizen von der E.S.Stunde in Berlin, am 5. Juni1908 findet sich dieses Gespräch als «aus dem Urhuch der Rosenkreuzerschule», stammend, angeführt.

Individuell gegebene Übungen

Die meisten der zahlreichen persönlichen Übungen las-sen sich in gleichartige Kategorien gliedern, von denen die grundlegenden bereits in «Anweisungen für eine esoterische Schulung» vorliegen. In diesem Abschnitt finden sich nun noch solche Übungen, deren Duktus anders geartet ist.

#SE264-157

Über das Wesentliche des Übens

Niederschrift für Prof. Dr. Hans Wohlbold, München

Onginalhandschrift liegt nicht vor.

Das Wesentliche des Übens liegt in der Aneignung derjenigen Vor­stellungstätigkeit, die geistige Wirklichkeit zur Erkenntnis erheben kann. Das Wesentliche ist, daß diese Vorstellungsbetätigung in Un­abhängigkeit von der physischen Organisation erlebt wird. Es ist Sa­che der Erfahrung, zu wissen: nunmehr bemerke ich, wie ich zu denken etc. vermag, ohne daß die gewöhnlichen Bedingungen des an die Leiblichkeit gebundenen Vorstellens mitsprechen. Dieser Zeit­punkt tritt im Verfolg des Übens ein. Im besonderen rate ich:

1.) Abends ein Rückwärts-Vorstellen der Tages-Erlebnisse. Da­durch wird ein erster Schritt gemacht mit einem Vorstellen, das sich nicht an den gewöhnlichen Verfolg des Vorstellens bindet. Das Vorstellen wird freier.

2.) Sich in voller Ruhe konzentrieren auf einen kurzen Denk-Inhalt. Derselbe soll völlig überschaubar sein, so daß man nicht unbewußte oder unterbewußte Vorstellungsreminiszenzen etc. einmischt, sondern wirklich mit restloser Bewußtheit in einer gei­stigen Tätigkeit verharrt. Dann läßt man im Bewußtsein den Denk-Inhalt fallen und sucht, die Energie zu behalten, kurze Zeit bewußt zu verharren ohne Denk-Inhalt. Man bringt dadurch die Erkenntnisfähigkeit zu jener ruhigen Energie, die nötig ist, um das Geistige zu erfassen, das einem sonst gewissermaßen zwischen den Maschen des gewöhnlichen Denkens durchfällt, und das da­durch nicht zum Bewußtsein kommt.

Übung 1. und 2. rate ich für abends.

Am Morgen ist es gut, eine der 2. ähnliche Denk-Konzentration zu machen. Dabei kann gut das bildliche Vorstellen eine solche Rolle spielen, wie ich sie mit der Rosenkreuzübung im 2. Teile der «Geheimwissenschaft» prinzipiell auseinandergesetzt habe.

#SE264-158

Um die notwendige Ruhe der Gedankenkonzentration zu gewin­nen, ist es gut, die im 2. Teile meiner «Geheimwissenschaft» geschil­derten 6 Übungen (als Hilfsübungen) zu machen.

Der Sinn des Übens liegt zum Teil in dem Aufbringen der stärke­ren Seelenbetätigung gegenüber der gewöhnlichen. Wie beim physi­kalischen Geschehen an kritischen Punkten naturgemäß das Quan­titative in das Qualitative umschlägt, so wird die Steigerung der ge­wöhnlichen Erkenntnisfähigkeit zu derjenigen, die zum Objekt die geistige Welt haben kann.

Übung für Adolf Arenson, gegeben in Stuttgart Anfang April 1904 Handschrift Archivnummer 5299, 5300, 5301

1. Jeden Tag ist eine Rückschau zu üben auf die Erlebnisse der Per­sönlichkeit an dem Tage. Man hält sich selbst die wichtigsten Erfah­rungen vor, die man während des Tages gemacht hat, und die Art, wie man sich innerhalb ihrer benommen hat. Das alles geschieht un­ter dem Gesichtspunkte, daß man vom Leben lernen wolle. Wie kann ich eine Sache, die ich heute getan habe, besser machen? Solche Fragen legt man sich vor. Man macht sich dadurch nicht stumpf ge­gen Lust und Leid. Im Gegenteil. Man wird feiner empfindlich. Aber man bleibt nicht haften an der Sorge und Reue über das; was man getan hat, sondern man verwandelt diese in den Vorsatz, in der Zukunft alles besser zu machen. Man wird sein eigener Baumeister. Wie dieser sich nicht hinstellt und reuevoll an einem Hause, das er gebaut hat, jammert, daß es nicht besser ist, sondern die Erfahrun­gen, die er an dem weniger guten macht, bewertet zu einem näch­sten ev. Bau, so der Mensch gegenüber sich selbst. In Reue und Sor­ge geht unsere Persönlichkeit unter; durch Lernen steigt sie auf­wärts. Reue und Sorge nützen zu nichts; die Zeit, die wir für sie ver­schwenden, sollen wir für Aufwärtsentwickelung verwenden. Das Ganze braucht nicht mehr als 3 - 4 Minuten in Anspruch zu neh­men. Man schläft dann mit einem Manas ein, der in sich die Kraft er­halten hat, sich aufwärts zu entwickeln. Kann man zu dem noch

#SE264-159

hinzunehmen einen wichtigen Vorsatz fürs Leben oder auch einen guten Gedanken für Mitmenschen, so ist es besonders gut. Dadurch wird man allmählich wie umgewandelt, weil man dern im Schlafe von allen Schranken des Persönlichen freien Manas einen würdigen, die Entwickelung fördernden Inhalt gegeben hat.

II. Morgens als erste Tages-Gedankenarbeit:

a) Erhebung zu dem eigenen höheren Selbst durch volle Hinga­be an die Formel:

Ich bin der lebendige Trieb in meinen Hüllen.

Mein höheres Selbst ist rein wie der reinste Kristall.

b) Konzentrierte Hingabe an einen hohen Gedanken. Am besten ist da die Meditation von Bhagavad-Gita, Kap. III, Karma Yo­ga. Von dem dritten Vers an:

3. Wie ich dir bereits gesagt habe, . . .

Immer nur einen Vers. Man bleibt 2 Wochen bei einem Vers. Nach zwei Wochen wählt man den nächsten und so fort.

Dabei muß sowohl bei dieser Meditation, sowie auch bei der vorhergehenden Erhebung zum höheren Selbst das Blickfeld des Bewußtseins ganz rein sein. Jeder andere Gedanke muß ganz ferngehalten werden. Taucht einer auf, muß er mit aller Kraft entfernt werden.

c) Devotionelle Stimmung gegenüber dem, was einem das Hei­ligste ist. (Das schöpferische All, Gott u.s.w. je nachdem man, nach seiner Persönlichkeit, das Höchste hat schätzen und be­nennen gelernt.)

Zu der Morgenmeditation 8 - 10 Minuten.

Geduld und Ausdauer, absoluter Ernst sind durchaus notwendig. Man muß in die Stimmung kommen, daß der Geist diese Meditation als ein Bedürfnis so selbstverständlicher Art empfindet, wie der Kör­per die physischen Bedürfnisse. Und dann wartet man, bis einem ge­geben wird. - Es wird jedem gegeben nach der angemessenen Zeit.

Der Anfang damit kann jetzt gemacht werden am 16. April (nicht früher), dann wieder am 16. Mai. -

#SE264-160

#Bild s. 160

3.) Devotionelle Hingabe an das eigene göttliche Ideal. 5 Minuten

Ausklingen: 1. Monat: Selbstvertrauen

2. Monat: Selbstbeherrschung

3. Monat: Geistesgegenwart

4. Monat: Energie

#SE264-161

Abends

Rückschau auf den Tag: Bei einem Erlebnis:

Habe ich genügend daraus gelernt? Bei einer Handlung:

Kann ich sie nicht besser machen?

Ohne Reue. Bloß mit der Absicht, vom Leben zu lernen. Von rückwärts nach vorn. Vom Abend gegen Morgen.

Ohne allen Alkohol.

Übung. Handschrift Archivnummer 3107

Morgens

1.) Strahlender als die Sonne

Reiner als der Schnee

Feiner als der Äther

Ist das Selbst

Der Geist in meinem Herzen

Dies Selbst bin Ich

Ich bin dies Selbst.

Vollständiges Wachsein.

II.) Gedanke an linke Hand und Herz und dabei die Vorstellung:

Suche den Weg

Nun hält man beim Herz und denkt:

Suche den Weg der innern Versenkung

Nun denkt man an die rechte Hand und faltet sie über die linke, dabei stellt man sich vor:

Suche den Weg, indem kühn du heraus aus dir selbst trittst.

#SE264-162

III.) Devotionell sich hingibt an dasjenige, was man als ein gött­liches Ideal ansieht.

Abends

Rückschau auf den Tag.

Ohne Reue.

Vom Abend zum Morgen. Rückwärts.

Dabei kann man einschlafen.!!

Übung. Aus Notizbuch Archivnummer 105, aus dem Jahre 1906

16. Februar

1.) Strahlender---

­2.) Einatmung, Ausatmung, Atementhalten

Ich bin, das durch den ganzen Körper ergossen wird.

Dieses dreimal hintereinander, wobei eigentlich das «Ich bin» den ganzen Prozeß begleiten soll.

Einatmung, Ausatmung, Atementhalten

Es - wobei es eigentlich «Ich» ist - Es ist

Dieses wieder dreimal

Einatmung, Atemhalten, Ausatmung

Inneres ist

3.) Die Strömungen innerhalb des Körpers. -

Dann nach der Meditation ein sich Versenken und auf sich Wirken-lassen folgender Figuren:

#SE264-163

#Bild s. 163

#SE264-164

#Bild s. 164

#SE264-165

Übung. Handschrift Archivnummer 3187/88

Abends

Erst eine Rückschau auf das Tagesleben machen; in Bildern einzelne Episoden dieses Lebens vorstellen. Rücklaufend vom Abend zum Morgen. Braucht nur 5 - 7 Minuten zu dauern.

Dann mit der Empfindung: «Aus der Geisteswelt erfließt mir mein Selbst» sich konzentrieren auf die A.B.M. [Augenbrauenmitte] und dabei an diese Stelle leiten die Worte:

«Ich bin».

Dann mit der Empfindung: «Die Geisteswelt lebt seelisch im schweigenden Worte» sich konzentrieren auf den K.K. [Kehlkopfl und dabei an diese Stelle leiten die Worte:

«Es denkt».

Dann mit der Empfindung: «Die Geisteswelt erschafft sich ihr Wis­sen» sich konzentrieren auf Herz, Arme und Hände und in dieses Gebiet leiten die Worte:

«Sie fühlt».

Dann mit der Empfindung: «In mir schafft sich die Geisteswelt ihr Selbstbewußtsein» sich konzentrieren auf die Aura, die eiförmig den Körper umschließend gedacht wird; dabei in dieses Gebiet leiten die Worte:

«Er will».

Die Meditation sollte 10 15 Minuten dauern.

Morgens

Die Meditation des Rosenkreuzes, wie sie in der «Geheimwissen-schaft» beschrieben.

Außerdem die 6 Nebenübungen.

#SE264-166

Übung. Handschrift Archivnummer 6860-62 mit Notiz: Ende August [1906] Stuttgart

Man vertieft sich ganz in die Vorstellung

Unpersönliches höheres Selbst

Es kommt nicht darauf an, daß man dabei eine von irgend jemand vorgeschriebene Vorstellung ins Auge fasse, sondern daß man versu­che, die beste Vorstellung sich von dern «höheren Selbst» zu bilden, die man sich nach seinem Entwickelungsgrad nur bilden kann.

Diese Vorstellung behandle man nun so, als ob man sie an die Stelle im Innern des Kopfes versetze, wo etwa die Z (Zirbeidrüse) sitzt. Dahin verlege man für eine Weile das Bewußtsein und erfülle dieses ganz mit der obigen Vorstellung «Unpersönliches höheres Selbst». Für eine Weile also imaginiert man, das eigene Wesen sei in Z zusammengedrängt und man sei da die obige Vorstellung. Alles andere verbanne man aus dem Bewußtsein.

Hat man so eine Weile getan, so führe man die obige Vorstellung langsam von Z in einer Linie zum Anfang des Rückenmarkes unge­fähr da, wo das Gehirn in das Rückenmark übergeht. Dann führt man sie von da weiter ungefähr die Gegend des Rückenmarkes hin­unter bis zu einem Punkte, den man K (Kundalini) nennt. Nachdem man imaginiert hat, daß man dort die obige Vorstellung mit Kunda­linikraft (geistigem) Feuer durchtränkt hat, führt man sie wieder aufwärts langsam das Rückenmark entlang bis zu einem Punkte, der im Kopfinnern liegt: etwa an der Stelle (B) vom kleinen Gehirn (Hinterkopf). Nun führt man die Vorstellung (Unpersönliches hö­heres Selbst) von diesem Punkte in zwei Linien zu den beiden Au­gen und läßt sie durch diese gleichsam ausströmen in den unendli­chen Raum. Dann zieht man sie ebenso wieder durch die Augen ein und führt sie zu dern Punkte B hin. Man macht dies nochmals, in­dem man die Vorstellung von B zu den beiden Ohren führt, sie durch diese in den unendlichen Raum strömen läßt und dann wieder durch die Ohren nach B führt.

#SE264-167

Hat man so imaginiert, daß man die Vorstellung «Unpersönliches höheres Selbst» zweimal durch den Weltraum geführt und mit des­sen Inhalt erfüllt hat, so führe man die also bereicherte Vorstellung wieder von B durch das Rückenmark nach K, durchtränke sie dort in der Imagination mit dern geistigen Feuer und führe sie nun ganz langsam (so langsam, daß die Zeit, während man von K zu dern Punkte aufsteigt, der im Hals in Kehlkopfhöhe liegt, etwa 20 Minu­ten dauert) bis an den Hals (in Kehlkopfhöhe). Dort denke man nun intensiv:

Ich bin nicht Du.

Ich, die Vorstellung des höheren Selbst nach allen Wegen, die sie in obigem Sinne durchgeführt.

Du, das gewöhnliche Ich, mit dern man sich in diesem Augen­blicke nicht identifiziert.

Übung. Handschrift Archivnummer 3192

Christlich gnostische Meditation

I. Morgens früh, gleich nach dem Erwachen, wenn noch keine an­deren Eindrücke durch die Seele gezogen sind, sucht man das Be­wußtsein ganz frei zu machen von allen Erinnerungen an das all­tägliche Leben, man sucht die Aufmerksamkeit abzulenken von allen äußeren Wahrnehmungen. Dann, wenn man diese innere Stille errungen hat, läßt man allein in der Seele leben:

Die fünf ersten Verse des Johannesevangeliums. -

II. Dann folgt in den ersten vierzehn Tagen jeden Tag der Versuch, sich sein eigenes ganzes vergangenes Leben vor die Seele zu füh­ren, um sich auf diese Weise ganz selbst kennen zu lernen.

#SE264-168

Nach diesen vierzehn Tagen macht man das ganze Johannes-evangelium durch, so daß man 7 Tage lang ganz jeden Tag in ei­nem Kapitel lebt.

Also in den ersten 7 Tagen: 1. Kap. von Satz 6 bis zu Ende

,, ,, zweiten 7 Tagen: 2. Kap.

u.s.w.

Ist man am 13. Kapitel angekommen, dann versucht man bei der

Fußwaschung das Gefühl zu durchleben, wie ein jedes höheres We­sen sein Dasein dern niederen verdankt, zu ihnen sich in Demut also neigen muß.

Geißelung das Gefühl, daß man aufrecht stehen könne den Geiße-lungen des Lebens gegenüber, d.h. allen Leiden und Schmerzen gegenüber.

Dornenkrönung das Gefühl, daß man aufrecht stehen muß, selbst allem Hohn und Spott gegenüber.

Kreuzigung das Gefühl, daß einem der eigene Leib etwas fremdes ist, das man trägt und an das man von außen gebunden ist.

Mystischer Tod: Man erlebt den Vorhang, der noch die geistige Welt verdeckt, aber dann auch wie er zerreißt und man in die geistige Welt hineinblickt.

Dabei lernt man die Gründe des Bösen schauen

und der Übel: Hinabsteigen in die Hölle.

Grablegung: Man fühlt sich Eins mit allen Wesen der Erde, mit der Erde selbst. Man ist in diese versenkt.

Auferstehung: Kann nur erlebt werden, weil die Worte der gewöhnli­chen Sprache nicht ausreichen, dies zu schildern.

III. Dann ruft man sich die Gestalt des Christus Jesus vor die Seele und geht über zu der Vorstellung, in die man sich lange ver­senkt:

Ich, in Deinem Geiste.

#SE264-169

Abends: Rückblick auf das ganze Tagesleben.

I und III sind an allen Tagen gleich; nur II wechselt nach je 7 Tagen, wie beschrieben ist.

Nach Vollendung des Turnus II beginnt man wieder von vorne und so immer fort. Nach längerer Zeit kann man die bei Beschrei­bung der christlichen Entwickelung angegebenen inneren und äuße­ren Symptome erleben.

Äußerlich: man fühlt die Füße Innerlich: Man erlebt die Vision,

wie von Wasser um- als ob man selbst die

geben. Fußwaschung voll­

zöge.

,, Man verspürt bren- ,, Man sieht sich gegei­

nendes etc. Gefühl ßelt auf der ganzen Haut

,, man verspürt Schmerz ,, Man sieht sich mit

im Kopf der Dornenkrone

,, die Wundmalstellen ,, man sieht sich ge­

röten sich während kreuzigt.

der Meditation

#SE264-170

Übung mit der Rosenkreuzvorstellung. Handschrift Archivnummer 3229

Abends: 1.) Rückschau. Bildhaft. Rücklaufend.

2.) Suche Du, meine Seele

Dich ahnend in dich selbst zu versenken;

Auf deinem Grunde liegt dein Geist;

In deinem Geiste wirkt der Weltengeist.

Ich bin in alledem

denkend fühlend

lebend.

(Seelenruhe)

Morgens:

#Bild s. 170

In dir, du Weltenbuchstabe

Erschaue ich

Des Geistes siebenfach Wirken

In sieben Rosensternen

Des Lebens dunkle Pfade

Im schwarzen Kreuzesholze

Ich bin in alledem.

(Seelenruhe).

#SE264-171

Übung. Handschrift Archivnummer 3236/37/38

Morgens:

Sich konzentrieren auf eine Linie, wel­che durch den Körper geht, so

# Bild s. 171

Die Linie geht nicht durch das Rücken­mark, sondern etwas vor demselben durch den Körper.

Dann meditieren dasjenige, was in den folgenden Worten liegt:

Wärmendes Licht dringt von oben in mich

Schwere der Erde breitet wärmendes Licht in mir aus

und gestaltet mich,

dann durch eine längere Zeit festhalten die Vorstellung

Ich bin

dann nichts vorstellen, sondern im leeren Bewußtsein abwarten, was kommt.

#SE264-172

Abends: Versuchen, sich auf die eigene Leibesempfindung zu kon­zentrieren in folgenden Etappen:

Ich bin mein Kopf

Ich bin mein Hals

Ich bin meine Arme

Ich bin meine Brustumhüllung

Ich bin mein Herz

Ich bin das Blut, das in mir zirkuliert

Ich bin meine Lunge

dann, sich konzentrieren auf den Atem in folgender Weise:

Konzentrieren auf Einatmung und die einziehende Luft empfinden als

J

Konzentrieren auf die den Leib erfüllende eingeatmete Luft und diese empfinden als

A

Konzentrieren auf die Ausatmung, und die aus dem Leib ziehende Luft empfinden als

O

Dieses mit sieben aufeinanderfolgenden Atemprozessen machen; dann sich kontemplativ konzentrieren auf das Innere des Kopfes (Punkt a)

#Bild s. 172

Dort fühlen, als ob das Wort J a 0 ertönte; diesen Ton durch 1-2 Minuten festhalten, dann nichts vorstellen, sondern im leeren Be­wußtsein abwarten, was kommt.

#SE264-173

#Bild s. 173

J A 0 dringt in mich durch mich aus mir

J A 0 schaffet Kräfte in mir durch mich aus mir so oft [wie]

J A 0 lebt webend in mir durch mich aus mir möglich

Stimmung: J A 0 als Name des Christus

Dieses hängt mit dem Geheimnis zusammen,

wie Christus im Menschen wirkt.

#SE264-174

Übung. Handschrift Archivnummer 5273

1.) Abends: 4 - 5 Minuten Rückschau auf das Tagesleben (in umge­kehrter Zeitfolge).

#Bild s. 174

Dazu die 6 Übungen: Gedankenkonzentration etc. wie sie in «Ge­heimwissenschaft» stehen.

#SE264-175

#Bild s. 175

II. Tag: Abends: Resumé einer Erkenntnis in einen Satz

Verwandlung in ein pflanzliches Symbol

Atemzüge:

Einatmen: Konsumieren des Symbols durch das Herz

Atemhalten: Aufbewahren des Symbols

Ausatmen: Vorstellung, daß man das Symbol in sich behält und Atemluft ohne Symbol her­ausläßt.

Morgens: Wiederholung der Übung und Verharren wie am ersten Tage.

#SE264-176

III. Tag: Abends: Resumé einer Erkenntnis in kurzen Satz

Verwandlung in Symbol in [aus] dern

Tierreich

Atemzüge:

Einatmen des Symbols durch den Kehl-

kopf

Atemhalten: Bewahren des Symbols

Ausatmen: Vorstellung, daß [das] Symbol innen bleibt und leere Atem­luft herausgeht.

Morgens: Wiederholung wie andere Tage.

Keinen Alkohol. Keine Linsen, Bohnen, Erbsen. -

Übung. Handschrift Archivnummer 5269

Abends:

1.) Rückschau auf das Tagesleben in umgekehrter Zeitfolge. 4-5 Minuten.

2.) Erst Konzentration auf die Vorstellung:

Ich denke Dinge und Tatsachen.

Diese Vorstellung etwa eine Minute lang festhalten mit Aus-schließung anderer Gedanken.

Dann Konzentration auf die Vorstellung:

Mein Denken fließt in der Zeit.

Wieder diese Vorstellung eine Minute lang festhalten.

#SE264-177

#Bild s. 177

Dann Verwandlung in rote Kreisfläche mit blauer Umgebung. Rückverwandlung in den vorigen Zustand.

Dieses 7mal hintereinander machen.

In innerer Beobachtung erfassen, wie dadurch allmählich das Den­ken beweglich, in sich selbst frei und zuletzt zum körperfreien Zu­stand erhoben wird.

Mit diesem also vorbereiteten Seelenzustand sich auf irgendeinen einfachen Gegenstand konzentrieren und beobachten, wie diese in­nere Tätigkeit nun etwas anderes ist als ohne diese Vorbereitung.

Das ganze 4-5 Minuten.

Die 6 Übungen wie im 2. Teil der «Geheimwissenschaft».

Die Zeitangaben selbstverständlich nach dern Gefühl.

#SE264-178

Morgen-Mittag-Ahend-Übung. Handschrift Archivnummer 3230

Am Morgen: Ich erkenne das Gedankenbild

Meines Wesens

In meinem Haupt;

Ich denke den Gefühlsrhythmus

Belebend mein Wesen

In meinem Herzen;

Ich fühle die Willenskraft

Festigend meine Glieder

In meinem ganzen Leib.

Am Mittag: Es ströme

Des rechten Auges Kraft

In meinen linken Arm

Und meines linken Armes Kraft

In mein rechtes Bein -

Es ströme

Des linken Auges Kraft

In meinen rechten Arm

Und meines rechten Armes Kraft

In mein linkes Bein. -

Vor dern Einschlafen: Ich werde

Meinen Leib verlassen -Mein Fühlen folgt mir

Mein Wille betritt das Geistgebiet

Kraft durchdringe ihn

Er ergreife erwachend alle Glieder - - -

#SE264-179

#TI

ANHANG

#TX

Schluß einer Übung, deren Anfang fehlt. Archivnummer 1704

#Bild s. 179

Nunmehr mit aller Kraft, soweit irgend die Erinnerung reicht, das eigene Leben ganz konkret durchlaufen und sich verantwortlich füh­len für das Heruntersteigen in diese Inkarnation; sich sagen, ein jeder Teil des eigenen Schicksals ist verdient durch mich selbst - sich dann den Abstand klarmachen, der von dern Leben in einer solchen mit unausgeglichenem Karma behafteten Inkarnation besteht und dem, bei welchem der gereinigte Mensch dasteht - mit völlig ausgegliche­nem Lebenskonto (Karma).

Aufblicken zu der Idee eines geläuterten Meisters.

So soll ich werden, so will ich werden. -

#SE264-180

Erläuterungen zu «Licht auf den Weg». Aus einem Notizbuch aus dem Jahre 1906. Archivnummer 105. Worauf sich die einzelnen Daten beziehen, ist nicht bekannt.

Bei II/1 (Meditation vom 11/1.) handelt es sich um folgendes:

Wenn das höhere Selbst vollständig Besitz ergriffen hat vom Men­schen, die Persönlichkeitshülle also gefallen ist, dann kann durch ihn der ganze Chor der höheren Geister sprechen, so wie vorher durch ihn die sinnliche Welt spricht - - - um sich zu diesem Momente vorzubereiten, hat man eben die Gesinnung in sich auszubilden, die verzichtet, das Eigene, Gesonderte zu verteidigen. Man hört auf, Streiter zu sein; man wird Werkzeug des Streiters.

Der Spruch bezieht sich nicht auf die höhere Tatsache selbst, son­dern gibt die Anleitung zur Entwickelung der Gesinnung, durch welche die höhere Tatsache erreicht wird.

Zur Meditation vom 12/1.

Statt «König» hat es zu heißen «Könige», denn [man] hat es mit gan­zen Scharen höherer Geister zu tun; nur kann man allerdings von Einem Streiter sprechen, weil auf dieser Höhe des Seins die Vielen zu vollständiger Harmonie zusammenklingen, so daß ihre Äuße­rung als Einheit wirkt.

Zur Meditation vom 13/1.

Nichts - wenigstens nichts wesentliches - sinkt zurück, sondern es wird im Laufe der Zeiten erlöst, d.h. aufgenommen in das Höhere. Das Höhere (Gute) nimmt selbst das Böse im Zeitenlaufe in sich auf und verwandelt es durch eigene Kraft in ein Gutes.

Zunächst haben wir es mit dern göttlichen Geist zu tun, er könn­te sich nicht bis zu bestimmten Stufen entwickeln, wenn er nicht das Böse von sich abstieße und also zunächst ohne dieses Böse eine gewisse Höhe erreichte.

#SE264-181

#Bild s. 181

Mit dern Bösen in sich hätte er keine Höhe erreichen können; jetzt aber auf dieser Höhe ist er imstande, das Böse wieder zurückzu­holen und es mit sich auf seinem weiteren Wege zu nehmen.

Der Heilige erlöst den Verbrecher

Gott erlöst den Satan.

Zu 16.1

Überall, wo es hier intuitive Erkenntnis heißt, soll es «imaginative>) Erkenntnis heißen.

Intuitive Erkenntnis wird durch [den] zweiten Satz: Verlernen der Empfindlichkeit erschlossen.

1. Sinnliche Erkenntnis: Alltagserkenntnis

2. Imaginative Erkenntnis: Geistiges Schauen (Bilder)

3. Intuitive Erkenntnis: Geistiges Hören (Das innere Wort).

4. Gotteserkenntnis - völliges Einssein mit dern Absoluten.

Die Erkenntnis in Bezug auf [Name] ist ganz richtig, und je mehr Sie in dieser Richtung erlangen, desto schneller geht es vorwärts. Nur müssen wir jeden solchen Gedanken uns dadurch mit dern rechten spirituellen Gewichte versehen, daß wir so handeln, als ob wir trotzdem alles tun könnten unter der entgegengesetzten Voraus­setzung:

1. Ich bin mir klar in meinem Gefühle, daß [des Betreffenden] Schick­sal das rechte ist.

#SE264-182

2. Ich bin mir klar in meinem Willen, daß ich trotzdem so handeln soll, als wenn ich [des Betreffenden] Leben ins Ungemessene ver­längern könnte.

Immer müssen Gefühl und Wille in entgegengesetzter Richtung gehen. Sonst ist die Erkenntnis nicht spirituell, sondern abstrakt.

Außer der Meditation Nachdenken

In der Meditation: mit dem kontemplativen Gedanken leben.

Zum 19. Januar:

Bei solchen Vorstellungen ist immer auch der Gegengedanke im Be­wußtsein zu halten: Innerer Friede soll nie erkauft werden durch Abwendung von der Außenwelt, sondern stets erst nach Harmoni­sierung mit der Außenwelt. Das ist gerade so wie z.B. mit zwei ande­ren Polgedanken; der Esoteriker denkt oder spricht nie den einen oder den anderen, ohne den entsprechenden Gegenpol wenigstens leise im Hintergrunde anzuschlagen. Sage ich z.B.

Gott ist in mir

so soll ich wenigstens subtil denken:

Ich bin in Gott

Dadurch wird stets die einseitige Gedankenform durch die entspre­chende andere paralysiert wie z.B. der physische Körper durch den Ätherkörper.

#SE264-183

#Bild s. 183a

Zum 20.

Das zu große Betonen des Inneren führt leicht zu einem Verhärten im Ahamkara. Man kann sehr hoch steigen, und dennoch darin blei­ben. Daher hat alle Esoterik einen wichtigen Satz:

Alles trägt zu Deiner Unsterblichkeit bei,

was für diese Unsterblichkeit

nicht getan wird.

Z.B.:

Gebe ich mich einer Lehre hin, so bringe ich mich zwar höher; aber nicht ganz wirksam; baue ich diese Lehre in einen gotischen Dom oder in die Seele eines andern Menschen, oder auch nur in meinen Umgang mit Menschen, so wird das, was ich außer mir gepflanzt ha­be, Teil meines Ewigkeitskörpers.

#Bild s. 183b

#SE264-184

Die Wirkungen des Domes werden die Bausteine an der ewigen Seele des Baumeisters. Dies liegt auch dem Satze zu Grunde:

&te und arbeite.

Absolutes schauend, hat das Relative jede Macht für dich verloren.

Polgedanke:

Kein Absolutes kannst du erkennen, ohne daß du in das Relative mit dem Licht des Absoluten hineinleuchtest.

Ein Verbrecher wird nur dann erkannt in seiner Relativität, wenn man sich klar ist: wie sich die Göttlichkeit im Verbrecher offenbart.

Solch ein Traum kann ein ganz guter Fingerzeig sein: Müde Schwal­be - Das Schauen in die Entwickelung (symbolisiert durch das Her­vorgehen der Schwalbe aus dern Reptil), ermüdet zunächst und läßt die Schwingen weniger entfalten als das unabhängige Vorwärts-schreiten in der Dumpfheit. Tiefer gesehen führt aber das erstere si­cher ans Ziel. Gerade die tiefsten Weisen erscheinen den bloß im Le­ben stehenden Menschen als wertlos für den Fortschritt. Solche Gedankenformen umspielen Sie und brechen zuweilen im Traum durch.

Der Traum vom 24. ist bedeutsam. Alle solchen Träume sind Sym­bole für höhere Wahrheiten. Der erste Teil: das Schweben im Pflanzlichen entspricht ungefähr dem Bilde des Menschen in der 5. Runde. (Da ist kein Mineralisches mehr vorhanden). Alle Visionen, die Grundlage haben, sind in einer gewissen Beziehung prophetisch. Denn kein höher entwickelter Mensch kann etwas schauen, was nicht später allen Menschen zu Teil würde.

Kontinuität des Bewußtseins wird erst erreicht, wenn nicht nur im Traum, sondern auch im traumlosen Schlaf Erlebnisse vorhan­den sind.

Traumerlebnisse sind Bilder analog dem gesehenen Bilde.

#SE264-185

Traumlose Schlaferlebnisse sind unter allen Umständen Hörerlebnisse und zwar, wenn sie etwas taugen sollen, artikulierte Hör-erlebnisse, z.B. Worte.

Man braucht manchmal die Worte gar nicht zu verstehen. Denn sie können bei der Rückerinnerung als in einer Sprache erscheinen, die nicht von uns verstanden wird.

ad. 25.

Alle Formen sind zugleich Ausdruck des Ewigen.

Suchen wir in der Form das Ewige, so finden wir es; suchen wir es durch Entfliehen der Form, so sondern wir uns noch weiter ab.

#Bild s. 185

ad. 26.

Die Feinheit der Vibrationen bedingt höhere Empfindlichkeit gegen die Außenwelt. Ein Trinker ist immun gegen die Vibrationen eines andern Trinkers. Deshalb wird zunächst der Trinker dem Nicht­trinker unangenehm. So ist es mit allem. Die Entwickelung schließt durch die Feinheit der Vibrationen gerade alle Unreinheit, Niedrig­keit u.s.w. der umgebenden Welt auf und auf diesem Wege ist nur ei­ne Erhöhung der Kreuzigung in der Materie zu erreichen. Die Leidenfähigkeit

#SE264-186

an der Mitwelt steigert sich mit der Entwickelung. Erst wenn man dann sich überwunden hat, d.h. hinausgeschritten ist über die Feinheit der Vibrationen, dann kommt der Friede. Dann aber hat man nicht feinere, sondern im Gegenteil einfachere Vibra­tionen in sich. Nicht Verfeinerung, sondern Vereinfachung der Vi­brationen ist das, worauf es ankommt.

I

Zwei unentwickelte Menschen.

#Bild s. 186a

Die Vibrationen entsprechen einander, folglich fallen sie ineinander; der eine nimmt den andern nicht wahr.

II

#Bild s. 186b

Ein unentwickelter und ein entwickelter Mensch.

#Bild s. 186c

#SE264-187

III

Ein unentwickelter und ein noch höher entwickelter Mensch

#Bild s. 187

Die einfachen Vibrationen des Zweiten merken zwar die Abwei­chungen beim ersten, sind aber stark genug, sie zu paralysieren.

ad. 27.

Gerade dieses wäre im Lichte des vorigen Gesetzes der Vereinfa­chung zu betrachten. Größer wird der Mensch, wenn er einfacher wird.

ad. 29.

Es kommt etwas darauf an, daß man sensitiveness geradezu als Emp­findlichkeit, nicht als Empfindsamkeit nimmt. Es heißt also:

Bevor das Ohr zu hören vermag, muß es an die Stelle der Emp­findlichkeit die vereinfachte Hinempfindung setzen. In der Emp­findlichkeit reagiert die Person auf die Außenwelt. In der Hinemp­findung durchdringt das Ewige, das in die Person aufgenommen ist, die Außenwelt mit den einfachen Rhythmen der Unendlichkeit.

ad. 30. Alles im Sinne von I II III.

#SE264-188

ad. 3/2.

Die Meister sind nicht ein Schutzwall gegen das Böse, sondern die Führer zur Absorption des Bösen. Wir sollen nicht das Böse ausson­dern, sondern gerade es aufnehmen und in der Sphäre des Guten verwenden. Die Wut des Löwen ist nur so lange böse, solange sie am Löwen egoistisch verwendet wird; könnte sich ein Herrscher diese Wut des Löwen aneignen und damit Wohlfahrtseinrichtungen ma­chen, so wäre sie gut. Deshalb ist das Böse als Nicht-Wirkliches zu er­kennen. Es gibt kein Böses. Das Böse ist nur ein versetztes Gutes. Erst mit dieser Erkenntnis ist geistige Alchemie möglich.

ad. 6.

Das ist gerade der Fortschritt, der durch das Christentum gemacht ist, daß die Persönlichkeit mitgenommen wird ins Ewige.

Deshalb ist der christliche Grundsatz richtig: Du wirst mit dei­nem verklärten Leibe auferstehen, d.h. durch christliche Gesinnung wird die Persönlichkeit ewig.

#TI

Penta gramm. und Hexagramm- Übung

als Ergänzung zum Brief an Wilhelm Hübbe-Schleiden

vom 15. November 1908

Gedächtnisnotizen von den esoterischen Stunden in Berlin,

29. November 1907 und 7. Januar 1908

#TX

Berlin, 29. November 1907. Gedächtnisnotizen von Günther Wagner

In Form eines Pentagramms geht eine Strömung durch den Äther-körper: Von dem Punkt des Ich in der Stirn nach den beiden Füßen,

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von dort zu den antipolarischen Händen und von einer Hand zur andern durch das Herz hindurch. Mit der Beugung des Körpers und der Glieder beugen sich auch die Strömungen. Mit den verschiede­nen Teilen der Strömungen stehen die verschiedenen Planeten wie angegeben in Verbindung. Man hat die Planeten mehr als Prinzipien zu fassen, die eigentlich immer und auf allen Globen wirken, nur auf den einzelnen in hervorragender Weise.

Das Prinzip des Saturn ist die physische Grundlage

der Sonne ewiges Wachsen, ewiger Fortschritt

des Mondes Festhalten, Retardieren, Erstarren machen

des Mars Mut, das Agressive hineinzuführen in das

Sinnenleben, das rote Blut

des Merkur das Herausführen aus dem Sinnesleben

des Jupiter die Befreiung des Ichs

der Venus das Aufgehen in Liebe.

Es entsprechen die angegebenen Farben diesen Planeten respekti­ve den Prinzipien 1):

Saturn - Grün

Sonne - Orange

Mond - Violett

Mars - Rot

Merkur - Gelb

Jupiter - Blau

Venus - Indigo

Das Hexagramm entspricht Strömungen im Astralkörper, doch ist dies nicht als Linienfigur aufzufassen, sondern das Doppel-Drei-eck ist nur ein Durchschnitt. (Während die Strömungen im Äther­köper die Linien eines Pentagrammes bilden, stellt das Hexagramm

1) In anderen Zusammenhängen finden sich teilweise andere Entsprechungen angegeben:

z.B. für die Eurythmie oder auf der Farhskizze «Der Mensch im Zusammenhang mit den Planeten», was nicht als Widerspruch, sondern als Ausdruck verschiedener Aspekte zu ver­stehen ist. Siehe hierzu z.B. Vortrag Wien, i Juni 1918.

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#Bild s. 190

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#Bild s. 191

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den Astralkörper in ganz anderer Weise, nicht linienartig, sondern flächenhaft körperlich dar.) Wenn die Figur in ihre senkrechte Achse gedreht wird, kommt etwa die wirkliche Figur heraus, wenn auch der waagrechte Durchschnitt nicht ganz einem Kreis entspricht (Oval). Die waagrechten Linien bilden also eigentlich eine Fläche; die obere in der Höhe der Arme, die andere in der Höhe der Kniee.

Das nach unten weisende Dreieck hat es mit den Leibern Zu tun:

dem Astralleib (Mond), Ätherleib (Sonne), physischen Leib (Saturn-Prinzip). Das andere Dreieck mit den höheren Teilen: Empfin­dungsseele (Mars), Verstandesseele (Merkur) und Bewußtseinsseele, die erst im Anfang ihrer Entwicklung ist (Jupiter). Dementspre­chend die Farben.

Man soll über diese Figuren und die Bedeutung ihrer Einzelheiten meditieren, um sich seines wirklichen inneren Lebens und seiner Beziehung zum Kosmos bewußt zu werden. Man wird dann eigen­artige Gefühle in sich erwecken.

Gedächtnisnotizen aus derselben Stunde von Alice Kinkel

Das Prinzip des Saturn (Oriphiel - Grün-Blei) ist die physische Grundlage, aber geistig.

Leben (Michael. Sonne. Orange-Gold) Ewiges Wachsen, ewiger Fortschritt. Erscheinung in der Maja (Gabriel. Mond. Violett-Silber) Festhalten, Retardieren, Erstarren machen.

Bewußtsein (Samael. Mars. Rot-Eisen) Mut. Das Agressive. Hin­einführen in das Sinnenleben durch das rote Blut.

Göttliche Intelligenz

Heiliger Geist (Raphael. Merkur. Gelb-Quecksilber) Hinaus-führen aus dem Sinnenleben.

Macht

Vater (Zachariel. Jupiter. Blau-Zinn) Befreiung des Ich.

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Liebe. Sohn. Übergang von

Gott zum Menschen (Anael. Venus. Indigo-Kupfer) Das Auf­

Mittler gehen in reiner Liebe

Das Pentagramm (Figur wie auf Seite 190) Das Hexagramm (Figur wie auf Seite 191)

Das Hexagramm entspricht Strömungen im Astralleib. Aber es ist nur ein Durchschnitt. Wenn die Figur um ihre senkrechte Achse gedreht würde, käme die wirkliche Figur heraus, deren waagrechter Durchschnitt nicht ganz einem Kreis entspricht. Die obere Fläche ist in der Höhe der Arme, die untere in der Höhe der Kniee zu erle­ben.

Das nach unten weisende Dreieck hat zu tun mit dern physischen Körper, Saturn. Mond: Astralleib. Sonne: Ätherleib. Das nach oben strebende Dreieck mit den höheren Teilen: Empfindungsseele -Mars. Verstandesseele - Merkur. Bewußtseinsseele - Jupiter.

Durch starkes Meditieren über diese Figuren erlangt der Mensch Kenntnis von sich und seinem Zusammenhang mit dem Makrokos­mos. Das Pentagramm stellt dar die Strömungen des Ätherkörpers und deren Zusammenhang mit den Planeten.

Der physische Körper steht mit allen Kräften im Universum in Verbindung. Er ist Mittelpunkt der Einstrahlung von allen Kräften des Tierkreises.

Der Ätherkörper steht mit dem Mittelpunkt der Erde zunächst in Verbindung.

Der Astralkörper mit dern Mittelpunkt des Mondes.

Das Ich ist nicht nur ein Punkt, der sich allmählich durch Heraus-wachsen der Stirnpartie und das Einziehen des Ätherkörpers an der oberen Nasenwurzel vereinigt hat, sondern es existiert noch ein zweiter Punkt von ihm. Die Verbindungslinie zu diesem wechselt, die Richtung dieser Linie weist nach dern Mittelpunkt der Sonne. Je mehr sich der Mensch entwickelt, desto näher kommen sich die (beiden) Punkte. Der sich entwickelnde Mensch muß sich in diesen zweiten Punkt versetzen, das heißt nach außen, und er muß lernen,

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auf seinen Körper zu blicken wie auf sonst etwas Physisches außer ihm (Tat tvam asi [= Das bist Du! Berühmte Formel des Vedaj); das löst den Menschen aus dem Egoismus. Ein lebhaftes Nacherleben des Mysteriums von Golgatha und der Tatsache, daß da das überflüs-sige, egoistische Blut der Menschheit geflossen ist, ist Hilfe dazu.

Die Meditation soll sein wie ein Opferrauch, der zu den Göttern aufsteigt.

Berlin, 7. Januar 1908 (Fortsetzung vom 29. November 1907) Gedächtnisnotizen von unbekannter Hand

Wenn wir eine derartige okkulte Figur (das Hexagramm) wie in der vorigen Stunde mit Nutzen betrachten wollen, so genügt es nicht, wenn wir sie fortwährend anstarren. Vielmehr müssen wir sie uns in stillen Stunden immer und immer wieder vor die Seele malen und über die Bedeutung der einzelnen Farben meditieren. Erst auf diese Weise werden wir den Vorteil und Nutzen gewinnen, den derartige okkulte Zeichen haben können, wenn man sie in der rechten Weise betrachtet. Denn die ganze Weltenweisheit ist uns gegeben in eini­gen wenigen derartigen okkulten Figuren. Und durch Vertiefung in dieselben werden uns nach und nach die geistigen Zusammenhänge der höheren Welten klar.

Nehmen wir aus dem Hexagramm zwei Farben, die sich gegen­überstehen, heraus: Rot und Grün. In voller Absicht stehen diese beiden Farben einander gegenüber. Was mag die rote Farbe bedeu­ten, was die grüne? Wir finden die grüne Farbe in der Pflanzenwelt draußen, die mit ihrer Decke die Erde überzieht. Und in welcher Be­ziehung steht der Mensch zur Pflanze? Wir wissen, daß der Mensch auf dem Saturn ein Dasein führte, das in gewisser Beziehung unseren heutigen Mineralien entspricht. Nicht, daß der Mensch jemals Mine­ral gewesen sei! Unser heutiges Mineralreich ist sogar das jüngste der Naturreiche. Wir wissen ferner, daß der Mensch auf der Sonne ein

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pflanzenähnliches Dasein führte. Heute fließt in den Pflanzen ein grünlicher Saft. Ein ähnlicher Saft durchströmte das damalige Men­schenwesen. Könnte man heute durch ein Zauberwerk in die Pflan­ze astrale Bestandteile hineinpressen, so würde er rot werden! Da­durch, daß der Mensch auf dem Monde den Astralkörper hinzube­kam, färbte sich der innere Saft rot - es wurde das rote Blut aus ihm.

Bedenken Sie, die Pflanze ist keusch, sie hat keine Begierden, Lei­denschaften: Zorn, Angst, Furcht. Dadurch, daß der Mensch in ge­wisser Beziehung schlechter als die Pflanze wurde, erhielt er etwas, das ihn über die Pflanze erhob: das wache Tagesbewußtsein. Die Pflanzenwelt von heute schläft. Eine Pflanze ist der umgekehrte Mensch. Eine Pflanze weist mit ihren Wurzeln nach dem Mittel-punkt der Erde, dort wo ihr Ich sich befindet. Ebendieselbe Kraft, die in der Pflanze nach unten wirkt, wirkt umgekehrt beim Men­schen nach oben. Die Tatsache, daß der Mensch das Blut erhielt, drückt aus die Aufnahme des Ichs. Der Ausdruck des Ichs ist das rote Blut.

Wenn Sie mit geistigen Augen die Innenfläche eines grünen Blat­tes betrachten, so erscheint Ihnen dieselbe als rot. Diese rote Kraft ist sozusagen geistig. Wenn man gegen einen weißen Hintergrund eine rote Fläche sieht, dieselbe scharf anblickt und dann auf die wei­ße Fläche schaut, so wird ein grüner Fleck erscheinen. Und umge-kehrt ist dasselbe der Fall. Man nennt diese Farben Ergänzungsfar­ben. Also auch in einer solchen physikalischen Erscheinung spricht sich der innere geistige Zusammenhang aus.

Oder nehmen wir zwei andere Farben: Blau und Orange, die sich gegenüberstehen. Sie müssen wissen, daß Orange zwei Aspekte hat:

Orange und Gold.

Wo finden wir in der Natur das Blau? Wenn wir hinaufsehen in die unbegrenzten Fernen des gewölbten Himmels! Und wo das Gold? Auf Gemälden der alten Meister erblicken wir goldige Hin­tergründe. Diese alten Meister malten noch nach einer Tradition, die einiges Wissen von den Erscheinungen und Wesenheiten höhe­rer Welten besaß. Wenn wir mit geistigen Augen hinaussehen in den Himmelsraum, so erscheint er in goldgründigen Tiefen. Deshalb erblicken

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wir auf den alten Gemälden Engelsköpfe auf goldigem Hin­tergrund, weil, wenn Sie (geistig) hinausschauen in den Himmels-raum, Ihnen derselbe in goldigen Farben erscheint.

So müssen wir suchen, das zusammenzusuchen, was dern Sinne nach zerstreut im ganzen Kosmos liegt, zum Aufbau unserer Seele. Denken Sie nur einmal, wie über die Erde zerstreut alle die Nah­rungsmittel liegen, die zum Aufbau unseres Körpers dienen. Stellen Sie sich das recht lebhaft vor! Genauso ist dies in geistiger Bezie­hung. Aus dem Chaos muß auch die Seele das Geeignete zu ihrem Aufbau zusammensuchen.

Wenn eine Seele derartig zu meditieren beginnt, so fängt ein Or­gan im physischen Körper an, sich zu entwickeln: die Schleimdrüse. Die Schleimdrüse ist beim normalen Durchschnittsmenschen ein kaum kirschkerngroßes Organ hinter der Zirbeldrüse. Aber es ent­hält unverhältnismäßig große Kräfte. Es reguliert nämlich den rich­tigen Aufbau des Körpers bezüglich seiner Größe. Bei den soge­nannten Riesen, die herumgezeigt werden, liegt eine Erkrankung der Schleimdrüse vor. In irgendeiner Weise müssen sich durch sie in Bewegung gesetzten Kräfte ausleben. Wenn der Meditand an sich zu arbeiten beginnt, so werden in der Schleimdrüse Kräfte wachgeru-fen. Von der Schleimdrüse aus vollzieht sich der organische Aufbau aus dem Chaos der Empfindungen zum Astralkörper. Wenn die Schleimdrüse die Zirbeldrüse mit goldenen Fäden umströmt, dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Umwandlung des Astralkör­pers zum Geistselbst, zum Manas, so weit fortgeschritten ist, daß nun der Ätherkörper in die Buddhi verwandelt werden kann.

Wer in dieser Weise über derartige okkulte Zeichen meditiert, wird an dem Aufbau seiner höheren Körper zweckmäßig arbeiten. Manchmal wächst in aller Stille während ganz kurzer Zeit die Seele ungeheuer rasch. Man könnte sagen: Es bedarf zur Entwickelung gar nicht der Zeit, sondern nur der tiefinnerlichen Ruhe.

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Von derselhen Stunde Gedächtnisnotizen von Günther Wagner:

Über das Hexagramm meditieren. Spitze nach oben rot, nach unten grün. Gegensätze: Komplementärfarben. Grün die Farbe der Pflan­zen. Rot die Farbe des Blutes der Menschen.

Den Fortschritt konnten die Menschen nur dadurch erreichen, daß sie auch Begierden und Leidenschaften mit in Kauf nahmen. Der Teil des Astralleibes der Erde, der zur Pflanzenwelt gehört, ist rot. Also physisch grün, geistig rot: die Pflanze. Bei den Pflanzen weisen die roten astralen Kräfte nach unten zum Mittelpunkt der .Erde hin, während dieselben Kräfte bei dern Menschen sich umge-kehrt haben und nach oben weisen.

Grün und Rot: Gegensätze. Ebenso Blau und Orange, respektive in einem der zwei Aspekte: goldfarben [Zusatz von anderer Hand:

violett und goldfarben]. Auch dieses sind Komplementärfarben. Im Physischen der Himmel blau, im Devachanischen gold, wie noch auf alten frühmittelalterlichen Bildern gemalt. So die anderen Ge­gensätze.

Durch Betrachtung solcher uns von den Meistern gegebenen Symbole ordnen und gestalten wir unseren Astralkörper, besonders die Aura, um (zum Manas). Alle möglichen geringfügigen äußeren Erfahrungen können uns auf diese Farbenverhältnisse hinweisen, und so wird unser geistiger Körper geformt, gestaltet und entwickelt durch Nutzbarmachung aller möglichen zerstreuten Erfahrungen, wie unser physischer Leib durch Assimilation aller möglichen vom ganzen Erdboden gesammelten physischen Nahrungsmittel.

Und indem sich so unser Astralkörper ordnet und organisiert, wirkt er speziell auf die Schleimdrüse oder Gehirnanhang (Hypophy­sis) ein, ein kleines, kaum kirschkerngroßes Organ, das zunächst mit dem Wachstum des Körpers zu tun hat. Durch solche Organisation des Astralkörpers fängt die Schleimdrüse an, immer leuchtender und leuchtender zu werden; sie sendet Strahlen aus, und allmählich um­gibt sie mit ihren Strahlen die vor ihr liegende Zirbeldrüse, regt diese an; infolgedessen dehnen sich die Wirkungen auf den Astralkörper aus und sie fangen an, diesen zu beeindrucken und umzuorganisieren.

Aus dem Lehrgut über die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen

#G264-1984-SE201 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

#TI

Aus dem Lehrgut über die

Meister der Weisheit

und des Zusammenklanges der Empfindungen

Dieser Teil umfaßt nur solche Aufzeichnungen Rudolf Steiners

und Gedächtnisnotizen von Teilnehmern an esoterischen Stunden, die vom Wesen der Meister handeln.

Die zwölfgliedrige Wesenheit der Meister

#TX

Schriftliche Beantwortung einer schriftlich gestellten Frage, Dornach, 29. Mai 1915

Frage: Sind die verschiedenen Meister sozusagen Teile einer We­senheit, so daß diese Wesenheit dann zwölf verschiedene Meister in sich enthält, von denen immer sieben im Phy­sischen verkörpert sind und fünf im Geistgebiet bleiben?

Antwort: Ja.

1) Die Frage wurde Rudolf Steiner von Alma von Brandis, einem Berliner Mitglied, das da­mals in Dornach lebte, am 29. Mai 1915 vorgelegt und beantwortet und von ihr später Ma­rie Steiner-von Sivers übermittelt. Sie war als sogenanntes «altes» Mitglied vertraut mit den Vorstellungen über die Meister, wie sie seit Sinnetts «Die okkulte Welt» und «Geheim­buddhismus» in der T.S. lebten. Sinnett hatte nämlich bereits in seinem «Geheimbuddhis­mus» die Frage nach dem Zusammenhang der Mahatmas mit den Prinzipien des Menschen aufgeworfen. Die entsprechende Passage lautet:

Die Natur eines Mahatma ist schwer richtig zu erfassen und würde ohne Bezugnahme auf spätere Abschnitte dieses Buches kaum verständlich werden, so daß es zweckmäßig erscheint, schon jetzt näher darauf einzugehen. Die Doppelnatur in ihm ist dermaßen ausge­prägt, daß seine höheren Gebieten angehörende Kraft und Weisheit für diejenigen, die in besonderen seelischen Beziehungen zu ihm stehen, erreichbar ist, ohne daß der Mahatma sich derer Anrufung zur Zeit bewußt zu werden braucht. Daraus eröffnet sich unserem Denken die Möglichkeit, daß das Verhältnis zwischen dem geistigen und dem menschli­chen Mahatma zuweilen ein derartiges wird, welches man in Geheimschriften mehr mit «Überschattung« oder Beeinflussung als mit Einverleibung in des Wortes voller Bedeutung bezeichnet.

Ferner - zur anderweitigen Erschwerung des Verständnisses - gelangen wir zu der Tatsa­che, daß jeder Mahatma nicht nur ein menschliches Wesen von erhabener Entwicklung ist, sondern, sozusagen, einem eigenen Reiche des großen Naturhaushaltes angehört. Jeder Ma­hatma muß der einen oder anderen von sieben großen Grundformen entsprechen, aber, obgleich wir fast schließen möchten, daß diese Grundformen auf Beziehungen zu den sie­ben Grundteilen im Menschen zurückgeführt werden könnten, scheue ich davor zurück, eine vollständige Erklärung dieser Annahme zu versuchen. Es genügt, diesen Gedanken auf das anzuwenden, was wir, in schwachen Umrissen, von den höheren Gebieten der gehei­men Inneren Gliederung wissen. Seit einiger Zeit ist in Geheimschriften behauptet wor­den, daß es fünf große Tschohans oder höhere Mahatmas gebe, welche die ganze Brüderschaft der Mahatmas leite. Als ich seinerzeit den vorhergehenden Abschnitt dieses Buches schrieb, war ich unter dem Eindiuck, daß ein höchstes - auf noch höherer Stufe stehendes -Oberhaupt die Herrschaft über diese fünf Tschohans führe; aber jetzt drängt sich mir der Gedenke auf, daß diese Persönlichkeit mit größerer Wahrscheinlichkeit als ein sechster Tschohan, als dis Haupt der Mahatmas sechster Grundform aufzufassen sei; und diese Ver­mutung führt sofort zu der weiteren Folgerung, daß es zur Vervollständigung der erkann­ten

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Frage: Enthält einer davon zum Beispiel die Eigenschaften des physischen Körpers zur Vollkommenheit entwickelt, al­so daß er die Harmonie der physischen Organe repräsen­tiert, ein anderer die Harmonie der Temperamente (also Ätherkörper) im physischen Körper zum Ausdruck bringt, ein anderer das Wissen in sich harmonisch reprä­sentiert (Astralkörper), ein vierter die genannten Eigen­schaften empfindungsgemäß ausdrückt, ein fünfter die genannten Eigenschaften verstandesmäßig ausdrückt oder repräsentiert, ein sechster sie vollkommen bewußt ausdrückt und die anderen sechs beherrscht

(die Worte «und die anderen sechs beherrscht» korrigierte Rudolf Steiner in:

«und von den anderen sechs beherrscht wird»)

Manas als 8., Buddhi als 9., Atma als 10., Heiliger Geist als ii. und Sohn als 12., diese fünf Individualitäten sind unsichtbar zur Zeit?

Antwort: Der 7. ist der Diener der anderen 6, wird von ihnen be­herrscht und der 7. beherrscht dann die anderen 5, d.h. sie zur Verkörperung bringend. Es sind immer sieben in­karniert. Inkarniert sich der achte, so wird der erste nicht inkarniert. 1)


Entsprechungen oder Beziehungen einen siebenten Tschohan geben müsse. Aber wie das siebente Grundteil in der Natur oder im Menschen ein kaum faßbarer, unserem Den­ken sich entziehender Begriff ist, der nur in verschwommenen Redewendungen von über­sinnlicher Deutungslosigkeit geschildert werden könnte, so wird sich sicherlich auch der siebente Tschohan jeder ungeschulten Vorstellungskraft unnahbar erweisen. Aber auch er füllt zweifellos einen Platz im Haushalt der geistigen Welt aus, und ich bin überzeugt, daß es eine solche Persönlichkeit gibt, die gelegentlich den anderen Mahatmas sichtbar ist. Das Sinnen darüber bringt indessen kaum anderen Vorteil als den, größerer Klarheit bezüglich des oben ausgesprochenen Gedankens, daß die Mahatmas nicht als bloß außergewöhnliche Menschen von großer geistiger Erhabenheit, sondern als notwendige Erscheinungen in der Natur aufgefaßt werden müssen, ohne die eine fortschreitende Entwicklung der Mensch­heit kaum gedacht werden könne.

1) Vgl. hierzu auf Seite 244/45 (Ausführungen Berlin, 3. Juli 1904)

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#Bild s. 203

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#Bild s. 204

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Von Elise Wolfram überlieferte Erläuterungen Rudolf Steiners:

Zu dem oberen Schema:

1, 2, 3, 4, 5, 6 bedeuten die nachatlantischen Kulturperioden.

Zu dem unteren Schema:

KH = Kuthumi, Inspirator des Übergangs von Ägypten zur

griechischen Zeit 1)

L.auf d.W. = Inspirator von «Licht auf den Weg» (sein okkulter Name Hilarion), inspiriert die griechische Zeit 2)

J.v.N. = Jesus von Nazareth, inspiriert den Übergang von der griechischen zur germanischen Zeit

S.G. = Saint-Germain, Inspirator der germanischen Kultur

M = Morya, Inspirator der slawischen Kultur

1) Zu der Bezeichnung «Inspirator des Übergangs«: Im Vortrag München, 29. Mai 1907, heißt es: «Man sagt vom Meister: er ist geboren in demselben Körper. Er braucht ihn Jahrhun­derte, ja selbst Jahrtausende. - Das ist bei den weitaus meisten führenden Individualitäten der Fall. Eine Ausnahme machen gewisse Meister, die ihre ganz besondere Mission haben. Bei denen bleibt der physische Leib erhalten, so daß der Tod für sie überhaupt nicht ein­tritt. Das sind die Meister, die für den Übergang von einer Rasse zu einer andern zu sorgen haben.« Wie die physische Unsterblichkeit von Adepten aber in Wirklichkeit zu verstehen ist, wird im Vortrag Berlin, 16. Dezember 1904 wie folgt erklärt: «Nicht um den physi­schen Tod handelt es sieh, sondern um Folgendes. Der physische Tod desjenigen, der für sich selbst den Stein der Weisen erkannt und ihn herauszusetzen verstanden hat, ist für ihn nur ein scheinbares Ereignis. Für die anderen Menschen ist er ein wirkliches Ereignis, das einen großen Abschnitt in seinem Leben bedeutet. Für den, der... es versteht, den Stein der Weisen zu benützen, ist der Tod nur ein scheinbares Ereignis. Er bildet nicht einmal einen besonders wichtigen Abschnitt im Leben; er ist nämlich etwas, was nur für die anderen da ist, die etwa den Adepten beobachten können, und die sagen, daß er stirbt. Er selbst stirbt aber in Wirklichkeit gar nicht. Die Sache ist vielmehr so, daß der Betreffende gelernt hat, überhaupt nicht in seinem physischen Körper zu leben; daß er gelernt hat, alle diejenigen Vorgänge, die im Momente des Todes im physischen Körper plötzlich vor sich gehen, nach und nach während seines Lebens vor sich gehen zu lassen. Es hat sieh mit dem Körper des Betreffenden alles schon vollwgen, was sich sonst im Tode vollzieht. Dann ist der Tod nicht mehr möglich, denn der Betreffende hat längst gelernt, ohne den physischen Körper zu leben. Er legt den physischen Körper in ähnlicher Weise ab, wie man einen Regenman­tel auszieht, und zieht einen neuen Körper an, wie man einen neuen Regenmantel anzieht.»

2) Daß der Meister Hilarion der Inspirator von Mabel Collins Schrift »Licht auf den Weg» ge­wesen ist, war in der T.S. allgemein bekannt. Die Tochter von Oskar von Hoffmann, der »Light on the Path» ins Deutsche übersetzte, überlieferte die zu ihr persönlich gemachte Äußerung Rudolf Steiners, daß der Meister Hilarion ihrem Vater bei der Übersetzung in­spirierend geholfen habe. Er sei ein Grieche gewesen, deher die schöne Sprache seiner Übersetzung, die mantrisch sogar wirksamer sei als der englische Text.

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Ausführungen über Wesen und Wirken der Meister

in esoterischen Stunden

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Die beiden vermutlich ersten Esoterischen Stunden in Berlin

Aus dem Gedächtnis aufgezeichnete Notizen von Franz Seiler

I.

Berlin, 9. Juli1904

Zunächst ein von Dr. Steiner gesprochenes Gebet. Dann Hinweis darauf, daß die Meister durch Dr. Steiner sprechen, daß er nur das Mittel ist, die Gedanken der Meister zum Ausdruck zu bringen.

Meister Morya gibt uns Aufschluß über das Ziel der mensch­lichen Entwicklung. Er ist es, welcher die Menschheit ihrem Ziele zuführt. Meister Kuthumi ist derjenige, welcher uns die Wege zu diesem Ziele weist.

Darstellung des niederen Ich und des höheren Ich. In jedem Men­schen ist ein niederes Ich, das es zu überwinden gilt.

Sodann wird die Vergänglichkeit der Leiber betrachtet. Mein Körper wird vergehen und auch Ihre Körper werden in ihre klein­sten Atome zerfallen, aber die Worte, die jetzt gesprochen werden, werden nicht vergehen, weil wir selbst dasjenige werden werden, was wir jetzt sprechen. Das ist der Same, aus dem wir einst wieder hervorgehen werden.

Gedanken und Gefühle sind Wirklichkeit, sie sind dasjenige, was das Material zum Bau des Späteren abgibt. Wir müssen darum be­strebt sein, so hohe und edle Gedanken und Gefühle zu hegen, wie es nur immer möglich ist. Durch diese Gedanken und Gefühle sind wir gefesselt an dasjenige, was diesen Gedanken und diesen Gefüh­len ähnlich ist. Wir knüpfen da tausend und abertausende von Bezie­hungen.

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Es gibt vier Grade, Teile oder Wege der Entwicklung.

Es gibt auch sieben Sinne; fünf Sinne, wie wir sie auch im physi­schen Leben kennen und zwei Sinne, die noch zur Entfaltung korn­men müssen. 1)

Zehn Kraftzentren im Menschen: i. Prana - in der Brust; 2. Apan -in der Gegend der Sekretionsorgane; 3. Saman - im Nabel; 4. Udan

- in der Mitte der Gurgel; 5. Vayu - durchdringt den ganzen Kör­per; 6. Kurm - im Auge, hilft dasselbe öffnen; 7. Krikala - im Magen, ruft Hunger hervor; 8. Nag - verursacht Erbrechen; 9. Devadatta -verursacht Gähnen; 10. Dhananjaya - dasjenige, was den Körper nicht einmal nach dem Tode verläßt. 2)

Prana entspricht der achtblättrigen Lotosblüte, Udan entspricht der sechzehnblättrigen Lotosblüte. Die zweiblättrige Lotosblüte be­findet sich zwischen den Augenbrauen.

Von dem Sterben wurde gesagt: so wie man sterben lernen muß, so muß man auch den Gefühlen absterben lernen. Aber das Erste, was zu lernen ist, ist das Stehenlernen, das heißt, daß wir in den Wirrsalen des Lebens einen sicheren Halt haben, daß wir keine Furcht und keine Angst mehr kennen, sondern ruhig und sicher je-dem Ereignis, wie es auch kommen mag, ins Auge schauen.

Sodann gibt es vier Etappen, die wir zu ersteigen haben. Zuerst gilt es das Ich, den Kern in uns zu suchen. Dann werden wir auch das Nicht-Ich erkennen. Wir müssen diesen Mittelpunkt in uns su­chen, denn dieser Mittelpunkt liegt in jedem einzelnen Wesen. Überall ist Mittelpunkt, überall ist Peripherie. Sie mögen sich an die äußersten Grenzen versetzt denken, überall können Sie den Mittel­punkt finden. Die Erde dreht sich um die Sonne; die Sonne dreht sich mit der Erde durch den großen Weltenraum. Und neben ihr drehen sich unendlich viele andere Himmelskörper. Jedes einzelne Wesen bildet einen Mittelpunkt. Auf jenen Himmelskörpern leben keine Menschen wie wir sind. Es leben zwar auch Wesen darauf, aber keine Menschen. Die Menschen haben keine Verbindung mit

1) Näheres in «Grundelemente der Esoterik», GA 93a.

2) Nach «Die Wissenschaft des Atems, Übersetzt aus dem Sanskrit-Original von Pandit Rama Prasad Kasyapa B.A., F.T.S.», Leipzig o.J.

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ihnen, es ist keine Beziehung vorhanden. Diese Beziehung können sie nur erringen, wenn sie sich innerlich auf eine Stufe erheben, wo alle jene Wesen ihre gemeinsame Grundlage haben.

Das zweite ist, den Astralkörper lebendig zu machen, das heißt, sich in dem astralen Meer zu fühlen als Ich.

Das dritte ist die Überwindung des astralen Meeres und die Errei­chung der tiefen Stille.

Das vierte ist die Vernehmung der Stimme der Stille. Das ist da, wo der Meister ruft wie von außen: Das bist Du!

Das beste Bild für diese Entwicklung ist das folgende: Hat man sein Ich gefunden, so denkt man sich hinausgefahren auf das große Weltmeer. Nichts ist auf der Wasserfläche zu erblicken. Soweit das Auge reicht nur Wasser und Himmel. Die Enden des Meeres sind vom Horizont begrenzt. Auf dieser Fläche denken wir uns als eine Welle im bewegten Meer, als eine einzige Woge unter den vielen Wogen. Wenn wir uns dann so recht eins fühlen, so müssen wir die Wogen des Meeres beruhigen. Tiefe Stille muß eintreten. Nichts ist zu hören, nichts ist zu sehen. Das Wasser, in das wir eingetaucht sind, ist vollkommen ruhig. Keine Bewegung macht sich geltend. In dieser vollkommenen Stille, in dieser vollkommenen Abgeschlos­senheit wird die Stimme des Meisters ertönen können, sie wird nicht mehr übertäubt werden können von dem Geräusch des Alltagsle­bens. Hierauf schließt sich diese Übung in der Praxis an. Wir übten alle dieses Bild, indem wir uns alle in den Gedanken des Ich versetz­ten, dann in das Meeresgewoge, dann in die tiefe Meeresstille.

II.

Berlin, 14. Juli1904

1. Die Mahatmas werden uns heute etwas zu sagen haben.

2. Es werden uns drei Pflichten des Geheimschülers genannt: Stolz und Eitelkeit zu überwinden, Theosophie praktisch zu leben, für die Theosophie einzutreten.

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3

4. } [Als Punkte in den Notizen angeführt, aber ohne Text]

5.

6.

7. Jetzt wird der Meister Morya sprechen.

8. Die Meister können von uns als Ideal angesehen werden, sie ha­ben das erreicht, was wir noch erreichen müssen. Wir können sie daher befragen über unsere weitere Entwickelung.

9. In uns liegen die Kräfte keimartig, welche in den Meistern zur vollen Blüte erwachsen sind.

10. Zum Verständnis der Entwickelung kann die Entwickelung von der Pflanze zum Tier, zum Menschen betrachtet werden.

11. Als Symbol für die Entwickelung der Pflanze wird uns dieses Zeichen gezeigt 1):

12. Als Symbol für die Entwickelung des Tieres: T

13. Als Symbol für die Entwickelung des Menschen: t

14. [kein Text]

15. Drei Stufen der Entwickelung gibt es und dementsprechend drei Tugenden. Außerdem

16. finden sich zwei Strömungen in jedem Menschen: Kama und Manas, die gute und die schlechte Strömung; die schlechte ist Kama.

17. Der Weg der Erlösung wird uns im Johannes-Evangelium ge­zeigt. Wir finden da i. die Fußwaschung, 2. den Backenstreich, 3. die Geißelung, 4. die Dornenkrönung, 5. Jesus nimmt sein Kreuz auf sich, 6. die Kreuzigung, 7. die Wundmale.2)

18. Das kann sein der Weg für eine vollkommene Umwandlung.

1) Zu den Zeichen vgl. »Die Tempellegende und die Goldene Legende», GA 93.

2) Im allgemeinen hat Rudolf Steiner die sieben Stufen der christlichen Einweihung wie folgt angegeben: i. Fußwaschung, 2. Geißelung, 3. Dornenkrönung, 4. die Kreuztragung, 5. der mystische Tod, 6. Grablegung, 7. Auferstehung. Vgl. z.B. in «Vor dem Tore der Theoso­phie», GA 95.

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München, 10. oder 11. November 1905

Gedächtnisnotizen von Eugenie von Bredow

Notwendigkeit für den Esoteriker, den Plan zu verstehen, den die Menschheit unbewußt unter Führung der weißen Loge ausarbeitet.

Die Menschheit der Erde ist deren Mittelpunkt, dasjenige, worauf es in dieser Welt ankommt. Auf vielen anderen Welten wirken ande­re Wesenheiten und die Menschen jener Welten sind wie unsere hö­heren Tiere. Die Menschen der Erde haben den Planeten von den Göttern gestaltet erhalten und gestalten ihn sich gewissermaßen um. Zuerst geht ihre Entwickelung auf dem Plane des Sinnlichen - in der weitesten Bedeutung dieses Wortes - vor sich. Dazu war es notwen­dig, ihre Intelligenz auszubilden, damit ein logisches Denken die Menschen zu einer Menschheit verbinde.

Die Atlantier konnten noch nicht denken; sie wurden von den Göttern geführt. Die Arier müssen aus sich heraus zu Herren ihrer Welt werden. Intellektuell ist die Einheit, die verschiedene Ansich­ten ausschließt, schon erreicht. Es gibt nicht verschiedene Ansichten über den Bau einer Dampfmaschine oder dergleichen. Die Wissen­schaft und ihre Produkte, die Nutzbarmachung der Naturkräfte, die Verkehrsmittel haben die verschiedenen Rassen und Nationen zu ei­ner Einheit verbunden. Vor 5000 Jahren: welche Verschiedenheit zum Beispiel zwischen den Produkten des chinesischen und europäi­schen Volkes. Heute ist eine gewisse Überbrückung selbst zwischen diesen absterbenden Völkern und dem Abendlande hergestellt. Ein Bischof von Bremen schreibt über die Gebräuche in der Mark im 11. und 12. Jahrhundert, wie in den religiösen Kulten Tiere geschlach­tet, Pferdeblut getrunken wurde. Dies im Osten Deutschlands, wäh­rend im Westen schon das Aufblühen der Städte vor sich ging. Sol­che Gegensätze nebeneinander wären heute unmöglich.

Nun hat die Menschheit aber erst angefangen, sich Naturkräfte dienstbar zu machen. Dies wird schon in der nächsten Zeit und hin­ein in die nächsten Jahrtausende ganz anders werden. Die Menschen werden die Kräfte im fließenden Wasser herausziehen und sich dienstbar machen, sie werden die mächtigen Kräfte, die in den

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Sonnenstrahlen liegen, durch mächtige Spiegel auffangen und sich dienstbar zu machen verstehen; sie werden die Kräfte im Erdinnern, die jetzt durch vulkanische Ausbrüche sich auslösen und die von ei­nem mächtigen Geistwesen im Erdinnern herrühren, zu beherr­schen lernen; die wunderbarsten Maschinen werden von den Men­schen ersonnen werden, um all diese ausgelösten Kräfte in den Dienst der Menschheit zu stellen, ja sie werden die Magnetkraft der ganzen Erde in ihre Gewalt bekommen, denn die Erde ist nur ein großer Magnet, dessen Südpol am Nordpol und dessen Nordpol am Südpol steht. Jetzt vermögen sie nur ihre Schiffe durch diese Kraft zu leiten. Als vor Urzeiten die Veränderungen der Erde notwendig waren, haben die Kräfte der Götter die Achse der Erde schief ge­stellt; in kommenden Zeiten wird die Menschheit die Achse zu dre­hen vermögen. Die Ausbildung der Intelligenz und Logik der Menschheit vollzieht sich also immer mehr und führt die Einheit der Menschheit auf sinnlichem Gebiet herbei.

Die Ausbildung des Sittlichen wurde erst von den Göttern durch die ethischen Lehren aller großen Religionen ermöglicht. Es muß aber eine Zeit kommen, wo die Menschen das Gesetz des Guten so klar erkennen, wie heute Gesetze der Logik. Was gut und was wahr ist auf spirituellem Gebiet, kann dann nicht mehr Ansichtssache sein, so wie es heute noch durch die verschiedenen Religionen, durch Bildung von Parlamenten um diese oder jene Rechtsfrage zu lösen, zum Ausdruck kommt. Wenn die Menschen sich bewußt werden, daß es ein Gutes, ein Sittliches gibt, das so bestimmt und klar ist, wie ein mathematischer Lehrsatz, dann haben sich die Men­schen auch auf diesem Gebiet zu einer Menschheit vereint, die eine ganz andere Physiognomie trägt als die Menschheit von heute.

Zu dieser Erkenntnis des Sittlichen zu führen, der Menschheit dessen Gesetze zu offenbaren, damit eine Schar auf diesem Felde be­wußt aus sich heraus arbeitender Menschen erstehe, gründete der vierte Meister, Christian Rosenkreutz, den Rosenkreuzerorden. Die andere intellektuelle Ausbildung des Westens verlangt andere Lehre. Im Osten wirkte die spirituelle Lehre, von den alten Rischi den In­dern gegeben, stark im Volke nach. Christian Rosenkreutz und seine

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sieben Schüler legten den Anfang zur Erkenntnis des Gesetzes des Sittlichen, damit dieses nicht in dem von den Religionen Gege benen in den Menschen nachklinge, sondern damit das Gesetz, als solches erkannt, in jedem Menschen zum individuellen Lehen er­wache. Die Wahrheit auf den Gebieten der Moral, der Sittlichkeit, der Güte, soll als ein Erkanntes und Empfundenes im Menschen erstehen.

Diese die Menschen zu einer Menschheit verbindende Einheit an­zubahnen, ist Arbeit der esoterischen Schulen.

Berlin, 13. Dezember 1905

Gedächtnisnotizen von Eugenie von Bredow

Nach einigen einleitenden Worten für ein neu aufzunehmendes Mit­glied sprach er hinreißend schön, so daß ich, glaube ich, schließlich noch mehr empfand als am 4. Oktober.

Er sprach über das wichtigste Ereignis unserer Zeit: die Erobe­rung Tibets durch die Engländer, dem Volke des Egoismus, wo­durch der letzte Rest von Spiritualität auf Erden verschwinden wür­de. Sprach über die Religion der Tibetaner, ihre innere Reinheit in der Auffassung, über den Buddhismus, wie ihn Buddha ganz im Jnti­men seinen Jüngern gelehrt; daß der inkarnierte Lehrer auf Erden das weibliche Element wäre, welches vom Göttlichen, dem männli­chen Elemente, befruchtet werden müßte. Aus dieser Ehe entstände der Boddhisattva, von dem die Tibetaner sagen: er hat Avalokidish­vara, Gottesweisheit. Sprach über den Dalai Lama und seine Wahl aus Kindern, die unter besonderen Naturereignissen geboren wer­den. Sprach über die Geister des Feuernebels, deren Schüler unsere Meister gewesen; sprach über die Entwicklung des Menschen zu so mächtigem Wesen. Sprach über den Rhythmus in der Natur, den Gestirnen, dem ganzen Weltsystem; daß nur der Astralkörper des Menschen noch chaotisch sei und daß der Mensch diesen auch rhythmisch machen müße, sonst störe er die Evolution.

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Kam dann auf Weihnachten zu sprechen und auf die Wichtigkeit der Feste des Jahres; daß Weihnachten die Sonne am tiefsten stände und am 25. wieder den Aufstieg begänne, und daß in dieser Nacht die Meister der weißen Loge eine Sitzung hätten, in der sie die Son­nenkraft des kommenden Jahres ausströmten auf die Menschen, die sich ihnen ganz hingeben wollen, ihre Persönlichkeit ganz aufgeben wollen und sie um Kraft bitten. Wenn man in diesem Sinne Weih­nachten feiert, in diesem Sinne die Meister bittet, dann senden sie ih­re Kraft in den Menschen hinein an diesem 25. Dezember, so daß des Meisters Kraft durch sie wirkt.

Dann sprach er von der letzten Inkarnation des Meisters Kuthu­mi und seinem Besuch von Universitäten, um in anderen Sprachen und in modernem Geiste die hohe Weisheit interpretieren zu kön­nen, daß diese Inkarnation aber nicht in einer bestimmten Persönlich­keit gewesen sei, sondern seine Kraft bald hier, bald dort gewirkt hätte. 1)

Berlin, 28. Dezember 1905

Gedächtnisnotizen von Eugenie von Bredow

Zweierlei wollte er uns heute sagen über Mantrams und über die wichtigsten Vorschriften, die der erhabene Meister Morya seinen Schülern gäbe.

Es sind 9 Eigenschaften, die den Meistern eigen sind:

i. Wahrheit

2. Weisheit

3. Unermeßlichkeit

4. Güte

5. Unendlichkeit

6. Schönheit

1) In nur sehr stichwortartigen Notizen von Eugenie von Bredow von der Esoterischen Stunde in München, [14. oder 15.] Dezember 1905 heißt es: «Zweifel, ob Kuthumi auf europäischen Universitäten gewesen. Notwendigkeit dessen, um europäische Begriffe zu lernen. Gleiche Notwendigkeit, Chinesisch zu lernen, um sich mit den Chinesen verständigen zu können.»

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7. Friede

8. Segen

9. Einheitlichkeit.

Verlangen tut er von uns fünferlei:

1. Läuterung des Gemüts

2. Reinigung der Liebe

3. Leerheit des Gedächtnisses

4. Klarheit des Verstandes

5. Auslöschen oder Entfiammen des Willens.

Das Gemüt muß geläutert werden. Die Liebe muß alles Unkeu­sche verlieren und göttlich werden. Das Gedächtnis soll, um objek­tiv zu werden, nichts festhalten, was Vorurteile erwecken könnte. Der Verstand soll klar sein und der Wille soll, wo er selbstisch ist, verlöschen, wo er aber als Werkzeug der Meister dient, entflammt werden.

Mantren erzeugen Schwingungen des Wortes, die mit den Schwingungen des Gedankens in der Akasha-Materie übereinstim­men.

Über den Weihnachtsspruch «Gloriam in excelsis deo et pax ho­minibus bonae voluntatis»: er wirkt mantrisch im Lateinischen. Dann sagte er noch ein indisches Mantram ähnlichen Jnhalts, mit dem er auch schloß.

Die Feste sind von den Meistern festgesetzte Knotenpunkte. Neu­jahr auch. Daher Erhebung wichtig.

Köln, 12. Februar 1906

Gedächtnisnotizen von Mathilde Scholl

Johannes der Täufer hat Christus Jesus vorausverkündet in der Mit­te der vierten Unterrasse. Jetzt leitet dagegen die Individualität des Meisters Jesus die Menschheit hinüber von der fünften in die sechste Unterrasse - wieder zu Johannes dem Täufer hin, dem Wassermann.

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Christus Jesus ist das lebendige Wort. Alle Wesen der Natur strö­men im Menschen zusammen und bilden in ihm das Wort. Das ist das Ich im Menschen - Jesus Christus. Der Mensch wird zum Chri­stus, wenn er innerlich erlebt, daß die ganze Welt in ihm zusammen-strömt, mit ihm eins ist. Die Zeit, wo Christus zuerst unter den Menschen erschien, war die, wo er als erster der Menschheit in sei­ner Verkörperung das Ich darstellte. Das war der Same, aus dem al­les Selbstbewußtsein, Ichbewußtsein, alles Persönliche aufsproßte.

Er hat aber sein Ich an die Welt zurückgegeben. Damit zeigte er den Menschen den Weg der Entselbstung.

Am jüngsten Tag, wenn alle auferstehen werden, dann wird sich zeigen, ob der Mensch das Ich nur bis zum Egoismus oder bis zur Entselbstung geführt hat. Dann findet die Trennung zwischen den Menschen statt. Die, welche sich zur Selbstlosigkeit hinaufent­wickelt haben, deren Auferweckung, Aufwachen im Ich enthält die Zukunftskeime der Menschheit. Das ist die sechste Unterrasse, von der die sechste Wurzelrasse abstammen wird. Die, welche nur bis zum Egoismus das Ich geführt haben, erleben keine wirkliche Auf­erstehung; sie haben den Todeskeim in sich - das wird die siebte Un­terrasse, die zum Reich des Bösen sich entwickelt und zur Schlacke wird. Das ist die Spreu, die ins Feuer geworfen wird; die sechste Un­terrasse ist der Weizen, aus dem Neues hervorsprießen kann.

Diese Trennung wird jetzt vorbereitet. Durch das Prinzip der brüderlichen Liebe, welches seinen Vertreter in dem Meister Jesus hat, wird der Zusammenschluß der Menschheit zu der sechsten Un­terrasse bewirkt, die, auf diesem brüderlichen Liebesprinzip fußend, in die Zukunft hineinwächst.

Wenn die sechste Unterrasse zur Vollendung gelangt, dann wird das Wort, Christus, nicht nur in einer Individualität, sondern in al­len da sein und die einzelnen Menschen bilden dann zusammen die Buchstaben zu diesem Wort, dem neuen Christus, der dann in noch ganz anderem Sinne der Auferstandene ist. Als Ich wurde sein Leben schon in der dritten Wurzelrasse in die Menschheit versenkt. In vol­ler Entfaltung ersteht Er dann in der sechsten Wurzelrasse, in der Gesamtheit der Menschheit.

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Berlin, 26. Juni1906

Gedächtnisnotizen von Eugenie von Bredow

Zur Einführung über die vier Meister, die in unserer Bewegung mit­wirken:

Meister Morya: Kraft

Meister Kuthumi: Weisheit

Meister Saint-Germain: an ihn wendet man sich in Schwierigkei­ten des täglichen Lebens

Meister Jesus: das Intimere im Menschen.

Berlin, 22. Oktober 1906

Gedächtnisnotizen von Amalie Wagner

Erhaben, köstlich, es fehlen die Worte, um das auszudrücken, was wir erhalten haben. Die Meister der Weisheit usw. waren sicher mit­ten unter uns. Die Kraft, die von unserem geliebten Lehrer aus­strömte, war groß, zuletzt sah ich ihn leuchtend und jugendlich ver­klärt. Und dann das heilige Wort:

A die Vergangenheit

U die Gegenwart, die ganze uns umgebende Welt

M die noch unbekannte Zukunft, für welche wir leben wollen.

Pioniere sollen wir sein, die Elite der Menschheit. Erhaben sollen wir uns fühlen, aber nicht uns überheben sollen wir uns, sondern solcher Aufgabe, solcher Stellung uns würdig erweisen, nicht in Hochmut, sondern in Demut.

Von den vier Meistern wurde uns von neuem gesagt: Meister Je­sus war der «Unbekannte vom Oberland», der zu Tauler kam, der die Gnostiker lehrte usw.

Wir sollen die Wesenheiten der Meister immer besser kennenler­nen. Dazu sei es notwendig, sich zurückzuversetzen in die Vergan­genheit.

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Auf dem Monde gab es noch keine durch Lungen atmende We­sen. Sie atmeten Wärme ein oder sogen sie ein und gaben Kälte ab. Dadurch entzogen sie dem Mond die Wärme. Wie nun für uns at­mende Wesen, die Pflanzen, die Luft brauchbar machen, indem sie die schädliche Kohlensäure, die der Mensch und das Tier ausatmen, einatmen und den darin enthaltenen Kohlenstoff verbrauchen und dann den reinen Sauerstoff ausatmen, so gab es auf dem Mond auch Wesen, denen die Funktion unserer jetzigen Pflanzen oblag: näm­lich durch Ausatmen von Wärme den zu schnellen Prozeß der Ab­kühlung aufzuhalten. Man nennt diese Wesen Feuergeister. Diese hatten noch nicht die Menschenstufe erreicht. Außerdem gab es auf dem Mond Geister, die die menschliche Stufe schon überschritten hatten und die halfen, die Luftatmung vorzubereiten. Zwar waren sie genötigt, sich in Leiber zu inkarnieren, die keine Lungen hatten, aber sie lechzten nach Sauerstoff. Dieser wurde erst auf der Erde vorbereitet durch die werdende Pflanzenwelt. Erst in der Mitte der lemurischen Zeit war das Menschenwesen so weit, daß ihm der «le­bendige Odem» eingeblasen werden konnte. Der erste Atemzug zog Sauerstoff ein. Das war von großer Bedeutung. Die Geister, die das bewirken, nennt man Luftgeister.

Der feuerspeiende Drache ist ein Sinnbild der Feuergeister.

Jesus war ein Chela dritten Grades. Als er dreißig Jahre alt war, geschah folgendes mit ihm. Er verließ seinen Körper und Christus nahm Besitz von diesem reinen, edlen Körper: dem physischen, Äther- und Astralkörper. Er selbst zog sich auf die Astralebene zu­rück, wo er vereint blieb mit den Brüdern der weißen Loge und selbst die Meisterschaft erlangte usw.

Morya - sein wahrer Name wird nur den weiter vorgeschrittenen Schülern mitgeteilt - stärkt den Willen.

Kuthumi ist der eigentliche Meister der Wahrheit.

Jesus, der Leiter seiner Kirche, wirkt besonders auf die Gemütsseite.

Wir können sie anrufen, wenn wir ihrer bedürfen.

Die zwölf Meister der weißen Loge haben alle die ganze Ent­wickelung unserer Erde durchgemacht. Direkt können sie nicht in

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die physische Ebene hineinwirken. Wir müssen uns zu ihnen erhe­ben. Sie wirken durch die Schule auf uns und in uns und durch uns. Der Vermittler, der Lehrer der Schule, ist niemandem zur Rechen­schaft verpflichtet als dem, in dessen Namen er spricht.

Ein anderer Teilnehmer an dieser Stunde, Ludwig Kleeberg, berichtet: 1)

Wie aus unmittelbarem Wissen und Kennen sprach er von den gro­ßen Meistern, die über uns unser Leben und Streben lenken: Kuthu­mi, Morya, Jesus und Christian Rosenkreutz - den Meistern der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen.

Basel, 23. November 1907

Aus Gedächtnisnotizen von Alice Kinkel

Wer sind die Meister? Menschen, die den Weg der Menschheitsentwicklung nur schneller gegangen sind als die anderen Menschen; Menschen, die vorausgenommen haben die Erlebnisse und darum Führer sein können. Eine solche Persönlichkeit war «der große Un­bekannte aus dem Oberland», der mannigfach gewirkt hat. Aus dem «Oberland» hieß er, weil er aus der oberen Welt gekommen war. Es war Jesus von Nazareth, der da gewirkt und gelebt hat unter dem Namen «der große Unbekannte aus dem Oberland» im 13., 14. Jahr­hundert. Johannes Tauler wurde von ihm belehrt.

Der Esoteriker muß in ein reales Verhältnis zu den Meistern kommen.

1) In «Wege und Worte. Erinnerungen an Rudolf Steiner aus Tagebüchern und aus Briefen», Stuttgart 1961

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Düsseldorf, 15. April 1909

Gedächtnisnotizen von Mathilde Scholl

Wir wollen uns heute, wie in jeder esoterischen Stunde vor die Seele führen, daß, was uns in diesen Stunden mitgeteilt wird, ausgeht von den Meistern der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfin­dungen.

Wir wollen uns entwickeln, nicht aus einer egoistischen Sehn­sucht nach Entwickelung, sondern um Helfer zu werden in der Ent­wickelung der Menschheit, an deren Karma das unsere geknüpft ist. Als andere Menschen sollen wir aus diesen Stunden hervorgehen, als wir in sie hineingegangen sind, indem wir Nutzen ziehen aus den Unterweisungen für unser esoterisches Tagewerk. Diese intimsten Verrichtungen der Seele immer in der richtigen Gesinnung zu voll­führen, ist die Hauptsache, die uns nicht oft genug eingeprägt wer­den kann.

Unsere Meditationen berücksichtigen in erster Linie die Zweitei­lung des jetzigen Menschen in Schlaf- und Wachbewußtsein. Sie sind uns von uralten, voratlantischen Zeiten her gegeben und sind zuge-schnitten nach dieser Zweiteilung des Menschen. Warsam ist es nö­tig, daß der Mensch nachts sein Ich und den Astralleib aus dem phy­sischen und Ätherleib herauszieht? Die göttlichen Wesenheiten, die den physischen und Ätherleib zu einem so herrlichen, vollkomme­nen Tempel aufbauten, beziehen denselben wieder während der Nacht, während Ich und Astralleib des Menschen ebenfalls in göttli­che Reiche eingehen. Täten sie dies nicht, so würden sie den physi­schen und Ätherleib ganz verderben, weil außer den geistig-gött­lichen Wesenheiten, die ihre Schöpfer waren, auch die luziferischen Wesenheiten Einfluß auf den Astralleib haben. Denn diese waren es, die den Astralleib frei und selbständig machten. Dadurch verfällt der Mensch, wenn er zurückkehrt in seinen physischen Körper, am Ta­ge in Irrtümer und Schuld. Nicht der physische und der Ätherleib sind den Verirrungen unterworfen, sondern der Astralleib, der durch das Ich verführt wird, das den Einflüsterungen der luziferi­schen Wesenheiten nachgab. Der normale Mensch ist vor tieferen,

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gefährlichereren Einwirkungen dieser luziferischen Wesen geschützt durch die geistig-göttlichen Schöpfer, indem diese ihn mit einer star­ken Kraft begabt haben, welche Kraft der Esoteriker aber verwenden soll, um zu höheren Entwicklungsstufen aufzusteigen.

Der Esoteriker soll sich nun beim Einschlafen sagen: «Ich kehre zu meinen Schöpfern zurück», und beim Erwachen: «Ich komme daher, wo ich weilte, ehe mein Körper geschaffen wurde». Und er soll in der Meditation noch bewußt einige Augenblicke in diesen Reichen weilen. Wenn er es in dieser Gesinnung tut, wird er das hei­lige Feuer, die innere Wärme dadurch in sich entzünden, die not­wendig sind für ihn. Und ehe er abends entschlummert, soll er die­selben Gefühle bei seiner abendlichen, esoterischen Arbeit ent­wickeln, und wenn es nur die tägliche Rückschau wäre. Indem er von rückwärts nach vorn seinen Tag in Bildern an sich vorüberzie­hen läßt, schafft er geistige Bilder, die er als Extrakt mit in die geisti­gen Welten hinübernimmt. Von rückwärts nach vorn muß dies ge­schehen, weil in den geistigen Welten alles so geschieht und man sich dadurch einen Übergang in dieselben schafft, so daß sie leichter in uns einfließen können, wir leichter in sie eingehen. Durch das ge­wöhnliche Vorwärtsdenken, das wir in die geistigen Welten übertra­gen, stemmen wir uns gegen dieselben, schieben sie fort von uns und hemmen uns dadurch selber und die Entwickelung.

Wie in der Nacht die luziferischen Wesenheiten den Menschen sozusagen von innen beeinflussen, so am Tage die ahrimanisch-me­phistophelischen von außen. Was haben nun diese Wesenheiten be­wirkt beim Menschen durch ihren Einfluß? Die luziferischen brach­ten mit der Freiheit und dem Ich-Bewußtsein den extremsten Aus­druck für dieses, den Haß. Niemals hätte der Mensch hassen kön­nen, wenn er sich nicht mehr und mehr in seinem Ich abgesondert hätte. Und die ahrimanischen Wesenheiten hüllten die göttlich-geistigen Wesenheiten für das Auge des Menschen in den Rauch der Maya, so daß der Mensch nicht mehr sieht, was hinter den Dingen steht. Dadurch entstand die Furcht. Nie hätte der Mensch die Furcht gekannt, wenn er die göttlichen Schöpfer sehen könnte, statt sich an den Dingen im Raume zu stoßen. Ein kleines Kind lernt in dem Moment

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die Furcht, wo es mit der Materie in Berührung kommt, sich an ihr stößt.

Diese beiden, Haß und Furcht, muß nun der Esoteriker auch in ihren feinsten Schattierungen abzulegen suchen, um mit Erfolg vor­wärts zu schreiten. Zarathustra, einer unserer gewaltigsten Lehrer, hat deshalb uns die Worte hinterlassen, die uns dazu dienen sollen, mit Erfolg Furchtlosigkeit zu erreichen, wenn wir sie im rechten Sinne aufnehmen. Er sagte: «Ich will reden, nun kommt und hört mir zu, Ihr, die Ihr von ferne, von nahe Verlangen danach tragt. Sprechen will ich von dem, der da werden kann für den Geist offen­bar, und nicht mehr soll der trügerische Sinn verwirren die Men­schen, der so Böses angestiftet hat in der menschlichen Entwicke­lung. Ich will reden von dem, was in der Welt das Erste und Größte ist, von dem, was er mir offenbart hat, der große Geist, der ist Ahu­ra Mazdao. Wer aber nicht hört meine Worte, wie ich sie meine und erfasse, der wird Übles erfahren, wenn der Erde Lauf zu Ende gegan­gen sein wird in seinem Zeitalter.» 1)

Damit wollte er die Menschen darauf hinweisen, daß die äußere Sonne nur die Hülle ist für den großen Regenten der Feuergeister, wie alles Physische die Hülle für ein Geistiges ist, und wenn wir uns auf diese große Auramazda konzentrieren, die hinter der lebenspen­denden Sonne steht, so wird Furchtlosigkeit unser Teil sein.

Und zur Erreichung der Haßlosigkeit hat uns der große Zarathu­stra viel später ein anderes Symbol hingestellt. Er hatte zwei Schü­ler. Dem einen präparierte er den Astralleib, so daß er hellsehend ward, und deshalb konnte dieser Schüler in einer späteren Inkarna­tion mit seinem vorbereiteten Astralleib verbinden den des Zarathu­stra, der den seinen zu diesem Zwecke hinopferte. Dieser Schüler wurde der große Hermes, der die ägyptischen Mysterien leitete. Sei­nen Ätherleib opferte Zarathustra dem zweiten Schüler, dessen Ätherleib er ebenso sorgfältig vorbereitet hatte zu dieser Verbin­dung. Dieser Schüler reinkarnierte sich in Moses, und daß dieser einen besonderen Ätherleib bekommen hatte, kann man aus der

1) Freie Wiedergabe einer Gatha-Stelle, Yasna 45.

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Erzählung derBibel entnehmen von dem Schilfkästchen, indem er als kleines Kind eine Weile ganz abgeschlossen von der Welt weilen mußte im Wasser, damit sein Ich und sein Astralleib nicht durch Ein­drücke von außen verwirrend auf diese subtilen Vorgänge wirkten.

Das Ich des Zarathustra war mächtig und stark genug, sich bei einer neuen Inkarnation einen neuen Äther- und Astralleib zu schaf­fen. Nachdem er Nazarathos, der Lehrer des Pythagoras gewesen, wurde er schließlich der Jesus von Nazareth, der jetzt seine drei Kör­per, auch den physischen, hinopfern konnte für den Auramazdao, den er immer verkündigt hatte. Der stieg jetzt hernieder und wohn­te in ihm, und daher konnte Jesus in diesem Sinne sagen: Ich bin das Licht der Welt. (Im Johannes-Evangelium).

Und das Symbol für die Haßlosigkeit, das uns auf diesem Wege Zarathustra hinterlassen hat, ist das Blut, das auf Golgatha floß. Der Haß ist der extremste Ausdruck des Ich. Und worin wohnt unser Ich? Im Blute. Sogar unser physisches Blut verändert sich, wenn die. se Verhärtung, diese Verholzung des Ich, der Haß, umgewandelt wird in Haßlosigkeit und diese in Liebe. Wenn die Chemiker die entsprechend feinen Instrumente hätten, würden sie den Unter­schied des Blutes zum Beispiel eines alten Inders und eines Franz von Assisi entdecken können. Auch im Physischen drückt sich diese Vergeistigung aus. Mit dem Blute, das auf Golgatha für die Mensch­heit floß, haben wir das Symbol der Haßlosigkeit, durch das wir umwandeln können jegliches Haßgefühl in Liebe, um es vor den Al­tar der schöpferischen Wesenheiten zu bringen. Der Zauberhauch, der von Golgatha ausgeht, wirkt umwandelnd auf Haß und Furcht, die Brüder sind, wie Luzifer und die ahrimanisch-mephistopheli­schen Wesenheiten Brüder sind.

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Düsseldorf, 19. April 1909

Gedächtnisnotizen von Mathilde Scholl

Der esoterische Schüler hat beim Eintritt in die Schule nur eine Be­dingung zu erfüllen, nämlich die, daß er seine Vernunft, seine Intel­lektualität ganz anwendet auf das, was ihm an Lehren zufließt, daß er sich beim Anhören der Lehren fragt: Ist es vernünftig für mich, diesen Weg zu gehen? daß er mit seiner Vernunft, seinem Verstande erkennt und erfaßt, was ihm gegeben wird. Dies ist unbedingt not­wendig, damit das, was wir esoterisch an uns zu arbeiten haben, die richtige Wirkung habe. Nur unter dieser Bedingung kann unsere esoterische Arbeit die richtigen Früchte tragen. Die Schule hat dage­gen die Bedingung zu erfüllen, daß alles, was durch sie hindurch-fließt, nur ausgeht von den großen Lehrern, die wir die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen nennen.

Welchen Zweck verbinden sie denn mit diesen esoterischen Schu­len? Es soll ein kleines Häuflein Menschen erzogen werden, die aus­gestattet werden sollen mit dem Wissen über die Entwickelung der Welt und der Menschheit, und die die richtige Gesinnung mitbrin­gen für die großen spirituellen Wahrheiten, die hinter den Weltge­schehnissen stehen. Diese Wahrheiten sollen sie dann wieder einflie­ßen lassen in die Entwickelung der Menschheit, zur Förderung der­selben. Wie kommt es, daß gerade jetzt diese spirituelle Bewegung entstanden ist? Das beruht auf wichtigen Vorgängen in den geistigen Welten, denn alles auf Erden ist nur eine Widerspiegelung aus ihnen. Wir haben gesehen, daß große geistige Hierarchien die Befehle der Gottheit ausführen und die Geschicke der Menschheit lenken. Acht Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung war es notwendig, um von einer Seite das Mysterium von Golgatha vorzubereiten, hemmende Kräfte in die Entwickelung zu schicken, und es wurden die Scharen eines Führers, der im Okkultismus Mammon genannt wird, zu die­sem Zwecke losgelassen. Sie verdunkelten mehr und mehr den Men­schen das Bewußtsein für ihren Zusammenhang mit der Göttlich­keit. Das alte Hellsehen ging den Menschen verloren und es blühten die Wissenschaft und Philosophie des Abendlandes auf. Die alte

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orientalische Philosophie hat ihre Ursprünge noch in dem alten Heilsehen, während die griechische ganz aus dem Materiellen her-auswächst. Der Ausspruch des Thales «Alles entsteht aus dem Was­ser» wurde allmählich ganz materiell aufgefaßt. Für das Geistige hin­ter dem Wasser verlor man die Erinnerung. Aber auch in diesen Zei­ten der Verdunkelung wirkten große Lehrer, die die Menschen an ihren geistigen Ursprung erinnerten. Nehmen wir nun einmal an, daß ein Mensch jener Zeit gar keine Gelegenheit gehabt hätte, den Lehren eines Buddha, eines Zarathustra und so weiter zu lauschen, was wäre mit einem solchen Menschen nach dem Tode geschehen? Sie wissen, daß das Leben zwischen zwei Inkarnationen ebenso der Veränderung unterworfen ist, wie das geschichtliche Leben im Physischen.

Die Verdunkelung des menschlichen Bewußtseins war natürlich nur nach und nach eingetreten, wie alles nur nach und nach in der Entwickelung geschieht. Diese Geister des Mammon hatten nur all­mählich ihren Einfluß geltend machen können und es war jedesmal der Sohn weniger hellsichtig als der Vater, der Großvater noch hell­sichtiger und so weiter. Starb nun ein Mensch mit ganz verdunkel­tem Bewußtsein für das Göttliche, so nahm er diese Verdunkelung mit hinüber und mußte sich ganz allmählich aus dieser Wolke her-ausarbeiten und zwar dadurch, daß er sozusagen, um bildlich zu sprechen, von Hand zu Hand ging, die Reihe seiner Vorfahren hin­auf, bis zu dem Urahn, der noch das volle, alte Hellsehen gehabt hat-te. Dadurch zerteilte sich allmählich für ihn die Wolke. Das nahm natürlich viel Zeit in Anspruch, und es konnte geschehen, daß ein solcher Mensch seinen Urahn nicht mehr antraf, weil dieser inzwi­schen wieder inkarniert war, und so mußte er unreif zu einer neuen Inkarnation zurückkehren. Diesen Weg nannte man den «Väter-weg» oder «Pitri (Väter)-yana» in der östlichen Weisheit. Wer aber die Lehren eines Zarathustra, eines Buddha aufnahm, einem großen Lehrer folgte, der wurde drüben von dessen Hand empfangen und der Lehrer kürzte ihm den Pitriyana, teilte die Wolke für ihn und führte ihn zu seinem göttlichen Ursprung. Diesen Weg nannte man in der östlichen Weisheit den «Devayana» (Götterweg).

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In die Zeit der tiefsten Verdunkelung leuchtet herein als Licht das Mysterium von Golgatha. Die esoterischen Schüler wissen oder soll­ten wissen, daß mit dem Augenblick, als das Blut aus den Wunden floß, der Christus die Reise in die Geisteswelt antrat, daß er im De­vachan erschien. Das war die geistige Widerspiegelung oben zu den physischen Ereignissen unten. Was das Mysterium von Golgatha der Menschheit gebracht hat, das ist da; aber das Verständnis dafür, das kann erst ganz allmählich in den menschlichen Seelen aufleuchten; ja, es kann selbst heutzutage noch nicht allgemein eintreten. Die führen­de Macht in den Menschengeschicken hatte zur Zeit des Mysteriums von Gölgatha aus den Händen Michaels Oriphiel übernommen, der ei­ner der Führer ist, dem die Scharen des Mammon dienen, und der der Entwickelung die Hemmnisse und Hindernisse entgegenzuhalten hat.

Michael löste Gabriel ab, der im 16. Jahrhundert, nachdem vier weitere Erzengel auf Oriphiel gefolgt waren, wiederkehrte, die Herrschaft von neuem übernahm. Gabriel hat die Leitung der menschlichen Geburten unter sich, deshalb ist er es, der zum Bei­spiel die Geburt des Johannes, des Christus verkündigt. Er bereitete uns im 16. Jahrhundert das Gehirn, die Stirn des Menschen durch Auswahl der Geburten so vor, daß sich ein Organ darin ausbildet, das man allerdings mit den Mitteln der materiellen Wissenschaft nicht entdecken kann, das aber das heutige Gehirn anders erschei­nen läßt als das eines Menschen aus dem 13. oder 14. Jahrhundert zum Beispiel.

Seit dem 16. Jahrhundert hat sich also das menschliche Gehirn für den Hellseher deutlich wahrnehmbar verändert und zwar zu dem Zweck, die Menschen fähig zu machen, das Christentum in seiner ganzen Bedeutung allmählich verstehen zu lernen.

Wir haben gesehen, daß im 8. bis 14. Jahrhundert die Vervielfälti­gungen des Äther- und Astralleibes Christi an Persönlichkeiten ver­liehen wurden, die auf diese Weise den Geist des wahren Christen­tums lebendig erhielten. Augustinus, der einen Abdruck des Äther-leibes erhalten hatte, gelangte nach vielen Irrungen zu den mysti­schen Erkenntnissen, die soviel Ähnlichkeit mit unseren theosophi­schen Lehren haben. Die Siebenteilung des Menschen zum Beispiel

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war ihm eine bekannte Tatsache, wenn er auch andere Bezeichnun-gen dafür hatte. Alle diese Äther- oder Astralleibbegabten zeichne­ten sich durch eine tiefe Demut aus, weil sie das Bewußtsein in sich trugen, daß die großen Wahrheiten, die sie verkündeten, wie Er­leuchtungen, wie eine Gnade zu ihnen traten, daß sie sie mit ihrem Ich nicht verstehen konnten. Wenn solche kosmischen Ereignisse eintreten, wie zum Beispiel die Verleihung eines Äther- oder Astral­leibes Christi an einen Menschen, so sind sie meist begleitet von Na­turerscheinungen, die wir geneigt sind, als Zufall aufzufassen, die aber in tiefem Zusammenhange mit den geistigen Ereignissen ste­hen. Um nur ein Beispiel anzuführen, sei erwähnt, daß, als Thomas von Aquino als kleines Kind einen Astralleib Christi erhielt, ein Blitzstrahl herniederfuhr, der das im selben Zimmer in einer Wiege liegende Schwesterchen des Thomas von Aquino tötete, aber den Astralleib des Knaben elastisch machte, den hohen Astralleib aufzu­nehmen.

Durch die Vorbereitung der Menschen im 16. Jahrhundert durch Gabriel, ein neues Organ im Vorderhirn zu entwickeln, ist es mög­lich geworden, daß im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, nachdem Gabriel die Regierung wieder an Michael abgetreten, das, was wir die Theosophie nennen, einfließen konnte von den großen Meistern der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen, um der Menschheit die Bedeutung des Mysteriums von Golgatha in ihrer ganzen Wirkung allmählich nahe zu bringen. Wenn der Mensch jetzt die Todespforte durchschreitet, so kann er - jeder Einzelne - seinen großen Meister finden, der schon von jedem im Physischen lebenden Menschen sich finden läßt.

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Über Meisterpersönlichkeiten im Zusammenhang

mit den Auferweckungen in den Evangelien

Ohne Orts- und Datumangabe, Gedächtnisnotizen von Elisabeth Vreede

Im Matthäus-Evangelium wird uns erzählt, wie aus dem Morgenlan­de die drei Magier kommen, die ihren Weihrauch, ihr Gold und ihre Myrrhen dem neugeborenen Jesuskinde, dem wiedergeborenen Za­rathustra, darbringen. Sie huldigen ihrem wiederverkörperten Mei­ster, der gewirkt hat in seinen verschiedenen Inkarnationen in den drei vorangegangenen Kulturepochen. Sie sind gleichsam die Bewah­rer der alten Weisheitsschätze aus der altindischen, der altpersischen und der ägyptisch-babylonischen Epoche. Und indem sie diese in der symbolischen Form von Weihrauch, Gold und Myrrhen dem Jesuskinde zu Füßen legen, weisen sie gleichsam darauf hin, wie das, was als Kulturkeime in diesen Zeiträumen gewirkt hat, nur dadurch für die Menschheit gerettet werden kann, wenn es durchzogen wird von der Christus-Kraft, die einmal dieses Kindlein beseelen wird. Sie selber werden diese Auferstehung der Weisheitsschätze ihrer Kulturepochen nicht mehr erleben. «Sie zogen auf einem anderen Weg wie­der in ihr Land».

Wir können uns aber die Frage vorlegen: Wo bleiben diese drei Weisen später, was wird eigentlich aus ihrer Weisheit? Und wir müssen uns daran erinnern, daß die Kulturen, die hier auf Erden ent­stehen und vergehen, einen Keim in sich bergen, der befruchtet wer­den kann von dem Christus-Impuls und der zur erneuten Blüte kommen wird in den Zeitperioden, die nach dem Mysterium von Golgatha verlaufen. Was die drei Magier aus dem Morgenlande als Kulturkeime dem Jesuskinde geopfert haben, das wird von dem Christus auferweckt werden; das enthält die Kräfte, welche diese drei späteren Kulturperioden wirklich mit dem Christus-Impuls durchdringen können. Das dritte nachatlantische Zeitalter wird in all dem, was es als Weisheitsgut enthielt, von dem Christus aufer­weckt, damit es unser fünftes Zeitalter befruchten kann. Das zweite Zeitalter, dasjenige des Zarathustra, wird auferweckt, damit im

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sechsten nachatlantischen Zeitalter das wahre Verständnis für den Christus da sein kann. Und das erste, das altindische Zeitalter, er­fährt seine Auferstehung im siebenten nachatlantischen Zeitalter mit Hilfe der Christus-Kraft.

Und in jedem Falle muß der Christus eine bestimmte Persönlich­keit, eine menschliche Seele, auferwecken, die durch ihr Schicksal dazu berufen ist, der spezielle Träger dieses Kulturkeimes aus alter Zeit zu sein, und die zugleich diejenige Seele ist, welche dafür sorgen kann, daß das, was der Christus der Menschheit als Gaben gebracht hat, auch weiter fortgeführt wird, daß das Verständnis für den Chri­stus und seine Mission auch in späteren Zeiten der Menschheit in der entsprechenden Weise beigebracht werden kann.

Wir wollen diese Auferweckungen der Reihe nach betrachten.

Erstens: Im Lukas-Evangelium (Kap. 7) wird uns in ergreifenden Worten geschildert die Auferweckung des Jünglings zu Nain. Be­deutungsvoll ist jedes Wort an dieser Erzählung, die darauf hinweist, wie in dem Jüngling zu Nain lebte das ganze dritte nachatlantische Zeitalter, die ägyptisch-chaldäische Kultur, wo wie diese sich hat entwickeln können unter dem Einfluß der Kräfte, die damals auf die Menschenseele wirkten.

Der Jüngling zu Nain aus dem Lukas-Evangelium ist kein anderer als der Jüngling zu Sais; bis in die Namen ist der Unterschied zwi­schen der geistigen Umgebung des dritten und des vierten Kultur-zeitalters hineingeheimnist. Wissen wollte der Jüngling zu Sais un­vorbereitet von den Geheimnissen der geistigen Welt; er wollte wer­den wie die anderen Eingeweihten ein «Sohn der Witwe», der Isis, die da trauerte um ihren verlorenen Gemahl Osiris. Da er aber un­vorbereitet war, da er hier auf dem physischen Plan selber das Bild der Isis enthüllen und die himmlischen Geheimnisse schauen wollte, so verfiel er dem Tode. Kein Sterblicher konnte zu der Zeit den Schleier der Isis lüften. In dem Jüngling zu Sais symbolisiert sich die ohnmächtige Weisheit der ägyptischen Zeit.

Er wird wiedergeboren, er wächst heran als der Jüngling zu Nain, er ist wiederum ein «Sohn der Witwe», wiederum stirbt er im Jüng­lingsalter. Und der Christus Jesus naht sich, als der Tote aus dem

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Stadttor getragen wird. Und «viel Volk aus der Stadt» war mit seiner Mutter; es ist die Schar der ägyptischen Eingeweihten. Sie alle sind Tote, die einen Toten begraben. «Und da sie der Herr sah, jammerte ihn derselbigen». Es jammerte ihn der Mutter, die dasteht gleichsam als Isis, welche war die Schwester und Gemahlin des Osiris. Und er sprach: «Jüngling, ich sage dir, stehe auf!» «Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und er gab ihn seiner Mutter.» - Sie ist ja auf die Erde herabgestiegen, die frühere Isis; ihre Kräfte können jetzt auf der Erde selbst erlebt werden. Der Sohn wird der Mutter wieder geschenkt, es ist nun an ihm, sich völlig mit ihr zu verbin­den. «Und die Umstehenden priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden». Denn in dem Jüngling zu Nain hatte der Christus Jesus durch die Art der Initiation, welche diese Auferstehung darstellt, einen Keim gesenkt, der erst in seiner nächsten Inkarnation zur Blüte kommen konnte.

Ein großer Prophet, ein gewaltiger Religionslehrer ist aus dem Jüngling zu Nain geworden! Im dritten nachchristlichen Jahrhun­dert trat zunächst in Babylonien auf Mani oder Manes, der Begrün­der des Manichäismus. Eine eigentümliche Legende erzählt über ihn das folgende.

Skythianos und Therebinthus oder Buddha waren seine Vorgän­ger. Der Letztere war der Schüler des Erstgenannten. Nach dem ge­waltsamen Tode des Skythianos flieht er mit dessen Büchern nach Babylonien. Auch ihm ergeht es schlecht; nur eine alte Witwe nimmt seine Lehre an. Sie erbt seine Bücher und hinterläßt diese ihrem Pflegesohn, der im Alter von zwölf Jahren steht und den sie als siebenjährigen Sklavenknaben an Kindesstatt angenommen hat. Dieser, der auch wiederum ein «Sohn der Witwe» genannt wer­den kann, tritt mit 24 Jahren auf als Manes, der Begründer des Mani­chäismus.

In seiner Lehre war alles zusammengefaßt, was die alten Religio­nen an Weisheit enthalten hatten, und er beleuchtete es mit einer christlichen Gnosis, die möglich machte, daß die Bekenner der baby­lonisch-ägyptischen Sternenweisheit, die Anhänger der alten Perser-Religion, ja sogar die Buddhisten aus Indien, sich durchdringen

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konnten mit einem Verständnis des Christus-Impulses in dieser Form.

Vorbereitend gewirkt hat diese Seele, die vorher in dem Jüngling zu Nain lebte und die eingeweiht wurde von dem Christus in dieser Weise für spätere Zeiten, wo das, was im Manichäismus enthalten war und was durchaus nicht zur vollen Entwickelung gekommen ist, aufgehen wird zum Heile der Völker des alten Orients, - vor­bereitend hat diese Seele in ihrer Inkarnation als Manes gewirkt für ihre eigentliche spätere Mission: den wahren Zusammenklang aller Religionen zu bringen.

Damit sie dieses tun konnte, mußte sie wiedergeboren werden als diejenige Seele, die zu dem Christus-Impuls in einem ganz besonde­ren Verhältnis steht. Untertauchen mußte gleichsam noch einmal al­les, was in jener Inkarnation als Manes an altem und neuem Wissen aus dieser Seele heraufgekommen war. Als der «reine Tor» mußte er dem äußeren Wissen der Welt und dem Wirken des Christus-Impulses in seinen Seelenuntergründen gegenüberstehen. Er wird wiedergeboren als Parzival, der Sohn der Herzeleide, der von ihrem Gatten verlassenen tragischen Gestalt. Als Sohn dieser Witwe ver­läßt nun auch er die Mutter. Er zieht hinaus in die Welt. Nach man­cherlei Irrfahrten gelangt er dazu, zum Hüter des Heiligen Grals er­koren zu werden. Und die Fortsetzung der Parzivalsage erzählt uns, wie er wiederum hinzieht nach dem Morgenlande, wie er in den An­gehörigen der dunklen Rassen seine Brüder findet, wie auch zu die­sen die Segnungen des Heiligen Grals einmal kommen werden. So bereitete er sich in seinem Leben als Parzival dazu vor, später ein neuer Lehrer des Christentums zu werden, dessen Aufgabe es sein wird, das Christentum immer mehr und mehr zu durchdringen mit den Lehren von Karma und Reinkarnation, wenn die Zeit dazu reif sein wird.

Zweitens: Das zweite nachatlantische Zeitalter ist dasjenige des Zarathustra. Eine besondere Beziehung hat es dadurch zum Chri­stus. Denn Zarathustra wies hin auf den Sonnengott, Ahura Maz­dao, der sich der Erde näherte, und der kein anderer war als der zu­künftige Christus. Und in seiner ganzen Mission war Zarathustra

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ein Wegbereiter für den Christus, indem er lehrte, die Erde zu schät­zen und zu bearbeiten, vor den bösen Mächten nicht zu fliehen, son­dern sie zu überwinden und dadurch zu erlösen. So konnte das Ich des Zarathustra, das höchstgestiegene menschliche Ich, dazu auserle­sen sein, während 18 Jahren zu wohnen in den Hüllen, die dann den Christus aufnehmen sollten. Sein Ich verließ die Hüllen kurz vor der Johannestaufe im Jordan. So war er nicht im Fleische verkörpert dabei, als der Christus auf Erden wandelte. Er selber inkarnierte sich bald nach dem Verlassen der drei Hüllen des nathanischen Jesus; sein Ich verband sich mit dem Ätherleib des salomonischen Jesus, der bei dessen Tode von der Mutter des nathanischen Jesus mit hin­eingenommen worden war in die geistige Welt.

Es konnte der Christus Jesus also nicht den Zarathustra als den berufenen Repräsentanten des zweiten nachatlantischen Zeitalters auferwecken. Doch war gleichsam stellvertretend eine andere Indivi­dualität auf Erden verkörpert in jener Zeit, deren Entwickelung und für die Menschheit bedeutsamste Mission in merkwürdiger Weise derjenigen des Zarathustra parallel ging. Es war dies Lazarus, der wiedergeborene Hiram Abiff, der bedeutungsvollste der Kainssöh­ne, der gleichfalls gearbeitet hatte an der Erdenmission von dem menschlichen Ich aus, wie es Zarathustra im alten Persien getan hat­te. Er wird «krank», er «stirbt» und wird ins Grab gelegt. Der Chri­stus Jesus erfährt von seiner Krankheit und er spricht zu seinen Jün­gern von dem Tode des Lazarus. «Da sprach Thomas, der genannt ist der Zwilling, zu den Jüngern: Laßt uns mitziehen, daß wir mit ihm sterben.» (Joh.11,16).

In dieser Auferweckung, die mit Lazarus stattfinden soll, werden die Seelen, die dem zweiten nachatlantischen Zeitalter angehören -wie das «Volk aus der Stadt» bei der Auferweckung des Jünglings zu Nain das dritte nachatlantische Zeit repräsentiert - dargestellt von Thomas, dem «Zwilling». Denn der zweite nachatlantische Zeitraum war der Zeitraum der Zwillinge. Seine, sonst völlig sinnlosen Worte, bezeugen, daß der zweite nachatlantische Zeitraum bereit ist, von dern Christus auferweckt zu werden. Das, was als Kulturkeim in der alten persischen Zeitepoche gelebt hat, ist nicht gestorben. Es handelt

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sich nicht um die Auferweckung eines Toten, sondern urn die Einweihung eines Lebendigen. Das ist der große Unterschied zwi­schen der Erzählung dieser Auferweckung und der beiden anderen. Daher spricht der Christus Jesus: «Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.»

Und der Christus Jesus kommt zu dem Grab, in das man den tot-gewähnten Lazarus gelegt hat, und er spricht die sakramentalen Worte vor allem Volk: «Lazarus, komm heraus!» - Und der Ver­storbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Händen und Füßen und sein Angesicht verhüllt mit einem Schweißtuch. Und der Christus Jesus spricht die Worte, die gleichsam andeuten, daß von der Stunde an dieser Eingeweihte wird anfangen zu wirken. «Löset ihn auf und lasset ihn gehen».

Er ist nicht ein Jüngling wie der Jüngling zu Nain, er ist ein Mann im vollen Besitze seiner Geisteskräfte. Und der auferweckte Lazarus wird der Schreiber des Johannes-Evangeliums. Er ist derjenige, der am Kreuze steht und zu dem der Christus Jesus vom Kreuz herab spricht, hinweisend auf die Mutter Sophia-Maria: «Siehe, das ist dei­ne Mutter!» So wird noch einmal bekundet sein eigentümliches stell­vertretendes Verhältnis zu dem Ich des Zarathustra, der als der salo­monische Jesusknabe wirklich als der Sohn dieser Mutter geboren wurde.

Mit dieser Kraft in sich kann er wirken schon vor dem sechsten nachatlantischen Zeitalter, schon in dem fünften Kulturzeitalter be­reitet er vor das sechste, dasjenige, welches das tiefste Verständnis des Christus-Jmpulses zeigen wird, welches das Johannes-Evange­lium am besten verstehen wird.

(Unter den zwölf Aposteln ist Lazarus-Johannes selber gleichsam wiederum von einem anderen vertreten. Johannes, der Bruder des Jakobus und Sohn des Zebedäus, ist nicht ein Apostel im eigentli­chen Sinn. Jakobus und Johannes sind gewissermassen Eins, sie ver­gegenwärtigen unter den intimeren Schülern des Christus Jesus die Kraft der Verstandes- oder Gemütsseele, die ja eine doppelte Funk­tion im Menschen hat, aber doch eine Einheit ist. Daher werden sie genannt «Söhne des Donners», denn der Donner ist makrokosmisch

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dasselbe, was der Gedanke im menschlichen Mikrokosmos ist. Wenn aber Lazarus zu Johannes wird, nimmt er die Stelle des einen Zebedäus-Sohnes ein, und als solcher ist er derjenige, der beim Abendmahle an der Brust Jesu lag.)

Drittens: Als der Christus Jesus auf Erden umherwandelte, waren von dem dritten nachatlantischen Kulturzeitalter nur noch die her­untergekommenen Nachkommen vorhanden. Das zweite nach-atlantische Zeitalter war als Kulturträger fast ganz von der Erde geschwunden, nur wenige Anhänger von der vielfach entarteten Za­rathustra-Religion lebten hie und da zerstreut. Aber das erste, das altindische Kulturzeitalter, das älteste und spirituellste, hatte seine Nachkommen sowohl zur Zeit des Christus Jesus, als noch in der unsrigen, wenn auch die Kultur siech geworden und angekränkelt war vom Materialismus. Es ist dasjenige Zeitalter, das am allerletzen auferstehen wird, das am längsten warten muß.

Und in geheimnisvoller Weise wird uns diese Auferstehung er­zählt in der Geschichte von der Auferweckung von Jairus' zwölf­jährigem Töchterlein und der vorangehenden Heilung der Frau, die zwölf Jahre den Blutgang gehabt hatte.

Das Mädchen ist dem Tode nahe, der Christus Jesus soll sie heilen. Aber die Frau lebt auch, deren Krankheit begonnen hat bei der Geburt dieses Mädchens. Das Blut, das Leben strömt aus ihr weg. Sie ist dasjenige, was aus der einstmals so blühenden, spirituellen Kultur des alten Indiens geworden ist, was nicht geheilt werden konnte von den Ärzten, denn keine Jogamethoden, keine Vedanta­philosophie konnten in all ihrer Erhabenheit die indische Kultur vor dem Untergang retten.

Sie ist karmisch verbunden mit dern Mädchen, das im Alter von zwölf Jahren steht, das heißt, daß die Entwickelung des Ätherleibes nahe daran ist, abgeschlossen zu werden. Die altindische Kulturpe­riode war ja die Zeit der Entwickelung des ätherischen Leibes. Was in diesen Ätherleib als Keim gelegt worden ist in der uralt indischen Kultur, das soll auferweckt werden und aufbewahrt werden für das letzte, das siebente Zeitalter.

Diese Auferweckung kann aber nur stattfinden, nachdem die

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Frau geheilt ist. Sie kommt aus dem Volk hin zu Christus «von hin­ten» (Lukas 8,44), berührt den Saum seines Kleides und sie ist ge­heilt, denn «dein Glaube hat dich gesund gemacht» (Markus 5,34). Sie wird geheilt, weil sie den Glauben an den Geist, der im Fleische auf Erden verkörpert ist, in sich hatte. Und als sie geheilt ist von dem Blutgang, dadurch, daß sie aus freiem Entschluß das Kleid des Christus Jesus berührt hat, da kann auch dasjenige, was einmal als lebendige Kraft in ihr war und was jetzt im Sterben liegt, ja sogar schon als gestorben angesehen wird, auferweckt werden: Es ist das Töchterchen des Jairus, eines «Obersten der Schule», denn die erste Kulturperiode war diejenige der Brahmanen, der Priester. Eine gro­ße Schar ist um das tote Mädchen herum, «die da weineten und heul­ten»; sie sind wiederum die Angehörigen des ersten nachatlantischen Zeitalters, welche klagen um das, was vorbei ist. Matthäus erwähnt die Pfeifer (9,23), die bei der Toten spielen; auch Krishna spielte auf der Flöte und das Volk folgte diesem Klang.

Der Christus Jesus aber treibt alle heraus. Ein großes Mysterium wird sich vollziehen, denn die Auferweckung gerade des ersten Zeit­alters mit seiner Entwickelung des Ätherleibes hat mit tiefen Ge­heimnissen der menschlichen Natur zu tun. Er nimmt nur mit Pe­trus, Johannes, Jakobus, den Vater und die Mutter des Kindes. Mit dem Christus Jesus und dem Kinde selbst waren also sieben Personen beisammen: die drei Seelenkräfte, die drei Geisteskräfte und der Christus als das kosmische Ich. So spiegelte sich das Zeitalter der al­ten heiligen Rishis in diesen sieben Anwesenden. Wie die Rishis nur wirken konnten, wenn sie zu sieben zusammen waren, so konnte das Mädchen nur auferweckt werden, wenn die Siebenzahl von Kräften anwesend war. Und sie wird geheilt und es sagt der Christus Jesus, sie sollten ihr zu essen geben. Denn vorher hatte die altindi­sche Kultur nicht zu essen gebraucht, sie bekam ihr Wissen eben durch die wunderbare Entwickelung des Ätherleibes unmittelbar aus der geistigen Welt. Aber diese Nahrung ist ihr ausgegangen. Nunmehr soll sie essen von dem, was ihre Umgebung ihr reichen kann. «Und der Christus Jesus verbot ihnen hart, daß es niemand wissen sollte». Ein Gebot, das offenbar unmöglich im physisch-realen

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Sinn aufgefaßt werden kann. Aber die Geheimnisse, die sich mit dieser Auferweckung abgespielt haben, sollten für lange Zeiten unbekannt und verborgen bleiben.

Neben diesen drei Auferweckungen der drei dem Zeitalter des Christus Jesus vorangehenden Kulturperioden, finden sich in den Evangelien noch einige merkwürdige Erzählungen, die sich mit dem Einleben des Christus-Impulses in die Menschheitsentwickelung in Verbindung bringen lassen.

Viertens: Im Johannes-Evangelium (Kap. 4, 47-54) wird erzählt von dem Sohn des königlichen Hauptmanns, das heißt des Römers, der todkrank war. In ihm siecht das vierte nachatlantische Zeitalter, das griechisch-römische dahin. Und der Christus heilt ihn, auf die Bitte des Vaters, weil der Vater geglaubt hat auch ohne «Zeichen und Wunder». Der Sohn wird nicht auferweckt, er ist nicht gestor­ben, denn das vierte Zeitalter war noch lebendig zur Zeit des Chri­stus Jesus, es ist nur krank und kann nur geheilt werden durch den Glauben. Denn nur in der Form des Glaubens konnte das griechisch-römische Zeitalter die Christus-Kraft in sich aufnehmen.

Fünftens: Unmittelbar nach dieser Erzählung im Johannes-Evan­gelium folgt diejenige von der Heilung des Kranken in Bethesda, dem Teich mit den fünf Hallen. Mit diesen ist angedeutet der fünfte nachatlantische Zeitraum, mit alledem, was in ihm lebt an Kräften der vorangehenden Kulturperioden. Krank sind die Menschen, die da liegen, sie haben nicht das richtige Verhältnis zur geistigen Welt, sie sind zu tief der Materie verfallen. Von Zeit zu Zeit steigt ein En­gel herab, der das Wasser berührt: eine neue Offenbarung aus den geistigen Welten heilt diejenigen, welche dieser am nächsten stehen, doch hilft sie nicht mehr den später Kommenden. Und so war ein Mensch da, der hatte 38 Jahre gewartet, ohne zeitig an das Wasser herangekommen zu sein. 38 = 2 x 19, und 19 Jahre ist die Zeit, nach der sich Sonne, Mond und Erde wiederum in demselben Verhältnis zueinander befinden, oder mit anderen Worten, die Zeit, in der das Denken, Fühlen und Wollen des Menschen alle möglichen Schattie­rungen in ihrem Verhältnis zueinander durchgemacht haben. So steht die Zeit von 19 Jahren für eine Inkarnation, und die 38 Jahre

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deuten hin auf die zwei Inkarnationen, welche die Menschen seit der Erscheinung des Christus Jesus im Durchschnitt erlebt haben und die uns hinaufbringen bis in unsere Zeit, wo eine erneute Christus-Offenbarung von der geistigen Welt aus stattfinden wird. Der Chri­stus heilt diesen Kranken nicht dadurch, daß er ihn in das Wasser läßt, wenn der Engel herabsteigt, sondern er spricht zu ihm die Worte: «Stehe auf, nimm dein Bett und gehe hin!», das heißt, er macht in dem Menschen diejenige Kraft stark, welche die Krankheit überwinden kann. Aber der Mensch wußte nicht, wer ihn geheilt hatte, «denn der Christus Jesus war entwichen, da so viel Volk an dern Ort war.» (Joh. 5,13). Der Christus hatte zwar in ihm gewirkt, doch wußte der Mensch nicht davon in seinem Oberbewußtsein. So war es ja die ganze Zeit seit dem Mysterium von Golgatha bis in un­sere Tage. Aber darnach «fand ihn Jesus im Tempel und der Mensch ging hin und verkündete, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe.»

Nun wußte er, daß das Wort wahr ist, welches der Christus Jesus zu den Juden sprach: «Mein Vater wirket bisher und ich wirke auch». Und weiter sagt der Christus: «Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hö­ren, und die sie hören werden, die werden leben», die Stunde, wel­che jetzt in unserer Gegenwart schlagen wird, die Stunde, wo der Christus das Richteramt über die Toten übernehmen und der Herr des Karrna werden wird. So deutet in mannigfacher Weise diese Erzählung von der Heilung des Kranken zu Bethesda auf unsere Zeit hin.

Sechstens: In eigentümlicher Weise ist in das Lukas-Evangelium hineingeheimnist eine Parabel, die hinweist auf die geistigen Ver-hältnisse des sechsten nachatlantischen Zeitraumes. Wir haben gese­hen, daß dieser Zeitraurn, der die Auferstehung des zweiten nachat­lantischen Zeitraumes bedeutet, von dem Christus Jesus vorbereitet wird dadurch, daß er den Lazarus auferweckt. Und im Lukas-Evan­gelium erzählt der Christus Jesus, unmittelbar nachdem er vom Gu­ten und Bösen, von «dem Gott dienen und dem Mammon dienen» gesprochen hat, eine Parabel (Kap. 16). Er erzählt: Es war ein reicher Mann und auch ein armer mit Namen Lazarus. Diesem geht es

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schlecht auf der Erde, aber nach seinem Tode gelangt er in Abrahams Schoß, während der Reiche, der im Überfluß lebte, in die Hölle kommt.

So trennt sich in der sechsten Kulturperiode das Gute von dem Bösen und spielt sich dasjenige, was die wahren Verhältnisse angibt, in der geistigen Welt ab. Mit dem Namen des Armen aus der Parabel wird hingedeutet auf den Zusammenhang mit dem Lazarus des Jo­hannes-Evangeliums. Und daß wir es mit der sechsten nachatlanti­schen Kulturperiode zu tun haben, drückt in der Parabel der Reiche aus, indem er sagt: «ich habe noch fünf Brüder», die dann auch alle unbekehrt sind. Sie sind derjenige Teil der Menschheit, der im sechs­ten Zeitraum noch nicht den Christus in sich aufgenommen hat und der daher dem Bösen verfallen muß.

Siebtens: Die siebente Kulturperiode wird nicht mehr im beson­deren erwähnt, da diese schon angegeben ist in dem Verhältnis, das besteht zwischen dem blutflüssigen Weibe und dem zwölfjährigen Mädchen. Das Weib ist schon geheilt als das Mädchen auferweckt wird; das eine kann nicht ohne das andere geschehen.

In solcher und ähnlicher Weise haben die Evangelienschreiber den geschichtlichen Verlauf der Menschheitsentwickelung in ihre Schriften hineingeheimnist. 1)

1) Siehe zu diesen Ausführungen auch Vortrag München, 31. August 1909; ferner über Manes und seine Lehre die Vorträge Berlin, ii. November 1904 und 19. April 1917.

Überliefertes aus persönlichen Gesprachen mit RudolfSteiner Über Meister Jesus und Christian Rosenkreutz

#G264-1984-SE238 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

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Überliefertes aus persönlichen Gesprachen mit RudolfSteiner

Über Meister Jesus und Christian Rosenkreutz

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Auf eine Frage nach dem Gottesfreund vom Oberland habe Rudolf Steiner geantwortet, daß er der Meister Jesus gewesen sei, der seit dem Mysterium von Golgatha in jedem Jahrhundert inkarniert sei. Auf die weitere Frage, ob er auch jetzt inkarniert sei, wurde geant­wortet: derzeit hält er sich in den Karpathen auf und Rudolf Steiner habe angedeutet, daß er mit ihm in rein geistiger Verbindung stehe.

(Überliefert durch Friedrich Rittelmeyer ohne nähere Zeitangabe)

Auf eine Frage nach der Bedeutung der im letzten Brief des Gottes­freundes geschilderten Zusammenkunft von zwölf hohen Gottes­freunden mit dem schon hochbetagten Gottesfreund vom Oberland zur Osterzeit des Jahres 1830 habe Rudolf Steiner geantwortet: Se­hen Sie, da haben Sie den Übergang zum Rosenkreuzertum. Es han­delt sich um dasselbe, worauf Goethe in seinem Gedicht «Die Ge­heimnisse» hingedeutet hat. Seither ist Christian Rosenkreutz die führende Wesenheit im abendländischen Geistesleben. Er ist seit­dem in jedem Jahrhundert inkarniert, ebenso wie auch der Meister Jesus, der Gottesfreund vom Oberland. Beide lösen einander in jedem Jahrhundert ab und der Meister Jesus wirkt seither auch im Sinne von Christian Rosenkreutz.

(Überliefert von Wilhelm Rath aus dessen Gespräch mit Rudolf Steiner in Stuttgart, am 16. Oktober 1922)

Auf die Frage, ob der Gottesfreund vom Oberland Christian Rosen­kreutz gewesen sei, habe Rudolf Steiner geantwortet: Nein! Aber Christian Rosenkreutz war in dem Kreise der 12 Gottesfreunde, von deren geheimen Zusammenkünften der Gottesfreund vom Oberland berichtet. - Auf die weitere Frage: War der Gottesfreund Zarathu­stra, antwortete Rudolf Steiner: Ja.

(Überliefert aus Gesprächen der Christengemeinschaftspfarrer W. Klein und Emil Bock mit Rudolf Steiner im Februar 1924)

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Meister Jesus sei immer inkarniert mit Pausen von höchstens 12 Jahren.

(Überliefert durch Emmy von Gummppenberg ohne nähere Zeitangabe)

Auf die Frage: Ist der in den drei ersten Evangelien genannte Jünger Johannes derselbe wie Lazarus? gab Rudolf Steiner die Antwort:

Der Verfasser des Johannes-Evangeliums ist Lazarus. Johannes heißt er nur so wie viele Menschen seiner Zeit. Was heißt damals Jo-hannes!

Frage: Ist Lazarus derselbe, der der Sohn des Zebedäus genannt wird?

Gegenfrage: Gehörten denn die Söhne des Zebedäus überhaupt in den engsten Kreis der Zwölf? In den Sternenkreis, in dem der Chri­stus sein Wesen gespiegelt sah? Das muß eine Verwechslung sein, wenn das in den Evangelien steht. Verwechslungen dürfen uns da gar nicht wundernehmen, denn die Apostel konnten ja sogar unter den damals waltenden ganz anderen seelischen Gesetzen ihre Leiber austauschen. Die drei Jünger in Gethsemane waren jedenfalls zu dem engsten Zwölferkreise gehörig und Lazarus gehörte demselben auch an.

(Überliefert aus Gesprächen der Christengemeinschäftspfarrer W. Klein und Emil Bock mit Rudolf Steiner im Februar 1924)

Über Mani

Der Jüngling zu Nain folgte nach seiner Auferweckung dem Chri­stus als Schüler nach. Gehörte nicht zu den Zwölfen.

Frage: Ist er nicht als Schüler des Christus in apokryphen Evan­gelien genannt?

Antwort: In der nächsten Inkarnation war er Manes; die weiteren Verkörperungen sind zu erkennen an Legenden, die der Lazarus­Auferweckung gleichen.

(Überliefert aus Gesprächen der Christengemeinschaftspfarrer W. Klein und Emil Bock mit Rudolf Steiner im Februar 1924)

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Mani werde sich in diesem Jahrhundert nicht verkörpern; er beab­sichtige, dies im nächsten Jahrhundert zu tun, vorausgesetzt, daß er einen geeigneten Körper finde. Die gewöhnliche Erziehung biete keine Möglichkeit für die Entwicklung des Mani, nur die Waldorf-erziehung. Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, wird er als Lehrer der Menschheit auftreten und die Führung auf den Gebieten von Kunst und Religion übernehmen. Er wird in der Kraft der Gralsmysterien handeln und die Menschen anleiten, selbst über Gut und Böse zu entscheiden.

(Überliefert durch Fhrenfried Pfeiffer aus dessen Gesprächen mit Rudolf Steiner zwischen 1919 und 1921)

ANHANG Die Meister der Weisheit und des Zusammenklan ges der Empfindungeri im Werk Rudolf Steiners

#G264-1984-SE241 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

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ANHANG

Die Meister der Weisheit und des Zusammenklan ges der Empfindungeri

im Werk Rudolf Steiners

Hella Wiesberger

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Bei der ersten Generalversammlung der deutschen Sektion im Oktober 1903 skizzierte Rudolf Steiner sein zukünftiges Lehrprogramm als «okkul­te Geschichtsforschung», als deren Teil die Lehre von den großen Geistes-führern der Menschheit genannt wurde. Denn nach den Aspekten der gro­ßen Dreiheit Leib, Seele, Geist werde durch die okkulte Geschichtsfor­schung aufgezeigt werden, wie das körperliche Dasein der Menschheit be­stimmt wird durch die großen kosmischen Naturkräfte; welche Rolle das persönliche Element in der Geschichte spielt; wie der Gesamtgeist des Uni­versums in die Menschengeschicke eingreift, indem sich dessen Leben in das höhere Selbst eines großen Menschheitsführers ergießt und dadurch der ganzen Menschheit mitteilt:

«Denn das ist der Weg, den dieses höhere Leben nimmt: es fließt in die höheren Selbste der führenden Geister, und diese teilen es ihren Brüdern mit. Von Verkörperung zu Verkörperung entwickeln sich die höheren Selbste der Menschen und da lernen sie immer mehr und mehr, ihr eige­nes Selbst zum Missionar des göttlichen Weltenplanes zu machen. Durch die okkulte Geschichtsforschung wird man erkennen, wie sich ein Menschheitsführer zu der Höhe entwickelt, auf der er eine göttliche Mission übernehmen kann. Man wird einsehen, wie Buddha, Zarathu­stra, Christus zu ihren Missionen gekommen sind.» 1)

Bei der nächsten Generalversammlung im Oktober 1904 wurde das The­ma von den Menschheitsführern weitergeführt, indem mehrfach darauf hingewiesen wurde, daß zu deren Verständnis unterschieden werden müsse zwischen Meistern der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.

1) Autoreferat «Okkulte Geschichtsforschung» in «Luzifer-Gnosis', GA 34.

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Die Meister der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft

Nach solchen Hinweisen in den Vorträgen vom 7. und 24. Oktober 1904 wurde am 28. Oktober 1904 diese Tatsache eingehend dargestellt mit der Begründung, daß sie zwar den meisten schon bekannt sei, man sich aber doch immer wieder einschärfen müsse, daß

«im Verlauf unserer fünften Wurzelrasse, also in der Zeit vom Unter­gang der atlantischen Rasse bis zur nächsten Wurzelrasse, ein höchst wichtiger Schritt in der ganzen Menschheitsevolution getan wird, indem nämlich aus der Menschheit selbst heraus Führer der Menschheit, Manus entstehen werden.

Alle die großen Führer, die Manus, welche während der früheren Wurzelrassen die Menschheit weitergebracht haben, welche ihr die gro­ßen Impulse gegeben haben, sie haben ihre Entwickelung nicht rein auf der Erde absolviert, sondern zum Teil auf anderen Himmelskörpern zu­rückgelegt und haben dabei das, was sie der Menschheit an großen Im­pulsen zu geben hatten, schon von anderen Welten für diese Erde mitge­bracht. Die Manus der lemurischen Rasse und auch die der atlantischen, sowie der Stamm-Manu unserer fünften Wurzelrasse sind übermenschli­che Individualitäten, die ihre große Schule, durch die sie die Führer der Menschheit werden konnten, auf anderen Planeten durchgemacht haben.

Dagegen bilden sich während unserer fünften Wurzelrasse innerhalb unserer Menschheit selbst so hoch entwickelte Individualitäten heraus, daß sie nunmehr von der sechsten Wurzeirasse ab Führer der Mensch­heit werden können. Namentlich der Hauptführer der sechsten Wurzel-rasse wird ein Mensch sein, wie wir sind, nur eben einer der vorgeschrit­tensten - der Vorgeschrittenste geradezu der Menschen. Es wird eine Wesenheit sein, die damals begonnen hat mit der Entwickelung, als in der Mitte der lemurischen Rasse überhaupt die Menschwerdung ge­schah, die immer Mensch unter Menschen gewesen ist, nur schneller vorschreiten konnte, und alle Stufen der menschlichen Entwickelung mitgemacht hat. Das wird der Grundcharakter des Manu der sechsten Wurzelrasse sein. Solche Wesenheiten müssen durch die mannigfaltig­sten Initiationen durchgehen, müssen wiederholt initiiert gewesen sein.

Daher hat die fünfte Wurzelrasse seit ihrer Begründung immer in­itlierte Menschen gehabt, Menschen, die sozusagen in der Richtung initi­iert waren, daß sie ihren eigenen freiwilligen Weg gehen konnten. Das

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war während der ganzen lemurischen und auch während der ganzen at­lantischen Zeit nicht der Fall. Da standen diejenigen, welche der Mensch­heit weitergeholfen haben, welche sie regiert und gelenkt haben, die Staa­tenlenker und Lenker großer religiöser Gemeinschaften waren, unter dem Einfluß von höheren Wesenheiten. Sie waren während der lemurischen und atlantischen Rasse unmittelbar abhängigvon jenen höheren Wesenhei­ten, welche ihre Entwickelung auf anderen Planeten durchgemacht hat­ten. Erst in der fünften Wurzelrasse wird die Menschheit freigegeben. Da haben wir Initiierte, die zwar im Zusammenhang stehen mit den höheren Wesenheiten, denen aber nicht so weitgehende Ratschläge gegeben wer­den, daß sie vollständig ausgearbeitet sind, sondern es wird den Initiierten der fü nftenWurzelrasse immer mehr Freiheit gegeben in den Einzelheiten. Im allgemeinen werden Direktiven gegeben, nicht nur den Initiierten, sondern auch denen, welche von ihnen angeregt werden. Ihnen werden Impulse gegeben, aber doch so, daß es ihre eigene Geistigkeit ist, aus der heraus sie die Dinge auszuführen haben.» (Berlin, 28. Oktober 1904)

Einige Monate nach dieser Darstellung findet sich noch einmal betont, daß in der fünften Wurzelrasse - dem nachatlantischen Zeitraum - die Menschheitsführer und Meister aus dem Menschengeschlecht selbst her­vorgehen sollen:

«Jetzt wird der ein Meister, der durch alle Phasen der Menschheit nur schneller hindurchgegangen ist und sich selbst zum Führer der Mensch­heit aufschwingt.» (Berlin, 5. Mai 1905)

Solche Menschen werden dann die «wahren» Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen sein (Düsseldorf, 7. März 1907). In welcher Richtung diese Entwicklung erstrebt werden muß, ergibt sich aus der folgenden Äußerung:

«Unsere Aufgabe besteht heute darin, das Okkulte im Manas, im rein­sten Element des Gedankens zu erfassen. Das Erfassen des Spirituellen in diesem feinsten Destillat des Gehirns ist die eigentliche Mission unserer Zeit. Diesen Gedanken so kraftvoll zu machen, daß er etwas von okkul­ter Kraft hat, das ist die uns gestellte Aufgabe, um unseren Platz für die Zukunft ausfüllen zu können.» (Düsseldorf, 7. März 1907)

Dasselbe spricht aus der Antwort auf die einmal gestellte Frage, wo denn jetzt eigentlich die Eingeweihten der Menschheit seien, da ein solches Werk wie das seine auf dem Spiel stehe:

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«Jetzt kommt es darauf an, daß die höheren Wahrheiten durch das Den­ken der Menschen ergriffen werden. Wenn Sie diesen Eingeweihten heu­te begegneten, würden Sie an ihnen vielleicht gar nicht das finden, was Sie suchen. Sie hatten ihre Aufgabe mehr in früheren Inkarnationen. Jetzt muß das Denken der Menschen spiritualisiert werden.» 1)

Vom zwölf, sieben- und viergliedrigen Wirken der Meister

Bis zur Trennung des ersten esoterischen Arbeitskreises von der E.S.T. im Jahre 1907 nannte Rudolf Steiner vier Meister, die mit der theosophischen Bewegung besonders verbunden sind: die beiden Meister des Ostens, Ku­thumi und Morya, und die beiden Meister des Westens, Christian Rosen­kreutz und Meister Jesus. Nach der Trennung sprach er nur noch von den beiden Meistern des Westens.

Versucht man der Frage nachzugehen, warum nur vier beziehungsweise zwei Meister genannt wurden, während es nach sonstigen Äußerungen zwölf sind, welche die große weiße Loge bilden (Köln, 3. Dezember 1905), und es fernerhin heißt, daß es nie mehr als sieben Eingeweihte zu gleicher Zeit gegeben habe (Berlin, 10. Oktober 1905), so ergibt sich, daß den Zah­len 12, 7, 4 gewisse Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen. Zunächst besteht ein bestimmtes Verhältnis von 12 zu 7, das sich in einer Marie von Sivers privat gegebenen Stunde (Berlin, 3. Juli1904) wie folgt dargestellt findet:

1

2 2

3 3 3

4 4 4 4

5 5 5 5 5

6 6 6 6 6 6

7 7 7 7 7 7 7

8 8 8 8 8 8

9 9 9 9 9

10 10 10 10

11 11 11

12 12

13


I II III IV V VI VII

1> Friecrich Rittelmeyer, «Meine Lebensbegegnung mit Rudolf Steiner».

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«Wenn wir uns die Entwickelung eines planetarischen Systems vor­stellen, dann müssen wir folgendes berücksichtigen. Die Entwickelung geschieht in der Weise, daß zwei immer abwechseln für jedes Wesen: Evolution und Involution. Nun müssen wir die sieben uns vorstellen sich evolutionierend und involutionierend.

Beim nächsten Planeten hat jeder von den Regierenden um eine Stufe weiterzugehen. 8 ist die evolutionierte 7. Indem sie sich weiterentwickeln, entwickeln sie sich in den andern hinein. Beim 7. angekommen kann es nicht weitergehen. Wenn 7 zu 8 würde, würde der Vorgang schon dage­wesen sein, es ist nichts als Wiederholung des ersten, 7 auf einer andern Stufe. Indem wir weiterrücken, sehen wir, daß sich die Leiter selbst ver­ändern. Wir kriegen 12 Regenten und einen 13., Überflüssigen. Dieser 13. bringt den ganzen Planeten in einen Zustand, wie er im Anfang war, nur in einen höheren.

Mit 12 müssen wir abschließen. So daß wir in jeder Verfassung einer planetarischen Kette nicht 7, sondern 12 erhabene führende Geister ha­ben. Von denen ist nur beim ersten der 8. nicht in Aktion und so weiter. (Unsere Begriffe gehören der rupisch-mentalen Welt an, diese Wesenhei­ten liegen jenseits unserer Begriffe, so daß nicht von einem Hervorgehen die Rede ist, sondern von Verhältnissen - zeitlos). 1)

Anerkannt hat man diese Wesen als 12 Regenten in Symbolen, zum Beispiel des Tierkreises, durch welche die Sonne geht. Entsprechend den Etappen des Makrokosmos ist auch die Bewußtseinssteigerung der mi­krokosmischen Entwickelung. So daß die 12-Zahl immer maßgebend gewesen ist und es 12 führende Geister gegeben hat überall: 12 Stämme Israels, 12 Apostel, 12 Ritter vom Gral.

Sowohl makrokosmisch wie mikrokosmisch ist also 12 die heilige Zahl, die allem zugrunde liegt. 7 sind in Aktion, 5 haben andere Aufga­ben. Für den physischen Planeten kommen nur 7 in Betracht, daher auch von 12 nur 7 Prinzipien des Menschen gelehrt werden.»2)

Durch diese Darstellung, wie auch durch die Fragenbeantwortung vom 29. Mai 1915 (S.201), daß von den führenden zwölf Geistern nur sieben für

1) Über Raum und Zeit im Zusammenhang mit der 7- und 12-Zahl siehe auch Vortrag Mün­chen, 31. August 1909.

2) Auch in der Schrift «Aus der Akasha-Chronnik», GA 11, ist angedeutet, daß es eigentlich zwölf Bewußtseinsstufen gibt, vnn denen jedoch nur sieben beschrieben werden könnten. Das Auge des Sehers vermöge zwar auf weitere fünf zu blicken, aber eine Beschreibung derselben sei ganz unmöglich.

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den physischen Plan in Betracht kommen, erklärt sich, warum in der Theo­sophical Society von sieben Meistern gesprochen wurde: den Meistern Ku­thumi, Morya, Jesus, Christian Rosenkreutz (nach seiner Inkarnation im 18. Jahrhundert auch der Graf von Saint-Germain genannt), Hilarion, Sera­pis und der sogenannte venezianische Meister. Diese Siebenheit verstand man als die sieben Ausstrahlungen des Logos und jedem Meister wurde ent­sprechend seinem Strahl eine besondere Wirkensweise zugeschrieben. Von Christian Rosenkreutz wurde zum Beispiel gesagt, daß er als Repräsentant des siebten Strahles durch zeremonielle Magie wirke. Rudolf Steiner lehnte dies offensichtlich ab, denn im Vortrag Berlin, 20. Juni 1912, findet sich die Bemerkung, daß die Individualität von Christian Rosenkreutz, den «wir anerkennen als den Führer der okkulten Bewegung in die Zukunft hinein», auch von Okkultisten viel verkannt werde und daß er seine Autorität ganz gewiß nicht durch einen «äußeren Kultus» in der Welt je entfalten werde.

Jedoch von einer siebengliedrigen Wirksamkeit der Meister hat auch Ru­dolf Steiner gesprochen, wie aus der angeführten Darstellung Berlin, 3. Juli 1904, und der Fragenbeantwortung Dornach, 29. Mai 1915, hervorgeht. Auf eine ihm von anderer Seite gestellte Frage nach dieser Siebengliedrig­keit habe er geantwortet: Zwei wirken im Osten, zwei im Westen, zwei in der Mitte, einer aber geht durch. 1) Der Ausdruck «in der Mitte» bezieht sich nicht auf Mitteleuropa, sondern auf den Mittelmeerraum als Weltmit­te; Mitteleuropa gehört global gesehen zum Weltwesten, weshalb Rudolf Steiner auch immer von den beiden Meistern des Westens als denjenigen sprach, die für Mitteleuropa maßgebend sind.

Schaut man nun noch auf die verschiedenen Angaben über Inkarnationen der Meister, so könnten diese auf den ersten Blick hin wiederum als wider­sprüchlich erscheinen, wenn es einerseits heißt, daß sie als hochentwickelte Individualitäten der Welt bereits entrückt sind und andererseits von kon­kreten Inkarnationen gesprochen wird, von gewissen Meistern mit einer besonderen Mission sogar derart, daß ihr physischer Leib erhalten bleibt, so daß der Tod überhaupt nicht eintritt (vgl. Seite 205). Dieser scheinbare Widerspruch weist aber nur hin auf die vielfältige komplizierte Wirkensart der Meister, wie auch auf die Rangstufen der Meisterschaft, wie sie zum Beispiel an den Stufen Boddhisattva-Buddha von Rudolf Steiner oft dargegestellt

1) Überliefert durch Friedrich Rittelmeyer.

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worden sind. 1) Auf das Sowohl-als-Auch in der Frage Inkarnation der Nichtinkarnation weisen zum Beispiel die beiden folgenden Aussagen:

«Die Meister sind in der Regel nicht gerade historische Persönlichkeiten, sie inkarnieren sich manchmal, wenn es notwendig ist, in historischen Persönlichkeiten; aber es ist bis zu einem gewissen Grade ein Opfer. Der Grad ihres Bewußtseins ist nicht mehr vereinbar mit einem Wirken für sich selbst. Und ein Wirken für sich selbst ist schon die Erhaltung des bloßen Namens.» (Berlin, 23. Dezember 1904)

«Wenn da draußen in der Welt in ihrem Menschengewand die heutigen Führer der Menschheit herumgehen, dann werden sie in der äußeren exoterischen Welt nicht erkannt. Und reden wir auf dem Boden der Gei­steswissenschaft von den Meistern der Weisheit und des Zusammenklan­ges der Empfindungen, dann würden sich die Menschen oftmals wun­dern, in welcher einfachen, schlichten Menschlichkeit durch alle Länder diese Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindun­gen kommen. Sie sind vorhanden auf dem physischen Plan. Die wichtig­sten Lehren aber erteilen sie nicht auf dem physischen Plan, sondern ... auf dem Geistplan. Und derjenige, der sie hören will, um Lehren von ihnen zu empfangen, der muß nicht nur den Zugang zu ihnen haben als zu ih­rem physischen, fleischlichen Leibe, sondern als zu ihrer Geistgestalt». (München, 24. August 1911)

Letztere Aussage gerade deutet auch an, daß es geboten ist, im Urteilen und Weiterdenken von Angaben Rudolf Steiners über Inkarnationen der Meister - insbesondere bei nur mangelhaft und nicht wirklich authentisch überlieferten - Vorsicht walten zu lassen. Denn es kommt noch hinzu, daß die Meister nicht in physischer Inkarnation, sondern auch durch Inkorpori­sation, Inspiration oder auch astrales Erscheinen wirken. Darauf deutet die überlieferte Notiz aus einer esoterischen Stunde, in der von der Wirkens-weise des Meisters Kuthumi gesprochen worden ist und gesagt wurde, «daß diese Inkarnation nicht in einer bestimmten Persönlichkeit gewesen sei, sondern seine Kraft bald hier, bald dort gewirkt hätte». (Berlin, 13. Dezem­ber 1905, S.213). Es ist einleuchtend, daß es sich dabei für das gewöhnliche Verstandesbewußtsein um nur schwer oder gar nicht zu erfassende okkulte Phänomene handelt, weshalb wohl auch die verschiedenen Erscheinungsweisen

i) Siehe z.B. Vortrag Berlin, 25. Oktober 1909 in «Der Christus-Impuls und die Entwickelung des Ich-Bewußtseins», GA 116.

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der Mahatmas bei H.P. Blavatsky und anderen in der T. S. zu gro­ßen Mißverständnissen führen mußten. Die Möglichkeit der Materialisie­rung bezweifelte jedoch auch Rudolf Steiner nicht, denn Friedrich Rittel­meyer überlieferte, daß ihm Rudolf Steiner einmal davon sprach:

«Besonders lebendig ist mir in der Erinnerung ein Gespräch nach einem Berliner Zweigabend. Dr. Steiner erzählte von den vorgehenden Inkor­porationen der Meister. «Da tritt jemand zu ihnen ins Zimmer. Sie geben ihm die Hand und sprechen mit ihm, er verläßt das Zimmer wieder, aber Sie werden nicht bemerken, daß er das Haus verläßt».»

Friedrich Rittelmeyer berichtet dazu aber auch noch, daß Rudolf Steiner, so bereitwillig er ihm auch auf solche Fragen antwortete, doch allmählich in doppelter Richtung davon abgelenkt habe: auf der einen Seite auf die heute wichtigste Aufgabe, nämlich das Denken zu spiritualisieren, auf der anderen Seite auf die geschichtlichen Zusammenhänge.

Die sieben großen Geheimnisse des Lebens und die Meister

Geht man inbezug auf das Wirken der Meister in der Menschheit von der Frage nach dem Verhältnis von zwölf zu sieben über zu der Frage nach dem Verhältnis von sieben zu vier, so stößt man auf ein noch komplizierte­res Problem. Um es zu verdeutlichen, muß von dem Brief an Günther Wagner vom 24. Dezember 1903 ausgegangen werden. Dieser Brief beant­wortet die Bitte um eine nähere Erklärung dessen, was bei der im Oktober 1903 in Berlin stattgefundenen ersten Generalversammlung der deutschen Sektion angedeutet worden war, nämlich, daß jede der sieben Rassen esn Geheimnis zu lösen habe. Die Antwort an Günther Wagner beginnt mst einem Satz aus der «Geheimlehre» von H.P. Blavatsky:

«Von den sieben Wahrheiten oder Offenbarungen sind uns bloß vier ausgehändigt, da wir noch in der vierten Runde sind.»

Dieser Satz entstammt dem Kommentar von Blavatsky zu den zehn Strophen aus dem sogenannten Buche Dzyan, die als theosophische Kos­mogenesis das Kernstück der «Geheimlehre» bilden. Deren übriger Inhalt ist ein einziger Kommentar zu ihnen. Rudolf Steiner wertete die Kommen­tare von H.P. Blavatsky zwar im allgemeinen sehr kritisch, von den Dzyan-Strophen selbst hat er jedoch stets mit größter Anerkennung gesprochen

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(z.B. im Vortrag Düsseldorf, 12. April 1909). Die erste Strophe hat er sich einmal selbst wie folgt aus dem Englischen übertragen. 1)

«Die ewige Mutter, gehüllt in ihre ewig unsichtbaren Gewänder, hatte wieder einmal für sieben Ewigkeiten geschlummert.

Es war keine Zeit, denn sie lag schlafend in dem unbegrenzten Busen der Dauer.

Das universelle Denken war nicht, denn es war kein Ah-hi, es zu ent­halten.

Die sieben Weisen (Wege) zur Seligkeit waren nicht. Die großen Ur­sachen des Leidens waren nicht, denn es war nichts da, was in sie ver­strickt hätte werden können.

Dunkelheit allein füllte das unendliche All, denn Vater (Gesetz, Not­wendigkeit), Mutter (Weltsubstanz) und Sohn (gesetzmäßige Welt, Sub­stanz, Kosmos) waren in Einem, und der Sohn war noch nicht zu einem neuen Umlauf und zur Pilgerfahrt erwacht.

Die sieben erhabenen Wesenheiten und die sieben Wahrheiten hatten aufgehört zu sein, und das Universum, der Sohn der Notwendigkeit, war in Paranishpanna untergetaucht, um ausgeatmet zu werden von dem, was ist und nicht ist. Nichts (Übersein) war.

Die Ursachen der Existenz waren ausgelöscht; das Sichtbare, das war, und das Unsichtbare, das ist, blieb im ewigen Nicht-Sein - dem Einigen Sein (Übersein).

Nur diese Eine Form der Existenz (des Überseins) dehnte sich endlos, unbegrenzt, ursachenlos, in traumhaften Schlaf; und das Leben webte unbewußt (selig) im Universairaum, durch und durch jene Allgegen­wart, die nur empfunden wird von dem geöffneten Auge des Dangma.

Aber wo war Dangma, als das A-laya des Universums in Paramartha war, und der große Umlauf Anupadaka war?

Ah-hi = Seele der Dhyan-Choans

Paranishpanna = Vollendung

Dangma = Seher

A-laya = Seele der Welt

Paramartha = Vollendung (parama = über allem, artha = erfassen)

Anupadaka = elternlos».

1) Notizbuch aus dem Jahre 19C3, Archivonummer 427 und Notizblätter 580/81.

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Der Kommentar von H.P. Blavatsky zu dem sechsten Satz der vorste­henden ersten Dzyan-Strophe, auf den sich Rudolf Steiner in seinem Brief vom 24. Dezember 1903 an Günther Wagner bezieht, lautet vollständig 1):

«Die (sieben erhabenen Beherrscher> sind die sieben schöpferischen Gei­ster, die Dhyan-Choans, die den hebräischen Elohim entsprechen. Es ist dieselbe Hierarchie von Erzengeln, zu der St. Michael, St. Gabriel und an­dere in der christlichen Theogonie gehören. Nur wachen, während St. Mi­chael zum Beispiel in der dogmatischen lateinischen Theologie bloß die Vorgebirge und Golfe bewachen darf, in dem esoterischen System die Dhy-anis der Reihe nach über eine von den Runden und den großen Wurzeiras­sen unserer Planetenkette. Es heißt ferner, daß sie ihre Bodhisattvas, die menschlichen Vertreter der Dhyani-Buddhas während jeder Runde und Rasse aussenden. Von den oder Offenbarungen oder vielmehr geoffenbarten Geheimnissen sind uns bloß vier ausgehändigt, da wir noch in der vierten Runde sind, und die Welt bisher auch nur vier Buddhas gehabt hat. Es ist dies eine sehr komplizierte Frage und wird spä­ter eine ausführliche Behandlung erfahren.

Insofern sagen Hindus und Buddhisten: . Aus einem ähnlichen Grunde bestand Irenäus auf der Notwendigkeit von vier Evangelien. Aber da jede neue Wurzelrasse am Anfange einer Runde ihre Offenbarung und ihre Offenbarer erhalten muß, so wird die nächste Runde die fünfte, die folgende die sechste und so fort bringen.»

Von den sieben Wahrheiten oder Offenbarungen wurden somit nach H.P. Blavatsky - bestätigt durch Rudolf Steiners Brief vom 24. Dezember 1903 an Günther Wagner - der Welt bisher erst vier gegeben. Und weil je­de Offenbarung ihren Offenbarer braucht, habe die Welt auch erst vier Buddhas gehabt. Ob und in welcher Art diese vier Buddhas mit den vier Meistern, von denen Rudolf Steiner innerhalb der Esoterischen Schule ge­sprochen hat, identisch sind, muß eine offene Frage bleiben, obwohl er ein­mal die beiden Rangstufen «Meister» und «Buddha» einander gleichsetzte (Lugano, 17. September 1911).

Hier steht man zugleich unmittelbar vor der Frage, in welchem Verhält­nis die Meister zu den Buddhas respektive Bodhisattvas stehen, denn von beiden spricht Rudolf Steiner gleichermaßen als den größten Geisteslehrern

1) Blavatsky, »Geheimlehre», I. Band, deutsche Ausgabe Leipzig o.J., Seite 78.

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der Menschheit und von beiden heißt es, daß sie eine Zwölftheit bil­den, deren Aufgabe darin liegt, die fortdauernde Entwicklung zu regeln und die Bedeutung des Christus-Impulses für die Menschheitsentwicklung zu lehren. Die Voraussetzung zum näheren Studium dieser Frage ist ganz gewiß, daß es sich bei den Bezeichnungen Meister, Buddha, Bodhisattva nicht um Eigennamen, sondern um Rangstufen, um Würden in der Hierar­chie der Adeptenschaft handelt, die von einer Menschenindividualität bei entsprechender Entwicklung erreicht werden können. Im Vortrag Berlin, i. Oktober 1905, findet sich der Begriff Bodhisattva dahingehend definiert, daß ein Bodhisattva ein Mensch ist, der die ganzen irdischen Erfahrungen aufgenommen hat, so daß er von einem jeglichen Ding weiß, wie es zu ver­werten ist und dadurch schöpferisch wirken kann. Die Weisen der Erde sind darum noch keine Bodhisattvas, weil es auch für einen Weisen immer noch Dinge gibt, in denen er sich noch nicht zurechtzufinden vermag. Nach einer langen Zeit des Wirkens als Menschheitslehrer im Range eines Bodhisattva steigt er zur Buddhawürde auf; er braucht sich nicht mehr zu inkarnieren, sondern wirkt rein geistig für die weitere Entwicklung.

Da Rudolf Steiner gleiche Individualitäten, zum Beispiel Zarathustra, einmal Bodhisattva, einmal Meister nennt und einmal die Meister- und die Buddhaschaft gleichsetzt (Lugano, 17. September 1911), darf wohl ange­nommen werden, daß mit den großen Meistern der Weisheit und des Zu­sammenklanges der Empfindungen dieselben Rangstufen gemeint sind, die in der morgenländischen Weisheitstradition unter Bodhisattva und Buddha verstanden werden. Daß aber für die Erkenntnis der konkreten Zusam­menhänge ein außerordentlich kompliziertes Gefüge in Betracht kommt, das durch das Hereinwirken von Wesenheiten der höheren Hierarchien entsteht, wurde von Rudolf Steiner verschiedentlich dargestellt. 1)

Ein Verständnis zu dem schon von H.P. Blavatsky als sehr kompliziert bezeichneten Verhältnis von sieben zu vier eröffnet sich allerdings erst durch Rudolf Steiners, Darstellungen über die sogenannten «sieben großen Geheimnisse des Lebens». Sie sind keine anderen als die «sieben Wahrhei­ten oder Offenbarungen oder vielmehr geoffenbarten Geheimnisse», wie sie von H.P. Blavatsky bezeichnet werden. Rudolf Steiner nennt sie in sei­nem

1) Zur Bodhisattva-Buddha-Frage siehe »Grundelemente der Esoterik», GA 93a; »Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt», GA 110; »Der Christus-Impuls und die Entwickelung des Ich-Bewußtseins», GA 116; »Das esoterische Christen­tum und die geistige Führung der Menschheit», GA 130.

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genannten Brief auch die sieben «esoterischen Wurzelwahrheiten». In den überlieferten Notizen vom Vortrag Berlin, 28. Oktober 1903, heißt es:

«Wir sprechen von sieben großen Geheimnissen. Sieben große Geheim­nisse gibt es, die uns die sieben großen Phasen des Lebens enthüllen. Die werden sie genannt.» (Berlin, 28. Oktober 1903)

In der zehn Tage vor diesem Vortrag stattgefundenen Generalversamm­lung hatte Rudolf Steiner schon «im Sinne einer gewissen okkulten Tradi­tion» (Brief vom 24. Dezember 1903) darauf hingedeutet. Diese Tradition hatte damals bereits einen literarischen Niederschlag durch den englischen Okkultisten C. G. Harrison gefunden. In der Schrift «The Transcendental Universe», London 18931), die sechs Vorträge wiedergibt, setzt er sich vom Standpunkt des traditionellen europäisch-christlichen Okkultismus mit der Theosophie H.P. Blavatskys kritisch auseinander, gibt aber zu, daß deren «Geheimlehre» sehr wertvolle Nachrichten über prähistorische Zivilisatio­nen und Religionen bringt, auf gewisse Geheimnisse anspielt, «deren Da­sein selbst nicht vermutet wurde» und daß einige derselben «durch einen den Okkultisten bekannten Vorgang geprüft und richtig befunden» wor­den sind. (1. Vortrag). Im sechsten Vortrag führt dann Harrison die «sieben großen Geheimnisse» an. Es heißt dazu, daß sie für alle Bewußtseinsstufen gelten und in Worten nicht erklärt werden können, sondern die Anwen­dung eines symbolischen Systems notwendig machen, dessen Natur zu er­örtern er die Freiheit nicht habe. In einer dazugehörigen Fußnote werden sie wie folgt aufgezählt: «1. Abgrund, 2. Zahl, 3. Wahlverwandschaft, 4. Ge­burt und Tod, 5. Das Böse, 6. Das Wort, 7. Die Gottseligkeit».

In den sehr fragmentarischen Notizen aus den ersten Jahren von Rudolf Steiners geisteswissenschaftlicher Vortragstätigkeit finden sich diese sieben Geheimnisse zumeist nur teilweise genannt und der Name Harrison tritt dabei nie in Erscheinung. Auch in späteren sogar konkreteren Darstellun­gen werden sie nur teilweise behandelt, so daß daraus nicht erkennbar wird, daß es sich um ein siebengliedriges Ganzes handelt.2) Nur ein einzi­ges Mal finden sich alle sieben Geheimnisse in der gleichen Benennung wie bei Harrison angeführt. Es ist dies in den Pariser Vorträgen vom Mai/Juni 1906. Da heißt es im Vortrag vom 13. Juni 1906:

1) ii deutsche Übersetzuong 1897 durch den Theosopheon Carl Graf zu Leiningen-Billigheim, «Das transzendeoniale Weltall».

2) Siehe «Die Geheimnisse der Schwelle», GA 147; «Okkultes Lesen und okkultes Hören«; GA

156; «Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes Faust« (3., 4.Nov.1917) GA 273.

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«Es gibt sieben Lebensgeheimnisse, von denen man bis heute außerhalb der okkulten Bruderschaften noch niemals gesprochen hat. Erst in der gegenwärtigen Zeitepoche ist es möglich, exoterisch davon zu sprechen. Man nennt sie auch die sieben «unaussprechlichen» oder «unsagbaren» Geheimnisse. 1)

Dies sind die Geheimnisse:

i. Das Geheimnis des Abgrunds.

2. Das Geheimnis der Zahl. (Man kann es in der pythagoräischen Philo­sophie studieren).

3. Das Geheimnis der Alchemie. (Dieses kann man durch die Werke von Paracelsus und Jakob Böhme begreifen).

4. Das Geheimnis der Geburt und des Todes.2)

S. Das Geheimnis des Bösen, das die Apokalypse behandelt.

6. Das Geheimnis des Wortes, des Logos.

7. Das Geheimnis der Gottseligkeit; es ist das zutiefst verborgene.»

Daß es sich bei diesen sieben großen Geheimnissen oder esoterischen Wurzelwahrheiten nicht nur um prinzipielle Begriffe handelt, die wie «Leitmotive durch die ganze esoterische Bewegung gehen» (Paris, S. Mai 1913), sondern daß durch sie auf hohe geistige Wesenheiten hingedeutet wird, geht aus Notizen hervor, die sich Marie von Sivers von einer ihr pri­vat gegebenen Stunde gemacht hat (Berlin, 2. Juli 1904). Danach sind die sieben möglichen Verhältnisse, die die Trinität Vater - Sohn - Geist ein­geht, als Wesenheiten zu verstehen, und die für diese sieben möglichen Verhältnis-Wesenhaftigkeiten gegebenen Bezeichnungen stimmen wieder­um mit denen für die sieben Lebensgeheimnisse überein. In dem ersten Vortragszyklus über geisteswissenschaftliche Kosmologie (17. Oktober bis 10. November 1904) findet sich dann grundlegend auseinandergesetzt, wie alle Entwicklung durch die drei Prinzipien, Bewußtsein, Leben, Form, be­stimmt wird und wie jedes dieser drei Prinzipien sieben Stadien oder Pha­sen zu durchlaufen hat. Die darin genannten Stadien oder Phasen des Le­bens stimmen wiederum mit den sieben großen Geheimnissen des Lebens überein. Ihre Erkenntnis und die damit verbundenen Seelenerlebnisse

1) Das Referat von Schuré ist urspninglich in französischer Sprache. In der deutschen Über­setzung in GA 94 «Knsmogonie» heißt es anstatt «unsagbaren» (innomable) «namenlose«, was ein Übersetzungsfehler ist.

2) Dieses vierte Geheimnis ist in dem Referat von Schuré nur als «Das Geheimnis des Todes» festgehalten, was ein Mangel der Nachschrift sein dürfte.

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machen die zwei zusammengehörigen Hälften der Initiation und somit den Inhalt der Anthroposophie als moderne Initiationswissenschaft aus (Dornach, 30 Dezember 1914).

Während man den sieben Stadien des Bewußtseins und denen der Form als den sieben Prinzipien des Menschen- und Weltbaues in der Geisteswis­senschaft Rudolf Steiners immer wieder begegnet, ist dies bei den sieben Phasen des kosmischen Lebens nicht in gleichem Maße der Fall. Das hängt offenbar damit zusammen, daß der Planetengeist sein Empfindungsleben für sich behält (Berlin, 3. November 1904). Darum werden die sieben Le­bensgeheimnisse vermutlich auch die «unaussprechlichen» genannt, deren Beschreibung sehr schwierig sein muß, wie zum Beispiel in den Vorträgen München, 4. Dezember 1907, und Dornach, 30. Dezember 1914, angedeu­tet ist.

Den entscheidendsten Hinweis für die Frage nach dem Verhältnis von sie­ben zu vier sowohl in bezug auf die sieben Geheimnisse wie auch auf ihre Offenbarer, die Meister, geben die Notizen vom Vortrag Berlin, i. Novem ber 1904. Danach liegt das Hauptcharakteristikum der sieben Geheimnisse des Lebens darin, daß sie für alle Entwicklungszyklen gelten, weil sie sich immer wiederholen und zwar «bei jeder Runden- und Rassenentwicklung, auch sonst bei allen zyklischen Entwicklungen, auch im Menschen». Die­ser Hinweis macht erst verständlich, warum laut Brief vom 24. Dezember 1903 an Günther Wagner «die vierte der ... sieben Wahrheiten zurückgeht auf sieben esoterische Wurzelwahrheiten und daß von diesen Teilwahrhei ten (die vierte als Ganzes betrachtet) jeder Rasse eine - in der Regel - ausge. liefert wird.»

Daraus läßt sich ein Dreifaches ableiten:

i. Die sieben Wurzeiwahrheiten oder Geheimnisse gelten in erster Linie für die großen Entwicklungszyklen der Planetenkette Saturn-Sonne-Mond­Erde-Jupiter-Venus-Vulkan.

2. Für die ganze Erdenentwicklung gilt das vierte Geheimnis von Geburt und Tod.

3. Da sich die sieben Geheimnisse immer wiederholen, gelten sie auch für alle siebenfältigen Unterteilungen der Gesamt-Erdenentwicklung, jedoch als Teilwahrheiten des übergeordneten vierten Geheimnisses (Siehe z.B. Dornach, 3. und 4. November 1917).

Aus all diesem ergibt sich die Frage: In welchem Verhältnis steht die Gegenwart und das Wirken Rudolf Steiners zu den sieben großen Geheim­nissen des Lebens?

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Rudolf Steiners Wirken

und das fünfte der sieben großen Geheimnisse des Lebens

Da die sieben großen Geheimnisse des Lebens für alle siebenfältigen Ent­wicklungszyklen gelten, muß für unsere unmittelbare Gegenwart als der fünften nachatlantischen Kulturepoche das fünfte Geheimnis, das des Bö. sen, bestimmend werden. Zwar nicht als Ganzes, sondern als vorausgei nommene Teilwahrheit, denn als übergeordnetes Prinzip gilt für die Ge. samt-Erdenentwicklung noch das vierte Geheimnis. Stärker als heute in der fünften Kulturepoche wird sich das fünfte Geheimnis auf der fünften Lebensstufe der Erde offenbaren und in seiner vollen Kraft, wenn die Erde sich zur fünften planetarischen Stufe, dem Jupiterbewußtsein, entwickelt haben wird. (München, 16. Januar 1908).

Wenn es nun in dem Brief vom 24. Dezember 1903 an Günther Wagner heißt, daß die Theosophie, die Teil-Theosophie, die etwa in Blavatskys «Geheimlehre» und deren «Esoterik» (dem dritten Band der «Geheimleh­re») liegt, eine Summe von Teilwahrheiten des fünften Geheimnisses sei, so wirft das die schwerwiegende Frage auf: Was kann das Böse mit der Theo­sophie zu tun haben?

Diese Frage findet eine gewisse Antwort durch die geisteswissenschaftli­che Auffassung von Gut und Böse. Nach dieser ist die Erkenntnis von Gut und Böse in unserer Kulturepoche gebunden an die Erkenntnis der geisti­gen Entwicklungsimpulse von Mensch und Kosmos. (Dornach, 28. Sep­tember 1918). Das Böse tritt auf, wenn der Mensch als Einzelner oder als Gemeinschaft von der Übereinstimmung mit den fortschreitenden Impul­sen des Kosmos abirrt. Denn ein Böses an sich gibt es nicht. Alles Böse ist kein absolut Wirkliches, sondern entsteht dadurch, daß etwas, was in ir­gendeiner Weise gut ist, in einer nicht entsprechenden Weise in der Welt verwendet wird. Dadurch wird ein Gutes in ein Böses verkehrt. (München, 25. August 1913).

Eine andere Auffassung des Bösen war für die vorhergegangene Kultur-epoche, die griechisch-lateinische Zeit, bestimmend, denn sie stand als vierte Epoche unter dem vierten Geheimnis, dem von Geburt und Tod. Es kann dies an der folgenden Modifikation der sieben Einweihungsstufen abgele­sen werden. Der christlich-gnostische Einweihungsweg, wie er in der vier­ten Epoche maßgebend war, hatte die sieben Stufen: Fußwaschung, Geiße­lung, Dornenkrönung, Kreuzigung, mystischer Tod, Grablegung, Him­melfahrt. Der für die fünfte Kulturepoche maßgebende christlich-rosenkreuzerische

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Einweihungsweg hat die sieben Stufen: Studium zur wahren Selbsterkenntnis, Imagination, Lernen der okkulten Schrift oder inspirer­ten Erkenntnis, Rhythmisierung des Lebens (Bereitung des Steins der Wei­sen), die Entsprechung von Mikrokosmos und Makrokosmos (Erkenntnis des Zusammenhanges von Mensch und Welt), Verweilen oder Sichversen­ken in den Makrokosmos, Gottseligkeit. Nun liegt das Erleben des Bösen in jedem der beiden Einweihungswege zwar auf der fünften Stufe, aber im christlich-gnostischen Weg der vierten Epoche war es als sogenannte «Höl­lenfahrt» verbunden mit dem Erleben des mystischen Todes. Im Einwei­hungsweg unserer fünften Epoche dagegen lernt man auf der fünften Ein­weihungsstufe das wahre Gute kennen als die Entsprechung von Mikro­kosmos und Makrokosmos und das Böse als die jeweilige Abirrung von dieser Entsprechung. Da nun der für eine Epoche maßgebende Einwei­hungsweg immer mit den Kräften verbunden ist, die es in der jeweiligen Epoche im Zusammenhang mit den sieben Lebensgeheimnissen zu ent­wickeln gilt, mußte die Anthroposophie notwendig zur Wissenschaft von den Entsprechungen oder auch Nicht-Entsprechungen von Mikrokos­mos und Makrokosmos werden. Die Frage von Gut und Böse muß demnach heute über die Erkenntnis der richtigen Entsprechung gelöst werden.

So gesehen erklärt sich die Stelle in dem Brief vom 24. Dezember 1903, daß die Theosophie eine Summe von Teilwahrheiten des fünften Geheim­nisses ist, dahingehend, daß damit nur die Doppelbedeutung der fünften Stufe des modernen Einweihungsweges gemeint sein kann: die Entspre­chungen von Mikrokosmos und Makrokosmos einerseits, das Böse als die Abirrungen davon andererseits. Dadurch erhält die Erkenntnis von Gut und Böse, die in der vierten Epoche einen mehr feststehenden, gewisserma­ßen mehr räumlichen Charakter hatte, im Geist der fünften Epoche einen mehr fließenden Charakter. Sie wird mehr und mehr zu einer Frage nach der Erkenntnis der richtigen Zeitimpulse, oder anders ausgedrückt, nach den richtigen kosmisch-geschichtlichen Entwicklungsimpulsen. Diesem Entwicklungsschritt von der mehr räumlichen zu einer mehr zeitlich ge­prägten Erkenntnis liegt eine gewisse Gesetzmäßigkeit zugrunde, auf die Rudolf Steiner einmal aufmerksam machte, als er über das Verhältnis der ersten vier Kulturepochen zu den drei folgenden sprach. Da heißt es:

«Wenn ein räumliches Verhältnis zeitlich werden soll, so geschieht es so, daß es im Verhältnis von vier zu sieben geschieht, daß die Vierheit zur

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Siebenheit sich erweitert... Das Verhältnis von vier zu sieben beruht auf einem ganz bestimmten Gesetz.» (Berlin, 28. Oktober 1904)

Daß zu der Frage nach Gut und Böse eine ganz andere Stellung gefunden werden muß, als sie für die vorhergegangenen Epochen richtig gewesen war, spricht auch aus der folgenden Eintragung in ein Notizbuch 1):

«Die Meister sind nicht ein Schutzwall gegen das Böse, sondern die Füh­rer zur Absorption des Bösen. Wir sollen nicht das Böse aussondern, sondern es gerade aufnehmen und in der Sphäre des Guten verwenden. Die Wut des Löwen ist nur solange böse, solange sie am Löwen egoi­stisch verwendet wird; könnte sich ein Herrscher diese Wut des Löwen aneignen und damit Wohlfahrtseinrichtungen machen, so wäre sie gut. Deshalb ist das Böse als Nicht-Wirkliches zu erkennen. Es gibt kein Bö­ses. Das Böse ist nur ein versetztes Gutes. Erst mit dieser Erkenntnis ist geistige Alchemie möglich.»

In Zusammenhang mit den sieben großen Geheimnissen des Lebens kann im Sinne des Wortes von H.P. Blavatsky, daß «jede neue Wurzelrasse am Anfang einer Runde ihre Offenbarung und ihre Offenbarer erhalten muß», Rudolf Steiner in seinem Wirken nicht anders verstanden werden denn als der erste Verkünder der fünften esoterischen Wurzelwahrheit, des fünften der sieben großen Geheimnisse des Lebens und zwar in seiner Dop­pelbedeutung: den Entsprechungen von Mikrokosmos und Makrokosmos einerseits und den Abirrungen davon als dem Bösen andererseits.

In dem Nachschriftenmaterial aus den Anfangsiahren seiner geisteswis­senschaftlichen Vortragtätigkeit tritt die Verkündigung von dem Geheim­nis des Bösen zwar nur andeutungsweise, aber doch schon seiner ganzen tiefen Bedeutung nach auf. Zum Beispiel heißt es in dem Referat von Ru­dolf Steiners Ausführungen bei der ersten Generalversammlung der deut­schen Sektion der T. S. (Berlin, 18. Oktober 1903), daß unter den vielfa­chen Gründen, die zur Begründung der theosophischen Bewegung als einer «im okkulten Sinne gewaltigen Notwendigkeit» geführt haben, einer der wichtigsten derjenige sei, daß jeder Menschenrasse «ein Geheimnis» ausge­händigt werde und wir als fünfte Rasse bei dem fünften Geheimnis sind, das jedoch heute noch nicht ausgesprochen werden könne. Wörtlich heißt es weiter:

1) 1906, Archivnummer 105. vgl. im Anhang zu dem Abschnitt «Individuell gegebene Ubungen«, S. 188.

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«Wir sind aber dabei, uns allmählich in dasselbe hineinzuleben. Welcher Art es ist, deutet schon Paulus, der ein Initiierter war, an. Kundgegeben wird es erst im Laufe der Entwickelung unserer Rasse. Ein vorzeitiges Erraten dieses Geheimnisse durch rein intellektuelle Fähigkeiten würde esne unbeschreibliche Gefahr für die Menschheit bedeuten. Da nun schon zweimal ein solches Erraten beinahe erfolgt ist 1) und in absehba­rer Zeit wieder bevorsteht, haben die großen Lehrer der Menschheit die theosophische Bewegung herbeigeführt. Die Menschheit soll vorbereitet werden auf die große Wahrheit. Die Theosophie arbeitet auf einen ge­wissen Zeitpunkt hin. Ein Kern soll gebildet werden, der diese Wahrheit versteht, wenn sie dereinst unverhüllt hervortritt - ein Kern, der sie richtig erfaßt und nicht zum Fluche, sondern zum Segen der Menschheit verwendet. Die früheren Rassen wurden aus einer schon bestehenden, durch Auswahl geeigneter Individuen oder Familien, und Fortführung derselben durch den Manu in geeignete menschenleere Landschaften, ge­bildet. Dieses Verfahren sei bei dem heute über den ganzen Erdball ge­henden Verkehr nicht mehr tunlich, aber auch nicht mehr notwendig. An seine Stelle trete heute die Erziehung durch die kosmopolitische in­ternationale Theosophische Gesellschaft, welche diesen Kern bilden soll.» (Berlin, 18.10.1903).

Wurde damals das fünfte Geheimnis des Lebens noch mehr allgemein charakterisiert, so wurde es später ins Konkrete hineingehend beschrieben als die unrechtmäßige Verwendung der heiligen Verwandlungskräfte:

«Es gestattet wahrhaftig, tiefe Blicke hineinzutun in das Geheimnis des Daseins, wenn man weiß, woher das Unrecht, das Böse, das Verbrechen und das Unheil kommt, das in der Welt geschieht. Dadurch geschieht es, daß die besten, die heiligsten Kräfte, die vorhanden sind, nämlich die Verwandlungskräfte, in verkehrter Weise angewendet werden. Es gäbe kein Böses in der Welt, wenn es nicht die heiligsten Verwandlungskräfte gäbe.» (Dornach, 5. Oktober 1914)

Immer eindringlicher und immer konkreter sprach Rudolf Steiner, ins­besondere seit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, von Walten des Bö­sen, vornehmlich von dessen Walten in der Geschichte als den Abirrungen von der fortschreitenden Evolutionsströmung. Die große Bedeutung, die

1) Nähere Ausführungen darüber sind nicht bekannt.

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der Erkenntnis des Bösen als dem Grundgeheimnis unserer Zeitepoche zu­kommt, läßt auch verständlich werden, warum das sichtbare Wahrzeichen der anthroposophischen Bewegung, der Goetheanumbau, damit verbun­den wurde. Bei der Grundsteinlegung (Dornach, 20. September 1913) wur­de, einer «okkulten Verpflichtung» folgend, zum ersten Male von dem Fünften Evangelium, dem Evangelium der Erkenntnis gesprochen, dessen Kernstück, das makrokosmische Vaterunser, lautet:

Es walten die Übel

Zeugen sich lösender Ichheit

Von andern erschuldete Selbstheitschuld

Erlebet im täglichen Brote

In dem nicht waltet der Himmel Wille

Indem der Mensch sich schied von Eurem Reich

Und vergaß Euren Namen

Ihr Väter in den Himmeln.

Und in den darauffolgenden zehn Jahren intensiver Bauarbeit wurde mit Hilfe vieler freiwilliger Helfer das Zentralmotiv, die plastische Gruppe «Der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer und Ahriman» zum künstlerisch anschaubaren Ausdruck der Doppelnatur des fünften Lebens­geheimnisses gestaltet. Der Menschheitsrepräsentant - Christus, so wie ihn Rudolf Steiner erkennend als Meister aller Meister erschaute - repräsentiert die volle Entsprechung von Mikrokosmos und Makrokosmos und über­windet durch seine Liebeausstrahlung die Mächte der Abirrung, des Bösen:

Luzifer und Ahriman. Als der Bau, nahezu vollendet, durch Brand in der Silvesternacht 1922/23 vernichtet wurde, ist einzig erhalten geblieben diese Holzplastik - ein Vermächtnis und ein Mahnmal ihres Schöpfers zur Er­kenntnis des tiefsten Lebensgeheimnisses unseres fünften Zeitraumes.

II ZUR GESCHICHTE DER GLIEDERUNG DER ESOTERIC SCHOOL OF THEOSOPHY IN EINE ÖSTLICHE UND WESTLICHE SCHULE IM JAHRE 1907

#G264-1984-SE259 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

#TI

II

ZUR GESCHICHTE DER GLIEDERUNG

DER ESOTERIC SCHOOL OF THEOSOPHY

IN EINE ÖSTLICHE UND

WESTLICHE SCHULE IM JAHRE 1907

#TX

Dieser Teil umfaßt Briefe und Dokumente aus dem Jahre

1907, die in die Hintergründe der Ablösung von der

Esoteric School Annie Besants hineinleuchten, ferner

Notizen von esoterischen Stunden aus dem Jahre 1912/

13, als im Zusammenhang mit der Trennung von der

Theosophischen Gesellschaft auf diese Hintergrlnde

nochmals eingegangen wurde.

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Vorbemerkungen des Herausgebers

Wie stark sich Rudolf Steiner den beiden Hauptgeboten des esoterischen Lebens, Wahrhaftigkeit und Kontinuität, verpflichtet hatte, spricht beson­ders deutlich aus den tieferen Gründen, die ihn zur Herauslösung seiner er­sten esoterischen Abteilung aus der E.S.T. bestimmten. Die Tatsache, daß nach nur dreijähriger Zugehörigkeit die Verbindung wieder gelöst wurde, zeigt, daß er bei aller Bereitschaft zur Zusammenarbeit keineswegs gewillt war, in geistigen Fragen Konzessionen zu machen. Über allem stand ihm immer das Gebot absoluter Wahrhaftigkeit, ohne die jedes esoterische Stre­ben gegenstandslos werden müsse und ohne die auch keine wahre Brüder­lichkeit möglich sei. Lapidar wurde dies von ihm in der Zeit der stärksten Auseinandersetzungen mit Annie Besant ausgesprochen. Damals stellte er es als sein «Ideal» hin, eine theosophisch-okkultistische Bewegung inaugu­riert und scharf eingehalten zu haben, die «einzig und allein begründet sein will auf Wahrhaftigkeit und Wahrheit». Selbst wenn kein Stein zuruckblei­ben würde von dem, was bisher entwickelt werden konnte, so wäre sein Ideal doch erreicht, wenn man sagen könnte, daß hier eine ganz und gar auf Wahrhaftigkeit ausgerichtete okkulte Bewegung angestrebt worden sei. Warnend wies er gleichzeitig darauf hin, daß der Okkultismus, wenn er nicht richtig betrieben werde, die Urteilskräfte, anstatt sie auszubilden, un­tergraben könne (Berlin, 20. Juni 1912). Es war dies damals in der T. S. nicht nur durch das veränderte Verhalten von Annie Besant in der Gesell­schaftsführung aufgetreten, sondern auch dadurch, daß sie die Esoteric School neu konstituierte und von den Mitgliedern ein Gehorsamsgelübde ablegen ließ. 1)

Die Tendenz zu dieser Entwicklung hatte sich für Rudolf Steiner schon abgezeichnet, als er im Jahre 1907 die Ablösung von der Esoteric School vollzog. Sie erfolgte aufgrund einer persönlichen Übereinkunft zwischen

1) Das Gelübde lautete: «Ich verpflichte mich, vor der Welt die Theosophische Gesellschaft zu stützen und im besonderen mich unbedingt und unverzüglich den Befehlen des Ober-hauptes der Esoterischen Sektion zu unterwerfen in allem, was mein Verhältnis zur thec> suphischen Bewegung betrifft; mit ihr zu arbeiten in der Richtung, die sie bestimmen wird, um das Kommen des Weltlehrer vorzubereiten und der Gesellschaft jede mir mögliche Unterstützung durch Zeit, Geld und Arbeit zu gewähren.« Zitiert aus dem Artikel «Eine neue spirituelle Sklaverei«, in «Mitteilungen für die Mitglieder der Anthroposophischen (Theosophischen) Gesellschaft«, April 1914.

#SE264-264

ihm und Annie Besant, anläßlich ihrer Anwesenheit beim theosophischen Kongreß in München in den Pfingsttagen des Jahres 1907. Die Tatsache der Ablösung als solche hat Rudolf Steiner verschiedentlich, zum Beispiel auch in seinem «Lebensgang» (32. Kapitel), angeführt. 1) Jedoch die eigentlichen Hintergründe werden erst aus den entsprechenden Dokumenten dieses Bandes ersichtlich. Sie machen deutlich, daß er gewisse Handlungen von leitenden Persönlichkeiten in der T. S. als nicht mehr tolerierbar betrachte­te. Später charakterisierte er sie als den «Anfang vom Ende» der Theosophi­schen Gesellschaft (Dornach, 15. Juni 1923).

Es handelte sich dabei um Vorkommnisse im Zusammenhang mit den Meistern, denen in der T. S. und der Esoteric School von Anfang an eine fundamentale Bedeutung zukam. Die Bezeichnung «Meister» - vom engli­schen «Master» für das Sanskritwort «Mahatma», was wörtlich «große See­le» heißt und in Indien ein allgemein geltender Ehrentitel für geistig hoch­stehende Persönlichkeiten ist - hatte in der T. S. eine besondere Bedeutung erhalten, als im Jahre 1879 deren Hauptsitz von Amerika nach Indien ver­legt und bekannt wurde, daß die Gesellschaftsgründung und die theosophi­schen Lehren zurückgeführt werden auf tibetanische Mahatmas mit über­menschlichen Erkenntnissen und Fähigkeiten, die mit H.P. Blavatsky in Verbindung standen. In den ersten Jahren des Bestehens der Gesellschaft sollen die Mahatmas - sonst in größter Abgeschiedenheit lebend - häufig erschienen sein: teils in astraler, teils in materialisierter, teils in realer physi­scher Gestalt. Sie gaben Belehrungen und Aufträge, hinterließen auch manchmal Gegenstände, insbesondere Briefe, die sogenannten Meister-briefe. Nach einem an H.P. Blavatsky verübten Betrug mit gefälschten Meisterbriefen zogen sie sich von der Gesellschaft zurück und wurden zum «inneren» Haupt der Esoterischen Schule; unter dem «äußeren» Haupt wurde H.P. Blavatsky, später ihre Nachfolgerin Annie Besant ver­standen.

Nach Europa drang die erste Kunde von den Mahatmas durch die da­mals aufsehenerregenden Schriften des in Indien lebenden englischen Jour­nalisten Alfred Percy Sinnett. Blavatsky hatte ihm eine Korrespondenz mit einem ihrer tibetanischen Lehrer vermittelt, in der dieser die verschieden­sten Fragen beantwortete. Als Ergebnis dieser Korrespondenz veröffent­lichte Sinnett 1881 seine Schrift «The occult World» mit einer Anzahl von

1) vgl. Seite 22 f

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Meisterbriefen (deutsch «Die okkulte Welt», Leipzig o.J). 1)1883 folgte «Esoteric Buddhism» (deutsch «Die esoterische Lehre oder Geheimbud­dhismus», Leipzig 1884). Diese beiden Schriften Sinnetts brachten die erste systematische Darstellung des theosophischen Weltbildes. 1885 folgte die vielgelesene Schrift von Mabel Collins «Light on the Path» (deutsch «Licht auf den Weg», 2. deutsche Auflage mit Anmerkungen und Erläuterungen, Leipzig 1888), in der ebenfalls viel von den Meistern die Rede ist und zu der Rudolf Steiner eine Exegese schrieb. Auch in dem eigentlichen theoso­phischen Hauptwerk, der «Secret Doctrine» (1888, deutsch «Die Geheim-lehre», Leipzig o.J.) von H.P. Blavatsky findet sich im Vorwort ausgespro­chen, daß es sich um Lehren der Meister handle, mit der Einschränkung, daß die Verantwortung für die sicherlich oft mangelhafte Art der Wieder­gabe einzig und allein bei der Niederschreiberin liege.

Während Sinnetts Publikationen durch eine gewisse sensationell wirken­de journalistische Vereinfachung belastet waren, bemühte sich Blavatsky, die vielfältigen und komplizierten Zusammenhänge in der Hierarchie der Adeptenschaft zu betonen, wobei jedoch alle großen Adepten und histo­risch bekannten Initiierten wie die Zweige eines Baumes zurückzuführen seien auf einen ersten großen Führer der frühen Menschheit, auf den Initi­ierten, darum «Mahaguru» genannt. Auf diesen deutet auch die schriftliche Aufzeichnung von Rudolf Steiner über die Hierarchie der Adepten (S. 152), sowie die folgende Notiz, die sich Marie von Sivers von ihr privat ge­gebenen Ausführungen gemacht hat:

«Als die Individualität des Mahaguru sich als Buddha inkarnierte, hatten die Lehren desselben zu Mißverständnissen und Spaltungen geführt; er hatte zu viel gegeben. Noch einmal mußte Buddha als Shankarasharya sich inkarnieren. Und von ihm sind dann die tibetanischen Lehrer, die Mahatmas, gebildet worden, welche die Lehren der Theosophie zum Teil der Öffentlichkeit übergeben haben, um durch sie den verschiede­nen Religionen den esoterischen Inhalt, der allen gleich zugrundeliegt, wieder zu geben und um das gesunkene geistige Niveau der Menschheit zu heben.» (1903, ohne Datum).

1) Sämtliche Meisterbriefe an Sinnett und andere wurden 1923 von Trevor Barker in Buchform veröffentlicht. Jetzt liegen sie auch in deutscher Übersetzung vor von Norbert Lauppert:

«Die Mabatma-Briefe», 2 Bände, Adyar-verlag Graz 1977/1980. Die Originale befinden

sich heute im Britischen Museum in London.

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Mit diesen tibetanischen Mahatmas sind insbesondere die beiden ge­meint, die als die Lehrer von H.P. Blavatsky galten. Sie sind auch gemeint, wenn von der Leitung der Esoteric School durch die Meister die Rede ist. Sie sind seit langem in der theosophischen Literatur unter den Namen «K» (Kuthumi) und «M» (Morya) bekannt. Ebenso ihre Porträts, die nach Skiz­zen H.P. Blavatskys - deren Entstehungsgeschichte in A. P. Sinnetts «Die okkulte Welt» geschildert ist - von einem deutschen Theosophen, Her­mann Schmiechen, gemalt wurden. Dieser schloß sich später der deutschen Sektion an und malte auch Kopien für Rudolf Steiner, die in den Anfangs­zeiten in esoterischen Stunden gezeigt wurden. Marie Steiner erinnerte sich, daß diese Bilder eine große Rolle spielten und eine große Wirkung ausübten: «Ich habe selbst erlebt, wie manche beim Anschauen die Sprache verloren und eine Zeitlang ganz abwesend und verwirrt waren. Aber man zeigte die Bilder früher ganz geheimnisvoll oder bei esoterischen Stunden; jetzt sind sie ja vielfach abgedruckt.» 1>

Da die Geschichte der T. S. von Anfang an bestimmt worden war durch ihr Verhältnis zu den Meistern, läßt sich heute daran ablesen, daß sie gera­de an der Fehlentwicklung dieses Verhältnisses scheitern mußte. Denn da sie ursprünglich als eine in drei Sektionen gegliederte Stiftung der Meister verstanden wurde, deren dritte diese selbst leiteten, berief man sich für die Glaubwürdigkeit der Lehren und für gesellschaftliche Maßnahmen stets auf die mit den Meistern stattgefundenen Begegnungen und von ihnen empfangene Belehrungen und Aufträge. Eine solche für das moderne Be­wußtsein anachronistische Berufung auf unsichtbare Autoritäten mußte zwangsläufig zu Mißverständnissen und Mißständen führen. Es entwickel­ten sich daraus zwes große Skandale, die die weitere Wirksamkeit und Be­deutung der Theosophical Society in den Augen urteilsfähiger und kriti­scher Personen untergruben.

Der erste Skandal entstand in den ersten achtziger Jahren des 19. Jahr­hunderts. Damals wurde H.P. Blavatsky durch die Aufdeckung gefälschter Meisterbriefe öffentlich zur Betrügerin gestempelt. Nach Rudolf Steiners Darstellung war jedoch nicht sie die Betrügerin gewesen, sondern sie war selbst das Opfer eines okkulten Betruges geworden. Er deutet einmal an, wie sie dadurch betrogen wurde, daß die «erhabenen Mächte», die am Aus­gangspunkt der theosophischen Bewegung gestanden hatten, «gefälscht» worden seien, denn es könnten Okkultisten, die ihre speziellen Interessen

1) In einem Brief vom 29. September 1948.

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verfolgen, «die Gestalt derjenigen annehmen, welche die eigentlichen Im­pulse vorher gegeben haben» (Helsingfors, ii. April 1912). Dies gilt offen­sichtlich auch in bezug auf die Autorenschaft der Meisterbriefe. Aus die­sem Grunde ist es auch kein wirklicher Widerspruch, wenn Rudolf Steiner das eine Mal von diesen Briefen als hochbedeutsamen Kulturdokumenten spricht (Berlin, 21. Juni1909) und ein anderes Mal sie als Ergebnis eines Schwindels bezeichnet (Dornach, 12. Juni 1923). Das eine Mal sind eben die ursprünglichen und echten Meisterbriefe gemeint, wie sie von Sinnett veröffentlicht worden sind, das andere Mal die gefälschten.

Warum aber konnte eine im praktischen Okkultismus stehende Persön­lichkeit wie H. P. Blavatsky so betrogen werden? Rudolf Steiner, der in das Rätsel Blavatsky des öfteren hineinleuchtete, erklärt einmal, daß aus den Zeitbedingungen heraus verstanden werden müßte, warum die Meister ge­rade sich Blavatskys als Werkzeug bedienen mußten, um das «Kulturwun-der» der für die neue Zeit so notwendigen okkulten Offenbarungen zustan­de zu bringen. Blavatsky hätte eben eine solche «Größe der Seele» und rückhaltlose Hingabe an die Intentionen der Meister gehabt, wie sie die wissenschaftlichen Größen vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auf­grund ihrer gelehrten Vorbehalte nie hätten aufbringen können; ihr hinge-gen hätte eine solche wissenschaftliche Denkschulung ermangelt, die ihr er­möglicht hätte, sich nicht immer auf die Meister zu berufen, sondern das zu Vertretende persönlich zu verantworten. (Berlin, S. Mai 1909; Helsing­fors 11. April 1912; Dornach ii. Oktober 1915).

Für die T. S. wirkte sich der Skandal um die gefälschten Meisterbriefe dahingehend aus, daß die breite Mitgliedschaft sich vor die Alternative ge­stellt sah, entweder weiterhin an unsichtbare Autoritäten zu glauben oder sie für Schwindel zu halten. Die Diskussionen darüber in der Gesellschaft und in der daran interessierten Öffentlichkeit waren zahllos. Viele Mitglie­der verließen damals die Gesellschaft, da sie nicht mehr glauben konnten, daß Blavatsky eine Abgesandte wirklicher Meister sei. Sie mußte ihr Amt in der Gesellschaft zur Verfügung stellen und das indische Hauptquartier verlassen. Sie verlangte, vonseiten der Gesellschaft verteidigt zu werden, damit die Meister in Verbindung mit dieser bleiben könnten; wenn sie selbst die Gesellschaft verlassen müßte, würden auch die Meister mit ihr fortgehen. Offenbar wurde sie von der Gesellschaft in dem erwarteten Ma­ße nicht verteidigt, denn obwohl sie offiziell bald wieder gebeten wurde, ihr Amt in der Gesellschaft wieder aufzunehmen, verblieb sie in Europa und kehrte nie mehr nach Indien zurück.

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Das war um 1885/86.1887 gründete sie in London ihre eigene Zeitschrift «Lucifer» 1) und im Zusammenhang damit die «Blavatsky-Loge», deren Mit­glieder sie als ihren geistigen Lehrer betrachteten und von ihr esoterischen Unterricht erhielten. Daraus entstand 1888 - in diesem Jahre erschien auch ihre «Geheimlehre» - die «Esoteric Section of Theosophical Society» mit der Verpflichtung, den Meistern, was auch kommen möge, treu zu bleiben. Ursprünglich war somit die Esoterische Schule in die Gesellschaft einge­gliedert. Bald jedoch traten in bezug auf die Leitung Antagonismen auf, die dazu führten, daß Blavatsky die Esoterische Sektion in die von der Gesell­schaft völlig unabhängige «Eastern School of Theosophy» (allgemein abge­kürzt E.S.T. oder E. S. genannt) umbildete. Es war dies im Jahre 1889 und nunmehr stand die Schule unter ihrer alleinigen Leitung. Im Jahre der Um­bildung erschien zugleich die Schrift Blavatskys «Schlüssel zur Theosophie -

-eine Auseinandersetzung in Fragen und Antworten über Ethik, Wissen­schaft und Philosophie, zu deren Studium die Theosophische Gesellschaft begründet worden ist» und in der in einem Kapitel («Die theosophischen Mahatmas») zu Fragen über die Meister Stellung genommen ist.2) Die Mei­ster hatten ihren unmittelbaren Verkehr mit der Gesellschaft aufgegeben und wurden nun «The inner Head» (das innere Haupt) der Esoterischen Schule, während Blavatsky und nach ihrem Tode die von ihr zur Nach­folgerin ernannte Annie Besant als «The outer Head» (das äußere Haupt) die Schule persönlich leiteten. Die Gesellschaft war zu einer demokrati­schen Verwaltungsgesellschaft geworden. So war es durch einen von Geg­nern der theosophischen Sache inszenierten Skandal, dem H. P. Blavatsky zum Opfer gefallen war, immerhin zu einer neuen Gestaltung und inneren Konsolidierung gekommen.

Dies war die Situation, als Rudolf Steiner nach der Jahrhundertwende an die Theosophische Gesellschaft und deren Esoterische Schule anknüpfte; sie liegt auch seiner Darstellung zum Beispiel in dem Brief vom 2. Januar

1) Auch Rudolf Steiner nannte seine erste theosophische Zeitschrift 1906).

2) Gemäß einem im Archiv der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung vorliegenden Briefwech-sel zwischen Rudolf Steiner und dem Leipziger Verleger Max Altmann wurde die »neue einzig autorisierte Auflage» in Deutschland von Rudolf Steiner übersetzt und herausgege-ben. Es ist bemerkenswert, daß dies im Jahre 1907 erfolgte, in dem sich Rudolf Steiner durch die Vorgänge in Adyar im Zusammenhang mit den Meistern veranlaßt sah, sich von der Esoteric School der T. S. zu trennen.

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1905 an Amalie Wagner über den Gegensatz von Bewegung und Gesell­schaft, beziehungsweise von Esoterischer Schule und Gesellschaft zugrunde.

Zu dem zweiten ebenfalls im Zusammenhang mit den Meistern entstan­denen Gesellschaftsskandal kam es 1906/07. Im Mai 1906 war C.W. Lead­beater, ein aufgrund seiner eigenen hellseherischen Forschungen promi­nenter theosophischer Schriftsteller, gewisser moralischer Verfehlungen angeklagt worden und mußte sich daraufhin von der T. S. zurückziehen. Im Januar 1907 wurde bekannt, daß am Sterbelager des Gründer-Präsiden­ten H. S. Olcott in Adyar mehrmals die Meister K. H. und M. erschienen seien und ihn in seinem Wunsche bestätigt hätten, Annie Besant zu seiner Nachfolgerin zu bestimmen und ihm des weiteren nahegelegt hätten, die Angelegenheit Leadbeater, die zu hastig erledigt worden sei, zu bereinigen. Daraufhin ließ Olcott an die Generalsekretäre entsprechende Mitteilung gelangen.

Nach dem am 17. Februar 1907 erfolgten Tode Olcotts amtierte bis zu der für den Mai festgesetzten Wahl des neuen Präsidenten als Vizepräsident A. P. Sinnett, der als erster seine Zweifel darüber bekundete, ob die erschie­nenen Meister wirklich diejenigen gewesen seien, als die sie sich ausgegeben haben. Es führte dies wiederum zu großen Diskussionen in der Gesell­schaft. Da die Sache nicht nur in die theosophische, sondern sogar in die öf­fentliche Presse gelangt war, sah sich Rudolf Steiner veranlaßt, auch öffent­lich in seiner Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» dazu Stellung zu nehmen. Siehe «Zur bevorstehenden Präsidentenwahl der Theosophischen Gesellschaft». In demselben Sinne hatte er auch an Olcott persönlich noch geschrieben und nach dessen Tod an verschiedene Gremien. In einem Brief an einen der Funktionäre der T. S. vom 6. Mai 1907 heißt es zum Schluß, daß er es «na­türlich für ganz unmöglich halte, daß der Präsident unserer Gesellschaft das Haupt einer esoterischen Schule sein kann». Besonders frei und deut­lich äußerte er sich in seinem Brief an die Russin Anna Minsloff vom 26. März 1907. Aufgrund dessen traf er mit Annie Besant, als sie im Mai 1907-während die Präsidentenwahl noch in vollem Gange war - zur Teilnahme am theosophischen Kongreß nach München gekommen war, die Vereinba­rung, seinen esoterischen Arbeitskreis aus der bisherigen Verbindung mit der Esoteric School herauszulösen. In der ersten esoterischen Stunde, die er nach dem Kongreß noch in München gehalten hat (1. Juni1907) charakte­risierte er diese Ablösung als eine einschneidende Änderung. Die Schlußbe­merkung, daß damit eine Antwort gegeben sei auf die Fragen, die wohl mancher sich «infolge der letzten Ereignisse» gestellt habe, verweist offensichtlich

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auf die fragwürdigen Vorgänge bei dem Tod von Olcott. Von diesem Zeitpunkt an sprach Rudolf Steiner nur noch von den Meistern des Westens.

Auch Annie Besant äußerte sich damals zu der von Rudolf Steiner voll­zogenen Gliederung der Esoteric School in eine östliche und eine westliche Schule. Nachdem sie aus München nach London zurückgekehrt war, schrieb sie darüber einem führenden deutschen Theosophen aus der Zeit vor der Jahrhundertwende, Wilhelm Hübbe­Schleiden. Er war - da er auch der ersten esoterischen Abteilung Rudolf Steiners angehörte - wohl mit ei­ner diesbezüglichen Frage an sie herangetreten und erhielt daraufhin von ihr unter dem 7. Juni1907 die folgende Antwort:

«Lieber Dr. Hübbe-Schleiden,

Dr. Steiners okkulte Schulung ist von der unsrigen sehr verschieden. Er kennt den östlichen Weg nicht, daher kann er ihn auch nicht lehren. Er lehrt den christlich-rosenkreuzerischen Weg, der für manche Menschen ei­ne Hilfe, aber von unserem verschieden ist. Er hat seine eigene Schule und trägt auch selbst die Verantwortung dafür. Ich halte ihn für einen sehr gu­ten Lehrer in seiner eigenen Richtung und für einen Mann mit wirklichen Erkenntnissen. Er und ich arbeiten in vollkommener Freundschaft und Harmonie, aber in verschiedener Richtung. Stets Ihre Annie Besant». 1)

Darüber hinaus orientierte sie offiziell die Mitglieder der E.S.T. in einem der sogenannten Esoteric Papers «Membership in the E. 5.» (1908). Darin heißt es, daß es jetzt in Deutschland eine Schule gebe, deren Haupt ihr «guter Kollege Dr. Steiner» sei. Sie habe im vorigen Jahr (1907) mit ihm besprochen, daß es besser sein würde, «wenn sesne Schüler eine besondere Organisation bilden unter seiner Verantwortung, anstatt daß sie ein nur nomineller Teil der E.S.T. bleiben und doch auf ihn als ihr Haupt hinschauen.» In Wahr­heit ging jedoch die Initiative hierzu von Rudolf Steiner und zwar aus den angeführten und wesentlich anders gelagerten Gründen aus.

Diese Gründe führten im weiteren dann auch zur Trennung von der Theosophischen Gesellschaft. Der Stein, der diese Lawine ins Rollen ge­bracht hatte, war der Fall Leadbeater. Während Annie Besant noch 1906 ei­ne derjenigen gewesen war, die Leadbeater am strengsten verurteilt hatten, indem sie forderte, «die Theosophische Gesellschaft müsse alle Lehren von

1) Faksimile des englischen Origina]s in Emil Bock, #SE264-271

sich weisen, die beschmutzten und erniedrigten» 1), betrieb sie nach ihrer Wahl zur Präsidentin der T. S. seine Wiederaufnahme in einer Art und Weise, die vielfach auf Kritik und Ablehnung stieß. Unter anderen verließ damals R. G. Mead die Gesellschaft. Rudolf Steiner, der seine Stellungnah­me schon 1906 Annie Besant in einem persönlichen Brief eingehend klarge­legt hatte (S. 279), lehnte es ab, zugunsten von Leadbeaters Wiederaufnah­me zu stimmen. Er übte Stimmenthaltung, was von Annie Besant als gün­stig ausgelegt wurde, da eine Stimmenthaltung nicht negativ sei. Daraufhin sah sich Rudolf Steiner genötigt, eine lange Depesche nach Adyar zu schicken, um zu vermeiden, daß seine Stimme in den Beratungen als für die Wiederaufnahme gezählt werde.

Die ganze damit zusammenhängende Problematik wurde von Edouard Schuré in seinem Brief vom 1. Mai 1913 an den Präsidenten der Theosophi­schen Gesellschaft in Frankreich, dem er damit seinen Austritt begründete, wie folgt zusammengefaßt dargestellt:

« . . Die hervorragende Persönlichkeit der Präsidentin, Frau Annie Besant, ihre edle Vergangenheit, schienen Gewähr zu leisten, daß die T. G. den breiten Weg der Toleranz, der Unparteilichkeit und der Wahrhaftigkeit einhalten würde, der einen wesentlichen Teil ihres Programms bildet.

Leider kam es anders. Der ursprüngliche Grund dieser Abweichung liegt in dem engen Bündnis Frau Besants mit Herrn Leadbeater, einem gelehr­ten Okkultisten, aber einer trüben Natur, von zweifelhafter Moralität. Nachdem Herr Leadbeater von dem Generalrat der T. G. verurteilt worden war, verkündete Frau Besant öffentlich ihre Verurteilung der Erziehungs­mittel, die man ihm vorwarf. Ihr Urteilsspruch über den als unwürdig er­kannten Theosophen war sogar einer der strengsten. Durch eine unglaubli­che, plötzliche Wandlung erklärte sie kurze Zeit darauf ihre Absicht, Herrn Leadbeater wieder in die T. G. eintreten zu lassen, und es gelang ihr, wenn auch nicht ganz mühelos, die Stimmenmehrheit ihrer Kollegen für

1) Zitiert nach Eugene Lévy Nach dem Rücktritt Leadbeaters 1906 hatte Annie Besant noch geschrieben: #SE264-272

dieses Votum zu gewinnen. Der Vorwand, den sie für diesen Widerruf fand, waren Barmherzigkeit und Vergebung. Der wahre Grund war, daß die Präsidentin Leadbeater zu ihren okkulten Forschungen brauchte, und daß dieses Zusammenarbeiten ihr nötig schien, um ihr Ansehen zu wah­ren. Denjenigen, die ihre Worte und Taten seit jenem Tage verfolgt haben, ist es klar, daß Mrs. Besant verfallen war der verhängnisvollen Suggestion ihres gefährlichen Mitarbeiters, daß sie nur noch im Banne seiner absoluten Herrschaft sehen, denken, handeln konnte.

Die Persönlichkeit, die jetzt aus ihrem Munde spricht, ist nicht mehr der Autor der Uralten Weisheit, sondern der zweifelhafte Visionär, der ge­schickte Suggestionär, der sich nicht mehr zeigen darf, weder in London noch in Paris, noch in Amerika, der aber, geborgen in einem Gartenhaus von Adyar, von dort aus die T.G. durch ihre Präsidentin dirigiert.

Die verhängnisvollen Folgen dieses Einflusses sollten sich bald am lich­ten Tage zeigen durch die Alkyone­Affäre und die Gründung des Ordens des Sterns im Osten.

Durch einen sonderbaren Zufall hatte ich die Gelegenheit, den geheimen Beweggrund und sozusagen die psychologische Springfeder dieses jammer-vollen Unternehmens zu überraschen. Ich beginne damit, daß in jenem Augenblick niemand noch von einem neuen Lehrer sprach, der aus Indien kommen sollte, noch von einer nahen Inkarnation des Christus, und daß wahrscheinlich niemand daran dachte. Man hatte noch nicht Alkyone ent­deckt. Es war 1908. Ich hatte eben die Übersetzung des Buches von Dr. Ru­dolf Steiner veröffentlicht: «Das Christentum als mystische Tatsache». Die­ses Buch hatte die Aufmerksamkeit des europäischen Publikums gelenkt auf die Auferstehung der abendländischen Esoterik in dem großartigen Werke und der Tat des deutschen Theosophen. Während eines Aufenthal­tes in Stuttgart traf ich mit ungefähr zehn englischen, holländischen, fran­zösischen und Schweizer Theosophen zusammen. Man brachte folgende Frage vor: «Die zwei Schulen, diejenige von Adyar und von Dr. Steiner, werden sie zusammengehen können?» Wir waren alle der Meinung, daß ein Verständnis sich erreichen lassen würde, trotz der Verschiedenheit der Standpunkte, und daß dies in höchstem Maße wünschenswert sei im höhe­ren Interesse der Theosophie, die keine partikularistische oder nationale Strömung darstellt, aber eine universelle Strömung der gegenwärtigen Menschheit. Ein einziger Fragesteller in der Gruppe protestierte. Es war ein holländischer Theosoph, sehr intelligent, mit skeptischem und spötti­schem Verstand, ein intimer Freund Leadbeaters und Adyars. Er erklärte

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ausdrücklich, daß die beiden Schulen sich niemals würden verständigen können, und gab als Grund an, daß

Diese entscheidende Behauptung verwunderte mich. Ich sollte ihren Sinn und ihre Tragweite bald nachher verstehen, als, gleich einer Bombe, oder vielmehr gleich einem künstlichen Feuerwerk, die Alkyone.Affaire losplatzte. Denn diese Affäire ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Ant­wort Adyars auf die Wiedergeburt der christlichen Esoterik im Abendlan-de, und ich bin überzeugt, daß ohne dieses letztere wir niemals vom künfti­gen Propheten Krishnamurti gehört hätten ...»

Während Annie Besant in München 1907 gegenüber Rudolf Steiner noch erklärt hatte, daß sie in bezug auf das Christentum nicht kompetent sei und deshalb die Bewegung, insofern in sie das Christentum einfließen soll, ihm abtrete, wurde von ihr und Leadbeater um die Jahreswende 1909/10 der «Orden des Sterns im Osten» begründet und proklamiert, daß mit dem baldigen Wiedererscheinen des Christus gerechnet werden könne und zu seinem Träger Iddu Krishnamurti bestimmt sei. 1) Von Christus wurde als einer Bodhisattva-Wesenheit, einem Weltlehrer gleich anderen großen Geisteslehrern gesprochen, während Rudolf Steiner schon immer lehrte, daß unter Christus eine kosmische Wesenheit zu verstehen ist, die nur ein einziges Mal sich physisch verkörpert hat. Da er seine Christus-auffassung gegen den allem abendländischen Empfinden zuwiderlaufenden Wirrglauben Annie Besant zu verteidigen sich verpflichtet fühlte, führte dies im weiteren dazu, daß im März 1913 die deutsche Sektion mit damals 2.400 Mitgliedern offiziell aus der T. S. ausgeschlossen wurde, nachdem in-folge dieses vorauszusehen gewesenen Vorgehens an Weihnachten 1912 die unabhängige Anthroposophische Gesellschaft begründet worden war.

1) Iddu Krishnamurti, geb. 1897, hat im Jahre 1929 den ufgezwungenen Rolle und von der Theosophicai Society voll­ständig distanziert. Er lebt heute als philosophischer Schriftsteller in London.

Drei Briefe im Zusammenhang mit dem sogenannten «Fall Leadbeater», durch den die Trennung von der Esoteric School of Theosophy eingeleitet wurde

#G264-1984-SE275 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

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Drei Briefe

im Zusammenhang mit dem sogenannten «Fall Leadbeater», durch den die

Trennung von der Esoteric School of Theosophy eingeleitet wurde

AN DIE MITGLIEDER DER DEUTSCHEN SEKTION DER THEOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

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Liebe Freunde! [Berlin, Juni1906]

Der Präsident-Gründer der Theosophischen Gesellschaft sandte an mich als den Generalsekretär der deutschen Sektion folgende Exekutiv-Notiz und fordert mich auf, deren Inhalt den Mitgliedern mitzuteilen.

Ernste Beschuldigungen 1), welche durch das Exekutiv-Komitee der ame­rikanischen Sektion der Theosophischen Gesellschaft gegen Mr. C.W. Lead­beater erhoben worden sind, haben den Präsidenten-Gründer veranlaßt, ei­ne Versammlung für den 16. Mai in London einzuberufen, bei welcher zu­gegen waren das ganze Exekutiv-Komitee der britischen Sektion und Dele­gierte der amerikanischen und französischen Sektion. Es sollte mit dem Präsidenten beraten werden, welche Maßnahmen man zu treffen habe.

Nach sorgfältiger Betrachtung der Beschuldigungen, und nachdem Mr. Leadbeaters mündliche Auseinandersetzung zur Kenntnis genommen wor­den war, wurde folgende Resolution angenommen.

Nach Kenntnisnahme der gegen Mr. C.W. Leadbeater vorgebrachten Beschuldigungen und nach dem Anhören seiner Auseinandersetzungen empfiehlt das Komitee einmütig dem Präsidenten die Annahme von Lead­beaters Resignation, welche dieser schon vor irgendeiner Beschlußfas­sung des Komitees eingereicht hatte.

1) Zu den gegen Leadbeater erhobenen Beschuldigungen siehe die Biographie Leadbeaters von Gregory Tillet «The Elder Brother», London 1982.

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Die Mitgliedschaft Mr. Leadbeaters innerhalb der Theosophischen Ge­sellschaft erlischt damit, ebenso sein Mandat als Präsidial-Delegierter.

H .S. Olcott

P.T.S.

Liebe Freunde!

Eine wichtige Mitteilung gelangt durch das obige Schriftstück in ei­ner etwas kurzen Form an die Mitglieder der Theosophischen Ge­sellschaft. Mr. Leadbeater ist ja nicht nur Mitglied der Gesellschaft; er ist einer der hervorragendsten Verbreiter der theosophischen Weltanschauung. Seine Bücher sind für viele die Anleitung zur The~ sophie und Führer innerhalb derselben geworden. Er hat zahlreiche Schüler, die gerade seiner Richtung folgen. Eben hat er eine lange Vortragsreise hinter sich, durch die er Bedeutsames in bezug auf die theosophische Bewegung in Amerika, in Australien geleistet hat. Und unmittelbar daran schließen sich nun «schwere Beschuldigun­gen», welche seitens der amerikanischen Sektion vorgebracht wer­den, derjenigen Sektion also, innerhalb welcher er eben vorher so tatkräftig gewirkt hat.

Ich muß angesichts dieser Verhältnisse den Mitgliedern der deut­schen Sektion das Recht zugestehen, daß sie von mir als Generalse­kretär eine Erklärung dieser Tatsache verlangen können. Es wird ja von manchen Seiten immer wieder betont, daß die Theosophische Gesellschaft in ihren Zielen und Aufgaben nicht zusammengewor­fen werden dürfe mit dem, was einzelne ihrer Mitglieder vollbrin­gen. Aber anderseits kann doch auch wieder nicht geleugnet werden, daß sich die Gesamttätigkeit der Gesellschaft aus den Arbeiten ihrer einzelnen Mitglieder zusammensetzt, und daß es nicht gleichgültig sein kann, wenn das Vertrauen zu hervorragenden Arbeiten durch Tatsachen von der im Zirkular des Präsidenten mitgeteilten Art eine schwere Erschütterung erleiden muß. Denn mit diesem Vertrauen in die Arbeiter fällt doch gewiß auch dasjenige in ihre Leistungen hinweg. Und diese Leistungen bilden den wahren lebendigen Inhalt der Gesellschaft. Sie sind dasjenige, wodurch die Gesellschaft eine

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große Aufgabe erfüllen soll, wovon ihre Mitglieder geistige Nahrung schöpfen wollen. Von der immer wiederkehrenden Aufzählung der «drei Grundziele», die höher stehen sollen als alle Leistung Einzelner, kann die Gesellschaft sicherlich nicht leben.

Nun gibt es aber Gründe dafür, in einem Zirkular über diejenigen Dinge nicht zu sprechen, wegen welcher einige unserer amerikani­schen Mitglieder schwere Beschuldigungen gegen Mr. Leadbeater erhoben haben, und wegen welcher sich die Mitglieder des Exe­kutiv-Komitees der britischen Sektion und einige Delegierte der französischen und amerikanischen Sektion bewogen gefühlt haben, ihre Zustimmung zu geben zur Annahme von Mr. Leadbeaters Resignation.

Ich selbst kann nun über diesen Fall Leadbeater um so unbefange­ner sprechen, als ich immer von demjenigen Standpunkte des Ok­kultismus aus, den ich vertreten muß, die Methoden ablehnen muß­te, durch welche Mr. Leadbeater zu seinen okkulten Erkenntnissen kommt und die er auch als brauchbare Methoden für andere emp­fiehlt. Ich sage damit nichts für oder gegen die Richtigkeit dessen, was Leadbeater in seinen Büchern als okkulte Wahrheiten vertritt. Es ist im Okkultismus so, daß jemand zu einigen richtigen Einsich­ten kommen kann, trotzdem die Methoden, die er anwendet, ge­fährlich sind und leicht auf Abwege führen können. Ich muß also den Fall Leadbeater auf viel tiefer liegende Untergründe zurückfüh­ren. Zugleich aber muß ich erklären, daß fast für niemanden eine Garantie besteht, nicht in eine verhängnisvolle Verirrung zu kom­men, wenn er diejenigen Methoden anwendet, welche Leadbeaters Arbeiten zugrunde liegen. Deshalb, weil ich diesen Standpunkt ein­nehme, war für mich der Fall Leadbeater keine Überraschung. Aber ich glaube nicht, daß irgend jemand, der mit der methodischen Grundlage von Leadbeaters okkulten Forschungen einverstanden ist, jetzt einen Grund hat, ihn zu verurteilen. Entweder müßte in dem an die Mitglieder gesandten Zirkular klar angegeben sein, daß die Beschuldigungen solche Dinge betreffen, die ganz und gar nichts mit dem Okkultismus zu tun haben, oder aber es fällt mit Leadbea­ter sein ganzes okkultes System. Ich bin mir über das letztere ganz

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klar; deshalb habe ich hier statt einer offiziellen Erklärung, die in der Exekutiv-Notiz nicht enthalten ist, meinen Standpunkt den Mit­gliedern der deutschen Sektion auseinandergesetzt.

Was die Beurteilung Mr. Leadbeaters als Mensch angeht, die viel­leicht für manchen wichtig sein könnte, so darf angeführt werden, daß er bei seinen Erklärungen die gute Absicht immer betont hat, die er bei all dem gehabt hat, wessen er beschuldigt wird. Und einen vernünftigen Grund, dieser Behauptung Leadbeaters irgend welche Zweifel entgegenzubringen, hat niemand. Auch kommt für diese Frage in Betracht, daß eben jetzt eine größere Anzahl von amerika­nischen Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft ein Rund­schreiben versandt hat, in dem energisch Verwahrung eingelegt wird gegen das Vorgehen in bezug auf Mr. Leadbeater und daß kräftig da­rinnen dessen Wiedereinsetzung in alle seine Rechte verlangt wird. Daraus könnte doch auch der Schluß gezogen werden, daß man über das gegen Leadbeater Vorgebrachte auch eine andere Ansicht haben kann, als das amerikanische Exekutiv-Komitee sie hat, und als sie diejenigen haben, welche die Meinung dieses Komitees einfach zu der ihrigen machen.

Ich bitte die verehrten Mitglieder der deutschen Sektion, sich in ihrem Festhalten an der theosophischen Sache nicht erschüttern zu lassen, was auch immer für Folgen der Fall Leadbeater noch haben mag; und damit sende ich allen Freunden

herzlich theosophischen Gruß

Dr. Rudolf Steiner

Generalsekretär der deutschen Sektion

Für weitere mündliche Aufklärung über die Sache stehe ich bei ent­sprechender Gelegenheit jedem Mitgliede gern zur Verfügung.

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II

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An Annie Besant [Juni/Juli 1906]1)

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Dear Mrs. Besant.

Ihre Mitteilungen vom 9. Juni1906 von Simla, India, an die War­dens und Sub-Wardens der E.S. habe ich erhalten. Ich danke Ihnen herzlichst dafür. Gestatten Sie mir, daß ich darauf das folgende schreibe. Da Sie mir in der Führung der E.S.-Angelegenheiten in Deutschland volle Freiheit zugestanden haben, so wollte ich bisher durch Briefe Ihre so kostbare Zeit nicht in Anspruch nehmen; aber der gegenwärtige Fall - Leadbeater - ist doch wichtig genug, um die­sen Brief zu rechtfertigen. Zum voraus möchte ich bemerken, daß ich, um Ihnen das Lesen meines Briefes zu erleichtern, diesen von Marie von Sivers übersetzen lasse. Es ist dies gewiß kein Mißgriff, nach meiner Ansicht, denn diese meine Mitarbeiterin wird durch das, was ich zu sagen habe, nicht mehr irre gemacht werden können; und, was die allerletzten Dinge, die ich zu sagen habe, anbetrifft, so werde ich sie nicht ganz aussprechen. Ich denke, Sie werden sie zwi­schen den Zeilen lesen.

Nun noch ein Wort voraus. Ich werde in uneingeschränkter Of­fenheit sprechen. Und in diesem Sinne bitte ich Sie, dear Mrs. Be­sant, das Folgende aufzunehmen.

Mich selbst hat nicht einen Augenblick überrascht, was gegen Mr. Leadbeater vorgebracht worden ist. Und weder, was die Herren Mead und Keightley mir in Paris haben sagen können, die doch in der Sitzung des Executiv-Comités anwesend waren, noch auch der Bericht, der von dieser Sitzung den Generalsekretären zugesandt worden ist, haben vermocht, mein Urteil - im letzten Grunde - zu einem andern zu machen, als es vor dem bedingt öffentlichen Bekanntwerden dieser ganzen Angelegenheit war.

1) Text nach der handschriftlichen Vorlage zur Ühersetzung ins Englische durch Marie von Sivers

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Mir stellt sich die ganze Sache in einem viel tieferen Lichte und Zusammenhang dar. Ich muß das Schlimme an der ganzen Sache in der Eigenart von Mr. Leadbeaters okkulter Methode sehen. Diese okkulte Methode muß notwendigerweise in gewissen Fällen zu sol­chen oder ähnlichen Fehlern führen, wie sie bei Mr. Leadbeater sich finden, weil sie für den Menschheitszyklus, dem die abendländische Bevölkerung angehört, nicht mehr anwendbar ist. Es müssen nicht dieselben Fehler in jedem Falle sein; aber es kann zu ähnlichen kom­men, die nicht minder schlimm sind. Denn diese Methoden können nur dann zu einem sichern Resultat führen, wenn hinter jedem, der den Pfad betritt, eine so absolute Autorität eines Guru steht, wie sie im Abendlande wegen der allgemeinen Kulturverhältnisse ganz un­möglich ist. Eine Person darf im Abendlande zu der Stufe psychi­scher Entwickelung, auf welcher Leadbeater stand, nur geführt wer­den, wenn bei ihr der Teil von Führung, die nicht mehr vom Guru ausgehen kann, durch eine bis zu einem gewissen Grade gekommene menta/e Schulung ersetzt wird. Und diese Schulung fehlt Mr. Lead­beater. Ich meine damit nicht eine bloß intellektuell-philosophische Schulung, sondern die Entwickelung jener Bewußtseinsstufe, wel­che in gedanklich-innerem Schauen besteht. Das fordert einfach die Stufe der Gehirnentwickelung, auf welcher der Abendländer stehen muß. In Deutschland zum Beispiel müssen die Wege zu dieser Schu­lung von der Gedankenmystik Fichtes, Schellings und Hegels ge­nommen werden, die eigentlich nach ihrer in Wahrheit okkulten Grundlage gar nicht verstanden werden.

Dies alles ist deswegen der Fall, weil der Gedanke selbst für alle Plane derselbe ist. Wo auch der Gedanke ausgebildet wird, ob auf dem physischen oder einem höheren Plane: er wird für alles dann ein sicherer Führer sein, wenn er sinnlichkeitfrei und ein in Selbst-Erkenntnis erfaßter ist. Wird er zuerst - nach der abendländischen Gehirn anlage - auf dem physischen Plane entwickelt, dann bleibt er der sicher leitende Faden durch alle Stufen der physischen und der überphysischen Erkenntnis. Fehlt er, dann wandelt der Abendlän­der steuerlos, gleich ob er sich auf dem physischen oder einem höhe­ren Plane bewegt. Und bei der im gegenwärtigen Zeitpunkt so nahen

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Verwandtschaft aller höheren Menschenkräfte mit den Kräften, die auf niederer Stufe der Sexualsphäre angehören, kann in jedem Augenblicke eine Entgleisung ähnlich derjenigen Mr. Leadbeaters stattfinden. Es ist doch sein «Fall» nicht der einzige, sondern etwas, das auf das Gebiet gehört, welches gegenwärtig in vielen okkulten Gruppen geübt wird, die mehr oder weniger dem linken Pfade zu­streben. Aus der guten Voraussicht in die Eigenartigkeit der fünften menschlichen Unterrasse haben die Meister der Rosenkreuzer-Schu­le für das Abendland den «Pfad» ausgearbeitet, der allein in dem ge­genwärtigen Zyklus anwendbar ist. Soweit er vor die Öffentlichkeit gebracht Werden darf, ist dieser «Pfad» in der Zeitschrift «Lucifer­Gnosis» von mir mitgeteilt worden. 1)

Es muß also nicht auf den einzelnen Fall Mr. Leadbeaters reflek­tiert werden, sondern auf die Gefahren seiner Methode. Diese Ge­fahr liegt in ihr selbst; und man sollte niemals voraussetzen, daß sie nicht auf solche Abwege führen kann. Das, was nicht richtig ist, be­ginnt durchaus nicht erst da, wo die eine oder andere Person zu Din­gen geführt wird, die hier vorliegen, sondern schon da, wo man im Sinne dieser Methode zu den Ergebnissen kommt, wie sie sich in den Schriften Mr. Leadbeaters finden.

Hätte ich ganz allein gestanden, so hätte ich niemals Mr. Leadbea­ters Schriften als geeignete theosophische Lektüre empfohlen. Da ich - aus tieferliegenden Gründen - einmal in die T. S. eingetreten bin, so konnte ich natürlich nicht die Bücher eines anerkannten Führers ablehnen.

So liegt also der «Fall» meritorisch betrachtet. Die Behandlung aber, die er durch das Comité der Britischen Sektion erfahren hat, ist aber doch eine im okkulten Sinne ganz unmögliche. Wie kann es denn nur nicht klar sein, daß durch ein solches Gericht man etwas getan hat, was gleichkommt der Tat eines Menschen, der den Ast absägt, auf dem er sitzt?

Die Schwierigkeit liegt doch darin, daß der exoterische Charakter der T. S. notwendig immer kollidieren muß mit dem okkulten Standpunkt,

1) Bezieht sich auf die Aufsätze »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», die als Buchausgabe erst 1909 erschienen sind.

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wenn es sich um einen aus den okkulten Welten ergebendei Ernstfall handelt. Es müßte unter allen Umständen dafür gesorg werden, daß Mr. Leadbeater nicht in gewöhnlichem Sinne moraliscl verurteilt werde, daß jedermann, der über die Sache hört, auch er fährt, daß hier ein Fall vorliegt, der nur dem Okkultisten verständ lich sein kann, und daß Leadbeater nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes «moralisch gefehlt» hat, sondern daß er seiner Methode zuir Opfer gefallen ist, daß dasjenige, was das Publikum hier moralisch verurteilt, nach dem Grundsatze zu beurteilen ist, «wo starkes Licht ist, muß auch starker Schatten sein». Nur durch eine solche Inter­pretation kann man über die Erschütterung hinauskommen, in wel­che im andern Fall die Gesellschaft fallen wird müssen.

Es wird gar nicht darauf ankommen, daß wir über Mr. Leadbea­ter urteilen, den ja jetzt so viele verurteilen, sondern allein darauf, daß wir den rechten Weg finden, wie fruchtbar weiter zu arbeiten ist. Und der kann nur darin bestehen, daß der Rosenkreuzer-Pfad für europäische Verhältnisse als der richtige anerkannt wird. Tun wir das nicht, so werden die dem Leadbeaterschen ähnlichen Fälle sich wiederholen, und die Gesellschaft wird sich in ihre Atome auf­lösen. In der gegenwärtigen Phase der Menschheitsentwickelung muß der Okkultismus öffentlich gelehrt werden, selbstverständlich mit alle den Einschränkungen, die uns die heiligen Meister auferle­gen; aber man muß sich doch auch bei diesem Lehren auf einen wirklich okkulten Standpunkt stellen. Es wäre widersprechend den Anforderungen unserer Zeit, wenn wir auf einen bloßen Betrieb der Dinge uns beschränken würden, welche durch den sogenannten «Gemeinsinn» kontrolliert werden können. Dieses Wort «Gemein-sinn» hat nämlich auf dem Pariser Kongreß eine verhängnisvolle Rolle gespielt.

Ich möchte Sie, dear Mrs. Besant, nun nicht weiter mit Einzelvor­schlägen bezüglich dessen behelligen, was in Deutschland zum Heile unserer großen Sache zu tun ist, denn es ist ja ohnedies nur möglich, daß ich auch in diesem Falle die mir zugestandene volle Freiheit ha­be. In Mitteleuropa sind seit dem vierzehnten Jahrhunderte die Li­nien des okkulten Wirkens ja bestimmt vorgezeichnet; und wir

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müssen hier ganz notwendig diesen Richtungen folgen. Diejenigen, welche in Deutschland noch in den Bahnen wandeln, welche hier vor der Begründung unserer Sektion eingeschlagen worden sind, ha­ben mir bei meinen Vorträgen oft gesagt: «Ja, aber Leadbeater sagt doch anders . . .». Namentlich aber haben das immer Ausländer ge­sagt, die nach Deutschland zu Besuch gekommen sind. Ich wußte, daß ich anderes sagen mußte.

Ich brauche zum Schluße nur zu sagen, daß ich mich bei jedem Worte dieses Briefes meiner Devotion gegen die Meister bewußt bin, und daher kann ich auch wissen, daß Sie, dear Mrs. Besant, mei­ne Offenheit nicht im unrechten Lichte sehen werden.

In aller Treue und Anhänglichkeit Ihr ergebener

Dr. Rudolf Steiner

III

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An Annie Besint [190811)

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2) Mit wahrer Trauer kann es erfüllen, daß die Angelegenheit des um die Gesellschaft so verdienten Mr. Leadbeater so starke Erschüt­terungen hervorgerufen hat. Es geht mit dieser Sache wie mit so vie­lem in der Welt. Sie ist in ihrer Wurzel im Grunde einfach; aber durch alles, was sich um sie gleich beim Entstehen und namentlich im Laufe der letzen Jahre gebildet hat, kompliziert geworden. Für mich hatte die Angelegenheit niemals etwas Unklares; und mein Standpunkt ist heute derselbe wie beim ersten Auftauchen. Meine Stellung zu Mr. Leadbeater ist überhaupt durch den ganzen Fall nicht im geringsten erschüttert worden. Der Fall ist aus der Sphäre

1) Text nach einer handschriftlichen Vorlage zur Überaetzung ins Englische durch Marie von Sivers

2) Der vorhergehende Teil berichtet von theosophischen Aktivitäten in Deutschland.

#SE264-284

des Okkultismus herausgerissen und auf ein Feld gebracht worden, auf das er prinzipiell nicht gehört, auf das Feld von Maßnahmen der T. S. Es geht nicht an, daß man in die Verantwortlichkeitssphäre ei­nes Okkultisten auf exoterischen Wegen eingreift. Man könnte da­hin kommen, sich «nicht einverstanden» zu erklären mit seinen An­schauungen und Maßnahmen. Aber in der exoterischen Gesellschaft gibt es kein Forum, das berufen sein könnte, darüber zu richten. Ich würde zum Beispiel niemals eine Diskussion in einer Generalver­sammlung der deutschen Sektion über die Angelegenheit selbst zu­gelassen haben und mich selbst an einer solchen Diskussion nur in­nerhalb eines rein okkultistischen Komitees beteiligt haben. Doch dies ist meine individuelle Meinung, die sich niemals geändert hat. Ich habe ja von Anfang an, so viel ich konnte, klärend und beruhi­gend zu wirken versucht. Aber ich möchte mich aussprechen in meiner amtlichen Position als Generalsekretär der deutschen Sek­tion mit Bezug auf die gegenwärtige Lage der Angelegenheit. Die Verhältnisse unserer Sektion machen es ganz unmöglich, gerade in diesem Zeitpunkt etwa dem Beispiel anderer Sektionen zu folgen und an Sie, dear Mrs. Besant, als dem Präsidenten die Bitte um Wie­dereinsetzung Mr. Leadbeaters zu richten. Als das Komitee zur Be­handlung der Angelegenheit vor zwei Jahren nach London berufen worden ist, hat man die deutsche Sektion völlig ignoriert. Nun sage ich dies natürlich nicht aus dem Grunde, weil etwa irgendjemand in der deutschen Sektion auch nur im geringsten sich gekränkt gefühlt hätte; sondern darum, weil dadurch die deutsche Sektion überhaupt niemals in die Lage gekommen ist, ein Urteil über den Fall abzuge­ben. Mein Bestreben war es nun, die Wogen, welche der Fall aufge­worfen hat, in keiner Weise in die deutsche Sektion hereinschlagen zu lassen. Dies ist vollkommen gelungen. Jetzt aber ist es ganz un­möglich, die deutsche Sektion für die Wiedereinsetzung zu engagie­ren, da sie sich in keiner Weise an dem Austritt beteiligt hat.

Nun ist natürlich gegen diese Argumentation etwas wesentliches einzuwenden, nämlich, daß die Gesellschaft ein Ganzes ist, und daß daher eine solche Angelegenheit alle Mitglieder angeht. Dies würde auch unbedingt in Betracht kommen, wenn der Wiedereintritt Mr.

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Leadbeaters von einer Generalabstimmung abhinge. Das ist aber nicht der Fall. Mr. Leadbeater hat freiwillig resigniert und kann da­her jeden Tag in jeder Sektion wieder aufgenommen werden. Gegen eine solche Wiederaufnahme wird die deutsche Sektion selbstver­ständlich nichts einwenden.

Da die Dinge für unsere Sektion so liegen, werden Sie, dear Mrs. Besant, es wohl billigen, daß ich auch bei unserer letzten General-versammlung von einer Besprechung der Angelegenheit habe abse­hen müssen.

Im Hinblick auf die Entwickelung dieser Sache in der englischen Sektion kommt wohl die Stellungnahme Mrs. van Hook in Ameri­ka in Betracht. Darf ich inbezug darauf erwähnen, daß Sie auf meine loyale Haltung nach dieser Richtung hin immer rechnen können. Gegenüber der Aussage, daß diese oder jene Kundgebungen auf spi­rituelle Quellen zurückgehen, werde ich stets betonen, daß nieman­dem das Recht abgesprochen werden darf, sich auf spirituelle Quel­len zu berufen und sich in seinem Wirken an solche Quellen zu hal­ten, wenn auch anderseits jeder andere für sich selbst eine derartige Berufung so bewerten mag, wie es ihm richtig dünkt. Ich würde mir selbst das Recht bestreiten müssen zu manchem, was ich tue, wenn ich zum Beispiel Dr. W. van Hook jetzt tadeln würde. 1)

1) Es ist nicht bekannt, worauf sich dieses bezieht

#SE264-287

Elf Briefe und ein Aufratz

irn Zusammenhang mit der Wahl von Annie Besant, Leiterin der Esoterischen Schule, zur Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft, was zur Trennung von

der Esoteric School führte.

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I

AN DEN PRÄSIDENTEN-GRÜNDER DER

THEO­SOPHISCHEN GESELLSCHAFT H. S. OLCOTT IN ADYAR 1)

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Mit dem Ausdruck vollster Hochachtung gestattet sich der Unter­zeichnete in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der deutschen Sektion und als Mitglied des General-Councils der Theosophischen Gesellschaft über die Mitteilungen des Präsident-Gründer vom Ja­nuar 1907 und über die Beschlüsse eines Teiles des General-Councils, ebenso wie über die Briefe von Mrs. Besant folgende Vorstellungen zu machen.

1. Es erscheint vollkommen unmöglich, ein Mitglied als nicht für die Gesellschaft geeignet zu bezeichnen, weil es diese oder jene Mei­nung vertritt und in den Lehrmethoden die Konsequenzen seiner Meinung zieht. Die Gesellschaft kann nur - im Sinne ihrer gegen­wärtigen Konstitution - ein Administrativkörper sein; und es kann sich aus ihr kein Richter-Kollegium darüber bilden, ob irgendeine Meinung richtig oder unrichtig sei. Von diesem Grundsatz könnte nur dann abgegangen werden, wenn man die Mitglieder bei der Auf­nahme verpflichtete, diese oder jene Meinung zu haben. Das aber wäre nicht im Geiste der Gesellschaft.

2. Im Falle von Mr. Jinarajadasa kann, wenn man von Mißver­ständnissen absieht, nichts gefunden werden, was seine Ausschlie­ßung rechtfertigt. Seine Ausschließung wäre nur dann legal, wenn man zugäbe, daß ein Mitglied ausgeschlossen werden könne, weil es die Meinung nicht hat, die ein anderer Teil der Gesellschaft hat. S~ mit sollte die Ausschließung des Mr. Jinarajadasa unbedingt annul­liert werden. Wird sie es nicht, so wäre dies eine Nichtbeachtung des

1) Nach einer undatierten Handschrift (Januar 1907)

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in obigem Punkt 1) Gesagten. Der Unterzeichnete stimmt daher voll-kommen dafür, daßMr.finarajadasa weiter als Mitglied der Gesellschaft betrachtet werde.

3. Mit vollkommener Befriedigung begrüßt der Unterzeichnete die Nominierung von Mrs. Besant als Nachfolger des allverehrten Präsidenten-Gründers. Er fügt dem nur bei, daß es der Individualität des verehrten Präsidenten noch recht lange beschieden sein möge, im physischen Leibe zu verweilen. Er sendet also die besten Wünsche und Gedanken für des Präsidenten Genesung.

4. Von der Mitteilung, daß die Nomination von Mrs. Besant im Auftrage der hohen Meister geschehen sei, kann der Unterzeichnete in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der deutschen Sektion kei­ne Notiz nehmen. So wichtig die Manifestation der hohen Meister auch für den Esoteriker sein mag: die Administration der Theosophi­schen Gesellschaft geht sie gar nichts an. Und diese hat die Nomina­tion von Mrs. Besant lediglich als Ausfluß der Willensmeinung des Präsidenten-Gründers zu betrachten. Ob dieser dabei von den ho­hen Meistern oder von jemand andern beraten ist: dies ist für die exoterische Gesellschaft lediglich die private Angelegenheit des Prä­sidenten-Gründers selbst. Der Unterzeichnete ist deshalb gar nicht in der Lage, diese Begründung der Nomination von Mrs. Besant sei­ner Sektion offiziell mitzuteilen. Er kann dieses nur als eine esoteri­sche Sache behandeln. Dagegen wird er die Nomination von Mrs. Besant zum Präsidenten als Willensmeinung des Präsidenten in der deutschen Sektion nachdrücklich vertreten, und er zweifelt nicht ei­nen Augenblick daran, daß die große allseitige Verehrung von Mrs. Besant die fast einstimmige Wahl der deutschen Sektion bewirken werde. Die Wünsche und Gedanken des Unterzeichneten werden Mrs. Besant als Präsident ebenso auf allen Schritten begleiten, wie es ihrem bisherigen Wirken gegenüber der Fall war.

Mit den hochachtungsvollsten Grüßen und

theosophischen Grüßen

Dr. Rudolf Steiner

Generalsekretär der deutschen Sektion

#SE264-289

II

#TI

An Marie von Sivers in Berlin

Budapest, 25. Februar 1907

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Dem Schreiben an die Generalsekretäre wollte ich nur auf einem be­sonders beigefügten Blatte folgende Zeilen mitgeben: «Der unter­zeichnete Generalsekretär der Deutschen Sektion der T. S. [Theoso­phical Society) hat die Briefe des General-Councils, des Präsidenten-Gründers und Mrs. Besants vom Januar 1907 in folgender beiliegen­der Art beantwortet. Er gestattet sich diese Antwort als seine Mei­nung in den obschwebenden Fragen auch an die Generalsekretäre gelangen zu lassen. Mit theosophischem Gruß Dr. Rudolf Steiner.» So kann die Sache auch heute noch abgehen. Nur muß der Passus bezüglich Olcott's Weiterleben einfach gestrichen werden. Wie die Dinge nun auch kommen werden: für die T. S. wird alles fatal sein, für die spirituelle Bewegung doch nicht ungünstig. Auch der Verfall der T. S. als solcher darf uns keineswegs schrecken. Du mußt schon begreifen, daß ich selbst Dir gegenüber bei Andeutungen bleiben muß über die Meister-Affaire in Adyar. Aber das eine wirst Du mir doch zugeben, daß jetzt etwas mehr noch als «Blindheit» dazu ge­hört, wenn man meint, man könne eine Administrativaktion der Gesellschaft mit der Berufung auf die Meister durchsetzen. Mrs. Be­sant wird wohl nichts Schlimmeres in ihrer jetzigen Lage tun kön­nen, als diese Berufung zu ihren eigenen Impulsen zu machen. Gera­de diejenigen, die sich zu ihr zählen, wird sie dadurch in eine schiefe Lage bringen. Denn wenn wir sie wählen, werden wir sie aus Grün­den wählen müssen, die gar nicht ihre eigenen sind. Kann es etwas Widersinnigeres geben? Man sollte die heilige Berufung auf die Mei­ster nicht mißbrauchen zur Stütze einer Sache, die durch Philistersinn kompromittiert ist. Denn die Meister haben mit jener «allgemeinen Menschenliebe» nichts zu tun, die nur der umgewendete heuchleri­sche Leibrock des Spießbürger-Egoismus unseres Zeitalters ist. Wenn man diesen Egoismus umwendet, so kommt aus der Nuance

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der Beschämung, die er auf seiner rechten Seite trägt, nichts zu Tage als die Wollust des Mitleids und der «allgemeinen Bruderliebe» der linken! Die Meister haben es mit Erkenntnis und nicht mit Moral­predigten zu tun.

Du wirst mich verstehen. Ob Sinnett, oder Olcott: das ändert übrigens nichts. Wir müssen vorwärts.

III

Entwurf zu einem Rundbrief, Februar/März 1907. Vermutlich an die General-sekretäre der T. S. Anrede und Schluß fehlen.

Es ist dem Präsident-Gründer als solchem das Recht zugestanden worden, aus seiner persönlichen Willensmeinung heraus einen Vor­schlag zu machen bezüglich seines Nachfolgers. Der Vize-Präsident übernimmt inzwischen die Geschäfte und leitet den Wahlakt ein. Je­der kann wählen, wen er will. Der Vorschlag des Präsidenten ist nicht bindend. Der Wahlakt wird nicht vor dem 1. Mai beginnen. Kein Stimmzettel, der vor dem 1. Mai eingeliefert wird, hat also Gültigkeit. Im Laufe des Monats Mai haben alle Mitglieder den neu­en Präsidenten der Theosophischen Gesellschaft zu wählen. Sinnett ist der amtierende Vize-Präsident bis zur Neuwahl.

Ich werde keinen Gebrauch machen von dem, was ich jetzt sagen will, ich werde also nichts darüber sagen, obwohl in anderen Sektio­nen davon gesprochen worden ist.

Wenn uns von Olcott die Mitteilung gemacht worden wäre, daß er Annie Besant vorschlägt, so würden wir alle Annie Besant ge­wählt haben. Der Vorschlag des Colonel Olcott tritt aber im Zu­sammenhang mit psychischen Erscheinungen auf. Es ist da mit­geteilt worden in einem Communiqué, das an alle Generalsekretäre geschickt worden ist, daß am letzten Lebenstage Olcotts am Sterbe­bette erschienen wären die zwei Meister, und daß sie ihren Wunsch

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ausgedrückt haben, dahingehend, daß Mrs. Besant die Nachfolgerin des Colonel Olcott werden soll.

Sie erlassen es mir wohl, diese Sache zu besprechen, gerade weil ich etwas Genaues über diese Dinge zu wissen glaube. Ich bin aber trotzdem in der besonderen Lage, über alle diese Dinge mich nicht weiter aussprechen zu können. Wir würden in eine schwierige Lage kommen, wenn wir uns berufen würden auf dieses Communiqué. Wir müssen es daher so behandeln, als wenn es nicht da wäre. Wir müssen es so auffassen, als ob nur der persönliche Wunsch des Colo­nel Olcott da wäre. Wir wollen den Inhalt der Sache übersehen und nur rein das Formelle der Sache besprechen.

Es muß uns gleichgültig sein, ob Olcott von einem Schulze oder einem Müller oder von einem Mahatma beraten worden ist. Es mag ihm ja der Rat von einem Mahatma gegeben worden sein. Es han­delt sich hier um eine administrative Handlung und es ist wahr, daß die Meister sich nicht um administrative Angelegenheiten auf dem physischen Plan kümmern. Wir kämen andererseits in eine sonder­bare Lage, wenn wir uns zu dem Ausspruche der Meister in einen Gegensatz stellten. Wir müssen also einfach den Namen auf den Stimmzettel schreiben, den wir wollen. Für denjenigen, der im ok­kulten Leben steht, wäre der Ausspruch des Meisters absolut bin­dend. Olcott mag sich haben beraten lassen. Das geht ihn als Esoteri­ker an, nicht aber die Gesellschaft. Wenn wir es als Meisterwunsch auffaßten, so würden wir als Theosophen in die schwierigste Lage kommen. Wenn das Communiqué von Adyar richtig wäre, dann würde der Präsident bestimmt sein und dann brauchten wir ihn nicht zu wählen.

Ich möchte Sie dringend bitten, was an Ihnen liegt, dazu beizutra­gen, daß von dieser Sache überhaupt wenig oder gar nicht gespr~ chen wird. Man soll aber erkennen, daß die deutsche Sektion wenig­stens versteht, daß diese Dinge nicht vor die Öffentlichkeit gehören, und daß, wenn sie schon behandelt werden müssen, sie wie eine inti­me Familienangelegenheit in der Gesellschaft betrachtet werden. Wir können der wahren, großen Sache nur dienen, wenn wir über diese Angelegenheit nicht nur zu schweigen versuchen, sondern

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wenn wir auch versuchen, das Schweigen so zu bewahren, daß die Angelegenheit nicht in die Öffentlichkeit kommt, so daß sie niemals in unsere Zeitungen kommen kann. Denken Sie nur, welcher Schock unserer Gesellschaft versetzt werden könnte, wenn es in der Welt bekannt würde, daß sich die Theosophische Gesellschaft durch übersinnliche Art und Weise den Präsidenten bestimmen läßt. Diese Bestimmung ist als nicht daseiend zu betrachten. Es ist dies ja schwer, weil sie überall gelesen werden kann und weil darüber dis­kutiert wird, ob man sie als wertvoll oder nicht wertvoll betrachten soll. Das einzige, was man tun kann, ist, sich nicht darum zu küm­mern. Die hohen Weisheitslehren haben ja nichts mit den admini­strativen Angelegenheiten der Gesellschaft zu tun. Den Inhalt liefert die Weisheit, den Rahmen dazu haben die Menschen zu liefern und zu bilden.

Nicht nur aus meinem Gewissen, sondern auch aus meinem Wis­sen heraus mußte ich Ihnen diesen Ratschlag geben: das Communi­qué zu ignorieren.

#TI

IV

AN DIE SÄMTLICHEN MITGLIEDER DER DEUTSCHEN

SEKTION DER THEOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Berlin, 12. März 1907

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Liebe Freunde!

Gewisse Vorgänge, die sich gegenwärtig innerhalb der Theos~ phischen Gesellschaft abspielen, machen es notwendig, daß die fol­genden Zeilen an die Mitglieder der deutschen Sektion gerichtet werden. Diese Vorgänge haben bisher innerhalb der deutschen Sek­tion keine Rolle gespielt, und das mit Recht. Nun aber wirbeln sie innerhalb anderer Sektionen - leider ganz zum Unheil der Gesell­schaft - viel Staub auf und es kann wohl nicht ausbleiben, daß die Sache von außen auch in unsere Sektion hereingespielt wird und

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hier die Gemüter beunruhigt. Deshalb wird dieses Schreiben not­wendig. Die betreffenden Vorgänge beziehen sich auf die Wahl eines Nachfolgers für unsern lieben verehrten Präsidenten-Gründer H. S. Olcott. Nach den Statuten unserer Gesellschaft hätte die Erwäh­lung eines neuen Präsidenten die leichteste, glatteste Sache von der Welt sein können.

Sie wird nun ganz ohne Grund verworren gemacht.

Die Statuten besagen:

Der Präsident-Gründer Colonel H. S. Olcott hat das Amt eines Präsidenten für Lebenszeit inne, und hat das Recht, seinen Nachfolger vorzuschlagen. Dieser Vorschlag unterliegt der An­erkennung durch die Gesellschaft. Die Stimmabgabe hat in der vorausgesehenen Weise zu erfolgen.

Der Präsident wird für sieben Jahre gewählt.

Sechs Monate vor Ablauf der Amtsdauer eines Präsidenten wird sein Nachfolger durch das Generalkonzil vorgeschlagen, auf einer durch dieses abzuhaltenden Versammlung. Und der Vorschlag wird den Generalsekretären und dem allgemeinen Sekretär der Gesellschaft mitgeteilt. Jeder Generalsekretär sam­melt die Stimmen seiner Sektion ihren Satzungen gemäß, der allgemeine Sekretär diejenigen der übrigen Mitglieder der Ge­sellschaft. Für die Wahl ist eine Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen notwendig.

Daraus ist ersichtlich, daß dem Präsidenten-Gründer besondere Rechte zugestanden waren, die in Zukunft wegfallen werden.

Im Sinne dieser Rechte müssen wir nun wählen. Das heißt, der Generalsekretär einer Sektion hat den Mitgliedern bekanntzugeben, welchen Vorschlag der Präsident-Gründer bezüglich seines Nachfol­gers gemacht hat. Weiters hat der Generalsekretär jedem Mitglied seiner Sektion einen Stimmzettel auszuhändigen oder zuzuschicken, den das Mitglied nach seinem freien Ermessen ausfüllt

Natürlich braucht kein Mitglied sich nach dem Vorschlage des

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Präsidenten-Gründers zu richten, sondern setzt den ihm geeignet er­scheinenden Namen auf den Stimmzettel. Der Stimmzettel ist dann ausgefüllt an den Generalsekretär zurückzusenden.

Für die deutsche Sektion ist im Grunde schon alles Nötige im Sin­ne der Statuten geschehen, bis auf die Vornahme der Wahl selbst. Und diese muß im Sinne der Anordnungen des Vize­Präsidenten vorgenommen werden, der bis zur Übernahme des Amtes durch ei­nen neuen Präsidenten alle Funktionen des Präsidenten zu versehen hat. Dieser amtierende Vize-Präsident ist gegenwärtig Mr. Sinnett. Es wird nun in unserer Sektion die Wahl zur richtigen Zeit richtig vorgenommen werden.

Soweit wäre also alles in absolutester Ordnung.

Unordnung wird aber in die Sache durch folgendes gebracht.

Unser verehrter Präsident-Gründer hat vor seinem Hingange an die Generalsekretäre und an andere allerlei Zirkulare gesandt, in de­nen er mitteilte, daß ihm von höheren Welten die Weisung zuge­kommen sei, eine bestimmte Persönlichkeit, nämlich Mrs. Besant zu seinem Nachfolger zu ernennen.

Der Präsident-Gründer behauptet, daß gewisse Meister, welche in theosophischen Kreisen mit den Namen M. und K. H. belegt zu werden pflegen, ihm erschienen wären, und ihm die genannten Wei­sungen gegeben hätten.

Über die Echtheit oder Unechtheit dieser Weisungen zu diskutie­ren, ist Sache der Esoterik. Und nötig wäre gewesen, diese ganze Sache in der Administration vollkommen zu ignorieren. Denn von wem Olcott für seinen Vorschlag bezüglich seines Nachfolgers einen Rat annimmt, das geht niemand außer Olcott etwas an. Es kommt dabei auch gar nicht darauf an, ob Olcott sich hat von einem gewöhnlichen Menschen oder einer übersinnlichen Macht raten lassen.

Man kann der Ansicht sein, daß Olcott die ganze Sache nicht hätte mitteilen sollen. Allein diese Mitteilung ist doch wohl einer Schwäche seiner letzten schwer kranken Zeiten zuzuschreiben. Ebenso ist es dieser Schwäche zuzuschreiben, daß er statutenwidrig sagte, er ernenne seinen Nachfolger. Denn die Statuten geben ihm kein Ernennungsrecht, sondern nur ein Vorschlagsrecht.

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Es wäre daher das richtige gewesen, aus Olcotts Zirkular das rich­tige herauszulösen und alles andere zu ignorieren.

Dies ist nun in verschiedenen Sektionen nicht geschehen.

Es wird gerade über dasjenige viel diskutiert, was nicht zur Wahl-angelegenheit gehört. Dadurch ist Gefahr vorhanden, daß eine rein administrative Angelegenheit mit Dingen der Esoterik zusammen-geworfen werde. Gerade dann, wenn man den richtigen esoteri­schen Standpunkt einnimmt, daß unsere Lehren auf übersinnliche Quellen zurückgehen, dann sollte man sich sorgfältig hüten, eine reine Gesellschaftssache wie die Präsidentenwahl in irgendeinen Zu­sammenhang mit übersinnlichen Mächten zu bringen. Es würde allen esoterischen Grundsätzen widersprechen, das Übersinnliche in die Diskussion hereinzuziehen, in die man bei einer Präsidenten­wahl doch immer kommen kann. Es soll hier ausdrücklich betont werden, daß es eigentlich prinzipiell gar nicht notwendig wäre, das folgende zu sagen, und daß es hier nur gesagt wird, um Mißverständ­nissen vorzubeugen, die durch Diskussionen hervorgerufen werden können, an denen die Leitung der deutschen Sektion unschuldig ist, die sich nun aber leider einmal erhoben haben.

Keine derjenigen Individualitäten, die wir in übersinnlichem Schauen erkennen können, wird jemals sich in eine solche Angele­genheit mischen, wie die gegenwärtige Präsidentenwahl ist. Das hie­ße unseren Willen binden, diese Individualitäten aber wollen unsern Willen durch die Art, wie sie zu uns stehen, gerade frei machen, so daß er im Einzelnen das Richtige treffen kann. Daher kommen die Strömungen geistigen Lebens niemals von ihnen in der Form zu uns, daß darinnen eine Beeinträchtigung der freien Wahl liegen kann. Ich sage damit schon etwas, was über die Befugnisse des Gene­ralsekretärs hinausgeht, doch muß ich es sagen als der Freund der Mitglieder.

Es wird auch die Zeit kommen, in der ich werde sagen können, wie es sich mit den Kundgebungen über die von Adyar aus gespr chen wird, eigentlich verhält. Ich würde nicht das Richtige machen, wenn ich darüber schon jetzt sprechen würde.

Ich möchte die Mitglieder nun bitten, gerade in der jetzigen Zeit

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sorgfältig die offiziellen Kundgebungen von den nicht-offiziellen zu unterscheiden. Eine durchaus private Kundgebung ist zum Beispiel die von Mr. Mead jetzt an die Zweige gesandte. Sie ist als nichts anderes aufzufassen denn als die persönliche Ansicht Mr. Meads. Al­le offiziellen Mitteilungen können nur durch den Generalsekretär einer Sektion den Mitgliedern zugehen. Auch der stellvertretende Präsident Mr. Sinnett wird alle Mitteilungen nur an mich gelangen lassen, und ich werde alles pflichtgemäß an die Mitglieder gelangen lassen.

Dies zur Klarstellung des Sachverhaltes.

Anderes baldigst.

Mit theosophischen herzlichen Grüßen

Dr. Rudolf Steiner

Generalsekretär der deutschen Sektion

der Theosophischen Gesellschaft.

V

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An Anna Minsloff in Rußland

Privat! Berlin, 26. März 1907

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Mein liebes Fräulein Minsloff!

Ihr Gefühl in bezug auf das, was an Mitteilungen über okkulte Vorgänge von Adyar aus verbreitet wird, leitet sie richtig. Nun aber befinden wir uns in einer schweren Zeit, nicht nur für den Fortgang der Theosophischen Gesellschaft, sondern für das spirituelle Leben überhaupt. Es sind viele dunkle Mächte an der Arbeit, um gerade das redlichste okkulte Streben, das für die gegenwärtige Zeit zum Heile der Menschheit so notwendig ist, zu zerstören. Im gegenwärti­gen Augenblicke muß mein Mund noch geschlossen bleiben über die eigentlichen tieferen Grundlagen des Kampfes, der hinter den

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Kulissen geführt wird. Es kann ein furchtbarer Kampf werden und wir werden mit offenen Augen dem gegenüberstehen müssen, was da kommt. Es wird vielleicht bald die Zeit kommen, wo über die Vorgänge in Adyar mein Mund nicht mehr geschlossen sein wird. Vorläufig bleibt es das beste, alles einfach zu ignorieren, was von Adyar oder sonst über okkulte Vorgänge verbreitet wird, wenn es sich in der Linie bewegt, wie das bisher Veröffentlichte. Es heißt sich wirklich die Augen verbinden, wenn man es so macht wie Fräu­lein Kamensky und froh ist, wenn man irgendwo einen Strohhalm findet, um sich damit einen Stein vom Herzen zu wälzen. Man muß alles von dieser Quelle Kommende ignorieren.

Nun ist in gegenwärtigem Augenblicke nicht die Frage das wich­tige, wer gewählt wird, sondern die Hauptsache ist, daß die heilige Sache der Meister nicht zusammengeworfen werde mit einer sol­chen Sache, wie eine Wahl ist. Nicht darauf, ob Mrs. Besant gewählt wird oder nicht, kommt es an, sondern darauf, daß sie die Wahl überhaupt in Zusammenhang bringen kann mit den erhabenen Mei­stern. Das ist es, was die denkbar größte Verwirrung anrichten muß, und was in Zukunft dahin führen könnte, daß auch der letzte Zu­sammenhang zwischen den Meistern und der Gesellschaft unterbro­chen wird. Denn die Meister werden sich vielleicht gar nicht mehr um eine Gesellschaft kümmern, in der man ihnen zumutet, daß sie eine solche Rolle spielen, wie gegenwärtig von Adyar aus behauptet wird.

Viel wichtiger, ob Mrs. Besant gewählt wird, ist, daß sie selbst wieder auf den richtigen Weg kommt. Wenn nicht ganz besondere Verwicklungen noch eintreten, so wird Mrs. Besant wohl gewählt werden müssen. Von allen älteren Mitgliedern der Gesellschaft muß sie bis jetzt als das geeignetste erscheinen. Bitte sagen Sie nur ja gar keinem Menschen, daß Sie an mich denken, denn abgesehen davon, daß das so aussichtslos als möglich ist, ist meine Aufgabe auf einem ganz anderen Gebiete gelegen, als auf dem der Verwaltung der Ge­sellschaft. Es muß doch darnach getrachtet werden, daß die Stellung des Präsidenten ihn immer mehr zu einer bloßen Administrativper­sönlichkeit mache. Derjenige wird der beste Präsident sein, der gut

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die Register macht, die Schreibereien von Adyar aus besorgt und im übrigen über okkulte Dinge den Mund nicht aufmacht. Daß Mrs. Besant ihr Amt nicht so auffassen werde, das scheint der gewichtig­ste Grund gegen ihre Wahl zu sein. Allein eine solche Auffassung von der Stellung des Präsidenten wird sich erst nach vielen Jahren durchringen. Deshalb wird wohl vorläufig das beste sein, wenn Mrs. Besant gewählt wird. Die Praxis, wie wir dann handeln und wie wir okkulte Mitteilungen, die so verbreitet werden wie die jetzigen, im­mer streng zurückweisen, davon wird es abhängen, ob die Gesell­schaft in der Zukunft ein Pfleger des Spirituellen wird sein können. Doch möge sich vorläufig kein Mitglied noch entscheiden. Die Wahl in der deutschen Sektion wird erst am ersten Mai stattfinden, und da kann noch manches geschehen, was die Abstimmung in diese oder jene Richtung lenken könnte. Bis dahin aber werden Sie noch durch mich hören, was ich für das richtige halte.

Ihr inneres Leben geht in den richtigen Bahnen weiter, wie wir es hier besprochen haben. Da Sie alles richtig machen, habe ich Ihnen keine neuen Weisungen zu geben, sondern nur aus der physischen Ferne, aber der geistigen Nähe, in Gedanken das zu schicken, was ich Ihnen zu schicken vermag.

In diesem Sinne ganz der Ihre

Dr. Rudolf Steiner

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#TI

VI

AN DIE MITGLIEDER DES VORSTANDES

DER DEUTSCHEN SEKTION

DER THEOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Berlin, 28. April 1907

#TX

Liebe Freunde!

Aus den Zuschriften, die ich an die einzelnen Mitglieder und an die Vorsitzenden der Zweige gerichtet habe, ist bekannt, daß uns in der nächsten Zeit die Pflicht auferlegt sein wird, den Nachfolger unseres lieben verstorbenen Präsidenten-Gründers zu wählen. Es sind auch die Umstände dieser Wahl im allgemeinen in diesen Zuschriften be­sprochen worden. Durch diese Zeilen wende ich mich nun in dieser Angelegenheit an die lieben Freunde des Vorstandes. Ich betone nochmals, daß in formeller Beziehung eine Unklarheit zunächst nicht vorliegt. Diese Unklarheit könnte sich nur später ergeben aus einer Unvollkommenheit der Statuten, von der ich unten sprechen will.

Ich setze zunächst die für die Wahl in Betracht kommenden Stel­len der Statuten hierher und zwar in derjenigen Fassung, in der sie jetzt seit dem April 1905 festgelegt sind. Sie lauten:

§ 9 Der Präsident-Gründer H. S. Olcott hat das Amt eines Präsi­denten auf Lebenszeit inne, und er hat das Recht, seinen Nach­folger zu nominieren. Diese Nominierung unterliegt der Bestä­tigung durch die Gesellschaft. Dabei ist die Stimmabgabe in der für die Präsidentenwahl vorgeschriebenen Art zu vollziehen.

§ 10 Sechs Monate bevor die Amtszeit des Präsidenten abgelaufen ist, soll der Generalrat in einer dazu festgesetzten Versammlung seinen Nachfolger nominieren, und die Nomination soll den Generalsekretären und dem Archivar mitgeteilt werden. Jeder Generalsekretär soll die Stimmen sammeln gemäß den Regeln seiner Sektion, und der Archivar soll die Stimmen der übrigen Mitglieder der Gesellschaft abnehmen. Eine Majoritat mit zwei Drittel der abgegebenen Stimmen ist für die Wahl notwendig.

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Nun will ich auch noch die Namen der Mitglieder des General­rates hierhersetzen:

Ex officio: A. P. Sinnett, Hon. Sir. S. Subramamia Aiyer, W. A. Eng­lish, Alexander Fullerton, Upendra Nath Basu, Bertram Keightley, W. G. John, Arvid Knös, C.W. Sanders, W. B. Fricke, Dr. Theodor Pascal, Decio Calvaria, Dr. Rudolf Steiner, José M. Masso. Außer­dem noch folgende Beisitzer: Annie Besant, G. R. S. Mead, Khan Ba­hadur Kaoroji Khandalwala, Dinshaw Jivaji Edal Behram, Francesca Arundale, Tumachendra Row, Charles Blech.

Nun ist ohne weiteres klar, daß diese Bestimmungen bedauerliche Unklarheiten enthalten, ja, daß wir, wenn die gegenwärtige Wahl nicht gleich im ersten Wahlgang ein positives Ergebnis erscheinen läßt, wir für diesen Fall überhaupt eine Bestimmung nicht haben, es sei denn, daß man, wie einige zu tun scheinen, es als selbstverständ­lich annehmen will, daß dann der Generalrat eine zweite Nominie­rung vornehmen kann. Aber ausgesprochen ist so etwas in den obi­gen Stellen jedenfalls nicht. Ferner kommt aber in Betracht, daß bei einer wörtlichen Auslegung der Statuten - und wir müssen uns un­zweifelhaft an eine solche Auslegung halten - das Mitglied über­haupt nichts anderes tun kann, als entweder diejenige Persönlichkeit wählen, welche der Präsident-Gründer bezeichnet hat, oder auf dem Stimmzettel zum Ausdrucke bringen, daß er diese nicht haben will. Es würde also eigentlich nicht den geringsten Zweck haben, einen anderen Namen auf den Stimmzettel zu schreiben. Ob man das, was da geschehen soll, noch als Wahl bezeichnen kann, das erscheint zum mindesten fragwürdig. Denn man kann ja nur «Ja» oder «Nein» sagen.

Nun können wir aber selbstverständlich nichts anderes tun, als uns im gegenwärtigen Fall zunächst an die Statuten halten.

Im Januar hat nun der Präsident-Gründer ein Zirkular an mich gelangen lassen, in dem er mitteilt, daß an seinem Krankenbette die Meister erschienen seien und ihn veranlaßt hätten, Mrs. Besant zu seinem Nachfolger zu bestimmen (appoint). Durch diese und ähn­liche Zuschriften war nichts weiter gegeben, als daß der Präsident-Gründer

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Mrs. Besant zu seinem Nachfolger nominiere. Offiziell durfte darauf gar keine Rücksicht genommen werden, daß der Präsi­dent angab, von den Meistern dazu den Rat empfangen zu haben. Denn durch eine solche Rücksicht hätten wir esoterische Fragen, wie die nach den Meistern und nach der Wahrheit ihrer Erscheinun­gen an Olcotts Krankenbette bei Erledigung einer rein administrati­ven Angelegenheit wie die Präsidentenwahl eine ist, heraufbeschwo­ren. Und wohin das führt, haben wir ja schmerzlich genug erleben müssen. In anderen Sektionen hat man nämlich nicht das getan, was mir als das einzig richtige erschien - von den Meistererscheinungen einfach zu schweigen, wie man esoterische Fragen im bloßen ge­schäftlichen zu behandeln hat -, sondern man hat von ihnen gespr~ chen. Und das hat denn auch eine Flut von Schriften und Gegen-schriften erzeugt, eine bedauerliche Diskussion, innerhalb welcher über Dinge gesprochen wird, die nur in ruhiger esoterischer Arbeit und gewiß nicht bei einer Präsidentenwahl besprochen werden kön­nen. Offiziell konnte eben gar nichts in Betracht kommen, als die Nominierung von Mrs. Besant durch den Präsidenten-Gründer. Al­les andere ging uns amtlich nichts an, denn von wem Olcott sich hat raten lassen bei der Nominierung, ob von einem gewöhnlichen Sterblichen oder von einem Meister, das war seine Sache. Die Mit­glieder hatten mit nichts anderem zu rechnen, als daß diese Nomi­nierung vorlag, dann hatten sie sich zu entscheiden, ob sie Mrs. Be­sant für die geeignete Persönlichkeit halten oder nicht. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, daß nicht inoffiziell doch die Erschei­nungen der Meister hätten bekanntgegeben werden können, damit der Rat, der für Olcott einer war, auch für diejenigen bei der Wahl hätte einer werden können, welche an die Meister glauben, und die auch glauben können, daß die Erscheinungen in Adyar wirklich die Meister waren. So war also logisch ganz klar, was ich als Generalse­kretär zu tun hatte. Erst offiziell verkünden, daß es Olcotts Wunsch ist, Mrs. Besant zu wählen. Dann nach Olcotts Ableben die Wahl vorzunehmen. Und dabei gleichzeitig inoffiziell als Freund die ver­trauliche Mitteilung von den Meistererscheinungen an die Mitglie­der gelangen zu lassen. Die Wahl etwa gar einzuleiten vor Olcotts

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Ableben wäre mir als ganz absurd erschienen. Denn wenn man etwa als Esoteriker hätte von dem baldigen Tode Olcotts reden können:

eine administrative Handlung gar darauf zu bauen, wäre mir gar nicht einmal in den Sinn gekommen. Denn theoretisch hätte doch Olcott noch zehn Jahre leben können. Da nun statutenmäßig die Amtsdauer des neuen Präsidenten nur sieben Jahre zu dauern hat, so hätten wir, wenn Olcott noch zehn Jahre gelebt hätte, zwei Prasi­denten gehabt, von denen der zweite eigentlich nie hätte sein Amt antreten können. Nun ich muß gestehen, daß es mir ganz unver­ständlich ist, wie einige Sektionen die Wahl noch bei Olcotts Leb­zeiten haben einleiten können.

Nun erhielt ich unmittelbar nach dem Hingange des lieben Prasi­denten-Gründers ein vom 22. Februar datiertes offizielles Schreiben des Vize-Präsidenten Mr. Sinnett, welches verfügte, daß die Wahl im Monat Mai stattfinden solle, und daß nur solche Stimmzettel Gültig­keit haben sollen, die nach dem ersten und vor dem letzten Mai an die Generalsekretäre eingeliefert werden. Damit war eine bestimmte unanfechtbare Direktive für mich gegeben. Ich hatte die Wahl im Monat Mai vorzunehmen. Denn Mr. Sinnett führt nach dem Able­ben des Präsidenten zu Recht die Geschäfte. Es ist also auch an ihm, die Wahl zu leiten.

Im Sinne dieser Zuschrift Mr. Sinnetts wird nun auch in der deut­schen Sektion verfahren werden.

Es wird ein jedes Mitglied seinen Stimmzettel zur entsprechenden Zeit mit den nötigen Informationen erhalten.

Wäre nichts anderes geschehen, ich brauchte dieses Schreiben nicht an die lieben theosophischen Freunde zu richten. Denn es ist ja eigentlich alles klar.

Nun haben aber durch die erwähnten ungewöhnlichen Mitteilun­gen umfangreiche Diskussionen stattgefunden. Man hat sich außer­halb der deutschen Sektion gegen die Echtheit der Meistererschei­nungen ausgesprochen. Selbst älteste Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft haben das getan. Man hat sich zum Teile recht heftig ge­gen Mrs. Besant gewendet. Man hat gesagt, Mrs. Besant hätte schon zu viele Ämter. Sie könne nicht auch noch andere haben, und so

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weiter. Endlich sind heftige Angriffe auf Mrs. Besant wegen eines Artikels erschienen, den sie im Februarheft der Theosophical Re­view geschrieben hat. Es ist natürlich hier nicht möglich, den Inhalt dieses Artikels ausführlich wiederzugeben, und eine kurze Inhalts­angabe könnte nur zu leicht der Vorwurf der subjektiven Auffas­sung treffen. Ich möchte deshalb hier nicht in meiner Eigenschaft als Generalsekretär, sondern als Freund der Mitglieder dasjenige wie­dergeben, was ich im 33. Heft der Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» darü­ber gesagt habe. 1) Dieser Artikel könnte so aufgefaßt werden, daß er nichts anderes als das folgende enthielte.

Die Theosophische Gesellschaft erheischt von ihren Mitgliedern die Anerkennung eines allgemeinen Bruderbundes der Menschheit. Wer anerkennt, daß die Gesellschaft solche Arbeit zu leisten hat, die zur Herbeiführung eines solchen Bruderbundes geeignet ist, der kann Mitglied der Gesellschaft sein. Und man sollte nicht sagen, ein Mitglied könne ausgeschlossen werden wegen solcher Handlungen, die da und dort Anstoß erregen, vorausgesetzt, daß es die obige Re­gel der Gesellschaft anerkennt. Denn die Theosophische Gesell­schaft habe keinen Moralkodex, und man finde bei den größten Gei­stern der Menschheit Handlungen, an denen der oder jener nach den Verhältnissen seiner Zeit und seines Landes Anstoß nehmen könnte.

Ich muß gestehen, daß ich diesen Aufsatz als einen richtigen, s~ gar selbstverständlichen Ausfluß einer Okkultistengesinnung ange­sehen habe, und daß ich vorausgesetzt habe, daß so auch andere Theosophen denken, bis mir die Aprilnummer der Theosophical Review in die Hand gekommen ist, in der von vielen Seiten in end­loser Wiederholung gesagt wird, daß solche Gesinnung der Gipfel der Unmoral sei und alle gute Sittlichkeit untergraben müsse. Und immer wieder der ausgesprochene oder unausgesprochene Refrain:

Kann denn jemand Präsident der Gesellschaft sein, der solche Un­moral predigt? Es ist jetzt auch wohl nicht an der Zeit, ganz beschei­den die Frage aufzuwerfen: Wo bleibt die Überführung der Lehre

1) Siehe Seite 315.

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vom Karma ins Leben, die uns zeigt, daß der Mensch bei seinen ge­genwärtigen Handlungen von seinem Karma abhangig ist, daß er aber in bezug auf seine künftigen Handlungen von seinen Gedanken in der Gegenwart abhängen werde. Sollen wir als Theosophen so richten, wie Leute tun, die nichts vom Karma wissen, oder sollen wir die Handlungen des Mitmenschen als bedingt durch sein Vorle­ben ansehen? Wissen wir noch, daß Gedanken Tatsachen sind und daß derjenige, der für richtige Gedanken in unseren Reihen arbeitet, gerade den Grund legt zur Überwindung dessen, was den Menschen aus früherer Zeit anhängt? Was Mrs. Besant in diesem Aufsatze aus­einandergesetzt hat, ist nichts anderes als ein uralter Okkultisten­grundsatz, der in dem sonst gewiß anfechtbaren Roman «Zanom» 1) mit folgenden Worten ausgedrückt wird: «Unsere Gedanken sind der Engelsteil an uns, unsere Taten der Erdenteil.» In ruhigeren Zei­ten wäre wohl Mrs. Besants Aufsatz als das genommen worden, was der Okkultist oftmals gegenüber der landläufigen Moral ausspre­chen muß: Aus all dem und noch aus manchem anderen hat sich ge­zeigt, daß innerhalb der Gesellschaft seit lange eine Gegnerschaft ge­gen Mrs. Besant vorhanden war. Diese Tatsache ist denen, welche Gelegenheit hatten, gewiße Vorgänge zu beobachten, aber seit lange bekannt gewesen. Sie ist jetzt, wo durch Olcotts unerwartete Nomi­nierung Mrs. Besant zum Präsidentenposten aufsteigen sollte, nur an die Oberfläche getreten. Merkwürdig für viele wird es allerdings auch sein, daß selbst alte Freunde von Mrs. Besant jetzt von ihr ab­gefallen sind, beziehungsweise Partei gegen sie ergreifen.

Nun möchte ich, so weit als nur irgend möglich, gerade in die­sem Falle davon entfernt sein, jemand im allergeringsten zu beein­flussen. Ich muß mich aber doch für verpflichtet halten, einiges zu sagen, was gerade dazu nützlich sein kann, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Daß sie auf den Rat der Meister oder gar auf deren Befehl handelt, ist Mrs. Besant entgegengeworfen worden. Gewiß ist das eine ver­wirrende Tatsache. Es ist von einzelnen mit aller Kraft darauf hingewiesen

1) Von Edward Bulwer-Lytton

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worden, daß das Vorhandensein der Meister kein Dogma für die Gesellschaft ist, daß man doch ein ganz gutes Mitglied der Ge­sellschaft sein könne, ohne an die Meister zu glauben. Weiter wurde gesagt, daß man im allgemeinen überzeugt sein könne, es gebe Mei­ster, daß man aber die Offenbarungen an Olcotts Krankenbett des­halb doch für Täuschungen oder dergleichen halten könne. Man hat weiterhin betont, daß es zu einer psychischen Tyrannei führen müsse, wenn bei einer Angelegenheit, die wie eine Wahl ganz dem freien Ermessen eines jeden Mitgliedes anheimgestellt werden muß, etwas wie die mit Meisterautorität versehenen Befehle ausgegeben werden.

Das sind Dinge, welche die Gegner vorgebracht haben. Nun soll hierhergesetzt werden, was sie selbst über diesen Hauptpunkt sagt. Ihre eigenen Worte in einem Schriftstuck, datiert Benares, 24. Marz, sind:

«In Beziehung auf die Behauptung, die von dem Colonel Olcott in seinem informierenden Brief gemacht worden sind» - gemeint ist der oben erwähnte Brief vom Januar über die Meistererscheinungen -«daß sein Meister ihn bestimmt habe, mich zu seinem Nachfolger zu machen, erkläre ich mit aller Bestimmtheit - angesichts empfange­ner Briefe von einigen lieben Freunden, welche allein aus diesem Grunde ihre Stimme gegen mich abgeben wollen - daß der Colonel wahr und bei gesundem Bewußtsein diese Mitteilungen gemacht hat, und daß ich selbst im besonderen für mich so gut wie in seiner Gegenwart den Befehl empfangen habe, das zu übernehmen. Ich würde lieber auf meines Meisters Wort hin verworfen sein, als Er­folg haben durch Verleugnung dessen, was nach meiner Meinung zu höheren Ehren führt als irgendeine Wahl durch den Beifall der Men­ge. Während viele Mitglieder an die Meister nicht glauben und ande­re diese besondere Offenbarung leugnen, zieht die Theosophische Gesellschaft ihr Wesen, ihr Leben, ihre Kraft aus den Meistern, und wie H. P. B. und Colonel Olcott bin auch ich ihr Diener und nur als ihr Diener verrichte ich meine Arbeit in der Gesellschaft. Ich forde­re von keinem zu glauben, aber ich muß meinen eigenen Glauben behaupten. Man sondere die Gesellschaft von den Meistern ab, und

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sie ist tot. Diejenigen, welche nicht wünschen, daß der zweite Präsi­dent diesen Glauben habe, sollen gegen mich stimmen.»

In diesen Sätzen ist ein zweifaches klar ausgedrückt. Erstens, daß Mrs. Besant alles, was sie tut, im Sinne der Meister tun will, und daß sie an die Gesellschaft nur insofern glaubt, als in dieser das Werk der Meister zum Ausdrucke kommt. Zweitens aber auch, daß sie die jetzt vorliegenden Offenbarungen der Meister für absolut maßge­bend hält.

Man kann nun mit dem ersten Punkt ganz einverstanden sein, nicht aber mit dem zweiten. Ich kann hier nur die Versicherung ab­geben, daß es mir selbst gegenwärtig noch nicht gestattet ist zu sa­gen, was mir über die Erscheinungen in Adyar bekannt ist. Es wird aber gewiß die Zeit kommen, in der ich offen zu theosophischen Freunden werde über die Sache sprechen können. 1) Die Wahl wird also nicht von diesem meinem Wissen abhängen können.

Nun muß ich sogleich offen sagen, daß ich gerade durch Dinge, die zu meinem Schmerze mit der okkulten Stellung von Frau Besant und mit manchem anderen bei ihr zusammenhängen, manche Schwierigkeit voraussehe, die gerade unserer Arbeit in der deut­schen Sektion durch sie kommen könnte. Ich verschweige also nicht, daß auch ich gewaltige Bedenken habe. Und wenige ahnen, wie schwer es mir wird, solches hier auszusprechen.

Ich möchte nun etwas sagen, was auch manchem nützlich sein könnte. Man kann ein Diener der Meister sein wollen, man kann fest­halten, daß die Gesellschaft nur dann einen Sinn habe, wenn sie das Werk der Meister tut, und man braucht doch nicht die Offenbarun­gen, die jetzt von Adyar aus verkündet werden, zu seiner Richtschnur zu nehmen. Es ist nämlich nicht richtig, was viele zu glauben schei­nen, daß diese Offenbarungen entweder von den Meistern herrühren, nach denen man sich zu richten hat, oder daß sie Trugbilder seien. Es gibt nämlich, wie jeder wirkliche Okkultist eigentlich wissen sollte, noch einen dritten Fall. Da ich aber, wie gesagt, über die Offenbarun­gen selbst nicht sprechen kann, so muß es schon vorläufig bei diesen

1) Es ist nicht bekannt, daß dies geschehen ist.

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Andeutungen bleiben. Jedenfalls aber liegt die Sache so, daß man et­wa mit der besonderen spirituellen Richtung von Mrs. Besant nicht einverstanden zu sein brauchte und doch zugeben könnte, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen sie derjenige Kandidat für die Prä­sidentschaft ist, der einzig und allein in Betracht kommen kann. Denn man muß bedenken, daß sich die Gegnerschaft gegen Mrs. Besant nicht auf deren Persönlichkeit bezieht, sondern daß diejeni­gen, die sich jetzt gegen sie wenden, sich gegen das spirituelle Leben überhaupt wenden. Diese werden das ja gewiß nicht so ohne weite­res zugeben, aber es ist doch so. Es gibt eben eine Strömung in der Gesellschaft, welche, wenn sie durchdringen würde, das spirituelle Leben allmählich zum Erlöschen bringen würde. Durch sie würde die Gesellschaft vielleicht ein Verein für Religionsvergleichung, für philosophische Betrachtungen, für ethische Kultur oder dergleichen werden, nicht aber bleiben ein spiritueller Bruderbund. Man kann also auch die Stellung einnehmen, daß man sagt, man kann nicht mit der spirituellen Richtung von Mrs. Besant mitgehen, man will aber, daß die Spiritualität überhaupt der Gesellschaft erhalten bleibe, und deshalb müsse man unter den gegenwärtigen Umständen Mrs. Be­sant wählen, wenn es vielleicht auch später zu Konflikten über ihre spirituelle Richtung führen könnte. Diese Tatsache müssen wir eben als durch die Verhältnisse der Gesellschaft bedingt, hinnehmen.

Ich werde nun in der nächsten Zeit jedem Mitgliede seinen Wahl­zettel mit Information zukommen lassen, und also die Wahl in der entsprechenden Art einleiten.

Wollen Sie mir auf diese meine Ausführungen nun etwas schrei­ben, so wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn dies recht bald gesche­hen könnte, damit es noch vor der Wahl in meine Hände gelangte.

Mit herzlichem theosophischen Gruß in Treuen

Ihr Dr. Rudolf Steiner Generalsekretär

der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft

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VII

#TI

An Wilhelm Selling in Berlin

München, 4. Mai 1907 1)

#TX

Mein lieber Herr Selling!

Beifolgend sende ich Ihnen die zur Wahl noch notwendigen Sa­chen und bitte Sie um die Vervielfältigung.

1. Ein vertraulicher Brief an alle meine esoterischen Schüler. Die­sen bitte ich Sie in 250 Exemplaren zu machen. Er ist besonders für sich - also nicht mit etwas anderem zusammen - im verschlossenen Kuvert an diejenigen Adressen zu senden, welche ich spätestens morgen früh (Sonntag) mit Eilbrief an Sie absende. Sie können also morgen Sonntag diesen Brief vervielfältigen und Fräulein Boesé kann dann die Adressen auf die Kuverts schreiben und die Absen­dung Montag besorgen. Porto berechnen Sie mit mir.

2. Stimmzettel und Information dazu. Diese sind zusammen in ein verschlossenes Kuvert zu geben und jedem Mitgliede der deut­schen Sektion zuzusenden. Wir können es der Ordnung halber doch nicht anders machen. Also an jedes Mitglied der deutschen Sektion geht brieflich Stimmzettel und Information dazu.

Das Zirkular an die Esoteriker muß mindestens 24 Stunden vor der Absendung der Stimmzettel abgehen. Sind Sie also in der Lage, den Brief an die Esoteriker Montag abzusenden, dann kann der Stimmzettel Dienstag abgehen, oder, wenn Aufschub nötig, sonst entsprechend.

Fräulein Boesé wird Ihnen jedenfalls bei allem helfen, und ich bit­te Sie, die Sache recht exakt zu halten. Den vertraulichen Brief kann natürlich kein [Nicht-]Esoteriker in die Hand bekommen.

Mit allerherzlichsten Grüßen Ihr

Dr. Rudolf Steiner

1) Rudolf Steiner weilte damals zur Vorbereitung des theosophischen Kongresses in München.

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VIII

#TI

An Wilhelm Selling in Berlin

München, 4. Mai 1907

#TX

Mein lieber Herr Selling!

Hier sind nun die Namen der Esoteriker, an deren Namen das Zirkular geht. Morgen kommen noch einzelne im Eilbrief nach. Dann wird diese Sache wohl bis Montag fertig und kann Montag Abend abgehen. Und Dienstag dann die Stimmzettel.

Den Rest der Zirkularien senden Sie mir bitte hieher. Ich werde Sie brauchen. Dann mit diesem haben wir vorläufig die Wahlangele­

genheit beendet. Herzlich Ihr

Dr. Rudolf Steiner

Die Esoteriker-Adressen bitte senden Sie mir sofort, nachdem die Kuverts geschrieben sind. Fräulein Boesé bitte ich, die Adressen -auch die esoterischen - zu schreiben.

#TI

IX

München, S. Mai 1907

#TX

Mein lieber Herr Selling!

Anliegend noch die restlichen Adressen der Esoteriker, bitte auch diese noch Fräulein Boesé abschreiben und expedieren lassen und Rest der Exemplare mir senden.

Herzlichen Gruß

Dr. Rudolf Steiner

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X

Rundbrief an alle Esoterischen Schüler

Vertraulich München, 4. Mai 1907

Die bevorstehende Wahl des Präsidenten

der Theosophischen Gesellschaft

An alle diejenigen Mitglieder der deutschen Sektion,

welche eine esoterische Schulung durch mich suchen

Es obliegt mir in diesen Tagen, in denen die Abstimmung der deutschen Sektion über den zukünftigen Präsidenten der Theoso­phischen Gesellschaft vor sich gehen soll, einiges zu denen im beson­deren zu sprechen, welche der esoterischen Strömung angehören

Der Esoteriker steht ja zu dem spirituellen Leben noch in einem anderen Verhältnisse als dasjenige ist, welches die Mitgliedschaft zur exoterischen Gesellschaft bedingt. Die Mitglieder der exoterischen Theosophischen Gesellschaft haben es mit nichts anderem zu tun als mit den Statuten. Und statutengemäß liegt die Nominierung von Mrs. Besant durch Col. Olcott zum zukünftigen Präsidenten vor. Das Mitglied wird sich also nur zu fragen haben, ob es Mrs. Besant für den geeigneten Präsidenten hält, oder nicht, und demgemäß seine Stimme abgeben. Damit ist exoterisch alles erschöpft, was in Betracht kommt.

Anders steht die Sache, wenn man sie als Esoteriker ansieht. Da liegt die Tatsache vor, daß von Adyar aus verkündet worden ist, die Nominierung sei durch Col. Olcott auf das Geheiß seiner Meister vollzogen worden, die kurz vor seinem Abgange vom physischen Plan an seinem Krankenbette erschienen seien. Und Mrs. Besant hat mit aller nur möglichen Deutlichkeit betont, daß sie die Wahl an-nehme, weil ihr Meister ihr gesagt habe, sie solle dieses tun.

Ich spreche nun in diesem Briefe nur zu solchen, die zu mir Ver­trauen haben. Denn nur solche haben sich in bezug auf esoterische Ratschläge an mich gewendet. Hätten sie dieses Vertrauen nicht, so

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würden sie sich nicht an mich gewendet haben. Und ich fordere nochmals ausdrücklich hier auf, daß nur diejenigen diese meine Worte hören mögen, welche dieses Vertrauen haben. Die andern mögen sie einfach unberücksichtigt lassen.

Okkulte Zusammenhänge liegen verwickelt. Und deshalb soll auch niemand glauben, daß es leicht sei, über sie zu sprechen. Es wird die Zeit kommen, in der ich deutlicher als heute über die Er­scheinungen in Adyar werde reden dürfen. 1)

Es war bisher mein Grundsatz, innerhalb der theosophischen Be­wegung nichts vorzubringen, was ich nicht mit meinem Wissen selbst verantworten kann. Dies muß auch weiter mein Grundsatz bleiben. Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht Andere das lehren sollen, was sie auf Vertrauen hin annehmen. Ich betone ausdrücklich, daß sie Recht haben, solches zu tun. Nur mein Grundsatz muß der obige sein. Aus diesem Grundsatz heraus allein fühle ich mich berechtigt, esoterisch so zu Theosophen und zu den Menschen überhaupt mich zu stellen, wie ich es tue.

Nach diesen Voraussetzungen sage ich nun, was ich zur Nominie­rung von Mrs. Besant zu sagen habe.

Aus allen Diskussionen, die über die Meister-Erscheinungen in Adyar gepflogen worden sind, tönt immer wieder durch: entweder sind sie wahr, dann wäre es ein Auflehnen gegen die Meister, ihnen nicht zu folgen; oder sie sind falsch, dann kann von einem Berück­sichtigen nicht die Rede sein, und dann steht überhaupt alles in Fra­ge, was mit der Führerschaft von Mrs. Besant zusammenhängt. Es besteht aber ein solcher Gegensatz gar nicht. Es sollte innerhalb des wirklichen Okkultismus gar nicht von einer etwaigen Unechtheit der Erscheinungen in Adyar gesprochen werden. Ihre Echtheit anzu­fechten wird einem wirklichen Okkultisten gar nicht in den Sinn kommen.

Ich selbst muß nun dennoch eine andere Ansicht über diese Er­scheinungen haben als Mrs. Besant. Das ändert aber nicht die folgen­den Tatsachen.

1) Es liegt nichts darüher vor, dag dies geschehen ist.

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Mrs. Besant steht innerhalb des spirituellen Lebens. In ihr lebt je­nes spirituelle Leben, das von den geistigen Mächten ausgeht. Und wer innerhalb der Theosophischen Gesellschaft dieses spirituelle Le­ben haben will, für den erscheint im gegenwartigen Augenblick Mrs. Besant als die geeignete Persönlichkeit zur Präsidentschaft.

Ich habe andere Erlebnisse in bezug auf viele Dinge, die schwer in Betracht fallen, als Mrs. Besant. Ich muß annehmen, daß durch sie manche Schwierigkeiten in der Führung der mitteleuropäischen eso­terischen Angelegenheiten kommen können. Und ich werde nie an­ders mich zu denen verhalten, die zu mir Vertrauen haben, als so, wie ich es mit eigenem Wissen verantworten, wie ich es selbst vor den Individualitäten verantworten kann, die wir als die Meister be­zeichnen. Noch einmal betone ich es: Wer zu mir das Vertrauen in dieser Richtung nicht hat, der höre nicht auf mich. Ich will jedem die Botschaft geben, die ich zu geben vermag; aber ich möchte, daß niemand sie anders als aus der völlig freien Entschließung seines Herzens entgegennehme.

Gerade weil ich mich so ganz unabhängig fühle von einem jegli­chen Autoritätsglauben Mrs. Besant gegenüber, gerade weil ich in manchem andere Wege vorgezeichnet finden muß durch die erhabe­nen Individualitäten, die wir die Meister nennen: gerade deshalb darf ich auch sagen, ich bin völlig einer Ansicht mit Mrs. Besant darin, daß die Theosophische Gesellschaft ihre Stärke, Kraft, ja ihren In­halt von den Meistern hat, und daß sie ersterben muß, wenn sie die Meister und damit das spirituelle Leben verleugnen wollte.

Selbst wenn ich innerhalb der Präsidentschaft von Mrs. Besant in manchem andere Wege gehen müßte als Mrs. Besant, so müßte ich doch sagen: sie erscheint mir als der richtige Präsident. Und selbst, wenn ich gesagt habe: ich habe andere Erlebnisse über die Adyar-Er­scheinungen als Mrs. Besant, so muß ich doch sagen: esoterisch hat Mrs. Besant Recht mit ihrer Berufung auf die Meister.

Dieses alles ist allein für mich maßgebend, wenn ich ebenso klar wie offen den esoterisch Strebenden gegenüber zum Ausdrucke bringe, daß für mich Mrs. Besant die geeignete Persönlichkeit ist für die Präsidentschaft, wie andrerseits, daß für alle, welche zu mir Vertrauen

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haben, niemals durch irgendeine Persönlichkeit eine «psychi­sche Tyrannei» wird ausgeübt werden können.

Die Diskussion aber darüber, ob die Adyar-Erscheinungen echt seien, oder nicht, kann der Okkultist nur als unesoterisch bezeich­nen und davon absehen.

Angesichts der Verantwortung, welche ich gegenüber den Weisen der Menschheit mit diesem Briefe übernehme,

grüße ich Euch

Rudolf Steiner

XI

An einen englischen Funktionär der Theosophical Society (vermutlich an George Mead in London gemäß dem Rundbrief Rudolf Steiners vom 12. März 1907>. Nach einer in Schreibmaschine geschriebenen Vorlage

München, 6. Mai 1907

My dear colleague,

Besten Dank für Ihren Brief vom 3.3. mit dem Einschluß über die Präsidentenwahl.

Offen gestanden, ich halte doch an der ganzen Sache für das Schlimmste, daß überhaupt hat innerhalb der Gesellschaft die Idee auftauchen können, eine solche Angelegenheit wie die Präsidenten­wahl mit irgendwelchen Kundgebungen der übersinnlichen Welt in Zusammenhang zu bringen. Allein die Tatsache, daß so etwas hat veröffentlicht werden können, ist schlimm. Denn was auch immer jetzt geschehen mag: die Verwirrung, die das anrichtet, ist schwer zu reparieren. Ich hätte daher am liebsten über die ganze Mahatma­Angelegenheit in unserer Sektion geschwiegen, das Wort «Appoint­ment» ignoriert. Und die Nomination von Mrs. Besant als eine per­sönliche Willensmeinung unseres lieben Olcott verkündet. Dadurch wären wir einfach über die fatalen Manifestationen in Adyar zur Tagesordnung

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übergegangen. Das schien mir nicht unberechtigt zu sein, denn Olcotts bezügliche Kundgebungen sind ja doch wohl nur auf die Schwächezustände seiner Krankheit zurückzuführen.

Das alles spreche ich natürlich nur mit Bezug auf die deutsche Sektion. Nun wird durch die Bekanntgabe der Sache und die Dis­kussion in den andern Sektionen eine solche Politik immer mehr und mehr zur Unmöglichkeit gemacht. Und wer wie ich in einer jungen aufstrebenden Sektion zu wirken hat, die in der letzten Zeit schöne Fortschritte gemacht hat, der ist in diesem Augenblicke vor eine klägliche Situation gestellt.

Dies durch folgendes:

1. Wir dürfen unsere Mitglieder nicht vor die Situation stellen, daß sie in einer statutengemäß freien Wahl durch irgendwelche übersinnliche Kundgebungen beeinflußt werden können.

2. Wir setzen uns dem Spott der außertheosophischen Welt aus, wenn diese Kundgebungen irgendwie bekannt werden. Ich würde nun keinen Augenblick mich besinnen, diesen Spott und Hohn ru­hig hinzunehmen, wenn ein einschlägiges Prinzip auf dem Spiele stünde. Hier ist das nicht nur nicht der Fall, sondern die Sache steht vielmehr so, daß man sich des Rechtes begeben würde, sich jemals ferner auf die Erlebnisse der höheren Welten zu berufen, wenn man Miene machte, sich auf diese Mahatma-Kundgebungen zu berufen. Und bei der Art, wie von mir bisher die deutsche theosophische Be­wegung gelenkt worden ist, ist es auf die Dauer fast unmöglich, bei einer Frage über das Inhaltliche dieser Sache nur mit den Achseln zu zucken. Schließlich haben die Mitglieder ein Recht, eine Ansicht darüber zu hören. In dem Augenblicke aber, in dem ich diese meine Ansicht sage, zerstöre ich manches von dem, was ich hier aufgebaut habe.

Aus allen diesen Gründen muß ich, wie ich bisher nichts von all dem Übersinnlichen in Adyar innerhalb der deutschen Sektion ver­öffentlicht habe, auch mit der Publikation Ihrer werten Mitteilun­gen noch meine Entschließungen mir vorbehalten. Ich werde aber niemals ermangeln, dahin zu wirken, daß eine rein administrative Angelegenheit durch das Hereinziehen übersinnlicher Dinge nicht

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verwirrt werde. Ich habe Mr. Sinnett benachrichtigt, daß ich die Wahl vor dem 1. Mai nicht einleiten werde. Vielleicht ergibt sich bis dahin doch noch die Möglichkeit, die uns von Adyar aus geschaffene fatale Situation zu reparieren.

Persönlich möchte ich in bezug auf den einen Punkt Ihres Zirku­lars nur noch bemerken, daß ich es natürlich für ganz unmöglich halte, daß der Präsident unserer Gesellschaft das Haupt einer esoteri­schen Schule sein kann.

Yours very sincerely

Rudolf Steiner

Aufsatz aus der Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» Nr.33 (1907 o. M.), GA 34

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ZUR BEVORSTEHENDEN PÄSIDENTENWAHL

DER THEOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

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Gerne würde ich über diese Angelegenheit innerhalb dieser Zeit­schrift überhaupt keine weitergehenden Betrachtungen anstellen, sondern lediglich dasjenige mitteilen, was für die allgemeine theos~ phische Sache von Interesse ist. Denn es handelt sich dabei doch um interne Dinge der Gesellschaft; und diese Zeitschrift soll der sachli­chen theosophischen Arbeit und Verwaltungsfragen nur insofern ge­widmet sein, als diese mit jener Arbeit zusammenhängen.

Doch kann ich unter den gegenwärtigen Verhältnissen diesen Ge­sichtspunkt nicht ganz durchführen. Diese Wahlangelegenheit rührt so viele Dinge auf, hat schon so viele Diskussionen hervorgerufen, daß es von vielen Seiten übel vermerkt würde, wenn ich hier ganz darüber schweigen würde.

Der verstorbene Präsident-Gründer hatte statutenmäßig das Recht, seinen Nachfolger zu nominieren. Diese Nominierung un­terliegt der Bestätigung durch die Gesellschaft. Und soll die Nomi­nierung Gültigkeit haben, so müssen für den nominierten Kandida­ten zwei Drittel der sämtlichen im Wahlakt abgegebenen Stimmen

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als «ja» ausfallen. Nun hat der verstorbene Präsident-Gründer Mrs. Besant vorgeschlagen. Der jetzt statutenmäßig amtierende Vizeprä­sident hat die Generalsekretäre aufgefordert, im Monat Mai die Wahl vorzunehmen. Das wird in der angegebenen legalen Form in­nerhalb der deutschen Sektion geschehen. Somit könnte eigentlich, wenn sonst nichts geschehen wäre, keine Angelegenheit mehr in Ordnung sein als dies.

Ja, gewiß, wenn sonst nichts geschehen wäre. Leider ist aber ver­schiedenes geschehen, und das macht nun die einfache Sache kom­pliziert.

Ich will nun zunächst erzählen, was geschehen ist. Der verstorbe­ne Präsident Olcott hat nicht einfach mitgeteilt, daß er Mrs. Besant als seinen Nachfolger nominiere, sondern er hat in den allerverschie­densten Zirkularen an die Generalsekretäre die Mitteilung gelangen lassen, die dann auch den Weg in die theosophische Presse, und lei­der nicht bloß in diese gefunden hat, daß jene hohen Individualitä­ten, die man als die Meister bezeichnet, und zwar diejenigen, welche in besonderer Beziehung zur theosophischen Sache stehen, an sei­nem Sterbebette erschienen seien, und ihm den Auftrag erteilt ha­ben, Mrs. Besant zum Nachfolger zu nominieren. Nicht nur das, sondern sie haben ihm noch eine wichtige Mitteilung über den kürz­lich aus der Gesellschaft ausgeschiedenen Mr. Leadbeater gemacht. Nun hätte man diese Zugabe zur Nominierung von Mrs. Besant ein­fach ignorieren können. Denn ob man nun an die Echtheit der Er­scheinung der Meister in diesem Falle nun glaubt, oder nicht: was geht es die im Sinne der Statuten wählenden Mitglieder an, von wel­cher Seite Olcott beraten worden ist, als er die Nominierung vor­nahm? Ob er von Meistern, oder von irgendwelchen gewöhnlichen Sterblichen sich hat raten lassen, das geht nur ihn an. Die Wählen­den haben sich an die Statuten zu halten und sich um nichts weiter zu fragen, als ob sie Mrs. Besant für die richtige Persönlichkeit hal­ten, oder nicht. Eine Schwierigkeit ergab sich aber sogleich dadurch, daß Mrs. Besant Mitteilung davon machte, daß sie von ihrem Mei­ster dazu aufgefordert worden sei, die Wahl anzunehmen, und daß sie aus diesem Grunde die Bürde auf sich nehme, ja daß sie geradezu

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den Befehl der Meister als etwas für die Wahl Entscheidendes auffas­se. Das ergibt eine sachliche Kalamität. Denn Mrs. Besant genießt das esoterische Vertrauen vieler Mitglieder. Für diese wurde durch ihr Vorgehen eine rein administrative Angelegenheit zu einer Ge­wissensfrage gemacht. Denn sollten sie sich mit ihrem Gefühl auf den Boden der Statuten stellen, so stellten sie sich in Gegensatz zu der Persönlichkeit, die ihr esoterisches Vertrauen genießen muß. Auch sagten sich manche: kann Mrs. Besant denn gewählt werden, wenn sie schon vor Antritt des Amtes eine reine Verwaltungssache verwechselt mit einer esoterischen Sache, wie es eine Kundgebung der Meister ist? Steht man da nicht vor der Gefahr, daß wir künftig von Adyar statt einfacher Präsidialnoten Mahatmabefehle erhalten werden? Die Verwirrung ist nicht auszudenken, die eintreten müßte, wenn das geschähe. Innerhalb unserer deutschen Sektion ist freilich auch dadurch die Gefahr keine große gewesen, denn unserer Arbeit in den letzten Jahren ist es gelungen, manchen der Stürme fernzu­halten, die die Gesellschaft außerhalb durchbrausten. Sogar der Fall Leadbeater ist bei uns ohne unnötigen Sturm vorübergegangen. Über die Offenbarungen in Adyar wäre Zeit gewesen, später zu sprechen. Das wäre geschehen, und wird auch geschehen, denn gera­de, wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, streng auf dem Boden steht, daß die höhere Weisheit nur der Ausfluß höher entwickelter geisti­ger Individualitäten ist, der nie etwas in der Lehre sagen wird, was er diesen Individualitäten gegenüber nicht verantworten könnte; gera­de ein solcher wird die Notwendigkeit empfinden, zur rechten Zeit über Dinge offen zu sprechen, wie die von Adyar mitgeteilten Of­fenbarungen sein wollen. Aber er darf sich eben keine ungünstige Zeit dazu aussuchen.

Zu alledem kommt noch etwas anderes. Hat schon das Bespro­chene in der Gesellschaft außerhalb Deutschlands zu Diskussionen geführt, die darauf hinauslaufen, gegen die Wahl von Mrs. Besant zu sein, so wurde der Umfang dieser Diskussionen noch vergrößert durch einen Artikel, den Mrs. Besant in der Märznummer der The~ sophical Review geschrieben hat über die Grundlagen der Gesell­schaft. Dieser Artikel könnte so aufgefaßt werden, daß er nichts anderes

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als das Folgende enthielte. Die Theosophische Gesellschaft er­heischt von ihren Mitgliedern die Anerkennung eines allgemeinen Bruderbundes der Menschheit. Wer anerkennt, daß die Gesellschaft solche Arbeit zu leisten hat, die zur Herbeiführung eines solchen Bruderbundes geeignet ist, der kann Mitglied der Gesellschaft sein. Und man sollte nicht sagen, ein Mitglied könne ausgeschlossen wer­den wegen solcher Handlungen, die da und dort Anstoß erregen, vorausgesetzt, daß es die obige Regel der Gesellschaft anerkennt. Denn die Theosphische Gesellschaft habe keinen Moralkodex, und man finde bei den größten Geistern der Menschheit Handlungen, an denen der oder jener nach den Verhältnissen seiner Zeit und seines Landes Anstoß nehmen könnte. Der Schreiber dieser Zeilen muß gestehen, daß er diesen Aufsatz als einen richtigen, sogar selbstver­ständlichen Ausfluß einer Okkultistengesinnung angesehen hat, und daß er vorausgesetzt hat, daß so auch andere Theosophen denken, bis ihm die Aprilnummer der Theosophical Review in die Hand ge­kommen ist, in der von vielen Seiten in endloser Wiederholung ge­sagt wird, daß solche Gesinnung der Gipfel der Unmoral sei und alle gute Sittlichkeit in der Gesellschaft untergraben müsse. Und immer wieder der ausgesprochene oder unausgesprochene Refrain: kann denn jemand Präsident einer anständigen Gesellschaft sein, der sol­che Unmoral predigt? Es ist jetzt auch wohl nicht die Zeit, ganz be­scheiden die Frage aufzuwerfen: Wo bleibt die Überführung der Lehre vom Karma ins Leben, die uns zeigt, daß der Mensch bei sei­nen gegenwärtigen Handlungen von seinem Karma abhängig ist, daß er aber in bezug auf seine künftigen Handlungen von seinen Ge­danken in der Gegenwart abhängen werde? Sollen wir als Theoso­phen so richten, wie es Leute tun, die nichts vom Karma wissen, oder sollen wir die Handlungen des Mitmenschen als bedingt durch sein Vorleben ansehen? Wissen wir noch, daß Gedanken Tatsachen sind und daß derjenige, der für richtige Gedanken in unseren Reihen arbeitet, gerade den Grund legt zur Überwindung dessen, was den Menschen aus früheren Leben anhängt. Was hat Mrs. Besant in die­sem Aufsatze anderes getan, als einen uralten Okkultistengrundsatz auseinandergesetzt, der in dem sonst gewiß anfechtbaren Roman

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«Zanoni»1) richtig mit folgenden Worten ausgedrückt wird: «Unsere Meinungen sind der Engelsteil an uns, unsere Taten der Erdenteil.» In ruhigeren Zeiten wäre wohl Mrs. Besants Aufsatz als das genom­men worden, was der Okkultist oftmals gegenüber der landläufigen Moral betonen muß. Das zeigt, daß diese Präsidentenwahl die Dis­kussion von dem ruhigen, sachlichen Boden zu entfernen droht. Aus der Frage, ob man eine rein administrative Sache ins Esoteri­sche hinüberspielen dürfe oder nicht, könnte leicht die prinzipielle werden, wie sich die Gesellschaft weiter zum Okkultismus verhal­ten solle? Und wenn es sich darum handeln sollte, könnten diejeni­gen, die in der Aufrechterhaltung der okkulten Grundlage eine Le­bensbedingung der Gesellschaft sehen müssen, keinen Augenblick darüber im Zweifel sein, daß die Wahl einer vom okkulten Stand­punkte ausgehenden Persönlichkeit das richtige ist, selbst wenn sie der Meinung sind, daß diese Persönlichkeit augenblicklich in bezug auf Statuten und Konstitutionen irrt. Ein solcher Irrtum könnte ge­heilt werden, nicht aber könnte wiedergutgemacht werden, wenn etwa die Gesellschaft mit der gegenwärtigen Präsidentenwahl dem Okkultismus entfremdet werden sollte. Damit soll für heute genug sein. Über das, was zur Wahl selbst weiter zu sagen ist, sprechen wir uns noch. Ob das in dieser Zeitschrift geschehen werde oder nur im Kreise der Mitglieder, das wird von den Umständen abhängen. Ge­schehen muß es.

Auch diese Zeilen wären unnötig gewesen, wenn nicht außerhalb Deutschlands soviel gesprochen würde über die Sache. So aber kön­nen die Leser dieser Zeitschrift verlangen, daß nicht ganz geschwie­gen werde über etwas, über das anderwärts soviel gesprochen wird.

1) Von Bulwer-Lytton

Erste Esoterische Stunde nach der Trennung von der Esoteric School of Theosophy über die Gliederung in eine östliche und westliche Schule München, 1. Juni 1907 1)

#G264-1984-SE321 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

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Aus esoterischen Stunden

über östlichen und westlichen Okkultismus

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Erste Esoterische Stunde nach der Trennung von der Esoteric School of Theosophy über die Gliederung in eine östliche und westliche Schule

München, 1. Juni 1907 1)

Meine lieben Schwestern und Brüder! Ihr alle steht mehr oder weni­ger weit in einer okkulten Schulung darinnen. Über das Wesen einer solchen okkulten Schulung wollen wir uns heute klar werden. Der Esoteriker muß sich klar sein darüber, daß er immer von unsichtba­ren, dem gewöhnlichen Menschen unsichtbaren Wesen umgeben ist. So wie wir zum Beispiel die Luft durchschreiten, so schreiten wir auch immer, wohin wir uns wenden, durch unzählige, unsichtbare Wesen hindurch. Alles alles was uns umgibt, ist der Ausdruck sol­cher Wesenheiten. Wenn wir einen Atemzug tun, so atmen wir nicht nur Luft ein, sondern zugleich strömt ein hohes geistiges Wesen, dessen physischer Leib die Luft ist, in uns ein und füllt unseren gan­zen Organismus aus. Beim Ausatmen flutet dieses Wesen wiederum aus uns heraus. Wir sollen uns nun bei jedem Atemzug dessen be­wußt werden, daß ein göttlich-geistiges Wesen in uns seinen Einzug hält und uns klar sein, daß wir selbst ein solches Wesen einst werden wollen. Das Wesen, das in der Luft verkörpert ist, steht viel höher als wir heute, aber doch stand es einstmals da, wo wir jetzt stehen und es wird die Zeit kommen, wo wir uns auch so weit hinaufent­wickelt haben werden. [wie dieses].

Wenn wir nun in einer esoterischen Schule sind, so soll durch die Übungen, in welcher Art sie auch immer gegeben sind, bewirkt wer­den,

1) Text nach der handschriftlichen Vorlage von Anna Weißmann.

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daß wir ein lebendiges Bewußtsein dieses in uns einströmenden Geistes erhalten. Was ist es denn, was in uns «Ich» sagt? Das ist der eingeatmete Luftstrom. Er schafft das rote Blut in uns, und erst seit das rote Blut unseren Körper durchflutet, haben wir gelernt, «Ich» zu sagen. Aber nicht nur in der einströmenden Luft wirkt ein geisti­ges Wesen auf uns ein, auch überall in unserem Körper, in Muskeln, Nerven und Knochen arbeiten höhere Wesenheiten. Aber dadurch, daß man das erkennt, ist man noch kein Esoteriker. Wenn ich mir sage: Beim Atmen zieht die Luft in mich ein, so bin ich ein Materia-list. Wenn ich weiß und erkenne, daß eine geistige Wesenheit mit dem Atemzug in mich hineinfließt, so bin ich ein Erkennender, aber noch kein Esoteriker. Aber wenn ich voll Ehrfurcht den Atemzug in mich einströmen lasse, voll tiefster Ehrfurcht vor dem göttlichen Wesen, das meinen Organismus durchdringt, wenn ein lebendiges Gefühl von dieser hohen Wesenheit mich ganz erfüllt, dann bin ich ein Esoteriker.

Was schafft nun dieser in der Luft verkörperte Geist in mir? Er dringt ein ins Blut, meinen ganzen Organismus ausfüllend, so daß in meinem Innern ein Luftleib gebildet wird, umgeben von den Kno­chen, Muskeln, Sehnen und so weiter. Dieses Luftleibes soll ich mir durch die Übungen ganz bewußt werden, es ist ja derselbe, der «Ich» sagt in mir. Wenn man in diesem Sinne seine Übungen macht, dann wird man immer freier, und es ist, als ob ein ganz neuer Mensch in einem erstünde. Dann sagt man nicht mehr «Ich» zu seinen Kno­chen, Muskeln und Sehnen, dann fühlt man sich selbst ganz in die­sem Luftleib, im Geiste des in der Luft verkörperten Gottes findet man sein Selbst.

Was tut denn der Mensch eigentlich, wenn er Übungen macht? Darüber müssen wir uns ganz klar werden. Er lebt, wenn er übt, so, wie einst in Zukunft alle Menschen leben werden. Während der Zeit seiner Übungen befindet sich der Esoteriker in einem Zukunftszu­stand der Menschheit. In Zukunft werden alle Menschen so atmen wie der Esoteriker, während er Atemübungen macht, aber sie wer­den es nur bedingungsweise tun. Erst in einer noch viel ferneren Zu­kunft wird es allen Menschen das Natürliche sein, so zu atmen.

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Aber dann wird der Körper des Menschen ganz, ganz anders gewor­den sein. Er wird so sein, daß es sich ihm ganz natürlich ergibt, so zu atmen, wie es jetzt der Esoteriker zeitweise tut. Was der esoterische Schüler tut, ist also eigentlich eine Vorwegnahme dessen, was später geschehen wird. Es ist in gewissem Sinne noch nicht ganz zeitgemäß. Der physische Körper ist noch nicht darauf eingerichtet. Der Esote­riker eilt also seiner Zeit voraus und schafft in die Zukunft hinein.

Aber nur dadurch allein ist ein Fortschritt möglich. Niemals könnte sich unsere Erde fortentwickeln, wenn es nicht Menschen auf ihr gäbe, die schon so lebten, wie es erst in ferner Zukunft die ganze Meüschheit tun wird. Wenn niemand auf der Erde wäre, der esoterische Übungen machen wollte, so müßte die Erde immer mehr und mehr erstarren. Zwar schaffen ja alle Menschen im Deva­chan an der Umgestaltung der Erde. Aber wenn nun die auf Erden Verkörperten nur bestrebt wären, alles so zu erhalten wie es jetzt ist, und zugleich die im Devachan Lebenden die Erde umgestalten woll­ten, so wäre keine Harmonie zwischen ihrem beiderseitigen Wir­ken. Die Menschen auf der Erde würden es dahin bringen, daß die Erde ganz verknöcherte und erstarrte, und durch die Wirkung derer im Devachan, die die starre Erde umgestalten wollen, würde die Er­de sich schließlich zersplittern und zerstört werden. Darum muß je­der Esoteriker sich dessen klar bewußt werden, welch eine heilige Pflicht für den Fortschritt der Menschheit er erfüllt, wenn er esote­rische Übungen macht.

An sich ist es ja ein Widerspruch mit den jetzigen Verhältnissen, wenn der Esoteriker so lebt, wie es erst in der Zukunft natürlich sein kann. Aber nur dadurch allein ist ein Fortschritt möglich. Stets muß der Mensch den Leib benützen, der gerade nach dem Stande der Entwickelung der natürliche und mögliche ist. Ein Wesen, das nach seiner geistigen Entwickelung auf den Jupiter oder die Venus gehört, muß doch, um unter uns weilen zu können, sich des physi­schen Leibes bedienen, den wir alle haben. Aber im Geiste führt er ein Leben, das einer fernen, fernen Zukunft angehört und trägt da­durch diesen Zukunftszustand allmählich in uns hinein, macht es möglich, daß diese Zukunft von uns erreicht wird.

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Nun könnte jemand sagen: Könnten denn die Menschen nicht auch aus sich selbst heraus ohne esoterische Schule eine solche Ent­wickelung durchmachen? Gewiß könnten sie das. Denn jeder Mensch wird zum Beispiel im Verlauf seiner Entwickelung zu einer Umwandlung des Atmungsprozesses kommen. Aber es ist das so, wie wenn einer sagte: Ich will Mathematik ganz aus mir heraus ler­nen ohne Lehrer. - Er müßte dann selbstverständlich auch auf jedes Lehrbuch verzichten. Freilich würde er auch so Mathematik lernen, aber er würde etwa 3000 Jahre brauchen, um etwas zu lernen, was er mit Hilfe eines Lehrers in fünf Monaten lernen könnte.

An sich wäre es sehr wohl möglich, ja ganz gewiß, daß der Mensch alles das, was er jetzt an esoterischen Übungen lernt, auch selbst finden könnte. Denn die Übungen liegen ja alle in der menschlichen Natur begründet. Nur würden die Menschen nicht 3000 Jahre, sondern viele hunderttausende von Jahren dazu brau­chen. Abgekürzt werden soll der Weg durch die esoterischen Schu­len. Sie haben keinen anderen Zweck. Dadurch, daß der Mensch sol­che esoterischen Übungen macht, wächst er geistig in die Zukunft hinein, er erlebt in sich das, was in Zukunft einst sein wird und das, was er so erlebt, ist das, was wir als die höheren Welten kennen. Sie stellen Zukunftszustände der Menschheit dar. In jedem Augenblicke müssen wir uns also unserer heiligen Pflicht bewußt sein, bei jedem Atemzuge fühlen den Gott, der in uns einfließt. Er strömt in uns hinein, wenn wir einatmen, aber beim Ausatmen töten wir seinen Leib dadurch, daß wir die Luft unbrauchbar machen. Aber unsere Übungen lehren uns allmählich, die Luft so rein wieder auszuatmen, wie wir sie eingeatmet haben. Wer das nicht durch Übungen erler­nen will, der wird das natürlich auch einst erreichen können, aber er muß eben warten, bis in Zukunft der menschliche Leib so umgestal­tet sein wird, daß ein solches Atmen sich so natürlich ergibt, wie bei der heutigen Beschaffenheit des Leibes die heutige Art des Atmens.

Die Luft strömt heute in uns aus und ein und wandelt das ver­brauchte Blut in brauchbares um. Ist das immer so gewesen? Nein! Es gab eine Zeit, da war das, was heute unsere Blutwärme ist, noch nicht in uns, sondern strömte so aus und ein in unseren Organismus,

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wie heute die Luft. Wie heute die Luftgeister uns durchfluten, so wa­ren es damals die Feuergeister. Wärme atmete da der Mensch aus und ein. Und wie unter dem Einfluße der Luftgeister sich das rote Blut bilden konnte, so durchströmte damals, als die Feuergeister in unserem Organismus arbeiteten, ein anderer Stoff als Lebenssaft alle Wesen: die Milch. Das, was heute als Milch in allen Wesen fließt, die ihre Jungen säugen, ist ein Überrest aus jener Zeit. Nur werden heu­te die Funktionen im menschlichen Leibe, die mit der Milch zusam­menhängen, von anderen Geistern geleitet.

Als die junge Menschheit sich auf der Erde heranbildete, zum Bei­spiel zu den Zeiten der Atlantis und den ersten Rassen unserer nach-atlantischen Völkermassen, da waren die Führer, die sie leiteten, noch keine Menschen, sondern Feuergeister. Zu ihnen müssen wir darum auch zuerst in Beziehung treten bei unserem Streben nach aufwärts. Aber wie es jetzt noch ist, daß nicht alle Menschen sich gleichmäßig fortentwickeln, sondern immer ein Teil zurückbleibt, so war es auch damals. Ein Teil der Feuergeister blieb hinter den an­deren zurück und bildete dann einen Widerstand gegen die neue Entwickelung. Schon hatten unter den Menschen die Luft- und Windgeister ihre Wirksamkeit begonnen, die alten Feuergeister ab­lösend, als sich hindernd ihnen in den Weg stellten die herabgesun­kenen Feuergeister. Die nordische Sage gab dem Volke eine Vorstel­lung von ihrem Wesen in den Sagen vom Gotte Loki. Er ist ein sol­cher herabgesunkener Feuergeist und tritt den Asen feindlich entge­gen. Er ist es, der Baldurs Tod herbeiführt. Wodan, der Wehende, ist ein Windgott. Ihn fühlten die alten nordischen Völker, wenn sie den Sturm erbrausen hörten, wenn sie den Wind einatmeten in ihren Leib.

Diese nordischen Völker waren nicht ohne Mysterien. Wir wis­sen, wie unsere nachatlantische Rasse sich von Westen, von der alten Atlantis her, nach Osten ergossen hat. Wie in Atlantis die Myste­rienschulen geblüht hatten, so blieben sie auch in der neu sich bil­denden Hauptrasse erhalten. Vier Unterrassen entwickelte zunächst diese fünfte Haupt- oder Wurzeirasse: erstens die indische, zweitens die persische, drittens die chaldäisch-babylonisch-ägyptisch-semitische,

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viertens die griechisch-lateinische Rasse. Aber nicht alle aus Atlantis kommenden Völkerscharen waren bis in diese Gebiete nach Osten gewandert. Ein Teil blieb im Westen, in den Gebieten des heutigen Europa. Auch er hatte seine Mysterien, die sich später zu dem entwickelten, was wir als Druiden- und Trottenmysterien kennenlernen. Aber nicht abgetrennt blieb diese westliche Kultur von dem, was sich im Osten bildete. Was im Osten allmählich em­porblühte, das entwickelte als höchste Krone das, was der Weisheit des Alten und Neuen Testamentes zugrunde liegt. Als gewaltiger Einschlag kam das nach Westen und vereinigte sich mit dem, was hier in der Stille sich entwickelt hatte. Ungeheuer segensvoll war dieser Einschlag.

Die Quelle all der Weisheit des Ostens wie des Westens, dessen mussen wir uns klar sein, ist Atlantis.

Atlantis war ein Land, das von dichten Wassernebelmassen einge­hüllt war. Diese dichten Wassernebelmassen hatten eine ganz be­stimmte Beziehung zu dem Menschen. Der Mensch von damals emp­fand etwas dabei. Sie machten seine Seele empfänglich für die Spra­che der Gottheit. Im Rieseln der Quellen, im Rauschen der Blätter hörte der Atlantier den Gott zu sich reden. Und wenn er einsam wurde und still in sich gekehrt, so vernahm er einen Laut als Stimme des Gottes, der zu ihm sprach. Da brauchte er keine Gesetze und Gebote, der Gott selbst sagte ihm, was er tun müsse. Und jener Laut, der überall in Atlantis tönte und der aus den Herzen der Menschen widerhallte in stillen Stunden der Einkehr, er ward später in Ägyp­ten in Zeichen gesetzt als Tauzeichen: T. Es ist dies auch die ur­sprüngliche Form des Kreuzes.

Wenn wir uns nun klar sind, wie damals die Wassernebelmassen die Verbindung mit dem Göttlichen herstellten, so daß der Mensch ganz unmittelbar die Weisheit seines Gottes aufnehmen und verste­hen konnte, so wollen wir einmal unseren Blick hinwenden auf das Wasser, das in unseren Ländern flutet. Wenn wir dann ein Tautröpf­chen im Grase funkeln sehen im Lichtglanz der Morgensonne, dann wird uns andächtig ums Herz. Und dieses strahlende Tautröpfchen ist uns ein Denkmal, ein Denkmal jener Zeiten in Atlantis, wo das

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Wasser als Nebel das Land umhüllte, und der Mensch die Weisheit der Götter um sich verspürte.

Die Weisheit der Atlantis verkörpert sich im Wasser, im Tautrop­fen. Tau, unser deutsches Wort Tau, ist nichts anderes als jener alte atlantische Laut. So wollen wir mit Ehrfurcht und Andacht jedes Tautröpfchen betrachten, das am Grashalm blinkt, als heiliges Ver­mächtnis jener Zeit, wo das Band zwischen Menschen und Göttern noch nicht zerrissen war. Das Tauzeichen, das alte Kreuzeszeichen heißt im Lateinischen crux. Und was heißt Tau, Tautropfen?: ros. «Ros-crux» ist unser Rosenkreuz.

Nun erkennen wir seine wahre Bedeutung. Es ist das Tao der At­lantis, die Weisheit der Atlantis, welche uns heute entgegenstrahlt im Tautropfen. Nichts anderes will uns das Rosenkreuz sagen. Es ist ein Symbol für das neue Leben, das in der Zukunft in geistiger Art erblühen wird.

So blieb unserer nordischen Rasse ein inniger Zusammenhang mit der alten Atlantis. Anders war es bei jenen Rassen, die nach Osten gewandert waren und sich zu den vier Unterrassen der Inder, Perser, Agypter, Griechen-Römer entwickelten. Sie machten eine selbständige Entwickelung durch. Aber es ist ein Gesetz in der gei­stigen Welt, daß jede Rasse, die sich selbstständig eine Weile empor­gerungen hat, zugrunde gehen muß, wenn sie nicht von neuem einen Einschlag erhält aus jenen Gebieten, von denen sie ausging, die ihr Mutterland waren. So war es notwendig für die hohe orien­talische Kultur, aus unseren Gebieten einen Einschlag zu erhalten, sich zu verschmelzen mit der geistigen Kultur, die sich in unseren Ländern in der Stille gebildet hatte.

Jene hohe geistige Individualität, die das erkannte, war Christian Rosenkreutz. Er war es, der im 13. und 14. Jahrhundert das große Werk unternahm, die geistige Kultur des Ostens mit der des We­stens zu verschmelzen. Er hat immer unter uns gelebt und ist auch heute noch bei uns als Führer im spirituellen Leben. Die geistige Kultur des Orients, wie sie sich als höchste Blüte der östlichen Weis­heit im Alten und Neuen Testament darstellt, brachte er in innige Harmonie mit der alten von Atlantis stammenden Weisheit.

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So gab er uns das Christentum in der Form, wie es schon vorbe­reitet und eingeleitet wurde von jenem geheimnisvollen «Unbe­kannten aus dem Oberland», der zu Johannes Tauler kam. «Ober-land» heißt die geistige Welt, die Reiche der Himmel. Diejenige gei­stige Individualität, die sich in dem «Unbekannten aus dem Ober-land» verbarg, war niemand anders als der Meister Jesus selbst, in dessen Leibe einst der Christus auf Erden gelebt hatte. Auch er ist heute noch bei uns.

Der Meister Jesus und der Meister Christian Rosenkreutz bereite­ten uns zwei Wege zur Einweihung, den christlich-esoterischen und den christlich-rosenkreuzerischen Weg. Diese beiden Wege hat es seit dem Mittelalter immer gegeben. Aber immer mehr schwand mit dem Emporkommen des Materialismus das spirituelle Leben aus dem Bewußtsein der Menschen. Mit dem Ende des vorigen Jahrhun­derts war der Materialismus so hoch gekommen, daß die Mensch­heit, sollte sie nicht zugrunde gehen, eines neuen geistigen Ein­schlags bedurfte.

Eine einzige Persönlichkeit fand sich, die durch ihre psychische Veranlagung fähig war, die Stimme der Meister zu vernehmen. Dies war H.P. Blavatsky. Als sie ihre Arbeit begann, waren aber noch nicht alle okkulten Traditionen verloren. Vielmehr gab es zahlrei­che Brüderschaften, die okkultes Wissen erhalten hatten, aber in einer starren, verknöcherten Form, ohne lebendiges Leben. Es waren dies orientalische Brüderschaften. Als nun H.P. B. ihre «Isis ent­schleiert» schrieb, pochten diese Brüderschaften darauf, daß das ja ihre Weisheit sei, denn viele Zeichen und Lehren waren ihnen be­kannt und sie suchten auf alle Art, ihr Hindernisse in den Weg zu legen.

So war H.P. B. in der schlimmsten Weise gestört, ihre Arbeit im Sinne der christlichen Esoterik zu vollführen, wie es ursprünglich ihre Absicht war. Sie hatte in der Tat damals Furchtbares durchzu­machen. Und jene okkulten Brüderschaften brachten es wirklich da­hin, daß sie in ihrem zweiten Werk, der «Geheimlehre», das, was sie zu sagen hatte, in orientalisches Gewand kleidete. Noch heute sind wir ja gewohnt, die meisten Benennungen okkulter Zusammenhän­ge

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in orientalischer Sprache zu haben. Aber diese orientalische Form der Wahrheit ist nichts für uns westliche Völker. Sie könnte uns nur hemmen und zurückbringen von unserem Ziele. Hier im Westen sind die Völkerschaften, die den Kern bilden sollen für die folgenden Rassen.

Das soll als tatsächliche Antwort gegeben werden auf das, was als Stimme der Meister aus dem Osten vor einiger Zeit bekannt gegeben wurde. Unsere westlichen Meister haben auch gesprochen, wenn auch mit weniger Geräusch verbunden. Und was sie sagten, das wol­len wir uns tief in unsere Herzen schreiben. Sie riefen uns auf, mit­zuarbeiten an der zukünftigen Menschheitsentwickelung und fest­zustehen und auszuhalten in allen Kämpfen, die uns noch bevorste­hen; festzuhalten an dem, was wir als lebendige heilige Tradition besitzen.

Dieser Ruf soll immerdar in unserer Seele klingen. Niemand soll aber glauben, es bestehe eine Disharmonie zwischen den Meistern des Ostens und des Westens. Die Meister leben immer in Harmonie. Aber dennoch ist in der letzten Zeit eine tiefeinschneidende Ände­rung vor sich gegangen, hinsichtlich der esoterischen Schule des Ostens und des Westens.

Bisher waren beide Schulen vereint in einem großen Kreise unter gemeinsamer Leitung der Meister. Nun aber hat sich die westliche Schule selbständig gemacht und es bestehen nunmehr zwei einander gleichgestellte Schulen: die eine im Osten, die andere im Westen; zwei kleinere Kreise statt des einen großen. Die östliche Schule wird von Mrs. Annie Besant geleitet, und wer sich in seinem Herzen mehr zu ihr hingezogen fühlt, der kann nicht länger in unserer Schule bleiben. Ein jeder prüfe genau, welchen Weg ihn die Her­zenssehnsucht führt. An der Spitze unserer westlichen Schule stehen zwei Meister: der Meister Jesus und der Meister Christian Rosen­kreutz. Und zwei Wege führen sie uns, den christlichen und den christlich-rosenkreuzerischen Weg. Die große weiße Loge leitet alle spirituellen Bewegungen, und der Meister Jesus und der Meister Christian Rosenkreutz gehören ihr an.

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Das sei als Antwort, als tatsächliche Antwort gegeben auf die Fra­gen, die wohl mancher sich stellte infolge der letzten Ereignisse.

Wir stehen in der Morgenröte des sechsten Schöpfungstages. Wir sollen herausentwickeln aus uns die sechste und siebente Unterrasse. In uns ist die Zukunft schon da als Morgenröte. Das erfassend, nehmt auf, was der Meister Christian Rosenkreutz zu Euch spricht. (Es folgt die Verlesung der Worte des Meisters.)1)

Gedächtnisnotizen eines anderen Teilnehmers zum letzten Teil derselben Stunde vom 1. Juni1907

Im Jahre 1459 war es Christian Rosenkreutz, der die Notwendigkeit erkannte, daß die Tauweisheit mit dem Christentum verbunden, die neue Evolution herbeiführen müsse. Er brachte die Tau- oder Ros­crux-Weisheit den Menschen Mitteleuropas, die sich verband mit der Weisheit des Alten und Neuen Testaments.

Zur Zeit des Johannes Tauler lebte eine Persönlichkeit, die genannt wird «Der Unbekannte aus dem Oberland». Diese Per­sönlichkeit belehrte den Johannes Tauler, der nachher so gewaltig predigte, daß einige der Zuhörer wie tot blieben. Die Individualität, welche in dieser Persönlichkeit auftrat, war die Individualität des Meisters Jesus, die immer die Entwickelung des Westens geleitet hat, wenn auch im Verborgenen. Gemeinsam mit dieser Individua­lität wirkte im Westen die andere Meisterindividualität: Christian Rosenkreutz. Sie sind auch jetzt die Meister des Westens, die in Mitteleuropa die Entwickelung leiten. Einen Bruderbund bildet die Loge der Meister, doch ist die Arbeit verschieden, die sie zur Fort. entwickelung der Menschheit verrichten. So wie die andern beiden Meister für den Osten wirken, so wirken diese zwei Meister für den Westen.

1) Diese Wone wurden nicht notiert.

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Von all den Gelehrten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, die damals im Westen lebten, eignete sich keiner, den neuen spirituellen Einschlag der Welt zu vermitteln, der von der großen weißen Loge als notwendig erkannt wurde, um die Welt des Westens vor dem Untergang durch den Materialismus zu bewahren. In H.P. B. fanden die Meister jedoch das geeignetste Werkzeug, um die neuen Lehren der Welt zu bringen, die Weisheit, welche die Zukunft herbeiführen soll. H.P. B. legte die westliche Weisheit, die ihr damals zunächst ge­geben wurde, nieder in der «Isis unveiled». Es ist dies ein bedeuten­des Werk, das große Schätze der größten Wahrheiten enthält, aber sie sind zum Teil wie in einem Zerrbild dargestellt. Daher wurde H.P. B. damals im Westen nicht verstanden.

Es gibt auch im Westen große okkulte Bruderschaften. Viele von ihnen waren nicht mit dem einverstanden, was H.P. B. tat. Es erhob sich unter ihnen eine mächtige Verfolgung gegen sie, worunter H.P. B. ganz furchtbar gelitten hat, wovon kein Mensch eine Ahnung hat. Diese okkulten Bruderschaften wollten die okkulte Weisheit nur im orthodoxen Sinne lehren. Darum verbanden sie sich gegen H.P. B. Diese wollte dem Westen gerade die Zukunfts­weisheit bringen. Da sie aber nicht verstanden wurde, wandte sie sich gen Osten und ließ sich von der Weisheit des Orients inspirie-ren, die sie in der «Secret Doctrine» niederlegte. Das ist östliche Weisheit. Anfangs sollte sie aber gerade die westliche Zukunfts­weisheit bringen.

Eine Antwort soll gegeben werden auf die Fragen, welche bezüg­lich der Erscheinungen (der Meister) in Adyar gestellt worden sind. Es obliegt dem Okkultisten gar nicht, zu entscheiden, ob diese Er­scheinungen echt waren oder nicht. Weniger geräuschvoll als die Meister des Ostens haben die Meister des Westens gesprochen. Der Ruf derselben ergeht an alle im Westen, ob sie sich der Führung der beiden Meister des Westens anschließen wollen.

Wollten wir die Weisheit des Ostens hier einführen, die orienta­lische Schulung hier im Westen befolgen, so bedeutete das für den Westen den Untergang. Wir brauchen die Zukunftsweisheit, die west­liche Schulung, die uns von diesen beiden Meistern gegeben wird.

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Früher war die westliche Schule der östlichen nur angeschlossen, untergeordnet; nun aber sind beide nur noch brüderlich verbunden, gehen aber ganz unabhängig nebeneinander her. Die westliche Schu­le ist von jetzt ab der des Orients nicht mehr subordiniert, sondern koordiniert. Das, was im Auftrage der Meister des Westens durch mich gegeben wird, geht unabhängig einher neben dem, was Mrs. Besant im Auftrage der Meister des Ostens lehrt.

Im Westen bestehen fortan die christliche Schulung und die christ­lich-rosenkreuzerische Schulung. Die erstere bildet aus durch das Gefühl, die andere durch den Verstand. Die absterbenden Rassen im Osten brauchen noch die orientalische Schulung. Die westliche Schulung ist die für die Rassen der Zukunft.

#Bild s. 332

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In noch anderen Gedächtnisnotizen von derselben Stunde heißt es zum Schluß:

Auch die Meister müssen, um die Entwicklung weiter zu führen, im physischen Leib sein. Der Meister der sechsten Morgenröte ist Chri­stian Rosenkreutz. Jesus von Nazareth, Christian Rosenkreutz. Wenn wir versuchen, das in unser Gefühl aufzunehmen und zur Empfindung werden zu lassen, so werden wir verstehen, daß es eine esoterische Schule des Westens und eine des Ostens geben muß. Gleichwertig stehen sie nebeneinander. Jede hat ihre zwei Meister:

Mahatma K(uthumi) und Mahatma M(orya); Meister Jesus von Na­zareth und Meister Christian Rosenkreutz. Die eine dieser Schulen leitet Frau Besant, die andere Dr. Steiner. Eine Entscheidung aber, zu welcher man sich wenden will, muß getroffen werden.

Weitere Ausführungen über östlichen und westlichen Okkultismus in esoterischen Stunden anläßlich der Trennung von der Theosophischen Gesellschaft 1912/13

Basel, 20. September 1912

Gedächtnisnotizen von Mathilde Scholl

Es ist begreiflich, wenn der Esoteriker in den jetzigen Zeiten bei al­lem, was sich momentan in der äußeren theosophischen Bewegung abspielt, meint, daß sein esoterisches Leben dadurch gefährdet wer­den könnte. Denn alles, was wir jetzt erleben und erfahren, muß ja die Kritik herausfordern, und doch ist eine unserer wichtigsten Übungen diejenige des Positivismus, daß wir in allem das Positive, das Gute sehen.

Demgegenüber muß gesagt werden, daß der Esoteriker sich klar machen muß, worauf es ankommt, was im eigentlichen Sinne unter diesem Positivismus zu verstehen ist. Wir wollen da einmal betrach­ten, was ein Esoteriker überhaupt dem Leben gegenüber sein soll. Sie alle werden sich einer Zeit Ihrer Kindheit erinnern, wo Sie Ihre kindlichen Spiele mit vollem Ernst ausführten, wo Ihnen diese Spie­le Lebenszweck waren. Wenn Sie als Erwachsener Kinder spielen sehen,

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mit ihnen ihre Spiele spielen, so werden Sie gleich den Unter­schied in Ihren Gefühlen empfinden, mit denen Sie jetzt spielen und damals spielten. Sie werden vielleicht besser als die Kinder spielen, aber aus dem Grunde, weil Sie jetzt über der Sache stehen, nicht mehr Ihr ganzes Interesse darauf verwenden. In demselben Verhält­nisse wie der Erwachsene zu den kindlichen Spielen, soll der Esoteri­ker zum alltäglichen Leben stehen. Sein Ernst, seine Würde sollen seinem esoterischen Leben gehören, und er soll immer deutlich die Grenze spüren, die ihn von seiner exoterischen Tätigkeit trennt, sonst ist er kein wahrer Esoteriker. Er soll seine exoterischen Ver­richtungen deshalb gerade so gut wie früher machen; ja, er macht sie vielleicht besser, aber er soll sie immer als etwas machen, über dem er steht. Er wird allmählich merken, wie durch sein meditatives Le­ben sein Seelenzustand sich verändert. Wenn er es nicht merkt, so liegt das lediglich an ihm selbst, weil er sich nicht so subtil nach der richtigen Richtung hin beobachtet. Nehmen wir einmal an, ein Eso­teriker habe seine Morgenmeditation mit wahrer Liebe, Hingabe und Inbrunst gemacht; es sei ihm auch gelungen, sich danach leer zu machen, sich den geistigen Welten zu öffnen, er müsse sich aber sa­gen, daß er nichts erfahren habe. Nun kann es sein, daß er während der darauffolgenden exoterischen Tätigkeit - diese sei noch so äußer­lich, wie Zimmer aufräumen, Wäsche fortlegen etc. - plötzlich das Gefühl hat, er solle sich auf sich selbst besinnen, in sich selbst schau­en. Gibt er diesem Gefühl nicht nach, so verpaßt er eine Gelegen­heit, Fortschritte zu machen. Gibt er ihm nach, so wird er bemer­ken, daß Gedanken durch seine Seele huschen, die manchmal sehr schöner Art sind, manchmal ihm grotesk vorkommen können, sehr oft, ja meist, aber wieder schnell aus seinem Gedächtnis entschwin­den. Worauf es ankommt, ist, zu empfinden, daß unabhängig von unserem Verstandesdenken etwas in uns denkt, von dem wir sagen können: «Nicht ich denke, sondern es denkt in mir.»

Wenn auch solche Gedanken uns vorläufig wenig bedeuten, so können wir sie durch ein Gefühl stärken und fördern, durch das Ge­fühl der Dankbarkeit gegenüber den höheren Mächten. Wenn wir nach jedem derartigen Augenblick - er kann so kurz wie ein Wimpernzucken

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gewesen sein; es genügt, wenn wir ihn nur bemerkt ha­ben -, wenn wir nach solch einem Augenblick sagen: «Ich danke Euch, Ihr Mächte der höheren Hierarchien, daß Ihr mich so etwas habt bemerken lassen», dann werden durch dieses Gefühl der Dank­barkeit, der Ehrfurcht, sich solche Augenblicke mehren, in denen höhere Welten sich uns offenbaren wollen. Wir werden, was an­fangs dunkel, wie Träume durch unsere Seele zog, im Gedächtnis behalten können, und schließlich werden wir willkürlich solche Zu­stände herbeiführen können, und dann wird uns allmählich klar werden, daß ja dieses Denken überhaupt immer in uns ist, unabhän­gig vom verstandesmäßigen Denken, von allem, was von außen durch das Leben an uns herantritt. Deshalb kann auch ein Esoteri­ker nie sagen, das äußere Leben hindere ihn, sein esoterisches Leben richtig zu führen. Das liegt immer an ihm, an der Stimmung, die er sich schafft. Wenn wir dieses Gefühl der Dankbarkeit und Ehr­furcht - ein Gefühl, das wir Gebetsstimmung nennen können -nach jeder Meditation in uns wachrufen, und uns bewußt werden, welcher Gnade wir teilhaftig werden, wenn wir bei jedem Naturge­nuß, beim Anblick einer Rose, beim Anhören einer Symphonie, die wahre Schönheit dahinter empfinden, so werden sich die geistigen Welten eines Tages öffnen.

So, wie Sie hier beieinandersitzen, als eine esoterische Schule, in dieser gleichen Art hat dies bis jetzt in der Mensch heitsentwickelung nicht stattfinden können, und die Mächte, die sich den Meistern der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen entgegen­setzen, die luziferischen und ahrimanischen, bemühen sich natürlich besonders, bei den Esoterikern an ihren schwachen Seiten einzuset­zen. Sie werden bemerken, daß vor und während Ihrer Meditation Ihre Sympathien und Antipathien, die Sie für Menschen hegen, be­sonders stark auftreten, daß Begierden und Leidenschaften, deren Sie sich früher vielleicht geschämt hätten, Ihnen als gar nicht un­recht erscheinen, daß solche Eigenschaften, die früher nach außen hin, besonders bei gut erzogenen Menschen nur schwach zu Tage traten, nun mit elementarer Gewalt sich frei machen. Dafür gibt es nur ein Mittel: Selbstzucht.

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Über diese Dinge wollen wir Sonntag noch weiter sprechen; jetzt wollen wir sehen, wie wir, was wir gehört haben, auch auf das an-wenden können, was momentan in der Theosophischen Gesellschaft vor sich geht. Was jetzt alles aus den geistigen Welten mit Erlaubnis der Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfin­dungen herniederfließen darf, ist eine solche Fülle an Weisheit, und was uns an Erklärungen der Evangelien und des Mysteriums von Golgatha gegeben wird, ist so tief und umfangreich, daß der wahre Esoteriker Zeit, Hingabe, Energie und Kraft und noch manches hin-opfern muß, wenn er alles in sich aufnehmen, zu einem Verständnis vordringen will. Und man begreift es, wenn manche schon abgefal­len sind und sagen, sie könnten nicht mit, denn wir müssen lernen, lernen und immer wieder lernen, um in diese Tiefen zu dringen, und es ist nur eine Prüfung der Seele, wenn wir meinen, wir könnten nicht weiterkommen.

Nun gibt es aber lässige Seelen, die nicht lernen wollen; derer be­mächtigen sich die luziferischen Mächte und flüstern ihnen ein, daß sie, statt zu lernen, statt selber den geraden Weg zu suchen - und der geht nur durch unablässiges Studium herab von einerseits Krishna, andererseits Elias, über Buddha und Sokrates bis zum Christus, um diesen zu finden -, daß sie lieber auf einen Weltenlehrer warten sol­len, der ihnen dann mit beiden Händen hingeben wird, damit sie sich nicht selbst anzustrengen brauchen.

Um solchem Irrtum nicht zu verfallen, müssen wir als höchstes, heiligstes Gut, das wir haben, immer die Wahrhaftigkeit pflegen, niemals Konzessionen machen, die gegen die Wahrheit verstoßen, denn an der Wahrheit darf sich der Esoteriker nie versündigen. Es ist schrecklich und schwerwiegend, wenn ein Esoteriker die Wahrheit um der Brüderlichkeit willen verdreht, wenn er, um einen Men­schen nicht zu kränken, die Wahrheit auch nur im Geringsten trübt, denn er schadet auch dem betreffenden Menschen damit. Und wenn wir auch blutenden Herzens sehen müssen, daß ein Mensch, den wir vielleicht lieben, gegen die Wahrheit verstößt, so sollen wir trotz­dem bei der von uns anerkannten Wahrheit bleiben, was auch für Konsequenzen für uns daraus erwachsen. Eins aber können wir, und

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das soll uns die Antwort auf die anfangs gestellte Frage sein: Wenn wir auch die Taten eines Menschen verurteilen müssen, den Men­schen selber sollen wir nicht kritisieren, sondern ihn lieben. Ob wir ihn wirklich lieben, das wird sich uns dann in den Augenblicken unserer Meditation zeigen. Gar nichts aus den Sympathien und Antipathien und den kleinen Sorgen und so weiter in die geistigen Welten hinübernehmen - das wird sie uns öffnen und uns in der richtigen Weise hineinkommen lassen.

Basel, 25. September 19121)

Gedächtnisnotizen von Elisabeth Vreede

Was hier verstanden werden soll, daß ist, daß diese okkulte Bewe­gung mit keiner anderen in der Welt verglichen werden kann. Unse­re Gegenwart bringt es mit sich, daß es zahlreiche okkulte oder halb­okkulte Strömungen gibt, aber man soll doch einsehen, daß diese unsere Bewegung nicht auf eine Linie gestellt werden darf mit ande­ren Bewegungen und daß diejenigen, die sich in dieselbe aufnehmen lassen, die Verantwortung fühlen müssen für die Aufgabe, die ihnen damit auferlegt ist.

Man sollte verstehen lernen, daß eine orientalische Anschauung niemals in Europa Boden fassen kann und daß ein Fall, wie der des japanischen Generals Nogi, der Selbstmord verübte beim Grabe sei­nes Kaisers, den Abendländern zeigen kann, wie fremd ihnen das Seelenleben des Orientalen bleiben muß. Mit den Mitteln der mo­dernen Kultur hatte seinerzeit General Nogi die Europäer (Russen)

besiegt; aber darin liegt nicht das Grundprinzip eines gegenseitigen Seelenverständnisses, daß der Orientale unsere mechanischen Mittel vollkommen übernommen hat. Als ich im Zyklus «Das Markus­Evangelium» (1. Vortrag) über Ram Mohan Roy sprach, wollte ich damit absichtlich ein Beispiel geben von der Einstellung eines aufgeklärten

1) Diese Ausführungen wurden innerhalb der zweiten Abteilung von Rudolf Steiners Esoteri­scher Schule, der erkenntniskultiscben Abteilung, gemacht.

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Orientalen gegenüber dem Christentum. Einer seiner Nach­folger, der den Vortrag über «Christus und das Christentum» hielt, konnte wiederum sich das spirituelle Heil nicht anders denken als herrührend von Avataren. 1) Er behauptete, daß das Streben des Ram Mohan Roy nach Reform in Indien keinen Erfolg haben würde, wenn man nicht mit einem Avatár aufwarten könne, denn in Indien habe man mit natürlichen Mitteln keinen Erfolg. Graf Björnstj erna, der damalige schwedische Gesandte (in London), nahm eine ableh­nende Haltung gegenüber dieser Lehre der Avataras ein, die der Orient dem Okzident aufdrängen wollte.2)

So stammt schon aus jener Zeit [den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts] das Abweisen des orientalischen Glaubens für den Westen. Solche fast unbemerkte Ereignisse sind wie Prophezeihun-gen zu betrachten; es wurde gleichsam damals schon die Zukunft vorhergesagt (das Abweisen des Alkyone-Schwindels durch Dr. Stei­ner). In Ram Mohan Roy und in Björnstjerna lag schon der Keim des ganzen Konfliktes zwischen Orient und Okzident, den wir heu­te in der Theosophischen Gesellschaft erleben. In dieser kleinen Epi­sode ist die ganze Vorgeschichte der Theosophischen Gesellschaft enthalten, denn Ram Mohan Roy war der Gründer der Bramo Sa­maj, der wahren theistischen Sekte oder besser Vereinigung. Diese hatte als Ableger die Arya-Samaj. Um sich dieser Vereinigung anzu­schließen und davon alles Heil erwartend, zogen H.P. Blavatsky und Olcott 1878 nach Indien. Die Vormänner jener Bewegung emp­fingen sie bei der Ankunft des Dampfers, verhandelten mit ihnen und ließen sie schließlich im Stich.

1) Avatara = göttliche Verkörperung. Der Niederstieg einer göttlichen Wesenheit, die fir sich erhaben ist über die Notwendigkeit der Wiederverkörperung in einen menscMichen Körper.

2) In der in Rudolf Steiners Bibliothek befindlichen erschienenen deutschen Übersetzung der Schrift von Magnus Graf Björnstjerna «Die Theogonie, Philosophie und Kosmogonie der Hindus» beißt es:

«Was Brahmas Lehre in ihrer gegenwärtigen, verfallenen Gestalt bedürfte, wäre ein Refor­mator, der gleich Luther dieselbe zu ihrer ursprünglichen Reinheit zurückzuführen ver­möchte. Ram-Mohan-Roy machte den Versuch; aber dieser mißlang, und Keinem wird es glücken, der nicht die Gestalt einer neuen Avatare annimmt; denn mit natürlichen Mitteln macht man keine Proselyten in Asien.«

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Das letzte, was wir vom Orient erhalten haben, ist die griechische Kultur - die durch Alexander den Großen zeitweilig bis auf ostasia­tischen Boden getragen worden ist -, die aber die letzte Erscheinung des wahrhaft orientalischen Denkens war. Griechenland hatte sein Auge immer auf Asien gerichtet und war spirituell gesehen wie ein äußerster Winkel Asiens. Heute besteht die Neigung, das Studium des klassischen Altertums aus der höheren Erziehung zu streichen, und es ist unsere Gegenwart bis zu einem gewissen Grade berechtigt, daß man sich widersetzt einer Erziehung, die ihre Stärke aus heute unverstandener griechischer Weisheit schöpfen soll.

Das Römertum hat im Anfang noch einiges von der griechischen Kultur übernommen, aber sobald es anfing, sich über Europa zu ver­breiten, indem es überall Städte gründete (d.h. durch äußere Macht­mittel), kam die Kultur auf individuellen Boden. Der Anfang dieser römischen Kultur ist noch mythisch und für den Abendländer (westlichen Menschen) schwer zu verstehen. Mit der Zeit der sieben Könige - die jetzt nicht mehr für historische Gestalten gehalten wer­den -, mit Numa Pompilius und der Sybille ist das Übergehen der alten orientalischen Weisheit an Europa angedeutet, wodurch die Grenze gezogen wurde zwischen dieser und der lateinischen Weis­heit, die die Kultur Europas ganz durchdringen sollte. Dann kam die Zeit der Republik, nachher der Cäsaren, und diese Kaiser können wir in ihrem Wirken schon verstehen, während ein Alcibiades für uns noch der wahre Märchenprinz ist. In diese Epoche fällt die Zeit der Entwickelung des römischen Rechtes, das später alle Justiz durchdrungen hat. Dann folgte das Papsttum, das von Rom aus die europäische Welt beherrschte und seinen Höhepunkt zur Zeit Raf­faels und Michelangelos erreichte. Das Papsttum ist als letzter Aus­fluß orientalischer Verantwortlichkeit (für das Geistesleben der Menschheit) zu betrachten. Aber jetzt ist das Römertum zu Ende. (Was man in Italien noch davon antrifft, ist nicht viel mehr als ein Museum.) Jetzt geht die Verantwortung auf Europa über. Das sollte jeder von uns, der in diesem Tempel sich befindet, fühlen: Bis ins 19. Jahrhundert war der Osten moralisch verantwortlich für den Westen; jetzt ist das vorbei.

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Die Aufgabe, die wir auf uns genommen haben bei der Aufnahme in diesen Tempel ist eine ungeheure. Wir dürfen uns gegenüber den Menschen im gewöhnlichen Leben, in der profanen Welt fühlen als Menschen, die ihre menschlichen Sorgen beiseitestellen und diese als klein empfinden können gegenüber den Sorgen, die die Götter für die Menschen haben, wie die Sorge für das Herüberbringen der Ver­antwortlichkeit aus dem Osten nach dem Westen. (Wir sollten das empfinden wie eine Sorge der Götter für die Menschen und unseren Anteil daran.)

Ergänzung des Herausgebers zu den in diesen Notizen angedeuteten Fakten:

Ram Mohan Roy, Begründer der Brahmo-Samaj (gest. 1836 in London) machte in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts im westlichen Geistesleben großen Eindruck durch sein Bemühen, den Hinduismus vom krassen Göt­zendienst zu reformieren und auf den wahren Theismus in der Vedantaleh­re zu verweisen. Jener seiner Nachfolger, der den Vortrag über «Christus und das Christentum» (1870) hielt, war Keshub Chandra Sen, gest. 1884. Die aus Ram Mohan Roys Brahmo-Samaj hervorgegangene Ärya-Samâj-Vereinigung wurde in demselben Jahre gegründet, in dem Blavatskys «Isis Unveiled» erschienen war (1877), die solches Aufsehen erregte, daß die Auflage in 10 Tagen ausverkauft war. In der gleichen Zeit wurde in Lahore durch Swâmi Dayânand Sarasvati die Ärya-Samâj gegründet mit dem Ziel, durch wahren Theismus vom Götzendienst loszukommen. Durch den Lei­ter der Äray-Samâj-Gruppe in Bombay kam es zu einer Korrespondenz zwischen Olcott und dem Gründer der Ärya-Samâj, Swâmi Dayânand Sa-rasvati. Olcott schrieb an diesen im Mai 1878, daß eine Reihe von amerika­nischen und anderen ernsten Geistsuchern sich nach dem Osten wenden wollen, um Licht zu finden, da sie solches im Christentum nicht finden und sich daher offen als Feinde des Christentums bekannt haben. Darauf­hin vereinigten sich auf Vorschlag von Sarasvati noch im Mai 1878 die ame­rikanische Theosophical Society und im Juni 1878 auch die englische mit der «Ärya-Samâj von Äryavart» unter dem Namen «The Theosophical So­ciety of the Ärya Samâj of India» und es wurde beschlossen, daß die Theo­sophical Society für sich und alle ihre Zweige in Amerika, Europa usw.

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Swâmi Dayânand Sarasvati als ihren Lehrer anerkenne. Die von Rudolf Steiner erwähnten Vormänner, die Blavatsky und Olcott in Bombay erwarteten, waren von der Ärya-Samâj-Gruppe in Bombay. (Nach Josephine Ransom, «A short History of the Theosophical Society», Adyar 1938.)

Einleitungsworte zu zwei Esoterischen Stunden

Köln, 2. Januar 1913

Auf dem esoterischen Wege kann ein Mensch zu Fall kommen durch Unwahrhaftigkeit, Ehrgeiz etc. So können auch größere Ge­meinschaften oder eine ganze esoterische Strömung von dem richti­gen Wege abkommen und sich in Irrtum verstricken. Da wir wissen, wie leicht ein solches Fallen einen einzelnen Menschen überkom­men kann, müssen wir auch verstehen das Abirren größerer Men­schengruppen. Es würde - wo sich dies zeigt - von einer egoisti­schen Liebe zeugen, wenn man jemandem treu bleiben möchte, von dem man wissen kann, daß er sich auf Abwegen befindet. So würde es auch von einer egoistischen Liebe Mrs. Besant gegenüber zeugen, wenn man sich verschließen wollte der Tatsache, daß die von ihr vertretene Richtung als eine verkehrte bezeichnet werden muß, deren Weiterverbreitung nur Unheil herbeiführen könnte. Und Mrs. Besant hat einmal selbst gebeten - als sie damals über den Fall Lead­beater schrieb -, daß man sie aufmerksam machen möge und sie warnen möge, wenn ihr «Fallen drohe». Wir tun also nur unsere Pflicht, wenn wir Mrs. Besant darauf aufmerksam machen; aber klar muß man einsehen, daß es so mit ihrer Richtung selbst steht, und daß von dem Augenblick an, wo wir solches erkannt haben, die Pforte unseres Tempels für die Anhänger dieser esoterischen Rich­tung geschlossen bleiben muß.

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Köln, 4. Januar 1913

Oft wird, wenn gesprochen wird von den esoterischen Verhältnis­sen, in denen wir leben, gesagt, daß unsere, die abendländische Rich­tung sich getrennt habe von der morgenländischen. Das ist aber, be­sonders in der jetzigen Zeit, sehr unrichtig. Schon längst handelt es sich nicht mehr um okzidentalisch oder orientalisch, sondern um Wahrheit oder Unwahrheit. Solange es sich bei den Verschiedenhei­ten noch um übersinnliche Fragen handelte, konnte man, wenn man durchaus wollte, noch sagen: das ist etwas, was ich nicht beur­teilen kann; da konnte man noch über zwei Richtungen sprechen. Jetzt aber sind die Differenzen auf den physischen Plan herabgestie­gen; jetzt hat die Sache nichts mehr zu tun mit morgenländischem oder abendländischem Okkultismus; jetzt hat die Welt, um diese Sa­che beurteilen zu können, dasjenige, was sie gerne hat: «physische Dokumente», um die Sache zu prüfen. Ein jeder kann sich durch materielle Dokumente überzeugen, daß dasjenige, was Mrs. Besant im Jahre 1909 gesagt hat, in völligem Widerspruch steht mit dem, was sie 1912 behauptet hat. Es ist aber die Frage, ob die Welt sogar das anerkennen wird, worauf sie sonst schwört. Wenn es soweit kommt, daß ein Generalsekretär (der englische) schreibt, Mrs. Be­sant müsse den Brief von 1909 eben vergessen haben, dann steht es wirklich schlimm mit der Menschheit. Wenn man die andere Strö­mung (die esoterische von Mrs. Besant) als die orientalische bezeich­net, beleidigt man die wahre orientalische Esoterik und Philosophie. Am Ausgangspunkt der theosophischen Bewegung, als noch wirk­liche orientalische Impulse in der Theosophischen Gesellschaft wa­ren, hatte H.P. Blavatsky zum Beispiel noch eine richtige Vorstel­lung von dem, was ein Avatar ist. Mrs. Besant hat diese nie gehabt und daher ist es auch nicht zu verwundern, daß sie nichts verstanden hat von dem Christus. Es handelt sich bei jener Richtung nur um das Durchsetzen persönlicher Wünsche und Auffassungen. Ver­hängnisvoll würde es für die Welt werden, wenn das, was Lead­beater für die Wahrheit hält, sich über die ganze Welt verbreiten würde.

#TI

III

DAS VERHÄLTNIS VON BEWEGUNG,

ESOTERISCHER SCHULE,

GESELLSCHAFT

#TX

Dieser Teil umfaßt Mitschriften und Notizen von sol­chen Vorträgen, die nicht für die Esoterische Schule, sondern für die Gesellschaft gehalten worden sind und zwar deshalb, weil ihre Thematik mit Sicherheit auch in der Esoterischen Schule besprochen wurde, aber keine Aufzeichnungen davon vorliegen. Obwohl drei dieser Vortragsmitschriften bereits in anderen Bänden der Ge­samtausgabe vorliegen, wurden sie hier gleichwohl auf­genommen, um alle vorliegenden Darstellungen von diesem für Rudolf Steiner so wesentlich gewesenen Problem überschauen zu können.

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Vorbemerkungen des Herausgebers

In den ersten Jahren des Aufbaues von Gesellschaft und Esoterischer Schu­le hat Rudolf Steiner mehrfach darauf hingewiesen, daß zwischen Bewe­gung und Gesellschaft, beziehungsweise zwischen Esoterischer Schule und Gesellschaft, wesensgemaß unterschieden werden müsse.

Unter Bewegung verstand er die neue Geistesoffenbarung, wie sie seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen und deren irdische Boten der Menschheit vermittelt werden konnte. Das Verhältnis der Boten zu den Meistern charakterisierte er einmal so:

«Die Eingeweihten haben die Verpflichtung, die Menschheit zu beleh­ren; sie haben seit den letzten dreißig Jahren diese Botschaft wiederum empfangen von den höheren Wesenheiten, die bereits über die Ent­wickelung des Menschen hinausgestiegen sind, von den Meistern der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen, von diesen er­habenen Wesenheiten, die tatsächlich jede spirituelle Strömung auf unse­rer Erde beeinflussen und allmählich immer mehr von ihrer Weisheit in die Welt einfließen lassen, je nachdem der Mensch in seiner Entwicke­lung höher und immer höher steigt.» (Wien, 14. Juni1909)

Als den für die theosophische Bewegung ersten Boten nannte Rudolf Steiner H.P. Blavatsky (Brief vom 2.1.1905); als zweiten Boten Annie Be­sant (Brief vom 29.8.1904 an Mathilde Scholl), jedoch in dem drei Jahre später ausgesprochenen einschränkenden Sinn, daß es nur eine kleine Epi­sode war, in der sie durch ihre hochsinnige Denkungsweise und Lebensfüh­rung in die Strömung der Initiatoren gekommen war (Niederschrift von 1907 an Edouard Schuré). Der dritte Bote wäre historisch gesehen Rudolf Steiner, der aber in Wirklichkeit der Erste war, der die vom Zeitbewußt­sein geforderte Wissenschaft vom Geiste begründen und ausgestalten konnte. Mit seiner Schulungsmethode «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» ermöglichte er, den Weg zur übersinnlichen Erkenntnis in geistiger Selbstverantwortung beschreiten zu können, auf dem jeder Geistesschüler zu seiner Zeit seinem Meister begegnen wird. In welchem Sinne er diese seine Inaugurationstat, «Geistesschüler auf die Bahn der Entwickelung zu bringen», verstand, und daß eine solche Inauguration oder Einsetzung in das Amt eines Geisteslehrers genauso wie im öffentlichen Bildungsleben

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leben einer entsprechenden Berufung bedarf, das beschreibt er in der Ein­leitung zu seiner ersten Einführungsschrift in übersinnliche Welterkennt­nis und Menschenbestimmung, «Theosophie», mit den Worten:

«Um auf diesen höheren Gebieten des Daseins zu sein, genügt es allerdings nicht, daß sich dem Menschen einfach der Sinn für sie er­schlossen hat. Dazu gehört ebenso auf ihnen, wie zum Lehrerberuf auf dem Gebiete der gewöhnlichen Wirklichkeit Wissen­schaft gehört. macht ebensowenig schon zum im Geistigen, wie gesunde Sinne zum in der sinnli­chen Wirklichkeit machen. Und da in Wahrheit alle Wirklichkeit, die niedere und die höhere geistige, nur zwei Seiten einer und derselben Grundwesenheit sind, so wird derjenige, der unwissend in den niederen Erkenntnissen ist, es wohl auch zumeist in höheren Dingen bleiben. Diese Tatsache erzeugt in dem, der sich - durch geistige Berufung - zum Aussprechen über die geistigen Gebiete des Daseins veranlaßt fühlt, das Gefühl einer ins Unermeßliche gehenden Verantwortung.»

Was er selbst als ein solcherart berufener Geisteslehrer in der Welt zu vertreten hatte, wurde von ihm in der Öffentlichkeit, in der Gesellschaft und in der Esoterischen Schule gelehrt und als Bewegung verstanden. Be­wegung und Esoterische Schule - als deren unmittelbarstes Instrument -galten ihm als eine Stiftung der Meister, die allein nur von den entspre­chend Berufenen verantwortet werden kann; die demokratisch organisierte Gesellschaft dagegen als eine Gründung von Menschen, die von diesen selbst zu verantworten und zu verwalten ist. Dadurch bildete letztere auf dem Felde der okkulten Bewegung die «erste Gemeinschaft, die Organisa­tion mit Freiheit anstrebt» 1) Sie sollte gleichsam zur Brücke werden, die den eigentlichen Okkultismus mit der vollen Öffentlichkeit verbindet. Zu­gleich sollte sie den Boden abgeben, auf dem sich in einer Zeit, die immer stärker in die Zersplitterung des Gemeinschaftlichen zu führen droht, Menschen in dem gleichen Weisheitsstreben brüderlich vereinigen können. Dieses Brüderlichkeitsideal manifestierte sich bei der Gründung der Theo­sophical Society in den drei Grundsätzen:

Den Kern einer allgemeinen Brüderschaft der Menschheit zu bilden, ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens, des Geschlechts, der Kaste oder Farbe.

1) Handschriftliche Notiz für die Ansprache hei der Generalversammlung der deutschen Sek­tion in Berlin, 21. Oktober 1906

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Die Erkenntnis des Wahrheitskernes in allen Religionen und in der Welt zu pflegen.

Die tieferen geistigen Kräfte in der Menschennatur und in der Welt zu er­forschen.

Am Geist dieser Grundsätze hat Rudolf Steiner auch für die Statuten der Anthroposophischen Gesellschaft immer festgehalten. Aus ihrem Geiste heraus muß ja das allgemein christliche Brüderlichkeitsbewußtsein der nächsten Kulturepoche vorbereitet werden. Darauf hat er schon 1904 mit den Worten hingewiesen:

«In okkulten Schulen hat man drei Worte, die das neue Zeitalter, das Zeitalter einer neuen späteren Menschenrasse bezeichnen. . . Bruderliebe, Pneumatologie, Selbstautorität im Religiösen.» (Berlin, 10. Oktober1904)

Dieses der Gesellschaft zugrundeliegende Ideal der Brüderlichkeit wurde in den Aufbaujahren von Rudolf Steiner nicht nur stark betont, sondern er äußerte sogar, daß dies auf Anregung der Meister geschehe (Berlin, 2. Ja­nuar 1905). Eine Neuorientierung nach diesem Ideal war damals notwen­dig, da es durch die T. S. nicht hatte realisiert werden können. War doch schon bald nach der Gründung das Partialinteresse alter orientalischer Weisheit über den Geist des allgemein Menschlichen und dadurch wahrhaft christlichen Okkultismus gestellt worden. Die Hintergründe dieser Ent­wicklung erhellt die Niederschrift Rudolf Steiners, die wenige Wochen nach der im Mai 1907 beim Münchner Kongreß mit Annie Besant getroffe­nen Vereinbarung über die Trennung von der Esoteric School zur persönli­chen Orientierung für Edouard Schuré niedergeschrieben wurde. Sie trägt daher die Überschrift «Als Information; in dieser Form unmittelbar kann es noch nicht gesagt werden»:

«Die Theosophische Gesellschaft ist 1875 in New York gegründet wor­den durch H.P. Blavatsky und H. S. Olcott. Diese erste Gründung trug einen ausgesprochen westlichen Charakter. Und auch die Schrift ,in welcher Blavatsky eine große Summe von okkulten Wahr­heiten veröffentlichte, trägt einen solchen westlichen Charakter. Von dieser Schrift muß jedoch gesagt werden, daß sie die großen Wahrheiten, die in ihr mitgeteilt werden, in einer vielfach verzerrten, ja oft karikier­ten Art wiedergibt. Es ist so, wie wenn ein harmonisches Antlitz in ei­nem Konvexspiegel ganz verzerrt erscheint. Die Dinge, die in der

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gesagt werden, sind wahr; aber die Art, wie sie gesagt werden, ist unre­gelmäßige Spiegelung der Wahrheit. Es rührt dies davon her, daß die Wahrheiten selbst inspiriert sind von den großen Initijerten des Westens, die auch die Initiatoren der Rosenkreuzerweisheit sind. Die Verzerrung rührt her von der unentsprechenden Art, wie diese Wahrheiten von der Seele H.P. Blavatskys aufgenommen worden sind. Für die gebildete Welt hätte gerade diese Tatsache ein Beweis sein müssen für die höhere Inspirationsquelle dieser Wahrheiten. Denn niemals hätte jemand durch sich selbst diese Wahrheiten haben können, der sie in einer so verzerrten Art wiedergab. Weil nun die Initiatoren des Westens sahen, wie wenig sie die Möglichkeit haben, auf diese Art den Strom spiritueller Weisheit in die Menschheit einfließen zu lassen, beschlossen sie, die Sache über­haupt vorläufig in dieser Form fallen zu lassen. Doch war aber nun ein­mal das Tor geöffnet: Blavatakys Seele war so präpariert, daß in sie spiri­tuelle Weisheiten einfließen konnten. Es konnten sich ihrer östliche In­itiatoren bemächtigen. Diese östlichen Initiatoren hatten zunächst das allerbeste Ziel. Sie sahen, wie durch den Anglo-Amerikanismus die Menschheit der furchtbaren Gefahr einer vollständigen Vermaterialisie­rung der Vorstellungsart entgegensteuerte. Sie - diese östlichen Initiato­ren - wollten der westlichen Welt ihre Form von alters her bewahrter spiritueller Erkenntnis einimpfen. Unter dem Einfluß dieser Strömung nahm die Theosophische Gesellschaft den östlichen Charakter an, und unter dem gleichen Einfluß wurden Sinnetts «Esoterischer Buddhismus» und Blavatskys «Geheimlehre» inspiriert. Beides aber wurden wieder Verzerrungen der Wahrheit. Sinnetts Werk verzerrt die hohen Kundge­bungen der Initiatoren durch einen hineingetragenen ungenügenden philosophischen Intellektualismus und Blavatskys «Geheimlehre» durch deren eigene chaotische Seele.

Die Folge davon war, daß die Initiatoren, auch die östlichen, ihren Einfluß immer mehr von der offiziellen Theosophischen Gesellschaft zurückzogen, und daß diese ein Tummelplatz für allerlei die hohe Sache entstellende okkulte Mächte wurde. Es trat eine kleine Episode ein, in welcher Annie Besant durch ihre reine, hochsinnige Denkungsweise und Lebensführung in die Strömung der Initiatoren kam. Doch hatte diese kleine Episode ein Ende, als Annie Besant den Einflüssen gewisser Indier sich hingab, die unter dem Einfluß namentlich deutscher Philoso­pheme, die sie falsch interpretierten, einen grotesken Intellektualismus entwickelten. So war die Lage, als ich selbst mich vor die Notwendigkeit

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versetzt fand, der Theosophischen Gesellschaft beizutreten. An deren Wiege waren echte Initiatoren gestanden, und dadurch ist sie, wenn auch die nachfolgenden Ereignisse eine gewisse Unvollkommenheit gegeben haben, vorläufig ein Instrument für das spirituelle Leben der Gegenwart. Ihre gedeihliche Fortentwickelung in den westlichen Ländern hängt ganz davon ab, inwiefern sie sich fähig erweist, das Prinzip der westlichen In­itiation unter ihre Einflüsse aufzunehmen. Denn die östlichen Initiatio­nen müssen notwendig das Christusprinzip als zentralen kosmischen Fak­tor der Evolution unberührt lassen. Ohne dieses Prinzip müßte aber die theosophische Bewegung ohne bestimmende Wirkung auf die westli­chen Kulturen bleiben, die an ihrem Ausgangspunkte das Christusleben haben. Die Offenbarungen der orientalischen Initiation müßten für sich selbst im Westen sich wie eine Sektiererei flehen die lebendige Kultur hinstellen. Eine Hoffnung auf Erfolg in der Evolution könnten sie nur ha­ben, wenn sie das Christusprinzip aus der westlichen Kultur vertilgten. Dies wäre aber identisch mit dem Auslöschen des eigentlichen Sinnes der Erde, der in der Erkenntnis und Realisierung der Intentionen des lebendi­gen Christus liegt. [Diese] Zu enthüllen in voller Weisheits-, Schönheit- und Tatform ist aber das tiefste Ziel des Rosenkreuzertums. Über den Wert der östlichen Weisheit als Studium kann nur die Meinung bestehen, daß dieses Studium von allerhöchstem Werte ist, weil die westlichen Völker den Sinn für Esoterik verloren, die östlichen sich ihn aber bewahrt haben. Über die Einführung der richtigen Esoterik im Westen sollte aber auch nur die Mei­nung bestehen, daß dies nur die rosenkreuzerisch-christliche sein kann, weil diese auch das westliche Leben geboren hat, und weil durch ihren Ver­lust die Menschheit der Erde ihren Sinn und ihre Bestimmung verleugnen würde. Allein in dieser Esoterik kann die Harmonie von Wissenschaft und Religion erblühen, während eine jede Verschmelzung westlichen Wissens mit östlicher Esoterik nur solche unfruchtbare Bastarde erzeugen kann, wie Sinnetts «Esoterischer Buddhismus» einer ist. Man kann schematisch darstellen das Richtige:

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das Unrichtige, wovon Sinnetts «Esoterischer Budhhismus» und Bla­vatskys «Geheimlehre» Beispiele sind:

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Nachdem Annie Besant beim Münchner Kongreß im Mai 1907 noch er­klärt hatte, daß sie in bezug auf das Christentum nicht kompetent sei und deshalb die Bewegung, insoferne das Christentum in sie einfließen soll, an Rudolf Steiner abtrete, trat sie bald darauf mit einer Christus-Lehre auf, die in vollem Gegensatz zu derjenigen Rudolf Steiners stand. Während er schon immer lehrte, daß Christus seit dem Ereignis von Golgatha zum füh­renden Geist der Erde geworden war, der nur einmal in einem physischen Leib erschienen ist, lehrte Annie Besant, daß Christus ein Menschheitslehrer wie Buddha und andere große Geister sei, mit dessen fleischlichem Wieder­erscheinen bald gerechnet werden könne. Das stand schon beim nächsten theosophischen Kongreß in Budapest 1909 im Hintergrund. In diesem Zu­sammenhang erhalten die folgenden von Rudolf Steiner damals gegebenen Ausführungen über ein Gesetz in der okkulten Forschung und die damit zu­sammenhängende Notwendigkeit, spirituelles Geistesgut in Gemeinschaft zu pflegen, ein ganz besonderes Gewicht:

«Warum müssen wir uns denn eigentlich mit theosophischen Gedanken und Theorien beschäftigen, ehe wir selbst in der geistigen Welt etwas er­leben können? Mancher wird sagen: Mitgeteilt werden uns die Resultate der seherischen Forschung; ich selbst kann aber noch nicht hineinschau­en. Wäre es da nicht richtiger, wenn uns nicht hellseherische Forschungs­ergebnisse, sondern wenn vor allen Dingen uns nur gesagt würde, wie ich selbst mich zum Hellseher entwickeln kann? Dann könnte jeder ja selbst die weitere Entwickelung nachher durchmachen. - Wer außerhalb

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der okkulten Forschung steht, der mag glauben, daß es gut wäre, wenn nicht schon vorher von solchen Dingen und Tatsachen gesprochen wür­de. Aber es gibt in der geistigen Welt ein ganz bestimmtes Gesetz, dessen ganze Bedeutung wir uns durch ein Beispiel klarmachen wollen. Neh­men Sie einmal an, in irgendeinem Jahre hätte ein beliebiger, regelrecht Hellseher dies oder jenes in der geistigen Welt wahrgenom­men. Nun stellen Sie sich vor, daß zehn oder zwanzig Jahre später ein anderer ebenso geschulter Hellseher dieselbe Sache wahrnehmen würde, auch dann, wenn er von den Resultaten des ersten Hellsehers gar nichts erfahren hätte. Wenn Sie das glauben würden, wären Sie in einem gro­ßen Irrtum, denn in Wahrheit kann eine Tatsache der geistigen Welt, die einmal von einem Hellseher oder einer okkulten Schule gefunden wor­den ist, nicht zum zweiten Mal erforscht werden, wenn der, welcher sie erforschen will, nicht zuerst die Mitteilung erhalten hat, daß sie bereits erforscht ist. Wenn also ein Hellseher im Jahre 1900 eine Tatsache er­forscht hat, und ein anderer im Jahre 1950 so weit ist, um dieselbe wahr­nehmen zu können, so kann er das erst, wenn er zuvor gelernt und er­fahren hat, daß einer sie schon gefunden und erforscht hat. Es können al­so selbst schon bekannte Tatsachen in der geistigen Welt nur geschaut werden, wenn man sich entschließt, sie auf gewöhnlichem Wege mitge­teilt zu erhalten und sie kennenzulernen. Das ist das Gesetz, das in der geistigen Welt für alle Zeiten hindurch die universelle Brüderlichkeit be­gründet. Es ist unmöglich, in irgendein Gebiet hineinzukommen, ohne sich zuerst zu verbinden mit dem, was schon von den älteren Brüdern der Menschheit erforscht und geschaut worden ist. Es ist in der geistigen Welt dafür gesorgt, daß keiner ein sogenannter Eigenbrötler werden und sagen kann: Ich kümmere mich nicht um das, was schon vorhanden ist, ich forsche für mich allein. - Alle die Tatsachen, die heute in der Theosophie mitgeteilt werden, würden von auch noch so sehr Ausgebildeten und Vorgeschrittenen nicht gesehen werden können, wenn man nicht vorher davon erfahren hätte. Weil dem so ist, weil man sich verbinden muß mit dem, was schon erforscht ist, deshalb mußte auch die theoso­phische Bewegung in dieser Form begründet werden.

Es wird in verhältnismäßig kurzer Zeit viele Menschen geben, die hellsehend sein werden; diese würden nur Wesenloses, aber nicht die Wahrheit in der geistigen Welt schauen können, weil sie nicht das Wich­tige, das schon erforscht ist in der geistigen Welt, sehen könnten. Erst muß man diese Wahrheiten, wie sie die Theosophie gibt, lernen, dann

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erst kann man sie wahrnehmen. Also selbst der Hellseher muß erst das lernen, was schon erforscht ist, und dann kann er bei gewissenhafter Schulung die Tatsachen selbst schauen. Man kann sagen: Befruchten nur einmal, für ein erstes Sehen, die göttlichen Wesenheiten eine Menschenseele, und hat diese einmalige, jungfräuliche Befruchtung sich vollzogen, dann ist es notwendig für die andern, den Blick erst auf das zu richten, was sich diese erste Menschenseele erworben hat, um ein Anrecht zu ha­ben, sich ein gleiches zu erwerben und es zu schauen. - Dieses Gesetz be­gründet zuinnerst eine universelle Brüderlichkeit, eine wahre Menschenbruderschaft. Von Epoche zu Epoche ist so das Weisheitsgut durch die okkulten Schulen gewandert und von den Meistern treulich aufbewahrt worden. Und auch wir mussen diesen Schatz tragen helfen und Brüder­lichkeit halten mit denen, die schon etwas erreicht haben, wenn wir hin­auskommen wollen in die höheren Gebiete der geistigen Welt. Das, was als moralisches Gesetz auf dem physischen Plan angestrebt wird, das ist also ein Naturgesetz der geistigen, der spirituellen Welt.» (Budapest, 4. Juni 1909)

Gerade diese Ausführung macht wiederum verständlich, warum an die Theosophische Gesellschaft angeknüpft wurde. Daß es dann doch zur Trennung kam, lag nicht in erster Linie in der Divergenz mit Annie Besant in bezug auf die Christus-Erkenntnis, sondern in deren unwahrem Verhal­ten gegenüber realen Vorgängen

erst kann man sie wahrnehmen. Also selbst der Hellseher muß erst das lernen, was schon erforscht ist, und dann kann er bei gewissenhafter Schulung die Tatsachen selbst schauen. Man kann sagen: Befruchten nur einmal, für ein erstes Sehen, die göttlichen Wesenheiten eine Menschenseele, und hat diese einmalige, jungfräuliche Befruchtung sich vollzogen, dann ist es notwendig für die andern, den Blick erst auf das zu richten, was sich diese erste Menschenseele erworben hat, um ein Anrecht zu ha­ben, sich ein gleiches zu erwerben und es zu schauen. - Dieses Gesetz be­gründet zuinnerst eine universelle Brüderlichkeit, eine wahre Menschenbruderschaft. in der Gesellschaftsführung. Wie Rudolf Steiner damals in Übereinstimmung mit den Intentionen der Meister zu der ganzen Problematik stand, geht aus den beiden Ansprachen vom 14. und 15. Dezember 1911 hervor.

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Nachschriften und Notizen von sieben Vorträgen und Ansprachen

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DIE MEISTER -

IMPULSATOREN DER THEOSOPHISCHEN BEWEGUNG

Dresden, 27. September 1904

Ansprache im neugegründeten Zweig 1)

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In voller Voraussicht dessen, was kommen muß und um die Menschheit so recht zu dessen Verständnis zu bringen, ist die theo­sophische Bewegung von Wesenheiten in die Welt gerufen worden, die weit über das Maß dessen, was der höchstgebildete Mensch in­nerhalb unserer Kultur erreichen kann, hinausragen. Derjenige, wel­cher da nicht in voller Unbescheidenheit glaubt, daß seine Weisheit die Summe aller Weisheit sei, daß seine Urteilskraft darstelle die höchste Urteilskraft, der wird gar bald beobachten können, daß es andere Menschen neben ihm gibt, die mehr Weisheit und mehr Ur­teilskraft haben [als er selber], und er wird auf diese Wesenheiten hö­ren, wird sich von diesen belehren lassen. Er wird, wenn er einige Einsicht gewinnt, dazu kommen, sich zu sagen: Ich habe noch den Weg zu gehen, den andere bereits gegangen sind.

Je mehr der Mensch Einsicht bekommt, desto bescheidener wird er nach dieser Richtung. Desto klarer wird es ihm, wieviel er noch zu lernen hat und desto mehr ist er dann geeignet, diejenigen zu finden, die ihm etwas von ihrer Höhe, die er noch nicht erreicht hat, zu sagen haben. Wenn jemand glaubt, von niemand etwas lernen zu können, so ist das ein sicherer Beweis dafür, daß er nicht weit fortgeschritten ist. Je mehr der Mensch vorgeschritten ist, desto mehr kommt er zu einem sicheren Wissen davon, daß die Menschen auf verschiedenen Stufen der Entwickelung stehen und daß es zu allen Zeiten solche gegeben hat, die geistige Führer der Menschheit gewesen sind, solche, welche in der Entwickelung ihren Mitbrüdern vorangeschritten waren, die

i) Notizen. Der Nachschreiber ist namentlich nicht bekannt.

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Entwickelsten, die der Menschheit am meisten vorangeschrittenen Brüder. Sie sind es, welche von den weniger entwickelten Mitbrü­dem am schwersten verstanden, ja nur erkannt werden können. Von solchen schwer zu durchschauenden und schwer erkennbaren hoch­entwickelten Wesenheiten ist im Jahre 1875 der große spirituelle Strom ausgegangen, der mit Hilfe der theosophischen Bewegung über die Menschheit, die die Sehnsucht danach hatte, sich ergossen hat.

Oftmals wird gefragt, warum sich diese hochentwickelten Wesen­heiten nicht zeigen, warum sie sich nur wenig bemerklich machen. Die Antwort finden Sie in einem der tiefsten Werke, welche die theo­sophische Bewegung hervorgebracht hat, in dem kleinen Büchlein, das aber zu gleicher Zeit eine Welt von Weisheit umfaßt, in «Licht auf den Weg» [von Mabel Collins]. Was da gesagt wird, daß die lei­tenden Wesenheiten diese weit über ihre Mitmenschen hinausragen-den, hochentwickelten Individualitäten, da sein können, ja mitten unter einer Menschenmenge sein können, ohne daß sie erkannt wer­den, daß sie sich aufhalten können in Petersburg, London, Berlin, Paris, ohne daß jemand, außer einigen ganz wenigen, etwas davon weiß, das ist buchstäblich Wahrheit.

Es gibt Gründe, gewisse Gründe, weshalb die vorgeschrittenen Führer der Menschheit sich verborgen halten müssen. Wir können uns heute mit solchen Gründen nicht befassen. Es ist aber notwen­dig, daß die höchsten Lehrer eine Art von Mauer um sich errichten, und daß nur diejenigen, welche durch eine geeignete Lebensführung dazu vorbereitet sind, den Zutritt zu ihnen erhalten. Solche Wesen­heiten waren es und sind es fortwährend, von denen die Bewegun­gen, die wir als theosophisch bezeichnen, ausgehen. Solche Wesen­heiten haben neben ihrer unendlichen Güte zugleich eine große Macht, und manches, was in der Menschheit geschieht, geht von die­sen Wesen aus, ohne daß die Menschheit es ahnt.

Wenn wir von neuen Strömungen im Geistesleben, von einer neuen Psychologie [?] sprechen, die scheinbar abseits liegt von dem großen theosophischen Strom, so ist auch das nur scheinbar der Fall. Es wirken auch da dieselben Wesenheiten und Kräfte mit, sie sprechen die Sprache, die man in den Kreisen der Gelehrsamkeit

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und in den Kreisen dem wissenschaftlichen Forschung verstehen kann, denn die Beobachtung dieses «Pfingstwunders», des «Redens in allen Zungen», das ist der Grundsatz des Theosophen das ist das­jenige, was ihn ganz erfüllt. Deshalb redet er zu einer jeglichen Ras­se, zu einem jeglichen Volke und zu jedem Volksstamm seine eigene Sprache; deshalb redet er da, wo eine uralte Lehre die Herzen erfüllt hat, wie in Indien, in der Sprache des Hindu und bei anderen Völ­kern in anderen Zungen.

Für diejenigen, welche in stillen Augenblicken die Stimme [der Meister] sprechen hören, für solche Männer und Frauen ist die Theo­sophische Gesellschaft nur das äußere Instrument. Nicht darauf kommt es an, ob in der Theosophischen Gesellschaft etwas mehr oder weniger gut oder schlecht ist, ist sie doch wie alle menschlichen Einrichtungen von menschlichem Schwäche und menschlichem Ur­teil aufgebaut. Die größten Meister selbst, die uns die theosophische Weisheit gebracht haben, die zu denen sprechen, welche die theoso­phische Bewegung mit Leben durchtränken, sie können sich nicht mit äußeren Gesellschaftsgründungen befassen. Das überlassen sie denjenigen, die ihre Aufträge auszuführen haben, die sich in ihren Dienst als ihre Boten stellen. Nicht auf den äußeren Rahmen kommt es an, aber wir wollen ihn behüten, gerade weil wir ihn nicht überschätzen, weil wir ihn brauchen und weil wir gestört und verhindert sein würden im Wirken, wenn wir diesen äußeren Rah­men nicht als eine Umspannung hätten, die Europa, Amerika, Asien, Afrika und Australien umfaßt. Wir wollen darauf aufmerk­sam machen, daß nicht dieser Rahmen es ist, sondern dem Geist, des­sen die Menschheit bedarf und der durch die theosophische Bewe­gung strömt, zu denen strömt, die ihn haben wollen. So ist in der ge­genwärtigen Zeit eine Gesellschaft, in der Theosophen versammelt sind, etwas anderes, etwas wesentlich anderes als eine Gesellschaft, in der andere versammelt sind.

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DAS WESEN DER THEOSOPHISCHEN BEWEGUNG

UND IHR VERHÄLTNIS

ZUR THEOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Berlin, 2. Januar 19051)

#TX

Über das Wesen der theosophischen Bewegung und ihr Verhältnis zur Theosophischen Gesellschaft möchte ich heute - bevor ich mei-ne Reise nach Süd- und Westdeutschland antrete 2) - wieder einmal zu Ihnen sprechen, denn die theosophische Bewegung ist von so um­fassender Bedeutung, daß wir uns am Beginne eines neuen Jahres -das für unsere Arbeit ein recht ersprießliches sein möge - der Aufga­be, Ziele und Arbeitsweise dieser theosophischen Bewegung wohl wieder erinnern dürfen.

Die theosophische Bewegung ist keine solche, die sich mit irgend­einer anderen Bewegung in der Gegenwart auch nur im Entfernte­sten vergleichen ließe. Die Menschen stehen ja dieser Bewegung - die in ihrem noch nicht dreißigjährigen Dasein über alle Gebiete unse­rer Erde sich verbreitet hat - in der verschiedensten Weise gegenüber und sind ihr von Anfang an so gegenübergestanden.

Seitdem die Sendbotin unserer großen erhabenen Meister, Frau Blavatsky, diese Bewegung begründete, hat sie mannigfaltige Wand­lungen durchgemacht. Sie hat Menschen in ihrer Mitte gesehen, die sie wieder verlassen haben, und andere, die treu und eifrig ausgehal­ten haben. Es hat Mitglieder gegeben, welche aus Neugierde gekom­men sind, um unter mancherlei anderen interessanten Dingen, die man in der Gegenwart kennenlernen kann, auch kennenzulernen die Einblicke, die der Mensch in höhere, in geistige Welten tun kann.

Weil jedoch der Weg, den die theosophische Bewegung den Men­schen bieten kann, ein sicherer ist, so ist er auch nicht der allerleichteste,

- - -

1) Nach einer stenographischen Mitschrift von Franz Seiler. Das Originalstenogramm wurde neu überprüft.

2) Vom 3. bis 13. Januar hielt Rudolf Steiner Vorträge in Stuttgart, München, Nürnberg und Weimar

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nicht der bequemste, nicht derjenige, den man von heute auf morgen so absolvieren kann, daß sich die höchsten geistigen Er­scheinungen sofort als eine unbedingte Wahrheit darstellen. Viel­mehr ist ein eifriges Bestreben, eine wirklich intensive Hingabe not­wendig.

Daher kommt es, daß diejenigen, die aus Neugierde in die theoso­phische Bewegung eintreten, mit der Zeit abtrünnig werden, weil sie nicht in einem kurzen Zeitraum dasjenige erreichen können, was sie wie im Sturm erreichen wollen; oder aber weil sie glauben, daß ih­nen die theosophische Bewegung nichts bieten könne. Aber auf sol­che Neugierige ist ja von vornherein in der theosophischen Bewe­gung weniger gerechnet worden, obwohl Neugierde oft ein Umweg ist, um zur Wahrheit und zur theosophischen Erkenntnis zu kom­men. Bei vielen hat sich später aus der Neugierde ein rechtes theoso­phisches Streben entwickelt.

Andere kommen in die theosophische Bewegung, um wirklich ei­ne innere seelische Entwickelung durchzumachen. Sie wollen wirk­lich zu der Gewißheit eines seelischen und geistigen Lebens kom­men und mystische Vertiefung erringen, um ein richtiges Glied in der Menschheitsentwickelung zu werden. Solche sind schon bessere Mitglieder. Sie streben zwar zunächst, in sich selbst möglichst viel zu erkennen und zu erleben. Das ist im höheren Sinne ja noch ein egoistisches Streben; aber auch das höchste Erkenntnisstreben ist ja ein egoistisches und kein selbstloses Streben. Sie wissen auch, daß dies nicht das höchste Ziel ist. Aber es gibt ein schönes Sprichwort, das diese Sachlage kennzeichnet: Wenn die Rose sich selbst schmückt, schmückt sie auch den Garten.

Der Umweg über diesen Egoismus ist somit ein ernster und guter, und diejenigen, die ihn gehen, können würdige und echte Mitglieder der theosophischen Bewegung sein. Mit Recht streben sie ihre eige­ne Vervollkommnung an, weil der Mensch erst dann ein nützliches und wertvolles Mitglied der Gesellschaft wird sein können, wenn er sich selbst vollkommen gemacht hat. Was kann schon der Unvoll­kommene den Mitmenschen nützen; was kann derjenige nützen, der nur weniges im Leben durchschaut?

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Erst wenn man hineinzublicken vermag in die menschlichen Her­zen und Seelen, wenn man in der Lage ist, die großen Weltenrätsel einigermaßen für sich zu lösen, kann man eingreifen in das mensch­liche Getriebe; dann kann man erst in der richtigen Weise für die Mitmenschen und für die Welt etwas tun. Daher ist das Sich-selbst-Vervollkommnen, das Sich-selbst-Entwickeln durch geistige Er­kenntnisse, ein richtiger und guter Weg. Niemanden kann der Vor­wurf gemacht werden, daß er egoistisch sei, wenn er den Weg der Selbstvervollkommnung sucht. Und wer treu bleibt, der wird fin­den, daß er nicht vergeblich in der theosophischen Bewegung ge-sucht hat, daß ihr Weg still aber sicher zu dem führt, was er sucht.

Mancher mag sagen, es gibt noch andere Wege. Diese anderen Wege sollen nicht im geringsten Sinne bekämpft oder angefochten werden. Ich weiß, wie die anderen spirituellen Bewegungen der Welt dienen. Kein Wort des Widerspruchs soll von einem wahren Theosophen dagegen ausgehen. Davon kann nicht die Rede sein. Aber derjenige, der im höchsten Sinne den Geist sucht, muß diesen Geist durch Selbsterkenntnis suchen. Jeder trägt den Geist in sich und es ist nicht nützlich im Grunde genommen, geistige Erkenntnis in der Umwelt zu suchen, wenn man den am allerzugänglichsten Geist, den, der in uns selbst ist, nicht im wahren Sinne des Wortes erkennen will.

Da sind gar viele, welche den Geist durch alle möglichen künstli­chen Veranstaltungen zu erkennen suchen, und dabei ganz verges­sen, daß derselbe Geist in so unendlicher Nähe ist: es ist die eigene Seele, der eigene Geist. Ihn können wir finden, wenn wir in der rich­tigen Weise suchen wollen. Aber er liegt tief im menschlichen In­nern verborgen. Wir müssen ihn immer tiefer und tiefer in den Schichten unseres eigenen Innern suchen. Denn was in unserem In-nern wohnt, ist ja dasselbe, was als Geistiges und Seelisches in der Welt wohnt. Der Gott, der in der Welt schafft, der in der Welt seit Millionen von Jahren geschaffen hat, der Gott ist im Menschenher­zen zu finden. Und wie der Naturforscher draußen in der Welt stu­diert, wie der Naturforscher die Steine, Pflanzen, Tiere und Men­schen ihren physischen Kräften nach zu verstehen sucht, so kann

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auch keiner die Seele, den Geist erkennen, der die Seele und den Geist in der Welt nicht wirklich studiert. Und der Geist, der ewig in der Welt geschaffen hat und ewig in der Welt schaffen wird, der wohnt in einem Abglanz, in einem Spiegelbild in uns selber. Immer weiter können wir uns zu diesem Geist hinaufentwickeln und im­mer weiter wird die eigene Seele sich entwickeln.

So ist das theosophische Streben nichts anderes als das Streben nach dem Innewerden der schaffenden seelischen und geistigen We­senheiten in der Welt. Das, was wir heute in uns tragen, was wir fin­den, wenn wir in die Schichten unseres seelischen Lebens hinabstei­gen, haben wir uns einstmals geschaffen, ausgebildet. Könnten wir zurückgehen - und der Theosoph lernt es allmählich, zurückzuge­hen in urferne vergangene Zeiten -, dann fänden wir dieselben seeli­schen Kräfte den Weltenbau bauen, bevor es noch einen physischen Stoff draußen gegeben hat. Und wir fänden den Geist, der als Funke in uns lebt, draußen in der Welt schaffend, bevor es chemische und physikalische Kräfte gab. Geistige und göttliche Kräfte waren da am Werk. Und höher als alles physische Sein, als alles körperliche Da­sein, ist dieses geistige Dasein; und nicht nur höher, sondern auch älter.

Also aus unserem eigenen Herzen und unseren Seelenschichten holen wir herauf die Urrätselfrage mit ihrer Lösung: wie die Welt selbst entstanden ist. Wer sich in die Theosophie vertieft und hinun­tersteigt in die Schichten des eigenen seelischen und geistigen Le­bens, der findet da die Kräfte, die am Werke waren, bevor ein Auge gesehen oder ein Ohr gehört hat. Bevor Feuer, Luft und Wasser auf unserer Erde waren, waren Seele und Geist im Himmelsraum und haben das alles erst zustandegebracht. Etwas Dauerndes und dem Physischen Übergeordnetes finden wir, wenn wir hinuntersteigen in diese Schichten unseres Herzens und Geistes. Und dann holen wir von da herauf nicht was in uns selbst ist, sonder die bilden­den Kräfte der Welt. Alle großen Lehrer gingen diesen Weg ins menschliche Innere. Sie haben so nicht nur sich selbst erkannt, sondern auch den Blick geöffnet erhalten über Sterne und Unend­lichkeiten.

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Wie die Welt entstanden ist, wo der Mensch seinen Ursprung ge­habt hat und auch die Ziele des Menschen, die fernen und die nahen, und unsere Weltenaufgabe vermögen wir so aus unseren Geistes-schichten herauszuholen durch die wahre Selbsterkenntnis. Was wir von der Entstehung von Planeten, Runden und Rassen wissen, was wir von Sonnenkörpern und Sonnensystemen kennen, und was wir von dem Hervorgehen lebender Wesen aus dem Sonnensystem und den Weltkörpern wissen, das ist durch Selbsterkenntnis gewonnen worden, durch jene Selbsterkenntnis, welche sich durchgerungen hat, um im eigenen Geiste zu erkennen das, was er heute ist, was in ihn hineingezogen ist durch Äonen. Was heute in ihm vorhanden ist, das führt uns zu der Erkenntnis von dem, was in ihm immer vor­handen war, vorhanden war in ihm und zugleich draußen in der Welt.

Wenn Sie einen Baum betrachten, so hat er Jahresringe. Sie müs­sen aber den Baum erst durchschneiden, um die Jahresringe beob­achten zu können. So hat auch die Seele für den, der sie beobachten kann, ihre Ringe erhalten. Jede Seele setzt solche Ringe an. Die Seele ist durchgeschritten durch die Zyklen, die Runden und Rassen, und überall hat sie einen solchen Jahresring angesetzt. Diese sieht der Mensch heute nicht. Wenn er aber sehend geworden ist, sieht er, was als Resultat der Entwickelung übriggeblieben ist. Das ist der Weg der Selbsterkenntnis, der Selbstvervollkommnung. So schließt sich durch die Selbsterkenntnis die Welt au£ So lernt der Mensch seine Aufgabe kennen durch diese seine Selbsterkenntnis. Und dann gelangt er auch zur Erfassung der Aufgabe der theosophischen Be­wegung. Er erkennt, daß diese Bewegung eine Notwendigkeit ist für die gegenwärtige und zukünftige Menschheit.

Nur andeuten kann ich, was ich oft ausgesprochen habe. Andere Rassen gingen unserer Rasse voran; andere Rassen, die noch geistige Erkenntnis hatten. Die lemurische Rasse - obwohl sie nicht so vor-geschritten war an Verstandes- und Vorstellungskraft und dann durch Feuer zugrunde gegangen ist -, sie hatte noch einen unmittel­baren Zusammenhang mit den geistigen Wesenheiten der Welt, eine unmittelbare Erkenntnis der geistigen Welten. Der Mensch hat die spirituelle Erkenntnis verloren, weil er dazu berufen war, seinen

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Verstand auszubilden, weil er dazu berufen war, den Verstand durch die Sinne auszubilden.

Der lemurischen Rasse folgte die atlantische. Auch die Atlantier waren noch imstande, in seelischer Weise mit anderen über ihnen stehenden Wesen in Zusammenhang zu kommen. Wir wissen, daß durch kleine Kolonien die Lemurier herübergeführt worden sind zu den Atlantiern, um die neue Stammrasse zu bilden. Und wir wissen auch, daß, als sich die alte Atlantis der Abenddämmerung zuneigte, als die Fluten hereinzubrechen begannen, durch die der atlantische Kontinent zugrunde gegangen ist, daß da der Manu ein kleines Häuflein, das die Grundlage für die neue, für unsere Rasse bilden sollte, nach der Mitte von Asien in die Wüste Gobi oder Schamo führte. Da wurden sie geschützt vor den dekadenten Bewohnern, die übriggeblieben waren von den Atlantiern und Lemuriern. Wir selbst stammen ab von diesem kleinen Häuflein, aus dem sich die fünfte Wurzelrasse entwickelte.

Unsere fünfte Wurzelrasse wird nicht durch Feuer oder Wasser ihren Untergang finden, sondern auf eine andere Art ihre Abend-dämmerung erleben, um zu einer neuen Stufe, zu einem neuen Da­sein hinübergeführt zu werden. Diese Stufe lernt der Theosoph vor­auszusehen, und er leistet Vorarbeit für die Zukunft der Mensch­heit, für die kommende Rasse. Kampf ums Dasein wird die Unter­gangsform unserer Rasse sein. Ein kleines Häuflein wird hinüberge­rettet werden. Es wird sich rekrutieren aus denen, die selbst erkannt haben, daß sie führen müssen, und die wieder Seele und Geist ge­sucht haben.

Anders als in Vorzeiten muß gegenwärtig gewirkt werden. In den Vorzeiten waren die Menschen getrennt in kleine Kulturgebie­te, und jede Kultur konnte nur auf einem kleinen Gebiet wirken. Noch während der alten indischen Kultur, auch während der persi­schen, ägyptischen, griechischen und römischen Kultur waren die Menschen auf kleinere Territorien beschränkt. Jetzt ist die ganze Er­de unser Wohnplatz geworden. Unsere Technik, die die Größe un­serer Rasse ausmacht, umspannt die ganze Erde. Keine Trennung ist mehr vorhanden. Die Waren, die fern von uns erzeugt werden, werden

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auf der ganzen Erde verbreitet. Die Erde ist ein gemeinschaftli­cher Wohnplatz geworden. Die Menschen können nicht mehr un­terschieden werden nach einzelnen Farben, Rassen, Klimaten; sie tauschen jetzt nicht nur Waren, sondern auch Meinungen aus. Nichts kann mehr nur für ein kleines Häuflein bestehen. Heute ha­ben wir eine Aufgabe, durch die wir alle in eine neue Zukunft hin­einwachsen können. Diese zu erfassen, obliegt der theosophischen Bewegung.

Führer der Menschheit waren im Verlauf der ersten Unterrasse der fünften Wurzelrasse die Rishis in Indien, von denen der heutige Forscher so gut wie nichts weiß, nur derjenige, der durch mystische Erkenntnis zur Anschauung der höheren Welten gekommen ist. Sie haben jene wunderbare Kultur geschaffen, von der die Vedenkultur nur ein schwacher Abglanz ist. Alles, was uns von der Vedenkultur bekannt geworden ist, ist in viel späterer Zeit entstanden. Für den, der die Welt geistig zu beobachten vermag, bietet sich eine Zeit dar, von der keine Urkunde etwas meldet, wo im alten Indien gottbegab­te Geister wie die Rishis ihr Volk unmittelbar lehrten. Das war eine Landeskultur.

Dann kommt eine Kultur, die wiederum auf ein Land beschränkt ist: die uralte persische, die zarathustrische Kultur. Sieben Zarathu­stras hat es gegeben. Jener Zarathustra, welcher gewöhnlich genannt wird, ist der siebente. Er ist die Inkarnation aller früheren Zarathu­stras. Was in den Büchern der persischen Religion aufbewahrt ist, wurde erst in viel späterer Zeit aufgezeichnet. Da blicken wir zu­rück auf ein zweites inspiriertes Religionsbekenntnis in unserer Er-denentwickelung.

Weiter schreitet die Entwickelung nach Westen zu. Wir treffen da auf die wunderbare ägyptische Kultur, eine Kultur, von der uns nun schon Bücher Kunde geben. Das ägyptische Totenbuch ist ein Ergebnis der Kultur des Hermes.

Dann kommen wir nach Griechenland und Italie zu der orphi­schen Urkultur, die auf dem Boden Europas erwachsen ist und von der wir noch zehren; dann kommen wir zu der erhabenen Religion des Stifters des Christentums und endlich in unsere Zeit hinein.

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Wir blicken so auf eine Reihe von menschlichen Religionsbe­kenntnissen, die durch einzelne große Religionsstifter hervorgegan­gen sind. Für uns sind diese großen erhabenen Stifter nichts anderes als die Mitglieder einer geistigen Gemeinschaft von Wesen und Indi­vidualitäten, die hoch erhaben über unserer Menschheit stehen, so hoch erhaben, daß heute der Mensch nur mit Bewunderung und De­mut aufblicken kann zu den Großen, die die geistigen Anschlüsse unserer Entwickelung gebracht haben. Aber zu gleicher Zeit, wie wir zu ihnen aufblicken, wissen wir, daß auch wir zu solcher Klar­heit und Geistigkeit aufzusteigen berufen sind. Die heiligen Männer sind hervorgegangen aus dem, was wir die Loge der erhabenen Menschheitsführer nennen.

Diejenigen, welche die ägyptische Kultur gebracht haben, sind dann nach Westen gezogen und haben, als sie als Abgesandte nach dem Westen, nach Europa, gekommen sind, den europäischen Völ­kern diejenigen Erkenntnisse gebracht, welche sie ihren Verhältnis­sen entsprechend gebrauchten. Die weiße Loge hat so gewirkt, daß jedes Volk sie verstehen konnte. Jedes Volk brauchte etwas Beson­deres im Laufe der Zeiten. Jedes Volk war abgeschlossen auf einen engeren Raum. Was wußten zum Beispiel die alten Inder davon, was sich in Europa zutrug? In ganz besonderen sozialen Verhältnissen lebten sie. Die großen Eingeweihten sprachen so zu ihnen, wie sie es brauchten. Und so sprachen sie zu allen Völkern.

Heute ist die Menschheit dazu berufen, Austausch zu pflegen, nicht nur von Waren, sondern auch von dem, was die Menschen als Wahrheit erkennen. Es bleibt den Menschen nicht mehr verschlos­sen, was die alten Rishis gelehrt haben. So war es notwendig gewor­den, daß die Erhabenen von der großen weißen Loge wieder zur Menschheit gesprochen haben. Dieselben Wesen, die einst tätig wa­ren bei der Begründung des alten Hinduismus, dieselben Wesen, die tätig waren bei der Begründung des alten Zarathustrismus und bei der Begründung der Religion der Ägypter, dasselbe Wesen, das einst­mals der Gottheit Christi den Leib geboten hat, um auf der Erde hier wirken zu können, Jesus von Nazareth, - diese Wesenheiten mußten wiederum zu der Menschheit sprechen und zwar in einer

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neuen Form, in einer neuen Sprache, so daß die geeinte Menschheit sie verstehen kann. Deshalb sprechen sie so, daß in ihrer Sprache kein Unterschied gemacht wird zwischen Rasse und Sprache, kein Unterschied zwischen Geschlecht und Stand. Nicht mehr Sonder­bündnisse kann es geben, sondern etwas Gemeinschaftliches muß die Menschheit haben. Und ein solches Gemeinschaftliches ist unse­re theosophische Lehre, durch die wir uns hinüberentwickeln zur neuen Rasse. Das ist der Sinn, der Geist der modernen theosophi­schen Bewegung.

Diejenigen, die diese theosophische Bewegung auffassen als das gesprochene Wort derjenigen, die von Anbeginn der Menschheit die Weisheit und den Zusammenklang der Empfindungen haben, die wissen, daß die Theosophie nichts anderes ist als die Pionierbewe­gung, die dem Heil einer neuen Menschheit vorarbeiten kann. Der­jenige versteht die theosophische Bewegung richtig, der glaubt, daß alle großen Fragen, die an die Türe pochen, gelöst werden müssen durch die theosophische Zentralbewegung.

Heute sucht der eine auf dem Wege einer sozialen Bewegung, ein anderer auf dem Wege einer spirituellen, ein anderer auf dem Wege einer moralischen und wieder ein anderer auf dem Wege einer Er­nährungsreform sein Heil. Alle solche Bewegungen sind groß, be­deutend und nützlich. Sie arbeiten aber nur vor. Sie werden nur dann Früchte bringen können, wenn sie Zweige der großen theoso­phischen Bewegung geworden sind. Nicht durch äußere Verbesse­rungen der Nahrungsmittel, der Industrie, der werktätigen Arbeit kann wahrer Fortschritt erreicht werden, sondern nur dadurch, daß die Seelen vorwärts gebracht werden. Wer alle diese Bewegungen sorgfältig studiert hat, der weiß, wie sie einmünden müssen in die theosophische Bewegung.

Fordern Sie von Ihren Mitmenschen, daß sie im Kampf ums Da­sein den anderen gegenüber nicht so furchtbar seien, sondern sich so verhalten, wie sie wünschen, daß man sich ihnen gegenüber verhal­te, so wird es erträglich sein. Schreiben Sie aber auf Ihre Fahne «Kampf», so werden Sie nichts erreichen. Lediglich durch Liebe, durch Vereinigung, durch den Zusammenklang aller unserer Seelen

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kann das Heil gefunden werden. Nur wenn wir wieder uns klar dar­über geworden sind, daß wir alle seelisch-geistige Wesen sind, und daß unsere Seele und unser Geist Funken des Urfeuers sind und wir berufen sind, uns zu vereinigen in diesem Urfeuer, dann werden wir zum Heil unserer Zukunft wirken. Dann werden wir hinüberleben in die Zeit, in die wir hinüberleben müssen, die wir aber auch gestal­ten müssen. Und das wird abhängen von der Arbeit an unserer eige­nen Seele.

Viele verlangen von den Menschen, sie sollen anders werden: Die­se Klasse, jener Stand und so weiter soll anders werden. Und man kämpft dafür. Wer aber kann Gewähr dafür geben, daß ein solcher Kampf jemals gelingen wird? Eines aber muß gelingen: Niemals können wir fehlgehen, wenn wir unser eigenes Innere verbessern, wenn wir ein jeder beim eigenen Innern zu reformieren anfangen, wenn also ein jeglicher sich selbst besser macht. In diesem Streben kann es keinen Unterschied von Klasse, Rasse, Stand und Ge-schlecht geben. Und das ist der Sinn der theosophischen Bewegung, der sie zu einer großen Bewegung der Zukunft macht. Das haben uns die erhabenen Wesen gelehrt, die zu uns in den Tönen gespro­chen haben, die zukunftsverheißend sind.

Viele sind zur theosophischen Bewegung gekommen und fragen:

Ihr sagt uns, daß sogenannte «Meister» an der Spitze der Bewegung stehen; aber wir sehen diese Meister nicht. - Nun, das ist nicht zu verwundern. Glauben Sie nicht, daß es in dem Willen der Meister liegt, nicht selbst unter Sie zu treten und zu Ihnen zu sprechen. Könnten sie es, dürften sie es: ein jeglicher würde es tun. Aber ich möchte Ihnen nur einen kleinen Begriff davon geben, warum der Meister abgeschieden sein muß von denjenigen, die er liebt, und weswegen er sich Boten suchen muß, die mit ihrem physischen Wort sein Wort verkünden.

Die Gesetze, nach denen die Welt und die Menschheit gelenkt werden, sind unendlich erhaben über das, was sich der Durch­schnittsmensch von heute denken kann. Nur derjenige, der einzig und allein im Dienste dieser erhabenen Weltengesetze wirkt - nach-dem er sie erkannt hat -, kann die Menschheit in seelischer und geistiger

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Beziehung lenken. Die Meister durchschauen nicht nur Jahre, sondern Jahrhunderte und Jahrtausende. Sie sehen in ferne Zeiten der Zukunft. Die Lehren, die sie geben, sind diejenigen, die der Menschheit zum Antrieb dienen sollen, um sie weiter zu bringen. Nicht müßige Lehren für die Neugier geben die Meister, sondern Lehren der großen Menschenliebe, die in Zukunft das Glück der Menschheit herbeiführen.

Sehen Sie sich die Menschen an, wie sie leben, wie sie abhängig sind von tausend Kleinigkeiten des Tages. Und ich will nicht einmal auf die tausend Kleinigkeiten des Tages verweisen, sondern nur darä auf, wie sie abhängig sind von Raum und Zeit, wie sie es schwer ha­ben, über sich hinauszukommen, ein freies Urteil zu gewinnen, sich zu gestehen, was zur Förderung der Mitmenschen notwendig ist. Abertausend und Millionen Rücksichten, an die der Mensch stünd­lich gebunden ist, machen es ihm unmöglich, ein freies, unabhängi­ges Urteil zu gewinnen. Aber wenn man nur der innersten Stimme des göttlichen Inneren folgen kann, dann ist man berufen, Men­schen zu führen, zu leiten, zu lenken. Das kann der Meister.

Die Wenigsten können sich eine Vorstellung machen von der Größe der durch keine Rücksicht gebundenen Freiheit des Urteils, das der Meister auszusprechen hat. Nur in schwachem Strahl, in ver­dunkeltem Abglanz können wir das auf dem physischen Gebiete aussprechen, was die Meister aussprechen auf ihrem erhabenen Sit­ze. Rücksicht muß genommen werden auf Land, Kultur und Bil­dung. Nur in gebrochenem Strahle kann dasjenige zur Menschheit kommen, was der göttliche Führer vermitteln kann als das große Weltengesetz. Nur derjenige, welcher imstande ist, dem Meister zu­zuhören, so daß sich nicht der geringste Widerspruch im Herzen regt, daß er nicht Rücksicht nimmt auf Zeit und Raum, sondern restlos das Ohr dem Meister widmet in vollkommener devotioneller Hingabe, der nicht auf alles antwortet mit «ja und aber», sondern weiß, daß der Meister aus dem Göttlichen heraus spricht, nur der ist berufen, den Meister zu hören.

Ein jeder muß da Verstummen gegenüber den göttlichen Wahr­heiten. Aufhören muß das, was heute am verbreitetsten ist: das Pochen

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auf das eigene Urteil. Der Meister zwingt uns nicht sein Urteil auf, nur anregen will er uns. Solange wir Kritik üben, sind wir ab­hängig von Zeit und Raum, und solange kann auch die Stimme des Meisters nicht an unser Ohr dringen. Wenn wir jene Rücksichtslo­sigkeit uns erwerben gegenüber allem, was uns an das Persönliche, an das Vorübergehende, an das Verschwindende bindet, wenn wir diese Rücksichten hinter uns lassen, uns gleichsam Feieraugenblicke des Lebens schaffen, uns herausreißen, loslösen von dem, was um uns herum lebt und nur der inneren Stimme lauschen, dann sind die Augenblicke da, in denen der Meister zu uns sprechen kann.

Diejenigen, die sich jene große Freiheit errungen haben, haben sich auch die Möglichkeit errungen, selbst einen Meister zu haben; sie haben es dahin gebracht, die Gewißheit zu haben, daß sie existie­ren in der von Licht umfiossenen Glorie dieser hohen Wesenheiten. Abgewöhnt haben sie sich das «Prüfet alles und das Beste behaltet», denn das müssen sich diejenigen abgewöhnen, die an den Meister herantreten wollen. Damit stellt man Grundsätze auf über Dinge, die man wahrhaftig schon weiß. Will man aber lernen, dann hört dieser Grundsatz auf. Wer soll entscheiden darüber, was das Beste ist? Diejenigen, die es erkannt haben oder die, die es nicht erkannt haben? Nicht urteilslos, nicht kritiklos sollen wir aber werden, son­dern uns in eine wahrhaft unabhängige Stimmung versetzen kön­nen, wenn wir zu diesen erhabenen Höhen hinaufsteigen wollen. Das ist vor allen Dingen etwas, was den Theosophen als ein Gefühl durchströmen muß. Und wenn er sich immer mehr und mehr mit diesem Gefühle durchdringt, dann wird er selbst hinaufgeführt wer­den zu den Höhen, wo der Meister zu ihm sprechen kann.

Fragen Sie nicht: Warum sind die Meister an abgesonderten Or­ten? Wahr ist es, daß in Petersburg, Berlin und London sich die Mei­ster aufhalten und zu sprechen sind für die, die sie sprechen wollen und können; für die, welche die notwendige Stimmung durch innere Selbstüberwindung errungen haben. Durchdringt sich der Theo­soph mit dieser Stimmung, dann wird er Mitglied desjenigen Teiles der Menschheit, der hinaufgeführt wird zu einem neuen, erhöhten Dasein. Und deshalb ist die theosophische Bewegung auch die praktischste

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Bewegung, die wir in der Gegenwart haben können. Viele wenden ja ein, sie sei idealistisch, phantastisch, sie sei etwas Unprak­tisches. Aber ein kleines Nachdenken schon kann Sie lehren, daß diese Bewegung nicht etwas Unpraktisches zu sein braucht, nur weil sie viele praktische Menschen - das heißt, Menschen, die sich so nen­nen - als unpraktisch betrachten. Sehen Sie sich aber einmal die Menschen an, die sich so praktisch finden. Es ist ein eigen Ding mit solchen Menschen, die sich selber so praktisch gefunden haben. Ei­nige Beispiele von dem, was die Praktiker in der Welt des 19. Jahr­hunderts getan haben, mögen das zeigen.

Die Praktiker haben zum Beispiel bis in die Mitte des 19. Jahr­hunderts hinein ein höchst unpraktisches Postwesen gehabt. Damals haben die Praktiker, ebenso wie heute, auf ihre Praktik gepocht. Dann aber kam ein Schullehrer in England, der die Postmarke er­fand. Es war ein «unpraktischer» Idealist namens Hill. An der Spitze des englischen Postwesens stand ein «Praktiker» namens Lefield. Der erklärte im Parlament, daß aus der Einführung der Briefmarke nichts werden könne, der «Praktiker» wisse, daß das nicht geht. Der Verkehr könnte ja zunehmen, aber dann würden die Posthäuser nicht mehr ausreichen, folglich ist die Sache schlecht. - Das war unge­fähr die Antwort aufeine solch «unpraktische» Erfindung wie die der Briefmarke. Ebenso hatte Gauß schon im ersten Drittel des 19. Jahr­hunderts einen elektromagnetischen Telegraphen erfunden. Einge­führt wurde er nicht. Es waren die Idealisten, welche die Erfindungen gemacht haben und die Praktiker haben die Geldmittel verweigert. Ebenso war es mit der Eisenbahn. Was haben die Praktiker getan, als die Eisenbahn eingerichtet werden sollte? Der Berliner Postmeister Nagler sagte damals: Wozu eine Eisenbahn? Ich lasse schon täglich 16 Omnibusse nach Potsdam gehen und niemand sitzt darinnen. Was soll es also mit der Eisenbahn? Dazu kam noch die Stellungnahme des bayrischen Medizinalkollegiums über den Bau der Eisenbahnen. Die Urkunde kann heute noch eingesehen werden. 1)

1) Siehe R. Hagen «Die erste deutsche Eisenbahn», 1885 (S. 45), sowie Friedrich Harkof «Eisenbahnen» in der Zeitschrift »Herrmann», Nr.26, 1835.

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Sie meinten, man solle keine Eisenbahnen bauen, denn die Leute würden, wenn sie damit führen, Gehirnerschütterung bekommen; mindestens müßte man die Eisenbahnstrecke zu beiden Seiten mit Bretterzäunen umgeben, damit nicht diejenigen Leute, an denen sie vorüberfährt, Gehirnerschütterung bekommen oder sonst Schaden nehmen.

Alle großen Errungenschaften der Menschheit sind niemals aus den Köpfen derer entsprungen, die sich Praktiker dünken. Die Prak­tiker haben kein Urteil über den wahren Menschheitsfortschritt. Erst wenn der Mensch sich aufschwingt zu den großen kulturbewe­genden Faktoren, die aus dem Geist und der Seele kommen, erst wenn er unter geistiger Führung steht, kann er der Menschheit die großen Impulse geben. Unbewußt waren diese Erfinder beeinflußt von den Meistern. Ohne daß der Chemiker im Laboratorium oder in der Fabrik es weiß, ist er von der geistigen Hierarchie der Meister beeinflußt, die wir noch genauer kennenlernen sollen durch die theo­sophische Bewegung.

Die theosophische Bewegung wird in die unmittelbare Bewegung des Tages eingreifen, wird nicht nur in den Gehirnen und Herzen le­ben. Ja, in den Herzen wird sie leben, aber bis in die Fingerspitzen wird sie die Menschen beseelen und das ganze Leben umgestalten. Dann wird sie die praktischste Bewegung sein, die unmittelbar auf dasjenige einwirkt, was stündlich, ja in jeder Minute uns umgibt. Das sagt nicht derjenige, der in Fanatismus die Bewegung predigen will, sondern derjenige, der dazu berufen ist. Man ist durch viele Irr­tümer hindurchgegangen; man hat in der Welt die Faktoren gesucht, die einen sozialen Fortschritt bringen, man hat aber erkannt, daß der Fortschritt in der Seele gesucht werden muß, daß der Fortschritt aus der Seele sprießen muß auch für das, was in die Tat umgesetzt wird. Wo dieses im Hintergrund steht, vereinigen wir uns in der richtigen Weise in der Theosophischen Gesellschaft.

Die Theosophische Gesellschaft ist nur das äußere Werkzeug für diejenigen, welche glauben, an der durch die theosophische Bewe­gung vorgeschriebenen Kulturbewegung teilnehmen zu müssen. Wenn die Meister gefragt werden, was zu tun ist, um mit ihnen in

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Berührung zu kommen, so antworten sie: Der Mensch findet An-schluß durch die Theosophische Gesellschaft; dadurch hat der Mensch die Anwartschaft in der Hand.

Bei der theosophischen Bewegung handelt es sich darum, daß die Lehren, die wir verbreiten, das Mittel sind, um das innere Leben im Menschen zu entzünden. Bei demjenigen, welcher zu den Mitmen­schen spricht, ist es nicht das Wort, welches wirkt, sondern das, was geheimnisvoll durch das Wort fließt. Es sind nicht nur die Schallwel­len, sondern es ist die spirituelle Kraft, die durch das Wort auf uns strömen soll. Durch diese spirituelle Kraft wirkt auf uns die Kraft der Meister, wirkt die Kraft der großen Führer auf uns ein, damit wir im Geiste vereinigt sind und unsere Herzen zusammenschlagen. Wenn sich von Herz zu Herz, von Seele zu Seele der Strom webt, so geht durch sie die Kraft der Meister, die hinter uns stehen. Das ist es, worauf es ankommt: auf die Gesinnung kommt es an.

Deshalb arbeiten wir in unseren Zweigen in solcher Gesinnung, deshalb lehren uns die Meister, daß wir nicht aus Neugierde uns Wissen aneignen sollen, nur um ständig mehr zu wissen, sondern da­mit wir uns vereinigen im Zusammenklang der Empfindungen. Des­halb werden wir von theosophischen Versammlungen niemals so weggehen, wie man von anderen Versammlungen weggeht.

Annie Besant hat es einmal ausgesprochen, daß es nicht am Platz ist, zu klagen: Wie wenig habe ich heute wieder von dieser Ver­sammlung gehabt! - Darauf kommt es nicht an. Der Theosoph soll nicht fragen, wie langweilig war es, sondern wir sollen fragen: Wie langweilig war ich? Wir kommen nicht zusammen, um zu lernen, sondern wir arbeiten mit der Seele, mit dem Geist, wenn wir Gedan­kenformen schaffen, die zusammenstimmen. Jede theosophische Versammlung, jeder Zweig soll ein Akkumulator von Kraft sein. Ein jeder solcher Zweig wirkt auf die Umgebung des Ortes. Die spi­rituelle Kraft braucht keinen, der das Wort hinausträgt. Die Kraft ei­nes solchen Zweiges geht durch geheimnisvolle Wellen hinaus in al­le Welt. Wer glaubt, daß es ein Spirituelles gibt, wird wissen, daß ei­ne mächtige Bewegung von solchen theosophischen Logen ausgeht. Jede theosophische Loge ist ein unsichtbares, manchem unfaßbares

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Wirken. Da lehrt zum Beispiel irgendwo ein Prediger; ein Lehrer lehrt irgendwoanders. Und obwohl sie in keiner Verbindung waren mit einer theosophischen Loge, finden sie doch spirituelle Worte. Chemiker und Physiker im Laboratorium empfangen neue Ideen: es ist eine Wirkung der theosophischen Vereinigung.

Nur wer die angegebene Gesinnung hat, wer hegt und pflegt, was er an Liebe und Güte besitzt und auch dann erscheint, wenn es kei­nen interessanten Redner zu hören gibt, weil er weiß, daß Wirkun­gen auch da sind, wo sie nicht materiell sichtbar sind, der ist ein rechter Theosoph. Weil manches in der theosophischen Bewegung ins Stocken geraten ist, haben die Meister uns den Impuls gegeben, so zu sprechen, wie ich jetzt zu Ihnen gesprochen habe. So wurde neulich auch in England, Amerika und Indien im Auftrage der Mei­ster auf die wahre spirituelle Gesinnung einer theosophischen Loge aufmerksam gemacht. Leadbeater spricht so in Amerika, Annie Be­sant in London und in Indien, und so müssen wir sprechen. Nicht darum handelt es sich, ob wir den einen mehr oder weniger gern ha­ben nach unseren persönlichen Begriffen, sondern daß wir selbstlos zusammenkommen. Dann nehmen wir nicht nur, sondern wir ge­ben auch. Wir geben auch dann vor allen Dingen, wenn wir unsere Seele geben. Und das ist die beste Gabe. In diesem Sinne wollen wir uns vereinigen auch in unserem Zweige. Immer mehr und mehr müssen die theosophischen Zweige diese Gestalt annehmen, daß je­de Kritik, jedes Besserwissen schweigen muß, daß wir möglichst in positiver Arbeit wirken, daß wir in unserer Seele wirken, wie es an­gegeben worden ist.

Wenn wir überzeugt sein können, daß die Wirkungen nicht äußer­lich sichtbare, sondern unsichtbare sind, so wird durch unsere Ge­sinnung die theosophische Bewegung zu dem werden, was sie sein soll. In der Stille haben alle großen spirituellen Bewegungen gewirkt. Von Jesus Christus sind keine zeitgenössischen Mitteilungen über­liefert worden. Philo von Alexandrien hat uns keine Kunde gebracht von dem Meister. Erst spätere Urkunden zeugen uns von dem Mei­ster. Auch der Meister der christlichen Religion war nur den Gro­ßen und Treuen in seiner wahren Gestalt bekannt. Darin liegt seine

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Stärke und seine gewaltig große Wirkung, die noch lange nicht er­schöpft ist, und die noch in weite Zukunft hinaus wirken wird.

Verstehen Sie es, an das Spirituelle der Worte zu glauben, das sich nicht in äußeren Erfolgen kundgeben muß, dann verstehen Sie den ernsten Sinn der theosophischen Bewegung. Lassen Sie uns dies wahrhaft beherzigen im Beginne eines neuen Jahres, lassen Sie uns zusammenströmen in diesem Sinne, und möge aus jeder einzelnen Seele dieser Neujahrsgruß fließen, daß wir im Sinne unserer erhabe­nen Meister, die über uns stehen, unsere theosophische Arbeit tun werden.

URSPRUNGSIMPULSE DER THEOSOPHISCHEN BEWEGUNG - DIE BRUDERSCHAFTSIDEE Berlin, 29. Januar 1906

#G264-1984-SE373 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

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URSPRUNGSIMPULSE DER THEOSOPHISCHEN

BEWEGUNG - DIE BRUDERSCHAFTSIDEE

Berlin, 29. Januar 1906

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Es zeigt sich immer wieder, wie schwer es unseren Zeitgenossen ist, theosophisches Leben zu verstehen. Deshalb seien einige Gedanken im allgemeinen darüber ausgesprochen. Theosophie ist etwas, von dem sich jeder, der sich zu ihr hingezogen fühlt, die Vorstellung macht, daß sie in bezug auf das geistige Leben seine tiefste Sehnsucht befriedigen müsse. Wollen wir uns aber die theosophische Grund-idee, wie sie in der Gegenwart richtig ist, vor die Seele halten, unser ganzes Bewußtsein erfüllen mit dem Gedanken, daß das Geistige et­was Wirkliches ist, dann müssen wir es endlich dazu bringen, daß wir die Würde der Person unseres Nächsten anerkennen. Das Per­sönliche lassen wir gelten, denn wir würden es uns als Mensch, der eine empfindende Seele im Leibe hat, nicht gestatten, das äußere Per­sönliche unseres Mitmenschen in absichtlicher Weise zu verletzen, wir würden es uns nicht gestatten, ihn anzugreifen in seiner persön­lichen Freiheit. Aber so weit sind wir noch nicht, noch lange nicht, daß wir diese Toleranz ausdehnen auf das Allerinnerste des Men­schen, weil wir noch lange nicht - höchstens theoretisch, aber noch nicht praktisch - wissen, daß Empfindung und Gedanke, das Geistige überhaupt, ein Wirkliches ist. Das ist Ihnen allen doch klar. Und auch das ist heute schon allen Menschen klar, daß es etwas höchst Wirkliches, höchst Reales ist, wenn ich jemandem mit meiner Hand einen Schlag versetze. Aber nicht so leicht glauben die Menschen, daß es etwas Wirkliches ist, wenn ich jemandem einen schlechten Gedanken zusende. Das müssen wir uns bewußt machen, daß der schlechte Gedanke, mit dem ich meinem Mitmenschen entgegen. trete, der Gedanke der Antipathie, des Hasses, für seine Seele eben-so ist wie ein Schlag für das Gesicht des Menschen. Und eine ab­trägliche Empfindung, eine Empfindung des Hasses und der Unliebe, mit der ich dem Mitmenschen gegenüberstehe, sie sind wirklich wie die gewöhnliche äußere Verletzung, die man einem Menschen

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zufügt. Erst wenn man sich dessen bewußt ist, wird man Theosoph.

Durchdringen wir uns ganz mit diesem Bewußtsein, sind wir uns klar darüber, daß der Geist in uns selbst eine Wirklichkeit ist, dann haben wir den theosophischen Gedanken erfaßt, und dann folgt für uns etwas, was die eigentliche Konsequenz, die wichtige Folge einer solchen geistigen Auffassung ist. Zunächst werden sich die Men­schen einer gebildeten Gesellschaft nicht schlagen, sie werden sich nicht äußerliche Verletzungen zufügen. Aber mit welchen Gedan­ken, mit welchen Meinungen die Menschen unserer gebildeten Ge­sellschaft nebeneinander sitzen, davon brauche ich Ihnen nicht zu erzählen. Sie wissen es. Die Theosophische Gesellschaft hat die Auf­gabe, Sympathie und Unverletzlichkeit der Person zum Bewußtsein zu bringen. Wenn in unserer Zeit, wo es den Leuten vorzugsweise darauf ankommt, Meinungen, Ansichten zu haben, sieben Mitmen­schen zusammensitzen, dann haben sie dreizehn Meinungen, und infolge der dreizehn Meinungen wollen sie sich am liebsten in drei­zehn Parteien spalten. Das ist die Folge der Meinungsverschieden­heit, und an die Stelle dieser Meinungsverschiedenheit hat die theo­sophische Bewegung im tiefsten Inneren die Bruderschaftsidee zu setzen. Wir begreifen die Theosophie, diese Bruderschaftsidee, erst dann vollständig, wenn wir imstande sind, zusammenzusitzen in ei­ner Bruderschaft bei der größtmöglichen Verschiedenheit der weite­ren Gedanken. Wir wollen nicht bloß die Person unseres Nächsten achten und schätzen und ihr so gegenübertreten, daß wir sie in ihrer vollsten Menschenwürde anerkennen, sondern wir wollen ins tiefste Jnnere der Seele hinein unseren Mitbruder als Seele anerkennen. Dann müssen wir aber mit ihm zusammensitzen und zusammen-bleiben, auch wenn die größte Verschiedenheit der Meinungen vor­handen ist. Niemand darf wegen Meinungsverschiedenheit aus der theosophischen Gemeinschaft, aus der theosophischen Bruderschaft austreten. Das gerade ist der Vorzug der Theosophen, daß sie brü­derlich zusammenbleiben, auch wenn sie nicht einer Meinung sind. Ehe wir uns nicht brüderlich zusammenfinden, sind wir nicht in der Lage, einen theosophischen Grundgedanken durchzuführen. Dadurch

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wird es uns erst möglich, heraufzuholen aus den Seelen die tiefsten Geheimnisse, die in ihnen schlummern, die tiefsten Fähig­keiten, die wie schlafend auf dem Grunde unserer Seele leben, wenn wir uns klar darüber sind, daß wir zusammen wirken können mit unseren Mitmenschen, auch dann, wenn wir nicht so wirken, wie sie wirken.

Nicht umsonst ist, wie ich öfter gesagt habe, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Theosophische Gesellschaft begründet wor­den. Die Art und Weise, wie sie das Geistige sucht, unterscheidet sich doch wesentlich von anderen Bestrebungen, die ebenfalls an­streben, Beweise für die Unsterblichkeit des Menschen zu erlangen. Es ist eine große Verschiedenheit in dem Suchen nach dem Ewigen, wie es in der Theosophischen Gesellschaft gefunden wird, und dem Suchen nach dem Ewigen in anderen auf den Geist gerichteten Strö­mungen. In Wahrheit ist die theosophische Bewegung nichts ande­res als die populäre Ausgestaltung der die Welt im geheimen um­spannenden okkulten Bruderschaften der verflossenen Jahrtausende. Ich habe schon erwähnt, daß die hervorragendste, die größte Bru­derschaft Europas im 14. Jahrhundert begründet worden ist als die Rosenkreuzer-Bruderschaft. 1) Diese Rosenkreuzer-Bruderschaft ist eigentlich die Quelle, die Ausgangsstätte für alle sonstigen Bruder­schaften, welche die Kultur Europas erhalten hat. In diesen Bruder­schaften wurde streng geheim die okkulte Weisheit gepflegt. Wenn ich Ihnen charakterisieren soll, was die in diesen verschiedenen Bru­derschaften vereinigten Menschen erlangen wollten, so müßte ich Ihnen sagen: jene hohen und erhabenen Weisheitslehren und jene Weisheitsarbeit, welche in diesen okkulten Bruderschaften, von de­nen die Rosenkreuzer-Bruderschaft die hervorragendste war, ge­pflegt wurden. Die Lehren und Arbeiten, die da gepflegt wurden, brachten den Menschen dahin, daß er sich seines ewigen Wesensker­nes bewußt wurde. Sie brachten den Menschen dahin, daß er den Zusammenhang fand mit der höheren Welt, mit den Welten, die über uns liegen, und hinblickte zu der Führung unserer älteren Brüder,

1) Vortrag Berlin, 4. November 1904.

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zu der Führung derjenigen, die unter uns leben und die eine Stu­fe erlangt haben, die Sie alle zu einer späteren Zeit erlangen werden. Wir nennen jene die älteren Brüder aus dem Grunde, weil sie, vor­auseilend der allgemeinen Entwickelung, diesen hohen Standpunkt früher erlangt haben: also die Gewißheit des ewigen Wesenskernes, die Erweckung desselben, so daß der Mensch das Ewige erschauen kann wie der gewöhnliche Mensch die Sinnenwelt. Um dies zu er­reichen, muß er den älteren Brüdern, die überall unter uns leben, nacheifern. Diese älteren Brüder oder Meister, die großen Führer der Menschheit, sind selbst immer die obersten Leiter und obersten Vorsteher der okkulten erhabenen Weisheit gewesen, durch die der Mensch seines ewigen Wesenskernes bewußt wird. Diejenigen, wel­che sich in eine solche okkulte Bruderschaft aufnehmen lassen woll­ten, bis in die Mitte des verflossenen 19. Jahrhunderts, wurden strengen Prüfungen und Proben unterworfen. Nur derjenige konnte in einer solchen Bruderschaft Aufnahme finden, von dem man sich klar war, daß er durch seinen Charakter eine Garantie abgab, daß die hohe Weisheitslehre niemals zu niedrigen Zwecken mißbraucht werden kann. Ferner mußte er durch seine Intelligenz die Gewähr leisten, daß er das, was ihm in den okkulten Bruderschaften gegeben wurde, in der richtigen Weise und im richtigen Sinne verstand. Nur wenn jemand diese Bedingungen erfüllte, wenn er eine vollständige Garantie abgab, daß er in der Lage und in der notwendigen Stim­mung war, um die höchsten Lehren des Lebens entgegenzunehmen, konnte er in eine solche Bruderschaft aufgenommen werden.

So wenig die Menschen es auch glauben wollen: alles wirklich Große, was geschehen ist bis zur Französischen Revolution und bis ins 19. Jahrhundert hinein, ist von diesen okkulten Bruderschaften ausgegangen. Die Menschen wußten gar nicht, wie sie von den Strö­men, die von den okkulten Bruderschaften ausgingen, beeinflußt wurden. Soll ich Ihnen eine Szene schildern, wie diese Bruderschaf­ten auf okkulte Weise in der Welt wirkten? Nehmen wir folgende Szene. Ein hochbegabter, wichtiger Mann bekommt etwas unver­mittelt den Besuch eines scheinbar unbekannten Menschen. Dieser unbekannte Mensch weiß es dahin zu bringen, daß sich zwischen

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ihm und jener wichtigen Persönlichkeit, vielleicht einem Staats­mann, ein Gespräch entspinnt. Alles das auf die natürlichste Weise und ganz «zufällig», wobei zufällig unter Anführungszeichen zu set­zen ist. Das Gespräch enthält nicht bloß eine beliebige Sache, denn im Laufe des Gespräches werden Dinge gesagt, die sich ganz unver­merkt einleben in das Gemüt, in den Intellekt des Betreffenden, der besucht wird. Von einer solchen Unterredung, die vielleicht nur drei Stunden dauert, geht dann eine völlige Umwandlung des Betref­fenden vor sich. So sind - Sie mögen es glauben oder nicht - manche große, bedeutsam auf die Welt wirkende Ideen in die Gemüter hin­einverpflanzt worden. So sind in Voltaire die großen Ideen angeregt worden, ohne daß er vielleicht eine Ahnung davon hatte, wem er ge­genüberstand als einer scheinbar höchst unbedeutenden Erschei­nung, die ihm aber Wichtiges zu sagen hatte. So wurden in Rousseau einige so empfangene Grundgedanken niedergelegt; auch in Lessing.

Diese Art und Weise von Wirkungen, die von okkulten Bruder­schaften ausgingen, verlöschen im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr und mehr. Das 19. Jahrhundert war notwendigerweise das Jahrhundert des Materialismus. Die okkulten Bruderschaften hatten sich zurückgezogen. Die großen Meister der Weisheit und des Zu­sammenklanges der Empfindungen zogen sich, wie man das mit ei­nem technischen Ausdruck bezeichnet, nach dem Orient zurück. Sie hörten auf, auf das Abendland zu wirken. Nun geschah im Abendlande etwas ganz besonders Wichtiges. Halten wir uns das vor, um uns über die Bedeutung der theosophischen Weltbewegung klar zu werden.

Es war im Jahre 1841, da erkannten die, welche Mitglieder der verborgensten Gesellschaft waren, daß in Europa Wichtiges vor sich gehen sollte. Es war notwendig, um die Sturmflut des Materialismus einzudämmen, daß man einen Strom von geistigem Leben in die Menschheit hineinleitete. Damals war es, als zunächst unter den Ok­kultisten selbst eine gewisse Meinungsverschiedenheit sich geltend machte. Die einen sagten: Die Menschheit ist noch nicht reif, geisti­ge Tatsachen und Erfahrungen jetzt schon zu empfangen, wir wol­len das System des Schweigens einhalten. - Das waren die konservativen

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Okkultisten. Dieses System hat viel für sich, denn die Verbrei­tung okkulter Wahrheiten hat große Gefahren. Die anderen sagten:

Die Gefahr des Materialismus ist zu groß, es muß etwas dagegen ge­tan werden -, so daß wenigstens die elementarsten Dinge der Mensch­heit mitgeteilt werden. Aber - in welcher Form? Die Menschheit hatte vollständig verlernt, den Geist in der wahren Gestalt zu erfas­sen, verlernt, wirklich sich hinaufzuheben zu den höheren Welten, vollständig verlernt den Begriff davon, so daß es eine solche Welt überhaupt nicht mehr für sie gibt. Wie soll man einer solchen Menschheit, die nur einen Sinn für das Materielle hat, beibringen, daß es etwas Geistiges gibt? Warum war es so notwendig, der Menschheit ein Bewußtsein von der geistigen Welt beizubringen?

Da berühren wir eines der wichtigen Geheimnisse, die in unserer Gegenwart schlummern. Ich habe schon hier und da darauf hinge­wiesen, warum es eigentlich eine theosophische Bewegung gibt, wo­zu sie notwendig ist. Wer hineinschauen kann in die geistige Welt, der weiß, daß alles, was äußerlich materiell existiert, seinen geistigen Ursprung hat, aus dem Geistigen stammt. Es gibt nichts Stoffliches, das nicht aus dem Geistigen stammte. So kommt denn auch das, was die Menschen äußerlich als Gesundheit und Krankheit haben, von ihrer Gesinnung, von ihren Gedanken. Es ist durchaus wahr das Sprichwort: Was du heute denkst, das bist du morgen. - Sie müssen sich klar sein, daß, wenn ein Zeitalter schlechte, verdorbene Gedan­ken hat, die nächste Generation und das nächste Zeitalter dies phy­sisch zu büßen hat. Es ist die Wahrheit des Spruches: Es werden die Sünden der Väter im so und so vielten Gliede sich rächen. Nicht un­gestraft haben die Menschen des 19. Jahrhunderts angefangen, so derb materiell zu denken, so wegzuwenden ihren Verstand von jegli­chem Geistigen. Was dazumal die Menschen gedacht haben, das wird sich erfüllen. Und wir sind nicht so weit davon entfernt, daß merkwürdige Krankheiten und Epidemien in unserer Menschheit auftreten werden! Was wir Nervosität nennen, wird spätestens in ei­nem halben Jahrhundert schlimme Formen annehmen. So wie es einst Pest und Cholera und im Mittelalter Aussatz gegeben hat, so wird es Epidemien des Seelenlebens geben, Erkrankungen des Nervensystems

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in epidemischer Form. Das sind die wirklichen Folgen des Umstandes, daß es den Menschen an dem geistigen Lebenskern fehlt. Wo ein Bewußtsein von diesem Lebenskern als Mittelpunkt vorhanden ist, da wird der Mensch gesund unter dem Einfluß einer gesunden, einer wahren, weisen Weltanschauung. Aber der Materia­lismus leugnet die Seele, leugnet den Geist, höhlt den Menschen aus, weist ihn hin auf seine Peripherie, auf seinen Umkreis. Gesundheit gibt es nur, wenn des Menschen tiefinnerster Wesenskern geistig und wahr ist. Die wirkliche Krankheit, die auf die Aushöhlung des Inneren folgt, das ist die geistige Epidemie, vor der wir stehen.

Um den Menschen nun ein Bewußtsein von ihrem geistigen We­senskern zu geben, haben wir eine Theosophische Gesellschaft. Zur Gesundung der Menschheit ist sie vor allen Dingen berufen, und nicht dazu, daß der eine oder der andere dieses oder jenes weiß. Ob sie wissen, daß es Reinkarnation und Karma gibt - ich meine, ob Sie das bloß wissen -, darauf kommt es nicht an, sondern darauf, daß diese Gedanken ganz und gar zum Blut der Seele, zum geistigen We­senskern werden, denn sie sind gesund. Ob wir sie beweisen oder nicht beweisen, ob wir eine Wissenschaft begründen können, welche strikt in mathematischer Weise Reinkarnation und Karma darlegt, darauf kommt es nicht an. Es gibt nur einen Beweis für die geisteswis­senschaftlichen Lehren, und das ist das Leben. Die geisteswissenschaft­lichen Lehren werden sich als wahr erweisen, wenn ein gesundes Le­ben unter ihrem Einfluß entstehen wird. Dies wird der wahre Be-weis für die theosophischen Lehren sein. Wer einen Beweis für die Theosophie haben will, muß das Theosophische erleben; dann er­weist es sich als wahr. Jeder Schritt und jeder Tag muß uns nach und nach den Beweis für die geisteswissenschaftlichen Lehren bringen.

Aus diesem Grunde entstand also eine Theosophische Gesell­schaft. Aber wie soll man einer materialistischen Menschheit des 19. Jahrhunderts beibringen, daß es einen Geist gibt? Da entstand zu­nächst die spiritistische Bewegung. Sie entstand gerade deshalb, weil man nicht glaubte, der Menschheit beibringen zu können, daß es et­was Geistiges gibt; man mußte den Geist zeigen, mit Augen sehen. In Stuttgart fragte einer, warum die Theosophie nicht dazu kommen

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könne, Haeckel handgreiflich den Beweis zu liefern, daß es Geist gibt. 1) Sie sehen, handgreiflich soll man zeigen, was Geist ist! Das versuchte man zunächst durch den Spiritismus. Jahrzehntelang wurde es versucht, bis in die sechziger, siebziger Jahre hinein. Nun ergab sich aber doch eine sehr fatale Tatsache. Diese Tatsache wol­len wir uns einmal vor die Seele führen. Sie können daran ersehen, welches der Unterschied ist zwischen der theosophischen Art, sich in die höheren Welten zu erheben, und einer jeden anderen. Wir spre­chen hier nicht einen Augenblick über Wahrheit oder Unwahrheit der Erscheinungen des Spiritismus. Es ist klar, daß es Erscheinungen gibt, welche Wesenheiten aus anderen Welten in unsere Welt hin­einrufen, so daß auch für diejenigen, welche nur Sinnliches zugeben, ein tatsächlicher Beweis geschaffen werden kann. Über die Torheit sind wir hinaus, daß jemand sagt, es sei viel Schwindel im Spiritis­mus. Es gibt ja auch falsches Geld, es gibt aber auch richtiges Geld.

Über die Wahrheitsfrage wollen wir uns aber nicht weiter unter­halten. Was hat aber ein Mensch, der an einer spiritistischen Séance teilnahm, erfahren? Wir nehmen an - alles andere ist ausgeschlossen-, daß wir es mit wahren Offenbarungen zu tun haben. Wenn man ihm die Erscheinung eines Verstorbenen vorgeführt hat, so hat er ei­nen klaren Beweis von der Unsterblichkeit der Menschenseele er­langt. Er hat einen materiellen Beweis gehabt, er konnte sich über­zeugen, daß die Toten noch da sind in irgendeiner Welt und daß sie sogar hineingerufen werden können in unsere Welt. Aber daran zeigt es sich eben, daß es auf das Wissen nicht ankommt, daß das Wissen die Hauptsache nicht ausmacht. Nehmen wir einmal an, Sie alle würden auf diese Weise überzeugt, daß wir einen Verstorbenen durch eine spiritistische Séance hineinbringen in diese Gesellschaft. Sie wüßten dann, daß die menschliche Seele unsterblich ist. Nun ist aber die Frage diese: Hat ein solches Wissen eine wirkliche Bedeu­tung im höheren Sinne für das wahre höhere menschliche Leben? Das hat man zunächst geglaubt. Man hat geglaubt, man bringe die Leute eine Stufe höher, wenn sie wissen, daß es eine Unsterblichkeit

1) Rudolf Steiner war soeben von einer Vortragsreise zurückgekommen.

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gibt. Aber hier ist der Punkt, wo die geisteswissenschaftliche Welt-auffassung ganz bestimmt abweicht von einer solchen, die nur einen klaren, sichtbaren Beweis für die Unsterblichkeit liefert.

Hier eine Art Vergleich: Ich habe ja schon öfter erzählt von allen möglichen höheren Welten, ich habe geschildert, wie es ausschaut in der Astralwelt und wie im Devachan, und Sie wissen, daß der Mensch nach dem Tode zunächst in die Astralwelt und dann in die Devachanwelt einzutreten hat. Nehmen wir nun an, es könnten hier viele sitzen, die sagen: Was uns der erzählt, das können wir nicht glauben, das ist uns zu unwahrscheinlich! - Diejenigen, welche das nicht glauben, weggehen und nicht wiederkommen, würden ei­gentlich ganz allein ihre Meinung zu beweisen haben. Diejenigen aber, die, trotzdem sie das nicht glauben, wiederkommen, bei denen macht es nichts. Bei denen, die wiederkommen, würde ich sagen:

Glaubt mir gar nichts, ihr braucht nichts zu glauben, es kommt nicht darauf an! Ihr könnt es sogar für Schwindel halten, oder glau­ben, daß ich euch etwas erzähle, was aus einem möglichst phantasti­schen Reiche stammt - hört es aber an und nehmt es auf! - Das ist es, worauf es ankommt. Denken Sie sich, ich würde Ihnen die Karte von Kleinasien aufzeichnen. Da könnte einer kommen und erklä­ren: Was der da aufzeichnet an Flüssen und Gebirgen, das ist Un­sinn. - Da würde ich ihm sagen: Ich mache mir gar nichts daraus, daß du mir nichts glaubst. Nimm es aber auf, schaue es dir an und behalte es im Gedächtnis. Wenn du dann nach Kleinasien kommst, dann wirst du finden, daß es richtig ist, und du wirst dich dann aus­kennen. - Das ist die Hauptsache - auch beim Astronomen -, mit der Landkarte in der Hand in die höheren Gebiete zu gehen; das ist das Wesentliche, worauf es ankommt. So verhält es sich auch mit dem Wissen von einer höheren Welt: Wir können nur dann in diese höhere Welt hineinkommen, wenn wir etwas von der Natur dieser höheren Welt in uns aufnehmen. Wenn hier das Astrale geschildert wird, dann müssen Sie etwas aufnehmen von der Art und Weise je­ner schwingenden und bewegten Welt des Astralen, und wenn von Devachan die Rede ist, so müssen Sie etwas aufnehmen von der Ei­genart dieser, der unsrigen so entgegengesetzten Welt. Wenn Sie sich

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nur verbinden mit diesen Gedanken und sich hinaufleben in diese höheren Gebiete, dann werden Sie ein Gefühl bekommen von dem Zustande des Bewußtseins, den wir haben, wenn die astrale Welt um uns herum ist, von dem Zustande des Bewußtseins, wenn die deva­chanische Welt um uns herum ist. Wenn Sie nachleben die Zustän­de, welche der Seher hat, wenn er sich in diese Welten erhebt, dann haben Sie noch etwas anderes, als wenn Sie einen handgreiflichen Beweis davon haben, daß Sie irgend etwas erleben können. Das ist der Unterschied zwischen der geisteswissenschaftlichen Methode und allen anderen Arten, sich Gewißheit vom Geistigen zu verschaffen.

Durch die Theosophie versuchen wir uns hinaufzuheben in die höheren Welten, uns fähig zu machen, das Geistige unmittelbar zu empfinden, so daß wir in der physischen Welt schon einen Hauch der höheren Welten empfinden. Die spiritistische Anschauung, die ich vorhin geschildert habe, sucht die geistige Welt herunterzutra­gen in die physische, sie vor uns hinzustellen, wie wenn sie materiell wäre. Der Theosoph sucht die menschliche Welt hinaufzuheben in die geistige Sphäre. Der Spiritist sagt: Sollen mir die Geister bewie­sen werden, so müssen sie zu mir herunterkommen. Sie müssen mich sozusagen kitzeln, dann werden sie mir wahrnehmbar für den Tastsinn. - Der Theosoph geht zu ihnen hinauf, er sucht sich ihnen zu nähern; er sucht sich in der Seele so zu bilden, daß er das Geistige verstehen kann.

Sie können sich einen Begriff davon machen, wenn Sie einen ein­fachen Vergleich nehmen. Schon bei einigen höheren geistigen We­senheiten, die im Fleische inkarniert sind, ist es unter den jetzigen Umständen schwer, sich zu ihnen hinaufzuheben. Versetzen Sie sich einmal in die Lage, wenn der Christus Jesus heute in der Gegenwart erschiene! Was glauben Sie, wie viele es gäbe, welche ihn gelten lies­sen? Ich will gar nicht sagen, daß manche nach der Polizei laufen würden, wenn einer aufträte mit der Prätention, mit der einstmals der Christus Jesus aufgetreten ist. Es hängt aber davon ab, ob die Menschen reif dafür sind, das, was neben ihnen lebt, zu sehen.

Ein Vergleich: Eine Sängerin war zum Abendessen eingeladen, sie kam aber etwas zu spät. Jhr Stuhl stand leer zwischen zwei Herren.

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Der eine war Mendelssohn, der andere war ein Herr, den sie nicht kannte. Mit Mendelssohn unterhielt sie sich, der andere aber zur Linken war sehr artig, erwies ihr allerlei Höflichkeiten. Als das Es­sen zu Ende war, sagte sie zu Mendelssohn: Wer ist denn der dumme Kerl, der neben mir saß? - Das ist Hegel, der berühmte Philosoph -, antwortete Mendelssohn. Wenn sie vielleicht eingeladen worden wäre, um Hegel zu sehen, dann wäre sie wohl sicher hingegangen. So aber, da sie ahnungslos neben ihm saß, meinte sie, er wäre ein dummer Kerl.

So ist es auch bei den höheren Individualitäten. Die Persönlich­keiten, die [nicht] im Fleisch inkarniert sind, kann der Mensch nur erkennen, wenn er sich selbst entwickelt. Das ist es, was die Theo-sophie bewirkt: Sie will den Menschen entwickeln, umwandeln, und nicht von den Geistern verlangen, daß sie zu uns herabstei­gen. Will Christus Jesus der Christus Jesus sein, so muß er sich so zeigen, wie die Leute sich ihn vorstellen, wie nach ihrer Meinung ein großer Mann sein soll; er darf nicht als Dummkopf in Gesellschaft sitzen.

Sie sehen, es ist für unser heutiges Kulturbewußtsein eine Schwie­rigkeit vorhanden. Aber es kommt darauf an, daß das, was in der höheren Welt lebt, nicht zu uns heruntersteigen soll, sondern daß wir zu ihm hinaufsteigen. Wir sollen uns fähig machen, zu den hö­heren Welten hinaufzusteigen. Das gibt uns allein die Fähigkeit, wenn wir hier mit dem Tode abgehen, in einer würdigen Weise die höheren Welten zu erreichen. Derjenige kann sich wirklich in Klein­asien auskennen, der die Karte hat, die Karte, die aus dem Leben heraus gebildet ist. Wer hier die Dinge schon kennengelernt hat, die seiner dort warten, der tritt in eine bekannte Welt ein, der weiß, was es da gibt.

Das bloße Wissen, daß es eine solche Welt gibt, macht aber gar nicht so viel aus. Hier stehen wir am Rande eines großen Geheim­nisses und einer anderen Tatsache von großer Wichtigkeit, und aus dieser Tatsache heraus haben die europäischen und die amerikani­schen Okkultisten beschlossen, von der spiritistischen Taktik abzu­gehen und die theosophische Bewegung in die Wege zu leiten. Die

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große Okkultistenkonferenz, die damals in Wien abgehalten wurde, hat den wichtigen Anstoß zur Änderung der Taktik gegeben. 1)

Um die spiritistische Bewegung einzuleiten, war es notwendig, daß man bestimmte Prozeduren machte. Diese Prozeduren, die in den ge­bildeten Ländern gemacht wurden, waren von amerikanischen Ok­kultisten oder Logen ausgegangen. In diesen Logen beschloß man den spiritistischen Weg. Er bestand darin, daß man bestimmten Zirkeln die Möglichkeit bot, durch eine Art Galvanisation bestimmter Toter, handgreifliche Beweise für die Unsterblichkeit zu geben. Das heißt, es wurden auf dem astralen Plan zunächst die astralen Leichname be­stimmter Toter automatisiert und hineingeschickt in die spiritisti­schen Zirkel, in die physische Welt. Sie sollten die Unsterblichkeit be­weisen. Man kann nun fragen: Kommt es den Okkultisten der Erde zu, die Toten erscheinen zu lassen? - Gewiß, für den, welcher okkult arbeitet, gibt es die Grenze zwischen tot und lebendig nicht. Er kann die Verstorbenen aufsuchen in der astralen Welt und im Devachan. Wenn er will, so kann er auch wirklich - was ich ja erzählt habe - in spiritistischen Zirkeln den Beweis für die Unsterblichkeit führen. Die­se Tatsache bitte ich zu merken und zu beachten. Wer nicht bewandert ist in diesen Dingen, für den konnte es nicht ganz verständlich sein. Für die Okkultisten war es aber anders. Es zeigte sich, daß diese Art, sich von der Unsterblichkeit zu überzeugen, nicht nur wertlos, sondern in gewisser Beziehung außerordentlich schädlich war. Diese Art, ohne daß der Mensch besser wurde, einen handgreiflichen Beweis für die Unsterblichkeit in der Sinneswelt zu erhalten, war nicht allein wert­los, sondern sogar recht schädlich, und zwar aus folgenden Gründen.

Denken Sie sich, daß die Menschen, die auf diese Art den Beweis von der Unsterblichkeit erlangt haben, abkommen von der Sehn­sucht, in die geistige Welt hinaufzuleben; sie waren Materialisten auch in bezug auf die geistige Welt geworden. Ihrem Wissen nach waren sie Spiritualisten, ihren Denkgewohnheiten nach waren sie nichts weiter als Materialisten. Sie glaubten an eine geistige Welt, meinten aber, daß sie mit sinnlichen Mitteln gesehen werden solle

1) Niher ausgeführt im Vortrag Dornach, ii. Oktober 1915.

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und nicht mit geistigen. So erwies es sich, daß die, welche mit sol­chen materialistischen Denkgewohnheiten nach Kamaloka kamen, noch ungewohnter waren, die Dinge drüben zu erkennen, als die Materialisten. Die Materialisten glauben gewöhnlich in einer Traum-welt zu sein; das ist das Gewöhnliche, wenn man herüberkommt. Der Materialist glaubt zu träumen, und er glaubt jeden Moment, er müsse aufwachen. In Kamaloka sieht sich der Mensch: er träumt, er schläft, er will aufwachen.

Bei dem, der sich umständlich eine Überzeugung von der geisti­gen Welt verschafft hat, und der nun bemerkt, daß die geistige Welt doch ganz anders aussieht, ist es nicht bloß so, daß er sich in einer Traumwelt befindet, sondern der Unterschied zwischen dem, was er geglaubt hat, daß die geistige Welt sei, und dem, wie sie ihm jetzt er­scheint, wirkt auf ihn wie ein Bleigewicht. Und wenn die Menschen herüberkommen nach Kamaloka, wo sie ohnehin schon genug aus-zustehen haben, besonders wenn sie nicht die Befriedigung ihrer Lü­ste haben - wie zum Beispiel Feinschmecker, denen diese Befriedi­gung nur möglich ist, wenn sie ihre Zunge oder ihre Sinne haben, und die haben sie ja nicht mehr -, dann ist es ähnlich, wie wenn sie einen brennenden Durst hätten, oder wenn sie in einem kochenden Ofen wären. Das ist ein etwas anderes Gefühl als das Gefühl des brennenden Durstes, aber doch so ähnlich. Wenn Sie das alles be­denken, was der Mensch drüben zu erleben hat und was durchge­macht werden muß, so kann man es in die Worte zusammenfassen:

Er muß sich angewöhnen, ohne Körper leben zu können. - Das ist für den, der stark am Sinnlichen hängt, schwer. Für den, der sich aus dem Sinnlichen herausgerissen hat, ist es gar nicht so schwierig. Wer nichts getan hat, um seine Seele emporzubringen, nichts getan hat, um seine Seele höher zu entwickeln, der empfindet diesen Unter­schied zwischen dem, was geistig ist, und dem, was sinnlich ist, wie einen Gewichtsunterschied, wie ein Bleigewicht, das an ihm hängt. Es ist wirklich wie ein Gewichtsunterschied. Das Geistige bedingt eine ganz andere Art und Weise von Wahrnehmung als das Sinnli­che, und nun erwartet der Betreffende, daß das Geistige wieder ma­teriell und konkret sein soll; und dort in der geistigen Welt findet er,

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daß das Astrale ganz andersgeartet ist. Dann kommt ihm der Unter­schied wie ein Gewicht vor, das ihn wieder hineinzieht in die physi­sche Welt. Und das ist das schlimmste.

Aus diesem Grunde sind die eigentlichen Meister der Weisheit [und des Zusammenklanges der Empfindungen] abgekommen von jener Art und Weise, wie in den fünfziger, sechziger und Anfang der sie bzigerJahre die höhere Welt zur Gewißheit erhoben werden sollte. Die bisherige Art wurde aufgegeben und man entschied sich für den theosophischen Entwickelungsweg als Zugang zur geistigen Welt. Im wesentlichen führt er zurück auf zwei Grundtatsachen. Die eine ist diese, daß es im eminentesten Sinne notwendig ist, einen geistigen Kern zu bilden, um die Menschheit vor den geistigen Epidemien zu bewahren. Die andere ist die, ihr die Möglichkeit zu geben, sich in eine höhere Welt hineinzuleben, sich hinaufzuentwickeln, und nicht die höhere Welt zu sich herunterziehen zu wollen. Nicht die höhere Welt soll zu uns heruntergezerrt werden, sondern wir sollen in die höhere Welt hinaufgehoben werden. Dies im richtigen Sinne erfaßt, gibt eine Idee, eine Empfindung von der eigentlichen Aufgabe der theosophischen Bewegung. In diesem Sinne stellt uns die theosophi­sche Bewegung die Aufgabe, daß wir uns immer höher entwickeln sollen, um in die geistige Welt hineinzuwachsen. Dann, glaube ich, wird uns von selbst die Bruderschaftsidee im eminentesten Sinne zu­fließen. Wir werden dann nicht mehr auseinanderstreben. Nur so lange gehen die Menschen auseinander, als sie materialistisch auf die­sem physischen Plane ganz allein sein wollen. In Wahrheit sind wir nur getrennt, so lange wir auf dem physischen Plane sind. Sobald wir uns hinaufleben in die höhere Welt, merken wir schon die geisti­ge Bruderschaft; die geistige Einheit kommt uns zum Bewußtsein.

Ich habe diese geistige Bruderschaft öfter, wenigstens in Verstan­desideen, vor Sie hinzustellen versucht. Sie drückt sich so schön aus in den Worten: Das bist du. - Stellen wir sie uns einmal vor die See­le. Ich habe schon einmal gesagt: Wenn Sie meine Hand abhacken, sie ist in kurzer Zeit nicht mehr meine Hand. Sie kann nur meine Hand sein, wenn sie an meinem Organismus ist, sonst ist sie keine Hand mehr, sie verdorrt. Eine solche Hand sind Sie auch am Erdenorganismus.

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Denken Sie sich einige Meilen von der Erde erhoben:

Sie können da nicht als physischer Mensch leben, Sie hören auf als Mensch zu leben. Sie sind bloß ein Glied unserer Erde, wie meine Hand ein Glied meines Körpers ist. Die Illusion, daß Sie selbständi­ge Wesen sind, entsteht nur dadurch, daß Sie herumspazieren auf der Erde, während die Hand angewachsen ist. Das tut aber nichts. Goethe meinte etwas ganz Wirkliches, wenn er vom Erdgeist spricht. Er meint, daß die Erde eine Seele hat, deren Glieder wir sind. Er spricht von etwas Wirklichem, wenn er den Erdgeist [im «Faust»] sprechen läßt:

In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

So ist schon der physische Mensch ein Glied des Erdenorganismus und Teil eines Ganzen. Und nun bedenken Sie es geistig und seelisch:

da ist es genau so. Wie oft habe ich betont, daß die Menschheit nicht leben könnte, wenn sie sich nicht auf Grund der anderen Reiche weiter entwickelt hätte. Ebenso kann der höher entwickelte Mensch nicht sein ohne den niedriger entwickelten. Ein Geistiges kann nicht sein ohne diejenigen, die zurückgeblieben sind, wie ein Mensch nicht sein kann, ohne daß Tiere zurückgeblieben sind, wie ein Tier nicht ohne Pflanze, eine Pflanze nicht ohne Mineral sein kann. Am schönsten ist dies ausgedrückt im Johannes-Evangelium nach der Fußwaschung: Ich könnte nicht sein ohne euch... - Die Jünger sind eine Notwendigkeit für Jesus, sie sind sein Mutterboden. Das ist ei­ne große Wahrheit. Wenn Sie in eine Gerichtsstube hineinsehen - ein Richter sitzt am Richtertisch und fühlt sich erhaben über den Ange­klagten. Der Richter könnte aber auch nachdenken und sich sagen,

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daß er vielleicht in einem früheren Leben mit ihm zusammen war und seine Pflicht ihm gegenüber versäumt hat, weshalb der Ange-klagte so geworden ist. Wenn sein Karma vielleicht untersucht wür­de, so würde sich ergeben, daß der Richter eigentlich derjenige sein sollte, der auf der Anklagebank sitzt. Die ganze Menschheit ist ja ein Organismus. Reißen Sie eine einzelne Seele heraus, so kann sie nicht bestehen, sie verdorrt. Ein einheitliches Band schlingt sich um uns alle. Das wird uns klar werden, wenn wir versuchen, uns in diese hö­here Welt hineinzuleben, uns wirklich zu erheben und in uns den geistigen Wesenskern zu erleben. Wenn in uns ein geistiger Wesens-kern lebt, wird er uns zur Bruderschaft führen. Sie ist schon da auf den höheren Planen. Auf der Erde ist davon nur ein Abbild; ein Bild dessen, was auf den höheren Planen vorhanden ist, ist die Bruder­schaft auf unserer Erde. Wir verleugnen das, was schon in uns ist, wenn wir auf der Erde nicht die Bruderschaft unter uns pflegen.

Das ist die tiefere Bedeutung der Bruderschaftsidee. Daher müs­sen wir immer mehr und mehr versuchen, die theosophischen Ge­danken so zu verwirklichen, daß wir bis in die tiefste Seele hinein unseren Mitmenschen verstehen, daß wir bei der größten Verschie­denheit der Meinungen brüderlich miteinander weilen. Das ist die richtige Zusammengehörigkeit, die richtige Bruderschaft, wenn wir nicht verlangen, daß der andere sich mit uns deshalb vertragen soll, weil er dieselbe Meinung hat, sondern wenn wir jedem Menschen das Recht zugestehen, seine eigene Meinung zu haben. Dann wird in dem Zusammenwirken der Gipfel der Weisheit errungen werden. Das ist eine tiefere Auffassung unseres ersten theosophischen Grund­satzes. Fassen wir unsere Idee der Bruderschaft so, daß wir uns sa­gen: Wir gehören unter allen Umständen zusammen, und wenn je­mandes Meinungenauch noch so verschieden von den unseren sind -Meinungsverschiedenheiten können nie ein Grund sein, uns zu tren­nen. Erst dann verstehen wir uns ganz, wenn wir uns ganz gelten lassen. Freilich sind wir noch weit von dieser Auffassung der theoso­phischen Bruderschaft entfernt, und nicht früher kann sie wirken, bis in diesem Sinne, in diesem Stile der theosophische Gedanke Wurzel gefaßt hat.

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#TI

WELCHES SIND DIE GRÜNDE DAFÜR, DASS ES HEUTE

EINE THEOSOPHISCHE BEWEGUNG GIBT?

Leipzig, 25. April 1906

#TX

Es ist keine Zufälligkeit, daß es eine theosophische Bewegung gibt. Sie hängt mit der ganzen Entwickelung des 19. Jahrhunderts zusam­men, mit der Ausbreitung des Materialismus, die in den vierziger Jahren - ungefähr, auch etwas vor- und nachher - ausschlaggebend wurde. Schon in den vorangegangenen letzten vier Jahrhunderten bereitete sich der Materialismus vor. Um das zu verstehen, muß man sich einmal bis in das 5. und 6. Jahrhundert zurückversetzen. Man macht sich eine ganz falsche Vorstellung von den geistigen Zustän­den damaliger Zeiten. Es ist der größte Irrtum, anzunehmen, daß der Mensch damals so dachte wie heute. Zum Beispiel von den Ster­nen hatte man noch im 13., 14. und 15. Jahrhundert eine ganz ande­re Vorstellung. Jetzt sieht der Mensch auf ihnen nur Materielles. Im Mittelalter sah man in jedem Stern einen Geist. Nicht nur für den Ungelehrten, sondern auch für den Gebildeten war der Stern der Ausdruck für einen Geist. So war der ganze Himmelsraum vergei­stigt. Das ist ein großer Unterschied, ob man im Universum nur Körper oder auch Geistiges vermutet. Der damalige Mensch fühlte sich ganz geborgen in einem geistigen Weltenraum. Wir brauchen uns aber nicht nach dieser mittelalterlichen Anschauung zurückzu­sehnen.

Kopernikus eroberte den Weltenraum für eine materialistische Anschauung. Die Erforschung der physischen Welt stieg auf den Höhepunkt. Schleiden und andere entdeckten die Zelle. Eisenbah­nen und alles dergleichen förderten mächtig den Materialismus. Da fragten sich die großen Führer der Menschheit: Was tun? Auf wel­che Weise ist es den Menschen beizubringen, daß geistiges Leben vorhanden ist? - Es war nur Sinn für das Materielle vorhanden. Man sagte: Gibt es Geist, so soll er sich auch als Geist beweisen. - So wurde denn tatsächlich ein Versuch unternommen durch den her­einbrechenden Spiritismus. Da von den Eingeweihten immer Belehrung

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in der den Menschen verständlichen Weise versucht wird, wur­de angestrebt, Manifestationen, Offenbarungen aus der jenseitigen Welt hervorzubringen. Wir müssen nun zunächst einmal das Schicksal des Menschen nach dem Tode betrachten. Wenn der Mensch schläft, sind physischer Leib und Ätherleib vereinigt, der Astralleib schwebt über dem physischen Leib. Wenn der Mensch stirbt, trennt sich nicht nur der Astralleib vom physischen Leib, sondern Astralleib und Ätherleib gehen zusammen fort, der physi­sche Körper bleibt zurück. Astralleib und Ätherleib bleiben noch kurze Zeit vereint, es findet eine zwei bis drei Tage dauernde Le­bensrückschau statt. Dann trennen auch sie sich, der Ätherleib löst sich als Lebenskraft in der allgemeinen Lebenskraft auf, und der Astralleib kommt in den Zustand, den man Kamaloka nennt. Er ist entkörpert, hat aber noch die Gewohnheiten und Neigungen des physischen Leibes. Hier ein verdeutlichender Fall: Der Feinschmek­ker hat noch seine Gelüste. Das ist eine seelische Eigenschaft, eine Begierde. Den Gaumen hat er nicht mehr, aber die Gaumenbegierde bleibt ihm als brennendes Durstgefühl. Im Kamaloka findet die Ab-gewöhnung statt, denn die Begierde verzehrt sich schließlich, und dann wird auch der Astralleib abgelegt, soweit er Träger der Begier­den ist.

Nun gibt es eine Möglichkeit, solche abgelegten Astralleichname zu galvanisieren, sie hereinzurufen in die sinnliche Welt. Hierzu stellt ein Medium seinen Ätherleib zur Verfügung. Mit dessen Hilfe kommen sogenannte Materialisationen zustande. Das war die Me­thode, der materialistischen Menschheit zu zeigen, was übrigbleibt nach dem Tode, und die Eingeweihten hatten gehofft, dadurch die Menschen zu überzeugen.

Zwei Mißstände aber zeigten sich. Erstens wurden diejenigen, die durch den Spiritismus überzeugt wurden, nicht moralisch besser mit dieser Auffassung, blieben also ohne sittliche Hebung. Zweitens aber erwies sich diese Art von Anschauung oder Überzeugung sogar als ungünstig - nach dem Tod. Denn solchen, die sie hatten, wurde der Zustand im Kamaloka nicht leichter, sondern schwerer. Zu al­lem übrigen brachten sie nämlich noch das Verlangen mit, alles Geistige

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materiell durch die Sinne befriedigt zu sehen, weil eine jede der­artige Anschauung als Kamaloka-Eigenschaft auftritt. Es war eine drückende Schwere, die sich bleiern auf die Toten legte. Das war der Grund, daß die Eingeweihten sich sagten: So geht es nicht weiter. -Also irrten sich die Eingeweihten - wird man hier einwenden. Aber auch Eingeweihte müssen ihre Erfahrungen sammeln und erproben. Da beschloß man ziemlich einstimmig in der großen Gemeinschaft der Okkultisten, nachdem sich dieses äußere Mittel nicht bewährt hatte, einen andern Weg einzuschlagen, einen inneren, den theoso­phischen Weg. Was will dieser? Er will dasjenige, was im Menschen selbst als Geist lebt, kennenlernen. Dieser Geist ist das Ziel. Nun kann man den Geist nur kennenlernen, wenn man sich unbefangen hingibt. Man muß das Gemeinsame der Menschheit verstehen.

Als Parallelerscheinung des Materialismus hatte sich der Egois­mus entwickelt. Hier nur ein Beispiel: Bei allgemeinen Reiseunter­nehmungen gibt es eine besondere Bedingung zur Teilnahme: Alle religiösen Fragen sind als Gesprächsgegenstand ausgeschlossen. -Man fürchtet den Egoismus der Meinungen, denn wo sieben Men­schen beisammen sind, kann man sieben Meinungen finden. Man stellt also die Meinungen über die allgemeine Menschenliebe. Da aber fängt Brüderschaft erst an, wo Menschenliebe über den Mei­nungen steht.

Dazu ist die Theosophie da, um im Ausgleich der Meinungen die eine Wahrheit zu suchen. Die Menschen müssen wieder tolerant werden, nicht nur bis in die Persönlichkeit, sondern bis in die Indi­vidualität hinein. Tolerant heißt nicht nur duldsam sein, andere ge-währen lassen, sondern heißt hier, sich offen machen, ihre Eigenart zu verstehen. Theosophie soll also kein Dogma sein, sondern Äuße­rung der Liebe. Man muß den Menschenbrüdern helfen, also die Liebe über die Meinungen stellen, und das bringt den einheitlichen Geist in die Menschenentwickelung. Das ist das Praktische, was in der theosophischen Bewegung herausgebildet werden soll.

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#TI

DIE ADEPTENSCHULE DER VERGANGENHEIT

DIE MYSTERIEN DES GEISTES, DES SOHNES

UND DES VATERS

DIE MISSION DER THEOSOPHISCHEN BEWEGUNG

Düsseldorf, 7. März 19071)

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Die theosophische Bewegung ist nicht etwas, was durch den Willkür­akt eines einzelnen, dieses oder jenes Menschen, dieser oder jener Gesellschaft in unsere Zeit gekommen ist. Sie hängt mit der ganzen Entwickelung der Menschheit zusammen und ist als solche als einer der wichtigsten Kulturimpulse anzusehen (hereingebracht durch diejenigen, die die Entwickelung der Menschheit verstehen können). Wollen wir uns in diese Mission der theosophischen Bewegung hin­einfinden, so müssen wir uns in Vergangenheit und Zukunft der Menschheit hineinversetzen. Wie die einzelnen Menschen von da ab, wo sie zum ersten Male als Individualseelen aus dem Schoße der Gottheit herabgestiegen sind, eine Entwickelung durchgemacht ha­ben, so hat auch die ganze Menschheit eine Entwickelung durchge­macht.

Machen Sie sich einmal klar, welche Unterschiede, welche Verän­derungen und welche Entwickelung auf der Erdoberfläche im Laufe der Jahrtausende zu bemerken sind - wie gründlich sich da alles ver­ändert hat! Was wir gewohnt sind, «Menschheit» zu nennen, ist erst ein Ergebnis der sogenannten fünften Wurzelrasse. Dieser ging eine andere Menschheit voran, die vierte Wurzelrasse, deren Kontinent, die Atlantis, wir etwa zwischen dem heutigen Europa und Amerika zu suchen hätten. Diese Atlantis sah unsere Vorfahren in einer ganz anderen Gestalt. Dort herrschte eine ganz andere Kultur. Nicht verstandes- und gedankenausgebildet war der alte Atlantier, aber da­für mit feinen somnambul-hellseherischen Kräften ausgestattet. Lo­gik, kombinierender Verstand, Wissenschaft, Kunst, wie jetzt,

1) Text nach einer nicht vollumfänglichen Mitschrift von Alice Kinkel. Einfügungen in run­den Klammern nach einer anderen Mitschrift.

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gab es nicht im alten Atlantien, denn das Vorstellen, Denken und Fühlen der Menschen war dort ganz anders. So kombinieren, rech­nen, zählen, lesen hätte der Mensch damals nicht gekonnt wie heute. Aber gewisse somnambul-hellseherische geistige Kräfte lebten in ihm. Er konnte die Sprache der Natur verstehen, was Gott zu ihm sagte im Plätschern der Wellen, was der Donner rollt, was der Wald rauscht, was die feinen Gerüche der Blumen ausdrücken. Er ver­stand diese Sprache der Natur und war im Einklang mit der ganzen Natur. Nicht Gesetz, nicht Juristerei gab es damals, um den Nach­barn mit dem Nachbarn zu verständigen. Nein, da ging der Atlantier hinaus und horchte auf die Laute der Bäume, des Windes, und die sagten ihm, was er zu tun hatte.

Schön hat sich in der Volkssage, die nie etwas Zufälliges, Ausge­dachtes ist, das Andenken an die alte Atlantis, das Nibelheim, erhal­ten, zum Beispiel in dem Nibelungenlied. In dem Wort «Nibel» oder «Nifel» wird angedeutet, daß der Rhein und alle diese Flüsse zurück­gebliebene Wasser aus den Nebelmassen der alten Atlantis sind. Und die Weisheit, die von ihr zurückgeblieben ist, wird angedeutet als der Schatz, der in ihnen verborgen liegt. In diesem Kontinent zwi­schen Amerika und Europa haben wir auch die Pflanzschule der al­ten Adepten zu suchen, wo diejenigen sich aufhielten, welche geeig­net waren, Schüler der großen Individualitäten zu werden, die wir die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindun­gen nennen.

Die Stelle, wo sich diese Adeptenschule befand, deren Blütezeit in die vierte Unterrasse der alten Atlantis fällt, wäre in der Mitte des Atlantischen Ozeans zu suchen. Dort wurde der Schüler ganz an­ders gelehrt als heute. Ganz anders, gewaltig konnte da von Mensch zu Mensch durch die Kraft, die damals noch in den Worten lag, ge-wirkt werden. Was heute noch im Volke lebt, das ist ein feines Ge­fühl für die innere geistige, okkulte Kraft der Worte. Die jetzige Kraft der Worte können Sie absolut nicht vergleichen mit der dama­ligen. Das war etwas ganz Gewaltiges: das Wort schon erweckte Kräfte in der Seele des Schülers. Ein Mantram von heute hat lange nicht mehr die Kraft von damals, wo die Worte nicht so durchsetzt

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von Gedanken waren. Wenn diese Worte wirkten, gingen die See­lenkräfte des Schülers auf. Eine menschliche Initiation durch die Na­tur der Sprache von gewaltiger Wirkung konnte man das nennen. Eine deutliche Sprache wurde auch noch dort gesprochen durch das Abräuchern von Substanzen, das Verbrennen von Stoffen wie Weih­rauch und so weiter.

Es bestand dort ein viel unmittelbarerer Zusammenhang zwi­schen der Seele des Lehrers und derjenigen des Schülers. Und was als Schriftzeichen in der Adeptenschule der alten Atlantis existierte, das waren Nachbildungen von Naturvorgängen, die mit der Hand in die Luft gezeichnet wurden und die wirkten, auch nachwirkten auf den Geist der damaligen Bevölkerung. Sie weckten in der Seele Kräfte (Das wirkte mächtig auf den somnambulen Geist der damaligen Be­völkerung und regte die geistigen Seelenkräfte an).

So hat jede Rasse ihre Aufgabe in der Menschheitsentwickelung. Die Aufgabe der unsrigen, der fünften Haupt- oder Wurzelrasse be­steht darin, zu den vier Gliedern der menschlichen Wesenheit das hinzuzubringen, was man das Manasische nennt, das heißt, durch Begriffe und Ideen das Verständnis zu wecken. Jede Rasse hat ihre Aufgabe: diejenige der atlantischen war die Ausbildung des Ich. Un­sere, die fünfte Wurzelrasse, die nachatlantische Zeit, hat das Manas, das Geistselbst auszubilden.

Mit dem Untergang der Atlantis gingen aber deren Errungen­schaften nicht unter, sondern es wurde von all dem, was in der atlan­tischen Pflanzschule der Adepten vorhanden war, das Wesentlichste von einem kleinen Kern von Menschen mitgenommen. Diese kleine Masse zog unter der Führung (der gewaltigen Individualität) des Ma­nu (bis in die Mitte Asiens), in die Gegend der heutigen Wüste Gobi. Und diese kleine Schar bereitete nun Nachbildungen der früheren Kultur und Lehre vor, aber mehr im Verstandeshaften. Es waren die in Gedanken und Zeichen umgesetzten früheren geistigen Kräfte. Von dort, von diesem Zentrum zogen dann, wie Radien, wie Strah­lungen, die verschiedenen Kulturströmungen aus. Zunächst die wunderbare uralte vorvedische Kultur, die zum ersten Male die ein-strömende Weisheit in Gedanken umgesetzt hat.

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Die zweite der von der alten Adeptenschule ausgehenden Kultu­ren war die uralte persische Kultur. Die dritte war die chaldäisch­babylonische mit ihrer wundervollen Sternenweisheit, ihrem groß­artigen Priesterwissen. Als vierte erblühte die griechisch-lateinische Kultur mit ihrer persönlichen Färbung, und endlich als fünfte die unsrige. Der sechsten und siebenten leben wir entgegen. Damit habe ich Ihnen unsere Aufgabe in der Menschheitsentwickelung gekenn­zeichnet: in Gedanken umzusetzen, herunterzubringen bis auf den physischen Plan dasjenige, was bis jetzt an kosmischer Weisheit da war.

Wenn der alte Atlantier unter den ihm erklingenden Tönen hin-horchte auf den Zwischenton, dann hörte er den Namen dessen, was er als das Göttliche erkannt hatte: Tao. - In den ägyptischen Myste­rien haben Sie diesen Ton umgesetzt in Gedanken, in Schrift, in Zei­chen - in dem Tao-Zeichen, den Tao-Büchern. Alles, was Wissen, Schrift, Gedanke ist, kam erst in der nachatlantischen Zeit in die Welt. Früher hätte man das nie aufgeschrieben. Das Verständnis da­für wäre nicht dagewesen. Nun stehen wir in der Mitte der manasi­schen Entwickelung darinnen. Die Verstandeskultur, zugleich aber auch den Egoismus auf das Alleräußerste zu bringen, das besorgt un­sere Rasse. Man kann wohl sagen, wenn es auch grotesk klingt: Es gab niemals so viel Verstandeskraft in der Welt und so wenig inneres Schauvermögen wie in der Gegenwart. Der Gedanke ist am weite­sten entfernt von dem, was die innere Wesenheit der Dinge ist, weit weg vom inneren, spirituellen Schauen.

Wenn der atlantische Priester ein Zeichen in die Luft schrieb, so war die Wirkung in der Hauptsache das innere Seelenerlebnis des Schülers. In der vierten, der griechisch-lateinischen Epoche tritt das Persönliche mehr in den Vordergrund. In Griechenland entwickelt sich die persönliche Kunst. In Rom finden wir das Persönliche in der staatlichen Regulierung und so weiter. In unserer Zeit erleben wir den Egoismus, das trocken Persönliche, das trocken Verstandes­mäßige. Aber unsere Aufgabe besteht heute darin, das Okkulte im Manas, im reinsten Element des Gedankens zu erfassen. Das Erfas­sen des Spirituellen in diesem feinsten Destillat des Gehirns ist die eigentliche

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Mission unserer Zeit. Diesen Gedanken so kraftvoll zu machen, daß er etwas von okkulter Kraft hat, das ist die uns gestellte Aufgabe, um unseren Platz für die Zukunft ausfüllen zu können.

Durch mächtige Feuermassen ist das alte Lemurien, durch mäch­tige Wasserfluten das alte Atlantien zerstört worden. Auch unsere Kultur wird untergehen, und zwar durch den Krieg aller gegen alle:

das steht uns bevor. So wird unsere fünfte Wurzelrasse zugrunde ge­hen durch den aufs Höchste gesteigerten Egoismus. Zugleich wird sich aber eine kleine Gruppe von Menschen bilden, die von der Kraft des Gedankens aus die Kraft der Buddhi, des Lebensgeistes ent­wickelt, um sie dann mit hinüberzunehmen in die neue Kultur. Al­les Produktive im strebenden Menschen wird immer größer und größer werden, bis seine Persönlichkeit so hoch gekommen ist, daß sie den Gipfel der Freiheit erreicht hat. In unserer Zeit wird jede ein­zelne Individualität in sich finden müssen eine Art von führendem Geist im Inneren der Seele, die Buddhi, die Kraft des Lebensgeistes. Würden wir der Zukunft so entgegengehen, daß wir die Kulturim­pulse nur so aufnehmen könnten wie in früheren Zeiten, so würden wir einer Zersplitterung der Menschheit entgegengehen.

Was haben wir nun in der Gegenwart? Ein jeder will sein eigener Herr sein: der Egoismus, die Selbstsucht, ist auf die Spitze getrieben. Es kommt die Zeit, da überhaupt keine andere Autorität anerkannt werden wird als diejenige, welche die Menschen freiwillig anerken­nen, deren Macht auf dem freien Vertrauen basiert. Jene Mysterien, die auf der Macht des Geistes aufgebaut waren, nennt man die My­sterien des Geistes. Diejenigen, die in der Zukunft aufgebaut sein werden auf der Grundlage des Vertrauens, auf der Macht des Ver­trauens, nennt man die Mysterien des Vaters. Mit denen schließen wir unsere Kultur ab. Dieser neue Impuls der Macht des Vertrauens muß kommen, sonst gehen wir einer Zersplitterung entgegen, ei­nem allgemeinen Ich- und Egoismuskultus.

In den Zeiten der Mysterien des Geistes, die auf der allerdings be­rechtigten Macht, Autorität und Gewalt des Geistes gebaut waren, gab es einzelne große Weise. Sie waren im Besitz der Weisheit, und nur wer die harten Proben durchmachte, konnte durch sie eingeweiht

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werden. Nun gehen wir in der Zukunft den Mysterien des Va­ters entgegen und müssen immer mehr darauf hinarbeiten, daß jeder einzelne weise wird. Wird dies gegen den Egoismus und die Zersplit­terung helfen? - Ja! Denn nur, wenn die Menschen höchste Weisheit bekommen, in der sie nicht variieren können, in der es keine eigene Meinung, keinen Standpunkt der Persönlichkeit gibt, sondern nur eine Ansicht, können sie einig werden. Blieben die Menschen so, wie sie sonst verschieden sind, Standpunkte haben und so weiter, so würden sie sich immer wieder trennen. Die höchste Weisheit er­zeugt aber stets bei allen Menschen die gleiche Ansicht. Die wirkli­che Weisheit ist eine einzige, welche die Menschen wieder zusam­menbringt bei größtmöglichster Freiheit, ohne jegliche Zwangsau­torität. Wie die Mitglieder der großen weißen Bruderschaft immer in Harmonie miteinander und mit der Menschheit sind, so werden einst durch diese Weisheit die Menschen alle eins werden. Nur diese Weisheit wird die wahre Bruderschaftsidee begründen. Die Theoso­phie braucht daher sich keine andere Aufgabe zu stellen, als nur die Menschen dieser Idee zuzuführen, jetzt durch die Entfaltung des Geistselbstes und später des Lebensgeistes. Das Freiwerden des Men­schen, das wahre Weisewerden möglich zu machen, das ist das große Ziel der theosophischen Bewegung; diese Wahrheit und Weisheit einströmen zu lassen in die Menschen, das ist ihre Mission.

Man hat in der modernen Bewegung für Geisteswissenschaft mit der elementarsten Lehre angefangen. Es ist dabei viel Wichtiges ent­hüllt worden in den (dreißig> Jahren, die seit dem Beginn dieser Be­wegung verflossen sind, und noch Wichtigeres wird immer mehr zur Enthüllung kommen. Die Arbeit der theosophischen Bewegung ist also ein allmähliches Ausströmenlassen der Weisheit der großen weißen Bruderschaft, die in der Atlantis ihren Ursprung hat. Vorbe­reitet wurde solche Arbeit immer durch lange Zeiträume. So haben wir als Vorbereitung für das eine große Ereignis der einzigartigen Erscheinung des Christus Jesus das ganze Wirken der großen Reli­gionsstifter. Die Theosophie will die Testamentsvollstreckerin des Christentums sein. Und das wird sie sein. Werden einst die Vater-Mysterien erfüllt sein, das heißt wird die Buddhi-Entwickelung in jedem

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einzelnen Menschen vollendet sein, dann wird jeder seine tief­ste Wesenheit, Atma, den Geistesmenschen, in sich selbst finden. Vorbereitet wurde also die Erscheinung des Christus Jesus durch die Reihe der Religionsstifter, durch Zarathustra, Hermes, Moses, Or­pheus, Pythagoras. Alle ihre Lehren verfolgen das gleiche Ziel: die Weisheit in die Menschheit einfließen zu lassen, nur immer in der für das betreffende Volk gerade geeignetsten Form. So ist denn, was Christus gesagt hat, nicht das eigentlich Neue. Das Neue an der Erscheinung und Lehre des Christus Jesus ist, daß in dem Christus Jesus die Kraft war, all das zum Leben zu bringen, was vorher nur Lehre war.

Durch das Christentum ist der Menschheit die Kraft entstanden, daß bei größtmöglicher Individualisierung in der freiwilligen Aner­kennung der Autorität des Christus Jesus alle sich einigen, und daß durch den Glauben an ihn, sein Erscheinen, seine Göttlichkeit, die Menschen sich zu einem Bruderbunde zusammenschließen können. So stehen zwischen den Mysterien des Geistes und denjenigen des Vaters die Mysterien des Sohnes, deren Pflanzstätte die Schule des heiligen Paulus war, zu deren Leitung er den Dionysius A reopagita bestimmt hatte. Unter ihm hatte diese Schule ihre Blütezeit, denn Dionysius hat diese Mysterien in einer ganz besonderen Weise ge­lehrt, während Paulus die Lehre exoterisch ausbreitete.

Nun wollen wir noch von einer andern Seite eine Erklärung su­chen, um zu verstehen, was es heißt: es kommen die Mysterien des Vaters. Die Lehrer der alten atlantischen Adeptenschule waren noch keine Menschen, sondern höhere Wesen als die Menschen. Sie hat­ten auf früheren Planeten ihre Entwickelung vollendet. Und sie, die von alten planetarischen Entwickelungen her da waren, lehrten ei­ner auserlesenen kleinen Schar die Mysterien des Geistes. Jn den Mysterien des Sohnes trat bei besonderen Anlässen der Christus selbst in Person als Lehrer auf: also auch ein Lehrer, der nicht Mensch, sondern Gott war. Erst die, welche Lehrer werden in den Mysterien des Vaters, werden Menschen sein. Solche Menschen, die sich schneller als die übrige Menschheit entwickelt haben, werden dann die wahren Meister der Weisheit und des Zusammenklanges

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sein. Sie nennt man die Väter. Die Führung der Menschheit geht al­so bei den Vater-Mysterien über von Wesenheiten, die aus andern Welten herabgestiegen sind, in die Hände der Menschen selbst. Das ist das Bedeutsame.

Die Menschen dazu vorzubereiten, einen Kern für dieses Ziel zu bilden, sie vorzubereiten für eine gemeinsame Weisheit, für eine Au­torität, die nur auf Vertrauen gebaut ist, und das Verständnis dafür zunächst in einem kleinen Menschheitskern zu entwickeln: das ist die Aufgabe der Theosophie. Die Entwickelung der materiellen Kul­tur hatte im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht. Daher kam in dieser Zeit der Einschlag der Theosophie in die Welt. Mit ihr wurde geschaffen - und war da - der Gegenimpuls für den Materia­lismus, die Gegenrichtung nach der Spiritualität hin. Theosophie ist nichts Neues, die theosophische Bewegung ebensowenig, sie ist nur die Fortsetzung dessen, was da war. Der Materialismus, der Egois­mus bringen die Zersplitterung der Menschheit, der einzelne über­sieht nur seine Interessen. Die Weisheit muß die dadurch getrennten Menschen wieder zusammenbringen. In vollster Freiheit, durch kei­nerlei Zwang, werden die Menschen in der Weisheit zusammenge­führt. Das ist die Aufgabe der theosophischen Bewegung in unserer Zeit. Klar müssen wir uns dabei sein, daß wir uns im Konkreten die Weisheit anzueignen haben. Wir kennen alle das Beispiel des Ofens, dessen Aufgabe darin besteht, das Zimmer warm zu machen. Stellen wir dem Ofen seine Aufgabe in noch so beweglichen Worten vor und bitten wir ihn, das Zimmer warm zu machen, so wird er das nicht tun. Erst wenn wir ihn heizen, kann er seine Aufgabe erfüllen. So hat alle Rederei von Bruderschaft und Nächstenliebe kaum einen Wert. Nur die Erkenntnis rückt an das Ziel heran. Für jeden einzel­nen und für das allgemeine Menschentum ist der Weg zur Weisheit, zur Bruderschaft nur zu erreichen durch Erkenntnis.

Wir haben nun diesen Weg durch drei Mysterienarten hindurch verfolgt. Theosophie muß es dazu bringen, daß ein kleiner Mensch­heitskern Verständnis für das Gesagte hat, um in der sechsten Rasse das Verständnis dafür in der Masse zu wecken. Es ist dies die Aufga­be, welche die Theosophie zu erfüllen hat. Ein kleiner Teil der fünften

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Wurzelrasse wird die Entwickelung vorausnehmen, er wird Ma­nas spiritualisieren, das Geistselbst entfalten. Der große Teil aber wird den Gipfel der Selbstsucht erreichen. Jener Menschheitskern nun, der das Geistselbst entwickelt, wird der Same der sechsten Wurzelrasse sein, und die Vorgeschrittensten dieses Kernes, die aus der Menschheit hervorgegangenen Meister, wie wir sie nennen, wer­den dann die Menschheit führen. Nach diesem Ziel hin strebt die theosophische Bewegung für Geist-Erkenntnis.

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DIE MISSION DER THEOSOPHISCHEN BEWEGUNG

Bielefeld, 3. November 19081)

Vortrag zur Einweihung des Zweiges

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Es ist etwas anderes, ob ein gewöhnlicher Verein oder eine theoso­phische Loge gegründet wird.

In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts waren die Menschen am tiefsten in den Materialismus versunken. Damit sie nicht darin verkamen, mußte ein geistiger Impuls gegeben werden. Die Meister der weißen Loge machten einen Versuch, den Menschen den Glau­ben an den Geist und die Überzeugung vom Geist, der hinter der Materie steht, dadurch wiederzubringen, daß sie den Impuls zum Spiritismus gaben. Sie wollten den Menschen, die nur an das glaub­ten, was sie mit ihren Sinnen wahrnehmen konnten, auch den Geist sinnlich darstellen. Aber in zweifacher Weise schlug dieser Versuch fehl: erstens nutzten die Menschen die so erschienenen Geister zu egoistischen Zwecken aus, indem sie Nachricht haben wollten über alles mögliche, was ihren persönlichen Zwecken diente, und zwei­tens kamen sie doch nicht zu der Überzeugung des wirklichen über­sinnlichen Geistes. Sie sagten: Seht, man kann ja diese Geister auch sehen wie alles andere in der Welt, also gibt es nichts, was wir nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen können.

Dieser Versuch war also fehlgeschlagen. Man soll aber nicht ein­wenden: dann sind das keine großen Meister, wenn sie derartige Versuche machen, die fehlschlagen. - Man muß bedenken, daß die Menschen keine Automaten, keine Puppen sind, denen man vor­schreibt, was sie tun sollen, sondern es wird ihnen Gelegenheit gege­ben, die sie so oder so ausnützen können.

Am Ende der sechziger Jahre wurde ein neuer geistiger Impuls ge­geben. Was von da ab an Spiritismus geleistet worden ist, geht nicht mehr von den Meistern aus. Der Ausfluß dieses zweiten Impulses war die Gründung der Theosophischen Gesellschaft im Jahre 1875. Über die ganze Erde ist sie verbreitet.

1) Notizen. Der Nachschreiber iSt namentlich nicht bekannt.

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Und so soll auch jetzt hier ein Zentrum für geistiges Leben gebiü det werden, von dem ein geistiges Leben ausstrahlen soll. Nicht so notwendig ist es, daß man die theosophische Lehre nun möglichst vielen Menschen mitteilt, sondern viel wichtiger ist ein stets hinge­bungsvolles ernstes Arbeiten in der Loge in Harmonie, in gegenseiti­ger Hingabe und Zusammenschluß. Dadurch wird den Meistern der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen die Mög­lichkeit gegeben, ihre Kraft einfließen zu lassen in solch ein Zen­trum. Und die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen werden ihre Kraft einfließen lassen, werden teilneh­men an dem Leben der Loge, wenn diese in einer steten Weise hinge­bungsvoll und in Harmonie arbeitet.

Alle [Gebildeten] suchen Gesellschaften auf, seien es geographi­sche, anthropologische, philologische, philosophische und so wei­ter, weil man glaubt, daß alle Kulturerzeugnisse sich auf dem Wege der Gesellschaft ausbreiten müssen. Aber eines ist bei der theosophi­schen Bewegung anders. Wo Theosophen vereint sind, da wollen sie nicht alle durch gemeinschaftliche Wahrheiten, durch gemeinschaft­liche Überzeugungen, durch Dogmen verbunden sein, sondern sie wollen vereint sein in dem, wozu nicht der Verstand, der Intellekt, sondern das Herz, das begreifende und von Weisheit erfüllte Herz, das zugleich das liebende Herz ist, dringen kann. Die Theosophen wollen erfüllt sein von einem gemeinsamen Leben. In ihrer Seele soll, wenn sie vereinigt sind, dieses gemeinsame spirituelle Leben flu­ten. Und da, wo eine theosophische Loge ist, wo mehr oder weniger theosophische Persönlichkeiten der Gegenwart sich vereinigt ha­ben, da wollen sie einen Mittelpunkt bilden, indem sie diese Kraft der Seele und des Geistes sammeln, diese Kraft, von der dann nach allen Seiten das spirituelle Leben ausströmt.

Ein Mittelpunkt soll jede Versammlung, jeder Zweig in sich sein, und ausströmen soll davon etwas Unsichtbares. Nicht darauf kommt es an, was bei diesen Versammlungen der oder jener sagt, ob er etwas mehr oder weniger gelehrt ist, ob er dieses oder jenes ist, sondern darauf, ob diejenigen, die versammelt sind, von diesem rich­tigen spirituellen Leben erfüllt sind, das von ihrem Mittelpunkte

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ausströmt, damit die Menschheit der Gegenwart es immer mehr und niehr begreifen kann.

Nicht auf das, was ich hier sage, kommt es an, nicht auf meine Worte, sondern auf jeden Einzelnen von uns, die wir hier versam­melt sind. Das, was durch alle unsere Seelen zieht in den Augen­blicken, wo wir uns hier vereinigt haben, darauf kommt es an. Zu­fällig nur spricht der eine, zufällig nur kleidet der eine das, was zu sa­gen ist, in Worte. Vor den Blicken derer, die die theosophische Be­wegung leiten, ist dasjenige, was der eine sagt, nicht wichtiger als dasjenige, was durch die Seelen der anderen zieht. Worauf es an­kommt, das ist das spirituelle Leben, das in diesen Momenten in al­len Seelen erblühen soll und ausstrahlen soll in die übrige Welt, in die gegenwärtige Kulturmenschheit. Das ist dasjenige, was die wahre Lehre unserer Gesellschaft ist.

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WARUM WURDE BISHER DAS, WAS UNTER

THEOSOPHTSCHER BEWEGUNG ZU VERSTEHEN IST,

INNERHALB DER THEOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

VERTRETEN?

Berlin, 14. Dezember 1911 1)

Ansprache bei der Generalversammlung der deutschen Sektion

der Theosophischen Gesellschaft

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Sie haben sehr schöne Gedanken und Ideen aus dem Kreise der hier Versammelten gehört und gewisse Schwierigkeiten der theosophi­schen Bewegung kennengelernt. 2) Haben wir ja sogar hören müssen, daß es zahlreiche Menschen gibt, welche in dem Bestande der Gesell­schaft ein Hindernis für sich sehen, sich dieser Gesellschaft anzu­schließen, aber wohl auch außerdem finden, daß die Bewegung als solche vielleicht eher gehemmt als gefördert werde durch den Be­stand der gegenwärtigen Gesellschaft. Das sind gewichtige Gesichts­punkte, insbesondere für denjenigen, welchem die theosophische Befriedigung im Ernste und in der richtigen Art und Weise am Her­zen liegt.

Es könnte die Frage entstehen: Ja, Theosophie, wie wir sie auffas­sen, ist doch etwas Reales, das gewissermaßen in unserer neueren Zeit in die Menschheitsentwickelung eingeflossen ist, und das sich in dieser in den verschiedenen Ländern verbreiteten Theosophischen Gesellschaft, wie wir sie eben haben, ein Gefäß geschaffen habe; und wie steht es denn nun mit dieser Tatsache, daß dieses Gefäß doch hervorgegangen ist aus der Theosophie, und daß es eigentlich im ge­genwärtigen Momente nicht so recht zu dieser Bewegung paßt? Das ist eine Frage, die, wie ich glaube, viele von Ihnen berechtigt sind, gewissermaßen an mich selbst zu richten. Denn es könnte mancher sagen: Warum vertrittst du das, was du theosophische Bewegung nennst, innerhalb dieser Gesellschaft?

1) Wortlaut nach einer Mitschrift von unbekannter Hand, neu überprüft und ergänzt anhand der stenografischen Mitschrift von Bertha Reebstein-Lehmann.

2) Es waren Ausführungen von Baron A.C.Walleen vorausgegangen über seine Erfahrungen auf Vortragsreisen in Skandinavien und England. Aufzeichnungen hierüber liegen nicht vor.

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Ich kann, weil ich nicht sehr viel Zeit in Anspruch nehmen möchte, nicht im einzelnen auseinandersetzen, was jeder, wenn er die Tatsachen prüft, im Grunde genommen leicht bemerken kann, nämlich daß die Art und Weise der Verbreitung der Theosophie, wie sie von mir aus geschieht und wie sie Baron Walleen gemeint hat, eigentlich im Grunde genommen recht wenig zu tun hat mit dem, was wir Theosophische Gesellschaft nennen. Ein jeder könnte aus den Tatsachen der letzten Jahre dies ganz leicht selber herausle­sen. Denn was hängt denn von alldem, was geschehen ist und wo­von Baron Walleen gesprochen hat, zusammen mit dem, nun, sagen wir Zentralpunkte dessen, was man Theosophische Gesellschaft nennt?

Auch bei schärfster Untersuchung würde man recht wenig finden von dem, was aus der Theosophischen Gesellschaft für die Bewe­gung, die hier gemeint ist, herausgeflossen ist. Man kann diese Frage in gewissem Sinne nur historisch beantworten. Ich habe es für Ein­zelne schon getan und möchte hier auf einige Gesichtspunkte rein tat-sächlich hinweisen. Jeder kann aus diesen Tatsachen dann selbst ab­lesen, was er braucht zur Beurteilung der hier vorliegenden Fragen.

Das erste ist, daß ich hier in Berlin schon jene theosophischen Vorträge gehalten habe, die dann als kurzer Abriß erschienen sind in meiner «Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens»; ich habe theosophische Vorträge auch anderer Art in diesen oder je­nen Kreisen gehalten, auch - nach Aufforderung von Theosophen und Nicht-Theosophen - einen Teil jener Vorträge, welche zu dem Buch «Das Christentum als mystische Tatsache» geführt haben, oh­ne daß ich in die Theosophische Gesellschaft damals auch nur einge­schrieben gewesen wäre. Das heißt also: es hing für mich nichts da-von ab, in die Theosophische Gesellschaft eingeschrieben zu sein oder nicht, um Theosophie zu treiben, derart wie sie von mir aus ge-trieben werden sollte.

Dann wurde man bekannt mit dieser Tatsache, [daß ich nicht Mitglied der Theosophischen Gesellschaft war]. Und ich lernte da­mals eine Persönlichkeit kennen, welche seit jener Zeit verbunden geblieben ist mit dieser [von mir vertretenen] Art der theosophischen

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Bewegung, die aber viel eher als ich der Theosophischen Gesellschaft sich angeschlossen hatte: das ist Fräulein von Sivers. Und in der Zeit, als Fräulein von Sivers schon Mitglied war, ich selbst aber noch nicht, da fand einmal ein Gespräch zwischen uns statt, in welchem sie fragte, warum ich mich denn nicht der Gesellschaft anschließe. Und ich antwortete darauf in einer längeren Auseinandersetzung, die den Inhalt hatte: es werde mir immer unmöglich sein, einer Ge­sellschaft anzugehören, innerhalb welcher man eine solche Theoso­phie treibe, die in jenem Grade durchdrungen ist von unverstande­ner orientalischer Mystik, wie das bei der Theosophischen Gesell­schaft der Fall sei; denn mein Beruf wäre es, zu erkennen, daß es be­deutsamere okkulte Impulse gebe für unsere Gegenwart, und daß es unmöglich wäre bei dieser Erkenntnis, zuzugeben, daß von dieser orientalisierenden Mystik das Abendland etwas zu lernen habe. Es würde das, was ich zu vertreten habe, sich einer falschen Beurteilung aussetzen, wenn ich sagen würde: ich will Mitglied sein einer Gesell­schaft, welche zu ihrem Schibboleth orientalisierende Mystik hat. Das war der Inhalt jenes Gesprächs.

Dann ergab sich eine weitere Tatsache - und ich erzähle nur Tat­sachen und überlasse Ihnen das Urteil darüber. Ich habe jene Vorträ­ge gehalten über die «Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geistes­lebens», die bald darauf wesentlich verkürzt in Buchform erschienen sind. Dieses Buch erschien wiederum im Auszug in englischer Über­setzung in der damals erscheinenden Zeitschrift «Theosophical Re­view», welche von Mrs. Besant und Mr. Mead herausgegeben wurde. Der Auszug oder eigentlich das Referat über dieses Buch, das Mr. Keigthley damals gab, ist etwas anderes als die Übersetzung, die er jetzt [1911] besorgt hat. Dieses Faktum definiere ich so und habe es auch damals so definiert, daß damit die Tatsache gegeben war, daß die Theosophische Gesellschaft nichts von mir verlangt hat, nicht verlangt hat, daß ich etwas gemeinschaftlich haben sollte mit irgend­welchen Grundsätzen, Prinzipien, Dogmen, die vertreten werden sollten, sondern sie hat etwäs angenommen, was von außerhalb, von mir gegeben wurde. Es war also dasjenige freundlichst eingeladen, was man zu geben hatte.

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Dann ergaben sich weitere Tatsachen. Es wurde in Aussicht ge­nommen, eine deutsche Sektion zu begründen. Nun war ja durch das, was geschehen war, einfach in der Wirklichkeit eine Art Ver­bindung gegeben zwischen der theosophischen Gesellschaft und mir, insofern sich die Bewegung in der Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Das führte dazu - während auf der einen Seite die Tendenz bestand, eine deutsche Sektion zu begründen -, daß mir von Seiten des damaligen Leiters [Graf Brockdorff] der Deutschen Theosophi­schen Gesellschaft, welche ein Zweig war in der Allgemeinen Theo­sophischen Gesellschaft, der Vorschlag gemacht wurde, mich in die Gesellschäft aufzunehmen und zu gleicher Zeit Vorsitzender der Deutschen Theosophischen Gesellschaft zu werden. Damit war ge­geben, daß ich mich nicht einer Gesellschaft eingliederte, sondern daß ich hineinging, um das zu geben, was vorher nicht darinnen war, was sie vorher nicht hatte. Niemals war von meiner Seite ir­gendein Antrag gestellt worden, Mitglied der Gesellschaft zu wer­den, sondern ich habe mir gesagt: wenn die Gesellschaft mich haben will, kann sie mich haben. Ich habe außerdem damals die Vorsicht gebraucht - um auch auf ein Äußeres hinzuweisen -, mich von allen Bezahlungen zu befreien. Ich habe nichts gezahlt. Dann wurde mir von England das unentgeltliche Diplom übersandt, und zugleich war ich Vorsitzender der Deutschen Theosophischen Gesellschaft. Wenn ich noch ausführlicher sprechen könnte, würde ich zeigen, daß es eine notwendige Konsequenz war, dieses Faktum fortdau­ernd anzuerkennen, daß ich niemals etwas von der Gesellschaft ge­wollt habe und nicht nötig gehabt habe, irgendetwas zu überneh­men von ihren Prinzipien und Dogmen, sondern daß ausgemacht war, man will etwas von mir haben.

Dann ergab sich die Begründung der deutschen Sektion, unter «Hangen und Bangen, in schwebender Pein», unter fürchterlichen Diskussionen, hin und her, damit will ich Sie verschonen. Es fand sich damals eine Persönlichkeit, die mittlerweile ausgetreten ist aus der Gesellschaft, die auch Vermittler des Karma war - in welcher Weise, darüber könnte viel erzählt werden in okkultem Zusammen­hang -, es ergab sich, daß Herr Richard Bresch, der damalige Vorsitzende

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des Leipziger Zweiges, nachdem er sich besprochen hatte mit verschiedenen Persönlichkeiten, eines Tages zum Grafen Brockdorff kam und sagte: Wenn Dr. Steiner nun schon Vorsitzender der Berli­ner Loge ist, kann er auch Generalsekretär der deutschen Sektion sein. - Es ergaben sich nun alle möglichen Notwendigkeiten, diesen Antrag, Vorsitzender der deutschen Sektion zu werden, anzuneh­men, und ich will Ihnen alle diese Notwendigkeiten in einige Worte zusammenfassen, damit Sie sie als solche erkennen:

Erstens: Die Notwendigkeit, Theosophie in der Art, wie es hier gemeint ist, zu vertreten und in die Welt zu bringen.

Zweitens: Die andere Notwendigkeit, die Sache für diejenigen, die arbeiten sollten, nicht gar zu schwierig zu machen, denn wir fin­gen in ganz kleinen Kreisen an.

Nun, im Einklang mit so manchem, was auf okkultem Boden zu allen Zeiten geschehen ist, mußte ich mir sagen: Diese Gesellschaft ist mit allem, was sich in ihr entwickelt hat, eigentlich nur ein Hin­dernis für die theosophische Bewegung. Und ich glaube, daß sich Fräulein von Sivers noch erinnert, wie ich diesen Standpunkt vertre­ten habe in einem Gespräch über Schuré und sein Verhältnis zu H.P. Blavatsky. In diesem Gespräch habe ich ausführlich derjenigen Per­sönlichkeit, die mir am nächsten stand, auseinandergesetzt, ein wie schweres Hindernis diese Gesellschaft für die Bewegung ist. Das an­dere, was ich mir sagen mußte, ist dasjenige, was in vielen Zeiten auf okkultem Boden geschehen mußte, um mit Widerständen fertig zu werden: man saugt sie auf, diese Widerstände, man nimmt sie in die eigene Körperschaft auf, und sie sind dadurch in gewisser Weise aus der Welt geschafft. Diejenigen, die damals innerhalb der Bewegung in Deutschland standen, werden bestätigen können, daß wir in je­nen Jahren an der Gesellschaft die unglaublichsten Hindernisse ge­habt hätten, wenn wir nicht selbst diese Gesellschaft geworden wä­ren. Wir hätten gar nicht Zeit genug gefunden, alles das auszufüh­ren, was damals nötig war, um die sich von allen Seiten auftürmen­den Hindernisse aus dem Weg zu schaffen und die Bewegung mit ei­nem positiven Inhalt zu füllen. Es wäre unmöglich gewesen, nicht mit der Gesellschaft zu fahren. Denn Sie müssen nicht vergessen,

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daß die Konzentration der Mißverständnisse, wie sie jetzt auftreten an zunächst einem Punkte - es werden noch andere kommen, das macht aber nichts -, die repräsentiert waren innerhalb der Gesell­schaft namentlich durch zwei Leute 1), daß diese Mißverständnisse und dann das viele Geschwätz von Brüderlichkeit, verbreitet waren in weitesten Kreisen; das schoß überall in die Höhe. Und sehen Sie, methodisch ist mir dieselbe Geschichte, die jetzt mit einem Men­schen [Hugo Vollrath] passiert ist, damals gleich von einer ganzen Gesellschaft passiert; daß man nämlich genau das Gegenteil von dem vorgebracht hat und in Broschürenform verbreitete, was ich damals Ihnen gesagt habe. 2) Das war geradezu Methode innerhalb der ver­schiedenen Gesellschaften, die sich durch das Gesellschaftsprinzip überhaupt heraus gebildet haben.

In demselben Jahre, wo ich eingetreten worden war in die Theo­sophische Gesellschaft, wo ich zum Vorsitzenden gemacht worden war, ohne Abstimmung - so etwas gab es nicht damals -, da war in London der Kongreß der europäischen Sektionen, zu denen ja die deutsche Sektion eben erst hinzukommen sollte. Da hatte ich mit Mr. Mead in Gegenwart von Mr. Keightley ein Gespräch, das sich hauptsächlich um meine «Mystik» drehte, die er aus dem Referat von Keightley kennen gelernt hatte. Damals sind die Worte von Mr. Mead gefallen - ich muß sie als Tatsache erwähnen, denn es ist auf­klärend: «In Ihrem Buche steht ja die ganze Theosophie darinnen». -Natürlich steht in einem so dünnen Buche nicht die ganze Theoso­phie darinnen; so etwas heißt in einem solchen Falle: es steht das darinnen, als dessen Konsequenzen sich die ganze Theosophie erge­ben kann. - Im Grunde steht alles hineingeheimnißt in meine «My­stik», was seither herausgeheimnißt worden ist. Daran möchte ich die Frage knüpfen: Liegt es nicht doch schon in diesem Ausspruche, daß man annehmen könnte, man werde dieser besonderen Strö­mung theosophischen Geisteslebens mit Sehnsucht entgegenkommen?

1) Wilhelm Hübbe-Schleiden und Ludwig Deinhard; vgl. hierzu Rudolf Steiners Brief an Marje von Sivers vom 182 April 1903 in GA 262.

2) Worauf sich dies bezieht, war nicht abzuklären.

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Denn wenn man sagt: «darinnen liegt die ganze Theosophie», so ist überraschend viel damit gesagt.

Nach diesem Ausspruch war es begründet anzunehmen, es könn­te sich die Theosophische Gesellschaft nach und nach so gestalten, daß sie ein Rahmen würde sein können für das, wovon man in Lon­don sagte: darinnen steht die ganze Theosophie. Denn nichts von dem, wozu gegenwärtig in der Theosophischen Gesellschaft «Nein» gesagt wird, steht auch nur im entferntesten in diesem Buch.

Sie sehen also, daß es eine Notwendigkeit gab, damals so zu han­deln, wie gehandelt worden ist. Vom allerokkultesten Standpunkte läßt sich dieses rechtfertigen; denn es ist ja der theosophischen Bewe­gung, die wir meinen, ganz gelungen, jenen theosophischen Boden zu bereiten, den wir ihr bereiten konnten. Ohne daß dieses gesche­hen wäre damals im Beginne, hätte auch alles Folgende nicht gesche­hen können.

Eigentlich ist es ja ein Unsinn, wenn ich dieses sage, weil ich das Gegenteil sagen könnte: damit jetzt alles geschehen konnte, was ge­schehen ist, mußte es damals so gemacht werden, wie es gemacht worden ist.

Ich habe mich im Laufe der Jahre viel bemüht, Verständnis her­vorzurufen für alles das, was sich als eine Art von Gefühls- und Empfindungskonsequenz ergibt. Niemand wird, wenn er gewissen­haft analysiert, sagen können, daß ich die Gesellschaft anders behan­delt habe als im Sinne der Konsequenz der damaligen Tatsachen. Und es hat sich noch etwas weiteres ergeben. Dies trat uns eben klar und bestimmt hervor in den schönen Worten unseres Freundes Ba­ron Walleen: daß seit jener Zeit sich nicht innerhalb unserer Bewe­gung, wohl aber draußen, die Verhältnisse geändert haben. Es hat sich gar nichts innerhalb unserer Bewegung geändert, sondern es hat sich alles Schritt für Schritt vollzogen. Ich will auch hier wieder Tat­sachen anführen.

Nehmen Sie die Situation der Theosophischen Gesellschaft wie sie damals war, als ich Generalsekretär der deutschen Sektion wur­de. Bei jener Versammlung in London lernte ich auch Mrs. Besant kennen, und beim zweiten, ein Jahr darauffolgenden Kongreß, lernte

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ich Colonel Olcott kennen. Ich erwähne dies aus dem Grunde, weil es notwendig ist zu betonen, daß aus keiner Tatsache, die sich damals vollzog, irgend etwas anderes hervorgegangen ist als eine Be­kräftigung der Auffassung, auf unsere Art Theosophie zu vertreten. Olcott sagte damals, er sei recht überrascht gewesen, mich zu sehen -das war eine Tatsache, die mich augenblicklich etwas nachdenken ließ -, er sagte, er hätte erwartet, nachdem er schon ein und ein hal­bes Jahr von mir wußte, daß ich mindestens ein so alter Herr sei als er selber.

Diese Tatsachen, die sich bis dahin zugetragen haben, waren so, daß jedesmal, wenn nun die Hindernisse auftraten, diese immer in den verschiedensten Dingen bestanden, aber sie kleideten sich häufig in jene Formen, daß dieser oder jener sagte: Wir können uns nicht der Gesellschaft anschließen, denn ihr wird alles von Adyar aus dik­tiert, sie hat ein ganz autokratisches Prinzip. - Da sagte ich immer zu den Leuten - und das ist eine von den Konsequenzen, die sich aus den Voraussetzungen ergeben: Ich finde es unbegründet, daß man innerhalb der deutschen Sektion so redet, denn ich behandle die «Ukasse» von Adyar so, daß ich einen nach dem andern hinlege und liegen lasse, und im übrigen das tue, was mir als das Richtige er­scheint. - Und ich habe beim ersten Gespräch mit Colonel Olcott, selbst auf die Gefahr hin, daß er es von einem gleichaltrigen Manne lieber gehört hätte, diesem gesagt, daß ich so verfahren werde, damit er nicht unklar sähe. Ich habe immer mit großer Wärme von Olcott gesprochen, denn er war wirklich das Ideal eines Begründers einer solchen Gesellschaft. Er verstand jede Regung von Freiheit sofort und hat sich nie gegen eine solche Sache aufgelehnt; es fiel ihm gar nicht ein. Er redete über solche Sachen nicht viel, sondern wenn ihm Jemand schrieb, der Generalsekretär der deutschen Sektion legt die Ukasse von Adyar einen nach dem andern hin und beachtet sie nicht, da legte er einen solchen Beschwerdebrief auch hin und beach­tete ihn nicht. Sie sehen, es ging damals vorzüglich, zu arbeiten. Dann kamen nach und nach andere Zeiten. Und Sie sehen, ich spre­che eigentlich gar nicht von dem, was als Lehre irgendwie vertreten wird, ich spreche auch nicht davon, daß es etwa als wichtig hätte

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erscheinen müssen, daß das Programm meiner Mystik in ausgiebige-rem Maße hätte berücksichtigt werden müssen, sondern ich spreche von der Tatsache, die geschehen ist.

Dann geschahen eben nach und nach andere Dinge. Nun würde es sehr weit führen, die verschiedenen andern Dinge zu erzählen. Be­ginnen müßte man damit, daß Olcott gestorben ist, und schon da­mals sich etwas ereignete, was nun zwar in einer solchen Weise durchaus aufgefaßt werden kann, daß es mit dem Geiste der Theoso­phischen Gesellschaft im Einklang erscheint, was aber außerordent­lich schwierig ist, einer solchen Interpretation zu unterwerfen. Kurz kann ich ja ausführen, es wurde von Adyar aus verbreitet, daß da­mals, am Sterbebette Olcotts, die Meister erschienen wären und be­stimmt hätten, wer der Nachfolger Olcotts sein sollte.

Nun gibt es zweierlei Möglichkeiten, solche Dinge aufzufassen; ich meine jetzt nicht die inhaltliche Auffassung. Die eine Möglich­keit wäre die, daß man sagt: Es ist unter allen Umständen das abso­lut Notwendige, gleichgültig wie man es inhaltlich auffaßt, dieses Faktum in den allerengsten Kreisen zu lassen und ja nicht in der Ge­sellschaft herumzusprechen. Die andere Möglichkeit ist, von diesem Faktum zu sprechen. Es geht dann ein solches Faktum selbstver­ständlich von Mund zu Mund und ist nicht zu halten. So ist es ja auch geschehen.

Wenn nun auch keine Persönlichkeit irgend etwas gegen den Geist der Gesellschaft getan hat, wenn auch keiner Persönlichkeit ir­gendein Vorwurf gemacht werden kann - denn Frau Besant hatte das Recht, so darüber zu denken wie sie wollte, und auch so zu han­deln, also diese Manifestation zu gebrauchen und in diesem Sinne die Gesellschaft zu führen -, so ist es doch eine Tatsache, daß wir seit jener Zeit in der Gesellschaft wirklich nicht mehr auf gesundem Boden stehen. Das ist eben auch eine Tatsache.

Das, was unser Freund Walleen gesagt hat, bezieht sich auf die Beurteilung außenstehender Leute, die sich fragen können, ob sie eintreten wollen oder nicht. Was ich jetzt sage, bezieht sich auf das Interne, auf den Boden, auf dem wir selbst stehen. Es war kein ge­sunder Boden mehr, und von da ab wurde die Frage nicht mehr aus

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der Welt geschafft, ob man denn überhaupt innerhalb der Gesell­schaft sein kann, ob man nicht austreten müsse. Sie wissen, daß auch viele Menschen in aller Welt ausgetreten sind; zum Beispiel als einer der Hervorragendsten Mr. Mead. Seit jener Zeit stehen wir eben nicht mehr auf gesundem Boden - aus verschiedensten Gründen -und ganz gewiß ist auch seit jener Zeit erst das Urteil der Außenwelt über die Gesellschaft in dieser Weise schlecht geworden, wie es jetzt ist. Denn seit jener Zeit kamen ja die merkwürdigsten Dinge vor, die in der Tat nicht zu einem Verwaltungsmäßigen der Gesellschaft gehören, aber die Signatur der Gesellschaft tragen. Es geschahen ver­schiedene Dinge: da kam zunächst der Casus Leadbeater; aber nicht der Casus als solcher. Diejenigen, welche meine Stellung kennen, werden wissen, daß ich den Standpunkt eingenommen habe: als Per­sönlichkeit muß Leadbeater im weitesten Maße verteidigt werden. Das einzig Schlimme beim Fall Leadbeater ist, daß das auch auf das Konto der Gesellschaft kam. Das war das zweite Mal, daß ich beton­te: man kann eigentlich nicht mehr arbeiten mit dieser Gesellschaft. Bekannt ist ja auch durch Indiskretionen, daß Mrs. Besant zuerst persönlich Leadbeater verurteilt hat und dann nach kurzer Zeit sich zu ihm bekehrt hat. Das ist ein Faktum, das auch nach aussen hin in die Signatur der Gesellschaft aufgenommen worden ist. Nun kommt etwas, was, streng genommen, auch nicht in das Verwal­tungsmäßige der Theosophischen Gesellschaft hineingehört, was aber, wenn ich heute schweigen oder es nicht erwähnen würde, ge-deutet werden könnte wie eine Art von Unaufrichtigkeit.

Es kommt nach vielen anderen Dingen, die zu weit führen wür­den, noch hinzu, daß Annie Besant vor einem Zeugen [Marie von Sivers], der jederzeit bereit sein wird, Zeugenschaft davon abzuge­ben, 1907 in München gesagt hat, daß sie in bezug auf das Christen­tum nicht kompetent sei. Und deshalb trat sie sozusagen damals die Bewegung, insoferne das Christentum einfließen soll, mir ab. Nach­dem Annie Besant mir dies gesagt hatte, wurden mancherlei Dinge gemacht, die nun unter diesem Gesichtspunkte Ordnung hätten bringen können in die Gesellschaft. Doch man konnte damals von vielen Seiten hören: Jetzt hat sich Dr. Steiner von Annie Besant getrennt;

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jetzt sind zwei Strömungen da; das bringt Uneinigkeit in die Gesellschaft. - Das machte die Leute stutzig. Und jetzt begann eine eigentümliche Methode praktisch zu werden, die darin bestand, daß man tatsächlich die Sache genau umkehrte. Und es grassiert seit je­ner Zeit in merkwürdiger Weise das Umkehren der Tatsachen. Es ist schwer, verständlich zu machen, was dieses Umkehren bedeutet. Man sagte damals: Ja, da treten viele Leute wegen der Uneinigkeit aus! - Die Wahrheit war diese, daß viele Leute ausgetreten wären, wenn diese sogenannte Uneinigkeit nicht gekommen wäre. Sie sind nur geblieben, weil jene Strömung herausging in vollständig gesell­schaftlich legaler Weise, nachdem Annie Besant jenes Abkommen getroffen hatte. 1)

Eine andere Tatsache ist diese, die zwei Jahre nachher, also 1909, plötzlich auftauchte. Bitte nicht mißzuverstehen, sondern ohne je­den Beisatz von Kritik dieses als Tatsache hinzunehmen, die selbst­verständlich als Tatsache so hingestellt werden soll, daß sie absolut berechtigt ist - 1909 kündigte Annie Besant für die verschiedensten Orte einen Vortrag an über das Wesen des Christus. Damals tauchte langsam auf, daß man eben so heranklingen hörte die Idee von ei­nem im Fleische kommenden Christus, und diese Idee wurde immer mächtiger und endlich zu dem, das Sie ja kennen. Und wenn in letz­ter Zeit das Urteil der außenstehenden Menschen sich zu noch Un­günstigerem gestaltet hat, so gehört zweifellos die Geschichte von dem im Fleische kommenden Christus hinzu, was in hohem Maße dies Urteil herbeigeführt hat.

Nunmehr ist eine Tatsache geschaffen worden - auch im Gefolge jener Tatsache [bei Olcotts Tod] -, welche es heute unmöglich er­scheinen läßt, das rein Verwaltungsmäßige und das Lehrhafte noch zu trennen. Es ist eine Tatsache, welche die Unmöglichkeit einer solchen Trennung herbeigeführt hat, und das ist die fatale Situation, in der wir heute in der gesamten Gesellschaft stehen. Das ist zu­nächst ja nur ein Symptom. Sie werden es in meinen Worten doch

1) Die Ausführungen dieses Abschnittes beziehen sich auf die Herauslösung aus der Esoteric

School.

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wohl angedeutet gefunden haben, daß ich Mrs. Besant nicht bestrei­te, sich zu ihrem Vertreter in Angelegenheiten des «Sterns des Ostens» zu ernennen, wen sie will. Nicht nur bestreite ich ihr dieses Recht nicht, sondern ich nehme es ihr bis zum jetzigen Augenblick nicht einen Moment übel, daß sie gerade Vollrath dazu ernannt hat. Das ist auch ihr gutes Recht, weil sie das Recht hat, über Vollrath ei­ne andere Meinung zu haben als ich. Aber davon ist ja nicht die Re­de gewesen, obwohl ich ganz sicher weiß, daß es in der nächsten Zeit heißen wird, als ob so geredet worden wäre, sondern von etwas anderem ist die Rede gewesen. Natürlich sehe ich nicht ein, warum jemand, der mir sagt, ich hätte silberne Löffel gestohlen, nicht Re­präsentant sein kann für etwas anderes, aber das Faktum ist doch dieses, daß dadurch die Unmöglichkeit geschaffen worden ist, die Präsidentin zu vertreten, an ihrer Seite zu stehen, wenn sie es gerade in diesem Momente tut, wo ein solches Pamphlet erscheint. 1) Denn dadurch wird man ja ein Recht haben - wenn die Präsidentin weiter vertreten wird, selbst wenn nur gesagt wird, was eine Tatsache ist, daß man sie liebt -, man wird ein Recht haben, mir zu sagen: So, du stehst an der Seite von Mrs. Besant, dann bist du ja mit ihr einver­standen; du bist mir ein schöner Kerl! -

Das ist das Faktum, das vorliegt; oder man müßte auf der anderen Seite sagen: Mrs. Besant weiß das nicht. - Das ist aber nicht wahr, denn sie kennt den Fall ganz genau. In einem ausführlichen Brief mußte ich Mrs. Besant diese Tatsachen mitteilen als Antwort auf ei­nen Brief an sie von der anderen Seite [von Vollrath]. 2) Außerdem würde jeder sagen: Wie steht es denn mit der Urteilsfähigkeit dieser Präsidentin, die du vertrittst, wenn sie nicht einsieht, daß sie das nicht tun kann? - Mit andern Worten heißt das: man ist vor eine un­mögliche Situation gesetzt. Und vor eine solche werden wir alle Au­genblicke gesetzt. Das ist geradezu jetzt die Signatur der Gesellschaft.

1) Hugo Vollrath aus Leipzig war 1908 aus der deutschen Sektion, nicht aus der Gesellschaft

ausgeschlossen worden. Annie Besant wurde von Rudolf Steiner entsprechend orientiert.

1911 forderte Vollrath seine Wiederaufnahme und ließ zugleich eine Schmähschrift gegen

Rudolf Steiner erscheinen. Zur gleichen Zeit wsarde er von Annie Besant neben Wilhelm

Hübbe-Schleiden zum Vertreter des Ordens «Stern des Ostens» in Deutschland ernannt.

2) Siehe den Brief Rudolf Steiners am Schluß dieses Vortrages.

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Ich will gar nicht von dem Genueser Kongreß sprechen, der auch eine unmögliche Situation bedeutet. 1) Aber sehen Sie, wenn zwei Menschen die entgegengesetzte Anschauung von einem Podium aus vertreten, wie es 1909 in Budapest der Fall war, so geht das in einer Gesellschaft, die aufgebaut ist auf gleichem Recht der Meinungen. Aber etwas anderes kann man nicht tun innerhalb einer Gesellschaft von Menschen. Ich will Sie zunächst fragen: Nehmen Sie an, Sie sind eingeladen und Sie bringen demjenigen, zu dem Sie eingeladen sind, jemanden mit, welcher Ihnen außerordentlich wertvoll ist. Sie legen einen großen Wert darauf, den Betreffenden mitzubringen. Sie kom­men dann zu dem, bei dem Sie eingeladen sind, und der sagt: Von dem will ich nichts wissen, der geht mich nichts an. - Ja, wie müssen Sie eine solche Sache auffassen? Als eine Art Beleidigung Ihrer Per­sönlichkeit. Es geht wohl kaum anders. Wenn Sie jeriandem einen Andern vorstellen, der Ihnen wertvoll ist, und der Andere lehnt ihn ab, so geht das nicht, da ist kein Verkehr möglich. Nehmen Sie an, es wäre zum Genueser Kongreß gekommen: dann wären wir in die­sem Falle gewesen. Wir hätten, ganz gleich, was von den andern ver­treten wird, aus unserer Überzeugung heraus nicht einen Lehrge-halt, sondern einen Menschen, den Mrs. Besant mitgebracht hat -und doch nur aus dem Grunde, weil sie etwas ganz besonderes in ihm sah, auch war hinlänglich dafür gesorgt worden, daß man das Besondere erfuhr... ablehnen, das heißt diesen Menschen ignorieren müssen.2) Jede andere Möglichkeit war ausgeschlossen. Wir wären auf diese Weise genötigt gewesen, die Präsidentin zu beleidigen. Wenn man die Dinge der Gesellschaft mit Persönlichem mischt, so kommt auch Persönliches heraus. Lehren können Sie das Entgegen­gesetzteste; aber wenn man Personen hinstellt, welche damit ver­flochten sind, dann ist uns das Faktum gegeben, daß die Gesellschaft radikal in das Persönliche getrieben ist. Wie stimmt das zusammen

1) Im September 1911 sollte in Genua ein Kongreß der Föderation europäischer Sektionen der Theosophischen Gesellschaft stattfinden, auf dem der Gegensatz zwischen Annie Be­sants und Rudolf Steiners Christuslehre offen behandelt werden sollte. Annie Besant ließ den Kongreß in letzter Minute absagen.

2) Bezieht sich auf Krishnamurti.

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mit dem, was einstmals Olcott gesagt hat: Es handelt sich nicht um H.P. Blavatsky, nicht um mich, sondern um die Sache, da dürfen gar keine Persönlichkeiten mitspielen? - Stimmt denn das, wenn man der Gesellschaft geradezu Persönlichkeiten als zu der Lehre gehörig auftischt? Ist da nicht mit dem Gesellschaftsprinzip in der unzwei­deutigsten Weise gebrochen? Ja - wenn auch unbewußt. Ebenso, wenn man die Brüderlichkeit so vertritt, wie es heute kritisiert wur­de. Wo steht denn irgendwo etwas in jenen drei Punkten, die ur­sprünglich von H.P. Blavatsky und Colonel Olcott aufgestellt wor­den sind, daß eine solche Br_üderlichkeit gepflegt werden soll, wie die Leute im Fall Vollrath sagen, es stünde im ersten Satz? Es steht aber darin, einen «Kern» , also gar nicht einen allgemeinen Brei, son­dern den Kern von brüderlich verbundenen einzelnen Menschen zu bilden, die die Aufgabe haben, Theosophie in die Welt zu tragen. Das ist etwas anderes, als wenn man sagt, man sei in erster Linie ver­pflichtet, Brüderlichkeit zu treiben. Die Brüderlichkeit ist etwas, was sich von selbst ergeben kann, über die man keusch schweigt. Dann ist sie am meisten da; wenn man laut von ihr redet, dann ist sie am wenigsten da. Es ist aber mit allen andern Dingen zusammen­hängend, daß eben dieser allgemeine Rühr-Brei nach und nach wie eine Satzungssache aufgekommen ist.

Sehen Sie, damit habe ich Ihnen auch einige Tatsachen vorgesetzt. Aber es war vielleicht notwendig, von diesen Dingen zu sprechen, um die Meinung zu begründen, um das begründete Urteil hervorzu­rufen, daß wir jetzt doch ohne unser Zutun vor einer außerordent­lich wichtigen Situation innerhalb der Gesellschaft stehen. Und das einzige, was für mich selber das Maßgebende ist, bis zu diesem Au­genblick, das ist, daß ich weiß - nicht inwiefern Sie es als berechtigt ansehen, daß ich so spreche, aber ich sage deshalb auch: für mich ist es das Maßgebende -, es besteht einmal bei den Individualitäten, wel­che die Führenden unserer theosophischen Bewegung sind, die Mei­nung, daß man die Gesellschaft so lange halten soll, als es nur irgend geht! Und das ist es, was es mir schwierig macht, irgendeine unmit­telbare Initiative anzuempfehlen zu irgendeinem Zerstören der Ge­sellschaft. Man könnte sagen: Gewiß, die Dinge, die damals waren,

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sind heute nicht mehr da - das würde nicht ganz richtig sein -, auf der andern Seite aber gilt doch, daß man mit dieser Gesellschaft et­was hat, was sich ergeben hat - nicht durch uns, denn wir sind nicht hineingekommen, sondern dazu gestoßen - aus der Begründung der theosophischen Bewegung der neueren Zeit. So daß das Zerstören der Gesellschaft als solches jetzt in diesem Augenblicke ganz gewiß nicht das Richtige ist; sondern das Richtige ist das Positive. Und was dieses betrifft, so ist das schwieriger zu machen als das Negative. Das ist ja bald gemacht, da bedarf es nur noch einer Entschließung. Ein Positives bedarf aber Taten, die nicht nur am Ausgangspunkt ste­hen, sondern die fortdauernd geschehen müssen. Das ist das Wesent­liche, das uns klar sein muß; und da wird es sich darum handeln, daß wir zu solchen Dingen kommen, die wirklich positiv sind, das heißt, die in einer gewissen Weise stufenweise das ergeben, was eine Reali­sierung des schönen Wortes des Baron von Walleen ist: daß der In­halt sich den Rahmen jederzeit schafft, wenn der Inhalt da ist. Es ist aber immer notwendig, daß man den ersten Schritt macht. Nur scheint es mir, daß dies eine Sache ist, die außerordentlich wichtig und bedeutsam ist, und die nun wohl auch nicht so einfach vielleicht aufgefaßt werden darf, als dies von mancher Seite geschieht. Deshalb erlaube ich mir, schon heute eins zu bemerken: daß ich genötigt sein werde, von dieser Stelle aus morgen, um elf Uhr etwa, Ihnen zu sprechen von einer Sache, die schon als solche existiert, die bei be­sonders feierlichen Gelegenheiten in der letzten Zeit schon einge­richtet worden ist, aber so, daß sie ja eine Art Gemeingut werden soll in einer ganz eigentümlichen Art. Das, was in dieser Richtung verkündet werden kann, wird morgen geschehen. Wir werden dann sehen, wie die Sache gemeint ist. 1)

- - -

1) Siehe die Ansprache vom 15. Dezember 1911 auf Seite 421.

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Ergänzung zu Seite 415:

Brief an Annie Besant über die Angelegenheit Vollrath

In der handschriftlichen Vorlage zur englischen Übersetzung durch Marie von Sivers schrieb Rudolf Steiner im Jahre 1909 zu der erwähnten Angelegenheit:

. . . Was nun die Angelegenheit des Dr. Vollrath in Leipzig be-trifft, so bin ich sehr weit davon entfernt, irgendwie in das eingrei­fen zu wollen, was Sie, dear Mrs. Besant, als Präsidentin, in diesem Falle für das richtige halten. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn die Ausschließung des Dr. Vollrath aus der deutschen Sektion nicht notwendig geworden wäre. Ich habe diese Ausschließung nicht be­antragt, sondern die Leipziger Loge. Und für mich kam nur die Fra­ge in Betracht: Soll ich mich der Ausschließung widersetzen? Dafür konnte ich die Verantwortung nicht übernehmen, Vollrath in der Sektion zu behalten. Es ging dies aus dem Grunde nicht, weil Dr. Vollrath nicht als ein geistig gesunder Mensch zu behandeln ist, weil er eigentlich gar nicht verantwortlich zu machen ist für seine Hand­lungen. Diese Handlungen sind aber solche, daß sie die T.S. schwer schädigen, wenn Dr. Vollrath deren Mitglied ist. Vor allen Dingen kann unsere Leipziger Loge nicht arbeiten, wenn sie den Unterneh­mungen des Dr. Vollrath gegenübersteht. Man muß mit Dr. Voll-rath gewiß das tiefste Mitleid haben; aber innerhalb der T.S. ist er unmöglich. Der Brief, den er an Sie geschrieben hat, ist nur wieder ein Beweis, was alles bei diesem Manne möglich ist. Er schreibt Ih­nen 6 Punkte über mich, trotzdem er wissen müßte, daß alles in die-sen 6 Punkten absolut objektiv unwahr ist. So sagt er Ihnen, daß ich bei der Sektion ein Gehalt von 1200 Mark bzw. 2000 Mark für mich durchgesetzt hätte, trotzdem kein wahres Wort daran ist. Diese Summe ist bewilligt worden fü r die Einrichtung des Berliner Haupt-quartiers der deutschen Sektion. Ich selbst habe es nicht nur abge­lehnt, für mich etwas aus der Sektionskasse zu beziehen, sondern le­ge Wert darauf, daß nicht einmal meine Reisen aus den Sektionsbei­trägen gezahlt werden, sondern auf andere Art. Über die andern un­wahren

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Angaben des Dr. Vollrath zu sprechen, scheint mir eine un­würdige Sache zu sein und Zeitverschwendung. Was aber nun die Frage betrifft, ob es gut sei, Dr. Vollrath als Mitglied in der T.S. ver­bleiben zu lassen, so möchte ich, wie gesagt, in Ihre Entscheidung nicht eingreifen, doch aber folgendes zu bedenken geben: Bleibt Dr. Vollrath T.S.-Mitglied, dann wird er diese Tatsache in der Art aus­nützen, daß er durch seine Druckschriften, deren Inhalt wirklich ge-gen allen gesunden Menschenverstand sind, verbreiten wird: der Präsident hätte die deutsche Sektion und namentlich mich desavou­iert; es wäre ihm unrecht geschehen. Wie die Dinge hier in Deutsch­land liegen, wird dadurch ganz unnötig die Theosophische Gesell­schaft schwer geschädigt. Es ist ja für Dr. Vollrath schon charakteri­stisch genug, daß er seine Anklagen gerade gegen mich richtet, da er doch weiß, daß ich es war, der ihn, so lange es nur ging, in der Gesellschaft gehalten hat. Es ist mir ja natürlich nichts an den un­wahren Angaben des Dr. Vollrath über mich gelegen, die er ganz zweifellos in der nächsten Zeit verbreiten wird; aber es schädigt die Gesellschaft, wenn er dies so tun kann, daß er gleichzeitig sagt, der Präsident der T.S. habe mich desavouiert.

Wie sehr ich ganz gleich Ihnen, dear Mrs. Besant, im allgemeinen gegen eine Ausschließung bin, das mögen Sie daraus ersehen, daß seit Monaten die Leipziger Loge fordert, daß auch ein Herr Zawatzki ausgeschlossen werde und ich vorläufig noch abgeraten habe. . . Je­denfalls können Sie versichert sein, dear Mrs. Besant, ich hätte die Ausschließung des Dr. Vollrath nicht zugelassen, wenn nur die ge­ringste Möglichkeit gewesen wäre, auf seine Gesundung zu hoffen. Mit den schädlichen Handlungen Gesunder kann man fertig wer­den; doch den unberechenbaren Handlungen nicht Gesunder kann man persönlich mit dem größten Mitleid gegenüberstehen, die Ge­sellschaft sollte durch sie nicht kompromittiert werden. Davon, wie viel ich mir Mühe gegeben habe, Dr. Vollrath persönlich zu helfen, möchte ich lieber gar nicht reden.

In immer gleicher herzlicher Hochachtung

Dr. Rudolf Steiner

EIN ESOTERISCH-SOZIALER ZUKUNFTSIMPULS VERSUCH ZUR «STIFTUNG. EINER GESELLSCHAFT FÜR THEOSOPHISCHE ART UND KUNST Ansprache, Berlin 15. Dezember 1911 (vormittags)l)

#G264-1984-SE421 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der esoterischen Schule - 1904 1914

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EIN ESOTERISCH-SOZIALER ZUKUNFTSIMPULS

VERSUCH ZUR «STIFTUNG. EINER GESELLSCHAFT

FÜR THEOSOPHISCHE ART UND KUNST

Ansprache, Berlin 15. Dezember 1911 (vormittags)l)

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Vorwort von Marje Steiner zu der 1947 von ihr herausgegebenen privaten Verviel-fältigung «Ein durch Rudolf Steiner gegebener Zukunftsimpuls und was zunächst daraus geworden ist.:

Es erscheint als eine dringende Pflicht im Hinblick auf die Schwere der Zeit und den geringen Rest des verfügbaren Lebens, von Dr. Steiners Im­pulsen und Worten das zu retten, was noch gerettet werden kann. Dazu ge­hört auch manches von dem, was er nur in intimem Kreise im ernsthaften Gespräch, bei gewissen Wendepunkten der Ereignisse über die weiteren Aufgaben und Arbeitsziele der von ihm inaugurierten Bewegung, gespro­chen hat. Nachschriften liegen vor, doch nicht vollzählig und vollständig. Auch wenn sie Lücken aufweisen und vielleicht manche feinere Nuance nicht darin aufgefangen ist, so kann man trotzdem gut nachempfinden, wie mannigfaltig, der zugewiesenen Aufgabe entsprechend, die Ausdrucksweise jeweils ist - plastisch konturiert und fest, oder sich auflösend, durch die Sprache hindurch ahnen lassend ein Licht, das sich noch halb verhüllen muß, weil Worte nicht ausreichen. Es legt sich darüber wie ein leiser Flor, durch den aber die Impulse wirken können, welche in die Zukunft weisen. Richtkräfte lür ein späteres Wirken legte er immer wieder in unsere Seelen, Zukunftskeime, die nach überstandenem Seelenschlaf sich lebendig wür­den entfalten können; durch die Hetze des Alltags wurden sie nur zu oft verschüttet, oder vom Wirbel der Ereignisse erfaßt und weggefegt. Unter den Seelen, die solche Zukunftskeime hatten entgegennehmen dürfen, gab es gewiß manche, aus denen sie einst zu neuem Leben und Ringen würden

1) Von dieser Ansprache liegen keine vollständigen Mitschriften vor, sondern nur Notizen von verschiedenen Zuhörern. Für die von Marie Steiner 1947 herausgegebene Vervielfälti­gung standen nur die stenographischen Notizen von Berta Reebstein-Lehmann zur Venü­gung. Der Neuauflage von 1984 konnten Ergänzungen und Berichtigungen eingearbeitet werden aus inzwischen aufgefundenen Notizen von Mieta Pyle-Waller und von Elisabeth Vreede. Die Notizen von Mieta Pyle-Waller hat Rudolf Steiner selbst durchgesehen und mit einigen wenigen Korrekturen versehen.

Für den vorliegenden Druck konnten alle diese Unterlagen noch ergänzt bzw. berichtigt werden durch ausführlichere stenographische Notizen von Franz Seiler, die bisher noch nicht in Klartext übertragen worden waren.

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erstehen können; aber auch solche, die - dem steinigen Boden des Evange-liumbildes gleich - ihnen zunächst keine Nahrung bieten würden. Nicht nur die Natur, auch die Seelen sind der organischen Gesetzmäßigkeit un­terworfen. Einiges von dem, was geistig in sie hineinfällt, verhärtet oder verdirbt, anderes erweist sich keimkräftig und wandelt sich um zu neuen Daseinsformen. Der Durchgang durch den Tod und das Untertauchen in das Chaos mit seinen durcheinandergewirbelten, wühlenden Kräften gibt die Gewähr für ein späteres Wiederaufleben des geistigen Einschlags durch Metamorphosen hindurch zu höheren Daseinsstufen. Im Mikrokosmos wie im Makrokosmos, im irdischen wie im planetarischen Dasein herrscht das Gesetz der Wandlung zu neuen Daseinsformen. Diesen Weg mitma­chend und ihn je nach Rasse und Volkstum bildlich darlebend und erläu­ternd, haben die Religionen immer höhere Erkenntnisstufen erklommen, weltumfassend und dem Zeitenlauf gemäß hineinleuchtend in die verbor­genen Tiefen.

Als ein gewisser Höhepunkt dieser Entwicklung erreicht worden war und zugleich die Gefahr der philosophischen Abstraktion eingetreten war, die alten Bilder und Zeichen nicht mehr genügten, um das neu pulsierende Leben einzufangen, vollzog sich der christliche Einschlag, der den großen Wendepunkt brachte. Doch als dieser aus dem Dunkel der Katakomben in die äußere Welt trat, begann auch die Gefahr seiner Verfestigung zu Dog­men, und die treibenden lebendigen Kräfte suchten sich neue Wege. Sie fanden sie in den Geheimgesellschaften, die sich der Autorität der Kirchen-fürsten und den Konzilienbeschlüssen nicht beugen wollten; nun wurden sie als Häresie selbst verfolgt. Ihr vor der Außenwelt sich verhüllender In­halt lebte sich wiederum dar in Zeichen und Symbolen. Sie gaben der Kunst einen neuen Einschlag, der zunächst durch die Werke der gotischen Baukunst in Erscheinung trat; organisches Wachstum der Pflanze - dem Steine eingegliedert. Auch in die Namen floß das neue Leben hinein; diese enthielten das, was die Seele als Richtkräfte aufnehmen soll, um sich ge­sund entwickeln zu können, bevor sie die Selbständigkeit erreicht. Aber die Erziehung der Menschheit zur Selbständigkeit, in welche die neu er-weckte Ich-Kraft sich zu ergießen hatte, verlangte erst den Durchgang durch den abstrakten Intellektualismus, der die Seelen eine Zeitlang von ih­rem geistigen Urquell trennte, damit sie, durch die Kälte der Isolierung hindurchgehend, das höhere Ich ergreifend, sich im Geiste würden wieder­finden können. Das Wissen von der Natur, losgelöst vom Geiste, gibt der Seele keine Aufrichtekräfte mehr. Damit dies erlebt und erkannt werde,

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mußten Geister Welten brechen. Inmitten zerschlagener Welten stehen wir nun; - ein neues Suchen nach Lösung der Schicksalsrätsel hat begon­nen. Diesem Suchen und Fragen kann das Lebenswerk Rudolf Steiners Antwort geben. Er beherrschte den Umfang der heutigen exakten Wissen­schaft; er kann uns auch den Geist enthüllen, der hinter ihr verborgen kraf­tet und in die alten Namen einst hineingeheimnißt war. Durch ihn vermö­gen wir die impulsierenden Kräfte zu erahnen, die hinter den Namen lie­gen. Rettungsplanken für den unvermeidlich sich nahenden Schiffbruch waren uns so gereicht worden, die zu ergreifen und zu benutzen wir nicht reif genug waren. Die Seelen waren nicht wach genug, waren noch in den alten Vorstellungen befangen. Die in sozialer Hinsicht gemachten Versu­che stießen auf die härtesten Widerstände von Seiten der äußeren Welt. Ein gewaltiger Schmerz kann uns ergreifen, wenn wir sehen, wie wenig wir in der Lage waren, das Gebotene fruchtbar zu machen und geeignete Werk­zeuge zu sein für den Feuergeist des in der Not gesandten Helfers. Auf den Trümmern zerschlagener Welten stehend, müssen wir nun versuchen, das erhaltene und nicht genügend feurig ergriffene Wort uns aus überbliebenen Nachschriftresten zum Bewußtsein zu bringen; durch individuelle Arbeit es zum Menschheits-Ich emporhebend. Rudolf Steiner versuchte nicht nur auf den Wegen der Philosophie und Wissenschaft uns zur Freiheit zu füh­ren, sondern auch durch Erziehung innerhalb des esoterischen Lebens, die das alte Abhängigkeitsverhältnis vom Lehrer allmählich umwandeln wür­de in den Impuls der Freiheit und der Verantwortung vor dem Geiste. See­len, die sich im Geist verankert fühlen, müssen geprüft werden. Solche selbstersehnte Prüfung ruft immer ein beschleunigtes Karma hervor; es muß auch das ans Licht, was sich noch gern vor sich selbst verhüllen möchte. An solchen Prüfungen scheiterten oft die aus tiefen kosmischen Gründen geholten Versuche geistiger Mächte, die zum Ziel haben, die Menschheits­Entwicklung auf eine höhere Stufe zu heben. So war es bei der französischen Revolution, so auch vor den Weltkriegen unseres Jahrhunderts.

Zu einem ganz kleinen Kreis seiner Schüler hatte Rudolf Steiner zuerst von solchen Zukunftsaufgaben gesprochen und die Seelen hinzulenken versucht auf die Bedeutung jener fernen Aufgaben, die aus einem von der Selbstsucht frei gewordenen Menschen-Wollen erwachsen müssen. Er wie­derholte diese Worte vor einem größeren Kreis, den er anläßlich der Gene­ralversammlung am 15. Dezember 1911 berief. Es geschah dies nicht inner­halb der Verhandlungen der Generalversammlung selbst; er erklärte, daß dies außerhalb ihres Programmes geschähe. Er begann diese Ansprache in

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einer besonders feierlichen und eindrucksvollen Weise. Es ist dies vielleicht der Grund, daß der erste Teil der Ansprache nur notiert, aber nicht mit sei­nen Worten wiedergegeben ist. Er betonte, daß der Inhalt dieses Vortrages ganz unabhängig sei von allem bisher Gegebenen. Es handle sich sozusagen um eine direkte Mitteilung aus der geistigen Welt. Es sei wie ein Ruf, der an die Menschheit herangebracht werde, - dann wird abgewartet, welches Echo ihm entgegen kommt. Solch ein Ruf geschähe in der Regel drei Mal. Verhalle der Ruf auch das dritte Mal ungehört, so sei er für lange Zeiten wieder in die geistige Welt zurückgenommen. Ein Mal sei dieser Ruf bereits an die Menschheit herangebracht worden, leider fand er kein Echo. 1) Die­ses sei das zweite Mal. Es handelt sich um rein geistige Dinge. Mit jedem vergeblichen Male werden die Bedingungen und Verhältnisse schwieriger. Fortsetzend, was als Merkworte in der Nachschrift erhalten ist, sagte er:

Meine lieben Freunde! Es obliegt mir zunächst, in diesem Augen­blicke eine Intention aus dem engeren Kreis derjenigen, die schon davon wissen, hinauszutragen in Ihren weiteren Kreis. 2) Und bevor dies geschieht, lassen Sie mich einige Worte vorausschicken. Aus­drücklich soll aber hervorgehoben werden, daß dasjenige, was jetzt gesagt wird, in keinerlei Zusammenhang steht mit dem, was in die­ser Generalversammlung vorausgegangen ist, oder was sonst irgend­wie sich bezieht auf die bisherigen Verhandlungen, wodurch ja nicht ausgeschlossen ist, wenn Neigung dazu sich finden sollte, darauf in späteren Verhandlungen Rücksicht zu nehmen.

Wenn wir heute in der Weit Umschau halten, so werden wir uns sagen müssen: Die gegenwärtige Welt ist eigentlich voller Ideale. Und wenn wir uns fragen: Ist die Vertretung dieser Ideale von Seiten derjenigen, die an sie glauben und sich in den Dienst dieser Ideale stellen, eine aufrichtige und ehrliche? - so werden wir in sehr vielen Fällen zu antworten haben: Ja, das ist der Fall. Es ist der Fall eben mit jenem Glauben und jener Hingabe, deren die einzelnen Men­schen fähig sind. - Wenn wir nun fragen: Wieviel wird gewöhnlich

1) Im Vortrag Dornach, 24. Dezember 1923, zur Eröffnung der Weihnachtstagung wird darauf hingewiesen, daß «nicht aus irdischer Willkür, sondern aus der Befolgung des Rufes, der aus der geistigen Welt heraus erklungen hat. der Impuls für die anthroposophische Bewegung erflossen ist.

2) Der engere Kreis war innerhalb der Esoterischen Schule.

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verlangt, wenn eine solche Vertretung von Idealen durch irgend je­manden - sei es ein Einzelner, sei es eine Gesellschaft - ins Leben ge­rufen wird? so werden wir aus der Beobachtung des Lebens heraus uns die Antwort zu geben haben: In den meisten Fällen wird sozusa­gen alles verlangt; vor allen Dingen aber wird verlangt, daß das auf­gestellte Ideal eine absolute, unbedingte Anerkennung finde. Und es liegt fast immer der Aufstellung eines solchen Ideales das zugrunde, daß man für ein solches Ideal eben verlangt die absoluteste Zustim­mung. Und gewöhnlich bringt man das Nicht-Erfolgen einer sol­chen Zustimmung zum Ausdruck in irgendeiner abfälligen Kritik über den Nicht-Zustimmenden.

Mit diesen Worten sollte charakterisiert werden, wie das Prinzip einer Zusammengliederung der Menschen sich nun einmal auf ganz naturgemäße Weise im Laufe der Menschheitsentwickelung ergeben hat, und es soll an der Berechtigung eines solchen Prinzipes in die­sem Augenblicke in keiner Weise ein Zweifel laut gemacht werden. Aber es soll hier nun eine Möglichkeit vor Sie hingestellt werden (eröffnet werden), um zu alledem, was innerhalb der Zusammenglie­derungen von Menschen, Gesellschaften, Vereinen und so weiter an­gestrebt worden ist in der Welt, etwas hinzuzufügen, was eigentlich nicht in Worten ausgedrückt werden kann, da dasjenige, was man sagen kann, niemals maßgebend sein kann für die Richtigkeit einer solchen Sache. Nach dem, was der Mensch zu denken vermag, kann er in dem Augenblick, wo er das Gedachte äußert, durch die Äuße­rung selbst gezwungen werden, in einen Widerspruch zu verfallen mit der Wirklichkeit. Es muß gerade in diesem Augenblicke man­ches gesagt werden, was nicht in Übereinstimmung steht mit vielem, was in der Welt Geltung hat. So muß gesagt werden: Es ist möglich, daß das Bekenntnis zu einer Sache nicht länger mehr wahr sein kann, wenn dieses Bekenntnis ausgesprochen wird. Ein einfaches Beispiel möchte ich angeben, aus dem Sie ersehen können, daß die Gefahr vorliegen kann, einfach durch das Aussprechen einer Sache unwahr zu werden. Und ich möchte, daß das simple, einfache Bei­spiel, das ich gebe, aufgefaßt werde in Übereinstimmung mit den ro­senkreuzerischen Prinzipien seit dem 13. Jahrhundert.

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Nehmen wir an, es drückt jemand seinen Zustand der unmittelba­ren Gegenwart dadurch aus, daß er sagt: «Ich schweige», so ist das et­was, was unbedingt nicht wahr sein kann, daß er keine Wahrheit da-mit sagt. Dann aber bitte ich Sie, meine lieben Freunde, sich klar zu machen, daß die Möglichkeit vorliegt, durch das wörtliche Bekennt­nis einer Sache diese Sache bereits selber zu negieren. Denn aus dem, was hier durch das einfache, simple Beispiel «Ich schweige» zum Ausdruck gebracht ist, können Sie schließen, daß es auf Unzähliges in der Welt anwendbar ist und immer wieder und wieder vorkom­men kann.

Was folgt nun aber aus einer solchen Tatsache? Es folgt daraus, daß die Menschen, wenn sie in irgendeiner Weise sich zusammen­schließen wollen, um dieses oder jenes zu vertreten, in einer außer­ordentlich schwierigen Lage sind, daß die Menschen mit dem Teuer­sten, was sie haben, sich überhaupt nicht zusammenschließen kön­nen, ausgenommen wenn die Gründe, warum sie sich zusammen­schließen, solche sind, welche nicht der Sinnenwelt, sondern der übersinnlichen Welt angehören. Und wenn wir verstehen, was wir in uns aufnehmen konnten im Laufe der Zeit aus alle dem, was aus dem neueren Okkultismus hervorgeholt worden ist, so werden wir einsehen, daß es eine unbedingte Notwendigkeit ist für die nächste Zukunft (Zeit), gewisse Dinge dieses Okkultismus zu vertreten, sie vor die Welt hinzutragen. Daher muß gegenüber allen Prinzipien von Gesellschaften, gegenüber allen Organisationen, die bisher mög­lich waren, der Versuch gemacht werden mit etwas völlig Neuem, mit etwas, was ganz und gar aus dem Geiste desjenigen Okkultismus heraus geboren ist, von dem in unserem Kreise so oft gesprochen wird. Dies aber kann nicht anders getan werden als dadurch, daß einmal der Blick gewendet werde einzig und allein auf etwas Positi­ves, einzig und allein auf etwas, das schon als ein Reales in der Welt da ist und was als solches gepflegt werden kann. Realitäten aber sind ja in unserem Sinne nur diejenigen Dinge, die in erster Linie der übersinnlichen Welt angehören. Denn die ganze sinnliche Welt stellt sich uns dar als Abbild der übersinnlichen Welt. Daher wird einmal der Versuch gemacht werden, der ein solcher ist, wie sie

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gemacht werden müssen aus der übersinnlichen Welt heraus: der Versuch, eine Gemeinschaft von Menschen nicht zu begründen, sondern zu stiften.

Ich habe schon einmal bei einer anderen Gelegenheit den Unter­schied zwischen Begründung und Stiftung hervorgehoben; es war vor vielen Jahren einmal. 1) Es ist dazumal nicht verstanden worden und es hat seit jener Zeit kaum jemand über diesen Unterschied nachge­dacht. Daher sahen auch diejenigen geistigen Mächte, welche vor Sie hingestellt werden unter dem Symbolum des Rosenkreuzes, bisher hinweg über das Hinaustragen dieses Unterschiedes in die Welt.

Es muß aber neuerdings - und diesmal in einer energischen Weise

- der Versuch gemacht werden, ob es gelingt, auch bei einer Ge­meinschaft, die nicht begründet, sondern gestiftet wird, einen Erfolg zu erzielen. Wird dieser Erfolg nicht erzielt, nun, so ist er wieder für eine Weile gescheitert (so muß er wiederum für eine Weile aufge­schoben werden).

Daher soll Ihnen in diesem Augenblicke verkündet werden, daß unter denjenigen Menschen, die sich in entsprechender Weise dazu finden werden, gestiftet werden soll eine Arbeitweise, welche durch die Art und Weise der Stiftung zum direkten Ausgangspunkt hat diejenige Individualität, die wir seit den abendländischen Vorzeiten mit dem Namen Christian Rosenkreutz belegen. Dasjenige, was heute schon über diese Stiftung gesagt werden kann, das bleibt präli­minarisch. Denn was bisher gestiftet werden konnte, bezieht sich nur auf einen Teil dieser Stiftung, die in einem umfassenden Sinne, wenn die Möglichkeiten gegeben sind, in die Welt treten soll. Das, was bisher gestiftet werden konnte, bezieht sich auf die eine Abtei­lung, auf den einen Zweig dieser Stiftung, nämlich auf die künstleri­sche Vertretung des rosenkreuzerischen Okkultismus.

Der erste Punkt, den ich Ihnen mitzuteilen habe, ist der, daß un­ter dem unmittelbaren Protektorat jener Individualität, die wir be­zeichnen mit dem Namen, den sie während zwei Inkarnationen für

5) Vermutlich ist der Vortrag vom 22. Oktober i905 (GA 93) gemeint. der bei der damaligen Generalversammlung in Berlin gehalten worden war.

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die Außenwelt hatte, daß unter dem Protektorat dieser Individuali­tät Christian Rosenkreutz als Stiftung ins Leben treten soll eine Ar­beitsweise, welche zunächst dadurch sich charakterisieren will, daß sie für einige Zeit, für die nächste Zeit, den provisorischen Namen tragen soll: «Gesellschaft für theosophische Art und Kunst». Dieser Name ist nicht der definitive, sondern es wird ein definitiver Name an die Stelle treten, wenn in entsprechender Weise die ersten Vorbe­reitungen für das Hinaustragen dieser Stiftung in die Welt haben ge­macht werden können. Dasjenige, was umfassen soll die «theosophi­sche Art», das ist aber noch völlig im Keimzustande, denn es wird sich erst darum handeln, daß noch die Vorbereitungen dazu getrof­fen werden, die zu einem Verständnis führen können dessen, was damit gemeint ist. Das aber, was unter dem Begriff der theosophi­schen Kunst gefaßt werden kann, hat ja in mannigfaltiger Weise schon einen Anfang genommen durch unsere Versuche bei den Auf. führungen in München, und vor allen Dingen einen bedeutungsvol­len Anfang genommen durch den Versuch unserer Stätte in Stutt­gart und einen weiteren bedeutungsvollen Anfang in bezug auf das Verständnis einer solchen Sache gerade durch die Begründung des Johannes-Bauvereins. Das ist alles etwas, das einen Anfang genom­men hat. In bezug darauf ist etwas da, dem als in einer gewissen Weise Erprobtem die Sanktion erteilt werden darf.

Es handelt sich darum, daß innerhalb des Arbeitskreises eine rein geistige Aufgabe erwachen soll, eine Aufgabe, welche sich erschöp­fen wird in einer geistigen Arbeitsweise und in dem, was resultiert aus einer solchen geistigen Arbeitsweise. Und es handelt sich darum, daß niemand unter einem anderen Gesichtspunkte Mitglied werden kann dieses Arbeitskreises (dieser Arbeitsweise), als allein dadurch, daß er irgendwelchen (einigen) Willen hat, für das Positive der Sache seine Kräfte einzusetzen. Sie werden vielleicht sagen: Ich spreche mannig­fache Worte, die vielleicht nicht ganz verständlich sind. Das muß so sein bei einer solchen Sache, wie die, um welche es sich dabei handelt, denn die Sache muß erfaßt werden in ihrem unmittelbaren Leben.

Nun, dasjenige was schon geschehen konnte innerhalb dieser Stif­tung, besteht eigentlich darin, daß nach rein okkulten Grundsätzen

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(Gesetzen) ein zunächst ganz kleiner, winzig kleiner Kreis geschaf­fen wurde, welcher seine Verpflichtung darin sehen soll, mitzuwir­ken an dem, worum es sich dabei handelt. Dieser winzig kleine Kreis ist zunächst so beschaffen, daß mit ihm ein Anfang gemacht werden soll für diese Stiftung, um in einem gewissen Sinne dasjeni­ge, was unsere geistige Strömung ist, von mir selber abzulösen und ihr einen eigenen, in sich selbst begründeten Bestand (Substanz) zu geben, einen in sich selbst begründeten Bestand!

So daß also zunächst dieser kleine Kreis mit der Sanktion vor Sie hintritt, daß er als solcher seine Aufgabe empfangen hat vermöge seiner eigenen Anerkennung unserer geistigen Strömung, und daß er in einer gewissen Weise das Prinzip der Souveränität des geistigen Strebens, das Prinzip des Föderalismus und der Selbständigkeit alles geistigen Strebens als die unbedingte Notwendigkeit für die geistige Zukunft sieht, und es in der Art, wie er es für angemessen hält, in die Menschheit hineintragen soll. Daher werde ich selbst innerhalb der Stiftung, um die es sich handelt, nur zu gelten haben als der Inter­pret zunächst der Grundsätze, die als solche nur in der geistigen Welt allein vorhanden sind, als Interpret desjenigen, was auf diese Weise zu sagen ist über die Intentionen, die der Sache zugrunde liegen.

Dagegen wird zunächst ein Kurator gestellt für die äußere Pflege dieser Stiftung. Und da mit den Ämtern, die zunächst kreiert wer­den, nichts anderes verbunden ist als Pflichten, keine Ehren, keine Würden, so ist es unmöglich, daß bei dem richtigen Verständnis der Sache irgendwelche Rivalitäten oder andere Mißverständnisse so-gleich auftreten können. Es wird sich also darum handeln, daß von der Stiftung selber Fräulein von Sivers als Kurator zunächst aner­kannt wird. Diese Anerkennung ist keine andere als diese, welche aus der Stiftung selbst heraus interpretiert wird; es gibt keine Ernen­nungen, sondern nur Interpretationen: Fräulein von Sivers wird als Kurator der Stiftung interpretiert. Und es wird in der nächsten Zeit ihre Aufgabe sein, dasjenige zu tun, was getan werden kann im Sin­ne dieser Stiftung, um für dieselbe einen entsprechenden Kreis von Mitgliedern zu werben (sammeln), - nicht im äußerlichen Sinne, sondern nur so, daß sie herankommen lassen wird an sich diejenigen,

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welche den ernstlichen Willen haben, in dieser Arbeitsweise mitzutun.

Im weiteren Sinne werden kreiert innerhalb dieses einen Zweiges dieser unserer Stiftung eine Anzahl von Nebenzweigen. Und zu füh­renden Persönlichkeiten dieser Nebenzweige - insofern dieselben bisher bestehen - werden wiederum einzelne innerhalb unserer gei­stigen Bewegung erprobte Persönlichkeiten mit den entsprechenden zugehörigen Verpflichtungen hingestellt werden. Auch das ist zu­nächst eine Interpretierung, in der Weise, daß übertragen wird das Amt der Führung eines solchen einzelnen Nebenzweiges einer Per­sönlichkeit. Interpretiert werden für diese einzelnen Nebenzweige je ein Archidiakon. Wir werden haben einen Nebenzweig für allge­meine Kunst. Zum Archidiakon wurde im kleinen Kreis publiziert für allgemeine Kunst - und zwar geschah das in ausdrücklicher An­erkennung dessen, was diese Persönlichkeit im Laufe der letzten Jah­re für diese allgemeine theosophische Kunst getan hat -: Fräulein von Eckhardtstein. Weiter wurde publiziert zum Archidiakon für Literatur provisorisch der Kurator Fräulein von Sivers. Weiter wur­de publiziert, daß Archidiakon für Kunst der Architektur sein soll unser Freund Herr Dr. Felix Peipers; für Kunst der Musik unser Freund Herr Adolf Arenson; für Malerei unser Freund Herr Her­mann Linde.

Es ist ja die Arbeit, um die es sich da handeln soll, eine im wesent­lichen innere, und es wird zum erstenmal dasjenige vor die Welt tre­ten sollen, was in absoluter Freiheit gehaltene Arbeit besonders die­ser einzelnen Persönlichkeiten ist. Es wird notwendig sein, daß in ei­ner gewissen Weise ein Zusammenschluß derjenigen, die zu dieser Arbeitsweise gehören, erfolgen kann; dieser Zusammenschluß wird erfolgen müssen in einer ganz anderen Weise als das bisher der Fall war bei irgendwelchen (gewöhnlichen) Organisationen. Und wir werden brauchen (haben müssen) einen Überwacher dieses Zusam­menschlusses. Zum Überwachen dieses Zusammenschlusses wird kreiert die Stelle des Konservators, die als Amt zunächst übertragen wird Fräulein Sophie Stinde. In Verbindung stehen wird mit diesem Zusammenschluß selber die Art, wie der Zusammenschluß zu erfolgen

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hat (wie sich die Persönlichkeiten zusammenfinden). Das alles erfordert noch Arbeit in der nächsten Zeit; sie wird noch geleistet werden müssen. Damit aber die Art des Zusammenschlusses, mit an­deren Worten das Prinzip der Organisation, wird erfolgen können, in die Welt treten können, haben wir notwendig einen Siegel-Kon­servator. Zum Siegel-Konservator wurde publiziert Fräulein Spren­gel, während Sekretär sein wird Dr. Carl Unger.

Das ist zunächst der kleine, winzige Kreis, um den es sich han­delt. Betrachten Sie ihn nicht als irgend etwas, was unbescheiden in die Welt treten will und sagt: da bin ich nun; sondern betrachten Sie ihn als etwas, was nichts anderes sein will als ein Keim, um den her­um sich die Sache selbst gliedern kann. Sie wird sich zunächst so gliedern, daß bis zum kommenden Dreikönigstage eine Anzahl von Mitgliedern dieser Gemeinschaft interpretiert sein werden; das heißt, es werden bis dahin eine Anzahl von Mitgliedern die Verstän­digung bekommen haben, daß sie zunächst gebeten werden, ihren Anschluß besorgen zu wollen. So daß für die allererste Zeit die aller-weitestgehende Freiheit in dieser Beziehung (Richtung) gesichert werden soll dadurch, daß der Wille, Mitglied zu werden, von nie­mand anderem ausgehen kann als von dem Betreffenden selbst, der Mitglied werden will. Und die Tatsache, daß er Mitglied ist, wird da­durch herbeigeführt, daß er zunächst als solches Mitglied anerkannt wird. Das bezieht sich nur auf das Allernächste, nur für die Zeit bis zum nächsten Dreikönigstag, dem 6. Januar 1912.

So also haben wir in dieser Sache etwas vor uns, was ja durch sei­ne Eigenart eben sich schon verrät als etwas, was aus der geistigen Welt heraus fließt. Es wird weiter sich dadurch als aus der geistigen Welt fließend darstellen, daß die Mitgliedschaft lediglich immerzu nur beruhen wird auf der Vertretung und auf der Anerkennung gei­stiger Interessen und auf der Ausschließung alles, alles Persönlichen.

Es besteht hier eine Abweichung von älteren okkulten Grundsät­zen, die bei dieser Verkündigung gemacht wird, und diese Abwei­chung besteht gerade in der Tatsache dieser Verkündigung. Daher wird kein Gebrauch gemacht werden von jener Behauptung, die et­wa vorläge bei einem Menschen, wenn er sagen würde, indem er dies

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auf die Gegenwart (den gegenwärtigen Moment) bezieht: Ich schweige. Die Sache wird ja verkündet; und im Vollbewußtsein, daß sie verkündet wird, soll dies geschehen. Aber in dem Augenblick wo jemand zeigt, daß er in irgendeiner Weise kein Verständnis hat für diese heutige Verkündigung, wird ihm ja selbstverständlich durch­aus nicht in irgendeiner Weise nahegelegt werden können, einer sol­chen Arbeitsweise - ich sage nicht einer Gesellschaft oder derglei­chen - anzugehören. Denn es kann nichts anderes geben als den ab­solut freien Willen, einem solchen Kreis, einer solchen Arbeitsweise anzugehören. Sie werden aber sehen, daß, wenn so etwas zustande kommen sollte - wenn also unsere Zeit durch ihre Eigentümlichkeit schon zuläßt, daß so etwas zustande kommt -, daß dann wirklich im Sinne der Anerkenntnis des geistigen Grundsatzes gearbeitet werden kann; des Grundsatzes, daß nicht nur aller Natur und aller Ge­schichte, sondern auch allem in die Welt tretenden menschlichen Tun die geistige, übersinnliche Welt zugrunde liegt. Und Sie werden sehen, daß es für jeden ordentlichen Menschen unmöglich sein wird, einer solchen Gemeinschaft anzugehören, wenn er nicht mit dieser Gemeinschaft als solcher einverstanden ist. Wenn Sie meinen, es sei etwas recht Merkwürdiges, was da gesagt worden ist, dann bitte ich, nehmen Sie es so, daß es mit dem vollen Bewußtsein geschehen ist, daß dabei alles eingehalten wird, was zu den Gesetzen, zu den ewi­gen Gesetzen des Daseins gehört. Und zu den ewigen Gesetzen des Daseins gehört auch, daß man die Prinzipien des Werdens in Be­tracht zieht.

Man kann, meine lieben Freunde, schon in diesem Augenblick gegen den Geist dessen, was da geschehen soll, sündigen, wenn man jetzt in die Außenwelt hinausgeht und sagt: Da ist dies oder jenes ge­gründet worden. Nicht nur, daß überhaupt nichts gegründet wor­den ist, sondern es liegt die Tatsache vor, daß, eine Definition zu ge­ben dessen, was getan werden soll, in keiner Stunde möglich sein wird, denn alles soll in fortwährendem Werden sein. Und was ei­gentlich durch das, was heute gesagt worden ist, geschehen soll, das kann man jetzt nicht beschreiben, davon kann man jetzt keine Defi­nition, keine Schilderung geben und alles, was man darüber sagen

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würde, würde in dem Momente unwahr sein. Denn es beruht das, was geschehen soll, nicht auf Worten, sondern auf Menschen, und nicht einmal auf Menschen, sondern auf demjenigen, was diese Men­schen tun werden. Es wird in einem lebendigen Flusse, einem leben­digen Werden sein. So wird denn auch heute als Grundsatz nichts anderes aufgestellt als der eine (erste) Grundsatz, der darin besteht:

Anerkennung der geistigen Welt als der GrundwirklichkeiL

Alle weiteren Grundsätze sollen im Werden der Sache erst geschaf­fen werden. Wie ein Baum im nächsten Augenblicke nicht mehr das ist, was er vorher war, sondern Neues angesetzt hat, so soll diese Sa­che wie ein lebendiger Baum sein. Niemals soll dasjenige, was diese Sache werden soll, durch dasjenige, was sie ist, in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden können. Wenn also irgend jemand das, was da­mit als ein Anfang bezeichnet worden ist, als diese oder jene Begrün­dung, diese oder jene Sache draußen in der Welt definieren wollte, dann würde er unmittelbar unterliegen der gleichen Unwahrheit, die da liegt in dem Ausdruck «Ich schweige», wenn er ihn bezieht auf den Zustand, in dem er ist und die Worte gebraucht «Ich schweige». Der also, der in irgendeiner Weise diese oder jene Worte gebraucht, um die Sache zu charakterisieren, der sagt unter allen Umständen et­was nicht Richtiges. So daß also zunächst es lediglich darauf ankommt

- denn es wird alles im Werden sein -, daß die Persönlichkeiten sich zusammenfinden, die so etwas wollen. Lediglich darauf kommt es an, daß diejenigen Persönlichkeiten sich zusammenfinden, die so et­was wollen. Dann wird die Sache schon weitergehen! Aus alle dem, was gesagt worden ist, können Sie entnehmen, daß die Sache dann schon weitergehen wird. Sie wird sich im tiefsten Prinzip unter­scheiden auch von dem, was die Theosophische Gesellschaft ist. Denn kein einziges der Merkmale, die heute ausgesprochen worden sind, können für die Theosophische Gesellschaft gelten.

Ich mußte über diese Sache sprechen aus dem einfachen Grunde, weil ja auch vor die Öffentlichkeit unserer Theosophischen Gesell­schaft diejenigen Dinge schon hingetreten sind, welche mit dieser Stiftung in einem organischen (organisatorischen) Zusammenhange stehen und weil durch diese Stiftung - im Sinne von Intentionen, die

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wahrlich nicht in der physischen Welt liegen und die wahrlich nichts mit Ahriman zu tun haben - ein ideell-spirituelles Gegenge­wicht (Gegenbild) geschaffen werden muß gegen alles dasjenige, was nun schon einmal mit einer Gründung in der äußeren Welt verbun­den ist. Lediglich also in dieser Beziehung kann eine Relation, ein Verhältnis (ein Zusammenhang) gesehen werden mit dem, was schon da ist, daß dieser Zweig unserer Stiftung, der Zweig für theo­sophische Kunst, etwas leisten soll, was ein Gegengewicht ist für das, was auf dem physischen Plan mit Ahrimanischem verknüpft ist.

Damit wird gehofft, daß ein vorzügliches Exempel (Vorbild) ge­schaffen wird durch das Vorhandensein dieses Zweiges unserer Stif­tung - und der andere Zweig wird in entsprechender Weise seine Dienste tun -, weil tatsächlich aus spirituellen Welten hereinfließen muß in unsere Kultur dasjenige, was als Kunst innerhalb der theoso­phischen Bewegung - wenn wir diesen Ausdruck heute gebrauchen -figurieren soll. Es muß so sein, daß überall das spirituelle Leben als die Grundlage dessen, was wir tun, ganz dasteht. Es wird unmöglich sein zu konfundieren, zu verwechseln mit dieser ideell-spirituellen Bewe­gung irgendwelche Bewegungen, die von der äußeren Welt herkom­men und sich etwa auch als «Theosophische Bewegung» bezeichnen und mittun wollen. 1) Es wird sich darum handeln, daß überall der Boden, auf dem wir stehen, das Spirituelle ist. Dies wurde ja versucht bei den Festspielenin München, beim Logenbau in Stuttgart - in den Grenzen zunächst, in denen es bei den jetzigen Verhältnissen möglich ist-, aber es wurde überall so versucht, daß das spirituelle Moment das Maßgebende war. Das ist die conditio sine qua non, die Bedingung, ohne welche nichts geschehen soll. [Lücke in den Nachschriften].

Diejenigen, welche schon ein wenig eingedrungen sind in das, um was es sich handelt, werden mich in dieser Beziehung verstehen. Diese Worte sind gesagt weniger wegen des Inhaltes, als wegen der Richtlinien, die gegeben werden sollten.

1) Dies dürfte sich auf die schweren Differenzen beziehen, die zur Zeit der Ansprache, Ende

1911, aufgetreten waren, weil Rudolf Steiner sich weigerte, Mitglieder des von Anme Besant gegründeten Ordens «Der Stern des Ostens« zu den Veranstaltungen der von ihm geleiteten deutschen Sektion zuzulassen.

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Aus dem Nachwort von Marie Steiner zu der von ihr herausgegebenen Verviel­fältigung:

Als nach Ablauf des Jahres und dem nächsten Dreikönigstage keine wei­teren Nominationen bekannt gegeben wurden, erging von Seiten eines Zu­hörers die Anfrage an Rudolf Steiner, wann dies geschehen würde. Er erwi­derte: daß dieses nicht geschehen sei, wäre auch eine Antwort.

Einige Jahre später kam er im Vortrag Dornach, 21. August 1915, dar­auf mit folgenden Worten zurück:

«Es ist einmal zur Herbsteszeit verkündigt worden, daß, weil ge­wisse unmögliche Symptome in unserer Gesellschaft sich zeigten, es notwendig geworden sei, eine gewisse engere Gesellschaft noch zu begründen, wobei ich zunächst versucht habe, eine Anzahl von na­hestehenden und in der Gesellschaft längere Zeit lebende Persön­lichkeiten gewisse Titel zuzuschreiben, indem ich von ihnen voraus­setzte, daß sie im Sinne dieser Titel selbständig wirken würden. Ich habe dazumal gesagt: Wenn etwas geschehen soll, so werden die Mit­glieder bis zum Dreikönigstage etwas hören. Es hat keines etwas zu hören bekommen, und es geht daraus hervor, daß die Gesellschaft für theosophische Art und Kunst überhaupt nicht besteht. Das ist eigentlich selbstverständlich, da niemandem eine Mitteilung ge­macht worden ist. Wie es selbstverständlich ist, daß die Mitteilung ergangen wäre, wenn die Sache realisiert worden wäre. Die Art und Weise, wie die Sache in einem bestimmten Falle aufgefaßt worden ist, machte sie unmöglich. Es war ein Versuch.»

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Schlußwort des Herausgebers

Man muß einen Sinn für das Tragis che haben, wenn man die Menschheitsentwickelung verstehen will. 1)

Durch die Dokumente dieses Bandes zieht sich wie ein roter Faden, daß ein, wenn nicht sogar oas entscheidende Problem in Rudolf Steiners geistes-wissenschaftlichem Wirken in seinem Ringen mit der Polarität Bewegung -Gesellschaft gelegen haben muß. Bis zur Weihnachtstagung der Jahreswende 1923/24 hatte er das Prinzip vertreten, die Leitungen von Bewegung/Eso­terischer Schule einerseits und Gesellschaft anderseits streng auseinander­zuhalten, weil es nun einmal schwierig sei, «das, was in unserer heutigen Zeit ein äußerliches Amt verlangt, und sei es auch dasjenige des Vorsitzen­den der Anthroposophischen Gesellschaft, zu vereinigen mit den okkulten Pflichten gegenüber den Offenbarungen der geistigen Welt» (Torquay, 12. August 1924). An anderer Stelle drückte er es so aus: «Die anthroposophi­sche Bewegung, die eigentlich eine geistige Strömung ist, geleitet von geisti­gen Mächten und geistigen Kräften aus der übersinnlichen Welt, die ihre Erscheinung nur haben hier in der physischen Welt, durfte nicht zusam­mengeworfen werden mit der Anthroposophischen Gesellschaft, die eben eine Verwaltungsgesellschaft ist - soweit sie das vermag - zur Pflege der anthroposophischen Impulse.» (Bern, 16. April 1924).

Auf diese Unterscheidung hatte er von Anfang an aufmerksam gemacht, besonders eindringlich anläßlich der inneren Konstituierung seiner esoteri­schen Schule im Vortrag Berlin, 22. Oktober 1905, mit den Worten:

«Trennen muß man diese Dinge streng voneinander; niemals dürfen sie miteinander vermischt werden. Aber man darf auch nicht, wenn man von der äußeren Theosophischen Gesellschaft spricht, von den okkulten Per­sönlichkeiten, die am Ausgangspunkt stehen, sprechen. Niemals mischen sich diejenigen Mächte, welche auf dem höheren Plane leben, und die der Menschheitsentwickelung wegen ausserhalb des physischen Leibes leben, in diese Angelegenheiten ein. Niemals geben sie etwas anderes als Impulse. Wenn wir in sachlicher Weise für die Ausbreitung der Theosophischen Gesellschaft wirken, stehen uns immer die großen Individualitäten, die wir Meister nennen, zur Seite; wir dürfen uns an sie wenden und sie durch uns sprechen lassen. Wenn es sich um die Verbreitung des okkul­ten Lebens handelt, dann sprechen die Meister. Handelt es sich nur um

1) Basel, 21. Dezemher 1916

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die Organisation der Gesellschaft, dann überlassen sie das denjenigen, die auf dem physischen Plane leben. Das ist der Unterschied zwischen der okkulten Strömung und dem Rahmen der theosophischen Organisa­tion. Lassen Sie mich den Unterschied dessen, was als innerer spiritueller Strom geht, und was sich auslebt durch die einzelnen Persönlichkeiten, so ausdrücken, wie es vielleicht am besten ausgedrückt werden kann:

Wenn es sich um das spirituelle Leben handelt, dann sprechen die Mei­ster; handelt es sich um die bloße Organisation, dann ist Irrtum mög-lich, denn da schweigen die Meister.» (22. Oktober 1905).

Nachdem dann im Jahre 1907 theosophische Bewegung und Gesellschaft zusammengeworfen wurden dadurch, daß Annie Besant als Leiterin der Esoteric School auch Präsidentin der Gesellschaft wurde, korrigierte er die­ses für sich dadurch, daß er seinen ersten esoterischen Arbeitskreis aus der Esoteric School Annie Besants herauslöste.

Eindeutig versuchte Rudolf Steiner die mit der Polarität Bewegung - Ge­sellschaft verbundene Problematik zu klären, als man 1911/12 durch den be­vorstehenden Ausschluß der deutschen Sektion aus der Theosophischen Ge­sellschaft zur Gründung einer unabhängigen Gesellschaft schritt, indem er darin weder ein Amt übernahm, noch Mitglied wurde. Er wirkte als völlig freistehender Geisteslehrer und hatte mit Verwaltungsfragen der Gesellschaft offiziell nichts mehr zu tun. Aber schon bald brach der Erste Weltkrieg aus (1914 - 1918), wodurch das Gesellschaftsleben sehr stark lahmgelegt wurde. Als in den Jahren nach Kriegsende durch die Ausweitung in die Tochterbe­gründungen hinein der anthroposophischen Sache eine starke Gegnerschaft erwuchs, die im Brand des ersten Goetheanums in der Silvesternacht 1922/23 gipfelte, und sich zeigte, daß die Gesellschaft diesem Kampfe nicht gewachsen war, trat das Problem Bewegung - Gesellschaft ungleich schwerwiegender wseder in Erscheinung. Nun wurde für Rudolf Steiner die Frage, wie dieses divergierende Verhältnis gelöst werden könnte, zu einem lebensentschei­denden persönlichen Problem. Marie Steiner berichtet, daß er in manchem schweren Moment des Versagens gegenüber dem so häßlich geführten Kampf der Gegner ausgesprochen hat: «Wer weiß, ob es nicht besser wäre, die Bewe­gung ohne die Gesellschaft weiterzuführen. Für alle Fehler der Gesellschaft werde ich verantwortlich gemacht und darunter leidet die Bewegung.» 1)

1) Erinnerungsworte von Marie Steiner als Vorwort zur ersten Herausgabe der Vorträge über «Das Karma der anthropotophischen Bewegung«, siehe «Beiträge zur Rudolf Steiner Ge­stamtausgabe», Heft 23, Weihnachten 1968.

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Als dann mit Beginn des Jahres 1923 die Neuorganisierung der Gesell­schaft durch Gründungen von Landesgesellschaften in Gang gekommen war, der Wiederaufbau des Goetheanums beschlossen und die Begründung einer internationalen Anthroposophischen Gesellschaft auf Weihnachten 1923 festgesetzt worden war, hielt Rudolf Steiner im Juni 1923 in Dornach acht Vorträge über «Die Geschichte und die Bedingungen der anthroposo­phischen Bewegung im Verhältnis zur Anthroposophischen Gesellschaft». Damit wollte er zur Selbstbesinnung aufrufen und deutlich machen, daß man sich mit dem Gesellschaftsbewußtsein aus dem äußerlichen Gesell­schaftsmäßigen in das wirkliche Geist-Reale hineinfinden müsse, denn:

«eine anthroposophische Bewegung kann nur in einer Anthroposophischen Gesellschaft leben, die eine Realität ist» (6. Vortrag). Zu diesem Zeitpunkt, im Juni 1923, rang er immer noch um die Lösung des Problems Bewegung -Gesellschaft. Sogar noch im November 1923, als er anläßlich der Begrün­dung der holländischen Landesgesellschaft in Holland war, zweifelte er noch stark daran, ob ihm «ein Weitergehen mit der Gesellschaft als solcher überhaupt noch möglich sei. Er beklagte sich darüber, daß man nirgends zu verstehen scheine, was er überhaupt wolle, und daß es vielleicht nötig sein würde, mit nur ganz wenigen Menschen innerhalb eines strengen Zu­sammenschlusses weiter zu arbeiten.» 1) Und nachdem er sich kurz darauf entschlossen hatte, den gordischen Knoten dadurch zu lösen, daß er zu sei­ner Geistesforscher- und Lehrtätigkeit hinzu auch die Verantwortung für die Gesellschaftsführung persönlich übernimmt, knüpfte er an die Be­kanntgabe seines Entschlusses nochmals die Worte: «Es ist schon so, daß gegenwärtig die Dinge sehr, sehr ernst, bitter ernst genommen werden müssen, sonst müßte ja eigentlich dennoch dasjenige eintreten, wovon ich ja oftmals gesprochen habe, daß ich mich von der Anthroposophischen Gesellschaft zurückziehen müßte.» (Dornach, 23. Dezember 1923).

Um Bewegung und Gesellschaft zu retten, war er nach «schwerem inne­ren Überwinden» (Dornach, 24. Dezember 1923) zu dem Entschluß gekom­men, mit der bisherigen okkulten Richtlinie, die Leitungen von Bewegung/ Esoterische Schule und Gesellschaft getrennt zu halten, zu brechen. Uber­all, wo er im Verlaufe des Jahres 1924 über die neue Konstitution sprach, erklärte er als deren Grundgedanken diese einschneidende Änderung und betonte, daß dadurch, daß er selbst Vorsitzender der Gesellschaft gewor­den sei, Bewegung und Gesellschaft identisch geworden seien. Praktisch

1) F.W. Zeylmans van Emmichoven »Entwickelung und Geisteskampf 1923 - 1935«, 1935

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hieß das für ihn, neben dem Lehren und geistigen Forschen, «in tätiger Weise auf dem Erdenplane dasjenige auszuarbeiten, was sich heute in spiri­tuellen Welten offenbaren will» (Dornach, 5. September 1924), auch noch die ganze schwere Last der äußeren Verwaltung einer großen Organisation auf sich zu laden. Was das bedeutete, stand ihm aus seiner zehnjährigen Amtszeit als Generalsekretär der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft nur zu deutlich vor Augen. Was er damals zu ertragen hatte, nannte er rückblickend «bitter», und nur, um nicht sentimental genannt zu werden, sage er nicht, daß es ein «Martyrium» gewesen sei (Dornach, 24. Dezember 1923).

Darüber hinaus bedeutete für ihn der Weihnachtstagungs-Entschluß «das Übernehmen neuer Verantwortlichkeiten gerade vom Geistgebiete aus für die anthroposophische Bewegung» (Breslau, 9. Juni 1924), und es sollte etwas völlig Neues inauguriert werden. Sowohl für die Gesellschaft wie für die esoterische Schule sollten nunmehr Verwaltungsformen ge­schaffen werden, die es ermöglichen würden, die Anthroposophie in der Welt so zu repräsentieren, daß sie ihrer «Weltaufgabe», dem durch die ma­terielle Kultur geschaffenen Weltkörper die ihm notwendige Seele zu bil­den, nachkommen könne (Paris, 25. Mai 1924). Eine der wesentlichsten Voraussetzungen dafür sah er in der vollen Öffentlichkeit von Gesellschaft und Esoterischer Schule unter gleichzeitiger Wahrung der für das esoteri­sche Arbeiten notwendigen Lebensbedingungen. Auf diesem Wege sollte die Gesellschaft bis in die Verfassung hinein zur modernsten esoterischen Gesellschaft der Welt werden (Bern, 16. April 1924). Darum wurden auch die vordem nur für Mitglieder erhältlichen internen Vortragskurse freige­geben. Die neue esoterische Schule sollte ebenfalls so eingerichtet werden, daß ihr in keiner Weise der Charakter einer Geheimgesellschaft anhafte. Hatte die Schule von 1904 bis 1914 keine wirkliche äußere Organisation -von der Gesellschaft war sie sogar so weitgehend unabhängig, daß viele Mitglieder von ihrer Existenz nicht einmal wußten, da die daran Teilneh­menden von Rudolf Steiner ausschließlich persönlich eingeladen worden waren -, so sollte sie nun als «Freie Hochschule für Geisteswissenschaft» mit drei Klassen und mit Sektionen für die verschiedenen Wissenschafts­und Kunstzweige als Zentrum des Wirkens der Gesellschaft in deren Statu­ten verankert und den Mitgliedern das Recht zuerkannt werden, sich um Aufnahme bewerben zu können. Im weitesten Umfange solle man immer wsssen, was in ihr geschieht (Dornach, 30. Januar 1924).

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Gerade durch den so schwerwiegenden Entschluß, das frühere gegen­sätzliche Verhältnis von Bewegung/esoterischer Schule und Gesellschaft durch den Einsatz seiner eigenen Person zu einer neuen Synthese zu bringen, wird noch einmal besonders deutlich die souveräne Haltung Rudolf Steiners gegenüber den führenden geistigen Mächten. Denn er war damit nach sei­ner eigenen Äußerung ein großes Wagnis eingegangen, da er nicht gewußt habe, wie jene Mächte, die in den geistigen Welten die anthroposophische Bewegung lenken, sich dazu stellen würden; ja er hätte sogar mit der Ge­fahr rechnen müssen, daß mit der Übernahme der äußeren Leitung die gei­stigen Offenbarungen, «auf die wir doch durchaus angewiesen sind, wenn es sich um die Verbreitung der Anthroposophie handelt», versiegen (Paris, 23. Mai 1924). Nun hatte sich ihm in der Folgezeit zwar erwiesen, daß er richtig gehandelt hatte, da sein Entschluß von den leitenden geistigen Mächten wohlwollend aufgenommen und der Strom der geistigen Offen­barungen stärker als je geworden war - doch waren ihm zugleich dadurch starke gegnerische Kräfte erstanden; gegnerische Mächte auf geistigem Ge­biete, «die sich doch der Menschen auf Erden bedienen, um ihre Wirkungen zu erzielen.» (Paris, 23. Mai 1924). Das hatte er noch während der Tage, in denen Gesellschaft und esoterische Schule neu begründet wurden, am eige­nen Leibe verspüren müssen durch einen auf ihn verübten Vergiftungsver­such. 1) Dieser Attacke auf seine Gesundheit konnte er zwar unmittelbar standhalten, aber seine physischen Kräfte blieben doch stark geschwächt. Neun Monate lang leistete er noch ein Übermaß an Lehrtätigkeit und für den Aufbau neuer Verwaltungsformen, dann erkrankte er schwer und wurde am 30. März 1925 von seiner physischen Wirksamkeit abberufen.

Was als esoterisch-soziales Zukunftswerk in größtem Stile von ihm be­gonnen worden war, mußte er unvollendet zurücklassen.

So ist, wie bei allen überragenden Geistesmenschen, auch Rudolf Steiners Leben von Tragik erfüllt; nur daß sie bei ihm anders geartet ist, als wie sie gewöhnlich verstanden wird nach der Definition, die auf den größten Denker der vorchristlichen Zeit, auf Aristoteles zurückgeht. Aristoteles de­finiert das Wesen der Tragik als Spannungsverhältnis, das sich aus der unausweichlichen Bindung des Menschen an das Gegeneinander ihn bestim­mender Mächte ergibt. Das andersgeartete der Tragik in Rudolf Steiners Leben liegt darin, daß er aus völligfreiem Willen sich in Spannungsverhältnisse

1) Siehe die Chronik in #SE264-442

hineinstellte, um Gegensätze auszugleichen, zu überbrücken, bis selbst seine starken Kräfte davon völlig aufgezehrt wurden.

Dem tiefen Sinn seines letzten Versuches, mit übermächtiger Anstren­gung, die seinen allzu frühen Tod bedingte, das gegensätzliche Verhältnis von Bewegung und Gesellschaft auszugleichen, ist vielleicht am ehesten na­hezukommen durch einen Vergleich mit der Polarität von Punkt und Um-kreis. Denn die Grundrichtung seines Schaffens wurde nachweislich be­stimmt durch ein Erkenntniserlebnis, eine Art Ur-Intuition, die sich durch die Punkt-Kreis-Polarität darstellt. 1) Diese Ur-Intuition - «die Intuition ist punktual»2) - ist offenbar identisch mit dem ersten, dem umfassendsten der sieben großen Geheimnisse des Lebens, denn die Mysterienanweisung dazu lautet: «Sinne nach, wie der Punkt zur Sphäre wird und doch er selbst bleibt. Hast du erfaßt, wie die unendliche Sphäre doch nur Punkt ist, dann komme wieder, denn dann wird dir Unendliches in Endliches scheinen.»3) Auf die innere Erlebensart dieser Polarität weist der für dieses große Ge­heimnis des Lebens geltende terminus technicus «Sturz in den Abgrund»; denn um vom Punkt zum Umkreis zu kommen, muß ein Abgrund - in anderen Zusammenhängen von Rudolf Steiner auch «Umstülpung» ge­nannt -, überwunden werden. Dann erst kann sich der Weg zur realen Erkenntnis der für den Menschen grundlegendsten Polarität, derjenigen von Ich und Welt, eröffnen.

Als Rudolf Steiner im Beginn seiner Studienzeit im Jahre 1879/80 durch die synthetische Geometrie erfuhr, daß tatsächlich rechnerisch nachgewie­sen werden kann, daß der unendlich ferne Punkt nach rechts derselbe ist wie der unendlich ferne Punkt nach links, das heißt, daß der Kreis qualitativ dasselbe ist wie der Punkt, wurde ihm die spirituelle Vorstellung von dem der Zeit zugrundeliegenden interferierenden Doppelstrom von Evolution und Involution auch mathematisch erfaßbar. Damals wurde die Erkenntnis von dem dreigliedrig wirksamen Weltgestaltungsprinzip im Sinne des Aus­gleichs von Polaritäten geboren und seitdem methodisch ausgebaut.

Daraus kann abgeleitet werden, daß Rudolf Steiner seine Ich-Welt-Er-kenntnisse auf dem Wege über das Umstülpungserlebnis der Punkt-Kreis-Polarität gewonnen hat. Für drei seiner repräsentativsten Schöpfungen ist

1) Siehe 2) In 1922, Fragenbeantwortung ohne genaues Datum), Dornach 1957.

3) Brief an Günther Wagner vom 24. Dezember 1903.

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dies klar erkennbar. Diese drei Schöpfungen sind: auf dem erkenntniswis­senschaftlichen Gebiet die in diesem Sinne als Polarität zusammengehöri­gen Werke «Philosophie der Freiheit» und «Geheimwissenschaft»; auf dem bildnerisch-künstlerischen Gebiet der Doppelkuppelbau des ersten Goethe­anums; auf dem esoterisch-sozialen Gebiet der Gesellschaftsbildung die Doppelkuppelkonzeption des geistigen Goetheanums.

Daß die Werke «Philosophie der Freiheit» und «Geheimwissenschaft» als Hauptrepräsentanten der Ich- und Welt-Erkenntnis im Sinne der Punkt-Umkreis-Polarität zusammengehören, hat Rudolf Steiner selbst geäußert. Als er einmal gefragt wurde, ob ihm zu der Zeit, als er seine «Philosophie der Freiheit» schrieb, die geistigen Baumeister der Welt, die Hierarchien, wie sie in der «Geheimwissenschaft» dargestellt sind, schon bewußt gewe­sen seien, habe er geantwortet: Bewußt seien sie gewesen; aber die Sprache, die er damals sprach, habe noch keine Formulierungsmöglichkeit ergeben; die sei erst später gekommen. Doch wenn auch in der «Philosophie der Freiheit» die Hierarchien noch nicht formuliert seien, so seien sie in ihr doch enthalten. Denn wenn man sich zu dem in ihr geschilderten Freiheits­erlebnis durchringe, nehme man nicht nur den Menschen als geistiges We­sen wahr, sondern auch die Hierarchien, da sie alle im Menschen sind. Und dann erfolgte der entscheidende Satz: «Im geistigen Schauen erscheint, was im Menschen ist, als geistige Umgebung.» 1) In dem gleichen Sinne verwies er auf die Punkt-Kreis-Intuition in bezug auf die Polarität von Ich- und Welterkenntnis am Schluß des Vortragszyklus «Die geistigen Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt> (GA 110), indem er sei­ne Ausführungen in die Worte zusammenfaßte: «Wir haben ... uns gefragt nach dem Sinne des Menschen, und wir haben diesen Sinn des Menschen, des Punktes inmitten des Universums, nach der Mysterienanweisung zu er-gründen versucht, indem wir den Punkt, den Menschen, aus dem Umkreis zu enträtseln versuchten - den Punkt aus dem Umkreis! Damit aber stellt sich unsere Erkenntnis in die Realität hinein. ... Und unsere Erkenntnis ist real, wenn sie uns so vor Augen tritt wie der Bau und Prozeß des ganzen Weltenalls.» Und daß auch die Bildungsgesetze, die der menschlichen Ge­stalt zugrundeliegen, aus der Dynamik der Punkt-Umkreis-Polarität er­kannt werden können, geht aus der Äußerung hervor, daß man an den Menschen erst herankommen könne, wenn man «ganz innerlich» verstehen

1) Aus einem Gespräch Rudolf Steiners mit W.J. Stein. Siehe »Ein Beitrag zu Rudolf Stei­ners Lebensgeschichte< in 1934, Nr.5

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könne, daß ein Kreis ein Punkt, ein Punkt ein Kreis ist, denn im Menschen sei das verwirklicht, daß der «Ich-Punkt des Kopfes im Gliedmaßenmen­schen zum Kreis wird, der natürlich konfiguriert ist» (Dornach, 5. Juli 1924).

Und genauso, wie die Natur die menschliche Gestalt aus der Punkt­Kreis-Dynamik schafft, so gestaltete Rudolf Steiner auch den Grundriß des ersten Goetheanumbaues als zwei einander durchdringende Kreise und charakterisierte darum den Bau mit dem Wort: «Und der Bau wird Mensch». 1) An der Geschichte des Baugedankens kann sogar abgelesen wer­den, wie sich der Grundrißgedanke bei Rudolf Steiner entwickelt hat. Im Jahre 1907, als der Baugedanke anläßlich des Münchner Kongresses erst­mals in Erscheinung trat, war der Veranstaltungssaal entsprechend dem ro­senkreuzerischen Initiationstempel noch als ein einziger Raum gestaltet worden. So blieb es auch noch für den durch München angeregten Modell-bau in Malsch. Aber schon während der Vorarbeiten für Malsch im Jahre 1908 erstand Rudolf Steiner die Intuition, den einen Kuppelraum zu einem Doppelkuppelraum zu erweitern. Die Bedeutung, die dieser Erweiterung zukommt, wird verständlich aus der modernen esoterisch-geschichtlichen Aufgabe, das übersinnliche Wissen und die bisher im Verborgenen gele­gene Arbeitsstätte des Eingeweihten, den «Tempel», in das öffentliche Kulturleben hineinzustellen, das heißt, die Öffentlichkeit einzubeziehen. Das durch diese esoterisch-geschichtliche Aufgabe entstandene Problem des Gegensatzes von «Bewegung» mit ihrem notwendig aristokratischen Charakter und von «Gesellschaft» mit öffentlich-demokratischen Charak­ter meisterte Rudolf Steiner durch die Gestaltung des Grundrisses in zwei einander durchdringende Kreise. Er bezeichnete selbst einmal deren ver­schiedene Konstruierung (großer Kuppelraum als Zuschauerraum durch gewöhnliche Kreisberechnung, kleiner Kuppeiraum als Bühnen-Kultraum durch Divisionskreisberechnung) im Zusammenhang mit der Punkt- und Umkreispolarität als den «neuen baukünstlerischen Gedanken» (Dornach, 28. Juni 1914). Durch den Baubrand in der Silvesternacht 1922/23 war dieser Versuch, den Gegensatz von Ich und Welt, respektive Bewegung und Gesellschaft, in künstlerischer Formung zum Ausgleich zu bringen, vernichtet worden. Trotz dieses großen Unglücks war der Wiederaufbau keine Frage. Ein Jahr lang trug Rudolf Steiner den Gedanken für die Ge­staltung des neuen Baues in sich, bis sich ihm die Durchdringung zweier Baukörper in völlig neuer Art ergab.

1) Eines der sogenannten Fensterworte in «Wahrspruchworte», GA 40.

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Gleichzeitig reifte in dem so schicksalsschweren Jahre 1923 aus der Punkt-Kreis-Intuition nun auch die Formgestalt für die schon lange not­wendig gewordene Neukonsolidierung der Gesellschaft. Aus dem Ringen darum seit dem Brand des Baues bis zu der auf Weihnachten 1923 festge­setzten Neubegründung wurde der Entschluß geboren, durch den Einsatz seiner eigenen Person den Gegensatz von Bewegung und Gesellschaft zu überwinden. Der Grundrißgedanke des «Baues» wurde auch zum Gestal­tungsprinzip des Gesellschaftskörpers. Die «Weihnachtstagung 1923/24» zur Neubegründung von Gesellschaft und esoterischer Schule wurde zur ideellen Grundsteinlegung eines neuen, eines sozialen Doppelkuppelbaues. Die esoterische Schule als «Freie Hochschule für Geisteswissenschaft» un­ter der alleinigen Leitung Rudolf Steiners sollte als gewissermaßen kleine Kuppel mit der großen Kuppel, der demokratisch-öffentlichen Gesellschaft verbunden werden. Mit diesem Wagnis wollte Rudolf Steiner offenbar den Abgrund, der bisher zwischen dem aristokratischen Leben der okkulten Bewegung und dem demokratischen Leben der Gesellschaftsöffentlichkeit bestanden hatte, überwinden. Besonders stark muß das Bewußtsein von diesem Abgrund im Jahre 1923, als er noch um die neue Gesellschaftsform rang, in ihm gelebt haben. Denn nach überlieferten Stichworten von einer esoterischen Stunde aus diesem Jahre 1923 sprach er damals von dieser Ab­grundssituation als von einer «heroischen Tragödie» in der Geschichte der neueren Menschheit.

Der Entschluß von Weihnachten 1923/24 hat Rudolf Steiner das Leben gekostet. Marie Steiner hat des öfteren auf das mit dieser Weihnachtstagung verbundene «unendlich Tragische» hingewiesen. 1) Aus der ungeheuren Be­deutung, die er der Polarität von Bewegung und Gesellschaft beigemessen hat, ergibt sich als nahezu selbstverständlich, daß Rudolf Steiner keinen Nachfolger ernennen konnte für die Fortführung des damals inaugurierten Impulses: «daß nunmehr die anthroposophische Bewegung so gestaltet wird, daß sie auf nichts mehr Rücksicht nimmt als auf das, was die geistige Welt von ihr haben will.» (Dornach, 12. April 1924). Deren Vermittler konnte nur er sein, weshalb er in demselben Zusammenhang sagte, daß «natürlich die Anthroposophische Gesellschaft etwas ganz anderes sein (muß), wenn sie von mir geleitet wird oder wenn sie von jemand anderem geleitet wird» (Dornach, 12. April 1924).

1) Msrie Steiner in «Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthropo­sophischen Gesellschaft 1923/24«, GA 260.

2) Notizblatt Archivnummer 634

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Kann dies alles auch als tiefe Tragik empfunden werden, so ist es doch eine Tragik, die zu aktiver Erkenntnis und fruchtbarem Weiterwirken auf­ruft. Denn für das Entscheidende im Sinne Rudolf Steiners dürfte der Sinn des von ihm einmal niedergeschriebenen Meditationssatzes gelten: «Wel­tenwerden ist das Verschwinden des Geistes auf einer Seite in den Abgrund und Aufglänzen auf der anderen Seite aus dem Abgrund.»

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.