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Version vom 3. November 2023, 13:44 Uhr
GELEITWORT
zum Erscheinen von Veröffentlichungen aus den Vorträgen Rudolf Steiners für die Arbeiter am Goetheanum vom August 1922 bis September 1924
#G349-1961-SE009 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
#TI
GELEITWORT
zum Erscheinen von Veröffentlichungen aus den Vorträgen Rudolf Steiners für die Arbeiter am Goetheanum
vom August 1922 bis September 1924
#TX
Man kann diese Vorträge auch Zwiegespräche nennen, denn ihr Inhalt wurde immer, auf Rudolf Steiners Aufforderung hin, von den Arbeitern selbst bestimmt. Sie durften ihre Themen selber wählen; er regte sie zu Fragen und Mitteilungen an, munterte sie auf, sich zu äußern, ihre Einwendungen zu machen. Fern- und Naheliegendes wurde berührt. Ein besonderes Interesse zeigte sich für die therapeutische und hygienische Seite des Lebens; man sah daraus, wie stark diese Dinge zu den täglichen Sorgen des Arbei¬ters gehören. Aber auch alle Erscheinungen der Natur, des mine-ralischen, pflanzlichen und tierischen Daseins wurden berührt, und dieses führte wieder in den Kosmos hinaus, zum Ursprung der Dinge und Wesen. Zuletzt erbaten sich die Arbeiter eine Einführung in die Geisteswissenschaft und Erkenntnisgrundlagen für das Verständnis der Mysterien des Christentums.
Diese gemeinsame geistige Arbeit hatte sich herausgebildet aus einigen Kursen, die zunächst Dr. Roman Boos für die an solchen Fragen Interessierten, nach absolvierter Arbeit auf dem Bauplatz, gehalten hat; sie wurden später auch von andern Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft weiter geführt. Doch erging nun die Bitte von seiten der Arbeiter an Rudolf Steiner, ob er nicht selbst sich ihrer annehmen und ihren Wissensdurst stillen würde, - und ob es möglich wäre, eine Stunde der üblichen Arbeitszeit dazu zu verwenden, in der sie noch frischer und auf¬nahmefähiger wären. Das geschah dann in der Morgenstunde nach der Arbeitspause. Auch einige Angestellte des Baubüros hatten Zutritt und zwei bis drei aus dem engeren Mitarbeiter-kreise Dr. Steiners. Es wurden auch praktische Dinge besprochen, so zum Beispiel die Bienenzucht, für die sich Imker interessierten.
#SE349-010
Die Nachschrift jener Vorträge über Bienen wurde später, als Dr. Steiner nicht mehr unter uns weilte, vom Landwirtschaftlichen Versuchsring am Goetheanum als Broschüre für seine Mitglieder herausgebracht.
Nun regte sich bei manchen andern immer mehr der Wunsch, diese Vorträge kennenzulernen. Sie waren aber für ein besonde¬res Publikum gedacht gewesen und in einer besonderen Situation ganz aus dem Stegreif gesprochen, wie es die Umstände und die Stimmung der zuhörenden Arbeiter eingaben, - durchaus nicht im Hinblick auf Veröffentlichung und Druck. Aber gerade die Art, wie sie gesprochen wurden, hat einen Ton der Frische und Unmittelbarkeit, den man nicht vermissen möchte. Man würde ihnen die besondere Atmosphäre nehmen, die auf dem Zusam-menwirken dessen beruht, was in den Seelen der Fragenden und des Antwortenden lebte. Die Farbe, das Kolorit möchte man nicht durch pedantische Umstellung der Satzbildung wegwischen. Es wird deshalb der Versuch gewagt, sie möglichst wenig anzutasten. Wenn auch nicht alles darin den Gepflogenheiten literarischer Stilbildung entspricht, so hat es dafür das unmittelbare Leben.
Marie Steiner
ERSTER VORTRAG Dornach, 17. Februar 1923
#G349-1961-SE011 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
#TI
ERSTER VORTRAG
Dornach, 17. Februar 1923
#TX
Fragen werden gestellt in bezug auf Farben und in bezug auf Gestein.
Ich will zuerst die Frage in bezug auf das Gestein behandeln, denn das kann ganz gut im Zusammenhange mit den Dingen be¬handelt werden, die wir bis jetzt betrachtet haben.
Sie wissen ja, wenn man auf der Erde etwas baut, so muß man auf die Gesetze der Schwere, auf die Gesetze des Gewichtes und auf manches andere noch, zum Beispiel auf dasjenige - wir wer¬den gleich darauf zu sprechen kommen -, was man Elastizitäts¬gesetze nennt, sehr Rücksicht nehmen. Denken Sie sich, man baut einen Turm, sagen wir, einen Turm wie den vom Kölner Dom, oder man baut so etwas wie den Eiffelturm. Da muß man natür¬lich sich klar sein darüber, daß man so bauen muß, daß die Ge¬schichte nicht umfällt. Nun kann man, wenn man genau die Ge¬setze der Schwere kennt, so bauen, daß die Geschichte nicht um-fällt. Aber die höchsten Türme der Erde, die sind doch nicht anders gebaut, als daß man eine Grundfläche hat, und wenn Sie etwa zehnmal die Grundfläche hier herauftragen, eins zu zehn also, so können Sie die höchsten Türme bekommen. Also eins zu zehn ist das Verhältnis, in dem man höchste Türme bauen kann; sonst würden die Türme bei denjenigen Erschütterungen, die es immer¬hin gibt durch die Bewegung der Erde, durch den Windstoß und so weiter, umfallen.
Aber außerdem muß man Rücksicht darauf nehmen, daß solche Türme in sich etwas elastisch sind. Die Spitze wackelt immer ein bißchen. Es muß das, was man elastische Kraft nennt, berücksich-tigt werden. Die Geschichte wackelt immer; aber würde sie zu stark wackeln, würde sie kaputt gehen. Der Eiffelturm wackelt an seiner Spitze ganz bedeutend. Aber es muß immer darauf Rück¬sicht genommen werden, daß er aus seiner Grundfläche nicht herausfällt.
#SE349-012
Nun, diese Gesetze, die finden Sie sofort gar nicht beachtet, wenn Sie einen, sagen wir, Weizenhalm anschauen. Ein Weizenhalm
#Bild s. 12
hat eine kleine Grundfläche. Er ist in Wirklichkeit ja auch nichts anderes als ein Turm. Ein solcher Weizenhalm, der hat eine kleine Grundfläche. Er geht ja hoch hinauf, und wenn man da dieses Verhältnis berechnet, so ist es durchaus nicht das, was wir bei mechanischen Bauten immer einhalten müssen, eins zu zehn oder so ähnlich, sondern es ist zum Beispiel eins zu vierhundert, bei manchen Halmen eins zu fünfhundert. Also nach den Ge¬setzen, die wir als Mechaniker auf der Erde anwenden, muß ein solcher Turm unbedingt umfallen! Denn wenn ihn der Wind schüttelt, so sind seine elastischen Kräfte durchaus nicht so, daß Sie das nach den ,Gesetzen, die da der Mechaniker einhalten muß, begreifen können. Und wenn Sie an den Eiffelturm da oben noch etwas ganz besonders Schweres aufsetzen wollten, so würden Sie sehen, daß Sie das gar nicht könnten. Aber dieser Turm, der ein HaIm ist, der hat oben noch die Ähre aufgesetzt, die im Winde schaukelt. Sie sehen, das widerspricht allen baumeisterlichen Gesetzen.
Nun, wenn man die Stoffe untersucht, aus denen das gemacht ist, bekommen Sie erstens Holz, das heißt dasjenige, was man
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bei der Untersuchung dann als Stoff herauskriegt, ist ein Holz¬stoff; dann dasjenige, was man noch herauskriegt, ist das, was Sie ja auch kennen: Bast. Das sehen Sie bei den Bäumen. Und was dann noch drinnen ist, das ist nun ein richtiges Baumaterial, das ist Kiesel, Quarz, richtige Kieselsäure. Aber das ist harter Quarz, wie er sich in den Alpen findet und wie er zum Beispiel im Granit oder im Gneis drinnen ist. Also dieser Quarz, der bildet ein ganzes Gerüste. Und außerdem ist als vierter Stoff noch Wasser drinnen. Also der Mörtel, der da gemacht ist aus Holz, Bast, Wasser und Kiesel, der Mörtel, der macht dies, daß er widerspricht allen irdischen Gesetzen. Ein Grashalm ist also auch ein Turm, ganz aus Stoffen gebaut, kann im Winde geschaukelt werden, bricht nicht durch, richtet sich, wenn der Wind wiederum aufhört oder das Wetter ihm günstig ist, ruhig wieder auf. Das wissen Sie ja.
Aber solche Kräfte, mit denen man so etwas von der Erde aus bauen könnte, gibt es nicht auf der Erde. Und wenn Sie fragen: Ja, woher kommen diese Kräfte? da muß eben wiederum geantwortet werden: Der Eiffelturm ist tot, der Weizenhalm lebt. Aber das Leben hat er nicht von der Erde, sondern das Leben hat er von der ganzen Weltumgebung. Geradeso wie auf den Eiffelturm die Schwere bloß nach unten zieht, so wächst der HaIm nicht etwa so, daß er sich auf das Untere stützt. Wenn wir den Eiffelturm bauen, müssen wir ein Material übers andere legen, und durch das wird in der Tat immer das Untere das Obere stützen. Das ist beim Halm nicht der Fall. Der Halm wird nämlich gezogen nach dem Weltenraum hinaus. Wenn Sie also die Erde sich vorstellen (es wird gezeichnet) und da die Halme sind, so werden sie alle nach dem Weltenraum hinaus gezogen, weil das alles ausgefüllt ist mit so einem feineren Stoff, den man den Äther nennt und der in der Pflanze lebt. Aber dieses Leben kommt nicht von der Erde, das kommt vom Weltenraum. Also wir können sagen: Das Leben kommt aus dem Weltenraum. Und darauf beruht es auch, daß, was ich Ihnen schon einmal gesagt habe, wenn sich das Ei im Mutterleibe bildet, der Mutterleib nur die Substanz hergibt. Das-jenige, was auf das Ei wirkt, das ist der ganze Weltenraum. Der
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belebt das Ei. Sehen Sie, so wirkt in alle dem, was lebt, der ganze Weltenraum drinnen.
Wenn man die Pflanze ansieht, so wächst sie zunächst unter der Erde. Das wäre die Erde (es wird gezeichnet), da drinnen wächst die Pflanze. Aber diese Erde, die ist ja nicht eine gleichgültige Masse, sondern diese Erde ist eigentlich etwas ganz Wunderbares. In dieser Erde sind allerlei Substanzen. Aber in alten Zeiten waren drei Substanzen ganz besonders wichtig in dieser Erde. Das eine ist eine Substanz, die man Glimmer nennt. Man findet ihn heute in der Pflanze nur wenig; aber trotzdem er so wenig in der Pflanze gefunden wird, ist er außerordentlich wichtig. Sie können sich vielleicht erinnern, wenn Sie schon Glimmerblättchen gese¬hen haben, der Glimmer ist blättchenförmig, kleine Blättchen, die manchmal wie durchsichtig sind. Und die Erde war einmal von solchen Glimmerblättchen durchzogen. Die gingen in der Rich¬tung (es wird gezeichnet). Als die Erde noch weich war, waren da einfach solche Kräfte. Und dem standen gegenüber andere Kräfte; die gingen jetzt so (es wird gezeichnet), so daß man ein richtiges Gitter hatte in der Erde. Diese anderen Kräfte, die sind heute im Quarz, im Kiesel enthalten. Und dazwischen gibt es noch einen anderen Stoff in der Hauptsache, das ist der Ton. Und dieser Ton, der verbindet diese beiden, der füllt gleichsam das Gitter aus. Man nennt ihn Feldspat als Gestein. So daß man einstmals die Erde in der Hauptsache aus diesen drei Gesteinssorten bestehend
#Bild s. 14
hatte. Aber es war alles weich, breiig. Da war der Glimmer, der eigentlich sich bemüht hat, die Erde blättchenförmig zu machen,
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so daß die Erde in horizontaler Richtung blättchenförmig gewesen wäre. Dann war der Kiesel drinnen, der so gestrahlt hat. Und dann war der Feldspat da, der beide miteinander verkittet hat.
Diese hauptsächlichsten Bestandteile finden wir heute, wenn wir die Tonerde nehmen, die auf dem Felde überall ist. Diese drei Stoffe waren in der Erde einstmals durcheinandergemischt. Heute sind diese drei Stoffe im Gebirge draußen zu finden. Wenn wir ein Stück Granit nehmen, so ist das ganz körnig. Da sind lauter solche Splitter drinnen; diese Splitter sind zersplitterte Glimmerblättchen. Dann sind ganz harte Körner drinnen; das ist der Kiesel. Und dann sind verbindende Körner drinnen; das ist der Feldspat. Diese drei Stoffe sind zermürbt, körnig gemacht, und man findet sie heute im Gebirge draußen. Sie bilden die Grundmassen des härtesten Ge-birges. Sie sind also, seitdem die Erde weich war, durch allerlei Kräfte, die in der Erde wirken, zerstoßen, zerstampft worden, sind durcheinandergebracht worden, und sie sind heute zermürbt in den Bergen draußen. Aber Reste dieser alten Stoffe, namentlich Reste der Kräfte dieser alten Stoffe, finden sich noch überall in der Erde. Und aus diesen Resten werden durch den Weltenraum die Pflanzen aufgebaut.
Wir können also sagen: Ja, wenn diese Weltenkräfte heute im Gebirge draußen wirken, da können sie nichts mehr machen. Da sind diese Gesteine zermürbt, zerbröckelt, zerkörnt, und sie sind zu hart, als daß sie Pflanzen werden könnten. Aber bei dem, was in der Erde drinnen ist, da kann das noch - dadurch namentlich, daß die Erde immer noch ihre wichtigsten Stoffe, Kräfte abgibt an den Keim - verwendet werden, um die Pflanze aus dem Weltenraum aufzubauen.
Sehen Sie, solch eine Betrachtung, bei der man darauf Rücksicht nimmt, wie der ganze Weltenraum zum Lebendigen mitwirkt, solch eine Betrachtung gibt es ja gar nicht in der heutigen Wissen¬schaft. Neulich ist, wie Sie vielleicht gelesen haben, in Basel ein Vortrag gehalten worden; da hat man auseinandergesetzt, wie eigentlich das Leben auf die Erde gekommen sein soll, und da hat der betreffende Vortragende gesagt: Ja, durch bloße Zusammenmischung
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oder chemische Verbindungen von Substanzen auf Er¬den kann man sich schwer vorstellen, daß das Leben kommt; dann muß es doch aus dem Welten raum kommen. Aber wie? - Nun, es ist interessant, wie ein heutiger Gelehrter sich vorstellt, daß das Leben aus dem Weltenraume kommen kann. Er sagt sich: Nun ja, wenn es nicht auf der Erde ist, so muß es von anderen Sternen kommen. Nun, der nächste Stern, der vielleicht einmal Stoffe von sich weggeschüttet hat, die dann zu der Erde hergeflogen wären, ist so weit von der Erde entfernt, daß diese Stoffe, die da abge¬splittert werden, vierzigtausend Jahre gebraucht hätten, um auf die Erde herzufliegen. Also müßte man sich vorstellen, so sagten die Leute, die Erde war einmal ein feurig-flüssiger, ein feuriger Körper. Da hat es auf ihr kein Leben geben können, sonst wäre es natürlich verbrannt. Die Erde hat sich aber abgekühlt. Als sie sich abgekühlt hatte, da war sie so, daß sie nun das Leben aufneh¬men konnte, wenn es ihr von dem nächsten Stern, von dem man denkt, daß es herkommen könnte, von woher es vierzigtausend Jahre gebraucht hätte, zugeflogen wäre.
Nun kann man sich nicht vorstellen, meinte der Betreffende, daß ein Lebenskeim, ein kleiner Lebenskeim vierzigtausend Jahre den Weltenraum durchwanderte, der noch dazu eine Kälte, nicht eine Wärme, sondern eine Kälte von -273° C hat. Dann würde das auf der Erde ankommen, und wenn es ankommt auf der Erde, dann würde auf der Erde das Leben entstehen. Vorher hätten noch so viele Keime zufliegen können, da wären sie verbrannt. Und als die Erde genügend abgekühlt war, so wären sie gediehen. Aber das könnte ja eben nicht sein, sagte der Betreffende. Also weiß man nicht, woher das Leben kommt.
Aber man sieht es ja, daß es aus dem Weltenraume kommt. Man sieht wirklich, daß in dem, was lebt, nicht nur die Kräfte der Erde wirken. Denn die Kräfte der Erde verwenden wir nur für den Eiffelturm zum Beispiel. Und in einem solchen Turm hier (im Weizenhalm) wirken eben nicht bloß die Kräfte der Erde, sondern die Kräfte des ganzen Weltenraumes. Und als die Erde noch weich war, als in ihr also Glimmer, Feldspat und Kiesel
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flüssig durcheinander schwammen, da war die ganze Erde unter dem Einflusse des Weltenraumes, und da war sie eine riesige Pflanze. Wenn Sie daher heute hinausgehen in die Gebirge und dort den Granit finden oder den Gneis, der sich nur dadurch vom Granit unterscheidet, daß sein Glimmer zahlreicher ist, mehr her¬vortritt, wenn Sie also heute hinausgehen in die Berge und den Granit oder den Gneis anschauen, so sind das die Reste von die¬sen alten Pflanzenbildungen. Die ganze Erde war eine Pflanze. Und geradeso wie, wenn heute die Pflanze zugrunde geht, sie mineralische Bestandteile der Erde übergibt, so übergab der ganze Erdenkörper seine mineralischen Bestandteile, als er noch Pflanze war, später der Erde. Und da haben Sie heute die Gebirge. So daß man sagen kann: Die härtesten Gebirge, die entstanden sind, diese härtesten Gebirge, die sind aus dem Pflanzenwesen entstanden, und die ganze Erde war eine Art Pflanze.
Ich habe Ihnen ja gesagt, wie es ausgeschaut hat auf der Erde, als dieses Gestein eben schon aufhörte, Pflanze zu sein, aber noch alles weich war. Da lebten nicht unsere heutigen Tiere und Men¬schen, sondern das Megatherion und alle diese Tiere, von denen ich Ihnen erzählt habe. Aber bevor das alles geschehen war, war die Erde eine Riesenpflanze im Weltenraum. Und wenn man heute eine Pflanze so anschaut, daß man sie vergrößert, so findet man heute noch: Das, was in ihr ist, schaut ganz ähnlich aus wie die Gebirgsbildungen draußen, weil eben das Leben, das aus dem Weltenraum kommt, nur noch auf die ganze Pflanze wirkt; die kleinen Teile sind schon Gesteinsmasse. - Also die Erde hat ein¬mal gelebt, und dasjenige, was wir heute in den härtesten Gebirgs-gesteinen finden, ist der Rest von dem, wie die Erde einmal gelebt hat.
Aber noch auf eine andere Weise entsteht das harte Material, das Gesteinsmaterial der Erde. Wenn Sie in den Ozean hinaus¬kommen, so finden Sie im Ozean Inselbildungen. Das ist also das Meer (es wird gezeichnet). Eine bestimmte Strecke unter dem Meere leben kleine Tierchen, die richtig in Kolonien leben: die Korallen. Diese Korallentiere haben die Eigentümlichkeit, daß
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sie fortwährend Kalk absondern. Der Kalk, der bleibt dann da liegen, so daß die Insel bedeckt wird von solchem abgelagerten Kalk, der von den Korallen kommt. Und manchmal senkt sich dann hier der Boden ein, geht hinunter, so daß sogar ein See ent¬steht. Dann ist so ein Ring da von Kalk, den die Korallen zurück¬gelassen haben. Überhaupt senkt sich gerade in denjenigen Gegen¬den, wo die Korallen ihren Kalk absondern, die Erde fortwährend, so daß der Kalk der Korallentiere, die selbst nur unmittelbar unter der Oberfläche des Meeres leben können, immer tiefer und tiefer geht. So daß man sagen kann: Man findet heute noch im Meere Kalkablagerungen, die von Tieren herrühren, nämlich von Koral-lentieren. Ehemals war das so, daß da, wo der Jurakalk ist, Tiere waren. Die haben den Kalk abgelagert.
Gehen Sie in das Mittelalpengebiet, wo die harten Steine sind, so haben Sie dort, was die Pflanzen abgelagert haben. Gehen Sie hier in den Jura, so haben Sie das, was von den Tieren abgelagert ist. Die ganze Erde hat ja einmal gelebt. Ursprünglich war sie eine Pflanze, dann ein Tier. Was wir heute als Gesteinsmaterial haben, sind die Reste des Lebens.
Es ist einfach ein Unsinn, daß sich durch chemische Verbindun¬gen aus toten Stoffen Leben aufbaut. Das Leben kommt aus dem Weltenraum, den der Äther ausfüllt. Es ist ein Unsinn, daß die toten Stoffe sich zusammenmischen und leben könnten, was man «Urzeugung» nennt. Nein, gerade die toten Stoffe rühren her von Lebendigem, sind abgesondert vom Lebendigen. Wie unsere Kno-chen ausgesondert sind - im Mutterleibe haben wir sie zuerst noch nicht -, so ist alles, wie der Knochenbau und so weiter, aus dem Lebendigen heraus gebildet. Das Lebendige ist zuerst, und nach¬her kommt erst das Tote. Es ist so, daß der Äther uns umgibt, und der Äther zieht ebenso alles hinauf, wie die Erdenschwere alles hinunter zieht. Aber er zieht hinauf, indem er nicht; wie die Schwere, tot macht. Je mehr Sie die Schwere einatmen, desto mehr werden Sie gichtisch oder diabetisch oder so etwas; um so mehr werden wir tot. Und je mehr sich die Kräfte, die nach aufwärts gehen, in uns geltend machen, um so lebendiger werden wir.
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Sehen Sie, jetzt komme ich zu einem Teil der Frage, die Herr B. gestellt hat. Denken Sie also, ich habe einen Menschen vor mir, der irgendwie krank ist, und ich kann mir sagen: Bei dem fehlt es daran, daß er zu wenig Kräfte hat, die in den Weltenraum hinaus wirken. Er hat zu viel Schwerekräfte. Es lagert sich alles mögliche ab in ihm. Jetzt erinnere ich mich: Donnerwetter, sage ich mir, der Kiesel, der war ja einmal dasjenige, was in den Weltenraum Kräfte hat hinausstrahlen lassen. Wenn ich mir den Kiesel so zu-bereite, daß in ihm die alten Kräfte wieder lebendig werden, wenn ich also aus Kiesel eine Arznei mache, das mit anderen Substanzen vermische, wodurch das Kieselige wieder Ätherkraft bekommt: gebe ich die ein, dann kann ich mit ihm heilen. Und mit diesem Kiesel-Medikament kann man großen Erfolg haben. Da kann man also in der Medizin wiederum diese Kräfte verwenden, die einst¬mals im Lebendigen beim Kiesel vorhanden waren, wie überhaupt die Medizin zu großen Resultaten kommen kann, wenn man nach¬denkt darüber, wie es mit der Erde war, als sie noch ganz lebendig war, als der Kiesel noch vom Weltenraum beeinflußt war. Wenn also im Menschen zu wenig lebt und er eine Verbindung braucht mit dem Weltenraum, so gibt man ihm solche Stoffe ein, die draußen verhärtet liegen und die man sehr güt als Arzneimittel verwenden kann.
Der Kopf geht am meisten in den Weltenraum hinaus, daher kann man ihn am leichtesten mit Kiesel heilen; der Bauch geht am meisten zur Erde hin, deshalb kann man ihn am leichtesten mit Glimmer heilen. Und das, was mehr in der Mitte liegt, Lunge und so weiter, das heilt man sehr gut gerade mit Feldspat, wenn man ihn in der entsprechenden Weise zubereitet.
Nun, so sehen Sie: Wenn man die Natur versteht, versteht man tatsächlich auch dasjenige, was Heilkräfte in der menschlichen Natur sind. Aber man muß eben einen Sinn dafür haben, daß der Weltenraum an unserer Erde mitarbeitet.
Sehen Sie, man kann immer bestimmte Sachen nur an bestimm¬ten Stellen erklären. Da kann ich Ihnen von einer anderen Seite, als wir es vor einiger Zeit schon getan haben, weil wir da noch
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nicht so weit waren, den Vogelflug erklären. Ja, über den Vogel¬flug im Herbst und im Frühling denkt unsere heutige Wissenschaft sehr abstrakt. Die Vögel verlassen im Frühling ihre wärmeren Aufenthalte, und im Herbst, wenn es kälter wird, die mehr nörd-lichen Gegenden. Aber es gibt Vögel, die fliegen über den Ozean in südwestlicher Richtung. Und es ist sehr eigentümlich, diese Vögel fliegen sehr schnell und rasten nicht dazwischen. Man kann das nachweisen, weil es gar keine Inseln gibt auf den Wegen, die solche Vögel manchmal nehmen. Und sie fliegen sehr hoch so daß man nach der gewöhnlichen Wissenschaft gar nicht mehr die Frage sich beantworten kann: Was atmen die denn da oben eigent¬lich? Denn man müßte sich denken, daß sie da oben ersticken würden. Aber die Menschen kommen nicht darauf, nach was sich denn diese Vögel richten. Einige haben gesagt: Nun ja, das ist eine vererbte Eigenschaft; das haben die Jungen immer von den Alten geerbt, und die alten Vögel unterrichten dann die Jungen, und dann geht es ganz gut, daß die Jungen das auch können. Also wenn der Herbst kommt, so richten die alten Schwalben eine Schule ein, die Jungen werden unterrichtet, die Alten fliegen voraus, die Jungen hintennach und machen das nach. So hat man sich das vorgestellt. Aber nicht alle Zugvögel machen das. Das ist ganz eigentümlich. Es ist bei den Zugvögeln oftmals der Fall, zum Beispiel in Afrika, wenn bei uns der Frühling kommt, daß die alten Zugvögel zuerst wegfliegen und zu uns zurückkehren. Die Jungen können es dort länger aushalten, weil die noch stark sind. Die Alten machen sich früher aus dem Staub und lassen die Jungen zurück, unterrichten sie gar nicht, machen auch keine Führer; die Jungen müssen ganz allein ihren Weg finden.
Einige sagten: Nun ja, die Vögel sehen ja sehr weit. - Die müßten also sehen, wie es drüben in Afrika zugeht, müßten sogar durch die Erde durchsehen! Mit diesen Dingen kommt man nicht sehr weit. Aber ich will Ihnen ein Beispiel sagen, aus dem Sie sehen können, wie die Geschichte eigentlich liegt. Man kann nämlich noch bei etwas anderem verwundert sein, wie die Sache vorwärts kommt: nämlich bei einem Schiff. Wonach richtet sich
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denn ein Schiff, wenn es von Europa nach Amerika fahren soll? Es richtet sich nach dem Kompaß. Als man noch keinen Kompaß hatte, ging es den Schiffen ohnedies schlecht; sie mußten sich nach den Sternen richten. Also sie richten sich nach dem Kompaß, das heißt nach den Kräften, die unsichtbar sind, die im Äther vor¬handen sind. Das sind auch die Kräfte, nach denen sich die Vögel richten. Nur wir Menschen haben keinen Sinn mehr für diese Kräfte, die unsichtbar sind. Die Vögel haben aber einen Sinn da¬für; die haben einen inneren Kompaß. Was wir erst mühevoll lernen, indem wir die Atherkräfte anschauen mit dem Kompaß, Magnet und so weiter, das hat ein Vogel in sich. Er fliegt dem Äther nach, demjenigen, was im Weltenraum wirkt.
Und so können wir sagen: Die Erde ist überall umgeben von Äther. Der Äther enthält die Lebenskräfte. Die kommen aus dem Weltenraum, nehmen die Stoffe der Erde und bereiten aus ihnen das Lebendige.
Aber ein bißchen bleibt nämlich noch immer drinnen als Rest vom Leben. Wenn Sie zum Beispiel Korallenkalk nehmen, da ist in der ersten Zeit immer noch etwas darinnen, das ein bißchen ans Leben erinnert, etwas, das abgezweigt ist vom Lebendigen. Daher können Sie da noch allerlei herausfinden, was, dem Leben zugefügt, ein gutes Heilmittel werden kann. Und wenn Sie, wie gesagt, den Kiesel nehmen, der schon riesig hart geworden ist, und ihn zusetzen dem menschlichen Leben, dann können Sie na-mentlich Kopfkrankheiten gut heilen.
Also das Lebendige ist da schon noch drinnen. Das Ganze hat einmal gelebt. Wir können nicht sagen, daß die Gesteine heute noch leben, aber sie haben einmal gelebt. Sie waren einmal Be¬standteile des Lebens. Und es ist in ihnen noch ein Rest geblieben, den wir durch allerlei Mittel herausbringen können, und durch den sie als Heilmittel gut dienen.
So beantwortet sich diese Frage, ob in den Steinen auch Leben sei. Wenn heute einer nur mit den Kräften, die auf der Erde wir¬ken, nachrechnet, dann kommt er darauf, sich zu sagen: Vor Mil¬lionen von Jahren hat es auf der Erde anders ausgesehen. Ja, er
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berücksichtigt dabei den Himmeisraum nicht. Ich habe Ihnen schon neulich gesagt: Berücksichtigt man das, was aus dem Him¬melsraum kommt, so kommt man gar nicht zu so großen Jahres-zahlen, sondern da kommt man dazu, daß hier in unseren Gegen¬den noch alles vereist war, mit Eis bedeckt war, als in Asien drü¬ben schon eine ganz große Zivilisation war, viel Weisheit unter den Menschen gelebt hat. Aber man kommt überhaupt dazu, ein¬zusehen, daß in einer gewissen Weise unser irdisches Leben von dem Leben draußen, von dem Leben im Weltenraum abhängt. Und man kann sagen: Schon wenn man sechs- bis sieben- bis achttausend Jahre zurückgeht, so ist die Erde mit ihrem Gestein ganz anders gewesen als heute, äußerlich nicht so viel, aber in ihrem Innern. Und dann kommt man weiter und weiter zurück , zum weichen Zustande der Erde.
Wenn wir uns nach dem Weltenraum richten wollen, dann müssen wir auch den Weltenraum in der richtigen Weise beob¬achten. Nun kann man den Weltenraum dadurch beobachten, daß man den Sonnenaufgang im Frühling beobachtet. Heute geht die Sonne am 21. März am Morgen da auf, wo hinter ihr das Sternbild der Fische ist. Aber wenn man weiter zurückgeht in der Geschichte, zum Beispiel in die Zeit von Christi Geburt, da ging die Sonne nicht so auf, daß sie im Sternbild der Fische war, son¬dern da ging sie auf im Sternbild des Widders. Also der Früh¬lingspunkt hat sich verschoben. Wenn wir es aufzeichnen, so ist es so: Wenn heute die Sonne im Frühling, am 21. März, in den Fischen aufgeht, so ging sie vor etwa 2160 Jahren im Widder auf, noch früher im Stier, noch früher in den Zwillingen. Zwölf solche Sternbilder gibt es. Die Sonne verrückt sich ja immer in ihrem Aufgehen, geht ganz herum in einem Kreise; also der Frühlings¬punkt geht ganz herum um die Welt. Er rückt immer weiter von Westen nach Osten.
Sehen Sie, da kommt man darauf, daß also früher die Sonne im Widder aufgegangen ist, noch früher im Stier, noch früher in den Zwillingen; dann im Krebs, im Löwen, in der Jungfrau, in der Waage, im Skorpion, im Schützen, im Steinbock, im Wassermann
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und dann, wie heute, in den Fischen. Also wenn wir 2160 Jahre zurückgehen, ist sie im Widder aufgegangen; wenn wir noch 2160 Jahre zurückgehen, ist sie im Stier aufgegangen, noch 2160 Jahre zurück: in den Zwillingen; noch 2160 Jahre zurück: im Krebs. Dann kommen wir wieder herum, und einmal ist sie schon in den Fischen aufgegangen. Wir kommen da ganz herum (es wird gezeichnet). Die Sonne macht in 25 920 Jahren einen Kreislauf um die ganze Welt herum.
Das ist sehr interessant. Und an einem solchen Gang der Ge¬stirne kann man eben sehen, wie sich auf der Erde alles verändert. Sehen sie, unter den Verhältnissen, unter denen heute die Sonne aufgeht, haben wir unsere Hochgebirge mit den toten Granit-massen, in denen Feldspat, Qüarz und Glimmer drinnen ist. Da ist alles vertrocknet, verwüstet. So war es auch vor 25 920 Jahren. Da war es auf der Erde ähnlich. Aber dazwischen nicht. Dazwi¬schen war zum Beispiel einmal die Sonne im Frühling in der Waage, zwischen Jungfrau und Skorpion. Da war eben das Ganze belebt, da war das Ganze weich und die Erde eine Art Pflanze. Wir brauchen nicht weiter als höchstens 15 000 Jahre zurückzu¬gehen, dann ist durch den ganz anderen Stand der Sonne die ganze Erde ein Pflanzenhabitus gewesen, noch später ein Tier-habitus. Und aus dieser Einwirkung vom Weltenraum aus würden wir an der Sonne verfolgen können - man kann es ja auch se¬hen -, wie die Erde sich verändert hat.
Also wenn Sie zurückgehen, so müssen Sie sich denken: Die Gesteine, die heute in den Uralpen ganz fest sind, die fangen an zu fließen, so wie ungefähr das Eisen fließt in den Eisengieße¬reien, - das heißt, es ist natürlich nicht ganz so, sondern wenn wir zurückgehen, so ist das Fließen zunächst umgekehrt, es ist ein Fest-werden. Aber wenn wir jetzt in die Zukunft gehen, so werden wir ja wiederum einmal die Sonne in der Waage haben; denn jetzt geht sie in den Fischen auf, nach 2160 Jahren im Wassermann, dann im Steinbock, im Schützen, im Skorpion und wiederum ein¬mal in der Waage. Und wenn die Sonne in Zukunft wieder ein-mal im Frühling in der Waage aufgeht, dann haben sich die gan¬zen
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Uralpen aufgelöst. Die dichten Quarze sind wiederum wäs¬serig geworden, die Erde wird wiederum eine Pflanze, und die Menschen und die Tiere kehren zu den Zuständen zurück , in denen sie früher einmal waren. Nur haben sie mittlerweile alles das aufgenommen, was sie auf der Erde haben aufnehmen können.
So geht eigentlich alles im Kreislauf. Wir blicken also zurück auf eine frühere Zeit, wo die Erde mit dem härtesten Gebirge flüssig war. Da war dasjenige, was darüber war, so, daß sie die Tiere, die ich Ihnen einmal beschrieben habe, hervorbrachte, welche durch die Einwirkung der Himmelskräfte entstanden und starben. Dann hat sich alles abgekühlt. Dann sind die festen Ge¬bilde entstanden, und nach und nach das heutige Leben. Aber es geht wiederum zurück. Der körnige Quarz und Granit und so weiter wird aufgelöst, und es wird wiederum ein solcher Zustand des Lebens eintreten, nur auf einer höheren Stufe der Entwicke¬lung.
Wenn Sie ein Stück Granit in die Hand nehmen, wo der Quarz drinnen ist, so können Sie sich sagen: In diesem Stück Granit , wo der Quarz drinnen ist, da ist zugleich etwas zu sehen, was künftig wieder leben wird. Das hat einmal gelebt. Heute ist es tot. Das hat einen festen Boden gebildet, damit wir darauf herumgehen können. Als wir noch nicht zu gehen brauchten, war der feste Boden nicht da. Aber es wird wieder einmal leben.
Eigentlich kann man sagen: Die Erde schläft nur in bezug auf den Weltenraum; nur ist der Schlaf lang, 15 000 Jahre lang min¬destens. Einmal hat sie gelebt. Da war sie wach, da war sie mit dem ganzen Weltenraum in Verbindung. Da hat der Welten-raum durch seine Lebenskräfte auf ihr die großen Tiere abge¬setzt. Später, als das Feste entstanden ist, setzte er den Menschen ab. Jetzt haben es die Menschen gut auf der Erde, also natürlich mit Bezug auf den Weltenraum, nicht auf der Erde selber. Sie können auf dem festen Boden herumgehen. Aber dieser feste Bo¬den wird wieder aufwachen - eigentlich schläft er nur -, wird wieder aufwachen und wird lebendiges Leben sein. Nehmen wir heute ein Stück Kalk, nur ein ganz gewöhnliches Stück Kalk aus
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dem Jura, so müssen wir sagen, das ist der Überrest von einem Stück Leben. Das ist aus dem Leben abgesetzt, wird aber wieder einmal leben, ist zwischen Leben ,and Leben, schläft eigentlich nur.
Nun können wir den Kalk sehr gut verwenden, wenn wir ihn zum Heilmittel machen, dann, wenn zum Beispiel bemerkt wird, daß, sagen wir, , Kinder sich nicht mehr recht ernähren können. Das ist insbesondere jetzt in Deutschland zu bemerken. In Deutschland ist es jetzt furchtbar. Neulich, als ich nach Stuttgart kam und die Waldorfschule wiederum inspizierte, war ich zum Beispiel in der 1. Klasse, da haben wir 28 Kinder, von denen wa¬ren nur 19 da; die anderen waren alle krank. In einer anderen Klasse waren 15 krank. Und wenn man dem nachgeht, dann fin¬det man Schauderhaftes. So zum Beispiel brachte man mir einen kleinen Buben aus einer Klasse ins Konferenzzimmer und sagte: Was soll man mit dem machen? l)er kann gar nicht mehr essen. Der Arzt hat ihn schon aufgegeben. - Natürlich, durch die Unter¬ernährung bekommen die Verdauungsorgane allmählich die Ge¬wohnheit, daß sie überhaupt nicht mehr verdauen, sie weisen alles zurück; die Menschen können nicht mehr essen, wenn man ihnen noch so viel gibt. Da können Sie Quäker-Speisungen und alles mögliche machen - diesem Kinde ist zunächst nicht zu helfen, weil seine Organe nicht mehr arbeiten. Dicklich schaute es aus, graugelb. - Was ist da zu tun? Da muß man die Organe erst wie¬der geeignet machen, daß sie etwas aufnehmen können.
Da dient einem das bißchen Leben sehr gut, das im Kalk drin¬nen ist. Wenn der Kalk nämlich in der richtigen Weise als Heil¬mittel verwendet wird, dann kann man diese schlafenden Ver-dauungskräfte wieder aufwecken, daß das Kind leben kann. Und da muß man dann dem Kind eine solche Menge von diesem Kalk geben, aber mit anderen Stoffen zusammen, denn für sich allein wirkt er nicht; es muß eben - geradeso, wie man Speisen mit an-deren Stoffen zusammen kochen muß - so sein, daß er wirklich übergeht in den Organismus. Der Kalk wird dann noch auf-genommen, wenn er, sagen wir, fünfprozentig dem Kind beige-bracht wird.
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Aber was verwendet man da, wenn man den Kalk fünfprozen¬tig gibt? Dann verwendet man die Kräfte, die einmal in früherer Zeit Lebenskräfte im Kalk waren. Die stecken noch drinnen. Die verwendet man, um die Sache zu beleben. Wenn man aber den Kalk ganz fein macht, wie man sagt, in homöopathischer Dosis, also nicht fünfprozentig, sondern zum Beispiel fünf Zehntausend-stel, nicht einmal Promille, sondern fünf Zehntausendstel, also den Kalk ganz dünn beimischt den Stoffen, homöopathisch, dann wirkt der Kalk auf den Kopf, wird plötzlich ein Heilmittel für den Kopf. Gibt man den Kalk allopathisch, wirkt er auf die Ver¬dauungsorgane; in ganz feiner Verdünnung wirkt er auf den Kopf, und darnach kann man das einrichten. Aber man kann auch wissen: Was verwendet man denn vom Kalk? Wenn man ihn in ganz feiner Verdünnung gibt, dann verwendet man die Zu¬kunftskräfte, die jetzt noch drinnen sind, die wieder entstehen in der Zukunft.
Sehen Sie, so muß man die Natur kennen, dann kann man Heil¬mittel aus ihr machen, weil überall Leben war und wieder sein wird, und der Tod nur zwischen zwei Leben drinnen steht. Man kann die vergangenen Lebenskräfte und die zukünftigen aus dem Gestein heraus in der richtigen Weise verwenden.
Daraus sehen Sie aber auch: Wenn Sie heute in die Welt hin-ausschauen, so haben Sie Allopathen und Homöopathen. Die Allopathen kurieren allopathisch, die Homöopathen homöo-pathisch. Ja, homöopathisch kann man eben nicht alle Krankhei¬ten kurieren; manche muß man eben allopathisch kurieren. Da muß man die Heilmittel eben anders mischen. Das heißt, man darf kein Fanatiker werden, der auf Worte schwört, sondern man muß aus den vollen Kenntnissen heraus die Heilmittel angeben, ein¬mal so, einmal so. Das ist bei der Anthroposophie der Fall, weil sie nicht sich einläßt auf Schlagworte «allopathisch, homöo¬pathisch», sondern auf die Sache geht und sagt: Der Allopath geht vorzugsweise auf den Magen, Gedärme, Nieren; da hat er seinen Erfolg. Der Homöopath wirkt, wenn man den Ausgangspunkt der Krankheiten vom Kopfe hat, wie es bei der Grippe der Fall ist.
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Viele Krankheiten haben vom Kopfe ihren Ursprung. Man muß also wissen, wie die Dinge eigentlich laufen in der Natur. Die Menschen machen heute, weil sie nichts mehr können, Schlag¬worte. Immer macht man Schlagworte, wenn man nichts mehr versteht von der Sache. - Natürlich, die Wahrheit kommt dann auch schwer heraus, denn der Allopath sagt: Ich habe ja so und so oft kuriert, und der Homöopath sagt: Ich habe so und so oft kuriert. Natürlich lassen sie immer diejenigen aus, die sie nicht kuriert haben.
Aber sehen Sie, selbst ein Arzt und Professor, der gar nicht angeklagt werden kann, daß er nicht etwa richtig in der heutigen Medizin drinnen gestanden wäre, das war der Professor Virchow in Berlin, der auch von der Freisinnigen Partei ein richtiger Libe¬raler genannt worden ist; aber in bezug auf das Kurieren hat er doch folgendes gestehen müssen: Wenn ein Arzt heute noch in unserer Medizin darauf hinweisen kann, daß er hundert Leute kuriert hat, so muß man eigentlich sagen, von diesen hundert wären fünfzig auch ohne ihn gesund geworden, und zwanzig Prozent, die wären, auch wenn er ganz andere Mittel angewendet hätte, auch gesund geworden. So daß also siebzig Prozent nicht auf die heutige Medizin kommen, sondern höchstens dreißig Pro¬zent. So hat es Virchow, der ganz in der heutigen Medizin drinnen war, ausgerechnet.
Ja, man muß eben sagen: Das richtige Heilmittel richtig ange¬wendet, wirkt eben. Davon kann sich jeder überzeugen. Die Q uecksilberkur zum Beispiel, wenn sie auch Nachwirkungen hat, schädliche Nachwirkungen, sie wirkt doch. Und so muß man eben das Richtige herausfinden. Manchmal ist es furchtbar kompliziert. Manchmal ist der Organismus so, daß er eben brüchig geworden ist und die Kur nicht mehr aushalten kann. Aber in einem gewissen Sinne kann man gerade durch eine wirkliche Kenntnis desjenigen, was in der Natur vorhanden ist, sehen, wie die einzelnen Stoffewir¬ken, weil sie eigentlich als tote Stoffe nur in der Mitte stehen zwischen zwei Leben; man kann sehen, wie sie auf den Menschen wirken. Man muß aber das Leben der Stoffe eben kennen.
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Nun, das ist ja das Eigentümliche, daß man überall vom Leben ausgehen muß, wenn man etwas verstehen will. Und so muß man ja auch für die Farben sogar vom Leben ausgehen.
Sehen Sie, wenn Sie heute manchmal Bilder anschauen, so ist das so, daß sie bemalt sind; aber man hat das Gefühl, dahinter ist kein Fleisch, sondern Holz, das angestrichen ist. Die Fleischfarbe, das Inkarnat, bringen eben die heutigen Maler gar nicht zustande, weil sie auch im Gefühl gar nicht das Leben haben, daß die Fleischfarbe aus dem Menschen heraus erzeugt wird. Sie kommt nirgends an einem anderen Stoff vor. Aber man muß die Fleisch¬farbe, das Inkarnat, verstehen, und dann kann man auch die an¬deren Farben verstehen. Ich werde dann das nächste Mal darüber noch reden. Man muß zunächst die Fleischfarbe verstehen.
Das Kind, das man mir da in der Waldorfschule gebracht hat, das nun durch den Schularzt mit einer Kalkkur behandelt wird -hoffentlich bringen wir es durch, daß nicht das kommt, daß man sagt: die haben kein rechtes Heilmittel angewandt -, solch ein Kind hat ganz die Fleischfarbe verloren, war gelb geworden von innen heraus. Die lebendige Wirksamkeit gehört dazu zur Farbe. Und deshalb haben wir auch den Versuch gemacht, das weniger Tote zu der Farbe zu verwenden. Deshalb haben wir, als wir das Goetheanum ausmalten, Pflanzenfarben verwendet, weil die mehr aus dem Lebendigen heraus kommen. Also Sie sehen, bei der Farbe muß man auch aufs Lebendige gehen.
Das nächste Mal werde ich Ihnen das dann noch weiter aus-einandersetzen.
Sie sehen, die Frage ist nicht so dumm gewesen, ob die Steine auch Leben haben, sondern sie ist ganz gescheit, denn wir haben dadurch besprechen können, wie die Steine im Laufe der Lebens-Erdperiode leben, wiederum tot werden und so weiter, und wie sich das Leben dazu verhält.
ZWEITER VORTRAG Dornach, 21. Februar 1923
#G349-1961-SE029 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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ZWEITER VORTRAG
Dornach, 21. Februar 1923
#TX
Damit die letzte Frage noch richtig beantwortet wird, will ich doch, so gut es geht, einiges über die Farben sagen.
Die Farben kann man eigentlich nicht verstehen, wenn man nicht das menschliche Auge versteht, denn der Mensch nimmt die Farben ganz und gar nur durch das Auge wahr, und wie er sonst die Farben noch wahrnimmt, das weiß er nicht. Er nimmt nicht allein durch das Auge die Farben wahr. Stellen Sie sich zum Bei-spiel einen Blinden vor. Ein Blinder fühlt sich anders in einem Raum, der beleuchtet ist, als in einem Raum, der dunkel ist. Aber das ist so schwach, daß es der Blinde nicht wahrnimmt. Es ist eine so schwache Sache; es hat für ihn aber doch eine große Bedeutung, doch er nimmt es nicht wahr. Auch der Blinde könnte zum Beispiel nicht immer im Keller leben; da würde ihm das Licht fehlen. Und es ist ein Unterschied, ob man einen Blinden in einen hellen Raum bringt, der gelbe Fenster hat, oder ob man ihn in einen dunklen Raum oder meinetwillen auch in einen helleren Raum bringt, der blaue Fenster hat. Das wirkt ganz anders auf das Leben ein. Die gelbe Farbe und die blaue Farbe, die wirken ganz anders auf das Leben ein. Aber das sind Dinge, die man erst verstehen lernt, wenn man begriffen hat, wie sich das Auge zu der Farbe verhält.
Nun werden Sie ja vielleicht aus dem, was ich Ihnen bisher dar-gestellt habe, gesehen haben, daß das Allerwichtigste im Men¬schen zwei Dinge sind. In seinem ganzen Organismus sind zwei Dinge das Allerwichtigste. Das erste ist das Blut; denn würde der Mensch das Blut nicht haben, so müßte er sofort sterben. Er würde nicht sein Leben in jedem Augenblick erneuern können und das Leben muß in jedem Augenblick erneuert werden. Also, denken Sie sich das Blut aus dem Körper fort, dann ist der Mensch ein toter Gegenstand. Aber auch wenn Sie sich die Ner¬ven fortdenken, so könnte der Mensch zwar geradeso ausschauen,
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wie er ausschaut, aber er würde kein Bewußtsein haben; er würde nichts vorstellen können, nichts wollen können, würde sich nicht bewegen können. Wir müssen uns also sagen: Daß der Mensch ein bewußter Mensch ist, dazu braucht er die Nerven. Daß der Mensch überhaupt leben kann, dazu braucht er das Blut. Also das Blut ist das Organ des Lebens; die Nerven sind das Organ des Bewußtseins.
Aber jedes Organ hat Nerven und hat Blut. Und das mensch¬liche Auge ist ja eigentlich im Grunde genommen ein ganzer Mensch und hat Nerven und Blut, und zwar so, daß, wenn Sie sich vorstellen, hier kommt das Auge heraus (es wird gezeichnet), so breiten sich in diesem Auge die Blutäderchen aus. Viele Blut-äderchen breiten sich aus. Und dann breiten sich viele Nerven aus. Sehen Sie, was Sie in der Hand haben, Nerven und Blut¬strömungen, das haben Sie auch im Haupte.
Nun denken Sie sich einmal, beim Auge ist es so: auf das Auge wirkt die Außenwelt, die beleuchtet ist. Am Tage ist die Außen¬welt, in der Sie herumgehen, allerdings beleuchtet; aber es ist schwer, von dieser ganz beleuchteten Außenwelt einen Begriff zu bekommen. Einen wahren Begriff bekommen Sie, wenn Sie sich die halbbeleuchtete Außenwelt am Morgen und Abend vorstellen, wo Sie die Morgen- und Abendröte um sich herum sehen. Die Morgen- und Abendröte sind besonders lehrreich.
Denn was ist bei der Morgen- und Abendröte eigentlich vor¬hand en? Stellen Sie sich einmal den Sonnenaufgang vor (es wird gezeichnet). Die Sonne kommt herauf. Wenn die Sonne herauf-kommt, dann kann sie noch nicht geradehin auf Sie leuchten. Ich zeichne jetzt den scheinbaren Lauf; in Wirklichkeit bewegt sich die Erde, und die Sonne steht still, aber das macht ja nichts, wie wir es sehen. Also die Sonne schickt zuerst ihre Strahlen hierher, und dann hierher. Wenn Sie also da stehen, sehen Sie bei der Mor-genröte nicht die Sonne, sondern Sie sehen die beleuchteten Wol-ken. Da sind Wolken. Auf diesen Wolken sitzt eigentlich das Licht.
Meine Herren, was ist das eigentlich? Das ist sehr lehrreich. Weil die Sonne noch nicht ganz heroben ist, ist es hier noch dun¬kel;
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um Sie herum ist es ja noch dunkel, und da, in der Ferne, sind die von der Sonne beleuchteten Wolken. Kann man das verste¬hen? Sie sehen also, wenn Sie da stehen, durch die Dunkelheit, die um Sie herum ist, dort die beleuchteten Wolken. Sie sehen Licht durch die Dunkelheit. So daß wir sagen können: Bei der Morgen¬röte, und bei der Abendröte ist es ja ebenso, sieht man Licht durch Dunkelheit. Und Licht durch Dunkelheit gesehen, das können Sie an der Morgen- und Abendröte sehen, sieht rot aus. Licht durch Dunkelheit gesehen sieht rot aus.
Jetzt will ich Ihnen etwas anderes sagen. Denken Sie sich, Sie haben die Morgenröte bereits vorbei, sind am Tag, sehen zum Beispiel, wie es heute der Fall ist, frei in die Luft. Was sehen Sie da draußen? Sie sehen den sogenannten blauen Himmel. Er ist zwar nicht da, aber Sie sehen ihn dennoch. Das geht zwar nicht in alle Unendlichkeit fort, aber Sie sehen den blauen Himmel, wie wenn er sich wie eine blaue Schale um die Erde herumlegen würde.
Warum ist das? Nun, Sie brauchen sich nur zu überlegen, wie es draußen ist im weiten Weltenraum: es ist nämlich finster. Der weite Weltenraum ist finster. Die Sonne scheint nur auf die Erde, und dadurch, daß um die Erde Luft ist, dadurch verfangen sich die Sonnenstrahlen und machen hier Licht, namentlich wenn sie durch die wässerige Luft scheinen. Aber draußen in dem Welten-raum ist es absolut schwarz, dunkel. Sodaß, wenn man bei Tag da steht, man ins Dunkle hineinschaut, und man müßte eigentlich schwarz sehen. Aber man sieht es nicht schwarz, sondern blau, weil es ringsherum beleuchtet ist von der Sonne. Die Luft und das Wasser in der Luft, die sind beleuchtet.
Da sehen Sie also ganz klar Finsternis durch das Licht durch. Sie schauen durch das Licht durch, durch die Beleuchtung durch in die Finsternis hinein. Also wir können sagen: Finsternis durch Licht ist blau.
Da haben Sie die zwei Grundgesetze der Farbenlehre, die Sie einfach an der Umgebung ablesen können. Wenn Sie die Morgen-und Abendröte richtig verstehen, so sagen Sie sich: Licht durch Dunkelheit, oder Licht durch Finsternis gesehen, ist rot. Wenn
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Sie am Tag hineinschauen in den schwarzen Himmelsraum, sagen Sie sich: Dunkelheit oder Finsternis, durch Licht gesehen - weil es rings um Sie herum beleuchtet ist - Dunkelheit oder Finsternis, durch Licht gesehen, ist blau.
Sehen Sie, diese ganz natürliche Anschauung, die hat man im¬mer gehabt, bis die Menschen gescheit geworden sind. Diese An-schauung, daß Licht durch Dunkelheit rot ist, Dunkelheit durch Licht blau ist, die haben die Alten gehabt, in Asien drüben, als sie noch so gescheit waren, wie ich es Ihnen letzthin beschrieben habe. Diese Anschauung haben noch die alten Griechen gehabt. Diese Anschauung hat man noch durch das ganze Mittelalter hin¬durch gehabt, bis die Menschen gescheit geworden sind, bis so um das vierzehnte, fünfzehnte, sechzehnte, siebzehnte Jahrhundert herum. Und als sie gescheit geworden sind, da haben sie angefangen, nicht mehr auf das Natürliche zu sehen, sondern allerlei künst¬liche Wissenschaften auszudenken. Und einer derjenigen, der eine besonders künstliche Wissenschaft über die Farben aus¬gedacht hat, das ist der Engländer Newton. Newton, der hat aus der Gescheitheit heraus - Sie wissen, wie ich jetzt das Wort Ge¬scheitheit gebrauche, nämlich ganz im Ernst -, der hat aus der besonderen Gescheitheit heraus etwa so gesagt: Schauen wir den Regenbogen an - denn nicht wahr, wenn man gescheit ist, schaut man nicht dasjenige an, was natürlich ist, was jeden Tag er¬scheint, Morgen- und Abendröte, sondern wenn man gescheit wird, schaut man das besonders Seltene an, dasjenige, was man erst verstehen sollte, wenn man schon weiter gekommen ist -, aber nun, der Newton sagte also: Schauen wir den Regenbogen an. Im Regenbogen sieht man nun sieben Farben, nämlich Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett. Es sind sieben Farben, die sieht man so nacheinander im Regenbogen (es wird gezeichnet). Wenn Sie den Regenbogen anschauen, können Sie diese sieben Farben ganz einfach unterscheiden.
Nun hat Newton einen künstlichen Regenbogen gemacht, da¬durch, daß er sein Zimmer verdunkelt hat, finster gemacht hat, das Fenster zugeschlagen hat mit einem schwarzen Papier und in
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das Papier ein kleines Loch hinein gemacht hat. Da hatte er einen ganz kleinen Lichtstreifen. Nun tat er in diesen Lichtstreifen das hinein, was man ein Prisma nennt, ein Glas, das so ausschaut (es wird gezeichnet), so ein dreieckiges Glas, und hinter dem stellte er einen Schirm auf. So hatte er dort das Fenster mit dem Loch, diese kleine Lichtströmung, das Prisma, und dahinter den Schirm. Da erschien nun auch der Regenbogen; da erschienen nun auch rote, orange, gelbe, grüne, blaue, indigo, violette Farben. Was sagte sich nun Newton? Newton sagte sich: Da kommt das weiße Licht herein; mit dem Prisma kriege ich die sieben Farben des Re¬genbogens. Also sind die sieben Farben des Regenbogens schon in dem weißen Licht drinnen, und ich brauche sie nur herauszu¬locken. - Sehen Sie, das ist die einfachste Erklärung. Man erklärt etwas dadurch, daß man sagt: Es ist schon da drinnen, wo ich es heraushole.
In Wirklichkeit hätte er sich sagen müssen: Dadurch, daß ich nicht eine richtige Glasplatte, sondern ein Prisma, also ein Glas mit einer solchen spitzen, zusammenlaufenden Fläche gegenüber¬stelle, wird auf der einen Seite, wenn ich so hin gucke, Licht durch Dunkel rot gemacht, da erscheint die rote Farbe, und auf der an¬deren Seite wird Dunkelheit durch Licht blau gemacht, da er¬scheint die blaue Farbe. Und was dazwischen ist, sind eben Abstu¬fungen. Das hätte er sich sagen müssen.
Aber es ging um diese Zeit in der Welt alles darauf hinaus, so zu erklären, daß man eigentlich nur alles da drinnen schon suchte, woraus man es eigentlich erklären sollte. Nicht wahr, das ist ja das Allereinfachste. Wenn man zum Beispiel ausführen soll, wie der Mensch entsteht, so sagt man: Nun ja, der ist schon im Ei der Mutter drinnen, da entwickelt er sich nur heraus. Das ist eine feine Erklärung! - Wir haben es, wie Sie gesehen haben, nicht so gut. Wir müssen den ganzen Weltenraum zu Hilfe neh¬men, der dann das Ei aus der Mutter erst herausbildet. Aber die Naturwissenschaft geht darauf aus, alles da hineinzuwerfen - was möglichst einfach ist. Newton hat also gesagt: Die Sonne enthält schon alle Farben, wir brauchen sie nur herauszuholen.
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Aber so ist es gar nicht. Wenn die Sonne Rot erzeugen soll durch die Morgenröte, muß sie erst auf die Wolken scheinen, und wir müssen durch die Dunkelheit das Rot sehen; und wenn der Himmelsraum blau erscheinen soll, so ist das gar nicht von der Sonne, denn da scheint die Sonne nicht herein, da ist es schwarz, finster, und das Blau sehen wir durch die erhellte Luft der Erde. Da sehen wir also Finsternis durch Licht, Blau.
Worauf es hinauskommt, das ist, man sollte eine ordentliche Phy¬sik machen, wo man dann sehen könnte, wie beim Prisma auf der einen Seite Licht durch Dunkel, auf der andern Seite Dunkel durch Licht gesehen wird. Das ist aber den Leuten zu unbequem. Sie finden es am besten, wenn man sagt: Alles ist im Licht drin¬nen, und man holt es nur heraus. - Dann kann man auch sagen: Einst gab es in der Welt ein riesiges Ei, da war die ganze Welt drinnen, und aus dem holen wir alles heraus! - So hat es Newton mit den Farben gemacht. Aber in Wirklichkeit kann man das Ge¬heimnis der Farben durchaus immer sehen, wenn man in der richtigen Weise die Morgen- und die Abendröte und die Hirn¬melsbläue versteht.
Nun muß man nur weiter die ganze Sache im Verhältnis zu unserem Auge betrachten, und überhaupt zu dem ganzen Men-schenleben. Sie wissen ja alle, daß es ein Wesen gibt, das durch das Rot, wo also das Licht durch die Dunkelheit wirkt, besonders aufgeregt wird; das ist der Stier. Der Stier wird bekanntlich durch das Rot furchtbar aufgeregt. Das wissen Sie auf der einen Seite. Und so ein bißchen etwas von der Stiernatur hat ja der Mensch auch. Er wird zwar nicht direkt durch das Rot aufgeregt, aber Sie würden sofort wahrnehmen, daß der Mensch, wenn er immer¬fort in rotem Lichte lebt, dann schon auch ein bißchen aufgeregt wird. Er wird ein bißchen stierhaft. Ich habe sogar Dichter ken¬nen gelernt, die haben nicht dichten können, wenn sie ihre ge¬wöhnliche Körperverfassung hatten; da haben sie sich immer in Zimmer gesetzt, wo sie über die gewöhnlichen Beleuchtungskör¬per solch einen roten Schirm drüber gemacht haben. Nachher sind sie aufgeregt geworden und haben dichten können. Nun, der Stier
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wird wild; der Mensch wird auf diese Weise sogar dichterisch, wenn er sich dem Rot aussetzt! Es kommt nur darauf an, ob man es von außen oder innen tut, dieses Beleben beim Dichten! Das ist auf der einen Seite der Fall.
Auf der anderen Seite werden Sie auch wissen, daß wenn die Menschen, die solche Sachen durchschauen, so recht demütig sein wollen, da wenden sie die blaue Farbe an, oder die schwarze Farbe, direkt schwarz. Das ist so schön zu sehen: Wenn im Katholi¬zismus der Advent kommt, wo die Menschen demütig werden sol¬len, so wird dieKirche, aber vor allen Dingenwerden dieGewänder blau gemacht. Die Menschen werden zahm, demütig. Der Mensch fühlt sich dann innerlich mit in der demutsvollen Stimmung. Be¬sonders wenn der Mensch sich vorher ausgetobt hat wie ein Stier, wie zum Beispiel bei der Fastnacht das der Fall sein konnte, dann läßt man darauf die richtige Fastenzeit folgen, nicht nur dunkle Gewänder, schwarze Gewänder. Da wird dann der Mensch über sein Austoben zahm. Nur sollte dort, wo man sogar zwei Fast¬nachten, zwei Fastnachtssonntage hat, auch die Fastenzeit aufs Doppelte ausgedehnt werden! Ich weiß nicht, ob das geschieht. Aber Sie sehen daraus, daß das auf den Menschen in ganz ver¬schiedener Weise wirkt, ob er das Licht durch das Dunkle wahr¬nimmt, also Rot, oder ob er Finsternis, Dunkelheit, durch das Licht wahrnimmt, also das Blaue.
Betrachten Sie nun das Auge. Da drinnen haben Sie Nerven und Blut. Wenn das Auge auf das Rot schaut, also sagen wir, auf die Morgenröte oder überhaupt auf etwas Rotes schaut, was er¬lebt da das Auge? Sehen Sie, wenn das Auge auf Rot schaut, dann werden im Auge diese ganz feinen Blutäderchen von dem roten Licht durchzogen, und dieses rote Licht hat die Eigentümlichkeit, daß es das Blut immer ein bißchen zerstört. Es zerstört also den Nerv mit, denn der Nerv kann auch nur leben, wenn er vom Blut durchzogen ist. So daß, wenn das Auge dem Rot gegenübersteht, wenn in das Auge Rot hereinkommt, dann wird immer das Blut im Auge etwas zerstört, der Nerv mit zerstört. Der Stier empfin¬det einfach, wenn er dem Rot gegenübersteht: Donnerwetter, da
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wird mir ja mein ganzes Blut zerstört im Kopf! Da muß ich mich wehren dagegen! - Da wird er wild, weil er sich sein Blut nicht zerstören lassen will.
Nun, dies ist aber sehr gut, wenn nicht gerade beim Stier und bei anderen Tieren, aber beim Menschen. Denn wenn wir nun ins Rot schauen und unser Blut etwas zerstört wird, dann wirkt auf der anderen Seite der ganze Körper so, daß wir wieder den Sauerstoff ins Auge hin einleiten, damit das Blut wieder hergestellt werden kann.
Bedenken Sie, was da für ein wunderbarer Vorgang geschieht:
Wenn Licht durch Dunkelheit, also Rot, gesehen wird, so wird zunächst Blut zerstört, Sauerstoff aus dem Körper gesogen und das Auge belebt durch den Sauerstoff, und jetzt wissen wir an unserem eigenen Lebhaftwerden im Auge: da ist Rot draußen. Aber damit wir dieses Rot wahrnehmen, muß uns zuerst im Auge ein bißchen das Blut zerstört werden, der Nerv zerstört werden. Wir müssen ins Auge Leben hineinschicken, das heißt Sauerstoff hineinschicken, und an unserem eigenen Aufleben des Auges, an diesem Aufwachen des Auges merken wir: da draußen ist Rot.
Nun, sehen Sie, dadurch, daß der Mensch also richtig das gero¬tete Licht wahrnimmt, daß der Mensch immer richtig das gerötete Licht aufnehmen kann, darauf beruht ja eigentlich auch seine Ge¬sundheit. Denn der Sauerstoff, der da aus dem Körper aufgenom¬men wird, der belebt dann den ganzen Körper, und der Mensch selber kriegt eine gesunde Gesichtsfarbe. Er kann richtig sich beleben.
Das ist nicht nur bei dem der Fall, der gesund ist und der sieht, sondern das ist auch bei dem der Fall, dessen Auge nicht gesund ist und der nicht sieht; wenn das Licht wirkt durch die helle Farbe, dann wird er belebt im Kopfe. Und diese Belebung, die wirkt wiederum auf den ganzen Organismus und gibt ihm eine gesunde Farbe. So daß wir, wenn wir im Lichte leben und richtig das Licht aufnehmen können, dann die gesunde Farbe kriegen.
Es ist also schon sehr wichtig, daß der Mensch nicht im fin¬steren Raum aufgezogen wird, wo er tot und demütig werden
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könnte, sondern daß der Mensch in hellem, rötlichem oder gelb-lichem Raum aufgezogen wird, wo er den Sauerstoff, den er im Innern hat, auch wirklich durch das Licht richtig verarbeitet. Daraus sehen Sie aber, daß alles, was mit dem Roten zusammen-hängt, beim Menschen eigentlich mit der Entwickelung des Blutes zusammenhängt. Der Nerv wird eigentlich, wenn wir Rot wahr-nehmen, zerstört.
Jetzt denken Sie sich, wir sehen Finsternis durch Licht, also Blau. Finsternis zerstört uns das Blut nicht. Finsternis läßt uns das Blut unzerstört. Der Nerv bleibt also auch unzerstört, weil sein Blut in Ordnung bleibt. Die Folge davon ist, daß der Mensch sich innerlich so recht wohl fühlt. Weil das Blut und der Nerv nicht angegriffen werden vom Blau, fühlt sich der Mensch inner¬lich so recht wohl. Und beim Demütigmachen, da ist eigentlich etwas Raffiniertes dabei. Wenn nämlich, sagen wir, da oben am Altare die Priester in den blauen Gewändern oder in den schwar¬zen Gewändern sind und unten die Leute sitzen, dann werden ihnen durch die blauen Gewänder, wenn sie immer hingucken, die Blutadern und die Nerven in dem Auge nicht zerstört, und natür¬lich fühlen sie sich furchtbar wohl darinnen. Es ist eigentlich auf das Wohlgefühl der Leute berechnet. Glauben Sie nur nicht, daß man das nicht weiß! Denn die haben ja noch die alte Wissen¬schaft. Die neuere Wissenschaft ist ja erst bei den Aufklärungs¬menschen entstanden, bei solchen Aufklärungsmenschen wie zum Beispiel Newton.
Und so können wir sagen: Das Blau, das ist dasjenige, was dem Menschen innerliches Wohlbehagen bereitet, wo er sich sagt -das ist alles unbewußt, aber innerlich sagt er sich: Da kann ich allein leben, in dem Blau. Da fühlt sich der Mensch innerlich, während er bei dem Roten fühlt, als ob etwas eindringen würde in ihn. Man könnte sagen beim Blau: Der Nerv bleibt unzerstört, und der Körper schickt sein Wohlgefühl ins Auge und dadurch in den ganzen Körper.
Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen den blauen Farben und den roten Farben. Und Gelb ist ja nur eine Abstufung des
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Rot, und Grün ist eine Abstufung des Blau. So daß man sagen kann: Je nachdem Nerv oder Blut im Menschen tätig ist, je nach¬dem empfindet er mehr Rot, oder er empfindet mehr Blau.
Sehen Sie, das kann man nun auf die Stoffe anwenden. Wenn ich also versuchen will, für die Malerei ein Rot, eine rote Farbe richtig zu erzeugen, die diejenigen Stoffe enthält, welche den Menschen anregen, innerlich Sauerstoff zu entwickeln, da kommt man nach und nach darauf, daß man eigentlich rote Farbe be¬kommt für die Malerei, wenn man versucht, die Stoffe der Außen¬welt darauf zu prüfen, wieviel Kohlenstoff sie enthalten. Wenn ich den Kohlenstoff in der richtigen Weise mit anderen Substan¬zen zusammen verwende, bekomme ich das Geheimnis des Rot¬machens meiner Malerfarbe heraus. Wenn ich also Pflanzen ver¬wende, um Malerfarben zu bekommen, so kommt es vor allen Dingen darauf an, daß ich meine Vorgänge, also Zerkleinerung, Verbrennung und so weiter, so einrichte, daß ich in der richtigen Weise dann in der Malerfarbe drinnen den Kohlenstoff habe. Wenn ich den Kohlenstoff in der richtigen Weise drinnen habe, so bekomme ich die helle, die rötliche Farbe heraus. Wenn ich dagegen namentlich solche Stoffe habe, die viel Sauerstoff ha¬ben - also nicht Kohlenstoff, sondern Sauerstoff -, wenn es mir gelingt, den Sauerstoff als Sauerstoff hineinzukriegen, so bekomme ich die mehr dunklen Farben, also das Blau her¬aus.
Wenn ich das Lebendige in der Pflanze erkenne, so kann ich auch wirklich meine Farben erzeugen. Denken Sie sich, ich nehme eine Sonnenblume. Die ist ganz gelb, hat also eine helle Farbe. Gelb ist nahe dem Roten: Licht, durch Dunkelheit gesehen. Wenn ich nun eine Sonnenblume so behandle, daß ich den rich¬tigen Vorgang, der in der Blüte sitzt, noch in meine Malerfarbe irgendwie hereinbekomme, dann habe ich eine gute gelbe Farbe, der das äußere Licht nicht viel anhaben kann, weil die Sonnen-blume, die Blüte, schon der Sonne das Geheimnis des Gelb-Erzeu¬gens gestohlen hat. Bekomme ich also denselben Vorgang, der in der Blüte der Sonnenblume sitzt, richtig in meine Malerfarbe
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hinein, so kann ich, wenn ich sie dick genug kriege, das Gelb ordentlich auftragen. Nehme ich aber eine andere Pflanze, zum Beispiel die Zichorie, die blau blüht - diese blaue Blume, die an den Wegrändern wächst; sie wächst ja auch hier -, wenn ich diese blaue Pflanze habe, und ich will aus der Blüte heraus eine Malerfarbe bereiten, so kann ich das nicht; ich bekomme nichts von ihr. Wenn ich dagegen die Wurzel in der richtigen Weise behandle, da sitzt drinnen ein Vorgang, der eigentlich die Blüte blau macht.
Wenn Gelb in der Blüte ist, so geht in der Blüte selber das vor, was Gelb macht; wenn aber Blau in der Blüte ist, so sitzt der Vor¬gang in der Wurzel und er drängt sich nur hinauf gegen die Blüte. Da muß ich also aus der Indigopflanze, wo ich ein dunk¬leres Blau bekomme, oder aus der Zichorie, aus dieser blauen Blume, wenn ich eine blaue Malerfarbe herstellen will, die Wur¬zel verwenden. Die muß ich chemisch so weit bringen, daß sie mir die blaue Farbe abgibt.
Und auf diese Weise kann ich durch ein wirkliches Studium darauf kommen, wie ich aus der Pflanze die Malerfarbe kriege. Das kann ich auf dem Wege von Newton nicht, der einfach sagt:
Nun ja, in dem Sonnenlicht ist alles drinnen, ich muß es nur her-ausholen. Das kann man höchstens auf die Geldbörse anwenden. Alles, was ich ausgebe für einen Tag, muß ich morgens drinnen haben in der Geldbörse. So stellen es sich die ganz gescheiten Leute vor, wie einen Sack, in dem alles drinnen ist. Das ist aber nicht der Fall.
Man muß wissen, wie zum Beispiel das Gelb in der Sonnen-blume drinnen ist, oder in dem Löwenzahn. Man muß wissen, wie das Blau in der Zichorie drinnen ist. Die Vorgänge, die Zichorien-oder Indigoblau machen, liegen in der Wurzel; während die Vor¬gänge, die die Sonnenblume oder den Löwenzahn gelb machen, in der Blüte liegen. Und so muß ich chemisch, in einer lebendig gewordenen Chemie, den Blütenprozeß der Pflanze nachahmen und bekomme die helle Farbe. Ich muß den Wurzelprozeß der Pflanze nachahmen und erhalte da die dunkle Farbe.
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Sehen Sie, das, was ich Ihnen da erzählt habe, ist auf der einen Seite das, was sich dem wirklichen menschlichen Verstand ergibt, während im Grunde genommen diese Geschichte beim Regen¬bogen mit dem Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett eine Seltenheit ist.
Nun hat sich in der Geschichte das so abgespielt, daß, als Goethe lebte, überhaupt schon alle Leute an dasjenige geglaubt haben, was Newton gelehrt hat: Die Sonne ist der große Sack, und da stecken die sogenannten sieben Farben drinnen. Die braucht man nur herauszukitzeln, da kommen sie zum Vorschein. Das ha¬ben alle Leute geglaubt. Das ist gelehrt worden, wird ja heute noch gelehrt.
Goethe, der war nun so, daß er nicht gleich alles geglaubt hat, sondern er wollte sich so ein bißchen überzeugen von den Din¬gen, die überall gelehrt wurden. Sonst sagen die Menschen: Wir sind nicht autoritätsgläubig. Aber wenn es darauf ankommt, das zu glauben, was an den Lehrstühlen gelehrt wird, dann sind die Leute natürlich heute furchtbar autoritätsgläubig, glauben alles, was gelehrt wird. Goethe hat nun nicht alles ohne weiteres glau¬ben wollen und hat sich deshalb die Apparate, mit denen man das beweist, also sogenannte Prismen und ähnliche Apparate, aus-geliehen von der Universitat in Jena, hat also sich gedacht: Jetzt werde ich das einmal ganz so machen, wie es die Professoren vor-machen, um zu sehen, wie es eigentlich ist.
Nun ist Goethe nicht gleich dazu gekommen und hat die Appa¬rate ziemlich lange bei sich gehabt, ohne daß er dazu gekommen ist. Er hatte gerade anderes zu machen in der Zeit. So ist dem Hofrat Büttner, der die Apparate wieder gebraucht hat, die Zeit zu lang geworden, und er wollte die Apparate wieder abholen lassen. Da hat Goethe gesagt: Jetzt muß ich geschwind die Ge¬schichte machen! und hat doch wenigstens, als er schon beim Ein¬packen war, durch das Prisma geschaut. Er sagte sich: Auf der weißen Wand muß doch schön der Regenbogen erscheinen, wenn ich da durchschaue; statt Weiß muß da Rot, Gelb, Grün und so weiter erscheinen. - Er hat also durchgeguckt und freute sich
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schon, daß er nun die ganze Wand in diesen schönen Farben sehen werde, aber er sah nichts: weiß wie früher, einfach weiß. Da war er natürlich aufs höchste überrascht. Was ist denn da dahinter, fragte er sich. Und sehen Sie, aus diesem ist seine ganze Farbenlehre hervorgegangen. Er hat gesagt: Man muß die ganze Sache jetzt noch einmal kontrollieren. Die Alten haben gesagt: Licht durch Dunkelheit gesehen = Rot; Finsternis durch Licht = Blau; wenn ich das Rot etwas abstufe, wird Gelb; wenn ich das Blau bis zum Rot hinaufsteigere, so wird das Blau Grün nach der einen Seite, Violett nach der anderen Seite. Das sind Abstufungen. Und er hat nun seine Farbenlehre, und zwar besser, als sie früher im Mittelalter vorhanden war, ausgearbeitet.
Und nun haben wir heute eine Physiker-Farbenlehre mit dem Sack, aus dem die sieben Farben herauskommen, die überall ge¬lehrt wird, und wir haben eine Goethesche Farbenlehre, die rich¬tig das Himmelsblau versteht, richtig die Morgen- und Abendröte versteht, wie ich es Ihnen selber jetzt erklärt habe.
Aber es gibt einen gewissen Unterschied zwischen der Newton-schen Farbenlehre und der Goetheschen Farbenlehre. Den merken zunächst die anderen Menschen nicht; denn die anderen Men¬schen, die schauen auf der einen Seite auf die Physiker hin. Da wird ihnen die Newtonsche Farbenlehre gelehrt, die steht überall in den Büchern. Man kann sehr gescheit sich nun ausmalen, was da als Rot, Orange, Gelb, Grün und so weiter beim Regenbogen erscheint. Nun ja, da ist die Sache nicht so, daß ein Prisma da ist! Aber man denkt nicht weiter nach. Die Newtonianer wissen es schon, aber sie gestehen sich es nicht ein: Wenn man nämlich durchschaut durch den Regenbogen auf der einen Seite, da sieht man durch den von der Sonne beleuchteten Regenbogen die Fin¬sternis, sieht auf der anderen Seite das Blau des Regenbogens. Dann sieht man aber auch vorne die Fläche, wo man Licht sieht durch die Dunkelheit durch, und sieht auf der andern Seite das Rote. Also man muß alles nach dem einheitlichen Prinzip erklä¬ren: Licht durch Dunkelheit ist rot, Finsternis durch Licht ist blau.
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Aber wie gesagt, auf der einen Seite sehen die Leute, wie ihnen die Physiker alles erklären, und auf der anderen Seite gucken die Leute Gemälde an, wo die Farben verwendet sind. Nun ja, sie fragen dann nicht weiter, wie das ist mit dem Rot und Gelb und so weiter, bringen die zwei Dinge nicht zusammen.
Ja, meine Herren, der Maler muß sie zusammenbringen. Der¬jenige, der malen will, muß sie zusammenbringen. Der muß nicht nur wissen: Da ist ein Sack, und da drinnen sind die Farben -denn den Sack hat er ja nicht, nirgends -, sondern er muß aus der lebendigen Pflanze oder den lebendigen Stoffen das Richtige herausbekommen, damit er seine Farben richtig mischen kann. Deshalb ist der Zustand heute so, daß die Maler wirklich nach-denken - es gibt auch Maler, die nachdenken, die nicht einfach sich ihre Farben kaufen -; aber diese Maler, die nachdenken, wie sie diese Farben bekommen und wie sie diese Farben verwenden sollen, die sagen: Ja, mit der Goetheschen Farbenlehre, da ist etwas anzufangen. Die sagt uns etwas. Mit der Newtonschen Farbenlehre, mit der Physiker-Farbenlehre können wir Maler nichts anfangen. - Das Publikum, das bringt eben das Malen und die physikalische Farbenlehre nicht zusammen. Aber der Maler! Und der liebt daher auch die Goethesche Farbenlehre. Der Maler sagt sich: Ach Gott, um die Physiker, um die kümmern wir uns nicht; die sagen etwas auf ihrem eigenen Gebiet. Die mögen tun, was sie wollen. Wir halten uns an die Goethesche Farbenlehre. -Nur betrachten die Maler sich als Künstler und betrachten sich nicht wirklich so, daß sie nun eingreifen müssen in die Lehren der Physiker. Das ist ja auch unbequem. Da kommen Gegnerschaften und so weiter.
Aber so liegen heute die Sachen zwischen dem, was über die Farben in den Büchern steht, und dem, was wahr ist. Bei Goethe war es einfach die Verteidigung der Wahrheit, was ihn dazu ge-trieben hat, gegen die Newtonsche und die ganze moderne Physik sich aufzulehnen. Und man kann nicht wirklich die Natur ver¬stehen, ohne daß man auch zur Goetheschen Farbenlehre kommt. Und deshalb ist es ganz natürlich, daß in einem Goetheanum auch
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die Goethesche Farbenlehre verteidigt wird. Aber dann, wenn man nicht nur auf irgendwelchem religiösen oder sittlichen Ge¬biete bleibt, sondern nun auch noch eingreift in die einzelnsten Teile der Physik, so hat man auch noch die Meute der Physiker auf sich.
Also, Sie sehen, die Verteidigung der Wahrheit, die ist schon etwas, was in der heutigen Zeit außerordentlich schwierig ist. Aber Sie sollten sich nur einmal davon unterrichten, auf welche komplizierte Weise die Himmelsbläue erklärt wird von den heu¬tigen Physikern! Natürlich, wenn ich von einem falschen Prinzip ausgehe, und ich will dann das Einfache erklären, daß der schwarze Weltenraum blau erscheint durch die Helligkeit durch, dann muß ich eine furchtbar komplizierte Erklärung daraus ma¬chen. Und erst Morgen- und Abendröte! Diese Kapitel beginnen meist so, daß da steht: Das Himmelsblau, das kann man eigentlich heute noch nicht richtig erklären; man könnte sich dies oder jenes vorstellen. - Ja, mit alledem, was die Physiker haben mit ihrem kleinen Loch, über das sich Goethe so lustig gemacht hat, durch das sie ins Zimmer herein das Licht kommen lassen, um mit der Finsternis das Licht zu untersuchen, mit alledem kann man eben die einfachsten Sachen nicht erklären. Und so kommt es dahin, daß man überhaupt nichts mehr von der Farbe versteht.
Versteht man aber, daß die Blutzerstörung gerade die Belebung hervorruft - denn wenn ich zerstörtes Blut in mir habe, so rufe ich allen Sauerstoff in mir auf, und ich belebe mich, da kommt die Gesundheit zustande -, so versteht man auch die gesunde Rötung des Menschen. Habe ich Dunkelheit um mich, oder im¬merfort Bläuliches, ja, dann will ich mich nicht immerfort bele¬ben, weil ich sonst zu viel Leben in mich hineinschoppe. Und so kann man auf der einen Seite die gesunde Rötung des Menschen verstehen aus der Sauerstoffaufnahme, wenn der Mensch richtig dem Lichte sich aussetzt, und man kann die Blaßheit verstehen aus der fortwährenden Aufnahme von Kohlensäure. Kohlensäure, das Gegenteil von Sauerstoff, die will nun in meinen Kopf her¬ein. Das macht mich ganz blaß.
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Heute haben Sie in Deutschland zum Beispiel fast lauter blasse Kinder. Aber man muß verstehen, daß das von zu viel Kohlen¬säure herrührt. Und wenn der Mensch zu viel Kohlensäure ent¬wickelt - Kohlensäure besteht aus einer Verbindung von Kohlen¬stoff und Sauerstoff -, dann verwendet er den Kohlenstoff, den er in sich hat, zu viel zum Kohlensäurebilden. Also Sie haben dann in einem solchen blassen Kinde allen Kohlenstoff, den es in sich hat, fortwährend in Kohlensäure verwandelt. Dadurch wird es blaß. Was muß ich tun? Ich muß ihm etwas beibringen, wodurch dieses ewige Kohlesäure-Entwickeln im Innern verhindert wird, wodurch der Kohlenstoff zurückbleibt. Das kann ich machen, wenn ich ihm etwas kohlensauren Kalk gebe. Dadurch werden, wie ich Ihnen von einem ganz anderen Gesichtspunkte aus gesagt habe, die Funktionen wiederum angeregt, und der Mensch behält den Kohlenstoff, den er braucht, verwandelt ihn nicht fortwäh¬rend in Kohlensäure. Und dadurch, weil die Kohlensäure aus Kohlenstoff und Sauerstoff besteht, kommt der Sauerstoff in den Kopf hinauf und belebt die Kopfprozesse, die Lebensprozesse. Wenn der Sauerstoff aber an die Kohlensäure abgegeben wird, werden die Lebensfunktionen unterdrückt.
Bringe ich also einen blassen Menschen in eine Gegend, wo er viel Licht hat, dann wird er angeregt, nicht seinen Kohlenstoff fortwährend an die Kohlensäure abzugeben, weil das Licht den Sauerstoff in den Kopf hinaufsaugt. Dann wird er wieder eine gesunde Farbe kriegen. Ebenso kann ich durch den kohlensauren Kalk das anregen, indem ich den Sauerstoff erhalte, so daß der Mensch den Sauerstoff zu seiner Verfügung hat.
So muß alles ineinandergreifen. Man muß von der Farbenlehre aus Gesundheit und Krankheit verstehen können. Das können Sie nur von der Goetheschen Farbenlehre aus, weil die einfach auf naturgemäße Weise in der Natur drinnensteht, niemals mit der Newtonschen Farbenlehre, die einfach etwas Ausgedachtes ist, und die gar nicht in der Natur drinn ensteht, die eigentlich die ein-fachsten Erscheinungen, Morgen- und Abendröte und den blauen Himmel, nicht erklären kann.
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Nun möchte ich Ihnen aber noch etwas sagen. Denken Sie sich jetzt die alten Hirtenvölker, die also ihre Herden hinausgetrieben haben, und dann im Freien geschlafen haben. Die waren während ihres Schlafes gar nicht einmal dem blauen, sondern dem dunklen Himmel ausgesetzt. Und da droben sind die unzähligen, leuchten-den Sterne (es wird gezeichnet). Nun denken Sie sich also den dunkeln Himmel, da drauf die unzähligen, leuchtenden Sterne, und da drunten die schlafenden Menschen. Von dem Himmel, da geht jetzt aus der Prozeß der Beruhigung des Menschen, des inner¬lichen Wohlseins, im Schlafe. Der ganze Mensch wird von der Finsternis durchdrungen, so daß er innerlich ruhig wird. Der Schlaf geht von der Finsternis aus. Aber da scheinen doch auf den Menschen diese Sterne. Und überall, wo ein Sternstrahl hin-scheint, da wird der Mensch innerlich ein bißchen aufgeregt. Da geht vom Körper aus ein Sauerstoffstrahl. Und diesen Stern-strahlen, denen kommen lauter Sauerstoffstrahlen entgegen, und der Mensch wird innerlich ganz von solchen Sauerstoffstrahlen durchzogen. Und er wird innerlich ein Sauerstoff-Spiegelbild vom ganzen Sternenhimmel.
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Also die alten Hirtenvölker haben den ganzen Sternenhimmel aufgenommen in ihre beruhigten Körper wie in Bildern, in Bil¬dern, die der Sauerstoffverlauf in sie eingezeichnet hat. Dann wachten sie auf. Und sie hatten den Traum von diesen Bildern. Und sie hatten daraus ihre Sternenwissenschaft. Da haben sie
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dann diese wunderbare Sternenwissenschaft ausgebildet. Sie ha¬ben nicht den Traum so gehabt, daß der Widder einfach so und so viel Sterne habe, sondern sie haben wirklich das Tier Widder gesehen, den Stier gesehen und so weiter, und haben dadurch in sich in Bildern den ganzen Sternenhimmel gefühlt.
Das ist dasjenige, was uns von den alten Hirtenvölkern als eine dichterische Weisheit geblieben ist, die manchmal außerordent¬lich viel enthält, was heute noch lehrreich sein kann. Und ver¬stehen kann man das, wenn man weiß: Der Mensch läßt einem je¬den Lichtstrahl, einem jeden Sternstrahl einen Sauerstoffstrahl ent-gegenstrahlen, wird ganz Himmel, ein innerer Sauerstoffhimmel.
Und des Menschen inneres Leben ist ja ein Leben im Astralleib, denn er erlebt während des Schlafes den ganzen Himmel. Uns ginge es schlecht, wenn wir nicht von diesen alten Hirtenvölkern abstammen würden. Alle Menschen stammen nämlich von alten Hirtenvölkern ab. Wir haben noch immer, bloß durch Erbschaft, einen inneren Sternenhimmel zur Erkenntnis. Wir entwickeln das noch immer, obwohl schlechter als die Alten. Und wir haben im Schlaf, wenn wir im Bette liegen, noch immer so eine Art Rückerinnerung an die Art und Weise, wie einmal der alte Hirte so im Felde gelegen hat und den Sauerstoff in sich hereinbekom¬men hat. Wir sind nicht mehr Hirten, aber haben noch etwas zu-rückbehalten, haben auch noch etwas, können es nur nicht so schön ausdrücken, weil es schon abgeblaßt und abgedämmert ist. Aber die ganze Menschheit gehört eben zusammen. Und wenn man das, was der Mensch heute noch in sich trägt, erkennen will, muß man zurückgehen in die alten Zeiten. Alle Menschen auf der Erde sind überall von diesem Hirtenstadium ausgegangen und ha¬ben eigentlich in ihren Leibern dasjenige geerbt, was von diesen Hirtenvölkern stammen konnte.
Präparieren Sie sich weiter so schöne Fragen. Herr B. hat sogar ein wenig Angst gehabt, daß seine Fragen nicht ganz gescheit sein könnten, aber sie sind sogar sehr gescheit gewesen. Betrachten Sie alles, was Ihnen einfällt, so, daß Sie eine Frage darüber stellen können. Es wird dann schon etwas daraus. Auf Wiedersehen!
DRITTER VORTRAG Dornach, 3. März 1923
#G349-1961-SE047 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
#TI
DRITTER VORTRAG
Dornach, 3. März 1923
#TX
Nun, die letzte Frage in bezug auf Farben habe ich natürlich noch nicht ganz beantwortet. Wir wollen sie noch etwas weiter oder zu Ende führen.
Da kommt heute für uns zunächst dasjenige in Betracht, was am meisten interessant ist, nämlich die menschliche Farbe selber. Sie wissen ja, daß über die Erde hin die Menschen verschiedene Farben zeigen. Von den Europäern, zu denen wir gehören, sagt man, sie seien die weiße Rasse. Nun, Sie wissen ja, eigentlich ist der Mensch in Europa nicht ganz gesund, wenn er käseweiß ist, sondern er ist gesund, wenn er seine naturfrische Farbe, die er im Innern selber erzeugt, nach außen durch das Weiße zeigt.
Nun haben wir aber außer dieser europäischen Hautfarbe noch vier hauptsächliche andere Hautfarben. Und das wollen wir heute ein bißchen betrachten, weil man eigentlich die ganze Geschichte und das ganze soziale Leben, auch das heutige soziale Leben nur versteht, wenn man auf die Rassen-Eigentümlichkeiten der Men-schen eingehen kann. Und dann kann man ja erst im richtigen Sinne alles Geistige verstehen, wenn man sich zuerst damit be¬schäftigt, wie dieses Geistige im Menschen gerade durch die Hautfarbe hindurch wirkt.
Ich möchte Ihnen nun die Farbigkeit der Menschen in der fol-genden Weise auseinandersetzen. Gehen wir aus von Europa, wo wir selber wohnen. Da haben wir also - ich kann es Ihnen nur ganz schematisch aufzeichnen - zunächst Europa, an Europa an¬grenzend Asien; England, Irland; hier Japan, China, Hinterindien, Vorderindien, Arabien; dahier haben wir dann Afrika angren¬zend. Also: Europa, Asien, Afrika. (Es wird gezeichnet.) Nun wollen wir da einmal die Menschen, wie sie in den betreffenden Gegenden sind, hineinzeichnen. Wir selber in Europa nennen uns die weiße Rasse. Gehen wir nach Asien hinüber, so haben wir die gelbe Rasse, hauptsächlich in Asien. Und wenn wir nach Afrika
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hinübergehen, da haben wir die schwarze Rasse. Das sind auch die ursprünglichen Rassen. Alles andere, was sonst noch in diesen Gegenden lebt, beruht eben auf Einwanderung. Also wenn wir fragen: Was gehört zu diesen Erdteilen für eine Rasse hinzu? so müssen wir eben doch sagen: Zu Asien gehört die gelbe Rasse, die Mongolen, die mongolische Rasse, und zu Europa gehört die weiße Rasse oder die kaukasische Rasse, und zu Afrika gehört die schwarze oder die Neger-Rasse. Die Neger-Rasse gehört nicht zu Europa, und es ist natürlich nur ein Unfug, daß sie jetzt in Europa eine so große Rolle spielt. Diese Rassen sind gewissermaßen in diesen drei Erdteilen heimisch.
Nun wollen wir uns einmal mit der Farbe dieser drei Rassen be-schäftigen. Ich habe Ihnen schon das letzte Mal gesagt: Die Farbe hat mit dem Licht zu tun. Wenn man durch das Beleuchtete des Weltenraumes hindurch das Schwarze des Weltenraumes sieht, so erscheint es blau. Wenn man Licht, Beleuchtetes, durch die dunkle Luft hindurch sieht, so erscheint es rötlich, wie bei der Morgen- und Abenddämmerung.
Wollen wir uns einmal einfach an gewöhnlichen Gegenstän¬den die Farben betrachten. Da unterscheiden Sie zunächst, sagen wir, Schwarz und Weiß. Das sind ja die auffälligsten Farben, Schwarz und Weiß. Wie steht es denn nun mit einem schwarzen Körper? Mit einem schwarzen Körper steht es so, daß er all das Licht, das auf ihn fällt, in sich verarbeitet und gar kein Licht zu¬rückspiegelt. Wenn Sie also hier einen schwarzen Körper haben, so nimmt der alles Licht, das auf ihn fällt, in sich auf, und gar nichts gibt er zurück. Daher erscheint er schwarz, weil er kein Licht spiegelt. Wenn Sie einen weißen Körper haben, der sagt:
Ich brauche das Licht nicht; ich will nur das verarbeiten, was in mir selber ist. Ich schicke alles Licht zurück. - Daher ist er weiß. Also ein weißer Körper, der schickt alles Licht zurück. Wir sehen daher seine Oberfläche hell, weiß. Ein schwarzer Körper nimmt alles Licht auf, und auch alle Wärme mit dem Licht, und er wirft gar kein Licht, gar keine Wärme zurück; also erscheint er schwarz.
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Sehen Sie, Sie können das näher studieren, wenn Sie sich fol gendes überlegen. Nehmen Sie an, hier ist ein Körper auf der Erde; der nimmt alles Licht auf. Zunächst gibt er ein bißchen Licht zurück, erscheint also hell. Aber er läßt sich Zeit und nimmt möglichst viel Licht auf. Nun hat er möglichst viel Licht in sich. Wenn er nun keines mehr aufnehmen kann, und man bringt ihn ins Licht, so erscheint er schwarz.
Nun nehmen Sie einen Baum an. Der steht zunächst auf der Oberfläche der Erde, nimmt etwas Licht auf, aber viel Licht ver-schluckt er, viel Wärme verschluckt er. Nun, das geht solange, bis er unter die Erde hinunterstürzt. Wenn er nun eine Zeitlang -das bedeutet aber Jahrtausende oder Jahrmillionen - unter der Erde geblieben ist, was wird er? Schwarze Kohle! Schwarz wird er, weil er, als er ein Baum war, Licht und Wärme in sich auf¬genommen hat. Er gibt das nicht her, wenn wir ihn nicht vernich¬ten. Wenn wir ihn verbrennen, dann gibt er es her. Aber wenn wir ihn nur so eine Weile an die Luft legen, da gibt er es nicht her. Da hat er ,so viel von Licht und Wärme aufgenommen, daß er nichts hergibt. Wir müssen ihn vernichten. Das ist der Zustand der Kohle.
Nehmen wir an, daß der Körper das Licht nicht weiter auf¬nimmt, er schickt jetzt alles wieder zurück: dann wird dasjenige, was so beschaffen ist, weiß sein. Das ist der Schnee im Winter. Er schickt alles Licht zurück, nimmt kein Licht und keine Wärme auf. Also wird er weiß. Sie sehen an dem Unterschied zwischen Kohle und Schnee, wie das eigentlich ist mit dem Verhältnis der Gegenstände auf Erden zum Weltenraum.
Wenden wir das auf den Menschen selber im Weltenraum an. Sehen wir uns zunächst die Schwarzen in Afrika an. Diese Schwarzen in Afrika haben die Eigentümlichkeit, daß sie alles Licht und alle Wärme vom Weltenraum aufsaugen. Sie nehmen das auf. Und dieses Licht und diese Wärme im Weltenraum, die kann nicht durch den ganzen Körper durchgehen, weil ja der Mensch immer ein Mensch ist, selbst wenn er ein Schwarzer ist. Es geht nicht durch den ganzen Körper durch, sondern hält sich an die Oberfläche der Haut, und da wird die Haut dann selber schwarz.
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So daß also ein Schwarzer in Afrika ein Mensch ist, der möglichst viel Wärme und Licht vom Weltenraum aufsaugt und in sich ver-arbeitet. Dadurch, daß er das tut, wirken über den ganzen Men-schen hin die Kräfte des Weltenalls so. (Es wird gezeichnet.) Überall nimmt er Licht und Wärme auf, überall. Das verarbeitet er in sich selber. Da muß etwas da sein, was ihm hilft bei diesem Verarbeiten. Nun, sehen Sie, das, was ihm da hilft beim Verarbei¬ten, das ist namentlich sein Hinterhirn. Beim Neger ist daher das Hinterhirn besonders ausgebildet. Das geht durch das Rücken¬mark. Und das kann alles das, was da im Menschen ist an Licht und Wärme, verarbeiten. Daher ist beim Neger namentlich alles das, was mit dem Körper und mit dem Stoffwechsel zusammenhängt, lebhaft ausgebildet. Er hat, wie man sagt, ein starkes Trieb-leben, Instinktleben. Der Neger hat also ein starkes Triebleben. Und weil er eigentlich das Sonnige, Licht und Wärme, da an der Körperoberfläche in seiner Haut hat, geht sein ganzer Stof£ wechsel so vor sich, wie wenn in seinem Innern von der Sonne selber gekocht würde. Daher kommt sein Triebleben. Im Neger wird da drinnen fortwährend richtig gekocht, und dasjenige, was dieses Feuer schürt, das ist das Hinterhirn.
Manchmal wirft die Einrichtung des Menschen noch solche Nebenprodukte ab. Das kann man gerade beim Neger sehen. Der Neger hat nicht nur dieses Kochen in seinem Organismus, son¬dern er hat auch noch ein furchtbar schlaues und aufmerksames Auge. Er guckt schlau und sehr aufmerksam. Das könnten Sie leicht als Widerspruch auffassen. Aber das ist so: Wenn da vorne der Nerv des Auges sitzt (es wird gezeichnet), so gehen die Ner¬ven just ins Hinterhirn hinein; sie kreuzen sich da. Der Nerv, der geht also ins Hinterhirn. Und weil der Neger das Hinterhirn be¬sonders ausgebildet hat, deshalb guckt er auch so schlau, deshalb ist er ein so schlauer Beobachter der Welt.
Wenn man das anfängt zu verstehen, so wird einem alles klar. Aber solche Betrachtungen, wie wir sie jetzt wieder machen, die macht die heutige Wissenschaft gar nicht. Sie versteht daher nichts von all dem.
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Gehen wir jetzt vom Schwarzen zum Gelben herüber. Beim Gelben - das ist schon verwandt mit dem Roten - ist es so, daß
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das Licht etwas zurückgeworfen wird, viel aber aufgenommen wird. Also da ist es schon so, daß der Mensch mehr Licht zurück-wirft als beim Schwarzen. Der Schwarze ist ein Egoist, der nimmt alles Licht und alle Wärme auf. Der Gelbe, von der mongolischen Bevölkerung, der gibt schon etwas Licht zurück, aber er nimmt noch viel Licht auf. Das macht, daß er eigentlich ein solcher Mensch ist (es wird gezeichnet). Also er nimmt viel Licht auf, gibt aber einiges zurück. Er begnügt sich mit weniger Licht. Die¬ses wenigere Licht, das kann nun nicht im ganzen Stoffwechsel ar¬beiten. Da muß der Stoffwechsel schon auf seine eigene Kraft angewiesen sein. Das arbeitet nämlich in der Atmung und in der
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Blutzirkulation. Also beim Gelben, beim Japaner, beim Chinesen, da arbeitet das Licht und die Wärme hauptsächlich in der Atmung und in der Blutzirkulation. Wenn Sie je einem Japaner begegnet sind, so werden Sie bemerkt haben, wie der auf seine Atmung achtet. Wenn er mit Ihnen redet, hält er sich immer zurück, daß die Atmung so recht in Ordnung ist. Er hat ein gewisses Wohl-gefühl an der Atmung. Da ist es also so, daß da drinnen im Innern schon weniger verarbeitet wird. Da wird hauptsächlich in der Brust alles verarbeitet. Und das bewirkt, daß der gelbe Mensch nicht sein Hinterhirn so stark ausbildet, sondern das Mittelhirn. Da hat er das, was seine Atmung und seine Blutzirkulation ver¬sorgt. Er lebt also doch ziemlich im Innern, der gelbe Asiate. Sie können das auch seinem Gang anmerken; er hat einen mehr läs¬sigen Gang. Er arbeitet nicht so stark mit den Gliedmaßen und dem Stoffwechsel. Der Neger ist viel mehr auf Rennen und auf die äußere Bewegung aus, die von den Trieben beherrscht ist. Der Asiate, der Gelbe, der entwickelt mehr ein innerliches Traum-leben, daher die ganze asiatische Zivilisation dieses Träumerische hat. Also er ist nicht mehr so in sich nur lebend, sondern er nimmt schon vom Weltenall etwas auf. Und daher kommt es, daß die Asiaten so wunderschöne Dichtungen über das ganze Weltenall haben. Der Neger hat das nicht. Der nimmt alles in seinen Stoffwechsel herein und eigentlich verdaut er nur das Weltenall. Der Asiate eratmet es sich, hat es in seiner Blutzirkulation. Daher kann er es auch im Wachen von sich geben. Denn die Sprache ist ja auch nur eine umgestaltete Atmung. Ja, es sind schöne, wunder¬schöne Gedichte. Es sind überhaupt innerliche Menschen. Der Asiate verachtet den Europäer heute, weil er sagt: Das sind äußer¬liche Menschen. Wir werden gleich sehen, warum. Das also ist die gelbe Rasse, und sie hängt so zusammen mit der Farbe, wie ich es Ihnen gesagt habe.
Nun, betrachten wir uns selber in Europa. Wir sind in der Tat dem Weltenall gegenüber eine weiße Rasse, denn wir müssen alles äußere Licht zurückgeben. Wir geben alles äußere Licht und im Grunde genommen alle Wärme zurück. Die Wärme muß
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schon ganz mächtig werden, wenn wir sie in uns aufnehmen wol¬len. Und wenn sie nicht da ist, so verkümmern wir, wie es sich an den Eskimos zeigt. Da ist es also so: Da ist der Mensch so, daß er im Grunde genommen alles Licht und alle Wärme zurückwirft. Nur wenn sie mächtig wird, nimmt er sie auf. Er wirft sie zurück und entwickelt nur dasjenige an Licht und Wärme, was in seinem Innern durch seine eigene innere Arbeit entsteht. Ja, da kommt ihm nicht das Atmen und die Blutzirkulation zu Hilfe und nicht die Wärmeerzeugung, sondern da muß er durch sein Gehirn, durch seinen Kopf meine ich, selber dasjenige ausarbeiten, was Licht und Wärme ist. Wir müssen also mit unserem Kopf auch das erarbeiten, was Licht und Wärme ist. Wir werfen eigentlich alles äußere Licht und Wärme zurück. Wir müssen unserem Blut selber die Farbe geben. Das dringt dann durch das Weiße durch, und dadurch bekommen wir diese europäische Menschenfarbe. Die ist also vom Innern. Daher sind wir schon so wie ein weißer Körper, der alles im Innern verarbeitet, und alles Licht und alle Wärme zurückwirft. Wir sind schon so ein weißer Körper. Und während der Mongole das Mittelhirn hauptsächlich braucht, müs¬sen wir Europäer das Vorderhirn anwenden. Dadurch aber stellt sich das Folgende heraus: Der mit dem Hinterhirn, der hat vor¬zugsweise das Triebleben, das Instinktleben. Der da hier mit dem Mittelhirn hat das Gefühlsleben, das in der Brust sitzt. Und wir Europäer, wir armen Europäer haben das Denkleben, das im Kopfe sitzt. Dadurch fühlen wir gewissermaßen unseren inneren Menschen gar nicht. Denn den Kopf, den fühlen wir nur, wenn er uns weh tut, wenn er krank ist. Sonst fühlen wir ihn nicht. Da¬durch aber nehmen wir die ganze Außenwelt auf, werden dadurch leicht Materialisten. Der Neger wird schon kein Materialist. Der bleibt innerlich Mensch. Nur entwickelt er innerlich das Trieb¬leben. Der Asiate wird auch nicht Materialist. Der bleibt beim Gefühlsleben. Der kümmert sich nicht so ums äußere Leben wie der Europäer. Von dem sagt er: Der wird nur ein Ingenieur, der sich nur mit dem äußeren Leben beschäftigt. Er ist eben dadurch, daß er sein Vorderhirn entwickeln muß, hauptsächlich auf die
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Außenwelt hingewiesen. Und mit dem hängt nun zunächst alles zusammen.
Wir sind also die weiße Rasse. Innerlich ist das Weiß durch unser Blut gefärbt. Dann ist da die gelbe Rasse, die Mongolen, und dann ist da die schwarze Rasse. Und wir können das ganz gut begreifen, wenn wir von den Farben ausgehen. Da erklärt sich die ganze Geschichte.
Nun brauchen Sie sich aber nur zu überlegen, wie das ist. Die Neger, die leben auf einem Erdstück, wo die Sonne sie sehr, sehr belästigt, eindringt in sie. Also geben sie sich ihr hin, nehmen sie ganz in ihren Körper auf, werden freundschaftlich mit ihr, werfen nichts zurück. Bei den Asiaten, da geht es schon mehr aus dem Heißen der Erde heraus. Die geben nicht mehr so viel zurück. Die werden nicht mehr so freundschaftlich mit der Sonne. Und bei den Europäern, da ist es so, daß sie eigentlich überhaupt nichts von der Sonne bekommen würden, wenn sie nicht ihr eigenes Menschliche entwickelten. Daher ist Europa immer der Ausgangs¬punkt für alles dasjenige gewesen, was nun das Menschliche so entwickelt, daß das zu gleicher Zeit mit der Außenwelt in Bezie¬hung kommt. Erfindungen sind in Asien sehr wenig gemacht wor¬den. Verarbeitet kann dann die Geschichte werden; aber Erfin¬dungen selber, durch die sie das, was durch die Erfahrung mit der Außenwelt entspringt, verwenden, das können die Asiaten nicht machen.
Zum Beispiel war es einmal so mit einem Schraubendampfer. Den haben die Japaner den Europäern abgeguckt, und nun wollten sie auch allein fahren. Vorher fuhren immer die Europäer und haben die Geschichte dirigiert. Nun wollten sie einmal allein fahren. Die englischen Ingenieure sind zurückgeblieben an der Küste. Plötzlich gerieten die Japaner draußen, die dann das Schiff geleitet haben, in helle Verzweiflung, denn das Dampfschiff drehte sich fortwährend um sich selber. Sie kriegten es nicht heraus, wie sie zu der Drehung die richtige Fortbewegung hinzubringen konn¬ten. Die Europäer, die das wußten, die grinsten natürlich furchtbar am Ufer. Also dieses selbständige Denken, das der Europäer
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im Umgang mit der Umgebung entwickelt, das haben die Asiaten nicht. Die Japaner werden daher alle europäischen Erfindungen ausbilden; aber selber etwas ausdenken, das werden die Japaner nicht. Es ist einmal so beim Menschengeschlecht, daß die Menschen über die Erde hin eigentlich alle aufeinander angewiesen sind. Sie müssen einander helfen. Das ergibt sich schon aus ihrer Naturanlage.
Nun, sehen Sie, das hängt aber mit der ganzen übrigen Aus¬bildung des Menschen zusammen. Denken Sie sich einmal solch einen schwarzen Menschen. Der entwickelt besonders das Trieb-leben, also dasjenige, was im Innern kocht. Das gibt viel Asche. Die Asche, die setzt sich dann in den Knochen ab. Dadurch wird er mehr in den Knochen ausgebildet sein als derjenige, der der weißen Rasse angehört. Der verwendet dasjenige, was er im In¬nern hat, mehr auf das Blut. Daher werden seine Knochen feiner ausgebildet sein. Also der Neger hat grob ausgebildete Knochen, der Europäer hat feiner ausgebildete Knochen. Und das, was Asiaten sind, die gelbe Rasse, die stehen in der Mitte drinnen.
Jetzt können Sie, wenn Sie den Japaner anschauen, an der ganzen Art und Weise, wie er dasteht und geht, sehen: er ist in sei¬nem Knochenbau so, daß er zwischen dem Europäer und dem Afrikaner mitten drinnen steht. Die Afrikaner haben diese starken Knochen, die immer ausschlagen. Der Europäer, der hat mehr das Blutsystem. Der Japaner, der hat eigentlich alles das, was auf den Atem und von dem Atem aus in die Blutzirkulation wirkt.
Nun aber, meine Herren, bleiben eben die Menschen nicht bloß auf der Erde sitzen. Wenn man in alte Zeiten zurückgehen würde, so würde man schon finden, daß zu Asien die gelbe Rasse, zu Europa die weiße Rasse und zu Afrika die schwarze Rasse gehört. Aber immer ist es auch vorgekommen, daß die Menschen nun ausgewandert sind. Und da können sie nun entweder so herwan-dern (es wird gezeichnet), die Gelben können nach Osten wan¬dern, oder die Schwarzen können nach Westen wandern. So ist es wohl einmal gewesen. Die Gelben sind immer nach Osten ge¬wandert. Da sind sie auf diese Inseln gekommen, die zwischen
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Asien und Australien sind. Die Gelben wandern nach Osten hin¬über. Wenn die Gelben nach Osten hinüberwandern, dann werden sie braun. Da entstehen dann die Malaien; die werden braun. Warum? Ja, warum werden sie braun? Was heißt denn das: sie werden braun? Nicht wahr, wenn sie gelb sind, werfen sie einen bestimmten Grad von Licht zurück; das andere nehmen sie auf. Wenn sie braun werden durch die andere Art, wie sie jetzt in der Sonne leben, weil sie ja von einem anderen Erdstück kommen, dann werfen sie weniger Licht zurück. Sie nehmen mehr Licht in sich auf. Also diese braunen Malaien sind ausgewanderte Mongo¬len, die sich aber jetzt, weil die Sonne anders auf sie wirkt, ange¬wöhnen, mehr Licht und mehr Wärme aufzunehmen. Bedenken Sie aber: nun haben sie nicht die Natur dazu. Sie haben sich schon angewöhnt, sogar ein solches Knochengerüste zu haben, daß sie nur einen bestimmten Grad von Wärme aufnehmen können. Sie haben nicht die Natur, so viel Wärme aufzunehmen, als sie jetzt als Malaien aufnehmen. Die Folge davon ist, daß sie anfangen, unbrauchbare Menschen zu werden, daß sie anfangen, Menschen zu werden, die am Menschenkörper zerbröckeln, deren Körper abstirbt. Das ist in der Tat bei der malaiischen Bevölkerung der Fall. Die stirbt an der Sonne. Die stirbt an der Östlichkeit. So daß man sagen kann: Während die Gelben, die Mongolen, noch Men¬schen in der Vollkraft sind, sind die Malaien schon eine abster¬bende Rasse. Sie sterben ab.
Wenn die Neger - was sie allerdings heute weniger tun kön¬nen, heute sind die Verhältnisse schon anders, aber in Urzeiten war das schon so, wie ich es erzähle -, nach dem Westen hinüber-wandern - eine Schiffahrt hat es ja immer gegeben, und es waren ja außerdem durch den ganzen Atlantischen Ozean noch Inseln, der Atlantische Ozean war ja früher auch ein Kontinent -, also wenn die Schwarzen nach dem Westen auswandern, da können sie nicht mehr so viel Licht und Wärme aufnehmen wie in ihrem Afrika. Da kommt ihnen weniger Licht und Wärme zu. Was ist die Folge? Ja, ihre Natur ist eingerichtet darauf, so viel als mög¬lich Licht und Wärme aufzunehmen. Ihre Natur ist eigentlich eingerichtet,
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dadurch schwarz zu werden. Jetzt kriegen sie nicht so viel Licht und Wärme, als sie brauchen, um schwarz zu werden. Da werden sie kupferrot, werden Indianer. Das kommt davon her, weil sie gezwungen sind, etwas von Licht und Wärme zurückzuwerfen. Das glänzt dann so kupferrot. Das Kupfer ist selber ein Körper, der Licht und Wärme so ein bißchen zurückwerfen muß. Das können sie nicht aushalten. Daher sterben sie als Indianer im Westen aus, sind wiederum eine untergehende Rasse, sterben an ihrer eigenen Natur, die zu wenig Licht und Wärme bekommt, sterben an dem Irdischen. Das Irdische ihrer Natur ist ja ihr Triebleben. Das können sie nicht mehr ordentlich ausbilden, während sie noch starke Knochen kriegen. Weil viel Asche hineingeht in ihre Knochen, können diese Indianer diese Asche nicht mehr aushalten. Die Knochen werden furchtbar stark, aber so stark, daß der ganze Mensch an seinen Knochen zugrunde geht.
Sehen Sie, so hat sich die Sache entwickelt, daß diese fünf Ras¬sen entstanden sind. Man möchte sagen, in der Mitte schwarz, gelb, weiß, und als ein Seitentrieb des Schwarzen das Kupferrote, und als ein Seitenzweig des Gelben das Braune - das sind immer die aussterbenden Teile.
Die Weißen sind eigentlich diejenigen, die das Menschliche in sich entwickeln. Daher sind sie auf sich selber angewiesen. Wenn sie auswandern, so nehmen sie die Eigentümlichkeiten der anderen Gegenden etwas an, doch sie gehen, nicht als Rasse, sondern mehr als einzelne Menschen, zugrunde. Aber sie tun dafür noch etwas anderes. Sehen Sie, alles dasjenige, was ich Ihnen jetzt geschildert habe, das sind ja die Dinge, die im Leibe des Menschen vor sich gehen. Die Seele und der Geist sind mehr unabhängig davon. Daher kann der Europäer, weil ihn Seele und Geist am meisten in Anspruch nimmt, Seele und Geist am meisten verarbeiten. Der kann es am ehesten vertragen, in verschiedene Erdteile zu gehen.
Daher ist es auch gekommen, daß, von da oben ausgehend, einst-mals eine große Völkerwanderung bis nach Indien hinunterging.
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Da traf ein Strom weißer Bevölkerung in das Gebiet hinein, wo man gelb wird. Daher kamen dann die Inder, so eine Mischung von Mongolischem und Kaukasischem. Daher die schönsten indischen Dichtungen, das Schönste, was da ist; aber zu gleicher Zeit wiederum etwas, von dem man merkt, es ist schon träge geworden, weil eben das Weiße nicht in seinem eigentlichen Gebiet drinnen ist.
Und so kann man sagen: DieWeißen können überallhin, können heute sogar nach Amerika hinüber. Alles dasjenige, was an weißer Bevölkerung in Amerika ist, das ist ja von Europa gekommen. Da kommt also das Weiße hinein in die amerikanischen Gegenden. Aber es geschieht ja etwas mit dem Menschen, wenn er von Europa, wo er dazu natürlich gebildet ist, daß er alles im Innern entwickelt, nach Amerika hinüberkommt. Da ist es so, daß gewissermaßen schon etwas sein Hinterhirn in Anspruch genommen werden muß. In Europa, sehen Sie, hat er als Europäer hauptsächlich das Vorderhirn in Anspruch genommen. Nun, in Amerika, da gedeihen diejenigen, die eigentlich zugrunde gehende Neger einmal waren, das heißt sie gedeihen nicht, sie gehen zugrunde, die Indianer. Wenn man dahin kommt, da ist eigentlich immer ein Kampf zwischen Vorderhirn und Hinterhirn im Kopf. Es ist das Eigentümliche, daß wenn eine Familie nach Amerika zieht, sich niederläßt, dann bekommen die Leute, die aus dieser Familie hervorgehen, immer etwas längere Arme. Die Arme werden länger. Die Beine wachsen auch etwas mehr, wenn der Europäer in Amerika sich ansiedelt, nicht bei ihm selber natürlich, aber bei seinen Nachkommen. Das kommt davon, weil die Geschichte mehr durch das Mittelhirn hindurch nach dem Hinterhirn sich hinzieht, wenn man als Europäer nach Amerika kommt.
Aber gleichzeitig kommt beim Amerikaner etwas sehr Eigen-tümliches zustande. Nicht wahr, der Europäer lebt, namentlich wenn er ein Denker wird, ganz in seinem Innern. Wenn er kein Denker wird, denkt er zwar kaum nach, aber es gibt das ein Le¬ben, das nicht ganz ausgefüllt ist. Aber sobald der Europäer in Amerika sich ansiedelt, da geht es nicht mehr, daß er so grübelt.
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Daher kommt folgendes. Wenn Sie ein europäisches Buch lesen, da wird immer bewiesen, man kommt gar nicht mehr heraus aus dem Beweisen. Da liest man ein ganzes Buch durch, 400 Seiten durch, nur Beweise; selbst wenn es ein Roman ist, wird immer be¬wiesen. Meistens ist dann am Ende auf der vierhundertsten Seite doch nichts bewiesen. Der Amerikaner tut das nicht. Wenn Sie ein amerikanisches Buch lesen, da wird alles als Behauptung hingestellt. Da geht es wiederum zurück, durch den Instinkt genährt. Das Tier beweist überhaupt nichts. Der Löwe beweist nicht, daß er ein anderes Tier fressen will; er frißt es. Der Europäer - wenn er etwas tun will, muß es erst bewiesen sein. Alles muß erst be¬wiesen sein. Das ist heute der große Unterschied zwischen dem Europäer und dem Amerikaner: Die Europäer beweisen, die Amerikaner behaupten.
Aber man kann nicht sagen, daß das nicht ebensogut wahr sein kann, was die behaupten. Es wird eben mehr durch den ganzen Menschen eingesehen. Das haben die Amerikaner vor dem Euro-päer voraus. Sie nähern sich auf der einen Seite dem Zugrunde-gehen - der Indianer geht ja zugrunde -, aber wenn man anfängt zugrunde zu gehen, so wird man gescheit. So werden sie gescheit, die Europäer, wenn sie hinüberkommen; sie gewöhnen sich ja das Beweisen ab.
Das ist nicht gerade eine vorwärtsbringende Eigenschaft, das Beweisenwollen. Nicht wahr, wenn man morgens etwas tun soll, so kann man morgens anfangen mit Beweisen, und abends beim Schlafengehen kann man es noch nicht tun, weil man immer noch beweisen muß. Der Amerikaner wird das nicht tun, weil er gar nicht auf das Beweisen eintrainiert, einexerziert ist. Und so kommt es, daß zunächst ganz gewiß Amerika etwas voraus haben wird vor Deutschland. Man kann da ganz interessante Beobachtungen machen. Wenn man ein europäisches Buch in die Hand nimmt, so beweist es etwa - sagen wir, es ist ein Buch über die Verdauung der Maikäfer, solche Bücher werden ja geschrieben - folgendes. Es beginnt damit, zu beweisen: Das Tiergeschlecht der Maikäfer enthält ja auch Verdauungsorgane; allein sie entziehen sich der
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gewöhnlichen Beobachtung. Man muß tiefer in die ganze Organi-sation der Maikäfer eindringen - nun, so geht es weiter; man muß also alles beweisen. Der Amerikaner beginnt damit: Wenn man einen Maikäfer zergliedert, so findet man in ihm das und das. -Der behauptet, indem er beobachtet. Und so, sehen Sie, ist es bei den Europäern so, daß sie ja ihre Rasseeigentümlichkeiten wegen ihrer ganzen Einrichtung nicht mehr so ausbilden. Sie bilden mehr die seelisch-geistigen Eigenschaften aus. Daher können sie auch in alle übrigen Weltteile eindringen. Mit dem Zugrundegehen geht es natürlich langsam.
Die Sonne sendet immer mehr oder weniger dasjenige auf die Erde herunter, was Licht oder Wärme ist. Jetzt haben wir den Frühlingspunkt, wie ich Ihnen gesagt habe, in den Fischen. Vor¬her war er im Widder. Nach einiger Zeit wird er im Wassermann sein. Da wird erst die richtige amerikanische Zivilisation kommen. Bis dahin wird sich immer mehr und mehr Zivilisation nach Amerika hinüberbegeben. Wer das sehen will, kann es heute schon sehen, wie mächtig die Amerikaner werden, und wie Europa allmählich immer mehr und mehr ohnmächtig wird. Und daß es in Europa zu gar keinem Frieden jetzt kommen kann, das beruht eben darauf, daß Europa eigentlich das eigene Land nicht mehr versteht. Nun schlägt sich die ganze Zivilisation nach Amerika hinüber. Es wird langsam gehen; aber wenn die Sonne in ihrem Frühlingspunkte in das Zeichen des Wassermannes eingetreten sein wird, dann wird sie gerade so günstig ihre Strahlen herunter-schicken auf die Erde, daß die amerikanische Kultur und Zivilisa¬tion dann besonders mächtig sein wird. Das sieht man schon heute.
Sehen Sie, es ist wirklich so merkwürdig: In Europa herüben kann man das, was wir Anthroposophie nennen, entwickeln. Das muß man aus dem Geist heraus entwickeln. Das geht gar nicht mehr aus den Rasseeigentümlichkeiten heraus. Das muß man aus dem Geiste heraus entwickeln. Und die Menschen, die in Europa nicht heranwollen an den Geist, die werden Europa ins Unglück stürzen.
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Die Amerikaner, die brauchen das heute noch nicht, namentlich diejenigen, die da hinüberreisen. Da können sie sich noch mehr auf die Rasseeigentümlichkeiten stützen. Und so entsteht da drü¬ben in Amerika kurioserweise etwas Merkwürdiges. Wer ganz aufmerksam amerikanische Bücher liest, wer aufmerksam Parla-mentsreden liest, wer überhaupt etwas aufnimmt von dem, was beute in Amerika vorgeht, der wird sich sagen: Donnerwetter, das ist ja etwas ganz Merkwürdiges. Wir in Europa bilden die Anthro-posophie aus dem Geiste heraus aus. Da drüben bilden sie etwas aus, was so wie eine Art Holzpuppe der Anthroposophie ist. Es wird alles materialistisch. Aber für den, der nicht ein Fanatiker ist, für den hat das, was amerikanische Kultur ist, etwas Ahnliches mit dem, was anthroposophische Wissenschaft ist in Europa. Nur ist dort alles aus Holz. Es ist noch nicht lebendig. Lebendig ma¬chen können wir es in Europa aus dem Geistigen heraus. Die nehmen es dort aus dem Instinkte heraus.
Sehen Sie, das können Sie in allen Einzelheiten bemerken. Es wird einmal die Zeit kommen, wo dieser amerikanische «Holz-mensch», der eigentlich jeder noch ist, anfangen wird, zu reden. Dann wird er der europäischen Anthroposophie sehr Ähnliches zu sagen haben. Man kann sagen: Wir in Europa bilden Anthro¬posophie auf geistige Weise aus; der Amerikaner bildet sie auf naturhafte Weise aus. Daher kann ich so oft, wenn ich Anthro¬posophisches auseinandersetze, darauf hinweisen: Nun ja, so ist es anthroposophisch, und so ist es die amerikanische Karikatur. Das ist die Karikatur davon.
Wenn aber einer ein Fanatiker ist und sich nicht durch inner¬liches Leben, sondern durch Fanatismus in die Anthroposophie hereinfindet, dann findet er gerade die schärfsten Schimpfworte für das Amerikanertum, weil - nicht wahr, der Mensch schimpft am meisten über den Affen, weil der Affe ihm ähnlich ist, aber Karikatur ist. Und so ist es wirklich eine so merkwürdige Ge-schichte, wie zwischen Nord- und Südpol, zwischen dem, was wir geistig uns erringen in Europa und zwischen dem, was man sich da drüben auf naturhafte Weise in Amerika erringt.
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Naturwissenschaftliche Bücher schauen in Amerika ganz anders aus als in Europa. Sie reden eigentlich fortwährend vom Geist, aber sie stellen sich den Geist grobklotzig materiell vor. Daher ist auch der Spiritismus in der neueren Zeit in Amerika aufgekom¬men. Denn was tut der Spiritismus? Er will vom Geist reden und stellt sich den Geist vor so wie Wolkenerscheinungen, möchte am liebsten alles wie Wolkenerscheinungen haben. Daher ist der Spiritismus ein amerikanisches Produkt; er geht auf den Geist, aber auf materialistische Weise. Das ist eben so interessant, daß in Amerika der Materialismus richtig grassiert, aber eigentlich auf dem Wege zum Geist ist, während, wenn einer in Europa Materia¬list wird, dann stirbt er als Mensch. Der Amerikaner ist ein junger Materialist. Eigentlich sind alle Kinder zunächst materialistisch, wachsen sich dann aus zu dem, was nicht Materialismus ist. So wird sich der amerikanisch krasse Materialismus gerade zu einem Geistigen auswachsen. Das wird sein, wenn die Sonne im Zeichen des Wassermannes aufgeht.
Nun, Sie sehen, auf diese Weise kann man durchschauen, was wir als Europäer für eine Aufgabe haben. Wir haben gar nicht die Aufgabe als Europäer, über die Amerikaner immer zu schimpfen, sondern wir müssen natürlich über die ganze Erde hin eine Zivili-sation begründen, die aus dem Besten zusammengesetzt ist.
Natürlich, wenn man die Sache so denkt, wie sie der Prinz von Baden gedacht hat, der auf den amerikanischen Europäer Wilson hereingefallen ist, dann geht es nicht. Denn Wilson war nicht ein richtiger Amerikaner. Der hat alle seine Theorien eigentlich von Europa genommen. Dadurch hat er es so furchtbar theoretisch gemacht. Aber das richtige Amerikanertum, das ist dasjenige, was tatsächlich einmal mit dem Europäertum, das auf mehr geistige Weise seine Sache finden wird, sich vereinigen wird. Und dann sieht man, wie man sich eigentlich verhalten muß in der Welt, wenn man so etwas auf diese Weise studiert.
Und so ist es wirklich ganz interessant: Auf der einen Seite hat man die schwarze Rasse, die am meisten irdisch ist. Wenn sie nach Westen geht, stirbt sie aus. Man hat die gelbe Rasse, die mitten
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zwischen Erde und Weltenall ist. Wenn sie nach Osten geht, wird sie braun, gliedert sich zu viel dem Weltenall an, stirbt aus. Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse. Wie sie nach Indien gezogen ist, bildete sie die innerliche, poe¬tische, dichterische, geistige indische Kultur aus. Wenn sie jetzt nach dem Westen geht, wird sie eine Geistigkeit ausbilden, die nicht so sehr den innerlichen Menschen ergreift, aber die äußere Welt in ihrer Geistigkeit begreift.
Und so werden in der Zukunft gerade aus den Rasseeigentüm-lichkeiten solche Dinge hervorgehen, die man kennen muß im Leben, damit man sich richtig hineinstellt ins Leben. Die Men¬schen bekommen immer weniger Einstellung im Leben. Sie wol¬len eben alles aus dem Blitzblauen heraus haben, die Menschen, und nicht eigentlich lernen.
Das ist dadurch gekommen, weil eben im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts den Menschen, die gebildet worden sind, namentlich die wissenschaftlich gebildet worden sind, ja nichts Menschliches mehr angeboten wurde. Nicht wahr, es geht jetzt so schwer mit der Menschenkunde. Das merken selbst schon die materialistischen Gelehrten. Sie kommen nicht weiter. Und bei der letzten Naturforscherversammlung war es interessant. Da war einer von diesen Naturforschern, der hat es besonders stark ge-merkt: man kommt ja nicht mehr weiter, man erfährt durch die gegenwärtige Wissenschaft nichts vom Menschen. Aber er hat nicht gesagt: Also müssen wir uns der Anthroposophie nähern, sondern er hat gesagt: Gebt uns Leichen, damit wir die zergliedern können.
Sehen Sie, das war alles, was er sagen konnte: Gebt uns Lei¬chen! Mehr Leichen wollen die Menschen haben. Den toten Men¬schen wollen sie studieren. Das war so ein richtiges Schlagwort:
Gebt uns Leichen! - während wir hier die Leichen entbehren können, denn wir wollen den lebendigen Menschen anschauen und studieren. Dazu muß man nur seine Augen aufmachen, und durch seine Augen etwas die Seele, denn den lebendigen Men¬schen findet man überall. Man begegnet lauter lebendigen Men¬schen.
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Nur muß man mit ihnen leben können, damit sie einem das wirklich bekunden können, was Menschenwesen ist. Aber die Leute, die heute Gelehrte sind, haben ja tatsächlich ganz schwache Augen. Sie sehen ja nicht den Menschen. Und dann flehen sie sehnsüchtig: Gebt uns Leichen! Da können sie dann studieren. Gebt uns Leichen! In einer solchen Situation waren in den letzten Jahren, Jahrzehnten die Bildungsanstalten. Da haben die Men¬schen nichts Menschliches aufgenommen. Daher ist aus allen Wis¬senschaften das Menschliche herausgekommen.
Deshalb habe ich in dem ersten Kapitel meiner «Kernpunkte der sozialen Frage» diese Frage behandelt. Ich mußte zeigen, wie diejenigen, die nichts mit der Wissenschaft zu tun gehabt haben, sondern mit der Arbeit, herangekommen sind. Und nun natürlich wollten sie Wissenschaft. Aber die konnten ihnen die anderen nicht geben, die sie scheinbar hatten, die Bourgeois. Und dadurch entstand die ganze Kalamität in der Zivilisation. Die Arbeiter ver-langten nach Wissenschaft, und sie war nicht da, weil nur eine Wissenschaft, die menschlos ist, da war. Das habe ich im ersten Kapitel der «Kernpunkte» dargestellt, weil man wirklich erst das verstehen muß, wenn man von der sozialen Frage redet. So war es schon notwendig, daß die «Kernpunkte der sozialen Frage» in dem ersten Kapitel damit begannen.
Nun, wir haben also die Farben heute etwas weiter behandelt, meine Herren.
VIERTER VORTRAG Dornach, 14. März 1923
#G349-1961-SE065 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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VIERTER VORTRAG
Dornach, 14. März 1923
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Ich habe eine Frage in bezug auf die Farben bekommen und werde gebeten, darüber noch etwas zu sagen.
Nun will ich zunächst eingehen auf die Frage, die hier zuerst gestellt worden ist. Das ist die Frage nach dem Weltbilde, das sich Dante gemacht hat. Also der Herr hat Dante gelesen. Und wenn man Dante, diesen Dichter aus dem Mittelalter, liest, so sieht man, daß er ein ganz anderes Weltbild gehabt hat als wir.
Nun bitte ich Sie, folgendes zu bedenken. Die Menschen, ich habe es Ihnen ja öfter gesagt, denken, daß dasjenige, was heute der Mensch weiß, eigentlich das allein Gescheite ist. Und wenn frühere Menschen anders gedacht haben, dann stellen sich die Leute vor: Nun ja, das war da einmal so. Und man hat gewartet, bis man etwas Vernünftiges über die Welt hat erfahren können.
Sehen Sie, dasjenige, was heute die Leute in der Schule schon lernen, was ihnen in Fleisch und Blut übergeht über das Weltbild, das ist eigentlich erst so seit der Zeit, als Kopernikus dieses Welt-bild zunächst ausgedacht hat. Nach diesem Weltbild also aus dem sechzehnten Jahrhundert hat man sich vorgestellt, daß die Sonne in der Mitte unseres ganzen Planetensystems steht. Um die Sonne laufen zunächst herum der Merkur (es wird gezeichnet), dann die Venus, dann die Erde. Um die Erde läuft der Mond herum. Dann kommt der Mars, um die Sonne herumlaufend. Dann sind viele, im Verhältnis zum Weltenraum winzige Planeten da, die man Planetoiden nennt - oid, das heißt ähnlich, ähnlich den Planeten. Dann kommt der Jupiter, dann kommt der Saturn. Und dann noch Uranus und Neptun; die brauche ich nicht zu zeichnen. So stellt man sich das heute vor, lernt es schon in der Schule, daß die Sonne in der Mitte stillsteht. Eigentlich sind diese Linien, in denen die Planeten herumlaufen, etwas langgestreckt. Auf das kommt es uns heute nicht an. Man denkt sich also, daß zunächst Merkur, dann Venus, dann die Erde um die Sonne herumläuft.
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Nun wissen Sie, daß die Erde um die Sonne in einem Jahr herum-läuft, also in 365 Tagen 6 Stunden und so weiter. Der Saturn läuft
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in ungefähr 30 Jahren einmal herum, also wesentlich langsamer. Der Jupiter zum Beispiel läuft in 12 Jahren herum, also auch langsamer als die Erde. Der Merkur läuft ziemlich schnell herum. Also je näher die Planeten der Sonne sind, desto schneller laufen sie herum.
Nun, nicht wahr, diese Vorstellung hält man heute für die rich¬tige, lehrt sie schon in der Schule. Sie brauchen aber nur bis zum vierzehnten Jahrhundert zurückzugehen, also ins dreizehnte Jahr-hundert etwa, dann hat ein so außerordentlich großer Geist, wie Dante, der dieses Gedicht von der Göttlichen Komödie gemacht hat, noch eine ganz andere Vorstellung. Das liegt also ein paar Jahrhunderte zurück hinter Kopernikus. Und der allergrößte Mensch, der dem Geist nach allergrößte Mensch, Dante, hat eine ganz andere Vorstellung.
Nun wollen wir heute einmal zunächst gar nicht entscheiden, ob das eine richtig ist, ob das andere richtig ist. Wir wollen uns jetzt nur einmal vorstellen, wie Dante, dieser bedeutende Geist der damaligen Zeit, sich die Sache vorgestellt hat in einer Zeit
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also - jetzt haben wir 1900, damals 1300 -, die nur sechshundert Jahre zurückliegt. Wollen wir gar nicht denken, das eine ist falsch, das andere ist richtig, sondern uns nur hineinversetzen in die Vorstellung des Dante. Der hat sich vorgestellt (es wird ge¬zeichnet): Die Erde steht in der Mitte des Weltensystems. Und diese Erde ist nicht nur so da, daß der Mond zum Beispiel das Licht, das er von der Sonne bekommt, auf die Erde zurückwirft, sondern diese Erde, die ist nicht nur umgeben, sondern ganz ein-gehüllt von der Mondensphäre. Die Erde steckt ganz drinnen in der Mondensphäre. Den Mond hat sich Dante also viel größer vorgestellt als die Erde. Er hat sich vorgestellt: Das ist ein sehr feiner Körper, der viel größer ist als die Erde. Der ist also fein zwar, aber viel größer. Und das, was man sieht, das ist nur ein Stückchen, nämlich das feste Stückchen von dem Mond. Und die¬ses feste Stückchen, das läuft nur um die Erde herum. Können Sie sich das vorstellen? Bei Dante ist es so, daß die Erde im Mond drin¬nen ist, und das, was man sieht vom Mond, das ist nur ein kleines, festes Stückchen vom Mond. Das läuft herum. Aber eigentlich sind wir alle in den Kräften vom Mond drinnen. Die habe ich da rot gezeichnet.
Und nun hat sich Dante vorgestellt: Ja, wenn die Erde nicht drinnensteckte in diesen Kräften vom Mond, so würden zwar ein-mal durch irgendein Wunder auf die Erde Menschen kommen, aber sie könnten sich nicht fortpflanzen. Die Fortpflanzungs-kräfte sind es, die da in dem Rotgezeichneten drinnen enthalten sind. Die durchströmen auch den Menschen, und die machen, daß er fortpflanzungsfähig ist. Also der Dante hat sich vorgestellt: Die Erde ist ein fester, kleiner Körper; der Mond ist ein feiner -viel feiner als die Luft -, ein feiner großer Körper, in dem die Erde wie ein Kern drinnen ist. Sie können es sich so vorstellen, wie wenn die Erde ein Zwetschgenkern wäre in dem weichen Zwetschgenfleisch. Und da draußen ist das feste Stückchen; das läuft herum. Aber das da (das Rote) ist auch immer da, und das bewirkt, daß der Mensch fortpflanzungsfähig ist, und die Tiere auch fortpflanzungsfähig sind.
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Jetzt stellte sich Dante weiter vor: Die Erde ist jetzt nicht nur drinnen in Mondenkräften, sondern die Erde ist auch noch in weiteren Kräften drinnen - die will ich hier gelb zeichnen -, und die durchdringen das alles. Also die Mondenkräfte sind in dem drinnen, stecken da drinnen, so daß Erde und Mond wiederum da drinnen in diesem Gelben sind. Und da ist wiederum ein festes Stück. Dieses feste Stück ist der Merkur, und der läuft da herum. Und wenn der Mensch nicht fortwährend von diesen Merkur-kräften durchdrungen wäre, so könnte er nicht verdauen. So daß sich also Dante vorgestellt hat: Die Mondenkräfte bewirken die Fortpflanzung; die Merkurkräfte, in denen wir auch immer drin-nenstecken, die nur feiner sind als die Mondenkräfte, die bewir¬ken, daß wir verdauen können, und daß die Tiere verdauen kön¬nen. Sonst hätten wir in unserem Leib nur ein chemisches Labora-torium, stellte er sich vor. Daß es in unserem Leib anders zugeht als in einem chemischen Laboratorium, wo man nur die Stoffe mischt und wiederum voneinander trennt, das wird von den Mer-kurkräften bewirkt. Also der Merkur ist größer als die Erde und größer als der Mond.
Und nun ist das alles wiederum drinnen in einer noch größeren Sphäre, wie Dante es nannte. So daß wir also auch in den Kräf¬ten drinnenstecken, die von diesem Planeten, von der Venus, kom¬men. Diese Kräfte durchdringen uns auch. Wir sind also auch von den Venuskräften durchdrungen. Und daß wir von den Venus-kräften durchdrungen sind, das macht, daß wir nicht nur ver¬dauen können, sondern das Verdaute ins Blut aufnehmen kön¬nen. Alles, was mit unserem Blut zusammenhängt, kommt von den Venuskräften. So stellte es sich Dante vor. Und diese Venus-kräfte, die bewirken zum Beispiel auch dasjenige, was der Mensch in seinem Blut als Liebesgefühle hat; daher «Venus».
Die nächste Sphäre ist dann diejenige, in der wir wiederum drinnenstecken, und da läuft wiederum als festes Stück die Sonne herum. Wir sind also überall in der Sonne drinnen. Die Sonne ist also für Dante im Jahre 1300 nicht nur der Körper, der da auf-und niedergeht, sondern die Sonne ist überall da. Wenn ich hier
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stehe, bin ich in der Sonne drinnen. Denn das ist nur ein Stück von der Sonne, was da auf- und niedergeht, was da herumläuft. So hat er es sich vorgestellt. Und die Sonnenkräfte sind es vor¬zugsweise, welche im menschlichen Herzen tätig sind.
Also Sie sehen: Mond, menschliche und auch tierische Fort-pflanzung; Merkur: menschliche Verdauung; Venus: menschliche Blutbildung; Sonne: menschliches Herz.
Jetzt hat sich Dante vorgestellt: Alles das ist wiederum in der riesig großen Marskugel drinnen. Da ist der Mars. Und dieser
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Mars, in dem wir also alle drinnenstecken, der hängt nun ebenso, wie die Sonne mit dem menschlichen Herzen zusammenhängt, mit
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alledem zusammen, was unsere Atmung und namentlich unsere Sprache betrifft, mit allem, was die Atmungsorgane sind. Das ist im Mars. Also Mars: Atmungsorgane. Und dann geht es weiter. Die nächste Sphäre ist dann die Jupitersphäre. Wir stecken wie¬derum in den Jupiterkräften drinnen. Nun, der Jupiter, der ist ja sehr wichtig; der hängt mit alledem zusammen, was unser Ge¬hirn ist, eigentlich unsere Sinnesorgane, unser Gehirn mit den Sinnesorganen. Jupiter also hängt zusammen mit den Sinnes-Organen. Und nun kommt der äußerste Planet, der Saturn. In dem ist wieder alles das drinnen. Und der Saturn hängt zusammen mit unseren Denkorganen.
Also sehen Sie, dieser Dante, der nur sechshundert Jahre hinter uns zurückliegt, der stellte sich das ganze Weltgebäude anders vor. Der stellte sich zum Beispiel den Saturn als den größten Planeten vor, allerdings von feinem Stoff, aber als den größten Planeten, in dem wir drinnenstecken. Und diese Saturnkräfte, die bewirken unsere Denkorgane, die bewirken, daß wir denken können.
Außerhalb nun von alledem, aber so, daß wir da auch drinnen sind, ist der Fixsternhimmel. Da sind also die Fixsterne, nament¬lich die Tierkreis-Fixsterne. Und noch größer ist dann dasjenige, was alles bewegt, der erste Beweger. Aber der ist nicht bloß da oben, sondern der ist auch hier überall der erste Beweger. Und hinter dem ist ewige Ruhe, die auch wiederum überall ist. So stellte sich das Dante vor.
Nun, nicht wahr, kann der heutige Mensch sagen: Das ist eben so, daß die Leute das alles noch unvollkommen gesehen haben; aber wir heute sind endlich dahin gelangt, daß wir wissen, wie die Sachen sind. - Gewiß, das kann man auf der einen Seite sa¬gen. Aber Dante war eben auch nicht gerade dumm, und das¬jenige, was die andern heute sehen, das hat er auch schon gesehen. Also dumm war er nicht gerade. Und die anderen, von denen er das genommen hat, die alle dazumal das geglaubt haben, die waren eben auch nicht alle törichte Menschen, sondern man hat sich das anders vorgestellt. Und jetzt ist die Frage: Ja, wie kommt
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es, daß es in der Weltgeschichte so eingetreten ist, daß die Men-schen über das ganze Weltgebäude früher anders gedacht haben, und dann plötzlich im sechzehnten Jahrhundert alles drunter und drüber werfen und eine ganz andere Vorstellung vom Weltbild bekommen?
Das ist ja natürlich eine wichtige Frage, meine Herren. Und damit kommt man nicht zurecht, daß man sagt, nun ja, diese früheren Meinungen waren eben kindisch, sondern diese Leute haben eben noch ganz etwas anderes gesehen, als die heutigen Menschen sehen. Darüber muß man sich klar sein: die haben noch etwas ganz anderes gesehen. Die heutigen Menschen, die können so furchtbar gut denken. So gut denken, wie die heutigen Men¬schen, konnten diese alten Menschen nicht. Das Denken ist ei¬gentlich erst aufgekommen. Vor dem Saturn, der mit dem Denk-organ zusammenhängt, haben die alten Menschen immer einen heillosen Respekt gehabt. Der Saturn, haben sie gedacht, der ver¬dirbt den Menschen. Viel denken, das geht nicht. Der Saturn hat immer als ein finsterer Planet gegolten. Und die Kräfte, die von dem Saturn gekommen sind, von denen dachten sie, wenn die zu stark im Menschen sind, wird er ganz melancholisch. Er denkt immerfort und wird melancholisch. Also die Saturnkräfte, die hatten diese Leute gar nicht besonders gern, und sie stellten viel mehr in Bildern vor. Sie rechneten weniger. Heute rechnen wir ja alles aus. Dieses ganze Weltenbild hier von Kopernikus ist ja berechnet. Diese alten Menschen rechneten aber nicht. Aber diese alten Menschen wußten etwas anderes, was der heutige Mensch nicht weiß. Sie wußten, überall in der Welt, wo wir hinschauen, sind viele Kräfte da. Aber die Kräfte, die im Menschen drinnen sind, die sind nicht in dem da, was man mit dem Auge sieht, son¬dern die sind im Unsichtbaren drinnen.
Und so hat sich Dante gesagt: Es gibt eine sichtbare Welt, und es gibt eine unsichtbare Welt. Die sichtbare Welt, nun ja, die ist diejenige, die wir sehen. Wenn wir hinschauen in der Nacht, so sehen wir die Sterne, den Mond, die Venus und so weiter. Das ist die sichtbare Welt. Aber die unsichtbare Welt ist auch da. Und
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die unsichtbare Welt sind diese - man nannte das damals Sphä¬ren - die unsichtbare Welt sind diese Sphären. Und man unter¬schied zwischen derjenigen Welt, die man mit Augen sieht, und nannte diese die physische Welt. Das war die physische Welt. Und dann unterschied man diejenige Welt, die man nicht mit Augen sieht. Das ist die Welt, die Dante gemeint hat, und die nannte man die ätherische Welt. Also die ätherische Welt, die aus einem so feinen Stoff besteht, daß man fortwährend durchschaut.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch schon so gegangen ist, aber ich habe Leute kennengelernt, die waren nicht so schulgebildet, wie die heutigen Menschen schulgebildet sind, und die haben nicht geglaubt, daß da Luft ist; die haben gesagt: Da ist doch nichts. Nun, nicht wahr, Sie wissen, daß da Luft ist. Dante, der wußte, daß wiederum nicht nur Luft ist, sondern Mond ist, Venus ist und so weiter. Es ist ganz dasselbe. Sie sagen: Ich gehe durch die Luft. Dante sagte: Ich gehe durch den Mond, ich gehe durch die Venus, ich gehe durch den Mars. Das ist der ganze Unter¬schied. Und all das, was man nicht auf die gewöhnliche Weise sieht, und was man auch nicht wahrnehmen kann durch die ge¬wöhnlichen physikalischen und chemischen Instrumente, das nannte man ätherische Welt. Als9 Dante schilderte eben eine ganz andere Welt, eine ätherische Welt. Und worauf beruht denn das also, daß vor sechs Jahrhunderten Dante die Welt anders gesehen hat? Das beruht darauf, daß er etwas anderes beschrieben hat, daß er das Unsichtbare beschrieben hat, die ätherische Welt. Und Kopernikus hat nichts anderes gesagt als: Ach, kümmern wir uns nicht um die ätherische Welt und beschreiben wir die physische Welt. Darinnen besteht der Fortschritt. Man darf sich also nicht vorstellen, daß Dante ein «dummer August» gewesen sei, sondern er hat einfach die ätherische Welt beschrieben, und nicht die phy¬sische. Die physische Welt war ihm nicht besonders wichtig. Er hat die ätherische Welt beschrieben.
Nun, sehen Sie, die Sache hat sich im Grunde erst am Ende des achtzehnten Jahrhunderts wesentlich geändert. Bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts haben die Menschen immer noch etwas
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gewußt von dieser ätherischen Welt. Im neunzehnten Jahrhundert haben sie nichts mehr von ihr gewußt. Wir kommen wiederum darauf durch die Anthroposophie. Im neunzehnten Jahrhundert haben die Menschen nichts gewußt von dieser ätherischen Welt.
Zur anderen Frage:
Wenn wir ins achtzehnte Jahrhundert zurückgehen, da hat man zum Beispiel folgendes gemacht. Da hat man gesagt: Hier haben wir eine Kerze; da ist der Docht; da brennt die Kerze (es wird gezeichnet). Nun wissen Sie ja, wenn die Kerze brennt, ist sie in der Mitte bläulich, am Rand gelblich. Das können Sie sich fein zurechtlegen durch das, was wir über die Farben gesagt haben. Nämlich, da in der Mitte, da ist es finster, und hell ist es hier (außen am Rande). Und die Folge davon ist, daß man das Fin¬stere durch das Licht sieht. Und Sie wissen, das habe ich Ihnen neulich gesagt, wenn man das Finstere durch das Licht sieht, ist es blau, erscheint es blau. Daher erscheint das Innere der brennen¬den Kerze blau, weil man da das Finstere durch das Licht sieht. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, damit Sie sehen:
die Farbgedanken, die Farbanschauungen, die ich Ihnen letzthin gesagt habe, lassen sich auf alles anwenden.
Nun aber wissen Sie, wenn die Kerze brennt, wird sie immer weniger und weniger. Oben ist die Flamme, und in die Flamme geht dasjenige, was hier (an der Kerze) abschmilzt, über. Zuletzt ist die Kerze nicht mehr da. Das, was in der Kerze ist, das hat sich in die Luft verbreitet.
Denken Sie sich nun solch einen Menschen, sagen wir, im Jahre 1750, also vor noch nicht einmal zweihundert Jahren; der sagte:
Ja, wenn da die Kerze verbrennt, und alles in Luft aufgeht, dann geht etwas von der Kerze in den freien Raum hinaus. Zuletzt ist ja nichts mehr da. Es muß also die ganze Kerze in den freien Raum hinausgehen. Weiter sagte er: sie besteht aus ganz feinem Stoff, Feuerstoff. Dieser feine Feuerstoff verbindet sich mit der Flamme und geht nach allen Seiten heraus. So daß also der Mann
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im Jahre 1750 noch sagte: Da drinnen im Wachs, da ist ein Stoff, der nur zusammengeschoppt ist, dicht gemacht ist. Wenn ihn die Flamme fein macht, geht er in den freien Raum hinaus. Diesen Stoff nannte man dazumal Phlogiston. Also es geht etwas von der Kerze fort. Der Feuerstoff, das Phlogiston geht fort von der Kerze.
Nun kam am Ende des achtzehnten Jahrhunderts ein anderer. Der sagte: Nein, die Geschichte glaube ich nicht recht, daß da ein Phlogiston ist, das in die Welt hinausgeht. Das glaube ich nicht! - Was hat er gemacht? Er hat folgendes gemacht. Er hat das Ganze auch verbrannt, aber er hat es so verbrannt, daß er alles, was sich da gebildet hat, aufgefangen hat. Er hat es in einem abgeschlossenen Raum verbrannt, so daß er alles das, was sich da bilden konnte, auffangen konnte. Und dann hat er es gewogen. Und dann hat er gefunden, daß das nicht leichter wird. Er hat also zuerst die ganze Kerze gewogen, und dann hat er das Stück¬chen, das noch geblieben ist, gewogen, wenn die Kerze bis dahin verbrannt ist (es wird gezeichnet); und dasjenige, was sich da beim Verbrennen gebildet hat, das hat er aufgefangen, hat es ge¬gewogen und hat gefunden, daß es dann etwas schwerer ist als vorher. Also, wenn etwas brennt, sagte er, dann wird dasjenige, was sich bildet, nicht leichter, sondern es wird schwerer.
Und dieser Mensch, der das gemacht hat, das war Lavoisier. Worauf beruht denn all das, daß er zu einer so ganz anderen An-sicht kam? Ja, das beruhte darauf, daß er zuerst die Waage an-wendete, daß er alles wog. Und dann sagte er sich: Wenn das schwerer ist, so muß nicht etwas weggegangen sein, muß nicht das Phlogiston weggegangen sein, sondern es muß etwas dazugekom-men sein. Das ist der Sauerstoff, sagte er. Also man stellte sich vorher vor, daß das Phlogiston wegfliegt, und nachher stellte man sich vor, wenn etwas verbrennt, so dringt eigentlich der Sauerstoff herein, und die Verbrennung ist nicht die Zerstreuung von Phlo-giston, sondern gerade die Anziehung von Sauerstoff. Das ist da-durch gekommen, daß Lavoisier zuerst gewogen hat. Früher hat man nicht gewogen.
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Sehen Sie, meine Herren, da können Sie, ich möchte sagen, mit Händen greifen, was eigentlich geschehen ist. Am Ende des acht-zehnten Jahrhunderts hat man nicht mehr an etwas geglaubt, was sich nicht wägen läßt. Natürlich, das Phlogiston kann man nicht wägen. Das Phlogiston geht schon fort. Der Sauerstoff kommt auch heran. Aber den Sauerstoff, wenn er nicht verschwindet, den kann man auch wiegen. Das Phlogiston, das kann man nicht auf¬fangen. Warum? Ja, alles dasjenige, was Kopernikus am Mars und Jupiter beobachtet hat, das ist das, was schwer ist, wenn man es wiegt. Was Kopernikus den Mars nennt, das ist dasjenige, was, wenn man es auf eine große Waage legen würde, etwas wiegen würde. Ebenso, was er den Jupiter nennt. Er hat die schweren Körper bloß allein beguckt.
Dante hat nicht die schweren Körper bloß allein beguckt, son¬dern gerade dasjenige, was das Gegenteil hat von der Schwere, was immerzu fort will in den Weltenraum hinaus. Und das Phlo¬giston, das gehört einfach zu dem, was Dante beobachtet hat, und der Sauerstoff, der gehört zu dem, was Kopernikus beobachtet hat. Das Phlogiston ist das Unsichtbare, das sich zerstreut, der Äther. Der Sauerstoff ist ein Stoff, den man abwiegen kann.
So sehen Sie, wie der Materialismus entstanden ist. Das ist etwas, was Ihnen außerordentlich wichtig werden kann. Der Ma-terialismus ist dadurch entstanden, daß man angefangen hat nur das zu glauben, was man wiegen kann. Nur kann man das, was Dante noch gesehen hat, eben nicht abwiegen. Wenn Sie hier auf der Erde herumgehen, kann man Sie auch abwiegen. Sie sind schwer, und wenn man bloß dasjenige, was schwer ist, Mensch nennt, dann hat man bloß den Erdenmenschen. Aber denken Sie sich, dieser Erdenmensch wird ein Leichnam. Alles Schwere, alles das, was man mit der Waage behandeln kann, wird ein Leichnam. Dann liegt der Leichnam da. Sie können dann immer noch leben in demjenigen, was nicht schwer ist, in demjenigen, was die Erde umgibt, und was der Materialismus ableugnet, wovon Dante noch spricht, wovon wir wieder sprechen müssen, daß es da ist. So daß wir sagen können: Wenn der Mensch seinen äußeren, schweren
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Leib, den man abwägen kann, ablegt, so bleibt er zunächst im Ätherleib zurück.
Nun will ich Ihnen aber sagen, was da eigentlich in diesem Ätherleib enthalten ist. Sehen Sie, wenn hier ein Stuhl ist, so kann ich diesen Stuhl sehen. Ich habe ein Bild in mir von diesem Stuhl. Doch wenn ich mich umdrehe, so sehe ich ihn nicht. Aber ich habe noch immer ein Bild von ihm drinnen in mir, richtig noch immer ein Bild. Dieses Bild ist das Erinnerungsbild.
Nun denken Sie an die Erinnerungsbilder. Denken Sie, Sie ha¬ben vor recht langer Zeit einmal etwas erlebt. Sie haben zum Bei¬spiel erlebt, sagen wir, Sie waren irgendwo, haben auf einem Marktplatz lustige Menschen tanzen gesehen und so weiter. Ich könnte auch irgend etwas anderes nennen. Das Bild haben Sie behalten. Das ist ja nicht mehr da, meine Herren, was Sie da als Bild haben, namentlich nicht mehr da unter den Dingen, die man wiegen kann, die schwer sind, ist gar nirgends mehr da. Nur in Ihnen kann es vorgestellt werden. Sie können heute herumgehen und können, wenn Sie eine lebhafte Phantasie haben, sich ganz gut vorstellen, wie das alles war, bis zu den Farben derjenigen, die da herumgesprungen sind. Sie haben das ganze Bild vor sich. Aber Sie werden keinen Augenblick daran denken, daß man das wiegen kann, was Sie damals gesehen haben. Das können Sie nicht auf eine Waage legen. Die einzelnen Menschen sind schwer. Das¬jenige, was Sie heute in sich tragen als Erinnerungsbilder, das kön¬nen Sie nicht auf die Waage legen. Das gibt es nicht. Das ist noch geblieben, ohne daß die Sache selbst physisch noch da ist. Wie steckt denn das in Ihnen, was das Erinnerungsbild ist? Das steckt in Ihnen ätherisch. Nicht mehr physisch, sondern ätherisch steckt es in Ihnen.
Nun denken Sie sich einmal, Sie schwimmen, und durch irgend einen Unglücksfall sind Sie nahe am Ertrinken; aber Sie werden gerettet. Solche Leute, die nahe am Ertrinken waren, und die ge-rettet worden sind, die haben zumeist von einem sehr inter-essanten Erinnerungsbild erzählt. Dieses Erinnerungsbild kann man dann ebenso wieder haben, wenn man nicht am Ertrinken
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ist, sondern wenn man sich geisteswissenschaftlich, anhroposo-phisch ausbildet. Nämlich diejenigen, die dem Ertrinken nahe wa-ren, die haben einen Überblick über ihr ganzes irdisches Leben bis in die Kindheit. Es steigt alles auf. Auf einmal ist ein Erinne¬rungsbild da. Warum? Ja, weil der physische Leib, der jetzt im Wasser ist, etwas ganz Besonderes durchmacht. Und da müssen Sie sich an etwas erinnern, was ich Ihnen seinerzeit einmal gesagt habe. Ich habe Ihnen gesagt: Wenn man da hier Wasser hat (es wird gezeichnet) und darinnen einen Körper, so wird der Körper im Wasser leichter. Er verliert von seinem Gewicht so viel, als das Wasser wiegt, das als wässeriger Körper gerade so groß ist wie er selber.
Das ist eine schöne Geschichte, wie das entdeckt worden ist. Es ist schon im alten Griechenland entdeckt worden, daß jeder Kör¬per im Wasser leichter wird. Archimedes, der hat viel nachgedacht über solche Dinge. Und einmal war Archimedes im Bade. Die Leute waren höchst erstaunt - ja, in Griechenland hat man so gebadet, daß die anderen es auch gesehen haben; es war übrigens auf Sizilien, das dazumal zu Griechenland gehörte -, die Leute waren höchst erstaunt, als Archimedes plötzlich aus dem Bad sprang und schrie: Heureka! Heureka! Heureka! Das heißt: Ich hab's gefunden! Die Leute dachten: Was hat denn der im Bad gefunden? Er war nämlich im Bad drinnen bis zum Kopf unter¬getaucht, hatte ein Bein herausgestreckt aus dem Wasser, und da hat er gefunden: Wenn er ein Bein aus dem Wasser tut, wird es schwerer; wenn er es wiederum herunternimmt, wird es wieder leichter. Da hat er zum ersten Mal gefunden im Bad, daß jeder Körper leichter wird, wenn er im Wasser ist. Das ist das soge¬nannte Archimedische Prinzip. Also jeder Körper ist leichter, wenn er im Wasser ist. Also auch, wenn einer ertrinkt, wird sein physischer Körper leichter, sehr leicht. Nun kann noch immer, was er im Ätherkörper hat, sich halten, und da gehen ihm die gan¬zen Erinnerungen auf. Und sehen Sie, da gehen die Erinnerungen aus dem Grunde auf, weil er nicht mehr so schwer ist. Wenn der Mensch nun, wenn er stirbt, ganz draußen ist aus seinem phy¬sischen
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Körper, aus seinem physischen Leib, so ist er ganz leicht. Da lebt er ganz und gar in der Äthersphäre. Und da hat der Mensch nach seinem Tode jedesmal eine vollständige Erinnerung an das, was er auf der Erde erlebt hat bis zur Kindheit. Das ist das erste Erlebnis, das man nach dem Tode hat: eine vollständige Erinnerung.
Diese Erinnerung, die kann man prüfen. Nämlich die kann man so prüfen, daß man sich auf die Weise, wie ich das beschrieben habe in meinem Buche: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höhe¬ren Welten?» ausbildet. Dann kann man diese Erinnerung immer haben. Dann weiß man, daß die Seele unabhängig wird vom Leibe. Da bekommt sie zunächst diese Erinnerung, denn sie lebt zunächst nicht in demjenigen Stoff, den man ablegen kann, son¬dern, im Gegenteil, der hinaus will in alle Welt. Das ist der erste Zustand nach dem Tode. Da erinnert man sich. Den zweiten Zu¬stand, den möchte ich Ihnen das nächste Mal beschreiben. Jetzt will ich aber etwas, was uns vorbereitet, beschreiben. Denn die Frage, die gestellt worden ist, ist eine furchtbar schwerwiegende.
Wenn man sich vorstellt, daß Dante sich über die Welt etwas vorgestellt hat, was die heutigen Menschen für eine Kinderei hal¬ten, dann ist nämlich das, was er sich weiter vorstellt, erst recht eine Kinderei für die heutigen Menschen. Wenn nämlich da auf der Erde (es wird gezeichnet) ein Mensch steht für Dante, dann stellt sich Dante vor: Hier in der Erde, abgewendet - also wenn man da durchgeht -, so würde man da in der Erde drinnen das haben, was er sich als Hölle vorstellt. Also er denkt sich: Da draußen, da ist überall Himmels-Äther. Aber wenn ich hinein-bohren würde in die Erde, da ist auf der andern Seite da die Hölle. Bevor ich aus der Erde herauskomme, ist da die Hölle.
Nun, dieses als kindisch aufzufassen, das wird ja dem heutigen Menschen furchtbar leicht. Man braucht nur zu sagen: Ja, aber Dante hätte nicht da zu stehen brauchen, sondern hier, dann hätte er da hineinbohren können, und dann wäre da (auf der andern Seite) die Hölle gewesen! - Natürlich, das kann der heutige Mensch sagen, weil der heutige Mensch weiß, auf der andern Seite
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leben auch Leute. Also kann er sehr leicht sagen: Dante war halt dumm; der hat noch durchaus nicht einsehen können, daß die Erde auf allen Seiten Menschen hat, und daß daher ebensogut hier die Hölle sein könnte wie dort. Denn der, der da steht, der kriegt nun den Himmel von der Seite, und für ihn wäre dann auf der andern Seite die Hölle.
Sehen Sie, meine Herren, das ist so. Für die physische Welt kann es nur so sein: Wenn da der Himmel wäre, so könnte die Hölle nur hier sein; für die physische Welt könnte es nur so sein. Wenn ein Stuhl irgendwo steht, so kann er eben nur da stehen. Es gibt keinen zweiten Ort, wo er noch sein könnte.
Aber so hat es sich Dante nicht vorgestellt. Er hat überhaupt nicht die physische Welt vorgestellt, sondern er hat sich Kräfte vorgestellt. Und er hat gesagt: Ja, wenn ein Mensch da steht, und er bewegt sich mit seinem eigenen Ätherleib in der Richtung nach oben, dann wird er immer leichter und leichter. Dann über¬windet er immer mehr die Schwere. Wenn er aber hineingeht in die Erde, da muß er sich immer mehr und mehr anstrengen, und diese Anscrengung wird am größten, wenn er zum andern Ende gekommen ist. Da preßt ihn alles. Da wird die Schwere am aller-größten. Das hängt nicht davon ab, daß dort irgend eine beson¬dere Hölle ist, sondern daß er erst das durchgemacht hat, um dorthin zu kommen. (Siehe die Zeichnung auf Seite 69.)
Und wenn sich Dante das so vorgestellt hat, so könnte er ja auch da stehen (am andern Ende). Wenn er sich hinausbewegt, wird er immer leichter und leichter, kommt er immer mehr und mehr in den Äther hinein. Wenn er sich aber hineinbewegt in die Erde, dann muß er das durchmachen (das Schwererwerden). Dann tritt für ihn der Zustand, das Erlebnis da ein, wo ich grün gezeich¬net habe; früher aber da, wo ich gelb gezeichnet habe. Also darauf kommt es an. Dante sagt nicht, daß hier an diesem Ort gerade die Hölle ist, sondern Dante will sagen: Wenn einer durch die Erde sich durcharbeiten muß mit seinem Ätherleib, dann ist das so schwer, daß, wo er auch hinkommt, ob oben oder unten, für ihn ein Erlebnis eintritt, das höllisch ist. Das ist erst wiederum in der
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neuesten Zeit gekommen, daß sich die Leute die Hölle vorstellen an einem bestimmten Ort. Dante hat an das Erlebnis gedacht, das man bekommt, wenn man sich als Äthermensch durch die Erde durcharbeiten muß.
Wenn einer sagt: Dante war dumm, so fällt das auf ihn selbst zurück, weil er so dumm ist und sagt, Dante hätte sich vorgestellt, daß die Hölle am andern Ende der Erde sei. Sondern Dante hat sich vorgestellt: Wo ich auch immer auf der Erde in den Himmel hinausfliege, werde ich seelisch leichter; wo ich in die Erde hinein-komme, wo ich auch immer ans andere Ende komme: höllisch.
Also die ganze Vorstellung wurde eine andere. Und dann erst, wenn Sie ein wenig Rücksicht nehmen können auf die ganz an¬dere Art, wie sich die Menschen das vorgestellt haben, dann kön¬nen Sie auch das einsehen, was ich Ihnen das nächste Mal beant¬worten werde: Was bleibt von dem Erdenmenschen zurück, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist?
Wenn es heute etwas schwerer war als sonst, so müssen Sie dar¬auf Rücksicht nehmen, daß dies an der Frage liegt. Ich hoffe, daß es ein bißchen klarer geworden ist. Wir wollen dann am Samstag weiter kommen und den Menschen betrachten, wenn er durch den Tod geht, und was dann mit ihm wird.
FÜNFTER VORTRAG Dornach, 17. März 1923
#G349-1961-SE081 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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FÜNFTER VORTRAG
Dornach, 17. März 1923
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Ich möchte nun zum zweiten Teil der neulich gestellten Frage noch etwas sagen. Es ist ja so, daß, wenn große Lebensfragen ge¬stellt werden, man über diese großen Lebensfragen immer außer-ordentlich viel reden muß; denn eigentlich müßte man bei diesen Lebensfragen immer die ganze Wissenschaft herbeiziehen, weil die ganze Wissenschaft dazu da ist, die großen Lebensfragen zu beantworten.
Nun, ich habe Ihnen gesagt: Derjenige, der das eigentlich menschliche geistig-seelische Leben begreifen will, der muß wirk-lich den Menschen studieren. Wir haben das das letzte Mal mit dem Gedächtnis getan. Und ich habe Ihnen gezeigt, wie das Ge¬dächtnis, die Erinnerung, schon durchaus etwas rein Geistiges im Menschen ist. Heute will ich nun einmal von einer ganz anderen Seite her den Menschen betrachten und Ihnen einiges vorführen, was wir schon besFrochen haben. Aber wir müssen eben diese Dinge zusammenhalten.
Vergleichen wir heute einmal die Entwickelung des Tieres mit der Entwickelung des Menschen. Wenn das Tier auch manches lernt im Leben, das Allerwichtigste kann das Tier eigentlich schon durch sich selber. Das Tier würde sehr wenig lernen kön¬nen, wenn es nicht schon so viel könnte. Denken Sie sich einmal, ein Huhn, das aus dem Ei ausschlüpft, das Fickt gleich die rich¬tigen Körner auf. Das ist schon in ihm gelegen. Der Mensch muß das alles erst lernen. Nun sind es drei Dinge, die der Mensch im Lauf seines allerersten Erdenlebens lernen muß. Das ist erstens dasjenige, was man das Gehen nennt. Das Tier hat es leichter, weil es leichter gehen kann. Es steht auf vier Beinen, und auf vier Beinen ist es leichter zu gehen als auf zwei Beinen. Wenn man auf zwei Beinen geht, muß man erst ins Gleichgewicht kommen. Das Tier ist schon in seinem Gleichgewicht drinnen, weil es vier Beine hat.
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Nun können Sie sagen: Aber es gibt doch Tiere, welche die vor-deren Gliedmaßen auch so ähnlich verwenden wie der Mensch, zum Beispiel der Affe oder auch andere Tiere. Ja, da müssen Sie immer bedenken, daß ein Affe eigentlich mit seinen vorderen Gliedmaßen ungeschickt ist in bezug auf seine ganze Organisa¬tion. Wenn er auch mit seinen vorderen Gliedmaßen nicht immer auf der Erde tappt, so hat er doch nötig, sich immer mit den vor¬deren Gliedmaßen an etwas zu halten. Und wenn er sich nicht hä lt, wenn er nicht klettert, dann ist er eben durchaus ungeschickt. Er kann nicht in der richtigen Weise seine vorderen Gliedmaßen gebrauchen. Aber die meisten Tiere gehen eben auf allen Vieren, und der Mensch geht im Anfange auch auf allen Vieren. Er muß erst durch das Gleichgewicht das Gehen lernen. Das ist dasjenige, was der Mensch im Leben zu lernen hat: erstens, er muß das Gehen lernen.
Zweitens aber wissen Sie alle, daß der Mensch etwas lernt, wozu das Tier nicht kommt, wenigstens nicht in derselben Weise; nur Phantasten können sagen, daß das Tier in derselben Weise dazu kommt: das ist die menschliche Sprache. Ich will nicht sagen, daß die Tiere sich nicht verständigen können. Ich habe Ihnen ge¬nug Sachen vorgetragen, welche Ihnen zeigen, daß die Tiere sich verständigen können. Aber sie verständigen sich ja nicht durch die Sprache. Sie beriechen sich oder so etwas Ähnliches, aber durch die Sprache verständigen sie sich nicht. Das Zweite also, was der Mensch lernen muß, das ist die Sprache.
Das Dritte, was der Mensch lernen muß, und was das Tier auch nicht in demselben Maß bekommt, das ist das Denken. Also drei Dinge muß der Mensch lernen: Gehen, Sprechen, Denken.
Sie können sagen: Ja, das Denken, das der Mensch verrichtet, das kann man nicht so recht unterscheiden vom Tiere. Man kann nicht wissen, ob nicht das Tier auch denkt. Aber derjenige, der sagt: Man kann nicht wissen, ob nicht die Tiere auch denken, wenn man die Tiere sich anschaut, der redet ungefähr so, wie einer, der sagt: Wenn meine Großmutter vier Räder hätte und vorne ,ne Deichsel dran, so wär' sie ein Omnibus! Natürlich kann
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man alles sagen, wenn man nicht auf die Tatsachen sieht. Man kann natürlich, wenn man nicht auf Tatsachen sieht, sagen:
Warum soll der Stein nicht auch reden oder denken? Aber wenn man auf die Tatsachen sieht, so ist es so, daß die Tiere alles so tun, daß nicht eine persönliche Vernunft in ihnen lebt, sondern eine Weltenvernunft. Sie tun es ja nicht persönlich; deshalb ist es vielleicht viel gescheiter, was sie tun, aber es ist nicht persönlich. Sie denken viel, wie wir es ja gehört haben, aber es ist ihr Denken nicht persönlich.
Sehen Sie, diese drei Dinge, die muß der Mensch erst lernen:
Gehen, Sprechen, Denken.
Ein richtig normal sich entwickelndes Kind lernt zuerst das Gehen, nachher das Sprechen, und nachher erst das Denken. Es ist ganz falsch, wenn man glaubt, daß der Mensch erst denkt und dann redet, sondern er lernt zuerst die Sprache durch Nach¬ahmung. Er ahmt die Wörter, die er hört, nach, und erst in den Wörtern drinnen lernt er das Denken. Der Mensch lernt erst an der Sprache das Denken. Deshalb hat die ganze Menschheit so spät das Denken gelernt. Gesprochen haben auch schon die Ur¬völker, aber denken gelernt haben die Menschen erst später. An der Sprache haben sie denken gelernt.
Nun bedenken Sie, was wäre das ganze menschliche Leben, wenn der Mensch nicht als Kind diese drei Dinge lernen würde: Gehen, Sprechen, Denken! Aber Sie werden auch einsehen: Zu diesen dreien, zum Gehen, zum Sprechen, zum Denken braucht der Mensch seinen Körper. Beim Gehen ist Ihnen ja das ohne wei¬teres klar. Die ganze Einrichtung des Körpers zeigt Ihnen, daß der Mensch eben zum Gehen seinen Körper braucht. Sie können sich gar nicht vorstellen, daß man geht ohne Körper. Also zum Gehen braucht der Mensch den Körper. Zum Sprechen - nun, ich habe Ihnen beschrieben, wie die Sprache zustande kommt -braucht der Mensch seinen Kehlkopf, seine Zunge und alles mög¬liche. Also auch zum Sprechen braucht er seinen Körper. Und zum Denken auch. Zum Denken braucht der Mensch sein Gehirn und das Nervensystem. Sie können sich leicht davon überzeugen:
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Wenn einer nicht gut denken kann, und man untersucht das Ge¬hirn, so wird man finden, daß das zu Brei geworden ist. Er kann nicht denken, weil das zu Brei geworden ist. Also der Mensch braucht seinen Körper gerade zu demjenigen, was er auf der Erde lernt.
Aber nun müssen wir uns klar werden, was da eigentlich ge¬schieht, wenn wir zum Beispiel gehen, wenn wir uns überhaupt bewegen. Wenn wir uns überhaupt bewegen, dann geht immer von uns etwas zugrunde. Wenn ich da stehe und nur bis dorthin gehe und nachher meinen Körper untersuchen würde, so würde ich, nachdem ich gegangen bin, mehr Asche in meinem Körper finden, als vorher drinnen war, weil mittlerweile Stoffe drinnen verbrannt sind. Ich kann mich gar nicht bewegen, kann gar nicht das Gleichgewicht, die Schwerkraft mit mir in Zusammenhang bringen, wenn ich nicht irgend etwas in mir verbrenne. Also ich muß eine Verbrennung in mir bewirken, wenn ich dasjenige im Leben benütze, was ich durch das Gehen und durch das richtige Bewegen überhaupt mir erwerbe. Wenn ich aber nur fortwährend tätig wäre und fortwährend also in mir verbrennen würde, ja, da würde ich bald zugrunde gehen daran. Ich muß fortwährend auch wiederum dasjenige herstellen, was ich verbrannt habe.
Aber sehen Sie, das tut nun die äußere Welt nicht. Die äußere Welt, die stellt mir das nicht her, was ich in mir verbrannt habe. Sie brauchen nur zu sehen, wie der menschliche Leichnam sich ausnimmt. Der ist der äußeren Welt ganz übergeben. Die ver¬brennt ihn. Die äußere Welt verbrennt nämlich den Körper. Sie werden sagen: Nun, es werden nicht alle Menschen verbrannt, sondern manche auch begraben. Aber das Verwesen im Grabe, das ist nur ein langsamer Verbrennungsprozeß. Es ist nämlich ganz derselbe Vorgang. Wenn man rasch verbrennt, nun, da ver¬brennt der Körper in kurzer Zeit. Wer ins Grab gelegt wird, ver¬brennt langsam. Es ist immer ein richtiges Verbrennen, wie ich es Ihnen das letzte Mal bei der Flamme erklärt habe; nur wird er das eine Mal schnell verbrannt, total, das andere Mal verbrennt er langsam im Grabe.
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Nun, wenn wir uns als Leichnam der Erde übergeben, so ver-brennen wir. Wenn wir gehen, wenn wir uns bewegen, verbren¬nen wir auch. Nur können wir den Leichnam nicht mehr lebendig machen, weil wir nicht den anderen Vorgang, der die Verbren¬nung wieder gut macht, mit ihm ausführen können. Wir können jederzeit den Leichnam wiederum lebendig machen, wenn wir die Verbrennung rückgängig machen. Ja, sehen Sie, die Verbrennung rückgängig machen, das können wir, solange wir leben. Da kön¬nen wir richtig die Verbrennung rückgängig machen. Warum? Hätten wir nur den Leib, den wir ins Grab legen, da könnten wir die Verbrennung nicht rückgängig machen. Wir haben außer dem Leib, den wir ins Grab legen, auch noch den Ätherleib. Das ist ein feiner Leib. So daß wir, wenn wir den Menschen richtig zeich¬nen wollen (es wird gezeichnet), wir zunächst seinen physischen Leib haben und nachher seinen Ätherleib. Dadurch, daß wir die¬sen Ätherleib haben, können wir ganz richtig den Verbrennungs¬vorgang, den wir durch unsere Bewegung immer ausführen, wie¬der gutmachen. Also wir haben nicht nur einen physischen Leib, wir haben auch einen Ätherleib. Wenn wir schlafen, dann bessert fortwährend unser Ätherleib dasjenige wieder aus, was bei Tag die Verbrennungsprozesse gemacht haben. Das heißt: wir haben im Schlaf auch unseren Ätherleib. Im Bett liegt also der physische Leib und der Ätherleib des Menschen.
Nun, wodurch unterscheidet sich der Ätherleib vom physischen Leib? Sie können es fühlen: Dasjenige, was Ihnen die Verbren¬nung bewirkt, wenn Sie sich der äußeren Welt überlassen, das ist die Schwere. Und der Ätherleib hat keine Schwere. - Und wenn man jetzt richtig die Gedanken, die man erinnert, ins Auge faßt, so muß man sagen, die gehören nicht zum physischen Leib, die gehören zum Ätherleib. Und daher ist es so, daß der Mensch in seinem Erinnern auch nicht der Schwere unterworfen ist. Sie können zu gleicher Zeit arbeiten und denken, obwohl es schwer geht, allein, das rührt von etwas anderem her. Das können wir später noch besprechen. Aber man kann zugleich arbeiten und denken. Das weiß jeder, weil durch das Arbeiten zunächst nur der
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physische Leib abgenützt wird. Der Ätherleib wird durch das Arbeiten nicht abgenützt. Das ist das Wichtige. Der Ätherleib, der ist nun im Menschen so tätig, daß der Mensch an diesem Ätherleib etwas hat, was ihn zunächst befähigt, seine Erinnerung, sein Gedächtnis zu haben.
Nun aber gehen wir zu dem Zweiten über, was der Mensch lernen kann, zu der Sprache. Wenn wir sprechen lernen, dann ist das nicht so wie beim Gehen. Beim Gehen bewegen wir uns in der äußeren Welt. Wenn wir arbeiten, bewegen wir uns auch in der äußeren Welt. Wir kommen mit irgend etwas der äußeren Welt, was uns einen wahrnehmbaren Widerstand leistet, in Be¬ziehung. Die Sprache, die sprechen wir heraus, und selbst wenn wir in einer dicken Luft sind, so merken wir gar nicht, daß die Sprache uns schwer wird. Wir merken an anderem, was die Luft an uns tut, wenn sie zu dick ist, wie sie störend ist. An der Sprache merken wir das nicht. Und dennoch, ohne die Luft könnten wir nicht sprechen, denn wir bewegen die Luft mit unserer Sprache.
Nun gehen ja in uns auch nicht fortwährend bloß äußere Ver-brennungsprozesse vor sich, sondern wenn Sie etwas essen, so muß das zunächst durch den Mund in den Magen gehen. Da muß es verarbeitet werden. Dann muß es in den ganzen Körper über-gehen. Das ist eine innere Arbeit; die verbrennt auch den phy-sischen Leib. Wenn der Ätherleib einen Augenblick nicht tätig wäre, ja, dann wär es aus mit dem Menschen. Dann würde er fort-während durch seine eigenen Verbrennungsprozesse sich töten. Was der Mensch eigentlich tut in der irdischen Welt, ist alles auf das Töten abgestimmt.
Beim Sprechen ist es nun nicht so. Wenn einer seine Herztätig¬keit unterbricht, das heißt wenn die Verbrennung, die durch die Herztätigkeit hervorgerufen wird, nicht gleich wiederum durch den Ätherleib gut gemacht wird, würde das Herz stillsteh en. Aber beim Sprechen können wir das nicht so sagen; denn gerade einer, der fortwährend spricht, der würde uns bald zuwider werden. Und sich selber würde er auch nicht gerade etwas besonders Gu¬tes tun. Beim Sprechen ist es nicht so, daß der Mensch fortwäh¬rend
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sprechen muß. Er kann sprechen, wenn er will, und kann es auch unterlassen. Nun, die Ausgleichung der Herztätigkeit durch den Ätherleib kann er nicht unterlassen. Die muß er vom Anfang seines Erdenlebens bis zum Ende seines Erdenlebens durchführen.
Es ist also ein großer Unterschied zwischen dem, was der Mensch innerlich tut, wenn er spricht, und wenn er einfach lebt. Leben tut man, indem man die Verbrennungsprozesse durch-macht. Sprechen tut man, wenn man will. Aber beim Sprechen ist es auch so, daß wir etwas in uns zerstören. Wir zerstören richtig in uns etwas. Beim Atmen, sehen Sie, da ist es so, daß wir fort¬während Sauerstoff aufnehmen, den Sauerstoff mit dem Blut ver¬binden, Kohlensäure abgeben. Den Stickstoff, den können wir dabei nicht in derselben Weise gebrauchen. Wenn wir sprechen, nehmen wir aber immer zu viel Stickstoff auf. Das ist das Merk¬würdige beim Sprechen, daß wir zu viel Stickstoff aufnehmen. Wir vergiften uns in einer gewissen Beziehung. Zu viel Stickstoff aufnehmen, heißt nämlich, dem Zyan ähnlicher werden. Denn das Zyan, das ist geradeso eine Verbindung von Kohlenstoff mit Stickstoff;wie die Kohlensäure eine Verbindung von Kohlenstoff mit Sauerstoff ist. Der Mensch zyanisiert sich fortwährend, wenn er redet. Und das muß er auch wiederum ausgleichen. Wenn der Mensch seine Sprachorgane in Bewegung setzt, so tötet er sich auch in gewisser Beziehung, wie er sich durch die Verbrennung bei der Bewegung tötet. Er muß das wiederum ausgleichen. Und das tut der astralische Leib. - Sie brauchen sich nicht an dem Wort «astralisch» zu stoßen. Ich könnte es auch anders nennen. Darauf kommt es nicht an. Das tut also der astralische Leib. Die¬ser astralische Leib, der ist ebenso im Menschen vorhanden, und der lebt im Atmen und im Sprechen.
Und jetzt können Sie den großen Unterschied merken, der da besteht zwischen dem astralischen Leib und dem Ätherleib. Wenn wir in der Nacht, während wir schlafen, unsere Verbrennung, die während des Tages bewirkt wird, nicht fortwährend gut-machen würden, so würden wir nicht schlafen, sondern sterben. Also den Ätherleib müssen wir während des Erdenlebens immer
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beim physischen Leib lassen. Reden können wir nicht in der Nacht, während wir schlafen; da müssen wir erst aufwachen. Das Reden hängt mit dem astralischen Leib zusammen. Also ziehen wir unsern astralischen Leib in der Nacht einfach aus dem phy¬sischen und Ätherleib heraus. Daher atmen wir auch in der Nacht etwas anders. Wir atmen weniger Kohlensäure aus in der Nacht als bei Tag. Kurz, wir haben einen dritten Leib in uns, einen astralischen Leib (es wird gezeichnet). Und der astralische Leib, der lebt in unserem Sprechen.
Wenn wir das Tier ansehen, so kann das ja auch gehen, sich bewegen; es braucht es nur nicht zu lernen, es hat es instinktiv. Aber wenn Sie sich die Tiere anschauen, ja, sprechen können sie nicht. Aber sie haben ja auch Sprachorgane. Man muß auch ver-wundert sein, warum der Hund nicht spricht, warum der Hund nur bellt. Er kann seinen astralischen Leib nicht zum Sprechen gebrauchen. Er lernt das Sprechen nicht. Wir müssen also als Menschen das Gehen lernen, das Bewegen lernen, wir müssen das Sprechen lernen. Das Tier lernt nichts für seinen Ätherleib, nichts für seinen Astralleib. Wir Menschen aber lernen etwas.
Daß wir etwas lernen können, sehen Sie, das rührt davon her, daß wir Gedanken bekommen. Alles Lernen besteht darinnen, daß der Mensch Gedanken bekommt. Wenn er spricht, braucht er bloß nachzuahmen. Wenn er denkt, muß er selbst tätig sein. Der Mensch also lernt durch Gedanken. Er lernt auch das Gehen, er lernt auch das Sprechen durch Gedanken; nur weiß er die noch nicht sehr. Er hat noch nicht die Gedanken beim Gehen und beim Sprechen. Und daß wir etwas lernen können, lernen, was das Tier nicht kann, das kommt daher, daß wir außer dem physischen Leib und dem Ätherleib und dem astralischen Leib noch ein Ich haben, das uns ganz durchdringt (es wird gezeichnet). Dann haben wir die richtigen vier Glieder des ganzen Menschen: physischen Leib, ätherischen Leib, astralischen Leib und Ich.
Das, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, das beruht auf einer rich¬tigen Betrachtung des ganzen Menschen, auf einer wirklichen Wissenschaft. Die gewöhnliche Wissenschaft ist eben keine wirkliche
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Wissenschaft. Sie kümmert sich nicht um dasjenige, was Tat¬sachen sind. Es ist keine Frage, daß jeder Mensch, der irgend etwas lernt, sagen müßte: Der Mensch hat den physischen Leib, den Ätherleib, den astralischen Leib und das Ich. Aber er sagt es nicht, weil die Menschen sich eben nicht um die Tatsachen kümmern.
Und jetzt wollen wir uns einmal vor Augen führen, wie das beim Tode eigentlich ist. Sehen Sie, man kann sich dieses eigent¬lich nicht vor Augen führen, wenn man nicht das Lernen noch etwas weiter fortsetzt, als das heute gewöhnlich geschieht. Es ist schon so, daß die heutigen Kulturmenschen, wie sie sich nennen, furchtbar bequem sind. Was tun denn die heutigen Kulturmen¬schen? Daß der Mensch gehen lernt, darum kümmern sie sich überhaupt nicht sehr viel, denn das ergibt sich halt beim Kinde durch Nachahmung der Großen, nicht wahr. Da wendet man nicht besondere Sorgfalt an.
Daß der Mensch sprechen lernt, verwundert die Menschen auch nicht besonders. Es hat einmal eine Zeit auf der Erde gegeben, da konnten alle Menschen noch nicht sprechen. Da gab es eine Art von Gebärdensprache. Dann haben die Menschen das Sprechen gelernt. Aber das ist ja längst vergessen von der Menschheit. Ge¬schichte betrachtet man heute eben einfach so, nun ja, daß man auf die Menschen in der Zeit hinschaut, in der sie schon sprechen gekonnt haben. Und daß die Sprache etwas ist, was man auch tätig lernen muß, darum kümmern sich die Menschen heute gar nicht. Darum ist der Streit zwischen den Völkern. Würden die Völker nur einmal darauf kommen, daß sie die Sprache gelernt haben, und die Sprache etwas ist, was die Menschen gelernt ha¬ben, dann würden sie nicht so hochmütig in bezug auf die Sprache sein und sich nach Völkergruppen unterscheiden wollen. Die Menschen haben eben ganz vergessen, daß die Sprache aus dem Innern heraus gelernt werden muß.
Wenn man nun zu der Anthroposophie kommen will, so muß man, ich möchte sagen, die Sprache wiederum ganz neu lernen. Denn Sie werden sehen, wenn Ihnen irgend einer der heutigen Gelehrten etwas vorträgt, ja, das geht wie aus einer Maschine heraus.
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Beobachten Sie es nur einmal: es geht wie aus derMaschineher¬aus. Es ist anders, als wenn man Ihnen aus der Geisteswissen¬schaft, aus der Anthroposophie, etwas vorträgt. Da muß man immerfort nach den Worten suchen, da muß man die Worte innerlich immer neu aufgreifen. Und nachher, wenn man die Worte gebildet hat, dann kriegt man erst recht Angst, daß sie eigentlich nicht das Richtige bezeichnet haben. Es ist bei der Anthroposophie ein ganz anderes Verhältnis zu denjenigen, die einem zuhören, als es sonst bei den heutigen Gelehrten ist. Die heutigen Gelehrten, die kümmern sich nicht mehr um die Sprache. In der Anthroposophie muß man sich immer um die Sprache kümmern.
Sehen Sie, das ist dasjenige, was in einer besonderen Weise zutage tritt, wenn ich meine Bücher schreibe; dann bin ich in einer fortwährenden, ich möchte sagen, inneren Unruhe, die Sprache richtig zu gestalten, daß die Menschen auch das verstehen können, was geschrieben wird. Es ist etwas Neues, was man da mit der Sprache schaffen muß. Die heutigen gelehrten Menschen sagen einfach, ich schreibe einen schlechten Stil, ich schreibe kein or-dentliches Deutsch, weil die gewohnt sind, die Worte nur so hin-tereinander zu setzen, wie es der Geh-Mechanismus macht. Sie reden nicht aus der Seele heraus. Daher sind sie nicht gewohnt, daß man seine Sätze etwas anders formt, als sie es tun. Und so sehen Sie, daß sich die heutigen Menschen nicht mehr viel um die Sprache kümmern.
Aber nun das Dritte, das Denken. Ja, auf das Denken sind die heutigen Menschen ganz besonders stolz. Aber ich sage: Die Men-schen denken heute überhaupt nicht. Meistens denken die Men-schen heute überhaupt nicht. Ich habe Ihnen dies an einem Bei¬spiel gezeigt, daß die Menschen heute überhaupt nicht denken. Das kann man an dem Beispiel der Religion lernen. Die Religio¬nen sind da. Ja, sie waren nicht immer da. Die Menschen haben sich erst zu den Religionen gebildet. Und wenn man wirklich Geschichte studiert, so wird man sehen, wie die Menschen gerun¬gen haben, um sich ihre religiösen Überzeugungen herauszubil¬den.
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Deshalb hat es früher auch das gegeben, was ein Ringen zu den religiösen Überzeugungen war. Was tun die Menschen heute? Ja, sie nehmen durch Erbschaft das auf, was man einmal als Religiöses gehabt hat. Aber neue Gedanken über das Über¬sinnliche oder so etwas wollen sie nicht aufnehmen. Wenn die Menschen immer so gewesen wären, wären sie heute noch Vieh¬cher - das ist nämlich wahr -, weil sie niemals Gedanken über das Übersinnliche aufgenommen hätten. Heute sind die Menschen nicht fähig, Gedanken aufzunehmen über das Übersinnliche. Sie nehmen nur das auf, was ihnen konservativ in den Kirchen erhal¬ten ist, dasjenige, was in früheren Zeiten über das und jenes ge¬dacht worden ist. Die Wissenschafter freilich werden Ihnen sa¬gen: Wir sind von der Kirche ganz unabhängig. Wir haben Ge¬danken, die wir uns selber machen. Das ist nicht wahr. Wer näm-lich wirklich die Kirche kennt, der wird sehen, daß die Gedanken, die sich die heutigen Gelehrten machen, nur die Gedanken der früheren Kirche sind.
Da gab es einen großen Gelehrten vor einiger Zeit in Berlin. Du Bois-Reymond hat er geheißen. Er war wirklich ein großer Ge-lehrter. Vor allen Dingen hat er sehr elegant geredet, weil es mechanisch abgelaufen ist, weil es aus der Erbschaft hervorgegan-gen ist - wie es der Großtante auch gefällt, weil der Pfarrer auf der Kanzel das auch sagt, was sie schon weiß. Wenn einer irgend etwas Neues sagen würde, würde es wohl sehr viel weniger ge¬fallen. Also Du Bois-Reymond, ein großer Gelehrter, hielt in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Leipzig eine große Rede auf der Naturforscherversammlung. Diese Rede ist sehr berühmt geworden. Er sagte etwa: Dasjenige, was wir mit den Sinnen wahrnehmen, können wir verstehen als Menschen. Ein Übersinn-liches können wir nicht verstehen. Das kennen wir nicht. - Die Rede ist berühmt geworden als Ignorabimus-Rede - ignorabimus, das heißt wir werden niemals etwas wissen. Das war der Schluß:
Ignorabimus!
Ja, warum hat denn der Du Bois-Reymond die Rede gehalten? Wäre einer von Ihnen hingegangen und hätte dem Du Bois¬-Reymond
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gesagt: Du bist ein Schüler - oder meinetwillen, einer von Ihnen hätte sagen können: Exzellenz, Sie sind ein Schüler von dem Kirchenlehrer Thomas von Aquino! Du Bois-Reymond würde puterrot geworden sein und hätte sich furchtbar auf¬geregt, daß er ein Schüler des Thomas von Aquino, des katho¬lischen Kirchenlehrers, sein soll. Das hätte er nicht gewollt. Er hat zwar bei einer anderen Rede einmal gesagt: Die deutschen Gelehrten sind eine wissenschaftliche Schutztruppe der Hohen¬zollern. Dazu hat er sich ganz freudig bekannt. Zu dem katho¬lischen Kirchenlehrer Thomas von Aquino würde er sich nicht bekannt haben.
Ja, aber sehen Sie, was hat denn der Thomas von Aquino ge¬lehrt? Der hat auch gelehrt: Die sinnliche Welt, die kann der Mensch durch sich selber erkennen; um die übersinnliche Welt zu erkennen, braucht er die kirchliche Offenbarung; da kann er nicht selber darauf kommen! - Nun, streichen Sie «die kirchliche Of-fenbarung» aus diesem Satze aus und sagen Sie, der Mensch kann nur die Sinn eswelt erkennen, die übersinnliche Welt kann er durch sich selbst nicht erkennen; die Kirchenlehre nehme ich aber nicht an, so haben Sie dasselbe, was Du Bois-Reymond gelehrt hat. Er hat nur eines, weil es ihm ein bißchen unbequem war, ausgestri¬chen. Er ist richtig ein Schüler von Thomas von Aquino. Es ist nämlich nicht wahr, daß die heutige Wissenschaft eigene Gedan¬ken hat. Sie nimmt auch die Gedanken von der Kirche. Die Men¬schen merken es nur nicht, daß sie nicht eigene Gedanken haben.
Und so wird heute nicht darauf geachtet, daß der Mensch gehen, sich bewegen lernt, wie der Mensch sprechen lernt, und wie der Mensch denken lernt. Das ist es eben: Achtet man darauf, wie die Sprache sich aus dem Innern gestaltet, achtet man darauf, wie man das Verbrennen wiederum ausgleichen muß aus dem Innern und achtet man darauf, wie das Denken namentlich aus dem Innern sich gestaltet, dann kommt man auf das Ewige, Unsterbliche im Menschen. Wenn man aber diese Dinge überhaupt nicht beachtet, so ist es ganz verständlich, daß man nicht auf das Ewige, Unsterb-liche kommen kann. Es ist eben die Gedankenlosigkeit und die
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Unaufmerksamkeit gegenüber der Sprache und dem Gehen des Menschen, die es dahin bringt, daß der Mensch gar nicht darauf achtet, daß er etwas in sich hat, durch das er mehr ist als der Leichnam, den er, wenn er tot ist, ins Grab legt. Er muß ja diesen Leichnam jeden Moment bekämpfen, sonst würde er in jeder Minute sterben. Und er muß ihn bekämpfen durch seinen Äther¬leib, Astralleib und sein Ich. So daß also der Mensch den Tod fortwährend selber in sich bekämpfen muß. Der Tod ist ja fort-während da. Wir könnten in jedem Moment sterben. Aber wir sterben nicht, solange wir in der richtigen Weise unseren Äther¬leib, astralischen Leib und unser Ich schlafend und wachend ver¬binden können.
Was bleibt uns also im Tode übrig? Zunächst bleibt uns der Ätherleib übrig. Aber dieser Ätherleib, der hat eine große Anzie-hung zu der Welt. Gewicht hat er nicht, Schwerkraft hat er nicht. Aber ausdehnen will er sich sogleich, wenn er frei ist, wenn wir aufhören zu leben. Was heißt das? Das heißt: Wir ziehen den Atherleib heraus. Da müssen wir aber gleich sterben, wenn wir den Ätherleib herausziehen, denn der ist es ja, der uns leben läßt. Sterben heißt also zunächst, unseren Ätherleib herausziehen aus dem physischen Leib. Der physische Leib fängt jetzt an, richtig zu verbrennen, weil der Ätherleib nicht mehr drinnen ist. Aber dieser Ätherleib hat gleich das Bestreben, sich in die ganze Welt auszu-dehnen. Daher kommt es, daß der Mensch nach seinem Tode das Gedächtnis noch hat, denn das ist an den Ätherleib gebunden, wie ich Ihnen gesagt habe. Der Ätherleib dehnt sich aber rasch in die ganze Welt aus. Daher ist nach wenigen Tagen dieses Gedächtnis geschwunden. Also der Mensch hat zuerst ein paar Tage hindurch eine Erinnerung an sein letztes Erdenleben, wie es der Ertrinkende auch hat. Ich habe Ihnen das ja neulich schon erklärt.
Sehen Sie, das behauptet ein Mensch, der Anthroposoph ist, nicht bloß aus den Fingern heraus, sondern was tut er? Ja, er lernt zu dem, was man gewöhnlich lernt, noch etwas hinzu. Im ge-wöhnlichen heutigen Leben geht der Mensch. Er geht, das heißt, er schaut zu, wie er fortwährend verbrennt. Aber er schaut ja niemals
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zu, wie die Verbrennung wieder ausgeglichen wird. Wenn er zuschauen würde, wie die Verbrennung wieder ausgeglichen wird, was also geschieht, wenn ich nur meinen Fuß bewege und da wiederum hineingießen muß durch den Ätherleib die Aus-gleichung der Verbrennung, wenn er zuschauen würde, so finge er ja an, den Ätherleib wahrzunehmen. Aber den vergißt der Mensch heute. Er schaut nicht hin auf seinen Ätherleib. Und darin besteht das anthroposophische Lernen: man lernt hinschauen auf den Ätherleib. Man lernt hinschauen, wie sich im Menschen fort-während ein Prozeß, der gegen den Tod gerichtet ist, ausbildet. Und nun macht man ja ebenso Experimente, wie man Experi¬mente macht im physikalischen und chemischen Laboratorium. Ich will Ihnen ein solches Experiment beschreiben. Ich habe die ganze Methode, solche Experimente zu machen, in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten ?» beschrie¬ben. Aber ich will Ihnen noch einmal zeigen, wie man diese Dinge macht.
Nehmen Sie also an, ich habe irgend etwas bei Tag getan, irgend eine Arbeit getan, sie kann eine mehr körperliche, sie kann eine mehr geistige sein. Abends, bevor man einschläft, stellt man sich ganz genau vor: Da, da bist du, dieser Kerl. Aber man stellt sich außerhalb vor. Und jetzt stellt man sich vor, wie man die Beine bewegt hat, die Hände bewegt hat, wie man gedacht hat, all das stellt man sich vor. Und dadurch, daß man es wieder vor¬stellt, kommt einem nach und nach eine ganz andere Vorstellung ganz von selber, nämlich die Vorstellung, wie das alles wieder gut gemacht werden muß. Man kriegt eine Vorstellung von sei¬nem Ätherleib, ein Stückchen von seinem Ätherleib. Man kann das schon hervorrufen.
Nur sagen die heutigen Menschen: Ach, wenn der Mensch nur gelernt hat, das äußere Leben zu betrachten, dann ist es schon genug! Bei den Kindern in der Schule sieht man nicht darauf, daß sie etwas anderes kennen lernen. Das ist ja am allerbequem¬sten. Denn die Menschen, die mehr kennen lernen, die werden aufrührerische Menschen. - Man brauchte nur in der zartesten
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Jugend diese Anlage heranzubilden, dann würden alle Menschen ja den Ätherleib wahrnehmen können.
Sehen Sie, man kann die größten Übungen gemacht haben, um alles das wahrzunehmen, was man selber tut an Beweglichkeit, an Arbeit, es kann auch geistige Arbeit sein; man kann sich ganz klare Vorstellungen machen, aber die Geschichte ist wieder umge¬kehrt, denn nach drei Tagen haben Sie die Vorstellungen verges¬sen. Wenn Sie irgend etwas lernen, etwas einochsen von der phy¬sischen Welt, das bleibt in Ihnen, wenn Sie es richtig eingeochst haben. Die Vorstellungen, die Sie sich von der übersinnlichen Welt machen, also schon beim Ätherleib, die sind in drei Tagen verflogen, wenn man sie nicht zuerst in physische Vorstellungen umwandelt. Warum? Weil das geradeso ist, wenn man es künst¬lich erzeugt als Experiment, wie es nach dem Tod ist. Nach dem Tod gehen einem auch die ätherischen Vorstellungen davon. So ge¬hen sie einem auch davon, wenn man sie künstlich hervorruft. Ge¬radeso, wie man, sagen wir, kennenlernt die Verbindungen des Sauerstoffes in einem Laboratorium durch die physische Wissen¬schaft, so. lernt man dies durch die Geisteswissenschaft kennen, wenn man die entsprechenden Experimente dann an sich selber macht. Aber das heißt eben, nicht stehen bleiben bei dem, was die gewöhnliche Wissenschaft ist. Deshalb ist mein Buch «Wie er¬langt man Erkenntnisse der höheren Welten ?» die Fortsetzung desjenigen, was die Menschen lernen. Alle diese Tatsachen, daß der Mensch zwei bis drei Tage die Erlebnisse seines Ä therleibes hat, die kann man ja nachmachen, und dann werden sie Wissen¬schaft.
Nun, sehen Sie, so kann man den Ätherleib erleben. Aber man kann auch den astralischen Leib erleben. Wenn der Mensch Was¬ser anschaut, so weiß er ja gewöhnlich nicht, daß da Wasserstoff und Sauerstoff drinnen ist. Er muß erst durch einen galvanischen Apparat die zwei Stoffe voneinander trennen. Dann hat er den Wasserstoff und Sauerstoff nebeneinander in zwei Gefäßen. So muß man erst den astralischen Leib abtrennen können vom phy-sischen Leib, um ihn wahrnehmen zu können. Man muß also in
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bezug auf diese Dinge wirkliche Wissenschaft betreiben. Da muß man zum Beispiel darauf achten: Du hast zu einer bestimmten Zeit des Tageslebens Wasser zu dir genommen, Wasser getrun¬ken. Dann hast du lange Zeit nicht getrunken. Du bist durstig geworden. Wenn man durstig geworden ist, so will man wieder trinken. Geradeso, wie, wenn die Sprache erscheinen soll, man erst wollen muß, daß die Sprache kommt. Es ist genau dasselbe. In der Sprache muß man wollen, daß man spricht; wenn man dur¬stig ist, da will man trinken. Der Durst bedeutet gar nichts ande¬res, als daß man trinken will. Der Durst ist das Wollen des Trin¬kens. Und so kann man sagen, daß man an sich selber merkt, daß man Begierden bekommt, richtige Begierden bekommt. Beachten Sie, zuerst haben wir die Erinnerung. Die Erinnerungen, die kom¬men zuweilen, wenn man sie will, aber zumeist ganz von selber. Sie steigen auf, die Erinnerungen. Die haben mit dem Ätherleib zu tun. Die Begierden, wie Durst, Hunger oder die geistig-see¬lischen Begierden, die steigen so auf im Menschen, daß sie sind wie das Wollen. Da drinnen äußert sich der Wille des Menschen. Die Begierde ist solange da, bis sie befriedigt ist, bis der Wille zu seinem Recht kommt.
Nun beachten Sie, was man aber eigentlich will, wenn man, sagen wir, durstig ist. Was will man denn da? Ja, da hat man im Leibe einen Zustand, dem man Abhilfe verschaffen möchte. Was begehrt man denn eigentlich im Durst? Im Durst begehrt man, daß da drinnen Wasser zirkuliert, nach der Art, wie im Leibe Wasser zirkuliert. Weil es nicht zirkuliert, ist man eben durstig. Was will man denn eben eigentlich? Man will seinen Leib in einer richtigen Weise funktionierend haben. Beim Hunger will man auch seinen Leib in einer gewissen Weise funktionierend haben. Man will eigentlich immer etwas an sich selber. Nun, sehen Sie, dieses, was man da an sich selber will, das kann ja doch der Leib nicht bewirken. Das Wollen, die Begierde, das kann doch der Leib nicht entwickeln. Nicht wahr, wenn der Leib immerfort nur hergehen müßte, um die Begierde zu befriedigen, dann müßte er sich ja aufzehren. Der Leib kann die Begierde nicht entwickeln.
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Woher kommen also die Begierden? Die kommen eben aus der Seele. Und zwar nicht aus dem Ätherleib. Aus dem Ätherleib kommt so etwas wie die Erinnerung. Die Begierden kommen aus dem astralischen Leib. Die Begierde ist auch nicht immer da. Die Begierde wechselt ab mit Befriedigtsein. So erkennen wir den Zu-sammenhang zwischen der Begierde und dem astralischen Leib.
Aber was will eigentlich die Begierde? Einen gewissen Zustand des astralischen Leibes will sie haben. Nun kann eben der Mensch, wenn er in derselben Weise weiterlernt, wie ich Ihnen das gesagt habe für das Lernen am Ätherleib, auch weiterlernen in bezug auf die Begierden. Da kommt der Mensch nämlich merkwürdiger¬weise, wenn er da weiterlernt, immer weiter zurück in seinem Le¬ben, und er kommt zurück bis zu dem Punkt, wo er in der Kind¬heit war. Da hat er lauter Begierden gehabt. Da hat er nämlich in der Zeit, an die man sich nicht zurückerinnert, lauter Begierden gehabt. Da tobt man und zappelt, hat lauter Begierden. Das Kind ist bloß Begierde, wenn es in die Welt hereinkommt. Und bis zu dieser Begierde kommt man zurück. Und da lernt man seinen astralischen Leib kennen.
Man lernt seinen astralischen Leib nicht kennen, wenn man nicht das anwendet, was ich in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten ?» beschrieben habe, denn man erinnert sich nur bis an den Punkt in der Kindheit zurück, wo der astralische Leib sich schon so mit dem physischen vereinigt hat, daß man es nicht mehr unterscheiden kann. Aber hat man dieses ausgebildet, dann erinnert man sich, wie man als ganz kleines Kind den gan¬zen physischen Leib gewollt hat. Und dann fängt man an zu be¬greifen, was man nach dem Tode tut, wenn die Erinnerung einem genommen ist nach ein paar Tagen schon. Man begehrt nämlich fortwährend seinen physischen Leib vom letzten Leben. Und das dauert länger. Das kann man auch ausprobieren.
Wenn einer nämlich, sagen wir, sechzig Jahre alt geworden ist, und er führt dieses innerliche Experiment aus, daß er sich zurück-erinnert bis in seine Kindheit, und da auf den astralischen Leib
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kommt, dann lernt er diesen astralischen Leib schon ganz gut kennen. Aber er merkt, daß es ihm jetzt, wenn er sechzig Jahre alt geworden ist, damit ganz anders ist, als wenn er es vor zehn Jah¬ren getan hätte. Das ändert sich mit dem Lebensalter. Nämlich mit sechzig Jahren, da kommt man leichter zurück als mit fünfzig Jahren. Und mit fünfundzwanzig Jahren kommt man fast gar nicht zurück. Mit zwanzig Jahren kann man nicht zurückkommen zum astralischen Leib. Also das ändert sich mit dem Leben.
Man kann also den astralischen Leib kennenlernen, und dann kann man sagen: Der astralische Leib, der wird anders, je älter man wird. Je älter man wird, desto mehr Begierden entwickelt er nämlich, und er hat daher auch mehr Begierden, wenn man durch den Tod gegangen ist, wenn man älter geworden ist, als wenn man noch ganz klein ist. Da hat er weniger Begierden. Und so¬lange der Mensch noch nicht dazu gekommen ist, nicht mehr sei¬nen physischen Leib zu begehren, solange lebt er in seinem astra¬lischen Leib nach dem Tode. Nun werde ich Ihnen das nächste Mal zeigen, warum man sagen muß: Der Mensch lebt nach dem Tode ein Drittel von seiner Lebenszeit im astralischen Leib, ein paar Tage nur in seinem Ätherleib. Es reicht heute nicht die Zeit dazu, um das näher auszuführen.
Und dann kommt der Mensch ganz los von seinen Begierden. Dann begehrt er nicht mehr seinen physischen Leib, und dann tritt etwas sehr Eigentümliches ein. Er bekommt jetzt zwar nicht die Begierde nach seinem physischen Leib, den er gehabt hat, aber er bekommt die Möglichkeit, vorzusorgen für seinen physischen Leib, den er in der Zukunft bekommen wird. Und er macht nun in der geistigen Welt eine Arbeit durch, die ihn dazu befähigt, wieder einen physischen Leib zu bekommen in einem nächsten Erdenleben. Das dauert dann am allerlängsten. Er kommt also wiederum zu einem Erdenleben.
Ich werde Ihnen das nächste Mal ausführen, daß das, was man die Ewigkeit nennt, ganz gut begründet werden kann. Ich werde die Frage dann das nächste Mal zu Ende führen. Das ist nämlich ein Teil der Frage, die an mich gestellt worden ist.
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Aber, meine Herren, ich habe Ihnen die Sache so erklärt, daß ich Sie eigentlich erst zu dem Geistigen hingeführt habe. Ich habe Ihnen gesagt: Wir haben außer dem physischen Leib noch den Ätherleib, den astralischen Leib und das Ich. Das ist auch schon da, bevor der Mensch nicht nur geboren wird, sondern be¬vor er ein Keimesleben angenommen hat, konzipiert, empfangen wird. Das ist da.
Ja, aber sehen Sie, es gibt ein gewisses kirchliches Dogma, das einen ganz merkwürdigen Inhalt hat. Das war schon ganz bald, nachdem das Christentum sich ausgebreitet hat. Da verbietet nämlich die römische Kirche dem Menschen, an ein Leben vor dem Erdenleben zu glauben. Warum? Sehen Sie, um das Leben vor dem Erdenleben kümmern sich die Menschen nicht viel. Sie sagen: Nun, ich bin einmal da; was geht mich das Leben vor dem Erdenleben an. Dagegen um das Leben nach dem Tode, darum kümmern sich die Menschen sehr stark, weil sie nicht aufhören möchten, zu leben. Das interessiert die Menschen.
Nun kann man aber nicht das Leben nach dem Tode kennen¬lernen, wenn man nicht das Leben vor der Geburt, das heißt vor der Empfängnis kennenlernt Das eine ist nicht möglich ohne das andere. Was ist denn also dann geschehen, als dieses Dogma auf-gestellt worden ist, daß man nicht hinschauen soll auf das Leben vor dem Erdenleben, daß man nicht glauben soll an das Leben vor dem Erdenleben? Da ist überhaupt die ganze Aussicht des Menschen auf ein Übersinnliches ihm abgeschnitten worden. Ja, hat das einen Sinn, daß gerade just die Kirche abschneidet diese Aussicht auf das Übersinnliche? 0 ja, es hat einen Sinn, denn dann kann die Kirche, weil der Mensch doch begehrt nach einem Leben nach dem Tode, das ganze Sterben in ihre Verwaltung neh¬men. Dann erkennt der Mensch nichts von dem, was nach dem Tode ist, und ist angewiesen darauf, daß es ihm die Kirche sagt. Dann kriegt der Mensch die Sehnsucht, vor allen Dingen der Kirche zu glauben. Also es war sehr gut, für die Kirche nämlich, daß dieses Dogma aufgestellt worden ist: der Mensch lebt nach
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dem Erdenleben. Denn dadurch hat die Kirche das Sterben in ihre Verwaltung genommen.
Ich habe einmal mit einem berühmten Astronomen ein Ge¬spräch gehabt. Der glaubte nichts von Anthroposophie. Aber bei Astronomen ist es so, daß sie am allerleichtesten einsehen, daß man nicht beim Physischen stehen bleiben kann. Wir sprachen über Kirche und Staat. Er war zu beiden so gestellt, daß der Staat ihm recht gefiel, die Kirche weniger gefiel, weil sie den Menschen eben bis zum bloßen Glauben führt, nicht zur Erkenntnis. Und da sagte dieser Astronom sehr schön: Ach, die Kirche hat es gut, viel besser als der Staat, denn der Staat muß nur das Leben verwalten, die Kirche aber verwaltet das Sterben. Und weil die Kirche das Sterben verwaltet, hat sie viel mehr übrig für sich, hat sie viel mehr Erfolg.
Die Geisteswissenschaft, Anthroposophie, will aber den Men¬schen zur Erkenntnis bringen, daß er sich sein Sterben selber ver¬waltet. Das ist die Sache. Sehen Sie, meine Herren, das wird ein wirklicher Fortschritt sein. Dann wird der Mensch sich nicht mehr bloß abhängig fühlen wollen, sondern er wird selber sein Leben in die Hand nehmen wollen. Und darauf kommt es an.
Heute merken die Menschen schon, daß es nicht mehr so geht wie früher. Früher haben sie sich gedacht: Eine Zeitlang im Le¬ben, da werde ich arbeiten, das muß schon so sein, denn wenn man nicht arbeiten würde, da würde das Leben ja nicht gehen; aber nachher lasse ich mich vom Staat pensionieren. - Das war schon so die Idee. Und wenn ich sterbe, sagten sie sich, dann pen¬sioniert die Kirche meine Seele. Nicht wahr, da sind sie ja auch ohne ihre Erkenntnis, ohne ihr Zutun zur ewigen Seligkeit pen¬sioniert.
Das ist eben dasjenige, was der wirkliche Fortschritt sein soll, daß der Mensch sein Leben in die Hand nimmt, nicht sich von Staat oder Kirche verwalten läßt, sondern daß er aus Erkenntnis, aus Wille heraus, aus sich selber heraus zu etwas kommt. Und da muß er schon auch seine eigene Unsterblichkeit wissenschaftlich begreifen.
SECHSTER VORTRAG Dornach, 21. März 1923
#G349-1961-SE101 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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SECHSTER VORTRAG
Dornach, 21. März 1923
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Nun wollen wir einmal versuchen, wenigstens vorläufig das zu Ende zu führen, was wir angefangen haben zu betrachten. Sehen Sie, das Verstehen des Lebens kommt nur dadurch zustande, daß man, was ich Ihnen ja schon öfter erwähnt habe, anfängt, den Schlaf des Menschen zu betrachten. Wenn man nämlich so drin¬nen steht im Leben vom Morgen bis zum Abend, dann hat man ja gewöhnlich die Meinung, der Schlaf, der gibt einem wiederum Kraft, der bringt die Ermüdung fort und so weiter. Aber der Schlaf tut nämlich viel mehr. Sie brauchen sich das nur einmal zu überlegen. Denken Sie einmal daran, wenn Sie sich an Ihr Leben erinnern, die Träume, die Sie im Schlaf gehabt haben, die fallen Ihnen ja nicht immer ein. Träume sind etwas, was man bald ver¬gißt, wie Sie alle wissen. Nur höchstens, daß man da oder dort einmal einen Traum gehabt hat, den man oft erzählt hat. Dann merkt man ihn durch das Erzählen. Aber die Träume, die man nicht erzählt, die schwinden sehr schnell dahin. Wenn Sie sich zurückerinnern an Ihr Leben bis in die Bubenzeit, so werden Ihnen aus der Bubenzeit manche Erinnerungen einfallen bis zum spä¬teren Leben. Aber diese Erinnerung, die hat ja immer eine Unter-brechung. Wenn Sie heute zurückdenken, so ist da die Zeit bis zum Schlaf (es wird gezeichnet), und die Erinnerung fängt erst da wiederum an (am anderen Morgen), geht bis zum Abend, dann ist wiederum eine Pause. So daß man eigentlich, wenn man sich zurückerinnert, nicht sein ganzes Leben hat, sondern bei die¬sem Zurückerinnern fällt ja immer dasjenige, was in der Nacht ist, aus. Wenn man eine Linie der Erinnerung zieht, so verfließt eine Zeit vom Abend bis zum Morgen ohne Rückerinnerung, dann wiederum Erinnerung vom Morgen bis zum Abend, wie¬derum Pause vom Abend bis zum Morgen und so fort. An unser Leben erinnern wir uns eigentlich nur so, daß wir einen ganzen
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Teil unseres Lebens gar nicht zurückerinnern. Das ist ganz klar. Das ist diejenige Zeit, die wir verschlafen haben.
Nun wollen wir einmal einen Menschen ins Auge fassen, der nicht schlafen kann. Sie wissen ja, manche Leute klagen darüber, daß sie nicht schlafen können. Aber viele von diesen Klagen darf man nicht so ernsthaftig nehmen, denn manche Leute erzählen einem, sie schlafen überhaupt nicht in der Nacht. Und wenn man sie dann frägt, wie lange sie schon nicht schlafen in der Nacht, dann sagen sie: Ja, schon zehn Jahre nicht. Nun, derjenige, der so lange nicht schlafen könnte, der wäre ja schon längst tot. Die Leute schlafen zwar, aber weil sie so lebhafte Träume im Schlafe haben, kommt es ihnen vor, wie wenn sie wach gewesen wären. Man soll solch einem Menschen sagen: Lege dich nur einmal wirklich hin, du brauchst nicht zu schlafen; lege dich nur hin. -Er schläft nämlich dann schon, und wenn er es auch nicht weiß, so schläft er doch. Das wollte ich Ihnen nur sagen, damit Sie sehen, daß der Mensch einfach den Schlaf für das Leben wirklich braucht. Der Schlaf ist notwendiger für das Leben wie die Nah¬rung. Und derjenige, der nicht schlafen könnte, könnte nicht leben.
Nun, wieviel verschlafen wir denn während unseres ganzen Lebens zwischen Geburt und Tod? Dieses Verschlafen ist am längsten beim ganz kleinen Kinde. Wenn das Kind geboren wird, schläft es ja fast immer. Dann allmählich wird die Zeit des Schla¬fens kleiner, das Schlafen immer weniger. Und wenn man ein wenig alt geworden ist und rechnet zurück, so muß man sagen, ein Drittel seines Lebens hat man eigentlich verschlafen. Das ist auch gesund. Ein Drittel seines Lebens hat man eigentlich ver¬schlafen.
Diese Sache hat man ziemlich lange gewußt. Nur erinnern sich heute die Leute nicht gern an solche Dinge, die man lange gewußt hat. Noch im neunzehnten Jahrhundert, ganz im Anfange, da haben Leute, die über diese Sache geschrieben haben, gesagt: Der Mensch soll acht Stunden arbeiten, acht Stunden für sich selber sein und acht Stunden schlafen. Das gibt 16 Stunden Wachsein
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und 8 Stunden Schlaf, also 3 mal 8 = 24 Stunden. Von diesen 24 Stunden gilt ein Drittel, 8 Stunden, für die Zeit des Schlafens. Das war auch eine ganz richtige Beobachtung. Ein Drittel seines ganzen Lebens braucht der Mensch einmal zum Schlaf. Nicht wahr, die Leute kümmern sich nicht darum, wie wichtig der Schlaf für das Leben ist, weil sie sich heute überhaupt nicht darum kümmern, was Seele und Geist ist. Sie kümmern sich nur darum, was der Mensch im Wachzustand für seinen Körper erlebt, aber nicht was Seele und Geist ist. Das ist eben so, wie die Leute heute oftmals auch im praktischen Leben sagen: Gott, ja, schlafen, das ist ja ganz schön, aber dazu braucht man nicht mehr als die nötige Bettschwere. Und dazu trinken sie so und so viel Bier am Abend, damit sie schlafen können. Aber darauf kommt es nicht an, daß man die nötige Bettschwere hat, sondern es kommt darauf an, daß man einsieht, was für eine große Bedeutung das Schlafen eigent¬lich hat.
Und nun wollen wir uns einmal klarmachen, was eigentlich schlafen heißt. Sehen Sie, der Mensch hat sich im Grunde genom¬men recht gern. Das sieht man insbesondere bei Kranken. Kranke, die zeigen einem, wie gern sie sich haben, denn wenn ihnen etwas weh tut, dann geben sie furchtbar auf sich acht und so weiter. Das ist alles ganz richtig, aber es zeigt doch, daß der Mensch sich furchtbar gern hat. Was hat denn der Mensch eigentlich gern, wenn er sich selber gern hat? Ja, da hat er nämlich seinen Körper gern. Und das ist das große Geheimnis des Lebens, möchte ich sagen, daß der Mensch seinen Körper gern hat. Und die Liebe, die der Mensch zu seinem Körper hat, könnte man sagen, die zeigt sich dann, wenn dieser Körper nicht ganz in Ordnung ist.
Aber mit diesem Gernhaben des Körpers hat es auch seine Haken. Der Körper, der bewegt sich den ganzen Tag. Der Kör¬per schindet sich ab den ganzen Tag. Und das Seelisch-Geistige, das darinnen ist, bekommt dadurch im Laufe des Tages, ohne daß der Mensch es weiß, den Körper immer weniger lieb. Das ist das Merkwürdige, und das muß man wissen. Während der Mensch im Tage lebt und sich fortwährend regsam machen muß, bekommt
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das Seelisch-Geistige den Körper immer weniger lieb. Daher schläft das Kind so viel. Das hat seinen Körper sehr lieb, will immer den Körper genießen. Sie können, wenn Sie ein Kind sehen, immer sehen, wie das kleine Kind seinen Körper genießt. Denken Sie nur daran, wie es ist, wenn das Kind die Milch getrun¬ken hat und einschläft. In diesem Schlaf hat das Kind das Wohl¬gefühl der Verdauung. Es genießt das, was in seinem Körper vor¬geht. Und erst wiederum, wenn es hungrig wird, wacht es auf. Denn das, was da vorgeht, wenn es hungrig ist, das hat es weniger gern. Da wacht es wiederum auf. Also Sie sehen, das Kind, das will seinen Körper auch im Schlaf noch genießen. Sie können ja die schönsten Beobachtungen machen. Nur tun das die Gelehrten nicht, weil sie dazu nicht die Fähigkeit haben.
Beobachten Sie einmal, wenn eine Kuhherde auf einer Weide ist und frißt, und dann nachher die Kühe sich so wohlbehaglich hinlegen und ihre Verdauung genießen. Da genießen sie das¬jenige, was in ihrem Körper vorgeht.
Also das ist das, was man wissen muß, daß der Mensch eigent¬lich seinen Körper genießen will. Aber beim Menschen ist es noch etwas anders als bei den Kühen, und beim erwachsenen Men¬schen ist es noch etwas anders als beim Kind. Das kleine Kind arbeitet noch nicht, daher genießt es im Schlaf seinen Körper. Die Kühe machen alles aus Instinkt, genießen daher auch im Schlaf ihre Verdauung. Der Mensch kommt gar nicht dazu, seine Ver¬dauung zu genießen. Der Mensch wird eigentlich so, daß er, wenn er den ganzen Tag seinen Körper benützt, am Abend so weit ist, daß ihm sein Körper nicht mehr sympathisch ist. Er hat ihn nicht mehr lieb. Und sehen Sie, deshalb schläft er. Er schläft, weil ihm sein Körper nicht mehr sympathisch ist. Die Antipathie, die der Mensch den ganzen Tag zu seinem Körper entwickelt, die läßt ihn in der Nacht einschlafen, und er schläft so lange, bis er diese Antipathie in der Seele überwunden hat, und er wacht wiederum auf, wenn die Sympathie zu seinem Körper wieder vorhanden ist. Das muß man zu allererst verstehen, daß Aufwachen darauf be¬ruht, daß der Mensch wiederum Sympathie zu seinem Körper ent¬wickelt.
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Und diese Sympathie besteht zu allen einzelnen Organen des Körpers. Wenn der Mensch daher aufwacht, rutscht er ge-wissermaßen in seine Organe hinein.
Denken Sie nur einmal, wie da die Träume sind im Aufwachen. Die Träume im Aufwachen sind so, daß man zum Beispiel von Schlangen träumt. Da rutscht man in seine Gedärme hinein und träumt von Schlangen. Die Schlangen, die stellen die Gedärme dar.
Also der Mensch schlüpft aus Sympathie mit seinem Körper, mit seinem Geistig-Seelischen in seinen Körper hinein, wenn er aufwacht. Diese Sympathie muß der Mensch haben, sonst würde er immer seinen Körper verlassen wollen.
Und nun stellen Sie sich vor, der Mensch ist gestorben. Er hat seinen Körper weggelegt. Der Körper ist nicht mehr am Men¬schen. Das erste, was da eintritt, habe ich Ihnen gesagt, das ist, daß der Mensch seine Gedanken hat als Erinnerung an sein gan¬zes Leben. Und die gehen dann verloren nach ein paar Tagen schon. Die zerstreuen sich in der ganzen Welt. Aber dann bleibt ihm die Sympathie mit dem, was sein Körper erlebt hat. Und diese Sympathie mit dem, was sein Körper erlebt hat, die muß er jetzt allmählich verlieren. Das ist das, was wir nach dem Tode zunächst durchmachen, daß wir die Sympathie mit unserem Kör¬per verlieren müssen.
Wie lange dauert es, bis diese Sympathie mit dem Körper wie¬derum hergestellt ist, wenn wir im Tage leben? Das dauert ein Drittel des Tages. Deshalb dauert auch der Verlust der Sympathie nach dem Tode ein Drittel des ganzen Lebens. Wenn ein Mensch, sagen wir, dreißig Jahre alt geworden ist, so braucht er, um den ganzen Körper los zu werden, um gar keine Sympathien mit Welt und Leben mehr zu haben, ungefähr zehn Jahre - ungefähr ist das natürlich alles. So daß also der Mensch nach dem Tode zuerst ein paar Tage hat, wo er eine Rückerinnerung hat, und dann hat er dieses Abgewöhnen, möchte ich sagen, das ein Drittel des gan¬zen Lebens, das er auf der Erde zugebracht hat, dauert. Nun, das ist zwar für die einzelnen Menschen durchschnittlich richtig, aber
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es ist auch bei dem einen länger oder bei dem anderen kürzer, weil der eine mehr Sympathie zu seinem Körper hat, sich lieber hat, der andere sich weniger lieb hat, und so weiter. Also wir ma¬chen nach dem Tode etwas durch, was man nennen könnte: Der Mensch gewöhnt sich ab alle Dinge, die ihn mit seinem Körper zusammenhalten.
Nun können Sie aber sagen: Das, was du uns da erzählst, ist eigent-lich doch noch etwas theoretisch. Wie kann man wissen, daß der Mensch noch etwas an sich hat, wenn er seinen physischen Körper abgelegt hat? Wie kann man das wissen? - Ja, dazu muß man eben studieren, wie sich der Mensch im Leben ent¬wickelt.
Da ist die erste Periode des Lebens, in der sich der Mensch ent-wickelt, der erste Zeitabschnitt des Lebens; der ist der, bis der Mensch die zweiten Zähne bekommt. Fr hat erst die Milchzähne, dann bekommt er die zweiten Zähne. Bei den Milchzähnen, da kann man davon reden, daß der Mensch sie durch Vererbung hat. Aber die zweiten Zähne, die hat er nicht mehr von der Vererbung. Die zweiten Zähne, die hat er von seinem Ätherleib. Der Äther-leib ist in ihm tätig und gibt ihm die zweiten Zähne. So daß wir also haben den physischen Leib, wie ich es Ihnen schon neulich aufgeschrieben habe; der gibt die ersten Zähne. Dann ist der Ätherleib da; der gibt dem Menschen die zweiten Zähne, die Zähne, die dann bleiben.
Nun muß man sich eben die Fähigkeit aneignen, zu schauen -heute eignen sich die Menschen nur die Fähigkeit an, abstrakt zu denken, Theorien auszubilden, aber nicht zu schauen, das, was ich eben beschrieben habe in meinem Buche «Wie erlangt man Fr-kenntnisse der höheren Welten?». Wenn man das Kind wirklich anschaut, wie es allmählich zu seinen zweiten Zähnen kommt, so sieht man dieses übersinnliche Arbeiten des Ätherleibes. Und das ist derselbe Leib, den der Mensch behält, wenn er stirbt, behält durch ein paar Tage, und der sich dann durch die ganze Welt zer-streut. Studiert man also richtig, was dem Menschen die zweiten Zähne gibt, dann bekommt man heraus, daß der Mensch nach
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dem Tode noch ein paar Tage seinen Ätherleib hat und ihn ein paar Tage hinterher wegwirft, das heißt, er zerstreut sich in der Welt.
Nun hat er dann noch seinen astralischen Leib und sein Ich. Dieser astralische Leib, der ist nun dasjenige, was immer nach dem physischen Leib verlangt. Mit dem Ich, das drinnen steckt, verlangt er immer nach dem physischen Leib. So daß wir also sagen können: Der Mensch entwickelt - ich habe Ihnen das neu¬lich schon gesagt - das Bedürfnis in seinem astralischen Leib. Alle Bedürfnisse entwickelt der astralische Leib. Die Bedürfnisse sind nicht am physischen Leib. Wenn der physische Leib ein Leichnam ist, hat er keine Bedürfnisse mehr.
Also wir können sagen: Dasjenige, was dem Menschen die zweiten Zähne gibt, das ist ein paar Tage nach dem Tode auch weg. Was bleibt nun? Da muß man wiederum studieren lernen, was nun im Menschen anfängt besonders tätig zu sein von dem Moment an, wo er die zweiten Zähne hat, bis zu dem Moment, wo er geschlechtsreif wird. Das ist wiederum eine wichtige Pe¬riode des menschlichen Lebens. Unsere heutige Wissenschaft kann solche Dinge nicht studieren, weil sie gar keine Aufmerksamkeit darauf verwendet.
Sehen Sie, vom Zweiten-Zähne-Kriegen bis zur Geschlechts-reife, da arbeitet beim Kinde etwas Übersinnliches drinnen. Und was will dieses Übersinnliche? Dieses Übersinnliche will den gan¬zen Körper allmählich ergreifen. Es ist noch nicht drinnen, wenn das Kind die zweiten Zähne hat und anfängt, diesen astralischen Leib in seinen ganzen Körper hereinzubekommen, so daß er ihn durchdringt. Dann wird das Kind immer reifer und reifer. Und ist der astralische Leib im Körper ganz drinnen, dann ist das Kind geschlechtsreif. Das ist eben das Wichtige, daß man weiß: Der astralische Leib, der ist dasjenige, was in das Kind die Geschlechts-reife erst hereinbringt.
Diese Dinge kann man natürlich nicht so studieren, wie die heutigen Gelehrten sie studieren möchten. Die heutigen Gelehr¬ten möchten nur dasjenige, was handgreiflich ist, studieren. Die
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beobachten nicht das menschliche Leben. Derjenige, der aber ein-mal wirklich richtig beobachten gelernt hat, was es da ist, was von den zweiten Zähnen bis zur Geschlechtsreife sich in den Kör¬per hineinarbeitet, der weiß, daß das eben der astralische Leib ist. Der bringt alle die Bedürfnisse hervor. Natürlich hat das Kind vor dem Zweiten-Zähne-Kriegen auch schon Bedürfnisse, weil der astralische Leib namentlich im Kopfe drinnensteckt; aber spä¬ter breitet er sich durch den ganzen Leib aus. Sie können das beim Knaben sehr gut wahrnehmen, wie sich der astralische Leib aus-breitet. Der Knabe verändert die Stimme, und damit wird er auch geschlechtsreif. Das ist das Hineinfahren des astralischen Leibes in den ganzen physischen Leib. Bei der Frau können Sie es wahr-nehmen dadurch, daß sich die Nebenorgane des Geschlechts¬lebens, die Brüste und so weiter entwickeln. Das ist das Hinein¬fahren des astralischen Leibes. Und diesen astralischen Leib be¬hält der Mensch nun nach dem Tode, wenn er den Ätherleib schon weggeworfen hat.
Sehen Sie, dieser astralische Leib ist es auch, der jeden Morgen wiederum in den physischen Leib hineinwill. Denn während der Mensch schläft, hat er keine Bedürfnisse, weder geschlechtliche noch andere Bedürfnisse. Die treten im Wachen auf. Die treten dann auf, wenn der astralische Leib am Morgen in den physischen Leib hineinwill. Und dieser astralische Leib ist also im Leben ganz darauf aus, immer an jedem Morgen in den physischen Leib hin-einzugehen. Das will er natüirlich auch nach dem Tode. und das muß er sich erst abgewöhnen.
Wenn einer dreißig Jahre alt ist, wie lange ist er da in seinem physischen Leib drinnen gewesen? Zwanzig Jahre war er drinnen, zehn Jahre war er nicht drinnen. Die zehn Jahre, die er nicht in seinem physischen Leib drinnen war, die er verschlafen hat, die will er nach dem Tode wieder drinnen sein. Und daher wirkt er nach dem Tode in seinem astralischen Leibe ein Drittel von sei¬nem Leben, das er hier auf Erden durchgemacht hat. Nach dieser Zeit ist der astralische Leib befriedigt. Dann lebt der Mensch nur noch in seinem Ich. So daß also der Mensch, nachdem er etwa ein
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Drittel seiner Lebenszeit nach dem Tode zugebracht hat, nur noch in seinem Ich weiterlebt.
Aber dieses Ich, dieses eigentliche Geistige im Menschen, das braucht jetzt, wenn es weiterleben soll, ungeheuer viel. Sehen Sie, ich habe Ihnen nicht ohne Grund immerfort erzählt, daß eigent¬lich die Vernunft, der Verstand, die Gedanken über die Welt aus-gebreitet sind. Ich habe Ihnen gesagt, wie alles in der Welt, wenn man es richtig studiert, eigentlich verständig eingerichtet ist. Ich habe es Ihnen an der Tierwelt klargemacht. Diese ganze Welt ist ja so, daß wir nicht glauben sollen, unser Verstand ist das einzige, sondern der Verstand, den wir haben, der ist ja nur wie heraus-geschöpft aus dem in der Welt ausgebreiteten Verstand. Verstand ist überall. Und derjenige, der glaubt, sein Verstand sei nur das einzige, der iSt so töricht wie derjenige, der da glaubt: Ich habe hier ein Glas Wasser, dieses Glas Wasser war zuerst leer, dann ist es voll geworden, das heißt, es ist aus dem Glas das Wasser herausgewachsen. - Man muß das Wasser erst schöpfen aus dem Brunnen, aus dem ganzen Gewässer. Und so muß man auch den Verstand, den man hat, erst aus dem ganzen Welt-Verstand her-ausbringen.
Das merken wir nur alles nicht während des Lebens. Warum nicht? Weil das unser Leib tut. Meine Herren, wenn Sie einmal wissen sollten - ich habe Ihnen das einmal klar gemacht -, was Ihr Leib tut mit einem ganz kleinen Stückchen Zucker, das Sie verschluckt haben, wie dieses kleine Stückchen Zucker im Leibe nicht nur aufgelöst wird, sondern sich in alle möglichen anderen Stoffe verwandelt, wenn Sie das wüßten, was da alles vorgeht, würden Sie erstaunen. Sie sind schon erstaunt nach dem, wenn ich Ihnen nur, ich möchte sagen, die Anfangsgründe dessen er¬zählt habe, was im menschlichen Leibe alles vorgeht. Aber wenn man noch so viel von dem betrachtet, was im menschlichen Leibe da vorgeht, so betrachtet man ja immer nur ein Stückchen. Sie atmen ein. Der Atem, den Sie einatmen, der muß in ihrem ganzen Leib immer verwendet werden. Denken Sie doch nur einmal, Sie atmen achtzehnmal in der Minute ein. Da muß immer fortwäh¬rend
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das, was Sie einatmen, im ganzen Leib verwendet werden. Dazu gehört eine riesige Vernunft, eine ganz riesige Vernunft.
Nun, das tut alles unser Leib. Unser Leib, der arbeitet für uns ja wirklich mit einer ungeheuren Gescheitheit. Es ist ganz bewun-dernswert, was man empfinden muß, wenn man darauf kommt, was eigentlich der menschliche Leib alles an Gescheitheit leistet. Das ist ganz enorm. Nun, der nimmt uns also während des Lebens viel ab.
Aber jetzt nach dem Tode haben wir ihn nicht mehr. Jetzt ha¬ben wir nicht einmal mehr den Ätherleib. Wir haben nicht den astralischen Leib, nicht einmal eine Sehnsucht nach dem phy¬sischen Leib. Wir haben also überhaupt nur das Ich, und das Ich merkt jetzt, daß es ja den Leib nicht hat und fängt nun an, sich bekannt zu machen mit alledem, was für den Leib notwendig ist.
Und da beginnt jetzt das Gewaltige, das man verstehen muß. Die heutige Wissenschaft macht sich das ganz besonders leicht. Die heutige Wissenschaft sagt: Woher kommt der Mensch? Nun ja, der Mensch kommt aus dem, was als Befruchtung, als befruch¬teter Keim in der Mutter entstanden ist. Die Wissenschaft sagt also: Da ist der befruchtete Keim, und da drinnen, nun ja, da ist halt irgendwie der Mensch schon veranlagt. - Wenn man nichts weiß, sagt man: Es ist eine Anlage da; von daher kommt der ganze Mensch. - Ja, sehen Sie, das haben sich die Menschen seit langer Zeit schon recht klar gemacht. aber in ihrer Art, das heißt nämlich unklar gemacht.
Denken Sie einmal, das wäre das Mutterei (es wird gezeichnet>, aus dem Sie selbst hervorgegangen sind. Da wären Sie also drin-nengesteckt, wären gewissermaßen als ein kleines Menschlein da drinnen gewesen. Aber dieses Mutterei ist ja wiederum von einem Mutterei geboren. Da muß also das kleine Menschlein schon wie-derum gesteckt haben im Mutterleibe, und das Mutterei, also die Mutter, die muß wiederum in der Großmutter gesteckt haben, und so weiter hinauf zur Urgroßmutter, Ururgroßmutter, bis zu der Eva. Und Sie kommen zu der Sonderbarkeit, daß in der Ur¬mutter Eva die ganze Menschheit drinnengesteckt hat, aber so
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eingeschachtelt. Der Herr M., der steckte in dem Ei drinnen, mit allen anderen Menschen zusammen, nur war das so eingeschach-telt. In der Urmutter Eva war das ganze Menschengeschlecht. Diese Theorie, die hat man ja auch dazumal Evolutionstheorie ge¬nannt, später spottweise Einschachtelungstheorie.
So im Beginne des neunzehnten Jahrhunderts haben die Leute gefunden: Die Geschichte geht doch nicht, sich da vorzustellen, daß in der Urmutter Eva das ganze Menschengeschlecht einge¬schachtelt war, daß immer der eine in dem andern drinnengesteckt hat, und dann so furchtbar viele; das geht denn doch nicht. Und da haben sie eine andere Theorie angenommen. Da haben sie gesagt: Nein, in dem Ei steckt eigentlich noch nichts drinnen; aber an dieses Ei kommen heran, wenn es befruchtet wird, alle die äußeren Verhältnisse Wind und Wetter und Sonne und Licht und alles mögliche. Und aus der Einwirkung der ganzen Natur auf dieses Ei kommt eben der Mensch zustande.
Ja, meine Herren, das ist etwas, was dem Materialismus sehr wohl tut, wenn er sich so etwas vorstellen kann. Aber vor einer genaueren Betrachtung hält es nämlich nicht stand. Denn denken Sie einmal, was wir werden, wenn auf uns die ganze Natur fort-während wirkt. Da werden wir nämlich das, was die Leute heute nervös nennen. Derjenige, der für jeden Luftzug und für jeden Lichtstrahl empfindlich ist, der wird nicht ein richtiger Mensc , sondern ein Zappelphilipp. Von der umgebenden Natur werden wir gerade Zappelphilippe. Also das kann es auch nicht sein.
Ein richtiges Studium zeigt uns nämlich ganz etwas anderes; Ein richtiges Studium zeigt, daß in diesem Ei überhaupt gar nichts drinnen ist. Bevor es befruchtet wird, da ist es noch, ich möchte sagen, halbwegs so daß man allerlei drinnen bemerkt. Da hat es Gestalt.Also in dein unbefruchteten Ei, in dem kann man noch allerlei Fäden und so weiter wahrnehmen. Wenn aber das Ei be-fruchtet wird, dann werden diese Fäden zerstört, und das ganze Ei ist dann überhaupt nichts als ein richtiger «Knatsch», wenn ich mich so ausdrücken darf. Mehr gebildet ausgedrückt, ist es ein Chaos. Es ist ein ganz ungeordneter Stoff.
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Sehen Sie, solch einen Stoff, der ganz ungeordnet ist, den hat man nämlich sonst nirgends in der Welt. Alle Stoffe sind in einer gewissen Weise innerlich irgendwie geordnet, angeordnet. Wenn Sie den beliebigsten Stoff nehmen, wenn Sie nur ein Staubkörn¬lein nehmen und durch ein Mikroskop anschauen, dann werden Sie sehen, wie fein und wie kunstvoll es im Innern aufgebaut ist. Das befruchtete Ei, das ist das einzige, was ganz wüst im Innern ist. Und das muß erst geordneter Stoff werden. Es darf gar nichts mehr durch sich selber sein, wenn daraus ein Mensch werden soll. Die Menschen, die denken immer nach über das Eiweiß zum Bei¬spiel. Sie wollen immer studieren, wie das Eiweiß innerlich gestal¬tet ist. Ja, das Eiweiß ist so lange innerlich gestaltet, als es nicht befruchtet ist. Wenn es befruchtet ist, ist es eben das, was ich einen «Knatsch» genannt habe, das heißt ein Chaos, ein ganz absolut ungeordneter Stoff. Und daraus entsteht der Mensch. Schon bei der Urmutter Eva, wenn sie überhaupt vorhanden war , war nicht das ganze Menschengeschlecht vorhanden, noch irgend¬wie in einem später befruchteten Eikeim, sondern der Eikeim ist ganz chaotisch, ungeordnet, und war bei der Urmutter Eva auch ungeordnet. Und wenn ein Mensch aus diesem Eikeim entstehen soll, dann muß das von außen bewirkt werden, das heißt, der Mensch muß in diesen Eikeim hineinfahren. Gerade ein richtiges naturwissenschaftliches Studium zeigt wiederum, daß der Mensch von außen in diesen Eikeim hineinfahren muß. Das heißt, der Mensch kommt aus der geistigen Welt. Er kommt nicht vom Stoff. Der Stoff muß nämlich zuerst zerstört werden.
So ist es nämlich bei den Pflanzen schon. Bei den Pflanzen ha¬ben Sie die Erde und in der Erde den Pflanzenkeim. Jetzt studie¬ren schon wiederum die Menschen nicht ordentlich, wie es mit dem Pflanzenkeim in der Erde zugeht. Der muß nämlich zunächst zerstört werden, und dann bewirkt der neue Frühling, daß von außen hinein auf geistige Weise aus dem zerstörten Stoff die neue Pflanze entsteht. So ist es beim Tier, und so ist es nament¬lich beim Menschen. Nur ist es bei der Pflanze so, daß sie es leich¬ter hat. Das ganze Weltenall bildet ihre Gestalt. Beim Menschen
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bildet das ganze Weltenall zunächst nicht seine Gestalt. Er muß sie sich nämlich selber bilden. Der Mensch muß tatsächlich selber in diesen zerstörten Stoff hinein, sonst würde kein Mensch ent¬stehen können aus diesem zerstörten Stoff. Der Mensch muß also erst aus der geistigen Welt heraus und in diesen zerstörten Stoff hinein. Die ganze Befruchtung ist nur dazu da, daß man dem Menschen, der herein will in die Welt, einen zerstörten Stoff gegenüb erstellt, daß er einen zerstörten Stoff hat. Mit einem nicht zerstörten Stoffe könnte er nichts anfangen. Er kann nicht so wie die Pflanze hereinkommen in die Welt, denn da müßte er eben zur Pflanze werden. Er muß wirklich das ganze Weltenall in sich bilden. Und er bildet es auch. Das ist nämlich ganz wunderbar, wie der Mensch das Weltenall nun in diesen zerstörten Stoff hin-einbildet.
Ich will Ihnen an einem Beispiel zeigen, wie der Mensch nun in diesen zerstörten Stoff das Weltenall hineinbildet. Wenn Sie hier die Erdenoberfläche haben (es wird gezeichnet), so können wir sie eben darstellen, denn wenn man nur ein Stückchen Erde über¬sieht, schaut sie eben aus. Da kommt am Morgen die Sonne her¬auf, geht bis zu einer gewissen Höhe, dann geht sie wieder herun¬ter. Das ist ein gewisser Winkel, bis zu dem sich die Sonne erhebt. Das ist sehr interessant, daß sich die Sonne bis zu diesem Winkel immer erhebt und dann wieder hinuntergeht. Der Winkel ist na¬türlich im Sommer etwas höher als im Winter, aber bis zu einem gewissen Winkel erhebt sich die Sonne. Dieser Winkel ist also eine Neigung der Sonne zu der Erde.
Diesen Winkel finden wir nämlich noch wo anders. Sehen Sie, wenn das Licht in unser Auge eindringt, so gibt es da, wo der Sehnerv vom Gehirn ins Auge hineinkommt - ich habe Ihnen das Auge gezeichnet - den sogenannten Blinden Fleck. Da sieht man nämlich nicht. Man sieht am deutlichsten nur an Stellen, die etwas weg sind von diesem Blinden Fleck, wo der Sehnerv eintritt. Und da ist das Interessante: Dieselbe Neigung, die die Sonne zu der Erde hat in ihrer Bahn, dieselbe Neigung hat hier dieser Punkt,
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wo wir am hellsten wahrnehmen in unserem Inneren, zum Blin¬den Fleck.
Und etwas anderes noch. Wenn Sie das Herz nehmen, so ist das nämlich etwas geneigt. Das hat die gleiche Neigung, wie die Sonne zur Erde. Ich könnte Ihnen unzählige solche Dinge vorfüh¬ren, woran Sie sehen würden: Alles das, was im Weltenall draußen ist, das tragen wir irgendwie in uns. Die Sonnenneigung tragen wir in der Neigung unseres Auges und in der Neigung unseres Herzens. Wir sind ganz aus der Vernunft des Weltenalls heraus gebildet.
Ach, meine Herren, das ist dasjenige, wo man anfängt, wenn man allmählich etwas Erkenntnis kriegt, wirklich sich zu sagen , wie eigentlich der Mensch eine ganze kleine Welt ist. Alles, was in der Welt draußen ist, ist im Menschen drinnen nachgebildet.
Denken Sie einmal, wenn Ihnen nun dieser «Knatsch», diese zerstörte Materie gegeben würde, und Sie sollten da drinnen das nachbilden! Das würden Sie nicht können. Sehen Sie, wenn das Ich allein ist nach dem Tode, da muß es aus der ganzen Welt ler¬nen, wie es die ganze Welt nachbilden kann. So daß der Mensch , nachdem er die Sympathie mit dem Körper abgestoßen hat wäh-rend dieses Drittels des vorigen Lebens, nun anfängt, aus dem ganzen Weltenall zu lernen, wie man wiederum ein Mensch wird. Und das dauert länger, als auf Erden das Leben dauert, denn auf Erden, da geht es so zu, nun ja, daß man ja viel oder wenig lernen kann. Eigentlich lernen heute die meisten sehr wenig. Und so son-derbar es ist, die Gelehrten lernen am allerwenigsten, denn was sie lernen, das taugt alles nichts. Das taugt nur dazu, zu verstehen, wie ein Leichnam ausschaut, aber nicht, wie ein lebendiger Kör¬per in sich bewirkt wird. Das aber muß das Ich nach dem Tode lernen. Es muß aus der ganzen Welt heraus die Geheimnisse ler¬nen, wie ein Körper aufgebaut wird. Und da kann man hindeuten auf diese Zeit, die nun das Ich zubringt damit, aus der ganzen Welt heraus zu lernen, wie ein Mensch innerlich wirkt und lebt.
Sehen Sie, wenn der Mensch es dazu bringt durch die Übungen, die ich dargestellt habe in dem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse
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der höheren Welten ?», sich zu erinnern an die Zeit, an die man sich sonst nicht erinnert, wo man ein ganz kleines Kind war, dann kommt man darauf, worin das eigentlich besteht, dieses Leben des Säuglings, der von der Welt noch nichts weiß, der nur seinen Körper gebraucht, nur zappelt, nur in die Augen hineinlebt, in die Ohren hineinlebt, aber noch nichts versteht von alledem. Der Mensch kommt ja im gewöhnlichen Leben nicht darauf, zurück-zuschauen. Der sagt: Ach, was geht mich meine Kindheit an; ich bin nun einmal da. - Wenn man aber erkenntnismäßig in diese kurze Zeit, an die man sich sonst nicht erinnert, zurückschaut, so merkt man, was man da eigentlich getan hat. Ja, man bekommt eigentlich zuerst ein furchtbar unangenehmes Gefühl, wenn man darauf kommt. Denn dieses Zappeln des ganz kleinen Kindes be¬steht darin, daß man sich bemüht, dieses ganze Wissen vom Wel¬tenall zu vergessen. Man gibt es an den Körper ab, und der weiß es nachher. Daher kann er es nachher während des Lebens über¬nehmen.
Das kleine Kind gibt an den Körper eine ganze Weltenweisheit ab. Es ist ja so furchtbar schmerzlich, so furchtbar traurig, daß die heutige Wissenschaft keine Ahnung hat von dem, was im Leben vorgeht, wie das kleine Kind eine Weltenweisheit, die es sich angeeignet hat, abgibt an den Körper, wie es allmählich hinein-wächst in die Augen, in die Hände. Allmählich wächst es da hin¬ein, gibt die ganze Weisheit des Ich an den Körper ab, während das Ich eigentlich früher die ganze Weltenweisheit besessen hat.
Es wird Ihnen vielleicht sonderbar erscheinen, aber es ist doch eigentlich wahr: Woher kann man, wenn man nun wirklich die Anthroposophie beherrscht, den Leuten etwas erzählen über das Weltenall? Man kann aus dem Grunde etwas erzählen über das Weltenall, weil man sich einfach zurückerinnert an die erste Kind-heitszeit, Säuglingszeit, wo man noch das Ganze aus der Erfah¬rung vorher, bevor man in den Leib hineingekommen ist, gewußt hat. Und Anthroposophie besteht eigentlich darinnen, daß man diese ganze Weltenweisheit, die man an den Leib abgegeben hat, nach und nach wiederum aus dem Leib herausbekommt.
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Ja, dazu gibt heute die gewöhnliche Wissenschaft keine An¬leitung. Die gibt gar keine Anleitung, wie man aus dem Leib wie¬derum das Wissen finden kann, das man erst selbst hineingetan hat. Die führt den Menschen ans Experiment, und er soll nur das¬jenige lernen, was er da äußerlich erfährt; währenddem das Rich¬tige wäre, daß man den Menschen in den lebendigen Leib hinein-führte. Unsere Studenten, die werden an den toten Leib geführt, der schon ein Leichnam ist, lernen nichts kennen von dem leben¬digen Menschen. Das wäre allerdings ein schwierigeres Studium , weil da der Mensch eben Selbsterkenntnis üben muß, in sich hin¬einschauen muß, weil da der Mensch vollkommener werden soll. Aber das ist ja gerade das, was der neuere Mensch nicht will: er will ja nicht vollkommener werden, er will, daß ihn die Schule ein bißchen eindressiert, und dann will er dabei stehen bleiben, will nicht vollkommener werden. Das will der Mensch nicht, weil er in der Erziehung, die er heute einmal genießt, ich möchte sa¬gen, schon viel zu hochmütig dazu ist, um irgendwie zuzugeben, daß er sich vervollkommnen soll.
Nun, damit habe ich Ihnen zunächst einmal, ich möchte sagen, ein klein bißchen von dem Ich gesagt. Wir werden aber in den nächsten Stunden noch mehr von den Sachen sprechen, so daß Sie viel mehr hören werden und allmählich alles begreiflicher finden werden. Ich habe Ihnen ein klein bißchen von dem gesagt, was das Ich zu tun hat in der Zeit, bis der Mensch wiederum zur Erde herunterkommt.
Aber, sehen Sie, es gibt nun Leute, die sagen: Ach, was dadas Ich zu tun hat nachher, das interessiert mich nicht! Man kann doch warten, bis man gestorben ist, dann wird man es schon sehen. - So sagen die Leute.
Ja, das wäre geradeso, als wenn der Keim, nachdem er entstan¬den und befruchtet ist, und der Mensch hineingeschlüpft ist, im Leibe der Mutter sagen würde: Ach, das ist mir zu langweilig, im Leibe der Mutter zu leben, da gehe ich früher ab. - Ja, aber wenn er nicht seine richtigen neun Monate im Leibe der Mutter leben will, so kann er kein Mensch werden. Er muß das zuerst durchmachen.
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Ebensowenig kann das Ich etwas nach dem Tode erleben, wenn es nicht hier so lebt, daß es angeregt ist dazu. Daher ist das ganz falsch, wenn jemand sagt: Ich warte, bis der Tod eingetreten ist, dann werde ich schon sehen, ob ich was bin oder nichts bin und so weiter. Die Menschen sind ja nicht sehr logisch. Die Men¬schen sind eigentlich heute so logisch, wie derjenige war, der be¬teuerte, geschworen hat, daß er keinen Gott anerkennt, und er hat geschworen: «So wahr ein Gott im Himmel ist, bin ich Atheist!» So ungefähr sind heute die Leute. Sie reden die alten Redensarten nach. Ganz unbewußt reden sie die Redensarten nach, selbst dann, wenn sie ihnen widersprechen. Und so glauben die Leute: Man kann ja warten, dann wird man sehen, ob ich noch was bin oder nichts bin. Nicht wahr, die Leute sagen sich: Glaube ich an eine Unsterblichkeit, oder glaube ich nicht an eine Un¬sterblich keit? Ja, wenn ich an keine Unsterblichkeit glaube, und es gibt dann doch eine, dann könnte es mir schlecht gehen. Wenn ich aber an eine Unsterblichkeit glaube und es gibt keine, so scha¬det es nicht. Also ist es jedenfalls besser, wenn ich an eine Un¬sterblichkeit glaube.
Aber, nicht wahr, so darf man mit dem Gedanken nicht Ball spielen, sondern es kommt darauf an, daß man sich über die Tat¬sachen wirklich klar wird. Und so muß man sagen: Hier auf Erden muß der Mensch die Anregung empfangen, daß sein Ich nach dem Tode wirklich in die Welt lebendig eindringen kann. Und diese Anregung, die vertreibt ihm die heutige Wissenschaft gründlich, wenn man überhaupt heute den Menschen nicht mehr darauf auf¬merksam macht, wie die Tatsachen wirklich sind. Man gibt es nicht zu, aber man hat eigentlich heute ein Interesse daran, den Menschen möglichst dumm zu halten, so daß er nach dem Tode schläft und gar keine Ahnung hat, wie er eindringen soll in die Geheimnisse des ganzen Weltenalk, um wiederum richtig Mensch zu werden.
Sehen Sie, wenn die Menschheit so fortleben würde, wie sie heute lebt, bloß sich kümmern würde um dasjenige, was äußer¬lich ist, dann werden zukünftig einmal Menschen geboren werden,
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die überhaupt nicht mehr ihre Hände rühren können, weil sie nichts gelernt haben bis zum nächsten Leben.
Wie die Leben sich wiederholen, darauf kommen wir dann noch zurück. Ich wollte Ihnen heute nur einen Begriff geben, daß Sie sehen können, es ist nicht bloß eine leichtsinnige Behauptung, wie das Ich nach dem Tode ist, sondern man kann ja darauf hin¬weisen, aus dem Wissen selbst, daß der Mensch wiederum her¬unterkommt, sich selbst in dem verworrenen Stoff sein Leben bil¬den muß. Das wird wirklich auf Grund objektiver Tatsachen er¬kannt.
Das ist dasjenige, um was es sich hier handelt. Nur geht es nicht so schnell, aber ich werde die Frage noch ganz beantworten, wenn man das zusammennimmt, was man weiß von dem Ende des menschlichen Lebens, wie der Mensch allmählich seinen Ätherleib und seinen astralischen Leib verliert, und wie dann das Ich her-unterkommen muß, um sich seinen Astralleib und so weiter zu bilden. Dann kommt man darauf, wie der Mensch eben immer wieder herunterkommt. Und dann kommt man auch darauf im Laufe der Zeit, wann der Mensch befreit wird von seinem ganzen Erdenleben, wann er nicht mehr herunterkommen muß. Die Frage, wann hat er einmal angefangen? werden wir dann auch noch beantworten. Er muß einmal angefangen haben als eine Art Pflanze. Dazu braucht er nicht Mensch zu sein. - Ich habe Ihnen aber auch einmal beschrieben, wie die Erde eine große Pflanze
war, und wir werden sehen, wie die Erdewiederum einmal P/flanze sein wird, und der Mensch dann von seinem Menschsein befreit sein wird.
Ich werde dann die ganze Frage noch einmal von einer anderen Seite auseinandersetzen. Sie werden natürlich die Geduld haben müssen, daß Sie nicht bei den ersten Stunden sagen: Ich kann da doch nicht mit. Sie werden schon sehen, je ausführlicher es wird, desto mehr wird es Ihnen plausibel erscheinen.
SIEBENTER VORTRAG Dornach, 4. April 1923
#G349-1961-SE119 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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SIEBENTER VORTRAG
Dornach, 4. April 1923
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Wissenschaft will nur dasjenige gelten lassen, was man mit Augen sehen, mit Händen greifen kann. Es gehört eine besondere Fähig-keit dazu, auch das zu erforschen, was man nicht mit Augen se¬hen, mit Händen greifen kann, und diese Fähigkeit will man sich nicht erwerben. Die mittelalterliche Glaubenswissenschaft hat ge¬sagt, man habe eine Wissenschaft für alles, was irdisch ist, und eine Glaubenslehre, und das ist das, was in der Schrift steht. Und noch heute stehen die Menschen auf diesem Standpunkt. Die Menschen wollen sich nicht mehr getrauen, eine Wissenschaft zu haben, die sich nicht mit Händen greifen läßt, weil sie eigentlich über eine Wissenschaft, die sich mit Händen greifen läßt, noch nicht hinausgekommen sind. Ich möchte Ihnen das, was ich Ihnen gesagt habe, ein bißchen erklären durch etwas, das ja für die heu¬tige Zeit schon alt ist; aber in bezug auf diese Dinge ist gerade im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts das Ausschlag¬gebende geschehen. Ich brauche Ihnen nur die letzten Sätze eines Buches vorzulesen, so werden Sie gleich sehen, wie die heutige Wissenschaft gesinnt ist in dieser Beziehung. Sie sagt: Über die Grenzen unseres Erkennens hinaus führt uns kein Weg. In die pfadlose... (Lücke in der Nachschrift) können wir uns nur von der unerschöpflichen Hoffnung tragen lassen in mystisch süßem Halbschlummer, auf den Fittichen der Phantasie - und so weiter.
Also was sagt der Herr? Er sagt: Dasjenige, was man mit Hän¬den greifen kann, das ist Wissenschaft. Das andere ist eingebildete Phantasie. Das kann jeder Mensch sich vormachen und vormachen lassen, eine Phantasie, denn über all das kann man ja gar nichts wissen. Und wenn sich die Menschen trösten mit allerlei übersinn-lichen Dingen, nun, so braucht man ihnen das nicht zu nehmen.
Es ist geradezu schrecklich, in welche Verworrenheit diese Sache hineingekommen ist. Aber nun möchte ich Ihnen zeigen, daß diese
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Herrschaften überhaupt mit dieser Wissenschaft das Denken ver-lernt haben. Das möchte ich Ihnen gerade mit einer anderen Stelle dieses Buches zeigen. Denn was tut der Herr, der also alles das-jenige, was man nicht mit Händen greifen kann, in das Gebiet der Glaubensvorstellungen schiebt? Er sagt: Nun, dasjenige, was als ein ewiges Ich im Menschen wohnen soll, ist eigentlich ein wissen-schaftlicher Unsinn, denn das Ich ist ja nur die Zusammenfassung von all dem, was sonst in uns ist. Wir sind gewohnt, vom Anfang bis zum Ende alles, was wir vorstellen, was wir fühlen, zusammen-zufassen zu einem Ganzen. Und dann, wenn wir es zu einem Gan¬zen zusammengefaßt haben, dann sagen wir dazu Ich. - So sagt der Herr.
Nun will er das aber anschaulich machen. Er will anschaulich machen, daß man unter dem Worte Ich wirklich nur zusammen¬faßt alles das, was man erlebt. Denn dann ist das Ich ja ein bloßes Wort, wenn man nur so zusammenfaßt. Da macht er einen Ver¬gleich. Er vergleicht nämlich all das, was der Mensch erlebt, mit einer Heeresmasse, mit einer Kompanie Soldaten. Also was ich in der Jugend erlebt habe als Kind, was ich da gespielt habe, was ich gefühlt habe am Spiel, das ist der eine Trupp Soldaten; was ich ein bißchen später erlebt habe, ist der andere Trupp Soldaten und so weiter; bis zum heutigen Tage fasse ich alles das zusammen, wie die einzelnen Soldaten zu einer Kompanie zusammengefaßt wer¬den, und sage dazu Ich. - So sagt er. Also er vergleicht alle die einzelnen Seelenerlebnisse mit einer Kompanie Soldaten, und die faßt er zusammen, wie man da zusammenfaßt, und sagt nicht, der Müller oder der Lehmann und so weiter, sondern sagt: Die Kom¬panie 12 und so weiter. So faßt er alles, was man in der Seele er¬lebt als Ich, zu einer Kompanie Soldaten zusammen. Dann sagt er weiter: Dagegen muß hier noch ein Wort gesagt werden über das Ich, sofern man darunter auch den Umstand verstehen kann, daß der Mensch sich von der Lebensperiode ab, wo ein Bewußtsein einigermaßen entwickelt ist, stets als dieselbe Persönlichkeit, als dasselbe Ich fühlt. - Er sagt also: Man muß dem Menschen das endlich abgewöhnen, daß er sich als ein Ich fühlt, man muß ihm
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angewöhnen, daß das nur so ist, wie wenn man eine Kompanie Soldaten zusammenfaßt.
«Diese Tatsache dürfte, von unserem Standpunkte aus betrach¬tet, etwas besonders Überraschendes in keiner Weise haben. Zu¬nächst muß man sich, wenn man der Sache näher treten will, klar darüber sein, was man unter der einzelnen Persönlichkeit der Außenwelt gegenüber überhaupt vorzustellen hat.» - Also zuerst ermahnt er recht schön, man müsse sich eine Vorstellung machen. Die Antwort sagt er: Es ist das Resultat von allerlei einzelnen Vor-stellungen, ganz besonders aber derjenigen, welche die direkten Wechselbeziehungen des Organismus zur Außenwelt zusammen-fassen zu einem mehr oder weniger kompakten Ganzen. Die Vor-stellung des Ich ist nach unserer Anschauung nichts anderes als eine abstrakte Vorstellung, und zwar höchster Ordnung, auf¬gebaut auf der Summe alles Vorstellens, Fühlens und Wollens eines Individuums, insonderheit aber aller Vorstellungen der Wechselbeziehungen des eigenen Körpers zur Außenwelt. Es faßt der Begriff all dieses zusammen, wie der Begriff Pflanzenreich die unendliche Summe aller Pflanzen in sich begreift. Das Wort Ich -jetzt wird es interessant! - ist der Repräsentant all dieser Vorstel-lungen, etwa so, wie der Heerführer der Repräsentant aller einzel-nen Soldaten ist. Wie man von den Taten eines Heerführers sagen kann, er bilde für die Vorstellungen der einzelnen Soldaten und Heeres-Abteilungen stets den mehr oder weniger dunklen unbe-wußten Untergrund, ganz ebenso bildet die Masse der einzelnen konkreten Vorstellungen und Gefühle den Untergrund des Be-griffes Ich. -
Nun, sehen Sie sich das an, wie der Mann denkt. Das Buch ist sehr gelehrt, das muß man voraussetzen, steht ganz auf der Höhe der Wissenschaft. Der Mann sagt: Da hat man eine Kom¬panie Soldaten und den Heerführer. Aber man faßt nur die Solda¬ten zusammen; der Heerführer ist bloß deren Repräsentant. So ist es auch mit den Vorstellungen und Gefühlen. Man faßt alle die Vorstellungen und Gefühle zusammen und das Ich ist bloß deren Repräsentant.
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Ja, aber wenn das Ich der Repräsentant, bloß das Wort ist, so muß man ja auch bei der Kompanie Soldaten den Heerführer nur als ein Wort ansehen. Haben Sie schon einmal entdeckt, daß der Heerführer, der eine Kompanie Soldaten führt, nur ein Wort ist, das da von allen Einzelnen zusammengestellt ist? Nun, man könnte sich ja vorstellen, daß der Heerführer nicht gerade beson¬ders klug ist. Das Ich ist auch manchmal nicht besonders klug. Aber sich vorzustellen, daß der Heerführer nichts ist als ein bloßes Wort - und das braucht er als Vergleich dafür, wie das Ich zu den Vorstellungen steht -, das beweißt doch, daß die gescheitesten Menschen, wenn sie anfangen sollen, über das Übersinnliche zu reden, dann ganz blitzdumm werden. Denn, nicht wahr, man kann ihnen nachweisen, wenn sie einen Vergleich anstellen, so ist er ohne alle Logik. Nicht die geringste Logik ist da drinnen.
Nachdem der Herr diesen schönen Vergleich angestellt hat, sagt er weiter: Daraus ergibt sich, daß sich der jeweilige Begriff des Ich ganz richtet nach der ihm zugrunde liegenden Vorstel¬lung. So ist es am klarsten zutage liegend, wie er sich beim Kinde allmählich ausbildet. Aber auch jeder erwachsene denkende Mensch kann sich Rechenschaft darüber geben, wie er sich in jeder Beziehung als ein anderes Ich fühlt heute als zehn Jahre vorher. -
Nun frage ich Herrn E. oder Herrn B., ob Sie sich als ein ganz anderes Ich fühlen als zehn Jahre vorher! Das werden Sie doch unterscheiden können, ob Sie ein ganz anderer sind als zehn Jahre vorher! Aber auf solche Stellen treffen Sie heute auf Schritt und Tritt in den Büchern. Da werden die gewöhnlichsten Tatsachen des Lebens auf den Kopf gestellt. Es ist natürlich ein bloßer Un¬sinn, wenn einer sagt, er fühle sich heute als ein ganz anderes Ich als vor zehn Jahren. Aber das sagen die Herren. Aber in dem Augenblick, wo man anfängt, über das Ich nachzudenken, ob es heute dasselbe ist wie vor zehn Jahren, kommt man nicht mehr dazu, hat man nicht mehr die Möglichkeit, zu sagen: Das Ich stirbt, wenn der Leichnam stirbt. Warum denn?
Ich habe Ihnen ja auseinandergesetzt, Sie schneiden sich die Nägel, die Haut schuppt sich ab und so weiter; das geschieht alles
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in sieben bis acht Jahren. Kein Stoffteilchen haben Sie heute mehr in sich von dem, was Sie vor zehn Jahren gehabt haben. Nämlich geradeso, wie sich Ihre Haut abschuppt, so rückt immerfort ihr Inneres vom Körper fort. Sehen Sie, Ihr Körper ist ja so: oben schuppt er sich ab; dann rückt die nächste Schicht vorwärts, dann schuppt sich die wieder ab; dann rückt wieder die nächste vor-wärts, schuppt sich ab, und nach sieben bis acht Jahren ist alles abgeschuppt. Wo ist das? Wo ist der Körper, den Sie vor zehn Jahren gehabt haben? Ja, der hat denselben Weg gemacht, den, nur auf etwas kompliziertere Weise, der Leichnam macht, wenn er ins Grab gelegt wird. Der Leichnam geht in der Erde auf. Wenn Sie den Leichnam nämlich in so kleine Dinge zersplittern würden, wie die Schuppen sind, die fortwährend von Ihnen abfallen, oder wie die Nägel, die Sie sich abfallen lassen, indem Sie sie ab¬schneiden, wenn Sie den in so kleine Teilchen zerlegen würden, würden Sie auch nicht bemerken, daß der Leichnam so irgendwo-hingeht. Man könnte es wegblasen. Und so geht während der sieben bis acht Jahre der physische Körper in die Außenwelt auf.
Aber wenn man heute sich noch als ein Ich fühlt, und der phy¬sische Körper ist vor zwei bis drei Jahren schon gestorben, dann hat doch das Ich mit dem physischen Körper, wie man ihn da hat, gar nichts zu tun. So könnte man sagen. Aber sehen Sie, es hat doch so viel zu tun damit, daß, wenn Sie zum Beispiel eine Kreide nehmen, Sie sagen werden: Ich habe die Kreide genommen. Das sagt jeder Mensch. Ich hatte einen Schulkameraden - ich glaube, ich habe es ihnen schon einmal erzählt -, der war, wie er so neun¬zehn, zwanzig Jahre alt war, auf dem Wege, ein richtiger Materia¬list zu werden. Wir sind viel mit einander spazierengegangen, und er hat immer gesagt: Mir ist das ganz einleuchtend, wir haben kein Ich, wir haben nur ein Gehirn; das Gehirn denkt. - Ich sagte ihm immer: Ja, schau einmal, du sagst: Ich gehe, du sagst sogar:
Ich denke; warum lügst du denn? Wenn du wirklich die Wahrheit sagst, so müßtest du sagen: Mein Gehirn denkt! - Nicht einmal «mein» müßte man sagen, weil «mein» schon auf ein Ich hindeu¬tet; da muß schon ein Ich da sein, wenn man «mein» sagt. Die
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Menschen sagen niemals: mein Gehirn denkt, geht, nimmt die Kreide. Es fällt ihnen gar nicht ein, weil der Mensch im Leben nicht Materialist sein kann. Er würde sofort einen Unsinn sagen, wenn er Materialist sein würde.
Aber in der Theorie machen sich die Menschen den Materialis¬mus zurecht und denken nicht, daß gerade die wirkliche Wissen¬schaft weiß, daß wir ja den Körper, den wir vor acht bis zehn Jahren hatten, heute nicht mehr haben, daß also das Ich geblieben ist. Und ebenso können Sie sich zurückerinnern bis in Ihre frühe Kindheit, bis ins zweite, dritte, vierte, fünfte Jahr. Es würde Ihnen gar nicht einfallen, zu sagen, daß das nicht dasselbe Ich ist, was dazumal als Bub herumgelaufen ist. Aber nehmen wir an, Sie sind mittlerweile vierzig Jahre alt geworden; da haben Sie bis zum drei-und dreißigsten Jahre einen Körper verloren, bis zum sechsundzwan-zigsten Jahr den zweiten Körper verloren; bis zum neunzehnten Jahr den dritten Körper verloren, bis zum zwölften Jahr den vier¬ten Körper verloren, bis zum fünften Jahr den fünften Körper ver¬loren, und Ihr Ich ist immer dasselbe geblieben. Also während des ganzen Lebens auf der Erde erhält sich dieses Ich.
Dieses Ich kann aber auch etwas tun mit Ihrem Körper. Den Körper, den es verliert, kann das Ich fortwährend dirigieren. Sehen Sie, wenn ich gehe, so sind meine Beine, trotzdem sie schon alt sind, in Wirklichkeit stofflich nur höchstens sechs bis sieben Jahre alt, sonst wären sie ja schon ausgewachsen. Also die Beine sind stofflich höchstens sechs bis sieben Jahre alt; aber ich dirigiere sie mit dem alten Ich, das schon da war, als ich als Bub herumgelau¬fen bin. Das Ich, das läuft noch immer herum. Das Ich dirigiert während des Erdenlebens den Körper.
Nun habe ich Ihnen gesagt, daß das Kind in der Zeit, an die man sich nicht mehr zurückerinnert, gehen lernt, sprechen lernt, denken lernt. Man kann sich natürlich an die Zeit nicht mehr zu-rückerinnern, wo man noch nicht denken kann. Man lernt also gehen, überhaupt sich bewegen, den Körper gebrauchen, sprechen und denken. Das lernt man. Und da muß man den Körper ebenso dirigieren. Sie können nicht, wenn Sie als Kind noch auf allen
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Vieren kriechen, den Körper aufrichten ohne Ihren Willen. Wenn Sie Ihre Hand bewegen, sagt das Ich: Ich bewege die Hand -das Ich mit seinem Willen. So aber geschieht das auch im Kinde mit dem Willen, daß es sich aufrichtet. Das Kind lernt sprechen mit dem Willen. Das Kind lernt denken mit dem Willen. Also müssen wir fragen: Woher kommt es, daß das Kind das alles lernt? Und da kommen wir darauf, daß durch das ganze Erden¬leben, trotzdem der Körper fortwährend ausgetauscht wird, das Ich immer dasselbe bleibt, daß dieses Ich auch noch dasselbe ist in der Zeit, wo wir denken, wo wir sprechen und gehen gelernt haben. Da war schon dieses Ich wirksam im Körper.
Meine Herren, ich habe Ihnen erklärt, wie man eigentlich einen Körper bekommt. Sehen Sie, die Wissenschaft stellt sich vor -ich habe es Ihnen das letzte Mal anschaulich gemacht -: Nun ja, man bekommt halt den Körper von seiner Mutter, seinem Vater. Da ist er schon hergerichtet. Da ist man schon ein kleiner Mensch. Das erbt man; den Körper erbt man. - Ja, diese Wissenschaft, welche behauptet, daß man den Körper erbt, die ist nämlich in Wirklichkeit doch keinen Schuß Pulver wert, sondern es ist ja so, daß wenn Sie nur einen Knochen anschauen - Sie müssen sich jetzt erinnern an manches, was ich ihnen schon früher gesagt
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habe -, wenn Sie zum Beispiel den Oberschenkelknochen an-schauen, so finden Sie, der gibt einen wunderbaren Anblick. So ein Oberschenkelknochen hat ein ganzes Gerüst. Das Baugerüst vom
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Goetheanum war nichts gegen das schöne Gerüst, was dieser Oberschenkelknochen hat, wenn man ihn mit dem Mikroskop betrachtet, ein wunderbares Gerüst, schön gebaut.
Wenn Sie sich die Nasenspitze abschneiden - es braucht ja nur ein kleines Stückchen zu sein, nicht wahr, denn viel, das ist nicht gesund, aber man kann schon soviel abschneiden, daß es einem nicht schadet - und es im Mikroskop betrachten, so bekommen Sie wie¬derum einen solch wunderbaren Körper mit einem Gerüst, sehr schön gebaut. Sie haben gar keine Ahnung, wie schön der klein-winzigste Teil von Ihrer Nasenspitze ist! Bewundernswert schön! Und so ist es mit jedem Glied vom menschlichen Körper. Er ist schön gebaut, schön angeordnet. Der beste Bildhauer könnte es nicht besser machen.
Nur ein Gebilde gibt es im menschlichen Organismus, da muß alles zerstört werden und nur bloßer Stoff da sein - ich habe Sie schon das letzte Mal darauf aufmerksam gemacht -: das ist das Ei, aus dem der Mensch entsteht. Und bei der Befruchtung ge¬schieht noch der letzte Akt; da wird alles, was der Stoff hat an Bildung, weggemacht.
So daß man sagen kann: Der Knochen ist schön; alles einzelne ist schön. Die Nasenspitze ist nicht mehr so schön, wie der Kno¬chen, aber auch noch wunderschön. Aber das Ei, aus dem später der Mensch wird, das enthält nur einen ganz ungeordneten Stoff, weil in ihm alles zersplittert. Da ist alles Atom, da ist keine Bil¬dung drinnen. Warum?
In einen Knochen kann keine menschliche Seele ohne weiteres hineinfahren. Die abergläubischen Leute glauben zwar manchmal, daß irgendwo in ihren Knochen oder Gliedern ein kleiner Teufel sitzt. Nun ja, das ist ja manchmal in einem etwas übertragenen Sinne der Fall, aber ein Mensch kann jedenfalls nicht in einen solchen Knochen hineinfahren. Ein Mensch kann auch nicht in Ihre Nasenspitze hereinfahren.
Ich habe zwar eine Dame gekannt, die behauptete, sie habe einen kleinen Geist in ihrem linken ,kleinen Zeigefinger, und den fragte sie immer, wenn sie irgend etwas wissen wollte. Wenn sie
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spazieren gehen sollte, so fragte sie ihn, und so weiter. Aber das ist natürlich ein Unsinn, ein Aberglaube. Dasjenige, was wir uns sagen müssen, ist: In einen solchen wohlgebildeten Knochen oder auch in unsere Nasenspitze, ja, da kann kein menschliches Wesen, keine menschliche Seele, kein menschlicher Geist hineinkommen unmittelbar. Die Sache ist diese: Das menschliche Seelisch-Gei¬stige, das eigentliche Ich, kann nur in den Eikeim hineinkommen, weil da der Stoff ganz nur noch Staub ist, Weltstaub ist. Da tritt das ein, daß die Seele jetzt den Weltstaub bearbeitet mit den Kräf¬ten, die sie sich mitgebracht hat aus der geistigen Welt.
Wenn die Menschen glauben, daß einfach durch gewöhnliche Vererbung von Vater und Mutter dasjenige kommt, was der Mensch ist, dann muß man annehmen, daß der Mensch eben schon ein kleines Menschlein ist. Aber das ist ja gegen die Wis¬senschaft. Die Wissenschaft sagt ja eben, daß der Eiweißstoff ganz zerpulvert ist. Und aus diesem zerpulverten Eiweißstoff baut die Seele, die aus der geistigen, aus der übersinnlichen Welt kommt, in Wirklich'keit eben erst den Menschenkörper auf.
Nun können Sie sagen: Aber warum sieht denn das Kind der Mutter oder dem Vater ähnlich? Ja, das ist aus dem Grunde, weil das Kind immer am Nachahmen festhält. Derjenige, der da sagt:
Dieses Kind ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, der könnte nämlich auch noch etwas anderes sagen. Sehen Sie -warten wir ein bißchen mit dem Kind -, da haben wir ein Kind, das schaut, sagen wir, seinem Vater oder seiner Mutter sehr ähn¬lich, obwohl das gar nicht so ausgesprochen ist; die Kinder wer¬den später viel ähnlicher, als da sie noch ganz klein sind. Aber solche Sachen, die gehen ja die gelehrten Herrschaften nichts an. Aber, sehen Sie, warten wir ein bißchen, urteilen wir nicht schon, wenn das Kind acht oder vierzehn Tage oder einen Monat alt ist, warten wir, bis das Kind drei, vier Jahre alt ist. Da hat das Kind angefangen zu sprechen. Da kommt einer und sagt: Don¬nerwetter, der Vater ist ein Deutscher, das Kind, das fängt auch deutsch zu sprechen an, das muß es vom Vater haben; das hat es vom Vater geerbt, denn der Vater ist ein Deutscher. Das ist doch
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ganz wunderbar! Da das Kind aus dem Eikeim gekommen ist, muß die Sprache schon im Eikeim gesessen haben. Es ist nur wunder¬bar, daß das Kind, als es aus dem Eikeim gekommen ist, aus dem Leibe der Mutter, noch nicht reden konnte! Aber, nicht wahr, das Kind hat ja das Sprechen gar nicht geerbt, das Kind hat es durch Nachahmung sich angeeignet. Die Sprache ist ähnlich derjenigen von Vater und Mutter. Aber es wird keinem einfallen, zu sagen, das Kind hat die Sprache geerbt.
Ebenso ist das Gesicht ähnlich. Aber warum ist das Gesicht ähnlich? Ja, weil die Seele, wenn sie sich durch eine Mutter ge¬bären läßt oder durch einen Vater zeugen läßt, der also der Herr Müller ist, dann macht sie das Gesicht ähnlich dem Vater oder der Mutter, so wie das Kind später die Sprache ähnlich macht der Sprache von Vater und Mutter. Das müssen Sie nur bedenken. In der Sprache arbeitet sich das Kind die Laute, die Worte heraus, indem es sich ähnlich macht den Eltern oder den Erziehern. Aber noch früher arbeitet die Seele wie ein Bildhauer unbewußt an dem Gesichte oder selbst am Gang und so weiter. Und dadurch, daß das Kind in die Familie hineingeboren ist und sich ähnlich macht, wenn es noch kein Bewußtsein hat, entsteht die Ahnlich¬keit so, wie die Ähnlichkeit der Sprache entsteht.
Sehen Sie, auf diese Weise kommt man darauf, daß tatsächlich der Mensch herauskommt aus der geistigen, aus der übersinn¬lichen Welt, und sich seinen Körper mit allen Ähnlichkeiten sel¬ber aufbaut. Jetzt schauen Sie sich einmal das kleine Kind an. Das kleine Kind wird geboren. Wenn die Kinder geboren werden, kann man sie ja manchmal, trotzdem sie alle Mütter sehr schön finden, von kleinen Tierlein nicht gut unterscheiden. Nicht wahr, die Menschen sind so kleine Tierlein, wenn sie geboren werden -im Verhältnis zu später natürlich. Sie sind ja wirklich recht unan¬sehnlich, diese kleinen Kinder. Aber allmählich arbeitet das See¬lische drinnen und macht alles ähnlicher, immer ähnlicher einem Menschen, bis der Moment kommt, da das Kind gehen lernt; das heißt es findet sich, wie ich Ihnen das letzte Mal gesagt habe, in die Gleichgewichtslage der Erde hinein. Dann lernt das Kind
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sprechen. Es lernt seine Brustorgane gebrauchen, denn diese Or-gane sitzen in der Brust. Dann lernt das Kind denken, das heißt, es lernt seine Kopforgane gebrauchen.
Nun, setzen wir uns das einmal vor die Seele. Das Kind lernt gehen, das heißt Gleichgewicht halten und sich bewegen. Was lernt es denn mit dem Gehen? Nun, es lernt mit dem Gehen die Gliedmaßen gebrauchen. Aber man kann die Gliedmaßen nicht gebrauchen, ohne zugleich den Stoffwechsel zu gebrauchen. Wenn man die Gliedmaßen gebraucht, so wird immer etwas von uns ver¬brannt. Stoffe werden verbrannt. Wenn Sie nur einen Arm be¬wegen, werden da drinnen Stoffe verbrannt. Der Stoffwechsel ist mit den Gliedmaßen in Verbindung. Gehen, Gleichgewicht hal¬ten, sich bewegen hat zu tun mit dem Stoffwechsel und mit den Gliedmaßen.
Dann lernt das Kind sprechen. Womit hat denn das zu tun? Sprechen hat zu tun mit den Brustorganen, mit dem Atmen. Atmen kann das Kind auch schon, wenn es ganz klein ist. Aber mit der ausgestoßenen Luft Worte verbinden, das lernt das Kind. Also:
Brustelement, Sprechen mit der Brust. Dann kommt der Kopf, die Nerven.
Nun denken Sie, jetzt haben wir drei Glieder vom Menschen. Beachten Sie nur, drei Glieder. Erstens haben wir Gliedmaßen und Stoffwechsel, zweitens haben wir die Brust, drittens haben wir das Denken, den Kopf. Wir haben drei Glieder vom Menschen.
Jetzt wollen wir einmal das Kind betrachten. Beim Kind ist es so: Wenn es geboren wird, ist es dem erwachsenen Menschen nicht nur äußerlich unähnlich. Die Wangen sind unähnlich, die ganze Gestalt; an der Stirne ist es unähnlich; nicht wahr, das Kind ist unähnlich außen. Aber im Innern ist es erst recht unähn¬lich. Die Gehirnmasse ist schon mehr wie ein Gehirnbrei beim Kind. Und bis zum siebenten Jahre, bis das Kind die zweiten Zähne kriegt, da wird dieser Gehirnbrei wunderschön gemacht. Das menschliche ,Gehirn hat nämlich vom siebenten Jahre an einen ganz wunderbaren Aufbau. Das hat die Seele, der Geist darinnen gemacht, das Seelich-Geistige darinnen gemacht.
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Aber sehen Sie, wir könnten als Kind bis zum siebenten Jahre gar nicht dieses Gehirn so wunderschön ausbilden, wenn wir nicht fortwährend im Zusammenhang mit der Welt wären. Wenn Sie zum Beispiel ein blindgeborenes Kind haben, da sehen Sie gleich, im Gehirn, da bleiben die Sehnerven und damit ein ganzes Stück vom Gehirn eine Art Brei. Das wird nicht schön ausgebildet Wenn der Mensch taub geboren wird, bleiben die Gehörnerven, also Nerven, welche vom Ohr gehen und sich hier kreuzen (es wird gezeichnet), und dann da herüb ergehen, die bleiben auf die¬sem Weg ein Stück Gehirnbrei. Also wir können nur dadurch, daß wir die Sinne haben, in den ersten sieben Lebensjahren unser Gehirn ordentlich ausbilden.
Aber dasjenige, was Sie draußen mit Händen greifen können, das bildet Ihnen das Gehirn nicht aus. Sie könnten durch die Nasenlöcher ja meinetwillen greifbare Stoffe in das Gehirn hin-einstopfen - ruinieren würden Sie das Gehirn, aber ausbilden kann das nichts. Also alle greifbare Materie hilft Ihnen nichts bei diesem Aufbau des Gehirnes in den ersten sieben Jahren. Da kommt die feinste Materie in Betracht, die im Licht lebt zum Beispiel. Da kommt der Äther in Betracht.
Sehen Sie, das ist sehr wichtig. Durch alle unsere Sinne saugen wir den Äther ein. Was arbeitet denn also von unserem Kopfe aus? Vom Kopfe aus arbeitet im Kind, auch in den übrigen Or¬ganismus hinein, nicht der physische Leib. Der physische Leib, der arbeitet nicht beim Kinde, während das Kind so wunderbar sein Gehirn ausbildet, sondern der Ätherleib arbeitet. Der Ätherleib, von dem ich Ihnen gesagt habe, daß wir ihn noch zwei, drei Tage nach dem Tode haben, der arbeitet im Kinde, und der bewirkt im Kinde, daß der Mensch ein vollkom'menes Gehirn bekommt und dadurch ein denkender Mensch wird. So daß wir sagen können:
Der Ätherleib arbeitet im Denken.
Da haben wir das erste übersinnliche Glied des Menschen wie¬der gefunden: den Ätherleib. Der arbeitet im Denken. Das Kind könnte nicht sein Gehirn ausbilden, es könnte nicht ein mensch¬liches Gehirn in seinem Innern haben, wenn es nicht mit dem
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Äther ringsherum arbeiten könnte. Man kann später, indem man die Muskeln anstrengt, durch das Physisch-Greifbare die Muskeln stärker machen. Aber, sagen wir zum Beispiel den linken Scheitel-lappen im Gehirn, den können Sie nicht stärker machen durch ein Physisch-Greifbares. Wenn Sie den Muskel stärker machen wol¬len, so können Sie das dadurch, daß Sie ein Gewicht anhängen und es immer wieder und wieder aufheben, also die Schwere über¬winden. Aber Sie müssen durch das Sinnlich-Greifbare den Muskel stärker machen. Geradeso, wie Sie hier den Muskel haben, den Bizeps, und ihn durch das Heben und Senken von Gewichten stärker machen können, ebenso haben Sie, wenn Sie den Kopf von vorne anschauen, hier (es wird gezeichnet) einen Gehirnlappen. Der hängt da hier so herüber, wie der Arm hier hängt. Da können Sie aber kein Gewicht anhängen. Und trotzdem, es ist gar nicht zu vergleichen, was da in der Ausbildung bei dem Armmuskel geschieht, gegenüber diesem Gehirnlappen! Der ist anfangs, wenn wir in die Welt kommen, ein Brei; wenn wir sieben Jahre alt sind, ist er ganz wunderbar ausgebildet. Geradeso, wie der Armmuskel durch das Heben und Senken des Gewichtes, das heißt von etwas Greifbarem, von etwas Sichtbarem stärker wird, so wird das Gehirn stärker durch dasjenige, was im Äther ist. So wie der Mensch durch seinen physischen Leib mit der Umwelt in Verbindung steht, so steht er auch durch seinen Ätherleib mit der Umwelt in Verbin¬dung. Und von dem hat er das Denken. Durch das bildet er das Innere seines Kopfes in den ersten sieben Jahren aus.
Wenn der Mensch das Denken ausgebildet hat, dann kommt er, ich möchte sagen, auf das Sprechen wiederum zurück. Das Sprechenlernen ist etwas ganz anderes als das Denkenlernen. Das Denkenlernen, das arbeitet ja gerade an der Ausbildung unseres Körpers. Das macht uns sozusagen bildhauerisch, möchte ich sa¬gen, dieses Denken. Das arbeitet in uns, daß wir richtig bis zum siebenten Jahre ein vollkommener Mensch werden. Während die-ser Zeit lernen wir auch sprechen. Aber sehen Sie, das ist nicht möglich, daß wir das Sprechen auf die gleiche Weise lernen, wie wir das Denken lernen. Denn beim Sprechen, was geschieht denn
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da? Ja, wenn Sie ein schweres Gewicht aufheben oder furchtbar stark zuschlagen mit Ihrem Arm, da tut Ihnen der Arm weh. Weh tun heißt, ein Gefühl haben. Wir haben richtig ein Gefühl, wenn wir irgend ein Glied zu stark anstrengen und es dadurch irgend-wie etwas verletzen. Immer, wenn man einen Schmerz hat, hat man etwas, wenn auch sehr wenig, verletzt. Da hat man ein Ge¬fühl. Aber die ganze Sprache kommt ja aus dem Gefühl. Wenn Sie dem Kind zuhören, so können Sie hören, wie aus dem Gefühl heraus die Sprache kommt. Das Kind wird lernen: Ei, ei, in seiner Sprache. Was will es denn ausdrücken, wenn es sagt: Ei, ei? Es schmiegt sich an. Es hat denjenigen, zu dem es ei, ei sagt, gern. Es legt sich hin mit dem Köpfchen, wenn es ei, ei sagt. Nun, so ist es bei allen Worten; so ist es bei allem, was ausgesprochen wird:
ein Gefühl liegt zugrunde. Ja, aus dem Gehirn heraus kommt nicht das Gefühl, und aus dem, wonach sich das Gehirn ausbildet, kommt auch nicht das Gefühl.
Sehen Sie, wenn es kein Sonnenlicht gäbe, das durch unsere Augen schiene, so würde der Äther, der um uns liegt, nicht an uns arbeiten können. Wir könnten in den ersten sieben Jahren uns nicht richtig ausleben. Das Kind hat während der ersten sieben Jahre auch mehr nur Gefühl. Die Sprache lernt es durch Nach¬ahmung. Aber in dieser Nachah'mung wirkt drinnen das Fühlen, das Gefühl. Und wir müssen sagen: Das Licht kann nicht Gefühl hervorrufen. Wenn wir die Sprache durch das Fühlen lernen, so ist etwas anderes da in uns. Dasjenige, was dann in der Sprache wirkt, wodurch der Mensch sprechen kann, das ist nicht bloß der Ätherleib, das ist dann der astralische Leib des Menschen. So daß wir sagen können: Wir haben zweitens zum Sprechenlernen den astralischen Leib - das ist nur ein Ausdruck, ich könnte ebensogut anders sagen -, wir haben den astralischen Leib, der vorzugsweise in der Brust wirkt, im Atmen, das sich dann zum Sprechen umge¬staltet.
Sehen Sie, es ist immer der Glaube, daß der Mensch mit seinem physischen Leib, sagen wir, Hunger und Durst hat. Aber das ist ja ein Unsinn. Denken Sie sich einmal eine Maschine, die durch
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Wasser getrieben wird. Sie müssen der Maschine, sagen wir, ab und zu Wasser geben. Nun schön, dann geht sie wiederum eine Zeitlang, und nachher hört sie auf zu gehen. Was heißt das: die Maschine hört auf zu gehen? Das heißt, Sie müssen ihr wieder Wasser geben, Sie müssen ihr zu trinken geben. Aber die Ma¬schine hat vorher keinen Durst. Die Maschine hat keinen Durst; sie hört zwar auf zu gehen, aber einen Durst hat sie vorher nicht, sonst würde sie schreien. Das tut sie nicht. Sie hat keinen Durst.
Wie ist denn der Zusammenhang beim Menschen? Wenn das Kind Durst hat, verhält es sich nicht wie die Maschine. Es bleibt nicht bloß stehen. Im Gegenteil, das Kind fängt gewaltig an zu brüllen, wenn es Durst hat. Welcher Zusammenhang ist denn zwischen dem Dursthaben und dem Schreien? Der sitzt nicht im Stoff, der sitzt aber auch nicht im Äther. Der Äther kann den Aufbau bilden; er kann also dasjenige, was unsere Gestalt ist, bilden. Aber der Äther veranlaßt uns nicht zum Schreien. Wenn uns der Äther zum Schreien veranlassen würde, da gäbe es ein furchtbares, vielleicht nicht ein Brüllen, aber ein fortwährendes Gezische in der Welt. Denn wenn wir gucken, da ist es der Äther, der mit unserem Auge zusammen bewirkt, daß wir sehen. Der Äther geht fortwährend in unser Auge hinein. Deshalb sehen wir. Ja, aber wenn der Äther in unser Auge hineingeht, da fängt es nicht an im Auge: s-s-s-e-l -, nicht wahr, das ist nicht der Ätherleib des Menschen; der lispelt nicht. Denken Sie sich einmal, wenn dadurch schon, daß wir gucken, in einem Saal ein fortwäh¬rendes Gewisper wäre, das wäre eine schöne Geschichte! Also der Ätherleib schreit nicht, wispert nicht. Da ist noch etwas anderes, das ist der Astralleib. Und wenn das Kind Durst hat und schreit, so ist es ein Gefühl des Durstes im Astralleib. Und dieses Schreien ist dasjenige, was das Gefühl des Kindes zu unserem Ohr bringt.
Aber all das, was ich Ihnen jetzt beschrieben habe, das könnte noch nicht dazu führen, daß ich auch gehe. Denn, sehen Sie, wenn ich vom Kopfe aus durch den Ätherleib meinen Körper bilde, könnte ich mein ganzes Leben wie eine Bildsäule bleiben. Da könnte mein Körper gebildet werden, ich könnte brüllen wie ein
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Löwe; da könnte noch immer vom Astralleib aus mein Gebrüll gebildet werden. Aber wenn ich ins Gleichgewicht kommen will als Kind, wenn ich also den Willen anwenden will, daß ich gehe, daß ich greife, daß ich ins Gleichgewicht kommen kann, wo ich immer sage: Ich gehe, ich greife und so weiter, da ist es noch das Ich, das hinzukommt, das etwas anderes ist als der Ätherleib und Astralleib. Und dieses Ich, das lebt in den Gliedmaßen und im Stoffwechsel. Wenn Sie die Gliedmaßen bewegen, so ist es das Ich. So daß Sie also drei Teile vom Menschen haben außer dem physischen Leib: Sie haben den Ätherleib, den Astralleib und das Ich.
Gehen
Gliedmaßen
Ich Gleichgewichthalten Stoffwechsel
Sich-Bewegen
Astralleib Sprechen Brust
Ätherleib Denken Kopf (Nerven)
Und sehen Sie, diese drei Teile des Körpers kann man auch wahrnehmen, wenn man sich nur erst ausbildet dazu. Aber diese Ausbildung will die moderne Wissenschaft nicht. Und jetzt will ich Ihnen noch sagen, wie eigentlich die moderne Wissenschaft sich verhält, wenn sie das nicht will.
Sie haben ja alle wohl schon einmal geträumt. Während des Träumens, da glauben Sie, daß das alles Wahrheit ist. Manchmal wachen Sie mit einer heillosen Angst auf, wenn Sie zum Beispiel an einem Abgrund stehen und Schwindel bekommen und herun-terfallen. Nun wachen Sie auf, ganz schweißtriefend. Warum? Nun, weil Sie den Abgrund für Wirklichkeit gehalten haben. Sie liegen ruhig im Bett, es ist gar nicht gefährlich, aber Sie wachen auf vor der Gefahr, die Sie im Bilde gesehen haben. Denken Sie, wenn Sie Ihr ganzes Leben schlafen würden - das wäre eine nette Geschichte für manchen. Es gibt ja solche, die ihr ganzes Leben schlafen.
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Es war einmal einer, der hatte die Kopernikanische Theorie gelernt gehabt und war ein furchtbar fauler Kerl. Nun lag er einmal im Straßengraben. Da kam ein anderer vorbei und sagte:
«Warum liegst du denn da ?» «Weil ich so viel tun muß!» «Na, du Kerl, du liegst doch da, du tust doch gar nichts.» Da sagte der:
«Ich muß die Umdrehung der Erde um die Sonne mitmachen, und ich will zurückbleiben! Das ist mir unbequem, das ist mir zu viel Arbeit!»
Nicht wahr, manche Menschen möchten nicht einmal die Um-drehung der Erde um die Sonne mitmachen! Aber wir machen ja unser ganzes waches Leben mit. Sehen Sie, wenn man das ganze Leben nur träumen würde, dann könnten wir in Europa im Bett liegen, einer würde unseren Körper nehmen, vielleicht sogar mit der Bettstatt aufnehmen, damit es uns nicht aufweckt, auf ein Schiff nach Amerika bringen - das müßten natürlich En¬gel machen, weil die Menschen es nicht so leise könnten -, aber wir könnten nach Amerika spediert werden. Wir träumten da fort, das könnte alles mit uns gemacht werden, wir wissen ja gar nichts von uns. Wenn wir da träumten, würden wir niemals wissen, wie sich die Nase angreift, wie sich die linke Hand mit der rechten Hand angreift. Und dennoch, meine Herren, wir hätten ein ganzes Leben. Wenn man das ganze Leben hindurch träumen würde, es wäre etwas anderes - wir würden zum Beispiel fliegen können im Traume. Bloß auf der Erde kann man nicht fliegen; im Traume fliegt man. Wir würden uns für ganz andere Wesen halten und so weiter.
Aber bedenken Sie, eine Welt wäre ja um uns herum, wenn wir das ganze Leben träumen würden. Und wir wachen auf. Da sagen wir: Ich wache auf und es hat mir geträumt, daß ich in der Nacht - ich will gleich ein sehr vielsprechendes Beispiel neh¬men - aufgehängt worden bin, oder enthauptet worden bin. Neh¬men wir an, es träumt einem, daß er enthauptet worden sei. Nun ja, wenn man das ganze Leben träumen würde, so würde man na¬türlich immer glauben, daß man enthauptet worden ist. Es würde einem zwar nicht so viel machen wie hier. Man würde es ja vielleicht
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häufiger erleben, daß man träumt, man werde enthauptet, und man würde glauben, daß einem das nicht schade. Jetzt wacht man auf - und siehe da, man hat sich ins Bett ein Buch mitgenom¬men. Das ist, als man sich herumgewälzt hat, hinten zu liegen ge¬kommen. Nun liegt man mit dem Kopf auf dem Rand des Buches darauf, und daß man da unbequem liegt, das ko'mmt einem im Traume so vor, als wenn man enthauptet worden sei. Wenn man wach geworden ist, dann merkt man, was der Traum bedeutet; nach dem Erwachen kann man es sich erklären, woher der Traum gekommen ist.
Man muß also erst aufwachen. Aufs Aufwachen kommt es an. Menschen, die ihr ganzes Leben träumen würden, die würden die Traumwelt für ihre einzige Wirklichkeit halten. Wir fangen erst an, die Traumwelt für eine Phantasiewelt zu halten, wenn wir aufwachen.
Nun, im Bett wacht halt der Mensch von sich selber und durch die umliegende Welt, die ihn aufrüttelt, von sich selber auf. Aber aus dem Leben, in dem wir da drinnen sind, von dem wir glauben, es sei nur das Handgreifliche da, da wachen wir nur auf, wenn wir uns anstrengen. Und das, wie man da aufwacht, habe ich eben beschrieben in dem Buche: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» Geradeso, wie man aus dem Traum aufwacht und weiß, daß der Traum eine Welt ist, die vom Wachsein be¬wirkt wird, so wacht man aus dem Wachsein auf durch die höhere Erkenntnis und weiß dann, daß von dem, was man jetzt vom hö-heren Wachsein wahrnimmt, unsere gewöhnliche Welt kommt. Das weiß man eben.
Daher muß die künftige Wissenschaft darauf ausgehen, nicht immer nur fortzuträumen in der Welt, immer nur zu probieren:
Wie macht man das im Laboratorium, im physikalischen Kabinett? sondern sie muß den Menschen anleiten, nun aufzuwachen. Dann wird man nicht mehr sagen: Der Mensch ist nur ein physischer, stofflicher Körper, sondern dann wird man sagen: Der Mensch besteht aus physischem Stoff, aus dem Ätherleib, Astralleib und Ich. Und von denen kann man dann sagen: Man weiß jetzt, was
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vom Leichnam aufwachend ist, auch wenn man stirbt. Denn der Ätherleib, der mußte erst an den physischen Leib herankommen und durch den Kopf den physischen Leib gestalten. Der Astral¬leib mußte erst herankommen, mußte sich erst ein bißchen in die Brust eingraben, da lernte der Mensch sprechen. Und das Ich mußte herankommen an den physischen Leib und mußte ihn ins Gleichgewicht bringen in der äußeren Welt. Dadurch lernte er seine Gliedmaßen bewegen und den Stoffwechsel den Bewegun¬gen anpassen. Der Mensch bringt also seinen Ätherleib, seinen Astralleib und das Ich aus der geistigen Welt mit, und den chaoti-schen Stoff, der pulverisiert ist, den gestaltet er sich nach Äther-leib, Astralleib und Ich. Und das, was er mitbringt, wenn er in die Welt kommt, das trägt er wieder durch den Tod hinaus. Ich habe Ihnen schon angedeutet, wie das ist. Es ist so, daß man, wenn man nun diese höhere Wissenschaft des Aufwachens wirklich ins Auge faßt, über das Leben nach dem Tode und vor dem irdischen Leben geradeso sprechen kann, wie man über dieses Erdenleben spricht. Das wollen wir nun das nächste Mal tun. Dann wird die Frage ganz beantwortet sein, wie der Mensch sich ausnimmt, wenn er keinen Körper hat, nämlich vor der Befruchtung.
Es ist natürlich ein bißchen schwierig jetzt, aber das macht nichts. Denn daß es schwer ist, das kommt nur davon her, daß niemals die Menschen schon in ihrer Jugend auf diese Sachen vor¬bereitet werden. Würden sie vorbereitet, so würde es ihnen gar nicht schwer werden. Der Mensch muß sich heute, ich möchte sagen, abmühen, damit er dasjenige noch später erlernen kann, was in der Jugend dem Menschen nicht vorbereitet wird. Aber wenn Sie sehen, daß die heutigen Menschen es nur dazu bringen, daß sie sagen: Der Heerführer ist nur die Zusammenfassung von einer Kompanie Soldaten, dann werden sie auch sehen, daß die heutige Wissenschaft es schon braucht, ausgebessert zu werden. Und das ist dann dasjenige, was wirklich dazu führt, das Über¬sinnliche zu begreifen.
ACHTER VORTRAG Dornach, 9. April 1923
#G349-1961-SE138 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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ACHTER VORTRAG
Dornach, 9. April 1923
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Wollen wir nun weiter versuchen, die Dinge auszuführen, die wir in der letzten Zeit besprochen haben. Ich sagte Ihnen mehr so im allgemeinen, wie sich eigentlich dieses Geistig-Seelische des Men-schen zum sinnlich-physischen Leben verhält. Nun will ich Ihnen das heute noch weiter ausführen. Ich habe Sie ja darauf aufmerk-sam gemacht, daß, wenn man über diese Dinge etwas wissen will, man nicht sagen kann: Ja, der Verstand, den ich einmal habe, der muß alles entscheiden, und was er nicht entscheiden kann, das gibt es nicht. - Man muß eben 4aran denken, daß man ja auch im gewöhnlichen Leben eine Entwickelung durchgemacht hat. Denken Sie sich nur einmal, wie es wäre, wenn wir auf der Stufe eines dreijährigen Kindes stehengeblieben wären! Wir würden die Welt ganz anders ansehen. Ein dreijähriges Kind sieht die Welt ganz anders an als ein erwachsener Mensch. Das dreijährige Kind, das läßt sich allerlei beibringen. Es schläft ja eigentlich noch in bezug auf das Leben. Das dreijährige Kind kann ja noch nicht einmal ordentlich sprechen; es läßt sich die Sprache beibringen. Überhaupt ist das dreijährige Kind bescheiden und nicht hoch¬näsig. Es läßt sich etwas beibringen. Es wäre wahrscheinlich nicht so bescheiden, wenn es nicht halb schliefe, und würde sagen:
Warum soll man denn lernen? Wir wissen ja schon alles! - So sagt aber der heutige Mensch: Wir wissen ja schon alles; und da wir mit unserem Verstande das Geistig-Seelische nicht ein¬sehen, so gibt es eben kein Geistig-Seelisches.
Nun, wenn ich als dreijähriges Kind sagen würde: Ich will nichts weiter lernen; wenn ich sage: Papa, Mama, und noch ein paar andere Dinge, Rühräpfel und so weiter, so ist das schon ge¬nug - so wäre das ein Kinderstandpunkt. Aber wenn man schon den gewöhnlichen Menschenverstand sich angeeignet hat, kann man wirklich noch etwas in sich ausbilden. Und wenn man nun die gewöhnlichen Erkenntniskräfte noch weiter ausbildet, dann
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kommt es dazu, daß man eben einen solchen Sprung, möchte ich sagen, durchmacht, wie derjenige ist vom kleinen Kind bis zum erwachsenen Menschen. Das alles hängt natürlich davon ab, daß man die Einsicht bekommt, und daß man sie schon von Grund auf in die ganze Erziehung des Menschen hineinträgt. Heute kann der Mensch gar nicht anders, als in dieser Beziehung hochnäsig sein und sagen: Ich weiß schon alles, und was ich nicht weiß, das geht mich nichts an. Heute kann der Mensch gar nicht anders, als das sagen, weil er schon von der Volksschule an so erzogen ist, daß er dem Verstand, den man einmal hat, alles zuschreibt und von dem andern sagt: Nun ja, da kann man glauben daran, aber das kann man nicht erkennen.
Sehen Sie, man muß sich nur ganz klar darüber sein, daß es wirklich ein solches Erwachen gibt von dem gewöhnlichen alltäg-lichen Leben zu einem wirklichen Wissen, wie es ein Erwachen gibt vom Schlafen und Träumen zum gewöhnlichen Leben. Sie müssen sich etwas bekannt machen damit, daß man über die Welt erst wirklich etwas wissen kann, wenn man von einem höheren Standpunkte aus dasjenige, was sich abspielt, durchschaut, gerade-so wie vom Wachstandpunkt aus man den Traum durchschauen muß. Man weiß erst dann, daß der Traum keine Wirklichkeit ist, daß der Traum etwas ist, was vom wachen Leben abhängt, wenn man wach werden kann. Ich habe Ihnen schon letzthin gesagt:
Wenn man niemals wach werden könnte, würde man dasjenige, was man träumt, für die einzige Wirklichkeit halten.
Nun wollen wir aber sehen, was denn der Traum eigentlich ist. Über den Traum haben ja die Leute furchtbar viel nach¬gedacht. Aber eigentlich ist alles dasjenige, was über den Traum geredet wird, im Grunde genommen eine Art Gefasel. Es ist wirk¬lich eine Art Gefasel, denn die Menschen können sagen: Nun ja, wenn dann das Gehirn nur ein klein bißchen in Schwingungen kommt, dann träumt eben der Mensch. Ja, warum kommt denn das Gehirn nur ein klein bißchen in &hwingung? - Also das¬jenige, was über den Traum gesagt wird, ist eigentlich eine Art Beweisen. Wenn Sie sich aber klar darüber sind, daß der Mensch
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nicht nur diesen physischen Leib hat, den man im Leben sieht und angreifen kann, sondern daß er eben noch diejenigen Wesens-seiten hat, auf die ich Sie aufmerksam gemacht habe, daß der Mensch noch einen Ätherleib hat, einen astralischen Leib und ein Ich, und wenn Sie sich dann sagen: eben dieser astralische Leib und das Ich, die sind im Schlafe außerhalb des physischen Leibes und des Ätherleibes, dann können Sie sich erstens erklären, warum der Mensch im Schlafe nicht geht. Er geht nicht, weil das Ich nicht im physischen Leib drinnen ist. Sie können sich auch erklä¬ren, warum das kleine Kind nicht geht. Weil das Ich noch nicht erwacht ist beim kleinen Kind. Also Sie können sich erklären, warum der Mensch geht: Er geht, weil das Ich in seinen phy¬sischen Körper hineinschlüpft. Sie können sich auch erklären, warum der Mensch im &hlafe nicht denkt. Er denkt nicht, weil der astralische Leib nicht in seinem physischen Leib drinnen ist.
Nicht wahr, das zeigt Ihnen, daß man sozusagen unterscheiden muß zwischen dem, was physischer Leib ist und Ätherleib - die liegen im Bett - und dem Ich und dem astralischen Leib, die im Schlafe draußen sind.
Jetzt denken Sie sich einmal, wie es ist, wenn man aufwacht oder einschläft. Wenn man einschläft, da ist es so, daß gerade das Ich und der astralische Leib herausgehen. Es gibt also auch einmal einen Zustand, wo sie halb drinnen sind im Herausgehen. Nachher kommt erst der Zustand, wo sie ganz draußen sind, das Ich und der astralische Leib. Also solch einen Zustand gibt es auch, wo sie noch halb drinnen und schon halb draußen sind. Da träumt man.
Man glaubt sonst nur, daß man träumt während der Nacht. Eigentlich träumt man nur beim Einschlafen und Aufwachen. Und was träumt man denn da? Ja, sehen Sie, die Leute glauben, daß man da träumt aus dem Grunde, weil man im Wachen sein Ge¬hirn gebraucht - so sagen die heutigen Gelehrten -, aber im Schlafe nur sein Rückenmark gebraucht. So meinen die Leute.
Aber diese Leute können überhaupt gar nicht beobachten! Neh¬men Sie einmal einen richtigen Traum. Nehmen Sie zum Beispiel
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den Traum von einer Feuersbrunst. Sie träumen von einer ganzen Feuersbrunst; Sie träumen von allem möglichen. Und Sie wachen auf - da schreit man draußen: «Feurio !» Sie haben in Wirklich¬keit nichts anderes wahrgenommen - von Feuer und so weiter haben Sie ja nichts gewußt -; also Sie haben, weil das Ohr da offen ist, gerade dieses «Feurio!» halb und halb gehört. Da brin¬gen Sie das, weil Sie das gewöhnt sind, mit dem Feuer zusammen, aber so halb und halb, dunkel. Und dasjenige, was Sie vom Feuer träumen, das kann unter Umständen etwas ganz anderes sein als das, was Sie sehen. Sie können zum Beispiel träumen, daß das Feuer von einem Vulkanausbruch herrühre. Sie können etwas ganz anderes träumen. Und wenn Sie von etwas träumen, was Sie vor vielen Jahren erlebt haben, dann werden Sie wissen, wie ver¬worren der Traum ist. Sie haben vielleicht als kleiner Junge, sagen wir, irgendwie mit einem anderen einen kleinen Streit gehabt. Nun träumen Sie nach Jahren von diesem Streit; aber Sie träumen so davon, als ob Sie erschlagen worden wären, oder daß Sie den andern erschlagen hätten. Der Traum verwirrt alles. Und das kön-nen Sie überall beim Traum wahrnehmen, daß er alles verwirrt macht.
Nun, wenn wir beim Einschlafen träumen, dann bleibt die Ge-schichte verwirrt. Wenn wir beim Aufwachen träumen, dann kor-rigiert es sich, weil wir wirklich das sehen, was da vorliegt. Wir haben davon geträumt, daß uns einer ermordet. Er steckt uns einen Knäuel in den Mund; nachher kommt er mit irgendeinem Instrument - wir wachen auf und haben unglückseligerweise einen Zipfel der Bettdecke in den Mund gekriegt.
Sie sehen, der Traum nimmt einen kleinen Anlaß, und setzt vieles dazu und verwirrt die Geschichte. Wenn zum Beispiel die Luft schlecht ist in dem Zimmer, in dem Sie schlafen, dann verspü¬ren Sie das sogenannte Alpdrücken. Aber Sie sagen sich im Traume nicht: Da ist die Luft schlecht, da kann ich keinen guten Schlaf bekommen -, sondern Sie bekommen den Eindruck, als ob ein böser Geist auf Ihrer Brust sitze und drücken würde. Sie ken¬nen ja alle die Sache von der Trut. Die beruht darauf, daß man
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schlechte Luft in die Lunge bekommen hat. Das Alpdrücken be¬ruht darauf.
Worauf beruht denn das Träumen?
Nun, nehmen wir jetzt den Aufwachetraum. Da ist es so, daß das Ich und der astralische Leib gerade hineinrutschen und noch nicht ganz drinnen sind. Das sind die Träume, von denen wir am meisten wissen. Wenn Sie ganz drinnen sind in Ihrem physischen Leibe, gucken Sie aus Ihren Augen heraus. Wenn Sie aber nicht ganz drinnen sind, gucken Sie nicht aus Ihren Augen heraus. Sie müssen sich vorstellen: Wenn Sie hereingehen in Ihren physischen Leib, dann drehen Sie sich gewissermaßen um und gucken aus Ihren Augen heraus. Wenn Sie aber noch halb draußen sind, gehen Sie durch Ihre Augen hindurch, schlüpfen so durch Ihre Augen durch, und da sehen Sie alles undeutlich. Da knüpfen Sie allerlei verwirrte Phantasievorstellungen an. Aber etwas anderes haben wir nicht, wenn wir vom Nachtschlaf in unseren Körper hereingehen, als diese verwirrten Vorstellungen. Und wie kriegen wir sie überhaupt zurecht? Wir kriegen sie nicht zurecht. Nur un¬ser Körper macht sie uns zurecht. Sonst würden wir ewig den feuerspeienden Vesuv sehen, wenn wir draußen «Feurio» hören würden. Unsere Augen sind so wunderbar eingerichtet, daß wir durch sie erst das Richtige sehen können. Das heißt, wir würden uns das ganze Leben hindurch nur allerlei phantastischen Dingen hingeben, wenn wir das ganze Leben außer dem Körper wären. Der Körper ist es, der es macht, daß wir das Leben ordentlich sehen können.
Also Sie sehen, wenn wir uns anschauen außerhalb unseres Kör-pers, da sind wir in Wirklichkeit innerlich in unserem Ich und in unserer Seele; wir sind Phantasten, die sich allerlei verworrene Vorstellungen in ihrem Ich machen, und die nun jeden Morgen im Körper, wenn wir aufwachen, zurechtgerückt werden müssen. Unser Körper ist es, dem wir es verdanken, daß wir die Dinge ordentlich sehen. Eigentlich sind wir im Erdenleben Phantasten. Der Traum zeigt uns, wie wir in Wirklichkeit im Erdenleben sind.
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Wenn man nun dazu kommt, die Dinge wirklich einzusehen dadurch, daß man noch in einer gewissen Weise später auf¬gewacht ist in bezug auf sein Erkennen, da sieht man erst recht:
Der Mensch ist in seinem Erdenleben das, was er träumt. Er ist eigentlich ein Phantast, und er muß sich durch den Körper immer zurechtrücken lassen. Und wenn er ganz schläft, so ist er eigent¬lich ganz ohnmächtig. Da kann er gar nichts von der Welt wahr¬nehmen. Nur wenn er ein Stückchen von seinem Körper hat, so nimmt er die Welt phantastisch wahr.
Aber gerade, wenn man das weiß, so sagt man sich: Was ist denn eigentlich der Traum? Was zeigt denn eigentlich der Traum? Der Traum zeigt uns, daß wir eigentlich von unserem Körper gar nichts wissen; denn wüßten wir etwas, so könnten wir auch ordentlich sehen, was draußen ist. Wir könnten in Gedanken und im Geiste die Augen nachbilden. Aber wir können das nicht; wir sind erst angewiesen darauf, daß uns unser Körper die Kraft der Augen gibt. Also zeigt uns der Traum, wie wenig wir von un¬serem Körper wissen.
Nun erinnern Sie sich aber, daß ich ja letzthin gesagt habe, wir müssen uns ja diesen Körper selber machen. Vererbung ist nichts. Dasjenige, was vorliegt, wenn der Mensch sein Dasein auf Erden beginnt, das ist, wie ich Ihnen auseinandergesetzt habe, eine zu Staub zermürbte Materie. Da muß erst das Geistig-Seelische hin¬ein. Der Mensch muß sich erst seine ganze Materie selber auf¬bauen. Wenn er den Traum versteht, weiß er, daß er das nicht kann. Und wenn man dazu kommt, den Traum zu durchschauen, lernt man noch etwas anderes.
Denken Sie einmal nach darüber, wie schwer es ist, sich in die ersten Kinderjahre zurückzuversetzen. Da fällt einem plötzlich ein Ereignis ein, von dem man weiß: Das hat mir die Mutter nicht er-zählt, das habe ich selber gesehen. Bei dem einen Menschen fällt es ins dritte Jahr, bei dem andern ins vierte Jahr und so weiter. Ja, meine Herren, vorher hat man ja ganz geschlafen, richtig ge-schlafen. Aber wenn man so ein dreijähriges Kind betrachtet, das eigentlich noch richtig schläft - denn man erinnert sich ja nicht
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zurück, geradeso wie man sich an den gewöhnlichen Schlaf nicht zurückerinnert -, wenn Sie dieses dreijährige Kind in bezug auf das Leben betrachten, so kann das etwas, was man später nicht mehr kann.
Ich habe Ihnen gesagt: Bis zum Zahnwechsel, bis zum siebenten Jahr wird das Gehirn fein aufgebaut. Schauen Sie sich ein Gehirn von einem Kinde an, das eben geboren worden ist, und ein Gehirn von einem Siebenjährigen Kinde. Da ist etwas vorgegangen bei diesem siebenjährigen Kinde, was gearbeitet hat an diesem Ge¬hirn. Das Gehirn selber kann nichts machen. Das Gehirn ist wie eine Dynamomaschine. Eine Dynamomaschine entwickelt den Magnetismus, und die ganze Bewegung der Fabrik wird abhängig von dieser Dynamomaschine. Aber da muß erst der elektrische Strom durchgehen, sonst steht sie still, diese Dynamomaschine. Das Gehirn steht still, wenn nicht der Strom des seelischen Lebens durchgeht. Beim Kind geht viel mächtiger der Strom des see¬lischen Lebens durch, denn das Kind arbeitet bis zum Zahnwech¬sel hin das ganze Gehirn aus, und am allermeisten in den aller-ersten Lebensjahren. Deshalb habe ich Ihnen erzählt, daß Jean Paul, der ein sehr gescheiter Mensch war, sagte: Der Mensch lernt in seinen ersten drei Jahren viel mehr, als in seinen drei Universi¬tätsjahren. Es ist viel kunstvoller, was man da arbeiten muß, als was man jemals später äußerlich zu arbeiten hat.
Da sagt man sich: Ja, das haben wir gehabt; das ist uns verloren gegangen. Gerade als wir bewußt geworden sind, ist uns dieses innere seelische Arbeiten verlorengegangen. Das haben wir nicht mehr. Und derjenige, der zu dieser Erkenntnis kommt, der merkt, daß er das immer weniger kann. Wenn man sich später die Gabe er¬ringt, zurückzuschauen ins Leben, da wird es einem ganz schwum¬merig von dem, was da vorgegangen ist. Denn als man ein vier-zehnjähriger Junge war, hat man vielleicht noch etwas von dem gekonnt, was man in Hülle und Fülle gekonnt hat, als man ein dreijähriges Kind war oder gar gerade geboren worden ist. Da konnte man am meisten; mit vierzehn Jahren konnte man schon viel weniger davon. Ist man dreißig Jahre geworden, da kann man
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gerade noch so viel, daß man verdauen kann - aber man kann nicht mehr etwas ausarbeiten. Ist man fünfzig oder sechzig Jahre geworden, dann ist man mit Bezug auf diese Arbeit, mit der man den menschlichen Körper ausarbeitet, erst ein richtiger Esel ge-worden. Man wird sich erst klar darüber, ein wie großer Esel man im Laufe des Erdenlebens wird! Das ist nämlich notwendig, daß man darauf kommt: Machst du die Lebenszeit von zwanzig bis dreißig Jahren durch, so verlierst du etwas von deiner Weisheit. Machst Du die Lebenszeit von dreißig bis vierzig Jahren durch, da verlierst du schon gar viel mehr. Und nachher, da ist man schon ein furchtbarer Esel mit Bezug auf alles dasjenige, was man inner¬lich verarbeiten soll.
Fängt man aber mit der Erkenntnis an, wenn man sich die Fä¬higkeit aneignet, zurückzuschauen ins Leben, so wird man eigent¬lich von Respekt erfüllt, was man für ein gescheites Wesen war, als man ein ganz kleines Kind war. Da war man einmal furchtbar häßlich; aber man hat alles umändern können, wenn man ein hä߬licher Kerl gewesen ist. Mit fünfzehn Jahren kann man sich nicht mehr schön machen. Als kleines Kind kann man gerade das alles. Kleine Kinder können das.
Also das ist wichtig, daß man merkt: Was bist du für ein Esel geworden im Laufe deines Lebens. Das ist eine wichtige Seite des Lebens. Man wird nicht unbescheiden dabei, sondern ein furcht¬bar bescheidener Mensch. Man merkt beim richtigen Erkennen:
Als du ein kleines Kind warst, bist du eigenthch auf dem Esel ge-sessen und hast den Esel selber angetrieben. Jetzt, da du ein alter Kerl geworden bist, hast du dich in den Esel selber verwandelt. -Sehen Sie, man muß sich so drastisch ausdrücken, sonst wird es nicht deutlich.
Auf diese Weise kommt man auch darauf, was der Traum be¬deutet. Sie werden es selbst schon erlebt haben; im Traume kann man sogar meinen, daß man der Kaiser von China ist oder irgend etwas anderes. Man kann alles mögliche träumen. Aber was zeigt uns denn der Traum? Da muß man nur den Traum verfolgen, wie er im Laufe des Erdenlebens sich verändert.
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Kleine Kinder träumen ja ganz wunderbar. Kleinkinderträume zeigen einem noch, daß das Kind in sich noch die Kräfte hat, sei¬nen Körper zu gestalten. Sie sind richtig kosmisch. Das Kind träumt von dem, was es erlebt hat, bevor es auf die Erde herunter-gestiegen ist, weil diese Kräfte noch in ihm sind. Die braucht es, um sein Gehirn auszubilden. Wenn Sie dieses wunderbar gestal¬tete Gehirn haben, das so im obersten Schädel drinnen ist (es wird gezeichnet), dann hat es da das Auge, aber da hier sind die Ner¬ven, die man braucht, um zu sehen. Das alles muß man fein aus-arbeiten. Das muß ganz fein ausgearbeitet werden. Ja, das kann man nicht ausarbeiten mit dem Erdenwissen. Mit dem Erden. wissen kann man hier und da Maschinen ausarbeiten; aber mit dem Erdenwissen kann man nicht das Gehirn ausarbeiten. Bei den Kleinkinderträumen sieht man noch genau: die haben in ihrem Traum das, wie sie ihr Gehirn ausarbeiten. Später werden die Träume auch sehr merkwürdig, wenn der Mensch nicht ein geord¬netes Leben führt; sie werden immer ungeordneter. Und daß der Traum verwirrt ist, das rührt eigentlich davon her, daß man so we¬nig von seinem physischen Leibe weiß, weil man nicht drinnen steckt.
Also das ist der Grund, daß man so wenig von seinem phy¬sischen Leibe weiß, weil man dasjenige, was man als Weisheit mitbekommen hat, als man ins Erdenleben heruntergestiegen ist. im Laufe des Lebens verloren hat, in Seelenhaftigkeit verwandelt hat. Wenn man aufgewacht ist und sich sagt: Nun, wenn du das alles glaubst, was du jetzt geträumt hast - daß du der Kaiser von China bist -, so bist du natürlich ein Esel. Aber wir selber können gar nichts anderes, als Seelenhaftigkeit entwickeln, weil wir den Körper nicht haben. Indem wir nicht drinnenstecken, können wir gar nicht anders, als daß der Traum uns verwirrt. Wir haben die Fähigkeit ganz verloren, die wir als kleine Kinder gehabt haben, unseren Körper richtig aufzubauen. Er muß uns von außen kom¬men. Wenn wir aufwachen, kommt er uns von außen. Aber wenn wir wieder herunterkommen auf die Erde, kommt er uns nicht von außen. Da kommt uns von außen eine zerstörte Materie im Ei ent¬gegen. Die müssen wir Stück für Stück aufbauen.
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Das müssen wir nämlich alles lernen zwischen zwei Erdenleben. Zwischen zwei Erdenleben müssen wir lernen, was der träumende Mensch werden kann. Sehen Sie, es gibt Feinde und Gegner der Anthroposophie, die sagen: Ach, das sind ja doch nur Leute, die träumen wollen; allerlei phantastische Sachen machen sie sich über die Welt zurecht. - Ja, aber die Anthroposophie besteht ja gerade darinnen, daß man nichts mehr auf den Traum gibt, weil der Traum zeigt, daß wir das nicht können, was wir können, wenn wir ins Erdenleben hereintreten, wenn wir her eintreten mit diesem dunklen, unbewußten Wissen, das wir als kleines Kind haben. Da sind wir uns klar darüber, daß wir uns das in einer Welt ange¬eignet haben, die nicht die Welt auf Erden ist, denn in der Welt auf Erden können wir uns nur zu Phantasten bilden in bezug auf unser eigentliches Ich. So schön diese Welt ist, wir können uns nur zu Phantasten bilden in bezug auf unser eigentliches Ich. Die Beziehung zu unserem Körper, das ganze Verhältnis zu unserem Körper, das müssen wir uns in einer anderen Welt aneignen.
Nun will ich Ihnen sagen, daß derjenige, der das Ganze durch¬schaut und also auch einsieht, wie das Eselwerden immer weiter und weiter vorrückt, weiß: Dieses Wissen verlieren ist leicht. Nun, es ist ja dies nicht viel anders, als wenn einer eine Prüfung macht. Wenn einer eine Prüfung macht, dann ochst er oftmals zwei Jahre daraufhin. Vergessen hat er es wiederum geschwind, furchtbar geschwind. So ist es nämlich auch mit dem Wissen, das wir brauchen, um unseren Körper aufzubauen: vergessen können wir es schnell. Nur ist da das «Schnell» etwas anderes als bei einer Prüfung, einem Examen. Das «Schnell» ist unser ganzes Erden-leben. Wenn wir gestorben sind, haben wir ungefähr vergessen, was wir bei unserer Geburt heruntergebracht haben ins physische Leben. Unsere Lebenszeit ist ungefähr die Vergessenszeit.
Nun denken Sie einmal, der eine von Ihnen hat eine Erinnerung von dem Erlebnis: Da bist du aufwachsend als Kind; woran du dich zu allererst erinnerst, das ist gewesen, sagen wir, als ich vier Jahre alt war. Nehmen Sie an, er ist schon sechzig Jahre alt gewor¬den, und er erinnert sich mit sechzig Jahren zurück an ein Ereignis,
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wo er gerade vier Jahre alt war. Nun hat er sechsundfünfzig Jahre gebraucht nach diesen vier Jahren, um zu vergessen, um innerlich zu vergessen. Sechsundfünfzig Jahre lang ist das Vergessen immer stärker und stärker geworden. Er ist sechsundfünfzig Jahre lang immer mehr und mehr ein Esel geworden. Wievielmal mehr Zeit hat er also gebraucht zum Vergessen dessen, was er noch bis zum vierten Jahre gehabt hat? Nun, er hat sovielmal mehr gebraucht, als 4 in 56 enthalten ist: vierzehnmal seine erste Kindeszeit hat er gebraucht, um zu vergessen. Wenn er sechzig Jahre alt geworden ist, so braucht er wiederum vierzehnmal so lang, um sich in der geistigen Welt das wiederzugewinnen, was er da vergessen hat. Also er braucht 60 mal 14 Jahre, 840 Jahre. Dann hat er sich wie-derum in der geistigen Welt die Fähigkeit erworben, so etwas zu haben, wie das kleine Kind in seinen ersten vier Jahren gehabt hat, um aufzubauen. Das heißt nach 840 Jahren kann er wiederum auf die Erde kommen.
Dies kann man sich nur dann mit voller Verantwortung aus-rechnen, wie ich es Ihnen jetzt an die Tafel hingeschrieben habe, wenn man sich klar wird darüber, daß das so ist, wenn man prüfen kann dasjenige, was in den Träumen liegt, wie die Träume einen immer mehr und mehr entfernen von der geistigen Welt.
Und sehen Sie, wenn einer herumgeht und zu einer bestimmten Zeit überhaupt nicht hineinkann in seinen physischen Leib, dann ist er ein Medium. Wenn einer zur rechten Zeit in seinen phy¬sischen Leib hineinkommt und ihn wieder gebraucht, nun ja, dann ist er ein normaler Mensch. Wenn aber einer immerfort in dem Zustand herumgeht, ohne daß das Ich in den physischen Leib hin-eingegangen ist - man kann ja sogar als Nachtwandler herum-gehen; sogar sprechen kann man als Nachtwandler, oder wenn man im Bett liegt, sprechen -, dann braucht man sich nicht dar¬über zu verwundern; denn wenn man, sagen wir, eine Kugel wirft, und es ist alles eben, so rollt sie auch allein weiter. So kann unter Umständen, wenn der Mensch nicht ganz gesund ist, wenn alles leicht geht bei ihm, wenn sein Körper nicht die richtige Festigkeit hat, die Tätigkeit, die sonst im Bewußtsein ist, noch nachwirken.
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Dann ist aber der Mensch ein Automat. Ein Nachtwandler ist kein Mensch, sondern ein Automat. Und einer, der aus dem Schlaf spricht, spricht auch nichts Menschliches. Versuchen Sie es nur einmal: Sie können, weil einer eben aus dem Schlafe spricht, die dümmsten Sachen hören, weil er ein Automat wird, und sein Ich und seine Seele nicht in seinem Leib drinnen sind.
Aber wenn das halb der Fall ist, wenn der Mensch nur halb ein Automat ist - das Hineinrücken geschieht nämlich so, daß der Mensch von der hinteren Seite des Gehirnes aus nach vorne hin-einrückt - wenn da der Mensch nur halb hineinrückt, so kann er die Augen schließen, und dann nimmt er, weil da hinten die Seh¬nerven sind, etwas wahr, was aber phantastisch ist. Und dann kann er einem auch allerlei Phantastisches vorreden, denn, nicht wahr, er sieht nicht, sondern er bekommt die Bilder. Das Gehör sitzt da. Und der Sprach sinn, der sitzt da (es wird gezeichnet). Da kann er Ihnen auch vorreden. Die Medien reden daher, aber sie sind nicht in der Welt drinnen. Daher ist gar nichts auf dasjenige zu geben, was die Medien sagen, weil sie halb in ihrem physischen Leibe sind. Gar' nichts ist darauf zu geben. Dasjenige, was die Medien sagen, das ist eben nur das, was der Mensch in seiner - ich muß den Ausdruck immer wieder gebrauchen - in seiner Seelenhaftig¬keit wahrnimmt.
Ja, ich habe aber auch schon von Medien gehört, die wirklich großartige Dinge sagen. Das ist auch wahr, die Medien sagen manchmal großartige Dinge; aber das braucht einen nicht zu ver-wundern. Denn, sehen Sie, wenn zum Beispiel irgendwo ein star¬kes Erdbeben ausbricht, dann wandern zunächst die Tiere aus; die Menschen bleiben und lassen sich vom Erdbeben zugrunde rich¬ten. Die Tiere sind von vornherein prophetisch, weil der Ver¬stand überall ist; sie haben den Verstand noch nicht in sich hin-eingeschoppt. So ist das Medium etwas, was bis zum Tier herun-tersteigt. Es kann wunderbare Sachen sagen, sogar Verse machen, die schöner sind ak die Goetheschen Verse - nun ja, weil es her-untersteigt bis zum Tierverstand.
Bei demjenigen, der nach anthroposophischer Art zur Erkenntnis
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kommen soll, ist das Entgegengesetzte der Fall. Der darf nicht nur halb hineinrücken wie in seinen Träumen, sondern er muß alles so wissen, wie es der andere Mensch weiß, und außerdem noch das, was man wissen kann, wenn man ein zweites Mal auf¬wacht. Wenn man eben dieses zweite Mal aufwacht, dann be¬kommt man eine Vorstellung davon, wie das ist. Man sagt sich:
Ja, wenn du in deinem Erdenleben dich ein wenig damit beschäf¬tigt hast, den Menschen kennen zu lernen, so hilft dir das nach dem Tode. Dann wird man es leichter haben nach dem Tode, den menschlichen Leib wiederum kennen zu lernen. Aber das, was man kennen lernen muß zwischen dem Tod und einer neuen Ge¬burt, ist eben das Innere des menschlichen Leibes. Und da müssen Sie sich schon klar darüber sein: es ist sehr viel, die Welt kennen zu lernen. Die Studenten schwitzen recht stark, wenn sie die äußere Welt kennenlernen sollen, wenn sie berechnen lernen sollen, wie die Sterne kreisen und so weiter; wenn sie berechnen lernen sollen, wie die Erde ausgeschaut hat, als noch nicht die jetzigen Krebse und so weiter waren. Da gibt es viel zu lernen. Ja, aber dieses, was man da zu lernen hat auf der Erde über das, was außerhalb des Menschen liegt, das ist nichts gegen das, was man zu lernen hat innerlich am Menschen.
Nun werden Sie sagen: Ja, aber man lernt doch innerlich am Menschen, wenn der Mensch tot ist; da lernt man doch alles am Menschen. Man zerschnitzelt ihn, den Menschen, und man lernt am Leichnam, wie der Mensch eben innerlich ausschaut. - Aber das ist ein großer Unterschied. Mit dem ganzen Wissen, das Sie am Leichnam erzielen, können Sie nämlich niemals einen lebendigen Menschen zustande kriegen. Natürlich, um ihn zustande zu krie¬gen, ist die Empfängnis notwendig. Aber in der Empfängnis, da wirkt der Mensch, der erst gelernt hat in der geistigen Welt zwi¬schen dem Tod und einer neuen Geburt - der wirkt mit. Man kann auf der Erde sich nur eine Erkenntnis über dasjenige, was tot ist, erwerben. Man kann sich nicht eine Erkenntnis erwerben über dasjenige, was lebendig ist, oder gar über dasjenige, was empfin¬det und denkt.
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Und daß ich Ihnen diese Zahlen hier aufgeschrieben habe, das würde ich nicht gewagt haben, wenn nicht eben für die höhere Erkenntnis das vorläge, daß man sieht, wie der Mensch sich während seines Erdenlebens immer mehr und mehr von der gei-stigen Welt entfernt. Wenn er alt wird, hat er sich am meisten entfernt. Wenn er noch ein Kind ist - nehmen wir an, er stirbt mit sechzehn Jahren - ja, dann ist das anders, wenn er sich bis zu sei-nem vierten Jahr zurückerinnert. Er stirbt vielleicht mit 16 Jahren, erinnert sich zurück 12 Jahre, das ist 3 mal 4, und wenn er 16 Jahre alt geworden ist, braucht er also eigentlich nur 48 Jahre, um wie-derum zu erscheinen. Es ist schon so, daß man das bis zu der Rech-nung bringen kann!
Nun kriegt man aber etwas höchst Merkwürdiges heraus, meine Herren. Das ist dieses: Sie wissen ja, man zählt immer seit alten Zeiten das Patriarchenalter zu etwa 72 Jahren. Wenn der Mensch 72 Jahre alt geworden ist, so sind die Jahre darüber eigentlich schon geschenkt. Nicht wahr, das ist das Patriarch enalter, 72 Jahre. Nehmen wir nun an, ein solcher Patriarch wäre ein ganz vorzüg-licher Mensch, wie es solche ja in alten Zeiten auch gegeben hat. Wir, die wir heute so unaufmerksam sind, wir erinnern uns ja sehr wenig zurück in unsere Kindheit. Aber diese Leute, die haben sich zurückerinnert bis zum dritten oder zweiten Lebensjahr. Und dann haben sie also zum Vergessen der Kindesweisheit, der übersinn-lichen Weisheit, 70 Jahre gehabt. Da drinnen ist 2 35 mal enthal¬ten. Sie gehen also eine Zeit durch, wo sie in der geistigen Welt sind - wenn sie 72 Jahre alt geworden sind, sich weit zurück-erinnern, viel länger als heute -, die 35 mal 72 Jahre ist, das ist also über 2000 Jahre.
Sehen Sie, wenn Sie die Sonne im Frühling beobachten, so geht sie jetzt im Sternbild der Fische auf. Früher einmal ist sie im Sternbild des Widders aufgegangen. Im Kalender steht nämlich heute noch der Widder als Aufgangspunkt. Aber das stimmt nicht. Die Sonne ist nämlich im Sternbild des Widders bis zum 15. Jahrhundert aufgegangen. Da hat man mit Recht gesagt: die Sonne geht im Sternbild des Widders auf. Und seitdem sind die
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Astronomen faul geworden, und sie behalten das bei, trotzdem die Sonne heute gar nicht mehr im Sternbild des Widders aufgeht, sondern im Sternbild der Fische.
Nehmen Sie an, das Sternbild der Fische, das hat eine gewisse Größe. Es gibt zwölf solcher Sternbilder. Wenn die Sonne nun im nächsten Jahr heraufkommt, so ist sie, wie gesagt, am 21. März irgendwo im Sternbild der Fische. Und wenn Sie sie im nächsten Jahr beobachten, so ist sie ein Stückchen weitergerückt, kommt nicht mehr an derselben Stelle herauf, und im vorigen Jahr war sie ein Stückchen weiter zurück, kam auch nicht an derselben Stelle herauf, wie in diesem Jahr. Die Sonne braucht eine gewisse Zeit, um das Sternbild zu durchlaufen. Zunächst war sie ganz im Anfang der Fische, und nachher, in der Zukunft einmal, wird sie am Ende der Fische sein. Dann wird sie so weit vorgerückt sein, daß sie nicht mehr bei den Fischen herauskommt, sondern beim Wassermann. Also jetzt geht sie durch das Sternbild der Fische durch, dann später durch das Sternbild des Wassermanns, noch später durch das Sternbild des Steinbocks und so weiter. Um durch ein solches Sternbild durchzugehen, braucht die Sonne ungefähr so lange, als der Mensch durchschnittlich braucht, wenn er ganz alt geworden ist, um wiederzukommen.
Das bedeutet also sehr viel, daß die Sonne einmal vorrückt von einem Sternbild zum andern. Ich habe in meiner «Geheimwissen-schaft» zunächst dargelegt, daß das mit dem Sonnenumgang zu-sammenhängt, wie der Mensch wiederkommt. Und wir dürfen da-her annehmen - die Erkenntnis zeigt uns das auch -, daß der Nfensch, wenn er jetzt stirbt, dasjenige, was er zu lernen hat, um seinen Körper wieder aufzubauen, eben von den Einwirkungen der Fische bekommt. Und dann kommt er wieder, wenn er von den Fischen nichts mehr lernen kann, sondern vom Wassermann lernen muß. Und dann kommt er wieder, wenn er vom Steinbock lernen muß. Dann wiederum vom Schützen. Und dann wiederum kommt er, wenn er vom Skorpion lernen muß. Und dann wie¬derum, wenn er von der Waage lernen muß; dann von der Jung¬frau, dann vom Löwen, dann vom Krebs, dann von den Zwillin¬gen,
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dann von dem Stier, dann von dem Widder. Dann kommt er wieder an den Anfang zurück. Da hat er aber natürlich viel ge¬lernt. Da ist er in 25 815 Jahren einmal herumgegangen und hat zwölf Erdenleben ungefähr durchgemacht, elf bis zwölf Erden-leben durchgemacht. Wird nun einer sagen: Ja, da sagst du uns, der Mensch lernt dasjenige, was er auf der Erde braucht, immer von einem anderen Sternbild, von einem Sternbild, das ganz an¬ders ausschaut. - Wenn Sie hinaufschauen zu den Fischen, so sehen die ganz anders aus als zum Beispiel der Wassermann oder der Steinbock und so weiter.
Aber denken Sie sich, Sie waren da vor, sagen wir, 800, 1000, 1500, 2000 Jahren. Da war es ja auf der Erde noch ganz anders. Da hätten Sie ein ganz anderes Leben geführt. Vielleicht wären Sie da irgendein ganz kleiner, zufriedener Bauer gewesen, hätten sich ein Bäuchlein angemästet und wären ein ganz zufriedener Kerl geworden. Jetzt sind Sie in der industriellen Arbeiterbewe¬gung. Das ist dasjenige, was Sie gelernt haben von den Fischen. Dazumal, als Sie sich das Bäuchlein angemästet hätten und ein zufriedener Bauer gewesen wären, hätten Sie das vom Widder gelernt. So lernt der Mensch das, was er auf Erden durchmacht, gerade von den Sternbildern.
Sehen Sie, jetzt kommen wir dazu, zu sagen: Der Mensch kommt allmählich herum. Wenn Sie also zum Beispiel 825 nach Christo dagewesen wären, also im neunten Jahrhundert, da wären Sie dieses Bäuerlein mit dem dicken Bäuchlein gewesen; jetzt sind Sie unter dem Einfluß der Fische wiedergekommen. Aber wenn Sie da herumgehen und nach 25 815 Jahren, nach dem ganzen Um¬gang, wiederum bei den Fischen ankommen, haben Sie mittler¬weile so viel gelernt, daß Sie nicht mehr das zu werden brauchen, was Sie vorher gewesen sind, sondern Sie stehen jetzt als Men¬schenwesen auf einer viel höheren Stufe. Das muß man sich eben sagen: Nach 25 815 Jahren, wenn wir gerade wiederum auf die Erde herunterwollen, da werden wir es nämlich nicht mehr nötig haben, so auf die Erde herunterzugehen, weil wir alles in einem entsprechenden Sternbild gelernt haben.
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Und sehen Sie, da kommt das in Betracht, worauf ich Sie schon einmal aufmerksam gemacht habe. Diejenigen, die heute Geologie gelernt haben auf sehr gelehrte Weise, die erzählen einem: Vor 25 Millionen Jahren, da war es auf der Erde so und so. Nun, wie kommen denn die Leute darauf, daß vor 25 Millionen Jahren die Erde ein flüssiger Körper war? Ich habe Ihnen auch von ähn¬lichem gesprochen, aber nicht von so langen Zeiträumen. Wie kommen die Leute darauf?
Sie prüfen zum Beispiel den Niagarafall. Der Wasserfall stürzt herunter. Jetzt nehmen sie den Stein, über den er da gerollt ist, heraus und rechnen aus, wieviel er im Jahr abgewaschen wird, und dann rechnen sie aus: wenn da im Jahre so und viel ab¬gewaschen wird, wie weit hinausgegangen der Stein sein kann, als das Wasser noch nicht zu Wasser abgefüllt war, sondern als Dunst vorhanden war. Und daraus bekommen sie dann diese 25 Millionen von Jahren.
Das ist geradeso, wie wenn ich das Herz eines Menschen unter-suche. Heute ist der 9. April. Untersuchen wir heute das Herz, dann in einem Monat wiederum, dann hat es sich schon ein biß-chen verändert; nachher, wieder in einem Monat, hat es sich wie¬der etwas verändert. Und aus diesen kleinen Veränderungen rech¬nen wir aus und kommen darauf, wie das Herz vor 300 Jahren war. Gut, aber da hat es ja noch nicht bestanden. Die Rechnung ist richtig. So sind die wissenschaftlichen Rechnungen oftmals:
Die Rechnung ist richtig, aber die Dinge waren noch nicht da. Und so ist es mit dem, wie die Erde vor 25 Millionen Jahren aus-geschaut hat. Die Rechnung stimmt ganz genau, aber die Erde war noch nicht da. Und so rechnet man dann auch aus, wie die Erde nach 25 Millionen Jahren sein wird. Da rechnet man eben nach der anderen Seite. Aber da wird die Erde nicht mehr bestehen. Geradeso wie beim Herzen, das jeden Tag ein bißchen schlechter und schlechter wird, man sich ausrechnen kann, wie es in 300 Jah-ren sein wird, nur daß Sie in 300 Jahren als physischer Mensch nicht mehr da sein werden. Die Rechnungen sind ganz richtig. Das ist ja gerade das Blendende, das Täuschende, daß die Rechnungen
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furchtbar richtig sind; aber der Mensch dauert nicht so lange, als die Rechnungen angeben. Wenn Sie wiedererscheinen nach 25 815 Jahren, da hat sich die Erde inzwischen aufgelöst, und Sie haben über'haupt schon finden müssen in Ihren aufeinanderfolgenden Leben, wie Sie anders sich in die Erde hineinfinden müssen. Da ist die Erde nicht mehr; da sind Sie von der Erde befreit. Da sind Sie zu einem höheren Leben aufgestiegen.
Und so kann man, wenn man wirklich eindringt in die Sache, richtig wissenschaftlich in die Zeit hineinsehen, wo der Mensch es noch braucht, daß er eine Reihe von Erdenleben durch¬macht, dann aber nicht mehr auf die Erde zurückzukehren braucht. Dann muß er so viel gelernt haben, daß er es eben nun aushalten kann, wenn er nicht mehr einen physischen Körper be¬kommt. Aber da muß der Mensch allmählich dazu gekommen sein, nicht mehr so verrückte Träume zu haben wie heute, und muß überhaupt sich nicht mehr so weit von der geistigen Welt entfernt haben.
Da bekommen Sie aber ein sehr wichtiges Resultat heraus, meine Herren. Da müssen Sie sich sagen: Diejenigen Menschen, die sich sträuben gegen die Bekanntschaft mit der geistigen Welt, die wollen nicht das Wissen herankommen lassen an die Mensch¬heit. Die wollen, daß der Mensch ein Esel bleibt auf der Erde, und nicht wiederum zurückkehren kann. Denn dadurch, daß er sich schon auf der Erde etwas angeeignet hat über den Menschen und zwar etwas Lebendiges, nicht bloß ein Wissen am toten Körper, dadurch kommt er auch immer mehr und mehr in die Lage, be¬wußt zu durchschauen nach dem Tode, was er da durchzumachen hat.
Dann, wenn der Mensch, wie es gewisse Dunkelmänner wollen, weil er auf der Erde einmal ein Esel werden muß, auch ein Esel bleiben soll, dann verleiten ihn diese Dunkelmänner dazu, daß er überhaupt sein geistiges Dasein verliert. Sie reden ihm die ewige Seligkeit vor. Aber so, wie sie ihm die Seligkeit vorreden, so neh¬men sie ihm eben dasjenige, was ihm zugeteilt ist. So muß man eben reden; das ist etwas Furchtbares!
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Deshalb muß Anthroposophie dem Menschen zeigen, wie er wirklich der Erkenntnis gemäß ist, damit er auch wiederum fähig werde, in die geistige Welt hineinzukommen. Das ist es, sehen Sie, daß wirklich die Anthroposophie schon eine große Menschheits-aufgabe und eine große soziale Bedeutung hat. Denn es wird ja auch der ganze Verstand weggehen. Und wenn der Verstand nur dadurch drinnen bleiben will, daß man als Menschenweisheit das auftischt, was von der Leiche kommt, so kommt eben das, was gekommen ist: daß die Menschheit in einer solchen Finsternis lebt und gar nicht weiß, was sie machen soll. Man muß zum Beispiel, um hinauszukommen über das ewige Kongressebilden und so wei¬ter, um wiederum zu etwas zu kommen, schon den Menschen richtig aufwecken. Aber aufwachen, das hassen die Leute. Denn, nicht wahr, wenn man sich an Versammlungstischen zusammen¬setzt, kommt es nicht bloß darauf an, daß man sich zusammen¬setzt, sondern daß man etwas Vernünftiges redet; währenddem die Menschen heute so sind, daß sie eben nicht zugeben, daß sie erst sich zum Aufwachen finden müssen, etwas ihren Verstand beweglich machen müssen, damit sie auch wiederum eine Emp-findung bekommen können für die soziale Frage. Deshalb ist alles ubrige im Grunde genommen nur ein Kleistern. Dasjenige aber, was notwendig ist, das ist, daß wirklich die Menschen zu einer Erkenntnis ihres innerlichen Wesens schon auf dieser Erde kom-men, daß sie vorbereitet sind für das, was sie in der geistigen Welt zu tun haben. Das ist schon so.
Es fällt der Anthroposophie gar nicht ein, den einzelnen zu be-kehren. Der einzelne kann nichts tun, aber viele; und Anthropo-sophie will nur dazu verhelfen, daß viele Menschen ein richtiges Wissen erwerben. Dann wird es auf dieser Erde möglich sein, tat-sächlich bessere Zeiten heraufzubringen.
Ich wollte Ihnen dies auch noch sagen, meine Herren. Jetzt muß ich ja nach Zürich, St. Gallen und Winterthur fahren. Wenn ich wieder zurück bin, werde ich mit diesen Vorträgen wieder fortfahren. Vielleicht können Sie sich inzwischen einiges über¬legen, was Sie fragen wollen.
NEUNTER VORTRAG Dornach, 14. April 1923
#G349-1961-SE157 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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NEUNTER VORTRAG
Dornach, 14. April 1923
#TX
Heute möchte ich Ihnen zunächst eine ganz interessante Geschichte erzählen, die sich vor Zeugen abgespielt hat, so daß sie wissenschaftlich nicht angefochten werden kann. Da war einmal ein Fischer, der hielt seine Angel, ärgerte sich nach einiger Zeit, daß absolut nichts anbeißen wollte, bis dann plötzlich ein furcht¬barer Ruck kam. Etwas ganz Schweres biß an. Er hielt die Angel heraus und war schon sehr froh, daß er jetzt einen großen Fisch gefangen habe. Was zog er aber heraus? Eine sehr große Schild¬kröte.
Nun, diese große Schildkröte, die blieb aber an der Angel, die hatte den Angelhaken verschluckt. Der war in ihrem Bauch drin¬nen, und der Fischer kriegte ihn jetzt nicht heraus. Die Schildkröte zog den Kopf noch etwas zurück. Er redete zunächst der Schild¬kröte gut zu, aber die ließ sich gar nicht bewegen, den Angelhaken wieder von sich zu lassen. Da blieb ihm nichts anderes übrig, als, er hielt sie am Schwanz und an den Beinen fest, schnitt ihr mit seinem scharfen Messer den Kopf ab und ließ sie dann herunter-fallen.
Sie werden alle zugeben: Wenn das einem Menschen passiert ware - sagen wir zum Beispiel während der französischen Revo¬lution oder irgend sonst bei anderem Köpfen -, nun ja, der wäre eine Leiche gewesen. Was hat die Schildkröte getan? Die Schild-kröte richtete sich auf, marschierte ruhig wieder ins Wasser hinein und verschwand darin. Es hat ihr gar nichts gemacht, daß ihr der Kopf abgeschnitten war.
Also Sie sehen daraus, diese Schildkröte brauchte zum weiteren Fortleben zunächst überhaupt ihren Kopf nicht. Wie lange sie noch gelebt hat, das ist natürlich dazumal nicht konstatiert wor¬den, aber immerhin, Sie sehen daraus: zu alledem, was zum Bei¬spiel Laufen ist, braucht die Schildkröte überhaupt nicht ihren Kopf. Sie kann laufen, ohne daß sie ihren Kopf hat.
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Ich habe Ihnen viele Geschichten erzählt, daß Tiere alles mög¬liche tun, furchtbar Verständiges tun, und Sie können aus dieser Geschichte mit der Schildkröte schließen, daß die Tiere das durch-aus nicht mit ihrem Kopf tun, denn man kann einer Schildkröte ruhig ihren Kopf abschneiden, sie macht ihre Bewegungen und alles andere ordentlich weiter. Die Schildkröte lief ja auch nicht blind weg, sondern schnurstracks ins Wasser hinein, wo sie hergekom¬men war. Sie hätte das mit dem Kopf nicht besser machen können.
Nun könnten Sie sagen: Das ist ein einmaliger Fall. Aber es ist nicht ein einmaliger Fall, denn diese Versuche sind gemacht wor¬den. Derjenige, der die ganze Sache geistig sehen kann, der braucht eigentlich diese Versuche nicht. Aber diese Versuche wer¬den fortwährend angeführt, um der Sache zu widersprechen. Sie widersprechen ihr nicht, sondern sie bestätigen sie gerade. Die Versuche, die ich Ihnen jetzt erzähle, sind unzählige Male gemacht worden. Man nimmt einen Frosch und schneidet ihm den Kopf ab mit einem Rasiermesser. Nun ist der Frosch ohne Kopf da. Man setzt ihn wieder auf den Tisch. Zunächst benimmt er sich außerordentlich impertinent ohne Kopf. Er läßt sich vorne etwas sinken, und hinten, ganz impertinent mit dem Hinterkörper, hebt er sich hoch und hüpft von der Stelle. Aber wenn Sie jetzt eine ätzende Säure nehmen und den Frosch da an der Seite etwas be¬netzen (es wird gezeichnet) - der kopflose Frosch ist dann da, hat da seine Beine, nur hat er keinen Kopf -, wenn Sie ihn also etwas benetzen mit einer ätzenden Säure, was also sonst weh tut da nimmt der Frosch zunächst sein Hinterbein und kratzt sich da, ohne Kopf. Das kann man immer wiederholen - der Frosch nimmt sein Hinterbein und kratzt sich da, ohne Kopf. Und wenn sie noch mehr Säure nehmen, dann nimmt er auch noch das Vor¬derbein zuhilfe. Dann natürlich neigt er sich nach der Seite. Wenn Sie noch mehr drauf bringen, nimmt er auch noch das Bein von der anderen Seite zuhilfe. Dann kippt er natürlich um. Also Sie sehen, der Frosch ohne Kopf, der macht alles dasjenige, was er sonst machen würde, ganz gleichgültig, ob er einen Kopf hat oder keinen Kopf hat.
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Nicht wahr, Sie sehen also daraus: Wenn wir unter die Säuge¬tiere herunterkommen zu den niederen Tieren, dann machen diese niederen Tiere ohne Kopf richtig ganz dasselbe, was der Mensch und was die höheren Säugetiere mit dem Kopf machen.
Nun müssen wir uns jetzt aber ganz klar darüber sein, was da eigentlich vorliegt. Es ist damit etwas erwiesen. Erwiesen ist, daß wir zu alledem, wenn wir selber hier einen Schmerz haben, die Hand aufheben und uns reiben, dazu den Kopf nicht brauchen, denn das kann der Frosch ohne Kopf tun. Das ist also damit er-wiesen, daß man das ohne Kopf tun kann. Wir haben also durch¬aus den Kopf nicht dazu, daß wir uns kratzen; wir haben den Kopf nicht dazu, daß wir gehen, laufen. Denn die Schildkröte oder der Frosch, die laufen ohne Kopf. Also zum Gehen brauchen wir gar nicht den Kopf. Wir können zwar die Geschichte von der Fabel nicht ganz erfüllen, die mit dem faulen Franz, die Sie ja kennen, der zu faul war zum Gehen, aber sehr fleißig war beim Essen. Da hat ihm einmal einer geraten, er soll mit dem Maul gehen und mit den Füßen essen, um sich eine andere Gewohnheit anzueignen. Das geht natürlich nicht, aber die Sache ist doch so, daß wir zum Gehen den Kopf absolut nicht brauchen. Auch zum Händebewegen brauchen wir unseren Kopf nicht. Wozu braucht denn der Mensch und die höheren Tiere den Kopf? Was ist der Unterschied - jetzt in bezug auf den Kopf - zwischen dem Men¬schen und den höheren Tieren gegenüber den niederen Tieren? Ja, der Unterschied ist der, daß die höheren Tiere und die Men¬schen sterben, wenn sie ihren Kopf nicht haben, aber der Frosch, die Schildkröte und alle niederen Tiere leben bleiben. Wenn Sie noch niederere Tiere nehmen, zum Beispiel Würmer - die können Sie in der Mitte auseinanderschneiden -, da fängt überhaupt jede Tierhälfte für sich an zu laufen. Also Sie sehen, den Kopf braucht man absolut nicht zu demjenigen, was eigentlich der Körper tut. Aber das Schlimme ist halt das, daß man den Kopf braucht zum Leben als höheres Tier oder als Mensch. Und da man ihn zum Leben braucht, so stirbt man, wenn man ihn nicht mehr hat. Nicht, weil man keinen Kopf hat, reibt man sich nicht mehr die
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Säure ab, wenn man als Mensch damit bestrichen wird, sondern weil man stirbt ohne Kopf. Der Mensch reibt sich nicht mehr die Säure ab, wenn ihm der Kopf abgeschnitten wird. Der Mensch hätte sich anders benommen, wenn er einen Angelhaken ver¬schluckt hätte und ihm der Kopf abgeschnitten worden wäre. Überhaupt wäre schon vorher etwas anderes passiert als bei der Schildkröte.
Da können wir also sagen: Bei den höheren Tieren und bei den Menschen ist alles das, was mit dem Kopf zusammenhängt, gar nicht die Ursache, daß wir mit unserem Körper die Bewegungen ausführen, sondern dem Kopf danken wir lediglich, daß wir leben. Wenn wir ihn nicht mehr haben, leben wir eben nicht mehr. Also das Leben sitzt im Kopf bei den höheren Tieren. Bei den niederen Tieren, da sitzt das Leben eben in allen einzelnen Glie¬dern des Körpers.
Nun will ich Ihnen aber noch etwas anderes sagen, woraus Sie sehen können, daß wiederum auch zwischen den höheren Tieren und zwischen dem Menschen ein großer Unterschied ist in bezug auf all das, was diesem Kopf und dieser ganzen Organisation an-gehört.
Sie haben gewiß schon diese etwas unangenehme Erkrankung bei den Kindern kennengelernt, die man Keuchhusten nennt; Krampfhusten nennt man es in einzelnen Gegenden. So für das momentane Kindesalter ist eigentlich der Krampfhusten nicht so etwas Schlimmes, denn er wird in der Regel wieder gut. Das Schlimme ist eigentlich dasjenige, was zurückbleibt, wenn man sich nicht ordentlich benimmt - also die Ärzte oder wer sonst dafür verantwortlich ist -, während der Keuchhusten, der Krampfhusten da ist. Da kann nämlich das Folgende geschehen. Worin besteht der Keuchhusten? Der Keuchhusten besteht näm¬lich darin, daß die Einatmung immer ordentlich bleibt - Sie kön¬nen ein Kind haben mit noch so starkem Keuchhusten: es atmet ordentlich ein; das kann man konstatieren, wenn man die Sache untersucht -; wenn nun aber die Luft bei der Ausatmung wieder heraus will, da bleibt sie stocken, da geht sie nicht ordentlich heraus,
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und da kommt dann der Hustenanfall. Und weil die Luft nicht ordentlich heraus kann, kann keine frische Luft herein, und dadurch kommt dieser Keuchhusten; darin besteht er.
Was liegt aber zugrunde, wenn das Kind Keuchhusten be¬kommt? Sehen Sie, da liegt das zugrunde, daß die innere Schleim-haut von dem Atmungswerkzeug, von diesen Röhren, die nach der Lunge und wieder heraus gehen, furchtbar empfindlich wird. Wenn die Luft hereingeht, da geht sie auch über die empfind¬lichen Stellen weg, denn da drinnen ist der Brustkasten leer, und in die Leere können Sie immer Luft eingießen. Da brauchen Sie nur an die Luftpumpe zu denken. Die Luftpumpe besteht ja darin, daß man hier einen Glassturz hat (es wird gezeichnet); aus dem pumpt man die Luft aus. Jetzt ist er luftleer. Da kann man dann zuerst eine unterstützende Öffnung haben. Wenn man jetzt den Stöpsel herausnimmt, dann schießt mit einem Pfiff die Luft her¬ein. Da braucht unter dem Glassturz gar nichts anderes da zu sein als leerer Raum. Wenn unsere Luft ausgeatmet ist, so ist in unserer Lunge der luftleere Raum; also schießt die Luft von selber herein. Es. ist nicht irgendwie etwas Besonderes zu veranstalten, daß man die Luft hereinkriegt. So braucht man sich nicht zu wun¬dern, daß durch die empfindliche Luftröhre eben auch die Luft hereinschießt, denn die Luft spürt das nicht. Aber wenn Sie aus der Luftpumpe die Luft wieder heraus haben wollen, da müssen Sie etwas tun, da müssen Sie sie herauspumpen. Ebenso müssen Sie die Luft herausstoßen, die drinnen ist in der Lunge. Nun sind aber die Atmungsröhren beim Kind empfindlich geworden. Sie sind geradeso empfindlich, wie wenn man sich irgendwo auf-kratzt. So ist das Innere der Atmungsröhren ein bißchen auf¬gekratzt, sie sind empfindlich. Statt daß nun der Willensstoß, der die Luft heraustreibt, die Luft herausbringt, kratzt er an der Luft¬röhre, beschäftigt sich, statt mit dem Heraustreiben der Luft, mit dem Kratzen an der empfindlichen Stelle. Sehen Sie, während das Kind kratzen will, vergißt es, die Luft herauszutreiben, und dann stockt die Luft drinnen. Dann kommen diese Stöße vom Keuchhusten. Der Körper will dann gewaltsam die Luft heraustreiben,
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während im Leben das, was ich Ihnen neulich den Astral¬leib genannt habe, die Luft herausstößt. Da können Sie genau unterscheiden, wenn Sie ein Kind mit Krampfhusten anschauen, wo der physische Leib ist und wo der Astralleib ist. Wenn das Kind keinen Krampfhustenstoß hat, stößt der Astralleib die Luft heraus; der Körper wird gar nicht belästigt. Wenn es Keuch¬husten hat, ist da eine empfindliche Stelle. Der astralische Leib will wegkratzen; der physische Leib muß erst in Aktion kommen und muß krampfhaft die Luft ausstoßen. Dadurch kann sogar eine Verkrampfung zustande kommen, und daraus kann wieder eine Folgekrankheit entstehen.
Sie sehen also, es ist durchaus nicht so, daß man sagen kann, der physische Körper macht alles. Da kann man den Keuchhusten nie verstehen. Wenn einer Keuchhusten bekommen hat, da ist etwas Merkwürdiges vorzustellen. Da ist vorzustellen: Wie ist denn da eigentlich sein Astralleib geworden? Sein Astralleib ist kopflos geworden, nämlich so, wie beim Frosch der andere Teil des Astralleib es! Wie der Frosch mit seinem Bein wetzt, so wetzt der Astralleib innerlich in der Luftröhre, und der physische Kör¬per, der muß sich dann der Luft entledigen. Man kann das also ganz genau unterscheiden.
Nun können Sie aber doch sagen: Gib uns irgendeinen Beweis dafür, daß da wirklich der Astralleib, also das Seelische, beteiligt ist. Da will ich Ihnen erzählen, was passieren kann, wenn ein Kind Keuchhusten gehabt hat und also empfindliche Stellen in den Luftröhren hat und immer dann der astralische Leib das ab-putzen will, das Kind also diese Krampfanfälle bekommt. Neh¬men Sie einmal an, während das Kind den Keuchhusten gehabt hat, hätten die Eltern eine Katze gekauft, oder eine Katze sei zu-gelaufen - ich erzähle Ihnen durchaus etwas, was oft vorkommt. Während das Kind Keuchhusten hatte, haben die Eltern eine Katze oder einen Hund gekauft. Dadurch ist das Kind empfind¬lich geworden für die ausgeatmete Luft von Hund oder Katze. Es wär es nicht geworden, wenn es nicht gerade diese empfind¬liche Stelle gehabt hätte. Jetzt ist es empfindlich geworden wäh¬rend
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des Keuchhustens. Nun, der Keuchhusten heilt ab, aber es bleibt etwas Merkwürdiges manchmal zurück. Wenn das Kind bisher nicht an die Katze gewöhnt ist, und eine Katze kommt ins Haus während des Keuchhustens des Kindes, da bleibt das zurück, daß dann das betreffende Kind etwas bekommt - wenn es gerade geheilt ist, tritt es nicht gleich auf, aber es tritt später dasjenige auf, was man Asthma nennt, eine sich immerfort wiederholende Atemnot.
Nun, wenn diese Atemnot auftaucht - Asthma ist ja etwas, was periodisch auftaucht, es kommt und geht -, dann kann man untersuchen, und man findet manchmal etwas Merkwürdiges. Bei einem Mann kommt zum Beispiel gerade das Asthma, und man weiß zunächst nicht, woher. Wenn man aufmerksam ist, ent¬deckt man, wenn eine Katze in seiner Nähe oder im Zimmer ist, daß er wiederum vom Asthma befallen wird. Tut man die Katze weg, heilt das Asthma wieder. Da, sehen Sie, wird er erinnert, und er braucht dazu nicht seinen Kopf. Er braucht gar nicht zu wis¬sen, daß die Katze im Zimmer ist. Die Katze kann im Zimmer sein, er weiß nichts davon, aber er kriegt das Asthma.
Ja, ich kann Ihnen noch einen grandioseren Fall erzählen, einen Fall, der ganz merkwürdig ist. Da hat es einmal ein Kind gegeben, das hatte solch einen Keuchhusten gekriegt, und in der Zeit, in der es den Keuchhusten hatte, wurde gerade im Hause viel Buch-weizen gegessen. Dadurch wurde das Kind für Buchweizen beson-ders empfindlich und kriegte eine Neigung, gewissermaßen ein Talent für Asthma jedesmal, wenn Buchweizen im Zimmer war, ja nur im Hause war. Und da hat sich einmal etwas sehr Merk-würdiges zugetragen, als er schon ein erwachsener Junge war, schon Student der Medizin war. Er wohnte oben im höchsten Stockwerk. Unten im niedersten Stockwerk, zwei Treppen tiefer, da war die Küche. Einmal bekam nun der Junge oben Asthma, furchtbares Asthma. So hatte er es früher nur bekommen, wenn Buchweizen im Hause war. Nun war man natürlich furchtbar un-glücklich. Man hatte allen Köchinnen verboten, daß sie irgend eine Speise mit Buchweizen machen. Buchweizen sollte gar nicht
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ins Haus kommen. Was war geschehen? Eine neue Köchin war da, die das nicht gewußt hat. Sie hat unten im Erdgeschoß Buch-weizen gehabt, und der junge Student hat oben im zweiten Stock Asthma bekommen! Solche Dinge schauen aus, wie wenn sie ein Märchen wären. Sie sind aber durchaus wahr.
Und jetzt werden Sie auch begreifen, wie das menschliche Ge-sundsein und Kranksein mit der ganzen Umgebung überhaupt zusammenhängt. Es ist nicht einerlei für unsere Gesundheit, ob zum Beispiel in unserer Umgebung Ratten sind oder nicht. Sehen Sie, die Geschichte, die ich Ihnen erzählt habe von den Katzen, die kennt man so genau - für Katzen sind nämlich gerade die menschlichen Luftorgane von großer Empfindlichkeit -, daß es sogar einen Namen dafür gibt in der Medizin. Sie finden in den medizinischen Büchern durchaus den Namen «Katzenasthma». Das ist das Asthma, das Leute kriegen, wenn Katzen in der Nähe sind. Es gibt natürlich viele Arten von Asthma.
Die Sache ist aber doch wirklich so, daß man sagen muß: Ein Hund oder eine Katze oder gar der Buchweizen ist oftmals für den normalen Menschen etwas ganz Selbstverständliches, wenn sie in der Nähe sind. Das macht nur einen Eindruck auf sein See¬lisches. Wenn aber irgendwo das Seelische nicht in Ordnung ist, dann macht es ganz unbewußt einen Eindruck auf sein Seelisches. Was ist denn nun eigentlich geschehen mit einem Menschen, der entweder Katz enasthma oder Buchweizenasthma bekommt?
Nun, der Keuchhusten kann in folgender Weise wieder geheilt werden. Nehmen wir an, man ist ein Kind, hat eine empfindliche Luftröhre; die Luftröhren sind irgendwie durch Kohlenstaub etwas aufgereizt. Dadurch kann ja gleich der Keuchhusten ent¬stehen. Solche Sachen entstehen von ganz winzigen Kleinigkeiten. Das Kind hat also aufgereizte Luftröhren. Was geschieht, wenn in dieser Weise eine Körperstelle verletzt ist? Das können Sie ja sehen, wenn Sie sich schneiden. Wenn da bloß ein physischer Kör¬per wäre, da würde Ihnen das ja doch nicht weh tun können. Den¬ken Sie sich, Sie ziehen einen recht dicken Fäustlingfinger an. Sie können den Fäustling ganz so bilden, wie die Haut. Da
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können Sie hereinschneiden, es tut Ihnen nicht weh. Aber warum tut Ihnen die Hand weh, wenn Sie sich hereinschneiden? Ja, die Hand tut Ihnen weh, weil da außerdem, daß der physische Körper da ist, noch der Astralleib drinnen ist. Der Astralleib ist gewöhnt, drinnen zu sein. Wenn Sie nun in den physischen Körper herein-schneiden - den Astralleib, den können Sie nicht zerschneiden; jetzt merkt der auf einmal: Donnerwetter, da ist kein physischer Leib! Das paßt nicht zusammen! Das tut weh. Sehen Sie, weh tun kann einem nur das, was der astralische Leib ist. Das tut weh, bis es wieder zusammengeheilt ist.
Also die Geschichte liegt doch so, daß da, wo etwas verletzt ist, der astralische Leib sich selbst überlassen wird. Er kommt her¬aus aus dem physischen Leib.
Nun denken Sie sich, man bekommt diese Ritze, diesen Schrund da drinnen in der Luftröhre; da wird der astralische Leib etwas frei in der Luftröhre. Nun kann die Heilung so geschehen, wenn man ganz vorsichtig heilt. Sagen wir, man hat ein keuchhustendes Kind, man legt es zuerst ins Bett und läßt es ordentlich schwitzen
- man kann die Sache Schrift für Schritt beobachten -, da kommt es in Hitze. Mit der Hitze vereinigt sich der astralische Leib leicht, mit der Kälte schwer. Wenn Sie es draußen oder nur im kalten Zimmer herumlaufen lassen, da kann der astralische Leib nicht an den physischen Leib heran, weil die Wärme nicht da ist. Wenn Sie das Kind aber besonders warm einpacken - die Leute machen das instinktiv; oftmals binden sie einen Strumpf um den Hals her¬um, der die Wärme zusammenhält -, da fängt der Astralleib an, von der Wärme angezogen zu werden. Von etwas anderem, von Wasser und Luft, wird der astralische Leib nicht angezogen, aber von der Wärme wird er angezogen. Wenn Sie also auf diese Weise eine Zeitlang das Kind haben liegen lassen, und der astra¬lische Leib ist von der Wärme immer angezogen worden, dann hat er sich wieder gerichtet nach dem Glied hier (es wird gezeichnet). Dann müssen Sie einen Lappen nehmen und auf den Lappen etwas warmes Wasser geben, in dem ein paar Tropfen Zitronensaft drinnen sind, und den Lappen herumlegen. Das zieht zusammen
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dasjenige, was da aufgereizt ist, und das nimmt dann wiederum den astralischen Leib auf, und Sie können den Keuchhusten gut abheilen. Sie müssen das alles nur richtig der Reihe nach machen.
Beim Heilen kommt es sehr darauf an, daß man den ganzen Menschen durchschauen kann, und daß man die Dinge richtig der Reihe nach macht. - Und dann muß man während der ganzen Prozedur sehr dafür sorgen, daß das Kind nicht erschrickt. Denn wenn das Kind erschrickt, dann kommt immer der astralische Leib etwas heraus, und dadurch machen Sie die ganze Heilprozedur wiederum rückgängig.
Nun, wenn man also richtig heilt, dann kann der Keuchhusten ablaufen und das Kind kriegt später kein Asthma. Wenn man aber verkehrt heilt, sehen Sie, dann heilt zwar diese «Schrunde» in der Luftröhre zusammen, das Kind ist scheinbar gesund, aber der astralische Leib ist nicht ganz hereingegangen, bleibt immer ein bißchen draußen. Wenn der Mensch nun sehr schwächlich ist, wenn das Kind ein Schwächling ist, dann kriegt es gleich Asthma, weil immer nicht ordentlich ausgeatmet wird. Es ist ja jetzt der Astralleib zu wenig dabei. Der Astralleib, der da draußen ist, der kann sich nicht ordentlich an der Ausatmung beteiligen. Aber wenn das Kind etwas stärker ist, so benützt es eben den anderen Teil vom astralischen Leib, und die Folge davon ist, daß erst dann, wenn im Leben wiederum eine neue Krankheit auftritt, zum Bei¬spiel wenn das Kind später Grippe kriegt oder so etwas, sich der übrige astralische Leib als zu schwach erweist. und dann kriegt das Kind Asthma.
Auf diese Weise können Sie gut in den Menschen eindringen. Sie bekommen heraus, wann das Seelische eingreift und wann nicht.
Aber schauen Sie sich jetzt so einen Menschen mit Asthma an. Da arbeitet ja der astralische Leib. Der kratzt fortwährend inner¬lich, wie der Frosch äußerlich kratzt, wenn man ihn mit der Säure benetzt. Sehen Sie, da haben Sie die Geschichte, meine Herren, da haben Sie den astralischen Leib, der sich verhält wie ein Frosch, wie eine Schildkröte. Wir können geradezu an den niederen
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Tieren studieren, wie unser astralischer Leib sich verhält. Wenn der Kopf beteiligt sein könnte bei dieser Tätigkeit des astralischen Leibes, dann würde das ganz anders verlaufen. Da kön¬nen wir eben mit dem Kopf nicht heran. Das ist die Geschichte, daß wir mit dem astralischen Leib noch nicht Mensch sind. Wir sind mit unserem physischen Leib Mensch auf der Erde, aber mit unserem astralischen Leib sind wir nicht Mensch auf der Erde.
Was kommt dadurch zustande? Ja, dadurch benimmt sich auch dieser astralische Leib wie ein unvollkommenes Wesen. Auf tie-rische Art benimmt er sich. Denken Sie, Sie erziehen einen Men-schen dadurch, daß er, sagen wir, fortwährend geprügelt wird. Es ist nämlich merkwürdig, wie verbreitet noch dieses Prügel¬erziehen ist. Da gibt es heute einen Menschen - der ist mir sonst nicht sympathisch, er ist mir langweilig, aber er ist sehr inter¬essant. Er ist auch in Europa herumgereist, war ja auch in Basel, der Rabindranath T4gore, der die Leute heute berückt. Nicht wahr, so ein Asiate, der ist was anderes; da laufen sie hin! Ein Europäer könnte ja viel mehr leisten; aber ein Asiate, das inter¬essiert sie,. das ist ein seltenes Tier! Sehen Sie, der hat jetzt seine Lebensbeschreibung gegeben. Die Lebensbeschreibung ist eigent-lich auch langweilig; aber es ist doch sehr wichtig, die ersten Ka¬pitel dieser Lebensbeschreibung zu lesen. Da erzählt er nämlich, wie er eigentlich von allen immer geprügelt worden ist. Gerade ein Mensch, der also jetzt einer der gelehrten Asiaten, der gelehr¬ten Indier ist, überall in Europa herumreist, erzählt, daß die ganze Erziehung eigentlich darauf angelegt war, die Kinder fortwäh¬rend zu verprügeln. Also das ist nicht bloß eine europäische Eigentümlichkeit. Gerade aus dieser Lebensbeschreibung ersieht man, daß die Asiaten auch furchtbar verprügelt worden sind.
Nun, nicht wahr, der Tagore ist dann Dichter geworden, alles mögliche geworden, dadurch kommt das jetzt nicht mehr so klar zum Vorschein. Aber wenn einer als Kind fortwähren'd verprügelt wird, dann wirkt das nicht bloß - gerade weil der Kopf nicht fortwährend tätig ist beim Kind -, auf den physischen Leib, son¬dern das wirkt auf den astralischen Leib. Und die Folge davon
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ist, daß der astralische Leib wird wie ein verprügelter Hund. Sie können ganz genau einen verprügelten Hund von einem liebevoll aufgezogenen Hund unterscheiden. So ist es aber auch beim Menschen. Beim Menschen ist es auch so, daß wenn er als Kind verprügelt wird - das spätere Leben mag ihn ein bißchen coura-gierter machen, aber sein astralischer Leib bleibt verprügelt das ganze Leben hindurch, weil der noch auf der tierischen Stufe steht. Ja, sehen Sie, da werden Sie aber gewahr, wie in diesen astra¬lischen Leib nicht nur die physischen Prügel hineingehen. Die physischen Prügel erzeugen höchstens Striemen. Der physische Eindruck ist es nicht, der den astralischen Leib verprügelt macht, sondern der moralische Eindruck. In diesem astralischen Leib tra¬gen wir unseren moralischen Eindruck vom ganzen Erdenleben mit. Und es ist schon so: Der eine ist verprügelt worden in der Kindheit; er hat später einen astralischen Leib wie ein verprügel¬ter Hund. Der andere hat seinen Erzieher verprügelt - es gibt ja auch solche -, der hat einen astralischen Leib wie ein Löwe. Man schaut innerlich so aus -, man könnte auch sagen, seelisch, sagen wir astralisch, weil seelisch schon ein ganz abstraktes Wort ge¬worden ist und die Leute sich nichts mehr dabei denken -, man wird innerlich astralisch so, daß man die eine oder die andere Ge¬stalt bekommt, je nachdem man moralische Eindrücke im Leben gehabt hat.
Aber das ist in dem ganzen Leben so. Wenn einer eine Sklaven-natur ist, so nimmt er alles in einer anderen Weise hin, als wenn einer eine freie, selbständige Natur ist. Wenn einer eine Sklaven-natur ist, läßt er sich alles gefallen. Dann wird sein astralischer Leib gebückt, wird schon dadurch etwas Hündisches. Wenn einer eine freie Natur ist, läßt er sich nicht alles gefallen. Sein astra¬lischer Leib wird doch gerade dadurch etwas menschenähnlich. Da sehen wir hinein, wie es eigentlich während des Erdenlebens mit dem Menschen zugeht.
Aber nun, meine Herren, sterben wir. Wir haben es uns ja be-greiflich gemacht; da sinkt von uns ab nur der physische Leib. Der geht weg. Aber diese Gestalt, die ich hier jetzt geschildert
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habe, die bleibt. Mit der gehen Sie durch den Tod. Und derjenige, der sich ein höheres Wissen angeeignet hat durch die Mittel, die ich beschrieben habe, und die besonders beschrieben sind in mei¬nem Buche: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Wel¬ten?», der kann nun genau unterscheiden, mit welchem Charakter ein Mensch durch den Tod geht. Da ist der moralische Eindruck des Lebens drinnen. Nun müssen Sie in die Welt hineingehen, aus der heraus Sie das nächste Erdenleben bilden.
Ja, wenn Sie in die Welt, aus der heraus Sie das nächste Erden-leben bilden, mit einem Astralleib hineingehen, der durch die Verprügelungen des Lebens entstanden ist, da könnten Sie ein Hund werden. Aber ein Mensch kann kein Hund werden; das ist die Geschichte. Ein Mensch kommt durch den Tod aus dem mo-ralischen Lebenseindruck so, daß er werden könnte irgend etwas, was von seinem moralischen Eindruck herkommt. Ist einer tapfer gewesen, könnte er ein Löwe werden. Vielleicht möchte es man-chem Menschen ja angenehm sein, ein Löwe zu werden in einem nächsten Leben. Aber der Mensch kann eben kein Löwe werden, weil er nicht dazu veranlagt ist von der Welt, von dem Kosmos aus. Ein anderer Mensch fühlt sich selber so ein bißchen als Katze; er möchte vielleicht eine Katze werden.
Nicht wahr, den Anthroposophen werfen ja die unverständigen Leute vor, daß sie meinen, die Seele fahre hinterher in die Tiere hinein, und die Seelenwanderung soll darin bestehen, daß die Seele hinterher in ein Tier hineinkommt. Das ist natürlich ein Unsinn. Wahr ist davon das, daß der Seele ein Eindruck bleibt davon: man ist löwenhaft, katzenhaft, tigerhaft, krokodilhaft, wenn man gestorben ist. Und da man wieder ein Mensch werden muß, so muß man das erst ablegen. Und das legt man eben ab während dieser ein Drittel Lebenszeit, von der ich Ihnen das letzte Mal erzählt habe. Wenn einer sechzig Jahre alt geworden ist, braucht er dazu zwanzig Jahre, und so weiter. Das ist nicht aus der Luft gegriffen; das weiß man deshalb, weil kurioserweise der Mensch, wenn er nachts in den Schlaf kommt, so wird. Da bereitet er sich nur dazu vor. Und der Schlaf dauert insgesamt ein
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Drittel des Lebens. Solch ein Drittel des Lebens, solch eine Zeit, die also ein Drittel Lebenszeit einnimmt, braucht er, um sich frei zu machen von diesem moralischen Eindruck.
Ja, aber wenn man schläft, weiß man nämlich nichts von der ganzen Geschichte, die man da durchmacht zwischen dem Ein¬schlafen und Aufwachen. Und das ist gut. Und dadurch kommt der moralische Eindruck, den man hat, nur ein bißchen als Ge¬wissen durch. Wenn man sich das alles anschauen muß, dann kommt es viel stärker durch.
Und warum kommt denn das nur ein bißchen als Gewissen durch nach dem Aufwachen, was man da im Schlaf erlebt hat? Weil man im physischen Körper untertaucht. Der verdeckt einem das. Sonst würde man nämlich morgens beim Aufwachen sich er¬innern, was einem der Schlaf alles gesagt hat, was man für ein schauder'hafter Kerl ist. Während des Schlafes hat man das näm¬lich alles erfahren. In die Träume spukt es manchmal hinein. Und solche Träume sind ganz besonders interessant zu studieren, in die so etwas hereinspukt, was man eigentlich für ein schauderhaf¬ter Kerl ist. Aber im allgemeinen weiß man das nicht. Wenn man aber keinen physischen Körper hat, nach dem Tode, da tritt das alles, was im astralischen Leibe ist, ins Ich herein, und im Ich hat man es nun drinnen. Nun muß man durch die ganze Zeit gehen. Wenn man abgelegt hat den astralischen Leib, dann hat man das, was man abgelegt hat, nur im Ich. Aber man kann sich jetzt wie¬derum reinlich vorbereiten für den richtigen physischen Körper des nächsten Lebens. Das dauert so lange, wie ich es Ihnen das letzte Mal ausgeführt habe.
Also Sie sehen, man braucht nur ordentlich den Menschen an-zuschauen, wie er jetzt ist im Erdenleben, dann bekommt man eine ganz richtige Vorstellung, wie diese vier Glieder des Men¬schen, physischer Leib, Ä therleib, Astralleib, Ich, zusammenhängen.
Sehen Sie, ich will Ihnen noch etwas sagen: Denken Sie sich, da wäre bei einem Menschen das Herz (es wird gezeichnet). Es sitzt also da. Zum Herzen hin gehen zwei Nervenstränge. Die gehen von da hinten aus, gehen da herunter und gehen zum Herzen
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hin. Da geht einer, und der breitet sich dann aus im Herzen. Dann geht da ein anderer, breitet sich auch aus im Herzen. Jetzt denken Sie sich, ich leite einen elektrischen Strom durch den Nerv. Da kann ich etwas Merkwürdiges wahrnehmen. Das Herz fängt an, immer schneller und schneller zu schlagen. Warum? Weil der elektrische Strom den Nerv erregt, und das Herz fängt an, immer schneller und schneller zu schlagen. Der elektrische Strom, der erregt den Nerv.
Nun denken Sie sich aber, ich elektrisiere nicht diesen Nerv, sondern ich elektrisiere den andern Nerv, den zweiten. Jetzt könn-ten Sie glauben, Nerv ist Nerv. Ich elektrisiere da. Und man könnte nun glauben, nicht wahr, das Herz fängt wieder an, schneller und schneller zu schlagen. Es ist aber nicht so. Wenn ich den Nerv hier elektrisiere (den ersten), schlägt das Herz im¬mer schneller und schneller. Wenn ich aber den hier elektrisiere (den zweiten), schlägt das Herz immer langsamer und langsamer. Und wenn ich ihn ganz stark elektrisiere, dann hört das Herz überhaupt zu schlagen auf. Ich muß rasch aufhören, sonst stirbt mir der Mensch am Herzschlag. Dabei ist es so, daß zwischen diesem einen und diesem anderen Nerv gar kein Unterschied ist in der Konstruktion. Konstruiert sind sie beide auf gleiche Art. Ja, was liegt denn da vor?
Sehen Sie, da ist es dann so: Wenn ich hier elektrisiere, dann geht der astralische Leib da herein, regt das Herz an, daß es schneller schlägt, weil ihm gewissermaßen eine Arbeit, die er sonst selber machen muß, vom elektrischen Strom abgenommen wird. Er kann also schneller arbeiten im Herzen. Jetzt nehmen Sie aber an, hier würde elektrisiert (beim anderen Nerv). Jetzt will der Astralleib das Herz schneller bewegen; aber von der an¬deren Seite wird ihm ein Hindernis in den Weg gesetzt. Sowie er anfangen will, das Herz schneller zu bewegen, kann er nicht durch auf der anderen Seite. Diese Erregung (beim ersten Nerv) nützt ihm, weil es ihm eine Arbeit abnimmt. Diese Erregung (die zweite), die schadet ihm, weil es ihm entgegenkommt. Wenn ich mich hineinbegeben könnte ins Herz und von da aus elektrisieren
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könnte, dann würde das auch das Herz schneller und schneller schlagen lassen. Wenn ich aber von außen her diesen Nerv elek-trisiere, dann kann dieser astralische Leib das Herz nicht bewegen, weil er immer mehr und mehr ein Hindernis hat.
Daraus sehen Sie, daß man ganz genau erkennen kann, wie die Dinge sich eigentlich vollziehen am menschlichen Körper, wie der astralische Leib auf der einen Seite geradeso eingreift, wie wenn ich, sagen wir, ein Rad drehen will: da schiebe ich an da drehe ich weiter; wenn ich aber entgegengesetzt drehe, dann geht es nicht. So ist es beim Herzen, so ist es bei der Lunge, bei jedem Organ. Das Organ wird von zwei Seiten aus versorgt mit dem Nerv; aber das, was eingreift, das ist der astralische Leib.
Nun können Sie sagen: Aber ist es nicht vielleicht doch der Kopf, der gerade dann beim astralischen Leib wirkt? - Nein, meine Herren, wenn es der Kopf wäre, so müßten Sie oben beim Kopf elektrisieren. Das würde Ihnen aber gar nichts helfen; Sie müssen elektrisieren von da aus. Wenn Sie den Kopf abschneiden beim astralischen Leib, so trifft es doch immer die Stelle, wie beim Frosch oder der Schildkröte. Sie müssen da elektrisieren, wo noch der Nerv sitzt, den auch der Frosch behält. Verlängertes Mark nennt man es. Da können Sie elektrisieren, und der Kopf braucht gar nichts zu wissen von dem Ganzen.
Es ist übrigens auch aus anderem sehr leicht zu sehen, daß der Kopf nichts zu wissen braucht. Ja, denken Sie, erstens einmal, wenn Sie Ihr Herz vom Kopfe aus schlagen lassen müßten, das wäre eine schöne Geschichte. Das Herz müßte zweiundsiebzigmal in jeder Minute schlagen, da müßten Sie zweiundsiebzigmal in jeder Minute daran denken. Das ginge also schon nicht. Und wenn Sie schlafen, müßte das Herz stille stehen. Also mit dem Kopf ist es bei diesen Bewegungen, die im Innern des Menschen stattfinden, noch nicht getan. Die werden so vollzogen, wie beim Frosch oder wie bei der Schildkröte.
Wenn wir nun Asthma haben, so werden diese inneren Bewe-gungen krankhaft vollzogen, während sie, wenn wir gesund sind, eben normal vollzogen werden. Sie sehen daraus, daß alles dasjenige,
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was im Innern des Menschen an Bewegungen und so wei¬ter vor sich geht, unbewußt vor sich geht, geleitet wird vom astra¬lischen Leib.
Und dieser astralische Leib, der ist es, der nach dem Tode ge-wissermaßen erst dem Ich abgeben muß den moralischen Ein-druck, den er von der Welt bekommen hat. Dann kann das Ich wiederum ein menschliches Erdenleben bilden. Diese Jahre nach dem Tode, wo der Mensch so lebt, daß er diese innerliche Astral-gestalt, die er während des Lebens bekommen hat, ablegen kann, sind daher so, daß er sich wieder vorbereiten kann zu einem neuen Erdenleben, wo er richtig Mensch sein kann.
Und wie bringt man jetzt das ins neue Menschenleben hinein, was man da im vorigen Leben gehabt hat? Ja, sehen Sie, das ist eben so, daß das Kind im Anfang seines Lebens schläft. Würde das Kind bewußt sein, dann könnte es nicht dasjenige, was das Ich da mitgebracht hat, vollziehen; es ist ja nur vom astralischen Leib abgelernt. Im astralischen Leib ,sitzt das Ich noch drinnen; nur braucht das Ich nicht mitarbeiten vor der Empfängnis, son¬dern der astralische Leib muß arbeiten, die astralische Welt muß arbeiten, so wie ich es Ihnen neulich erzählt habe, von den Ster¬nen aus. Das Kind muß schlafend hereinkommen, lernt gehen, lernt sprechen, lernt denken. Da gießt sich in das Gehen, Spre¬chen, Denken hinein dasjenige, was der moralische Impuls aus dem vorhergehenden Leben ist. Das ist unser Schicksal.
Dadurch wird unsere Freiheit nicht beeinträchtigt. Ich glaube, das sagte ich Ihnen schon einmal. Wir tragen unser Schicksal in uns, wir bereiten uns selbst unser Schicksal. Aber unsere Freiheit wird nicht beeinträchtigt, geradesowenig wie unsere Freiheit be¬einträchtigt wird dadurch, daß wir schwarze oder blonde Haare, braune oder blaue Augen haben, oder nicht in den Mond greifen können. So wird unsere Freiheit nicht beeinträchtigt dadurch, daß wir aus dem vorigen Erdenleben das oder jenes mitbringen, dies oder jenes als Mensch zu sein. Aber die Menschen sind dadurch verschieden, daß sie sich aus dem vorigen Erdenleben dies oder jenes mitbringen.
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Jetzt können Sie sagen: Aber das führt uns ja darauf zurück, daran zu denken, daß wir ewig noch zu weiteren Erdenleben zu-rückkehren. - Nein, meine Herren, es gab einmal eine Erdenzeit, da ist der Mensch überhaupt nicht weiter gekommen, als wie heute das kleine Kind ist. Da konnte er im Anfang der Erdenzeit, in der Urzeit, noch nicht gehen, noch nicht sprechen, noch nicht denken. Da war er so, daß er, weil die Erde - jetzt erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen sonst über die Erde erzählt habe - noch dick war, nicht von Luft umgeben war, sondern von einer dicken Sauce, habe ich Ihnen damals gesagt, nicht gehen zu lernen brauchte. Da trug ihn diese dicke Sauce. Er war auch noch mehr Tier, richtete sich mehr nach seinem astralischen Leib. Er ist in bezug auf den physischen Leib heute Mensch geworden. In bezug auf den astralischen Leib steht er noch auf der Tierstufe, auf der er früher gestanden hat. Da hat er sich nichts mitgebracht, son¬dern das ist nach und nach entstanden. Indem der Mensch gehen, sprechen, denken gelernt hat, entstand auch das, was sein Schick¬sal ist. Und wenn der Mensch jetzt wiederum lernt, etwas Gei¬stiges während seines Lebens aufzunehmen, dann gewöhnt er sich auch das Tierische wiederum ab, und dann gewöhnt er sich hin¬ein in eine Welt, in der er nicht mehr auf die Weise wie Gehen, Sprechen, Denken lebt, sondern wieder auf eine andere Weise.
Es ist also ein Zwischenraum zwischen diesen zwei Zuständen, und in diesen Zwischenraum kommen wir in einem gewissen Leben immer wiederum und wiederum.
Nun gibt es noch eine Frage. Die werden wir das nächste Mal besprechen müssen. Das ist diese wichtige Frage, die immer wie-der aufgeworfen wird, daß einem einer sagt: Nun ja, du hast gut reden vom vorigen Erdenleben, aber ich erinnere mich daran nicht. Woran ich mich nicht erinnere, daran glaube ich nicht. -Nun werde ich Ihnen das nächste Mal erklären, wie das mit die¬sem Erinnern ist, und was es damit für eine Bewandtnis hat. Dann werden wir wieder ein Stückchen weiter gekommen sein. Dann werden wir die Frage, auf die wir uns vorbereitet haben, mehr oder weniger erledigt haben.
ZEHNTER VORTRAG Dornach, 18. April 1923
#G349-1961-SE175 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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ZEHNTER VORTRAG
Dornach, 18. April 1923
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Nun wollen wir das, was wir betrachtet haben, noch ergänzen. Ich habe Ihnen ja am Ende der letzten Stunde gesagt, daß die Leute hauptsächlich einwenden: Das mag schon alles richtig sein mit dem Leben, bevor wir in einen irdischen Leib hineinkommen, und auch mit vorhergehenden Erdenleben, aber warum erinnert man sich nicht daran? Und nun werde ich Ihnen zunächst heute ausführlich diese Frage beantworten, warum ,man sich nicht er¬innert, und wie diese Erinnerung beschaffen ist.
Nun müssen wir zunächst noch etwas vom menschlichen Kör¬per betrachten, denn es handelt sich wirklich darum, daß man sich wissenschaftlich ausdrückt.
Sehen Sie, in dieser Beziehung, in der Frage nach den wieder¬holten Erdenleben, da sind ja die Leute heute sogar mit der Beur¬teilung von Menschen, die von diesen wiederholten Erdenleben etwas wußten oder wissen, geradezu komisch. Da gab es einen sehr großen Geist innerhalb der deutschen Zivilisation, Lessing, der gelebt hat im achtzehnten Jahrhundert. Dieser Lessing hat außerordentlich viel Geistiges geleistet. Er wird auch heute noch allgemein anerkannt. Und wenn so die Professoren aus der deut-schen Literaturgeschichte an den Universitäten vortragen, da tra-gen sie oftmals monatelang über Lessing vor. Sie wissen ja auch, daß sich von einem der Lessingforscher, wie man sagt, ein Buch findet auch in der sozialdemokratischen Literatur, von Franz Mehring: «Die Lessinglegende». Da wird Lessing von einem an-deren Standpunkte dargestellt. Man kann nicht sagen, daß das, was dort dargestellt wird, richtig ist; aber jedenfalls gibt es auch sogar innerhalb der sozialdemokratischen Literatur von Franz Mehring ein ganz dickes Buch über Lessing. Kurz, Lessing wird als ein sehr großer Mann angeführt. Aber dieser Lessing, von dem heute auch noch überall Stücke aufgeführt werden an den Thea¬tern, die sehr geschätzt werden, dieser Lessing hat, als er schon
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alt war, ein kürzeres Werk geschrieben: «Die Erziehung des Men-schengeschlechts». Und da steht am Schluß, daß man ja eigentlich mit der Betrachtung der Seele gar nicht zurecht kommt, daß man eigentlich nichts Richtiges wissen kann über das seelische Leben ohne die Annahme der wiederholten Erdenleben, und daß man ja da, wenn man weiter nachdenkt, eigentlich auf diejenigen An¬sichten kommt, die schon die primitiven Menschen gehabt haben. Die haben nämlich alle an wiederholte Erdenleben geglaubt. Das ist etwas, wovon man ja erst später abgekommen ist, als man «modern» geworden ist. Und Lessing hat gesagt: Warum sollte denn etwas gerade dumm sein, weil es die ältesten, die frühesten Menschen geglaubt haben? - Kurz, Lessing hat selber gesagt, daß er mit dem Seelenleben des Menschen nur zurecht kommt, wenn er sich an diesen Urglauben von den wiederholten Erdenleben hält.
Nun ist das aber, wie Sie sich denken können, eine furchtbare Verlegenheit für unsere sogenannten heutigen Forscher. Denn diese Forscher, die sagen: Lessing, das war einer der größten Männer aller Zeiten. Aber die wiederholten Erdenleben, das ist eine Dummheit. - Ja, wie kommt man da zurecht? - Nun ja, da ist Lessing eben schon alt gewesen. Da ist er schwachsinnig ge¬worden. Die wiederholten Erdenleben, die nehmen wir nicht an! -Sehen Sie, so sind die Leute. Solange ihnen etwas paßt, nehmen sie es an und stempeln den Betreffenden zu einem großen Men¬schen. Wenn er aber eben einmal etwas gesagt hat, was ihnen nicht paßt, dann ist er für die Zeit schwachsinnig geworden.
Nur passieren da manchmal ganz merkwürdige Dinge. So zum Beispiel gibt es einen großen Naturforscher, William Crookes. Nun, ich bin nicht mit allem einverstanden, was er sagt, aber jedenfalls gilt er ak einer der größten Naturforscher. Er hat in unserer Zeit gelebt, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Nun, der hat sich immer am Vormittag mit Naturwissenschaften abge¬geben. Da mußte er in sein Laboratorium gehen, und er hat da große Entdeckungen gemacht. Wir hätten das alles nicht, Röntgen und so weiter gar nicht, wenn er, Crookes, das nicht vorgearbeitet hätte. Aber nachmittags hat er sich immer mit Seelenforschung
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beschäftigt. Wie gesagt, ich bin nicht mit allem einverstanden, aber jedenfalls hat er sich damit beschäftigt. Da mußten nun die Leute auch sagen, nicht wahr: Ja, der muß dann am Vormittag gescheit und am Nachmittag dumm gewesen sein, gleichzeitig dumm und gescheit! So sind schon die Dinge.
Nun kommt noch etwas. Sie werden überall hören - ich habe Ihnen das schon, wie ich über die Farben sprach, auseinander¬gesetzt -, die Naturforscher betrachten Newton als den größten Naturforscher aller Zeiten. Er ist es nicht, aber sie betrachten ihn so. Nun kommt da wieder eine Verlegenheit. Dieser Newton, den die Leute als den größten Naturforscher betrachten, der hat nun auch ein Buch geschrieben über dasjenige, was gewöhnlich das Ende der Bibel bildet, über die Apokalypse. Also wieder eine Verlegen¬heit!
Kurz, diejenigen Menschen, die überhaupt alle Möglichkeit, Seelenforschung zu treiben, ablehnen, die kommen gerade den größten Naturforschern gegenüber, auch den größten Geschichts-schreibern gegenüber, in eine furchtbare Verlegenheit, in eine ganz furchtbare Verlegenheit, weil, wenn einer wirklich die Wis¬senschaft ernst nimmt, er dann gar nicht anders kann, als diese Wissenschaft auch auf das Seelische auszudehnen. Und dazu findet man überall Gelegenheit. Ich habe Ihnen gesagt: Man muß eben beobachten. Nun kann man nicht immer alles absehen an dem alltäg¬lichen Leben, namentlich, wenn man es nicht zuerst gelernt hat. Aber die Natur und manchmal die Menschheit macht für uns selbst auch Experimente, die man gar nicht künstlich herbeiführen soll, aber wenn sie einmal gemacht sind, kann man sie studieren. Man kann sich darnach richten, kann sich wenigstens anregen lassen. Nün gibt es ein Experiment, das ist eigentlich wichtig, charakteristisch, wenn man etwas über das Seelenleben des Menschen gelten lassen will. Den physischen Leib, den lassen ja alle gelten, denn sonst müßten sie ja alle den Menschen ableugnen. Darüber streitet man nicht. Den hat man. Jetzt sagt die Naturwissenschaft heute: Der physische Mensch ist der einzige, alles müssen wir nach dem Physischen erklären.
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Nun gibt es etwas, was uns, wenn wir es richtig beobachten, auf einmal zeigt, daß der Mensch auch noch die drei anderen Lei¬ber hat, den unsichtbaren Ätherleib, den Astralleib und das Ich. Eines gibt es, was man ganz naturwissenschaftlich beobachten kann - es gibt vieles, aber eines besonders, das man ganz natur-wissenschaftlich beobachten kann und das dann zeigt, wie der Mensch tatsächlich in Zustände kommen kann, wo er uns zeigt, daß ein Ätherleib vorhanden ist und ein astralischer Leib und ein Ich.
Da gibt es Leute in Europa, die haben das Bedürfnis, sich zu betäuben. Jetzt werden ja auch vielfach andere Mittel verwendet. Ich habe Ihnen gesagt, daß man jetzt zum Beispiel Kokain ver-wendet, um sich zu betäuben; aber zu allen Zeiten hat man in Europa das Opium verwendet, um sich zu betäuben. Es gab immer solche Leute, die, wenn sie mit dem Leben nicht zufrieden waren, oder wenn sie zu viel Sorgen gehabt haben, nicht wußten, was sie da machen sollten, die sich dann eben mit Opium berauschten. Sie haben ein wenig Opium, immer nur eine geringe Menge von Opium genommen. Was ist da eingetreten? Zunächst, wenn einer eine geringe Menge Opium nimmt, dann kommt er in einen Zu¬stand des innerlichen Erlebens; er denkt nicht mehr, er fängt an, in wüsten Bildern zu träumen. Das gefällt ihm sehr, das tut ihm sehr wohl. Diese Träume werden immer berauschender. Bei dem einen ist es dann so, daß er das graue Elend kriegt, daß er anfängt, in sich zu gehen, wie ein Sünder sich zu benehmen; ein anderer fängt an zu toben, zu rasen, daß er sogar Mordlust kriegt. Und dann schlafen die Leute ein. Also dieser Opiumgenuß besteht eigentlich darin, daß die Leute sich stürmisch durch ein äußeres Gift in den Zustand bringen, der darin besteht, langsam ins Schla¬fen hinüberzugehen.
Wenn man das alles betrachtet, was eigentlich da am Menschen vorgeht, dann kommt man darauf - wir können es ja sehen -:
Der Mensch kommt zunächst in sehr aufgeregte Träume hinein, fängt an zu phantasieren, dann schläft er ein. Da ist also etwas weggegangen von ihm. Gerade das ist weggegangen von ihm,
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was macht, daß er ein vernünftiger Mensch ist, was in ihm liegt, damit er ein vernünftiger Mensch ist. Was in ihm lebt, damit er ein vernünftiger Mensch ist, es ist weg. Aber bevor es weggeht, und auch noch, nachdem es weg ist, lebt er in den allerwüstesten, aufgeregtesten Träumen. Nach einiger Zeit wacht er auf und er ist bis zu einem gewissen Grade wiederum hergestellt, bis er wie-derum anfängt, Opium zu nehmen. Also er macht sich, nur stür-misch, zu einem schlafenden Menschen.
Nun kann man sehen: Wenn der Mensch durch Opiumrausch einschläft, da wirkt in ihm nicht dasjenige, was ihn vernünftig macht, sondern da wirkt in ihm dasjenige, was ihn belebt; sonst könnte er nicht wieder aufwachen, er müßte sterben. Da wirkt in ihm dasjenige, was ihn momentan belebt. Und man kann sehen, wie in der Nacht auch ein gewisser Kampf im Leibe ist, damit man wieder aufwachen kann. So arbeitet da im Menschen etwas, wo das Vernünftige nicht dabei ist: dasjenige, was wiederum den Körper belebt. Durch das Gift stirbt der Körper etwas ab. Das treibt die Vernunft heraus. Aber das Belebende ist noch in ihm drinnen, denn sonst könnte er nicht wieder aufwachen. Also was ist da durch einen geringen Opiumgenuß beeinflußt worden? Das belebende Prinzip. Bei einem schwachen Opiumgenuß ist der Ätherleib beeinflußt worden. Das könnenwir geradezu betrachten.
Nun denken Sie sich, einer nim'mt aber zu viel, oder er will sich absichtlich mit Opium vergiften. Da geschieht nicht dasselbe, son-dern - das ist ganz merkwürdig - da geschieht dasjenige, was beim schwachen Opiumgenuß zuletzt geschieht. Was da zuletzt geschieht, das geschieht beim starken Opiumgenuß zuerst: Der Mensch schläft gleich ein. Also es geht nicht langsam das Ver¬nünftige weg, sondern rasch geht das Vernünftige heraus, ganz rasch. Aber es bleibt doch jetzt etwas in ihm, was beim schwachen Opiumgenuß gar nicht in ihm drinnen war. Das kann man wie¬derum sehen.
Nehmen wir also an, jemand nimmt so viel Opium, daß er wirklich vergiftet ist. Da tritt zunächst das ein, daß er einschläft. Dann aber fängt der Körper an, unruhig zu werden, er röchelt,
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schnarcht; dann kommen Krämpfe. Und dabei bemerkt man etwas ganz Eigentümliches: Das Gesicht wird ganz rot und die Lippen ganz blau.
Nun erinnern Sie sich an all das, was ich Ihnen das letzte Mal gesagt habe. Ich habe Ihnen gesagt: Alle Atmungsstörungen ge¬schehen beim Ausatmen. Nun, worin besteht denn das Schnarchen zum Beispiel, zuerst Röcheln, dann Schnarchen - worin besteht denn das? Sehen Sie, schnarchen tun diejenigen Menschen, die nicht ordentlich ausatmen können. Wenn der Mensch ordentlich ausatmet, wenn das sein Mund ist (es wird gezeichnet), dann geht die Luft herein, nach einiger Zeit geht sie wieder heraus; da ist dann eingeschaltet in den Luftgang das Zäpfchen, das Sie sehen, wenn Sie in den Mund hineinschauen. Und dann oben ist so etwas, was auf- und niedersteigt, das Gaumensegel; das bewegt sich. Zäpfchen und Gaumensegel, die bewegen sich fortwährend durch Ein- und Ausatmen, wenn es normal, richtig geschieht. Wenn aber das Einatmen geschieht, und dann das Ausatmen nicht richtig, wenn es aufstößt, dann kommt das da hier, das Gaumen-segel und Zäpfchen, ins Zittern, und daher entsteht das Röcheln und dann das Schnarchen.
Also man kann an dem sehen, daß das jetzt etwas mit dem Atmen zu tun hat. Denn derjenige, der sich bloß einen Opium-rausch anzüchtet durch weniges Opium, der kommt in die anderen Zustände, die ich Ihnen beschrieben habe: in eine Art Opium-delirium, in Raserei. Er schläft langsam ein. Aber wenn er jetzt schnell einschläft durch großen Opiumgenuß, kommt er ins Schnarchen, zu Krämpfen; das Gesicht wird rot, die Lippen blau. Wenn Sie sich erinnern an all das, was ich Ihnen gesagt habe, so werden Sie dem eine große Bedeutung zuschreiben, daß das Ge-sicht rot und die Lippen blau werden. Denn ich habe Ihnen ge¬sagt: Der Mensch hat rotes Blut dadurch, daß Sauerstoff einge¬atmet wird. Wenn sich das Blut mit dem Sauerstoff mischt, wird es rot; wenn sich das Blut mit dem Kohlenstoff mischt, wird es blau. Wenn es ausgeatmet wird, ist es blau. Wenn Sie also jemand sehen, der das Gesicht rot hat und die Lippen blau, was bedeutet
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denn das? Ja, unter dem Gesicht ist zu viel eingeatmete Luft, zu viel rotes Blut, das von der Einatmung herrührt. Und daß die Lippen blau sind, was bedeutet denn das? Da ist zu viel von dem Blut, das eigentlich heraus soll. Das stockt da drinnen. Das könnte schon weitergehen zu der Stelle in der Lunge, wo sich dann die Kohlensäure befreit, wo die Kohlensäure ausgeatmet werden kann. - Also Sie haben bei einem durch Opium vergifteten Men¬schen das, daß die ganze Atmung stockt. Und dadurch zeigt sich auf der einen Seite das rote Blut im Gesicht, auf der anderen Seite das blaue Blut in den Lippen.
Dieses ist außerordentlich interessant, meine Herren. Was sind denn die Lippen? Sehen Sie, die Lippen, die sind im Gesicht ganz eigentümliche Organe. Wenn Sie das Gesicht haben, so müssen Sie eigentlich das Gesicht so zeichnen (es wird gezeichnet), und da ist überall die Haut nach außen; da ist es überall mit Haut bedeckt nach außen. Aber an den Lippen ist es nämlich ein Stück Innenhaut. Da kommt das Innere nach außen. Da ist ein Stück¬chen Innenhaut. Der Mensch öffnet sein Inneres nach außen, in¬dem er Lippen hat. Wenn Sie also die Lippen blau haben statt rot, dann bedeutet ,das, daß alles Innere zu stark von bkuem Blut ausgefüllt ist. - Also Sie sehen: Beim Opium-Vergifteten wirkt der Körper so, daß er nach außen alles unverbrauchte Blut schickt
- es drängt sich an die Oberfläche - und nach innen alles blaue Blut schickt.
Diese Dinge haben auch einmal ursprüngliche Menschen ge¬wußt, die ,Geschichte mit dem blauen Blut nach innen. Wenn einer zu viel blaues Blut im Innern hat, dann sagten sie: Derjenige, der zu viel blaues Blut im Innern hat, der ist zunächst ein solcher Mensch, der wenig Seele hat, bei dem die Seele herausgegangen ist. Daher wurde «blaublütig» zu einem Schimpfwort. Und man hat, als man die Adeligen im Volk die «Blaublütigen» genannt hat, sagen wollen: Bei denen ist die Seele fort. Es ist sehr merk¬würdig, wie in der Volksweisheit diese Dinge in einer wunder¬baren Weise drinnenleben. Das ist sehr interessant. An der Sprache können Sie nämlich ungeheuer viel lernen.
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Nun können Sie aber sehen: Da ist etwas, was im Menschen wirkt, und was zum Beispiel in der Pflanze nicht wirkt. Denn wenn Sie der Pflanze einen Giftstoff beibringen, dann bleibt der Giftstoff irgendwo oben, breitet sich nicht aus. Sie finden ja zum Beispiel eine sehr giftige Pflanze in der sogenannten Belladonna, in der Tollkirsche. Die Tollkirsche, die läßt ihr Gift ganz oben; sie läßt es nicht in sich übergehen. Wenn der Mensch ein solches Gift nimmt, wirkt das so, daß es den Körper in der Weise in An¬spruch nimmt, daß es das rote Blut nach außen und das blaue Blut nach innen treibt. Ja, die Pflanzen leben auch. Jene Pflanzen haben ihren Ätherleib in sich, haben das in sich, was blau gelassen wird, was herrührt vom schwachen Opiumgenuß, nicht vom starken. Das bewirkt erst die Empfindung beim Menschen. Hätte die Pflanze Blut, so hätte sie auch eine solche Empfindung, wie die Menschen und die Tiere. Der Mensch und die Tiere haben es ohne den Opiumgenuß, wenn der Ätherleib mit dem physischen strei¬tet; es wird sogleich das Blut nach außen gedrängt, und es bleibt etwas zurück im Körper, und das macht im Körper diese Unord¬nung. Und das ist der Astralleib. So daß man sagen kann: Der Astralleib, der wird beeinflußt beim starken Opiumgenuß.
Jetzt gibt es noch eine dritte Art von Opiumgenuß. Dieser Opiumgenuß ist sogar in der Welt sehr verbreitet, obwohl nicht in Europa, mehr zum Beispiel unter einer gewissen Sorte von Tür¬ken und namentlich in Asien und Hinterindien, bei den malai¬ischen Völkern. Da nehmen diese Menschen immer nur so starke Mengen von Opium, daß sie es gerade noch vertragen können, daß sie wieder richtig aufwachen, und nicht sterben davon. Da¬durch machen sie in einer merkwürdigen, interessanten Weise das¬jenige durch, was der Opiumesser überhaupt durchmacht. Nur gewöhnen sie sich nach und nach daran, und dadurch machen sie die Geschichte mehr bewußt durch. Die Türken schildern dann: Ja, wenn ich Opium genossen habe, dann bin ich im Para¬diese gewesen. Das ist also schon so in diesen phantastischen Aus-gestaltungen. Und die Maiaien in Hinterindien, die möchten nun auch das alles sehen. Dadurch gewöhnen sie sich den Opiumgenuß
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an, weil sie das auch alles sehen möchten. Nun kann man das verhältnismäßig lange durchführen, und dadurch kommt man dazu, sich zu sagen: Nun ja, es gibt eben noch etwas anderes.
Aber man muß nun sagen: Wenn diese Leute, die da immer in gewohnheitsmäßiger Weise das Opium fressen - sie fressen es nämlich, das Opium, in gewohnheitsmäßiger Weise -, wenn diese Phantasten nur das sehen würden, dann würden sie doch nach einiger Zeit die Geschichte über kriegen. Aber, sehen Sie, da ist es sehr merkwürdig. Diese Menschen nämlich stammen ab von den ersten Menschen auf der Erde, die noch etwas gewußt haben von der ewigen Seele, von der Seele, die durch die ver¬schiedenen Erdenleben hindurchgeht. Sie haben etwas davon ge¬wußt. Jetzt ist das den Menschen verloren gegangen. Diese Men¬schen nun, die nicht durchgemacht haben die europäische Zivili¬sation, die versetzen sich durch den Opiumgenuß in den Zustand, um da etwas zu spüren von der Ewigkeit der Seele. Es ist ja furcht¬bar - aber sie führen immer wieder eine Krankheit in sich hinein. Weil der gesunde Körper in der Gegenwart, wenn er sich nicht geistig anstrengt, eben gar nichts wissen kann von der Unsterb¬lichkeit der Seele, deshalb ruinieren diese Leute ihren Körper nach und nach, damit nach und nach das Seelische herausgedrängt wird.
Nun kann man etwas sehr Eigentümliches beobachten, wenn man solche Menschen anschaut, die in dieser Weise gewohnheits¬mäßig Opium nehmen und es auch deshalb eine Zeitlang aus¬halten: nach einiger Zeit werden sie ganz bleich. Wenn sie frü-her auch eine gute Hautfarbe gehabt haben, jetzt werden sie bleich.
Das bedeutet bei dem Malaien noch etwas ganz anderes wie bei dem Europäer. Der Malaie schaut dann wirklich schon wie ein Gespenst aus, wenn er bleich wird, weil er gelblich-braun ist. Dann, nach einiger Zeit, werden die Menschen so, wie wenn es um die Augen herum ganz hohl wäre. Dann fangen sie an abzu¬magern, nachdem sie vorher schon angefangen haben, nicht mehr recht gehen zu können; sie gehen nur so humpelnd. Dann fangen
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sie an, auch nicht mehr denken zu wollen, werden sehr vergeßlich. Und zu allerletzt kriegen sie den Gehirnschlag.
So sind die Erscheinungen. Das ist sehr interessant, zu beob¬achten. Bevor die Glieder ungelenk werden, so daß sie nicht mehr ordentlich gehen können, bekommen sie eine starke Stuhlverstop-fung; also die Gedärme funktionieren nicht mehr. Nach dem, wie ich Ihnen das beschrieben habe, können Sie ja sehen: Da wird nach und nach der ganze Körper untergraben.
Nun gibt es aber etwas höchst Eigentümliches. In dieser Be¬ziehung sind ja noch nicht viele Erfahrungen da, weil die Leute auf das nicht achten; aber diese Erfahrungen könnten sehr leicht gemacht werden. Wie da die gewohnheitsmäßigen Opinmesser werden, das kennt man ja, das ist vielfach beobachtet worden. Aber nun sollen die Leute doch nur einmal probieren - das tun sie ja heute in anderer Beziehung sehr häufig -: Wenn sie die¬selbe Dosis Opium, die der Mensch zum gewohnheitsmäßigen Ge¬nuß hat, einem Tiere geben, dann wird das Tier entweder nur etwas lebhaft werden, also ins erste Stadium kommen, wo der Ätherleib durcheinander getrieben wird, oder aber es kommt ins zweite Stadium, wenn es genügend kriegt, und stirbt. Beim Tier gibt es das nicht, was der Opiumesser, der gewohnheitsmäßige Opiumesser so hat, wie ich es Ihnen zuletzt beschrieben habe. Beim Tier gibt es das nicht.
Was zeigt das, meine Herren? Ja, das zeigt: Wenn das Opium, so stark, wie es da ist, in den astralischen Leib hineinkommt, und ein nicht richtiges Verhältnis zwischen blauem und rotem Blut bewirkt, so schießt beim Tier ja immerfort blaues und rotes Blut in horizontaler Richtung durcheinander. Beim Menschen, der auf¬recht gehen lernt, bei dem schießt blaues und rotes Blut nicht ganz in der Richtung (es wird gezeichnet), sondern mehr so, weil er sich aufrichtet, ineinander; nicht mehr horizontal, sondern von oben nach unten, von unten nach oben. Das bewirkt, daß der Mensch auch ein gewohnheitsmäßiger Opiumesser werden kann.
Nun habe ich Ihnen aber gesagt: Dadurch, daß der Mensch auf¬recht ist, dadurch hat er ein Ich. Die Tiere haben kein Ich, weil
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sie einen horizontalen Rücken haben. Was wird denn also von die-sem gewohnheitsmäßigen Opiumessen beeinflußt? Das Ich. So daß wir also sagen können: Ich - gewohnheitsmäßiger Opium¬genuß. Und nun haben wir durch das Opium alle drei Leiber des Menschen entdeckt, die übersinnlich sind: für den schwachen Opiumgenuß den Ätherleib, für den starken den Astralleib, und für den gewohnheitsmäßigen Opiumgenuß das Ich. Sie sehen, man kann das, wenn man nur richtig beobachten kann, natur¬wissenschaftlich wunderbar ausbilden.
Aber Sie sehen jetzt auch: So ein Malaie mit seinem gewohn-heitsmäßigen Opiumgenuß kommt ja auf etwas Riesiges. Er kommt auf das Ich. Und was kriegt er denn? Worauf freut sich denn dieser Malaie oder dieser Türke, wenn er gewohnheits¬mäßig Opium genießt? Worauf freut er sich denn? Ja, er freut sich darauf, weil dann sein Gedächtnis in einer wunderbaren Weise aufwacht. Er überschaut rasch sein ganzes Erdenleben und noch viel mehr. Auf der einen Seite ist es furchtbar, weil er es dadurch erreicht, daß er seinen Körper krank macht; auf der anderen Seite wirkt aber die Begierde, das Ich kennen zu lernen, so stark in ihm, daß er gar nicht widerstehen kann. Er freut sich schon, wenn die¬ses riesige Gedächtnis hergestellt wird.
Aber sehen Sie, es ist so: Wenn der Mensch etwas zu viel tut, dann ruiniert ihn das. Wenn der Mensch zu viel arbeitet, ruiniert ihn das; wenn der Mensch zu viel denkt, ruiniert ihn das. Und wenn der Mensch fortwährend ein zu starkes Gedächtnis hervor¬ruft, dann ruiniert es seinen Körper. Alle die Erscheinungen, die ich Ihnen beschrieben habe, sind einfach von dem zu starken Ge¬dächtnis. Das ist zunächst da. Und nachher - ich habe es Ihnen be¬schrieben - wird der Mensch lässig in bezug auf sein Gehen. Er erinnert sich nicht mehr innerlich, wie er die Beine vorsetzen soll. Das ist ja unbewußtes Gedächtnis. Und dann wird er vergeßlich. Also gerade dasjenige, was er erreicht, das ruiniert ihn. Aber ab¬sehen kann man, gewahr werden, erkennen kann man, daß das Ich dann vorhanden ist, wenn der gewohnheitsmäßige Opiumgenuß da ist.
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Was tut die heutige Naturwissenschaft? Nun, wenn Sie ein Buch aufschlagen, dann finden Sie auch das beschrieben, was ich Ihnen gesagt habe: daß beim kleinen Opiumgenuß der Mensch in ein Delirium kommt und so weiter, daß beim starken Opium¬genuß der Mensch zuerst einschläft, und dann sein Körper gleich zerstört wird. Er stirbt, nachdem er im Gesicht rot, an den Lippen blau geworden ist. Und beim gewohnheitsmäßigen Opiumgenuß kommen auch alle diese Dinge. Aber was beschreiben die Leute? Die beschreiben nur den physischen Leib, was da vorgeht; sie beschreiben, daß der Opiumfresser röchelt, Krämpfe kriegt, schnarcht. Sie beschreiben, ,daß der gewohnheitsmäßige Opium-esser abmagert, nicht mehr gehen kann, vergeßlich wird, und zu-letzt einen Gehirnschlag bekommt, weil das Gedächtnis ihm das Gehirn zerstört; so müssen wir es anschauen. Das wird alles be-schrieben, aber alles dem physischen Leib zugeschrieben.
Aber das ist eben ein Unsinn; denn sonst müßte man alles, was physisch ist, nur dem physischen Leib zuschreiben. Alle die Er-scheinungen, die da auftreten, sehen wir auch bei der Pflanze. Wir können aber auch nicht sagen: der Mensch ist bloß eine Pflanze. Denn beim starken Opiumgenuß zeigt sich die Wirkung am astra-lischen Leib, und nur beim Menschen zeigt sich das, was beim gewohnheitsmäßigen Opiumgenuß da ist. Wenn die Tiere näm¬lich nicht gleich zugrunde gingen, dann würden Sie sehen, daß es viele Tiere gibt, die einfach das Opium, das man da in den Pflan¬zen findet, genießen würden. Warum würden sie es genießen? Ja, weil die Tiere durch die Gewohnheit das machen, was sie wol¬len. Wo also Opium vorkommt und die Tiere etwas davon zu fressen hätten, dann würden die Tiere das Opium fressen, das in den Pflanzen drinnen ist, wenn sie etwas davon hätten. Wenn sie es nicht tun, so rührt das nur davon her, daß sie eben nichts davon haben.
Das alles kann man durch Naturwissenschaft erkennen. Aber nun handelt es sich darum: Kann man das alles, das Gedächtnis, das der Malaie durch Krankheit herstellt, durch gesunde Mittel erreichen? Da müssen wir uns eben erinnern. daß die Urbevölkerung
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der Erde gewußt hat, daß die Menschen immer wieder auf der Erde leben. Und Lessing, der hat eben gesagt, wie ich Ihnen vorhin schon erzählt habe: Warum soll das deshalb dumm sein, weil die ursprünglichen Menschen daran geglaubt haben? -Diese ursprünglichen Menschen, die haben überhaupt noch nicht so abstrakte Gedanken gehabt wie wir. Die haben noch keine Na-turwissenschaft gehabt. Die haben alles mythologisch angeschaut. Wenn sie eine Pflanze angeschaut haben, haben sie nicht studiert:
da sind solche und solche Kräfte drinnen, sondern sie haben ge-sagt: da ist so und so Geistiges drinnen. Sie haben alles in Bildern gesehen. Sie haben überhaupt noch mehr im Geistigen gelebt. Es ist so, daß der Mensch sich dann mit dem Fortschritt so entwickeln kann, daß er mehr im Leiblichen lebt. Nur dadurch konnte er ein freier Mensch werden, sonst wäre er immer beeinflußt worden. Frei waren die Menschen in der Urzeit nicht; aber Geistiges haben sie noch gesehen. Wir, wie wir jetzt sind, wir haben ja wirklich die abstrakten Gedanken, die uns schon in der Schule eindressiert werden. Wir können sogar sagen: Die wichtigsten Tätigkeiten, auf welche die Menschheit heute so stolz ist, sind eigentlich etwas Abstraktes.
Ich habe gestern zu den Pädagogen, die hier sind, gesagt: Ja, wenn das Kind so ungefähr sieben Jahre alt wird, soll es etwas lernen. Es soll lernen, nachdem es sein ganzes Leben bisher gelernt hat, daß der Mensch, der vor ihm steht, den es kennt, der Vater ist - es soll jetzt lernen, daß das da hier (es wird geschrieben) «Vater» bedeutet. Das soll das Kind plötzlich lernen. Es hat ja gar nichts zu tun mit diesem «Vater». Das sind ja ganz merkwür¬dige Zeichen, die mit dem Vater gar nichts zu tun haben! Das soll das Kind plötzlich lernen. Es sträubt sich dagegen. Denn der Vater, das ist der und der Mann, der solche Haare hat, eine solche Nase hat; das hat es immer gesehen. Das Kind sträubt sich dage¬gen, daß das Geschriebene nun «Vater» bedeuten soll.
Das Kind hat «Ah!» rufen gelernt, wenn es sich verwunderte. Jetzt soll es plötzlich dazu kommen, daß das da hier A sein soll. Das ist eben ganz abstrakt, hat gar keinen Bezug zu dem, was das
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Kind bisher gekannt hat. Da muß man erst die Brücke schaffen, damit das Kind darauf kommt, so etwas doch zu lernen. Ich will Ihnen auch sagen, wie man die Brücke schaffen kann.
Man sagt zum Beispiel dem Kind: Sieh einmal, was ist das? (Es wird gezeichnet). Was wird denn das Kind sagen? Das Kind wird sagen: Das ist ein Fisch! Da wird es nicht sagen: Da erkenne ich nichts darin. Da drin (in dem Worte Fisch) kann es nicht sagen:
Da erkenne ich den Fisch wieder. Aber den Fisch erkennt es in dem Bild drin.
Nun sage ich: Sprich mir einmal aus «Fisch»; jetzt lasse weg das i und das spätere, sprich nur aus das F, womit der Fisch anfängt. Sieh einmal, jetzt werde ich dir das einfach aufzeichnen: F. - Ich habe also vom Fisch das F herausgegriffen. Das Kind malt zu¬nächst den Fisch auf, bekommt dann das F heraus. Man muß es nur vernünftig machen, daß es nicht abstrakt ist, daß es aus dem Bilde herauskommt; dann lernt das Kind selbstverständlich gern. Das kann man bei jedem Buchstaben machen. Man muß sich das nur nach und nach aneignen.
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Bei uns in der Waldorfschule hat einmal einer der Lehrer sehr schön erklärt, wie die römischen Ziffern nach und nach entstehen. Bei V ging es plötzlich nicht. Wie kann eine V werden? Nun sehen Sie, was ist denn das da hier? (Dr. Steiner hält seine Hand in die Höhe). Sie sagen natürlich: eine Hand ist noch immer eine Hand. Aber ist da nicht etwas darinnen? I, II, 1111111, V Finger. Jetzt male ich einmal diese Hand an die Tafel, (es wird gezeich¬net) so, daß ich die zwei Dinge ausgestreckt habe (den Daumen, und daneben die vier andern Finger). Jetzt habe ich eine Hand,
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da ist die V drinnen; V ist das ausgesprochen. Jetzt mache ich das etwas einfacher, und Sie haben die römische Zahl V aus der Hand, die fünf Finger hat, herausbekommen.
Also sehen Sie, es kom'mt darauf an, daß wir ja heute plötzlich in eine ganz abstrakte Welt hinein gesetzt werden. Wir lernen schreiben, wir lernen lesen; das hat gar nichts zu tun mit dem Leben. Dadurch aber haben wir das verlernt, was die Menschen hatten, die noch nicht schreiben und lesen konnten.
Nun dürfen Sie aber nicht etwa sagen, wie die anderen Leute draußen von der Sorte unserer Gegner: Der Steiner hat uns in der Stunde gesagt, die Leute waren gescheiter, als sie noch nicht Schreiben und Lesen hatten; ja, der will, daß die Leute nicht mehr schreiben und lesen lernen! - Das will ich nicht. Die Leute sollen ja immer mitgehen mit der Zivilisation, erst recht schreiben und lesen lernen. Aber man soll nur auch nicht das verlieren, was man notwendig durch Schreiben und Lesen verlieren kann. Man muß erst wieder durch Geistiges darauf kommen, wie das Menschen-leben eben ist.
Und nun will ich Ihnen von zwei Menschen etwas ganz Ein¬faches sagen. Der eine, der zieht sich abends aus und nimmt seinen Hemdkragen, in dem er zwei Knöpfe hat, ein Knöpfchen hinten, eins vorn - ich nehme so ein Beispiel, das nahe liegt, weil ich so einen Hemdkragen habe. Der eine Mensch, der macht das ganz gedankenlos, macht sein erstes Knöpferl los, sein zweites. Jetzt legt er sich ins Bett. Morgens dann, ja, da läuft er im ganzen Zim¬mer herum und sucht und frägt: Wo sind meine Hemdknöpfe? Er findet sie nicht. Er erinnert sich nicht daran. Warum? Weil er es gedankenlos gemacht hat.
Ein anderer, der hat sich nicht gerade angewöhnt, daß er die Hemdknöpfe immer an denselben Fleck legt - das kann man ja auch tun, aber das hieße dann, sich faul machen-, aber er sagt sich:
Wenn ich das Hemdknöpfchen ablege, so lege ich das eine neben meinen Leuchter hin, und das andere lege ich dorthin. - Er wendet also den Gedanken darauf, legt sie nicht gedankenlos hin, die Knöpfchen, sondern wendet den Gedanken darauf. Ja, der steht
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morgens auf, geht direkt hin, nimmt die Hemdknöpfchen wieder weg, wo er sie hingelegt hat, braucht nicht im ganzen Zimmer herumzusuchen: Wo sind meine Hemdknöpfchen, wo habe ich meine Hemdknöpfchen? - Was ist denn da der Unterschied? Der ganze Unterschied ist der, daß der eine an die Sache gedacht hat und sich daran erinnert, und daß der andere an die Sache nicht gedacht hat und sich nicht daran erinnert. Ja, aber erinnern kann man sich erst am Morgen. Es nützt einem nichts, wenn man sich abends hinlegt und sich erinnern will, sondern erinnern kann man sich erst am Morgen, wenn man am Abend daran gedacht hat.
Meine Herren, schauen wir jetzt ein wenig in die Geschichte hinein. Nach dem was ich Ihnen das letzte Mal gesagt habe, waren ja all unsere Seelen da zu einer Zeit, als nur wenige Menschen noch das Denken gelernt hatten. Man hat überhaupt noch nicht gedacht, früher. In Urzeiten lebten die Menschen im Geistigen. Aber das ist schon abnorm gewesen, wenn einer gedacht hat früher. Vor dem Mit¬telalter hat man überhaupt noch nicht gedacht. Sie denken ja erst seit dem 15. Jahrhundert; so wie wir heute alles gedankenvoll auf¬fassen, hat man noch nicht gedacht. Das kann man geschichtlich nachweisen. Kein Wunder, daß Sie sich heute an die früheren Leben nicht erinnern! Jetzt haben die Menschen denken gelernt. Jetzt ist die Zeit in der geschichtlichen Entwickelung, wo die Leute denken gelernt haben. Da werden sie sich ebenso an ihr jetziges Erdenleben im nächsten Leben erinnern, wie sich der Mensch jetzt am Morgen an sein Hemdknöpfchen erinnert. Das heißt, ,die Geschichte ist so, daß wenn jetzt jemand richtig denken lernt an die Dinge der Welt, so denken lernt, wie ich es Ihnen zeigte, dann ist das so, wie wenn er an sein Hemdknöpfchen denkt. Und so, wie der heutige Naturforscher es macht, ist es, wie wenn man nicht an die Hemdknöpfchen denkt. Wenn einer bloß beschreibt: Da tritt ein Delirium ein, da bekommt man blaue Lippen, wird rot im Gesicht und so weiter -, so ist es so, daß er an die wichtigsten Sachen nicht denken wird, im nächsten Leben sich überhaupt gar nicht mehr zurückerinnern wird, alles in Verwir¬rung bringt, wie der andere, der alles durcheinander schmeißt,
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weil er schnell weg muß und seine Sachen nicht finden kann. Der-jenige aber, der denkt, daß das einfach vom Ätherleib, Astralleib, Ich herrührt, lernt so denken, daß er im nächsten Erdenleben or-dentlich sich erinnern kann. Erst da wird es sich zeigen. Und nur einige werden gegenwärtig angeleitet, da es im letzten Erden-leben eben wenige gegeben hat, die die Sache gewußt haben. Die kommen heute darauf und können die andern aufmerksam ma-chen. Und dann, wenn sie das machen, wie es in meinen Büchern steht, wenn gemacht wird, was in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» steht, so kann es sein, daß den Menschen auch in der Gegenwart aufleuchtet, daß sie in früheren Erden-leben schon gelebt haben. Aber wir fangen eben an mit der anthroposophischen Geisteswissenschaft. Daher werden sich die Leute allmählich wieder erinnern.
Nun wird gesagt: Ja, aber man kann sich doch nicht daran erin¬nern; und wenn der Mensch nicht eine Erinnerung an frühere Erdenleben hat, so kann er also keine früheren Erdenleben gehabt haben. - So aber kann man auch sagen: Der Mensch kann nicht rechnen, man kann es beweisen, daß der Mensch nicht rechnen kann - und jetzt führt einer zum Beweis ein kleines Kind von vier Jahren herein und zeigt, daß das gar nicht rechnen kann. Es ist ein Mensch und kann doch nicht rechnen! Man wird ihm sa¬gen: Das wird schon rechnen lernen. Wenn man die Menschen-natur kennt, weiß man, daß es rechnen lernen wird. - Wenn heute einer einen Menschen aufzeigt, der sich nicht erinnern kann an seine früheren Erdenleben, so muß man ihm sagen: Ja, aber es ist früher auch nichts getan worden, daß die Menschen sich erin¬nern können. Im Gegenteil, es gibt heute noch so viele Nachzüg¬ler aus früheren Zeiten, die möchten die Leute dumm erhalten, daß sie gar nichts wissen vom Geistigen, so daß sie gar nicht wis¬sen, was sie im nächsten Erdenleben erinnern sollen, daß sie ganz konfus werden, wie der mit dem Hemdknopf. Zuerst muß der Mensch imLeben denken lernen, woran er sich später erinnern soll.
Also Anthroposophie ist dazu da, daß sie die Menschen auf-merksam macht auf dasjenige, an das sie sich später erinnern sol-len.
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Und diejenigen, die Anthroposophie verhindern wollen, die wollen eben die Menschen dumm erhalten, daß sie sich an nichts erinnern sollen. Und das ist das Wichtige, meine Herren, daß man einsieht, daß der Mensch eben erst lernen muß, die Gedanken rich¬tig anzuwenden. Heute verlangen die Menschen die Gedanken zu definieren und verlangen, daß in den Büchern richtige Definitio¬nen stehen. Ja, schon im alten Griechenland hat man das gewußt. Da hat einer besonders die Leute schulen wollen im Definieren. Heute sagt man in der Schule: Du mußt lernen: Was ist das Licht?
- Ich hatte einmal einen Kameraden; wir sind zusammen in der Volksschule gewesen, dann kam ich in eine andere Schule, und er wurde im Lehrerseminar zum Lehrer ausgebildet. Ich habe ihn mit siebzehn Jahren wieder getroffen; da ist er schon ein ausgeprägter Lehrer gewesen. Da fragte ich ihn: Was hast denn du über das Licht gelernt? Da sagte er: Licht ist die Ursache des Sehens der Körper. - Ja, es ist ja gar nichts einzuwenden! Man kann ebenso sagen: Was ist denn die Armut? Die Armut kommt von der pauvreté! Das ist ungefähr dasselbe, wenn einer so definiert. Aber solches Zeug muß man viel lernen.
Nun hat schon im alten Griechenland einmal einer ein solches gescheites Lernen verspottet. Die Kinder haben in der Schule ge-lernt: Was ist ein Mensch? Ein Mensch ist ein lebendes Wesen, welches zwei Beine und keine Federn hat. - Nun hat ein Bub, der besonders schlau war, darüber nachgedacht, hat einen Hahn ge-nommen, hat ihn gerupft und am nächsten Tag brachte er ihn im gerupften Zustand dem Lehrer und sagte: Herr Lehrer, ist das ein Mensch? Der hat keine Federn und hat zwei Beine! - Das war die Stärke der Definition. So stimmen ungefähr nüt den Definitionen die Dinge, die heute im allgemeinen in unseren Büchern noch stehen.
In allen Büchern, auch in den sozialen Büchern, die geschrieben werden, werden die Lebenszustände so geschildert, wie ungefähr die Definition gemacht wird: Ein Mensch ist ein lebendes Wesen, das zwei Beine und keine Federn hat. Dann schließt man weiter. Natürlich, wenn Sie zuerst ein Buch haben mit einer Definition.
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dann können Sie alles mögliche logisch daraus schließen; aber es wird nie auf den Menschen passen, sondern es kann auch auf den Hahn passen, der nur gerupft worden ist. So sind unsere Defini-tionen! Dasjenige, worauf es ankommt, ist, daß man die Sache in der Wirklichkeit sehen muß.
In der Wirklichkeit sieht die Sache so aus, daß man sagen muß, wie zum Beispiel hier (auf das Schema an der Wandtafel deu¬tend): Physischer Leib; Ätherleib, der wird bei schwachem Opiumgenuß beeinträchtigt; astralischer Leib bei starkem Opium-genuß; Ich bei gewonheitsmäßigem Opiumgenuß. Und wenn man nun geistige Wissenschaft treibt, wenn man wirklich den Men¬schen so erkennen lernt, daß man nicht bloß wie im Traume be¬schreibt: Solche Zustände treten auf -, sondern daß man sich aus¬kennt: Da wirkt der Astralleib, da wirkt der Ätherleib, da wirkt das Ich drinnen -, dann hat man richtige Gedanken, nicht bloß Definitionen. Und dann, wenn man heute, im jetzigen Erden-leben, richtige Gedanken aufgenommen hat, dann erinnert man sich richtig an das gegenwärtige Erdenleben. So wie man sich jetzt nur mit Mühe allmählich an frühere Erdenleben erinnert, wie ich es beschrieben habe, so wird man sich später gut daran erinnern, wenn man sich nicht krank macht, wie durch den Opiumgenuß, wenn man nicht den Körper beeinflußt, sondern die Seele eben durch geistige Übungen dahin bringt, das Geistige wirklich ken¬nen zu lernen.
So sehen Sie, wie wirklich eine geistige Wissenschaft in der Anthroposophie entsteht. Sie müssen eben beachten, daß gerade Anthroposophie nicht darauf aus ist, Aberglaube zu treiben. Also wenn zum Beispiel die Leute irgendwo etwas Außerordent¬liches über spiritistische Dinge gemeldet finden, dann fangen sie an, zu sagen: Das ist doch so, wie wenn sich eine geistige Welt verraten würde. - Aber im Menschen verrät sich die geistige Welt! Wenn sich die Menschen um einen Tisch herumsetzen und den ins Klopfen bringen, dann sagen sie: Da muß ein Geist drinnen-sitzen. - Aber wenn vier Menschen herumsitzen, sind ja vier Gei¬ster da! Man muß sie nur kennen lernen! Da macht man aber im
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Gegenteil die Menschen lieber bewußtlos; da muß ein Medium dabei sein. Sehen Sie sich den Zeitungsabschnitt an, den Sie mir vor einigen Wochen gegeben haben. Da ist zum Beispiel beschrie¬ben, wie irgendwo in England die Leute in volle Aufregung ge¬kommen sind, weil in der Nacht die Sachen von den Ständern her¬unterfielen, Fensterscheiben eingeschlagen wurden und so weiter. Da müssen geistige Dämonen wirken, sagten die Leute. - Mir war am auffälligsten bei der Geschichte - wenn man auch Genaueres erst sagen kann, wenn man es gesehen hat -, aber mir war am auffälligsten bei der Geschichte, daß da auch erwähnt worden ist, daß die Leute ein ganzes Heer von Katzen hatten! Nun, wenn man ein ganzes Heer von Katzen hat, und zwei oder drei davon tollwütig werden, da sollten Sie sehen, wie diese «Geistererschei¬nungen» alle vor sich gehen! Aber wie gesagt, man müßte das erst genau wissen; dann darf man erst darauf eingehen.
Sehen Sie, ich wurde einmal sehr gedrängt, einer spiritistischen Sitzung beizuwohnen. Nun, ich sagte, ich will das tun -, weil man ja solche Dinge nur beurteilen kann, wenn man sie gesehen hat. Da war nun ein Medium, es war eigentlich furchtbar berühmt, ein ganz berühmtes Medium, und nachdem die Leute sich gesetzt hatten, erst ein bißchen betäubt worden sind durch eine Musik, die gemacht worden ist - es saß alles betäubt da -, fing das Me¬dium an, so richtig nach dem Wunsch der Leute, immerfort Blu¬men aus der Luft herunterfliegen zu lassen! Nun hat ein jedes Medium einen sogenannten Impresario, wenn es ein richtiges Me¬dium ist. Nun, die Leute haben ihren Obolus entrichtet, nachdem sie ihren Genuß gehabt haben. Denjenigen, die es veranstaltet hat¬ten, kam es hauptsächlich darauf an, daß der Obolus zurückgelas¬sen wurde. Und ich sagte - die Leute sind dann furchtbar fana¬tisch, sie fangen an, mit einem zu raufen, wenn man sie aufklären will, gerade die sind am schlimmsten -, aber einigen Vernünf¬tigen sagte ich, sie sollen einmal, aber nicht am Ende, sondern am Anfang, untersuchen; da werden sie die Blumen in dem Buckel des Impresario drinnen finden! - So werden Sie überall die Sa¬chen finden.
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Gerade über den Aberglauben muß man hinaus sein, meine Herren, wenn man von der geistigen Welt sprechen will. Man darf nirgendswo auf etwas hereinfallen, weder auf tollwütige Katzen, noch auf einen buckeligen Impresario, sondern man kommt nur auf den Geist, wenn man auf nichts Abergläubisches mehr hereinfällt, und überall mit wirklicher Wissenschaft vor¬geht.
ELFTER VORTRAG Dornach, 21. April 1923
#G349-1961-SE196 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
#TI
ELFTER VORTRAG
Dornach, 21. April 1923
#TX
Guten Morgen. meine Herren! Haben Sie sich eine Frage ausgedacht?
Fragesteller: Herr Doktor war so freundlich, uns zu sagen, wie es ist, wenn der Geist den Körper verlassen hat. Der letzte Vortrag ist mir und meinen Kollegen sehr verständlich gewesen. Aber in der «Theosophie» steht ein Satz, daß, wenn der Geist abgeschieden ist vom Körper, die Seele noch Begierden behält. Das ist noch eine sehr harte Nuß für uns.
Ich hjitte noch eine weitere Frage, etwas ganz anderes.
Dr. Steiner: Nun, schön, sagen Sie mir auch die zweite Frage!
Der Fragesteller: Es ist mir durch Zufall eine Broschüre in die Hand gekommen von einem Dr. Heuer. Ich nehme an, daß Herr Doktor die Broschüre gelesen hat, daß man also das schon weiß. Dieser Hauer stellt Herrn Doktor so hin, als ob er nichts Neues sagte, als ob man das schon alles wisse, was er in der Anthroposophie sagt, daß man das schon alles kennt. Und dann sagt er aber unter anderem, daß ihm das Unglaublichste bei der Anthroposophie dies sei von den beiden Jesusknaben.
Der Fragesteller müsse allerdings auch sagen, daß ihm das selbst auch unverständ¬lich sei von den zwei Jesusknaben, wie drr eine Jesusknabe aus einer andern Welt herkomme. - Herr Doktor werde die Broschüre haben.
Dr. Steiner: Die Broschüre habe ich auch, nur noch nicht auf-geschnitten.
Der Fragesteller fährt fort: Wenn es nicht unbescheiden sei, möchte er bitten, daß Herr Doktor über die Jesusfamilie etwas sagen würde.
Weitere Fragestellung: Ich bin gefragt worden in den letzten Tagen von meinen Kollegen über die Christuswesenheit. Da wäre es mir sehr lieb, wenn Herr Doktor etwas sprechen könnte über die Christuswesenheit.
Dr. Steiner: Ist vielleicht sonst noch eine Frage zu stellen, damit wir die Sachen dann im Zusammenhang behandeln können?
Nun also möchte ich zuerst auf die erste Frage eingehen mit den Begierden. Die Sache ist ja so: Wenn Sie auf dasjenige hin¬schauen, was der Mensch anders erlebt, als es Stein und Pflanze erleben können, dann werden Sie finden: Der Mensch erlebt seine Gedankenwelt. Die Pflanze zeigt nicht, daß sie eine Gedanken¬welt hat. Gedanken sind da, die in der Pflanze leben. Aber be¬wußte Gedanken in der Pflanze zu suchen, das wäre ein Unsinn.
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Es ist ja allerdings bei dieser äußerlichen Art, wie heute die Wissenschaft vorgeht, etwas Merkwürdiges gekommen. Es gibt heute alle möglichen Arten von Gelehrten, und da es auch solche gibt, die doch nicht ganz daran glauben können, daß überall nur physische Vorgänge sind, mineralische, unlebendige Vorgänge, so nehmen sie wenigstens an, daß es Seelisches gibt. Aber da sie über das Seelische selbst nichts wissen, sagen sie: Das Seelische äußert sich dadurch, daß irgendein Wesen dies oder jenes aus¬führt.
So gibt es Pflanzen, die sich höchst merkwürdig benehmen. Da ist zum Beispiel eine Pflanze, die heißt deshalb, weil sie sich so merkwürdig benimmt, die «Venusfliegenfalle». Diese Venus-fliegenfalle, die hat nämlich Rosettenblätter, die an ihrem ver-breiterten Stiel eine Blattspreite tragen. Die besteht aus zwei Tei¬len. Auf beiden Spreitenseiten sitzen drei borstenförmige Aus¬wüchse. Wenn nun ein Insekt, das sich auf das Blatt niedersetzt, an diese Auswüchse stößt, dann klappen die beiden Spreitenflügel so schnell zusammen, daß das kleine Insekt gefangen ist. Also das gibt es.
Diejenigen, die nur in äußerlicher Weise über die Seele reden und nichts wissen über sie, die sagen: Geradeso, wie im Menschen eine Seele ist, ist auch in der Pflanze eine Seele. - Diesen Leuten erwidere ich immer nur eines: Ich kenne ein kleines Instrument, in das man etwas Speck hineingibt, den man etwas angebräunt hat: eine Mäusefalle, und wenn die Maus an dem Speck nippt, so schließt sich die Mäusefalle von selbst zu. Also derjenige, der aus solchen Dingen, wie bei der Venusfliegenfalle, schließt, da müsse eine Seele drinnen sein, der müßte auch sagen: die Mäuse-falle hat eine Seele, denn sie schließt sich auch von selbst zu. Es kommt eben immer darauf an, aus welchen Gründen man die Sache annimmt.
Sehen Sie, das ist gerade das Charakteristische bei der Anthro-posophie, daß man überall von Gründen ausgeht, währenddem die anderen, wenn sie nun doch wiederum eine Seele annehmen, nichts von der Seele wissen und nun einer solchen Pflanze, bei der,
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wenn das Insekt in die Nähe kommt, etwas Ähnliches vor sich geht wie bei der Mäusefalle, auch eine Seele zuschreiben. Aber in der Anthroposophie ist nichts von Äußerlichkeiten, die dazu füh¬ren, sondern da ist es die wirkliche Erkenntnis des Seelischen. Zu dieser Erkenntnis des Seelischen gehört auch, daß der Mensch Be¬gierden entwickelt. Begierde ist es, wenn er zum Beispiel Durst hat. Wenn ich Durst habe, habe ich die Begierde, Wasser zu trin¬ken, oder etwas Ähnliches. Nun also, schön; durch das Wasser wird der Durst befriedigt. Alles das ist Begierde, wo man aus dem Innern seines Organismus heraus etwas wünscht, etwas will; das ist immer Begierde.
Sehen Sie, über etwas denken die Menschen immer nicht nach. Sie denken nicht nach, welcher seelische Zustand zugrundeliegt, wenn der Mensch aufwacht. Nicht wahr, wenn der Mensch auf-wacht, da untersuchen die Leute, wie viel mehr Kohlensäure im Blut ist und so weiter, das heißt, sie untersuchen nur die phy¬sischen Zustände. Aber die Wahrheit ist diese, daß der Mensch aufwacht, weil er Begierde hat nach seinem physischen Körper. Wenn Sie abends einschlafen, so haben Sie keine Begierde mehr nach Ihrem physischen Körper. Der ist ganz angefüllt von Ermü¬dungsstoffen. Da drinnen ist nicht mehr gut sein. Die Seele, also das Ich und der astralische Leib, wollen sich außerhalb des phy¬sischen Leibes erholen. Morgens, wenn der physische Körper wie¬der hergestellt ist, was die außer dem physischen Körper befind¬liche Seele merkt an dem Zustand der Haut, weil sie in seiner Nähe ist, da geht die Seele wieder in den physischen Körper hin¬ein, weil sie die Begierde hat, im physischen Körper drinnen zu sein, solange der physische Körper überhaupt imstande ist, zu leben. Die Seele hat also das ganze Leben hindurch die Begierde, im Körper drinnen zu leben.
Nehmen Sie etwas anderes: Sie schneiden sich in den Finger. Da wäre der Finger (es wird gezeichnet). Jetzt schneiden Sie sich da hinein, und es schmerzt Sie. Was ist denn da geschehen? Ja, da ist der physische Körper ein Stückchen auseinandergerissen. Sie können in den physischen Körper hineinschneiden, aber nicht
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in den astralischen. Ich will jetzt den astralischen Leib in den phy-sischen Körper hereinzeichnen. Wenn ich das jetzt groß zeichne, so sehen Sie da eine Lücke, und da ist der astralische Körper drin¬nen. Aber der hat die Begierde, nun auch dort, wo der physische Leib auseinandergerissen ist, hineinzukönnen. Er hat die Begierde, im Körper drinnen zu sein, und kann das nicht, weil der Körper auseinandergerissen ist. Das macht den Schmerz aus.
Nun denken Sie sich, wenn die Seele das ganze Leben hindurch die Begierde nach dem physischen Leib hat, dann muß ja etwas eintreten nach dem Tode.
Wenn Sie sich als Kind die Begierde aneignen, möglichst viel Zucker zu essen, dann entwickeln Sie die Begierde, Zucker zu bekommen. Und findet irgend jemand es in einem gewissen Sta¬dium Ihres Lebens nützlich für Sie, daß Sie nicht mehr so viel Zucker essen, so haben Sie doch weiterhin die Begierde nach dem Zucker. Nehmen wir an, Sie haben die Zuckerkrankheit bekom¬men, und Sie sollen es deshalb nicht mehr tun - ja, das dauert lange, bis man sich das abgewöhnt! Man hat immer die Begierde nach dem Zucker und muß sie sich erst langsam abgewöhnen. Sie wissen ja, wenn einer sehr viel säuft, so hat er die Begierde danach bekommen; er muß sie sich langsam wieder abgewöhnen. Wenn einer Opium ißt, wie ich es Ihnen neulich erzählt habe, und es wird ihm abgewöhnt, da wird er ganz verrückt vor lauter Be¬gierde nach dem Opium.
Nun lebt im Ich und astralischen Leib das ganze Leben hin¬durch die Begierde nach dem Körper. Die Seele möchte nach dem Tod immer wieder in den Körper hinein aufwachen. Das muß sie sich erst abgewöhnen. Dieses Abgewöhnen dauert ein Drittel des ganzen Lebens. Ein Drittel des Lebens dauert nämlich der Schlaf. Am ersten Tag, nachdem man gestorben ist, will man zurück¬gehen. Man will dasjenige, was am letzten Tag des Lebens aus¬geführt worden ist, ausführen; am zweiten Tag will man das vom vorletzten Tag ausführen, und so geht es fort. So hat man die Be¬gierde für dieses Drittel des Lebens sich abzugewöhnen. Also nach dem Tode hat man zwar nicht Durst- oder Hunger-Begierde,
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aber fortwährend die Begierde nach all dem, was man durch den physischen Leib gehabt hat. Nach dem Tode ist es so: Sie haben Ihr ganzes Leben lang die nächste Umgebung ihres Heimatortes lieb gewonnen. Das haben Sie immer gesehen. Das haben Sie ja durch Ihren physischen Leib gesehen. Das glaubt ja nur der Türke, daß er etwas &höneres an Wiesen und Blumen und so weiter hat nach dem Tode, als er hier auf der Erde hat. Also das müssen Sie sich alles abgewöhnen. Und dieses Abgewöhnen ist es eben, warum man sprechen muß davon, daß die Begierden noch bleiben. Ist das nicht verständlich?
Also nach dem Tode bleiben die Begierden nach dem phy¬sischen Leib und dem Leben überhaupt, nicht mehr Hunger und Durst, denn dazu braucht man einen Magen; den hat man nicht mehr, den hat man in den Sarg gelegt. Aber man hat nach dem Tode namentlich noch die Begierde, dies alles zu sehen, was man während des Lebens gesehen hat.
Nun aber kommt etwas anderes dazu: Nach dem Tode kann man nicht, ehe man schon eingelebt ist in der geistigen Welt, in die man eingetreten ist, drinnen richtig auf geistige Art sehen, geradesowenig, wie das Kind hier in der physischen Welt sogleich sehen kann. Man muß sich das erst erwerben. Man muß erst hin-einwachsen in die geistige Welt. So daß also der erste Zustand nach dem Tode, ein Drittel des Lebens, darinnen besteht, daß man noch blind und taub ist für die geistige Welt, aber noch Sehnsucht hat nach der physischen Welt. Nach zwei, drei Tagen, wie ich er¬zählt habe, da tritt dann das ein, daß der Tote zurückschaut. Und erst, wenn er sich das abgewöhnt hat, wächst er auch hinein in die geistige Welt und kann dann auf geistige Art wahrnehmen. Dann hat er nicht mehr die Begierde nach der physischen Welt. Also wer das Seelenleben beurteilen kann, kann auch beurteilen, was vom physischen Leben bleibt. Und es bleibt natürlich nicht bloß Angenehmes. Wenn einer die Begierde gehabt hat, fortwährend die Menschen zu prügeln, so bleibt ihm die Begierde, zu prügeln, und dann muß er sich das alles langsam abgewöhnen. Das sind eben die Dinge, die man einsieht.
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Anthroposophie geht überall darauf aus, zu erkennen, was an der Seele wirklich gesehen werden kann, was also wirklich sicht¬barlich ist. Das ist dasjenige, worum es sich dabei handelt.
Was nun die andere Frage betrifft, die Christus Jesus-Frage, so wollen wir auch, damit nichts Unbefriedigtes in Ihnen ist, gleich heute auf sie etwas eingehen. Da muß ich allerdings eine geschichtliche Sache vorausschicken.
Ich habe Ihnen von allerlei Zuständen erzählt, in denen die Erde in sehr alten Zeiten war. Nun ist das so: Jetzt haben wir Zustände auf der Erde, die eigentlich auch nach naturwissen¬schaftlichen Beobachtungen nicht älter sind als etwa sechs- bis acht- oder neuntausend Jahre, also sagen wir sechs- bis neuntau¬send Jahre. Ich habe Sie schon einmal darauf aufmerksam ge¬macht. Vor dieser Zeit, da konnten Sie nicht sehr weit gehen von hier aus, da kamen Sie in die sogenannte Gletscherregion hinein. Da war die Schweiz dort, wo Sie heute herumgehen können, bis hinunter überall von Gletschern bedeckt. Da flossen die Gletscher in Tälern, wo jetzt die Flüsse sind; die Aare, die Reuß und so wei¬ter sind ja übriggebliebene verdünnte Gletscherströme von ehe¬mals, von früher.
Nun ging dem Ganzen, wo ja ein großer Teil von Europa von diesen Gletschern bedeckt war, eine ganz andere Zeit voran. Denn die Erde ist ja fortwährend so - nur muß man große Zeiträume in Betracht ziehen -, daß ihre Oberflächen steigen und fallen, stei¬gen und fallen. Wenn zum Beispiel hier das Meer ist (es wird ge-zeichnet), und da oben Land, so schwimmt dieses Land im Meere. Alles Land schwimmt nämlich im Meere. Kann man sich das vor-stellen? Es ist nicht so, daß das hinuntergeht bis zum Grund, son-dern das Land, alle Länder, schwimmen im Meere. Unter den Ländern ist auch Meer.
Nun werden Sie sagen: Warum schwimmt denn das nicht hin und her wie ein Schiff? Ich will Ihnen zuerst etwas anderes noch sagen. Tatsächlich schwimmen die Länder im Meere, aber nehmen Sie an, das sei Großbritannien, England (es wird gezeichnet). Eng¬land ist eine Insel. Die schwimmt tatsächlich so im Meere,
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schwimmt allerdings in der Nähe von Europa, und die Entfernung ändert sich nicht. Aber selbst nach naturwissenschaftlichen An-sichten war das nicht immer so, wie es jetzt ist, sondern es gab auch Zeiten, in denen das Wasser oben drüber ging. Da war Eng-land unter dem Meer drunten. Man kam dann, wenn man dieses Stückchen Meer durchquerte, natürlich auf den Boden. Also die Sache ist so, daß es Zeiten gegeben hat, wo England unter dem Meere war.
Die Sache ist sogar so: Wenn Sie den Boden von England un-tersuchen, dann finden Sie in diesem Boden gewisse versteinerte Tiere. Aber die sind nicht alle gleich. Wenn Sie hier ein Stück Boden von England untersuchen, und weiter oben wieder, so sind da ganz andersartige versteinerte Tiere, und noch weiter oben sind wiederum ganz andersartige versteinerte Tiere und noch wei¬ter oben wiederum ganz andersartige versteinerte Tiere. Vier auf-einanderfolgende Lagen von versteinerten Tieren findet man im Boden von England!
Woher kommen denn diese versteinerten Tiere? Wenn das Meer ein Land überschwemmt, dann sterben die Tiere ab. Ihre Schalen fallen hinunter, und die Tiere werden versteinert. Wenn ich vier übereinander folgende Lagen finde in einem Boden, so muß das betreffende Land viermal vom Meer überschwemmt wor¬den sein. Da hat es immer eine Lage abgesetzt. Und so findet man bei England, daß das Land viermal oben und wieder unten war. Viermal war England über Wasser, ist immer wieder gestiegen.
Nun können Sie fragen: Warum geht denn solch eine Insel, die eigentlich im Wasser schwimmt, nicht hin und her wie ein Schiff? Ja, von der Erde aus wird sie nämlich nicht gehalten. Wenn es auf die Erde bloß ankäme, man kann es sich gar nicht vorstellen, wie da alles durcheinander gerüttelt würde! Da würde bald England an die Küste von Norwegen angeschlagen werden, bald nach Amerika hinübergeschlagen werden und so weiter, und die Län¬der würden alle durcheinander geschlagen werden, wenn es bloß auf die Erde ankäme. Aber es kommt nicht bloß auf die Erde an, sondern die Sternkonstellation am Himmel sendet die Kräfte aus,
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welche ein Land an einer bestimmten Stelle festhalten. Also an der Erde liegt das nicht. Es liegt an der Sternkonstellation. Und man kann immer nachweisen, wenn sich die Lage geändert hat, natürlich nicht die der Planeten, sondern der Fixsterne; da hat sich die Sternkonstellation verändert. Derjenige, der nichts wissen will von dieser Welt, der macht es eben so wie die Leute, die sa¬gen, die Kräfte zum Denken kommen allein aus dem Gehirn her¬aus. Wenn ich da den weichen Erdboden habe und mache nur meine Fußspuren, und es kommt meinetwillen einer vom Mars herunter und meint, die Fußspuren kommen von der Erde, die Erde wirft bald den Sand auf, bald zieht sie ihn hinunter - so ist es ja gar nicht, ich habe von draußen hereingestoßen. Und so sind auch die Windungen meines Gehirns von außen, vom seelischen Denken hineingekommen. So ist es auch mit den Ländern, die über die Erde gekommen sind: sie sind festgehalten von den Sternkonstellationen. Wir müssen also Geist nicht nur sehen in den Menschen auf der Erde, und auf der Erde überhaupt, sondern im ganzen Weltenall.
Solche Sachen, meine Herren, denken Sie sich nur, die haben ältere Menschen merkwürdigerweise gewußt, aber auf eine ganz andere Art gewußt, als wir heute. Ich will Ihnen einen Beweis lie¬fern. Es gibt einen griechischen Geschichtsschreiber, der mehrere Jahrhunderte vor Christi Geburt gelebt hat, Herodot hieß er. Der wußte ja sehr viel. Er erzählt, daß einer der Weisesten seiner Lan-desgenossen, Solon, einmal bei einem Ägypter war. Die Ägypter waren das mehr ältere Volk damals; nur haben sich die Griechen gescheiter benommen, wie wir uns benehmen. Nicht wahr, die Griechen haben die Ägypter hoch verehrt - das werden wir gleich sehen -, aber sie haben nicht Ägyptisch gelernt, die alte Sprache der Ägypter. Die Griechen haben nicht Ägyptisch gelernt! Un¬sere Gelehrten, die müssen alle Griechisch lernen! Die Griechen waren nämlich viel gescheiter. Wir machen ihnen dasjenige, was sie damit befolgt haben, nicht nach; wir machen ihnen aber ihre Sprache nach. Unsere Gelehrten werden eben gerade dadurch be¬fangen, daß sie nicht hineinwachsen in dasjenige. was ihnen ur¬tümlich
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auf der Erde ist, sondern sie werden abgelenkt von dem, was den Menschen eigen ist, indem sie sich in eine ganz alte Sprache hineinfinden müssen. Nun, in der Schweiz kämpft man ja jetzt dagegen; aber das hat lange gedauert. Man hat unseren Jun¬gens, wenn sie Mediziner werden wollten, erst die Köpfe verdreht indem sie Griechisch lernen mußten. Ich sage es nicht, weil ich es auch einmal lernen mußte, ich liebe sie sehr, die griechische Sprache. Doch das sollen einige lernen, die etwas davon haben wollen, aber nicht, wer Mediziner oder Jurist werden will, und sie im späteren Leben wieder vergißt.
Da erzählt Herodot, daß Solon bei einem Ägypter war, und dieser gescheite Ägypter hätte ihm gesagt: Ihr Griechen, ihr seid zwar fortgeschrittene Menschen, aber ihr seid doch noch Kinder, denn ihr wißt ja nichts davon, daß die Länder fortwährend her-ausgezogen werden übers Meer und wieder hinuntertauchen, daß immer Umwälzungen stattfinden.
Also die alten Ägypter haben es noch gewußt; die Griechen nicht mehr. Nur noch Plato. Der hat etwas Ähnliches gewußt, daß da draußen im Atlantischen Ozean, wo jetzt die Schiffe von Europa nach Amerika fahren, Land war, daß also die europäische Westküste mit der amerikanischen Küste durch Land verbunden war. Aber die alten Wahrheiten, die sind eben vergessen worden. Und das war deshalb, weil die Menschen eben ein noch mehr un-bewußtes Wissen gehabt haben. Wir haben uns das abstrakte Wissen angeeignet. Das brauchen wir zu unserer Freiheit. Denn die Menschen damals waren nicht frei; aber sie wußten etwas mehr. Und Lessing, sagte ich Ihnen, der gab etwas darauf, daß diese alten Menschen mehr gewußt haben als die späteren.
So kommen wir dazu, uns zu sagen: Es ist so, daß da alte Zeiten waren, in denen die Menschen durch ihre eigene Natur gewußt haben: es ist da überall ein Geistiges ausgebreitet. Das haben die Menschen ziemlich lange gewußt.
Da gibt es zum Beispiel einen römischen Kaiser, Julian, im vier¬ten Jahrhundert nach Christus. Dieser Julian ist bei denjenigen Menschen unterrichtet worden, die noch etwas von asiatischem
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Wissen gehabt haben. Und dieser Julian hat gesagt: Es gibt nicht eine, sondern es gibt drei Sonnen. Die erste Sonne ist die phy¬sische Sonne, die zweite ist eine seelische Sonne, und die dritte Sonne ist eine geistige Sonne. Die erste ist uns sichtbar, die zwei andern sind unsichtbar. Das sagte dieser Julian.
Nun ist etwas sehr Merkwürdiges geschehen. Julianus, der ist überall in der Geschichte verleumdet worden; denn er glaubte nicht ans Christentum. Aber er glaubte an dasjenige, was die Menschen vor dem Christentum gewußt haben. Und als Julian einmal einen asiatischen Feldzug führen mußte, da wurde er ganz plötzlich ermordet. Es war eine Art Attentat. Aber dieses Attentat haben diejenigen ausgeführt, die ihn gehaßt haben, weil er noch das alte Wissen sich angeeignet hat.
Sie müssen nur bedenken, daß auch damals in älteren Zeiten überhaupt die Sache ganz anders gehandhabt wurde als heute. Die Ägypter waren so furchtbar gescheite Leute, wie ich es Ihnen gesagt habe. Aber sie hatten nicht eine solche Schrift wie wir, sondern sie hatten eine Bilderschrift. Da war immer das Wort ähnlich dem, was es bedeutete. Und denjenigen Menschen, die in Ägypten &hreiber waren, denen wurde eingeschärft: Schreiben ist etwas Heiliges; ihr müßt ganz getreu die Sachen nachahmen. Und wissen Sie, was dem passiert ist, der damals aus Nachlässig¬keit einen Fehler im Abschreiben von Bilderschriften gemacht hat? Der ist zum Tod verurteilt worden! Nun, heute würde man schön schauen, wenn einer, der einen orthographischen Fehler macht, deshalb zum Tod verurteilt würde. Aber die Menschen-geschichte verläuft eben anders, als man es sich träumt. In der Tat waren die alten Ägypter weise und grausam in einer gewissen Beziehung. Ein Fortschritt ist natürlich doch vorhanden in der Menschheit. Aber deshalb, weil ihnen das Schreiben etwas so Hei¬liges war, dürfen wir doch nicht ableugnen, daß sie wiederum weise waren in anderer Beziehung, und Dinge gewußt haben, die erst heute wiederum nach und nach in der Anthroposophie her¬auskommen, in ganz anderer Art. Die haben es nämlich geträumt, und wir wissen es; das ist eine ganz andere Art gewesen.
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Nun, sehen Sie, Julianus hatte aber recht. Es ist tatsächlich so:
Wie Sie in Ihrem Körper Seele und Geist haben, so hat die Sonne Seele und Geist. Das sagt eben derjenige, der das Seelische kennt. Er spricht nicht davon, daß die Venusfliegenfalle eine Seele habe, weil das ein Unsinn ist, und man sonst sagen müßte, daß alles, was sich irgendwie zweckmäßig bewegt, eine Seele hat. Aber er weiß, daß wenn das Licht scheint, es Seele hat, sich seelisch bewegt; denn das nimmt er wahr. Und so wußte man: Die Sonne enthält ein lebendiges Wesen.
Nun wissen Sie ja, daß erzählt wird: In Palästina wurde zu einer bestimmten Zeit Jesus von Nazareth geboren. Jesus von Nazareth, der wuchs auf - man kann nämlich heute nachprüfen, was in den Evangelien steht, also wahr ist - als ein ziemlich einfacher Knabe. Er war der Sohn eines Schreiners, eines Zimmermanns. Das stimmt. Als ein ziemlich einfacher Knabe wuchs er auf. Nun hatte er noch sehr viel von der alten Weisheit. Deshalb beruht es wie¬derum auf Richtigkeit, daß er im zwölften Jahre den Gelehrten sehr gescheit antworten konnte. Es passiert nämlich heute auch noch, daß ein zwölfjähriger Knabe vernünftigere Antworten gibt, als ein «verlernter» Gelehrter! Aber daran erkannte man, daß er ein sehr begabter Knabe war. Nun wuchs er weiter heran, und als er dreißig Jahre alt war, da änderte sich ganz plötzlich etwas in ihm. Das ist eine Tatsache; es änderte sich ganz plötzlich etwas in ihm.
Und was änderte sich in ihm, als Jesus dreißig Jahre alt war? Als Jesus dreißig Jahre alt war, da ging ihm plötzlich auf, aller¬dings vorbereitet durch sein früheres großes Wissen, das, was man damals nicht mehr gewußt hat, was nur einzelne verborgene Ge-lehrte aus einer alten Weisheit gehabt haben, von denen es später Julian noch hat finden können. Ihm ging auf durch ein älteres
Wissen: Das ganze Weltenall und die Sonne enthält Seele und Geist. Er wurde durchdrungen von dem, was im Weltenall lebte, indem er dies wußte. Wenn man es weiß, hat man es auch.
Nun mußte man damals, in der damaligen Zeit, den Menschen die Dinge in Bildern beibringen. Das, was ich Ihnen heute sage,
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kann man erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert so ausdrücken. Vorher hatte man nicht diese Begriffe. Das drückte man also so aus, daß man sagte: Eine Taube senkte sich herunter, und er be¬kam den Heiligen Geist in sich. Das ist natürlich so, daß der¬jenige, der das wahrnehmen konnte, wußte: Da ist etwas gesche¬hen mit ihm. Er drückte das so aus, und in einem Evangelium steht es: Da erscholl eine Stimme vom Himmel: «Dieses ist mein vielgeliebter Sohn. . . », richtig übersetzt: «Dieses ist mein viel-geliebter Sohn, heute habe ich ihn geboren.» Das heißt, man faßte das, was da im dreißigsten Jahre geschah, richtig wie eine zweite Geburt auf. Mit der Jesus-Geburt ist eben nur Jesus geboren, der begabter war als die anderen, aber der eben noch nicht dieses Füh¬len in sich hatte. Das empfand man als etwas außerordentlich Wichtiges. Und das ist die Johannestaufe im Jordan.
Da gab es für mich einmal etwas, was mir große Sorge machte. In der Wissenschaft gibt es schon solche Sorgen, meine Herren! Da hatte man, Sie wissen es, die vier Evangelien, das Matthäus-, das Markus-, das Lukas-Evangelium, und das Johannes-Evange¬lium. Nicht wahr, heute weiß jeder, diese vier Evangelien wider¬sprechen sich ja. Wenn Sie anfangen zu lesen im Markus-Evange¬lium und da lesen, wie der Stammbaum des Jesus ist, und ver¬gleichen das mit dem Stammbaum des Jesus im Lukas-Evangelium, so widerspricht sich das nämlich. Die Leute sagen: Das wider¬spricht sich. Aber sie denken nicht weiter nach darüber, warum sich das widerspricht. Sie sagen höchstens: Das hat der eine, das hat der andere erfunden; der eine hat etwas anderes erfunden als der andere, deshalb können sich die Sachen widersprechen.
Aber so ist es nämlich nicht. Es ist so: Goethe sagt zum Beispiel von sich selber: Vom Vater hab' ich die Statur - das heißt, er schaute so ähnlich aus, wie der Vater -Vom Vater hab' ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren.
Nun, aber fabulieren hat der Goethe vielleicht mit drei Jahren
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noch nicht gekonnt; er konnte es aber vielleicht mit neun Jahren. Da mußte er sagen: Schön, von der Mutter habe ich die Lust zum Fabulieren, die ist von der Mutter auf mich übergegangen, in mich hineingekommen.
Das sage ich Ihnen, weil sich Ihnen verständlich machen wird, wie sich mir meine Sorge in bezug auf die Widersprüche in den Evangelien aufgelöst hat.
Nun habe ich diese zwei Evangelien zunächst genommen, das Matthäus- und das Lukas-Evangelium. Da kommt, wenn man nicht überhaupt bloß nachlässigerweise sagt, das ist erfunden, kein Mensch darauf, warum sich diese zwei Dinge widersprechen. Und ich habe nun versucht, mit dem Wissen, das man sich an¬eignet, wenn man die Dinge, wie ich betont habe, darauf ansieht, was dahinter steckt, zu suchen, und habe gefunden: Es wurde eben nicht ein Knabe geboren, sondern es wurden zwei Jesusknaben geboren. Beide Knaben hatten den Namen Jesus. Da braucht man sich nicht weiter darüber zu verwundern; denn wenn in Österreich zum Beispiel ein Knabe Joseph heißt, dann wundert man sich auch nicht, wenn ein anderer Knabe, der zu gleicher Zeit geboren wird, auch Joseph heißt. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn zwei Knaben Seppl oder Franz heißen. So brauchte man sich auch gar nicht zu wundern, wenn damals zwei Knaben Jesus hießen. Es waren wirklich zwei Knaben geboren, die Jesus hießen. Und beide haben miteinander gelebt bis zu ihrem zwölften Jahre. Und da ist das Eigentümliche geschehen: Dadurch, daß sie miteinander ge¬lebt haben, da ist nämlich dasjenige, was der eine an Begabung gehabt hat, plötzlich bei dem andern erschienen. So wie der Sohn von der Mutter erben kann, so hat da zum Beispiel der eine Jesus-knabe von dem andern die Begabung geerbt. Und der eine Jesus-knabe, von dem der andere die Begabung geerbt hatte, der hat nicht weiter gelebt, der ist gestorben mit zwölf Jahren, der ist bald danach gestorben. So blieb der eine übrig und hatte durch die Erschütterung, daß der andere zugrunde ging, in sich aufleuch¬ten gehabt die Weisheit des anderen. Dadurch hat er eben vor den Gelehrten erst glänzen können.
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Die Eltern haben sagen können: Wo hat denn der das alles her? Wenn man eben Seelischem Einflüsse zuschreibt, so ist das auch erklärlich. Und solche seelischen Einflüsse gibt es einfach. Der eine Jesusknabe hat bis zu seinem zwölften Jahre die Weis¬heit nicht gehabt; der andere ist gestorben, und die Weisheit ist nun auf den einen Jesusknaben übergegangen, teilweise durch die Erschütterung, daß der gestorben ist, teilweise, daß sie freund-schaftlich miteinander verkehrt haben. Und der machte die Taufe im Jordan durch. Es sind eben zwei Jesusknaben geboren worden, nicht einer; im zwölften Jahr ist der eine gestorben, und der an¬dere ist durch dieses erschütternde Ereignis plötzlich aufgewacht, und hat die Weisheit des andern gehabt.
Und dann kriegen Sie heraus: der eine der Evangelisten, Mat¬thäus, hat für die Kindheit Jesu den einen Jesusknaben beschrie¬ben, und der andere, Lukas, hat den andern Jesusknaben beschrie¬ben. Und so stimmen die zwei miteinander überein. Ich habe das nicht ausgedacht. Das hat sich mir als Forschungsresultat erge¬ben. Und deshalb rede ich von den zwei Jesusknaben, gerade aus einer gewissen Wissenschaft heraus, die nun eben die andern nicht haben.
Und daraus sehen Sie, daß man dieselben Grundsätze, die man in der Naturwissenschaft befolgt, daß, wenn die Ursachen da sind, die Wirkungen auftreten, auch in der Geisteswissenschaft ver¬folgt. Man geht nicht einfach darauf aus, daß man sagt: Nun ja, da haben halt zwei etwas erfunden, der eine Jesusknabe des Mat¬thäus ist erfunden, der andere Jesusknabe des Lukas ist erfunden. -In der Zeit, in der das Matthäus- und das Lukas-Evangelium ge¬schrieben worden sind, war von einem solchen Erfinden über¬haupt noch keine Rede. Die Leute haben bildlich gesprochen; aber erfunden haben sie nichts, denn man hat die Sachen so ernst genommen, daß man ein paar Jahrhunderte früher in Ägypten denjenigen, der irgend etwas aufgeschrieben hat, was nicht ge¬stimmt hat, zum Tod verurteilt hat. Für ältere Zeiten darf man nicht so leichtsinnig sein und sagen, die Leute hätten etwas er¬funden. Sie haben es in Bildern ausgedrückt; aber es wäre ihnen
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gar nicht eingefallen, etwas zu erfinden. Der redet also als ein ganz Unwissender, der da sagt, es könnte das Matthäus- und Lukas-Evangelium erfunden sein. Das sagen aber die heutigen Gelehrten und Theologen, weil sie sich nicht anders helfen kön¬nen; sie müssen die Widersprüche zugeben. Aber dadurch, daß man weiß, es sind eben zwei Jesusknaben, der eine der Jesus-knabe des Matthäus-Evangeliums, der andere der Jesusknabe des Lukas-Evangeliums, dadurch klärt sich die Geschichte in der be¬sten Weise auf.
Nun kommt der Herr Hauer, der neben dem, daß er Privat¬dozent in Tübingen ist, auch ein Wanderlehrer ist, und der au£ getreten ist - das Reden für die Anthroposophie bringt ja heute nichts ein, aber das Reden gegen die Anthroposophie trägt schon heute etwas ein! -, der also aufgetreten ist gegen die Anthropo¬sophie, dieser Herr Hauer kommt nun und findet: Das ist etwas Absonderliches. - Ja, meine Herren, etwas Absonderliches ist es natürlich, weil keiner darauf gekommen ist! Es ist natürlich etwas Absonderliches, wenn ich da behaupte, es hat nicht einen, sondern zwei Jesusknaben gegeben; von denen ist einer im zwölften Jahre gestorben. Das ist natürlich etwas Absonderliches, selbstverständ¬lich. Man braucht sich gar nicht zu verwundern, daß es etwas Ab¬sonderliches ist. Aber es ist eben deshalb etwas Absonderliches, weil es nicht jeder gesagt hat. Deshalb findet es der Hauer abson¬derlich. Das findet Hauer auf der einen Seite.
Auf der andern Seite finden Sie in dem Hauerschen Buch: Ja, der Steiner sagt überhaupt nichts anderes, als was man schon ge¬wußt hat. Das mit dem Jesusknaben, das findet er absonderlich. Darüber schimpft er. Auf Grund desjenigen, was er irgendwoher
- weil man ja die alte Weisheit gehabt hat, die ist natürlich überall verzeichnet -, sich zusammengelesen hat - ich lese es nicht zu-sammen, aber er liest es sich zusammen! -, kommt er zu dem
Schluß: Ja, der Steiner sagt ja gar nichts, als was andere auch schon gesagt haben. - So ist man diesen Leuten ausgeliefert. Da, wo irgend etwas gesagt werden muß, da sagen sie: Der sagt nichts Neues. - Wenn ich ein Geometriebuch schreibe, so muß ich natür¬lich
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den Pythagoräischen Lehrsatz hereinschreiben; er ist von Pythagoras, 600 Jahre vor Christi Geburt gefunden. Wenn ich eine Anzahl neue Sachen da drinnen habe, den Pythagoräischen Lehrsatz muß ich auch drinnen haben; ich werde ihn heute etwas anders beweisen, aber drinnen ist er. Man kann einem dann doch nicht vorwerfen, daß das, was schon einmal da war, wieder gefun-den wird, nachdem es vergessen war! Und so ist es, daß viele von den Sachen, die natürlich heute Geisteswissenschaft behaup¬tet, in einer anderen Weise, denn in derselben Weise ist es ja nicht der Fall, in einer anderen Weise sich finden bei den alten Gno¬stikern, die eben die Schriftsteller einer alten Zeit sind. Zur Zeit, als Christus da war, hat es noch solche Gnostiker gegeben, und noch später. Diese haben solche alte Weisheit hingeschrieben, aber nicht aus der Wissenschaft heraus, sondern aus altem Wissen heraus, nicht wie die Anthroposophie. Nun vergleichen die Leute das, was die Anthroposophie sagt, und das, was bei den Gnosti¬kern steht. Das ist eben im wesentlichen so, wie es bei den Gno¬stikern wieder vorkommt, weil es wahr ist. Und dann sagen sie:
Nun, der sagt ja auch nichts anderes, als was die andern gesagt haben! - Aber bei den zwei Jesusknaben, da kann der Herr Hauer nämlich nicht sagen: Da ist der Steiner auf etwas drauf gekommen, was die andern schon gewußt haben! - denn da hat er nämlich keine Ahnung davon, daß das schon einmal irgendeiner gewußt hat.
Das ganze Buch, ich habe es noch nicht aufgeschnitten, aber was ich davon gesehen habe, wimmelt von solchen Widersprü¬chen. Es hat überhaupt nicht Hand und Fuß, wenn man eine Seite mit der andern vergleicht. Aber so machen es die heutigen Ge¬lehrten. Auf der einen Seite sagen sie: Das haben andere auch schon vielfach gesagt. Und auf der anderen Seite sagen sie: Der sagt ja nichts Neues, das haben wir ja alles schon gewußt! - Ja, wenn sie das alles schon gewußt haben, warum schimpfen sie denn darüber? Und auf der andern Seite, wenn etwas kommt, was sie nicht gewußt haben, finden sie es unglaublich.
Aber sehen Sie, nachdem ich dieses gefunden hatte, wirklich ganz durch geistige Forschung gefunden hatte von den zwei
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Jesusknaben, die bis zum zwölften Jahre nebeneinander gelebt haben, da wußte ich auch nichts anderes als dieses, daß dies eine Tatsache ist. Dann sahen wir einmal ein Bild in Mailand, von Borgognone, in der Chiesa di Sant' Ambrogio. Das Bild ist ganz merkwürdig. Da ist nämlich die Mutter Jesu darauf und zwei Knaben, wovon der eine nicht Johannes ist, denn den Johannes kennt man aus all den Bildern, wo der Jesus und der Johannes gleichzeitig sind, sondern da sind zwei Knaben darauf, die einan¬der ziemlich ähnlieh sehen, aber doch nicht Brüder sein kön¬nen, denn sie sehen sich ähnlich, und wiederum nicht ähnlich. Es ist ziemlich klar gemacht, daß das zwei kleine Freunde sind. Wer zuerst das gefunden hat, daß es zwei Jesusknaben gegeben hat, der kommt dann darauf, was dieses Bild bedeutet. Dieses Bild ist verhältnismäßig in späten Jahrhunderten entstanden; aber als man noch gewußt hat, daß es zwei Jesusknaben gibt, hat ein italienischer Maler die zwei Jesusknaben auf ein Bild gemalt.
Würde der Hauer heute schon wissen, daß das noch der Fall war aus altem Wissen heraus, so würde er jetzt sagen: Der Steiner hat einfach in Mailand das Bild gesehen! - Er würde sagen, das habe er sowieso schon gewußt. Dann würde er an derselben Stelle sagen: Der Steiner behauptet ja gar nichts Neues, der behauptet ja nur die Dinge, die man sowieso schon gewußt hat. - So sind die Leute!
Es ist eigentlich also etwas ganz Furchtbares, wenn man hinein-schaut in diese augenscheinlich dummen Widersprüche, mit denen die Leute heute die Anthroposophie bekämpfen. Denn auf der einen Seite soll dasjenige, was ich sage, einfach Erfindung sein, von mir Erfindung sein. Nun, nehmen wir an, es ist von mir Er¬findung; dann kann aber doch nicht derselbe Mensch in dem sel¬ben Buch sagen: Der sagt ja gar nichts Neues! - Denn er behaup¬tet ja selbst, daß ich die Sachen erfunden habe, und wirft mir das vor. Und nachher sagt er, das haben die andern auch schon ge¬wußt. - Es ist nämlich hirnverbrannt, was da getan wird. Wäh¬rend, wenn man dem Christus-Ereignis wirklich sich nähert und es so erforscht, wie man sonst Tatsachen erforscht, dann wird es
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einem eben klar: Diese ungeheure Begabung, die schon der Jesus-knabe hatte, die entstand eben durch den Wechselverkehr zwi-schen den beiden Knaben.
Daß ein solcher Wechselverkehr stattfinden kann, wovon die anderen Menschen nichts ahnen, das will ich Ihnen beweisen. Sehen Sie - ich will Ihnen einen solchen Fall erzählen, aber es gibt viele solche Fälle -, da gab es einmal ein kleines Mädchen, das hatte schon ältere Geschwister; diese anderen Geschwister lernten ganz ordentlich sprechen. Dieses Mädchen lernte zunächst gar nicht ordentlich sprechen; aber etwas später, als die anderen Kinder reden lernten, fing es an zu reden. Aber es sprach eine Sprache, die keiner von den Erwachsenen verstand. Es erfand sich selber eine Sprache. Es sagte zum Beispiel «Kapazzo», wenn es den Hund meinte. Die andern Leute meinten den Hund mit dem, was das kleine Mädchen mit «Kapazzo» bezeichnete. Und so ähn¬lich erfand es sich für alle Tiere einen besonderen Namen. Es sind naturwissenschaftliche Tatsachen. Die finden sich nicht irgendwo, diese Namen.
Nun bekam das Mädchen nach einiger Zeit ein kleines Brüder¬chen. Und das kleine Brüderchen lernte sehr schnell von dem Schwesterchen diese Sprache. Und die redeten in dieser Sprache miteinander. Das Brüderchen ,ist dann mit zwölf Jahren oder so etwa gestorben, und das Schwesterchen gewöhnte sich diese Sprache wieder ab und eignete sich die Sprache der anderen auch an. Sie heiratete dann später und wurde eine ganz bürgerliche Frau, die den Leuten erzählte, daß das so war. Sie hat es selber durchgemacht. Es ist so. Die beiden Kinder haben sich in dieser Sprache verständigt, miteinander in dieser Sprache geredet; das hat sonst kein Mensch verstanden. Meine Herren, das kann die größte Weisheit sein! Das haben nur die zwei miteinander ver¬standen und miteinander abgemacht.
Daraus sehen Sie, wie der Einfluß ist durch den andern. Warum sollte denn nicht der eine Jesusknabe, der mit zwölf Jahren gestorben ist, etwas gewußt haben, was überhaupt kein Mensch verstanden hat! Das erlebt man ja, wenn man die Tatsachen kennt, noch immer.
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Also, es wird nichts anderes behauptet als dasjenige, was im eminentesten Sinne eben auch wirklich wissenschaftlich sein kann. Nun, die Menschen, die das nicht als wissenschaftlich gelten las¬sen, die können dann immer nicht die Tatsachen zusammenfin¬den. Derjenige, der weiß, daß es so etwas gibt, daß also zwei Kin¬der diese Sprache reden, die kein Erwachsener versteht, und Gei¬stiges miteinander gemeinsam haben, an dem die Erwachsenen nicht teilnehmen, wer das versteht, der versteht alles dasjenige, was ich über die zwei Jesusknaben bis zum zwölften Jahre sage. Und daß das ein außerordentliches Ereignis war, das ist ja auch nicht erstaunlich. Das geschieht nicht alle Tage. Und in der Form, in der es geschehen ist, ist es eben nur einmal in der Erden-geschichte geschehen, daß da noch extra mit dreißig Jahren diese ungeheure Erleuchtung kommt über diesen Menschen.
Nun, sehen Sie, da wird die Christus-Geschichte in wirkliche Wissenschaft verwandelt, in wirkliche Erkenntnis verwandelt. Und da kann man nichts dafür: sie verwandelt sich eben durch die Erkenntnis von selber.
Nun kann man sagen: Also gut, der Jesus ist mit zwölf Jahren gewissermaßen schon vorher erleuchtet worden durch den ande-ren, der gestorben ist. Aber mit dreißig Jahren, ja, da war er wie-derum plötzlich ein anderer geworden, was der Evangelienschrei-ber ausdrückt dadurch, daß er sagt: Es flog eine Taube herunter und senkte sich auf ihn.
Ja, Tatsache ist es, daß er ein anderer geworden ist. Was ist denn da geschehen? Ich habe Ihnen ja erklärt: Wenn ein Kind geboren wird, so ist der Keim da. Auf den Keim muß der Geist des Weltenalls wirken. Kein Wunder, daß da der Geist des Wel¬tenalls wirkt, wenn er sogar auf die Insel England wirkt, wie wir gesehen haben. Aus der Erde heraus war das nicht zu erklären, was mit dem Jesus im dreißigsten Lebensjahre vor sich gegangen ist. Geradeso, wie durch die Befruchtung ein Mensch entsteht, indem das eine auf das andere Einfluß hat, so hatte damals auf den dreißigjährigen Jesus das ganze Weltenall Einfluß, befruch¬tete ihn mit Seelisch-Geistigem, und er wurde dadurch Jesus
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Christus oder Christus Jesus, besser gesagt. Denn was heißt denn das? Christus heißt derjenige, der erleuchtet ist. Und Jesus ist ein gewöhnlicher Name, wie man ihn hatte in Palästina, so wie man heute in Österreich Sepperl heißt, Joseph also, oder in der Schweiz so und so, wo man auch ähnliche Namen in jedem Haus findet. Also Jesus hießen viele, und den Christus nannte man ihn, weil eben diese Erleuchtung auftrat.
Ja, meine Herren, wenn Sie mein Buch «Das Christentum als mystische Tatsache» lesen, so werden Sie dort nachgewiesen fin-den: Diese Erleuchtung, die hat man schon früher künstlich her-vorgebracht bei gewissen Leuten, nur in geringerem Maße. Die nannte man dann Mysterienweise. Der Unterschied zwischen dem-jenigen, der erzogen worden ist zu den höchsten Weisheiten im grauen Altertum, der Unterschied zwischen demjenigen und zwi-schen dem Jesus Christus bestand darinnen, daß diese Mysterien-weisen eben in den Schulen, die man dazumal Mysterien nannte, unterrichtet worden sind. Bei dem Jesus ging es von selbst vor sich. Daher ist es ein anderer Vorgang gewesen.
«Christus» geworden sind einfach in den alten Mysterien die-jenigen, die zum höchsten Wissen aufgestiegen sind; wie Sie ja auch heute zum Beispiel sich nicht zu verwundern brauchen, wenn einer bis zu seinem fünfundzwanzigsten Jahre studiert hat - vorher war er der ganz gewöhnliche Joseph Müller, jetzt ist er plötzlich der Herr Doktor. So wurde man in den alten Mysterien «Christus», allerdings nicht auf so unschuldige, das heißt einfache Art; denn man kann natürlich der größte Trottel sein, und mit fünfund-zwanzig Jahren doch Doktor werden! Das war nicht in den alten Mysterien möglich; da war es eine tiefe, tiefe Weisheit. Da wurde man der «Christus». Es war ein Titel, der gegeben wurde den höchsten Weisen, wie heute der Titel «Doktor» gegeben wird nach einem gewissen Studium; nur war es damals, wenn es richtig zugegangen ist, ja wirkliche Weisheit. Und bei dem Christus ist es eben von selbst gekommen. Das heißt aber, es ist das, was sonst von der Erde gegeben worden ist, von den Menschen, es ist das gegeben worden aus den Weltenweiten. Das ist nur einmal
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so geschehen. Dadurch hat die Weltgeschichte eine andere Wen-dung genommen. Und dieses Geheimnis kann niemand leugnen, selbst der nicht, der kein Christ ist, daß da die Weltgeschichte eine andere Wendung genommen hat.
Die Römer, nicht wahr, die haben das nicht gewußt. Drüben in Asien ist durch den Christus Jesus das Christentum begründet worden. Die Römer sind in derselben Zeit von dem alten republi-kanischen Staat zum Kaisertum vorgeschritten, und die haben die Christen verfolgt. Die Christen mußten sich unter der Erde, un¬ten in den Katakomben aufhalten. Da haben sie nachgesonnen über dasjenige, was ihr Christentum war. Droben, über der Erde, was hat man da getan? Da hat man die Zirkusse gemacht, und man hat die Menschen, die Sklaven, an die Säulen angebunden und verbrannt, als ein Schauspiel für diejenigen, die im Zirkus da saßen. Das war oben auf der Erde. Und unten in den Katakomben haben die Christen ihre damals eben für die versklavten Leute geltende Weisheit, Religion getrieben. Religion heißt ja nur Ver¬bindung; unten haben die Christen ihre Religion getrieben.
Und was ist ein paar Jahrhunderte später? Die Römer sind nicht mehr da in der alten Weise. Dasjenige, was sie da zur Lust ange-schaut haben in den Zirkussen, die verbrennenden Menschen, das war weg, denn die Christen haben sich an die Stelle gesetzt. So geht es in der Welt.
Und so wird es auch kommen: Diejenigen Leute, die heute so reden, wie der Doktor Hauer, den Sie erwähnt haben vorhin, die werden schon weggefegt werden. Und dasjenige, was heute, wenn es auch nicht physisch, sondern geistig in den Katakomben wir¬ken muß, das wird schon wirken! Aber man muß nur einsehen, wie es sich um wirkliche Wissenschaft handelt; und wie diejeni¬gen, die heute nicht viel lernen, sich ärgern darüber, daß so etwas herauskommt!
Wenn ich wieder zurückkomme, werde ich ja das weiter fort¬setzen können. Aber im wesentlichen werden Sie schon eingesehen haben, welchen Weg das nimmt.
ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 5. Mai 1923
#G349-1961-SE217 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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ZWÖLFTER VORTRAG
Dornach, 5. Mai 1923
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Hat sich heute irgend jemand von Ihnen etwas ausgedacht?
Fragesteller: Ich möchte einmal fragen, wie es kommt, daß die heutigen Menschen den Sternenhimmel so betrachten, wie sie es tun, und die alten Babylonier ihn doch noch ganz anders betrachtet haben?
Dr. Steiner: Nun, die Frage gehört dahin, überhaupt etwas zu sagen über den ganzen Umschwung, der in der Betrachtung der Welt eingetreten ist. Sie haben ja diesen astronomischen Kursus hier (durch Frl. Dr. Vreede) und werden sehen, wie schwer es heute eigentlich ist, durch die rechnerischen und mathematischen Betrachtungen durchzukommen.
Sehen Sie, wenn man sich klar werden will über diese Dinge, so muß man sich vor allem vorstellen, daß die älteren Menschen noch viel, man kann schon sagen, geistiger waren, als die gegenwärtigen Menschen. Man hat verhältnismäßig lange noch etwas von den-jenigen Wirkungen in der Natur gewußt, die heute eigentlich ganz unbekannt sind. Ich möchte Sie auf einiges in dieser Rich¬tung aufmerksam machen. Denn man kann nicht begreifen, was die alten Babylonier und Assyrer mit ihrer Sternenwissenschaft wollten, wenn man nicht gewisse Dinge begreift, die heute eigent¬lich ganz unbekannt sind.
Es erzählt zum Beispiel noch Rousseau folgendes: er habe es in einer wärmeren Gegend dahin gebracht, durch seinen Blick, in¬dem er die Tiere in einer gewissen Weise angeschaut hat, zum Beispiel Kröten, die ihm entgegengekommen sind, durch das An-starren in die Augen der Kröte hinein, die Kröte zum Stillhalten zu bringen, und dazu zu bringen, daß die Kröte sich überhaupt nicht mehr rühren konnte. Die Kröten waren wie gelähmt. Das ist ihm in wärmeren Gegenden immer gelungen. Fr hat da die Kröten lähmen und nachher auch töten können. Dasselbe wollte er aber auch in Lyon treiben. Da kam ihm eine Kröte entgegen.
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Er schaute sie an, starrte sie an, und siehe da - er wurde gelähmt! Er konnte sein Auge nicht mehr bewegen, war gelähmt, wie wenn er tot wäre. Erst als die Leute dazugekommen sind und einen Arzt geholt haben, und man ihm Viperngift, Schlangengift gegeben hat, was ihn eben aus dem Krampfe herausriss, ist er wieder da-vongekommen. Da hatte sich die Geschichte gedreht. Also Sie sehen, man braucht nur von wärmeren Gegenden nach Lyon zu gehen, da drehen sich solche Wirkungen, die ausgehen von Natur-wesen, einfach um.
Wir können also sagen: Es gibt schon Wirkungen - denn es ist ja eine Entfaltung des menschlichen Willens -, die sehr eng zu-sammenhängen mit dem menschlichen Willen. Und diese Kräfte, die sind eben auch da. Denn nicht wahr, was vor einem Jahrhun¬dert noch da war, das ist heute auch noch da, wird immer da sein, solange die Erde besteht. Aber die Menschen wollen heute nicht mehr von solchen Dingen wissen und bekümmern sich nicht mehr um sie.
Aber, sehen Sie, das hängt ja noch mit einigen anderen Dingen zusammen. Wir müssen, wenn wir einsehen wollen, wie gewisse Dinge sind, Rücksicht nehmen auf den Ort, wo sie gemacht wer¬den. Wir müssen also in einem gewissen Sinne die Geographie zu Hilfe ziehen. Aber wiederum nicht diejenige Geographie, die heute die gültige ist, denn die redet nicht von dem Unterschied der Krö-tenwirkungen, vom Menschen ausgehend oder zum Menschen hin, sondern die redet bloß von ganz äußerlichen Dingen.
Nun will ich Ihnen noch ein anderes Beispiel nach dieser Rich¬tung erzählen. Es gab im siebzehnten Jahrhundert einen Gelehr¬ten, van Helmont. Dieser Gelehrte, der hatte noch viel von dem¬jenigen in sich, was man früher gewußt hat. Denn eigentlich sind die Dinge des früheren Wissens erst im neunzehnten Jahrhundert ganz verloren gegangen. Im siebzehnten Jahrhundert waren sie ziemlich stark noch da, und im achtzehnten Jahrhundert, da be¬gann schon das Zugrundegehen. Aber im neunzehnten Jahrhun¬dert, da sind die Leute eben nach ihrer eigenen Meinung ganz gescheit geworden!
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Dieser van Helmont hat nachgesonnen, wie man mehr wissen könnte, als man es durch den gewöhnlichen menschlichen Ver¬stand haben kann. Heute denken die Menschen ja nicht nach dar¬über, wie man mehr wissen könnte, als man durch den gewöhn¬lichen Verstand wissen kann, weil sie glauben, daß der mensch¬liche Verstand alles wissen kann. Aber van Helmont, der Arzt war, hat nicht sehr viel gegeben auf diesen menschlichen Verstand. Er wollte ein geistiges Wissen.
Aber das geistige Wissen auf geistige Art zu erringen, so wie man es heute in der Anthroposophie versucht, das war dazumal noch nicht möglich. So weit war die Menschheit nicht. So hat van Helmont noch ältere Methoden angewendet. Da hat er folgendes gemacht, wovon ich natürlich nicht irgendwie die Empfehlung geben möchte, daß es nachgemacht werde. Das kann man nicht. Heute wirkt es auch nicht mehr so, wie dazumal. Aber van Helmont hat das noch gemacht. Er nahm eine gewisse Pflanze, die eine giftige Heilpflanze ist. Bei gewissen Krankheiten be¬schreibt man sie. Die nahm er also; von dieser Pflanze wußte er natürlich, da er Arzt war, daß er sie nicht essen kann, weil sie eben den Tod bringen würde. Aber er leckte etwas an der Spitze der Wurzel, am unteren Teil der Wurzel. Und da beschreibt er dann den Zustand, in den er gekommen ist, in der folgenden Weise. Er sagt, er hätte so etwas empfunden, wie wenn sein Kopf ganz ausgeschaltet worden wäre, wie wenn er kopflos geworden wäre. Er war ganz kopflos geworden davon. Es war natürlich nicht etwa der Kopf heruntergefallen, aber er hat ihn nicht mehr gespürt. Da hat er durch den Kopf nichts mehr gespürt. Aber jetzt hat angefangen, seine Bauchgegend so zu wirken wie ein Kopf. Und siehe da, er hat große Erleuchtung bekommen in Form von Bil¬dern, was wir heute in der Anthroposophie Imagination nennen, in Form von Bildern von der geistigen Welt her. Und das hat ihm einen großen Ruck gegeben im Leben, einen furchtbaren Ruck; denn jetzt wußte er: man kann nicht nur durch den Verstand etwas sagen über die geistige Welt, sondern man kann auch wirk-lich die geistige Welt sehen. Er hat nicht etwa durch das Nervensystem,
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das im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem des Menschen ist, gedacht, sondern er hat angeschaut, gesehen eine wirkliche gei¬stige Welt. Er hat also von der geistigen Welt dadurch Imagina¬tionen bekommen.
Das hat zwei Stunden gedauert. Nach diesen zwei Stunden hat er ein ganz klein wenig Schwindelanfall gehabt. Dann ist er ge¬sund geworden. Nun können Sie sich denken, das hat natürlich seinem Leben einen bedeutenden Ruck gegeben; denn von diesem Zeitpunkt an hat er gewußt, daß man die geistige Welt sehen kann. Aber er hat noch etwas anderes gewußt. Er hat gewußt, daß der Kopf mit seinem Denken ein Hindernis ist für das Schauen der geistigen Welt.
Wir machen es natürlich nicht so, daß wir, wie van Helmont, an einer Pflanzenwurzel lecken - das glauben ja manche Leute, das ist aber ein Unsinn -, aber es wird durch geistige Übungen das Kopfdenken selber ausgeschaltet. Der Kopf ist nur dazu da, daß er dasjenige auffaßt, was mit dem übrigen Organismus des Menschen geschaut wird, angeschaut wird. Also es wird auf gei¬stige Art derselbe Vorgang hervorgerufen, den auf uralte Weise van Helmont hervorgerufen hat.
Nun sage ich Ihnen heute nicht alles, was notwendig wäre, um Sie noch einmal hinzuweisen auf die geisteswissenschaftliche Schulung; das kann bei anderer Gelegenheit geschehen. Aber heute sage ich Ihnen das auf die Frage von Herrn E. hin. Gerade die Dinge, die ich Ihnen heute erzählt habe, die zwei Dinge, die hängen nämlich zusammen mit der Sternenwirkung. Und da man heute die Sternenwirkung überhaupt leugnet, so sieht man nicht mehr auf diese Dinge hin.
Van Helmont, der hat nun diesen großen Ruck in seinem Leben erfahren, und er hat, weil es ihm gefallen hat, die Sache öfter wie-derholen wollen, hat noch öfter einmal genascht an dieser Pflanzen-wurzelspitze. Und da ist ihm nicht mehr dasselbe gelungen.
Ja, was bedeutet denn das, daß ihm nicht mehr dasselbe gelun¬gen ist? Sehen Sie, das bedeutet, daß van Helmont irgend etwas später getan hat, was nicht mehr ganz übereinstimmte mit dem
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früheren. Van Helmont hat selber keine Erklärung dafür. Nun kann ich Ihnen ja natürlich nicht sagen - aus dem van Helmont können Sie das selber gewinnen, was ich ihnen jetzt sagen werde -, weil van Helmont nicht das Datum angibt, wann er das erstemal an der Pflanzenwurzeispitze genascht hat. Aber aus dem, was man sonst aus der Geisteswissenschaft wissen kann, kann man das Folgende sagen.
Sehen Sie, das erstemal, als van Helmont an dieser Pflanzen-wurzelspitze genascht hat, da war gewiß Vollmond. Und das hat er nicht beachtet. Und später hat er es nicht mehr bei Vollmond gemacht, und da ist es ihm nicht mehr in der Weise gelungen. Es ist ihm etwas zurüc'kgeblieben vom erstenmal; er hat immer wie¬der etwas in die geistige Welt hineinsehen können. Aber solch ein Ruck, wie das erstemal, ist ihm nicht wieder gelungen.
Nun wußte er im siebzehnten Jahrhundert schon nicht mehr, daß das vom Monde abhängig ist und glaubte, daß es von der Pflanzenwurzel allein herrühre. Aber in älteren Zeiten hat man solche Dinge ganz genau gewußt. Und daher war in älteren Zei¬ten überall auch diese Ansicht ganz lebendig, daß die Sterne auf das Leben der Menschen, der Tiere und der Pflanzen einen siche¬ren Einfluß haben.
Wenn man nun prüfen würde, wie solche Sachen geschehen, so müßte man sich sagen: Wir essen zwar nicht Giftpflanzen, aber wir essen doch Pflanzen, essen auch die Wurzeln der Pflanzen. Und während man die Giftpflanzen nur anwenden kann bei der Heilung, wendet man die anderen Pflanzen, die nicht Giftpflan¬zen sind, als Nahrungsmittel an. Sehen Sie, da ist die Sache so:
Wenn man eine Pflanzenwurzel ißt, so steht diese geradeso wie die giftige Pflanzenwurzel unter dem Einfluß des Mondes. Der Mond hat einen Einfluß auf das Wachstum der Pflanzenwurzeln. Daher sind auch gewisse Pflanzenwurzeln bei einer gewissen menschlichen Konstitution sehr notwendig. Sie wissen ja, daß es zum Beispiel auch eine Bevölkerung gibt des Darmes, also der Verdauungsorgane, Würmer, die etwas sehr Lästiges darstellen. Nun, für Leute, die leicht Würmer haben, ist ein gutes Nahrungs-mittel
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die Rote Rübe. Die Rote Rübe kann nicht in den Darm hineinkommen, ohne daß die Würmer böse werden; sie werden gelähmt, und gehen dann mit dem Dormkot ab. So daß Sie also daraus ersehen, daß auf das Leben dieser niederen Tiere, der Würmer, die Wurzel schon auch einen Einfluß hat. Die Rote Rüben-Wurzel vergiftet uns nicht, aber sie vergiftet die Würmer. Und wiederum ist das so, daß Sie finden werden, daß die stärkste Wirksamkeit zur Vertreibung der Würmer dann ausgeht von jenen Pflanzenwurzeln, welche wir essen während des Vollmon¬des. Solche Dinge müssen durchaus berücksichtigt werden.
Nun, sehen Sie, man kann sagen: Wenn man die Pflanzenwur¬zel studiert, dann ist das so, daß die Pflanzen uns etwas geben, was sehr stark wirkt auf das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Man könnte sogar Leuten, welche gewisse Krankheiten haben, dadurch große Hilfe gewähren, daß man ihnen gerade eine Wur¬zeldiät gibt, Wurzeln zu essen gibt, und es so macht, daß man es zur Zeit des Vollmondes gibt, und zur Zeit des Neumondes aus¬setzen läßt.
Nun, sehen Sie, alles dasjenige, was man also an den Pflanzen beobachten kann, hat aber auch für den Menschen eine Bedeu¬tung, nämlich für die menschliche Fortpflanzung, für das mensch¬liche Wachstum. Kinder, die die Sucht haben, klein zu bleiben, die könnte man auch mit einer Wurzelnahrung etwas aufpäppeln, daß sie leichter wachsen würden; man muß es nur in entsprechen¬der Jugend tun, zwischen der Geburt und dem siebenten Lebens¬jahr. Auf alles dasjenige, was in der Pflanzenwelt, und auf alles dasjenige, was in der Tierwelt und Menschenwelt mit der Fort¬pflanzung, mit dem Wachstum zu tun hat, haben die Monden¬kräfte einen großen Einfluß. Man muß also den Mond nicht nur studieren dadurch, daß man ein Fernrohr auf ihn richtet, sondern dadurch, daß man das studiert, was er bewirkt auf der Erde. Und bei den Babyloniern und Assyrern wußten diejenigen, die dort die Gelehrten waren, die man damals Eingeweihte genannt hat, ge¬nau: diese Pflanze steht so unter dem Einfluß des Mondes, eine andere so, und so weiter. Die sprachen nicht vom Mond als einer
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bloßen Kugel, die da oben vereist im Weltenraum ist, sondern die sahen die Mondenwirkung überall. Und diese Mondenwirkungen, die zeigen sich ja hauptsächlich an der Oberfläche der Erde. Sie gehen nicht tiefer in die Erde hinein. Sie gehen gerade noch so weit, daß die Wurzeln der Pflanzen angeregt werden können. Sie stecken gar nicht in der Erde drinnen.
Sie können zum Beispiel den Beweis finden, daß die Mondenkräfte gar nicht in die Erde hineingehen. Wenn Sie irgendwo Schwimmer fragen, die schwimmen wollen bei Mondenlicht, so werden Sie finden, die gehen bald wieder heraus, weil sie immer das Gefühl haben, sie versinken. Es ist das Wasser stockschwarz. Es geht nicht ins Wasser hinein, es geht gar nicht tiefer hinein, es verbindet sich nicht mit der Erde, das Mondenlicht. Und so sehen Sie, daß die Sache so ist, daß die Tiere und Pflanzen unter einem Einfluß des Mondenlichtes stehen, das gar nicht von der Erde aus wirkt, son-dern nur von der alleräußersten Oberfläche noch bis zur Wurzel der Pflanze. Nun, dieses gibt Ihnen einen ersten Aufschluß über den Sternenhimmel.
Gehen wir jetzt zu dem Beispiel, das ich Ihnen angeführt habe von Rousseau, der Kröten lähmen, ja töten konnte in der warmen Zone, der aber selber gelähmt wurde in der gemäßigten Zone, in Lyon. Was liegt denn da zugrunde?
Ja, Sie müssen nur bedenken: Wenn die Erde, die ja nahezu eine Kugel ist, von der Sonne beschienen ist, so fallen die Sonnenstrah-len in der warmen Zone fast senkrecht auf. Da wirken sie ganz anders, als in der gemäßigten Zone, wo sie schief auf die Erde auffallen, unter einem ganz anderen Winkel. Und ebenso, wie Wachstum und Fortpflanzung bei den Pflanzen und beim Men¬schen unter dem Einfluß des Mondes steht, so steht dasjenige, was seine inneren animalischen Kräfte sind, was sich überträgt auf den Blick, unter dem Einfluß der Sonne. Diese animalischen, diese tierischen Kräfte, die hängen von der Sonne ab. So daß also die Sonne bewirkt mit ihren Kräften, daß in der warmen Zone der Mensch die Kröten leicht faszinieren, lähmen, ja töten kann, während er sich in der gemäßigten Zone dem Einfluß der Krö¬ten
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selber hingeben muß. Das hängt also wiederum von der Sonne ab.
Und dann werden Sie ja wissen, daß einem manchmal das Den¬ken, überhaupt das ganze innere Leben schwerer ist, manchmal leichter ist. Das hängt wiederum ab vom Saturn, je nachdem, wo er steht.
Und so haben wir für alles, was im menschlichen, im tierischen, im pflanzlichen Leben auftritt, Sternenwirkungen. Bloß die Mine¬ralien sind Erdenwirkungen. Daher kann man mit einer Wissen¬schaft, die sich bloß auf das Irdische beschränkt, gar nicht dahin kommen, den Menschen irgenwie wirklich zu begreifen. Und man kann auch nicht wissen, was die Sterne tun, wenn man nicht die Taten der Sterne anschaut.
Denken Sie sich einmal - heute ist das ja nicht mehr so schlimm, aber früher konnte es noch vorkommen -, daß einer meinetwillen ein großer Staatsmann wäre. Aber man hätte nun fragen können diejenigen, die mit ihm im Hause wohnten, für ihn kochten, die Köchin zum Beispiel, die sich gar nicht interessiert hat für Staats-kunst, was der Mann tut. Da hätte sie vielleicht gesagt: Der früh-stückt, ißt Mittagsbrot, ißt Abendbrot; sonst tut er überhaupt nichts, während der andern Zeit geht er fort. Sonst tut er nichts. -Die hätte einfach nicht gewußt, was er sonst noch tut.
Die heutigen Gelehrten reden so vom Sternenhimmel, reden auch nur das von den Sternen, was sie errechnen können, wissen nur das. Die anderen, die früheren Menschen, haben sich inter¬essiert für das, was die Sterne sonst noch tun. Und daher haben sie eine solche Sternen-Wissenschaft gehabt. Die wußten, der Mond hat eine Beziehung zu dem Pflanzlichen im Menschen, die Sonne zu dem Tierischen im Menschen, und der Saturn hat eine Beziehung zu dem ganz Menschlichen im Menschen. Und so gin¬gen sie weiter.
Nun sagten sie sich: Ja, die Sonne hat also eine Beziehung zu dem Tierischen im Menschen. Wenn die Sonne ganz senkrecht aufscheint, dann, dann kann der Mensch in der heißen Zone stark auf die Tiere wirken. Sehen Sie, es gibt ja zum Beispiel in Europa
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eine starke Wirkung von dem Menschen auf die Pferde; aber so innig zusammenhängend mit dem Pferde, wie es bei den Arabern ist, also in der heißen Zone, so kann es in Europa niemals werden, weil diese Beziehung zwischen den Menschen und den Tieren eben da nicht stattfinden kann. Das hängt ab von dem senkrech¬ten Auffallen der Sonnenstrahlen, von den Sonnenwirkungen.
Und weiter. In Babylonien und Assyrien wußte man, von der Sonne gehen gewisse Wirkungen, gewisse Kräfte aus. Aber nun haben die Leute beobachtet: Sonne; da ist das Sternbild des Löwen, haben sie sich gesagt, also eine Gruppe von Sternen draußen auf dem Himmel, und da ist (es wird gezeichnet) meinet¬willen das Sternbild des Skorpions. Nun gibt es eine gewisse Zeit im Jahre, da steht die Sonne im Sternbild des Löwen, das heißt, sie deckt den Löwen zu; man sieht hinter der Sonne den Löwen. Zu einer andern Zeit deckt die Sonne das Sternbild des Skorpions zu, oder das Sternbild des Schützen, oder irgend eine andere Stern-gruppe.
Nun wußten die Babylonier und Assyrer: Diese Wirkungen, die vom Menschen auf Tiere ausgehen, die sind dann am stärksten, wenn die Sonne vor dem Löwen steht; sie werden schwächer, wenn die Sonne weitergeht und in der Jungfrau oder im Skorpion steht. Also sie wußten nicht nur, bei den Planeten besteht eine Beziehung in bezug auf das, was der Mensch macht, sondern sie wußten, es besteht auch eine Beziehung zu der Stellung der Sonne, ob sie den Löwen bedeckt, oder den Skorpion bedeckt, denn da ändern sich diese Dinge.
Was tut man heute? Heute rechnet man einfach aus: die Sonne steht im Tierkreis im Widder, im Stier, in den Zwillingen, im Krebs, im Löwen, in der Jungfrau, in der Waage, in den Fischen und so weiter; da rechnet man aus, wie lange sie in dem Stern-bilde steht, wann sie darinnen steht und so weiter. Daß am 21. März die Sonne im Sternbild der Fische steht, das weiß man, aber mehr weiß man halt nicht. Die alten Babylonier wußten zum Beispiel noch, daß wenn die Sonne in einem gewissen Sternbilde steht, das man die Plejaden nennt, dann der menschliche Kopf am
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freiesten ist. Das alles wußten sie. Sie konnten das leicht beurtei¬len, weil sie eben in einer heißeren Gegend wohnten als wir und da eine gewisse Wissenschaft ausbildeten, nach der sie den ganzen Menschen aus dem Himmel heraus begriffen.
Wenn man also sagen kann, diese Wissenschaft war so, daß sie auf den Menschen angewendet wurde - nun, so ist diese Wissen¬schaft eben allmählich dann vergessen worden. Damals aber hat man das Plan etensystem überschaut, und hat auch den Fixsternhim¬mel überschaut. Man wußte, je nachdem ein Planet da oder dort steht, bedeutet er für das menschliche Leben dies oder jenes. Man wußte, wenn die Sonne im Löwen steht, so übt die Sonne den stärksten Einfluß aus auf das menschliche Herz.
Die Leute haben jetzt probiert, wie das nun ist mit den Minera¬lien. Sie haben sich gesagt: Auf Pflanzen, Tiere und Menschen wirken die Sterne; auf die Mineralien wirken sie nicht. Auf die Mineralien wirkt bloß die Erde. Aber die Mineralien in der Erde sind ja nicht heute bloß entstanden, sondern sie sind viel früher entstanden, und waren in alten Zeiten auch Pflanzen. Alle Mine¬ralien waren Pflanzen. Von den Steinkohlen wissen Sie es ja, daß sie Pflanzen waren. Aber ebenso wie die Steinkohlen waren alle anderen Mineralien früher einmal Pflanzen. Da hat der Mond auf sie einen Einfluß gehabt, und in noch früheren Zeiten auch die Sonne, und in noch früheren Zeit auch der Saturn. Und nun wollte man wissen, welches Mineral in viel früheren Zeiten, als es noch Pflanze war, einen Einfluß von der Sonne gehabt hat. Da hat man die Mineralität geprüft in ihrer Wirkung auf den Men¬schen, und hat zum Beispiel herausbekommen: Wenn die Sonne vor dem Löwen steht und den starken Einfluß auf das Herz hat, dann bekommt man dieselbe Herzwirkung heraus, wie wenn man dem Menschen Gold eingibt. Daraus haben sie geschlossen, daß die Sonne einmal einen großen Einfluß auf das Gold gehabt hat. Oder wenn Saturn im Sternbild der Plejaden steht, dann ist der stärkste Einfluß auf den menschlichen Kopf. Der wird nämlich frei. Und dann haben sie probiert, welches Mineral einmal, als es noch Tier war - denn bevor die Mineralien Pflanzen waren, wa¬ren
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die Mineralien Tiere -, den stärksten Einfluß gehabt haben kann vom Saturn aus. Und dann haben sie gefunden, das ist das Blei. Und auf diese Weise bekommt man heraus, daß das Blei auch dahin wirkt, daß der menschliche Kopf freier wird. Man muß daher jemandem, der einen dumpfen Kopf kriegt, und bei dem es daher rührt, daß er gewisse Verdauungsprozesse, die eigent¬lich im Kopf nicht mehr vor sich gehen sollten, durch Krankheit mit dem Kopf ausführt, man muß dem Blei eingeben.
Und so bekommt man für jeden Planeten ein Metall. Daher haben die Babylonier und Assyrer die Sonne mit diesem Zeichen geschrieben: ö Aber mit diesem Zeichen haben sie auch das Gold geschrieben. Sie haben also gewußt, die Sterne haben jetzt, wo die Erde da ist, keinen Einfluß mehr auf die Mineralien, aber sie haben ihn einmal gehabt. Sie haben die Sonne und das Gold so aufgeschrieben: 0 Wir schreiben die Sonne und das Gold halt mit den Buchstaben, die in unserem Alphabet sind; aber die Alten haben immer dieses Zeichen gemacht: 0 Sie haben auch nicht «Blei» geschrieben, sondern sie haben dieses Zeichen ge¬macht: h , und das bedeutete sowohl Saturn, wie Blei. Keinem wäre es eingefallen in den alten Zeiten, mit gewöhnlichen Buch¬staben Saturn oder Blei zu schreiben. Wenn er das schreiben wollte, schrieb er dieses Zeichen h hin. Wenn er «Silber» schrei¬ben wollte, schrieb er dieses Zeichen hin: C Das bedeutet sowohl den Mond, wie das Silber. So daß man also die Erde, insoferne sie metallisch ist, auch auf die Sterne bezog.
Ja, sehen Sie, man weiß eigentlich vom Menschen und seiner Beziehung zum Weltenall nicht sehr viel, wenn man auf solche Dinge nicht eingehen kann.
Nun weiter. Diese Dinge waren im Altertum allgemein be¬kannt. Die Sache ist ja so: Als sich zunächst das Christentum aus¬gebreitet hat, da war auch über die südlicheren Gegenden von Europa eine solche Wissenschaft verbreitet. Es gibt zum Beispiel noch aus den ersten christlichen Jahrhunderten ein Buch über die Natur, das enthält vieles von dem. Man muß es heute wiederum wissen, sonst kann man die verworrenen Angaben dort nicht herausfinden,
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denn es ist schon ziemlich verworren; aber es enthält vieles von einer solchen alten Weisheit. Dann aber kam die Zeit, in der das Christentum sich nur auf den Verstand beschränkt hat, und das andere alles nur für das Dogma hingegeben hat. Das war die Zeit, in der überhaupt alles von einer solchen alten Wissen¬schaft in Europa ausgerottet worden ist. Zwischen dem fünften und dem elften, zwölften Jahrhundert hat man eigentlich daran ge¬arbeitet, in Europa diese alte Wissenschaft auszumerzen. Und das ist ja auch in einem hohen Grade gelungen. Denn, sehen Sie, die Sache war ja so: Diejenigen Menschen, welche diese alte Wissen¬schaft im alten Griechenland, in Rom, in Spanien getrieben haben, also in den südlichen Gegenden, diese Menschen waren zu glei¬cher Zeit schon ganz seelisch und leiblich verdorbene Menschen. Die Geschichte von Rom in dieser Zeit ist ja eigentlich eine fürch¬terliche; es waren sittlich ganz verdorbene Menschen. Die haben zwar noch die alte Wissenschaft gehabt, haben sich aber als Men¬schen nicht mehr aufrecht erhalten können, solche Herrscher wie Nero oder Commodus.
Von Commodus, dem römischen Cäsar, kann man folgendes erzählen. Dieser Commodus, der war, wie alle römischen Kaiser, ein Eingeweihter. Aber nun, was heißt «ein Eingeweihter» in die¬sem Falle? Das ist so, wie wenn man heute dem Namen nach irgendeinen Titel trägt. Jeder römische Kaiser galt von vornher¬ein, weil er eingeweiht war, als ein Wissender. Das bezeugt aller¬dings, daß man dazumal die Wissenschaft sehr hoch geschätzt hat. Nur, die römischen Kaiser haben immer - außer Augustus -diese Wissenschaft nicht gehabt. Aber sie sind auch in die Myste¬rien hineingekommen; sie haben sogar selber andere einweihen können. Nun gab es einen gewissen Grad, da mußte man dem, der eingeweiht wurde, einen Schlag auf den Kopf geben. Das ist eine sinnbildliche Handlung. Der Kaiser Commodus hat diesen Schlag so gegeben, daß der Betreffende tot zusammensank. Man konnte das nicht bestrafen, weil es eben der Kaiser Commodus war. Und ebenso, wie sie waren als «Eingeweihte», so waren sie als Menschen.
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Weiter im Norden wohnten ja noch diejenigen Menschen, die sich später allerdings zu der mitteleuropäischen Kultur entwickelt haben, aber damals noch ganz unzivilisiert waren. Aber die Ger-manen eroberten später Italien, Griechenland, Spanien. Da haben sich nur diejenigen erhalten, die mit der bloßen Logik, mit dem bloßen Denken arbeiteten. Das sollte nur Dogma sein. Das an¬dere sollte man nicht einsehen. Das Denken wurde beschränkt nur auf die alleräußerlichsten Dinge. Und so ist es denn gekom¬men, daß von den Schulen, von den Klöstern überall ausgerottet worden ist dasjenige, was altes Wissen war. Und man kann sehen, wie eigentlich nur auf Schleichwegen, ich möchte sagen, durch Kontrebande, etwas von dieser babylonischen Wissenschaft nach Europa gekommen ist. Aber es ist in der Regel nicht weit gekom-men. In Babylonien ist noch verhältnismäßig lang eine solche Wissenschaft gepflegt worden.
Aber noch bis ins Mittelalter hinein gab es ein griechisches Kai-sertum in Konstantinopel. Ja, sehen Sie, es waren schon merkwür-dige Gestalten! Wie wenn zu uns manchmal die polnischen Juden kommen mit den Kaftanen mit ihren alten Rollen, die aber ja auch nicht sehr angesehen sind manchmal, aber grundgelehrt sind im Judentum, so kamen auch solche Gestalten nach Konstantinopel immer wieder in der Zeit an, als alles ausgerottet wurde. Die kamen an mit großen, mächtigen Pergamentrollen, wo sie vieles aufgeschrieben hatten. Nun, sehen Sie, diese Pergamentrollen hat man diesen merkwürdigen Gestalten alle in Konstantinopel ab-genommen und hat sie dort aufgemacht. Und so ist in Konstan-tinopel alles aufgespeichert worden, was von Babylonien und Assyrien heraufgekommen ist. Und gekümmert hat sich keiner darum. Und in Europa hat man alles ausgerottet. Erst mit dem zwölften, dreizehnten Jahrhundert und später im Mittelalter wurden mit dem Untergang des Kaiserreichs diese Pergamente wieder frei, und da stibitzten sie mancherlei Leute. Die zogen dann in Europa herum. Von dem ist alles gekommen, was dazu¬mal noch nicht die gelehrten, aber die ungelehrten Leute entzif¬fert haben aus diesen Pergamentrollen. Und so ist wieder im Mittelalter
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ein kleines Wissen verbreitet worden. Solch ein kleines Wissen hat dann wieder auf andere anregend gewirkt, sonst hätte es nicht einen van Helmont, Paracelsus und so weiter geben kön¬nen, wenn die Leute nicht diese Pergamentrollen, die sie stibitzt haben, nach Europa gebracht und dort um teures Geld verkauft hätten. Dadurch ist wiederum manches nach Europa gekommen. Und von alledem, was da nach Europa gekommen ist, leben heute noch manche Geheimgeselischaften. Es gibt allerlei Orden, Frei¬maurer, Odd Fellows und so weiter, die hätten gar kein Wissen, wenn nicht das von Konstantinopel nach Europa herübergekom¬men wäre in den Pergamentrollen, die dazumal für teures Geld verkauft worden sind.
Aber dieses Wissen schätzte man nicht. Wenn man ein gelehrter Domherr war wie Kopernikus, so ging man doch nicht zu den-jenigen Leuten, die solche Pergamentrollen hatten. Man durfte das nicht tun. Man hätte alles Ansehen verloren. Ja, aber dadurch verlor auch die alte Wissenschaft alles Ansehen. Und solch ein Mann wie Kopernikus, der hat dann diejenige Wissenschaft zuerst begründet, die wir noch heute haben, richtig noch heute haben.
Aber da geschah etwas sehr Merkwürdiges. Das Schönste dabei, sehen Sie, das ist, daß der Kopernikus nun eine gewisse astro-nomische Wissenschaft begründet hat, und die war schon so, daß er alles das, was man darüber früher gewußt hat, nicht mehr wußte, wie man es auch heute nicht mehr weiß. Aber die folgende Zeit verstand nicht einmal mehr das, was Kopernikus gesagt hat. Zwei Sätze von Kopernikus verstand man; den dritten verstand man nicht mehr. Denn wenn man die zwei Sätze des Kopernikus versteht, so glaubt man, daß die Sonne im Mittel-punkt steht, um die Sonne dreht sich die Venus, der Merkur, die Erde und so weiter. Das wird heute in allen Schulen gelehrt. Wenn man aber den ganzen Kopernikus versteht, so ist die Sache schon gar nicht mehr so, sondern Kopernikus selber macht noch darauf aufmerksam, daß da die Sonne steht (es wird gezeichnet), hinter ihr Merkur, hinter ihr Venus, hier die Erde und so weiter. Das alles dreht sich in Wirklichkeit mit der Sonne durch den
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Weltenraum in einer solchen Schraubenlinie. Das kann man schon aus dem Kopernikus lesen, wenn man will. Also es liegt die son-derbare Tatsache vor, daß schon der Kopernikus die alte Wissen-schaft mit Füßen getreten hat, daß aber die neuere Entwickelung nicht einmal mehr den Kopernikus verstanden hat. Jetzt fängt man etwas an, den Kopernikus zu verstehen, das heißt, darauf zu sehen, daß er drei Sätze, nicht nur zwei, gesagt hat; der dritte Satz war den Leuten zu schwer verständlich. Und so ist die Astro¬nomie nach und nach zu dem geworden, was sie heute ist, eine bloße Rechnerei.
Und nun können Sie sich ja denken: Das, was von der alten Wissenschaft übrig geblieben ist, es war ja nicht in der Weise er-rungen, wie wir heute etwas erringen wollen. Wir müssen heute etwas erringen mit der vollen Klarheit der Seele. Die Alten gin¬gen mehr instinktiv vor. Und so ist es gar nicht mehr verständlich, was die Alten mit Wissen gemeint haben.
Da hat es ja vor ein paar Jahren ein ganz interessantes Beispiel gegeben. Ein norwegischer Gelehrter kam dazu, ein altes alchemi-stisches Buch zu lesen, in dem allerlei drinnen stand über Blei, über Silber und so weiter; wenn man Blei zu Silber bringt, ge¬schieht das, wenn man Gold hinzufügt, geschieht das, und so wei¬ter. Was tat der Gelehrte? Er sagte: Da haben wir die Sachen auf¬geschrieben; wollen wir die nachmachen! Und er machte sie nach in seinem Laboratorium, nahm Blei, wie man es heute hat, Silber, wie man es heute hat, behandelte die im Feuer, wie es da beschrieben war - nichts kam heraus!
Es konnte auch nichts herauskommen, denn was er dort gelesen hat, das waren solche Zeichen. Nun hat er geglaubt, dieses Zei¬chen 0 bedeutet Gold; also nehme ich Gold und verarbeite es chemisch. Dieses Zeichen h bedeutet Blei; also nehme ich Blei und verarbeite es chemisch.
Aber das Schreckliche war nur dieses, daß der Mann, bei dem der norwegische Gelehrte das gelesen hat, der Alchimist, nicht die Metalle in diesem Falle gemeint hat, sondern die Planeten, und gemeint hat, wenn man Sonnenkräfte mit Saturnkräften und
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Mondkräften mischt - was da an dieser Stelle beschrieben wird, bezieht sich nämlich auf den menschlichen Embryo -, wenn auf das Kind im Mutterleibe Sonnen- und Mondenkräfte wirken, dann geschieht das und das.
Nun ist es diesem norwegischen Gelehrten also passiert, daß er das, was sich bei diesem alten Alchemisten auf die Keimung im menschlichen Mutterleib bezieht, in der Retorte nachmachen wollte mit den äußeren Metallen. Natürlich konnte das nicht stim¬men, denn er hätte die Entstehung im menschlichen Mutterl eib an¬sehen müssen; dann hätte er darauf kommen können. Sehen Sie, so wenig versteht man heute, was eigentlich in dieser alten Wissen¬schaft gemeint war.
Alles das wird Ihnen nun bezeugen, wie diese Frage, die Herr E. gestellt hat, eigentlich zu beantworten ist. Sie ist eigentlich so zu beantworten, daß einem bewußt wird: Es ist ja alles gut und schön und recht mit der neueren Wissenschaft, man kann heute genau den Ort berechnen, wo ein Stern steht; man kann die Entfernung berechnen, die er zu einem andern Stern hat, kann auch durch das Spektroskop sehen, welche Farbe die Lichtstrahlen haben, kann daraus auf die stoffliche Zusammensetzung der Sterne schließen. Aber wie die Sterne auf die Erde wirken, das muß man erst wieder erforschen! Und das darf man nicht so erforschen, wie es viele Leute heute tun, indem sie einfach alte Bücher nehmen. Es wäre natürlich leicht, wenn man einfach alte Bücher nehmen würde, und aus ihnen dasjenige wissen könnte, was die Leute heute nicht mehr wissen. Aber das nützte schon nichts mehr bei Paracelsus, denn den verstehen schon die Leute nicht mehr, wenn sie ihn mit den heutigen Augen lesen, sondern es handelt sich darum, daß man wiederum auch neu erforschen lernt, was die Sterne für einen Ein-fluß auf die Menschen haben. Und das kann man eben nur mit der Geisteswissenschaft, mit der anthroposophischen Geisteswis-senschaft.
Da kommt man wiederum darauf, zu erforschen, nicht nur, wo der Mond steht, sondern wie der Mond zusammenhängt mit dem ganzen Menschen. Da kommt man darauf, daß das Kind zehn
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Mondmonate, also zehn mal vier Wochen im Mutterleibe erlebt den Einfluß des Mondes, und den Einfluß des Mondes so erlebt, daß da in dieser Zeit acht-, neun-, zehnmal der Vollmond erlebt wird. Nun, das Kind schwimmt im Fruchtwasser, ist also ein ganz anderes Wesen, bevor es geboren wird, wird geschützt vor den Erdenkräften. Das ist das Wesentliche, daß es geschützt wird vor den Erdenkräften, und da vorzugsweise - es hat ja auch den Ein¬fluß von den andern Sternen - den Einfluß des Mondes hat.
Sehen Sie, so müßte es geschehen, daß heute an unseren Uni-versitäten und an unseren Schulen, und schon an den Volksschu¬len in gewisser Weise, soweit das sein kann, die Dinge ganz an¬ders studiert würden, daß der Mensch vor allen Dingen studiert würde, menschliches Herz, menschlicher Kopf, und im Zusam¬menhange damit die Sterne studiert würden. Und an den Uni¬versitäten müßte es erstens geben eine Beschreibung, wie sich aus dem ganz kleinen Menschensamen der menschliche Keim durch die erste, zweite, dritte, vierte, fünfte Woche und so weiter ent¬wickelt. Das hat man, das gibt es, diese Beschreibung, aber die andere Beschreibung gibt es nicht, was in derselben Zeit der Mond macht. Deshalb kann man nur eine Wissenschaft von der physischen Entstehung des Menschen haben, wenn man auf der einen Seite das beschreibt, was vorgeht im Mutterleibe, und auf der anderen Seite beschreibt die Taten des Mondes.
Und wiederum, man kann nur ganz richtig verstehen, wie zum Beispiel die Zähne wechseln um das siebente Jahr herum, wenn man nicht nur - was heute geschieht - beschreibt, wie da der Milchzahn ist, der andere nachwächst, dem Milchzahn nach-geschoben wird, sondern wenn man wiederum eine Sonnenwissen-schaft hat, denn das hängt von den Sonnenkräften ab.
Und ebenso, wenn der Mensch geschlechtsreif wird, da be¬schreibt man heute die rein physischen Vorgänge. Die hängen aber vom Saturn ab; da braucht man eine Satumwissenschaft. Also man kann gar nicht so vorgehen, wie man heute vorgeht, daß man jedes Ding für sich beschreibt. Denn dann kommt natür¬lich das heraus, wie es geschah in einem Krankenhaus in einer
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großen europäischen Stadt. Da kam einer mit einer Milzkrankheit, wie er glaubte, ins Universitätsspital. Da fragte er: Nach welcher Abteilung soll ich da gehen mit einer Milzkrankheit?-Da gab man ihm Anweisung, daß er in irgend eine Abteilung gehen sollte. Nun erwähnte er dort unglückseligerweise nebenbei, daß er auch eine Leberkrankheit habe. Da sagte man ihm: Da können Sie bei uns nichts haben, da müssen Sie in ein ganz anderes Spital hinübergehen, da ist es für Leberkrankheiten; bei uns hier ist es nur für Milzkrankheiten. - Der war nun, «zwischen zwei Bündeln Heu», wie der bekannte Esel, denn die andere Abteilung war wie¬der nur für Leberkrankheiten, und nicht für Milzkrankheiten -zwischen zwei Bündein Heu, die gleich groß waren, die sich gar nicht von einander unterschieden. - Es ist ja ein berühmtes lo¬gisches Bild über die Freiheit des Willens! Da hat man gesagt:
Was tut ein Esel, wenn er zwischen zwei Bündeln Heu steht, die ganz gleich groß sind, ganz gleich stark riechen? Will er sich für das linke entscheiden, dann denkt er sich: das rechte schmeckt ebensogut; will er sich für das rechte entscheiden, denkt er: das linke ist ebensogut. Und dann fährt er immer hin und her und stirbt zwischen diesen zwei Heubündeln vor Hunger! So war nun dieser mit den zwei Krankheiten, er wußte nicht, wohin, und hat eigentlich sterben können zwischen seinem Entschluß drinnen, ob er nun zur Abteilung für Leberkrankheiten oder zur Abteilung für Milzkrankheiten gehöre!
Ich will das nur erwähnen, um zu zeigen, daß jeder heute nur etwas weiß von einem ganz kleinen Stückchen der Welt. Aber so kann man heute nichts wissen! Denn wenn man heute etwas wis¬sen will vom Mond, muß man auf die Sternwarte gehen und die Leute fragen. Aber die wissen wiederum nichts über die Entste¬hung des Menschen. Da muß man wieder den Gynäkologen, den Geburtshelfer, den Frauenprofessor fragen. Der weiß aber nichts von den Sternen. Aber die zwei Dinge gehören zusammen.
Darauf beruht ja das Elend des heutigen Wissens, daß jeder ein Stück von der Welt weiß, aber niemand das Ganze. Daher kommt es, darauf beruht es, daß die Wissenschaft heute, wenn sie vorge-tragen
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wird in populären Vorträgen, so furchtbar langweilig ist. Natürlich, die Sache muß ja langweilig sein, wenn Ihnen die Leute nur das erzählen, was ja nur ein kleines bißchen von der Sache ist.
Nehmen Sie an, Sie wollten wissen, wie ein Stuhl ausschaut, der nicht gerade hier ist, und einer beschreibt Ihnen das Holz; Sie wollen aber wissen, wie er gestaltet ist. Dann wird Ihnen das langweilig sein, wenn der am Stuhl Ihnen nur das Holz beschreibt. So ist es heute langweilig, wenn man, wie man es heute nennt, Anthropologie, die Wissenschaft vom physischen Menschen, lernt, weil das, worauf es ankommt, nicht mit beschrieben wird. Und wenn es mit beschrieben wird, hat es gar keinen Bezug zur Sache.
Also Sternenwissenschaft wird nur in Ordnung kommen, wenn man sie verbinden wird mit Menschenwissenschaft. Und darum handelt es sich; das ist die Art, wie ich diese Frage Ihnen sach¬gemäß heute beantworten kann. Es ist wirklich so, daß man solche wichtigen Dinge, wie die, welche ich Ihnen von Rousseau und van Helmont erzählt habe - die ja da sind, und die man gar nicht von der Erde aus verstehen kann-, daß man die verstehen muß. Die Leute sind schon materialistisch geworden selbst in bezug auf die Worte. Wie hat man zum Beispiel so etwas genannt, das darin bestand, daß irgendein Mensch Tiere hat lähmen können durch seinen Blick? Man hat das Magnetismus genannt. Ja, aber das Wort Magnetismus hat man später nur angewendet auf das Eisen, auf den Magneten. Und wenn man heute redet in der Wissen¬schaft, redet man nur davon, es beim Eisen zu belassen, und Magnetismus nicht zu mißbrauchen. Nur die Scharlatane, die re¬den noch davon, daß man einen Menschen magnetisiert; aber sie können sich nichts mehr darunter vorstellen. Dazu, um solches zu durchschauen, braucht es eben einer geistigen Wissenschaft.
DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 7. Mai 1923
#G349-1961-SE236 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
#TI
DREIZEHNTER VORTRAG
Dornach, 7. Mai 1923
#TX
Ist Ihnen etwas eingefallen, was heute noch besprochen werden soll?
Fragestellung: Vielleicht würde Herr Doktor über die We,enheit von Christus, Ahriman und Luzifer im Verhältnis zum Menschen etwas sagen.
Dr. Steiner: Da muß man noch von einer anderen Seite auf die Wesenheit des Menschen überhaupt eingehen, sonst kommt Ihnen das natürlich als eine Art von Aberglauben vor. Da möchte ich Ihnen auf Grund dessen, was wir schon durchgesprochen haben, das Folgende sagen.
Sehen Sie, man hat heute so das Bewußtsein, als ob der Mensch ein durch und durch ganz gleichartiges Wesen sei. Das ist er nicht; sondern der Mensch ist eigentlich fortwährend in einem Zustande, in dem er auflebt und wiederum stirbt. Man lebt nicht bloß bei der Geburt und stirbt nicht bloß mit dem Tode, sondern
- ich habe es Ihnen auch schon öfter auseinandergesetzt - man stirbt fortwährend und lebt wiederum auf.
Nun, wenn wir zum Beispiel unseren Kopf anschauen, so ist ja der Kopf eigentlich innerlich ganz und gar aus demjenigen be¬stehend, was man Nervensubstanz nennt. Sie wissen ja, die Ner¬ven laufen sonst nur als Fäden durch den Organismus, aber der Kopf ist innerlich ganz Nerv. Wenn man das zeichnet, so schaut es eigentlich so aus (es wird gezeichnet): der Kopf, die Stirne; da ist der Kopf innerlich ganz Nerv, eine starke Nervenmasse; dann geht noch etwas von dieser Nervenmasse durch das Rückenmark. Dann aber gehen die Nervenfäden durch den ganzen Körper. Also dasjenige, was nur in Fäden durch den ganzen Körper geht, das ist im Kopfe als eine einheitliche Masse vorhanden. Das ist die Nervenmasse.
Wenn Sie zum Beispiel nun noch das Innere des menschlichen Bauches anschauen, so haben Sie darinnen auch noch sehr viele
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Nerven. Da ist dann das sogenannte Sonnengeflecht. Da ist sehr viel Nerv noch drinnen. Aber in die Arme und Hände und in die Beine und Füße, da laufen eben die Nerven ganz fadenförmig aus.
Wenn Sie nun wiederum nach etwas anderem hinschauen, nach den Blutgefäßen, dann werden Sie finden: im Kopfe verlaufen die Blutgefäße ziemlich fein (es wird gezeichnet). Dagegen sind die Blutgefäße besonders stark in der Herzgegend ausgebildet; und dann sind ja dicke Blutadern in den Gliedern. So daß man sagen kann: Wir haben auf der einen Seite das Nervensystem, auf der anderen Seite das Blutsystem.
Nun ist die Sache so, daß wir aus dem Blut immer wiederum, jeden Tag, jede Stunde, neu geboren werden. Das Blut bedeutet immer die Erneuerung. Würden wir also bloß Blut in uns haben, so würden wir wie Wesen sein, die fortwährend wachsen, größer werden, frisch sind und so weiter. Aber sehen Sie, würden wir bloß Nerven sein, würden wir also nur aus Nerven bestehen, dann würden wir fortwährend abgespannt, müde sein, wir würden eigentlich fortwährend absterben. So daß wir zwei entgegen-gesetzte Prinzipien in uns haben, das Nervensystem, das uns fort-während alt werden läßt, sogar dem Tode fortwährend überlie¬fert, und das Blutsystem, das mit dem Nahrungssystem in Zusam-menhang steht, das uns fortwährend jung werden läßt und so weiter.
Die Sache, die ich Ihnen jetzt erklärt habe, die kann man nun auch noch weiter ausführen. Sie wissen ja, im Alter werden manche Menschen so, daß man sagen muß, sie sind verkalkt. Ver¬kalkung tritt ein, Sklerose. Die Menschen kommen dann sehr leicht, wenn ihre Adern, wie man sagt, verkalken, also gerade die Blutgefäßwände verkalken, dazu, sich nicht mehr recht bewegen zu können. Und wenn dann eine besonders starke Verkalkung eintritt, dann wird der Mensch vom Schlag getroffen, wie man sagt. Er bekommt einen Schlag. Der Schlag, den der Mensch be¬kommt, besteht ja nur darinnen, daß seine Blutgefäße ver'kalken und eben nicht mehr halten.
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Was ist denn da eigentlich über den Menschen gekommen, wenn er verkalkt, wenn er sklerotisch wird? Sehen Sie, da ist es so, als ob seine Blutgefäßwände zu Nerven werden wollten. Das ist das Merkwürdige. Die Nerven, die müssen fortwährend abster¬ben. Die Nerven müssen gewissermaßen das ganze Leben in dem¬selben Zustande sein, in dem die Blutgefäße gar nicht sein dürfen. Die Blutgefäße müssen frisch sein. Die Nerven müssen fortwäh¬rend zum Absterben geneigt sein. Wenn dagegen der Mensch Nerven bekommt, die zu weich sind, die also nicht genügend, wenn ich mich so ausdrücken darf, verkalkt sind, die zu weich sind, dann wird er verrückt. Also Sie sehen, die Nerven dürfen nicht wie die Blutgefäße sein und die Blutgefäße nicht wie die Nerven.
Das ist eben das, was uns zwingt, zu sagen, der Mensch hat zwei Prinzipien in sich. Das eine ist das Nervenprinzip. Das ver¬ursacht, daß er eigentlich fortwährend alt wird. Vom Morgen bis zum Abend wird man eigentlich immer ein bißchen älter. In der Nacht frischt sich das wieder vom Blut herein auf. So geht das immer, wie der Pendelschlag der Uhr: alt werden, jung werden, alt werden, jung werden. Nur natürlich, wenn wir vom Morgen bis Abend wachen - gewiß, dann werden wir eben älter, und wenn wir vom Abend bis zum Morgen schlafen, werden wir wie¬der jünger; aber ein bißchen etwas bleibt imrner übrig. Also es bessert schon die Nacht die Sachen aus; aber von jedem Tag Alt¬werden bleibt ein bißchen übrig. Und wenn dann das beim Men¬schen eine genügend große Summe gibt, dann stirbt er. So ist die Geschichte wirklich. Wir haben also zwei Dinge im Menschen, die sich einander entgegen arbeiten, das Altwerden, das Jung-werden.
Nun können wir uns das aber auch seelisch anschauen. Ich hab' es Ihnen jetzt körperlich erklärt. Sehen Sie, wenn das Jungwer¬den gar zu stark im Menschen Platz greift, dann bekommt er Rippenfellentzündung oder Lungenentzündung. Es ist nämlich so, daß die Sachen, die ganz gut sind, die ausgezeichnet sind, wenn sie in ihren Grenzen bleiben, dann, wenn sie überhand nehmen, zur
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Krankheit werden. Die Krankheit ist im Menschen nichts anderes, als daß etwas, was er immer braucht, überhand nimmt. Fieber rührt davon her, daß das Jungwerden viel zu stark in uns wird. Das können wir nicht mehr vertragen. Wir fangen an, zu frisch zu werden mit unserem ganzen Leib. Dann haben wir Fieber oder eine Pleuritis, das ist eine Rippenfellentzündung, dabei, oder eine Lungenentzündung.
Nun, das Ganze kann man aber auch seelisch anschauen. See¬lisch kann der Mensch auch vertrocknen, oder er kann so werden, wie er sonst körperlich im Fieber wird. Da gibt es gewisse Eigen-schaften des Menschen - man hört sie nicht gerne, weil sie beson-ders heute so viele Menschen haben -, das ist: man wird pedan¬tisch, man wird ein Philister. Sie wissen, daß es heute immerhin Philister gibt. Man wird also Philister, man wird Pedant. Man wird, währenddem man eigentlich als Schulmeister ein ganz fri¬scher Kerl sein sollte, gerade als Schulmeister vertrocknet. Ja, das ist wiederum dasselbe, wie wenn unsere Blutgefäße verkalken, vertrocknen. Wir können auch seelisch vertrocknen. Und dann wiederum können wir auch seelisch erweichen. Das ist, wenn man ein Schwärmer wird, ein Mystiker oder ein Theosoph wird. Ja, was will man denn da? Da will man nicht ordentlich denken. Da will man mit der Phantasie in alle Welten hinaustreiben, ohne ordentlich zu denken. Das ist dasselbe, wie wenn man körperlich Fieber kriegt. Mystiker werden, Theosoph werden, heißt seelisch Fieber kriegen.
Aber alle zwei Bedingungen müssen wir immer in uns haben. Wir können gar nicht erkennen, wenn wir nicht die Phantasie gebrauchen können, und wir können gar nicht irgendwie etwas zusammenarbeiten, wenn wir nicht ein bißchen Pedanten sind, wenn man nicht allerlei einregistriert und so weiter. Macht man es zu viel, ist man ein Pedant, ein Philister. Macht man es gerade im rechten Maß, ist man eben eine richtige Seele.
Das ist es, daß man immer irgend etwas hat, was eben im rech¬ten Maße im Menschen sein muß, was aber, wenn es überhand nimmt, körperlich oder seelisch krank macht.
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Ebenso ist das Geistige, meine Herren. Wir können nicht immer schlafen, wir müssen auch manchmal aufwachen. Denken Sie sich, was das für ein Ruck ist, wenn man aufwacht! Stellen Sie sich nur vor, wie das beim Schlaf ist: Sie liegen da, Sie wissen nichts von Ihrer Umgebung. Wenn Sie einen guten Schlaf haben, kann Sie einer sogar kitzeln und Sie wachen davon nicht auf. Denken Sie, was das für ein Unterschied ist! Nachher wachen Sie auf, sehen alles, was um Sie herum ist, hören alles, was um Sie herum ist. Das ist ein großer Unterschied. Wenn Sie nun aufwachen - ja, diese Kraft zum Aufwachen müssen wir in uns haben; wenn Sie aber zu stark ist, wenn man immer aufwacht, wenn man gar nicht schlafen kann zum Beispiel, dann ist eben die Aufwachekraft zu stark in uns.
Wiederum gibt es solche Leute, die überhaupt gar nicht recht aufwachen können. Es gibt ja solche Menschen, die ihr ganzes Leben herumdämmern und herumträumen, die immerwährend schlafen mögen. Diese Menschen können nicht aufwachen. Wir müssen die Fähigkeit haben, richtig einschlafen zu können; aber wir dürfen diese Fähigkeit, richtig einzuschlafen, auch nicht zu stark haben. Sonst schlafen wir ewig, wachen gar nicht mehr auf.
So kann man sagen: Wir können dreierlei gewisse Zustände beim Menschen unterscheiden. Erstens körperlich. Da haben wir auf der einen Seite das Nervensystem. Das ist fortwährend etwas, was zur Verhärtung hinneigt, zur Verkalkung. Wir sagen also:
Verhärtung
körperlich: Verkalkung
Sehen Sie, Sie sind ja alle schon so alt, mit Ausnahme des Ein¬zigen, der da unter Ihnen sitzt, daß Sie Ihr Nervensystem ein bi߬chen verkalkt haben müssen. Denn hätten Sie heute noch Ihr Ner-vensystem, wie Sie es hatten, als Sie ein halbes Jahr alt waren, da wären Sie alle verrückt. Sie können nicht mehr ein so weiches Nervensystem haben. Diejenigen Leute, die verrückt sind, die ha¬ben eben ein kindliches Nervensystem. Also wir müssen die Kraft der Verhärtung, der Verkalkung in uns haben.Und auf der anderen
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Seite müssen wir die Kraft der Verweichung, der Verjüngung haben. Diese zwei Kräfte müssen sich das Gleichgewicht halten.
Verhärtung Verweichung
körperlich: Verkalkung Verjüngung
Wenn man die Sache seelisch anschaut, dann können wir sagen:
Der Verhärtung entspricht seelisch Pedanterie, Philisterhaftigkeit, Materialismus, trockener Verstand.
Das alles muß man überschauen. Ein bißchen Philister müssen wir sein, sonst würden wir ein Springingerl sein. Ein bißchen Pe¬danten müssen wir sein, sonst würden wir gar nicht richtig unsere Sachen aufheben. Statt daß wir unseren Rock in den richtigen Schrank hängen, würden wir ihn in den Ofen oder in den Schorn¬stein hineinhängen. Also ein bißchen Philister und ein bißchen Pedant sein ist ganz schön, aber es darf eben nicht zu stark sein. Dann haben wir seelisch auch die Kraft in uns zur Phantastik, zur Schwärmerei, zur Mystik, zur Theosophie. Wenn die alle zu stark werden, diese Kräfte, dann werden wir eben ein Phantast, ein Schwärmer. Das dürfen wir nicht werden. Aber wir dürfen auch nicht alle Phantasie weg haben.
Ich kannte einmal einen Menschen, der hat alle Phantasie gehaßt, und er ging niemals ins Theater zum Beispiel, in eine Oper schon gar nicht, weil er sagte: Das ist ja alles nicht wahr. - Er hatte eben gar keine Phantasie. Ja, wenn man aber gar keine Phantasie hat, dann wird man eben ein ganz trockenes Subjekt, dann wird man ein Schleicher durchs Leben, nicht ein richtiger, wirklicher Mensch. Also das darf wieder nicht ausarten.
seelisch: Pedanterie Phantastik
Philisterhaftigkeit Schwärmerei
Materialismus Mystik
Trockener Verstand Theosophie
Wenn wir es nun geistig ansehen, so haben wir die Kraft zur Verhärtung im Aufwachen. Im Aufwachen nehmen wir unseren Körper fest in die Hand, gebrauchen unsere Glieder. Und die
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Kraft, die sonst im Körper in der Verweichung, in der Verjün¬gung ist, die haben wir im Einschlafen. Da sinken wir in die Träume hinüber. Da haben wir unseren Körper nicht mehr in der Hand.
geistig: Aufwachen Einschlafen
Man kann sagen, der Mensch ist eigentlich fortwährend der Ge¬fahr ausgesetzt, in die eine oder in die andere Sache hineinzufal¬len, entweder zu stark der Verweichung, oder zu stark der Ver¬härtung zu verfallen.
Wenn Sie einen Magneten haben, so wissen Sie, der Magnet zieht das Eisen an. Wir sagen, wir haben zweierlei Magnetismus im Magneten. Die haben wir auch. Wir haben positiven Magnetis¬mus und negativen Magnetismus. Der eine zieht die Magnetnadel an, der andere stößt sie ab. Sie sind entgegengesetzt.
Nicht wahr, im Physischen, im Körperlichen geniert man sich durchaus nicht, den Sachen Namen zu geben. Man braucht Na¬men. Ich habe Ihnen jetzt etwas beschrieben, körperlich, seelisch und geistig, was jeder von Ihnen immer wahrnehmen kann, immer sieht, worüber jeder von Ihnen sich klar sein kann. Aber wir brau¬chen Namen. Wenn wir positiven Magnetismus haben, müssen wir uns klar sein, das ist nicht das Eisen; das ist im Eisen drinnen. Etwas Unsichtbares ist im Eisen drinnen.
Wer das nicht zugibt, daß etwas Unsichtbares im Eisen drinnen ist, der wird sagen: Du bist ein dummer Kerl! Da soll ein Magne¬tismus im Eisen drinnen sein? Das ist ein Hufeisen. Damit be¬schlage ich mein Roß. - Nicht wahr, so einer ist ein Idiot, der nicht zugibt, daß da im Eisen etwas Unsichtbares drinnen ist. Man kann dieses Hufeisen zu etwas anderem als zum Hufebeschlagen verwenden, wenn der Magnetismus drinnen ist.
Nun, ebenso, sehen Sie, ist etwas Unsichtbares, Übersinnliches, in dem Verhärten drinnen. Und dieses Unsichtbare, Übersinnliche, Wesenhafte, das man beobachten kann, wenn man dazu die Gabe hat, nennt man ahrimanisch. Ahrimanisch sind also die Kräfte, die aus dem Menschen fortwährend eine Art von Leichnam ma¬chen
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möchten. Wären nur ahrimanische Kräfte da, würden wir fortwährend Leichnam werden, und wir würden Pedanten wer¬den, ganz versteinerte Menschen. Wir würden fortwährend auf¬wachen, wir würden nicht schlafen können.
Die Kräfte, die uns nun verweichen, verjüngen, die uns zur Phantasie bringen, das sind die luziferischen Kräfte, das sind die-jenigen Kräfte, die wir brauchen, damit wir eben nicht ein leben¬der Leichnam werden. A'ber wenn nur die luziferischen Kräfte da wären, ja, da blieben wir unser ganzes Leben lang Kinder. Also in der Welt braucht es die luziferischen Kräfte, damit wir nicht schon mit drei Jahren Greise sind. In der Welt braucht es die ahrimanischen Kräfte, damit wir nicht fortwährend Kinder blei¬ben. Diese zwei entgegengesetzten Kräfte müssen im Menschen sein.
ahrimanisch luziferisch
körperlich: Verhärtung Verweichung
Verkalkung Verjüngung
seelisch: Pedanterie Phantastik
Philisterhaftigkeit Schwärmerei
Materialismus Mystik
Trockener Verstand Theosophie
geistig: Aufwachen Einschlafen
Nun handelt es sich darum, daß diese zwei entgegengesetzten Kräfte ausgeglichen sein müssen. Worinnen liegt nun die Aus-gleichung? Es darf nichts von diesen Kräften überhand nehmen.
Sehen Sie, wir schreiben jetzt, nicht wahr, 1923. Diese ganze Zeit von der Zeitenwende bis 1923 ist eigentlich so, daß die Menschheit in der Gefahr steht, den ahrimanischen Kräften zu verfallen. Sie müssen nur bedenken, eigentlich wird man heute da, wo es keine Geisteswissenschaft gibt, ahrimanisch erzogen. Den¬ken Sie nur, unsere Kinder kommen in die Volksschule, müssen die Dinge lernen, die ihnen ganz komisch vorkommen müssen -
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ich habe es Ihnen schon angedeutet -, an denen sie gar kein Inter-esse haben können. Sie haben den Vater immer gesehen, habe ich Ihnen gesagt; ja, der schaut so aus, hat Haare, Ohren, Augen, und nachher sollen sie lernen, das da hier (geschrieben): Vater, das ist der Vater. Es ist ihnen ganz fremd. Sie haben kein Interesse dafür. Und so ist es mit allem, was die Kinder zunächst in der Volks¬schule lernen sollen. Sie haben eben gar kein Interesse dafür.
Und dies ist ja der Grund, warum man wiederum vernünftige Schulen einrichten muß, wo die Kinder zunächst das lernen, wo¬für sie ein Interesse haben können. Würde das Unterrichten so fortgehen, wie man es heute macht, dann würden die Menschen eben sehr früh vergreisen, greisenhaft werden, alt werden, weil das Ahrimanische den Menschen alt macht. So wie heute die Kin¬der in der Schule erzogen werden, so ist das alles ahrimanisch. Das ist eben in diesen neunzehnhundert Jahren so, daß die ganze Entwickelung der Menschheit nach dem Ahrimanischen geht. Vorher war es anders.
Wenn Sie nun zurückgehen, sagen wir, vom Jahre 8000 bis zur Zeitenwende, da war es anders, da waren die Menschen der Ge¬fahr ausgesetzt, daß sie nicht alt werden konnten. Schulen gab es ja nicht in dem heutigen Sinne in diesen alten Zeiten. Schulen gab es nur für diejenigen Menschen, die schon ein respektables Alter erlangt hatten, und die dann richtige Gelehrte werden sollten. Für die gab es Schulen. Für die Kinder gab es ja in alten Zeiten keine Schulen. Die lernten eben im Leben. Dasjenige, was sie sahen, das lernten sie. Also es gab weder Schulen, noch bemühte man sich, den Kindern irgend etwas beizubringen, was ihnen fremd war. Da war die Gefahr vorhanden, daß die Menschen ganz ins Luzi¬ferische kamen, daß sie in die Schwärmerei, also ins Luziferische kamen. Und es war auch so. In diesen alten Zeiten, da war viel Weisheit vorhanden, das habe ich Ihnen schon gesagt. Aber na¬türlich, da mußte erst dieses Luziferische gezügelt werden, sonst hätten sie eigentlich den ganzen Tag Gespenstergeschichten erzäh¬len wollen! Das war dasjenige, was die Leute besonders geliebt haben.
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So daß man sagen kann: Vor sehr alten Zeiten, etwa von 8000 bis zur Zeitenwende, war ein luziferisches Zeitalter, und dann kam ein ahrimanisches Zeitalter.
Schauen wir uns einmal das luziferische Zeitalter an. Sehen Sie, da haben diejenigen, die damals in diesen alten Zeiten Gelehrte waren, gewisse Sorgen gehabt. Die damals Gelehrte waren, die lebten ja in solchen turmförmigen Gebäuden. Der babylonische Turm, von dem Ihnen in der Bibel erzählt wird, ist ja nur eines von diesen Gebäuden. Da lebten diese Gelehrten. Diese Gelehr¬ten sagten: Nun ja, wir haben es hier gut. Mit uns will auch un¬sere Phantasie durchgehen. Wir möchten immer ins Gespen¬stische, immer ins Luziferische herein. Aber da haben wir unsere Instrumente. Da schauen wir in die Sterne hinaus und sehen, wie die Sterne sich bewegen. Das zügelt unsere Phantasie. Denn wenn ich einen Stern anschaue und will, daß er so geht, so geht er eben nicht so. Da wird also die eigene Phantasie gezügelt.
Also die Gelehrten, die wußten, sie lassen sich durch die Wel-tenerscheinungen ihre Phantasie zügeln. Oder sie hatten physika-lische Instrumente. Sie wußten: Wenn ich mir vorstelle, ich habe ein ganz kleines Stückchen Holz, heize ein bißchen ein, da wird ein Riesenfeuer - so kann ich das in der Vorstellung sagen, aber wenn ich es wirklich mache, wird eben aus dem kleinen Stück¬chen Holz ein kleines Feuer.
Das war also der Sinn dieser alten Lehranstalten, die wuchernde Phantasie dieser Menschen zu zügeln. Und die Sorge, die diese Leute hatten, die bestand darinnen, daß sie sagten: Ja, da sind nun die anderen alle, es können ja nicht alle Gelehrte werden! Und da gaben sie die Lehren heraus, die manchmal ehrlich waren, manch-mal unehrlich. Das sind die alten Religionslehren, die durchaus von der Wissenschaft ausgehen, nur natürlich arteten sie, auch die Priester, aus. Und so kamen auch die unehrlichen - die ehr¬lichen sind zum Teil, zum größten Teil verloren gegangen -, die unehrlichen auf die Nachwelt. Das war die Zügelung des Luzi-ferischen.
Und wie es im Ahrimanischen ist, das wissen Sie ja. Die Wissenschaft
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von heute strebt immer mehr und mehr dem Ahrimanischen zu. Eigentlich ist unsere ganze Wissenschaft etwas, das uns heute vertrocknet macht. Denn diese Wissenschaft, die kennt eigentlich nur eben das Körperliche, das heißt das Verkalkte, das Materielle. Und das ist dasjenige, was in unserer ganzen Zivilisation das Ahrimanische ist.
Zwischen beiden steht dasjenige drinnen, was man nun im wirk-lichen Sinne das Christliche nennt. Sehen Sie, das wirkliche Christ-liche kennt man ja zu wenig in der Welt. Wenn man dasjenige christlich nennt, was man in der Welt kennt, da müßte man ja natürlich das Christliche bekämpfen, das ist ja selbstverständlich.
Aber diejenige Wesenheit, von der ich Ihnen auch das letzte Mal einiges gesprochen habe, die eben in der Zeitenwende gebo¬ren ist und 33 Jahre gelebt hat, diese Persönlichkeit, die war ja nicht so, wie es die Leute beschreiben, sondern sie hatte eigentlich die Absicht gehabt, für alle Menschen solche Lehren zu geben, die einen Ausgleich, ein Gleichgewicht zwischen dem Ahrima¬nischen und dem Luziferischen möglich machten. Und christlich sein heißt eben, den Ausgleich zwischen dem Ahrimanischen und dem Luziferischen suchen. Christlich sein kann man nämlich wirk¬lich nicht so, wie es heute die Menschen oftmals nennen.
Was heißt denn zum Beispiel christlich sein im körperlichen Sinne? Christlich sein im körperlichen Sinne heißt, ich eigne mir Kenntnisse über den Menschen an. Der Mensch kann auch krank werden. Der Mensch bekommt Rippenfellentzündung. Was heißt das, er bekommt Rippenfellentzündung? Das heißt: zu viel Luzi-ferisches ist in ihm. Weiß ich das, daß zu viel Luziferisches in ihm ist - wenn er Rippenfellentzündung bekommt, ist also zu viel Luziferisches in ihm -, dann muß ich sagen: Wenn ich eine Waage habe (es wird gezeichnet) und die schnellt hier zu stark herauf, dann muß ich die Gewichte wegnehmen. Wenn sie zu stark her-untersinkt, muß ich Gewichte zugeben. Jetzt sage ich mir: Hat ein Mensch Rippenfellentzündung, so ist das Luziferische zu stark, das Ahrimanische zu schwach. Ich muß etwas Ahrimanisches dazutun, dann gleicht sich das wieder aus.
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Nehmen wir also an, ich sage mir ganz richtig: Dieser Mensch hat Rippen fellentzündung; wie kann ich ihm helfen? Ich nehme, sagen wir, ein Stück Birkenholz. Das Birkenholz wächst im Früh¬ling stark. Gerade Birkenholz ist etwas sehr Gutes, namentlich wenn es gegen die Rinde zu liegt; es sind in der Rinde sehr gute Wachstumskräfte drinnen. Die töte ich ab, das heißt ich ver¬brenne das Birkenholz. Dann habe ich Birkenholzkohle. Was habe ich denn da gemacht aus dem frischen, immerfort sich ver¬jüngenden Birkenholz? Birkenholzkohle habe ich daraus gemacht, Ahrimanisches habe ich daraus gemacht. Und jetzt mache ich ein Pulver aus dieser Birkenholzkohle und gebe es demjenigen ein, der in der Rippenfellentzündung zu viel Luziferisches in sich hat. Dann habe ich das Ahrimanische zu dem hinzugefügt, was er zu viel an Luziferischem hat.
Sehen Sie, dann habe ich den Ausgleich geschaffen. Wie ich bei der Waage etwas hinzufügen muß, wenn sie zu hoch hinauf-schnellt auf der einen Seite, ebenso habe ich, wenn zu viel Luzi¬ferisches in der Rippenfellentzündung da ist, Birkenholzkohle hinzugefügt. Das Birkenholz habe ich mineralisch gemacht da¬durch, daß es verbrannte, so daß es Pulver geworden ist. Ahri¬manisch ist es gemacht worden.
Oder nehmen Sie einmal an, ein Mensch bekommt so ein mü¬des, gelähmtes Aussehen, so daß ich mir sagen kann: den trifft nächstens der Schlag. Da ist zu viel Ahrimanisches in ihm. Jetzt muß ich Luziferisches in ihn hineingeben, damit es sich ausgleicht. Was werde ich denn da tun?
Sehen Sie, wenn ich eine Pflanze habe (es wird gezeichnet): Da ist die Wurzel. Sie wissen, die Wurzel ist hart. Die enthält viel Salze. Das ist nicht luziferisch Der Stamm und die Blätter sind auch noch nicht luziferisch Aber ich gehe da weiter hinauf, und da habe ich eine riechende, eine stark riechende Blüte. Das will fort, geradeso, wie die Phantasie fort will, sonst würde ich es gar nicht riechen können. Nun nehme ich aus der Blüte den Saft. Der ist luziferisch Dann gebe ich es in der richtigen Weise ein, gleiche so das Ahrimanische aus, und ich kann ihn heilen.
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Was tut die heutige Medizin? Die heutige Medizin, ja, die pro¬biert. Es kommt ein Chemiker darauf, daß er einen gewissen Stoff entdeckt (der Name wurde nicht verstanden). Ich brauche Ihnen nicht auseinanderzusetzen, was das ist; das ist ein komplizierter Stoff. Nun nimmt man den in ein Krankenhaus. Da sind meinet-willen dreißig Patienten. Man gibt allen dreißig Patienten das Mittel ein, nimmt das Fieberthermometer, mißt, notiert, und wenn dabei etwas herauskommt, betrachtet man es als ein Heilmittel.
Aber man hat keinen Begriff, wie das im menschlichen Körper eigentlich zugeht. Man guckt nicht hinein in den menschlichen Körper. Erst wenn man weiß: bei der Rippenfellentzündung ist zu viel Luziferisches, da muß man Ahrimanisches hinzutun; beim Schlag ist zu viel Ahrimanisches, da muß man Luziferisches dazutun - dann ist es das Richtige. Das ist es, was heute der Menschheit fehlt. Die Menschheit ist in diesem Sinne zu wenig christlich, weil das Christliche der Ausgleich ist. Sehen Sie, ich zeige Ihnen, wo das Christliche in ganz körperlichem Heilen be¬steht. Darin besteht das Christliche, daß man den Ausgleich sucht.
Das wollte ich ja auch in dieser Holzfigur darstellen, die im Bau sein soll. Da ist oben das Luziferische, das ist alles dasjenige, was beim Menschen fieberhaft, Phantasie, Einschlafen ist, was von oben ausgeht beim Menschen; und nach unten alles dasjenige, was sich verhärten will, das Ahrimanische. Und zwischen drinnen der Christus.
Das ist dasjenige, was einen darauf bringt, was man in der Medizin, in der Naturwissenschaft, in der Soziologie, was man überall tun soll. Und heute gehört es eben zu den Menschen, daß sie verstehen, wie Luziferisches und Ahrimanisches in der Men¬schennatur drinnen ist.
Aber was verstehen denn die Menschen von den Dingen? Da hat einmal ein in Basel und auch noch weiterhin sehr berühmter Pastor, Frohnmeyer hat er geheißen, ein sehr berühmter Pastor, vorgetragen. Der hat sich zwar nicht die Mühe genommen, diese Figur anzuschauen, aber er hat wiederum bei einem anderen ge-lesen, der es vielleicht auch nicht angeschaut hat, sondern wieder
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abgeschrieben hat, daß hier eine Figur gemacht wird, oben luzi-ferisch, in der Mitte Christus, und unten ahrimanisch. Es sind ja drei Figuren, die übereinander sind, und, nicht wahr, es sind sogar mehrere, Ahriman zweimal, Luzifer auch zweimal. Nun aber, die¬ser Frohnmeyer hat es so gut gewußt, daß er geschrieben hat:
Der Steiner macht da draußen in Dornach etwas ganz Schreck-liches, eine Christusfigur, die oben luziferische Züge hat, und nach unten tierische Merkmale.
Nun, die Christusfigur hat gar keine luziferischen Züge, son¬dern einen ganz menschlichen Kopf. Aber das hat er verwechselt. Er hat geschrieben: eine Christusfigur, die nach oben luziferische Züge und nach unten tierische Merkmale hat. - Nun ist der Chri¬stus nach unten überhaupt nicht fertig, sondern noch ein Holz¬klotz!
So hat dieser nach Wahrheit strehende christliche Pastor die Sache beschrieben, und die ganze Welt sagt nun, das muß doch wahr sein, denn das ist doch ein Pastor , der das geschrieben hat!-Es ist eben schwer, dagegen aufzukommen, wenn die Leute nicht einsehen, nicht begreifen wollen. Sie laufen immer zu den Pasto¬ren, weil sie glauben, was die Pastoren sagen. Aber da haben Sie ein Beispiel von Verleumdung, das also so jämmerlich ist, daß man sich überhaupt etwas größeres gar nicht denken kann.
Und merkwürdige Ansichten haben diese Menschen. Der Pastor Frohnmeyer, der hat dies also geschrieben. Nun war damals noch, als er dies geschrieben hat, Dr. Boos hier am Goetheanum. Sie wissen ja, Dr. Boos hat die Manier, ein bißchen mit der Keule dreinzusch lagen. Man mag ja darüber seine Ansicht haben, ob man mit der Keule dreinschlagen soll oder mit dem Bartwisch. Der Bartwisch ist weicher, mehr luziferisch, die Keule ist hart, mehr ahrimanisch. Also es kommt darauf an, mit was man dreinschla¬gen soll. Aber nun, da hat er also dem Frohnmeyer einmal die Wahrheit gesagt, etwas mit der Keule die Wahrheit gesagt. -Wer kriegt einen Brief von Frohnmeyer? Ich! Ich kriege einen langen Brief von Dr. Frohnmeyer' daß ich doch den Dr. Boos ver¬anlassen soll, nicht so unartig zu sein gegen Dr. Frohnmeyer
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Denken Sie sich einmal, was die Menschen für Begriffe haben. Man kann es gar nicht fassen, was sie für Begriffe haben. Sie ver¬leumden jemanden, wie ich es Ihnen erzählt habe, und nachher wenden Sie sich an einen, daß man gegen den, der die Unwahrheit richtigstellt, vorgehen soll!
Das ist eben das Schwierige, daß sich das Publikum, namentlich das bürgerliche Publikum, gar nicht irgendwie bequemt dazu, in diesen Dingen selber zu sehen, sondern es wird eben hingenom¬men; weil ihnen amtlich die Betreffenden hingesetzt sind, so ist es richtig. Deswegen ist unsere Zivilisation ja so ungeheuer frivol, so gemein in vielen Dingen.
Es handelt sich darum, daß die ganze Denkweise von heute in ein solches Fahrwasser kommen muß, daß man wieder einsieht:
mit all diesem Gerede vom Christlichen ist es nichts, sondern man muß es sachlich nehmen. Man muß also wissen, die Medizin kann christlich werden, wenn man zum Beispiel folgendes weiß. Sagen wir, einer zeigt ganz genau, daß, wenn in regelmäßiger Weise der Mensch Zucker gegessen hat, vielleicht schon als Kind, nun kriegt er Leberkrebs - das ist ein Ahrimanischwerden der Leber -, und nun muß man wissen, was man dagegen anwenden soll: das ent-sprechende Luziferische. Geradeso, wie ein Mensch unterscheidet zwischen Wärme und Kälte. Wenn einem die Glieder erstarrt sind, da ist man ahrimanisch geworden. Wenn man nun warme Umschläge, warme Tücher auflegt, so ist das das Luziferische, das gegenwirkt. Und so muß man eben auf allen Gebieten unter allen Umständen wissen, wie es mit dem Menschen beschaffen ist. Dann wird die Medizin christlich.
Ebensogut muß die Pädagogik, das Schulwesen christlich wer¬den. Das heißt, man muß so erziehen, daß die Kinder nicht grei¬senhaft werden schon von frühester Kindheit an. Also man muß sie in der Schule mit solchen Dingen anfangen lassen, die ihnen naheliegen, für die sie Interesse haben, und so weiter.
Sie sehen, wenn man die Sache so auffaßt, so liegt in dem Ge¬brauch der Ausdrücke ahrimanisch, luziferisch, christlich, gar
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nicht irgend etwas Abergläubisches, sondern etwas vollkommen Wissenschaftliches. Und das ist es ja auch.
Wie ging denn die geschichtliche Entwickelung? Nicht wahr, da war eine Zeit von den ältesten christlichen Zeiten bis ins zwölfte, dreizehnte Jahrhundert hin, noch ins vierzehnte Jahrhun¬dert, da war es ja den Christen verboten, die Bibel zu lesen. Das Neue Testament zu lesen war verboten. Das durften ja nur die Priester lesen. Die allgemeinen Gläubigen durften nicht die Bibel lesen. Warum? Ja, weil allerdings die Geistlichen wußten, die Bibel muß man richtig lesen. Die Bibel ist noch in einer Zeit ent¬standen, in welcher die Menschen nicht so gedacht haben, wie sie heute denken, sondern in der die Menschen bildlich gedacht ha¬ben. Also muß man die Bibel richtig lesen. Würden nun die Men¬schen, ohne daß sie richtig vorbereitet sind, die Bibel lesen, so würden sie darauf kommen, daß die Bibel vier Testamente hat, das Matthäus-Evangelium, das Markus-Evangelium, das Lukas¬Evangelium, das Johannes-Evangelium. Nun, die widersprechen einander. Warum widersprechen die einander? Das muß man nur richtig verstehen, meine Herren. Das «einander Widersprechen» konnte wirklich ein halbwegs nicht auf den Kopf gefallener Mensch auch schon im vierten, fünften Jahrhundert einsehen. Na¬türlich widersprechen sie einander.
Aber denken Sie sich, ich habe den Herrn B. von vorne photo-graphiert und zeige Ihnen allen das Bild. Nun, da kennen Sie von dem Bilde aus den Herrn B. Nun kommt einer und photographiert ihn von der Seite, so daß man das Profil sieht, nicht wahr. Ich zeige Ihnen das, und Sie würden alle sagen: «Das ist nicht der Herr B., der schaut ja ganz anders aus; von vorne muß man ihn anschauen, da schaut er so aus. Aber was du mir zeigst von der Seite, das ist nicht der Herr B!» - Ja, das ist auch der Herr B. aber er ist es nur von zwei verschiedenen Seiten! Und gar, wenn ich ihn von hinten photographieren würde, würden Sie sagen:
«Aber er hat doch auch eine Nase, nicht lauter Haare!» Aber das ist ja von verschiedenen Seiten her!
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Wenn man nun geistige Vorgänge von verschiedenen Seiten her «photographiert», so nehmen sie sich auch verschieden aus. Man muß eben wissen, daß die Evangelien von vier verschiedenen Seiten her schildern. Daher müssen sie sich einander widerspre-chen, so wie sich ein Bild von Herrn B. von vorne, von der Seite, von hinten voneinander unterscheidet.
Aber nun sind ja die Zeiten gekommen, in denen die Leute ge¬sagt haben: Das gibt es nicht, sich erst vorbereiten, um die Evan¬gelien zu lesen. Vorbereiten tun wir uns heute überhaupt für nichts mehr. Wir lassen uns in der Schule vorbereiten, da lassen wir uns dressieren; aber wenn wir einmal über die Dressur hinaus sind, so über vierzehn, fünfzehn Jahre, da gibt es nichts mehr vorzubereiten, da müssen wir alles verstehen. - Nun, das ist ja so die normale Ansicht von heute.
Warum soll denn auch das nicht dazu führen, daß die Leute sehen: Da ist ein Goetheanum, da gehen zur Vorbereitung nicht Kinder hinein, sondern uralte Kerle mit Glatzen wollen noch immer vorbereitet sein. Ja, eine Schule, in die nicht Kinder gehen, sondern nur alte Leute, das muß ja ein Narrenhaus sein! - Sehen Sie, so sagen sie, weil sie sich das gar nicht vorstellen können, daß die Leute noch etwas lernen wollen. So ist es heute. Und das ist es, daß wir uns klar sein müssen: Um so etwas, wie die Evange¬lien zu lesen, muß man richtig sich erst dazu vorbereiten, weil es bildhaft gemeint ist. Geradeso' wie wenn heute einer ein chine¬sisches Schriftstück lesen wollte, so müßte er ja auch erst die Buchstaben kennen lernen. Wenn man heute die Evangelien so nehmen wollte, wie die Evangelien geschrieben sind, so wäre es natürlich ein Unsinn, geradeso wie die chinesische Schrift ein Kritzekratze ist, wenn man sie nicht vernünftig anschaut. Wenn man aber die Dinge richtig versteht, dann kommt man darauf, daß alles im Christlichen dahin geht: Du sollst lernen, immer das Ahrimanische mit dem Luziferischen richtig ins Gleichgewicht zu bringen, nicht daß das eine heraufschlägt' das andere hinunterschlägt.
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Und deshalb geniert sich die Anthroposophie auch nicht, von dem Christlichen in diesem Sinne zu reden. Sie betont, daß das Christliche nicht darinnen besteht, daß man fortwährend den christlichen Namen im Munde führt und so weiter. Das werfen ja die Leute der Anthroposophie vor, daß sie so wenig von Christus spricht. Nun, ich sage immer: Ja, seht ihr, die Anthroposophie redet nicht viel von Christus, weil sie die zehn Gebote kennt. Und ihr redet so viel von Christus, weil ihr nicht einmal das Gebot kennt: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht un¬nötig aussprechen.
Wenn einer heute als christlicher Pastor predigt, so wird der Christusname fortwährend ausgesprochen. Man soll ihn nur aus-sprechen, wenn man wirklich richtig versteht, worauf es an¬kommt! Das ist es, nicht wahr, wodurch sich die Anthroposophie davon unterscheidet, die wirklich im richtigen Sinne christlich sein will, aber ohne abergläubisch, ohne frömmelnd zu sein, nur wirk¬lich wissenschaftlich sein will, in diesem Sinne wirklich nur wis-senschaftlich sein will. Und in dieser Weise betrachtet sie auch dasjenige, was sich hineingestellt hat zwischen die alte Zeit, die luziferisch war, und die neue Zeit, die ahrimanisch ist, betrachtet sie eben dieses Ereignis in Palästina als das Maßgebende für die Weltgeschichte.
Und wenn man wiederum richtig verstehen wird, was da eigent¬lich auf der Erde geschehen ist, dann wird man eben eigentlich erst wiederum, ich möchte sagen, zu sich kommen. Die Menschen sind ja jetzt außer sich mit ihrer ganz äußerlichen Wissenschaft. Von dem wollen wir dann das nächste Mal weitersprechen. Das ist dasjenige, was ich auf die Frage zur Antwort geben wollte. Ich glaube, man kann die ganze Sache schon verstehen.
VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 9. Mai 1923
#G349-1961-SE254 Vom Lebens des Menschen und Erde - Über das Wesen des Christentums
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VIERZEHNTER VORTRAG
Dornach, 9. Mai 1923
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Fragestellung: Kann man noch Näheres über die Persönlichkeit von Jesus Christus hören?
Dr. Steiner: Sie sehen, daß die Frage zeitgemäß ist, und so wer¬den wir sie heute besprechen. Ich muß von vornherein sagen, daß dasjenige, was ich sagen werde, nur für diejenigen ganz verständ-lich sein wird, die schon längere Zeit dagewesen sind, während die Herren, die heute erst gekommen sind, sich langsam erst in dasjenige, was wir besprechen, hineinfinden werden.
Also die Frage, die mir vorgelegt worden ist, und die wir be-sprechen werden, ist die über die Persönlichkeit Christi, welche dreiunddreißig Jahre alt geworden ist und dann starb.
«Am dritten Tag erhob er sich aus dem Grabe, ist auferstanden. Wie kommt das, und woher hat diese Persönlichkeit die Kraft und Macht er's'orben? Und dann möch¬ten Sie so freundich sein und von seiner Himmelfahrt nach viertig Tagen sprechen.»
Da die Zeit gerade passend ist, werde ich das besprechen, nach¬dem wir das andere schon haben vorangehen lassen; aber, wie ge¬sagt, es kann nur für die ganz verständlich sein, die schon länger hier sind. Die anderen werden schon auch einmal dahin kommen, wenn wir hier öfter beisammen sind.
Nun, zunächst ist es ja so, daß die ganze Sache von Christi Per-sönlichkeit und seinen Schicksalen in der allerersten Zeit, nach¬dem sie sich zugetragen hatte, eigentlich ziemlich unbekannt war. Sie müssen die Sache nicht so auffassen, wie man sie heute an¬schaut, denn heute hat man so das Gefühl, daß die Ereignisse in Palästina, die sich an die Persönlichkeit Jesu anknüpfen, mit einem Schlag durch die ganze Welt bekannt geworden seien. So ist es ja nicht, sondern die Sache ist so, daß ja dazumal in der Zeit, in der die Schicksale des Christus Jesus sich zugetragen ha¬ben, weitausgebreitet das sogenannte Römische Reich war, ein mächtiges Weltreich, und Palästina gehörte auch zu diesem mäch-tigen römischen Weltreich.
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Sie wissen ja, daß wir von diesem römischen Weltreich noch eine recht mißliche Erbschaft haben, das sogenannte Römische Recht. Sie wissen vielleicht, daß die Schüler an den Universitäten für die sogenannte Rechtsgelehrsamkeit sehr lange lernen müssen das sogenannte Römische Recht. Nun, das Römische Recht, das ist in einer Zeit ausgedacht worden, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse ganz anders waren, so daß das Römische Recht natür-lich für die heutige Zeit etwas höchst Unpassendes geworden ist. Aber es wird eben nach dem Römischen Recht heute noch Recht gesprochen.
So haben wir eben von diesem Römertum diese eine Erbschaft. Wir haben noch manches andere; aber diese eine Erbschaft, das sogenannte Römische Recht, ist etwas, was Ihnen allen auffallen kann.
Diese römische Herrschaft, die war nun außerordentlich aus-gebreitet. Ich will Ihnen nur einen kleinen Begriff davon geben, wie ausgebreitet die römische Herrschaft war. Sie brauchen sich nur den Süden von Europa vorzustellen: hier hätten wir etwa Spanien (es wird gezeichnet), hier Italien; da haben wir dann Griechenland, hier das Schwarze Meer. Dann haben wir eine Menge von kleinen Inseln. Da stößt Kleinasien herüber, und da drüben, in der Gegend ungefähr, die ich so anstreichen will, da lag das kleine Ländchen Palästina mit Jerusalem, Nazareth und so weiter.
Die römische Herrschaft war nun über alle diese Länder aus-gedehnt. Die Römer hatten alle diese Länder mit ihrer Herrschaft besetzt. Also es war eine sehr ausgedehnte römische Herrschaft! Rom liegt da etwa. Natürlich spielte sich in Rom alles ab, was Regierungsgeschichten waren und so weiter, also sehr weit weg von Palästina. Und alles, was sich in Palästina abgespielt hat, das wurde unter Umständen dazumal sehr, sehr wenig bekannt. Und diejenigen Schriftsteller, die in Rom geschrieben haben, die haben noch etwa hundert Jahre lang, nachdem sich schon diese Tatsache mit dem Christus Jesus in Palästina zugetragen hatte, noch nichts davon geschrieben! Erst etwa hundert Jahre später hat man in
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Rom diese Sache aufgefaßt, die sich da in Palästina zugetragen hatte. Und man hat sie damals in Rom nicht viel anders behandelt ak so, daß man eben gesagt hat: Nun ja, da in Palästina drüben ist ein unbekannter Mensch gekreuzigt worden. - Gekreuzigt wer¬den, das bedeutete dazumal so etwas wie später: gehängt werden. Also es machte kein besonderes Aufsehen. Erst dann, nachdem hundert Jahre verlaufen waren, und die römische Herrschaft im¬mer tyrannischer und tyrannischer und auch immer luxuriöser und luxuriöser geworden war, da hat sich gezeigt, daß mittler¬weile, während in Rom die Leute in ihrem Luxusleben waren, sich tangsam, nach und nach, das Christentum hier ausgebreitet hatte, und in Rom bemerkte man eigentlich zuerst die Christen. Und den Christen ging es in Rom ja so, daß man sie zunächst über¬haupt nicht dulden wollte. Wer ein Christ war, der war in Rom etwas sehr stark Verfolgtes. Und jetzt muß ich Ihnen sagen, war¬um in Rom die Christen verfolgt wurden, denn, nicht wahr, Sie würden sonst ganz und gar nicht verstehen können, welche Auf¬fassung darinnen liegt, daß dazumal die Ansicht aufkam: da ist in Palästina, in Jerusalem ein Gott gestorben. Da müssen Sie sich klar machen, wie dazumal die Ansichten in der Welt eigentlich waren. Sehen Sie, für einen Römer in diesem ersten christlichen Jahr¬hundert, also für einen Römer in der Zeit, in der man geschrieben hat - man hat es dazumal noch nicht geschrieben, man hat nach dem römischen Kalender gerechnet, aber wenn unsere Zeitrech¬nung schon gewesen wäre, so hätte man 1 oder 10 oder 50 mei¬netwillen geschrieben -, also wenn Sie in der Zeit einen Römer dazumal gefragt hätten: Wer ist denn Gott? so hätte er gesagt:
Der Augustus, oder: Der Tiberius. So wie heute der Chinese noch, wenn Sie ihn fragen: Wer ist denn Gott? auf den Kaiser von China zeigt. Also Sie müssen sich klar sein darüber, daß in der damaligen Zeit für die Römer der Herrscher, der Regierende zu gleicher Zeit ihr Gott war. Und das war dasjenige, was die Römer zuerst an den Christen bemerkten, was sie zuerst gewahr wurden an den Christen, daß die Christen nicht daran glaubten, daß ein Mensch auf Erden ein allgemeiner Gott sein kann. Die Römer
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wußten nur, irgendein Mensch, der auf dem Throne sitzt, der eine mächtige Herrschaft hat, der ist der Gott, der ist das Höchste, das man anbeten muß. Es war ja auch eine Art von Anbetung, welche die Römer ihrem Herrscher zuteil werden ließen.
Ja, das war so in der ganzen Welt dazumal. Da drüben im Orient, wo die großen Reiche einmal waren, das Perserreich, das assyrische, das babylonische Reich und so weiter in den alten Zei¬ten, da war es auch so, daß der Herrscher der Gott war. «Gott» bedeutete nichts anderes, als derjenige, an den man sich wendete, wenn man irgend etwas brauchte. Er war der Oberste. Man faßte ihn als Helfer auf. Aber er war nicht immer ein Helfer.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie ja das Wort «Gott» in Ihrer Sprache wahrscheinlich kennen werden. Wenn Kinder getauft werden, dann müssen Leute Pate stehen. Nun gibt es Ge¬genden, ich glaube, auch in der Schweiz hier, wo man den Mann den Gott, den Herrn Gott nennt, und die Frau Gottel nennt. Das bedeutet, daß die, die dem Kind Paten sind, Hilfe zu leisten ha¬ben. Es ist derselbe «Gott». Und der Gott war nur derjenige, der so der allgemeine Weltenpate war. Man muß sich, wenn man die Dinge der früheren Zeit verstehen will, immer zurückversetzen in die früheren Zeiten. Also der Gott war der allgemeine Welten-pate. Der Name Goethe, der Name des deutschen Dichters Goethe, kommt auch von demselben Worte.
Und das war das erste, was man von den Christen hörte, daß die Christen nicht daran glaubten, daß ein Mensch auf Erden ein allgemeiner Gott sein kann. Das war für die Römer etwas, was sie gar nicht fassen konnten. Solche furchtbaren Leute, die nicht den Kaiser gelten lassen als Gott, ja, das sind ganz gefährliche Leute. Und die Christen wiederum, die beriefen sich eben auf den Aus-spruch: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. - Also Sie sehen, an dem Ausspruch Jesu, da ist aus-einandergeschnitten die Sache Kaiser und Gott. Gott ist das Un-sichtbare. Gott ist dasjenige, was nicht in einem sichtbaren Men-schen auf der Erde wohnt. Das behaupteten die Christen. Und das war der große Unterschied zwischen den Römern und den Chri-sten.
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Und die Folge davon war, daß die Römer überhaupt die Christen als die allergefährlichsten Menschen ansahen, die die Staatsgewalt untergraben, weil sie nicht in dem Tempel dem Kai¬ser Opfer brachten. Die Opfer in den Tempeln, die wurden ja dem Kaiser gebracht von den Leuten. Nun, die Christen, die opferten einem Gott, der in Palästina gestorben ist, der gar nicht irgendwo zu sehen ist. Das war etwas, was die Römer nicht be¬greifen konnten. Und daher mußten die ersten Christen ihre Opferdienste unterirdisch verrichten, unter der Erde. Und diese unterirdischen Gänge, die sie sich da ausgruben, in denen sie ihre Verstorbenen begraben haben, ihre Opfer verrichtet haben, die nennt man Katakomben. Es gibt ja in Rom, in Italien überhaupt, unter der Erde solche weitausgedehnten Katakomben, wie kleine Städte. Da haben die ersten Christen in den ersten Jahrhunderten ihre Opferdienste verrichtet, während oben die Römer große Zir¬kusse hatten, riesige Zirkusse hatten. Und da hatten sie zum Bei¬spiel ja in solchen Zirkussen sich ein Hauptvergnügen daraus gemacht, daß sie einen Menschen, den sie verachteten, irgendwie an einen Pfahl anbanden mit einem Seil, und ihn, nachdem er mit Pech angestrichen war, anzündeten und lebendig verbrannten. Und dem schaute man zu in dem Zirkus, so wie man heute bei Stier¬kämpfen zuschaut. Das war etwas, was ganz gang und gäbe war.
Stellen Sie sich nur einmal dieses Bild vor, oben die wilden Römer in den Zirkussen, welche den mit Pech angestrichenen Menschen, der mit Seilen angebunden war, lebendig verbrannten. Das belustigte sie also sehr. Und unten die Christen, die in den Katakomben ihre Gottesdienste verrichteten. Das war ein Unter-schied zwischen dem unter der Erde und über der Erde, wie man sich ihn schärfer gar nicht denken kann. Das muß man nur ins Auge fassen.
Es ist ja richtig, daß die Dinge im Mittelalter dann auch ganz furchtbar zugegangen sind mit der Inquisition. Aber so schlimm, wie sich die Römer in der Blüte ihrer Kaiserzeit benommen haben, so schlimm haben sich die Christen später denn doch nicht be-nommen. Das muß man nur festhalten. Das ist eben wahr.
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Also das erste, was man in Rom hörte, das war: Die Christen, die wollen einen sichtbaren Gott nicht anerkennen. Nun natürlich ist ja immer mehr und mehr bekannt geworden, was eigentlich mit diesem Christus Jesus gemeint war, und ich habe Ihnen einiges davon schon erzählt. Ich habe Sie zum Beispiel darauf aufmerk¬sam gemacht, daß eigentlich zwei Jesusknaben dagewesen sind -von denen ist der eine eben sehr früh gestorben -, und die waren, man möchte sagen, Spielkameraden, außerordentlich fähige, be¬gabte Kinder.
Nun sehen Sie, diese Erzählung, die Sie ja alle aus der Bibel kennen, wie der zwölfjährige Jesus im Tempel die Schriftgelehr¬ten unterrichtet, die ist etwas, was durchaus auf einer Wahrheit beruht. Nur müssen Sie natürlich jetzt sich nicht sagen: Wenn ein zwölfjähriger Bube heute an die Universität kommt, so würde das Professorenkollegium keinen großen Respekt vor ihm haben. Die heutigen Unterweisungen kann man eben mit den damaligen gar nicht vergleichen. Sie müssen wirklich nicht glauben, daß ich etwa konservative Gesinnung vertrete, oder gar reaktionäre, aber ich muß Ihnen die Tatsachen erzählen, so wie sie sind. Nicht wahr, wir müssen ja heute ganz selbstverständlich unsere Kinder in die Schule schicken. Da lernen gerade die begabten Kinder außerordentlich viel von dem, was ihnen noch gar nicht liegt. Man muß ja, wie wir es in der Waldorfschule machen, die Sachen so herrichten, daß sie den Kindern liegen. Aber im allgemeinen lernen die Kinder außerordentlich viel, was ihnen gar nicht liegt. Das, was ihnen gar nicht liegt, das können natürlich die Erwach¬senen besser als die Kinder. Aber was den Kindern ausgetrieben wird dadurch, daß die Kinder unser heutiges Lesen und Schreiben lernen, ja, meine Herren, darauf geben die Menschen heute gar nicht acht. Kinder sagen einem, wenn man sie richtig anzuhören versteht, außerordentlich gescheite Sachen. Das haben sie sich mitgebracht aus dem geistigen Leben, bevor sie auf die Erde her¬untergestiegen sind. Und dieser eine Jesusknabe, der hat eben außerordentlich viel mitgebracht. Und dadurch, daß die beiden Jesusknaben Spielkameraden waren, wußten sie eigentlich im
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Grunde immer dasselbe. Nun ist der eine gestorben. Und so er-zählen jetzt die Evangelien, weil das den Leuten besser gefallen hat, eben nur von einem Jesusknaben. Aber dadurch versteht man die Evangelien nicht. Lesen Sie heute nur das Matthäus- und das Lukas-Evangelium, so widersprechen die einander. Die ganze Ab-stammung des Jesus im Matthäus-Evangelium wird anders geschil-dert. als im Lukas-Evangelium. Warum? Ja, weil sich die Dinge wirklich auf zwei Jesusknaben beziehen.
Ich habe Ihnen gesagt, ich habe mich wirklich jahrelang mit der Frage vom geisteswissenschaftlichen Standpunkte aus beschäf¬tigt, und bin darauf gekommen: es handelt sich um zwei Jesus-knaben. Das Matthäus-Evangelium, das handelt von einem ande¬ren Jesusknaben als das Lukas-Evangelium.
Nun ist der eine im zwölften Jahre gestorben, der andere übrig geblieben. Wenn es also im Evangelium heißt: «Jesus nahm zu an Weisheit, Geist und Kraft», so ist das eben nur auf den einen bezüglich.
Sehen Sie, das habe ich lang vorher gefunden, wie ich es Ihnen gesagt habe, daß es zwei solche Jesusknaben gibt. Man wußte nicht, daß irgendwo in der Geschichte solches gemeldet wird, bis wir einmal in Norditalien auf ein Bild trafen. Da ist diese Ge¬schichte dargestellt von Jesus im Tempel, wo er die Schriftgelehr¬ten belehrt. Und da ist merkwürdigerweise dieser zweite Jesus-knabe. Der geht da fort. Der eine, der belehrt, und der andere, der da abzieht, das ist nicht der gewöhnliche Jesusknabe, den man kennt! Da sind also zwei Jesusknaben darauf. So daß man sagen kann, daß in gewissen Jahrhunderten die Leute noch ge¬wußt haben: ein zweiter Jesusknabe hat existiert. Der geht weg. Wie ich es gefunden hatte, dann konnte ich erst wissen, daß da dieser zweite Jesusknabe dargestellt ist. Sie sehen, durch Jahr¬hunderte hat man das gewußt. Aber die Kirche hat niemals solche Sachen, die also der wirklichen Wahrheit entsprechen, eigentlich aufkommen lassen.
Nun habe ich Ihnen ja schon gesagt, es gibt einfach gewisse Dinge im Leben des Menschen, wo man sagt, es kommt eine Erleuchtung.
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Natürlich, das lassen die Leute nicht gelten. Aber sehen Sie, von solchen Erleuchtungen - die gibt es einfach -, von solchen Erleuchtungen kann man sprechen, und ich will Ihnen ein Beispiel erzählen, das mir erst gestern von einem Mitgliede von hier übergeben worden ist. Ich könnte Ihnen Hunderte von Bei¬spielen erzählen, aber ich will Ihnen dieses neueste Beispiel er¬zählen.
Da gibt es einen sehr bedeutenden Chemiker, Kekulé, ein ein-wandfreier Gelehrter, eben einfach ein richtiger Chemiker, der viele Bücher über Chemie geschrieben hat. Nun sind zwei wich¬tige wissenschaftliche Ansichten von diesem Kekule' herrührend. Ich brauche ihnen diese Ansichten nicht weiter auseinanderzuset¬zen, das würde uns stundenlang beschäftigen, darauf kommt es jetzt gar nicht an. Diese zwei wichtigen chemischen Ansichten, die beziehen sich darauf, wie die Stoffe, namentlich Benzol zum Beispiel, in ihren kleinsten Teilen beschaffen sind. Und diese An¬sichten, die da Kekule' aufgestellt hat, die spielen eine außeror¬dentlich große Rolle in der Chemie. Wer Chemie kennt, der weiß, daß man ,heute überall von der Kekulé-Theorie redet.
Nun, was erlebte Kekule' selber? Kekule' erzählt, er war einmal in London, da wohnte er ziemlich weit draußen - da hatte er noch nichts von seinen Theorien aufgestellt - und mußte in .der Nacht immer mit einem Omnibus nach dem anderen Ende der Stadt fah-ren. Da hatte er einen Bekannten, den besuchte er abends. Deshalb mußte er immer so weit fahren. Nun fuhr er einmal nach Hause, nachdem er mit dem Bekannten, der auch ein Chemiker war, lange über chemische Sachen geredet hatte. Bei dem Sausen des Omni¬bus döste er so ein, fing an einzuschlafen. Und wie er oben auf dem Omnibus zu schlafen anfängt, da träumte ihm: Da ist ein Atom, da ist ein anderes, da ein drittes Atom; und da sind dann kleine Atome, die werden zusammengehalten von den großen (es wird gezeichnet). Da träumte ihm von den Stoffen und der Materie, bis er nach Hause gekommen ist. Das träumte ihm alles auf dem Omnibusse oben. Wie er nach Hause kommt, schreibt er sich das sorgfältig auf. Das war die eine Theorie. Sehen Sie, sie
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hat ihm geträumt. Eingegeben war sie ihm, eine ganz materiali-stische Theorie.
Das zweite ist die sogenannte Benzoltheorie. Die hat er ein anderes Mal, allerdings nicht in London sondern als er an einem anderen Orte eingedöst ist, geträumt.
Ja, meine Herren, Sie sehen, da mußte ein ganz materialistischer Chem'iker gestehen, mit seinem Denken, mit dem Ausdenken wäre er gar nicht auf die Sachen gekommen, sondern er bekam sie eben durch einen Traum, diese zwei Dinge. Eine Erleuchtung, ein rich-tiges Eingeben war alles.
Nun möchte ich einmal wissen, warum man dann sich dagegen wendet, wenn gesagt wird, daß der Jesus, der übriggeblieben war, im dreißigsten Jahre etwas ganz anderes geworden ist. Na¬türlich, der Kekulé ist nicht gleich ein ganz anderer Mensch ge¬worden, weil die Eingebung doch eine kleine war. Aber in den Jesus zog ein das Wissen von der ganzen Welt, wie er dreißig Jahre alt war. Das war in jenen älteren Zeiten etwas, was durch¬aus möglich war, und ähnliche Dinge sind auch heute noch mög¬lich. Also Sie müssen sich nur denken, daß der Jesus von Nazareth, der da übriggeblieben war, im dreißigsten Jahre erleuchtet wor¬den war mit alledem, was man den Christus nennt. Der fuhr in ihn herein, wie in den Kekulé die Benzoltheorie hereingefahren ist. Dadurch war er ein ganz anderer Mensch geworden. Und die¬jenigen, die jetzt etwas von den Sachen verstanden, die sagten:
Die Römer, die haben einen Gott auf dem Thron. Der Gott auf dem Thron, sagten sie, der ist durch die gewöhnlichen Erden-mächte geworden. - Solche Götter auf dem Thron, die haben ja gewöhnlich nicht Erleuchtungen; wenigstens meistens nicht, nicht wahr; die haben nicht solche Erleuchtungen mit dreißig Jahren.
Nun, die Christen sagten: Unser Gott, der ist nicht eingesetzt von Menschen, der ist eingesetzt von den Weltenmächten selber.
Nun mußten sie aber noch etwas anderes sagen. Es war nicht so unbestimmt, was man von dem Jesus dazumal sagte, wie das¬jenige, was ich Ihnen jetzt eben mitteile. Ich muß es Ihnen lang¬sam und allmählich mitteilen, daher, nicht wahr, ist die Sache
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erst unbestimmt. Aber es war noch in folgender Weise bestimm¬ter. Sehen Sie, wir haben heute, damit einzelne Menschen gescheit werden nach der Ansicht unserer Zeit, Hochschulen. Nachdem man zuerst schon lange in sogenannten Gymnasien oder in der Realschule gescheit gemacht worden ist, kommt man auf die Hochschule. Da wird einem nun der rechte Schliff der Gescheit¬heit gegeben. Aber Sie werden ja nicht immer finden, daß die Menschen, die da von der Universität dann herauskommen, an¬dere Menschen geworden sind in der Universität, sondern sie ha¬ben äußerlich etwas gelernt.
Das war allerdings in älteren Zeiten nicht der Fall. In älteren Zeiten hatte man gar nicht einen Unterschied zwischen Kirchen und Theatern und &hulen, sondern das war alles eins, und das nannte man Mysterien. Da wurden dazumal die Leute ausgebildet. Und das Wichtigste, was den Leuten in den Mysterien gelehrt worden ist, das war das sogenannte Wissen von der Sonne.
Sehen Sie, ich habe Ihnen ja von allen naturwissenschaftlichen Sachen gesprochen, habe immer gesagt, was die Sonne für einen Einfluß hat auf alles dasjenige, was auf der Erde vor sich geht. Die Pflanzen wachsen nicht bloß, weil sie von unten aus dem Boden herausgetrieben werden, sondern weil die Sonne sie her¬austreibt. In uns allen ist die Sonnenkraft geradeso wie die Erden-kraft. Und ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, daß diese Sonnenkraft nicht bloß eine tote Kraft ist, sondern eine weisheits¬volle, lebendige Kraft. Ich habe Ihnen viele Beispiele vorgeführt. Sie haben sehen können, daß das, was unter den Tieren geschieht, weisheitsvoll, intelligent, verständig geschieht. Ja, wenn man zur Sonne hinaufsieht, stellen sich die Gelehrten vor, das ist ein Gasball. Meine Herren, das ist ungefähr geradeso gescheit, als wenn wir alle miteinander einmal uns könnten - man kann es ja nicht, aber nehmen wir an, wir könnten das so, wie es der Jules Verne geschildert hat - in ein großes Flugzeug setzen und könnten auf den Mond hinauffahren, auf dem Mond unsere Ar¬beit suchen und ich würde Ihnen sagen: Meine Herren, seht ihr, da unten, da ist die Erde. Die Erde ist ein Körper, da ist nichts
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anderes darauf.-Sie würden mir nicht glauben, meine Herren, weil Sie ja mit mir heraufgefahren sind. Sie würden glauben, daß da doch Menschen darauf sind. Menschen, die Seelen haben, sind auf der Erde.
Aber geradeso machen es die Gelehrten mit der Sonne heute. Man sitzt da auf der Erde, schaut auf die Sonne hinauf und sagt:
Da oben ist nichts als brennendes Gas. - Aber das ist ein wirk¬licher Unsinn. Die Sonne ist, wenn auch nicht von solchen Men¬schen, die man mit Augen sehen kann, bewohnt, aber sie ist bewohnt.
Und dieses Wissen von der Sonne, das hat man eben in den alten Mysterien den Schülern hauptsächlich mitgeteilt. Und des¬halb hat man diese Schüler Sonnenschüler genannt. Man hat ge¬sagt: Da oben auf der Sonne, da sind die Kräfte, die Frühlings¬kräfte, die Sonnenkräfte, da ist dasjenige, was aus der Erde alles herauszieht. Und so hat man einen, der in der alten Zeit das ge¬lernt hatte, was die Geheimnisse der Sonne sind, Sonnenschüler genannt, und später einen Sonnenmeister, wenn er ausgebildet war. Und dasjenige, was nun der Jesus von Nazareth im dreißig¬sten Jahre plötzlich wußte, das war diese Sonnenweisheit. Diese Sonnenweisheit war über ihn gekommen. Nun haben Sie viel¬leicht schon gesehen, wenn Pflanzen unten unter der Erde sind im Keller, die auf der Erde schön grün sind, prachtvoll sind, so wer¬den sie unten im Keller ganz weißlich und wie gelähmt. Nun, da fährt eben nicht die Sonnenkraft in sie hinein. Diese Sonnenkraft in höchstem geistigem Sinne, die ist in den Jesus hineingezogen. Und diejenigen, die das verstanden haben, haben gesagt: Jetzt ist der Christus in den Jesus hineingezogen.
Sehen Sie, jetzt kam eben diese merkwürdige Sache. Die Juden, die hauptsächlich in Palästina hier wohnten (es wird gezeichnet), die hatten längst von ihren Propheten gehört, es muß einmal so etwas geschehen, daß die Erde belehrt werden kann aus dem Weltenraum selber herunter. Aber Sie können ganz sicher sein, wenn heute irgendwo einer einen «Wilhelm Teil» schreiben würde, wie ihn Schiller geschrieben hat, und man würde ihn im
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Theater aufführen, würden die Leute sagen: Das ist ein Schmus, das ist etwas ganz Schlechtes. Sie würden es nicht anerkennen. Und der «Wilhelm Teil» ist eben zuerst von den paar Leuten anerkannt worden, die Schiller gekannt haben; dann hat sich das verbreitet. Es ist schon einmal so in unserer Gesellschaftsordnung, ist immer so gewesen, daß die Mehrzahl der Menschen sich haben führen lassen an ihrem Schopf. So haben die Juden sich auch füh¬ren lassen an ihrem Schopf und haben eben, als das eingetreten ist, und sie nun nicht mehr durch die Mysterien geführt worden sind, sondern als einer aufgetreten ist, der dieses Sonnenwissen gehabt hat, da haben sie gesagt: Das ist aber einmal einer, der das behauptet, daß das alles wahr ist, was er sagen kann! - Sie wissen ja, was man mit solchen Leuten macht, die eine Wahrheit sagen, die noch nicht bekannt ist unter den Leuten. Das war eine große Wahrheit und Weisheit, die der Jesus von Nazareth, in dem der Christus jetzt lebte, zu verkündigen hatte. Nun, und da kreuzigte man ihn. Und er ist tatsächlich durch den Tod gegan¬gen.
Und da komme ich jetzt auf die Frage, wie sie mir direkt ge¬stellt worden ist. Sehen Sie, die heutigen aufgeklärten Theologen, die meistens womöglich noch ärger sind als die nichtaufgeklär¬ten - die unaufgeklärten, die sagen: Nun ja, da haben sie dann den Christus ins Grab gelegt, und nach drei Tagen ist er mit Fleisch und Blut, so wie er war, auferstanden. - Da haben natür¬lich die aufgeklärten Leute gesagt: Das glauben wir nicht, weil keiner aus dem Grabe herauskommt. - Aber, ich möchte sagen, es ist doch wenigstens irgend etwas, wozu man sich bekennt. Es mag ja anfechtbar sein, aber es ist etwas, wozu man sich bekennt.
Aber was sagen die aufgeklärten Theologen? Sehen Sie, einer der aufgeklärtesten Theologen, der viel bekannt und genannt ist, ist Harnack. Was sagt der über die Auferstehung? Sehen Sie, Harnack sagt: Was da am dritten Tag im Garten von Gethsemane
- dort war nämlich das Grab - sich zugetragen hat, das kann man ja nicht wissen. So sagt also der aufgeklärte Theologe: Was da am dritten Tag im Garten von Gethsemane sich zugetragen hat,
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das kann man ja nicht wissen. Aber viele Leute haben nach und nach geglaubt, daß dort der Chritus auferstanden ist. Also ist das der Osterglaube, und wir nehmen an, daß man sich an diesen Osterglauben halten soll. -
Sehen Sie, ich habe einmal diese Frage - es ist jetzt schon lange her - in der Berliner Giordano Bruno-Vereinigung vorgebracht. Da war ein gelehrter Vorsitzender, der glaubte, sehr viel von die¬sen Dingen zu wissen, und der sagte: Das kann doch Harnack nicht so behauptet haben, denn was wäre denn das, wenn Harnack behauptete, daß man nicht glauben soll, was wirklich geschehen ist, sondern nur an das, was die Leute darüber glauben! Das wäre ja so wie mit dem Heiligen Rock von Trier, wo auch die Leute sagen: Nun ja, ob der Heilige Rock von Trier wirklich derjenige ist, den Christus getragen hat, das weiß man nicht, aber so und so viele glaubten daran, also glauben wir auch! - So sagte der Protestant von dem katholischen Glauben an den Heiligen Rock von Trier. Oder ein anderes Beispiel ist ja das von den Knochen des heiligen Antonius. Als man sie genau untersuchte, waren es Kalbsknochen. Da haben auch die Leute, die daran geglaubt ha¬ben, sich nicht so viel daraus gemacht, sondern gesagt, es komme nicht darauf an, ob es die Wirklichkeit ist, sondern ob die Leute es glauben.
Es kommt aber gar nicht darauf an, sondern es kommt darauf an, was geschehen ist! Nun wird in der Bibel eigentlich in einer wunderbaren Weise erzählt, nur geben die Leute nicht acht, wie dort erzählt wird. In der Bibel wird nicht erzählt, das und das ist geschehen, sondern überall wird erzählt: Das und das haben Men-schen gesehen, richtig gesehen. Das wird erzählt.
Es wird also erzählt, daß die Frauen hinausgekommen sind, und was sie am Grabe gesehen haben; es wird erzählt, daß der Chri¬stus den Jüngern in Emmaus begegnet ist, und so weiter, daß der Christus gesehen worden ist, das wird erzählt.
Jetzt erinnern Sie sich daran, daß ich Ihnen gesagt habe, der Mensch besteht nicht nur aus diesem materiellen stofflichen Leibe, der ins Grab gelegt wird, sondern der Mensch besteht auch
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noch aus dem Ätherleib, astralischem Leib und Ich. Ich habe Ihnen das ganz genau beschrieben. Nun ist der physische Leib des Jesus von Nazareth tatsächlich ins Grab gelegt worden. Ich habe mich viel mit dieser Frage beschäftigt, und es ist außerordentlich be¬deutsam, daß da gesagt worden ist im Evangelium selber, daß ein Erdbeben gekommen ist. Es war ein solches Erdbeben da. Das hat einen Spalt gemacht und der Leib ist aufgenommen worden von der Erde, war also wirklich nicht mehr da. Und die Jünger haben nicht diesen physischen Leib gesehen, sondern den Äther-leib, den übersinnlichen Leib. Die Frauen und die Jünger haben den Christus im Atherleib gesehen, nicht mehr den Jesus von Nazareth, sondern den Christus, dasjenige, was jetzt der verwan¬delte innere Mensch war.
Natürlich müssen Sie sich vorstellen, dasjenige, was sich da zu-getragen hat, das war ja für die Jünger etwas außerordentlich Großartiges. Sie müssen nur bedenken, wenn irgend einer unter Ihnen ist, mit dem Sie so ganz freundschaftlich zusammengewach-sen sind, der wird Ihnen durch die Kreuzigung - also heute würde man es nennen: durch den Galgen - entrissen, Sie sind in¬nig verbunden mit ihm, - das gibt doch einen Gemütszustand. Dieser Gemütszustand hat die Jünger geradezu hellsichtig ge¬macht für diese Dinge. Und sie haben immer wiederum, öfter als in den Evangelien angeführt ist, in den ersten Tagen den Christus wirklich gesehen. Aber es war der übersinnliche Christus.
Und sehen Sie, wenn Sie in den Paulusbriefen lesen, dann lesen Sie von dem berühmten Ereignis von Damaskus, das Paulus er¬fuhr in der Nähe von Damaskus: als er in eine Art von Schlaf-zustand kam, da erschien ihm in den Wolken der Christus. Und geben Sie acht, wie Paulus das erzählt. Er sagte einmal: Mir kann man nicht den Glauben an den Christus wegnehmen, denn ich habe wie die anderen Apostel den Christus gesehen.
Also Paulus sagt nicht, die anderen Apostel haben den Christus in dem physischen Leib gesehen; sonst müßte er behaupten, auch er habe den Christus im physischen Leib gesehen. Er behauptet ausdrücklich, er habe den Christus in den Wolken gesehen, also
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den übersinnlichen Christus, und indem er sagt, er und die ande¬ren Apostel haben den Christus gesehen, weist er schon darauf hin, daß die anderen Apostel, ebenso wie er, den Christus im ubersinnlichen Leibe gesehen haben. Und nicht wahr, da glauben die Leute, es sei ein Einwand dagegen, daß der ungläubige Tho¬mas die Hände in die Wundmale legen mußte. Das will ja bloß besagen: die Gegenwart, daß der Christus da war, dieses Erleben war so stark, daß der Thomas selbst den starken Glauben haben konnte, er berühre ihn. Es war also alles auf das Übersinnliche bezüglich.
Nicht wahr, die Wundmale waren ja etwas, was den Jüngern, besonders den Aposteln, zu Herzen gegangen ist. Es wäre ja viel weniger anschaulich, wenn da nicht erzählt würde, gerade die Wundmale konnten berührt werden. Warum gerade die Wund-male? Warum nicht die Hände auf das Gesicht oder auf so etwas legen? Da würde er ja auch gespürt haben, daß etwas da ist. Er legte seinen Finger auf die Wundmale, weil die Wundmale einen besonderen Eindruck gemacht haben, und es tatsächlich von dem höheren Schauen abhing, was da die Jünger von dem Chri¬stus wirklich gewahr wurden.
So daß man also sagen kann: Vierzig Tage hintereinander wa¬ren sich die Jünger klar darüber: der Christus ist noch da.
Und daraus entstand dann die christliche Lehre - die die ur-sprüngliche christliche Lehre ist, an die dasjenige anknüpft, was ich Ihnen am vorigen Montag gesagt habe -, daraus entstand dann die christliche Lehre: Wenn Christus begraben wird, dann ist im Grabe bloß der Leichnam, der ja verschwindet; das Un¬sterbliche hat uns der Christus an sich selbst gezeigt; er ist in seinem Unsterblichen vierzig Tage herumgewandelt. Wir haben ihn gesehen. Und dem Paulus ist er sogar noch viel später erschie¬nen. Er ist also immer da. -Und so können wir auch heute sagen: Er ist immer da. Nur ha-ben die Jünger, weil diese Kraft des Sehens in ihnen geschwun¬den ist, ihn nach vierzig Tagen nicht mehr gesehen. Da haben sie gesagt: Jetzt ist er von uns gegangen: Himmelfahrt. Das ist ein
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Ereignis, das die Jünger natürlich mit großer Traurigkeit erfüllt hat. Sie haben gesagt: Trotzdem er gestorben ist, trotzdem ihn die Feinde gekreuzigt haben, war er noch vierzig Tage lang unter uns. Jetzt ist er nicht mehr unter uns. Jetzt ist er wiederum zurück-gekehrt in die Weiten der Welt.
Und da wurden sie wirklich traurig. Nicht in einer gewöhn¬lichen Traurigkeit, sondern in einer ganz tiefen Traurigkeit. Und die zehn Tage, von denen jetzt geredet wird, diese zehn Tage waren für die Jünger und Apostel etwas, wo sie ganz tief mit sich zu Herzen gingen, wo sie alles mit innerer Kraft bedachten, was der Christus ihnen jemals gesagt hat. Diese zehn Tage reichten hin, daß sie sich selber hinterher sagten: Ja, das können wir selber auch alles wissen; diese Weisheit - sagten sie sich durch den star¬ken Eindruck -, diese Weisheit sitzt selber in uns. Und sie fühlten jetzt nach zehn Tagen die Kraft, diese Weisheit auch zu lehren. Die feurigen Zungen - das ist das Bild dafür - bekamen sie auf ihre Häupter. Das ist Pfingsten, der Pfingstgedanke, die feurigen Zungen. Durch die große Trauer, wo sie noch alles bedacht hat¬ten, daß sie des Christus nicht einmal mehr ansichtig wurden, waren sie so in sich gegangen, daß sie selber lehren konnten.
Und schön wird ja erzählt, daß sie jetzt anfingen, «in allen Sprachen zu reden». Aber da muß man nur ein wenig sich klar sein, wie da in alten Zeiten geredet wird. Sie dürfen natürlich nicht glauben, daß da behauptet wird, die Apostel hätten ange¬fangen, chinesisch oder japanisch zu reden oder gar deutsch, son¬dern gemeint ist nach der Sprechweise in alten Zeiten, daß sie jetzt durch all das, was sie in den zehn Tagen zwischen Himmel¬fahrt und Pfingstfest gedacht haben, erweckt worden sind. Jetzt gab es für sie nicht mehr den Unterschied der Religionen, son¬dern sie verkündeten eine Religion für alle Menschen. Das ist damit gemeint, daß sie in allen Sprachen reden konnten; eine Religion für alle Menschen.
Und das ist ja der schönste Pfingstgedanke, die Religion für alle Menschen. Sehen Sie, dasjenige, was den Menschen am mei¬sten geschadet hat, ist immer der Fanatismus in der Religion, das
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Ausschließliche in der Religion, daß man da Christentum und Buddhismus und Judentum und alles mögliche hat. Warum ist das, daß man so viele Religionen hat? Daß man so viele Religio¬nen hat, das rührt davon her, daß diese Religionen Erdenreligio¬nen sind, richtige Erdenreligionen.
Was meine ich damit, wenn ich sage: Erdenreligionen? Nun, sehen Sie, da gibt es eine Zeit, wenn wir zum Beispiel zurück¬gehen, sagen wir - heute haben wir 1923 - in die Zeit, von der ich Ihnen erzählt habe, daß der Christus Jesus in Palästina gelebt hat, also, in die Zeitenwende. Jetzt gehen wir weiter zurück, sa¬gen wir, in das Jahr 3500 vor dem Christus Jesus, also zurück ins Altertum, da gibt es da unten in Ägypten Menschen, die haben etwa 3000 oder 3500 Jahre vor Christus auch von ihrem Gott ge¬sprochen, nur in alten Worten. Sie haben ihn Ra genannt zum Beispiel. Sie haben von ihrem Gott gesprochen, aber sie haben ge¬sagt: Der Gott, der ist in der Stadt Theben zum Beispiel, und in der Stadt Theben, da gab es so eine Art Gebäude mit besonderem künstlerischen, grabmalähnlichen Aufbau. Da drinnen wohnte der Gott. Das war die älteste Form, in der man den Gott verehrte, daß er an einem bestimmten Orte war.
Ja, meine Herren, wenn einer da wohnte, wo wir heute wohnen, da wird er wahrscheinlich nicht gesagt haben: der Gott, der ist in Theben; denn das ist etwas gewesen, wo man nicht nur nicht hingekommen ist in alten Zeiten, sondern wovon man überhaupt nichts gewußt hat. Man hat ja nichts gewußt von Theben. Also diejenigen, die hier unten waren, in Ägypten, wo der Nil fließt, die haben gesagt: Der Gott, der wohnt in Theben. Und diejeni¬gen, die hier waren, in unserer Gegend, die hatten auch solche Ortsgottheiten. So zum Beispiel war eine Ortsgottheit im heutigen Elsaß, oder in Münster. Also die Menschen verehrten Gott an einem bestimmten Ort. Ja, das bedingt, das macht, daß verschie¬dene Religionen da sind: die Thebanerreligion, die Münsterreli¬gion, die elsässische Religion. Da spalten sich die Religionen.
Und später, als dann die Menschen auf der Erde mehr gewan¬dert sind, da konnten sie nicht mehr irgend einen Ort annehmen
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für den Gott, denn da hätten sie sich ja selber widersprochen. Sie waren weggezogen, und da hatten sie nicht mehr den Ort ange-nommen als Gott, sondern den Menschen, der sie angeführt hat. Und so ist allmählich die Gottwürde an den Kaiser und Fürsten übergegangen. Die waren wiederum für das eine Volk der Fürst. Oder es sind viele Fürsten entstanden.
Sie sehen, in Rom war noch etwas von dieser Religion, indem die Römer ja ihren Kaiser als Gott noch verehrten.
Aber was war das Christentum? Das Christentum sagte nichts von alledem. Nicht an einen Ort auf der Erde, nicht an einen Menschen auf der Erde ist dasjenige, was man verehren soll als Göttliches, gebunden, sondern an die Sonnenkraft, die Sonnen-lebendigkeit, die der Christus in sich aufgenommen hat. Und die Sonne ist gerade allmenschlich. Denn kein Mensch kann sagen in Europa, wenn die Sonne auf seinen Scheitel scheint, daß das eine andere Sonne ist als die Sonne der Ägypter oder der Chine¬sen oder der Australier. Wer wirklich anerkennt, daß die Christus-kraft von der Sonne kommt, der muß anerkennen die allgemeine Religion für alle Menschen.
Es war die allgemeine Religion für alle Menschen, wenn es auch die Leute nicht immer verstanden. Und den Jüngern ist so etwas ganz gut aufgegangen, daß die Sonnenreligion da ist. Das wird dadurch ausgedrückt, daß sie in allen Sprachen reden konnten. Sie konnten eine Versöhnungs-, eine Toleranzreligion für alle Menschen bringen. Das ist der Pfingstgedanke. Aber Sie wissen ja, der Pfingstgedanke ist heute noch nicht erfüllt. Und der muß erfüllt werden. Es muß noch durchaus klar werden, daß dasjenige, was der Christus auf die Erde gebracht hat, gar nicht von einer Lehre abhängig ist, sondern von einer Tatsache.
Wenn heute die europäischen Missionare zu einem Inder oder Chinesen kommen, da verlangen sie von denen, daß sie glauben an das, was man in Rom von dem Christus sagt. Dazu können sich die Inder oder die Chinesen nicht entschließen, denn das hat sich aus den europäischen Verhältnissen herausgebildet. Damit kann man die Leute nicht bekommen. Aber wenn man es so sagen
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würde, wie ich es Ihnen heute gesagt habe, könnte man es auf der ganzen Erde leisten. Denn was für alle Menschen gilt, das ist der Pfingstgedanke.
Jetzt habe ich versucht, Ihnen den Himmelfahrtsgedanken, wie er zu nehmen ist, und den Pfingstgedanken etwas auseinanderzu¬setzen, was der Herr, der die Frage aufgezeichnet hat, ja wissen wollte. Es war mir sehr lieb, daß ich Ihnen das sagen konnte, weil wir gerade in der Himmelfahrtszeit sind, und in zehn Tagen die Pfingsttage folgen.
Jetzt muß ich nach Norwegen fahren. Ich werde es Ihnen dann wieder sagen lassen, wann der nächste Vortrag sein wird. Auf Wiedersehen!
Literatur
- Rudolf Steiner: Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums, GA 349 (1980), ISBN 3-7274-3490-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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