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durch die blo­ße Er­zäh­lung be­kannt­ge­macht hat mit dem, was die über­sinn­li­che For­schung ent­hüllt. Denn be­g­rei­fen kann man eben auch das auf die­sem Ge­bie­te, was man noch nicht be­o­b­ach­tet. '''Ja es ist der gu­te Weg zum Schau­en der­je­ni­ge, wel­cher <u>vom Be­g­rei­fen</u> aus­geht'''.
durch die blo­ße Er­zäh­lung be­kannt­ge­macht hat mit dem, was die über­sinn­li­che For­schung ent­hüllt. Denn be­g­rei­fen kann man eben auch das auf die­sem Ge­bie­te, was man noch nicht be­o­b­ach­tet. '''Ja es ist der gu­te Weg zum Schau­en der­je­ni­ge, wel­cher <u>vom Be­g­rei­fen</u> aus­geht'''.


Wenn nun auch je­nes Ver­bor­ge­ne, das in dem phy­si­schen Lei­be den Kampf ge­gen den Zer­fall führt, nur für das höhe­re Schau­en zu be­o­b­ach­ten ist: in sei­nen Wir­kun­gen liegt es für die auf das Of­fen­ba­re sich be­schrän­k­en­de Ur­teils­kraft klar zu­ta­ge. Und die­se Wir­kun­gen drü­cken sich in der Form oder Ge­stalt aus, in wel­cher wäh­rend des Le­bens die mi­ne­ra­li­­schen Stof­fe und Kräf­te des phy­si­schen Lei­bes zu­sam­men­­ge­fügt sind. Die­se Form ent­schwin­det nach und nach, und der phy­si­sche Leib wird ein Teil der üb­ri­gen mi­ne­ra­li­schen Welt, wenn der Tod ein­ge­t­re­ten ist. Die über­sinn­li­che An­schau­ung aber kann das­je­ni­ge als selb­stän­di­ges Glied der men­sch­li­chen We­sen­heit be­o­b­ach­ten, was die phy­si­schen Stof­fe und Kräf­te wäh­rend des Le­bens hin­dert, ih­re ei­ge­nen We­ge zu ge­hen, wel­che zur Auflö­sung des phy­si­schen Lei­bes füh­ren. Es sei die­ses selb­stän­di­ge Glied der «Äther­leib» oder «Le­bens­leib» ge­nannt. Wenn sich nicht so­g­leich, von An­fang an, Mi­ß­ver­ständ­nis­se ein­sch­lei­chen sol­len, so muß ge­gen­über die­sen Be­zeich­nun­gen ei­nes zwei­ten Glie­des der men­sch­li­chen We­­sen­heit zwei­er­lei be­rück­sich­tigt wer­den. Das Wort «Äther» wird hier in ei­nem an­dern Sin­ne ge­braucht, als dies von der ge­gen­wär­ti­gen Phy­sik ge­schieht. Die­se be­zeich­net zum Bei­­spiel den Trä­ger des Lich­tes als Äther. Hier soll aber das Wort in dem Sin­ne be­g­renzt wer­den, der oben an­ge­ge­ben wor­den ist. Es soll an­ge­wen­det wer­den für das­je­ni­ge, was dem höhe­ren Schau­en zu­gäng­lich ist und was sich für die Sin­nes­be­o­b­ach­tung nur in sei­nen Wir­kun­gen zu er­ken­nen
Wenn nun auch '''je­nes Ver­bor­ge­ne''', das in dem phy­si­schen Lei­be den '''Kampf ge­gen den Zer­fall''' führt, nur für das '''höhe­re Schau­en''' zu be­o­b­ach­ten ist: '''in sei­nen Wir­kun­gen''' liegt es für die auf das Of­fen­ba­re sich be­schrän­k­en­de Ur­teils­kraft klar zu­ta­ge. Und die­se '''Wir­kun­gen''' drü­cken sich in der '''Form oder Ge­stalt''' aus, in wel­cher '''wäh­rend des Le­bens''' die '''mi­ne­ra­li­­schen Stof­fe und Kräf­te des phy­si­schen Lei­bes zu­sam­men­­ge­fügt''' sind. Die­se '''Form ent­schwin­det''' nach und nach, und der phy­si­sche Leib wird ein Teil der üb­ri­gen mi­ne­ra­li­schen Welt, wenn der '''Tod ein­ge­t­re­ten''' ist. Die '''über­sinn­li­che An­schau­ung''' aber kann das­je­ni­ge als '''selb­stän­di­ges Glied der men­sch­li­chen We­sen­heit''' be­o­b­ach­ten, was die phy­si­schen Stof­fe und Kräf­te wäh­rend des Le­bens hin­dert, ih­re ei­ge­nen We­ge zu ge­hen, wel­che zur Auflö­sung des phy­si­schen Lei­bes füh­ren. Es sei die­ses selb­stän­di­ge Glied der «'''Äther­leib'''» oder «'''Le­bens­leib'''» ge­nannt. Wenn sich nicht so­g­leich, von An­fang an, '''Mi­ß­ver­ständ­nis­se''' ein­sch­lei­chen sol­len, so muß ge­gen­über die­sen Be­zeich­nun­gen ei­nes zwei­ten Glie­des der men­sch­li­chen We­­sen­heit zwei­er­lei be­rück­sich­tigt wer­den. Das Wort «'''Äther'''» wird hier in ei­nem '''an­dern Sin­ne ge­braucht''', als dies von der '''ge­gen­wär­ti­gen Phy­sik''' ge­schieht. Die­se be­zeich­net zum Bei­­spiel den '''Trä­ger des Lich­tes als Äther'''. Hier soll aber das Wort in dem Sin­ne be­g­renzt wer­den, der oben an­ge­ge­ben wor­den ist. Es soll an­ge­wen­det wer­den für das­je­ni­ge, was '''dem höhe­ren Schau­en''' zu­gäng­lich ist und was sich für die '''Sin­nes­be­o­b­ach­tung nur in sei­nen Wir­kun­gen''' zu er­ken­nen
 
FORM: Der Ätherleib gibt dem (lebenden) physischen Leib Form und Gestalt. In Abwesenheit des Ätherleibes (Tod), löst sich die Form des phy­si­schen Leibes auf. Er wird ein Teil der üb­ri­gen mi­ne­ra­li­schen Welt.
 
ÄTHER: Der Begriff des Äterleib ist nicht nicht so gemeint, wie damals in der Physik, z.B. als Träger des Lichtes. Sondern begrenzt auf dasjenige, was dem höheren Schauen zugänglich ist. Oder für Sinnesbeobachtung nur in seinen Wirkungen


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gibt, näm­lich da­durch, daß es den im phy­si­schen Lei­be vor­­han­de­nen mi­ne­ra­li­schen Stof­fen und Kräf­ten ei­ne be­stimm­te Form oder Ge­stalt zu ge­ben ver­mag. Und auch das Wort «Leib» soll nicht mißv­er­stan­den wer­den. Man muß zur Be­zeich­nung der höhe­ren Din­ge des Da­seins eben doch die Wor­te der ge­wöhn­li­chen Spra­che ge­brau­chen. Und die­se drü­cken ja für die Sin­nes­be­o­b­ach­tung nur das Sinn­li­che aus. Im sinn­li­chen Sin­ne ist na­tür­lich der «Äther­leib» durch­aus nichts Leib­li­ches, wie fein man sich ein sol­ches auch vor­­­s­tel­len mag.
gibt, näm­lich da­durch, daß es den im phy­si­schen Lei­be vor­­han­de­nen mi­ne­ra­li­schen Stof­fen und Kräf­ten ei­ne be­stimm­te Form oder Ge­stalt zu ge­ben ver­mag. Und auch das '''Wort «Leib» soll nicht mißv­er­stan­den''' wer­den. Man muß zur Be­zeich­nung der höhe­ren Din­ge des Da­seins eben doch die Wor­te der '''ge­wöhn­li­chen Spra­che''' ge­brau­chen. Und die­se drü­cken ja für die Sin­nes­be­o­b­ach­tung nur das Sinn­li­che aus. Im sinn­li­chen Sin­ne ist na­tür­lich der «Äther­leib» durch­aus nichts Leib­li­ches, wie fein man sich ein sol­ches auch vor­­­s­tel­len mag.


In­dem man in der Dar­stel­lung des Über­sinn­li­chen bis zur Er­wäh­nung die­ses «Äther­lei­bes» oder «Le­bens­lei­bes» ge­langt, ist schon der Punkt er­reicht, an dem sol­cher Dar­s­tel­­lung der Wi­der­spruch man­cher ge­gen­wär­ti­gen An­sicht be­­geg­nen muß. Die Ent­wi­cke­lung des Men­schen­geis­tes hat da­hin ge­führt, daß in un­se­rer Zeit das Sp­re­chen von ei­nem sol­chen Glie­de der men­sch­li­chen We­sen­heit als et­was Un­­wis­sen­schaft­li­ches an­ge­se­hen wer­den muß. Die ma­te­ria­li­s­ti­sche Vor­stel­lungs­art ist da­zu ge­langt, in dem le­ben­di­gen Lei­be nichts an­de­res zu se­hen als ei­ne Zu­sam­men­fü­gung von phy­si­schen Stof­fen und Kräf­ten, wie sie sich in dem so­ge­nann­ten le­b­lo­sen Kör­per, in dem Mi­ne­ral, auch fin­det. Nur sei die Zu­sam­men­fü­gung in dem Le­ben­di­gen kom­p­li­­zier­ter als in dem Le­b­lo­sen. Man hat auch in der ge­wöhn­­li­chen Wis­sen­schaft vor nicht all­zu­lan­ger Zeit noch an­de­re An­sich­ten ge­habt. Wer die Schrif­ten man­chen erns­ten Wis­­sen­schaf­ters aus der ers­ten Hälf­te des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts
In­dem man in der Dar­stel­lung des Über­sinn­li­chen bis zur Er­wäh­nung die­ses «Äther­lei­bes» oder «Le­bens­lei­bes» ge­langt, ist schon der Punkt er­reicht, an dem sol­cher Dar­s­tel­­lung der '''Wi­der­spruch''' man­cher '''ge­gen­wär­ti­gen An­sicht''' be­­geg­nen muß. Die Ent­wi­cke­lung des Men­schen­geis­tes hat da­hin ge­führt, daß in un­se­rer Zeit das '''Sp­re­chen''' von ei­nem '''sol­chen Glie­de der men­sch­li­chen We­sen­heit''' als et­was '''Un­­wis­sen­schaft­li­ches''' an­ge­se­hen wer­den muß. Die ma­te­ria­li­s­ti­sche Vor­stel­lungs­art ist da­zu ge­langt, '''in dem le­ben­di­gen Lei­be''' nichts an­de­res zu se­hen als ei­ne '''Zu­sam­men­fü­gung von phy­si­schen Stof­fen und Kräf­ten''', '''wie''' sie sich in dem so­ge­nann­ten '''le­b­lo­sen Kör­per, in dem Mi­ne­ral, auch fin­det'''. Nur sei die Zu­sam­men­fü­gung in dem Le­ben­di­gen '''kom­p­li­­zier­ter''' als in dem Le­b­lo­sen. Man hat auch in der ge­wöhn­­li­chen Wis­sen­schaft vor nicht all­zu­lan­ger Zeit noch an­de­re An­sich­ten ge­habt. Wer die Schrif­ten man­chen erns­ten Wis­­sen­schaf­ters aus der '''ers­ten Hälf­te des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts'''


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<nowiki>#</nowiki>F­N013-055-01 Daß mit der Be­zeich­nung «Äther­leib», «Le­bens­leib» nicht ein­fach die An­schau­ung von der al­ten, na­tur­wis­sen­schaft­lich über­wun­de­nen «Le­bens­kraft» er­neu­ert wer­den soll, dar­über hat sich der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches in sei­ner «Theo­so­phie» aus­ge­spro­chen.
<nowiki>#</nowiki>F­N013-055-01 Daß mit der Be­zeich­nung «Äther­leib», «Le­bens­leib» nicht ein­fach die An­schau­ung von der al­ten, na­tur­wis­sen­schaft­lich über­wun­de­nen «Le­bens­kraft» er­neu­ert wer­den soll, dar­über hat sich der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches in sei­ner «Theo­so­phie» aus­ge­spro­chen.
LEIB: Das Wort "Leib" i.S. des Ätherleib ist im sinnlichen Sinne nichts Leibliches, aber für die außersinnlichen Dinge müssen Worte der gewöhnlichen Sprache gebraucht werden
UNWISSENSCHAFTLICH: In der damaligen Zeit sah man den physischen Leib als Zusammenfügung von physischen Stoffen und Kräften. Ähnlich leblosen Körpern, wie im Mineral. Nur die Zusammenfügung sei kompliziertes als im Leblosen. Aber die Annahme eines Äterleibes oder Lebensleibes galt als '''unwissenschaftlich'''.


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ver­folgt, dem wird klar, wie da auch «ech­te Na­­tur­for­scher» sich be­wußt wa­ren, daß in dem le­ben­di­gen Lei­be noch et­was an­de­res vor­han­den ist als in dem le­b­lo­sen Mi­ne­ral. Man sprach von ei­ner «Le­bens­kraft». Zwar wird die­se «Le­bens­kraft» nicht als das vor­ge­s­tellt, was oben als «Le­bens­leib» ge­kenn­zeich­net ist; aber der be­tref­fen­den Vor­­­stel­lung liegt doch ei­ne Ah­nung da­von zu­grun­de, daß es der­g­lei­chen gibt. Man stell­te sich die­se «Le­bens­kraft» et­wa so vor, wie wenn sie in dem le­ben­di­gen Lei­be zu den phy­si­­schen Stof­fen und Kräf­ten hin­zu­kä­me auf ähn­li­che Art, wie die mag­ne­ti­sche Kraft zu dem blo­ßen Ei­sen in dem Ma­g­ne­ten. Dann kam die Zeit, in wel­cher die­se «Le­bens­kraft» aus dem Be­stan­de der Wis­sen­schaft ent­fernt wur­de. Man woll­te für al­les mit den blo­ßen phy­si­schen und che­mi­schen Ur­sa­chen aus­rei­chen. Ge­gen­wär­tig ist in die­ser Be­zie­hung bei man­chem na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Den­ker wie­der ein Rück­schlag ein­ge­t­re­ten. Es wird von man­cher Sei­te zu­ge­ge­­ben, daß die An­nah­me von et­was der «Le­bens­kraft» Ähn­­li­chem doch kein völ­li­ger Un­sinn sei. Doch wird auch der­je­ni­ge «Wis­sen­schaf­ter», der sich zu sol­chem her­bei­läßt, mit der hier dar­ge­s­tell­ten An­schau­ung in be­zug auf den «Le­bens­leib» nicht ge­mein­sa­me Sa­che ma­chen wol­len. Es wird in der Re­gel zu kei­nem Zie­le füh­ren, wenn man sich vom Ge­sichts­punk­te über­sinn­li­cher Er­kennt­nis mit sol­chen An­­sich­ten in ei­ne Dis­kus­si­on ein­läßt. Es soll­te viel­mehr die Sa­che die­ser Er­kennt­nis sein, an­zu­er­ken­nen, daß die ma­te­ria­lis­ti­sche Vor­stel­lungs­art ei­ne not­wen­di­ge Be­g­lei­t­er­schei­­nung des gro­ßen na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Fort­schrit­tes in un­­se­rer Zeit ist. Die­ser Fort­schritt be­ruht auf ei­ner ge­wal­ti­gen Ver­fei­ne­rung der Mit­tel zur Sin­nes­be­o­b­ach­tung. Und es liegt ein­mal im We­sen des Men­schen, daß er inn­er­halb der Ent­wi­cke­lung
ver­folgt, dem wird klar, wie da auch «'''ech­te Na­­tur­for­scher'''» sich '''be­wußt''' '''wa­ren''', daß in dem le­ben­di­gen Lei­be '''noch et­was an­de­res vor­han­den ist''' als in dem le­b­lo­sen Mi­ne­ral. Man sprach von ei­ner «'''Le­bens­kraft'''». Zwar wird die­se «Le­bens­kraft» nicht als das vor­ge­s­tellt, was oben als «Le­bens­leib» ge­kenn­zeich­net ist; aber der be­tref­fen­den Vor­­­stel­lung liegt doch ei­ne Ah­nung da­von zu­grun­de, daß es der­g­lei­chen gibt. Man stell­te sich die­se «Le­bens­kraft» et­wa so vor, wie wenn sie in dem le­ben­di­gen Lei­be zu den phy­si­­schen Stof­fen und Kräf­ten hin­zu­kä­me auf '''ähn­li­che Art, wie die mag­ne­ti­sche Kraft zu dem blo­ßen Ei­sen''' in dem Ma­g­ne­ten. Dann kam die Zeit, in wel­cher die­se «Le­bens­kraft» '''aus dem Be­stan­de der Wis­sen­schaft ent­fernt''' wur­de. Man woll­te für al­les mit den '''blo­ßen phy­si­schen und che­mi­schen Ur­sa­chen''' aus­rei­chen. Ge­gen­wär­tig ist in die­ser Be­zie­hung bei man­chem na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Den­ker wie­der ein '''Rück­schlag''' ein­ge­t­re­ten. Es wird von man­cher Sei­te '''zu­ge­ge­­ben''', daß die An­nah­me von et­was der «'''Le­bens­kraft'''» Ähn­­li­chem doch '''kein völ­li­ger Un­sinn''' sei. Doch wird auch der­je­ni­ge «Wis­sen­schaf­ter», der sich zu sol­chem her­bei­läßt, mit der hier dar­ge­s­tell­ten An­schau­ung in be­zug auf den «Le­bens­leib» nicht ge­mein­sa­me Sa­che ma­chen wol­len. Es wird in der Re­gel zu '''kei­nem Zie­le füh­ren''', wenn man sich vom Ge­sichts­punk­te über­sinn­li­cher Er­kennt­nis mit sol­chen An­­sich­ten in ei­ne '''Dis­kus­si­on''' ein­läßt. Es soll­te viel­mehr die Sa­che die­ser Er­kennt­nis sein, '''an­zu­er­ken­nen''', daß die '''ma­te­ria­lis­ti­sche Vor­stel­lungs­art''' ei­ne '''not­wen­di­ge Be­g­lei­t­er­schei­­nung des gro­ßen na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Fort­schrit­tes in un­­se­rer Zeit''' ist. Die­ser Fort­schritt be­ruht auf ei­ner '''ge­wal­ti­gen Ver­fei­ne­rung der Mit­tel zur Sin­nes­be­o­b­ach­tung'''. Und es liegt ein­mal im We­sen des Men­schen, daß er inn­er­halb der Ent­wi­cke­lung
 
MATERIALISTISCHE VORSTELLUNGSART: Sie war eine notwendige Begleiterscheinung des großen naturwissenschaftlichen Fortschrittes der Zeit von Rudolf Steiner. Durch die gewaltige Verfeinnerung der Sinnesbeobachtung, traten andere menschliche Fähigkeiten in den Hintergrund (den Zugang zu verborgenen Welten). S 57f.


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je­wei­lig ein­zel­ne Fähig­kei­ten auf Kos­ten an­de­rer zu ei­nem ge­wis­sen Voll­kom­men­heits­gra­de bringt. Die ge­naue Sin­nes­be­o­b­ach­tung, die sich in ei­nem so be­deu­tungs­­vol­len Ma­ße durch die Na­tur­wis­sen­schaft ent­wi­ckelt hat, muß­te die Pf­le­ge der­je­ni­gen men­sch­li­chen Fähig­kei­ten in den Hin­ter­grund tre­ten las­sen, wel­che in die «ver­bor­ge­nen Wel­ten» füh­ren. Aber ei­ne Zeit ist wie­der da, in wel­cher die­se Pf­le­ge not­wen­dig ist. Und das Ver­bor­ge­ne wird nicht da­durch an­er­kannt, daß man die Ur­tei­le be­kämpft, wel­che aus dem Ab­leug­nen die­ses Ver­bor­ge­nen ja doch mit lo­gi­­scher Fol­ge­rich­tig­keit sich er­ge­ben, son­dern da­durch, daß man die­ses Ver­bor­ge­ne selbst in das rech­te Licht setzt. An­er­ken­nen wer­den es dann die­je­ni­gen, für wel­che die «Zeit ge­kom­men ist».
je­wei­lig '''ein­zel­ne Fähig­kei­ten auf Kos­ten an­de­rer''' zu ei­nem ge­wis­sen '''Voll­kom­men­heits­gra­de''' bringt. Die ge­naue Sin­nes­be­o­b­ach­tung, die sich in ei­nem so be­deu­tungs­­vol­len Ma­ße durch die Na­tur­wis­sen­schaft ent­wi­ckelt hat, muß­te die '''Pf­le­ge''' der­je­ni­gen men­sch­li­chen '''Fähig­kei­ten''' in den '''Hin­ter­grund''' tre­ten las­sen, wel­che in die «'''ver­bor­ge­nen Wel­ten'''» füh­ren. Aber ei­ne Zeit ist wie­der da, in wel­cher '''die­se Pf­le­ge not­wen­dig''' ist. Und das Ver­bor­ge­ne wird nicht da­durch an­er­kannt, daß man die '''Ur­tei­le be­kämpft''', wel­che aus dem Ab­leug­nen die­ses Ver­bor­ge­nen ja doch mit lo­gi­­scher Fol­ge­rich­tig­keit sich er­ge­ben, son­dern da­durch, daß man '''die­ses Ver­bor­ge­ne selbst in das rech­te Licht setzt'''. '''An­er­ken­nen wer­den es dann die­je­ni­gen, für wel­che die «Zeit ge­kom­men ist».'''


Es muß­te dies hier nur ge­sagt wer­den, da­mit man nicht Un­be­kannt­schaft mit den Ge­sichts­punk­ten der Na­tur­wis­­sen­schaft vor­aus­setzt, wenn von ei­nem «Äther­leib» ge­s­pro­chen wird, der doch in man­chen Krei­sen für et­was völ­lig Phan­tas­ti­sches gel­ten muß.
Es muß­te dies hier nur ge­sagt wer­den, da­mit man nicht Un­be­kannt­schaft mit den Ge­sichts­punk­ten der Na­tur­wis­­sen­schaft vor­aus­setzt, wenn von ei­nem «Äther­leib» ge­s­pro­chen wird, der doch in man­chen Krei­sen für et­was völ­lig Phan­tas­ti­sches gel­ten muß.


Die­ser Äther­leib ist al­so ein zwei­tes Glied der men­sch­li­chen We­sen­heit. Ihm kommt für das über­sinn­li­che Er­ken­­nen ein höhe­rer Grad von Wir­k­lich­keit zu als dem phy­­si­schen Lei­be. Ei­ne Be­sch­rei­bung, wie ihn das über­sinn­li­che Er­ken­nen sieht, kann erst in den fol­gen­den Tei­len die­ser Schrift ge­ge­ben wer­den, wenn her­vor­t­re­ten wird, in wel­chem Sin­ne sol­che Be­sch­rei­bun­gen zu neh­men sind. Vor­läu­­fig mag es ge­nü­gen, wenn ge­sagt wird, daß der Äther­leib den phy­si­schen Kör­per übe­rall durch­setzt und daß er wie ei­ne Art Ar­chi­tekt des letz­te­ren an­zu­se­hen ist. Al­le Or­ga­ne wer­den in ih­rer Form und Ge­stalt durch die Strö­mun­gen und Be­we­gun­gen des Äther­lei­bes ge­hal­ten. Dem phy­si­schen
Die­ser '''Äther­leib''' ist al­so ein '''zwei­tes Glied der men­sch­li­chen We­sen­heit'''. Ihm kommt für das über­sinn­li­che Er­ken­­nen ein höhe­rer Grad von Wir­k­lich­keit zu als dem phy­­si­schen Lei­be. Ei­ne Be­sch­rei­bung, wie ihn das über­sinn­li­che Er­ken­nen sieht, kann erst in den fol­gen­den Tei­len die­ser Schrift ge­ge­ben wer­den, wenn her­vor­t­re­ten wird, in wel­chem Sin­ne sol­che Be­sch­rei­bun­gen zu neh­men sind. Vor­läu­­fig mag es ge­nü­gen, wenn ge­sagt wird, daß der Äther­leib den phy­si­schen Kör­per '''übe­rall durch­setzt''' und daß er wie ei­ne '''Art Ar­chi­tekt''' des letz­te­ren an­zu­se­hen ist. Al­le Or­ga­ne wer­den in ih­rer Form und Ge­stalt durch die Strö­mun­gen und Be­we­gun­gen des Äther­lei­bes ge­hal­ten. Dem phy­si­schen
 
VERBORGENES ANERKENNEN: Nicht duch Bekämpfung der Urteile, denn die Urteile sind eine Folge der Vervollkommnung der Sinnesbeobachtung. Sondern indem das Verborgene in das rechte Licht gesetzt wird, damit es von denjenigen Anerkennung findet, für die die Zeit gekommen ist.
 
GLIED der menschlichen Wesenheit: Äterleib ist zweiter Glied. S 57
 
ARCHITEKT: Der Ätherleib durchsetztn den physischen Körper alle Organe und erhält ihre Form und Gestalt duch seine Strömungen und Bewegungen


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Her­zen liegt ein «Äther­herz» zu­grun­de, dem phy­si­schen Ge­hirn ein «Äther­ge­hirn» usw. Es ist eben der Äther­leib in sich ge­g­lie­dert wie der phy­si­sche, nur kom­p­li­zier­ter, und es ist in ihm al­les in le­ben­di­gem Durch­ein­an­der­f­lie­ßen, wo im phy­si­schen Lei­be ab­ge­son­der­te Tei­le vor­han­den sind.
Her­zen liegt ein «'''Äther­herz'''» zu­grun­de, dem phy­si­schen Ge­hirn ein «Äther­ge­hirn» usw. Es ist eben der Äther­leib in sich ge­g­lie­dert wie der phy­si­sche, nur kom­p­li­zier­ter, und es ist in ihm al­les in le­ben­di­gem Durch­ein­an­der­f­lie­ßen, wo im phy­si­schen Lei­be ab­ge­son­der­te Tei­le vor­han­den sind.


Die­sen Äther­leib hat nun der Mensch so mit dem Pflan­z­­li­chen ge­mein, wie er den phy­si­schen Leib mit dem Mi­ne­r­a­­li­schen ge­mein hat. Al­les Le­ben­di­ge hat sei­nen Äther­leib.
Die­sen Äther­leib hat nun der Mensch so mit dem Pflan­z­­li­chen ge­mein, wie er den phy­si­schen Leib mit dem Mi­ne­r­a­­li­schen ge­mein hat. Al­les Le­ben­di­ge hat sei­nen Äther­leib.

Aktuelle Version vom 3. November 2023, 00:46 Uhr

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1962


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VORBEMERKUNGEN ZUR ERSTEN AUFLAGE

Wer ein Buch wie das vor­lie­gen­de der Öf­f­ent­lich­keit über­gibt, der soll mit Ge­las­sen­heit je­de Art von Be­ur­tei­lung sei­ner Aus­füh­run­gen sich vor­s­tel­len kön­nen, wel­che in der Ge­gen­wart mög­lich ist. Da könn­te zum Bei­spiel je­mand die hier ge­ge­be­ne Dar­stel­lung die­ses oder je­nes Din­ges zu le­sen be­gin­nen, wel­cher sich Ge­dan­ken über die­se Din­ge ge­mäß den For­schung­s­er­geb­nis­sen der Wis­sen­schaft ge­macht hat. Und er könn­te zu dem fol­gen­den Ur­teil kom­men: «Man ist er­sta­unt, wie der­g­lei­chen Be­haup­tun­gen in un­se­rer Zeit nur über­haupt mög­lich sind. Mit den ein­fachs­ten na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Be­grif­fen wird in ei­ner Wei­se um­ge­sprun­­gen, die auf ei­ne ge­ra­de­zu un­be­g­reif­li­che Un­be­kannt­schaft mit selbst ele­men­ta­ren Er­kennt­nis­sen sch­lie­ßen läßt. Der Ver­fas­ser ge­braucht Be­grif­fe, wie zum Bei­spiel Wär­me, in ei­ner Art, wie es nur je­mand ver­mag, an dem die gan­ze mo­der­ne Denk­wei­se der Phy­sik spur­los vor­über­ge­gan­gen ist. Je­der, der auch nur die An­fangs­grün­de die­ser Wis­sen­­schaft kennt, könn­te ihm zei­gen, daß, was er da re­det, nicht ein­mal die Be­zeich­nung Di­let­tan­tis­mus ver­di­ent, son­dern nur mit dem Aus­druck: ab­so­lu­te Igno­ranz be­legt wer­den kann...» Es könn­ten nun noch vie­le sol­che Sät­ze ei­ner der­ar­ti­gen, durch­aus mög­li­chen Be­ur­tei­lung hin­ge­schrie­ben wer­­den. Man könn­te sich aber nach den obi­gen Aus­sprüchen auch et­wa fol­gen­den Schluß den­ken: «Wer ein paar Sei­ten die­ses Bu­ches ge­le­sen hat, wird es, je nach sei­nem Tem­pe­r­a­­ment, lächelnd oder en­trüs­tet we­g­le­gen und sich sa­gen: Es ist doch son­der­bar, was für Aus­wüch­se ei­ne ver­kehr­te Ge­­dan­ken­rich­tung in ge­gen­wär­ti­ger Zeit trei­ben kann. Man legt die­se Aus­füh­run­gen am bes­ten zu man­cher­lei an­de­rem

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Ku­rio­sen, was ei­nem jetzt be­geg­net.» Was sagt aber nun der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches, wenn er et­wa wir­k­lich ei­ne sol­che Be­ur­tei­lung er­fah­ren wür­de? Muß er nicht ein­fach, von sei­nem Stand­punk­te aus, den Be­ur­tei­ler für ei­nen ur­teils­un­fähi­gen Le­ser hal­ten oder für ei­nen sol­chen, der nicht den gu­ten Wil­len hat, um zu ei­nem ver­ständ­nis­vol­len Ur­tei­le zu kom­men? Dar­auf soll ge­ant­wor­tet wer­den: Nein, die­ser Ver­fas­ser tut das durch­aus nicht im­mer. Er ver­mag sich vor­­zu­s­tel­len, daß sein Be­ur­tei­ler ei­ne sehr klu­ge Per­sön­lich­keit, auch ein tüch­ti­ger Wis­sen­schaf­ter und je­mand sein kann, der sich ein Ur­teil auf ganz ge­wis­sen­haf­te Art bil­det. Denn die­­ser Ver­fas­ser ist in der La­ge, sich hin­ein­zu­den­ken in die See­le ei­ner sol­chen Per­sön­lich­keit und in die Grün­de, wel­che die­se zu ei­nem sol­chen Ur­teil füh­ren kön­nen. Um nun kenn­t­­lich zu ma­chen, was der Ver­fas­ser wir­k­lich sagt, ist et­was not­wen­dig, was ihm selbst im all­ge­mei­nen oft un­pas­send scheint, wo­zu aber ge­ra­de bei die­sem Bu­che ei­ne drin­gen­de Ver­an­las­sung ist: näm­lich über ei­ni­ges Per­sön­li­che zu re­den. Al­ler­dings soll in die­ser Rich­tung nichts vor­ge­bracht wer­­den, was nicht mit dem Ent­schlus­se zu­sam­men­hängt, die­ses Buch zu sch­rei­ben. Was in ei­nem sol­chen Bu­che ge­sagt wird, hät­te ge­wiß kein Da­s­eins­recht, wenn es nur ei­nen per­sön­­li­chen Cha­rak­ter trü­ge. Es muß Dar­stel­lun­gen ent­hal­ten, zu de­nen je­der Mensch kom­men kann, und es muß so ge­­sagt wer­den, daß kei­ner­lei per­sön­li­che Fär­bung zu be­mer­ken ist, so­weit dies über­haupt mög­lich ist. In die­ser Be­zie­hung soll al­so das Per­sön­li­che nicht ge­meint sein. Es soll sich nur dar­auf be­zie­hen, ver­ständ­lich zu ma­chen, wie der Ver­fas­ser die oben ge­kenn­zeich­ne­te Be­ur­tei­lung sei­ner Aus­­­füh­run­gen be­g­reif­lich fin­den kann und den­noch die­ses Buch sch­rei­ben konn­te. Es gä­be ja al­ler­dings et­was, was die Vor­brin­gung

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ei­nes sol­chen Per­sön­li­chen über­flüs­sig ma­chen könn­te: wenn man, in aus­führ­li­cher Art, al­le Ein­zel­hei­ten gel­tend mach­te, wel­che zei­gen, wie die Dar­stel­lung die­ses Bu­ches in Wir­k­lich­keit doch mit al­len Fort­schrit­ten ge­gen­wär­ti­ger Wis­sen­schaft übe­r­ein­stimmt. Da­zu wä­ren nun aber al­ler­dings vie­le Bän­de als Ein­lei­tung zu dem Bu­che no­t­wen­dig. Da die­se au­gen­blick­lich nicht ge­lie­fert wer­den kön­­nen, so scheint es dem Ver­fas­ser not­wen­dig, zu sa­gen, durch wel­che per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se er sich be­rech­tigt glaubt, ei­ne sol­che Übe­r­ein­stim­mung in be­frie­di­gen­der Art für mög­lich zu hal­ten. Er hät­te ganz ge­wiß al­les das­je­ni­ge nie­­mals zu ver­öf­f­ent­li­chen un­ter­nom­men, was in die­sem Bu­che zum Bei­spiel mit Be­zug auf Wär­me­vor­gän­ge ge­sagt wird, wenn er sich nicht das Fol­gen­de ge­ste­hen dürf­te: Er war vor nun­mehr drei­ßig Jah­ren in der La­ge, ein Stu­di­um der Phy­sik durch­zu­ma­chen, wel­ches sich in die ver­schie­de­nen Ge­bie­te die­ser Wis­sen­schaft ver­zweig­te. Auf dem Fel­de der Wär­meer­schei­nun­gen stan­den da­mals die Er­klär­un­gen im Mit­tel­punk­te des Stu­di­ums, wel­che der so­ge­nann­ten «me­cha­ni­schen Wär­me­the­o­rie» an­ge­hö­ren. Und die­se «me­cha­­ni­sche Wär­me­the­o­rie» in­ter­es­sier­te ihn so gar ganz be­son­­ders. Die ge­schicht­li­che Ent­wi­cke­lung der ent­sp­re­chen­den Er­klär­un­gen, die sich an Na­men wie Jul. Robert May­er, Helm­holtz, Jou­le, Clau­si­us und so wei­ter da­mals knüpf­te, ge­hör­te zu sei­nen fort­wäh­ren­den Stu­di­en. Da­durch hat er sich in der Zeit sein er Stu­di­en die hin­rei­chen­de Grund­la­ge und Mög­lich­keit ge­schaf­fen, bis heu­te al­le die tat­säch­li­chen Fort­schrit­te auf dem Ge­bie­te der phy­si­ka­li­schen Wär­m­e­leh­re ver­fol­gen zu kön­nen und kei­ne Hin­der­nis­se zu fin­den, wenn er ver­sucht, ein­zu­drin­gen in al­les das, was die Wis­sen­schaft auf die­sem Fel­de leis­tet. Müß­te sich der Ver­fas­ser sa­gen: er

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kann das nicht, so wä­re dies für ihn ein Grund, die in dem Bu­che vor­ge­brach­ten Din­ge un­ge­sagt und un­ge­schrie­ben zu las­sen. Er hat es sich wir­k­lich zum Grund­satz ge­macht, nur über sol­ches auf dem Ge­bie­te der Geis­tes­wis­sen­schaft zu re­den oder zu sch­rei­ben, bei dem er in ei­ner ihm ge­nü­gend er­schei­nen­den Art auch zu sa­gen wüß­te, was die ge­gen­wär­­ti­ge Wis­sen­schaft dar­über weiß. Da­mit will er durch­aus nicht et­was aus­sp­re­chen, was ei­ne all­ge­mei­ne An­for­de­rung an al­le Men­schen sein soll. Es kann je­der­mann sich mit Recht ge­drängt füh­len, das­je­ni­ge mit­zu­tei­len und zu ver­öf­f­ent­li­chen, wo­zu ihn sei­ne Ur­teils­kraft, sein ge­sun­der Wahr­heits­sinn und sein Ge­fühl trei­ben, auch wenn er nicht weiß, was über die be­tref­fen­den Din­ge vom Ge­sichts­punkt zeit­ge­nös­si­scher Wis­sen­schaft aus zu sa­gen ist. Nur der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches möch­te sich für sich an das oben Aus­ge­spro­che­ne hal­ten. Er möch­te zum Bei­spiel nicht die paar Sät­ze über das men­sch­­li­che Drü­sen­sys­tem oder das men­sch­li­che Ner­ven­sys­tem ma­chen, wel­che in die­sem Bu­che sich fin­den, wenn er nicht in der La­ge wä­re, über die­se Din­ge auch den Ver­such zu ma­chen, in den For­men zu sp­re­chen, in de­nen ein ge­gen­wär­­ti­ger Na­tur­ge­lehr­ter vom Stand­punk­te der Wis­sen­schaft aus über das Drü­sen- oder Ner­ven­sys­tem spricht. Trotz­dem al­so das Ur­teil mög­lich ist, der­je­ni­ge, wel­cher so, wie es hier ge­schieht, über «Wär­me» spricht, wis­se nichts von den An­­fangs­grün­den der ge­gen­wär­ti­gen Phy­sik, ist doch rich­tig, daß sich der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches voll­be­rech­tigt glaubt zu dem, was er ge­tan hat, weil er die ge­gen­wär­ti­ge For­­schung wir­k­lich zu ken­nen be­st­rebt ist, und daß er es un­ter­las­sen wür­de, so zu sp­re­chen, wenn sie ihm fremd wä­re. Er weiß, wie das Mo­tiv, aus dem her­aus ein sol­cher Grund­satz aus­ge­spro­chen wird, recht leicht mit Un­be­schei­den­heit ver­wech­selt

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wer­den kann. Es ist aber doch nö­t­ig, ge­gen­über die­­sem Bu­che sol­ches aus­zu­sp­re­chen, da­mit des Ver­fas­sers wah­re Mo­ti­ve nicht mit noch ganz an­de­ren ver­wech­selt wer­den. Und die­se Ver­wechs­lung könn­te eben noch weit sch­lim­mer sein als die­je­ni­ge mit der Un­be­schei­den­heit.

Nun wä­re aber auch ei­ne Be­ur­tei­lung von ei­nem phi­lo­so­­phi­schen Stand­punk­te aus mög­lich. Sie könn­te sich fol­gen­­der­ma­ßen ge­stal­ten. Wer als Phi­lo­soph die­ses Buch liest, der frägt sich: «Hat der Ver­fas­ser die gan­ze er­kennt­nis­theo­re­­ti­sche Ar­beit der Ge­gen­wart ver­schla­fen? Hat er nie et­was da­von er­fah­ren, daß ein Kant ge­lebt hat und daß, nach die­­sem, es ein­fach phi­lo­so­phisch un­statt­haft ist, der­lei Din­ge vor­zu­brin­gen?» Wie­der könn­te in die­ser Rich­tung for­t­­ge­schrit­ten wer­den. Aber auch so könn­te die Be­ur­tei­lung sch­lie­ßen: «Für den Phi­lo­so­phen ist der­lei un­kri­ti­sches, nai­ves, lai­en­haf­tes Zeug un­er­träg­lich, und ein wei­te­res Ein­­ge­hen dar­auf wä­re Zeit­ver­lust.» Aus dem­sel­ben Mo­tiv, das oben ge­kenn­zeich­net wor­den ist, möch­te trotz al­ler Mißv­er­ständ­nis­se, die sich da­ran sch­lie­ßen kön­nen, der Ver­­­fas­ser auch hier wie­der Per­sön­li­ches vor­brin­gen. Sein Kant­stu­di­um be­gann in sei­nem sech­zehn­ten Le­bens­jah­re; und heu­te glaubt er wahr­haf­tig, ganz ob­jek­tiv al­les das, was in dem vor­lie­gen­den Buch vor­ge­bracht wird, vom Kant­schen Stand­punk­te aus be­ur­tei­len zu dür­fen. Er wür­de auch von die­ser Sei­te her ei­nen Grund ge­habt ha­ben, das Buch un­ge­­schrie­ben zu las­sen, wüß­te er nicht, was ei­nen Phi­lo­so­phen da­zu be­we­gen kann, es naiv zu fin­den, wenn der kri­ti­sche Maß­stab der Ge­gen­wart an­ge­legt wird. Man kann aber wir­k­lich wis­sen, wie im Sin­ne Kants hier die Gren­zen ei­ner mög­li­chen Er­kennt­nis über­schrit­ten wer­den; man kann wis­­sen, wie Her­b­art «nai­ven Rea­lis­mus» fin­den wür­de, der es

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nicht zur «Be­ar­bei­tung der Be­grif­fe» ge­bracht hat usw. usw.; man kann so­gar wis­sen, wie der mo­der­ne Prag­ma­tis­mus Ja­mes, Schil­lers und so wei­ter das Maß des­sen über­schrit­ten fin­den wür­de, was «wah­re Vor­stel­lun­gen» sind, wel­che «wir uns an­eig­nen, die wir gel­tend ma­chen, in Kraft set­zen und ve­ri­fi­zie­ren kön­nen01». Man kann dies al­les wis­sen und trotz­dem, ja eben des­halb sich be­rech­tigt fin­den, die­se hier vor­lie­gen­den Aus­füh­run­gen zu sch­rei­ben. Der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches hat sich mit phi­lo­so­phi­schen Ge­dan­ken­rich­­tun­gen au­s­ein­an­der­ge­setzt in sei­nen Schrif­ten «Er­kennt­nis­­the­o­rie der Goe­the­schen Wel­t­an­schau­ung», «Wahr­heit und Wis­sen­schaft», «Phi­lo­so­phie der Frei­heit», «Goe­thes Wel­t­­­an­schau­ung», «Welt- und Le­bens­an­schau­un­gen im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert», «Die Rät­sel der Phi­lo­so­phie02»

Vie­le Ar­ten von mög­li­chen Be­ur­tei­lun­gen könn­ten noch an­ge­führt wer­den. Es könn­te auch je­man­den ge­ben, wel­cher ei­ne der frühe­ren Schrif­ten des Ver­fas­sers ge­le­sen hat, zum Bei­spiel «Welt- und Le­bens­an­schau­un­gen im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert» oder et­wa des­sen klei­nes Schrift­chen: «Haec­kel und sei­ne Geg­ner». Ein sol­cher konn­te sa­gen: «Es ist ge­ra­de­zu un­er­find­lich, wie ein und der­sel­be Mensch die­se Schrif­ten und auch, ne­ben der be­reits von ihm er­schie­ne­nen Theo­so­phie, die­ses hier vor­lie­gen­de Buch sch­rei­ben kann. Wie kann man ein­mal so für Hae­ckel ein­t­re­ten und dann wie­der al­lem ins Ge­sicht schla­gen, was als ge­sun­der Mo­nis­­mus aus Hae­ckels For­schun­gen folgt? Man könn­te be­g­rei­­fen, daß der Ver­fas­ser die­ser Ge­heim­wis­sen­schaft mit

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#F­N013-012-01 Man kann so­gar die Phi­lo­so­phie des «Als ob», den Berg­so­nis­mus und die «Kri­tik der Spra­che» in erns­te Er­wä­gung ge­zo­gen und stu­diert ha­ben. (An­mer­kung bei der vier­ten Aufla­ge, 1913 hin­zu­ge­fügt.)

#F­N013-012-02 Die­ses Werk wird von der sie­ben­ten Aufla­ge, 1920, an er­wähnt.

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Feu­er und Schwert ge­gen Hae­ckel zu Fel­de zie­he; daß er ihn ver­tei­digt hat, ja daß er ihm so­gar Welt- und Le­bens­an­schau­un­gen im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert ge­wid­met hat, das ist wohl das Un­ge­heu­er­lichs­te, was sich den­ken läßt. Hae­ckel hät­te sich für die­se Wid­mung wohl mit nicht mi­ß­zu­ver­ste­hen­der Ab­leh­nung be­dankt, wenn er ge­wußt hät­te, daß der Wid­mer ein­mal sol­ches Zeug sch­rei­ben wer­de, wie es die­se Ge­heim­wis­sen­schaft mit ih­rem mehr als plum­pen Dua­lis­mus ent­hält.» Der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches ist nun der An­sicht, daß man ganz gut Hae­ckel ver­ste­hen kann, und doch nicht zu glau­ben braucht, man ver­stün­de ihn nur dann, wenn man al­les für Un­sinn hält, was nicht aus Hae­ckel ei­ge­nen Vor­stel­lun­gen und Vor­aus­set­zun­gen fließt. Er ist aber fer­ner der An­sicht, daß man zum Ver­ständ­nis Hae­ckel nicht kommt, wenn man ihn mit «Feu­er und Schwert» be­kämpft, son­dern wenn man auf das­je­ni­ge ein­geht, was er der Wis­sen­schaft ge­leis­tet hat. Und am al­ler­we­nigs­ten glaubt der Ver­fas­ser, daß die Geg­ner Hae­ckels im Rech­te sind, ge­­gen wel­che er zum Bei­spiel in sei­ner Schrift «Hae­ckel und sei­ne Geg­ner» den gro­ßen Na­tur­den­ker ver­tei­digt hat. Wahr­haf­tig, wenn der Ver­fas­ser die­ser Schrift weit über Hae­ckels Vor­aus­set­zun­gen hin­aus­geht und die geis­ti­ge An­­sicht über die Welt ne­ben die bloß na­tür­li­che Hae­ckels setzt, so braucht er des­halb mit des letz­te­ren Geg­nern nicht ei­ner Mei­nung zu sein. Wer sich be­müht, die Sa­che rich­tig an­zu­­­se­hen, wird den Ein­klang von des Ver­fas­sers ge­gen­wär­ti­gen Schrif­ten mit sei­nen frühe­ren schon be­mer­ken kön­nen.

Auch ein sol­cher Be­ur­tei­ler ist dem Ver­fas­ser völ­lig ver­­­ständ­lich, der ganz im all­ge­mei­nen oh­ne wei­te­res die Aus­­­füh­run­gen die­ses Bu­ches als Er­güs­se ei­ner wild ge­wor­de­nen Phan­tas­tik oder ei­nes träu­me­ri­schen Ge­dan­ken­spiels an­sieht.

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Doch ist al­les, was in die­ser Be­zie­hung zu sa­gen ist, in dem Bu­che selbst ent­hal­ten. Es ist da ge­zeigt, wie in vol­lem Ma­ße das ver­nunft­ge­mä­ße Den­ken zum Pro­bier­stein des Dar­ge­­s­tell­ten wer­den kann und soll. Wer auf die­ses Dar­ge­s­tell­te die ver­nunft­ge­mä­ße Prü­fung eben­so an­wen­det, wie sie sach­­ge­mäß zum Bei­spiel auf die Tat­sa­chen der Na­tur­wis­sen­­schaft an­ge­wen­det wird, der erst wird ent­schei­den kön­nen, was die Ver­nunft bei sol­cher Prü­fung sagt.

Nach­dem so viel über sol­che Per­sön­lich­kei­ten ge­sagt ist, wel­che die­ses Buch zu­nächst ab­leh­nen kön­nen, darf auch ein Wort an die­je­ni­gen fal­len, wel­che sich zu dem­sel­ben zu­stim­mend zu ver­hal­ten An­laß ha­ben. Für sie ist je­doch das We­sent­lichs­te in dem ers­ten Ka­pi­tel «Cha­rak­ter der Ge­heim­wis­sen­schaft» ent­hal­ten. Ein we­ni­ges aber soll noch hier ge­sagt wer­den. Ob­wohl das Buch sich mit For­schun­gen be­faßt, wel­che dem an die Sin­nen­welt ge­bun­de­nen Ver­stand nicht er­forsch­bar sind, so ist doch nichts vor­ge­bracht, was nicht ver­ständ­lich sein kann un­be­fan­ge­ner Ver­nunft und ge­sun­dem Wahr­heits­sinn ei­ner je­den Per­sön­lich­keit, wel­che die­se Ga­ben des Men­schen an­wen­den will. Der Ver­fas­ser sagt es un­um­wun­den: er möch­te vor al­lem Le­ser, wel­che nicht ge­willt sind, auf blin­den Glau­ben hin die vor­ge­brach­­ten Din­ge an­zu­neh­men, son­dern wel­che sich be­mühen, das Mit­ge­teil­te an den Er­kennt­nis­sen der ei­ge­nen See­le und an den Er­fah­run­gen des ei­ge­nen Le­bens zu prü­fen01. Er möch­te vor al­lem vor­sich­ti­ge Le­ser, wel­che nur das lo­gisch zu Rech­t­­fer­ti­gen­de

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#F­N013-014-01 Ge­meint ist hier nicht et­wa nur die geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Prü­­fung durch die über­sinn­li­chen For­schungs­me­tho­den, son­dern vor al­lem die durch­aus mög­li­che vom ge­sun­den, vor­ur­teils­lo­sen Den­ken und Men­schen­ver­stand aus. (An­mer­kung bei der vier­ten Aufla­ge, 1913, hin­zu­­­ge­fügt.)

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gel­ten las­sen. Der Ver­fas­ser weiß, sein Buch wä­re nichts wert, wenn es nur auf blin­den Glau­ben an­ge­wie­sen wä­re; es ist nur in dem Ma­ße taug­lich, als es sich vor der un­be­fan­ge­nen Ver­nunft recht­fer­ti­gen kann. Der blin­de Glau­be kann so leicht das Törich­te und Aber­gläu­bi­sche mit dem Wah­ren ver­wech­seln. Man­cher, der sich mit dem blo­­ßen Glau­ben an «Über­sinn­li­ches» ger­ne begnügt, wird fin­­den, daß in die­sem Bu­che dem Den­ken zu viel zu­ge­mu­tet wird. Doch es han­delt sich wahr­lich bei den hier ge­ge­be­nen Mit­tei­lun­gen nicht bloß dar­um, daß et­was mit­ge­teilt wer­de, son­dern dar­um, daß die Dar­stel­lung so ist, wie es ei­ner ge­­wis­sen­haf­ten An­schau­ung auf dem ent­sp­re­chen­den Ge­bie­te des Le­bens an­ge­mes­sen ist. Es ist ja das Ge­biet, wo sich die höchs­ten Din­ge mit ge­wis­sen­lo­ser Char­la­ta­ne­rie, wo sich auch Er­kennt­nis und Aber­glau­be im wir­k­li­chen Le­ben so leicht be­rüh­ren und wo sie, vor al­lem, auch so leicht ver­­wech­selt wer­den kön­nen.

Wer mit über­sinn­li­cher For­schung be­kannt ist, wird beim Le­sen des Bu­ches wohl mer­ken, daß ver­sucht wor­den ist, die Gren­zen scharf ein­zu­hal­ten zwi­schen dem, was aus dem Ge­bie­te der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­se ge­gen­wär­tig mit­­­ge­teilt wer­den kann und soll, und dem, was zu ei­ner spä­­te­ren Zeit oder we­nigs­tens in an­de­rer Form dar­ge­s­tellt wer­den soll.

Ge­schrie­ben im De­zem­ber 1909

Ru­dolf Stei­ner

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VORBEMERKUNGEN ZUR VIERTEN AUFLAGE

Wer es un­ter­nimmt, geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Er­geb­nis­se sol­cher Art dar­zu­s­tel­len, wie sie in die­sem Bu­che auf­ge­zeich­net sind, der muß vor al­len Din­gen da­mit rech­nen, daß die­se Art ge­gen­wär­tig in wei­tes­ten Krei­sen als ei­ne un­mög­li­che an­ge­se­hen wird. Wer­den doch in den fol­gen­den Aus­füh­run­gen Din­ge ge­sagt, von wel­chen ein in un­se­rer Zeit als st­reng gel­ten­des Den­ken be­haup­tet, daß sie «für men­sch­li­che In­tel­li­genz ver­mut­lich über­haupt un­ent­scheid­bar blei­ben». Wer die Grün­de kennt und zu wür­di­gen weiß, wel­che man­che erns­te Per­sön­lich­keit da­zu füh­ren, sol­che Un­mög­lich­keit zu be­haup­ten, der möch­te im­mer wie­der von neu­em den Ver­such ma­chen, zu zei­gen, auf wel­chen Mißv­er­ständ­nis­sen der Glau­be be­ruht, daß dem men­sch­li­chen Er­ken­nen ein Ein­drin­gen in die über­sinn­li­chen Wel­ten ver­sagt sei.

Denn zwei­er­lei liegt vor. Ers­tens wird sich auf die Dau­er kei­ne men­sch­li­che See­le bei tie­fe­rem Nach­den­ken vor der Tat­sa­che ver­sch­lie­ßen kön­nen, daß ih­re wich­tigs­ten Fra­gen nach Sinn und Be­deu­tung des Le­bens un­be­ant­wor­tet blei­ben müß­ten, wenn es ei­nen Zu­gang zu über­sinn­li­chen Wel­ten nicht gä­be. Man kann sich theo­re­tisch über die­se Tat­sa­che hin­weg­täu­schen; die Tie­fen des See­len­le­bens ge­hen aber mit die­ser Selbst­täu­schung nicht mit. Wer auf die­se See­l­en­tie­fen nicht hin­hö­ren will, der wird Aus­füh­run­gen über die über­sinn­li­chen Wel­ten na­tur­ge­mäß ab­leh­nen. Doch gibt es eben Men­schen, de­ren Zahl wahr­haft nicht ge­ring ist, wel­che un­mög­lich sich taub ge­gen die For­de­run­gen die­ser Tie­fen ver­hal­ten kön­nen. Sie müs­sen stets an die Pfor­ten klop­fen, wel­che nach der Mei­nung der an­de­ren das «Un­faß­ba­re» ver­sch­lie­ßen.

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Zwei­tens, es sind die Dar­le­gun­gen des «st­ren­gen Den­kens» kei­nes­wegs ge­ring zu ach­ten. Wer sich mit ih­nen be­schäf­tigt, der wird da, wo sie ernst zu neh­men sind, die­sen Ernst durch­aus mit­füh­len. Der Sch­rei­ber die­ses Bu­ches möch­te nicht als ein sol­cher an­ge­se­hen wer­den, der leich­ten Her­zens sich hin­weg­setzt über die ge­wal­ti­ge Ge­dan­ken­ar­beit, die auf­ge­wen­det wor­den ist, um die Gren­zen des men­sch­li­chen In­tel­lek­tes zu be­stim­men. Die­se Ge­dan­ken­ar­beit läßt sich nicht ab­tun mit ei­ni­gen Re­dens­ar­ten über «Schul­weis­heit» und der­g­lei­chen. So wie sie in vie­len Fäl­len auf­tritt, hat sie ih­ren Qu­ell in wah­rem Rin­gen der Er­kennt­nis und in ech­tem Scharf­sinn. Ja, es soll noch viel­mehr zu­ge­ge­ben wer­den: es sind Grün­de da­für vor­ge­bracht wor­den, daß die­je­ni­ge Er­kennt­nis, wel­che ge­gen­wär­tig als wis­sen­schaft­lich gilt, nicht in die über­sinn­li­chen Wel­ten vor­drin­gen kann, und die­se Grün­de sind in ge­wis­sem Sin­ne un­wi­der­le­g­lich.

Weil dies von dem Sch­rei­ber die­ses Bu­ches oh­ne wei­te­res selbst zu­ge­ge­ben wird, des­halb kann es man­chem ganz son­der­bar er­schei­nen, daß er es nun doch un­ter­nimmt, Aus­füh­run­gen zu ma­chen, die sich auf über­sinn­li­che Wel­ten be­zie­hen. Es scheint ja fast aus­ge­sch­los­sen zu sein, daß je­mand die Grün­de für die Un­er­kenn­bar­keit der über­sinn­li­chen Wel­ten in ge­wis­sem Sin­ne gel­ten läßt und den­noch von die­sen über­sinn­li­chen Wel­ten spricht.

Und doch kann man sich so ver­hal­ten. Und man kann zu­g­leich be­g­rei­fen, daß die­ses Ver­hal­ten als wi­der­spruchs­voll emp­fun­den wird. Es läßt sich eben nicht je­der­mann auf die Er­fah­run­gen ein, wel­che man macht, wenn man mit dem men­sch­li­chen Ver­stan­de an das über­sinn­li­che Ge­biet her­an­rückt. Da stellt sich her­aus, daß die Be­wei­se die­ses Ver­stan­des wohl un­wi­der­le­g­lich sein kön­nen; und daß sie trotz ih­rer

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Un­wi­der­le­g­lich­keit für die Wir­k­lich­keit nicht ent­schei­dend zu sein brau­chen. Statt al­ler theo­re­ti­schen Au­s­ein­an­der­set­zun­gen sei hier ver­sucht, durch ei­nen Ver­g­leich ei­ne Ver­stän­di­gung her­bei­zu­füh­ren. Daß Ver­g­lei­che selbst nicht be­wei­send sind, wird da­bei oh­ne wei­te­res zu­ge­ge­ben; doch hin­dert dies nicht, daß sie oft ver­ständ­lich ma­chen, was aus­ge­drückt wer­den soll.

Das men­sch­li­che Er­ken­nen, so wie es im all­täg­li­chen Le­ben und in der ge­wöhn­li­chen Wis­sen­schaft ar­bei­tet, ist wir­k­lich so be­schaf­fen, daß es in die über­sinn­li­chen Wel­ten nicht ein­drin­gen kann. Dies ist un­wi­der­le­g­lich zu be­wei­sen; al­lein die­ser Be­weis kann für ei­ne ge­wis­se Art des See­len­le­bens kei­nen an­de­ren Wert ha­ben als der­je­ni­ge, wel­chen je­mand un­ter­neh­men woll­te, um zu zei­gen, daß das na­tür­li­che Au­ge des Men­schen mit sei­nem Seh­ver­mö­gen nicht bis zu den klei­nen Zel­len ei­nes Le­be­we­sens oder bis zur Be­schaf­fen­heit fer­ner Him­mels­kör­per vor­drin­gen kann. So rich­tig und be­weis­bar die Be­haup­tung ist: das ge­wöhn­li­che Seh­ver­mö­gen dringt nicht bis zu den Zel­len, so rich­tig und be­weis­bar ist die an­de­re, daß das ge­wöhn­li­che Er­ken­nen nicht in die über­sinn­li­chen Wel­ten ein­drin­gen kön­ne. Und doch ent­schei­det der Be­weis, daß das ge­wöhn­li­che Seh­ver­mö­gen vor den Zel­len halt­ma­chen muß, nichts ge­gen die Er­for­schung der Zel­len. Warum soll­te der Be­weis, daß das ge­wöhn­li­che Er­kennt­nis­ver­mö­gen vor den über­sinn­li­chen Wel­ten halt­ma­chen muß, et­was ge­gen die Er­for­schung die­ser Wel­ten ent­schei­den?

Man kann die Emp­fin­dung füh­len, wel­che man­cher bei die­sem Ver­g­lei­che ha­ben muß. Man kann selbst mit­emp­fin­den, wenn ge­zwei­felt wird, daß je­mand den gan­zen Ernst der er­wähn­ten Ge­dan­ken­ar­beit auch nur ahnt, der die­ser

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Ar­beit mit ei­nem sol­chen Ver­g­leich ent­ge­gen­tritt. Und doch ist der­je­ni­ge, wel­cher die­ses sch­reibt, von die­sem Erns­te nicht nur durch­drun­gen, son­dern er ist der An­sicht, daß die­se Ge­dan­ken­ar­beit zu den edels­ten Leis­tun­gen der Mensch­heit zählt. Zu be­wei­sen, daß das men­sch­li­che Seh­ver­mö­gen nicht oh­ne Be­waff­nung zu den Zel­len ge­lan­gen kön­ne, wä­re al­ler­dings ein un­nö­t­i­ges Be­gin­nen; in st­ren­gem Den­ken sich der Na­tur die­ses Den­kens be­wußt wer­den, ist not­wen­di­ge Geis­tes­ar­beit. Daß der­je­ni­ge, wel­cher sich sol­cher Ar­beit hin­gibt, nicht be­merkt, daß die Wir­k­lich­keit ihn wi­der­le­gen kann, ist nur all­zu ver­ständ­lich. So we­nig in den Vor­be­mer­kun­gen zu die­sem Bu­che der Platz sein kann, auf man­che «Wi­der­le­gun­gen» der ers­ten Aufla­gen von sei­ten sol­cher Per­sön­lich­kei­ten ein­zu­ge­hen, de­nen al­les Ver­ständ­nis für das Er­st­reb­te ab­geht oder wel­che ih­re un­wah­ren An­grif­fe auf die Per­son des Ver­fas­sers rich­ten, so sehr muß be­tont wer­den, daß in dem Bu­che ei­ne Un­ter­schät­zung erns­ter wis­sen­schaft­li­cher Den­ker­ar­beit nur der ver­mu­ten kann, der sich vor der Ge­sin­nung der Aus­füh­run­gen ver­sch­lie­ßen will.

Das Er­ken­nen des Men­schen kann ver­stärkt, er­kraf­tet wer­den, wie das Seh­ver­mö­gen des Au­ges ver­stärkt wer­den kann. Nur sind die Mit­tel zur Er­kraf­tung des Er­ken­nens durch­aus von geis­ti­ger Art; sie sind in­ne­re, rein see­li­sche Ver­rich­tun­gen. Sie be­ste­hen in dem, was in die­sem Bu­che als Me­di­ta­ti­on, Kon­zen­t­ra­ti­on (Kon­tem­pla­ti­on) be­schrie­ben wird. Das ge­wöhn­li­che See­len­le­ben ist an die Werk­zeu­ge des Lei­bes ge­bun­den; das er­kraf­te­te See­len­le­ben macht sich da­von frei. Es gibt Ge­dan­ken­rich­tun­gen der Ge­gen­wart, für wel­che ei­ne sol­che Be­haup­tung ganz un­sin­nig er­schei­nen muß, für wel­che sie nur auf Selbst­täu­schung be­ru­hen muß. Sol­che Ge­dan­ken­rich­tun­gen wer­den es von ih­rem Ge­sichts­punk­te

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aus leicht fin­den, nach­zu­wei­sen, wie «al­les See­len­le­ben» an das Ner­ven­sys­tem ge­bun­den sei. Wer auf dem Stand­punk­te steht, von dem aus die­ses Buch ge­schrie­ben ist, der ver­steht durch­aus sol­che Be­wei­se. Er ver­steht die Men­schen, wel­che sa­gen, es kön­ne nur Ober­fläch­lich­keit be­haup­ten, daß man ir­gend­ein vom Lei­be un­ab­hän­gi­ges See­len­le­ben ha­ben kön­ne. Wel­che ganz da­von über­zeugt sind, daß für sol­che See­le­n­er­leb­nis­se ein Zu­sam­men­hang mit dem Ner­ven­le­ben vor­liegt, den «geis­tes­wis­sen­schaft­li­cher Di­let­tan­tis­mus» nur nicht durch­schaut.

Hier ste­hen dem­je­ni­gen, was in die­sem Bu­che ge­schil­dert wird, ge­wis­se durch­aus be­g­reif­li­che Denk­ge­wohn­hei­ten so schroff ge­gen­über, daß mit vie­len ei­ne Ver­stän­di­gung ge­gen­wär­tig noch ganz aus­sichts­los ist. Man steht hier eben vor dem Punk­te, an wel­chem sich der Wunsch gel­tend ma­chen muß, daß es in der Ge­gen­wart dem Geis­tes­le­ben nicht mehr ent­sp­re­chen soll­te, ei­ne For­schungs­rich­tung so­g­leich als Phan­tas­te­rei, Träu­me­rei usw. zu ver­ket­zern, die schroff von der ei­ge­nen ab­weicht. Auf der an­dern Sei­te steht aber doch schon ge­gen­wär­tig die Tat­sa­che, daß für die über­sinn­li­che For­schungs­art, wie sie auch in die­sem Bu­che dar­ge­s­tellt wird, ei­ne An­zahl von Men­schen Ver­ständ­nis ha­ben. Men­schen, wel­che ein­se­hen, daß der Sinn des Le­bens sich nicht in all­ge­mei­nen Re­dens­ar­ten über See­le, Selbst usw. ent­hüllt, son­dern nur durch das wir­k­li­che Ein­ge­hen auf die Er­geb­nis­se der über­sinn­li­chen For­schung sich er­ge­ben kann. Nicht aus Un­be­schei­den­heit, son­dern in freu­di­ger Be­frie­di­gung wird von dem Ver­fas­ser die­ses Bu­ches tief emp­fun­den die Not­wen­dig­keit die­ser vier­ten Aufla­ge nach ver­hält­nis­mä­ß­ig kur­zer Zeit.

Um in Un­be­schei­den­heit dies zu be­to­nen, da­zu fühlt der

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Ver­fas­ser nur all­zu­deut­lich, wie we­nig auch die neue Aufla­ge dem ent­spricht, was sie als «Um­riß ei­ner über­sinn­li­chen Wel­t­an­schau­ung» ei­gent­lich sein soll­te. Noch ein­mal wur­de zur Neu­aufla­ge das Gan­ze durch­ge­ar­bei­tet, vie­le Er­gän­zun­gen wur­den an wich­ti­gen Stel­len ein­ge­fügt, Ver­deut­li­chun­gen wur­den an­ge­st­rebt. Doch fühl­bar wur­de dem Ver­fas­ser an zahl­rei­chen Stel­len, wie sprö­de sich die Mit­tel der ihm zu­gäng­li­chen Dar­stel­lung er­wei­sen ge­gen­über dein, was die über­sinn­li­che For­schung zeigt. So konn­te kaum mehr als ein Weg ge­zeigt wer­den, um zu Vor­stel­lun­gen zu ge­lan­gen, wel­che in dem Bu­che für Sa­turn-, Son­nen-, Mon­den­ent­wi­cke­lung ge­ge­ben wer­den. Ein wich­ti­ger Ge­sichts­punkt ist in die­ser Aufla­ge auch auf die­sem Ge­bie­te in Kür­ze neu be­han­delt wor­den. Doch wei­chen die Er­leb­nis­se in be­zug auf sol­che Din­ge so sehr von al­len Er­leb­nis­sen auf dem Sin­nes­ge­bie­te ab, daß die Dar­stel­lung ein fort­wäh­ren­des Rin­gen nach ei­nem nur ei­ni­ger­ma­ßen ge­nü­gend schei­nen­den Aus­druck not­wen­dig macht. Wer auf den hier ge­mach­ten Ver­such der Dar­stel­lung ein­zu­ge­hen wil­lens ist, wird vi­el­leicht be­mer­ken, daß man­ches, was dem tro­cke­nen Wor­te zu sa­gen un­mög­lich ist, durch die Art der Schil­de­rung er­st­rebt wird. Die­se ist an­ders zum Bei­spiel bei der Sa­turn-, an­ders bei der Son­nen- usw. Ent­wi­cke­lung.

Vie­le dem Ver­fas­ser des Bu­ches wich­tig er­schei­nen­de Er­gän­zun­gen und Er­wei­te­run­gen er­fuhr in der neu­en Aufla­ge der zwei­te Teil des Bu­ches, wel­cher von der «Er­kennt­nis der höhe­ren Wel­ten» han­delt. Es lag das Be­st­re­ben vor, die Art der in­ne­ren See­len­vor­gän­ge an­schau­lich dar­zu­s­tel­len, durch wel­che die Er­kennt­nis von ih­ren in der Sin­nen­welt vor­han­de­nen Gren­zen sich be­f­reit und sich für das Er­le­ben der über­sinn­li­chen Welt ge­eig­net macht. Ver­sucht wur­de zu zei­gen

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daß die­ses Er­le­ben, ob­wohl es durch ganz in­ner­li­che Mit­tel und We­ge er­wor­ben wird, doch nicht ei­ne bloß sub­jek­ti­ve Be­deu­tung für den ein­zel­nen Men­schen hat, der es er­wirbt. Es soll­te aus der Dar­stel­lung her­vor­ge­hen, daß inn­er­halb der See­le de­ren Ein­zel­heit und per­sön­li­che Be­son­der­heit ab­ge­st­reift und ein Er­le­ben er­reicht wird, das je­der Mensch in der glei­chen Art hat, der eben in rech­ter Art die Ent­wi­cke­lung aus sei­nen sub­jek­ti­ven Er­leb­nis­sen her­aus be­wirkt. Erst wenn die «Er­kennt­nis der über­sinn­li­chen Wel­ten» mit die­sem Cha­rak­ter ge­dacht wird, ver­mag man sie zu un­ter­schei­den von al­len Er­leb­nis­sen bloß sub­jek­ti­ver Mys­tik usw. Von sol­cher Mys­tik kann man wohl sa­gen, daß sie mehr oder we­ni­ger doch ei­ne sub­jek­ti­ve An­ge­le­gen­heit des Mys­ti­kers ist. Die geis­tes­wis­sen­schaft­li­che See­len­schu­lung, wie sie hier ge­meint ist, st­rebt aber nach sol­chen ob­jek­ti­ven Er­leb­nis­sen, de­ren Wahr­heit zwar ganz in­ner­lich er­kannt wird, die aber doch ge­ra­de des­halb in ih­rer All­ge­mein­gül­tig­keit durch­schaut wer­den. Auch hier ist ja wie­der ein Punkt, an dem ei­ne Ver­stän­di­gung mit man­chen Denk­ge­wohn­hei­ten un­se­rer Zeit recht schwie­rig ist.

Zum Schlus­se möch­te der Ver­fas­ser des Bu­ches die Be­mer­kung ma­chen, daß auch von Wohl­mei­nen­den die­se Aus­füh­run­gen als das hin­ge­nom­men wer­den mö­gen, als was sie sich durch ih­ren ei­ge­nen In­halt ge­ben. Es herrscht heu­te viel­fach das Be­st­re­ben, die­ser oder je­ner Geis­tes­rich­tung die­sen oder je­nen al­ten Na­men zu ge­ben. Da­durch scheint sie man­chem erst wert­voll. Es darf aber ge­fragt wer­den: was sol­len die Aus­füh­run­gen die­ses Bu­ches da­durch ge­win­nen, daß man sie als «ro­sen­k­reu­ze­risch» oder der­g­lei­chen be­zeich­net? Wor­auf es an­kommt, ist, daß hier mit den Mit­teln, wel­che in der ge­gen­wär­ti­gen Ent­wi­cke­lungs­pe­rio­de der See­le mög­lich

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und die­ser an­ge­mes­sen sind, ein Ein­blick in die über­sinn­li­chen Wel­ten ver­sucht wird, und daß von die­sem Ge­sichts­punk­te aus die Rät­sel des men­sch­li­chen Schick­sals und des men­sch­li­chen Da­seins über die Gren­zen von Ge­burt und Tod hin­aus be­trach­tet wer­den. Es soll sich nicht han­deln um ein St­re­ben, wel­ches die­sen oder je­nen al­ten Na­men trägt, son­dern um ein St­re­ben nach Wahr­heit.

Auf der an­dern Sei­te sind auch in geg­ne­ri­scher Ab­sicht Be­zeich­nun­gen für die in dem Bu­che dar­ge­s­tell­te Wel­t­an­schau­ung ge­braucht wor­den. Ab­ge­se­hen da­von, daß die­je­ni­gen, mit wel­chen man den Ver­fas­ser hat am schwers­ten tref­fen und dis­k­re­di­tie­ren wol­len, ab­surd und ob­jek­tiv un­wahr sind, cha­rak­te­ri­sie­ren sich sol­che Be­zeich­nun­gen in ih­rer Un­wür­dig­keit da­durch, daß sie ein völ­lig un­ab­hän­gi­ges Wahr­heits­st­re­ben her­ab­set­zen, in­dem sie es nicht aus sich selbst be­ur­tei­len, son­dern die von ih­nen er­fun­de­ne oder grund­los über­nom­me­ne und wei­ter ge­tra­ge­ne Ab­hän­gig­keit von die­ser oder je­ner Rich­tung an­dern als Ur­teil bei­brin­gen wol­len. So not­wen­dig die­se Wor­te an­ge­sichts man­cher An­grif­fe ge­gen den Ver­fas­ser sind, so wi­der­st­rebt es die­sem doch, an die­sem Or­te auf die Sa­che wei­ter ein­zu­ge­hen.

Ge­schrie­ben im Ju­ni 1913

Ru­dolf Stei­ner

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VORREDE ZUR SIEBENTEN BIS FÜNFZEHNTEN AUFLAGE

Für die­se Neu­aufla­ge mei­ner «Ge­heim­wis­sen­schaft im Um­riß» ha­be ich den ers­ten Ab­schnitt «Cha­rak­ter der Ge­heim­wis­sen­schaft» fast ganz neu ge­stal­tet. Ich glau­be, daß da­durch nun we­ni­ger zu den Mißv­er­ständ­nis­sen An­laß sein wird, die ich aus der frühe­ren Fas­sung die­ses Ab­schnit­tes her­aus ha­be ent­ste­hen se­hen. Von vie­len Sei­ten konn­te ich hö­ren: An­de­re Wis­sen­schaf­ten be­wei­sen; was hier als Wis­sen­schaft sich gibt, sagt ein­fach: die Ge­heim­wis­sen­schaft stellt dies oder je­nes fest. Ein sol­ches Vor­ur­teil stellt sich na­tur­ge­mäß ein, da ja das Be­wei­sen­de der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis sich durch die Dar­stel­lung nicht so auf­drän­gen kann wie bei der Dar­le­gung von Zu­sam­men­hän­gen der sin­nen­fäl­li­gen Wir­k­lich­keit. Daß man es aber nur mit ei­nem Vor­ur­teil zu tun hat, woll­te ich durch die Um­ar­bei­tung des ers­ten Ab­schnit­tes die­ses Bu­ches deut­li­cher ma­chen, als es mir in frühe­ren Aufla­gen ge­lun­gen zu sein scheint. In den an­dern Tei­len des Bu­ches ha­be ich durch Er­gän­zun­gen des In­hal­tes man­ches Dar­ge­s­tell­te schär­fer her­aus­zu­ar­bei­ten ge­sucht. Durch das Gan­ze hin­durch ha­be ich mich be­müht, an zahl­rei­chen Stel­len Än­de­run­gen in der Ein­k­lei­dung des In­halts vor­zu­neh­men, die mir das wie­der­hol­te Durch­le­ben des Dar­ge­s­tell­ten not­wen­dig er­schei­nen ließ.

Ber­lin, Mai 1920

Ru­dolf Stei­ner

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VORREDE ZUR SECHZEHNTEN BIS ZWANZIGSTEN AUFLAGE

Jetzt, nach­dem fünf­zehn Jah­re seit dem ers­ten Er­schei­nen die­ses Bu­ches ver­f­los­sen sind, darf ich wohl vor der Öf­f­ent­lich­keit ei­ni­ges sa­gen über die See­len­ver­fas­sung, aus der her­aus es ent­stan­den ist.

Ur­sprüng­lich war mein Plan, sei­nen we­sent­li­chen In­halt als letz­te Ka­pi­tel mei­nem lan­ge vor­her er­schie­ne­nen Bu­che «Theo­so­phie» an­zu­fü­gen. Das ging nicht. Die­ser In­halt run­de­te sich da­mals, als die «Theo­so­phie» aus­ge­führt wur­de, nicht in der Art in mir ab wie der­je­ni­ge der «Theo­so­phie». Ich hat­te in mei­nen Ima­gi­na­tio­nen das geis­ti­ge We­sen des Ein­zel­men­schen vor mei­ner See­le ste­hen und konn­te es dar­s­tel­len, nicht aber stan­den da­mals schon die kos­mi­schen Zu­sam­men­hän­ge, die in der «Ge­heim­wis­sen­schaft» dar­zu­le­gen wa­ren, eben­so vor mir. Sie wa­ren im ein­zel­nen da; nicht aber im Ge­samt­bild.

Des­halb ent­sch­loß ich mich, die «Theo­so­phie» mit dem In­hal­te er­schei­nen zu las­sen, den ich als das We­sen des Le­bens ei­nes ein­zel­nen Men­schen er­schaut hat­te, und die «Ge­heim­wis­sen­schaft» in der nächs­ten Zeit in al­ler Ru­he durch­zu­füh­ren.

Der In­halt die­ses Bu­ches muß­te nach mei­ner da­ma­li­gen See­len­stim­mung in Ge­dan­ken ge­ge­ben wer­den, die für die Dar­stel­lung des Geis­ti­gen ge­eig­ne­te wei­te­re Fort­bil­dun­gen der in der Na­tur­wis­sen­schaft an­ge­wen­de­ten Ge­dan­ken sind. Man wird es den hier wie­der ab­ge­druck­ten «Vor­be­mer­kun­gen zur ers­ten Aufla­ge» an­mer­ken, wie stark ich mich mit al­lem, was ich da­mals über Geis­te­ser­kennt­nis schrieb, vor der Na­tur­wis­sen­schaft ver­ant­wort­lich fühl­te.

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Aber man kann nicht in sol­chen Ge­dan­ken al­lein das zur Dar­stel­lung brin­gen, was sich dem geis­ti­gen Schau­en als Geist-Welt of­fen­bart. Denn die­se Of­fen­ba­rung geht in ei­nen blo­ßen Ge­dan­ken­in­halt nicht ein. Wer das We­sen sol­cher Of­fen­ba­rung er­le­bend ken­nen­ge­lernt hat, der weiß, daß die Ge­dan­ken des ge­wöhn­li­chen Be­wußt­seins nur ge­eig­net sind, das sinn­lich Wahr­ge­nom­me­ne, nicht aber das geis­tig Ge­schau­te, aus­zu­drü­cken.

Der In­halt des geis­tig Ge­schau­ten läßt sich nur in Bil­dern (Ima­gi­na­tio­nen) wie­der­ge­ben, durch die In­spi­ra­tio­nen sp­re­chen, die von in­tui­tiv er­leb­ter geis­ti­ger We­sen­heit her­rüh­ren. (Über das We­sen von Ima­gi­na­ti­on, In­spi­ra­ti­on und In­tui­ti­on fin­det man das Not­wen­di­ge in die­ser «Ge­heim­wis­sen­schaft» selbst und in mei­nem Bu­che «Wie er­langt man Er­kennt­nis­se der höhe­ren Wel­ten?».)

Aber der Dar­s­tel­ler der Ima­gi­na­tio­nen aus der Geist-Welt kann ge­gen­wär­tig nicht bloß die­se Ima­gi­na­tio­nen hin­s­tel­len. Er stell­te da­mit et­was dar, das als ein ganz an­de­rer Be­wußt­s­eins­in­halt ne­ben dem Er­kennt­nis­in­halt un­se­res Zei­tal­ters, oh­ne al­len Zu­sam­men­hang mit die­sem, stün­de. Er muß das ge­gen­wär­ti­ge Be­wußt­sein mit dem er­fül­len, was ein an­de­res Be­wußt­sein, das in die Geist-Welt schaut, er­ken­nen kann. Dann wird sei­ne Dar­stel­lung die­se Geist-Welt zum In­hal­te ha­ben; aber die­ser In­halt tritt in der Form von Ge­dan­ken auf, in die er hin­ein­f­ließt. Da­durch wird er dem ge­wöhn­li­chen Be­wußt­sein, das im Sin­ne der Ge­gen­wart denkt, aber noch nicht in die Geist-Welt hin­ein­schaut, voll ver­ständ­lich.

Die­se Ver­ständ­lich­keit bleibt nur dann aus, wenn man sich selbst Hin­der­nis­se vor sie legt. Wenn man die Vor­ur­tei­le, die die Zeit aus ei­ner falsch auf­ge­faß­ten Na­tur-

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An­schau­ung von «Gren­zen des Er­ken­nens» sich ge­bil­det hat, zu den ei­ge­nen macht.

Im Geist-Er­ken­nen ist al­les in inti­mes See­len-Er­le­ben ge­taucht. Nicht nur das geis­ti­ge An­schau­en selbst, son­dern auch das Ver­ste­hen, das das nicht schau­en­de ge­wöhn­li­che Be­wußt­sein den Er­geb­nis­sen des Schau­en­den ent­ge­gen­bringt.

Von die­ser Inti­mi­tät hat kei­ne Ah­nung, wer in di­let­tan­ti­scher Art da­von spricht, daß der, der zu ver­ste­hen glaubt, sich das Ver­ständ­nis selbst sug­ge­riert.

Aber es ist so, daß, was inn­er­halb des Be­g­rei­fens der phy­si­schen Welt bloß in Be­grif­fen als Wahr­heit oder Irr­tum sich aus­lebt, der geis­ti­gen Welt ge­gen­über Er­leb­nis wird.

Wer in sein Ur­teil nur lei­se emp­fin­dend die Be­haup­tung ein­f­lie­ßen läßt, das geis­tig Ge­schau­te ist von dem ge­wöhn­li­chen, noch nicht schau­en­den Be­wußt­sein we­gen des­sen Gren­zen nicht er­faß­bar, dem legt sich die­ses emp­fin­den­de Ur­teil wie ei­ne ver­fins­tern­de Wol­ke vor das Er­fas­sen; und er kann wir­k­lich nicht ver­ste­hen.

Aber dem un­be­fan­ge­nen nicht schau­en­den Be­wußt­sein ist das Ge­schau­te voll ver­ständ­lich, wenn es der Schau­en­de bis in die Ge­dan­ken­form hin­ein­bringt. Es ist ver­ständ­lich, wie dem Nicht-Ma­ler das fer­ti­ge Bild des Ma­lers ver­ständ­lich ist. Und zwar ist das Ver­ständ­nis der Geist-Welt nicht das künst­le­risch-ge­fühls­mä­ß­i­ge wie bei ei­nem Kunst­werk, son­dern ein durch­aus ge­dan­ken­mä­ß­i­ges wie der Na­tur­er­kennt­nis ge­gen­über.

Um aber ein sol­ches Ver­ständ­nis wir­k­lich mög­lich zu ma­chen, muß der Dar­s­tel­ler des geis­tig Ge­schau­ten sei­ne Schau­un­gen bis zu ei­nem rich­ti­gen Hin­ein­gie­ßen in Ge­dan­ken­form brin­gen, oh­ne daß sie inn­er­halb die­ser Form ih­ren ima­gi­na­ti­ven Cha­rak­ter ver­lie­ren.

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Das stand al­les vor mei­ner See­le, als ich mei­ne «Ge­heim­wis­sen­schaft» aus­ar­bei­te­te.

1909 fühl­te ich dann, daß ich mit die­sen Vor­aus­set­zun­gen ein Buch zu­stan­de­brin­gen kön­ne, das: ers­tens den In­halt mei­ner Geis­tes­schau bis zu ei­nem ge­wis­sen, aber zu­nächst ge­nü­gen­den Gra­de, in die Ge­dan­ken­form ge­gos­sen, brach­te; und das zwei­tens von je­dem den­ken­den Men­schen, der sich kei­ne Hin­der­nis­se vor das Ver­ständ­nis legt, ver­stan­den wer­den kann.

Ich sa­ge das heu­te, in­dem ich zu­g­leich aus­sp­re­che, daß da­mals 1909 mir die Ver­öf­f­ent­li­chung des Bu­ches als ein Wag­nis er­schi­en. Denn ich wuß­te ja, daß die ge­for­der­te Un­be­fan­gen­heit ge­ra­de die­je­ni­gen nicht auf­brin­gen kön­nen, die Na­tur­wis­sen­schaft be­ruf­lich trei­ben, und eben­so­we­nig al­le die zahl­rei­chen Per­sön­lich­kei­ten, die in ih­rem Ur­tei­le von die­sen ab­hän­gig sind.

Aber es stand ge­ra­de die Tat­sa­che vor mei­ner See­le, daß in der Zeit, in der sich das Be­wußt­sein der Mensch­heit von der Geist-Welt am wei­tes­ten ent­fernt hat­te, die Mit­tei­lun­gen aus die­ser Geist-Welt ei­ner al­ler­drin­gends­ten Not­wen­dig­keit ent­sp­re­chen.

Ich zähl­te dar­auf, daß es auch Men­schen gibt, die mehr oder we­ni­ger die Ent­fer­nung von al­ler Geis­tig­keit so schwer als Le­bens­hin­der­nis emp­fin­den, daß sie zu Mit­tei­lun­gen aus der Geist-Welt mit in­ne­rer Sehn­sucht grei­fen.

Und die fol­gen­den Jah­re ha­ben das ja voll be­stä­tigt. Die «Theo­so­phie» und «Ge­heim­wis­sen­schaft» ha­ben als Bücher, die im Le­ser gu­ten Wil­len vor­aus­set­zen, auf ei­ne schwie­ri­ge Sti­li­sie­rung ein­zu­ge­hen, wei­te Ver­b­rei­tung ge­fun­den.

Ich ha­be ganz be­wußt an­ge­st­rebt, nicht ei­ne «po­pu­lä­re» Dar­stel­lung zu ge­ben, son­dern ei­ne sol­che, die not­wen­dig

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macht, mit rech­ter Ge­dan­ken­an­st­ren­gung in den In­halt hin­ein­zu­kom­men. Ich ha­be da­mit mei­nen Büchern ei­nen sol­chen Cha­rak­ter auf­ge­prägt, daß de­ren Le­sen selbst schon der An­fang der Geis­tes­schu­lung ist. Denn die ru­hi­ge, be­son­ne­ne Ge­dan­ken­an­st­ren­gung, die die­ses Le­sen not­wen­dig macht, ver­stärkt die See­len­kräf­te und macht sie da­durch fähig, der geis­ti­gen Welt na­he zu kom­men.

Daß ich dem Bu­che den Ti­tel «Ge­heim­wis­sen­schaft» ge­ge­ben ha­be, hat so­g­leich Mißv­er­ständ­nis­se her­vor­ge­ru­fen. Von man­cher Sei­te wur­de ge­sagt, was «Wis­sen­schaft» sein will, darf nicht «ge­heim» sein. Wie we­nig be­dacht war ein sol­cher Ein­wand. Als ob je­mand, der ei­nen In­halt ver­öf­f­ent­licht, mit die­sem «ge­heim» tun wol­le. Das gan­ze Buch zeigt, daß nichts als «ge­heim» be­zeich­net, son­dern eben in ei­ne sol­che Form ge­bracht wer­den soll­te, daß es ver­ständ­lich sei wie nur ir­gend­ei­ne «Wis­sen­schaft». Oder will man, wenn man das Wort «Na­tur­wis­sen­schaft» ge­braucht, nicht an­deu­ten, daß es sich um Wis­sen von der «Na­tur» han­delt? Ge­heim­wis­sen­schaft ist Wis­sen­schaft von dem, was sich in­so­fer­ne im «Ge­hei­men» ab­spielt, als es nicht drau­ßen in der Na­tur wahr­ge­nom­men wird, son­dern da, wo­hin die See­le sich ori­en­tiert, wenn sie ihr In­ne­res nach dem Geis­te rich­tet.

«Ge­heim­wis­sen­schaft» ist Ge­gen­satz von «Na­tur­wis­sen­schaft».

Mei­nen Schau­un­gen in der geis­ti­gen Welt hat man im­mer wie­der ent­ge­gen­ge­hal­ten, sie sei­en ve­r­än­der­te Wie­der­ga­ben des­sen, was im Lau­fe äl­te­rer Zeit an Vor­stel­lun­gen der Men­schen über die Geist-Welt her­vor­ge­t­re­ten ist. Man sag­te, ich hät­te man­cher­lei ge­le­sen, es ins Un­ter­be­wuß­te auf­ge­nom­men und dann in dem Glau­ben, es ent­sprin­ge aus dem ei­ge­nen Schau­en, zur Dar­stel­lung ge­bracht. Aus gnos­ti­schen

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Leh­ren, aus ori­en­ta­li­schen Weis­heits­dich­tun­gen und so wei­ter soll ich mei­ne Dar­stel­lun­gen ge­won­nen ha­ben.

Man ist, in­dem man die­ses be­haup­tet hat, mit den Ge­dan­ken ganz an der Ober­fläche ge­b­lie­ben.

Mei­ne Er­kennt­nis­se des Geis­ti­gen, des­sen bin ich mir voll be­wußt, sind Er­geb­nis­se ei­ge­nen Schau­ens. Ich hat­te je­der­zeit bei al­len Ein­zel­hei­ten und bei den gro­ßen Über­sich­ten mich st­reng ge­prüft, ob ich je­den Schritt im schau­en­den Wei­ter­sch­rei­ten so ma­che, daß voll be­son­ne­nes Be­wußt­sein die­se Schrit­te be­g­lei­te. Wie der Ma­the­ma­ti­ker von Ge­dan­ke zu Ge­dan­ke sch­rei­tet, oh­ne daß Un­be­wuß­tes, Au­to­sug­ges­ti­on und so wei­ter ei­ne Rol­le spie­len, so sag­te ich mir muß geis­ti­ges Schau­en von ob­jek­ti­ver Ima­gi­na­ti­on zu ob­jek­ti­ver Ima­gi­na­ti­on sch­rei­ten, oh­ne daß et­was an­de­res in der See­le lebt als der geis­ti­ge In­halt klar be­son­ne­nen Be­wußt­seins.

Daß man von ei­ner Ima­gi­na­ti­on weiß, sie ist nicht bloß sub­jek­ti­ves Bild, son­dern Bild-Wie­der­ga­be ob­jek­ti­ven Geist-In­hal­tes, da­zu bringt man es durch ge­sun­des in­ne­res Er­le­ben. Man ge­langt da­zu auf geis­tig-see­li­sche Art, wie man im Be­reich der Sin­nes­an­schau­ung bei ge­sun­der Or­ga­ni­sa­ti­on Ein­bil­dun­gen von ob­jek­ti­ven Wahr­neh­mun­gen rich­tig un­ter­schei­det.

So hat­te ich die Er­geb­nis­se mei­nes Schau­ens vor mir. Sie wa­ren zu­nächst «An­schau­un­gen», die oh­ne Na­men leb­ten.

Soll­te ich sie mit­tei­len, so be­durf­te es der Wort­be­zeich­nun­gen. Ich such­te dann spä­ter nach sol­chen in äl­te­ren Dar­stel­lun­gen des Geis­ti­gen, um das noch Wort­lo­se in Wor­ten aus­dru­cken zu kön­nen. Ich ge­brauch­te die­se Wort­be­zeich­nun­gen frei, so daß wohl kaum ei­ne der­sel­ben in mei­nem Ge­brau­che zu­sam­men­fällt mit dem, was sie dort war, wo ich sie fand.

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Ich such­te aber nach sol­cher Mög­lich­keit, mich aus­zu­drü­cken, stets erst, nach­dem mir der In­halt im ei­ge­nen Schau­en auf­ge­gan­gen war.

Vor­her Ge­le­se­nes wuß­te ich beim ei­ge­nen for­schen­den Schau­en durch die Be­wußt­s­eins­ver­fas­sung, die ich eben ge­schil­dert ha­be, aus­zu­schal­ten.

Nun fand man in mei­nen Aus­drü­cken An­klän­ge an äl­te­re Vor­stel­lun­gen. Oh­ne auf den In­halt ein­zu­ge­hen, hielt man sich an sol­che Aus­drü­cke. Sprach ich von «Lo­tos­blu­men» in dem As­tral­leib des Men­schen, so war das ein Be­weis, daß ich in­di­sche Leh­ren, in de­nen man den Aus­druck fin­det, wie­der­gä­be. ja, sprach ich von «As­tral­leib» selbst, so war dies das Er­geb­nis des Le­sens mit­telal­ter­li­cher Schrif­ten. Ge­brauch­te ich die Aus­drü­cke: An­ge­loi, Ar­chan­ge­loi und so wei­ter, so er­neu­er­te ich ein­fach die Vor­stel­lun­gen christ­li­cher Gno­sis.

Sol­ches ganz an der Ober­fläche sich be­we­gen­de Den­ken fand ich im­mer wie­der mir ent­ge­gen­ge­hal­ten.

Auch auf die­se Tat­sa­che woll­te ich ge­gen­wär­tig beim Wie­de­r­er­schei­nen der «Ge­heim­wis­sen­schaft» in neu­er Aufla­ge hin­wei­sen. Das Buch ent­hält ja die Um­ris­se der An­thro­po­so­phie als ei­nes Gan­zen. Es wird da­her vor­züg­lich be­trof­fen von den Mißv­er­ständ­nis­sen, de­nen die­se aus­ge­setzt ist.

Ich ha­be seit der Zeit, in der in mei­ner See­le die Ima­gi­na­tio­nen, die das Buch wie­der­gibt, in ein Ge­samt­bild zu­sam­men­ge­f­los­sen sind, un­aus­ge­setzt das for­schen­de Schau­en in den Men­schen, in das ge­schicht­li­che Wer­den der Mensch­heit, in den Kos­mos und so wei­ter fort­ge­bil­det; ich bin im ein­zel­nen zu im­mer neu­en Er­geb­nis­sen ge­kom­men. Aber, was ich in der «Ge­heim­wis­sen­schaft» vor fünf­zehn Jah­ren als Um­riß ge­ge­ben ha­be, ist für mich in nichts er­schüt­tert

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wor­den. Al­les, was ich seit­her sa­gen konn­te, er­scheint, wenn es an der rech­ten Stel­le die­sem Bu­che ein­ge­fügt wird, als ei­ne wei­te­re Aus­füh­rung der da­ma­li­gen Skiz­ze.

Goe­thea­num, 10. Ja­nuar 1925

Ru­dolf Stei­ner

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CHARAKTER DER GEHEIMWISSENSCHAFT

Ein al­tes Wort: «Ge­heim­wis­sen­schaft» wird für den In­halt die­ses Bu­ches an­ge­wen­det. Das Wort kann Ver­an­las­sung wer­den, daß so­g­leich bei den ver­schie­de­nen Men­schen der Ge­gen­wart die ent­ge­gen­ge­setz­tes­ten Emp­fin­dun­gen wach­ge­ru­fen wer­den. Für vie­le hat es et­was Ab­sto­ßen­des; es ruft Spott, mit­lei­di­ges Lächeln, vi­el­leicht Ver­ach­tung her­vor. Sie stel­len sich vor, daß ei­ne Vor­stel­lungs­art, die sich so be­zeich­net, nur auf ei­ner mü­ß­i­gen Träu­me­rei, auf Phan­tas­te­rei be­ru­hen kön­ne, daß sich hin­ter sol­cher «ver­meint­li­chen» Wis­sen­schaft nur der Drang ver­ber­gen kön­ne, al­ler­lei Aber­­glau­ben zu er­neu­ern, den mit Recht mei­det, wer «wah­re Wis­sen­schaft­lich­keit» und «ech­tes Er­kennt­nis­st­re­ben» ken­­nen­ge­lernt hat. Auf an­de­re wirkt das Wort so, als ob ih­nen das da­mit Ge­mein­te et­was brin­gen müs­se, was auf kei­nem an­de­ren We­ge zu er­lan­gen ist und zu dem sie, je nach ih­rer Ver­an­la­gung, tief in­ner­li­che Er­kennt­nis­sehn­sucht oder see­­lisch ver­fei­ner­te Neu­gier­de hin­zieht. Zwi­schen die­sen schroff ein­an­der ge­gen­über­ste­hen­den Mei­nun­gen gibt es al­le mög­­li­chen Zwi­schen­stu­fen der be­ding­ten Ab­leh­nung oder An­­nah­me des­sen, was sich der ei­ne oder der an­de­re vor­s­tellt, wenn er das Wort «Ge­heim­wis­sen­schaft» ver­nimmt. Es ist nicht in Ab­re­de zu stel­len, daß für man­chen das Wort «Ge­heim­wis­sen­schaft» des­halb ei­nen zau­ber­haf­ten Klang hat, weil es sei­ne ver­häng­nis­vol­le Sucht zu be­frie­di­gen scheint nach ei­nem auf na­tur­ge­mä­ß­em We­ge nicht zu er­lan­gen­den Wis­sen von ei­nem «Un­be­kann­ten», Ge­heim­nis­vol­len, ja Un­kla­ren. Denn vie­le Men­schen wol­len die tiefs­ten Sehn­su­ch­­ten ih­rer See­le nicht durch das be­frie­di­gen, was klar er­kannt wer­den kann. Ih­re Über­zeu­gung geht da­hin, daß es au­ßer

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dem­je­ni­gen, was man in der Welt er­ken­nen kön­ne, noch et­was ge­ben müs­se, das sich der Er­kennt­nis ent­zieht. Mit ei­nem son­der­ba­ren Wi­der­sinn, den sie nicht be­mer­ken, leh­­nen sie für die tiefs­ten Er­kennt­nis­sehn­such­ten al­les ab, was «be­kannt ist», und wol­len da­für nur et­was gel­ten las­sen, wo­von man nicht sa­gen kön­ne, daß es durch na­tur­ge­mä­ß­es For­schen be­kannt wer­de. Wer von «Ge­heim­wis­sen­schaft» re­det, wird gut da­ran tun, sich vor Au­gen zu hal­ten, daß ihm Mißv­er­ständ­nis­se ent­ge­gen­ste­hen, die von sol­chen Ver­­­tei­di­gern ei­ner der­ar­ti­gen Wis­sen­schaft ver­ur­sacht wer­den; von Ver­tei­di­gern, die ei­gent­lich nicht ein Wis­sen, son­dern das Ge­gen­teil da­von an­st­re­ben.

Die­se Aus­füh­run­gen rich­ten sich an Le­ser, wel­che sich ih­re Un­be­fan­gen­heit nicht da­durch neh­men las­sen, daß ein Wort durch ver­schie­de­ne Um­stän­de Vor­ur­tei­le her­vor­ruft. Von ei­nem Wis­sen, das in ir­gend­ei­ner Be­zie­hung als ein «ge­hei­­mes», nur durch be­son­de­re Schick­sals­gunst für man­chen zu­­­gäng­li­ches, gel­ten soll, wird hier nicht die Re­de sein. Man wird dem hier ge­mein­ten Wort­ge­brau­che ge­recht wer­den, wenn man an das­je­ni­ge denkt, was Goe­the im Sin­ne hat, wenn er von den «of­fen­ba­ren Ge­heim­nis­sen» in den Wel­t­er­schei­nun­gen spricht. Was in die­sen Er­schei­nun­gen «ge­heim», un­of­fen­bar bleibt, wenn man sie nur durch die Sin­ne und den an die Sin­ne sich bin­den­den Ver­stand er­faßt, das wird als der In­halt ei­ner über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­art an­ge­se­hen.01 Wer als «Wis­sen­schaft» nur gel­ten läßt, was

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#F­N013-034-01 Es ist vor­ge­kom­men, daß man den Aus­druck «Ge­heim­wis­sen­­schaft» wie er von dem Ver­fas­ser die­ses Bu­ches schon in frühe­ren Aufla­gen ge­braucht wor­den ist ge­ra­de aus dem Grun­de ab­ge­lehnt hat, weil ei­ne Wis­sen­schaft doch für nie­mand et­was «Ge­hei­mes» sein kön­ne. Man hät­te Recht, wenn die Sa­che so ge­meint wä­re. Al­lein das ist nicht der Fall. So we­nig Na­tur­wis­sen­schaft ei­ne «na­tür­li­che» Wis­sen­schaft in dem Sin­ne ge­nannt wer­den kann, daß sie je­dem «von Na­tur ei­gen» ist, so we­nig denkt sich der Ver­fas­ser un­ter «Ge­heim­wis­sen­schaft» ei­ne «ge­hei­me» Wis­sen­schaft, son­dern ei­ne sol­che, wel­che sich auf das in den Wel­t­er­schei­nun­gen für die ge­wöhn­li­che Er­kennt­nis­art Un­of­fen­ba­re, «Ge­hei­me» be­zieht, ei­ne Wis­sen­schaft von dem «Ge­hei­men», von dem «of­fen­ba­ren Ge­heim­nis». Ge­heim­nis aber soll die­se Wis­sen­schaft für nie­­mand sein, der ih­re Er­kennt­nis­se auf den ihr ent­sp­re­chen­den We­gen sucht.

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durch die Sin­ne und den ih­nen die­nen­den Ver­stand of­fen­bar wird, für den kann selbst­ver­ständ­lich das hier als «Ge­heim­wis­sen­schaft» Ge­mein­te kei­ne Wis­sen­schaft sein. Ein sol­cher müß­te aber, wenn er sich selbst ver­ste­hen woll­te, zu­ge­ben, daß er nicht aus ei­ner be­grün­de­ten Ein­sicht her­aus, son­dern durch ei­nen sei­nem rein per­sön­li­chen Emp­fin­den ent­stam­­men­den Macht­spruch ei­ne «Ge­heim­wis­sen­schaft» ab­lehnt. Um das ein­zu­se­hen, hat man nur nö­t­ig, Über­le­gun­gen dar­­­über an­zu­s­tel­len, wie Wis­sen­schaft ent­steht und wel­che Be­­deu­tung sie im men­sch­li­chen Le­ben hat. Das Ent­ste­hen der Wis­sen­schaft dem We­sen nach er­kennt man nicht an dem Ge­gen­stan­de, den die Wis­sen­schaft er­g­reift man er­kennt es an der im wis­sen­schaft­li­chen St­re­ben auf­t­re­ten­den Be­tä­ti­gungs­art der men­sch­li­chen See­le. Wie sich die See­le ver­hält, in­dem sie Wis­sen­schaft sich er­ar­bei­tet, dar­auf hat man zu se­hen. Eig­net man sich die Ge­wohn­heit an, die­se Be­tä­ti­­gungs­art nur dann ins Werk zu set­zen, wenn die Of­fen­­ba­run­gen der Sin­ne in Be­tracht kom­men, dann ge­rät man leicht auf die Mei­nung, die­se Sin­ne­s­of­fen­ba­rung sei das We­­sent­li­che. Und man lenkt dann den Blick nicht dar­auf, daß ein ge­wis­ses Ver­hal­ten der men­sch­li­chen See­le eben nur auf die Sin­ne­s­of­fen­ba­rung an­ge­wen­det wor­den ist. Aber man kann über die­se will­kür­li­che Selbst­be­schrän­kung hin­aus­­kom­men und, ab­ge­se­hen von dem be­son­de­ren Fal­le der An­wen­dung, den Cha­rak­ter der wis­sen­schaft­li­chen Be­tä­ti­gung

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ins Au­ge fas­sen. Dies liegt zu­grun­de, wenn hier für die Er­kennt­nis nicht­sinn­li­cher Wel­t­in­hal­te als von ei­ner «wis­sen­­schaft­li­chen» ge­spro­chen wird. An die­sen Wel­t­in­hal­ten will sich die men­sch­li­che Vor­stel­lungs­art so be­tä­ti­gen, wie sie sich im an­dern Fal­le an den na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Wel­t­in­hal­ten be­tä­tigt. Ge­heim­wis­sen­schaft will die na­tur­wis­sen­­schaft­li­che For­schungs­art und For­schungs­ge­sin­nung, die auf ih­rem Ge­bie­te sich an den Zu­sam­men­hang und Ver­lauf der sinn­li­chen Tat­sa­chen hält, von die­ser be­son­de­ren An­wen­dung los­lö­sen, aber sie in ih­rer den­ke­ri­schen und sons­ti­gen Ei­gen­art fest­hal­ten. Sie will über Nicht­sinn­li­ches in der­sel­­ben Art sp­re­chen, wie die Na­tur­wis­sen­schaft über Sinn­li­ches spricht. Wäh­rend die Na­tur­wis­sen­schaft im Sinn­li­chen mit die­ser For­schungs­art und Denk­wei­se ste­hen­b­leibt, will Ge­heim­wis­sen­schaft die see­li­sche Ar­beit an der Na­tur als ei­ne Art Selbs­t­er­zie­hung der See­le be­trach­ten und das An­er­zo­­ge­ne auf das nicht­sinn­li­che Ge­biet an­wen­den. Sie will so ver­fah­ren, daß sie zwar nicht über die sinn­li­chen Er­schei­­nun­gen als sol­che spricht, aber über die nicht­sinn­li­chen Wel­t­in­hal­te so, wie der Na­tur­for­scher über die sin­nen­fäl­li­gen. Sie hält von dem na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Ver­fah­ren die see­­li­sche Ver­fas­sung inn­er­halb die­ses Ver­fah­rens fest, al­so ge­ra­de das, durch wel­ches Na­tur­er­kennt­nis Wis­sen­schaft erst wird. Sie darf sich des­halb als Wis­sen­schaft be­zeich­nen.

Wer über die Be­deu­tung der Na­tur­wis­sen­schaft im men­sch­­li­chen Le­ben Über­le­gun­gen an­s­tellt, der wird fin­den, daß die­se Be­deu­tung nicht er­sc­höpft sein kann mit der An­ei­g­­nung von Na­tur­er­kennt­nis­sen. Denn die­se Er­kennt­nis­se kön­nen nie und nim­mer zu et­was an­de­rem füh­ren als zu ei­nem Er­le­ben des­je­ni­gen, was die Men­schen­see­le selbst nicht ist. Nicht in dem lebt das See­li­sche, was der Mensch an der

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Na­tur er­kennt, son­dern in dem Vor­gang des Er­ken­nens. In ih­rer Be­tä­ti­gung an der Na­tur er­lebt sich die See­le. Was sie in die­ser Be­tä­ti­gung le­bens­voll sich er­ar­bei­tet, das ist noch et­was an­de­res als das Wis­sen über die Na­tur selbst. Das ist an der Na­tur­er­kennt­nis er­fah­re­ne Selbst­ent­wi­cke­lung. Den Ge­winn die­ser Selbst­ent­wi­cke­lung will die Ge­heim­wis­sen­schaft be­stä­ti­gen auf Ge­bie­ten, die über die blo­ße Na­tur hin­aus­lie­gen. Der Ge­heim­wis­sen­schaf­ter will den Wert der Na­tur­wis­sen­schaft nicht ver­ken­nen, son­dern ihn noch bes­ser an­er­ken­nen als der Na­tur­wis­sen­schaf­ter selbst. Er weiß daß er oh­ne die St­ren­ge der Vor­stel­lungs­art, die in der Na­tur­wis­sen­schaft wal­tet, kei­ne Wis­sen­schaft be­grün­den kann. Er weiß aber auch, daß, wenn die­se St­ren­ge durch ein ech­tes Ein­drin­gen in den Geist des na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Den­kens er­wor­ben ist, sie fest­ge­hal­ten wer­den kann durch die Kraft der See­le für an­de­re Ge­bie­te.

Et­was, was be­denk­lich ma­chen kann, tritt da­bei al­ler­­dings auf. In der Be­trach­tung der Na­tur wird die See­le durch den be­trach­te­ten Ge­gen­stand in ei­nem viel stär­ke­ren Ma­ße ge­lei­tet als in der­je­ni­gen nicht­sinn­li­cher Wel­t­in­hal­te. In die­ser muß sie in ei­nem höhe­ren Ma­ße aus rein in­ne­ren Im­pul­sen her­aus die Fähig­keit ha­ben, das We­sen der wis­­sen­schaft­li­chen Vor­stel­lungs­art fest­zu­hal­ten. Weil sehr vie­le Men­schen un­be­wußt glau­ben, daß nur an dem Leit­fa­den der Na­tu­r­er­schei­nun­gen die­ses We­sen fest­ge­hal­ten wer­den kann, sind sie ge­neigt, durch ei­nen Macht­spruch sich da­hin zu ent­schei­den; so­bald die­ser Leitfa­den ver­las­sen wird, tappt die See­le mit ih­rem wis­sen­schaft­li­chen Ver­fah­­ren im Lee­ren. Sol­che Men­schen ha­ben sich die Ei­gen­art die­­ses Ver­fah­rens nicht zum Be­wußt­sein ge­bracht; sie bil­den sich ihr Ur­teil zu­meist aus den Ver­ir­run­gen, die ent­ste­hen

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müs­sen, wenn die wis­sen­schaft­li­che Ge­sin­nung an den Na­tu­r­er­schei­nun­gen nicht ge­fes­tigt ge­nug ist und trotz­dem die See­le sich an die Be­trach­tung des nicht­sinn­li­chen Welt­ge­bie­­tes be­ge­ben will. Da ent­steht selbst­ver­ständ­lich viel un­­wis­sen­schaft­li­ches Re­den über nicht­sinn­li­che Wel­t­in­hal­te. Aber nicht des­we­gen, weil sol­ches Re­den sei­nem We­sen nach nicht wis­sen­schaft­lich sein kann, son­dern weil es, im be­son­­de­ren Fal­le, an der wis­sen­schaft­li­chen Selbs­t­er­zie­hung durch die Na­tur­be­o­b­ach­tung hat feh­len las­sen.

Wer von Ge­heim­wis­sen­schaft re­den will, muß al­ler­dings mit Rück­sicht auf das eben Ge­sag­te ei­nen wach­sa­men Sinn ha­ben für al­les Irr­lich­te­lie­ren­de, das ent­steht, wenn über die of­fen­ba­ren Ge­heim­nis­se der Welt et­was aus­ge­macht wird oh­ne wis­sen­schaft­li­che Ge­sin­nung. Den­noch führ­te es zu et­was Er­sprieß­li­chem nicht, wenn hier, gleich im An­fan­ge ge­heim­wis­sen­schaft­li­cher Aus­füh­run­gen, über al­le mög­li­chen Ver­ir­run­gen ge­spro­chen wür­de, die in der See­le vor­ur­teils­vol­ler Per­so­nen je­des For­schen in die­ser Rich­tung in Mi­ß­ach­tung brin­gen, weil sol­che Per­so­nen aus dem Vor­han­den­­sein wahr­lich recht zahl­rei­cher Ver­ir­run­gen auf das Un­be­rech­tig­te des gan­zen St­re­bens sch­lie­ßen. Da aber zu­meist bei Wis­sen­schaf­tern oder wis­sen­schaft­lich ge­sinn­ten Be­ur­tei­lern die Ab­leh­nung der Ge­heim­wis­sen­schaft doch nur auf dem oben ge­kenn­zeich­ne­ten Macht­spruch be­ruht und die Be­­ru­fung auf die Ver­ir­run­gen nur oft un­be­wuß­ter Vor­­wand ist, so wird ei­ne Au­s­ein­an­der­set­zung mit sol­chen Geg­nern zu­nächst we­nig frucht­bar sein. Nichts hin­dert sie ja, den ge­wiß durch­aus be­rech­tig­ten Ein­wand zu ma­chen, daß von vorn­he­r­ein durch nichts fest­ge­s­tellt wer­den kann, ob denn bei dem­je­ni­gen, der an­de­re in Ver­ir­rung be­fan­gen glaubt, der oben ge­kenn­zeich­ne­te fes­te Grund wir­k­lich vor­han­den

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ist. Da­her kann der nach ei­ner Ge­heim­wis­sen­schaft St­re­ben­de nur ein­fach vor­füh­ren, was er glaubt sa­gen zu dür­fen. Das Ur­teil über sei­ne Be­rech­ti­gung kön­nen nur an­­de­re, aber auch nur sol­che Per­so­nen sich bil­den, wel­che un­ter Ver­mei­dung al­ler Macht­sprüche sich ein­zu­las­sen ver­mö­gen auf die Art sei­ner Mit­tei­lun­gen über die of­fen­ba­ren Ge­heim­nis­se des Welt­ge­sche­hens. Ob­lie­gen wird ihm al­ler­­dings, zu zei­gen, wie sich das von ihm Vor­ge­brach­te zu an­de­ren Er­run­gen­schaf­ten des Wis­sens und des Le­bens ver­­hält, wel­che Geg­ner­schaf­ten mög­lich sind und in­wie­fer­ne die un­mit­tel­ba­re äu­ße­re sin­nen­fäl­li­ge Le­bens­wir­k­lich­keit Be­­stä­ti­gun­gen bringt für sei­ne Be­o­b­ach­tun­gen. Aber er soll­te nie­mals dar­nach st­re­ben, sei­ne Dar­stel­lung so zu hal­ten, daß die­se statt durch ih­ren In­halt durch sei­ne Über­re­dungs­­kunst wir­ke.

Man kann ge­gen­über ge­heim­wis­sen­schaft­li­chen Aus­füh­run­gen oft­mals den Ein­wand hö­ren: die­se be­wei­sen nicht, was sie vor­brin­gen; sie stel­len nur das ei­ne oder das an­de­re hin und sa­gen: die Ge­heim­wis­sen­schaft stel­le die­ses fest. Die fol­gen­den Aus­füh­run­gen ver­kennt man, wenn man glaubt, ir­gend et­was in ih­nen sei in die­sem Sin­ne vor­ge­bracht. Was hier an­ge­st­rebt wird, ist, das in der See­le am Na­tur­wis­sen Ent­fal­te­te sich so wei­ter ent­wi­ckeln zu las­sen, wie es sich sei­ner ei­ge­nen We­sen­heit nach ent­wi­ckeln kann, und dann dar­auf auf­merk­sam zu ma­chen, daß bei sol­cher Ent­wi­cke­lung die See­le auf über­sinn­li­che Tat­sa­chen stößt. Es wird da­bei vor­aus­ge­setzt, daß je­der Le­ser, der auf das Aus­ge­führ­te ein­zu­ge­hen ver­mag, ganz not­wen­dig auf die­se Tat­sa­chen stößt. Ein Un­ter­schied ge­gen­über der rein na­­tur­wis­sen­schaft­li­chen Be­trach­tung liegt al­ler­dings in dem Au­gen­bli­cke vor, in dem man das geis­tes­wis­sen­schaft­li­che

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Ge­biet be­tritt. In der Na­tur­wis­sen­schaft lie­gen die Tat­sa­chen im Fel­de der Sin­nes­welt vor; der wis­sen­schaft­li­che Dar­s­tel­ler be­trach­tet die See­len­be­tä­ti­gung als et­was, das ge­gen­über dem Zu­sam­men­hang und Ver­lauf der Sin­nes-Tat­sa­chen zu­­rück­tritt. Der geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Dar­s­tel­ler muß die­se See­len­be­tä­ti­gung in den Vor­der­grund stel­len; denn der Le­ser ge­langt nur zu den Tat­sa­chen, wenn er die­se See­len­be­tä­ti­­gung in recht­mä­ß­i­ger Wei­se zu sei­ner ei­ge­nen macht. Die­se Tat­sa­chen sind nicht wie in der Na­tur­wis­sen­schaft al­ler­­dings un­be­grif­fen auch oh­ne die See­len­be­tä­ti­gung vor der men­sch­li­chen Wahr­neh­mung; sie tre­ten viel­mehr in die­se nur durch die See­len­be­tä­ti­gung. Der geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Dar­s­tel­ler setzt al­so vor­aus, daß der Le­ser mit ihm ge­mein­­sam die Tat­sa­chen sucht. Sei­ne Dar­stel­lung wird in der Art ge­hal­ten sein, daß er von dem Auf­fin­den die­ser Tat­sa­chen er­zählt und daß in der Art, wie er er­zählt, nicht per­sön­­li­che Will­kür, son­dern der an der Na­tur­wis­sen­schaft he­ran­er­zo­ge­ne wis­sen­schaft­li­che Sinn herrscht. Er wird da­her auch ge­nö­t­igt sein, von den Mit­teln zu sp­re­chen, durch die man zu ei­ner Be­trach­tung des Nicht­sinn­li­chen des Über­sin­n­­li­chen ge­langt. Wer sich in ei­ne ge­heim­wis­sen­schaft­li­che Dar­stel­lung ein­läßt, der wird bald ein­se­hen, daß durch sie Vor­stel­lun­gen und Ide­en er­wor­ben wer­den, die man vor­her nicht ge­habt hat. So kommt man zu neu­en Ge­dan­ken auch über das, was man vor­her über das We­sen des «Be­wei­sens» ge­meint hat. Man lernt er­ken­nen, daß für die na­tur­wis­sen­­schaft­li­che Dar­stel­lung das «Be­wei­sen» et­was ist, was an die­se ge­wis­ser­ma­ßen von au­ßen her­an­ge­bracht wird. Im geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Den­ken liegt aber die Be­tä­ti­gung, wel­che die See­le beim na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Den­ken auf den Be­weis wen­det, schon in dem Su­chen nach den Tat­sa­chen.

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Man kann die­se nicht fin­den, wenn nicht der Weg zu ih­nen schon ein be­wei­sen­der ist. Wer die­sen Weg wir­k­­lich durch­sch­rei­tet, hat auch schon das Be­wei­sen­de er­lebt; es kann nichts durch ei­nen von au­ßen hin­zu­ge­füg­ten Be­weis ge­leis­tet wer­den. Daß man die­ses im Cha­rak­ter der Ge­heim­wis­sen­schaft ver­kennt, ruft vie­le Mißv­er­ständ­nis­se her­vor.

Al­le Ge­heim­wis­sen­schaft muß aus zwei Ge­dan­ken her­vor­kei­men, die in je­dem Men­schen Wur­zel fas­sen kön­nen. Für den Ge­heim­wis­sen­schaf­ter, wie er hier ge­meint ist, drü­cken die­se bei­den Ge­dan­ken Tat­sa­chen aus, die man er­­le­ben kann, wenn man sich der rech­ten Mit­tel da­zu be­di­ent. Für vie­le Men­schen be­deu­ten schon die­se Ge­dan­ken höchst an­fecht­ba­re Be­haup­tun­gen, über die sich viel st­rei­ten läßt, wenn nicht gar et­was, des­sen Un­mög­lich­keit man «be­wei­­sen» kann.

Die­se bei­den Ge­dan­ken sind, daß es hin­ter der sicht­ba­ren Welt ei­ne un­sicht­ba­re, ei­ne zu­nächst für die Sin­ne und das an die­se Sin­ne ge­fes­sel­te Den­ken ver­bor­ge­ne Welt gibt, und daß es dem Men­schen durch Ent­wi­cke­lung von Fähig­kei­ten, die in ihm schlum­mern, mög­lich ist, in die­se ver­bor­ge­ne Welt ein­zu­drin­gen.

Solch ei­ne ver­bor­ge­ne Welt gibt es nicht, sagt der ei­ne. Die Welt, wel­che der Mensch durch sei­ne Sin­ne wahr­nimmt, sei die ein­zi­ge. Man kön­ne ih­re Rät­sel aus ihr selbst lö­sen. Wenn auch der Mensch ge­gen­wär­tig noch weit da­von en­t­­­fernt sei, al­le Fra­gen des Da­seins be­ant­wor­ten zu kön­nen, es wer­de schon die Zeit kom­men, wo die Sin­ne­s­er­fah­rung und die auf sie ge­stütz­te Wis­sen­schaft die Ant­wor­ten wer­­den ge­ben kön­nen.

Man kön­ne nicht be­haup­ten, daß es nicht ei­ne ver­bor­­ge­ne Welt hin­ter der sicht­ba­ren ge­be, sa­gen an­de­re; aber die

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men­sch­li­chen Er­kennt­nis­kräf­te kön­nen nicht in die­se Welt ein­drin­gen. Sie ha­ben Gren­zen, die sie nicht über­sch­rei­ten kön­nen. Mag das Be­dürf­nis des «Glau­bens» zu ei­ner sol­chen Welt sei­ne Zu­flucht neh­men: ei­ne wah­re Wis­sen­schaft, die sich auf ge­si­cher­te Tat­sa­chen stützt, kön­ne sich mit ei­ner sol­chen Welt nicht be­schäf­ti­gen.

Ei­ne drit­te Par­tei ist die, wel­che es für ei­ne Art Ver­­­mes­sen­heit an­sieht, wenn der Mensch durch sei­ne Er­kenn­t­­nis­ar­beit in ein Ge­biet ein­drin­gen will, in be­zug auf wel­ches man auf «Wis­sen» ver­zich­ten und sich mit dem «Glau­ben» be­schei­den soll. Wie ein Un­recht emp­fin­den es die Be­ken­ner die­ser Mei­nung, wenn der schwa­che Mensch vor­drin­gen will in ei­ne Welt, die ein­zig dem re­li­giö­sen Le­ben an­ge­hö­ren kön­ne.

Auch das wird vor­ge­bracht, daß al­len Men­schen ei­ne ge­­mein­sa­me Er­kennt­nis der Tat­sa­chen der Sin­nes­welt mög­­lich sei, daß aber in be­zug auf die über­sinn­li­chen Din­ge ein­zig die per­sön­li­che Mei­nung des ein­zel­nen in Fra­ge kom­men kön­ne und daß von ei­ner all­ge­mein gel­ten­den Ge­wißh­eit in die­sen Din­gen nicht ge­spro­chen wer­den soll­te.

An­de­re be­haup­ten vie­les an­de­re.

Man kann sich klar dar­über wer­den, daß die Be­trach­tung der sicht­ba­ren Welt dem Men­schen Rät­sel vor­legt, die nie­­mals aus den Tat­sa­chen die­ser Welt selbst ge­löst wer­den kön­nen. Sie wer­den auch dann auf die­se Art nicht ge­löst wer­den, wenn die Wis­sen­schaft die­ser Tat­sa­chen so weit wie nur ir­gend mög­lich fort­ge­schrit­ten sein wird. Denn die sich­t­­ba­ren Tat­sa­chen wei­sen deut­lich durch ih­re ei­ge­ne in­ne­re We­sen­heit auf ei­ne ver­bor­ge­ne Welt hin. Wer sol­ches nicht ein­sieht, der ver­sch­ließt sich den Rät­seln, die übe­rall deu­t­­lich aus den Tat­sa­chen der Sin­nes­welt her­vor­sprin­gen. Er

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will ge­wis­se Fra­gen und Rät­sel gar nicht se­hen; des­halb glaubt er, daß al­le Fra­gen durch die sin­nen­fäl­li­gen Tat­sa­chen be­ant­wor­tet wer­den kön­nen. Die­je­ni­gen Fra­gen, wel­che er stel­len will, sind wir­k­lich auch al­le durch die Tat­sa­chen zu be­ant­wor­ten, von de­nen er sich ver­spricht, daß man sie im Lau­fe der Zu­kunft ent­de­cken wer­de. Das kann man oh­ne wei­te­res zu­ge­ben. Aber warum soll­te der auch auf Ant­wor­­ten in ge­wis­sen Din­gen war­ten, der gar kei­ne Fra­gen stellt? Wer nach Ge­heim­wis­sen­schaft st­rebt, sagt nichts an­de­res, als daß für ihn sol­che Fra­gen selbst­ver­ständ­lich sei­en und daß man sie als ei­nen voll­be­rech­tig­ten Aus­druck der men­sch­­li­chen See­le an­er­ken­nen müs­se. Die Wis­sen­schaft kann doch nicht da­durch in Gren­zen ein­ge­zwängt wer­den, daß man dem Men­schen das un­be­fan­ge­ne Fra­gen ver­bie­tet.

Zu der Mei­nung, der Mensch ha­be Gren­zen sei­ner Er­kennt­nis, die er nicht über­sch­rei­ten kön­ne und die ihn zwin­­gen, vor ei­ner un­sicht­ba­ren Welt halt­zu­ma­chen, muß doch ge­sagt wer­den: es kann gar kein Zwei­fel ob­wal­ten, daß man durch die­je­ni­ge Er­kennt­nis­art, wel­che da ge­meint ist, nicht in ei­ne un­sicht­ba­re Welt ein­drin­gen kön­ne. Wer die­se Er­kennt­nis­art für die ein­zig mög­li­che hält, der kann gar nicht zu ei­ner an­dern An­sicht als zu der kom­men, daß es dem Men­schen ver­sagt sei, in ei­ne et­wa vor­han­de­ne höhe­re Welt ein­zu­drin­gen. Aber man kann doch auch das Fol­gen­de sa­gen: wenn es mög­lich ist, ei­ne an­de­re Er­kennt­nis­art zu ent­wi­ckeln, so kann doch die­se in die über­sinn­li­che Welt füh­ren. Hält man ei­ne sol­che Er­kennt­nis­art für un­mög­lich, dann kommt man zu ei­nem Ge­sichts­punk­te, von dem aus ge­se­hen al­les Re­den über ei­ne über­sinn­li­che Welt als der rei­ne Un­sinn er­scheint. Ge­gen­über ei­nem un­be­fan­ge­nen Ur­teil kann es aber für ei­ne sol­che Mei­nung kei­nen an­dern

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Grund ge­ben als den, daß dem Be­ken­ner der­sel­ben je­ne an­­de­re Er­kennt­nis­art un­be­kannt ist. Wie kann man aber über das­je­ni­ge über­haupt ur­tei­len, von dem man be­haup­tet, daß man es nicht ken­ne? Un­be­fan­ge­nes Den­ken muß sich zu dem Sat­ze be­ken­nen, daß man nur von dem­je­ni­gen sp­re­che, was man kennt, und daß man über das­je­ni­ge nichts fest­s­tel­le, was man nicht kennt. Sol­ches Den­ken kann nur von dem Rech­te sp­re­chen, daß je­mand ei­ne Sa­che mit­tei­le, die er er­fah­ren hat, nicht aber von ei­nem Rech­te, daß je­mand für un­mög­lich er­klä­re, was er nicht weiß oder nicht wis­sen will. Man kann nie­mand das Recht be­st­rei­ten, sich um das Über­­sinn­li­che nicht zu küm­mern; aber nie­mals kann sich ein ech­ter Grund da­für er­ge­ben, daß je­mand nicht nur für das sich maß­ge­bend er­klär­te, was er wis­sen kann, son­dern auch für al­les das, was «ein Mensch» nicht wis­sen kann.

De­nen ge­gen­über, wel­che es als Ver­mes­sen­heit er­klä­ren, in das über­sinn­li­che Ge­biet ein­zu­drin­gen, muß ei­ne ge­heim­wis­sen­schaft­li­che Be­trach­tung zu be­den­ken ge­ben, daß man dies kön­ne und daß es ei­ne Ver­sün­di­gung sei ge­gen die dem Men­schen ge­ge­be­nen Fähig­kei­ten, wenn er sie ver­ö­den läßt, statt sie zu ent­wi­ckeln und sich ih­rer zu be­die­nen.

Wer aber glaubt, die An­sich­ten über die über­sinn­li­che Welt müs­sen ganz dem per­sön­li­chen Mei­nen und Emp­fin­­den an­ge­hö­ren, der ver­leug­net das Ge­mein­sa­me in al­len men­sch­li­chen We­sen. Es ist ge­wiß rich­tig, daß die Ein­sicht in die­se Din­ge ein je­der durch sich selbst fin­den müs­se, es ist auch ei­ne Tat­sa­che, daß al­le die­je­ni­gen Men­schen, wel­che nur weit ge­nug ge­hen, über die­se Din­ge nicht zu ver­schie­­de­nen, son­dern zu der glei­chen Ein­sicht kom­men. Die Ver­­­schie­den­heit ist nur so­lan­ge vor­han­den, als sich die Men­­schen nicht auf ei­nem wis­sen­schaft­lich ge­si­cher­ten We­ge,

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son­dern auf dem der per­sön­li­chen Will­kür den höchs­ten Wahr­hei­ten näh­ern wol­len. Das al­ler­dings muß oh­ne wei­­te­res wie­der zu­ge­stan­den wer­den, daß nur der­je­ni­ge die Rich­tig­keit des ge­heim­wis­sen­schaft­li­chen We­ges an­er­ken­nen kön­ne, der sich in des­sen Ei­gen­art ein­le­ben will.

Den Weg zur Ge­heim­wis­sen­schaft kann je­der Mensch in dem für ihn ge­eig­ne­ten Zeit­punk­te fin­den, der das Vor­han­­den­sein ei­nes Ver­bor­ge­nen aus dem Of­fen­ba­ren her­aus er­kennt oder auch nur ver­mu­tet oder ahnt, und wel­cher aus dem Be­wußt­sein her­aus, daß die Er­kennt­nis­kräf­te ent­wi­cke­­lungs­fähig sei­en, zu dem Ge­fühl ge­trie­ben wird, daß das Ver­bor­ge­ne sich ihm ent­hül­len kön­ne. Ei­nem Men­schen, der durch die­se See­le­n­er­leb­nis­se zur Ge­heim­wis­sen­schaft ge­führt wird, dem er­öff­net sich durch die­se nicht nur die Aus­sicht, daß er für ge­wis­se Fra­gen sei­nes Er­kennt­nis­dran­ges die Ant­wort fin­den wer­de, son­dern auch noch die ganz an­de­re, daß er zum Über­win­der al­les des­sen wird, was das Le­ben hemmt und schwach macht. Und es be­deu­tet in ei­nem ge­­wis­sen höhe­ren Sin­ne ei­ne Schwächung des Le­bens, ja ei­nen see­li­schen Tod, wenn der Mensch sich ge­zwun­gen sieht, sich von dem Über­sinn­li­chen ab­zu­wen­den oder es zu leug­nen. Ja, es führt un­ter ge­wis­sen Vor­aus­set­zun­gen zur Ver­zweif­­lung, wenn ein Mensch die Hoff­nung ver­liert, daß ihm das Ver­bor­ge­ne of­fen­bar wer­de. Die­ser Tod und die­se Ver­­zweif­lung in ih­ren man­nig­fal­ti­gen For­men sind zu­g­leich in­­­ne­re, see­li­sche Geg­ner ge­heim­wis­sen­schaft­li­cher Be­st­re­bung. Sie tre­ten ein, wenn des Men­schen in­ne­re Kraft da­hin­schwin­­det. Dann muß ihm al­le Kraft des Le­bens von au­ßen zu­ge­­führt wer­den, wenn über­haupt ei­ne sol­che in sei­nen Be­sitz kom­men soll. Er nimmt dann die Din­ge, die We­sen­hei­ten und Vor­gän­ge wahr, wel­che an sei­ne Sin­ne her­an­t­re­ten; er

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zer­g­lie­dert die­se mit sei­nem Ver­stan­de. Sie be­rei­ten ihm Freu­de und Sch­merz; sie trei­ben ihn zu den Hand­lun­gen, de­ren er fähig ist. Er mag es ei­ne Wei­le so wei­ter trei­ben: er muß aber doch ein­mal an ei­nen Punkt ge­lan­gen, an dem er in­ner­lich ab­s­tirbt. Denn was so aus der Welt für den Men­­schen her­aus­ge­zo­gen wer­den kann, er­sc­höpft sich. Dies ist nicht ei­ne Be­haup­tung, wel­che aus der per­sön­li­chen Er­fah­rung ei­nes ein­zel­nen stammt, son­dern et­was, was sich aus ei­ner un­be­fan­ge­nen Be­trach­tung al­les Men­schen­le­bens er­gibt. Was vor die­ser Er­sc­höp­fung be­wahrt, ist das Ver­bor­ge­ne, das in der Tie­fe der Din­ge ruht. Er­s­tirbt in dem Men­schen die Kraft, in die­se Tie­fen hin­un­ter­zu­s­tei­gen, um im­mer neue Le­bens­kraft her­auf­zu­ho­len, so er­weist sich zu­letzt auch das Äu­ße­re der Din­ge nicht mehr le­ben­för­dernd.

Die Sa­che ver­hält sich kei­nes­wegs so, daß sie nur den ein­­zel­nen Men­schen, nur des­sen per­sön­li­ches Wohl und We­he an­gin­ge. Ge­ra­de durch wah­re ge­heim­wis­sen­schaft­li­che Be­­trach­tun­gen wird es dem Men­schen zur Ge­wißh­eit, daß von ei­nem höhe­ren Ge­sichts­punk­te aus das Wohl und We­he des ein­zel­nen in­nig zu­sam­men­hängt mit dem Hei­le oder Un­hei­le der gan­zen Welt. Es gibt da ei­nen Weg, auf dem der Mensch zu der Ein­sicht ge­langt, daß er der gan­zen Welt und al­len We­sen in ihr ei­nen Scha­den zu­fügt, wenn er sei­ne Kräf­te nicht in der rech­ten Art zur Ent­fal­tung bringt. Ver­­ö­det der Mensch sein Le­ben da­durch, daß er den Zu­sam­­men­hang mit dem Über­sinn­li­chen ver­liert, so zer­stört er nicht nur in sei­nem In­nern et­was, des­sen Abs­ter­ben ihn zur Ver­zweif­lung zu­letzt füh­ren kann, son­dern er bil­det durch sei­ne Schwäche ein Hemm­nis für die Ent­wi­cke­lung der gan­­zen Welt, in der er lebt.

Nun kann sich der Mensch täu­schen. Er kann sich dem

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Glau­ben hin­ge­ben, daß es ein Ver­bor­ge­nes nicht gä­be, daß in dem­je­ni­gen, was an sei­ne Sin­ne und an sei­nen Ver­stand her­an­tritt, schon al­les ent­hal­ten sei, was über­haupt vor­han­­den sein kann. Aber die­se Täu­schung ist nur für die Ober­­fläche des Be­wußt­seins mög­lich, nicht für des­sen Tie­fe. Das Ge­fühl und der Wunsch fü­gen sich die­sem täu­schen­den Glau­­ben nicht. Sie wer­den im­mer wie­der in ir­gend­ei­ner Art nach ei­nem Ver­bor­ge­nen ver­lan­gen. Und wenn ih­nen die­ses en­t­­zo­gen ist, drän­gen sie den Men­schen in Zwei­fel, in Le­ben­s­un­si­cher­heit, ja eben in die Ver­zweif­lung hin­ein. Ein Er­ken­­nen, wel­ches das Ver­bor­ge­ne of­fen­bar macht, ist ge­eig­net, al­le Hoff­nungs­lo­sig­keit, al­le Le­ben­s­un­si­cher­heit, al­le Ver­­zweif­lung, kurz al­les das­je­ni­ge zu über­win­den, was das Le­ben schwächt und es un­fähig zu dem ihm not­wen­di­gen Di­ens­te im Welt­gan­zen macht.

Das ist die sc­hö­ne Frucht geis­tes­wis­sen­schaft­li­cher Er­kennt­nis­se, daß sie dem Le­ben Stär­ke und Fes­tig­keit und nicht al­lein der Wißb­e­gier­de Be­frie­di­gung ge­ben. Der Qu­ell, aus dem sol­che Er­kennt­nis­se Kraft zur Ar­beit, Zu­ver­sicht für das Le­ben sc­höp­fen, ist ein un­ver­sie­g­li­cher. Kei­ner, der ein­mal an die­sen Qu­ell wahr­haft her­an­ge­kom­men ist, wird bei wie­der­hol­ter Zu­flucht, die er zu dem­sel­ben nimmt, un­­ge­stärkt hin­weg­ge­hen.

Es gibt Men­schen, die aus dem Grun­de von sol­chen Er­kennt­nis­sen nichts wis­sen wol­len, weil sie in dem eben Ge­­sag­ten schon et­was Un­ge­sun­des se­hen. Für die Ober­fläche und das Äu­ße­re des Le­bens ha­ben sol­che Men­schen durch­aus recht. Sie wol­len das nicht ver­küm­mert wis­sen, was das Le­ben in der so­ge­nann­ten Wir­k­lich­keit dar­bie­tet. Sie se­hen ei­ne Schwäche da­rin, wenn sich der Mensch von der Wir­k­­lich­keit ab­wen­det und sein Heil in ei­ner ver­bor­ge­nen Welt

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sucht, die für sie ja ei­ner phan­tas­ti­schen, er­träum­ten gleich­­kommt. Will man bei sol­chem geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Su­chen nicht in krank­haf­te Träu­me­rei und Schwäche ver­fal­len, so muß man das teil­wei­se Be­rech­tig­te sol­cher Ein­wän­de an­er­ken­nen. Denn sie be­ru­hen auf ei­nem ge­sun­den Ur­tei­le, wel­ches nur da­durch nicht zu ei­ner gan­zen, son­dern zu ei­ner hal­ben Wahr­heit führt, daß es nicht in die Tie­fen der Din­ge dringt, son­dern an de­ren Ober­fläche ste­hen­b­leibt. Wä­re ein über­sinn­li­ches Er­kennt­nis­st­re­ben da­zu an­ge­tan, das Le­ben zu schwächen und den Men­schen zur Ab­kehr zu brin­gen von der wah­ren Wir­k­lich­keit, dann wä­ren si­cher sol­che Ein­wän­de stark ge­nug, die­ser Geis­tes­rich­tung den Bo­den un­ter den Fü­ß­en weg­zu­zie­hen.

Aber auch die­sen Mei­nun­gen ge­gen­über wür­den ge­heim­wis­sen­schaft­li­che Be­st­re­bun­gen nicht den rech­ten Weg ge­hen, wenn sie sich im ge­wöhn­li­chen Sin­ne des Wor­tes «ver­tei­­di­gen» woll­ten. Auch da kön­nen sie nur durch ih­ren für je­den Un­be­fan­ge­nen er­kenn­ba­ren Wert sp­re­chen, wenn sie fühl­bar ma­chen, wie sie Le­bens­kraft und Le­bens­stär­ke dem er­höhen, der sich im rech­ten Sin­ne in sie ein­lebt. Die­se Be­­st­re­bun­gen kön­nen nicht zum welt­f­rem­den Men­schen, nicht zum Träu­mer ma­chen; sie er­kraf­ten den Men­schen aus den­je­ni­gen Le­bens­qu­el­len, aus de­nen er, sei­nem geis­tig-see­li­schen Teil nach, stammt.

An­de­re Hin­der­nis­se des Ver­ständ­nis­ses noch le­gen sich man­chem Men­schen in den Weg, wenn er an ge­heim­wis­sen­schaft­li­che Be­st­re­bun­gen her­an­tritt. Es ist näm­lich grun­d­­sätz­lich zwar rich­tig, daß der Le­ser in der ge­heim­wis­sen­­schaft­li­chen Dar­stel­lung ei­ne Schil­de­rung fin­det von See­le­n­er­leb­nis­sen, durch de­ren Ver­fol­gung er sich zu den über­­sinn­li­chen Wel­t­in­hal­ten hin­be­we­gen kann. Al­lein in der

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Pra­xis muß sich die­ses doch als ei­ne Art Ideal aus­le­ben. Der Le­ser muß zu­nächst ei­ne grö­ße­re Sum­me von über­sinn­li­chen Er­fah­run­gen, die er noch nicht selbst er­lebt, mit­tei­lungs­ge­­mäß auf­neh­men. Das kann nicht an­ders sein und wird auch mit die­sem Bu­che so sein. Es wird ge­schil­dert wer­den, was der Ver­fas­ser zu wis­sen ver­meint über das We­sen des Men­­schen, über des­sen Ver­hal­ten in Ge­burt und Tod und im leib­f­rei­en Zu­stan­de in der geis­ti­gen Welt; es wird fer­ner dar­ge­s­tellt wer­den die Ent­wi­cke­lung der Er­de und der Mensch­heit. So könn­te es schei­nen, als ob doch die Vor­aus­­set­zung ge­macht wür­de, daß ei­ne An­zahl ver­meint­li­cher Er­kennt­nis­se wie Dog­men vor­ge­tra­gen wür­den, für die Glau­­ben auf Au­to­ri­tät hin ver­langt wür­de. Es ist dies aber doch nicht der Fall. Was näm­lich von über­sinn­li­chen Wel­t­in­hal­­ten ge­wußt wer­den kann, das lebt in dem Dar­s­tel­ler als le­ben­di­ger See­len­in­halt; und lebt man sich in die­sen See­len­in­halt ein, so ent­zün­det die­ses Ein­le­ben in der ei­ge­nen See­le die Im­pul­se, wel­che nach den ent­sp­re­chen­den über­sinn­li­chen Tat­sa­chen hin­füh­ren. Man lebt im Le­sen von geis­tes­wis­sen­­schaft­li­chen Er­kennt­nis­sen auf an­de­re Art, als in dem­je­ni­gen der Mit­tei­lun­gen sin­nen­fäl­li­ger Tat­sa­chen. Liest man Mit­­­tei­lun­gen aus der sin­nen­fäl­li­gen Welt, so liest man eben über sie. Liest man aber Mit­tei­lun­gen über über­sinn­li­che Tat­s­a­chen im rech­ten Sin­ne, so lebt man sich ein in den Strom geis­ti­gen Da­seins. Im Auf­neh­men der Er­geb­nis­se nimmt man zu­g­leich den ei­ge­nen In­nen­weg da­zu auf. Es ist rich­tig, daß dies hier Ge­mein­te von dem Le­ser zu­nächst oft gar nicht be­merkt wird. Man stellt sich den Ein­tritt in die geis­ti­ge Welt viel zu ähn­lich ei­nem sin­nen­fäl­li­gen Er­leb­nis vor, und so fin­det man, daß, was man beim Le­sen von die­ser Welt er­­lebt, viel zu ge­dan­ken­mä­ß­ig ist. Aber in dem wah­ren ge­­dan­ken­mä­ß­i­gen

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Auf­neh­men steht man in die­ser Welt schon drin­nen und hat sich nur noch klar dar­über zu wer­den, daß man schon un­ver­merkt er­lebt hat, was man ver­mein­te, bloß als Ge­dan­ken­mit­tei­lung er­hal­ten zu ha­ben. Man wird über die ech­te Na­tur die­ses Er­leb­ten dann vol­le Klar­heit er­hal­­ten, wenn man prak­tisch durch­führt, was im zwei­ten (let­z­­ten) Tei­le die­ses Bu­ches als «Weg» zu den über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­sen ge­schil­dert wird. Man könn­te leicht glau­ben, das Um­ge­kehr­te sei rich­tig: die­ser Weg müs­se zu­erst ge­schil­­dert wer­den. Das ist aber nicht der Fall. Wer, oh­ne auf be­­stimm­te Tat­sa­chen der über­sinn­li­chen Welt den See­len­blick zu rich­ten, nur «Übun­gen» macht, um in die über­sinn­li­che Welt ein­zu­t­re­ten, für den bleibt die­se Weit ein un­be­stim­m­­tes, sich ver­wir­ren­des Cha­os. Man lernt sich ein­le­ben in die­se Welt ge­wis­ser­ma­ßen naiv, in­dem man sich über be­stimm­te Tat­sa­chen der­sel­ben un­ter­rich­tet, und dann gibt man sich Re­chen­schaft, wie man die Nai­vi­tät ver­las­send voll­be­wußt selbst zu den Er­leb­nis­sen ge­langt, von de­nen man Mit­tei­lung er­langt hat. Man wird sich, wenn man in ge­heim­wis­sen­schaft­li­che Dar­stel­lun­gen ein­dringt, über­zeu­gen, daß ein si­che­rer Weg zu über­sinn­li­cher Er­kennt­nis doch nur die­ser sein kann. Man wird auch er­ken­nen, daß al­le Mei­­nung, es könn­ten die über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­se zu­erst als Dog­men ge­wis­ser­ma­ßen durch sug­ges­ti­ve Macht wir­ken, un­be­grün­det ist. Denn der In­halt die­ser Er­kennt­nis­se wird in ei­nem sol­chen See­len­le­ben er­wor­ben, das ihm je­de bloß sug­ges­ti­ve Ge­walt be­nimmt und ihm nur die Mög­lich­keit gibt, auf dem­sel­ben We­ge zum an­dern zu sp­re­chen, auf dem al­le Wahr­hei­ten zu ihm sp­re­chen, die sich an sein be­son­ne­­nes Ur­teil rich­ten. Daß der an­de­re zu­nächst nicht be­merkt, wie er in der geis­ti­gen Welt lebt, da­zu liegt nicht der Grund

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in ei­nem un­be­son­ne­nen sug­ges­ti­ven Auf­neh­men, son­dern in der Fein­heit und dem Un­ge­wohn­ten des im Le­sen Er­­leb­ten. So wird man durch das ers­te Auf­neh­men der Mit­­­tei­lun­gen, wie sie im ers­ten Tei­le die­ses Bu­ches ge­ge­ben sind, zu­nächst Mit-Er­ken­ner der über­sinn­li­chen Welt; durch die prak­ti­sche Aus­füh­rung der im zwei­ten Tei­le an­ge­ge­be­nen See­len­ver­rich­tun­gen wird man selb­stän­di­ger Er­ken­ner in die­ser Welt.

Dem Geis­te und dem wah­ren Sin­ne nach wird auch kein ech­ter Wis­sen­schaf­ter ei­nen Wi­der­spruch fin­den kön­nen zwi­­schen sei­ner auf den Tat­sa­chen der Sin­nen­welt er­bau­ten Wis­­sen­schaft und der Art, wie die über­sinn­li­che Welt er­forscht wird. Je­ner Wis­sen­schaf­ter be­di­ent sich ge­wis­ser Werk­zeu­ge und Me­tho­den. Die Werk­zeu­ge stellt er sich durch Ver­ar­bei­­tung des­sen her, was ihm die «Na­tur» gibt. Die über­sin­n­­li­che Er­kennt­nis­art be­di­ent sich auch ei­nes Werk­zeugs. Nur ist die­ses Werk­zeug der Mensch selbst. Und auch die­ses Wer­k­zeug muß für die höhe­re For­schung erst zu­ge­rich­tet wer­den. Es müs­sen in ihm die zu­nächst oh­ne des Men­schen Zu­tun ihm von der «Na­tur» ge­ge­be­nen Fähig­kei­ten und Kräf­te in höhe­re um­ge­wan­delt wer­den. Da­durch kann sich der Mensch selbst zum In­stru­ment ma­chen für die Er­for­schung der über­sinn­li­chen Welt.

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WESEN DER MENSCHHEIT

Bei der Be­trach­tung des Men­schen vom Ge­sichts­punk­te ei­ner über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­art tritt so­g­leich in Kraft, was von die­ser Er­kennt­nis­art im all­ge­mei­nen gilt. Die­se Be­trach­tung be­ruht auf der An­er­ken­nung des «of­fen­ba­ren Ge­heim­nis­ses» in der ei­ge­nen men­sch­li­chen We­sen­heit. Den Sin­nen und dem auf sie ge­stütz­ten Ver­stan­de ist nur ein Teil von dem zu­­­gäng­lich, was in über­sinn­li­cher Er­kennt­nis als men­sch­li­che We­sen­heit er­faßt wird, näm­lich der phy­si­sche Leib. Um den Be­griff von die­sem phy­si­schen Leib zu be­leuch­ten, muß zu­nächst die Auf­merk­sam­keit auf die Er­schei­nung ge­lenkt wer­­den, die wie das gro­ße Rät­sel über al­le Be­o­b­ach­tung des Le­bens aus­ge­b­rei­tet liegt: auf den Tod und, im Zu­sam­men­hang da­mit, auf die so­ge­nann­te le­b­lo­se Na­tur, auf das Reich des Mi­ne­ra­li­schen, das stets den Tod in sich trägt. Es ist da­­mit auf Tat­sa­chen hin­ge­wie­sen, de­ren vol­le Auf­klär­ung nur durch über­sinn­li­che Er­kennt­nis mög­lich ist und de­nen ein wich­ti­ger Teil die­ser Schrift ge­wid­met wer­den muß. Hier aber sol­len vo­r­erst nur ei­ni­ge Vor­stel­lun­gen zur Ori­en­tie­rung an­ge­regt wer­den.

Inn­er­halb der of­fen­ba­ren Welt ist der phy­si­sche Men­schen­leib das­je­ni­ge, wo­r­in­nen der Mensch der mi­ne­ra­li­schen Welt gleich ist. Da­ge­gen kann nicht als phy­si­scher Leib das gel­­ten, was den Men­schen vom Mi­ne­ral un­ter­schei­det. Für ei­ne un­be­fan­ge­ne Be­trach­tung ist vor al­lem die Tat­sa­che wich­­tig, daß der Tod das­je­ni­ge von der men­sch­li­chen We­sen­heit bloß­l­egt, was, wenn der Tod ein­ge­t­re­ten ist, mit der mi­ne­ra­li­schen Welt glei­cher Art ist. Man kann auf den Leich­nam als auf das vom Men­schen hin­wei­sen, was nach dem To­de Vor­gän­gen un­ter­wor­fen ist, die sich im Rei­che der mi­ne­ra­li­schen

Glossar: Offenbares Geheimnis:

Glossar: Menschliche Wesenheit

Tod: Mit dem Tode tritt der Zerfall des physischen Leibes ein

Mineral:

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Welt fin­den. Man kann die Tat­sa­che be­to­nen, daß in die­sem Glie­de der Men­schen­we­sen­heit, dem Leich­nam, die­sel­ben Stof­fe und Kräf­te wirk­sam sind wie im mi­ne­ra­li­schen Ge­biet; aber nö­t­ig ist, nicht min­der stark zu be­to­nen, daß mit dem To­de für die­sen phy­si­schen Leib der Zer­fall ein­­tritt. Be­rech­tigt ist aber auch, zu sa­gen: ge­wiß, es sind im phy­si­schen Men­schen­lei­be die­sel­ben Stof­fe und Kräf­te wir­k­­sam wie im Mi­ne­ral; aber ih­re Wirk­sam­keit ist wäh­rend des Le­bens in ei­nen höhe­ren Di­enst ge­s­tellt. Sie wir­ken erst der mi­ne­ra­li­schen Welt gleich, wenn der Tod ein­ge­t­re­ten ist. Da tre­ten sie auf, wie sie ih­rer ei­ge­nen We­sen­heit ge­mäß auf­t­re­ten müs­sen, näm­lich als Auflö­ser der phy­si­schen Lei­­bes­ge­stal­tung.

So ist im Men­schen scharf zu schei­den das Of­fen­ba­re von dem Ver­bor­ge­nen. Denn wäh­rend des Le­bens muß ein Ver­­­bor­ge­nes ei­nen fort­wäh­ren­den Kampf füh­ren ge­gen die Stof­fe und Kräf­te des Mi­ne­ra­li­schen im phy­si­schen Lei­be. Hört die­ser Kampf auf, so tritt die mi­ne­ra­li­sche Wirk­sam­keit auf. Da­mit ist auf den Punkt hin­ge­wie­sen, an dem die Wis­sen­schaft vom Über­sinn­li­chen ein­set­zen muß. Sie hat das­je­ni­ge zu su­chen, was den an­ge­deu­te­ten Kampf führt. Und dies eben ist für die Be­o­b­ach­tung der Sin­ne ver­bor­gen. Es ist erst der über­sinn­li­chen Be­o­b­ach­tung zu­gäng­lich. Wie der Mensch da­zu ge­langt, daß ihm die­ses «Ver­bor­ge­ne» so of­fen­bar wer­de, wie es den ge­wöhn­li­chen Au­gen die sinn­li­chen Er­schei­nun­gen sind, da­von wird in ei­nem spä­te­ren Tei­le die­ser Schrift ge­spro­chen wer­den. Hier aber soll be­schrie­ben wer­den, was sich der über­sinn­li­chen Be­o­b­ach­tung er­gibt.

Es ist schon ge­sagt wor­den: nur dann kön­nen die Mit­tei­­lun­gen über den Weg, auf dem man zum höhe­ren Schau­en ge­langt, dem Men­schen von Wert sein, wenn er sich zu­erst

KAMPF: Während des Lebens findet im Verborgenen ein fortwährender Kampf gegen die Stoffe und Kräfte des Mineralischen im physischen Leibe statt

MINERALISCHE WIRKSAMKEIT: Sie tritt auf, wenn der Kampf des Verborgenen gegen die Stoffe und Kräfte im physischen Leibe aufhört

WISSENSCHAFT DES ÜBERSINNLICHEN: Sie hat dasjenige zu suchen was im Vorborgenen den Kampf gehen die Stoffe und Kräfte des Mineralischen im physischen Leibe führt. Diese ist für die Beobachtung der Sinne verborgen

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durch die blo­ße Er­zäh­lung be­kannt­ge­macht hat mit dem, was die über­sinn­li­che For­schung ent­hüllt. Denn be­g­rei­fen kann man eben auch das auf die­sem Ge­bie­te, was man noch nicht be­o­b­ach­tet. Ja es ist der gu­te Weg zum Schau­en der­je­ni­ge, wel­cher vom Be­g­rei­fen aus­geht.

Wenn nun auch je­nes Ver­bor­ge­ne, das in dem phy­si­schen Lei­be den Kampf ge­gen den Zer­fall führt, nur für das höhe­re Schau­en zu be­o­b­ach­ten ist: in sei­nen Wir­kun­gen liegt es für die auf das Of­fen­ba­re sich be­schrän­k­en­de Ur­teils­kraft klar zu­ta­ge. Und die­se Wir­kun­gen drü­cken sich in der Form oder Ge­stalt aus, in wel­cher wäh­rend des Le­bens die mi­ne­ra­li­­schen Stof­fe und Kräf­te des phy­si­schen Lei­bes zu­sam­men­­ge­fügt sind. Die­se Form ent­schwin­det nach und nach, und der phy­si­sche Leib wird ein Teil der üb­ri­gen mi­ne­ra­li­schen Welt, wenn der Tod ein­ge­t­re­ten ist. Die über­sinn­li­che An­schau­ung aber kann das­je­ni­ge als selb­stän­di­ges Glied der men­sch­li­chen We­sen­heit be­o­b­ach­ten, was die phy­si­schen Stof­fe und Kräf­te wäh­rend des Le­bens hin­dert, ih­re ei­ge­nen We­ge zu ge­hen, wel­che zur Auflö­sung des phy­si­schen Lei­bes füh­ren. Es sei die­ses selb­stän­di­ge Glied der «Äther­leib» oder «Le­bens­leib» ge­nannt. Wenn sich nicht so­g­leich, von An­fang an, Mi­ß­ver­ständ­nis­se ein­sch­lei­chen sol­len, so muß ge­gen­über die­sen Be­zeich­nun­gen ei­nes zwei­ten Glie­des der men­sch­li­chen We­­sen­heit zwei­er­lei be­rück­sich­tigt wer­den. Das Wort «Äther» wird hier in ei­nem an­dern Sin­ne ge­braucht, als dies von der ge­gen­wär­ti­gen Phy­sik ge­schieht. Die­se be­zeich­net zum Bei­­spiel den Trä­ger des Lich­tes als Äther. Hier soll aber das Wort in dem Sin­ne be­g­renzt wer­den, der oben an­ge­ge­ben wor­den ist. Es soll an­ge­wen­det wer­den für das­je­ni­ge, was dem höhe­ren Schau­en zu­gäng­lich ist und was sich für die Sin­nes­be­o­b­ach­tung nur in sei­nen Wir­kun­gen zu er­ken­nen

FORM: Der Ätherleib gibt dem (lebenden) physischen Leib Form und Gestalt. In Abwesenheit des Ätherleibes (Tod), löst sich die Form des phy­si­schen Leibes auf. Er wird ein Teil der üb­ri­gen mi­ne­ra­li­schen Welt.

ÄTHER: Der Begriff des Äterleib ist nicht nicht so gemeint, wie damals in der Physik, z.B. als Träger des Lichtes. Sondern begrenzt auf dasjenige, was dem höheren Schauen zugänglich ist. Oder für Sinnesbeobachtung nur in seinen Wirkungen

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gibt, näm­lich da­durch, daß es den im phy­si­schen Lei­be vor­­han­de­nen mi­ne­ra­li­schen Stof­fen und Kräf­ten ei­ne be­stimm­te Form oder Ge­stalt zu ge­ben ver­mag. Und auch das Wort «Leib» soll nicht mißv­er­stan­den wer­den. Man muß zur Be­zeich­nung der höhe­ren Din­ge des Da­seins eben doch die Wor­te der ge­wöhn­li­chen Spra­che ge­brau­chen. Und die­se drü­cken ja für die Sin­nes­be­o­b­ach­tung nur das Sinn­li­che aus. Im sinn­li­chen Sin­ne ist na­tür­lich der «Äther­leib» durch­aus nichts Leib­li­ches, wie fein man sich ein sol­ches auch vor­­­s­tel­len mag.

In­dem man in der Dar­stel­lung des Über­sinn­li­chen bis zur Er­wäh­nung die­ses «Äther­lei­bes» oder «Le­bens­lei­bes» ge­langt, ist schon der Punkt er­reicht, an dem sol­cher Dar­s­tel­­lung der Wi­der­spruch man­cher ge­gen­wär­ti­gen An­sicht be­­geg­nen muß. Die Ent­wi­cke­lung des Men­schen­geis­tes hat da­hin ge­führt, daß in un­se­rer Zeit das Sp­re­chen von ei­nem sol­chen Glie­de der men­sch­li­chen We­sen­heit als et­was Un­­wis­sen­schaft­li­ches an­ge­se­hen wer­den muß. Die ma­te­ria­li­s­ti­sche Vor­stel­lungs­art ist da­zu ge­langt, in dem le­ben­di­gen Lei­be nichts an­de­res zu se­hen als ei­ne Zu­sam­men­fü­gung von phy­si­schen Stof­fen und Kräf­ten, wie sie sich in dem so­ge­nann­ten le­b­lo­sen Kör­per, in dem Mi­ne­ral, auch fin­det. Nur sei die Zu­sam­men­fü­gung in dem Le­ben­di­gen kom­p­li­­zier­ter als in dem Le­b­lo­sen. Man hat auch in der ge­wöhn­­li­chen Wis­sen­schaft vor nicht all­zu­lan­ger Zeit noch an­de­re An­sich­ten ge­habt. Wer die Schrif­ten man­chen erns­ten Wis­­sen­schaf­ters aus der ers­ten Hälf­te des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts

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#F­N013-055-01 Daß mit der Be­zeich­nung «Äther­leib», «Le­bens­leib» nicht ein­fach die An­schau­ung von der al­ten, na­tur­wis­sen­schaft­lich über­wun­de­nen «Le­bens­kraft» er­neu­ert wer­den soll, dar­über hat sich der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches in sei­ner «Theo­so­phie» aus­ge­spro­chen.

LEIB: Das Wort "Leib" i.S. des Ätherleib ist im sinnlichen Sinne nichts Leibliches, aber für die außersinnlichen Dinge müssen Worte der gewöhnlichen Sprache gebraucht werden

UNWISSENSCHAFTLICH: In der damaligen Zeit sah man den physischen Leib als Zusammenfügung von physischen Stoffen und Kräften. Ähnlich leblosen Körpern, wie im Mineral. Nur die Zusammenfügung sei kompliziertes als im Leblosen. Aber die Annahme eines Äterleibes oder Lebensleibes galt als unwissenschaftlich.

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ver­folgt, dem wird klar, wie da auch «ech­te Na­­tur­for­scher» sich be­wußt wa­ren, daß in dem le­ben­di­gen Lei­be noch et­was an­de­res vor­han­den ist als in dem le­b­lo­sen Mi­ne­ral. Man sprach von ei­ner «Le­bens­kraft». Zwar wird die­se «Le­bens­kraft» nicht als das vor­ge­s­tellt, was oben als «Le­bens­leib» ge­kenn­zeich­net ist; aber der be­tref­fen­den Vor­­­stel­lung liegt doch ei­ne Ah­nung da­von zu­grun­de, daß es der­g­lei­chen gibt. Man stell­te sich die­se «Le­bens­kraft» et­wa so vor, wie wenn sie in dem le­ben­di­gen Lei­be zu den phy­si­­schen Stof­fen und Kräf­ten hin­zu­kä­me auf ähn­li­che Art, wie die mag­ne­ti­sche Kraft zu dem blo­ßen Ei­sen in dem Ma­g­ne­ten. Dann kam die Zeit, in wel­cher die­se «Le­bens­kraft» aus dem Be­stan­de der Wis­sen­schaft ent­fernt wur­de. Man woll­te für al­les mit den blo­ßen phy­si­schen und che­mi­schen Ur­sa­chen aus­rei­chen. Ge­gen­wär­tig ist in die­ser Be­zie­hung bei man­chem na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Den­ker wie­der ein Rück­schlag ein­ge­t­re­ten. Es wird von man­cher Sei­te zu­ge­ge­­ben, daß die An­nah­me von et­was der «Le­bens­kraft» Ähn­­li­chem doch kein völ­li­ger Un­sinn sei. Doch wird auch der­je­ni­ge «Wis­sen­schaf­ter», der sich zu sol­chem her­bei­läßt, mit der hier dar­ge­s­tell­ten An­schau­ung in be­zug auf den «Le­bens­leib» nicht ge­mein­sa­me Sa­che ma­chen wol­len. Es wird in der Re­gel zu kei­nem Zie­le füh­ren, wenn man sich vom Ge­sichts­punk­te über­sinn­li­cher Er­kennt­nis mit sol­chen An­­sich­ten in ei­ne Dis­kus­si­on ein­läßt. Es soll­te viel­mehr die Sa­che die­ser Er­kennt­nis sein, an­zu­er­ken­nen, daß die ma­te­ria­lis­ti­sche Vor­stel­lungs­art ei­ne not­wen­di­ge Be­g­lei­t­er­schei­­nung des gro­ßen na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Fort­schrit­tes in un­­se­rer Zeit ist. Die­ser Fort­schritt be­ruht auf ei­ner ge­wal­ti­gen Ver­fei­ne­rung der Mit­tel zur Sin­nes­be­o­b­ach­tung. Und es liegt ein­mal im We­sen des Men­schen, daß er inn­er­halb der Ent­wi­cke­lung

MATERIALISTISCHE VORSTELLUNGSART: Sie war eine notwendige Begleiterscheinung des großen naturwissenschaftlichen Fortschrittes der Zeit von Rudolf Steiner. Durch die gewaltige Verfeinnerung der Sinnesbeobachtung, traten andere menschliche Fähigkeiten in den Hintergrund (den Zugang zu verborgenen Welten). S 57f.

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je­wei­lig ein­zel­ne Fähig­kei­ten auf Kos­ten an­de­rer zu ei­nem ge­wis­sen Voll­kom­men­heits­gra­de bringt. Die ge­naue Sin­nes­be­o­b­ach­tung, die sich in ei­nem so be­deu­tungs­­vol­len Ma­ße durch die Na­tur­wis­sen­schaft ent­wi­ckelt hat, muß­te die Pf­le­ge der­je­ni­gen men­sch­li­chen Fähig­kei­ten in den Hin­ter­grund tre­ten las­sen, wel­che in die «ver­bor­ge­nen Wel­ten» füh­ren. Aber ei­ne Zeit ist wie­der da, in wel­cher die­se Pf­le­ge not­wen­dig ist. Und das Ver­bor­ge­ne wird nicht da­durch an­er­kannt, daß man die Ur­tei­le be­kämpft, wel­che aus dem Ab­leug­nen die­ses Ver­bor­ge­nen ja doch mit lo­gi­­scher Fol­ge­rich­tig­keit sich er­ge­ben, son­dern da­durch, daß man die­ses Ver­bor­ge­ne selbst in das rech­te Licht setzt. An­er­ken­nen wer­den es dann die­je­ni­gen, für wel­che die «Zeit ge­kom­men ist».

Es muß­te dies hier nur ge­sagt wer­den, da­mit man nicht Un­be­kannt­schaft mit den Ge­sichts­punk­ten der Na­tur­wis­­sen­schaft vor­aus­setzt, wenn von ei­nem «Äther­leib» ge­s­pro­chen wird, der doch in man­chen Krei­sen für et­was völ­lig Phan­tas­ti­sches gel­ten muß.

Die­ser Äther­leib ist al­so ein zwei­tes Glied der men­sch­li­chen We­sen­heit. Ihm kommt für das über­sinn­li­che Er­ken­­nen ein höhe­rer Grad von Wir­k­lich­keit zu als dem phy­­si­schen Lei­be. Ei­ne Be­sch­rei­bung, wie ihn das über­sinn­li­che Er­ken­nen sieht, kann erst in den fol­gen­den Tei­len die­ser Schrift ge­ge­ben wer­den, wenn her­vor­t­re­ten wird, in wel­chem Sin­ne sol­che Be­sch­rei­bun­gen zu neh­men sind. Vor­läu­­fig mag es ge­nü­gen, wenn ge­sagt wird, daß der Äther­leib den phy­si­schen Kör­per übe­rall durch­setzt und daß er wie ei­ne Art Ar­chi­tekt des letz­te­ren an­zu­se­hen ist. Al­le Or­ga­ne wer­den in ih­rer Form und Ge­stalt durch die Strö­mun­gen und Be­we­gun­gen des Äther­lei­bes ge­hal­ten. Dem phy­si­schen

VERBORGENES ANERKENNEN: Nicht duch Bekämpfung der Urteile, denn die Urteile sind eine Folge der Vervollkommnung der Sinnesbeobachtung. Sondern indem das Verborgene in das rechte Licht gesetzt wird, damit es von denjenigen Anerkennung findet, für die die Zeit gekommen ist.

GLIED der menschlichen Wesenheit: Äterleib ist zweiter Glied. S 57

ARCHITEKT: Der Ätherleib durchsetztn den physischen Körper alle Organe und erhält ihre Form und Gestalt duch seine Strömungen und Bewegungen

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Her­zen liegt ein «Äther­herz» zu­grun­de, dem phy­si­schen Ge­hirn ein «Äther­ge­hirn» usw. Es ist eben der Äther­leib in sich ge­g­lie­dert wie der phy­si­sche, nur kom­p­li­zier­ter, und es ist in ihm al­les in le­ben­di­gem Durch­ein­an­der­f­lie­ßen, wo im phy­si­schen Lei­be ab­ge­son­der­te Tei­le vor­han­den sind.

Die­sen Äther­leib hat nun der Mensch so mit dem Pflan­z­­li­chen ge­mein, wie er den phy­si­schen Leib mit dem Mi­ne­r­a­­li­schen ge­mein hat. Al­les Le­ben­di­ge hat sei­nen Äther­leib.

Von dem Äther­leib steigt die über­sinn­li­che Be­trach­tung auf zu ei­nem wei­te­ren Glie­de der men­sch­li­chen We­sen­heit. Sie deu­tet zur Bil­dung ei­ner Vor­stel­lung von die­sem Glie­de auf die Er­schei­nung des Schla­fes hin, wie sie beim Äther­leib auf den Tod hin­ge­wie­sen hat. Al­les men­sch­li­che Schaf­fen be­ruht auf der Tä­tig­keit im Wa­chen, so weit das Of­fen­ba­re in Be­tracht kommt. Die­se Tä­tig­keit ist aber nur mög­lich, wenn der Mensch die Er­star­kung sei­ner er­sc­höpf­­ten Kräf­te sich im­mer wie­der aus dem Schla­fe holt. Han­­deln und Den­ken schwin­den da­hin im Schla­fe, al­ler Sch­merz, al­le Lust ver­sin­ken für das be­wuß­te Le­ben. Wie aus ver­­­bor­ge­nen, ge­heim­nis­vol­len Brun­nen stei­gen beim Er­wa­chen des Men­schen be­wuß­te Kräf­te aus der Be­wußt­lo­sig­keit des Schla­fes auf. Es ist das­sel­be Be­wußt­sein, das beim Ein­schla­­fen hin­un­ter­sinkt in die dun­k­len Tie­fen und das beim Auf­­wa­chen wie­der her­auf­s­teigt. Das­je­ni­ge, was das Le­ben im­­mer wie­der aus dem Zu­stand der Be­wußt­lo­sig­keit er­weckt, ist im Sin­ne über­sinn­li­cher Er­kennt­nis das drit­te Glied der men­sch­li­chen We­sen­heit. Man kann es den As­tral­leib nen­­nen. Wie der phy­si­sche Leib nicht durch die in ihm be­fin­d­­li­chen mi­ne­ra­li­schen Stof­fe und Kräf­te sei­ne Form er­hal­ten kann, son­dern wie er, um die­ser Er­hal­tung wil­len, von dem Äther­leib durch­setzt sein muß, so kön­nen die Kräf­te des

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Äther­lei­bes sich nicht durch sich selbst mit dem Lich­te des Be­wußt­seins durch­leuch­ten. Ein Äther­leib, der bloß sich selbst über­las­sen wä­re, müß­te sich fort­dau­ernd in dem Zu­stan­de des Schla­fes be­fin­den. Man kann auch sa­gen: er könn­te in dem phy­si­schen Lei­be nur ein Pflanzen­sein un­ter­hal­ten. Ein wa­chen­der Äther­leib ist von ei­nem As­tral­­leib durch­leuch­tet. Für die Sin­nes­be­o­b­ach­tung ver­schwin­det die Wir­kung die­ses As­tral­lei­bes, wenn der Mensch in Schlaf ver­sinkt. Für die über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung bleibt er noch vor­han­den; nur er­scheint er von dem Äther­leib ge­t­rennt oder aus ihm her­aus­ge­ho­ben. Die Sin­nes­be­o­b­ach­tung hat es eben nicht mit dem As­tral­leib selbst zu tun, son­dern nur mit sei­nen Wir­kun­gen in dem Of­fen­ba­ren. Und sol­che sind wäh­rend des Schla­fes nicht un­mit­tel­bar vor­han­den. In dem­­sel­ben Sin­ne, wie der Mensch sei­nen phy­si­schen Leib mit den Mi­ne­ra­li­en, sei­nen Äther­leib mit den Pflan­zen ge­mein hat, ist er in be­zug auf sei­nen As­tral­leib glei­cher Art mit den Tie­ren. Die Pflan­zen sind in ei­nem fort­dau­ern­den Schlaf­zu­stan­de. Wer in die­sen Din­gen nicht ge­nau ur­teilt, der kann leicht in den Irr­tum ver­fal­len, auch den Pflan­zen ei­ne Art von Be­wußt­sein zu­zu­sch­rei­ben, wie es die Tie­re und Men­schen im Wach­zu­stan­de ha­ben. Das kann aber nur dann ge­sche­hen, wenn man sich von dem Be­wußt­sein ei­ne un­ge­naue Vor­stel­lung macht. Man sagt dann, wenn auf die Pflan­ze ein äu­ße­rer Reiz aus­ge­übt wird, dann voll­zie­he sie ge­wis­se Be­we­gun­gen wie das Tier auch. Man spricht von der Emp­find­lich­keit man­cher Pflan­zen, wel­che zum Bei­spiel ih­re Blät­ter zu­sam­men­zie­hen, wenn ge­wis­se äu­ße­re Din­ge auf sie ein­wir­ken. Doch ist es nicht das Be­zeich­nen­de des Be­wußt­seins, daß ein We­sen auf ei­ne Wir­kung ei­ne ge­wis­se Ge­gen­wir­kung zeigt, son­dern daß das We­sen in sei­nem

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In­nern et­was er­lebt, was zu der blo­ßen Ge­gen­wir­kung als ein Neu­es hin­zu­kommt. Sonst könn­te man auch von Be­wußt­sein sp­re­chen, wenn sich ein Stück Ei­sen un­ter dem Ein­flus­se von Wär­me aus­dehnt. Be­wußt­sein ist erst vor­han­­den, wenn das We­sen durch die Wir­kung der Wär­me zum Bei­spiel in­ner­lich Sch­merz er­lebt.

Das vier­te Glied sei­ner We­sen­heit, wel­ches die über­sin­n­­li­che Er­kennt­nis dem Men­schen zu­sch­rei­ben muß, hat er nun nicht mehr ge­mein mit der ihn um­ge­ben­den Welt des Of­fen­ba­ren. Es ist sein Un­ter­schei­den­des ge­gen­über sei­nen Mit­we­sen, das­je­ni­ge, wo­durch er die Kro­ne der zu­nächst zu ihm ge­hö­ri­gen Sc­höp­fung ist. Die über­sinn­li­che Er­kenn­t­­nis bil­det ei­ne Vor­stel­lung von die­sem wei­te­ren Glie­de der men­sch­li­chen We­sen­heit, in­dem sie dar­auf hin­weist, daß auch inn­er­halb der wa­chen Er­leb­nis­se noch ein we­sent­li­cher Un­ter­schied be­steht. Die­ser Un­ter­schied tritt so­fort her­vor, wenn der Mensch sei­ne Auf­merk­sam­keit dar­auf lenkt, daß er im wa­chen Zu­stan­de ei­ner­seits fort­wäh­rend in der Mit­te von Er­leb­nis­sen steht, die kom­men und ge­hen müs­sen, und daß er an­de­rer­seits auch Er­leb­nis­se hat, bei de­nen dies nicht der Fall ist. Es tritt das be­son­ders scharf her­vor, wenn man die Er­leb­nis­se des Men­schen mit de­nen des Tie­res ver­g­leicht. Das Tier er­lebt mit gro­ßer Re­gel­mä­ß­ig­keit die Ein­flüs­se der äu­ße­ren Welt und wird sich un­ter dem Ein­flus­se der Wär­me und Käl­te, des Sch­mer­zes und der Lust, un­ter ge­wis­sen re­gel­­mä­ß­ig ablau­fen­den Vor­gän­gen sei­nes Lei­bes des Hun­gers und Durs­tes be­wußt. Des Men­schen Le­ben ist mit sol­chen Er­leb­nis­­­sen nicht er­sc­höpft. Er kann Be­gier­den, Wün­sche ent­wi­ckeln, die über das al­les hin­aus­ge­hen. Beim Tier wür­de man im­­mer nach­wei­sen kön­nen, wenn man weit ge­nug zu ge­hen ver­möch­te, wo au­ßer dem Lei­be oder in dem Lei­be die Ver­­­an­las­sung

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zu ei­ner Hand­lung, zu ei­ner Emp­fin­dung ist. Beim Men­schen ist das kei­nes­wegs der Fall. Er kann Wün­sche und Be­gier­den er­zeu­gen, zu de­ren Ent­ste­hung die Ver­an­las­sung we­der inn­er­halb noch au­ßer­halb sei­nes Lei­bes hin­rei­chend ist. Al­lem, was in die­ses Ge­biet fällt, muß man ei­ne be­son­­de­re Qu­el­le ge­ben. Und die­se Qu­el­le kann man im Sin­ne der über­sinn­li­chen Wis­sen­schaft im «Ich» des Men­schen se­hen. Das «Ich» kann da­her als das vier­te Glied der men­sch­li­chen We­sen­heit an­ge­spro­chen wer­den. Wä­re der As­tral­leib sich selbst über­las­sen, es wür­den sich Lust und Sch­merz, Hun­ger- und Durst­ge­füh­le in ihm ab­spie­len; was aber dann nicht zu­stan­de­kä­me, ist die Emp­fin­dung: es sei ein Blei­ben­des in al­le dem. Nicht das Blei­ben­de als sol­ches wird hier als «Ich» be­zeich­net, son­dern das­je­ni­ge, wel­ches die­ses Blei­ben­de er­lebt. Man muß auf die­sem Ge­bie­te die Be­grif­fe ganz scharf fas­sen, wenn nicht Mißv­er­ständ­nis­se ent­ste­hen sol­­len. Mit dem Ge­wahr­wer­den ei­nes Dau­ern­den, Blei­ben­den im Wech­sel der in­ne­ren Er­leb­nis­se be­ginnt das Auf­däm­­mern des «Ich­ge­füh­l­es». Nicht daß ein We­sen zum Bei­spiel Hun­ger emp­fin­det, kann ihm ein Ich­ge­fühl ge­ben. Der Hun­­ger stellt sich ein, wenn die er­neu­er­ten Ver­an­las­sun­gen zu ihm sich bei dem be­tref­fen­den We­sen gel­tend ma­chen. Es fällt dann über sei­ne Nah­rung her, weil eben die­se er­neu­er­ten Ver­an­las­sun­gen da sind. Das Ich­ge­fühl tritt erst ein, wenn nicht nur die­se er­neu­er­ten Ver­an­las­sun­gen zu der Nah­rung hin­t­rei­ben, son­dern wenn bei ei­ner vor­her­ge­hen­den Sät­ti­gung ei­ne Lust ent­stan­den ist und das Be­wußt­sein die­­ser Lust ge­b­lie­ben ist, so daß nicht nur das ge­gen­wär­ti­ge Er­leb­nis des Hun­gers, son­dern das ver­gan­ge­ne der Lust zu dem Nah­rungs­mit­tel treibt. Wie der phy­si­sche Leib zer­­fällt, wenn ihn nicht der Äther­leib zu­sam­men­hält; wie der

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Äther­leib in die Be­wußt­lo­sig­keit ver­sinkt, wenn ihn nicht der As­tral­leib durch­leuch­tet, so müß­te der As­tral­leib das Ver­gan­ge­ne im­mer wie­der in die Ver­ges­sen­heit sin­ken las­­sen, wenn die­ses nicht vom «Ich» in die Ge­gen­wart her­­über­ge­ret­tet wür­de. Was für den phy­si­schen Leib der Tod, für den Äther­leib der Schlaf, das ist für den As­tral­leib das Ver­gan­ge­ne im­mer wie­der in die Ver­ges­sen­heit sin­ken las­sen, wenn die­ses nicht vom «Ich» in die Ge­gen­wart her­über­t­re­ten wür­de. Was für den phy­si­schen Leib der Tod, für den Äther­leib der Schlaf, das ist für den As­tral­leib das Ver­ges­sen. Man kann auch sa­gen: dem Äther­leib sei das Le­ben ei­gen, dem As­tral­leib das Be­wußt­sein und dem Ich die Er­in­ne­rung.

Noch leich­ter als in den Irr­tum, der Pflan­ze Be­wußt­sein zu­zu­sch­rei­ben, kann man in den­je­ni­gen ver­fal­len, bei dem Tie­re von Er­in­ne­rung zu sp­re­chen. Es liegt so na­he, an Er­in­ne­rung zu den­ken, wenn der Hund sei­nen Herrn wie­der­er­kennt, den er vi­el­leicht ziem­lich lan­ge nicht ge­se­hen hat. Doch in Wahr­heit be­ruht sol­ches Wie­der­er­ken­nen gar nicht auf Er­in­ne­rung, son­dern auf et­was völ­lig an­de­rem. Der Hund emp­fin­det ei­ne ge­wis­se An­zie­hung zu sei­nem Herrn. Die­se geht aus von der We­sen­heit des letz­te­ren. Die­se We­­sen­heit be­rei­tet dem Hun­de Lust, wenn der Herr für ihn ge­gen­wär­tig ist. Und je­des­mal, wenn die­se Ge­gen­wart des Herrn ein­tritt, ist sie die Ver­an­las­sung zu ei­ner Er­neue­rung der Lust. Er­in­ne­rung ist aber nur dann vor­han­den, wenn ein We­sen nicht bloß mit sei­nen Er­leb­nis­sen in der Ge­gen­wart emp­fin­det, son­dern wenn es die­je­ni­gen der Ver­gan­­gen­heit be­wahrt. Man könn­te so­gar die­ses zu­ge­ben und den­noch in den Irr­tum ver­fal­len, der Hund ha­be Er­in­ne­rung. Man könn­te näm­lich sa­gen: er trau­ert, wenn sein Herr ihn ver­läßt, al­so bleibt ihm die Er­in­ne­rung an den­sel­ben. Auch das ist ein un­rich­ti­ges Ur­teil. Durch das Zu­sam­men­­le­ben mit dem Herrn wird für den Hund des­sen Ge­gen­wart Be­dürf­nis, und er emp­fin­det da­durch die Ab­we­sen­heit in

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ähn­li­cher Art, wie er den Hun­ger emp­fin­de. Wer sol­che Un­ter­schei­dun­gen nicht macht, wird nicht zur Klar­heit über die wah­ren Ver­hält­nis­se des Le­bens kom­men.

Aus ge­wis­sen Vor­ur­tei­len her­aus wird man ge­gen die­se Dar­stel­lung ein­wen­den, daß man doch nicht wis­sen kön­ne, ob beim Tie­re et­was der men­sch­li­chen Er­in­ne­rung Ähn­li­ches vor­han­den sei oder nicht. Sol­cher Ein­wand be­ruht aber auf ei­ner un­ge­schul­ten Be­o­b­ach­tung. Wer wir­k­lich sin­n­­ge­mäß be­o­b­ach­ten kann, wie sich das Tier im Zu­sam­men­han­ge sei­ner Er­leb­nis­se ver­hält, der be­merkt den Un­ter­­schied die­ses Ver­hal­tens von dem des Men­schen. Und er wird sich klar, daß das Tier sich so ver­hält, wie es dem Nicht­vor­han­den­sein der Er­in­ne­rung ent­spricht. Für die über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung ist das oh­ne wei­te­res klar. Doch, was die­ser über­sinn­li­chen Be­o­b­ach­tung un­mit­tel­bar zum Be­wußt­sein kommt, das kann an sei­nen Wir­kun­gen auf die­­sem Ge­bie­te auch von der sinn­li­chen Wahr­neh­mung und de­ren den­ken­der Durch­drin­gung er­kannt wer­den. Wenn man sagt, der Mensch wis­se von sei­ner Er­in­ne­rung durch in­ne­re See­len­be­o­b­ach­tung, die er doch beim Tie­re nicht an­­s­tel­len kön­ne, so liegt ei­ner sol­chen Be­haup­tung ein ver­­häng­nis­vol­ler Irr­tum zu­grun­de. Was sich der Mensch über sei­ne Er­in­ne­rungs­fähig­keit zu sa­gen hat, das kann er näm­­lich gar nicht ei­ner in­ne­ren See­len­be­o­b­ach­tung ent­neh­men, son­dern al­lein dem, was er mit sich in dem Ver­hal­ten zu den Din­gen und Vor­gän­gen der Au­ßen­welt er­lebt. Die­se Er­leb­nis­se macht er mit sich und mit ei­nem an­dern Men­­schen und auch mit den Tie­ren auf die ganz glei­che Wei­se. Es ist nur ein Schein, der den Men­schen blen­det, wenn er glaubt, er be­ur­tei­le das Vor­han­den­sein der Er­in­ne­rung nur an der in­ne­ren Be­o­b­ach­tung. Was der Er­in­ne­rung als Kraft

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zu­grun­de liegt, mag in­ner­lich ge­nannt wer­den; das Ur­teil über die­se Kraft wird auch für die ei­ge­ne Per­son durch den Blick auf den Zu­sam­men­hang des Le­bens an der Au­ßen­welt er­wor­ben. Und die­sen Zu­sam­men­hang kann man wie bei sich auch bei dem Tie­re be­ur­tei­len. In be­zug auf sol­che Din­ge lei­det un­se­re ge­bräuch­li­che Psy­cho­lo­gie an ih­ren ganz un­­ge­schul­ten, un­ge­nau­en, im ho­hen Ma­ße durch Be­o­b­ach­tungs­­­feh­ler täu­schen­den Vor­stel­lun­gen.

Für das «Ich» be­deu­ten Er­in­ne­rung und Ver­ges­sen et­was durch­aus Ähn­li­ches wie für den As­tral­leib Wa­chen und Schlaf. Wie der Schlaf die Sor­gen und Be­küm­mer­nis­se des Ta­ges in ein Nichts ver­schwin­den läßt, so brei­tet Ver­ges­sen ei­nen Sch­lei­er über die sch­lim­men Er­fah­run­gen des Le­bens und löscht da­durch ei­nen Teil der Ver­gan­gen­heit aus. Und wie der. Schlaf not­wen­dig ist, da­mit die er­sc­höpf­ten Le­bens­kräf­te neu ge­stärkt wer­den, so muß der Mensch ge­wis­se Tei­le sei­ner Ver­gan­gen­heit aus der Er­in­ne­rung ver­til­gen, wenn er neu­en Er­leb­nis­sen frei und un­be­fan­gen ge­gen­über­ste­hen soll. Aber ge­ra­de aus dem Ver­ges­sen er­wächst ihm Stär­kung für die Wahr­neh­mung des Neu­en. Man den­ke an Tat­sa­chen wie das Ler­nen des Sch­rei­bens. Al­le Ein­zel­hei­ten, wel­che das Kind zu durch­le­ben hat, um sch­rei­ben zu ler­nen, wer­den ver­ges­sen. Was bleibt, ist die Fähig­keit des Sch­rei­bens. Wie wür­de der Mensch sch­rei­ben, wenn beim je­des­ma­li­gen An­­set­zen der Fe­der al­le die Er­leb­nis­se in der See­le als Er­in­ne­rung auf­s­tie­gen, wel­che beim Sch­rei­ben­ler­nen durch­ge­macht wer­den muß­ten.

Nun tritt die Er­in­ne­rung in ver­schie­de­nen Stu­fen auf. Schon das ist die ein­fachs­te Form der Er­in­ne­rung, wenn der Mensch ei­nen Ge­gen­stand wahr­nimmt und er dann nach dem Ab­wen­den von dem Ge­gen­stan­de die Vor­stel­lung von

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ihm wie­der er­we­cken kann. Die­se Vor­stel­lung hat der Mensch sich ge­bil­det, wäh­rend er den Ge­gen­stand wahr­ge­nom­men hat. Es hat sich da ein Vor­gang ab­ge­spielt zwi­schen sei­nem as­tra­li­schen Lei­be und sei­nem Ich. Der As­tral­leib hat den äu­ße­ren Ein­druck von dem Ge­gen­stan­de be­wußt ge­macht. Doch wür­de das Wis­sen von dem Ge­gen­stan­de nur so lan­ge dau­ern, als die­ser ge­gen­wär­tig ist, wenn das Ich nicht das Wis­sen in sich auf­neh­men und zu sei­nem Be­sitz­tu­me ma­chen wür­de. Hier an die­sem Punk­te schei­det die über­­sinn­li­che An­schau­ung das Leib­li­che von dem See­li­schen. Man spricht vom As­tral­lei­be, so­lan­ge man die Ent­ste­hung des Wis­sens von ei­nem ge­gen­wär­ti­gen Ge­gen­stan­de im Au­ge hat. Das­je­ni­ge aber, was dem Wis­sen Dau­er gibt, be­zeich­net man als See­le. Man sieht aber zu­g­leich aus dem Ge­sag­ten, wie eng ver­bun­den im Men­schen der As­tral­leib mit dem Tei­le der See­le ist, wel­cher dem Wis­sen Dau­er ver­leiht. Bei­de sind ge­wis­ser­ma­ßen zu ei­nem Glie­de der men­sch­li­chen We­sen­heit ve­r­ei­nigt. Des­halb kann man auch die­se Ve­r­ei­­ni­gung als As­tral­leib be­zeich­nen. Auch kann man, wenn man ei­ne ge­naue Be­zeich­nung will, von dem As­tral­leib des Men­­schen als dem See­len­leib sp­re­chen, und von der See­le, in­so­fern sie mit die­sem ve­r­ei­nigt ist, als der Emp­fin­dungs­see­le.

Das Ich steigt zu ei­ner höhe­ren Stu­fe sei­ner We­sen­heit, wenn es sei­ne Tä­tig­keit auf das rich­tet, was es aus dem Wis­­sen der Ge­gen­stän­de zu sei­nem Be­sitz­tum ge­macht hat. Dies ist die Tä­tig­keit, durch wel­che sich das Ich von den Ge­gen­­stän­den der Wahr­neh­mung im­mer mehr los­löst, um in sei­­nem ei­ge­nen Be­sit­ze zu ar­bei­ten. Den Teil der See­le, dem die­ses zu­kommt, kann man als Ver­stan­des- oder Ge­müts­­see­le be­zeich­nen. So­wohl der Emp­fin­dungs­see­le wie der Ver­stan­des­see­le ist es ei­gen, daß sie mit dem ar­bei­ten, was

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sie durch die Ein­drü­cke der von den Sin­nen wahr­ge­nom­­me­nen Ge­gen­stän­de er­hal­ten und da­von in der Er­in­ne­rung be­wah­ren. Die See­le ist da ganz hin­ge­ge­ben an das, was für sie ein Äu­ße­res ist. Auch dies hat sie ja von au­ßen emp­fan­­gen, was sie durch die Er­in­ne­rung zu ih­rem ei­ge­nen Be­sitz macht. Sie kann aber über all das hin­aus­ge­hen. Sie ist nicht al­lein Emp­fin­dungs- und Ver­stan­des­see­le. Die über­sinn­li­che An­schau­ung ver­mag am leich­tes­ten ei­ne Vor­stel­lung von die­sem Hin­aus­ge­hen zu bil­den, wenn sie auf ei­ne ein­fa­che Tat­sa­che hin­weist, die nur in ih­rer um­fas­sen­den Be­deu­tung ge­wür­digt wer­den muß. Es ist die­je­ni­ge, daß es im gan­zen Um­fan­ge der Spra­che ei­nen ein­zi­gen Na­men gibt, der sei­ner We­sen­heit nach sich von al­len an­dern Na­men un­ter­schei­­det. Dies ist eben der Na­me «Ich». Je­den an­dern Na­men kann dem Din­ge oder We­sen, de­nen er zu­kommt, je­der Mensch ge­ben. Das «Ich» als Be­zeich­nung für ein We­sen hat nur dann ei­nen Sinn, wenn die­ses We­sen sich die­se Be­zeich­nung selbst bei­legt. Nie­mals kann von au­ßen an ei­nes Men­schen Ohr der Na­me «Ich» als sei­ne Be­zeich­nung drin­gen; nur das We­sen selbst kann ihn auf sich an­wen­den. «Ich bin ein Ich nur für mich; für je­den an­dern bin ich ein Du; und je­der an­de­re ist für mich ein Du.» Die­se Tat­sa­che ist der äu­ße­re Aus­druck ei­ner tief be­deut­sa­men Wahr­heit. Das ei­gent­li­che We­sen des «Ich» ist von al­lem Äu­ße­ren un­­ab­hän­gig; des­halb kann ihm sein Na­me auch von kei­nem Äu­ße­ren zu­ge­ru­fen wer­den. Je­ne re­li­giö­sen Be­kennt­nis­se, wel­che mit Be­wußt­sein ih­ren Zu­sam­men­hang mit der über­­sinn­li­chen An­schau­ung auf­rech­t­er­hal­ten ha­ben, nen­nen da­her die Be­zeich­nung «Ich» den «un­aus­sp­rech­li­chen Na­men Got­tes». Denn ge­ra­de auf das An­ge­deu­te­te wird ge­wie­sen, wenn die­ser Aus­druck ge­braucht wird. Kein Äu­ße­res hat

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Zu­gang zu je­nem Tei­le der men­sch­li­chen See­le, der hier­mit ins Au­ge ge­faßt ist. Hier ist das «ver­bor­ge­ne Hei­lig­tum» der See­le. Nur ein We­sen kann da Ein­laß ge­win­nen, mit dem die See­le glei­cher Art ist. «Der Gott, der im Men­schen wohnt, spricht, wenn die See­le sich als Ich er­kennt.» Wie die Emp­fin­dungs­see­le und die Ver­stan­des­see­le in der äu­ße­­ren Welt le­ben, so taucht ein drit­tes Glied der See­le in das Gött­li­che ein, wenn die­se zur Wahr­neh­mung ih­rer ei­ge­nen We­sen­heit ge­langt.

Leicht kann dem­ge­gen­über das Mißv­er­ständ­nis ent­s­te­hen, als ob sol­che An­schau­un­gen das Ich mit Gott für Eins er­klär­ten. Aber sie sa­gen durch­aus nicht, daß das Ich Gott sei, son­dern nur, daß es mit dem Gött­li­chen von ei­ner­lei Art und We­sen­heit ist. Be­haup­tet denn je­mand, der Trop­­fen Was­ser, der dem Mee­re ent­nom­men ist, sei das Meer, wenn er sagt: der Trop­fen sei der­sel­ben We­sen­heit oder Sub­stanz wie das Meer? Will man durch­aus ei­nen Ver­g­leich ge­brau­chen, so kann man sa­gen: wie der Trop­fen sich zu dem Mee­re ver­hält, so ver­hält sich das «Ich» zum Göt­t­­li­chen. Der Mensch kann in sich ein Gött­li­ches fin­den, weil sein ur­ei­gens­tes We­sen dem Gött­li­chen ent­nom­men ist. So al­so er­langt der Mensch durch die­ses sein drit­tes See­len­g­lied, ein in­ne­res Wis­sen von sich selbst, wie er durch den As­tral­­leib ein Wis­sen von der Au­ßen­welt er­hält. Des­halb kann die Ge­heim­wis­sen­schaft die­ses drit­te See­len­g­lied auch die Be­wußt­s­eins­see­le nen­nen. Und in ih­rem Sin­ne be­steht das See­li­sche aus drei Glie­dern: der Emp­fin­dungs­see­le, Ver­­­stan­des­see­le und Be­wußt­s­eins­see­le, wie das Leib­li­che aus drei Glie­dern be­steht, dem phy­si­schen Leib, dem Äther­leib und dem As­tral­leib.

Psy­cho­lo­gi­sche Be­o­b­ach­tungs­feh­ler, ähn­lich den­je­ni­gen,

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die schon für die Be­ur­tei­lung der Er­in­ne­rungs­fähig­keit be­­spro­chen wor­den sind, ma­chen auch die rech­te Ein­sicht in die We­sen­heit des «Ich» schwie­rig. Man kann man­ches, das man glaubt ein­zu­se­hen, für ei­ne Wi­der­le­gung des oben in die­ser Be­zie­hung Aus­ge­führ­ten hal­ten, wäh­rend es in Wahr­heit ei­ne Be­stä­ti­gung dar­s­tellt. Sol­ches ist der Fall, zum Bei­spiel, mit den Be­mer­kun­gen, die Edu­ard von Hart­mann auf Sei­te 55f. sei­nes «Grun­d­ris­ses der Psy­cho­lo­gie»01 über das «Ich» an­gibt: «Zu­nächst ist das Selbst­be­wußt­sein äl­ter als das Wort Ich. Die per­sön­li­chen Für­wör­ter sind ein ziem­­lich spä­tes Pro­dukt der Sprach­ent­wi­cke­lung und ha­ben für die Spra­che nur den Wert von Ab­kür­zun­gen. Das Wort Ich ist ein kür­ze­rer Er­satz für den Ei­gen­na­men des Re­den­den, aber ein Er­satz, den je­der Re­den­de als sol­cher von sich braucht, gleich­viel mit wel­chem Ei­gen­na­men die an­de­ren ihn be­nen­nen. Das Selbst­be­wußt­sein kann sich bei Tie­ren und bei un­un­ter­rich­te­ten taub­s­tum­men Men­schen sehr hoch ent­wi­ckeln, selbst oh­ne an ei­nen Ei­gen­na­men an­zu­knüp­fen. Das Be­wußt­sein des Ei­gen­na­mens kann voll­stän­dig den feh­­len­den Ge­brauch des Ich er­set­zen. Mit die­ser Ein­sicht ist der ma­gi­sche Nim­bus be­sei­tigt, mit dem für vie­le das Wört­chen Ich um­k­lei­det ist; es kann dem Be­griff des Selbst­be­wußt­­­seins nicht das min­des­te hin­zu­set­zen, son­dern emp­fängt sei­­nen gan­zen In­halt le­dig­lich von die­sem.» Man kann mit sol­chen An­sich­ten ganz ein­ver­stan­den sein; auch da­mit, daß dem Wört­chen Ich kein ma­gi­scher Nim­bus ver­lie­hen wer­de, der die be­son­ne­ne An­schau­ung über die Sa­che nur tr­übt. Aber für das We­sen ei­ner Sa­che ent­schei­det nicht, wie all­mäh­lich die Wort­be­zeich­nung für die­se Sa­che her­bei­ge­führt wird. Eben dar­auf kommt es an, daß die wir­k­li­che We­sen­heit

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#F­N013-068-01 Sys­tem der Phi­lo­so­phie im Grun­driß. Band III. Bad Sach­sa 1908.

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des Ich im Selbst­be­wußt­sein «äl­ter ist als das Wort Ich». Und daß der Mensch ge­nö­t­igt ist, die­ses mit sei­nen nur ihm zu­kom­men­den Ei­gen­hei­ten be­haf­te­te Wört­chen für das zu ge­brau­chen, was er im Wech­sel­ver­hält­nis zur Au­ßen­welt an­ders er­lebt, als es das Tier er­le­ben kann. So we­nig ir­gend et­was über die We­sen­heit des Drei­ecks er­kannt wer­­den kann da­durch, daß man zeigt, wie das «Wort» Drei­eck sich ge­bil­det hat, so we­nig ent­schei­det über die We­sen­heit des Ich, was man wis­sen kann dar­über, wie aus an­de­rem Wort­ge­brauch der des Ich in der Sprach­ent­wi­cke­lung sich ge­stal­tet hat.

In der Be­wußt­s­eins­see­le ent­hüllt sich erst die wir­k­li­che Na­tur des «Ich». Denn wäh­rend sich die See­le in Emp­fin­­dung und Ver­stand an an­de­res ver­liert, er­g­reift sie als Be­wußt­s­eins­see­le ih­re ei­ge­ne We­sen­heit. Da­her kann die­ses «Ich» durch die Be­wußt­s­eins­see­le auch nicht an­ders als durch ei­ne ge­wis­se in­ne­re Tä­tig­keit wahr­ge­nom­men wer­den. Die Vor­stel­lun­gen von äu­ße­ren Ge­gen­stän­den wer­den ge­bil­det, so wie die­se Ge­gen­stän­de kom­men und ge­hen; und die­se Vor­stel­lun­gen ar­bei­ten im Ver­stan­de wei­ter durch ih­re ei­ge­ne Kraft. Soll aber das «Ich» sich selbst wahr­neh­men, so kann es nicht bloß sich hin­ge­ben; es muß durch in­ne­re Tä­tig­keit sei­ne We­sen­heit aus den ei­ge­nen Tie­fen erst her­auf­ho­len, um ein Be­wußt­sein da­von zu ha­ben. Mit der Wahr­neh­mung des «Ich» mit der Selbst­be­sin­nung be­ginnt ei­ne in­ne­re Tä­tig­keit des «Ich». Durch die­se Tä­tig­keit hat die Wahr­­neh­mung des Ich in der Be­wußt­s­eins­see­le für den Men­schen ei­ne ganz an­de­re Be­deu­tung als die Be­o­b­ach­tung al­les des­­sen, was durch die drei Lei­bes­g­lie­der und durch die bei­den an­dern Glie­der der See­le an ihn heran­dringt. Die Kraft, wel­che in der Be­wußt­s­eins­see­le das Ich of­fen­bar macht, ist

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ja die­sel­be wie die­je­ni­ge, wel­che sich in al­ler üb­ri­gen Welt kund­gibt. Nur tritt sie in dem Lei­be und in den nie­de­ren See­len­g­lie­dern nicht un­mit­tel­bar her­vor, son­dern of­fen­bart sich stu­fen­wei­se in ih­ren Wir­kun­gen. Die un­ters­te Of­fen­­ba­rung ist die­je­ni­ge durch den phy­si­schen Leib; dann geht es stu­fen­wei­se hin­auf bis zu dem, was die Ver­stan­des­see­le er­füllt. Man könn­te sa­gen, mit dem Hin­an­s­tei­gen über je­de Stu­fe fällt ei­ner der Sch­lei­er, mit de­nen das Ver­bor­ge­ne um­­hüllt ist. In dem, was die Be­wußt­s­eins­see­le er­füllt, tritt die­­ses Ver­bor­ge­ne hül­len­los in den in­ners­ten See­l­en­tem­pel. Doch zeigt es sich da eben nur wie ein Trop­fen aus dem Mee­re der al­les durch­drin­gen­den Geis­tig­keit. Aber der Mensch muß die­se Geis­tig­keit hier zu­nächst er­g­rei­fen. Er muß sie in sich selbst er­ken­nen; dann kann er sie auch in ih­ren Of­fen­ba­run­gen fin­den.

Was da wie ein Trop­fen he­r­e­in­dringt in die Be­wußt­s­eins­see­le, das nennt die Ge­heim­wis­sen­schaft den Geist. So ist die Be­wußt­s­eins­see­le mit dem Geis­te ver­bun­den, der das Ver­bor­ge­ne in al­lem Of­fen­ba­ren ist. Wenn der Mensch nun den Geist in al­ler Of­fen­ba­rung er­g­rei­fen will, so muß er dies auf die­sel­be Art tun, wie er das Ich in der Be­wußt­­­s­eins­see­le er­g­reift. Er muß die Tä­tig­keit, wel­che ihn zum Wahr­neh­men die­ses Ich ge­führt hat, auf die of­fen­ba­re Welt hin­wen­den. Da­durch aber ent­wi­ckelt er sich zu höhe­ren Stu­­fen sei­ner We­sen­heit. Er setzt den Lei­bes- und See­len­g­lie­­dern Neu­es an. Das nächs­te ist, daß er das­je­ni­ge auch noch selbst er­obert, was in den nie­de­ren Glie­dern sei­ner See­le ver­bor­gen liegt. Und dies ge­schieht durch sei­ne vom Ich aus­ge­hen­de Ar­beit an sei­ner See­le. Wie der Mensch in die­­ser Ar­beit be­grif­fen ist, das wird an­schau­lich, wenn man ei­nen Men­schen, der noch ganz nie­de­rem Be­geh­ren und

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so­ge­nann­ter sinn­li­cher Lust hin­ge­ge­ben ist, ver­g­leicht mit ei­nem ed­len Idea­lis­ten. Der letz­te­re wird aus dem ers­te­ren, wenn je­ner sich von ge­wis­sen nie­de­ren Nei­gun­gen ab­zieht und höhe­ren zu­wen­det. Er hat da­durch vom Ich aus ver­­e­delnd, ver­geis­ti­gend auf sei­ne See­le ge­wirkt. Das Ich ist Herr ge­wor­den inn­er­halb des See­len­le­bens. Das kann so weit ge­hen, daß in der See­le kei­ne Be­gier­de, kei­ne Lust Platz greift, oh­ne daß das Ich die Ge­walt ist, wel­che den Ein­laß er­mög­licht. Auf die­se Art wird dann die gan­ze See­le ei­ne Of­fen­ba­rung des Ich, wie es vor­her nur die Be­wußt­­­s­eins­see­le war. Im Grun­de be­steht al­les Kul­tur­le­ben und al­les geis­ti­ge St­re­ben der Men­schen aus ei­ner Ar­beit, wel­che die­se Herr­schaft des Ich zum Zie­le hat. Je­der ge­gen­wär­tig le­ben­de Mensch ist in die­ser Ar­beit be­grif­fen: er mag wol­­len oder nicht, er mag von die­ser Tat­sa­che ein Be­wußt­sein ha­ben oder nicht.

Durch die­se Ar­beit aber geht es zu höhe­ren Stu­fen der Men­schen­we­sen­heit hin­an. Der Mensch ent­wi­ckelt durch sie neue Glie­der sei­ner We­sen­heit. Die­se lie­gen als Ver­bor­ge­nes hin­ter dem für ihn Of­fen­ba­ren. Es kann sich der Mensch aber nicht nur durch die Ar­beit an sei­ner See­le vom Ich aus zum Herr­scher über die­se See­le ma­chen, so daß die­se aus dem Of­fen­ba­ren das Ver­bor­ge­ne her­vor­t­reibt, son­dern er kann die­se Ar­beit auch er­wei­tern. Er kann über­g­rei­fen auf den As­tral­leib. Da­durch be­mäch­tigt sich das Ich die­ses As­tral­­lei­bes, in­dem es sich mit des­sen ver­bor­ge­ner We­sen­heit ver­­ei­nigt. Die­ser durch das Ich er­ober­te, von ihm um­ge­wan­del­te As­tral­leib kann das Geist­selbst ge­nannt wer­den. (Es ist dies das­sel­be, was man in An­leh­nung an die mor­gen­län­di­sche Weis­heit «Ma­nas» nennt.) In dem Geist­selbst ist ein höh­e­­res Glied der Men­schen­we­sen­heit ge­ge­ben, ein sol­ches, das

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in ihr gleich­sam keim­haft vor­han­den ist und das im Lau­fe ih­rer Ar­beit an sich selbst im­mer mehr her­aus­kommt.

Wie der Mensch sei­nen As­tral­leib er­obert da­durch, daß er zu den ver­bor­ge­nen Kräf­ten, die hin­ter ihm ste­hen, vor­dringt, so ge­schieht das im Lau­fe der Ent­wi­cke­lung auch mit dem Äther­lei­be. Die Ar­beit an die­sem Äther­lei­be ist aber ei­ne in­ten­si­ve­re als die am As­tral­lei­be; denn was sich in dem ers­te­ren ver­birgt, das ist in zwei, das Ver­bor­ge­ne des As­tral­lei­bes je­doch nur in ei­nen Sch­lei­er ge­hüllt. Man kann sich ei­nen Be­griff von dem Un­ter­schie­de in der Ar­beit an den bei­den Lei­bern bil­den, in­dem man auf ge­wis­se Ve­r­än­de­run­­gen hin­weist, die mit dem Men­schen im Ver­lau­fe sei­ner En­t­­wi­cke­lung ein­t­re­ten kön­nen. Man den­ke zu­nächst, wie ge­­wis­se See­len­ei­gen­schaf­ten des Men­schen sich ent­wi­ckeln, wenn das Ich an der See­le ar­bei­tet. Wie Lust und Be­gier­den, Freu­de und Sch­merz sich än­dern kön­nen. Der Mensch braucht da nur zu­rück­zu­den­ken an die Zeit sei­ner Kind­heit. Woran hat er da sei­ne Freu­de ge­habt; was hat ihm Leid ver­ur­sacht? Was hat er zu dem hin­zu­ge­lernt, was er in der Kind­heit ge­konnt hat? Al­les das aber ist nur ein Aus­druck da­von, wie das Ich die Herr­schaft er­langt hat über den As­tral­leib. Denn die­ser ist ja der Trä­ger von Lust und Leid, von Freu­de und Sch­merz. Und man ver­g­lei­che da­mit, wie we­nig sich im Lau­fe der Zeit ge­wis­se an­de­re Ei­gen­schaf­ten des Men­­schen än­dern, zum Bei­spiel sein Tem­pe­ra­ment, die tie­fe­ren Ei­gen­tüm­lich­kei­ten sei­nes Cha­rak­ters usw. Ein Mensch, der als Kind jäh­zor­nig ist, wird ge­wis­se Sei­ten des Jäh­zorns auch für sei­ne Ent­wi­cke­lung in das spä­te­re Le­ben hin­ein oft bei­be­hal­ten. Die Sa­che ist so auf­fal­lend, daß es Den­ker gibt, wel­che die Mög­lich­keit ganz in Ab­re­de stel­len, daß der Grund­cha­rak­ter ei­nes Men­schen sich än­dern kön­ne. Sie neh­men an,

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daß die­ser et­was durch das Le­ben hin­durch Blei­ben­des sei, wel­ches sich nur nach die­ser oder je­ner Sei­te of­fen­ba­re. Ein sol­ches Ur­teil be­ruht aber nur auf ei­nem Man­gel in der Be­o­bach­tung. Wer den Sinn da­für hat, sol­che Din­ge zu se­hen, dem wird klar, daß sich auch Cha­rak­ter und Tem­pe­ra­ment des Men­schen un­ter dem Ein­flus­se sei­nes Ich än­dern. Al­ler­­dings ist die­se Än­de­rung im Ver­hält­nis zur Än­de­rung der vor­hin ge­kenn­zeich­ne­ten Ei­gen­schaf­ten ei­ne lang­sa­me. Man kann den Ver­g­leich ge­brau­chen, daß das Ver­hält­nis der bei­der­lei Än­de­run­gen ist wie das Vor­rü­cken des Stun­den­zei­gers der Uhr im Ver­hält­nis zum Mi­nu­ten­zei­ger. Nun ge­hö­ren die Kräf­te, wel­che die­se Än­de­rung von Cha­rak­ter oder Tem­pe­ra­ment be­wir­ken, dem ver­bor­ge­nen Ge­biet des Äther­lei­bes an. Sie sind glei­cher Art mit den Kräf­ten, wel­che im Rei­che des Le­bens herr­schen, al­so mit den Wachs­tums-, Er­näh­rungs­kräf­ten und den­je­ni­gen, wel­che der Fortpflan­zung die­nen. Auf die­se Din­ge wird durch die wei­te­ren Aus­­­füh­run­gen die­ser Schrift das rech­te Licht fal­len. Al­so nicht, wenn sich der Mensch bloß hin­gibt an Lust und Leid, an Freu­de und Sch­merz, ar­bei­tet das Ich am As­tral­leib, son­­dern wenn sich die Ei­gen­tüm­lich­kei­ten die­ser See­len­ei­gen­­schaf­ten än­dern. Und eben­so er­st­reckt sich die Ar­beit auf den Äther­leib, wenn das Ich sei­ne Tä­tig­keit an ei­ne Än­de­rung sei­ner Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten, sei­ner Tem­pe­ra­men­te usw. wen­det. Auch an die­ser letz­te­ren Än­de­rung ar­bei­tet je­der Mensch: er mag sich des­sen be­wußt sein oder nicht. Die stärks­ten Im­pul­se, wel­che im ge­wöhn­li­chen Le­ben auf die­se Än­de­rung hin­ar­bei­ten, sind die re­li­giö­sen. Wenn das Ich die An­trie­be, die aus der Re­li­gi­on flie­ßen, im­mer wie­der und wie­der auf sich wir­ken läßt, so bil­den die­se in ihm ei­ne Macht, wel­che bis in den Äther­leib hin­ein­wirkt und die­sen

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eben­so wan­delt, wie ge­rin­ge­re An­trie­be des Le­bens die Ver­­wand­lung des As­tral­lei­bes be­wir­ken. Die­se ge­rin­ge­ren An­­trie­be des Le­bens, wel­che durch Ler­nen, Nach­den­ken, Ver­­e­de­lung der Ge­füh­le usw. an den Men­schen her­an­kom­men, un­ter­lie­gen dem man­nig­fal­tig wech­seln­den Da­sein; die re­­li­giö­sen Emp­fin­dun­gen drü­cken aber al­lem Den­ken, Füh­­len und Wol­len et­was Ein­heit­li­ches auf. Sie brei­ten gleich­­sam ein ge­mein­sa­mes, ein­heit­li­ches Licht über das gan­ze See­len­le­ben aus. Der Mensch denkt und fühlt heu­te dies, mor­gen je­nes. Da­zu füh­ren die ver­schie­dens­ten Ver­an­las­­sun­gen. Wer aber durch sein wie im­mer ge­ar­te­tes re­li­giö­ses Emp­fin­den et­was ahnt, das sich durch al­len Wech­sel hin­durch­zieht, der wird, was er heu­te denkt und fühlt, eben­so auf die­se Grund­emp­fin­dung be­zie­hen wie die mor­gi­gen Er­­leb­nis­se sei­ner See­le. Das re­li­giö­se Be­kennt­nis hat da­durch et­was Durch­g­rei­fen­des im See­len­le­ben; sei­ne Ein­flüs­se ver­­­stär­ken sich im Lau­fe der Zeit im­mer mehr, weil sie in fort­dau­ern­der Wie­der­ho­lung wir­ken. Des­halb er­lan­gen sie die Macht, auf den Äther­leib zu wir­ken. In ähn­li­cher Art wir­ken die Ein­flüs­se der wah­ren Kunst auf den Men­schen. Wenn er durch die äu­ße­re Form, durch Far­be und Ton ei­nes Kunst­wer­kes die geis­ti­gen Un­ter­grün­de des­sel­ben mit Vor­s­tel­len und Ge­fühl durch­dringt, dann wir­ken die Im­­pul­se, wel­che da­durch das Ich emp­fängt, in der Tat auch bis auf den Äther­leib. Wenn man die­sen Ge­dan­ken zu En­de denkt, so kann man er­mes­sen, welch un­ge­heu­re Be­deu­tung die Kunst für al­le men­sch­li­che Ent­wi­cke­lung hat. Nur auf ei­ni­ges ist hier­mit hin­ge­wie­sen, was dem Ich die An­trie­be lie­fert, auf den Äther­leib zu wir­ken. Es gibt vie­le der­g­lei­chen Ein­flüs­se im Men­schen­le­ben, die dem be­o­b­ach­ten­den Blick nicht so of­fen lie­gen wie die ge­nann­ten. Aber schon

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aus die­sen ist er­sicht­lich, daß im Men­schen ein wei­te­res Glied sei­ner We­sen­heit ver­bor­gen ist, wel­ches das Ich im­mer mehr und mehr her­aus­ar­bei­tet. Man kann die­ses Glied als das zwei­te des Geis­tes, und zwar als den Le­bens­geist be­zeich­nen. (Es ist das­sel­be, was man mit An­leh­nung an die mor­gen­län­­di­sche Weis­heit «Buddhi» nennt.) Der Aus­druck «Le­bens­geist» ist des­halb der ent­sp­re­chen­de, weil in dem, was er be­zeich­net, die­sel­ben Kräf­te wirk­sam sind wie in dem «Le­bens­leib»; nur ist in die­sen Kräf­ten, wenn sie als Le­bens­leib sich of­fen­ba­ren, das men­sch­li­che Ich nicht tä­tig. Äu­ßern sie sich aber als Le­bens­geist, so sind sie von der Tä­tig­keit des Ich durch­setzt.

Die in­tel­lek­tu­el­le Ent­wi­cke­lung des Men­schen, sei­ne Läu­­te­rung und Ve­r­e­de­lung von Ge­füh­len und Wil­lens­äu­ße­run­­gen sind das Maß sei­ner Ver­wand­lung des As­tral­lei­bes zum Geist­selbst; sei­ne re­li­giö­sen Er­leb­nis­se und man­che an­de­ren Er­fah­run­gen prä­gen sich dem Äther­lei­be ein und ma­chen die­sen zum Le­bens­geist. Im ge­wöhn­li­chen Ver­lau­fe des Le­bens ge­schieht dies mehr oder we­ni­ger un­be­wußt, da­ge­gen be­steht die so­ge­nann­te Ein­wei­hung des Men­schen da­rin, daß er durch die über­sinn­li­che Er­kennt­nis auf die Mit­tel hin­ge­wie­sen wird, wo­durch er die­se Ar­beit im Geist­selbst und Le­bens­geist ganz be­wußt in die Hand neh­men kann. Von die­sen Mit­teln wird in spä­te­ren Tei­len die­ser Schrift die Re­de sein. Vor­läu­fig han­del­te es sich dar­um, zu zei­gen, daß im Men­schen au­ßer der See­le und dem Lei­be auch der Geist wirk­sam ist. Auch das wird sich spä­ter zei­gen, wie die­ser Geist zum Ewi­gen des Men­schen, im Ge­gen­satz zu dem ver­­­gäng­li­chen Lei­be, ge­hört.

Mit der Ar­beit am As­tral­leib und am Äther­leib ist aber die Tä­tig­keit des Ich noch nicht er­sc­höpft. Die­se er­st­reckt

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sich auch auf den phy­si­schen Leib. Ei­nen An­flug von dem Ein­flus­se des Ich auf den phy­si­schen Leib kann man se­hen, wenn durch ge­wis­se Er­leb­nis­se zum Bei­spiel Er­rö­ten oder Er­b­lei­chen ein­t­re­ten. Hier ist das Ich in der Tat der Ver­an­las­ser ei­nes Vor­gan­ges im phy­si­schen Leib. Wenn nun durch die Tä­tig­keit des Ich im Men­schen Ve­r­än­de­run­gen ein­t­re­ten in be­zug auf sei­nen Ein­fluß im phy­si­schen Lei­be, so ist das Ich wir­k­lich ve­r­ei­nigt mit den ver­bor­ge­nen Kräf­ten die­ses phy­si­schen Lei­bes. Mit den­sel­ben Kräf­ten, wel­che sei­ne phy­­si­schen Vor­gän­ge be­wir­ken. Man kann dann sa­gen, das Ich ar­bei­tet durch ei­ne sol­che Tä­tig­keit am phy­si­schen Lei­be. Es darf die­ser Aus­druck nicht mißv­er­stan­den wer­den. Die Mei­­nung darf gar nicht auf­kom­men, als ob die­se Ar­beit et­was Grob-Ma­te­ri­el­les sei. Was am phy­si­schen Lei­be als das Grob-Ma­te­ri­el­le er­scheint, das ist ja nur das Of­fen­ba­re an ihm. Hin­ter die­sem Of­fen­ba­ren lie­gen die ver­bor­ge­nen Kräf­te sei­­nes We­sens. Und die­se sind geis­ti­ger Art. Nicht von ei­ner Ar­beit an dem Ma­te­ri­el­len, als wel­ches der phy­si­sche Leib er­scheint, soll hier ge­spro­chen wer­den, son­dern von der gei­s­ti­gen Ar­beit an den un­sicht­ba­ren Kräf­ten, wel­che ihn en­t­­­ste­hen las­sen und wie­der zum Zer­fall brin­gen. Für das ge­wöhn­li­che Le­ben kann dem Men­schen die­se Ar­beit des Ich am phy­si­schen Lei­be nur mit ei­ner sehr ge­rin­gen Klar­heit zum Be­wußt­sein kom­men. Die­se Klar­heit kommt im vol­len Ma­ße erst, wenn un­ter dem Ein­fluß der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis der Mensch die Ar­beit be­wußt in die Hand nimmt. Dann aber tritt zu­ta­ge, daß es noch ein drit­tes geis­ti­ges Glied im Men­schen gibt. Es ist das­je­ni­ge, wel­ches der Geis­tes­mensch im Ge­gen­sat­ze zum phy­si­schen Men­schen ge­nannt wer­den kann. (In der mor­gen­län­di­schen Weis­heit heißt die­ser «Gei­s­tes­mensch» das «At­ma».)

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Man wird in be­zug auf den Geis­tes­men­schen auch da­durch leicht ir­re­ge­führt, daß man in dem phy­si­schen Lei­be das nie­d­rigs­te Glied des Men­schen sieht und sich des­we­gen mit der Vor­stel­lung nur schwer ab­fin­det, daß die Ar­beit an die­­sem phy­si­schen Lei­be zu dem höchs­ten Glied in der Men­­schen­we­sen­heit kom­men soll. Aber ge­ra­de des­we­gen, weil der phy­si­sche Leib den in ihm tä­ti­gen Geist un­ter drei Sch­lei­ern ver­birgt, ge­hört die höchs­te Art von men­sch­li­cher Ar­beit da­zu, um das Ich mit dem zu ei­ni­gen, was sein ver­­­bor­ge­ner Geist ist.

So stellt sich der Mensch für die Ge­heim­wis­sen­schaft als ei­ne aus ver­schie­de­nen Glie­dern zu­sam­men­ge­setz­te We­sen­heit dar. Leib­li­cher Art sind: der phy­si­sche Leib, der Äther­leib und der As­tral­leib. See­lisch sind: Emp­fin­dungs­see­le, Ver­stan­des­see­le und Be­wußt­s­eins­see­le. In der See­le brei­tet das Ich sein Licht aus. Und geis­tig sind: Geist­selbst, Le­bens­geist und Geis­tes­mensch. Aus den obi­gen Aus­füh­run­gen geht her­vor, daß die Emp­fin­dungs­see­le und der As­tral­leib eng ve­r­ei­nigt sind und in ei­ner ge­wis­sen Be­zie­hung ein Gan­zes aus­ma­chen. In ähn­li­cher Art sind Be­wußt­s­eins­see­le und Geist­­selbst ein Gan­zes. Denn in der Be­wußt­s­eins­see­le leuch­tet der Geist auf und von ihr aus durch­strahlt er die an­dern Glie­­der der Men­schen­na­tur. Mit Rück­sicht dar­auf kann man auch von der fol­gen­den Glie­de­rung des Men­schen sp­re­chen. Man kann As­tral­leib und Emp­fin­dungs­see­le als ein Glied zu­sam­­men­fas­sen, eben­so Be­wußt­s­eins­see­le und Geist­selbst und kann die Ver­stan­des­see­le, weil sie an der Ich-Na­tur Teil hat, weil sie in ei­ner ge­wis­sen Be­zie­hung schon das «Ich» ist, das sich sei­ner Geist­we­sen­heit nur noch nicht be­wußt ist, als «Ich» sch­lecht­weg be­zeich­nen und be­kommt dann sie­ben Tei­le des Men­schen: 1. Phy­si­scher Leib; 2. Äther­leib oder Le­bens­leib;

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3. As­tral­leib; 4. Ich; 5. Geist­selbst; 6. Le­bens­geist; 7. Geist­mensch.

Auch für den an ma­te­ria­lis­ti­sche Vor­stel­lun­gen ge­wöhn­­ten Men­schen wür­de die­se Glie­de­rung des Men­schen im Sin­ne der Sie­ben­zahl nicht das «un­klar Zau­ber­haf­te» ha­ben, das er ihr oft zu­sch­reibt, wenn er sich ge­nau an den Sinn der obi­gen Au­s­ein­an­der­set­zun­gen hal­ten wür­de und nicht von vorn­he­r­ein die­ses «Zau­ber­haf­te» selbst in die Sa­che hin­ein­­le­gen wür­de. In kei­ner an­dern Art, nur vom Ge­sichts­punk­te ei­ner höhe­ren Form der Welt­be­o­b­ach­tung aus, soll­te von die­sen «sie­ben» Glie­dern des Men­schen ge­spro­chen wer­den, so wie man von den sie­ben Far­ben des Lich­tes spricht oder von den sie­ben Tö­nen der Ton­lei­ter (in­dem man die Ok­­ta­ve als ei­ne Wie­der­ho­lung des Grund­to­nes be­trach­tet). Wie das Licht in sie­ben Far­ben, der Ton in sie­ben Stu­fen er­­scheint, so die ein­heit­li­che Men­schen­na­tur in den ge­ken­n­zeich­ne­ten sie­ben Glie­dern. So we­nig die Sie­ben­zahl bei Ton und Far­be et­was von «Aber­glau­ben» mit sich führt, so we­­nig ist das mit Be­zug auf sie bei der Glie­de­rung des Men­schen der Fall. (Es ist bei ei­ner Ge­le­gen­heit, als dies ein­mal münd­lich vor­ge­bracht wor­den ist, ge­sagt wor­den, daß die Sa­che bei den Far­ben mit der Sie­ben­zahl doch nicht stim­me, da jen­seits des «Ro­ten» und des «Vio­let­ten» doch auch noch Far­ben lie­gen, wel­che das Au­ge nur nicht wahr­nimmt. Aber auch in An­be­tracht des­sen stimmt der Ver­g­leich mit den Far­­ben, denn auch jen­seits des phy­si­schen Lei­bes auf der ei­nen Sei­te und jen­seits des Geis­tes­men­schen an­der­seits setzt sich die We­sen­heit des Men­schen fort; nur sind für die Mit­tel der geis­ti­gen Be­o­b­ach­tung die­se Fort­set­zun­gen «geis­tig un­­sicht­bar», wie die Far­ben jen­seits von Rot und Vio­lett für das phy­si­sche Au­ge un­sicht­bar sind. Die­se Be­mer­kung muß­te

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ge­macht wer­den, weil so leicht die Mei­nung auf­kommt, die über­sinn­li­che An­schau­ung neh­me es mit dem na­tur­wis­sen­­schaft­li­chen Den­ken nicht ge­nau, sie sei in be­zug auf das­­sel­be di­let­tan­tisch. Wer aber rich­tig zu­sieht, was mit dem Ge­sag­ten ge­meint ist, der kann fin­den, daß dies in Wahr­heit nir­gends in ei­nem Wi­der­spruch steht mit der ech­ten Na­tur­wis­sen­schaft; we­der wenn na­tur­wis­sen­schaft­li­che Ta­t­­sa­chen zur Ver­an­schau­li­chung her­an­ge­zo­gen wer­den, noch auch wenn mit den hier ge­mach­ten Äu­ße­run­gen auf ein un­­mit­tel­ba­res Ver­hält­nis zu der Na­tur­for­schung ge­deu­tet wird.)

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SCHLAF UND TOD

Man kann das We­sen des wa­chen Be­wußt­seins nicht durch­drin­gen oh­ne die Be­o­b­ach­tung des­je­ni­gen Zu­stan­des, wel­chen der Mensch wäh­rend des Schla­fens durch­lebt; und man kann dem Rät­sel des Le­bens nicht bei­kom­men, oh­ne den Tod zu be­trach­ten. Für ei­nen Men­schen, in dem kein Ge­­fühl lebt von der Be­deu­tung der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis, kön­nen sich schon dar­aus Be­den­ken ge­gen die­se er­ge­ben, wie sie ih­re Be­trach­tun­gen des Schla­fes und des To­des treibt. Die­se Er­kennt­nis kann die Be­weg­grün­de wür­di­gen, aus de­nen sol­che Be­den­ken ent­sprin­gen. Denn es ist nichts Un­be­g­reif­li­ches, wenn je­mand sagt, der Mensch sei für das tä­ti­ge, wirk­sa­me Le­ben da und sein Schaf­fen be­ru­he auf der Hin­­ga­be an die­ses. Und die Ver­tie­fung in Zu­stän­de wie Schlaf und Tod kön­ne nur aus dem Sinn für mü­ß­i­ge Träu­me­rei ent­sprin­gen und zu nichts an­de­rem als zu lee­rer Phan­tas­tik füh­ren. Es kön­nen leicht Men­schen in der Ab­leh­nung ei­ner sol­chen «Phan­tas­tik» den Aus­druck ei­ner ge­sun­den See­le se­hen und in der Hin­ga­be an der­lei «mü­ß­i­ge Träu­me­rei­en» et­was Krank­haf­tes, das nur Per­so­nen eig­nen mag, de­nen es an Le­bens­kraft und Le­bens­f­reu­de man­gelt und die nicht zum «wah­ren Schaf­fen» be­fähigt sind. Man tut Un­recht, wenn man ein sol­ches Ur­teil oh­ne wei­te­res als un­rich­tig hin­s­tellt. Denn es hat ei­nen ge­wis­sen wah­ren Kern in sich; es ist ei­ne Vier­tel­wahr­heit, die durch die üb­ri­gen drei Vier­­tel, wel­che zu ihr ge­hö­ren, er­gänzt wer­den muß. Und man macht den­je­ni­gen, der das ei­ne Vier­tel ganz gut ein­sieht, von den an­dern drei Vier­teln aber nichts ahnt, nur mi­ß­trau­isch, wenn man das ei­ne rich­ti­ge Vier­tel be­kämpft. Es muß näm­lich un­be­dingt zu­ge­ge­ben wer­den, daß ei­ne

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Be­trach­tung des­sen, was Schlaf und Tod ver­hül­len, krank­haft ist, wenn sie zu ei­ner Schwächung, zu ei­ner Ab­kehr vom wah­ren Le­ben führt. Und nicht we­ni­ger kann man da­mit ein­ver­stan­den sein, daß vie­les, was sich von je­her in der Welt Ge­heim­wis­sen­schaft ge­nannt hat und was auch ge­gen­wär­tig un­ter die­sem Na­men ge­trie­ben wird, ein un­ge­sun­­des, le­bens­feind­li­ches Ge­prä­ge trägt. Aber die­ses Un­ge­sun­de ent­springt durch­aus nicht aus wah­rer über­sinn­li­cher Er­kennt­nis. Der wah­re Tat­be­stand ist viel­mehr der fol­gen­de. Wie der Mensch nicht im­mer wa­chen kann, so kann er auch für die wir­k­li­chen Ver­hält­nis­se des Le­bens in sei­nem gan­zen Um­fan­ge nicht aus­kom­men oh­ne das, was ihm das Über­sinn­li­che zu ge­ben ver­mag. Das Le­ben dau­ert fort im Schla­fe, und die Kräf­te, wel­che im Wa­chen ar­bei­ten und schaf­fen, ho­len sich ih­re Stär­ke und ih­re Er­fri­schung aus dem, was ih­nen der Schlaf gibt. So ist es mit dem, was der Mensch in der of­fen­ba­ren Welt be­o­b­ach­ten kann. Das Ge­biet der Welt ist wei­ter als das Feld die­ser Be­o­b­ach­tung. Und was der Mensch im Sicht­ba­ren er­kennt, das muß er­gänzt und be­fruch­tet wer­den durch das­je­ni­ge, was er über die un­sich­t­­ba­ren Wel­ten zu wis­sen ver­mag. Ein Mensch, der sich nicht im­mer wie­der die Stär­kung der er­schlaff­ten Kräf­te aus dem Schla­fe hol­te, müß­te sein Le­ben zur Ver­nich­tung füh­ren; eben­so muß ei­ne Welt­be­trach­tung zur Ver­ö­dung füh­ren, die nicht durch die Er­kennt­nis des Ver­bor­ge­nen be­fruch­tet wird. Und ähn­lich ist es mit dem «To­de». Die le­ben­den We­sen ver­fal­len dem To­de, da­mit neu­es Le­ben ent­ste­hen kön­ne. Es ist eben die Er­kennt­nis des Über­sinn­li­chen, wel­che kla­res Licht ver­b­rei­tet über den sc­hö­nen Satz Goe­thes: «Die Na­tur hat den Tod er­fun­den, um viel Le­ben zu ha­be­n01.» Wie es

#F­N013-081-01 «Der Tod ist ihr Kunst­griff, viel Le­ben zu ha­ben» (Die Na­tur, Frag­ment)

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kein Le­ben im ge­wöhn­li­chen Sin­ne ge­ben könn­te oh­ne den Tod, so kann es kei­ne wir­k­li­che Er­kennt­nis der sicht­ba­ren Welt ge­ben oh­ne den Ein­blick in das Über­sinn­li­che. Al­les Er­ken­nen des Sicht­ba­ren muß im­mer wie­der und wie­der in das Un­sicht­ba­re un­ter­tau­chen, um sich ent­wi­ckeln zu kön­­nen. So ist er­sicht­lich, daß die Wis­sen­schaft vom Über­sin­n­­li­chen erst das Le­ben des of­fen­ba­ren Wis­sens mög­lich macht; sie schwächt nie­mals das Le­ben, wenn sie in ih­rer wah­ren Ge­stalt auf­taucht; sie stärkt es und macht es im­mer wie­der frisch und ge­sund, wenn es sich, auf sich selbst an­ge­wie­sen, schwach und krank ge­macht hat.

Wenn der Mensch in Schlaf ver­sinkt, dann ve­r­än­dert sich der Zu­sam­men­hang in sei­nen Glie­dern. Das, was vom schla­fen­den Men­schen auf der Ru­he­stät­te liegt, ent­hält den phy­si­schen Leib und den Äther­leib, nicht aber den As­tral­­leib und nicht das Ich. Weil der Äther­leib mit dem phy­si­­schen Lei­be im Schla­fe ver­bun­den bleibt, des­halb dau­ern die Le­bens­wir­kun­gen fort. Denn in dem Au­gen­bli­cke, wo der phy­si­sche Leib sich selbst über­las­sen wä­re, müß­te er zer­­fal­len. Was aber im Schla­fe aus­ge­löscht ist, das sind die Vor­stel­lun­gen, das ist Leid und Lust, Freu­de und Kum­mer, das ist die Fähig­keit, ei­nen be­wuß­ten Wil­len zu äu­ßern, und ähn­li­che Tat­sa­chen des Da­seins. Von al­le­dem ist aber der As­tral­leib der Trä­ger. Es kann für ein un­be­fan­ge­nes Ur­tei­­len na­tür­lich die Mei­nung gar nicht in Be­tracht kom­men, daß im Schla­fe der As­tral­leib mit al­ler Lust und al­lem Leid, mit der gan­zen Vor­stel­lungs- und Wil­lens­welt ver­nich­tet sei. Er ist eben in ei­nem an­dern Zu­stan­de vor­han­den. Daß das men­sch­li­che Ich und der As­tral­leib nicht nur mit Lust und Leid und all dem an­dern Ge­nann­ten er­füllt sei, son­dern da­von auch ei­ne be­wuß­te Wahr­neh­mung ha­be, da­zu ist not­wen­dig,

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daß der As­tral­leib mit dem phy­si­schen Leib und Äther­leib ver­bun­den sei. Im Wa­chen ist er die­ses, im Schla­­fen ist er es nicht. Er hat sich aus ihm her­aus­ge­zo­gen. Er hat ei­ne an­de­re Art des Da­seins an­ge­nom­men als die­je­ni­ge ist, die ihm wäh­rend sei­ner Ver­bin­dung mit phy­si­schem Lei­be und Äther­lei­be zu­kommt. Es ist nun die Auf­ga­be der Er­kennt­nis des Über­sinn­li­chen, die­se an­de­re Art des Da­seins im As­tral­lei­be zu be­trach­ten. Für die Be­o­b­ach­tung in der äu­ße­ren Welt ent­schwin­det der As­tral­leib im Schla­fe; die über­sinn­li­che An­schau­ung hat ihn nun zu ver­fol­gen in sei­­nem Le­ben, bis er wie­der Be­sitz vom phy­si­schen Lei­be und Äther­lei­be beim Er­wa­chen er­g­reift. Wie in al­len Fäl­len, in de­nen es sich um die Er­kennt­nis der ver­bor­ge­nen Din­ge und Vor­gän­ge der Welt han­delt, ge­hört zum Auf­fin­den der wir­k­­li­chen Tat­sa­chen des Schlaf­zu­stan­des in ih­rer ei­ge­nen Ge­­stalt die über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung; wenn aber ein­mal aus­­­ge­spro­chen ist, was durch die­se ge­fun­den wer­den kann, dann ist die­ses für ein wahr­haft un­be­fan­ge­nes Den­ken oh­ne wei­­te­res ver­ständ­lich. Denn die Vor­gän­ge der ver­bor­ge­nen Welt zei­gen sich in ih­ren Wir­kun­gen in der of­fen­ba­ren. Er­sieht man, wie das, was die über­sinn­li­che Be­trach­tung an­gibt, die sin­nen­fäl­li­gen Vor­gän­ge ver­ständ­lich macht, so ist ei­ne sol­che Be­stä­ti­gung durch das Le­ben der Be­weis, den man für die­se Din­ge ver­lan­gen kann. Wer nicht die spä­ter an­zu­ge­ben­den Mit­tel zur Er­lan­gung der über­sinn­li­chen Be­o­b­ach­­tung ge­brau­chen will, der kann die fol­gen­de Er­fah­rung ma­chen. Er kann zu­nächst die An­ga­ben der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis hin­neh­men und dann sie auf die of­fen­ba­ren Din­ge sei­ner Er­fah­rung an­wen­den. Er kann auf die­se Art fin­den, daß das Le­ben da­durch klar und ver­ständ­lich wird. Und er wird zu die­ser Über­zeu­gung um so mehr kom­men,

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je ge­nau­er und ein­ge­hen­der er das ge­wöhn­li­che Le­ben be­­trach­tet.

Wenn auch der As­tral­leib wäh­rend des Schla­fes kei­ne Vor­stel­lun­gen er­lebt, wenn er auch nicht Lust und Leid und ähn­li­ches er­fährt: er bleibt nicht un­tä­tig. Ihm ob­liegt viel­­mehr ge­ra­de im Schlaf­zu­stan­de ei­ne re­ge Tä­tig­keit. Es ist ei­ne Tä­tig­keit, in wel­che er in rhyth­mi­scher Fol­ge im­mer wie­der ein­t­re­ten muß, wenn er ei­ne Zeit­lang in Ge­mein­schaft mit dem phy­si­schen und dem Äther­leib tä­tig war. Wie ein Uhr­pen­del, nach­dem er nach links aus­ge­schla­gen hat und wie­der in die Mit­tel­la­ge zu­rück­ge­kom­men ist, durch die bei die­sem Aus­schlag ge­sam­mel­te Kraft nach rechts aus­schla­gen muß: so müs­sen der As­tral­leib und das in sei­nem Scho­ße be­find­li­che Ich, nach­dem sie ei­ni­ge Zeit in dem phy­si­schen und dem Äther­leib tä­tig wa­ren, durch die Er­geb­nis­se die­ser Tä­tig­keit ei­ne fol­gen­de Zeit leib­f­rei in ei­ner see­lisch-geis­ti­­gen Um­welt ih­re Reg­sam­keit ent­fal­ten. Für die ge­wöhn­li­che Le­bens­ver­fas­sung des Men­schen tritt inn­er­halb die­ses leib­f­rei­en Zu­stan­des des As­tral­lei­bes und des Ich Be­wußt­lo­si­g­keit ein, weil die­se eben den Ge­gen­satz ge­gen­über dem im Wach­zu­stan­de durch Zu­sam­men­sein mit phy­si­schem und Äther­leib ent­wi­ckel­ten Be­wußt­s­eins­zu­stand dar­s­tellt: wie der rech­te Pen­del­aus­schlag den Ge­gen­satz des lin­ken bil­det. Die Not­wen­dig­keit, in die­se Be­wußt­lo­sig­keit ein­zu­t­re­ten, wird von dem Geis­tig-See­li­schen des Men­schen als Er­mü­dung emp­fun­den. Aber die­se Er­mü­dung ist der Aus­druck da­für, daß As­tral­leib und Ich wäh­rend des Schla­fes sich be­­reit ma­chen, im fol­gen­den Wach­zu­stan­de am phy­si­schen und Äther­lei­be wie­der zu­rück­zu­bil­den, was in die­sen, so­lan­ge sie frei vom Geis­tig-See­li­schen wa­ren, durch rein or­ga­ni­sche un­be­wuß­te Bil­de­tä­tig­keit ent­stan­den ist. Die­se un­be­wuß­te

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Bil­de­tä­tig­keit und das­je­ni­ge, was im Men­schen­we­sen wäh­­rend des Be­wußt­seins und durch die­ses ge­schieht, sind Ge­gen­­sät­ze. Sol­che Ge­gen­sät­ze, die in rhyth­mi­scher Fol­ge sich ab­wech­seln müs­sen. Es kann dem phy­si­schen Leib die ihm für den Men­schen zu­kom­men­de Form und Ge­stalt nur durch den men­sch­li­chen Äther­leib er­hal­ten wer­den. Aber die­se men­sch­li­che Form des phy­si­schen Lei­bes kann nur durch ei­nen sol­chen Äther­leib er­hal­ten wer­den, dem sei­ner­seits wie­der von dem As­tral­lei­be die ent­sp­re­chen­den Kräf­te zu­­­ge­führt wer­den. Der Äther­leib ist der Bild­ner, der Ar­chi­­tekt des phy­si­schen Lei­bes. Er kann aber nur im rich­ti­gen Sin­ne bil­den, wenn er die An­re­gung zu der Art, wie er zu bil­den hat, von dem As­tral­lei­be er­hält. In die­sem sind die Vor­bil­der, nach de­nen der Äther­leib dem phy­si­schen Lei­be sei­ne Ge­stalt gibt. Wäh­rend des Wa­chens ist nun der As­tral­­leib nicht mit die­sen Vor­bil­dern für den phy­si­schen Leib er­füllt oder we­nigs­tens nur bis zu ei­nem be­stimm­ten Gra­de. Denn wäh­rend des Wa­chens setzt die See­le ih­re ei­ge­nen Bil­der an die Stel­le die­ser Vor­bil­der. Wenn der Mensch die Sin­ne auf sei­ne Um­ge­bung rich­tet, so bil­det er sich eben durch die Wahr­neh­mung in sei­nen Vor­stel­lun­gen Bil­der, wel­che die Ab­bil­der der ihn um­ge­ben­den Welt sind. Die­se Ab­bil­der sind zu­nächst Stö­ren­frie­de für die­je­ni­gen Bil­der, wel­che den Äther­leib an­re­gen zur Er­hal­tung des phy­si­schen Lei­bes. Nur dann, wenn der Mensch aus ei­ge­ner Tä­tig­keit sei­nem As­tral­lei­be die­je­ni­gen Bil­der zu­füh­ren könn­te, wel­che dem Äther­lei­be die rich­ti­ge An­re­gung ge­­ben kön­nen, dann wä­re ei­ne sol­che Stör­ung nicht vor­han­­den. Im Men­schen­da­sein spielt aber ge­ra­de die­se Stör­ung ei­ne wich­ti­ge Rol­le. Und sie drückt sich da­durch aus, daß wäh­rend des Wa­chens die Vor­bil­der für den Äther­leib nicht

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in ih­rer vol­len Kraft wir­ken. Sei­ne Wach­leis­tung voll­bringt der As­tral­leib inn­er­halb des phy­si­schen Lei­bes; im Schla­fe ar­bei­tet er an die­sem von au­ßen.01

Wie der phy­si­sche Leib zum Bei­spiel in der Zu­fuhr der Nah­rungs­mit­tel die Au­ßen­welt braucht, mit der er glei­cher Art ist, so ist et­was Ähn­li­ches auch für den As­tral­leib der Fall. Man den­ke sich ei­nen phy­si­schen Men­schen­leib aus der ihn um­ge­ben­den Welt ent­fernt. Er müß­te zu­grun­de ge­hen. Das zeigt, daß er oh­ne die gan­ze phy­si­sche Um­ge­bung nicht mög­lich ist. In der Tat muß die gan­ze Er­de eben so sein, wie sie ist, wenn auf ihr phy­si­sche Men­schen­lei­ber vor­han­­den sein sol­len. In Wahr­heit ist näm­lich die­ser gan­ze Men­­schen­leib nur ein Teil der Er­de, ja in wei­te­rem Sin­ne des gan­zen phy­si­schen Wel­talls. Er ver­hält sich in die­ser Be­­zie­hung wie zum Bei­spiel der Fin­ger ei­ner Hand zu dem gan­zen men­sch­li­chen Kör­per. Man tren­ne den Fin­ger von der Hand, und er kann kein Fin­ger blei­ben. Er ver­dorrt. So auch müß­te es dem men­sch­li­chen Lei­be er­ge­hen, wenn er von dem­je­ni­gen Lei­be ent­fernt wür­de, von dem er ein Glied ist; von den Le­bens­be­din­gun­gen, wel­che ihm die Er­de lie­fert. Man er­he­be ihn ei­ne ge­nü­gen­de An­zahl von Mei­len über die Ober­fläche der Er­de, und er wird ver­der­ben, wie der Fin­ger ver­dirbt, den man von der Hand ab­schnei­det. Wenn der Mensch ge­gen­über sei­nem phy­si­schen Lei­be die­se Tat­sa­che we­ni­ger be­ach­tet als ge­gen­über Fin­ger und Kör­per, so be­ruht das le­dig­lich dar­auf, daß der Fin­ger nicht am Lei­be her­um­spa­zie­ren kann wie der Mensch auf der Er­de, und daß für je­nen da­her die Ab­hän­gig­keit leich­ter in die Au­gen springt.

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#F­N013-086 Ober das We­sen der Er­mü­dung ver­g­lei­che man die am Schlus­se die­ses Bu­ches an­ge­füg­ten «Ein­zel­hei­ten aus dem Ge­bie­te der Geis­tes­­wis­sen­schaft».

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Wie nun der phy­si­sche Leib in die phy­si­sche Welt ein­ge­­bet­tet ist, zu der er ge­hört, so ist der As­tral­leib zu der sei­­ni­gen ge­hö­rig. Nur wird er durch das Wach­le­ben aus die­ser sei­ner Welt her­aus­ge­ris­sen. Man kann das, was da vor­geht, mit ei­nem Ver­g­lei­che sich ver­an­schau­li­chen. Man den­ke sich ein Ge­fäß mit Was­ser. Ein Trop­fen ist inn­er­halb die­ser gan­­zen Was­ser­mas­se nichts für sich Ab­ge­son­der­tes. Man neh­me aber ein klei­nes Schwämm­chen und sau­ge da­mit ei­nen Trop­­fen aus der gan­zen Was­ser­mas­se her­aus. So et­was geht mit dem men­sch­li­chen As­tral­lei­be beim Er­wa­chen vor sich. Wäh­­rend des Schla­fes ist er in ei­ner mit ihm glei­chen Welt. Er bil­det et­was in ei­ner ge­wis­sen Wei­se zu die­ser Ge­hö­ri­ges. Beim Er­wa­chen sau­gen ihn der phy­si­sche Leib und der Äther­­leib auf. Sie er­fül­len sich mit ihm. Sie ent­hal­ten die Or­ga­ne, durch die er die äu­ße­re Welt wahr­nimmt. Er aber muß, um zu die­ser Wahr­neh­mung zu kom­men, aus sei­ner Welt sich her­aus­schei­den. Aus die­ser sei­ner Welt aber kann er nur die Vor­bil­der er­hal­ten, wel­che er für den Äther­leib braucht.­Wie dem phy­si­schen Lei­be zum Bei­spiel die Nah­rungs­mit­tel aus sei­ner Um­ge­bung zu­kom­men, so kom­men dem As­tral­leib wäh­rend des Schlaf­zu­stan­des die Bil­der der ihn um­­­ge­ben­den Welt zu. Er lebt da in der Tat au­ßer­halb des phy­si­schen und des Äther­lei­bes im Wel­tall. In dem­sel­ben Wel­tall, aus dem her­aus der gan­ze Mensch ge­bo­ren ist. In die­sem Wel­tall ist die Qu­el­le der Bil­der, durch die der Mensch sei­ne Ge­stalt er­hält. Er ist har­mo­nisch die­sem Wel­tall ein­ge­g­lie­dert. Und er hebt sich wäh­rend des Wa­chens her­aus aus die­ser um­fas­sen­den Har­mo­nie, um zu der äu­ße­ren Wahr­neh­mung zu kom­men. Im Schlaf kehrt sein As­tral­leib in die­se Har­mo­nie des Wel­talls zu­rück. Er führt beim Er­wa­chen aus die­ser so viel Kraft in sei­ne Lei­ber ein, daß er

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das Ver­wei­len in der Har­mo­nie wie­der für ei­ni­ge Zeit en­t­­beh­ren kann. Der As­tral­leib kehrt wäh­rend des Schla­fes in sei­ne Hei­mat zu­rück und bringt sich beim Er­wa­chen neu­ge­stärk­te Kräf­te in das Le­ben mit. Den äu­ße­ren Aus­druck fin­det der Be­sitz, den der As­tral­leib beim Er­wa­chen mit­­bringt, in der Er­qui­ckung, wel­che ein ge­sun­der Schlaf ver­­­leiht. Die wei­te­ren Dar­le­gun­gen der Ge­heim­wis­sen­schaft wer­den er­ge­ben, daß die­se Hei­mat des As­tral­lei­bes um­­­fas­sen­der ist als das­je­ni­ge, was zum phy­si­schen Kör­per im en­ge­ren Sin­ne von der phy­si­schen Um­ge­bung ge­hört. Wäh­­rend näm­lich der Mensch als phy­si­sches We­sen ein Glied der Er­de ist, ge­hört sein As­tral­leib Wel­ten an, in wel­che noch an­de­re Welt­kör­per ein­ge­bet­tet sind als un­se­re Er­de. Er tritt da­durch was, wie ge­sagt, erst in den wei­te­ren Aus­füh­run­­gen klar wer­den kann wäh­rend des Schla­fes in ei­ne Welt ein, zu der an­de­re Wel­ten als die Er­de ge­hö­ren.

Es soll­te über­flüs­sig sein, auf ein leicht sich ein­s­tel­len­des Mißv­er­ständ­nis in be­zug auf die­se Tat­sa­chen hin­zu­wei­sen. Es ist aber nicht un­nö­t­ig in un­se­rer Zeit, in der ge­wis­se ma­­te­ria­lis­ti­sche Vor­stel­lungs­ar­ten vor­han­den sind. Von Sei­ten, auf de­nen sol­che herr­schen, kann na­tür­lich ge­sagt wer­den, es sei ein­zig wis­sen­schaft­lich, so et­was wie den Schlaf nach sei­nen phy­si­schen Be­din­gun­gen zu er­for­schen. Wenn auch die Ge­lehr­ten über die phy­si­sche Ur­sa­che des Schla­fes noch nicht ei­nig sei­en: das ei­ne ste­he doch fest, daß man be­stimm­te phy­si­sche Vor­gän­ge an­neh­men müs­se, wel­che die­­ser Er­schei­nung zu­grun­de lie­gen. Wenn man aber doch an­er­ken­nen woll­te, daß die über­sinn­li­che Er­kennt­nis durch­aus nicht mit die­ser Be­haup­tung im Wi­der­spruch steht! Sie gibt al­les zu, was von die­ser Sei­te ge­sagt wird, wie man zu­gibt, daß für die phy­si­sche Ent­ste­hung ei­nes Hau­ses ein Zie­gel

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auf den an­dern ge­legt wer­den muß, und daß, wenn das Haus fer­tig ist, aus rein me­cha­ni­schen Ge­set­zen sei­ne Form und sein Zu­sam­men­hang er­klärt wer­den kön­ne. Aber daß das Haus ent­steht, da­zu ist der Ge­dan­ke des Bau­meis­ters not­wen­dig. Ihn fin­det man nicht, wenn man le­dig­lich die phy­si­schen Ge­set­ze un­ter­sucht. So wie hin­ter den phy­­si­schen Ge­set­zen, wel­che das Haus er­klär­lich ma­chen, die Ge­dan­ken sei­nes Sc­höp­fers ste­hen, so hin­ter dem, was die phy­si­sche Wis­sen­schaft in durch­aus rich­ti­ger Wei­se vor­bringt, das­je­ni­ge, wo­von durch die über­sinn­li­che Er­kennt­nis ge­spro­chen wird. Ge­wiß, die­ser Ver­g­leich wird oft vor­ge­bracht, wenn von der Recht­fer­ti­gung ei­nes geis­ti­gen Hin­ter­grun­des der Welt die Re­de ist. Und man kann ihn tri­vial fin­den. Aber in sol­chen Din­gen han­delt es sich nicht dar­um, daß man mit ge­wis­sen Be­grif­fen be­kannt ist, son­dern dar­um, daß man ih­nen zur Be­grün­dung ei­ner Sa­che das rich­ti­ge Ge­wicht bei­legt. Da­ran kann man ein­fach da­durch ver­hin­dert sein, daß ent­ge­gen­ge­setz­te Vor­stel­lun­gen ei­ne zu gro­ße Macht über die Ur­teils­kraft ha­ben, um die­ses Ge­wicht in der rich­ti­gen Wei­se zu emp­fin­den.

Ein Zwi­schen­zu­stand zwi­schen Wa­chen und Schla­fen ist das Träu­men. Was die Trau­mer­leb­nis­se ei­ner sin­ni­gen Be­trach­tung dar­bie­ten, ist das bun­te Durch­ein­an­der­wo­gen ei­ner Bil­der­welt, das aber doch auch et­was von Re­gel und Ge­setz in sich birgt. Auf­s­tei­gen und Ab­flu­ten, oft in wir­rer Fol­ge, scheint zu­nächst die­se Welt zu zei­gen. Los­ge­bun­den ist der Mensch in sei­nem Tra­um­le­ben von dem Ge­setz des wa­chen Be­wußt­seins, das ihn ket­tet an die Wahr­neh­mung der Sin­ne und an die Re­geln sei­ner Ur­teils­kraft. Und doch hat der Traum et­was von ge­heim­nis­vol­len Ge­set­zen, wel­che der men­sch­li­chen Ah­nung reiz­voll und an­zie­hend sind und

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wel­che die tie­fe­re Ur­sa­che da­von sind, daß man das sc­hö­ne Spiel der Phan­ta­sie, wie es künst­le­ri­schem Emp­fin­den zu­­­grun­de liegt, im­mer gern mit dem «Träu­men» ver­g­leicht. Man braucht sich nur an ei­ni­ge kenn­zeich­nen­de Träu­me zu er­in­nern, und man wird das be­stä­tigt fin­den. Ein Mensch träumt zum Bei­spiel, daß er ei­nen auf ihn los­stür­zen­den Hund ver­ja­ge. Er wacht auf und fin­det sich eben noch da­bei, wie er un­be­wußt ei­nen Teil der Bett­de­cke von sich ab­schiebt, die sich an ei­ne un­ge­wohn­te Stel­le sei­nes Kör­pers ge­legt hat und die ihm des­halb läs­t­ig ge­wor­den ist. Was macht da das Tra­um­le­ben aus dem sinn­lich wahr­nehm­ba­ren Vor­­­gang? Was die Sin­ne im wa­chen Zu­stan­de wahr­neh­men wür­den, läßt das Schlaf­le­ben zu­nächst völ­lig im Un­be­wu­ß­­ten lie­gen. Es hält aber et­was We­sent­li­ches fest, näm­lich die Tat­sa­che, daß der Mensch et­was von sich ab­weh­ren will. Und um die­ses her­um spinnt es ei­nen bild­haf­ten Vor­gang. Die Bil­der als sol­che sind Nach­klän­ge aus dem wa­chen Ta­ges­le­ben. Die Art, wie sie die­sem ent­nom­men sind, hat et­was Will­kür­li­ches. Ein je­der hat die Emp­fin­dung, daß ihm der Traum bei der­sel­ben äu­ße­ren Ver­an­las­sung auch an­de­re Bil­der vor­gau­keln könn­te. Aber die Emp­fin­dung, daß der Mensch et­was ab­zu­weh­ren hat, drü­cken sie sinn­bild­lich aus. Der Traum schafft Sinn­bil­der; er ist ein Sym­bo­li­ker. Auch in­ne­re Vor­gän­ge kön­nen sich in sol­che Traum­sym­bo­le wan­­deln. Ein Mensch träumt, daß ein Feu­er ne­ben ihm pras­selt; er sieht im Trau­me die Flam­men. Er wacht auf und fühlt, daß er sich zu stark zu­ge­deckt hat und ihm zu warm ge­wor­den ist. Das Ge­fühl zu gro­ßer Wär­me drückt sich sin­n­­bild­lich in dem Bil­de aus. Ganz dra­ma­ti­sche Er­leb­nis­se kön­­nen sich im Trau­me ab­spie­len. Je­mand träumt zum Bei­spiel, er ste­he an ei­nem Ab­grun­de. Er sieht, wie ein Kind her­an­läuft.

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Der Traum läßt ihn al­le Qua­len des Ge­dan­kens er­­le­ben: wenn das Kind nur nicht un­auf­merk­sam sein mö­ge und in die Tie­fe stür­ze. Er sieht es fal­len und hört den dump­fen Auf­schlag des Kör­pers un­ten. Er wacht auf und ver­nimmt, daß ein Ge­gen­stand, der an der Wand des Zim­­mers hing, sich los­ge­löst hat und bei sei­nem Auf­fal­len ei­nen dump­fen Ton ge­ge­ben hat. Die­sen ein­fa­chen Vor­gang drückt das Tra­um­le­ben in ei­nem Vor­gan­ge aus, der sich in span­nen­­den Bil­dern ab­spielt. Man braucht sich vor­läu­fig gar nicht in Nach­den­ken dar­über ein­zu­las­sen, wie es kom­me, daß in dem letz­ten Bei­spie­le sich der Au­gen­blick des dump­fen Auf­schla­gens ei­nes Ge­gen­stan­des in ei­ne Rei­he von Vor­gän­gen au­s­ein­an­der­legt, die sich durch ei­ne ge­wis­se Zeit aus­zu­deh­­nen schei­nen; man braucht nur ins Au­ge zu fas­sen, wie der Traum das, was die wa­che Sin­nes­wahr­neh­mung dar­bie­ten wür­de, in ein Bild ver­wan­delt.

Man sieht: so­fort, wenn die Sin­ne ih­re Tä­tig­keit ein­­s­tel­len, so macht sich für den Men­schen ein Sc­höp­fe­ri­sches gel­tend. Es ist dies das­sel­be Sc­höp­fe­ri­sche, wel­ches im vol­len tra­um­lo­sen Schla­fe auch vor­han­den ist und wel­ches da je­nen See­len­zu­stand dar­s­tellt, der als Ge­gen­satz der wa­chen See­len­ver­fas­sung er­scheint. Soll die­ser tra­um­lo­se Schlaf ein­t­re­ten, so muß der As­tral­leib vom Äther­leib und vom phy­­si­schen Lei­be her­aus­ge­zo­gen sein. Er ist wäh­rend des Träu­­mens vom phy­si­schen Lei­be in­so­fern ge­t­rennt, als er kei­nen Zu­sam­men­hang mehr hat mit des­sen Sin­ne­s­or­ga­nen; er hält aber mit dem Äther­lei­be noch ei­nen ge­wis­sen Zu­sam­men­hang auf­recht. Daß die Vor­gän­ge des As­tral­lei­bes in Bil­dern wahr­ge­nom­men wer­den kön­nen, das kommt von die­sem sei­nem Zu­sam­men­hang mit dem Äther­lei­be. In dem Au­gen­­bli­cke, in dem auch die­ser Zu­sam­men­hang auf­hört, ver­sin­ken

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die Bil­der in das Dun­kel der Be­wußt­lo­sig­keit, und der tra­um­lo­se Schlaf ist da. Das Will­kür­li­che und oft Wi­der­­sin­ni­ge der Traum­bil­der rührt aber da­von her, daß der As­tral­leib we­gen sei­ner Tren­nung von den Sin­ne­s­or­ga­nen des phy­si­schen Lei­bes sei­ne Bil­der nicht auf die rich­ti­gen Ge­gen­stän­de und Vor­gän­ge der äu­ße­ren Um­ge­bung be­zie­hen kann. Be­son­ders klä­rend ist für die­sen Tat­be­stand die Be­trach­tung ei­nes sol­chen Trau­mes, in dem sich das Ich ge­­wis­ser­ma­ßen spal­tet. Wenn je­man­dem zum Bei­spiel träumt, er kön­ne als Schü­ler ei­ne ihm vom Leh­rer vor­ge­leg­te Fra­ge nicht be­ant­wor­ten, wäh­rend sie gleich dar­auf der Leh­rer selbst be­ant­wor­tet. Weil der Träu­men­de sich der Wahr­neh­mung­s­or­ga­ne sei­nes phy­si­schen Lei­bes nicht be­die­nen kann, ist er nicht im­stan­de, die bei­den Vor­gän­ge auf sich, als den­­sel­ben Men­schen, zu be­zie­hen. Al­so auch um sich selbst als ein blei­ben­des Ich zu er­ken­nen, ge­hört für den Men­schen zu­nächst die Aus­rüs­tung mit äu­ße­ren Wahr­neh­mung­s­or­ga­­nen. Nur dann, wenn sich der Mensch die Fähig­keit er­wor­­ben hät­te, auf an­de­re Art als durch sol­che Wahr­neh­mung­s­or­ga­ne sich sei­nes Ich be­wußt zu wer­den, wä­re auch au­ßer sei­nem phy­si­schen Lei­be das blei­ben­de Ich für ihn wahr­­nehm­bar. Sol­che Fähig­kei­ten hat das über­sinn­li­che Be­wußt­­­sein zu er­wer­ben, und es wird in die­ser Schrift von den Mit­­­teln da­zu im wei­te­ren die Re­de sein.

Auch der Tod tritt durch nichts an­de­res ein als durch ei­ne Än­de­rung im Zu­sam­men­han­ge der Glie­der des Men­schen­we­sens. Auch das­je­ni­ge, was in be­zug dar­auf die über­sin­n­­li­che Be­o­b­ach­tung er­gibt, kann in sei­nen Wir­kun­gen in der of­fen­ba­ren Welt ge­se­hen wer­den; und die un­be­fan­ge­ne Ur­­­teils­kraft wird durch die Be­trach­tung des äu­ße­ren Le­bens auch hier die Mit­tei­lun­gen der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis

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be­stä­tigt fin­den. Doch ist für die­se Tat­sa­chen der Aus­druck des Un­sicht­ba­ren im Sicht­ba­ren we­ni­ger of­fen­lie­gend, und man hat grö­ße­re Schwie­rig­kei­ten, um das Ge­wicht des­sen voll zu emp­fin­den, was in den Vor­gän­gen des äu­ße­ren Le­bens be­stä­ti­gend für die Mit­tei­lun­gen der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis auf die­sem Ge­bie­te spricht. Noch näh­er als für man­ches in die­ser Schrift be­reits Be­spro­che­ne liegt es hier, die­se Mit­tei­lun­gen ein­fach für Phan­ta­sie­ge­bil­de zu er­klä­ren, wenn man sich der Er­kennt­nis ver­sch­lie­ßen will, wie im Sin­nen­fäl­li­gen der deut­li­che Hin­weis auf das Über­sinn­li­che ent­hal­ten ist.

Wäh­rend sich beim Über­gang in den Schlaf der As­tral­leib nur aus sei­ner Ver­bin­dung mit dem Äther­leib und dem phy­­si­schen Lei­be löst, die letz­te­ren je­doch ver­bun­den blei­ben, tritt mit dem To­de die Ab­t­ren­nung des phy­si­schen Lei­bes vom Äther­leib ein. Der phy­si­sche Leib bleibt sei­nen ei­ge­nen Kräf­ten über­las­sen und muß des­halb als Leich­nam zer­fal­len. Für den Äther­leib ist aber nun­mehr mit dem To­de ein Zu­­­stand ein­ge­t­re­ten, in dem er wäh­rend der Zeit zwi­schen Ge­burt und Tod nie­mals war, be­stimm­te Aus­nah­me­zu­stän­de ab­ge­rech­net, von de­nen noch ge­spro­chen wer­den soll. Er ist näm­lich jetzt mit sei­nem As­tral­leib ve­r­ei­nigt, oh­ne daß der phy­si­sche Leib da­bei ist. Denn nicht un­mit­tel­bar nach dem Ein­tritt des To­des tren­nen sich Äther­leib und As­tral­leib. Sie hal­ten ei­ne Zeit­lang durch ei­ne Kraft zu­sam­men, von der leicht ver­ständ­lich ist, daß sie vor­han­den sein muß. Wä­re sie näm­lich nicht vor­han­den, so könn­te sich der Äther­leib gar nicht aus dem phy­si­schen Lei­be her­aus­lö­sen. Denn er wird mit die­sem zu­sam­men­ge­hal­ten: das zeigt der Schlaf, wo der As­tral­leib nicht im­stan­de ist, die­se bei­den Glie­der des Men­schen au­s­ein­an­der­zu­rei­ßen. Die­se Kraft tritt beim

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To­de in Wirk­sam­keit. Sie löst den Äther­leib aus dem phy­­si­schen her­aus, so daß der ers­te­re jetzt mit dem As­tral­leib ver­bun­den ist. Die über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung zeigt, daß die­se Ver­bin­dung für ver­schie­de­ne Men­schen nach dem To­de ver­schie­den ist. Die Dau­er be­mißt sich nach Ta­gen. Von die­­ser Zeit­dau­er soll hier vor­läu­fig nur mit­tei­lungs­wei­se die Re­de sein. Spä­ter löst sich dann der As­tral­leib auch von sei­nem Äther­leib her­aus und geht oh­ne die­sen sei­ne We­ge wei­ter. Wäh­rend der Ver­bin­dung der bei­den Lei­ber ist der Mensch in ei­nem Zu­stan­de, durch den er die Er­leb­nis­se sei­nes As­tral­lei­bes wahr­neh­men kann. So­lan­ge der phy­si­sche Leib da ist, muß mit der Los­lö­sung des As­tral­lei­bes von ihm so­g­leich die Ar­beit von au­ßen be­gin­nen, um die ab­ge­nut­z­­ten Or­ga­ne zu er­fri­schen. Ist der phy­si­sche Leib ab­ge­t­rennt, so fällt die­se Ar­beit weg. Doch die Kraft, wel­che auf sie ver­wen­det wird, wenn der Mensch schläft, bleibt nach dem To­de, und sie kann jetzt zu an­de­rem ver­wen­det wer­den. Sie wird nun da­zu ge­braucht, um die ei­ge­nen Vor­gän­ge des As­tral­lei­bes wahr­nehm­bar zu ma­chen.

Ei­ne am Äu­ße­ren des Le­bens haf­ten­de Be­o­b­ach­tung mag im­mer­hin sa­gen: das sind al­les Be­haup­tun­gen, die dem mit über­sinn­li­cher An­schau­ung Be­gab­ten ein­leuch­ten; für ei­nen an­dern Men­schen sei aber kei­ne Mög­lich­keit vor­han­den, an ih­re Wahr­heit her­an­zu­drin­gen. Die Sa­che ist doch nicht so. Was die über­sinn­li­che Er­kennt­nis auch auf die­sem dem ge­wöhn­li­chen An­schau­en ent­le­ge­nen Ge­bie­te be­o­b­ach­tet: es kann von der ge­wöhn­li­chen Ur­teils­kraft, nach­dem es ge­fun­­den ist, er­faßt wer­den. Es muß die­se Ur­teils­kraft nur die Le­bens­zu­sam­men­hän­ge, die im Of­fen­ba­ren vor­lie­gen, in der rech­ten Art vor sich hin­s­tel­len. Vor­s­tel­len, Füh­len und Wol­­len ste­hen un­ter sich und mit den an der Au­ßen­welt von dem

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Men­schen ge­mach­ten Er­leb­nis­sen in ei­nem sol­chen Ver­häl­t­­nis, daß sie un­ver­ständ­lich blei­ben, wenn die Art ih­rer of­fen­­ba­ren Wirk­sam­keit nicht als Aus­druck ei­ner un­of­fen­ba­ren ge­nom­men wird. Die­se of­fen­ba­re Wirk­sam­keit hellt sich für das Ur­teil erst auf, wenn sie in ih­rem Ver­lauf im phy­si­schen Men­schen­le­ben als Er­geb­nis des­sen an­ge­se­hen wer­den kann, was die über­sinn­li­che Er­kennt­nis für das nicht-phy­si­sche fest­s­tellt. Man be­fin­det sich die­ser Wirk­sam­keit ge­gen­über oh­ne die über­sinn­li­che Er­kennt­nis wie in ei­nem fins­te­ren Zim­mer oh­ne Licht. Wie man die phy­si­schen Ge­gen­stän­de der Um­ge­bung erst im Lich­te sieht, so wird, was durch das See­len­le­ben des Men­schen sich ab­spielt, erst er­klär­bar durch die über­sinn­li­che Er­kennt­nis.

Wäh­rend der Ver­bin­dung des Men­schen mit sei­nem phy­­si­schen Lei­be tritt die äu­ße­re Welt in Ab­bil­dern ins Be­wußt­­­sein; nach der Ab­le­gung die­ses Lei­bes wird wahr­nehm­bar, was der As­tral­leib er­lebt, wenn er durch kei­ne phy­si­schen Sin­ne­s­or­ga­ne mit die­ser Au­ßen­welt ver­bun­den ist. Neue Er­­leb­nis­se hat er zu­nächst nicht. Die Ver­bin­dung mit dem Äther­lei­be hin­dert ihn da­ran, et­was Neu­es zu er­le­ben. Was er aber be­sitzt, das ist die Er­in­ne­rung an das ver­gan­ge­ne Le­ben. Die­se läßt der noch vor­han­de­ne Äther­leib als ein um­fas­sen­des, le­bens­vol­les Ge­mäl­de er­schei­nen. Das ist das ers­te Er­leb­nis des Men­schen nach dem To­de. Er nimmt das Le­ben zwi­schen Ge­burt und Tod als ei­ne vor ihm aus­ge­b­rei­te­te Rei­he von Bil­dern wahr. Wäh­rend die­ses Le­bens ist die Er­in­ne­rung nur im Wach­zu­stand vor­han­den, wenn der Mensch mit sei­nem phy­si­schen Leib ver­bun­den ist. Sie ist nur in­so­weit vor­han­den, als die­ser Leib dies zu­läßt. Der See­le geht nichts ver­lo­ren von dem, was im Le­ben auf sie Ein­druck macht. Wä­re der phy­si­sche Leib da­zu ein vol­l­­kom­me­nes

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Werk­zeug: es müß­te in je­dem Au­gen­bli­cke des Le­bens mög­lich sein, des­sen gan­ze Ver­gan­gen­heit vor die See­le zu zau­bern. Mit dem To­de hört die­ses Hin­der­nis auf. So­lan­ge der Äther­leib dem Men­schen er­hal­ten bleibt, be­steht ei­ne ge­wis­se Voll­kom­men­heit der Er­in­ne­rung. Sie schwin­det aber in dem Ma­ße da­hin, in dem der Äther­leib die Form ver­liert, wel­che er wäh­rend sei­nes Au­f­ent­hal­tes im phy­si­­schen Lei­be ge­habt hat und wel­che dem phy­si­schen Leib ähn­­lich ist. Das ist ja auch der Grund, warum sich der As­tral­­leib vom Äther­leib nach ei­ni­ger Zeit trennt. Er kann nur so lan­ge mit die­sem ve­r­eint blei­ben, als des­sen dem phy­si­schen Leib ent­sp­re­chen­de Form an­dau­ert. Wäh­rend des Le­bens zwi­schen Ge­burt und Tod tritt ei­ne Tren­nung des Äther­lei­bes nur in Aus­nah­me­fäl­len und nur für kur­ze Zeit ein. Wenn der Mensch zum Bei­spiel ei­nes sei­ner Glie­der be­las­tet, so kann ein Teil des Äther­lei­bes aus dem phy­si­schen sich ab­t­ren­nen. Von ei­nem Glie­de, bei dem dies der Fall ist, sagt man, es sei «ein­ge­schla­fen». Und das ei­gen­tüm­li­che Ge­fühl, das man dann emp­fin­det, rührt von dem Ab­t­ren­nen des Äther­lei­bes her. (Na­tür­lich kann ei­ne ma­te­ria­lis­ti­sche Vor­­­stel­lungs­art auch hier wie­der das Un­sicht­ba­re in dem Sich­t­­ba­ren leug­nen und sa­gen: das al­les rüh­re nur von der durch den Druck be­wirk­ten phy­si­schen Stör­ung her.) Die über­­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung kann in ei­nem sol­chen Fal­le se­hen, wie der ent­sp­re­chen­de Teil des Äther­lei­bes aus dem phy­si­­schen her­aus­rückt. Wenn nun der Mensch ei­nen ganz un­ge­wohn­ten Schreck oder der­g­lei­chen er­lebt, so kann für ei­nen gro­ßen Teil des Lei­bes für ei­ne ganz kur­ze Zeit ei­ne sol­che Ab­t­ren­nung des Äther­lei­bes er­fol­gen. Es ist das dann der Fall, wenn der Mensch sich durch ir­gend et­was plötz­lich dem To­de na­he sieht, wenn er zum Bei­spiel am Er­trin­ken ist

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oder bei ei­ner Berg­par­tie ihm ein Ab­s­turz droht. Was Leu­te, die sol­ches er­lebt ha­ben, er­zäh­len, das kommt in der Tat der Wahr­heit na­he und kann durch über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung be­stä­tigt wer­den. Sie ge­ben an, daß ih­nen in sol­chen Au­gen­­bli­cken ihr gan­zes Le­ben wie in ei­nem gro­ßen Er­in­ne­rungs­­­bil­de vor die See­le ge­t­re­ten ist. Es mag von vie­len Bei­spie­len, die hier an­ge­führt wer­den könn­ten, nur auf ei­nes hin­­ge­wie­sen wer­den, weil es von ei­nem Man­ne her­rührt, für des­sen Vor­stel­lungs­art al­les, was hier über sol­che Din­ge ge­sagt wird, als ei­tel Phan­tas­te­rei er­schei­nen muß. Es ist näm­lich für den, wel­cher ei­ni­ge Schrit­te in die über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung tut, im­mer sehr nütz­lich, wenn er sich mit den An­ga­ben der­je­ni­gen be­kannt macht, wel­che die­se Wis­sen­­schaft für Phan­tas­te­rei hal­ten. Sol­chen An­ga­ben kann nicht so leicht Be­fan­gen­heit des Be­o­b­ach­ters nach­ge­sagt wer­den. (Die Ge­heim­wis­sen­schaf­ter mö­gen nur recht viel von de­nen ler­nen, wel­che ih­re Be­st­re­bun­gen für Un­sinn hal­ten. Es braucht sie nicht ir­re zu ma­chen, wenn ih­nen von den letz­te­­ren in sol­cher Be­zie­hung kei­ne Ge­gen­lie­be ent­ge­gen­ge­bracht wird. Für die über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung selbst be­darf es al­ler­dings sol­cher Din­ge nicht zur Be­wahr­hei­tung ih­rer Er­­geb­nis­se. Sie will mit die­sen Hin­wei­sen auch nicht be­wei­sen, son­dern er­läu­tern.) Der aus­ge­zeich­ne­te Kri­mi­nal­an­thro­po­­lo­ge und auf vie­len an­de­ren Ge­bie­ten der Na­tur­for­schung be­deut­sa­me For­scher Mo­ritz Be­ne­dict er­zählt in sei­nen Le­ben­ser­in­ne­run­gen den von ihm selbst er­leb­ten Fall, daß er ein­mal, als er dem Er­trin­ken in ei­nem Ba­de na­he war, wie in ei­nem ein­zi­gen Bil­de sein gan­zes Le­ben in der Er­in­ne­rung vor sich ge­se­hen ha­be. Wenn an­de­re die bei ähn­li­cher Ge­le­gen­heit er­leb­ten Bil­der an­ders be­sch­rei­ben, ja so­gar so, daß sie mit den Vor­gän­gen ih­rer Ver­gan­gen­heit

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schein­bar we­nig zu tun ha­ben, so wi­der­spricht das dem Ge­sag­ten nicht, denn die Bil­der, wel­che in dem ganz un­ge­wohn­ten Zu­stan­de der Ab­t­ren­nung von dem phy­si­schen Lei­be ent­ste­hen, sind manch­mal in ih­rer Be­zie­hung zum Le­­ben nicht oh­ne wei­te­res er­klär­lich. Ei­ne rich­ti­ge Be­trach­tung wird die­se Be­zie­hung aber im­mer er­ken­nen. Auch ist es kein Ein­wand, wenn je­mand zum Bei­spiel dem Er­trin­ken ein­mal na­he war und das ge­schil­der­te Er­leb­nis nicht ge­habt hat. Man muß eben be­den­ken, daß die­ses nur dann ein­t­re­ten kann, wenn wir­k­lich der Äther­leib von dem phy­si­schen ge­t­rennt ist und da­bei der ers­te­re mit dem As­tral­leib ver­­bun­den bleibt. Wenn durch den Schreck auch ei­ne Lo­cke­rung des Äther­lei­bes und As­tral­lei­bes ein­tritt, dann bleibt das Er­leb­nis aus, weil dann wie im tra­um­lo­sen Schlaf völ­li­ge Be­wußt­lo­sig­keit vor­han­den ist.

In ei­nem Er­in­ne­rungs­ge­mäl­de zu­sam­men­ge­faßt er­scheint in der ers­ten Zeit nach dem To­de die er­leb­te Ver­gan­gen­heit. Nach der Tren­nung von dem Äther­leib ist nun der As­tral­­leib für sich al­lein auf sei­ner wei­te­ren Wan­de­rung. Es ist un­schwer ein­zu­se­hen, daß in dem As­tral­leib al­les das vor­­han­den bleibt, was die­ser durch sei­ne ei­ge­ne Tä­tig­keit wäh­­rend sei­nes Au­f­ent­hal­tes im phy­si­schen Lei­be zu sei­nem Be­sitz ge­macht hat. Das Ich hat bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de das Geist­selbst, den Le­bens­geist und den Geis­tes­men­schen her­aus­ge­ar­bei­tet. So­weit die­se ent­wi­ckelt sind, er­hal­ten sie ihr Da­sein nicht von dem, was als Or­ga­ne in den Lei­bern vor­­han­den ist, son­dern vom Ich. Und die­ses Ich ist ja ge­ra­de das­je­ni­ge We­sen, wel­ches kei­ner äu­ße­ren Or­ga­ne zu sei­ner Wahr­neh­mung be­darf. Und es braucht auch kei­ne sol­chen, um im Be­sit­ze des­sen zu blei­ben, was es mit sich selbst ver­­eint hat. Man könn­te ein­wen­den: ja warum ist im Schla­fe

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kei­ne Wahr­neh­mung von die­sem ent­wi­ckel­ten Geist­selbst, Le­bens­geist und Geis­tes­men­schen vor­han­den? Sie ist des­we­­gen nicht vor­han­den, weil das Ich zwi­schen Ge­burt und Tod an den phy­si­schen Leib ge­ket­tet ist. Wenn es auch im Schla­fe mit dem As­tral­lei­be sich au­ßer­halb die­ses phy­si­schen Lei­bes be­fin­det, so bleibt es doch mit die­sem eng ver­bun­den. Denn die Tä­tig­keit sei­nes As­tral­lei­bes ist die­sem phy­si­schen Lei­be zu­ge­wandt. Da­durch ist das Ich mit sei­ner Wahr­neh­mung an die äu­ße­re Sin­nen­welt ver­wie­sen, kann so­mit die Of­fen­­ba­run­gen des Geis­ti­gen in sei­ner un­mit­tel­ba­ren Ge­stalt nicht emp­fan­gen. Erst durch den Tod tritt die­se Of­fen­ba­rung an das Ich heran, weil die­ses durch ihn frei wird von sei­ner Ver­bin­dung mit phy­si­schem und Äther­leib. In dem Au­gen­­bli­cke kann für die See­le ei­ne an­de­re Welt auf­leuch­ten, in dem sie her­aus­ge­zo­gen ist aus der phy­si­schen Welt, die im Le­ben ih­re Tä­tig­keit an sich fes­selt. Nun gibt es Grün­de, warum auch in die­sem Zeit­punk­te für den Men­schen nicht al­le Ver­bin­dung mit der äu­ße­ren Sin­nen­welt auf­hört. Es blei­ben näm­lich ge­wis­se Be­gier­den vor­han­den, wel­che die­se Ver­bin­dung auf­rech­t­er­hal­ten. Es sind Be­gier­den, wel­che sich der Mensch eben da­durch schafft, daß er sich sei­nes Ich als des vier­ten Glie­des sei­ner We­sen­heit be­wußt ist. Die­je­ni­gen Be­gier­den und Wün­sche, wel­che aus der We­sen­heit der drei nie­d­ri­gen Lei­ber ent­sprin­gen, kön­nen auch nur inn­er­halb der äu­ße­ren Welt wir­ken; und wenn die­se Lei­ber ab­ge­legt sind, dann hö­ren sie auf. Hun­ger wird durch den äu­ße­ren Leib be­wirkt; er schweigt, so­bald die­ser äu­ße­re Leib nicht mehr mit dem Ich ver­bun­den ist. Hät­te das Ich nun kei­ne wei­te­ren Be­gier­den als die­je­ni­gen, wel­che sei­ner ei­ge­nen gei­s­ti­gen We­sen­heit ent­stam­men, so könn­te es mit dem Ein­tritt des To­des vol­le Be­frie­di­gung aus der geis­ti­gen Welt sc­höp­­fen,

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in die es ver­setzt ist. Aber das Le­ben hat ihm noch an­­de­re Be­gier­den ge­ge­ben. Es hat ein Ver­lan­gen in ihm ent­zün­det nach Ge­nüs­sen, die nur durch phy­si­sche Or­ga­ne be­frie­digt wer­den kön­nen, trotz­dem sie selbst gar nicht aus dem We­sen die­ser Or­ga­ne selbst her­kom­men. Nicht nur die drei Lei­ber ver­lan­gen durch die phy­si­sche Welt ih­re Be­frie­­di­gung, son­dern das Ich selbst fin­det Ge­nüs­se inn­er­halb die­­ser Welt, für wel­che in der geis­ti­gen Welt über­haupt kein Ge­gen­stand zur Be­frie­di­gung vor­han­den ist. Zwei­er­lei Wün­­sche gibt es für das Ich im Le­ben. Sol­che, die aus den Lei­bern her­stam­men, die al­so inn­er­halb der Lei­ber be­frie­digt wer­­den müs­sen, die aber auch mit dem Zer­fall der Lei­ber ihr En­de fin­den. Dann sol­che, die aus der geis­ti­gen Na­tur des Ich stam­men. So­lan­ge das Ich in den Lei­bern ist, wer­den auch die­se durch die leib­li­chen Or­ga­ne be­frie­digt. Denn in den Of­fen­ba­run­gen der Or­ga­ne des Lei­bes wirkt das ver­­­bor­ge­ne Geis­ti­ge. Und in al­lem, was die Sin­ne wahr­neh­men, emp­fan­gen sie zu­g­leich ein Geis­ti­ges. Die­ses Geis­ti­ge ist, wenn auch in an­de­rer Form, auch nach dem To­de vor­han­­den. Al­les, was das Ich von Geis­ti­gem inn­er­halb der Sin­nen­welt be­gehrt, das hat es auch, wenn die Sin­ne nicht mehr da sind. Kä­me nun zu die­sen zwei Ar­ten von Wün­schen nicht noch ei­ne drit­te hin­zu, es wür­de der Tod nur ei­nen Über­­gang be­deu­ten von Be­gier­den, die durch Sin­ne be­frie­digt wer­den kön­nen, zu sol­chen, wel­che in der Of­fen­ba­rung der geis­ti­gen Welt ih­re Er­fül­lung fin­den. Die­se drit­te Art von Wün­schen sind die­je­ni­gen, wel­che sich das Ich wäh­rend sei­­nes Le­bens in der Sin­nen­welt er­zeugt, weil es an ihr Ge­­fal­len fin­det auch in­so­fern, als sich in ihr nicht das Geis­ti­ge of­fen­bart. Die nie­d­rigs­ten Ge­nüs­se kön­nen Of­fen­ba­run­gen des Geis­tes sein. Die Be­frie­di­gung, wel­che die Nah­rungs­auf­nah­me

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dem hun­gern­den We­sen ge­währt, ist ei­ne Of­fen­­ba­rung des Geis­tes. Denn durch die Auf­nah­me von Nah­rung wird das zu­stan­de ge­bracht, oh­ne wel­ches das Geis­ti­ge in ei­ner ge­wis­sen Be­zie­hung nicht sei­ne Ent­wi­cke­lung fin­den könn­te. Das Ich aber kann hin­aus­ge­hen über den Ge­nuß, der durch die­se Tat­sa­che not­wen­dig ge­bo­ten ist. Es kann nach der wohl­sch­me­cken­den Spei­se Ver­lan­gen tra­gen, auch ganz ab­ge­se­hen von dem Di­ens­te, wel­cher durch die Nah­rungs­­­auf­nah­me dem Geis­te ge­leis­tet wird. Das­sel­be tritt für an­­de­re Din­ge der Sin­nen­welt ein. Es wer­den da­durch die­je­ni­gen Wün­sche er­zeugt, die in der Sin­nen­welt nie­mals zum Vor­schein ge­kom­men wä­ren, wenn nicht das men­sch­li­che Ich in die­se ein­ge­g­lie­dert wor­den wä­re. Aber auch aus dem gei­s­ti­gen We­sen des Ich ent­sprin­gen sol­che Wün­sche nicht. Sin­n­­li­che Ge­nüs­se muß das Ich ha­ben, so­lan­ge es im Lei­be lebt, auch in­so­fern es geis­tig ist. Denn im Sinn­li­chen of­fen­bart sich der Geist; und nichts an­de­res ge­nießt das Ich als den Geist, wenn es sich in der Sin­nen­welt dem hin­gibt, durch das des Geis­tes Licht hin­durch­leuch­tet. Und es wird im Ge­­nus­se die­ses Lich­tes blei­ben, auch wenn die Sinn­lich­keit nicht mehr das Mit­tel ist, durch das die Strah­len des Geis­tes hin­durch­ge­hen. Für sol­che Wün­sche aber gibt es kei­ne Er­fül­lung in der geis­ti­gen Welt, für die nicht schon im Sinn­li­chen der Geist lebt. Tritt der Tod ein, dann ist für die­se Wün­sche die Mög­lich­keit des Ge­nus­ses ab­ge­schnit­ten. Der Ge­nuß an ei­ner wohl­sch­me­cken­den Spei­se kann nur da­durch her­bei­ge­führt wer­den, daß die phy­si­schen Or­ga­ne da sind, wel­che bei der Zu­füh­rung der Spei­se ge­braucht wer­den: Gau­men, Zun­ge usw. Die­se hat der Mensch nach Ab­le­gung des phy­si­schen Lei­bes nicht mehr. Wenn aber das Ich noch Be­dürf­nis nach sol­chem Ge­nuß hat, so muß sol­ches Be­dürf­nis un­be­frie­digt

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blei­ben. So­fern die­ser Ge­nuß dem Geis­te ent­spricht, ist er nur so lan­ge vor­han­den, als die phy­si­schen Or­ga­ne da sind. So­fern ihn aber das Ich er­zeugt hat, oh­ne da­mit dem Geis­te zu die­nen, bleibt er nach dem To­de als Wunsch, der ver­geb­lich nach Be­frie­di­gung dürs­tet. Was jetzt im Men­schen vor­­­geht, da­von läßt sich nur ein Be­griff bil­den, wenn man sich vor­s­tellt, je­mand lei­de bren­nen­den Durst in ei­ner Ge­gend, in der weit und breit kein Was­ser zu fin­den ist. So geht es dem Ich, in­so­fern es nach dem To­de die nicht aus­ge­lösch­ten Be­gier­den nach Ge­nüs­sen der äu­ße­ren Welt hegt und kei­ne Or­ga­ne hat, sie zu be­frie­di­gen. Na­tür­lich muß man den bren­nen­den Durst, der als Ver­g­leich mit dem Zu­stan­de des Ich nach dem To­de di­ent, sich ins Maß­lo­se ge­s­tei­gert den­ken und sich vor­s­tel­len, daß er aus­ge­dehnt sei auf al­le dann noch vor­han­de­nen Be­gier­den, für die je­de Mög­lich­keit der Er­­fül­lung fehlt. Der nächs­te Zu­stand des Ich be­steht da­rin, sich frei zu ma­chen von die­sem An­zie­hungs­band an die äu­­ße­re Welt. Das Ich hat in sich ei­ne Läu­te­rung und Be­f­rei­ung in die­ser Be­zie­hung her­bei­zu­füh­ren. Aus ihm muß al­les her­aus­ge­tilgt wer­den, was an Wün­schen von ihm inn­er­halb des Lei­bes er­zeugt wor­den ist und was in der geis­ti­gen Welt kein Hei­mat­recht hat. Wie ein Ge­gen­stand vom Feu­er er­­faßt und ver­brannt wird, so wird die ge­schil­der­te Be­gier­­den­welt nach dem To­de auf­ge­löst und zer­stört. Es er­öff­net sich da­mit der Aus­blick in je­ne Welt, wel­che die über­sin­n­­li­che Er­kennt­nis als das «ver­zeh­ren­de Feu­er des Geis­tes» be­zeich­nen kann. Von die­sem «Feu­er» wird ei­ne Be­gier­de er­faßt, wel­che sinn­li­cher Art ist, aber die­ses so ist, daß das Sinn­li­che nicht Aus­druck des Geis­tes ist. Man könn­te sol­che Vor­stel­lun­gen, wie sie in be­zug auf die­se Vor­gän­ge die über­sinn­li­che Er­kennt­nis ge­ben muß, trost­los und furcht­bar fin­­den.

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Er­sch­re­ckend könn­te es er­schei­nen, daß ei­ne Hoff­nung, zu de­ren Be­frie­di­gung sinn­li­che Or­ga­ne nö­t­ig sind, nach dem To­de sich in Hoff­nungs­lo­sig­keit, daß ein Wunsch, den nur die phy­si­sche Welt er­fül­len kann, dann in bren­nen­de Ent­beh­rung sich wan­deln muß. Man kann ei­ne sol­che Mei­­nung nur so lan­ge ha­ben, als man nicht be­denkt, daß al­le Wün­sche und Be­gier­den, die nach dem To­de von dem «ver­zeh­ren­den Feu­er» er­faßt wer­den, im höhe­ren Sin­ne nicht wohl­tä­ti­ge, son­dern zer­stö­ren­de Kräf­te im Le­ben dar­s­tel­­len. Durch sol­che Kräf­te knüpft das Ich mit der Sin­nen­welt ein fes­te­res Band, als not­wen­dig ist, um aus die­ser sel­ben Sin­nen­welt al­les das­je­ni­ge in sich auf­zu­neh­men, was ihm frommt. Die­se Sin­nen­welt ist ei­ne Of­fen­ba­rung des hin­ter ihr ver­bor­ge­nen Geis­ti­gen. Das Ich könn­te den Geist nie­mals in der Form ge­nie­ßen, in der er sich nur durch leib­li­che Sin­ne of­fen­ba­ren kann, wenn es die­se Sin­ne nicht be­nut­zen woll­te zum Ge­nus­se des Geis­ti­gen im Sinn­li­chen. Doch en­t­­­zieht sich das Ich auch so viel von dem wah­ren geis­ti­gen Wir­k­li­chen in der Welt, als es von der Sin­nen­welt be­gehrt, oh­ne daß der Geist da­bei spricht. Wenn der sinn­li­che Ge­­nuß als Aus­druck des Geis­tes Er­höh­ung, Ent­wi­cke­lung des Ich be­deu­tet, so der­je­ni­ge, der ein sol­cher Aus­druck nicht ist, Ver­ar­mung, Ver­ö­dung des­sel­ben. Wird ei­ne der­ar­ti­ge Be­­gier­de in der Sin­nen­welt be­frie­digt, so bleibt ih­re ver­ö­d­en­de Wir­kung auf das Ich des­halb doch vor­han­den. Nur wird vor dem To­de die­se zer­stö­ren­de Wir­kung für das Ich nicht sicht­bar. Des­halb kann im Le­ben der Ge­nuß nach sol­cher Be­­gier­de neue gleich­ar­ti­ge Wün­sche er­zeu­gen. Und der Mensch wird gar nicht ge­wahr, daß er durch sich selbst sich in ein «ver­zeh­ren­des Feu­er» hüllt. Nach dem To­de wird nur sich­t­­bar, was ihn auch schon im Le­ben um­gibt; und durch das

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Sicht­bar­wer­den er­scheint die­ses zu­g­leich in sei­ner heil­sa­men, wohl­tä­ti­gen Fol­ge. Wer ei­nen Men­schen lieb hat, wird doch nicht al­lein zu dem an ihm hin­ge­zo­gen, was durch die phy­­si­schen Or­ga­ne emp­fun­den wer­den kann. Nur von die­sem aber darf ge­sagt wer­den, daß es mit dem To­de der Wahr­­neh­mung entzo­gen wird. Ge­ra­de das aber wird dann sich­t­­bar an dem ge­lieb­ten Men­schen, zu des­sen Wahr­neh­mung die phy­si­schen Or­ga­ne nur das Mit­tel wa­ren. Ja das ein­zi­ge, was die­se vol­le Sicht­bar­keit hin­dert, ist dann das Vor­han­­den­sein der­je­ni­gen Be­gier­de, die nur durch phy­si­sche Or­ga­ne be­frie­digt wer­den kann. Wür­de die­se Be­gier­de aber nicht aus­ge­tilgt, so könn­te die be­wuß­te Wahr­neh­mung des ge­­lieb­ten Men­schen nach dem To­de gar nicht ein­t­re­ten. So be­­trach­tet, ver­wan­delt sich die Vor­stel­lung des Furcht­ba­ren und Trost­lo­sen, das für den Men­schen die Er­eig­nis­se nach dem To­de ha­ben könn­ten, wie sie die über­sinn­li­che Er­kennt­nis schil­dern muß, in die­je­ni­ge des tief Be­frie­di­gen­den und Tro­st­rei­chen.

Die nächs­ten Er­leb­nis­se nach dem To­de sind nun in noch ei­ner Be­zie­hung durch­aus ver­schie­den von de­nen wäh­rend des Le­bens. Wäh­rend der Läu­te­rung lebt der Mensch ge­­wis­ser­ma­ßen nach rück­wärts. Er macht al­les das­je­ni­ge noch ein­mal durch, was er im Le­ben seit der Ge­burt er­fah­ren hat. Von den Vor­gän­gen, die dem To­de un­mit­tel­bar vor­aus­gin­­gen, be­ginnt er und er­lebt al­les noch­mals bis zur Kind­heit in rück­wär­ti­ger Rei­hen­fol­ge. Und da­bei tritt ihm al­les gei­s­tig vor Au­gen, was nicht aus der geis­ti­gen Na­tur des Ich wäh­rend des Le­bens ent­sprun­gen ist. Nur er­lebt er auch die­­ses al­les jetzt in um­ge­kehr­ter Art. Ein Mensch, der zum Bei­­spiel im sech­zigs­ten Jah­re ge­s­tor­ben ist und der aus ei­ner zor­ni­gen Auf­wal­lung her­aus in sei­nem vier­zigs­ten Jah­re

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je­mand kör­per­li­chen oder see­li­schen Sch­merz zu­ge­fügt hat, wird die­ses Er­eig­nis noch ein­mal er­le­ben, wenn er bei sei­ner rück­gän­gi­gen Da­s­eins­wan­de­rung nach dem Tod an der Stel­le sei­nes vier­zigs­ten Jah­res an­ge­langt ist. Nur er­lebt er da nicht die Be­frie­di­gung, die ihm im Le­ben ge­wor­den ist durch den An­griff auf den an­dern, son­dern da­für den Sch­merz, der durch ihn die­sem an­dern zu­ge­fügt wor­den ist. Aus dem Obi­gen kann man aber auch zu­g­leich er­se­hen, daß nur das­je­ni­ge von ei­nem sol­chen Vor­gan­ge nach dem To­de als pein­voll wahr­ge­nom­men wer­den kann, was aus ei­ner Be­gier­de des Ich ent­sprun­gen ist, die nur der äu­ße­ren phy­si­schen Welt ent­stammt. In Wahr­heit schä­d­igt das Ich näm­lich nicht nur den an­dern durch die Be­frie­di­gung ei­ner sol­chen Be­gier­de, son­dern sich selbst; nur bleibt ihm die­se ei­ge­ne Schä­d­i­gung wäh­rend des Le­bens un­sicht­bar. Nach dem To­de aber wird die­se gan­ze schä­d­i­gen­de Be­gier­den­welt dem Ich sicht­bar. Und zu je­dem We­sen und je­dem Din­ge fühlt sich dann das Ich hin­ge­zo­gen, an dem solch ei­ne Be­gier­de ent­zün­det wor­den ist, da­mit sie im «ver­zeh­ren­den Feu­er» eben­so wie­der aus­ge­tilgt wer­den kann, wie sie ent­stan­den ist. Erst wenn der Mensch bei sei­ner Rück­wärts­wan­de­rung in dem Zeit­punk­te sei­ner Ge­burt an­ge­langt ist, sind al­le der­ar­ti­gen Be­gier­den durch das Läu­te­rungs­feu­er hin­durch­ge­gan­gen, und nichts hin­dert ihn von jetzt ab an der vol­len Hin­ga­be an die gei­s­ti­ge Welt. Er be­tritt ei­ne neue Da­s­eins­stu­fe. Wie er im To­de den phy­si­schen Leib, bald da­nach den Äther­leib ab­ge­legt hat, so zer­fällt jetzt der­je­ni­ge Teil des as­tra­li­schen Lei­bes, der nur im Be­wußt­sein der äu­ße­ren phy­si­schen Welt le­ben kann. Für die über­sinn­li­che Er­kennt­nis gibt es so­mit drei Leich­na­me, den phy­si­schen, den äthe­ri­schen und den as­tra­­li­schen. Der Zeit­punkt, in dem der letz­te­re von dem Men­schen

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ab­ge­wor­fen wird, ist da­durch ge­kenn­zeich­net, daß die Zeit der Läu­te­rung et­wa das Drit­tel von der­je­ni­gen be­trägt, wel­che zwi­schen Ge­burt und Tod ver­f­los­sen ist. Spä­ter, wenn auf Grund der Ge­heim­wis­sen­schaft der men­sch­li­che Le­bens­lauf be­trach­tet wer­den wird, kann erst die Ur­sa­che deut­lich wer­den, warum dies so ist. Für die über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung sind in der men­sch­li­chen Um­welt fort­wäh­rend As­tral­leich­na­me vor­han­den, die ab­ge­wor­fen sind von Men­­schen, wel­che aus dem Läu­te­rungs­zu­stan­de in ein höhe­res Da­sein über­ge­hen. Es ist dies ge­nau so, wie für die phy­si­sche Wahr­neh­mung dort phy­si­sche Leich­na­me ent­ste­hen, wo Men­schen woh­nen.

Nach der Läu­te­rung tritt für das Ich ein völ­lig neu­er Be­wußt­s­eins­zu­stand ein. Wäh­rend ihm vor dem To­de die äu­ße­ren Wahr­neh­mun­gen zu­f­lie­ßen muß­ten, da­mit auf sie das Licht des Be­wußt­seins fal­len kön­ne, strömt jetzt gleich­­sam von in­nen ei­ne Welt, die zum Be­wußt­sein ge­langt. Auch zwi­schen Ge­burt und Tod lebt das Ich in die­ser Welt. Nur klei­det sich letz­te­re da in die Of­fen­ba­run­gen der Sin­ne; und nur da, wo das Ich mit Au­ßer­acht­las­sung al­ler Sin­nes­wahr­­neh­mung sich selbst in sei­nem «in­ners­ten Al­ler­hei­ligs­ten» wahr­nimmt, kün­digt sich das in un­mit­tel­ba­rer Ge­stalt an, was sonst nur in dem Sch­lei­er des Sinn­li­chen er­scheint. So wie die Wahr­neh­mung des Ich im In­nern vor dem To­de vor sich geht, so von in­nen her­aus of­fen­bart sich die geis­ti­ge Welt in ih­rer Fül­le nach dem To­de und nach der Läu­te­rung. Ei­gent­lich ist die­se Of­fen­ba­rung schon so­g­leich nach dem Ab­le­gen des Äther­lei­bes da; doch legt sich vor sie hin wie ei­ne ver­fins­tern­de Wol­ke die Welt der Be­gier­den, wel­che noch der äu­ße­ren Welt zu­ge­kehrt sind. Es ist da, wie wenn sich in ei­ne se­li­ge Welt geis­ti­gen Er­le­bens die schwar­zen

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dä­mo­ni­schen Schat­ten misch­ten, wel­che aus den im «Feu­er sich ver­zeh­ren­den» Be­gier­den ent­ste­hen. Ja nicht bloß Schat­ten, son­dern wir­k­li­che We­sen­hei­ten sind jetzt die­se Be­gier­­den; das zeigt sich so­fort, wenn die phy­si­schen Or­ga­ne vom Ich ent­fernt sind und die­ses da­durch wahr­neh­men kann, was geis­ti­ger Art ist. Als Zerr­bil­der und Ka­ri­ka­tu­ren des­sen er­schei­nen die­se We­sen, was dem Men­schen vor­her durch die sinn­li­che Wahr­neh­mung be­kannt ge­wor­den ist. Die über­­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung hat von die­ser Welt des Läu­te­rungs­feu­ers zu sa­gen, daß sie be­wohnt ist von We­sen, de­ren Aus­­­se­hen dem geis­ti­gen Au­ge grau­en­haft und sch­mer­zer­re­gend sein kann, de­ren Lust die Ver­nich­tung zu sein scheint und de­ren Lei­den­schaft auf ein Bö­ses sich rich­tet, ge­gen wel­ches das Bö­se der Sin­nen­welt un­be­deu­tend wirkt. Was der Mensch an den ge­kenn­zeich­ne­ten Be­gier­den in die­se Welt mit­bringt, das er­scheint für die­se We­sen­hei­ten wie ei­ne Nah­rung, durch wel­che ih­re Ge­wal­ten stets aufs neue Kräf­ti­gung und Stär­kung er­hal­ten. Das Bild, das so von ei­ner für die Sin­ne un­­wahr­nehm­ba­ren Welt ent­wor­fen wird, kann dem Men­schen we­ni­ger un­glaub­lich er­schei­nen, wenn er ein­mal mit ei­nem un­be­fan­ge­nen Bli­cke ei­nen Teil der Tier­welt be­trach­tet. Was ist für den geis­ti­gen Blick ein grau­sam her­um­zie­hen­der Wolf? Was of­fen­bart sich in­dem, was die Sin­ne an ihm wahr­­neh­men? Nichts an­de­res als ei­ne See­le, die in Be­gier­den lebt und sich durch die­se be­tä­tigt. Man kann die äu­ße­re Ge­stalt des Wolf es ei­ne Ver­kör­pe­rung die­ser Be­gier­den nen­nen. Und hät­te der Mensch kei­ne Or­ga­ne, um die­se Ge­stalt wahr­zu­neh­men, er müß­te das Da­sein des ent­sp­re­chen­den We­sens doch an­er­ken­nen, wenn sich des­sen Be­gier­den un­sicht­bar in ih­ren Wir­kun­gen zeig­ten, wenn al­so ei­ne für das Au­ge un­­sicht­ba­re Ge­walt her­um­sch­li­che, durch wel­che al­les das ge­­sche­hen

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könn­te, was durch den sicht­ba­ren Wolf ge­schieht. Nun, die We­sen des Läu­te­rungs­feu­ers sind zwar nicht für das sinn­li­che, son­dern nur für das über­sinn­li­che Be­wußt­sein vor­han­den; ih­re Wir­kun­gen lie­gen aber of­fen­kun­dig da: sie be­ste­hen in der Zer­stör­ung des Ich, wenn ih­nen die­ses Nah­rung gibt. Die­se Wir­kun­gen wer­den deut­lich sicht­bar, wenn sich der be­grün­de­te Ge­nuß zu Un­mä­ß­ig­keit und Aus­schwei­­fung stei­gert. Denn was den Sin­nen wahr­nehm­bar ist, wür­de auch das Ich nur in­so­weit rei­zen, als der Ge­nuß in sei­ner We­sen­heit be­grün­det ist. Das Tier wird nur durch das­je­ni­ge in der Au­ßen­welt zum Ver­lan­gen ge­trie­ben, wo­nach sei­ne drei Lei­ber be­geh­ren. Der Mensch hat höhe­re Ge­nüs­se, weil zu den drei Lei­bes­g­lie­dern noch das vier­te, das Ich, hin­zu­kommt. Wenn aber nun das Ich nach ei­ner sol­chen Be­frie­­di­gung ver­langt, die sei­nem We­sen nicht zur Er­hal­tung und För­de­rung, son­dern zur Zer­stör­ung di­ent, so kann ein sol­ches Ver­lan­gen we­der die Wir­kung sei­ner drei Lei­ber noch die­je­ni­ge sei­ner ei­ge­nen Na­tur sein, son­dern nur die­je­ni­ge von We­sen­hei­ten, wel­che den Sin­nen ver­bor­gen blei­ben ih­rer wah­ren Ge­stalt nach, die aber ge­ra­de an die höhe­re Na­tur des Ich sich her­an­ma­chen kön­nen und es zu Be­gier­den zu rei­zen ver­mö­gen, die nicht mit der Sinn­lich­keit zu­sam­­men­hän­gen, doch aber nur durch die­se be­frie­digt wer­den kön­nen. Es sind eben We­sen vor­han­den, wel­che Lei­den­­schaf­ten und Be­gier­den zu ih­rer Nah­rung ha­ben, die von sch­lim­me­rer Art als al­le tie­ri­schen sind, weil sie nicht im Sinn­li­chen sich aus­le­ben, son­dern das Geis­ti­ge er­g­rei­fen und die­ses in das sinn­li­che Feld her­un­ter­zie­hen. Die Ge­stal­ten sol­cher We­sen sind des­halb für den geis­ti­gen Blick häß­li­cher, grau­en­haf­ter als die Ge­stal­ten der wil­des­ten Tie­re, in de­nen sich doch nur Lei­den­schaf­ten ver­kör­pern, wel­che im Sinn­li­chen

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be­grün­det sind; und die zer­stö­ren­den Kräf­te die­ser We­sen über­ra­gen maß­los al­le Zer­stör­ungs­wut, wel­che in der sinn­lich wahr­nehm­ba­ren Tier­welt vor­han­den ist. Die über­sinn­li­che Er­kennt­nis muß auf die­se Art den Blick des Men­­schen wei­ten als auf ei­ne Welt von We­sen, die in ge­wis­ser Be­zie­hung nie­d­ri­ger steht als die sicht­ba­re zer­stör­ung­brin­­gen­de Tier­welt.

Wenn der Mensch nach dem To­de durch die­se Welt hin­­durch­ge­gan­gen ist, dann fin­det er sich ei­ner Welt ge­gen­über, wel­che Geis­ti­ges ent­hält und die auch nur ein Ver­lan­gen in ihm er­zeugt, das im Geis­ti­gen sei­ne Be­frie­di­gung fin­det. Aber auch jetzt un­ter­schei­det der Mensch zwi­schen dem, was zu sei­nem Ich ge­hört, und dem, was die Um­ge­bung die­ses Ich man kann auch sa­gen des­sen geis­ti­ge Au­ßen­welt bil­det. Nur strömt ihm das, was er von die­ser Um­ge­bung er­lebt, so zu, wie wäh­rend sei­nes Au­f­ent­hal­tes im Lei­be ihm die Wahr­neh­mung sei­nes ei­ge­nen Ich zu­s­trömt. Wäh­rend al­so die Um­ge­bung des Men­schen im Le­ben zwi­schen Ge­burt und Tod durch die Or­ga­ne sei­ner Lei­ber zu ihm spricht, dringt nach Ab­le­gung al­ler Lei­ber die Spra­che der neu­en Um­ge­bung un­mit­tel­bar in das «in­ners­te Hei­lig­tum» des Ich. Die gan­ze Um­ge­bung des Men­schen ist jetzt er­füllt von We­­sen­hei­ten, wel­che glei­cher Art sind mit sei­nem Ich, denn nur ein Ich hat zu ei­nem Ich den Zu­tritt. So wie Mi­ne­ra­li­en, Pflan­zen und Tie­re den Men­schen in der Sin­nen­welt um­­­ge­ben und die­se zu­sam­men­set­zen, so ist er nach dem To­de von ei­ner Welt um­ge­ben, die aus We­sen­hei­ten geis­ti­ger Art zu­sam­men­ge­setzt ist. Doch bringt der Mensch et­was, was in ihr nicht sei­ne Um­ge­bung ist, in die­se Welt mit; es ist das­je­ni­ge, was das Ich inn­er­halb der Sin­nen­welt er­lebt hat. Zu­­­nächst trat die Sum­me die­ser Er­leb­nis­se un­mit­tel­bar nach

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dem To­de, so­lan­ge der Äther­leib noch mit dem Ich ver­bun­­den war, als ein um­fas­sen­des Er­in­ne­rungs­ge­mäl­de auf. Der Äther­leib selbst wird dann zwar ab­ge­legt, aber von dem Er­in­ne­rungs­ge­mäl­de bleibt et­was als un­ver­gäng­li­cher Be­sitz des Ich zu­rück. Wie wenn man aus al­len Er­leb­nis­sen und Er­fah­run­gen, die zwi­schen Ge­burt und Tod an den Men­­schen her­an­ge­t­re­ten sind, ei­nen Ex­trakt, ei­nen Aus­zug ma­chen wür­de, so nimmt sich das aus, was da zu­rück­b­leibt. Es ist dies das geis­ti­ge Er­träg­nis des Le­bens, die Frucht des­­sel­ben. Die­ses Er­träg­nis ist geis­ti­ger Art. Es ent­hält al­les, was sich Geis­ti­ges durch die Sin­ne of­fen­bart. Aber oh­ne das Le­ben in der Sin­nen­welt hät­te es nicht zu­stan­de kom­men kön­nen. Die­se geis­ti­ge Frucht der Sin­nen­welt emp­fin­det nach dem To­de das Ich als das, was jetzt sei­ne ei­ge­ne, sei­ne In­nen­welt ist und wo­mit es die Welt be­tritt, die aus We­sen be­steht, die sich of­fen­ba­ren, wie nur sein Ich sich selbst in sei­nem tiefs­ten In­nern of­fen­ba­ren kann. Wie ein Pflan­zen­keim, der ein Ex­trakt der gan­zen Pflan­ze ist, sich aber nur ent­fal­tet, wenn er in ei­ne an­de­re Welt, in die Er­de, ver­senkt wird, so ent­fal­tet sich jetzt das­je­ni­ge, was das Ich aus der Sin­nen­welt mit­bringt, wie ein Keim, auf den die geis­ti­ge Um­ge­bung wirkt, die ihn nun­mehr auf­ge­nom­men hat. Die Wis­sen­schaft des Über­sinn­li­chen kann al­ler­dings nur Bil­der ge­ben, wenn sie schil­dern soll, was in die­sem «Geis­ter­land» vor­geht; doch kön­nen die­se Bil­der sol­che sein, wel­che dem über­sinn­li­chen Be­wußt­sein sich als wah­re Wir­k­lich­keit dar­­­s­tel­len, wenn es die ent­sp­re­chen­den, dem sinn­li­chen Au­ge un­sicht­ba­ren Er­eig­nis­se ver­folgt. Was da zu schil­dern ist, kann durch Ver­g­lei­che mit der Sin­nen­welt an­schau­lich ge­­macht wer­den. Denn trotz­dem es ganz geis­ti­ger Art ist, hat es Ähn­lich­keit in ge­wis­ser Be­zie­hung mit der sinn­li­chen Welt.

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Wie zum Bei­spiel in die­ser ei­ne Far­be er­scheint, wenn die­ser oder je­ner Ge­gen­stand auf das Au­ge wirkt, so stellt sich vor das Ich im «Geis­ter­lan­de» ein Er­leb­nis wie das durch ei­ne Far­be hin, wenn auf das­sel­be ein We­sen wirkt. Nur wird die­ses Er­leb­nis so her­vor­ge­bracht, wie inn­er­halb des Le­bens zwi­schen Ge­burt und Tod nur die Wahr­neh­mung des Ich im In­nern be­wirkt wer­den kann. Es ist nicht, wie wenn das Licht von au­ßen he­r­ein in den Men­schen fie­le, son­dern so, wie wenn ein an­de­res We­sen un­mit­tel­bar auf das Ich wirk­te und die­ses ver­an­laß­te, sich die­se Wir­kung in ei­nem Far­ben­bil­de vor­zu­s­tel­len. So fin­den al­le We­sen der geis­ti­gen Um­ge­bung des Ich in ei­ner far­ben­strah­len­den Welt ih­ren Aus­druck. Da sie ei­ne an­de­re Art der Ent­ste­hung ha­ben, sind selbst­ver­ständ­lich die­se Far­be­n­er­leb­nis­se der geis­ti­gen Welt auch von et­was an­de­rem Cha­rak­ter als die an den sinn­li­chen Far­ben. Auch für an­de­re Ein­drü­cke, wel­che der Mensch von der Sin­nen­welt emp­fängt, muß Ähn­li­ches ge­­sagt wer­den. Am ähn­lichs­ten den Ein­drü­cken die­ser Sin­nen­welt sind nun aber die Tö­ne der geis­ti­gen Welt. Und je mehr sich der Mensch ein­lebt in die­se Welt, des­to mehr wird sie für ihn ein in sich be­weg­tes Le­ben, das sich mit den Tö­nen und ih­rer Har­mo­nie in der sinn­li­chen Wir­k­lich­keit ver­g­lei­chen läßt. Nun fühlt er die Tö­ne nicht als et­was, das von au­ßen an ein Or­gan her­an­kommt, son­dern wie ei­ne Macht, die durch sein Ich in die Welt hin­aus­strömt. Er fühlt den Ton, wie in der Sin­nen­welt sein ei­ge­nes Sp­re­chen oder Sin­gen; nur weiß er in der geis­ti­gen Welt, daß die­se Tö­ne, die aus ihm strö­men, zu­g­leich die Kund­ge­bun­gen an­de­rer We­­sen­hei­ten sind, die durch ihn sich in die Welt er­gie­ßen. Ei­ne noch höhe­re Kund­ge­bung im «Geis­ter­land» fin­det statt, wenn der Ton zum «geis­ti­gen Wort» wird. Dann strömt

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durch das Ich nicht nur das be­weg­te Le­ben ei­nes an­dern gei­s­ti­gen We­sens, son­dern ein sol­ches We­sen selbst teilt sein In­ne­res die­sem Ich mit. Und oh­ne das Tren­nen­de, das ein je­des Bei­sam­men­sein in der Sin­nen­welt ha­ben muß, le­ben dann, wenn das Ich von dem «geis­ti­gen Wort» durch­strömt wird, zwei We­sen in­ein­an­der. Und in die­ser Art ist wir­k­lich das Bei­sam­men­sein von dem Ich mit an­dern geis­ti­gen We­sen nach dem To­de.

Vor das über­sinn­li­che Be­wußt­sein tre­ten drei Ge­bie­te des Geis­ter­lan­des, wel­che sich ver­g­lei­chen las­sen mit drei Tei­len der phy­si­schen Sin­nen­welt. Das ers­te Ge­biet ist ge­wis­ser­­ma­ßen das «fes­te Land» der geis­ti­gen Welt, das zwei­te das «Mee­res- und Fluß­ge­biet» und das drit­te der «Luft­kreis». Was auf der Er­de phy­si­sche For­men an­nimmt, so daß es durch phy­si­sche Or­ga­ne wahr­ge­nom­men wer­den kann, das wird sei­ner geis­ti­gen We­sen­heit nach in dem ers­ten Ge­biet des «Geis­ter­lan­des» wahr­ge­nom­men. Von ei­nem Kri­s­tall zum Bei­spiel kann da die Kraft wahr­ge­nom­­men wer­den, wel­che sei­ne Form bil­det. Nur ver­hält sich das­je­ni­ge, was sich da of­fen­bart, wie ein Ge­gen­satz des­sen, was in der Sin­nen­welt auf­tritt. Der Raum, wel­cher in der letz­te­ren Welt von der Ge­steins­mas­se aus­ge­füllt ist, er­scheint für den geis­ti­gen Blick wie ei­ne Art Hohl­raum; aber rings um die­sen Hohl­raum wird die Kraft ge­se­hen, wel­che die Form des Stei­nes bil­det. Ei­ne Far­be, wel­che der Stein in der Sin­nen­welt hat, er­scheint in der geis­ti­gen wie das Er­leb­nis der Ge­gen­far­be; al­so ein rot ge­färb­ter Stein ist vom Geis­ter­land aus ge­se­hen wie grün­lich, ein grü­ner wie röt­lich er­lebt usw. Auch die an­de­ren Ei­gen­schaf­ten er­schei­nen in ih­rem Ge­gen­sat­ze. Wie Stei­ne, Erd­mas­sen und der­g­lei­chen das fes­te Land das Kon­ti­nen­tal­ge­biet der sinn­li­chen Welt

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bil­den, so set­zen die dar­ge­s­tell­ten Ge­bil­de das «fes­te Land» der geis­ti­gen zu­sam­men. Al­les, was inn­er­halb der Sin­nen­welt Le­ben ist, das ist Mee­res­ge­biet im Geis­ti­gen. Dem sin­n­­li­chen Blick er­scheint das Le­ben in sei­nen Wir­kun­gen bei Pflan­zen, Tie­ren und Men­schen. Dem geis­ti­gen Au­ge ist das Le­ben ein strö­men­des We­sen, das wie Mee­re und Flüs­se das Geis­ter­land durch­setzt. Bes­ser noch ist der Ver­g­leich mit dem Kreis­lauf des Blu­tes im Lei­be. Denn wäh­rend sich die Mee­re und Flüs­se in der Sin­nen­welt als un­re­gel­mä­ß­ig ver­­­teilt dar­s­tel­len, herrscht in der Ver­tei­lung des strö­men­den Le­bens im Geis­ter­land ei­ne ge­wis­se Re­gel­mä­ß­ig­keit, wie im Blut­k­reis­lauf. Eben die­ses «strö­men­de Le­ben» wird gleich­zei­tig wie ein geis­ti­ges Tö­nen wahr­ge­nom­men. Das drit­te Ge­biet des Geis­ter­lan­des ist des­sen «Luft­kreis». Was in der Sin­nen­welt als Emp­fin­dung auf­tritt, das ist im Geist­ge­biet so al­les durch­drin­gend vor­han­den, wie die Luft auf der Er­de vor­han­den ist. Ein Meer von strö­men­der Emp­fin­dung hat man sich da vor­zu­s­tel­len. Leid und Sch­merz, Freu­de und Ent­zü­cken strö­men in die­sem Ge­bie­te wie Wind und Sturm im Luft­kreis der sinn­li­chen Welt. Man den­ke an ei­ne Schlacht, die auf Er­den ge­schla­gen wird. Da ste­hen ein­an­der nicht bloß Ge­stal­ten der Men­schen ge­gen­über, die das sinn­li­che Au­ge se­hen kann, son­dern Ge­füh­le ste­hen ge­gen Ge­­füh­le, Lei­den­schaf­ten ge­gen Lei­den­schaf­ten; Sch­mer­zen er­­fül­len das Schlacht­feld eben­so wie Men­schen­ge­stal­ten. Al­les, was da lebt an Lei­den­schaft, an Sch­merz, an Sie­ges­f­reu­de, das ist nicht nur vor­han­den, in­so­fern es sich in sinn­lich-wahr­nehm­ba­ren Wir­kun­gen of­fen­bart; es kommt dem gei­s­ti­gen Sin­ne zum Be­wußt­sein als Vor­gang des Luft­k­rei­ses im Geis­ter­land. Ein sol­ches Er­eig­nis ist im Geis­ti­gen wie ein Ge­wit­ter in der phy­si­schen Welt. Und die Wahr­neh­mung

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die­ser Er­eig­nis­se läßt sich ver­g­lei­chen mit dem Hö­ren der Wor­te in der phy­si­schen Welt. Des­halb sagt man: wie die Luft die Er­den­we­sen ein­hüllt und durch­dringt, so die «we­hen­den geis­ti­gen Wor­te» die We­sen und Vor­gän­ge des Gei­s­ter­lan­des.

Und wei­te­re Wahr­neh­mun­gen sind noch mög­lich in die­­ser geis­ti­gen Welt. Auch das ist hier vor­han­den, was sich mit der Wär­me und mit dem Lich­te der phy­si­schen Welt ver­g­lei­chen läßt. Was wie die Wär­me die ir­di­schen Din­ge und We­sen al­les im Geis­ter­lan­de durch­dringt, das ist die Ge­dan­ken­welt selbst. Nur sind die Ge­dan­ken da als le­ben­de, selb­stän­di­ge We­sen vor­zu­s­tel­len. Was der Mensch in der of­fen­ba­ren Welt als Ge­dan­ken er­faßt, das ist wie ein Schat­ten des­sen, was als Ge­dan­ken­we­sen im Geis­ter­lan­de lebt. Man den­ke sich den Ge­dan­ken, wie er im Men­schen vor­han­den ist, her­aus­ge­ho­ben aus die­sem Men­schen und als tä­ti­ges, han­deln­des We­sen mit ei­nem ei­ge­nen In­nen­le­ben be­gabt, so hat man ei­ne schwa­che Ver­bild­li­chung des­sen, was das vier­te Ge­biet des Geis­ter­lan­des er­füllt. Was der Mensch als Ge­dan­ken in sei­ner phy­si­schen Welt zwi­schen Ge­burt und Tod wahr­nimmt, das ist nur die Of­fen­ba­rung der Ge­­dan­ken­welt, so wie sie durch die Werk­zeu­ge der Lei­ber sich bil­den kann. Aber al­les, was der Mensch an sol­chen Ge­dan­ken hegt, die ei­ne Be­rei­che­rung in der phy­si­schen Welt be­­deu­ten, das hat aus die­sem Ge­bie­te her­aus sei­nen Ur­sprung. Man braucht bei sol­chen Ge­dan­ken nicht bloß an die Ide­en der gro­ßen Er­fin­der, der ge­nia­len Per­so­nen. zu den­ken, son­dern man kann bei je­dem Men­schen se­hen, wie er «Ein­fäl­le» hat, die er nicht bloß der Au­ßen­welt ver­dankt, son­dern durch die er die­se Au­ßen­welt selbst um­ge­stal­tet. So­weit Ge­füh­le, Lei­den­schaf­ten in Be­tracht kom­men, zu

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de­nen die Ver­an­las­sung in der äu­ße­ren Welt liegt, so weit sind die­se Ge­füh­le usw. in das drit­te Ge­biet des Geis­ter­­lan­des zu ver­set­zen; al­les das aber, was in der Men­schen­see­le so le­ben kann, daß der Mensch ein Schaf­fen­der wird, daß er um­ge­stal­tend und be­fruch­tend auf sei­ne Um­welt wirkt: das wird in sei­ner ur­ei­ge­nen, we­sen­haf­ten Ge­stalt of­fen­bar im vier­ten Fel­de der geis­ti­gen Welt. Was in der fünf­ten Re­gi­on vor­han­den ist, darf mit dem phy­si­schen Licht ver­­g­li­chen wer­den. Es ist in sei­ner ur­ei­ge­nen Ge­stalt sich of­fen­­ba­ren­de Weis­heit. We­sen, wel­che Weis­heit in ih­re Um­ge­bung er­gie­ßen, wie die Son­ne Licht auf phy­si­sche We­sen, ge­hö­ren die­sem Ge­bie­te an. Was be­schie­nen wird von die­ser Weis­heit, das zeigt sich in sei­nem wah­ren Sinn und sei­ner Be­deu­tung für die geis­ti­ge Welt, wie ein phy­si­sches We­sen sei­ne Far­be zeigt, wenn es vom Lich­te be­schie­nen wird. Es gibt noch höhe­re Ge­bie­te des Geis­ter­lan­des; sie wer­den ih­re Dar­s­tel­­lung an ei­ner spä­te­ren Stel­le die­ser Schrift fin­den.

In die­se Welt wird nach dem To­de das Ich ein­ge­senkt mit dem Er­träg­nis, das es aus dem sinn­li­chen Le­ben mit­bringt. Und die­ses Er­träg­nis ist noch ve­r­ei­nigt mit je­nem Tei­le des As­tral­lei­bes, der am En­de der Läu­te­rungs­zeit nicht ab­ge­wor­­fen wird. Es fällt ja nur je­ner Teil ab, wel­cher nach dem To­de mit sei­nen Be­gier­den und Wün­schen dem phy­si­schen Le­ben zu­ge­wandt war. Die Ein­sen­kung des Ich mit dem, was es aus der sinn­li­chen Welt sich zu­ge­eig­net hat, in die geis­ti­ge Welt, läßt sich mit dem Ein­bet­ten ei­nes Sa­men­korns in die rei­fen­de Er­de ver­g­lei­chen. Wie die­ses Sa­men­korn die Stof­fe und Kräf­te aus sei­ner Um­ge­bung heran­zieht, um sich zu ei­ner neu­en Pflan­ze zu ent­fal­ten, so ist Ent­fal­tung und Wachs­tum das We­sen des in die geis­ti­ge Welt ein­ge­senk­ten Ich. In dem­je­ni­gen, was ein Or­gan wahr­nimmt, liegt auch

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die Kraft ver­bor­gen, durch wel­che die­ses Or­gan selbst ge­­bil­det wird. Das Au­ge nimmt das Licht wahr. Aber oh­ne das Licht gä­be es kein Au­ge. We­sen, wel­che ihr Le­ben im Fins­tern zu­brin­gen, bil­den an sich kei­ne Werk­zeu­ge zum Se­hen aus. So aber ist der gan­ze leib­li­che Mensch her­aus­­ge­schaf­fen aus den ver­bor­ge­nen Kräf­ten des­sen, was durch die Glie­der der Lei­ber wahr­ge­nom­men wird. Der phy­si­sche Leib ist durch die Kräf­te der phy­si­schen Welt, der Äther­leib durch die­je­ni­gen der Le­bens­welt au­f­er­baut, und der As­tral­­leib ist aus der as­tra­len Welt her­aus­ge­stal­tet. Wenn nun das Ich in das Geis­ter­land ver­setzt ist, so tre­ten ihm eben je­ne Kräf­te ent­ge­gen, die für die phy­si­sche Wahr­neh­mung ver­­­bor­gen blei­ben. Was im ers­ten Ge­biet des Geis­ter­lan­des sicht­bar wird, das sind die geis­ti­gen We­sen­hei­ten, wel­che den Men­schen im­mer um­ge­ben und die sei­nen phy­si­schen Leib auch auf­ge­baut ha­ben. In der phy­si­schen Welt nimmt der Mensch al­so nichts an­de­res wahr als die Of­fen­ba­run­gen der­je­ni­gen geis­ti­gen Kräf­te, wel­che sei­nen ei­ge­nen phy­si­schen Leib auch ge­stal­tet ha­ben. Nach dem To­de ist er eben mit­ten un­ter die­sen ge­stal­ten­den Kräf­ten selbst, die sich ihm jetzt in ih­rer ei­ge­nen, vor­her ver­bor­ge­nen Ge­stalt zei­gen. Eben­so ist er durch die zwei­te Re­gi­on in­mit­ten der Kräf­te, aus de­nen sein Äther­leib be­steht; in der drit­ten Re­gi­on strö­men ihm die Mäch­te zu, aus de­nen sein As­tral­leib her­aus­ge­g­lie­dert ist. Auch die höhe­ren Ge­bie­te des Geis­ter­lan­des las­sen ihm jetzt das zu­f­lie­ßen, aus dem er im Le­ben zwi­schen Ge­burt und Tod auf­ge­baut ist.

Die­se We­sen­hei­ten der geis­ti­gen Welt wir­ken nun­mehr zu­sam­men mit dem, was der Mensch als Frucht aus dem vo­ri­gen Le­ben mit­ge­bracht hat und was jetzt zum Kei­me wird. Und durch die­ses Zu­sam­men­wir­ken wird der Mensch

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zu­nächst als geis­ti­ges We­sen aufs neue auf­ge­baut. Im Schla­fe blei­ben der phy­si­sche Leib und der Äther­leib be­ste­hen; der As­tral­leib und das Ich sind zwar au­ßer­halb die­ser bei­den, aber noch mit ih­nen ver­bun­den. Was die­se in sol­chem Zu­­­stan­de an Ein­flüs­sen aus der geis­ti­gen Welt emp­fan­gen, kann nur die­nen, die wäh­rend des Wa­chens er­sc­höpf­ten Kräf­te wie­der­her­zu­s­tel­len. Nach­dem aber der phy­si­sche Leib und der Äther­leib ab­ge­legt sind und nach der Läu­te­rungs­zeit auch je­ne Tei­le des As­tral­lei­bes, die noch durch ih­re Be­gier­­den mit der phy­si­schen Welt zu­sam­men­hän­gen, wird nun al­les, was aus der geis­ti­gen Welt dem Ich zu­s­trömt, nicht nur zum Ver­bes­se­rer, son­dern zum Neu­ge­stal­ter. Und nach ei­ner, ge­wis­sen Zeit, über wel­che in spä­te­ren Tei­len die­ser Schrift zu sp­re­chen ist, hat sich um das Ich her­um ein As­tral­­leib ge­g­lie­dert, der wie­der in ei­nem sol­chen Äther­leib und phy­si­schen Leib woh­nen kann, wie sie dem Men­schen zwi­­schen Ge­burt und Tod ei­gen sind. Der Mensch kann wie­der durch ei­ne Ge­burt ge­hen und in ei­nem er­neu­ten Er­den­da­sein er­schei­nen, das nun in sich ein­ge­g­lie­dert hat die Frucht des frühe­ren Le­bens. Bis zu der Neu­ge­stal­tung ei­nes As­tral­­lei­bes ist der Mensch Zeu­ge sei­nes Wie­der­auf­bau­es. Da sich ihm die Mäch­te des Geis­ter­lan­des nicht durch äu­ße­re Or­­ga­ne, son­dern von in­nen aus of­fen­ba­ren, wie das ei­ge­ne Ich im Selbst­be­wußt­sein, so kann er die­se Of­fen­ba­rung wahr­­neh­men, so­lan­ge sein Sinn noch nicht auf ei­ne äu­ße­re Wahr­­neh­mungs­welt ge­rich­tet ist. Von dem Au­gen­bli­cke an, wo der As­tral­leib neu­ge­stal­tet ist, kehrt sich die­ser Sinn aber nach au­ßen. Der As­tral­leib ver­langt nun­mehr wie­der ei­nen äu­ße­ren Äther­leib und phy­si­schen Kör­per. Er wen­det sich da­mit ab von den Of­fen­ba­run­gen des In­nern. Des­halb gibt es jetzt ei­nen Zwi­schen­zu­stand, in dem der Mensch in

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Be­wußt­lo­sig­keit ver­sinkt. Das Be­wußt­sein kann erst wie­der in der phy­si­schen Welt auf­tau­chen, wenn die zur phy­si­schen Wahr­neh­mung not­wen­di­gen Or­ga­ne ge­bil­det sind. In die­­ser Zeit, in wel­cher das durch in­ne­re Wahr­neh­mung er­leuch­­te­te Be­wußt­sein auf­hört, be­ginnt sich nun der neue Äther­­leib an den As­tral­leib an­zu­g­lie­dern, und der Mensch kann dann auch wie­der in ei­nen phy­si­schen Leib ein­zie­hen. An die­sen bei­den An­g­lie­de­run­gen könn­te sich mit Be­wußt­sein nur ein sol­ches Ich be­tei­li­gen, wel­ches von sich aus die im Äther­leib und phy­si­schen Leib ver­bor­gen schaf­fen­den Kräf­te, den Le­bens­geist und den Geis­tes­men­schen, er­zeugt hat. So­lan­ge der Mensch nicht so­weit ist, müs­sen We­sen­hei­ten, die wei­ter in ih­rer Ent­wi­cke­lung sind als er selbst, die­se An­­g­lie­de­rung lei­ten. Der As­tral­leib wird von sol­chen We­sen­hei­ten zu ei­nem El­tern­paa­re ge­lei­tet, so daß er mit dem en­t­­­sp­re­chen­den Äther­leib und phy­si­schen Lei­be be­gabt wer­den kann. Be­vor die An­g­lie­de­rung des Äther­lei­bes sich vol­l­­zieht, er­eig­net sich nun et­was au­ßer­or­dent­lich Be­deut­sa­mes für den wie­der ins phy­si­sche Da­sein tre­ten­den Men­schen. Die­ser hat ja in sei­nem vo­ri­gen Le­ben stö­ren­de Mäch­te ge­schaf­fen, die sich bei der Rück­wärts­wan­de­rung nach dem To­de ge­zeigt ha­ben. Man neh­me das früh­er er­wähn­te Bei­­spiel wie­der auf. Der Mensch ha­be aus ei­ner Zorn­auf­wal­­lung her­aus in dem vier­zigs­ten Jah­re sei­nes vo­ri­gen Le­bens je­mand Sch­merz zu­ge­fügt. Nach dem To­de trat ihm die­ser Sch­merz des an­dern als ei­ne stö­ren­de Kraft für die En­t­­wi­cke­lung des ei­ge­nen Ich ent­ge­gen. Und so ist es mit al­len sol­chen Vor­fäl­len des vo­ri­gen Le­bens. Beim Wie­de­r­ein­tritt in das phy­si­sche Le­ben ste­hen nun die­se Hin­der­nis­se der En­t­­wi­cke­lung wie­der vor dem Ich. Wie mit dem Ein­trit­te des To­des ei­ne Art Er­in­ne­rungs­ge­mäl­de vor dem men­sch­li­chen

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Ich ge­stan­den hat, so jetzt ein Vor­blick auf das kom­men­de Le­ben. Wie­der sieht der Mensch ein sol­ches Ge­mäl­de, das jetzt all die Hin­der­nis­se zeigt, wel­che der Mensch hin­we­g­zu­räu­men hat, wenn sei­ne Ent­wi­cke­lung wei­ter­ge­hen soll. Und das, was er so sieht, wird der Aus­gangs­punkt von Kräf­ten, wel­che der Mensch ins neue Le­ben mit­neh­men muß. Das Bild des Sch­mer­zes, den er dem an­dern zu­ge­fügt hat, wird zur Kraft, die das Ich, wenn es nun wie­der ins Le­­ben ein­tritt, an­t­reibt, die­sen Sch­merz wie­der gut­zu­ma­chen. So wirkt al­so das vor­gän­gi­ge Le­ben be­stim­mend auf das neue. Die Ta­ten die­ses neu­en Le­bens sind durch je­ne des vo­ri­gen in ei­ner ge­wis­sen Wei­se ver­ur­sacht. Die­sen ge­setz­mä­ß­i­gen Zu­sam­men­hang ei­nes frühe­ren Da­seins mit ei­nem spä­te­ren hat man als das Ge­setz des Schick­sals an­zu­se­hen; man ist ge­wohnt ge­wor­den, es mit dem aus der mor­gen­län­di­schen Weis­heit ent­lehn­ten Aus­druck «Kar­ma» zu be­zeich­nen.

Der Auf­bau ei­nes neu­en Lei­bes­zu­sam­men­han­ges ist je­doch nicht die ein­zi­ge Tä­tig­keit, wel­che dem Men­schen zwi­­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt ob­liegt. Wäh­rend die­ser Auf­bau ge­schieht, lebt der Mensch au­ßer­halb der phy­si­schen Welt. Die­se sch­rei­tet aber wäh­rend die­ser Zeit in ih­rer Ent­wi­cke­lung wei­ter. In ver­hält­nis­mä­ß­ig kur­zen Zei­träu­men än­dert die Er­de ihr Ant­litz. Wie hat es vor ei­ni­gen Jahr­tau­sen­den in den Ge­bie­ten aus­ge­se­hen, wel­che ge­gen­wär­tig von Deut­sch­land ein­ge­nom­men wer­den? Wenn der Mensch in ei­nem neu­en Da­sein auf der Er­de er­scheint, sieht die­se in der Re­gel nie­mals wie­der so aus, wie sie zur Zeit sei­nes letz­ten Le­bens aus­ge­se­hen hat. Wäh­rend er von der Er­de ab­we­send war, hat al­les mög­li­che sich ge­än­dert. In die­ser Än­de­rung des Ant­lit­zes der Er­de wir­ken nun auch ver­bor­ge­ne Kräf­te. Sie wir­ken aus der­sel­ben Welt her­aus,

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in wel­cher sich der Mensch nach dem To­de be­fin­det. Und er selbst muß an die­ser Um­ge­stal­tung der Er­de mit­wir­ken. Er kann es nur un­ter der An­füh­rung von höhe­ren We­sen­hei­ten, so­lan­ge er sich nicht durch die Er­zeu­gung von Le­bens­geist und Geis­tes­men­schen ein kla­res Be­wußt­sein über den Zu­­­sam­men­hang zwi­schen dem Geis­ti­gen und des­sen Aus­druck im Phy­si­schen an­ge­eig­net hat. Aber er schafft mit an der Um­wand­lung der ir­di­schen Ver­hält­nis­se. Man kann sa­gen, die Men­schen ge­stal­ten wäh­rend der Zeit vom To­de bis zu ei­ner neu­en Ge­burt die Er­de so um, daß de­ren Ver­hält­nis­se zu dem pas­sen, was sich in ih­nen selbst ent­wi­ckelt hat. Wenn wir ei­nen Er­den­f­leck be­trach­ten in ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt und dann nach lan­ger Zeit wie­der in ei­nem völ­lig ve­r­än­der­ten Zu­stan­de, so sind die Kräf­te, wel­che die­se Ver­­än­de­rung her­bei­ge­führt ha­ben, bei den to­ten Men­schen. In sol­cher Art ste­hen die­se auch zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt mit der Er­de in Ver­bin­dung. Das über­sin­n­­li­che Be­wußt­sein sieht in al­lem phy­si­schen Da­sein die Of­fen­­ba­rung ei­nes ver­bor­ge­nen Geis­ti­gen. Für die phy­si­sche Be­o­b­ach­tung wirkt auf die Um­ge­stal­tung der Er­de das Licht der Son­ne, die Wan­de­lun­gen des Kli­mas usw. Für die über­­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung wal­tet in dem Licht­strahl, der von der Son­ne auf die Pflan­ze fällt, die Kraft der to­ten Men­­schen. Die­ser Be­o­b­ach­tung kommt zum Be­wußt­sein, wie Men­schen­see­len die Pflan­zen um­schwe­ben, wie sie den Er­d­­bo­den wan­deln und ähn­li­ches. Nicht bloß sich selbst, nicht al­lein der Vor­be­rei­tung zu sei­nem ei­ge­nen neu­en Er­den­da­sein ist der Mensch nach dem To­de zu­ge­wandt. Nein, er ist da be­ru­fen, an der äu­ße­ren Welt geis­tig zu schaf­fen, wie er im Le­ben zwi­schen Ge­burt und Tod phy­sisch zu schaf­fen be­ru­fen ist.

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Es wirkt aber nicht nur das Le­ben des Men­schen vom Geis­ter­lan­de aus auf die Ver­hält­nis­se der phy­si­schen Welt ein, son­dern um­ge­kehrt auch die Tä­tig­keit im .phy­si­schen Da­sein hat ih­re Wir­kun­gen in der geis­ti­gen Welt. Ein Bei­­spiel kann ver­an­schau­li­chen, was in die­ser Be­zie­hung ge­­schieht. Es be­steht ein Band der Lie­be zwi­schen Mut­ter und Kind. Von der An­zie­hung zwi­schen bei­den, die in Kräf­ten der Sin­nen­welt wur­zelt, geht die­se Lie­be aus. Aber sie wan­­delt sich im Lau­fe der Zei­ten. Aus dem sinn­li­chen Ban­de wird im­mer mehr ein geis­ti­ges. Und die­ses geis­ti­ge Band wird nicht nur für die phy­si­sche Welt ge­wo­ben, son­dern auch für das Geis­ter­land. Auch mit an­dern Ver­hält­nis­sen ist es so. Was in der phy­si­schen Welt durch Geist­we­sen ge­s­pon­nen wird, das bleibt in der geis­ti­gen Welt be­ste­hen. Freun­de, die sich im Le­ben in­nig ver­bun­den ha­ben, ge­hö­ren auch im Geis­ter­lan­de zu­sam­men; und nach Ab­le­gung der Lei­ber sind sie noch in ei­ner viel in­ni­ge­ren Ge­mein­schaft als im phy­si­schen Le­ben. Denn als Geis­ter sind sie so fü­r­e­in­an­­der da, wie das oben bei den Of­fen­ba­run­gen geis­ti­ger We­sen an an­de­re durch das In­ne­re be­schrie­ben wor­den ist. Und ein Band, das zwi­schen zwei Men­schen ge­wo­ben wor­den ist, führt sie auch in ei­nem neu­en Le­ben wie­der zu­sam­men. Im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes muß da­her von ei­nem Wie­der­­fin­den der Men­schen nach dem To­de ge­spro­chen wer­den.

Was sich ein­mal mit dem Men­schen voll­zo­gen hat, von der Ge­burt bis zum To­de und von da bis zu ei­ner neu­en Ge­burt, das wie­der­holt sich. Der Mensch kehrt im­mer wie­der auf die Er­de zu­rück, wenn die Frucht, die er in ei­nem phy­­si­schen Le­ben er­wor­ben hat, im Geis­ter­lan­de zur Rei­fe ge­­kom­men ist. Doch be­steht nicht ei­ne Wie­der­ho­lung oh­ne An­fang und En­de, son­dern der Mensch ist ein­mal aus an­de­ren

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Da­s­eins­for­men in sol­che über­ge­t­re­ten, wel­che in der ge­kenn­zeich­ne­ten Art ver­lau­fen, und er wird in der Zu­kunft zu an­dern über­ge­hen. Der Aus­blick auf die­se Über­gangs­stu­fen wird sich er­ge­ben, wenn im Sin­ne des über­sinn­li­chen Be­wußt­seins im fol­gen­den die Ent­wi­cke­lung des Wel­talls im Zu­sam­men­hang mit dem Men­schen ge­schil­dert wird.

Die Vor­gän­ge zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt sind für die äu­ße­re sinn­li­che Be­o­b­ach­tung na­tür­lich noch ver­bor­ge­ner als das­je­ni­ge, was dem of­fen­ba­ren Da­sein zwi­schen Ge­burt und Tod als Geis­ti­ges zu­grun­de liegt. Die­se sinn­li­che Be­o­b­ach­tung kann für die­sen Teil der ver­bor­ge­nen Welt die Wir­kun­gen nur da se­hen, wo sie ins phy­si­sche Da­­sein ein­t­re­ten. Es muß für sie die Fra­ge sein, ob der Mensch, der durch die Ge­burt ins Da­sein tritt, et­was mit­bringt von dem, was die über­sinn­li­che Er­kennt­nis von Vor­gän­gen zwi­­schen ei­nem vo­ri­gen To­de und der Ge­burt be­sch­reibt. Wenn je­mand ein Schne­cken­haus fin­det, in dem nichts von ei­nem Tie­re zu mer­ken ist, so wird er doch nur an­er­ken­nen, daß die­ses Schne­cken­haus durch die Tä­tig­keit ei­nes Tie­res ent­stan­den ist, und kann nicht glau­ben, daß es sich durch blo­ße phy­si­sche Kräf­te in sei­ner Form zu­sam­men­ge­fügt hat. Eben­so kann je­mand, der den Men­schen im Le­ben be­trach­tet und et­was fin­det, was aus die­sem Le­ben nicht stam­men kann, ver­nünf­ti­ger­wei­se zu­ge­ben, daß es von dem stammt, was die Wis­sen­schaft des Über­sinn­li­chen be­sch­reibt, wenn da­­durch ein er­klä­ren­des Licht auf das sonst Un­er­klär­li­che fällt. So könn­te auch da die sinn­lich-ver­stän­di­ge Be­o­b­ach­tung aus den sicht­ba­ren Wir­kun­gen die un­sicht­ba­ren Ur­sa­chen be­g­reif­lich fin­den. Und wer dies Le­ben völ­lig un­be­fan­gen be­trach­tet, dem wird sich auch das mit je­der neu­en Be­o­b­ach­­tung im­mer mehr als das Rich­ti­ge er­ge­ben. Nur han­delt es

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sich dar­um, den rich­ti­gen Ge­sichts­punkt zu fin­den, um die Wir­kun­gen im Le­ben zu be­o­b­ach­ten. Wo lie­gen zum Bei­­spiel die Wir­kun­gen des­sen, was die über­sinn­li­che Er­kenn­t­­nis als Vor­gän­ge der Läu­te­rungs­zeit schil­dert? Wie tritt die Wir­kung des­sen zu­ta­ge, was der Mensch nach die­ser Läu­­te­rungs­zeit im rein geis­ti­gen Ge­bie­te, nach den An­ga­ben der geis­ti­gen For­schung, er­le­ben soll?

Rät­sel drän­gen sich je­der erns­ten, tie­fen Le­bens­be­trach­­tung auf die­sem Fel­de ge­nug auf. Man sieht den ei­nen Men­schen in Not und Elend ge­bo­ren, mit nur ge­rin­gen Be­ga­bun­gen aus­ge­stat­tet, so daß er durch die­se mit sei­ner Ge­burt ge­ge­be­nen Tat­sa­chen zu ei­nem er­bärm­li­chen Da­sein vor­her­be­stimmt er­scheint. Der an­de­re wird von dem ers­ten Au­gen­bli­cke sei­nes Da­seins an von sor­gen­den Hän­den und Her­zen ge­hegt und gepf­legt; es ent­fal­ten sich bei ihm glän­zen­de Fähig­kei­ten; er ist zu ei­nem frucht­ba­ren, be­frie­di­gen­­den Da­sein ver­an­lagt. Zwei ent­ge­gen­ge­setz­te Ge­sin­nun­gen kön­nen sich ge­gen­über sol­chen Fra­gen gel­tend ma­chen. Die ei­ne wird an dem haf­ten wol­len, was die Sin­ne wahr­neh­men und der an die­se Sin­ne sich hal­ten­de Ver­stand be­g­rei­fen kann. Da­rin, daß ein Mensch in das Glück, der an­de­re ins Un­glück hin­ein­ge­bo­ren wird, wird die­se Ge­sin­nung kei­ne Fra­ge se­hen. Sie wird, wenn sie auch nicht das Wort «Zu­fall» ge­brau­chen will, doch nicht da­ran den­ken, ir­gend­ei­nen ge­­setz­mä­ß­i­gen Zu­sam­men­hang an­zu­neh­men, der sol­ches be­wirkt. Und in be­zug auf die An­la­gen, die Be­ga­bun­gen wird ei­ne sol­che Vor­stel­lungs­art sich an das hal­ten, was von El­tern, Vor­el­tern und sons­ti­gen Ah­nen «ver­erbt» ist. Sie wird es ab­leh­nen, die Ur­sa­chen in geis­ti­gen Vor­gän­gen zu su­chen, wel­che der Mensch selbst vor sei­ner Ge­burt ab­seits von der Ver­er­bungs­li­nie sei­ner Ah­nen durch­ge­macht hat und

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durch die er sich sei­ne An­la­gen und Be­ga­bun­gen ge­stal­tet hat. Ei­ne an­de­re Ge­sin­nung wird sich durch ei­ne sol­che Auf­fas­sung un­be­frie­digt füh­len. Sie wird sa­gen: es ge­schieht doch auch in der of­fen­ba­ren Welt nichts an ei­nem be­stim­m­­ten Or­te oder in ei­ner be­stimm­ten Um­ge­bung, oh­ne daß man Ur­sa­chen vor­aus­set­zen müß­te, warum dies der Fall ist. Mag auch in vie­len Fäl­len der Mensch die­se Ur­sa­chen noch nicht er­forscht ha­ben, vor­han­den sind sie. Ei­ne Al­pen­blu­me wächst nicht in der Tie­f­e­be­ne. Ih­re Na­tur hat et­was, was sie mit der Al­pen­ge­gend zu­sam­men­bringt. Eben­so muß es in ei­nem Men­schen et­was ge­ben, was ihn in ei­ne be­stimm­te Um­ge­bung hin­ein­ge­bo­ren wer­den läßt. Mit Ur­sa­chen, die bloß in der phy­si­schen Welt lie­gen, ist es da­bei nicht ge­tan. Sie neh­men sich für den tie­fer Den­ken­den so aus, als wenn die Tat­sa­che, daß je­mand ei­nem an­dern ei­nen Schlag ver­­­setzt ha­be, nicht mit den Ge­füh­len des ers­te­ren, son­dern mit dem phy­si­schen Me­cha­nis­mus sei­ner Hand er­klärt wer­den soll­te. Eben­so un­be­frie­digt muß sich die­se Ge­sin­nung mit al­ler Er­klär­ung aus der blo­ßen «Ver­er­bung» bei An­la­gen und Be­ga­bun­gen zei­gen. Man mag von ihr im­mer­hin sa­gen: se­het, wie sich be­stimm­te An­la­gen in Fa­mi­li­en for­ter­ben. In zwei und ei­nem hal­ben Jahr­hun­dert ha­ben sich die mu­si­ka­­li­schen An­la­gen in den Glie­dern der Fa­mi­lie Bach ver­erbt. Aus der Fa­mi­lie Ber­noul­li sind acht Ma­the­ma­ti­ker her­vor­­­ge­gan­gen, die zum Teil in ih­rer Kind­heit zu ganz an­de­ren Be­ru­fen be­stimmt wa­ren. Aber die «ver­erb­ten» Be­ga­bun­gen ha­ben sie im­mer zu dem Fa­mi­li­en­be­ruf hin­ge­trie­ben. Man mag fer­ner dar­auf ver­wei­sen, wie man durch ei­ne ge­naue Er­for­schung der Vor­fah­ren­rei­he ei­ner Per­sön­lich­keit zei­gen kön­ne, daß in der ei­nen oder der an­de­ren Wei­se sich die Be­­ga­bung die­ser Per­sön­lich­keit bei den Ah­nen ge­zeigt ha­be

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und daß sie sich nur als ei­ne Sum­mie­rung ver­erb­ter An­la­gen dar­s­tellt. Wer die an­ge­deu­te­te zwei­te Art der Ge­sin­nung hat, wird sol­che Tat­sa­chen ge­wiß nicht au­ßer acht las­sen; sie kön­nen ihm aber nicht sein, was sie dem sind, der sich nur auf die Vor­gän­ge in der Sin­nen­welt bei sei­nen Er­klär­un­gen stüt­zen will. Der ers­te­re wird dar­auf hin­wei­sen, daß sich eben­so­we­nig die ver­erb­ten An­la­gen von selbst zur Ge­sam­t­­per­sön­lich­keit sum­mie­ren kön­nen, wie sich die Me­tall­tei­le der Uhr zu die­ser von selbst for­mie­ren. Und wenn man ihm ein­wen­det, daß ja doch das Zu­sam­men­wir­ken der El­tern die Kom­bi­na­ti­on der An­la­gen be­wir­ken kön­ne, al­so die­ses gleich­sam an die Stel­le des Uhr­ma­chers tre­te, so wird er er­wi­dern: Se­het mit Un­be­fan­gen­heit auf das völ­lig Neue hin, das mit je­der Kin­des-Per­sön­lich­keit ge­ge­ben ist; die­ses kann nicht von den El­tern kom­men, ein­fach des­halb nicht, weil es in die­sen nicht vor­han­den ist.

Ein un­kla­res Den­ken kann auf die­sem Ge­biet viel Ver­­wir­rung stif­ten. Am sch­limms­ten ist es, wenn von den Trä­­gern der ers­ten Ge­sin­nung die­je­ni­gen der letz­te­ren als Ge­g­­ner des­sen hin­ge­s­tellt wer­den, was doch auf «si­che­re Ta­t­­sa­chen» sich stützt. Aber es braucht die­sen letz­te­ren gar nicht in den Sinn zu kom­men, die­sen Tat­sa­chen ih­re Wahr­heit oder ih­ren Wert ab­zu­sp­re­chen. Sie se­hen zum Bei­spiel durch­­aus auch, daß sich ei­ne be­stimm­te Geis­tes­an­la­ge, ja Geis­tes­rich­tung in ei­ner Fa­mi­lie «fort­erbt» und daß ge­wis­se An­la­gen, in ei­nem Nach­kom­men sum­miert und kom­bi­niert, ei­ne be­deu­ten­de Per­sön­lich­keit er­ge­ben. Sie ver­mö­gen durch­aus zu­zu­ge­ben, wenn man ih­nen sagt, daß der be­deu­tends­te Na­me sel­ten an der Spit­ze, son­dern am En­de ei­ner Bluts­ge­nos­sen­schaft steht. Man soll­te es ih­nen aber nicht übel ver­mer­ken, wenn sie ge­zwun­gen sind, dar­aus ganz an­de­re

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Ge­dan­ken zu bil­den als die­je­ni­gen, wel­che nur beim Sinn­lich-Tat­säch­li­chen ste­hen­b­lei­ben wol­len. Den letz­te­ren kann eben er­wi­dert wer­den: Ge­wiß zeigt ein Mensch die Merk­ma­le sei­­ner Vor­fah­ren, denn das Geis­tig-See­li­sche, wel­ches durch die Ge­burt in das phy­si­sche Da­sein tritt, ent­nimmt sei­ne Lei­b­­lich­keit dem, was ihm die Ver­er­bung gibt. Da­mit ist aber noch nichts ge­sagt, als daß ein We­sen die Ei­gen­tüm­lich­kei­ten des Mit­tels trägt, in das es un­ter­ge­taucht ist. Es ist ge­wiß ein son­der­ba­rer tri­via­ler Ver­g­leich, aber der Un­be­fan­­ge­ne wird ihm sei­ne Be­rech­ti­gung nicht ab­sp­re­chen, wenn ge­sagt wird: daß ein Men­schen­we­sen sich in die Ei­gen­schaf­­ten sei­ner Vor­fah­ren ein­ge­hüllt zeigt, be­weist für die Her­kunft der per­sön­li­chen Ei­gen­schaf­ten die­ses We­sens eben­so­we­nig, wie es für die in­ne­re Na­tur ei­nes Men­schen et­was be­weist, wenn er naß ist, weil er ins Was­ser ge­fal­len ist. Und wei­ter kann ge­sagt wer­den: wenn der be­deu­tends­te Na­me am En­de ei­ner Bluts­ge­nos­sen­schaft steht, so zeigt dies, daß der Trä­ger die­ses Na­mens je­ne Bluts­ge­nos­sen­schaft brauch­te, um sich den Leib zu ge­stal­ten, den er für die En­t­­­fal­tung sei­ner Ge­samt­per­sön­lich­keit not­wen­dig hat­te. Es be­weist aber gar nichts für die «Ver­er­bung» des Per­sön­li­chen selbst: ja es be­weist für ei­ne ge­sun­de Lo­gik die­se Tat­sa­che das ge­ra­de Ge­gen­teil. Wenn sich näm­lich die per­sön­li­chen Ga­ben ver­erb­ten, so müß­ten sie am An­fan­ge ei­ner Bluts­ge­nos­sen­schaft ste­hen und sich dann von hier aus­ge­hend auf die Nach­kom­men ver­er­ben. Da sie aber am En­de ste­hen, so ist das ge­ra­de ein Zeug­nis da­für, daß sie sich nicht ver­er­ben.

Nun soll nicht in Ab­re­de ge­s­tellt wer­den, daß auf Sei­te der­je­ni­gen, wel­che von ei­ner geis­ti­gen Ver­ur­sa­chung im Le­­ben sp­re­chen, nicht min­der zur Ver­wir­rung bei­ge­tra­gen wird. Von ih­nen wird oft viel zu sehr im all­ge­mei­nen, im

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un­be­stimm­ten ge­re­det. Es ist ge­wiß mit der Be­haup­tung zu ver­g­lei­chen: die Me­tall­tei­le ei­ner Uhr ha­ben sich selbst zu die­ser zu­sam­men­ge­s­tellt, wenn ge­sagt wird: aus den ver­­erb­ten Merk­ma­len sum­mie­re sich die Per­sön­lich­keit ei­nes Men­schen. Aber es muß auch zu­ge­ge­ben wer­den, daß es mit vie­len Be­haup­tun­gen in be­zug auf ei­ne geis­ti­ge Welt sich nicht an­ders ver­hält, als wenn je­mand sag­te: die Me­tall­tei­le der Uhr kön­nen sich selbst nicht so zu­sam­men­fü­gen, daß durch die Zu­sam­men­fü­gung die Zei­ger vor­wärts­ge­scho­ben wer­den, al­so muß ir­gend et­was Geis­ti­ges da sein, wel­ches die­ses Vor­wärts­schie­ben be­sorgt. Ge­gen­über ei­ner sol­chen Be­haup­tung baut al­ler­dings der auf ei­nen weit bes­se­ren Grund, wel­cher sagt: Ach, ich küm­me­re mich nicht wei­ter um sol­che «mys­ti­sche» We­sen, wel­che die Zei­ger vor­wärts­schie­­ben; ich su­che die me­cha­ni­schen Zu­sam­men­hän­ge ken­nen­zu­­­ler­nen, durch wel­che das Vor­wärts­schie­ben der Zei­ger be­wirkt wird. Es han­delt sich eben gar nicht dar­um, nur zu wis­sen, hin­ter ei­nem Me­cha­ni­schen, zum Bei­spiel der Uhr, ste­he ein Geis­ti­ges (der Uhr­ma­cher), son­dern be­deu­tungs­­voll kann es al­lein sein, die Ge­dan­ken ken­nen­zu­ler­nen, die im Geis­te des Uhr­ma­chers der Ver­fer­ti­gung der Uhr vor­an­ge­gan­gen sind. Man kann die­se Ge­dan­ken im Me­cha­nis­mus wie­der­fin­den.

Al­les blo­ße Träu­men und Phan­ta­sie­ren von dem Über­­sinn­li­chen bringt nur Ver­wir­rung. Denn es ist un­ge­eig­net, die Geg­ner zu be­frie­di­gen. Die­se sind ja im Recht, wenn sie sa­gen, sol­ches Hin­wei­sen auf über­sinn­li­che We­sen im all­ge­­mei­nen för­dert in nichts das Ver­ständ­nis der Tat­sa­chen. Ge­wiß, sol­che Geg­ner mö­gen auch ge­gen­über den be­stimm­ten An­ga­ben der Geis­tes­wis­sen­schaft das glei­che sa­gen. Dann aber kann hin­ge­wie­sen wer­den dar­auf, wie sich im of­fen­ba­ren

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Le­ben die Wir­kun­gen der ver­bor­ge­nen geis­ti­gen Ur­­­sa­chen zei­gen. Es kann ge­sagt wer­den: man neh­me ein­mal an, es sei rich­tig, was die Geis­tes­for­schung durch Be­o­b­ach­tung fest­ge­s­tellt ha­ben will, daß der Mensch nach sei­nem To­de ei­ne Läu­te­rungs­zeit durch­ge­macht ha­be und daß er wäh­rend der­sel­ben see­lisch er­lebt ha­be, wel­ches Hemm­nis in der for­t­­sch­rei­ten­den Ent­wi­cke­lung ei­ne be­stimm­te Tat sei, die er in ei­nem vor­her­ge­gan­ge­nen Le­ben voll­führt hat. Wäh­rend er die­ses er­lebt hat, bil­de­te sich in ihm der Trieb, die Fol­gen die­ser Tat zu ver­bes­sern. Die­sen Trieb bringt er sich für ein neu­es Le­ben mit. Und das Vor­han­den­sein die­ses Trie­bes bil­­det je­nen Zug in sei­nem We­sen, der ihn an ei­nen Platz stellt, von dem aus die Ver­bes­se­rung mög­lich ist. Man be­ach­te ei­ne Ge­samt­heit sol­cher Trie­be, und man hat ei­ne Ur­sa­che für die schick­sals­ge­mä­ße Um­ge­bung, in wel­che ein Mensch hin­ein­ge­bo­ren wird. Eben­so kann es mit ei­ner an­de­ren An­­nah­me ge­hen. Man set­ze wie­der vor­aus, es sei rich­tig, was von der Geis­tes­wis­sen­schaft ge­sagt wird, die Früch­te ei­nes ver­f­los­se­nen Le­bens wer­den dem geis­ti­gen Keim des Men­­schen ein­ver­leibt, und das Geis­ter­land, in dem sich die­ser zwi­schen Tod und neu­em Le­ben be­fin­det, sei das Ge­biet, in dem die­se Früch­te rei­fen, um, zu An­la­gen und Fähig­kei­ten um­ge­stal­tet, in ei­nem neu­en Le­ben zu er­schei­nen und die Per­sön­lich­keit so zu ge­stal­ten, daß sie als die Wir­kung des­­sen er­scheint, was in ei­nem vo­ri­gen Le­ben ge­won­nen wor­­den ist. Wer die­se Vor­aus­set­zun­gen macht und mit ih­nen un­be­fan­gen das Le­ben be­trach­tet, dem wird sich zei­gen, daß durch sie al­les Sinn­lich-Tat­säch­li­che in sei­ner vol­len Be­deu­­tung und Wahr­heit an­er­kannt wer­den kann, daß aber zu­­­g­leich al­les das be­g­reif­lich wird, was bei ei­nem blo­ßen Bau­en auf die sinn­li­chen Tat­sa­chen für den­je­ni­gen im­mer un­be­g­reif­lich

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blei­ben muß, des­sen Ge­sin­nung nach der geis­ti­gen Welt hin ge­rich­tet ist. Und vor al­lem, es wird je­de Un­lo­gik von der Art ver­schwin­den, wie die früh­er an­ge­deu­te­te ei­ne ist: weil der be­deu­tends­te Na­me am En­de ei­ner Bluts­ge­nos­­sen­schaft steht, müs­se der Trä­ger sei­ne Be­ga­bung er­erbt ha­ben. Das Le­ben wird lo­gisch be­g­reif­lich durch die von der Geis­tes­wis­sen­schaft er­mit­tel­ten über­sinn­li­chen Tat­sa­chen.

Der ge­wis­sen­haf­te Wahr­heit­su­cher, der oh­ne ei­ge­ne Er­­fah­rung in der über­sinn­li­chen Welt sich zu­recht­fin­den will in den Tat­sa­chen, wird aber auch noch ei­nen ge­wich­ti­gen Ein­wand er­he­ben kön­nen. Es kann näm­lich gel­tend ge­macht wer­den, daß es un­zu­läs­sig sei, ein­fach aus dem Grun­de das Da­sein ir­gend­wel­cher Tat­sa­chen an­zu­neh­men, weil man sich da­durch et­was er­klä­ren kön­ne, was sonst un­er­klär­lich ist. Solch ein Ein­wand ist si­cher­lich für den­je­ni­gen ganz be­deu­­tungs­los, wel­cher die ent­sp­re­chen­den Tat­sa­chen aus der über­­sinn­li­chen Er­fah­rung kennt. Und in den fol­gen­den Tei­len die­ser Schrift wird der Weg an­ge­ge­ben, der ge­gan­gen wer­­den kann, um nicht nur an­de­re geis­ti­ge Tat­sa­chen, die hier be­schrie­ben wer­den, son­dern auch das Ge­setz der geis­ti­gen Ver­ur­sa­chung als ei­ge­nes Er­leb­nis ken­nen­zu­ler­nen. Aber für je­den, wel­cher die­sen Weg nicht an­t­re­ten will, kann der obi­ge Ein­wand ei­ne Be­deu­tung ha­ben. Und das­je­ni­ge, was wi­der ihn ge­sagt wer­den kann, ist auch für ei­nen sol­chen wert­voll, der den an­ge­deu­te­ten Weg selbst zu ge­hen en­t­­­sch­los­sen ist. Denn wenn es je­mand in der rich­ti­gen Art auf­­­nimmt, dann ist es selbst der bes­te ers­te Schritt, der auf die­­sem We­ge ge­macht wer­den kann. Es ist näm­lich durch­aus wahr: bloß weil man sich et­was da­durch er­klä­ren kann, was sonst un­er­klär­lich bleibt, soll man et­was nicht an­neh­men, von des­sen Da­sein man sonst kein Wis­sen hat. Aber in dem

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Fal­le mit den an­ge­führ­ten geis­ti­gen Tat­sa­chen liegt die Sa­che doch noch an­ders. Wenn man sie an­nimmt, so hat das nicht nur die in­tel­lek­tu­el­le Fol­ge, daß man durch sie das Le­ben be­g­reif­lich fin­det, son­dern man er­lebt durch die Auf­nah­me die­ser Vor­aus­set­zun­gen in sei­ne Ge­dan­ken noch et­was ganz an­de­res. Man den­ke sich den fol­gen­den Fall: Es wi­der­fährt je­mand et­was, das in ihm recht pein­li­che Emp­fin­dun­gen her­vor­ruft. Er kann sich nun in zwei­fa­cher Art da­zu stel­len. Er kann den Vor­fall als et­was er­le­ben, was ihn pein­lich be­rührt, und sich der pein­li­chen Emp­fin­dung hin­ge­ben, viel­­leicht so­gar in Sch­merz ver­sin­ken. Er kann sich aber auch an­ders da­zu stel­len. Er kann sa­gen: In Wahr­heit ha­be ich selbst in ei­nem ver­gan­ge­nen Le­ben in mir die Kraft ge­bil­det, wel­che mich vor die­sen Vor­fall ge­s­tellt hat; ich ha­be in Wir­k­­lich­keit mir selbst die Sa­che zu­ge­fügt. Und er kann nun al­le die Emp­fin­dun­gen in sich er­re­gen, wel­che ein sol­cher Ge­­dan­ke zur Fol­ge ha­ben kann. Selbst­ver­ständ­lich muß der Ge­dan­ke mit dem al­ler­voll­kom­mens­ten Erns­te und mit al­ler mög­li­chen Kraft er­lebt wer­den, wenn er ei­ne sol­che Fol­ge für das Emp­fin­dungs- und Ge­fühls­le­ben ha­ben soll. Wer sol­ches zu­stan­de bringt, für den wird sich ei­ne Er­fah­rung ein­s­tel­len, wel­che sich am bes­ten durch ei­nen Ver­g­leich ver­an­schau­li­chen läßt. Zwei Men­schen so wol­le man an­neh­­men be­kä­m­en ei­ne Sie­gel­lack­stan­ge in die Hand. Der ei­ne stel­le in­tel­lek­tu­el­le Be­trach­tun­gen an über die «in­ne­re Na­­tur» der Stan­ge. Die­se Be­trach­tun­gen mö­gen sehr klug sein; wenn sich die­se «in­ne­re Na­tur» durch nichts zeigt, mag ihm ru­hig je­mand er­wi­dern: das sei Träu­me­rei. Der an­de­re aber reibt den Sie­gel­lack mit ei­nem Tuchlap­pen, und er zeigt dann, daß die Stan­ge klei­ne Kör­per­chen an­zieht. Es ist ein ge­wich­ti­ger Un­ter­schied zwi­schen den Ge­dan­ken, die durch

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des ers­ten Men­schen Kopf ge­gan­gen sind und ihn zu den Be­trach­tun­gen an­ge­regt ha­ben, und de­nen des zwei­ten. Des ers­ten Ge­dan­ken ha­ben kei­ne tat­säch­li­che Fol­ge; die­je­ni­gen des zwei­ten aber ha­ben ei­ne Kraft, al­so et­was Tat­säch­li­ches, aus sei­ner Ver­bor­gen­heit her­vor­ge­lockt. So ist es nun auch mit den Ge­dan­ken ei­nes Men­schen, der sich vor­s­tellt, er ha­be die Kraft, mit ei­nem Er­eig­nis zu­sam­men­zu­kom­men, durch ein frühe­res Le­ben selbst in sich gepflanzt. Die­se blo­ße Vor­­­stel­lung regt in ihm ei­ne wir­k­li­che Kraft an, durch die er in ei­ner ganz an­dern Art dem Er­eig­nis be­geg­nen kann, als wenn er die­se Vor­stel­lung nicht hegt. Es geht ihm da­durch ein Licht auf über die not­wen­di­ge We­sen­heit die­ses Er­ei­g­­nis­ses, das er sonst nur als ei­nen Zu­fall an­er­ken­nen könn­te. Und er wird un­mit­tel­bar ein­se­hen: ich ha­be den rech­ten Ge­­dan­ken ge­habt, denn die­ser Ge­dan­ke hat­te die Kraft, die Tat­sa­che mir zu ent­hül­len. Wie­der­holt je­mand sol­che in­­­ne­re Vor­gän­ge, so wer­den sie fort­ge­setzt zu ei­nem Mit­tel in­ne­rer Kraft­zu­fuhr, und sie er­wei­sen so ih­re Rich­tig­keit durch ih­re Frucht­bar­keit. Und die­se Rich­tig­keit zeigt sich, nach und nach, kräf­tig ge­nug. In geis­ti­ger, see­li­scher und auch phy­si­scher Be­zie­hung wir­ken sol­che Vor­gän­ge ge­sun­dend, ja in je­der Be­zie­hung för­dernd auf das Le­ben ein. Der Mensch wird ge­wahr, daß er sich da­durch in ei­ner rich­ti­gen Art in den Le­bens­zu­sam­men­hang hin­ein­s­tellt, wäh­rend er bei Be­ach­tung nur des ei­nen Le­bens zwi­schen Ge­burt und Tod sich ei­nem Irr­wahn hin­gibt. Der Mensch wird see­lisch stär­ker durch das ge­kenn­zeich­ne­te Wis­sen. Ei­nen sol­chen rein in­ne­ren Be­weis von der geis­ti­gen Ver­ur­sa­chung kann sich ein je­der al­ler­dings nur selbst in sei­nem In­nen­le­ben ver­­­schaf­fen. Aber es kann ihn auch ein je­der ha­ben. Wer ihn sich nicht ver­schafft hat, kann sei­ne Be­weis­kraft al­ler­dings

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nicht be­ur­tei­len. Wer ihn sich ver­schafft hat, der kann ihn aber auch kaum mehr an­zwei­feln. Man braucht sich auch gar nicht zu ver­wun­dern, daß dies so ist. Denn was so ganz und gar mit dem­je­ni­gen zu­sam­men­hängt, was des Men­schen in­ners­te We­sen­heit, sei­ne Per­sön­lich­keit aus­macht, von dem ist es nur na­tür­lich, daß es auch nur im in­ners­ten Er­le­ben ge­nü­gend be­wie­sen wer­den kann.­Vor­brin­gen kann man da­ge­gen al­ler­dings nicht, daß ei­ne sol­che An­ge­le­gen­heit, weil sie sol­chem in­ne­ren Er­leb­nis ent­spricht, ein je­der mit sich selbst ab­ma­chen müs­se, und daß sie nicht Sa­che ei­ner Geis­tes­wis­sen­schaft sein kön­ne. Ge­wiß ist, daß ein je­der selbst das Er­leb­nis ha­ben muß, wie ein je­der selbst den Be­weis ei­nes ma­the­ma­ti­schen Sat­zes ein­se­hen muß. Aber der Weg, auf dem das Er­leb­nis er­reicht wer­den kann, ist für al­le Men­schen gül­tig, wie die Me­tho­de, ei­nen ma­the­ma­­ti­schen Satz zu be­wei­sen, für al­le gül­tig ist.

Nicht in Ab­re­de soll ge­s­tellt wer­den, daß von den über­­sinn­li­chen Be­o­b­ach­tun­gen na­tür­lich ab­ge­se­hen der eben an­ge­führ­te Be­weis durch die kraft­her­vor­brin­gen­de Ge­walt der ent­sp­re­chen­den Ge­dan­ken der ein­zi­ge ist, der je­der un­be­fan­ge­nen Lo­gik stand­hält. Al­le an­de­ren Er­wä­gun­gen sind ge­wiß sehr be­deut­sam; aber sie wer­den doch al­le et­was ha­ben, an dem ein Geg­ner An­griffs­punk­te fin­den kann. Wer al­ler­dings sich ge­nug un­be­fan­ge­nen Blick an­ge­eig­net hat, der wird schon in der Mög­lich­keit und Tat­säch­lich­keit der Er­zie­hung bei dem Men­schen et­was fin­den, was lo­gisch wir­ken­de Be­weis­kraft da­für hat, daß ein geis­ti­ges We­sen sich in der leib­li­chen Hül­le zum Da­sein ringt. Er wird das Tier mit dem Men­schen ver­g­lei­chen und sich sa­gen: bei dem ers­te­ren tre­ten die für das­sel­be maß­ge­ben­den Ei­gen­schaf­ten und Be­fähi­gun­gen mit der Ge­burt als et­was in sich Be­stimm­tes

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auf, das deut­lich zeigt, wie es durch die Ver­er­bung vor­­­ge­zeich­net ist und sich an der Au­ßen­welt ent­fal­tet. Man se­he, wie das jun­ge Küch­lein Le­bens­ver­rich­tun­gen von Ge­burt an in be­stimm­ter Art voll­zieht. An den Men­schen aber tritt durch die Er­zie­hung mit sei­nem In­nen­le­ben et­was in ein Ver­hält­nis, was oh­ne al­le Be­zie­hung zu ei­ner Ver­er­bung ste­hen kann. Und er kann in der La­ge sein, die Wir­kun­gen sol­cher äu­ße­ren Ein­flüs­se sich an­zu­eig­nen. Wer er­zieht, der weiß, daß sol­chen Ein­flüs­sen vom In­nern des Men­schen Kräf­te ent­ge­gen­kom­men müs­sen; ist das nicht der Fall, dann ist al­le Schu­lung und Er­zie­hung be­deu­tungs­los. Für den un­be­fan­ge­nen Er­zie­her stellt sich so­gar ganz scharf die Gren­ze hin zwi­schen den ver­erb­ten An­la­gen und je­nen in­ne­ren Kräf­ten des Men­schen, wel­che durch die­se An­la­gen hin­durch­leuch­ten und wel­che aus frühe­ren Le­bens­läu­fen her­rüh­ren. Si­cher­lich kann man für sol­che Din­ge nicht so «ge­wich­ti­ge» Be­wei­se an­füh­ren, wie für ge­wis­se phy­si­ka­li­sche Tat­sa­chen durch die Waa­ge. Aber da­für sind die­se Din­ge eben die In­­ti­mi­tä­ten des Le­bens. Und für den, der Sinn da­für hat, sind auch sol­che nicht hand­g­reif­li­che Be­le­ge be­wei­send; so­gar be­wei­sen­der als die hand­g­reif­li­che Wir­k­lich­keit. Daß man ja auch Tie­re dres­sie­ren kann, sie al­so ge­wis­ser­ma­ßen durch Er­zie­hung Ei­gen­schaf­ten und Fähig­kei­ten an­neh­men, ist für den, der auf das We­sent­li­che zu schau­en ver­mag, kein Ein­wand. Denn ab­ge­se­hen da­von, daß sich in der Welt al­ler­or­ten Über­gän­ge fin­den, ver­sch­mel­zen die Er­geb­nis­se der Dres­sur bei ei­nem Tie­re kei­nes­wegs in glei­cher Art mit sei­nem per­sön­li­chen We­sen wie beim Men­schen. Man be­tont ja so­gar, wie die Fähig­kei­ten, wel­che den Haus­tie­ren im Zu­sam­men­le­ben mit dem Men­schen andres­siert wer­den, sich ver­er­ben, das heißt so­fort gat­tungs­mä­ß­ig, nicht per­sön­lich

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wir­ken. Dar­win be­sch­reibt, wie Hun­de ap­por­tie­ren, oh­ne da­zu an­ge­lernt zu sein oder es ge­se­hen zu ha­ben. Wer woll­te ein glei­ches von der men­sch­li­chen Er­zie­hung be­haup­ten?

Nun gibt es Den­ker, wel­che durch ih­re Be­o­b­ach­tun­gen über die Mei­nung hin­aus­kom­men, daß der Mensch durch die rein ver­erb­ten Kräf­te von au­ßen zu­sam­men­ge­fügt sei. Sie er­he­ben sich bis zu dem Ge­dan­ken, daß ein geis­ti­ges We­­sen, ei­ne In­di­vi­dua­li­tät, dem leib­li­chen Da­sein vor­an­ge­he und die­ses ge­stal­te. Aber vie­le von ih­nen fin­den doch nicht die Mög­lich­keit, zu be­g­rei­fen, daß es wie­der­hol­te Er­den­le­ben gibt, und daß in dem Zwi­schen­da­sein zwi­schen den Le­ben die Früch­te der vo­ri­gen mit­ge­stal­ten­de Kräf­te sind. Es sei aus der Rei­he sol­cher Den­ker ei­ner an­ge­führt. Im­ma­nu­el Her­mann Fich­te, der Sohn des gro­ßen Fich­te, führt in sei­ner «An­thro­po­lo­gie» sei­ne Be­o­b­ach­tun­gen an, die ihn (Sei­te 528)01 zu fol­gen­dem zu­sam­men­fas­sen­den Ur­teil brin­gen: «Die El­tern sind nicht die Er­zeu­ger in voll­stän­di­gem Sin­ne: den or­ga­ni­schen Stoff bie­ten sie dar, und nicht bloß die­sen, son­­dern zu­g­leich je­nes Mitt­le­re, Sinn­lich-Ge­müt­li­che, wel­ches sich in Tem­pe­ra­ment, in ei­gen­tüm­li­cher Ge­müts­fär­bung, in be­stimm­ter Spe­zi­fi­ka­ti­on der Trie­be und der­g­lei­chen zeigt, als de­ren ge­mein­schaft­li­che Qu­el­le die Phan­ta­sie in je­nem wei­tern, von uns nach­ge­wie­se­nen Sinn sich er­ge­ben hat. In al­len die­sen Ele­men­ten der Per­sön­lich­keit ist die Mi­schung und ei­gen­tüm­li­che Ver­bin­dung der El­tern­see­len un­ver­ken­n­­bar; die­se da­her für ein blo­ßes Pro­dukt der Zeu­gung zu er­klä­ren, ist voll­kom­men be­grün­det, noch da­zu, wenn, wo­für wir uns ent­schei­den muß­ten, die Zeu­gung als wir­k­li­cher See­len­vor­gang auf­ge­faßt wird. Aber der ei­gent­li­che, sch­lie­­ßen­de Mit­tel­punkt der Per­sön­lich­keit fehlt hier ge­ra­de; denn

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#F­N013-134 Brock­haus, Leip­zig 1860

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bei tie­fer ein­drin­gen­der Be­o­b­ach­tung er­gibt sich, daß auch je­ne ge­müt­li­chen Ei­gen­tüm­lich­kei­ten nur ei­ne Hül­le und ein Werk­zeug­li­ches sind, um die ei­gent­lich geis­ti­gen idea­len An­la­gen des Men­schen in sich zu fas­sen, ge­eig­net, sie zu för­­dern in ih­rer Ent­wi­cke­lung oder zu hem­men, kei­nes­wegs aber fähig, sie aus sich ent­ste­hen zu las­sen.» Und wei­ter wird da ge­sagt: «Je­der präe­xis­tiert nach sei­ner geis­ti­gen Grun­d­­ge­stalt; denn geis­tig be­trach­tet gleicht kein In­di­vi­du­um dem an­dern, so­we­nig als die ei­ne Tier­spe­zi­es ei­ner der üb­ri­gen» (Sei­te 532). Die­se Ge­dan­ken grei­fen nur so weit, daß sie in die phy­si­sche Leib­lich­keit des Men­schen ein­t­re­ten las­sen ei­ne geis­ti­ge We­sen­heit. Da de­ren ge­stal­ten­de Kräf­te aber nicht aus Ur­sa­chen frühe­rer Le­ben her­ge­lei­tet wer­den, so müß­te je­des­mal, wenn ei­ne Per­sön­lich­keit er­steht, ei­ne sol­che gei­s­ti­ge We­sen­heit aus ei­nem gött­li­chen Ur­grun­de her­vor­ge­hen. Un­ter die­ser Vor­aus­set­zung be­stän­de aber kei­ne Mög­li­ch­keit, die Ver­wandt­schaft zu er­klä­ren, die ja be­steht zwi­schen den sich aus dem men­sch­li­chen In­nern her­aus­rin­gen­den An­la­gen und dem, was von der äu­ße­ren ir­di­schen Um­ge­bung im Lau­fe des Le­bens an die­ses In­ne­re heran­dringt. Das men­sch­li­che In­ne­re, das für je­den ein­zel­nen Men­schen aus ei­nem gött­li­chen Ur­grun­de stamm­te, müß­te ganz fremd ge­­gen­über­ste­hen dem, was ihm im ir­di­schen Le­ben ge­gen­über­tritt. Nur dann wird das wie es ja tat­säch­lich ist nicht der Fall sein, wenn die­ses men­sch­li­che In­ne­re mit dem Äu­ßern be­reits ver­bun­den war, wenn es nicht zum ers­ten Ma­le in die­sem lebt. Der un­be­fan­ge­ne Er­zie­her kann klar die Wahr­neh­mung ma­chen: ich brin­ge aus den Er­geb­nis­sen des Er­den­le­bens an mei­nen Zög­ling et­was heran, was zwar sei­nen bloß ver­erb­ten Ei­gen­schaf­ten fremd ist, was ihn aber doch so an­mu­tet, als ob er bei der Ar­beit, aus wel­cher die­se

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Er­geb­nis­se stam­men, schon da­bei ge­we­sen wä­re. Nur die wie­der­hol­ten Er­den­le­ben im Zu­sam­men­hang mit den von der Geis­tes­for­schung dar­ge­leg­ten Tat­sa­chen im geis­ti­gen Ge­biet zwi­schen den Er­den­le­ben: nur dies al­les kann ei­ne be­frie­di­gen­de Er­klär­ung des all­sei­tig be­trach­te­ten Le­bens der ge­gen­wär­ti­gen Mensch­heit ge­ben. Aus­drück­lich wird hier ge­sagt: der «ge­gen­wär­ti­gen» Mensch­heit. Denn die gei­s­ti­ge For­schung er­gibt, daß al­ler­dings ein­mal der Kreis­lauf der Er­den­le­ben be­gon­nen hat und daß da­mals an­de­re Ver­­hält­nis­se als ge­gen­wär­tig für das in die leib­li­che Hül­le ein­t­re­ten­de geis­ti­ge We­sen des Men­schen be­stan­den ha­ben. In den fol­gen­den Ka­pi­teln wird auf die­sen ur­zeit­li­chen Zu­­­stand des Men­schen­we­sens zu­rück­ge­gan­gen. Wenn da­durch aus den Er­geb­nis­sen der Geis­tes­wis­sen­schaft her­aus wird ge­zeigt wor­den sein, wie die­ses Men­schen­we­sen sei­ne ge­gen­wär­ti­ge Ge­stalt im Zu­sam­men­hang mit der Erd­ent­wi­cke­lung er­hal­ten hat, wird auch noch ge­nau­er dar­auf hin­ge­deu­tet wer­den kön­nen, wie der geis­ti­ge We­sens­kern des Men­schen aus über­sinn­li­chen Wel­ten in die leib­li­chen Hül­len ein­dringt, und wie das geis­ti­ge Ver­ur­sa­chungs­ge­setz, das «men­sch­li­che Schick­sal», sich her­an­bil­det.

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DIE WELTENTWICKELUNG UND DER MENSCH

Es hat sich durch die vor­an­ge­gan­ge­nen Be­trach­tun­gen er­­ge­ben, daß die We­sen­heit des Men­schen aus den vier Glie­dern sich auf­baut: Phy­si­scher Leib, Le­bens­leib, As­tral­leib und Ich-Trä­ger. Das «Ich» ar­bei­tet inn­er­halb der drei an­dern Glie­der und wan­delt die­se um. Durch sol­che Um­wand­lung ent­ste­hen auf ei­ner nie­d­ri­ge­ren Stu­fe: Emp­fin­dungs­see­le, Ver­stan­des­see­le und Be­wußt­s­eins­see­le. Auf ei­ner höhe­ren Stu­fe des Men­schen­da­seins bil­den sich: Geist­selbst, Le­bens­geist und Geis­tes­mensch. Die­se Glie­der der Men­schen­na­tur ste­hen nun in den man­nig­fal­tigs­ten Ver­hält­nis­sen zu dem gan­zen Wel­tall. Und ih­re Ent­wi­cke­lung hängt mit der En­t­­wi­cke­lung die­ses Wel­talls zu­sam­men. Durch die Be­trach­tung die­ser Ent­wi­cke­lung ge­winnt man ei­nen Ein­blick in die tie­­fe­ren Ge­heim­nis­se die­ser men­sch­li­chen We­sen­heit.

Es ist klar, daß des Men­schen Le­ben nach den ver­schie­­dens­ten Rich­tun­gen hin Be­zie­hun­gen hat zur Um­ge­bung, zu dem Wohn­platz, auf dem er sich ent­wi­ckelt. Nun ist schon die äu­ßer­li­che Wis­sen­schaft durch die ihr ge­ge­be­nen Tat­sa­chen zu der An­sicht ge­drängt wor­den, daß die Er­de selbst, die­ser Wohn­platz des Men­schen im um­fas­sends­ten Sin­ne, ei­ne Ent­wi­cke­lung durch­ge­macht hat. Die­se Wis­sen­schaft weist auf Zu­stän­de im Er­den­da­sein hin, inn­er­halb wel­cher ein Mensch in sei­ner ge­gen­wär­ti­gen Form auf un­se­rem Pla­­ne­ten noch nicht exis­tiert hat. Sie zeigt, wie die Mensch­heit von ein­fa­chen Kul­tur­zu­stän­den her­auf sich lang­sam und al­l­­mäh­lich zu den ge­gen­wär­ti­gen Ver­hält­nis­sen ent­wi­ckelt hat. Al­so auch die­se Wis­sen­schaft kommt zu der Mei­nung, daß ein Zu­sam­men­hang be­ste­he zwi­schen der Ent­wi­cke­lung des Men­schen und der­je­ni­gen sei­nes Him­mels­kör­pers, der Er­de.

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Die Geis­tes­wis­sen­schaf­t­01 ver­folgt die­sen Zu­sam­men­hang durch die­je­ni­ge Er­kennt­nis, wel­che ih­re Tat­sa­chen aus der durch die geis­ti­gen Or­ga­ne ge­schärf­ten Wahr­neh­mung sc­höpft. Sie ver­folgt den Men­schen rück­wärts in sei­nem Wer­de­gan­ge. Es zeigt sich ihr, daß das ei­gent­li­che in­ne­re geis­ti­ge We­sen des Men­schen durch ei­ne Rei­he von Le­ben auf die­ser Er­de ge­schrit­ten ist. So aber kommt die Geis­tes­for­schung zu ei­nem weit in der Ver­gan­gen­heit zu­rück­lie­gen­den Zeit­punk­te, in dem zum ers­ten Ma­le die­ses in­ne­re Men­schen­we­sen in ein äu­ße­res Le­ben in dem ge­gen­wär­ti­gen Sin­ne ein­ge­t­re­ten ist. In die­ser ers­ten ir­di­schen Ver­kör­pe­rung war es, daß das «Ich» an­fing, inn­er­halb der drei Lei­ber, As­tral­leib, Le­bens­leib, phy­si­scher Leib, sich zu be­tä­ti­gen. Und es nahm dann die Früch­te die­ser Ar­beit mit in das fol­gen­de Le­ben hin­über.

Wenn man in der an­ge­deu­te­ten Art bis zu die­sem Zeit­­punk­te in der Be­trach­tung rück­wärts sch­rei­tet, so wird man ge­wahr, daß das «Ich» ei­nen Er­den­zu­stand vor­fin­det, in­­n­er­halb des­sen die drei Lei­ber, phy­si­scher Leib, Le­bens­leib und As­tral­leib, schon ent­wi­ckelt sind und schon ei­nen ge­wis­­sen Zu­sam­men­hang ha­ben. Das «Ich» ver­bin­det sich zum ers­ten Ma­le mit der We­sen­heit, wel­che aus die­sen drei Lei­bern be­steht. Es nimmt von jetzt ab die­ses «Ich» an der Wei­ter­ent­wi­cke­lung der drei Lei­ber teil. Vor­her ha­ben sich die­se oh­ne ein sol­ches Men­schen-Ich bis zu der Stu­fe en­t­­wi­ckelt, auf wel­cher sie die­ses Ich da­mals an­ge­trof­fen hat.

Die Geis­tes­wis­sen­schaft muß mit ih­rer For­schung nun noch wei­ter zu­rück­ge­hen, wenn sie die Fra­gen be­ant­wor­ten will: Wie sind die drei Lei­ber bis zu ei­ner sol­chen Stu­fe der En­t­­wi­cke­lung

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#F­N013-138 Geis­tes­wis­sen­schaft wird hier, wie aus dem Zu­sam­men­hang er­sicht­lich ist, gleich­be­deu­tend mit «Ge­heim­wis­sen­schaft», mit über­sinn­li­cher Er­kennt­nis ge­braucht.

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ge­langt, auf der sie ein Ich» in sich auf­neh­men konn­ten, und wie ist die­ses Ich selbst ge­wor­den und zu der Fähig­keit ge­langt, inn­er­halb die­ser Lei­ber wir­ken zu kön­­nen?

Die Be­ant­wor­tung die­ser Fra­gen ist nur mög­lich, wenn man das Wer­den des Er­den­pla­ne­ten selbst im geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Sin­ne ver­folgt. Durch sol­che For­schung ge­langt man an ei­nen An­fang die­ses Er­den­pla­ne­ten. Die­je­ni­ge Be­trach­tungs­art, wel­che nur auf die Tat­sa­chen der phy­si­schen Sin­ne baut, kann nicht bis zu Schluß­fol­ge­run­gen ge­lan­gen, die mit die­sem Er­den­an­fang et­was zu tun ha­ben. Ei­ne ge­­wis­se An­sicht, die sich sol­cher Schluß­fol­ge­run­gen be­di­ent, kommt zu dem Er­geb­nis, daß al­les Stof­f­li­che der Er­de sich aus ei­nem Ur­ne­bel her­aus ge­bil­det ha­be. Es kann nicht die Auf­ga­be die­ser Schrift sein, auf sol­che Vor­stel­lun­gen näh­er ein­zu­ge­hen. Denn für die Geis­tes­for­schung han­delt es sich dar­um, nicht bloß die ma­te­ri­el­len Vor­gän­ge der Erd­ent­wi­cke­lung in Be­tracht zu zie­hen, son­dern vor al­lem die hin­ter dem Stof­f­li­chen lie­gen­den geis­ti­gen Ur­sa­chen. Wenn man ei­nen Men­schen vor sich hat, der ei­ne Hand hebt, so kann die­ses He­ben der Hand zu zwei­er­lei Be­trach­tungs­wei­sen an­­re­gen. Man kann den Me­cha­nis­mus des Ar­mes und des an­­dern Or­ga­nis­mus un­ter­su­chen und den Vor­gang so be­sch­rei­­ben wol­len, wie er sich rein phy­sisch ab­spielt. Man kann aber auch den geis­ti­gen Blick auf das­je­ni­ge len­ken, was in der See­le des Men­schen vor­geht und was die see­li­sche Ver­an­las­sung zum He­ben der Hand bil­det. In ei­ner ähn­li­chen Art sieht der durch das geis­ti­ge Wahr­neh­men ge­schul­te For­­scher hin­ter al­len Vor­gän­gen der sinn­lich-phy­si­schen Welt geis­ti­ge Vor­gän­ge. Für ihn sind al­le Um­wand­lun­gen in dem Stof­f­li­chen des Er­den­pla­ne­ten Of­fen­ba­run­gen geis­ti­ger

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Kräf­te, die hin­ter dem Stof­f­li­chen lie­gen. Wenn aber sol­che geis­ti­ge Be­o­b­ach­tung in dem Le­ben der Er­de im­mer wei­ter zu­rück­geht, so kommt sie an ei­nen Ent­wi­cke­lungs­punkt, an dem al­les Stof­f­li­che erst an­fängt zu sein. Es ent­wi­ckelt sich die­ses Stof­f­li­che aus dem Geis­ti­gen her­aus. Vor­her ist nur Geis­ti­ges vor­han­den. Man nimmt durch die­se geis­ti­ge Be­o­bach­tung das Geis­ti­ge wahr und sieht, wie in wei­te­rem Ver­folg sich die­ses Geis­ti­ge zu dem Stof­f­li­chen teil­wei­se gleich­sam ver­dich­tet. Man hat ei­nen Vor­gang vor sich, der sich auf ei­ner höhe­ren Stu­fe so ab­spielt, wie wenn man ein Ge­fäß mit Was­ser be­trach­tet, in dem sich nach und nach durch kunst­voll ge­lei­te­te Ab­küh­lun­gen Eis­k­lum­pen her­aus­bil­de­ten. Wie man hier aus dem, was vor­her durch­aus Was­ser war, das Eis sich her­aus ver­dich­ten sieht, so kann man durch geis­ti­ge Be­o­b­ach­tung ver­fol­gen, wie sich aus ei­nem vor­an­­ge­hen­den durch­aus Geis­ti­gen die stof­f­li­chen Din­ge, Vor­­­gän­ge und We­sen­hei­ten gleich­sam ver­dich­ten. So hat sich der phy­si­sche Er­den­pla­net her­aus­ent­wi­ckelt aus ei­nem gei­s­ti­gen Welt­we­sen; und al­les, was stof­f­lich mit die­sem Er­den­pla­ne­ten ver­knüpft ist, hat sich aus sol­chem her­aus­ver­dich­tet, was mit ihm vor­her geis­tig ver­bun­den war. Man hat sich aber nicht vor­zu­s­tel­len, daß je­mals al­les Geis­ti­ge sich in Stof­f­li­ches um­wan­delt; son­dern man hat in dem letz­te­ren im­mer nur um­ge­wan­del­te Tei­le des ur­sprüng­li­chen Geis­ti­­gen vor sich. Da­bei bleibt das Geis­ti­ge auch wäh­rend der stof­f­li­chen Ent­wi­cke­lungs­pe­rio­de das ei­gent­lich lei­ten­de und füh­r­en­de Prin­zip.

Es ist ein­leuch­tend, daß die­je­ni­ge Vor­stel­lungs­art, wel­che sich nur an die sinn­lich-phy­si­schen Vor­gän­ge hal­ten will und an das­je­ni­ge, was der Ver­stand aus die­sen Vor­gän­gen er­sch­lie­ßen kann nichts aus­zu­sa­gen ver­mag über das in

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Re­de ste­hen­de Geis­ti­ge. Man neh­me an, es kön­ne ein We­sen ge­ben, das nur sol­che Sin­ne hät­te, die Eis wahr­neh­men kön­­nen, nicht aber den fei­ne­ren Zu­stand des Was­sers, aus dem sich das Eis durch Ab­küh­lung ab­hebt. Für ein sol­ches We­sen wä­re das Was­ser nicht vor­han­den; und es wä­re für das­sel­be von dem Was­ser erst dann et­was wahr­zu­neh­men, wenn sich Tei­le des­sel­ben zu Eis um­ge­bil­det ha­ben. So bleibt für ei­nen Men­schen das hin­ter den Er­den­vor­gän­gen lie­gen­de Geis­ti­ge ver­bor­gen, wenn er nur das für die phy­si­schen Sin­ne Vor­han­­de­ne gel­ten las­sen will. Und wenn er von den phy­si­schen Tat­sa­chen, die er ge­gen­wär­tig wahr­nimmt, rich­ti­ge Schlu­ß­­fol­ge­run­gen sich bil­det über frühe­re Zu­stän­de des Er­den­pla­ne­ten, so kommt ein sol­cher Mensch eben nur bis zu je­nem Ent­wi­cke­lungs­punk­te, in dem das vor­an­ge­hen­de Geis­ti­ge sich teil­wei­se zu dem Stof­f­li­chen ver­dich­te­te. Die­ses vor­an­ge­hen­de Geis­ti­ge sieht ei­ne sol­che Be­trach­tungs­wei­se eben­so­we­nig wie das Geis­ti­ge, das un­sicht­bar auch ge­gen­wär­tig hin­ter dem Stof­f­li­chen wal­tet.

Es kann erst in den letz­ten Ka­pi­teln die­ser Schrift von den We­gen ge­spro­chen wer­den, auf de­nen der Mensch sich die Fähig­keit an­eig­net, in geis­ti­ger Wahr­neh­mung auf die frühe­ren Er­den­zu­stän­de zu­rück­zu­bli­cken, von de­nen hier die Re­de ist. Nur an­ge­deu­tet soll hier vor­läu­fig wer­den, daß für die geis­ti­ge For­schung die Tat­sa­chen auch ur­fer­ner Ver­gan­gen­hei­ten nicht ver­schwun­den sind. Wenn ein We­sen zu ei­nem kör­per­li­chen Da­sein ge­langt, so ver­geht mit sei­­nem kör­per­li­chen To­de das Stof­f­li­che. Nicht in der glei­chen Art «ver­schwin­den» die geis­ti­gen Kräf­te, wel­che die­ses Kör­per­haf­te aus sich her­aus­ge­trie­ben ha­ben. Sie las­sen ih­re Spu­­ren, ih­re ge­nau­en Ab­bil­der in der geis­ti­gen Grund­la­ge der Welt zu­rück. Und wer durch die sicht­ba­re Welt hin­durch

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die Wahr­neh­mung zu dem Un­sicht­ba­ren zu er­he­ben ver­­­mag, der ge­langt end­lich da­zu, et­was vor sich zu ha­ben, was man mit ei­nem ge­wal­ti­gen geis­ti­gen Pan­ora­ma ver­g­lei­chen könn­te, in dem al­le ver­gan­ge­nen Vor­gän­ge der Welt ver­­zeich­net sind. Man kann die­se un­ver­gäng­li­chen Spu­ren al­les Geis­ti­gen die «Aka­sha-Chro­nik» nen­nen, in­dem man als Aka­sha-We­sen­heit das Geis­tig-Blei­ben­de des Welt­ge­sche­hens im Ge­gen­satz zu den ver­gäng­li­chen For­men des Ge­sche­hens be­zeich­net. Nun muß auch hier wie­der ge­sagt wer­den, daß For­schun­gen auf den über­sinn­li­chen Ge­bie­ten des Da­seins nur mit Hil­fe des geis­ti­gen Wahr­neh­mens, al­so auf dem hier be­trach­te­ten Ge­bie­te nur durch das Le­sen der an­ge­deu­te­ten «Aka­sha-Chro­nik» an­ge­s­tellt wer­den kön­nen. Den­noch gilt auch hier das­je­ni­ge, was für Ähn­li­ches schon an frühe­rer Stel­le die­ser Schrift ge­sagt wor­den ist. Er­forscht kön­nen die über­sinn­li­chen Tat­sa­chen nur durch die über­sinn­li­che Wahr­­neh­mung wer­den; sind sie aber er­forscht und wer­den sie von der Wis­sen­schaft des Über­sinn­li­chen mit­ge­teilt, so kön­­nen sie ein­ge­se­hen wer­den durch das ge­wöhn­li­che Den­ken, wenn die­ses nur wir­k­lich un­be­fan­gen sein will. Es wer­den in dem fol­gen­den im Sin­ne der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis die Ent­wi­cke­lungs­zu­stän­de der Er­de mit­ge­teilt. Es wer­den die Um­wand­lun­gen un­se­res Pla­ne­ten ver­folgt wer­den bis zu dem Le­bens­zu­stan­de, in dem die­ser ge­gen­wär­tig ist. Wenn nun je­mand das be­trach­tet, was er ge­gen­wär­tig in blo­ßer sinn­li­cher Wahr­neh­mung vor sich hat, und dann das­je­ni­ge in sich auf­nimmt, was die über­sinn­li­che Er­kennt­nis dar­über sagt, wie seit ur­fer­ner Ver­gan­gen­heit die­ses Ge­gen­wär­ti­ge sich ent­wi­ckelt ha­be, so ver­mag er bei wahr­haft un­be­fan­­ge­nem Den­ken sich zu sa­gen: ers­tens ist es durch­aus lo­gisch, was die­se Er­kennt­nis be­rich­tet; zwei­tens kann ich ein­se­hen,

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daß die Din­ge so ge­wor­den sind, wie sie mir eben ent­ge­gen­t­re­ten, wenn ich an­neh­me, daß dies rich­tig sei, was durch die über­sinn­li­che For­schung mit­ge­teilt wird. Mit dem «Lo­­gi­schen» ist na­tür­lich in die­sem Zu­sam­men­han­ge nicht ge­­meint, daß inn­er­halb ir­gend­ei­ner Dar­stel­lung über­sinn­li­cher For­schung nicht Irr­tü­mer in lo­gi­scher Be­zie­hung ent­hal­ten sein könn­ten. Auch hier soll von dem «Lo­gi­schen» nur so ge­spro­chen wer­den, wie man im ge­wöhn­li­chen Le­ben der phy­si­schen Welt da­von spricht. Wie da die lo­gi­sche Dar­­­stel­lung als For­de­rung gilt, trotz­dem der ein­zel­ne Dar­­­s­tel­ler ei­nes Tat­sa­chen­ge­bie­tes lo­gi­schen Irr­tü­mern ver­fal­len kann, so ist es auch in der über­sinn­li­chen For­schung. Es kann so­gar vor­kom­men, daß ein For­scher, der auf über­sinn­li­chen Ge­bie­ten wahr­zu­neh­men ver­mag, sich Irr­tü­mern in der lo­gi­schen Dar­stel­lung hin­gibt, und daß ei­nen sol­chen dann je­mand ver­bes­sern kann, der gar nicht über­sinn­lich wahr­­nimmt, wohl aber die Fähig­keit ei­nes ge­sun­den Den­kens hat. Aber im We­sen kann ge­gen die in der über­sinn­li­chen For­­schung an­ge­wand­te Lo­gik nichts ein­ge­wen­det wer­den. Und gar nicht nö­t­ig soll­te man ha­ben zu be­to­nen, daß ge­gen die Tat­sa­chen selbst nichts aus bloß lo­gi­schen Grün­den vor­ge­bracht wer­den kann. So wie man auf dem Ge­bie­te der phy­­si­schen Welt nie­mals lo­gisch be­wei­sen kann, ob es ei­nen Wal­­fisch gibt oder nicht, son­dern nur durch den Au­gen­schein, so kön­nen auch die über­sinn­li­chen Tat­sa­chen nur durch die geis­ti­ge Wahr­neh­mung er­kannt wer­den. Es kann aber nicht ge­nug be­tont wer­den, daß es für den Be­trach­ter der über­­sinn­li­chen Ge­bie­te ei­ne Not­wen­dig­keit ist, be­vor er in ei­ge­­nem Wahr­neh­men sich den geis­ti­gen Wel­ten näh­ern will, zu­erst sich durch die an­ge­deu­te­te Lo­gik ei­ne An­sicht zu ver­­­schaf­fen, und nicht min­der da­durch, daß er er­kennt, wie die

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sinn­lich-of­fen­ba­re Welt übe­rall ver­ständ­lich er­scheint, wenn man vor­aus­setzt, die Mit­tei­lun­gen der Ge­heim­wis­sen­schaft sei­en rich­tig. Es bleibt eben al­les Er­le­ben in der über­sin­n­­li­chen Welt ein un­si­che­res ja ge­fähr­li­ches Her­um­tas­ten, wenn der ge­schil­der­te Vor­be­rei­tungs­weg ver­sch­mäht wird. Des­halb wird in die­ser Schrift auch zu­erst das Über­sinn­lich-Tat­säch­li­che der Erd­ent­wi­cke­lung mit­ge­teilt, be­vor über den Weg der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis selbst ge­spro­chen wird. Es kommt ja durch­aus auch in Be­tracht, daß der­je­ni­ge, wel­cher sich rein den­kend in das hin­ein­fin­det, was die über­sinn­li­che Er­kennt­nis zu sa­gen hat, kei­nes­wegs in der­sel­ben La­ge ist wie je­mand, der sich ei­ne Er­zäh­lung an­hört über ei­nen phy­si­schen Vor­gang, den er nicht selbst se­hen kann. Denn das rei­ne Den­ken ist selbst schon ei­ne über­sinn­li­che Be­tä­ti­gung. Es kann als Sinn­li­ches nicht zu über­sinn­li­chen Vor­gän­gen durch sich selbst füh­ren. Wenn man aber die­ses Den­ken auf die über­sinn­li­chen, durch die über­sinn­li­che An­­schau­ung er­zähl­ten Vor­gän­ge an­wen­det, dann wächst es durch sich selbst in die über­sinn­li­che Welt hin­ein. Und es ist so­gar ei­ner der al­ler­bes­ten We­ge, zu ei­ge­ner Wahr­neh­mung auf über­sinn­li­chem Ge­bie­te da­durch zu ge­lan­gen, daß man durch das Den­ken über das von der über­sinn­li­chen Er­kenn­t­­nis Mit­ge­teil­te in die höhe­re Welt hin­ein­wächst. Ein sol­ches Hin­ein­kom­men ist näm­lich mit der größ­ten Klar­heit ver­­bun­den. Des­halb be­trach­tet auch ei­ne ge­wis­se Rich­tung geis­tes­wis­sen­schaft­li­cher For­schung die­ses Den­ken als die ge­die­gens­te ers­te Stu­fe al­ler geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Schu­lung. Auch muß es durch­aus be­g­reif­lich er­schei­nen, daß in die­ser Schrift nicht in be­zug auf al­le Ein­zel­hei­ten der im Geis­te wahr­ge­nom­me­nen Erd­ent­wi­cke­lung dar­auf hin­ge­wie­sen wird, wie das Über­sinn­li­che sich in dem Of­fen­ba­ren be­stä­tigt.

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Das war auch nicht die Mei­nung, als ge­sagt wur­de, daß das Ver­bor­ge­ne übe­rall in sei­nen of­fen­ba­ren Wir­kun­gen nach­­­ge­wie­sen wer­den kann. Es ist viel­mehr dies die Mei­nung, daß auf Schritt und Tritt al­les licht­voll und be­g­reif­lich für den Men­schen wer­den kann, was ihm ent­ge­gen­tritt, wenn er die of­fen­ba­ren Vor­gän­ge sich in die Be­leuch­tung rückt, wel­che ihm durch die Ge­heim­wis­sen­schaft er­mög­licht wird. Nur an ein­zel­nen cha­rak­te­ris­ti­schen Stel­len mag in den fol­gen­den Be­trach­tun­gen pro­be­wei­se auf Be­stä­ti­gun­gen des Ver­bor­ge­­nen durch das Of­fen­ba­re ver­wie­sen wer­den, um zu zei­gen, wie man es übe­rall, wo man nur will, im prak­ti­schen Ver­­­folg des Le­bens ma­chen kann.

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Man kommt im Sin­ne der obi­gen geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen For­schung durch die Ver­fol­gung der Erd­ent­wi­cke­lung nach rück­wärts zu ei­nem geis­ti­gen Zu­stand un­se­res Pla­ne­ten. Setzt man aber die­sen For­schungs­weg nach rück­wärts wei­ter fort, dann fin­det man, daß je­nes Geis­ti­ge vor­her be­reits in ei­ner Art phy­si­scher Ver­kör­pe­rung war. Man trifft al­so auf ei­nen ver­gan­ge­nen phy­si­schen pla­ne­ta­ri­schen Zu­stand, der sich spä­ter ver­geis­tigt und nach­her durch aber­ma­li­ge Ver­stof­f­­li­chung sich zu un­se­rer Er­de um­ge­wan­delt hat. Un­se­re Er­de stellt sich so­mit als die Wie­der­ver­kör­pe­rung ei­nes ural­ten Pla­ne­ten dar. Aber die Geis­tes­wis­sen­schaft kann noch wei­ter zu­rück­ge­hen. Und sie fin­det dann den gan­zen Vor­gang noch zwei­mal wie­der­holt. Un­se­re Er­de hat al­so drei vor­her­ge­hen­de pla­ne­ta­ri­sche Zu­stän­de durch­ge­macht, zwi­schen de­nen im­mer Zwi­schen­zu­stän­de der Ver­geis­ti­gung lie­gen. Das Phy­si­sche er­weist sich al­ler­dings im­mer fei­ner und fei­ner, je wei­ter wir die Ver­kör­pe­rung nach rück­wärts ver­fol­gen.

Na­he­lie­gend ist der fol­gen­den Dar­stel­lung ge­gen­über der

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Ein­wand: Wie kann ge­sun­de Ur­teils­kraft sich ein­las­sen auf die An­nah­me so un­er­meß­lich weit zu­rück­lie­gen­der Welt­zu­stän­de, wie die­je­ni­gen sind, von de­nen hier ge­spro­chen wird? Dem­ge­gen­über muß ge­sagt wer­den, daß für den­je­ni­gen, der ver­ständ­nis­voll auf das ge­gen­wär­ti­ge ver­bor­ge­ne Geis­ti­ge in dem of­fen­ba­ren Sin­nen­fäl­li­gen hin­zu­bli­cken ver­mag, auch die Ein­sicht in die, wenn auch noch so ent­fern­ten frühe­ren Ent­wi­cke­lungs­zu­stän­de nichts Un­mög­li­ches dar­s­tel­len kann. Nur wer für die Ge­gen­wart die­ses ver­bor­ge­ne Geis­ti­ge nicht an­er­kennt, für den ver­liert das Re­den über ei­ne sol­che En­t­­wi­cke­lung, wie sie hier ge­meint ist, al­len Sinn. Wer es aner­kennt, für den ist im An­blick des ge­gen­wär­ti­gen Zu­stan­des der frühe­re eben­so ge­ge­ben, wie im An­blick des fünf­zi­g­­jäh­ri­gen Men­schen der des ein­jäh­ri­gen Kin­des. Ja, kann man sa­gen, aber man hat mit Be­zug auf das letz­te­re ne­ben fün­f­zig­jäh­ri­gen Men­schen ein­jäh­ri­ge Kin­der und al­le mög­li­chen Zwi­schen­stu­fen vor sich. Das ist rich­tig; aber rich­tig ist es auch für die hier ge­mein­te Ent­wi­cke­lung des Geis­ti­gen. Wer auf die­sem Fel­de zu ei­nem sinn­ge­mä­ß­en Ur­teil kommt, der sieht auch ein, daß in der voll­stän­di­gen Be­o­b­ach­tung des Ge­gen­wär­ti­gen, die das Geis­ti­ge mit um­sch­ließt, wir­k­lich ne­ben den Stu­fen des Da­seins, die bis zur Ent­wi­cke­lungs­voll­kom­men­heit der Ge­gen­wart fort­ge­schrit­ten sind, auch die Ent­wi­cke­lungs­zu­stän­de der Ver­gan­gen­heit er­hal­ten ge­b­lie­­ben sind, wie ne­ben den fünf­zig­jäh­ri­gen Men­schen ein­jäh­ri­ge Kin­der vor­han­den sind. Man kann inn­er­halb des Er­den­ge­sche­hens der Ge­gen­wart das Ur­ge­sche­hen schau­en, wenn man nur die sich un­ter­schei­den­den au­f­ein­an­der­fol­gen­den Ent­wi­cke­lungs­zu­stän­de au­s­ein­an­der­zu­hal­ten ver­mag.

Nun tritt der Mensch in der Ge­stalt, in wel­cher er ge­gen­wär­tig sich ent­wi­ckelt, erst auf der vier­ten der cha­rak­te­ri­sier­ten

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pla­ne­ta­ri­schen Ver­kör­pe­run­gen, auf der ei­gent­li­chen Er­de auf. Und das We­sent­li­che die­ser Ge­stalt ist, daß der Mensch aus den vier Glie­dern zu­sam­men­ge­setzt ist: Phy­si­­scher Leib, Le­bens­leib, As­tral­leib und Ich. Doch hät­te die­se Ge­stalt nicht auf­t­re­ten kön­nen, wenn sie nicht durch die vor­her­ge­hen­den Ent­wi­cke­lung­s­tat­sa­chen vor­be­rei­tet wor­den wä­re. Die­se Vor­be­rei­tung ge­schah da­durch, daß inn­er­halb der frühe­ren pla­ne­ta­ri­schen Ver­kör­pe­rung We­sen sich ent­wi­ckel­ten, die von den ge­gen­wär­ti­gen vier Men­schen­g­lie­dern drei be­reits hat­ten: den phy­si­schen Leib, den Le­bens­leib und den As­tral­leib. Die­se We­sen, die man in ei­ner ge­wis­sen Be­­zie­hung die Men­schen­vor­fah­ren nen­nen kann, hat­ten noch kein «Ich», aber sie ent­wi­ckel­ten die drei an­de­ren Glie­der und de­ren Zu­sam­men­hang so weit, daß sie reif wur­den, spä­ter das «Ich» auf­zu­neh­men. So­mit ge­lang­te der Men­schen­vor­fahr auf der frühe­ren Pla­ne­ten-Ver­kör­pe­rung bis zu ei­nem ge­wis­sen Rei­fe­zu­stand sei­ner drei Glie­der. Die­ser Zu­stand ging in ei­ne Ver­geis­ti­gung ein. Und aus der Ver­gei­s­ti­gung bil­de­te sich dann ein neu­er phy­si­scher pla­ne­ta­ri­scher Zu­stand, der­je­ni­ge der Er­de, her­aus. In die­sem wa­ren, wie als Kei­me, die ge­reif­ten Men­schen­vor­fah­ren ent­hal­ten. Da­­durch, daß der gan­ze Pla­net durch ei­ne Ver­geis­ti­gung durch­­­ge­gan­gen und in ei­ner neu­en Ge­stalt er­schie­nen ist, bot er den in ihm ent­hal­te­nen Kei­men mit dem phy­si­schen Leib, dem Le­bens­leib und dem As­tral­leib nicht nur die Ge­le­gen­heit, sich bis zu der Höhe wie­der zu ent­wi­ckeln, auf der sie vor­her schon ge­stan­den hat­ten, son­dern auch die an­de­re Mög­lich­keit: nach­dem sie die­se Höhe er­reicht hat­ten, über sich hin­aus­zu­ge­lan­gen durch die Auf­nah­me des «Ich». Die Erd­ent­wi­cke­lung zer­fällt al­so in zwei Tei­le. In ei­ner ers­ten Pe­rio­de er­scheint die Er­de selbst als Wie­der­ver­kör­pe­rung

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des frühe­ren pla­ne­ta­ri­schen Zu­stan­des. Die­ser Wie­der­ho­lungs­zu­stand ist aber durch die in­zwi­schen ein­ge­t­re­te­ne Ver­geis­ti­gung ein höhe­rer als der­je­ni­ge der vor­her­ge­hen­den Ver­kör­pe­rung. Und die Er­de ent­hält in sich die Kei­me der Men­schen­vor­fah­ren vom frühe­ren Pla­ne­ten. Die­se ent­wi­ckeln sich zu­nächst bis zu der Höhe, auf der sie schon wa­ren. Wenn sie die­se er­reicht ha­ben, ist die ers­te Pe­rio­de ab­ge­­­sch­los­sen. Die Er­de aber kann jetzt we­gen ih­rer ei­ge­nen höhe­ren Ent­wi­cke­lungs­stu­fe die Kei­me noch höh­er brin­gen, näm­lich sie zur Auf­nah­me des «Ich» be­fähi­gen. Die zwei­te Pe­rio­de der Erd­ent­wi­cke­lung ist die­je­ni­ge der Ich-Ent­fal­­tung im phy­si­schen Lei­be, Le­bens- und As­tral­lei­be.

Wie auf die­se Art durch die Erd­ent­wi­cke­lung der Mensch um ei­ne Stu­fe höh­er ge­bracht wird, so ist die­ses auch schon bei den frühe­ren pla­ne­ta­ri­schen Ver­kör­pe­run­gen der Fall ge­we­sen. Denn be­reits auf der ers­ten die­ser Ver­kör­pe­run­gen war vom Men­schen et­was vor­han­den. Da­her wird Klar­heit über die ge­gen­wär­ti­ge Men­schen­we­sen­heit ver­b­rei­tet, wenn de­ren Ent­wi­cke­lung bis in die ur­fer­ne Ver­gan­gen­heit der ers­ten der an­ge­führ­ten Pla­ne­ten­ver­kör­pe­run­gen zu­rück ver­­­folgt wird. Man kann nun in der über­sinn­li­chen For­schung die­se ers­te Pla­ne­ten­ver­kör­pe­rung den Sa­turn nen­nen; die zwei­te als Son­ne be­zeich­nen; die drit­te als Mond; die vier­te ist die Er­de. Da­bei hat man st­reng fest­zu­hal­ten, daß die­se Be­zeich­nun­gen zu­nächst in kei­nen Zu­sam­men­hang ge­bracht wer­den dür­fen mit den gleich­na­mi­gen, die für die Glie­der un­se­res ge­gen­wär­ti­gen Son­nen­sys­tems ge­braucht wer­den. Sa­turn, Son­ne und Mond sol­len eben Na­men für ver­gan­ge­ne Ent­wi­cke­lungs­for­men sein, wel­che die Er­de durch­ge­macht hat. Wel­ches Ver­hält­nis die­se Wel­ten der Vor­zeit zu den Him­mels­kör­pern ha­ben, die das ge­gen­wär­ti­ge Son­nen­sys­tem

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bil­den, wird sich noch im Lau­fe der fol­gen­den Be­trach­tun­­gen zei­gen. Es wird dann auch sich zei­gen, warum die­se Na­men ge­wählt wer­den.

Wenn nun­mehr die Ver­hält­nis­se der vier ge­nann­ten pla­ne­­ta­ri­schen Ver­kör­pe­run­gen ge­schil­dert wer­den, so kann das nur ganz skiz­zen­haft ge­sche­hen. Denn die Vor­gän­ge, We­sen­hei­ten und de­ren Schick­sa­le sind auf Sa­turn, Son­ne und Mond wahr­lich eben so man­nig­fal­tig wie auf der Er­de selbst. Da­her kann nur ein­zel­nes Cha­rak­te­ris­ti­sche über die­se Ver­­hält­nis­se in der Schil­de­rung her­vor­ge­ho­ben wer­den, was ge­eig­net ist, zu ver­an­schau­li­chen, wie sich die Zu­stän­de der Er­de aus den frühe­ren her­aus­ge­bil­det ha­ben. Man muß da­bei auch be­den­ken, daß die­se Zu­stän­de den ge­gen­wär­ti­gen im­mer un­ähn­li­cher wer­den, je wei­ter man zu­rück­geht. Und doch kann man sie ja nur da­durch schil­dern, daß man zur Cha­rak­te­ris­tik die Vor­stel­lun­gen be­nützt, wel­che den ge­gen­wär­ti­gen Er­den­ver­hält­nis­sen ent­nom­men sind. Wenn al­so zum Bei­spiel von Licht, von Wär­me oder ähn­li­chem für die­se frühe­ren Zu­stän­de ge­spro­chen wird, so darf nicht au­ßer acht ge­las­sen wer­den, daß da­mit nicht ge­nau das ge­meint ist, was jetzt als Licht und Wär­me be­zeich­net wird. Und doch ist ei­ne sol­che Be­zeich­nungs­wei­se rich­tig, denn für den Be­o­b­ach­­ter des Über­sinn­li­chen zeigt sich eben auf den frühe­ren Ent­wi­cke­lungs­stu­fen et­was, wor­aus in der Ge­gen­wart Licht, Wär­me usw. ge­wor­den ist. Und der­je­ni­ge, wel­cher die al­so ge­hal­te­nen Schil­de­run­gen ver­folgt, wird aus dem Zu­sam­men­han­ge, in den die­se Din­ge ge­s­tellt sind, gar wohl ent­neh­men kön­nen, wel­che Vor­stel­lun­gen zu ge­win­nen sind, um cha­rak­­te­ris­ti­sche Bil­der und Gleich­nis­se sol­cher Tat­sa­chen zu ha­ben, wel­che in ur­fer­ner Ver­gan­gen­heit sich ab­ge­spielt ha­ben.

Al­ler­dings wird die­se Schwie­rig­keit sehr be­deut­sam für

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die­je­ni­gen pla­ne­ta­ri­schen Zu­stän­de, wel­che der Mon­den-Ver­kör­pe­rung vor­an­ge­hen. Wäh­rend die­ser letz­te­ren herrsch­ten näm­lich Ver­hält­nis­se, die doch noch ei­ne ge­wis­se Ähn­lich­keit mit den ir­di­schen auf­wei­sen. Wer ei­ne Schil­de­rung die­ser Ver­hält­nis­se ver­sucht, der hat an den Ähn­lich­kei­ten mit der Ge­gen­wart ge­wis­se An­halts­punk­te, um die über­sinn­lich ge­won­ne­nen Wahr­neh­mun­gen in deut­li­chen Vor­stel­lun­gen aus­­zu­drü­cken. An­ders liegt die Sa­che, wenn die Sa­turn- und die Son­nen­ent­wi­cke­lung ge­schil­dert wer­den. Da ist das­je­ni­ge, was der hell­se­he­ri­schen Be­o­b­ach­tung vor­liegt, im höchs­ten Gra­de ver­schie­den von den Ge­gen­stän­den und We­sen­hei­ten, die ge­gen­wär­tig zum Le­bens­k­rei­se des Men­schen ge­hö­ren. Und die­se Ver­schie­den­heit be­wirkt, daß es äu­ßerst schwie­­rig über­haupt ist, die­se ent­sp­re­chen­den vor­zeit­li­chen Ta­t­­sa­chen in den Be­reich des über­sinn­li­chen Be­wußt­seins zu brin­­gen. Da je­doch die ge­gen­wär­ti­ge Men­schen­we­sen­heit nicht be­grif­fen wer­den kann, wenn man nicht bis zu dem Sa­turn-Zu­stand zu­rück­geht, so muß die Schil­de­rung den­noch ge­ge­ben wer­den. Und ge­wiß wird ei­ne der­ar­ti­ge Schil­de­rung der­je­ni­ge nicht mißv­er­ste­hen kön­nen, wel­cher im Au­ge be­hält, daß ei­ne sol­che Schwie­rig­keit be­steht und daß da­her man­ches, was ge­sagt wird, mehr ei­ne An­deu­tung und ein Hin­weis auf die ent­sp­re­chen­den Tat­sa­chen sein muß als ei­ne ge­naue Be­sch­rei­bung der­sel­ben.

Ein Wi­der­spruch des hier und im fol­gen­den An­ge­ge­be­nen ge­gen­über dem, was oben auf Sei­te 146 ge­sagt ist über das Fort­be­ste­hen des Frühe­ren im Ge­gen­wär­ti­gen, könn­te al­ler­­dings ge­fun­den wer­den. Man könn­te mei­nen: nir­gends sei ne­ben dem ge­gen­wär­ti­gen Er­den­zu­stan­de ein frühe­rer Sa­turn-, Son­nen-, Mon­den­zu­stand vor­han­den, oder gar ei­ne Men­schen­ge­stal­tung, wie sie in die­sen Aus­füh­run­gen, als inn­er­halb

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die­ser ver­gan­ge­nen Zu­stän­de vor­han­den, ge­schil­dert wird. Ge­wiß, es lau­fen nicht ne­ben Er­den­men­schen Sa­turn-, Son­nen- und Mon­den­men­schen wie ne­ben fünf­zig­jäh­ri­gen Per­so­nen drei­jäh­ri­ge Kin­der her­um. Aber inn­er­halb des Er­den­men­schen sind die frühe­ren Mensch­heits­zu­stän­de über­­sinn­lich wahr­nehm­bar. Um das zu er­ken­nen, muß man sich nur das auf den Um­fang der Le­bens­ver­hält­nis­se aus­ge­dehn­te Un­ter­schei­dungs­ver­mö­gen an­ge­eig­net ha­ben. Wie ne­ben dem fünf­zig­jäh­ri­gen Men­schen das drei­jäh­ri­ge Kind, so sind ne­ben dem le­ben­den, wa­chen­den Er­den­men­schen der Leich­nam, der schla­fen­de Mensch, der träu­men­de Mensch vor­­han­den. Und wenn sich die­se ver­schie­de­nen Er­schei­nungs­­­for­men der Men­schen­we­sen­heit auch nicht un­mit­tel­bar so, wie sie sind, als die ver­schie­de­nen Ent­wi­cke­lungs­stu­fen er­ge­ben, so schaut ei­ne sinn­ge­mä­ße An­schau­ung in je­nen For­men doch die­se Stu­fen.

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Von den ge­gen­wär­ti­gen vier Glie­dern der men­sch­li­chen We­sen­heit ist der phy­si­sche Leib das äl­tes­te. Er ist auch das­je­ni­ge, wel­ches in sei­ner Art die größ­te Voll­kom­men­heit er­­reicht hat. Und die über­sinn­li­che For­schung zeigt, daß die­­ses Men­schen­g­lied be­reits wäh­rend der Sa­turn­ent­wi­cke­lung vor­han­den war. Es wird sich zei­gen in die­ser Dar­stel­lung, daß al­ler­dings die Ge­stalt, wel­che die­ser phy­si­sche Leib auf dem Sa­turn hat­te, et­was durch­aus Ver­schie­de­nes von dem ge­gen­wär­ti­gen phy­si­schen Men­schen­lei­be war. Die­ser ir­di­sche phy­si­sche Men­schen­leib kann in sei­ner Na­tur nur da­durch be­ste­hen, daß er in Zu­sam­men­hang steht mit Le­bens­leib, As­tral­leib und Ich in der Art, wie dies in den vor­an­ge­gan­­ge­nen Tei­len die­ser Schrift ge­schil­dert wor­den ist. Ein der­ar­ti­ger Zu­sam­men­hang war auf dem Sa­turn noch nicht

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vor­han­den. Da­mals mach­te der phy­si­sche Leib sei­ne ers­te Ent­wi­cke­lungs­stu­fe durch, oh­ne daß ihm ein men­sch­li­cher Le­bens­leib, ein As­tral­leib oder ein Ich ein­ge­g­lie­dert wa­ren. Er reif­te wäh­rend der Sa­turn­ent­wi­cke­lung erst da­zu heran, ei­nen Le­bens­leib auf­zu­neh­men. Da­zu muß­te sich der Sa­turn erst ver­geis­ti­gen und sich dann als Son­ne Wie­der­ver­kör­pe­rung. Inn­er­halb der Son­nen­ver­kör­pe­rung ent­fal­te­te sich wie­der, wie aus ei­nem ge­b­lie­be­nen Kei­me, das, wo­zu der phy­si­sche Leib auf dem Sa­turn ge­wor­den war; und da erst konn­te er sich durch­drin­gen mit ei­nem Äther­leib. Durch die­se Ein­g­lie­­de­rung ei­nes Äther­lei­bes ver­wan­de­le der phy­si­sche Leib sei­ne Art; er wur­de auf ei­ne zwei­te Stu­fe der Voll­kom­men­heit ge­ho­ben. Ein Ähn­li­ches er­eig­ne­te sich wäh­rend der Mon­den­ent­wi­cke­lung. Der Men­schen­vor­fahr, wie er von der Son­ne zum Mon­de sich her­über­ent­wi­ckelt hat, glie­der­te sich da den As­tral­leib ein. Da­durch wur­de der phy­si­sche Leib ein drit­tes Mal ver­wan­delt, al­so auf die drit­te Stu­fe sei­ner Voll­kom­men­heit her­auf­ge­ho­ben. Der Le­bens­leib wur­de da­bei eben­falls ver­wan­delt; er stand nun­mehr auf der zwei­ten Stu­fe sei­ner Voll­kom­men­heit. Auf der Er­de wur­de dem aus phy­si­schem Leib, Le­bens­leib und As­tral­leib be­ste­hen­den Men­schen­vor­fahr das Ich ein­ge­g­lie­dert. Da­durch er­reich­te der phy­si­sche Leib sei­nen vier­ten Voll­kom­men­heits­grad, der Le­bens­leib den drit­ten, der As­tral­leib den zwei­ten; das Ich steht erst auf der ers­ten Stu­fe sei­nes Da­seins.

Es wird, wenn man sich ei­ner un­be­fan­ge­nen Be­trach­tung des Men­schen hin­gibt, kei­ne Schwie­rig­kei­ten ma­chen, sich die­se ver­schie­de­nen Voll­kom­men­heits­gra­de der ein­zel­nen Glie­der rich­tig vor­zu­s­tel­len. Man braucht nur den phy­si­­schen Leib mit dem as­tra­li­schen in die­ser Be­zie­hung zu ver­­­g­lei­chen. Ge­wiß steht der As­tral­leib als see­li­sches Glied auf

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ei­ner höhe­ren Stu­fe der Ent­wi­cke­lung als der phy­si­sche. Und wenn der ers­te­re in der Zu­kunft sich ver­voll­komm­net ha­ben wird, so wird er für die Ge­samt­we­sen­heit des Men­­schen sehr viel mehr zu be­deu­ten ha­ben, als der ge­gen­wär­ti­ge phy­si­sche Leib. Doch in sei­ner Art ist die­ser auf ei­ner ge­wis­sen Höh­en­stu­fe an­ge­langt. Man be­den­ke den im Sin­ne größ­ter Weis­heit ein­ge­rich­te­ten Bau des Her­zens, den Wun­der­bau des Ge­hirns usw., ja selbst ei­nes ein­zel­nen Kno­chen­tei­les, zum Bei­spiel des obe­ren En­des ei­nes Ober­schen­kels. Man fin­det in die­sem Kno­che­n­en­de ein ge­setz­mä­ß­ig ge­g­lie­­der­tes Netz- oder Ge­rüst­werk, aus fei­nen Stäb­chen an­ge­­ord­net. Das Gan­ze ist so ge­fügt, daß mit der Auf­wen­dung der ge­rings­ten Ma­te­rial­men­ge die güns­tigs­te Wir­kung an den Ge­lenk­flächen, zum Bei­spiel die zweck­mä­ß­igs­te Ver­­­tei­lung der Rei­bung und da­mit ei­ne rich­ti­ge Art von Be­we­g­­lich­keit er­zielt wird. So fin­det man weis­heits­vol­le Ein­rich­­tun­gen in den Tei­len des phy­si­schen Lei­bes. Und wer da­zu wei­ter be­ach­tet die Har­mo­nie im Zu­sam­men­wir­ken der Tei­le zum Gan­zen, der wird ge­wiß rich­tig fin­den, wenn von ei­ner Voll­kom­men­heit die­ses Glie­des der men­sch­li­chen We­sen­heit in sei­ner Art ge­spro­chen wird. Es kommt da­ne­ben nicht in Be­tracht, daß an ge­wis­sen Tei­len un­zweck­mä­ß­ig Er­schei­­nen­des auf­tritt oder daß Stör­un­gen in dem Bau und den Ver­rich­tun­gen ein­t­re­ten kön­nen. Man wird so­gar fin­den kön­nen, daß sol­che Stör­un­gen in ge­wis­ser Be­zie­hung nur die not­wen­di­gen Schat­ten­sei­ten des weis­heits­vol­len Lich­tes sind, das über den gan­zen phy­si­schen Or­ga­nis­mus aus­ge­gos­sen ist. Und nun ver­g­lei­che man da­mit den As­tral­leib als den Trä­­ger von Lust und Leid, von Be­gier­den und Lei­den­schaf­ten. Wel­che Un­si­cher­heit herrscht in ihm in be­zug auf Lust und Leid, wel­che dem höhe­ren Men­schen­zie­le zu­wi­der­lau­fen­den,

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oft sinn­lo­sen Be­gier­den und Lei­den­schaf­ten spie­len sich da ab. Der As­tral­leib ist eben erst auf dem We­ge, die Har­mo­­nie und in­ne­re Ge­sch­los­sen­heit zu er­lan­gen, die man im phy­­si­schen Lei­be schon an­trifft. Eben­so könn­te ge­zeigt wer­den, daß sich der Äther­leib zwar voll­kom­me­ner in sei­ner Art zeigt als der As­tral­leib, aber un­voll­kom­me­ner als der phy­­si­sche. Und nicht we­ni­ger wird sich ei­ner ent­sp­re­chen­den Be­trach­tung er­ge­ben, daß der ei­gent­li­che Kern der men­sch­­li­chen We­sen­heit, das «Ich», ge­gen­wär­tig erst im An­fan­ge der Ent­wi­cke­lun­gen steht. Denn wie­viel hat die­ses Ich be­reits er­reicht von sei­ner Auf­ga­be, die an­dern Glie­der der men­sch­li­chen We­sen­heit so um­zu­wan­deln, daß sie ei­ne Of­fen­ba­rung sei­ner ei­ge­nen Na­tur sei­en? Was sich auf die­se Art schon bei ei­ner äu­ßer­li­chen Be­o­b­ach­tung er­gibt, das wird für den Ken­ner der Geis­tes­wis­sen­schaft noch durch et­was an­de­res ver­schärft. Man könn­te sich dar­auf be­ru­fen, daß der phy­si­sche Leib von Krank­hei­ten be­fal­len wird. Die Geis­tes­wis­sen­schaft ist nun in der La­ge zu zei­gen, daß ein gro­ßer Teil al­ler Krank­hei­ten da­von her­rührt, daß die Ver­kehrt­hei­ten, die Ver­ir­run­gen im as­tra­li­schen Lei­be sich auf den Äther­leib fortpflan­zen und auf dem Um­we­ge durch den letz­tem die an sich voll­kom­me­ne Har­mo­nie des phy­si­­schen Lei­bes zer­stö­ren. Der tie­fe­re Zu­sam­men­hang, auf den hier nur hin­ge­deu­tet wer­den kann, und der wahr­haf­ti­ge Grund vie­ler Krank­heits­vor­gän­ge ent­zie­hen sich näm­lich der­je­ni­gen wis­sen­schaft­li­chen Be­trach­tung, die sich nur auf die phy­sisch-sinn­li­chen Tat­sa­chen be­schrän­k­en will. Es er­­gibt sich die­ser Zu­sam­men­hang in den meis­ten Fäl­len so, daß ei­ne Schä­d­i­gung des As­tral­lei­bes krank­haf­te Er­schei­­nun­gen des phy­si­schen Lei­bes nicht in dem­sel­ben Le­bens­lauf nach sich zieht, in dem die Schä­d­i­gung ge­sche­hen ist, son­dern

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erst in ei­nem fol­gen­den. Da­her ha­ben die Ge­set­ze, die hier in Be­tracht kom­men, nur für den­je­ni­gen ei­ne Be­deu­tung, wel­cher die Wie­der­ho­lung des Men­schen­le­bens an­er­ken­nen kann. Aber selbst, wenn man von sol­chen tie­fer­ge­hen­den Er­kennt­nis­sen nichts wis­sen woll­te, so er­gibt doch auch die ge­wöhn­li­che Le­bens­be­trach­tung, daß der Mensch sich nur all­zu­vie­len Ge­nüs­sen und Be­gier­den hin­gibt, wel­che die Har­mo­nie des phy­si­schen Lei­bes un­ter­gr­a­ben. Und Ge­nuß, Be­gier­de, Lei­den­schaft usw. ha­ben nicht ih­ren Sitz im phy­­si­schen, son­dern im as­tra­li­schen Lei­be. Die­ser letz­te­re ist in vie­ler Be­zie­hung eben noch so un­voll­kom­men, daß er die Voll­kom­men­heit des phy­si­schen Lei­bes zer­stö­ren kann. Auch hier sei dar­auf hin­ge­wie­sen, daß mit sol­chen Aus­­ein­an­der­set­zun­gen nicht et­wa die Aus­sa­gen der Geis­tes­­wis­sen­schaft über die Ent­wi­cke­lung der vier Glie­der der men­sch­li­chen We­sen­heit be­wie­sen wer­den sol­len. Die Be­wei­se wer­den aus der geis­ti­gen For­schung ent­nom­men, die zeigt, daß der phy­si­sche Leib ei­ne vier­ma­li­ge Um­wand­lung zu höhe­ren Voll­kom­men­heits­gra­den hin­ter sich hat, und die an­dern Glie­der des Men­schen in der ge­schil­der­ten Wei­se we­ni­ger. Es soll­te hier eben nur an­ge­deu­tet wer­den, daß sich die­se Mit­tei­lun­gen der geis­ti­gen For­schung auf Tat­sa­chen be­zie­hen, die sich in ih­ren Wir­kun­gen an den auch äu­ßer­lich zu be­o­b­ach­ten­den Voll­kom­men­heits­gra­den von phy­si­schem Leib, Le­bens­leib usw. zei­gen.

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Will man sich ei­ne bild­haf­te, an die Wir­k­lich­keit sich an­näh­ern­de Vor­stel­lung von den Ver­hält­nis­sen wäh­rend der Sa­turn­ent­wi­cke­lung ma­chen, so muß man in Be­tracht zie­hen, daß wäh­rend der­sel­ben im we­sent­li­chen von den Din­gen und Ge­sc­höp­fen, die ge­gen­wär­tig zur Er­de ge­hö­ren

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und wel­che man dem Mi­ne­ral-, Pflan­zen- und Tier­reich zu­zählt, noch nichts vor­han­den war. Die We­sen die­ser drei Rei­che ha­ben sich erst in spä­te­ren Ent­wi­cke­lungs­pe­rio­de ge­bil­det. Von den heu­te phy­sisch wahr­nehm­ba­ren Er­den­we­sen war nur der Mensch da­mals vor­han­den, und von ihm nur der phy­si­sche Leib in der ge­schil­der­ten Art. Nun aber ge­hö­ren auch ge­gen­wär­tig zur Er­de nicht nur die We­sen des Mi­ne­ral-, Tier-, Pflan­zen- und Men­schen­rei­ches, son­dern auch an­de­re We­sen, die sich nicht in ei­ner phy­si­schen Kör­per­lich­keit kund­ge­ben. Sol­che We­sen­hei­ten wa­ren auch in der Sa­turn­ent­wi­cke­lung ge­gen­wär­tig. Und ih­re Tä­tig­keit auf dem Schau­plat­ze des Sa­turn hat­te zur Fol­ge die spä­te­re Ent­wi­cke­lung des Men­schen.

Rich­tet man die geis­ti­gen Wahr­neh­mung­s­or­ga­ne zu­nächst nicht auf An­fang und En­de, son­dern auf die mitt­le­re Ent­wi­cke­lungs­pe­rio­de die­ser Sa­turn-Ver­kör­pe­rung, so zeigt sich in der­sel­ben ein Zu­stand, wel­cher, der Haupt­sa­che nach, nur aus «Wär­me» be­steht. Nichts von gas­för­mi­gen, nichts von flüs­si­gen oder gar von fes­ten Be­stand­tei­len ist zu fin­den. Al­le die­se Zu­stän­de tre­ten erst in spä­te­ren Ver­kör­pe­run­gen auf. Man neh­me an, ein Men­schen­we­sen mit den ge­gen­wär­­ti­gen Sin­ne­s­or­ga­nen wür­de sich die­sem Sa­turn­zu­stan­de als Be­o­b­ach­ter näh­ern. Nichts von all den Sin­ne­s­ein­drü­cken, die es ha­ben kann, wür­de ihm da ent­ge­gen­t­re­ten, au­ßer der Wär­me­emp­fin­dung. An­ge­nom­men, ein sol­ches We­sen wür­de sich die­sem Sa­turn näh­ern. Es wür­de nur wahr­neh­men, wenn es in den von ihm ein­ge­nom­me­nen Raum­teil ge­langt, daß die­ser ei­nen an­dern Wär­m­e­zu­stand hat als die üb­ri­ge rä­um­li­che Um­ge­bung. Aber es wür­de die­sen Raum­teil nicht et­wa gleich­mä­ß­ig warm fin­den, son­dern in der al­ler­man­nig­fal­tigs­ten Wei­se wür­den wär­me­re und käl­te­re Par­ti­en ab­wech­seln.

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Nach ge­wis­sen Li­ni­en hin wür­de strah­len­de Wär­me wahr­ge­nom­men wer­den. Und nicht et­wa, daß sich sol­che Li­ni­en nur ge­ra­de hin­zö­gen, son­dern durch die Wär­me­un­ter­schie­de wer­den un­re­gel­mä­ß­i­ge For­men ge­bil­det. Man hät­te et­was vor sich, wie ein in sich ge­g­lie­der­tes, in wech­­seln­den Zu­stän­den er­schei­nen­des Wel­ten­we­sen, das nur in Wär­me be­steht.

Es muß für den Men­schen der Ge­gen­wart Schwie­rig­kei­ten ma­chen, sich et­was vor­zu­s­tel­len, was nur in Wär­me be­steht, da er ge­wohnt ist, die Wär­me nicht als et­was für sich zu er­ken­nen, son­dern sie nur an war­men oder kal­ten gas­för­mi­gen, flüs­si­gen oder fes­ten Kör­pern wahr­zu­neh­men. Ins­be­son­de­re dem, wel­cher die phy­si­ka­li­schen Vor­stel­lun­­gen un­se­rer Zeit sich an­ge­eig­net hat, wird ein Sp­re­chen von «Wär­me» in obi­ger Art als un­sin­nig er­schei­nen. Ein sol­cher wird vi­el­leicht sa­gen: es gibt fes­te, flüs­si­ge und gas­för­mi­ge Kör­per; Wär­me be­zeich­net aber nur ei­nen Zu­stand, in dem ei­ne die­ser drei Kör­per­for­men ist. Wenn die kleins­ten Tei­le ei­nes Ga­ses in Be­we­gung sind, so wird die­se Be­we­gung als Wär­me wahr­ge­nom­men. Wo kein Gas ist, kann kei­ne sol­che Be­we­gung, al­so auch kei­ne Wär­me sein. Für den geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen For­scher stellt sich die Sa­che an­ders. Ihm ist die Wär­me et­was, wo­von er in glei­chem Sin­ne spricht wie von Gas, von Flüs­sig­keit oder von fes­tem Kör­per. Sie ist ihm nur ei­ne noch fei­ne­re Sub­stanz als ein Gas. Und die­ses letz­te­re ist ihm nichts an­de­res als ver­dich­te­te Wär­me in dem Sin­ne, wie die Flüs­sig­keit ver­dich­te­ter Dampf ist oder der fes­te Kör­per ver­dich­te­te Flüs­sig­keit. So spricht der Geis­tes­wis­sen­schaf­ter von Wär­m­e­kör­pern, wie er von gas- und dampf­för­mi­gen Kör­pern spricht. Es ist nur not­wen­dig zu­zu­ge­ben, daß es see­li­sches Wahr­neh­men gibt, wenn man

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auf die­sem Ge­bie­te dem Geis­tes­for­scher fol­gen will. In der für phy­si­sche Sin­ne ge­ge­be­nen Welt stellt sich die Wär­me durch­aus als Zu­stand des Fes­ten, Flüs­si­gen oder Gas­för­mi­­gen dar; aber die­ser Zu­stand ist eben nur die Au­ßen­sei­te der Wär­me oder auch ih­re Wir­kung. Die Phy­si­ker sp­re­chen nur von die­ser Wir­kung der Wär­me, nicht von de­ren in­ne­rer Na­tur. Man ver­su­che es ein­mal, ganz ab­zu­se­hen von al­ler Wärm­e­wir­kung, die man emp­fängt durch äu­ße­re Kör­per, und sich le­dig­lich das in­ne­re Er­leb­nis zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, das man hat bei den Wor­ten: «ich füh­le mich warm», «ich füh­le mich kalt». Die­ses in­ne­re Er­leb­nis ver­mag al­lein ei­ne Vor­stel­lung von dem zu ge­ben, was der Sa­turn war in der oben ge­schil­der­ten Pe­rio­de sei­ner Ent­wi­cke­lung. Man hät­te den Raum­teil, den er ein­ge­nom­men hat, ganz durchlau­fen kön­nen: kein Gas wä­re da­ge­we­sen, das ir­gend­ei­nen Druck aus­­­ge­übt hät­te, kein fes­ter oder flüs­si­ger Kör­per, von dem man hät­te ir­gend­ei­nen Licht­ein­druck er­hal­ten kön­nen. Aber an je­dem Punk­te des Rau­mes hät­te man, oh­ne Ein­druck von au­ßen, in­ner­lich ge­fühlt: hier ist die­ser oder je­ner Wär­m­e­grad.

In ei­nem Wel­ten­kör­per von sol­cher Be­schaf­fen­heit sind kei­ne Be­din­gun­gen für die tie­ri­schen, pflanz­li­chen und mi­­ne­ra­li­schen We­sen un­se­rer Ge­gen­wart. (Es ist des­halb wohl kaum nö­t­ig zu be­mer­ken, daß das oben Ge­sag­te tat­säch­lich nie­mals statt­fin­den könn­te. Ein ge­gen­wär­ti­ger Mensch kann sich als sol­cher dem al­ten Sa­turn nicht als Be­o­b­ach­ter ge­­gen­über­s­tel­len. Die Au­s­ein­an­der­set­zung soll­te nur der Ver­­­deut­li­chung die­nen.) Die We­sen­hei­ten, de­ren sich das über­sinn­li­che Er­ken­nen bei der Be­trach­tung des Sa­turn be­wußt wird, wa­ren auf ei­ner ganz an­de­ren Ent­wi­cke­lungs­stu­fe als die ge­gen­wär­ti­gen, sinn­lich wahr­nehm­ba­ren Er­den­we­sen. Da stel­len sich vor die­ses Er­ken­nen zu­nächst We­sen hin,

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wel­che ei­nen phy­si­schen Leib nicht hat­ten wie der ge­gen­wär­ti­ge Mensch. Man muß sich nun auch hü­ten, an die ge­­gen­wär­ti­ge phy­si­sche Kör­per­lich­keit des Men­schen zu den­ken, wenn hier von «phy­si­schem Lei­be» die Re­de ist. Man muß viel­mehr sorg­fäl­tig un­ter­schei­den zwi­schen phy­si­schem Leib und mi­ne­ra­li­schem Leib. Ein phy­si­scher Leib ist der­je­ni­ge, wel­cher von den phy­si­schen Ge­set­zen be­herrscht wird, die man ge­gen­wär­tig in dem Mi­ne­ral­rei­che be­o­b­ach­tet. Der ge­gen­wär­ti­ge phy­si­sche Men­schen­leib ist nun nicht bloß von sol­chen phy­si­schen Ge­set­zen be­herrscht, son­dern er ist au­ßer­dem noch durch­setzt von mi­ne­ra­li­schem Stof­fe. Von ei­nem sol­chen phy­sisch-mi­ne­ra­li­schen Leib kann auf dem Sa­turn noch nicht die Re­de sein. Da gibt es nur ei­ne phy­­si­sche Kör­per­lich­keit, die von phy­si­schen Ge­set­zen be­herrscht ist; aber die­se phy­si­schen Ge­set­ze äu­ßern sich nur durch Wärm­e­wir­kun­gen. Al­so der phy­si­sche Kör­per ist ein fei­ner, dün­ner, äthe­ri­scher Wär­m­e­kör­per. Und aus sol­chen Wär­m­e­kör­pern be­steht der gan­ze Sa­turn. Die­se Wär­m­e­kör­per sind die ers­te An­la­ge des ge­gen­wär­ti­gen phy­sisch-mi­ne­r­a­­li­schen Men­schen­lei­bes. Die­ser hat sich aus je­nem da­durch ge­bil­det, daß dem ers­te­ren sich die spä­ter erst ge­bil­de­ten gas­för­mi­gen, flüs­si­gen und fes­ten Stof­fe ein­ge­g­lie­dert ha­ben. Un­ter den We­sen, die sich vor das über­sinn­li­che Be­wußt­­­sein in dem Au­gen­bli­cke hin­s­tel­len, in dem die­ses Be­wußt­­­sein den Sa­turn­zu­stand vor sich hat, und von de­nen man als Sa­turn­be­woh­ner au­ßer dem Men­schen re­den kann, sind zum Bei­spiel sol­che, wel­che ei­nen phy­si­schen Leib über­haupt nicht nö­t­ig hat­ten. Das un­ters­te Glied ih­rer We­sen­heit war ein Äther­leib. Sie hat­ten da­für auch ein Glied über die men­sch­li­chen We­sens­g­lie­der hin­aus. Der Mensch hat als höch­s­tes Glied den Geis­tes­men­schen. Die­se We­sen ha­ben noch ein

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höhe­res. Und zwi­schen Äther­leib und Geis­tes­men­schen ha­ben sie al­le in die­ser Schrift ge­schil­der­ten Glie­der, wel­che sich auch beim Men­schen fin­den: As­tral­leib, Ich, Geist­selbst und Le­bens­geist. Wie un­se­re Er­de von ei­nem Luft­kreis um­­­ge­ben ist, so war es auch der Sa­turn; nur war bei ihm die­ser «Luft­kreis» geis­ti­ger Art.01 Er be­stand ei­gent­lich aus den eben ge­nann­ten und noch an­dern We­sen­hei­ten. Es gab nun ei­ne fort­wäh­ren­de Wech­sel­wir­kung zwi­schen den Wär­m­e­kör­pern des Sa­turn und den cha­rak­te­ri­sier­ten We­sen. Die­se senk­ten ih­re We­sens­g­lie­der in die phy­si­schen Wär­me­lei­ber des Sa­turn hin­ein. Und wäh­rend in die­sen Wär­me­lei­bern selbst kein Le­ben war, drück­te sich das Le­ben ih­rer Um­woh­­ner in ih­nen aus. Man könn­te sie mit Spie­geln ver­g­lei­chen; nur spie­gel­ten sich aus ih­nen nicht die Bil­der der ge­nann­ten Le­be­we­sen, son­dern de­ren Le­bens­zu­stän­de. Im Sa­turn selbst hät­te man al­so nichts Le­ben­di­ges ent­de­cken kön­nen; doch wirk­te er be­le­bend auf sei­ne Um­ge­bung des Him­mels­rau­mes, da er in die­se wie ein Echo das ihm zu­ge­sand­te Le­ben zu­rück­strahl­te. Der gan­ze Sa­turn er­schi­en wie ein Spie­gel des Him­mels­le­bens. Sehr ho­he We­sen­hei­ten, de­ren Le­ben der Sa­turn zu­rück­strahlt, mö­gen «Geis­ter der Weis­heit» ge­nannt wer­den. (In der christ­li­chen Geis­tes­wis­sen­schaft

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#F­N013-160-01 Ei­ne ganz ge­naue Sp­rech­wei­se müß­te, um das in­ne­re Er­le­ben bei der Geis­tes­for­schung ex­akt aus­zu­drü­cken, statt «der Sa­turn war von ei­nem Luft­kreis um­ge­ben» sa­gen: «In­dem das über­sinn­li­che Er­ken­nen sich des Sa­turn be­wußt wird, stellt sich vor die­ses Be­wußt­sein auch ein Luft­kreis des Sa­turn» oder «stel­len sich an­de­re, so oder so ge­ar­te­te We­sen». Die Um­set­zung in die Re­de­wen­dung: «dies oder das ist da» muß ge­stat­tet sein, denn im Grun­de fin­det die­sel­be Um­set­zung auch in der Aus­ge­stal­tung des Sprach­ge­brauchs für das wir­k­li­che See­le­n­er­leb­nis bei der sin­nen­fäl­li­gen Wahr­neh­mung statt, aber man wird ge­gen­über der fol­gen­den Dar­stel­lung sich die­ses ge­gen­wär­tig hal­ten müs­sen. Es ist ja auch schon aus dem Zu­sam­men­hang der Dar­stel­lung ge­ge­ben.

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füh­ren sie den Na­men «Ky­rio­te­tes», das ist «Her­r­­schaf­ten».) Ih­re Tä­tig­keit auf dem Sa­turn be­ginnt nicht erst mit der ge­schil­der­ten mitt­le­ren Epo­che von des­sen Ent­wi­cke­lung. Sie ist in ei­ner ge­wis­sen Wei­se so­gar da schon ab­ge­sch­los­sen. Be­vor sie da­zu kom­men konn­ten, aus den Wär­m­e­kör­pern des Sa­turn sich der Spie­ge­lung ih­res ei­ge­nen Le­bens be­wußt zu wer­den, muß­ten sie die­se Wär­m­e­kör­per erst da­zu brin­gen, die­se Spie­ge­lung be­wir­ken zu kön­nen. Des­halb setz­te ih­re Tä­tig­keit bald nach dem Be­ginn der Sa­turn­­ent­wi­cke­lung ein. Als dies ge­schah, war die Sa­turn­kör­per­­lich­keit noch un­ge­ord­ne­te Stof­f­lich­keit, die nichts hät­te spie­geln kön­nen. Und in­dem man die­se un­ge­ord­ne­te Stof­f­­lich­keit be­trach­tet, hat man sich durch die geis­ti­ge Be­o­bach­tung an den An­fang der Sa­turn­ent­wi­cke­lung ver­setzt. Das, was da zu be­o­b­ach­ten ist, das trägt nun noch gar nicht den spä­te­ren Wär­m­e­cha­rak­ter. Man kann, wenn man es cha­rak­te­ri­sie­ren will, nur von ei­ner Ei­gen­schaft sp­re­chen, wel­che sich ver­g­lei­chen läßt mit dem men­sch­li­chen Wil­len. Es ist durch und durch nichts als Wil­le. Man hat es al­so da mit ei­nem ganz see­li­schen Zu­stan­de zu tun. Soll man ver­­­fol­gen, wo­her die­ser «Wil­le» kam, so sieht man ihn ent­s­te­hen durch den Aus­fluß er­ha­be­ner We­sen, die ih­re Ent­wi­cke­lung in nur zu er­ah­nen­den Stu­fen bis zu der Höhe ge­bracht ha­ben, daß sie, als die Sa­turn­ent­wi­cke­lung be­gann, aus ih­rem ei­ge­nen We­sen den «Wil­len» aus­strö­men kon­n­­ten. Nach­dem die­se Aus­strö­mung ei­ne Zeit­lang ge­dau­ert hat­te, ver­bin­det sich mit dem Wil­len die Tä­tig­keit der oben cha­rak­te­ri­sier­ten «Geis­ter der Weis­heit». Da­durch er­hält all­mäh­lich der vor­her ganz ei­gen­schafts­lo­se Wil­le die Ei­gen­­schaft, Le­ben in den Him­mels­raum zu­rück­zu­strah­len. Man kann die We­sen, wel­che ih­re Se­lig­keit da­rin emp­fin­den, im

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Be­gin­ne der Sa­turn­ent­wi­cke­lung Wil­len aus­zu­s­trö­men, die «Geis­ter des Wil­lens» nen­nen. (In der christ­li­chen eso­te­ri­­schen Wis­sen­schaft wer­den sie «Thro­ne» ge­nannt.) Nach­­­dem durch das Zu­sam­men­wir­ken des Wil­lens und des Le­bens ei­ne ge­wis­se Stu­fe der Sa­turn­ent­wi­cke­lung er­reicht ist, setzt die Wir­kung an­de­rer We­sen ein, wel­che sich eben­falls im Um­k­rei­se des Sa­turn be­fin­den. Man kann sie die «Geis­ter der Be­we­gung» nen­nen. (Christ­lich: «Dy­na­meis», «Mäch­te».) Sie ha­ben kei­nen phy­si­schen und kei­nen Le­bens­leib. Ihr nie­d­rigs­tes Glied ist der As­tral­leib. Wenn die Sa­turn­kör­per die Fähig­keit er­langt ha­ben, das Le­ben zu spie­geln, so ver­mag sich die­ses zu­rück­ge­strahl­te Le­ben zu durch­drin­­gen mit den Ei­gen­schaf­ten, wel­che in den As­tral­lei­bern der «Geis­ter der Be­we­gung» ih­ren Sitz ha­ben. Die Fol­ge da­von ist, daß es so er­scheint, als ob Emp­fin­dungs­äu­ße­run­gen, Ge­­füh­le und ähn­li­che see­li­sche Kräf­te von dem Sa­turn in den Him­mels­raum hin­aus­ge­schleu­dert wür­den. Der gan­ze Sa­turn er­scheint wie ein be­seel­tes We­sen, das Sym­pa­thi­en und An­ti­pa­thi­en kund­gibt. Es sind aber die­se see­li­schen Äu­ße­run­gen kei­nes­wegs sei­ne ei­ge­nen, son­dern nur die zu­rück­ge­schleu­der­ten see­li­schen Wir­kun­gen der «Geis­ter der Be­­we­gung». Hat auch die­ses ei­ne ge­wis­se Epo­che hin­durch ge­dau­ert, so be­ginnt die Tä­tig­keit wei­te­rer We­sen, wel­che «Geis­ter der Form» ge­nannt sei­en. Auch de­ren un­ters­tes Glied ist ein As­tral­leib. Doch steht die­ser auf ei­ner an­dern Stu­fe der Ent­wi­cke­lung als der­je­ni­ge der «Geis­ter der Be­­we­gung». Wäh­rend die­se dem zu­rück­ge­strahl­ten Le­ben nur all­ge­mei­ne Emp­fin­dungs­äu­ße­run­gen mit­tei­len, wirkt der As­tral­leib der «Geis­ter der Form» (christ­lich: «Exu­s­iai», «Ge­wal­ten») so, daß die Emp­fin­dungs­äu­ße­run­gen wie von ein­zel­nen We­sen in den Wel­ten­raum hin­aus­ge­schleu­dert

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wer­den. Man könn­te sa­gen, die «Geis­ter der Be­we­gung» las­sen den Sa­turn im gan­zen wie ein be­seel­tes We­sen er­schei­nen. Die «Geis­ter der Form» tei­len die­ses Le­ben in ein­­zel­ne Le­be­we­sen ab, so daß er jetzt wie ei­ne Zu­sam­men­fü­gung sol­cher See­len­we­sen er­scheint. Man stel­le sich, um ein Bild zu ha­ben, ei­ne Maul­bee­re oder ei­ne Brom­bee­re vor, wie die­se aus ein­zel­nen Be­er­chen zu­sam­men­ge­fügt ist. So ist der Sa­turn für den über­sinn­lich Er­ken­nen­den in der ge­­schil­der­ten Ent­wi­cke­lung­s­e­po­che zu­sam­men­ge­fügt aus ein­­zel­nen Sa­turn­we­sen, die al­ler­dings nicht Ei­gen­le­ben und nicht Ei­gen­see­le ha­ben, son­dern Le­ben und See­le ih­rer Be­­woh­ner zu­rück­strah­len. In die­sen Sa­turn­zu­stand grei­fen nun We­sen ein, die eben­falls zu ih­rem un­ters­ten Glie­de den As­tral­leib ha­ben, die aber die­sen auf ei­ne sol­che Stu­fe der Ent­wi­cke­lung ge­bracht ha­ben, daß er wirkt wie ein ge­gen­wär­ti­ges men­sch­li­ches «Ich». Durch die­se We­sen blickt das «Ich» aus der Um­ge­bung des Sa­turn auf die­sen nie­der. Und es teilt sei­ne Na­tur den Ein­zel-Le­be­we­sen des Sa­turn mit. So wird et­was vom Sa­turn in den Wel­ten­raum hin­aus­ge­schickt, das so er­scheint wie die Wir­kung der men­sch­li­chen Per­sön­lich­keit in dem ge­gen­wär­ti­gen Le­bens­k­rei­se. Die We­sen, wel­che sol­ches be­wir­ken, sei­en «Geis­ter der Per­sön­­lich­keit» ge­nannt (christ­lich: «Ar­chai», «Ur­be­gin­ne»). Sie er­tei­len den Sa­turn­kör­per­teil­chen das An­se­hen des Per­sön­lich­keit­scha­rak­ters. Doch ist eben nicht auf dem Sa­turn selbst die Per­sön­lich­keit vor­han­den, son­dern nur gleich­sam de­ren Spie­gel­bild, die Scha­le der Per­sön­lich­keit. Ih­re wir­k­­li­che Per­sön­lich­keit ha­ben die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» im Um­k­rei­se des Sa­turn. Eben da­durch, daß die­se «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» in der ge­schil­der­ten Art ihr We­sen zu­rück­strah­len las­sen von den Sa­turn­kör­pern, wird die­sen

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je­ne fei­ne Stof­f­lich­keit er­teilt, wel­che vor­hin als die «Wär­me» ge­schil­dert wor­den ist. Es ist im gan­zen Sa­turn kei­ne In­ner­­lich­keit; aber die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» er­ken­nen das Bild ih­rer ei­ge­nen In­ner­lich­keit, in­dem es ih­nen als Wär­me vom Sa­turn aus zu­s­trömt.

Wenn al­les das ein­tritt, ste­hen die «Geis­ter der Per­sön­­lich­keit» auf der Stu­fe, auf wel­cher der Mensch ge­gen­wär­tig steht. Sie ma­chen da ih­re Mensch­heit­s­e­po­che durch. Will man auf die­se Tat­sa­che mit un­be­fan­ge­nem Au­ge bli­cken, so muß man sich vor­s­tel­len, daß ein We­sen «Mensch» sein kann nicht bloß in der Ge­stalt, wel­che der Mensch ge­gen­wär­tig hat. Die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» sind «Men­schen» auf dem Sa­turn. Sie ha­ben als un­ters­tes Glied nicht den phy­si­­schen Leib, son­dern den As­tral­leib mit dem Ich. Da­her kön­­nen sie die Er­leb­nis­se die­ses As­tral­lei­bes nicht in ei­nem sol­chen phy­si­schen Lei­be und Äther­lei­be aus­drü­cken wie der ge­gen­wär­ti­ge Mensch; aber sie ha­ben nicht nur ein «Ich», son­dern wis­sen auch da­von, weil ih­nen die Wär­me des Sa­turn die­ses «Ich» rück­strah­lend zum Be­wußt­sein bringt. Sie sind eben «Men­schen» un­ter an­de­ren als den Er­den­ver­hält­nis­sen.

Im wei­te­ren Ver­lauf fol­gen in der Sa­turn­ent­wi­cke­lung Tat­sa­chen von an­de­rer Art, als die bis­he­ri­gen wa­ren. Wäh­rend bis­her al­les Spie­ge­lung äu­ße­ren Le­bens und Emp­fin­­dens war, be­ginnt nun­mehr ei­ne Art In­nen­le­ben. In der Sa­turn­welt be­ginnt ein da und dort auf­fla­ckern­des und sich wie­der ab­dun­keln­des Licht­le­ben. Zit­tern­des Flim­mern an die­sen oder je­nen Stel­len, et­was wie zu­cken­de Blit­ze an an­­de­ren, tritt auf. Die Sa­turn­wär­m­e­kör­per be­gin­nen zu flim­mern, zu glän­zen, ja zu strah­len. Da­durch, daß die­se Stu­fe der Ent­wi­cke­lung er­reicht ist, er­gibt sich wie­der für ge­wis­se

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We­sen­hei­ten die Mög­lich­keit, ei­ne Tä­tig­keit zu ent­fal­ten. Es sind dies die­je­ni­gen, wel­che als «Feu­er­geis­ter» be­zeich­net wer­den kön­nen (Christ­lich: «Ar­chan­ge­loi», «Erz­en­gel»). Die­se We­sen­hei­ten ha­ben zwar ei­nen As­tral­leib, aber sie kön­nen auf der ge­kenn­zeich­ne­ten Stu­fe ih­res Da­seins dem ei­ge­nen As­tral­lei­be kei­ne An­re­gun­gen ge­ben; sie wür­den kein Ge­fühl, kei­ne Emp­fin­dung er­re­gen kön­nen, wenn sie nicht auf die zur ge­schil­der­ten Sa­turn­stu­fe ge­lang­ten Wär­m­e­kör­per wir­ken könn­ten. Die­se Wir­kung gibt ih­nen die Mög­­lich­keit, ihr ei­ge­nes Da­sein an der Wir­kung zu er­ken­nen, die sie üben. Sie kön­nen nicht zu sich sa­gen: «Ich bin da», son­dern et­wa: «Mei­ne Um­ge­bung läßt mich da sein.» Sie neh­men wahr, und zwar be­ste­hen ih­re Wahr­neh­mun­gen in den ge­schil­der­ten Licht­wir­kun­gen auf dem Sa­turn. Die­se sind in ei­ner ge­wis­sen Art ihr «Ich». Das ver­leiht ih­nen ei­ne be­son­de­re Art des Be­wußt­seins. Man kann dies als Bil­der­be­wußt­sein be­zeich­nen. Es kann vor­ge­s­tellt wer­den von der Art des men­sch­li­chen Traum­be­wußt­seins; nur daß man sich den Grad der Leb­haf­tig­keit sehr viel grö­ß­er zu den­ken hat als beim men­sch­li­chen Träu­men und daß man es nicht mit we­sen­los auf- und ab­wo­gen­den Traum­bil­dern zu tun hat, son­dern mit sol­chen, wel­che in ei­nem wir­k­li­chen Ver­hält­nis­se zu dem Licht­spiel des Sa­turn ste­hen. In die­sem Wech­sel­­spiel zwi­schen den Feu­er­geis­tern und den Sa­turn­wär­m­e­kör­pern wer­den die Kei­me der men­sch­li­chen Sin­ne­s­or­ga­ne der Ent­wi­cke­lung ein­ver­leibt. Die Or­ga­ne, durch wel­che der Mensch ge­gen­wär­tig die phy­si­sche Welt wahr­nimmt, leuch­ten auf in ih­ren ers­ten fei­nen äthe­ri­schen An­la­gen. Men­schen-Phan­to­me, wel­che an sich noch nichts an­de­res zei­gen als die Licht-Ur­bil­der der Sin­ne­s­or­ga­ne, wer­den inn­er­halb des Sa­turn dem hell­se­he­ri­schen Wahr­neh­mungs­ver­mö­gen

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er­kenn­bar. Die­se Sin­ne­s­or­ga­ne sind al­so die Frucht der Tä­tig­keit der Feu­er­geis­ter; aber es sind an de­ren Zu­stan­de­kom­men nicht nur die­se Geis­ter be­tei­ligt. Zu­g­leich mit die­sen Feu­er­geis­tern tre­ten an­de­re We­sen auf dem Schau­platz des Sa­turn auf. We­sen, wel­che in ih­rer Ent­wi­cke­lung so weit sind, daß sie sich je­ner Sinnes­kei­me be­die­nen kön­nen zum An­schau­en der Welt­vor­gän­ge im Sa­turn­le­ben. Es sind We­sen, die als «Geis­ter der Lie­be» (christ­lich: «Se­ra­phi­me») gel­ten kön­nen. Wä­ren sie nicht da, so könn­ten die Feu­er­geis­ter nicht das oben ge­schil­der­te Be­wußt­sein ha­ben. Sie schau­en die Sa­turn­vor­gän­ge mit ei­nem Be­wußt­sein an, das es ih­nen er­mög­licht, die­se als Bil­der auf die Feu­er­geis­ter zu über­tra­gen. Sie selbst ver­zich­ten auf al­le Vor­tei­le, wel­che sie durch das An­schau­en der Sa­turn­vor­gän­ge ha­ben könn­ten, auf je­den Ge­nuß, je­de Freu­de; sie ge­ben das al­les hin, da­mit die Feu­er­geis­ter es ha­ben kön­nen.

Die­sen Ge­scheh­nis­sen folgt ei­ne neue Pe­rio­de des Sa­turn­da­seins. Zu dem Licht­spiel kommt ein an­de­res. Es kann für vie­le wie Wahn­witz er­schei­nen, wenn aus­ge­spro­chen wird, was sich da dem über­sinn­li­chen Er­ken­nen dar­bie­tet. In­ner­­lich im Sa­turn ist es wie durch­ein­an­der­wo­gen­de Ge­sch­macks­emp­fin­dun­gen. Süß, bit­ter, sau­er usw. wird an den ver­­­schie­dens­ten Stel­len im In­nern des Sa­turn be­o­b­ach­tet; und nach au­ßen, in den Him­mels­raum hin­ein, wird das al­les als Ton, als ei­ne Art Mu­sik wahr­ge­nom­men. Inn­er­halb die­ser Vor­gän­ge fin­den wie­der ge­wis­se We­sen­hei­ten die Mög­li­ch­keit, ei­ne Tä­tig­keit auf dem Sa­turn zu ent­fal­ten. Sie sei­en die «Söh­ne des Zwie­lich­tes oder des Le­bens» (christ­lich: «An­ge­loi», «En­gel») ge­nannt. Sie tre­ten in Wech­sel­wir­kung mit den im In­nern des Sa­turn vor­han­de­nen, auf- und ab­woh­nen­den Ge­sch­macks­kräf­ten. Da­durch kommt ihr Äther-

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oder Le­bens­leib in ei­ne sol­che Tä­tig­keit, daß man die­se als ei­ne Art Stoff­wech­sel be­zeich­nen kann. Sie brin­gen Le­ben in das In­ne­re des Sa­turn. Es ge­sche­hen da­durch Nah­rungs- und Aus­schei­dung­s­pro­zes­se im Sa­turn. Nicht sie be­wir­ken un­mit­tel­bar die­se Pro­zes­se, son­dern durch das, was sie be­wir­ken, ent­ste­hen mit­tel­bar sol­che Pro­zes­se. Die­ses In­nen­­le­ben macht mög­lich, daß noch an­de­re We­sen den Welt­kör­per be­t­re­ten, die als «Geis­ter der Har­mo­ni­en» (christ­lich: «Che­ru­bi­me») be­zeich­net wer­den mö­gen. Sie ver­mit­teln den «Söh­nen des Le­bens» ei­ne dump­fe Art des Be­wußt­seins. Es ist noch dump­fer und däm­mer­haf­ter als das Traum­be­wußt­sein des ge­gen­wär­ti­gen Men­schen. Es ist ein sol­ches, wie es dem Men­schen im tra­um­lo­sen Schla­fe zu­kommt. Die­ses ist ja von so nie­d­ri­gem Gra­de, daß es dem Men­schen ge­wis­ser­ma­ßen «gar nicht zum Be­wußt­sein kommt». Doch ist es vor­han­den. Es un­ter­schei­det sich vom Ta­ges­be­wußt­sein dem Gra­de und auch der Art nach. Die­ses «tra­um­lo­se Schlaf­be­wußt­sein» ha­ben ge­gen­wär­tig auch die Pflan­zen. Wenn es auch kei­ne Wahr­neh­mun­gen ei­ner Au­ßen­welt im men­sch­li­chen Sin­ne ver­mit­telt, so re­gelt es doch die Le­ben­s­­vor­gän­ge und bringt die­se in Har­mo­nie mit den äu­ße­ren Welt­vor­gän­gen. Auf der in Re­de ste­hen­den Sa­turn­stu­fe kön­nen die­se Re­ge­lung die «Söh­ne des Le­bens» nicht wahr­­neh­men; aber die «Geis­ter der Har­mo­ni­en» neh­men sie wahr, und sie sind da­her die ei­gent­li­chen Re­ge­ler. All die­ses Le­ben spielt sich in den ge­kenn­zeich­ne­ten Men­schen­phan­to­men ab. Die­se er­schei­nen dem geis­ti­gen Bli­cke da­her be­lebt; aber ihr Le­ben ist doch nur ein Schein­le­ben. Es ist das Le­ben der «Söh­ne des Le­bens», die sich ge­wis­ser­ma­ßen der Men­schen­phan­to­me be­die­nen, um sich aus­zu­le­ben.

Man rich­te nun die Auf­merk­sam­keit auf die Men­schen­phan­to­me

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mit dem Schein­le­ben. Wäh­rend der ge­schil­der­ten Sa­turn­pe­rio­de sind sie von ganz wech­seln­der Form. Bald se­hen sie die­ser Ge­stalt, bald je­ner ähn­lich. Im wei­te­ren Ver­lauf der Ent­wi­cke­lung wer­den die Ge­stal­ten be­stimm­ter; zeit­wei­lig blei­bend. Das rührt da­von her, daß sie jetzt durch­drun­gen wer­den von den Wir­kun­gen der Geis­ter, die schon im Be­gin­ne der Sa­turn­ent­wi­cke­lung in Be­tracht kom­­men, näm­lich von den «Geis­tern des Wil­lens» (den «Thro­­nen»). Die Fol­ge da­von ist, daß das Men­schen­phan­tom selbst mit der ein­fachs­ten dump­fes­ten Be­wußt­s­eins­form er­scheint. Man hat sich die­se Be­wußt­s­eins­form noch dump­fer vor­zu­­­s­tel­len als die­je­ni­ge des tra­um­lo­sen Schla­fes. Un­ter den ge­gen­wär­ti­gen Ver­hält­nis­sen ha­ben die Mi­ne­ra­li­en die­ses Be­wußt­sein. Es bringt das In­nen­we­sen in Ein­klang mit der phy­si­schen Au­ßen­welt. Auf dem Sa­turn sind die «Geis­ter des Wil­lens» die Re­ge­ler die­ses Ein­klan­ges. Und der Mensch er­scheint da­durch wie ein Ab­druck des Sa­turn­le­bens selbst. Was das Sa­turn­le­ben im gro­ßen ist, das ist auf die­ser Stu­fe der Mensch im klei­nen. Und da­mit ist der ers­te Keim zu dem ge­ge­ben, was auch im heu­ti­gen Men­schen noch erst keim­haft ist: zum «Geis­tes­men­schen» (At­ma). Nach in­nen (im Sa­turn) gibt sich die­ser dump­fe Men­schen­wil­le dem über­sinn­li­chen Wahr­neh­mungs­ver­mö­gen durch Wir­kun­gen kund, wel­che sich mit den «Ge­rüchen» ver­g­lei­chen las­sen. Nach au­ßen in den Him­mels­raum ist ei­ne Kund­ge­bung vor­­han­den wie die ei­ner Per­sön­lich­keit, die aber nicht durch ein in­ne­res «Ich» ge­lenkt wird, son­dern wie ei­ne Ma­schi­ne von au­ßen ge­re­gelt ist. Die Re­ge­ler sind die «Geis­ter des Wil­lens».

Über­blickt man das Vor­her­ge­hen­de, so wird er­sicht­lich, daß, von dem zu­erst ge­schil­der­ten Mit­tel­zu­stan­de der Sa­turn­­ent­wi­cke­lung an­ge­fan­gen, die Stu­fen die­ser Ent­wi­cke­lung

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cha­rak­te­ri­siert wer­den konn­ten durch Ver­g­lei­che ih­rer Wir­kun­gen mit Sin­nes­emp­fin­dun­gen der Ge­gen­wart. Es konn­te ge­sagt wer­den: die Sa­turn­ent­wi­cke­lung of­fen­bart sich als Wär­me, dann tritt ein Licht­spiel hin­zu, dann ein Ge­sch­mack­und Ton­spiel; end­lich tritt et­was auf, was sich nach dem In­nern des Sa­turn mit Ge­ruchs­emp­fin­dun­gen, nach au­ßen wie ma­schi­nen­ar­tig wir­ken­des Men­schen-Ich kund­gibt. Wie ver­hält es sich mit den Of­fen­ba­run­gen der Sa­turn­ent­wi­cke­lung für das, was vor dem Wär­m­e­zu­stand liegt? Das ist nun gar nicht mit et­was zu ver­g­lei­chen, was ei­ner äu­ße­ren Sin­nes­­emp­fin­dung zu­gäng­lich ist. Dem Wär­m­e­zu­stand geht ein sol­cher voran, wel­chen der Mensch ge­gen­wär­tig nur in sei­­nem In­nen­we­sen er­lebt. Wenn er sich Vor­stel­lun­gen hin­gibt, die er sich in der See­le selbst bil­det, oh­ne daß ihm die Ver­­­an­las­sung von ei­nem äu­ße­ren Ein­dru­cke auf­ge­drängt wird, dann hat er et­was in sich, was kei­ne phy­si­schen Sin­ne wahr­­neh­men kön­nen, was viel­mehr nur als Wahr­neh­mung dem höhe­ren Schau­en zu­gäng­lich ist. Dem Wär­m­e­zu­stand des Sa­turn ge­hen eben Of­fen­ba­run­gen voran, die nur für den über­sinn­lich Wahr­neh­men­den vor­han­den sein kön­nen. Drei sol­cher Zu­stän­de kön­nen ge­nannt wer­den: rein see­li­sche Wär­me, die nicht äu­ßer­lich wahr­nehm­bar ist; rein geis­ti­ges Licht, das äu­ßer­lich Fins­ter­nis ist; und end­lich geis­tig We­sen­haf­tes, das in sich selbst vol­l­en­det ist und kei­nes äu­ße­ren We­sens be­darf, um sei­ner be­wußt zu wer­den. Rei­ne in­ne­re Wär­me be­g­lei­tet das Er­schei­nen der «Geis­ter der Be­we­gung»; rei­nes geis­ti­ges Licht das­je­ni­ge der «Geis­ter der Weis­heit», rei­nes In­nen­we­sen ist ver­bun­den mit der ers­ten Aus­strö­mung der «Geis­ter des Wil­lens».

Mit dem Er­schei­nen der Sa­turn­wär­me tritt al­so un­se­re Ent­wi­cke­lung aus dem In­nen­le­ben, aus der rei­nen Geis­tig­keit

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zu­erst in ein äu­ßer­lich sich of­fen­ba­ren­des Da­sein. Be­­son­ders schwie­rig wird es dem Ge­gen­warts­be­wußt­sein wohl, sich da­mit ab­zu­fin­den, wenn auch noch ge­sagt wer­den muß, daß mit dem Sa­turn­wär­m­e­zu­stand auch zu­erst das­je­ni­ge auf­tritt, was man die «Zeit» nennt. Die vor­her­ge­hen­den Zu­stän­de sind näm­lich gar nicht zeit­lich. Sie ge­hö­ren der­je­ni­gen Re­gi­on an, die man in der Geis­tes­wis­sen­schaft die «Dau­er» nen­nen kann. Des­halb muß auch al­les, was in die­­ser Schrift über sol­che Zu­stän­de in der «Re­gi­on der Dau­er» ge­sagt ist, so ver­stan­den wer­den, daß Aus­drü­cke, die sich auf zeit­li­che Ver­hält­nis­se be­zie­hen, nur zum Ver­g­lei­che und zur Ver­stän­di­gung ge­braucht wer­den. Für die men­sch­li­che Spra­che kann, was der «Zeit» ge­wis­ser­ma­ßen vor­an­geht, auch nur mit Aus­drü­cken cha­rak­te­ri­siert wer­den, wel­che die Zeit­vor­stel­lung ent­hal­ten. Muß man sich doch auch be­wußt sein, daß, ob­g­leich der ers­te, zwei­te und drit­te Sa­turn­zu­stand sich gar nicht «nach­ein­an­der» im ge­gen­wär­ti­gen Sin­ne ab­­spiel­ten, man doch nicht um­hin kann, sie nach­ein­an­der zu schil­dern. Auch hän­gen sie ja trotz ih­rer «Dau­er» oder Gleich­zei­tig­keit so von­ein­an­der ab, daß sich die­se Ab­hän­gi­g­keit mit ei­ner zeit­li­chen Ab­fol­ge ver­g­lei­chen läßt.

Mit die­sem Hin­weis auf die ers­ten Ent­wi­cke­lungs­zu­stän­de des Sa­turn wird auch ein Licht ge­wor­fen auf al­les wei­te­re Fra­gen nach ei­nem «Wo­her» die­ser Zu­stän­de. Rein ver­stan­­des­mä­ß­ig ist es na­tür­lich durch­aus mög­lich, je­dem Ur­sprun­ge ge­gen­über wie­der nach ei­nem «Ur­sprung die­ses Ur­sprun­ges» zu fra­gen. Al­lein den Tat­sa­chen ge­gen­über geht die­ses nicht an. Man braucht sich das nur an ei­nem Ver­g­leich zu ver­­­ge­gen­wär­ti­gen. Wenn man ir­gend­wo auf ei­nem We­ge ein­ge­gr­a­be­ne Spu­ren fin­det, so kann man fra­gen: wo­her rüh­ren sie? Man mag als Ant­wort er­hal­ten: von ei­nem Wa­gen. Da

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kann wei­ter ge­fragt wer­den: wo kam der Wa­gen her, wo­hin fuhr er? Ei­ne auf Tat­sa­chen ge­grün­de­te Ant­wort ist wie­der mög­lich. Man kann dann noch fra­gen: wer saß im Wa­gen? was hat­te die Per­sön­lich­keit, die ihn be­nütz­te, für Ab­sich­ten, was tat sie? End­lich wird man aber an ei­nen Punkt kom­men, an dem das Fra­gen durch die Tat­sa­chen ein na­tur­ge­mä­ß­es En­de fin­det. Wer dann noch wei­ter fragt, kommt von der Ab­sicht der ur­sprüng­li­chen Fra­ge­stel­lung ab. Er setzt ge­­wis­ser­ma­ßen nur scha­b­lo­nen­mä­ß­ig das Fra­gen fort. Man merkt bei sol­chen Din­gen, wie hier ei­nes zum Ver­g­leich an­­ge­führt ist, leicht, wo die Tat­sa­chen das En­de des Fra­gens be­din­gen. Den gro­ßen Welt­fra­gen ge­gen­über ist man sich nicht so leicht klar dar­über. Bei wir­k­lich ge­nau­em Zu­se­hen wird man aber doch mer­ken, daß al­les Fra­gen nach dem «Wo­her» en­di­gen muß bei den oben ge­schil­der­ten Sa­turn­zu­stän­den. Denn man ist auf ein Ge­biet ge­kom­men, wo die We­sen und Vor­gän­ge nicht mehr durch das sich recht­fer­ti­gen, aus dem sie ent­stam­men, son­dern durch sich selbst.

Als Er­geb­nis der Sa­turn­ent­wi­cke­lung er­scheint, daß sich der Men­schen­keim bis zu ei­ner ge­wis­sen Stu­fe her­an­ge­bil­det hat. Er hat das nie­de­re, dump­fe Be­wußt­sein er­langt, von dem oben die Re­de war. Man soll sich nicht vor­s­tel­len, daß des­sen Ent­wi­cke­lung erst im letz­ten Sa­turn­sta­di­um ein­setzt. Die «Geis­ter des Wil­lens» wir­ken durch al­le Zu­stän­de hin­­durch. In der letz­ten Pe­rio­de ist aber für das über­sinn­li­che Wahr­neh­men der Er­folg am her­vor­s­te­chends­ten. Über­haupt ist ei­ne fes­te Gren­ze zwi­schen den Wirk­sam­kei­ten der ein­­zel­nen We­sens­grup­pen nicht. Wenn ge­sagt wird: erst wir­ken die «Geis­ter des Wil­lens», dann die «Geis­ter der Weis­heit» usw., so ist nicht ge­meint, daß sie nur da wir­ken. Sie wir­ken die gan­ze Sa­turn­ent­wi­cke­lung hin­durch; in den an­ge­ge­be­nen

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Pe­rio­den ist ihr Wir­ken nur am bes­ten zu be­o­b­ach­ten. Die ein­zel­nen We­sen ha­ben da gleich­sam die Füh­r­er­schaft.

So er­scheint die gan­ze Sa­turn­ent­wi­cke­lung als ei­ne Be­ar­bei­tung des­sen, was aus den «Geis­tern des Wil­lens» aus­ge­strömt ist, durch die «Geis­ter der Weis­heit, der Be­we­gung, der Form» usw. Die­se geis­ti­gen We­sen­hei­ten ma­chen da­bei selbst ei­ne Ent­wi­cke­lung durch. Die «Geis­ter der Weis­heit» zum Bei­spiel ste­hen auf ei­ner an­dern Stu­fe, nach­dem sie ihr Le­ben zu­rück­ge­strahlt vom Sa­turn emp­fan­gen ha­ben, als vor­her. Die Frucht die­ser Tä­tig­keit er­höht die Fähig­kei­ten ih­res ei­ge­nen We­sens. Die Fol­ge da­von ist, daß für sie nach so voll­brach­ter Tä­tig­keit et­was Ähn­li­ches ein­tritt wie für den Men­schen mit dem Schla­fe. Ih­ren Tä­tig­keits­pe­rio­den in be­zug auf den Sa­turn fol­gen sol­che, in de­nen sie ge­wis­ser­­ma­ßen in an­de­ren Wel­ten le­ben. Dann ist ih­re Tä­tig­keit vom Sa­turn ab­ge­wandt. Des­halb sieht das hell­se­he­ri­sche Wahr­neh­men in der ge­schil­der­ten Sa­turn­ent­wi­cke­lung ein Auf- und ein Ab­s­tei­gen. Das Auf­s­tei­gen dau­ert bis zur Her­aus­bil­dung des Wär­m­e­zu­stan­des. Dann be­ginnt mit dem Licht­spiel be­reits ein Ab­flu­ten. Und wenn dann die Men­schen­phan­to­me durch die «Geis­ter des Wil­lens» Ge­stalt an­­ge­nom­men ha­ben, dann ha­ben sich die geis­ti­gen We­sen auch nach und nach zu­rück­ge­zo­gen: die Sa­turn­ent­wi­cke­lung er­s­tirbt in sich; sie ver­schwin­det als sol­che. Ei­ne Art Ru­he­pau­se tritt ein. Der Men­schen­keim geht wie in ei­nen Auflö­sungs­zu­stand da­bei ein; aber nicht in ei­nen sol­chen, durch den er ver­schwin­den wür­de, son­dern in ei­nen sol­chen, der ähn­lich ist dem ei­nes Pflan­zen­sa­mens, der in der Er­de ruht, um zur neu­en Pflan­ze zu rei­fen. So ruht der Men­schen­keim zu neu­em Er­wa­chen im Schoß der Welt. Und wenn der Zeit­punkt sei­nes Er­wa­chens da ist, da ha­ben un­ter an­de­ren

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Ver­hält­nis­sen auch die oben ge­schil­der­ten geis­ti­gen We­sen sich die Fähig­kei­ten an­ge­eig­net, durch die sie den Men­schen­keim wei­ter be­ar­bei­ten kön­nen. Die «Geis­ter der Weis­heit» ha­ben in ih­rem Äther­leib die Fähig­keit er­langt, nicht nur wie auf dem Sa­turn die Spie­ge­lung des Le­bens zu ge­nie­ßen; sie ver­mö­gen es jetzt, Le­ben auch aus sich aus­strö­men zu las­sen und an­de­re We­sen da­mit zu be­ga­ben. Die «Geis­ter der Be­we­gung» sind nun­mehr so weit, wie auf dem Sa­turn die «Geis­ter der Weis­heit». Ihr un­ters­tes We­sens­g­lied war dort der as­tra­li­sche Leib. Jetzt ist ih­nen ein Äther- oder Le­bens­leib ei­gen. Und ganz ent­sp­re­chend sind die an­dern geis­ti­gen We­sen zu ei­ner wei­te­ren Ent­wi­cke­lungs­stu­fe ge­­kom­men. Al­le die­se geis­ti­gen We­sen kön­nen da­her bei der Wei­ter­ent­wi­cke­lung des Men­schen­kei­mes an­ders wir­ken, als sie auf dem Sa­turn ge­wirkt ha­ben. Nun war aber der Men­schen­keim am En­de der Sa­turn­ent­wi­cke­lung auf­ge­löst. Da­mit die wei­ter ent­wi­ckel­ten Geist­we­sen da fort­set­zen kön­nen, wo sie früh­er auf­ge­hört ha­ben, muß die­ser Men­schen­keim die Stu­fen noch ein­mal kurz wie­der­ho­len, die er auf dem Sa­turn durchlau­fen hat. Das zeigt sich näm­lich dem über­sinn­li­chen Wahr­neh­mungs­ver­mö­gen. Der Men­­schen­keim tritt aus sei­ner Ver­bor­gen­heit her­vor und be­ginnt aus ei­ge­nem Ver­mö­gen her­aus durch die Kräf­te, die ihm auf dem Sa­turn ein­ge­impft wor­den sind, sich zu ent­wi­ckeln. Er geht als ein Wil­lens­we­sen aus der Fins­ter­nis her­vor, bringt sich zum Schei­ne des Le­bens, der See­len­haf­tig­keit usw. bis zu je­ner ma­schi­nen­mä­ß­i­gen Per­sön­lich­keit­s­of­fen­ba­rung, die er am En­de der Sa­turn­ent­wi­cke­lung hat­te.

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Die zwei­te der an­ge­deu­te­ten gro­ßen Ent­wi­cke­lungs­pe­ri­o­­den, die «Son­nen­stu­fe», be­wirkt die Er­he­bung des Men­­schen­we­sens zu ei­nem höhe­ren Be­wußt­s­eins­zu­stand, als der­je­ni­ge

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war, den es auf dem Sa­turn er­reicht hat­te. Mit dem ge­gen­wär­ti­gen Be­wußt­sein des Men­schen ver­g­li­chen, könn­te al­ler­dings die­ser Son­nen­zu­stand als «Un­be­wußt­heit» be­zeich­net wer­den. Denn er kommt an­näh­ernd gleich dem, in wel­chem sich der Mensch jetzt wäh­rend des völ­lig tra­um­lo­sen Schla­fes be­fin­det. Oder man könn­te ihn auch mit dem nie­de­ren Be­wußt­s­eins­gra­de ver­g­lei­chen, in dem ge­gen­wär­tig un­se­re Pflan­zen­welt schlum­mert. Für die über­sinn­li­che An­­schau­ung gibt es kei­ne «Un­be­wußt­heit», son­dern nur ver­­­schie­de­ne Gra­de der Be­wußt­heit. Al­les in der Welt ist be­wußt. Das Men­schen­we­sen er­langt im Lau­fe der Son­nen­ent­wi­cke­lung den höhe­ren Be­wußt­s­eins­grad da­durch, daß ihm da der Äther- oder Le­bens­leib ein­ge­g­lie­dert wird. Be­vor dies ge­sche­hen kann, müs­sen sich in der oben ge­schil­­der­ten Art die Sa­turn­zu­stän­de wie­der­ho­len. Die­se Wie­der­ho­lung hat ei­nen ganz be­stimm­ten Sinn. Wenn näm­lich die Ru­he­pau­se ab­ge­lau­fen ist, von wel­cher in den vor­her­ge­hen­­den Aus­füh­run­gen ge­spro­chen wor­den ist, dann tritt aus dem «Welt­schla­fe» das­je­ni­ge, was vor­her Sa­turn war, als neu­es Welt­we­sen, als Son­ne her­vor. Es ha­ben sich da­mit aber die Ver­hält­nis­se der Ent­wi­cke­lung ve­r­än­dert. Die Geist­we­sen, de­ren Wir­ken für den Sa­turn dar­ge­s­tellt wor­den ist, sind zu an­de­ren Zu­stän­den vor­ge­rückt. Der Men­schen­keim er­scheint aber zu­erst auf der neu­ge­bil­de­ten Son­ne als das, was er auf dem Sa­turn ge­wor­den ist. Er muß zu­nächst die ver­schie­de­nen Ent­wi­cke­lungs­sta­di­en, die er auf dem Sa­turn an­ge­nom­men hat, so um­wan­deln, daß sie zu den Ver­häl­t­­nis­sen auf der Son­ne pas­sen. Die Son­nen­e­po­che be­ginnt des­halb mit ei­ner Wie­der­ho­lung der Sa­turn­tat­sa­chen, aber un­ter An­pas­sung an die ve­r­än­der­ten Ver­hält­nis­se des Son­nen­le­bens. Wenn nun das Men­schen­we­sen so weit ist, daß sei­ne

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auf dem Sa­turn er­lang­te Ent­wi­cke­lungs­höhe den Son­nen­ver­hält­nis­sen an­gepaßt ist, dann be­gin­nen die be­reits ge­nann­ten «Geis­ter der Weis­heit» da­mit; den Äther- oder Le­bens­leib in den phy­si­schen Leib ein­strö­men zu las­sen. Die höhe­re Stu­fe, wel­che der Mensch auf der Son­ne er­reicht, kann so­mit da­durch cha­rak­te­ri­siert wer­den, daß der be­reits auf dem Sa­turn in der Keim­an­la­ge ge­bil­de­te phy­si­sche Leib auf ei­ne zwei­te Stu­fe der Voll­kom­men­heit ge­ho­ben wird, in­dem er zum Trä­ger ei­nes Äther- oder Le­bens­lei­bes wird. Die­ser Äther- oder Le­bens­leib er­langt wäh­rend der Son­nen­ent­wi­cke­lung für sich selbst den ers­ten Grad sei­ner Vol­l­­kom­men­heit. Da­mit aber die­ser zwei­te Voll­kom­men­heits­­­grad für den phy­si­schen Leib und der ers­te für den Le­bens­leib er­zielt wer­den, ist im wei­te­ren Ver­lauf des Son­nen­le­bens das Ein­g­rei­fen noch an­de­rer Geist­we­sen in ähn­li­cher Art not­wen­dig, wie es schon für die Sa­turn­stu­fe be­schrie­ben wor­den ist.

Wenn die «Geis­ter der Weis­heit» mit ih­rem Ein­strö­men des Le­bens­lei­bes be­gin­nen, so fängt das vor­her dunk­le Son­nen­we­sen zu leuch­ten an. Gleich­zei­tig tre­ten in dem Men­schen­keim die ers­ten Er­schei­nun­gen in­ne­rer Reg­sam­keit ein; das Le­ben be­ginnt. Was für den Sa­turn als ein Schein­le­ben cha­rak­te­ri­siert wer­den muß­te, wird jetzt wir­k­li­ches Le­ben. Das Ein­strö­men dau­ert ei­ne ge­wis­se Zeit. Nach­dem die­se ver­f­los­sen ist, tritt für den Men­schen­keim ei­ne wich­ti­ge Ve­r­än­de­rung ein. Er glie­dert sich näm­lich in zwei Tei­le. Wäh­rend vor­her phy­si­scher Leib und Le­bens­leib in in­ni­ger Ver­bin­dung ein Gan­zes bil­de­ten, be­ginnt sich jetzt der phy­­si­sche Leib als ein be­son­de­rer Teil ab­zu­son­dern. Doch bleibt auch die­ser ab­ge­son­der­te phy­si­sche Leib vom Le­bens­leib durch­zo­gen. Man hat es al­so jetzt mit ei­nem zwei­g­lie­d­ri­gen

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Men­schen­we­sen zu tun. Der ei­ne Teil ist ein von ei­nem Le­bens­leib durch­ge­ar­bei­te­ter phy­si­scher Leib, der an­de­re Teil ist blo­ßer Le­bens­leib. Die­se Ab­son­de­rung ver­läuft aber wäh­­rend ei­ner Ru­he­pau­se des Son­nen­le­bens. Es er­lischt wäh­rend der­sel­ben wie­der das schon auf­ge­t­re­te­ne Leuch­ten. Die Tren­­nung ge­schieht ge­wis­ser­ma­ßen wäh­rend ei­ner «Wel­ten­nacht». Doch ist die­se Ru­he­pau­se viel kür­zer als die­je­ni­ge zwi­schen der Sa­turn- und Son­nen­ent­wi­cke­lung, von der oben ge­spro­chen wor­den ist. Nach Ablauf der Ru­he­pau­se ar­bei­­ten die «Geis­ter der Weis­heit» ei­ne Zeit­lang eben­so an dem zwei­g­lie­d­ri­gen Men­schen­we­sen wei­ter, wie sie das vor­­her an dem ein­g­lie­d­ri­gen ge­tan ha­ben. Dann set­zen die «Geis­ter der Be­we­gung» mit ih­rer Tä­tig­keit ein. Sie durch­strö­men mit ih­rem ei­ge­nen As­tral­leib den Le­bens­leib des Men­schen­we­sens. Da­durch er­langt die­ser die Fähig­keit, ge­­wis­se in­ne­re Be­we­gun­gen in dem phy­si­schen Lei­be aus­zu­­­füh­ren. Es sind das Be­we­gun­gen, wel­che sich ver­g­lei­chen las­sen mit den Be­we­gun­gen der Säf­te in ei­ner ge­gen­wär­ti­gen Pflan­ze.

Der Sa­turn­kör­per be­stand aus blo­ßer Wär­m­e­sub­stanz. Wäh­rend der Son­nen­ent­wi­cke­lung ver­dich­tet sich die­se Wär­m­e­sub­stanz bis zu dem Zu­stand, den man mit dem ge­gen­wär­ti­gen Gas- oder Dampf­zu­stand ver­g­lei­chen kann. Es ist je­ner Zu­stand, den man als «Luft» be­zeich­nen kann. Die ers­ten An­fän­ge ei­nes sol­chen Zu­stan­des zei­gen sich, nach­dem die «Geis­ter der Be­we­gung» mit ih­rer Tä­tig­keit ein­ge­setzt ha­ben. Dem über­sinn­li­chen Be­wußt­sein bie­tet sich der fol­gen­de An­blick dar. Inn­er­halb der Wär­m­e­sub­stanz tritt et­was auf wie fei­ne Ge­bil­de, die durch die Kräf­te des Le­bens­lei­bes in re­gel­mä­ß­i­ge Be­we­gun­gen ver­setzt wer­den. Die­se Ge­bil­de ver­an­schau­li­chen den phy­si­schen Leib des

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Men­schen­we­sens auf der ihm jetzt ent­sp­re­chen­den Ent­wi­cke­lungs­stu­fe. Sie sind ganz von Wär­me durch­drun­gen und auch wie von ei­ner Wär­m­e­hül­le ein­ge­sch­los­sen. Wär­m­e­ge­bil­de mit ein­ge­g­lie­der­ten Luft­for­men letz­te­re in re­gel­mä­ß­i­ger Be­we­gung kann man, in phy­si­scher Be­zie­hung, die­ses Men­schen­we­sen nen­nen. Will man da­her den oben an­ge­führ­ten Ver­g­leich mit der ge­gen­wär­ti­gen Pflan­ze bei­be­hal­ten, so muß man sich be­wußt blei­ben, daß man es nicht mit ei­nem kom­pak­ten Pflan­zen­ge­bil­de zu tun hat, son­dern mit ei­ner Luft- oder Gas­ge­stal­t01, de­ren Be­we­gun­gen mit den Säf­te­be­we­gun­gen der ge­gen­wär­ti­gen Pflan­zen ver­g­li­chen wer­den kön­nen. Die in die­ser Art ge­kenn­zeich­ne­te En­t­­wi­cke­lung sch­rei­tet wei­ter. Nach ei­ner ge­wis­sen Zeit tritt wie­der ei­ne Ru­he­pau­se ein; nach der­sel­ben wir­ken die Gei­s­ter der Be­we­gung wei­ter, bis zu ih­rer Tä­tig­keit die­je­ni­ge der Geis­ter der Form hin­zu­tritt. De­ren Wir­kung be­steht da­rin, daß die vor­her stets wech­seln­den Gas­ge­bil­de blei­ben­de Ge­stal­ten an­neh­men. Auch dies ge­schieht da­durch, daß in den Le­bens­leib der Men­schen­we­sen die Geis­ter der Form ih­re Kräf­te aus- und ein­strö­men las­sen. Die Gas­ge­bil­de wa­ren früh­er, als noch bloß die Geis­ter der Be­we­gung auf sie wirk­ten, in ei­ner un­auf­hör­li­chen Be­we­gung, nur ei­nen Au­gen­blick be­hiel­ten sie ih­re Ge­stalt. Jetzt aber neh­men sie vor­über­ge­hend un­ter­scheid­ba­re For­men an. Wie­der tritt nach ei­ner ge­wis­sen Zeit ei­ne Ru­he­pau­se ein; wie­der set­zen nach die­ser die Geis­ter der Form ih­re Tä­tig­keit fort. Dann aber tre­ten ganz neue Ver­hält­nis­se inn­er­halb der Son­nen­ent­wi­cke­lung ein.

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#F­N013-177-01 Das Gas er­scheint dem über­sinn­li­chen Be­wußt­sein durch die Lich­t­wir­kung, die es von sich aus­ge­hen läßt. Man könn­te al­so auch von Licht­ge­stal­ten sp­re­chen, die dem geis­ti­gen Schau­en sich dar­s­tel­len.

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Es ist näm­lich da­mit der Punkt er­reicht, wo die Son­nen­ent­wi­cke­lung in ih­rer Mit­te an­ge­langt ist. Das ist die Zeit, in wel­cher die Geis­ter der Per­sön­lich­keit, die auf dem Sa­turn ih­re Mensch­heits­stu­fe er­langt ha­ben, ei­nen höhe­ren Grad der Voll­kom­men­heit er­s­tei­gen. Sie sch­rei­ten über die­se Stu­fe hin­aus. Sie er­lan­gen ein Be­wußt­sein, das der ge­gen­wär­ti­ge Mensch auf un­se­rer Er­de im re­gel­rech­ten Fort­gang der Ent­wi­cke­lung noch nicht hat. Er wird es er­lan­gen, wenn die Er­de al­so die vier­te der pla­ne­ta­ri­schen Ent­wi­cke­lungs­stu­fen an ih­rem Zie­le an­ge­langt und in die fol­gen­de pla­ne­­ta­ri­sche Pe­rio­de ein­ge­t­re­ten sein wird. Dann wird der Mensch nicht bloß das um sich her­um wahr­neh­men, was ihm die ge­gen­wär­ti­gen phy­si­schen Sin­ne ver­mit­teln, son­dern er wird im­stan­de sein, in Bil­dern die in­ne­ren, see­li­schen Zu­stän­de der ihn um­ge­ben­den We­sen zu be­o­b­ach­ten. Er wird ein Bil­der­be­wußt­sein ha­ben, je­doch mit Bei­be­hal­tung des vol­­len Selbst­be­wußt­seins. Es wird nichts Traum­haf­tes, Dum­p­­fes in sei­nem Bil­der­schau­en sein, son­dern er wird das See­­li­sche wahr­neh­men, al­ler­dings in Bil­dern, doch so, daß die­se Bil­der der Aus­druck von Wir­k­lich­kei­ten sein wer­den, wie es jetzt phy­si­sche Far­ben und Tö­ne sind. Ge­gen­wär­tig kann sich der Mensch nur durch die geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Schu­­lung zu sol­chem Schau­en er­he­ben. Von die­ser Schu­lung wird auf spä­te­ren Blät­tern die­ses Bu­ches die Re­de sein. Die­ses Schau­en er­lan­gen nun als ih­re nor­ma­le Ent­wi­cke­lungs­ga­be die Geis­ter der Per­sön­lich­keit in­mit­ten der Son­nen­stu­fe. Und eben da­durch wer­den sie fähig, wäh­rend der Son­nen­ent­wi­cke­lung auf den neu­ge­bil­de­ten Le­bens­leib des Men­schen­we­sens in ähn­li­cher Art zu wir­ken, wie sie auf dem Sa­turn auf den phy­si­schen Leib ge­wirkt ha­ben. Wie ih­nen dort die Wär­me ih­re ei­ge­ne Per­sön­lich­keit zu­rück­ge­strahlt

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hat, so strah­len ih­nen jetzt die Gas­ge­bil­de im Licht­glan­ze die Bil­der ih­res schau­en­den Be­wußt­seins zu­rück. Sie schau­en über­sinn­lich an, was auf der Son­ne vor­geht. Und die­ses An­schau­en ist kei­nes­wegs ein blo­ßes Be­o­b­ach­ten. Es ist, als ob in den Bil­dern, die von der Son­ne aus­strö­men, et­was von der Kraft sich gel­tend mach­te, die der Er­den­mensch als Lie­be be­zeich­net. Und sieht man see­lisch ge­nau­er zu, so fin­det man den Grund die­ser Er­schei­nung. Es ha­ben sich in das von der Son­ne aus­strah­len­de Licht er­ha­be­ne We­sen­hei­ten mit ih­rer Tä­tig­keit ge­mischt. Es sind die oben be­reits ge­nann­ten «Geis­ter der Lie­be» (christ­lich: «Se­ra­phim»). Sie wir­ken von jetzt ab am men­sch­li­chen Äther- oder Le­bens­lei­be zu­sam­men mit den Geis­tern der Per­sön­lich­keit. Durch die­se Tä­tig­keit sch­rei­tet die­ser Le­bens­leib selbst um ei­ne Stu­fe auf sei­ner Ent­wi­cke­lungs­bahn fort. Er er­langt die Fähig­keit, die in ihm be­find­li­chen Gas­ge­bil­de nicht nur um­­zu­for­men, son­dern sie so zu be­ar­bei­ten, daß die ers­ten An­­deu­tun­gen ei­ner Fortpfl­an­zung der le­ben­den Men­schen­we­sen sich zei­gen. Es wer­den ge­wis­ser­ma­ßen Ab­son­de­run­gen aus den ge­form­ten Gas­ge­bil­den her­aus­ge­trie­ben (wie aus­ge­­schwitzt), wel­che sich zu sol­chen Ge­stal­ten for­men, die ih­ren Mut­ter­ge­bil­den ähn­lich sind.

Um die wei­te­re Son­nen­ent­wi­cke­lung zu cha­rak­te­ri­sie­ren, muß auf ei­ne Tat­sa­che des Wel­ten­fer­nes hin­ge­wie­sen wer­­den, wel­che von der al­ler­größ­ten Be­deu­tung ist. Sie be­steht da­rin, daß im Lau­fe ei­ner Epo­che kei­nes­wegs al­le We­sen das Ziel ih­rer Ent­wi­cke­lung er­rei­chen. Es gibt sol­che, die hin­ter die­sem Ziel zu­rück­b­lei­ben. So ha­ben wäh­rend der Sa­turn­ent­wi­cke­lung nicht al­le Geis­ter der Per­sön­lich­keit die Mensch­heits­stu­fe, die ih­nen dort in der oben dar­ge­s­tell­ten Art be­schie­den war, wir­k­lich er­reicht. Und eben­so­we­nig

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ha­ben al­le auf dem Sa­turn aus­ge­bil­de­ten phy­si­schen Men­schen­lei­ber den Grad von Rei­fe er­langt, der sie be­fähigt, auf der Son­ne zum Trä­ger ei­nes selb­stän­di­gen Le­bens­lei­bes zu wer­den. Die Fol­ge da­von ist, daß auf der Son­ne We­sen und Ge­bil­de vor­han­den sind, wel­che zu ih­ren Ver­hält­nis­sen nicht pas­sen. Die­se müs­sen nun wäh­rend der Son­nen­ent­wi­cke­lung nach­ho­len, was sie auf dem Sa­turn ver­säumt ha­ben. Man kann des­halb wäh­rend der Son­nen­stu­fe das Fol­gen­de geis­tig be­o­b­ach­ten. Wenn die Geis­ter der Weis­heit mit ih­rem Ein­strö­men des Le­bens­lei­bes be­gin­nen, tr­übt sich ge­wis­ser­ma­ßen der Son­nen­kör­per. Es durch­set­zen ihn Ge­­bil­de, wel­che ei­gent­lich noch zum Sa­turn ge­hö­ren wür­den. Es sind Wär­m­e­ge­bil­de, wel­che nicht im­stan­de sind, in en­t­­­sp­re­chen­der Art sich zu Luft zu ver­dich­ten. Das sind die auf der Sa­turn­stu­fe zu­rück­ge­b­lie­be­nen Men­schen­we­sen. Sie kön­nen nicht Trä­ger ei­nes in re­gel­rech­ter Art aus­ge­bil­de­ten Le­bens­lei­bes wer­den. Was nun auf die­se Art von Wär­m­e­sub­stanz des Sa­turn zu­rück­ge­b­lie­ben ist, glie­dert sich auf der Son­ne in zwei Tei­le. Der ei­ne Teil wird von den Men­schen­lei­bern gleich­sam auf­ge­so­gen; und er bil­det for­tan inn­er­halb des Men­schen­we­sens ei­ne Art nie­de­rer Na­tur des­­sel­ben. So nimmt das Men­schen­we­sen auf der Son­ne et­was in sei­ne Leib­lich­keit auf, was ei­gent­lich der Sa­turn­stu­fe ent­spricht. Wie nun der Sa­turn­leib des Men­schen den Gei­s­tern der Per­sön­lich­keit es mög­lich ge­macht hat, sich zur Mensch­heits­stu­fe zu er­he­ben, so leis­tet jetzt die­ser Sa­turn­teil des Men­schen auf der Son­ne das­sel­be für die Feu­er­geis­ter. Sie er­he­ben sich zur Mensch­heits­stu­fe, in­dem sie ih­re Kräf­te ein- und aus­strö­men las­sen in die­sen Sa­turn­teil des Men­schen­we­sens, wie es die Geis­ter der Per­sön­lich­keit auf dem Sa­turn ge­tan ha­ben. Auch dies ge­schieht in der Mit­te

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der Son­nen­ent­wi­cke­lung. Da ist der Sa­turn­teil des Men­schen­we­sens so weit reif, daß mit sei­ner Hil­fe die Feu­er­geis­ter (Ar­chan­ge­loi) ih­re Mensch­heits­stu­fe durchlau­fen kön­­nen. Ein an­de­rer Teil der Wär­m­e­sub­stanz des Sa­turn glie­dert sich ab und er­langt ein selb­stän­di­ges Da­sein ne­ben und zwi­schen den Men­schen­we­sen der Son­ne. Die­ser bil­det nun ein zwei­tes Reich ne­ben dem Men­schen­rei­che. Ein Reich, das auf der Son­ne ei­nen völ­lig selb­stän­di­gen, aber nur phy­si­schen Leib, als Wär­me­leib, aus­bil­det. Die Fol­ge da­von ist, daß die voll­kom­men ent­wi­ckel­ten «Geis­ter der Per­sön­li­ch­keit» auf kei­nen selb­stän­di­gen Le­bens­leib ih­re Tä­tig­keit in der ge­schil­der­ten Art rich­ten kön­nen. Nun sind aber auch ge­wis­se «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» auf der Sa­turn­stu­fe zu­rück­ge­b­lie­ben. Die­se ha­ben da nicht die Stu­fe der Men­sch­heit er­reicht. Zwi­schen ih­nen und dem selb­stän­dig ge­wor­­de­nen zwei­ten Son­nen­reich be­steht ein An­zie­hungs­band. Sie müs­sen sich jetzt auf der Son­ne zu dem zu­rück­ge­b­lie­be­nen Reich so ver­hal­ten, wie dies ih­re vor­ge­schrit­te­nen Ge­nos­sen schon auf dem Sa­turn ge­gen­über den Men­schen­we­sen ge­tan ha­ben. Die­se ha­ben dort ja auch erst den phy­si­schen Leib aus­ge­bil­det ge­habt. Auf der Son­ne selbst ist aber zu sol­cher Ar­beit der zu­rück­ge­b­lie­be­nen Per­sön­lich­keits­geis­ter kei­ne Mög­lich­keit. Sie son­dern sich da­her aus dem Son­nen­kör­per her­aus und bil­den au­ßer­halb des­sel­ben ei­nen selb­stän­di­gen Wel­ten­kör­per. Es tritt die­ser al­so aus der Son­ne her­aus. Von ihm aus wir­ken die zu­rück­ge­b­lie­be­nen «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» auf die be­schrie­be­nen We­sen des zwei­ten Son­nen­rei­ches. Es sind da­durch zwei Wel­ten­ge­bil­de aus dem ei­nen ge­wor­den, das früh­er Sa­turn war. Die Son­ne hat in ih­rer Um­ge­bung nun­mehr ei­nen zwei­ten Wel­ten­kör­per, ei­nen sol­chen, der ei­ne Art Wie­der­ge­burt des Sa­turn, ei­nen

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neu­en Sa­turn, dar­s­tellt. Von die­sem Sa­turn aus wird dem zwei­ten Son­nen­reich der Per­sön­lich­keit­scha­rak­ter er­teilt. Man hat es da­her inn­er­halb die­ses Rei­ches mit We­sen zu tun, wel­che auf der Son­ne selbst kei­ne Per­sön­lich­keit ha­ben. Doch aber spie­geln sie den «Geis­tern der Per­sön­lich­keit» auf dem neu­en Sa­turn de­ren ei­ge­ne Per­sön­lich­keit zu­rück. Das über­sinn­li­che Be­wußt­sein kann zwi­schen den Men­schen­we­sen auf der Son­ne Wär­m­e­kräf­te be­o­b­ach­ten, die in die re­gel­­mä­ß­i­ge Son­nen­ent­wi­cke­lung hin­ein­spie­len und in wel­chen man das Wal­ten der ge­kenn­zeich­ne­ten Geis­ter des neu­en Sa­turn zu se­hen hat.

Im Men­schen­we­sen hat man wäh­rend der Mit­te der Son­nen­ent­wi­cke­lung das Fol­gen­de zu be­ach­ten. Das­sel­be ist ge­­g­lie­dert in ei­nen phy­si­schen Leib und ei­nen Le­bens­leib. Dar­­in­nen spielt sich ab die Tä­tig­keit der vor­ge­schrit­te­nen «Gei­s­ter der Per­sön­lich­keit» in Ver­bin­dung mit der­je­ni­gen der «Geis­ter der Lie­be». Dem phy­si­schen Lei­be ist nun bei­ge­­mischt ein Teil der zu­rück­ge­b­lie­be­nen Sa­turn­na­tur. Da­rin spielt sich ab die Tä­tig­keit der «Feu­er­geis­ter». Man hat nun zu se­hen in al­lem, was die «Feu­er­geis­ter» an der zu­rück­ge­b­lie­be­nen Sa­turn­na­tur be­wir­ken, die Vor­läu­fer der ge­gen­wär­ti­gen Sin­ne­s­or­ga­ne der Er­den­men­schen. Es ist ja ge­zeigt wor­den, wie schon auf dem Sa­turn in der Wär­m­e­sub­stanz die­se «Feu­er­geis­ter» mit der Aus­ar­bei­tung der Sinnes­kei­me be­schäf­tigt wa­ren. In dem, was durch die «Geis­ter der Per­­sön­lich­keit» im Ve­r­ein mit den «Geis­tern der Lie­be» (den Se­ra­phim) voll­bracht wird, ist zu er­ken­nen die ers­te An­la­ge der ge­gen­wär­ti­gen men­sch­li­chen Drü­sen­or­ga­ne. Mit dem oben Ge­sag­ten ist aber die Ar­beit der auf dem neu­en Sa­turn woh­nen­den Per­sön­lich­keits­geis­ter nicht er­sc­höpft. Die­se er­st­re­cken ih­re Tä­tig­keit nicht bloß auf das ge­nann­te

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zwei­te Son­nen­reich, son­dern sie stel­len ei­ne Art Ver­bin­dung her zwi­schen die­sem Reich und den men­sch­li­chen Sin­nen. Es strö­men die Wär­m­e­sub­stan­zen die­ses Rei­ches durch die men­sch­li­chen Sinnes­kei­me aus und ein. Da­durch ge­langt das Men­schen­we­sen auf der Son­ne zu ei­ner Art von Wahr­­neh­mung des au­ßer ihm be­find­li­chen nie­de­ren Rei­ches. Die­se Wahr­neh­mung ist na­tur­ge­mäß nur ei­ne dump­fe, ganz en­t­­­sp­re­chend dem dump­fen Sa­turn­be­wußt­sein, von dem oben die Re­de war. Und sie be­steht im we­sent­li­chen aus ver­­­schie­de­nen Wärm­e­wir­kun­gen.

Al­les, was hier für die Mit­te der Son­nen­ent­wi­cke­lung ge­schil­dert wor­den ist, dau­ert ei­ne ge­wis­se Zeit. Dann tritt wie­der ei­ne Ru­he­pau­se ein. Nach der­sel­ben geht es ei­ne Zeit­lang in der­sel­ben Art fort bis zu ei­nem Punk­te der Ent­wi­cke­lung, in dem der men­sch­li­che Äther­leib so weit reif ist, daß nun­mehr ei­ne ve­r­ein­te Ar­beit der «Söh­ne des Le­bens» (An­ge­loi) und der «Geis­ter der Har­mo­nie» (Che­ru­bi­me) ein­set­zen kann. Es tre­ten nun inn­er­halb des Men­schen­we­sens für das über­sinn­li­che Be­wußt­sein Of­fen­ba­run­gen auf, die sich mit Ge­sch­macks­wahr­neh­mun­gen ver­g­lei­chen las­sen und die sich nach au­ßen als Tö­ne kund­ge­ben. Ein Ähn­li­ches muß­te ja schon für die Sa­turn­ent­wi­cke­lung ge­sagt wer­den. Hier auf der Son­ne ist nur all das im Men­schen­we­sen in­ner­li­cher, voll selb­stän­di­ge­ren Le­bens. Die «Söh­ne des Le­bens» er­lan­gen da­durch je­nes dump­fe Bil­der­be­wußt­sein, das die «Feu­er­geis­ter» auf dem Sa­turn er­reicht hat­ten. Es sind da­bei die «Geis­ter der Har­mo­nie» (die Che­ru­bi­me) ih­re Hel­fer. Sie ei­gent­lich schau­en geis­tig das an, was sich in­ner­halb der Son­nen­ent­wi­cke­lung jetzt ab­spielt. Nur ver­zich­ten sie auf al­le Früch­te die­ses An­schau­ens, auf die Emp­fin­dung der weis­heits­vol­len Bil­der, wel­che da ent­ste­hen, und las­sen

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die­se wie präch­ti­ge Zau­be­r­er­schei­nun­gen in das traum­haf­te Be­wußt­sein der «Söh­ne des Le­bens» ein­strö­men. Die­se wie­­der ar­bei­ten sol­che Ge­bil­de ih­res Schau­ens in den Äther­leib des Men­schen hin­ein, so daß die­ser im­mer höhe­re Stu­fen der Ent­wi­cke­lung er­reicht. Wie­der tritt ei­ne Ru­he­pau­se ein, wie­der er­hebt sich das Gan­ze aus dem «Wel­ten­schlaf», und, nach­dem es noch ei­ne Zeit­lang ge­dau­ert hat, ist das Men­schen­we­sen so weit reif, daß es nun ei­ge­ne Kräf­te re­gen kann. Es sind dies die­sel­ben, wel­che wäh­rend der letz­ten Zeit der Sa­turn­pe­rio­de durch die «Thro­ne» in die­ses Men­schen­we­sen ein­ge­strömt sind. In ei­nem In­nen­le­ben en­t­­wi­ckelt sich jetzt die­ses Men­schen­we­sen, das in sei­ner Of­fen­­ba­rung für das Be­wußt­sein mit ei­ner in­ner­li­chen Ge­ruchs­wahr­neh­mung ver­g­li­chen wer­den kann. Nach au­ßen aber, ge­gen den Him­mels­raum, gibt sich die­ses Men­schen­we­sen als ei­ne Per­sön­lich­keit kund, al­ler­dings als ei­ne sol­che, die nicht von ei­nem in­ne­ren «Ich» ge­lenkt wird. Es er­scheint viel­mehr wie ei­ne als Per­sön­lich­keit wir­ken­de Pflan­ze. Für das En­de der Sa­turn­ent­wi­cke­lung ist ja ge­zeigt wor­den, daß die Per­sön­lich­keit wie ei­ne Ma­schi­ne sich kund­gibt. Und wie sich dort der ers­te Keim zu dem ent­wi­ckelt hat, was auch im ge­gen­wär­ti­gen Men­schen erst keim­haft ist, zum «Geis­tes­men­schen» (At­ma), so wird hier ein eben­sol­cher ers­ter Keim zu dem «Le­bens­geist» (Buddhi) ge­stal­tet. Nach­dem ei­ne Zeit hin­durch sich al­les das ab­ge­spielt hat, tritt wie­der ei­ne Ru­he­pau­se ein. Wie in den ähn­li­chen Fäl­­len früh­er, wird nach die­ser Pau­se die Tä­tig­keit des Men­schen­we­sens ei­ne Zeit­lang fort­ge­setzt. Dann tre­ten Ver­­hält­nis­se ein, die sich dar­s­tel­len als ein neu­er Ein­griff der «Geis­ter der Weis­heit». Durch den­sel­ben wird das Men­schen­we­sen fähig, die ers­ten Spu­ren von Sym­pa­thie und

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An­ti­pa­thie mit sei­ner Um­ge­bung zu emp­fin­den. Es ist in al­le­dem noch kei­ne wir­k­li­che Emp­fin­dung, aber doch ein Vor­läu­fer der Emp­fin­dung. Denn die in­ne­re Le­ben­s­tä­tig­keit, die in ih­rer Of­fen­ba­rung wie Ge­ruchs­wahr­neh­mun­gen cha­rak­te­ri­siert wer­den könn­te, gibt sich nach au­ßen wie in ei­ner Art pri­mi­ti­ver Spra­che kund. Wird in­ner­lich ein sym­pa­thi­scher Ge­ruch oder auch Ge­sch­mack, Flim­mern etc. wahr­ge­nom­men, so gibt dies das Men­schen­we­sen nach au­ßen durch ei­nen Ton kund. Und in ent­sp­re­chen­der Art ge­schieht sol­ches bei ei­ner in­ner­lich un­sym­pa­thi­schen Wahr­neh­mung. Es ist näm­lich durch al­le die ge­schil­der­ten Vor­gän­ge der ei­gent­li­che Sinn der Son­nen­ent­wi­cke­lung für das Men­schen­we­sen er­reicht. Die­ses hat ei­ne höhe­re Be­wußt­s­eins­stu­fe ge­gen­über dem Sa­turn­be­wußt­sein er­langt. Es ist dies das Schlaf­be­wußt­sein.

Nach ei­ni­ger Zeit ist nun auch der Ent­wi­cke­lungs­punkt ein­ge­t­re­ten, da die mit der Son­nen­stu­fe ver­bun­de­nen höh­e­­ren We­sen in an­de­re Sphä­ren über­ge­hen müs­sen, um das zu ver­ar­bei­ten, was sie durch ihr Wir­ken am Men­schen­we­sen selbst in sich ver­an­lagt ha­ben. Es tritt ei­ne gro­ße Ru­he­pau­se ein, wie ei­ne sol­che zwi­schen der Sa­turn- und Son­nen­ent­wi­cke­lung war. Al­les, was sich auf der Son­ne aus­ge­bil­det hat, geht in ei­nen Zu­stand über, der sich mit dem der Pflan­ze ver­g­lei­chen läßt, wenn de­ren Wachs­tums­kräf­te im Sa­men ru­hen. Wie aber die­se Wachs­tums­kräf­te in ei­ner neu­en Pflan­ze wie­der an das Ta­ges­licht tre­ten, so tritt auch nach der Ru­he­pau­se al­les, was auf der Son­ne Le­ben war, wie­der aus dem Wel­ten­scho­ße her­vor, und ein neu­es pla­ne­ta­ri­sches Da­sein be­ginnt. Man wird den Sinn ei­ner sol­chen Ru­he­pau­se, ei­nes «Wel­ten­schla­fes», wohl ver­ste­hen, wenn man nur ein­mal den geis­ti­gen Blick auf ei­ne der ge­nann­ten We­sens­ar­ten,

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zum Bei­spiel auf die «Geis­ter der Weis­heit», lenkt. Sie wa­ren auf dem Sa­turn noch nicht so weit, daß sie dort hät­ten ei­nen Äther­leib aus sich kön­nen aus­strö­men las­sen. Erst durch die von ih­nen auf dem Sa­turn ge­mach­ten Er­leb­nis­se sind sie dar­auf vor­be­rei­tet wor­den. Wäh­rend der Pau­se ge­stal­ten sie nun das­je­ni­ge, was in ih­nen erst vor­­be­rei­tet wor­den ist, zur wir­k­li­chen Fähig­keit um. So sind sie auf der Son­ne so weit, das Le­ben aus sich aus­strö­men zu las­sen und das Men­schen­we­sen mit ei­nem ei­ge­nen Le­bens­leib zu be­ga­ben.

*

Nach der Ru­he­pau­se tritt das­je­ni­ge, was früh­er Son­ne war, aus dem «Wel­ten­schla­fe» wie­der her­vor. Das heißt, es wird wie­der wahr­nehm­bar für die geis­tig schau­en­den Kräf­te, für die es früh­er zu be­o­b­ach­ten war und für die es wäh­rend der Ru­he­pau­se ent­schwun­den war. Nun zeigt sich aber an dem neu her­vor­t­re­ten­den pla­ne­ta­ri­schen We­sen, das als «Mond» be­zeich­net wer­den soll (und das nicht ver­wech­selt wer­den darf mit dem Stück da­von, das ge­gen­wär­tig Er­den­mond ist), ein zwei­fa­ches. Ers­tens ist das­je­ni­ge, was sich wäh­rend der Son­nen­zeit als ein «neu­er Sa­turn» ab­ge­son­dert hat­te, wie­der in dem neu­en pla­ne­ta­ri­schen We­sen da­rin. Die­ser Sa­turn hat sich so­mit wäh­rend der Ru­he­pau­se wie­der mit der Son­ne ve­r­ei­nigt. Al­les, was im ers­ten Sa­turn war, tritt zu­nächst wie­der als ein Welt­ge­bil­de auf. Zwei­tens sind die auf der Son­ne ge­bil­de­ten Le­bens­lei­ber des Men­schen­we­sens in der Ru­he­pau­se von dem auf­ge­so­gen wor­den, was in ei­ner Art die geis­ti­ge Hül­le des Pla­ne­ten bil­det. Sie er­schei­nen al­so in die­sem Zeit­punk­te nicht mit den ent­sp­re­chen­den phy­si­schen Men­schen­lei­bern ve­r­ei­nigt, son­dern die­se tre­ten für sich al­lein zu­nächst auf. Zwar tra­gen sie al­les

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das an sich, was in ih­nen auf Sa­turn und Son­ne er­ar­bei­tet wor­den ist; aber sie er­man­geln des Äther- oder Le­bens­lei­bes. Ja sie kön­nen die­sen Äther­leib auch nicht so­g­leich in sich auf­neh­men, denn die­ser hat selbst ei­ne Ent­wi­cke­­lung wäh­rend der Ru­he­pau­se durch­ge­macht, an die sie noch nicht an­gepaßt sind. Was nun im Be­gin­ne der Mon­den­ent­wi­cke­lung ein­tritt, da­mit die­se An­pas­sung er­zielt wer­de, ist zu­nächst ei­ne aber­ma­li­ge Wie­der­ho­lung der Sa­turn­tat­sa­chen. Das phy­si­sche Men­schen­le­ben durch­läuft da­bei, wie­der­ho­lend, die Stu­fen der Sa­turn­ent­wi­cke­lung, nur un­ter ganz ve­r­än­der­ten Ver­hält­nis­sen. Auf dem Sa­turn spiel­ten in ihm ja nur die Kräf­te ei­nes Wär­me­lei­bes, jetzt sind in ihm auch die­je­ni­gen des er­ar­bei­te­ten Gas­lei­bes. Die letz­te­ren tre­ten aber nicht gleich im Be­gin­ne der Mon­den­ent­wi­cke­lung auf. Da ist al­les so, wie wenn das Men­schen­we­sen nur aus Wär­m­e­sub­stanz be­stün­de und inn­er­halb der­­sel­ben die Gas­kräf­te schlum­mer­ten. Dann kommt ei­ne Zeit, in wel­cher die­se in ers­ten An­deu­tun­gen auf­t­re­ten. Und zu­letzt, im letz­ten Zei­traum der Sa­turn­wie­der­ho­lung, sieht das Men­schen­we­sen schon so aus wie wäh­rend sei­nes le­ben­­di­gen Zu­stan­des auf der Son­ne. Doch er­weist sich al­les Le­ben da noch als ein Schein­le­ben. Es tritt erst ei­ne Ru­he­pau­se ein, ähn­lich den kur­zen Ru­he­pau­sen wäh­rend der Son­nen­ent­wi­cke­lung. Dann be­ginnt neu­er­dings das Ein­strö­men des Le­bens­lei­bes, für den sich der phy­si­sche Leib nun reif ge­­macht hat. Die­ses Ein­strö­men ge­schieht wie­der wie die Sa­turn­wie­der­ho­lung in drei von­ein­an­der zu un­ter­schei­den­den Epo­chen. Wäh­rend der zwei­ten die­ser Epo­chen ist das Men­schen­we­sen so weit den neu­en Mon­den­ver­hält­nis­sen an­ge­paßt, daß die «Geis­ter der Be­we­gung» die von ih­nen er­lang­te Fähig­keit in die Tat um­set­zen kön­nen. Sie be­steht

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da­rin, daß sie aus ih­rer ei­ge­nen We­sen­heit her­aus den As­tral­­leib in die Men­schen­we­sen ein­strö­men las­sen. Sie ha­ben sich zu die­ser Ar­beit wäh­rend der Son­nen­ent­wi­cke­lung vor­be­­rei­tet und in der Ru­he­pau­se zwi­schen Son­ne und Mond das Vor­be­rei­te­te zu der an­ge­deu­te­ten Fähig­keit um­ge­wan­delt. Es dau­ert die­ses Ein­strö­men nun wie­der ei­ne Zeit­lang, dann tritt ei­ne der klei­ne­ren Ru­he­pau­sen ein. Nach der­sel­ben setzt sich das Ein­strö­men fort, bis die «Geis­ter der Form» mit ih­rer Tä­tig­keit ein­set­zen. Da­durch, daß die «Geis­ter der Be­­we­gung» den As­tral­leib in das Men­schen­we­sen ein­strö­men las­sen, er­langt die­ses die ers­ten see­li­schen Ei­gen­schaf­ten. Es be­ginnt, die Vor­gän­ge, wel­che sich durch den Be­sitz ei­nes Le­bens­lei­bes in ihm ab­spie­len und wel­che wäh­rend der Son­nen­ent­wi­cke­lung noch pflan­zen­haft wa­ren, mit Emp­fin­dun­­gen zu ver­fol­gen, Lust und Un­lust durch sie zu füh­len. Es bleibt aber bei ei­nem wech­sel­vol­len in­ne­ren Auf- und Ab­flu­ten sol­cher Lust und Un­lust, bis die «Geis­ter der Form» ein­g­rei­fen. Da ver­wan­deln sich die­se wech­seln­den Ge­füh­le so, daß in dem Men­schen­we­sen das auf­tritt, was als ers­te Spur des Wun­sches, der Be­gier­de, auf­ge­faßt wer­den kann. Das We­sen st­rebt nach ei­ner Wie­der­ho­lung des­sen, was ein­­mal Lust be­rei­tet hat, und es ver­sucht zu ver­mei­den, was als an­ti­pa­thisch emp­fun­den wor­den ist. Da je­doch die «Gei­s­ter der Form» ih­re ei­ge­ne We­sen­heit nicht an das Men­­schen­we­sen ab­ge­ben, son­dern ih­re Kräf­te nur aus- und ein­strö­men las­sen, so ent­behrt die Be­gier­de der In­ner­lich­keit und Selb­stän­dig­keit. Sie wird ge­lenkt von den «Geis­tern der Form». Sie tritt mit ei­nem in­s­tink­ti­ven Cha­rak­ter auf.

Auf dem Sa­turn war der phy­si­sche Leib des Men­schen­we­sens ein Wär­me­leib; auf der Son­ne ist ei­ne Ver­dich­tung zum Gas­zu­stand oder zur «Luft» ein­ge­t­re­ten. Nun, da wäh­rend

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der Mon­den­ent­wi­cke­lung das As­tra­le ein­strömt, er­­reicht in ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt das Phy­si­sche ei­nen wei­te­ren Grad von Ver­dich­tung, es kommt in ei­nen Zu­stand, der sich mit dem ei­ner ge­gen­wär­ti­gen Flüs­sig­keit ver­g­lei­chen läßt. Man kann die­sen Zu­stand als «Was­ser» be­zeich­nen. Doch ist eben da­mit nicht un­ser ge­gen­wär­ti­ges Was­ser ge­­meint, son­dern je­g­li­che flüs­si­ge Da­s­eins­form. Der phy­si­sche Men­schen­leib nimmt nun all­mäh­lich ei­ne Form an, die sich aus drei­er­lei sub­stan­ti­el­len Ge­bil­den zu­sam­men­setzt. Das dich­tes­te ist ein «Was­ser­kör­per»; die­ser wird durch­zo­gen von Luft­strö­mun­gen, und durch al­les dies zie­hen sich wie­­der Wärm­e­wir­kun­gen hin­durch.

Nun er­lan­gen auch wäh­rend der Son­nen­stu­fe nicht al­le Ge­bil­de die vol­le ent­sp­re­chen­de Rei­fe. Es fin­den sich des­halb auf dem Mon­de Ge­bil­de ein, die erst auf der Sa­turn­stu­fe ste­hen, und sol­che, die nur die Son­nen­stu­fe er­reicht ha­ben. Da­durch ent­ste­hen ne­ben dem re­gel­recht ent­wi­ckel­­ten Men­schen­rei­che zwei an­de­re Rei­che. Ein sol­ches, das aus We­sen be­steht, die auf der Sa­turn­stu­fe ste­hen­ge­b­lie­ben sind, die da­her nur ei­nen phy­si­schen Leib ha­ben, der auch auf dem Mon­de noch nicht Trä­ger ei­nes selb­stän­di­gen Le­bens­lei­bes wer­den kann. Es ist dies das nie­d­rigs­te Mon­den­reich. Ein zwei­tes be­steht aus We­sen, die auf der Son­nen­stu­fe zu­rück­ge­b­lie­ben sind, wel­che des­halb nicht reif wer­den, auf dem Mon­de ei­nen selb­stän­di­gen As­tral­leib sich ein­zu­g­lie­­dern. Die­se bil­den ein Reich zwi­schen dem eben­ge­nann­ten und dem re­gel­mä­ß­ig fort­ge­schrit­te­nen Men­schen­reich. Aber auch noch et­was an­de­res fin­det statt: Die Sub­stan­zen mit blo­ßen Wär­m­e­kräf­ten und je­ne mit blo­ßen Luft­kräf­ten durch­set­zen auch die Men­schen­we­sen. So kommt es, daß die­se auf dem Mon­de in sich ei­ne Sa­turn- und ei­ne Son­nen­na­tur

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tra­gen. Da­durch ist in die Men­schen­na­tur ei­ne Art von Zwie­spalt ge­kom­men. Und durch die­sen Zwie­spalt wird nach dem Ein­set­zen der Tä­tig­keit der «Geis­ter der Form» inn­er­halb der Mon­den­ent­wi­cke­lung et­was sehr Be­deu­tungs­­vol­les her­vor­ge­ru­fen. Es be­ginnt sich da ei­ne Spal­tung im Mon­den­welt­kör­per vor­zu­be­rei­ten. Ein Teil sei­ner Sub­stan­­zen und We­sen­hei­ten trennt sich ab von den an­dern. Aus ei­nem Wel­ten­kör­per wer­den zwei. Den ei­nen ma­chen ge­­wis­se höhe­re We­sen­hei­ten, die noch vor­her in­ni­ger mit dem ein­heit­li­chen Wel­ten­kör­per ver­bun­den wa­ren, zu ih­rem Wohn­platz. Der an­de­re da­ge­gen wird von dem Men­schen­we­sen, den bei­den vor­hin cha­rak­te­ri­sier­ten nie­de­ren Rei­chen und ge­wis­sen höhe­ren We­sen­hei­ten ein­ge­nom­men, die nicht zu dem ers­ten Wel­ten­kör­per über­ge­gan­gen sind. Der ei­ne der bei­den Wel­ten­kör­per mit den höhe­ren We­sen er­­scheint wie ei­ne wie­der­ge­bo­re­ne, aber ver­fei­ner­te Son­ne; der an­de­re ist nun­mehr die ei­gent­li­che Neu­bil­dung, der «al­te Mond», als drit­te pla­ne­ta­ri­sche Ver­kör­pe­rung un­se­rer Er­de, nach der Sa­turn- und Son­nen­ver­kör­pe­rung. Von den auf dem Mon­de ent­stan­de­nen Sub­stan­zen nimmt die wie­der­ge­bo­re­ne Son­ne bei ih­rem Her­au­s­t­re­ten nur die «Wär­me »und die «Luft» mit; auf dem, was wie ein Rest als Mond übrig­ge­b­lie­ben ist, fin­det sich au­ßer die­sen bei­den Sub­stan­­zen noch der wäs­se­ri­ge Zu­stand. Es wird durch die­se Tren­­nung er­reicht, daß die mit der wie­de­r­er­stan­de­nen Son­ne aus­ge­zo­ge­nen We­sen­hei­ten zu­nächst in ih­rer wei­te­ren En­t­­wi­cke­lung durch die dich­te­ren Mond­we­sen­hei­ten nicht ge­­hemmt wer­den. Sie kön­nen so un­ge­hin­dert in ih­rem ei­ge­nen Wer­den fort­sch­rei­ten. Da­durch er­lan­gen sie aber ei­ne um so grö­ße­rer Kraft, um nun von au­ßen, von ih­rer Son­ne aus, auf die Mond­we­sen zu wir­ken. Und auch die­se er­lan­gen

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da­durch neue Ent­wi­cke­lungs­mög­lich­kei­ten. Mit ih­nen sind ve­r­eint ge­b­lie­ben vor al­lem die «Geis­ter der Form». Die­se ver­fes­ti­gen die Be­gier­den- und die Wun­sch­na­tur; und die­­ses drückt sich all­mäh­lich auch in ei­ner wei­te­ren Ver­dich­tung des phy­si­schen Lei­bes der Men­schen­we­sen aus. Das vor­­her bloß Wäs­se­ri­ge die­ses Lei­bes nimmt ei­ne zäh­flüs­si­ge Form an, und ent­sp­re­chend ver­dich­ten sich die luft­för­mi­gen und wär­me­ar­ti­gen Ge­bil­de. Ähn­li­che Vor­gän­ge fin­den auch statt bei den bei­den nie­de­ren Rei­chen.

Daß der Mond­kör­per von dem Son­nen­kör­per aus­ge­son­­dert wird, dies hat zur Fol­ge, daß sich der ers­te­re zu dem letz­te­ren so ver­hält, wie einst­mals der Sa­turn­kör­per zu der gan­zen um­lie­gen­den Wel­ten­ent­wi­cke­lung. Der Sa­turn­kör­per war aus dem Lei­be der «Geis­ter des Wil­lens» (der Thro­ne) ge­bil­det. Aus sei­ner Sub­stanz strahl­te in den Wel­ten­raum zu­rück al­les, was die in der Um­ge­bung be­fin­d­­li­chen oben an­ge­führ­ten geis­ti­gen We­sen­hei­ten er­leb­ten. Und die Rück­strah­lung er­wach­te durch die fol­gen­den Vor­gän­ge all­mäh­lich zu selb­stän­di­gem Le­ben. Dar­auf be­ruht ja al­le Ent­wi­cke­lung, daß erst aus dem Le­ben der Um­ge­bung sel­b­­stän­di­ge We­sen­heit sich ab­son­dert; dann in dem ab­ge­son­­der­ten We­sen sich die Um­ge­bung wie durch Spie­ge­lung ein­prägt und dann dies ab­ge­son­der­te We­sen sich selb­stän­dig wei­ter ent­wi­ckelt. So auch son­der­te sich der Mon­den­kör­per vom Son­nen­kör­per ab und strahl­te zu­nächst das Le­ben des Son­nen­kör­pers zu­rück. Wä­re nun nichts an­de­res ge­sche­hen, so hät­te man es mit fol­gen­dem Wel­ten­pro­zes­se zu tun. Es gä­be ei­nen Son­nen­kör­per, in wel­chem die­sem Kör­per an­gepaß­te geis­ti­ge We­sen­hei­ten in dem Wär­me- und Luf­t­e­le­men­te ih­re Er­leb­nis­se hät­ten. Die­sem Son­nen­kör­per stün­de ein Mon­den­kör­per ge­gen­über, in wel­chem an­de­re We­sen mit

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dem Wär­me-, Luft- und Was­ser­le­ben sich ent­fal­te­ten. Der Fort­schritt von der Son­nen­ver­kör­pe­rung zu der Mon­den­ver­kör­pe­rung be­stün­de da­rin, daß die Son­nen­we­sen ihr ei­ge­nes Le­ben von den Mon­den­vor­gän­gen aus wie im Spie­­gel­bil­de vor sich hät­ten und so das­sel­be ge­nie­ßen könn­ten, was ih­nen wäh­rend der Son­nen­ver­kör­pe­rung noch un­mög­­lich war. Nun blieb es aber nicht bei die­sem Ent­wi­cke­­lungs­vor­gan­ge. Es ge­schah et­was, was für al­le fol­gen­de En­t­­wi­cke­lung von der al­ler­tiefs­ten Be­deu­tung war. Ge­wis­se We­sen­hei­ten, wel­che dem Mon­den­kör­per an­gepaßt wa­ren, be­mäch­tig­ten sich des ih­nen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Wil­­lens­e­le­men­tes (des Er­bes der Thro­ne) und ent­wi­ckel­ten da­­durch ein Ei­gen­le­ben, das sich un­ab­hän­gig ge­stal­tet von dem Son­nen­le­ben. Es ent­ste­hen ne­ben den Er­leb­nis­sen des Mon­des, die nur un­ter dem Son­nen­ein­flus­se ste­hen, selb­stän­­di­ge Mon­de­n­er­leb­nis­se; gleich­sam Em­pör­ungs- oder Auf­leh­­nungs­zu­stän­de ge­gen die Son­nen­we­sen. Und die ver­schie­­de­nen auf Son­ne und Mond ent­stan­de­nen Rei­che, vor al­lem das Reich der Men­schen­vor­fah­ren, wur­de in die­se Zu­stän­de hin­ein­ge­zo­gen. Der Mon­den­kör­per sch­ließt da­durch geis­tig und stof­f­lich zwei­er­lei Le­ben in sich: Sol­ches, das in in­ni­ger Ver­bin­dung mit dem Son­nen­le­ben steht, und sol­ches, wel­ches von die­sem «ab­ge­fal­len» ist und un­ab­hän­gi­ge We­ge geht. Die­se Glie­de­rung in zwei­fa­ches Le­ben drückt sich in al­len fol­gen­den Vor­gän­gen der Mon­den­ver­kör­pe­rung nun aus.

Was sich für die­sen Ent­wi­cke­lungs­zei­traum dem über­­sinn­li­chen Be­wußt­sein dar­bie­tet, das läßt sich in fol­gen­den Bil­dern cha­rak­te­ri­sie­ren. Die gan­ze Grund­mas­se des Mon­­des ist ge­bil­det aus ei­ner hal­b­le­ben­di­gen Sub­stanz, die in ei­ner bald trä­gen, bald leb­haf­ten Be­we­gung ist. Ei­ne mi­ne­ra­li­sche

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Mas­se im Sin­ne der Ge­stei­ne und der Erd­be­stan­d­­tei­le, auf de­nen der ge­gen­wär­ti­ge Mensch her­um­wan­delt, ist das noch nicht. Man könn­te von ei­nem Rei­che von Pflan­zen­mi­ne­ra­li­en sp­re­chen. Nur hat man sich vor­zu­s­tel­len, daß der gan­ze Grund­kör­per des Mon­des aus die­ser Pflan­zen-­Mi­ne­ral­sub­stanz be­steht, wie heu­te die Er­de aus Ge­stei­nen, Acker­er­de usw. be­steht. Wie ge­gen­wär­tig sich Fel­sen­mas­sen auf­tür­men, so la­ger­ten sich der Mon­den­mas­se här­te­re Tei­le ein, die sich mit har­ten Holz­ge­bil­den oder mit For­men aus Horn ver­g­lei­chen las­sen. Und wie sich jetzt Pflan­zen aus dem Mi­ne­ral­bo­den er­he­ben, so war der Mon­den­grund be­­deckt und durch­drun­gen von dem zwei­ten Reich, be­ste­hend aus ei­ner Art von Pflan­zen­tie­ren. Ih­re Sub­stanz war wei­cher als die Grund­mas­se und in sich be­we­g­li­cher. Wie ein zäh­es Meer zog sich die­ses Reich über das an­de­re da­hin. Und der Mensch selbst kann als Tier­mensch be­zeich­net wer­­den. Er hat­te in sei­ner Na­tur die Be­stand­tei­le der an­dern bei­den Rei­che. Aber sei­ne We­sen­heit war ganz durch­drun­­gen von ei­nem Le­bens­leib und as­tra­li­schen Leib, auf wel­che die von der ab­ge­schie­de­nen Son­ne aus­ge­hen­den Kräf­te der höhe­ren We­sen­hei­ten wirk­ten. So wur­de sei­ne Ge­stalt ver­­e­delt. Wäh­rend ihm die «Geis­ter der Form» ei­ne Ge­stalt ga­ben, durch die er dem Mon­den­le­ben an­gepaßt war, mach­­ten ihn die Son­nen­geis­ter zu ei­ner We­sen­heit, die ihn über die­ses Le­ben hin­aus­hob. Er hat­te die Kraft, mit den ihm von die­sen Geis­tern ge­schenk­ten Fähig­kei­ten sei­ne ei­ge­ne Na­tur zu ve­r­e­deln, ja das­je­ni­ge, was mit den nie­de­ren Rei­chen ver­wandt war, auf ei­ne höhe­re Stu­fe em­por­zu­he­ben.

Geis­tig ge­se­hen kön­nen die hier in Be­tracht kom­men­den Vor­gän­ge in der fol­gen­den Art ge­schil­dert wer­den. Der Men­schen­vor­fahr war ve­r­e­delt wor­den von We­sen­hei­ten,

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die vom Son­nen­rei­che ab­ge­fal­len wa­ren. Die­se Ve­r­e­de­lung er­st­reck­te sich vor al­lem auf al­les, was im Was­se­r­e­le­men­te er­lebt wer­den konn­te. Auf die­ses Ele­ment hat­ten die Son­­nen­we­sen, die Herr­scher im Wär­me- und Luf­t­e­le­men­te wa­ren, den ge­rin­ge­ren Ein­fluß. Für den Men­schen­vor­fah­ren hat­te dies zur Fol­ge, daß sich in sei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on zwei­er­lei We­sen­hei­ten gel­tend mach­ten: der ei­ne Teil die­ser Or­ga­­ni­sa­ti­on war ganz durch­drun­gen von den Wir­kun­gen der Son­nen­we­sen. In dem an­dern wirk­ten die ab­ge­fal­le­nen Mon­den­we­sen. Da­durch war der letz­te Teil selb­stän­di­ger als der ers­te. Im ers­ten konn­ten nur Be­wußt­s­eins­zu­stän­de ent­ste­hen, in de­nen die Son­nen­we­sen leb­ten; in dem let­z­­te­ren leb­te ei­ne Art Welt­be­wußt­sein, wie es dem Sa­turn­zu­stan­de ei­gen war, nur jetzt auf ei­ner höhe­ren Stu­fe. Der Men­schen­vor­fahr kam sich da­durch als «Ab­bild der Welt» vor, wäh­rend sich sein «Son­nen­teil» nur als «Ab­bild der Son­ne» fühl­te. Es tra­ten nun in der Men­schen­na­tur die­se bei­den We­sen­hei­ten in ei­ne Art Kampf. Und durch den Ein­fluß der Son­nen­we­sen­hei­ten wur­de für die­sen Kampf ein Aus­g­leich da­durch ge­schaf­fen, daß durch ihn die stof­f­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on, wel­che das selb­stän­di­ge Welt­be­wußt­sein er­­mög­lich­te, ge­b­rech­lich, ver­gäng­lich ge­macht wur­de. Es muß­te nun von Zeit zu Zeit die­ser Teil der Or­ga­ni­sa­ti­on aus­ge­­schie­den wer­den. Wäh­rend und ei­ni­ge Zeit nach der Aus­­­schei­dung war der Men­schen­vor­fahr ein bloß vom Son­nen­ein­fluß ab­hän­gi­ges We­sen. Sein Be­wußt­sein wur­de un­sel­b­­stän­di­ger; er leb­te in dem­sel­ben ganz dem Son­nen­le­ben hin­­ge­ge­ben. Dann er­neu­er­te sich der selb­stän­di­ge Mon­den­teil wie­der. Nach ei­ni­ger Zeit wie­der­hol­te sich stets die­ser Vor­­­gang. So leb­te der Men­schen­vor­fahr auf dem Mon­de in Wech­sel­zu­stän­den hel­le­ren und dump­fe­ren Be­wußt­seins;

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und der Wech­sel war be­g­lei­tet von ei­ner Wand­lung sei­nes We­sens in stof­f­li­cher Be­zie­hung. Er leg­te von Zeit zu Zeit sei­nen Mon­den­kör­per ab und nahm ihn spä­ter wie­der an.

Phy­sisch ge­se­hen zeigt sich in den an­ge­führ­ten Rei­chen des Mon­des ei­ne gro­ße Man­nig­fal­tig­keit. Die Mi­ne­ralpflan­­zen, Pflan­zen­tie­re und Tier­men­schen sind nach Grup­pen ver­schie­den. Man wird das ver­ste­hen, wenn man be­denkt, daß durch das Zu­rück­b­lei­ben der Ge­bil­de auf je­der der frü­he­ren Stu­fen der Ent­wi­cke­lung For­men in den man­nig­fal­­tigs­ten Qua­li­tä­ten ver­kör­pert wor­den sind. Es sind Ge­bil­de da, wel­che noch die An­fangs­ei­gen­schaf­ten des Sa­turn zei­gen, sol­che der mitt­le­ren Epo­che die­ses Welt­kör­pers, sol­che vom En­de. Ein Glei­ches gilt für al­le Ent­wi­cke­lungs­stu­fen der Son­ne.

Und wie die mit dem sich fort­ent­wi­ckeln­den Wel­ten­kör­per ver­bun­de­nen Ge­bil­de zu­rück­b­lei­ben, so ist es auch mit ge­wis­sen We­sen­hei­ten der Fall, die mit die­ser Ent­wi­cke­lung zu­sam­men­hän­gen. Durch das Fort­rü­cken des Wer­dens bis zum Mon­de sind schon ei­ne An­zahl von Stu­fen sol­cher We­sen­hei­ten ent­stan­den. Da gibt es «Geis­ter der Per­sön­li­ch­keit», wel­che auf der Son­ne noch im­mer nicht ih­re Men­sch­heits­stu­fe er­reicht ha­ben; es sind aber auch sol­che vor­han­­den, wel­che da das Auf­s­tei­gen in die Mensch­heit nach­ge­holt ha­ben. Auch von den «Feu­er­geis­tern», die auf der Son­ne hät­ten Men­schen wer­den sol­len, sind ei­ne An­zahl zu­rück­ge­­b­lie­ben. Wie nun wäh­rend der Son­nen­ent­wi­cke­lung ge­wis­se zu­rück­ge­b­lie­be­ne «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» sich aus dem Son­nen­kör­per her­aus­zo­gen und den Sa­turn als be­son­de­ren Wel­ten­kör­per wie­der er­ste­hen lie­ßen, so ge­schieht es auch, daß im Lau­fe der Mon­den­ent­wi­cke­lung sich die oben cha­rak­te­ri­sier­ten We­sen­hei­ten auf be­son­de­ren Welt­kör­pern aus­son­dern.

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Es ist bis jetzt erst von der Tei­lung in Son­ne und Mond ge­spro­chen wor­den, doch glie­dern sich noch an­de­re Welt­ge­bil­de aus den an­ge­ge­be­nen Grün­den aus dem Mon­­den­kör­per ab, der nach der gro­ßen Son­nen-Mon­des-Pau­se er­schie­nen ist. Man hat es nach ei­ni­ger Zeit mit ei­nem Sy­s­tem von Welt­kör­pern zu­tun, de­ren fort­ge­schrit­tens­ter, wie leicht zu er­se­hen ist, die neue Son­ne ge­nannt wer­den muß. Und ein eben­sol­ches An­zie­hungs­band, wie es oben für die Son­nen­ent­wi­cke­lung zwi­schen dem zu­rück­ge­b­lie­be­nen Sa­­turn­rei­che und den Per­sön­lich­keits­geis­tern auf dem neu­en Sa­turn be­schrie­ben wor­den ist, bil­det sich zwi­schen je ei­nem sol­chen Wel­ten­kör­per und den ent­sp­re­chen­den Mon­den­we­­sen. Es wür­de hier viel zu weit füh­ren, al­le die ent­ste­hen­­den Wel­ten­kör­per im ein­zel­nen zu ver­fol­gen. Es muß ge­nü­gen, auf den Grund hin­ge­wie­sen zu ha­ben, warum aus dem ein­heit­li­chen Welt­ge­bil­de, das im Be­gin­ne der Men­sch­heits­ent­wi­cke­lung als Sa­turn er­scheint, sich nach und nach ei­ne Rei­he von Wel­ten­kör­pern her­aus­löst.

Nach dem Ein­set­zen der «Geis­ter der Form» auf dem Mon­de dau­ert die Ent­wi­cke­lung ei­ne Zeit­lang fort in der Art, wie dies ge­schil­dert wor­den ist. Nach die­ser Zeit tritt wie­der ei­ne Pau­se ein. Wäh­rend der­sel­ben blei­ben die grö­be­ren Tei­le der drei Mon­den­rei­che in ei­ner Art Ru­he­zu­stand; die fei­ne­ren Tei­le aber, na­ment­lich die as­tra­li­schen Lei­ber der Men­schen­we­sen, lö­sen sich los von die­sen gröbe­ren Ge­­bil­den. Sie kom­men in ei­nen Zu­stand, in dem die höhe­ren Kräf­te der er­ha­be­nen Son­nen­we­sen be­son­ders stark auf sie wir­ken kön­nen. Nach der Ru­he­pau­se durch­drin­gen sie wie­­der die­je­ni­gen Tei­le des Men­schen­we­sens, die aus den grö­be­ren Sub­stan­zen be­ste­hen. Da­durch, daß sie in der Pau­se im frei­en Zu­stan­de die star­ken Kräf­te auf­ge­nom­men ha­ben

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kön­nen sie die­se gröbe­ren Sub­stan­zen reif ma­chen zu der Wir­kung, die nach ei­ner ge­wis­sen Zeit nun­mehr auf sie aus­ge­übt wer­den soll von den re­gel­recht vor­ge­schrit­te­nen Geis­tern der Per­sön­lich­keit» und den «Feu­er­geis­tern».

Die­se «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» ha­ben sich in­zwi­schen zu ei­ner Stu­fe er­ho­ben, auf der sie das «Be­wußt­sein der In­­­spi­ra­ti­on» ha­ben. Sie kön­nen da nicht nur wie das beim frühe­ren Bil­der­be­wußt­sein war die in­ne­ren Zu­stän­de an­­de­rer de­rer We­sen in Bil­dern wahr­neh­men, son­dern wie in ei­ner geis­ti­gen Ton­spra­che das In­ne­re sol­cher We­sen selbst. Die «Feu­er­geis­ter» aber ha­ben sich zu der Be­wußt­s­eins­höhe er­­höhen, wel­che die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» auf der Sin­ne in­ne hat­ten. Bei­de Ar­ten von Geis­tern kön­nen da­­durch in das her­an­ge­reif­te Le­ben des Men­schen­we­sens ein­­g­rei­fen. Die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» wir­ken auf den As­tral­leib, die «Feu­er­geis­ter» auf den Äther­leib die­ses Men­­schen­we­sens. Der As­tral­leib er­hält da­durch den Cha­rak­ter der Per­sön­lich­keit. Er er­lebt nun­mehr in sich nicht nur Lust und Sch­merz, son­dern er be­zieht sie auch auf sich. Er kommt noch nicht zu ei­nem voll­stän­di­gen Ich-Be­wußt­sein, das sich sagt «Ich bin da»; aber er fühlt sich ge­tra­gen und ge­bor­gen v von an­de­ren We­sen­hei­ten sei­ner Um­ge­bung. In­dem er zu die­sen gleich­sam auf­blickt, kann er sich sa­gen: Die­se mei­ne Um­ge­bung hält mich am Da­sein. Die «Feu­er­geis­ter» wir­ken nun­mehr auf den Äther­leib. Un­ter ih­rem Ein­flus­se wird die Be­we­gung der Kräf­te in die­sem Lei­be im­mer mehr und mehr zu ei­ner in­ner­li­chen Le­ben­s­tä­tig­keit. Was da ent­steht, fin­det ei­nen phy­si­schen Aus­druck in ei­ner Säf­te­be­we­gung und in Wachs­tum­ser­schei­nun­gen. Die ga­si­gen Sub­stan­zen ha­ben sich zu wäs­se­ri­gen ver­dich­tet; es kann von ei­ner Art Er­näh­rung in dem Sin­ne ge­spro­chen wer­den, daß das von

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au­ßen Auf­ge­nom­me­ne im In­nern um­ge­wan­delt und ver­­ar­bei­tet wird. Wenn man sich et­wa ein Mit­tel­ding denkt zwi­schen der Er­näh­rung und der At­mung im ge­gen­wär­ti­gen Sin­ne, dann er­hält man ei­ne Vor­stel­lung von dem, was in die­ser Rich­tung da­mals ge­schah. Die Nah­rungs­stof­fe wur­­den aus dem Rei­che der Tierpflan­zen von dem Men­schen­we­sen ent­nom­men. Man hat sich die­se Tierpflan­zen als schwe­bend-schwim­mend zu den­ken oder auch leicht an­­ge­wach­sen in ei­nem sie um­ge­ben­den Ele­men­te, wie die ge­gen­wär­ti­gen nie­de­ren Tie­re im Was­ser oder die Land­tie­re in der Luft le­ben. Doch ist die­ses Ele­ment we­der Was­ser noch Luft in dem ge­gen­wär­ti­gen Sin­ne, son­dern et­was Mitt­le­res aus bei­den, ei­ne Art dich­ter Dampf, in dem die ver­schie­dens­ten Sub­stan­zen wie auf­ge­löst in den ver­schie­­dens­ten Strö­mun­gen sich hin- und her­be­we­gen. Die Tierpflan­zen er­schei­nen nur wie ver­dich­te­te re­gel­mä­ß­i­ge For­men die­ses Ele­men­tes, phy­sisch oft­mals nur we­nig von ih­rer Um­ge­bung ver­schie­den. Der At­mung­s­pro­zeß ist ne­ben dem Er­näh­rung­s­pro­zeß vor­han­den. Er ist nicht wie auf der Er­de, son­dern wie ein Ein­sau­gen und Aus­strö­men von Wär­me. Für die über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung ist es, wie wenn bei die­sen Vor­gän­gen sich Or­ga­ne öff­ne­ten und wie­der zu­­zö­gen, durch wel­che ein er­wär­m­en­der Strom aus- und ein­gin­ge und auch die luft- und was­ser­ar­ti­gen Sub­stan­zen ein- und aus­ge­führt wür­den. Und weil das Men­schen­we­sen auf die­ser Stu­fe sei­ner Ent­wi­cke­lung be­reits ei­nen As­tral­leib be­­sitzt, wer­den die­se At­mung und die Er­näh­rung von Ge­füh­­len be­g­lei­tet, so daß ei­ne Art von Lust ent­steht, wenn sol­che Stof­fe von au­ßen auf­ge­nom­men wer­den, die för­der­lich sind für den Auf­bau des Men­schen­we­sens. Un­lust wird be­wirkt, wenn schäd­li­che Stof­fe ein­f­lie­ßen oder auch nur in die Nähe

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kom­men. Wie auf die ge­schil­der­te Art wäh­rend der Mond­ent­wi­cke­lung der At­mung­s­pro­zeß dem Er­näh­rungs­vor­gang na­he­stand, so stand der Vor­stel­lung­s­pro­zeß der Fortpflan­zung na­he. Von den Din­gen und We­sen in der Um­ge­bung des Mond­men­schen ging nicht ei­ne un­mit­tel­ba­re Wir­kung auf ir­gend­wel­che Sin­ne aus. Die Vor­stel­lung war viel­mehr so ge­ar­tet, daß durch die An­we­sen­heit sol­cher Din­ge und We­sen Bil­der er­regt wur­den in dem dump­fen, däm­mer­haf­­ten Be­wußt­sein. Die­se Bil­der stan­den in ei­nem viel in­ni­ge­ren Zu­sam­men­hang mit der ei­gent­li­chen Na­tur der Um­ge­bung als die ge­gen­wär­ti­gen Sin­nes­wahr­neh­mun­gen, wel­che in Far­­ben, Tö­nen, Ge­rüchen usw. ja nur gleich­sam die Au­ßen­sei­te der We­sen zei­gen. Man stel­le sich, um ei­nen deut­li­che­ren Be­griff von dem Be­wußt­sein der Mond­men­schen zu ha­ben, vor, daß die­se wie ein­ge­bet­tet sei­en in die oben ge­schil­der­te damp­far­ti­ge Um­ge­bung. In die­sem Duns­t­e­le­men­te spie­len sich die man­nig­fal­tigs­ten Vor­gän­ge ab. Es ver­bin­den sich Stof­fe, es tren­nen sich Sub­stan­zen von­ein­an­der ab. Es ver­­­dich­ten sich Par­ti­en, an­de­re ver­dün­nen sich. Al­les das geht so vor sich, daß es die Men­schen­we­sen nicht et­wa un­mit­tel­­bar se­hen oder hö­ren; aber es ruft Bil­der im Men­schen­be­wußt­sein her­vor. Die­se Bil­der sind ver­g­leich­bar de­nen des ge­gen­wär­ti­gen Traum­be­wußt­seins. Wie et­wa, wenn ein Ge­­gen­stand zur Er­de fällt und ein schla­fen­der Mensch nimmt nicht den wir­k­li­chen Vor­gang wahr, son­dern ir­gend­ein Bild, zum Bei­spiel er ver­meint, daß ein Schuß ab­ge­ge­ben wer­de. Nur sind die Bil­der des Mon­den­be­wußt­sein nicht will­kür­­lich wie sol­che Traum­bil­der; sie sind zwar Sinn­bil­der, nicht Ab­bil­der, aber sie ent­sp­re­chen den äu­ße­ren Vor­gän­gen. Es tritt mit ei­nem be­stimm­ten äu­ße­ren Vor­gang auch nur ein ganz be­stimm­tes Bild auf. Der Mon­den­mensch ist da­durch

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in der La­ge, sein Ver­hal­ten nach die­sen Bil­dern ein­zu­rich­­ten, wie es der ge­gen­wär­ti­ge Mensch nach sei­nen Wahr­neh­mun­gen tut. Es ist nur zu be­ach­ten, daß das Ver­hal­ten auf Grund der Wahr­neh­mun­gen der Will­kür un­ter­liegt, wäh­­rend das Han­deln un­ter dem Ein­flus­se der ge­kenn­zeich­ne­ten Bil­der wie auf ei­nen dun­k­len An­trieb hin er­folgt. Die­ses Bil­der­be­wußt­sein ist nun kei­nes­wegs so, daß durch das­sel­be nur äu­ße­re phy­si­sche Vor­gän­ge ver­sinn­licht wer­den, son­­dern es wer­den durch die Bil­der auch die hin­ter den phy­­si­schen Tat­sa­chen wal­ten­den geis­ti­gen We­sen und de­ren Tä­tig­kei­ten vor­ge­s­tellt. So wer­den in den Din­gen des Tier­pflan­zen­rei­ches die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» gleich­sam sicht­bar; hin­ter und in den mi­ne­ralpflanz­li­chen We­sen er­­schei­nen die «Feu­er­geis­ter»; und als We­sen, die der Mensch oh­ne Zu­sam­men­hang mit et­was Phy­si­schem vor­zu­s­tel­len ver­­­mag, die er gleich­sam als äthe­risch-see­li­sche Ge­bil­de er­schaut, er­schei­nen die «Söh­ne des Le­bens». Wa­ren so die­se Vor­­­stel­lun­gen des Mon­den­be­wußt­seins kei­ne Ab­bil­der, son­dern nur Sinn­bil­der des Äu­ße­ren, so wa­ren sie da­für von ei­ner viel be­deut­sa­me­ren Wir­kung auf das In­ne­re des Men­schen­we­sens als die ge­gen­wär­ti­gen durch Wahr­neh­mung ver­mit­tel­ten Vor­stel­lun­gen des Men­schen. Sie ver­moch­ten es, das gan­ze In­ne­re in Be­we­gung und Tä­tig­keit zu ver­set­zen. Nach ih­nen ge­stal­te­ten sich die in­ne­ren Vor­gän­ge. Sie wa­ren ech­te Bil­dungs­kräf­te. Das Men­schen­we­sen wur­de so, wie die­se Bil­dungs­kräf­te es ge­stal­te­ten. Es wur­de ge­wis­ser­ma­ßen ein Ab­bild sei­ner Be­wußt­s­eins­vor­gän­ge.

Je wei­ter der Fort­gang der Ent­wi­cke­lung in die­ser Art statt­fin­det, um so mehr hat er zur Fol­ge, daß mit dem Men­schen­we­sen ei­ne tief ein­schnei­den­de Ve­r­än­de­rung vor sich geht. Die Macht, wel­che von den Be­wußt­s­eins­bil­dern aus­geht,

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kann sich nach und nach nicht mehr über die gan­ze men­sch­li­che Leib­lich­keit er­st­re­cken. Es bil­den sich sol­che Glie­der, wel­che der ge­stal­ten­den Wir­kung des Bil­der­be­wußt­­­seins un­ter­lie­gen und im ho­hen Gra­de ein Ab­bild des Vor­­­stel­lungs­le­bens in dem eben dar­ge­s­tell­ten Sin­ne wer­den. An­­de­re Or­ga­ne aber ent­zie­hen sich sol­chem Ein­flus­se. Der Mensch ist in ei­nem Tei­le sei­nes We­sens gleich­sam zu dicht, zu sehr von an­de­ren Ge­set­zen be­stimmt, um sich nach den Be­wußt­s­eins­bil­dern zu rich­ten. Die­se ent­zie­hen sich dem Ein­flus­se des Men­schen­we­sens; sie ge­lan­gen aber un­ter ei­nen an­dern, un­ter den­je­ni­gen der er­ha­be­nen Son­nen­we­sen selbst. Doch sieht man die­ser Stu­fe der Ent­wi­cke­lung erst ei­ne Ru­he­pau­se vor­an­ge­hen. In die­ser sam­meln die Son­nen­geis­ter die Kraft, um un­ter ganz neu­en Um­stän­den auf die We­sen des Mon­des zu wir­ken. Nach die­ser Ru­he­pau­se ist das Men­schen­we­sen deut­lich in zwei Na­tu­ren ge­spal­ten. Die ei­ne ist dem selb­stän­di­gen Wir­ken des Bil­der­be­wußt­seins entzo­gen; sie nimmt ei­ne be­stimm­te­re Ge­stalt an und kommt un­ter den Ein­fluß von Kräf­ten, wel­che zwar von dem Mon­­den­kör­per aus­ge­hen, aber in dem­sel­ben erst durch den Ein­fluß der Son­nen­we­sen ent­ste­hen. Die­ser Teil des Men­schen­we­sens lebt im­mer mehr das Le­ben mit, das durch die Son­ne an­ge­regt ist. Der an­de­re Teil er­hebt sich wie ei­ne Art Kopf aus die­sem ers­te­ren. Er ist in sich be­we­g­lich, bild­sam, und ge­stal­tet sich als Aus­druck und Trä­ger des men­sch­li­chen dump­fen Be­wußt­s­eins­le­bens. Doch sind die bei­den Tei­le in­nig mit­ein­an­der ver­bun­den; sie sen­den sich ge­gen­sei­tig ih­re Säf­te zu; es er­st­re­cken sich Glie­der von dem ei­nen hin­ein in den an­dern.

Ei­ne be­deu­tungs­vol­le Har­mo­nie wird nun da­durch er­­zielt, daß im Lau­fe der Zeit, in wel­cher dies al­les ge­sche­hen ist, sich auch ein sol­ches Ver­hält­nis von Son­ne und Mond

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her­aus­ge­bil­det hat, das mit der Rich­tung die­ser Ent­wi­cke­­lung zu­sam­men­stimmt. Es ist schon an ei­ner frühe­ren Stel­le (ver­g­lei­che Sei­te 172) an­ge­deu­tet wor­den, wie die fort­sch­rei­ten­den We­sen durch ih­re Ent­wi­cke­lungs­stu­fen sich aus der all­ge­mei­nen Wel­ten­mas­se her­aus ih­re Him­mels­kör­per ab­son­dern. Sie strah­len gleich­sam die Kräf­te aus, nach de­nen sich die Stof­fe glie­dern. Son­ne und Mond ha­ben sich so von­ein­an­der ab­ge­g­lie­dert, wie es not­wen­dig war zur Her­­stel­lung der rich­ti­gen Wohn­plät­ze ent­sp­re­chen­der We­sen. Die­se Be­stim­mung des Stof­fes und sei­ner Kräf­te durch den Geist geht aber noch viel wei­ter. Die We­sen selbst be­din­gen auch ge­wis­se Be­we­gun­gen der Wel­ten­kör­per, be­stimm­te Um­­­dre­hun­gen der­sel­ben um­ein­an­der. Da­durch kom­men die­se Kör­per in ve­r­än­der­li­che Stel­lun­gen zu­ein­an­der. Und ver­­än­dert sich die Stel­lung, die La­ge des ei­nen Welt­kör­pers zu dem an­dern, so ve­r­än­dern sich auch die Wir­kun­gen ih­rer ent­sp­re­chen­den We­sen au­f­ein­an­der. So ist es mit Son­ne und Mond ge­sche­hen. Durch die Be­we­gung des Mon­des um die Son­ne, wel­che ent­stan­den ist, ge­ra­ten die Men­schen­we­sen ab­wech­selnd ein­mal mehr in den Be­reich der Son­nen­wir­kung; ein an­de­res Mal kön­nen sie sich von die­ser ab­keh­ren und sind dann mehr auf sich selbst an­ge­wie­sen. Die Be­we­­gung ist ei­ne Fol­ge des oben ge­schil­der­ten «Ab­fal­les» ge­­wis­ser Mon­den­we­sen und des Aus­g­lei­ches für den Kampf, wel­cher da­durch be­wirkt wor­den ist. Sie ist nur der phy­­si­sche Aus­druck für das durch den Ab­fall ge­schaf­fe­ne gei­s­ti­ge Kräf­te­ver­hält­nis. Daß der ei­ne Kör­per sich um den an­dern be­wegt, hat zur Fol­ge, daß in den die Wel­ten­kör­per be­woh­nen­den We­sen sol­che wech­seln­de Be­wußt­s­eins­zu­stän­de ein­t­re­ten, wie sie oben ge­schil­dert wor­den sind. Man kann da­von sp­re­chen, daß der Mond ab­wech­selnd sein Le­ben der

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Son­ne zu­kehrt und ab­kehrt. Es gibt ei­ne Son­nen­zeit und ei­ne pla­ne­ta­ri­sche Zeit, in welch letz­te­rer die Mon­den­we­sen sich auf ei­ner Sei­te des Mon­des ent­wi­ckeln, wel­che von der Son­ne ab­ge­wen­det ist. Al­ler­dings kommt für den Mond zu der Be­we­gung der Him­mels­kör­per noch et­was an­de­res hin­zu. Das zu­rück­bli­cken­de über­sinn­li­che Be­wußt­sein kann näm­lich se­hen, wie in ganz re­gel­mä­ß­i­gen Zei­träu­men die Mon­den­we­sen selbst um ih­ren Welt­kör­per her­um­wan­dern. Sie su­chen so in ge­wis­sen Zei­ten die Or­te auf, an de­nen sie dem Son­nen­ein­fluß sich hin­ge­ben kön­nen; in an­dern Epo­chen wan­dern sie nach Or­ten, wo sie die­sem Ein­fluß nicht un­ter­lie­gen und sich dann gleich­sam auf sich selbst be­sin­nen kön­nen.

Zur Ver­voll­stän­di­gung des Bil­des, das von die­sen Vor­­­gän­gen zu zeich­nen ist, hat man auch noch zu be­ach­ten, daß in die­sem Zei­traum die «Söh­ne des Le­bens» ih­re Men­schen­­stu­fe er­rei­chen. Der Mensch kann auch auf dem Mon­de sei­ne Sin­ne, de­ren An­la­gen schon auf dem Sa­turn ent­stan­den sind, noch nicht zu ei­ner ei­ge­nen Wahr­neh­mung äu­ße­rer Ge­gen­stän­de be­nüt­zen. Aber die­se Sin­ne wer­den auf der Mon­den­stu­fe zu In­stru­men­ten der «Söh­ne des Le­bens». Die­se be­die­nen sich ih­rer, um durch sie wahr­zu­neh­men. Die­se Sin­ne, die zum phy­si­schen Men­schen­leib ge­hö­ren, tre­­ten da­durch in ein Wech­sel­ver­hält­nis zu den «Söh­nen des Le­bens». Die­se be­die­nen sich nicht nur ih­rer, son­dern sie ver­voll­komm­nen sie auch.

Nun tritt, wie be­reits ge­schil­dert wor­den ist, durch die wech­seln­den Be­zie­hun­gen zur Son­ne in dem Men­schen­we­sen selbst ein Wan­del in den Le­bens­ver­hält­nis­sen ein. Die Din­ge ge­stal­ten sich so, daß je­des­mal, wenn das Men­schen­we­sen dem Son­nen­ein­fluß un­ter­liegt, es mehr dem Son­nen­le­ben

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und sei­nen Er­schei­nun­gen als sich selbst hin­ge­ge­ben ist. Es emp­fin­det in sol­chen Zei­ten die Grö­ße und Herr­lich­keit des Wel­talls, wie die­se im Son­nen­sein sich aus­drückt. Es saugt die­se gleich­sam ein. Es wir­ken da eben die er­ha­be­nen We­sen, die auf der Son­ne ih­ren Wohn­platz ha­ben, auf den Mond. Und die­ser wirkt wie­der auf das Men­schen­we­sen. Doch er­st­reckt sich die­se Wir­kung nicht auf den gan­zen Men­schen, son­dern vor­züg­lich auf je­ne Tei­le des­sel­ben, die sich dem Ein­fluß der ei­ge­nen Be­wußt­s­eins­bil­der entzo­gen ha­ben. Es ge­lan­gen da na­ment­lich der phy­si­sche Leib und der Le­bens­leib zu ei­ner ge­wis­sen Grö­ße und Ge­stal­tung. Es tre­ten da­für aber die Be­wußt­s­ein­ser­schei­nun­gen zu­rück. Wenn nun das Men­schen­we­sen in sei­nem Le­ben von der Son­ne ab­ge­wen­det ist, dann ist es mit sei­ner ei­ge­nen Na­tur be­schäf­tigt. Es be­ginnt da ei­ne in­ne­re Reg­sam­keit na­men­t­­lich im As­tral­lei­be. Da­ge­gen wird die äu­ße­re Ge­stalt un­an­sehn­li­cher, we­ni­ger form­vol­l­en­det. So gibt es wäh­rend der Mond­ent­wi­cke­lung die zwei cha­rak­te­ri­sier­ten, deut­lich zu un­ter­schei­den­den, mit­ein­an­der ab­wech­seln­den Be­wußt­s­eins­zu­stän­de. Ei­nen dump­fe­ren wäh­rend der Son­nen­zeit und ei­nen hel­le­ren wäh­rend der Epo­che, in wel­cher das Le­ben mehr auf sich selbst an­ge­wie­sen ist. Der ers­te Zu­stand ist zwar dump­fer, aber er ist da­für auch selbst­lo­ser: der Mensch lebt da mehr in Hin­ga­be an die Au­ßen­welt, an das in der Son­ne ge­spie­gel­te Wel­tall. Es ist ein Wech­sel in den Be­wußt­s­eins­zu­stän­den, der sich so­wohl mit dem Wech­sel von Schlaf und Wa­chen beim ge­gen­wär­ti­gen Men­schen, wie auch mit des­sen Le­ben zwi­schen Ge­burt und Tod ei­ner­seits und dem mehr geis­ti­gen Da­sein zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt an­der­seits ver­g­lei­chen läßt. Das Auf­wa­chen auf dem Mon­de, wenn die Son­nen­zeit all­mäh­lich auf­hört,

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wä­re als ein Mit­tel­ding zwi­schen dem Auf­wa­chen des ge­­gen­wär­ti­gen Men­schen an je­dem Mor­gen und sei­nem Ge­bo­ren­wer­den zu cha­rak­te­ri­sie­ren. Und eben­so gleicht das all­mäh­li­che Dump­f­er­wer­den des Be­wußt­seins beim Her­an­­na­hen der Son­nen­zeit ei­nem Mit­tel­zu­stand zwi­schen Ein­­schla­fen und Ster­ben. Denn ein sol­ches Be­wußt­sein von Ge­burt und Tod, wie es dem ge­gen­wär­ti­gen Men­schen ei­gen ist, gab es auf dem al­ten Mon­de noch nicht. In ei­ner Art von Son­nen­le­ben gab sich der Mensch dem Ge­nus­se die­ses Le­bens hin. Er war für die­se Zeit dem Ei­gen­le­ben ent­rückt. Er leb­te mehr geis­tig. Es kann nur ei­ne an­näh­ern­de und ver­g­leichs­wei­se Schil­de­rung des­sen ver­sucht wer­den, was der Mensch in sol­chen Zei­ten er­leb­te. Er fühl­te, wie wenn die Wir­kungs­kräf­te des Wel­talls in ihn ein­ström­ten, ihn durch­­­puls­ten. Wie trun­ken von den Har­mo­ni­en des Uni­ver­sums, die er mit­leb­te, fühl­te er sich da. Sein As­tral­leib war in sol­chen Zei­ten wie be­f­reit von dem phy­si­schen Lei­be. Und auch ein Teil des Le­bens­lei­bes war mit her­aus­ge­zo­gen aus dem phy­si­schen Leib. Und die­ses aus As­tral­leib und Le­bens­leib be­ste­hen­de Ge­bil­de war wie ein fei­nes, wun­der­ba­res Mu­­sik­in­stru­ment, auf des­sen Sai­ten die Mys­te­ri­en des Wel­talls er­klan­gen. Und nach den Har­mo­ni­en des Wel­talls ge­stal­­te­ten sich die Glie­der des­je­ni­gen Tei­les des Men­schen­we­sens, auf den das Be­wußt­sein nur ge­rin­gen Ein­fluß hat­te. Denn in die­sen Har­mo­ni­en wirk­ten die We­sen der Son­ne. So wur­de die­ser Men­schen­teil durch die geis­ti­gen Wel­ten­tö­ne in sei­ne Form ge­bracht. Und da­bei war der Wech­sel zwi­­schen dem hel­le­ren Be­wußt­s­eins­zu­stand und die­sem dum­p­­fe­ren wäh­rend der Son­nen­zeit kein so schrof­fer wie der­je­ni­ge beim ge­gen­wär­ti­gen Men­schen zwi­schen dem Wa­chen und dem ganz tra­um­lo­sen Schlaf. Al­ler­dings war ja das

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Bil­der­be­wußt­sein nicht so hell wie das ge­gen­wär­ti­ge Wach­be­wußt­sein; da­für war aber auch das an­de­re Be­wußt­sein nicht so dumpf wie der tra­um­lo­se Schlaf der Ge­gen­wart. Und so hat­te das Men­schen­we­sen ei­ne Art, wenn auch ge­dämpf­ter Vor­stel­lung von dem Spie­len der Wel­ten­har­mo­­ni­en in sei­nem phy­si­schen Lei­be und dem­je­ni­gen Tei­le des Äther­lei­bes, der mit dem phy­si­schen Lei­be ver­bun­den ge­b­lie­ben war. In der Zeit, in wel­cher die Son­ne für das Men­­schen­we­sen ge­wis­ser­ma­ßen nicht schi­en, tra­ten die Bil­der­vor­stel­lun­gen an die Stel­le der Har­mo­ni­en im Be­wußt­sein. Da leb­ten be­son­ders die­je­ni­gen Glie­der im phy­si­schen und im Äther­lei­be auf, wel­che un­ter der un­mit­tel­ba­ren Macht des Be­wußt­seins stan­den. Da­ge­gen mach­ten die an­de­ren Tei­le des Men­schen­we­sens, auf die nun­mehr ih­re Bil­dungs­kräf­te von der Son­ne aus nicht wirk­ten, ei­ne Art von Ver­­här­tungs- und Ver­trock­nung­s­pro­zeß durch. Und wenn dann wie­der die Son­nen­zeit her­an­rück­te, dann ver­fie­len die al­ten Lei­ber; sie glie­der­ten sich ab von dem Men­schen­we­sen, und es ging wie aus ei­nem Gr­a­be sei­ner al­ten Leib­lich­keit der im In­nern neu­ge­stal­te­te, wenn auch in die­ser Form noch un­an­sehn­li­che Mensch her­vor. Es hat­te ei­ne Er­neue­rung des Le­ben­s­pro­zes­ses statt­ge­fun­den. Durch die Wir­kung der Son­­nen­we­sen und ih­rer Har­mo­ni­en ge­stal­te­te sich der neu­ge­­bo­re­ne Leib dann wie­der in sei­ner Voll­kom­men­heit aus und der oben ge­schil­der­te Vor­gang wie­der­hol­te sich. Und der Mensch emp­fand die­se Er­neue­rung wie das An­zie­hen ei­nes neu­en Klei­des. Sein We­sens­kern war nicht durch ei­ne ei­gen­t­­li­che Ge­burt oder ei­nen Tod durch­ge­schrit­ten; er war nur über­ge­gan­gen von ei­nem geis­ti­gen Ton­be­wußt­sein, in dem er hin­ge­ge­ben war an die Au­ßen­welt, zu ei­nem, in dem er mehr dem In­nern zu­ge­wen­det war. Er hat­te sich ge­häu­­tet.

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Der al­te Leib war un­brauch­bar ge­wor­den; er wur­de ab­­ge­wor­fen und er­neu­ert. Da­mit ist auch das­je­ni­ge ge­nau­er ge­kenn­zeich­net, was oben als ei­ne Art Fortpfl­an­zung cha­rak­te­ri­siert wor­den ist und von dem be­merkt wur­de, daß es dem Vor­stel­lungs­le­ben na­he­steht. Das Men­schen­we­sen hat sei­nes­g­lei­chen in be­zug auf ge­wis­se Tei­le des phy­si­schen und des Äther­lei­bes her­vor­ge­bracht. Aber es ent­steht kein völ­lig von dem El­tern­we­sen un­ter­schie­de­nes Toch­ter­we­sen, son­­dern der We­sens­kern des ers­te­ren geht auf das letz­te­re über. Der bringt nicht ein neu­es We­sen, son­dern sich selbst in ei­ner neu­en Ge­stalt her­vor. So er­lebt der Mon­den­mensch ei­nen Be­wußt­s­eins­wech­sel. Wenn die Son­nen­zeit her­an­rückt, dann wer­den sei­ne Bild­vor­stel­lun­gen mat­ter und mat­ter, ei­ne se­li­ge Hin­ga­be er­füllt ihn; in sei­nem ru­hi­gen In­nern er­k­lin­­gen die Wel­ten­har­mo­ni­en. Ge­gen das En­de die­ser Zeit be­­le­ben sich die Bil­der im as­tra­li­schen Lei­be; er be­ginnt mehr sich zu füh­len und zu emp­fin­den. Der Mensch er­lebt et­was wie ein Auf­wa­chen aus der Se­lig­keit und Ru­he, in wel­che er wäh­rend der Son­nen­zeit ver­sun­ken war. Es tritt da­bei aber noch ein wich­ti­ges Er­leb­nis auf. Mit dem neu­en Er­hel­­len der Be­wußt­s­eins­bil­der sieht sich das Men­schen­we­sen wie ein­ge­hüllt in ei­ne Wol­ke, die sich auf das­sel­be wie ei­ne We­­sen­heit aus dem Wel­tall her­ab­ge­senkt hat. Und es fühlt die­se We­sen­heit wie et­was zu ihm Ge­hö­ri­ges, wie ei­ne Er­gän­zung sei­ner ei­ge­nen Na­tur. Es fühlt sie wie das­je­ni­ge, was ihm sein Da­sein schenkt, wie sein «Ich». Es ist die­se We­sen­heit ei­ner der «Söh­ne des Le­bens». Ihm ge­gen­über emp­fin­det der Mensch et­wa so: «In die­sem ha­be ich ge­lebt, auch wäh­rend ich in der Son­nen­zeit hin­ge­ge­ben war der Herr­lich­keit des Wel­talls; da­mals war er mir nur nicht sicht­bar; jetzt aber wird er mir sicht­bar». Und es ist auch die­ser «Sohn des Le­bens»,

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von dem die Kraft aus­geht zu je­ner Wir­kung, die in der son­nen­lo­sen Zeit der Mensch auf sei­ne ei­ge­ne Leib­li­ch­keit aus­übt. Und dann, wenn wie­der die Son­nen­zeit her­an­­naht, fühlt der Mensch, wie wenn er selbst eins wür­de mit dem «Söh­ne des Le­bens». Sieht er ihn da auch nicht, so fühlt er sich doch in­nig mit ihm ver­bun­den.

Die Be­zie­hung zu den «Söh­nen des Le­bens» war nun ei­ne sol­che, daß nicht et­wa je­des ein­zel­ne Men­schen­we­sen für sich ei­nen «Sohn des Le­bens» hat­te, son­dern es emp­fand ei­ne gan­ze Grup­pe von Men­schen ein sol­ches We­sen als zu ihr ge­hö­rig. So leb­ten auf dem Mon­de die Men­schen in sol­che Grup­pen ge­son­dert, und ei­ne je­de Grup­pe emp­fand in ei­nem «Söh­ne des Le­bens» das ge­mein­sa­me «Grup­pen-Ich». Der Un­ter­schied der Grup­pen mach­te sich da­durch gel­tend, daß na­ment­lich die Äther­lei­ber bei ei­ner je­den Grup­pe ei­ne be­son­de­re Ge­stalt hat­ten. Da aber die phy­si­schen Lei­ber sich nach den Äther­lei­bern ge­stal­ten, so präg­ten sich auch in den ers­te­ren die Un­ter­schie­de der letz­te­ren aus und die ein­zel­­nen Men­schen­grup­pen er­schie­nen als eben­so­vie­le Men­schen­ar­ten. Blick­ten die «Söh­ne des Le­bens» auf die zu ih­nen ge­­hö­ri­gen Men­schen­grup­pen her­ab, so sa­hen sie sich in den ein­­zel­nen Men­schen­we­sen ge­wis­ser­ma­ßen ver­viel­fäl­tigt. Und da­rin fühl­ten sie ih­re ei­ge­ne Ich­heit. Sie spie­gel­ten sich gleich­­sam in den Men­schen. Dies war auch die Auf­ga­be der men­sch­­li­chen Sin­ne in der da­ma­li­gen Zeit. Es ist ge­zeigt wor­den, daß die­se noch kei­ne Ge­gen­stands-Wahr­neh­mun­gen ver­­­mit­tel­ten. Aber sie spie­gel­ten das We­sen der «Söh­ne des Le­bens». Was durch die­se Spie­ge­lung die­se «Söh­ne des Le­bens» wahr­nah­men, das gab die­sen ihr «Ich-Be­wußt­sein». Und was durch die Spie­ge­lung im men­sch­li­chen As­tral­leib er­regt wur­de, das eben sind die Bil­der des dump­fen, däm­mer­haf­ten

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Mon­den­be­wußt­seins. Die Wir­kung die­ser im Wech­sel­ver­­hält­nis mit den «Söh­nen des Le­bens» voll­zo­ge­nen Be­tä­ti­gung des Men­schen wirk­te im phy­si­schen Lei­be in der An­la­ge des Ner­ven­sys­tems. Die Ner­ven stel­len sich gleich­sam dar wie Fort­set­zun­gen der Sin­ne nach dem In­nern des men­sch­li­chen Lei­bes.

Es ist aus dem Dar­ge­s­tell­ten er­sicht­lich, wie die drei Ar­ten von Geis­tern, die­je­ni­gen der «Per­sön­lich­keit», die «Feu­er­­geis­ter» und die «Söh­ne des Le­bens», auf den Mond­men­schen wir­ken. Wenn man den Haupt­zei­traum der Mon­de­n­en­t­wi­cke­lung ins Au­ge faßt, die mitt­le­re Ent­wi­cke­lungs­pe­rio­de, so kann ge­sagt wer­den: die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» pflan­zen dem men­sch­li­chen As­tral­lei­be die Selb­stän­dig­keit, den Per­sön­lich­keit­scha­rak­ter ein. Die­ser Tat­sa­che ist es zu­zu­sch­rei­ben, daß in den Zei­ten, in de­nen dem Men­schen gleich­sam die Son­ne nicht scheint, er in sich ge­kehrt sein kann, an sich selbst zu ge­stal­ten ver­mag. Die «Feu­er­geis­ter» be­tä­ti­gen sich am Äther­lei­be, in­so­fern die­ser sich die sel­b­­stän­di­ge Ge­stal­tung des Men­schen­we­sens ein­prägt. Durch sie ge­schieht es, daß das Men­schen­we­sen je­des­mal nach der Er­neue­rung des Lei­bes sich wie­der als das­sel­be fühlt. Es wird al­so durch die «Feu­er­geis­ter» ei­ne Art Er­in­ne­rung dem Äther­lei­be ge­ge­ben. Die «Söh­ne des Le­bens» wir­ken auf den phy­si­schen Leib so, daß die­ser der Aus­druck des sel­b­­stän­dig ge­wor­de­nen As­tral­lei­bes wer­den kann. Sie ma­chen es al­so mög­lich, daß die­ser phy­si­sche Leib ein phy­siog­no­mi­­sches Ab­bild wird sei­nes As­tral­lei­bes. Da­ge­gen grei­fen in den phy­si­schen Leib und den Äther­leib, in­so­fern die­se in den Son­nen­zei­ten sich un­ab­hän­gig von dem selb­stän­di­gen As­tral­lei­be aus­bil­den, höhe­re geis­ti­ge We­sen­hei­ten ein, na­ment­lich die «Geis­ter der Form» und die­je­ni­gen der Be­­we­gung.

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Ihr Ein­g­rei­fen ge­schieht in der oben ge­schil­der­ten Art von der Son­ne aus.

Un­ter dem Ein­flus­se sol­cher Tat­sa­chen reift das Men­­schen­we­sen heran, um all­mäh­lich in sich den Keim zu dem «Geist­selbst» in ähn­li­cher Art aus­zu­bil­den, wie es in der zwei­ten Hälf­te der Sa­turn­ent­wi­cke­lung den Geis­tes­men­schen­keim und auf der Son­ne den Keim des Le­bens­geis­tes aus­ge­bil­det hat. Da­durch ve­r­än­dern sich al­le Ver­hält­nis­se auf dem Mon­de. Durch die au­f­ein­an­der­fol­gen­den Ver­wan­d­­lun­gen und Er­neue­run­gen sind die Men­schen­we­sen im­mer ed­ler und fei­ner ge­wor­den; aber sie ha­ben auch an Kraft ge­won­nen. Das Bil­der­be­wußt­sein blieb da­durch auch im­mer mehr in den Son­nen­zei­ten er­hal­ten. Es er­lang­te da­durch auch Ein­fluß auf die Ge­stal­tung des phy­si­schen und des Äther­lei­bes, die vor­her ganz durch die Wir­kung der Son­nen­we­sen ge­schah. Das, was auf dem Mon­de durch die Men­schen­­we­sen und die mit ih­nen ver­bun­de­nen Geis­ter ge­schah, wur­de im­mer ähn­li­cher dem, was früh­er durch die Son­ne mit ih­ren höhe­ren We­sen­hei­ten be­wirkt wor­den ist. Die Fol­ge da­von war, daß die­se Son­nen­we­sen­hei­ten im­mer mehr zu ih­rer ei­ge­nen Ent­wi­cke­lung ih­re Kräf­te an­wen­den konn­ten. Durch die­ses wur­de der Mond reif, nach ei­ni­ger Zeit wie­der mit der Son­ne ve­r­ei­nigt zu wer­den. Geis­tig an­ge­se­hen stel­len sich die­se Vor­gän­ge in der fol­gen­den Art dar: Die «ab­ge­­­fal­le­nen Mon­den­we­sen» sind all­mäh­lich von den Son­nen­we­sen über­wun­den wor­den und müs­sen sich nun­mehr die­sen so fü­gen, daß ih­re Ver­rich­tun­gen sich den Ver­rich­­tun­gen der Son­nen­we­sen ein­g­lie­dern, in­dem sie sich ih­nen un­ter­ord­nen. Dies ge­schah al­ler­dings erst, nach­dem lan­ge Epo­chen vor­an­ge­gan­gen wa­ren, in de­nen die Mon­den­zei­ten im­mer kür­zer und kür­zer, die Son­nen­zei­ten im­mer län­ger

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und län­ger ge­wor­den wa­ren. Es kommt nun wie­der ei­ne Ent­wi­cke­lung, wäh­rend wel­cher Son­ne und Mond ein Wel­ten­ge­bil­de sind. Da ist der phy­si­sche Men­schen­leib ganz äthe­risch ge­wor­den. Man soll sich aber nicht vor­s­tel­len, wenn ge­sagt wird, der phy­si­sche Leib sei äthe­risch ge­wor­­den, daß man für sol­che Zu­stän­de nicht von ei­nem phy­si­­schen Leib sp­re­chen kön­ne. Was als phy­si­scher Leib wäh­rend Sa­turn-, Son­nen- und Mon­den­zeit ge­bil­det wor­den ist, bleibt vor­han­den. Es kommt da­bei dar­auf an, das Phy­si­sche nicht nur da zu er­ken­nen, wo es sich äu­ßer­lich phy­sisch of­fen­bart. Das Phy­si­sche kann auch so vor­han­den sein, daß es nach au­ßen die Form des Äthe­ri­schen, ja auch die­je­ni­ge des As­tra­­li­schen zeigt. Man muß eben un­ter­schei­den zwi­schen der äu­ße­ren Er­schei­nung und der in­ne­ren Ge­setz­mä­ß­ig­keit. Ein Phy­si­sches kann sich äthe­ri­sie­ren und as­tra­li­sie­ren, aber da­bei in sich die phy­si­sche Ge­setz­mä­ß­ig­keit be­hal­ten. So ist es, wenn der phy­si­sche Leib des Men­schen auf dem Mon­de ei­nen ge­wis­sen Grad sei­ner Voll­kom­men­heit er­reicht hat. Er wird äther­för­mig. Wenn aber das über­sinn­li­che Be­wußt­sein, das sol­ches be­o­b­ach­ten kann, sich auf ei­nen sol­chen äther­för­mi­gen Leib rich­tet, dann er­scheint er ihm nicht mit den Ge­set­zen des Äthe­ri­schen, son­dern mit de­nen des Phy­si­schen durch­drun­gen. Es ist dann eben das Phy­si­sche in das Äthe­ri­sche auf­ge­nom­men, um da­r­in­nen wie in ei­nem Mut­ter­scho­ße zu ru­hen und da­r­in­nen gepf­legt zu wer­den. Spä­ter tritt es dann wie­der auch in phy­si­scher Form, aber auf ei­ner höhe­ren Stu­fe, her­vor. Wenn die Men­schen­we­sen des Mon­­des ih­ren phy­si­schen Leib in der grob­phy­si­schen Form be­hiel­ten, könn­te sich der Mond nie­mals mit der Son­ne ver­­ei­ni­gen. Durch das An­neh­men der äthe­ri­schen Form wird der phy­si­sche Leib dem Äther­lei­be ver­wand­ter, und er kann

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sich da­durch auch wie­der in­ni­ger mit je­nen Tei­len des äthe­ri­schen und As­tral­lei­bes durch­drin­gen, wel­che in den Son­nen­zei­ten-Epo­chen der Mon­den­ent­wi­cke­lung sich aus ihm her­aus­zie­hen muß­ten. Der Mensch, der wäh­rend der Tren­­nung von Son­ne und Mond wie ein Dop­pel­we­sen er­schi­en, wird wie­der ein ein­heit­li­ches Ge­sc­höpf. Das Phy­si­sche wird see­li­scher; da­für auch das See­li­sche mehr mit dem Phy­si­­schen ver­bun­den. Auf die­ses ein­heit­li­che Men­schen­we­sen kön­nen nun­mehr die Son­nen­geis­ter, in de­ren un­mit­tel­ba­ren Be­reich es jetzt ge­kom­men ist, ganz an­ders wir­ken als vor­­her von au­ßen nach dem Mon­de hin. Der Mensch ist jetzt in ei­ner mehr see­lisch-geis­ti­gen Um­ge­bung. Da­durch kön­­nen zu ei­ner be­deu­tungs­vol­len Wir­kung die «Geis­ter der Weis­heit» kom­men. Sie prä­gen ihm die Weis­heit ein. Sie be­see­len ihn mit Weis­heit. Er wird da­durch in ge­wis­sem Sin­ne ei­ne selb­stän­di­ge See­le. Und zu dem Ein­flus­se die­ser We­sen­hei­ten tritt dann noch hin­zu der­je­ni­ge der «Geis­ter der Be­we­gung». Sie wir­ken vor­züg­lich auf den As­tral­leib, so daß die­ser ei­ne see­len­haf­te Reg­sam­keit und ei­nen weis­heits­er­füll­ten Le­bens­leib un­ter dem Ein­flus­se der ge­nann­ten We­sen­hei­ten in sich her­aus­ar­bei­tet. Der weis­heits­er­füll­te Äther­leib ist die ers­te An­la­ge zu dem, was in ei­nem frü­he­ren Ab­schnitt beim ge­gen­wär­ti­gen Men­schen als Ver­stan­­des­see­le be­schrie­ben wor­den ist, wäh­rend der von den «Gei­s­tern der Be­we­gung» er­reg­te As­tral­leib die Keim­an­la­ge der Emp­fin­dungs­see­le ist. Und weil dies al­les in dem Men­schen­­we­sen bei sei­nem er­höh­ten Selb­stän­dig­keits­zu­stan­de be­wirkt wird, so er­schei­nen die­se Keim­an­la­gen von Ver­stan­des- und Emp­fin­dungs­see­le als der Aus­druck des «Geist­selbst». Man soll sich dem­ge­gen­über nicht dem Irr­tu­me hin­ge­ben, daß in die­ser Pe­rio­de der Ent­wi­cke­lung das «Geist­selbst» noch et­was

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be­son­de­res sei ne­ben der Ver­stan­des- und Emp­fin­dungs­­­see­le. Die letz­te­ren sind nur der Aus­druck des «Geist­selbst», und die­ses be­deu­tet de­ren höhe­re Ein­heit und Har­mo­nie.

Von be­son­de­rer Be­deu­tung ist, daß die «Geis­ter der Weis­heit» in die­ser Epo­che in der ge­schil­der­ten Art ein­g­rei­fen. Sie tun dies näm­lich nicht al­lein in be­zug auf die Men­schen­­we­sen, son­dern auch für die an­dern Rei­che, wel­che sich auf dem Mon­de her­aus­ge­bil­det ha­ben. Bei der Wie­der­ve­r­ei­ni­­gung von Son­ne und Mond wer­den die­se nie­de­ren Rei­che mit in den Son­nen­be­reich hin­ein­ge­zo­gen. Al­les, was an ih­nen phy­sisch war, wird äthe­ri­siert. Es fin­den sich al­so nun­­mehr Mi­ne­ralpflan­zen und Pflan­zen­tie­re in der Son­ne, wie sich das Men­schen­we­sen da­rin be­fin­det. Doch blei­ben die­se an­dern We­sen mit ih­ren Ge­setz­mä­ß­ig­kei­ten aus­ge­stat­tet. Sie füh­len sich da­durch wie Fremd­lin­ge in ih­rer Um­ge­bung. Sie tre­ten mit ei­ner Na­tur auf, wel­che zu der ih­rer Um­ge­bung nur we­nig hin­zu­stimmt. Da sie aber äthe­ri­siert sind, kann auch auf sie sich die Wir­kung der «Geis­ter der Weis­heit» er­st­re­cken. Es durch­dringt sich eben jetzt al­les, was vom Mon­de her in die Son­ne ge­kom­men ist, mit den Kräf­ten der «Geis­ter der Weis­heit». Da­her kann das, was inn­er­halb die­­ser Ent­wi­cke­lungs­zeit aus dem Son­nen-Mond­ge­bil­de wird, «Kos­mos der Weis­heit» ge­nannt wer­den. Wenn dann nach ei­ner Ru­he­pau­se un­ser Er­den­sys­tem als Nach­kom­me die­ses «Kos­mos der Weis­heit» er­scheint, so zei­gen sich al­le die auf der Er­de neu auf le­ben­den, aus ih­ren Mon­den­kei­men er­sprie­­ßen­den We­sen so, daß sie weis­heits­er­füllt sind. Da kommt der Grund zum Vor­schein, warum der Er­den­mensch, wenn er be­trach­tend die Din­ge um sich her­um an­blickt, Weis­heit in der Na­tur ih­res We­sens er­for­schen kann. Man kann be­wun­dern die Weis­heit in je­dem Pflan­zen­blat­te, in je­dem

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Tier- und Men­schen­k­no­chen, in dem Wun­der­bau des Ge­hirns und des Her­zens. Wenn der Mensch Weis­heit braucht, um die Din­ge zu ver­ste­hen, al­so Weis­heit aus ih­nen her­aus­holt, so zeigt dies, daß Weis­heit in den Din­gen liegt. Denn wä­re der Mensch noch so sehr be­müht, durch weis­heits­vol­le Vor­stel­lun­gen die Din­ge zu ver­ste­hen: er könn­te kei­ne Weis­heit aus ih­nen ho­len, wenn sie nicht erst in sie hin­ein­ge­legt wä­re. Wer durch Weis­heit Din­ge er­g­rei­fen will, von de­nen er glaubt, daß sie nicht erst die Weis­heit emp­fan­gen ha­ben, der darf auch glau­ben, daß er Was­ser aus ei­nem Gla­se sc­höp­­fen kön­ne, in das nicht erst sol­ches hin­ein­ge­gos­sen wor­den ist. Die Er­de ist, wie sich spä­ter in die­ser Schrift zei­gen wird, der wie­de­r­er­stan­de­ne «al­te Mond». Und sie er­scheint als ein weis­heits­vol­les Ge­bil­de, weil in der ge­schil­der­ten Epo­che sie von den «Geis­tern der Weis­heit» mit de­ren Kräf­ten durch­­­setzt wor­den ist.

Es wird wohl be­g­reif­lich er­schei­nen, daß in die­ser Schil­­de­rung der Mon­den­ver­hält­nis­se nur ge­wis­se vor­über­ge­hen­de For­men der Ent­wi­cke­lung fest­ge­hal­ten wer­den konn­ten. Man muß­te ge­wis­ser­ma­ßen in dem Fort­gan­ge der Tat­sa­chen ge­wis­se Din­ge fest­hal­ten und für die Dar­stel­lung her­aus­g­rei­fen. Die­se Art der Schil­de­rung gibt al­ler­dings nur Ein­­zel­bil­der; und es kann da­her wohl in dem Vor­her­ge­hen­den ver­mißt wer­den, daß die Ent­wi­cke­lung nicht in ein Netz fest­be­stimm­ter Be­grif­fe ge­bracht wor­den ist. Ei­nem sol­chen Ein­wurf ge­gen­über darf aber wohl vi­el­leicht dar­auf auf­­­merk­sam ge­macht wer­den, daß ganz ab­sicht­lich die Schil­de­rung in we­ni­ger schar­fen Be­grif­fen ge­ge­ben wor­den ist. Denn es soll nicht so sehr dar­auf an­kom­men, hier spe­ku­la­ti­ve Be­grif­fe und Ide­en­kon­struk­tio­nen zu ge­ben, son­dern viel­mehr ei­ne Vor­stel­lung von dem, was sich dem auf die­se

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Tat­sa­chen ge­rich­te­ten über­sinn­li­chen Schau­en wir­k­lich vor das geis­ti­ge Au­ge stel­len kann. Und das ist für die Mon­den­­ent­wi­cke­lung gar nicht et­was in so schar­fen und be­stim­m­­ten Um­ris­sen, wie sie die Er­den­wahr­neh­mun­gen zei­gen. Man hat es bei der Mon­den­e­po­che gar sehr mit wan­del­­ba­ren, wech­seln­den Ein­drü­cken, mit schwan­ken­den, be­we­g­­li­chen Bil­dern zu tun und mit de­ren Über­gän­gen. Au­ßer­dem ist ja zu be­rück­sich­ti­gen, daß ei­ne Ent­wi­cke­lung durch lan­ge, lan­ge Zei­träu­me in Be­tracht kommt und daß aus die­ser her­aus doch nur Au­gen­blicks­bil­der in der Dar­stel­lung fest­­ge­hal­ten wer­den kön­nen.

In dem Zeit­punk­te, wo der dem Men­schen­we­sen ein­ge­pflanz­te As­tral­leib die­ses so weit in der Ent­wi­cke­lung vor­wärts ge­bracht hat, daß des­sen phy­si­scher Leib den «Söh­nen des Le­bens» die Mög­lich­keit gibt, ih­re Mensch­heits­stu­fe zu er­rei­chen, ist der we­sent­li­che Höh­e­punkt der Mon­den­e­po­che er­reicht. Da ist auch das Men­schen­we­sen zu all dem ge­kom­­men, was ihm für sich selbst, für sei­ne In­ner­lich­keit die­se Epo­che auf dem We­ge nach vor­wärts ge­ben kann. Das Fol­­gen­de, al­so die zwei­te Hälf­te der Mon­den­ent­wi­cke­lung, könn­te man da­her als ein Ab­flu­ten be­zeich­nen. Aber man sieht, daß in be­zug auf die Um­ge­bung des Men­schen und auch für die­sen selbst da­durch ein Wich­tigs­tes ge­ra­de in die­­ser Epo­che ge­schieht. Es wird da dem Son­nen-Mon­den­kör­per Weis­heit ein­gepflanzt. Es hat sich ge­zeigt, daß wäh­rend die­ses Ab­flu­tens die Kei­me der Ver­stan­des- und Emp­fin­­dungs­see­le ge­legt wer­den. Doch wird erst in der Er­den­zeit die Ent­fal­tung die­ser und auch der Be­wußt­s­eins­see­le und da­mit die Ge­burt des «Ich», des frei­en Selbst­be­wußt­seins, er­fol­gen. Es er­schei­nen auf der Mon­den­stu­fe Ver­stan­des- und Emp­fin­dungs­see­le noch gar nicht so, als ob sich das

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Men­schen­we­sen selbst schon durch sie äu­ßer­te, son­dern als ob sie In­stru­men­te wä­ren für die zum Men­schen­we­sen ge­­hö­ri­gen «Söh­ne des Le­bens». Woll­te man das Ge­fühl cha­rak­te­ri­sie­ren, wel­ches in die­ser Rich­tung der Mensch auf dem Mon­de hat, so müß­te man sa­gen, er emp­fin­det so: «In mir und durch mich lebt der ; er schaut durch mich die Mon­de­n­um­ge­bung, er denkt in mir über die Din­ge und We­sen die­ser Um­ge­bung nach.» Über­schat­tet fühlt sich der Mon­den­mensch von dem «Söh­ne des Le­bens», er kommt sich vor wie das Werk­zeug die­ses höhe­ren We­­sens. Und wäh­rend der Tren­nung von Son­ne und Mond fühl­te er beim Ab­wen­den von der Son­ne ei­ne grö­ße­re Sel­b­­stän­dig­keit; aber er emp­fand da­bei auch so, wie wenn das zu ihm ge­hö­ri­ge «Ich», das in den Son­nen­zei­ten dem Bil­der­­be­wußt­sein ent­schwun­den war, ihm dann sicht­bar wür­de. Es war für den Mon­den­men­schen das, was man als Wech­sel in den Be­wußt­s­eins­zu­stän­den cha­rak­te­ri­sie­ren kann, so daß er da­bei das Ge­fühl hat­te: «Mein Ich ent­schwebt mit mir in der Son­nen­zeit in höhe­re Re­gio­nen, zu er­ha­be­nen We­sen, und es steigt, wenn die Son­ne schwin­det, mit mir in tie­fe­re Wel­ten her­ab.»

Der ei­gent­li­chen Mon­den­ent­wi­cke­lung ging ei­ne Vor­­be­rei­tung voran. Es fand ei­ne Wie­der­ho­lung der Sa­turn- und Son­nen­ent­wi­cke­lung in ei­ner ge­wis­sen Art statt. Nun kann man nach der Wie­der­ve­r­ei­ni­gung von Son­ne und Mond eben­so in der Zeit des Ab­flu­tens zwei Epo­chen von­ein­an­der un­ter­schei­den. Wäh­rend der­sel­ben tre­ten so­gar phy­si­sche Ver­dich­tun­gen bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de ein. Es wech­seln al­so geis­tig-see­li­sche Zu­stän­de des Son­nen-Mon­den­ge­bil­des mit phy­si­schen ab. In sol­chen phy­si­schen Epo­chen er­schei­nen die Men­schen­we­sen und auch die We­sen der nie­de­ren Rei­che

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so, wie wenn sie in stei­fen, un­selb­stän­di­gen Ge­stal­ten das vor­­­bil­de­ten, was sie spä­ter, in der Er­den­zeit, in selb­stän­di­ge­rer Art wer­den sol­len. Man kann al­so von zwei vor­be­rei­ten­den Epo­chen der Mon­den­ent­wi­cke­lung sp­re­chen und von zwei an­dern wäh­rend der Zeit des Ab­flu­tens. Es kön­nen sol­che Epo­chen «Kreis­läu­fe» ge­nannt wer­den. In dem, was den zwei vor­be­rei­ten­den Epo­chen folgt und de­nen des Ab­flu­tens vor­an­geht, al­so in der Zeit der Mond­ab­spal­tung, wird man auch drei Epo­chen un­ter­schei­den kön­nen. Die mitt­le­re ist die Zeit der Men­sch­wer­dung der «Söh­ne des Le­bens». Ihr geht ei­ne sol­che voran, in der sich al­le Ver­hält­nis­se auf die­ses Haup­ter­eig­nis hin zu­spit­zen; und es folgt ei­ne an­de­re, die als ein Ein­le­ben und Aus­ge­stal­ten in den neu­en Sc­höp­fun­gen zu be­zeich­nen ist. Da­mit trennt sich die mitt­le­re Mon­den­­ent­wi­cke­lung wie­der in drei Epo­chen, was mit den zwei vor­be­rei­ten­den und den zwei ab­flu­ten­den sie­ben Mon­den­k­reis­läu­fe gibt. Es darf so­mit ge­sagt wer­den, daß die gan­ze Mon­den­ent­wi­cke­lung in sie­ben Kreis­läu­fen ab­f­ließt. Zwi­­schen die­sen Kreis­läu­fen lie­gen Ru­he­pau­sen. Es zie­hen sich zum Bei­spiel die Son­nen­we­sen nach und nach von ih­rer Wirk­sam­keit auf dem Mon­de zu­rück. Für sie be­ginnt ei­ne Zeit, die nach au­ßen als ih­re Ru­he­pau­se er­scheint, wäh­rend auf dem Mon­de selbst noch re­ge selb­stän­di­ge Tä­tig­keit herrscht. So er­st­reckt sich die Tä­tig­keit­s­e­po­che der ei­nen We­sens­art in die Ru­he­pau­se der an­dern viel­fach hin­ein. Wenn man sol­ches in Rech­nung zieht, dann kann man von ei­nem rhyth­mi­schen Stei­gen und Sin­ken der Kräf­te in Kreis­­läu­fen sp­re­chen. Ja es sind ähn­li­che Ab­tei­lun­gen auch noch inn­er­halb der sie­ben an­ge­deu­te­ten Mon­den­k­reis­läu­fe zu er­ken­nen. Man kann dann die gan­ze Mon­den­ent­wi­cke­lung ei­nen gro­ßen Kreis­lauf, ei­nen Pla­ne­ten­lauf nen­nen; dann die

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sie­ben Ab­tei­lun­gen inn­er­halb ei­nes sol­chen «klei­ne» Kreis­­läu­fe und die Glie­der die­ser wie­der «klei­ne­re» Kreis­läu­fe. Die­se Glie­de­rung in sie­ben­mal sie­ben Ab­tei­lun­gen ist auch schon bei der Son­nen­ent­wi­cke­lung be­merk­bar und auch wäh­rend der Sa­turne­po­che an­ge­deu­tet. Doch muß man be­rück­sich­ti­gen, daß die Gren­zen zwi­schen den Ab­tei­lun­gen schon bei der Son­ne und noch mehr beim Sa­turn ver­wischt sind. Die­se Gren­zen wer­den im­mer deut­li­cher, je wei­ter die Ent­wi­cke­lung ge­gen die Er­den­e­po­che zu fort­sch­rei­tet.

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Nach dem Ab­schlus­se der im vor­her­ge­hen­den skiz­zen­haft ge­schil­der­ten Mon­den­ent­wi­cke­lung tre­ten al­le da­bei in Be­­tracht kom­men­den We­sen­hei­ten und Kräf­te in ei­ne geis­ti­ge­re Da­s­eins­form. Die­se steht auf ei­ner ganz an­de­ren Stu­fe als die­je­ni­ge wäh­rend der Mond­pe­rio­de und auch als die­je­ni­ge wäh­rend der fol­gen­den Er­den­ent­wi­cke­lung. Ein We­sen, wel­ches so hoch ent­wi­ckel­te Er­kennt­nis­fähig­kei­ten hät­te, daß es al­le Ein­zel­hei­ten der Mon­den- und Er­den­ent­wi­cke­­lung wahr­neh­men könn­te, brauch­te des­halb noch nicht im­stan­de zu sein, auch das zu schau­en, was zwi­schen den bei­­den Ent­wi­cke­lun­gen ge­schieht. Für ein sol­ches We­sen wür­den ge­wis­ser­ma­ßen am En­de der Mon­den­zeit die We­sen und Kräf­te wie in ein Nichts ent­schwin­den und nach Ablauf ei­ner Zwi­schen­zeit wie­der her­vor­t­re­ten aus dem Däm­mer­­dun­kel des Wel­ten­scho­ßes. Nur ein We­sen mit noch weit höhe­ren Fähig­kei­ten könn­te die geis­ti­gen Tat­sa­chen ver­­­fol­gen, wel­che sich in der Zwi­schen­zeit er­eig­nen.

Am En­de der Zwi­schen­zeit tre­ten die an den Ent­wi­cke­­lungs­vor­gän­gen auf Sa­turn, Son­ne und Mond be­tei­lig­ten We­sen­hei­ten mit neu­en Fähig­kei­ten auf. Die über dem Men­­schen ste­hen­den We­sen ha­ben sich durch ih­re vor­her­ge­hen­den

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Ta­ten die Fähig­keit er­run­gen, den Men­schen so wei­ter zu ent­wi­ckeln, daß er wäh­rend der auf die Mon­den­zeit fol­gen­den Er­den­zeit ei­ne Be­wußt­s­eins­art in sich ent­fal­ten kann, wel­che um ei­ne Stu­fe höh­er steht als das Bil­der­be­wußt­sein, das ihm wäh­rend der Mon­den­zeit ei­gen war. Nun muß aber der Mensch erst vor­be­rei­tet wer­den, zu emp­fan­gen, was ihm ge­ge­ben wer­den soll. Er hat wäh­rend der Sa­turn-, Son­nen- und Mon­den­ent­wi­cke­lung den phy­si­schen Leib, den Le­bens­leib, den As­tral­leib in sein We­sen ein­ge­g­lie­dert. Aber die­se Glie­der sei­nes We­sens ha­ben nur die­je­ni­gen Fähig­kei­ten und Kräf­te er­hal­ten, wel­che sie be­fähi­gen, für ein Bil­der­be­wußt­­­sein zu le­ben; ih­nen feh­len noch die Or­ga­ne und die Ge­stalt, durch wel­che sie ei­ne Welt von sinn­lich-äu­ße­ren Ge­gen­stän­­den wahr­neh­men kön­nen, wie das für die Er­den­stu­fe das ent­sp­re­chen­de ist. Wie die neue Pflan­ze nur das ent­fal­tet, was im Kei­me, der von der al­ten her­rührt, ver­an­lagt ist, so tre­ten im Be­gin­ne der neu­en Ent­wi­cke­lungs­stu­fe die drei Glie­der der Men­schen­na­tur mit sol­chen For­men und Or­ga­nen auf, daß sie nur das Bil­der­be­wußt­sein ent­fal­ten kön­nen. Sie müs­sen zum Ent­fal­ten ei­ner höhe­ren Be­wußt­s­eins­stu­fe erst vor­be­rei­tet wer­den. Dies ge­schieht in drei Vor­stu­fen. In­­n­er­halb der ers­ten wird der phy­si­sche Leib auf ei­ne sol­che Höhe ge­ho­ben, daß er in den Stand kommt, die not­wen­di­ge Um­ge­stal­tung an­zu­neh­men, die ei­nem Ge­gen­stands­be­wußt­­­sein zu­grun­de lie­gen kann. Es ist dies ei­ne Vor­stu­fe der Er­den­ent­wi­cke­lung, die man als Wie­der­ho­lung der Pe­rio­de auf ei­ner höhe­ren Stu­fe be­zeich­nen kann. Denn es wird von höhe­ren We­sen­hei­ten wäh­rend die­ser Pe­rio­de wie wäh­rend der Sa­turn­zeit nur am phy­si­schen Leib ge­ar­bei­tet. Ist der letz­te­re mit sei­ner Ent­wi­cke­lung ge­nü­gend weit for­t­­ge­schrit­ten, so müs­sen al­le We­sen­hei­ten erst wie­der in ei­ne

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höhe­re Da­s­eins­form über­ge­hen, be­vor auch der Le­bens­leib fort­sch­rei­ten kann. Der phy­si­sche Leib muß gleich­sam um­ge­gos­sen wer­den, um bei sei­ner Wie­de­r­ent­fal­tung den höh­er ge­bil­de­ten Le­bens­leib auf­neh­men zu kön­nen. Nach die­ser, ei­ner höhe­ren Da­s­eins­form ge­wid­me­ten Zwi­schen­zeit tritt ei­ne Art Wie­der­ho­lung der Son­nen­ent­wi­cke­lung auf höhe­rer Stu­fe ein, zur Aus­ge­stal­tung des Le­bens­lei­bes. Und wie­der nach ei­ner Zwi­schen­zeit tritt ein Ähn­li­ches für den As­tral­­leib in ei­ner Wie­der­ho­lung der Mon­den­ent­wi­cke­lung ein.

Das Au­gen­merk sei nun ge­rich­tet auf die Ent­wi­cke­lungs­­tat­sa­chen nach Be­en­di­gung der drit­ten der ge­schil­der­ten Wie­der­ho­lun­gen. Al­le We­sen­hei­ten und Kräf­te ha­ben sich wie­der ver­geis­tigt. Sie sind wäh­rend die­ser Ver­geis­ti­gung in ho­he Wel­ten auf­ge­s­tie­gen. Die nie­ders­te der Wel­ten, in wel­cher von ih­nen wäh­rend die­ser Ver­geis­ti­gung­s­e­po­che noch et­was wahr­zu­neh­men ist, das ist die­sel­be, in wel­cher der ge­gen­wär­ti­ge Mensch zwi­schen dem Tod und ei­ner neu­en Ge­burt ver­weilt. Es sind die Re­gio­nen des Geis­ter­lan­des. Sie stei­gen dann all­mäh­lich wie­der her­ab zu nie­de­ren Wel­ten. Sie sind, be­vor die phy­si­sche Er­den­ent­wi­cke­lung be­ginnt, so weit her­ab­ge­s­tie­gen, daß ih­re nie­ders­ten Of­fen­ba­run­gen in der as­tra­len oder See­len­welt zu schau­en sind.

Al­les, was vom Men­schen in die­sem Zei­trau­me vor­han­­den ist, hat noch sei­ne as­tra­le Form. Be­son­de­re Auf­merk­sam­keit soll­te man für das Ver­ständ­nis die­ses Mensch­heits­zu­stan­des dar­auf le­gen, daß der Mensch in sich hat phy­si­schen Leib, Le­bens­leib und As­tral­leib, daß aber so­wohl der phy­­si­sche wie auch der Le­bens­leib nicht in phy­si­scher und äthe­ri­scher, son­dern eben in as­tra­li­scher Form vor­han­den sind. Was da den phy­si­schen Leib zum phy­si­schen macht, ist nicht die phy­si­sche Form, son­dern die Tat­sa­che, daß er, ob­zwar

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ihm die as­tra­li­sche Form eig­net, doch die phy­si­schen Ge­set­ze in sich hat. Er ist ein We­sen mit phy­si­scher Ge­setz­mä­ß­ig­keit in see­li­scher Form. Ähn­li­ches gilt für den Le­bens­leib.

Vor dem geis­ti­gen Au­ge steht auf die­ser Ent­wi­cke­lungs­­­stu­fe die Er­de zu­nächst als ein Wel­ten­we­sen, das ganz See­le und Geist ist, in dem al­so auch die phy­si­schen und die le­ben­di­gen Kräf­te noch see­lisch er­schei­nen. In die­sem Welt­ge­bil­de ist, der An­la­ge nach, al­les ent­hal­ten, was sich spä­ter zu den Ge­sc­höp­fen der phy­si­schen Er­de um­wan­deln soll. Es ist leuch­tend; sein Licht ist aber noch kein sol­ches, das phy­­si­sche Au­gen wahr­neh­men könn­ten, auch wenn sie da wä­ren. Es leuch­tet nur in dem see­li­schen Lich­te für das ge­öff­ne­te Au­ge des Se­hers.

Es geht nun in die­sem We­sen et­was vor, was man als Ver­­­dich­tung be­zeich­nen kann. Das Er­geb­nis die­ser Ver­dich­tung ist, daß nach ei­ni­ger Zeit in­mit­ten des See­len­ge­bil­des ei­ne Feu­er­form er­scheint, wie ei­ne sol­che der Sa­turn in sei­nem dich­tes­ten Zu­stan­de war. Die­se Feu­er­form ist durch­wo­ben von den Wir­kun­gen der ver­schie­de­nen We­sen­hei­ten, wel­che an der Ent­wi­cke­lung be­tei­ligt sind. Es ist wie ein Auf- und Un­ter­tau­chen von der und in die Er­den-Feu­er­ku­gel, was da als Wech­sel­wir­kung zwi­schen die­sen We­sen­hei­ten und dem Him­mels­kör­per zu be­o­b­ach­ten ist. Die Er­den-Feu­er­ku­gel ist da­her nicht et­wa ei­ne gleich­för­mi­ge Sub­stanz, son­dern et­was wie ein durch­seel­ter und durch­geis­tig­ter Or­ga­nis­mus. Die­je­ni­gen We­sen, wel­che da­zu be­stimmt sind, auf der Er­de Men­schen in ge­gen­wär­ti­ger Ge­stalt zu wer­den, sind jetzt noch in ei­ner La­ge, daß sie sich am we­nigs­ten be­tei­li­gen an dem Un­ter­tau­chen in den Feu­er­kör­per. Sie hal­ten sich noch fast ganz im un­ver­dich­te­ten Um­k­rei­se auf. Sie sind noch im Scho­ße der höhe­ren geis­ti­gen We­sen. Sie be­rüh­ren auf die­ser

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Stu­fe nur mit ei­nem Punk­te ih­rer See­len­form die Feuer­er­de; und das be­wirkt, daß die Wär­me ei­nen Teil ih­rer As­tral­form ver­dich­tet. Da­durch wird in ih­nen das Er­den­le­ben ent­zün­det. Sie ge­hö­ren mit dem größ­ten Tei­le ih­res We­sens al­so noch den see­lisch-geis­ti­gen Wel­ten an; nur durch die Be­rüh­rung mit dem Er­den­feu­er wer­den sie von Le­ben­s­­wär­me um­spielt. Woll­te man sich ein sinn­lich-über­sinn­li­ches Bild von die­sen Men­schen im An­be­gin­ne der phy­si­schen Er­­den­zeit ma­chen, so müß­te man sich ei­ne see­li­sche Ei­form den­ken, die im Er­de­n­um­kreis ent­hal­ten und an ih­rer un­­te­ren Fläche wie die Ei­chel­frucht von ei­nem Be­cher um­sch­los­­sen wird. Nur be­steht die Sub­stanz des Be­chers le­dig­lich aus Wär­me oder Feu­er. Das Ein­ge­hüllt­wer­den von Wär­me hat nun nicht nur im Ge­fol­ge, daß im Men­schen das Le­ben en­t­­zün­det wird, son­dern es tritt da­mit gleich­zei­tig ei­ne Ver­­än­de­rung im As­tral­lei­be auf. Die­sem glie­dert sich die ers­te An­la­ge zu dem ein, was spä­ter zur Emp­fin­dungs­see­le wird. Man kann des­halb sa­gen, daß der Mensch auf die­ser Stu­fe sei­nes Da­seins be­steht aus der Emp­fin­dungs­see­le, dem As­tral­leib, dem Le­bens­leib und dem aus Feu­er ge­wo­be­nen phy­si­schen Leib. In dem As­tral­lei­be wo­gen auf und ab die geis­ti­gen We­sen­hei­ten, wel­che am Da­sein des Men­schen be­tei­ligt sind; durch die Emp­fin­dungs­see­le fühlt sich die­ser an den Erd­kör­per ge­bun­den. Er hat al­so in die­ser Zeit ein vor­wie­gen­des Bil­der­be­wußt­sein, in dem sich die geis­ti­gen We­sen of­fen­ba­ren, in de­ren Schoß er liegt; und nur wie ein Punkt inn­er­halb die­ses Be­wußt­seins tritt die Emp­fin­dung des ei­ge­nen Lei­bes auf. Er sieht gleich­sam aus der geis­ti­gen Welt auf ein ir­di­sches Be­sitz­tum hin­un­ter, von dem er fühlt: «Das ist dir.» Im­mer wie­der sch­rei­tet nun die Ver­­­dich­tung der Er­de vor; und da­mit wird die cha­rak­te­ri­sier­te

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Glie­de­rung im Men­schen im­mer deut­li­cher. Von ei­nem be­­stimm­ten Zeit­punk­te der Ent­wi­cke­lung an ist die Er­de so weit ver­dich­tet, daß nur ein Teil noch feu­rig ist. Ein an­­de­rer Teil hat ei­ne sub­stan­ti­el­le Form an­ge­nom­men, wel­che man als «Gas» oder «Luft» an­sp­re­chen kann. Nun geht auch mit dem Men­schen ei­ne Ve­r­än­de­rung vor sich. Er wird jetzt nicht nur von der Er­den­wär­me be­rührt, son­­dern es glie­dert sich sei­nem Feu­er­lei­be die Luf­t­sub­stanz ein. Und wie die Wär­me in ihm das Le­ben ent­zün­det hat, so er­regt die ihn um­spie­len­de Luft in ihm ei­ne Wir­kung, die man als (geis­ti­gen) Ton be­zeich­nen kann. Sein Le­bens­leib er­k­lingt. Gleich­zei­tig son­dert sich aus dem As­tral­lei­be ein Teil aus, wel­cher die ers­te An­la­ge der spä­ter auf­t­re­ten­den Ver­stan­des­see­le ist. Um nun sich vor Au­gen zu rü­cken, was in die­ser Zeit in des Men­schen See­le vor­geht, muß man dar­auf ach­ten, daß in dem Luft-Feu­er­kör­per der Er­de die über dem Men­schen ste­hen­den We­sen auf- und ab­wo­gen. In der Feuer­er­de sind es zu­nächst die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit», wel­che für den Men­schen be­deut­sam sind. Und in­dem der Mensch von der Er­den­wär­me zum Le­ben er­regt wird, sagt sich sei­ne Emp­fin­dungs­see­le: dies sind die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit». Eben­so kün­di­gen sich in dem Luft­kör­per die­je­ni­gen We­sen an, wel­che oben in die­­ser Schrift «Erz­en­gel» (im Sin­ne der christ­li­chen Eso­te­rik) ge­nannt wur­den. Ih­re Wir­kun­gen sind es, wel­che der Mensch als Ton in sich ver­spürt, wenn die Luft ihn um­spielt. Und die Ver­stan­des­see­le sagt sich da­bei: «Dies sind die Er­z­en­gel». So ist das, was der Mensch auf die­ser Stu­fe durch sei­ne Ver­bin­dung mit der Er­de wahr­nimmt, noch nicht ei­ne Sum­me von phy­si­schen Ge­gen­stän­den, son­dern er lebt in Wär­me­emp­fin­dun­gen, wel­che zu ihm auf­s­tei­gen, und in

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Tö­nen; aber er ver­spürt in die­sen Wär­m­e­strö­mun­gen und in die­sem Ton­ge­wo­ge die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» und die «Erz­en­gel». Er kann die­se We­sen al­ler­dings nicht un­­mit­tel­bar wahr­neh­men, son­dern nur wie durch den Sch­lei­er der Wär­me und des To­nes. Wäh­rend die­se Wahr­neh­mun­gen von der Er­de her in sei­ne See­le ein­drin­gen, stei­gen in die­ser noch im­mer die Bil­der der höhe­ren We­sen­hei­ten auf und nie­der, in de­ren Scho­ße er sich fühlt.

Nun sch­rei­tet die Ent­wi­cke­lung der Er­de wei­ter. Das Wei­ter­sch­rei­ten drückt sich wie­der in ei­ner Ver­dich­tung aus. Es glie­dert sich die wäs­se­ri­ge Sub­stanz dem Er­den­kör­per ein, so daß die­ser nun aus drei Glie­dern, dem feu­ri­gen, dem luft­för­mi­gen und dem wäs­se­ri­gen be­steht. Be­vor dies ge­­schieht, spielt sich ein wich­ti­ger Vor­gang ab. Es spal­tet sich aus der Feu­er-Luft-Er­de ein selb­stän­di­ger Welt­kör­per ab, der dann in sei­ner wei­te­ren Ent­wi­cke­lung zur ge­gen­wär­ti­gen Son­ne wird. Vor­her wa­ren Er­de und Son­ne ein Kör­per. Nach der Ab­spal­tung der Son­ne hat zu­nächst die Er­de noch al­les in sich, was in und auf dem ge­gen­wär­ti­gen Mon­de ist. Die Ab­son­de­rung der Son­ne ge­schieht, weil höhe­re We­­sen­hei­ten zu ih­rer ei­ge­nen Ent­wi­cke­lung und zu dem, was sie für die Er­de zu tun ha­ben, die bis zum Was­ser ver­dich­­te­te Ma­te­rie nicht mehr wei­ter er­tra­gen kön­nen. Sie son­dern sich aus der ge­mein­sa­men Er­den­mas­se die al­lein für sie brauch­­ba­ren Sub­stan­zen her­aus und zie­hen sich aus der­sel­ben her­aus, um sich in der Son­ne ei­nen neu­en Wohn­platz zu bil­den. Sie wir­ken nun von der Son­ne aus von au­ßen auf die Er­de. Der Mensch aber be­darf zu sei­ner wei­te­ren Ent­wi­cke­lung ei­nes Schau­plat­zes, auf dem sich die Sub­stanz auch noch wei­­ter ver­dich­tet.

Mit der Ein­g­lie­de­rung der wäs­se­ri­gen Sub­stanz in den

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Er­den­kör­per geht auch ei­ne Ver­wand­lung des Men­schen ein­her. Nun­mehr strömt in ihn nicht nur das Feu­er, und es um­­­spielt ihn nicht nur die Luft, son­dern es glie­dert sich die wäs­se­ri­ge Sub­stanz in sei­nen phy­si­schen Leib ein. Gleich­zei­­tig ve­r­än­dert sich sein äthe­ri­scher Teil; die­sen nimmt näm­­lich der Mensch nun­mehr wie ei­nen fei­nen Licht­leib wahr. Der Mensch hat vor­her Wär­m­e­strö­me von der Er­de zu sich em­por­kom­men ge­fühlt, er hat Luft durch Tö­nen zu sich her­an­drin­gend emp­fun­den; jetzt durch­dringt sei­nen Feu­er-Luft-Leib auch das wäs­se­ri­ge Ele­ment, und er sieht des­sen Ein- und Aus­strö­men als Auf­leuch­ten und Ab­däm­mern von Licht. Aber auch in sei­ner See­le ist ei­ne Ve­r­än­de­rung ein­ge­t­re­ten. Es ist zu den An­la­gen der Emp­fin­dungs- und Ver­stan­des­­see­le die­je­ni­ge der Be­wußt­s­eins­see­le ge­t­re­ten. In dem Ele­­men­te des Was­sers wir­ken die «En­gel»; sie sind auch die ei­gent­li­chen Lich­t­er­re­ger. Dem Men­schen ist es, als ob sie ihm im Lich­te er­schie­nen. Ge­wis­se höhe­re We­sen­hei­ten, die vor­her in dem Er­den­kör­per selbst wa­ren, wir­ken nun­mehr auf die­sen von der Son­ne aus. Da­durch än­dern sich al­le Wir­kun­gen auf der Er­de. Der an die Er­de ge­fes­sel­te Mensch könn­te die Wir­kun­gen der Son­nen­we­sen nicht mehr in sich ver­spü­ren, wenn sei­ne See­le fort­wäh­rend der Er­de zu­ge­wandt wä­re, aus wel­cher sein phy­si­scher Leib ge­nom­men ist. Es tritt nun­mehr ein Wech­sel in den men­sch­li­chen Be­wußt­­­s­eins­zu­stän­den auf. Die Son­nen­we­sen en­t­rei­ßen die See­le des Men­schen zu ge­wis­sen Zei­ten dem phy­si­schen Lei­be, so daß der Mensch jetzt ab­wech­selnd im Scho­ße der Son­nen­we­sen rein see­lisch ist, und zu an­dern Zei­ten in ei­nem Zu­­­stan­de, wo er mit dem Lei­be ver­bun­den ist und die Ein­flüs­se der Er­de emp­fängt. Ist er im phy­si­schen Lei­be, dann strö­­men die Wär­m­e­strö­mun­gen zu ihm auf. Es um­tö­nen ihn die

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Luft­mas­sen; es drin­gen die Was­ser aus ihm aus und in ihn ein. Ist der Mensch au­ßer­halb sei­nes Lei­bes, dann ist er in sei­ner See­le durch­wogt von den Bil­dern der höhe­ren We­sen, in de­ren Scho­ße er ist. Die Er­de durch­lebt auf die­ser Stu­fe ih­rer Ent­wi­cke­lung zwei Zei­ten. In der ei­nen darf sie mit ih­ren Sub­stan­zen die Men­schen­see­len um­spie­len und sie mit Lei­bern über­zie­hen; in der an­dern sind die See­len von ihr ge­wi­chen; nur die Lei­ber sind ihr ge­b­lie­ben. Sie ist mit den Men­schen­we­sen in ei­nem schla­fen­den Zu­stan­de. Man kann durch­aus sach­ge­mäß da­von sp­re­chen, daß in die­sen Zei­ten ur­fer­ner Ver­gan­gen­heit die Er­de ei­ne Ta­ges- und ei­ne Nach­t­zeit durch­macht. (Phy­sisch-rä­um­lich drückt sich die­ses da­­durch aus, daß durch die ge­gen­sei­ti­ge Wir­kung der Son­nen­- und Er­den­we­sen die Er­de in ei­ne Be­we­gung im Ver­hält­nis zur Son­ne kommt; da­durch wird der Wech­sel in der cha­rak­­te­ri­sier­ten Nacht- und Ta­ges­zeit her­bei­ge­führt. Die Ta­ges­zeit spielt sich ab, wenn die Er­den­fläche, auf wel­cher sich der Mensch ent­wi­ckelt, der Son­ne zu­ge­kehrt ist; die Nacht­zeit, al­so die Zeit, in wel­cher der Mensch ein rein see­li­sches Da­­sein führt, dann, wenn die­se Fläche der Son­ne ab­ge­kehrt ist. Man darf sich nun al­ler­dings nicht den­ken, daß in je­ner Ur­­zeit die Be­we­gung der Er­de um die Son­ne schon der ge­gen­wär­ti­gen ähn­lich war. Es wa­ren die Ver­hält­nis­se noch ganz an­ders. Es ist aber auch nütz­lich, schon hier zu ah­nen, daß die Be­we­gun­gen der Him­mels­kör­per als Fol­ge der Be­zie­hun­gen ent­ste­hen, wel­che die sie be­woh­nen­den geis­ti­gen We­­sen zu­ein­an­der ha­ben. Die Him­mels­kör­per wer­den durch geis­tig-see­li­sche Ur­sa­chen in sol­che La­gen und Be­we­gun­gen ge­bracht, daß im Phy­si­schen die geis­ti­gen Zu­stän­de sich aus­le­ben kön­nen.)

Wen­de­te man den Blick auf die Er­de wäh­rend ih­rer Nacht­zeit,

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so wür­de man ih­ren Kör­per leich­na­m­ähn­lich se­hen. Denn sie be­steht ja zum gro­ßen Tei­le aus den ver­fal­len­den Lei­bern der Men­schen, de­ren See­len in ei­ner an­dern Da­s­eins­form sich be­fin­den. Es ver­fal­len die ge­g­lie­der­ten, wäs­se­ri­gen und luft­för­mi­gen Ge­bil­de, aus de­nen die Men­schen­lei­ber ge­­bil­det wa­ren, und lö­sen sich in der üb­ri­gen Er­den­mas­se auf. Nur der­je­ni­ge Teil des Men­schen­lei­bes, wel­cher sich durch das Zu­sam­men­wir­ken des Feu­ers und der Men­schen­see­le vom Be­gin­ne der Er­den­ent­wi­cke­lung an ge­bil­det hat und wel­cher dann in der Fol­ge im­mer dich­ter ge­wor­den ist, er bleibt be­­ste­hen wie ein äu­ßer­lich un­an­sehn­li­cher Keim. Man darf al­so, was hier über Tag- und Nacht­zeit ge­sagt ist, sich nicht zu ähn­lich den­ken dem, was für die ge­gen­wär­ti­ge Er­de mit die­sen Be­zeich­nun­gen ge­meint ist. Wenn nun zur be­gin­nen­­den Ta­ges­zeit die Er­de wie­der der un­mit­tel­ba­ren Son­nen­ein­wir­kung teil­haf­tig wird, dann drin­gen die Men­schen­see­­len in den Be­reich des phy­si­schen Le­bens. Sie be­rüh­ren sich mit je­nen Kei­men und ma­chen sie auf­sprie­ßen, so daß die­se ei­ne äu­ße­re Ge­stalt an­neh­men, wel­che wie ein Ab­bild des men­sch­li­chen See­len­we­sens er­scheint. Es ist et­was wie ei­ne zar­te Be­fruch­tung, was sich da ab­spielt zwi­schen Men­schen­see­le und Lei­bes­keim. Nun be­gin­nen die­se al­so ver­kör­per­­ten See­len auch wie­der die Luft- und Was­ser­mas­sen her­an­zu­zie­hen und sie ih­rem Lei­be ein­zu­g­lie­dern. Von dem ge­­g­lie­der­ten Leib wird die Luft aus­ge­sto­ßen und ein­ge­so­gen: die ers­te An­la­ge zum spä­te­ren At­mung­s­pro­zeß. Auch wird das Was­ser auf­ge­nom­men und aus­ge­sto­ßen: ei­ne ur­sprüng­­li­che Art des Er­näh­rung­s­pro­zes­ses be­ginnt. Die­se Vor­gän­ge wer­den aber noch nicht als äu­ßer­li­che wahr­ge­nom­men. Ei­ne Art von äu­ße­rer Wahr­neh­mung fin­det durch die See­le nur bei der cha­rak­te­ri­sier­ten Art von Be­fruch­tung statt. Da

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fühlt die See­le dumpf ihr Er­wa­chen zum phy­si­schen Da­sein, in­dem sie den Keim be­rührt, der ihr von der Er­de ent­ge­gen­­ge­hal­ten wird. Sie ver­nimmt da et­was, was sich et­wa in die Wor­te brin­gen läßt: «Das ist mei­ne Ge­stalt». Und ein sol­ches Ge­fühl, das man auch ein auf­däm­mern­des Ich-Ge­fühl nen­nen dürf­te, bleibt der See­le wäh­rend ih­rer gan­zen Ver­­­bin­dung mit dem phy­si­schen Lei­be. Den Vor­gang der Luf­t­­auf­nah­me emp­fin­det aber die See­le noch durch­aus see­li­sch­-geis­tig, noch als ei­nen bild­haf­ten. Er er­scheint in Form von auf- und ab­wo­gen­den Ton­bil­dern, wel­che dem sich glie­dern­­den Keim die For­men ge­ben. Die See­le fühlt sich übe­rall von Tö­nen um­wogt, und sie emp­fin­det, wie sie sich den Leib nach die­sen Ton­kräf­ten aus­ge­stal­tet. Es bil­de­ten sich so Men­­schen­ge­stal­ten auf der da­ma­li­gen Stu­fe aus, die für ein ge­­gen­wär­ti­ges Be­wußt­sein in kei­ner Au­ßen­welt be­o­b­ach­tet wer­den kön­nen. Wie fein­sub­stan­ti­el­le pflan­zen- und blu­­men­ar­ti­ge For­men bil­den sie sich aus, wel­che aber in­ner­lich be­we­g­lich sind und dem­nach wie flat­tern­de Blu­men er­schei­­nen. Und das se­li­ge Ge­fühl sei­nes Ge­stal­tens zu sol­chen For­­men durch­lebt der Mensch wäh­rend sei­ner Er­den­zeit. Die Auf­nah­me der wäs­se­ri­gen Tei­le wird in der See­le als Kraft­zu­fuhr, als in­ner­li­che Stär­kung emp­fun­den. Nach au­ßen er­­scheint es als Wach­sen des phy­si­schen Men­schen­ge­bil­des. Mit dem Ab­neh­men der un­mit­tel­ba­ren Son­nen­wir­kung ver­liert auch die Men­schen­see­le die Kraft, die­se Vor­gän­ge zu be­herr­schen. Sie wer­den nach und nach ab­ge­wor­fen. Nur die­je­­ni­gen Tei­le blei­ben, wel­che den oben cha­rak­te­ri­sier­ten Keim rei­fen las­sen. Der Mensch aber ver­läßt sei­nen Leib und kehrt in die geis­ti­ge Da­s­eins­form zu­rück. (Da nicht al­le Tei­le des Er­den­kör­pers zum Auf­bau von Men­schen­lei­bern ver­wen­det wer­den, so hat man sich auch nicht vor­zu­s­tel­len, daß in der

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Nacht­zeit der Er­de die­se ein­zig nur aus den ver­fal­len­den Leich­na­men und den auf Er­we­ckung war­ten­den Kei­men be­steht. Al­les die­ses ist ein­ge­la­gert in an­de­re Ge­bil­de, die aus den Sub­stan­zen der Er­de sich for­men. Wie es sich mit die­­sen ver­hält, soll sich spä­ter zei­gen.)

Nun setzt sich aber der Vor­gang der Ver­dich­tung der Er­­den­sub­stanz fort. Zu dem wäs­se­ri­gen Ele­men­te tritt das fes­te, das man «er­dig» nen­nen kann, hin­zu. Und da­mit be­ginnt auch der Mensch, wäh­rend sei­ner Er­den­zeit sei­nem Lei­be das er­di­ge Ele­ment ein­zu­g­lie­dern. So­bald die­se Ein­g­lie­de­rung be­ginnt, ha­ben die Kräf­te, wel­che sich die See­le mit­bringt aus ih­rer leib­f­rei­en Zeit, nicht mehr die­sel­be Macht wie vor­­her. Früh­er ge­stal­te­te sich die See­le den Leib aus dem feu­­ri­gen, dem luf­ti­gen und dem wäs­se­ri­gen Ele­ment nach Ma­ß­­ga­be der Tö­ne, die sie um­klan­gen, und der Licht­bil­der, wel­che sie um­spiel­ten. Ge­gen­über der ver­fes­tig­ten Ge­stalt kann das die See­le nicht. Es grei­fen nun­mehr in die Ge­stal­tung an­de­re Mäch­te ein. In dem, was vom Men­schen zu­rück­b­leibt, wenn die See­le aus dem Lei­be weicht, stellt sich nun­mehr nicht nur ein Keim dar, wel­cher durch die wie­der­keh­ren­de See­le zum Le­ben ent­facht wird, son­dern ein Ge­bil­de, wel­ches auch die Kraft die­ser Be­le­bung selbst in sich ent­hält. Die See­le läßt bei ih­rem Schei­den nicht bloß ihr Nach­bild auf der Er­de zu­rück, son­dern sie ver­senkt auch ei­nen Teil ih­rer be­le­ben­den Macht in die­ses Ab­bild. Sie kann beim Wie­de­r­er­schei­nen auf der Er­de nun nicht mehr al­lein das Ab­bild zum Le­ben er­we­cken, son­dern es muß im Ab­bild selbst die Be­le­bung ge­sche­hen. Die geis­ti­gen We­sen, wel­che von der Son­ne aus auf die Er­de wir­ken, er­hal­ten jetzt die be­le­ben­de Kraft in dem Men­schen­lei­be, auch wenn der Mensch nicht selbst auf der Er­de ist. So fühlt jetzt die See­le bei ih­rer Ver­­­kör­pe­rung

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nicht nur die sie um­wo­gen­den Tö­ne und Lich­t­­bil­der, in de­nen sie die zu­nächst über ihr ste­hen­den We­sen emp­fin­det, son­dern sie er­lebt durch das Emp­fan­gen des er­­di­gen Ele­men­tes den Ein­fluß je­ner noch höhe­ren We­sen, die auf der. Son­ne ih­ren Schau­platz auf­ge­schla­gen ha­ben. Vor­­her emp­fand der Mensch sich den geis­tig-see­li­schen We­sen an­ge­hö­rig, mit de­nen er ve­r­eint war, wenn er leib­f­rei war. In ih­rem Scho­ße war noch sein «Ich». Nun trat ihm die­ses «Ich» eben­so wäh­rend der phy­si­schen Ver­kör­pe­rung ent­ge­­gen, wie das an­de­re, was um ihn war wäh­rend die­ser Zeit. Selb­stän­di­ge Ab­bil­der des see­lisch-geis­ti­gen Men­schen­we­sens wa­ren nun­mehr auf der Er­de. Es wa­ren dies im Ver­g­lei­che mit dem ge­gen­wär­ti­gen Men­schen­lei­be Ge­bil­de von fei­ner Stof­f­lich­keit. Denn die er­di­gen Tei­le misch­ten sich ih­nen nur in feins­tem Zu­stan­de bei. Et­wa so, wie der ge­gen­wär­ti­ge Mensch die fein ver­teil­ten Sub­stan­zen ei­nes Ge­gen­stan­des mit sei­nem Ge­ruch­s­or­gan auf­nimmt. Wie Schat­ten wa­ren die Men­schen­lei­ber. Da sie aber auf die gan­ze Er­de ver­teilt wa­ren, so ge­rie­ten sie un­ter die Ein­wir­kun­gen der Er­de, die auf ver­schie­de­nen Tei­len von de­ren Ober­fläche ver­schie­de­­ner Art wa­ren. Wäh­rend vor­her die leib­li­chen Ab­bil­der dem sie be­le­ben­den See­len­men­schen ent­spra­chen und des­halb we­­sent­lich gleich wa­ren über die gan­ze Er­de hin, so trat jetzt Ver­schie­den­heit un­ter den Men­schen­for­men auf. Da­mit be­­rei­te­te sich das vor, was spä­ter als Ver­schie­den­heit der Ras­­sen auf­t­rat. Mit dem Selb­stän­dig­wer­den des leib­li­chen Men­­schen war aber die vor­he­ri­ge en­ge Ver­bin­dung des Er­den­men­schen und der geis­tig-see­li­schen Welt bis zu ei­nem ge­­wis­sen Gra­de ge­löst. Wenn nun­mehr die See­le den Leib ver­­­ließ, so leb­te die­ser et­was wie ei­ne Fort­set­zung des Le­bens wei­ter. Wä­re nun die Ent­wi­cke­lung in die­ser Art fort­ge­­schrit­ten,

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so hät­te die Er­de un­ter dem Ein­fluß ih­res fes­ten Ele­men­tes ver­här­ten müs­sen. Der auf die­se Ver­hält­nis­se zu­rück­bli­cken­den über­sinn­li­chen Er­kennt­nis zeigt sich, wie sich die Men­schen­lei­ber, da sie von ih­ren See­len ver­las­sen sind, im­mer mehr ver­fes­ti­gen. Und nach ei­ni­ger Zeit wür­den die zur Er­de zu­rück­keh­ren­den Men­schen­see­len kein brauch­ba­res Ma­te­rial ge­fun­den ha­ben, mit dem sie sich hät­ten ve­r­ei­ni­gen kön­nen. Al­le für den Men­schen brauch­ba­ren Stof­fe wä­ren ver­wen­det wor­den, um die Er­de an­zu­fül­len mit den ver­­­holz­ten Über­res­ten von Ver­kör­pe­run­gen.

Da trat ein Er­eig­nis ein, wel­ches der gan­zen Ent­wi­cke­­lung ei­ne an­de­re Wen­dung gab. Al­les, was im fes­ten Er­den­stof­fe zur blei­ben­den Ver­här­tung bei­tra­gen konn­te, wur­de aus­ge­schie­den. Un­ser ge­gen­wär­ti­ger Mond ver­ließ da­mals die Er­de. Und was vor­her un­mit­tel­bar in der Er­de zur blei­ben­den Form­bil­dung bei­ge­tra­gen hat­te, das wirk­te jetzt mit­­­tel­bar in ab­ge­schwäch­ter Art vom Mon­de aus. Die höhe­ren We­sen, von de­nen die­se Form­bil­dung ab­hängt, hat­ten be­­sch­los­sen, ih­re Wir­kun­gen nicht mehr vom In­nern der Er­de, son­dern von au­ßen die­ser zu­kom­men zu las­sen. Da­durch trat in den leib­li­chen Men­schen­ge­bil­den ei­ne Ver­schie­den­heit auf, wel­che man als den An­fang der Tren­nung in ein männ­li­ches und weib­li­ches Ge­sch­lecht be­zeich­nen muß. Die fein­stof­f­li­chen Men­schen­ge­stal­ten, die vor­her die Er­de be­­wohn­ten, lie­ßen durch das Zu­sam­men­wir­ken der bei­den Kräf­te in sich sel­ber, des Kei­mes und der be­le­ben­den Kraft, die neue Men­schen­form, ih­ren Nach­kömm­ling, her­vor­ge­hen. Jetzt bil­de­ten sich die­se Nach­kömm­lin­ge um. In der ei­nen Grup­pe sol­cher Nach­kömm­lin­ge wirk­te mehr die Keim­kraft des Geis­tig-See­li­schen, in der an­de­ren Grup­pe mehr die be­le­ben­de Keim­kraft. Das wur­de da­durch be­wirkt, daß

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mit dem Her­aus­gang des Mon­des von der Er­de das Er­den­e­le­ment sei­ne Ge­walt ab­ge­schwächt hat­te. Das Au­f­ein­an­der­wir­ken der bei­den Kräf­te wur­de nun­mehr zar­ter, als es war, da es in ei­nem Lei­be ge­schah. Dem­zu­fol­ge war auch der Nach­kömm­ling zar­ter, fei­ner. Er be­t­rat die Er­de in ei­nem fei­nen Zu­stan­de und glie­der­te sich erst all­mäh­lich die fe­s­te­ren Tei­le ein. Da­mit war für die auf die Er­de zu­rück­keh­ren­de Men­schen­see­le wie­der die Mög­lich­keit der Ve­r­ei­ni­­gung mit dem Lei­be ge­ge­ben. Sie be­leb­te ihn jetzt zwar nicht mehr von au­ßen, denn die­se Be­le­bung ge­schah auf der Er­de selbst. Aber sie ve­r­ei­nig­te sich mit ihm und brach­te ihn zum Wach­sen. Die­sem Wachs­tum war al­ler­dings ei­ne ge­wis­se Gren­ze ge­setzt. Durch die Mon­den­ab­t­ren­nung war für ei­ne Wei­le der Men­schen­leib bieg­sam ge­wor­den; aber je mehr er auf der Er­de wei­ter wuchs, des­to mehr nah­men die ver­­­fes­ti­gen­den Kräf­te über­hand. Zu­letzt konn­te sich die See­le nur im­mer schwächer und schwächer an der Glie­de­rung des Lei­bes be­tei­li­gen. Die­ser ver­fiel, in­dem die See­le zu geis­tig-see­li­schen Da­s­eins­wei­sen auf­s­tieg.

Man kann ver­fol­gen, wie die Kräf­te, wel­che sich der Mensch nach und nach wäh­rend der Sa­turn-, Son­nen- und Mon­den­ent­wi­cke­lung an­ge­eig­net hat, all­mäh­lich wäh­rend der be­schrie­be­nen Er­den­ge­stal­tung sich an dem Men­schen­fort­sch­rei­ten be­tei­li­gen. Erst ist es der As­tral­leib, der auch den Le­bens­leib und den phy­si­schen Leib noch in sich auf­­­ge­löst ent­hält, wel­cher von dem Er­den­feu­er ent­zün­det wird. Dann glie­dert sich die­ser As­tral­leib in ei­nen fei­ne­ren as­tra­­li­schen Teil, die Emp­fin­dungs­see­le, und in ei­nen gröbe­ren, äthe­ri­schen, wel­cher nun­mehr von dem Er­den­e­le­ment be­rührt wird. Es kommt da­mit der schon vor­ge­bil­de­te Äther- oder Le­bens­leib zum Vor­schein. Und wäh­rend im as­tra­li­schen

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Men­schen sich die Ver­stan­des- und Be­wußt­s­eins­see­le aus­bil­den, glie­dern sich im Äther­lei­be die gröbe­ren Tei­le ab, wel­che für Ton und Licht emp­fäng­lich sind. In dem Zeit­­punk­te, wo der Äther­leib sich noch mehr ver­dich­tet, so daß er von ei­nem Licht­leib zu ei­nem Feu­er- oder Wär­me­leib wird, da ist auch die Ent­wi­cke­lungs­stu­fe ein­ge­t­re­ten, in wel­cher, wie oben cha­rak­te­ri­siert, die Tei­le des fes­ten Er­den­e­le­men­tes sich dem Men­schen ein­g­lie­dern. Weil der Äther­­leib sich bis zum Feu­er her­ab ver­dich­tet hat, so kann er nun auch durch die Kräf­te des phy­si­schen Lei­bes, wel­che ihm vor­­her ein­gepflanzt sind, sich mit den bis zum Feu­er­zu­stan­de ver­dünn­ten Sub­stan­zen der phy­si­schen Er­de ver­bin­den. Er könn­te aber nicht mehr al­lein auch die Luf­t­sub­stan­zen in den mitt­ler­wei­le fes­ter ge­wor­de­nen Leib ein­füh­ren. Da tre­­ten, wie oben an­ge­deu­tet, die höhe­ren We­sen, die auf der Son­ne woh­nen, ein und hau­chen ihm die Luft ein. Wäh­rend so der Mensch ver­mö­ge sei­ner Ver­gan­gen­heit selbst die Kraft hat, sich mit dem ir­di­schen Feu­er zu durch­drin­gen, len­ken höhe­re We­sen den Luf­to­dem in sei­nen Leib. Vor der Ver­­­fes­ti­gung war des Men­schen Le­bens­leib als Ton­emp­fän­ger der Len­ker der Luft­strö­mung. Er durch­drang sei­nen phy­si­schen Leib mit dem Le­ben. Jetzt emp­fängt sein phy­si­scher Leib ein äu­ße­res Le­ben. Die Fol­ge da­von ist, daß die­ses Le­ben un­ab­hän­gig wird von dem See­l­en­tei­le des Men­schen. Die­ser läßt nun beim Ver­las­sen der Er­de nicht nur sei­nen Form­keim zu­rück, son­dern ein le­ben­di­ges Ab­bild sei­ner selbst. Die «Geis­ter der Form» blei­ben nun mit die­sem Ab­bild ver­­ei­nigt; sie füh­ren das von ih­nen ver­lie­he­ne Le­ben auch auf die Nach­kömm­lin­ge über, wenn die Men­schen­see­le aus dem Lei­be ge­wi­chen ist. So bil­det sich das her­aus, was Ver­er­bung ge­nannt wer­den kann. Und wenn die Men­schen­see­le dann

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wie­der auf der Er­de er­scheint, dann emp­fin­det sie sich in ei­nem Lei­be, des­sen Le­ben aus den Vor­fah­ren her­über­ge­lei­tet wor­den ist. Sie fühlt sich ge­ra­de zu ei­nem sol­chen Lei­be be­son­ders hin­ge­zo­gen. Es bil­det sich da­durch et­was aus wie ei­ne Er­in­ne­rung an den Vor­fah­ren, mit dem sich die See­le eins fühlt. Durch die Fol­ge der Nach­kom­men geht die­se Er­in­ne­rung wie ein ge­mein­sa­mes Be­wußt­sein. Das «Ich» strömt her­un­ter durch die Ge­ne­ra­tio­nen.

Der Mensch emp­fand sich auf die­ser Ent­wi­cke­lungs­stu­fe wäh­rend sei­ner Er­den­zeit als ein selb­stän­di­ges We­sen. Er fühl­te das in­ne­re Feu­er sei­nes Le­bens­lei­bes ver­bun­den mit dem äu­ße­ren Feu­er der Er­de. Er konn­te die ihn durch­strö­men­de Wär­me als sein « Ich» füh­len. In die­sen Wär­m­e­strö­­mun­gen, die von Le­ben durch­wo­ben sind, ist die An­la­ge der Blut­zir­ku­la­ti­on zu fin­den. In dem aber, was als Luft in ihn hin­ein­ström­te, fühl­te der Mensch nicht ganz sein ei­ge­nes We­sen. In die­ser Luft wa­ren ja die Kräf­te der cha­rak­te­ri­­sier­ten höhe­ren We­sen tä­tig. Aber es war ihm doch der­je­ni­ge Teil der Wir­kens­kräf­te inn­er­halb der ihn durch­strö­men­den Luft ge­b­lie­ben, wel­cher ihm schon durch sei­ne früh­er ge­bil­­de­ten Äther­kräf­te ei­gen war. Er war Herr­scher in ei­nem Teil die­ser Luft­strö­mun­gen. Und in­so­fern wirk­ten in sei­ner Ge­stal­tung nicht nur die höhe­ren We­sen, son­dern auch er selbst. Nach den Bil­dern sei­nes As­tral­lei­bes ge­stal­te­te er in sich die Luft­tei­le. Wäh­rend so von au­ßen Luft ein­ström­te in sei­nen Leib, was zur Grund­la­ge sei­ner At­mung wur­de, glie­der­te sich ein Teil der Luft im In­nern zu ei­nem dem Men­schen ein­ge­präg­ten Or­ga­nis­mus, wel­cher die Grund­la­ge wur­de des spä­te­ren Ner­ven­sys­tems. Durch Wär­me und Luft stand al­so der Mensch da­mals in Ver­bin­dung mit der Au­­ßen­welt der Er­de. Da­ge­gen emp­fand er nichts von der

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Ein­füh­rung des fes­ten Ele­men­tes der Er­de; die­ses wirk­te mit bei sei­ner Ver­kör­pe­rung auf der Er­de, aber er konn­te die Zu­füh­rung nicht un­mit­tel­bar wahr­neh­men, son­dern nur in ei­nem dump­fen Be­wußt­sein im Bil­de der höhe­ren We­sen­hei­ten, wel­che da­rin wirk­sam wa­ren. In sol­cher Bild­form als Aus­druck von We­sen, die über ihm ste­hen, hat­te der Mensch auch früh­er die Zu­füh­rung der flüs­si­gen Er­den­e­le­­men­te wahr­ge­nom­men. Durch die Ver­dich­tung der Er­den­­ge­stalt des Men­schen ha­ben nun die­se Bil­der in sei­nem Be­wußt­sein ei­ne Ve­r­än­de­rung er­fah­ren. Dem flüs­si­gen Ele­­men­te ist das fes­te bei­ge­mischt. So muß al­so auch die­se Zu­­­füh­rung als von den höhe­ren, von au­ßen wir­ken­den We­sen emp­fun­den wer­den. Der Mensch kann in sei­ner See­le nicht mehr die Kraft ha­ben, selbst die Zu­füh­rung zu len­ken, denn die­sel­be muß jetzt sei­nem von au­ßen auf­ge­bau­ten Lei­be die­nen. Er wür­de des­sen Ge­stalt ver­der­ben, wenn er die Zu­füh­rung selbst len­ken woll­te. So er­scheint ihm denn das­je­ni­ge, was er sich von au­ßen zu­führt, durch die Macht­ge­bo­te ge­lenkt, wel­che aus­ge­hen von den höhe­ren We­sen, die an sei­ner Lei­bes­ge­stal­tung wir­ken. Der Mensch fühlt sich als ein Ich; er hat in sich sei­ne Ver­stan­des­see­le als ei­nen Teil sei­nes As­tral­lei­bes, durch die er in­ner­lich als Bil­der er­lebt, was au­ßen vor­geht, und durch die er sein fei­nes Ner­ven­­sys­tem durch­dringt. Er fühlt sich als Ab­kömm­ling von Vor­­­fah­ren ver­mö­ge des durch die Ge­ne­ra­tio­nen strö­men­den Le­bens. Er at­met und emp­fin­det das als Wir­kung der ge­kenn­zeich­ne­ten höhe­ren We­sen, wel­che die «Geis­ter der Form» sind. Und er fügt sich die­sen auch in dem, was ihm durch ih­re Im­pul­se von au­ßen (zu sei­ner Nah­rung) zu­ge­­führt wird. Am dun­kels­ten ist ihm sei­ne Her­kunft als In­di­vi­du­um. Er fühlt da­von nur, daß er von den in Er­den­kräf­ten

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sich aus­drü­cken­den «Geis­tern der Form» ei­nen Ein­fluß er­lebt hat. Der Mensch war ge­lenkt und ge­lei­tet in sei­nem Ver­hält­nis zur Au­ßen­welt. Zum Aus­druck kommt dies da­durch, daß er von den hin­ter sei­ner phy­si­schen Welt sich ab­spie­len­den geis­tig-see­li­schen Tä­tig­kei­ten ein Be­wußt­­­sein hat. Er nimmt zwar nicht die geis­ti­gen We­sen in de­ren ei­ge­ner Ge­stalt wahr, aber er er­lebt in sei­ner See­le Tö­ne, Far­ben usw. Und er weiß, daß in die­ser Vor­stel­lungs­welt die Ta­ten der geis­ti­gen We­sen le­ben. Es tönt zu ihm, was die­se We­sen ihm mit­tei­len; es er­schei­nen ihm de­ren 0f­fen­ba­run­gen in Licht­bil­dern. Am in­ner­lichs­ten fühlt sich der Er­den­mensch durch die Vor­stel­lun­gen, wel­che er durch das Ele­ment des Feu­ers oder der Wär­me emp­fängt. Er un­ter­­schei­det be­reits sei­ne in­ne­re Wär­me und die Wär­m­e­strö­­mun­gen des ir­di­schen Um­k­rei­ses. In den letz­te­ren of­fen­ba­ren sich die «Geis­ter der Per­sön­lich­keit». Aber der Mensch hat nur ein dun­k­les Be­wußt­sein von dem, was hin­ter den Strö­­mun­gen der äu­ße­ren Wär­me steht. Er emp­fin­det ge­ra­de in die­sen Strö­mun­gen den Ein­fluß der «Geis­ter der Form». Wenn mäch­ti­ge Wärm­e­wir­kun­gen in der Um­ge­bung des Men­schen auf­tau­chen, dann fühlt die See­le: jetzt durch­glü­hen die geis­ti­gen We­sen den Um­kreis der Er­de, von de­nen ein Fun­ke sich los­ge­löst hat und mein In­ne­res durch­wärmt. In den Licht­wir­kun­gen un­ter­schei­det der Mensch noch nicht ganz in der­sel­ben Art Äu­ße­res und In­ne­res. Wenn Licht­bil­der in der Um­ge­bung auf­tau­chen, dann er­zeu­gen die­se in der See­le des Er­den­men­schen nicht im­mer das glei­che Ge­fühl. Es gab Zei­ten, in wel­chen der Mensch die­se Licht­bil­der als äu­ße­re emp­fand. Es war in der Zeit, nach­dem er eben aus dem leib­f­rei­en Zu­stan­de in die Ver­kör­pe­rung her­­ab­ge­s­tie­gen war. Es war die Pe­rio­de sei­nes Wachs­tums auf

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der Er­de. Wenn dann die Zeit her­an­rück­te, wo der Keim zum neu­en Er­den­men­schen sich bil­de­te, dann ver­blaß­ten die­se Bil­der. Und der Mensch be­hielt nur et­was wie in­ne­re Er­in­ne­rungs­vor­stel­lun­gen an sie zu­rück. In die­sen Licht­bil­dern wa­ren die Ta­ten der «Feu­er­geis­ter» (Erz­en­gel) en­t­­hal­ten. Sie er­schie­nen dem Men­schen wie die Die­ner der Wärme­we­sen, wel­che ei­nen Fun­ken in sein In­ne­res senk­ten. Wenn ih­re äu­ße­ren Of­fen­ba­run­gen ver­lösch­ten, dann er­leb­te sie der Mensch als Vor­stel­lun­gen (Er­in­ne­run­gen) in sei­nem In­nern. Er fühl­te sich mit ih­ren Kräf­ten ver­bun­den. Und das war er auch. Denn er konn­te durch das­je­ni­ge, was er von ih­nen emp­fan­gen hat­te, auf den um­ge­ben­den Luft­kreis wir­ken. Die­ser be­gann un­ter sei­nem Ein­fluß zu leuch­ten. Es war da­mals ei­ne Zeit, in wel­cher Na­tur­kräf­te und Men­schen­kräf­te noch nicht in der Art von­ein­an­der ge­schie­den wa­ren wie spä­ter. Was auf der Er­de ge­schah, ging in ho­hem Ma­ße noch von den Kräf­ten der Men­schen aus. Wer da­mals von au­ßer­halb der Er­de die Na­tur­vor­gän­ge auf der­sel­ben be­o­bach­tet hät­te, der hät­te in die­sen nicht nur et­was ge­se­hen, was von dem Men­schen un­ab­hän­gig ist, son­dern er hät­te in ih­nen die Wir­kun­gen der Men­schen wahr­ge­nom­men. Noch an­ders ge­stal­te­ten sich für den Er­den­men­schen die Ton­wahr­neh­mun­gen. Sie wur­den als äu­ße­re Tö­ne vom Be­ginn des Er­den­le­bens an wahr­ge­nom­men. Wäh­rend die Luft­bil­der von au­ßen bis in die mitt­le­re Zeit des men­sch­li­chen Er­den­da­seins wahr­ge­nom­men wur­den, konn­ten die äu­ße­ren Tö­ne noch nach die­ser Mit­tel­zeit ge­hört wer­den. Erst ge­gen En­de des Le­bens wur­de der Er­den­mensch für sie un­emp­find­lich. Und es blie­ben ihm die Er­in­ne­rungs­vor­stel­lun­gen an die­se Tö­ne. In ih­nen wa­ren die Of­fen­ba­run­gen der «Söh­ne des Le­bens» (der En­gel) ent­hal­ten. Wenn der Mensch ge­gen sein

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Le­ben­s­en­de sich in­ner­lich mit die­sen Kräf­ten ver­bun­den fühl­te, dann konn­te er durch Nach­ah­mung der­sel­ben mäch­ti­ge Wir­kun­gen in dem Was­se­r­e­le­men­te der Er­de her­vor­­brin­gen. Es wog­ten die Was­ser in und über der Er­de un­ter sei­nem Ein­fluß. Ge­sch­macks­vor­stel­lun­gen hat­te der Mensch nur im ers­ten Vier­tel sei­nes Er­den­le­bens. Und auch da er­­schie­nen sie der See­le wie ei­ne Er­in­ne­rung an die Er­leb­nis­se im leib­f­rei­en Zu­stand. So­lan­ge sie der Mensch hat­te, dau­er­te die Ver­fes­ti­gung sei­nes Lei­bes durch Auf­nah­me äu­ße­rer Su­b­­­stan­zen. Im zwei­ten Vier­tel des Er­den­le­bens dau­er­te wohl noch das Wachs­tum fort, doch war die Ge­stalt schon ei­ne fer­tig aus­ge­bil­de­te. An­de­re le­ben­di­ge We­sen ne­ben sich konn­te der Mensch in die­ser Zeit nur durch de­ren Wär­me, Licht und Ton­wir­kun­gen wahr­neh­men. Denn er war noch nicht fähig, das fes­te Ele­ment sich vor­zu­s­tel­len. Nur vom Wäs­se­ri­gen be­kam er im ers­ten Vier­tel sei­nes Le­bens die ge­schil­der­ten Ge­sch­macks­wir­kun­gen.

Ein Ab­bild die­ses in­ne­ren See­len­zu­stan­des des Men­schen war des­sen äu­ße­re Kör­per­form. Die­je­ni­gen Tei­le, wel­che die An­la­ge zur spä­te­ren Kopf­form ent­hiel­ten, wa­ren am voll­kom­mens­ten aus­ge­bil­det. Die an­dern Or­ga­ne er­schie­nen nur wie An­häng­sel. Die­se wa­ren schat­ten­haft und un­deu­t­­lich. Doch wa­ren die Er­den­men­schen ver­schie­den in be­zug auf die Ge­stalt. Es gab sol­che, bei de­nen je nach den Er­den­ver­hält­nis­sen, un­ter de­nen sie leb­ten, die An­häng­sel mehr oder we­ni­ger aus­ge­bil­det wa­ren. Es war dies nach den Wohn­plät­zen der Men­schen auf der Er­de ver­schie­den. Wo die Men­schen mehr in die Er­den­welt ver­s­trickt wur­den, da tra­ten die An­häng­sel mehr in den Vor­der­grund. Die­je­ni­gen Men­schen, wel­che beim Be­ginn der phy­si­schen Er­de­n­en­t­wi­cke­lung durch ih­re vor­an­ge­hen­de Ent­wi­cke­lung am reifs­ten

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wa­ren, so daß sie gleich im An­fan­ge, als die Er­de noch nicht zur Luft ver­dich­tet war, die Be­rüh­rung mit dem Feue­r­e­le­ment er­leb­ten, konn­ten jetzt die Kopf an­la­gen am vol­l­­kom­mens­ten aus­bil­den. Das wa­ren die in sich am meis­ten har­mo­ni­schen Men­schen. An­de­re wa­ren erst zur Be­rüh­rung mit dem Feue­r­e­le­ment be­reit, als die Er­de schon die Luft in sich aus­ge­bil­det hat­te. Es wa­ren dies Men­schen, wel­che mehr von den äu­ße­ren Ver­hält­nis­sen ab­hän­gig wa­ren als die er­s­ten. Die­se ers­ten emp­fan­den durch die Wär­me die «Geis­ter der Form» deut­lich, und sie fühl­ten sich in ih­rem Er­den­le­ben so, wie wenn sie ei­ne Er­in­ne­rung da­ran be­wahr­ten, daß sie mit die­sen Geis­tern zu­sam­men­ge­hö­ren und mit ih­nen ver­bun­den wa­ren im leib­f­rei­en Zu­stand. Die zwei­te Art von Men­schen fühl­te die Er­in­ne­rung an den leib­f­rei­en Zu­stand nur in ge­rin­ge­rem Ma­ße; sie emp­fan­den ih­re Zu­sam­men­­ge­hö­rig­keit mit der geis­ti­gen Welt vor­züg­lich durch die Licht­wir­kun­gen der «Feu­er­geis­ter» (Erz­en­gel). Ei­ne drit­te Art von Men­schen war noch mehr in das Er­den­da­sein ver­­­s­trickt. Es wa­ren die­je­ni­gen, wel­che erst von dem Feue­r­e­le­ment be­rührt wer­den konn­ten, als die Er­de von der Son­ne ge­t­rennt war und das wäs­se­ri­ge Ele­ment in sich auf ge­nom­­men hat­te. Ihr Ge­fühl für Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit mit der geis­ti­gen Welt war ins­be­son­de­re im Be­ginn des Er­den­le­bens ge­ring. Erst als die Wir­kun­gen der Erz­en­gel und na­ment­lich der En­gel im in­ne­ren Vor­stel­lungs­le­ben sich gel­tend mach­­ten, emp­fan­den sie die­sen Zu­sam­men­hang. Da­ge­gen wa­ren sie im Be­gin­ne der Er­den­zeit voll re­ger Im­pul­se für Ta­ten, wel­che sich in den ir­di­schen Ver­hält­nis­sen selbst ver­rich­ten las­sen. Bei ih­nen wa­ren die An­hang­s­or­ga­ne be­son­ders stark ent­wi­ckelt.

Als vor der Tren­nung des Mon­des von der Er­de die Mon­des­kräf­te

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in der letz­te­ren im­mer mehr zur Ver­fes­ti­gung führ­ten, ge­schah es, daß durch die­se Kräf­te un­ter den Nach­kömm­lin­gen der von den Men­schen auf der Er­de zu­rück­ge­las­se­nen Kei­me sol­che wa­ren, in de­nen sich die aus dem leib­f­rei­en Zu­stan­de zu­rück­keh­ren­den Men­schen­see­len nicht mehr ver­kör­pern konn­ten. Die Ge­stalt sol­cher Nach­köm­m­­lin­ge war zu ver­fes­tigt und durch die Mon­den­kräf­te zu un­ähn­lich ei­ner Men­schen­ge­stalt ge­wor­den, um ei­ne sol­che auf­neh­men zu kön­nen. Es fan­den da­her ge­wis­se Men­schen­­see­len un­ter sol­chen Ver­hält­nis­sen nicht mehr die Mög­li­ch­keit, zur Er­de zu­rück­zu­keh­ren. Nur die reifs­ten, die stär­k­s­ten der See­len konn­ten sich ge­wach­sen füh­len, wäh­rend des Wachs­tums des Er­den­lei­bes die­sen so um­zu­for­men, daß er zur Men­schen­ge­stalt er­blüh­te. Nur ein Teil der leib­li­chen Men­schen­nach­kömm­lin­ge wur­de zu Trä­gern ir­di­scher Men­­schen. Ein an­de­rer Teil konn­te we­gen der ver­fes­tig­ten Ge­stalt nur See­len auf­neh­men, wel­che nie­d­ri­ger stan­den als die­je­ni­gen der Men­schen. Von den Men­schen­see­len wur­de aber ein Teil ge­zwun­gen, die da­ma­li­ge Er­den­ent­wi­cke­lung nicht mit­zu­ma­chen. Da­durch wur­den sie zu ei­ner an­dern Art des Le­bens­lau­fes ge­bracht. Es gab See­len, wel­che schon bei der Tren­nung der Son­ne von der Er­de kei­nen Platz auf die­ser fan­den. Sie wur­den für ih­re wei­te­re Ent­wi­cke­lung auf ei­nen Pla­ne­ten ent­rückt, der sich un­ter Füh­rung kos­mi­scher We­sen­hei­ten los­lös­te aus der all­ge­mei­nen Wel­ten­sub­stanz, wel­che beim Be­gin­ne der phy­si­schen Er­den­ent­wi­cke­lung mit die­ser ver­bun­den war und aus wel­cher sich auch die Son­ne her­aus­ge­son­dert hat­te. Die­ser Pla­net ist der­je­ni­ge, des­sen phy­si­schen Aus­druck die äu­ße­re Wis­sen­schaft als «Ju­pi­ter» kennt. (Es wird hier ge­nau in dem Sin­ne von Him­mels­kör­pern, Pla­ne­ten und de­ren Na­men ge­spro­chen, wie es ei­ne

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äl­te­re Wis­sen­schaft noch ge­tan hat. Wie die Din­ge ge­meint sind, geht aus dem Zu­sam­men­han­ge her­vor. Wie die phy­si­­sche Er­de nur der phy­si­sche Aus­druck ei­nes geis­tig-see­li­schen Or­ga­nis­mus ist, so ist das auch für je­den an­de­ren Him­mels­­kör­per der Fall. Und so we­nig der Be­o­b­ach­ter des Über­­sinn­li­chen mit dem Na­men «Er­de» bloß den phy­si­schen Pla­ne­ten, mit «Son­ne» bloß den phy­si­schen Fixs­tern be­zeich­net, so meint er auch wei­te geis­ti­ge Zu­sam­men­hän­ge, wenn er von «Ju­pi­ter», «Mars» usw. re­det. Die Him­mels­kör­per ha­ben na­tur­ge­mäß die Ge­stalt und Auf­ga­be we­sen­t­­lich ve­r­än­dert seit je­nen Zei­ten, von de­nen hier ge­spro­chen wird in ge­wis­ser Be­zie­hung so­gar ih­ren Ort im Him­mels­rau­me. Nur wer mit dem Blick der über­sinn­li­chen Er­kenn­t­­nis die Ent­wi­cke­lung die­ser Him­mels­kör­per zu­rück­ver­folgt bis in ur­fer­ne Ver­gan­gen­hei­ten, ver­mag den Zu­sam­men­hang der ge­gen­wär­ti­gen Pla­ne­ten mit ih­ren Vor­fah­ren zu er­ken­nen.) Auf dem «Ju­pi­ter» ent­wi­ckel­ten sich die cha­rak­­te­ri­sier­ten See­len zu­nächst wei­ter. Und spä­ter, als sich die Er­de im­mer mehr dem Fes­ten zu­neig­te, da muß­te noch ein an­de­rer Wohn­platz für See­len ge­schaf­fen wer­den, die zwar die Mög­lich­keit hat­ten, ei­ne Zeit­lang die ver­fes­tig­ten Kör­per zu be­woh­nen, dann aber dies nicht mehr konn­ten, als die­se Ver­fes­ti­gung zu weit fort­ge­schrit­ten war. Für sie ent­stand im «Mars» ein ent­sp­re­chen­der Platz zu ih­rer wei­te­ren En­t­­wi­cke­lung. Schon als noch die Er­de mit der Son­ne ver­bun­­den war und ih­re luf­ti­gen Ele­men­te sich ein­g­lie­der­te, da stell­te es sich her­aus, daß die See­len sich un­ge­eig­net er­wie­sen, um die Er­den­ent­wi­cke­lung mit­zu­ma­chen. Sie wur­den durch die ir­di­sche Kör­per­ge­stalt zu stark be­rührt. Des­halb muß­ten sie schon da­mals dem un­mit­tel­ba­ren Ein­flus­se der Son­nen­kräf­te entzo­gen wer­den. Die­se muß­ten von au­ßen auf sie

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wir­ken. Die­sen See­len wur­de auf dem «Sa­turn» ein Platz der Wei­ter­ent­wi­cke­lung. So nahm im Ver­lau­fe der Er­den­ent­wi­cke­lung die Zahl der Men­schen­ge­stal­ten ab; es tra­ten Ge­stal­ten auf, wel­che nicht Men­schen­see­len ver­kör­pert ha­t­­ten. Sie konn­ten nur As­tral­lei­ber in sich auf­neh­men, wie die phy­si­schen Lei­ber und die Le­bens­lei­ber des Men­schen auf dem al­ten Mon­de sie auf­ge­nom­men hat­ten. Wäh­rend die Er­de in be­zug auf ih­re men­sch­li­chen Be­woh­ner ver­ö­de­te, be­sie­del­ten die­se We­sen sie. Es hät­ten end­lich al­le Men­schen­­see­len die Er­de ver­las­sen müs­sen, wenn nicht durch die Los­lö­sung des Mon­des für die Men­schen­ge­stal­ten, die da­mals noch men­sch­lich be­seelt wer­den konn­ten, die Mög­lich­keit ge­schaf­fen wor­den wä­re, wäh­rend ih­res Er­den­le­bens den Men­schen­keim den un­mit­tel­bar von der Er­de kom­men­den Mon­den­kräf­ten zu ent­zie­hen und ihn in sich so weit rei­fen zu las­sen, bis er die­sen Kräf­ten über­lie­fert wer­den konn­te. So­lan­ge dann der Keim im In­nern des Men­schen sich ge­­stal­te­te, war er un­ter der Wir­kung der We­sen, die un­ter der Füh­rung ih­res mäch­tigs­ten Ge­nos­sen den Mond aus der Er­de ge­löst hat­ten, um de­ren Ent­wi­cke­lung über ei­nen kri­­ti­schen Punkt hin­über­zu­ge­lei­ten.

Als die Er­de das Luf­t­e­le­ment in sich aus­ge­bil­det hat­te, gab es im Sin­ne der obi­gen Schil­de­rung sol­che As­tral­we­sen als Über­b­leib­sel vom al­ten Mon­de, wel­che wei­ter in der Ent­wi­cke­lung zu­rück­ge­b­lie­ben wa­ren als die nie­ders­ten Men­schen­see­len. Sie wur­den die See­len der­je­ni­gen Ge­stal­ten, wel­che noch vor der Son­nen­t­ren­nung vom Men­schen ver­­las­sen wer­den muß­ten. Die­se We­sen sind die Vor­fah­ren des Tier­rei­ches. Sie ent­wi­ckel­ten im fer­nern Zei­ten­lauf be­son­­ders je­ne Or­ga­ne, wel­che beim Men­schen nur als An­häng­sel vor­han­den wa­ren. Ihr As­tral­leib muß­te auf den phy­si­schen

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und den Le­bens­leib so wir­ken, wie das beim Men­schen auf dem al­ten Mon­de der Fall war. Die so ent­stan­de­nen Tie­re hat­ten nun See­len, wel­che nicht in dem ein­zel­nen Tie­re woh­­nen konn­ten. Es dehn­te die See­le ihr We­sen auch auf den Nach­kömm­ling der Vor­fah­ren­ge­stalt aus. Es ha­ben die im we­sent­li­chen von ei­ner Ge­stalt ab­stam­men­den Tie­re zu­sam­­men ei­ne See­le. Nur wenn der Nach­kom­me sich durch be­­son­de­re Ein­flüs­se von der Ge­stalt der Vor­fah­ren ent­fernt, tritt ei­ne neue Tier­see­le in Ver­kör­pe­rung. Man kann in die­­sem Sin­ne bei den Tie­ren in der Geis­tes­wis­sen­schaft von ei­ner Art- (oder Gat­tungs-) oder auch Grup­pen­see­le re­den.

Et­was Ähn­li­ches ging vor zur Zeit der Tren­nung von Son­ne und Er­de. Aus dem wäs­se­ri­gen Ele­men­te her­au­s­t­ra­ten Ge­stal­ten, wel­che in ih­rer Ent­wi­cke­lung nicht wei­ter wa­ren als der Mensch vor der Ent­wi­cke­lung auf dem al­ten Mon­de. Sie konn­ten von ei­nem As­tra­li­schen nur ei­ne Wir­kung em­p­­fan­gen, wenn die­ses von au­ßen sie be­ein­fluß­te. Das konn­te erst nach dem Fort­gang der Son­ne von der Er­de ge­sche­hen. Je­des­mal, wenn die Son­nen­zeit der Er­de ein­t­rat, reg­te das As­tra­li­sche der Son­ne die­se Ge­stal­ten so an, daß sie aus dem Äthe­ri­schen der Er­de sich ih­ren Le­bens­leib bil­de­ten. Wenn dann die Son­ne sich ab­kehr­te von der Er­de, dann lös­te sich die­ser Le­bens­leib in dem all­ge­mei­nen Er­den­leib wie­der auf. Und als Fol­ge des Zu­sam­men­wir­kens des As­tra­li­schen von der Son­ne und des Äthe­ri­schen von der Er­de tauch­ten aus dem wäs­se­ri­gen Ele­men­te die phy­si­schen Ge­stal­ten auf. wel­che die Vor­fah­ren des ge­gen­wär­ti­gen Pflan­zen­reichs bil­de­ten.

Der Mensch ist auf der Er­de zu ei­nem in­di­vi­dua­li­sier­ten See­len­we­sen ge­wor­den. Sein As­tral­leib, wel­cher ihm auf dem Mon­de durch die «Geis­ter der Be­we­gung» ein­ge­f­los­sen war,

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hat sich auf der Er­de ge­g­lie­dert in Emp­fin­dungs-, Ver­stan­­des- und Be­wußt­s­eins­see­le. Und als sei­ne Be­wußt­s­eins­see­le so weit fort­ge­schrit­ten war, daß sie sich wäh­rend des Er­den­le­bens ei­nen da­zu ge­eig­ne­ten Leib bil­den konn­te, da be­gab­ten die «Geis­ter der Form» ihn mit dem Fun­ken aus ih­rem Feu­er. Es wur­de das «Ich» in ihm ent­facht. Je­des­mal, wenn der Mensch nun den phy­si­schen Leib ver­ließ, so war er in der geis­ti­gen Welt, in wel­cher er mit den We­sen zu­sam­men­traf, wel­che ihm wäh­rend der Sa­turn-, Son­nen- und Mon­­den­ent­wi­cke­lung sei­nen phy­si­schen Leib, sei­nen Le­bens­leib und sei­nen as­tra­li­schen Leib ge­ge­ben und bis zur Er­den­höhe aus­ge­bil­det hat­ten. Seit­dem der Feu­er­fun­ke des «Ich» sich im Er­den­le­ben ent­zün­det hat­te, war auch für das leib­f­reie Le­ben ei­ne Ve­r­än­de­rung ein­ge­t­re­ten. Vor die­sem Ent­wi­cke­­lungs­punk­te sei­nes We­sens hat­te der Mensch ge­gen­über der geis­ti­gen Welt kei­ne Selb­stän­dig­keit. Er fühl­te sich in­ner­halb die­ser geis­ti­gen Welt nicht wie ein ein­zel­nes We­sen, son­dern wie ein Glied in dem er­ha­be­nen Or­ga­nis­mus, der aus den über ihm ste­hen­den We­sen sich zu­sam­men­setz­te. Das «Ich-Er­leb­nis» auf Er­den wirkt nun auch in die geis­ti­ge Welt hin­ein nach. Der Mensch fühlt sich nun­mehr auch in ei­nem ge­wis­sen Gra­de als Ein­heit in die­ser Welt. Aber er emp­fin­det auch, daß er un­auf­hör­lich ver­bun­den ist mit der­­sel­ben Welt. Er fin­det im leib­f­rei­en Zu­stand die «Geis­ter der Form» in ei­ner höhe­ren Ge­stalt wie­der, die er in ih­rer Of­fen­ba­rung auf der Er­de durch den Fun­ken sei­nes «Ich» wahr­ge­nom­men hat.

Mit der Tren­nung des Mon­des von der Er­de bil­de­ten sich auch in der geis­ti­gen Welt Er­leb­nis­se für die leib­f­reie See­le her­aus, wel­che mit die­ser Tren­nung zu­sam­men­hin­gen. Es wur­de ja nur da­durch mög­lich, sol­che Men­schen­ge­stal­ten

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auf der Er­de fort­zu­bil­den, wel­che die In­di­vi­dua­li­tät der See­le auf­neh­men konn­ten, daß ein Teil der ge­stal­ten­den Kräf­te von der Er­de auf den Mond über­ge­führt wur­de. Da­­durch ist die Men­schen­in­di­vi­dua­li­tät in den Be­reich der Mon­den­we­sen ge­kom­men. Und es konn­te im leib­f­rei­en Zu­­­stan­de der Nach­klang an die Er­den­in­di­vi­dua­li­tät nur da­durch wir­ken, daß auch für die­sen Zu­stand die See­le im Be­reich der mäch­ti­gen Geis­ter blieb, wel­che die Mond­ab­t­ren­nung her­bei­ge­führt hat­ten. Der Vor­gang bil­de­te sich so her­aus, daß un­mit­tel­bar nach dem Ver­las­sen des Er­den­lei­­bes die See­le nur wie in ei­nem von den Mon­den­we­sen zu­­rück­ge­wor­fe­nen Glanz die ho­hen Son­nen­we­sen se­hen konn­te. Erst, wenn sie durch das Schau­en die­ses Ab­glan­zes ge­nü­gend vor­be­rei­tet war, kam die See­le zum An­blick der ho­hen Son­­nen­we­sen selbst.

Auch das Mi­ne­ral­reich der Er­de ist durch Aus­sto­ßung aus der all­ge­mei­nen Mensch­heits­ent­wi­cke­lung ent­stan­den. Sei­ne Ge­bil­de sind das­je­ni­ge, was ver­fes­tigt ge­b­lie­ben ist, als der Mond sich von der Er­de trenn­te. Zu die­sen Ge­bil­den fühl­te sich vom See­len­haf­ten nur das­je­ni­ge hin­ge­zo­gen, was auf der Sa­turn­stu­fe ste­hen­ge­b­lie­ben war, was al­so nur ge­eig­net ist, phy­si­sche For­men zu bil­den. Al­le Er­eig­nis­se, von de­nen hier und im fol­gen­den die Re­de ist, spiel­ten sich im Lau­fe ge­wal­tig lan­ger Zei­träu­me ab. Doch kann auf Zeit­be­stim­­mun­gen hier nicht ein­ge­gan­gen wer­den.

Die ge­schil­der­ten Vor­gän­ge stel­len die Er­den­ent­wi­cke­­lung von der äu­ße­ren Sei­te dar; von der Sei­te des Geis­tes be­trach­tet, er­gibt sich das Fol­gen­de. Die geis­ti­gen We­sen­hei­ten, wel­che den Mond aus der Er­de her­aus­zo­gen und ihr ei­ge­nes Da­sein mit dem Mon­de ver­ban­den al­so Er­den-­Mon­den­we­sen wur­den , be­wirk­ten durch die Kräf­te, die

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sie von dem letz­te­ren Welt­kör­per aus auf die Er­de sand­ten, ei­ne ge­wis­se Ge­stal­tung der men­sch­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­on. Ih­re Wir­kung ging auf das vom Men­schen er­wor­be­ne «Ich». In dem Zu­sam­men­spiel die­ses «Ich» mit As­tral­leib, Äther­leib und phy­si­schem Leib mach­te sich die­se Wir­kung gel­tend. Durch sie ent­stand im Men­schen die Mög­lich­keit, die weis­heits­vol­le Ge­stal­tung der Welt in sich be­wußt zu spie­geln, sie ab­zu­bil­den wie in ei­ner Er­kennt­nis­spie­ge­lung. Man er­in­ne­re sich, wie ge­schil­dert wor­den ist, daß wäh­rend der al­ten Mon­den­zeit der Mensch durch die da­ma­li­ge Ab­t­ren­­nung von der Son­ne in sei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on ei­ne ge­wis­se Selb­stän­dig­keit, ei­nen freie­ren Grad des Be­wußt­seins er­wor­ben hat, als der war, wel­cher un­mit­tel­bar von den Son­­nen­we­sen aus­ge­hen konn­te. Die­ses freie, selb­stän­di­ge Be­wußt­sein trat als Er­be der al­ten Mon­den­ent­wi­cke­lung wie­der auf wäh­rend der cha­rak­te­ri­sier­ten Zeit der Er­den­ent­wi­cke­lung. Es konn­te aber ge­ra­de die­ses Be­wußt­sein, durch den Ein­fluß der ge­kenn­zeich­ne­ten Er­den-Mon­den­­we­sen wie­der zum Ein­klan­ge mit dem Wel­tall ge­bracht, zu ei­nem Ab­bil­de des­sel­ben ge­macht wer­den. Das wä­re ge­sche­hen, wenn sich kein an­de­rer Ein­fluß gel­tend ge­macht hät­te. Oh­ne ei­nen sol­chen wä­re der Mensch ein We­sen ge­wor­den mit ei­nem Be­wußt­sein, des­sen In­halt wie durch Na­tur­no­t­wen­dig­keit, nicht durch sein frei­es Ein­g­rei­fen die Welt in den Bil­dern des Er­kennt­nis­le­bens ge­spie­gelt hät­te. Es ist die­ses nicht so ge­wor­den. Es grif­fen in die Ent­wi­cke­lung des Men­schen ge­ra­de zur Zeit der Mon­den­ab­spal­tung ge­wis­se geis­ti­ge We­sen­hei­ten ein, wel­che von ih­rer Mon­den­na­tur so viel zu­rück­be­hal­ten hat­ten, daß sie nicht teil­neh­men kon­n­­ten an dem Hin­aus­gang der Son­ne aus der Er­de. Und daß sie auch aus­ge­sch­los­sen wa­ren von den Wir­kun­gen der We­­sen,

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wel­che vom Er­den-Mon­de aus zur Er­de hin sich tä­tig er­wie­sen. Die­se We­sen mit der al­ten Mon­den­na­tur wa­ren ge­wis­ser­ma­ßen mit un­re­gel­mä­ß­i­ger Ent­wi­cke­lung auf die Er­de ge­bannt. In ih­rer Mond­na­tur lag ge­ra­de das, was wäh­rend der al­ten Mon­den­ent­wi­cke­lung sich ge­gen die Son­nen­geis­ter auf ge­lehnt hat­te, was da­mals dem Men­schen in­so­fern zum Se­gen war, als durch es der Mensch zu ei­nem selb­stän­­di­gen, frei­en Be­wußt­s­eins­zu­stand ge­führt wor­den war. Die Fol­gen der ei­gen­ar­ti­gen Ent­wi­cke­lung die­ser We­sen wäh­rend der Er­den­zeit brach­ten es mit sich, daß sie wäh­rend der­sel­­ben zu Geg­nern wur­den der­je­ni­gen We­sen, die vom Mon­de aus das men­sch­li­che Be­wußt­sein zu ei­nem not­wen­di­gen Er­kennt­nis­spie­gel der Welt ma­chen woll­ten. Was auf dem al­ten Mon­de dem Men­schen zu ei­nem höhe­ren Zu­stan­de ver­half, er­gab sich als das Wi­der­st­re­ben­de ge­gen­über der Ein­rich­tung, wel­che durch die Er­den­ent­wi­cke­lung mög­lich ge­wor­den war. Die wi­der­st­re­ben­den Mäch­te hat­ten sich aus ih­rer Mon­den­na­tur die Kraft mit­ge­bracht, auf den men­sch­­li­chen As­tral­leib zu wir­ken, näm­lich im Sin­ne der obi­gen Dar­le­gun­gen die­sen selb­stän­dig zu­ma­chen. Sie üb­ten die­se Kraft aus, in­dem sie die­sem As­tral­leib ei­ne ge­wis­se Sel­b­­stän­dig­keit auch nun­mehr für die Er­den­zeit ga­ben ge­gen­­über dem not­wen­di­gen (un­f­rei­en) Be­wußt­s­eins­zu­stan­de, wel­cher durch die We­sen des Er­den­mon­des be­wirkt wur­de. Es ist schwie­rig, mit gang­ba­ren Wor­ten zum Aus­dru­cke zu brin­gen, wie die Wir­kun­gen der cha­rak­te­ri­sier­ten geis­ti­gen We­sen­hei­ten auf den Men­schen in der ge­kenn­zeich­ne­ten Ur­­zeit wa­ren. Man darf sie we­der den­ken wie ge­gen­wär­ti­ge Na­tur-Ein­flüs­se, noch et­wa so, wie die Wir­kung des ei­nen Men­schen auf den an­dern ge­schieht, wenn der ers­te­re in dem zwei­ten durch Wor­te in­ne­re Be­wußt­s­eins­kräf­te wach­ruft,

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wo­durch der zwei­te et­was ver­ste­hen lernt oder zu ei­ner Tu­­gend oder Un­tu­gend an­ge­regt wird. Die ge­mein­te Wir­kung in der Ur­zeit war kei­ne Na­tur­wir­kung, son­dern ein gei­s­ti­ger Ein­fluß, aber ein sol­cher, der auch geis­tig wirk­te, der sich als geis­ti­ger über­trug von den höhe­ren Geist­we­sen auf den Men­schen ge­mäß dem da­ma­li­gen Be­wußt­s­eins­zu­stan­de die­ses Men­schen. Wenn man die Sa­che wie ei­ne Na­tur­wir­kung denkt, so trifft man ganz und gar nicht ih­re wah­re We­sen­heit. Wenn man da­ge­gen sagt, die We­sen­hei­ten mit der al­ten Mon­den­na­tur tra­ten an den Men­schen heran, um ihn für ih­re Zie­le «ver­füh­r­end» zu ge­win­nen, so ge­braucht man ei­nen sym­bo­li­schen Aus­druck, der gut ist, so­lan­ge man sich sei­ner Sinn­bild­lich­keit be­wußt bleibt und sich zu­g­leich klar ist, daß hin­ter dem Sym­bol ei­ne geis­ti­ge Tat­sa­che steht.

Die Wir­kung, die von den im Mon­den­zu­stand zu­rück­ge­­b­lie­be­nen Geist­we­sen auf den Men­schen aus­ging, hat­te nun für die­sen ein Zwei­fa­ches zur Fol­ge. Sein Be­wußt­sein wur­de da­durch des Cha­rak­ters ei­nes blo­ßen Spie­gels des Wel­talls ent­k­lei­det, weil im men­sch­li­chen As­tral­lei­be die Mög­lich­keit er­regt wur­de, von die­sem aus die Be­wußt­s­eins­bil­der zu re­geln und zu be­herr­schen. Der Mensch wur­de der Herr sei­ner Er­kennt­nis. And­rer­seits aber wur­de der Aus­gangs­­­punkt die­ser Herr­schaft eben der As­tral­leib; und das die­sem über­ge­ord­ne­te «Ich» kam da­durch in ste­ti­ge Ab­hän­gig­keit von ihm. Da­durch ward der Mensch in der Zu­kunft den fort­dau­ern­den Ein­flüs­sen ei­nes nie­de­ren Ele­men­tes in sei­ner Na­tur aus­ge­setzt. Er konn­te in sei­nem Le­ben un­ter die Höhe her­ab­sin­ken, auf die er durch die Er­den-Mon­den­we­sen im Wel­ten­gan­ge ge­s­tellt war. Und es blieb für die Fol­ge­zeit für ihn der fort­dau­ern­de Ein­fluß der cha­rak­te­ri­sier­ten un­re­gel­­mä­ß­ig ent­wi­ckel­ten Mond­we­sen auf sei­ne Na­tur be­ste­hen.

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Man kann die­se Mond­we­sen im Ge­gen­satz zu den an­dern, wel­che vom Er­den­mon­de aus das Be­wußt­sein zum Wel­ten­spie­gel form­ten, aber kei­nen frei­en Wil­len ga­ben, die lu­zi­­fe­ri­schen Geis­ter nen­nen. Die­se brach­ten dem Men­schen die Mög­lich­keit, in sei­nem Be­wußt­sein ei­ne freie Tä­tig­keit zu ent­fal­ten, da­mit aber auch die Mög­lich­keit des Irr­tums, des Bö­sen.

Die Fol­ge die­ser Vor­gän­ge war, daß der Mensch in ein an­de­res Ver­hält­nis zu den Son­nen­geis­tern kam, als ihm vor­­­be­stimmt war durch die Er­den-Mond­geis­ter. Die­se woll­ten den Spie­gel sei­nes Be­wußt­seins so ent­wi­ckeln, daß im gan­­zen men­sch­li­chen See­len­le­ben der Ein­fluß der Son­nen­geis­ter das Be­herr­schen­de ge­we­sen wä­re. Die­se Vor­gän­ge wur­den durch­k­reuzt und im Men­schen­we­sen der Ge­gen­satz ge­schaf­­fen zwi­schen dem Son­nen­geist-Ein­fluß und dem Ein­fluß der Geis­ter mit un­re­gel­mä­ß­i­ger Mon­den­ent­wi­cke­lung. Durch die­sen Ge­gen­satz ent­stand im Men­schen auch das Un­ver­­­mö­gen, die phy­si­schen Son­nen­wir­kun­gen als sol­che zu er­ken­nen; sie blie­ben ihm ver­bor­gen hin­ter den ir­di­schen Ein­drü­cken der Au­ßen­welt. Das As­tra­li­sche im Men­schen, er­füllt von die­sen Ein­drü­cken, wur­de in den Be­reich des «Ich» ge­zo­gen. Die­ses «Ich», wel­ches sonst nur den ihm von den «Geis­tern der Form» ver­lie­he­nen Fun­ken des Feu­ers ver­spürt hät­te und in al­lem, was das äu­ße­re Feu­er be­traf, sich den Ge­bo­ten die­ser Geis­ter un­ter­ge­ord­net hät­te, wirk­te nun­mehr auch durch das ihm selbst ein­ge­impf­te Ele­ment auf die äu­ße­ren Wär­me-Er­schei­nun­gen. Es stell­te da­durch ein An­zie­hungs­band her zwi­schen sich und dem Er­den­feu­er. Da­durch ver­s­trick­te es den Men­schen mehr, als das ihm vor­­­be­stimmt war, in die ir­di­sche Stof­f­lich­keit. Wäh­rend er vor­­her ei­nen phy­si­schen Leib hat­te, der in sei­nen Haupt­tei­len aus

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Feu­er, Luft und Was­ser be­stand und dem nur et­was wie ein Schat­ten­bild von Erd­sub­stanz bei­ge­setzt war, wur­de jetzt der Leib aus Er­de dich­ter. Und wäh­rend vor­her der Mensch mehr als ein fein­or­ga­ni­sier­tes We­sen über dem fes­ten Erd­bo­den in ei­ner Art schwim­mend-schwe­ben­der Be­we­gung war, muß­te er nun­mehr «aus dem Er­de­n­um­kreis» her­ab­s­tei­gen auf Tei­le der Er­de, die schon mehr oder we­ni­ger ver­fes­tigt wa­ren.

Daß sol­che phy­si­sche Wir­kun­gen der ge­schil­der­ten gei­s­ti­gen Ein­flüs­se ein­t­re­ten konn­ten, er­klärt sich dar­aus, daß die­se Ein­flüs­se der­art wa­ren, wie es oben ge­schil­dert wor­den ist. Sie wa­ren eben we­der Na­tu­r­ein­flüs­se noch sol­che, die see­lisch von Mensch zu Mensch wir­ken. Die letz­te­ren er­­st­re­cken ih­re Wir­kung nicht so weit ins Kör­per­li­che wie die geis­ti­gen Kräf­te, wel­che hier in Be­tracht kom­men.

Weil der Mensch nach sei­nen ei­ge­nen, dem Irr­tum un­ter­wor­fe­nen Vor­stel­lun­gen sich den Ein­flüs­sen der Au­ßen­welt aus­setz­te, weil er nach Be­gier­den und Lei­den­schaf­ten leb­te, wel­che er nicht nach höhe­ren geis­ti­gen Ein­flüs­sen re­geln ließ, trat die Mög­lich­keit von Krank­hei­ten auf. Ei­ne be­son­de­re Wir­kung des lu­zi­fe­ri­schen Ein­flus­ses war aber die­je­ni­ge, daß nun­mehr der Mensch sein ein­zel­nes Er­den­le­ben nicht wie ei­ne Fort­set­zung des leib­f­rei­en Da­seins füh­len konn­te. Er nahm nun­mehr sol­che Er­den­ein­drü­cke auf, wel­che durch das ein­ge­impf­te as­tra­li­sche Ele­ment er­lebt wer­den konn­ten und wel­che mit den Kräf­ten sich ver­ban­den, wel­che den phy­­si­schen Leib zer­stö­ren. Das emp­fand der Mensch als Ab­s­ter­ben sei­nes Er­den­le­bens. Und der durch die men­sch­li­che Na­tur selbst be­wirk­te «Tod» trat da­durch auf. Da­mit ist auf ein be­deut­sa­mes Ge­heim­nis in der Men­schen­na­tur ge­­deu­tet, auf den Zu­sam­men­hang des men­sch­li­chen As­tral­­lei­bes mit den Krank­hei­ten und dem To­de.

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Für den men­sch­li­chen Le­bens­leib tra­ten nun be­son­de­re Ver­hält­nis­se ein. Er wur­de in ein sol­ches Ver­hält­nis zwi­schen phy­si­schem Leib und As­tral­leib hin­ein­ge­g­lie­dert, daß er in ge­wis­ser Be­zie­hung den Fähig­kei­ten entzo­gen wur­de, wel­che sich der Mensch durch den lu­zi­fe­ri­schen Ein­fluß an­­ge­eig­net hat­te. Ein Teil die­ses Le­bens­lei­bes blieb au­ßer dem phy­si­schen Lei­be so, daß er nur von höhe­ren We­sen­hei­ten, nicht von dem men­sch­li­chen Ich be­herrscht wer­den konn­te. Die­se höhe­ren We­sen­hei­ten wa­ren die­je­ni­gen, wel­che bei der Son­nen­t­ren­nung die Er­de ver­las­sen hat­ten, um un­ter der Füh­rung ei­nes ih­rer er­ha­be­nen Ge­nos­sen ei­nen an­dern Wohn­­sitz ein­zu­neh­men. Wä­re der cha­rak­te­ri­sier­te Teil des Le­bens­lei­bes mit dem as­tra­li­schen Lei­be ve­r­ei­nigt ge­b­lie­ben, so hät­te der Mensch über­sinn­li­che Kräf­te, die ihm vor­her ei­gen wa­ren, in sei­nen ei­ge­nen Di­enst ge­s­tellt. Er hät­te den lu­zi­fe­ri­schen Ein­fluß auf die­se Kräf­te aus­ge­dehnt. Da­durch hät­te sich der Mensch all­mäh­lich ganz von den Son­nen­we­sen­hei­ten los­ge­löst. Und sein Ich wä­re zu ei­nem völ­li­gen Er­den-Ich ge­wor­den. Es hät­te so kom­men müs­sen, daß die­ses Er­den-Ich nach dem To­de des phy­si­schen Lei­bes (be­zie­hungs­­wei­se schon bei des­sen Ver­fall) ei­nen an­dern phy­si­schen Leib, ei­nen Nach­kom­men-Leib, be­wohnt hät­te, oh­ne durch ei­ne Ver­bin­dung mit höhe­ren geis­ti­gen We­sen­hei­ten in ei­nem leib­f­rei­en Zu­stand hin­durch­zu­ge­hen. Der Mensch wä­re so zum Be­wußt­sein sei­nes Ich, aber nur als ei­nes «ir­di­schen Ich» ge­kom­men. Das wur­de ab­ge­wen­det durch je­nen Vor­­­gang mit dem Le­bens­lei­be, der durch die Erd­mon­den­we­sen be­wirkt wur­de. Das ei­gent­li­che in­di­vi­du­el­le Ich wur­de da­­durch so los­ge­löst vom blo­ßen Er­den-Ich, daß der Mensch sich wäh­rend des Er­den­le­bens al­ler­dings nur teil­wei­se als ei­ge­nes Ich fühl­te; zu­g­leich fühl­te er, wie sein Er­den-Ich

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ei­ne Fort­set­zung war des Er­den-Ichs sei­ner Vor­fah­ren durch die Ge­ne­ra­tio­nen hin­durch. Die See­le fühl­te im Er­den­le­ben ei­ne Art «Grup­pen-Ich» bis zu den fer­nen Ah­nen, und der Mensch emp­fand sich als Glied der Grup­pe. In dem leib­f­rei­en Zu­stand konn­te das in­di­vi­du­el­le Ich sich erst als Ein­­zel-We­sen füh­len. Aber der Zu­stand die­ser Ve­r­ein­ze­lung war da­durch be­ein­träch­tigt, daß das Ich mit der Er­in­ne­rung an das Er­den­be­wußt­sein (Er­den-Ich) be­haf­tet blieb. Das tr­üb­te den Blick für die geis­ti­ge Welt, die an­fing, sich zwi­­schen Tod und Ge­burt ähn­lich mit ei­nem Sch­lei­er zu ver­­­de­cken wie für den phy­si­schen Blick auf Er­den.

Der phy­si­sche Aus­druck all der Ve­r­än­de­run­gen, wel­che in der geis­ti­gen Welt ge­scha­hen, wäh­rend die Men­schen­ent­wi­cke­lung durch die ge­schil­der­ten Ver­hält­nis­se hin­durch­ging, war die all­mäh­li­che Re­ge­lung der ge­gen­sei­ti­gen Be­zie­hun­gen von Son­ne, Mond und Er­de (und im wei­te­ren Sin­ne noch an­de­rer Him­mels­kör­per). Von die­sen Be­zie­hun­gen sei als ei­ne Fol­ge der Wech­sel von Tag und Nacht her­vor­ge­ho­ben. (Die Be­we­gun­gen der Him­mels­kör­per wer­den durch die sie be­woh­nen­den We­sen ge­re­gelt. Die Be­we­gung der Er­de, durch wel­che Tag und Nacht ent­ste­hen, wur­de durch das Wech­sel­ver­hält­nis der ver­schie­de­nen über den Men­schen ste­hen­den Geis­ter be­wirkt. Eben­so war auch die Be­we­gung des Mon­­des zu­stan­de­ge­kom­men, da­mit nach der Tren­nung des Mon­­des von der Er­de, durch die Um­dre­hung des ers­ten um die zwei­te, die «Geis­ter der Form» auf den phy­si­schen Men­­schen­leib in der rech­ten Art, in dem rich­ti­gen Rhyth­mus, wir­ken konn­ten.) Bei Tag wirk­ten nun das Ich und der as­tra­li­sche Leib des Men­schen in dem phy­si­schen und dem Le­bens­leib. Bei Nacht hör­te die­se Wir­kung auf. Da tra­ten das Ich und der as­tra­li­sche Leib aus dem phy­si­schen und

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dem Le­bens­lei­be her­aus. Sie ka­men in die­ser Zeit ganz in den Be­reich der «Söh­ne des Le­bens» (En­gel), der «Feu­er­geis­ter» (Erz­en­gel), der «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» und der «Geis­ter der Form». Den phy­si­schen Leib und den Le­bens­leib faß­ten in die­ser Zeit au­ßer den «Geis­tern der Form» noch die «Geis­ter der Be­we­gung», die «Geis­ter der Weis­heit» und die «Thro­ne» in ihr Wir­kungs­ge­biet. So konn­ten die schäd­li­chen Ein­wir­kun­gen, wel­che wäh­rend des Ta­ges durch die Irr­tü­mer des as­tra­li­schen Lei­bes auf den Men­schen aus­ge­übt wur­den, wie­der aus­ge­bes­sert wer­den.

In­dem sich nun die Men­schen auf der Er­de wie­der ver­­­mehr­ten, war in den Nach­kom­men kein Grund mehr, daß nicht Men­schen­see­len in ih­nen zur Ver­kör­pe­rung hät­ten sch­rei­ten sol­len. So wie jetzt die Erd­mon­den­kräf­te wirk­ten, ge­stal­te­ten sich un­ter ih­rem Ein­flus­se die Men­schen­lei­ber durch­aus ge­eig­net zur Ver­kör­pe­rung von Men­schen­see­len. Und es wur­den jetzt die vor­her auf den Mars, den Ju­pi­ter usw. ent­rück­ten See­len auf die Er­de ge­lenkt. Es war da­durch für je­den Men­schen­nach­kom­men, der in der Ge­ne­ra­tio­nen­fol­ge ge­bo­ren wur­de, ei­ne See­le da. Das dau­er­te so durch lan­ge Zei­ten hin­durch, so daß der See­len­zu­zug auf der Er­de der Ver­meh­rung der Men­schen ent­sprach. Die­je­ni­gen See­­len, wel­che nun mit dem Er­den­to­de den Leib ver­lie­ßen, be­hiel­ten für den leib­f­rei­en Zu­stand den Nach­klang der ir­di­schen In­di­vi­dua­li­tät wie ei­ne Er­in­ne­rung zu­rück. Die­se Er­in­ne­rung wirk­te so, daß sie, wenn wie­der ein ih­nen en­t­­­sp­re­chen­der Leib auf der Er­de ge­bo­ren wur­de, sich wie­der in ei­nem sol­chen ver­kör­per­ten. Inn­er­halb der men­sch­li­chen Nach­kom­men­schaft gab es in der Fol­ge sol­che Men­schen, wel­che von au­ßen kom­men­de See­len hat­ten, die zum ers­ten Ma­le wie­der nach den ers­ten Zei­ten der Er­de auf die­ser er­schie­nen,

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und an­de­re mit ir­disch wie­der­ver­kör­per­ten See­len. Im­mer we­ni­ger wer­den nun in der Fol­ge­zeit der Er­den­ent­wi­cke­lung die zum ers­ten Ma­le er­schie­ne­nen jun­gen See­len und im­mer mehr die wie­der­ver­kör­per­ten. Doch be­stand das Men­schen­ge­sch­lecht für lan­ge Zei­ten aus den durch die­se Tat­sa­chen be­ding­ten bei­den Men­schen­ar­ten. Auf der Er­de emp­fand sich der Mensch nun­mehr durch das ge­mein­sa­me Grup­pen-Ich mit sei­nen Vor­fah­ren ver­bun­den. Das Er­­leb­nis des in­di­vi­du­el­len Ich war da­für um­so stär­ker im leib­f­rei­en Zu­stan­de zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt. Die­je­ni­gen See­len, wel­che, vom Him­mels­rau­me kom­­mend, in Men­schen­lei­bern ein­zo­gen, wa­ren in ei­ner an­dern La­ge als die­je­ni­gen, wel­che be­reits ein oder meh­re­re Er­den­le­ben hin­ter sich hat­ten. Die ers­te­ren brach­ten für das phy­­si­sche Er­den­le­ben als See­len nur die Be­din­gun­gen mit, wel­chen sie durch die höhe­re geis­ti­ge Welt und durch ih­re au­ßer dem Er­den­be­rei­che ge­mach­ten Er­leb­nis­se un­ter­wor­fen wa­­ren. Die an­dern hat­ten in frühe­ren Le­ben selbst Be­din­gun­­gen hin­zu­ge­fügt. Das Schick­sal je­ner See­len war nur von Tat­sa­chen be­stimmt, die au­ßer­halb der neu­en Er­den­ver­häl­t­­nis­se la­gen. Das­je­ni­ge der wie­der­ver­kör­per­ten See­len ist auch durch das­je­ni­ge be­stimmt, was sie selbst in frühe­ren Le­ben un­ter den ir­di­schen Ver­hält­nis­sen ge­tan ha­ben. Mit der Wie­der­ver­kör­pe­rung trat zu­g­leich das men­sch­li­che Ein­­zel-Kar­ma in die Er­schei­nung. Da­durch, daß der men­sch­li­che Le­bens­leib dem Ein­flus­se des As­tral­lei­bes in der oben an­ge­deu­te­ten Art entzo­gen wur­de, trat auch das Fortpflan­zungs­ver­hält­nis nicht in den Um­kreis des men­sch­li­chen Be­wußt­seins, son­dern es stand un­ter der Herr­schaft der gei­s­ti­gen Welt. Wenn sich ei­ne See­le nie­der­sen­ken soll­te auf den Erd­kreis, dann tra­ten die Im­pul­se für die Fortpfl­an­zung

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beim Er­den­men­schen auf. Der gan­ze Vor­gang war bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de für das ir­di­sche Be­wußt­sein in ein ge­heim­nis­vol­les Dun­kel ge­hüllt. Aber auch wäh­rend des Er­den­le­bens tra­ten die Fol­gen die­ser teil­wei­sen Tren­nung des Le­bens­lei­bes vom phy­si­schen Lei­be ein. Es konn­ten die Fähig­kei­ten die­ses Le­bens­lei­bes durch den geis­ti­gen Ein­fluß be­son­ders er­höht wer­den. Für das See­len­le­ben mach­te sich dies da­durch gel­tend, daß das Ge­dächt­nis sei­ne be­son­de­re Aus­bil­dung er­hielt. Das selb­stän­di­ge lo­gi­sche Den­ken war in die­ser Zeit des Men­schen nur in den al­le­r­ers­ten An­fän­gen. Da­für war die Er­in­ne­rungs­fähig­keit fast gren­zen­los. Nach au­ßen zeig­te sich, daß der Mensch ei­ne un­mit­tel­ba­re ge­­fühls­mä­ß­i­ge Er­kennt­nis von den Wir­kungs­kräf­ten al­les Le­ben­di­gen hat­te. Er konn­te die Kräf­te des Le­bens und der Fortpfl­an­zung der tie­ri­schen und na­ment­lich pflanz­li­chen Na­tur in sei­nen Di­enst stel­len. Was die Pflan­ze an­t­reibt zum Wach­sen, das zum Bei­spiel konn­te der Mensch aus der Pflan­ze her­aus­zie­hen und es ver­wen­den, wie ge­gen­wär­tig die Kräf­te der le­b­lo­sen Na­tur, zum Bei­spiel die in den Stein­koh­len schlum­mern­de Kraft aus die­ser her­aus­ge­zo­gen und da­zu ver­wen­det wird, Ma­schi­nen zu be­we­gen. (Nähe­res über die­se Sa­che fin­det man in mei­ner klei­nen Schrift «Un­­se­re at­lan­ti­schen Vor­fah­ren».) Auch das in­ne­re See­len­le­ben des Men­schen ve­r­än­der­te sich durch den lu­zi­fe­ri­schen Ein­fluß in der man­nig­fal­tigs­ten Art. Es könn­ten vie­le Ar­ten von Ge­füh­len und Emp­fin­dun­gen an­ge­führt wer­den, wel­che da­durch ent­stan­den sind. Nur ei­ni­ges mag er­wähnt wer­den. Bis zu die­sem Ein­flus­se hin wirk­te die Men­schen­see­le in dem, was sie zu ge­stal­ten und zu tun hat­te, im Sin­ne der Ab­si­ch­­ten höhe­rer geis­ti­ger We­sen­hei­ten. Der Plan zu al­lem, was aus­ge­führt wer­den soll­te, war von vorn­he­r­ein be­stimmt.

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Und in dem Gra­de, als das men­sch­li­che Be­wußt­sein über­haupt ent­wi­ckelt war, konn­te es auch vor­aus­se­hen, wie sich in der Zu­kunft die Din­ge nach dem vor­ge­faß­ten Pla­ne en­t­­wi­ckeln müs­sen. Die­ses vor­aus­schau­en­de Be­wußt­sein ging ver­lo­ren, als sich vor die Of­fen­ba­rung der höhe­ren geis­ti­gen We­sen­hei­ten der Sch­lei­er der ir­di­schen Wahr­neh­mun­gen hin­wob und in ih­nen die ei­gent­li­chen Kräf­te der Son­nen­we­sen sich ver­bar­gen. Un­ge­wiß wur­de nun­mehr die Zu­kunft. Und da­mit pflanz­te sich der See­le die Mög­lich­keit des Furcht­ge­­füh­l­es ein. Die Furcht ist ei­ne un­mit­tel­ba­re Fol­ge des Ir­r­­tums. Man sieht aber auch, wie mit dem lu­zi­fe­ri­schen Ein­flus­se der Mensch un­ab­hän­gig wur­de von be­stimm­ten Kräf­­ten, de­nen er vor­her wil­len­los hin­ge­ge­ben war. Er konn­te nun­mehr aus sich her­aus Ent­schlüs­se fas­sen. Die Frei­heit ist das Er­geb­nis die­ses Ein­flus­ses. Und die Furcht und ähn­li­che Ge­füh­le sind nur Be­g­lei­t­er­schei­nun­gen der Ent­wi­cke­lung des Men­schen zur Frei­heit.

Geis­tig an­ge­se­hen stellt sich das Auf­t­re­ten der Furcht so, daß inn­er­halb der Er­den­kräf­te, un­ter de­ren Ein­fluß der Mensch durch die lu­zi­fe­ri­schen Mäch­te ge­langt war, an­de­re Mäch­te wirk­sam wa­ren, die viel früh­er im Ent­wi­cke­lungs­­lau­fe als die lu­zi­fe­ri­schen Un­re­gel­mä­ß­ig­keit an­ge­nom­men hat­ten. Mit den Er­den­kräf­ten nahm der Mensch die Ein­flüs­se die­ser Mäch­te in sein We­sen he­r­ein. Sie ga­ben Ge­füh­­len, die oh­ne sie ganz an­ders ge­wirkt hät­ten, die Ei­gen­schaft der Furcht. Man kann die­se We­sen­hei­ten die ah­ri­ma­ni­schen nen­nen; sie sind die­sel­ben, die in Goe­thes Sin­ne me­phi­­sto­phe­lisch ge­nannt wer­den.

Wenn nun auch der lu­zi­fe­ri­sche Ein­fluß sich zu­nächst nur bei den fort­ge­schrit­tens­ten Men­schen gel­tend ge­macht hat, so dehn­te er sich doch bald auch über an­de­re aus. Es ver­­­misch­ten

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sich die Nach­kom­men der fort­ge­schrit­te­nen mit den oben cha­rak­te­ri­sier­ten we­ni­ger fort­ge­schrit­te­nen. Da­durch drang die lu­zi­fe­ri­sche Kraft auch zu den letz­te­ren. Aber der Le­bens­leib der von den Pla­ne­ten zu­rück­keh­ren­den See­len konn­te nicht in dem­sel­ben Gra­de ge­schützt wer­den wie der­je­ni­ge, wel­chen die Nach­kom­men der auf der Er­de ver­b­lie­be­nen hat­ten. Der Schutz die­ses letz­te­ren ging von ei­nem ho­hen We­sen aus, wel­ches im Kos­mos die Füh­rung da­mals hat­te, als sich die Son­ne von der Er­de trenn­te. Die­ses We­sen er­scheint auf dem Ge­bie­te, das hier be­trach­tet wird, als der Herr­scher im Son­nen­rei­che. Mit ihm zo­gen die­je­ni­gen er­ha­be­nen Geis­ter zum Son­nen­wohn­plat­ze, wel­che durch ih­re kos­mi­sche Ent­wi­cke­lung die Rei­fe da­zu er­langt hat­ten. Es gab aber auch sol­che We­sen, wel­che bei der Son­nen­t­ren­nung zu sol­cher Höhe nicht ge­s­tie­gen wa­ren. Sie muß­ten sich an­­de­re Schau­plät­ze su­chen. Sie wa­ren es eben, durch die es kam, daß aus je­ner ge­mein­sa­men Wel­t­sub­stanz, wel­che an­­fäng­lich im phy­si­schen Er­den­or­ga­nis­mus war, sich der Ju­pi­ter und an­de­re Pla­ne­ten los­lös­ten. Der Ju­pi­ter wur­de der Wohn­platz sol­cher nicht zur Son­nen­höhe her­an­ge­reif­ter We­sen. Das vor­ge­schrit­tens­te wur­de der Füh­rer des Ju­pi­ter. Wie der Füh­rer der Son­nen­ent­wi­cke­lung das «höhe­re Ich» wur­de, das im Le­bens­lei­be der Nach­kom­men der auf Er­den ver­b­lie­be­nen Men­schen wirk­te, so wur­de die­ser Ju­pi­ter­füh­­rer das «höhe­re Ich», das sich wie ein ge­mein­sa­mes Be­wußt­sein durch die Men­schen hin­durch­zog, wel­che ab­stamm­ten von ei­ner Ver­mi­schung von Spröß­lin­gen der auf Er­den ver­­b­lie­be­nen mit sol­chen Men­schen, die in der oben ge­schil­der­­ten Art erst auf der Er­de in der Zeit des Luf­t­e­le­men­tes auf­­­ge­t­re­ten und zum Ju­pi­ter über­ge­gan­gen wa­ren. Man kann im Sin­ne der Geis­tes­wis­sen­schaft sol­che Men­schen «Ju­pi­ter­men­schen»

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nen­nen. Es wa­ren das Men­schen­nach­kömm­lin­ge, wel­che in je­ner al­ten Zeit noch Men­schen­see­len auf­ge­nom­­men hat­ten; doch sol­che, die, beim Be­ginn der Er­de­n­en­t­wi­cke­lung die ers­te Be­rüh­rung mit dem Feu­er mit­zu­ma­chen, noch nicht reif ge­nug wa­ren. Es wa­ren See­len zwi­schen dem Men­schen- und dem Tier­see­len­reich. Es gibt nun auch We­sen, wel­che sich un­ter der Füh­rung ei­nes höchs­ten aus der ge­mein­sa­men Wel­t­sub­stanz den Mars als Wohn­platz aus­ge­son­dert hat­ten. Un­ter ih­ren Ein­fluß kam ei­ne drit­te Art von Men­schen, die durch Ver­mi­schung ent­stan­den wa­ren, die «Mars­men­schen». (Es fällt von die­sen Er­kennt­nis­sen aus ein Licht auf die Ur­grün­de der Pla­ne­ten­ent­ste­hung un­­se­res Son­nen­sys­tems. Denn al­le Kör­per die­ses Sys­tems sind ent­stan­den durch die ver­schie­de­nen Rei­fe­zu­stän­de der sie be­woh­nen­den We­sen. Doch kann hier na­tür­lich nicht auf al­le Ein­zel­hei­ten der kos­mi­schen Glie­de­run­gen ein­ge­gan­gen wer­den.) Die­je­ni­gen Men­schen, wel­che in ih­rem Le­bens­lei­be das ho­he Son­nen­we­sen selbst als vor­han­den wahr­nah­men, kön­nen «Son­nen­men­schen» ge­nannt wer­den. Das We­sen, das in ih­nen als «höhe­res Ich» leb­te na­tür­lich nur in den Ge­ne­­ra­tio­nen, nicht im ein­zel­nen ist das­je­ni­ge, wel­ches spä­ter, als die Men­schen ei­ne be­wuß­te Er­kennt­nis von ihm er­lang­ten, mit ver­schie­de­nen Na­men be­legt wur­de und das den Ge­gen­warts­men­schen das ist, in dem sich ih­nen das Ver­hält­nis of­fen­bart, wel­ches der Chris­tus zum Kos­mos hat. Man kann dann noch «Sa­turn­men­schen» un­ter­schei­den. Bei ih­nen trat als «höhe­res Ich» ein We­sen auf, das vor der Son­nen­t­ren­nung mit sei­nen Ge­nos­sen die ge­mein­sa­me Wel­t­sub­stanz ver­las­sen muß­te. Es war dies ei­ne Art von Men­schen, wel­che nicht nur im Le­bens­lei­be, son­dern auch im phy­si­schen Lei­be ei­nen Teil hat­ten, wel­cher dem lu­zi­fe­ri­schen Ein­fluß entzo­gen blieb.

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Nun war bei den nie­d­ri­ger ste­hen­den Men­schen­ar­ten der Le­bens­leib doch zu we­nig ge­schützt, um den Ein­wir­kun­gen des lu­zi­fe­ri­schen We­sens ge­nü­gend wi­der­ste­hen zu kön­nen. Sie konn­ten die Will­kür des in ih­nen be­find­li­chen Feu­er­­fun­kens des «Ich» so weit aus­deh­nen, daß sie in ih­rem Um­k­rei­se mäch­ti­ge Feu­er­wir­kun­gen schäd­li­cher Art her­vor­rie­­fen. Die Fol­ge war ei­ne ge­wal­ti­ge Erd­ka­tastro­phe. Durch die Feu­er­stür­me ging ein gro­ßer Teil der da­mals be­wohn­ten Er­de zu­grun­de und mit ihm die dem Irr­tum ver­fal­le­nen Men­schen. Nur der kleins­te Teil, der vom Irr­tum zum Teil un­be­rührt ge­b­lie­ben war, konn­te sich auf ein Ge­biet der Er­de ret­ten, das bis da­hin ge­schützt war vor dem ver­der­b­­li­chen men­sch­li­chen Ein­flus­se. Als ein sol­cher Wohn­platz, der sich für die neue Mensch­heit be­son­ders eig­ne­te, stell­te sich das Land her­aus, das auf dem Fle­cke der Er­de war, der ge­­gen­wär­tig vom At­lan­ti­schen Oze­an be­deckt wird. Dort­hin zog sich der am reins­ten vom Irr­tum ge­b­lie­be­ne Teil der Men­schen. Nur ver­sp­reng­te Men­scheits­g­lie­der be­wohn­ten an­de­re Ge­gen­den. Im Sin­ne der Geis­tes­wis­sen­schaft kann man das Er­den­ge­biet zwi­schen dem ge­gen­wär­ti­gen Eu­ro­pa, Afri­ka und Ame­ri­ka, das einst­mals be­stan­den hat, «At­lan­­tis» nen­nen. (In der ent­sp­re­chen­den Li­te­ra­tur wird in ei­ner ge­wis­sen Art auf den cha­rak­te­ri­sier­ten dem at­lan­ti­schen vor­an­ge­gan­ge­nen Ab­schnitt der Mensch­heits­ent­wi­cke­lung hin­­ge­wie­sen. Er wird da das le­mu­ri­sche Zei­tal­ter der Er­de ge­nannt, dem das at­lan­ti­sche folg­te. Da­ge­gen kann die Zeit, in wel­cher die Mon­den­kräf­te ih­re Haupt­wir­kun­gen noch nicht ent­fal­tet hat­ten, das hy­per­bo­räi­sche Zei­tal­ter ge­nannt wer­den. Die­sem geht noch ein an­de­res voran, das al­so mit der al­le­r­ers­ten Zeit der phy­si­schen Er­den­ent­wi­cke­lung zu­­­sam­men­fällt. In der bib­li­schen Über­lie­fe­rung wird die Zeit

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vor der Ein­wir­kung der lu­zi­fe­ri­schen We­sen als die pa­ra­die­si­sche Zeit ge­schil­dert und das Her­ab­s­tei­gen auf die Er­de, das Ver­s­trickt­wer­den der Men­schen in die Sin­nen­welt, als die Ver­t­rei­bung aus dem Pa­ra­die­se.)

Die Ent­wi­cke­lung im at­lan­ti­schen Ge­biet war die Zeit der ei­gent­li­chen Son­de­rung in Sa­turn-, Son­nen-, Ju­pi­ter- und Mars­men­schen. Vor­her wur­den da­zu ei­gent­lich erst die An­la­gen ent­fal­tet. Nun hat­te die Schei­dung von Wach- und Schlaf­zu­stand für das Men­schen­we­sen noch be­son­de­re Fol­­gen, die be­son­ders bei der at­lan­ti­schen Mensch­heit her­vor­­t­ra­ten. Wäh­rend der Nacht wa­ren des Men­schen as­tra­li­scher Leib und Ich im Be­rei­che der über ihm ste­hen­den We­sen bis zu den «Geis­tern der Per­sön­lich­keit» hin­auf. Durch den­je­ni­gen Teil sei­nes Le­bens­lei­bes, der nicht mit dem phy­­si­schen Lei­be ver­bun­den war, konn­te der Mensch die Wahr­­neh­mung der «Söh­ne des Le­bens» (En­gel) und der «Feu­er­geis­ter» (Erz­en­gel) ha­ben. Denn er konn­te mit dem nicht vom phy­si­schen Leib durch­drun­ge­nen Teil des Le­bens­lei­bes wäh­rend des Schla­fens ve­r­ei­nigt blei­ben. Die Wahr­neh­mung der «Geis­ter der Per­sön­lich­keit» blieb al­ler­dings un­deu­t­­lich, eben we­gen des lu­zi­fe­ri­schen Ein­flus­ses. Mit den En­geln und Erz­en­geln wur­den aber auf die­se Art für den Men­schen in dem ge­schil­der­ten Zu­stan­de auch die­je­ni­gen We­sen sich­t­­bar, wel­che als auf Son­ne oder Mond Zu­rück­ge­b­lie­be­ne nicht das Er­den­da­sein an­t­re­ten konn­ten. Sie muß­ten des­halb in der see­lisch-geis­ti­gen Welt ver­b­lei­ben. Der Mensch zog sie aber durch das lu­zi­fe­ri­sche We­sen in den Be­reich sei­ner vom phy­si­schen Leib ge­t­renn­ten See­le. Da­durch kam er mit We­sen in Be­rüh­rung, wel­che in ho­hem Gra­de ver­füh­re­risch auf ihn wirk­ten. Sie ver­mehr­ten in der See­le den Trieb zum Irr­tum; na­ment­lich zum Mißbrauch der Wachs­tums- und Fortpfl­an­zungs­kräf­te,

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wel­che durch die Tren­nung von phy­si­schem Leib und Le­bens­leib in sei­ner Macht stan­den.

Es war nun für ein­zel­ne Men­schen des at­lan­ti­schen Zeit­al­ters die Mög­lich­keit ge­ge­ben, sich so we­nig als mög­lich in die Sin­nen­welt zu ver­s­tri­cken. Durch sie wur­de der lu­zi­­fe­ri­sche Ein­fluß aus ei­nem Hin­der­nis der Mensch­heits­ent­wi­cke­lung zum Mit­tel ei­nes höhe­ren Fort­sch­rei­tens. Sie wa­ren durch ihn in der La­ge, früh­er, als es sonst mög­lich ge­we­sen wä­re, die Er­kennt­nis für die Er­den­din­ge zu ent­fal­­ten. Da­bei ver­such­ten die­se Men­schen den Irr­tum aus ih­rem Vor­stel­lungs­le­ben zu ent­fer­nen und die ur­sprüng­li­chen Ab­­sich­ten der geis­ti­gen We­sen aus den Er­schei­nun­gen der Welt zu er­grün­den. Sie hiel­ten sich frei von den nach der blo­ßen Sin­nen­welt ge­lenk­ten Trie­ben und Be­gier­den des as­tra­li­schen Lei­bes. Da­durch wur­den sie von des­sen Irr­tü­mern im­mer frei­er. Das führ­te bei ih­nen Zu­stän­de her­bei, durch wel­che sie bloß in je­nem Tei­le des Le­bens­lei­bes wahr­nah­men, wel­cher in der ge­schil­der­ten Wei­se vom phy­si­schen Lei­be ge­t­rennt war. In sol­chen Zu­stän­den war das Wahr­neh­mungs­ver­mö­gen des phy­si­schen Lei­bes wie aus­ge­löscht und die­ser selbst wie tot. Dann wä­ren sie durch den Le­bens­leib ganz ver­bun­den mit dem Rei­che der «Geis­ter der Form» und konn­ten von die­sen er­fah­ren, wie sie ge­führt und ge­lenkt wer­den von je­nem ho­hen We­sen, das die Füh­rung hat­te bei der Tren­nung von Son­ne und Er­de, und durch das sich spä­ter den Men­schen das Ver­ständ­nis für den «Chris­tus» er­öff­ne­te. Sol­che Men­schen wa­ren Ein­ge­weih­te (In­i­ti­ier­te). Weil aber des Men­schen In­di­vi­dua­li­tät in der oben ge­schil­­der­ten Art in den Be­reich der Mond­we­sen ge­kom­men war, so konn­ten auch die­se Ein­ge­weih­ten in der Re­gel von dem Son­nen­we­sen nicht un­mit­tel­bar be­rührt wer­den, son­dern es

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konn­te ih­nen nur wie in ei­ner Spie­ge­lung durch die Mond­we­sen ge­zeigt wer­den. Sie sa­hen dann nicht das Son­nen­we­sen un­mit­tel­bar, son­dern des­sen Ab­glanz. Sie wur­den die Füh­rer der an­de­ren Mensch­heit, de­nen sie die er­schau­ten Ge­heim­nis­se mit­tei­len konn­ten. Sie zo­gen sich Schü­ler heran, de­nen sie die We­ge zur Er­lan­gung des Zu­stan­des wie­sen, wel­cher zur Ein­wei­hung führt. Zur Er­kennt­nis des­sen, was früh­er durch «Chris­tus» sich of­fen­bar­te, konn­ten nur sol­che Men­schen ge­lan­gen, die in an­ge­deu­te­tem Sin­ne zu den Son­nen­men­schen ge­hör­ten. Sie pf­leg­ten ihr ge­heim­nis­vol­les Wis­sen und die Ver­rich­tun­gen, wel­che da­zu führ­ten, an ei­ner be­son­de­ren Stät­te, wel­che hier das Chris­tus- oder Son­nen­ora­kel ge­nannt wer­den soll. (Ora­cu­lum im Sin­ne ei­nes Or­­tes, wo die Ab­sich­ten geis­ti­ger We­sen ver­nom­men wer­den.) Das hier in be­zug auf den Chris­tus Ge­sag­te wird nur dann nicht mißv­er­stan­den wer­den, wenn man be­denkt, daß die über­sinn­li­che Er­kennt­nis in dem Er­schei­nen des Chris­tus auf der Er­de ein Er­eig­nis se­hen muß, auf das als ein in der Zu­­kunft Be­vor­ste­hen­des die­je­ni­gen hin­ge­wie­sen ha­ben, wel­che vor die­sem Er­eig­nis mit dem Sinn der Er­den­ent­wi­cke­lung be­kannt wa­ren. Man gin­ge fehl, wenn man bei die­sen «Ein­­ge­weih­ten» ein Ver­hält­nis zu dem Chris­tus vor­aus­set­zen wür­de, das erst durch die­ses Er­eig­nis mög­lich ge­wor­den ist. Aber das konn­ten sie pro­phe­tisch be­g­rei­fen und ih­ren Schü­­lern be­g­reif­lich ma­chen: «Wer von der Macht des Son­nen­we­sens be­rührt ist, der sieht den Chris­tus an die Er­de her­an­­kom­men.»

An­de­re Ora­kel wur­den ins Le­ben ge­ru­fen von den An­­ge­hö­ri­gen der Sa­turn-, Mars- und Ju­pi­ter­mensch­heit. De­ren Ein­ge­weih­te führ­ten ihr An­schau­en nur bis zu den We­sen­hei­ten, wel­che als ent­sp­re­chen­de «höhe­re Iche» in ih­ren Le­bens­lei­bern

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ent­hüllt wer­den konn­ten. So ent­stan­den Be­ken­­ner der Sa­turn-, der Ju­pi­ter-, der Mars­weis­heit. Au­ßer die­sen Ein­wei­hungs­me­tho­den gab es sol­che für Men­schen, wel­che vom lu­zi­fe­ri­schen We­sen zu viel in sich auf­ge­nom­men hat­ten, um ei­nen so gro­ßen Teil des Le­bens­lei­bes vom phy­si­schen Lei­be ge­t­rennt sein zu las­sen wie die Son­nen­men­schen. Sie konn­ten auch nicht durch die ge­nann­ten Zu­stän­de bis zur pro­phe­ti­schen Chris­tus-Of­fen­ba­rung ge­bracht wer­den. Sie muß­ten we­gen ih­res mehr vom lu­zi­fe­ri­schen Prin­zip be­ein­fluß­ten As­tral­lei­bes schwie­ri­ge­re Vor­be­rei­tun­gen durch­­­ma­chen, und dann konn­ten sie in ei­nem we­ni­ger leib­f­rei­en Zu­stand als die an­dern zwar nicht die Of­fen­ba­rung des Chri­s­tus selbst ent­hüllt er­hal­ten, aber die an­de­rer ho­her We­sen. Es gab sol­che We­sen, wel­che zwar bei der Son­nen­t­ren­nung die Er­de ver­las­sen ha­ben, aber doch nicht auf der Höhe stan­­den, daß sie die Son­nen­ent­wi­cke­lung auf die Dau­er hät­ten mit­ma­chen kön­nen. Sie glie­der­ten sich nach der Tren­nung von Son­ne und Er­de ei­nen Wohn­platz von der Son­ne ab, die Ve­nus. De­ren Füh­rer wur­de das We­sen, wel­ches nun für die ge­schil­der­ten Ein­ge­weih­ten und ih­re An­hän­ger zum «höhe­ren Ich» wur­de. Ein ähn­li­ches ge­schah mit dem füh­­ren­den Geist des Mer­kur für ei­ne an­de­re Art Men­schen. So ent­stan­den das Ve­nus- und das Mer­ku­rora­kel. Ei­ne ge­wis­se Art von Men­schen, die am meis­ten von dem lu­zi­fe­ri­schen Ein­fluß auf­ge­nom­men hat­ten, konn­te nur zu ei­nem We­sen ge­lan­gen, wel­ches mit sei­nen Ge­nos­sen am früh­es­ten von der Son­nen­ent­wi­cke­lung wie­der aus­ge­sto­ßen wor­den ist. Es hat die­ses kei­nen be­son­de­ren Pla­ne­ten im Wel­ten­raum, son­­dern lebt im Um­kreis der Er­de selbst noch, mit der es sich wie­der ve­r­ei­nigt hat nach der Rück­kehr von der Son­ne. Die­je­ni­gen Men­schen, wel­chen sich die­ses We­sen als höhe­res Ich

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ent­hüll­te, kön­nen die An­hän­ger des Vul­kano­ra­kels ge­nannt wer­den. Ihr Blick war mehr den ir­di­schen Er­schei­nun­gen zu­ge­wen­det als der­je­ni­ge der üb­ri­gen Ein­ge­weih­ten. Sie le­g­­ten die ers­ten Grün­de zu dem, was spä­ter als Wis­sen­schaf­ten und Küns­te un­ter den Men­schen ent­stand. Die Mer­kur-Ein­­ge­weih­ten da­ge­gen be­grün­de­ten das Wis­sen von den mehr über­sinn­li­chen Din­gen; und in noch höhe­rem Gra­de ta­ten dies die Ve­nus-Ein­ge­weih­ten. Die Vul­kan-, Mer­kur- und Ve­nus-Ein­ge­weih­ten un­ter­schie­den sich von den Sa­turn-, Ju­pi­ter- und Mars-Ein­ge­weih­ten da­durch, daß die letz­te­ren ih­re Ge­heim­nis­se mehr als ei­ne Of­fen­ba­rung von oben em­p­­fin­gen, mehr in ei­nem fer­ti­gen Zu­stan­de; wäh­rend die er­s­te­­ren schon mehr in Form von ei­ge­nen Ge­dan­ken, von Ide­en ihr Wis­sen ent­hüllt er­hiel­ten. In der Mit­te stan­den die Chris­tus-Ein­ge­weih­ten. Sie er­hiel­ten mit der Of­fen­ba­rung in un­mit­tel­ba­rem Zu­stan­de auch zu­g­leich die Fähig­keit, in men­sch­li­che Be­griffs­for­men ih­re Ge­heim­nis­se zu klei­den. Die Sa­turn-, Ju­pi­ter- und Mars-Ein­ge­weih­ten muß­ten sich mehr in Sinn­bil­dern aus­sp­re­chen; die Chris­tus-, Ve­nus-, Mer­kur- und Vul­kan-Ein­ge­weih­ten konn­ten sich mehr in Vor­stel­lun­gen mit­tei­len.

Was auf die­se Art zur at­lan­ti­schen Mensch­heit ge­lang­te, kam auf dem Um­we­ge durch die Ein­ge­weih­ten. Aber auch die an­de­re Mensch­heit er­hielt durch das lu­zi­fe­ri­sche Prin­zip be­son­de­re Fähig­kei­ten, in­dem durch die ho­hen kos­mi­schen We­sen­hei­ten das zum Heil ver­wan­delt wur­de, was sonst zum Ver­der­ben hät­te wer­den kön­nen. Ei­ne sol­che Fähig­keit ist die der Spra­che. Sie wur­de dem Men­schen zu­teil durch sei­ne Ver­dich­tung in die phy­si­sche Stof­f­lich­keit und durch die Tren­nung ei­nes Tei­les sei­nes Le­bens­lei­bes vom phy­si­schen Leib. In den Zei­ten nach der Mon­den­t­ren­nung fühl­te sich

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der Mensch zu­nächst mit den phy­si­schen Vor­fah­ren durch das Grup­pen-Ich ver­bun­den. Doch ver­lor sich die­ses ge­mein­­sa­me Be­wußt­sein, wel­ches Nach­kom­men mit Vor­fah­ren ver­­­band, all­mäh­lich im Lau­fe der Ge­ne­ra­tio­nen. Die spä­te­ren Nach­kom­men hat­ten dann nur bis zu ei­nem nicht weit zu­­rück­lie­gen­den Vor­fah­ren die in­ne­re Er­in­ne­rung; zu den frühe­ren Ah­nen hin­auf nicht mehr. In den Zu­stän­den von Schla­fähn­lich­keit nur, in de­nen die Men­schen mit der gei­s­ti­gen Welt in Be­rüh­rung ka­men, tauch­te nun die Er­in­ne­rung an die­sen oder je­nen Vor­fah­ren wie­der auf. Die Men­schen hiel­ten sich dann wohl auch für eins mit die­sem Vor­fah­ren, den sie in ih­nen wie­de­r­er­schie­nen glaub­ten. Dies war ei­ne irr­tüm­li­che Idee von der Wie­der­ver­kör­pe­rung, wel­che na­ment­lich in der letz­ten at­lan­ti­schen Zeit auf­tauch­te. Die wah­re Leh­re von der Wie­der­ver­kör­pe­rung konn­te nur in den Schu­len der Ein­ge­weih­ten er­fah­ren wer­­den. Die Ein­ge­weih­ten schau­ten, wie im leib­f­rei­en Zu­stand die Men­schen­see­le von Ver­kör­pe­rung zu Ver­kör­pe­rung geht. Und sie al­lein konn­ten die Wahr­heit dar­über ih­ren Schü­l­ern mit­tei­len.

Die phy­si­sche Ge­stalt des Men­schen ist in der ur­fer­nen Ver­gan­gen­heit, von wel­cher hier die Re­de ist, noch weit ver­schie­den von der ge­gen­wär­ti­gen. Die­se Ge­stalt war in ei­nem ho­hen Gra­de noch der Aus­druck der see­li­schen Ei­gen­­schaf­ten. Der Mensch be­stand noch aus ei­ner fei­ne­ren, wei­che­ren Stof­f­lich­keit, als er spä­ter an­ge­nom­men hat. Was ge­gen­wär­tig ver­fes­tigt ist, war in den Glie­dern weich, bie­g­­sam und bild­sam. Ein mehr see­li­scher, geis­ti­ge­rer Mensch war von zar­tem, be­we­g­li­chem, aus­drucks­vol­lem Kör­per­bau. Ein geis­tig we­nig ent­wi­ckel­ter von gro­ben, un­be­we­g­li­chen, we­nig bild­sa­men Kör­per­for­men. See­li­sche Vor­ge­schrit­ten­heit

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zog die Glie­der zu­sam­men; die Ge­stalt wur­de klein er­hal­ten; see­li­sche Zu­rück­ge­b­lie­ben­heit und Ver­s­trickt­heit in die Sinn­lich­keit drück­te sich in rie­sen­haf­ter Grö­ße aus. Wäh­­rend der Mensch in der Wachs­tums­pe­rio­de war, form­te sich in ei­ner Art, die für ge­gen­wär­ti­ge Vor­stel­lun­gen fa­bel­haft, ja phan­tas­tisch er­schei­nen muß, der Kör­per nach dem, was in der See­le sich bil­de­te. Ver­dor­ben­heit in den Lei­den­schaf­ten, Trie­ben und In­s­tink­ten zog ein An­wach­sen des Ma­te­ri­el­len im Men­schen ins Rie­sen­haf­te nach sich. Die ge­gen­wär­ti­ge phy­si­sche Men­schen­ge­stalt ist durch Zu­sam­men­zie­hen, Ver­­­dich­tung und Ver­fes­ti­gung des at­lan­ti­schen Men­schen en­t­­­stan­den. Und wäh­rend vor der at­lan­ti­schen Zeit der Mensch als ein ge­t­reu­es Ab­bild sei­ner see­li­schen We­sen­heit vor­han­­den war, tru­gen ge­ra­de die Vor­gän­ge der at­lan­ti­schen En­t­­wi­cke­lung die Ur­sa­chen in sich, wel­che zu dem nachat­lan­­ti­schen Men­schen führ­ten, der in sei­ner phy­si­schen Ge­stalt fest und von den see­li­schen Ei­gen­schaf­ten ver­hält­nis­mä­ß­ig we­nig ab­hän­gig ist. (Das Tier­reich ist in sei­nen For­men in weit äl­te­ren Zei­ten auf der Er­de dicht ge­wor­den als der Mensch.) Die Ge­set­ze, wel­che ge­gen­wär­tig der Bil­dung der For­men in den Na­tur­rei­chen zu­grun­de lie­gen, dür­fen durch­­aus nicht auf fer­ne­re Ver­gan­gen­hei­ten aus­ge­dehnt wer­den.

Ge­gen die Mit­te der at­lan­ti­schen Ent­wi­cke­lungs­zeit mach­te sich all­mäh­lich ein Un­heil in der Mensch­heit gel­tend. Die Ge­heim­nis­se der Ein­ge­weih­ten hät­ten sorg­fäl­tig vor sol­chen Men­schen be­hü­tet wer­den müs­sen, wel­che nicht durch Vor­­be­rei­tung ih­ren As­tral­leib von Irr­tum ge­r­ei­nigt hat­ten. Er­lan­gen die­se ei­ne sol­che Ein­sicht in die ver­bor­ge­nen Er­kenn­t­­nis­se, in die Ge­set­ze, wo­durch die höhe­ren We­sen die Na­tur­kräf­te len­ken, so stel­len sie die­sel­ben in den Di­enst ih­rer ver­irr­ten Be­dürf­nis­se und Lei­den­schaf­ten. Die Ge­fahr war

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um so grö­ß­er, als ja die Men­schen, wie ge­schil­dert wor­den ist, in den Be­reich nie­de­rer Geis­tes­we­sen ka­men, wel­che die re­gel­mä­ß­i­ge Er­den­ent­wi­cke­lung nicht mit­ma­chen konn­ten, da­her ihr ent­ge­gen­wirk­ten. Die­se be­ein­fluß­ten die Men­schen fort­wäh­rend so, daß sie ih­nen In­ter­es­sen ein­flöß­ten, wel­che ge­gen das Heil der Mensch­heit in Wahr­heit ge­rich­tet wa­ren. Nun hat­ten aber die Men­schen noch die Fähig­keit, die Wachs­tums- und die Fortpfl­an­zungs­kräf­te der tie­ri­schen und der men­sch­li­chen Na­tur in ih­ren Di­enst zu stel­len. Den Ver­su­chun­gen von sei­ten nie­de­rer Geist­we­sen un­ter­la­gen nicht nur ge­wöhn­li­che Men­schen, son­dern auch ein Teil der Ein­ge­weih­ten. Sie ka­men da­zu, die ge­nann­ten über­sinn­li­chen Kräf­te in ei­nen Di­enst zu stel­len, wel­cher der Ent­wi­cke­lung der Mensch­heit zu­wi­der­lief. Und sie such­ten sich zu die­sem Di­enst Ge­nos­sen, wel­che nicht ein­ge­weiht wa­ren und wel­che ganz im nie­de­ren Sin­ne die Ge­heim­nis­se des über­sinn­li­chen Na­tur­wir­kens an­wand­ten. Die Fol­ge war ei­ne gro­ße Ver­­­derb­nis der Mensch­heit. Das Übel brei­te­te sich im­mer mehr aus. Und weil die Wachs­tums- und Fortpfl­an­zungs­kräf­te dann, wenn sie ih­rem Mut­ter­bo­den en­t­ris­sen und selb­stän­­dig ver­wen­det wer­den, in ei­nem ge­heim­nis­vol­len Zu­sam­men­han­ge ste­hen mit ge­wis­sen Kräf­ten, die in Luft und Was­ser wir­ken, so wur­den durch die men­sch­li­chen Ta­ten ge­wal­ti­ge ver­derb­li­che Na­tur­mäch­te ent­fes­selt. Das führ­te zur all­mäh­li­chen Zer­stör­ung des at­lan­ti­schen Ge­bie­tes durch Luft- und Was­ser­ka­tastro­phen der Er­de. Die at­lan­ti­sche Mensch­heit muß­te aus­wan­dern, in­so­fern sie in den Stür­men nicht zu­grun­de ging. Da­mals er­hielt die Er­de durch die­se Stür­me ein neu­es Ant­litz. Auf der ei­nen Sei­te ka­men Eu­ro­pa, Asi­en und Afri­ka all­mäh­lich zu den Ge­stal­ten, die sie ge­gen­wär­tig ha­ben. Auf der an­dern Sei­te Ame­ri­ka. Nach die­sen

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Län­dern gin­gen gro­ße Wan­der­zü­ge. Für un­se­re Ge­gen­wart sind be­son­ders die­je­ni­gen die­ser Zü­ge wich­tig, wel­che von der At­lan­tis ost­wärts gin­gen. Eu­ro­pa, Asi­en, Afri­ka wur­­den nach und nach von den Nach­kom­men der At­lan­tier be­­sie­delt. Ver­schie­de­ne Völ­ker schlu­gen da ih­re Wohn­sit­ze auf. Sie stan­den auf ver­schie­de­nen Höhen der Ent­wi­cke­lung, aber auch auf ver­schie­de­nen Höhen des Ver­derb­nis­ses. Und in ih­rer Mit­te zo­gen die Ein­ge­weih­ten, die Be­hü­ter der Or­a­kel-Ge­heim­nis­se. Die­se be­grün­de­ten in ver­schie­de­nen Ge­gen­­den Stät­ten, in de­nen die Di­ens­te des Ju­pi­ter, der Ve­nus und so wei­ter in gu­tem, aber auch in sch­lech­tem Sin­ne gepf­legt wur­den. Ei­nen be­son­ders un­güns­ti­gen Ein­fluß üb­te der Ver­­­rat der Vul­kan-Ge­heim­nis­se aus. Denn der Blick von de­ren Be­ken­nern war am meis­ten auf die ir­di­schen Ver­hält­nis­se ge­rich­tet. Die Mensch­heit wur­de durch die­sen Ver­rat in Ab­hän­gig­keit von geis­ti­gen We­sen ge­bracht, wel­che in­fol­ge ih­rer vor­an­ge­gan­ge­nen Ent­wi­cke­lung sich ge­gen al­les ab­leh­­nend ver­hiel­ten, was aus der geis­ti­gen Welt kam, die sich durch die Tren­nung der Er­de von der Son­ne ent­wi­ckelt hat­te. Sie wirk­ten ih­rer so ent­wi­ckel­ten An­la­ge ge­mäß ge­ra­de in dem Ele­men­te, wel­ches im Men­schen sich da­durch aus­bil­de­te, daß er in der sinn­li­chen Welt Wahr­neh­mun­gen hat­te, hin­ter de­nen das Geis­ti­ge sich ver­hüllt. Die­se We­sen er­lang­ten nun­mehr ei­nen gro­ßen Ein­fluß auf vie­le men­sch­­li­che Er­den­be­woh­ner. Und der­sel­be mach­te sich zu­nächst da­durch gel­tend, daß dem Men­schen das Ge­fühl für das Geis­ti­ge im­mer mehr ge­nom­men wur­de. Weil sich in die­sen Zei­ten die Grö­ße, Form und Bild­sam­keit des men­sch­li­chen phy­si­schen Kör­pers noch in ho­hem Gra­de nach den Ei­gen­schaf­ten der See­le rich­te­te, so war die Fol­ge je­nes Ver­ra­tes auch in Ve­r­än­de­run­gen des Men­schen­ge­sch­lech­tes nach die­ser

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Rich­tung hin zu­ta­ge ge­t­re­ten. Wo die Ver­derbt­heit der Men­schen be­son­ders da­durch sich gel­tend mach­te, daß über­sinn­li­che Kräf­te in den Di­enst nie­de­rer Trie­be, Be­gier­den und Lei­den­schaf­ten ge­s­tellt wur­den, da wur­den un­för­mi­ge, an Grö­ße und Form gro­tes­ke Men­schen­ge­stal­ten ge­bil­det. Die­se konn­ten sich al­ler­dings nicht über die at­lan­ti­sche Pe­rio­de hin­aus er­hal­ten. Sie star­ben aus. Die nachat­lan­ti­sche Mensch­heit hat sich phy­sisch aus den­je­ni­gen at­lan­ti­schen Vor­fah­ren her­aus­ge­bil­det, bei de­nen schon ei­ne sol­che Ver­­­fes­ti­gung der kör­per­li­chen Ge­stalt ein­ge­t­re­ten war, daß die­se den nun­mehr na­tur­wid­rig ge­wor­de­nen See­len­kräf­ten nicht nach­ga­ben. Es gab ei­nen ge­wis­sen Zei­traum in der at­lan­ti­schen Ent­wi­cke­lung, in wel­chem für die Men­schen­­ge­stalt durch die in und um die Er­de herr­schen­den Ge­set­ze ge­ra­de die­je­ni­gen Be­din­gun­gen herrsch­ten, un­ter de­nen sie sich ver­fes­ti­gen muß­te. Die­je­ni­gen Men­schen-Ras­sen-For­­men, wel­che sich vor die­sem Zei­traum ver­fes­tigt hat­ten, konn­ten sich zwar lan­ge fortpflan­zen, doch wur­den nach und nach die in ih­nen sich ver­kör­pern­den See­len so be­engt, daß die Ras­sen auss­ter­ben muß­ten. Al­ler­dings er­hiel­ten sich ge­ra­de man­che von die­sen Ras­sen­for­men bis in die nach-at­lan­ti­schen Zei­ten hin­ein; die ge­nü­gend be­we­g­lich ge­b­lie­be­nen in ve­r­än­der­ter Form so­gar sehr lan­ge. Die­je­ni­gen Men­schen­for­men, wel­che über den cha­rak­te­ri­sier­ten Zeit­raum hin­aus bild­sam ge­b­lie­ben wa­ren, wur­den na­ment­lich zu Kör­pern für sol­che See­len, wel­che in ho­hem Ma­ße den schäd­li­chen Ein­fluß des ge­kenn­zeich­ne­ten Ver­rats er­fah­ren ha­ben. Sie wa­ren zu bal­di­gem Auss­ter­ben be­stimmt.

Es hat­ten sich dem­nach seit der Mit­te der at­lan­ti­schen Ent­wi­cke­lungs­zeit We­sen im Be­reich der Mensch­heits­ent­wi­cke­lung gel­tend ge­macht, wel­che da­hin wirk­ten, daß der

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Mensch sich in die sinn­lich-phy­si­sche Welt in ei­ner un­geis­ti­­gen Art hin­ein­leb­te. Das konn­te so weit ge­hen, daß ihm statt der wah­ren Ge­stalt die­ser Welt Trug­bil­der und Wahn­phan­to­me, Il­lu­sio­nen al­ler Art er­schie­nen. Nicht nur dem lu­zi­fe­ri­schen Ein­fluß war der Mensch aus­ge­setzt, son­dern auch dem­je­ni­gen die­ser an­de­ren We­sen, auf die oben hin­ge­deu­tet wor­den ist und de­ren Füh­rer nach der Be­nen­nung, die er spä­ter in der per­si­schen Kul­tur er­hal­ten hat, Ah­ri­man ge­nannt wer­den mö­ge. (Der Me­phi­s­to­phe­les ist das­sel­be We­sen.) Durch die­sen Ein­fluß kam der Mensch nach dem To­de un­ter Ge­wal­ten, wel­che ihn auch da nur als ein We­sen er­schei­nen lie­ßen, wel­ches den ir­disch-sinn­li­chen Ver­häl­t­­nis­sen zu­ge­wandt ist. Der freie Aus­blick in die Vor­gän­ge der geis­ti­gen Welt wur­de ihm im­mer mehr ge­nom­men. Er muß­te sich in der Ge­walt des Ah­ri­man füh­len und bis zu ei­nem ge­wis­sen Ma­ße aus­ge­sch­los­sen sein von der Ge­mein­­schaft mit der geis­ti­gen Welt.

Von be­son­de­rer Be­deu­tung war ei­ne Ora­kel­stät­te, wel­che sich in dem all­ge­mei­nen Nie­der­gang den al­ten Di­enst am reins­ten be­wahrt hat­te. Sie ge­hör­te zu den Chris­tus-Or­a­keln. Und des­we­gen konn­te sie nicht nur das Ge­heim­nis des Chris­tus selbst be­wah­ren, son­dern auch die Ge­heim­nis­se der an­de­ren Ora­kel. Denn im 0f­fen­bar­wer­den des er­ha­bens­ten Son­nen­geis­tes wur­den auch die Füh­rer des Sa­turn, Ju­pi­ter und so wei­ter ent­hüllt. Man kann­te im Son­neno­ra­kel das Ge­heim­nis, sol­che men­sch­li­chen Le­bens­lei­ber bei die­sem oder je­nem Men­schen her­vor­zu­brin­gen, wie sie die bes­ten der Ein­ge­weih­ten des Ju­pi­ter, des Mer­kur usw. ge­habt ha­ben. Man be­wirk­te mit den Mit­teln, die man da­zu hat­te und wel­che hier nicht wei­ter zu be­sp­re­chen sind, daß die Ab­drü­cke der bes­ten Le­bens­lei­ber der al­ten Ein­ge­weih­ten sich er­hiel­ten

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und spä­te­ren ge­eig­ne­ten Men­schen ein­ge­prägt wur­den. Durch die Ve­nus-, Mer­kur- und Vul­kan-Ein­ge­weih­ten kon­n­­ten sol­che Vor­gän­ge auch für die As­tral­lei­ber sich ab­spie­len.

In ei­ner ge­wis­sen Zeit sah sich der Füh­rer der Chris­tus-Ein­ge­weih­ten ve­r­ein­s­amt mit ei­ni­gen Ge­nos­sen, de­nen er die Ge­heim­nis­se der Welt nur in ei­nem sehr be­schränk­ten Ma­ße mit­tei­len konn­te. Denn die­se Ge­nos­sen wa­ren sol­che Men­­schen, wel­che als Na­tur­an­la­ge am we­nigs­ten von der Tren­­nung des phy­si­schen und des Le­bens­lei­bes mit­be­kom­men hat­ten. Sol­che Men­schen wa­ren in die­sem Zei­traum über­haupt die bes­ten für den wei­te­ren Mensch­heits­fort­schritt. Bei ih­nen hat­ten sich all­mäh­lich im­mer we­ni­ger die Er­le­b­­nis­se im Be­reich des Schlaf­zu­stan­des ein­ge­s­tellt. Die geis­ti­ge Welt war ih­nen im­mer mehr ver­sch­los­sen wor­den. Da­für fehl­te ih­nen aber auch das Ver­ständ­nis für al­les das, was sich in al­ten Zei­ten ent­hüllt hat­te, wenn der Mensch nicht in sei­nem phy­si­schen Lei­be, son­dern nur in sei­nem Le­bens­lei­be war. Die Men­schen der un­mit­tel­ba­ren Um­ge­bung je­nes Füh­­rers des Chris­tus-Ora­kels wa­ren am meis­ten vor­ge­schrit­ten in be­zug auf die Ve­r­ei­ni­gung des früh­er von dem phy­si­schen Lei­be ge­t­rennt ge­we­se­nen Tei­les des Le­bens­lei­bes mit je­nem. Die­se Ve­r­ei­ni­gung stell­te sich nun nach und nach in der Mensch­heit ein als Fol­ge der Um­än­de­rung, die mit dem at­lan­ti­schen Wohn­platz und der Er­de über­haupt vor sich ge­gan­gen war. Der phy­si­sche Leib und der Le­bens­leib des Men­schen ka­men im­mer mehr zur De­ckung. Da­durch gin­gen die frühe­re nun be­g­renz­ten Fähig­kei­ten des Ge­dächt­nis­ses ver­­­lo­ren, und das men­sch­li­che Ge­dan­ken­le­ben be­gann. Der mit dem phy­si­schen Leib ver­bun­de­ne Teil des Le­bens­lei­bes wan­­del­te das phy­si­sche Ge­hirn zum ei­gent­li­chen Denk­werk­zeu­ge um, und der Mensch emp­fand ei­gent­lich erst von jetzt ab

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sein «Ich» im phy­si­schen Lei­be. Es er­wach­te da erst das Selbst­be­wußt­sein. Das war nur bei ei­nem ge­rin­gen Tei­le der Mensch­heit zu­nächst der Fall, vor­züg­lich bei den Ge­nos­sen des Füh­rers des Chris­tus-Ora­kels. Die an­de­ren über Eu­ro­pa, Asi­en und Afri­ka zer­st­reu­ten Men­schen­mas­sen be­wahr­ten in den ver­schie­dens­ten Gra­den die Res­te der al­ten Be­wußt­­­s­eins­zu­stän­de. Sie hat­ten da­her ei­ne un­mit­tel­ba­re Er­fah­rung von der über­sinn­li­chen Welt. Die Ge­nos­sen des Chris­tus-Ein­ge­weih­ten wa­ren Men­schen mit hoch ent­wi­ckel­tem Ver­­­stan­de, aber von al­len Men­schen je­ner Zeit hat­ten sie die ge­rings­ten Er­fah­run­gen auf über­sinn­li­chem Ge­bie­te. Mit ih­nen zog je­ner Ein­ge­weih­te von Wes­ten nach Os­ten, nach ei­nem Ge­bie­te in In­nera­si­en. Er woll­te sie mög­lichst be­hü­ten vor der Be­rüh­rung mit den in der Be­wußt­s­eins­ent­wi­cke­lung we­ni­ger vor­ge­schrit­te­nen Men­schen. Er er­zog die­se Ge­nos­sen im Sin­ne der ihm of­fen­ba­ren Ge­heim­nis­se; na­ment­lich wirk­te er in die­ser Art auf de­ren Nach­kom­men. So bil­de­te er sich ei­ne Schar von Men­schen heran, wel­che in ih­re Her­zen die Im­pul­se auf­ge­nom­men hat­ten, die den Ge­heim­nis­sen der Chris­tus-Ein­wei­hung ent­spra­chen. Aus die­ser Schar wähl­te er die sie­ben bes­ten aus, daß sie sol­che Le­bens­lei­ber und As­tral­lei­ber ha­ben konn­ten, wel­che den Ab­drü­cken der Le­bens­lei­ber der sie­ben bes­ten at­lan­ti­schen Ein­ge­weih­ten ent­spra­chen. So er­zog er je ei­nen Nach­fol­ger der Chris­tus-, Sa­turn-, Ju­pi­ter- usw. Ein­ge­weih­ten. Die­se sie­ben Ein­ge­weih­ten wur­den die Leh­rer und Füh­rer der­je­ni­gen Men­­schen, wel­che in der nachat­lan­ti­schen Zeit den Sü­den von Asi­en, na­ment­lich das al­te In­di­en be­sie­delt hat­ten. Da die­se gro­ßen Leh­rer ei­gent­lich mit Nach­bil­dern der Le­bens­lei­ber ih­rer geis­ti­gen Vor­fah­ren be­gabt wa­ren, reich­te das, was in ih­rem As­tral­lei­be war, näm­lich ihr selbst­ver­ar­bei­te­tes Wis­­sen

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und Er­ken­nen, nicht bis zu dem, was ih­nen durch ih­ren Le­bens­leib ent­hüllt wur­de. Sie muß­ten, wenn die­se Of­fen­­ba­run­gen in ih­nen sp­re­chen soll­ten, ihr ei­ge­nes Wis­sen und Er­ken­nen zum Schwei­gen brin­gen. Dann spra­chen aus ih­nen und durch sie die ho­hen We­sen­hei­ten, wel­che auch für ih­re geis­ti­gen Vor­fah­ren ge­spro­chen hat­ten. Au­ßer in den Zei­­ten, wo die­se We­sen­hei­ten durch sie spra­chen, wa­ren sie sch­lich­te Men­schen, be­gabt mit dem Ma­ße von Ver­stan­des- und Her­zens­bil­dung, das sie sich selbst er­ar­bei­tet hat­ten.

In In­di­en wohn­te da­mals ei­ne Men­schen­art, wel­che von dem al­ten See­len­zu­stan­de der At­lan­tier, der die Er­fah­run­gen in der geis­ti­gen Welt ge­stat­te­te, sich vor­züg­lich ei­ne le­ben­di­ge Er­in­ne­rung an den­sel­ben be­wahrt hat­te. Bei ei­ner gro­ßen An­zahl die­ser Men­schen war auch ein ge­wal­ti­ger Zug des Her­zens und des Ge­mü­tes nach den Er­leb­nis­sen die­ser über­sinn­li­chen Welt vor­han­den. Durch ei­ne wei­se Schick­sals­füh­rung war der Haupt­teil die­ser Men­schen­art aus den bes­ten Tei­len der at­lan­ti­schen Be­völ­ke­rung nach Süda­si­en ge­kom­men. Au­ßer die­sem Haupt­teil wa­ren an­de­re Tei­le zu an­de­ren Zei­ten zu­ge­wan­dert. Für die­sen Men­schen­zu­sam­­men­hang be­stimm­te der ge­nann­te Chris­tus-Ein­ge­weih­te zu Leh­rern sei­ne sie­ben gro­ßen Schü­ler. Sie ga­ben die­sem Vol­ke ih­re Weis­heit und ih­re Ge­bo­te. Nur ge­rin­ger Vor­be­rei­tung be­durf­te man­cher die­ser al­ten In­dier, um in sich re­ge zu ma­chen die kaum ver­lösch­ten Fähig­kei­ten, die zur Be­o­b­ach­­tung in der über­sinn­li­chen Welt führ­ten. Denn es war ei­gen­t­­lich die Sehn­sucht nach die­ser Welt ei­ne Grund­stim­mung der in­di­schen See­le. In die­ser Welt, so emp­fand man, war die Ur­hei­mat der Men­schen. Aus die­ser Welt sind sie her­aus­ver­setzt in die­je­ni­ge, wel­che das äu­ße­re sinn­li­che An­schau­en und der an die­ses An­schau­en ge­bun­de­ne Ver­stand lie­fern

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kann. Die über­sinn­li­che Welt fühl­te man als die wah­re und die sinn­li­che als ei­ne Täu­schung der men­sch­li­chen Wahr­neh­­mung, ei­ne Il­lu­si­on (Ma­ja). Mit al­len Mit­teln st­reb­te man dar­nach, sich den Ein­blick in die wah­re Welt zu er­öff­nen. Der il­lu­so­ri­schen Sin­nen­welt ver­moch­te man kein In­ter­es­se ent­ge­gen­zu­brin­gen, oder doch nur in­so­fern, als sie sich als Sch­lei­er für die über­sinn­li­che er­weist. Die Macht, die von den sie­ben gro­ßen Leh­rern auf sol­che Men­schen aus­ge­hen konn­te, war ge­wal­tig. Das, was durch sie ge­of­fen­bart wer­­den konn­te, leb­te sich tief in die in­di­schen See­len ein. Und weil der Be­sitz der über­kom­me­nen Le­bens- und As­tral­lei­ber die­sen Leh­rern ho­he Kräf­te ver­lieh, so konn­ten sie auch ma­­gisch auf ih­re Schü­ler wir­ken. Sie lehr­ten ei­gent­lich nicht. Sie wirk­ten wie durch Zau­ber­kräf­te von Per­sön­lich­keit zu Per­sön­lich­keit. So ent­stand ei­ne Kul­tur, wel­che von über­­sinn­li­cher Weis­heit ganz durch­drun­gen war. Was in den Weis­heits­büchern der In­der (in den Ve­den) ent­hal­ten ist, gibt nicht die ur­sprüng­li­che Ge­stalt der ho­hen Wei­s­tü­mer, wel­che in der äl­tes­ten Zeit durch die gro­ßen Leh­rer gepf­legt wor­den sind, son­dern nur ei­nen schwa­chen Nach­klang. Nur der rück­wärts ge­wen­de­te über­sinn­li­che Blick kann ei­ne un­­ge­schrie­be­ne Ur­weis­heit hin­ter der ge­schrie­be­nen fin­den. Ein Zug, wel­cher in die­ser Ur­weis­heit be­son­ders her­vor­tritt, ist das har­mo­ni­sche Zu­sam­men­k­lin­gen der ver­schie­de­nen Or­a­kel-Weis­hei­ten der at­lan­ti­schen Zeit. Denn ein je­der der gro­ßen Leh­rer konn­te ei­ne die­ser Ora­kel-Weis­hei­ten en­t­­hül­len. Und die ver­schie­de­nen Sei­ten der Weis­heit ga­ben ei­nen voll­kom­me­nen Ein­klang, weil hin­ter ih­nen stand die Grund­weis­heit der pro­phe­ti­schen Chris­tus-Ein­wei­hung. Zwar stell­te der­je­ni­ge Leh­rer, wel­cher der geis­ti­ge Nach­­­fol­ger des Chris­tus-Ein­ge­weih­ten war, nicht das­je­ni­ge dar,

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was der Chris­tus-Ein­ge­weih­te selbst ent­hül­len konn­te. Die­­ser war im Hin­ter­grun­de der Ent­wi­cke­lung ge­b­lie­ben. Zu­nächst konn­te er sein ho­hes Amt kei­nem Nachat­lan­tier über­tra­gen. Der Chris­tus-Ein­ge­weih­te der sie­ben gro­ßen in­di­schen Leh­rer un­ter­schied sich von ihm da­durch, daß er ja voll­stän­dig sein Schau­en des Chris­tus-Ge­heim­nis­ses in men­sch­li­che Vor­stel­lun­gen hat­te ver­ar­bei­ten kön­nen, wäh­rend je­ner in­di­sche Chris­tus-Ein­ge­weih­te nur ei­nen Ab­glanz die­ses Ge­heim­nis­ses in Sinn­bil­dern und Zei­chen dar­­­s­tel­len konn­te. Denn sein men­sch­lich er­ar­bei­te­tes Vor­s­tel­len reich­te nicht bis zu die­sem Ge­heim­nis­se. Aber aus der Ver­­ei­ni­gung der sie­ben Leh­rer er­gab sich in ei­nem gro­ßen Weis­heits­bil­de ei­ne Er­kennt­nis der über­sinn­li­chen Welt, von wel­cher in dem al­ten at­lan­ti­schen Ora­kel nur die ein­zel­nen Glie­der ha­ben ver­kün­det wer­den kön­nen. Es wur­den die gro­ßen Füh­r­er­schaf­ten der kos­mi­schen Welt ent­hüllt und lei­se hin­ge­wie­sen auf den ei­nen gro­ßen Son­nen­geist, den Ver­bor­ge­nen, der über de­nen thront, wel­che durch die sie­­ben Leh­rer ge­of­fen­bart wur­den.

Was hier un­ter «al­ten In­di­ern» ver­stan­den wird, fällt nicht zu­sam­men mit dem­je­ni­gen, was ge­wöhn­lich dar­un­ter ge­meint wird. Äu­ße­re Do­ku­men­te aus je­ner Zeit, von der hier ge­spro­chen wird, gibt es nicht. Das ge­wöhn­lich «In­der» ge­nann­te Volk ent­spricht ei­ner Ent­wi­cke­lungs­stu­fe der Ge­­schich­te, wel­che sich erst lan­ge nach der hier ge­mein­ten Zeit ge­bil­det hat. Es ist eben zu er­ken­nen ei­ne ers­te nachat­lan­­ti­sche Er­den­pe­rio­de, in wel­cher die hier cha­rak­te­ri­sier­te «in­­­di­sche» Kul­tur die herr­schen­de war; dann bil­de­te sich ei­ne zwei­te nachat­lan­ti­sche, in wel­cher das­je­ni­ge an Kul­tur her­r­­schend wur­de, was spä­ter in die­ser Schrift «ur­per­si­sche» ge­nannt wer­den wird; und noch spä­ter ent­wi­ckel­te sich die

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eben­falls noch zu schil­dern­de ägyp­tisch-chal­däi­sche Kul­tur. Wäh­rend der Aus­bil­dung die­ser zwei­ten und drit­ten nachat­lan­ti­schen Kul­tu­re­po­che er­leb­te auch das «al­te» In­dier­tum ei­ne zwei­te und drit­te Epo­che. Und von die­ser drit­ten Epo­che gilt das­je­ni­ge, was ge­wöhn­lich vom al­ten In­di­en dar­ge­s­tellt wird. Man darf al­so nicht das­je­ni­ge, was hier ge­schil­dert wird, auf das «al­te In­di­en» be­zie­hen, von dem sonst die Re­de ist.

Ein and­rer Zug die­ser alt­in­di­schen Kul­tur ist der­je­ni­ge, wel­cher spä­ter zur Ein­tei­lung der Men­schen in Kas­ten führ­te. Die in In­di­en Woh­nen­den wa­ren Nach­kom­men von At­lan­ti­ern, die zu ver­schie­de­nen Men­schen­ar­ten, Sa­turn-, Ju­pi­ter- usw. Men­schen ge­hör­ten. Durch die über­sinn­li­chen Leh­ren wur­de be­grif­fen, daß ei­ne See­le nicht durch Zu­fall in die­se oder je­ne Kas­te ver­setzt wur­de, son­dern da­durch, daß sie sich selbst für die­sel­be be­stimmt hat­te. Ein sol­ches Be­g­rei­fen der über­sinn­li­chen Leh­ren wur­de hier ins­be­son­­de­re da­durch er­leich­tert, daß bei vie­len Men­schen die oben cha­rak­te­ri­sier­ten in­ne­ren Er­in­ne­run­gen an die Vor­fah­ren re­ge ge­macht wer­den konn­ten, wel­che al­ler­dings auch leicht zu ei­ner irr­tüm­li­chen Idee von der Wie­der­ver­kör­pe­rung führ­ten. Wie in dem at­lan­ti­schen Zei­tal­ter nur durch die Ein­ge­weih­ten die wah­re Idee der Wie­der­ver­kör­pe­rung er­langt wer­den konn­te, so im äl­tes­ten In­di­en nur durch die un­mit­tel­ba­re Be­rüh­rung mit den gro­ßen Leh­rern. Je­ne oben er­wähn­te irr­tüm­li­che Idee von der Wie­der­ver­kör­pe­rung fand al­ler­dings bei den Völ­kern, wel­che sich in­fol­ge des Un­ter­­gangs der At­lan­tis über Eu­ro­pa, Asi­en und Afri­ka ver­b­rei­­te­ten, die denk­bar größ­te Aus­deh­nung. Und weil die­je­ni­gen Ein­ge­weih­ten, wel­che wäh­rend der at­lan­ti­schen Ent­wi­cke­­lung auf Ab­we­ge ge­ra­ten wa­ren, auch die­ses Ge­heim­nis Un­rei­fen mit­ge­teilt hat­ten, so ge­rie­ten die Men­schen im­mer

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mehr zu ei­ner Ver­wech­se­lung der wah­ren mit der irr­tüm­­li­chen Idee. Es war ja die­sen Men­schen wie ei­ne Erb­schaft der at­lan­ti­schen Zeit ei­ne Art däm­mer­haf­ten Hell­se­hens viel­fach ge­b­lie­ben. Wie die At­lan­tier im Schla­fe in den Be­reich der geis­ti­gen Welt ka­men, so er­leb­ten ih­re Nach­kom­­men in abnor­men Zwi­schen­zu­stän­den zwi­schen Wa­chen und Schlaf die­se geis­ti­ge Welt. Da tra­ten in ih­nen die Bil­der al­ter Zeit auf, der ih­re Vor­fah­ren an­ge­hört hat­ten. Sie hiel­ten sich für Wie­der­ver­kör­pe­run­gen von Men­schen, wel­che in sol­cher Zeit ge­lebt hat­ten. Leh­ren über die Wie­der­ver­kör­pe­rung, wel­che mit den ech­ten Ide­en der Ein­ge­weih­ten im Wi­der­spruch stan­den, brei­te­ten sich über den gan­zen Erd­kreis aus.

In den vor­dera­sia­ti­schen Ge­bie­ten hat­te sich als Er­geb­nis der lang­dau­ern­den Wan­der­zü­ge, die sich seit dem Be­gin­ne der at­lan­ti­schen Zer­stör­ung von Wes­ten nach Os­ten be­we­g­­ten, ein Volks­zu­sam­men­hang seßhaft ge­macht, des­sen Nach­­­kom­men­schaft die Ge­schich­te als das per­si­sche Volk und die mit die­sem ver­wand­ten Stäm­me kennt. Die über­sinn­li­che Er­kennt­nis muß al­ler­dings zu viel frühe­ren Zei­ten zu­rück­­ge­hen als zu den ge­schicht­li­chen die­ser Völ­ker. Zu­nächst ist die Re­de von sehr frühen Vor­fah­ren der spä­te­ren Per­ser, un­ter de­nen das zwei­te gro­ße Kul­tur­zei­tal­ter der nachat­lan­­ti­schen Ent­wi­cke­lung, nach dem in­di­schen, ent­stand. Die Völ­ker die­ses zwei­ten Zei­tal­ters hat­ten ei­ne an­de­re Auf­ga­be als die in­di­schen. Sie wa­ren mit ih­ren Sehn­such­ten und Nei­­gun­gen nicht bloß der über­sinn­li­chen Welt zu­ge­wen­det; sie wa­ren ver­an­lagt für die phy­sisch-sinn­li­che Welt. Sie ge­wan­nen die Er­de lieb. Sie schätz­ten, was sich der Mensch auf die­ser er­obern und was er durch ih­re Kräf­te ge­win­nen kann. Was sie als Kriegs­volk voll­führ­ten und auch was sie als Mit­tel er­fan­den, um der Er­de ih­re Schät­ze ab­zu­ge­win­nen,­

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steht im Zu­sam­men­hang mit die­ser Ei­gen­art ih­res We­sens. Bei ih­nen war nicht die Ge­fahr vor­han­den, daß sie durch ih­re Sehn­sucht nach dem Über­sinn­li­chen sich völ­lig ab­keh­ren könn­ten von der «Il­lu­si­on» des Phy­sisch-Sinn­li­chen, son­dern eher die­je­ni­ge, daß sie durch ih­ren Sinn für die­ses den see­li­schen Zu­sam­men­hang mit der über­sinn­li­chen Welt ganz ver­lie­ren könn­ten. Auch die Ora­kel­stät­ten, wel­che sich aus dem al­ten at­lan­ti­schen Ge­biet hier­her verpflanzt hat­ten, tru­gen in ih­rer Art den all­ge­mei­nen Cha­rak­­ter des Vol­kes. Es wur­de da von Kräf­ten, die man sich einst­mals durch die Er­leb­nis­se der über­sinn­li­chen Welt hat­te an­eig­nen kön­nen und wel­che man in ge­wis­sen nie­de­ren For­­men noch be­herr­schen konn­te, das­je­ni­ge gepf­legt, was die Er­schei­nun­gen der Na­tur so lenkt, daß sie den per­sön­li­chen In­ter­es­sen des Men­schen die­nen. Die­ses al­te Volk hat­te noch ei­ne gro­ße Macht in der Be­herr­schung sol­cher Na­tur­kräf­te, die spä­ter vor dem men­sch­li­chen Wil­len sich zu­rück­zo­gen. Die Hü­ter der Ora­kel ge­bo­ten über in­ne­re Kräf­te, wel­che mit dem Feu­er und an­dern Ele­men­ten in Zu­sam­men­hang stan­den. Man kann sie Ma­gi­er nen­nen. Was sie sich als Er­b­­schaft von über­sinn­li­cher Er­kennt­nis und über­sinn­li­chen Kräf­ten aus al­ten Zei­ten be­wahrt hat­ten, war al­ler­dings schwach im Ver­hält­nis zu dem, was der Mensch in ur­fer­ner Ver­gan­gen­heit ver­moch­te. Aber es nahm doch al­le For­men an, von ed­len Küns­ten, die nur das Men­schen­heil im Au­ge hat­ten, bis zu den ver­wer­f­lichs­ten Ver­rich­tun­gen. In die­­sen Men­schen wal­te­te das lu­zi­fe­ri­sche We­sen auf ei­ne be­­son­de­re Art. Es hat­te sie mit al­lem in Zu­sam­men­hang ge­bracht, was den Men­schen von den Ab­sich­ten der­je­ni­gen höhe­ren We­sen ab­lenkt, wel­che oh­ne den lu­zi­fe­ri­schen Ein­­schlag al­lein die Mensch­heits­ent­wi­cke­lung vor­wärts ge­lenkt

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hät­ten. Auch die­je­ni­gen Glie­der die­ses Vol­kes, wel­che noch mit Res­ten des al­ten hell­se­he­ri­schen Zu­stan­des, des oben ge­­schil­der­ten Zwi­schen­zu­stan­des zwi­schen Wa­chen und Schla­­fen, be­gabt wa­ren, fühl­ten sich zu den nie­de­ren We­sen der geis­ti­gen Welt sehr hin­ge­zo­gen. Es muß­te die­sem Vol­ke ein geis­ti­ger An­trieb ge­ge­ben wer­den, wel­cher die­sen Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten ent­ge­gen­wirk­te. Ihm wur­de aus der­sel­ben Qu­el­le, aus wel­cher auch das al­te in­di­sche Geis­tes­le­ben kam, von dem Be­wahr­ter der Ge­heim­nis­se des Son­neno­ra­kels, ei­ne Füh­r­er­schaft ge­ge­ben.

Der Füh­rer der ur­per­si­sche Geis­tes­kul­tur, der von je­nem. Hü­ter des Son­neno­ra­kels dem in Re­de ste­hen­den Vol­ke ge­­ge­ben wur­de, kann mit dem­sel­ben Na­men be­zeich­net wer­­den, wel­chen die Ge­schich­te als Za­ra­thu­s­t­ra oder Zo­roas­ter kennt. Nur muß be­tont wer­den, daß die hier ge­mein­te Per­­sön­lich­keit ei­ner viel frühe­ren Zeit an­ge­hört, als die ist, in wel­che die Ge­schich­te den Trä­ger die­ses Na­mens setzt. Doch kommt es hier nicht auf die äu­ße­re ge­schicht­li­che For­schung, son­dern auf Geis­tes­wis­sen­schaft an. Und wer an ei­ne spä­te­re Zeit bei dem Trä­ger des Za­ra­thu­s­t­ra-Na­mens den­ken muß, der mag den Ein­klang mit der Geis­tes­wis­sen­schaft da­rin su­chen, daß er sich ei­nen Nach­fol­ger des ers­ten gro­ßen Za­ra­thu­s­t­ra vor­s­tellt, der des­sen Na­men an­ge­nom­men hat und im Sin­ne von des­sen Leh­re wirk­te. Der An­trieb, den Za­ra­thu­s­t­ra sei­nem Vol­ke zu ge­ben hat­te, be­stand da­rin, daß er es dar­­auf hin­wies, wie die sinn­lich-phy­si­sche Welt nicht bloß das Geist­lo­se ist, das dem Men­schen ent­ge­gen­tritt, wenn er sich un­ter den aus­sch­ließ­li­chen Ein­fluß des lu­zi­fe­ri­schen We­sens be­gibt. Die­sem We­sen ver­dankt der Mensch sei­ne per­sön­­li­che Selb­stän­dig­keit und sein Frei­heits­ge­fühl. Es soll aber in ihm im Ein­klang mit dem ent­ge­gen­ge­setz­ten geis­ti­gen

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We­sen wir­ken. Bei dem ur­per­si­schen Vol­ke kam es dar­­auf an, den Sinn re­ge zu er­hal­ten für dies letz­te­re geis­ti­ge We­sen. Durch sei­ne Nei­gung für die sinn­lich-phy­si­sche Welt droh­te ihm die voll­stän­di­ge Ver­sch­mel­zung mit den lu­zi­fe­ri­schen We­sen. Za­ra­thu­s­t­ra hat­te nun durch den Hü­ter des Son­nen-Ora­kels ei­ne sol­che Ein­wei­hung er­hal­ten, daß ihm die Of­fen­ba­run­gen der ho­hen Son­nen­we­sen zu­teil wer­den konn­ten. In be­son­de­ren Zu­stän­den sei­nes Be­wußt­seins, zu de­nen ihn sei­ne Schu­lung ge­führt hat­te, konn­te er den Füh­rer der Son­nen­we­sen schau­en, wel­cher den men­sch­li­chen Le­ben­s­­­leib in der oben ge­schil­der­ten Art in sei­nen Schutz ge­nom­­men hat­te. Er wuß­te, daß die­ses We­sen die Füh­rung der Mensch­heits­ent­wi­cke­lung lenkt, daß es aber erst zu ei­ner ge­­wis­sen Zeit aus dem Wel­ten­raum auf die Er­de her­nie­der­s­tei­gen konn­te. Da­zu ist not­wen­dig, daß es eben­so im As­tral­­lei­be ei­nes Men­schen le­ben konn­te, wie es seit dem Ein­schlag des lu­zi­fe­ri­schen We­sens im Le­bens­lei­be wirk­te. Es muß­te ein Mensch da­zu er­schei­nen, der den As­tral­leib wie­der auf ei­ne sol­che Stu­fe zu­rück­ver­wan­delt hat­te, wie sie die­ser oh­ne Lu­zi­fer zu ei­ner ge­wis­sen an­dern Zeit (in der Mit­te der at­lan­­ti­schen Ent­wi­cke­lung) er­langt ha­ben wür­de. Wä­re Lu­zi­fer nicht ge­kom­men, so wä­re der Mensch zwar früh­er zu die­ser Stu­fe ge­langt, aber oh­ne per­sön­li­che Selb­stän­dig­keit und oh­ne die Mög­lich­keit der Frei­heit. Nun­mehr aber soll­te trotz die­ser Ei­gen­schaf­ten der Mensch wie­der zu die­ser Höhe kom­men. Za­ra­thu­s­t­ra sah in sei­nen Se­her­zu­stän­den vor­aus, daß in der Zu­kunft inn­er­halb der Mensch­heits­ent­wi­cke­lung ei­ne Per­sön­lich­keit mög­lich sein wür­de, wel­che ei­nen solch ent­sp­re­chen­den As­tral­leib ha­ben wür­de. Aber er wuß­te auch, daß vor die­ser Zeit die geis­ti­gen Son­nen­kräf­te nicht auf Er­­den ge­fun­den wer­den kön­nen, daß sie aber von der über­sin­n­­li­chen

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An­schau­ung im Be­reich des geis­ti­gen Tei­les der Son­ne wahr­ge­nom­men wer­den kön­nen. Er konn­te die­se Kräf­te schau­en, wenn er sei­nen Se­her­blick auf die Son­ne lenk­te. Und er ver­kün­dig­te sei­nem Vol­ke das We­sen die­ser Kräf­te, die vo­r­erst nur in der geis­ti­gen Welt zu fin­den wa­ren und spä­ter auf die Er­de her­ab­s­tei­gen soll­ten. Es war dies die Ver­kün­di­gung des gro­ßen Son­nen- oder Licht­geis­tes (der Son­nen-Au­ra, Ahu­ra-maz­dao, Or­muzd). Die­ser Licht­geist of­fen­bart sich für Za­ra­thu­s­t­ra und sei­ne An­hän­ger als der Geist, der dem Men­schen sein Ant­litz aus der geis­ti­gen Wel­t zu­wen­det und der inn­er­halb der Mensch­heit die Zu­kunft vor­be­rei­tet. Es ist der auf Chris­tus vor sei­ner Er­schei­nung auf Er­den auf die­sen hin­wei­sen­de Geist, den Za­ra­thu­s­t­ra als den Licht­geist ver­kün­det. Da­ge­gen stellt er in Ah­ri­man (An­g­ra main­ju) ei­ne Macht dar, wel­che durch ih­ren Ein­fluß auf das men­sch­li­che See­len­le­ben ver­derb­lich wirkt, wenn die­ses sich ihr ein­sei­tig hin­gibt. Es ist die­se Macht kei­ne an­de­re als die schon oben cha­rak­te­ri­sier­te, wel­che seit dem Ver­rat der Vul­kan-Ge­heim­nis­se ei­ne be­son­de­re Herr­schaft auf der Er­de er­langt hat­te. Ne­ben der Bot­schaft von dem Licht­got­te wur­den von Za­ra­thu­s­t­ra Leh­ren von den­je­ni­gen geis­ti­gen We­sen­hei­ten ver­kün­det, die dem ge­läu­ter­ten Sinn des Se­hers als Ge­nos­sen des Licht­geis­tes of­fen­bar wer­den und zu de­nen die Ver­su­cher ei­nen Ge­gen­satz bil­de­ten, wel­che dem un­ge­läu­ter­ten Res­te der Hell­sich­tig­keit er­schie­nen, der sich aus der at­lan­ti­schen Zeit er­hal­ten hat­te. Es soll­te dem ur­­­per­si­schen Vol­ke klar ge­macht wer­den, wie in der Men­schen­­see­le, in­so­fern die­se dem Wir­ken und St­re­ben in der sin­n­­lich-phy­si­schen Welt zu­ge­wandt ist, sich ein Kampf zwi­schen der Macht des Licht­got­tes und der sei­nes Geg­ners ab­spielt und wie sich der Mensch zu ver­hal­ten ha­be, da­mit ihn der

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letz­te­re nicht in den Ab­grund füh­re, son­dern sein Ein­fluß durch die Kraft des ers­te­ren ins Gu­te ge­lenkt wer­de.

Ei­ne drit­te Kul­tu­re­po­che der nachat­lan­ti­schen Zeit wur­de bei den Völ­kern ge­bo­ren, die durch die Wan­der­zü­ge zu­letzt in Vor­dera­si­en und Nord­afri­ka zu­sam­men­ge­strömt wa­ren. Bei den Chal­däern, Ba­by­lo­ni­ern, As­sy­rern ei­ner­seits, bei den Ägyp­tern an­de­rer­seits bil­de­te sie sich aus. Bei die­sen Völ­kern war der Sinn für die phy­sisch-sinn­li­che Welt noch in ei­ner an­dern Art aus­ge­bil­det als bei den Ur­per­sern. Sie hat­ten viel mehr als an­de­re in sich auf­ge­nom­men von der Geis­tes­an­la­ge, wel­che dem seit den letz­ten at­lan­ti­schen Zei­­ten er­stan­de­nen Denk­ver­mö­gen, der Ver­stan­des­be­ga­bung, die Grund­la­ge gibt. Es war ja die Auf­ga­be der nachat­lan­ti­­schen Mensch­heit, die­je­ni­gen See­len­fähig­kei­ten in sich zu ent­fal­ten, wel­che ge­won­nen wer­den konn­ten durch die er­wach­ten Ge­dan­ken- und Ge­müts­kräf­te, die nicht von der geis­ti­gen Welt un­mit­tel­bar an­ge­regt wer­den, son­dern da­­durch ent­ste­hen, daß der Mensch die Sin­nen­welt be­trach­­tet, sich in ihr ein­lebt und sie be­ar­bei­tet. Die Er­obe­rung die­ser sinn­lich-phy­si­schen Welt durch je­ne men­sch­li­chen Fähig­kei­ten muß als die Mis­si­on des nachat­lan­ti­schen Men­­schen an­ge­se­hen wer­den. Von Stu­fe zu Stu­fe sch­rei­tet die­se Er­obe­rung vor­wärts. Im al­ten In­di­en ist zwar der Mensch durch sei­ne See­len­ver­fas­sung schon auf die­se Welt ge­rich­tet. Er sieht sie aber noch als Il­lu­si­on an, und sein Geist ist der über­sinn­li­chen Welt zu­ge­wen­det. Im ur­per­si­schen Vol­ke tritt im Ge­gen­satz da­zu das Be­st­re­ben auf, die phy­sisch-sinn­li­che Welt zu er­obern; aber dies wird zum gro­ßen Teil noch mit je­nen See­len­kräf­ten ver­sucht, wel­che als Erb­stück aus ei­ner Zeit ge­b­lie­ben sind, da der Mensch un­mit­tel­bar zur über­­sinn­li­chen Welt hin­auf­rei­chen konn­te. Bei den Völ­kern der

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drit­ten Kul­tu­re­po­che ist die See­le der über­sinn­li­chen Fähi­g­kei­ten zum gro­ßen Tei­le ver­lus­tig ge­gan­gen. Sie muß in der sinn­li­chen Um­welt die Of­fen­ba­run­gen des Geis­ti­gen er­for­­schen und durch die Ent­de­ckung und Er­fin­dung der aus die­ser Welt sich er­ge­ben­den Kul­tur­mit­tel sich wei­ter bil­den. Da­durch, daß aus der phy­sisch-sinn­li­chen Welt die Ge­set­ze des hin­ter ihr ste­hen­den Geis­ti­gen er­forscht wur­den, en­t­­­stan­den die men­sch­li­chen Wis­sen­schaf­ten; da­durch, daß die Kräf­te die­ser Welt er­kannt und ver­ar­bei­tet wur­den, die men­sch­li­che Tech­nik, die künst­le­ri­sche Ar­beit und de­ren Werk­zeu­ge und Mit­tel. Dem Men­schen der chal­däisch-ba­by­­lo­ni­schen Völ­ker war die Sin­nen­welt nicht mehr ei­ne Il­lu­­si­on, son­dern in ih­ren Rei­chen, in Ber­gen und Mee­ren, in Luft und Was­ser, ei­ne Of­fen­ba­rung der geis­ti­gen Ta­ten da­hin­ter­ste­hen­der Mäch­te, de­ren Ge­set­ze er zu er­ken­nen trach­­te­te. Dem Ägyp­ter war die Er­de ein Feld sei­ner Ar­beit, das ihm in ei­nem Zu­stand über­ge­ben wur­de, den er durch sei­ne ei­ge­nen Ver­stan­des­kräf­te so um­zu­wan­deln hat­te, daß er als Ab­druck men­sch­li­cher Macht er­schi­en. Nach Ägyp­ten wa­ren von der At­lan­tis her Ora­kel­stät­ten verpflanzt wor­­den, wel­che vor­zugs­wei­se dem Mer­kur-Ora­kel ent­stamm­ten. Doch gab es auch an­de­re, zum Bei­spiel Ve­nus-Ora­kel. In das­je­ni­ge, was durch die­se Ora­kel­stät­ten im ägyp­ti­schen Vol­ke gepf­legt wer­den konn­te, wur­de ein neu­er Kul­tur­keim ge­senkt. Er ging aus von ei­nem gro­ßen Füh­rer, wel­cher sei­ne Schu­lung inn­er­halb der per­si­schen Za­ra­thu­s­t­ra-Ge­heim­nis­se ge­nos­sen hat­te. (Er war die wie­der­ver­kör­per­te Per­sön­lich­keit ei­nes Jün­gers des gro­ßen Za­ra­thu­s­t­ra selbst.) Er sei in An­leh­nung an ei­nen ge­schicht­li­chen Na­men «Her­mes» ge­nannt. Durch das Auf­neh­men der Za­ra­thu­s­t­ra-Ge­heim­nis­se konn­te er den rech­ten Weg für die Len­kung des ägyp­ti­schen

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Vol­kes fin­den. Die­ses Volk hat­te im ir­di­schen Le­ben, zwi­­schen Ge­burt und Tod, den Sinn der phy­sisch-sinn­li­chen Welt so zu­ge­lenkt, daß es zwar un­mit­tel­bar die da­hin­ter­ste­hen­de Geis­tes­welt nur in be­schränk­tem Ma­ße schau­en konn­te, aber in je­ner Welt die Ge­set­ze die­ser er­kann­te. So konn­te ihm die geis­ti­ge Welt nicht als die­je­ni­ge ge­lehrt wer­­den, in wel­che es sich auf der Er­de ein­le­ben konn­te. Da­für aber konn­te ihm ge­zeigt wer­den, wie der Mensch im leib­f­rei­en Zu­stan­de nach dem To­de le­ben wer­de mit der Welt der Geis­ter, wel­che wäh­rend der Er­den­zeit durch ih­ren Ab­druck in dem Rei­che des sinn­lich-phy­si­sche er­schei­nen. Her­mes lehr­te: in­so­weit der Mensch sei­ne Kräf­te auf der Er­de da­zu ver­wen­det, um in die­ser nach den Ab­sich­ten der geis­ti­gen Mäch­te zu wir­ken, macht er sich fähig, nach dem To­de mit die­sen Mäch­ten ve­r­ei­nigt zu sein. Ins­be­son­de­re wer­den die­je­ni­gen, wel­che am eif­rigs­ten in die­ser Rich­tung zwi­schen Ge­burt und Tod ge­wirkt ha­ben, mit der ho­hen Son­nen­we­sen­heit mit Osi­ris ve­r­ei­nigt wer­den. Auf der chal­däisch-ba­by­lo­ni­schen Sei­te die­ser Kul­tur­strö­mung mach­te sich die Hin­len­kung des Men­schen­sinns zum Phy­sisch-Sinn­li­chen mehr gel­tend als auf der ägyp­ti­schen. Es wur­den die Ge­set­ze die­ser Welt er­forscht und aus den sinn­li­chen Ab­bil­dern auf die geis­ti­gen Ur­bil­der ge­schaut. Doch blieb das Volk am Sin­n­­li­chen in viel­fa­cher Be­zie­hung haf­ten. Statt des Ster­nen­geis­tes wur­de der Stern und statt an­de­rer Geist­we­sen de­ren ir­di­sche Ab­bil­der in den Vor­der­grund ge­scho­ben. Nur die Füh­rer er­lang­ten ei­gent­li­che tie­fe Er­kennt­nis­se in be­zug auf die Ge­­set­ze der über­sinn­li­chen Welt und ih­res Zu­sam­men­wir­kens mit der sinn­li­chen. Stär­ker als sonst ir­gend­wo mach­te sich hier ein Ge­gen­satz zwi­schen den Er­kennt­nis­sen der Ein­­ge­weih­ten und dem ver­irr­ten Glau­ben des Vol­kes gel­tend.

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Ganz an­de­re Ver­hält­nis­se wa­ren in den Ge­gen­den Sü­d­eu­ro­pas und We­s­ta­si­ens, wo die vier­te nachat­lan­ti­sche Kul­tu­re­po­che auf­blüh­te. Man kann sie die grie­chisch-latei­ni­sche nen­nen. In die­sen Län­dern wa­ren die Nach­kom­men der Men­schen aus den ver­schie­dens­ten Ge­gen­den der äl­te­ren Welt zu­sam­men­ge­strömt. Es gab Ora­kel­stät­ten, wel­che den man­nig­fa­chen at­lan­ti­schen Ora­keln nach­leb­ten. Es gab Men­­schen, wel­che als na­tür­li­che An­la­ge Erb­stü­cke des al­ten Hel­l­­se­hens in sich hat­ten, und sol­che, wel­che sie ver­hält­nis­mä­ß­ig leicht durch Schu­lung er­lan­gen konn­ten. An be­son­de­ren Or­ten wur­den nicht nur die Über­lie­fe­run­gen der al­ten Ein­­ge­weih­ten be­wahrt, son­dern es er­stan­den an ih­nen wür­di­ge Nach­fol­ger der­sel­ben, wel­che Schü­ler her­an­zo­gen, die sich zu ho­hen Stu­fen geis­ti­gen Schau­ens er­he­ben konn­ten. Da­bei hat­ten die­se Völ­ker den Trieb in sich, inn­er­halb der sin­n­­li­chen Welt ein Ge­biet zu schaf­fen, wel­ches in dem Phy­si­­schen das Geis­ti­ge in voll­kom­me­ner Form aus­drückt. Ne­ben vi­e­lem an­dern ist die grie­chi­sche Kunst ei­ne Fol­ge die­ses Trie­bes. Man braucht nur mit dem geis­ti­gen Au­ge den grie­chi­schen Tem­pel zu durch­schau­en, und man wird er­ken­nen, wie in ei­nem sol­chen Wun­der­werk der Kunst das Sinn­lich-Stof­f­li­che von dem Men­schen so be­ar­bei­tet ist, daß es in je­dem Glie­de als der Aus­druck des Geis­ti­gen er­scheint. Der grie­chi­sche Tem­pel ist das «Haus des Geis­tes». Man nimmt in sei­nen For­men wahr, was sonst nur das geis­ti­ge Au­ge des über­sinn­lich Schau­en­den er­kennt. Ein Zeus- (oder Ju­pi­ter-) Tem­pel ist so ge­stal­tet, daß er für das sinn­li­che Au­ge ei­ne wür­di­ge Um­hül­lung des­sen dar­s­tellt, was der Hü­ter der Zeus- oder Ju­pi­ter-Ein­wei­hung mit geis­ti­gem Au­ge schau­te. Und so ist es mit al­ler grie­chi­schen Kunst. Auf ge­heim­nis­vol­len We­gen flos­sen die Wei­s­tü­mer der Ein­ge­wei­h­­ten

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in die Dich­ter, Künst­ler und Den­ker. In den Wel­t­an­schau­ungs­ge­bäu­den der al­ten grie­chi­schen Phi­lo­so­phen fin­det man die Ge­heim­nis­se der Ein­ge­weih­ten in Form von Be­grif­fen und Ide­en wie­der. Und es ström­ten die Ein­flüs­se des geis­ti­­gen Le­bens, die Ge­heim­nis­se der asia­ti­schen und afri­ka­ni­­schen Ein­wei­hungs­stät­ten die­sen Völ­kern und ih­ren Füh­­rern zu. Die gro­ßen in­di­schen Leh­rer, die Ge­nos­sen Za­ra­­thu­stras, die An­hän­ger des Her­mes hat­ten ih­re Schü­ler her­an­ge­zo­gen. Die­se oder de­ren Nach­fol­ger be­grün­de­ten nun Ein­wei­hungs­stät­ten, in de­nen die al­ten Wei­s­tü­mer in neu­er Form wie­der auf­leb­ten. Es sind die Mys­te­ri­en des Al­ter­tums. Man be­rei­te­te da die Schü­ler vor, um sie dann in je­ne Be­wußt­s­eins­zu­stän­de zu brin­gen, durch wel­che sie das Schau­en in die geis­ti­ge Welt er­lan­gen konn­ten. (Man fin­det ei­ni­ges Nähe­re über die­se Mys­te­ri­en des Al­ter­tums in mei­nem Bu­che: «Das Chris­ten­tum als mys­ti­sche Tat­sa­che». An­de­res dar­über wird in den letz­ten Ka­pi­teln die­ses Bu­ches ge­sagt wer­den.) Aus die­sen Ein­wei­hungs­stät­ten flos­sen die Wei­s­tü­mer de­nen zu, wel­che in Klei­na­si­en, in Grie­chen­land und Ita­li­en die geis­ti­gen Ge­heim­nis­se pf­leg­ten. (In der grie­chi­schen Welt ent­stan­den in den or­phi­schen und eleusi­ni­schen Mys­te­ri­en wich­ti­ge Ein­wei­hungs­stät­ten. In der Weis­heits­­­schu­le des Py­tha­go­ras wirk­ten die gro­ßen Weis­heits­leh­ren und Weis­heits­me­tho­den der Vor­zeit nach. Auf gro­ßen Rei­­sen war Py­tha­go­ras in die Ge­heim­nis­se der ver­schie­dens­ten Mys­te­ri­en ein­ge­weiht wor­den.)

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Das Le­ben des Men­schen in der nachat­lan­ti­schen Zeit zwi­schen Ge­burt und Tod hat­te aber auch sei­nen Ein­fluß auf den leib­f­rei­en Zu­stand nach dem To­de. Je mehr der Mensch sei­ne In­ter­es­sen der phy­sisch-sinn­li­chen Welt zu­kehr­te, um so grö­ß­er war die Mög­lich­keit, daß sich Ah­ri­man

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wäh­rend des Er­den­le­bens in die See­le ein­leb­te und dann sei­ne Ge­walt über den Tod hin­aus be­hielt. Bei den Völ­kern des al­ten In­di­en war die­se Ge­fahr noch am ge­rings­ten. Denn sie hat­ten wäh­rend des Er­den­le­bens die phy­sisch-sinn­li­che Welt als Il­lu­si­on emp­fun­den. Da­durch entzo­gen sie sich nach dem To­de der Macht Ah­ri­mans. Um so grö­ß­er war die Ge­fahr für die ur­per­si­schen Völ­ker. Sie hat­ten in der Zeit zwi­schen Ge­burt und Tod den Blick mit In­ter­es­se auf die sinn­lich-phy­si­sche Welt ge­rich­tet. Sie wä­ren in ho­hem Ma­ße Ah­ri­mans Um­gar­nun­gen ver­fal­len, wenn nicht Za­ra­thu­s­t­ra in ein­drucks­vol­ler Art durch die Leh­re des Licht­got­tes dar­­auf hin­ge­deu­tet hät­te, daß hin­ter der phy­sisch-sinn­li­chen Welt die­je­ni­ge der Licht­geis­ter steht. So­viel die Men­schen die­ser Kul­tur aus der so er­reg­ten Vor­stel­lungs­welt in die See­le auf­ge­nom­men hat­ten, eben­so­viel entzo­gen sie sich für das Er­den­le­ben den Fang­ar­men Ah­ri­mans und da­mit auch für das Le­ben nach dem To­de, durch das sie sich auf ein neu­es Er­den­le­ben vor­be­rei­ten soll­ten. Im Er­den­le­ben führt die Ge­walt Ah­ri­mans da­zu, das sinn­lich-phy­si­sche Da­sein als das ein­zi­ge an­zu­se­hen und sich da­durch je­den Aus­blick auf ei­ne geis­ti­ge Welt zu ver­sper­ren. In der geis­ti­gen Welt bringt die­se Ge­walt den Men­schen zur völ­li­gen Ve­r­ein­­sa­mung, zur Hin­len­kung al­ler In­ter­es­sen nur auf sich. Men­­schen, wel­che beim To­de in Ah­ri­mans Ge­walt sind, wer­den als Ego­is­ten wie­der­ge­bo­ren.

Man kann ge­gen­wär­tig inn­er­halb der Geis­tes­wis­sen­schaft das Le­ben zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt so be­sch­rei­ben, wie es ist, wenn der ah­ri­ma­ni­sche Ein­fluß bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de über­wun­den ist. Und so ist es von dem Sch­rei­ber die­ses Bu­ches in an­de­ren Schrif­ten und in den ers­ten Ka­pi­teln der vor­lie­gen­den ge­schil­dert wor­den. Und

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so muß es ge­schil­dert wer­den, wenn an­schau­lich wer­den soll, was in die­ser Da­s­eins­form von dem Men­schen er­lebt wer­den kann, wenn er sich den rei­nen Geis­tes­blick für das wir­k­lich Vor­han­de­ne er­obert hat. In­wie­weit es der ein­zel­ne mehr oder we­ni­ger er­lebt, hängt von sei­ner Be­sie­gung des ah­ri­ma­ni­­schen Ein­flus­ses ab. Der Mensch näh­ert sich dem, was er sein kann in der geis­ti­gen Welt, im­mer mehr und mehr. Wie dies, was da der Mensch sein kann, be­ein­träch­tigt wird von an­de­­ren Ein­flüs­sen, muß hier beim Be­trach­ten des Ent­wi­cke­lungs­­­gan­ges der Mensch­heit doch scharf ins Au­ge ge­faßt wer­den.

Bei dem ägyp­ti­schen Vol­ke sorg­te Her­mes da­für, daß die Men­schen wäh­rend des Er­den­le­bens sich zur Ge­mein­schaft mit dem Licht­geist vor­be­rei­te­ten. Weil aber wäh­rend die­ser Zeit die In­ter­es­sen der Men­schen zwi­schen Ge­burt und Tod schon so ge­stal­tet wa­ren, daß durch den Sch­lei­er des Phy­­sisch-Sinn­li­chen nur in ge­rin­gem Gra­de hin­durch­ge­schaut wer­den konn­te, so blieb auch der geis­ti­ge Blick der See­le nach dem To­de ge­tr­übt. Die Wahr­neh­mung der Licht­welt blieb matt. Ei­nen Höh­e­punkt er­reich­te die Ver­sch­leie­rung der geis­ti­gen Welt nach dem To­de für je­ne See­len, wel­che aus ei­nem Lei­be der grie­chisch-latei­ni­schen Kul­tur in den leib­f­rei­en Zu­stand über­gin­gen. Sie hat­ten im Er­den­le­ben die Pf­le­ge des sinn­lich-phy­si­schen Da­seins zur Blü­te ge­bracht. Und da­mit hat­ten sie sich zu ei­nem Schat­ten­da­sein nach dem To­de ver­ur­teilt. Da­her emp­fand der Grie­che die­ses Le­ben nach dem To­de als ein Schat­ten­da­sein; und es ist nicht blo­ßes Ge­re­de, son­dern die Emp­fin­dung der Wahr­heit, wenn der dem Sin­nen­le­ben zu­ge­wand­te Held die­ser Zeit sagt: «Lie­ber ein Bett­ler auf der Er­de, als ein Kö­n­ig im Reich der Scha­t­­ten.» Noch aus­ge­präg­ter war dies al­les bei je­nen asia­ti­schen Völ­kern, die auch in ih­rer Ver­eh­rung und An­be­tung den

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Blick nur auf die sinn­li­chen Ab­bil­der statt auf die geis­ti­gen Ur­bil­der ge­rich­tet hat­ten. Ein gro­ßer Teil der Mensch­heit war zur Zeit der grie­chisch-latei­ni­schen Kul­tur­pe­rio­de in der ge­schil­der­ten La­ge. Man sieht, wie die Mis­si­on des Men­­schen in der nachat­lan­ti­schen Zeit, wel­che in der Er­obe­rung der phy­sisch-sinn­li­chen Welt be­stand, not­wen­dig zur En­t­­f­rem­dung von der geis­ti­gen Welt füh­ren muß­te. So hängt das Gro­ße auf der ei­nen Sei­te mit dem Ver­fall auf der an­de­ren ganz not­wen­dig zu­sam­men. In den Mys­te­ri­en wur­de der Zu­sam­men­hang des Men­schen mit der geis­ti­gen Welt gepf­legt. Ih­re Ein­ge­weih­ten konn­ten in be­son­de­ren See­len­zu­stän­den die Of­fen­ba­run­gen aus die­ser Welt emp­fan­gen. Sie wa­ren mehr oder we­ni­ger die Nach­fol­ger der at­lan­ti­schen Ora­kel­hü­ter. Ih­nen wur­de ent­hüllt, was ver­hüllt war durch die Ein­schlä­ge Lu­zi­fers und Ah­ri­mans. Lu­zi­fer ver­hüll­te für den Men­schen das­je­ni­ge aus der geis­ti­gen Welt, was in den men­sch­li­chen As­tral­leib oh­ne des­sen Zu­tun bis zur Mit­te der at­lan­ti­schen Zeit ein­ge­strömt war. Falls der Le­bens­leib nicht vom phy­si­schen Leib teil­wei­se ge­t­rennt wor­den wä­re, hät­te die­ses Ge­biet der geis­ti­gen Welt der Mensch wie ei­ne in­ne­re See­len­of­fen­ba­rung in sich er­le­ben kön­nen. Durch den lu­zi­fe­ri­schen Ein­schlag konn­te er es nur in be­son­de­ren See­len­zu­stän­den. Da er­schi­en ihm ei­ne geis­ti­ge Welt im Klei­de des As­tra­li­schen. Die ent­sp­re­chen­den We­sen of­fen­bar­ten sich durch sol­che Ge­stal­ten, wel­che bloß die Glie­der der höhe­ren Men­schen­na­tur an sich tru­gen, und an die­sen Glie­dern die as­tra­lisch-sicht­ba­ren Sinn­bil­der für ih­re be­son­de­ren geis­ti­­gen Kräf­te. Über­men­sch­li­che Ge­stal­ten of­fen­bar­ten sich auf die­se Art. Nach dem Ein­griff Ah­ri­mans kam zu die­ser Art von Ein­wei­hung noch ei­ne an­de­re. Ah­ri­man hat ver­hüllt al­les das­je­ni­ge aus der geis­ti­gen Welt, was hin­ter der sinn­lich-phy­si­schen

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Wahr­neh­mung er­schie­nen wä­re, wenn von der Mit­te der at­lan­ti­schen Epo­che an sein Ein­griff nicht er­­folgt wä­re. Daß den Ein­ge­weih­ten dies ent­hüllt wur­de, ver­­­dank­ten sie dem Um­stan­de, daß sie al­le je­ne Fähig­kei­ten, wel­che der Mensch seit je­ner Zeit er­langt hat­te, über das Maß hin­aus in der See­le üb­ten, durch wel­ches die Ein­drü­cke des sinn­lich-phy­si­schen Da­seins er­zielt wer­den. Es of­fen­­bar­te sich ih­nen da­durch, was als geis­ti­ge Mäch­te hin­ter den Na­tur­kräf­ten liegt. Sie konn­ten sp­re­chen von den geis­ti­gen We­sen­hei­ten hin­ter der Na­tur. Die sc­höp­fe­ri­schen Mäch­te der­je­ni­gen Kräf­te ent­hüll­ten sich ih­nen, die in dem Na­tür­­li­chen wir­ken, das un­ter dem Men­schen steht. Was von Sa­turn, Son­ne und dem al­ten Mon­de her fort­ge­wirkt hat und des Men­schen phy­si­schen Leib, sei­nen Le­bens­leib, sei­nen as­tra­li­schen Leib ge­bil­det hat­te, so­wie das mi­ne­ra­li­sche, das pflanz­li­che, das tie­ri­sche Reich, das bil­de­te den In­halt der ei­nen Art von Mys­te­ri­en-Ge­heim­nis­sen. Es wa­ren die­je­ni­gen, über wel­che Ah­ri­man die Hand hielt. Was zur Emp­fin­dungs­­­see­le, zur Ver­stan­des­see­le, zur Be­wußt­s­eins­see­le ge­führt hat­te, das wur­de in ei­ner zwei­ten Art von Mys­te­ri­en-Ge­heim­nis­sen ge­of­fen­bart. Was aber von den Mys­te­ri­en nur pro­phe­zeit wer­den konn­te, das war, daß in der Zei­ten Lauf ein Mensch er­schei­nen wer­de mit ei­nem sol­chen As­tral­leib, daß in die­sem trotz Lu­zi­fer die Licht­welt des Son­nen­geis­tes durch den Le­bens­leib oh­ne be­son­de­re See­len­zu­stän­de wer­de be­wußt wer­den kön­nen. Und der phy­si­sche Leib die­ses Men­schen­we­sens muß­te so sein, daß für das­sel­be of­fen­bar wür­de al­les das­je­ni­ge aus der geis­ti­gen Welt, was bis zum phy­si­schen To­de hin von Ah­ri­man ver­hüllt wer­den kann. Der phy­si­sche Tod kann für die­ses Men­schen­we­sen nichts inn­er­halb des Le­bens än­dern, das heißt kei­ne Ge­walt über

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das­sel­be ha­ben. In ei­nem sol­chen Men­schen­we­sen kommt das «Ich» so zu Er­schei­nung, daß im phy­si­schen Le­ben zu­g­leich das vol­le geis­ti­ge ent­hal­ten ist. Ein sol­ches We­sen ist Trä­ger des Licht­geis­tes, zu dem sich der Ein­ge­weih­te von zwei Sei­ten aus er­hebt, in­dem er ent­we­der zu dem Geist des Über­men­sch­li­chen oder zu dem We­sen der Na­tur­mäch­te in be­son­de­ren See­len­zu­stän­den ge­führt wird. In­dem die Ein­­ge­weih­ten der Mys­te­ri­en vor­aus­sag­ten, daß ein sol­ches Men­­schen­we­sen im Lau­fe der Zeit er­schei­nen wer­de, wa­ren sie die Pro­phe­ten des Chris­tus.

Als der be­son­de­re Pro­phet in die­sem Sin­ne er­stand ei­ne Per­sön­lich­keit in­mit­ten ei­nes Vol­kes, wel­ches durch na­tür­­li­che Ver­er­bung die Ei­gen­schaf­ten der vor­dera­sia­ti­schen Völ­ker und durch Er­zie­hung die Leh­ren der Ägyp­ter in sich hat­te, des is­rae­li­ti­schen Vol­kes. Es war Mo­ses. In sei­ne See­le war so viel von den Ein­flüs­sen der Ein­wei­hung ge­kom­men, daß die­ser See­le in be­son­de­ren Zu­stän­den das We­sen sich of­fen­bar­te, das einst­mals in der re­gel­mä­ß­i­gen Er­den­ent­wic­ke­lung die Rol­le über­nom­men hat­te, vom Mon­de aus das men­sch­li­che Be­wußt­sein zu ge­stal­ten. In Blitz und Don­ner er­kann­te Mo­ses nicht bloß die phy­si­schen Er­schei­nun­gen, son­dern die Of­fen­ba­run­gen des ge­kenn­zeich­ne­ten Geis­tes. Aber zu­g­leich hat­te auf sei­ne See­le ge­wirkt die an­de­re Art von Mys­te­ri­en-Ge­heim­nis­sen, und so ver­nahm er in den as­tra­li­schen Schau­un­gen das Über­men­sch­li­che, wie es zum Men­sch­li­chen durch das «Ich» wird. So ent­hüll­te sich Mo­ses der­je­ni­ge, wel­cher kom­men muß­te, von zwei Sei­ten her als die höchs­te Form des «Ich».

Und mit «Chris­tus» er­schi­en in men­sch­li­cher Ge­stalt, was das ho­he Son­nen­we­sen als das gro­ße men­sch­li­che Er­den­vor­bild vor­be­rei­tet hat­te. Mit die­ser Er­schei­nung muß­te al­le

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Mys­te­ri­en-Weis­heit in ge­wis­ser Be­zie­hung ei­ne neue Form an­neh­men. Vor­her war die­se aus­sch­ließ­lich da­zu da, den Men­schen da­zu zu brin­gen, sich in ei­nen sol­chen See­len­zu­stand zu ver­set­zen, daß er das Reich des Son­nen­geis­tes au­ßer der ir­di­schen Ent­wi­cke­lung schau­en konn­te. Nun­mehr be­ka­men die Mys­te­ri­en-Wei­s­tü­mer die Auf­ga­be, den Men­­schen fähig zu ma­chen, den mensch­ge­wor­de­nen Chris­tus zu er­ken­nen und von die­sem Mit­tel­punk­te al­ler Weis­heit aus die na­tür­li­che und die geis­ti­ge Welt zu ver­ste­hen.

In je­nem Au­gen­bli­cke sei­nes Le­bens, in wel­chem der As­tral­leib des Chris­tus Je­sus al­les das in sich hat­te, was durch den lu­zi­fe­ri­schen Ein­schlag ver­hüllt wer­den kann, be­­gann sein Auf­t­re­ten als Leh­rer der Mensch­heit. Von die­sem Au­gen­bli­cke an war in die men­sch­li­che Er­den­ent­wi­cke­lung die An­la­ge ein­gepflanzt, die Weis­heit auf­zu­neh­men, durch wel­che nach und nach das phy­si­sche Er­den­ziel er­reicht wer­­den kann. In je­nem Au­gen­bli­cke, da sich das Er­eig­nis von Gol­ga­tha voll­zog, war die an­de­re An­la­ge in die Mensch­heit ein­ge­impft, wo­durch der Ein­fluß Ah­ri­mans zum Gu­ten ge­wen­det wer­den kann. Aus dem Le­ben her­aus kann nun­mehr der Mensch durch das Tor des To­des hin­durch das mit­neh­­men, was ihn be­f­reit von der Ve­r­ein­sa­mung in der geis­ti­gen Welt. Nicht nur für die phy­si­sche Mensch­heits­ent­wi­cke­lung steht das Er­eig­nis von Pa­läs­t­i­na im Mit­tel­punk­te, son­dern auch für die üb­ri­gen Wel­ten, de­nen der Mensch an­ge­hört. Und als sich das «Mys­te­ri­um von Gol­ga­tha» voll­zo­gen hat­te, als der «Tod des Kreu­zes» er­lit­ten war, da er­schi­en der Chris­tus in je­ner Welt, in wel­cher die See­len nach dem To­de wei­len, und wies die Macht Ah­ri­mans in ih­re Schran­ken. Von die­sem Au­gen­bli­cke an war das Ge­biet, das von den Grie­chen ein «Schat­ten­reich» ge­nannt wor­den war, von

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je­nem Geis­tes­b­litz durch­zuckt, der sei­nen We­sen zeig­te, daß wie­der Licht in das­sel­be kom­men soll­te. Was durch das «Mys­te­ri­um von Gol­ga­tha» für die phy­si­sche Welt er­langt war, das warf sein Licht hin­ein in die geis­ti­ge Welt. So war die nachat­lan­ti­sche Mensch­heits­ent­wi­cke­lung bis zu die­­sem Er­eig­nis hin ein Auf­s­tieg für die phy­sisch-sinn­li­che Welt. Aber sie war auch ein Nie­der­gang für die geis­ti­ge. Al­les, was in die sinn­li­che Welt floß, das ent­ström­te dem, was in der geis­ti­gen seit ural­ten Zei­ten schon war. Seit dem Chris­tus-Er­eig­nis kön­nen die Men­schen, wel­che sich zu dem Chris­tus-Ge­heim­nis er­he­ben, aus der sinn­li­chen Welt in die geis­ti­ge das Er­run­ge­ne hin­über­neh­men. Und aus die­ser fließt es dann wie­der in die ir­disch-sinn­li­che zu­rück, in­dem die Men­schen bei ih­rer Wie­der­ver­kör­pe­rung das­je­ni­ge mit­brin­­gen, was ih­nen der Chris­tus-Im­puls in der geis­ti­gen Welt zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt ge­wor­den ist.

Was durch die Chris­tus-Er­schei­nung der Mensch­heits­­­ent­wi­cke­lung zu­ge­f­los­sen ist, wirk­te wie ein Sa­me in der­sel­ben. Der Sa­me kann nur all­mäh­lich rei­fen. Nur der al­ler­ge­rings­te Teil der Tie­fen der neu­en Wei­s­tü­mer ist bis auf die Ge­gen­wart he­r­ein in das phy­si­sche Da­sein ein­ge­f­los­sen. Die­­ses steht erst im An­fan­ge der christ­li­chen Ent­wi­cke­lung. Die­se konn­te in den au­f­ein­an­der­fol­gen­den Zei­träu­men, die seit je­ner Er­schei­nung ver­f­los­sen sind, nur im­mer so viel von ih­rem in­ne­ren We­sen ent­hül­len, als die Men­schen, die Völ­ker fähig wa­ren, zu emp­fan­gen, als die­se in ihr Vor­stel­lungs­­ver­mö­gen auf­neh­men konn­ten. Die ers­te Form, in wel­che sich die­ses Er­ken­nen gie­ßen konn­te, läßt sich als ein um­­­fas­sen­des Le­ben­s­i­deal aus­sp­re­chen. Als sol­ches stell­te es sich ent­ge­gen dem, was in der nachat­lan­ti­schen Mensch­heit sich als Le­bens­for­men her­aus­ge­bil­det hat­te. Es sind oben die

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Ver­hält­nis­se ge­schil­dert wor­den, wel­che in der Ent­wi­cke­­lung der Mensch­heit seit der Wie­der­be­völ­ke­rung der Er­de in der le­mu­ri­schen Zeit ge­wirkt ha­ben. Die Men­schen sind dem­ge­mäß see­lisch auf ver­schie­de­ne We­sen­hei­ten zu­rück­zu­füh­ren, wel­che aus an­de­ren Wel­ten kom­mend in den Lei­bes­nach­kom­men der al­ten Le­mu­ri­er sich ver­kör­per­ten. Die ver­schie­de­nen Men­schen­ras­sen sind ei­ne Fol­ge die­ser Tat­sa­che. Und in den wie­der­ver­kör­per­ten See­len tra­ten, in­fol­ge ih­res Kar­mas, die ver­schie­dens­ten Le­bens­in­ter­es­sen auf. So­lan­ge al­les das nach­wirk­te, konn­te es nicht das Ideal der «all­ge­mei­nen Men­sch­lich­keit» ge­ben. Die Mensch­heit ist von ei­ner Ein­heit aus­ge­gan­gen; aber die bis­he­ri­ge Er­den­­ent­wi­cke­lung hat zur Son­de­rung ge­führt. In der Chris­tus-Vor­stel­lung ist zu­nächst ein Ideal ge­ge­ben, das al­ler Son­de­rung ent­ge­gen­wirkt, denn in dem Men­schen, der den Chris­tus­na­men trägt, le­ben auch die Kräf­te des ho­hen Son­nen­we­sens, in de­nen je­des men­sch­li­che Ich sei­nen Ur­grund fin­­det. Noch das is­rae­li­ti­sche Volk fühl­te sich als Volk, der Mensch als Glied die­ses Vol­kes. In­dem zu­nächst in dem blo­ßen Ge­dan­ken er­faßt wur­de, daß in Chris­tus Je­sus der Ideal­mensch lebt, zu dem die Be­din­gun­gen der Son­de­rung nicht drin­gen, wur­de das Chris­ten­tum das Ideal der um­­­fas­sen­den Brü­der­lich­keit. Über al­le Son­der­in­ter­es­sen und Son­der­ver­wandt­schaf­ten hin­weg trat das Ge­fühl auf, daß des Men­schen in­ners­tes Ich bei je­dem den glei­chen Ur­sprung hat. (Ne­ben al­len Er­den­vor­fah­ren tritt der ge­mein­sa­me Va­ter al­ler Men­schen auf. «Ich und der Va­ter sind Eins.»)

Im vier­ten, fünf­ten und sechs­ten Jahr­hun­dert nach Chri­s­tus be­rei­te­te sich in Eu­ro­pa ein Kul­tur­zei­tal­ter vor, das mit dem fünf­zehn­ten Jahr­hun­dert be­gann und in wel­chem die Ge­gen­wart noch lebt. Es soll­te das vier­te, das grie­chisch-latei­ni­sche

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all­mäh­lich ablö­sen. Es ist das fünf­te nachat­lan­­ti­sche Kul­tur­zei­tal­ter. Die Völ­ker, wel­che sich nach ver­­­schie­de­nen Wan­de­run­gen und den man­nig­fal­tigs­ten Schick­­sa­len zu Trä­gern die­ses Zei­tal­ters mach­ten, wa­ren Nach­kom­­men der­je­ni­gen At­lan­tier, wel­che von dem, was mitt­ler­wei­le in den vier vor­her­ge­hen­den Kul­tur­pe­rio­den sich ab­ge­spielt hat­te, am un­be­rühr­tes­ten ge­b­lie­ben wa­ren. Sie wa­ren nicht bis in die Ge­bie­te vor­ge­drun­gen, in de­nen die ent­sp­re­chen­den Kul­tu­ren Wur­zel faß­ten. Da­ge­gen hat­ten sie in ih­rer Art die at­lan­ti­schen Kul­tu­ren fort­gepflanzt. Es gab un­ter ih­nen vie­le Men­schen, wel­che sich das Erb­stück des al­ten däm­mer­haf­ten Hell­se­hens des be­schrie­be­nen Zwi­schen­zu­stan­des zwi­schen Wa­chen und Schla­fen im ho­hen Gra­de be­wahrt hat­ten. Sol­che Men­schen kann­ten die geis­ti­ge Welt als ei­ge­­nes Er­leb­nis und konn­ten ih­ren Mit­men­schen mit­tei­len, was in die­ser Welt vor­geht. So ent­stand ei­ne Welt von Er­zäh­­lun­gen über geis­ti­ge We­sen und geis­ti­ge Vor­gän­ge. Und der Mär­chen- und Sa­gen­schatz der Völ­ker ist ur­sprüng­lich aus sol­chen geis­ti­gen Er­leb­nis­sen her­aus ent­stan­den. Denn die däm­mer­haf­te Hell­sich­tig­keit vie­ler Men­schen dau­er­te bis in Zei­ten her­auf, die kei­nes­wegs lan­ge hin­ter un­se­rer Ge­gen­wart zu­rück­lie­gen. An­de­re Men­schen wa­ren da, wel­che die Hell­sich­tig­keit zwar ver­lo­ren hat­ten, aber die er­lang­ten Fähig­kei­ten für die sinn­lich-phy­si­sche Welt doch nach Ge­­füh­len und Emp­fin­dun­gen aus­bil­de­ten, wel­che den Er­le­b­­nis­sen die­ser Hell­sich­tig­keit ent­spra­chen. Und auch die at­lan­­ti­schen Ora­kel hat­ten hier ih­re Nach­fol­ger. Es gab übe­rall Mys­te­ri­en. Nur bil­de­te sich in die­sen Mys­te­ri­en vor­wie­gend ein sol­ches Ge­heim­nis der Ein­wei­hung aus, wel­ches zur Of­fen­ba­rung der­je­ni­gen Geis­tes­welt führt, die Ah­ri­man ver­sch­los­sen hält. Die hin­ter den Na­tur­ge­wal­ten ste­hen­den

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Geis­tes­mäch­te wur­den da er­sch­los­sen. In den My­tho­lo­gi­en der eu­ro­päi­schen Völ­ker sind die Res­te des­sen ent­hal­ten, was die Ein­ge­weih­ten die­ser Mys­te­ri­en den Men­schen ver­kün­­den konn­ten. Nur ent­hal­ten die­se My­tho­lo­gi­en al­ler­dings auch das an­de­re Ge­heim­nis, doch in un­voll­kom­me­ne­rer Ge­­stalt, als die süd­li­chen und öst­li­chen Mys­te­ri­en es hat­ten. Die über­men­sch­li­chen We­sen­hei­ten wa­ren auch in Eu­ro­pa be­­kannt. Doch sah man sie im ste­ti­gen Kamp­fe mit den Ge­­nos­sen Lu­zi­fers. Und man ver­kün­dig­te zwar den Licht­gott; doch in sol­cher Ge­stalt, daß man von die­ser nicht sa­gen konn­te, sie wer­de Lu­zi­fer be­sie­gen. Da­für aber leuch­te­te auch in die­se Mys­te­ri­en hin­ein die Zu­kunfts­ge­stalt des Chri­s­tus. Man ver­kün­dig­te von ihm, daß sein Reich ablö­sen wer­de das Reich je­nes an­de­ren Licht­got­tes. (Al­le Sa­gen von der Göt­ter­däm­me­rung und ähn­li­che ha­ben in die­ser Er­kennt­nis der Mys­te­ri­en Eu­ro­pas ih­ren Ur­sprung.) Aus sol­chen Ein­flüs­sen her­aus ent­stand ein See­len­zwie­spalt in den Men­schen der fünf­ten Kul­tu­re­po­che, der ge­gen­wär­tig noch fort­dau­ert und sich in den man­nig­fal­tigs­ten Er­schei­nun­gen des Le­bens zeigt. Die See­le be­hielt von den al­ten Zei­ten her den Zug zum Geis­ti­gen nicht so stark, daß sie den Zu­sam­­men­hang zwi­schen der geis­ti­gen und der sinn­li­chen Welt hät­te fest­hal­ten kön­nen. Sie be­hielt ihn nur als Ge­fühls- und Emp­fin­dungs­zucht, nicht aber als un­mit­tel­ba­res Schau­en der über­sinn­li­chen Welt. Da­ge­gen wur­de der Blick des Men­­schen auf die sinn­li­che Welt und ih­re Be­herr­schung im­mer mehr hin­ge­lenkt. Und die in der letz­ten at­lan­ti­schen Zeit er­wach­ten Ver­stan­des­kräf­te, al­le die Kräf­te im Men­schen, de­ren In­stru­ment das phy­si­sche Ge­hirn ist, wur­den auf die Sin­nes­welt und de­ren Er­kennt­nis und Be­herr­schung hin aus­­­ge­bil­det. Zwei Wel­ten ent­wi­ckel­ten sich ge­wis­ser­ma­ßen in

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der Men­schen­brust. Die ei­ne ist dem sinn­lich-phy­si­schen Da­­sein zu­ge­kehrt, die an­de­re ist emp­fäng­lich für die Of­fen­ba­rung des Geis­ti­gen, um die­ses mit Ge­fühl und Emp­fin­­dung, doch oh­ne An­schau­ung zu durch­drin­gen. Die An­la­gen zu die­ser See­len­spal­tung wa­ren schon vor­han­den, als die Chris­tus­leh­re in die Ge­bie­te Eu­ro­pas ein­f­loß. Man nahm die­se Bot­schaft vom Geis­te in die Her­zen auf, durch­drang Emp­fin­dung und Ge­fühl da­mit, konn­te aber nicht die Brü­cke schla­gen zu dem, was der auf die Sin­ne ge­rich­te­te Ver­stand im phy­sisch-sinn­li­chen Da­sein er­kun­de­te. Was man heu­te kennt als Ge­gen­satz von äu­ße­rer Wis­sen­schaft und geis­ti­ger Er­kennt­nis, ist nur ei­ne Fol­ge die­ser Tat­sa­che. Die christ­­li­che Mys­tik (Eck­hardts, Tau­lers usw.) ist ein Er­geb­nis der Durch­drin­gung von Ge­fühl und Emp­fin­dung mit dem Chri­s­ten­tum. Die bloß auf die Sin­nen­welt ge­rich­te­te Wis­sen­schaft und de­ren Er­geb­nis­se im Le­ben sind die Fol­gen der an­dern Sei­te der See­len­an­la­gen. Und es sind die Er­run­gen­schaf­ten auf dem Fel­de der äu­ßer­li­chen ma­te­ri­el­len Kul­tur durch­aus die­ser Tren­nung der An­la­gen zu ver­dan­ken. In­dem sich die­je­ni­gen Fähig­kei­ten des Men­schen, wel­che ihr In­stru­ment im Ge­hirn ha­ben, ein­sei­tig dem phy­si­schen Le­ben zu­wan­d­­ten, konn­ten sie zu je­ner Stei­ge­rung kom­men, wel­che die ge­gen­wär­ti­ge Wis­sen­schaft, Tech­nik und so wei­ter mög­lich mach­te. Und nur bei den Völ­kern Eu­ro­pas konn­te der Ur­­­sprung die­ser ma­te­ri­el­len Kul­tur lie­gen. Denn sie sind je­ne Nach­kom­men at­lan­ti­scher Vor­fah­ren, wel­che den Zug für die phy­sisch-sinn­li­che Welt erst dann zu Fähig­kei­ten aus­­­bil­de­ten, als er zu ei­ner ge­wis­sen Rei­fe ge­die­hen war. Vor­­her lie­ßen sie ihn schlum­mern und leb­ten von den Er­b­­stü­cken des at­lan­ti­schen Hell­se­hens und den Mit­tei­lun­gen ih­rer Ein­ge­weih­ten. Wäh­rend äu­ßer­lich die Geis­tes­kul­tur

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nur die­sen Ein­flüs­sen hin­ge­ge­ben war, reif­te lang­sam aus der Sinn für die ma­te­ri­el­le Be­herr­schung der Welt.

Doch kün­digt sich ge­gen­wär­tig be­reits die Mor­gen­rö­te der sechs­ten nachat­lan­ti­schen Kul­tur­pe­rio­de an. Denn was in der Mensch­heits­ent­wi­cke­lung zu ei­ner ge­wis­sen Zeit ent­ste­hen soll, das reift lang­sam in der vor­her­ge­hen­den Zeit. Was ge­gen­wär­tig sich schon in den An­fän­gen ent­wi­ckeln kann, das ist das Auf­fin­den des Fa­dens, wel­cher die zwei Sei­ten in der Men­schen­brust ver­bin­det, die ma­te­ri­el­le Kul­tur und das Le­ben in der geis­ti­gen Welt. Da­zu ist not­wen­dig, daß auf der ei­nen Sei­te die Er­geb­nis­se des geis­ti­gen Schau­ens be­grif­­fen wer­den und auf der an­dern in den Be­o­b­ach­tun­gen und Er­leb­nis­sen der Sin­nes­welt die Of­fen­ba­run­gen des Geis­tes er­kannt wer­den. Die sechs­te Kul­tu­re­po­che wird die Har­­mo­nie zwi­schen bei­den zur vol­len Ent­wi­cke­lung brin­gen. Da­mit ist die Be­trach­tung die­ses Bu­ches bis zu ei­nem Punk­te vor­ge­rückt, wo sie über­ge­hen kann von ei­nem Aus­blick in die Ver­gan­gen­heit zu ei­nem sol­chen in die Zu­kunft. Doch ist es bes­ser, wenn die­sem Aus­blick die Be­trach­tung über die Er­kennt­nis der höhe­ren Welt und über die Ein­wei­hung vor­­an­geht. Dann wird sich an sie je­ner Aus­blick, in­so­fern er mög­lich ist in dem Rah­men die­ser Schrift, kurz ge­ben las­sen.

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DIE ERKENNTNIS DER HÖHEREN WELTEN

(VON DER EIN­WEI­HUNG ODER IN­I­TIA­TI­ON)

Zwi­schen Ge­burt und Tod durch­lebt der Mensch auf sei­ner ge­gen­wär­ti­gen Ent­wi­cke­lungs­stu­fe im ge­wöhn­li­chen Le­ben drei See­len­zu­stän­de: das Wa­chen, den Schlaf und zwi­schen bei­den den Tra­um­zu­stand. Auf den letz­te­ren soll an spä­t­e­­rer Stel­le die­ser Schrift noch kurz hin­ge­deu­tet wer­den. Hier mag das Le­ben zu­nächst in sei­nen bei­den wech­seln­den Haupt­zu­stän­den, dem Wa­chen und dem Schla­fen, be­trach­tet wer­­den. Zu Er­kennt­nis­sen in höhe­ren Wel­ten ge­langt der Mensch, wenn er sich, au­ßer dem Schla­fen und Wa­chen, noch ei­nen drit­ten See­len­zu­stand er­wirbt. Wäh­rend des Wa­chens ist die See­le hin­ge­ge­ben den Sin­ne­s­ein­drü­cken und den Vor­stel­lun­gen, wel­che von die­sen Sin­ne­s­ein­drü­cken an­ge­regt wer­den. Wäh­rend des Schla­fes schwei­gen die Sin­ne­s­ein­drü­cke; aber die See­le ver­liert auch das Be­wußt­sein. Die Ta­ge­ser­leb­nis­se sin­ken in das Meer der Be­wußt­lo­sig­keit hin­un­ter. Man den­ke sich nun: die See­le könn­te wäh­rend des Schla­fes zu ei­ner Be­wußt­heit kom­men, trotz­dem die Ein­drü­cke der Sin­ne, wie sonst im tie­fen Schla­fe, aus­ge­­schal­tet blie­ben. Ja, es wür­de auch die Er­in­ne­rung an die Ta­ge­ser­leb­nis­se nicht vor­han­den sein. Be­fän­de sich nun die See­le in ei­nem Nichts? Könn­te sie nun gar kei­ne Er­­leb­nis­se ha­ben? Ei­ne Ant­wort auf die­se Fra­ge ist nur mög­­lich, wenn ein Zu­stand wir­k­lich her­ge­s­tellt wer­den kann, wel­cher die­sem gleich oder ähn­lich ist. Wenn die See­le et­was er­le­ben kann, auch dann, wenn kei­ne Sin­nes­wir­kun­gen und kei­ne Er­in­ne­run­gen an sol­che in ihr vor­han­den sind. Dann be­fän­de sich die See­le in be­zug auf die ge­wöhn­li­che Au­ßen­welt wie im Schla­fe; und doch sch­lie­fe sie nicht, son­dern

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wä­re wie im Wa­chen ei­ner wir­k­li­chen Welt ge­gen­über. Nun kann ein sol­cher Be­wußt­s­eins­zu­stand her­ge­s­tellt wer­­den, wenn der Mensch die­je­ni­gen See­le­n­er­leb­nis­se her­bei­­führt, wel­che ihm die Geis­tes­wis­sen­schaft mög­lich macht. Und al­les, was die­se über je­ne Wel­ten mit­teilt, wel­che über die sinn­li­che hin­aus­lie­gen, ist durch ei­nen sol­chen Be­wußt­s­eins­zu­stand er­forscht. In den vor­her­ge­hen­den Aus­füh­run­gen sind ei­ni­ge Mit­tei­lun­gen über höhe­re Wel­ten ge­macht wor­den. In dem Fol­gen­den soll nun auch so­weit dies in die­sem Bu­che ge­sche­hen kann von den Mit­teln ge­spro­chen wer­den, durch wel­che der zu die­sem For­schen not­wen­di­ge Be­wußt­s­eins­zu­stand ge­schaf­fen wird.

Nur nach ei­ner Rich­tung hin gleicht die­ser Be­wußt­s­eins­zu­stand dem Schla­fe, näm­lich da­durch, daß durch ihn al­le äu­ße­ren Sin­nes­wir­kun­gen auf­hö­ren; auch al­le Ge­dan­ken ge­­tilgt sind, wel­che durch die­se Sin­nes­wir­kun­gen an­ge­regt sind. Wäh­rend aber im Schla­fe die See­le kei­ne Kraft hat, be­wußt et­was zu er­le­ben, soll sie die­se Kraft durch die­sen Be­wußt­­­s­eins­zu­stand er­hal­ten. Durch ihn wird in der See­le al­so die Fähig­keit ei­nes Er­le­bens er­weckt, wel­che im ge­wöhn­li­chen Da­sein nur durch die Sin­nes­wir­kun­gen an­ge­regt wird. Die Er­we­ckung der See­le zu ei­nem sol­chen höhe­ren Be­wußt­s­eins­zu­stand kann Ein­wei­hung (In­i­tia­ti­on) ge­nannt wer­den.

Die Mit­tel der Ein­wei­hung füh­ren den Men­schen aus dem ge­wöhn­li­chen Zu­stan­de des Ta­ges­be­wußt­seins in ei­ne sol­che See­l­en­tä­tig­keit hin­ein, durch wel­che er sich geis­ti­ger Be­o­b­ach­tungs­werk­zeu­ge be­di­ent. Die­se Werk­zeu­ge sind wie Kei­me vor­her in der See­le vor­han­den. Die­se Kei­me müs­sen ent­wi­ckelt wer­den. Nun kann der Fall ein­t­re­ten, daß ein Mensch in ei­nem be­stimm­ten Zeit­punk­te sei­ner Le­bens­lauf­bahn oh­ne be­son­de­re Vor­be­rei­tung in sei­ner See­le die En­t­­­de­ckung

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macht, es ha­ben sich sol­che höhe­re Werk­zeu­ge in ihm ent­wi­ckelt. Es ist dann ei­ne Art von un­will­kür­li­cher Selbs­t­er­we­ckung ein­ge­t­re­ten. Solch ein Mensch wird sich da­durch in sei­nem gan­zen We­sen um­ge­wan­delt fin­den. Ei­ne un­be­g­renz­te Be­rei­che­rung sei­ner See­le­n­er­leb­nis­se tritt ein. Und er wird fin­den, daß er durch kei­ne Er­kennt­nis­se der Sin­nen­welt ei­ne sol­che Be­se­li­gung, sol­che be­frie­di­gen­de Ge­­müts­ver­fas­sung und in­ne­re Wär­me emp­fin­den kann, wie durch das­je­ni­ge, was sich ei­ner Er­kennt­nis er­sch­ließt, die nicht dem phy­si­schen Au­ge zu­gäng­lich ist. Kraft und Le­ben­s­­­si­cher­heit wird in sei­nen Wil­len aus ei­ner geis­ti­gen Welt ein­­strö­men. Sol­che Fäl­le von Selb­st­ein­wei­hung gibt es. Sie soll­ten aber nicht zu dem Glau­ben ver­füh­ren, daß es das ein­zig Rich­ti­ge sei, ei­ne sol­che Selb­st­ein­wei­hung ab­zu­war­ten und nichts zu tun, um die Ein­wei­hung durch re­gel­rech­te Schu­lung her­bei­zu­füh­ren. Von der Selb­st­ein­wei­hung braucht hier nicht ge­spro­chen zu wer­den, da sie eben oh­ne Be­o­b­ach­­tung ir­gend­wel­cher Re­geln ein­t­re­ten kann. Dar­ge­s­tellt aber soll wer­den, wie man durch Schu­lung die in der See­le keim­haft ru­hen­den Wahr­neh­mung­s­or­ga­ne ent­wi­ckeln kann. Men­­schen, wel­che kei­nen be­son­de­ren An­trieb in sich ver­spü­ren, für ih­re Ent­wi­cke­lung selbst et­was zu tun, wer­den leicht sa­gen: das Men­schen­le­ben steht in der Lei­tung von geis­ti­gen Mäch­ten, in de­ren Füh­rung soll man nicht ein­g­rei­fen; man soll ru­hig des Au­gen­bli­ckes har­ren, in dem je­ne Mäch­te es für rich­tig hal­ten, der See­le ei­ne an­de­re Welt zu er­sch­lie­ßen. Es wird wohl auch von sol­chen Men­schen wie ei­ne Art von Ver­mes­sen­heit emp­fun­den, oder als ei­ne un­be­rech­tig­te Be­­gier­de, in die Weis­heit der geis­ti­gen Füh­rung ein­zu­g­rei­fen. Per­sön­lich­kei­ten, wel­che so den­ken, wer­den erst dann zu ei­ner an­de­ren Mei­nung ge­führt, wenn auf sie ei­ne ge­wis­se

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Vor­stel­lung ei­nen ge­nü­gend star­ken Ein­druck macht. Wenn sie sich sa­gen: Je­ne wei­se Füh­rung hat mir ge­wis­se Fähi­g­kei­ten ge­ge­ben; sie hat mir die­se nicht ver­lie­hen, auf daß ich sie un­be­nützt las­se, son­dern da­mit ich sie ge­brau­che. Die Weis­heit der Füh­rung be­steht da­rin, daß sie in mich die Kei­me ge­legt hat zu ei­nem höhe­ren Be­wußt­s­eins­zu­stan­de. Ich ver­ste­he die­se Füh­rung nur, wenn ich es als Pf­licht em­p­­fin­de, daß al­les dem Men­schen of­fen­bar wer­de, was durch sei­ne Geis­tes­kräf­te of­fen­bar wer­den kann. Wenn ein sol­cher Ge­dan­ke ei­nen ge­nü­gend star­ken Ein­druck auf die See­le ge­macht hat, dann wer­den die obi­gen Be­den­ken ge­gen ei­ne Schu­lung in be­zug auf ei­nen höhe­ren Be­wußt­s­eins­zu­stand schwin­den.

Es kann aber al­ler­dings noch ein an­de­res Be­den­ken ge­ben, das sich ge­gen ei­ne sol­che Schu­lung er­hebt. Man kann sich sa­gen: «Die Ent­wi­cke­lung in­ne­rer See­len­fähig­kei­ten greift in das ver­bor­gens­te Hei­lig­tum des Men­schen ein. Sie sch­ließt in sich ei­ne ge­wis­se Um­wand­lung des gan­zen men­sch­li­chen We­sens. Die Mit­tel zu sol­cher Um­wand­lung kann man sich na­tur­ge­mäß nicht sel­ber er­sin­nen. Denn wie man in ei­ne höhe­re Welt kommt, kann doch nur der­je­ni­ge wis­sen, wel­cher den Weg in die­se als sein ei­ge­nes Er­leb­nis kennt. Wenn man sich an ei­ne sol­che Per­sön­lich­keit wen­det, so ge­stat­tet man der­sel­ben ei­nen Ein­fluß auf das ver­bor­gens­te Hei­li­g­­tum der See­le.» Wer so denkt, dem könn­te es selbst kei­ne be­son­de­re Be­ru­hi­gung ge­wäh­ren, wenn ihm die Mit­tel zur Her­bei­füh­rung ei­nes höhe­ren Be­wußt­s­eins­zu­stan­des in ei­nem Bu­che dar­ge­bo­ten wür­den. Denn es kommt ja nicht dar­auf an, ob man et­was münd­lich mit­ge­teilt er­hält oder ob ei­ne Per­sön­lich­keit, wel­che die Kennt­nis die­ser Mit­tel hat, die­se in ei­nem Bu­che dar­s­tellt und ein an­de­rer sie dar­aus er­fährt.

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Es gibt nun sol­che Per­sön­lich­kei­ten, wel­che die Kennt­nis der Re­geln für die Ent­wi­cke­lung der geis­ti­gen Wahr­neh­mung­s­or­ga­ne be­sit­zen und wel­che die An­sicht ver­t­re­ten, daß man die­se Re­geln ei­nem Bu­che nicht an­ver­trau­en dür­fe. Sol­che Per­so­nen be­trach­ten zu­meist auch die Mit­tei­lung ge­wis­ser Wahr­hei­ten, wel­che sich auf die geis­ti­ge Welt be­zie­hen, als un­statt­haft. Doch muß die­se An­schau­ung ge­gen­über dem ge­gen­wär­ti­gen Zei­tal­ter der Mensch­heits­ent­wi­cke­lung in ge­­wis­ser Be­zie­hung als veral­tet be­zeich­net wer­den. Rich­tig ist, daß man mit der Mit­tei­lung der ent­sp­re­chen­den Re­geln nur bis zu ei­nem ge­wis­sen Punk­te ge­hen kann. Doch führt das Mit­ge­teil­te so weit, daß der­je­ni­ge, wel­cher die­ses auf sei­ne See­le an­wen­det, in der Er­kennt­nis­ent­wi­cke­lung da­zu ge­langt, daß er den wei­te­ren Weg dann fin­den kann. Es führt die­ser Weg dann in ei­ner Art wei­ter, über wel­che man ei­ne rich­ti­ge Vor­stel­lung auch nur durch das vor­her Durch­ge­­­mach­te er­hal­ten kann. Aus all die­sen Tat­sa­chen kön­nen sich Be­den­ken ge­gen den geis­ti­gen Er­kennt­nis­weg er­ge­ben. Die­se Be­den­ken schwin­den, wenn man das We­sen des­je­ni­gen Ent­wi­cke­lungs­gan­ges ins Au­ge faßt, wel­chen die un­se­rem Zeit­al­ter an­ge­mes­se­ne Schu­lung vor­zeich­net. Von die­sem We­ge soll hier ge­spro­chen und auf an­de­re Schu­lun­gen nur kurz hin­ge­wie­sen wer­den.

Die hier zu be­sp­re­chen­de Schu­lung gibt dem­je­ni­gen, wel­cher den Wil­len zu sei­ner höhe­ren Ent­wi­cke­lung hat, die Mit­tel an die Hand, die Um­wand­lung sei­ner See­le vor­zu­­­neh­men. Ein be­denk­li­cher Ein­griff in das We­sen des Schü­­lers wä­re nur dann vor­han­den, wenn der Leh­rer die­se Um­­wand­lung durch Mit­tel vor­näh­me, die sich dem Be­wußt­sein des Schü­lers ent­zie­hen. Sol­cher Mit­tel be­di­ent sich aber kei­ne rich­ti­ge An­wei­sung der Geis­tes­ent­wi­cke­lung in un­se­rem Zei­tal­ter.

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Die­se macht den Schü­ler zu kei­nem blin­den Werk­zeu­ge. Sie gibt ihm die Ver­hal­tungs­maß­r­e­geln; und der Schü­ler führt sie aus. Es wird da­bei, wenn es dar­auf an­kommt, nicht ver­schwie­gen, warum die­se oder je­ne Ver­hal­tungs­maß­r­e­gel ge­ge­ben wird. Die Ent­ge­gen­nah­me der Re­geln und ih­re An­wen­dung durch ei­ne Per­sön­lich­keit, wel­che geis­ti­ge En­t­­wi­cke­lung sucht, braucht nicht auf blin­den Glau­ben hin zu ge­sche­hen. Ein sol­cher soll­te auf die­sem Ge­bie­te ganz aus­­­ge­sch­los­sen sein. Wer die Na­tur der Men­schen­see­le be­trach­­tet, so­weit sie oh­ne Geis­tes­schu­lung schon durch die ge­wöhn­li­che Selbst­be­o­b­ach­tung sich er­gibt, der kann sich nach Ent­ge­gen­nah­me der von der Geis­tes­schu­lung emp­foh­le­nen Re­geln fra­gen: wie kön­nen die­se Re­geln im See­len­le­ben wir­ken? Und die­se Fra­ge kann, vor al­ler Schu­lung, bei un­be­­fan­ge­ner An­wen­dung des ge­sun­den Men­schen­ver­stan­des, ge­nü­gend be­ant­wor­tet wer­den. Man kann über die Wir­kungs­wei­se die­ser Re­geln sich rich­ti­ge Vor­stel­lun­gen ma­chen, be­vor man sich ih­nen hin­gibt. Er­le­ben kann man die­se Wir­kungs­wei­se al­ler­dings erst wäh­rend der Schu­lung. Al­lein auch da wird das Er­le­ben stets von dem Ver­ste­hen die­ses Er­le­bens be­g­lei­tet sein, wenn man je­den zu ma­chen­den Schritt mit dem ge­sun­den Ur­tei­le be­g­lei­tet. Und ge­gen­wär­tig wird ei­ne wah­re Geis­tes­wis­sen­schaft nur sol­che Re­geln für die Schu­lung an­ge­ben, de­nen ge­gen­über sol­ches ge­sun­de Ur­teil sich gel­tend ma­chen kann. Wer wil­lens ist, sich nur ei­ner sol­chen Schu­lung hin­zu­ge­ben, und wer sich durch kei­ne Vor­­ein­ge­nom­men­heit zu ei­nem blin­den Glau­ben trei­ben läßt, dem wer­den al­le Be­den­ken schwin­den. Ein­wän­de ge­gen ei­ne re­gel­rech­te Schu­lung zu ei­nem höhe­ren Be­wußt­s­eins­zu­stan­de wer­den ihn nicht stö­ren.

Selbst für ei­ne sol­che Per­sön­lich­keit, wel­che die in­ne­re

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Rei­fe hat, die sie in kür­ze­rer oder län­ge­rer Zeit zum Selb­st­er­wa­chen der geis­ti­gen Wahr­neh­mung­s­or­ga­ne füh­ren kann, ist ei­ne Schu­lung nicht über­flüs­sig, son­dern im Ge­gen­teil, für sie ist sie ganz be­son­ders ge­eig­net. Denn es gibt nur we­ni­ge Fäl­le, in de­nen ei­ne sol­che Per­sön­lich­keit vor der Selb­st­ein­wei­hung nicht die man­nig­fal­tigs­ten krum­men und ver­geb­li­chen Sei­ten­we­ge durch­zu­ma­chen hat. Die Schu­lung er­spart ihr die­se Sei­ten­we­ge. Sie führt in der ge­ra­den Rich­­tung vor­wärts. Wenn ei­ne sol­che Selb­st­ein­wei­hung für die­se See­le ein­tritt, so rührt dies da­von her, daß die See­le sich in vor­her­ge­hen­den Le­bens­läu­fen die ent­sp­re­chen­de Rei­fe er­wor­ben hat. Es kommt nun sehr leicht vor, daß ge­ra­de ei­ne sol­che See­le ein ge­wis­ses dun­k­les Ge­fühl von ih­rer Rei­fe hat und sich aus die­sem Ge­fühl her­aus ge­gen ei­ne Schu­lung ab­­leh­nend ver­hält. Ein sol­ches Ge­fühl kann näm­lich ei­nen ge­­wis­sen Hoch­mut er­zeu­gen, wel­cher das Ver­trau­en zu ech­ter Geis­tes­schu­lung hin­dert. Es kann nun ei­ne ge­wis­se Stu­fe der See­len­ent­wi­cke­lung bis zu ei­nem ge­wis­sen Le­bensal­ter ver­­­bor­gen blei­ben und erst dann her­vor­t­re­ten. Aber es kann die Schu­lung ge­ra­de das rech­te Mit­tel sein, um sie zum Her­vor­t­re­ten zu brin­gen. Ver­sch­ließt sich ein Mensch dann ge­­gen die Schu­lung, dann kann es sein, daß sei­ne Fähig­keit in dem be­tref­fen­den Le­bens­lauf ver­bor­gen bleibt und erst wie­­der in ei­nem der nächs­ten Le­bens­läu­fe her­vor­tritt.

In be­zug auf die hier ge­mein­te Schu­lung für die über­­sinn­li­che Er­kennt­nis ist es wich­tig, ge­wis­se na­he­lie­gen­de Mißv­er­ständ­nis­se nicht auf­kom­men zu las­sen. Das ei­ne kann da­durch ent­ste­hen, daß man meint, die Schu­lung wol­le den Men­schen in be­zug auf sei­ne gan­ze Le­bens­füh­rung zu ei­nem an­dern We­sen ma­chen. Al­lein es han­delt sich nicht dar­um, dem Men­schen all­ge­mei­ne Le­bens­vor­schrif­ten zu ge­ben, son­­dern

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ihm von See­len­ver­rich­tun­gen zu sp­re­chen, die, wenn er sie aus­führt, ihm die Mög­lich­keit ge­ben, das Über­sinn­li­che zu be­o­b­ach­ten. Auf den­je­ni­gen Teil sei­ner Le­bens­ver­­rich­tun­gen, der au­ßer­halb der Be­o­b­ach­tung des Über­sin­n­­li­chen liegt, ha­ben die­se Ver­rich­tun­gen kei­nen un­mit­tel­ba­ren Ein­fluß. Der Mensch er­wirbt sich hin­zu zu die­sen Le­bens­ver­rich­tun­gen die Ga­be der über­sinn­li­chen Be­o­b­ach­tung. Die Tä­tig­keit die­ser Be­o­b­ach­tung ist von den ge­wöhn­li­chen Ver­rich­tun­gen des Le­bens so ge­t­rennt wie der Zu­stand des Wa­chens von dem des Schla­fens. Das ei­ne kann das an­de­re nicht im ge­rings­ten stö­ren. Wer zum Bei­spiel den ge­wöhn­­li­chen Ablauf des Le­bens durch Ein­drü­cke des über­sinn­li­chen Schau­ens durch­set­zen woll­te, gleicht ei­nem Un­ge­sun­den, des­sen Schlaf von schäd­li­chem Auf­wa­chen fort­wäh­rend un­­ter­bro­chen wür­de. Dem frei­en Wil­len des Ge­schul­ten muß es mög­lich sein, den Zu­stand des Be­o­b­ach­tens über­sinn­li­cher Wir­k­lich­keit her­bei­zu­füh­ren. Mit­tel­bar hängt die Schu­lung mit Le­bens­vor­schrif­ten al­ler­dings in­so­fern zu­sam­men, als oh­ne ei­ne ge­wis­se ethisch ge­stimm­te Le­bens­füh­rung ein Ein­­blick in das Über­sinn­li­che un­mög­lich oder schäd­lich ist. Und des­halb ist man­ches, das zur An­schau­ung des Über­sin­n­­li­chen führt, zu­g­leich Mit­tel zur Ve­r­ed­lung der Le­bens­füh­rung. Auf der an­dern Sei­te er­kennt man durch den Ein­blick in die über­sinn­li­che Welt höhe­re mo­ra­li­sche Im­pul­se, die auch für die sinn­lich-phy­si­sche Welt gel­ten. Ge­wis­se mo­r­a­­li­sche Not­wen­dig­kei­ten wer­den erst aus die­ser Welt her­aus er­kannt. Ein zwei­tes Mißv­er­ständ­nis wä­re, wenn man glaub­te, ir­gend­ei­ne zum über­sinn­li­chen Er­ken­nen füh­r­en­de See­len­ver­rich­tung ha­be et­was mit Ve­r­än­de­rung der phy­si­­schen Or­ga­ni­sa­ti­on zu tun. Es ha­ben sol­che Ver­rich­tun­gen viel­mehr nicht das ge­rings­te zu tun mit ir­gend et­was, in das

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Phy­sio­lo­gie oder ein an­de­rer Zweig der Na­tur­er­kennt­nis hin­ein­zu­re­den hat. Sie sind so ganz von al­lem Phy­si­schen ab­lie­gen­de rein geis­tig-see­li­sche Vor­gän­ge wie das ge­sun­de Den­ken und Wahr­neh­men selbst. Der Art nach geht in der See­le durch ei­ne sol­che Ver­rich­tung nichts an­de­res vor, als was vor­geht, wenn sie ge­sund vor­s­tellt oder ur­teilt. So viel und so we­nig mit dem Lei­be das ge­sun­de Den­ken zu tun hat, so viel und so we­nig ha­ben mit die­sem die Vor­gän­ge der ech­ten Schu­lung zur über­sinn­li­chen Er­kennt­nis zu tun. Al­les, was sich an­ders zum Men­schen ver­hält, ist nicht wah­re Gei­s­tes­schu­lung, son­dern ein Zerr­bild der­sel­ben. Im Sin­ne des hier Ge­sag­ten sind die fol­gen­den Aus­füh­run­gen zu neh­men. Nur weil über­sinn­li­che Er­kennt­nis et­was ist, was von der gan­zen See­le des Men­schen aus­geht, wird es so aus­se­hen, als ob zur Schu­lung Din­ge ver­langt wür­den, die aus dem Men­­schen et­was an­de­res ma­chen. In Wahr­heit han­delt es sich um An­ga­ben über Ver­rich­tun­gen, die die See­le in die Mög­lich­keit ver­set­zen, inn­er­halb ih­res Le­bens sol­che Au­gen­bli­cke her­bei­zu­füh­ren, in de­nen sie das Über­sinn­li­che be­o­b­ach­ten kann.

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Die Er­he­bung zu ei­nem über­sinn­li­chen Be­wußt­s­eins­zu­­­stan­de kann nur von dem ge­wöhn­li­chen wa­chen Ta­ges­be­wußt­sein aus­ge­hen. In die­sem Be­wußt­sein lebt die See­le vor ih­rer Er­he­bung. Es wer­den ihr durch die Schu­lung Mit­tel ge­ge­ben, wel­che sie aus die­sem Be­wußt­sein her­aus­füh­ren. Die hier zu­nächst in Be­tracht kom­men­de Schu­lung gibt un­­ter den ers­ten Mit­teln sol­che, wel­che sich noch als Ver­rich­­tun­gen des ge­wöhn­li­chen Ta­ges­be­wußt­seins kenn­zeich­nen las­sen. Ge­ra­de die be­deut­sams­ten Mit­tel sind sol­che, die in stil­len Ver­rich­tun­gen der See­le be­ste­hen. Es han­delt sich dar­um, daß sich die See­le ganz be­stimm­ten Vor­stel­lun­gen

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hin­gibt. Die­se Vor­stel­lun­gen sind sol­che, wel­che durch ihr We­sen ei­ne we­cken­de Kraft auf ge­wis­se ver­bor­ge­ne Fähi­g­kei­ten der men­sch­li­chen See­le aus­ü­ben. Sie un­ter­schei­den sich von sol­chen Vor­stel­lun­gen des wa­chen Ta­ges­le­bens, wel­che die Auf­ga­be ha­ben, ein äu­ße­res Ding ab­zu­bil­den. Je wah­rer sie dies tun, des­to wah­rer sind sie. Und es ge­hört zu ih­rem We­sen, in die­sem Sin­ne wahr zu sein. Ei­ne sol­che Auf­ga­be ha­ben die Vor­stel­lun­gen nicht, wel­chen sich die See­le zum Zie­le der Geis­tes­schu­lung hin­ge­ben soll. Sie sind so ge­stal­tet, daß sie nicht ein Äu­ße­res ab­bil­den, son­dern in sich selbst die Ei­gen­heit ha­ben, auf die See­le we­ckend zu wir­ken. Die bes­ten Vor­stel­lun­gen hier­zu sind sinn­bild­li­che oder sym­bo­­li­sche. Doch kön­nen auch an­de­re Vor­stel­lun­gen ver­wen­det wer­den. Denn es kommt eben gar nicht dar­auf an, was die Vor­stel­lun­gen ent­hal­ten, son­dern le­dig­lich dar­auf, daß die See­le al­le ih­re Kräf­te dar­auf rich­tet, nichts an­de­res im Be­wußt­sein zu ha­ben als die be­tref­fen­de Vor­stel­lung. Wäh­rend im ge­wöhn­li­chen See­len­le­ben des­sen Kräf­te auf vie­les ver­­­teilt sind und die Vor­stel­lun­gen rasch wech­seln, kommt es bei der Geis­tes­schu­lung auf die Kon­zen­t­ra­ti­on des gan­zen See­len­le­bens auf ei­ne Vor­stel­lung an. Und die­se Vor­stel­lung muß durch frei­en Wil­len in den Mit­tel­punkt des Be­wußt­­­seins ge­rückt sein. Sinn­bild­li­che Vor­stel­lun­gen sind des­halb bes­ser als sol­che, wel­che äu­ße­re Ge­gen­stän­de oder Vor­gän­ge ab­bil­den, weil die letz­te­ren den An­halts­punkt in der Au­ßen­welt ha­ben und da­durch die See­le we­ni­ger sich auf sich al­lein zu stüt­zen hat als bei sinn­bild­li­chen, die aus der ei­ge­nen See­le­n­e­n­er­gie her­aus ge­bil­det wer­den. Nicht was vor­ge­s­tellt wird, ist we­sent­lich, son­dern dar­auf kommt es an, daß das Vor­ge­s­tell­te durch die Art des Vor­s­tel­lens das See­li­sche von je­der An­leh­nung an ein Phy­si­sches los­löst.

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Man ge­langt zu ei­nem Er­fas­sen die­ser Ver­sen­kung in ei­ne Vor­stel­lung, wenn man sich erst ein­mal den Be­griff der Er­in­ne­rung vor die See­le ruft. Hat man das Au­ge zum Bei­spiel auf ei­nen Baum ge­rich­tet und wen­det man sich dann von dem Bau­me ab, so daß man ihn nicht mehr se­hen kann, so ver­mag man die Vor­stel­lung des Bau­mes aus der Er­in­ne­rung in der See­le wie­der zu er­we­cken. Die­se Vor­stel­lung des Bau­­mes, die man hat, wenn der­sel­be nicht dem Au­ge ge­gen­über­­steht, ist ei­ne Er­in­ne­rung an den Baum. Nun den­ke man sich, man be­hal­te die­se Er­in­ne­rung in der See­le; man las­se die See­le gleich­sam auf der Er­in­ne­rungs­vor­stel­lung ru­hen; man be­mühe sich, al­le an­dern Vor­stel­lun­gen da­bei aus­zu­­­sch­lie­ßen. Dann ist die See­le in die Er­in­ne­rungs­vor­stel­lung des Bau­mes ver­senkt. Man hat es dann mit ei­ner Ver­sen­kung der See­le in ei­ne Vor­stel­lung zu tun; doch ist die­se Vor­stel­lung das Ab­bild ei­nes durch die Sin­ne wahr­ge­nom­­me­nen Din­ges. Wenn man aber das­sel­be vor­nimmt mit ei­ner durch frei­en Wil­len in das Be­wußt­sein ver­setz­ten Vor­s­tel­­lung, so wird man nach und nach die Wir­kung er­zie­len kön­­nen, auf wel­che es an­kommt.

Es soll nun ein Bei­spiel der in­ne­ren Ver­sen­kung mit ei­ner sinn­bild­li­chen Vor­stel­lung ver­an­schau­licht wer­den. Zu­nächst muß ei­ne sol­che Vor­stel­lung erst in der See­le auf­ge­baut wer­­den. Das kann in fol­gen­der Art ge­sche­hen: Man stel­le sich ei­ne Pflan­ze vor, wie sie im Bo­den wur­zelt, wie sie Blatt nach Blatt treibt, wie sie sich zur Blü­te ent­fal­tet. Und nun den­ke man sich ne­ben die­se Pflan­ze ei­nen Men­schen hin­­ge­s­tellt. Man ma­che den Ge­dan­ken in sei­ner See­le le­ben­dig, wie der Mensch Ei­gen­schaf­ten und Fähig­kei­ten hat, wel­che de­nen der Pflan­ze ge­gen­über voll­kom­me­ner ge­nannt wer­­den kön­nen. Man be­den­ke, wie er sich sei­nen Ge­füh­len und

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sei­nem Wil­len ge­mäß da und dort­hin be­ge­ben kann, wäh­­rend die Pflan­ze an den Bo­den ge­fes­selt ist. Nun aber sa­ge man sich auch: ja, ge­wiß ist der Mensch voll­kom­me­ner als die Pflan­ze; aber mir tre­ten da­für auch an ihm Ei­gen­schaf­­ten ent­ge­gen, wel­che ich an der Pflan­ze nicht wahr­neh­me, und durch de­ren Nicht­vor­han­den­sein sie mir in ge­wis­ser Hin­sicht voll­kom­me­ner als der Mensch er­schei­nen kann. Der Mensch ist er­füllt von Be­gier­den und Lei­den­schaf­ten; die­sen folgt er bei sei­nem Ver­hal­ten. Ich kann bei ihm von Ver­­ir­run­gen durch sei­ne Trie­be und Lei­den­schaf­ten sp­re­chen. Bei der Pflan­ze se­he ich, wie sie den rei­nen Ge­set­zen des Wachs­tums folgt von Blatt zu Blatt, wie sie die Blü­te lei­­den­schafts­los dem keu­schen Son­nen­strahl öff­net. Ich kann mir sa­gen: der Mensch hat ei­ne ge­wis­se Voll­kom­men­heit vor der Pflan­ze vor­aus; aber er hat die­se Voll­kom­men­heit da­­durch er­kauft, daß er zu den mir rein er­schei­nen­den Kräf­ten der Pflan­ze in sei­nem We­sen hat hin­zu­t­re­ten las­sen Trie­be, Be­gier­den und Lei­den­schaf­ten. Ich stel­le mir nun vor, daß der grü­ne Far­ben­saft durch die Pflan­ze fließt und daß die­ser der Aus­druck ist für die rei­nen lei­den­schafts­lo­sen Wachs­­tums­ge­set­ze. Und dann stel­le ich mir vor, wie das ro­te Blut durch die Adern des Men­schen fließt und wie die­ses der Aus­druck ist für die Trie­be, Be­gier­den und Lei­den­schaf­ten. Das al­les las­se ich als ei­nen leb­haf­ten Ge­dan­ken in mei­ner See­le er­ste­hen. Dann stel­le ich mir wei­ter vor, wie der Mensch ent­wick­lungs­fähig ist; wie er sei­ne Trie­be und Lei­den­schaf­­ten durch sei­ne höhe­ren See­len­fähig­kei­ten läu­tern und rei­ni­­gen kann. Ich den­ke mir, wie da­durch ein Nie­de­res in die­sen Trie­ben und Lei­den­schaf­ten ver­nich­tet wird, und die­se auf ei­ner höhe­ren Stu­fe wie­der­ge­bo­ren wer­den. Dann wird das Blut vor­ge­s­tellt wer­den dür­fen als der Aus­druck der ge­rei­­nig­ten

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und ge­läu­ter­ten Trie­be und Lei­den­schaf­ten. Ich bli­cke nun zum Bei­spiel im Geis­te auf die Ro­se und sa­ge mir: in dem ro­ten Ro­sen­blatt se­he ich die Far­be des grü­nen Pflan­zen­­saf­tes um­ge­wan­delt in das Rot; und die ro­te Ro­se folgt wie das grü­ne Blatt den rei­nen, lei­den­schafts­lo­sen Ge­set­zen des Wachs­tums. Das Rot der Ro­se mö­ge mir nun wer­den das Sinn­bild ei­nes sol­chen Blu­tes, das der Aus­druck ist von ge­läu­ter­ten Trie­ben und Lei­den­schaf­ten, wel­che das Nie­de­re ab­ge­st­reift ha­ben und in ih­rer Rein­heit glei­chen den Kräf­­ten, wel­che in der ro­ten Ro­se wir­ken. Ich ver­su­che nun, sol­che Ge­dan­ken nicht nur in mei­nem Ver­stan­de zu ver­­ar­bei­ten, son­dern in mei­ner Emp­fin­dung le­ben­dig wer­den zu las­sen. Ich kann ei­ne be­se­li­gen­de Emp­fin­dung ha­ben, wenn ich die Rein­heit und Lei­den­schafts­lo­sig­keit der wach­sen­den Pflan­ze mir vor­s­tel­le; ich kann das Ge­fühl in mir er­zeu­gen, wie ge­wis­se höhe­re Voll­kom­men­hei­ten er­kauft wer­den müs­­sen durch die Er­wer­bung der Trie­be und Be­gier­den. Das kann die Be­se­li­gung, die ich vor­her emp­fun­den ha­be, in ein erns­tes Ge­fühl ver­wan­deln; und dann kann ein Ge­fühl ei­nes be­f­rei­en­den Glü­ckes in mir sich re­gen, wenn ich mich hin­ge­be dem Ge­dan­ken an das ro­te Blut, das Trä­ger wer­den kann von in­ner­lich rei­nen Er­leb­nis­sen, wie der ro­te Saft der Ro­se. Es kommt dar­auf an, daß man nicht ge­fühl­los sich den Ge­dan­ken ge­gen­über­s­tel­le, wel­che zum Auf­bau ei­ner sinn­bild­li­chen Vor­stel­lung die­nen. Nach­dem man sich in sol­chen Ge­dan­ken und Ge­füh­len er­gan­gen hat, ver­wand­le man sich die­sel­ben in fol­gen­de sinn­bild­li­che Vor­stel­lung. Man stel­le sich ein schwar­zes Kreuz vor. Die­ses sei Sinn­bild für das ver­nich­te­te Nie­de­re der Trie­be und Lei­den­schaf­ten; und da, wo sich die Bal­ken des Kreu­zes schnei­den, den­ke man sich sie­ben ro­te, strah­len­de Ro­sen im Krei­se an­ge­ord­net.

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Die­se Ro­sen sei­en das Sinn­bild für ein Blut, das Aus­druck ist für ge­läu­ter­te, ge­r­ei­nig­te Lei­den­schaf­ten und Trie­be. Ei­ne sol­che sinn­bild­li­che Vor­stel­lung soll es nun sein, die man sich in der Art vor die See­le ruft, wie es oben an ei­ner Er­in­ne­rungs­vor­stel­lung ver­an­schau­licht ist. Ei­ne sol­che Vor­­­stel­lung hat ei­ne see­len­we­cken­de Kraft, wenn man sich in in­ner­li­cher Ver­sen­kung ihr hin­gibt. Je­de an­de­re Vor­stel­lung muß man ver­su­chen wäh­rend der Ver­sen­kung aus­zu­sch­lie­­ßen. Le­dig­lich das cha­rak­te­ri­sier­te Sinn­bild soll im Geis­te vor der See­le schwe­ben, so leb­haft als dies mög­lich ist. Es ist nicht be­deu­tungs­los, daß die­ses Sinn­bild nicht ein­fach als ei­ne we­cken­de Vor­stel­lung hier an­ge­führt wor­den ist, son­­dern daß es erst durch ge­wis­se Vor­stel­lun­gen über Pflan­ze und Mensch auf­ge­baut wor­den ist. Denn es hängt die Wir­kung ei­nes sol­chen Sinn­bil­des da­von ab, daß man es sich in der ge­schil­der­ten Art zu­sam­men­ge­s­tellt hat, be­vor man es zur in­ne­ren Ver­sen­kung ver­wen­det. Stellt man es sich vor, oh­ne ei­nen sol­chen Auf­bau erst in der ei­ge­nen See­le durch­ge­macht zu ha­ben, so bleibt es kalt und viel un­wir­k­­sa­mer, als wenn es durch die Vor­be­rei­tung sei­ne see­len­be­­leuch­ten­de Kraft er­hal­ten hat. Wäh­rend der Ver­sen­kung soll man je­doch sich al­le die vor­be­rei­ten­den Ge­dan­ken nicht in

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#F­N013-312-01 Es kommt nicht dar­auf an, in­wie­fern die­se oder je­ne na­tur­wis­sen­­schaft­li­che Vor­stel­lung die obi­gen Ge­dan­ken be­rech­tigt fin­det oder nicht. Denn es han­delt sich um die Ent­wi­cke­lung sol­cher Ge­dan­ken an Pflan­ze und Mensch, wel­che, oh­ne al­le The­o­rie, durch ei­ne ein­fa­che, un­mit­tel­­ba­re An­schau­ung ge­won­nen wer­den kön­nen. Sol­che Ge­dan­ken ha­ben ja doch auch ih­re Be­deu­tung ne­ben den in an­de­rer Be­zie­hung nicht min­der be­deut­sa­men theo­re­ti­schen Vor­stel­lun­gen über die Din­ge der Au­ßen­welt. Und hier sind die Ge­dan­ken nicht da­zu da, um ei­nen Tat­be­stand wis­sen­schaft­lich dar­zu­s­tel­len, son­dern um ein Sinn­bild auf­zu­bau­en, das sich als see­lisch wirk­sam er­weist, gleich­gül­tig, wel­che Ein­wän­de die­ser oder je­ner Per­sön­lich­keit ein­fal­len bei dem Auf­bau die­ses Sinn­bil­des.

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die See­le ru­fen, son­dern le­dig­lich das Bild leb­haft vor sich im Geis­te schwe­ben ha­ben und da­bei je­ne Emp­fin­dung mit­­­schwin­gen las­sen, die sich als Er­geb­nis durch die vor­be­rei­­ten­den Ge­dan­ken ein­ge­s­tellt hat. So wird das Sinn­bild zum Zei­chen ne­ben dem Emp­fin­dung­s­er­leb­nis. Und in dem Ver­­wei­len der See­le in die­sem Er­leb­nis liegt das Wirk­sa­me. Je län­ger man ver­wei­len kann, oh­ne daß ei­ne stö­ren­de an­de­re Vor­stel­lung sich ein­mischt, des­to wirk­sa­mer ist der gan­ze Vor­gang. Je­doch ist es gut, wenn man sich au­ßer der Zeit, wel­che man der ei­gent­li­chen Ver­sen­kung wid­met, öf­ters durch Ge­dan­ken und Ge­füh­le der oben ge­schil­der­ten Art den Auf­bau des Bil­des wie­der­holt, da­mit die Emp­fin­dung nicht ver­blas­se. Je mehr Ge­duld man zu ei­ner sol­chen Er­neue­rung hat, des­to be­deut­sa­mer ist das Bild für die See­le. (In den Au­s­ein­an­der­set­zun­gen mei­nes Bu­ches: «Wie er­langt man Er­kennt­nis­se der höhe­ren Wel­ten?» sind noch an­de­re Bei­spie­le von Mit­teln zur in­ne­ren Ver­sen­kung an­­ge­ge­ben. Be­son­ders wirk­sam sind die da­selbst cha­rak­te­ri­­sier­ten Me­di­ta­tio­nen über das Wer­den und Ver­ge­hen ei­ner Pflan­ze, über die in ei­nem Pflan­zen-Sa­men­korn schlum­­mern­den Wer­de­kräf­te, über die For­men von Kri­s­tal­len usw. Hier in die­sem Bu­che soll­te an ei­nem Bei­spie­le das We­sen der Me­di­ta­ti­on ge­zeigt wer­den.)

Ein sol­ches Sinn­bild, wie es hier ge­schil­dert ist, bil­det kein äu­ße­res Ding oder We­sen, das durch die Na­tur her­vor­ge­bracht wird, ab. Aber eben ge­ra­de da­durch hat es sei­ne we­cken­de Kraft für ge­wis­se rein see­li­sche Fähig­kei­ten. Es könn­te al­ler­­dings je­mand ei­nen Ein­wand er­he­ben. Er könn­te sa­gen: Ge­wiß, das «Gan­ze», als Sinn­bild, ist nicht durch die Na­tur vor­han­den; aber al­le Ein­zel­hei­ten sind doch aus die­ser Na­­tur ent­lehnt: die schwar­ze Far­be, die Ro­sen und so wei­ter.

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Das al­les wer­de doch durch die Sin­ne wahr­ge­nom­men. Wer durch sol­chen Ein­wand ge­stört wird, der soll­te be­den­ken, daß nicht die Ab­bil­dun­gen der Sin­nes­wahr­neh­mun­gen das­je­ni­ge sind, was zur We­ckung der höhe­ren See­len­fähig­kei­ten führt, son­dern daß die­se Wir­kung le­dig­lich durch die Art der Zu­sam­men­fü­gung die­ser Ein­zel­hei­ten her­vor­ge­ru­fen wird. Und die­se Zu­sam­men­fü­gung bil­det nicht et­was ab, was in der Sin­nes­welt vor­han­den ist.

An ei­nem Sinn­bild als Bei­spiel soll­te der Vor­gang der wirk­sa­men Ver­sen­kung der See­le ver­an­schau­licht wer­den. In der Geis­tes­schu­lung kön­nen die man­nig­fal­tigs­ten Bil­der die­ser Art ver­wen­det und die­se in der ver­schie­dens­ten Art auf­ge­baut wer­den. Es kön­nen auch ge­wis­se Sät­ze, For­meln, ein­zel­ne Wor­te ge­ge­ben wer­den, in wel­che man sich zu ver­­­sen­ken hat. In je­dem Fal­le wer­den die­se Mit­tel der in­ne­ren Ver­sen­kung das Ziel ha­ben, die See­le los­zu­rei­ßen von der Sin­nes­wahr­neh­mung und sie zu ei­ner sol­chen Tä­tig­keit an­zu­re­gen, bei wel­cher der Ein­druck auf die phy­si­schen Sin­ne be­deu­tungs­los ist und die Ent­fal­tung in­ne­rer schlum­mern­­der See­len­fähig­kei­ten das We­sent­li­che wird. Es kann sich auch um Ver­sen­kun­gen bloß in Ge­füh­le, Emp­fin­dun­gen usw. han­deln. Sol­ches er­weist sich be­son­ders wirk­sam. Man neh­me ein­mal das Ge­fühl der Freu­de. Im nor­ma­len Le­bens­ver­lau­fe mag die See­le Freu­de er­le­ben, wenn ei­ne äu­ße­re An­re­gung zur Freu­de vor­han­den ist. Wenn ei­ne ge­sund emp­fin­den­de See­le wahr­nimmt, wie ein Mensch ei­ne Hand­lung voll­bringt, wel­che die­sem sei­ne Her­zens­gü­te ein­gibt, so wird die­se See­le Wohl­ge­fal­len, Freu­de an ei­ner sol­chen Hand­lung ha­ben. Aber die­se See­le kann nun nach­den­ken über ei­ne Hand­lung die­ser Art. Sie kann sich sa­gen: Ei­ne Hand­lung, wel­che aus Her­zens­gü­te voll­bracht wird, ist ei­ne sol­che, bei wel­cher der

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Voll­brin­ger nicht sei­nem ei­ge­nen In­ter­es­se folgt, son­dern dem In­ter­es­se sei­nes Mit­men­schen. Und ei­ne sol­che Han­d­­lung kann ei­ne sitt­lich gu­te ge­nannt wer­den. Nun aber kann die be­trach­ten­de See­le sich ganz frei ma­chen von der Vor­­­stel­lung des ein­zel­nen Fal­les in der Au­ßen­welt, wel­cher ihr die Freu­de oder das Wohl­ge­fal­len ge­macht hat, und sie kann sich die um­fas­sen­de Idee der Her­zens­gü­te bil­den. Sie kann sich et­wa den­ken, wie Her­zens­gü­te da­durch ent­ste­he, daß die ei­ne See­le das In­ter­es­se der an­dern gleich­sam auf­sau­ge und zu dem ei­ge­nen ma­che. Und die See­le kann nun die Freu­de emp­fin­den über die­se sitt­li­che Idee der Her­zens­gü­te. Das ist die Freu­de nicht an die­sem oder je­nem Vor­gan­ge der Sin­nes­welt, son­dern die Freu­de an ei­ner Idee als sol­cher. Ver­sucht man sol­che Freu­de durch län­ge­re Zeit in der See­le le­ben­dig sein zu las­sen, so ist dies Ver­sen­kung in ein Ge­fühl, in ei­ne Emp­fin­dung. Nicht die Idee ist dann das Wirk­sa­me zur We­ckung der in­ne­ren See­len­fähig­kei­ten, son­dern das durch län­ge­re Zeit an­dau­ern­de Wal­ten des nicht durch ei­nen blo­ßen ein­zel­nen äu­ße­ren Ein­druck an­ge­reg­ten Ge­fühls in­­n­er­halb der See­le. Da die über­sinn­li­che Er­kennt­nis tie­fer ein­zu­drin­gen ver­mag in das We­sen der Din­ge als das ge­wöhn­li­che Vor­s­tel­len, so kön­nen aus de­ren Er­fah­run­gen her­aus Emp­fin­dun­gen an­ge­ge­ben wer­den, wel­che noch in viel höhe­rem Gra­de auf die Ent­fal­tung der See­len­fähig­kei­ten wir­ken, wenn sie zur in­ne­ren Ver­sen­kung ver­wen­det wer­den. So not­wen­dig dies letz­te­re für höhe­re Gra­de der Schu­lung ist, so soll man doch des­sen ein­ge­denk sein, daß en­er­gi­sche Ver­sen­kung in sol­che Ge­füh­le und Emp­fin­dun­gen, wie zum Bei­spiel das an der Be­trach­tung der Her­zens­gü­te cha­rak­te­ri­sier­te, schon sehr weit füh­ren kann. Da die We­sen­hei­ten der Men­schen ver­schie­den sind, so sind für die ein­zel­nen

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Men­schen auch ver­schie­de­ne Mit­tel der Schu­lung die wir­k­­sa­men. Was die Zeit­län­ge der Ver­sen­kung be­trifft, so ist zu be­den­ken, daß die Wir­kung um so stär­ker ist, je ge­las­se­­ner und be­son­ne­ner die­se Ver­sen­kung wer­den kann. Aber ei­ne je­g­li­che Über­t­rei­bung in die­ser Rich­tung soll ver­mie­den wer­den. Es kann ein ge­wis­ser in­ne­rer Takt, der sich durch die Übun­gen selbst er­gibt, den Schü­ler leh­ren, an was er in die­ser Be­zie­hung sich zu hal­ten hat.

Man wird sol­che Übun­gen in­ne­rer Ver­sen­kung in der Re­­gel lan­ge durch­zu­füh­ren ha­ben, be­vor man de­ren Er­geb­nis sel­ber wahr­neh­men kann. Was zur Geis­tes­schu­lung un­be­­dingt ge­hört, ist: Ge­duld und Aus­dau­er. Wer die­se bei­den nicht in sich wach­ruft und nicht so in al­ler Ru­he fort­dau­ernd sei­ne Übun­gen macht, daß Ge­duld und Aus­dau­er da­bei stets die Grund­stim­mung sei­ner See­le aus­ma­chen, der kann nicht viel er­rei­chen.

Es ist aus der vor­an­ge­hen­den Dar­stel­lung wohl er­sich­t­­lich, daß die in­ne­re Ver­sen­kung (Me­di­ta­ti­on) ein Mit­tel ist zur Er­lan­gung der Er­kennt­nis höhe­rer Wel­ten, aber auch daß nicht je­der be­lie­bi­ge Vor­stel­lungs­in­halt da­zu führt, son­­dern nur ein sol­cher, wel­cher in der ge­schil­der­ten Art ein ge­rich­tet ist.

Der Weg, auf den hier hin­ge­wie­sen ist, führt zu­nächst zu dem, was man die ima­gi­na­ti­ve Er­kennt­nis nen­nen kann. Sie ist die ers­te höhe­re Er­kennt­nis­stu­fe. Das Er­ken­nen, wel­ches auf der sinn­li­chen Wahr­neh­mung und auf der Ver­ar­bei­­tung der sinn­li­chen Wahr­neh­mun­gen durch den an die Sin­ne ge­bun­de­nen Ver­stand be­ruht, kann im Sin­ne der Geis­tes­­wis­sen­schaft das «ge­gen­ständ­li­che Er­ken­nen» ge­nannt wer­­den. Über die­ses hin­aus lie­gen die höhe­ren Er­kennt­nis­stu­fen, de­ren ers­te eben das ima­gi­na­ti­ve Er­ken­nen ist. Der Aus­druck

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«ima­gi­na­tiv» könn­te bei je­mand Be­den­ken her­vor­ru­fen, der sich un­ter «Ima­gi­na­ti­on» nur ei­ne «ein­ge­bil­de­te» Vor­s­tel­­lung denkt, wel­cher nichts Wir­k­li­ches ent­spricht. In der Gei­s­tes­wis­sen­schaft soll aber die «ima­gi­na­ti­ve» Er­kennt­nis als ei­ne sol­che auf­ge­faßt wer­den, wel­che durch ei­nen über­sin­n­­li­chen Be­wußt­s­eins­zu­stand der See­le zu­stan­de kommt. Was in die­sem Be­wußt­s­eins­zu­stan­de wahr­ge­nom­men wird, sind geis­ti­ge Tat­sa­chen und We­sen­hei­ten, zu de­nen die Sin­ne kei­nen Zu­gang ha­ben. Weil die­ser Zu­stand in der See­le er­weckt wird durch die Ver­sen­kung in Sinn­bil­der oder «Ima­­gi­na­tio­nen», so kann auch die Welt die­ses höhe­ren Be­wußt­­­s­eins­zu­stan­des die «ima­gi­na­ti­ve» und die auf sie be­züg­li­che Er­kennt­nis die «ima­gi­na­ti­ve» ge­nannt wer­den. «Ima­gina­­tiv» be­deu­tet al­so et­was, was in ei­nem an­dern Sin­ne «wir­k­­lich» ist als die Tat­sa­chen und We­sen­hei­ten der phy­si­schen Sin­nes­wahr­neh­mung. Auf den In­halt der Vor­stel­lun­gen, wel­che das ima­gi­na­ti­ve Er­le­ben er­fül­len, kommt nichts an; da­ge­gen al­les auf die See­len­fähig­keit, die an die­sem Er­le­ben her­an­ge­bil­det wird.

Ein sehr na­he­lie­gen­der Ein­wurf ge­gen die Ver­wen­dung der cha­rak­te­ri­sier­ten sinn­bild­li­chen Vor­stel­lun­gen ist, daß ih­re Bil­dung ei­nem träu­me­ri­schen Den­ken und ei­ner wil­l­­kür­li­chen Ein­bil­dungs­kraft ent­sprin­gen und daß sie da­her nur von zwei­fel­haf­tem Er­fol­ge sein kön­ne. Den­je­ni­gen Sin­n­­bil­dern ge­gen­über, wel­che der re­gel­rech­ten Geis­tes­schu­lung zu­grun­de lie­gen, ist ein da­mit ge­kenn­zeich­ne­tes Be­den­ken un­be­rech­tigt. Denn die Sinn­bil­der wer­den so ge­wählt, daß von ih­rer Be­zie­hung auf ei­ne äu­ße­re sinn­li­che Wir­k­lich­keit ganz ab­ge­se­hen wer­den kann und ihr Wert le­dig­lich in der Kraft ge­sucht wer­den kann, mit wel­cher sie auf die See­le dann wir­ken, wenn die­se al­le Auf­merk­sam­keit von der

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äu­ße­ren Welt ab­zieht, wenn sie al­le Ein­drü­cke der Sin­ne un­ter­drückt und auch al­le Ge­dan­ken aus­schal­tet, die sie, auf äu­ße­re An­re­gung hin, he­gen kann. Am an­schau­lichs­ten wird der Vor­gang der Me­di­ta­ti­on durch Ver­g­leich der­sel­ben mit dem Schlaf­zu­stan­de. Sie ist die­sem nach der ei­nen Sei­te hin ähn­lich, nach der an­de­ren völ­lig ent­ge­gen­ge­setzt. Sie ist ein Schlaf, der ge­gen­über dem Ta­ges­be­wußt­sein ein höhe­res Er­wacht­sein dar­s­tellt. Es kommt dar­auf an, daß durch die Kon­zen­t­ra­ti­on auf die ent­sp­re­chen­de Vor­stel­lung oder das Bild die See­le ge­nö­t­igt ist, viel stär­ke­re Kräf­te aus ih­ren ei­ge­nen Tie­fen her­vor­zu­ho­len, als sie im ge­wöhn­li­chen Le­­ben oder dem ge­wöhn­li­chen Er­ken­nen an­wen­det. Ih­re in­­­ne­re Reg­sam­keit wird da­durch er­höht. Sie löst sich los von der Leib­lich­keit, wie sie sich im Schla­fe los­löst; aber sie geht nicht wie in die­sem in die Be­wußt­lo­sig­keit über, son­dern sie er­lebt ei­ne Weit, die sie vor­her nicht er­lebt hat. Ihr Zu­stand ist, ob­wohl er nach der Sei­te der Los­ge­löst­heit vom Lei­be mit dem Schla­fe ver­g­li­chen wer­den kann, doch so, daß er sich zu dem ge­wöhn­li­chen Ta­ges­be­wußt­sein als ein sol­cher ei­nes er­höh­ten Wach­seins kenn­zeich­nen läßt. Da­durch er­­lebt sich die See­le in ih­rer wah­ren in­ne­ren, selb­stän­di­gen We­sen­heit, wäh­rend sie sich im ge­wöhn­li­chen Tag­wa­chen durch die in dem­sel­ben vor­han­de­ne schwäche­re Ent­fal­tung ih­rer Kräf­te nur mit Hil­fe des Lei­bes zum Be­wußt­sein bringt, sich al­so nicht selbst er­lebt, son­dern nur in dem Bil­de ge­wahr wird, das wie ei­ne Art Spie­gel­bild der Leib (ei­gent­lich des­sen Vor­gän­ge) vor ihr ent­wirft.

Die­je­ni­gen Sinn­bil­der, wel­che in der oben ge­schil­der­ten Art auf­ge­baut wer­den, be­zie­hen sich na­tur­ge­mäß noch nicht auf et­was Wir­k­li­ches in der geis­ti­gen Weit. Sie die­nen da­zu, um die men­sch­li­che See­le los­zu­rei­ßen von der Sin­nes­wahr­­neh­mung

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und von dem Ge­hirn­in­stru­ment, an wel­ches zu­­­nächst der Ver­stand ge­bun­den ist. Die­se Los­rei­ßung kann nicht früh­er ge­sche­hen, als bis der Mensch fühlt: jetzt stel­le ich et­was vor durch Kräf­te, bei de­nen mir mei­ne Sin­ne und das Ge­hirn nicht als Werk­zeu­ge die­nen. Das ers­te, was der Mensch auf die­sem We­ge er­lebt, ist ein sol­ches Frei­wer­den von den phy­si­schen Or­ga­nen. Er kann sich dann sa­gen: mein Be­wußt­sein er­löscht nicht, wenn ich die Sin­nes­wahr­neh­mun­­gen und das ge­wöhn­li­che Ver­stan­des­den­ken un­be­rück­si­ch­­tigt las­se; ich kann mich aus die­sem her­aus­he­ben und em­p­­fin­de mich dann als ein We­sen ne­ben dem, was ich vor­her war. Das ist das ers­te rein geis­ti­ge Er­leb­nis: die Be­o­b­ach­tung ei­ner see­lisch-geis­ti­gen Ich-We­sen­heit. Die­se hat sich als ein neu­es Selbst aus dem­je­ni­gen Selbst her­aus­ge­ho­ben, das nur an die phy­si­schen Sin­ne und den phy­si­schen Ver­stand ge­bun­den ist. Hät­te man oh­ne die Ver­sen­kung sich los­ge­­macht von der Sin­nes- und Ver­stan­des­welt, so wä­re man in das «Nichts» der Be­wußt­lo­sig­keit ver­sun­ken. Man hat die see­lisch-geis­ti­ge We­sen­heit selbst­ver­ständ­lich auch vor der Ver­sen­kung schon ge­habt. Sie hat­te aber noch kei­ne Wer­k­zeu­ge zur Be­o­b­ach­tung der geis­ti­gen Welt. Sie war et­wa so wie ein phy­si­scher Leib, der kein Au­ge zum Se­hen oder kein Ohr zum Hö­ren hat. Die Kraft, wel­che in der Ver­sen­kung auf­ge­wen­det wor­den ist, hat erst die see­lisch-geis­ti­gen Or­­ga­ne aus der vor­her un­or­ga­ni­sier­ten see­lisch-geis­ti­gen We­­sen­heit her­aus­ge­schaf­fen. Das, was man sich so aner­schaf­fen hat, nimmt man auch zu­erst wahr. Das ers­te Er­leb­nis ist da­her in ge­wis­sem Sin­ne Selbst­wahr­neh­mung. Es ge­hört zum We­sen der Geis­tes­schu­lung, daß die See­le durch die an sich ge­üb­te Selbs­t­er­zie­hung an die­sem Punk­te ih­rer Ent­wic­ke­lung ein vol­les Be­wußt­sein da­von hat, daß sie zu­nächst

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sich selbst wahr­nimmt in den Bil­der­wel­ten (Ima­gi­na­tio­nen), die in­fol­ge der ge­schil­der­ten Übun­gen auf­t­re­ten. Die­se Bil­­der tre­ten zwar als le­bend in ei­ner neu­en Welt auf; die See­le muß aber er­ken­nen, daß sie doch nichts an­de­res zu­nächst sind als die Wi­der­spie­ge­lung ih­res ei­ge­nen durch die Übun­gen ver­stärk­ten We­sens. Und sie muß die­ses nicht nur im rich­ti­gen Ur­tei­le er­ken­nen, son­dern auch zu ei­ner sol­chen Aus­bil­dung des Wil­lens ge­kom­men sein, daß sie je­der­zeit die Bil­der wie­der aus dem Be­wußt­sein ent­fer­nen, aus­lö­schen kann. Die See­le muß inn­er­halb die­ser Bil­der völ­lig frei und voll­be­son­nen wal­ten kön­nen. Das ge­hört zur rich­ti­gen Geis­tes­schu­lung in die­sem Punk­te. Wür­de sie die­ses nicht kön­nen, so wä­re sie im Ge­bie­te der geis­ti­gen Er­leb­nis­se in dem­sel­ben Fal­le, in dem ei­ne See­le wä­re in der phy­si­schen Welt, wel­che, wenn sie das Au­ge nach ei­nem Ge­gen­stan­de rich­te­te, durch die­sen ge­fes­selt wä­re, so daß sie von dem­sel­ben nicht mehr weg­schau­en könn­te. Ei­ne Aus­nah­me von die­ser Mög­lich­keit des Aus­lö­schens macht nur ei­ne Grup­pe von in­ne­ren Bil­der­leb­nis­sen, die auf der er­lang­ten Stu­fe der Geis­tes­schu­lung nicht aus­zu­­­lö­schen ist. Die­se ent­spricht dem ei­ge­nen See­len-We­sens­ker­ne; und der Geis­tes­schü­ler er­kennt in die­sen Bil­dern das­je­ni­ge in ihm sel­ber, wel­ches sich als sein Grund­we­sen durch die wie­der­hol­ten Er­den­le­ben hin­durch­zieht. Auf die­sem Punk­te wird das Er­füh­len von wie­der­hol­ten Er­den­le­ben zu ei­nem wir­k­li­chen Er­leb­nis. In be­zug auf al­les üb­ri­ge muß die er­wähn­te Frei­heit der Er­leb­nis­se herr­schen. Und erst, nach­dem man die Fähig­keit der Aus­lö­schung er­langt hat, tritt man an die wir­k­li­che geis­ti­ge Au­ßen­welt heran. An Stel­le des Aus­ge­lösch­ten kommt ein an­de­res, in dem man die geis­ti­ge Wir­k­lich­keit er­kennt. Man fühlt, wie man see­lisch

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aus ei­nem Un­be­stimm­ten als ein Be­stimm­tes her­aus­wächst. Von die­ser Selbst­wahr­neh­mung aus muß es dann wei­ter ge­hen zur Be­o­b­ach­tung ei­ner see­lisch-geis­ti­gen Au­­ßen­welt. Die­se tritt ein, wenn man sein in­ne­res Er­le­ben in dem Sin­ne ein­rich­tet, wie es hier wei­ter an­ge­deu­tet wer­den wird.

Zu­nächst ist die See­le des Geis­tes­schü­lers schwach in be­zug auf al­les das, was in der see­lisch-geis­ti­gen Welt wahr­zu­neh­­men ist. Er wird schon ei­ne gro­ße in­ne­re En­er­gie auf­wen­den müs­sen, um die Sinn­bil­der oder an­de­ren Vor­stel­lun­gen, wel­che er sich aus den An­re­gun­gen der Sin­nes­welt her­aus auf­ge­baut hat, in in­ne­rer Ver­sen­kung fest­zu­hal­ten. Will er aber au­ßer­dem noch zur wir­k­li­chen Be­o­b­ach­tung in ei­ner höhe­ren Welt ge­lan­gen, so muß er nicht nur an die­sen Vor­­­stel­lun­gen fest­hal­ten kön­nen. Er muß auch, nach­dem er dies ge­tan hat, in ei­nem Zu­stan­de ver­wei­len kön­nen, in dem kei­ne An­re­gun­gen der sinn­li­chen Au­ßen­welt auf die See­le wir­ken, aber in dem auch die cha­rak­te­ri­sier­ten ima­gi­nier­ten Vor­stel­lun­gen selbst aus dem Be­wußt­sein her­aus ge­tilgt wer­den. Nun kann erst das im Be­wußt­sein her­vor­t­re­ten, was durch die Ver­sen­kung sich ge­bil­det hat. Es han­delt sich dar­um, daß nun­mehr in­ne­re See­len­kraft ge­nug vor­han­den ist, da­mit das al­so Ge­bil­de­te wir­k­lich geis­tig ge­schaut wird, da­mit es nicht der Auf­merk­sam­keit ent­ge­he. Dies ist aber bei noch schwach ent­wi­ckel­ter in­ne­rer En­er­gie durch­aus der Fall. Was sich als see­lisch-geis­ti­ger Or­ga­nis­mus da zu­nächst her­aus­bil­det und was man in Selbst­wahr­neh­mung er­fas­sen soll, ist zart und flüch­tig. Und die Stör­un­gen der sinn­li­chen Au­ßen­welt und de­ren Er­in­ne­rungs-Nach­wir­kun­gen sind, auch wenn man sich noch so sehr be­müht sie ab­zu­hal­ten, groß. Es kom­men da ja nicht nur die­je­ni­gen Stör­un­gen in

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Be­tracht, wel­che man be­ach­tet, son­dern viel mehr so­gar die­je­ni­gen, wel­che man im ge­wöhn­li­chen Le­ben gar nicht be­ach­tet. Es ist aber ge­ra­de durch das We­sen des Men­schen ein Über­gangs­zu­stand in die­ser Be­zie­hung mög­lich. Was die See­le zu­nächst we­gen der Stör­un­gen der phy­si­schen Welt im Wach­zu­stand nicht leis­ten kann, das ver­mag sie im Schlaf­zu­stand. Wer sich der in­ne­ren Ver­sen­kung er­gibt, der wird bei ge­hö­ri­ger Auf­merk­sam­keit an sei­nem Schlaf et­was ge­­wahr wer­den. Er wird füh­len, daß er wäh­rend des Schla­fes «nicht ganz schläft», son­dern daß sei­ne See­le Zei­ten hat, in de­nen sie schla­fend doch in ei­ner ge­wis­sen Art tä­tig ist. In sol­chen Zu­stän­den hal­ten die na­tür­li­chen Vor­gän­ge die Ein­flüs­se der Au­ßen­welt ab, wel­che die See­le wa­chend noch nicht aus ei­ge­ner Kraft ab­hal­ten kann. Wenn aber nun die Übun­gen der Ver­sen­kung schon ge­wirkt ha­ben, so löst sich die See­le wäh­rend des Schla­fes aus der Be­wußt­lo­sig­keit her­aus und fühlt die geis­tig-see­li­sche Welt. In ei­ner zwei­fa­chen Art kann das ein­t­re­ten. Es kann dem Men­schen wäh­rend des Schla­fens klar sein: ich bin nun in ei­ner an­dern Welt, oder aber er kann in sich nach dem Er­wa­chen die Er­in­ne­rung ha­ben: ich war in ei­ner an­dern Welt. Zu dem ers­te­ren ge­hört al­ler­dings ei­ne grö­ße­re in­ne­re En­er­gie als zu dem zwei­ten. Da­her wird das letz­te­re bei dem An­fän­ger in der Geis­tes­schu­lung das häu­fi­ge­re sein. Nach und nach kann das so weit ge­hen, daß dem Schü­ler nach dem Er­wa­chen vor­­­kommt: ich war die gan­ze Schla­fens­zeit hin­durch in ei­ner an­dern Welt, aus der ich auf­ge­taucht bin mit dem Er­wa­chen. Und sei­ne Er­in­ne­rung an die We­sen­hei­ten und Tat­sa­chen die­ser an­dern Welt wird ei­ne im­mer be­stimm­te­re wer­den. Es ist bei dem Geis­tes­schü­ler dann in der ei­nen oder der an­dern Form das ein­ge­t­re­ten, was man die Kon­ti­nui­tät des

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Be­wußt­seins nen­nen kann. (Die Fort­dau­er des Be­wußt­seins wäh­rend des Schla­fens.) Da­mit ist aber durch­aus nicht ge­­meint, daß et­wa der Mensch im­mer wäh­rend des Schla­fes sein Be­wußt­sein hat. Es ist schon viel er­run­gen in der Kon­­ti­nui­tät des Be­wußt­seins, wenn der Mensch, der sonst schläft wie ein an­de­rer, ge­wis­se Zei­ten hat wäh­rend des Schla­fens, in de­nen er auf ei­ne geis­tig-see­li­sche Welt wie be­wußt hin­­schau­en kann, oder wenn er im Wa­chen auf sol­che kurz dau­ern­de Be­wußt­s­eins­zu­stän­de wie­der wie hin­schau­en kann. Nicht au­ßer acht mö­ge aber ge­las­sen wer­den, daß das hier Ge­schil­der­te doch nur als ein Über­gangs­zu­stand auf­zu­fas­sen ist. Es ist gut, durch die­sen Über­gangs­zu­stand be­hufs Schu­­lung hin­durch­zu­ge­hen; aber man soll durch­aus nicht glau­­ben, daß ei­ne ab­sch­lie­ßen­de An­schau­ung in be­zug auf die geis­tig-see­li­sche Welt aus die­sem Über­gangs­zu­stan­de ge­­sc­höpft wer­den soll. Die See­le ist in die­sem Zu­stan­de un­­si­cher und kann sich da­r­in­nen noch nicht auf das­je­ni­ge ver­­las­sen, was sie wahr­nimmt. Aber sie sam­melt durch sol­che Er­leb­nis­se im­mer mehr Kraft, um dann auch wäh­rend des Wa­chens da­zu zu ge­lan­gen, die stö­ren­den Ein­flüs­se der phy­­si­schen Au­ßen- und In­nen­welt von sich ab­zu­hal­ten und so zu geis­tig-see­li­scher Be­o­b­ach­tung zu ge­lan­gen, wenn kei­ne Ein­drü­cke durch die Sin­ne kom­men, wenn der an das phy­­si­sche Ge­hirn ge­bun­de­ne Ver­stand schweigt und wenn auch die Vor­stel­lun­gen der Ver­sen­kung aus dem Be­wußt­sein en­t­­­fernt sind, durch wel­che man sich auf das geis­ti­ge Schau­en ja nur vor­be­rei­tet hat. Was durch die Geis­tes­wis­sen­schaft in die­ser oder je­ner Form ver­öf­f­ent­licht wird, soll­te nie­mals aus ei­ner an­dern geis­tig-see­li­schen Be­o­b­ach­tung stam­men als aus ei­ner sol­chen, wel­che bei vol­lem Wach­zu­stan­de ge­­macht wor­den ist.

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Zwei See­le­n­er­leb­nis­se sind wich­tig im Fort­gan­ge der Gei­s­tes­schu­lung. Das ei­ne ist das­je­ni­ge, durch wel­ches sich der Mensch sa­gen kann: wenn ich nun­mehr auch al­les au­ßer acht las­se, was mir die phy­si­sche Au­ßen­welt an Ein­drü­cken ge­ben kann, so bli­cke ich in mein In­ne­res doch nicht wie auf ein We­sen, dem al­le Tä­tig­keit er­löscht, son­dern ich schaue auf ein We­sen, das sich sei­ner selbst be­wußt ist in ei­ner Welt, von der ich nichts weiß, so lan­ge ich mich nur von je­nen sinn­li­chen und ge­wöhn­li­chen Ver­stan­de­s­ein­drü­cken an­re­gen las­se. Die See­le hat in die­sem Au­gen­bli­cke die Emp­fin­dung, daß sie in sich selbst ein neu­es We­sen als ih­ren See­len­-We­sens­kern in der oben be­schrie­be­nen Wei­se ge­bo­ren ha­be. Und die­ses We­sen ist ein sol­ches von ganz an­de­ren Ei­gen­­schaf­ten, als die­je­ni­gen sind, wel­che vor­her in der See­le wa­ren. Das an­de­re Er­leb­nis be­steht da­rin, daß man sein bis­he­ri­ges We­sen nun­mehr wie ein zwei­tes ne­ben sich ha­ben kann. Das­je­ni­ge, wo­rin man bis­her sich ein­ge­sch­los­sen wuß­te, wird zu et­was, dem man sich in ge­wis­ser Be­zie­hung ge­gen­­über­ge­s­tellt fin­det. Man fühlt sich zeit­wei­lig au­ßer­halb des­sen, was man sonst als die ei­ge­ne We­sen­heit, als sein «Ich» an­ge­spro­chen hat. Es ist so, wie wenn man nun in vol­ler Be­son­nen­heit in zwei «Ichen» leb­te. Das ei­ne ist das­je­ni­ge, wel­ches man bis­her ge­kannt hat. Das an­de­re steht wie ei­ne neu­ge­bo­re­ne We­sen­heit über die­sem. Und man fühlt, wie das ers­te­re ei­ne ge­wis­se Selb­stän­dig­keit er­langt ge­gen­über dem zwei­ten; et­wa so wie der Leib des Men­schen ei­ne ge­­wis­se Selb­stän­dig­keit hat ge­gen­über dem ers­ten Ich. Die­ses Er­leb­nis ist von gro­ßer Be­deu­tung. Denn durch das­sel­be weiß der Mensch, was es heißt, in je­ner Welt le­ben, wel­che er durch die Schu­lung zu er­rei­chen st­rebt.

Das zwei­te das neu­ge­bo­re­ne Ich kann nun zum Wahr­neh­men

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in der geis­ti­gen Welt ge­führt wer­den. In ihm kann sich ent­wi­ckeln, was für die­se geis­ti­ge Welt die Be­deu­tung hat, wel­che den Sin­ne­s­or­ga­nen für die sinn­lich-phy­si­sche Welt zu­kommt. Ist die­se Ent­wi­cke­lung bis zu dem not­wen­­di­gen Gra­de fort­ge­schrit­ten, so wird der Mensch nicht nur sich selbst als ein neu­ge­bo­re­nes Ich emp­fin­den, son­dern er wird nun­mehr um sich her­um geis­ti­ge Tat­sa­chen und gei­s­ti­ge We­sen­hei­ten wahr­neh­men, wie er durch die phy­si­schen Sin­ne die phy­si­sche Welt wahr­nimmt. Und dies ist ein drit­tes be­deut­sa­mes Er­leb­nis. Um völ­lig auf die­ser Stu­fe der Gei­s­tes­schu­lung zu­recht­zu­kom­men, muß der Mensch da­mit rech­­nen, daß mit der Ver­stär­kung der See­len­kräf­te die Selbst­lie­be, der Selbst­sinn in ei­nem sol­chen Gra­de auf­t­re­ten, den das ge­wöhn­li­che See­len­le­ben gar nicht kennt. Es wä­re ein Mißv­er­ständ­nis, wenn je­mand glau­ben könn­te, daß man auf die­sem Punk­te nur von der ge­wöhn­li­chen Selbst­lie­be zu sp­re­chen hat. Die­se ver­stärkt sich auf die­ser Stu­fe der Ent­wi­cke­lung so, daß sie das Aus­se­hen ei­ner Na­tur­kraft inn­er­halb der ei­ge­nen See­le an­nimmt, und es ge­hört ei­ne star­ke Wil­lens­schu­lung da­zu, um die­sen star­ken Selbst­sinn zu be­sie­gen. Die­ser Selbst­sinn wird durch die Geis­tes­schu­lung nicht et­wa er­zeugt; er ist im­mer vor­han­den; er ge­langt durch das Geist-Er­le­ben nur zum Be­wußt­sein. Die Wil­lens­schu­lung muß der an­dern Geis­tes­schu­lung durch­aus zur Sei­te ge­hen. Es ist ein star­ker Trieb da, sich in der Welt be­se­ligt zu füh­­len, wel­che man sich erst selbst her­an­ge­schaf­fen hat. Und man muß ge­wis­ser­ma­ßen das in der oben er­wähn­ten Art aus­lö­schen kön­nen, um das man sich erst mit al­ler An­st­ren­­gung be­müht hat. In der er­reich­ten ima­gi­na­ti­ven Welt muß man sich aus­lö­schen. Da­ge­gen aber kämp­fen die stärks­ten Trie­be des Selbst­sin­nes an. Es kann leicht der Glau­be ent­ste­hen,­

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daß die Übun­gen der Geis­tes­schu­lung et­was Äu­ßer­li­ches sei­en, das von der mo­ra­li­schen Ent­wi­cke­lung der See­le ab­sieht. Dem­ge­gen­über muß ge­sagt wer­den, daß die mo­r­a­­li­sche Kraft, die zu der ge­kenn­zeich­ne­ten Be­sie­gung des Selbst­sin­nes not­wen­dig ist, nicht er­langt wer­den kann, oh­ne daß die mo­ra­li­sche Ver­fas­sung der See­le auf ei­ne ent­sp­re­chen­de Stu­fe ge­bracht wird. Fort­schritt in der Geis­tes­schu­lung ist nicht denk­bar, oh­ne daß zu­g­leich ein mo­ra­li­scher Fort­schritt sich not­wen­dig er­gibt. Oh­ne mo­ra­li­sche Kraft ist die er­­wähn­te Be­sie­gung des Selbst­sin­nes nicht mög­lich. Al­les Re­den dar­über, daß die wah­re Geis­tes­schu­lung nicht zu­g­leich ei­ne mo­ra­li­sche Schu­lung sei, ist doch un­sach­ge­mäß. Nur dem­je­ni­gen, wel­cher ein sol­ches Er­leb­nis nicht kennt, kann sich der Ein­wand er­ge­ben: wie kann man wis­sen, daß man es dann, wenn man glaubt, geis­ti­ge Wahr­neh­mun­gen zu ha­ben, mit Wir­k­lich­kei­ten und nicht mit blo­ßen Ein­bil­dun­gen (Vi­sio­nen, Hal­lu­zi­na­tio­nen usw.) zu tun ha­be? Die Sa­che ist eben­so, daß der­je­ni­ge, wel­cher in re­gel­rech­ter Schu­lung die cha­rak­te­ri­sier­te Stu­fe er­reicht hat, sei­ne ei­ge­ne Vor­stel­lung von ei­ner geis­ti­gen Wir­k­lich­keit eben­so un­ter­schei­den kann, wie ein Mensch mit ge­sun­dem Ver­stan­de un­ter­schei­den kann die Vor­stel­lung ei­nes hei­ßen Ei­sen­stü­ckes von dem wir­k­­li­chen Vor­han­den­sein ei­nes sol­chen, das er mit der Hand be­rührt. Den Un­ter­schied gibt eben das ge­sun­de Er­le­ben und nichts an­de­res. Und auch in der geis­ti­gen Welt gibt den Prüf­stein das Le­ben selbst. Wie man weiß, daß in der Sin­­nen­welt ein vor­ge­s­tell­tes Ei­sen­stück, wenn es noch so heiß ge­dacht wird, nicht die Fin­ger ver­b­rennt, so weiß der ge­­schul­te Geis­tes­schü­ler, ob er nur in sei­ner Ein­bil­dung ei­ne geis­ti­ge Tat­sa­che er­lebt oder ob auf sei­ne er­weck­ten geis­ti­­gen Wahr­neh­mung­s­or­ga­ne wir­k­li­che Tat­sa­chen oder We­sen­hei­ten

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ei­nen Ein­druck ma­chen. Die Maß­r­e­geln, wel­che man wäh­rend der Geis­tes­schu­lung zu be­o­b­ach­ten hat, da­mit man in die­ser Be­zie­hung nicht Täu­schun­gen zum Op­fer fällt, wer­den in der fol­gen­den Dar­stel­lung noch be­spro­chen wer­den.

Es ist nun von der größ­ten Be­deu­tung, daß der Geis­tes­schü­ler ei­ne ganz be­stimm­te See­len­ver­fas­sung er­langt hat, wenn das Be­wußt­sein von ei­nem neu­ge­bo­re­nen Ich bei ihm ein­tritt. Denn es ist der Mensch durch sein Ich der Füh­rer sei­ner Emp­fin­dun­gen, Ge­füh­le, Vor­stel­lun­gen, sei­ner Trie­be, Be­geh­run­gen und Lei­den­schaf­ten. Wahr­neh­mun­gen und Vor­­­stel­lun­gen kön­nen in der See­le sich nicht selbst über­las­sen sein. Sie müs­sen durch die den­ken­de Be­son­nen­heit ge­re­gelt wer­den. Und es ist das Ich, wel­ches die­se Denk­ge­set­ze han­d­habt und wel­ches durch sie Ord­nung in das Vor­stel­lungs-­und Ge­dan­ken­le­ben bringt. Ähn­lich ist es mit den Be­geh­run­gen, den Trie­ben, den Nei­gun­gen, den Lei­den­schaf­ten. Die ethi­schen Grund­sät­ze wer­den zu Füh­r­ern die­ser See­len­kräf­te. Und durch das sitt­li­che Ur­teil wird das Ich der Füh­­rer der See­le auf die­sem Ge­bie­te. Wenn nun der Mensch aus sei­nem ge­wöhn­li­chen Ich ein höhe­res her­aus­zieht, so wird das ers­te­re in ei­ner ge­wis­sen Be­zie­hung selb­stän­dig. Es wird die­sem so viel an le­ben­di­ger Kraft weg­ge­nom­men, als dem höhe­ren Ich zu­ge­wen­det wird. Man set­ze aber ein­mal den Fall, der Mensch ha­be in sich noch nicht ei­ne ge­wis­se Fähi­g­keit und Fes­ti­gung in den Denk­ge­set­zen und in der Ur­teils­kraft aus­ge­bil­det und er woll­te auf sol­cher Stu­fe sein höhe­res Ich ge­bä­ren. Er wird nur so viel sei­nem ge­wöhn­li­chen Ich an Denk­fähig­keit zu­rücklas­sen kön­nen, als er vor­her aus­­­ge­bil­det hat. Ist das Maß des ge­ord­ne­ten Den­kens zu ge­ring, dann wird in dem selb­stän­dig ge­wor­de­nen ge­wöhn­li­chen

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Ich ein un­ge­ord­ne­tes, ver­wor­re­nes, phan­tas­ti­sches Den­ken und Ur­tei­len auf­t­re­ten. Und weil bei ei­ner sol­chen Per­sön­­lich­keit das neu­ge­bo­re­ne Ich auch nur schwach sein kann, wird für das über­sinn­li­che Schau­en das ver­wor­re­ne nie­de­re Ich die Ober­herr­schaft er­lan­gen und der Mensch das Gleich­­ge­wicht sei­ner Ur­teils­kraft für die Be­o­b­ach­tung des Über­sinn­li­chen nicht zei­gen. Hät­te er ge­nü­gend Fähig­keit des lo­gi­schen Den­kens aus­ge­bil­det, so könn­te er sein ge­wöhn­­li­ches Ich ru­hig sei­ner Selb­stän­dig­keit über­las­sen. Und auf dem ethi­schen Ge­bie­te ist es eben­so. Wenn der Mensch nicht Fes­tig­keit im mo­ra­li­schen Ur­teil er­langt hat, wenn er nicht ge­nü­gend Herr ge­wor­den ist über Nei­gun­gen, Trie­be und Lei­den­schaf­ten, dann wird er sein ge­wöhn­li­ches Ich ver­sel­b­­stän­di­gen in ei­nem Zu­stand, in dem die ge­nann­ten See­len­kräf­te wir­ken. Es kann der Fall ein­t­re­ten, daß der Mensch in dem Fest­s­tel­len der er­leb­ten über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­se nicht ei­nen gleich ho­hen Wahr­heits­sinn wal­ten läßt wie in dem, was er sich durch die phy­si­sche Au­ßen­welt zum Be­wußt­sein bringt. Er könn­te bei so ge­lo­cker­tem Wahr­heits­­­sinn al­les mög­li­che für geis­ti­ge Wir­k­lich­keit hal­ten, was nur sei­ne Phan­tas­te­rei ist. In die­sen Wahr­heits­sinn hin­ein müs­sen Fes­tig­keit des ethi­schen Ur­tei­les, Si­cher­heit des Cha­rak­ters, Gründ­lich­keit des Ge­wis­sens wir­ken, die in dem zu­rück­­ge­las­se­nen Ich aus­ge­bil­det sind, be­vor das höhe­re Ich zum Zwe­cke der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis tä­tig wird. Es darf dies durch­aus nicht zu ei­nem Ab­sch­re­ckungs­mit­tel ge­gen­­über der Schu­lung wer­den; es muß aber ganz ernst ge­nom­­men wer­den.

Wer den star­ken Wil­len hat, al­les zu tun, was das ers­te Ich zur in­ne­ren Si­cher­heit in der Aus­übung sei­ner Ver­rich­­tun­gen bringt, der braucht vor der zur über­sinn­li­chen Er­kennt­nis

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be­wirk­ten Los­lö­sung ei­nes zwei­ten Ich durch die geis­ti­ge Schu­lung durch­aus nicht zu­rück­zu­sch­re­cken. Nur muß er sich vor­be­hal­ten, daß Selbst­täu­schung dann ei­ne gro­ße Macht über den Men­schen hat, wenn es sich dar­um han­delt, daß die­ser sich für et­was «reif» be­fin­den soll. In der­je­ni­gen Geis­tes­schu­lung, wel­che hier be­schrie­ben ist, er­langt der Mensch ei­ne sol­che Aus­bil­dung sei­nes Ge­dan­ken­le­bens, daß er in Ge­fah­ren, zu ir­ren, wie sie oft ver­mu­tet wer­den, nicht kom­men kann. Die­se Ge­dan­ken­aus­bil­dung be­wirkt, daß al­le in­ne­ren Er­leb­nis­se, wel­che not­wen­dig sind, auf­t­re­ten, daß sie aber so sich ab­spie­len, wie sie von der See­le durch­ge­macht wer­den müs­sen, oh­ne von schäd­li­chen Phan­ta­sie­ver­ir­run­gen be­g­lei­tet zu sein. Oh­ne ent­sp­re­chen­de Ge­dan­ken­aus­bil­dung kön­nen die Er­leb­nis­se ei­ne star­ke Un­­si­cher­heit in der See­le her­vor­ru­fen. Die hier be­ton­te Art be­wirkt, daß die Er­leb­nis­se so auf­t­re­ten, daß man sie vol­l­­kom­men ken­nen­lernt, wie man die Wahr­neh­mun­gen der phy­si­schen Welt bei ge­sun­der See­len­ver­fas­sung ken­nen­lernt. Man wird durch die Aus­bil­dung des Den­k­le­bens mehr ein Be­o­b­ach­ter des­sen, was man an sich er­lebt, wäh­rend man oh­ne das Den­k­le­ben un­be­son­nen in dem Er­leb­nis drin­nen steht.

Von ei­ner sach­ge­mä­ß­en Schu­lung wer­den ge­wis­se Ei­gen­­schaf­ten ge­nannt, wel­che sich durch Übung der­je­ni­ge er­wer­­ben soll, wel­cher den Weg in die höhe­ren Wel­ten fin­den will. Es sind dies vor al­lem: Herr­schaft der See­le über ih­re Ge­­dan­ken­füh­rung, über ih­ren Wil­len und ih­re Ge­füh­le. Die Art, wie die­se Herr­schaft durch Übung her­bei­ge­führt wer­­den soll, hat ein zwei­fa­ches Ziel. Ei­ner­seits soll der See­le da­durch Fes­tig­keit, Si­cher­heit und Gleich­ge­wicht so weit ein­­ge­prägt wer­den, daß sie sich die­se Ei­gen­schaf­ten be­wahrt,

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auch wenn ein zwei­tes Ich aus ihr ge­bo­ren wird. And­rer­­seits soll die­sem zwei­ten Ich Stär­ke und in­ne­rer Halt mit auf den Weg ge­ge­ben wer­den.

Was dem Den­ken des Men­schen für die Geis­tes­schu­lung vor al­lem not­wen­dig ist, das ist Sach­lich­keit. In der phy­sisch-sinn­li­chen Welt ist das Le­ben der gro­ße Lehr­meis­ter für das men­sch­li­che Ich zur Sach­lich­keit. Woll­te die See­le in be­lie­bi­­ger Wei­se die Ge­dan­ken hin und her schwei­fen las­sen: sie müß­te als­bald sich von dem Le­ben kor­ri­gie­ren las­sen, wenn sie mit ihm nicht in Kon­f­likt kom­men woll­te. Die See­le muß ent­sp­re­chend dem Ver­lauf der Tat­sa­chen des Le­bens den­ken. Wenn nun der Mensch die Auf­merk­sam­keit von der phy­sisch-sinn­li­chen Welt ab­lenkt, so fehlt ihm die Zwangs­kor­rek­tur der letz­te­ren. Ist dann sein Den­ken nicht im­­stan­de, sein ei­ge­ner Kor­rek­tor zu sein, so muß es ins Ir­r­­lich­te­lie­ren kom­men. Des­halb muß das Den­ken des Geis­tes­schü­lers sich so üben, daß es sich sel­ber Rich­tung und Ziel ge­ben kann. In­ne­re Fes­tig­keit und die Fähig­keit, st­reng bei ei­nem Ge­gen­stan­de zu blei­ben, das ist, was das Den­ken in sich selbst heran­zie­hen muß. Des­halb sol­len ent­sp­re­chen­de «Denk­übun­gen» nicht an fern­lie­gen­den und kom­p­li­zier­ten Ge­gen­stän­den vor­ge­nom­men wer­den, son­dern an ein­fa­chen und na­he­lie­gen­den. Wer sich über­win­det, durch Mo­na­te hin­durch täg­lich we­nigs­tens fünf Mi­nu­ten sei­ne Ge­dan­ken an ei­nen all­täg­li­chen Ge­gen­stand (zum Bei­spiel ei­ne Steck­­na­del, ei­nen Blei­s­tift usw.) zu wen­den und wäh­rend die­ser Zeit al­le Ge­dan­ken aus­zu­sch­lie­ßen, wel­che nicht mit die­sem Ge­gen­stan­de zu­sam­men­hän­gen, der hat nach die­ser Rich­­tung hin viel ge­tan. (Man kann täg­lich ei­nen neu­en Ge­gen­­stand be­den­ken oder meh­re­re Ta­ge ei­nen fest­hal­ten.) Auch der­je­ni­ge, wel­cher sich als «Den­ker» durch wis­sen­schaft­li­che

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Schu­lung fühlt, soll­te es nicht ver­sch­mähen, sich in sol­cher Art für die Geis­tes­schu­lung «reif» zu ma­chen. Denn wenn man ei­ne Zeit­lang die Ge­dan­ken hef­tet an et­was, was ei­nem ganz be­kannt ist, so kann man si­cher sein, daß man sach­­ge­mäß denkt. Wer sich frägt: Wel­che Be­stand­tei­le set­zen ei­nen Blei­s­tift zu­sam­men? Wie wer­den die Ma­te­ria­li­en zu dem Blei­s­tift vor­ge­ar­bei­tet? Wie wer­den sie nach­her zu­­­sam­men­ge­fügt? Wann wur­den die Blei­s­tif­te er­fun­den? und so wei­ter, und so wei­ter: ein sol­cher paßt sei­ne Vor­s­tel­­lun­gen si­cher mehr der Wir­k­lich­keit an als der­je­ni­ge, der dar­über nach­denkt, wie die Ab­stam­mung des Men­schen ist oder was das Le­ben ist. Man lernt durch ein­fa­che Denk­übun­gen für ein sach­ge­mä­ß­es Vor­s­tel­len ge­gen­über der Welt der Sa­turn-, Son­nen- und Mon­den­ent­wi­cke­lung mehr als durch kom­p­li­zier­te und ge­lehr­te Ide­en. Denn zu­nächst han­delt es sich gar nicht dar­um, über die­ses oder je­nes zu den­ken, son­dern sach­ge­mäß durch in­ne­re Kraft zu den­ken. Hat man sich die Sach­ge­mäß­h­eit an­er­zo­gen an ei­nem leicht über­schau­ba­ren sinn­lich-phy­si­schen Vor­gang, dann ge­wöhnt sich das Den­ken da­ran, auch sach­ge­mäß sein zu wol­len, wenn es sich nicht durch die phy­sisch-sinn­li­che Welt und ih­re Ge­set­ze be­herrscht fühlt. Und man ge­wöhnt es sich ab, un­­sach­ge­mäß die Ge­dan­ken schwär­m­en zu las­sen.

Wie Herr­scher in der Ge­dan­ken­welt, so soll ein sol­cher die See­le auch im Ge­bie­te des Wil­lens wer­den. In der phy­­sisch-sinn­li­chen Welt ist es auch hier das Le­ben, das als Be­herr­scher auf­tritt. Es macht die­se oder je­ne Be­dürf­nis­se für den Men­schen gel­tend; und der Wil­le fühlt sich an­ge­regt, die­se Be­dürf­nis­se zu be­frie­di­gen. Für die höhe­re Schu­lung muß sich der Mensch da­ran ge­wöh­nen, sei­nen ei­ge­nen Be­feh­len st­reng zu ge­hor­chen. Wer sich an sol­ches ge­wöhnt,

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dem wird es im­mer we­ni­ger und we­ni­ger bei­fal­len, We­sen­­lo­ses zu be­geh­ren. Das Un­be­frie­di­gen­de, Halt­lo­se im Wil­­lens­le­ben rührt aber von dem Be­geh­ren sol­cher Din­ge her, von de­ren Ver­wir­k­li­chung man sich kei­nen deut­li­chen Be­griff macht. Sol­che Un­be­frie­di­gung kann das gan­ze Ge­müts­le­ben in Un­ord­nung brin­gen, wenn ein höhe­res Ich aus der See­le her­vor­ge­hen will. Ei­ne gu­te Übung ist es, durch Mo­­na­te hin­durch sich zu ei­ner be­stimm­ten Ta­ges­zeit den Be­fehl zu ge­ben: Heu­te «um die­se be­stimm­te Zeit» wirst du «die­­ses» aus­füh­ren. Man ge­langt dann all­mäh­lich da­zu, sich die Zeit der Aus­füh­rung und die Art des aus­zu­füh­r­en­den Din­­ges so zu be­feh­len, daß die Aus­füh­rung ganz ge­nau mög­lich ist. So er­hebt man sich über das ver­derb­li­che: «ich möch­te dies; ich will je­nes», wo­bei man gar nicht an die Aus­führ­­bar­keit denkt. Ei­ne gro­ße Per­sön­lich­keit läßt ei­ne Se­he­rin sa­gen: «Den lieb' ich, der Un­mög­li­ches be­gehrt». (Goe­the, Faust II.) Und die­se Per­sön­lich­keit (Goe­the) selbst sagt: «In der Idee le­ben heißt, das Un­mög­li­che be­han­deln, als wenn es mög­lich wä­re». (Goe­the, Sprüche in Pro­sa.) Sol­che Aus­­­sprüche dür­fen aber nicht als Ein­wän­de ge­gen das hier Dar­­­ge­s­tell­te ge­braucht wer­den. Denn die For­de­rung, die Goe­the und sei­ne Se­he­rin (Man­to) stel­len, kann nur der­je­ni­ge er­­fül­len, wel­cher sich an dem Be­geh­ren des­sen, was mög­lich ist, erst her­an­ge­bil­det hat, um dann durch sein star­kes Wol­­len eben das «Un­mög­li­che» so be­han­deln zu kön­nen, daß es sich durch sein Wol­len in ein Mög­li­ches ver­wan­delt.

In be­zug auf die Ge­fühls­welt soll es die See­le für die Geis­tes­schu­lung zu ei­ner ge­wis­sen Ge­las­sen­heit brin­gen. Da­zu ist nö­t­ig, daß die­se See­le Be­herr­sche­rin wer­de über den Aus­druck von Lust und Leid, Freu­de und Sch­merz. Ge­ra­de ge­gen­über der Er­wer­bung die­ser Ei­gen­schaft kann sich man­ches

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Vor­ur­teil er­ge­ben. Man könn­te mei­nen, man wer­de stumpf und teil­nahms­los ge­gen­über sei­ner Mit­welt, wenn man über das «Er­freu­li­che sich nicht er­f­reu­en, über das Sch­merz­haf­te nicht Sch­merz emp­fin­den soll». Doch dar­um han­delt es sich nicht. Ein Er­freu­li­ches soll die See­le er­f­reu­en, ein Trau­ri­ges soll sie sch­mer­zen. Sie soll nur da­zu ge­lan­gen, den Aus­druck von Freu­de und Sch­merz, von Lust und Un­lust zu be­herr­schen. St­rebt man die­ses an, so wird man als­­bald be­mer­ken, daß man nicht stump­fer, son­dern im Ge­gen­­teil emp­fäng­li­cher wird für al­les Er­freu­li­che und Sch­mer­z­haf­te der Um­ge­bung, als man früh­er war. Es er­for­dert al­ler­­dings ein ge­nau­es Acht­ge­ben auf sich selbst durch län­ge­re Zeit, wenn man sich die Ei­gen­schaft an­eig­nen will, um die es sich hier han­delt. Man muß dar­auf se­hen, daß man Lust und Leid voll mi­t­er­le­ben kann, oh­ne sich da­bei so zu ver­­­lie­ren, daß man dem, was man emp­fin­det, ei­nen un­will­kür­­li­chen Aus­druck gibt. Nicht den be­rech­tig­ten Sch­merz soll man un­ter­drü­cken, son­dern das un­will­kür­li­che Wei­nen; nicht den Ab­scheu vor ei­ner sch­lech­ten Hand­lung, son­dern das blin­de Wü­ten des Zorns; nicht das Ach­ten auf ei­ne Ge­fahr, son­dern das frucht­lo­se «Sich-Fürch­ten» und so wei­ter. Nur durch ei­ne sol­che Übung ge­langt der Geis­tes­schü­ler da­zu, je­ne Ru­he in sei­nem Ge­müt zu ha­ben, wel­che not­wen­dig ist, da­mit nicht beim Ge­bo­ren­wer­den und na­ment­lich bei der Be­tä­ti­gung des höhe­ren Ich die See­le wie ei­ne Art Dop­pel­­gän­ger ne­ben die­sem höhe­ren Ich ein zwei­tes un­ge­sun­des Le­ben führt. Ge­ra­de die­sen Din­gen ge­gen­über soll­te man sich kei­ner Selbst­täu­schung hin­ge­ben. Es kann man­chem schei­nen, daß er ei­nen ge­wis­sen Gleich­mut im ge­wöhn­li­chen Le­ben schon ha­be und daß er des­halb die­se Übung nicht nö­t­ig ha­be. Ge­ra­de ein sol­cher hat sie zwei­fach nö­t­ig. Man

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kann näm­lich ganz gut ge­las­sen sein, wenn man den Din­gen des ge­wöhn­li­chen Le­bens ge­gen­über­steht; und dann beim Auf­s­tei­gen in ei­ne höhe­re Welt kann sich um so mehr die Gleich­ge­wichts­lo­sig­keit, die nur zu­rück­ge­drängt war, gel­tend ma­chen. Es muß durch­aus er­kannt wer­den, daß zur Geis­tes­schu­lung es we­ni­ger dar­auf an­kommt, was man vor­her zu ha­ben scheint, als viel­mehr dar­auf, daß man ganz ge­set­z­­mä­ß­ig übt, was man braucht. So wi­der­spruchs­voll die­ser Satz auch aus­sieht: er ist rich­tig. Hat ei­nem auch das Le­ben dies oder je­nes an­er­zo­gen: zur Geis­tes­schu­lung die­nen die Ei­gen­schaf­ten, wel­che man sich selbst an­er­zo­gen hat. Hat ei­nem das Le­ben Er­regt­heit bei­ge­bracht, so soll­te man sich die Er­regt­heit ab­er­zie­hen; hat ei­nem aber das Le­ben Gleich­­mut bei­ge­bracht, so soll­te man sich durch Selbs­t­er­zie­hung so aufrüt­teln, daß der Aus­druck der See­le dem emp­fan­ge­nen Ein­druck ent­spricht. Wer über nichts la­chen kann, be­herrscht sein Le­ben eben­so­we­nig wie der­je­ni­ge, wel­cher, oh­ne sich zu be­herr­schen, fort­wäh­rend zum La­chen ge­reizt wird.

Für das Den­ken und Füh­len ist ein wei­te­res Bil­dungs­mit­tel die Er­wer­bung der Ei­gen­schaft, wel­che man Po­si­ti­vi­tät nen­nen kann. Es gibt ei­ne sc­hö­ne Le­gen­de, die be­sagt von dem Chris­tus Je­sus, daß er mit ei­ni­gen an­dern Per­so­nen an ei­nem to­ten Hund vor­über­geht. Die an­dern wen­den sich ab von dem häß­li­chen An­blick. Der Chris­tus Je­sus spricht be­wun­dernd von den sc­hö­nen Zäh­nen des Tie­res. Man kann sich da­rin üben, ge­gen­über der Welt ei­ne sol­che See­len­ver­­­fas­sung zu er­hal­ten, wie sie im Sin­ne die­ser Le­gen­de ist. Das Irr­tüm­li­che, Sch­lech­te, Häß­li­che soll die See­le nicht ab­hal­ten, das Wah­re, Gu­te und Sc­hö­ne übe­rall zu fin­den, wo es vor­­han­den ist. Nicht ver­wech­seln soll man die­se Po­si­ti­vi­tät mit Kri­tik­lo­sig­keit, mit dem will­kür­li­chen Ver­sch­lie­ßen der

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Au­gen ge­gen­über dem Sch­lech­ten, Fal­schen und Min­der­wer­­ti­gen. Wer die «sc­hö­nen Zäh­ne» ei­nes to­ten Tie­res be­wun­­dert, der sieht auch den ver­we­sen­den Leich­nam. Aber die­ser Leich­nam hält ihn nicht da­von ab, die sc­hö­nen Zäh­ne zu se­hen. Man kann das Sch­lech­te nicht gut, den Irr­tum nicht wahr fin­den; aber man kann es da­hin brin­gen, daß man durch das Sch­lech­te nicht ab­ge­hal­ten wer­de, das Gu­te, durch den Irr­tum nicht, das Wah­re zu se­hen.

Das Den­ken in Ver­bin­dung mit dem Wil­len er­fährt ei­ne ge­wis­se Rei­fung, wenn man ver­sucht, sich nie­mals durch et­was, was man er­lebt oder er­fah­ren hat, die un­be­fan­ge­ne Emp­fäng­lich­keit für neue Er­leb­nis­se rau­ben zu las­sen. Für den Geis­tes­schü­ler soll der Ge­dan­ke sei­ne Be­deu­tung ganz ver­lie­ren: «Das ha­be ich noch nie ge­hört, das glau­be ich nicht.» Er soll wäh­rend ei­ner ge­wis­sen Zeit ge­ra­de­zu übe­rall dar­auf aus­ge­hen, sich bei je­der Ge­le­gen­heit von ei­nem je­g­li­chen Din­ge und We­sen Neu­es sa­gen zu las­sen. Von je­dem Luft­zug, von je­dem Baum­blatt, von je­g­li­chem Lal­len ei­nes Kin­des kann man ler­nen, wenn man be­reit ist, ei­nen Ge­sichts­punkt in An­wen­dung zu brin­gen, den man bis­her nicht in An­wen­dung ge­bracht hat. Es wird al­ler­dings leicht mög­lich sein, in be­zug auf ei­ne sol­che Fähig­keit zu weit zu ge­hen. Man soll ja nicht et­wa in ei­nem ge­wis­sen Le­bensal­ter die Er­fah­run­gen, die man über die Din­ge ge­macht hat, au­ßer acht las­sen. Man soll, was man in der Ge­gen­wart er­lebt, nach den Er­fah­run­gen der Ver­gan­gen­heit be­ur­tei­len. Das kommt auf die ei­ne Waag­scha­le; auf die an­de­re aber muß für den Geis­tes­schü­ler die Ge­neigt­heit kom­men, im­mer Neu­es zu er­fah­ren. Und vor al­lem der Glau­be an die Mög­lich­keit, daß neue Er­leb­nis­se den al­ten wi­der­sp­re­chen kön­nen.

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Da­mit sind fünf Ei­gen­schaf­ten der See­le ge­nannt, wel­che sich in re­gel­rech­ter Schu­lung der Geis­tes­schü­ler an­zu­eig­nen hat: die Herr­schaft über die Ge­dan­ken­füh­rung, die Her­r­­schaft über die Wil­len­s­im­pul­se, die Ge­las­sen­heit ge­gen­über Lust und Leid, die Po­si­ti­vi­tät im Be­ur­tei­len der Welt, die Un­be­fan­gen­heit in der Auf­fas­sung des Le­bens. Wer ge­wis­se Zei­ten au­f­ein­an­der­fol­gend da­zu ver­wen­det hat, um sich in der Er­wer­bung die­ser Ei­gen­schaf­ten zu üben, der wird dann noch nö­t­ig ha­ben, in der See­le die­se Ei­gen­schaf­ten zum har­­mo­ni­schen Zu­sam­men­stim­men zu brin­gen. Er wird sie ge­­wis­ser­ma­ßen je zwei und zwei, drei und ei­ne und so wei­ter gleich­zei­tig üben müs­sen, um Har­mo­nie zu be­wir­ken.

Die cha­rak­te­ri­sier­ten Übun­gen sind durch die Me­tho­den der Geis­tes­schu­lung an­ge­ge­ben, weil sie bei gründ­li­cher Aus­­­füh­rung in dem Geis­tes­schü­ler nicht nur das be­wir­ken, was oben als un­mit­tel­ba­res Er­geb­nis ge­nannt wor­den ist, son­­dern mit­tel­bar noch vie­les an­de­re im Ge­fol­ge ha­ben, was auf dem We­ge zu den geis­ti­gen Wel­ten ge­braucht wird. Wer die­se Übun­gen in ge­nü­gen­dem Ma­ße macht, wird wäh­rend der­sel­ben auf man­che Män­gel und Feh­ler sei­nes See­len­­le­bens sto­ßen; und er wird die ge­ra­de ihm not­wen­di­gen Mit­tel fin­den zur Kräf­ti­gung und Si­che­rung sei­nes in­tel­le­k­­tu­el­len, ge­fühls­mä­ß­i­gen und Cha­rak­ter­le­bens. Er wird ge­wiß noch man­che an­de­re Übun­gen nö­t­ig ha­ben, je nach sei­nen Fähig­kei­ten, sei­nem Tem­pe­ra­ment und Cha­rak­ter; sol­che er­ge­ben sich aber, wenn die ge­nann­ten aus­gie­big durch­ge­macht wer­den. Ja, man wird be­mer­ken, daß die dar­ge­s­tell­ten Übun­gen mit­tel­bar auch das­je­ni­ge nach und nach ge­ben, was zu­nächst nicht in ih­nen zu lie­gen scheint. Wenn zum Bei­spiel je­mand zu we­nig Selbst­ver­trau­en hat, so wird er nach ent­sp­re­chen­der Zeit be­mer­ken kön­nen, daß

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sich durch die Übun­gen das not­wen­di­ge Selbst­ver­trau­en ein­s­tellt. Und so ist es in be­zug auf an­de­re See­len­ei­gen­schaf­­ten. (Be­son­de­re, mehr ins ein­zel­ne ge­hen­de Übun­gen fin­det man in mei­nem Bu­che: «Wie er­langt man Er­kennt­nis­se der höhe­ren Wel­ten?») Be­deu­tungs­voll ist, daß der Geis­tes­­schü­ler. die an­ge­ge­be­nen Fähig­kei­ten in im­mer höhe­ren Gra­­den zu stei­gern ver­mag. Die Be­herr­schung der Ge­dan­ken und Emp­fin­dun­gen muß er so weit brin­gen, daß die See­le die Macht er­hält, Zei­ten voll­kom­me­ner in­ne­rer Ru­he her­zu­s­tel­len, in de­nen der Mensch sei­nem Geis­te und sei­nem Her­zen al­les fern­hält, was das all­täg­li­che, äu­ße­re Le­ben an Glück und Leid, an Be­frie­di­gun­gen und Küm­mer­nis­sen, ja an Auf­ga­ben und For­de­run­gen bringt. Ein­ge­las­sen wer­den soll in sol­chen Zei­ten nur das­je­ni­ge in die See­le, was die­se selbst im Zu­stan­de der Ver­sen­kung ein­las­sen will. Leicht kann sich dem­ge­gen­über ein Vor­ur­teil gel­tend ma­chen. Es könn­te die Mei­nung ent­ste­hen, man wer­de dem Le­ben und sei­nen Auf­ga­ben ent­f­rem­det, wenn man sich mit Herz und Geist für ge­wis­se Zei­ten des Ta­ges aus dem­sel­ben zu­rück­­zieht. Das ist aber in Wir­k­lich­keit durch­aus nicht der Fall. Wer sich in der ge­schil­der­ten Art Pe­rio­den der in­ne­ren Stil­le und des Frie­dens hin­gibt, dem wach­sen aus den­sel­ben für die Auf­ga­ben auch des äu­ße­ren Le­bens so vie­le und so star­ke Kräf­te zu, daß er die Le­benspf­lich­ten da­durch nicht nur nicht sch­lech­ter, son­dern ganz ge­wiß bes­ser er­füllt. Von gro­ßem Wer­te ist es, wenn der Mensch in sol­chen Pe­ri­o­­den ganz los­kommt von den Ge­dan­ken an sei­ne per­sön­­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten, wenn er sich zu er­he­ben ver­mag zu dem, was nicht nur ihn, son­dern was den Men­schen im al­l­­ge­mei­nen über­haupt an­geht. Ist er im­stan­de, sei­ne See­le zu er­fül­len mit den Mit­tei­lun­gen aus der höhe­ren geis­ti­gen

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Welt, ver­mö­gen die­se sein In­ter­es­se in ei­nem so ho­hen Gra­de zu fes­seln, wie ei­ne per­sön­li­che Sor­ge oder An­ge­le­gen­heit, dann wird sei­ne See­le da­von be­son­de­re Früch­te ha­ben. Wer in die­ser Wei­se re­gelnd in sein See­len­le­ben ein­zu­g­rei­fen sich be­müht, der wird auch zu der Mög­lich­keit ei­ner Selbst­be­o­b­ach­tung kom­men, wel­che die ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten mit der Ru­he an­sieht, als wenn sie frem­de wä­ren. Die ei­ge­­nen Er­leb­nis­se, die ei­ge­nen Freu­den und Lei­den wie die ei­nes an­dern an­se­hen kön­nen, ist ei­ne gu­te Vor­be­rei­tung für die Geis­tes­schu­lung. Man bringt es all­mäh­lich zu dem in die­ser Be­zie­hung not­wen­di­gen Grad, wenn man sich täg­lich nach voll­brach­tem Ta­ge­werk die Bil­der der täg­li­chen Er­leb­nis­se vor dem Geis­te vor­bei­zie­hen läßt. Man soll sich inn­er­halb sei­ner Er­leb­nis­se selbst im Bil­de er­bli­cken; al­so sich in sei­nem Ta­ges­le­ben wie von au­ßen be­trach­ten. Man ge­langt zu ei­ner ge­wis­sen Pra­xis in sol­cher Selbst­be­o­b­ach­­tung, wenn man mit der Vor­stel­lung ein­zel­ner klei­ner Tei­le die­ses Ta­ges­le­bens den An­fang macht. Man wird dann im­mer ge­schick­ter und ge­wand­ter in sol­cher Rück­schau, so daß man sie nach län­ge­rer Übung in ei­ner kur­zen Span­ne Zeit voll­stän­dig wird ge­stal­ten kön­nen. Die­ses Rück­wärts-An­schau­en der Er­leb­nis­se hat für die Geis­tes­schu­lung des­halb sei­nen be­son­de­ren Wert, weil es die See­le da­zu bringt, sich im Vor­s­tel­len los­zu­ma­chen von der sonst in­ne­ge­hal­te­­nen Ge­wohn­heit, nur dem Ver­lauf des sin­nen­fäl­li­gen Ge­­sche­hens mit dem Den­ken zu fol­gen. Im Rück­wärts-Den­ken stellt man rich­tig vor, aber nicht ge­hal­ten durch den sin­nen­fäl­li­gen Ver­lauf. Das braucht man zum Ein­le­ben in die über­sinn­li­che Welt. Da­ran er­kraf­tet sich das Vor­s­tel­len in ge­sun­der Art. Da­her ist es auch gut, au­ßer sei­nem Ta­ges­le­ben an­de­res rück­wärts vor­zu­s­tel­len, zum Bei­spiel den

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Ver­lauf ei­nes Dra­mas, ei­ner Er­zäh­lung, ei­ner Ton­fol­ge usw. Das Ideal für den Geis­tes­schü­ler wird im­mer mehr wer­den, sich den an ihn her­an­t­re­ten­den Le­benser­eig­nis­sen ge­gen­über so zu ver­hal­ten, daß er sie mit in­ne­rer Si­cher­heit und See­len­ru­he an sich her­an­kom­men läßt und sie nicht nach sei­ner See­len­ver­fas­sung be­ur­teilt, son­dern nach ih­rer in­ne­­ren Be­deu­tung und ih­rem in­ne­ren Wert. Er wird ge­ra­de durch den Hin­blick auf die­ses Ideal sich die see­li­sche Grun­d­la­ge schaf­fen, um sich den oben ge­schil­der­ten Ver­sen­kun­gen in sym­bo­li­sche und an­de­re Ge­dan­ken und Emp­fin­dun­gen hin­ge­ben zu kön­nen.

Die hier ge­schil­der­ten Be­din­gun­gen müs­sen er­füllt sein, weil sich das über­sinn­li­che Er­le­ben auf dem Bo­den au­f­er­baut, auf dem man im ge­wöhn­li­chen See­len­le­ben steht, be­vor man in die über­sinn­li­che Welt ein­tritt. In zwei­fa­cher Art ist al­les über­sinn­li­che Er­le­ben ab­hän­gig von dem See­len-Aus­gangs­punkt, auf dem man vor dem Ein­trit­te steht. Wer nicht dar­auf be­dacht ist, von vorn­he­r­ein ei­ne ge­sun­de Ur­­­teils­kraft zur Grund­la­ge sei­ner Geis­tes­schu­lung zu ma­chen, der wird in sich sol­che über­sinn­li­che Fähig­kei­ten ent­wi­ckeln, wel­che un­ge­nau und un­rich­tig die geis­ti­ge Welt wahr­neh­­men. Es wer­den ge­wis­ser­ma­ßen sei­ne geis­ti­gen Wahr­neh­­mung­s­or­ga­ne un­rich­tig sich ent­fal­ten. Und wie man mit ei­nem feh­ler­haf­ten oder kran­ken Au­ge nicht rich­tig in der Sin­nen­welt se­hen kann, so kann man mit Geis­t­or­ga­nen nicht rich­tig wahr­neh­men, die nicht auf der Grund­la­ge ei­ner ge­sun­den Ur­teils­fähig­keit her­an­ge­bil­det sind. Wer von ei­ner un­mo­ra­li­schen See­len­ver­fas­sung den Aus­gangs­punkt nimmt, der er­hebt sich so in die geis­ti­gen Wel­ten, daß sein geis­ti­ges Schau­en wie be­täubt, wie um­ne­belt ist. Er ist ge­gen­­über den über­sinn­li­chen Wel­ten, wie je­mand ge­gen­über der

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sinn­li­chen Welt ist, der in Be­täu­bung be­o­b­ach­tet. Nur wird die­ser zu kei­nen er­heb­li­chen Aus­sa­gen kom­men, wäh­rend der geis­ti­ge Be­o­b­ach­ter in sei­ner Be­täu­bung doch im­mer­hin wa­cher ist als ein Mensch im ge­wöhn­li­chen Be­wußt­sein. Sei­ne Aus­sa­gen wer­den des­halb zu Irr­tü­mern ge­gen­über der geis­ti­gen Welt.

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Die in­ne­re Ge­die­gen­heit der ima­gi­na­ti­ven Er­kennt­nis­stu­fe wird da­durch er­reicht, daß die dar­ge­s­tell­ten see­li­schen Ver­sen­kun­gen (Me­di­ta­tio­nen) un­ter­stützt wer­den von dem, was man die Ge­wöh­nung an «sinn­lich­keits­f­rei­es Den­ken» nen­nen kann. Wenn man sich ei­nen Ge­dan­ken auf Grund der Be­o­b­ach­tung in der phy­sisch-sinn­li­chen Welt macht, so ist die­ser Ge­dan­ke nicht sinn­lich­keits­f­rei. Aber es ist nicht et­wa so, daß der Mensch nur sol­che Ge­dan­ken bil­den kön­ne. Das men­sch­li­che Den­ken braucht nicht leer und in­halt­los zu wer­den, wenn es sich nicht von sinn­li­chen Be­o­b­ach­tun­­gen er­fül­len läßt. Der si­chers­te und nächst­lie­gen­de Weg für den Geis­tes­schü­ler, zu sol­chem sinn­lich­keits­f­rei­en Den­ken zu kom­men, kann der sein, die ihm von der Geis­tes­wis­sen­­schaft mit­ge­teil­ten Tat­sa­chen der höhe­ren Welt zum Ei­gen­­tum sei­nes Den­kens zu ma­chen. Die­se Tat­sa­chen kön­nen von den phy­si­schen Sin­nen nicht be­o­b­ach­tet wer­den. Den­noch wird der Mensch be­mer­ken, daß er sie be­g­rei­fen kann, wenn er nur Ge­duld und Aus­dau­er ge­nug hat. Man kann oh­ne Schu­lung nicht in der höhe­ren Welt for­schen, man kann da­rin nicht selbst Be­o­b­ach­tun­gen ma­chen; aber man kann oh­ne die höhe­re Schu­lung al­les ver­ste­hen, was die For­scher aus der­sel­ben mit­tei­len. Und wenn je­mand sagt: Wie kann ich das­je­ni­ge auf Treu und Glau­ben hin­neh­men, was die Geis­tes­for­scher sa­gen, da ich es doch nicht selbst se­hen kann?,

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so ist dies völ­lig un­be­grün­det. Denn es ist durch­aus mög­­lich, aus dem blo­ßen Nach­den­ken her­aus die si­che­re Über­zeu­gung zu er­hal­ten: das Mit­ge­teil­te ist wahr. Und wenn die­se Über­zeu­gung sich je­mand durch Nach­den­ken nicht bil­den kann, so rührt das nicht da­von her, weil man un­­mög­lich an et­was «glau­ben» kön­ne, was man nicht sieht, son­dern le­dig­lich da­von, daß man sein Nach­den­ken noch nicht vor­ur­teils­los, um­fas­send, gründ­lich ge­nug an­ge­wen­det hat. Um in die­sem Punk­te Klar­heit zu ha­ben, muß man be­den­ken, daß das men­sch­li­che Den­ken, wenn es sich ener­­gisch in­ner­lich aufrafft, mehr be­g­rei­fen kann, als es in der Re­gel wähnt. In dem Ge­dan­ken selbst liegt näm­lich schon ei­ne in­ne­re We­sen­heit, wel­che im Zu­sam­men­hang steht mit der über­sinn­li­chen Welt. Die See­le ist sich ge­wöhn­lich die­ses Zu­sam­men­han­ges nicht be­wußt, weil sie ge­wöhnt ist, die Ge­dan­ken­fähig­keit nur an der Sin­nen­welt her­an­zu­zie­hen. Sie hält des­halb für un­be­g­reif­lich, was ihr aus der über­sin­n­­li­chen Welt mit­ge­teilt wird. Dies ist aber nicht nur be­g­reif­­lich für ein durch Geis­tes­schu­lung er­zo­ge­nes Den­ken, son­­dern für je­des Den­ken, das sich sei­ner vol­len Kraft be­wußt ist und sich der­sel­ben be­die­nen will. Da­durch, daß man sich un­abläs­sig zum Ei­gen­tum macht, was die Geis­tes­for­­schung sagt, ge­wöhnt man sich an ein Den­ken, das nicht aus den sinn­li­chen Be­o­b­ach­tun­gen sc­höpft. Man lernt er­ken­nen, wie im In­nern der See­le Ge­dan­ke sich an Ge­dan­ke webt, wie Ge­dan­ke den Ge­dan­ken sucht, auch wenn die Ge­dan­ken­ver­bin­dun­gen nicht durch die Macht der Sin­nen­be­o­b­ach­tung be­wirkt wer­den. Das We­sent­li­che da­bei ist, daß man so ge­wahr wird, wie die Ge­dan­ken­welt in­ne­res Le­ben hat, wie man sich, in­dem man wir­k­lich denkt, im Be­rei­che ei­ner über­sinn­li­chen le­ben­di­gen Welt schon be­fin­­det.

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Man sagt sich: Es ist et­was in mir, was ei­nen Ge­dan­ken-Or­ga­nis­mus aus­bil­det; aber ich bin doch ei­nes mit die­sem «Et­was». Man er­lebt so in der Hin­ga­be an sinn­lich­keits­f­rei­es Den­ken, daß et­was We­sen­haf­tes be­steht, was ein­f­ließt in un­ser In­nen­le­ben, wie die Ei­gen­schaf­ten der Sin­nen­din­ge durch un­se­re phy­si­schen Or­ga­ne in uns ein­f­lie­ßen, wenn wir sinn­lich be­o­b­ach­ten. Da drau­ßen im Rau­me so sagt sich der Be­o­b­ach­ter der Sin­nen­welt ist ei­ne Ro­se; sie ist mir nicht fremd, denn sie kün­digt sich mir durch ih­re Far­be und ih­ren Ge­ruch an. Man braucht nun nur ge­nug vor­ur­teils­los zu sein, um sich dann, wenn das sinn­lich­keits­f­reie Den­ken in ei­nem ar­bei­tet, ganz ent­sp­re­chend zu sa­gen: es kün­digt sich mir ein We­sen­haf­tes an, wel­ches in mir Ge­dan­ken an Ge­dan­ken bin­det, wel­ches ei­nen Ge­dan­ken­or­ga­nis­mus formt. Es be­steht aber ein Un­ter­schied in den Emp­fin­dun­gen ge­gen­über dem, was der Be­o­b­ach­ter der äu­ße­ren Sin­nen­welt im Au­ge hat, und dem, was sich we­sen­haft in dem sinn­li­ch­keits­f­rei­en Den­ken an­kün­digt. Der ers­te Be­o­b­ach­ter fühlt sich der Ro­se ge­gen­über au­ßen­ste­hend, der­je­ni­ge, wel­cher dem sinn­lich­keits­f­rei­en Den­ken hin­ge­ge­ben ist, fühlt das in ihm sich an­kün­di­gen­de We­sen­haf­te wie in sich, er fühlt sich mit ihm eins. Wer mehr oder we­ni­ger be­wußt nur das als we­sen­haft gel­ten las­sen will, was ihm wie ein äu­ße­rer Ge­gen­stand ge­gen­über­tritt, der wird al­ler­dings nicht das Ge­fühl er­hal­ten kön­nen: was ein We­sen­haf­tes für sich ist, das kann sich mir auch da­durch an­kün­di­gen, daß ich mit ihm wie in eins ve­r­ei­nigt bin. Um in die­ser Be­zie­hung rich­tig zu se­hen, muß man fol­gen­des in­ne­re Er­leb­nis ha­ben kön­nen. Man muß un­ter­schei­den ler­nen zwi­schen den Ge­dan­ken­ver­bin­dun­gen, die man durch ei­ge­ne Will­kür schafft, und den­je­ni­gen, wel­che man in sich er­lebt, wenn man sol­che

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ei­ge­ne Will­kür in sich schwei­gen läßt. In dem letz­te­ren Fal­le kann man dann sa­gen: Ich blei­be in mir ganz still; ich füh­re kei­ne Ge­dan­ken­ver­bin­dun­gen her­bei; ich ge­be mich dem hin, was «in mir denkt». Dann ist es voll­be­rech­tigt, zu sa­gen: in mir wirkt ein für sich We­sen­haf­tes, wie es be­rech­­tigt ist zu sa­gen: auf mich wirkt die Ro­se, wenn ich ein be­stimm­tes Rot se­he, ei­nen be­stimm­ten Ge­ruch wahr­neh­me. Es ist da­bei kein Wi­der­spruch, daß man doch den In­halt sei­ner Ge­dan­ken aus den Mit­tei­lun­gen der Geis­tes­for­scher sc­höpft. Die Ge­dan­ken sind dann zwar be­reits da, wenn man sich ih­nen hin­gibt; aber man kann sie nicht den­ken, wenn man sie nicht in je­dem Fal­le in der See­le wie­der neu nach­schafft. Dar­auf eben kommt es an, daß der Geis­tes­for­scher sol­che Ge­dan­ken in sei­nem Zu­hö­rer und Le­ser wach­ruft, wel­che die­se aus sich erst ho­len müs­sen, wäh­rend der­je­ni­ge, wel­cher Sinn­lich-Wir­k­li­ches be­sch­reibt, auf et­was hin­deu­tet, was von Zu­hö­rer und Le­ser in der Sin­nen­welt be­o­b­ach­tet wer­den kann.

(Es ist der Weg, wel­cher durch die Mit­tei­lun­gen der Geis­tes­wis­sen­schaft in das sinn­lich­keits­f­reie Den­ken führt, ein durch­aus si­che­rer. Es gibt aber noch ei­nen an­dern, wel­cher si­che­rer und vor al­lem ge­nau­er, da­für aber auch für vie­le Men­schen schwie­ri­ger ist. Er ist in mei­nen Büchern «Er­kennt­nis­the­o­rie der Goe­the­schen Wel­t­an­schau­ung» und «Phi­lo­so­phie der Frei­heit» dar­ge­s­tellt. Die­se Schrif­ten ge­ben wie­der, was der men­sch­li­che Ge­dan­ke sich er­ar­bei­ten kann, wenn das Den­ken sich nicht den Ein­drü­cken der phy­si­sch­-sinn­li­chen Au­ßen­welt hin­gibt, son­dern nur sich selbst. Es ar­bei­tet dann das rei­ne Den­ken, nicht das bloß in Er­in­ne­run­gen an Sinn­li­ches sich er­ge­hen­de in dem Men­schen, wie ei­ne in sich le­ben­di­ge We­sen­heit. Da­bei ist in den ge­nann­ten

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Schrif­ten nichts auf­ge­nom­men aus den Mit­tei­lun­gen der Geis­tes­wis­sen­schaft selbst. Und doch ist ge­zeigt, daß das rei­ne, nur in sich ar­bei­ten­de Den­ken Auf­schlüs­se ge­win­nen kann über die Welt, das Le­ben und den Men­schen. Es ste­hen die­se Schrif­ten auf ei­ner sehr wich­ti­gen Zwi­schen­stu­fe zwi­­schen dem Er­ken­nen der Sin­nen­welt und dem der geis­ti­gen Welt. Sie bie­ten das­je­ni­ge, was das Den­ken ge­win­nen kann, wenn es sich er­hebt über die sinn­li­che Be­o­b­ach­tung, aber noch den Ein­gang ver­mei­det in die Geis­tes­for­schung. Wer die­se Schrif­ten auf sei­ne gan­ze See­le wir­ken läßt, der steht schon in der geis­ti­gen Welt; nur daß sich die­se ihm als Ge­­dan­ken­welt gibt. Wer sich in der La­ge fühlt, solch ei­ne Zwi­­schen­stu­fe auf sich wir­ken zu las­sen, der geht ei­nen si­che­ren Weg; und er kann sich da­durch ein Ge­fühl ge­gen­über der höhe­ren Welt er­rin­gen, das für al­le Fol­ge­zeit ihm die sc­hön­s­ten Früch­te tra­gen wird.)

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Das Ziel der Ver­sen­kung (Me­di­ta­ti­on) in die oben cha­rak­­te­ri­sier­ten sym­bo­li­schen Vor­stel­lun­gen und Emp­fin­dun­gen ist, ge­nau ge­spro­chen, die Her­an­bil­dung der höhe­ren Wahr­­neh­mung­s­or­ga­ne inn­er­halb des as­tra­li­schen Lei­bes des Men­­schen. Sie wer­den aus der Sub­stanz die­ses as­tra­li­schen Lei­­bes her­aus zu­nächst ge­schaf­fen. Die­se neu­en Be­o­b­ach­tung­s­or­ga­ne ver­mit­teln ei­ne neue Welt, und in die­ser neu­en Welt lernt sich der Mensch als ein neu­es Ich ken­nen. Von den Be­o­b­ach­tung­s­or­ga­nen der sinn­lich-phy­si­schen Welt un­ter­­schei­den sich je­ne neu­en schon da­durch, daß sie tä­ti­ge Or­­ga­ne sind. Wäh­rend Au­ge und Ohr sich pas­siv ver­hal­ten und Licht und Ton auf sich wir­ken las­sen, kann von den geis­tig-see­li­schen Wahr­neh­mung­s­or­ga­nen ge­sagt wer­den, daß sie in fort­wäh­ren­der Tä­tig­keit sind, wäh­rend sie wahr­neh­men,

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und daß sie ih­re Ge­gen­stän­de und Tat­sa­chen ge­­wis­ser­ma­ßen in vol­lem Be­wußt­sein er­g­rei­fen. Da­durch er­­gibt sich das Ge­fühl, daß geis­tig-see­li­sches Er­ken­nen ein Ve­r­ei­ni­gen mit den ent­sp­re­chen­den Tat­sa­chen ist, ein «in ih­nen le­ben». Man kann die ein­zel­nen sich bil­den­den geis­tig-see­li­schen Or­ga­ne ver­g­leichs­wei­se «Lo­tus­blu­men» nen­nen, ent­sp­re­chend der Form, die sich das über­sinn­li­che Be­wußt­sein von ih­nen (ima­gi­na­tiv) ma­chen muß. (Selb­st­ver­ständ­lich muß man sich klar sein dar­über, daß sol­che Be­zeich­nung mit der Sa­che nicht mehr zu tun hat als der Aus­druck «Flü­gel», wenn man von «Lun­gen­flü­geln» spricht.) Durch ganz be­stimm­te Ar­ten von in­ne­rer Ver­­­sen­kung wird auf den As­tral­leib so ge­wirkt, daß sich das ei­ne oder an­de­re geis­tig-see­li­sche Or­gan, die ei­ne oder die an­de­re «Lo­tus­blu­me» bil­det. Es soll­te, nach al­lem in die­sem Bu­che Aus­ge­führ­ten, über­flüs­sig sein, zu be­to­nen, daß man sich die­se «Be­o­b­ach­tung­s­or­ga­ne» nicht wie et­was vor­zu­s­tel­­len hat, das in der Vor­stel­lung sei­nes sinn­li­chen Bil­des ein Ab­druck sei­ner Wir­k­lich­keit ist. Die­se «Or­ga­ne» sind eben über­sinn­lich und be­ste­hen in ei­ner be­stimmt ge­form­ten See­len­be­tä­ti­gung; und sie be­ste­hen nur in­so­fern und so lan­ge, als die­se See­len­be­tä­ti­gung ge­übt wird. Et­was, was sich als Sin­nen­fäl­li­ges an­schau­en läßt, ist mit die­sen Or­­ga­nen so we­nig am Men­schen, als ir­gend­ein «Dunst» um ihn ist, wenn er denkt. Wer sich das Über­sinn­li­che durch­­aus sinn­lich vor­s­tel­len will, ge­rät eben in Mißv­er­ständ­nis­se. Trotz des Über­flüs­si­gen die­ser Be­mer­kung mag sie hier ste­hen, weil es im­mer wie­der Be­ken­ner des Über­sinn­li­chen gibt, die in ih­ren Vor­stel­lun­gen nur ein Sinn­li­ches ha­ben wol­len; und weil es im­mer wie­der Geg­ner der über­sin­n­­li­chen Er­kennt­nis gibt, die glau­ben, der Geis­tes­for­scher

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sp­re­che von «Lo­tus­blu­men» wie von fei­ne­ren sinn­fäl­li­gen Ge­bil­den. Je­de re­gel­rech­te Me­di­ta­ti­on, die im Hin­blick auf die ima­gi­na­ti­ve Er­kennt­nis ge­macht wird, hat ih­re Wir­kung auf das ei­ne oder das an­de­re Or­gan. (In mei­nem Bu­che «Wie er­langt man Er­kennt­nis­se der höhe­ren Wel­­ten?» sind ein­zel­ne von den Me­tho­den der Me­di­ta­ti­on und des Übens an­ge­ge­ben, wel­che auf das ei­ne oder an­de­re Or­gan wir­ken.) Ei­ne re­gel­rech­te Schu­lung rich­tet die ein­zel­­nen Übun­gen des Geis­tes­schü­lers so ein und läßt sie so auf­­ein­an­der fol­gen, daß die Or­ga­ne sich ein­zeln mit- oder nach­ein­an­der ent­sp­re­chend aus­bil­den kön­nen. Zu die­ser Aus­bil­dung ge­hört bei dem Geis­tes­schü­ler viel Ge­duld und Aus­dau­er. Wer nur ein sol­ches Maß von Ge­duld hat, wie es die ge­wöhn­li­chen Le­bens­ver­hält­nis­se dem Men­schen in der Re­gel ge­ben, der wird da­mit nicht aus­rei­chen. Denn es dau­ert lan­ge, oft sehr, sehr lan­ge, bis die Or­ga­ne so weit sind, daß der Geis­tes­schü­ler sie zu Wahr­neh­mun­gen in der höhe­ren Welt ge­brau­chen kann. In die­sem Mo­men­te tritt für ihn das ein, was man Er­leuch­tung nennt, im Ge­gen­satz zur Vor­be­rei­tung oder Rei­ni­gung, die in den Übun­gen für die Aus­bil­dung der Or­ga­ne be­steht. (Von «Rei­ni­gung» wird ge­spro­chen, weil durch die ent­sp­re­chen­den Übun­gen sich der Schü­ler von all dem für ein ge­wis­ses Ge­biet in­ne­ren Le­bens rei­nigt, was nur aus der sinn­li­chen Be­o­b­ach­tungs­welt kommt.) Es kann durch­aus so kom­men, daß dem Men­schen auch vor der ei­gent­li­chen Er­leuch­tung wie­der­holt «Licht­b­lit­ze» kom­men aus ei­ner höhe­ren Welt. Sol­che soll er dank­bar hin­neh­men. Sie schon kön­nen ihn zu ei­nem Zeu­gen von der geis­ti­gen Welt ma­chen. Aber er soll­te auch nicht wan­ken, wenn dies wäh­rend sei­ner Vor­be­rei­tungs­zeit gar nicht der Fall ist, die ihm vi­el­leicht all­zu­lang er­scheint. Wer

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über­haupt in Un­ge­duld ver­fal­len kann, «weil er noch nichts sieht», der hat noch nicht das rech­te Ver­hält­nis zu ei­ner höhe­ren Welt ge­won­nen. Das letz­te­re hat nur der­je­ni­ge er­­faßt, dem die Übun­gen, die er durch die Schu­lung macht, et­was wie Selbstz­weck sein kön­nen. Die­ses Üben ist ja in Wahr­heit das Ar­bei­ten an ei­nem Geis­tig-See­li­schen, näm­lich an dem ei­ge­nen As­tral­lei­be. Und man kann «füh­len», auch wenn «man nichts sieht»: «Ich ar­bei­te geis­tig-see­lisch». Nur wenn man sich von vorn­he­r­ein ei­ne be­stimm­te Mei­nung macht, was man ei­gent­lich «se­hen» will, dann wird man die­ses Ge­fühl nicht ha­ben. Dann wird man für nichts hal­ten, was in Wahr­heit et­was un­er­meß­lich Be­deu­tungs­vol­les ist. Man soll­te aber sub­til ach­ten auf al­les, was man wäh­rend des Übens er­lebt und was so grund­ver­schie­den ist von al­len Er­leb­nis­sen in der sinn­li­chen Welt. Man wird dann schon be­mer­ken, daß man in sei­nen As­tral­leib hin­ein nicht wie in ei­ne gleich­gül­ti­ge Sub­stanz ar­bei­tet, son­dern daß in dem­­sel­ben lebt ei­ne ganz an­de­re Welt, von der man durch das Sin­nen­le­ben nichts weiß. Höhe­re We­sen­hei­ten wir­ken auf den As­tral­leib, wie die phy­sisch-sinn­li­che Au­ßen­welt auf den phy­si­schen Leib wirkt. Und man «stößt» auf das höhe­re Le­ben in dem ei­ge­nen As­tral­leib, wenn man sich da­vor nur nicht ver­sch­ließt. Wenn sich je­mand im­mer wie­der und wie­der sagt: «ich neh­me nichts wahr», dann ist es zu­meist so, daß er sich ein­ge­bil­det hat, die­se Wahr­neh­mung müs­se so oder so aus­se­hen; und weil er das dann nicht sieht, wo­von er sich ein­bil­det, er müs­se es se­hen, so sagt er: «ich se­he nichts.»

Wer sich aber die rech­te Ge­sin­nung an­eig­net ge­gen­über dem Üben der Schu­lung, der wird in die­sem Üben im­mer mehr et­was ha­ben, was er um sei­ner selbst wil­len liebt.

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Dann aber weiß er, daß er durch das Üben selbst in ei­ner geis­tig-see­li­schen Welt steht, und er war­tet in Ge­duld und Er­ge­bung, was sich wei­ter er­gibt. Es kann die­se Ge­sin­nung in dem Geis­tes­schü­ler in fol­gen­den Wor­ten am bes­ten zum Be­wußt­sein kom­men: «Ich will al­les tun, was mir als Übun­­gen an­ge­mes­sen ist, und ich weiß, daß mir in der ent­sp­re­chen­den Zeit so viel zu­kom­men wird, als mir wich­tig ist. Ich ver­lan­ge dies nicht un­ge­dul­dig; ma­che mich aber im­mer be­reit, es zu emp­fan­gen.» Da­ge­gen läßt sich auch nicht ein­wen­den: «Der Geis­tes­schü­ler soll al­so im Dun­keln tap­pen, durch ei­ne vi­el­leicht un­er­meß­lich lan­ge Zeit; denn daß er mit sei­nem Üben auf dem rich­ti­gen We­ge ist, kann sich ihm doch erst zei­gen, wenn der Er­folg da ist.» Es ist je­doch nicht so, daß erst der Er­folg die Er­kennt­nis von der Rich­ti­g­keit des Übens brin­gen kann. Wenn der Schü­ler rich­tig sich zu den Übun­gen stellt, dann gibt ihm die Be­frie­di­gung, die er durch das Üben selbst hat, die Klar­heit, daß er et­was Rich­ti­ges tut, nicht erst der Er­folg. Rich­tig üben auf dem Ge­bie­te der Geis­tes­schu­lung ver­bin­det sich eben mit ei­ner Be­frie­di­gung, die nicht blo­ße Be­frie­di­gung, son­dern Er­kennt­nis ist. Näm­lich die Er­kennt­nis: ich tue et­was, wo­von ich se­he, daß es mich in der rich­ti­gen Li­nie vor­wärts bringt. Je­der Geis­tes­schü­ler kann die­se Er­kennt­nis in je­dem Au­gen­­blick ha­ben, wenn er nur auf sei­ne Er­leb­nis­se sub­til auf­­­merk­sam ist. Wenn er die­se Auf­merk­sam­keit nicht an­wen­­det, dann geht er eben an den Er­leb­nis­sen vor­bei, wie ein in Ge­dan­ken ver­sun­ke­ner Fuß­g­än­ger, der die Bäu­me zu bei­­den Sei­ten des We­ges nicht sieht, ob­g­leich er sie se­hen wür­de, wenn er den Blick auf­merk­sam auf sie rich­te­te. Es ist durch­aus nicht wün­schens­wert, daß das Ein­t­re­ten ei­nes an­de­ren Er­fol­ges, als der­je­ni­ge ist, der im Üben sich im­mer

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er­gibt, be­sch­leu­nigt wer­de. Denn es könn­te das leicht nur der ge­rings­te Teil des­sen sein, was ei­gent­lich ein­t­re­ten soll­te. In be­zug auf die geis­ti­ge Ent­wi­cke­lung ist oft ein teil­wei­ser Er­folg der Grund ei­ner star­ken Ver­zö­ge­rung des vol­len Er­­fol­ges. Die Be­we­gung un­ter sol­chen For­men des geis­ti­gen Le­bens, wie sie dem teil­wei­sen Er­folg ent­sp­re­chen, stumpft ab ge­gen die Ein­flüs­se der Kräf­te, wel­che zu höhe­ren Pun­k­­ten der Ent­wi­cke­lung füh­ren. Und der Ge­winn, den man da­durch er­zielt, daß man doch in die geis­ti­ge Welt «hin­ein­ge­se­hen hat», ist nur ein schein­ba­rer; denn die­ses Hin­ein­schau­en kann nicht die Wahr­heit, son­dern nur Tru­g­­bil­der lie­fern.

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Die geis­tig-see­li­schen Or­ga­ne, die Lo­tus­blu­men, bil­den sich so, daß sie dem über­sinn­li­chen Be­wußt­sein an dem in Schu­lung be­find­li­chen Men­schen wie in der Nähe be­stim­m­­ter phy­si­scher Kör­per­or­ga­ne er­schei­nen. Aus der Rei­he die­­ser See­len­or­ga­ne sol­len hier ge­nannt wer­den: das­je­ni­ge, das wie in der Nähe der Au­gen­brau­en­mit­te er­fühlt wird (die so­ge­nann­te zwei­blät­t­ri­ge Lo­tus­blu­me), das­je­ni­ge in der Ge­­gend des Kehl­kop­fes (die sech­zehn­blät­t­ri­ge Lo­tus­blu­me), das drit­te in der Herz­ge­gend (die zwölf­blät­t­ri­ge Lo­tus­blu­me), das vier­te in der Ge­gend der Ma­gen­gru­be. An­de­re sol­che Or­ga­ne er­schei­nen in der Nähe an­de­rer phy­si­scher Kör­per­tei­le. (Die Na­men «zwei-» oder «sech­zehn­blät­t­rig» kön­nen ge­braucht wer­den, weil die be­tref­fen­den Or­ga­ne sich mit Blu­men mit ent­sp­re­chen­der Blät­ter­zahl ver­g­lei­chen las­sen.)

Die Lo­tus­blu­men wer­den an dem as­tra­li­schen Lei­be be­wußt. In dem Zeit­punk­te, in dem man die ei­ne oder die an­­de­re ent­wi­ckelt hat, weiß man auch, daß man sie hat. Man

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fühlt, daß man sich ih­rer be­die­nen kann und daß man durch ih­ren Ge­brauch in ei­ne höhe­re Welt wir­k­lich ein­tritt. Die Ein­drü­cke, wel­che man von die­ser Welt er­hält, glei­chen in man­cher Be­zie­hung noch de­nen der phy­sisch-sinn­li­chen. Wer ima­gi­na­tiv er­kennt, wird von der neu­en höhe­ren Welt so sp­re­chen kön­nen, daß er die Ein­drü­cke als Wär­me- oder Käl­te­emp­fin­dun­gen, Ton- oder Wort­wahr­neh­mun­gen, Licht- oder Far­ben­wir­kun­gen be­zeich­net. Denn wie sol­che er­lebt er sie. Er ist sich aber be­wußt, daß die­se Wahr­neh­mun­gen in der ima­gi­na­ti­ven Welt et­was an­de­res aus­drü­cken als in der sinn­lich-wir­k­li­chen. Er er­kennt, daß hin­ter ih­nen nicht phy­sisch-stof­f­li­che Ur­sa­chen, son­dern see­lisch-geis­ti­ge ste­hen. Wenn er et­was wie ei­nen Wär­me­ein­druck hat, so sch­reibt er die­sen nicht zum Bei­spiel ei­nem hei­ßen Stück Ei­sens zu, son­dern er be­trach­tet ihn als Aus­fluß ei­nes see­li­schen Vor­­­gan­ges, wie er ihn bis­her nur in sei­nem see­li­schen In­nen­le­ben ge­kannt hat. Er weiß, daß hin­ter den ima­gi­na­ti­ven Wahr­­neh­mun­gen see­li­sche und geis­ti­ge Din­ge und Vor­gän­ge ste­hen, wie hin­ter den phy­si­schen Wahr­neh­mun­gen stof­f­­lich-phy­si­sche We­sen und Tat­sa­chen. Zu die­ser Ähn­lich­keit der ima­gi­na­ti­ven mit der phy­si­schen Welt kommt aber ein be­deut­sa­mer Un­ter­schied hin­zu. Es ist et­was in der phy­­si­schen Welt vor­han­den, was in der ima­gi­na­ti­ven ganz an­­ders auf­tritt. In je­ner kann be­o­b­ach­tet wer­den ein fort­wäh­­ren­des Ent­ste­hen und Ver­ge­hen der Din­ge, ein Wech­sel von Ge­burt und Tod. In der ima­gi­na­ti­ven Welt tritt an Stel­le die­ser Er­schei­nung ei­ne fort­dau­ern­de Ver­wand­lung des ei­nen in das an­de­re. Man sieht zum Bei­spiel in der phy­si­schen Welt ei­ne Pflan­ze ver­ge­hen. In der ima­gi­na­ti­ven zeigt sich in dem­sel­ben Ma­ße, in dem die Pflan­ze da­hin­welkt, das Ent­ste­hen ei­nes an­dern Ge­bil­des, das phy­sisch

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nicht wahr­nehm­bar ist und in wel­ches sich die ver­ge­hen­de Pflan­ze all­mäh­lich ver­wan­delt. Wenn nun die Pflan­ze da­hin­ge­schwun­den ist, so ist die­ses Ge­bil­de an ih­rer Stel­le voll ent­wi­ckelt da. Ge­burt und Tod sind Vor­stel­lun­gen, wel­che in der ima­gi­na­ti­ven Welt ih­re Be­deu­tung ver­lie­ren. An ih­re Stel­le tritt der Be­griff von Ver­wand­lung des ei­nen in das an­de­re. Weil dies so ist, des­halb wer­den für das ima­gina­­ti­ve Er­ken­nen je­ne Wahr­hei­ten über die We­sen­heit des Men­­schen zu­gäng­lich, wel­che in die­sem Bu­che in dem Ka­pi­tel «We­sen der Mensch­heit» mit­ge­teilt wor­den sind. Für das phy­sisch-sinn­li­che Wahr­neh­men sind nur die Vor­gän­ge des phy­si­schen Lei­bes wahr­nehm­bar. Sie spie­len sich im «Ge­­bie­te von Ge­burt und Tod» ab. Die an­dern Glie­der der Men­schen­na­tur: Le­bens­leib, Emp­fin­dungs­leib und Ich ste­hen un­ter dem Ge­set­ze der Ver­wand­lung, und ih­re Wahr­neh­­mung er­sch­ließt sich der ima­gi­na­ti­ven Er­kennt­nis. Wer bis zu die­ser vor­ge­schrit­ten ist, nimmt wahr, wie sich aus dem phy­si­schen Lei­be gleich­sam her­aus­löst das­je­ni­ge, was mit dem Hins­ter­ben in an­de­rer Da­s­eins­art wei­ter­lebt.

Die Ent­wi­cke­lung bleibt nun aber inn­er­halb der ima­gina­­ti­ven Welt nicht ste­hen. Der Mensch, der in ihr ste­hen­b­lei­ben woll­te, wür­de zwar die in Ver­wand­lung be­grif­­fe­nen We­sen­hei­ten wahr­neh­men; aber er wür­de die Ver­­wand­lungs­vor­gän­ge nicht deu­ten kön­nen, er wür­de sich nicht ori­en­tie­ren kön­nen in der neu­ge­won­ne­nen Welt. Die ima­gi­na­ti­ve Welt ist ein un­ru­hi­ges Ge­biet. Es ist übe­rall nur Be­we­g­lich­keit, Ver­wand­lung in ihr; nir­gends sind Ru­he­punk­te. Zu sol­chen Ru­he­punk­ten ge­langt der Mensch erst, wenn er sich über die ima­gi­na­ti­ve Er­kennt­nis­stu­fe hin­aus zu dem ent­wi­ckelt, was die «Er­kennt­nis durch In­spi­ra­­ti­on» ge­nannt wer­den kann. Es ist nicht not­wen­dig, daß

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der­je­ni­ge, wel­cher die Er­kennt­nis der über­sinn­li­chen Welt sucht, sich et­wa so ent­wi­cke­le, daß er zu­erst in vol­lem Ma­ße das ima­gi­na­ti­ve Er­ken­nen sich an­eig­ne und dann erst zur «In­spi­ra­ti­on» vor­sch­rei­te. Sei­ne Übun­gen kön­nen so ein­­ge­rich­tet wer­den, daß ne­ben­ein­an­der das geht, was zur Ima­gi­na­ti­on, und das, was zur In­spi­ra­ti­on führt. Er wird dann, nach ent­sp­re­chen­der Zeit, in ei­ne höhe­re Welt ein­t­re­ten, in wel­cher er nicht bloß wahr­nimmt, son­dern in der er sich auch ori­en­tie­ren kann, die er zu deu­ten ver­steht. Der Fort­schritt wird in der Re­gel al­ler­dings so ge­macht wer­den, daß sich zu­erst dem Geis­tes­schü­ler ei­ni­ge Er­schei­nun­gen der ima­gi­na­ti­ven Welt dar­bie­ten und nach ei­ni­ger Zeit er in sich die Emp­fin­dung er­hält: Jetzt fan­ge ich auch an, mich zu ori­en­tie­ren. Den­noch ist die Welt der In­spi­ra­ti­on et­was ganz Neu­es ge­gen­über der­je­ni­gen der blo­ßen Ima­gi­na­ti­on. Durch die­se nimmt man die Ver­wand­lung ei­nes Vor­gan­ges in den an­dern wahr, durch je­ne lernt man in­ne­re Ei­gen­­schaf­ten von We­sen ken­nen, wel­che sich ver­wan­deln. Durch Ima­gi­na­ti­on er­kennt man die see­li­sche Äu­ße­rung der We­sen; durch In­spi­ra­ti­on dringt man in de­ren geis­ti­ges In­ne­re. Man er­kennt vor al­lem ei­ne Viel­heit von geis­ti­gen We­sen­hei­ten und von Be­zie­hun­gen des ei­nen auf das an­de­re. Mit ei­ner Viel­heit ver­schie­de­ner We­sen hat man es ja auch in der phy­­sisch-sinn­li­chen Welt zu tun; in der Welt der In­spi­ra­ti­on ist die­se Viel­heit doch von ei­nem an­de­ren Cha­rak­ter. Es ist da ein je­des We­sen in ganz be­stimm­ten Be­zie­hun­gen zu an­dern, nicht wie in der phy­si­schen durch äu­ße­re Ein­wir­kung auf das­sel­be, son­dern durch sei­ne in­ne­re Be­schaf­fen­heit. Wenn man ein We­sen in der in­spi­rier­ten Welt wahr­nimmt, so zeigt sich nicht ei­ne äu­ße­re Ein­wir­kung auf ein an­de­res, die sich mit der Wir­kung ei­nes phy­si­schen We­sens auf ein an­de­res

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ver­g­lei­chen lie­ße, son­dern es be­steht ein Ver­hält­nis des ei­nen zum an­dern durch die in­ne­re Be­schaf­fen­heit der bei­den We­sen. Ver­g­lei­chen läßt sich die­ses Ver­hält­nis mit ei­nem sol­chen in der phy­si­schen Welt, wenn man da­zu das Ver­hält­nis der ein­zel­nen Lau­te oder Buch­sta­ben ei­nes Wor­­tes zu­ein­an­der wählt. Wenn man das Wort «Mensch» vor sich hat, so wird es be­wirkt durch den Zu­sam­men­klang der Lau­te: Mensch. Es geht nicht ein An­stoß oder sonst ei­ne äu­ße­re Ein­wir­kung zum Bei­spiel von dem M zu dem E hin­­über, son­dern bei­de Lau­te wir­ken zu­sam­men, und zwar inn­er­halb ei­nes Gan­zen durch ih­re in­ne­re Be­schaf­fen­heit. Des­halb läßt sich das Be­o­b­ach­ten in der Welt der In­spi­ra­­ti­on nur ver­g­lei­chen mit ei­nem Le­sen; und die We­sen in die­ser Welt wir­ken auf den Be­trach­ter wie Schrift­zei­chen, die er ken­nen­ler­nen muß und de­ren Ver­hält­nis­se sich für ihn ent­hül­len müs­sen wie ei­ne über­sinn­li­che Schrift. Die Geis­tes­wis­sen­schaft kann da­her die Er­kennt­nis durch In­­­spi­ra­ti­on ver­g­leichs­wei­se auch das «Le­sen der ver­bor­ge­nen Schrift» nen­nen.

Wie durch die­se «ver­bor­ge­ne Schrift» ge­le­sen wird und wie man das Ge­le­se­ne mit­tei­len kann, soll nun an den vor­­an­ge­gan­ge­nen Ka­pi­teln die­ses Bu­ches selbst klar­ge­macht wer­den. Es wur­de zu­nächst die We­sen­heit des Men­schen be­schrie­ben, wie sie sich auf­baut aus ver­schie­de­nen Glie­dern. Dann wur­de ge­zeigt, wie das Welt­we­sen, auf dem sich der Mensch ent­wi­ckelt, durch die ver­schie­de­nen Zu­stän­de, den Sa­turn-, Son­nen-, Mon­den- und Er­den­zu­stand hin­durch­­­geht. Die Wahr­neh­mun­gen, durch wel­che man die Glie­der des Men­schen ei­ner­seits, die au­f­ein­an­der­fol­gen­den Zu­stän­de der Er­de und ih­rer vor­her­ge­hen­den Ver­wand­lun­gen an­­de­rer­seits er­ken­nen kann, er­sch­lie­ßen sich der ima­gi­na­ti­ven

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Er­kennt­nis. Nun ist aber wei­ter not­wen­dig, daß er­kannt wer­de, wel­che Be­zie­hun­gen zwi­schen dem Sa­turn­zu­stan­de und dem phy­si­schen Men­schen­leib, dem Son­nen­zu­stan­de und dem Äther­leib usw. be­ste­hen. Es muß ge­zeigt wer­den, daß der Keim zum phy­si­schen Men­schen­leib schon wäh­rend des Sa­turn­zu­stan­des ent­stan­den ist, daß er sich dann wei­te­ren­t­wi­ckelt hat bis zu sei­ner ge­gen­wär­ti­gen Ge­stalt wäh­rend des Son­nen-, Mon­den- und Er­den­zu­stan­des. Es muß­te zum Bei­spiel auch dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, wel­che Ve­r­än­de­run­gen sich mit dem Men­schen­we­sen voll­zo­gen ha­ben da­­durch, daß ein­mal die Son­ne sich von der Er­de trenn­te, daß ein Ähn­li­ches be­züg­lich des Mon­des ge­schah. Es muß­te fer­­ner mit­ge­teilt wer­den, was zu­sam­men­wirk­te, da­mit sol­che Ve­r­än­de­run­gen mit der Mensch­heit sich voll­zie­hen konn­ten, wie sie in den Um­wand­lun­gen wäh­rend der at­lan­ti­schen Zeit, wie sie in den au­f­ein­an­der­fol­gen­den Pe­rio­den, der in­­­di­schen, der ur­per­si­schen, der ägyp­ti­schen usw., sich aus­­drü­cken. Die Schil­de­rung die­ser Zu­sam­men­hän­ge er­gibt sich nicht aus der ima­gi­na­ti­ven Wahr­neh­mung, son­dern aus der Er­kennt­nis durch In­spi­ra­ti­on, aus dem Le­sen der ver­bor­­ge­nen Schrift. Für die­ses «Le­sen» sind die ima­gi­na­ti­ven Wahr­neh­mun­gen wie Buch­sta­ben oder Lau­te. Die­ses «Le­­sen» ist aber nicht nur für Auf­klär­un­gen not­wen­dig, wie die eben ge­kenn­zeich­ne­ten. Schon den Le­bens­gang des gan­­zen Men­schen könn­te man nicht ver­ste­hen, wenn man ihn nur durch die ima­gi­na­ti­ve Er­kennt­nis be­trach­ten wür­de. Man wür­de da zwar wahr­neh­men, wie sich mit dem Hins­ter­ben die see­lisch-geis­ti­gen Glie­der aus dem in der phy­si­­schen Welt Ver­b­lei­ben­den los­lö­sen; aber man wür­de die Be­zie­hun­gen des­sen, was nach dem To­de mit dem Men­schen ge­schieht, zu den vor­her­ge­hen­den und nach­fol­gen­den Zu­stän­den

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nicht ver­ste­hen, wenn man sich inn­er­halb des ima­­gi­na­tiv Wahr­ge­nom­me­nen nicht ori­en­tie­ren könn­te. Oh­ne die Er­kennt­nis durch In­spi­ra­ti­on ver­b­lie­be die ima­gi­na­ti­ve Welt wie ei­ne Schrift, die man an­starrt, die man aber nicht zu le­sen ver­mag.

Wenn der Geis­tes­schü­ler fort­sch­rei­tet von der Ima­gi­na­ti­on zur In­spi­ra­ti­on, so zeigt sich ihm sehr bald, wie un­rich­tig es wä­re, auf das Ver­ständ­nis der gro­ßen Wel­t­er­schei­nun­gen zu ver­zich­ten und sich nur auf die Tat­sa­chen be­schrän­k­en zu wol­len, wel­che ge­wis­ser­ma­ßen das nächs­te men­sch­li­che In­ter­es­se be­rüh­ren. Wer in die­se Din­ge nicht ein­ge­weiht ist, der könn­te wohl das Fol­gen­de sa­gen: «Mir er­scheint es doch nur wich­tig, das Schick­sal der men­sch­li­chen See­le nach dem To­de zu er­fah­ren; wenn mir je­mand dar­über Mit­tei­lun­gen macht, so ist mir das ge­nug: wo­zu führt mir die Geis­tes­wis­sen­schaft­lich ent­le­ge­ne Din­ge vor, wie Sa­turn-, Son­nen­zu­stand, Son­nen-, Mon­den­t­ren­nung und so wei­ter.» Wer aber in die­se Din­ge rich­tig ein­ge­führt ist, der lernt er­ken­nen, daß ein wir­k­li­ches Wis­sen über das, was er er­fah­ren will, nie zu er­lan­gen ist oh­ne ei­ne Er­kennt­nis des­sen, was ihm so un­nö­t­ig scheint. Ei­ne Schil­de­rung der Men­schen­zu­stän­de nach dem To­de bleibt völ­lig un­ver­ständ­lich und wert­los, wenn der Mensch sie nicht mit Be­grif­fen ver­bin­den kann, wel­che von je­nen ent­le­ge­nen Din­gen her­ge­nom­men sind. Schon die ein­fachs­te Be­o­b­ach­tung des über­sinn­lich Er­ken­nen­den macht sei­ne Be­kannt­schaft mit sol­chen Din­gen not­wen­dig. Wenn zum Bei­spiel ei­ne Pflan­ze von dem Blü­ten­zu­stand in den Frucht­zu­stand über­geht, so sieht der über­sinn­lich be­o­b­ach­­ten­de Mensch ei­ne Ver­wand­lung in ei­ner as­tra­li­schen We­sen­heit vor sich ge­hen, wel­che wäh­rend des Blüh­ens die Pflan­ze wie ei­ne Wol­ke von oben be­deckt und um­hüllt hat. Wä­re

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die Be­fruch­tung nicht ein­ge­t­re­ten, so wä­re die­se as­tra­li­sche We­sen­heit in ei­ne ganz an­de­re Ge­stalt über­ge­gan­gen, als die ist, wel­che sie in­fol­ge der Be­fruch­tung an­ge­nom­men hat. Nun ver­steht man den gan­zen durch die über­sinn­li­che Be­o­b­ach­tung wahr­ge­nom­me­nen Vor­gang, wenn man sein We­sen ver­ste­hen ge­lernt hat an je­nem gro­ßen Welt­vor­gan­ge, wel­cher sich mit der Er­de und al­len ih­ren Be­woh­nern vol­l­zo­gen hat zur Zeit der Son­nen­t­ren­nung. Vor der Be­fruch­­tung ist die Pflan­ze in ei­ner sol­chen La­ge, wie die gan­ze Er­de vor der Son­nen­t­ren­nung. Nach der Be­fruch­tung zeigt sich die Blü­te der Pflan­ze so, wie die Er­de war, als sich die Son­ne ab­ge­t­rennt hat­te und die Mon­den­kräf­te noch in ihr wa­ren. Hat man sich die Vor­stel­lun­gen zu ei­gen ge­macht, wel­che an der Son­nen­t­ren­nung ge­won­nen wer­den kön­nen, so wird man die Deu­tung des Pflan­zen-Be­fruch­tungs­vor­­­gan­ges sach­ge­mäß so wahr­neh­men, daß man sagt: Die Pflan­ze ist vor der Be­fruch­tung in ei­nem Son­nen­zu­stand, nach der­­sel­ben in ei­nem Mon­den­zu­stand. Es ist eben durch­aus so, daß auch der kleins­te Vor­gang in der Welt nur dann be­­grif­fen wer­den kann, wenn in ihm ein Ab­bild gro­ßer Welt­vor­gän­ge er­kannt wird. Sonst bleibt er sei­nem We­sen nach so un­ver­ständ­lich, wie die Raf­fa­el­sche Ma­don­na für den­je­ni­gen bleibt, der nur ein klei­nes blau­es Fleck­chen se­hen kann, wäh­rend al­les an­de­re zu­ge­deckt ist. Al­les, was nun am Men­schen vor­geht, ist ein Ab­bild all der gro­ßen Welt­vor­gän­ge, die mit sei­nem Da­sein zu tun ha­ben. Will man die Be­o­b­ach­tun­gen des über­sinn­li­chen Be­wußt­seins über die Er­schei­nun­gen zwi­schen Ge­burt und Tod und wie­der vom To­de bis zu ei­ner neu­en Ge­burt ver­ste­hen, so kann man dies, wenn man sich die Fähig­keit er­wor­ben hat, die ima­gina­­ti­ven Be­o­b­ach­tun­gen durch das­je­ni­ge zu ent­zif­fern, was man

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sich an Vor­stel­lun­gen an­ge­eig­net hat durch die Be­trach­tung der gro­ßen Welt­vor­gän­ge. Die­se Be­trach­tung lie­fert eben den Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis­se des men­sch­li­chen Le­bens. Da­her ist im Sin­ne der Geis­tes­wis­sen­schaft Sa­turn-, Son­nen-, Mond­be­o­b­ach­tung usw. zu­g­leich Be­o­b­ach­tung des Men­schen.

Durch In­spi­ra­ti­on ge­langt man da­zu, die Be­zie­hun­gen zwi­schen den We­sen­hei­ten der höhe­ren Welt zu er­ken­nen. Durch ei­ne wei­te­re Er­kennt­nis­stu­fe wird es mög­lich, die­se We­sen­hei­ten in ih­rem In­nern selbst zu er­ken­nen. Die­se Er­kennt­nis­stu­fe kann die in­tui­ti­ve Er­kennt­nis ge­nannt wer­­den. (In­tui­ti­on ist ein Wort, das im ge­wöhn­li­chen Le­ben mißbraucht wird für ei­ne un­kla­re, un­be­stimm­te Ein­sicht in ei­ne Sa­che, für ei­ne Art Ein­fall, der zu­wei­len mit der Wahr­heit stimmt, des­sen Be­rech­ti­gung aber zu­nächst nicht nach­weis­bar ist. Mit die­ser Art «In­tui­ti­on» hat das hier Ge­mein­te na­tür­lich nichts zu tun. In­tui­ti­on be­zeich­net hier ei­ne Er­kennt­nis von höchs­ter, licht­volls­ter Klar­heit, de­ren Be­rech­ti­gung man sich, wenn man sie hat, in volls­tem Sin­ne be­wußt ist.) Ein Sin­nes­we­sen er­ken­nen, heißt au­ßer­halb des­sel­ben ste­hen und es nach dem äu­ße­ren Ein­druck be­ur­­tei­len. Ein Geis­tes­we­sen durch In­tui­ti­on er­ken­nen, heißt völ­lig eins mit ihm ge­wor­den sein, sich mit sei­nem In­nern ve­r­ei­nigt ha­ben. Stu­fen­wei­se steigt der Geis­tes­schü­ler zu sol­cher Er­kennt­nis hin­auf. Die Ima­gi­na­ti­on führt ihn da­zu, die Wahr­neh­mun­gen nicht mehr als äu­ße­re Ei­gen­schaf­ten von We­sen zu emp­fin­den, son­dern in ih­nen Aus­flüs­se von See­lisch-Geis­ti­gem zu er­ken­nen; die In­spi­ra­ti­on führt ihn wei­ter in das In­ne­re der We­sen: Er lernt durch sie ver­ste­hen, was die­se We­sen­hei­ten für ein­an­der sind; in der In­tui­ti­on dringt er in die We­sen selbst ein. Wie­der kann an den Aus­füh­run­gen die­ses Bu­ches selbst ge­zeigt wer­den, was für

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ei­ne Be­deu­tung die In­tui­ti­on hat. Es wur­de in den vor­her­­ge­hen­den Ka­pi­teln nicht nur da­von ge­spro­chen, wie der Fort­gang der Sa­turn-, Son­nen-, Mon­den­ent­wi­cke­lung usw. ge­schieht, son­dern es wur­de mit­ge­teilt, daß We­sen sich an die­sem Fort­gan­ge in der ver­schie­dens­ten Art be­tei­li­gen. Es wur­den Thro­ne oder Geis­ter des Wil­lens, Geis­ter der Weis­heit, der Be­we­gung usw. an­ge­führt. Es wur­de bei der Er­den­ent­wi­cke­lung von den Geis­tern des Lu­zi­fer, des Ah­ri­man ge­spro­chen. Der Wel­ten­bau wur­de auf die We­sen­hei­ten zu­rück­ge­führt, wel­che sich an ihm be­tei­li­gen. Was über die­se We­sen­hei­ten er­fah­ren wer­den kann, wird durch die in­tui­­ti­ve Er­kennt­nis ge­won­nen. Die­se ist auch schon not­wen­dig, wenn man den Le­bens­lauf des Men­schen er­ken­nen will. Was sich nach dem To­de aus der phy­si­schen Leib­lich­keit des Men­­schen her­aus­löst, das macht nun in der Fol­ge­zeit ver­schie­­de­ne Zu­stän­de durch. Die nächs­ten Zu­stän­de nach dem To­de wä­ren noch ei­ni­ger­ma­ßen durch die ima­gi­na­ti­ve Er­kennt­nis zu be­sch­rei­ben. Was aber dann vor­geht, wenn der Mensch wei­ter kommt in der Zeit zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt, das müß­te der Ima­gi­na­ti­on ganz un­ver­stän­d­­lich blei­ben, wenn nicht die In­spi­ra­ti­on hin­zu­kä­me. Nur die In­spi­ra­ti­on kann er­for­schen, was von dem Le­ben des Men­­schen nach der Läu­te­rung im «Geis­ter­land» ge­sagt wer­den kann. Dann aber kommt ein Et­was, für wel­ches die In­spi­­ra­ti­on nicht mehr aus­reicht, wo sie ge­wis­ser­ma­ßen den Fa­­den des Ver­ständ­nis­ses ver­liert. Es gibt ei­ne Zeit der men­sch­­li­chen Ent­wi­cke­lung zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt, wo das men­sch­li­che We­sen nur der In­tui­ti­on zu­gäng­lich ist. Die­ser Teil der men­sch­li­chen We­sen­heit ist aber im­mer in dem Men­schen; und will man ihn, sei­ner wah­ren In­ner­lich­keit nach, ver­ste­hen, so muß man ihn auch

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in der Zeit zwi­schen der Ge­burt und dem To­de durch die In­tui­ti­on auf­su­chen. Wer den Men­schen nur mit den Mit­­­teln der Ima­gi­na­ti­on und In­spi­ra­ti­on er­ken­nen woll­te, dem ent­zö­gen sich ge­ra­de die Vor­gän­ge des in­ners­ten We­sens des­sel­ben, die von Ver­kör­pe­rung zu Ver­kör­pe­rung sich ab­­spie­len. Nur die in­tui­ti­ve Er­kennt­nis macht da­her ei­ne sach­­ge­mä­ße Er­for­schung von den wie­der­hol­ten Er­den­le­ben und vom Kar­ma mög­lich. Al­les, was als Wahr­heit über die­se Vor­gän­ge mit­ge­teilt wer­den soll, muß der For­schung durch in­tui­ti­ve Er­kennt­nis ent­stam­men. Und will der Mensch sich selbst sei­ner in­ne­ren We­sen­heit nach er­ken­nen, so kann er dies nur durch In­tui­ti­on. Durch sie nimmt er wahr, was sich in ihm von Er­den­le­ben zu Er­den­le­ben fort­be­wegt.

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Er­lan­gen kann der Mensch die Er­kennt­nis durch In­spi­ra­­ti­on und In­tui­ti­on auch nur durch see­lisch-geis­ti­ge Übun­gen. Sie sind de­nen ähn­lich, wel­che als «in­ne­re Ver­sen­kung» (Me­­di­ta­ti­on) zur Er­rei­chung der Ima­gi­na­ti­on ge­schil­dert wor­­den sind. Wäh­rend aber bei je­nen Übun­gen, wel­che zur Ima­gi­na­ti­on füh­ren, ei­ne An­knüp­fung statt­fin­det an die Ein­drü­cke der sinn­lich-phy­si­schen Welt, muß bei de­nen für die In­spi­ra­ti­on die­se An­knüp­fung im­mer mehr weg­fal­len. Um sich zu ver­deut­li­chen, was da zu ge­sche­hen hat, den­ke man noch­mals an das Sinn­bild des Ro­sen­k­reu­zes. Wenn man sich in das­sel­be ver­senkt, so hat man ein Bild vor sich, des­sen Tei­le von Ein­drü­cken der sinn­li­chen Welt ge­nom­men sind: die schwar­ze Far­be des Kreu­zes, die Ro­sen usw. Die Zu­sam­men­stel­lung die­ser Tei­le zum Ro­sen­k­reuz ist aber nicht aus der sinn­lich-phy­si­schen Welt ge­nom­men. Wenn nun der Geis­tes­schü­ler ver­sucht, aus sei­nem Be­wußt­sein das schwar­ze Kreuz und auch die ro­ten Ro­sen als Bil­der von

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sinn­lich-wir­k­li­chen Din­gen ganz ver­schwin­den zu las­sen und nur in der See­le je­ne geis­ti­ge Tä­tig­keit zu be­hal­ten, wel­che die­se Tei­le zu­sam­men­ge­setzt hat, dann hat er ein Mit­tel zu ei­ner sol­chen Me­di­ta­ti­on, wel­che ihn nach und nach zur In­spi­ra­ti­on führt. Man fra­ge sich in sei­ner See­le et­wa in fol­gen­der Art: Was ha­be ich in­ner­lich ge­tan, um Kreuz und Ro­se zu dem Sinn­bild zu­sam­men­zu­fü­gen? Was ich ge­tan ha­be (mei­nen ei­ge­nen See­len­vor­gang) will ich fest­hal­ten; das Bild sel­ber aber aus dem Be­wußt­sein ver­schwin­­den las­sen. Dann will ich al­les in mir füh­len, was mei­ne See­le ge­tan hat, um das Bild zu­stan­de zu brin­gen, das Bild selbst aber will ich mir nicht vor­s­tel­len. Ich will nun­mehr ganz in­ner­lich le­ben in mei­ner ei­ge­nen Tä­tig­keit, wel­che das Bild ge­schaf­fen hat. Ich will mich al­so in kein Bild, son­dern in mei­ne ei­ge­ne bil­der­zeu­gen­de See­l­en­tä­tig­keit ver­sen­ken. Sol­che Ver­sen­kung muß in be­zug auf vie­le Sinn­bil­der vor­­­ge­nom­men wer­den. Das führt dann zur Er­kennt­nis durch In­spi­ra­ti­on. Ein an­de­res Bei­spiel wä­re dies: Man ver­senkt sich in die Vor­stel­lung ei­ner ent­ste­hen­den und ver­ge­hen­den Pflan­ze. Man läßt in der See­le das Bild ei­ner nach und nach wer­den­den Pflan­ze ent­ste­hen, wie sie aus dem Kei­me auf­spießt, wie sie Blatt nach Blatt ent­fal­tet, bis zur Blü­te und zur Frucht. Dann wie­der, wie das Hin­wel­ken be­ginnt, bis zur völ­li­gen Auflö­sung. Man ge­langt all­mäh­lich durch die Ver­sen­kung in solch ein Bild zu ei­nem Ge­fühl des En­t­­­ste­hens und Ver­ge­hens, für wel­ches die Pflan­ze nur noch Bild ist. Aus die­sem Ge­fühl kann dann, wenn die Übung aus­dau­ernd fort­ge­setzt wird, sich die Ima­gi­na­ti­on von je­ner Ver­wand­lung her­aus­bil­den, wel­che dem phy­si­schen En­t­­­ste­hen und Ver­ge­hen zum Grun­de liegt. Will man aber zur ent­sp­re­chen­den In­spi­ra­ti­on kom­men, dann muß man die

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Übung noch an­ders ma­chen. Man muß sich auf die ei­ge­ne See­l­en­tä­tig­keit be­sin­nen, wel­che aus dem Bil­de der Pflan­ze die Vor­stel­lung von Ent­ste­hen und Ver­ge­hen ge­won­nen hat. Man muß die Pflan­ze nun ganz aus dem Be­wußt­sein ver­­­schwin­den las­sen und sich nur in das hin­ein­ver­sen­ken, was man selbst in­ner­lich ge­tan hat. Durch sol­che Übun­gen nur ist ein Auf­s­tei­gen zur In­spi­ra­ti­on mög­lich. Zu­nächst wird es dem Geis­tes­schü­ler nicht ganz leicht sein, in vol­lem Um­­­fan­ge zu be­g­rei­fen, wie er sich zu ei­ner sol­chen Übung an­zu­schi­cken hat. Es rührt dies da­von her, daß der Mensch, wel­cher ge­wohnt ist, sich sein In­nen­le­ben von den äu­ße­ren Ein­drü­cken be­stim­men zu las­sen, so­fort ins Un­si­che­re und völ­lig Schwan­ken­de ge­rät, wenn er noch ein See­len­le­ben ent­fal­ten soll, das al­le An­knüp­fung an äu­ße­re Ein­drü­cke ab­ge­wor­fen hat. In ei­nem noch höhe­ren Ma­ße als be­züg­lich der Er­wer­bung von Ima­gi­na­tio­nen muß der Geis­tes­schü­ler sich ge­gen­über die­sen Übun­gen zur In­spi­ra­ti­on klar sein, daß er sie nur vor­neh­men soll­te, wenn er ne­ben­her ge­hen läßt al­le Vor­keh­run­gen, wel­che zur Si­che­rung und Fes­ti­­gung der Ur­teils­fähig­keit, des Ge­fühls­le­bens und des Cha­rak­ters füh­ren kön­nen. Trifft er die­se Vor­keh­run­gen, so wird er ein Zwei­fa­ches da­von als Er­folg ha­ben. Ers­tens wird er durch die Übun­gen nicht das Gleich­ge­wicht sei­ner Per­sön­­lich­keit beim über­sinn­li­chen Schau­en ver­lie­ren kön­nen; zwei­­tens wird er sich zu­g­leich die Fähig­keit an­eig­nen, das wir­k­­lich aus­füh­ren zu kön­nen, was in die­sen Übun­gen ver­langt wird. Man wird die­sen Übun­gen ge­gen­über nur so lan­ge sa­gen, sie sei­en schwie­rig, als man sich ei­ne ganz ge­wis­se See­len­ver­fas­sung, ganz ge­wis­se Ge­füh­le und Emp­fin­dun­gen noch nicht an­ge­eig­net hat. Der­je­ni­ge wird als­bald Ver­stän­d­­nis und auch Fähig­keit für die Übun­gen ge­win­nen, der in

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Ge­duld und Aus­dau­er in sei­ner See­le sol­che in­ne­re Ei­gen­­schaf­ten pf­legt, wel­che dem Auf­kei­men über­sinn­li­cher Er­kennt­nis­se güns­tig sind. Wer sich da­ran ge­wöhnt, öf­ters Ein­kehr in sein In­ne­res so zu hal­ten, daß es ihm da­bei we­ni­ger zu tun ist, über sich selbst nach­zu­gr­übeln, als viel­mehr still in sich die im Le­ben ge­mach­ten Er­fah­run­gen zu ord­nen und zu ver­ar­bei­ten, der wird viel ge­win­nen. Er wird se­hen, daß man sei­ne Vor­stel­lun­gen und Ge­füh­le be­rei­chert, wenn man die ei­ne Le­ben­s­er­fah­rung mit der an­de­ren in ein Ver­hält­nis bringt. Er wird ge­wahr wer­den, in wie ho­hem Gra­de man nicht nur da­durch Neu­es er­fährt, daß man neue Ein­drü­cke und neue Er­leb­nis­se hat, son­dern auch da­durch, daß man die al­ten in sich ar­bei­ten läßt. Und wer da­bei so zu Wer­ke geht, daß er sei­ne Er­leb­nis­se, ja so­gar sei­ne ge­won­ne­nen Mei­nun­gen so ge­gen­ein­an­der spie­len läßt, als ob er selbst mit sei­nen Sym­pa­thi­en und An­ti­pa­thi­en, mit sei­nen per­sön­li­chen In­ter­es­sen und Ge­füh­len gar nicht da­bei wä­re, der wird für die über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­kräf­te ei­nen be­son­­ders gu­ten Bo­den zu­be­rei­ten. Er wird in Wahr­heit das aus­­­bil­den, was man ein rei­ches In­nen­le­ben nen­nen kann. Wor­auf es aber vor al­lem an­kommt, das ist Gleich­maß und Gleich­ge­wicht der See­len­ei­gen­schaf­ten. Der Mensch ist nur zu leicht ge­neigt, wenn er sich ei­ner ge­wis­sen See­l­en­tä­tig­keit hin­gibt, in Ein­sei­tig­keit zu ver­fal­len. So kann er, wenn er den Vor­teil des in­ne­ren Nach­sin­nens und des Ver­wei­lens in der ei­ge­nen Vor­stel­lungs­welt ge­wahr wird, da­für ei­ne sol­che Nei­gung er­hal­ten, daß er sich ge­gen die Ein­drü­cke der Au­ßen­welt im­mer mehr ver­sch­ließt. Das aber führt zur Ver­tro­ck­­nung und Ver­ö­dung des In­nen­le­bens. Am wei­tes­ten kommt der­je­ni­ge, wel­cher sich ne­ben der Fähig­keit, sich in sein In­­­ne­res zu­rück­zu­zie­hen, auch die of­fe­ne Emp­fäng­lich­keit be­­wahrt

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für al­le Ein­drü­cke der Au­ßen­welt. Und man braucht da­bei nicht et­wa bloß an die so­ge­nann­ten be­deut­sa­men Ein­drü­cke des Le­bens zu den­ken, son­dern es kann je­der Mensch in je­der La­ge auch in noch so ärm­li­chen vier Wän­­den ge­nug er­le­ben, wenn er nur den Sinn da­für emp­fäng­­lich hält. Man braucht die Er­leb­nis­se nicht erst zu su­chen; sie sind übe­rall da. Von be­son­de­rer Wich­tig­keit ist auch, wie Er­leb­nis­se in des Men­schen See­le ver­ar­bei­tet wer­den. Es kann zum Bei­spiel je­mand die Er­fah­rung ma­chen, daß ei­ne von ihm oder an­dern ver­ehr­te Per­sön­lich­keit die­se oder je­ne Ei­gen­schaft ha­be, die er als Cha­rak­ter­feh­ler be­zeich­nen muß. Durch ei­ne sol­che Er­fah­rung kann der Mensch in ei­ner zwei­fa­chen Rich­tung zum Nach­den­ken ver­an­laßt wer­den. Er kann sich ein­fach sa­gen: Jetzt, nach­dem ich dies er­kannt ha­be, kann ich je­ne Per­sön­lich­keit nicht mehr in der­sel­ben Art ver­eh­ren wie früh­er. Oder aber er kann sich die Fra­ge vor­le­gen: Wie ist es mög­lich, daß die ver­ehr­te Per­sön­lich­keit mit je­nem Feh­ler be­haf­tet ist? Wie muß ich mir vor­­­s­tel­len, daß der Feh­ler nicht nur Feh­ler, son­dern et­was durch das Le­ben der Per­sön­lich­keit, vi­el­leicht ge­ra­de durch ih­re gro­ßen Ei­gen­schaf­ten Ver­ur­sach­tes ist? Ein Mensch, wel­cher sich die­se Fra­gen vor­legt, wird vi­el­leicht zu dem Er­geb­nis kom­men, daß sei­ne Ver­eh­rung nicht im ge­rings­ten durch das Be­mer­ken des Feh­lers zu ver­rin­gern ist. Man wird durch ein sol­ches Er­geb­nis je­des­mal et­was ge­lernt ha­ben, man wird sei­nem Le­bens­ver­ständ­nis et­was bei­ge­fügt ha­ben. Nun wä­re es ge­wiß sch­limm für den­je­ni­gen, der sich durch das Gu­te ei­ner sol­chen Le­bens­be­trach­tung ver­lei­ten lie­ße, bei Per­­so­nen oder Din­gen, wel­che sei­ne Nei­gung ha­ben, al­les Mög­­li­che zu ent­schul­di­gen oder et­wa gar zu der Ge­wohn­heit über­zu­ge­hen, al­les Ta­delns­wer­te un­be­rück­sich­tigt zu las­sen,

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weil ihm das Vor­teil bringt für sei­ne in­ne­re Ent­wi­cke­lung. Dies letz­te­re ist näm­lich dann nicht der Fall, wenn man durch sich selbst den An­trieb er­hält, Feh­ler nicht bloß zu ta­deln, son­dern zu ver­ste­hen; son­dern nur, wenn ein sol­ches Ver­hal­ten durch den be­tref­fen­den Fall selbst ge­for­dert wird, gleich­gül­tig, was der Be­ur­tei­ler da­bei ge­winnt oder ver­liert. Es ist durch­aus rich­tig: Ler­nen kann man nicht durch die Ver­ur­tei­lung ei­nes Feh­lers, son­dern nur durch des­sen Ver­­­ste­hen. Wer aber we­gen des Ver­ständ­nis­ses durch­aus das Miß­fal­len aus­sch­lie­ßen woll­te, der kä­me auch nicht weit. Auch hier kommt es nicht auf Ein­sei­tig­keit in der ei­nen oder an­dern Rich­tung an, son­dern auf Gleich­maß und Gleich­ge­­wicht der See­len­kräf­te. Und so ist es ganz be­son­ders mit ei­ner See­len­ei­gen­schaft, die für des Men­schen Ent­wi­cke­lung ganz her­vor­ra­gend be­deut­sam ist; mit dem, was man Ge­­fühl der Ver­eh­rung (De­vo­ti­on) nennt. Wer die­ses Ge­fühl in sich her­an­bil­det oder es durch ei­ne glück­li­che Na­tur­ga­be von vorn­he­r­ein be­sitzt, der hat ei­nen gu­ten Bo­den für die über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­kräf­te. Wer in sei­ner Kind­heits-­und Ju­gend­zeit mit hin­ge­bungs­vol­ler Be­wun­de­rung zu Per­­so­nen wie zu ho­hen Idea­len hin­auf­schau­en konn­te, in des­sen See­len­grund ist et­was, wo­r­in­nen über­sinn­li­che Er­kennt­nis­se be­son­ders gut gedei­hen. Und wer bei rei­fem Ur­tei­le im spä­­te­ren Le­ben zum Ster­nen­him­mel blickt und in rest­lo­ser Hin­­ga­be die Of­fen­ba­rung ho­her Mäch­te be­wun­dernd emp­fin­det, der macht sich eben da­durch reif zum Er­ken­nen der über­sinn­li­chen Wel­ten. Ein glei­ches ist bei dem­je­ni­gen der Fall, wel­cher die im Men­schen­le­ben wal­ten­den Kräf­te zu be­wun­­dern ver­mag. Und von nicht ge­rin­ger Be­deu­tung ist es, wenn man auch noch als ge­reif­ter Mensch Ver­eh­rung bis zu den höchs­ten Gra­den für an­de­re Men­schen ha­ben kann,

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de­ren Wert man ahnt oder zu er­ken­nen glaubt. Nur wo sol­che Ver­eh­rung vor­han­den ist, kann sich die Aus­sicht in die höhe­ren Wel­ten er­öff­nen. Wer nicht ver­eh­ren kann, wird kei­nes­falls in sei­ner Er­kennt­nis be­son­ders weit kom­men. Wer nichts in der Welt an­er­ken­nen will, dem ver­sch­ließt sich das We­sen der Din­ge. Wer sich je­doch durch das Ge­fühl der Ver­eh­rung und Hin­ga­be da­zu ver­füh­ren läßt, das ge­sun­de Selbst­be­wußt­sein und Selbst­ver­trau­en in sich ganz zu er­tö­ten, der ver­sün­digt sich ge­gen das Ge­setz des Gleich­ma­ßes und Gleich­ge­wich­tes. Der Geis­tes­schü­ler wird fort­dau­ernd an sich ar­bei­ten, um sich im­mer rei­fer und rei­fer zu ma­chen; aber dann darf er auch das Ver­trau­en zu der ei­ge­nen Per­­sön­lich­keit ha­ben und glau­ben, daß de­ren Kräf­te im­mer mehr wach­sen. Wer in sich zu rich­ti­gen Emp­fin­dun­gen nach die­ser Rich­tung kommt, der sagt sich: In mir lie­gen Kräf­te ver­bor­gen, und ich kann sie aus mei­nem In­nern her­vor­­ho­len. Ich brau­che da­her dort, wo ich et­was se­he, das ich ver­eh­ren muß, weil es über mir steht, nicht bloß zu ver­­eh­ren, son­dern ich darf mir zu­trau­en, al­les das in mir zu en­t­­wi­ckeln, was mich die­sem oder je­nem Ver­ehr­ten gleich macht.

Je grö­ß­er in ei­nem Men­schen die Fähig­keit ist, Auf­mer­k­­sam­keit auf ge­wis­se Vor­gän­ge des Le­bens zu rich­ten, wel­che nicht von vorn­he­r­ein dem per­sön­li­chen Ur­teil ver­traut sind, des­to grö­ß­er ist für ihn die Mög­lich­keit, sich Un­ter­la­gen zu schaf­fen für ei­ne Ent­wi­cke­lung in geis­ti­ge Wel­ten hin­auf. Ein Bei­spiel mag dies an­schau­lich ma­chen. Ein Mensch kom­me in ei­ne Le­bens­la­ge, wo er ei­ne ge­wis­se Hand­lung tun oder un­ter­las­sen kann. Sein Ur­teil sa­ge ihm: Tue dies. Aber es sei doch ein ge­wis­ses un­er­klär­li­ches Et­was in sei­nen Em­p­­fin­dun­gen, das ihn von der Tat ab­hält. Es kann nun so sein, daß der Mensch auf die­ses un­er­klär­li­che Et­was kei­ne Auf­­­merk­sam­keit

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ver­wen­det, son­dern ein­fach die Hand­lung so voll­bringt, wie es sei­ner Ur­teils­fähig­keit an­ge­mes­sen ist. Es kann aber auch so sein, daß der Mensch dem Dran­ge je­nes un­er­klär­li­chen Et­was nach­gibt und die Hand­lung un­ter­läßt. Ver­folgt er dann die Sa­che wei­ter, so kann sich her­aus­s­tel­­len, daß Un­heil ge­folgt wä­re, wenn er sei­nem Ur­teil ge­folgt wä­re; daß je­doch Se­gen ent­stan­den ist durch das Un­ter­las­sen. Solch ei­ne Er­fah­rung kann das Den­ken des Men­schen in ei­ne ganz be­stimm­te Rich­tung brin­gen. Er kann sich sa­gen: In mir lebt et­was, was mich rich­ti­ger lei­tet als der Grad von Ur­teils­fähig­keit, wel­chen ich in der Ge­gen­wart ha­be. Ich muß mir den Sinn of­fen hal­ten für die­ses «Et­was in mir», zu dem ich mit mei­ner Ur­teils­fähig­keit noch gar nicht her­an­ge­reift bin. Es wirkt nun in ho­hem Gra­de güns­tig auf die See­le, wenn sie ih­re Auf­merk­sam­keit auf sol­che Fäl­le im Le­ben rich­tet. Es zeigt sich ihr dann wie in ei­ner ge­sun­den Ah­nung, daß im Men­schen mehr ist, als was er je­wei­lig mit sei­ner Ur­teils­kraft über­se­hen kann. Sol­che Auf­merk­sam­keit ar­bei­tet auf ei­ne Er­wei­te­rung des See­len­le­bens hin. Aber auch hier kön­nen sich wie­der Ein­sei­tig­kei­ten er­ge­ben, wel­che be­denk­lich sind. Wer sich ge­wöh­nen woll­te, stets des­halb sein Ur­teil aus­zu­schal­ten, weil ihn «Ah­nun­gen» zu dem oder je­nem trei­ben, der könn­te ein Spiel­ball von al­len mög­li­chen un­be­stimm­ten Trie­ben wer­den. Und von ei­ner sol­chen Ge­­wohn­heit zur Ur­teils­lo­sig­keit und zum Aber­glau­ben ist es nicht weit. Ver­häng­nis­voll für den Geis­tes­schü­ler ist ei­ne je­g­li­che Art von Aber­glau­ben. Man er­wirbt sich nur da­durch die Mög­lich­keit, in ei­ner wahr­haf­ten Art in die Ge­bie­te des Geis­tes­le­bens ein­zu­drin­gen, daß man sich sorg­fäl­tig hü­tet vor Aber­glau­ben, Phan­tas­tik und Träu­me­rei. Nicht der­je­ni­ge kommt in ei­ner rich­ti­gen Wei­se in die geis­ti­ge

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Welt hin­ein, wel­cher froh ist, wenn er ir­gend­wo ei­nen Vor­­­gang er­le­ben kann, der «von dem men­sch­li­chen Vor­s­tel­len nicht be­grif­fen wer­den kann». Die Vor­lie­be für das «Un­er­klär­li­che» macht ge­wiß nie­man­den zum Geis­tes­schü­ler. Ganz ab­ge­wöh­nen muß sich die­ser das Vor­ur­teil, daß ein «My­s­ti­ker der sei, wel­cher in der Welt ein Un­er­klär­li­ches, Un­er­­for­sch­li­ches» übe­rall da vor­aus­setzt, wo es ihm an­ge­mes­sen er­scheint. Das rech­te Ge­fühl für den Geis­tes­schü­ler ist, über­all ver­bor­ge­ne Kräf­te und We­sen­hei­ten an­zu­er­ken­nen; aber auch vor­aus­zu­set­zen, daß das Un­er­forsch­te er­forscht wer­den kann, wenn die Kräf­te da­zu vor­han­den sind.

Es gibt ei­ne ge­wis­se See­len­ver­fas­sung, wel­che dem Gei­s­tes­schü­ler auf je­der Stu­fe sei­ner Ent­wi­cke­lung wich­tig ist. Sie be­steht da­rin, sei­nen Er­kennt­ni­s­trieb nicht ein­sei­tig so zu stel­len, daß die­ser im­mer dar­auf aus­geht: Wie kann man auf die­se oder je­ne Fra­ge ant­wor­ten? Son­dern dar­auf: Wie ent­wi­cke­le ich die­se oder je­ne Fähig­keit in mir? Ist dann durch in­ne­re ge­dul­di­ge Ar­beit an sich die­se oder je­ne Fähig­keit ent­wi­ckelt, so fällt dem Men­schen die Ant­wort auf ge­wis­se Fra­gen zu. Geis­tes­schü­ler wer­den im­mer die­se See­len­ver­fas­sung in sich pf­le­gen. Da­durch wer­den sie da­zu ge­führt, an sich zu ar­bei­ten, sich im­mer rei­fer und rei­fer zu ma­chen und sich zu ver­sa­gen, Ant­wor­ten auf ge­wis­se Fra­­gen her­beiz­win­gen zu wol­len. Sie wer­den war­ten, bis ih­nen sol­che Ant­wor­ten zu­fal­len. Wer aber auch da­rin wie­der an Ein­sei­tig­keit sich ge­wöhnt, auch der kommt nicht rich­tig vor­wärts. Der Geis­tes­schü­ler kann auch das Ge­fühl ha­ben, in ei­nem be­stimm­ten Zeit­punk­te sich mit dem Ma­ße sei­ner Kräf­te selbst die höchs­ten Fra­gen zu be­ant­wor­ten. Al­so auch hier spie­len Gleich­maß und Gleich­ge­wicht in der See­len­ver­fas­sung ei­ne ge­wich­ti­ge Rol­le.

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Noch vie­le See­len­ei­gen­schaf­ten könn­ten be­spro­chen wer­den, de­ren Pf­le­ge und Ent­wi­cke­lung för­der­lich ist, wenn der Geis­tes­schü­ler die In­spi­ra­ti­on durch Übun­gen an­st­re­ben will. Bei al­lem wür­de zu be­to­nen sein, daß Gleich­maß und Gleich­ge­wicht die­je­ni­gen See­len­ei­gen­schaf­ten sind, auf die es an­kommt. Sie be­rei­ten das Ver­ständ­nis und die Fähig­keit für die cha­rak­te­ri­sier­ten Übun­gen vor, die be­hufs der Er­lan­gung der In­spi­ra­ti­on zu ma­chen sind.

Die Übun­gen zur In­tui­ti­on er­for­dern, daß der Geis­tes­schü­ler aus sei­nem Be­wußt­sein nicht nur die Bil­der ver­­­schwin­den läßt, wel­chen er sich zur Er­lan­gung der Ima­gina­­ti­on hin­ge­ge­ben hat, son­dern auch das Le­ben in der ei­ge­nen See­l­en­tä­tig­keit, in wel­che er sich für die Er­wer­bung der In­­­spi­ra­ti­on ver­senkt hat. Er soll al­so dann buch­stäb­lich nichts von vor­her ge­kann­tem äu­ße­ren oder in­ne­ren Er­le­ben in sei­ner See­le ha­ben. Wür­de nun aber nach die­sem Ab­wer­fen der äu­ße­ren und der in­ne­ren Er­leb­nis­se nichts in sei­nem Be­wußt­sein sein, das heißt, wür­de ihm das Be­wußt­sein über­haupt da­hin­schwin­den und er in Be­wußt­lo­sig­keit ver­­­sin­ken, so könn­te er da­ran er­ken­nen, daß er sich noch nicht reif ge­macht hat, Übun­gen für die In­tui­ti­on vor­zu­neh­men; und er müß­te dann die Übun­gen für die Ima­gi­na­ti­on und In­spi­ra­ti­on fort­set­zen. Es kommt schon ein­mal die Zeit, in wel­cher das Be­wußt­sein nicht leer ist, wenn die See­le die in­­­ne­ren und äu­ße­ren Er­leb­nis­se ab­ge­wor­fen hat, son­dern wo nach die­sem Ab­wer­fen als Wir­kung et­was im Be­wußt­sein zu­rück­b­leibt, dem man sich dann in Ver­sen­kung eben­so hin­­ge­ben kann, wie man sich vor­her dem hin­ge­ge­ben hat, was äu­ßer­li­chen oder in­ne­ren Ein­drü­cken sein Da­sein ver­dankt. Es ist die­ses «Et­was» aber von ganz be­son­de­rer Art. Es ist ge­gen­über al­len vor­her­ge­hen­den Er­fah­run­gen et­was wir­k­­lich

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Neu­es. Man weiß, wenn man es er­lebt: Dies ha­be ich vor­her nicht ge­kannt. Dies ist ei­ne Wahr­neh­mung, wie der wir­k­li­che Ton ei­ne Wahr­neh­mung ist, wel­chen das Ohr hört; aber es kann die­ses Et­was nur in mein Be­wußt­sein tre­ten durch die In­tui­ti­on, wie der Ton nur ins Be­wußt­sein tre­ten kann durch das Ohr. Durch die In­tui­ti­on ist der letz­te Rest des Sinn­lich-Phy­si­schen von des Men­schen Ein­drü­cken ab­ge­st­reift; die geis­ti­ge Welt be­ginnt für die Er­kennt­nis of­fen zu lie­gen in ei­ner Form, die nichts mehr ge­mein hat mit den Ei­gen­schaf­ten der phy­sisch-sinn­li­chen Welt.

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Die ima­gi­na­ti­ve Er­kennt­nis wird er­reicht durch die Aus­­­ge­stal­tung der Lo­tus­blu­men aus dem as­tra­li­schen Lei­be her­aus. Durch die­je­ni­gen Übun­gen, wel­che zur Er­lan­gung von In­spi­ra­ti­on und In­tui­ti­on un­ter­nom­men wer­den, tre­ten im men­sch­li­chen Äther- oder Le­bens­leib be­son­de­re Be­we­gun­­gen, Ge­stal­tun­gen und Strö­mun­gen auf, wel­che vor­her nicht da wa­ren. Sie sind eben die Or­ga­ne, durch wel­che der Mensch das «Le­sen der ver­bor­ge­nen Schrift» und das, was dar­über hin­aus­liegt, in den Be­reich sei­ner Fähig­kei­ten auf­­­nimmt. Für das über­sinn­li­che Er­ken­nen stel­len sich die Ver­­än­de­run­gen im Äther­lei­be ei­nes Men­schen, der zur In­spi­­ra­ti­on und In­tui­ti­on ge­langt ist, in der fol­gen­den Art dar. Es wird, un­ge­fähr wie in der Ge­gend na­he dem phy­si­schen Her­zen, ein neu­er Mit­tel­punkt im Äther­lei­be be­wußt, der sich zu ei­nem äthe­ri­schen Or­ga­ne aus­ge­stal­tet. Von die­sem lau­fen Be­we­gun­gen und Strö­mun­gen nach den ver­schie­de­­nen Glie­dern des men­sch­li­chen Lei­bes in der man­nig­fal­ti­g­s­ten Wei­se. Die wich­tigs­ten die­ser Strö­mun­gen ge­hen zu den Lo­tus­blu­men, durch­zie­hen die­sel­ben und ih­re ein­zel­nen Blät­ter und ge­hen dann nach au­ßen, wo sie wie Strah­len sich

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in den äu­ße­ren Raum er­gie­ßen. Je ent­wi­ckel­ter der Mensch ist, des­to grö­ß­er ist der Um­kreis um ihn her­um, in dem die­se Strö­mun­gen wahr­nehm­bar sind. Der Mit­tel­punkt in der Ge­gend des Her­zens bil­det sich aber bei re­gel­rech­ter Schu­lung nicht gleich im An­fang aus. Er wird erst vor­be­­rei­tet. Zu­erst ent­steht als ein vor­läu­fi­ger Mit­tel­punkt ein sol­cher im Kop­fe; der rückt dann hin­un­ter in die Kehl­kopf­ge­gend und ver­legt sich zu­letzt in die Nähe des phy­si­schen Her­zens. Wür­de die Ent­wi­cke­lung un­re­gel­mä­ß­ig sein, so könn­te so­g­leich in der Herz­ge­gend das in Re­de ste­hen­de Or­gan ge­bil­det wer­den. Dann lä­ge die Ge­fahr vor, daß der Mensch, statt zur ru­hi­gen, sach­ge­mä­ß­en über­sinn­li­chen Schau­ung zu kom­men, zum Schwär­m­er und Phan­tas­ten wür­de. In sei­ner wei­te­ren Ent­wi­cke­lung ge­langt der Geis­tes­schü­ler da­zu, die aus­ge­bil­de­ten Strö­mun­gen und Glie­de­run­­gen sei­nes Äther­lei­bes un­ab­hän­gig zu ma­chen von dem phy­­si­schen Lei­be und sie selb­stän­dig zu ge­brau­chen. Es die­nen ihm die Lo­tus­blu­men da­bei als Werk­zeu­ge, durch wel­che er den Äther­leib be­wegt. Be­vor die­ses ge­schieht, müs­sen sich aber in dem gan­zen Um­kreis des Äther­lei­bes be­son­de­re Strö­mun­gen und Strah­lun­gen ge­bil­det ha­ben, wel­che ihn wie durch ein fei­nes Netz­werk in sich ab­sch­lie­ßen und zu ei­ner in sich ge­sch­los­se­nen We­sen­heit ma­chen. Wenn das ge­sche­hen ist, kön­nen un­ge­hin­dert die im Äther­lei­be sich voll­zie­hen­den Be­we­gun­gen und Strö­mun­gen sich mit der äu­ße­ren see­lisch-geis­ti­gen Welt be­rüh­ren und mit ih­nen sich ver­bin­den, so daß äu­ße­res geis­tig-see­li­sches Ge­sche­hen und in­ne­res (das­je­ni­ge im men­sch­li­chen Äther­lei­be) in­ein­an­der­f­lie­ßen. Wenn das ge­schieht, ist eben der Zeit­punkt ein­­ge­t­re­ten, in dem der Mensch die Welt der In­spi­ra­ti­on be­wußt wahr­nimmt. Die­ses Er­ken­nen tritt in ei­ner an­de­ren Art auf

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als das Er­ken­nen in be­zug auf die sinn­lich-phy­si­sche Welt. In die­ser be­kommt man durch die Sin­ne Wahr­neh­mun­gen und macht sich dann über die­se Wahr­neh­mun­gen Vor­s­tel­­lun­gen und Be­grif­fe. Beim Wis­sen durch die In­spi­ra­ti­on ist es nicht so. Was man er­kennt, ist un­mit­tel­bar, in ei­nem Ak­te da; es gibt nicht ein Nach­den­ken nach der Wahr­neh­­mung. Was für das sinn­lich-phy­si­sche Er­ken­nen erst hin­ter­her im Be­grif­fe ge­won­nen wird, ist bei der In­spi­ra­ti­on zu­­­g­leich mit der Wahr­neh­mung ge­ge­ben. Man wür­de des­halb mit der see­lisch-geis­ti­gen Um­welt in eins zu­sam­men­f­lie­ßen, sich von ihr gar nicht un­ter­schei­den kön­nen, wenn man das oben cha­rak­te­ri­sier­te Netz­werk im Äther­lei­be nicht aus­­­ge­bil­det hät­te.

Wenn die Übun­gen für die In­tui­ti­on ge­macht wer­den, so wir­ken sie nicht al­lein auf den Äther­leib, son­dern bis in die über­sinn­li­chen Kräf­te des phy­si­schen Lei­bes hin­ein. Man soll­te sich al­ler­dings nicht vor­s­tel­len, daß auf die­se Art Wir­kun­gen im phy­si­schen Lei­be vor sich ge­hen, wel­che der ge­wöhn­li­chen Sin­nen­be­o­b­ach­tung zu­gäng­lich sind. Es sind Wir­kun­gen, wel­che nur das über­sinn­li­che Er­ken­nen be­ur­tei­­len kann. Sie ha­ben mit al­ler äu­ße­ren Er­kennt­nis nichts zu tun. Sie stel­len sich ein als Er­folg der Rei­fe des Be­wußt­seins, wenn die­ses in der In­tui­ti­on Er­leb­nis­se ha­ben kann, trot­z­­dem es al­le vor­her ge­kann­ten äu­ße­ren und in­ne­ren Er­le­b­­nis­se aus sich her­aus­ge­son­dert hat. Nun sind aber die Er­fah­run­gen der In­tui­ti­on zart, in­tim und fein; und der phy­si­sche Men­schen­leib ist auf der ge­gen­wär­ti­gen Stu­fe sei­­ner Ent­wi­cke­lung im Ver­hält­nis­se zu ih­nen grob. Er bie­tet des­halb ein stark wir­ken­des Hin­der­nis für den Er­folg der In­tui­ti­ons­übun­gen. Wer­den die­se mit En­er­gie und Aus­dau­er und in der not­wen­di­gen in­ne­ren Ru­he fort­ge­setzt, so über­win­den

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sie zu­letzt die ge­wal­ti­gen Hin­der­nis­se des phy­si­­schen Lei­bes. Der Geis­tes­schü­ler be­merkt das da­ran, daß er all­mäh­lich ge­wis­se Äu­ße­run­gen des phy­si­schen Lei­bes, die vor­her ganz oh­ne sein Be­wußt­sein er­folg­ten, in sei­ne Ge­walt be­kommt. Er be­merkt es auch da­ran, daß er für kur­ze Zeit das Be­dürf­nis emp­fin­det, zum Bei­spiel das At­men (oder der­g­lei­chen) so ein­zu­rich­ten, daß es in ei­ne Art Ein­klang oder Har­mo­nie mit dem kommt, was in den Übun­gen oder sonst in der in­ne­ren Ver­sen­kung die See­le ver­rich­tet. Das Ideal der Ent­wi­cke­lung ist, daß durch den phy­si­schen Leib selbst gar kei­ne Übun­gen, auch nicht sol­che Atem­übun­gen ge­macht wür­den, son­dern daß al­les, was mit ihm zu ge­sche­hen hat, sich nur als ei­ne Fol­ge der rei­nen In­tui­ti­ons­übun­gen ein­s­tell­te.

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Wenn der Geis­tes­schü­ler auf dem We­ge in die höhe­ren Er­kennt­nis­wel­ten auf­s­teigt, so be­merkt er auf ei­ner ge­wis­­sen Stu­fe, daß das Zu­sam­men­hal­ten der Kräf­te sei­ner Per­­sön­lich­keit ei­ne an­de­re Form an­nimmt, als es in der phy­­sisch-sinn­li­chen Welt hat. In die­ser be­wirkt das Ich ein ein­heit­li­ches Zu­sam­men­wir­ken der See­len­kräf­te, zu­nächst des Den­kens, Füh­l­ens und Wol­lens. Die­se drei See­len­kräf­te ste­hen ja in den ge­wöhn­li­chen men­sch­li­chen Le­bens­la­gen je­wei­lig im­mer in ge­wis­sen Be­zie­hun­gen. Man sieht zum Bei­spiel ein ge­wis­ses Ding in der Au­ßen­welt. Es ge­fällt oder miß­f­ällt der See­le. Das heißt, es sch­ließt sich mit ei­ner ge­­wis­sen Not­wen­dig­keit an die Vor­stel­lung des Din­ges ein Ge­fühl der Lust oder Un­lust. Man be­gehrt auch wohl das Ding oder er­hält den Im­puls, es in die­ser oder je­ner Rich­­tung zu än­dern. Das heißt: Be­geh­rungs­ver­mö­gen und Wil­le ge­sel­len sich zu ei­ner Vor­stel­lung und ei­nem Ge­füh­le hin­zu.

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Daß die­ses Zu­sam­men­ge­sel­len statt­fin­det, wird be­wirkt da­durch, daß das Ich Vor­s­tel­len (Den­ken), Füh­len und Wol­­len ein­heit­lich zu­sam­men­sch­ließt und auf die­se Art Or­d­­nung in die Kräf­te der Per­sön­lich­keit bringt. Die­se ge­sun­de Ord­nung wür­de un­ter­bro­chen, wenn sich das Ich nach die­­ser Rich­tung macht­los er­wie­se, wenn zum Bei­spiel die Be­­gier­de ei­nen an­dern Weg ge­hen woll­te als das Ge­fühl oder die Vor­stel­lung. Ein Mensch wä­re nicht in ei­ner ge­sun­den See­len­ver­fas­sung, wel­cher zwar däch­te, daß dies oder je­nes rich­tig sei, aber nun et­was woll­te, wo­von er nicht die An­­sicht hat, daß es rich­tig ist. Eben­so wä­re es, wenn je­mand nicht das woll­te, was ihm ge­fällt, son­dern das, was ihm miß­f­ällt. Nun be­merkt der Mensch, daß auf dem We­ge zur höhe­ren Er­kennt­nis Den­ken, Füh­len und Wol­len in der Tat sich son­dern und je­des ei­ne ge­wis­se Selb­stän­dig­keit an­­nimmt, daß zum Bei­spiel ein be­stimm­tes Den­ken nicht mehr wie durch sich selbst zu ei­nem be­stimm­ten Füh­len und Wol­­len drängt. Es stellt sich die Sa­che so, daß man im Den­ken et­was rich­tig wahr­neh­men kann, daß man aber, um über­haupt zu ei­nem Ge­füh­le oder zu ei­nem Wil­lens­ent­schluß zu kom­men, wie­der aus sich her­aus ei­nen selb­stän­di­gen An­trieb braucht. Den­ken, Füh­len und Wol­len blei­ben eben wäh­rend der über­sinn­li­chen Be­trach­tung nicht drei Kräf­te, wel­che aus dem ge­mein­sa­men Ich-Mit­tel­punk­te der Per­sön­lich­keit aus­­­strah­len, son­dern sie wer­den wie zu selb­stän­di­gen We­sen­hei­ten, gleich­sam zu drei Per­sön­lich­kei­ten; und man muß jetzt das ei­ge­ne Ich um so stär­ker ma­chen, denn es soll nicht bloß in drei Kräf­te Ord­nung brin­gen, son­dern drei We­sen­hei­ten len­ken und füh­ren. Aber die­se Tei­lung darf eben nur wäh­rend der über­sinn­li­chen Be­trach­tung be­ste­hen. Und wie­­der tritt es hier deut­lich zu­ta­ge, wie wich­tig es ist, ne­ben

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den Übun­gen zu höhe­rer Schu­lung die­je­ni­gen ein­her­ge­hen zu las­sen, wel­che der Ur­teils­fähig­keit, dem Ge­fühls- und Wil­lens­le­ben Si­cher­heit und Fes­tig­keit ge­ben. Denn bringt man die­se nicht mit in die höhe­re Welt, so wird man als­­bald se­hen, wie sich das Ich schwach er­weist und kein or­dent­li­cher Len­ker sein kann des Den­kens, Füh­l­ens und Wol­lens. Die See­le wür­de, wenn die­se Schwäche vor­han­den wä­re, wie von drei Per­sön­lich­kei­ten in die ver­schie­de­nen Rich­tun­gen ge­zerrt, und ih­re in­ne­re Ge­sch­los­sen­heit müß­te auf­hö­ren. Wenn die Ent­wi­cke­lung des Geis­tes­schü­lers aber in der rech­ten Art ver­läuft, so be­deu­tet die ge­kenn­zeich­ne­te Kräf­te­wand­lung ei­nen wah­ren Fort­schritt; das Ich bleibt über die selb­stän­di­gen We­sen­hei­ten, wel­che nun sei­ne See­le bil­den, der Herr­scher. Im wei­te­ren Ver­lau­fe der Ent­wic­ke­lung sch­rei­tet die an­ge­deu­te­te Ent­wi­cke­lung dann fort. Das Den­ken, das selb­stän­dig ge­wor­den ist, regt das Auf­t­re­­ten ei­ner be­son­de­ren vier­ten see­lisch-geis­ti­gen We­sen­heit an, wel­che man be­zeich­nen kann wie ein un­mit­tel­ba­res Ein­f­lie­­ßen von Strö­mun­gen in den Men­schen, die den Ge­dan­ken ähn­lich sind. Die gan­ze Welt er­scheint da als Ge­dan­ken­ge­bäu­de, das vor ei­nem steht, wie die Pflan­zen- oder Tier­welt im phy­sisch-sinn­li­chen Ge­bie­te. Eben­so re­gen das sel­b­­stän­dig ge­wor­de­ne Füh­len und Wol­len zwei Kräf­te in der See­le an, wel­che in der­sel­ben wie selb­stän­di­ge We­sen wir­ken. Und noch ei­ne sie­ben­te Kraft und We­sen­heit kommt da­zu, wel­che ähn­lich dem ei­ge­nen Ich sel­ber ist.

Die­ses gan­ze Er­leb­nis ver­bin­det sich noch mit ei­nem an­­dern. Vor dem Be­t­re­ten der über­sinn­li­chen Welt kann­te der Mensch Den­ken, Füh­len und Wol­len nur als in­ne­re See­le­n­er­leb­nis­se. So­bald er die über­sinn­li­che Welt be­tritt, nimmt er Din­ge wahr, wel­che nicht Sinn­lich-Phy­si­sches aus­drü­cken,

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son­dern See­lisch-Geis­ti­ges. Hin­ter den von ihm wahr­ge­nom­me­nen Ei­gen­schaf­ten der neu­en Welt ste­hen jetzt see­lisch-geis­ti­ge We­sen­hei­ten. Und die­se bie­ten sich ihm jetzt so dar als ei­ne Au­ßen­welt, wie sich ihm im phy­sisch-sin­n­­li­chen Ge­biet Stei­ne, Pflan­zen und Tie­re vor die Sin­ne ge­­s­tellt ha­ben. Es kann nun der Geis­tes­schü­ler ei­nen be­deu­t­­sa­men Un­ter­schied wahr­neh­men zwi­schen der sich ihm er­sch­lie­ßen­den see­lisch-geis­ti­gen Welt und der­je­ni­gen, wel­che er ge­wohnt war, durch sei­ne phy­si­schen Sin­ne wahr­zu­neh­­men. Ei­ne Pflan­ze der sinn­li­chen Welt bleibt, wie sie ist, was auch des Men­schen See­le über sie fühlt oder denkt. Das ist bei den Bil­dern der see­lisch-geis­ti­gen Welt zu­nächst nicht der Fall. Sie än­dern sich, je nach­dem der Mensch die­ses oder je­nes emp­fin­det oder denkt. Da­durch gibt ih­nen der Mensch ein Ge­prä­ge, das von sei­nem ei­ge­nen We­sen ab­hängt. Man stel­le sich vor, ein ge­wis­ses Bild tre­te in der ima­gi­na­ti­ven Welt vor dem Men­schen auf. Ver­hält er sich zu­nächst in sei­nem Ge­mü­te gleich­gül­tig da­ge­gen, so zeigt es sich in ei­ner ge­wis­sen Ge­stalt. In dem Au­gen­bli­cke aber, wo er Lust oder Un­lust ge­gen­über dem Bil­de emp­fin­det, än­dert es sei­ne Ge­­stalt. Die Bil­der drü­cken so­mit zu­nächst nicht nur et­was aus, was selb­stän­dig au­ßer­halb des Men­schen ist, son­dern sie spie­geln auch das­je­ni­ge, was der Mensch selbst ist. Sie sind ganz und gar durch­setzt von des Men­schen ei­ge­ner We­sen­heit. Die­se legt sich wie ein Sch­lei­er über die We­sen­hei­ten hin. Der Mensch sieht dann, wenn auch ei­ne wir­k­li­che We­sen­heit ihm ge­gen­über­steht, nicht die­se, son­dern sein ei­ge­nes Er­zeug­nis. So kann er zwar durch­aus Wah­res vor sich ha­ben und doch Fal­sches se­hen. Ja, das ist nicht nur der Fall mit Be­zug auf das, was der Mensch als sei­ne We­sen­heit selbst an sich be­merkt; son­dern al­les, was an ihm ist, wirkt

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auf die­se Welt ein. Es kann zum Bei­spiel der Mensch ver­­­bor­ge­ne Nei­gun­gen ha­ben, die im Le­ben durch Er­zie­hung und Cha­rak­ter nicht zum Vor­schein kom­men; auf die geis­tig-see­li­sche Welt wir­ken sie; und die­se be­kommt die ei­gen­ar­ti­ge Fär­bung durch das gan­ze We­sen des Men­schen, gleich­gül­tig, wie­viel er von die­sem We­sen selbst weiß oder nicht weiß. Um wei­ter fort­sch­rei­ten zu kön­nen von die­ser Stu­fe der Ent­wi­cke­lung aus, ist es not­wen­dig, daß der Mensch un­ter­schei­den ler­ne zwi­schen sich und der geis­ti­gen Au­ßen­welt. Es wird nö­t­ig, daß er al­le Wir­kun­gen des ei­ge­­nen Selbs­tes auf die um ihn be­find­li­che see­lisch-geis­ti­ge Welt aus­schal­ten ler­ne. Man kann das nicht an­ders, als wenn man sich ei­ne Er­kennt­nis er­wirbt von dem, was man selbst in die neue Welt hin­ein­trägt. Es han­delt sich al­so dar­um, daß man zu­erst wah­re, durch­g­rei­fen­de Selbs­t­er­kennt­nis ha­be, um dann die um­lie­gen­de geis­tig-see­li­sche Welt rein wahr­­neh­men zu kön­nen. Nun brin­gen es ge­wis­se Tat­sa­chen der men­sch­li­chen Ent­wi­cke­lung mit sich, daß sol­che Selb­st­er­kennt­nis beim Ein­trit­te in die höhe­re Welt wie na­tur­ge­mäß statt­fin­den muß. Der Mensch ent­wi­ckelt ja in der ge­wöhn­li­chen phy­sisch-sinn­li­chen Welt sein Ich, sein Selb­st­­be­wußt­sein. Die­ses Ich wirkt nun wie ein An­zie­hungs­-Mit­tel­punkt auf al­les, was zum Men­schen ge­hört. Al­le sei­ne Nei­gun­gen, Sym­pa­thi­en, An­ti­pa­thi­en, Lei­den­schaf­ten, Mei­­nun­gen usw. grup­pie­ren sich gleich­sam um die­ses Ich her­um. Und es ist die­ses Ich auch der An­zie­hungs­punkt für das, was man das Kar­ma des Men­schen nennt. Wür­de man die­ses Ich un­ver­hüllt se­hen, so wür­de man an ihm auch be­mer­ken, daß be­stimmt ge­ar­te­te Schick­sa­le es noch in die­ser und den fol­gen­den Ver­kör­pe­run­gen tref­fen müs­sen, je nach­dem es in den vo­ri­gen Ver­kör­pe­run­gen so oder so ge­lebt, sich die­ses

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oder je­nes an­ge­eig­net hat. Mit al­le dem, was so am Ich haf­tet, muß es nun als ers­tes Bild vor die Men­schen­see­le tre­ten, wenn die­se in die see­lisch-geis­ti­ge Welt auf­s­teigt. Die­ser Dop­pel­gän­ger des Men­schen muß, nach ei­nem Ge­setz der geis­ti­gen Welt, vor al­lem an­dern als des­sen ers­ter Ein­­druck in je­ner Welt auf­t­re­ten. Man kann das Ge­setz, wel­ches da zu­grun­de liegt, sich leicht ver­ständ­lich ma­chen, wenn man das Fol­gen­de be­denkt. Im phy­sisch-sinn­li­chen Le­ben nimmt sich der Mensch nur in­so­fern selbst wahr, als er sich in sei­nem Den­ken, Füh­len und Wol­len in­ner­lich er­lebt. Die­se Wahr­neh­mung ist aber ei­ne in­ner­li­che; sie stellt sich nicht vor den Men­schen hin, wie sich Stei­ne, Pflan­zen und Tie­re vor ihn hin­s­tel­len. Auch lernt sich durch in­ner­li­che Wahr­neh­mung der Mensch nur zum Teil ken­nen. Er hat näm­lich et­was in sich, was ihn an ei­ner tie­fer­ge­hen­den Selb­st­er­kennt­nis hin­dert. Es ist dies ein Trieb, so­g­leich, wenn er durch Selbs­t­er­kennt­nis sich ei­ne Ei­gen­schaft ge­ste­hen muß und sich kei­ner Täu­schung über sich hin­ge­ben will, die­se Ei­gen­schaft um­zu­ar­bei­ten.

Gibt er die­sem Trie­be nicht nach, lenkt er ein­fach die Auf­merk­sam­keit von dem ei­ge­nen Selbst ab und bleibt er, wie er ist, so be­nimmt er sich selbst­ver­ständ­lich auch die Mög­lich­keit, sich in dem be­tref­fen­den Punk­te selbst zu er­ken­nen. Dringt der Mensch aber in sich selbst und hält er sich oh­ne Täu­schung die­se oder je­ne sei­ner Ei­gen­schaf­ten vor, so wird er ent­we­der in der La­ge sein, sie an sich zu ver­­­bes­sern oder aber er wird dies in der ge­gen­wär­ti­gen La­ge sei­nes Le­bens nicht kön­nen. In dem letz­te­ren Fal­le wird sei­ne See­le ein Ge­fühl be­sch­lei­chen, das man als Ge­fühl des Schä­mens be­zeich­nen muß. So wirkt in der Tat des Men­­schen ge­sun­de Na­tur: Sie emp­fin­det durch die Selbs­t­er­kenn­t­­nis

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man­cher­lei Ar­ten des Schä­mens. Nun hat die­ses Ge­fühl schon im ge­wöhn­li­chen Le­ben ei­ne ganz be­stimm­te Wir­kung. Der ge­sund den­ken­de Mensch wird da­für sor­gen, daß das­je­ni­ge, was ihn an sich selbst mit die­sem Ge­fühl er­füllt, nicht in Wir­kun­gen nach au­ßen sich gel­tend ma­che, daß es nicht in äu­ße­ren Ta­ten sich aus­le­be. Das Schä­m­en ist al­so ei­ne Kraft, wel­che den Men­schen an­t­reibt, et­was in sein In­ne­res zu ver­sch­lie­ßen und dies nicht äu­ßer­lich wahr­neh­m­­bar wer­den zu las­sen. Wenn man dies ge­hö­rig be­denkt, so wird man be­g­reif­lich fin­den, daß die Geis­tes­for­schung ei­nem in­ne­ren See­le­n­er­leb­nis, das mit dem Ge­fühl des Schä­mens ganz na­he ver­wandt ist, noch viel wei­ter­ge­hen­de Wir­kun­gen zu­sch­reibt. Sie fin­det, daß es in den ver­bor­ge­nen Tie­fen der See­le ei­ne Art ver­bor­ge­nes Schä­m­en gibt, des­sen sich der Mensch im phy­sisch-sinn­li­chen Le­ben nicht be­wußt wird. Die­ses ver­bor­ge­ne Ge­fühl wirkt aber in ei­ner ähn­li­chen Art wie das ge­kenn­zeich­ne­te of­fen­ba­re des ge­wöhn­li­chen Le­bens: es ver­hin­dert, daß des Men­schen in­ners­te We­sen­heit in ei­nem wahr­nehm­ba­ren Bil­de vor den Men­schen hin­tritt. Wä­re die­ses Ge­fühl nicht da, so wür­de der Mensch vor sich selbst wahr­neh­men, was er in Wahr­heit ist; er wür­de sei­ne Vor­­­stel­lun­gen, Ge­füh­le und sei­nen Wil­len nicht nur in­ner­lich er­le­ben, son­dern sie wahr­neh­men, wie er Stei­ne, Tie­re und Pflan­zen wahr­nimmt. So ist die­ses Ge­fühl der Ver­hül­ler des Men­schen vor sich selbst. Und da­mit ist es zu­g­leich der Ver­hül­ler der gan­zen geis­tig-see­li­schen Welt. Denn in­dem sich des Men­schen ei­ge­ne in­ne­re We­sen­heit vor ihm ver­hüllt, kann er auch das nicht wahr­neh­men, an dem er die Wer­k­zeu­ge ent­wi­ckeln soll­te, um die see­lisch-geis­ti­ge Welt zu er­ken­nen; er kann sei­ne We­sen­heit nicht um­ge­stal­ten, so daß sie geis­ti­ge Wahr­neh­mung­s­or­ga­ne er­hiel­te. Wenn nun aber

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der Mensch durch re­gel­rech­te Schu­lung da­hin ar­bei­tet, die­se Wahr­neh­mung­s­or­ga­ne zu er­hal­ten, so tritt das­je­ni­ge als ers­ter Ein­druck vor ihn hin, was er selbst ist. Er nimmt sei­­nen Dop­pel­gän­ger wahr. Die­se Selbst­wahr­neh­mung ist gar nicht zu tren­nen von der Wahr­neh­mung der üb­ri­gen geis­tig-see­li­schen Welt. Im ge­wöhn­li­chen Le­ben der phy­sisch-sin­n­­li­chen Welt wirkt das cha­rak­te­ri­sier­te Ge­fühl so, daß es for­t­­wäh­rend das Tor zur geis­tig-see­li­schen Welt vor dem Men­­schen zu­sch­ließt. Woll­te der Mensch nur ei­nen Schritt ma­chen, um in die­se Welt ein­zu­drin­gen, so ver­birgt das so­g­leich auf­t­re­ten­de, aber nicht zum Be­wußt­sein kom­men­de Ge­fühl des Schä­mens das Stück der geis­tig-see­li­schen Welt, das zum Vor­schein kom­men will. Die cha­rak­te­ri­sier­ten Übun­gen aber sch­lie­ßen die­se Welt auf. Nun ist die Sa­che so, daß je­nes ver­bor­ge­ne Ge­fühl wie ein gro­ßer Wohl­tä­ter des Men­schen wirkt. Denn durch al­les das, was man sich oh­ne geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Schu­lung an Ur­teils­kraft, Ge­fühls­le­ben und Cha­rak­ter er­wirbt, ist man nicht im­stan­de, die Wahr­­neh­mung der ei­ge­nen We­sen­heit in ih­rer wah­ren Ge­stalt oh­ne wei­te­res zu er­tra­gen. Man wür­de durch die­se Wahr­­neh­mung al­les Selbst­ge­fühl, Selbst­ver­trau­en und Selb­st­­be­wußt­sein ver­lie­ren. Daß dies nicht ge­sche­he, da­für müs­sen wie­der die Vor­keh­run­gen sor­gen, wel­che man ne­ben den Übun­gen für die höhe­re Er­kennt­nis zur Pf­le­ge sei­ner ge­­sun­den Ur­teils­kraft, sei­nes Ge­fühls- und Cha­rak­ter­we­sens un­ter­nimmt. Durch sei­ne re­gel­rech­te Schu­lung lernt der Mensch wie ab­sichts­los so viel aus der Geis­tes­wis­sen­schaft ken­nen und es wer­den ihm au­ßer­dem so vie­le Mit­tel zur Selbs­t­er­kennt­nis und Selbst­be­o­b­ach­tung klar, als not­wen­dig sind, um kraft­voll sei­nem Dop­pel­gän­ger zu be­geg­nen. Es ist dann für den Geis­tes­schü­ler so, daß er nur als Bild der

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ima­gi­na­ti­ven Welt in an­de­rer Form das sieht, wo­mit er sich in der phy­si­schen Welt schon be­kannt­ge­macht hat. Wer in rich­ti­ger Art zu­erst in der phy­si­schen Welt durch sei­nen Ver­stand das Kar­ma­ge­setz be­grif­fen hat, der wird nicht be­son­ders er­be­ben kön­nen, wenn er nun die Kei­me sei­nes Schick­sa­les ein­ge­zeich­net sieht in dem Bil­de sei­nes Dop­pel­­gän­gers. Wer durch sei­ne Ur­teils­kraft sich be­kannt­ge­macht hat mit der Wel­ten- und Mensch­heits­ent­wi­cke­lung und weiß, wie in ei­nem be­stimm­ten Zeit­punk­te die­ser Ent­wi­cke­lung die Kräf­te des Lu­zi­fer in die men­sch­li­che See­le ein­ge­drun­gen sind, der wird es un­schwer er­tra­gen, wenn er ge­wahr wird, daß in dem Bil­de sei­ner ei­ge­nen We­sen­heit die­se lu­zi­fe­ri­­schen We­sen­hei­ten mit al­len ih­ren Wir­kun­gen ent­hal­ten sind. Man sieht aber hier­aus, wie not­wen­dig es ist, daß der Mensch nicht den ei­ge­nen Ein­tritt in die geis­ti­ge Welt ver­lan­ge, be­vor er durch sei­ne ge­wöhn­li­che in der phy­sisch-sinn­li­chen Welt ent­wi­ckel­te Ur­teils­kraft ge­wis­se Wahr­hei­ten über die geis­ti­ge Welt ver­stan­den hat. Was in die­sem Bu­che vor der Au­s­ein­an­der­set­zung über die «Er­kennt­nis der höh­e­­ren Wel­ten» mit­ge­teilt ist, das soll­te der Geis­tes­schü­ler im re­gel­rech­ten Ent­wi­cke­lungs­gan­ge durch sei­ne ge­wöhn­li­che Ur­teils­kraft sich an­ge­eig­net ha­ben, be­vor er das Ver­lan­gen hat, sich selbst in die über­sinn­li­chen Wel­ten zu be­ge­ben.

Bei ei­ner Schu­lung, in wel­cher nicht auf Si­cher­heit und Fes­tig­keit der Ur­teils­kraft, des Ge­fühls- und Cha­rak­ter­le­bens ge­se­hen wird, kann es ge­sche­hen, daß dem Schü­ler die höhe­re Welt ent­ge­gen­tritt, be­vor er da­zu die nö­t­i­gen in­ne­­ren Fähig­kei­ten hat. Dann wür­de ihn die Be­geg­nung mit sei­nem Dop­pel­gän­ger be­drü­cken und zu Irr­tü­mern füh­ren. Wür­de aber was al­ler­dings auch mög­lich wä­re die Be­­geg­nung ganz ver­mie­den und der Mensch doch in die über­sinn­li­che

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Welt ein­ge­führt, dann wä­re er eben­so­we­nig im­­stan­de, die­se Welt in ih­rer wah­ren Ge­stalt zu er­ken­nen. Denn es wä­re ihm ganz un­mög­lich, zu un­ter­schei­den zwi­­schen dem, was er in die Din­ge hin­ein­sieht, und dem, was sie wir­k­lich sind. Die­se Un­ter­schei­dung ist nur mög­lich, wenn man die ei­ge­ne We­sen­heit als ein Bild für sich wahr­nimmt und da­durch sich al­les das von der Um­ge­bung los­löst, was aus dem ei­ge­nen In­nern fließt. Der Dop­pel­gän­ger wirkt für das Le­ben des Men­schen in der phy­sisch-sinn­li­chen Welt so, daß er sich durch das ge­kenn­zeich­ne­te Ge­fühl des Schä­­mens so­fort un­sicht­bar macht, wenn sich der Mensch der see­lisch-geis­ti­gen Welt naht. Da­mit ver­birgt er aber auch die­se gan­ze Welt selbst. Wie ein «Hü­ter» steht er da vor die­­ser Welt, um den Ein­tritt je­nen zu ver­weh­ren, wel­che zu die­­sem Ein­trit­te noch nicht ge­eig­net sind. Er kann da­her der «Hü­ter der Schwel­le, wel­che vor der geis­tig-see­li­schen Welt ist», ge­nannt wer­den. Au­ßer durch das ge­schil­der­te Be­t­re­ten der über­sinn­li­chen Welt be­geg­net der Mensch noch beim Durch­gang durch den phy­si­schen Tod die­sem «Hü­ter der Schwel­le». Und er ent­hüllt sich nach und nach im Ver­­lau­fe des Le­bens in der see­lisch-geis­ti­gen Ent­wi­cke­lung zwi­­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt. Da kann aber die Be­geg­nung den Men­schen nicht be­drü­cken, weil er da­von an­­dern Wel­ten weiß als in dem Le­ben zwi­schen Ge­burt und Tod.

Wenn der Mensch, oh­ne die Be­geg­nung mit dem «Hü­ter der Schwel­le» zu ha­ben, die geis­tig-see­li­sche Welt be­t­re­ten wür­de, so könn­te er Täu­schung nach Täu­schung ver­fal­len. Denn er könn­te nie un­ter­schei­den, was er selbst in die­se Welt hin­ein­trägt und was ihr wir­k­lich an­ge­hört. Ei­ne re­gel­­rech­te Schu­lung darf aber den Geis­tes­schü­ler nur in das Ge­­biet der Wahr­heit, nicht in das­je­ni­ge der Il­lu­si­on füh­ren.

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Ei­ne sol­che Schu­lung wird durch sich selbst so sein, daß die Be­geg­nung not­wen­dig ein­mal er­fol­gen muß. Denn sie ist die ei­ne der für die Be­o­b­ach­tung über­sinn­li­cher Wel­ten un­ent­behr­li­chen Vor­sichts­maß­r­e­geln ge­gen die Mög­lich­keit Von Täu­schung und Phan­tas­tik. Es ge­hört zu den un­er­läß­li­ch­s­ten Vor­keh­run­gen, wel­che je­der Geis­tes­schü­ler tref­fen muß, sorg­fäl­tig an sich zu ar­bei­ten, um nicht zum Phan­tas­ten zu wer­den, zu ei­nem Men­schen, der ei­ner mög­li­chen Täu­schung, Selbst­täu­schung (Sug­ges­ti­on und Selbst­sug­ges­ti­on) ver­fal­len kann. Wo die An­wei­sun­gen zur Geis­tes­schu­lung recht be­­folgt wer­den, da wer­den zu­g­leich die Qu­el­len ver­nich­tet, wel­che die Täu­schung brin­gen kön­nen. Hier kann na­tür­lich nicht aus­führ­lich von all den zahl­rei­chen Ein­zel­hei­ten ge­spro­chen wer­den, die bei sol­chen Vor­keh­run­gen in Be­tracht kom­men. Es kann nur an­ge­deu­tet wer­den, wor­auf es an­­kommt. Täu­schun­gen, wel­che hier in Be­tracht kom­men, en­t­­­sprin­gen aus zwei Qu­el­len. Sie rüh­ren zum Teil da­von her, daß man durch die ei­ge­ne see­li­sche We­sen­heit die Wir­k­li­ch­keit färbt. Im ge­wöhn­li­chen Le­ben der phy­sisch-sinn­li­chen Welt ist die­se Qu­el­le der Täu­schung von ver­hält­nis­mä­ß­ig ge­rin­ger Ge­fahr; denn hier wird sich die Au­ßen­welt im­mer scharf in ih­rer ei­ge­nen Ge­stalt der Be­o­b­ach­tung auf­drän­gen, wie sie auch der Be­o­b­ach­ter nach sei­nen Wün­schen und In­­­ter­es­sen wird fär­ben wol­len. So­bald man je­doch die ima­­gi­na­ti­ve Weit be­tritt, ve­r­än­dern sich de­ren Bil­der durch sol­che Wün­sche und In­ter­es­sen, und man hat wie ei­ne Wir­k­lich­keit vor sich, was man erst selbst ge­bil­det oder we­ni­g­s­tens mit­ge­bil­det hat. Da­durch nun, daß durch die Be­ge­g­­nung mit dem «Hü­ter der Schwel­le» der Geis­tes­schü­ler al­les ken­nen­lernt, was in ihm ist, was er al­so in die see­lisch-gei­s­ti­ge Welt hin­ein­tra­gen kann, ist die­se Qu­el­le der Täu­schung

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be­sei­tigt. Und die Vor­be­rei­tung, wel­che der Geis­tes­schü­ler vor dem Be­t­re­ten der see­lisch-geis­ti­gen Welt sich an­gedei­hen läßt, wirkt ja da­hin, daß er sich ge­wöhnt, schon bei der Be­o­bach­tung der sinn­lich-phy­si­schen Welt sich selbst aus­zu­­­schal­ten und die Din­ge und Vor­gän­ge rein durch ih­re ei­ge­ne We­sen­heit auf sich ein­sp­re­chen zu las­sen. Wer die­se Vor­­be­rei­tung ge­nü­gend durch­ge­macht hat, kann ru­hig die Be­­geg­nung mit dem «Hü­ter der Schwel­le» er­war­ten. Durch sie wird er sich end­gül­tig prü­fen, ob er sich nun wir­k­lich in der La­ge fühlt, sei­ne ei­ge­ne We­sen­heit auch dann aus­zu­schal­ten, wenn er der see­lisch-geis­ti­gen Welt ge­gen­über­steht.

Au­ßer die­ser Qu­el­le von Täu­schun­gen gibt es nun noch ei­ne an­de­re. Sie tritt dann zu­ta­ge, wenn man ei­nen Ein­druck, den man emp­fängt, un­rich­tig deu­tet. Im phy­sisch-sinn­li­chen Le­ben ist ein ein­fa­ches Bei­spiel für sol­che Täu­schung die­je­ni­ge, wel­che ent­steht, wenn man in ei­nem Ei­sen­bahn­zu­ge sitzt und glaubt, die Bäu­me be­we­gen sich in der ent­ge­gen­­ge­setz­ten Rich­tung des Zu­ges, wäh­rend man sich doch selbst mit dem Zu­ge be­wegt. Ob­wohl es zahl­rei­che Fäl­le gibt, wo sol­che Täu­schun­gen in der sinn­lich-phy­si­schen Welt schwie­­ri­ger rich­tig­zu­s­tel­len sind als in dem an­ge­führ­ten ein­fa­chen, so ist doch leicht ein­zu­se­hen, daß inn­er­halb die­ser Welt der Mensch auch die Mit­tel fin­det, sol­che Täu­schun­gen hin­we­g­zu­schaf­fen, wenn er mit ge­sun­dem Ur­teil al­les das in Be­­tracht zieht, was der ent­sp­re­chen­den Auf­klär­ung die­nen kann. An­ders steht die Sa­che al­ler­dings, so­bald man in die über­sinn­li­chen Ge­bie­te ein­dringt. In der sinn­li­chen Welt wer­den die Tat­sa­chen durch die men­sch­li­che Täu­schung nicht ge­än­dert; des­halb ist es mög­lich, durch ei­ne un­be­fan­ge­ne Be­o­b­ach­tung die Täu­schung an den Tat­sa­chen zu be­rich­­ti­gen. In der über­sinn­li­chen Welt aber ist das nicht oh­ne

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wei­te­res mög­lich. Wenn man ei­nen über­sinn­li­chen Vor­gang be­o­b­ach­ten will und mit ei­nem un­rich­ti­gen Ur­tei­le an ihn her­an­tritt, so trägt man die­ses un­rich­ti­ge Ur­teil in ihn hin­ein; und es wird die­ses mit der Tat­sa­che so ver­wo­ben, daß es von ihr nicht so­g­leich zu un­ter­schei­den ist. Der Irr­tum ist dann nicht in dem Men­schen und die rich­ti­ge Tat­sa­che au­ßer dem­sel­ben, son­dern der Irr­tum ist selbst zum Be­stand­teil der äu­ße­ren Tat­sa­che ge­macht. Er kann des­halb auch nicht ein­fach durch ei­ne un­be­fan­ge­ne Be­o­b­ach­tung der Tat­sa­che be­rich­tigt wer­den. Es ist da­mit auf das­je­ni­ge hin­ge­wie­sen, was ei­ne über­reich flie­ßen­de Qu­el­le von Täu­schung und Phan­tas­tik für den­je­ni­gen sein kann, wel­cher oh­ne die rich­­ti­ge Vor­be­rei­tung an die über­sinn­li­che Welt her­an­tritt. Wie nun der Geis­tes­schü­ler sich die Fähig­keit er­wirbt, die­je­ni­gen Täu­schun­gen aus­zu­sch­lie­ßen, wel­che durch die Fär­bung der über­sinn­li­chen Wel­t­er­schei­nun­gen mit der ei­ge­nen We­sen­heit ent­ste­hen, so muß er auch die an­de­re Ga­be er­lan­gen: die zwei­te cha­rak­te­ri­sier­te Qu­el­le der Täu­schung un­wirk­sam zu ma­chen. Er kann aus­schal­ten, was von ihm selbst kommt, wenn er erst das Bild des ei­ge­nen Dop­pel­gän­gers er­kannt hat; und er wird aus­schal­ten kön­nen, was in der an­­ge­ge­be­nen Rich­tung ei­ne zwei­te Täu­schungs­qu­el­le ist, wenn er sich die Fähig­keit er­wirbt, an der Be­schaf­fen­heit ei­ner Tat­sa­che der über­sinn­li­chen Welt zu er­ken­nen, ob sie Wir­k­­lich­keit oder Täu­schung ist. Wenn die Täu­schun­gen ge­nau so aus­se­hen wür­den wie die Wir­k­lich­kei­ten, dann wä­re ei­ne Un­ter­schei­dung nicht mög­lich. So ist es aber nicht. Täu­­schun­gen der über­sinn­li­chen Wel­ten ha­ben an sich selbst Ei­gen­schaf­ten, durch wel­che sie sich von den Wir­k­lich­kei­ten un­ter­schei­den. Und es kommt dar­auf an, daß der Geis­tes­schü­ler weiß, an wel­chen Ei­gen­schaf­ten er die Wir­k­lich­kei­ten

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er­ken­nen kann. Nichts er­scheint selbst­ver­ständ­li­cher, als daß der Nicht­ken­ner geis­ti­ger Schu­lung sagt: Wo gibt es denn über­haupt ei­ne Mög­lich­keit, sich ge­gen Täu­schung zu schüt­­zen, da die Qu­el­len für die­sel­be so zahl­reich sind? Und wenn er wei­ter sagt: Ist denn über­haupt ir­gend­ein Geis­tes­schü­ler da­vor si­cher, daß nicht al­le sei­ne ver­meint­li­chen höhe­ren Er­kennt­nis­se nur auf Täu­schung und Selbst­täu­schung (Sug­ge­s­ti­on und Au­to­sug­ges­ti­on) be­ru­hen? Wer so spricht, be­rück­­sich­tigt nicht, daß in je­der wah­ren Geis­tes­schu­lung durch die gan­ze Art, wie die­se ver­läuft, die Qu­el­len der Täu­schung ver­stopft wer­den. Ers­tens wird sich der wah­re Geis­tes­schü­ler durch sei­ne Vor­be­rei­tung ge­nü­gend vie­le Kennt­nis­se er­wer­­ben über al­les das, was Täu­schung und Selbst­täu­schung her­bei­füh­ren kann, und sich da­durch in die La­ge ver­set­zen, sich vor ih­nen zu hü­ten. Er hat in die­ser Be­zie­hung wir­k­lich wie kein an­de­rer Mensch Ge­le­gen­heit, sich nüch­t­ern und ur­teils­fähig zu ma­chen für den Gang des Le­bens. Er wird durch al­les, was er er­fährt, ver­an­laßt, nichts von un­be­stimm­ten Ah­nun­gen, Ein­ge­bun­gen usw. zu hal­ten. Die Schu­lung macht ihn so vor­sich­tig wie mög­lich. Da­zu kommt, daß je­de wah­re Schu­lung zu­nächst zu Be­grif­fen über die gro­ßen Wel­ter­ei­g­­nis­se, al­so zu Din­gen führt, wel­che ein An­span­nen der Ur­­­teils­kraft not­wen­dig ma­chen, wo­durch die­se aber zu­g­leich ver­fei­nert und ge­schärft wird. Nur wer es ab­leh­nen woll­te, in sol­che ent­le­ge­ne Ge­bie­te sich zu be­ge­ben, und sich nur an näh­er­lie­gen­de «Of­fen­ba­run­gen» hal­ten. woll­te, dem könn­te ver­lo­ren­ge­hen die Schär­fung je­ner ge­sun­den Ur­teils­kraft, wel­che ihm Si­cher­heit gibt in der Un­ter­schei­dung zwi­schen Täu­schung und Wir­k­lich­keit. Doch al­les die­ses ist noch nicht das Wich­tigs­te. Das Wich­tigs­te liegt in den Übun­gen selbst, wel­che bei ei­ner re­gel­rech­ten Geis­tes­schu­lung ver­wen­det

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wer­den. Die­se müs­sen näm­lich so ein­ge­rich­tet sein, daß das Be­wußt­sein des Geis­tes­schü­lers wäh­rend der in­ne­ren Ver­­­sen­kung ge­nau al­les über­schaut, was in der See­le vor­geht. Zu­erst wird für die Her­bei­füh­rung der Ima­gi­na­ti­on ein Sinn­bild ge­formt. In die­sem sind noch Vor­stel­lun­gen von äu­ße­ren Wahr­neh­mun­gen. Der Mensch ist nicht al­lein an ih­rem In­hal­te be­tei­ligt; er macht ihn nicht selbst. Al­so kann er sich ei­ner Täu­schung dar­über hin­ge­ben, wie er zu­stan­de kommt; er kann sei­nen Ur­sprung falsch deu­ten. Aber der Geis­tes­schü­ler ent­fernt die­sen In­halt aus sei­nem Be­wußt­sein, wenn er zu den Übun­gen für die In­spi­ra­ti­on auf­s­teigt. Da ver­senkt er sich nur noch in sei­ne ei­ge­ne See­l­en­tä­tig­keit, wel­che das Sinn­bild ge­stal­tet hat. Auch da ist noch Irr­tum mög­lich. Der Mensch hat sich durch Er­zie­hung, Ler­nen usw. die Art sei­ner See­l­en­tä­tig­keit an­ge­eig­net. Er kann nicht al­les über ih­ren Ur­sprung wis­sen. Nun aber ent­fernt der Geis­tes­schü­ler auch noch die­se ei­ge­ne See­l­en­tä­tig­keit aus dem Be­wußt­sein. Wenn nun et­was bleibt, so haf­tet an die­sem nichts, was nicht zu über­schau­en ist. In die­ses kann sich nichts ein­­mi­schen, was nicht in be­zug auf sei­nen gan­zen In­halt zu be­ur­tei­len ist. In sei­ner In­tui­ti­on hat al­so der Geis­tes­schü­ler et­was, was ihm zeigt, wie ei­ne ganz kla­re Wir­k­lich­keit der geis­tig-see­li­schen Welt be­schaf­fen ist. Wenn er nun die al­so er­kann­ten Kenn­zei­chen der geis­tig-see­li­schen Wir­k­lich­keit auf al­les an­wen­det, was an sei­ne Be­o­b­ach­tung her­an­tritt, dann kann er Schein von Wir­k­lich­keit un­ter­schei­den. Und er kann si­cher sein, daß er bei An­wen­dung die­ses Ge­set­zes vor der Täu­schung in der über­sinn­li­chen Welt eben­so be­­wahrt blei­ben wird, wie es ihm in der phy­sisch-sinn­li­chen Welt nicht ge­sche­hen kann, ein vor­ge­s­tell­tes hei­ßes Ei­sen­stück für ein sol­ches zu hal­ten, das wir­k­lich brennt. Es ist selbst­ver­­­ständ­lich,

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daß man sich so nur zu den­je­ni­gen Er­kennt­nis­sen ver­hal­ten wird, wel­che man als sei­ne ei­ge­nen Er­leb­nis­se in den über­sinn­li­chen Wel­ten an­sieht, und nicht zu de­nen, die man als Mit­tei­lun­gen von an­de­ren emp­fängt und wel­che man mit sei­nem phy­si­schen Ver­stan­de und sei­nem ge­sun­den Wahr­heits­ge­füh­le be­g­reift. Der Geis­tes­schü­ler wird sich be­­mühen, ei­ne ge­naue Grenz­schei­de zu zie­hen zwi­schen dem, was er sich auf die ei­ne, was auf die an­de­re Art er­wor­ben hat. Er wird wil­lig auf der ei­nen Sei­te die Mit­tei­lun­gen über die höhe­ren Wel­ten auf­neh­men und sie durch sei­ne Ur­teils­fähi­g­keit zu be­g­rei­fen su­chen. Wenn er aber et­was als Selbs­t­er­fah­rung, als ei­ne von ihm selbst ge­mach­te Be­o­b­ach­tung be­zeich­net, so wird er ge­prüft ha­ben, ob ihm die­se ge­nau mit den Ei­gen­schaf­ten ent­ge­gen­ge­t­re­ten ist, wel­che er an der un­trü­ge­ri­schen In­tui­ti­on wahr­neh­men ge­lernt hat.

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Wenn der Geis­tes­schü­ler die Be­geg­nung mit dem ge­ken­n­zeich­ne­ten «Hü­ter der Schwel­le» hin­ter sich hat, dann ste­hen ihm beim Auf­s­tieg in über­sinn­li­che Wel­ten wei­te­re Er­le­b­­nis­se be­vor. Zu­nächst wird er be­mer­ken, daß ei­ne in­ne­re Ver­­wandt­schaft be­steht zwi­schen die­sem «Hü­ter der Schwel­le» und je­ner See­len­kraft, die sich in der oben ge­ge­be­nen Schil­­de­rung als die sie­ben­te er­ge­ben und wie zu ei­ner selb­stän­­di­gen We­sen­heit ge­stal­tet hat. Ja, die­se sie­ben­te We­sen­heit ist in ge­wis­ser Be­zie­hung nichts an­de­res als der Dop­pel­­gän­ger, der «Hü­ter der Schwel­le» selbst. Und sie stellt dem Geis­tes­schü­ler ei­ne be­son­de­re Auf­ga­be. Er hat das, was er in sei­nem ge­wöhn­li­chen Selbst ist und was ihm im Bil­de er­scheint, durch das neu­ge­bo­re­ne Selbst zu lei­ten und zu füh­ren. Es wird sich ei­ne Art von Kampf er­ge­ben ge­gen den Dop­pel­gän­ger. Der­sel­be wird fort­wäh­rend die Über­hand

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an­st­re­ben. Sich in das rech­te Ver­hält­nis zu ihm set­zen, ihn nichts tun las­sen, was nicht un­ter dem Ein­flus­se des neu­­ge­bo­re­nen «Ich» ge­schieht, das stärkt und fes­tigt aber auch des Men­schen Kräf­te. Nun ist es in der höhe­ren Welt mit der Selbs­t­er­kennt­nis nach ei­ner ge­wis­sen Rich­tung hin an­­ders als in der phy­sisch-sinn­li­chen Welt. Wäh­rend in der letz­te­ren die Selbs­t­er­kennt­nis nur als in­ne­res Er­leb­nis auf­­­tritt, stellt sich das neu­ge­bo­re­ne Selbst so­g­leich als see­lisch-äu­ße­re Er­schei­nung dar. Man sieht sein neu­ge­bo­re­nes Selbst wie ein an­de­res We­sen vor sich. Aber man kann es nicht ganz wahr­neh­men. Denn wel­che Stu­fe man auch er­s­tie­gen ha­ben mag auf dem We­ge in die über­sinn­li­chen Wel­ten hin­auf: es gibt im­mer noch höhe­re Stu­fen. Auf sol­chen wird man im­mer noch mehr wahr­neh­men von sei­nem «höhe­ren Selbst». Es kann al­so die­ses dem Geis­tes­schü­ler auf ir­gen­d­ei­ner Stu­fe nur teil­wei­se sich ent­hül­len. Nun ist aber die Ver­su­chung un­ge­heu­er groß, wel­che den Men­schen be­fällt, wenn er zu­erst ir­gend et­was von sei­nem «höhe­ren Selbst» ge­wahr wird, die­ses «höhe­re Selbst» gleich­sam von dem Stand­punk­te aus zu be­trach­ten, wel­chen man in der phy­­sisch-sinn­li­chen Welt ge­won­nen hat. Die­se Ver­su­chung ist so­gar gut, und sie muß ein­t­re­ten, wenn die Ent­wi­cke­lung rich­tig vor sich ge­hen soll. Man muß das be­trach­ten, was als der Dop­pel­gän­ger, der «Hü­ter der Schwel­le», auf­tritt, und es vor das «höhe­re Selbst» stel­len, da­mit man den Ab­stand be­mer­ken kann zwi­schen dem, was man ist, und dem, was man wer­den soll. Bei die­ser Be­trach­tung be­ginnt der «Hü­ter der Schwel­le» aber ei­ne ganz an­de­re Ge­stalt an­zu­neh­men. Er stellt sich dar als ein Bild al­ler der Hin­der­nis­se, wel­che sich der Ent­wi­cke­lung des «höhe­ren Selbst» ent­ge­gen­s­tel­len. Man wird wahr­neh­men, wel­che Last man an dem ge­wöhn­li­chen

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Selbst sch­leppt. Und ist man dann durch sei­ne Vor­­be­rei­tun­gen nicht stark ge­nug, sich zu sa­gen: Ich wer­de hier nicht ste­hen­b­lei­ben, son­dern un­abläs­sig mich zu dem «höh­e­­ren Selbst» hin­au­f­ent­wi­ckeln, so wird man er­lah­men und zu­rück­sch­re­cken vor dem, was be­vor­steht. Man ist dann in die see­lisch-geis­ti­ge Welt hin­ein­ge­taucht, gibt es aber auf, sich wei­ter­zu­ar­bei­ten. Man wird ein Ge­fan­ge­ner der Ge­stalt, die jetzt durch den «Hü­ter der Schwel­le» vor der See­le steht. Das Be­deut­sa­me ist, daß man bei die­sem Er­leb­nis nicht die Emp­fin­dung hat, ein Ge­fan­ge­ner zu sein. Man wird viel­­mehr et­was ganz an­de­res zu er­le­ben glau­ben. Die Ge­stalt, wel­che der «Hü­ter der Schwel­le» her­vor­ruft, kann so sein, daß sie in der See­le des Be­o­b­ach­ters den Ein­druck her­vor­­bringt, die­ser ha­be nun in den Bil­dern, wel­che auf die­ser Ent­wi­cke­lungs­stu­fe auf­t­re­ten, schon den gan­zen Um­fang al­ler nur mög­li­chen Wel­ten vor sich; man sei auf dem Gip­fel der Er­kennt­nis an­ge­kom­men und brau­che nicht wei­ter zu st­re­ben. Statt als Ge­fan­ge­ner wird man sich so als der un­er­meß­lich rei­che Be­sit­zer al­ler Wel­ten­ge­heim­nis­se füh­len kön­nen. Dar­über, daß man ein sol­ches Er­leb­nis ha­ben kann, wel­ches das Ge­gen­teil des wah­ren Tat­be­stan­des dar­s­tellt, wird sich der­je­ni­ge nicht ver­wun­dern, wel­cher be­denkt, daß man ja dann, wenn man dies er­lebt, be­reits in der see­lisch-geis­ti­gen Welt steht, und daß es Ei­gen­tüm­lich­keit die­ser Welt ist, daß in ihr sich die Er­eig­nis­se um­ge­kehrt dar­s­tel­len kön­nen. In die­sem Bu­che ist auf die­se Tat­sa­che bei der Be­­trach­tung des Le­bens nach dem To­de hin­ge­wie­sen wor­den.

Die Ge­stalt, wel­che man auf die­ser Stu­fe der Ent­wi­cke­­lung wahr­nimmt, zeigt dem Geis­tes­schü­ler noch et­was an­­de­res als die­je­ni­ge, in der sich ihm zu­erst der «Hü­ter der Schwel­le» dar­ge­s­tellt hat. In die­sem Dop­pel­gän­ger wa­ren

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wahr­zu­neh­men al­le die­je­ni­gen Ei­gen­schaf­ten, wel­che das ge­wöhn­li­che Selbst des Men­schen hat in­fol­ge des Ein­flus­ses der Kräf­te des Lu­zi­fer. Nun ist aber im Lau­fe der men­sch­­li­chen Ent­wi­cke­lung durch den Ein­fluß Lu­zi­fers ei­ne an­de­re Macht in die Men­schen­see­le ein­ge­zo­gen. Es ist die­je­ni­ge, wel­che als die Kraft Ah­ri­mans in frühe­ren Ab­schnit­ten die­­ses Bu­ches be­zeich­net ist. Es ist dies die Kraft, wel­che den Men­schen im phy­sisch-sinn­li­chen Da­sein ver­hin­dert, die hin­­ter der Ober­fläche des Sinn­li­chen lie­gen­den geis­tig-see­li­schen We­sen­hei­ten der Au­ßen­welt wahr­zu­neh­men. Was un­ter dem Ein­flus­se die­ser Kraft aus der Men­schen­see­le ge­wor­den ist, das zeigt im Bil­de die Ge­stalt, wel­che bei dem cha­rak­te­ri­­sier­ten Er­leb­nis­se auf­tritt. Wer ent­sp­re­chend vor­be­rei­tet an die­ses Er­leb­nis her­an­tritt, der wird ihm sei­ne wah­re Deu­tung ge­ben; und dann wird sich bald ei­ne an­de­re Ge­stalt zei­gen, die­je­ni­ge, wel­che man den «gro­ßen Hü­ter der Schwel­le» im Ge­gen­satz zu dem ge­kenn­zeich­ne­ten «klei­nen Hü­ter» nen­nen kann. Die­ser teilt dem Geis­tes­schü­ler mit, daß er nicht ste­hen­zu­b­lei­ben hat auf die­ser Stu­fe, son­dern en­er­gisch wei­ter­zu­ar­bei­ten. Er ruft in dem Be­o­b­ach­ter das Be­wußt­sein her­vor, daß die Welt, die er­obert ist, nur ei­ne Wahr­heit wird und sich in kei­ne Il­lu­si­on ver­wan­delt, wenn die Ar­beit in ent­sp­re­chen­der Art fort­ge­setzt wird. Wer aber durch ei­ne un­rich­ti­ge Geis­tes­schu­lung un­vor­be­rei­tet an die­ses Er­leb­nis her­an­t­re­ten wür­de, dem wür­de sich dann, wenn er an den «gro­ßen Hü­ter der Schwel­le» kommt, et­was in die See­le gie­ßen, was nur mit dem «Ge­füh­le ei­nes un­er­­meß­li­chen Sch­re­ckens», ei­ner «gren­zen­lo­sen Furcht» ver­­g­li­chen wer­den kann.

Wie die Be­geg­nung mit dem «klei­nen Hü­ter der Schwel­le» dem Geis­tes­schü­ler die Mög­lich­keit gibt, sich zu prü­fen, ob

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er ge­gen Täu­schun­gen ge­schützt ist, wel­che durch Hin­ein­­tra­gen sei­ner We­sen­heit in die über­sinn­li­che Welt ent­ste­hen kön­nen, so kann er sich an den Er­leb­nis­sen, die zu­letzt zu dem «gro­ßen Hü­ter der Schwel­le» füh­ren, prü­fen, ob er je­nen Täu­schun­gen ge­wach­sen ist, wel­che oben auf die zwei­te ge­kenn­zeich­ne­te Qu­el­le zu­rück­ge­führt wur­den. Ver­mag er je­ner ge­wal­ti­gen Il­lu­si­on Wi­der­stand zu bie­ten, wel­che ihm die er­run­ge­ne Bil­der­welt als ei­nen rei­chen Be­sitz vor­gau­kelt, wäh­rend er doch nur ein Ge­fan­ge­ner ist, so ist er im wei­te­­ren Ver­lauf sei­ner Ent­wi­cke­lung auch da­vor be­wahrt, Schein für Wir­k­lich­keit zu neh­men.

Der «Hü­ter der Schwel­le» wird für je­den ein­zel­nen Men­­schen ei­ne in­di­vi­du­el­le Ge­stalt bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de an­neh­men. Die Be­geg­nung mit ihm ent­spricht ja ge­ra­de dem­je­ni­gen Er­leb­nis, durch wel­ches der per­sön­li­che Cha­rak­­ter der über­sinn­li­chen Be­o­b­ach­tun­gen über­wun­den und die Mög­lich­keit ge­ge­ben wird, in ei­ne Re­gi­on des Er­le­bens ein­zu­t­re­ten, die von per­sön­li­cher Fär­bung frei und für je­de Men­schen­we­sen­heit gül­tig ist.

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Wenn der Geis­tes­schü­ler die be­schrie­be­nen Er­leb­nis­se ge­habt hat, dann ist er fähig, in der see­lisch-geis­ti­gen Um­welt das­je­ni­ge, was er selbst ist, von dem, was au­ßer ihm ist, zu un­ter­schei­den. Er wird dann er­ken­nen, wie das Ver­ständ­nis des in die­sem Bu­che ge­schil­der­ten Welt­pro­zes­ses not­wen­dig ist, um den Men­schen und des­sen Le­ben selbst zu ver­ste­hen. Man ver­steht ja den phy­si­schen Leib nur, wenn man er­kennt, wie er sich auf­ge­baut hat durch die Sa­turn-, Son­nen-, Mon­den- und Er­den­ent­wi­cke­lung. Man ver­steht den Äther­­leib; wenn man sei­ne Bil­dung durch Son­nen-, Mon­den- und Er­den­ent­wi­cke­lung ver­folgt usw. Man ver­steht aber auch

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das­je­ni­ge, was ge­gen­wär­tig mit der Er­den­ent­wi­cke­lung zu­­­sam­men­hängt, wenn man er­kennt, wie sich al­les nach und nach ent­fal­tet hat. Man wird durch die Geis­tes­schu­lung in den Stand ge­setzt, das Ver­hält­nis von al­lem, was am Men­­schen ist, zu ent­sp­re­chen­den Tat­sa­chen und We­sen­hei­ten der au­ßer dem Men­schen be­find­li­chen Welt zu er­ken­nen. Denn so ist es: je­des Glied am Men­schen steht in ei­nem Ver­­hält­nis zu der gan­zen üb­ri­gen Welt. In die­sem Bu­che kon­n­­ten dar­über ja nur die An­deu­tun­gen im skiz­zen­haf­ten Um­riß ge­macht wer­den. Man muß aber be­den­ken, daß zum Bei­spiel der phy­si­sche Men­schen­leib wäh­rend der Sa­turn­ent­wi­cke­­lung nur in der ers­ten An­la­ge vor­han­den war. Sei­ne Or­ga­ne: das Herz, die Lun­ge, das Ge­hirn ha­ben sich spä­ter, wäh­rend der Son­nen-, Mon­den- und Er­den­zeit, aus den ers­ten An­la­gen her­aus­ge­bil­det. So al­so ste­hen Herz, Lun­ge, usw. in Be­zie­hun­gen zu Son­nen-, Mon­den­ent­wi­cke­lung, Er­de­n­en­t­wi­cke­lung. Ganz ent­sp­re­chend ist es mit den Glie­dern des Äther­lei­bes, des Emp­fin­dungs­lei­bes, der Emp­fin­dungs­see­le usw. Es ist der Mensch aus der gan­zen, ihm zu­nächst lie­gen­­den Welt her­aus­ge­stal­tet; und je­de Ein­zel­heit, die an ihm ist, ent­spricht ei­nem Vor­gan­ge, ei­nem We­sen der Au­ßen­welt. Der Geis­tes­schü­ler kommt auf der ent­sp­re­chen­den Stu­fe sei­ner Ent­wi­cke­lung da­zu, die­ses Ver­hält­nis sei­nes ei­ge­nen We­sens zur gro­ßen Welt zu er­ken­nen. Und man kann die­se Er­kennt­nis­stu­fe das Ge­wahr­wer­den nen­nen des Ent­sp­re­chens der «klei­nen Welt», des Mi­kro­kos­mos, das ist des Men­schen selbst, und der «gro­ßen Welt», des Ma­kro­kos­mos. Wenn der Geis­tes­schü­ler bis zu sol­cher Er­kennt­nis sich durch­ge­run­gen hat, dann kann für ihn ein neu­es Er­leb­nis ein­t­re­ten. Er fängt an, sich wie mit dem gan­zen Wel­ten­bau ver­wach­sen zu füh­len, trotz­dem er sich in sei­ner vol­len Selb­stän­dig­keit

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emp­fin­det. Es ist die­se Emp­fin­dung ein Auf­­­ge­hen in die gan­ze Welt, ein Eins­wer­den mit der­sel­ben, aber oh­ne die ei­ge­ne We­sen­heit zu ver­lie­ren. Man kann die­se Ent­wi­cke­lungs­stu­fe als «Eins­wer­den mit dem Ma­kro­kos­­mos» be­zeich­nen. Es ist be­deut­sam, daß man die­ses Eins­wer­den nicht so zu den­ken hat, als wenn durch das­sel­be das Son­der­be­wußt­sein auf­hö­ren und die men­sch­li­che We­sen­heit in das All aus­f­lie­ßen wür­de. Es wä­re ein sol­cher Ge­dan­ke nur der Aus­druck ei­ner aus un­ge­schul­ter Ur­teils­kraft flie­ßen­­den Mei­nung. Die ein­zel­nen Stu­fen der höhe­ren Er­kenn­t­­nis im Sin­ne je­nes Ein­wei­hungs­vor­gan­ges, der hier be­schrie­­ben wor­den ist, kön­nen nun in der fol­gen­den Art be­zeich­net wer­den:

1. Das Stu­di­um der Geis­tes­wis­sen­schaft, wo­bei man sich zu­nächst der Ur­teils­kraft be­di­ent, wel­che man in der phy­sisch-sinn­li­chen Welt ge­won­nen hat.

2. Die Er­wer­bung der ima­gi­na­ti­ven Er­kennt­nis.

3. Das Le­sen der ver­bor­ge­nen Schrift (ent­sp­re­chend der In­spi­ra­ti­on).

4. Das Sich­ein­le­ben in die geis­ti­ge Um­ge­bung (ent­sp­re­chend der In­tui­ti­on).

5. Die Er­kennt­nis der Ver­hält­nis­se von Mi­kro­kos­mos und Ma­kro­kos­mos.

6. Das Eins­wer­den mit dem Ma­kro­kos­mos.

7. Das Ge­sam­t­er­le­ben der vor­he­ri­gen Er­fah­run­gen als ei­ne Grund-See­len­stim­mung.

Die­se Stu­fen brau­chen aber nicht et­wa so ge­dacht zu wer­­den, daß sie nach­ein­an­der durch­ge­macht wer­den. Die Schu­­lung kann viel­mehr so ver­lau­fen, daß je nach der In­di­vi­­dua­li­tät des Geis­tes­schü­lers ei­ne vor­her­ge­hen­de Stu­fe nur bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de durch­schrit­ten ist, wenn er be­ginnt,

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Übun­gen zu ma­chen, wel­che der fol­gen­den Stu­fe en­t­­­sp­re­chen. Es kann zum Bei­spiel ganz gut sein, daß man erst ei­ni­ge Ima­gi­na­tio­nen in si­che­rer Art ge­won­nen hat und doch schon Übun­gen macht, wel­che die In­spi­ra­ti­on, die In­­­tui­ti­on oder die Er­kennt­nis vom Zu­sam­men­han­ge des Mi­kro­­kos­mos und Ma­kro­kos­mos in den Be­reich des ei­ge­nen Er­le­bens zie­hen.

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Wenn der Geis­tes­schü­ler sich ein Er­leb­nis von der In­tui­­ti­on ver­schafft hat, so kennt er nicht nur die Bil­der der see­lisch-geis­ti­gen Welt, er kann nicht nur ih­re Be­zie­hun­gen in der «ver­bor­ge­nen Schrift» le­sen: er kommt zu der Er­kennt­nis der We­sen selbst, durch de­ren Zu­sam­men­wir­ken die Welt zu­stan­de kommt, wel­cher der Mensch an­ge­hört. Und er lernt da­durch sich selbst in der­je­ni­gen Ge­stalt ken­­nen, die er als geis­ti­ges We­sen in der see­lisch-geis­ti­gen Welt hat. Er hat sich zu ei­ner Wahr­neh­mung sei­nes höhe­ren Ich durch­ge­run­gen, und er hat be­merkt, wie er wei­ter zu ar­bei­ten hat, um sei­nen Dop­pel­gän­ger, den «Hü­ter der Schwel­le», zu be­herr­schen. Er hat aber auch die Be­geg­nung ge­habt mit dem «gro­ßen Hü­ter der Schwel­le», der vor ihm steht wie ein ste­ti­ger Auf­for­de­rer, wei­ter­zu­ar­bei­ten. Die­ser «gro­ße Hü­ter der Schwel­le» wird nun sein Vor­bild, dem er nach­st­re­ben will. Wenn die­se Emp­fin­dung in dem Geis­tes­schü­ler auf­tritt, dann hat er die Mög­lich­keit er­langt zu er­ken­nen, wer da ei­gent­lich als der «gro­ße Hü­ter der Schwel­le» vor ihm steht. Es ver­wan­delt sich näm­lich nun­mehr die­ser Hü­ter in der Wahr­neh­mung des Geis­tes­schü­lers in die Chris­tus­ge­stalt, de­ren We­sen­heit und Ein­g­rei­fen in die Er­den­ent­wi­cke­lung aus den vor­her­ge­hen­den Ka­pi­teln die­ses Bu­ches er­sicht­lich ist. Der Geis­tes­schü­ler wird da­durch in das er­ha­be­ne

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Ge­heim­nis selbst ein­ge­weiht, das mit dem Chris­tus-­Na­men ver­knüpft ist. Der Chris­tus zeigt sich ihm als das «gro­ße men­sch­li­che Er­den­vor­bild». Ist auf sol­che Art durch In­tui­ti­on der Chris­tus in der geis­ti­gen Welt er­kannt, dann wird auch ver­ständ­lich, was sich auf der Er­de ge­­schicht­lich ab­ge­spielt hat in der vier­ten nachat­lan­ti­schen Ent­wi­cke­lungs­pe­rio­de der Er­de (in der grie­chisch-latei­ni­­schen Zeit). Wie zu die­ser Zeit das ho­he Son­nen­we­sen, das Chris­tus-We­sen, in die Er­den­ent­wi­cke­lung ein­ge­grif­fen hat, und wie es nun wei­ter wirkt inn­er­halb die­ser Er­den­ent­wic­ke­lung, das wird für den Geis­tes­schü­ler ei­ne selbs­t­er­leb­te Er­kennt­nis. Es ist al­so ein Auf­schluß über den Sinn und die Be­deu­tung der Er­den­ent­wi­cke­lung, wel­chen der Geis­tes­schü­ler er­hält durch die In­tui­ti­on.

Der hier­mit ge­schil­der­te Weg zur Er­kennt­nis der über­­sinn­li­chen Wel­ten ist ein sol­cher, wel­chen ein je­der Mensch ge­hen kann, in wel­cher La­ge er sich auch inn­er­halb der ge­­gen­wär­ti­gen Le­bens­be­din­gun­gen be­fin­det. Wenn von ei­nem sol­chen We­ge die Re­de ist, so muß man be­den­ken, daß das Ziel der Er­kennt­nis und Wahr­heit zu al­len Zei­ten der Er­den­­ent­wi­cke­lung das­sel­be ist, daß aber die Aus­gangs­punk­te des Men­schen zu ver­schie­de­nen Zei­ten ver­schie­de­ne wa­ren. Der Mensch kann ge­gen­wär­tig nicht von dem­sel­ben Aus­gangs­­­punk­te aus­ge­hen, wenn er den Weg in die über­sinn­li­chen Ge­bie­te be­t­re­ten will, wie zum Bei­spiel der al­te ägyp­ti­sche Ein­zu­wei­hen­de. Da­her las­sen sich die Übun­gen, wel­che dem Geis­tes­schü­ler im al­ten Ägyp­ten au­f­er­legt wur­den, nicht oh­ne wei­te­res von dem ge­gen­wär­ti­gen Men­schen aus­füh­ren. Seit je­ner Zeit sind die men­sch­li­chen See­len durch ver­schie­de­ne Ver­kör­pe­run­gen hin­durch­ge­gan­gen; und die­ses Wei­ter­­sch­rei­ten von Ver­kör­pe­rung zu Ver­kör­pe­rung ist nicht oh­ne

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Sinn und Be­deu­tung. Die Fähig­kei­ten und Ei­gen­schaf­ten der See­len än­dern sich von Ver­kör­pe­rung zu Ver­kör­pe­rung. Wer das men­sch­li­che, ge­schicht­li­che Le­ben auch nur ober­­fläch­lich be­trach­tet, kann be­mer­ken, daß seit dem zwölf­ten und drei­zehn­ten Jahr­hun­dert nach Chris­tus sich ge­gen früh­er al­le Le­bens­be­din­gun­gen ge­än­dert ha­ben, daß Mei­nun­gen, Ge­füh­le, aber auch Fähig­kei­ten der Men­schen an­ders ge­wor­den sind, als sie vor­her wa­ren. Der hier be­schrie­be­ne Weg zur höhe­ren Er­kennt­nis ist nun ein sol­cher, wel­cher für See­len taug­lich ist, wel­che in der un­mit­tel­ba­ren Ge­gen­wart sich ver­kör­pern. Er ist so, daß er den Aus­gangs­punkt der geis­ti­gen Ent­wi­cke­lung da an­setzt, wo der Mensch in der Ge­gen­wart steht, wenn er in ir­gend­wel­chen durch die­se Ge­gen­wart ihm ge­ge­be­nen Le­bens­ver­hält­nis­sen sich be­fin­­det. Die fort­sch­rei­ten­de Ent­wi­cke­lung führt die Men­sch­heit in be­zug auf die We­ge zu höhe­rer Er­kennt­nis eben­so von Zeit­ab­schnitt zu Zeit­ab­schnitt zu im­mer an­de­ren For­­men, wie auch das äu­ße­re Le­ben sei­ne Ge­stal­tun­gen än­dert. Und es muß ja auch je­der­zeit ein voll­kom­me­ner Ein­klang herr­schen zwi­schen dem äu­ße­ren Le­ben und der Ein­wei­hung.

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GEGENWART UND ZUKUNFT DER WELT- UND MENSCHHEITS-ENTWICKELUNG

Im Sin­ne der Geis­tes­wis­sen­schaft von Ge­gen­wart und Zu­­kunft der Men­schen- und Welt­ent­wi­cke­lung et­was zu er­ken­nen, ist nicht mög­lich, oh­ne die Ver­gan­gen­heit die­ser Ent­wi­cke­lung zu ver­ste­hen. Denn, was sich der Wahr­neh­­mung des Geis­tes­for­schers dar­bie­tet, wenn er die ver­bor­­ge­nen Tat­sa­chen der Ver­gan­gen­heit be­o­b­ach­tet, das ent­hält zu­g­leich al­les das­je­ni­ge, was er von Ge­gen­wart und Zu­kunft wis­sen kann. Es ist in die­sem Bu­che von Sa­turn-, Son­nen-, Mon­den- und Er­den­ent­wi­cke­lung ge­spro­chen wor­den. Man kann im geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Sin­ne die Er­den­ent­wi­cke­­lung nicht ver­ste­hen, wenn man nicht die Tat­sa­chen der vor­her­ge­hen­den Ent­wi­cke­lungs­zei­ten be­o­b­ach­tet. Denn, was dem Men­schen ge­gen­wär­tig inn­er­halb der Er­den­welt ent­ge­gen­tritt, da­rin ste­cken in ge­wis­ser Be­zie­hung die Ta­t­­sa­chen der Mon­den-, Son­nen- und Sa­turn­ent­wi­cke­lung. Die We­sen und Din­ge, wel­che an der Mon­den­ent­wi­cke­lung be­tei­ligt wa­ren, ha­ben sich wei­ter fort­ge­bil­det. Aus ih­nen ist al­les das­je­ni­ge ge­wor­den, was ge­gen­wär­tig zur Er­de ge­hört. Aber es ist für das phy­sisch-sinn­li­che Be­wußt­sein nicht al­les wahr­nehm­bar, was sich vom Mon­de her­über zur Er­de ent­wi­ckelt hat. Ein Teil des­sen, was sich von die­sem Mon­de her­über ent­wi­ckelt hat, wird erst auf ei­ner ge­wis­sen Stu­fe des über­sinn­li­chen Be­wußt­seins of­fen­bar. Wenn die­se Er­kennt­nis er­langt ist, dann ist für die­sel­be un­se­re Er­den­welt ver­bun­den mit ei­ner über­sinn­li­chen Welt. Die­se ent­hält den Teil des Mon­den­da­seins, wel­cher sich nicht bis zur phy­sisch-sinn­li­chen Wahr­neh­mung ver­dich­tet hat. Sie ent­hält ihn zu­nächst so, wie er ge­gen­wär­tig ist, nicht

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wie er zur Zeit der ural­ten Mon­den­ent­wi­cke­lung war. Das über­sinn­li­che Be­wußt­sein kann aber ein Bild von dem da­­ma­li­gen Zu­stan­de er­hal­ten. Wenn näm­lich die­ses über­­sinn­li­che Be­wußt­sein sich in die Wahr­neh­mung ver­tieft, wel­che es ge­gen­wär­tig ha­ben kann, so zeigt sich, daß die­se durch sich selbst sich in zwei Bil­der all­mäh­lich zer­legt. Das ei­ne Bild stellt sich dar als die­je­ni­ge Ge­stalt, wel­che die Er­de ge­habt hat wäh­rend ih­rer Mon­den­ent­wi­cke­lung. Das an­­de­re Bild aber zeigt sich so, daß man da­ran er­kennt: die­ses ent­hält ei­ne Ge­stalt, wel­che noch im Keim­zu­stan­de ist und wel­che erst in der Zu­kunft in dem Sin­ne wir­k­lich wer­den wird, wie die Er­de jetzt wir­k­lich ist. Bei wei­te­rer Be­o­b­ach­­tung zeigt sich, daß in die­se Zu­kunfts­form fort­wäh­rend das­je­ni­ge ein­strömt, was sich in ei­nem ge­wis­sen Sin­ne als Wir­kung des­sen er­gibt, was auf der Er­de ge­schieht. In die­­ser Zu­kunfts­form hat man des­halb das­je­ni­ge vor sich, was aus un­se­rer Er­de wer­den soll. Die Wir­kun­gen des Er­den­da­seins wer­den sich mit dem, was in der cha­rak­te­ri­sier­ten Welt ge­schieht, ve­r­ei­ni­gen, und dar­aus wird das neue Wel­­ten­we­sen ent­ste­hen, in wel­ches sich die Er­de so ver­wan­deln wird, wie sich der Mond in die Er­de ver­wan­delt hat. Man kann die­se Zu­kunfts­ge­stalt den Ju­pi­ter­zu­stand nen­nen. Wer die­sen Ju­pi­ter­zu­stand in über­sinn­li­cher An­schau­ung be­o­b­­ach­tet, für den zeigt sich, daß in der Zu­kunft ge­wis­se Vor­­­gän­ge statt­fin­den müs­sen, weil in dem über­sinn­li­chen Teil der Er­den­welt, wel­cher vom Mon­de her­rührt, We­sen und Din­ge vor­han­den sind, wel­che be­stimm­te For­men an­neh­men wer­den, wenn sich inn­er­halb der phy­sisch-sinn­li­chen Er­de die­ses oder je­nes er­eig­net ha­ben wird. In dem Ju­pi­ter­zu­stand wird des­halb et­was sein, was durch die Mon­den­­ent­wi­cke­lung schon vor­be­stimmt ist; und es wird in ihm

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Neu­es sein, was erst durch die Er­den­vor­gän­ge in die gan­ze Ent­wi­cke­lung hin­ein­kommt. Des­we­gen kann das über­sin­n­­li­che Be­wußt­sein et­was er­fah­ren dar­über, was wäh­rend des Ju­pi­ter­zu­stan­des ge­sche­hen wird. Den We­sen­hei­ten und Ta­t­­sa­chen, wel­che in die­sem Be­wußt­s­eins­fel­de be­o­b­ach­tet wer­­den, ist der Cha­rak­ter des Sinn­lich-Bild­haf­ten nicht ei­gen; selbst als fei­ne, luf­ti­ge Ge­bil­de, von de­nen Wir­kun­gen aus­­­ge­hen könn­ten, die an Ein­drü­cke der Sin­ne er­in­nern, tre­ten sie nicht auf. Man hat von ih­nen rei­ne geis­ti­ge Ton­ein­drü­cke, Licht­ein­drü­cke, Wär­me­ein­drü­cke. Die­se drü­cken sich nicht durch ir­gend­wel­che ma­te­ri­el­le Ver­kör­pe­run­gen aus. Sie kön­­nen nur durch das über­sinn­li­che Be­wußt­sein er­faßt wer­den. Man kann aber doch sa­gen, daß die­se We­sen­hei­ten ei­nen «Leib» ha­ben. Doch zeigt sich die­ser inn­er­halb ih­res See­­li­schen, das sich als ihr ge­gen­wär­ti­ges We­sen of­fen­bart, wie ei­ne Sum­me ver­dich­te­ter Er­in­ne­run­gen, die sie inn­er­halb ih­res see­li­schen We­sens in sich tra­gen. Man kann un­ter­schei­­den in ih­rem We­sen zwi­schen dem, was sie jetzt er­le­ben, und dem, was sie er­lebt ha­ben, und woran sie sich er­in­nern. Dies letz­te­re ist in ih­nen wie ein Leib­li­ches ent­hal­ten. Sie er­le­ben es, wie der Er­den­mensch sei­nen Leib er­lebt. Für ei­ne Stu­fe der über­sinn­li­chen Schau­ung, wel­che höh­er ist als die so­e­ben für die Mond- und Ju­pi­ter­er­kennt­nis als not­wen­dig be­zeich­ne­te, wer­den über­sinn­li­che We­sen und Din­ge wahr­­nehm­bar, wel­che wei­ter ent­wi­ckel­te Ge­stal­ten des­sen sind, was schon wäh­rend des Son­nen­zu­stan­des vor­han­den war, aber ge­gen­wär­tig so ho­he Da­s­eins­stu­fen hat, daß die­se für ein Be­wußt­sein gar nicht vor­han­den sind, wel­ches es nur bis zum Wahr­neh­men der Mon­den­for­men ge­bracht hat. Auch das Bild die­ser Welt spal­tet sich bei in­ne­rer Ver­sen­kung wie­­der in zwei. Das ei­ne führt zur Er­kennt­nis des Son­nen­zu­stan­des

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der Ver­gan­gen­heit; das an­de­re stellt ei­ne Zu­kunfts­­­form der Er­de dar, näm­lich die­je­ni­ge, in wel­che sich die Er­de ver­wan­delt ha­ben wird, wenn in die Ge­stal­ten je­ner Welt die Wir­kun­gen der Er­den- und Ju­pi­ter­vor­gän­ge ein­ge­f­los­sen sein wer­den. Was man auf die­se Art von die­ser Zu­kunfts­welt be­o­b­ach­tet, kann im Sin­ne der Geis­tes­wis­sen­­schaft als Ve­nus­zu­stand be­zeich­net wer­den. Auf ähn­li­che Wei­se er­gibt sich für ein noch wei­ter ent­wi­ckel­tes über­sin­n­­li­ches Be­wußt­sein ein künf­ti­ger Zu­stand der Ent­wi­cke­lung, wel­cher als Vul­k­an­zu­stand be­zeich­net wer­den kann und der mit dem Sa­turn­zu­stand in ei­nem glei­chen Ver­hält­nis­se steht, wie der Ve­nus­zu­stand mit dem Son­nen-, und der Ju­pi­ter­zu­stand mit der Mon­den­ent­wi­cke­lung. Man kann des­halb, wenn man Ver­gan­gen­heit, Ge­gen­wart und Zu­kunft der Er­den­ent­wi­cke­lung in Be­tracht zieht, von Sa­turn-, Son­nen-, Mon­den-, Er­den-, Ju­pi­ter-, Ve­nus- und Vul­kan­ent­wi­cke­­lung sp­re­chen. Wie die­se um­fas­sen­den Ver­hält­nis­se der Er­den­ent­wi­cke­lung, so er­ge­ben sich für das Be­wußt­sein auch Be­o­b­ach­tun­gen über ei­ne nähe­re Zu­kunft. Es ent­spricht je­dem Bil­de der Ver­gan­gen­heit auch ein sol­ches der Zu­kunft. Doch muß, wenn von sol­chen Din­gen ge­spro­chen wird, et­was be­­tont wer­den, des­sen Be­rück­sich­ti­gung so not­wen­dig wie nur ir­gend mög­lich an­ge­se­hen wer­den muß. Man muß sich, wenn man der­g­lei­chen er­ken­nen will, voll­kom­men der Mei­nung ent­schla­gen, daß das blo­ße an der sin­nen­fäl­li­gen Wir­k­li­ch­keit her­an­ge­zo­ge­ne phi­lo­so­phi­sche Nach­den­ken dar­über ir­gend et­was er­grün­den kann. Er­forscht kön­nen und sol­len die­se Din­ge nie­mals durch sol­ches Nach­den­ken wer­den. Wer et­wa glau­ben wür­de, wenn er durch die Geis­tes­wis­sen­schaft Mit­tei­lung dar­über er­hal­ten hat, wie der Mon­den­zu­stand war: er kön­ne nun durch sol­ches Nach­den­ken her­aus­brin­­gen,

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wie es auf dem Ju­pi­ter aus­se­hen wer­de, wenn er die Er­den­ver­hält­nis­se und die Mon­den­ver­hält­nis­se zu­sam­men­hält, der wird sich ge­wal­ti­gen Täu­schun­gen hin­ge­ben. Er­forscht sol­len die­se Ver­hält­nis­se nur wer­den, in­dem sich das über­sinn­li­che Be­wußt­sein zur Be­o­b­ach­tung er­hebt. Erst wenn das Er­forsch­te mit­ge­teilt wird, kann es auch oh­ne über­sinn­li­ches Be­wußt­sein ver­stan­den wer­den.

Ge­gen­über den Mit­tei­lun­gen über die Zu­kunft ist der Geis­tes­for­scher nun in ei­ner an­de­ren La­ge als ge­gen­über de­nen, wel­che die Ver­gan­gen­heit be­tref­fen. Der Mensch kann zu­nächst gar nicht den zu­künf­ti­gen Er­eig­nis­sen so un­be­fan­gen ge­gen­über­ste­hen, wie ihm dies be­züg­lich der Ver­­­gan­gen­heit mög­lich ist. Was in der Zu­kunft ge­schieht, er­regt das men­sch­li­che Füh­len und Wol­len; die Ver­gan­gen­heit wird in ganz an­de­rer Art er­tra­gen. Wer das Le­ben be­o­b­ach­tet, weiß, wie dies schon für das ge­wöhn­li­che Da­sein gilt. In welch un­ge­heu­rem Gra­de es sich aber stei­gert, wel­che For­­men es an­nimmt ge­gen­über den ver­bor­ge­nen Tat­sa­chen des Le­bens, da­von kann nur der­je­ni­ge Kennt­nis ha­ben, wel­cher ge­wis­se Din­ge der über­sinn­li­chen Wel­ten kennt. Und da­mit ist der Grund an­ge­ge­ben, warum die Er­kennt­nis­se über die­se Din­ge an ganz be­stimm­te Gren­zen ge­bun­den sind.

So wie die gro­ße Welt­ent­wi­cke­lung in der Fol­ge ih­rer Zu­stän­de von der Sa­turn- bis zur Vul­k­an­zeit dar­ge­s­tellt wer­den kann, so ist dies auch mög­lich für klei­ne­re Zei­t­ab­­schnit­te, zum Bei­spiel sol­che der Er­den­ent­wi­cke­lung. Seit je­ner ge­wal­ti­gen Um­wäl­zung, wel­che dem al­ten at­lan­ti­schen Le­ben das En­de ge­bracht hat, sind sich inn­er­halb der Men­sch­heits­ent­wi­cke­lung Zu­stän­de ge­folgt, wel­che in die­sem Bu­che als die Zei­ten der al­ten in­di­schen, der ur­per­si­schen, der ägyp­tisch-chal­däi­schen, der grie­chisch-latei­ni­schen ge­ken­n­zeich­net

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wor­den sind. Der fünf­te Zeit­ab­schnitt ist der­je­ni­ge, in dem jetzt die Mensch­heit steht, ist die Ge­gen­wart. Die­ser Zeit­ab­schnitt hat um das zwölf­te, drei­zehn­te und vier­zehn­te Jahr­hun­dert nach Chris­tus all­mäh­lich be­gon­nen, nach­dem er sich vom vier­ten, fünf­ten Jahr­hun­dert an vor­be­rei­tet hat­te. Ganz deut­lich ist er vom fünf­zehn­ten Jahr­hun­dert an auf­­­ge­t­re­ten. Der vor­her­ge­hen­de grie­chisch-latei­ni­sche hat un­ge­­fähr im ach­ten vor­christ­li­chen Jahr­hun­dert sei­nen An­fang ge­nom­men. Am En­de sei­nes ers­ten Drit­tels fand das Chri­s­tus-Er­eig­nis statt. Die men­sch­li­che See­len­ver­fas­sung, al­le men­sch­li­chen Fähig­kei­ten ha­ben sich beim Über­gang vom ägyp­tisch-chal­däi­schen zum grie­chisch-latei­ni­schen Zei­traum ge­än­dert. In dem ers­te­ren war das noch nicht vor­han­den, was man jetzt als lo­gi­sches Nach­den­ken, als ver­stan­des­­mä­ß­i­ge Auf­fas­sung der Welt kennt. Was der Mensch sich jetzt durch sei­nen Ver­stand als Er­kennt­nis zu ei­gen macht, das be­kam er in je­ner Form, in wel­cher es für die da­ma­li­ge Zeit ge­eig­net war: un­mit­tel­bar durch ein in­ne­res, in ei­ner ge­wis­sen Be­zie­hung über­sinn­li­ches Wis­sen. Man nahm die Din­ge wahr; und in­dem man sie wahr­nahm, tauch­te in der See­le der Be­griff, das Bild auf, wel­che die See­le von ih­nen brauch­te. Wenn die Er­kennt­nis­kraft so ist, so tau­chen aber nicht nur Bil­der der sinn­lich-phy­si­schen Welt auf, son­dern aus den Tie­fen der See­le kommt auch ei­ne ge­wis­se Er­kenn­t­­nis nicht­sinn­li­cher Tat­sa­chen und We­sen­hei­ten her­auf. Es war dies der Rest des al­ten, däm­mer­haf­ten über­sinn­li­chen Be­wußt­seins, das einst Ge­mein­be­sitz der gan­zen Mensch­heit war. In der grie­chisch-latei­ni­schen Zeit er­stan­den im­mer mehr Men­schen, wel­chen sol­che Fähig­kei­ten man­gel­ten. An ih­re Stel­le trat das ver­stan­des­mä­ß­i­ge Nach­den­ken über die Din­ge. Die Men­schen wur­den im­mer mehr ent­fernt von

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ei­ner un­mit­tel­ba­ren träu­me­ri­schen Wahr­neh­mung der gei­s­tig-see­li­schen Welt und im­mer mehr dar­auf an­ge­wie­sen, durch ih­ren Ver­stand und ihr Ge­fühl sich ein Bild von der­­sel­ben zu for­men. Die­ser Zu­stand dau­er­te durch den gan­­zen vier­ten Zeit­ab­schnitt der nachat­lan­ti­schen Zeit in ei­ner ge­wis­sen Be­zie­hung fort. Nur sol­che Men­schen, wel­che sich wie ein Erb­gut die al­te See­len­ver­fas­sung be­wahrt hat­ten, konn­ten die geis­ti­ge Welt noch un­mit­tel­bar ins Be­wußt­sein auf­neh­men. Die­se Men­schen sind aber Nach­züg­ler aus ei­ner äl­te­ren Zeit. Die Art, wie ih­re Er­kennt­nis war, eig­ne­te sich nicht mehr für die neue Zeit. Denn die Ent­wi­cke­lungs­ge­set­ze ha­ben zur Fol­ge, daß ei­ne al­te See­len­fähig­keit ih­re vol­le Be­deu­tung ver­liert, wenn neue Fähig­kei­ten auf­t­re­ten. Das Men­schen­le­ben paßt sich dann die­sen neu­en Fähig­kei­ten an. Und es kann mit den al­ten nichts mehr an­fan­gen. Es gab aber auch sol­che Men­schen, wel­che in ganz be­wuß­ter Art an­fin­gen, zu den er­lang­ten Ver­stan­des- und Ge­fühls­kräf­ten an­de­re höhe­re hin­zu­zu­ent­wi­ckeln, wel­che es ih­nen wie­der mög­lich mach­ten, in die geis­tig-see­li­sche Welt ein­zu­drin­gen. Sie muß­ten da­mit be­gin­nen, dies auf an­de­re Art zu tun, als es bei den Schü­l­ern der al­ten Ein­ge­weih­ten ge­schah. Die­se hat­ten die erst im vier­ten Zei­traum ent­wi­ckel­ten See­len­fähig­kei­ten noch nicht zu be­rück­sich­ti­gen. Es be­gann im vier­ten Zei­trau­me in den ers­ten An­fän­gen die­je­ni­ge Art der Geis­tes­schu­lung, wel­che in die­sem Bu­che als die ge­gen­wär­­ti­ge be­schrie­ben wor­den ist. Aber sie war da­mals eben erst in den An­fän­gen; ih­re ei­gent­li­che Aus­bil­dung konn­te sie erst im fünf­ten Zeit­ab­schnit­te (seit dem zwölf­ten, drei­zehn­­ten, na­ment­lich fünf­zehn­ten Jahr­hun­dert) er­fah­ren. Men­­schen, wel­che in die­ser Wei­se den Auf­s­tieg in die über­sinn­li­chen We­sen such­ten, konn­ten durch ei­ge­ne Ima­gi­na­ti­on,

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In­spi­ra­ti­on, In­tui­ti­on et­was von höhe­ren Ge­bie­ten des Da­­seins er­fah­ren. Je­ne Men­schen, wel­che bei den ent­wi­ckel­ten Ver­stan­des- und Ge­fühls­fähig­kei­ten ver­b­lie­ben, konn­ten von dem, was das äl­te­re Hell­se­hen wuß­te, nur durch Über­­lie­fe­rung er­fah­ren, die sich von Ge­sch­lecht zu Ge­sch­lecht münd­lich oder schrift­lich fortpflanz­te.

Auch von dem, was ei­gent­lich das We­sen des Chris­tus-Er­eig­nis­ses ist, konn­ten die Nach­ge­bo­re­nen, wenn sie sich nicht in die über­sinn­li­chen Wel­ten er­ho­ben, nur durch sol­che Über­lie­fe­rung et­was wis­sen. Al­ler­dings wa­ren auch sol­che Ein­ge­weih­te vor­han­den, wel­che die na­tür­li­chen Wahr­neh­­mungs­fähig­kei­ten für die über­sinn­li­che Welt noch hat­ten und sich durch ih­re Ent­wi­cke­lung doch in ei­ne höhe­re Welt er­ho­ben, trotz­dem sie die neu­en Ver­stan­des- und Ge­müts­kräf­te un­be­rück­sich­tigt lie­ßen. Durch sie wur­de ein Über­­gang ge­schaf­fen von der al­ten Ein­wei­hungs­art zu der neu­en. Sol­che Per­sön­lich­kei­ten gab es auch für die fol­gen­den Zeit­räu­me noch. Das ist ge­ra­de das We­sent­li­che des vier­ten Zeit­rau­mes, daß durch das Ab­ge­sch­los­sen­sein der See­le von ei­nem un­mit­tel­ba­ren Ver­kehr mit der see­lisch-geis­ti­gen Welt der Mensch ge­stärkt und ge­kräf­tigt wur­de in den Ver­stan­des- und Ge­fühls­kräf­ten. Die See­len, wel­che sich da­mals so ver­­­kör­per­ten, daß sie Ver­stan­des- und Ge­fühls­kräf­te in ho­hem Ma­ße ent­wi­ckelt hat­ten, brach­ten dann das Er­geb­nis die­ser Ent­wi­cke­lung in ih­re Ver­kör­pe­run­gen im fünf­ten Zei­traum hin­über. Als Er­satz für die­se Ab­ge­sch­los­sen­heit wa­ren dann die ge­wal­ti­gen Über­lie­fe­run­gen vor­han­den von den ural­ten Wei­s­tü­mern, na­ment­lich aber von dem Chris­tus-Er­eig­nis, wel­che durch die Kraft ih­res In­hal­tes den See­len ein ver­­trau­en­des Wis­sen ga­ben von den höhe­ren Wel­ten. Nun wa­ren aber im­mer auch Men­schen vor­han­den, wel­che die

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höhe­ren Er­kennt­nis­kräf­te zu den Ver­stan­des- und Ge­fühls­­fähig­kei­ten hin­zu­ent­wi­ckel­ten. Ih­nen ob­lag es, die Tat­sa­chen der höhe­ren Welt und na­ment­lich das Ge­heim­nis des Chris­tus-Er­eig­nis­ses durch ein un­mit­tel­ba­res über­sinn­li­ches Wis­sen zu er­fah­ren. Von ih­nen aus floß in die See­len der an­de­ren Men­schen im­mer so viel hin­über, als die­sen See­len be­g­reif­lich und gut war. Die ers­te Aus­b­rei­tung des Chri­s­ten­tums soll­te dem Sin­ne der Er­den­ent­wi­cke­lung ge­mäß ge­ra­de in ei­ne Zeit fal­len, in wel­cher die über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­kräf­te bei ei­nem gro­ßen Tei­le der Mensch­heit nicht ent­wi­ckelt wa­ren. Des­halb war die Kraft der Über­lie­fe­rung da­mals ei­ne so ge­wal­ti­ge. Es brauch­te die stärks­te Kraft, um Men­schen zum Ver­trau­en in die über­sinn­li­che Welt zu füh­­ren, wel­che nicht selbst in die­se Welt hin­ein­schau­en kon­n­­ten. Es gab fast im­mer (wenn man von ei­ner kur­zen Aus­nah­me­zeit im drei­zehn­ten Jahr­hun­dert ab­sieht) auch sol­che Men­schen, wel­che durch Ima­gi­na­ti­on, In­spi­ra­ti­on, In­tui­ti­on sich zu den höhe­ren Wel­ten er­he­ben konn­ten. Die­se Men­­schen sind die nach­christ­li­chen Nach­fol­ger der al­ten Ein­ge­weih­ten, der Lei­ter und Mit­g­lie­der des Mys­te­ri­en­wis­sens. Sie hat­ten die Auf­ga­be, durch ih­re ei­ge­nen Fähig­kei­ten das­je­ni­ge wie­der­zu­er­ken­nen, was man durch das al­te Mys­te­ri­en-Er­ken­nen hat­te er­g­rei­fen kön­nen; und zu die­sem hat­ten sie noch hin­zu­zu­fü­gen die Er­kennt­nis von dem We­­sen des Chris­tus-Er­eig­nis­ses.

So ent­stand bei die­sen neu­en Ein­ge­weih­ten ei­ne Er­kenn­t­­nis, wel­che al­les das­je­ni­ge um­faß­te, was Ge­gen­stand der al­ten Ein­wei­hung war; aber im Mit­tel­punk­te die­ser Er­kennt­nis strahl­te das höhe­re Wis­sen von den Ge­heim­nis­sen des Chris­tus-Er­eig­nis­ses. Sol­che Er­kennt­nis konn­te nur in ei­nem ge­rin­gen Ma­ße ein­f­lie­ßen in das all­ge­mei­ne Le­ben,

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wäh­rend die Men­schen­see­len im vier­ten Zei­traum die Ver­­­stan­des- und Ge­fühls­fähig­kei­ten fes­ti­gen soll­ten. Es war da­her in die­sem Zei­traum ein gar sehr «ver­bor­ge­nes Wis­­sen». Dann brach der neue Zei­traum an, der als der fünf­te zu be­zeich­nen ist. Sei­ne We­sen­heit be­steht da­rin, daß die Ent­wi­cke­lung der Ver­stan­des­fähig­kei­ten fort­schritt und zu ge­wal­ti­ger Blü­te sich ent­fal­te­te und über die Ge­gen­wart in die Zu­kunft hin­ein sich ent­fal­ten wird. Lang­sam be­­rei­te­te sich das vor von dem zwölf­ten, drei­zehn­ten Jahr­hun­dert an, um im­mer sch­nel­ler und sch­nel­ler in dem Fort­gan­ge zu wer­den vom sech­zehn­ten Jahr­hun­dert an bis in die ge­gen­wär­ti­ge Zeit. Un­ter die­sen Ein­flüs­sen wur­de die Ent­wi­cke­lungs­zeit des fünf­ten Zei­trau­mes ei­ne sol­che, wel­che die Pf­le­ge der Ver­stan­des­kräf­te im­mer mehr sich an­ge­le­gen sein ließ, wo­ge­gen das ver­trau­en­de Wis­sen von ehe­mals, die über­lie­fer­te Er­kennt­nis, im­mer mehr an Kraft über die Men­schen­see­le ver­lor. Aber es ent­wi­ckel­te sich da­für auch in die­ser Zeit das­je­ni­ge, was ein im­mer stär­ke­res Ein­f­lie­ßen der Er­kennt­nis­se neu­zeit­li­chen über­sinn­li­chen Be­wußt­seins in die Men­schen­see­len ge­nannt wer­den kann. Das «ver­­­bor­ge­ne Wis­sen» fließt, wenn auch an­fangs recht un­mer­k­lich, in die Vor­stel­lungs­wei­sen der Men­schen die­ses Zei­trau­mes ein. Es ist nur selbst­ver­ständ­lich, daß sich, bis in die Ge­gen­wart he­r­ein, die Ver­stan­des­kräf­te ab­leh­nend ver­hal­ten ge­gen die­se Er­kennt­nis­se. Al­lein, was ge­sche­hen soll, wird ge­­sche­hen, trotz al­ler zeit­wei­li­gen Ab­leh­nung. Man kann das «ver­bor­ge­ne Wis­sen», wel­ches von die­ser Sei­te die Men­sch­heit er­g­reift und im­mer mehr er­g­rei­fen wird, nach ei­nem Sym­bol die Er­kennt­nis vom «Gral» nen­nen. Wer die­ses Sym­bol, wie es in Er­zäh­lung und Sa­ge ge­ge­ben ist, sei­ner tie­fe­ren Be­deu­tung nach ver­ste­hen lernt, wird näm­lich fin­­den,

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daß es be­deu­tungs­voll das We­sen des­sen ver­sinn­licht, was oben die Er­kennt­nis der neu­en Ein­wei­hung, mit dem Chris­tus-Ge­heim­nis in der Mit­te, ge­nannt wor­den ist. Die neu­zeit­li­chen Ein­ge­weih­ten kön­nen des­halb auch die «Ein­­ge­weih­ten des Gra­les» ge­nannt wer­den. Zu der «Wis­sen­­schaft vom Gral» führt der Weg in die über­sinn­li­chen Wel­ten, wel­cher in die­sem Bu­che in sei­nen ers­ten Stu­fen be­schrie­ben wor­den ist. Die­se Er­kennt­nis hat die Ei­gen­tüm­lich­keit, daß man ih­re Tat­sa­chen nur er­for­schen kann, wenn man sich die Mit­tel da­zu er­wirbt, wie sie in die­sem Bu­che ge­ken­n­zeich­net wor­den sind. Sind sie aber er­forscht, dann kön­nen sie ge­ra­de durch die im fünf­ten Zei­trau­me zur Ent­wi­cke­lung ge­kom­me­nen See­len­kräf­te ver­stan­den wer­den. Ja, es wird sich im­mer mehr her­aus­s­tel­len, daß die­se Kräf­te in ei­nem im­mer höhe­ren Gra­de durch die­se Er­kennt­nis­se sich be­frie­­digt fin­den wer­den. Wir le­ben in der Ge­gen­wart in ei­ner Zeit, in wel­cher die­se Er­kennt­nis­se reich­li­cher in das al­l­­ge­mei­ne Be­wußt­sein auf­ge­nom­men wer­den sol­len, als dies vor­her der Fall war. Und die­ses Buch möch­te sei­ne Mit­tei­­lun­gen von die­sem Ge­sichts­punk­te aus ge­ben. In dem Ma­ße, als die Ent­wi­cke­lung der Mensch­heit die Er­kennt­nis­se des Gra­les auf­sau­gen wird, kann der Im­puls, wel­cher durch das Chris­tus-Er­eig­nis ge­ge­ben ist, im­mer be­deut­sa­mer wer­den. An die äu­ße­re Sei­te der christ­li­chen Ent­wi­cke­lung wird sich im­mer mehr die in­ne­re an­sch­lie­ßen. Was durch Ima­gi­na­ti­on, In­spi­ra­ti­on, In­tui­ti­on über die höhe­ren Wel­ten in Ver­bin­dung mit dem Chris­tus-Ge­heim­nis er­kannt wer­den kann, wird das Vor­stel­lungs-, Ge­fühls- und Wil­lens­le­ben der Men­schen im­mer mehr durch­drin­gen. Das «ver­bor­ge­ne Wis­sen vom Gral» wird of­fen­bar wer­den; es wird als ei­ne in­ne­re Kraft die Le­bens­äu­ße­run­gen der Men­schen im­mer mehr durch­drin­gen.

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Durch den fünf­ten Zei­traum hin­durch wer­den die Er­kennt­nis­se der über­sinn­li­chen Wel­ten in das men­sch­li­che Be­wußt­sein ein­f­lie­ßen; und wenn der sechs­te be­gin­nen wird, kann die Mensch­heit auf ei­ner höhe­ren Stu­fe das wie­der er­langt ha­ben, was sie in ei­ner noch däm­mer­haf­ten Art von nicht sinn­li­chem Schau­en in ei­nem frühe­ren Zeit­ab­schnit­te be­ses­sen hat. Doch wird der neue Be­sitz ei­ne ganz an­de­re Form ha­ben als der al­te. Was die See­le in al­ten Zei­ten von höhe­ren Wel­ten wuß­te, war in ihr nicht durch­drun­gen von ih­rer ei­ge­nen Ver­stan­des- und Ge­fühls­kraft. Sie wuß­te es als Ein­ge­bung. In der Zu­kunft wird sie nicht bloß Ein­ge­bun­gen ha­ben, son­dern die­se be­g­rei­fen und als das­je­ni­ge emp­fin­den, was We­sen von ih­rem ei­ge­nen We­sen ist. Wenn ei­ne Er­kennt­nis ihr wird über die­ses oder je­nes We­sen oder Ding, so wird der Ver­stand die­se Er­kennt­nis auch durch sei­ne ei­ge­ne We­sen­heit ge­recht­fer­tigt fin­den; wenn ei­ne an­­de­re Er­kennt­nis über ein sitt­li­ches Ge­bot, über ein men­sch­­li­ches Ver­hal­ten sich gel­tend ma­chen wird, so wird die See­le sich sa­gen: Mein Ge­fühl ist nur dann vor sich sel­ber ge­rech­t­­fer­tigt, wenn ich das auch aus­füh­re, was im Sin­ne die­ser Er­kennt­nis liegt. Ei­ne sol­che See­len­ver­fas­sung soll bei ei­ner ge­nü­gend gro­ßen An­zahl von Men­schen des sechs­ten Zeit­rau­mes aus­ge­bil­det wer­den. Es wie­der­holt sich in ei­ner ge­wis­sen Art in dem fünf­ten Zei­traum das­je­ni­ge, was der drit­te, der ägyp­tisch-chal­däi­sche, der Mensch­heits­ent­wi­cke­­lung ge­bracht hat. Da­mals nahm die See­le ge­wis­se Tat­sa­chen der über­sinn­li­chen Welt noch wahr. Die Wahr­neh­mung der­­sel­ben war eben da­mals im Hin­schwin­den. Denn es be­rei­te­ten sich die Ver­stan­des­kräf­te für ih­re Ent­wi­cke­lung vor; und die­se soll­ten den Men­schen von der höhe­ren Welt zu­­­nächst aus­sch­lie­ßen. Im fünf­ten Zei­traum wer­den die über­sinn­li­chen

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Tat­sa­chen, wel­che in dem drit­ten in däm­mer­haf­­tem Be­wußt­sein ge­schaut wur­den, wie­der of­fen­bar, doch nun­mehr durch­drun­gen mit den Ver­stan­des- und per­sön­­li­chen Ge­fühls­kräf­ten der Men­schen. Sie wer­den durch­drun­­gen mit dem auch, was durch die Er­kennt­nis des Chris­tus-­Ge­heim­nis­ses der See­le zu­teil wer­den kann. Da­her neh­men sie ei­ne ganz an­de­re Form an, als sie ehe­mals hat­ten. Wäh­­rend die Ein­drü­cke aus den über­sinn­li­chen Wel­ten in al­ten Zei­ten als Kräf­te emp­fun­den wur­den, wel­che den Men­schen aus ei­ner geis­ti­gen Au­ßen­welt her trie­ben, in wel­cher er nicht da­r­in­nen war, wer­den durch die Ent­wi­cke­lung der neue­ren Zeit die­se Ein­drü­cke als die ei­ner Welt emp­fun­den wer­den, in wel­che der Mensch hin­ein­wächst, in wel­cher er im­mer mehr und mehr da­r­in­nen steht. Nie­mand soll glau­­ben, daß die Wie­der­ho­lung der ägyp­tisch-chal­däi­schen Ku­l­­tur so er­fol­gen kann, daß et­wa ein­fach das von der See­le auf­ge­nom­men wür­de, was da­mals vor­han­den war und aus je­ner Zeit über­lie­fert ist. Der recht ver­stan­de­ne Chris­tus-Im­puls wirkt da­hin, daß die Men­schen­see­le, wel­che ihn auf­­­ge­nom­men hat, sich als Glied ei­ner geis­ti­gen Welt fühlt und als sol­ches er­kennt und ver­hält, au­ßer­halb wel­cher sie vor­­her ge­stan­den hat. Wäh­rend in sol­cher Art im fünf­ten Zei­traum der drit­te wie­der auf­lebt, um sich mit dem in den Men­schen­see­len zu durch­drin­gen, was der vier­te als ein ganz Neu­es ge­bracht hat, wird ein Ähn­li­ches beim sechs­ten in be­zug auf den zwei­ten und beim sie­ben­ten in be­zug auf den ers­ten, den alt­in­di­schen, der Fall sein. All die wun­der­vol­le Weis­heit des al­ten In­dier­tums, wel­che die da­ma­li­gen gro­ßen Leh­rer ver­kün­di­gen konn­ten, wird als Le­bens­wahr­heit der Men­schen­see­len im sie­ben­ten Zei­traum wie­der da sein kön­nen.

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Nun ge­hen die Ve­r­än­de­run­gen in den Din­gen der Er­de, wel­che au­ßer­halb des Men­schen lie­gen, in ei­ner Wei­se vor sich, wel­che zu der ei­ge­nen Ent­wi­cke­lung der Mensch­heit in ei­nem ge­wis­sen Ver­hält­nis­se steht. Nach dem Ablauf des sie­ben­ten Zei­trau­mes wird die Er­de von ei­ner Um­wäl­zung heim­ge­sucht wer­den, wel­che mit je­ner sich ver­g­lei­chen läßt, wel­che zwi­schen der at­lan­ti­schen und der nachat­lan­ti­schen Zeit ge­schah. Und die nach­her ver­wan­del­ten Er­den­zu­stän­de wer­den wie­der in sie­ben Zeit­ab­schnit­ten sich wei­ter ent­wi­ckeln. Auf ei­ner höhe­ren Stu­fe wer­den die Men­schen­see­len, wel­che sich dann ver­kör­pern wer­den, die­je­ni­ge Ge­mein­schaft mit ei­ner höhe­ren Welt er­le­ben, wel­che die At­lan­tier auf ei­ner nie­d­ri­ge­ren er­lebt ha­ben. Es wer­den sich aber nur je­ne Men­schen den neu­ge­stal­te­ten Ver­hält­nis­sen der Er­de ge­wach­­sen zei­gen, wel­che in sich sol­che See­len ver­kör­pert ha­ben, wie sie wer­den kön­nen durch die Ein­flüs­se des grie­chisch-latei­ni­schen, des dar­auf­fol­gen­den fünf­ten, sechs­ten und sie­ben­ten Zei­trau­mes der nachat­lan­ti­schen Ent­wi­cke­lung. Das In­ne­re sol­cher See­len wird dem ent­sp­re­chen, was aus der Er­de bis da­hin ge­wor­den ist. Die an­dern See­len wer­den dann zu­rück­b­lei­ben müs­sen, wäh­rend es vor­her in ih­rer Wahl ge­stan­den hät­te, sich die Be­din­gun­gen zum Mit­kom­men zu schaf­fen. Reif für die ent­sp­re­chen­den Ver­hält­nis­se nach der nächs­ten gro­ßen Um­wäl­zung wer­den die­je­ni­gen See­len sein, wel­che sich ge­ra­de beim Hin­über­le­ben vom fünf­ten in den sechs­ten nachat­lan­ti­schen Zei­traum die Mög­lich­keit ge­schaf­fen ha­ben wer­den, die über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­se mit den Ver­stan­des- und Ge­fühls­kräf­ten zu durch­drin­gen. Der fünf­te und der sechs­te Zei­traum sind ge­wis­ser­ma­ßen die ent­schei­­den­den. In dem sie­ben­ten wer­den die See­len, wel­che das Ziel des sechs­ten er­reicht ha­ben, sich zwar ent­sp­re­chend

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wei­ter ent­wi­ckeln; die an­de­ren wer­den aber un­ter den ver­­än­der­ten Ver­hält­nis­sen der Um­ge­bung nur mehr we­nig Ge­­le­gen­heit fin­den, das Ver­säum­te nach­zu­ho­len. Erst in ei­ner spä­te­ren Zu­kunft wer­den wie­der Be­din­gun­gen ein­t­re­ten, wel­che dies ge­stat­ten. So sch­rei­tet die Ent­wi­cke­lung von Zei­traum zu Zei­traum fort. Die über­sinn­li­che Er­kennt­nis be­o­b­ach­tet nicht nur sol­che Ve­r­än­de­run­gen in der Zu­kunft, woran die Er­de al­lein be­tei­ligt ist, son­dern auch sol­che, wel­che sich im Zu­sam­men­wir­ken mit den Him­mels­kör­pern ih­rer Um­ge­bung ab­spie­len. Es kommt ei­ne Zeit, in wel­cher die Er­den- und Mensch­heits­ent­wi­cke­lung so weit fort­ge­­schrit­ten sein wird, daß die Kräf­te und We­sen­hei­ten, wel­che sich wäh­rend der le­mu­ri­schen Zeit von der Er­de los­lö­sen muß­ten, um den wei­te­ren Fort­gang der Er­den­we­sen mög­­lich zu ma­chen, sich wie­der mit der Er­de ve­r­ei­ni­gen kön­nen. Der Mond wird sich dann wie­der mit der Er­de ver­bin­den. Es wird dies ge­sche­hen, weil dann ei­ne ge­nü­gend gro­ße An­zahl von Men­schen­see­len so viel in­ne­re Kraft ha­ben wird, daß sie die­se Mon­den­kräf­te zur wei­te­ren Ent­wi­cke­­lung frucht­bar ma­chen wird. Das wird in ei­ner Zeit sein, in wel­cher ne­ben der ho­hen Ent­wi­cke­lung, die ei­ne ent­sp­re­chen­de An­zahl von Men­schen­see­len er­reicht ha­ben wird, ei­ne an­de­re ein­her­ge­hen wird, wel­che die Rich­tung nach dem Bö­sen ge­nom­men hat. Die zu­rück­ge­b­lie­be­nen See­len wer­­den in ih­rem Kar­ma so viel Irr­tum, Häß­lich­keit und Bö­ses an­ge­häuft ha­ben, daß sie zu­nächst ei­ne be­son­de­re, der gu­­ten Ge­mein­schaft der Men­schen scharf ent­ge­gen­st­re­ben­de Ve­r­ei­ni­gung der Bö­sen und Ver­irr­ten bil­den wer­den.

Die gu­te Mensch­heit wird durch ih­re Ent­wi­cke­lung den Ge­brauch der Mon­den­kräf­te sich er­wer­ben und da­durch auch den bö­sen Teil so um­ge­stal­ten, daß er als ein be­son­­de­res

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Er­den­reich mit der wei­te­ren Ent­wi­cke­lung mit­ge­hen kann. Durch die­se Ar­beit der gu­ten Mensch­heit wird die dann mit dem Mon­de ve­r­ei­nig­te Er­de fähig, nach ei­ner ge­­wis­sen Ent­wi­cke­lungs­zeit auch wie­der mit der Son­ne (auch mit den an­de­ren Pla­ne­ten) ve­r­ei­nigt zu wer­den. Und nach ei­nem Zwi­schen­zu­stan­de, der wie ein Au­f­ent­halt in ei­ner höhe­ren Welt sich dar­s­tellt, wird sich die Er­de in den Ju­pi­ter­zu­stand ver­wan­deln. Inn­er­halb die­ses Zu­stan­des wird es das nicht ge­ben, was jetzt Mi­ne­ral­reich ge­nannt wird; die Kräf­te die­ses Mi­ne­ral­rei­ches wer­den in pflanz­li­che um­ge­­wan­delt sein. Das Pflan­zen­reich, wel­ches aber ge­gen­über dem ge­gen­wär­ti­gen ei­ne ganz neue Form ha­ben wird, er­­scheint wäh­rend des Ju­pi­ter­zu­stan­des als das nie­ders­te der Rei­che. Höh­er hin­auf glie­dert sich das eben­falls ver­wan­­del­te Tier­reich an; dann kommt ein Men­schen­reich, wel­ches als Nach­kom­men­schaft der auf der Er­de ent­stan­de­nen bö­sen Ge­mein­schaft sich er­weist. Und dann die Nach­kom­men der gu­ten Er­den-Men­schen­ge­mein­schaft, als ein Men­schen­reich auf ei­ner höhe­ren Stu­fe. Ein gro­ßer Teil der Ar­beit die­ses letz­te­ren Men­schen­rei­ches be­steht da­rin, die in die bö­se Ge­­mein­schaft ge­fal­le­nen See­len so zu ve­r­e­deln, daß sie den Zu­gang in das ei­gent­li­che Men­schen­reich noch fin­den kön­­nen. Der Ve­nus­zu­stand wird ein sol­cher sein, daß auch das Pflan­zen­reich ver­schwun­den sein wird; das nie­ders­te Reich wird das aber­mals ver­wan­del­te Tier­reich sein; da­ran wer­­den sich nach oben ge­hend drei Men­schen­rei­che von ver­­­schie­de­nen Voll­kom­men­heits­gra­den fin­den. Wäh­rend die­ses Ve­nus­zu­stan­des bleibt die Er­de mit der Son­ne ver­bun­den; die Ent­wi­cke­lung wäh­rend der Ju­pi­ter­zeit geht da­ge­gen so vor sich, daß in ei­nem ge­wis­sen Au­gen­blick sich die Son­ne noch ein­mal los­löst von dem Ju­pi­ter und die­ser die Ein­wir­kung

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der­sel­ben von au­ßen her emp­fängt. Dann fin­det wie­­der ei­ne Ver­bin­dung von Son­ne und Ju­pi­ter statt, und die Ver­wand­lung geht all­mäh­lich in den Ve­nus­zu­stand hin­­über. Wäh­rend des­sel­ben spal­tet sich aus der Ve­nus ein be­­son­de­rer Wel­ten­kör­per her­aus, der al­les an We­sen ent­hält, was der Ent­wi­cke­lung wi­der­st­rebt hat, gleich­sam ein «un­ver­bes­ser­li­cher Mond», der nun ei­ner Ent­wi­cke­lung ent­ge­­gen­geht mit ei­nem Cha­rak­ter, wo­für ein Aus­druck nicht mög­lich ist, weil er zu un­ähn­lich ist al­lem, was der Mensch auf Er­den er­le­ben kann. Die ent­wi­ckel­te Mensch­heit aber sch­rei­tet in ei­nem völ­lig ver­geis­tig­ten Da­sein zur Vul­kan­ent­wi­cke­lung wei­ter, de­ren Schil­de­rung au­ßer­halb des Rah­­mens die­ses Bu­ches liegt.

Man sieht, daß sich aus der «Er­kennt­nis des Gra­les» das höchs­te Ideal men­sch­li­cher Ent­wi­cke­lung er­gibt, wel­ches für den Men­schen denk­bar ist die Ver­geis­ti­gung wel­che der Mensch durch sei­ne ei­ge­ne Ar­beit er­langt Denn die­se Ver­geis­ti­gung er­scheint zu­letzt als ein Er­geb­nis der Har­mo­nie, wel­che er im fünf­ten und sechs­ten Zei­traum der ge­gen­wär­ti­gen Ent­wi­cke­lung zwi­schen den er­lang­ten Ver­stan­des und Ge­fühls­kräf­ten und den Er­kennt­nis­sen der über­sinn­li­chen Wel­ten her­s­tellt. Was er da im In­nern sei­ner See­le er­ar­bei­tet, soll zu­letzt selbst Au­ßen­welt wer­den. Des Men­schen Geist er­hebt sich zu den ge­wal­ti­gen Ein­drü­cken sei­ner Au­ßen­welt und ahnt zu­erst, er­kennt nach­her geis­ti­ge We­sen­hei­ten hin­­ter die­sen Ein­drü­cken; des Men­schen Herz emp­fin­det die un­end­li­che Er­ha­ben­heit die­ses Geis­ti­gen. Der Mensch kann aber auch er­ken­nen, daß die in­tel­lek­tu­el­len, ge­fühls­mä­ß­i­gen und cha­rak­ter­mä­ß­i­gen Er­leb­nis­se sei­nes In­nern die Kei­me wer­den­der Geis­tes­welt sind.

Wer da meint, daß die men­sch­li­che Frei­heit mit dem Vor­aus­wis­sen

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und Vor­aus­be­stimmt­sein der zu­künf­ti­gen Ge­stal­­tung der Din­ge nicht ve­r­ein­bar sei, der soll­te be­den­ken, daß des Men­schen frei­es Han­deln in der Zu­kunft eben­so­we­nig da­von ab­hängt, wie die vor­aus­be­stimm­ten Din­ge sein wer­den, wie die­se Frei­heit da­von ab­hängt, daß er sich vor­­­nimmt, nach ei­nem Jahr in ei­nem Hau­se zu woh­nen, des­­sen Plan er ge­gen­wär­tig fest­s­tellt. Er wird in dem Gra­de frei sein, als er es nach sei­ner in­ne­ren We­sen­heit sein kann, eben in dem Hau­se, das er sich ge­baut hat; und er wird auf dem Ju­pi­ter und der Ve­nus so frei sein, wie es sei­nem In­­­nern ent­spricht, eben inn­er­halb der Ver­hält­nis­se, die dort ent­ste­hen wer­den. Frei­heit wird nicht ab­hän­gen von dem, was durch die vor­her­ge­hen­den Ver­hält­nis­se vor­aus­be­stimmt ist, son­dern von dem, was die See­le aus sich ge­macht hat.

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In dem Er­den­zu­stand ist das­je­ni­ge ent­hal­ten, was sich inn­er­halb der vor­an­ge­hen­den Sa­turn-, Son­nen-, Mon­den­zu­stän­de ent­wi­ckelt hat. Der Er­den­mensch fin­det «Weis­heit» in den Vor­gän­gen, wel­che sich um ihn her­um ab­spie­­len. Die­se Weis­heit ist da­r­in­nen als das Er­geb­nis des­sen, was vor­her ge­sche­hen war. Die Er­de ist der Nach­kom­me des «al­ten Mon­des». Und die­ser bil­de­te sich mit dem, was zu ihm ge­hör­te, zum «Kos­mos der Weis­heit» aus. Die Er­de ist nun der Be­ginn ei­ner Ent­wi­cke­lung, durch wel­che ei­ne neue Kraft in die­se Weis­heit ein­ge­fügt wird. Sie bringt den Men­­schen da­hin, sich als ein selb­stän­di­ges Glied ei­ner geis­ti­gen Welt zu füh­len. Es rührt dies da­von her, daß sein «Ich» in ihm von den «Geis­tern der Form» inn­er­halb der Er­den­zeit so ge­bil­det wird, wie auf dem Sa­turn von den «Geis­tern des Wil­lens» sein phy­si­scher Leib, auf der Son­ne von den «Geis­tern der Weis­heit» sein Le­bens­leib, auf dem Mon­de

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von den «Geis­tern der Be­we­gung» sein As­tral­leib ge­bil­det wor­den ist. Durch das Zu­sam­men­wir­ken der «Geis­ter des Wil­lens, der Weis­heit und der Be­we­gung» ent­steht, was sich als Weis­heit of­fen­bart. In Weis­heit zu­sam­men­stim­men mit den an­dern We­sen ih­rer Welt kön­nen die Er­den­we­sen und Er­den­vor­gän­ge durch die Ar­beit die­ser drei Klas­sen von Geis­tern. Durch die «Geis­ter der Form» er­hält der Mensch sein selb­stän­di­ges «Ich». Die­ses wird nun in der Zu­kunft zu­sam­men­stim­men mit den We­sen der Er­de, des Ju­pi­ter, der Ve­nus, des Vul­kan durch die Kraft, wel­che sich durch den Er­den­zu­stand der Weis­heit ein­fügt. Es ist dies die Kraft der Lie­be. Im Men­schen der Er­de muß die­se Kraft der Lie­be ih­ren An­fang neh­men. Und der «Kos­mos der Weis­heit» ent­wi­ckelt sich in ei­nen «Kos­mos der Lie­be» hin­ein. Aus al­le­dem, was das «Ich» in sich ent­fal­ten kann, soll Lie­be wer­den. Als das um­fas­sen­de «Vor­bild der Lie­be» stellt sich bei sei­ner Of­fen­ba­rung das ho­he Son­nen­we­sen dar, wel­ches bei Schil­de­rung der Chris­tus-Ent­wi­cke­lung ge­kenn­zeich­net wer­den konn­te. In das In­ners­te des men­sch­li­chen We­sens­ker­nes ist da­mit der Keim der Lie­be ge­senkt. Und von da aus soll er in die gan­ze Ent­wi­cke­lung ein­strö­men. Wie sich die vor­her ge­bil­de­te Weis­heit in den Kräf­ten der sinn­li­chen Au­ßen­welt der Er­de, in den ge­gen­wär­ti­gen «Na­tur­kräf­ten» of­fen­bart, so wird sich in Zu­kunft die Lie­be selbst in al­len Er­schei­nun­gen als neue Na­tur­kraft of­fen­ba­ren. Das ist das Ge­heim­nis al­ler Ent­wi­cke­lung in die Zu­kunft hin­ein: daß die Er­kennt­nis, daß auch al­les, was der Mensch voll­bringt aus dem wah­ren Ver­ständ­nis der Ent­wi­cke­lung her­aus, ei­ne Aus­saat ist, die als Lie­be rei­fen muß. Und so viel als Kraft der Lie­be ent­steht, so viel Sc­höp­fe­ri­sches wird für die Zu­kunft ge­leis­tet. In dem, was aus der Lie­be ge­wor­den sein

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wird, wer­den die star­ken Kräf­te lie­gen, wel­che zu dem oben ge­schil­der­ten En­d­er­geb­nis der Ver­geis­ti­gung füh­ren. Und so viel geis­ti­ge Er­kennt­nis in die Mensch­heits- und Er­de­n­en­t­wi­cke­lung ein­f­ließt, so vie­le le­bens­fähi­ge Kei­me für die Zu­­kunft wer­den vor­han­den sein. Geis­ti­ge Er­kennt­nis wan­delt sich durch das, was sie ist, in Lie­be um. Der gan­ze Vor­gang, wel­cher ge­schil­dert wor­den ist, von der grie­chisch-latei­ni­­schen Zeit durch den ge­gen­wär­ti­gen Zei­traum hin­durch, zeigt, wie die­se Ver­wand­lung vor sich ge­hen soll und wo­zu der An­fang der Ent­wi­cke­lung in die Zu­kunft hin­ein ge­macht ist. Was sich durch Sa­turn, Son­ne und Mond als Weis­heit vor­be­rei­tet hat, wirkt im phy­si­schen, äthe­ri­schen, as­tra­li­schen Leib des Men­schen; und es stellt sich dar als «Weis­heit der Welt»; im «Ich» aber ver­in­ner­licht es sich. Die «Weis­heit der Au­ßen­welt» wird, von dem Er­den­zu­stan­de an, in­ne­re Weis­heit im Men­schen. Und wenn sie da ver­in­ner­licht ist, wird sie Keim der Lie­be. Weis­heit ist die Vor­be­din­gung der Lie­be; Lie­be ist das Er­geb­nis der im «Ich» wie­der­ge­bo­­re­nen Weis­heit.

Wer durch die vor­an­ge­hen­den Aus­füh­run­gen zu der Mei­­nung ver­führt wer­den könn­te, die ge­schil­der­te Ent­wi­cke­­lung tra­ge ein fa­ta­lis­ti­sches Ge­prä­ge, der hat­te sie mißv­er­­­stan­den. Wer et­wa glaub­te, bei ei­ner sol­chen Ent­wi­cke­lung sei ei­ne be­stimm­te An­zahl von Men­schen da­zu ver­ur­teilt, dem Rei­che der «bö­sen Mensch­heit» an­zu­ge­hö­ren, der sieht nicht, wie sich das ge­gen­sei­ti­ge Ver­hält­nis des Sin­nen­fäl­li­gen zu dem See­lisch-Geis­ti­gen bei die­ser Ent­wi­cke­lung ge­stal­tet. Bei­des, Sin­nen­fäl­li­ges und See­lisch-Geis­ti­ges, bil­den in­ner­halb ge­wis­ser Gren­zen ge­t­renn­te Ent­wi­cke­lungs­strö­mun­gen. Durch die der sin­nen­fäl­li­gen Strö­mung ei­ge­nen Kräf­te en­t­­­ste­hen die For­men des «bö­sen Men­schen­tums». Ei­ne Not­wen­dig­keit

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für ei­ne Men­schen­see­le, sich in ei­ner sol­chen Form zu ver­kör­pern, wird nur be­ste­hen, wenn die­se Men­­schen­see­le selbst die Be­din­gun­gen da­zu ge­schaf­fen hat. Es könn­te auch der Fall ein­t­re­ten, daß die aus den Kräf­ten des Sin­nen­fäl­li­gen her­aus ent­stan­de­nen For­men kei­ne aus der frühe­ren Zeit stam­men­den Men­schen­see­len fän­den, weil die­se zu gut für der­ar­ti­ge Kör­per wä­ren. Dann müß­ten die­se For­men an­ders als durch frühe­re Men­schen­see­len aus dem Wel­tall her­aus be­seelt wer­den. Von Men­schen­see­len wer­den die cha­rak­te­ri­sier­ten For­men nur dann be­seelt sein, wenn die­se sich zu sol­cher Ver­kör­pe­rung be­reit ge­macht ha­ben. Die über­sinn­li­che Er­kennt­nis hat auf die­sem Ge­bie­te eben zu sa­gen, was sie schaut. Das ist, daß in der an­ge­deu­­te­ten Zu­kunft zwei Men­schen­rei­che, ein gu­tes und ein bö­ses, vor­han­den sein wer­den; nicht aber hat sie et­wa ver­stan­des­­mä­ß­ig aus dem Zu­stand der ge­gen­wär­ti­gen Men­schen­see­len auf ei­nen wie mit na­tur­ge­mä­ß­er Not­wen­dig­keit ein­t­re­ten­­den künf­ti­gen zu sch­lie­ßen. Ent­wi­cke­lung der Men­schen­­for­men und Ent­wi­cke­lung der See­len­schick­sa­le muß über­sinn­li­che Er­kennt­nis auf zwei ganz ge­t­renn­ten We­gen su­chen; und ein Durch­ein­an­der­wer­fen der bei­den in der Wel­t­­­an­schau­ung wä­re ein Rest ma­te­ria­lis­ti­scher Ge­sin­nung, der, wenn er vor­han­den, in be­denk­li­cher Art in die Wis­sen­schaft des Über­sinn­li­chen hin­ein­ra­gen wür­de.

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EINZELHEITEN AUS DEM GEBIETE DER GEISTESWISSENSCHAFT

Der Äther­leib des Men­schen

Wenn höhe­re Glie­der des Men­schen durch die über­sinn­li­che Wahr­neh­mung be­o­b­ach­tet wer­den, dann ist die­se Wahr­­neh­mung nie­mals voll­kom­men gleich ei­ner sol­chen, wel­che durch die äu­ße­ren Sin­ne ge­macht wird. Wenn der Mensch ei­nen Ge­gen­stand be­rührt, und er hat ei­ne Wärme­wahr­neh­­mung, so muß man un­ter­schei­den zwi­schen dem, was vom Ge­gen­stan­de kommt, von die­sem gleich­sam aus­strömt, und dem, was man in der See­le er­lebt. Das in­ne­re See­le­n­er­leb­nis der Wär­me-Emp­fin­dung ist et­was an­de­res als die vom Ge­gen­stan­de aus­strö­men­de Wär­me. Man den­ke sich nun die­ses See­le­n­er­leb­nis ganz al­lein, oh­ne den äu­ße­ren Ge­gen­stand. Man den­ke sich das Er­leb­nis aber eben ein see­li­sches ei­ner Wär­me-Emp­fin­dung in der See­le, oh­ne daß ein äu­ße­rer phy­si­scher Ge­gen­stand die Ver­an­las­sung da­zu ist. Wä­re ein sol­ches nun ein­fach da oh­ne ei­ne Ver­an­las­sung, so wä­re es ei­ne Ein­bil­dung. Der Geis­tes­schü­ler er­lebt sol­che in­ne­re Wahr­neh­mun­gen oh­ne phy­si­sche Ver­an­las­sung, vor al­lem oh­ne Ver­an­las­sung sei­nes ei­ge­nen Lei­bes. Sie stel­len sich für ei­ne ge­wis­se Stu­fe der Ent­wi­cke­lung aber so dar, daß er wis­sen kann (wie ge­zeigt wor­den ist, durch das Er­leb­nis selbst wis­sen kann), daß die in­ne­re Wahr­neh­mung nicht Ein­bil­dung ist, son­dern daß sie eben­so be­wirkt ist durch ei­ne geis­tig-see­li­sche We­sen­heit ei­ner über­sinn­li­chen Au­ßen­welt, wie die ge­wöhn­li­che Wär­me-Emp­fin­dung zum Bei­spiel durch ei­nen äu­ßer­lich phy­sisch-sinn­li­chen Ge­gen­stand. So ist es auch, wenn man von ei­ner Far­ben­wahr­neh­mung

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spricht. Da muß un­ter­schie­den wer­den zwi­schen der Far­be, die am äu­ße­ren Ge­gen­stand ist, und dem in­ner­li­chen Em­p­­fin­den der Far­be in der See­le. Man ver­ge­gen­wär­ti­ge sich die in­ne­re Emp­fin­dung, wel­che die See­le hat, wenn sie ei­nen ro­ten Ge­gen­stand der phy­sisch-sinn­li­chen Au­ßen­welt wahr­­nimmt. Man stel­le sich vor, man be­hal­te ei­ne recht leb­haf­te Er­in­ne­rung an den Ein­druck; aber man wen­de das Au­ge ab von dem Ge­gen­stan­de. Was man da noch als Er­in­ne­rungs­­vor­stel­lung von der Far­be hat, ver­ge­gen­wär­ti­ge man sich als in­ne­res Er­leb­nis. Man wird dann un­ter­schei­den zwi­schen dem, was in­ne­res Er­leb­nis ist an der Far­be, und der äu­ße­ren Far­be. Die­se in­ne­ren Er­leb­nis­se un­ter­schei­den sich in­halt­lich durch­aus von den äu­ße­ren Sin­ne­s­ein­drü­cken. Sie tra­gen viel mehr das Ge­prä­ge des­je­ni­gen, was als Sch­merz und Freu­de emp­fun­den wird, als die nor­ma­le Sin­nes­emp­fin­dung. Nun den­ke man sich ein sol­ches in­ne­res Er­leb­nis in der See­le auf­­­s­tei­gen, oh­ne daß die Ver­an­las­sung da­zu durch ei­nen äu­ße­­ren phy­sisch-sinn­li­chen Ge­gen­stand oder die Er­in­ne­rung an ei­nen sol­chen ge­ge­ben sei. Der über­sinn­lich Er­ken­nen­de kann ein sol­ches Er­leb­nis ha­ben. Und er kann auch in dem ent­sp­re­chen­den Fal­le wis­sen, daß es kei­ne Ein­bil­dung, son­­dern der Aus­druck ei­ner see­lisch-geis­ti­gen We­sen­heit ist. Wenn nun die­se see­lisch-geis­ti­ge We­sen­heit den­sel­ben Ein­­druck her­vor­ruft wie ein ro­ter Ge­gen­stand der sinn­lich-phy­si­schen Welt, dann mag sie rot ge­nannt wer­den. Beim sinn­lich-phy­si­schen Ge­gen­stand wird aber stets zu­erst da sein der äu­ße­re Ein­druck und dann das in­ne­re Far­ben­er­leb­nis; beim wah­ren über­sinn­li­chen Schau­en des Men­schen un­se­res Zei­tal­ters muß es um­ge­kehrt sein: zu­erst das in­ne­re Er­leb­nis, das schat­ten­haft ist wie ei­ne blo­ße Far­be­ne­rin­ne­rung, und dann ein im­mer leb­haf­ter wer­den­des Bild. Je

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we­ni­ger man dar­auf ach­tet, daß der Vor­gang so sein muß, des­to we­ni­ger kann man un­ter­schei­den zwi­schen wir­k­li­cher geis­ti­ger Wahr­neh­mung und ein­ge­bil­de­ter Täu­schung (Il­lu­­si­on, Hal­lu­zi­na­ti­on usw.). Wie leb­haft nun das Bild wird bei ei­ner sol­chen see­lisch-geis­ti­gen Wahr­neh­mung, ob es ganz schat­ten­haft bleibt, wie ei­ne dunk­le Vor­stel­lung, ob es in­ten­siv wirkt, wie ein äu­ße­rer Ge­gen­stand, das hängt ganz da­von ab, wie sich der über­sinn­lich Er­ken­nen­de ent­wi­ckelt hat. Man kann nun den all­ge­mei­nen Ein­druck, wel­chen der Schau­en­de von dem men­sch­li­chen Äther­leib hat, so be­­sch­rei­ben, daß man sagt: wenn ein über­sinn­lich Er­ken­nen­­der es bis zu ei­ner sol­chen Wil­lens­stär­ke ge­bracht hat, daß er, trotz­dem ein phy­si­scher Mensch vor ihm steht, die Auf­merk­sam­keit von dem ab­len­ken kann, was das phy­si­sche Au­ge sieht, so ver­mag er durch über­sinn­li­ches Be­wußt­sein in den Raum, wel­chen der phy­si­sche Mensch ein­nimmt, zu schau­en. Es ge­hört selbst­ver­ständ­lich ei­ne star­ke Stei­ge­rung des Wil­lens da­zu, um nicht nur sei­ne Auf­merk­sam­keit von et­was ab­zu­wen­den, woran man denkt, son­dern von et­was, das vor ei­nem steht, so daß der phy­si­sche Ein­druck ganz aus­ge­löscht wird. Aber die­se Stei­ge­rung ist mög­lich und sie tritt durch die Übun­gen zur über­sinn­li­chen Er­kennt­nis auf. Der so Er­ken­nen­de kann dann zu­nächst den all­ge­mei­nen Ein­druck des Äther­lei­bes ha­ben. In sei­ner See­le taucht auf die­sel­be in­ne­re Emp­fin­dung, wel­che er hat beim An­blick et­wa der Far­be ei­ner Pfir­sich­blü­te; und die­se wird dann leb­haft, so daß er sa­gen kann: der Äther­leib hat die Far­be der Pfir­sich­blü­te. Dann nimmt er auch die ein­zel­nen Or­ga­ne und Strö­mun­gen des Äther­lei­bes wahr. Man kann aber den Äther­leib auch wei­ter be­sch­rei­ben, in­dem man die Er­leb­nis­se der See­le an­gibt, wel­che Wär­me­emp­fin­dun­gen, Ton­ein­drü­cken

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und so wei­ter ent­sp­re­chen. Denn er ist nicht et­wa bloß ei­ne Far­be­n­er­schei­nung. In dem­sel­ben Sin­ne kön­nen auch der As­tral­leib und die an­dern Glie­der der men­sch­li­chen We­sen­heit be­schrie­ben wer­den. Wer das in Be­tracht zieht, wird ein­se­hen, wie Be­sch­rei­bun­gen zu neh­men sind, wel­che im Sin­ne der Geis­tes­wis­sen­schaft ge­macht sind. (Ver­g­lei­che Ka­pi­tel II die­ses Bu­ches: «We­sen der Mensch­heit»)

Die as­tra­li­sche Welt

So­lan­ge man nur die phy­si­sche Welt be­o­b­ach­tet, stellt sich die Er­de als Wohn­platz des Men­schen wie ein ge­son­der­ter Welt­kör­per dar. Wenn aber die über­sinn­li­che Er­kennt­nis zu an­dern Wel­ten auf­s­teigt, dann hört die­se Son­de­rung auf. Da­her konn­te ge­sagt wer­den, daß die Ima­gi­na­ti­on mit der Er­de zu­g­leich den bis in die Ge­gen­wart he­r­ein ent­wi­ckel­ten Mon­den­zu­stand wahr­nimmt. Die­je­ni­ge Welt, wel­che man in die­ser Art be­tritt, ist nun ei­ne sol­che, daß zu ihr nicht nur das Über­sinn­li­che der Er­de ge­hört, son­dern daß auch noch an­de­re Wel­ten­kör­per in sie ein­ge­bet­tet sind, wel­che phy­sisch von der Er­de ab­ge­son­dert sind. Der Er­ken­ner über­sinn­li­cher Wel­ten be­o­b­ach­tet dann nicht bloß das Über­sinn­li­che der Er­de, son­dern zu­nächst auch das Über­sinn­li­che an­de­rer Welt­kör­per. (Daß es sich zu­nächst um ei­ne Be­o­b­ach­tung des Über­sinn­li­chen an­de­rer Welt­kör­per han­delt, mö­ge der­je­ni­ge be­ach­ten, wel­cher zu der Fra­ge ge­drängt wird: warum denn die über­sinn­lich Schau­en­den nicht an­ge­ben, wie es auf dem Mars usw. aus­sieht. Der Fra­gen­de hat dann die phy­sisch-­sinn­li­chen Ver­hält­nis­se im Au­ge.) Da­her konn­te in der Dar­­­stel­lung die­ses Bu­ches auch ge­spro­chen wer­den über ge­wis­se Be­zie­hun­gen der Er­den­ent­wi­cke­lung zu gleich­zei­ti­gen Sa­­turn-,

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Ju­pi­ter-, Mars­ent­wi­cke­lun­gen usw. Wenn des Men­­schen as­tra­li­scher Leib nun vom Schla­fe hin­ge­nom­men wird, so ge­hört er nicht nur den Er­den­zu­stän­den an, son­dern Wel­ten, an de­nen noch an­de­re Welt­ge­bie­te (Ster­nen­wel­ten) be­tei­ligt sind. Ja, die­se Wel­ten wir­ken auch im Wach­zu­stan­de in den as­tra­li­schen Leib des Men­schen he­r­ein. Da­her kann der Na­me «as­tra­li­scher Leib» ge­recht­fer­tigt er­schei­nen.

Vom Le­ben des Men­schen nach dem To­de

Es ist in den Aus­füh­run­gen die­ses Bu­ches ge­spro­chen wor­­den von der Zeit, durch wel­che hin­durch, nach dem To­des­ein­tritt des Men­schen, der As­tral­leib noch mit dem Äther­­lei­be ve­r­ei­nigt bleibt. Wäh­rend die­ser Zeit ist ei­ne all­mäh­­lich ver­blas­sen­de Er­in­ne­rung an das gan­ze eben ver­f­los­se­ne Le­ben vor­han­den (ver­g­lei­che Ka­pi­tel III: «Schlaf und Tod»). Die­se Zeit ist für ver­schie­de­ne Men­schen ver­schie­den. Sie hängt da­von ab, wie stark die Kraft ist, mit wel­cher bei ei­nem Men­schen der As­tral­leib den Äther­leib an sich hält, wel­che Ge­walt der ers­te über den zwei­ten hat. Die über­sinn­li­che Er­kennt­nis kann ei­nen Ein­druck von die­ser Ge­walt er­hal­ten, wenn sie ei­nen Men­schen be­o­b­ach­tet, der ei­gent­lich nach dem Gra­de sei­ner see­lisch-leib­li­chen Ver­fas­sung schla­fen müß­te, der sich aber durch in­ne­re Kraft wach er­hält. Und nun zeigt sich, daß ver­schie­de­ne Men­schen sich ver­schie­den lang wach er­hal­ten kön­nen, oh­ne zwi­schen­durch von dem Schla­fe über­wäl­tigt zu wer­den. Un­ge­fähr so lan­ge als ein Mensch sich im äu­ßers­ten Fal­le, wenn es sein muß, wach er­hal­ten kann, so lan­ge dau­ert nach dem To­de die Er­in­ne­rung an das eben ver­f­los­se­ne Le­ben, das heißt der Zu­sam­men­halt mit dem Äther­leib.

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Wenn der Äther­leib nach dem To­de von dem Men­schen los­ge­löst ist (ver­g­lei­che Ka­pi­tel III), so bleibt von ihm doch für al­le spä­te­re Ent­wi­cke­lung des Men­schen noch et­was zu­­rück, was man wie ei­nen Ex­trakt oder ei­ne Es­senz des­sel­ben be­zeich­nen kann. Die­ser Ex­trakt ent­hält die Früch­te des ver­f­los­se­nen Le­bens. Und er ist der Trä­ger al­les des­sen, was wäh­rend der geis­ti­gen Ent­wi­cke­lung des Men­schen zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt sich wie ein Keim zum fol­gen­den Le­ben ent­fal­tet. (Ver­g­lei­che Ka­pi­tel III.)

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Die Zeit zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt (ver­g­lei­che Ka­pi­tel III) ist in ih­rer Dau­er da­durch be­stimmt, daß das «Ich» in der Re­gel erst dann wie­der in die phy­sisch-sinn­li­che Welt zu­rück­kehrt, wenn die­se sich in­zwi­schen so um­ge­stal­tet hat, daß Neu­es von dem «Ich» er­lebt wer­den kann. Wäh­rend die­ses in den geis­ti­gen Ge­bie­ten ist, än­dert sich der Er­den­wohn­platz. Die­se Än­de­rung hängt nach ei­ner Rich­tung hin mit den gro­ßen Ve­r­än­de­run­gen im Wel­tall zu­sam­men; mit Ve­r­än­de­run­gen in der Stel­lung der Er­de zur Son­ne usw. Das aber sind durch­aus Ve­r­än­de­run­gen, in de­nen ge­wis­se Wie­der­ho­lun­gen in Ver­bin­dung mit neu­en Ver­hält­nis­sen ein­t­re­ten. Sie fin­den ih­ren äu­ße­ren Aus­druck da­rin, daß zum Bei­spiel der Punkt am Him­mels­ge­wöl­be, in wel­chem die Son­ne bei Früh­lings­an­be­ginn auf­geht, sich im Lau­fe von et­wa 26.000 Jah­ren in ei­nem voll­stän­di­gen Krei­se dreht. Die­ser Früh­lings­punkt be­wegt sich da­durch im Lau­fe die­ser Zeit von ei­nem Him­mels­ge­bie­te zum an­­dern. Im Ver­lau­fe des zwölf­ten Tei­les je­ner Zeit, das ist in 2100 Jah­ren un­ge­fähr, ha­ben sich die Ver­hält­nis­se auf der Er­de so weit ve­r­än­dert, daß die Men­schen­see­le auf der­sel­ben Neu­es nach ei­ner vor­an­ge­gan­ge­nen Ver­kör­pe­rung er­le­ben

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kann. Da aber die Er­leb­nis­se des Men­schen ver­schie­den sind, je nach­dem er sich als Frau oder als Mann ver­kör­pert, so fin­den inn­er­halb des cha­rak­te­ri­sier­ten Zei­trau­mes in der Re­gel zwei Ver­kör­pe­run­gen, ei­ne als Mann, ei­ne als Frau, statt. Doch hän­gen die­se Din­ge auch da­von ab, wie die Kräf­te sind, wel­che sich der Mensch aus dem Er­den­da­sein durch den Tod hin­durch mit­nimmt. Da­her sind al­le sol­che An­ga­ben, wie die hier ge­ge­be­nen, nur so auf­zu­fas­sen, daß sie im we­sent­li­chen gel­ten, im ein­zel­nen aber sich in der man­nig­fal­tigs­ten Wei­se ab­ge­än­dert zei­gen. Von den an­ge­­führ­ten Ver­hält­nis­sen im Wel­te­nall hängt es eben nur in ei­ner Be­zie­hung ab, wie lan­ge das Men­schen-Ich in der geis­ti­gen Welt zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt ver­weilt. In ei­ner an­dern Be­zie­hung hängt dies ab von den Ent­wi­cke­lungs­zu­stän­den, wel­che der Mensch in die­ser Zeit durch­macht. Die­se Zu­stän­de füh­ren das «Ich» nach ei­nem ge­wis­sen Zei­t­ablauf zu ei­ner geis­ti­gen Ver­fas­sung, die in ih­rem in­ne­ren Geis­ter­le­ben nicht mehr Be­frie­di­gung fin­det, wel­che das Ver­lan­gen nach je­ner Be­wußt­s­eins­än­de­rung en­t­­wi­ckelt, die in dem Sich­spie­geln durch das phy­si­sche Er­le­ben sich be­frie­digt. Aus dem Zu­sam­men­wir­ken die­ses in­ne­ren Durs­tes nach Ver­kör­pe­rung und der im Wel­te­nall ge­ge­be­­nen Mög­lich­keit, die ent­sp­re­chen­de Leib­lich­keit zu fin­den, er­folgt der Ein­tritt des Men­schen in das Er­den­le­ben. Er er­­folgt weil zwei­er­lei zu­sam­men­wir­ken muß das ei­ne Mal, auch wenn der «Durst» noch nicht sei­ne Höhe er­reicht hat, weil ei­ne an­näh­ernd an­gepaß­te Ver­kör­pe­rung er­reicht wer­den kann; das an­de­re Mal, auch wenn der «Durst» über sei­ne nor­ma­le Höhe hin­aus­ge­schrit­ten ist, weil zur ent­sp­re­chen­den Zeit noch kei­ne Mög­lich­keit der Ver­kör­pe­rung da war. Die all­ge­mei­ne Le­bens­stim­mung, in der sich ein Mensch

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durch die Be­schaf­fen­heit sei­nes kör­per­li­chen We­sens be­fin­­det, hängt mit die­sen Ver­hält­nis­sen zu­sam­men.

Der Le­bens­lauf des Men­schen

Das Le­ben des Men­schen, wie es sich äu­ßert in der Auf­­ein­an­der­fol­ge der Zu­stän­de zwi­schen Ge­burt und Tod, kann nur da­durch voll­stän­dig be­grif­fen wer­den, daß man nicht nur den sinn­lich-phy­si­schen Leib in Be­tracht zieht, son­dern auch je­ne Ve­r­än­de­run­gen, wel­che sich mit den über­sinn­li­chen Glie­dern der Men­schen­na­tur voll­zie­hen. Man kann die­se Ve­r­än­de­run­gen in der fol­gen­den Art an­se­hen. Die phy­si­sche Ge­burt stellt sich dar als ei­ne Los­lö­sung des Men­schen von der phy­si­schen Mut­ter­hül­le. Kräf­te, wel­che der Men­schen­keim vor der Ge­burt mit dem Lei­be der Mut­ter ge­mein­sam hat­te, sind nach der Ge­burt nur noch als selb­stän­di­ge in ihm selbst vor­han­den. Nun ge­hen aber im spä­te­ren Le­ben für die über­sinn­li­che Wahr­neh­mung ähn­li­che über­sinn­li­che Er­­eig­nis­se vor sich, wie die sinn­li­chen sind bei der phy­si­schen Ge­burt. Der Mensch ist näm­lich un­ge­fähr bis zum Zahn­wech­sel (im sechs­ten oder sie­ben­ten Jah­re) in be­zug auf sei­nen Äther­leib von ei­ner äthe­ri­schen Hül­le um­ge­ben. Die­se fällt in die­sem Zeit­ab­schnit­te des Le­bens ab. Es fin­det da ei­ne «Ge­burt» des Äther­lei­bes statt. Noch im­mer bleibt aber der Mensch von ei­ner as­tra­li­schen Hül­le um­ge­ben, wel­che in der Zeit vom zwölf­ten bis sech­zehn­ten Jah­re (zur Zeit der Ge­sch­lechts­rei­fe) ab­fällt. Da fin­det die «Ge­burt» des as­tra­li­schen Lei­bes statt. Und noch spä­ter wird das ei­gen­t­­li­che «Ich» ge­bo­ren. (Die frucht­ba­ren Ge­sichts­punk­te, wel­che sich aus die­sen über­sinn­li­chen Tat­sa­chen für die Han­d­ha­bung der Er­zie­hung er­ge­ben, sind in mei­ner klei­nen

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Schrift: «Die Er­zie­hung des Kin­des vom Ge­sichts­punk­te der Geis­tes­wis­sen­schaft» dar­ge­s­tellt. Dort fin­det man auch wei­­te­re Aus­füh­run­gen über das­je­ni­ge, was hier nur an­ge­deu­tet wer­den kann.) Der Mensch lebt nun nach der Ge­burt des «Ich» so, daß er sich den Welt- und Le­bens­ver­hält­nis­sen ein­g­lie­dert und inn­er­halb ih­rer sich be­tä­tigt, nach Maß­g­a­be der durch das «Ich» tä­ti­gen Glie­der: Emp­fin­dungs­see­le, Ver­­­stan­des­see­le und Be­wußt­s­eins­see­le. Dann tritt ei­ne Zeit ein, in wel­cher der Äther­leib sich wie­der zu­rück­bil­det, in wel­cher er die um­ge­kehr­te Bil­dung sei­ner Ent­fal­tung vom sie­ben­ten Jah­re an wie­der durch­macht. Wäh­rend vor­her der As­tral­leib sich so ent­wi­ckelt hat, daß er in sich zu­erst das ent­fal­tet hat, was in ihm als An­la­ge bei der Ge­burt vor­han­den war, und sich dann, nach der Ge­burt des «Ich», durch die Er­le­b­­nis­se der Au­ßen­welt be­rei­chert hat, be­ginnt er von ei­nem be­stimm­ten Zeit­punk­te an da­mit, sich von dem ei­ge­nen Äther­lei­be aus geis­tig zu näh­ren. Er zehrt am Äther­lei­be. Und im wei­te­ren Ver­lau­fe des Le­bens be­ginnt dann auch der Äther­leib an dem phy­si­schen Lei­be zu zeh­ren. Da­mit hängt des letz­te­ren Ver­fall im Grei­se­nal­ter zu­sam­men. Nun zer­fällt da­durch des Men­schen Le­bens­lauf in drei Tei­le, in ei­ne Zeit, in wel­cher der phy­si­sche Leib und Äther­­leib sich ent­fal­ten, dann in die­je­ni­ge, in wel­cher der As­tral­­leib und das «Ich» zur Ent­wi­cke­lung kom­men, und end­lich die­je­ni­ge, in wel­cher Äther­leib und phy­si­scher Leib sich wie­­der zu­rück­ver­wan­deln. Nun ist aber der as­tra­li­sche Leib bei al­len Vor­gän­gen zwi­schen Ge­burt und Tod be­tei­ligt. Da­­durch, daß er ei­gent­lich aber erst mit dem zwölf­ten bis sech­zehn­ten Jah­re geis­tig ge­bo­ren ist und in der letz­ten Le­ben­s­e­po­che von den Kräf­ten des Äther­lei­bes und phy­si­schen Lei­bes zeh­ren muß, wird das­je­ni­ge, was er durch sei­ne ei­ge­nen

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Kräf­te kann, sich lang­sa­mer ent­wi­ckeln, als wenn es nicht in ei­nem phy­si­schen und Äther­lei­be wä­re. Nach dem To­de, wenn phy­si­scher und Äther­leib ab­ge­fal­len sind, geht die Ent­wi­cke­lung in der Läu­te­rungs­zeit (ver­g­lei­che Ka­pi­­tel III) des­halb un­ge­fähr so vor sich, daß sie ein Drit­tel der­je­ni­gen Dau­er be­trägt, die das Le­ben zwi­schen Ge­burt und Tod in An­spruch nimmt.

Die höhe­ren Ge­bie­te der geis­ti­gen Welt

Durch Ima­gi­na­ti­on, In­spi­ra­ti­on und In­tui­ti­on steigt die über­sinn­li­che Er­kennt­nis all­mäh­lich in die­je­ni­gen Ge­bie­te der geis­ti­gen Welt hin­auf, in wel­chen ihr er­reich­bar sind die We­sen, wel­che an der Welt- und Mensch­heits­ent­wi­cke­lung be­tei­ligt sind. Und es wird ihr da­durch auch mög­lich, die Ent­wi­cke­lung des Men­schen zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt so zu ver­fol­gen, daß die­se ver­ständ­lich wird. Nun gibt es noch höhe­re Ge­bie­te des Da­seins, auf wel­che hier nur ganz kurz hin­ge­deu­tet wer­den kann. Wenn sich die über­sinn­li­che Er­kennt­nis bis zur In­tui­ti­on er­ho­ben hat, dann lebt sie in ei­ner Welt geis­ti­ger We­sen. Auch die­se ma­chen Ent­wi­cke­lun­gen durch. Was An­ge­le­gen­heit der ge­gen­wär­­ti­gen Mensch­heit ist, das er­st­reckt sich ge­wis­ser­ma­ßen bis in die Welt der In­tui­ti­on hin­auf. Al­ler­dings emp­fängt der Mensch auch Ein­flüs­se aus noch höhe­ren Wel­ten im Lau­fe sei­ner Ent­wi­cke­lung zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt; aber die­se Ein­flüs­se er­fährt er nicht di­rekt; die We­sen der geis­ti­gen Welt füh­ren sie ihm zu. Und wer­den die­se be­trach­tet, so er­gibt sich al­les, was an dem Men­schen ge­schieht. Die ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten aber die­ser We­sen, das­je­ni­ge, was sie für sich brau­chen, um die men­sch­li­che En­t­­wi­cke­lung

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zu füh­ren, kön­nen nur durch ei­ne Er­kennt­nis be­o­b­ach­tet wer­den, wel­che über die In­tui­ti­on hin­aus­geht. Es er­gibt sich da­mit der Hin­weis auf Wel­ten, wel­che so vor­­zu­s­tel­len sind, daß geis­ti­ge An­ge­le­gen­hei­ten, wel­che auf der Er­de die höchs­ten sind, dort zu den nie­d­ri­ge­ren ge­hö­ren. Ver­nünf­ti­ge Ent­schlüs­se zum Bei­spiel ge­hö­ren inn­er­halb des Er­den­ge­bie­tes zu dem höchs­ten; die Wir­kun­gen des mi­ne­ra­li­schen Rei­ches zu dem nie­d­rigs­ten. In je­nen höhe­ren Re­­gio­nen sind ver­nünf­ti­ge Ent­schlüs­se un­ge­fähr das, was auf Er­den die mi­ne­ra­li­schen Wir­kun­gen sind. Über dem Ge­­bie­te der In­tui­ti­on liegt die Re­gi­on, in wel­cher aus geis­ti­gen Ur­sa­chen her­aus der Wel­ten­plan ges­pon­nen wird.

Die We­sens­g­lie­der des Men­schen

Wenn ge­sagt wor­den ist (ver­g­lei­che Sei­te 69 und die fol­­gen­den), das «Ich» ar­bei­te an den men­sch­li­chen We­sens­g­lie­­dern, dem phy­si­schen Leib, dem Äther­leib und dem as­tra­­li­schen Leib, und ge­stal­te die­se in um­ge­kehr­ter Fol­ge um zu Geist­selbst, Le­bens­geist und Geis­tes­mensch, so be­zieht sich die­ses auf die Ar­beit des Ich an der men­sch­li­chen We­sen­heit durch die höchs­ten Fähig­kei­ten, mit de­ren Ent­wi­cke­lung erst im Lau­fe der Er­den­zu­stän­de der An­fang ge­macht wor­den ist. Die­ser Um­ge­stal­tung geht aber ei­ne an­de­re auf ei­ner nie­d­ri­ge­ren Stu­fe voran, und durch die­se ent­ste­hen Em­p­­fin­dungs­see­le, Ver­stan­des­see­le und Be­wußt­s­eins­see­le. Denn wäh­rend sich im Lau­fe der Ent­wi­cke­lung des Men­schen die Emp­fin­dungs­see­le bil­det, ge­hen Ve­r­än­de­run­gen im As­tral­­lei­be vor sich, die Bil­dung der Ver­stan­des­see­le drückt sich in Ver­wand­lun­gen des Äther­lei­bes, und je­ne der Be­wußt­­­s­eins­see­le in sol­chen des phy­si­schen Lei­bes aus. Im Ver­lau­fe

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der Schil­de­rung der Er­den­ent­wi­cke­lung, wel­che in die­sem Bu­che ge­ge­ben wor­den ist, wur­de dar­über das Nähe­re an­­ge­ge­ben. So kann man al­so in ei­ner ge­wis­sen Be­zie­hung sa­gen: schon die Emp­fin­dungs­see­le be­ru­he auf ei­nem ver­­wan­del­ten As­tral­leib; die Ver­stan­des­see­le auf ei­nem ver­­wan­del­ten Äther­leib; die Be­wußt­s­eins­see­le auf ei­nem ver­­wan­del­ten phy­si­schen Leib. Man kann aber auch sa­gen, die­se drei See­len­g­lie­der sei­en Tei­le des as­tra­li­schen Lei­bes, denn nur da­durch ist zum Bei­spiel die Be­wußt­s­eins­see­le mög­lich, daß sie ei­ne as­tra­li­sche We­sen­heit in ei­nem ihr an­­gepaß­ten phy­si­schen Leib ist. Sie lebt ein aus­tra­li­sches Le­ben in ei­nem zu ih­rem Wohn­platz be­ar­bei­te­ten phy­si­schen Leib.

Der Tra­um­zu­stand

Der Tra­um­zu­stand ist in ei­ner ge­wis­sen Be­zie­hung im Ka­pi­tel III die­ser Schrift cha­rak­te­ri­siert wor­den. Er ist auf­­zu­fas­sen auf der ei­nen Sei­te als ein Über­rest des al­ten Bil­der­­be­wußt­seins, wie es dem Men­schen wäh­rend der Mon­den­­ent­wi­cke­lung und auch noch wäh­rend ei­nes gro­ßen Tei­les der Er­den­ent­wi­cke­lung ei­gen war. Die Ent­wi­cke­lung sch­rei­­tet eben so vor­wärts, daß frühe­re Zu­stän­de in spä­te­re hin ein­spie­len. Und so kommt wäh­rend des Träu­mens in dem Men­schen jetzt als Über­rest zum Vor­schein, was früh­er nor­ma­ler Zu­stand war. Zu­g­leich aber ist die­ser Zu­stand nach ei­ner an­de­ren Sei­te doch wie­der an­ders als das al­te Bil­der­be­wußt­sein. Denn seit der Aus­bil­dung des Ich spielt das­sel­be auch in die Vor­gän­ge des as­tra­li­schen Lei­bes hin­ein, wel­che im Schla­fe wäh­rend des Träu­mens sich voll­zie­hen. So stellt sich im Trau­me ein durch die An­we­sen­heit des Ich ve­r­än­der­tes Bil­der­be­wußt­sein dar. Weil aber das Ich nicht

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be­wußt sei­ne Tä­tig­keit auf den As­tral­leib wäh­rend des Träu­mens aus­übt, so darf auch nichts, was in das Ge­biet des Tra­um­le­bens ge­hört, zu dem ge­rech­net wer­den, was in Wahr­heit zu ei­ner Er­kennt­nis der über­sinn­li­chen Wel­ten im Sin­ne der Geis­tes­wis­sen­schaft füh­ren kann. Ein Glei­ches gilt für das, was man oft als Vi­si­on, Ah­nung oder «zwei­tes Ge­­sicht» (Deu­te­ros­ko­pie) be­zeich­net. Die­se kom­men da­durch zu­stan­de, daß sich das «Ich» aus­schal­tet und da­durch Über­­res­te al­ter Be­wußt­s­eins­zu­stän­de ent­ste­hen. Sie ha­ben in der Geis­tes­wis­sen­schaft kei­ne un­mit­tel­ba­re Ver­wen­dung; was in ih­nen be­o­b­ach­tet wird, kann nicht im ech­ten Sin­ne als Er­geb­nis der­sel­ben be­trach­tet wer­den.

Zur Er­lan­gung über­sinn­li­cher Er­kennt­nis­se

Der Weg zur Er­lan­gung von Er­kennt­nis­sen der über­­sinn­li­chen Wel­ten, der in die­sem Bu­che aus­führ­li­cher be­schrie­ben wor­den ist, kann auch der «un­mit­tel­ba­re Er­kennt­nis­weg» ge­nannt wer­den. Ne­ben ihm gibt es noch ei­nen sol­chen, wel­chen man als «Ge­fühls­weg» be­zeich­nen kann. Doch wä­re es ganz un­rich­tig, et­wa zu glau­ben, daß der ers­te­re mit der Aus­bil­dung des Ge­füh­l­es nichts zu tun ha­be. Er führt viel­mehr zur größt­mög­li­chen Ver­tie­fung des Ge­fühls­le­bens. Doch wen­det sich der «Ge­fühls­weg» eben un­mit­tel­bar an das blo­ße Ge­fühl und sucht von die­sem aus zu den Er­kennt­nis­sen auf­zu­s­tei­gen. Er be­ruht dar­auf, daß ein Ge­fühl, wenn sich die See­le ganz ihm hin­gibt ei­ne ge­wis­se Zeit hin­durch, sich in ei­ne Er­kennt­nis, in ei­ne bild­haf­te An­schau­ung ver­­wan­delt. Wenn zum Bei­spiel die See­le sich ganz aus­füllt durch Wo­chen, Mo­na­te, ja län­ger, mit dem Ge­füh­le der De­mut, so ver­wan­delt sich der Ge­fühls­in­halt in ei­ne An­schau­ung.

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Man kann nun auch durch ein stu­fen­wei­ses Durch­­­ma­chen sol­cher Ge­füh­le ei­nen Weg in die über­sinn­li­chen Ge­bie­te fin­den. Doch ist er für den ge­gen­wär­ti­gen Men­schen inn­er­halb der ge­wöhn­li­chen Le­bens­be­din­gun­gen nicht leicht durch­zu­füh­ren. Ein­sam­keit, Zu­rück­ge­zo­gen­heit von dem Le­ben der Ge­gen­wart ist da­bei fast un­er­läß­lich. Denn was das all­täg­li­che Le­ben bringt an Ein­drü­cken, stört na­ment­lich im An­fan­ge der Ent­wi­cke­lung das­je­ni­ge, was die See­le durch Ver­sen­kung in be­stimm­te Ge­füh­le er­reicht. Da­ge­gen ist der in die­sem Bu­che ge­schil­der­te Er­kennt­nis­weg in je­der ge­gen­wär­ti­gen Le­bens­la­ge durch­zu­füh­ren.

Be­o­b­ach­tung be­son­de­rer Er­eig­nis­se und We­sen der Geis­tes­welt

Es kann die Fra­ge ge­s­tellt wer­den, ob die in­ne­re Ver­sen­kung und die an­dern ge­schil­der­ten Mit­tel zur Er­lan­gung von über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­sen nur die Be­o­b­ach­tung des Men­­schen zwi­schen Tod und neu­er Ge­burt oder an­de­re geis­ti­ge Vor­gän­ge im all­ge­mei­nen ge­stat­ten, oder ob sie es auch er­mög­li­chen, ganz be­stimm­te Ein­zel­vor­gän­ge und We­sen, zum Bei­spiel ei­nen be­stimm­ten To­ten zu be­o­b­ach­ten. Dar­­auf muß ge­ant­wor­tet wer­den: Wer sich durch die ge­schil­der­­ten Mit­tel die Fähig­keit er­wirbt zur Be­o­b­ach­tung der geis­ti­­gen Welt, der kann auch da­zu ge­lan­gen, Ein­zel­hei­ten zu be­o­b­ach­ten, wel­che in der­sel­ben vor sich ge­hen. Er macht sich fähig, sich mit Men­schen, die in der geis­ti­gen Welt zwi­schen dem To­de und ei­ner neu­en Ge­burt le­ben, in Ver­­­bin­dung zu set­zen. Nur muß be­ach­tet wer­den, daß die­ses im Sin­ne der Geis­tes­wis­sen­schaft nur ge­sche­hen soll, nach­­­dem man die re­gel­rech­te Schu­lung für die über­sinn­li­chen

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Er­kennt­nis­se durch­ge­macht hat. Denn erst dann kann man in be­zug auf be­son­de­re Er­eig­nis­se und We­sen­hei­ten zwi­schen Täu­schung und Wir­k­lich­keit un­ter­schei­den. Wer ein­zel­nes be­o­b­ach­ten will oh­ne rich­ti­ge Schu­lung, der wird vie­len Täu­schun­gen zum Op­fer fal­len kön­nen. Selbst das An­fäng­­lichs­te: das Ver­ste­hen der Art, wie sol­che Ein­drü­cke be­son­­de­rer Tat­sa­chen der über­sinn­li­chen Welt zu deu­ten sind, ist nicht mög­lich oh­ne fort­ge­schrit­te­ne Geis­tes­schu­lung. Je­ne Schu­lung, wel­che in die höhe­ren Wel­ten zur Be­o­b­ach­tung des­sen führt, was in die­sem Bu­che ge­schil­dert ist, sie führt auch da­zu, das Le­ben ei­nes ein­zel­nen Men­schen nach dem To­de ver­fol­gen zu kön­nen: und nicht min­der da­zu, al­le geis­tig-see­li­schen be­son­de­ren We­sen zu be­o­b­ach­ten und zu ver­ste­hen, wel­che aus ver­bor­ge­nen Wel­ten in die of­fen­ba­ren he­r­ein­wir­ken. Doch ist si­che­res Be­o­b­ach­ten ge­ra­de des Ein­­zel­nen nur auf Grund der Er­kennt­nis­se der all­ge­mei­nen, gro­ßen, je­den Men­schen an­ge­hen­den Welt- und Mensch­heits­­tat­sa­chen der geis­ti­gen Welt mög­lich. Wer das ei­ne be­gehrt, oh­ne das an­de­re ha­ben zu wol­len, geht in die Ir­re. Es ge­hört nun ein­mal zu den Er­fah­run­gen, die man in be­zug auf das Be­o­b­ach­ten der geis­ti­gen Welt ma­chen muß, daß der Ein­tritt in die­je­ni­gen Ge­bie­te des über­sinn­li­chen Da­seins, nach de­nen man zu al­le­r­erst be­gehrt, ei­nem erst dann be­schert wird, wenn man sich auf erns­ten und schwie­ri­gen, nur den all­ge­mei­nen Er­kennt­nis­fra­gen zu­ge­neig­ten We­gen um das be­müht hat, was Auf­schluß über den Sinn des Le­bens gibt. Ist man die­se We­ge in rei­nem, un­e­go­is­ti­schem Er­kennt­nis­dran­ge ge­gan­gen, dann ist man erst reif, Ein­zel­hei­ten zu be­o­b­ach­ten, de­ren An­schau­ung vor­her doch nur die Be­frie­­di­gung ei­nes ego­is­ti­schen Be­dürf­nis­ses wä­re, auch wenn sich der Ver­lan­gen­de ein­re­de­te, daß er nur aus Lie­be zum Be­spiel

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zu ei­nem To­ten den Ein­blick in die geis­ti­ge Welt er­­st­re­be. Der Ein­blick in das Be­son­de­re kann nur dem wer­den, der sich durch erns­tes In­ter­es­se für geis­tes­wis­sen­schaf­t­­li­che All­ge­mein­hei­ten die Mög­lich­keit ge­won­nen hat, auch das Be­son­de­re ganz oh­ne ego­is­ti­sche Be­geh­run­gen wie ei­ne ob­jek­ti­ve wis­sen­schaft­li­che Wahr­heit hin­zu­neh­men.

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BESONDERE BEMERKUNGEN

(Zu Sei­te 62 ff.) Au­s­ein­an­der­set­zun­gen wie die­je­ni­gen, wel­che in die­sem Bu­che ge­ge­ben wer­den über das Er­in­ne­rungs­ver­mö­gen, kön­nen sehr leicht mißv­er­stan­den wer­den. Denn wer nur die äu­ße­ren Vor­gän­ge be­trach­tet, dem wird der Un­ter­schied gar nicht oh­ne wei­te­res auf­fal­len zwi­schen dem, was am Tie­re, ja selbst an der Pflan­ze ge­schieht, wenn so et­was ein­tritt, was der Er­in­ne­rung gleicht, und dem, was hier für den Men­schen als wir­k­li­che Er­in­ne­rung ge­ken­n­zeich­net wird. Ge­wiß, wenn ein Tier ei­ne Hand­lung ein drit­tes, vier­tes usw. Mal aus­führt, so mag es sie so aus­füh­­ren, daß sich der äu­ße­re Vor­gang so dar­s­tellt, wie wenn Er­in­ne­rung und das mit die­ser ver­knüpf­te Ler­nen vor­han­­den wä­ren. Ja, man mag, wie es ein­zel­ne Na­tur­for­scher und ih­re An­hän­ger tun, so­gar den Be­griff der Er­in­ne­rung oder des Ge­dächt­nis­ses so aus­deh­nen, daß man sagt, wenn das Küch­lein aus der Ei­scha­le kriecht, so pickt es nach den Kör­­nern, wis­se so­gar die Be­we­gun­gen des Kop­fes und Kör­pers so zu ma­chen, daß es zum Zie­le kom­me. Das kön­ne es nicht in der Ei­scha­le ge­lernt ha­ben, son­dern es sei ge­lernt durch die tau­send und aber tau­send We­sen, von de­nen es ab­stammt (so sagt zum Bei­spiel He­ring01) Man kann die Er­schei­nung, die hier vor­liegt, als et­was be­zeich­nen, was wie Er­in­ne­rung aus­sieht. Aber man wird nie zum wir­k­li­chen Be­g­rei­fen der men­sch­li­chen We­sen­heit kom­men, wenn man nicht das ganz Be­son­de­re ins Au­ge faßt, was im Men­schen als der Vor­gang des wir­k­li­chen Wahr­neh­mens frühe­rer Er­leb­nis­se in spä­t­e­­ren Zeit­punk­ten auf­tritt, nicht bloß als ein Hin­ein­wir­ken

#F­N013-434-01 E­wald He­ring, Über das Ge­dächt­nis als ei­ne all­ge­mei­ne Funk­ti­on der or­ga­ni­schen Ma­te­rie (1870).

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frühe­rer Zu­stän­de in spä­te­re. Hier in die­sem Bu­che wird Er­in­ne­rung die­ses Wahr­neh­men des Ver­gan­ge­nen ge­nannt, nicht bloß das selbst ve­r­än­der­te Wie­der­auf­t­re­ten des Frühe­ren in dem Spä­te­ren. Woll­te man das Wort Er­in­ne­rung schon für die ent­sp­re­chen­den Vor­gän­ge im Pflan­zen- und Tier­rei­che ge­brau­chen, so müß­te man ein an­de­res für den Men­schen ha­ben. Es kommt bei der obi­gen Dar­stel­lung die­ses Bu­ches gar nicht auf das Wort an, son­dern dar­auf, daß be­hufs Ver­ständ­nis­ses der men­sch­li­chen We­sen­heit der Un­ter­schied er­kannt wer­den muß. Eben­so­we­nig kön­nen schein­bar so­gar sehr ho­he In­tel­li­genz­leis­tun­gen von Tie­ren mit dem zu­sam­men­ge­bracht wer­den, was hier Er­in­ne­rung ge­nannt wird.

(Zu Sei­te 72 f.) Zwi­schen den Ve­r­än­de­run­gen, wel­che sich durch die Tä­tig­keit des Ich im As­tral­lei­be voll­zie­hen, und je­nen, die im Äther­lei­be vor­ge­hen, läßt sich ei­ne fes­te Gren­ze nicht zie­hen. Es ge­hen die ei­nen in die an­de­ren über. Wenn der Mensch et­was lernt und sich da­durch ei­ne ge­wis­se Fähi­g­keit des Ur­tei­les er­wirbt, so ist ei­ne Ve­r­än­de­rung im As­tral­­lei­be ein­ge­t­re­ten; wenn aber die­ses Ur­teil sei­ne See­len­ver­­­fas­sung än­dert, so daß er sich ge­wöhnt, über ei­ne Sa­che nach dem Ler­nen an­ders zu emp­fin­den als vor­her, so liegt ei­ne Än­de­rung im Äther­lei­be vor. Al­les, was so men­sch­li­ches Ei­gen­tum wird, daß sich der Mensch im­mer wie­der da­ran er­in­nern kann, be­ruht auf ei­ner Än­de­rung des Äther­lei­bes. Was nach und nach ein fes­ter Schatz des Ge­dächt­nis­ses wird, dem liegt zu­grun­de, daß sich die Ar­beit am As­tral­lei­be auf den Äther­leib über­tra­gen hat.

(Zu Sei­te 84 f.) Der Zu­sam­men­hang von Schlaf und Er­­mü­dung wird zu­meist nicht in ei­ner durch die Tat­sa­chen ge­for­der­ten Wei­se an­ge­se­hen. Man denkt, der Schlaf tre­te

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ein in­fol­ge der Er­mü­dung. Daß die­se Vor­stel­lung viel zu ein­fach ist, kann je­des Ein­schla­fen ei­nes oft gar nicht er­­mü­de­ten Men­schen beim An­hö­ren ei­ner ihn nicht in­ter­es­sie­ren­den Re­de oder bei ähn­li­cher Ge­le­gen­heit zei­gen. Wer be­haup­ten will, bei sol­cher Ver­an­las­sung er­mü­de eben der Mensch, der er­klärt doch nach ei­ner Me­tho­de, wel­cher der rech­te Er­kennt­ni­s­ernst man­gelt. Un­be­fan­ge­ne Be­o­b­ach­tung muß denn doch dar­auf kom­men, daß Wa­chen und Schla­fen ver­schie­de­ne Ver­hält­nis­se der See­le zum Lei­be dar­s­tel­len, die im re­gel­mä­ß­i­gen Le­bens­ver­lau­fe in rhyth­mi­scher Fol­ge wie lin­ker und rech­ter Pen­del­aus­schlag auf­t­re­ten müs­sen. Es er­gibt sich bei solch un­be­fan­ge­ner Be­o­b­ach­tung, daß das Er­füllt­sein der See­le mit den Ein­drü­cken der Au­ßen­welt in die­ser die Be­gier­de er­weckt, nach die­sem Zu­stand in ei­nen an­dern ein­zu­t­re­ten, in­dem sie im Ge­nuß der ei­ge­nen Lei­b­­lich­keit auf­geht. Es wech­seln zwei See­len­zu­stän­de: Hin­­ge­ge­ben­sein an die Au­ßen­ein­drü­cke und Hin­ge­ge­ben­sein an die ei­ge­ne Leib­lich­keit. In dem ers­ten Zu­stan­de wird un­be­wußt die Be­gier­de nach dem zwei­ten er­zeugt, der selbst dann im Un­be­wuß­ten ver­läuft. Der Aus­druck der Be­gier­de nach dem Ge­nus­se der ei­ge­nen Leib­lich­keit ist die Er­mü­dung. Man muß al­so ei­gent­lich sa­gen: man füh­le sich er­mü­det, weil man schla­fen will, nicht man wol­le schla­fen, weil man sich er­mü­det füh­le. Da nun die Men­schen­see­le durch Ge­wöh­nung die im nor­ma­len Le­ben not­wen­dig auf­t­re­ten­den Zu­stän­de auch will­kür­lich in sich her­vor­ru­fen kann, so ist es mög­lich, daß sie, wenn sie sich für ei­nen ge­ge­be­nen äu­ße­ren Ein­druck ab­s­tumpft, in sich die Be­gier­de her­vor­ruft nach dem Ge­nuß der ei­ge­nen Leib­lich­keit; das heißt, daß sie ein­schläft, wenn durch die in­ne­re Ver­fas­sung des Men­schen kei­ne Ver­an­las­sung da­zu ist.

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(Zu Sei­te 125 f.) Daß die per­sön­li­chen Ga­ben des Men­­schen, wenn sie dem Ge­setz der blo­ßen «Ver­er­bung» un­ter­lä­gen, sich nicht am En­de, son­dern am An­fan­ge ei­ner Bluts­ge­mein­schaft zei­gen müß­ten, könn­te als Aus­spruch na­tür­lich leicht mißv­er­stan­den wer­den. Man könn­te sa­gen, ja, sie kön­nen sich da doch nicht zei­gen, denn sie müs­sen sich ja eben erst ent­wi­ckeln. Aber dies ist kein Ein­wand; denn wenn man be­wei­sen will, daß et­was von ei­nem vor­her­­ge­hen­den ver­erbt ist, so muß man zei­gen, wie sich an dem Nach­kom­men das wie­der­fin­det, was vor­her schon da war. Zeig­te sich nun, daß et­was am An­fan­ge ei­ner Bluts­ge­nos­sen­­schaft da wä­re, was im wei­te­ren Ver­lau­fe wie­der­ge­fun­den wür­de, so könn­te man von Ver­er­bung sp­re­chen. Man kann es aber nicht, wenn am En­de et­was auf­tritt, was vor­her nicht da war. Die Um­keh­rung des Sat­zes oben soll­te nur zei­gen, daß der Ver­er­bungs­ge­dan­ke ein un­mög­li­cher ist.

(Zu Sei­te 148) Es ist in ein­zel­nen Ka­pi­teln die­ses Bu­ches dar­ge­s­tellt wor­den, wie die Welt des Men­schen und er selbst hin­durch­sch­rei­ten durch die Zu­stän­de, wel­che mit den Na­­men Sa­turn, Son­ne, Mond, Er­de, Ju­pi­ter, Ve­nus, Vul­kan be­zeich­net wor­den sind. Es ist auch an­ge­deu­tet wor­den, in wel­chem Ver­hält­nis­se die men­sch­li­che Ent­wi­cke­lung zu Him­mels­kör­pern steht, wel­che ne­ben der Er­de vor­han­den sind und wel­che als Sa­turn, Ju­pi­ter, Mars usw. an­ge­ge­ben wor­den sind. Die­se letz­te­ren Him­mels­kör­per ma­chen na­tur­­ge­mäß auch ih­re Ent­wi­cke­lung durch. Im ge­gen­wär­ti­gen Zei­traum sind sie auf ei­ner sol­chen Stu­fe an­ge­kom­men, daß sich ih­re phy­si­schen Tei­le der Wahr­neh­mung als das­je­ni­ge zei­gen, was in der phy­si­schen As­tro­no­mie Sa­turn, Ju­pi­ter, Mars usw. ge­nannt wird. Wenn nun im geis­tes­wis­sen­schaf­t­­li­chen Sin­ne der ge­gen­wär­ti­ge Sa­turn be­trach­tet wird, so ist

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er ge­wis­ser­ma­ßen ei­ne Wie­der­ver­kör­pe­rung des­sen, was der al­te Sa­turn war. Er ist ent­stan­den, weil vor der Tren­nung der Son­ne von der Er­de ge­wis­se We­sen­hei­ten vor­han­den wa­ren, wel­che die Tren­nung nicht mit­ma­chen konn­ten, weil sie sich so viel von je­nen Ei­gen­schaf­ten ein­ge­g­lie­dert hat­ten, wel­che dem Sa­turn­da­sein an­ge­mes­sen sind, daß ihr Platz nicht da sein konn­te, wo vor­züg­lich die Son­nen­ei­gen­schaf­ten ent­fal­tet wer­den. Der ge­gen­wär­ti­ge Ju­pi­ter ist aber da­durch ent­stan­den, daß We­sen vor­han­den wa­ren, wel­che Ei­gen­­schaf­ten hat­ten, die erst auf dem künf­ti­gen Ju­pi­ter der Ge­samt­ent­wi­cke­lung sich ent­fal­ten kön­nen. Für sie ent­stand ein Wohn­platz, in dem sie die­se spä­te­re Ent­wi­cke­lung schon vor­aus­neh­men kön­nen. So ist der Mars ein Him­mels­kör­per, in dem We­sen­hei­ten woh­nen, wel­che die Mon­den­ent­wi­cke­­lung so durch­ge­macht ha­ben, daß ih­nen ein wei­te­rer Fort­schritt auf der Er­de nichts ge­ben könn­te. Der Mars ist ei­ne Wie­der­ver­kör­pe­rung des al­ten Mon­des auf ei­ner höhe­ren Stu­fe. Der ge­gen­wär­ti­ge Mer­kur ist ein Wohn­platz für We­sen, wel­che der Er­den­ent­wi­cke­lung vor­aus sind, aber ge­ra­de da­durch, daß sie ge­wis­se Er­den­ei­gen­schaf­ten in ei­ner höhe­ren Art aus­ge­bil­det ha­ben, als dies auf der Er­de ge­­sche­hen kann. Die ge­gen­wär­ti­ge Ve­nus ist ei­ne pro­phe­ti­sche Vor­aus­nah­me des künf­ti­gen Ve­nus­zu­stan­des in ei­ner ähn­­li­chen Art. Aus al­le­dem recht­fer­tigt sich, wenn die Be­nen­­nun­gen der Zu­stän­de, wel­che der Er­de vor­aus­ge­gan­gen sind und ihr nach­fol­gen, nach ih­ren ge­gen­wär­ti­gen Re­prä­sen­tan­ten im Wel­tall ge­wählt wer­den. Es ist ganz selbst­ver­­­ständ­lich, daß ge­gen das hier Vor­ge­brach­te der­je­ni­ge wird viel ein­zu­wen­den ha­ben, der die Paral­le­li­sie­rung der über­­sinn­lich ge­schau­ten Sa­turn-, Son­nen- usw. Zu­stän­de mit den gleich­be­nann­ten phy­si­schen Him­mels­kör­pern dem Ur­tei­le

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des an der äu­ßern Na­tur­be­o­b­ach­tung her­an­ge­zo­ge­nen Ver­­­stan­des un­ter­wer­fen will. Aber wie es ei­ne Mög­lich­keit gibt, das Son­nen­sys­tem durch die Mit­tel der ma­the­ma­ti­schen Vor­­­stel­lung als Bild des rä­um­lich-zeit­li­chen Ge­sche­hens vor die See­le zu stel­len, so ist es der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis mög­­lich, das ma­the­ma­ti­sche Bild mit see­li­schem In­hal­te zu durch­set­zen. Dann aber ge­stal­tet es sich so, daß die oben an­ge­ge­be­ne Paral­le­li­sie­rung statt­haft wird. Die­ses Durch­set­zen mit see­li­schem In­hal­te liegt aber auch durch­aus in der wei­te­­ren Durch­füh­rung der st­reng na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Be­­trach­tungs­art. Die­se Be­trach­tungs­art be­schränkt sich al­ler­­dings ge­gen­wär­tig noch dar­auf, ein Wech­sel­ver­hält­nis des Son­nen­sys­tems und der Er­de nach rein ma­the­ma­tisch-me­cha­­ni­schen Be­grif­fen zu su­chen. In­dem sie die­ses tut, wird die Na­tur­wis­sen­schaft der Zu­kunft durch sich selbst zu Vor­­­stel­lun­gen ge­trie­ben wer­den, wel­che das Me­cha­ni­sche zum See­li­schen er­wei­tern. Zu zei­gen, was durch­aus ge­sche­hen könn­te, daß sol­che Er­wei­te­rung schon auf der Grund­la­ge ge­gen­wär­ti­ger, na­tur­wis­sen­schaft­li­cher Vor­stel­lun­gen ge­­sche­hen soll­te, da­zu müß­te ein ei­ge­nes Buch ge­schrie­ben wer­den. Hier kann nur auf das in Be­tracht Kom­men­de hin­ge­deu­tet wer­den, was al­ler­dings zur Fol­ge hat, daß das An­ge­deu­te­te man­chem Mißv­er­ständ­nis aus­ge­setzt wer­den muß. Geis­tes­wis­sen­schaft stimmt eben oft nur schein­bar mit der Na­tur­wis­sen­schaft nicht übe­r­ein, weil die letz­te­re Wis­sen­­schaft ge­gen­wär­tig noch durch­aus nicht Vor­stel­lun­gen bil­den will, die nicht nur von der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis, son­­dern auch von der­je­ni­gen in Wahr­heit ge­for­dert wer­den, die sich an das Sin­nen­fäl­li­ge hält. Ein un­be­fan­ge­ner Be­trach­ter kann in den na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Be­o­b­ach­tung­s­er­geb­nis­­­sen der Ge­gen­wart übe­rall Hin­wei­se auf rein sin­nen­fäl­li­ge

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an­de­re Be­o­b­ach­tungs­ge­bie­te se­hen, die in Zu­kunft rein na­tur­wis­sen­schaft­lich wer­den in An­griff zu neh­men sein, und die zei­gen wer­den, daß, was über­sinn­li­ches Schau­en of­fen­bart, durch Na­tur­be­trach­tung voll be­stä­tigt wird, so­weit die­se über­sinn­li­che Er­kennt­nis auf sol­ches über­sin­n­­li­ches Welt­ge­sche­hen sich be­zieht, dem ei­ne sin­nen­fäl­li­ge Of­fen­ba­rung ent­spricht.

En­de

Glossar

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Literatur

Originalausgaben

  • Die Geheimwissenschaft im Umriss, 3. Auflage, Verlag von Max Altmann, Leipzig 1910 pdf (1910)
  • Die Geheimwissenschaft im Umriss, Sechte, vielfach ergänzte und erweiterte Auflage, Verlag von Max Altmann, Leipzig 1913 pdf (1913)
  • Die Geheimwissenschaft im Umriss, Siebente bis fünfzehnte, vielfach umgearbeitete, ergänzte und erweiterte Auflage, Verlag von Max Altmann, Leipzig 1920 pdf (1920)
  • Die Geheimwissenschaft im Umriss, Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, Dornach 1925 pdf (1925)
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.