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= ERSTER VORTRAG Den Haag, 13. November 1923 =
<nowiki>#</nowiki>G231-1962-SE057 Der übersinnliche Mensch anthroposophisch erfasst


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DER ÜBERSINNLICHE MENSCH
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ANTHROPOSOPHISCH ERFASST
= ERSTER VORTRAG Den Haag, 13. November 1923 =
 
ERSTER VORTRAG
 
Den Haag, 13. November 1923
 
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Sie werden mit Recht annehmen, daß ich mit einer großen Befriedi­gung wiederum zu Ihnen hierher gekommen bin, um vor Ihnen und mit Ihnen Anthroposophisches zu besprechen. Es kann das natürlich selten genug geschehen, aber es wird ja auch möglich sein, daß man­ches gerade bei solchen Gelegenheiten wie richtunggebend ausgespro­chen und dadurch Veranlassung gegeben wird zu weiterer Verarbei­tung des Ausgesprochenen. Und das ist ja immer die Grundlage für ein Zusammensein auch dann, wenn wir dieses Zusammensein nicht räumlich verwirklichen können.
Sie werden mit Recht annehmen, daß ich mit einer großen Befriedi­gung wiederum zu Ihnen hierher gekommen bin, um vor Ihnen und mit Ihnen Anthroposophisches zu besprechen. Es kann das natürlich selten genug geschehen, aber es wird ja auch möglich sein, daß man­ches gerade bei solchen Gelegenheiten wie richtunggebend ausgespro­chen und dadurch Veranlassung gegeben wird zu weiterer Verarbei­tung des Ausgesprochenen. Und das ist ja immer die Grundlage für ein Zusammensein auch dann, wenn wir dieses Zusammensein nicht räumlich verwirklichen können.
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Das sind die Dinge, die uns vom irdischen Menschen zum übersinn­lichen Menschen führen. Und man kann schon sagen: Der irdische Mensch, der mit der Geburt entsteht, mit dem Tode zugrunde geht, kann anthropologisch, wie es heute üblich ist, erfaßt werden - der übersinnliche Mensch, der sich mit den irdischen Stoffen nur durch­dringt, um sich nach außen zu zeigen, dieser übersinnliche Mensch, der höhere Mensch, muß anthroposophisch erfaßt werden.
Das sind die Dinge, die uns vom irdischen Menschen zum übersinn­lichen Menschen führen. Und man kann schon sagen: Der irdische Mensch, der mit der Geburt entsteht, mit dem Tode zugrunde geht, kann anthropologisch, wie es heute üblich ist, erfaßt werden - der übersinnliche Mensch, der sich mit den irdischen Stoffen nur durch­dringt, um sich nach außen zu zeigen, dieser übersinnliche Mensch, der höhere Mensch, muß anthroposophisch erfaßt werden.


Das wollen wir im Verlaufe dieser Vorträge tun.  
Das wollen wir im Verlaufe dieser Vorträge tun.


= ZWEITER VORTRAG Den Haag, 14. November 1923 =
= ZWEITER VORTRAG Den Haag, 14. November 1923 =

Version vom 22. Oktober 2023, 14:36 Uhr

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Der übersinnliche Mensch -
anthroposophisch erfaßt

Ein Zyklus von fünf Vorträgen, gehalten
in Den Haag vom 13. bis 18. November 1923
Mit zwei öffentlichen Vorträgen
Den Haag, 15. und 16. November 1923

GA 231

1999

Inhaltsverzeichnis


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ANTHROPOSOPHIE ALS ZEITFORDERUNG Öffentlicher Vortrag, Den Haag, 15. November 1923

Es ist in der Gegenwart eine allgemeine Anschauung, daß die menschliche Erkenntnis gewisse Grenzen habe, nicht nur zeitliche Grenzen, die darin bestehen würden, daß man im Verlaufe der schon abgelaufenen Zeit nicht alles erreicht hat und noch manches der Zukunft überlassen muß, sondern in einem ganz allgemeinen Sinne spricht man heute von «Erkenntnisgrenzen», von Wissensgrenzen für die Menschheit. Man meint, es sei der Mensch nun einmal so ver­anlagt, daß er nur gewisse Dinge einsehen könne, nur über gewisse Dinge Bescheid wissen könne, während andere Dinge eben über seine Erkenntnisfähigkeit hinaus lägen. Und man bezeichnet wohl am meisten die Dinge der sogenannten übersinnlichen Welt als die­jenigen, die der Mensch durch Erkenntnis nicht erreichen könne, für die er sich begnügen müsse mit dem, was man oftmals einen Glauben, eine Annahme aus dunklen Gefühlen und dergleichen heraus nennt. Gerade die Bestrebungen der letzten Jahrhunderte und der Gegen­wart, welche in wissenschaftlicher Beziehung die größten Erfolge ge­bracht haben, die naturwissenschaftlichen, die auch den denkbar weitesten praktischen Nutzen gebracht haben, hält die heutige Menschheit dafür beweisend, daß man stehenbleiben müsse bei dem, was Sinne beobachten können, was durch Experimente festgestellt werden könnte und dergleichen, und das ist eben nur die sinnlich-wirkliche Welt. Das ist, wenn man vom Menschen spricht, nur die­jenige Welt, die der Mensch im physischen Leibe zwischen Geburt und Tod oder Empfängnis und Tod durchläuft.

Nun soll ja nicht geleugnet werden, daß gerade die Naturwissen­schaft ihre so großen Erfolge dem Umstande verdankt, daß sie sich in dieser Weise beschränkt hat, daß sie sich darauf beschränkt, die Sinneswelt nach allen Seiten zu durchforschen und nicht sich herbei­läßt, in irgendeiner Weise von der Sinneswelt aus Schlüsse zu ziehen für eine übersinnliche Welt. Aber auf der anderen Seite ist für den sinnigen Menschen gerade mit dieser, wie man glaubt, voll bewiesenen

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Annahme von Erkenntnisgrenzen überhaupt etwas innerlich ungemein Tragisches verbunden, etwas Tragisches, das heute noch nicht zum Bewußtsein vieler Menschen kommt, das aber in unbe­stimmten Gefühlen, in allerlei unterbewußten Empfindungen in zahl­reichen Menschenseelen spielt, sie unsicher im Leben, ja, sie oftmals unsicher und untüchtig im äußeren Handeln, im Verhältnis zu ihren Mitmenschen und so weiter macht. Denn es wird allmählich immer mehr und mehr gefühlt, daß die Grenzen, vor denen man in dieser Art haltmachen will, nicht bloß diese einer äußeren übersinnlichen Welt sind, sondern daß mit diesen Erkenntnisgrenzen, wenn sie in richtiger Weise angenommen werden sollen, noch etwas ganz anderes verbunden ist. Der Mensch fühlt allmählich, daß ja sein wahres Wesen selber übersinnlicher Natur sein müsse, daß sein wahres We­sen, durch das er sich als Mensch seinen Wert und seine Würde zu-erkennt, im Geistigen, also im Nicht-Sinnlichen liegen müsse. Wenn man mit aller Erkenntnis vor dem Übersinnlichen haltmacht, dann macht man ja vor der menschlichen Selbsterkenntnis halt. Dann ver­zichtet man darauf, das Wertvollste, das Würdigste im Menschen selbst zur Einsicht zu bringen.

Damit aber untergräbt man sich auch das richtige innerliche Selbst­vertrauen. Wodurch fühlt sich denn der Mensch als ein Angehöriger der heute mit so großen Erfolgen durchforschten Naturwelt? Nur dadurch, daß er diese Naturwelt in sich selber, zunächst in seinem äußeren physischen Leibe trägt. Alles was in unserer Umgebung an Naturstoffen und Naturgesetzen ist, tragen wir, wenigstens zum großen Teile, in uns. Wir können uns dadurch verbunden fühlen mit der sinnlichen Natur. Wir würden uns gar nicht als existierend füh­len in dieser sinnlichen Natur, wenn wir ihr nicht mit unserem eigenen Leibe angehörten, oder wenn wir uns selber nicht als Sinneswesen erforschen könnten. Ebenso aber, wenn auch die Menschen sich das noch nicht voll zum Bewußtsein bringen, ist es mit dem Übersinn­lichen, mit dem als wahrhaftem Menschenwesen gefühlten mensch­lichen geistigen Inneren. Können wir uns nicht fühlen als angehörig einer geistigen Natur, können wir uns nicht fühlen als Wesen, welche die Kräfte, die Substanzen des Geistigen in sich aufnehmen und an

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sich tragen, dann können wir uns nicht als geistige Menschenwesen überhaupt anerkennen. Dann aber muß in uns fehlen das Selbstver­trauen zu dem, was wir doch fühlen als unser Wertvollstes, als unser Würdigstes, als das, wodurch wir eigentlich Menschen sind, ja Men­schen sein wollen.

Das hat noch nach einer anderen Seite hin eine gewisse Verbin­dung. Wir fühlen, wie nicht aus dem Naturhaften heraus, ganz gewiß nicht aus den Vorgängen, die in Muskeln und Knochen oder im Blute vor sich gehen, dasjenige fließt, was wir die moralischen Im­pulse nennen, was wir den Inhalt unserer moralisch-geistigen Kräfte nennen. Wir fühlen sie hervorgehen aus einer geistigen Welt, wir kommen aber über diese ganze geistige Welt in Unsicherheit, wenn wir vor den Grenzen des Übersinnlichen mit der Erkenntnis halt­machen müssen.

Und so kann die heutige Menschheit von dem aus, was ihr, ich möchte sagen brutal, feststeht im äußeren Naturdasein, keine rechte Brücke schlagen zu dem, was ihr aus dem intimsten geistigen Inneren fließt als der Inhalt der moralischen Weltordnung. Man hat gar nicht den Mut, sich das, was da für das menschliche Gemüt vorliegt, immer richtig klarzumachen. Die Naturwissenschaft hat gründlich danach hingearbeitet, wenigstens hypothetisch irgend etwas sagen zu können über die heutigen Lebewesen, aus denen sich der Mensch entwickelt habe. Man schildert, wenigstens hypothetisch, wie sich einmal aus dem Weltennebel heraus unsere jetzige Welt gestaltet habe; man stellt auch Hypothesen auf über das Ende unseres Plane­tensystems oder des Systems, zu dem wir überhaupt gehören. Man denkt sich dieses ganze in der Zeit verlaufende System als aus Natur-stoffen und durch Naturkräfte in irgendeiner Weise sich zusammen­ballend, sich konstituierend. Man denkt sich aus einem Teil dieser Kräfte dann in einer gewissen Zeit den physischen Menschen auf­steigend. Elektrizität, Magnetismus, Wärmekraft und so weiter, sie drängen sich der äußeren Beobachtung auf, in ihnen fühlt sich der denkende Mensch mit seinem Bewußtseinsinhalt sicher. Aber wenn dann in ihm das Bedürfnis entsteht, das, was nicht aus seiner physi­schen Natur kommt, die moralisch-geistigen Impulse, als wirksam

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in der Welt zu denken, wenn er wirksam denken soll, was er aus einer geistig-elementaren Kraft verwirklicht, was nun auch da sein soll in der Welt, wenn er Erlebnisse haben soll in der Welt, die nicht vergehen soll mit dem, was mit dem Physischen vergeht - dann hat der Mensch keinen Anhaltspunkt, um aus dem, was als Erkenntnis­grenzen anerkannt wird, sich zu sagen: Diese moralischen Kräfte sind ebenso wirksam wie das, was die brutalen physischen Naturkräfte als ihr Ergebnis haben.

Daraus entspringen dem Menschen heute nicht bloß theoretische Zweifel, sondern Unsicherheit der ganzen Seele, Unsicherheit des Gemütes, die für den, der eine unbefangene Beobachtung unseres Zivilisationsiebens hat, überall durchschaubar ist, wenn auch die Menschen sich darüber hinwegtäuschen. Denn das ist ja das Charak­teristikon der heutigen Zivilisation, daß man sich gerade über die tiefsten Fragen der Zivilisation hinwegtäuscht. Aber im Unterbe­wußtsein sind diese Fragen doch tätig, da äußern sie sich - zwar nicht als Theorien, aber in der ganzen Seelenstimmung, in der Zu­versichtlichkeit und Tüchtigkeit des Seelenlebens. Da liegt die innere Tragik, die eigentlich auf dem Grunde jeder Seele, selbst der ober­flächlichsten, zu bemerken ist. Und da entspringt dann das, was uns in der Gegenwart paradox erscheinen kann, es entspringt die Sehn­sucht vieler Menschen gerade nach einer übersinnlichen Erkenntnis! Man möchte sagen, auf geistigem Gebiete geht es damit ebenso, wie es mit Hunger und Durst geht. Man verlangt nicht nach Speise und Trank, wenn man gesättigt ist, sondern verlangt nach ihnen, wenn man eben ungesattigt ist. Und aus einem innersten Bedürfnis heraus verlangt die gegenwärtige Menschheit nach dem Übersinn­lichen, weil sie das Übersinnliche nicht hat. Während auf der einen Seite Philosophen und Naturforscher heute immer mehr und mehr beweisen wollen, daß es gegenüber dem Übersinnlichen unübersteig­bare Schranken und Grenzen gäbe, sehen wir gerade auf der anderen Seite einen unstillbaren Durst schon sehr vieler Menschenseelen nach übersinnlicher Erkenntnis, und die Zahl dieser Menschen wird immer größer werden.

Dieser übersinnlichen Erkenntnis will entgegenkommen eine Anschauung,

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ich könnte besser sagen eine Forschungsart, von der ich Ihnen heute sprechen will. Aber ich will Ihnen nicht von einer sol­chen Forschungsart sprechen, wie man sie heute vielfach auf eine sehr leichte Weise für das Übersinnliche erlangen will, sondern ich werde Ihnen sprechen über eine Erkenntnisart, die zwar eine durch­aus innere, intime Angelegenheit der Menschenseele ist, aber darin ebenso wissenschaftlich, ja so exakt sicher ist, nicht einmal wie ein äußeres naturwissenschaftliches Ergebnis nur, sondern wie die mathe­matischen oder geometrischen Ergebnisse der Wissenschaft selber. Aber indem man nach einer solchen Erkenntnis strebt und gerade an eine Erkenntnis desjenigen herantritt, was im Menschen das Über­sinnliche ist, kommt man sogleich in etwas hinein, das von Anfang an alle möglichen Zweifel erregt, von Anfang an Unsicherheiten be­wirkt.

Wenn wir nach außen schauen, dann bemerken wir sehr bald, daß gegenüber der nächsten äußeren Anschauung die Naturwissenschafter und die Philosophen, die von Erkenntnisgrenzen reden, recht haben. Wir müssen also nach innen schauen. Wenn wir aber nach innen schauen, und wenn wir beim gewöhnlichen Bewußtsein bleiben, bei demjenigen, das wir im gewöhnlichen Leben und auch in der ge­bräuchlichen Wissenschaft haben, dann tritt uns da zunächst auch gar nichts anderes entgegen, als in einer Art Gedankenbild wiederum die Außenwelt. Wenn man mit seiner erstrebten Selbsterkenntnis ganz ehrlich ist und sich fragt: Was ist da, wenn du, statt hinauszu­schauen in die Welt, zurückschaust in dich, was ist da in dir eigent­lich drinnen? - so wird man sich klar sein müssen, daß man die Welt nur eben im Bilde drinnen wiederfindet. Was man erlebt hat, das hat sich unserem Vorstellungsleben, unserem Empfindungsleben ein­geprägt. Wir erleben sozusagen ein gedankliches und empfindungs­gemäßes Bild von dem, was draußen auch ist. Wir haben nur den Blick nach rückwärts gewendet. Der bietet uns zunächst gar nichts Neues, sondern nur in einer abgeschwächten Weise bildhaft dasjenige, was draußen auch ist. Nur als ein allgemeines Gefühl bemächtigt sich da des Menschen, daß er in diesen wogenden Gedanken, Ideen und Empfindungen als ein Ich, als ein Selbst da ist. Aber das ist so

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allgemein und unbestimmt, daß er damit zunächst nicht viel anfangen kann.

Daher hat man im Mittelalter in den Zeiten, in denen man in einer intensiveren Weise an die Selbsterkenntnis, an die menschliche Seelen-erkenntnis herangegangen ist, zunächst nicht so sehr auf das geachtet, was man durch eine bloß nach rückwärts gewendete Selbstbeobach­tung während des gewöhnlichen Bewußtseins gewinnen kann, sondern man hat vielmehr gesucht, die Seelenerkenntnis auf eine andere Art zu gewinnen. Diese andere Art ist immerhin interessant, und ich muß, damit wir uns über diejenige Seelenerkenntnis, die ich eigent­lich meine, verständigen können, von dieser anderen, oftmals sehr begehrten Seelenerkenntnis ausgehen. Ich bemerke aber von vorn­herein, daß ich nur zur Verdeutlichung dessen, was ich darlegen will, von dieser anderen Seelenerkenntnis ausgehen, ihr aber nicht einen eigentlichen Wert beimessen will. Also, es darf niemand glauben, daß ich, weil ich vom Traume ausgehe, diesem schon einen Erkenntnis-wert beilege. Dieses Traumleben aber ist ungemein bedeutungsvoll. Diejenigen, welche einmal Seelenerkenntnis durch das Traumleben gesucht haben, sie haben schon bemerkt, daß in einer gewissen Be­ziehung das Seelische im Traume viel charakteristischer erscheint, als wenn man bloß in sich hineinbrütet und, wie man oftmals sagt, sich selber beobachten will. Sie haben die Träume verfolgt und haben zu­nächst zweierlei Art von Träumen gefunden. Es ist ja so, daß der Traum auf und ab wogende Bilder ausbildet von einer phantastischen Anschaulichkeit, die zunächst nicht so abstrakt ist wie die Gedanken, die wir beim Tagesbewußtsein haben. Aber der Traum bildet zunächst etwas, was rätselhaft erscheint, auf der einen Seite durch seine Zu­sammensetzung, auf der anderen Seite durch seinen Inhalt.

Zweierlei Dinge sind es, die dem Menschen im Traume als Bilder sich ergeben. Zunächst Bilder von Erlebnissen, die wir im Erden-dasein durchgemacht haben, Reminiszenzen aus dem Leben. Das steigt herauf und zeigt dies oder jenes, was wir vor vielen Jahren er­lebt haben. Aber was sich da geltend macht, das steigt herauf neben anderem, in einem Zusammenhange, den das Leben nicht dargeboten hat. Ereignisse, die vor zehn Jahren stattgefunden haben, werden

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zusammengeballt mit solchen, die sich vorgestern abgespielt haben. Das Entfernteste kommt zueinander. Dadurch, daß der Traum die Lebensfetzen zusammenstellt, bildet er unmögliche Bilder, chaotische Bilder. Alles, was das äußere Leben an Ereignissen, die wir durch­gemacht haben, darbot, wird im Traume in einer chaotischen Weise uns vorgezaubert. Das ist die eine Form der Träume. Die andere Form ist die, wo wir in einer Art symbolischer Bilder unser eigenes Innere vom Traume vorgegaukelt erhalten. Wer hätte es nicht geträumt, daß er gelitten hat unter der Wärme eines kochenden Ofens? Er hat die Flammen flackern gesehen, er wacht auf und hat ein heftiges Herz­klopfen. Oder wir träumen davon, wie wir an einem Zaune vorbei­gehen; wir sehen die einzelnen Pfähle des Zaunes, wir sehen, wie zwei Pfähle oder ein Pfahl beschädigt sind, und dann wachen wir auf mit Zahnschmerzen. In dem einen Falle, wo wir von dem ko­chenden Ofen mit seiner Hitze geträumt haben, war es ein Bild unseres Herzens, das heftig gepocht hat. Im anderen Falle, wo wir vom Zaune geträumt haben, war es ein Bild unserer Zahnreihe, die uns irgendwie Schmerzen machte. Und wer genauer auf diese Dinge eingehen kann, der weiß, daß sich ein gewisses Gebiet der Träume dadurch charakterisiert, daß innere Organe oder Vorgänge sinn­bildlich durch den Traum uns vorgestellt werden. Aber man muß schon ein wenig kundig auf alle die Verhältnisse, die darin walten, eingehen können, wenn man oftmals in den Sinnbildern des Traumes das wiedererkennen will, was sich eigentlich in ihnen ausdrückt vom Inneren des Menschenwesens. Dann wird man aber finden, wie es fast kein Organ oder keinen inneren Prozeß gibt, der nicht einmal in einer inneren Weise uns vom Traume vorgegaukelt werden kann.

Nun haben ältere Seelenforscher, die sich an den Traum heran-gemacht haben, eine sehr richtige Anschauung entwickelt über das Verhältnis des Menschen zum Traum. Sie haben sich gesagt, was wir in uns tragen, das fühlen wir eigentlich höchstens nur, aber wir schauen es nicht an, wir haben es nicht wie einen äußeren Gegen­stand vor uns. Wenn wir aber unser eigenes Herzklopfen in dem Bilde eines kochenden Ofens vor uns haben, so haben wir ein Bild wenigstens in unserem Bewußtsein, das so aussieht wie das Bild eines

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äußeren Gegenstandes, das wir uns machen. Wir müssen von dem äußeren Gegenstande getrennt sein, wenn von ihm ein Bild in uns entstehen soll. Das, was man selber ist, auch wenn es der eigene Körper ist, das fühlt man an sich, man fühlt es schmerzhaft zu­weilen, wenn irgend etwas Organisches nicht in Ordnung ist, aber man schaut es nicht an. Wenn man etwas anschaut in bildhafter Form, dann muß man außerhalb desselben sein. Und so haben die älteren Seelenforscher, die aber durchaus noch solche des neunzehnten Jahrhunderts waren, sich gesagt: Träume ich in Sinnbildern von meinem eigenen Körper und seinen Vorgängen, so kann ich nicht in meinem Körper sein, denn sonst würde ich ihn nicht erleben. Ich muß daher in einem solchen Falle außerhalb meines Körpers sein. Das Bild stellt mir jedenfalls etwas dar von einem unabhängigen seelisch-geistigen Leben gegenüber dem Körper. Und wiederum sag­ten sie sich: Wenn ich in irgendeiner, wenn auch noch so verborgenen Weise Reminiszenzen des Lebens träume, so müßte das äußere Natur-dasein doch so, wie es ist, sich mir darbieten. Aber da wird fortwäh­rend etwas verändert, da gaukelt mir der Traum die phantastischsten Zusammenhänge vor. Da muß ich wieder drinnen stecken, denn die Natur, die mich sonst umgibt, kann mir doch nicht die Ereignisse, die ich mit ihr erlebt habe, auch nicht die Ereignisse des Menschen­lebens, die ich erlebt habe, in einer ganz anderen Ordnung zeigen.

So stellte sich etwas zusammen, von dem man sagen könnte: Es war eine berechtigte Überzeugung für diese älteren Seelenforscher, daß sie da etwas erhaschten von der Seele in einem Zustande, wo sie getrennt ist von dem physischen Leib. Denn erstens kann der Mensch nicht mit seinem Leibe vereinigt sein, wenn ihm die Vorgänge des Leibes, wenn auch nur im Sinnbilde, im Traume getrennt erscheinen, er muß dann außerhalb seines Leibes sein. Aber wir müssen auch wiederum drinnen sein, zusammen sein mit den Erinnerungen an unsere Erlebnisse, wenn wir die zweite Art Träume haben; denn die Natur ändert nicht den Zusammenhang, in dem Erlebnisse statt­gefunden haben. Den müssen wir selber ändern. Wir müssen daher draußen sein, außerhalb unseres Körpers, bei der ersten Art Träume, und wir müssen ebenso drinnen stecken in unseren Erlebnissen bei

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der zweiten Art. Das heißt, wir müssen tatsächlich außerhalb des physischen Leibes sein mit unseren seelischen Erlebnissen, wenn wir träumen. Insofern ist das, was sich ältere Seelenforscher gesagt haben, absolut unanfechtbar; es läßt sich gar nichts dagegen ein­wenden.

Aber etwas anderes muß gesagt werden. Irgendeine Erkenntnis­sicherheit über das Selbst kann mir der Traum nicht geben, er kann uns hinführen, wie man auf den Weg zu einer solchen Sicherheit kommt. Denn was wir innen sind, während der Zeit vom Einschla­fen bis zum Aufwachen, wo wir außerhalb des Körpers sind: das, was uns der Traum da zeigt, das sind wir ja ganz gewiß nicht; denn das sind auf der einen Seite Bilder unseres körperlichen Inneren, noch dazu Sinnbilder dieses körperlichen Inneren, also das, was wiederum von unserem körperlichen Inneren genommen ist. Wir können doch nicht, wenn wir schlafend außerhalb unseres Körpers sind, sozusagen dasselbe sein, was wir im Inneren sind, im physischen Leibe sind. Es muß also etwas anderes vorliegen. Wir müssen da etwas sein außerhalb unseres Körpers, aber das macht sich nicht gel­tend. Dazu sind wir zunächst nicht fähig, das eigentliche Wesen des Seelischen im schlafenden Zustande zu erfassen. Das verbirgt sich und maskiert sich zunächst; es umhüllt sich mit Bildern der eigenen Körperlichkeit und zeigt sich in bezug auf sein Eigenleben in will­kürlichen Zusammenstellungen des Erlebten. Daß wir außerhalb unseres Leibes sind, wenn wir träumen, das haben die älteren Seelen-forscher gut geschlossen; aber daß uns der Traum etwas zeige über das außer unserem Körper befindliche Wesen, das haben sie zwar ge­glaubt, aber das ist nicht der Fall. Denn er zeigt uns gar nichts als das, was wir sonst erlebt haben im Leibe, und unseren eigenen Leib in Sinnbildern. Also, wenn wir außerhalb unseres Leibes etwas sind, so maskiert sich das im Traume, so trägt der Traum in bezug darauf eine Maske. Wollen wir hinter unser eigenes Wesen kommen, so müssen wir dem Traume, das heißt der Seele, diese Maske - denn der Traum ist diese Maske - herunternehmen können. - Bis hierher leitet uns auf einen Weg eine intimere Anschauung vom Traume. In­dem ältere Seelenforscher durchaus bemerkt haben, daß der Traum

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schließlich nichts anderes zeigt als das, was er selbst wiederum aus der Sinneswelt nimmt, kamen ihnen natürlich auch darüber die Zwei­fel. Und ebensowenig, wie man Sicherheit zu haben glaubte durch eine gewöhnliche, rückwärtsgewendete Selbstbeobachtung, ebenso­wenig war man befriedigt von dem, was die Beobachtung der Traum­welt geben konnte.

Demgegenüber tritt nun das auf, was von mir immer genannt wird die anthroposophische Weltanschauung oder anthroposophische Forschungsart. Diese stellt sich zunächst auf den Standpunkt: Wenn uns der Traum zeigt, daß wir etwas außerhalb unseres Leibes sind, so erweist er sich ja für sich zu schwach, um sein eigenes Wesen zur Anschauung, zur Offenbarung zu bringen. Um sich zu offenbaren, bedient er sich der Erinnerungsfetzen des Lebens, der Sinnbilder der eigenen Körperlichkeit. Wir müssen daher das Seelenleben verstärken, erkraften, damit wir an das herankommen, was im Seelenleben mas­kiert im Traume vor uns steht. Das kann man. Man kann es dadurch, daß man, wie ich in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in anderen Schriften ausgeführt habe, mit vollem Bewußtsein durch ein systematisch-exaktes sogenanntes «medi­tatives» Leben den Traum nachahmt, aber ihn nicht etwa dadurch nachahmt, daß man künstlich Träume erzeugt, sondern daß man das­jenige, was aus dem Unterbewußtsein unwillkürlich im Traume her-aufsteigt, mit vollem Bewußtsein in der Seele erweckt. Dazu kommt man dadurch, daß man sich gewöhnt, ebenso zu verfahren, wie der Traum unwillkürlich verfährt - so zu verfahren, daß man in innerer Meditation Dinge, die man gut kennt, sinnbildlich vorstellt. Der Traum gaukelt uns sinnbildlich unsere eigene Körperlichkeit vor. Man übt sich nun - da uns weder unser eigenes Inneres noch die Natur Sinnbilder gibt - streng systematisch, sinnbildlich vorzustellen. So werden Vorstellungen von uns willkürlich in ein Sinnbild ge­bracht, wie der Traum es uns unwillkürlich vorgaukelt. Durch innere Aktivität muß es erzeugt werden, das heißt aber, es muß der Traum verstärkt werden.

Wenn wir im äußeren Leben sind, geben wir uns passiv den äuße­ren Beobachtungen und Wahrnehmungen hin. Dann ist die innere

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Tätigkeit eine schattenhafte. Jeder empfindet eigentlich, wie schatten­haft das abstrakte Vorstellen ist, wie die Gedanken hingegeben sind an die Außenwelt und dann schattenhaft verlaufen. Jeder spricht von den schattenhaften Gedanken gegenüber der konkreten Wirk­lichkeit. Wenn man aber dazu aufsteigt, jetzt Sinnbildliches vorzu­stellen, so muß man diese Sinnbilder machen. Und wenn man nun ein vollbewußter Mensch ist und kein Narr, so weiß man, daß man sie selbst macht. Man ist dann durchaus kein Träumer, sondern ein gewöhnlich Wachender, ja noch mehr als ein gewöhnlich Wachender. Dem Träumer kommen die Sinnbilder unwillkürlich, dem Wachen-den die Vorstellungsbilder durch äußere Anregung. Der Wachende, der selber sich rege macht, was die Träume geben, der Sinnbilder mit aller inneren Kraft sich vor die Seele hinstellt und in voller, be­wußter Besonnenheit den Traum nachahmt, der erweckt sich sozu­sagen zu einer höheren Denk- und Vorstellungsaktivität und damit zu einer höheren Seelenaktivität überhaupt, als man sie im gewöhn­lichen Bewußtsein hat. Das muß dann aber wirklich ganz systema­tisch durchgeführt werden.

Und ebenso kann die andere Seite des Traumes imitiert werden. Wir nehmen Ereignisse aus unserem Leben, die jahrelang voneinander abstehen können. Wir stellen sie nach Gesichtspunkten zusammen, so daß das eine neben dem anderen steht, aber jetzt nicht chaotisch wie im Traume, sondern nach Gesichtspunkten, die vielleicht auch durchaus aus der Phantasie sind, die wir aber ganz bewußt über­schauen, die nichts Inneres uns aufdrängt, sondern die wir selber innerlich machen. Und so schulen wir uns allmählich, in einem inneren Seelenleben zu verharren; stark zu verharren in einem Seelenleben, das ganz aus der inneren Tätigkeit, aus der inneren Aktivität hervorgeht.

Was da eigentlich mit dem Menschen vorgeht, wenn er solche Übun­gen macht, unterschätzt man heute vielfach, weil man die innere Aktivität des Denkens nicht liebt, weil man es schon sehr aktiv fin­det, wenn man unter der Anleitung der äußeren Beobachtung in Gedanken lebt. Aber der, der im Ernste zu einem wirklichen Imita­tor des Traumes mit vollem Bewußtsein wird, der erlebt, daß er

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seine innere Seelenregsamkeit stark intensiviert, daß er sie durchaus erkraftet. Er ist aber, wenn er kein Narr, sondern ein vernünftiger Mensch ist, sich dessen voll bewußt, daß er sich selber alle diese Bilder und diese Lebenszusammenhänge macht, das heißt, daß er also in Illusion lebt. Beim Traume muß man erst aufwachen, um vom Gesichtspunkte des Wachlebens aus das Illusorische des Traumes zu durchschauen. Der Traum läßt sich nur vom Standpunkte des Wa­chens aus durchschauen, der Träumende hält den Trauminhalt für Wirklichkeit, obwohl sein Gefühl für Wirklichkeit kein so erdichte­tes ist. Wer zum Imitator des Traumes wird, der wird gewahr, wie ein lebendiges Inneres, Aktives in ihm regsam erweckt wird, wie er aber einen Inhalt hat, der durchaus Selbstbild, Illusion ist. Daher kommt er dazu, gar nichts darauf zu geben, was als Inhalt in ihm anwesend ist, sondern das ins Auge zu fassen, was in ihm arbeitet, regsam ist. Kurz, was wir sonst nur als ein allgemeines Ich- oder Selbstgefühl haben, das wird eine stark gefühlte innere Tätigkeit. Will man ein Geistesforscher werden und kein verschwommener Mystiker, so muß man besonnen und exakt bleiben. Bleibt man das aber, so wird man immer mehr und mehr dazu kommen, auch die Natur des Illusorischen zu erleben. Man weiß: Du stellst nichts vor, aber du stellst vor. Dadurch kommt man auch zu der Möglichkeit, einmal die Seelenfähigkeit zu entwickeln, mit der man wirklich nichts vorstellt und dennoch so tätig ist, wie man es in der Nach­ahmung des Traumes gelernt hat.

Ich verweise Sie hier auf eine Seelentätigkeit, die durchaus beim Geistesforscher ausgebildet werden muß. Man glaubt gewöhnlich, und diejenigen, die die Sachen oberflächlich beurteilen, sprechen es oft aus: Geistesforschung ist etwas, wobei der Mensch sich so seinen Gedanken hingibt und etwas ausphantasiert - das ist leicht, während im Laboratorium, in der Klinik und auf der Sternwarte zu forschen, etwas Schwieriges, Entsagungsvolles ist. - Aber so ist es nicht. Denn was der Mensch als eine solche innere Seelenfähigkeit ausarbeiten muß, das nimmt zum mindesten eine ebensolange, ja auch viel längere innere Arbeit in Anspruch als irgendeine äußerlich angeeignete Wis­senschaftlichkeit, wie sie heute in der Naturwissenschaft etwa üblich

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ist. Es sollte von denjenigen, die sich bekannt machen wollen mit dem, was hier Geistesforschung genannt wird, überhaupt nicht der Ein­wand erhoben werden: In der Naturforschung darf man kein Dillet­tant sein, wenn man mitreden will, da muß man wirklich etwas ver­stehen. - Was der Geistesforscher vorbringt, wird gewöhnlich so be­trachtet, als ob es nur so leicht erworben würde gegenüber dem, was in der Naturforschung mit vieler Mühe erreicht wird. Aber es ist nur der Weg ein anderer. Bei der Naturforschung handelt es sich um das Verarbeiten der äußeren Wahrnehmungen und Tatsachen. Der Gei­stesforscher dagegen muß zuerst daran gehen, seine eigene innere An­schauungsfähigkeit zu entwickeln. Er entwickelt sie als Imitator des Traumes, aber indem in der meditativen Tätigkeit von ihm über­wunden wird, was uns im Traume vorgegaukelt wird. Einer Tätig­keit werden wir uns im Traume nicht bewußt, die Traumbilder gaukeln uns sie vor; auf der ersten Stufe einer übersinnlichen Er­kenntnis aber wird die Illusion vollständig durchschaut. Man weiß: Du stellst nichts vor - aber man wird die innere verstärkte, ermäch­tigte Tätigkeit gewahr und gelangt am Schluß dazu, an vielem Oben zu lernen, wie man diese Tätigkeit hervorrufen kann, ohne daß man erst eine illusorische Tätigkeit dazu braucht, ohne daß man erst den Traum nachahmen muß.

In der Nachahmung also entwickelt man diese Seelenfähigkeit. Wenn die Fähigkeit da ist, weiß man, was man mit ihr anfangen kann. Denn dann ist man in einem Zustande, wo man leeres aber durchaus waches Bewußtsein hat, aber auch innere Tätigkeit. Nach­dem man das Illusorische dieser Tätigkeit abgeworfen hat, hat man zunächst keinen Inhalt. Doch der Zustand, den man durchlebt, ge­rade wenn man dazu kommt, die Fähigkeit der inneren Aktivität zu entwickeln, ohne zunächst auch einen Inhalt zu haben, dieser Zustand erfordert eine starke Überwindung. Und eigentlich ist diese Über-windung, die man dabei nötig hat, der Probier- und Prüfstein dafür, ob diese Geistesforschung eine ehrliche und echte ist. Denn in dem Mo­ment, wo man sich dazu nur anschickt, mit leerem Bewußtsein, mit einfachem Wachbewußtsein, ohne daß dieses Wachbewußtsein einen Inhalt hat, zu leben, in diesem Moment breitet sich über das ganze

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Seelenleben ein unsäglicher Schmerz, eine unbegrenzte Entbehrung aus. Alles, was man sonst als Schmerzen m der Welt erleben kann, ist eigentlich gering gegenüber diesem geistig-seelischen Schmerz, den man in diesem Augenblicke der Erkenntnis erlebt. Und über diesen Schmerz muß man hinwegkommen. Denn dieser Schmerz ist eben der Ausdruck einer Kraft, die ihr physisches Abbild in allen mögli­chen Formen der Entbehrung hat: im Hunger, der uns zum Essen anleitet, im Durst, der uns zum Trinken zwingt und so weiter. Jetzt fühlen wir in der Seele etwas, was an uns herankommen muß, und wir fühlen es als einen unsäglichen Schmerz. Aber leben wir in dem Schmerz eine Weile, fühlen wir so recht unser Inneres selbst als ein schmerzerfülltes, das heißt, sind wir eine Weile Schmerz, ist unser eigenes Menschenwesen für unser Bewußtsein eine Weile nichts an­deres als ein Zusammenhang von Schmerz, dann bleibt dieses Be­wußtsein nicht länger leer, dann erfüllt sich dieses Bewußtsein, und es erfüllt sich nun nicht mit sinnlichem Inhalt, wie wir ihn durch Augen, Ohren und so weiter erhalten, sondern es erfüllt sich das Be­wußtsein jetzt mit geistigem Inhalt. Und wir erhalten als das erste, was sich uns als geistiger Inhalt auf diese Art ergibt, unser eigenes geistiges Wesen, wie es als eine einheitliche Geistorganisation - aber in der Zeit, nicht im Raume lebend - sich ausdehnt zwischen der Geburt oder der Empfängnis und dem gegenwärtigen Augenblick, bis zu dem wir das Erdenleben durchlebt haben. Wie wir sonst in eine Perspektive des Raumes hineinschauen, unter der Perspek­tive Gegenstände, die fern sind, wieder sehen, so lernen wir von unse­rem gegenwärtigen Lebensaugenblicke aus hineinschauen in unsere eigene Vergangenheit. Das Körperliche schauen wir nicht in die­sem Augenblicke, wir erinnern uns nur daran, wir müssen uns je­doch daran erinnern, denn sonst sind wir in unserem Bewußtsein zerstört. Der aber, der ein Geistesforscher werden will, darf kein Phantast werden, auch kein verworrener Mystiker, er muß sein Be­wußtsein und seine Besonnenheit ganz so anwenden wie ein Mathe­matiker bei einem mathematischen Problem. Aber so, wie wir sonst die Dinge des Raumes in der Perspektive sehen, so schauen wir jetzt hinein in eine Zeitperspektive. Alles, was wir in unserem Dasein erlebt

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haben, steht jetzt vor uns in einem Zeittableau, aber in einem lebendigen Zeittableau. Doch nicht nur dasjenige, was wir selbst durchlebt haben, steht so vor uns, sondern auch dasjenige, was uns zeigt, wie wir geworden sind, wie innere geistig-seelische Kräfte von der Geburt oder Konzeption an unseren Körper aufgebaut haben, wie die plastischen Kräfte sind, die an unserem Leibe gearbeitet ha­ben. Wir schauen uns äußerlich. Aber das, was wir da schauen, wo­durch unser eigenes Seelenleben vor unserer Seele dasteht, das unter­scheidet sich jetzt auch qualitativ von dem Erleben dieses Zeittableaus. Wenn man sonst auf sein Leben zurückblickt, dann erlebt man die Ereignisse, die an einen herankommen. Man erlebt zum Beispiel, wie ein Mensch an einen herangekommen ist, wie er einem entgegenge­treten ist, liebvoll oder mit Haß, wie er dieses oder jenes vollbracht hat, indem er an einen herangekommen ist. Man erlebt sich in diesem Erinnerungsbilde so, wie die Außenwelt an einen herangetreten ist. In diesem anderen Erinnerungstableau dagegen, das aber jetzt in wirk­lichen Bildern dasteht, von denen man weiß, daß sie die eigene geistige Natur des Menschen wiedergeben, so wie sonst die gewöhnlichen Erinnerungsbilder die äußere Natur wiedergeben, in diesem anderen Erinnerungstableau blickt uns entgegen, wie wir uns der Außen­welt genähert haben. Da steht drinnen, wie man selber war, als man sich zum Beispiel einer anderen Persönlichkeit genähert hat, wie sich in unserem Gemüte Kräfte entfaltet haben, die gerade durch diese Persönlichkeit ihre Befriedigung, ihr Genüge, ihr Entzücken, ihre Frohheit gefunden haben. Man schaut wirklich auf sich hin, wie man als Erdenmensch war. Und man sieht dann, wie jetzt in der Wirk­lichkeit die beiden Seiten, in denen der Traum maskiert war, zu­sammenfließen.

Jetzt wird der Traum zu einer vollbewußten Wirklichkeit. Er wird sogar mehr, als das gewöhnliche Bewußtsein sieht. Man schaut zunächst das geistige Dasein, das im Körper drinnen lebt, das im Schlafe von ihm unabhängig ist, ja, das der Schöpfer des Körperli­chen ist. Das schaut man. Und da merkt man schon, dieses geistige Dasein enthält auch noch, aber auf geistige Art, metamorphosiert, etwas wie die Naturgesetze - aber sie protestieren schon dagegen - in

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emem geistigen Dasein. In das, was man da erlebt, spielt schon die moralische Welt hinein. Da drinnen stecken schon die moralischen Gesetze, und sie stecken so darinnen, daß man jetzt weiß: so wie die eigene Geistigkeit wirkt, so sind die moralischen Gesetze wirksam. Da fangen die moralischen Gesetze an, sich ebenbürtig neben die Naturgesetze hinzustellen.

Aber man kommt damit nur bis zum Erleben des eigenen geistigen Daseins des Menschen im Erdendasein. Will man weiterkommen, so muß man noch andere Fähigkeiten in der Seele entwickeln. - Das Genauere darüber können Sie in den schon angeführten Büchern nachlesen, denn das Genauere ist nur durch das Üben vieler Einzel­heiten zu erreichen. Hier soll nur das Prinzipielle erörtert werden. -Denken Sie sich, Sie erinnern sich an einen Zeitpunkt des Tages bis zum Morgen, wo Sie aufstanden, ja aufgewacht sind. Wenn Sie sich Mühe geben, kann der Tagesverlauf bis zu diesem Zeitpunkte vor Ihrer Seele stehen. Wenn Sie nun nicht in der Weise den Tagesver­lauf sich vor die Seele stellen, daß Sie beim Morgen anfangen, dann zu den Erlebnissen des Vormittags und so weiter gehen, sondern wenn Sie den Tagesverlauf in rückwärtigem Ablauf vor die Seele stellen, so daß Sie bei dem bestimmten Zeitpunkte anfangen und ihn nun weiter rückwärts verfolgen, dann können Sie auch sagen, Sie kom­men dann bis zu der Nacht, wo Sie geschlafen haben. Aber da stük­keIn Sie dann nichts an, da bleibt etwas unausgefüllt, und was sich dann an die rückwärts vorgestellten Ereignisse wieder anschließt, ist das letzte Erlebnis vor dem Einschlafen, und dann können Sie wieder den Tagesverlauf des vorigen Tages sich vor die Seele rücken. Kurz, wenn der Mensch in dieser Weise im gewöhnlichen Leben er innert, so bleiben immer Abgründe zwischen dem bewußten Erleben

- die Abgründe, die wir im bewußtlosen Zustande während des Schlafens durchgemacht haben.

Um nun weiterzukommen mit den Übungen, die sich an dieses Rückwärts-Erleben anknüpfen können, handelt es sich darum, daß man einen recht starken Wirklichkeitssinn sich aneignet. Ein solcher Wirklichkeitssinn ist zunächst nicht das, was die Menschen der Ge­genwart stark auszeichnet. Es ist sogar etwas, was nicht ganz leicht

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zu erringen ist, denn mit Bezug auf das Erinnern bleiben die Men­schen zumeist bei dem stehen, was im engsten Sinne irgendwie an ihrer Persönlichkeit haftet. Sie ziehen in ihren Gedanken nicht so stark die Fäden nach der Außenwelt, daß sich diese Fäden nach der Außenwelt mit ihren Erinnerungen verknüpfen. Der Mensch hat zu­meist überhaupt nicht die Neigung, mit seinen Erinnerungen in der Außenwelt zu leben, real in der Außenwelt zu leben. Wie sehr das der Fall ist, davon kann man sich im alltäglichen Leben überzeugen. Ich habe schon Menschen kennengelernt, die zum Beispiel am Vor­mittag eines Tages eine Dame gesehen haben, die sie sehr interessiert hat, und wenn man sie fragt: Wie war die Farbe des Kleides der Dame? - wissen sie es nicht. Also ist es so, als wenn sie überhaupt die Dame nicht gesehen hätten, denn wenn sie sie gesehen haben, so haben sie doch damit auch die Farbe des Kleides gesehen. Wie locker ist man also mit der Außenwelt verbunden, wenn man am Nach­mittage nicht einmal weiß, welche Farbe das Kleid eines Menschen hatte, den man am Vormittag gesehen hat! Ja, ich habe schon Leute kennengelernt, die haben sich in einem Raume aufgehalten und wuß­ten nachher nicht, ob Bilder oder keine Bilder in dem Raume waren. Die unglaublichsten Erfahrungen kann man da machen. So muß daher der, der sich einen Wirklichkeitssinn aneignen will, sich erst darauf trainieren, auch in der äußeren sinnlichen Wirklichkeit voll zu leben, so daß das, an dem er vorübergeht, so vor ihm steht, wie es da draußen in der Wirklichkeit ist. Der Geistesforscher wird wahr­haftig kein Phantast; er muß sich Wirklichkeitssinn bis zu dem Grade aneignen, daß es ihm nicht passieren kann, am Nachmittage nicht zu wissen, was für ein Kleid die Dame trug, die er am Vor­mittag gesprochen hat. Er muß wirklich schon in der Sinneswelt mit Wirklichkeitssinn leben können. Nur wenn man sich darauf trai­niert, dasjenige, was einem von den Dingen in der Erinnerung bleibt, anzuknüpfen an die äußere Welt der Wirklichkeit, dann entwickelt man den Sinn, für eine solche Geist-Erkenntnis eine fruchtbare Rück­schau zustande zu bringen. Denn für das gewöhnliche Erinnerungs­vermögen der Menschen schließt sich sehr leicht das Erinnerungs­bild vor dem letzten Einschlafen an dasjenige nach dem letzten Aufwachen

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an. Ganz ohne Schwierigkeiten lassen die Menschen einfach das, was als Nachtabgrund zwischen diesen beiden Bildern liegt, weg, sie stückeln das Bild des ersten Ereignisses nach dem Aufwa­chen unmittelbar an dasjenige des letzten Ereignisses vor dem Ein­schlafen an. Sie bemerken es meistens gar nicht mit einem lebhaften Bewußtsein, daß etwas dazwischen liegt. Will man sich aber ein solches Bewußtsein aneignen, daß man das, was man im Inneren er­lebt hat, verknüpft mit dem Bilde, das von der Außenwelt da ist, dann muß man sich klarmachen, daß ja das, was man am Morgen nach dem Aufwachen erlebt, verbunden ist mit der ganzen Natur, die auf uns einen Eindruck macht, verbunden mit der aufgehenden Sonne, mit all den Eindrücken, die man durch die aufgehende Sonne hat, und so weiter - und was man als die letzten Ereignisse vor dem letzten Einschlafen hat, ist verbunden mit etwas, was in der Natur nicht zusammengehört, nämlich mit dem, was man nach dem letzten Aufwachen erlebte. Da wird man an den Bildern, die da nebeneinander stehen, gewahr werden: Da fehlt ja etwas! - Aber in­dem man so übt, indem man wiederum Seelenfähigkeiten erweckt, die im gewöhnlichen Leben nicht da sind, erlangt man die Kraft, daß man beim Rückwärtsschauen, wo man jetzt das erste Bild nach dem letzten Aufwachen hat und vordringen will zu dem letzten Bilde vor dem letzten Einschlafen, nun nicht eine Strecke Finsternis dazwischen erblickt, sondern daß diese Finsternis anfängt, sich geistig aufzuhellen, daß etwas sich hineinstellt in diese Finster­nis. Wie man sonst für die tagwachen Zustände nur das ver­folgt, was man erlebt hat, so tritt da plötzlich zwischen dem ersten Erlebnis nach dem letzten Aufwachen und dem letzten Erlebnis vor dem letzten Einschlafen etwas dazwischen, wovon man sich jetzt sagt: Du erinnerst dich ja an etwas, nur an etwas, was du bisher nicht gewußt hast. - Es ist genau so wie im gewöhn­lichen Erinnern sonst, nur daß man von dem, was nun herauftaucht, vorher nichts wußte. Jetzt fängt man an, zu erinnern, was man sonst verschlafen hat, selbst im traumlosen Schlafe verschlafen hat. Die leere Zeit, die man sonst im Bewußtsein hat zwischen dem letzten Erlebnis vor dem Einschlafen und dem ersten nach dem Aufwachen,

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sie füllt sich aus. Und wie sich unser gewöhnliches Bewußtsein aus­füllt mit den Erlebnissen des Naturdaseins, so füllt sich jetzt unser Bewußtsein aus mit dem, was wie eine Erinnerung heraufsteigt, aber wie eine, von der man jetzt weiß, du hast es im Unbewußten erlebt. Unser Bewußtsein füllt sich jetzt aus mit dem Seeleninhalt, der die äußeren Erlebnisse nicht mitgemacht, sondern sich vor den äußeren Erlebnissen zurückgezogen hat, schlafend geworden ist. Jetzt lernt man erkennen, wie die schlafende Seele wirklich ist, wenn sie nicht die Kraft hat, ihre Erlebnisse, die sie während des Schlafes in der geistigen Welt hat, so sich bewußt zu machen, wie der Mensch im Tagesleben sich die Ereignisse des physischen Lebens bewußt macht. Jetzt lernt man die menschliche Innerlichkeit als Geist und Seele wirklich kennen, und in diesem Augenblicke blickt man über das Erdenleben hinaus. Und man wird jetzt dasjenige, was man auf die geschilderte Weise wie ein großes aber konkretes Erinnerungstableau seines bisherigen Erdenlebens erblickt, nun angliedern können an das, was man war als seelisch-geistiger Mensch in einer rein geistigen Welt, bevor man durch die Geburt oder Konzeption in diese physi­sche Welt heruntergestiegen ist.

Und ebenso gliedert sich an dieses Erleben ein anderes. Wenn man während des ganzen Übens zu alledem hinzuentwickelt eine Fähigkeit, die gewöhnlich nicht als eine Erkenntnisfähigkeit ange­sehen wird, die aber doch eine solche auch ist -, wenn man das ent­wickelt, was Liebe der Seele ist, volle Hingabe an das, was einem entgegentritt, so stark, daß einem diese Liebe bleibt, wenn man auch auf das eigene Selbst jetzt sieht, daß man das, was als Neues in der Seele auftritt, lieben kann mit einer wirklich hingebungsvollen Lie­be - dann entwickelt sich die Möglichkeit, mit vollem Bewußtsein im Wachzustande sich freizumachen im innerlichen Erleben von dem Körperlichen. In dem Augenblick aber, wo man sich im inneren Erleben frei gemacht hat von dem Körperlichen, da weiß man, wie es mit dem Menschen ist, wenn er ohne seine Köperlichkeit sein Le­ben durchlebt. Und im Bilde tritt einem vor die Seele die Tatsache des Durchgehens durch die Todespforte, des Sterbens. Hat man ein­mal erkannt, was es heißt, unabhängig vom Leibe in seinen geistigen

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Kräften sich zu erfassen, dann weiß man auch, was man ist im geisti­gen Dasein, wenn man den Leib abgelegt hat und durch die Todes-pforte geschritten ist. Und man lernt auch die Umgebung kennen, die dann für den Menschen vorhanden ist. Man lernt erkennen, wie mit dem Leibe, wenn er abgelegt ist, dasjenige von uns abfällt, was uns mit der Sinneswelt verbindet. Es bleibt aber das, was uns erst selbst gestaltet hat als Mensch, das Seelisch-Geistige des Menschen. So lernt man erkennen die Erlebnisse, die man mit anderen Men­schen gehabt hat. Das aber, was in diesen Sinneserlehnissen gesteckt hat, wie sich Seele zu Seele gefunden hat, was sich ausgelebt hat in den Beziehungen zu anderen Menschen, zu näher und ferner stehen­den, was sich im Raume und in der Zeit abspielte, das Ewig-Geistige lernt man erkennen, wie es die irdische Form des Erlebens abstreift. Und um so mehr erlebt dann die Seele das, was geistig in ihr gesteckt hat, an Beziehungen zu anderen Menschen. Und es wird das, was sonst nur Gegenstand des Glaubens ist, Erkenntnisgewißheit.

Das erleben die Menschen, wenn sie selber durch die Todespforte gegangen sind. Was von der Menschenseele gewöhnlich als Unsterb­lichkeit ersehnt wird, das tritt nur auf diese Weise in die wirkliche Menschenerkenntnis herein. Aber nur indem wir das wirklich Ewige mm Menschen erkennen, dadurch, daß wir unsere Kräfte so weit an­spannen, dieses Ewige in unserem Dasein im vorirdischen, geistig-seelischen Sein zu erkennen, erringen wir uns auch das, was uns das Fortleben nach dem Tode zur Gewißheit werden läßt. Das hat selbst als Ewiges in der Menschenseele in der heutigen Zivilisation kein Wort mehr, denn wir kennen nur die eine Hälfte der Ewigkeit, wir sprechen von Unsterblichkeit. Altere Sprachen haben die andere Seite gehabt, die Ungeborenheit, das heißt unser Dasein, ehe wir ins Erden-leben eintreten. Aber erst die beiden Seiten - Ungeborenheit und Unsterblichkeit - machen die Ewigkeit aus. Und es ist so, daß der Mensch seine Sehnsucht nach der Unsterblichkeit damit bezahlen muß, daß sie ein bloßer Glaube wird, wenn er in der Erkenntnis verzichten will auf die Ungeborenheit, denn die Ewigkeit wird ihm nur klar, wenn er die beiden Seiten der Ewigkeit, die Ungeborenheit sowie die Unsterblichkeit seines Wesens in einer Einheit erkennt. Damit

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ist dann der Mensch vorgeschritten zu einem wirklichen Ergreifen desjenigen, was er ist, zu einer wirklichen Selbsterkenntnis.

Immer wieder muß ich bei solchen Gelegenheiten betonen, gewiß, eine solche Geistesforschung kann nur der ausüben, der die entspre­chenden Fähigkeiten durch Übung oder sonst irgendwie durch das Schicksal sich angeeignet hat, aber wenn die Ergebnisse einer solchen Forschung ausgesprochen werden, dann können sie eigentlich von jedem ebenso plausibel gefunden werden wie zum Beispiel die Er­gebnisse der Astronomie. Und so, wie man kein Maler zu sein braucht, um die Schönheit eines Bildes zu erleben - denn wenn das nötig wäre, könnten es nur die Maler -, ebensowenig braucht man, um die Erkenntnisse der Geistesforschung aufzunehmen, selbst unbedingt ein Geistesforscher zu werden, obwohl man es bis zu einem gewissen Grade werden kann, denn der Mensch ist auf die Wahrheit und nicht auf die Verworrenheit und auf den Irrtum hin angelegt. Wie man mit seinem gesunden Erleben einem Bilde gegenüberstehen und seine Schönheiten bewundern kann, so kann man, wenn man sich nur nicht selber Steine in den Weg legt als Vorurteile und dergleichen, das­jenige erleben, was von der Geistesforschung dargestellt wird. Man kann es einsehen, wenn man sich nur tatsächlich mit seinem Wahr­heitssinn der Sache hingibt, und durchaus unberechtigt ist der Vor­wurf derjenigen, die von den Bekennern der Geisteswissenschaft sagen, sie huldigten nur einem blinden Glauben. Gerade in der heuti­gen Zeit wird dieAnthroposophie, wenn die Menschen durch Anwen-dung ihres Wahrheitssinnes oder durch Forschung in der geschilderten Weise zu einer Selbsterkenntnis des Menschenwesens kommen, den Menschenseelen dasjenige bringen können, wonach, wie ich in der Einleitung des heutigen Vortrages gesagt habe, diese Seelen in der jetzigen Zeit hungern. Wenn sich auch diese Zeitforderung noch gar nicht vielen Menschen zum Bewußtsein bringt, wenn sie auch nur tmnbestimmt oder auch nur in der Untüchtigkeit im Leben sich zeigt -da ist sie in dem, was sich in der Zivilisation der Gegenwart so deutlich ausdrückt.

Die Naturwissenschaft und viele philosophische Weltanschauungen sprechen von unübersteiglichen Erkenntnisgrenzen. Damit ist ihnen

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unübersteigbar die Grenze, die zum Menschen selber führt. Der Mensch aber kann der wirklichen Selbsterkenntnis für die Dauer nicht entbehren.

Ich werde im morgigen Vortrage dort anknüpfen, wo ich heute aufgehört habe, und das sittlich-religiöse Leben schildern, wie es sich mm Menschen bereichert und verinnerlicht. Ich werde damit die An­wendung auf das unmittelbar praktische Leben dann morgen zu geben haben. Im heutigen Vortrage wollte ich zunächst zeigen, wie dieser Zeitforderung, die als eine Gemüts- und Seelenforderung bei immer mehr und mehr Menschen gegenüber der gegenwärtigen Zivili­sation mit ihren Erkenntnisgrenzen auftaucht, Genüge getan werden kann durch eine wirkliche Geisteserkenntnis; durch eine Erkenntnis dessen, was der Mensch über seine eigene Unsterblichkeit und das, was mit ihr zusammenhängt, wissen will, ja, wissen muß, weil nur auf diese Art eine wahre Selbsterkenntnis erlangt wird und nur mit dieser wahren Selbsterkenntnis ein sich selbst Erfassen und sich selbst Erfühlen verbunden sein kann. Denn nur dadurch wird der Mensch vor der eigenen Seele mit ihrer Ewigkeitsnatur stehen können, daß er sich eine Erkenntnis dessen verschafft, wie er als geistig-seelisches Wesen eingewoben ist in die geistig-seelische Sphäre der Welt, so wie er als körperhaftes Wesen in der Welt des Körper-haften sein Dasein hat. Nur dann, wenn er sich von sich selbst eine Erkenntnis als Geist unter Geistern verschafft, wird er sich auch eine wirkliche innere Sicherheit verschaffen können. Weiß der Mensch, wessen er in der Welt wert und würdig ist, erst dann steht er mit dem Bewußtsein von sich als Mensch in der Welt, das er aus un­bestimmtem Gefühl heraus als das einzig richtige Menschenbewußt­sein anerkennen kann. Und erst dadurch, daß die Menschen wieder­um nach einem solchen Licht der Selbsterkenntnis und der geistigen Welterkenntnis suchen werden, erst dadurch wird der Hunger der Gegenwart nach einem wirklichen Durchdringen der eigenen Men­schennatur gestillt werden können. Denn die Menschheit wird gegen­über allen Anforderungen der fortschreitenden Zivilisation nicht anders zurechtkommen können, als wenn sie begreift: Selbst-Erkennt­nis des Menschen kann nicht etwas anderes sein als Geist-Erkenntnis

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denii der Mensch kann sich als wahrer Mensch nur erfühlen, wenn er sich als Geist unter Geistern erkennt, wie er sich in seinem vor­übergehenden Erdendasein nur empfinden kann als körperliches We­sen unter körperlichen Wesen.

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ANTHROPOSOPHIE ALS MENSCHLICH-PERSÖNLICHER LEBENSWEG Öffentlicher Vortrag, Den Haag, 16. November 1923

Gestern habe ich mir erlaubt, darzustellen, wie der Weg des Men­schen, zu einer Erkenntnis der geistigen Welt zu wandern, möglich ist, und wie dadurch, daß ein solcher Weg heute als eine Möglichkeit hingestellt wird, tatsächlich einem tiefen Bedürfnis, ich möchte sagen einem Hunger der gegenwärtigen Menschheit nach einer übersinnli­chen Erkenntnis, Genüge geschehen kann. Es wird nun aus der gestrigen Schilderung ersichtlich geworden sein, wie dieser Weg zu geistigen Erkenntnissen in die unmittelbare Nähe des elementarsten menschlichen Strebens, des elementarsten inneren menschlichen Seelenlebens herandringt. Mußte ich doch schildern, wie eine solche Erkenntnis des Ewigen in der Menschenseele nur möglich ist, wenn der Mensch erst gewisse innere vorbereitende Seelenerlehnisse durchmacht und dadurch gewissermaßen das sonst für die Welt des Geistes schlafende Bewußtsein erst aufweckt.

Dadurch unterscheidet sich das, was als eine solche übersinnliche Erkenntnis, als eine Erkenntnis des Ewigen in der Menschenwesenheit gestern geschildert werden konnte, ganz wesentlich von dem, was heute als die einzig anerkannte Erkenntnisart gilt, was ja, wie ich gestern auseinandersetzte, überall zu Grenzen dieser Erkenntnis führt. Sehen wir nur einmal darauf hin, wie das, was heute, sei es durch Beobachtung, sei es durch Experiment, aber doch in alledem nur durch die Betätigung des Verstandes an der Beobachtung und an dem Experiment als Erkenntnis gewonnen wird, einen ganz und gar un­persönlichen Charakter trägt. Dieser unpersönliche Charakter tritt uns gerade dann am lebhaftesten entgegen, wenn wir durch unser Schicksal an das heute gebräuchliche Erkenntnisleben näher herangeführt wurden. Aber wo ist denn dieses Erkenntnisleben? Man könnte sagen, es ist in Büchern. Es ist in einer mehr oder weniger geschriebenen Tradition, und der Mensch nimmt es sehr häufig, allermeistens, durch äußere Veranlassung auf. Bedenken wir doch nur

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einmal ganz ehrlich mit uns selbst vorgehend, wie der Mensch heute herangebändigt werden muß zu dem, was anerkannte Erkenntnis ist, und wie er im Hinblick auf alle die Prozeduren, die er zur Erlangung einer solchen Erkenntnis durchzumachen hatte, oft sehr froh ist, wenn er, hineintretend in die Fragen des praktischen Lebens, wieder­um alle diese Dinge zum größten Teile den Büchern - der Objektivi­tät könnten wir sagen, damit es schöner klingt - überlassen kann. Er will dann wieder ganz Mensch sein, will nicht bei dem stehen­bleiben, von dem man immer mit einem solchen Stolz sagt, «man» hat es gefunden. Wie tritt einem doch dies «Man hat es gefunden» auf allen Gebieten entgegen! Wenn jemand aus den Tiefen seines Erlebens behauptet, etwas gefunden zu haben, dann wird gleich einer, der fix ist auf dem Gebiete des Wissenschaftslebens, kommen und sagen: Das stimmt aber nicht zu dem, was «man» gefunden hat, was wissenschaftliche Erkenntnis ist.

So möchte ich sagen, die Erkenntnis ist etwas, was sich abgesondert hat von dem unmittelbaren, herzlichen Erleben des persönlichen Men­schen. Man glaubt sogar, es könne nur dann etwas wahr sein, wenn es abgesondert von alledem, was aus dem unmittelbaren Gemüt der menschlichen Natur heraus kommt, erlebt wird. Dagegen mußte ich Ihnen gestern einen Erkenntnisweg schildern, der nicht so ist, sondern der einen persönlich in Anspruch nimmt, der auch unmittelbar das menschliche Gemüt elementar beteiligt. Man kann ihn nicht goutie­ren, wenn ich so sagen darf, ohne daß man mit dem innersten Herzen dabei ist. Da wird also die Erkenntnis an die menschliche Persönlich­keit herangeführt. Und heute möchte ich Ihnen einmal sprechen von allen Folgen dieser Heranführung der Erkenntnis an das persönliche Element für das menschliche Leben.

Es ist ja nicht so, daß diese gestern geschilderte Erkenntnis, wenn sie an uns herankommt, gewissermaßen nur eine Fortsetzung dessen ist, was man unter der Flagge des «Man hat es gefunden» heute als Erkenntnis auffaßt. Es ändert sich nicht bloß die Summe der Er­kenntnisse, es ändert sich auch die ganze Art, wie man diese Erkennt­nis erlebt.

Sehen wir uns einmal das hervorstechendste Charakterzeichen jener

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Erkenntnis an, in der es die gegenwärtige Menschheit gerade zur allerhöchsten Höhe gebracht hat. Ich will damit gar nicht etwas ein­wenden gegen diese Erkenntnisart. Sie hat auf ihrem Boden die aller­größten Erfolge erzielt, hat der Menschheit in äußerer Beziehung außerordentlich viel Segen gebracht, allerdings einen Segen, der sich im gegenwärtigen Zeitalter der Zivilisation wiederum stark aufhebt. Aber diese Erkenntnis hat ein Kennzeichen, sie spricht davon, daß irgend etwas «wahr» oder «falsch» oder «irrtümlich> ist. Und man geht ja darauf aus, verstandesmäßig oder durch das, was der Ver­stand an der äußeren Welt sich erobern kann, zu entscheiden: Was ist wahr, was ist irrtümlich? - Man will logisch sein, will erfahrungs­mäßig vorgehen, will Wahrheit und Irrtum erfahrungsgemäß fest­stellen. Gewiß, man hat schon Mittel, um Wahrheit und Irrtum erfahrungsgemäß festzustellen. Wie gesagt, eingewendet soll nichts gegen diese Methode werden; aber es soll hingestellt werden, wie anders jene Methoden auf den Menschen wirken, von denen ich gestern gesprochen habe. Wenn man nun schon wirklich etwas entdeckt hat, zu dem man sagt, das ist wahr, das ist falsch, das ist wirklich - dann bleibt es doch so auf einem abstrakten Tableau vor uns stehen. Es sondert sich auch in seiner Wahrheit und in sei­nem Irrtum so von uns ab, daß wir uns mit unserer Persönlichkeit wenig an dieser Wahrheit und an diesem Irrtum beteiligen. Gewiß, wir können für die Wahrheit enthusiasmiert sein und sollen es sein, wir können den Irrtum verabscheuen und sollen ihn verabscheuen, aber wenn wir alles, was wir als Wahrheit und Irrtum feststellen können, mit den anderen Lebensverhältnissen der Menschheit ver­gleichen, so zeigt sich doch ein gewaltiger Unterschied. Ich möchte etwas ganz Grobes sagen: Wenn wir das Hungerbedürfnis befrie­digen, dann wissen wir, wir tun damit etwas an uns, was einen ganz persönlichen Charakter hat. Es läßt sich der Mensch dabei nicht ausschalten von dem, was wir da tun; es stellt sich das nicht auf einem solchen objektiven Tableau vor uns hin. Wenn wir dagegen über Wahrheit und Irrtum entscheiden, so wollen wir nicht eigent­lich, daß dies mit uns in unmittelbarem Zusammenhange steht. Wenn wir gestern über eine Sache noch im Irrtum waren, heute über

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sie nicht mehr im Irrtum sind - gewiß, es ist eine abstrakte Ent­scheidung, aber wir sind dadurch in unserem persönlichen Sein nicht wesentlich geändert. Wenn wir jedoch seit gestern etwas gegessen haben, was wir vorher nicht gegessen haben, was wir uns inner­lich einverleibt haben, dann hat sich in uns etwas persönlich ge­ändert.

Diese Begriffe «Wahrheit» und «Irrtum», «richtig» und «falsch» ändern sich im unmittelbaren Erleben der geisteswissenschaftlichen Wahrheiten. Indem man sich in jenen Erkenntnisweg hineinlebt, den ich gestern beschrieben habe, spricht man allmählich nicht mehr so, daß man sagt, etwas ist wahr, etwas ist Irrtum oder falsch. Diese Worte gelten eigentlich im Grunde genommen für das, was in der äußeren materiellen Welt von uns anerkannt oder abgewiesen wer­den kann, und die wenigsten Menschen wissen ja, was es mit dieser Wahrheit oder diesem Irrtum eigentlich auf sich hat. Denn dringt man ein wenig ein in das, was es heißt, etwas ist wahr, etwas ist falsch - so muß man zurückgehen in der Auffassung der Men­schen über diese Begriffe Wahrheit und Irrtum, und dann kommt man auf etwas ganz Besonderes. Gerade wenn man in verschiede­nen Sprachen die Bezeichnungen für Wahrheit und Irrtum auffaßt, kommt man darauf, daß diese beiden Begriffe in ihrer heutigen Ab­straktheit ja erst entstanden sind. Sie waren in früheren Zeiten nicht vorhanden, sie sind ein Entwickelungsprodukt. In früheren Zeiten galt einmal eine bestimmte Sache, die ein Mensch anerkennen sollte, als das, was von den Göttern gewollt ist; und was er nicht aner­kennen sollte, war das, was von den Göttern nicht gewollt ist. So unterschied man die Welt als das von den Göttern Gewollte und als das von ihnen nicht Gewollte. Und indem der Mensch das aner­kannte, was von den Göttern gewollt wurde, war er wahr, war er treu den Göttern. Das Wort «treu» für «wahr» erkennt man noch in ver­schiedenen Sprachen. Wahr: treu der göttlichen Weltordnung, un­wahr: untreu der göttlichen Weltordnung. Die andere Auffassung ist erst hinterher gekommen. Als der Intellekt alle Erkenntnis beherr­schend geworden ist, hat man vergessen, auf welche Urgründe die Bezeichnungen Wahrheit und Irrtum eigentlich zurückgehen. Und

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so stehen wir heute der anerkannten Erkenntnis unpersönlich, ja in einem hohen Grade gleichgültig gegenüber.

Die Erkenntnisart, von der ich gestern gesprochen habe, führt uns wieder dazu, etwas Reales, etwas Konkretes mit dem zu verbinden, was wir anerkennen, und mit dem, was wir abweisen. Daher spre­chen wir in der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft nicht bloß davon, daß etwas wahr ist, sondern wir kommen da zu einem Begriff, der sehr ähnlich dem ist, wenn wir etwas gesund für uns Menschen nennen. Und was in der hier gemeinten Geisteswissen­schaft gestern von mir vorgebracht worden ist, bezeichnet der, der in ihr drinnen steht, viel lieber als «gesund», denn als «wahr». Man spricht von gesunden Erkenntnissen, und man spricht von kranken Erkenntnissen, die abgewiesen werden sollen. So treten allmählich an die Stelle der Begriffe wahr und irrtümlich, die nur für die phy­sische Welt gelten, die Begriffe gesund und krank. Dadurch ist man aber als Mensch genötigt, persönlich schon der ganzen Erkenntnis näherzukommen. Denn wir sind ja in begreiflicher Weise gewöhnt, irgend etwas als gesund zu empfinden, was wir begehren, was wir wollen, wozu unsere Persönlichkeit drängt. Dagegen weisen wir, sofern wir es können, das Kranke zurück als das, wozu unsere Per­sönlichkeit nicht drängt.

Indem sich so für uns das, was wahr ist, verwandelt in das Le­benfördernde, in das Gesunde, in das Lebenbereichernde - und das Unwahre, für uns Irrtümliche, in das das Leben Verarmende, das Leben Krankmachende, es Lähmende und Verödende, erweisen sich nach und nach die Vorstellungen, die man hat, als etwas, was sich allmählich mit unserem Empfinden und mit unserem ganzen persönlichen Leben intensiv verbindet. Dadurch ist es so, daß man der heute gebräuchlichen Erkenntnis wie einer Persönlichkeit ent­gegenkommt, die einen mehr oder weniger gleichgültig läßt, mit der man eigentlich - so ist es ja in der Mehrheit der Fälle - nur ein äußeres, konventionelles Verhältnis hat. Der hier gemeinten Gei­steswissenschaft dagegen kommt man nicht auf eine so konventio­nelle Weise entgegen. Ihr kommt man entgegen wie einem Freunde, wie einer Wesenheit selber, zu der man Liebe aus dem Elementarsten

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seines Wesens heraus empfinden kann. Dadurch wird diese Geisteswissenschaft immer mehr und mehr zu einer persönlichen An­gelegenheit.

Wenn man so zu den Wahrheiten hingeht, die ich gestern nur an­deuten konnte -, von dem vorgeburtlichen, vorirdischen Leben des Menschen; von einem geistig-seelischen Wesen des Menschen, das aus einer rein geistigen Welt durch Empfängnis und Geburt herunter-steigt in den physischen Menschenleib; oder wenn man, wie Sie dies aus der Literatur der Anthroposophie ersehen können, immer weiter und weiter hineinkommt in die Gebiete der geistigen Welten, die der Mensch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durchlebt, so wie er hier durch seine Sinne die physische Welt durchlebt - wenn man in diese Welten immer mehr und mehr hineinkommt, dann fühlt man sich mit einem gewissen Inhalt dieser Welten so verbunden, daß man sein eigenes Sein an die gesunden Erkenntnisse, an die gesunden Anschauungen anknüpfen muß. Und ebenso fühlt man, daß man von dem, was man kranke Anschauungen nennen muß, abrücken muß, wegkommen muß.

Wir wissen zum Beispiel, um einen Vergleich zu gewinnen für das, was ich meine, daß der Mensch, der sein Dasein physisch nor­mal entfalten kann, Nahrung genießt, daß diese Nahrung in ihm eine Verwandlung durchmacht, und daß er dadurch ersetzen kann, was er von seinem Körperlichen verbraucht, und wir wissen, daß er sein gesundes Wohlbefinden in dieser Umwandlung der äußeren Nahrungsmittel für sein persönliches physisches Dasein hat. Wir wissen aber auch, daß beim Menschenwesen Verhältnisse eintreten können, durch die er vielleicht keine Nahrungsmittel aufnehmen kann, weil sein Organismus nicht dazu angetan ist, sie in der ent­sprechenden Weise zu verdauen, weil sein Verdauungssystem krank ist, oder es kann andere Gründe geben, warum der Mensch das, was er verliert, nicht durch die Nahrung ersetzen kann. Dann zehrt er von dem, was in seinem eigenen Leibe ist, dann beginnt er, sich selber zu verzehren.

Das ist etwas, was uns hinführt zu dem Zusammenhange von ge­wissen Krankheitserscheinungen mit dem Verzehren des eigenen

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Leibes. Aber das ist auch das, in was man hineinwächst, wenn man allmählich über die geistige Welt Erkenntnisse gewinnt. Man hat gegenüber den Erkenntnissen, die gesundend wirken, eben das Gefühl: Man kommt durch sie zusammen mit der geistigen Welt, man geht durch sie in der geistigen Welt auf, man wird eins mit der geistigen Welt, man macht den Weg zu den Göttern, man macht den Weg zu der eigenen unsterblichen Seele. Man macht den Weg zu dem, was man durchlebt, wenn man durch die Todespforte gegangen ist und sich in der geistigen Welt findet, man macht aber auch den Weg zu dem, was man durchlebt hat, bevor man durch die Empfängnis oder Geburt aus der geistigen Welt auf die Erde herabgestiegen ist. Das alles empfindet man so, als ob man als Mensch in die Welt hinaus sein Dasein hingegeben habe, aber dadurch im Inneren voller, reicher geworden wäre. Dadurch, daß man allmählich geradezu Welt wird, erfaßt man sich erst in seiner vollen menschlichen Innerlichkeit. Und in der Art, wie sich eine solche Erkenntnis, eine solche gesunde Er­kenntnis in einen einlebt, empfindet man, wie ja das ganze Sein des Menschen davon abhängt, daß man mit der Welt zusammenkommt. Ebenso empfindet man es nach und nach, daß das Entbehren solcher gesunder Wahrheiten so ist, als ob wir hineinlebten in die Welt ohne Aufnahmeorgan für die Nahrung und uns selber verzeh­ren müßten. Und dasjenige, demgegenüber man das Gefühl hat, daß es etwas ist, was abgewiesen werden muß, was als krankmachender Inhalt der Welt sich ergibt, das empfindet man, wenn man es auf­nimmt, so als wenn man sich selber verzehren, als wenn man immer weniger und weniger würde.

Das ist der Unterschied zwischen dem Wahrheitsuchen, wenn man bloß im Intellektuellen bleibt, und dem, wenn man vordringt zu wirklichen geistigen Erkenntnissen, wozu ich gestern den Weg schilderte. Hier in der Sphäre des Intellektuellen kann man streiten über Idealismus, Spiritualismus und Materialismus, - das eine macht freundliche Gesinnung, das andere tut nicht weh, es ist nicht ein inten­sives Menschliches darinnen. Wer dagegen die geistigen Wahrheiten, also die gesunde geistige Erkenntnis ergreift, den schmerzen die Ideen, die in materialistischer Richtung orientiert sind, weil er weiß,

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durch diese materialistisch gefärbten Wahrheiten verzehrt sich der Mensch. Damit aber bekommen die geistigen Wahrheiten wiederum zwei neue Nuancen - Nuancen, die man sehr scharf empfinden kann, wenn man sich allmählich in das Erfassen der geistigen Erkenntnis hineinlebt. Da lernt man erkennen die Verwandtschaft der Wahrheit mit der Liebe, die Verwandtschaft der gesunden Erkenntnis mit der Selbstlosigkeit des Menschen, aber jener Selbstlosigkeit, die nicht das Selbst verliert, sondern indem sie sich entwickelt, das Selbst erst recht gewinnt. Wenn der Mensch aus sich herauszugehen und in die Welt hineinzugehen weiß, wenn er in diesem Sinne - nicht daß er inhalt-leer wird, sondern sich mit Welteninhalt erfüllt - selbstlos ist, dann führt diese Selbstlosigkeit erst zum rechten Menschensein, zum rech­ten Menschenfühlen, zum Seeleninhalt überhaupt.

Dieses Hingegebensein an die geistigen Tatsachen des Lebens, das ähnlich ist der Liebe, das ist es, was sich einem dann aufdrängt als eine Art Charaktereigenschaft. Sie wird daher eine charakteristische Erscheinung bei demjenigen, der geistige Erkenntnisse aufnehmen kann. Daher ist es auch so: Man verspürt in den Menschen nicht viel von den Charakterimpulsen der bloß intellektualistischen Verstandes-erkenntnisse, weil sie eben nicht nahe an die Persönlichkeit heran­kommen, aber wenn man die geistige Erkenntnis in ihrem innersten Wesenskern erfaßt, dann wird man auch wissen, daß man diese gei­stige Erkenntnis nicht anerkennen kann, ohne daß sie einem den Charakter verwandelt, ohne daß sie eine, wenn ich das Paradoxon gebrauchen darf, wie in seelisches Fleisch und Blut hineingehende Charaktereigenschaft bringt, nämlich Hinneigung zunächst zur Selbstlosigkeit, zur Liebe. Das ist es, was die Aneignung von geistigen Wahrheiten von dem Aneignen physischer Wahrheiten unterscheidet.

Und wiederum lernt man erkennen, wie man in sich hineinver­zehrend lebt, bei sich bleibt, wenn man die ungesunden Erkenntnisse aufnimmt, wie man sich da wirklich in geistiger Beziehung selber verzehrt. Und man lernt mit den beiden Empfindungsnuancen das erkennen, was der innerste Egoismus in der menschlichen Natur sein kann. Man lernt also an dieser Erkenntnis Liebe und Egoismus er-kennen, und es gehört sogar zu den größten Errungenschaften, die

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durch geisteswissenschaftliche Erkenntnis an den Menschen heran-treten können, daß die Ergebnisse dieser Geist-Erkenntnis charaktero­logisch sein können, daß solche Charaktereigenschaften notwendig werden können. Die bloß abstrakte Verstandeserkenntnis nimmt sich eigentlich aus wie eine künstlich aus Wachs gebildete Pflanzenwurzel. Aus der kommt keine Pflanze hervor, sie ist ja auch durch unseren Verstand künstlich gemacht. Alle die Erkenntnisse, die wir heute so verehren, so nützlich sie sind und nicht angefochten werden sollen, sie sind durch den Verstand künstlich geformt. Aus der wirklichen Pflanzenwurzel aber kommt auch die wirkliche Pflanze heraus. Und aus der wirklichen Erkenntnis, durch die der Mensch seinen Geist mit den Geistern der Welt verbinden kann, kommt nach und nach heraus der ganze innere Mensch: der Mensch, der in lebendigem Ge­fühl versteht, was Selbstlosigkeit, selbstlose Liebe, und was Egoismus ist, und der von diesem Verstehen nun Antriebe erhält, im Leben zu wirken, - zu wirken da, wo es richtig ist, in Selbstlosigkeit, oder da, wo er es notwendig hat, zum Beispiel zur Vorbereitung des Lebens aus sich selbst heraus zu schöpfen, mit vollem Bewußtsein nichts be­mäntelnd, dann diesen Egoismus zu entwickeln.

Dadurch entsteht eine gewisse Hellsichtigkeit in der menschlichen Selbstbeobachtung und in der Überführung dieser Selbstbeobachtung in das äußere Tun. Ein seelisch-geistiger Mensch sprießt und sproßt hervor aus dem, was geistige Erkenntnis werden kann. Dadurch aber kommen wir ganz praktisch durch eine solche Erkenntnis heran an das Moralische. Wenn wir unsere heute anerkannte Erkenntnis trei­ben, so setzen wir ja unseren Stolz darein, nur ja nicht den Übergang ins Moralische zu finden. Wir wollen dadurch «objektiv» sein, daß wir sagen: Nun ja, die Vorgänge in der unorganischen, leblosen Na­tur müssen wir natürlich nach ihren Naturgesetzen so durchschauen, daß wir in ihnen Ursachen und Wirkungen verfolgen, aber das Mora­lische finden wir darin gar nicht. - Wir setzen unseren Stolz darein, diese Methode nun weiter fortzusetzen in die belebten Naturvorgänge hinein, ins Pflanzliche, Tierische und Menschliche hinein und als Moral nur gelten zu lassen, was ja nur aus gewissen Tiefen der Men­schennatur hervorsprießt, wovon wir aber nicht sagen können, daß es

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sich in der Welt auch durch seine innere Kraft und Impulsivität Gel­tung verschaffen und den Übergang finden könne ins objektive Sein.

Indem wir so durch eine Geist-Erkenntnis getrieben werden, einer­seits in uns intensiv lebendig das Erleben der Selbstlosigkeit, der liebevollen Hingabe an die Sache auszubilden - denn ohne diese ist Geist-Erkenntnis nicht möglich -, andererseits uns ein feines Empfin­den anzueignen für das, was selbstverzehrender Egoismus ist, treiben wir mit der Geist-Erkenntnis unmittelbar in die moralische Welt­ordnung hinein. Deshalb stellt sich uns dann nach und nach auch diese moralische Weltordnung wirklich in ihrer Konkretheit dar, und wir gelangen dazu, nicht nur in einer abstrakten Weise auf das vor-irdische Menschenleben hinzuschauen, das heißt auf dasjenige, was der Mensch als geistig-seelisches Wesen durchgemacht hat, bevor er durch Empfängnis und Geburt auf die Erde heruntergestiegen ist, sondern wir gelangen dazu, wirklich hineinzuschauen in die geistige Welt, wie wir durch unsere physischen Sinne in die physische Um­gebung schauen. Und wir lernen auf diese Weise erkennen, wie wir dort in der geistigen Welt umgeben sind von geistigen Wesenheiten, die niemals einen physischen Leib annehmen, so wie wir hier in der physischen Welt uns zusammenfinden mit Wesen, die gleich uns in einem physischen Leibe sind. Wir lernen aber diese geistige Welt und ihre Wesenheiten konkret kennen; wir lernen sie nicht kennen, ohne daß wir durch den Erkenntnisweg uns innerlich charakterologisch, lebensvoll angeeignet haben die Empfindung von der Selbstlosigkeit, von der selbstlosen Hingabe. Denn das ist das Geheimnis des irdi­schen körperlichen Daseins: Indem wir von unserer Geburt an durch das kindliche Lebensalter, wo wir noch mehr oder weniger triebhaft­unbewußt oder halbbewußt sind, hindurch immer mehr und mehr in unseren Körper hineinwachsen, treten wir - und das ist gerade das, was sich vor das Seelenauge eines Menschen so klar hinstellt -im physischen Leben durchaus durch unsere physischen Organe an die Welt heran. Wir verlieren uns seelisch und geistig, indem wir schaffend tätig sind, allerdings an unseren Körper. Aber dieses Seelisch-Geistige löscht sich für unser Bewußtsein aus. Aller Welt­inhalt wird uns durch das Körperliche vermittelt. Daher hat für das

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irdische Bewußtsein der Materialismus recht, denn im Iridischen müssen wir uns des Körpers bedienen, wenn wir beim irdischen Be­wußtsein, das uns auch nur dieses Körperliche gibt, bleiben. Für das irdische Bewußtsein müssen wir bei der Wahrnehmung des Körper­lichen bleiben, wenn wir uns nicht zu der vom Körperlichen unab­hängigen Bewußtheit erheben wollen.

So müssen wir sagen, um zum Ergreifen der geistigen Welt und seines eigenen übersinnlichen Wesens zu kommen, muß der Mensch etwas in sich entwickeln, woran ihn der Körper hindert, es zu er­greifen. Der Körper reißt uns heraus aus der geistigen Welt, er ent­fremdet uns der geistigen Welt und führt uns immer mehr auf das eigene Selbst und auf die Egoität zurück, und wir müssen es in der geistigen Erkenntnis so machen wie in der Liebe, wo wir aus uns heraus müssen. Da stellt sich insbesondere dann, wenn der Mensch zu einer vom Körperlichen unabhängigen Bewußtheit kommt, die tiefbedeutsame Wahrheit heraus, daß der Mensch wiederholte Erden-leben durchmacht. Was in unserer Seele durch die wiederholten Erdenleben auftritt, das beachten wir deshalb nicht, weil wir in unserem Körper drinnen stecken. Wir lernen im Leben einen Men­schen kennen, dessen Erlebnis für uns ein Schicksal ist. Wir treffen ihn in einem bestimmten Lebensjahre, wir erleben mit ihm etwas, was nun Einschlag wird unseres ganzen folgenden Lebens. Wenn wir nun unbefangen auf unseren Lebensweg bis zu diesem Moment zu­rückschauen, wo wir diesen anderen Menschen getroffen haben, dann finden wir, wenn wir geistig schauen, was wir mit dem körperlichen Schauen nicht finden können, daß eigentlich unser bisheriges Erden-leben ein Suchen dieses Menschen war. Daher haben Leute, die in diesem Sinne alt geworden sind, rückschauend auf dieses Erdenleben auch immer gesagt: Es nimmt sich ganz planvoll aus, was wir in diesem Erdenleben gefunden haben. Es ist so, wie wenn man schon als kleines Kind die Richtung dahin nimmt, später mit einem be­stimmten Menschen zusammenzutreffen. Man muß, wenn man seinen Lebensweg geistig überschaut, dann sagen, man richtet jeden Schritt darauf ein, daß ein solches Erlebnis zuletzt sich vollziehen kann. Und wenn man in diesem Erleben immer weiter und weiter kommt,

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dann kommt man zu der Einsicht, daß alles, was man tut, was unter dem Einfluß der physischen Erdenkräfte steht, durch etwas anderes gelenkt wird. Und wir kommen dazu, anzuerkennen, daß dieses Le­ben, das wir gegenwärtig leben, abhängig ist von früheren Erden-leben, zwischen denen andere Leben zwischen Tod und neuer Geburt in einer geistigen Welt waren.

Aber wir kommen nicht zur Anerkennung dieser anderen Leben, wenn wir nicht Erkenntnisliebe und liebende Erkenntnis entwickeln können. Denn der, der wir damals waren, der ist nicht so leicht zu erreichen, wie man sich dies oftmals vorstellt. Was wir in einem frü­heren Erdenleben waren, das ist der gegenwärtigen Persönlichkeit so fremd wie ein anderer Mensch, dem wir begegnen. Und nur wenn wir liebende Erkenntnis und Erkenntnisliebe entwickeln können, können wir diesen anderen, dem wir zunächst ganz fremd gegenüberstehen, auch wirklich mit der Erkenntnis erfassen. Dann tritt er herein in unser Bewußtsein.

So ist es mit allen Schritten der höheren geistigen Erkenntnis, daß wir etwas entwickeln müssen wie liebende Erkenntnis, also etwas, was mit unserer Persönlichkeit innig zusammenhängt, woran wir un­mittelbar persönlich beteiligt sind, und was wir sogar gar nicht haben können, ohne daß wir daran persönlich beteiligt sind. Dadurch aber, daß wir in eine solche Welt hineinwachsen, daß wir tatsächlich im Erkennen das Dasein erweitern über Geburt und Tod hinaus, daß wir es erweitern auch über die sinnliche Welt hinaus - im Pflanzen­reich, Tierreich, Mineralreich, überall sehen wir geistig wirksame Wesen -, dadurch steigen wir zu einem Reich der Wirklichkeit auf, das nun die sittlichen Impulse in unserer Erkenntnis annehmen kann. Speziell für den Menschen nimmt sich das etwa in der folgenden Weise aus. Wir sagen, es ist oftmals außerordentlich bedrückend, das Schicksal zu ertragen. Gewiß, wenn wir hier im physisch-sinnlichen Erdenleben bleiben, so sehen wir, wie nur allzu häufig das, was den besten sittlichen Impulsen entspringt, wenig Erfolge trägt, während manches, was gar nicht guten, sittlichen Impulsen entspringt, gute Erfolge davonträgt. Warum ist das so? Es ist so aus dem Grunde, weil eben diese physisch-sinnliche Welt, die wir gewissermaßen

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auch «angezogen» haben, nämlich ein Stück von ihr als das Kleid unseres Leibes, ja gar nicht sittliche Impulse enthält. Es löschen sich zunächst aus unserem ganzen Tun und Treiben innerhalb der physi­schen Welt die sittlichen Impulse aus, höchstens der konventionelle Ausgleich kann kommen. Aber durch Geist-Erkenntnis lernen wir diese Welt erkennen als nicht die einzige, sondern als überall durch­setzt von Geistigem, und wir lernen auch erkennen, wie wir das, was wir mit uns tragen in unserem sittlichen oder unsittlichen Handeln, hineintragen in diese Welt des Geistigen. Lernen wir die Wahrheit als das Gesunde, die Irrtümer als das Kranke erkennen, dann dehnen wir diese Erkenntnis auch aus auf die sittliche Wahrheit und die un­sittlichen Irrtümer, und wir lernen erkennen, wie der Mensch da­durch, daß er sich der sittlichen Wahrheit hingibt, innerlich, geistig­seelisch, ein voll ausgebildeter Mensch wird. Das braucht im gegen­wärtigen Erdenleibe nicht unmittelbar zum Ausdruck zu kommen. Dadurch, daß einer sittliche Impulse in sich erlebt, wird er ein innerlich voll ausgebildeter geistig-sittlicher Mensch. Dadurch, daß sich jemand hingibt dem Irrtum, wird er innerlich, geistig-seelisch ein Krüppel. Dann lernt man das Sittliche als Gesundendes und das Irrtümliche als Krankmachendes erkennen, und man lernt erkennen, wie das Leben in der sittlichen Wahrheit den Menschen harmonisch ausgestaltet. Doch in dem Zyklus der Entwickelung, in dem wir drin­nen sind, ist das nun etwas, was sich in dem physischen Leibe, den wir als das Ergebnis dessen tragen, was wir uns im vorigen Erden-leben schaffend angeeignet haben, nicht gleich zum Ausdruck bringt Aber wir werden, indem wir uns der sittlich gesunden Wahrheit oder dem sittlich ungesunden Irrtum hingeben, entweder gesunde, harmo­nische Menschen an Geist und Seele, oder wir werden geistig und seelisch Krüppel. Gehen wir durch die Pforte des Todes, legen wir den physischen Leib ab, dann ist dieser kein Hindernis mehr, dann nimmt unsere geistig-seelische Wesenheit diejenige Physiognomie in ihrer Gänze an, die wir uns durch das Erleben des Sittlich-Guten oder des Sittlich-Bösen angeeignet haben; dann leben wir da entweder als ein Vollmensch an Seele und Geist oder als ein geistig-seelischer Krüppel.

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Und so gehen wir durch die geistige Welt durch, bis wir wieder zu einem physischen Erdenkörper kommen, durch den wir uns von innen heraus unser eigenes Schicksal bauen, indem wir entweder da­durch, daß wir aus einem früheren Erdenleben ein harmonisches Geistig-Seelisches an uns tragen, diesen Erdenkörper auch voll-inhalt­licher gestalten können, ihn zu dem oder jenem Tüchtigen im Leben führen können, oder dadurch, daß wir als moralische Krüppel an­kommen, ungeschickt und ungelenk leben in der Führung unseres Erdenkörpers, vom Embryo bis herauf zum Erwachsenen, dadurch uns ein inneres Schicksal bereiten, das dann auch zum äußeren Schick­sal wird. Wer das Leben unbefangen zu betrachten vermag, der wird finden, wie sich das innere Schicksalbilden mit dem äußeren Schick­salerleben zusammenkettet, indem wir imstande sind, uns des Leibes und dessen, was mit ihm zusammenhängt, zu bedienen, wo wir durch unseren Leib mit der sinnlich-physischen Welt verkehren, ihn von innen heraus geschickt oder ungelenk gebrauchen können. Dadurch bereiten wir auch die äußeren Ereignisse, teilweise wenigstens, in einer solchen Weise zu, daß sich auch das äußere Schicksal ergibt als ein teilweises Ergebnis des inneren Schicksals. Und das, was wir so durchmachen, gleicht sich in den aufeinanderfolgenden Erdenleben wiederum aus.

So gewinnen wir in der geistigen Welt - und hier ist es, wo sich wahr und falsch in geistiger Beziehung in gesund und krank ver­wandelt - tatsächlich die Gestaltungskräfte des Geistig-Seelischen und der moralischen Impulse. Es wird uns die moralische Welt zu einer ebensolchen Realität, und wir sagen uns: In dem einen Erden-leben kann der moralische Impuls nicht unmittelbar eine Wirkung im Physischen erzielen; wenn er aber von dem einen Erdenleben ins nächste hinübergeht, dann hat er seine gesundende Wirkung auch in aller Realität, so wie die Wärmekraft, das Licht und die Elektrizität in der physischen Welt ihre Wirkung haben. Daß wir der Meinung sind, die moralische Weltordnung wäre bloß eine aus dem Menschen ent­sprungene Abstraktheit, rührt nur davon her, daß wir nur die für die physische Welt zusammenfassenden Bedingungen zu kennen meinen. Wir überschauen da von der Wirkung aus den Weg der Ursachen. In

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der geistigen Welt können wir jedoch ebenso die Bedingungen des Zusammenwirkens der Kräfte erkennen, nur müssen wir für die Wir­kungen in einem Erdenleben auch die Ursachen dazu in einem frü­heren Erdenleben - zwischen beiden liegt dann ein Leben in der gei­stigen Welt erkennen. Mit anderen Worten, wir müssen das Niveau erkennen, auf dem sich für das menschliche Schicksal Ursache und Wirkung geltend machen. Dadurch erweitert sich das, was sonst nur als robuste physische Erkenntnis gilt, eben hinaus in die moralisch-geistige Weltordnung hinein, und wir erobern uns damit diese mora­lisch-geistige Weltordnung.

Es könnte nun der auch schon gestern angedeutete Einwand gegen diese Geisteserkenntnis erhoben werden: Das mag alles sehr schön sein, aber zunächst haben doch die Menschen diese Geist-Erkenntnis nicht, sondern nur wer ein Geistesforscher ist, kann das, was er in der geistigen Welt schaut, in Worte und in Ideen kleiden, und diese Ideen können dann erfaßt werden. - Ich sagte schon gestern, um ein Bild zu malen, muß man ein Maler sein, aber um die Schönheit und den inneren Gehalt des Bildes zu erleben, braucht man kein Maler zu sein, sondern dazu braucht man sich nur der unbefangenen, unbeirrten Menschennatur hinzugeben. So ist es in der Tat auch bei der Geisteswissenschaft. Um sie selber in Ideen zu «malen», muß man Geistesforscher sein, wenn sie aber hingestellt wird, so wie sie in den Vorträgen, die darüber gehalten werden, und in unserer Literatur dargestellt ist, dann steht sie da wie das Bild vor dem Beschauer, der selber kein Maler ist. Nichts anderes braucht der Mensch, als sich seinem unbefangenen, unbeirrten Wirklichkeitssinn hinzugeben - und er bekommt den gesundenden Eindruck von der Schilderung der geisti­gen Welt! Ja,es muß darüber sogar etwas ganz Besonderes gesagt wer-den. Es ist ja heute noch immer so: Weil die Geisteswissenschaft, die hier gemeint ist, etwas verhältnismäßig Neues in unserer Zivilisation ist, deshalb steht ja auch der, der aus seiner unmittelbaren Erkenntnis heraus diese Geisteswissenschaft vertritt, recht einsam da, und er muß sich darauf beschränken, sie in Worte und Ideen zu kleiden, um sie den anderen Menschen mitzuteilen. Man könnte nun glauben, was er zu sagen hat, ginge eigentlich nur ihn an. So wie die Sachen aber

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heute liegen, noch liegen - man muß sehr hoffen, daß diese Dinge sehr bald anders werden, weil die Geisteswissenschaft für den Men­schen etwas innerlich Belebendes ist -, so steht ja dem Geist-Erken­nenden die Menschheit noch gegenüber als eine bloß aufnehmende. Für den aber, der heute in dieser Einsicht zur Geist-Erkenntnis in unmittelbarer eigener Anschauung vordringt, für den ist diese Gei­steswissenschaft dennoch etwas anderes als für den Menschen, der sie zunächst, wie ich es eben geschildert habe, durch seinen unbeirrbaren Wahrheitssinn aufnimmt. Ich habe schon gestern angedeutet: An einem gewissen Punkte der Geist-Erkenntnis muß man einen Schmerz durchmachen, der sich sonst mit keinem Lebensschmerz vergleichen läßt. Es ist an dem Punkte, wo wir gerade über das eigene geistige Erleben zwischen Geburt und Tod hinausdringen in das weite Meer der geistigen Ewigkeit, in der wir sind, wenn wir durch die Pforte des Todes gegangen sind, oder in der wir waren, bevor wir durch die Geburt zum physischen Erdenleben heruntergeschritten sind. Man muß einen unsäglichen Schmerz durchmachen, wenn man in der Er­kenntnis die sinnlich-physische Welt verlassen muß und eindringen will in die geistige Welt. Dieser Schmerz, möchte ich sagen, färbt schon ab auf das gesamte Menschenleben. Und vor allen Dingen stellt sich für den, der heute, und heute muß es ja so sein, aus eigener Kraft die Initiation, die Einweihung in die höhere Erkenntnis durchmacht, es stellt sich diese höhere Erkenntnis als etwas ein, was zwar zunächst seinen ganzen Menschen ergreift, sich aber dann in einer unglaublich starken Weise von ihm loslöst. Und gestatten Sie, daß ich an dieser Stelle etwas schildere, was scheinbar einen ganz persönlichen Cha­rakter hat, aber das ganz Persönliche darin - ich will ja heute auch mehr auf das Persönliche eingehen - hat schon einen unpersönlichen Charakter, das kann jeder erleben, der in eine ähnliche Lage kommt.

Erst ergreift das Geist-Erkennen den ganzen Menschen. Das ge­wöhnliche intellektualistische Erkennen ergreift ja nur den Kopf des Menschen, den Verstand, das heißt das, was im Grunde genommen recht neutral sich zu dem unmittelbar persönlichen Erleben verhält. Man weiß auch, wie man nur den Kopf anstrengen muß, und wie das andere alles Beigabe ist. Gewiß, man muß, um gewisse Dinge in der

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heutigen Erkenntnis zu erreichen, viel sitzen. Es wissen manche von diesem Sitzen zu erzählen, das sie öfter unterbrochen haben, weil es nicht angenehm ist. Aber was man in der gewöhnlichen Erkenntnis anstrengt, ist eigentlich nicht der ganze Mensch. Dringt man jedoch, wie ich es geschildert habe, in wirklicher Erkenntnis der übersinn­lichen Welt vor, dann hat man das Gefühl: Wenn du nur deinen Verstand, das, wozu der Kopf das Organ ist, anstrengst, dann ver­fliegt dir diese Geist-Erkenntnis wie Träume, sie verfliegt in ihren großen umfassenden Ideen wie auch in bezug auf Details. Und es ist wirklich so, daß man beim Durchstoßen in die geistige Welt, beim Hinüberkommen über das, was man den «Hüter der Schwelle» zur geistigen Welt nennt, eine große Plage hat, nicht um den Inhalt, den man erkenntnismäßig erringt - der ist sehr real -, aber um das Er­leben in vollster Realität in das Bewußtsein hereinzubringen. Es ist eigentlich so, daß sehr viele Menschen verhältnismäßig rasch Erleb­nisse in der geistigen Welt haben können. Man muß aber Geistes­gegenwart dazu haben, das heißt rasch auffassen. Für die meisten Menschen ist das, was sie in der geistigen Welt erleben, zwar da, aber ehe sie die Aufmerksamkeit darauf verwenden, ist es schon wieder weg. Man muß die Geistesgegenwart haben, den Seelenblick rasch auf das Erlebte hinzuwenden. Geistesgegenwart ist etwas ungeheuer Notwendiges für die Geisteserkenntnis. Man muß die Geistesgegen­wart, wie ich sie in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» geschildert habe, ganz ernst nehmen. Wenn man dazu gelangt, diese eigentlich aus dem Raume und aus der Zeit draußen liegenden Erkenntnisse zu erfassen - weil sie draußen liegen, entschlüpfen sie einem auch leicht -, dann nehmen sie sich äußerlich wie Träume aus. Man hat eine Plage, sie über den Traumcharakter hinüberzunehmen. Es entschlüpft wie Träume, was man nur mit dem Kopf behandelt. Daher darf ich schon sagen, wer aus der geistigen Welt heraus in Ideen redet, der muß auch in dem Momente, wo er redet, die geistige Welt immer vor sich haben. Er kann sich aber nur an dieses Drinnenstehen in der geistigen Welt gewöhnen, wenn er diese Erkenntnis, in irgendeiner Art wenigstens, mit dem ganzen Menschen teilt. Das kann der eine so machen, der andere anders. Mir

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zum Beispiel ist es immer eine Notwendigkeit, entweder durch ein­zelne abgerissene Worte oder durch kleine symbolische Zeichnungen das zu fixieren, was sich mir in geistiger Anschauung ergibt. Das ist nicht deshalb, um etwa medial zu schreiben. Es ist voll besonnenes, absolut bewußtes Schreiben, aber man betätigt dabei nicht bloß den Kopf, sondern auch noch etwas anderes, was die menschliche Tätig­keit vervollständigt zum ganzen Menschen hin, wenn man zugleich schreibt. Es kommt dabei gar nicht darauf an, daß man dies, was man so geschrieben hat, dann später als Notizen verwendet, sondern es kommt nur darauf an, was man tut. Ich kann Ihnen verraten, daß ich ganze Wagenladungen von Notizbüchern auf diese Weise in meinem Leben zustandegebracht habe, die ich nie wieder angesehen habe - weil es darauf ankommt, das, was man in der geistigen Welt geschaut hat, mit einer stärkeren Kraft festzuhalten, als es die bloße Kraft des Kopfes ist. Und es wird mit einer stärkeren Kraft fest­gehalten, wenn man das Erlebnis in die Hand hinein in jenen Wil­lensimpuls ergießt, der zum Schreiben führt. Dies Fixieren der inneren Erlebnisse in der geistigen Welt hängt davon ab, daß man die Wahr­heiten, ich möchte sagen «organisch» mit seinem ganzen Menschen erlebt.

Es kommt dann noch etwas anderes dazu, etwas, was nicht so bleiben muß in der Zivilisation, was auch bei früheren, ganz anders gearteten Wegen zur Initiations-Erkenntnis nicht so war. Was ich aber jetzt meine, und was heute in einem hohen Grade so ist, das ist folgendes. Wenn man Geisteswissenschaftliches irgendwie produziert hat, und man will darauf später wieder zurückkommen, so ist dies -wenn man so alt geworden ist wie ich zum Beispiel und manches, was man nun mitzuteilen hat, vielleicht vor vierzig Jahren produ­ziert hat - etwas sehr Altes eben, und dann ist die Tätigkeit, die man innerlich geistig ausübt, wirklich fast so, wie wenn man jeman­dem irgend etwas mitteilen will, was man in einem ganz fremden alten Buche liest. Verstehen Sie mich: Was man selber vor Jahren produziert hat, wird einem so fremd, wie etwas, was in einem frem­den Buche aus diesen Jahren steht. Es sondert sich - nicht so wie die abstrakte Erkenntnis, die ich geschildert habe -, aber es sondert sich

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geistig von einem ab. Was man sonst, wenn man außerhalb der Ini­tiationserkenntnis steht, so recht als mit seiner eigenen Wesenheit verbunden fühlt, das tritt heraus wie ein zweiter Mensch. Ich kann sagen, manche Bücher von befreundeter Seite sind mir heute vertrau­ter als die, welche ich selber früher geschrieben habe. Ich lese meine früheren Bücher ohnedies nur, wenn ich muß, zum Beispiel wenn ich sie bei Neuauflagen korrigieren muß, denn sie sind mir ja fremd. So sondert sich heute noch das, was der Geistesforscher hervorbringen muß, von ihm ab, es wird etwas Objektives. Man kann daran nicht in einer ganz elementaren Weise etwa furchtbare Freude erleben oder furchtbare Erhebung haben und so weiter. Das ist aber nicht verbunden mit der Erkenntnis als solcher, sondern das ist verbunden mit der Art und Weise noch, wie man heute dazu kommen muß -in Einsamkeit. In der früheren Zeit, als noch eine viel mehr instink­tive, weniger besonnene Art zur Initiationswissenschaft zu kommen geherrscht hat, da wurde diese Initiationswissenschaft überhaupt nicht gut in Einsamkeit gepflegt. Sie werden, wenn Sie die Geschichte in dieser Beziehung verfolgen, immer davon hören, daß die Initia­tionswissenschaft in Gesellschaften gepflegt wird. Solche Gesellschaf­ten gibt es auch heute, aber sie treiben nur Tradition. Wer aber heute aus dem unmittelbar persönlichen Erkenntnisweg heraus spricht, ist schon zu einer gewissen Einsamkeit verurteilt.

Aber wie waren denn solche Gesellschaften eingerichtet, und wie wird es denn wiederum sein, wenn die Erkenntnis des Geistigen wie­der ill die Zivilisation aufgenommen sein wird, wenn sie wiederum berufen sein wird, in alle Lebenskreise und in alle Lebenspraxis ein­zuziehen? Denn das wird sie schon können, wenn die Menschen diese Geist-Erkenntnis ergreifen werden. Es war so, daß in solchen Gesell­schaften durch eigene freie Übereinstimmung der eine diese, der andere jene Partie der Erkenntnis übernahm. Der eine konzentrierte sein eigenes geistiges Forschen darauf, den Einfluß der Welt der Ge­stirne auf das menschliche Leben zu erforschen, der andere darauf, den Weg des menschlichen Lebens von dem vorirdischen, geistigen Dasein in die irdische Sphäre hinein zu erforschen. Man wollte damit erreichen, daß die einzelnen Gebiete in allen Details erforscht werden

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könnten. Denn braucht man schon zehn Jahre, um etwas von dem Einfluß der Gestirne auf das Menschenleben zu erkennen, so braucht man, um wenige Schritte des Weges aus dem vorirdischen Leben in das Erdenleben hinein mit allen Details zu erforschen, eigentlich nicht zehn Jahre, sondern man brauchte eigentlich dazu ein ganzes Menschenleben. Daher war es ganz berechtigt, die einzelnen Wissens­gebiete aufzuteilen. So lebte sich also jeder in das Gebiet hinein, wor­auf er sich besonders konzentrierte, und alles andere ließ er sich von den Genossen geben. Er hatte damit zugleich jenes innere Erlebnis, das im Produzieren der Erkenntnis besteht, und das andere Erlebnis, das im Empfangen der nicht selbst produzierten Erkenntnis besteht.

Wenn die Menschheit einmal wärmer werden wird, wenn sich die Herzen einmal öffnen werden in voller Wärme, dann wird es schon mit der Geisteswissenschaft so sein müssen wie mit einem gemalten Bilde. Dann wird der Mensch durch seinen natürlichen Wirklichkeits­sinn auffassen, was in der Idee lebt, die er nicht selbst produziert hat, die er aber dadurch unmittelbar erlebt, daß er mit seinem unbe­fangenen Wahrheitssinn sie aufnimmt. Und auf der anderen Seite wird er auch jenen Schmerz und jenes Leid, von denen ich sprach, kurz, alle persönlichen Nuancen erleben an dem, was ihm als Er­kenntnis entgegensteht. Dadurch wird er durchstoßen zu einem Er­fassen des Geistigen mit seinen seelischen Kräften. Das kann der Mensch, indem er die geistigen Wahrheiten empfängt. Auf das muß er heute vielfach verzichten, in bezug auf das muß er vielfach resi-gnieren, wenn er ein gewisses Gebiet der geisteswissenschaftlichen Wahrheiten selber produziert. Daher können die Früchte der geistes­wissenschaftlichen Wahrheiten, wenn nur das volle warme Herz dazu da ist, gerade in diejenigen eindringen, die diese Wahrheiten empfangen. Empfangen mußte man eben in den früheren geistes-wissenschaftlichen Genossenschaften. Daher wurde einem ausgeson­dert - oder man isolierte sich selbst - ein bestimmtes Gebiet des geistigen Forschens, für das man verzichtete auf jenes das Leben Fördernde, Bereichernde des Empfangens. Dagegen hatte man dieses das Leben Bereichernde des Empfangens von den anderen Genossen. Etwas Ähnliches muß für die Zukunft wieder entstehen.

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Ich schildere dies nicht deshalb, um gewissermaßen persönliche Erlebnisse vorzubringen, sondern um von dieser persönlichen, ge­fühlsmäßigen Seite darauf aufmerksam zu machen, daß die Früchte der hier gemeinten Geisteswissenschaft nicht allein davon abhängen, daß man sie selber produziert. Hat man auf irgendeinem Gebiete etwas produziert, so kennt man eben das Produzieren. Und dazu kann jeder kommen, wenn er nur einigermaßen das ins Auge faßt, was ich zum Beispiel in meinem Buche «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?» geschildert habe als Seelenübungen, Me­didation und Konzentration und so weiter. Wenn er dann dadurch die innere Seelentätigkeit auch nur für einige Schritte erfaßt, die ins Leben hineinführen, dann öffnet er sich damit das Herz für das, was von den dazu berufenen Geistesforschern empfangen werden kann. Und dann wird die empfangene Geistesgabe das, was sich tief mit dem Persönlichen des Menschen verbinden kann, weil sie zu dem Persönlichen des Menschen spricht. Dann kommt der Mensch mit dem Persönlichen an die Quellen jenes Lebens, aus dem das Ewige in seiner Wesenheit heraus stammt. Dann vertieft er sich in das hinein, was vor dem Erdenleben des Menschen war, was nach dem Erden-leben sein wird, vertieft sich in die Erlebnisse, die man vor dem Erdenleben in der geistigen Welt gehabt hat, und die man nach dem Erdenleben, nach dem Durchgange durch die Todespforte in der geistigen Welt haben wird. Es wächst der zweite, höhere Mensch aus dem ersten, niederen heraus. Dieser zweite, höhere Mensch kann aber nicht herauswachsen, wir können nicht Verständnis gewinnen für die Ideen der Geisteswissenschaft, ohne daß wir uns ruhend fühlen mit etwas in der geistigen Welt, so wie wir uns hier in der physischen Welt mit ihren robusten Naturideen in etwas ruhend fühlen. Daß wir Muskeln und Knochen haben, verbindet uns mit der äußeren Natur, wir ruhen dadurch mit unserer eigenen physischen Natur in der äußeren physischen Natur. Wenn wir den wahren Inhalt der geistigen Ideen erfassen und ihn erkennen als eins mit der geistigen Welt, dann lernen wir uns fühlen ruhend in einer geistig-göttlichen Welt, sowie wir uns durch unseren Körper ruhend fühlen in der sinnli­chen Welt. Und auf dieses Sich-ruhend-Fühlen kommt es an, denn

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dadurch erfassen wir uns ebenso in unserem geistigen Sein, wie wir uns durch unseren Körper in unserem physischen Sein erfassen. Wie wir aber durch unseren Körper nur das vergängliche Sein erfassen, das Dasein zwischen Geburt und Tod, so erfassen wir uns durch unser geistig-seelisches, ewiges Dasein in der ewigen, göttlich-geistigen Welt. Gerade indem wir tiefer in das Persönliche untertauchen, erfahren wir, wie nicht nur der Mensch im allgemeinen, der abstrakte Mensch, in einer geistigen Welt wurzelt, sondern wir erfahren dann, wie je­der einzelne gerade durch sein Persönlichstes - durch das, was er in voller Individualität an einem Orte und in einer Zeit auf der Erde erleben kann - ganz elementar in einer geistigen Welt wurzelt, in einer geistigen Welt, der er angehört, und die den Charakter der Ewigkeit trägt. Und indem er so fühlt, fühlt er sozusagen die Stimme, die ihm zuruft: Mache dich nicht durch die ungesunden geistigen In­halte zum seelisch-geistigen Krüppel, denn wie auf jeden Menschen, so ist auch auf dich nicht nur im allgemeinen gerechnet, sondern es ist auf dich gerechnet, insofern du ein ganz persönlicher, individueller Mensch bist!

Und in diesem persönlichen, individuellsten Menschentum taucht der Mensch unter in die religiöse und in die höchste künstlerische Stimmung, die man der Welt gegenüber empfinden kann. Daher führt Geisteswissenschaft unmittelbar in ein religiöses Erfühlen hinein. Und jeder kann aus unserer Literatur sehen, wie das Christentum vertieft wird, wie es erst in seinem vollen Lichte und in seiner wahren We­senheit dargestellt werden kann durch das Untertauchen in die per­sönlich-menschlichen Erlebnisse des in einer persönlichen Gestalt er­schienenen Christus.

Dadurch, daß wir auf diese Weise auf einem persönlichen Lebens-wege zu einer ewigen geistigen Wesenheit vordringen, dadurch stellt sich unsere Persönlichkeit erst in der richtigen Nuance in die wirk­liche Welt hinein, denn dadurch bekommen wir das Bewußtsein, daß auf jeden von uns als Persönlichkeit gerechnet ist. Und wir bekom­men wirklich dann die Erkenntnis des Geistes wie etwas, was un­mittelbar ein menschlich-persönlicher Lebensweg wird. Wir kommen uns dann vor wie innerlich ergriffen werdend von dem Inhalte der

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Geisteserkenntnis, wie unser Körper ergriffen wird von der Kraft-gewalt des Blutes für sein Leben.

Wir kommen uns dann so vor, wie wenn wir unser individuelles, persönliches Dasein auf der Erde etwa durch folgenden Vergleich charakterisieren können. Irgenwo ist eine Versammlung. Wir sind aufgefordert, in diese Versammlung zu kommen. Wir sind deshalb aufgefordert, in diese Versammlung als einzelner zu kommen, weil man dort darauf wartet, daß gerade das gesagt wird, was nur wir, was das einzelne Ich als persönliche Individualität vorbringen kann. Nehmen wir an, wir machen nun irgend etwas, bevor wir in die Ver­sammlung gehen, wo auf uns gewartet wird, machen etwas, was zur Folge hat, daß wir nicht hingehen können. Wir kommen nicht. Wir sind derjenige, der erwartet wird - und der nicht kommt!

Indem Geisteswissenschaft persönlich-menschlichste Angelegenheit wird, lernt man allmählich erkennen, wie das, was man durch die Geisteswissenschaft im Leben tut, das Leben bereichert auch in seiner äußersten Praxis. Man lernt erkennen, daß dies die Richtung unseres persönlichsten Lebensweges nach etwas hin ist, wo man auf uns wartet. Indem wir in die geistige Welt hineinschauen, in die Welt, wo göttlich-geistige Wesenheiten schaffend an unserem individuellen Dasein tätig sind, schauen wir damit hinein in etwas, von dem man sieht, da wird auf uns gewartet, und wir werden die Erwartung, die man in uns setzt, nur erfüllen und bei denen ankommen, die die Genossen einer höheren, geistigen Welt sind, wenn wir durch den menschlich-persönlichen Lebensweg in die geistige Welt diesen ewigen Menschen in seiner vollen Harmonie, in seiner vollen Macht finden, indem wir das Geistig-Seelische in ihn aufnehmen. So führt uns die ins Menschliche vertiefte Geisteserkenntnis dazu, die Entscheidung darüber zu treffen, ob wir hingelangen oben in jenes Gebiet des menschlichen Miterlebens des Geistigen, wo auf uns gewartet wird, oder ob wir - wir gehen ja doch durch Geburten und Tode hin -einmal an jenem Punkte ankommen werden, wo uns einst das vor­wurfsvolle Wort entgegentönen wird: Auf dich ist gewartet worden

- und du bist nicht gekommen!

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DER ÜBERSINNLICHE MENSCH ANTHROPOSOPHISCH ERFASST

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ERSTER VORTRAG Den Haag, 13. November 1923

Sie werden mit Recht annehmen, daß ich mit einer großen Befriedi­gung wiederum zu Ihnen hierher gekommen bin, um vor Ihnen und mit Ihnen Anthroposophisches zu besprechen. Es kann das natürlich selten genug geschehen, aber es wird ja auch möglich sein, daß man­ches gerade bei solchen Gelegenheiten wie richtunggebend ausgespro­chen und dadurch Veranlassung gegeben wird zu weiterer Verarbei­tung des Ausgesprochenen. Und das ist ja immer die Grundlage für ein Zusammensein auch dann, wenn wir dieses Zusammensein nicht räumlich verwirklichen können.

Diesmal sind wir auch deshalb zusammengekommen, um bei die­ser Gelegenheit die Holländische Anthroposophische Gesellschaft zu formen. Die Formung dieser einzelnen anthroposophischen Landes-gesellschaften ist ja gegenüber den gegenwärtigen Verhältnissen not­wendig, wenn wir eine möglichst individuelle, gute, gediegene Grund­lage schaffen wollen für das, was wir in der Gegenwart brauchen. Die internationale Anthroposophische Gesellschaft, die dann zu Weihnachten in Dornach ihre Begründung finden soll, wird ja nur begründet werden können, wenn die einzelnen Landesgesellschaften dann in einer solchen Weise vertreten sein werden, daß ihre Vertreter wirklich, ich möchte sagen, das innerlich Substantielle der einzelnen anthroposophischen Individualitäten zum Ausdruck bringen können. Damit werden wir aber auch beiBegründung derAllgemeinenAnthro­posophischen Gesellschaft etwas, was nun sehr notwendig ist, etwas sehr Wichtiges und Bedeutungsvolles, ausführen können. Wenn Sie mit mir fühlen können, wie wichtig diese Angelegenheiten für die Gegenwart sind, dann werden wir alle für diese Tage die richtige Stimmung aufbringen. Und aus dieser Stimmung heraus möchte ich für Ihre Worte herzlichst danken und Ihnen allen meinen aller-herzlichsten Gruß für diese Tage sagen.

Für diese internen Vorträge ist ja das Thema in Aussicht genom­men: «Der übersinnliche Mensch, wie er anthroposophisch erfaßt

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werden kann», und wir werden versuchen, dieses übersinnliche Er­kennen und Begreifen des Menschen nach den verschiedensten Seiten hin hier zum Ausdruck zu bringen. Ich möchte, da wir nur eine kleine Anzahl von Vorträgen haben können, gleich heute sozusagen in die Mitte der Betrachtung hineinschreiten.

Wenn wir von dem übersinnlichen Menschen sprechen, so setzen wir uns dadurch sogleich in einen Gegensatz zu der Art und Weise, wie man in der Gegenwart vom Menschen spricht. Man spricht eigent­lich schon seit langer Zeit auch dann, wenn man idealistisch gesinnt ist, nicht von dem «übersinnlichen» Menschen. Man spricht nicht von demjenigen Menschen, der durch Geburten und Tode geht, in der gebräuchlichen Bildung, in der gebräuchlichen Erkenntnis der Gegen­wart. Denn es ist ja im Laufe von Jahrhunderten wie etwas Selbst­verständliches geworden, das den Kindern schon in der Schule ein­geimpft wird, daß die neuere Weltanschauung gezeigt habe, wie die Erde etwas wie ein Staubkörnchen im Weltenall sei. Auf diesem Staubkörnchen bewegt sich mit einer rasenden Geschwindigkeit durch die Welt, als ein selbstverständlich noch viel kleineres Staubkörnchen, der im Weltensinne unbedeutende Mensch. Indem aber sozusagen diese Anschauung von dem irdischen Staubkörnchen in alle Verstande und damit auch in alle Herzen eingezogen ist, hat man damit heute ganz und gar die Möglichkeit verloren, den Menschen auf dasjenige zu beziehen, was außerhalb des Irdischen liegt. Und mit einer wirk­lich unverkennbaren Deutlichkeit, wenn sich die Menschen dies auch nicht klar machen, wenn es ihnen auch im Unbewußten bleibt, spricht heute zum Menschengemüt etwas, was den Menschen geradezu ener­gisch auffordert, wieder den Blick zum Übersinnlichen seines We­sens - und damit zum Wesen der Welt - zu richten. Denn wir haben ja im Laufe der letzten Jahrhunderte den Materialismus auch für die Menschenerkenntnis bekommen. Was ist denn dieser Materialismus?

Der Materialismus ist die Weltanschauung, die den Menschen betrachtet insofern er hervorgegangen ist aus den Substanzen und Kräften dieser Erde. Und wenn auch mancher betont, der Mensch bestehe nicht bloß aus den Substanzen und Kräften dieser Erde, so haben wir doch keine Wissenschaft, die sich mit dem am Menschen

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beschäftigt, was nicht aus den Substanzen und Kräften dieser Erde kommt. Deshalb ist heute die Behauptung von vielen, die es von ihrem Standpunkt aus gut meinen, daß irgendwie das Ewige in dem Menschen dennoch verstanden werden könne, eine nicht ganz ehr­liche. Dieser Materialismus ist ja nicht bloß da zum Widerlegen. Es ist heute schon etwas durchaus Dilettantisches, den Materialismus immer nur widerlegen zu wollen. Die theoretischen Anschauungen, die sich auf den Materialismus berufen, die eine geistige Welt ent­weder in Zweifel ziehen oder ganz ableugnen, oder wenigstens die Erkenntnis von ihr in Zweifel ziehen oder ableugnen, diese Gesichts­punkte sind ja nicht das, was in erster Linie in Betracht kommt. Son­dern was da in erster Linie in Betracht kommt, ist das ungeheuer Imponierende, das Bedeutungsvolle des Materialismus. Was nützt es denn schließlich, wenn die Leute aus irgendeinem Gemütszustande oder aus der religiösen Tradition heraus sagen, das Denken des Menschen, das Fühlen des Menschen, das Wollen des Menschen müsse doch etwas Selbständiges sein außerhalb des Gehirns, und die Wis­senschaft der heutigen Zeit kommt dann und trägt - entweder durch das eine oder das andere Mittel, meistens dadurch, daß man an pathologischen Zuständen Gehirnforschung anstellt - Stück für Stück vom Gehirn ab und trägt damit scheinbar auch Stück für Stück die Seele des Menschen ab? Was nützt es weiter, wenn wir aus irgendeinem Gemütszustande oder aus der religiösen Tradition heraus von der Unsterblichkeit des Seelenlebens sprechen - und wenn dieses Seelenleben zum Beispiel erkrankt ist, uns gar nichts anderes einfallen kann, als zunächst an die Heilung des Gehirns oder des Nervensystems überhaupt zu denken? Das alles aber hat uns der Materialismus gebracht. Und viele, die heute den Materialismus widerlegen wollen, wissen eigentlich nicht, was sie tun; denn sie ahnen nicht, welche ungeheuere Bedeutung die Detailkenntnisse haben, die der Materialismus gebracht hat. Und sie ahnen nicht, was für eine Konsequenz für das Ganze der Menschenerkenntnis der Ma­terialismus gebracht hat.

Das wollen wir uns einmal als Ausgangspunkt vor die Seele stellen. Wir schauen den Menschen an, so wie ihn die heutige Wissenschaft

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erkennen kann, und gehen dabei ganz ehrlich zu Werke. Dann wird sich uns etwas offenbaren. Aus allem, was Physiologie, Biologie, Chemie und so weiter aufbringen können, um den Menschen zu er­klären, wird man erkennen, wie die verschiedenen Stoffe und Kräfte der Welt und der Erde sich zusammensetzen, um aufzubauen Mus­keln, Nervensystem, Blutsystem, aufzubauen die einzelnen Sinne und so weiter - kurz, den ganzen Menschen, von dem die heutige Wissenschaft spricht. Es liegt dabei ein eigentümliches Faktum vor. Wir gehen zunächst so an diese Wissenschaft heran, wie sie heute, mit Recht, am erfolgreichsten auftritt. Wir nehmen zum Beispiel jene Menschenkenntnis, die dem zugrunde liegt, was heute der Arzt an der Hochschule als Grundlage seines Heilens lernen muß. Wir nehmen das, was er zunächst in den vorbereitenden Wissenschaften, was er dann in den für die Medizin grundlegenden Wissenschaften über den Menschen erfährt. Wir denken uns das alles gewissermaßen in ein Handbuch zusammengefaßt, was der Arzt lernen muß über den Menschen. Und da ist ja alles zusammengefaßt - wenn es auch ein Kompendium ist -, was man wissen muß über den Menschen, zusammengefaßt bis zu der Stufe, wo der Arzt dann zu seinen Spe­zialerkenntnissen übergeht. Und wir fragen uns: Was ist das? Was erkennt man da vom Menschen?

Man erkennt außerordentlich viel, man erkennt alles, was man heute erkennen kann. Denn gehen wir irgendwo von dieser Ecke aus in eine andere Ecke und schauen bei den Psychologen, bei den Seelen­erkennern nach, dann wird die Geschichte eigentlich recht zweifel­haft, recht fragwürdig. Da wird man sogleich gewahr, daß in der Naturwissenschaft, die zum Beispiel dem ernsten Studium zugrunde gelegt wird, gediegene Forschungsresultate enthalten sind. Sie sind so gediegen, daß zumeist jene, die sie vortragen, gar nicht der Ge­diegenheit gewachsen sind. Die Studenten langweilen sich zumeist fürchterlich bei den Dingen, die als Vorbereitung zum Studium an sie herangebracht werden. Das liegt aber nicht an der Naturwissen­schaft, sondern das liegt nur an denen, die sie behandeln. Man sollte daher nie von der «langweiligen Naturwissenschaft», sondern nur von den «langweiligen Professoren» reden. An der Naturwissenschaft

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liegt es wirklich nicht, die bietet tatsächlich Gediegenes. Ich möchte sagen: Wenn die Leute, die heute oftmals Naturwissenschaft vor­bringen, noch so sehr von allen guten Geistern verlassen sind - die Naturwissenschaft selbst, sie arbeitet mit guten Geistern!

Aber gehen wir dann von dem, was da als Ergebnisse von außer­ordentlich gediegener Forschung dargeboten werden kann, etwa zu den Psychologen und Philosophen, und sehen wir, wie diese über die Seele oder gar über das Ewige im Menschen sprechen, dann wer­den wir bald gewahr, wenn wir über das, was traditionell von frühe­ren Zeiten Überkommenes ist, hinausgehen, - es sind Worte, nichts als Worte, mit denen der Mensch eigentlich nichts anfangen kann. Wenn der Mensch heute mit seinen tiefsten Seelenbedürfnissen an eine Philosophie oder Psychologie herangeht, so wird er das nicht nur langweilig finden müssen, sondern er findet überhaupt nichts mehr über das, wonach man fragt.

Daher kann man sagen: Wirkliche Erkenntnis bietet heute dem, der sie sucht, eigentlich nur die Naturwissenschaft. Aber was lehrt die Naturwissenschaft vom Menschen? Sie lehrt das, was am Menschen mit der Geburt oder Empfängnis entsteht und mit dem Tode ver­geht. Nichts anderes! Wenn man ehrlich sein will, so hat sie nichts anderes. Daher ist es für den, der auf diesem Gebiete ehrlich sein will, nicht anders möglich, als seinen Blick auf das zu richten, was heute nicht mit den üblichen naturwissenschaftlichen Mitteln er­reicht werden kann - das heißt, eine wirkliche Seelen- und Geistes­wissenschaft zu begründen, die wiederum auf einer Erfahrung und Beobachtung von Geistigem beruht, wie die alte Geisteserkenntnis. Und das kann nicht anders geschehen als mit den Mitteln, die Sie angegeben finden in meinen Büchern «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», «Die Geheimwissenschaft» und anderen, in­dem sich der Mensch dadurch in die Möglichkeit versetzt, das Geistige wirklich zu schauen und darüber so zu sprechen, wie er über das spricht, was im Sinnlich-Materiellen vorliegt und zu einer ge­diegenen Naturwissenschaft geführt hat. Alles, was auf der Erde den Sinnen gegeben ist, was herangebracht werden kann an das Experi­ment, das ist natürlich noch nicht abgeschlossen, aber es ist auf

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gutem Wege. Doch das alles liefert nur Erkenntnisse über den ver­gänglichen, den sinnlichen, den zeitlichen Menschen. Daher können wir gar nicht über das Irdische hinausschauen, wenn wir mit diesen Mitteln den Menschen erfassen wollen. Denn schauen wir bloß auf das Irdische, so schauen wir nur auf das, was vom Menschen ver­gänglich ist.

Das ist aber, wie wir noch sehen werden, das, was aus sich über­haupt nicht verstanden werden kann. Damit werden wir aufgefor­dert, von der Erde abzusehen und in die Erdenumgebung zu sehen. Aber wenn die heutige Wissenschaft in die Erdenumgebung sieht, berechnet sie höchstens die Entfernung der Sterne, sie beschreibt die Wege der Sterne, richtet das Spektroskop nach den Sternen und sagt, inwiefern die Lichterscheinungen, die da zutage treten, darauf schließen lassen, daß die Sterne dieselben Stoffe in sich hätten, wie sie auf der Erde verbreitet sind. Diese Wissenschaft vom Überirdi­schen, vom Außerirdischen kommt ja selbst nicht über die Erde hin­aus, sie kann das nicht. Und so möchte ich Ihnen denn heute zum Ausgangspunkte einiges hinstellen, was sich in den einzelnen Aus­führungen immer mehr und mehr bewahrheiten wird.

Richten wir den Blick, statt mit der gegenwärtigen Wissenschaft auf die Erde, hinaus in das, was sich außerhalb des Irdischen den Sinnen darbietet, richten wir den Blick in die Sternenwelt hinaus, so treffen wir zunächst das Planetensystem, diejenigen Himmels­körper, die sich in einer gewissen Beziehung erweisen als zusammen­gehörig mit der Erde; die Bewegungen ausführen, von denen man heute glaubt gefunden zu haben, daß sie ähnlich der Erdbewegung Bewegungen um die Sonne sind - und Bewegungen, die ausgeführt werden im Weltenraume mit der Sonne zugleich in irgendeiner Rich­tung und so weiter. Ja, das ist das, was sich heute beobachten und errechnen läßt. Aber das gibt nichts, was man irgendwie an den Menschen heranbringen kann. Man könnte sagen: Man hat nichts von dieser Beobachtung für den Menschen.

Übersinnliches Schauen führt sogleich auf etwas anderes. Da rich­ten wir den Blick hinaus darauf, wie die der Erde nächsten Planeten außerhalb der Erde stehen: Saturn, Jupiter, Mars, dann die Erde

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selbst, Merkur, Venus, Mond. Da rechnen wir den Mond nicht bloß zu den Nebenplaneten, sondern zu dem, was planetarisch der Erde gleichgesetzt werden kann. In bezug auf die Planeten errechnet nun die heutige Wissenschaft, daß zum Beispiel der Saturn, der einen weiten Weg zu machen hat, sehr lange Zeit braucht, dreißig Jahre, um herumzugehen um die Sonne, daß der Jupiter schon viel weniger braucht, Mars noch weniger. Wir schauen also einmal nach dem ge­stirnten Himmel hinaus, sehen einen Stern, einen Planeten, an einem bestimmten Ort, an einem bestimmten Punkt, irgendwo sehen wir einen anderen Planeten, den Saturn, den Jupiter, und so fort. Alles was sich da dem sinnlichen Auge zunächst zeigt, dort der Jupiter, da der Saturn, das alles hat auch eine Athersphäre, das alles ist in eine feine Substantialität, in den Ather eingebettet. Kann man den Ather mitschauen, so sieht man, wie zum Beispiel der Saturn, dieser so merkwürdig gestaltete Planet - die Kugel für den äußeren Anblick, die Ringe ringsherum -, wie dieser Saturn um sich herum im Ather etwas ausführt. Dieser Saturn ist nicht untätig gegenüber dem Ather, der die ganze planetarische Sphäre einhüllt und enthält; dieser Sa­turn strahlt, wenn man ihn geistig anschaut, Kräfte aus, er strahlt etwas aus, was sich als Gestaltung wahrnehmen läßt. Was sich phy­sisch am Saturn zeigt, ist ja nur ein Teil, ist sogar etwas, was vor der geistigen Anschauung nach und nach verschwindet. Von der gei­stigen Anschauung hat man das Gefühl, die Geister der Welt wollen uns den Saturn an seinen Ort hinstellen, damit wir eine Richtlinie haben, wo wir hinschauen sollen. Schauen wir aber mit dem geistigen Auge hin, dann ist es so, wie wenn einer etwas auf eine Tafel zeich­nete, nur um einen Anhaltspunkt zu geben, dann ringsherum etwas hinzeichnete und dann diese Anhaltspunkte wieder auslöschte. Das geschieht in der geistigen Anschauung von selbst: Der Saturn wird ausgelöscht, was aber ringsherum ist, wird immer deutlicher und deutlicher. Das spricht eine wunderbare Sprache. Und hat man es dahin gebracht, daß der Saturn ausgelöscht wird und man das schaut, was sich in den Ather hineinarbeitet, dann dehnt sich dies aus bis an den Jupiter. Der Jupiter macht es wiederum so. Er löscht sich eben­falls aus; was sich in den Ather hineinarbeitet, dehnt sich aus, sogar

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sehr weit, und es entsteht wieder eine Gestaltung im Ather, die mit der Gestaltung des Saturn zusammen ein Bild gibt. Und dann kommt man zum Mars, da ist es wiederum so. Dann kommt man zur Sonne. Da ist es aber so, daß, während die äußere, die physische Sonne blendet, dies bei der geistigen Sonne nicht der Fall ist, da löscht sich alles Blendende mit der geistigen Sonne rasch aus. Und man bekommt mit allem, was sich da in den Ather hineinzeichnet, ein ungeheuer lebendiges Bild bis hin zum Merkur, zur Venus, zum Mond.

So haben wir die verschiedenen Teilbilder, und Sie können nun sa­gen: Diese Bilder sind natürlich zu manchen Zeiten so, daß der Saturn zum Beispiel bei seiner Bewegung zuweilen an einem Orte steht, wo er mit dem Bilde des Jupiter nicht zusammenkommen kann. Aber merkwürdigerweise ist auch dafür gesorgt, denn das, was man da sieht, das formt sich nämlich in einer merkwürdigen Weise zusam­men. Es gibt eine Linie in der Erde: wenn man die von einem be­stimmten Punkte, der im Osten von uns, in Asien liegt, durch den Erdenmittelpunkt nach der anderen Seite zieht und dann hinausver­längert ins Weltenall, dann wird diese Linie außerordentlich bedeut­sam für das ganze Schauen. Ist der Saturn außerhalb dieser Linie, so ist man veranlaßt, das Bild, das man von ihm bekommen hat, bis zu dieser Linie hinüberzutragen. Da fixiert es sich. Diese Bilder fixieren sich immer für das Anschauen durch diese Linie. (Es wird gezeichnet.) Also, wenn man irgendwo das Jupiter- oder Saturnbild sieht - gewiß, man muß sie sich aufsuchen, aber dann fixieren sie sich durch diese Linie. Man bekommt auf diese Weise ein ganz ein­heitliches Bild. Unser Planetensystem gibt uns, wenn wir es auf diese Weise schauen, ein einheitlich gestaltetes Bild. Und wissen Sie, was dieses einheitlich gestaltete Bild ist? Man enträtselt es sich und kommt darauf, was es ist: Dieses Bild gibt uns einen allgemeinen Abdruck von dem, was menschliche Haut ist mit Einschluß der Sin­nesorgane. Wenn Sie vom Menschen die Haut nehmen mit Einschluß der Sinnesorgane und Sie versuchen sich davon das Himmelsbild zu zeichnen, so ist es das, was ich jetzt eben beschrieben habe. Es zeichnet das Planetensystem in den kosmischen Ather hinein das, was

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im Menschen, spezialisiert durch die Erdenverhältnisse, vorhandeii ist in dem Raumesbild der Hautoberfläche mit Einschluß der Sinnes­organe. Da haben wir das erste: Wir schließen den Menschen, der auf der Erde steht, seiner Gestalt nach, die ihm gegeben wird durch die Formen seiner Hautumhüllung, an das Planetensystem an, das in den Ather hinein das Himmels-Urbild des irdischen Menschen ge­staltet, bildet, formt.

Das zweite ist folgendes. Wir sehen die Planeten in Bewegung. Wir gehen jetzt über zu dem, wie sich die Planeten bewegen. Wenn wir einen einzelnen Planeten anschauen, so bekommen wir nach dem ptolemäischen System ein bestimmtes Bild seiner Bahn, ebenso be­kommen wir nach dem kopernikanischen System ein Bild seiner Bahn. Das mag alles sein. Die einzelnen Bilder der Bewegungen kann man in der verschiedensten Weise interpretieren, aber wichtig ist vielmehr, daß man imstande ist, alle diese Bewegungen zusammen-zuschauen. Der Saturn, der den weitesten Weg hat, am längsten braucht, um seinen Weg zu vollenden, er gibt in seiner Bewegung mit der Bewegung des Jupiter zusammen ein Bild. Und wenn man so hinschaut, dann entsteht aus allen den Bewegungen dieser Plane­ten ein Ganzes. Und dieses Bild, das so aus den Bewegungen der Planeten entsteht, kann man wiederum auffassen; es ist so, daß es sich nicht so darstellt, wie die Astronomie nun diese Bewegungen zum Ausdruck bringt. Da ist zum Beispiel das Merkwürdige, daß für die geistige Anschauung sich nicht solche Ellipsenbilder etwa erge­ben, wie sie die Astronomie hinstellt, sondern wenn wir zum Beispiel den Saturn verfolgen, dann zeigt er uns etwas, was sich da mit anderen Bewegungen zusammenschließt zu der Figur eines Achters, zu einer Art Lemniskate. Und da hinein spielen alle möglichen anderen Bewegungen der Planeten. Das gibt wieder ein Bild. Und dieses Bild, das wir da bekommen aus den Planetenbewegungen her­aus, stellt sich uns dar als jenes Bild, das wir als das Himmelsbild demjenigen zugrundelegen können, was sich im Menschen in den Nerven und den benachbarten Drüsen zum Ausdruck bringt. Wenn wir also von der menschlichen Haut und den Sinnesorganen, die in ihr eingeschlossen sind, die wir urgebildet finden in der Anordnung

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der Planeten, wie sie sich der geistigen Anschauung ergibt, wenn wir von da übergehen zu den Bewegungen der Planeten und diese zu­sammenschauen, so wird es so gehen, daß wir, wenn wir den Um­riß der menschlichen Gestalt zeichnen, das Gefühl bekommen kön­nen: In dieser Umrißzeichnung geben wir wieder die Gestalt des Planetensystems. Und wenn wir einzeichnen das Nervensystem und dazu die absondernden Drüsen, dann müssen wir, wenn wir es sach­gemäß nach dem Anschauen tun, bei jedem Strich das Gefühl haben, da hinein zeichnest du das physische Abbild der geschauten Bewe­gungen des ganzen Planetensystems.

Und nun kann der Mensch selber vorrücken in seiner Anschau­ung, in der geistigen Anschauung der Welt. Er ist so weit gekommen, daß er, wie ich es jetzt beschrieben habe, ein Bewegungsbild bekom­men hat von den Planeten, indem er eingezeichnet hatte die mensch­lichen Nerven mit den benachbarten Drüsen. Aber jetzt kann er weiterkommen in der Erkenntnis. Dann werden die einzelnen Be­wegungen verschwinden. Wenn wir von der Imagination hinauf­steigen zur Inspiration, so verschwinden die Einzelbewegungen. Das ist außerordentlich bedeutungsvoll. Das, was man im engeren Sinne Schauen nennen kann, verschwindet aus dem ganzen Bilde heraus, auf einmal ist es dann weg. Aber jetzt fängt man an, geistig zu hören. Was vorher Bewegung war, wird undeutlich, schwimmt in­einander. Man hat zuletzt nur noch ein Nebelbild vor sich. Aber aus diesem Nebelbilde formt sich die Weltenmusik, und die Welten-rhythmen werden für uns geistig hörbar. Und mit Bezug auf diese Weltenrhythmen können wir uns dann fragen: Was müssen wir nun an unserem Umrißbilde tun, nachdem wir das erste getan haben?

Wir wissen, man kann mit der menschlichen Kunst manches trans-formieren. Wenn wir die Umrißlinie des Menschen zeichnen und das Nervensystem einzeichnen, so haben wir das Gefühl, da malen oder zeichnen wir in ganz richtigem Sinne. Aber was wir da hören in der Weltenmusik, können wir nicht unmittelbar malen, denn das sind Rhythmen, sind Melodien. Und wollten wir das einzeichnen in un­sere Umrißzeichnung, so müßten wir in Anlehnung und in Verfol­gung des Nervensystems, das wir eingezeichnet haben, nun so zeichnen,

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daß wir jetzt einen Pinsel nehmen, rasch ein Rot an irgend­eine Stelle setzen, dann rasch ein Blau, wieder rasch ein Rot, dann wieder ein Blau und so weiter, und so das ganze Nervensystem entlang. Und an bestimmten Stellen zuckt es uns dann, da kön­nen wir nicht weiter, da müssen wir ausgreifen und etwas Beson­deres hinmalen, das drückt dann das aus, was wir da hören. Man kann das, was man da hört, umsetzen in Zeichnung, aber wenn man es einsetzen will in die Umrißlinie, dann ist man genötigt, an bestimmten Stellen auszuweiten, ein ganz anderes Gebilde zu machen, weil da dasjenige, was vorher so verlief wie Rhythmus, Blau-Rot, Blau-Rot, Blau-Rot und so weiter, zur Melodie wird. Da sind wir genötigt, anderes hineinzumalen, ein Gebilde hinzumalen, was uns die Melodie singt. - Weltenrhythmen, Weltenmelodie! Und wenn wir das Ganze da hineingezeichnet haben, dann ist heraus­gekommen die räumlich-versinnlichte Weltenmusik, wie sie sich er­gibt, wenn die Bewegungen der Planeten in Nebel verschwinden und dann die Weltenmusik für das geistige Ohr hörbar wird. Und was wir da eingezeichnet haben, das sind die Blutbahnen. Und wenn wir dann zu einem Organ kommen, zu Herz oder Lunge, zu solchen Organen, die von außen etwas aufnehmen oder auch von innen aus dem Leibe heraus Stoffe aufnehmen, wenn wir da heran­kommen, dann müssen wir etwas malen, was sich in einer gewissen Beziehung an die Blutbahnen ansetzt: da kommen dann heraus Herz, Lungen, Leber, Nieren, Magen. Und wir zeichnen diese Organe, die mit den Blutbahnen etwas zu tun haben, die Absonderungsorgane sind - die Sekretion kann dazu kommen, wir zeichnen sie jetzt in unsere Umrißzeichnung in das Blutsystem hinein aus der Welten-musik heraus.

Nun schreiten wir weiter, von der Inspiration zur Intuition. Da entsteht aus der Weltenmusik noch etwas ganz Besonderes. Das ent­steht, daß sich die Töne zusammenformen, der eine Ton auf den anderen eine Wirkung ausübt und Sinn bemerkbar wird innerhalb dieser Weltenmusik. Die Weltenmusik verwandelt sich in die Sprache der ganzen Welt. Was man zusammenfassen sollte unter dem Worte Weltsprache, kosmische Sprache, das wird hörbar. Man faßte es in

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früheren Zeiten zusammen unter dem «Weltenwort». Das Welten-wort wird hörbar. Und indem es hörbar wird, sind wir wieder ge­drängt, nun etwas Weiteres hineinzuzeichnen in das, was wir vom Menschen gegeben haben. Dessen werden wir uns schon bewußt. Wir müssen da so verfahren, wie wir trivial beim menschlichen Schreiben oder Zeichnen verfahren, wo wir etwas ausdrücken durch die Wort-gebilde, die als Buchstaben geformt sind, so müssen wir das, was die Bedeutung der einzelnen Weltenworte ist, ausdrücken. Und wir fin­den nun, wenn wir die einzelnen Weltenworte ausdrücken und es hineinbringen in diese Zeichnung - geradeso, wie wenn einem jemand etwas sagt, und man schreibt es auf, so sagt Ihnen die Weltensprache etwas und Sie zeichnen es ein -, da entsteht innerhalb dieser Zeich­nung das Muskel- und Knochensystem daraus.

Jetzt haben Sie aus dem, was Ihnen die außerirdische Welt sagt, den ganzen Menschen herausgeholt. Nur tritt im Verlaufe dieser Beobachtung noch etwas wesentlich anderes dazu.

Gehen wir dazu noch einmal an den Anfang dieses Ganzen zu dem, was wir da als in den Ather eingezeichnete Gestaltung finden: Da verschwindet uns, während wir diese Erkenntnis ausüben, das Jrdische, es ist nur als Erinnerung vorhanden. Als solche muß es sogar vorhanden sein, denn sonst haben wir keinen Halt - das müs­sen wir sogar haben, wenn wir Geist-Erkenner sein wollen. Und man muß sagen, Geist-Erkenner sein mit Ausschluß der physischen Er­kenntnis, ist nicht gut. So wie wir uns, wenn wir im physischen Leben etwas tun, daran müssen erinnern können - ohne Erinnerung an das physische Erleben sind wir nicht gesund -, so müssen wir uns in der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis immer erinnern können an das, was in der physischen Welt da ist. Gehen wir also wieder zu dem Gestaltenden des Planetensystems, dann wird gewissermaßen das andere, was auf der Erde war, was wir selbst erkannt haben als die schönsten Ergebnisse der physischen Wissenschaft, das wird für einen Augenblick ganz vergessen. Würden wir hier noch so gut Na­turwissenschaft kennen, so müßten wir im Momente der Geist-Er­kenntnis uns immer erst besinnen auf das, was wir im Bereiche des Physischen gelernt haben. Wir müßten uns immer sagen, darauf

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müssen wir feststehen - aber es entrückt sich uns, es wird wie eine Erinnerung.

Dagegen tritt nun im Verhältnis zur physischen Erkenntnis in besonderer Lebendigkeit - so lebendig, wie ein gegenwärtiges Erlebnis ist gegenüber einem, das bloß in der Erinnerung geblieben ist - etwas auf, das wir da erschauen als die gestaltenbildende Kraft im Pla­netensystem. In diesem Augenblick wird eine ganz andere Umgebung da sein. In diesem Augenblick ist das da, was ich in meiner «Ge­heimwissenschaft» als die dritte Hierarchie, als die Hierarchie der Archai, Archangeloi und Angeloi, angegeben habe. Da sehen wir, daß in dieser Gestaltung drinnen lebt die dritte Hierarchie. Eine neue Welt geht uns auf. Und wir sagen nun nicht bloß, aus dem Planetensystem heraus ist die menschliche Gestalt in ihrem kosmi­schen Urbilde da -, sondern wir sagen jetzt: An dieser kosmischen Urbildgestalt des Menschen wirken und weben die Angeloi, Archan­geloi und Archai, die Wesenheiten der dritten Hierarchie.

Wir können das Aufgehen einer solchen Welt durch übersinnliche Erkenntnis hier im Erdendasein erreichen. Nach dem Tode muß jeder Mensch durch eine solche Erkenntnis durchgehen. Der Mensch wird um so besser durch sie durchgehen, je besser er sich durch die Art und Weise, wie man das im Erdendasein kann, dazu vorbereitet hat. Aber er muß da durchgehen.

Wenn der Mensch hier auf der Erde steht und er will seine Ge­stalt erkennen, so schaut er sich selber an, oder er läßt sich photo­graphieren. Ein Mittel, die Gestalten der Menschen oder seine eigene zu erkennen, gibt es für den Menschen nach dem Tode nicht. Aber nach dem Tode muß der Mensch auf die planetarische Gestaltung hinsehen. Was ihm die Planeten zeigen, das erweist sich als das, was seine Gestaltung ist. Da erkennen wir als Menschengestalt, was ich so beschrieben habe. Aber da hineinverwoben sehen wir das Wirken und Weben der dritten Hierarchie: der Engel, der Erzengel und der Urkräfte.

Nun gehen wir weiter hinauf. Haben wir erkannt, daß das Weben und Leben der Engel, Erzengel und Urkräfte einen Zusammenhang hat mit der Form der menschlichen Haut und der eingefügten Sinnesorgane,

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so können wir in dieser Erkenntnis des Menschen mit der außerirdischen Welt weiterschreiten. Wir müssen uns nur vorher ganz klar sein: Hier auf der Erde reden wir davon, daß der Mensch so und so gestaltet ist, der eine trägt eine solche Stirn, der andere hat eine solche Nase, ein dritter macht trübselige Augen, ein anderer wieder lächelnde und so weiter. Dabei bleiben wir stehen. Durch die kosmische Erkenntnis werden wir dazu geführt, in allem, was die Menschengestalt bildet, das Wirken und Weben der dritten Hier­archie zu sehen. Die menschliche Gestalt ist in Wirklichkeit nicht erdgemacht, das Irdische gibt im Embryonalen nur die Substanz da­zu. Aber was da vom Kosmos herein an der Menschengestalt arbeitet, sind die Archai, Archangeloi und Angeloi.

Schreiten wir nun weiter hinauf, kommen wir zu dem Zusammen-fluß der Bewegungen, den wir nachgebildet finden in dem mensch­lichen Nervensystem und in den absondernden Drüsen, dann finden wir verwoben mit den Bewegungen der Planeten die zweite Hierar­chie: Exusiai, Kyriotetes, Dynameis. Und da diese Wesenheiten der zweiten Hierarchie mit dem kosmischen Urbilde des menschlichen Nerven- und Drüsensystems verbunden sind und daran arbeiten, so sind wir nach dem Tode - einige Zeit, nachdem wir das durchge­macht haben, wo wir verstanden haben, die menschliche Gestalt aus ihrem kosmischen Urbilde heraus zu ergreifen -, da sind wir eine längere Zeit nach dem Tode daran, zu der zweiten Hierarchie aufzu­steigen und zu begreifen, wie der Erdenmensch, an den wir uns jetzt erinnern, für sein Denken, für sein Nervensystem und Drüsensystem aufgebaut ist aus den Wesenheiten der zweiten Hierarchie, der Exu­siai, Kyriotetes, Dynameis. Und wir schauen jetzt den Menschen nicht an, als ob ihn irgendwie Elektrizität, Magnetismus oder dergleichen gebaut hätten, sondern wir erkennen ihn jetzt, wie er als physischer Mensch aufgebaut ist von den Wesenheiten der zweiten Hierarchie.

Wir gehen dann weiter und finden, indem wir zur Weltenmusik, zur Weltenmelodik und Weltenrhythmik aufsteigen, wie da wiederum ein kosmisches Urbild des Menschen vorhanden ist. Ich habe Ihnen gezeigt, wie man das nun in die Umrißgestalt des Menschen hinein-zeichnet. Aber jetzt kommt man in bezug auf die Betrachtung der

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Hierarchien nicht weiter. Es ist wiederum dieselbe zweite Hierarchie der Exusiai, Kyriotetes und Dynameis, die nun auch an diesem, was wir jetzt finden, arbeiten. Das ist eine andere Art der Betätigung. Es ist schwierig auszudrücken, wodurch sich die erste Art des Arbei­tens am Nervensystem unterscheidet von der Arbeit am Blutsystem, am rhythmischen Blutsystem des Menschen. Wollen wir es aber aus­drücken, so müßten wir sagen: Bei der ersten Tätigkeit sieht die zweite Hierarchie hinunter, nach dem Irdischen hin, bei der anderen Tätigkeit sieht sie hinauf. So daß von derselben Hierarchie Nerven­system und Blutsystem mit den entsprechenden Organen gemacht werden, nur das eine Mal mit Hinunterblick zur Erde, das andere Mal mit Hinaufblicken in die geistige Welt, zum Himmel.

Dringen wir dann von da weiter bis zur Intuition vor und schauen wir, wie aus der Formung der Welt des Weltenwortes, der Welten-sprache, gewoben wird das menschliche Muskel- und Knochensystem, dann kommen wir zur ersten Hierarchie, zu den Cherubim, Sera­phim und Thronen. Wir sind dann ungefähr auch bei demjenigen Moment zwischen Tod und neuer Geburt angelangt, der in der Mitte steht, den ich in meinen Mysteriendramen beschrieben habe als die «Mitternachtsstunde des Daseins». Und wir müssen dann das, was dem Menschen möglich macht, sich in der Welt zu bewegen, ansehen als gewoben, gezeugt, geschaffen von den Wesenheiten der ersten Hierarchie.

So schauen wir mit übersinnlicher Erkenntnis hin auf den Men­schen, und wir sehen eine Welt von geistigen Weltenwesenheiten hinter allem stehen. Wir haben uns heute gewöhnt, den Menschen so zu verstehen, daß wir zuerst daran gehen, sein Knochensystem zu begreifen. Meistens fängt man ja beim Skelett an, trotzdem das schon, ich möchte sagen, für eine triviale Beobachtung etwas Un­sinniges ist, denn das Skelett ist ja herausgebaut aus dem Flüssigen des Menschen. Es ist nicht das Erste, es ist nur das, was vom Flüssi­gen übrigbleibt und nur so verstanden werden kann. Aber wie wird nun gewöhnlich vorgegangen? Man muß lernen: Arme, Hände, Ober­armknochen, die beiden Unterarmknochen, die ersten Handknochen, die Fingerknochen und so weiter, so zählt man dieses Knochensystem

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zusammen und lernt die Geschichte auf diese Weise auswendig. Sie wissen, die meisten haben ja das nur auswendig gelernt. Und ebenso macht man es dann bei den Muskeln, aber da wird es schon schwerer

- und kommt man zu den anderen Organen, dann lernt man das ebenfalls, doch wirbeln da die Vorstellungen schon bedeutsam durch­einander. Aber es ist ja bei einem gesunden Gemüt auch nichts ande­res darinnen, als die Sehnsucht, weiteres darüber kennenzulernen, von wem das alles abhängt, und was alles an dem Geheimnis der Welt hängt. Und da würde sich dann einer wirklichen Men­schenbetrachtung dies ergeben: Man fängt an beim Menschen mit der Haut und den eingeschlossenen Sinnen, da kommt man herauf zu der Hierarchie der Angeloi, Archangeloi und Archai. Man geht dann weiter hinein in den Menschen, kommt zum Nerven- und Drü­sensystem, gelangt dabei zur nächsten Hierarchie, zu den Exusiai, Kyriotetes, Dynameis. Man bleibt bei diesen, wenn man nun an das Blutsystem und die charakterisierte Organisation herankommt. Und geht es an das, was wieder von dem Blutsystem und den anderen Organen aufgebaut wird, was einen zum sich bewegenden Menschen macht, das Muskel- und Knochensystem, dann muß man hinauf­gehen zur ersten Hierarchie - da lernt man als die Taten der Sera­phim, Cherubim und Throne das kennen, was der Mensch in seinem Muskel- und Knochensystem hat.

So haben wir die Möglichkeit, zu schildern, wie die hierarchische Ordnung aufsteigt von der dritten zur zweiten zur ersten Hierar­chie. Wenn wir das beschreiben, was da wirkt, was da enthalten ist im Außerirdischen und auf das Irdische wirkt, so entsteht vor uns, indem wir auf die Taten dieser Hierarchien hinschauen, ein merk­würdiges Bild. Wir schauen auf die hierarchische Ordnung, schauen unten die arbeitenden Wesenheiten der dritten Hierarchie, die Engel, Erzengel und Urkräfte, wir schauen dann die Wesenheiten der zwei­ten Hierarchie, die Exusiai, Kyriotetes und Dynameis, und wir schauen, wie das alles zusammen arbeitet und zusammen wirkt im Kosmos. Wir schauen dann auf die Wesenheiten der ersten Hierar­chie, auf die Cherubim, Seraphim und Throne. Und jetzt erst ent­steht vor uns das begreifbare Bild des menschlichen Körpers: auf der

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einen Seite die Ordnung der Hierarchien, die wir bis zu ihren Taten verfolgen, und die Taten lassen wir vor unser geistiges Auge treten -der Mensch steht da.

Sie sehen, hier eröffnet sich eine Betrachtungsweise, die gerade dort anfängt, wo die andere aufhört. Aber erst diese Betrachtungs­weise führt uns über die Geburt und den Tod hinaus. Keine andere Betrachtungsweise kann dem Menschen etwas sagen über das, was über Geburt und Tod hinausreicht, erst diese jetzt beschriebene Be­trachtungsweise. Denn das, was man da schildern kann, wird An­schauung, wird Erfahrung für den Menschen. - In welcher Weise das geschieht, werden wir in den nächsten Vorträgen sehen. - Wie der Mensch auf der Erde um sich hat das Mineralreich, das Pflanzen­reich, das Tierreich, und was das physische Menschenreich bewirkt nach den irdischen Richtungen hin, wie er da das erblickt, was von Mineralien, Pflanzen, Tieren und physischen Menschen ausgeht, so blickt er, nachdem er durch die Pforte des Todes geschritten ist, zwischen Tod und neuer Geburt auf das, was aus der geistigen Welt­tätigkeit herein zum Menschen hingeht und den Menschen als das Tätigkeitsergebnis, als das Tatergebnis der höheren Hierarchien dar­stellt. Und wir werden auch sehen, wie das zusammenhängt mit den Gestalten der anderen Erdenwesen; erst dann begreift man ja auch die Gestalten der anderen Erdenwesen.

Ich möchte als Vorbereitung zu den nächsten Tagen auch folgendes sagen. Schauen wir ein Tier an. Das Tier hat etwas, was nur in einem eingeschränkten Sinne an die menschliche Gestalt erinnern kann Woher rührt das? Es rührt dies davon her, daß das Tier die planetari­sche Gestalt, die in den Ather eingezeichnet ist, nicht nachbilden kann. Der Mensch allein kann diese Gestalt nachbilden, weil er nach jener Linie hinstrebt, von der ich gesprochen habe, wo sich für ihn dieses Bild fixiert. Wenn der Mensch ewig ein kleines Kind bliebe, das nie gehen lernte, sondern immer kriechen würde, wenn er also dazu schon veranlagt wäre - er ist es nicht -, dann würde er auch nicht die planetarischen Gestaltungen nachbilden können. Aber nach seiner Organisation als Mensch muß er sie nachbilden. Er muß hineinwach­sen in die planetarischen Gestaltungen. Das Tier kann das nicht. Das

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Tier kann nur sein Leben ausbilden nach den Bewegungen der Pla­neten. Es kann nur eine Nachbildung dieser Bewegungen geben, das können Sie an jedem einzelnen Teile des tierischen Körpers sehen. Wenn Sie zum Beispiel das Skelett eines Säugetieres sich ansehen, so haben Sie da die Rückgratknochen in ihrer Wirbelgestalt, das sind durchaus Nachahmungen der Planetenbewegungen. Wenn die Schlange noch so viele Wirbel hat, jeder einzelne ist ein irdisches Abbild der Planetenbewegungen. An der einen Seite des Tieres übt der Mond als der der Erde nächste Planet einen besonderen Einfluß auf die tieri­sche Gestalt aus. Seine Einwirkung ist besonders stark. Das Skelett bildet sich aus zu den einzelnen Gliedmaßen; dann wirkt das zusam­men in der Wirbelgestalt. Nach dem Monde kommen die anderen, in Spiralformen sich fortbewegenden Planeten, Venus und Merkur, in Betracht. Dann kommen wir zur Sonne, sie wirkt gewissermaßen in der Skelettbildung abschließend. Es ist da auch eine besondere Stelle in der Rückgratbildung, wo die Sonne wirkt; denn da fängt das Rückgrat an, nach der Kopfbildung hin zu tendieren. In der Kopfbildung haben wir umgebildete Rückenwirbelknochen zu sehen. Da wo die Rückenknochen sich aufplustern - das ist richtig nach dem Goethe-Gegenbaurschen Ausdruck - und sich umbilden zu Kopfknochen, da haben wir dann die Wirkung des Saturn, Jupiter. Wenn wir also das Skelett verfolgen von hinten nach vorn, dann müssen wir, um die tierischen Knochen zu verstehen, vom Monde bis zum Saturn gehen. Aber wir können mit Bezug auf die tierische Gestalt nicht jene Gestaltung verfolgen, die im Planetensystem ein­gezeichnet ist, sondern wir müssen auf die Bewegungen der Planeten gehen. Was aber der Mensch in sein Drüsensystem hineinarbeitet, das arbeitet das Tier hinein in seine ganze Gestalt. Und so können wir vom Tiere sagen, es hat nicht die Möglichkeit, sich nach der Ge­staltung des Planetensystems zu richten, sondern es fängt gleich bei der Bewegung an

Diese Bewegung des Planetensystems hat man sich in älteren Zeiten dadurch vergegenwärtigt, daß man gesagt hat: Der Verlauf der Pla­neten geht so vor sich, daß er durch die Tierkreisbilder geht. Man wußte zum Beispiel von der Saturnbewegung anzugeben, wie der

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Saturn durch die Tierkreisbilder durchgeht, und man wußte von jedem der anderen Planeten dasselbe anzugeben. Man hat dadurch aus der Erkenntnis des Tieres das, was tierische Gestalt ist, auf den Tierkreis bezogen. Der Tierkreis hat schon seinen Namen zu Recht. Aber das Wesentliche ist, daß das Tier die in den Ather hineinge­stalteten Formen nicht mitmacht, sondern daß der Mensch allein sie mitmacht. Und er kann sie mitmachen, weil er veranlagt ist zum auf­rechten Gang. Dadurch wird die planetarische Gestaltung in ihm Vorbild, während es beim Tiere nur bis zu einer Nachbildung der Bewegungen kommt.

Und so sehen wir, da steht vor uns ein geistiges Bild, ein übersinn­liches Bild des Menschen. Denn in alle dem, was ich bis jetzt geschil­dert habe: Hautumhüllung, Nervensystem, Blutsystem, Muskeln und Knochen - da sind ja nur Kräfte darinnen, das ist zunächst ein Kraftbild. Das wird bei Empfängnis und Geburt mit dem physischen Embryo der Erde verbunden, da nimmt es die irdischen Kräfte und irdischen Stoffe auf. Dieses Bild, das ein rein geistiges, aber als geisti­ges ein ganz bestimmtes ist, füllt sich aus mit irdischen Stoffen und Kräften. Der Mensch kommt als vom Himmel gebildet herunter. Da ist er zunächst ganz übersinnliches Wesen, ist bis auf die Knochen übersinnliches Wesen. Dann verbindet er sich mit dem Embryonalen, mit dem physischen Menschenkeim; das füllt den Geistkeim aus. Das nimmt er an, und das läßt er mit dem Tode wieder herunterfallen von sich und bleibt wiederum Geistgestalt, wenn er durch die Pforte des Todes geht.

Nun will ich zum Abschluß nur noch folgendes sagen. Nehmen wir an, der Mensch geht durch die Pforte des Todes Die physische Gestalt, die er an sich gesehen hat, wenn er sich im Spiegel schaute oder sich hat photographieren lassen, sie ist nicht mehr da. Sie inter­essiert ihn auch nicht. Aber das kosmische Urbild, in den Ather hin­eingezeichnet, ist das, worauf er dann hinschaut. Ja, das war in sei­nem eigenen Atherleibe während seines Erdenlebens verankert, doch da nimmt er es nicht wahr. Es ist auf der Erde in seinem physischen Wesen drinnen, aber er nimmt es nicht wahr. Jetzt aber sieht er, was seine eigene Gestalt ist. Aber dieses Bild, das er jetzt wahrnimmt,

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leuchtet zugleich. Dieses Bild strahlt Kräfte aus, und das hat eine ganz bestimmte Folge. Denn das, was das Bild ausstrahlt, wirkt so, wie sonst ein leuchtender Körper wirkt, nur daß es jetzt im ätheri­schen Sinne gemeint ist. Die Sonne leuchtet physisch; dieses kosmisch geschaute Bild des Menschen leuchtet geistig, und weil es ein geistiges Bild ist, hat es die Kraft, auch anderes zu beleuchten. Hier im Erden­leben können Sie jemanden, der gute oder böse Taten getan hat, lange in die Sonne stellen: seine Haare und so weiter werden beleuchtet, aber seine guten und bösen Taten, als Qualitäten, werden nicht be­leuchtet. Von dem aber, was der Mensch nach dem Durchgange durch den Tod in der geistigen Welt als das leuchtende Bild seiner eigenen Gestalt erlebt, strahlt ein geistiges Licht aus, das jetzt seine moralischen Taten beleuchtet. So tritt dem Menschen nach dem Tode mit dem kosmischen Bilde ein seine eigenen moralischen Taten Be­leuchtendes entgegen. Das hat in uns gesteckt während des Erden-lebens, das hat damals in uns leise geklungen als Gewissen. Jetzt, nach dem Tode, erblicken wir es objektiv. Da wissen wir, das sind wir selbst, das müssen wir um uns haben nach dem Tode. Da sind wir mit uns selbst unerbittlich. Denn dieses Beleuchtende richtet sich jetzt nicht so bequem nach dem, was wir hier vorbringen könnten, indem wir unsere Sünden entschuldigen und unsere guten Taten her­vorheben wollten, sondern was da von uns leuchtet, das ist ein un­erbittlicher Richter, der mit klarem Licht auf das leuchtet, was unser Tun wert war. Das Gewissen wird selber ein kosmischer Impuls, der nach dem Tode außer uns wirkt.

Das sind die Dinge, die uns vom irdischen Menschen zum übersinn­lichen Menschen führen. Und man kann schon sagen: Der irdische Mensch, der mit der Geburt entsteht, mit dem Tode zugrunde geht, kann anthropologisch, wie es heute üblich ist, erfaßt werden - der übersinnliche Mensch, der sich mit den irdischen Stoffen nur durch­dringt, um sich nach außen zu zeigen, dieser übersinnliche Mensch, der höhere Mensch, muß anthroposophisch erfaßt werden.

Das wollen wir im Verlaufe dieser Vorträge tun.

ZWEITER VORTRAG Den Haag, 14. November 1923

#G231-1962-SE077 Der übersinnliche Mensch anthroposophisch erfasst

#TI

ZWEITER VORTRAG

Den Haag, 14. November 1923

#TX

Wir haben gestern versucht, den Menschen anzuknüpfen an das Wel­tenall. Durch solche Betrachtungen wollen wir ja eine Grundlage gewinnen, um überhaupt vollständig in die übersinnliche Wesenheit des Menschen einzudringen. Heute möchte ich, zunächst noch auf eine mehr äußerlich-übersinnliche Weise, zu dem Gestrigen einiges Ergänzende hinzufügen insoweit, als wir das übersinnliche Wesen des Menschen auch dann ins Auge fassen müssen, wenn der physische Leib des Menschen und das, was dazu gehört, der ätherische Leib, abgelegt ist, wenn also der Mensch durchgegangen ist durch die Pforte des Todes und durchmacht den Weg zwischen Tod und neuer Ge­burt. Und ich werde heute zunächst mehr in der Art einer Schil­derung dasjenige geben, was sich gewissermaßen für die äußerliche imaginative Anschauung innerhalb dieses Weges zwischen Tod und neuer Geburt darstellt. Wir werden dadurch gerade eine Basis ge­winnen, um das eigentliche geistig-seelische Wesen des Menschen ins Auge fassen zu können.

Wir müssen uns nur immer klar sein, daß es eigentlich ein Unding ist, von dem getrennten Physischen und getrennten Geistig-Seelischen des Menschen zu sprechen. Denn was uns physisch am Menschen entgegentritt, was sich uns in der Sinneswelt darstellt als sein physi­scher Leib, das ist ja eigentlich überall durchzogen und durchsetzt von Geistig-Seelischem. Die Form der Stirn, die Form des ganzen Gesichtes, alles sonstige an seiner Form hat dieser Mensch ja nur da­durch, daß geistige Kräfte ihm diese Gestalt geben. Und deshalb brauchen wir uns nicht zu verwundern, wenn derjenige, der geistige Anschauung besitzt, auch dann noch von einer Gestalt des Menschen sprechen muß, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist. In der Tat ist es für die imaginative Erkenntnis so, daß der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist, dann, aller­dings in bezug auf die physische Anschauung, gleichsam als Schatten­bild, aber als ein sehr klares, eindrucksvolles Schattenbild, eine «Gestalt»

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zeigt, die gewissermaßen zunächst den Eindruck von etwas Außerlichem macht, weil wir uns ja das geistig-seelische Wesen des Menschen moralisch-geistig vorstellen müssen. Aber wir kommen nicht zu einer haltbaren geistigen Vorstellung, wenn wir nicht zu­nächst von diesen Imaginationen, von diesen Bildgestalten sprechen, die der Mensch noch nach dem Durchgang durch die Pforte des To­des an sich trägt.

Der Mensch legt ja mit dem Tode seinen physischen Leib ab, und wir können ganz absehen davon, was nun mit dem physischen Leibe geschieht, denn viel weniger beträchtlich, als die Menschen heute glauben, ist die Art und Weise, wie der physische Leib des Menschen sich auflöst. Es hat eigentlich diese Auflösung, ob durch Verwesung oder Verbrennung, nur für die Mitmenschen eine Bedeutung; eine große Bedeutung für das Leben des Menschen nach dem Durchgange durch die Todespforte hat das nicht, so daß wir vom physischen Leibe zunächst, wie er sich für die Sinneswahrnehmung darstellt, nur zu sprechen brauchen als von demjenigen, das sich in die äußere Natur und ihre Kräfte auflöst. Dann löst sich weiter, und zwar bald nach dem Tode, der ätherische Leib des Menschen auf. Sie kennen das aus meiner Darstellung in der «Geheimwissenschaft». Indem der Mensch diese beiden äußeren Offenbarungen seines Wesens abgelegt hat, löst sich gewissermaßen etwas heraus aus diesen beiden «Um­hüllungen», der Ausdruck Umhüllung ist nicht ganz genau. Und wer mit einer entsprechenden imaginativen Erkenntnis begabt ist, der schaut dieses sich aus den beiden Umhüllungen Herauslösende eben als Gestalt, die sogar zunächst nach dem Tode in gewissem Sinne ähnlich ist der physischen Gestalt des Menschen. Nur macht diese -ich will es Geistgestalt nennen - fortlaufend eine Verwandlung durch.

Ich habe ja öfter das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt von den verschiedensten Gesichtspunkten aus geschildert. Man bekommt jedoch eine angemessene Vorstellung davon nur dann, wenn man es von einer ganzen Reihe von Gesichtspunkten aus ge­schildert bekommt. Nun will ich es heute von einem bestimmten Ge­sichtspunkte aus wieder schildern. Man muß dann zu dem, was einmal

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gesagt worden ist, das andere hinzunehmen, dann ergibt sich erst ein vollständiges Bild.

Diese Geistgestalt des Menschen unterliegt einer fortdauernden Verwandlung, und zwar wird sie immer mehr und mehr so, daß wir sie eigentlich nur dann treffend bezeichnen, wenn wir sagen, sie wird ganz Physiognomie. In der imaginativen Anschauung, die der Initiierte hat und die derjenige hat, der schon durch die Pforte des Todes selber gegangen ist, schaut man etwas vom Menschen, was man nennen möchte eine Art Physiognomie. Diese Physiognomie ist der ganze Mensch, nicht etwa bloß ein halber. Aber der ganze Mensch sieht seiner Physiognomie nach jetzt in seiner Geistgestalt so aus, daß diese Physiognomie der Ausdruck seiner Wesenheit ist ihrer moralisch-geistigen Innerlichkeit nach, so daß also nach dem Tode ein böser Mensch anders aussieht als ein guter, und ein Mensch, der sich im Leben viel Mühe gegeben hat, anders aussieht als einer, der leicht­sinnig oder leichtfertig dahingelebt hat. Das alles drückt sich aber so aus, daß das nun nicht bloß Antlitz ist. Das Antlitz wird sogar so, daß es von seiner im physischen Leben ausgeprägten Physiogno­mie verliert; es behält noch einen Teil seines physiognomischen Aus­druckes, aber es wird immer undeutlicher. Dagegen wird der übrige Körper sehr ausdrucksvoll, insbesondere wird jene Gegend, wo inner­lich die Atmungsorgane sind, ausdrucksvoll. An dieser Physiognomie, die die Gegend einnimmt, wo die Atmungsorgane im physischen Leben waren, sieht man namentlich die dauernden Charaktereigen­schaften des Menschen physiognomisch ausgedrückt. Die Brust tritt heraus, bekommt eine deutliche Physiognomie, und an dieser deutli­chen Physiognomie, am Geistbilde nach dem Tode sieht man, ob der betreffende Mensch mehr oder weniger Mut auf den verschiedensten Gebieten des Lebens gehabt hat - oder ob er etwas feige war, ob er mit einer gewissen Kühnheit und Tapferkeit an das Leben heran­getreten ist - oder ob er überall zurückweichend das Leben durch­gemacht hat und so weiter.

Eine besondere Ausdrucksfähigkeit haben nach dem Tode die Arme und die Hände. An den Armen und den Händen kann man gerade-zu ablesen die Biographie des Menschen zwischen Geburt und Tod,

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am deutlichsten an den Händen - die Hände, die schon im physi­schen Leben für den sinnig Beobachtenden so bedeutungsvoll sind durch ihre Physiognomie, die schon im physischen Leben so viel ver­raten, so daß man viel entnehmen kann aus der Art und Weise, wie jemand seine Finger bewegt, wie jemand die Hände einem entgegen­bringt, ob er, wenn er einem begegnet, nur die Fingerspitzen reicht, oder mit Wärme einen Händedruck gibt. Aber auch die Art und Weise, wie sich die Hände plastisch gestalten, wenn der Mensch ein­fach dahinlebt oder seine Arbeit verrichtet, ist ja schon im physi­schen Leben so bezeichnend. Man achtet nicht darauf, aber die mei­sten Menschen sind ja schon durch ihre Finger- und Handhaltung und -bewegung viel interessanter, wenigstens verraten sie sich da­durch. Das wird nun nach dem Tode im eminentesten Sinne gestei­gert. Man kann geradezu die Lebensgeschichte des Menschen daran ablesen.

Und ebenso ist es in bezug auf die anderen Organe. Alles wird nach dem Tode ausdrucksvoll physiognomisch. Und so kann man sagen: Der Mensch trägt nach dem Tode seine moralisch-geistige Physiognomie an sich.

Wir haben gestern davon gesprochen, wie der Mensch, indem er aus dem Kosmos, aus dem Weltenall herausgestaltet wird, uns zu­erst seine Gestalt darbietet, und wie sich diese Gestalt aus dem, was sich in den Weltenäther einschreibt, in der Haut und in den in die Haut eingeschlossenen Sinnesorganen zum Ausdruck bringt. Aber was die menschliche Hautgestalt ist, was im physischen Leben auf der Erde so erscheint, wie man es kennt als physische Formung, das - die ganze Hautumhüllung- wird physiognomischer Ausdruck des mora­lisch-geistigen Menschen. Und das bleibt eine längere Zeit hindurch.

Indem die Menschen in diese «Lebensweise», wenn ich mich so ausdrücken darf, eintreten, begegnen sie da namentlich denjenigen Menschen, mit denen sie schon hier auf der Erde in Verbindung wa­ren, mit denen sie hier Geistes-, Herzens-, Gemütsgemeinschaften ge­habt haben. Und keiner kann da dem anderen etwas vormachen! Denn wie ein jeder ist, und wie er gegen den anderen gesinnt ist, das stellt sich getreulich in jener Physiognomie dar, die ich eben beschrieben

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habe. Und für diese Zeit des Lebens nach dem Tode, die auf die Prüfungszeit folgt - von der will ich heute nicht sprechen -, ist es so, daß die Menschen in dieser Zeit namentlich den Umgang mit denen haben, mit denen sie schicksalsmäßig in irgendeiner Weise im letztvergangenen Erdenleben oder überhaupt auf der Erde in Ver­bindung waren. Man lernt sich da genau kennen. Aber das ist in die­ser ersten Zeit so, daß man sich durch den Anblick dieser Physiogno­mie, die ich beschrieben habe, eben genau kennenlernt. Und was die Menschen in dieser Zeit erleben, das ist eben dieses Kennenlernen derjenigen Menschen, mit denen sie schicksalsmäßig verbunden sind. Sie müssen sich vorstellen, welch ein intimes gegenseitiges - es klingt banal, aber es ist ein doch richtiges Wort - «Betrachten» dies ist: Ein jeder steht vor dem anderen unverhüllt, mit der ganzen Bedeu­tung des Schicksalszusammenhanges. So geht man dann aneinander vorbei, so lebt man miteinander.

Gleichzeitig ist das derjenige Lebensabschnitt für den Menschen, wo er dadurch, daß er so ist, solche Physiognomie ist, die Bekannt­schaft macht mit den Wesen der dritten Hierarchie, den Angeloi, Archangeloi und Archai. Denn diese Wesen sind ihrer dauernden Natur nach immer Physiognomie. Sie sind von den Weltenwesen der höheren Hierarchien gewissermaßen ausgegangen, indem ihre ganze geistig-seelische Natur für den, der sie in der Imagination schauen kann, sich in ihrer Geistgestalt ausprägt. Das ist also etwas, was für das Erleben des Menschen während dieser Zeit hinzukommt zu dem Umgange mit denjenigen Menschen, die mit einem schickals­mäßig verbunden sind. Natürlich ist der Anblick der Menschen, die mit einem schicksalsmäßig verbunden sind, ein sehr mannigfaltiger. Da erscheinen einem zum Beispiel die Menschen, die einen über alle Berge gewünscht haben, mit denen man aber doch schicksalsmäßig verbunden ist. Man erkennt ganz genau, was sie im Schilde geführt haben, und was sie einem angetan haben. Dieser Anblick der Men­schen ist ganz verschieden, ist ein ganz mannigfaltiger. Und unter diesen Wandelgestalten scheinen die Wesenheiten der dritten Hier­archie, die wie Glanzgestalten, wie Sonnengestalten unter diesen Menschen dann wandeln. Gewiß, die Worte, die ich gebrauche, sind

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vergleichsweise, wir haben aber keine andere Möglichkeit, als uns in irdischer Sprache auszudrücken. Aber es bezeichnet schon die Wirk­lichkeit, wenn man sagt, daß der Mensch in dieser Zeit den mit ihm schicksalsmäßig verbundenen Menschen begegnet. Es ist aber das Eigentümliche, daß der Mensch in diesem Zeitraume ein Verständnis in der Auffassung nur denjenigen anderen Menschen entgegenbringen kann, mit denen er schicksalsmäßig verknüpft ist. Diejenigen Men­schenseelen, mit denen man nicht schicksalsmäßig verbunden ist, die sind gewissermaßen unsichtbar, man hat keine Handhabe, keine Möglichkeit, kein Auffassungsvermögen für deren moralisch-geistige Physiognomien. Man beachtet sie nicht, man kann sie nicht beachten, denn nur die Schicksalsverbindung gibt einem die Kraft, zu sehen. Wenn es dem Menschen hier auf der Erde überlassen wäre, auch so zu schauen mit den physischen Augen, wie man in diesem Lebens­abschnitt nach dem Tode sehen muß, dann würde der Mensch vieles nicht sehen auf der Erde, denn der Mensch liebt es, auf der Erde passiv zu sehen, die Dinge in sich hineinscheinen zu lassen. Er liebt es sogar in der gegenwärtigen Zivilisation sehr wenig, innerlich aktiv zu sein, um die Umgebung wahrzunehmen. Mancher, der heute eigentlich sein Schauen - drücken wir es so aus - insbesondere auf die Kino-Neigungen legt, der also immer nur Eindrücke haben will, denen er sich passiv hingeben kann, der würde, wenn er mit demselben Schauvermögen ausgerüstet wäre, wie wir es nach dem Tode sind, er würde hier sitzen können und würde seine Mitmenschen über­haupt nicht sehen. Denn nach dem Tode hängt es von unserer Auf­merksamkeit ab, die uns allerdings dann eingepflanzt ist durch die Art, wie wir schicksalsmäßig mit den anderen verbunden sind, daß wir die anderen auch sehen.

So ist diese Zeit, die da nach dem Tode zunächst verlebt wird, eine Zeit des gegenseitigen Sichkennenlernens und namentlich des Kennenlernens der Art und Weise, wie diese Menschen in der geisti­gen Welt aufgenommen werden von den Wesenheiten der dritten Hierarchie. Man sieht dann, welche Freude die Wesenheiten der dritten Hierarchie, die Angeloi, Archangeloi und Archai, an den Menschen haben, die in der Gestalt, wie ich es beschrieben habe, in

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die geistige Welt hinaufkommen, oder auch wie sie wenig Freude an ihnen erleben. Man sieht, welchen Eindruck die Menschen auf die­jenigen Wesen der höheren Hierarchien machen, die zunächst in der unsichtbaren Welt ihnen am nächsten stehen.

Dann kommt eine andere Zeit. Es kommt die Zeit, wo die Men­schen, die einander in dieser Weise kennengelernt haben, die gewis­sermaßen sich immer geschaut haben, nun anfangen, wie es diesem Leben nach dem Tode entspricht, im geistigen Sinne einander zu verstehen, wo sie dazu gelangen, gewissermaßen einen Geistverstand zu bekommen für diese moralisch-geistigen Physiognomien. Es ist eigentlich so, daß man in der ersten Zeit nach dem Tode wie in lauter Erinnerungen lebt. Man ist mit den Menschen zusammen, mit denen man zusammengehört, man lebt natürlich «Gegenwärtiges» -man handelt, man lebt, man webt in all den Zusammenhängen, die sich da ergeben namentlich zwischen den Menschen und den We­senheiten der dritten Hierarchie, aber man lebt die ganze Zeit hin­durch so wie in einer Art Erinnerung an das Erdenleben. Dann aber tritt eine Zeit ein, wo man eben anfängt, Geistverstand zu haben, wo man anfängt zu begreifen - in dem Sinne, wie das Begreifen in der geistigen Welt eben geschehen muß -, was nun diese moralisch-geistigen Physiognomien der Mitmenschen für einan­der bedeuten. Man lernt seine Mitmenschen «verstehen». Man lernt sie so verstehen, daß man sagt: Diese moralisch-geistige Physio­gnomie zeigt mir dieses, das führt zurück auf Schicksale, die man gemeinschaftlich gehabt hat, und so weiter. Nun, das erlebt man ja schon gleich nach dem Tode, denn man schaut dieses Schicksal an, man schaut auf seine schicksalsmäßige Gemeinschaft hin. Aber jetzt erlebt man es so, daß man sich überall sagt: Wenn wir bisher so zusammengelebt haben, wie sich das ergeben hat nach dem gegen­seitigen Verstehen der Physiognomien, dann muß das weitere Zu­sammenleben so und so vor sich gehen. Man erlebt sozusagen jetzt verständnisvoll die Möglichkeit des Fortganges des Schicksals, und man bekommt von da an das Gefühl eben der Weiterführung der begonnenen Lebensverhältnisse. Man schaut wie in einer Perspek­tive, wie sich in die Zukunft hinein diejenigen Lebensschicksalsfäden

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gestalten werden, die angeknüpft worden sind, und die sich in den moralisch-geistigen Physiognomien verraten. Und das lebt sich immer intimer und intimer ein, so daß wirklich ein Zusammenwachsen, förmlich ein geistig-seelisches Zusammenwachsen der Seelen statt­findet. Und dabei zeigt es sich, daß das, was beim Menschen hier auf der physischen Erde am ausdrucksvollsten war, nach und nach eigentlich, indem er in diese Zeit sich hineinlebt, verschwindet. Der Kopf verschwindet, löst sich in eine Art von geistigem Nebel auf.

In demselben Maße wie der Kopf verschwindet, verändern sich die Züge der moralisch-geistigen Physiognomie, die da waren, indem überall so etwas auftritt, was wie von der Vergangenheit aus in die Zukunft hinüberzeigt. Und in dieser Zeit wird der Mensch hinein-versetzt in den Geist der Planetenbewegungen, in den Geist der Kräfte im Planetensystem. Und das hat zur Folge, daß die zusam­mengehörigen Menschen sich zu einer bestimmten Zeit nach dem Tode dem geistigen Sonnendasein nähern. Die planetarischen Kräfte bringen sie in das geistige Sonnendasein hinein, und alles, was die Menschen miteinander durchgemacht haben, wird gewissermaßen jetzt als gemeinsame Erlebnisse und gemeinsame Keime für künftige Erlebnisse hineingetragen in das geistige Sonnendasein.

Es ist ja eigentlich für eine wirklich eindringende Erkenntnis kindisch, daß sich die heutige Wissenschaft die Sonne so vorstellt wie einen Gasball, der im Weltenall draußen ist. Das ist ja nur der Anblick, den die Sonne zur Erde her zeigt. Sobald man die Sonne mit jenen Geistesaugen, Seelenaugen beschaut, die man nach dem Tode hat, sie von auswärts im Weltenall beschaut, ist die Sonne ja ein geistiges Wesen, oder vielmehr eine Versammlung von geistigen Wesenheiten. Unter diese geistigen Wesenheiten mischen sich eben die Menschenseelen, die sich in dieser Art nicht nur selbst mit ihren Geistesinhalten, sondern auch mit ihren gemeinsamen Schicksalen hineintragen in das geistige Sonnendasein. Und dieses ganze Sy­stem von Menschenseelen zusammen mit den Urteilen, welche die Wesen der zweiten und dritten Hierarchie über den Wert dieser Menschen fällen, das glänzt nun hinaus in das Weltenall, in den Kosmos.

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Man stellt sich eigentlich von irgendeinem Gesichtspunkte der Erde aus die Sonne ganz richtig nur vor, wenn man sie sich etwa in der folgenden Weise vorstellt. Wenn man von der Erdoberfläche aus die Sonne anblickt, so erscheint sie uns ja wie eine leuchtende Kugel, und man kann sich davon auch eine schematische Zeichnung machen. Nun stellt man sich gewöhnlich vor, wenn man in einem Ballon hin­auffahren und von dort oben die Sonne anschauen würde, so würde sie ebenso ausschauen wie hier von der Erde aus. Das ist aber nicht der Fall. Wenn man sich ein schematisches Bild machen und phy­sisch-sinnlich zeichnen wollte, wie sich für den geistigen Anblick die Sonne ausnimmt, so müßte man sich überall geistige Strahlungen von der Sonne nach dem weiten Weltenall hin vorstellen. Was von der Erde aus von der Sonne geschaut werden kann, ist ja nur der nach der Erde hin leuchtende Aspekt der Sonne. Für den geistigen Anblick aber erscheint etwas, was - nach und nach allerdings - zur geistig-hörbaren Wahrnehmung wird, was nun der Einschlag in die Weltenmusik wird, der manchmal ja sehr imposant ist. Aber dieser Einschlag ist nun etwas, was die Menschen erlebt haben, und was sie auch nach dem Tode erleben. Das alles wird in die Sonne hinein-getragen und strahlt nach dem Kosmos hin aus. Und dann, wenn das geschieht, hat der Mensch der Geistgestalt nach, die ich beschrie­ben habe, gewissermaßen selber schon die Form der Sonne angenom­men. Es klingt ja paradox, aber man muß diese Tatsachen schildern, denn sie entsprechen der Wirklichkeit. Alles was nach dem Durch­gang durch die Todespforte ausdrucksvolle Physiognomie, Geistge­stalt war, das rundet sich, und wenn der Mensch in der Sonne an­kommt, geistig gesprochen, dann ist er eigentlich zur Geistkugel ge­worden. Jeder einzelne Mensch ist zur Geistkugel geworden. Und das Weltenall spiegelt sich in dieser Geistkugel. Und wir haben jetzt, in­dem wir gewissermaßen ganz geistiges Sinnesorgan geworden sind, nicht mehr Eindrücke von der Erde, aber indem wir ganz Geistes-auge geworden sind, haben wir in diesem Geistesauge den Eindruck des ganzen Weltenalls. Wir fühlen uns eins mit dem ganzen Welten-all. Und was wir früher auf der Erde gewesen sind, das fühlen wir jetzt draußen, außer uns. Aber indem wir jetzt das ganze Weltenall

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wie in einem Geistesauge in uns spiegeln, fühlen wir uns ganz eins mit den Schicksalen, die wir an uns selber und an anderen Menschen erlebt haben.

Indem wir dann das eine Zeitlang durchlebt haben, kommen wir immer mehr und mehr in die Sphäre der ersten Hierarchie hinein, der Seraphim und Cherubim und Throne. Wir verbinden uns mit dieser ersten Hierarchie. Zuerst also verbinden wir uns mit der dritten Hierarchie, wo wir wandeln unter den uns schicksalsverbun-denen Mitmenschen, wo wir da wandeln in unserer moralisch-geisti­gen Physiognomie. Dann werden wir mitgenommen von den Plane­tenkräften in das geistige Sonnendasein, da sind wir außerhalb der ersten, mit der zweiten Hierarchie verbunden. Und jetzt, wo wir uns durch unser eigenes Sonnendasein drinnenfühlen wie im ganzen Wel­tenall, jetzt sind wir mit der ersten Hierarchie verbunden, den Sera­phim, Cherubim und Thronen. Und da stellt sich dann immer mehr und mehr heraus, daß wir beginnen, auch ein Interesse haben zu dürfen nicht nur für diejenigen Menschen, die mit uns von vorher schicksalsmäßig verbunden sind, sondern da treten jetzt weitere See­len auf, die erst jetzt in diesem Leben zwischen dem Tode und der nächsten Geburt in unsere Schicksalssphäre eintreten. Da beginnen wir, andere Menschenseelen als diejenigen sind, mit denen wir schicksalsmäßig verbunden waren, beobachten zu können - Men­schenseelen, die dann im weiteren, zukünftigen Leben mit uns schicksalsmäßig werden verbunden sein.

Aber an denjenigen Menschen, mit denen wir schicksalsmäßig verbunden waren, je nach dem Grade, in dem dies der Fall war, an denen beginnen wir gerade jetzt unter dem Eindruck der Seraphim, Cherubim und Throne eine wichtige Verwandlung der Gestalt zu bemerken, die ich zunächst wiederum mehr äußerlich schildern will. Wenn man mit dem physischen Auge einen Menschen betrachtet, der so in der Welt wandelt, so sieht man ihn, wie er ein Bein nach dem anderen vorsetzt und so dahingeht, man sieht gleichsam eine Reihe von Momentaufnahmen dieses Menschen. Wer aber mit imaginativer Anschauung dann den Menschen in dieser Sphäre nach dem Tode anschaut, der sieht ihn gerade so, als ob die Schritte, die Formung

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der Beine bei jedem Schritte im Vorwärtsschreiten gerade an unseren Gliedmaßen das ganze Schicksal tragen würden, das der Mensch durchlebt, das sich im Erdenleben gebildet hat. Nicht nur an den Beinen, auch an den Armen tragen wir das, was unser Schicksals-inhalt ist, was wir mit unseren Händen Gutes und Schlimmes an anderen Menschen getan haben. Was einen gewissen Gerechtigkeits-impuls in der Welt hervorruft und in unser Schicksal sich einfügt, das sieht man an der Art und Weise, wie der Mensch in Bewegung gerät. Und ebenso sieht man das innere Schicksal, das sich der Mensch geschaffen hat durch seine Stimmungen, durch die Art und Weise, wie er innerlich das Leben erlebte, jetzt an der Blutzirkula­tion.

Was man so an dem Schicksalsmäßigen sieht, das sieht man lange noch, wenn der Mensch diese Sphäre betreten hat, die ich geschildert habe; das sieht man eigentlich noch immer an der Form der Glied­maßengestaltungen und der anderen menschlichen Gestaltungen - mit Ausnahme von Kopf und Brust. Auf der physischen Erde wäre ge­wiß der Anblick eines Menschen, dem Kopf und Brust fehlten, und der so an uns vorbeigehen würde, kein sehr behaglicher; aber hier zwischen Tod und neuer Geburt ist eben alles ins Moralisch-Geistige umgesetzt. Da ist der Anblick viel gewaltiger, als der Anblick eines menschlichen Kopfes auf der Erde sein kann. Und das erleben nun die Menschen, die schicksalsmäßig miteinander verbunden sind und die während des geistigen Sonnendaseins so das Schicksalsmäßige er­leben, in jener Zeit zwischen Tod und neuer Geburt, die ich in meinen Mysteriendramen als die «Mitternachtsstunde» geschildert habe. Da arbeiten jetzt die verschiedenen Menschen nach dem Grade ihrer Zusammengehörigkeit an der Umgestaltung dessen, was sie im vorherigen Erdenleben waren, so daß man sieht, wie das im einzelnen geschieht. Da sieht man, wie zum Beispiel der Inhalt der Beine um­gearbeitet wird für das zukünftige Erdenleben zur Gestaltung des Unterkiefers. Was Arme und Hände sind, wird umgearbeitet zum Oberkiefer und zu allem, was das dazugehörige Nervensystem ist, aber in einer geistigen Anschauung. Der ganze untere Mensch wird umgewandelt in den oberen Menschen.

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Das arbeitet aber nicht etwa der Mensch allein, sondern das ar­beiten die zusammengehörigen Menschen, je nach dem Grad ihrer Schicksalsverbundenheit. Der eine arbeitet an dem anderen. Und dadurch, daß der eine an dem anderen arbeitet, werden die geistigen Verwandtschaften gebildet, die dann bewirken, daß der eine Mensch den anderen im Leben findet, daß er mit ihm zusammenkommt. Diese geistige Verwandtschaft, die uns mit dem anderen auf eine mehr oder weniger intime Weise zusammenbringt, sie ist ja auf diese Art bewirkt worden in dem Leben zwischen dem Tode und der nächsten Geburt. Es wird in der Tat eine Geistgestalt des neuen Hauptes ausgebildet durch das Zusammenarbeiten der schicksals-mäßig zusammengehörigen Menschen. Und das ist tatsächlich ein Ar­beiten im Geisterlande, das nicht etwa weniger inhaltreich ist als das Arbeiten hier auf der Erde, das im Gegenteil viel inhaltreicher ist.

Daraus sahen Sie schon: Geradeso wie man im allgemeinen be­schreiben kann, was mit dem Menschen geschieht zwischen Geburt und Tod in den Bildern des physischen Erdenlebens, so kann man in aller Konkretheit einzeln beschreiben, was mit dem Menschen vor­geht zwischen Tod und neuer Geburt. Man kann es ganz konkret beschreiben. Das ist ein Großartiges, Gewaltiges, wie das Glied­maßensystem und das Blut-Stoffwechsel-System umgearbeitet wer-den. Aber das alles, was im geistigen Dasein in der Mitte zwischen Tod und neuer Geburt umgearbeitet wird, das sind die moralisch-geistigen Qualitäten des Menschen. Und von dem, was aus dieser Umarbeitung wiederum herauskommt, muß man dann sagen: Es er­klingt als Weltenmusik das, was da umgestaltet worden ist. Diese Gestalt des Menschen, die der Sonne nachgebildet und ein Spiegel des Weltenalls ist, die zeigt vom Menschen im Weltentone dasjenige, was seine äußere Gestalt ist. Also nicht, daß man dann eine, wenn ich es vergleichsweise ausdrücken darf, augenmäßige Vorstellung vom Menschen hat, sondern man hat im Weltenklang die Vorstellung der umgearbeiteten Wesenheit des unteren Menschen.

Und indem das immer weiter und weiter fortschreitet, wird der Mensch ein Teil des Weltenwortes selber. Es kommt dazu, daß dieses, was er erst nur als eine Zusammenfügung von Melodiösem, von Harmonischem

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war, sich gliedert in artikulierte Teile des Weltenwortes. Der Mensch wird so, daß er wie aus dem Weltenall heraus spricht sein eigenes Wesen. So daß man sagen kann: Es gibt eine Zeit zwi­schen dem Tode und der nächsten Geburt, wo der Mensch so wird, daß er geistiges Wort ist - nicht ein solches, das in ein paar Silben besteht, sondern das ungeheuer vielsagend ist, das nicht nur die ganze Wesenheit des Menschen im allgemeinen enthält, sondern die­sen ganzen individuellen Menschen, um den es sich handelt. Der Mensch ist in diesem Zeitpunkte zwischen Tod und neuer Geburt ungeheuer geheimnisvoll wissend, und er offenbart ins Weltenall hinaus, für die göttlich-geistigen Wesenheiten wahrnehmbar, was er ist. - Wenn so ein Mensch an dem anderen in dieser Weise arbeitet, um in Metamorphose zu bewirken, daß sich der untere Mensch in den oberen umwandelt - denn der obere Mensch ist nach und nach abgeschmolzen -, wenn da nach dem Grade der Zusam­mengehörigkeit eben für die weitere Zusammengehörigkeit gearbeitet wird, dann ist es so, als ob man im Arbeiten ein Geistplastisches in Empfindungen gestaltet. Man nimmt auf, was geistplastisch ist; man arbeitet es um, und es verwandelt sich in Tönendes und zuletzt in Sprechendes.

Zuerst wandelte man, wie ich Ihnen geschildert habe, unter den Geistphysiognomien der mit einem verbundenen Menschen, indem man sie anschaut. Man wird einander gewahr, man lernt einander in der Geistgestalt kennen nach den moralisch-geistigen Qualitäten. Aber es ist Anschauung zunächst, Anschauung, die allerdings die Menschenseelen intim zusammenbringt, aber Anschauung. Dann be­ginnt die Zeit, die ich geschildert habe als die des gegenseitigen Ver­ständnisses. Man versteht sich, der eine blickt den andern an, indem er tief in dessen Inneres verständnisvoll hineinblickt, wissend, wie sich die Zukunft mit der Vergangenheit im schicksalsmäßigen Zusammen-hange verknüpfen wird. Dann beginnt aus dem heraus jene Umarbei­tung, wo der eine an dem anderen arbeitet aus einer tiefen Erkennt­nis heraus, und wo das, was geistplastisch aufgenommen wird, umge­wandelt wird in Tönendes und in Sprechendes. Dann tritt das auf, daß man sich nicht nur versteht, sondern wo der eine dem anderen

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sein warmes Schöpfungswort entgegenspricht. Hier auf der Erde spre­chen wir mit den Sprachorganen, hier sagen wir uns, was wir erkannt haben, mit unseren Sprachorganen. Hinter dem, was in uns sitzt und spricht, steht der physische Leib, und in diesem lebt als ein Flüchtiges, dem Höheres sich mitteilt, unser gewöhnliches Wort. Und indem wir mit unseren Sprachorganen aussprechen, was wir uns sagen wol­len, löschen wir damit das aus, was hinter dem, was nur Sinnlich­keit ist, lebt. Und nun denken Sie sich: Das was der Mensch aus­spricht, was in das flüchtige Wort übergeht, das würde zugleich wie ein Sich-selber-Aussprechen des Menschen sein, sein Wesen und zu­gleich seine Offenbarung - dann haben Sie das, wie sich die Men­schen in der Mitte zwischen Tod und neuer Geburt, ihr eigenes We­sen unterscheidend und sich offenbarend, begegnen. Wort begegnet dem Wort, artikuliertes Wort begegnet dem artikulierten Worte, innerlich belebtes Wort begegnet dem innerlich belebten Worte. Aber die Menschen sind ja die Worte, ihr Zusammenklingen ist Zusammen-klingen des artikulierten Wortwesens. Da leben die Menschen so, daß Undurchlässigkeit nicht da ist: Da leben die Menschen wirklich miteinander, und es geht das eine Wort, das der eine Mensch ist, in dem anderen Worte, das der andere Mensch ist, auf. Da werden jene schicksalsmäßigen Zusammenhänge gebildet, die dann in der Nach­wirkung für das folgende Erdenleben bleiben, und die sich so äußern, daß die Menschen, wenn sie sich begegnen, zusammenkommen und gewissermaßen Sympathie und Antipathie fühlen. Dann ist dieses Fühlen der Abglanz dessen, als was sich die Menschen im Geister-lande in der Mitte zwischen Tod und neuer Geburt angesprochen haben. So haben wir miteinander geredet, die wir selber die Rede waren, wie wir uns jetzt auf der Erde nur im schattenhaften Abbilde des Gefühles wiederum finden.

Das ist etwa, was sich der Mensch sagen müßte, wenn er das, was er auf der Erde mit den anderen Menschen erlebt, empfände als den gefühlsmäßigen Nachklang dessen, was er im Schöpfungsworte, sich selber aussprechend, zwischen Tod und neuer Geburt einmal war. Das ist die Zeit, in der die Menschen eigentlich füreinander sind. Und das irdische Füreinandersein ist eben, ich möchte sagen, die aus

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dem Geistigen auf die Erde herabgestaltete Projektion des wesen­haften Zusammenseins.

Dann, wenn der Mensch diese Zeit durchlebt hat, kommt eben wiederum die andere, wo er allmählich das verläßt, was das Wesen der ersten Hierarchie ist, das Wesen der Seraphim, Cherubim, Throne -wo er wiederum in den Bereich der zweiten Hierarchie kommt, wiederum in den Bereich der Kräfte kommt, welche die Planeten aufeinander ausüben, und wo dann hinzutreten die Wahrnehmungen, die der Mensch nun von der Welt bekommt; Wahrnehmungen, die vorher nicht in demselben Maße da waren, sondern eigentlich nur insofern, als sie wiederum verfolgt wurden in den anderen Wesen­heiten. Jetzt tritt die Welt auch als eine äußere Welt auf. Man lernt gegenseitig Beziehungen kennen zu Wesenheiten, die einen nichts an­gehen; man lernt Beziehungen zu denjenigen Menschenwesen kennen, die erst aufgetaucht sind in der Mittte zwischen Tod und neuer Geburt. Das tritt in der Zeit auf, in der die Menschen wiederum in die Planetensphäre und in den Zusammenhang mit den Wesenheiten der zweiten Hierarchie kommen. Sie waren das ja auch früher, aber es ist jetzt ein anderer Zusammenhang, weil die erste Hierarchie wiederum verblaßt ist und zuletzt gar nicht mehr da ist. Und da fin­den sich dann die Keime, zunächst Geistkeime, zu der wiederum plastischen Gestaltung des Menschen, zu dem neuen Brustmenschen und dem neuen Gliedmaßenmenschen. Der Mensch bildet sich immer mehr und mehr in seiner geistigen Vorgestalt wiederum aus. Das, als was er sich aussprach im Weltenworte, das wird wiederum Sphären-musik, aus der Sphärenmusik erwächst die bildhafte Plastik seines Wesens. Und so nähert er sich immer mehr und mehr dem Zeit­punkte, an dem er dann reif ist, in Zusammenhang zu treten mit einer embryonalen Menschenkeimbildung, die ihm entgegenkommt von Vater und Mutter, mit der er sich ja nur verbindet. Denn eine Geistgestalt ist da, die aus der geistigen Welt heruntersteigt ins phy­sische Erdendasein und die das eigentlich Wesenhafte des Menschen ist, während das, was mit dem physischen Embryo an den Menschen herankommt, nur dazu da ist, daß der Mensch mit den Erdenstoffen eine Verbindung eingehen und sich mit ihnen durchdringen kann.

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So ist das, was sich zwischen dem Tode und einer neuen Geburt abspielt, ein inhaltsreiches Leben. Die Arbeit, die da die Menschen­seelen verrichten, sie spielt sich ab zwischen den Wesenheiten der höheren Welten und zwischen den Menschenseelen selber. Die ganze Art aber dieses Lebens in seiner äußeren Gestaltung ist eine andere als die des Lebens auf der Erde. Und wenn wir nun weiterkommen wollen in dem immer deutlicher und deutlicher werdenden Erfassen dieser übersinnlichen Wesenheit des Menschen, dann mussen wir uns noch über folgendes klar werden.

Wir leben zunächst hier in der physisch-sinnlichen Erdenwelt. Da nehmen wir durch unsere Sinne die Außenwelt wahr. Wir müssen uns sagen: Was wir da wahrnehmen, das ist wahrnehmbar und phy­sisch. Etwas anderes nehmen wir ja im Erdenleben nicht wahr, als was wahrnehmbar und physisch ist. Darüber ist nun eine andere Welt gelagert, der unser ätherischer Leib selber angehört, der unseren phy­sischen durchdringt. Diese Welt ist zunächst für die sinnliche Wahr­nehmung des Menschen unwahrnehmbar und sie ist auch nicht phy­sisch, sie ist überphysisch. So grenzt also an unsere wahrnehmbare, physische Welt eine andere, eine unwahrnehmbare, überphysische Welt an. Das ist die nächste Welt, in der lebt die dritte Hierarchie, Angeloi, Archangeloi, Archai. Für den im Physischen lebenden ver­körperten Erdenmenschen, der nicht eine geistige Anschauung aus­bildet, ist diese Welt zunächst unwahrnehmbar, und sie ist auch nicht physisch: Sie äußert zwar ihre Wirkungen in der physischen Welt, sie ist aber nicht physisch.

Dann gliedert sich daran eine dritte Welt an. Die ist wiederum nicht physisch; in dieser Beziehung ist sie der zweiten, der ätherischen Welt ähnlich, sie ist überphysisch. Aber das Eigentümliche ist, sie ist wahrnehmbar. Sie ist wahrnehmbar von unserer Welt aus, und wir kommen da zu einer Charakteristik einer Welt, die in die unsrige her einragt, die wahrnehmbar, aber überphysisch ist. Daher deutet sie der Mensch zunächst nicht in ihrer wahren Wesenheit. Zu dieser Welt, die überphysisch, aber wahrnehmbar ist, gehört zum Beispiel das, was im Sonnenlichte zu uns flutet. Die ganze Bevölkerung der Sonne, diese Geistwesen, sind überphysisch, aber sie sind auf der Erde

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wahrnehmbar. Denn es ist ein Unsinn, daß das Sonnenlicht nur das ist, was die Physiker glauben; das Sonnenlicht ist die Offenbarung der Sonnenwesen. Die Sonnenwesen sind wahrnehmbar, nur bekommt der Mensch von diesen Sonnenwesen eine Gestalt, die er nicht deuten kann. Das Licht der Sterne, das Licht des Mondes und anderes Licht außer demjenigen von Sonne, Mond und Sternen, es ist wahrnehm­bar; nur wird das, was als das Wesen dahinter ist, vom Menschen nicht richtig gedeutet. Daher haben wir hier also eine Welt, die wahr­nehmbar, aber überphysisch ist, die an die physisch wahrnehmbare angrenzt. Es ist sehr wichtig, daß wir diese Charakteristik geben:

1. unsere Welt, wahrnehmbar und physisch,

2. die zweite Welt, an der ersten anstoßend; in ihr sind die Angeloi, Archangeloi und Archai: unwahrnehmbar und überphysisch; sie ist der Wohnplatz der dritten Hierarchie, aber auch der Wohn-platz der Menschen, wenn diese in Gemeinschaft mit der drit­ten Hierarchie im Leben zwischen Tod und neuer Geburt sind,

3. die dritte Welt ist wahrnehmbar und wiederum überphysisch, sie ist der Aufenthalt der zweiten Hierarchie.

Es bleibt uns nun noch als

4. eine unwahrnehmbare, physische Welt.

Wenn Sie als Viertes eine unwahrnehmbare, physische Welt hin­zufügen, so haben Sie alle möglichen Welten erschöpft: wahrnehm­bar-physisch, unwahrnehmbar-physisch, wahrnehmbar-überphysisch, unwahrnehmbar-überphysisch. Wir haben also eine vierte Welt, eine unwahrnehmbare und physische. Wie ist sie vorzustellen? Sie ist unter uns da, sie ist auf physische Weise vorhanden, aber unwahr­nehmbar. Denken Sie einmal: Wenn Sie Ihr Bein heben - es ist schwer, die Schwerkraft wirkt auf das Bein. Es ist physisch wirkende Schwerkraft, aber unwahrnehmbar durch sinnliche Wahrnehmung. Sie erleben zwar innerlich die Schwerkraft, aber sie ist physisch un-wahrnehmbar. - Und ebenso wie bei der Schwerkraft ist es bei anderem: Sie erleben in sich, allerdings in Gefühlen, die sich der Mensch nicht deuten kann - deshalb ist es unwahrnehmbar-phy­sisch -, dasjenige, was eine frühere Geisteswissenschaft, die mehr in­stinktiv war, das «Merkuriale» genannt hat, das was sich in Tropfenform

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ausbilden will. Sie haben es ja fortwährend in sich - als die Eiweißbestandteile, die Sie in sich haben, wollen Sie es ausbilden:

wiederum etwas Physisches, was aber in seiner eigenen Konfiguration unwahrnehmbar ist. Sie sehen, in Ihnen findet eine lebendige Ver­brennung statt, eine physische Wirkung, die Sie nicht wahrnehmen, die in Ihrem Willen lebt, aber Sie deuten sie nicht so: unwahrnehm­bares Physisches. In diesem Unwahrnehmbar-Physischen hält sich die erste Hierarchie auf, die Seraphim, Cherubim, Throne!

Und nun bekommen Sie einen merkwürdigen Aspekt. Indem wir durch die Todespforte gegangen sind, gehen wir zunächst in das Un­wahrnehmbar-Überphysische hinaus. Wir entschwinden gewisser­maßen der Welt. Wir kommen dann weiter in die Sphäre der zwei­ten Hierarchie, kommen damit in das Wahrnehmbar-Überphysische, das heißt wir leben in der Zeit, wo wir unsere Schicksale verstehen lernen in so etwas wie flutendem Sonnenlicht oder Sternenlicht. Wer dieses zu schauen gelernt hat, der schaut nicht bloß gedankenlos hin­aus in die Weiten der Welt, in die Sternensphäre oder auf die Sonne, sondern er weiß: In diesem flutenden Licht bilden sich die Fäden des Schicksals der Menschheit; das ist Wahrnehmbar-Überphysisches, in ihm leben die toten Menschen, die scheinbar toten Menschen. Und wenn dann der Mensch diese Umwandlung, diese Metamorphose für das Irdische wieder vollzieht, dann ist er auf der Erde. Nur ist die Welt, wo er jetzt in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt herum-wandelt, im Unwahrnehmbar-Physischen, sie ist in der Schwere-Bil­dung, in der merkurialen, in der phosphorigen Bildung. - Wie diese Bildungen sind, werden wir allmählich begreifen. - Wir werden also zunächst dem Leben entrückt in das Unsichtbare hinaus, kommen aber auf eine unwahrnehmbare Art wieder herein, damit wir uns, nachdem wir noch einmal entrückt werden, vorbereiten für das künf­tige und wahrnehmbare physische Erdenleben. Wir machen den Weg zwischen Tod und neuer Geburt vom wahrnehmbaren physi­schen Erdenleben durch die anderen Zustände durch zum unwahr­nehmbaren physischen Erdenleben: Da sind wir in der Mitternachts­stunde des Daseins, machen den Weg wieder zurück und treten in das physische Erdendasein wieder ein.

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Das ist zunächst eine Skizze, die wir im nächsten Vortrage in allen Einzelheiten ausführen wollen. Aber Sie sehen, man kann für das Leben des Menschen zwischen Tod und neuer Geburt nicht bloß allgemeine abstrakte Gedanken angeben, sondern man kann darauf hinweisen, wie zum Beispiel der Mensch, um sein künftiges Leben in einer sichtbaren Welt vorzubereiten, in einer unsichtbaren Weise zwischen Tod und neuer Geburt auf die Erde kommt. Denken Sie sich, wie unsere Erkenntnis vom Erdenleben vertieft wird, wenn man weiß, was in der Mitternachtsstunde des Daseins an Geistigem innerhalb des physischen Erdendaseins lebt ! Wir haben unter uns hier im physischen Erdendasein nicht nur die physisch verkörperten Menschen, sondern wir haben auch immerfort unter uns wandelnd als einen wichtigen geistig-wesenhaften Inhalt des Erdendaseins die­jenigen Menschen, die zwischen dem Tode und der neuen Geburt in der Mitte, in der Mitternachtsstunde des Daseins sind. Daß wir diese Menschen nicht gewahr werden, rührt davon her, daß sie das Erden-dasein nicht um die Mittagsstunde, sondern um die Mitternachts­stunde durchleben.

Was das alles bedeutet, werden wir in der nächsten Stunde be­sprechen.

DRITTER VORTRAG Den Haag, 17. November 1923, nachmittags

#G231-1962-SE096 Der übersinnliche Mensch anthroposophisch erfasst

#TI

DRITTER VORTRAG

Den Haag, 17. November 1923, nachmittags

#TX

In der ersten Vortragsstunde haben wir versucht, uns eine Vor­stellung darüber zu bilden, wie der Mensch, wenn er auf der Erde steht, Beziehungen hat zu den außerirdischen Wesenheiten und Kräf­ten. Wir haben dann in der zweiten Stunde versucht, uns eine Vor­stellung davon zu bilden, wie der Durchgang des Menschen durch die übersinnliche Welt, von einem gewissen Gesichtspunkte aus an­gesehen, in der Zeit zwischen dem Tode und der nächsten Geburt ist. Ich möchte jetzt in diesem Vortrage einiges hinzufügen zu dem, was schon gesagt worden ist, gewissermaßen die Dinge weiter aus­führen. Wir werden dann dazu kommen, die ganze Sache abzurun­den, und ein in sich harmonisches Bild im Laufe der Vorträge er­halten.

Wir haben gesehen, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes durchgegangen ist, wenn er also in der übersinnlichen Welt ange­kommen ist, so ist es zunächst so, daß er der imaginativen An­schauung sich noch immer offenbart wie in einer Geistgestalt. Natür­lich müssen Sie sich darüber klar sein, daß dieses Anschauen des Geistigen doch etwas anderes ist als das Anschauen des Sinnenhaften. Es wird Ihnen zum Beispiel jeder, der eine Anschauung des Geistigen hat, sagen: Ja, ich habe dies geschaut, aber ich könnte nicht sagen, wie «groß» die Erscheinung war - und dergleichen. Also ganz so räumlich wie ein sinnliches Augenbild sind die Dinge natürlich nicht. Dennoch aber, wenn Sie sie beschreiben wollen, müssen Sie sie so beschreiben, daß die Sache ganz aussieht wie ein sinnliches Augen-bild oder wie das, was man sonst zu dessen Beschreibung verwendet. In diesem Sinne bitte ich auch die Darstellungen aufzufassen, die ich von diesen Dingen geben werde.

Wenn der Mensch nun durch die Todespforte durchgegangen ist, so verblaßt allmählich in diesem Bilde der Geistgestalt das Haupt, die Kopfgestalt verblaßt. Dagegen wird die ganze übrige Gestalt des Menschen Physiognomie, und zwar, wie ich schon dargestellt habe,

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so Physiognomie, daß diese Physiognomie der Ausdruck dafür ist, inwiefern der Mensch in dem Erdenleben, das sich bis zum Durch-gange durch die Pforte des Todes abgespielt hat, ein mehr oder weniger guter oder böser Mensch oder ein weiser Mann oder ein Tor war und dergleichen. Das alles, was der Mensch in der sinnlichen Welt verbergen kann, wo man mit dem unschuldigsten Gesicht ein Bösewicht sein kann, das ist nicht möglich, wenn man durch die Todespforte gegangen ist. Mit dem Gesicht läßt es sich nicht machen, weil dieses Gesicht verblaßt; und durch die übrige Gestalt, die immer mehr und mehr einen physiognomischen Ausdruck bekommt, läßt es sich nicht verleugnen. Aber es handelt sich darum, daß, wenn der Mensch in die geistige Welt eintritt, sein ganzes Verhältnis zur Welt ein anderes ist. Sie müssen schon auffassen, daß das auf der Erde am höchsten Geschätzte, das Denken, namentlich das abstrakte Denken, drüben in der geistigen Welt gar nicht geschätzt wird. Das, wofür der Kopf das Instrument ist, wird in der geistigen Welt gar nicht geschätzt, man kann es gar nicht anwenden. Dieses stolze Denken, durch das wir uns Vorstellungen verschaffen über die sinnlichen Dinge auf Erden, müssen wir zurücklassen. Philosophen gibt es nur auf Erden, denn gerade die Philosophie, die im abstrakten Denken besteht, muß auf der Erde zurückgelassen werden. Alles Seelenleben wird immer mehr und mehr, je weiter wir in die geistige, übersinn­liche Welt hineinkommen, ein bildhaftes Vorstellen, ein Anschauen, und zwar ein solches Anschauen, daß die Gedanken, die in den Dingen sind, mit dem Anschauen kommen. Hier auf der Erde bilden wir uns die Gedanken, da drüben werden uns die Gedanken durch die Sachen selber geoffenbart, sie kommen an einen heran. Also, der Gedanke wird dort durch Anschauung errungen. Da handelt es sich darum, daß auch in der Anschauung alles, was der Mensch nun durchmachen soll, in der geistigen Welt an ihn herankomme.

Nun haben wir schon auch für die Sinnesanschauung gewisse An­haltspunkte, an die wir anknüpfen können, wenn wir die geistige Welt, durch die der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt durch­geht, schildern wollen. Wir sehen in der Sinneswelt die Sterne. Die Sterne, auch die Planeten unseres Planetensystems, zeigen uns, ich

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möchte sagen, für das sinnliche Anschauen auf die Erde herunter, im Grunde genommen nur ihre Außenseite. Innen sind sie etwas ganz anderes. Innen sind sie die Versammlung von geistigen Wesenheiten, von solchen geistigen Wesenheiten, die in der verschiedensten Weise an den Orten sich angesammelt haben, wo diese Sterne sind. Und wenn wir irgendwo nach einem Sterne mit dem bloßen physischen Auge hinsehen, so bedeutet das: In dieser Richtung ist eine Kolonie von geistigen Wesenheiten im Weltenall, und was ich als physischen Stern dort sehe, das gibt mir gewissermaßen nur die Richtung, das ist ein Merkzeichen, eine Tafel. Was die physische Wissenschaft von den Sternen beschreibt, ist alles nur von ganz geringer Bedeutung, denn das handelt von nichts anderem als von Merkzeichen, von Merktafeln, von Richtungs-, Orientierungstafeln. Daß wir irgendwo einen Stern sehen, bedeutet nichts anderes, als daß in dieser Rich­tung die Wohnung geistiger Wesenheiten ist.

Das erste Gebiet nun, in das der Mensch hineinkommt, wenn er die Todespforte durchschritten hat, ist das Gebiet des Mondes, das heißt, er kommt in das Gebiet derjenigen Wesenheiten, welche im Monde ihren Aufenthaltsort haben. Was sind das für Wesenheiten?

Aus meiner Darstellung in der «Geheimwissenschaft» wissen Sie, daß der Mond nicht immer dort war, wo er jetzt ist. Mit diesem Monde hat es überhaupt eine merkwürdige Eigentümlichkeit. Es ist zum Beispiel ganz sonderbar, daß von diesem Monde in den ge­bräuchlichen Lehrbüchern, in den Schul- und Handbüchern ganz verschwiegen wird, daß er jetzt in einem Zustande ist, wo er uns jedes Jahr etwas näher kommt. Das merken die meisten Menschen nicht, weil sie es in diesen Handbüchern nicht finden, aber wahr ist es doch. Es ist aber mit diesem Monde so, daß er nicht immer so wie jetzt draußen im Weltenall war, sondern er war einmal sogar - Sie können es in meiner «Geheimwissenschaft» nachlesen - mit seiner Substanz in der Erde drinnen, hat sich aus der Erde herausgespalten und ist dann heraufgegangen ins Weltenall, so daß er erst im Laufe der Erdenentwickelung sich selber zu einem Wohnhaus für geistige Wesenheiten gebildet hat. Welches sind nun diese geistigen Wesen­heiten?

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In meinen Büchern und Vorträgen habe ich oft beschrieben, wie der Mensch in sehr alten Zeiten der Erdenentwickelung den großen Urlehrern des Erdendaseins gegenübergestanden hat. Wir werden ja, wenn wir wirklich verständnisvoll zurückblicken in die Erdenent­wickelung, mit einer ungeheueren Ehrfurcht innerlich durchtränkt vor jener ungeheueren Weisheit, die einmal durch große, übermensch­liche Lehrer den Menschen auf der Erde gegeben worden ist. Die ersten Lehrer des Menschengeschlechtes auf Erden waren eben nicht Menschen, sondern Wesenheiten, die höher stehen als der Mensch, die überhaupt nicht in einem physischen Leibe in den Mysterien erschie­nen, sondern in einem ätherischen Leibe, den sie seither zum großen Teile sogar abgelegt haben, so daß sie in einem astralischen Leibe sind. Diese Urlehrer haben dann den Auszug aus der Erde durchge­macht und sind ihrerseits nach dem Monde in den Kosmos hinaus­gegangen; so daß heute dieser Weltenkörper, den wir als Mond an­sprechen, im Kosmos draußen die Kolonie der Urlehrer der Mensch­heit ist. Da sind sie drinnen. Wenn wir die Außenseite des Mondes ansehen, so spiegelt sie uns für das grobe Betrachten eigentlich nur das Licht der Sonne, für das feinere Betrachten aber spiegelt sie uns eine ungeheuer große Summe von Kräften des Weltenalls überhaupt. Aber was wir da von den Kräften des Weltenalls vom Monde auf die Erde hineingespiegelt erhalten, das hängt zusammen mit all dem, was im Menschen eigentlich untermenschlich ist, was der Mensch heute mit der animalischen Natur gemeinschaftlich hat. So daß der Mond merkwürdigerweise in sich vereinigt diese geistigen hohen We­senheiten, die einmal die Urlehrer der Menschheit waren, mit den animalischen Kräften der Menschennatur.

In diesen Bereich kommt zunächst der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes hindurchgeschritten ist. Da macht er seine ersten Erfahrungen. Stellen Sie sich also ganz lebendig vor, wie der Mensch mit seiner moralischen oder auch unmoralischen Physiogno­mie in den Bereich der Mondenstrahlung, der physischen und der geistigen Mondenstrahlung kommt, und stellen Sie sich vor, wie der Mensch zunächst sich und die anderen Menschen mit dieser Physio­gnomie sieht. Aber es sind ja nicht physisch-sinnliche Augen, mit

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denen er schaut, sondern es ist ein Empfinden, gewissermaßen ein Betasten, aber ein Betasten auf Entfernung hin, wie der Mensch diejenigen Wesen wahrnimmt, die da in seinen Bereich kommen. Wenn ich Ihnen beschreiben soll, wie das ist, so möchte ich es in der folgenden Weise beschreiben. Nehmen Sie an, der Mensch kommt in diesem Gebiete nun wirklich an ein anderes Wesen heran. Er hat nun seine Physiognomie, die aber in sich beweglich ist, gewisser­maßen weich ist. Er versucht nun, wenn er ein anderes Wesen in seiner Nähe hat, sich selber eine ähnliche Physiognomie zu geben, wie sie das andere Wesen zeigt. Wenn aber ein Mensch, der ein richtiger Bösewicht im Erdenleben war, durch die Pforte des Todes gegangen ist, drüben ankommt und nun versuchen würde, gegenüber einem sehr guten Menschen diese Prozedur zu machen, damit er empfände, was der gute Mensch in seiner Physiognomie ist, so würde er das nicht können. Er kann sich nur wieder die Physiognomie von Bösewich­tern geben. Das andere gelingt ihm nicht. - Daraus sehen Sie, daß der Mensch eine gewisse Zeit nach dem Tode nur diejenigen anderen menschlichen Wesen sehen kann, die schon durch die Pforte des Todes durchgegangen sind, und die in moralischer Beziehung so wa­ren wie er hier auf der Erde. Das ist der erste, ich möchte sagen, richtende Eindruck, den der Mensch erlebt. Dieser Eindruck übt eine scharfe Justiz, denn der Mensch steht da fortwährend unter dem Eindruck: So wie diese, so bist du auch! Du kannst dich überhaupt nur bewegen unter solchen Menschen, die so sind wie du! - Die anderen sieht man nicht, man nimmt sie zunächst nicht wahr.

Diese Umgebung des Mondes sendet aber nun durch die besonde­ren Kräfte, die sie hat, nicht gleich die Angeloi in ihrer schönen Form in die Nähe des Menschen, sondern der Mond ist ja dasjenige, dessen sich die Erde entledigt hat, der Mond ist derjenige Welten­körper, den die Erde aus sich herausgesetzt hat in den Kosmos -allerdings sind dann mit ihm gegangen die großen, heiligen Urlehrer und Weisen der Menschheit -, so aber, wie der Mond jetzt allein draußen im Weltenall ist, so sind da in seiner Nähe durchaus die ahrimanischen Gestalten. Ahrimanische Gestalten sind dort zu sehen. Und da ist es so: Wenn der Mensch andere Menschen sieht in nicht

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guten Physiognomien, so hat er den eigentümlichen Eindruck, daß er sich sieht mit denjenigen, die er so sehen kann - und das sieht dann zum Verzweifeln ähnlich all den ahrimanischen Gestalten, die da erscheinen. Die Angeloi kann er noch nicht sehen, weil diese Gestal­ten haben, in die er sich wieder nicht hineinfinden kann. So sieht also der Mensch die anderen Menschen in gewissen Gestaltungen des Bösen, und er kann dann den Vergleich anstellen, wie dies ähnlich ist den ahrimanischen Gestalten. Das ist der zweite Eindruck, den der Mensch in der Mondensphäre bekommt: Du bist ja so ähnlich den ahrimanischen Gestalten! - Wiederum eine sehr wirksame Justiz nach dem Tode.

Und das dritte ist, daß der Mensch nun nicht entkommt dem deutlichen Eindruck: Da sind in der ersten Region, die ich zu durch-wandern habe, die weisen, die guten Urlehrer der Menshheit. - Die­sen Eindruck muß er bekommen, denn es besteht ein eigentümliches Verhältnis zwischen den ahrimanischen Wesenheiten, die einem in der geschilderten Weise entgegenkommen, und diesen Urlehrern der Menschheit.

Es ist ja vom menschlichen Standpunkte aus ganz begreiflich, daß die Menschen in bezug auf diese Dinge so ähnlich urteilen werden wie jener bekannte König von Spanien, dem man einmal eine Zeich­nung von den Bewegungen der Sterne und von dem ganzen Stande des Sonnensystems vorgelegt hat. Das war für ihn schwer zu begrei­fen, und da hat er denn gesagt: Wenn Gott ihm die Weltenschöpfung übertragen hätte, so hätte er es viel einfacher gemacht. Er fand das zu kompliziert. Es ist nicht zu verwundern, daß viele Menschen etwas Ahnliches in ihren Urteilen ausdrücken; sie möchten immer gerne den göttlichen Weltenplan etwas korrigieren. Die Menschen trauen sich überhaupt in ihrer Einsicht ungeheuer viel zu. Es hat sogar einen Philosophen gegeben, der den Ausspruch getan hat: Gebt mir Materie, und ich forme ein Weltall daraus! - Kant nämlich. Es ist nur gut, daß man ihm keine Materie gegeben hat, denn er hätte etwas Schauderhaftes daraus gemacht.

So ist es auch, daß die Menschen, wenn sie von ahrimanischen Wesenheiten und Gestalten hören, dann nicht begreifen können, wie

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diese ahrimanischen Gestalten nicht längst alle Hoffnung verloren haben, daß sie in ihrem Sinne einen Sieg über die Erdengeister er­ringen werden. Denn die Menschen wissen das so gut, daß die ahri­manischen Wesenheiten nicht siegen werden. Aber Ahriman weiß es nicht. Er strebt immerfort den Sieg an. Und aus diesem Anstreben des Sieges entsteht ein eigentümliches Verhältnis zwischen denjenigen ahrimanischen Wesenheiten, die vorzugsweise zur Mondensphäre gehören, und den weisen Urlehrern der Menschheit, ich möchte sagen, es ist ein furchtbares Schmeicheln von seiten dieser ahrimanischen Wesenheiten gegenüber diesen Urlehrern der Menschheit, sie möchten sie für sich gewinnen. Denn was streben diese ahrimanischen Wesen­heiten an? Sie möchten die Erde auf einem bestimmten Punkte ihrer Entwickelung festhalten, möchten sie nicht weiterkommen lassen. Es ist immer Ahriman, der da sagt: Die Menschen haben es bis hierher in ihrer Entwickelung gebracht, nun sollen sie auf diesem Stand­punkte stehen bleiben, sich nicht weiterentwickeln. Ich will, daß sie sich auf diesem Standpunkte verhärten und dann ihre weitere Wel­tenreise antreten als verhärtete, nicht als solche Menschen, die sich weiterentwickeln. - Das ist es, was jede Nacht den Menschen von den ahrimanischen Wesenheiten in die Ohren geträufelt wird. Und das ist ja auch das, was die ahrimanischen Wesenheiten mit der Erde überhaupt wollen, sie wollen sie auf einem bestimmten Punkte ihrer Entwickelung festhalten.

Nun denken Sie in diesem Punkte an die großen Urlehrer der Menschheit. Diese Urlehrer haben ja auf der Erde das zurückgelassen, was wir als die alte Urweisheit kennen, die im Laufe der Zeit ver­glommen ist, die die Menschen heute nicht mehr verstehen, aber die einstmals in den alten Mysterienstätten den Menschen gelehrt worden ist. Diese alte Weisheit konnte nicht weiter gelehrt werden. Denn hätten die Menschen fortwährend dieseWeisheit empfangen, so wären sie nicht weitergekommen, vor allen Dingen wären sie nicht zur Freiheit aufgerückt, sie hätten nicht ihren freien Willen bekommen können. Diese Weisheit war eine solche, die nur zu den Instinkten der Menschen sprechen konnte, nicht zur vollen selbstbewußten Be­sonnenheit. Daher haben sich diese Lehrer zum Heile der Menschheit

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in einem bestimmten Zeitpunkte von ihr zurückgezogen. Der Mensch hätte nicht für seine Entwickelung einen Ausgangspunkt, einen Anfang finden können, wenn diese Urlehrer nicht dagewesen wären. Nachdem sie aber einmal einen Anstoß gegeben haben, so daß der Mensch diesen Anstoß benützen kann, um sich selbständig weiterzuentwickeln, haben sie sich von der Erde zurückgezogen, sind eben in die Mondenkolonie gegangen nd nachdem die ahrimani­schen Wesenheiten dazumal, als d#se Urlehrer noch auf der Erde waren, sich alle Mühe gegeben haben, diese Urlehrer auf der Erde zu erhalten und es bei der instinktiven Weisheit zu belassen, glauben sie heute noch immer, sie könnten, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen und bei der Mondensphäre angelangt ist, wenigstens noch da etwas mach , und so versuchen sie durch ihre immerzu, diese lehrer der Menschheit dazu zu be­wegen, jetzt an die eben verstorbe en Menschen heranzutreten. Doch das kann nicht erreicht werden, ins esondere nicht bei den Menschen, die die Physiognomie des Bösen an sich tragen. Aber es ist so, daß die ahrimanischen Wesenheiten sich auch fortwährend an die Men­schen heranmachen und sie damit ufstacheln, daß sie ihnen sagen:

Das war einmal da! - Und so ent eht jetzt als ein drittes für diese bösen Menschen, daß die ahrima schen Gestalten ihnen die Urlehrer beschreiben, aber sie können e mit ihrem Wesen nicht sehen, sie sehen ins Leere hinein.

Das ist wieder ein sehr bedeutender, richtender Eindruck, den die Menschen dadurch bekommen. Und da lastet sich dann auf die Seele des Menschen die Empfindung: Ich sehe diejenigen nicht, von denen die Menschheit den Ausgangspunkt genommen hat, ich bin verwor­fen worden! - Das ist eine sehr starke, lebensvolle Empfindung, die diejenigen Menschen haben, die nicht die Physiognomie des Guten zeigen.

Das sind also die drei Eindrücke, die der Mensch dann haben muß, wenn er mit der Physiognomie des Bösen hinüberrückt in die Welt, die er betritt, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist.

Nun muß man schon sagen: In einer gewissen Beziehung ist ja im Menschen nicht lauter Gutes, sondern selbst in dem besten Erden-

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menschen ist viel Böses, so daß viele Menschen wenigstens teilweise diese Eindrücke empfangen, von denen ich gesprochen habe. Aber je mehr der Mensch selber die Physiognomie des Guten annehmen kann, um so mehr wird er auch drüben nach dem Tode diejenigen sehen, denen er durch das Gute ähnlich geworden ist, und er wird um so eher, je mehr er mit der Physiognomie des Guten hinüber-kommt, weniger Sinn für die ahrimanischen Gestalten haben. Damit wird alles das, was ich erzählt habe, was von den ahrimanischen Gestalten ausgeht, wegfallen, und damit wird der Mensch dann mehr Sinn haben für die Angeloi-Gestalten, die dann in seinen Bereich treten. Und das gibt dann in den Menschen hinein dasjenige, mit dem er sich jetzt durchdringt als mit Kräften, und zunächst sind es Kräfte des Wollens. Es ist so, daß man überhaupt nach dem Tode in der Hauptsache nicht das Nachdenken hat, sondern das Wollen. Das Wollen wird zur Empfindung, wird zur ganzen Lebenswelt. Sie sehen: Man muß wollen, wenn man überhaupt wahrnehmen will. Wenn man so etwas sehen will, muß man sich selbst entsprechend gestalten. Man muß also wollen. Dem muß man ähnlich werden, das man wahrnehmen will. Der Wille vorzugsweise ist es, der da aus­gebildet wird, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes ge­schritten ist, und auf den Willen wirken auch die Eindrücke im Guten und Bösen, die ich für den Mondenbereich geschildert habe.

Das nächste nun, wo hinein der Mensch kommt, ist dann der Mer­kurbereich. In diesem Merkurbereich hat der Mensch seine Physio­gnomie schon so weit den Mächten und Kräften der übersinnlichen Welt angepaßt, daß er, zuweilen unter starken Schmerzen, abgelegt hat seine Physiognomie des Bösen, daß er allmählich ähnlich gewor­den ist - obwohl es bei vielen Menschen mit diesem Ähnlichwerden nicht sehr rasch geht - den Gestalten der Angeloi, Archangeloi, Archai. Aber jedenfalls kommt der Mensch jetzt in den Bereich des Merkur und damit in den Bereich der Wesen der dritten Hierarchie, muß unter ihnen leben und muß das durchmachen, was ich schon beschrieben habe. Es ist dies derjenige Bereich, wo man sich allmäh­lich das Verständnis erwirbt für das, was vorher eine bloße, mehr oder weniger blinde Anschauung war, aber eine blinde Anschauung,

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die sehr stark gerade auf die menschliche Wille phäre gewirkt hat. Im Merkurbereiche erwirbt nach und nach das Ver­ständnis. - Heute, in diesem unserem Zeitalter ist es so, daß wirklich derjenige, der mit imaginativer Anschauung nach diesen Dingen hin­sieht, recht tragische Empfindungen hat. Denn wie man sich gerade in diese Merkursphäre hineinfindet als Toter, das hängt schon etwas davon ab, ob man hier auf der Erde als Materialist alles Übersinn­liche in Denken und Tun abgewiesen, oder ob man sich hier Ver­ständnis für das Übersinnliche erworben hat. Man steht schon ziem­lich verständnislos den Wesenheiten in der Merkursphäre gegenüber, wenn man hier auf der Erde alles, was über das Materielle hinaus­geht, abgewiesen hat. Und man steht ebenfalls verständnislos den Wesenheiten gegenüber, die im nächsten Bereiche sind, die auch noch zur Kategorie der Angeloi, Archangeloi und Archai gehören, nur etwas weiter entwickelt sind, wenn man im Erdenleben Materialist war, und man nun in den Venusbereich kommt, denn da wird man gerade überstrahlt von den Kräften der kosmischen Liebe. Hat man auf der Erde sich nicht erworben die Kraft des Liebenkönnens, so kommt man da in einen fremdesten Bereich. Und das, was einen sonst, wenn man sich auf der Erde Liebefähigkeit erworben hat, im Venusbereich dann überstrahlt mit Liebeskräften, das verwandelt sich in einem Menschen, der auf der Erde viel oder unbewußt gehaßt hat, in Zorneskräfte. Es ist das Geheimnis des Venus-Aufenthaltes, daß der, welcher sich von der Erde viele Reste von Hassenskräften mit-bringt, die in ihm gewaltet haben, sich dann im Bereich der Venus so finden wird, wie wenn ihm aus seinem Willen heraus aufsteigen würden die umgewandelten Liebeskräfte, die Zorn- und Wutkräfte sind. Er schaut sich da in demjenigen, von dem er sich sagen muß, das alles muß gemildert, muß in Einklang mit dem Weltenall ge­bracht werden. Und es ist im Grunde genommen immer das Wollen, das in diesem Gebiete, ich möchte sagen, eine besondere Pflege erhält, das Wollen, das ja auch beim Erdenmenschen an dem Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen sitzt, an dem unteren Menschen. Der wird aber gerade nach dem Tode zur Gesamtphysiognomie, und so ist es auch schon das Wollen, das da zum Ausdruck kommt.

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Aber mittlerweile entwickelt sich der Mensch in der Weise weiter

- alles übrige, was ich schon beschrieben habe, kommt dann dazu, aber das gibt wieder neue Gesichtspunkte, die danach erörtert wer­den müssen -, daß er allmählich ähnlich wird den Wesenheiten, die im geistigen Kosmos vorhanden sind, und er kommt allmählich in den Sonnenbereich. In diesem Sonnenbereiche wirken die Kräfte vor­zugsweise dann auf das alles, was wir auf der Erde im Abglanz des Fühlens haben. Die Sonne ist nun wiederum nur ihrer Außenseite nach das, was sie uns zeigt, wenn wir mit physischen Augen zu ihr hinaufschauen. Die Sonne ist innerlich der große Weltversammlungs-ort aller derjenigen geistigen Wesenheiten, die eben von diesem Zen­trum aus die Geschicke der Erde und der Erdenmenschen und alles, was dazu gehört, lenken und leiten. Die Sonne ist vor allen Dingen die Kolonie der Wesenheiten der zweiten Hierarchie, der Exusiai, Kyriotetes, Dynameis. Indem der Mensch in den Sonnenbereich tritt, kommt alles das an ihn heran, was ich das letzte Mal beschrieben habe. Während er vorher nur zusammen war mit denjenigen Wesen, die mit ihm schicksalsmäßig verknüpft sind, treten jetzt auch andere an ihn heran. Sein «übersinnlicher Bekanntenkreis», wenn man so sagen darf, wird größer und größer. Das alles geschieht jetzt im Sonnenbereiche.

In diesem Sonnenbereiche ist es nun auch, wo ein besonders starkes inneres Erleben beim Menschen auftritt. Da unten ist eine andere Welt, die Erde, die er verlassen hat, die er aber wieder betreten muß. In diesem Sonnenbereiche kommt nun das zustande, was ich beschrieben habe als die Umarbeitung des Menschen: Die untere Na­tur des Menschen wird für das nächste Erdenleben in die obere Na­tur umgearbeitet, so daß die Beine umgearbeitet werden in die Geist-gestalt des Unterkiefers, die Arme in die Gestalt des Oberkiefers mit den Jochbeinen und so weiter. Das alles bedeutet in dem Bereich des Geistigen eine wunderbare Arbeit, gegen die alles, was die Men­schen auf den verschiedensten Gebieten auf der Erde arbeiten, etwas höchst Unbedeutendes ist. Eine große, majestätische Arbeit an dem Geheimnis des Menschen wird die Arbeit, die da vom Menschen im Verein mit den höheren geistigen Wesenheiten geleistet wird. Das

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alles geschieht innerhalb des Sonnenbereiches im weiteren Sinne des Wortes.

Aber der Mensch bekommt gerade in diesem Sonnenbereich noch ein anderes inneres Erlebnis. Wenn wir hier auf der Erde leben, muß eigentlich, wenn wir innerlich seelisch und geistig vollkommen ge­sunde Menschen sind, in uns die Empfindung auftauchen: Es gibt noch eine andere, eine geistige Welt, wenn wir auch erkenntnismäßig nicht in sie eindringen können. Wir setzen die geistige Welt sozusagen voraus, wir sprechen davon, daß außer derjenigen Welt, die wir im Sinnlichen erleben, eine übersinnliche Welt da ist. Jetzt, während des Sonnendaseins zwischen Tod und neuer Geburt, ist das Umge­kehrte der Fall. Da kommt gerade während des Sonnendaseins über den Menschen so etwas, daß er sprechen lernt von einer jenseitigen Welt. Das ist aber die Erde. Und da tritt erst die allerlebendigste Empfindung, jetzt nicht so sehr für sein eigenes Schicksal, sondern für die ganze Eigentümlichkeit des Irdischen hervor. Da gibt es eine gewisse Eigentümlichkeit, auf die Sie kommen können. Sie müssen es nur einmal probieren - aus sich selbst heraus kann das der heutige Mensch in der Regel noch nicht.

Wenn Sie Geschichte lesen, sie studiert haben, so können Sie, in­dem Sie die Geschichte zurückverfolgen, immer auf folgendes Erleb­nis kommen. Ich will also sagen, Sie leben jetzt im Jahre 1923. Sie gehen nun durch die Geschichte hindurch, gehen durch den Welt­krieg und alles, was früher war, zurück: Sie können dann irgendwo, wenn Sie Geschichte studieren, einen geschichtlichen Bereich finden, sagen wir meinetwillen das Jahr 1500 oder 1550 oder so etwas, dem gegenüber Sie die Empfindung haben können, das kommt Ihnen be­kannt vor.

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Sehen Sie nur einmal hin auf solche intime menschliche Erkennt­nis. Es kommt Ihnen irgend etwas bekannt vor in der Vergangen­heit, das vor einigen oder vor mehreren Jahrhunderten da war. Sie sagen sich, das müssen Sie erlebt haben. Oberflächlinge reden

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dann gleich davon, daß sie gerade in diesem Jahr in einem vorheri­gen Erdenleben waren. Das ist meistens nicht der Fall, sondern es ist meistens dasjenige Jahr, in welchem der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt in dem Sonnendasein den lebhaftesten Zusammenhang mit dem Erdendasein hatte, wo das irdische Leben nun jenseits so an den Menschen herantritt, wie auf der Erde umgekehrt das über­sinnliche Leben als jenseitiges an den Menschen herantritt.

Bleiben wir nun zunächst einmal einen Augenblick bei dieser Ent­wickelung stehen, so können wir sagen, der Mensch absolviert das Mondendasein, wenn er von der Erde weggegangen ist, er kommt in das Merkurdasein, kommt in das Venusdasein, kommt in das Sonnen-dasein, dann geht es weiter. - Davon wollen wir noch später spre­chen. - Alle diese Dinge sind im Grunde genommen in der geistigen Welt nicht bloß isolierte Dinge und Vorgänge, sondern das steht wieder alles im Zussammenhange mit dem, was auf der physischen Erde geschieht, und da ergibt sich ein ganz besonderer Zusammen­hang. Dies, was Mondendasein ist, das ist ja ganz durchdrungen von jenen, Ihnen heute öfter erwähnten großen Urlehrern der Menschheit. Die sind in einem Zeitpunkte, der sehr weit zurückliegt, aus dem Erdendasein hinausgegangen in die kosmischen Welten, in die kosmi­sche Kolonie des Mondes. Aber einzelne Menschen, Initiierte in den Mysterien, hatten auch nachher noch ein recht lebhaftes inneres Hö­ren und Schauen für das, was bei diesen Ur-Initiierten einmal auf der Erde da war. So war in der urindischen Zeit noch ein ganz lebendiges Wissen in den Mysterien vorhanden von den Weisheiten der Monden-Initiierten. Gerade das, was heute noch bewundert wer­den kann in den Nachklängen der urindischen Weisheit, ist auf diese Art zustande gekommen.

Dann trat ein Zweifaches ein. Auch für die verschiedenen Zeitalter bestehen noch Einflüsse von diesem Überirdischen, das der Mensch durchwandelt zwischen Tod und neuer Geburt, nur kommen diese Einflüsse immer weniger durch, das heißt, der Mensch wird sich immer weniger dieser Einflüsse bewußt. Die Merkureinflüsse zum Beispiel sind besonders stark gewesen während der urpersischen Zeit, aber die Menschen waren sich weniger dessen bewußt, und sie haben

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dann dafür die Mythe von dem Ahura Mazdao ausgestaltet, die noch ein dunkles Wissen war von dem, was Einfluß ist vom Merkur auf die Erde. Während der ägyptisch-chaldäischen Kultur waren vor­zugsweise die Venuseinflüsse wirksam. Und dann kam die wunder­bare griechische Kultur, die sich dann weiter fortgesetzt hat in der lateinischen; die griechisch-lateinische Kultur, wo am stärksten ist, aber am wenigsten von den Menschen bemerkt, der Sonneneinfluß von der übersinnlichen Welt her auf die Erde. Und in dieser Zeit war es auch, wo zweierlei zusammenfiel: das eine, daß der Mensch, wenn er durchgeht durch das Dasein zwischen Tod und neuer Geburt und gerade in die Sonnensphäre kommt, den größten Hang dazu hat, die Erde von dem Sonnendasein aus zu empfinden -, auf der anderen Seite kam bei den Griechen das dazu, daß alles, was Sonnenmäßiges ist, auf sie einen großen Eindruck gemacht hat. Das, was die Kräfte des Sonnenmäßigen der Erde geben, das hat auch für die Griechen ungemein viel bedeutet, insbesondere für diejenigen Griechen, die man gewöhnlich als die athenischen Griechen bezeichnet - Athener im Gegensatz zu Spartanern -, aber überhaupt übte in Griechenland vom Kosmos aus das Sonnenmäßige, auch als Geistiges, auf die ganze Konfiguration der griechischen Zivilisation einen außerordentlich tiefgehenden Einfluß aus. Während dieser ganzen Entwickelung war auf der Erde besonders stark die Begabung dafür, das Geistige, das rein Geistige des Sternenhimmels zu empfinden. Es beginnt eigentlich erst in unserem fünften nachatlantischen Kulturzeitalter mehr die Empfindung des Materiellen des Sternenhimmels. Unser fünftes nach­atlantisches Zeitalter beginnt ja mit dem fünfzehnten nachchristli­chen Jahrhundert, ist also erst ein paar Jahrhunderte alt. Wir sind aber schon mit diesen Einflüssen aus derjenigen Region herausge­kommen, wo die Menschen sich auf der Erde verwandt fühlen diesem Fühlen innerhalb des Sonnendaseins zwischen Tod und neuer Ge­burt. Wir fühlen heute vielmehr das, was nun darauf folgt. Und in der Tat kommt der Mensch, wenn er eine Zeitlang das Sonnendasein durchlebt hat, in den Bereich des Marsdaseins. Was vom Welten-all auf die heutige Menschheit den größten Einfluß hat, das sind die Impulse des Marsdaseins. Und wir können diese Marseinflüsse

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kennenlernen, schon wenn wir, nachdem wir die Mittagshöhe des Daseins zwischen Tod und neuer Geburt überschritten haben, uns wiederum dem Erdendasein nähern. Aber die Sache ist ja nicht so, daß das Sonnendasein mit seinen Wirkungen nun für den Menschen aufhört, wenn der Mensch nun zwischen Tod und neuer Geburt in das Marsdasein eintritt. Die Sonne dehnt die Sphäre ihrer Wirk­samkeit auch über die folgenden planetarischen Zustände hinüber aus. Das bleibt, aber eine Bedeutung gewinnt für das, was auf der Erde nun vorgeht, das Marsdasein.

Ich werde den Durchgang des Menschen durch das Marsdasein weiter schildern, aber ich möchte jetzt fortschreiten von dem, was wir so von der geistigen Welt kennenlernen, zu dem, was da gerade in unserem fünften nachatlantischen Zeitalter wirkt.

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Man lernt erkennen, was ein Weltenkampf ist. Man spürt es. Die meisten Menschen können es sich nicht enträtseln, aber im Weltendasein wirkt ein Weltenkampf zwischen allerlei guten und allerlei bösen Geistern. Und was wir als das Sonnendasein bezeichnet haben, ge­winnt für dieses Zeitalter eine besondere Bedeutung. Es ist ja heute so schwer, mit geistigen Einsichten aufzukommen gegen das, was äußere materialistische Wissenschaft ist. Die Leute sind so stolz darauf, daß sie physikalisch die Sonne erforscht haben. Sie beschreiben in ihren wissenschaftlichen Handbüchern das Sonnendasein, aber diese Beschreibungen sind nicht dazu angetan, daß man eine richtige Vor­stellung bekommt von dem, was die Sonne ist, sondern daß man von den richtigen Vorstellungen abgelenkt wird. Wie wirkt denn heute ganz besonders die Sonne mit Bezug auf das Erdendasein? - Nun

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will ich nur eine dieser Wirkungsweisen Ihnen andeuten. Ich komme damit scheinbar jetzt in sehr materielle Bereiche hinein, die sich sonderbar ausnehmen innerhalb des Spirituell-Geistigen, das ich ge­schildert habe, aber diese Dinge werden uns wichtig sein im weiteren Fortgang der Betrachtungen, denen wir uns dann widmen wollen.

Es ist Ihnen ja bekannt die Erscheinung der Sonnenflecken, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf der Sonne auftreten. Die Sonne bekommt dunkle Flecken. Es wird in der äußeren materiellen Wissenschaft viel gestritten über diese Sonnenflecken und was sie für eine Bedeutung haben. Wenn man aber genauer verfolgen würde, was die Bedeutung dieser Sonnenflecken ist, so würde man finden:

Da wird vom Inneren der Sonne fortwährend die Anregung gegeben, daß Sonnensubstanz durch diese dunklen Tore ausgeworfen wird ins Weltenall. Und was so von der Sonne als Sonnensubstanz in den Kosmos hinausgeworfen wird, das erscheint dann innerhalb unseres Sonnensystems als Kometen und Meteore, auch als die bekannten Sternschnuppen. Diejenigen Wesenheiten, die innerhalb der Sonne die Welt verwalten, sie werfen, insbesondere in unserem Zeitalter, diese Dinge in unser Zeitalter hinein. Sie haben es schon früher ge­tan, die Dinge sind nicht erst heute aufgetreten, aber sie bekommen nun eine andere Bedeutung, als sie früher gehabt haben. Deshalb sagte ich: In den früheren Zeitaltern haben vorzugsweise die geistigen Impulse gewirkt, die im Sternensystem da sind. Nun beginnen diese Impulse, die da im ausgeworfenen Eisen liegen, eine besondere Be­deutung zu haben für den Menschen. Diese Impulse sind es, die nun ein besonderer Geist, der hier wieder seine besondere Bedeutung ge­winnt und den wir den Michael-Geist nennen, im Kosmos anwen­det - im Dienste des Geistigen im Kosmos. So daß für unser Zeit­alter dasjenige im Kosmos eingetreten ist, was in den früheren Zeit-altern nicht in demselben Grade vorhanden war: daß das kosmische Eisen in seiner geistigen Bedeutung dem Michael-Geist die Möglich­keit gibt, zu vermitteln zwischen dem Übersinnlichen und dem Sinn­lichen der Erde. Und so haben wir auf der einen Seite eine Art krie­gerischen Geistes in der Welt, die man betritt, wenn man in unserem Zeitalter hinter das sinnliche Dasein kommt. Wenn in unserem Zeitalter

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der Mensch zum übersinnlichen Schauen kommt, wenn er die Schwelle übertritt und nun nicht den Blick auf die Dinge richtet, die ihn zunächst menschlich-persönlich angehen, sondern auf die Dinge, welche die großen Weltangelegenheiten sind und unserer ganzen Zi­vilisation zugrunde liegen, dann dringt sein Blick in diese Welt hin­ein, und er erschaut dort Kampf, Streit, geistigen Kampf. Es streitet, es kriegt hinter den Kulissen des Daseins im Geistigen. Und das, was bis zur physischen Deutlichkeit von den Sonnengeistern als Eisen hineingeworfen wird in den Kosmos, das wird dann im umfassend­sten Sinne kosmische Rüstung des Michael, der nun seine Aufgabe in diesem kosmischen Kampfe hat, um gegenüber diesen Mächten des Kampfes und Krieges hinter den Kulissen der Zivilisation der Menschheit im rechten Sinne vorwärtszuhelfen. So daß einem auf der einen Seite entgegentritt Streit und Kampf, auf der anderen Seite die Bemühungen des Michael.

Das alles hängt aber wieder zusammen mit der Entwickelung der menschlichen Freiheit. Denn sehen Sie, wir haben als Erdenmenschen Eisen in unserem Blut. Wären wir Wesen, die kein Eisen in ihrem Blute hätten, so könnte in unseren Seelen ganz gut auch das Freiheits-gefühl, der Freiheitsimpuls auftauchen, aber wir hätten nie einen Körper, den wir benutzen könnten, um diesen Freiheitsimpuls zur Ausführung zu bringen. Daß wir die Freiheitsidee, den Freiheitsim­puls nicht nur fassen können, sondern daß wir in unserem Körper auch die Kraft fühlen, diesen Körper zu einem Träger des Freiheits­impulses zu machen, das rührt davon her, daß wir in unserem Zeit­alter lernen können, wie Michael das kosmische Eisen, das auch früher ausgeworfen worden ist, in seinen Dienst zu stellen vermag, und daß wir lernen können, wenn wir immer mehr und mehr den Michael-Impuls verstehen, das innere Eisen in uns in den Dienst des Freiheitsimpulses zu stellen. Das äußere Materielle bekommt immer erst dann einen Sinn, wenn wir es als Ausdruck des Geistigen in der Welt verstehen lernen. Und das Eisen in unserem Blute müssen wir in diesem Zeitalter in der richtigen Weise zu gebrauchen lernen, denn überall da, wo das Eisen auftritt, ist der Impuls gegeben aus dem Kosmos heraus, aus dem Menschen heraus, daß sich die Freiheit entwickele.

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Aus einem tiefen Instinkt heraus haben daher die alten Initi­ierten dem Mars das Eisen zugeschrieben, das nitt seiner Wichtigkeit im Blut zugleich die Wichtigkeit im Kosmos bekommt.

Man kann heute durch die wiedergewonnene Geisteswissenschaft diese Dinge einsehen. Das ist nicht ein Erneuern alter Traditionen, sondern ein Wiederfinden der Dinge aus der Geisteswissenschaft sel­ber heraus. Und durch ein Zusammenstimmen mit den alten Zeiten wird mit der Anthroposophie nicht etwas Altes nur historisch er­neuert, sondern es werden die Dinge aus ihrem Wesen heraus gesucht. Dann bekommen sie wieder ihre Bedeutung, wenn man sieht, wie die Menschen das schon einmal gewußt haben unter dem Einfluß der uralten göttlichen Weisheit, die jene Wesen besessen haben, die dann ihren Auszug in den Mond bewirkt haben, und die heute die kosmische Kolonie des Mondes bevölkern. Und so hängt auch unser Zeitalter eben zusammen mit dem, was der Mensch durchlebt zwi­schen Tod und neuer Geburt. Daher ist die Empfindung von dem, was auf der Erde ist, am stärksten während des Durchganges durch die Sonnensphäre, aber sie ist eigentlich mehr oder weniger immer vorhanden. Immerdar schaut der Mensch auch von seinem überirdi­schen Bereich, den er durchmacht im Dasein zwischen Tod und neuer Geburt, auf das Irdische herab. Denn würde er nicht auf das Irdische herabschauen, so würde es ihm fremd werden während seines Durchganges durch die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt, der ja immerhin lange währt.

So kann man in der verschiedensten Weise schildern, was der Mensch in der übersinnlichen Welt durchlebt. Im vorigen Vortrag habe ich es Ihnen in einer anderen Weise geschildert, jetzt schildere ich es Ihnen im Zusammenhange mit der Sternenwelt, schildere es auch im Zusammenhange mit dem, was in den aufeinanderfol­genden Zeitaltern auf der Erde vorgeht. Alle diese Dinge müssen nach und nach zusammengefaßt werden. Es darf nicht jemand kom­men und sagen: Ja, er hat uns ja den Durchgang des Menschen durch die Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt das eine Mal so, das andere Mal so geschildert! - Wenn jemand in eine Stadt reist, einmal, ein zweites Mal und so weiter, so beschreibt er auch, je nachdem

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er die Stadt kennenlernt, die Dinge verschieden. Man muß dann die Einzelheiten zusammenfassen. So handelt es sich auch darum, daß die verschiedenen Schilderungen der Erlebnisse des Menschen in der übersinnlichen Welt eben zusammengefaßt, zusammengeschaut, zu­sammengedacht werden. Dann erst bekommt man einen Eindruck von dem, was die übersinnliche Welt ist, und was der Mensch in die­ser übersinnlichen Welt erlebt.

So weit wollte ich die Sache jetzt schildern. Ich werde dann im zweiten heutigen Vortrag daran anknüpfen und darstellen, was der Mensch weiter durchlebt, wenn er durchgeht durch das Dasein zwi­schen Tod und neuer Geburt.

VIERTER VORTRAG Den Haag, 17. November 1923, abends

#G231-1962-SE115 Der übersinnliche Mensch anthroposophisch erfasst

#TI

VIERTER VORTRAG

Den Haag, 17. November 1923, abends

#TX

Heute nachmitttag haben wir gesehen, wie man sich das Leben zwi­schen dem Tode und der neuen Geburt vorstellen kann als einen Durchgang durch geistige Gebiete, und wir haben zugleich gesehen, wie man Gesichtspunkte für dieses Durchgehen durch gewisse geistige Gebiete dadurch gewinnen kann, daß man hinweist auf gewisse Ster­nenorte. Wir wollen aber, bevor wir weitergehen, uns noch genauer davon unterrichten, wie dieses Durchgehen durch solche Gebiete, die angezeigt werden durch Sternenorte, zu denken ist.

Es könnte ja scheinen, als ob es genügend wäre, den Durchgang durch das zwischen zwei Erdenleben befindliche übersinnliche Da­sein nur so darzustellen, wie ich es etwa in meiner «Theosophie» getan habe. Gewiß, für den Anfang ist es zunächst durchaus richtig, diese Gebiete in dieser Art kennenzulernen. Allein, man muß ja auch in der Erkenntnis weiterschreiten. Da ist es dann schon notwendig, daß man diese Dinge auch so behandelt, daß man die Einheit der Welt, das harmonisch-einheitliche Zusammenwirken von übersinnli­cher und sinnlicherWelt wirklich berücksichtigt. Und in bezug darauf kann man sagen: Das ganze Verhältnis der einzelnen Gebiete, die der Mensch zwischen dem Tode und der neuen Geburt betritt, kommt äußerlich zum Ausdruck wiederum in dem räumlich-zeitlichen Ver­hältnis, das die betreffenden Sterne zueinander haben, so daß eigentlich dasjenige, was man schildern will, in einem richtigen Ab-bilde gegeben ist, wenn man es, sagen wir, sternengemäß schildert. Und es istja auch wirklich so: Wenn man äußerlich auf den Stern hin­weist, hat man den betreffenden Ort, auf den man hinweisen muß, wenn es sich um irgendein übersinnliches Gebiet handelt.

Man kann dagegen nun einwenden: Die Dinge, die zwischen Tod und neuer Geburt liegen, können doch nicht räumlich vorgestellt werden, oder sie können wenigstens nur bis zu einem gewissen Grade räumlich vorgestellt werden. Das ist zwar richtig, aber sie spielen in den Raum herein. Alles, was überräumlich und überzeitlich ist, spielt

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in Raum und Zeit herein, und da der Mensch schon einmal darauf angewiesen ist, sein Vorstellen nach Raum und Zeit zu richten, so ist gerade das Sternenbild das allerbeste Bild, das, wenn wir es in unserer Seele haben, uns das betreffende Bild am allerbesten wieder­gibt. - Nur kommt eines dazu. In der Physik kann der Mensch ler­nen, daß diejenigen Vorgänge, die wir in der physischen Welt haben und die der Schwerkraft unterliegen, Veränderungen erleiden, wenn wir in den Weltenraum hinausgehen. Der Physiker gibt an, in wel­chem Verhältnis die Schwerkraft an Intensität abnimmt: sie nimmt ab im Quadrat der Entfernung. Auch die Leuchtekraft nimmt ab im Quadrat der Entfernung. Nur das eine gibt der Mensch nicht zu, daß alle die Erkenntnisse über sinnliche Dinge, die er hier auf der Erde gewonnen hat, von dieser Erde her genommen sind, und daß es sehr plausibel ist, wenn das, was für die Erdenumgebung in bezug auf Schwerkraft, Licht und so weiter richtig ist, in seiner Richtigkeit abnimmt, wenn wir in den Weltenraum hinausgehen, so daß wir dann auch nur berechtigt sind, von den Erkenntnissen, die heute überall vertreten werden, zu reden als von solchen, die im Umkreise der Erde gelten. So wie die Schwerkraft abnimmt im Quadrat der Entfernung, so nimmt die Wahrheit unserer Urteile ab, wenn wir uns von der Erde entfernen. Wenn heute der Astronom oder der Astrophysiker mit dem gewöhnlichen Denken feststellen will, was zum Beispiel in einem Spiralnebel draußen vorgeht, so wäre das ebenso, wie wenn man nach den Erdenverhältnissen berechnen wollte, wie schwer ein Stein sein würde in diesem Spiralnebel draußen. Da­her sollte man nicht überrascht sein, wenn die Geisteswissenschaft sagen muß: Ja, hier auf der Erde sehen die Sachen so aus, aber drau­ßen in der Wirklichkeit sind sie ganz anders. Hier auf der Erde sieht der Mond so aus, wie wir ihn gewohnt sind zu erblicken, in der Wirklichkeit aber ist der Mond eben die kosmische Kolonie, die das enthält, was ich heute nachmittag beschrieben habe. So also verhält es sich mit den Sternen und Sternbildern. Und das muß schon berück­sichtigt werden, wenn ich nun die andere Schilderung gebe, die jetzt Gegenstand unserer Betrachtung sein muß.

Wir haben nun die Betrachtungen bis dahin fortgesetzt, wo der

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Mensch zwischen Tod und neuer Geburt in das Sonnengebiet hinein-kommt. In diesem Sonnengebiete geht eben das vor, was ich beschrie­ben habe als die Umarbeitung der unteren menschlichen Geistgestalt in das, was das Haupt im nächsten Erdenleben sein wird. Nun müs­sen wir aber berücksichtigen, daß der Mensch seinen Weg zwischen Tod und neuer Geburt so nimmt, daß er eigentlich alle diese Sternen-gebiete zweimal passiert. Der Mensch kommt in die Mondennähe, indem er durch die Pforte des Todes gegangen ist, er kommt dann in die Merkurnähe, in die Venusnähe, in das Sonnengebiet. Soweit sind wir gekommen. Da beginnt dann in der Tat das, was Umarbeitung des unteren Menschen in den oberen Menschen ist, so daß das, was Gliedmaßen des Menschen waren, in das Kopfsystem, zunächst gei­stig, umgearbeitet werden. Aber diese Umarbeitung ist etwas außer­ordentlich Grandioses. Und derjenige, der das menschliche Haupt nur in physischer Beziehung betrachtet, ahnt eigentlich gar nicht, was alles im Weltenall zusammen wirken muß, um die Geistanlage dieses menschlichen Hauptes zustandezubringen. Es beginnt diese Arbeit -die Arbeit an der Geistanlage des menschlichen Hauptes, die dann die Embryonalanlage im Physischen ergreift -, wenn der Mensch auf seinem Wege nach dem Tode zunächst im Sonnengebiete ist; er tritt dann ein in das Marsgebiet, dann in das Jupitergebiet und in das Saturngebiet. Dieses letztere ist tatsächlich, denn Uranus und Nep­tun kommen dafür nicht in Betracht, das letzte Gebiet, das der Mensch dann betritt. Während all dieser Zeit, in welcher der Mensch durch diese Gebiete durchgeht, wird gearbeitet an der Geistanlage seines Hauptes. Dann geht der Mensch sozusagen weiter in das Wel­tenall, in die Wogen des Weltenalls hinaus, und da geschieht diese Umarbeitung immer noch, bis der Mensch seinen Weg wieder zurück-nimmt - zurück wieder durch das Saturngebiet, durch das Jupiter-, Marsgebiet zum Sonnengebiet, bis er wieder zur Mondensphäre kommt. Wir werden hören, wie dieses Erleben weiter vor sich geht. Jetzt aber wollen wir einmal vor unsere Seele stellen, was der Mensch durchmacht, wenn er das Sonnengebiet durchlebt hat.

Bis der Mensch zum Sonnengebiete hinkommt, erlebt er zumeist das, was noch ziemlich eng mit ihm selber zusammenhängt. Ich

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konnte Ihnen am Nachmittag schildern, wie der Mensch die Physio­gnomie seines Guten und Bösen an sich trägt, wie er dadurch die Anschauung bekommt von anderen, ähnlich gearteten Wesen, wie er dann immer mehr und mehr seine Gestalt verändert, ähnlich wird den Wesenheiten, die der übersinnlichen Welt angehören, so daß er ansichtig wird der Wesenheiten der dritten Hierarchie, auch der­jenigen der zweiten Hierarchie. Wenn man also den Menschen bis zum Sonnendasein hin schildern will, muß man ihn so schildern, daß man zunächst an seine Geistgestalt anknüpft und diese schildert. Aber indem der Mensch in das Sonnengebiet eintritt, kommt auch zugleich dasjenige über ihn, was ich - ohne Anlehnung an das Astronomische - ja schon in den vorigen Stunden geschildert habe:

es kommt über ihn das Sichhineinleben in die Weltenmusik. Da hört er den Sinn alles Zusammenwirkens der Sternenwelten in den Wel­tenharmonien, in der Weltenmelodik. Denn dieses Zusammenwirken der Sterne, in dem sich aber zugleich ausdrückt das Zusammenwirken aller der geistigen Wesenheiten, die in diesen Gebieten sind, das gibt eben zuletzt jene Erscheinung, die als Weltenmelodik und Welten-harmonie zum Ausdruck kommt. Es ist vorzugsweise das Gefühls­leben in seiner geistigen Metamorphose, das da angeregt wird, wenn der Mensch das Sonnendasein betritt. Und alles, was der Mensch erlebt, erlebt er so, wie wenn er durchvibriert würde durch die Wel­tenmelodik und Weltenharmonie.

Wir brauchen, wenn wir in diesem Stadium des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt sind, nicht Theorien, wir brauchen auch zu­nachst nicht das, was sich in Worten aussprechen läßt, sondern wir brauchen das universelle, uns ausfüllende Gefühl, wie harmonisch und melodisch die einzelnen Wesenhaftigkeiten des Weltalls zusam­menwirken. Und da tritt wieder etwas ein, was uns so recht zeigt das Verhältnis der beiden Welten, der physisch-sinnlichen Welt und der übersinnlich-überphysischen Welt.

In dem Augenblick, wo wir das Sonnendasein betreten und aus dem Kosmos von überallher an uns herankommt Weltenmelodik und Weltenharmonie, kurz Weltenmusik, in diesem Augenblick fühlen wir noch die letzten Reste desjenigen, was wir während des Erdendaseins

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hatten als eine unserer geistigsten Fähigkeiten: die letzten Reste der Sprache. Wenn während des Durchganges zwischen Tod und neuer Geburt schon selbst die Geistgestalt von uns abgefallen ist, wenn wir selbst schon während des Sonnendaseins in unserer eigenen, zur Kopfbildung umgewandelten Gestalt ähnlich geworden sind der Weltensphäre, wenn also schon das, was uns in äußerer Ge­staltigkeit noch an das Erdendasein erinnert, von uns weggefallen ist, dann geht dasjenige, was sich in uns ausgedrückt hat während wir Erdenmenschen waren, dadurch daß wir sprechen können, daß wir unsere Gedanken in Worte hineingießen können - kurz, es geht dasjenige, was sich seelisch in der Sprache ausgelebt hat, uns nach und bringt - wenigstens wie es jetzt die Menschen auf der Erde ha­ben - in der Erinnerung eine Art Mißklang in dieWeltenmusik hinein. Es ist in der Tat ein Mißklang, der in die Weltenmusik dadurch hin­einkommt, daß der Mensch die Reste seines sprachlichen Vermögens noch bis in das Sonnendasein hineinträgt. Und dies, was der Mensch so durch seine Sprache hineinträgt in das Sonnendasein, das ist im wesentlichen die Unterlage für gewisse höhere Geister, die die Auf­gabe haben, an dem Erdendasein von außen her, vom Kosmos her zu arbeiten, indem sie sehen, was im Erdendasein degeneriert ist, schlecht geworden ist, und was sich ausdrückt durch die menschliche Sprache, namentlich so wie die Sprache heute ist.

Diese menschliche Sprache ist ja heute eigentlich in keiner der europäischen oder amerikanischen Formen mehr etwas, wass sich mit elementarer Gewalt aus dem Menschen heraus entwickelt. Man möchte sagen, was die Sprache einmal war, das kann vielleicht wieder einmal auf die Erde kommen in der folgenden Weise. Es lernen heute einige von uns Eurythmie. Was geschieht denn da eigentlich, wenn die Menschen Eurythmie lernen? Man spricht heute leicht irgendein Wort aus, ohne eine Ahnung zu haben, wie die ganze Konfiguration dieses Wortes mit dem inneren seelischen Erleben zusammenhängt. Worte aussprechen, heißt heute vielfach, sich nur einer Konvention fügen. Daß wir, wenn wir, abgesondert von aller anderen Buchstabenmäßigkeit, einfach ein A sagen, dann etwas aus­drücken, was seiner Lautlichkeit nach aus dem Erstaunen, aus der

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Verwunderung über etwas entspringt, daran denken ja die Menschen nicht mehr. Und wenn wir ein B aussprechen, so ist das etwas, was bedeutet, wir schaffen eine Umhüllung, wir umhüllen irgend etwas mit etwas. Konsonanten bedeuten immer Formen, Vokale bedeuten immer Gefühle. Das Innere der Menschenseele bedeutet Vokale, Kon­sonanten bedeuten immer Formen. Daher ist mit dem B-Laut ur­sprünglich verbunden das Umhüllen, eigentlich das Haus, das Häuschen.

#Bild s. 120

Sage ich B, so meine ich das Umhüllende. Sage ich A, so ist das etwas wie ein Tief-in-der-Seele-Sitzen von Verwundern. Sage ich T, so bedeutet das als Konsonant ein Sich-Festsetzen, Absatz-machen mit etwas, Stehenbleiben bei etwas, D ist ein sanfteres Ste­henbleiben. Wenn ich also etwa - verzeihen Sie, daß ich jetzt ein deutsches Wort gebrauche (es wurde ja in Holland gesprochen) -das Wort Bad ausspreche, so müßte ich, wenn ich auf den Ursprung zurückgehe, wo das Wort noch voll empfunden und angeschaut wird, mir etwa sagen: Da ist die Umhüllung, da ist das Wasser - B, wenn es mir richtig erwärmt ist - ah! jetzt bin ich beim A -, und jetzt bleibe ich drinnen - D. Das ganze Erlebnis liegt in dem Wort. Wenn man das nun heute auseinandersetzt, so erscheint es etwas leise humo­ristisch, da die Leute heute die Worte nicht mehr erleben. Wollte man aber das Wort Bad in dieser Weise erleben, so müßte man sagen:

Das Haus, in dem für mich die Verwunderung ist, in der ich sitze. Und so ist die Sprache eigentlich überall durchzogen von seelischem Erleben, das menschliche seelische Erleben fließt konkret in die Sprache aus. Die Sprache war einstmals so, daß man sie in dieser Weise empfunden hat. In den ursprünglichen, primitiven Sprachen

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war die Sprache durchaus überall Gefühls- und Formanschauung:

Gefühlsanschauung in den Vokalen, Formanschauung in den Kon­sonanten. Heute hat sich das losgelöst und alles ist Konvention geworden. Wir leben schon so, daß die Worte für uns fast nur noch gedächtnismäßig sind.

Nun verwandeln wir das, was das B, das A, das D ist, wieder zu­rück in der Eurythmie in die entsprechende Gebärde. Indem der Eurythmiker die Gebärde ausführt, muß er wieder dazu kommen, die Sprache zu erleben. Und man kann hoffen, wenn die Euryth­mie einmal in weiteren Kreisen beliebt wird, daß dann der Mensch wieder den Weg zurückfindet zur angeschauten und empfundenen Sprache, zu dem, was die primitiven Sprachen waren. So wird Eurythmie in der Zukunft nicht nur etwas sein, was sie als neue Kunst jetzt ist, sondern sie wird wiederum der Wegweiser dazu sein, das seelisch-geistige Leben auf den Wellen und Wogen der Sprache zu tragen. Wir haben es heute schon dahin gebracht, daß die Sprache so wenig artikuliert wird - ich denke jetzt gar nicht an eine Durch­seelung der Sprache -, daß eine Anzahl Menschen im Grunde ge­nommen gar nicht mehr spricht, sondern die Worte «spuckt». So we­nig ist aus dem Seelischen herausgeboren, was heute in der Sprache liegt. Es ist manchmal zum Verzweifeln, wie die Worte nicht mehr durchseelt und durchlebt, ja nicht einmal mehr artikuliert sind!

So ist es schon, daß heute ein schriller Mißton von der Erde hin­einklingt in die Weltenmusik, wenn der Mensch nach dem Tode im Sonnendasein angekommen ist. Und gerade aus dieser Beschaffenheit der Sprache registrieren gewisse geistige Wesenheiten, was Nieder­gangserscheinungen im Erdendasein sind, und wie man die Kräfte, die Impulse finden kann, um wieder zu einer Art Aufstieg zu kommen.

Und dann geht die Wanderung des Menschen zwischen Tod und neuer Geburt weiter, und er kommt in das Marsdasein hinein. Was heißt das: er kommt in das Marsdasein? Jetzt kann ich schon nicht mehr so sprechen, daß ich anknüpfe an die menschliche Geistgestalt, denn der Mensch ist ja ganz und gar verwandelt, ist eine im Geisti­gen erschaffene Nachahmung der Weltensphäre geworden. So geht

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jetzt schon die Wanderung weiter, durch Mars, Jupiter und Saturn hin, in die Wogen und Wellen des Kosmos. Aber indem der Mensch in die Marsregion kommt, erlebt er dort die Mars-Bevölkerung, wenn ich mich so ausdrücken darf, jene Mars-Bevölkerung, die eben nur sich darstellt entweder aus den entkörperten Menschenseelen oder aus den Wesenheiten der höheren Hierarchien, vor allen Dingen aber aus den Wesenheiten jener höheren Hierarchien, welche aus ihrem ganzen Sein heraus die Weltensprache in das Weltengebiet hin­austönen lassen. Damit tritt der Mensch in das Gebiet ein, wo Wel­tenmusik zur Weltensprache wird, wo er zunächst hört, dann aber selbst einverwoben wird in die Weltensprache, wo er also nicht jene bloß nachahmende Sprache des Menschen vernimmt, sondern die schöpferische Sprache, aus der die Dinge werden. Das ist während des Marsdurchganges. Da lernt der Mensch von den Wesenheiten dieser Region nun schon in einer bewußten Weise. Die geistige Mars-Bevölkerung besteht aus den Kennern der Weltensprache, neben den­jenigen Wesenheiten, die Kampfnaturen sind und dergleichen. - Aber die für den Menschen wichtigsten Wesenheiten der geistigen Mars-Bevölkerung sind diejenigen, die eigentlich ihrer ganzen Natur nach bestehen aus ertönendem Weltenwort. Sie sind die Bewahrer des­jenigen, was Weltensprache ist.

Dann geht des Menschen Wanderung weiter. Er kommt in die Re­gion des Jupiter. Dort sind diejenigen Wesenheiten, welche die Be­wahrer der Weltgedanken sind. Wesenheiten, die dort vorhanden sind, strahlen aus in unser Planetensystem und in dessen Nachbar­schaft Gedanken-Wesenheiten. Da geht der Mensch jetzt auch hin­durch. Er macht jetzt die Verwandlung durch, die ich in der folgen-den Weise, nur schematisch, bezeichnen kann. Denken Sie sich also, der Mensch wird selber eine Art Abbild der Weltensphäre, das, was die Geistanlage seines späteren, auf der Erde zu tragenden Kopfes ist. Nachdem er im Sonnendasein an der Empfindung des schrillen Mißklanges der Erdensprache ablegen gelernt hat diese Erdensprache, wächst er hinein während des Marsdurchganges in die Weltensprache, und er bekommt die erste Anlage dazu, diese Weltensprache zu ver­stehen. Das heißt, nachdem die Umgestaltung seines unteren Menschen

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begonnen hat, wie ich es beschrieben habe, der Beingliedmaßen in den Unterkiefer, der Arme in den Oberkiefer und so weiter, bildet der Mensch zuerst mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien zusammen eben die Geistanlage seines künftigen Hauptes aus. Aber zunächst wird dieses Haupt dazu veranlagt, verständnisvoll das Wel­tenall aufzufassen - nicht die Erde! Es lernt zuerst die Weltenspra­che, lernt zuerst die Weltengedanken. Diese Weltengedanken und diese Weltensprache leben sich in das menschliche Haupt ein, und so wie der Mensch hier auf der Erde etwas weiß vom Mineralien-, Pflanzen- und Tierrreich, so weiß er in der Tat während dieses Durchganges durch Mars und Jupiter Bescheid von den Geheimnissen des geistigen Weltenalls. Der Mensch bekommt ja eigentlich erst die richtige Empfindung gegenüber der Menschennatur, wenn er sich dessen bewußt wird, daß er beim Durchgang durch das Leben zwi­schen dem Tode und einer neuen Geburt zunächst gelernt hat alle Namen der wunderbaren majestätischen Wesenheiten der höheren Hierarchien, daß er gelernt hat zu verstehen, was ins Weltenall hin-aus schaffend diese Wesenheiten der höheren Hierarchien wirken, daß er gelernt hat, Urteile aufzufassen, die sich nicht darauf be­ziehen: Wie legt man den Weg vom Haag nach Amsterdam zurück?

- sondern die sich darauf beziehen: Wie werden Weltenepochen aus Weltenepochen geboren durch die Wirkungen der höheren Hierar­chien? Dies beim Jupiterdurchgang.

Es folgt dann der Saturndurchgang. Der Saturn bringt an den Menschen das heran, was man nennen möchte Weltengedächtnis, denn der Saturn ist diejenige Sphäre im Weltendasein, wo die geistigen Wesenheiten lokalisiert sind, die ein Gedächtnis an alles bewahren, was in unserem Planetensystem jemals passiert ist. Der Saturn ist der große Gedächtnis- und Erinnerungsträger aller Geschehnisse unseres Planetensystems. So wie der Mensch zunächst lernt die Sprache der Götter im Marsgebiet, die Gedanken der Götter im Jupitergebiet, so lernt er während seines ersten Durchganges durch das Saturn­dasein alles das erkennen, woran sich die Götter des Planetensystemes erinnern. Dadurch ist seinem Sphärenhaupte, das die geistige Anlage seines künftigen Erdenhauptes ist, alles das eingestaltet, was er

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braucht, um ein Bürger des Kosmos zu sein und im Kosmos unter den Wesenheiten der höheren Hierarchien so zu leben, wie er auf der Erde unter den ihm untergeordneten Wesen des mineralischen, planz­lichen und tierischen Reiches lebt.

Und indem der Mensch in seinem Geistdasein so innerlich be­reichert ist, daß er verstehen gelernt hat die Sprache der großen Welt, des Makrokosmos im weitesten Sinne des Wortes, kommt er hinüber in dasjenige Gebiet, das man früher die Sphäre der Ruhe-sterne genannt hat. Da geht nicht mehr Planetenwirken vor sich, sondern da wirkt das Fixsternsystem. Und da wird erst im rechten Sinne aus unendlichen Geisteswelten heraus dasjenige vorgebildet, was alles zum menschlichen Haupte in seiner Uranlage gehört.

Dann tritt wieder der Mensch seinen Weg zurück an. Er kommt wieder zurück ins Saturngebiet. - Das alles können wir morgen noch besprechen. - Der Umstand, daß er im Saturndasein zuerst die planetarische Erinnerung in sich aufgenommen hat, gibt die Grundlage dafür, daß er jetzt in sein Haupt eingestaltet bekommen kann die Grundlage für die Erinnerungsfähigkeit, die er dann auf der Erde braucht. Es wird das, was in ihm eingepflanzt war als Weltengedächtnis, sozusagen verirdischt. Zurückverwandelt in die Fähigkeit des Menschengedächtnisses wird das Weltengedächtnis. Und wenn der Mensch wiederum in der Jupitersphäre angelangt ist, wird zurückverwandelt, was er erlangt hat durch die Anschauung der Göttergedanken, in die Fähigkeit, Menschengedanken zu fassen, die dann im gewöhnlichen Bewußtsein widergespiegelt werden können, wenn die Kopfanlage des Menschen sich vereinigt mit der physi­schen Embryonalanlage. -Aber jetzt kann auch bei diesemDurchgang durch den Saturn das einzelne beginnen, genauer ausgearbeitet zu werden, das was Umwandelung des unteren Menschen in die Glieder der Kopforganisation ist. Und das ist eine wunderbare Art, wie da ein Mensch an dem anderen arbeitet, wie diese Arbeit im Einklange geschieht mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien, wie tatsäch­lich da am Menschenhaupt so gearbeitet wird, daß diese Arbeit wie ein Schaffen ist einer ganzen Welt für sich. Denn jedes Menschen-haupt, angesehen in der Sphäre, wo es auf dem Gebiete ist zwischen

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Tod und neuer Geburt, von dem ich spreche, ist eine wunder bare Welt mit unzähligen Einzelheiten. Und die Arbeit daran erfordert eben die Hingabe derjenigen Menschen, die schicksals-mäßig miteinander verbunden sind, und die dazugehörige Arbeit derjenigen Wesenheiten der höheren Hierarchien, die aus dem Ge­heimnis des Kosmos heraus verstehen, wie solch ein Menschenhaupt gebildet werden muß. Es ist schon in der Tat etwas ganz Wunder­bares, auf diese Art wissen zu lernen, was am Menschen ist. Und schließlich - zur Überhebung soll das ja eigentlich nicht führen, denn daß wir nicht in Überhebung verfallen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, dafür sorgt die Welt, in der wir drinnen sind. Es wäre in der Tat absurd, unter den Wesenheiten der höheren Hierarchien, unter den Seraphim, Cherubim, Thronen, in menschlichen Größen­wahn zu verfallen, denn da ist man noch immer klein unter diesen Wesenheiten, unter denen man schafft. Und wenn man schließlich hier im Erdendasein erfährt, was der Mensch im großen Welten-Ma­krokosmos zwischen Tod und neuer Geburt ist, so ist ja auch alle Gelegenheit dazu gegeben, sich zu sagen: Nun, gar sehr viel hast du ins Erdendasein nicht hereingebracht, furchtbar viel darfst du dir also nicht einbilden auf deine gegenwärtige Lage, und auf das, was du unter Göttern warst, brauchst du nicht besonders stolz zu sein. - Aber das, was wachsen kann durch eine solche Anschauung uber das, was sich mit dem Menschen zwischen Tod und neuer Ge­burt abspielt, ist das menschliche Verantwortlichkeitsgefühl, das ihm sagt: Man muß schon recht sehr sich bestreben, es auch im irdischen Dasein wert zu sein, ein Mensch zu sein, wenn man die ganze Be­deutung des Menschseins ermißt an dem, was für die Götter das Ar­beiten am Menschen zwischen Tod und neuer Geburt ist.

Und wir kommen dann zurück in das Marsdasein. In diesem Marsdasein wird an dem Menschen wieder weitergearbeitet. Da aber werden schon angesetzt die Geistanlagen für den späteren neuen Körper, für die Brustanlage und für die Gliedmaßenanlage, die dann der Mensch im späteren Erdenleben tragen wird. Denn so ist es durchaus, daß die Gliedmaßenanlage vom vorigen Erdenleben als Kopfanlage erscheint im neuen Erdenleben, und daß neu angesetzt

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sind beim Durchgange durch die Sternenwelt zum neuen Er­denleben die Brust- und Gliedmaßen-Anlage für das neue Erdenle­ben. Nur daß dasjenige, was da angesetzt ist, eben alles noch im Geistigen geschieht. Wenn der Mensch durch das Marsdasein wieder durchgeht, dann wird das, was sich ihm in höchster Geistigkeit beim ersten Durchgange durch das Marsdasein eingegliedert hat, was ihn befähigt hat, das Weltenwort zu vernehmen, das wird jetzt aus dem höheren Geistigen in das etwas niedrigere Geistige, in jene geistige Substanz verwandelt, aus der dann später das menschli­che Ich sich offenbart. Und es wird dann während dieses Durch­ganges durch das Marsdasein angegliedert die ganze Kehlkopf- und Lungengestaltung in der Geistanlage.

Dann kommt ja der Mensch wieder zum Sonnendasein zurück. Der zweite Durchgang durch das Sonnendasein ist von ganz beson­derer Bedeutung. Denn der Mensch ist ja eigentlich bisher vom ersten Sonnendasein ausgegangen, ist durchgegangen durch Mars, Jupiter und Saturn zur Sternenwelt und macht jetzt den Weg wieder zurück durch Saturn, Jupiter, Mars. Während dieser ganzen Zeit ist er völlig an das Weltenall hingegeben, er ist ganz eins geworden mit dem Weltenall. Er lebt im Weltenall, er hat gelernt die Weltensprache, hat gelernt sich einzuverweben die Weltengedanken, lebt nicht in seiner Erinnerung, die erst später wieder aufgeht, sondern lebt in der Erinnerung des ganzen Planetensystems. Er lebt so, daß er sich eins fühlt mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien in der Erinner­ung von Weltengedanken und Weltensprache und kommt jetzt wie­der zum Sonnendasein zurück. Da beginnt der Mensch gewisser­maßen sich wiederum als Einzelwesen abzuschließen. Es dämmert leise das Gefühl auf: Du gliederst dich heraus aus der Welt. - Das ist aber damit verbunden, daß nun die Uranlage des menschlichen Herzens dem Menschen eingegliedert wird.

Und dann geht der Mensch weiter zurück, wiederum durch das Venusgebiet und das Merkurgebiet. Da wird ihm dann in der Ur-anlage eingegliedert, was weiter an Organen als Geistanlage an ihn herankommen muß.

Von dem Moment ab, wo der Mensch durch das zweite Sonnendasein

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durchgeht - das alles erfordert ja längere Zeiten - und lange eigentlich, bevor er das Erdendasein betritt, geschieht für ihn schon eine bedeutsame Schicksalswendung. In dem Moment, wo wir drau­ßen im Kosmos die Geistanlage des menschlichen Herzens beim Zu­rückgange zur Erde gewinnen, steht natürlich nicht etwa bloß eine physische Herzform da - die ist schon angedeutet -, aber diese physische Herzform ist umgeben und verbunden mit alledem, was der Mensch wert geworden ist durch seine bisherigen Erdenleben. Nicht so sehr ist wichtig, daß wir die Uranlage des physischen Her­zens in uns aufnehmen, sondern von ganz besonderer Wichtigkeit ist, daß da der Mensch sich zusammenkonzentriert in bezug auf das, was er seelisch, moralisch und geistig ist, denn das alles ist im menschlichen Herzen konzentriert. Und ehe die Herzanlage sich ver­bindet mit der Embryonalanlage des künftigen Menschenleibes, ist das Herz im Kosmos ein geistig-moralisch-seelisches Wesen im Menschen. Es verbindet dann der Mensch dieses geistig-moralisch-seelische Wesen - das jetzt in ihm erlebt, errungen ist beim Wiederzurückgang zur Erde - mit der Embryonalanlage. Dieses Zusammenkonzentrieren seines Seelisch-Moralisch-Geistigen erlebt der Mensch in Gemein­schaft mit den hohen Sonnenwesen, mit jenen Sonnenwesen, die eigentlich die schöpferischen Kräfte des Planetensystems und damit des Erdendaseins in der Hand haben.

Wenn ich mich bildlich ausdrücken darf - die Ausdrücke klingen etwas paradox, aber sie sind doch treffend -, ist es so, daß der Mensch in dem Augenblick, wo er sein kosmisches Herz bekommt, zugleich in der Umgebung derjenigen geistigen Wesenheiten der höhe­ren Hierarchien ist, die sozusagen die Führerschaft in bezug auf das ganze Planetensystem im Zusammenhange mit dem Erdendasein in der Hand haben. Und da werden wir auf etwas ganz Grandioses, auf etwas ganz Wunderbares gewiesen. Man gewinnt eigentlich nur schwer Worte, um das zu schildern, was der Mensch da erlebt. Er fühlt in einer gewissen Beziehung so, wie er im physischen Dasein fühlt. Wie er sich in diesem verbunden fühlt mit seinem Herzschlag, mit der ganzen Herztätigkeit, so fühlt er sich da im Makrokosmos wie verbunden durch sein makrokosmisches geistiges Herz mit seiner

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ganzen geistig-seelisch-moralischen Wesenheit. Was er geworden ist im Weltenall bis zu diesem Augenblicke seines Geist-Erlebens als seelisch-moralisch-geistiges Wesen, das ist in ihm so, wie wenn es als geistiger Herzschlag in ihm wäre. Er fühlt sein ganzes Wesen jetzt im Kosmos wie seinen eigenen Herzschlag in sich, und er fühlt mit diesem Herzschlag verbunden auch eine Art Zirkulation. Wie wir hier auf der Erde im Herzschlag die ihn verursachende Blutzirkula­tion und Atmung fühlen, so empfin den wir, indem wir da draußen unser geistig-makrokosmisches Herz beim Rückgange durch das Sonnendasein, wenn ich mich bildhaft ausdrücken darf, geistig schlagen fühlen, dann so etwas, wie wenn von da aus die Strömun­gen zu den Wesenheiten der zweiten Hierarchie hingehen. So wie von den Adern und aus den Adern im physischen Organismus das Blut zum Herzen rollt, so geht in unser geistig-seelisches Wesen herein, jetzt lokalisiert im Menschen, dasjenige, was Exusiai, Kyriotetes und Dynameis über die Welt, von der Welt, richtend über den Menschen, zu sagen haben. Der Geist des Weltenalls in seinen Worten und in seinen Tönen ist die Zirkulation, die sich konzentriert in diesem makrokosmisch-geistig schlagenden Herzen, diesem moralisch-geistig-seelischen menschlichen Wesen. Da schlägt das menschliche gei­stige Herz. Zugleich ist das der Herzschlag der Welt selber, in der der Mensch drinnen ist. Und in dieser Welt ist der Blutstrom das, was die schaffenden Wesenheiten der zweiten Hierarchie tun, was von ihnen als Kräfte ausströmt. Und wie der Blutstrom im Men­schen sich konzentriert im Herzen, so daß er vom Menschen unbe­wußt gefühlt wird - denn das Herz ist ein Sinnesorgan, das die Blutbewegung wahrnimmt, es ist nicht, wie es die Physiker meinen, ein Pumpwerk, sondern durch die Geistigkeit und Vitalität des Menschen bewegt sich das Blut -, so ist es dem Menschen gnadevoll erlaubt, in diesem Zeitpunkte zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in sich zu hegen eines der Wahrnehmungsorgane, eines der kosmischen Herzen, welche geschaffen werden aus dem Pulsschlag des Makrokosmos heraus, der durch die Taten der Wesen der zwei­ten Hierarchie gebildet wird.

Und indem der Mensch dann weiter zurückgeht, kommt er wiederum,

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wie ich schon gesagt habe, durch das Merkur- und Venusdasein. Aber vorher, gerade in dem kosmischen Augenblick, wo der Mensch sich wahrhaftig fühlen darf im geistigen Herzen der Welt, da fällt sein Blick schon hinunter auf die Generationenreihe, an deren Ende das Elternpaar steht, durch das er geboren wird, so daß der Mensch mit seiner Generationenreihe verhältnismäßig früh verbunden ist. Wir werden geboren als Menschen von einem Vater und einer Mutter, unsere Eltern haben wieder Vater und Mutter, diese haben ebenfalls wieder Vater und Mutter, da sind wir schon fast über ein Jahrhun­dert gegangen, wenn wir in der Generationenreihe zurückgehen. Dann gehen wir weiter hinauf - und wir müssen durch mehrere Jahrhunderte hindurchgehen, denn schon lange, bevor der Mensch auf der Erde geboren ist, hat er sich mit der Generationenreihe ver­bunden, die in seiner Familie ihr Ende findet. Früh bestimmt sich der Mensch hinein in die Generationenreihe, wenn er in der Weise, wie ich es geschildert habe, durch das Sonnendasein geht. Und das, was dann der Mensch nötig hat, um sein Schicksal, soweit es mög­lich ist, zusammenzubringen mit dem, was ihm nun als äußeres Er­lebnis dadurch entgegentritt, daß er ja in einer bestimmten Familie, in einem bestimmten Volke geboren werden muß, das kann er sich etwas erarbeiten, sich bestimmen, indem er durch die Weltenkolonie von Venus und Merkur durchgeht.

Dann kommt er wieder in den Bereich des Mondes. Bedenken wir:

Als der Mensch zum ersten Male durch das Mondengebiet durchge­gangen ist auf dem Wege zwischen Tod und neuer Geburt, da war er im Bösen und im Guten dazu veranlaßt, an die Ur-Weisen und an die Erde zu denken, an den Ausgangspunkt des Erdendaseins, wo übermenschliche Lehrer übermenschliche Weisheit dem Erdenmen­schen gegeben haben. Jetzt, wenn er wieder zurückgeht, ist er in sei­ner Aufmerksamkeit weniger veranlaßt, sich demjenigen zuzuwen­den, was einstmals auf der Erde war. Jetzt ist die Sache so, daß er dieselbe Zeit oben, kosmisch, im Mondendasein zubringt, die unten auf der Erde verläuft zwischen der Empfängnis und der Geburt, so daß in der Tat der Mensch seine Embryonalzeit mit einer kosmischen Entwickelung begleitet. Der Mensch macht oben im Mondengebiete

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eine gewisse Entwickelung durch, und unten wird ihm als das, womit er sich allmählich verbindet, mittlerweile zubereitet, sukzessive, der physische Embryo. Was macht er nun oben, makrokosmisch, während seiner zweiten Mondenentwickelung durch?

Ja, das Bewußtsein, das der Mensch in allen diesen Erlebnissen hat, die ich geschildert habe, ist ein viel helleres und wacheres, als wir es auf der Erde im normalen Leben haben. Es ist außerordent­lich wichtig, daß wir uns darüber klar sind: Das Bewußtsein während des Träumens ist dumpf, das Bewußtsein während des Wachens ist hell, das Bewußtsein nach dem Tode ist noch heller, und alles Leben hier auf der Erde verhält sich wie Traum zur Wirklichkeit im Ver­hältnis zu dem, was wir an Helligkeit des Bewußtseins durchleben nach dem Tode. Aber mit jedem Erreichen einer neuen Etappe wird das Bewußtsein noch wacher, noch heller. Gehen wir zuerst durch das Mondendasein durch beim Aufstieg, dann wird unser Bewußtsein heller dadurch, daß wir in die Umgebung der weisen Urlehrer der Menschheit in der Mondenregion kommen. Gehen wir durch Merkur und Venus durch, immer wird unser Bewußtsein heller. Und so erhellt sich unser Bewußtsein jedesmal, wenn wir in eine neue Ster­nenregion eintreten. Nur, wenn wir wieder zurückgehen, dem neuen Erdenleben entgegen, wird dieses Bewußtsein wiederum stufenweise abgedämpft. Wenn wir aber beim Merkurdasein ankommen, haben wir noch immer ein helleres Bewußtsein, als irgendein Bewußtsein ist, das im gewöhnlichen Erdendasein verharrt. Aber wir kommen dann in die Mondenregion, und kommen in jene Mondenregion, die uns das darstellt, was der Mensch im Anfange der Erdenentwickelung war. Diese Region löscht unser Bewußtsein aus, wenn wir wieder zurückgehen. Da, wo wir für die übersinnliche Welt die erste Er­leuchtung erhalten haben schon im wacheren Bewußtsein, als wir auf der Erde haben können, da wird beim Rückgang zur Erde das Bewußtsein herabgedämpft, bis es so weit herabgedämpft ist, daß es jetzt bloß Wachstumskraft werden kann, so Wachstumskraft wer­den kann, wie sie beim träumenden Kinde vorhanden ist. Bis zur Traumhaftigkeit wird das Bewußtsein herabgedämpft. Und erst, wenn es bis zur Traumhaftigkeit herabgedämpft ist, kann der Mensch das,

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was sich ihm als geistig-seelisches Wesen entwickelt hat, wie ich es dargestellt habe, mit seinem Embryo vereinigen. Zu dieser einzigen Tatsache, daß der Mensch in einer bestimmten Etappe seiner Ent­wickelung den gehörigen Zusammenhang haben kann mit dem phy­sischen Embryo, ist es notwendig, daß er, ebenso wie unten der Em­bryo die zehn Mondmonate im Leibe der Mutter durchmacht, so oben in der Gemeinschaft der Urlehrer der Menschheit eine Monden­entwickelung durchmacht - eine Mondenentwickelung, die darin besteht, daß eine ganze Bevölkerung von Lehrern der Menschheit mitarbeitet, um jenes kosmische Bewußtsein, das der Mensch noch während des Merkurdaseins hatte, zu dämpfen zu jenem Traum-bewußtsein, das vorhanden ist, wenn der Mensch das Erdendasein betritt.

Alles was uns hier im physisch-sinnlichen Menschen entgegentritt, ist nur zu verstehen, wenn man es aus dem übersinnlichen Menschen heraus verstehen kann. Und der übersinnliche Mensch wiederum kann nicht auf der Erde oder aus den Erdentatsachen heraus begriffen werden, sondern der übersinnliche Mensch kann nur aus den Welten-tatsachen, aus den makrokosmischen Tatsachen heraus begriffen wer­den. Und so waren die Vorträge bisher dazu zusammengefügt, um Ihnen zu zeigen, wie der Mensch als Erdenmensch herausgeboren sein muß aus dem geistigen Kosmos als Geistesmensch.

Es wird uns für den morgigen Vortrag noch übrigbleiben, daß wir nun auch in diesem Zusammenhange verstehen lernen die Bedeutung des Erdenlebens selbst, insofern das, was Übermensch ist, in dieses Erdenleben übergeht, und verstehen lernen die Bedeutung des Um­standes, daß der Mensch ja vom Erdenleben aus wiederum durch die Pforte des Todes die Reste desjenigen, was er sich im Erdenleben erwirbt, hinausträgt in die geistige Welt.

Jetzt, nachdem wir wenigstens in einigen Zügen die Geist-Natur des Menschen, seine übersinnliche Wesenheit, kennengelernt haben, wollen wir dann morgen wieder zurückgehen auf das Begreifen des Verhältnisses zwischen dem übersinnlichen und dem sinnlichen Men­schen.

FÜNFTER VORTRAG Den Haag, 18. November 1923

#G231-1962-SE132 Der übersinnliche Mensch anthroposophisch erfasst

#TI

FÜNFTER VORTRAG

Den Haag, 18. November 1923

#TX

So gut es in wenigen Stunden hat sein können, wurde versucht, den Gang des Menschen ins Auge zu fassen, der durch die übersinnliche Welt führt. Die übersinnliche Welt ist ja diejenige, in welcher der Mensch verweilt unmittelbar, wenn er in dem Leben steht zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Die übersinnliche Welt ist es aber auch, in welche die Kräfte des Menschen - wenn auch für das ge­wöhnliche Bewußtsein unbewußt - hineinreichen, wenn der Mensch hier auf Erden durch seine physische und ätherische Körperlichkeit innerhalb der physischen Welt verweilt. Wenn der Mensch innerhalb dieser physischen Welt verweilt, empfindet er sein übersinnliches Da­sein mehr oder weniger wie ein ihm aufgegebenes Rätsel - ein Rätsel, ohne dessen wenigstens teilweise Lösung sein Gemüt nicht zur inne­ren Harmonie, nicht zum inneren Halt, zur inneren Sicherheit, aber auch nicht zur Lebenstüchtigkeit und zur wirklichen Menschenliebe kommen kann.

Gerade wenn man nun den Menschen hier auf der Erde betrachtet, ergibt sich ein Aspekt gegenüber dem übersinnlichen Menschen, der diesen letzteren so beleuchtet, daß man aus dieser Beleuchtung wohl einsehen kann, warum gewissermaßen die göttlich-geistigen Welten den Menschen in diese physische Sinneswelt hinuntergeschickt haben. Es ist ja so, daß der Mensch zunächst angesprochen werden muß mit den Erkenntnissen von der übersinnlichen Welt hier in der sinnlich-physischen Welt. Es müßte ja ein ganz anderes Verhalten eintreten gegenüber den Rätseln der übersinnlichen Welt, wenn man sozusagen zu den Toten, zu den Menschen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt spräche. Gerade deshalb wird es wohl angemessen sein, wenn wir diese Betrachtung heute dadurch zur Abrundung bringen, daß wir in bezug auf den irdischen Aufenthalt des Menschen alles das­jenige noch einmal in unser Gemüt hereinleuchten lassen, was an­deutungsweise an uns herangedrungen ist über die Geheimnisse der übersinnlichen Welt.

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Sehen wir uns einmal den Menschen an, uns selbst, wie wir hier im Erdenleben stehen. Zunächst haben wir unsere Sinne - diese Sinne, die uns unterrichten von alledem, was im Erdenleben um uns herum ist, diese Sinne, die doch zunächst die Veranlasser sind von alledem, was unsere Erdenfreuden, unser Erdenglück, aber auch unser Erdenleid, unsere Erdenschmerzen verursacht. Wir Menschen bedenken ja nicht immer, was alles die Eindrücke, die Erlebnisse unserer Sinne für uns bedeuten. Und gerade solche Betrachtungen, wie wir sie in den letzten Tagen hier gepflogen haben, führen uns ja über das sinnliche Leben hinweg, führen uns in geistige Regionen. Und es könnte sehr leicht scheinen, als ob eine solche anthropo­sophische Geisteswissenschaft den Menschen dazu führen würde, das Sinnesleben zu unterschätzen, ja geradezu zu sagen: Ach, dieses Sin­nesleben ist doch so untergeordnet, es ist dasjenige, was der Mensch schon fliehen soll, wenn er innerhalb des irdischen Lebens ist. - Diese Empfindung kann aber nicht die letzte sein, die aus der geisteswissen­schaftlichen Betrachtung folgt. Diese Empfindung kann uns nur sagen, daß eine gewisse untergeordnete Art, das Sinnesleben zu neh­men, nicht mit Menschenwert und Menschenwürde in der richtigen Weise zusammenhängen kann, daß es aber einen Weg geben muß, um in gewissem Sinne das Sinnesleben zu verlieren, so wie es gewisser­maßen als niederes Sinnesleben an den Menschen herantritt, aber es von einer höheren Warte aus, von der übersinnlichen Warte aus gerade in einem tieferen Sinne erst wiederum zu gewinnen. Wir müßten uns ja vor einer geistigen Betrachtung fürchten, wenn wir uns sagen müßten, daß all die Schönheit, welche uns in die Seele dringt durch die Betrachtung der wunderbaren Pflanzenwelt, der blühenden, sprossenden Blumen- und Früchtewelt, daß alles das, was in uns dringt durch die Schönheit der übrigen Natur, durch die Majestät des Sternenhimmels und so weiter, eigentlich so wenig Be­deutung für das menschliche Leben hätte, daß man es einer geisteswis­senschaftlichen Erkenntnis gegenüber als «niedrig» verlassen müßte.

Aber das ist ja auch ganz und gar nicht der Fall. Wenn Sie zurück­gehen in der Menschheitsentwickelung zu dem, was gerade durch die Eingeweihten, die initiierten Meister der verschiedensten Epochen

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zutage getreten ist an Erhöhung des menschlichen Lebenswertes, so werden Sie finden: Die Worte, die jemals von Eingeweihten gespro­chen worden sind, sie unterschätzen nicht die Schönheit, die Herr­lichkeit, die Majestät des irdisch-sinnlichen Lebens. Wie wunderbar sind oftmals die poetischen, poetisierenden und sonstigen künstleri­schen Ausdrücke, welche für das höchste Übersinnliche gerade die Eingeweihten gebraucht haben! Sie brauchen nur an Bilder zu denken wie etwa dasjenige von der Lotosblume und ähnliche, und Sie werden sehen, daß niemals die Eingeweihten unterschätzt haben, die Entfaltung des geistigen Lebens durch sinnliche Bilder auszu­drücken, daß sie also durchaus der Meinung waren, in der Anschau­ung der sinnlichen Welt sei etwas vorhanden, oder könne wenigstens etwas gefunden werden, was den Menschen zum Höchsten führt.

Nun, so wie der Mensch zunächst mit dem gewöhnlichen Bewußt­sein diese Sinneswelt wahrnimmt, so kann er an ihr nicht befriedigt sein - schon aus dem Grunde nicht, weil dasjenige, was durch seine Augen, durch seine Ohren und durch seine übrigen Sinne dringt, zwar zusammenhängt mit seinem Ich, mit der ganzen Ich-Entfaltung, mit dem vollen Ich-Leben, ihm aber doch eigentlich nichts für die innere Sicherheit dieses Ich gibt. Wir wenden unsere Augen nach außen zur Schönheit der Blütenpracht - da ist eine unendliche Mannigfaltigkeit. Wir wenden dann unseren Blick nach innen zu unserem Ich, und zunächst ist es für das gewöhnliche Bewußtsein fast so, als ob uns dieses Ich entschwinden müßte. Wie ein Geistpunkt in unserem Inneren stellt es sich uns dar, der nicht viel anderes sagt. als das leere Wort «Ich» allein. Das ist auch kein Wunder: Bedenken Sie nur, damit das Auge sehen kann, muß es sich selbst verleugnen. Gerade die Sinne müssen sich hingeben an die Welt, um die rechten Vermittler des Menschen für die Welt zu sein. Das Auge muß voll-ständig durchsichtig werden, wenn durch es die Pracht, die Größe und die Schönheit der äußeren Sinneswelt in farbigem Glanze und in farbigem Leuchten erscheinen soll. Und so die anderen Sinne.

Wir wissen nichts von unseren Sinnen. Gibt es vielleicht einen Weg, um von diesen Sinnen etwas zu wissen? Dazu muß wiederum in die Welt des Übersinnlichen geschritten werden. Schon um von

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den Sinnen etwas zu wissen, müssen wir in die Welt des Übersinn­lichen schreiten.

Sie kennen die Schilderungen, die ich gegeben habe von den Wegen in die höheren Welten hinein. Stellen Sie sich einmal lebhaft vor das Seelenauge dasjenige, was imaginative Erkenntnis werden kann. Wir treten gewissermaßen von der sinnlichen Anschauung der äußeren Welt etwas zurück, wenn wir in die imaginative Erkenntnis hinein­kommen. Aber das Allerinteressanteste auf diesem Wege ist das Fol­gende. Ich will es ganz anschaulich schildern.

Wenn Sie sich meditierend - so wie es den Übungen entspricht, die in dem bekannten Buche gegeben sind - der imaginativen Welt nähern, wenn Sie also beginnen, darum zu ringen, Ihren ätherischen Menschen aus Ihrem physischen Menschen herauszugestalten, so daß dieser ätherische Mensch, der erste übersinnliche Mensch in Ihnen zu einer Art von Bewußtsein gelangt, so können Sie ja den Schritt gewissermaßen abfangen, wo Sie zwischen dem gewöhnlichen sinn­lichen Anschauen und dem imaginativen Anschauen sind, wo Sie noch nicht das imaginative Anschauen in seiner Gestaltetheit errungen haben, aber auf dem Wege dazu sind. Nun will ich annehmen, daß ein solcher Mensch, der auf dem Wege von der gewöhnlichen Sinnes-anschauung zum imaginativen Anschauen ist, einen Weg macht in ein Hochgebirge, in dem besonders reich das Urgebirgsgestein ausgebildet ist, in dem viel von jenem Gestein ausgebildet ist, das wir quarziges Kieselgestein nennen. Es ist der Mensch ganz besonders geeignet, seelische Kräfte zu entfalten in einem Hochgebirge, wo viel quarziges Kieselgestein ist, wenn er auf diesem Wege zur Imagination ist. Daß er gewisse innere seelische Fähigkeiten eben, ich möchte sagen, im ersten Anlauf zur Entwickelung gebracht hat, das kommt daher, daß ihm von allem, was in seiner physischen Erdenumgebung ist, dieses quarzige Kieselgestein im Hochgebirge einen ganz besonderen Ein­druck macht. Es ist ja so, daß dieses quarzige Kieselgestein im Hoch­gebirge zunächst nur sehr mäßig durchsichtig, durchscheinend ist. Aber in dem Augenblicke, wo wir etwas vordringen, wo wir uns eben durchgerungen haben zu dem Gesichtspunkte, den ich charak­terisiert habe, da wird das quarzige Kieselgestein ganz durchsichtig.

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Wir steigen ins Hochgebirge hinauf, und es erscheint uns das quarzige Kieselgestein wie durchsichtiges Glas - aber so, daß wir selbst das Gefühl haben, etwas von uns strömt aus und vereinigt sich mit die­sem quarzigen Kieselgestein. Wir werden gerade an der äußersten Oberfläche der Erde durch eine Art selbstverständlicher Hingabe unseres Bewußtseins mit der Oberfläche der Erde eins. Wir verspü­ren in diesem Augenblicke etwas, wie wenn unser Auge selber Strö­mungen nach außen senden würde, die hinunterdringen in das quar­zige Kieselgestein, und in demselben Augenblicke beginnt in uns eine Art Gefühl aufzuleben, durch das wir uns eins fühlen mit dem gan­zen Erdendasein. Aber indem wir in dieser Art aufgehen in das quar­zige Kieselgestein, zu gleicher Zeit uns eins fühlend mit dem ganzen Weltenall, mit dem ganzen Kosmos, können wir ein erstes wirkliches Einssein mit dem Kosmos erlangen, das nicht bloß erträumt, nicht bloß in abstrakten Gedanken ergriffen ist. Auf diese Art kann man zu einem innigen Bewußtsein kommen von dem, was ich in solchen Worten aussprechen möchte: Du, Erde, bist nicht allein im Weltenall, du Erde, bist mit mir und allen anderen Wesen, die auf der Erde sind, eins mit dem ganzenWeltenall! - Und durch das, was man durch dieses Einswerden gerade mit dem quarzigen Kieselgestein erlebt, schaut man dann nicht mehr die Erde abgesondert von dem übrigen Weltenall, sondern man schaut die Erde wie eine Äthersphäre, die aus der Weltenäthersphäre herausgestaltet ist.

Das ist ein erstes Gefühl. Und sehen Sie, manche alten Gesänge, manche alten Mythen mit wunderbaren Einschlüssen über dieses oder jenes tönen aus der alten Literatur der instinktiven Hellseherzeit der Menschheit herüber - die Menschen lesen sie heute, sie reden sich auch wohl ein, daß sie erhabene Gefühle dabei haben, aber das Wahre, was in ihnen steckt, das haben sie doch nicht. Man kann nicht einmal die wahre Empfindung zum Beispiel der Bhagavad Gita oder anderer Partien der indischen oder auch der anderen orientali­schen Literatur richtig auf seine Seele wirken lassen, wenn man nicht durch eine Geisteserkenntnis etwas davon erfährt, wie real der Mensch mit der Erde auf eine so geartete Weise, wie ich sie geschil­dert habe, eins werden kann und dadurch eins werden kann mit dem

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Kosmos. Denn vieles in den Stimmungen dieser alten Gesänge ist aus einem solchen Eins-Werden mit dem Kosmos heraus geschrieben, aus einem solchen Eins-Werden, das wie ein Bewußtseinsgang mit dem Lichte ist, mit jenem Lichte, das den harten Quarz durchdringt

- aber dadurch, daß es mit der menschlichen Seele selbst den harten Quarz durchdringt, diesen Quarz zum Weltenauge macht, durch das der Mensch hinausschaut in die Weiten des Weltenalls.

Und so können wir schon sagen: Beginnen wir in der Realität zu schildern die Erkenntnis des übersinnlichen Menschen, dann fühlen wir uns von selber abgedrängt davon, in abstrakten, theoretischen Auseinandersetzungen zu sprechen, dann werden wir ganz von selbst hineingedrängt in ein Sprechen, das mit den Ideen den ganzen Ge­fühlsgehalt der menschlichen Seele verbindet. Das ist es ja, was uns bei jeder Betrachtung des übersinnlichen Menschen so sehr zu Herzen gehen soll: daß man die Erkenntnis des Übersinnlichen nicht aus­sprechen kann, ohne den ganzen Menschen mit ihr zu verbinden, ohne Wollen und Fühlen eins zu machen mit den Gedanken und Ideen. Gewiß, das Leben muß ertragen werden; aber wenn manches schwer zu ertragen ist - am schwersten zu ertragen für den, der die ganze menschliche Seite der übersinnlichen Erkenntnis kennt, ist es, wenn dann gewisse Menschen kommen und diese übersinnliche Er­kenntnis in rein theoretische Formeln prägen. Im Grunde genom­men wirkt es, wenn man in theoretischer Weise über die übersinn­liche Welt spricht, genau so wie der sinnliche Schmerz, wenn man etwa den Finger in eine Flamme hineinsteckt, in bezug auf diesen Finger wirkt. Man muß auch solche Dinge schildern, wenn man den übersinnlichen Menschen schildern will.

Wenn dann der Mensch etwas weiter kommt in der übersinnlichen Erkenntnis, wenn er das Imaginative sich angeeignet hat und da­durch kennengelernt hat, was übersinnlich im Menschen lebt zwi­schen der Geburt und dem Tode, dann kann er sich auch dasjenige an übersinnlicher Erkenntnis aneignen, was der Inspiration ent­spricht und wodurch er hineinschaut in das, was der Mensch war vor der Geburt, vor dem Heruntersteigen ins irdische Dasein, und was er sein wird, nachdem er durch die Pforte des Todes gegangen

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ist. Er kann hineinschauen in alles dasjenige, was ich Ihnen in diesen Tagen beschrieben habe als den Durchgang durch die verschiedenen Regionen der menschlichen Physiognomie-Gestaltung, der mensch­lichen Umgestaltung von einem früheren in ein späteres Erdenleben. In all das, was ich Ihnen geschildert habe als den Durchgang durch die verschiedenen Sternenwelten, kann hineingeschaut werden.

Eine besondere Nuance empfängt aber diese Erkenntnis, durch die wir in unser eigenes Innere so dringen, daß wir uns sagen: Was da geschildert werden kann für den Durchgang durch das Leben zwi­schen Tod und einer neuen Geburt, das lebt ja auch in uns, wenn wir auf dieser physischen Erde sind. - Ja, es lebt auch im Menschen, wenn wir hier, ich möchte sagen, dem Raume nach als unbedeuten­des Menschenkind innerhalb des physischen Leibes, eingeschlossen von unserer Haut, auf der Erde stehen - es lebt in ihm all das Gran­diose, das Kosmisch-Majestätische, das man schildern muß, wenn man die eigentliche Wesenheit des Menschen schildert, insofern er den Sternenwelten angehört und noch höheren Welten, den Welten der höheren Hierarchien. Aber wenn wir erkenntnismäßig hinein-dringen in dasjenige, was da in uns lebt, man kann sagen als irdischer Rest dessen, was unsere eigene Wesenheit war zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, in demselben Maße, in dem wir da eindrin­gen, können wir noch etwas anderes mit unserem Erdenplaneten selber machen. Wir können mit ihm das machen, daß wir nun in seine Tiefen eindringen, da, wo die Metalladern sind, wo wir heran-dringen an die Blei-Erze, die Silber-Erze, die Kupfer-Erze, an alles dasjenige, was in dem Gestein durch das Metallische lebt.

Wenn wir dieses Metallische in der Erde mit den gewöhnlichen Sinnen betrachten, so sagt es ja zunächst nichts anderes, als daß es von dieser oder jener Art der Erde spricht. Wenn wir aber in die Erde eindringen mit dem geistig geschärften Blick, der uns das Mensch­lich-Übersinnliche kündet, dann wird etwas ganz Besonderes aus alle­dem, was als Metallisches im Innern der Erde ist. Dann beginnt alles Kupferige, alles Silberige, alles Goldige innerhalb der Erde eine man­nigfaltige geheimnisreiche Sprache zu sprechen. Dann tritt uns für die übersinnliche Betrachtung etwas entgegen, was uns als Menschen,

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der auf der Erde wandelt, so recht verwandt macht mit dem ganzen lebendig-seelischen Wesen der Erde selber. Die Metallerze sagen uns etwas, sie werden für uns zu kosmischen Erinnerungen. Wahrhaftig, es ist so. Denken Sie einmal an sich selber: Wenn Sie der Ruhe der Seele, der innerlich tätigen Ruhe der Seele pflegen, wenn Sie alte Er­innerungen aufsteigen lassen, die Ihnen Mannigfaltiges in die Seele hereintragen, dann fühlen Sie sich wieder beisammen mit manchem Erlebnis, das Sie durchgemacht haben, fühlen sich wieder beisammen mit manchem Menschen, der Ihnen im Laufe Ihres Lebens lieb ge­worden ist, vielleicht mit manchem Menschen, der längst dahinge­gangen ist. Sie fühlen sich entrückt dem gegenwärtigen Augenblick, Sie fühlen sich innig verbunden mit Leiden und Freuden früherer Augenblicke, die Sie im Erdenleben durchgemacht haben.

Etwas ganz Ähnliches, nur ins Große umgesetzt, findet statt, wenn Sie, innerlich durchdrungen von Geist-Erkenntnis, von gefühlter Geist-Erkenntnis, sich eins machen mit den Metalladern der Erde. Da geht Ihnen jetzt nicht etwas auf wie beim quarzigen Kiesel-gestein, das Sie wie schauend hineinversetzt in die Weltenweiten, sondern da werden Sie gewissermaßen eins mit dem Erdenkörper. Sie sagen sich, indem Sie die Metalladern in ihrer wunderbaren Sprache innerlich vernehmen: Jetzt bin ich eins mit dem innersten Seelen-und Herzensschlage der Erde selber, jetzt vernehme ich Erinnerun­gen, die nicht die meinen sind, in mich herein tönen die Erinnerun­gen, die die Erde selber hat aus früheren Erdenzeiten, da sie selber noch nicht unsere Erde war, da sie noch nicht die heutige Tier- und Pflanzenwelt, namentlich nicht die heutige Mineralwelt auf sich und in ihrem Schoße hatte. Ich erinnere mich mit der Erde an jene alten Erdenzeiten, in denen die Erde eins war mit den übrigen Planeten unseres Planetensystems, ich erinnere mich an jene Zeiten, in denen man nicht sprechen konnte von der abgesonderten Erde, weil sie nicht in sich so verdichtet war wie heute. Ich erinnere mich an die Zeiten, wo das ganze Planetensystem ein beseelter, lebendiger Orga­nismus war, und die Menschen noch in ganz anderer Form in diesem lebendigen Organismus drinnen lebten. - So führt uns das Metalli­sche der Erde zu den Erinnerungen der Erde selber.

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Dann aber, wenn wir dieses innere Erlebnis haben, dann werden wir uns recht klar darüber, warum wir eigentlich von den göttlich­geistigen Wesenheiten der Weltenordnung auf die Erde herunter-geschickt worden sind. Wir fühlen, indem wir also in den Erinnerun­gen der Erde selber leben, jetzt erst in rechtem Maße unser eigenes Denken. Wir fühlen unser Denken, weil wir ja die Erinnerungen der Erde ergriffen haben, mit der Erde selber verbunden. Und in diesem Augenblick, wo wir die Erinnerungen der Erde zu unseren eigenen machen, haben wir um uns herum die Wesenheiten der zweiten Hier­archie, die Kyriotetes, Exusiai, Dynameis. Das ist der Weg, um im Erdenleben selber um sich zu haben diejenigen Wesenheiten, die man wiederum um sich hat, wenn man zwischen dem Tode und einer neuen Geburt wieder in derjenigen Zeit lebt, die ich Ihnen ja be­schrieben habe. Und man gelangt zu der Überzeugung, mit diesen Wesenheiten der zweiten Hierarchie kommt man in Berührung, wenn man eingekörperter Mensch ist zwischen der Geburt und dem Tode. Aber diese Wesenheiten haben nicht nur die Aufgabe, mit uns zu ar­beiten an der Umgestaltung des Menschen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, sondern sie haben auch eine Aufgabe bei der ge­samten Gestaltung des Kosmos. Wir schauen da, wie diesen Wesen­heiten der zweiten Hierarchie aufgetragen ist von der höheren gei­stigen Weltenordnung, alles das in der Erde zu bewirken, was durch die Impulse der Metalladern kommt.

Und jetzt könnenwirwiederum zurückblicken. Wirwerden dieTat­sache, die ich jetzt erwähnen will, bei unserem Aufsteigen in das quarzige Kieselgestein nicht sogleich begriffen haben, denn das spricht noch nicht so deutlich. Deutlich spricht eben erst jenes wunderbare Vernehmen der Erdenerinnerungen aus den Metalladern. Aber jetzt können wir wiederum zurückgehen und können etwas verstehen, was wir anfangs vielleicht nicht verstanden haben. Jetzt werden wir gewahr, daß bei diesem Aufgehen in das ganze Weltenall durch die Lichtdurchdringung des quarzigen Kieselgesteins, um uns herum sind die Wesenheiten der dritten Hierarchie, die Angeloi, Archangeloi und Archai. Und wir lernen etwas ganz Besonderes, wir lernen, daß es ja eigentlich nicht wahr ist, was der gewöhnliche Sinnesanblick

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sagt, wenn wir ins Hochgebirge gehen - daß es nicht wahr ist, was der gewöhnliche Sinnesanblick sagt, wenn wir in die Tiefen der Erde zu den Metalladern hinuntersteigen. Wir lernen das Wunderbare kennen, wenn wir hinaufsteigen ins Hochgebirge, in die Regionen des quarzigen Kieselgesteines, daß da die Felsenspitzen umschlungen und umwoben sind von den Wesenheiten der dritten Hierarchie, den Angeloi, Archangeloi und Archai. Und wenn wir hinuntersteigen zu den Metalladern der Erde, dann finden wir, daß diese Metalladern der Erde durchzogen werden auf ihren Wegen, auf ihren Bahnen von den Wesenheiten der zweiten Hierarchie. Und wir sagen uns:

Wir sind ja eigentlich auch während unseres Erdendaseins in der Ge­sellschaft derjenigen Wesenheiten, die mit unserer eigenen inneren Natur zusammenhängen, wenn wir zwischen dem Tode und einer neuen Geburt sind.

Treten wir durch die Pforte des Todes, so gelangen wir nach einer gewissen Zeit bewußt in die Region der Angeloi, Archangeloi und Archai. Da haben wir uns auch im entkörperten Zustande einen Be­wußtseinszustand angeeignet, durch den diese Wesenheiten der drit­ten Hierarchie so um uns herum sind, wie auf der Erde um uns her­um sind die Wesenheiten der drei oder vier Naturreiche. Aber wenn wir da im höheren Bewußtsein ansichtig werden der Angeloi, Ar­changeloi und Archai, dann ist dasjenige, was die Sinne sehen kön­nen, vor uns verschwunden, denn unsere Sinne sind mit unserem Körper den Elementen der Erde übergeben. Wir können von dem, was die Sinne sehen können, nichts sehen, nichts schauen in dem Zu­stande zwischen Tod und neuer Geburt. Aber dann «erzählen» uns -ich darf mich dieses Ausdrucks bedienen, denn er trifft ganz die Wirk­lichkeit -, dann erzählen uns die Angeloi, Archangeloi, Archai da­von, was sie unten auf der Erde tun. Dann erzählen sie uns, wie sie nicht nur beschäftigt sind in demjenigen Leben, in dem sie jetzt mit uns zusammen sind, sondern dann raunen sie unserer Seele zu: Wir sind auch beteiligt am Schaffen des Kosmos, wir sind die schaffenden Wesen des Kosmos und schauen unten im Erdendasein dasjenige an, was an Erdengestalten das quarzige Kieselgestein und seine Verwand­ten machen, da siehst du unsere Taten. - Und da begreift der Mensch,

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gerade wenn er zwischen Tod und neuer Geburt unter den Angeloi, Archangeloi und Archai ist, daß er wieder hinunter muß auf die Erde. Denn er lernt diese Wesenheiten der dritten Hierarchie kennen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, er erfährt aber auch, wie diese Wesenheiten in einer wunderbaren Weise von ihren Taten auf der Erde sprechen. Und er lernt wissen, daß er diese Taten nur schauen kann, wenn er auf die Erde hinuntersteigt, sich mit einem physischen Menschenleibe umhüllt und dadurch der sinnlichen Wahr­nehmung teilhaftig wird. Ja, die tiefsten Geheimnisse der sinnlichen Wahrnehmung, nicht nur der Wahrnehmungen des Hochgebirges, son­dern aller sinnlichen Wahrnehmungen, enthüllen uns in wunderbaren Gesprächen die Wesenheiten, mit denen wir zusammen sind zwischen Tod und neuer Geburt. Und so schön, so großartig sind die Schönhei­ten der sinnlichen Natur - das gewöhnliche Bewußtsein nimmt es nur nicht wahr -, daß dasjenige, was in der menschlichen Seele aufsteigen kann an Erdenerinnerungen, wenn sie durch die Pforte des Todes gegangen ist, erst die richtige Beleuchtung erlangt, wenn der Mensch nun dasjenige, was seine Augen schauen, was seine Ohren hören, und was seine übrigen Sinne auf der Erde wahrnehmen durften, beschrie­ben findet von den Engeln, den Erzengeln und den Urkräften.

So ist der Zusammenhang des Physischen mit dem Überphysischen. Und so ist der Zusammenhang des menschlichen physischen Lebens mit seinem überphysischen Leben. Die Welt ist eben voller Groß­artigkeit, und was wir hier in dem Leben, im physisch-sinnlichen Leben als physischer Mensch schauen, das darf uns freuen, das darf uns erheben. Seine eigentlichen Geheimnisse lernen wir kennen, wenn wir durch die Pforte des Todes gegangen sind. Und je mehr wir uns freuen gelernt haben an der physisch-sinnlichen Welt, je gründlicher wir auf alles eingegangen sind, was uns an Freuden die physisch-sinnliche Welt geben kann, desto größeres Verständnis bringen wir der Engelwelt entgegen, die uns erzählen will von dem, was wir auf der Erde noch nicht verstehen, was wir erst verstehen lernen, wenn wir hinüberkommen in diese überphysische Welt.

Und ein Ähnliches ist es mit der zweiten Hierarchie, mit den Exusiai-, Kyriotetes- und Dynameis-Wesenheiten, innerhalb derer wir

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ja auch in einer gewissen Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt sind, zu denen wir ein besonderes Verhältnis gewinnen, wenn wir durch Hinleuchten auf die Metalladern der Erde zu den Erder­innerungen selber kommen. Aber hier ist es wieder so, daß, wenn wir hier auf der Erde überhaupt das Metallische erleben, wir dasjenige, was wir am Metallischen erleben, im Grunde genommen erst recht verstehen lernen, wenn wir hinüberkommen in die Region der zwei­ten Hierarchie.

Sehen Sie, es gehört zu dem Schönsten, was man erleben kann -und ich darf wohl hoffen, daß gerade die anthroposophische Bewe­gung die Schönheiten auch dieses Feldes der Erkenntnis noch beson­ders herausbringen wird -, es gehört zu dem Schönsten, was man er­leben kann, wenn man die verschiedenen Verhältnisse der Metalle zur menschlichen Gesundheit zu prüfen vermag. Jedes Metall hat eine gewisse Beziehung zur menschlichen Gesundheit, und ebenso jede Metallverbindung. Wenn der Mensch durchgeht durch das gesunde und kranke Leben, dann geht er fortwährend Verhältnisse ein zu demjenigen, was eigentlich der Erde ihre Erinnerungen gibt, zu den Metallen und ihren Verbindungen. Und man müßte es schon dahin bringen, daß man nicht nur in abstrakt-theoretischer Weise von den Heilwirkungen des Bleies und der Blei-Verbindungen, des Kupfers und der Kupfer-Verbindungen und anderer Metalle spricht, denn das sind ja die wichtigsten Heilmittel, wenn man sie nur in der rich­tigen Weise zu bearbeiten versteht, man müßte nicht nur in theo­retisch-abstrakter Weise von diesen wunderbaren Beziehungen der Metallwelt zum Menschen sprechen, über die noch ein besonders scheuer Hauch ausgegossen wird, wenn wir die Metalladern im Schoße der Erde verfolgen, sondern man müßte auch ein vertieftes Gefühl, eine vertiefte Empfindung gewinnen für dieses wunderbare Verhältnis des Metallischen zum Menschen, das sich erst enthüllt, wenn man es vom Gesichtspunkte des gesunden und kranken Men­schen aus betrachtet.

Ich sagte, es steht zu hoffen, daß gerade durch die anthroposo­phische Bewegung in bezug auf diese Erkenntnisse manches unter Menschenherzen verbreitet werden könnte, denn es ist wichtig. In

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verflossenen Zeiten war es nicht so wichtig, weil die Menschen ein instinktives Gefühl von alledem hatten, weil sie wußten, mit dem oder jenem im menschlichen Kopfe hängt der Blei-Prozeß, mit dem oder jenem hängt der Silber-Prozeß zusammen. Davon redeten viel die Menschen alter Zeiten. Die Menschen neuerer Zeiten lesen das, aber sie verstehen davon kein Sterbenswörtchen; denn wir reden von alledem heute im Sinne unserer landläufigen Wissenschaft wie von lauter wesenlosen, ausgeblasenen Abstraktionen. Wenn es aber durch anthroposophische Erkenntnis dazu gebracht wird, daß der Mensch wiederum all jene Gemütsvertiefung erringt, die man erhalten kann, wenn man von dieser wunderbaren Beziehung des Metallischen in der Erdenwelt zur menschlichen Krankheit und Gesundheit spricht, dann wird der Mensch durch die Pforte des Todes etwas hinauftragen in die geistige Welt, was ihm dienen wird, die Sprache der zweiten Hierarchie in ganz besonderer Weise zu verstehen. Dann werden dem Menschen die größten Geheimnisse der Welt sich gerade dadurch enthüllen können, daß er für sie durch eine solche Vorbereitung auf derErde das nötigeVerständnis mitbringt. Denn das ist schon so:Man lernt das, was man lernen soll durch anthroposophische Geist-Er­kenntnis nicht bloß, um die menschliche Neugier zu befriedigen, sondern damit es Früchte trägt, wenn man durch die Porte des Todes gegangen ist, da man ja gerade durch das, was durch Geisteswissen­schaft an einen herangetragen wird, erst in das richtige Verhältnis zu denjenigen Wesenheiten zwischen Tod und neuer Geburt gelangt, mit denen man dann vermöge seiner ganzen Menschenwesenheit in Verbin­dung sein muß, weil sie unsere notwendige Weltumgebung dann sind.

So können wir konkret schildern, wie wir ein Verhältnis gewin­nen zu diesen Wesenheiten der höheren Hierarchien zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Aber damit ist noch etwas anderes verbunden, wenn wir durch diese Regionen durchgehen, für deren Verständnis das Angedeutete gut vorbereitet, dann erfahren wir noch etwas anderes. Wenn wir dieses Verhältnis des Metallischen zum gesunden und kranken Menschen erfassen können, dann ent­hüllen sich uns Naturgeheimnisse - aber in diesen Naturgeheimnissen lebt noch etwas anderes. Wir hören zunächst durch die Wesenheiten

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der zweiten Hierarchie sprechen über die Natur dieses oder jenes Metallischen, über die Natur des Goldes, des Silbers, des Bleies, des Kupfers und so weiter. Aber es ist uns jetzt gegenüber der großen geistigen Welt so, wie uns hier ist, wenn wir eben anfangen lesen zu lernen, und uns dabei aufgeht, wie wir durch das Lesenlernen uns die Fähigkeit erwerben, in manche Geheimnisse der Welt einzudringen, die eben nur dadurch an uns herankommen können, daß wir lesen lernen. Nun, das sind auf der Erde nicht besondere Vorgänge - ich gebrauche das auch nur als einen Vergleich -, denn die Sprache, die wir da kennenlernen, durch die wir die Wesenheiten der zweiten Hierarchie in einer bestimmten Region des Durchganges zwischen Tod und neuer Geburt verstehen lernen, diese Sprache über die Me­talle und ihr Verhältnis zum gesunden und kranken Menschen wird dann erst das Rechte, wenn wir sie gewissermaßen im Geist-Kosmos von der Prosa zur kosmischen Poesie erheben können, oder wenn wir uns, besser gesagt, zur kosmischen Poesie erheben können. Zunächst hören wir so zu, wie einer, der in bezug auf Poesie ein Botokude ist, dem Rezitieren eines Gedichtes zuhört. Wie wir aber, wenn wir nicht Botokuden sind, in bezug auf das Poetische verstehen lernen, was im Schwunge der Verse, was in der rhythmischen Gestaltung, in der ganzen künstlerischen Formung liegt, wie wir da aufrücken zum Ver­ständnis des eigentlichen Künstlerisch-Poetischen, so rücken wir, wenn wir eben aus dem Prosaisch-Nüchternen zum Poetischen der jenseiti­gen Welt aufsteigen, von der Sprache der zweiten Hierarchie, die über die Beziehungen der Metalle zum gesunden und kranken Menschen handelt, auf zum Verständnis der Geheimnisse des moralischen Da­seins im Weltenall, jenes moralischen Daseins, das umfaßt Menschen­seelen, aber auch Götterseelen aller Hierarchien. Und die Geheimnisse des Seelischen gehen uns gerade in dieser Region ganz besonders auf.

Und dann können wir noch einen Schritt weiter gehen. Das, was ich Ihnen erzählt habe, das können wir erfahren, wenn wir ins Ge­birge gehen und dann hinuntersteigen in den Schoß der Erde, wo alles ruhig bleibt zunächst, wenn wir die ruhigen Metalladern be­trachten, das ruhende Gestein am Felsengrat. Wenn wir aber nun weitergehen, wenn wir versuchen, nun nicht mit dem nüchternen

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Blicke des Nützlichkeitsmenschen allein die Dinge zu betrachten - es soll dieser nüchterne Blick des Nützlichkeitsmenschen nicht unter­schätzt werden, denn wir müssen auf dem Boden der Erde mit beiden Füßen gerade dann ruhen, wenn wir in die geistige Welt als seelisch-geistig und physisch gesunder Mensch eindringen wollen - wenn wir aber nicht bei dem stehen bleiben, was sich uns so enthüllt, und wenn wir in der hochgradig heißen Flamme das Metall schmelzen sehen, wie es aus dem festen in den flüssigen Zustand übergeht - bei diesen Dingen enthüllt sich gar manches -, wenn wir durch Fabriken gehen, wo beim Hochofenprozeß das Eisen im flüssigen Zustande leuchtend dahinfließt, wenn wir besonders an jenen Prozessen teilnehmen, wo Metallerze, Antimonerze vom Festen in flüssige und allmählich in andere Zustände übergeführt werden, wenn wir dieses Schicksal des Metallischen im Feuer auf uns wirken lassen, dann drängt sich in unsere in uns selbst aufgelebte geistige Erkenntnis noch etwas ganz anderes herein - dann gewinnen wir einen ungeheuer tiefen Eindruck von den Geheimnissen unseres eigenen Daseins.

Ich habe es schon öfter erwähnt, indem ich gesagt habe, man schaue sich das Verhältnis des Menschen zu den Tieren an. Indem man anatomisch vergleicht Knochen, Muskeln, auch meinetwillen das Blut von Mensch und Tier, wie man es in der neueren Zeit macht, so wird man eine Verwandtschaft finden. Die Erhöhung des Men­schen über die Tiere findet man aber erst, wenn man auf so etwas eingeht wie die Tatsache, daß in der Hauptsache die Rückgratsäule beim Tier parallel der Erdoberfläche, horizontal ist, beim Menschen aber nach aufwärts gerichtet, - und wenn man dann übergeht zu dem Wunderbaren der Sprache beim Menschen, zu der es das Tier nicht bringt, und übergeht dazu, wie aus der Sprache sich heraus-ringt das Denken. Beobachten wir, wie am Kinde das Sprechen, das Denken, die ganze Orientierung für das Leben mit der Aufrichtung des Körpers einsetzt, dann sehen wir jene wunderbaren Kräfte, durch die sich das Kind in die Welt dynamisch hineinfindet. Da sehen wir, wie die Orientierung der kindlichen Gliedmaßen sich auslebt in der Melodik, in der Artikulierung des Sprachlichen. Sehen wir hin, wie der Mensch sich eigentlich bildet, formt in der sinnlichen Welt - da

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sehen wir ruhig sich gestaltende Kräfte. Ja, es ist wunderbar, so im Laufe der Monate das werdende Kind zu betrachten, das vom Krie­chen übergeht zum aufrechten Gang, das zu der ganzen Orientierung seines Körper und seiner Gliedmaßen in die Weltdynamik übergeht, das dann herausgliedert aus dem Körperlichen die Sprache, das Denken.

Wenn man das anschaut in seiner ganzen Wunderbarkeit, wenn man auf der einen Seite das anschaut in seiner majestätischen Ruhe, mit der es sich dem darbietet, der vermag, diese Ruhe zu haben beim Anschauen - es ist ja das Schönste, was man eigentlich im mensch­lichen Leben anschauen kann, dieses Werden des Kindes durch Gehen-lernen, Sprechenlernen, Denkenlernen -, wenn man einen Gemütsein­druck bekommt von dem, was da so schön ist im Menschenleben; und wenn man dann andererseits zu schauen vermag, wie das Metall im Feuer schmilzt: Dann erscheint einem die Geistgestalt desjenigen, was im Kinde zum Gehenlernen, zum Sprechenlernen führt. Die Geistgestalt dieser Kraft erscheint einem, indem die Flamme das Metall ergreift, das Metall schmilzt, indem das Metall flüssig wird. Je flüssiger, je flüchtiger das Metall wird, desto mehr steigt auf das Gehenlernen, das Sprechenlernen, das Denkenlernen des Menschen aus dem Glühend-, Flüssig-, Flüchtigwerden des Metalles im Feuer -und man schaut die innige Verwandtschaft dieses sein Schicksal er­lebenden Metalles mit dem, was abgedämpft von Feuersgewalten der Welten im Sprechen-, Gehen- und Denkenlernen des Kindes er­scheiiit, und man sagt sich, die Wesenheiten der ersten Hierarchie, Seraphim, Cherubim und Throne, sie haben zwei Seiten ihres Wir­kens. Die eine ist diese, wo sie aus der geistigen Welt, in die wir ja eintreten in der Mitte des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt, zu uns sprechen können, wo wir dann durch sie die Geheimnisse des planetarischen und des sonstigen kosmischen Wirkens erfahren, wie ich es in diesen Tagen geschildert habe. Die andere Seite ist diese, wo sie hereinwirken in die sichtbare Welt - auf der einen Seite in das Sprechen-, Denken- und Gehenlernen des Kindes, auf der anderen Seite in alles dasjenige, was unserem Erdenprozeß zugrunde liegt, in­dem das Feuer an diesem Erdenprozeß einen Anteil hat, indem im Feuer die Metalle schmelzen, verglühen.

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Im Schmelzen und Verglühen der Metalle in Feuersgewalten hat sich ja dieser Erdball aufgebaut. Wir sehen hinein in ältere Zeiten, wo sich der Erdball aufgebaut hat: Im schmelzenden Metall durch Feuersgewalten sehen wir den einen Lauf der Taten der Sera­phim, Cherubim, Throne innerhalb der irdischen Welt. Wir sehen sie da, diese Wesenheiten der ersten Hierarchie, wie sie durchmachen diesen Lauf, gestützt vorzugsweise auf die Throne. Wir blicken zu­rück in alte Erdenzeiten, wo dieses Glühendwerden, Flüssigwerden der Metalle in Feuersgewalten eine besondere Rolle beim Entstehen des Erdenkörpers gespielt hat, da waren die Throne besonders wirk­sam, die Seraphim und Cherubim haben ruhig mitgewirkt. Im Den­kenlernen, Gehenlernen und Sprechenlernen des Kindes dagegen spie­len die Cherubim die größte, die Hauptrolle. Aber wir sehen immer im Einklange die Wesenheiten der ersten Hierarchie im einen und anderen wirken und weben.

Solch eine Erkenntnis verbindet dann tatsächlich Tod im Erden-leben, Auferstehen im jenseitigen Leben. Denn durch eine solche Erkenntnis, da, wo man erschaut die Verwandtschaft der Feuers-gewalten, die die Metalle ergreifen, mit denjenigen Gewalten, die den Menschen zum Menschen machen - wo man diese im Zusammen-hange erschaut, da wird die ganze Welt eins. Da ist kein Unterschied mehr zwischen Erdenleben und jenseitigem Leben, zwischen dem Leben von der Geburt bis zum Tode und dem Leben in der geistigen Welt. Da ist das Leben zwischen Tod und neuer Geburt nur eine Verwandlung des Erdenlebens, da weiß der Mensch durch so etwas wie das eine in das andere übergeht, wie das eine nur eine andere Form des anderen ist.

Und wenn dann unsere Seele sich so recht erhebt an solchen Ein­sichten, dann kommen ja mit diesen Einsichten auch noch andere. Ja, diese anderen Einsichten, sie können auch noch auf einem anderen Wege kommen.

Wenn Sie wirklich dasjenige, was ich Ihnen heute dargestellt habe von der wunderbaren Verwandtschaft der in Feuersgewalten schmelzenden und sich verflüchtigenden Metalle mit dem Gehen-lernen, Sprechenlernen und Denkenlernen des Kindes, wenn Sie diese

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Bilder vor Ihre Imagination rücken und in denselben meditieren und dadurch Ihre Seele vertiefen, daß Sie solche Bilder sich vor die Seele rufen, dann wird diese Seele erfaßt von einer Gewalt, die Sie so durchschauen läßt, daß ein großes Lebensrätsel zur Förderung und Fruchtbarkeit des Lebens sich Ihnen löst: das Wirken des Karma, das Wirken des Schicksals im Menschen. Denn zwischen diesem Gehenlernen, Sprechenlernen und Denkenlernen des Kindes und dem sich Verflüssigenden und Verflüchtigenden der Metalle in Feuers-gewalten, zwischen dem schwefelig-phosphorigen Leuchten und We­ben und Verflüchtigen der Metalle im Feuer, zwischen dieser Prüfung der Metalle im Feuer und dem richtigen Übergehen des Animalischen im Kinde zum Menschen durch Gehen-, Sprechen- und Denken-lernen, liegt die Erfassung des Menschenschicksals, liegt das ver­ständnisvolle Eindringen in das Karma. Und das Karma ist ja das­jenige, was als Übersinnliches ins unmittelbar tätige Menschenleben hereingreift. Wir werden, wenn wir in dieser Weise meditierend auf-rücken, mit den Geheimnissen des Schicksals, das unser Leben durch-webt, dadurch bekannt, daß wir auf der einen Seite das Bild des Metallschicksals im Feuer, auf der anderen Seite das Bild des Ur­menschenschicksals, wenn der Mensch herabsteigt auf die Erde im Gehenlernen, Sprechenlernen und Denkenlernen, haben. Dazwischen enthüllt sich das, was wir vom Schicksalsrätsel brauchen für das menschliche Leben überhaupt.

So sehen wir, wie auch für die Schicksalsfrage hereintönen kann der übersinnliche Mensch in die Welt, in der der sinnliche Mensch lebt. Und das war es, was ich Ihnen noch sagen wollte als ein Ele­ment, das zu der Betrachtung des übersinnlichen Menschen dazu­gehört.

Diese Betrachtung des übersinnlichen Menschen kann eben nicht in abstrakten Theorien verlaufen, sondern sie muß überall hinaus­greifen in die Geheimnisse des Natur- und Geisteswesens der Welt, um den Menschen zu begreifen, denn der Mensch ist mit allen Natur-und Geistesgeheimnissen der Welt innig verbunden. Er ist wirklich eine kleine Welt. Man darf sich nur nicht vorstellen, daß das, was draußen in der großen Welt ausgebreitet ist, in derselben Weise auch

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im Mikrokosmos geschieht. Was majestätisch flammt in Feuersgewal­ten, wenn die Metalle schmelzen, das strahlt hinaus bis zu den Gren­zen des Kosmos, zu den Raumesgrenzen des Kosmos, denn solche gibt es. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Feuersgewalten, in denen die Metalle verschmelzen und sich verflüchtigen. Was im Metall sich verflüchtigt, das strahlt hinaus in die Weltenweiten, aber es kommt zurück in Lichtgewalten und in Lichteswärmestrahlungen. Und in­dem es zurückkommt aus den Weltenweiten, macht es aus dem Kinde, das noch nicht sprechen und gehen kann, das noch kriechen muß, das aufrecht gehende Kind. So haben Sie die Strömungen nach auf­wärts, die Sie schauen können in den verschmelzenden Metallen; wenn sie weit genug in den Kosmos hinausgehen, kehren sie um, kehren sie zurück und sind dann dieselben Gewalten, die das Kind aufrichten. Was Sie auf der einen Seite sehen, finden Sie auf der anderen wieder. Und so bekommen Sie eine Vorstellung von den auf-und absteigenden Weltenkräften, die im Weltenwesen wirken, von den Metamorphosen, den Verwandlungen dieser Weltenkräfte.

Dann lernen Sie aber auch dasjenige, was man in alten Zeiten ver­bunden hat mit der damaligen Wissenschaft, in seinem wahren Sinne kennen: die alten Opfer. In den alten Opfern war die Opferflamme mit dem, was darin verflammte, dasjenige, was man hinausschickte in die Weltenweiten zu den Göttern, damit es wiederum herunter-komme, um in Menschenwelten zu wirken. Und dem Opferfeuer stand der alte Priesterweise so gegenüber, daß er sagte: Dir, o Flamme, übergebe ich dasjenige, was ich hier auf Erden habe, damit es, wenn der Rauch nach oben strömt, die Götter empfangen. Es sei dasjenige, was in der Flamme sich entwickelt, umgewandelt in gött­lichen Segen, der schöpferisch wirkend und fruchtend wieder her­unterdringt auf die Erde! - So sehen wir auch das Sprechen der alten Opferpriester von übersinnlichen Welten mit den Weltengeheimnissen verbunden, in denen der Mensch drinnensteht.

Das ist es, was ich Ihnen sagen wollte von der übersinnlichen Natur des Menschen, insofern sie anthroposophisch erfaßt werden kann.

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Es bleibt mir nur noch übrig, im Anschlüsse an das, was ich Ihnen bei dieser Anwesenheit aus der Anschauung der geistigen Welten heraus aussprechen durfte, anknüpfend an das, was sich für die Gründung der Holländischen Anthroposophischen Gesellschaft abgespielt hat, zu sagen, wie es mein inniger Wunsch und meine Hoffnung ist, daß nun von dieser Tagung etwas ausgehen möge, was sich entzünden möge in Ihren Herzen und in Ihren Gemütern.

Wenn wir in der Lage sind, anthroposophische Erkenntnis nicht bloß lesend oder anhörend aufzunehmen, sondern wenn wir durch lebendige anthroposophische Betrachtung immer mehr und mehr dahin kommen, den Inhalt der Anthroposophie mit unserem Herzen, unserem Gemüt zu erleben, dann wird es uns wirklich so, als ob nicht bloß der Sinn von Ideen eindringe in unsere Seelen, wenn wir in den anthroposophischen Zweigen beisammen sind und mit anderen Menschen Anthroposophie treiben, oder wenn wir im einsamen Kämmerchen bleiben; sondern dann wird es uns so, als ob lebendige Weltenwesen in unsere Seelen einzögen. Dann erscheint uns immer mehr und mehr die Anthroposophie selber als etwas lebendig Wesenhaftes. Und wir werden dann schon gewahr, wie etwas an die Pforte unseres Herzens klopft mit der Anthroposophie und sagt: Laß mich ein, denn ich bin du selbst; ich bin deine wahre Menschenwesenheit!

Von dieser wahren Menschenwesenheit möchte Anthroposophie nicht nur erzählen, sondern mit dieser wahren Menschenwesenheit möchte Anthroposophie die menschliche Seele und das menschliche Gemüt erfüllen. Und Sie werden dasjenige, was Sie sich heute vorgenommen haben, am besten zur Ausführung bringen, wenn Sie öfter einmal - sei es auf dem Wege zur Versammlung, sei es, ein Buch in die Hand nehmend oder sonst etwas beginnend, wovon Sie glauben, daß es in der anthroposophischen Bewegung fruchtbar werden soll -, wenn Sie öfter einmal sich dessen erinnern, wie aus einem wahren anthroposophischen Betrachten der Welt in uns aufstrahlen kann das Gefühl und die Empfindung, daß Anthroposophie eigentlich an unsere Herzen pocht, um uns unseren wahren Menschen, unseren eigentlichen Menschen, um uns - uns selbst zu bringen und

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damit dasjenige in uns zu bringen, was wiederum den Weg hinausfindet in echter Menschenliebe zu den anderen Menschen. Dann, wenn wir Anthroposophie einlassen in unsere Herzen, nachdem sie gepocht hat, dann bringt uns Anthroposophie durch das, was sie selber ist, wahre Menschenliebe.

Oh, in unserer jetzigen Zeit ist es gar sehr notwendig, daß wir in diesem Stile den Inhalt der Anthroposophie betrachten. Denn sehen Sie sich ein wenig um in der Welt: die Zeit ist da, in welcher die Menschheit schwer geprüft wird. Warum wird die Menschheit so schwer geprüft? Ja, wenige schauen hin auf das, meine lieben Freunde, was in den Tiefen des historischen Weltgeschehens sich abspielt, wo nicht mehr das menschliche heutige Bewußtsein, sondern wo das Unbewußte nur hineindringt. Ziemlich gedankenlos und schläfrig lebt eigentlich der größte Teil der Menschheit heute mit dem gewöhnlichen Bewußtsein dahin. Aber während wir im Kopfe dieses gewöhnliche Bewußtsein haben, schreitet unser tieferes Bewußtsein, welches das Herz ergreift, gerade eben historisch für die moderne Zivilisation durch die Schwelle zur geistigen Welt durch. Hier oben (es wird an die Tafel gezeichnet) im Kopfe leben die Menschen mit alle dem, was sie heute miteinander reden, namentlich mit alle dem,

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was sie sich über die öffentlichen Verhältnisse vorlügen, und unten geht die ganze Menschheit - ohne daß sie es ahnt, wie wenn einer auf dem Vulkan ginge - durch die Schwelle durch. Und jenseits muß der Mensch entweder verderben, oder er muß vorrücken mit gutem Wil-

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len zu einer Erkenntnis der übersinnlichen Welt. Anthroposophie hängt heute schon zusammen mit dem eigentlichen Fortgang der menschlichen Zivilisation. Aber das Elend, das heute innerhalb dieser Zivilisation gesehen werden kann, sollte eine Aufforderung sein, heranzutreten an eine übersinnliche Menschen- und Weltbetrachtung. Das können wir aber nur, wenn wir ein offenes Auge für alles das haben, was in der Welt vorgeht.

Und so betrachten Sie den heutigen Tag als den Anfang zu dem, daß sie wirklich nicht bloß sich zusammensetzen in Ihren anthroposophischen Zweigen, um sich gewissermaßen einsam abzuschließen von der Welt, sondern daß Sie hinausschauen in das, was im Leben vorgeht. Nehmen Sie das Wort, das ich heute [bei der Gründungsversammlung der Holländischen Anthroposophischen Landesgesellschaft] vielfach gebraucht habe - das ich sozusagen «totgetreten» habe -, das Wort «weltmännisch», «weltfraulich» in vollem Ernste: Versuchen Sie, mit der Welt zusammenzuwachsen! Das wird das beste, das wichtigste «Programm» sein. Das kann man nicht in Statuten hineinbringen; das sollen wir aber als eine Flamme in unsere Herzen hineinbringen können. Nicht mit Programmpunkten kann ich Ihnen am meisten dienen, sondern indem ich Sie hinlenke zu den rechten Empfindungen, den rechten Gefühlen, welche das anthroposophische Leben begleiten sollen. Und wenn Sie etwas warm werden von der Anregung zu diesen rechten Empfindungen, diesen rechten Gefühlen, dann ist einiges von dem erfüllt, was ich eigentlich erreichen wollte mit den Betrachtungen, die ich vor Ihnen anstellte über den übersinnlichen Menschen, wie man ihn anthroposophisch erfassen kann. Und wenn Sie immer wieder glauben werden, manches von dem ginge nicht, was Sie programmatisch in der Anthroposophischen Gesellschaft wollen: es wird immer helfen, wenn Sie gerade an das zurückdenken, was in diesen, wenn auch wenigen Vorträgen nur andeutend leben konnte über den übersinnlichen Menschen. Denn es wird Sie jederzeit erinnern können an das Gewichtige der Anthroposophie. Und wir können für die Verbreitung, für das richtige Hintragen der Anthroposophie vor die Welt eigentlich nichts besseres tun, als wenn wir uns immer mehr und mehr bewußt werden des gewich-

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tigen Impulses, der die Anthroposophie sein soll für den weiteren Fortgang unserer Zivilisation.

Damit, meine lieben Freunde, möchte ich den heutigen Tag und diese Vorträge abschließen und Ihnen so recht ans Herz legen, was ich eigentlich als den Empfindungsstrom habe durchziehen lassen wollen durch die Worte, die ich gerade in diesen Tagen über den übersinnlichen Menschen zu Ihnen gesprochen habe. Wenn wir solche Gedanken rege und warm in unseren Herzen behalten, dann werden wir ja auch immer beisammen sein können, wenn wir auch räumlich getrennt sind. Dann werden wir die Gelegenheiten, in denen wir wieder zusammen sein werden, sein lassen können Ausgangspunkte eines weiteren geistigen Zusammenseins. Dann wird uns ein solches physisches Zusammensein der Anlaß sein zu einem wirklichen geistigen Zusammensein. Möge ein solches geistiges Zusammensein zwischen uns allen sich wiederum fester und fester noch knüpfen als ein Ergebnis dessen, was wir zusammen in diesen Tagen erleben durften.

HINWEISE

#G231-1962-SE159 Der übersinnliche Mensch anthroposophisch erfasst

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HINWEISE

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zu Seite

9 Die vorliegenden Vorträge wurden anläßlich einer Tagung der anthroposo­phischen Bewegung in Holland gehalten, an die sich die Begründung einer holländischen Landesgesellschaft anschloß. Die während der Tagung einge­schobenen beiden öffentlichen Vorträge, die in ihrer prinzipiellen Thematik die Bedeutsamkeit dieses Ereignisses für die Zeitwelt betonen, vgl. Seite 57, sind hier zur Einführung vorangestellt.

49 Notizbücher: Von solchen Notizbüchern sind über 600 erhalten. Das erste stammt aus dem Jahr 1876 von dem Fünfzehnjährigen, die letzten von 1924. Außer den im Vortrag beschriebenen Aufzeichnungen enthalten sie u. a. Wahrspruchworte und ausführlichere Vortragsnotizen. Soweit möglich, erschei­nen Veröffentlichungen daraus bei gegebener Gelegenheit im Rahmen der Gesamtausgabe, anderes wird in den «Nachrichten der Rudolf Steiner-Nach­laßverwaltung mit Veröffentlichungen aus dem Archiv», 1961 ff, abgedruckt.

57 «Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. Jahresausklang und Jahreswende 1923/24», Vorträge, Anspra­chen und Fragenbeantwortungen, herausgegeben von Marie Steiner. Gesamt­ausgabe Dornach 1962.

für ihre Worte herzlichst danken: In einer einleitenden Ansprache war hin­gewiesen worden auf die Bedeutung dieser Tagung für die Begründung der Holländischen Landesgesellschaft.

64 Die Wandtafelzeichnungen sind nicht erhalten,

78 «Die Geheimwissenschaft im Umriß» 1910, 27. Auflage Gesamtausgabe Dorn-ach 1962.

115 «Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschen-bestimmung« 1904, 28. Auflage Gesamtausgabe Dornach 1961. 122 in die Weltensprache: Unmittelbar vor diesem Zyklus in Den Haag hielt Rudolf Steiner in Dornach die Vortragsreihe «Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes». Zwölf Vorträge, Dornach, 19. Oktober bis 11. November 1923, Gesamtausgabe Dornach 1958, in welcher er diesen Zusammenhang ausführlicher behandelte.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.