GA 195: Unterschied zwischen den Versionen

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die ertöten wollen religiöses Interesse, die wegschaffen wollen religiöses Erleben, sondern einzig und allein diejenigen, die durch­schauen, wie durch unsere intellektualistische Zeit das alte religiöse Interesse verglommen ist, das alte religiöse Leben gelähmt ist, wie ein neues religiöses Interesse die Menschheit ergreifen muß, wie ein neues religiöses Erleben ersprießen muß in der Menschheit, damit die Menschen in den Kosmos neue Keime eines kunftigen Daseins hin eintragen können.
die ertöten wollen religiöses Interesse, die wegschaffen wollen religiöses Erleben, sondern einzig und allein diejenigen, die durch­schauen, wie durch unsere intellektualistische Zeit das alte religiöse Interesse verglommen ist, das alte religiöse Leben gelähmt ist, wie ein neues religiöses Interesse die Menschheit ergreifen muß, wie ein neues religiöses Erleben ersprießen muß in der Menschheit, damit die Menschen in den Kosmos neue Keime eines kunftigen Daseins hin eintragen können.
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= FÜNFTER VORTRAG Stuttgart, 1. Januar 1920 =
= FÜNFTER VORTRAG Stuttgart, 1. Januar 1920 =
<nowiki>#</nowiki>G195-1962-SE070 Weltsylvester und Neujahrsgedanken
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FÜNFTER VORTRAG
Stuttgart, 1. Januar 1920
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Heute möchte ich vor Ihnen erscheinen mit jenen Neujahrsgrüßen, welche dasjenige enthalten, was ich Ihnen hineinwünschen möchte in Ihre Seelen, damit Sie in unserer Zeit, die so sehr dessen bedarf, die großen dringenden Forderungen sehen für die Entwickelung der Menschheit, und damit Sie, jeder an seinem Platze, mitwirken mö­gen, soviel Sie eben können, zu der Erfüllung dessen, was in unserer Gegenwart der Menschheit so sehr nötig ist. In einer solchen Zeit, die symbolisch ausdrückt den Zusammenfluß von Vergangenheit und Zukunft, wird es vielleicht gestattet sein, daß ich anknüpfe an etwas, von dem ich, obzwar es mit persönlichen Erlebnissen zusammen­hängt, doch glaube, daß es eine gewisse Bedeutung hat für das Hin­einschauen in die ganze geistige Gestaltung der Gegenwart. Meine lieben Freunde, in der nächsten Zeit sollen Aufsätze von mir erschei­nen, die vor langer Zeit - einige davon vor mehr als dreißig Jah­ren - von mir geschrieben worden sind. Diejenigen Aufsätze, die ich vor mehr als dreißig Jahren, damals noch in Österreich, geschrieben habe, sind gesammelt worden durch die Liebe, mit der sich dieser Sammlung unser Freund Dr. Kolisko unterzogen hat, und ich darf heute in dieser Neujahrsbetrachtung, die ja eben als solche mit Recht eine Zeitbetrachtung ist, einleitend auf einiges hinweisen, was von mir vor mehr als dreißig Jahren geschrieben worden ist; was damals geschrieben worden ist, wie Sie gleich erkennen werden, um dem deutschen Volke, man kann schon sagen, ins Gewissen zu reden, um Ausdruck zu geben dem, was man dazumal wahrnehmen konnte als einen Grundmangel in dem geistigen Leben dieses deutschen Vol­kes. Gestatten Sie, daß ich ein paar von diesen, nunmehr mehr als dreißig Jahre alten Sätzen vorlese. Sie stehen in dem Artikel, den ich überschrieben habe «Die geistige Signatur der Gegenwart». Also, sie weisen auf eine mehr als dreißig Jahre alte Vergangenheit jetzt hin, die dazumal Gegenwart war. Ich schrieb dazumal, drinnenstehend in jenen Symptomen des allgemeinen geistigen Lebens, das sich mehr
Heute möchte ich vor Ihnen erscheinen mit jenen Neujahrsgrüßen, welche dasjenige enthalten, was ich Ihnen hineinwünschen möchte in Ihre Seelen, damit Sie in unserer Zeit, die so sehr dessen bedarf, die großen dringenden Forderungen sehen für die Entwickelung der Menschheit, und damit Sie, jeder an seinem Platze, mitwirken mö­gen, soviel Sie eben können, zu der Erfüllung dessen, was in unserer Gegenwart der Menschheit so sehr nötig ist. In einer solchen Zeit, die symbolisch ausdrückt den Zusammenfluß von Vergangenheit und Zukunft, wird es vielleicht gestattet sein, daß ich anknüpfe an etwas, von dem ich, obzwar es mit persönlichen Erlebnissen zusammen­hängt, doch glaube, daß es eine gewisse Bedeutung hat für das Hin­einschauen in die ganze geistige Gestaltung der Gegenwart. Meine lieben Freunde, in der nächsten Zeit sollen Aufsätze von mir erschei­nen, die vor langer Zeit - einige davon vor mehr als dreißig Jah­ren - von mir geschrieben worden sind. Diejenigen Aufsätze, die ich vor mehr als dreißig Jahren, damals noch in Österreich, geschrieben habe, sind gesammelt worden durch die Liebe, mit der sich dieser Sammlung unser Freund Dr. Kolisko unterzogen hat, und ich darf heute in dieser Neujahrsbetrachtung, die ja eben als solche mit Recht eine Zeitbetrachtung ist, einleitend auf einiges hinweisen, was von mir vor mehr als dreißig Jahren geschrieben worden ist; was damals geschrieben worden ist, wie Sie gleich erkennen werden, um dem deutschen Volke, man kann schon sagen, ins Gewissen zu reden, um Ausdruck zu geben dem, was man dazumal wahrnehmen konnte als einen Grundmangel in dem geistigen Leben dieses deutschen Vol­kes. Gestatten Sie, daß ich ein paar von diesen, nunmehr mehr als dreißig Jahre alten Sätzen vorlese. Sie stehen in dem Artikel, den ich überschrieben habe «Die geistige Signatur der Gegenwart». Also, sie weisen auf eine mehr als dreißig Jahre alte Vergangenheit jetzt hin, die dazumal Gegenwart war. Ich schrieb dazumal, drinnenstehend in jenen Symptomen des allgemeinen geistigen Lebens, das sich mehr
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solche Dinge besser berücksichtigt werden in unseren Kreisen, es sollte gebaut werden auf der Grundlage der Erkenntnis, daß hier etwas gewollt wird, was nichts zu tun hat mit dem landläufigen Gewäsche von Theosophie, das da und dort herrscht, sondern das auf ebenso strenge Einsicht in die Dinge baut, wie nur irgend eine Wissenschaft, die sich je einmal geltend gemacht hat. Würde so etwas gründlich gefühlt werden, so würde man auch wissen, warum das erfolgt ist, was jetzt der Pater Zimmermann wie einen Abfall bezeichnet. Sie wissen, daß es das nicht war, sondern daß wir herausgeworfen wor­den sind, weil es nicht gelungen ist, in diese Gesellschaft des mysti­schen Wischi-waschi-Herumredens wirklichen Ernst hineinzutragen; weil man wirklichen Ernst dort nicht wollte, weil man dort fort­schwätzen wollte in derselben Art, wie man geschwätzt hat durch Jahre hindurch höchstens in Anknüpfung an irgend etwas, worüber man ohne Erkenntnis der geistigen Welt alles Mögliche sagen kann. Das, was unserer Zeit so nötig ist, das ist voller Ernst auf dem Ge­biete des Geisteslebens. Von diesem vollen Ernst wollte ich Ihnen heute, da ja mein diesmaliges Hiersein in diesen Tagen zu Ende gebt, am Neujahrstage nochmals sprechen, und ich hätte recht sehr den Wunsch, daß in unsere Reihen einziehe der Neujahrswunsch, den sich jeder einzelne selber von sich gestalten könnte: daß durch die Seelen und die Herzen unserer Freunde etwas geöffnet würde der Blick für das, was nottut, geöffnet würde für das, was aus dem Geiste heraus einzig und allein der Menschheit helfen kann. Wir können heute nicht aus demjenigen, was außen an Einrichtungen erhalten ist, etwas Heilsames bilden, wir müssen ein Neues einprägen dieser Menschheitsentwickelung. Das muß erkannt werden. Und das zu fühlen, daß es erkannt werden müsse, das ist wohl der würdigste Neujahrsgedanke, der in Ihren Herzen entstehen kann heute, im Beginne des Jahres 1920, das manche wichtige Entscheidung bringen wird, wenn sich Menschen finden, die das für die Menschheit Not­wendige, so wie es heute angedeutet wurde, erkennen. Erkannt muß werden, daß das Jahr 1920 Not und Elend bringen wird, wenn solche Menschen sich nicht finden, und einzig und allein diejenigen den Ton angeben, die im Alten so weiterwirken möchten.  
solche Dinge besser berücksichtigt werden in unseren Kreisen, es sollte gebaut werden auf der Grundlage der Erkenntnis, daß hier etwas gewollt wird, was nichts zu tun hat mit dem landläufigen Gewäsche von Theosophie, das da und dort herrscht, sondern das auf ebenso strenge Einsicht in die Dinge baut, wie nur irgend eine Wissenschaft, die sich je einmal geltend gemacht hat. Würde so etwas gründlich gefühlt werden, so würde man auch wissen, warum das erfolgt ist, was jetzt der Pater Zimmermann wie einen Abfall bezeichnet. Sie wissen, daß es das nicht war, sondern daß wir herausgeworfen wor­den sind, weil es nicht gelungen ist, in diese Gesellschaft des mysti­schen Wischi-waschi-Herumredens wirklichen Ernst hineinzutragen; weil man wirklichen Ernst dort nicht wollte, weil man dort fort­schwätzen wollte in derselben Art, wie man geschwätzt hat durch Jahre hindurch höchstens in Anknüpfung an irgend etwas, worüber man ohne Erkenntnis der geistigen Welt alles Mögliche sagen kann. Das, was unserer Zeit so nötig ist, das ist voller Ernst auf dem Ge­biete des Geisteslebens. Von diesem vollen Ernst wollte ich Ihnen heute, da ja mein diesmaliges Hiersein in diesen Tagen zu Ende gebt, am Neujahrstage nochmals sprechen, und ich hätte recht sehr den Wunsch, daß in unsere Reihen einziehe der Neujahrswunsch, den sich jeder einzelne selber von sich gestalten könnte: daß durch die Seelen und die Herzen unserer Freunde etwas geöffnet würde der Blick für das, was nottut, geöffnet würde für das, was aus dem Geiste heraus einzig und allein der Menschheit helfen kann. Wir können heute nicht aus demjenigen, was außen an Einrichtungen erhalten ist, etwas Heilsames bilden, wir müssen ein Neues einprägen dieser Menschheitsentwickelung. Das muß erkannt werden. Und das zu fühlen, daß es erkannt werden müsse, das ist wohl der würdigste Neujahrsgedanke, der in Ihren Herzen entstehen kann heute, im Beginne des Jahres 1920, das manche wichtige Entscheidung bringen wird, wenn sich Menschen finden, die das für die Menschheit Not­wendige, so wie es heute angedeutet wurde, erkennen. Erkannt muß werden, daß das Jahr 1920 Not und Elend bringen wird, wenn solche Menschen sich nicht finden, und einzig und allein diejenigen den Ton angeben, die im Alten so weiterwirken möchten.


= HINWEISE =
= HINWEISE =

Version vom 17. Oktober 2023, 16:30 Uhr

ansehen im RUDOLF STEINER VERLAG

RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Weltsilvester
und Neujahrsgedanken

Fünf Vorträge, gehalten in Stuttgart
vom 21. Dezember 1919 bis 1. Januar 1920

GA 195

1962

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Stuttgart, 21. Dezember 1919

Diejenigen von Ihnen, welche die letzten hier gehaltenen Vorträge gehört haben, werden aus den darin angestellten Betrachtungen entnommen haben, inwiefern es durchaus gegenwärtig eine Zeitforde­rung ist, die sogenannte Wissenschaft der Initiation, die wirkliche Wissenschaft vom geistigen Leben in unsere ganze Kulturentwicke­lung einfließen zu lassen. Und manches habe ich auch schon darüber gesprochen, welches die Hindernisse sind, die sich diesem Einfließen der Wissenschaft von der geistigen Welt in unser gegenwärtiges Kul­turleben und wohl auch noch in das Kulturleben der Zukunft ent­gegenstellen. Da ist ja vor allen Dingen erstens dasjenige, was ich öfters charakterisiert habe als die Furcht vor der geistigen Erkennt­nis. Man braucht dieses wohl nur auszusprechen und es wird in der Gegenwart von allen Seiten gewissermaßen «beleidigt» getan werden. Denn wie sollte es denn nach der Ansicht mancher Menschen zutref­fend sein, daß in jener Zeit, in der man es so herrlich weit gebracht hat, die Menschen irgendwelche Furcht vor einer Erkenntnis haben? Die Menschen glauben ja heute, in der Lage zu sein, gewissermaßen alles, alles mit ihren Erkenntniskräften umfassen zu können. Die Furcht aber, von der ich spreche und von der ich öfter gesprochen habe, die sitzt zunächst nicht im Bewußtsein der Menschen. Im Bewußtsein machen sich die Menschen vor, daß sie mutig genug seien, um jede Art von Erkenntnis entgegenzunehmen. Aber tief in demjenigen in der Seele, wovon die Menschen nichts wissen und auch heute im Grunde genommen nichts wissen wollen, da sitzt diese unbewußte Furcht, und weil diese Menschen diese unbewußte Furcht haben, so steigt ihnen allerlei auf von der Art von Gründen, die sie logische Gründe nennen, von denen sie vorgeben, daß sie logische Einwände gegen die Geisteswissenschaft seien. Es sind keine logischen Einwendungen, es sind nur Ausflüsse der in den Menschenseelen unbewußt waltenden Furcht vor der Wissenschaft vom Geiste. In den Untergründen des Seelenlebens weiß nämlich eigentlich ein jeder

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Mensch viel mehr als er denkt. Er will dieses Wissen, das in den Untergründen des Seelenlebens wurzelt, nur nicht heraufsteigen las­sen, weil er sich eben davor fürchtet. Vor allen Dingen ahnt der Mensch eines von den übersinnlichen Welten: Er ahnt, daß in all dem, was er sein Denken nennt, in all dem, was er als seine Gedan­kenwelt bezeichnet, doch etwas enthalten ist von der übersinnlichen Welt. Selbst materialistisch gesinnte Menschen der Gegenwart können sich nicht immer der Ahnung entschlagen, daß in dem Gedankenleben doch etwas enthalten sei, das irgendwie auf eine übersinnliche Welt hinweist. Aber zu gleicher Zeit ahnt der Mensch noch etwas anderes von dieser Gedankenwelt: Er ahnt, daß diese Gedankenwelt sich zu einer gewissen Wirklichkeit etwa so verhält wie das Bild, das man in einem Spiegel sieht, sich verhält zu der Wirklichkeit, die abgespie­gelt wird. Und so wie eigentlich das Bild im Spiegel keine Wirk­lichkeit ist, so müßte sich der Mensch auch gestehen, daß seine Gedankenwelt keine Wirklichkeit ist. In dem Augenblick, wo der Mensch den Mut, die Furchtlosigkeit hätte, sich zu gestehen, daß die Gedankenwelt eben keine Wirklichkeit ist, in dem Augenblicke würde cr auch fassen müssen die Sehnsucht nach einer Erkenntnis der geistigen Welt. Denn man möchte doch wissen, worauf es hin­weist, was man als ein Spiegelbild nur sieht.

Nun aber hat dasjenige, was ich eben gesagt habe, ich möchte sagen, einen wichtigen polarischen Gegensatz. Wenn man durch die Wissenschaft der Initiation aufsteigt über die Schwelle zur übersinn­lichen Welt hinweg in die geistige Welt, dann wird umgekehrt alles das, was man hier als sinnliche Wirklichkeit erlebt, zu einem bloßen Bilde, zu einem Scheinbilde. Man steigt auf in die übersinnliche Welt und gerade so, wie hier, sagen wir, auf Erden die übersinn­liche Welt ein Spiegelbild ist, im Spiegelbild vorhanden ist, so ist die Erdenwelt in der übersinnlichen Welt nurmehr als ein Spiegel­bild vorhanden. Und derjenige, der aus der Wissenschaft der Initia­tion heraus spricht, muß daher selbstverständlich von der sinnlichen Wirklichkeit wie von Bildern bloß sprechen. Das fühlen dann die Menschen, daß ihnen das, worauf sie so bequem stehen können, was sie so bequem einatmen können, was sie so bequem sehen können,

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ohne daß sie etwas dazu tun als höchstens am Morgen die Augen aufzumachen und sie sich auszureiben, daß das zu einem bloßen Bilde wird. Dies fühlen dann die Menschen, und sie beginnen sich unsicher zu fühlen; sie beginnen sich etwa so unsicher zu fühlen wie ein Mensch, den man bei einem Spaziergang geführt hat bis an den Rand eines Abgrundes, und den dann der Schwindel der Furcht ergreift. Auf der einen Seite also müßte der Mensch fühlen, wie sein Denken hier in der Sinnenwelt bloß eine Summe von Bildern ist, auf der anderen müßte er fühlen - und er fühlt es auch, aber täuscht sich durch die unbewußte Furcht darüber hinweg -, daß dasjenige, was von der übersinnlichen Welt erzählt, diese Welt hier zu einem Bilde macht. Das, wie gesagt, fühlen die Menschen. Daher sträuben sie sich gegen das, was von der Wissenschaft der Initiation kommt. Sie sträuben sich, weil sie meinen, daß ihnen der sichere Untergrund des Daseins dann fehle, wenn man ihnen die Sinneswelt gewissermaßen zu einem bloßen Bilde macht.

Nun kann gewiß nicht jeder ohne weiteres in der Gegenwart durchmachen, was derjenige durchzumachen hat, der praktisch un­mittelbar in die Welt der Initiation eintritt. Denn ein solcher, der eintritt in die Welt der Initiation, muß darinnen nicht nur erkennen, was sich heute alle Menschen bestreben sollten zu erkennen, sondern er muß darinnen auch leben; er muß darinnen leben, wie man mit seinem Leibe lebt in der physisch-sinnlichen Welt. Das heißt, er muß gewissermaßen stellvertretend wirklich das durchmachen, was in der physisch-sinnlichen Welt nur durchzumachen ist in dem Mo­ment des Todes. Er muß die Möglichkeit gewinnen, in einer Welt zu leben, für die gar nicht eingestellt ist der physisch-sinnliche Mensch. Schon wenn wir uns nur in den Finger schneiden, fühlen wir einen gewissen Schmerz, fühlen wir etwas Unbequemes. Warum fühlen wir da etwas Unbequemes, wenn wir uns in den Finger schneiden? Nun, aus dem einfachen Grunde, weil das Messer wohl die Haut und den Muskel und den Nerv zerschneidet, aber nicht den übersinnlichen Ätherleib. Wenn wir den unzerschnittenen Finger haben, dann paßt unser übersinnlicher Atherleib zu diesem unzerschnittenen Finger; wenn wir den Finger zerschnitten haben und wir den Atherleib doch

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nicht zerschneiden können, dann paßt der unzerschnittene Äther-leib nicht zu dem zerschnittenen Finger, und das ist der Grund, warum der astralische Leib dann den Schmerz fühlt. Von dem Nicht­angepaßtsein an die sinnliche Leiblichkeit kommt das. Wenn der Mensch über die Schwelle zur übersinnlichen Welt eintritt in diese übersinnliche Welt, dann ist er mit seinem ganzen Leibe nicht mehr angepaßt an den sinnlichen Leib, dann fühlt er nach und nach so etwas ähnliches, wie er lokal fühlt, wenn er sich den Finger zer­schnitten hat. Und dieses, meine lieben Freunde, dieses ist in einer unbegrenzten Steigerung zu denken.

Nun ist natürlich gar nicht vorzustellen, was über die Menschen der Gegenwart, die in ihrem Bewußtsein oftmals so mutig, in ihrer Seele oftmals so wehleidig sind, was über sie kommen würde, wenn sie unmittelbar die Möglichkeit des Lebens in der übersinnlichen Welt empfangen würden, wenn sie durchmachen sollten all das, was von der Unangepaßtheit an diese übersinnliche Welt kommt. Aber nicht nur, daß die Menschheit der Gegenwart so weit ist, daß sie mit dem gesunden Menschenverstand alles das einsehen kann, was diejenigen erzählen, die das Leben im Übersinnlichen kennen, son­dern es ist dieses Wissen vom Übersinnlichen, dieses Empfangen der Wissenschaft vom Übersinnlichen für den gesunden Menschenver­stand der Gegenwart sogar eine unbedingte Notwendigkeit. Denn nur dieses Wissen vom Übersinnlichen kann heute aufklären über alles das, was uns so chaotisch, so verheerend in der Gegenwart um­gibt. Wir leben ja, so muß man sagen, in einer Welt, in welcher Dinge zum Vorschein kommen, Dinge sich ausleben, von denen wir sagen müssen, sie können nicht so bleiben, sie müssen eine Umwand­lung erfahren. Aber die Menschheit der Gegenwart durchschaut gar nicht, was da eigentlich um sie herum lebt. Durchschauen, was da um die Menschheit herum in der Gegenwart lebt, man kann es nur durch die Wissenschaft der Initiation, man kann es nur dadurch, daß man vor allen Dingen das Leben der Gegenwart vergleichen kann mit all den Lebenserscheinungen, die im Laufe der Jahrhunderte, Jahrtausende, in die Entwickelung der Menschheit eingegriffen haben.

Es mußte in einem gewissen Zeitpunkt gesagt werden zur heutigen

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Öffentlichkeit: Will man irgendeinen fruchtbringenden Impuls hin­einbringen in das Leben, das uns die heutigen zerstörenden Erschei­nungen zeigt, so ist dieser kein anderer als der von der Dreigliederung des sozialen Organismus. Damit mußte der Seelenblick der Men­schen hingewiesen werden auf die drei Grundströmungen unseres gegenwärtigen Kulturlebens. Diese Grundströmungen, sie sind ja, wie Sie wohl heute schon genügend wissen, die des eigentlichen gei­stigen Lebens, die des rechtlich-politischen Lebens, die des äußeren wirtschaftlichen Lebens.

Wenn man diese drei Grundströmungen des Lebens vor die mensch­liche Seele hinstellt, dann umfaßt man eigentlich, indem man die Worte für diese Grundströmungen ausspricht, eine große Summe von Erscheinungen des Lebens in jeder einzelnen dieser Grundströ­mungen. Wollen wir einmal, ich möchte sagen, der Reihe nach diese drei Grundströmungen vor unserem geistigen Blick ein wenig vorbei-ziehen lassen.

Wir haben heute ein Geistesleben. In der einen oder anderen Weise wird der Mensch in dieses Geistesleben hineingestellt. Der eine, indem er nach den wirtschaftlichen oder nach den rechtlichen Grundlagen, auf denen sein Dasein aufgebaut ist, vielleicht nur eine Volksschule besucht, ein anderer vielleicht weitergetrieben wird in unseren Bil­dungsanstalten. Dasjenige, was da von den Menschen aufgenommen wird, das lebt ja unter uns in unserem sozialen Leben. Mit dem verhalten wir uns zu unseren Mitmenschen. Heute ist die Zeit, wo gründlich muß aufgeworfen werden die Frage: Woher kommt denn gerade dieses ganze Geistesleben, und wodurch hat es im Verlaufe seines Herkommens, im Verlaufe seiner Entwickelung gerade den­jenigen Charakter angenommen, den es heute hat? Geht man auf den wirklichen Ursprung dieses Geisteslebens zurück, so muß man gewissermaßen vorher gewisse Stationen durchmachen. Dasjenige, was heute unser Volksschulleben, unser höheres Schulleben durch­dringt, das geht - aber in Zwischenstationen, die ich jedoch auslasse -doch alles zurück auf längst Vergangenes. Man erkennt nur gewöhn­lich nicht, wie es zurückgeht, man erkennt im Volksschulwesen zum Beispiel nicht, wie es zurückgeht auf das, was hervorgetreten ist im

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alten Griechenland. Im Grunde genommen wird unser geistiges Le­ben von den Impulsen gespeist, die im alten Griechenland, in etwas anderer Form, gelebt haben, die sich nur umgewandelt haben seither. Aber sie sind auch nicht im alten Griechenland entsprungen. Sie sind entsprungen drüben im Orient und haben, allerdings vor Jahr­tausenden, an ihrer Quelle im Orient eine andere Form gehabt, als sie schon im alten Griechenland hatten. Damals, im Orient, waren sie Mysterienweisheit. Wenn wir weglassen unser rechtlich-politi­sches Leben, das ja chaotisch wie in einem Knäuel verquickt ist mit dem geistigen Leben, und weglassen das Wirtschaftsleben, wenn wir herausschälen in Abstraktion unser Geistesleben, so können wir seinen Weg rückwärts verfolgen, hinaufsteigend bis zu gewissen Mysterien des Orients, deren Ursprung allerdings vor Jahrtausenden liegt, in denen aber das, was heute für uns in unseren Bildungsanstalten eine trockene, nüchterne Abstraktion ist, einen lebensfremden Charakter hat, etwas durchaus Lebendiges war. Versetzen wir uns zurück im Geiste nach jenen Mysterien des Orients, die ich damit eigentlich meine, so treffen wir als die Vorsteher dieser Mysterien Menschen, die wir bezeichnen können als eine Art von Zusammenfluß von Priester, von König und zu gleicher Zeit - so sonderbar es dem heutigen Menschen klingt - von Ökonom, von Wirtschafter. Denn in diesen Mysterien - ich möchte sie nennen die Mysterien des Lichts oder des Geistes - wurde eine umfassende Lebenserkenntnis getrieben, eine Lebenserkenntnis, die zunächst darauf ausging, aus den Tatsa­chen der Himmels- und Sternenwelt das Wesen des Menschen zu erforschen; aber auch eine Weisheit, welche darauf ausging, das rechtliche Zusammenleben der Menschen zu regeln im Sinne dieser gewonnenen Erkenntnisse. Und ausgegeben wurden aus diesen My­sterienstätten die Anweisungen, wie man das Vieh behüten soll, wie man den Acker bebauen soll, wie man Kanäle anlegen soll und so weiter. Diese Wissenschaft der Initiation eines grauen Altertums hatte eine soziale Stoßkraft, war etwas, was den ganzen Menschen erfüllte, war etwas, was in der Lage war, nicht bloß schöne Dinge zu sagen über das Gute und Wahre, sondern was in der Lage war, aus dem Geiste heraus das praktische Leben zu beherrschen, zu organisieren

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und zu gestalten. Der Weg, welchen diese Mysterien vorsteher gingen, und welchen sie, soweit ihnen das möglich war, den Völkern zeig­ten, die zu einem solchen Mysterium gehörten, war ein Weg von oben nach unten. Erst strebten diese Mysterienvorsteher nach der Offenbarung der geistigen Welten, dann arbeiteten sie herunter, indem sie den Geist in concreto umfaßten nach den Grundsätzen der atavistischen Hellseherkunst, dann arbeiteten sie herunter zum politischen Leben, zur politischen Gestaltung der sozialen Organis­men und dann bis zur Ökonomie, bis zur Wirtschaft. Das war Weis­heit mit Lebensstoßkraft. Wodurch war diese Weisheit mit Lebens-stoßkraft eigentlich unter die Menschen gekommen?

Wenn wir zurückgehen in die Zeiten, in denen diese Mysterien, die ich jetzt meine, noch nicht maßgebend waren, so haben wir über die Gegenden der damals zivilisierten Menschheit hin lauter Men­schen mit einer gewissen ursprünglichen atavistischen Heliseherkraft, Menschen, die, wenn sie von dem, was sie für das Leben brauchten, sprachen, sich auf die Eindrücke ihres Herzens, ihrer Seele, ihres Schauens berufen konnten. Diese Menschen waren ausgebreitet über die Gegenden des heutigen Indiens, Persiens, Armeniens, Nordafrikas, Südeuropas und so weiter. Eines aber lebte nicht in den Seelen dieser Menschen. Das war dasjenige, was wir heute als unser stolzestes Seelengut betrachten, die Intelligenz, der Verstand. Verstand brauch­te gewissermaßen die Bevölkerung der damals zivilisierten Welt noch nicht. Denn, was heute der Verstand tut, das wurde aus den Einge­bungen der Seele heraus von den Menschen getan und das wurde geleitet und orientiert von den Führern, die diese Menschen hatten. Da aber breitete sich gerade in jene Gegenden hinein aus etwas, was wir nennen könnten eine andere Menschenrasse, was wir nennen könnten eine ganz andere Art von Menschenwesen, als diese Bevöl­kerung war, von der ich gesprochen habe.

In den Sagen und Mythen und wohl auch in der Geschichte wird das so erzählt, daß herabstiegen aus den Hochländern Asiens gewisse Menschen, die in sehr alten Zeiten nach dem Süden und Südwesten hin eine gewisse Kultur brachten. Geisteswissenschaft muß ergründen, welcher Art diese Menschen waren, die da herabstiegen zu jenen

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Menschen, die nur aus ihrem Innern heraus, aus ihren Eingebungen heraus die Richtkraft für das Leben empfingen. Da finden wir, geisteswissenschaftlich untersucht, daß diese Menschen, die wie ein neues Bevölkerungselement hereinkamen in die damalige Zivilisation, zwei Dinge miteinander vereinigten, die die anderen nicht hatten. Die anderen Menschen hatten die atavistische Hellseherkraft ohne den Verstand, ohne die Intelligenz; die da herabstiegen, hatten auch noch etwas von der Hellseherkraft, aber sie hatten zugleich in ihrer Seele die erste Anlage zur Intelligenz, zum Verstand empfangen. Und so brachten sie über die damalige Zivilisation ein verstandes­durchtränktes Hellsehertum. Das waren die ersten Arier, von denen die Geschichte erzählt. Und aus der Gegensätzlichkeit der alten ata­vistisch-seelenhaft lebenden Menschen und diesen die alte Seelen-kraft mit dem Verstand durchdringenden Menschen entstand der erste Kastenunterschied äußerlich-physisch-empirisch, der jetzt noch nachwirkt in Asien, von dem zum Beispiel Tagore spricht. Die her­vorragendsten dieser Menschen, die zu gleicher Zeit alte Seelenschau und den eben in der Menschheit aufgehenden Verstand, Intelligenz hatten, die wurden die Vorsteher jener Mysterien, von denen ich eben gesprochen habe, den Mysterien des orientalischen Lichts, und von denen ging aus, was dann später nach Griechenland herüber kam. So daß ich Ihnen, wenn ich es schematisch zeichnen soll, sagen kann: Von den Mysterien des Orients ging aus die Strömung des Geistes (siehe Zeichnung Seite 23). Sie war jene lebendige Weisheit mit lebenspraktischer Stoßkraft, von der ich Ihnen eben gesprochen habe. Im Laufe der Zeit kam sie herüber nach Griechenland. Wir verspüren ihre Nachwirkungen noch in der ältesten griechischen Kultur. Aber sie wird im Fortgang der griechischen Kultur gewisser­maßen filtriert, verdünnt, indem die Träger die alte Seelenschau verlieren und immer mehr und mehr sich der Verstand herausarbeitet aus dieser Seelenschau. Dadurch verlieren aber die Träger dieser Kultur gewissermaßen ihren Sinn. Denn den Sinn haben sie nur dadurch, daß sie mit der Geistesseelenschau und mit der Intelligenz zugleich begabt sind. Aber in der Geschichte erhält sich das, was in alten Zeiten einen Sinn hat, noch in einer späteren Zeit, und so leben

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im griechischen Kulturleben gewissermaßen die Menschen noch so fort, gegliedert, wie es einen Sinn hatte für jene alte Zeit, wo wirk­lich die Vorsteher der Mysterien gewissermaßen Gesandte der Götter waren. Und es verwandelte sich das, was Weisheit mit Stoßkraft war, in griechische Logik und Dialektik, in die griechische Weisheit, die schon filtriert ist gegenüber diesem ihrem orientalischen Ursprung.

Am orientalischen Ursprung wußte man genau, warum da Men­schen sind, die hinhorchten, wenn die Vorsteher ihnen ihre ökono­mischen Anleitungen gaben; in Griechenland hatte man die Teilung in die Herren und Sklaven. Die Teilung der Menschen war noch da; aber der Sinn verlor sich allmählich. Und was die Griechen noch gehabt haben mit viel mehr Sinn, wovon die Griechen wenigstens wußten, daß es von den alten Mysterien kam, das wurde noch mehr filtriert auf dem Wege, den es dann in unser neuzeitliches Bildungs-leben hinein machte. Denn da, in unserem neuzeitlichen Bildungs-leben, ist es ganz abstrakt geworden. Wir treiben heute abstrakte Wis­senschaft und finden keinen Zusammenhang mehr zwischen dieser abstrakten Wissenschaft und dem äußeren Leben. Denn die Strö­mung ist eben durch Griechenland weitergegangen in unsere Hoch­schulen, Gymnasien, Volksschulen und in das ganze populäre Geistes­leben der modernen Menschheit hinein, und wir können heute eine eigentümliche Erscheinung beobachten. Wir treffen heute unter den Menschen, die unter uns herumwandeln, solche an, die wir Adelige nennen, die wir Aristokraten nennen. Vergeblich bemühen wir uns, einen Sinn herauszufinden, warum der eine ein Aristokrat ist, der andere nicht; denn was den Aristokraten von dem Nichtaristokraten unterscheidet, das hat die Menschheit längst abgeschliffen, längst verloren. Der Aristokrat war der Vorsteher der orientalischen Myste­rien des Lichts, und er konnte das sein, weil von ihm alles dasjenige ausging, was im Politischen und Ökonomischen wirkliche Lebens-stoßkraft hatte. Die Weisheit ist filtriert worden. Die Gliederung, die sie bewirkt hat unter den Menschen, ist zu einem äußeren Ab­straktum geworden, ohne Sinn für denjenigen, der in diesem Leben drinnensteht, und aus dieser Strömung ist hervorgegangen, was wir unseren Feudalismus nennen. Im äußeren sozialen Leben lebt dieser

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Feudalismus geduldet, vielleicht auch die andern verärgernd, ohne Sinn. Man denkt nicht mehr nach über den Sinn, weil er auch heute nicht mehr im Leben zu finden ist, aber in unserer heutigen Zeit des Chaos zeigt sich noch ziemlich klar der feudale Ursprung unseres abstrakten Wissens und Erkennens. Als dann unser gegenwärtiges Geistesleben ganz das Geistesleben vom Journalistentum wurde, da, meine lieben Freunde, erfand man ein Wort, das eigentlich ein Wort-Ungetüm ist, durch das man eine Umwandelung unseres Lebens bewir­ken möchte, das aber nur der Ausdruck des ganz rachitischen Gei­steslebens geworden ist, da erfand man das Wort «Geistesaristo­kratie». Geistesaristokratie! Soll jemand Aufschluß darüber geben, was eigentlich damit gemeint ist, so könnte er nur sagen: Es ist das, was, ausgequetscht bis zum Äußersten, einmal in den Mysterien des Orients Stoßkraft hatte bis in die äußersten Ranken des praktischen Lebens hinein, was da einen Sinn hatte und was heute jeden Sinn verloren hat. Wollte man nun unser Geistesleben zeichnen, so müßte man einen recht verwirrten Wollknäuel zeichnen da unten, in dem alles so durcheinandergeknäuelt ist. Hauptsächlich drei Fäden sind durcheinandergeknäuelt. Einen der Fäden habe ich Ihnen jetzt ge­zeigt (siehe Zeichnung Seite 23).

Das ist unsere wesentliche Aufgabe, daß wir diesen Knäuel ent­wirren, und wir wenden dazu unseren Seelenblick zu der zweiten Strömung. Diese zweite Strömung hat einen anderen Ursprung, der auch weit zurückliegt in der Entwickelung der Menschheit, der aber auch im eigentlichen Mysterienwesen liegt, und zwar in den Myste­rien Ägyptens. Ich möchte diese Mysterien - wie ich die des Orients genannt habe die Mysterien des Lichts - die Mysterien des Menschen nennen. Diese Mysterien versuchten vor allen Dingen jene Weisheit zu gewinnen an ihrem ägyptischen Ursprung, welche die Kraft gibt, das menschliche Zusammenleben zu gestalten, ein Verhältnis zu be­gründen von einem Menschen zum andern. Aber diese Mysterien-strömung verbreitete sich dann durch Südeuropa herauf und nahm ihren Weg - so wie jene durch das Griechentum ging - durch das phantasielose römische Volk. Strömung des Rechtes möchte ich es nennen. Den Durchgang nahm es durch Rom. Alles, was nach und

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nach im Laufe der Menschheitsentwickelung eingeimpft ist an Juris­prudenz, an Rechtsbestimmungen, das ist das filtrierte Wissen, die filtrierte Erkenntnis dieser Mysterien des Menschen. Der zweite Fa­den in unserem Kulturknäuel ist darinnen bis zu uns gelangt, aber sehr, sehr verändert, sehr metamorphosiert, eben durchgegangen durch die Unphantasie des Römertums. Man versteht das gegen­wärtige Leben nicht, wenn man nicht weiß, daß die Menschen heute zunächst noch unfruchtbar geblieben sind für das Geistesleben und für das Rechtsleben, wenn man nicht weiß, daß sie empfangen haben das eine, nachdem es den weiten Weg durchgemacht hat von den Mysterien des Orients durch Griechenland bis zu uns, das andere, indem es den weiten Weg von den Mysterien Ägyptens durch das Römertum bis zu uns durchgemacht hat. Unfruchtbar ist unsere gegenwärtige Menschheit in bezug auf beide Strömungen. Man könnte viele Erscheinungen anführen, die das erweisen würden; aber man braucht ja nur auf die Wege des Christentums hinzuweisen.

Als das Christentum in die Welt eintreten wollte, wo mußte der Christus Jesus erscheinen, damit das, was er der Welt zu geben hatte, einen Weg fand? Im Orient mußte er erscheinen, in dasjenige, was im Orient lebte, mußte er hineinlegen, was er der Menschheit zu geben hatte. Das Mysterium von Golgatha ist eine Tatsache; was die Menschen darüber wissen, ist in Entwickelung. Eingekleidet wurde das, was man über das Mysterium von Golgatha sagt, zunächst in alles das, was man noch hatte von den Mysterien des Orients. Mit der Wissenschaft und Weisheit der Mysterien des Orients wurde umgeben das Mysterium von Golgatha, und es wurde zu begreifen versucht mit dieser Weisheit. So finden wir das Christentum noch etwa bei den griechischen Kirchenlehrern.

Man kann auch noch auf eine andere Erscheinung hinweisen. Als die geistig gänzlich unfruchtbare westliche Kultur in einem ihrer Menschenvertreter nach einer geistigen Auffrischung suchte, was tat sie da? Da taten sich einige Leute Englands und Amerikas zusam­men und entnahmen die Weisheit aus dem besiegten und geknech­teten Indiervolk. Das heißt, sie gingen neuerdings nach dem Orient hinüber, um da die geistige Strömung zu suchen, in dem zu suchen,

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was noch als letzter Rest da drüben im Orient geblieben war von jener geistigen Strömung. Daher die englisch-amerikanisch gefärbte Theosophie, die aus dieser Quelle schöpfen wollte, aber aus ihrer gegenwärtigen Gestaltung. Es ist die Unfruchtbarkeit des gegenwär­tigen Geisteslebens, die am stärksten hervortritt gerade in westlichen Ländern.

Und die zweite Strömung ist diejenige, die politisch-rechtlichen Charakter trägt, die durch das Römertum gegangen ist. Darin liegt nun der Ursprung unseres rechtlich-politischen Lebens, und nur in einem Seitenzweig ist diese Strömung hereingeflossen in das Rechts-leben und wirkt in ihm fort, so daß wir vielfach dasjenige, was in uns, in unsere Kultur, eingeflossen ist an Geistesleben, auf dem Um­weg durch das römisch-politisch-juristische System empfangen haben. Daher ist auch so vieles darin. Selbst das Christentum, das auf römi­schem Wege sich im Abendlande ausgebreitet hat, hat die Gestalt angenommen, die durch diese Erscheinung bedingt ist. Was ist da das religiöse Element durch diesen Durchgangspunkt durch das Rö­mertum geworden? Es ist geworden jene große Jurisprudenz, die man römisch-katholische Religion nennt. Da ist der Gott mit seinen Nebengöttern durchaus ein Wesen, das nach römischen Rechtsbe­griffen, nur in der übersinnlichen Welt, richtet; da stecken die Be­griffe von Sünde und Schuld, die eigentlich juristische Begriffe sind, die nicht in den Mysterien des Orients und in der griechischen Le­bensanschauung waren, da stecken die juristischen Begriffe des Rö­mertums darinnen. Das ist eine durch und durch verjuristete religiöse Strömung. Alles das, was sich im Leben äußert, kann auch Schön­heitsformen annehmen. Und wenn wir jene juristisch-politische Szene, in der der Weltengott zum Weltenrichter wird, und die ganze Erden­entwickelung abgeschlossen wird durch eine juristische Tat, wenn wir das schön verklärt in der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo gemalt sehen, so ist das der gloriose Ausdruck des verjuristeten Chri­stentums; aber eben des «verjuristeten» Christentums, das seine Krö­nung im Weltgerichte findet.

Wir müssen den Knäuel unseres Geisteslebens und unseres Rechts-und wirtschaftlichen Lebens auseinanderlösen, um zu sehen, was da

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drinnensteckt; denn wir leben in dem Kulturchaos darinnen. Die Strömungen wirken auf uns ein. Wir müssen sie auseinanderlösen.

Aber noch eine dritte Strömung ist eingeflossen in diesen unseren Kulturknäuel, die ihren Ursprung mehr genommen hat vom Norden und die vorzugsweise sich bis heute - auch filtriert, aber in anderer Richtung filtriert - in der anglo-amerikanischen Sozial-Organisation erhalten hat. Ich möchte das nennen die Mysterien des Nordens oder Mysterien der Erde. Was sich da zunächst an primitiver Geistigkeit aus den Mysterien der Erde entwickelt hat, das ist ein anderer Weg als der, den das Geistwesen im Orient genommen hat. Ich sagte:

Dort hat es den Weg von oben nach unten genommen, zuerst sich offenbarend als die Mysterien der Himmel und des Lichts und dann heruntergetragen in das Politische und die Ökonomie. Hier im Nor­den gingen die Dinge von der Ökonomie aus. Dieser Ursprung ist allerdings von dem äußeren Leben schon verschwunden, man merkt ihn höchstens noch an alten Überbleibseln, die noch erhalten sind. Nehmen Sie zum Beispiel solche Bräuche, die noch beschrieben wer­den, wenn man von alter nordischer Kultur spricht, von der die englische eine Dependance ist. Da finden Sie zu einer gewissen Jah­reszeit Züge durch die Dörfer mit dem gekrönten Stier, der eben die Kuhherde befruchten mußte. Das heißt, es wurde von unten nach oben herausgeholt eine Sehnsucht nach dem geistigen Leben; da wird der Weg von unten nach oben genommen. Da wird alles, selbst das, was an primitiver Geistigkeit da ist, aus dem Wirtschaftsleben heraus genommen, und alle Feste waren ursprünglich aufs Wirtschaftsleben bezügliche Feste, irgend etwas ausdrückend vom Sinn des Wirt­schaftslebens. So wie von oben nach unten der Weg in der orienta­lischen Kultur gemacht wurde, so muß der Weg gemacht werden hier im Norden von unten nach oben. Erhoben muß werden die Mensch­heit von unten, von der Ökonomie hinauf durch das Rechtsleben in die Mysterien des Geistes hinein. Aber sehen Sie, dieser Weg von unten nach oben, er ist noch nicht sehr weit gediehen. Wenn wir das juristische Leben prüfen, wie es in den Gegenden des Westens sich entwickelt hat, so finden wir es durchaus von Rom her orientiert; wenn wir das Geistesleben prüfen, so finden wir es zwar oft nicht

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so handgreiflich orientalisch orientiert wie jene indische Theosophie, von der ich vorhin gesprochen habe, aber wir finden doch dasjenige, was als ursprüngliches Geistesleben da enthalten ist, was nicht vom Orient herüber genommen wird oder verjuristet von Rom her bezo­gen wird, mit Mühe sich aus dem Wirtschaftsleben herauslösend. Nehmen wir einen charakteristischen Fall.

Solche Philosophen, solche Naturforscher, wie Newton, Darwin, Mill, Spencer, Hume, man kann sie nur verstehen, wenn man sieht, wie sie sich aus dem Wirtschaftsleben herausentwickelten, wie sie versuchten, den Weg nach oben zu machen. Man kann zum Beispiel Mill auch nur nationalökonomisch verstehen, wenn man ihn heraus-erklärt aus den ökonomischen Grundlagen, die um ihn herum waren, kann auch die englischen Philosophen nur verstehen, wenn man sie herauserklärt aus den ökonomischen Grundlagen ihrer Umgebung. Das ist etwas, was dieser dritten Strömung anhaftet, dieser Strömung der Mysterien der Erde, die von unten nach oben strömt, und die, durchaus noch ungeklärt, sich in unser modernes Zivilisationsleben als der dritte Faden in den Knäuel hineinverwoben hat.

Da haben Sie die drei Fäden, die chaotisch in einem Knäuel zusammen verwoben in unserer sogenannten Zivilisation leben. Man hat sich immer in einem gewissen Sinn dagegen aufgebäumt. Im Westen am wenigsten. Da nahm man auf der einen Seite, auch in Amerika, das wirtschaftliche Leben, das man von den Mysterien des Nordens hatte, auf das man geistfremde und geistlose Theorien baute, wissenschaftlich baute. Man nahm auf dem Umweg über Rom das juristisch-politisch-rechtliche Leben, nahm vom Orient das gei­stige Wesen. In Mitteleuropa bäumte sich manches auf dagegen. Da entstand vielfach das Streben, diese Dinge in ihrer Reinheit zu fassen; mm geistigen Leben am eindringlichsten in dem, was ich Goetheanis­mus nennen möchte. Goethe, der die Jurisprudenz aus der Natur­wissenschaft heraushaben wollte, er ist charakteristisch für das Sich­aufbäumen gegen das bloß orientalische Geistesleben. Wir haben nämlich auch die Jurisprudenz in der Naturwissenschaft darinnen:

wir sprechen von Naturgesetzen. Die Orientalen haben nicht von Naturgesetzen gesprochen, sondern vom Walten des Weltenwillens.

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Naturgesetz ist erst enstanden, als jener Nebenstrom aufgenommen worden ist. Da ist das juristische Gesetz eingeschlichen durch ein Fenster in das Naturerkennen und ist Naturgesetz geworden. Goethe wollte erfassen die reine Erscheinung, die reine Tatsache, das reine Phänomen, das Urphänomen. Ohne daß man reinigt unsere Natur­wissenschaft von den Anhängseln der Jurisprudenz, kommen wir nicht zu einem gereinigten Geistesleben. Geisteswissenschaft erfaßt daher überall Tatsachen und weist nur auf Gesetze hin als eine Sekundär-Erscheinung.

Dann haben wir auch ein gewisses Sichaufbäumen gegen das römi­sche Rechtswesen, das in den Köpfen auch der sozialistisch Orien­tierten steckt, zum Beispiel bei - ja, es war sogar ein preußischer Unterrichtsminister - bei Wilhelm von Humboldt. Als er seine schöne Abhandlung schrieb über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates, da lebte in ihm etwas von dem Drang, abzustoßen das Kulturleben und das Wirtschaftsleben von dem bloßen Staatsleben. Lesen Sie das schöne Reclambüchelchen - ich weiß nicht was es heute kostet, aber früher war es um ein paar Pfennige zu haben - «Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen». Da lebt der Drang, das Rechtlich-Politische herauszuschälen aus den beiden anderen Richtekräften. Dann wiederum lebt dieses Sichauf­bäumen gegen das Alte auch in der deutschen Philosophie. Aber nicht anders, als wenn eine gesunde Anschauung über dasjenige, was die Wissenschaft der Initiation über den Ursprung unseres Kultur-lebens zu geben vermag, Platz greift, kann Heil, Gesundheit in diese Kulturentwickelung der Menschheit hineinkommen.

Gefühlsmäßig empfindet man ja insbesondere im Osten Europas und empfand immer dort die Notwendigkeit des Zusammenlebens der drei Elemente in unserem gegenwärtigen Kulturleben. Denn von diesen drei Strömungen ist am charakteristischsten zum Ausdruck gekommen dasjenige, was vom Nordischen kommt für den Westen. Da ist alles übertönt vom Wirtschaftsleben. Was das Juristische betrifft, da ist namentlich viel davon in Mitteleuropa; und von dem, was die Mysterien des Orients, des Lichtes sind, finden wir vieles in Osteuropa und in Asien. Da, wo wir noch Kastenbildungen

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treffen, da finden wir noch etwas von dem Sinn des alten, aus dem Geist heraus kommenden Feudalismus. Das juristisch durch­setzte Leben, das hat gezüchtet die moderne Bourgeoisie. Die Bour­geoisie kommt von der Rechtsströmung. Diese Dinge müssen heute klar durchschaut werden. Ich möchte sagen: In dem Unbewußten der Menschen findet sich schon der Drang, solche Dinge klar zu durchschauen; aber nur Geisteswissenschaft kann diese Sehnsucht, diesen Drang, zur wirklichen Klarheit bringen. Es hat sich auch im neunzehnten Jahrhundert immer gezeigt, wie man durch ein In­einandergehen der vielfach unklaren Strömungen zu Zukunftsidealen zu kommen bestrebt war. Man wollte das nämlich dadurch errei­chen, daß die Menschen nicht so abstrakt einander gegenüberstehen, wie sie es heute tun dadurch, daß das Geistesleben filtriert worden ist und in seiner Abstraktion in uns hereinlebt, daß das Rechtsleben filtriert worden ist und auch in seiner Abstraktion in uns hereinlebt, und daß das Wirtschaftsleben nachkeucht, um den Weg von unten nach oben zu finden.

In jenem Osteuropa, wo sich so viele Dinge von Bedeutung jetzt abspielen, so beunruhigende und verheerende Dinge sich abspielen, da zeigte es sich am ersten, wohl auch in dem vielfach unklaren neunzehnten Jahrhundert, wie man versuchte, gerade mit dem Sich­aufbäumen gegen diese Verknäuelung der Kultur fertig zu werden. Die russischen Revolutionäre vom zweiten und letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, die versuchten nämlich das zu befruchten, in dem noch zurückgeblieben ist im Osten eine gewisse Vorstufe des Geisteslebens, mit dem, was in Mitteleuropa schon an Sichauf­bäumen gegen das Altüberlieferte hervorgetreten ist. Und so finden wir bei solchen russischen Revolutionären vom zweiten und letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, wenn sie miteinander Briefe wechseln, wie sie gewissermaßen darauf hinweisen, daß schon in Mitteleuropa der Intellekt, das reine, bloß abstrakte Verstandes-leben, sich mit einer gewissen Geistigkeit zu durchdringen versucht hat. Und immer wieder und wiederum tritt auf unter diesen russi­schen Revolutionären so etwas, was etwa ähnlich ist dem Satz:

Es ist in der deutschen Philosophie versucht worden, den Intellekt,

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der die alte Seelenschau verloren hat, wiederum zu erheben zu einer gewissen Geistigkeit. Intim bekanntmachen wollte man sich im Osten mit dem, was da in Mitteleuropa hervorgetreten ist, und die Intimi­tät spiegelte sich ab in der Art, wie sich diese Revolutionäre schrie­ben. Sie verehrten sehr den Philosophen «Iwan Petrowitsch», und sprachen davon, wie dieser sich erhoben hat zum reinen Gedanken, wie er versucht hat, in das dialektische Gedankenspiel der abend­ländischen Kultur wieder Geist hineinzubringen; und sie versuch-ten, Konsequenz aus seiner Philosophie zu ziehen. Sie nennen ihn, um mehr ihr Gefühlsverhältnis zu ihm auszudrücken nicht Hegel, son­dern sagen «der Iwan Petrowitsch». Da sehen wir gerade in diesen Bestrebungen das, was später verheerend werden mußte, ich möchte sagen, vorspuken. In unserer Zeit muß Klarheit sein über die ganze Erde hinüber. Daher muß auch alles getan werden, um dieser Klar­heit zum Siege zu verhelfen. Aber man muß sich dazu bewußt wer­den, was man heute alles gegen sich hat, wenn der Versuch gemacht wird, zu dieser Klarheit zu kommen, wie man auch gegen sich hat neben vielem anderem die Bequemlichkeit der Menschen. Die Nach-sieht mit der Bequemlichkeit der Menschen müssen wir uns auch abgewöhnen, denn die Menschheit braucht den Geist, und der Geist wird auf den bequemen Wegen, die heute oftmals begangen werden, nicht zum Sieg zu bringen sein. Denn man kämpft heute gegen das Hereindringen der Wissenschaft der Initiation mit merkwürdigen Waffen.

Es war mir neulich eine tiefe Befriedigung, als unser lieber Freund Dr. Stein nach Dornach schrieb, wie er, ohne Nachsicht zu üben, einen Feind des menschlichen Geisteslebens hier in der Nachbar­schaft rückhaltlos abgefertigt habe, allerdings bei einer Gelegenheit, die kulturhistorisch recht bedeutsam ist. Denn da wurde es doch zustande gebracht - Sie werden mich ja korrigieren, wenn ich irren sollte, ich war ja selbst nicht dabei -, daß der betreffende Pfarrer-Vorsitzende einer Versammlung, als Bibelsprüche von einem unserer Freunde zitiert wurden und dem Pfarrer die Wahrheit der Bibel-sprüche nicht mehr gefiel, er das Wort gebrauchte, daß Christus hier irre. Ist das gesagt worden? [Zustimmung.] Wenn man heute sich

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auf jener Seite nicht mehr zu helfen weiß, dann ist man selber unfehl­bar, aber der Christus irrt. Wir haben es weit gebracht!

Sehen Sie, diese Dinge zeugen alle von dem Wahrheitscharakter dessen, was heute als Geistesleben durch die Menschheit pulsiert. Wo das Geistesleben zur äußersten Abstraktion geworden ist, da kann es sich nicht mehr in der Sphäre der Wahrheit halten. Aber man muß empfinden, was da eigentlich vorhanden ist. Die Zeitschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus» brachte neulich eine No­tiz von einer Versammlung, die hier in Stuttgart stattgefunden haben soll, wo nun von römisch-katholischer Seite in Einklang mit jener protestantischen Seite aufgetreten worden ist gegen das, was hier als Geisteswissenschaft verbreitet wird. Der betreffende Domkapitular soll gesagt haben, eine Diskussion sei ja nicht notwendig, weil sich die Menschen aus den gegnerischen Schriften unterrichten könnten, was die Lehre des Dr. Steiner sei. Die Schriften des Dr. Steiner dürf­ten aber nicht gelesen werden, denn die habe der Papst verboten. In der Tat ist das die neueste Jesuitenlehre von der Kongregation des Heiligen Offiziums, die vor allen Dingen auf die Katholiken anzu­wenden ist: die Lehre, daß den Katholiken verboten ist, die Schriften über Anthroposophie zu lesen. Daher werden die römischen Katho­liken heute offiziell dazu angehalten, sich zu unterrichten über das, was ich lehre, aus den Schriften der Gegner, aus Schriften von Sei­ling und manchen anderen; denn die sind erlaubt, sind nicht verboten von der heiligen Kongregation. Aber sie dürfen nicht lesen, was ich selber schreibe. Dagegen muß man, wenn man die ganze Verfassung der römisch-katholischen Kirche kennt und weiß, wie der einzelne, so wie er eingefügt ist, nur der Vertreter der gesamten Organisation ist, in allem Ernst die Frage nach den moralischen Qualitäten eines solchen Vorgehens in seiner tiefsten Seele aufwerfen und fragen: Ist ein solches Vorgehen überhaupt noch irgendwie mit Mensch­heitsmoral zu vereinigen? Ist es nicht tief unsittlich? Solche Fragen müssen heute ohne Nachsicht gestellt werden. Wir leben eben in einer ernsten Zeit und dürfen nicht in leichter, bequemlicher und lässiger Weise fortschlafen. Wir müssen rückhaltlos diejenigen Dinge wirklich zum Ausdruck bringen, die geeignet sind, ein Heil herbeizuführen,

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indem wir zu gleicher Zeit die Unmoralität der heutigen Unwahrheit in das entsprechende Licht stellen. Und im Grunde genommen ist diese Unwahrheit gar nicht so wenig verbreitet.

Neulich brachte mir Dr. Doos einen Aufsatz eines Docteur en sociologie. Der begann etwa mit den folgenden Worten: Welch ein Weg ist von den klaren Gedanken von Waxweiler bis zu den obsku­ren Gedanken von Rudolf Steiner! Aber dieser Herr ist ja auch gewesen der Intimus von Guillaume II und es wird gesagt, daß er mit wichtigen Ratschlägen gerade in den letzten Jahren dem Wil­helm II. beigestanden hat, so daß man auch diesen Mann den Ras­putin bei Wilhelm II. nennen kann. Wir wollen uns nicht zum Ver­mittler dieses Gerüchtes machen, heißt es im nächsten Satz.

Da können Sie zweierlei ersehen: Erstens die moralische Ver­sumpftheit eines solchen Menschen, der sich zum Träger dieses Ge­rüchtes macht, und seine schöne Logik, indem er sagt: Indem ich dieses Gerücht hier vor meinen Lesern ausbreite, mache ich mich nicht zum Verbreiter dieses Gerüchtes. So denken heute zahlreiche Menschen, verlassen von allen Geistern der Wirklichkeit, indem das, was sie sagen, schon außerhalb jeder Wirklichkeit steht. Denn ich kann nicht sagen: Ich sage etwas, indem ich es nicht sage. Denn das macht jenes Modell von einem Menschen, der Monsieur Ferriére, der dieses geschrieben hat. Man kann sich mit solch moralisch ver­kommenen Individuen nicht einlassen. Ich konnte nur feststellen -und hoffe, daß ihm das entgegengeschleudert wird -, daß ich fol­gende Beziehungen zu jenem Wilhelm II. hatte. Erstens: ich saß einmal in einem Berliner Theater, vielleicht im Jahre 1897, im ersten Rang oben, und in der Mitte des Theaters saß Wilhelm II. in der Hofloge, und ich sah ihn in einer Entfernung etwa wie von hier bis zum Ende dieses Saales. Das zweite Mal sah ich ihn, als er hinter dem Sarge der Großherzogin von Weimar schritt, ganz von ferne. Das dritte Mal in der Friedrichstraße in Berlin, wo er mit seinem Gefolge mit dem Marschallstab in der Hand durch die Straßen ritt und die Leute Hurra schrieen. Das sind meine ganzen Beziehungen zu Wilhelm II., andere habe ich nie gehabt und nie gesucht. So ent­stehen heute Behauptungen, und manches von dem, was Sie lesen

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mit Druckerschwärze auf das Papier hingebannt -, das ist nicht mehr wert als dieses Dreckgerücht, das heute dazu verwendet wird, um in romanischen Ländern Anthroposophie zu verketzern. Heute muß den Dingen auf den Ursprung gegangen werden, heute genügt es nicht, die Dinge bloß hinzunehmen, die gesagt werden, sondern es ist notwendig, daß die Menschen sich gewöhnen, an den Ursprung des­sen zu gehen, was gesagt und behauptet wird. Der Sinn aber für den Wahrheitsursprung der äußeren Tatsachenwelt, er wird der Mensch­heit nur erblühen aus einer Vertiefung in wirkliche Geisteswissen­schaft.

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ZWEITER VORTRAG Stuttgart, 25. Dezember 1919

Wo ich in den letzten Jahren zu sprechen hatte an einer der Jah­resfeiern, Weihnachtsfeier oder Osterfeier oder Pfingstfeier, da mußte ich darauf aufmerksam machen, daß insbesondere bei solchen Gelegenheiten wir gegenwärtig kein Recht dazu haben, in der alt-gewohnten Weise solche Feiern zu begehen, gewissermaßen den gan­zen Schmerz, das ganze Leid der Zeit zu vergessen und in solchen Tagen uns nur zu erinnern an das Größte, das hereingespielt hat in die Erdenentwickelung. Insbesondere auf dem Boden jener geisti­gen Weltanschauung, auf dem wir stehen, haben wir die Verpflich­tung, hereinströmen zu lassen bis an den Weihnachtsbaum heran alles dasjenige, was in der gegenwärtigen Kulturwelt die Mensch­heit ergreift an Niedergangserscheinungen. Wir haben heute geradezu die Verpflichtung, auch die Geburt des Christus Jesus so in unsere Herzen, in unsere Seelen aufzunehmen, daß wir nicht außer acht lassen den furchtbaren Niedergang, von dem die sogenannte Kulturmenschheit ergriffen worden ist.

Denn gerade an diesem Tage ist es an uns, die Frage aufzuwerfen: Hat denn nicht eigentlich auch der Gedanke der Weihenacht schon das Schicksal gehabt, ergriffen zu werden von den allgemeinen Nie­dergangskräften? Verspüren wir noch, wenn heute von Weihnacht die Rede ist, dasjenige, was der Mensch verspüren soll, wenn er seine Gedanken und Empfindungen hinauferhebt zu dieser Christfeier? Verspürt die Menschheit im allgemeinen den rechten Sinn des Her­einspielens des ganzen Mysteriums von Golgatha in die Mensch­heitsentwickelung? Wir zünden heute unsere Weihnachtsbäume an, wir sprechen in altgewohnten Sätzen und Worten über das, was mit dem Weihnachtsfest zusammenhängt, allein wir vermeiden es nur allzuoft, die Augen voll aufzumachen, das Bewußtsein voll erwachen zu machen gegenüber der Notwendigkeit, sich zu sagen: es ist ein Niedergang vorhanden. Wo bist du, Christus-Kraft, daß du uns wirk­lieh hilfst, damit wir einen neuen Aufgang bewirken können? Denn

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soviel dürfte Ihnen aus den Betrachtungen, die durch Jahrzehnte schon angestellt worden sind über geistige Weltanschauung in unse­ren Kreisen, klar geworden sein, daß nur mit Hilfe der Christus-Kraft es möglich sein wird, die verfallene Kultur wiederum mit demjenigen Impuls zu durchdringen, der sie zu einem neuen Auf­stieg bringen kann.

Man muß in diesen Tagen oftmals denken an Menschen, die etwa in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts oder gegen das letzte Drit­tel desselben aus einer gewissen materialistischen Gesinnung heraus anders gesprochen haben, als viele Menschen allerdings in der Gegen­wart sprechen, die aber doch ehrlicher gesprochen haben als die Mehrzahl der Menschen in der Gegenwart spricht. Ich möchte Sie heute erinnern an eine recht materialistisch gesinnte Persönlichkeit, an den Schwaben David Friedrich Strauß. Sie wissen ja, «Der alte und der neue Glaube» von David Friedrich Strauß ist gewissermaßen eine Art Bibel des Materialismus. Unter den Fragen, die David Fried­rich Strauß in diesem Buche stellt, ist auch diese: Können wir noch Christen sein? - David Friedrich Strauß gibt eine Antwort. DieseAnt­wort hat die Eigentümlichkeit, daß sie ganz aus urmaterialistischer Gesinnung heraus geboren ist, aber sie hat zur gleicher Zeit die Eigen­tümlichkeit, daß sie ehrlich ist. David Friedrich Strauß bildet sich den Gedanken, die Idee eines Weltgebäudes, das nur aus materia­listischen physikalischen Gesetzen aufgebaut ist, und er stellt den Menschen hinein in eine Weltenordnung so, daß des Menschen We­sen auch nichts anderes enthält als physikalische Gesetze. Und von dieser seiner Überzeugung aus beantwortet er die Frage: Können wir noch Christen sein? mit einem ehrlichen «Nein». Denn diejenigen Menschen, welche diese Art naturwissenschaftlicher Weltanschau­ung, wie sie David Friedrich Strauß aus dem Zeitbewußtsein heraus vertritt, mitvertreten, können keine Christen sein. So spricht uns aus dem Nein des David Friedrich Strauß eine fatale, aber durchaus ehrliche Gesinnung, und man hat heute manchmal die Empfindung:

Könnten doch die sogenannten offiziellen Vertreter des einen oder des anderen Religionsbekenntnisses so ehrlich sein wie David Fried­rich Strauß! Könnten sie einsehen, wie sie den Christus-Namen zwar

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gebrauchen, aber im Grunde genommen gegen das Christentum wir­ken!

Man darf nicht heute sich der Bequemlichkeit hingeben, die Augen zuzudrücken gegenüber den wesentlichsten wichtigsten Erscheinungen in der Gegenwart. Mag es manchem nicht weihnachtlich dünken, mir dünkt es recht weihnachtlich, wenn ich eine gewisse Erfahrung erwähne, die mir geworden ist durch eine Art geistiger Untersu­chung über ein Unmittelbares, Tatsächliches in der Gegenwart.

Sie wissen, diejenigen Menschen, die zum großen Teil, besonders in Mitteleuropa, schuldig sind - soweit Menschen an diesen Dingen schuldig genannt werden dürfen - an den furchtbaren Zuständen, in die wir hineingesegelt sind, diese Menschen, was tun sie, nachdem das Unglück über Europa hereingebrochen ist? Sie schreiben Bücher. Und so haben wir denn von den verschiedensten Menschen Bücher. Wir haben ein Tirpitz-Buch, wir haben ein Ludendorfj-Buch und ich könnte noch manche anderen nennen; ich beschränke mich auf diese beiden. Sehen Sie, man kann das folgende Experiment mit Hilfe der Geisteswissenschaft machen. Man kann sich - aber durch­aus im Sinne geisteswissenschaftlicher Gesinnung-die Frage vorlegen:

Welche Formung der Gedanken spricht sich aus in den Büchern von Tirpitz, Ludendorff und ihresgleichen? Ich habe versucht, von allen Seiten diese Frage gewissenhaft zu prüfen, habe mich gefragt: Wel­cher Art sind die Gedankenformen dieser Männer, von denen so viel von dem Schicksal Mitteleuropas abhängt? Wenn man nicht abstrakt vorgeht, sondern in solchen Dingen in das Konkrete hin­eindringt, dann muß man vergleichen, und so hat sich mir ein Ver­gleich ergeben, indem ich mich gefragt habe: Wann etwa hat man solche Gedankenformen nach dem normalen Entwickelungsgange in Europa ausgebildet, wie sie jetzt etwa Tirpitz und Ludendorff aus­bilden? Und da ergibt sich nach gewissenhafter Prüfung der Tat­sachen, daß etwa zur Zeit des römischen Cäsar man so gedacht hat. Es ist im Grunde genommen kein Unterschied zwischen der Art des J ulius Cäsar, seelisch zu denken und zu leben - sagen wir, in seinem gallischen Krieg - und zwischen der Art und Weise, wie Tirpitz und Ludendorff ihre Gedanken formen. Das heißt aber, daß diese Menschen

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in einem Gedankenleben drinnen stehen, das völlig unberührt ist von dem Christentum, denn Julius Cäsar hat vor dem Herein­brechen des Mysteriums von Golgatha gelebt. Und alles das, was diese Menschen auch zuweilen aussprechen, wenn sie den Namen des Christus Jesus auf die Lippen bringen, ist nichts anderes als eitel Lüge, denn ihr Seelenleben hat sich so entwickelt, daß sie mit dem konkreten Christentum nichts zu tun haben.

Wir wissen ja aus mannigfaltigen Betrachtungen: Wenn irgend etwas zu seiner Zeit sich entwickelt, dann ist es im Grunde genom­men gut für die Menschheit. Etwas anderes ist es, wenn es stehen bleibt und später herauskommt; wenn dies der Fall ist, das heißt, wenn das Cäsarmäßige noch im zwanzigsten Jahrhundert eine Rolle spielt, dann ist das Cäsarmäßige ins Luziferische umgesetzt. Denn das, was eigentlich in anderer Zeit gewirkt haben sollte, wird, wenn es stehen bleibt, zum Luziferischen; das ist ja das Wesentliche des Luziferischen.

Und nun wiederum fragen wir: Wie kann es denn kommen, daß diejenigen Persönlichkeiten, die ein Schicksal heraufgetragen hat, um führende Stellungen einzunehmen, wie kann es denn sein, daß diese Persönlichkeiten in einer solchen Weise mit ihrem Leben zurück­geblieben sind? Da müssen wir, wenn wir uns diese Frage beantwor­ten wollen, unseren Blick hinwenden auf diejenigen, die das Geistes­leben mit dem Christus-Impuls angeblich durchdringen, die aber eigentlich im antichristlichen Sinne wirken. Da müssen wir den Blick auf viele offizielle Vertreter der religiösen Bekenntnisse richten, die angeblich aus den Evangelien heraus sprechen, die aber alles das bekämpfen, was wirklich von dem lebendigen Christus in unserer Zeit künden will. Die antichristlichsten Menschen sind heute oftmals unter den Pfarrern, unter den Predigern der sogenannten christli­chen Bekenntnisse zu finden. Wer unter all den Schriften so etwas prüft, wie das von vielen als tonangebend gehaltene Buch Adolf Harnacks «Das Wesen des Christentums», der bekommt Antwort auf eine solche Frage. Adolf Harnack hat «Das Wesen des Christen­tums» geschrieben. Wenn man in diesem Buche den Christus-Namen ausstreicht und ersetzt durch den Namen eines allgemeinen unbekannten

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Gottes, der die Natur ebenso durchwaltet und durchwebt wie das Menschenleben, wenn man den Christus-Namen ausstreicht und den alttestamentlichen Jahve-Namen an seine Stelle setzt, so wird das Buch wahrer als es ist, denn dann erst hat es einen Sinn. Die Tatsa­che liegt vor, daß Adolf Harnack nichts weiß von der wirklichen Wesenheit des Christus, daß er gar keine Ahnung hat von der wirk­lichen Wesenheit des Christus, daß er einen allgemeinen unbestimmten Gott verehrt und dann dem allgemeinen unbestimmten Gotte den Christus-Namen anheftet. Und wer ist dieser Adolf Harnack? Dieser Adolf Harnack ist der tonangebende Theologe gewesen für all die Kreise, welche den Boden abgegeben haben für die geistige Richtung, aus der auch aufgequollen sind Tirpitz und Ludendorff und so weiter! Weil von den Vertretern der Bekenntnisse keine wirkliche Christus-Offenbarung mehr gekommen ist, liegt in den Ereignissen der Gegen­wart durch die Menschen, die mit diesen Ereignissen verknüpft sind, keine solche Empfindung für die wirkliche Christus-Offenbarung. Gar keinen Sinn hat es für Tausende und Millionen Menschen der Gegenwart, wenn sie von dem Weihnachtsfeste sprechen; denn sie kennen nicht in dem Sinne, wie das für unsere Zeit notwendig ist, die Wesenheit des Christus Jesus. Auf solche Dinge müssen wir blicken, wenn wir in einem tieferen Sinne uns klar werden wollen, welches die Ursachen für den Niedergang unserer Zeitereignisse, des Men­schenlebens in diesen Zeitereignissen sind.

Ich habe Ihnen von dieser Stätte aus oftmals gesprochen von jenem wichtigen Ereignis, das sich zugetragen hat im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, von jenem Ereignis, durch das ein besonderes Verhältnis gebildet worden ist zwischen jener Erzengel-macht, die wir als die Erzengelmacht Michael bezeichnen, und den Geschicken der Menschheit. Ich habe Sie darauf aufmerksam ge­macht, daß seit dem November 1879 Michael gewissermaßen der Regent sein muß für alle diejenigen, welche der Menschheit zu ihrem gedeihlichen Fortschritt die rechten Kräfte zuführen wollen.

In unserer Zeit weist man, indem man so etwas andeutet, auf zweierlei hin: erstens auf eine objektive Tatsache, zweitens aber auch auf das, wie sich diese objektive Tatsache zu all dem verhält,

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was die Menschen in ihren Willen, in ihr Bewußtsein aufnehmen wollen. Die objektive Tatsache ist einfach die, daß sich im Novem­ber 1879 jenseits der Sphäre der sinnlichen Welt, im Übersinnlichen, dasjenige abgespielt hat, was man so ausdrücken kann: Michael hat sich die Kraft erobert, wenn die Menschen ihm entgegenkommen mit all deni, was in ihren Seelen lebt, diese so zu durchdringen mit seiner Kraft, daß sie die alte materialistische Verstandeskraft, die bis dahin in der Menschheit groß geworden ist, umwandeln können in spirituelle Verstandeskraft, in geistige Verstandeskraft. Das ist die objektive Tatsache; sie hat sich vollzogen. Wir können davon spre­chen: Michael ist in ein anderes Verhältnis zur Menschheit getreten, als dasjenige war, in dem er früher gestanden hat, seit dem Novem­ber 1879. Aber es ist erforderlich, daß man dem Michael dient. Was ich damit meine, es wird am klarsten werden, wenn ich Ihnen das Folgende auseinandersetze.

Sie wissen, bevor das Mysterium von Golgatha sich auf der Erde vollzogen hat, schauten die alttestamentlichen Juden hinauf zu ihrem Jahve oder Jehova. Diejenigen, die aus der jüdischen Priesterschaft mit vollem Bewußtsein zu Jahve schauten, waren sich bewußt, daß sie nicht unmittelbar mit ihrem Menschenerkennen herandringen konnten zu Jahve. Sogar der Name galt als unaussprechlich, und wenn der Name ausgesprochen werden sollte, wurde nur ein Zeichen gemacht, das ähnlich ist gewissen Zeichenzusammenhängen, die wir durch unsere Eurythmie aufsuchen. Aber diese Priesterschaft war sich auch klar darüber, daß sich der Mensch dem Jahve durch Mi­chael nähern könne. Diese Priesterschaft nannte Michael das Ant­litz des Jahve oder des Jehova. So wie wir einen Menschen kennen­lernen, wenn wir in sein Antlitz blicken, wie wir aus der Milde seines Antlitzes einen Schluß auf die Milde der Seele, aus der Art, wie er uns anschaut, auf seinen Charakter ziehen, so wollte die alttestament­liche Priesterschaft aus dem, was sich in die Seele hereinschlich an atavistischen Hellschauungen in Träumen, von dem Antlitz des Jahve, von dem Michael schließen auf Jahve, den zu erreichen der Menschheit doch nicht möglich war. Diese Priesterschaft stand richtig zu Michael und Jahve oder Jehova; sie stand richtig zu Michael, weil

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sie sich bewußt war, daß, wenn sich der Mensch der damaligen Zeit zu Michael wendete, er durch Michael diejenige Kraft, die Jahve­Kraft oder Jehova-Kraft finden würde, welche zu suchen dem Men­schen der damaligen Zeit ziemte.

Andere seelische Menschheitsregenten traten seither an die Stelle des Michael; aber seit dem November 1879 ist Michael wiederum aufgetreten, und er kann rege gemacht werden im menschlichen See­lenleben, wenn man die Wege zu ihm sucht. Und diese Wege sind heute die Wege geisteswissenschaftlicher Erkenntnis. Man könnte ebensogut sagen «die Michaelswege», wie man sagen kann «die Wege geisteswissenschaftlicher Erkenntnis». Aber gerade seit jener Zeit, da Michael auf diese Weise in ein Verhältnis zu den menschlichen Seelen eingetreten ist, um wiederum ihr unmittelbarer Inspirator durch drei Jahrhunderte zu werden, hat am allerstärksten auch die dämo­nische Gegenkraft eingesetzt, nachdem sie sich vorher vorbereitet hatte. So ging ein Ruf durch die Welt, der während unserer soge­nannten Kriegs-, aber in Wirklichkeit Schreckensjahre zu einem großen Welt-Unverstand geworden ist, der jetzt die Herzen und Seelen der Menschen durchzieht.

Was wäre denn aus dem alttestamentlichen Judenvolk geworden, wenn es, statt sich dem Jahve durch Michael zu nähern, hätte unmit­telbar an Jahve herandringen wollen? Es wäre aus ihm geworden ein intolerantes, volksegoistisches Volk, ein Volk, das nur an sich hätte denken können. Denn Jahve ist der Gott, der mit allem Na­türlichen zusammenhängt und im äußeren geschichtlichen Menschen-werden prägt er sein Wesen aus in dem Generationenzusammenhang der Menschen, wie er sich im Volkswesen ausspricht. Nur dadurch, daß dazumal das althebräische Volk durch Michael dem Jahve sich nähern wollte, hat es sich davor bewahrt, so volksegoistisch zu wer­den, daß dann nicht einmal der Christus Jesus aus der Mitte dieses Volkes hätte hervorgehen können. Denn dadurch, daß es sich mit der Michael-Kraft, wie diese Kraft damals war, durchdrang, dadurch imprägnierte sich das jüdische Volk nicht mit Kräften, die einen so starken Volksegoismus abgegeben hätten, als wenn man sich unmit­telbar an Jahve oder Jehova gewendet hätte.

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Heute nun ist Michael wieder der Weltregent, aber die Mensch­heit ist genötigt, sich zu ihm in einer neuen Weise zu verhalten. Denn jetzt soll Michael nicht das Antlitz Jahves sein, sondern das Antlitz des Christus Jesus. Jetzt sollen wir uns durch Michael dein Christus­Impuls nähern. Aber die Menschheit hat vielfach sich dazu noch nicht hindurchgerungen; die Menschheit hat atavistisch bewahrt die alten Empfindungsqualitäten, durch die man sich dem Michael so genähert hat wie damals, als er noch der Vermittler zu Jahve war. Und so hat heute die Menschheit noch ein falsches Verhältnis zu Michael, und in einer charakteristischen Erscheinung kommt dieses falsche Verhältnis zu Michael zum Vorschein.

Wir haben während der kriegerischen Jahre immer wiederum die Weltlüge vernommen: Freiheit den einzelnen, selbst den kleinsten Nationen. Diese Gesinnung, die eine lügenhafte ist, weil heute in dieser Michaelzeit nicht Menschen-Gruppen, sondern Menschen-Indi­vidualitäten es sind, worauf es ankommt, diese Lüge ist nichts ande­res als die Bestrebung, jedes einzelne Volk nicht mit der neuen Michael-Kraft zu durchdringen, sondern mit der alten der vorchrist­lichen Zeit, mit der Michael-Kraft des Alten Testamentes zu durch­dringen. So paradox es klingt, es besteht heute unter den Völkern der sogenannten zivilisierten Menschheit die Tendenz, dasjenige, was im alttestamentlichen Judenvolk berechtigt war, luziferisch umzu­bilden und zum innersten Wirkungsimpuls jedes einzelnen Volkes zu machen. Mit alttestamentlicher Gesinnung möchte man heute auf­bauen Polenreiche, Amerikareiche, Franzosenreiche und so weiter. Dem Michael zu folgen bestrebt man sich so, wie es richtig war ihm zu folgen vor dem Mysterium von Golgatha, wo man finden sollte durch ihn den Jahve, einen Volksgott. Heute sollen wir durch ihn den Christus Jesus finden, den göttlichen Führer der ganzen Mensch­heit. Dann aber müssen wir Empfindungen und Vorstellungen suchen, die nichts zu tun haben mit irgendwelchen menschlichen Unterschie­den auf der Erde; aber die können wir nicht an der Oberfläche suchen, die müssen wir suchen da, wo das Menschlich-Geistige und Seelenhafte pulsiert, das heißt, wir müssen sie auf geisteswissenschaft­lichem Wege suchen. Und so liegen die Dinge, daß man sich entschließen

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muß, auf geisteswissenschaftlichem Wege, das heißt auf michaelischem Wege den wirklichen Christus zu suchen, der nur gesucht und gefunden werden kann auf dem Boden geistigen Wahr­heitsstrebens. Sonst sollte man lieber alle Weihnachtslichter auslö­schen, alle Weihnachtsbäume ertöten und sich wenigstens wahrhaftig gestehen, daß man nicht irgend eine Erinnerung an dasjenige will, was der Christus Jesus in die Menschheitsentwickelung hineinge­bracht hat.

Und so tönt uns durch die Memoiren der Gegenwartsmenschen vorchristliche, das heißt in unserer Zeit antichristliche Gesinnung, und wenn Menschen, die man für repräsentative hält, wie der Wilson in der Gegenwart sich kundgeben, so tönt durch solche vierzehn Punkte, wie er sie gegeben hat, rein alttestamentliche Gesinnung, die zur luziferischen Gesinnung in unserer Zeit wird. Woher kommt dieses? Was liegt da eigentlich vor?

Wenn wir in der Zeitentwickelung der Menschheit zurückgehen vor das Mysterium von Golgatha, dann kommen wir dazu, in alten Zeiten der orientalischen Kulturentwickelung eine menschliche Per­sönlichkeit auf Erden zu finden innerhalb derjenigen Kultur, aus der die heutige chinesische Kultur geworden ist, eine menschliche Persönlichkeit, die die äußere menschliche Verkörperung Luzifers war, der dazumal wirklich als menschliche Verkörperung über den Erdboden gegangen ist, und der der Träger des menschlichen Lich­tes war, das wir auf dem Boden der alten vorchristlichen Weisheit finden, mit Ausnahme des Judentums. Noch im Griechentum strömt durch das, was an Kunst, an Weltanschauung, an Staatsmannschaft im Griechentum wirkte, dasjenige durch, was ausgegangen ist von der Luzifer-Inkarnation Jahrtausende vor dem Mysterium von Golgatha.

Wir mussen uns nur klar sein darüber, daß alles das, was wir heute menschlichen Verstand nennen, noch immer, solange wir ihn nicht spiritualisiert haben, ein Geschenk jenes Luzifer ist. Wir müssen nur nicht philiströs, bourgeoismäßig die Sektierergesinnung entwickeln:

Luziferisches, das ist etwas Furchtbares, das muß man abstreifen. Will man es abstreifen, so fällt man ihm erst recht anheim; denn es ist eben einmal durch Jahrtausende der Menschheitsentwickelung

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notwendig geworden, das Erbe des verkörperten Luzifer anzutreten. Dann kam das Mysterium von Golgatha. Dann aber wird eine Zeit kommen, wo ebenso wie im Orient in einer irdischen Persönlichkeit sich Luzifer einstmals verkörpert hat, um gerade das Christentum vorzubereiten bei den Heiden, wo ebenso im Westen die irdische Ver­körperung des wirklichen Ahriman auftreten wird. Dieser Zeit gehen wir entgegen. Objektiv wird Ahriman auf der Erde wandeln. So wahr als Luzifer gewandelt hat und Christus gewandelt hat objektiv in einem Menschen, wird Ahriman mit ungeheurer Macht zu irdi­scher Verstandeskraft auf der Erde wandeln. Wir Menschen haben nicht die Aufgabe, die Inkarnation des Ahriman etwa zu verhindern, aber wir haben die Aufgabe, die Menschheit so vorzubereiten, daß Ahriman in der richtigen Weise eingeschätzt wird. Denn Ahriman wird Aufgaben haben, er wird das eine und das andere tun müssen, aber die Menschen werden in der richtigen Weise dasjenige ein­schätzen und verwenden müssen, was durch Ahriman in die Welt kommt. Das werden sie nur können, wenn sie in der richtigen Weise sich einstellen können heute schon zu demjenigen, was jetzt schon Ahriman so von jenseitigen Welten aus auf die Erde sendet, daß er einmal wirtschaften kann auf der Erde, ohne daß er bemerkt wird. Das darf nicht sein. Ahriman darf nicht auf der Erde so wirtschaf­ten, daß er nicht bemerkt wird; man muß ihn in seiner Eigentüm­lichkeit voll erkennen, man muß ihm mit vollem Bewußtsein sich entgegenstellen können.

Nun werde ich Ihnen in den Tagen, in denen ich hier in Stuttgart vortragen werde, mancherlei von dem zeigen, was wohl zu beachten ist in der Entwickelung der Menschheit bis zur Ahriman-Inkarnation hin, damit diese, wenn sie kommt, richtig eingeschätzt wird. Heute will ich Sie nur auf eines aufmerksam machen: Ebenso schlimm wie die schlimmste materialistische Weltanschauung ist in dieser Bezie­hung manche Evangelien-Interpretation in der Gegenwart. Wenn heute einfach von den Vertretern der sogenannten Religionsgesell­schaften die Evangelien genommen werden wie sie sind, und wenn jede neue Offenbarung abgewiesen wird, so bedeutet eine solche Hingabe an die Evangelien, eine solche Art, das Christentum zu

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pflegen, die beste Art, sich im ahrimanischen Sinne auf die irdische Erscheinung des Ahriman vorzubereiten. Am intensivsten arbeiten Ahriman vor eine große Anzahl von Vertretern der heutigen soge­nannten Bekenntnisse, indem sie unbeachtet lassen die Wahrheit:

«Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Erdenzeiten», indem sie alles dasjenige als ketzerisch erklären, was aus der unmittelbaren Anschauung des gegenwärtigen Christus hervorgeht, und indem sie in bequemer Weise wortwörtlich, nur aber in ihrer Art wortwört­lich, an die Evangelien sich halten. Die Menschheit sollte durch eine Weisheit davor beschützt werden, in dieser Art sich an die Evan­gelien zu halten, indem die vier Evangelien rein äußerlich für die physische Verstandeskraft einander widersprechen. Und wer heute nicht vordringt zur geistigen Interpretation der Evangelien, der ver­breitet eine lügenhafte Interpretation der Evangelien, denn er täuscht die Menschen hinweg über die äußeren Widersprüche, die in den vier Evangelien bestehen. Und die Menschen über ihre wichtigsten Ange­legenheiten zu täuschen, das ist gerade dasjenige, was die Wege des Ahriman am allerbesten befördert.

Die Menschen der Gegenwart haben es sehr notwendig, Christus mitten hineinzustellen zwischen Ahriman und Luzifer. Christus-Kraft muß uns durchdringen. Aber wir mussen immer als Menschen das Gleichgewicht suchen zwischen demjenigen, was gewissermaßen schwärmerisch-mystisch über uns hinaus will, und dem, was uns materialistisch-verstandesmäßig, philiströs-schwer zur Erde herunter-ziehen will. In jedem Augenblick müssen wir das Gleichgewicht suchen zwischen demjenigen, wodurch wir luziferisch hinauferhoben werden, und demjenigen, wodurch wir ahrimanisch hinunterstreben wollen, aber in dem Suchen dieses Gleichgewichtes liegt der Christus. Und wenn wir uns bestreben, dieses Gleichgewicht zu suchen, dann allein können wir den Christus finden.

Durch eine sonderbare Fügung ist etwas sehr Merkwürdiges ge­schehen in der neueren Menschheitsentwickelung in jener Zeit, in der der Materialismus eingedrungen ist. Ich will nur hinweisen auf zwei Dokumente, auf Miltons «Verlorenes Paradies» und Klopstocks «Messias». Da werden die geistigen Welten so geschildert, als ob

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ein Paradies verloren gegangen und der Mensch daraus hinausgesto­ßen worden wäre. Sowohl Miltons «Verlorenes Paradies» wie Klop­stocks «Messias» arbeiten mit einer Zweiheit in der Welt, mit dem Gegensatz des Guten und des Bösen, des Göttlichen und des Teuf­lischen. Sehen Sie, das ist aber der große Irrtum der neueren Zeit, daß man sich die Weltkultur vorstellt nach einer Zweiheit, während sie vorgestellt werden muß im Sinne einer Dreiheit. Das eine sind die hinaufstrebenden luziferischen Kräfte, die im Mystischen, Schwär­merischen, Phantasievollen, in der Ausartung aber auch im Phan­tastischen, an den Menschen herantreten, die im menschlichen Blut leben; das andere sind die ahrimanischen Kräfte, die in allem Trok­kenen, Schweren leben, im Knochensystem, physiologisch gespro­chen; das Christliche steht in der Mitte zwischen beiden drinnen, das ist das dritte. Luziferisch ist das erste, ahrimanisch das zweite und in der Mitte zwischen beiden ist das Christliche.

Was ist geschehen in der neueren Zeit? Etwas ist geschehen, auf das die Menschheit hinschauen sollte mit wahrhaftig spirituell-intel­lektueller Inbrunst, denn ehe sie dieses nicht versteht, wird sie nicht in richtiger Weise die Weihnachtswege finden. Wir lesen heute Mil­ton, Klopstock, ihre Schilderungen von der übersinnlichen Welt; wie lesen wir sie? So lesen wir sie, daß überall luziferische Eigenschaften übertragen sind auf dasjenige, was man göttlich nennen will. Schil­dern wollen solche Menschen wie Klopstock und Milton den Kampf zwischen einem Luziferischen, das ihnen als das Göttliche erscheint, und dem Ahrimanischen. Und ein großer Teil desjenigen, was die neuere Menschheit als ihr Göttliches schildert, ist nur ein Luziferi­sches. Man erkennt es aber nicht in der richtigen Weise, ebensowenig wie das Ahrimanische. Das spielt noch herein in Goethes «Faust», wenn wir dem «Herrn» gegenübergestellt finden Mephistopheles; aber auch Goethe hat noch nicht trennen können das Ahrimanische vom Lu­ziferischen. So ist sein Mephistopheles ein Durcheinandermischen geworden des Luzifer und des Ahriman. Ich habe schon darauf hin­gewiesen in meinem Büchlein «Goethes Geistesart». Man ist heute im rechten Sinne ein Goetheanist, wenn man nicht, wie etwa manche Akademiker und sonstige Leute der Gegenwart es tun, einfach das

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nachspricht, was aus Goethe wortwörtlich kommt, sondern wenn man sich den Weg bahnt so zu Goethe hin, daß man auch dasjenige einsehen kann, was bei ihm anders werden mußte, gerade wenn man seiner Weltanschauung folgt über das Jahr 1832 hinaus; wenn wir heute nicht von einem Goethe des Jahres 1832 sprechen, sondern von einem Goethe des Jahres 1919, nun schon bald 1920. Aber gefun­den werden muß der Weg, sich ruhig einzugestehen, daß in dem­jenigen, was die materialistischen Jahrhunderte ihr Göttliches genannt haben, viel Luziferisches steckt, daß man vieles nehmen kann, wo­durch heute die Menschen Religion verbreiten wollen, was nur als Worte auf den Flügeln des Luziferischen in die Menschheit hinein­zieht. Erst dann, wenn die Menschen den Dualismus wieder erken­nen werden von dem Luziferischen, das sie hinaufführen will, und dem Ahrimanischen, das sie unter sie hinunterführen will, zu dem wirklichen Christlichen, dann werden die Menschen im wahren Sinne wiederum stehen vor dem Weihnachts-Ereignis, vor jenem Ereignis, durch das erinnert werden soll, wie hereingezogen ist in die Mensch­heitsentwickelung dasjenige, was der Erde eigentlich Sinn gibt, einen wirklichen Sinn gibt.

Heute muß man manchmal an Leonardo da Vinci denken. Leo­nardo da Vinci hat einstens ja in Mailand sein großes Bild gemalt, das Sie kennen, das heilige Abendmahl, den Christus mit seinen Aposteln rings herum. Er hat lange an diesem Bild gemalt, zwei Jahrzehnte. Er wollte vieles in dieses Bild hineinmalen. Er konnte nicht fertig werden, weil er immer wiederum den Ansatz machte, die Judas-Figur in der richtigen Weise zu malen. Nun war im Sinne der Stadrorganisation von Mailand der Abt jenes Klosters, für das das Bild gemalt wurde, sein unmittelbarer Vorgesetzter, und als ein neuer Abt kam, der nun nicht so mild war wie der alte, sondern schneidig, da ging er den Leonardo hart an und verlangte von ihm, daß das Bild nun endlich fertig werden solle. Nun sagte Leonardo, jetzt könne er es auch fertig machen, den seit der neue Abt da sei, habe er ein Vorbild für den Judas. Dann hat er in kurzer Zeit jenes Judasgesicht hingemalt, das wir im Bilde sehen. Wie dem Leonardo am Ausgangspunkt der neueren Zeit das Judasgesicht gerade auf

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dem Boden des positiven Bekenntnisses erschienen ist, so haben wir schon heute vielfach Veranlassung, uns recht sehr in das Herz hinein und in die Seele zu schreiben, wie derjenige, an dessen Geburt wir uns erinnern an diesem heiligen Weihnachtsfeste, verraten wird am allermeisten von vielen derer, die angeben, ihm aus ihrem Bekennt­nisse heraus die Feste zu bereiten. Wir wissen, auch dieses Weih­nachtsfest, es gehört zu demjenigen, was die christliche Entwicke­lung aufgenommen hat. Erst im dritten und vierten Jahrhundert hat man begonnen, in diesen Dezembertagen die Geburt Christi zu feiern. Das Ereignis von Golgatha war schon Jahrhunderte dahin, da nahm die Anschauung, die sich hinwendete zu dem Ereignis von Golgatha, Neues auf, sogar so einschneidend Neues wie die Institution des Weihnachtsfestes dazumal. Und viel, viel später war es noch möglich, dem Christentum Neues einzupflanzen. Gekämpft werden mußte auch dazumal gegen viele derer, die sich damals echte Christen nann­ten. Aber heute sind zahlreiche solcher an der Arbeit, die nicht ver­fahren wollen, wie ihr eigenes Bekenntnis verfahren ist, als es im dritten, vierten Jahrhundert aufgenommen hat die Institution des Weihnachtsfestes, die starr nur bei demjenigen bleiben, von dem sie sagen, daß es geschrieben steht, die ablehnen jede lebendige Offen­barung. Schrecklich ist es in unserer Zeit mit den Schläfrigen, mit denjenigen, die oftmals mit ihrer unmoralischen Gesinnung dasjenige besudeln, was sich in das geistige Leben hereinfinden will, aber am schrecklichsten ist es mit denjenigen, die aus den Bekenntnissen her­aus selbst den eigentlichen Geist der christlichen Entwickelung ver­raten.

Das ist die ernste Stimmung, in die uns heute versetzen wollen die Lichter des Weihnachtsbaumes. Ich wollte auf diese Dinge heute hindeuten. Aus einem anderen Zusammenhang heraus will ich Ihnen das nächste Mal sprechen.

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DRITTER VORTRAG Stuttgart, 28. Dezember 1919

Aus den Betrachtungen, die wir hier schon seit längerer Zeit an­stellen, insbesondere aber auch aus den Betrachtungen dieser Tage sollte hervorgehen, wie sehr notwendig für die weitere Kulturent­wickelung der Menschheit es ist, daß ein Einlaufen dessen, was man nennen kann die Erkenntnis der Initiation, in diese menschliche Kulturentwickelung stattfindet. Man muß heute schon ganz ohne Vorbehalt sagen: Die Rettung der Menschheit von einer nach ab­wärts gehenden Entwickelungsbahn liegt lediglich in der Hinwen­dung dieser Menschheit zu einer Offenbarung, die hervorgeht aus demjenigen, was nur erschaut werden kann durch geistige Erkennt­nis.

Mögen von dieser oder jener Seite her noch soviel gefühlsmäßige oder logische Einwände gemacht werden, möge gesagt werden, daß es für unsere Zeit schwierig sein wird, daß größere Kreise solche Erkenntnisse annehmen, die zunächst doch nur hervorgehen können von einzelnen wenigen, die sich bis zu einem hohen Grade in die Möglichkeit versetzen, in die geistige Welt hineinzuschauen: das alles, was an solchen Einwendungen sogar scheinbar berechtigterweise kommen kann, will ja gar nichts besagen gegenüber der laut-sprechenden Tatsache, daß ohne Annahme dessen, was hier anthro­posophisch orientierte Geisteswissenschaft benannt wird, die Kultur der Menschheit in den Abgrund versinken muß, die Erdenarbeit Mächten zufallen muß, die ihre Weiterentwickelung im Weltall nicht mit der Menschheit verknüpfen werden. Es wird nicht anders gehen, als daß, wenn der Menschheit nach dieser Richtung Heil widerfah­ren soll, eine genügend große Anzahl von Menschen sich durchdringt mit dem, was eben versucht worden ist zu sagen. Denn, nur wer nicht will, wer durchaus nicht will hinschauen auf dasjenige, was jetzt als Ergebnis der letzten katastrophalen Jahre in der ganzen Welt geschieht, nur der kann seine Augen davor verschließen, daß wir im Beginne des Zerstörungsprozesses sind, daß aus diesem Zerstörungsprozesse

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auch nur herausführen kann ein Neues. Was man auch immer sucht innerhalb des Zerstörungsprozesses selbst, das wird ja niemals etwas anderes werden können als selbst eine Kraft der Zer­störung. Eine Kraft des Neuaufbaues kann nur dasjenige werden, was wirklich jetzt schöpfen wird aus Quellen, die nicht der bishe­rigen Erdenentwickelung angehören.

Nun bestehen aber für das Hereinkommen der Ergebnisse solcher Quellen ganz bedeutsame Schwierigkeiten. Es wird ja oftmals davon gesprochen, daß die Wissenschaft der Initiation nicht ohne weiteres, nicht vorbehaltlos an die Menschheit herangebracht werden könne, weil eine gewisse Art des Entgegennehmens notwendig ist für diese Wissenschaft der Initiation. Sehen Sie, das wird ja immer wieder und wiederum angehört; aber gerade gegen das wird auch immer wieder gesündigt insoferne, als ja - nehmen wir nur ein sehr ein­faches Beispiel - zu den allerersten, primitivsten Anforderungen bezüglich der Entgegennahme der Wissenschaft der Initiation die gehört, daß jene Menschen, die sie annehmen, versuchen müssen von sich abzustreifen, was man zum Beispiel Ehrgeiz nennt, namentlich wenn er sich äußert als eine Beurteilung der eigenen Persönlichkeit im Verhältnis zu anderen Persönlichkeiten. Nun ist ja leicht zu sehen, daß gerade in dem, was wir Anthroposophische Gesellschaft nennen,-was würde es da nützen, wenn solche Dinge nicht gesagt würden? -immer wieder zugegeben wird: «So etwas ist richtig», daß aber gerade die fatalsten Dinge innerhalb einer solchen Bewegung wie es die anthroposophische ist, bestehen, daß gerade in ihr gegenseitige Rankünen, das gegenseitige Sich-beneiden wachsen. Auf diese Erschei­nung will ich nur hinweisen. Denn ich muß heute von den anderen größeren Schwierigkeiten des Einlaufens der Initiations-Wissenschaft in die Erdenkultur sprechen.

Sehen Sie, zum ersten, was da der Menschheit in umfassender Weise wird gezeigt werden müssen, gehört, was man nennen könnte das Mysterium des menschlichen Willens. Dieses Mysterium des menschlichen Willens hat sich insbesondere seit der Mitte des fünf­zehnten Jahrhunderts, seit dem Heraufkommen des fünften nach-atlantischen Zeitraumes, vor der neueren Kulturmenschheit verhüllt.

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Man kann sagen: Von dem Willen weiß die neue Menschheits-Welt­anschauung das allerwenigste. Wir haben es ja oftmals charakteri­siert. Der einzelne Mensch erlebt ja nie wachend das eigentliche Wesen seines Willens. Er erlebt wachend das Wesen seines Vorstel­lens, träumend das Wesen seines Fühlens, aber er schläft, auch wenn er wachend ist, partiell in bezug auf seinen Willen. Wir gehen als sogenannte wachende Menschen durch die Welt, sind aber nur wach für die Vorstellungen, halbwach, träumend für das Fühlen und sind vollständig schlafend für das Wollen. Täuschen wir uns nicht darü­ber. Wir haben Vorstellungen davon, was wir wollen; aber nur wenn der Wille zum Vorstellen wird, sich abbildet zur Intelligenz, erle­ben wir ihn wachend. Was da in den Tiefen des menschlichen We­sens vor sich geht, wenn der Mensch auch nur eine Hand erhebt, das heißt seinen Willen in Bewegung setzt, davon weiß der normale Mensch von heute gar nichts. Das heißt, das Mysterium des Willens ist dem neueren Menschen geradezu vollständig unbekannt, und das hängt eigentlich damit zusammen, daß unsere ganze neuere Kultur, insbesondere diejenige, die seit dem fünfzehnten Jahrhundert Platz gegriffen hat, eine intellektualistische ist, eine Verstandeskultur, denn auch die naturwissenschaftliche Kultur ist eine Verstandeskultur. In alles das, was wir durch den Intellekt fassen, durch den Verstand betreiben, spielt der Wille am allerwenigsten hinein. Wenn wir den­ken, wenn wir vorstellen, so spielt natürlich auch in unser Vorstellen der Wille hinein, aber in einem sehr, sehr verfeinerten Zustande. Der Mensch bemerkt nicht, wie der Wille pulsiert in seinem VorsteHen und wie sonst der Wille wirkt in seinem Wesen; das weiß er eben nicht. Es ist gewissermaßen durch die ausschließlich intellektuali­stische Kultur der neueren Zeit gerade das Mysterium des Willens für die Menschen dieser neueren Zeit völlig verdeckt. Wenn man nun mit jenen Mitteln der Geisteswissenschaft, von denen ich Ihnen hier oft gesprochen habe, herangeht an die Untersuchung des Wil­lens, das heißt wenn man versucht, mit Hilfe von Imagination und Inspiration rege zu machen diejenigen Kräfte, die hineinschauen können in das Getriebe, das entsteht, wenn der Mensch will, dann merkt man, daß in unserem physischen Leben zwischen Geburt und

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Tod das Wollen wesentlich gebunden ist, nicht an Aufbau-Prozesse, sondern an Zerstörungsprozesse. Wir haben das oft auseinanderge­setzt. Würden in unserem Gehirne nur vor sich gehen aufbauende Prozesse, würde da nur das vor sich gehen, was zum Beispiel zunächst die von den Lebenskräften aufgenommene Ernährung bewirkt, so würden wir ein Seelen- und Geistesleben durch das Werkzeug unse­rer Nerven, unseres Gehirnes nicht entwick4n können; nur dadurch, daß fortwährend in unserem Gehirn abgebaut wird, daß fortwährend zerstörungsprozesse da sind, greift Platz in dem sich Zerstörenden das Seelische und Geistige. Darinnen aber wirkt gerade der Wille. Der Wille des Menschen ist im Wesentlichen etwas, was während unseres physischen Lebens schon teilweise für den Tod des Menschen wirkt. In bezug auf unsere Kopforganisation sterben wir fortwäh­rend; in jedem Augenblick sterben wir. Nur dadurch, daß von unse­rer übrigen Organisation entgegengearbeitet wird diesem fortwähren­den Kopfsterben, dadurch leben wir. Tätig aber ist vor allen Dingen in diesem Kopfsterben der Wille. In unserem Haupte findet fortwäh­rend schon dasselbe statt, was, abgesehen von uns, objektiv in der Welt draußen vorgeht, wenn wir durch den physischen Tod gegan­gen sind.

Unser Leichnam geht uns ja, insofern wir Menschenindividualitä­ten sind und in die seelisch-geistigen Welten durch die Pforte des Todes eintreten, eigentlich nichts an; aber das Weltall geht er sehr viel an, dieser Leichnam; denn dieser Leichnam wird auf irgendeine Weise - es kommt auf diese jetzt nicht an, durch Verbrennung oder Beerdigung - den Elementen der Erde überliefert; da setzt er in seiner Art dasselbe fort, was unser menschlicher Wille partiell in unserem Nervensystem, in unserem Sinnensystem tut während des Lebens zwischen Geburt und Tod. Wir stellen vor, wir denken da­durch, daß unser Wille in uns etwas zerstört. Wir übergeben unseren Leichnam der Erde und mit Hilfe des sich auflösenden Leichnams, der nur denselben Prozeß fortsetzt, den wir partiell im Leben aus­führen, «denkt und stellt vor» die ganze Erde. Dasjenige - ich habe es von anderen Gesichtspunkten aus Ihnen einmal in früheren Mona­ten charakterisiert -, was in der Erde sich fortwährend abspielt durch

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die Wechselwirkung zwischen dem ursprünglich Irdischen und dem, was in der Erde stattfindet durch die Vereinigung mit den abgestor­benen menschlichen Leibern, das ist eine Tätigkeit, die ganz gleich ist der Art nach derjenigen Willenstätigkeit, die in uns fortwährend unbewußt ausgeübt wird, indem abgebaut, zerstört wird, leichen-haft gearbeitet wird zwischen Geburt und Tod in unserem Nerven-und Sinnessystem. Zwischen Geburt und Tod arbeitet durch die Zerstörung, indem er sich mit unserem Ich verbindet, derselbe Wille innerhalb der Grenzen unserer Haut, der da arbeitet kosmisch durch unseren Leichnam nach unserem Tode im Denken und Vorstellen der ganzen Erde, wenn wir eben diesen Leichnam der Erde übergeben haben. So sind wir kosmisch verbunden mit dem, was man den seelisch-geistigen Prozeß des ganzen Erdenseins nennen könnte. Diese Vorstellung ist eine schwerwiegende; denn diese Vorstellung ordnet den Menschen konkret ein in das Kosmische unseres Erdendaseins. Das zeigt, wie verwandt der menschliche Wille ist mit demjenigen, was Todeskräfte in unserem Erdendasein bewirken; es zeigt die Ver­wandtschaft des menschlichen Willens mit der Art und Weise, wie der allgemeine Weltenwille wirkt innerhalb des Erdendaseins in der Zerstörung, im Herbeiführen der Todesverhältnisse.

Aber ebenso wie unsere Fortentwickelung in der geistigen Welt, nachdem wir durch die Todespforte geschritten sind, davon abhängt, daß wir unseren Leichnam nicht mehr haben, daß wir nicht mehr mit diesen Kräften arbeiten, sondern mit anderen, ebenso hängt die gedeihliche Weiterentwickelung der ganzen Erde davon ab, ob sich die Menschheit dieser Erde mit etwas verbindet, was nun nicht diese Todeskräfte sind, sich mit etwas verbindet, was Lebekräfte sind, die nach anderer Richtung hin sich entwickeln als diese To­deskräfte. Dies innerhalb der heutigen, von persönlichen Intentionen und Empfindungen erfüllten Menschheit auszusprechen, ist schon etwas, was eigentlich bitter ist; denn es wird der Ernst einer solchen Wahrheit heute nur in sehr eingeschränktem Maße empfunden. Die Menschheit hat ja verlernt, die großen Wahrheiten mit dem schwe­ren Ernst zu nehmen, mit dem sie genommen werden müssen. Aber es muß trotzdem noch weiter gefragt werden: Wie hängt denn nun

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dasjenige, was im menschlichen Willen liegt, so wie ich es geschildert habe, mit den Zerstörungsvorgängen der äußeren Natur eigentlich zusammen? Wie hängt das, was ich im menschlichen Willen als seinen eigentlichen Charakter geschildert habe, mit den Zerstörungs­vorgängen der äußeren Natur zusammen? Sehen Sie, hier ist es, wo vor dem neueren Menschen, man möchte sagen, die größte Illusion steht. Was tut denn eigentlich der neuere Mensch, wenn er auf die Natur hinschaut? Ja, er sagt: Da ist ein Naturvorgang, der spielt sich ab. Vor ihm hat sich ein anderer abgespielt, der ist seine Ur­sache; vor diesem wieder ein anderer, der ist wieder seine Ursache. Und so findet der moderne Mensch eine Kette von Ursachen und Wirkungen in der Natur und ist sehr stolz darauf, wenn er in diesem Sinne, wie er sagt, am Leitfaden der Kausalität die äußere Welt begreift. Was kommt dabei zustande? Ja, fragen Sie aufs Ge­wissen hin einen heutigen Geologen, Physiker, Chemiker oder irgend­einen anderen rechtgläubigen Naturforscher: Er wird ja oftmals davor Scheu tragen, die letzte Konsequenz seiner Weltanschauung zu ziehen, aber fragen Sie ihn, ob er sich nicht vorstellen müsse, daß die Erde, wie sie ist als Erde - oder Steine, Pflanzen und viele Tiere auch - sich gerade so entwickelt hätte, wie sie sich entwickelt hat, wenn der Mensch gar nicht dabei wäre. Es würden keine Häuser gebaut, keine Maschinen, keine Flugwerkzeuge gemacht von den Büffeln, Stieren und so weiter; aber alles übrige, was man heute nicht als Menschenwerk empfindet, das wäre da vom Anfang bis zum Ende, wenn der Mensch auch nicht da wäre, denn innerhalb der äußeren Natur besteht eine Kette von Ursachen und Wirkungen. Das Spätere ist die Folge des Vorhergehenden und eigentlich ist der Mensch beim Sichbilden der Kette gar nicht dabei, nach der An­schauung der heutigen Zeit. Diese Anschauung, die hat ganz genau denselben Fehler in sich, den die folgende Anschauung in sich hätte. Denken Sie, ich schreibe einfach auf die Tafel irgendeinen Satz: «Stuttgart ist eine Stadt». Jetzt kommt jemand über diesen Satz, der hier geschrieben ist, und sagt: Ich untersuche wissenschaft­lich dasjenige, was ich hier auf die Tafel geschrieben finde. Da habe ich, indem ich von hinten anfange, zuerst das t. Das geht hervor aus

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dem d. Dann nehme ich das d, das geht hervor aus dem vorher­gehenden a, das a aus dem vorhergehenden t, das t aus dem vorher­gehenden s. Jedesmal habe ich die Wirkung der vorhergehenden Ur­sache. Das t ist die Wirkung des d, das d ist die Wirkung des a, und so weiter. Sie sehen, es ist ein Unsinn. Jeder Buchstabe entsteht nur dadurch, daß ich ihn hingeschrieben habe, und nicht etwa hat der vorhergehende Buchstabe den nachfolgenden erzeugt. Es ist ein vol­liger Unsinn, zu sagen: der vorhergehende Buchstabe ist die Ursache des nachfolgenden, der vorhergehende erzeugt den nachfolgenden. Eine eingehende, vorurteilslose Untersuchung des Wesens der Natur­vorgänge überzeugt uns von dem gleichen. Wir sagen, indem wir uns der großen Illusion der neueren Wissenschaft hingeben: Die Wirkungen sind die Folgen ihrer Ursachen. So ist es nicht. Die wirk­lichen Ursachen müssen wir da wo anders suchen, geradeso wie wir die Ursache für die Aufeinanderfolge der Buchstaben in unserm Ver­stande suchen müssen. Und wo liegen die Ursachen für das äußere Naturgeschehen im Großen? Das läßt sich ja nur durch die geistige Anschauung entscheiden. Diese Ursachen liegen in der Menschheit. Wissen Sie, wo Sie hinblicken müssen, wenn Sie die wirklichen Ur­sachen für den Naturlauf der Erde einsehen wollen? Sie müssen untersuchen, wie der menschliche Wille, dem heutigen Bewußtsein nach tief unterbewußt, im Schwerpunkt des Menschen, das ist im menschlichen Unterleibe, zentriert ist. Im menschlichen Kopfe ist ja nur ein Teil des Willens tätig; in dem anderen Organismus des Menschen ist der Hauptteil des Willens zentriert. Und von dem, wie der Mensch in bezug auf diesen seinen unterbewußten Willen ist, hängt das ab, was als äußerer Naturlauf ins Dasein tritt. Wir konnten bisher nur einen signifikanten Fall für diesen Naturverlauf anführen; aber es ist der ganze Naturverlauf so.

Ich habe Sie öfter darauf aufmerksam gemacht, daß während der atlantischen Zeit sich der Mensch einer Art schwarzen Magie hinge­geben hat. Die Folge davon war dann die Vereisung der zivilisier­ten Welt. So aber ist im umfassendsten Sinne in Wirklichkeit alles das, was der Naturverlauf ist, die Folge der Willenstätigkeit nicht des einzelnen Menschen, sondern dessen, was in der Menschheit zusammenwirkt

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bei verschiedenen Willenskräften, die aus den mensch-lichen Schwerpunkten kommen. Wenn ein entsprechend entwickeltes Wesen, sagen wir, vom Mars oder Merkur aus die Erde studieren würde, ihren Verlauf studieren würde, also verstehen wollte, wie da der Naturverlauf vor sich geht, so würde dieses Wesen die Natur nicht so beschreiben, wie sie der Mensch beschreibt, wenn er gelehrt sein will, sondern solch ein Wesen würde die Erde überschauen und würde sagen: Da ist die Erde unten, da sind viele Punkte, in dieseii Punkten sind die Kräfte zentriert, die den Naturverlauf bewirken. Aber diese Punkte würden für ihn nicht draußen in der Natur liegen, sondern immer in den Menschen drinnen. Derjenige, der von außen schauen würde, würde spüren, daß er auf das Innere der Mensch­heit schauen muß, wenn er die Ursachen suchen wollte für das, was im Naturverlauf geschieht. Diese Einsicht des Zusammenhangs des menschlichen Willens mit dem Naturverlauf im Großen - natürlich, die Täuschung kann entstehen, wenn wir den Naturverlauf nur so­weit betrachten, wie unsere Nase reicht, da allerdings zeigt sich nicht der Zusammenhang -, diese Einsicht von dem Zusammenhang der Willenswirkungen, der Willensrichtung der Menschheit mit dem Naturverlauf, die wird ein Bestandteil werden müssen künftiger Naturwissenschaft für die Menschheit. Mit einer solchen Natur­wissenschaft wird sich der Mensch in einer ganz anderen Weise ver­antwortlich fühlen für das, was er ist, als er sich heute gemeiniglich verantwortlich fühlt. Der Mensch wird aus einem Erdenbürger ein kosmischer Bürger. Der Mensch wird das Weltenall als zu sich gehö­rig betrachten lernen.

Aber bedenken Sie, daß ja sofort, wenn man auf solche Dinge auf­merksam macht, das Wissen von diesen Dingen in uns Platz greift. Dieses Wissen wirkt nicht so schattenhaft wie unser intellektualisti­sches Wissen, sondern es ist viel mehr den Realitäten entnommen, daher wirkt es auch viel realer. Und da es viel realer wirkt als das schattenhafte Wissen der neueren Menschheit, so ist eben notwendig, daß der Mensch ernst nehme, was ihm durch dieses Wissen eröffnet wird. Man kann nicht auf der einen Seite ein Weltenbürger in dem eben geschilderten Sinne werden und auf der anderen Seite der alte

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Philister bleiben, den die letzten Jahrhunderte seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in der neueren Menschheit herangebildet haben. Man kann nicht auf der einen Seite sich bewußt eingliedern wollen in die Vorgänge des Kosmos und auf der anderen Seite seinen Nebenmenschen ebenso verklatschen, wie im Bourgeoiszeitalter seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts bei jedem Kaffeeklatsch. Es ist notwendig, daß zu gleicher Zeit ein anderes Ethos, andere sittliche Impulse durch die Menschheit wallen, wenn ernsthaft ein­ziehen soll die Wissenschaft der Initiation. Für heute wirkt insbe­sondere hemmend auf das Einziehen dieser Wissenschaft der Initia­tion alles das, was in unrichtiger Weise vorbereitet das, was ich nennen möchte: das Erscheinen des Ahriman auf unserer Erde. Ich habe letzthin, um Ihnen ein wenig die richtige Feststimmung der diesjährigen Weihnacht zu charakterisieren, auf diese Tatsache schon hingewiesen; ich will nur kurz wiederholen.

Wenn wir zurückgehen in der Erdenentwickelung, so finden wir vor unserer neueren materialistischen Kultur die griechisch-lateinische Kultur bis zurück ins achte vorchristliche Jahrhundert. Wir sehen dann auftauchen ein paar Jahrhunderte nach dem Beginne dieser griechisch-lateinischen Zeit, was man nennen möchte: das in Grie­chenland schon filtrierte, alte Weisheitsleben der Vorzeit. Nietzsche hat in dieser Beziehung merkwürdig, wenn auch krankhaft, empfun­den. Er fühlte sich von Anfang seines geistigen Wirkens an als ein Gegner des Sokrates, und er wurde nicht müde, immer wieder und wiederum von der größeren Wertigkeit der vorsokratischen grie­chischen Kultur gegenüber der sokratischen und nachsokratischen zu sprechen. Ich will auf diese Sache nicht anders eingehen, als indem ich Ihnen sage: Allerdings ist es wahr, daß mit Sokrates auf der einen Seite ein großes Zeitalter der Menschheit angebrochen ist, das seine Kulmination gefunden hat im Übergang des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts, daß aber dieses Zeitalter des Sokrates heute abgelaufen ist, richtig abgelaufen ist: denn das sokratische Zeit­alter ist dasjenige, welches aus der früheren impulsiven Weisheit her­ausgenommen hat die bloße Logik, die bloße Dialektik. Dieses Her­ausnehmen der bloßen Logik, der bloßen Dialektik aus der alten

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hellseherischen Weisheit, das ist das Charakteristikon unserer abend­ländischen Kultur. Das hat auch dem Christentum sein Gepräge aufgedrückt; denn auch die Theologie des Abendlandes ist eine dia­lektische. Aber was als Dialektik, als bis zur Abstraktion filtrierte Geistigkeit in Griechenland aufgeht, geht eben zurück bis zu den Mysterien des Orients, und bei diesen Mysterien waren auch die­jenigen, die eine Kultur begründet haben - welche dann zur chine­sischen Kultur geworden ist -, innerhalb welcher sich inkarniert hat die Gestalt des Luzifer. Das darf man sich nicht verhehlen, daß Luzifer selber einmal in einem Leibe war, wie der Christus während der Zeit des Mysteriums von Golgatha in einem Leibe auf der Erde herumgewandelt ist. Aber man verkennt in philiströser Weise diese luziferische Inkarnation, wenn man wie eine Art Rührmichnichtan alles betrachten will, was von Luzifer ausgegangen ist. Von Luzifer ist ausgegangen zum Beispiel auch die Höhe der griechischen Kultur selber, die eigentliche alte Kunst, der Kunstimpuls der Menschheit, so wie wir selber ihn noch immer eigentlich betrachten. Nur ist das alles in Europa bis zur Phrase, bis zur Inhaltslosigkeit erstarrt. Und luziferische Weisheit war es, durch die zuerst das Christentum in Europa begriffen worden ist. Das ist das Bedeutsame, daß in der griechischen Weisheit, die sich herausgebildet hat als Gnosis, um das Mysterium von Golgatha zu begreifen, die alte luziferische Weis­heit mitgewirkt hat, der alten Gnosis die Gestaltung gegeben hat. Es ist für die damalige Zeit der größte Sieg des Christentums, daß die Tatsache des Mysteriums von Golgatha sich gekleidet hat in das, was Luzifer der Erdenentwickelung gegeben hat. Aber während die Luzi­fer-Kultur, die also durch die reale Inkarnation des Luzifer der Menschheit übergeben worden ist, abflutet, flutet auf nach und nach, was die künftige Inkarnation des Ahriman auf der westlichen Erde vorbereitet. Es wird sich einfach, wenn die Zeit dazu reif ist - und sie bereitet sich dazu vor - in der westlichen Welt Ahriman in einem menschlichen Leibe inkarnieren. Diese Tatsache muß ebenso kom­men, wie die anderen da waren, daß sich Luzifer inkarniert hat und daß sich Christus inkarniert hat. Diese Tatsache ist der Erdenent­wickelung vorgeschrieben. Worauf es ankommt, ist nur: diese Tatsache

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so ins Auge zu fassen, daß man sich richtig auf sie vorbereitet; denn Ahriman wirkt nicht etwa dann erst, wenn er in einem Men­schen auf der Erde erscheinen wird, sondern er bereitet jetzt von den übersinnlichen Welten aus sein Erscheinen vor. Er arbeitet schon hinein in die Menschheitsentwickelung; er sucht sich von jenseits her seine Werkzeuge, durch die er sich vorbereitet, was da kommen soll.

Nun ist ein wesentliches Mittel für die günstige Wirkung dessen, was Ahriman der Menschheit bringen sollte - er wird ebenso Gün­stiges bringen wie Luzifer - daß die Menschheit sich in der richtigen Weise dazu stellt. Das, worauf es ankommt, ist, daß die Menschheit nicht das Erscheinen des Ahriman verschläft. Wenn einstmals in der westlichen Welt der inkarnierte Ahriman auftritt, so wird man in den Gemeindebüchern verzeichnen: John William Smith ist geboren -es wird dies natürlich nicht der Name sein - und man wird ihn als einen behäbigen Bürger wie andere Bürger ansehen und wird ver­schlafen, was da eigentlich geschieht. Unsere Universitätsprofessoren werden ganz gewiß nicht dafür sorgen, daß man das nicht ver­schläft. Für sie wird das, was da erscheinen wird, der John William Smith sein. Aber darauf kommt es an, daß in dem ahrimanischen Zeitalter die Menschen wissen, daß es sich hier nur äußerlich um den John William Smith handeln wird, daß innerlich aber Ahriman vor­handen ist, daß man sich über das, was geschieht, keiner Täuschung hingibt in schläfriger Illusion. Ja man darf sich schon jetzt keiner Täuschung hingeben, daß sich diese Dinge vorbereiten. Unter den wichtigsten Mitteln, die Ahriman hat, um von dem Jenseits herein­zuwirken, ist das, das abstrakte Denken der Menschheit zu fördern. Und weil dieses abstrakte Denken heute so beliebt ist, arbeitet man in ahrimanisch günstigem Sinne der Erscheinung des Ahriman gut vor. Nichts besser würde vorbereiten die Tatsache, daß Ahriman die ganze Erde fischt für seine Entwickelung, als wenn man das abstrakte und abstrahierende Leben, das heute schon sogar in das soziale Le­ben eingezogen ist, fortsetzt. Das ist eine der Finten, einer der Witze, durch die Ahriman in seinem Sinn seine Herrschaft auf der Erde vorbereitet. Statt daß man den Menschen heute aus der vollen Er­fahrung heraus zeigt, was zu geschehen hat, redet man dieser Menschheit

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von allgemeinen Theorien, auch von sozialen Theorien. Dieje­nigen, die von Theorien reden, finden gerade das Erfahrungsgemäße abstrakt, weil sie keine Ahnung vom Leben haben. Das alles ist Vorbereitung in ahrimanischem Sinne.

Aber es gibt noch eine andere Art der Vorbereitung für Ahriman und diese kann geschehen - und auch das ist etwas, was heute nun schon bekannt werden muß - durch eine irrtümliche Auffassung der Evangelien. Sie wissen ja, daß es heute zahlreiche Menschen, insbesondere unter den offiziellen Vertretern dieser oder jener Be­kenntnisse gibt, die alles das in Grund und Boden bekämpfen, was gerade aus der Wissenschaft der Initiation heraus für eine neue Christus-Erkenntnis unter uns auftritt. Solche Menschen, wenn sie nicht bloß einem Rationalismus huldigen, nehmen noch die Evange­lien an; aber was wissen im Grunde genommen diese Menschen von der eigentlichen Natur der Evangelien? Menschen dieser Art sind es ja gerade gewesen, welche die äußerliche weltliche, historisch-wis­senschaftliche Methode auf die Evangelien im neunzehnten Jahrhun­dert angewendet haben. Und was ist denn geworden aus diesen Evan­gelien unter der wissenschaftlichen Methode des neunzehnten Jahr­hunderts? Es ist aus den Evangelien ja nichts anderes geworden, als daß diese Evangelienauffassung allmählich vermaterialisiert worden ist. Das erste, worauf man aufmerksam wurde, waren die Wider­sprüche der vier Evangelien untereinander. Und von der Wahr­nehmung dieser Widersprüche ist dann eigentlich der Rutsch nach ab­wärts gegangen bis zur Schmiedelei; denn schließlich, was ist denn in der Evangelienforschung alles das, was von dem Basler Schmiedel - ich meine nicht unseren Dr. Schmiedel, sondern den Theologen, den Prof. Schmiedel -, was von dem kommt? Was ist dies anderes als, ich möchte sagen, das Aus-den-Angeln-Heben der Evangelien. Was sucht denn der gute Schmiedel in den Evangelien? Er sucht zu beweisen, daß sie nicht bloß Phantasieprodukte sind, hervorgegangen, um den Christus Jesus nur zu verherrlichen, und kommt da zu einer be­schränkten Anzahl von Punkten, den berühmten Schmiedelschen Hauptpunkten, in denen auch Ungünstiges über den Christus gesagt worden ist. Die, meint er, wären weggeblieben, wenn die Evangelien

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nur zur Glorifizierung des Jesus geschrieben wären. Also man hat schließlich schon das Gefühl, er läßt sich auf alles das ein, wo dem Christus Jesus etwas aufgemutzt wird, um schließlich noch ein Zip­felchen von der weltlichen Wissenschaft zu retten für die Evan­gelien. Auch dieses Zipfelchen wird weichen; man wird aus der weltlichen Wissenschaft nichts gewinnen, was in dem Sinne, wie es die Herren wollen, die Echtheit der Evangelien wird beweisen kön­nen. Um sich zu diesen Evangelien richtig zu verhalten, wird man wissen müssen, warum die Evangelien entstanden sind, das heißt man wird wissen müssen, was die Evangelien eigentlich wollen. Das wird man nur erkennen, wenn man sich wirklich mit dem befruchtet, was aus der Geisteswissenschaft kommen kann.

Vertieft man sich aber in die Evangelien, nimmt man ihren Inhalt und ihre Kräfte auf, dann kommt man dazu, aus ihnen heraus einen Seeleninhalt zu gewinnen. Keine äußere historische Wissenschaft wird einem die Evangelien enträtseln; aber man kann sich in die Evan­gelien vertiefen, dann bekommt man einen Seeleninhalt. Dieser See­leninhalt ist eine große Halluzination, allerdings eine verfeinerte Halluzination, die Halluzination des Mysteriums von Golgatha. Das Höchste, was zu gewinnen ist aus den Evangelien, ist die Halluzi­nation des Mysteriums von Golgatha, nicht mehr und nicht weniger. Sehen Sie, dieses Geheimnis kennt gerade die neuere katholische Kirche. Daher will sie nicht, daß letzten Endes die Evangelien er­kannt werden von den Laien, denn sie fürchtet, daß man darauf kommen würde, daß man durch die Evangelien nicht eine historische Kunde von dem Christus-Mysterium haben kann, sondern nur eine Halluzination dieses Mysteriums von Golgatha, ich könnte auch sagen: eine Imagination; denn die Halluzination ist so verfeinert, daß sie eine wirkliche Imagination ist. Aber mehr als eine Imagina­tion ist durch den Evangelieninhalt selber nicht zu gewinnen.

Welches ist der Weg von der Imagination zu der Wirklichkeit? Der Weg wird eben durch die Geisteswissenschaft erschlossen, nicht durch das, was außerhalb der Geisteswissenschaft steht, sondern durch die Geisteswissenschaft allein. Das heißt, es muß die Imagina­tion der Evangelien durch die Geisteswissenschaft zur Realität erhoben

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werden. Es liegt im äußersten Interesse Ahrimans, sich seine Inkarnation so vorzubereiten, daß die Menschen diesen Weg von der Imagination in den Evangelien durch die Geisteswissenschaft zur Wirklichkeit des Mysteriums von Golgatha nicht machen. Geradeso wie Ahriman das größte Interesse daran hat, den Sinn für die Ab­straktion zu erhalten, so hat er auch das größte Interesse daran, daß die Menschheit immer mehr und mehr jene Frömmigkeit ausbilde, die auf die bloßen Evangelien bauen will. Wenn Sie das bedenken, so werden Sie einsehen, daß ein großer Teil der heute bestehenden Bekenntnisse die Vorarbeit Ahrimans für seine Zwecke in diesem Erdendasein ist. Wodurch könnte man dem Ahriman zum Beispiel mehr dienen, als wenn man sich entschlöße, eine äußere Macht, die man hat, dazu auszunützen, daß man denen, die an diese Macht glauben, die sich dieser Macht unterwerfen, befiehlt, sie sollen die anthroposophische Literatur nicht lesen! Man könnte ja Ahriman keinen größeren Dienst leisten als herbeizuführen, daß eine Anzahl von Menschen die anthroposophische Literatur nicht liest. Ich habe Ihnen in diesen Betrachtungen erwähnt, welche Menschen sich dazu entschlossen haben. Es können eben gewisse Tatsachen nicht anders als im Lichte der Wahrheit heute rückhaltlos dargestellt werden.

Eingesehen muß heute werden: Der Gang der Welt steht in einem gewissen Verhältnis zu kosmischen Zeiten, eingeschränkt durch die in Zeit und Raum gewesene luziferische Inkarnation, die vor dem Mysterium von Golgatha liegt. Aber in den Weg stellt sich diesem Gange, damit die Kräfte gerade am Widerstand sich erhärten, die westliche, in gar nicht zu ferner Zukunft liegende Ahriman-Inkar-nation, der man durch einen verschleierten Evangelienkult oder durch die Abstraktion geradezu auf den Weg helfen kann. Es haben heute viele Menschen ein inneres Bequemlichkeitsinteresse daran, sich zu verschließen vor diesen ernsten Tatsachen. Die Anthroposophen sollten dieses Interesse nicht haben; sie sollten vielmehr einen gewis­sen Impetus entwickeln, soviel wie möglich zu tun, damit die Gei­steswissenschaft unter die Menschheit verbreitet werde. Es ist etwas ganz Falsches, wenn immer wiederum geglaubt wird, man müsse sich mit solchen Leuten wie Traub verständigen. Es ist unsinnig, zu glau­ben,

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man könne sich mit solchen Leuten verständigen; denn die wol­len es nicht. Worauf es ankommt, ist, die übrige Menschheit aufzu­klären über diese Menschen. Man hat zu der übrigen Menschheit über diese Menschen zu sprechen. Damit sie sich mit uns verständigen können, dazu ist ja wahrhaftig alles geschehen. Sie brauchten nur vor­urteilslos zu lesen, was da ist, sich in das zu vertiefen, was da ist. Man muß strenge unterscheiden zwischen der Charakteristik solcher Schädlinge der Fortentwickelung der Menschheit und den anderen Menschen, vor die man hintreten und sagen muß, wie es um jene Schädlinge bestellt ist. Das Versuchen einer Verständigung mit die­sen Menschen hat gar keinen Sinn und gar keine Bedeutung; denn diese Menschen werden außerdem sofort zur Verständigung neigen, wenn sie keine Anhänger mehr haben, die ihnen den Boden unter die Füße legen. Dann sind sie schon von selber bereit, sich zu ver­ständigen. Die Notwendigkeit, die vorliegt, besteht gerade darin, die Menschen über sie aufzuklären. Wenn nur nicht leider gerade inner­halb unserer Kreise oftmals das Bestreben bestünde, in dieser Bezie­hung Kompromisse zu schließen, in dieser Beziehung sich nicht unbe­dingt zum Mute der Wahrheit zu bekennen! Es ist gar nicht nötig, daß wir uns jemals der Illusion hingeben, eine Verständigung mit dem oder jenem herbeizuführen, der sich ja gar nicht mit uns ver­ständigen will. Hülfe es uns etwas? Was für uns notwendig ist, das ist: mutvoll eintreten für die Wahrheit, soviel wir können. Und das scheint mir insbesondere aus der Auffassung dessen hervorzugehen, was mit der Entwickelung der Menschheit verbunden ist.

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VIERTER VORTRAG Stuttgart, 31. Dezember 1919

An diesem Abende geziemt es uns immer, zu gedenken, wie im Leben und im Weltendasein sich verketten Vergangenheit und Zu­kunft, wie sich verketten Vergangenheit mit Zukunft im ganzen kosmischen Leben, in das der Mensch einverwoben ist, wie sich ver­ketten Vergangenheit und Zukunft in jedem Stück des Lebens, in das zunächst unser eigenes individuelles Dasein eingesponnen ist durch alles das, was es hat tun dürfen, denken dürfen in dem ver­flossenen Jahreslauf, und was es sich vornehmen darf für den kom­menden Jahreslauf. Im Sinne unserer anthroposophischen Geistes­wissenschaft sollen sich diejenigen Gedanken, durch die wir uns gewissermaßen bedürfnismäßig vor die Seele führen, wie wir es getrieben haben im vergangenen Jahreslauf und wie wir es zu treiben gedenken im kommenden, mit dem entsprechenden Ernst, mit der entsprechenden Würde dadurch durchdringen, daß wir sie mit einem höheren Lichte beleuchten durch das, was wir gerade geisteswissen­schaftlich in uns aufnehmen können durch die Betrachtung der gro­ßen kosmischen Ereignisse. Wie stellt sich denn eigentlich dieses unser Menschenleben im Verhältnis zu Vergangenheit und Zukunft hin? Es ist wie ein Spiegel. Ja, dieser Vergleich mit einem Spiegel ent­spricht viel mehr der Wirklichkeit, als man sich zunächst vorstellen möchte. Wir stehen in der Tat gerade dann, wenn wir ein wenig Selbsterkenntnis anstreben, wie vor einem Spiegel. Vor dem Spiegel, wo wir uns selbst befinden und in ihn hineinschauen, da liegt das­jenige der Vergangenheit, wovon wir wissen: das spiegelt sich in dem Spiegel. Und hinter dem Spiegel liegt dasjenige, in das zunächst nicht hineingeschaut werden kann; in das so wenig hineingeschaut werden kann, als man räumlich sehen kann, was hinter einem Spiegel liegt. Die Frage muß man sich da vielleicht besonders aufwerfen:

Was ist eigentlich in diesem unserem Weltenspiegel der Spiegelbelag, durch den das Durchsichtige eben zum Spiegel wird? Beim räumlichen Spiegel ist das Glas hinten belegt, so daß unser Blick nicht durch

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dieses Glas dringt. Mit was ist denn jener Weltenspiegel belegt, der uns spiegelnd das Vergangene zeigt, der uns zunächst das Zukünftige hinter sich verbirgt? Der ist, meine lieben Freunde, mit unserem eigenen Wesen belegt, mit unserem menschlichen Wesen belegt.

Wir brauchen ja nur dessen zu gedenken, daß es uns in der Tat nicht gelingt, vor der gewöhnlichen Erkenntnis uns anschaulich zu machen, was wir selber sind. Wir durchschauen uns nicht; wir durch-schauen uns so wenig, wie wir einen Spiegel durchschauen. Vieles strahlt uns zurück, wenn wir in uns selbst hineinschauen. Dasjenige, was wir erlebt haben, was wir gelernt haben, das strahlt zurück; aber unser eigenes Wesen, es verbirgt sich, weil wir in unserem Selbst zunächst so wenig uns durchschauen können, wie wir den Spiegel im Raum durchschauen können. Im Großen betrachtet, und ich möchte sagen, im Abstrakten betrachtet, können wir diesen Spiegel-Vergleich so ansehen, wie ich ihn Ihnen jetzt dargestellt habe; aber im Einzelnen modifiziert er sich etwas. Blicken wir einmal zunächst in unser Leben und versuchen wir durch das Spiegeln - denn das Zurückblicken in unser Leben ist ja im Hinblick auf das, was gespie­gelt wird durch unser Seelen-Inneres, ein Spiegeln - zurückzublicken in unser Leben, so müssen wir uns gestehen: es ist ja doch nur ein Teil dessen, was wir erlebt haben, was uns da erscheint, was sich da spiegelt. Wenn Sie versuchen zurückzuschauen auf Ihre Erlebnisse, so sind ja diese Erlebnisse fortwährend unterbrochen. Sie blicken zurück auf das, was Ihnen der heutige Tag gebracht hat, aber Sie blicken nicht zurück auf das, was Ihnen die vorige Nacht gebracht hat. Die Erlebnisse der Nacht sind eine Unterbrechung. Und wieder­um blicken Sie zurück auf den gestrigen Tag und wiederum blicken Sie nicht zurück auf die vorgestrige Nacht und so weiter. Fort­wahrend schalten sich ein die von den Gedanken an die Erleb­nisse unausgefüllten nächtlichen Zeitspannen. Es ist eine Täuschung, wenn wir zurückblicken und glauben, wir überschauen unser ganzes Leben: wir stückeln gewissermaßen nur das aneinander, was die Tage enthalten; aber in Wirklichkeit müßten wir unsere Lebensfahrt mit fortwährenden Unterbrechungen uns vor die Seele führen.

Wir können uns nun fragen: Sind diese Unterbrechungen in unserem

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Lebensverlauf notwendig? Ja, sie sind notwendig. Wenn wir diese Unterbrechungen nicht hätten in unserem Lebenslauf, besser gesagt, in der Rückschau auf unseren Lebenslauf, dann würden wir als Menschen unser Ich gar nicht gewahr werden. Wir würden unse­ren Lebenslauf wie von der bloßen Außenwelt erfüllt sehen und es würde sich in unserem Lebenslaufe das Ich-Bewußtsein gar nicht ein­stellen. Daß wir unser Ich empfinden, fühlen, das rührt davon her, daß dieser Lebenslauf stückweise immer unterbrochen ist. Gerade mit Bezug auf diese durch die Unterbrechungen des Lebenslaufes herbeigeführte Ich-Wahrnehmung steht die Menschheit der Gegen­wart in einer kritischen Zeit. Wenn der Mensch der Gegenwart zurückblickt und durch den Rückblick sein Ich auf die eben ange­führte Weise hat, dann ist dieses Ich des Menschen der Gegenwart in einer gewissen Beziehung leer; wir wissen nur von unserem Ich. Die Menschen früherer Epochen der Erdenentwickelung wußten mehr. Wie im gewöhnlichen Tageslauf herausschimmern für den ein­zelnen Menschen die Träume aus seinem nächtlichen Erleben, so kamen herüber aus dem Ich die hellseherisch-atavistischen Wahr­nehmungen, die die Menschen in früheren Epochen hatten. Es waren diese hellseherisch-atavistischen Wahrnehmungen nur der Form nach Träume; was sie in sich enthielten, waren Wirklichkeiten. Man kann sagen: Das Ich ist entleert worden für den Menschen der Gegenwart seines hellseherisch-atavistischen Inhaltes, der die Menschen abgelau­fener Epochen getragen hat, der sie durchdrungen hat mit der Über­zeugung, daß sie ein Gemeinsames haben mit einem Göttlichen, daß sie zusammenhängen mit einem Göttlichen. Aus den atavistisch­hellseherischen Schauungen ist dem Menschen dasjenige aufgegangen, was sich für das Gefühlsleben als religiöse Empfindung und als reli­giöse Verehrung gegenüber denen verdichtet hat, denen der religiöse Kultus, der religiöse Opferdienst gewidmet wurde.

Wie steht die Sache heute? Heute ist das Ich entleert von diesen atavistisch-hellseherischen Schauungen, und wenn wir zurückblicken auf das Ich, ist es gewissermaßen mehr oder weniger nur ein Punkt in unserem Seelenleben. Es ist für jeden der Inhalt dieses Ichs ein fester Stützpunkt, aber eben nur ein Punkt. Zugleich aber leben wir

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in der Zeit, in der der Punkt wiederum zum Kreise werden soll, in der das Ich wiederum Inhalt bekommen soll. Damit das Ich wie­derum Inhalt bekomme, ragt seit dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts die Geisteswelt so mächtig in unsere sinnliche Welt her­ein; deshalb ist es, daß seit den letzten siebziger Jahren des neun­zehnten Jahrhunderts die geistige Welt in ihren Offenbarungen in einer neuen Art wiederum herein will in unser physisches Dasein. Und was wir auf dem Boden der anthroposophisch orientierten Gei­steswissenschaft wollen, das ist: alles das willig aufzunehmen und in Formen zu kleiden, die es menschlich mitteilbar machen, was her­ein will durch spirituelle Offenbarungen aus einer anderen, aber doch diese Welt tragenden Welt. Was ist das, was da herein will? Oh, es ist nichts Geringeres, als das, was uns in einer gewissen Beziehung die Menschenzukunft garantiert. Es ist, wir können sagen, zwar nicht unmittelbar ein Blick hinter den Spiegel, aber es ist eine Ga­rantie dafür, daß, wenn wir der Zukunft entgegeneilen als Mensch­heit, das heißt, den Weg hinter den Spiegel antreten - und das ist ja der Zukunft entgegenleben -, daß dann kraftvoll wird geschehen können, was wir in der Zukunft zu tun haben, wir und alle Menschen zu vollbringen haben, wenn wir die Kräfte erst gestählt haben, erst erstarkt haben durch das, was sich uns aus der geistigen Welt heraus geisteswissenschaftlich offenbart. So wie das Ich sich erfüllt hat für den Menschen der Vergangenheit mit atavistisch-hellseherischem In-halt, der ihm garantiert hat seinen Zusammenhang mit dem Göttli­chen, so soll sich in unserer Zeit erfüllen unser Ich mit einem neuen, vollbewußt aufgenommenen geistigen Inhalt, der uns wiederum das Band abgibt, das unsere Seele mit der göttlichen Seelenwesenheit verbindet. Die Menschen der Vorzeit haben das atavistische Hellsehen gehabt, und was als die letzte Erbschaft des atavistischen Hellsehens geblieben ist, das ist das abstrakte Nachdenken, das abstrakte Wissen der Menschen der Gegenwart. Verdünnt aus dem früheren atavisti­schen Hellsehen ist dies geblieben. Der Mensch der Gegenwart kann das Gefühl haben, daß diese Verdünnung, diese logisch-dialektische Verdünnung des alten atavistischen hellseherischen Wesens, sein See­lenhaftes nicht mehr zu tragen vermag. Dann wird er die Sehnsucht

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empfangen, etwas Neues in das Ich hereinzubekommen. Aber mit dem, was das Ende gebildet hat bei der Entwickelung der Mensch­heit von Urzeiten bis in die Gegenwart herein, mit dem muß jetzt der Anfang gemacht werden.

In alten Zeiten haben die Menschen hellseherische Offenbarungen gehabt und sie haben sie nicht verstanden; sie haben sie erst später verstehen gelernt. Heute muß der Mensch zuerst verstehen, muß anstrengen seine Intellektualität, muß anstrengen seinen Verstand, und wenn er ihn anstrengt durch das, was in der Geisteswissenschaft vorliegt, dann wird die Menschheit sich hinentwickeln wiederum zum hellseherischen Aufnehmen des Geistigen. Das ist allerdings etwas, was die meisten Menschen heute noch vermeiden möchten:

ihren gesunden Menschenverstand anzuwenden, um die Geisteswis­senschaft zu verstehen. Würde man es vermeiden wollen, so würde man auch vermeiden wollen, überhaupt die geistigen Offenbarungen in unsere irdische Welt hereinzulassen.

So verketten sich Vergangenheit und Zukunft an diesem in der Gegenwart liegenden Silvester-, Weltsilvestertag. Es ist schon ein­mal eine Art Weltsilvester, was heute vorhanden ist. Die Zukunft steht wie eine gewaltige Frage vor uns, aber nicht wie eine unbe­stimmte, abstrakte Frage, sondern wie eine konkrete Frage. Wie nähern wir uns demjenigen, was als eine Frage an die Menschheit, eben als geistige Offenbarung, seit dem letzten Drittel des neunzehn­ten Jahrhunderts immer mehr und mehr herein will in unsere irdische Welt? Und wie haben wir das in Verhältnis zu dem zu stellen, was in der Vergangenheit sich geoffenbart hat? Das müßte lebendig empfunden werden, dann würde man fühlen, welche Bedeutung es doch hat, hinzuneigen mit seinen Sehnsuchten zu dem, was hier als anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gemeint ist. Dann würde man den Ernst und die Würde des geisteswissenschaftlichen Strebens empfinden. Gerade in der Gegenwart wäre es nötig, diese Empfindung zu haben; denn wir appellieren ja eigentlich nicht an irgendeine menschliche Willkür, wir appellieren an dasjenige, was uns als Welterkenntnis aus der Weltentwickelung heraus selber sich offenbaren will, wir appellieren gewissermaßen an das, was die Götter

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mit den Menschen wollen. Aber da liegt die Tatsache vor, daß, wenn man auf der einen Seite an den Geist sich wendet, dann werden auf der anderen Seite die Menschen, die das Vergangene allein anbe­ten möchten, zu dem Geist des Widerspruchs, zu dem Geist des Wi­derstandes hingezogen. Und je mehr wir versuchen, mit aller Kraft zu ergreifen den Geist des Zukunftmenschenseins, desto mehr wer­den gewissermaßen die Vergangenheitsmenschen besessen sein von dem Geist des Widerstandes.

In der Menschheit ist es heute bemerkbar, wie das religiöse Emp­finden versucht, ein neues Leben in sich hereinzubekommen. Es sind tastende Versuche vielfach. Geisteswissenschaftliche Versuche sollen keine tastenden sein; durch sie soll die wirkliche, konkrete Geistes­welt ergriffen werden. Aber, ich möchte sagen, wie eine Ahnung davon, daß es so sein soll, stehen die Menschen vor uns, die da sagen: Die bloß religiöse Tradition genügt uns nicht, wir wollen ein inneres religiöses Erleben haben; wir wollen nicht bloß die Kunde vernehmen davon, daß der Christus nach den Traditionen, Überlie­ferungen, vor so und soviel Jahren in Palästina gelebt hat und gestorben ist, wir wollen das Christus-Erlebnis in der eigenen Seele erleben. - Auf vielen Gebieten sehen wir solches auftreten bei Men­schen, die da glauben, daß ihnen in der innersten Seele etwas auf­gegangen ist von dem Christus-Erlebnis. Es sind tastende Versuche, die oftmals sogar bedenklich sind, weil dann die Menschen gleich in ihrer seelischen Selbstsucht zufrieden sind und alle Hinneigung zum Geiste ablehnen. Aber sie sind da, diese Sehnsuchten nach innerem geistigem Erleben, und beachtet werden sollten auch die durchaus tastenden Versuche nach solchem inneren Geist-Erleben, nach einem neuen Interesse an der geistigen Welt. Dann aber regen sich die Gei­ster des Widerspruchs.

Und nach dem, was davon gedruckt worden ist, was er selbst hat drucken lassen, soll ja neulich hier in Stuttgart ein solcher Vertreter des Vergangenheitsgeistes ganz merkwürdige Worte gesprochen haben über diese Versuche, die auf der einen Seite tastende Versuche sind, ein neues religiöses Interesse, ein neues religiöses Erleben heraufzu­bekommen, die auf der anderen Seite die Versuche sind, zu wirklich

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neuen konkreten Erkenntnissen der geistigen Welt zu kommen, wie sie sich durch die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft geltend machen wollen. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen das Hirtenspiel gesehen haben, das jetzt in der Waldorfschule aufgeführt worden ist, wo der eine Hirte, da er eine geistige Erscheinung hat, sagt, er hätte bald die Sprache verloren. Nun, als ich die letzte Seite von Gogartens «Geisteswissenschaft und das Christentum» las, mußte ich sagen, ich hätte auch bald die Sprache verloren; denn man steht tatsächlich staunend davor, daß es möglich ist, daß dergleichen Dinge in der Gegenwart gesprochen werden können. Gerade solche Dinge sollten anregen zur Weltsilvesterbetrachtung, zur Vergleichung des Vergangenen mit dem notwendigen Zukünftigen. Denn was hat der betreffende Religionsmann eigentlich gesagt? Ich weiß nicht, ob es in seinem ganzen Gewicht empfunden worden ist. Er hat gesagt: «Es ist heute - was sage ich heute, es ist immer die wichtigste Aufgabe, der Frömmigkeit dies Elementare, von dem ich sprach, zu bewahren. Es fehlt uns heute so gut wie ganz. Wir stecken im religiösen und im religiösen . Und weil die Anthroposophie für das ein so guter Stoff und für das ein so gutes Mittel ist, darum ist man ihr gegenüber so gut wie ohne Hilfe und Widerstand. Man weiß eben wenig mehr von jener letzten elementa­ren Spannung, die von der Frömmigkeit ins Leben getragen wird und die jedes religiöse verjagt und jedes religiöse sprengt, jene Spannung zwischen Gott und Geschöpf. Und weil man von dieser Spannung wenig weiß, darum weiß man gerade so wenig von dem anderen, dem bedingungslosen, unmittelbaren Einssein von Gott und Mensch.» Hier sehen wir im Namen der Religion verpönt jedes religiöse Interesse, gesprengt jedes religiöse Erleben; und eine ganz unbestimmte Spannung, die ja selbstverständlich nicht weiter differenziert werden kann, die er auch nicht weiter differenzieren will, die soll treten an die Stelle des religiösen Interesses, des religiö­sen Erlebens. Man könnte die Sprache verlieren, wenn ein Religions­mann so spricht, daß er sagt, die wahre Frömmigkeit müsse jedes religiöse Interesse verjagen und jedes religiöse Erleben sprengen! So­weit haben wir es gebracht! Und soweit haben wir es gebracht, daß

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gar nicht empfunden wird, was eigentlich darinnen liegt, wenn von einem offiziellen Religionsvertreter gesagt wird: Weg mit dem reli­giösen Interesse, weg mit dem religiösen Erleben!

Sehen Sie, abgesehen davon, daß der Mann nicht weiß, daß er selber niemals überhaupt von einer Religion sprechen könnte, wenn es nicht früher atavistisches religiöses Interesse und religiöses Erleben gegeben hätte; abgesehen davon, daß der Herr als offizieller Reli­gionsvertreter niemals vor Zuhörern stehen würde, wenn nicht auf dem Weg des religiösen Interesses und religiösen Erlebens die Reli­gion eingezogen wäre in die menschliche Entwickelung, abgesehen davon, weist ja dasjenige, was ich Ihnen eben vorgeführt habe, darauf hin, daß heute gerade die Menschen, die sich die rechten Vertreter des Religionswesens zu sein dünken, für die Ausrottung jeglichen religiösen Wesens wirken. Haben denn diese Menschen alle Mög­lichkeit verloren, das Menschlich-Seelische noch zu verstehen? Kön­nen denn diese Menschen gar nicht mehr verstehen, daß alles das, wonach sich der Mensch wendet mit seiner Aufmerksamkeit, gelei­tet sein muß von seinem Interesse, daß alles das, was überhaupt in das menschliche Bewußtsein hereinkommen soll, getragen sein muß vom Erleben? Es ist ja, als ob überhaupt nicht mehr das Menschen-wesen aus solchem Bewußtsein heraus spräche, sondern nur noch der Geist des Widerstandes. Das ist es, was in allem Ernste vor unsere Seele treten sollte, wenn wir in den Spiegel schauen, der so geheim­nisvoll das Vergangene enthüllt und das Zukünftige verhüllt, aber es doch in einer gewissen Weise offenbart, nämlich in derjenigen Weise, wie ich es eben auseinandergesetzt habe.

Ja, aber da will nun anthroposophisch orientierte Geisteswissen­schaft dem religiösen Interesse dienen, da will anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft dem religiösen Erleben Inhalt zufüh­ren. Und was geschieht? Sehen Sie, der römischen Kongregation wurde die Frage vorgelegt im Laufe dieses Jahres, ob die Lehren, die man heute theosophische nennt, sich mit den katholischen Lehren vereinigen lassen, und ob es denn erlaubt sei, sich theosophischen Gesellschaften anzuschließen, theosophischen Versammlungen beizu­wohnen und theosophische Zeitschriften und Zeitungen zu lesen. Die

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Antwort hieß: Nein in allen Punkten, negative in omnibus. Dies ist der Geist des Widerstandes, und der Jesuit Zimmermann inter­pretiert das insbesondere dahin, daß er diese Verfügung der römi­schen heiligen Kongregation auf die Anthroposophie anwendet. Nun, was jener Zimmermann schreibt, wird Ihnen ja bekannt sein, und ich brauche es Ihnen nicht besonders auseinanderzusetzen; aber wissen müssen Sie doch alle, welcher Wind von einer gewissen Seite her, durchsetzt von dem Geiste des Widerstandes, heute gegen anthropo­sophisch orientierte Geisteswissenschaft weht.

Welcher Geist in diesem Winde durch die Welt geht, man kann es ja auch spüren, wenn man weiß, daß aus der Feder jenes selben Zimmermann, der jahrelang die Lüge kolportiert hat, daß ich ein entsprungener Priester sei, die folgenden Worte stammen: «Durch den Abfall ihres Generalsekretärs Dr. Rudolf Steiner, der die mei­sten Mitglieder mit sich riß, anfänglich sehr geschwächt, hat sie sich» - die Theosophische Gesellschaft - «mit den Jahren wieder einiger­maßen erholt, zählt gegenwärtig etwa 25 Logen, darunter freilich etwa ein Fünftel , und gibt in Düsseldorf als ihr Organ für Deutschland und Österreich das heraus. Über Steiner, der seine Theosophie nach dem Abfall genannt hatte, klagte man in der letzten Zeit unter seiner Umgebung, daß er steril werde, keine neuen mehr habe und immer nur dasselbe vortrage; er werde vermutlich sich bald auf etwas Neues werfen» und so weiter. Damit bereitet man einen folgenden Artikel vor, der dann in eben so gescheiter Weise über die Dreigliederung handelt. Sie sehen, von welchem Geiste der Wahr­heit dieser Jesuit getragen ist. Ein Jesuit vertritt nicht bloß seine persönliche Meinung, sondern die Meinung der katholischen Kirche; denn er spricht nur als ein Glied der katholischen Kirche. Daher ist dasjenige, was er sagt, zu beziehen auf die katholische Kirche. Diese Dinge müssen heute auch vom moralischen Gesichtspunkt aus beurteilt werden. Vom moralischen Gesichtspunkt aus muß gefragt werden, ob jemand, der es so mit der Wahrheit hält wie dieser Mensch, der ja allerdings durch die gegenwärtigen Verhältnisse gar sehr in Betracht kommt für eine gewisse Religionsgesellschaft hier

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auf Erden, ob er vor dem echten Geist der Menschheit überhaupt in Betracht kommen kann. Solange nicht die Fragen solcher Art mit dem nötigen Ernst betrachtet werden, solange sind wir nicht bei der richtigen Weltsilvesterbetrachung angelangt. Aber heute ist es not­wendig, daß wir bei dieser richtigen, Weltsilvesterbetrachtung an-langen. Es ist notwendig, daß wir das, oftmals leider egoistischen Ursprüngen entstammende sogenannte Mitleid ausdehnen auf die großen Menschheitsverhältnisse und jenes Menschheitsmitleid emp­finden, das uns antreibt, eine geistige Bewegung wie diese wirklich für die Entwickelung der Menschheit fruchtbar zu machen. Möch­ten Sie, meine lieben Freunde, gerade am heutigen Tage empfinden, daß es ja der Geist der Welt selber ist, der herein will seit Jahrzehn­ten; möchten Sie empfinden am heutigen Abend, daß hier gedient werden will diesem in die Menschheit hereinwollenden Geiste; möch­ten Sie empfinden, daß hier diesem Geist so gedient werden will, daß die Seelen derer, die da mitempfinden und mitdenken wollen mit dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, ihre Ver­einigung fühlen mit dem in die Welt hereinwollenden neuen Geist, der allein der sich zerstörenden irdischen Welt den aus dem Himmel wirkenden neuen Aufbauimpuls bringen kann! Möchten Sie in dieser Stunde, die immer in jedem Jahre symbolisch ist, weil gewissermaßen sie uns auffordert, sie als Scheidestunde zu empfinden zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, möchten Sie in dieser Stunde Ihre Seelen vereinigen mit dem neuen Geist; möchten Sie das Berühren des vergangenen Jahres mit dem zukünftigen Jahre in Ihrer Seele so empfinden, daß sich da berührt das abgelaufene Weltenjahr mit dem anbrechenden Weltenjahr!

Das ablaufende Weltenjahr wird aber noch manche Nachwirkun­gen hineinsenden in die Zukunft; es werden geistige und rechtliche und wirtschaftliche zerstörende Kräfte sein. Um so notwendiger wird es sein, daß möglichst viele Menschen ergriffen werden in ihrer tiefsten Seele von dem Neujahr der Geisteszukunft und ein Wollen entwickeln, welches die Grundlage sein kann für ein Hineinbauen einer neuen geistigen Welt in die Zukunft der Menschenentwicke­lung. Nicht diejenigen werden für die Zukunft der Menschheit sorgen,

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die ertöten wollen religiöses Interesse, die wegschaffen wollen religiöses Erleben, sondern einzig und allein diejenigen, die durch­schauen, wie durch unsere intellektualistische Zeit das alte religiöse Interesse verglommen ist, das alte religiöse Leben gelähmt ist, wie ein neues religiöses Interesse die Menschheit ergreifen muß, wie ein neues religiöses Erleben ersprießen muß in der Menschheit, damit die Menschen in den Kosmos neue Keime eines kunftigen Daseins hin eintragen können.

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FÜNFTER VORTRAG Stuttgart, 1. Januar 1920

Heute möchte ich vor Ihnen erscheinen mit jenen Neujahrsgrüßen, welche dasjenige enthalten, was ich Ihnen hineinwünschen möchte in Ihre Seelen, damit Sie in unserer Zeit, die so sehr dessen bedarf, die großen dringenden Forderungen sehen für die Entwickelung der Menschheit, und damit Sie, jeder an seinem Platze, mitwirken mö­gen, soviel Sie eben können, zu der Erfüllung dessen, was in unserer Gegenwart der Menschheit so sehr nötig ist. In einer solchen Zeit, die symbolisch ausdrückt den Zusammenfluß von Vergangenheit und Zukunft, wird es vielleicht gestattet sein, daß ich anknüpfe an etwas, von dem ich, obzwar es mit persönlichen Erlebnissen zusammen­hängt, doch glaube, daß es eine gewisse Bedeutung hat für das Hin­einschauen in die ganze geistige Gestaltung der Gegenwart. Meine lieben Freunde, in der nächsten Zeit sollen Aufsätze von mir erschei­nen, die vor langer Zeit - einige davon vor mehr als dreißig Jah­ren - von mir geschrieben worden sind. Diejenigen Aufsätze, die ich vor mehr als dreißig Jahren, damals noch in Österreich, geschrieben habe, sind gesammelt worden durch die Liebe, mit der sich dieser Sammlung unser Freund Dr. Kolisko unterzogen hat, und ich darf heute in dieser Neujahrsbetrachtung, die ja eben als solche mit Recht eine Zeitbetrachtung ist, einleitend auf einiges hinweisen, was von mir vor mehr als dreißig Jahren geschrieben worden ist; was damals geschrieben worden ist, wie Sie gleich erkennen werden, um dem deutschen Volke, man kann schon sagen, ins Gewissen zu reden, um Ausdruck zu geben dem, was man dazumal wahrnehmen konnte als einen Grundmangel in dem geistigen Leben dieses deutschen Vol­kes. Gestatten Sie, daß ich ein paar von diesen, nunmehr mehr als dreißig Jahre alten Sätzen vorlese. Sie stehen in dem Artikel, den ich überschrieben habe «Die geistige Signatur der Gegenwart». Also, sie weisen auf eine mehr als dreißig Jahre alte Vergangenheit jetzt hin, die dazumal Gegenwart war. Ich schrieb dazumal, drinnenstehend in jenen Symptomen des allgemeinen geistigen Lebens, das sich mehr

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im Gedankenleben der Nation offenbarte: «Achselzuckend gedenkt unser heutiges Geschlecht jener Zeit, in der ein philosophischer Zug durch das ganze deutsche Geistesleben ging. Die gewaltige Zeitströ­mung, die am Ende des vorigen und am Anfang dieses Jahrhunderts die Geister ergriff und kühn sich die denkbar höchsten Aufgaben stellte, gilt gegenwärtig als eine bedauerliche Verirrung. Wer es wagt, zu widersprechen, wenn von den , von den Hegels die Rede ist, wird einfach als Dilettant hingestellt, #SE195-072

Grund der Dinge, nach den scheinbar verborgenen tieferen Ursachen der uns umgebenden Natur. Lebte sich der griechische Geist in seiner wunderbaren Welt von Formen und Gestalten aus, so mußte der auf sich selbst zurückgezogene Deutsche, der weniger mit der Natur, dafür aber mehr mit seinem Herzen, mit seinem eigenen Inneren Umgang pflegt, auch seine Eroberungen auf dem Gebiet der reinen Gedankenwelt suchen. Und darum war es deutsche Art, wie sich Fichte und seine Nachfolger der Welt und dem Leben gegenüber-stellten, darum fanden ihre Lehren so begeisterte Aufnahme, darum wurde eine Zeit lang das ganze Leben der Nation davon ergriffen. Darum aber auch dürfen wir mit dieser Richtung des Geistes nicht brechen. Überwindung der Fehler, aber naturgemäße Entwickelung auf dem Grunde, der damals gelegt wurde, muß unsere Losung wer­den. Nicht was diese Geister fanden oder zu finden glaubten, aber wie sie sich den Aufgaben der Forschung gegenüberstellten, das ist das bleibende Wertvolle.»

Es sollte dazumal dieses deutsche Volk hingewiesen werden auf das, was eben drohte aus dem Gesichtskreis dieses Volkes zu ver­schwinden. Man lebte damals noch in einer anderen Zeit als heute; man lebte in der Zeit, in welcher, wenn man gewollt hätte, für gewisse Kreise es noch möglich gewesen wäre, sich mit dem im Be­ginne seines Niederganges befindlichen Geiste zu verbinden und Durchgreifendes für eine Neuentwickelung menschlicher Impulse anzubahnen. Allerdings, dazumal hätten sich finden müssen Men­schen unter denen, die sich Führer des Volkes nannten, Menschen unter denen, die die Jugend anleiteten für das spätere Leben. Damals gab es noch nicht Experimente solcher Art, wie sie jetzt in Rußland hervortreten; damals hätten diejenigen, welche die Bildner der Ju­gend waren, noch die Möglichkeit gehabt, zu den Intentionen dieses alten Geisteslebens zurückzukehren und es im neuen Sinne wiederum auferstehen zu lassen. Damals aber wollte man nicht im geringsten auf irgendeine Stimme hören, welche sich erhob für dieses Wieder­auferstehenlassen eines wirklich spirituellen Strebens der Mensch­heit. Und alles, was insbesondere in den Kreisen der niederen oder höheren Volkserzieher sich in diesen letzten dreißig Jahren festgelegt

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hat, war ein Sturmlaufen gegen die Intentionen spiritueller Welt­anschauung. Ich muß heute gedenken, daß damals, als ich diese Worte schrieb, von mir ja bereits meine Interpretationen zu Goethes Weltanschauung, zu Goethes naturwissenschaftlichen Ideen veröffent­licht waren; ich muß gedenken, wie ich dazumal gerade die auf dem Gebiete des Gedankens, des wissenschaftlichen Forschens Tätigen aufmerksam gemacht habe auf zwei große Gefahren. Ich habe dazu-mal zwei Ausdrücke geprägt, die hinweisen sollten auf die beiden großen Feinde menschlichen Geistesfortschrittes. Ich sprach auf der einen Seite von dem Dogma der Offenbarung und ich sprach auf der anderen Seite von dem Dogma der bloßen Erfahrung. Und ich wollte zeigen, daß die einseitige Pflege des Dogmas der Offenbarung, wie sie sich heraufentwickelte in den Bekenntniskreisen, ebenso schädlich ist, wie das Pochen auf die sogenannten Dogmen der Erfahrung, das heißt auf alles das, was nur die äußere Sinneswelt und die materielle Tatsachenwelt bei den Naturforschern und Soziologen liefert. Es war dann die Aufgabe im Laufe der Zeit, diese Ideen, ich möchte sagen, konkreter zu fassen, hinzuweisen auf die realen Kräfte, die hinter der einen und hinter der anderen Erscheinung stecken.

Was steckt hinter all dem, worauf man hinweist, wenn man von dem Dogma der Offenbarung spricht? Darinnen steckt alles das, was wir heute im umfassenden Sinn als die luziferischen Einflüsse auf den Gang der Menschheitsentwickelung nennen. Und hinter dem Dogma der Erfahrung steckt alles das, was wir, wiederum in umfas­sendem Sinne, die ahrimanischen Einflüsse auf die Menschheitsent­wickelung nennen. Derjenige, der in unserer heutigen Zeit die Menschheit bloß führen will unter dem Einflusse des Dogmas der Offenbarung, der leitet sie im luziferischen Sinne; wer sie, wie etwa die Naturforscher, nur leiten möchte im Sinne des Dogmas der äuße­ren sinnlichen Erfahrung, der leitet sie im ahrimanischen Sinne. Darf es nicht heute in unserer ernsten Zeit eine Neujahrsbetrachtung sein, diese letzten drei bis vier Jahrzehnte zu überblicken, hinzuwei­sen darauf, wie man heute ebenso noch notwendig hat, den damals erhobenen Ruf wieder zu erheben, nur in vielfach verstärkter Art?

Meine lieben Freunde, diese dreißig bis vierzig Jahre, sie haben

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durch den Verlauf der äußeren Tatsachen klar gezeigt, wie berech­tigt jener Ruf dazumal war; denn wer unbefangen durchblickt, was geschehen ist, der muß sich sagen: Wäre dazumal ein solcher Ruf etwas Reales geworden in den Gemütern der Menschen von Mittel­europa, das, was wir heute als Elend und Not erleben, es wäre nicht gekommen. Dazumal verhallte jener Ruf; jetzt begegnet man ihm von Seite der römischen heiligen Kongregation mit dem Dekret vorn 18. Juli 1919; und die Domkapitulare verkündigen, daß dasjenige, was Anthroposophie ist, nicht aus meinen Schriften gelesen werden darf, weil der Papst es verboten hat, sondern daß man sich unterrichten müsse aus den Schriften der Gegner. Die Domkapitulare weisen also zu der Erkenntnis der Anthroposophie nicht auf meine Schrif­ten, sondern auf Sei/ing und Genossen hin. Das geschieht in derselben Zeit, wo unter den Auspizien einer sich sozialistisch aufspielenden Berliner Regierung über die Errichtung einer römisch-katholischen Nuntiatur in Berlin verhandelt wird. Das ist auch etwas, was hin­weist auf die geistige Signatur der jetzigen Gegenwart. Und heute möchte man schon wirklich appellieren an die tiefsten Herzenskräfte derjenigen, die noch fähig sind, etwas von geistigen Impulsen inner­halb der Menscliheitsentwickelung zu fühlen, damit sie aufwachen, um doch einmal zu sehen, wie die Dinge eigentlich gehen. Denn sehen Sie, heute handelt es sich vor allen Dingen darum, daß die Menschen die Möglichkeit finden, zu ihrem Selbst zu kommen. Und zum Selbst zu kommen, dazu bedarf es des Vertrauens in die eigene Seelenkraft. Gerade mit dem Appell an dieses Vertrauen in die eigene Seelenkraft kommt man den Menschen heute nicht recht bei. Die Menschen möchten auf der einen Seite sich anlehnen an irgendetwas, was sie von innen heraus zwingt, das Richtige zu denken und zu wollen, und sie möchten auf der anderen Seite sich anlehnen an irgendetwas, was sie von außen her zwingt, das Richtige zu denken und zu wollen.

Immer weisen die Menschen irgendwie auf zwei solche Pole hin und niemals möchten sie sich aufraffen, nach dem Gleichgewicht zwischen den von diesen zwei Polen aus wirkenden Kräften zu stre­ben. Führen wir uns noch einmal etwas von der geistigen Signatur der Gegenwart, die aber heute im Begriffe ist soziale und materielle

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Signatur zu werden, führen wir uns wiederum etwas davon vor Augen! Da hören wir im Osten Europas den alten marxistischen Ruf sich erheben, es rnüsse eine soziale Ordnung unter den Men­schen eintreten, in der jeder Mensch leben könne nach seinen Fähig­keiten und nach seinen Bedürfnissen; es müsse eine soziale Ordnung entwickelt sein, in welcher die individuellen Fähigkeiten jedes ein zelnen Menschen zur Geltung kommen können, und in welcher befrie­digt werden können die berechtigten Bedürfnisse jedes einzelnen Men­schen. So wie das abstrakt ausgesprochen wird, kann nicht das Aller-geringste gegen diese Abstraktion eingewendet werden; auf der ande­ren Seite aber wiederum hören wir eine Persönlichkeit wie Lenin sagen: Mit den Menschen der Gegenwart läßt sich eine solche soziale Ordnung nicht begründen, mit ihnen kann man nur eine Übergangs­Sozial-Ordnung begründen. - Man kann nur begründen irgend etwas, was Ungerechtigkeit im weitesten Sinne selbstverständlich in sich schließt. Sie ist ja auch in lächerlichem Maße in alle dem vorhanden, was Lenin und seine Anhänger begründen; denn er und seine An­hänger meinen, man könne nur durch den Durchgang dieses Über­gangsstadiums eine neue Menschenrasse erzeugen, die jetzt noch nicht da ist; und wenn sie kommt, dann wird man in ihr jene soziale Ord­nung einführen können, in der jeder seine Fähigkeiten wird verwen­den können, in der jeder nach seinen Bedürfnissen wird leben kön­nen. Also die Erfindung einer nicht vorhandenen Menschenrasse, um eine Idee zu verwirklichen, die ja, wie ich gesagt habe, im abstrakten Sinne sogar berechtigt ist.

Sollten nicht doch genügend Menschen sich finden können, welche den ganzen Ernst dieser gegenwärtigen Weltsituation erfassen, wenn sie so etwas vernehmen? Sollte es nicht an der Zeit sein, daß aufhöre jene Schläfrigkeit, die sich, wenn so etwas auftritt, was gerade im tiefsten Sinne hinweist auf die Signatur der Gegenwart, sich ein wenig die Augen zumacht, um ja nicht die ganze Bedeutung einer solchen Sache ins Auge zu fassen? Es hilft nichts anderes, um zur konkreten Einsicht über diese Dinge zu kommen, als die Wege der Abstraktion ins geistige Leben hinein zu verlassen. Aber dazu muß man erst wirklich ein Gefühl dafür erhalten, wo Abstraktion vorhanden

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ist, wo nur geredet wird im Sinne einer Phraseologie vom Geiste und von der Seele, und man muß fühlen, wo vom Geist und von der Seele als von einer Wirklichkeit geredet wird. Sehen Sie, wenn man spricht von den menschlichen Fähigkeiten: sie treten auf als die Offenbarungen aus des Menschen innerer Wesenheit, wenn der Mensch heranwächst. Die Menschheit fühlt sich durch eine An­zahl ihrer Vertreter veranlaßt, diese Fähigkeiten und Kräfte, die in dem werdenden Menschen zutage treten, in entsprechender Weise zu entwickeln. Richtig empfindet man auf diesem Gebiete nur, wenn man in einer gewissen Weise eine Offenbarung des Göttlichen in der Offenbarung dieser Kräfte und Fähigkeiten wahrnimmt, wenn man sich sagt: Der Mensch ist hereingekommen aus einer geistig-see­lischen Wesenswelt in diese sinnlich-wirkliche Welt, und was sich da als seine Kräfte und Fähigkeiten äußert, was wir selber entwickelt haben in uns und anderen, das rührt aus einer geistigen Welt her, das ist, indem es aus einer geistigen Welt heruntergestiegen ist in diesen physischen Menschenleib, nunmehr in diesen physischen Menschen-leib hineingestellt. Aber nehmen Sie den Geist und Sinn dessen, was hier seit Jahrzehnten auseinandergesetzt wird: dieser Geist und Sinn weist Sie darauf hin, daß mit der Einkörperung der menschlichen Fähigkeiten und Kräfte in den physischen Menschenleib den luzife­rischen Wesenheiten die Möglichkeit gegeben wird, an diese Fähig­keiten und Kräfte heranzukommen.

Man kann nicht irgendetwas in Selbsttätigkeit oder in erzieheri­scher oder in kulturfördernder Tätigkeit in den menschlichen indivi­duellen Fähigkeiten und Kräften tun, ohne daß man mit den luziferi­schen Kräften in Berührung kommt. In denjenigen Regionen, die der Mensch durchlaufen hat, bevor er durch die Geburt oder Empfäng­nis ins physische Dasein eingetreten ist, da konnte die luziferische Macht nicht an die menschlichen Fähigkeiten und Kräfte unmittel­bar heran. Die Einkörperung in die physische menschliche Leiblich­keit, das ist das Mittel, durch das die luziferischen Mächte an die menschlichen Fähigkeiten und Kräfte herankommen können. Nur dadurch, daß man dieser Tatsache unbefangen ins Auge schaut, kommt man zu einer richtigen Stellung im Leben zu all dem, was

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als individuelle Fähigkeiten und Kräfte aus der menschlichen Natur hervorquillt. Wenn man das Luziferische nicht sehen will, wenn man es ableugnet, dann verfällt man ihm. Dann aber gerät man gerade in jene Seelenstimmung, welche sich durchaus an etwas Zwingendes im Innern überliefern möchte, um da durch allerlei mystische oder religiöse Kräfte sich zu entlasten von der Notwendigkeit, an das freie Selbst des Menschen zu appellieren und in der Entfaltung des eigenen freien Selbstes in der Welt das Göttliche zu suchen. Die Men­schen möchten nicht selber denken, sie möchten, daß eine unbe­stimmte Kraft in ihrem Innern sich äußere, nach der sie logisch beweisen können. Sie möchten die Wahrheit nicht erleben, sie möch­ten sich nicht aufraffen zu jenem inneren freien Erleben, das auch die Wahrheit erlebt; sie möchten jenen innern Zwang erleben, der von innen heraus sie zwingt und sich ausdrückt in dem Beweise, der nicht an das Erlebnis appelliert, sondern an die Macht eines Geisti­gen, das den Menschen überwältigen, zwingen soll, so oder so zu denken über die Natur und über den Menschen selber. Damit aber, daß die Menschen an diesen inneren Zwang appellieren, an diese in­nere Macht, damit liefern sich die Menschen den luziferischen Mäch­ten aus. Das Mittel, das man ergreifen kann, damit die Menschen also an diesen Zwang appellieren, damit sie sich nicht erheben zum freien Drinnenstehen in der geistigen Welt, das ist, daß man sie zwingt zu denken, daß es keine drei Glieder der menschlichen Natur gibt, Leib, Seele und Geist, sondern wenn man ihnen, wie das auf dem achten allgemeinen Konstantinopeler Konzil geschehen ist, verbietet zu denken, daß der Mensch aus Leib, Seele und Geist besteht, wenn man es abschafft, sich mit dem Geiste zu beschäftigen. Das sind innere Zusammenhänge, die heute nicht mehr übersehen werden dür­fen, die heute klar und unbefangen ins Auge gefaßt werden müssen. Damals, im Jahre 869, als bestimmt wurde, daß man an den Geist im Menschen nicht glauben dürfe, damals zog der luziferische Hang in die europäische Zivilisation ein. Und heute haben wir die Erfül­lung davon. Die Menschen haben sich lange genug hingegeben dem Hang, nicht die Wahrheit zu erleben, sondern den Zwang des Bewei­ses, des unpersönlichen Beweises auf sich wirken zu lassen. Das hat

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sie hinübergeworfen nach dem anderen Extrem. Man hat sich nicht in sachgemäßer Weise zu beschäftigen verstanden mit den menschli­chen Fähigkeiten und Kräften, man hat sich nicht zugeben wollen, daß auf die Art, wie ich es eben auseinandergesetzt habe, in den menschlichen Fähigkeiten und Kräften, wenn diese im physischen Leibe verkörpert sind, luziferische Mächte leben. Dadurch hat man erfahren jene schiefe Stellung, in die die moderne Menschheit zu den individuellen Fähigkeiten und Kräften in der menschlichen Natur gekommen ist, die heute an der Tagesordnung ist.

Der andere Pol des Menschen, das sind seine Bedürfnisse, diese Bedürfnisse, die sich zuerst in der rein physischen Natur ausspre­chen. Diese Bedürfnisse, die Schiller in seinen «Ästhetischen Briefen» so schön gegenübergestellt hat der abstrakt logischen Macht und die er genannt hat die Notdurft, während er den logischen Zwang als die andere Macht, als die ins Geistige abirrende Macht charakteri­siert hat. Damals war während der großen Periode der deutschen Entwickelung eine solche Persönlichkeit wie Schiller auf dem Wege, den polarischen Gegensatz des Menschen richtig zu erfassen. Die Zeit war damals noch nicht reif, mehr zu sagen, als Schiller und Goethe und die ihnen Gleichgesinnten gesagt haben. Unsere neue Zeit ist in die Notwendigkeit versetzt, diese Dinge weiterzubauen. Baut man weiter, dann wird anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft daraus. Derjenige, der nur die einseitige Macht des Beweisens auf dem geistigen Gebiet kennt, der lernt im Leben auch nur kennen die ein­seitige Naturtriebmacht der menschlichen Bedürfnisse. Sie können sich leicht vorstellen: wenn der Mensch mit seinen Fähigkeiten und Kräften in die physisch-sinnliche Welt eintritt durch Konzeption oder Geburt, und Luzifer über ihn kommt und von dem, was der Mensch selbst haben sollte, auf der einen Seite, auf der Kopfseite gewissermaßen des menschlichen Wesens etwas nimmt, dann bleibt auch im Menschen selbst eine geringere Macht, um seine Selbständig­keit auf dem Gebiete der Bedürfnisse geltend zu machen. Durch das, was sich Luzifer auf der einen Seite aneignet, erlangt Ahriman auf der anderen Seite die Möglichkeit, sich anzueignen, was in den Bedürfnissen der menschlichen Natur wirkt. Und so ist eingezogen

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auf der anderen Seite mit dem Dogma der bloß äußeren sinnlichen Erfahrung die Durch-Ahrimanisierung des sinnlichen Trieblebens der Menschheit im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts. Und so steht die moderne Menschheit, indem sie verkennt, daß in der Gleichgewichtslage zwischen den beiden Extremen, zwischen den Fähigkeiten einerseits und den Bedürfnissen auf der anderen Seite, das Heil liegt, heute einer furchtbaren Tatsache gegenüber. Sie sieht nur hin aus ihrem materialistischen Geiste heraus auf den Leib, der die Fähigkeiten erzeugt, das heißt bloß auf die luziferische Urkraft der Fähigkeiten; denn dadurch, daß die Fähigkeiten in den Leib ein­ziehen, dadurch werden sie luziferisch, und wenn man glaubt, aus dem Leib entspringen die Fähigkeiten, so glaubt man an Luzifer. Und wenn man glaubt, aus dem menschlichen Leibe heraus entspringen die Bedürfnisse, so glaubt man nur an das Ahrimanische dieser Bedürfnisse.

Und welches Experiment wird gegenwärtig drüben im Osten Euro­pas unter der Anleitung des Westens gemacht? Diese Anleitung des Westens tritt so handgreiflich nicht nur dadurch hervor, daß Lenin und Trotzki die Geistesschüler des Westens sind, sondern auch da­durch, daß Lenin im plombierten Wagen durch den Dr. Hei phand, der ihn begleitete, nach Rußland hineinspediert worden ist, so daß dasjenige, was Bolschewismus genannt wird, als eine Importware besorgt wurde durch die deutsche Regierung und die deutsche Hee­resleitung. Was wird da versucht in der osteuropäischen Kultur? Da wird versucht, alles, was Menschliches ist, was als Menschliches sich in der menschlichen Leiblichkeit verkörpert, auszuschalten, und Lu­zifer mit Ahriman in ihrer Reinkultur zusammenzuspannen. Würde dies heute verwirklicht im Osten, so würde eine Schöpfung aus der Kompagnie-Arbeit von Luzifer und Ahriman auftreten, mit Aus­schluß alles dessen, was dem individuellen Menschen frommt; und dieser würde in diese luziferisch-ahrimanische Kultur hineingespannt wie das Glied einer Maschine in den ganzen Gang dieser Maschine, nur daß das Glied einer Maschine leblos ist und sich daher einspan­nen läßt, während die menschliche Natur innerlich lebendig, durch­seelt, durchgeistigt ist und in eine bloß luziferisch-ahrimanische Or­ganisation nicht hineinpaßt, sondern dabei zugrunde gehen muß.

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Nur aus demjenigen heraus, was Geisteswissenschaft begreifen kann, kann auch begriffen werden, was heute in dieser geistig nebu­losesten materialistischen Welt eigentlich geschieht. Nur aus dieser geisteswissenschaftlichen Anschauung und aus dem in ihr lebenden Ernst kann aber auch begriffen werden, was es heißt, daß man in den letzten dreißig bis vierzig Jahren nicht sich zurückwenden wollte innerhalb des deutschen Wesens zu der deutschen Geistigkeit, auf die hier in meinem Aufsatze hingedeutet ist, sondern daß man endlich in dieser deutschen Kulturwelt soweit gekommen ist, daß diejenigen maßgebend geworden sind, die als das Richtige befunden haben, die Inauguratoren Luzifers und Ahrimans im plombierten Wagen nach Rußland befördern zu lassen; und zwar durch einen Menschen, der in ihrem Dienste stand und der dadurch von einem armen Schlucker, der er war, durch all die Dienste, die er geleistet hat, um in solcher Weise zwischen dem Osten und Westen zu vermitteln, ein Mensch geworden ist, der sich in dieser Zeit eine Villa in Konstantinopel, eine andere in der Schweiz, eine dritte in Kopenhagen gebaut hat. Es geht heute nicht, mit dem Blick nur so herumzuschweifen, um beruhigt schlafen zu können gegenüber dem, was in den Tiefen dieses heutigen Zeitwesens eigentlich geschieht. Es sollte heute emp­funden werden, wie notwendig es ist zu sagen: Wir haben verleug­net und mit Füßen getreten, was in der Zeit Schillers und Goethes geschaffen worden ist an deutschem Geistesleben. Und wir haben die Aufgabe, dort zu beginnen und weiter aufzubauen. Wir können keine besseren Neujahrsgedanken in unsere Seelen hereinergießen, als den Vorsatz, an das wieder anzuknüpfen.

An derjenigen Stätte - und ich habe es auch hier schon erzählt vor Jahren -, wo jetzt unser Freund Dr. Kolisko meine Aufsätze gesammelt hat, da lebte in den siebziger und sechziger Jahren ein Mensch, der hieß Heinrich Deinhardt, der war ein Wiener Pädagoge. Er hatte in sich den Geist, von dem Standpunkt der Schillerschen Ästhetischen Briefe aus in seinem in den Materialismus hinein-segelnden Zeitalter in die Pädagogik einzugreifen. Er hat schöne Erklärungsbriefe geschrieben über Schillers Ästhetische Briefe, die dazumal gedruckt worden sind, darüber, wie der Mensch erzogen

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werden solle, sich von der zwingenden logischen Notwendigkeit und der Notdurft, die nur in den Trieben lebt, zu befreien. Der war einer der Warner, die gesagt haben: Auf den Erziehungswegen muß ver­hindert werden, was sonst kommen muß. Er hat nicht schon mit geisteswissenschaftlichen Begriffen reden können, aber er hat dazu­mal darauf hingewiesen mit seinen Worten, wie die luziferisch-ahri­manische Kultur kommen müsse, wenn man nicht in dieser Gleich­gewichtslage die Erziehungswissenschaft gestalte, die Erziehungs­kunst gestalte. Dieser Mann, Heinrich Deinhardt, hatte dazumal in Wien den Unfall, auf der Straße umgestoßen zu werden und sich das Bein zu brechen, eine Sache, die mit einer leichten Operation hätte geheilt werden können; aber dieser Mann war nach der Aus­sage seiner Ärzte so schlecht ernährt, daß der Heilungsprozeß sich nicht vollziehen konnte. Und so starb an dem kleinen Unfall dieser eine Mann, der in das Getriebe der Zeit schon ganz tief hineinge­schaut hat. Ja, so behandelte man in Mitteleuropa diejenigen, die aus der Spiritualität heraus etwas wollten. Dieses Beispiel, es könnte vervielfältigt werden.

Nun, diejenigen werden wahrscheinlich nicht Hungers sterben, die so schreiben, wie der Ihnen gestern genannte Jesuitenpater Zimmer­mann: «Auch wird gerühmt z.B. in dem Wochenblatt , Nr.6, daß der (ein Lieblingswort der Anthroposophen und der ) sich auf der aufbaue. Der Leiter der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik zu Stuttgart hat für die Kinder der Angestellten und Leiter des Unternehmens begründet, . Dort soll #SE195-082

daß wir vor allen Dingen stark aufnehmen das stark Ge­meinte der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft. Oh, ich sehe gar manchen gerade in unseren Reihen, der am liebsten gerade diejenigen Dinge verschlafen möchte, die aus dem vollen Mitleid heraus sich offenbaren, aus dem Mitleid mit demjenigen in unserer Zeit, was, wenn es sich selbst überlassen bleibt, dem Untergange zu­führen muß! Es gibt Schwachmütige, die sich einschreiben lassen in diese Anthroposophische Gesellschaft und die da sagen: Ja, Geistes­wissenschaft, das mag ich; aber von der sozialen Tätigkeit will ich nichts wissen, die gehört da nicht herein. Die könnten sich ein Bei­spiel nehmen an den Gegnern. Der Jesuitenpater Zimmermann, der verfolgt alles, was bei uns geschieht! Er endet seinen Artikel damit daß er sagt: «Das Wochenblatt meint freilich (Nr. 8), daß hier ein gegen die geschichtliche Aufgabe der Selbstbestimmung des Individuums vor­liege». Und auch in anderen Artikeln hat der Jesuitenpater Zimmer­mann gezeigt, wie er sich um alles kümmert, was bei uns vorgeht.

So möchte man wünschen, daß auch diejenigen, die in unseren Reihen stehen, sich in gutem Sinne um die Dinge kümmern. Sehen Sie, ich möchte sagen, der Aufpasser, die da sehen, wie sie nur irgend-eine Schwäche auf dem Gebiet der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft und dessen, was aus ihr hervorgeht, entdecken können, dieser Aufpasser sind gar nicht wenige; aber ich glaube, Sie wissen, daß ich nicht so albern bin, um auf so etwas, wie ich es jetzt anführen werde, aus einer gewissen Eitelkeit hinzuweisen, und daher kann ich diesen Hinweis auch wagen. Man möchte natürlich sehr leicht auf gegnerischer Seite, daß man da und dort einen An­griffspunkt finden könnte. Da ist es doch gut, wenn in dem Aufsatz, den Dr. Rittelmeyer geschrieben hat über «Steiner, Krieg und Revo­lution», zu lesen ist: «Ich habe auch gerade in diesen Tagen mit einem jungen schwedischen volkswirtschaftlichen Gelehrten gesprochen aus der Schule des strengen Nationalökonomen Cassel, der mir sagte, er habe das Buch Steiners durchgelesen von Seite zu Seite mit der Er-wartung, er werde ihn als Dilettanten entlarven können; es sei ihm aber nicht gelungen, ihm einen Fehler nachzuweisen.» Ja, es sollten

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solche Dinge besser berücksichtigt werden in unseren Kreisen, es sollte gebaut werden auf der Grundlage der Erkenntnis, daß hier etwas gewollt wird, was nichts zu tun hat mit dem landläufigen Gewäsche von Theosophie, das da und dort herrscht, sondern das auf ebenso strenge Einsicht in die Dinge baut, wie nur irgend eine Wissenschaft, die sich je einmal geltend gemacht hat. Würde so etwas gründlich gefühlt werden, so würde man auch wissen, warum das erfolgt ist, was jetzt der Pater Zimmermann wie einen Abfall bezeichnet. Sie wissen, daß es das nicht war, sondern daß wir herausgeworfen wor­den sind, weil es nicht gelungen ist, in diese Gesellschaft des mysti­schen Wischi-waschi-Herumredens wirklichen Ernst hineinzutragen; weil man wirklichen Ernst dort nicht wollte, weil man dort fort­schwätzen wollte in derselben Art, wie man geschwätzt hat durch Jahre hindurch höchstens in Anknüpfung an irgend etwas, worüber man ohne Erkenntnis der geistigen Welt alles Mögliche sagen kann. Das, was unserer Zeit so nötig ist, das ist voller Ernst auf dem Ge­biete des Geisteslebens. Von diesem vollen Ernst wollte ich Ihnen heute, da ja mein diesmaliges Hiersein in diesen Tagen zu Ende gebt, am Neujahrstage nochmals sprechen, und ich hätte recht sehr den Wunsch, daß in unsere Reihen einziehe der Neujahrswunsch, den sich jeder einzelne selber von sich gestalten könnte: daß durch die Seelen und die Herzen unserer Freunde etwas geöffnet würde der Blick für das, was nottut, geöffnet würde für das, was aus dem Geiste heraus einzig und allein der Menschheit helfen kann. Wir können heute nicht aus demjenigen, was außen an Einrichtungen erhalten ist, etwas Heilsames bilden, wir müssen ein Neues einprägen dieser Menschheitsentwickelung. Das muß erkannt werden. Und das zu fühlen, daß es erkannt werden müsse, das ist wohl der würdigste Neujahrsgedanke, der in Ihren Herzen entstehen kann heute, im Beginne des Jahres 1920, das manche wichtige Entscheidung bringen wird, wenn sich Menschen finden, die das für die Menschheit Not­wendige, so wie es heute angedeutet wurde, erkennen. Erkannt muß werden, daß das Jahr 1920 Not und Elend bringen wird, wenn solche Menschen sich nicht finden, und einzig und allein diejenigen den Ton angeben, die im Alten so weiterwirken möchten.

HINWEISE

#G195-1962-SE085 Weltsylvester und Neujahrsgedanken

#TI

HINWEISE

#TX

Hinweise auf Bände der Gesamtausgabe, bei denen kein Erscheinungsjahr angegeben ist, betreffen vorgesehene Bände.

Zu Seite

9 die letzten hier gehaltenen Vorträge: gemeint sind siebzehn Vorträge, gehal­ten in Stuttgart vom 21. April bis 28. September 1919, teilweise gedruckt im Zyklus 58A: «Geisteswissensehaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen», Berlin 1920; Gesamtausgabe.

16 Tagore: Rabîndranât Tagore (Kalkutta 1861-1941 Santiniketan) bedeutender indischer Dichter und Philosoph.

22 Newton, Darwin, Mill, Spencer, Hume:

Isaae Newton (1643-1727), engl. Physiker, Mathematiker und Astronom.

Charles Robert Darwin (1809-1882), engl. Naturforseher, Begründer der nach ihm benannten Abstammungslehre.

John Stuart Mill (1806-1873), engl. Philosoph und Politiker.

Herbert Speneer (1820-1903), engl. Philosoph.

David Hume (1711-1776), schottischer Philosoph und Historiker.

24 Wilhelm von Humholdt: Wilhelm von Humboldt: «Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit eines Staates zu bestimmen», 1851.

26 Iwan Petrowitseh: Georg Wilhelm Friedrich Hegel (Stuttgart 1770-1831 Berlin), von den Russen genannt: »Iwan Petrowitsch»; ein Ausdruck, mit welchem den Russen sympathische Menschen bezeichnet werden.

Dr. Stein: Walter Johannes Stein (Wien 1891-1957 London), Lehrer an der Waldorfschule in Stuttgart, Schriftsteller und Vortragender.

27 Die Zeitschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus»: »Dreigliederung des sozialen Organismus», hg. vom Bund für Dreigliederung des sozialen Or­ganismus, Stuttgart 1919-1923. Die erwähnte Notiz findet sich im 1. Jg. Nr.21, Stuttgart 1919.

Aus Schriften von Seiling: Max Seiling (Mittenwald 1852-1928 Speyer), zuerst Anhänger von Dr. Steiner, wurde dann zum Gegner.

28 Dr. Boos: Roman Boos, (Zürich 1889-1952 Arlesheim), Nationalökonom und Schriftsteller.

Welch ein Weg ist von den klaren Gedanken... : übersetzt aus: Ad. Fer­riére, Dr. en sociologie: «La loi du progrés économique et la justice sociale». II. Lorganisme social. In Zeitschrift: «Suisse-Belgique Outremer, 1. Jg. Nr.3-4, Juli-Aug. 1919, S.19

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28 Waxweiler: Emile Waxweiler, Direktor des «Institut de sociologse» sn Brüs­sel; Autor von: «Esquisse d'une sociologie», Bruxelles et Paris 1906 und »La Belgique neutre et loyale».

Guillaume II: Wilhelm II. (Potsdam 1859-1941 Doorn), deutscher Kaiser von 1888-1918.

Rasputin: Grigori Jefimowitseh Rasputin (1871-1916), russischer Mönch, gewann Einfluß auf den russischen Hof, besonders auf die Zarin.

31 den Schwahen David Friedrich Strauß: David Friedrich Strauß (Ludwigs­burg 1808-1874) »Der alte und der neue Glaube». Ein Bekenntnis, 1872. 11. Aufl. Verlag Emil Strauß, Bonn 1881.

32 Tirpitz-Buch: Alfred von Tirpitz (1849-1930), Großadmiral, Chef der deut­schen Flotte während des 1. Weltkriegs. »Erinnerungen», 1920.

Ludendorff-Buch: Erich Ludendorff (1865-1937), im 1. Weltkrieg General­stabschef Hindenburgs, 1916 1. Generalquartiermeister, 1918 wegen seines Willens zur Fortsetzung des Krieges entlassen. Anteil am «Hitlerputseh» am 8. Nov. 1923. »Meine Kriegserinnerungen 1914-1918», 1919.

33 Adolf Harnacks «Das Wesen des Christentums»: Adolf von Harnack (Dor. pat 1851-1930 Berlin), deutscher protestantischer Kirchenhistoriker. «Das Wesen des Christentums», 16 Vorlesungen 1899-1900 an der Universität Berlin. 4. Aufl., Leipzig 1901.

34 Tirpitz und Ludendorff: Vergl. Hinweise zu Seite 32.

40 Mi/tons »Verlorenes Paradies»: John Miltois (London 1608-1674), engl. Dichter. »Paradise lost», 1667. (Das verlorene Paradies. Ein religiöses Epos in 12 Gesängen)

Klopstocks Messias: Friedrich Gottlieb Klopstock (Quedlinburg 1724-1803 Hamburg), deutscher Dichter. »Messias», 20 Gesänge, 1748-73.

41 in meinem Bächlein «Goethes Geistesart»: Goethes Geistesart in ihrer Offen­barung durch seinen Faust und durch das Märchen «Von der Schlange und der Lilie», 1918; Gesamtausgabe Dornach 1956.

42 Leonardo da Vinei: (Vinci hei Empoli 1452-1519 auf Schloß Cloux b. Amboise), ital. Maler, Gelehrter und Techniker.

55 his zur Schmiedelei: Paul Wilhelm Schmiedel (Zauckerode b. Dresden 1851-1935 Zürich), protestantischer Theologe liberaler Richtung, Prof. in Jena, Basel und Zürich, schrieb verschiedene theologische Schriften, u. a.: »Die Johannesschriften im N. T.», 1906, »Die Person Jesu im Streit der Meinun­gen der Gegenwart», 1906.

57 mit solchen Leuten wie Tianb: Friedrich Traub, Professor in Tübingen. Ru­dolf Steiner als Philosoph und Theosoph», Tübingen 1919.

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65 wie viele von Ihnen das Hirtens piel gesehen haben, das jetzt in der Wal­dorfschule aufgelährt worden ist: Weihnachtsspiele aus altem Volkstum «Die Oberuferer Spiele». Mitgeteilt von Karl Julius Schröer. Szenisch ein­gerichtet von Rudolf Steiner. Mit Einführung und Ansprache von Rudolf Steiner und einem Gedenkwort von Marie Steiner. Dornach 1957.

die letzte Seite von Gogartens «Geisteswissenschaft und das Christentum»:

Friedrich Gogarten (1887-1931), deutscher protestantischer Theologe, ein Hauptvertreter der Dialektischen Theologie. »Rudolf Steiners Geisteswissen­schaft und das Christentum». Untersuchungen über Glaubens- und Le­bensfragen für die Gebildeten aller Stände, Heft 2, Verlag des Evangel. Volksbundes, Stuttgart 1920, S.22.

67 der Jesuit Zimmermann interpretiert: Otto Zimmermann S. J. polemisierte während Jahren gegen Rudolf Steiner und die Anthroposophie in den katho­lischen Zeitschriften «Stimmen aus Maria Laach» und »Stimmen der Zeit». Vergl. auch Hinweis zu S. 74.

»Durch den Abfall ihres Generalsekretärs ... »: »Die kirchliche Verurtei­lung der Theosophie» in »Stimmen der Zeit», Katholische Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart, Freiburg i. Br., 98. Band, 50. Jg., 2. Heft, Nov.1919, S. 149.

Damit bereitet man einen folgenden Artikel vor... : Anspielung auf den

Artikel: «Dreigliederung des sozialen Organismus?» von Constantin Noppel

S. J. in der vorgenannten Zeitschrift, S. 150 f.

70 Dr. Kolisko: Eugen Kolisko (Wien 1893-1939 London), Arzt und Lehrer an der Waldorfschule in Stuttgart.

«Die geistige Signatur der Gegenwart» : »Die geistige Signatur der Gegen­wart» (betr. den verlorenen deutschen Idealismus). In «Deutsche Wochen­schrift«, Berlin, Wien, 1888, Nr. 24; erschien damals in der Zeitschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus», 3. Jg., Nr.37, Stuttgart 1922; wiederabgedruckt in: Rudolf Steiner «Methodische Grundlagen der Anthro­posophie 1884-1901», Gesamtausgabe Dornach 1961, S. 253 f.

71 »Achselzuckend gedenkt unser heutiges Geschlecht ... »: Siehe vorhergehen­der Hinweis.

73 meine Interpretationen zu Goethes Weltanschaunug, zu Goethes naturwis­senschaftlichen Ideen . . . : siehe: «Goethes naturwissenschaftliche Schriften», hg. von Rudolf Steiner in «Deutsche National-Literatur», Bd. 33-35, hg. von Joseph Kürschner, Berlin und Stuttgart 1883-1897.

«Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goethesehen Weltanschauung mit besonderer Rücksicht auf Schiller«, 1886, Gesamtausgabe Dornach 1960.

«Goethes Weltanschauung», 1897, Gesamtausgabe Dornach 1962.

«Goethes Geistesart» . . . Siehe Hinweis zu S. 41.

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74 Dekret vom 18. Juli 1919: Die Frage, die der Kongregation des Heiligen Offiziums vom 18. Juli 1919 vorlag, lautete: «Ob die Lehren, die man heute theosophische nennt, mit der katholischen Lehre sich vereinigen lassen, und ob es darum erlaubt sei, sich theosophischen Gesellschaften anzuschließen, ihren Versammlungen beizuwohnen, ihre Büher, Zeitungen, Zeitschriften, Schriften (libros, ephemerides, diaria, scripta) zu lesen.«

Die Antwort hieß: «Nein in allen Punkten« - Negative in omnibus (Acta Apostolica Sedis 11, 1919, 317). Vergl. «Die kirchliche Verurteilung der Theosophie» in «Stimmen der Zeit«, Katholische Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart, Freiburg i. Br., 98. Band, 50. Jg., 2. Heft, Nov. 1919 S. 150.

Otto Zimmermann u. a. kathol. Geistliche dehnten dann diesen Beschluß auch auf die anthroposophischen Schriften aus.

75 Lenin: eigentlich: Wladimir Iljitsch Uljanow (Simbirsk 1870-1924 Gorki b. Moskau), Gründer und Führer des Bolschewismus.

77 auf dem achten allgemeinen Konstantinopeler Konzil: Auf dem achten öku­menischen Konzil von Konstantinopel im Jahre 869, veranstaltet gegen den Patriarchen Photius, wurde in den «Canones contra Photiom» unter Can. 11 festgelegt, daß der Mensch nicht «zwei Seelen», sondern «unam animam rationabilem et intelleetualem« habe. Der von Rudolf Steiner sehr geschätzte katholische Philosoph Otto Willmann schreibt in seinem dreibändigen Werk: Geschichte des Idealismus», I. Aufl. Braunschweig 1894, § 54: Der christliche Idealismus als Vollendung des antiken (Band II, 111):

«Der Mißbrauch, den die Gnostiker mit der paulinischen Unterscheidung des pneumatischen und des psychischen Menschen trieben, indem sie jenen als den Ausdruck ihrer Vollkommenheit ausgaben, diesen als den Vertreter der im Gesetze der Kirche befangenen Christen erklärten, bestimmte die Kirche zur ausdrücklichen Verwerfung der Trichotomie».

78 Schiller: «Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen» (1793-95).

79 Lenin: Siehe Hinweis zu S. 75.

Trotzki: Leo Dawydowitseh Trotzkji, (eigentlich Bronstein, Janowka 1879-1940 Mexiko) ermordet, russischer Bolsehewistenführer.

Dr. He/phand: Alexander Helphand, nannte sich selbst Parvus-Helphand, russischer Sozialist, zeitweise als politischer Flüchtling in Deutschland. Chef­redakteur der «Sächsischen Arbeiterzeitung», Dresden. Spielte im i. Welt­krieg und für das Zustandekommen der bolschewistischen Revolution sowie des Friedens von Brest-Litowsk (1918) eine bedeutende Rolle. Siehe Georg Wolf: »Warten aufs letzte Gefecht«, Köln 1961.

80 Heinrich Deinhardt: »Beiträge zur Würdigung Schillers, Briefe über die asthetische Erziehung des Menschen». Neu herausgegeben Stuttgart 1922.

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81 der Jesuitenpater Zimmermann: Siehe Hinweis zu S. 67.

«Auch wird gerähmt . . . »: «Die kirchliche Verurteilung der Theosophie« in «Stimmen der Zeit», Katholische Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart, Freiburg i. Br., 98. Band, 50. Jg., 2. Heft, Nov.1919, S. 149.

in dem Wochenblatt «Dreigliederung des sozialen Organismus»: Siehe vor­hergehenden Hinweis.

«die freie Waldorf-Schule»: Die Freie Waldorfschule in Stuttgart wurde im Jahre 1919 von Emil Molt begründet unter der pädagogischen Leitung Rudolf Steiners, der auch die an ihr wirkenden Lehrkräfte berief und ihnen die vorbereitenden seminaristischen Kurse erteilte. Sie wurde zum Muster zahlreicher Schulgründungen in Ländern der ganzen Welt.

82 »Das Wochenblatt «Dreigliederung des sozialen Organismus» meint frei­lich . . . »: «Die kirchliche Verurteilung der Theosophie» in «Stimmen der Zeit», Siehe Hinweis zu Seite 81.

Dr. Rittelmeyer: Friedrich Rittelmeyer (Dillingen 1872-1938 Hamburg), protest. Tlieologe, 1922 Mitbegründer der «Christengemeinschaft und deren Leiter bis zu seinem Tode.

«Steiner, Krieg und Revolution», Sonderdruck aus «Christentum und Gegen­wart», Nürnberg 1919, S. 7.

des strengen Nationalökonomen Cassel: Gustav Cassel (Stockholm 1866-1945), schwedischer Nationalökonom.

83 Dieser Vortrag endet mit folgenden persönlichen Bemerkungen: «Meine lieben Freunde, es ist bei der diesmaligen kurzen Anwesenheit hier jeder rag vom Morgen bis zum Abend so ausgefüllt, weil viel zu inaugurieren, zu leisten, einzurichten ist, daß es nicht möglich ist, daß ich all die Wünsche, die an mich herangetreten sind, diesmal berücksichtigen kann. Ich kann nur sagen einerseits: Da nicht alles geschehen kann von dem, was zu geschehen hat, so werde ich in nicht allzuferner Zeit wieder da sein und dann werden persönliche Wünsche berücksichtigt werden können; aber ich bitte eben auch, Ihrerseits so etwas zu berücksichtigen. Es geht nicht alles in ein paar Tagen zu machen, in ein paar Tagen, in denen auch größere Einrichtungen zu treffen sind, in denen mich auch plagt die Sorge für unsere Waldorf­schule, die nun wirklich tief eingreifen soll im neuen Sinn in die Entwicke­lung der Menschheit. Es ist mir auch nicht möglich, die Privatwünsche alle zu berücksichtigen, da sie auch sehen, daß ich nicht recht sprechen kann. Das ist nicht eine Erkältung, es ist dasselbe, was Sie in Ihren Armen füh­len, wenn Sie den ganzen Tag Holz gehackt haben, es ist nichts weitere als eine Ermüdung der Stimmbänder, die nur einer Erkältung leichter ausge­setzt sind. Aber heute ist es notwendig, daß vor allen Dingen auf das gesehen werde, was im allgemeinen Dienst der Menschheit notwendig ist. Und verzeihen Sie daher, daß Einzelwünsche diesmal nicht zu ihrem Rechte kommen können.»

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.