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GA 274: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 8. August 2023, 07:43 Uhr
VORBEMERKUNG des Herausgebers zur 1. Auflage 1974
Zum ersten Male werden die Ansprachen Rudolf Steiners zu den Weihnachtspielen, soweit sie sich erhalten haben, in Buchform veröffentlicht. In dem das Buch einleitenden Aufsatz aus dem Jahre 1922 erzählt Rudolf Steiner - er nennt ihn eine Christfest-Erinnerung - «von den volkstümlichen Weihnachtspielen». Dort schon wird von ihm im wesentlichen mitgeteilt, was er oftmals in verschiedenartiger Form den jeweils neuen Zuhörern über die Entstehung und Wesensart dieser Spiele nahezubringen suchte. Man kann daher vergleichen, wie einmal Rudolf Steiner über diese Spiele schreibt und dann über sie auch spricht. Bereits bei der Herausgabe der Einführungen zu den Eurythmie-Aufführungen, Bibl.Nr. 277, wurde auf dieses Moment hingewiesen und betont, daß die Wiederholungen bei diesen Ausgaben aus der Sache heraus nicht vermeidbar sind. Daß aber im Grunde genommen es ein Widerspruch ist, gesprochenes Wort zu drucken, betonte Rudolf Steiner bei der Drucklegung von Vorträgen oder Vortragszyklen immer wieder. So sei auch hier darauf aufmerksam gemacht. Doch treten gerade oftmals bei den Wiederholungen in kaum bemerkbaren Zügen neue Aspekte auf, so daß sich gesamthaft ein reiches Bild dieses «Lebens der Vergangenheit» ergibt, zugleich ein nicht unwesentliches, kaum bekanntes Kapitel deutscher Theatergeschichte, wie wir es sonst nicht finden.
Auf eine chronologische Übersicht wurde verzichtet. Es ist aber an entsprechender Stelle jeweils bemerkt worden, wenn eine Ansprache durch einen fast gleichlautenden Wortlaut nicht wieder abgedruckt wurde, oder aber eine solche stattfand, von welcher sich keine Nachschrift erhalten hat. - 1909 ist das Oberpfälzische Weihnachtspiel in Berlin aufgeführt worden, wie Leopold van der Pals in seinen «Erinnerungen», die wir im Anhang wiedergeben, mitteilt. Ein Jahr später spricht Rudolf Steiner dann in Berlin am 22. Dezember 1910 über die Oberuferer Spiele. Der Vortrag ist veröffentlicht in Band Nr. 125 der Gesamtausgabe: «Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft» - unter dem Titel «Das Weihnachtsfest im Wandel der Zeiten». Auch als Einzelheft ist der Vortrag erhältlich. Es darf angenommen werden, daß Rudolf Steiner auch bei den Berliner Aufführungen, von denen Dr. Karl Schubert - Seite 107 - im Anhang berichtet, Einführungen gab. Doch liegen von diesen keine Nachschriften vor. Was grundsätzlich über solche Einleitungen zu sagen ist, findet sich in der Selbstbiographie «Mein Lebensgang» von Rudolf Steiner im Kapitel XXV ausgeführt (Bibl.-Nr. 28).
Hinweise auf Personen oder Sachverhalte erfolgen nur einmal, nicht bei Wiederholungen.
VON DEN VOLKSTÜMLICHEN WEIHNACHTSPIELEN EINE CHRISTFEST-ERINNERUNG
#G274-1986-SE009 - Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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VON DEN VOLKSTÜMLICHEN WEIHNACHTSPIELEN
EINE CHRISTFEST-ERINNERUNG
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Vor fast vierzig Jahren, etwa zwei oder drei Tage vor Weihnachten, erzählte mir mein lieber Lehrer und väterlicher Freund Karl Julius Schröer in seinem kleinen Bibliothekszimmer in der Wiener Salesianergasse von den Weihnachtspielen, deren Aufführung in Oberufer in Westungarn er in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts beige- wohnt und die er 1862 in Wien herausgegeben hatte.
Die deutschen Kolonisten dieser Gegend haben diese Spiele aus mehr westlich gelegenen Gegenden mitgebracht und ganz 'in alter Weise jedes Jahr um die Weihnachtszeit weitergespielt. Es sind in ihnen wahre Perlen des deutschen Volkschauspieles aus einer Zeit erhalten, die der allerersten Entstehung der modernen Bühne vorangegangen ist.
In Schröers Erzählung war etwas, das eine unmittelbare Empfindung davon erregte, wie vor seiner Seele im Anblick der Spiele ein Stück 'Volkstum aus dem 16. Jahrhundert stand. Und er schilderte ja aus dem vollen heraus. Ihm war das deutsche Volkstum in den verschiedenen österreichisch-ungarischen Gegenden ans Herz gewachsen. Zwei Gebiete waren der Gegenstand seines besonderen Studiums. Dieses Volkstum und Goethe. Und wenn er über irgend etwas aus diesen beiden Gebieten sprach, dann teilte sich nicht ein Gelehrter mit, sondern ein ganzer Mensch, der sich der Gelehrsamkeit nur bediente, um auszusprechen, was ihn mit ganzem Herzen und intensivem Lebensinhalt persönlich damit verband.
Und so sprach er damals über die bäuerlichen Weihnachtspiele. Lebendig wurden aus seinen Worten die armen Leute von Oberufer, die jedes Jahr um die Weihnachtszeit für ihre Mitbewohner zu Schauspielern sich ausbildeten. Schröer kannte dieser Leute Art. Er hat ja auch alles getan, um sie kennenzulernen. Er bereiste das ungarische Bergland, um die Sprache der Deutschen in dieser Gegend Nordungarns zu studieren. Von ihm gibt es ein «Wörterbuch der deutschen Mundarten des ungarischen Berglandes» (1858); eine «Darstellung der deutschen Mundarten des ungarischen Berglandes» (1864). Man
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braucht nicht gerade eine Vorliebe für die Lektüre von Wörterbüchern zu haben, um von diesen Büchern gefesselt zu werden. Das äußere Gewand der Darstellung hat zunächst allerdings 'nichts Anziehendes. Denn Schröer sucht der wissenschaftlichen Art der Germanistik seiner Zeit gerecht zu werden. Und diese Art erscheint zunächst auch bei ihm recht trocken. Überwindet man aber diese Trockenheit und geht man auf den Geist ein, der da waltet, wenn Schröer Worte, Redensarten, Wortspiele und so weiter aus den Volksdialekten mitteilt: dann vernimmt man in wahrhaft anmutigen Miniaturbildchen Offenbarungen reinster Menschlichkeit. Aber man ist nicht einmal darauf angewiesen. Denn Schröer schickt seinen Wörterbüchern und grammatikalischen Aufzählungen Vorreden voraus, die weiteste kulturgeschichtliche Ausblicke geben. In Volkstümliches, das eingestreut in anderes Volkstum und innerhalb desselben im Untergange begriffen ist, verliebt sich eine selten sinnige Persönlichkeit und schildert es, wie man eine Abenddämmerung schildert.
Und aus dieser Liebe heraus hat Schröer auch ein Wörterbuch der Heanzen-Mundart des westlichen Ungarns geschrieben [1859] und eines der ganz kleinen deutschen Sprachinsel Gottschee in Krain [1870].
.Es war immer etwas von einem tragischen Grundton da, wenn Schröer aussprach, was er empfand, wenn er hinblickte auf dieses untergehende Volksleben, das er in Form der Wissenschaft bewahren wollte.
Zur innigen Wärme steigerte sich aber diese Empfindung, als er von den Oberuferer Weihnachtspielen sprach. Eine angesehene Familie bewahrte sie und ließ sie als heiliges Gut von Generation auf Generation übergehen. Das älteste Mitglied der Familie war der Lehrmeister, der die Spielart von seinen Vorfahren vererbt erhielt. Der suchte sich aus den Burschen des Ortes jedes Jahr, wenn die Weinlese vorüber war, diejenigen aus, die er als Spieler für geeignet hielt. Ihnen brachte er das Spiel bei. Sie mußten sich während der Lehrzeit eines Lebenswandels befleißigen, der dem Ernste der Sache angemessen war. Und sie mußten sich treulich allem fügen, was der Lehrmeister verordnete. Denn in diesem lebte eine altehrwürdige Tradition.
In einem Wirtshaus waren die Aufführungen, die Schröer gesehen
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hat. Aber sowohl Spieler wie Zuschauer trugen in das Haus die herzlichste Weihnachtsstimmung hinein. - Und diese Stimmung wurzei,t in einer echt frommen Hingebung an die Weihnachtswahrheit. Szenen, die zur edelsten Erbauung hinreißen, wechseln mit derben, spaßhaften. Diese tun dem Ernst des Ganzen keinen Abbruch. Sie sind nur ein Beweis dafür, daß die Spiele aus derjenigen Zeit stammen, in welcher die Frömmigkeit des Volkes so festgewurzelt im Gemüte war, daß sie durchaus neben naiver volkstümlicher Heiterkeit einhergehen konnte. Es tat zum Beispiel der frommen Liebe, in der das Herz an das Jesuskind hingegeben war, keinen Eintrag, wenn neben der wunderbar zart gezeichneten Jungfrau ein etwas tölpischer Joseph hingestellt wurde oder wenn der innig charakterisierten Opferung der Hirten eine derbe Unterhaltung derselben mit drolligen Späßen voranging. Diejenigen, von denen die Spiele herrührten, wußten, daß der Kontrast mit der Derbheit die innige Erbauung bei dem Volke nicht herabstimmt, sondern erhöht. Man kann die Kunst bewundern, welche aus dem Lachen heraus die schönste Stimmung frömmster Rührung holt und gerade da- durch die unehrliche Sentimentalität fernhält.
Ich schildere, indem ich dies schreibe, den Eindruck, den ich empfing, nachdem Schröer, um seine Erzählung zu illustrieren, das Büchelchen aus seiner Bibliothek hervorgeholt, in dem er die Weihnachtspiele mitgeteilt hatte und aus denen er mir nun Proben vorlas. Er konnte darauf hinweisen, wie der eine oder der andere Spieler in Gesichtsausdruck und Gebärde sich verhielt, wenn er dieses oder jenes sprach. Schröer gab mir nun das Büchelchen mit (Deutsche Weihnachtspiele aus Ungarn, geschildert und mitgeteilt von Karl Julius Schröer Wien 1 858I62); und ich durfte, nachdem ich es durchgelesen hatte, ihn noch oft über vieles fragen, was mit der Spielart des Volkes und dessen ganzer Auffassung von dieser besonderen Weise, Weihnachten und das Dreikönigsfest zu feiern, zusammenhing.
Schröer erzählt in seiner Einleitung zu den Spielen: «In der Nähe von Preßburg, eine halbe Stunde Weg zu fahren, liegt auf einer VorInsel zur Insel Schütt das Dörfchen Oberufer, dessen Grundherrschaft die Familie Palfy ist. Die katholische sowohl wie die protestantische Gemeinde daselbst gehören als Filialen zu Preßburg und haben ihren
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Gottesdienst in der Stadt. Ein Dorfschulmeister für beide Gemeinden ist zugleich Notär, und so sind denn in einer Person alle Honoratioren des Ortes vereinigt. Er ist den Spielen feind und verachtet sie, so daß dieselben bis auf unsere Tage unbeachtet und völlig isoliert von aller von Bauern ausgingen und für Bauern aufgeführt wurden. Die Religion macht dabei keinen Unterschied, Katholiken und Protestanten nehmen gleichen Anteil bei der Darstellung sowohl als auch auf den Zuschauerplätzen. Es gehören die Spieler jedoch demselben Stamme an, der unter dem Namen der Haidbauern bekannt ist, im 16. oder zu Anfang des 17. Jahrhunderts aus der Gegend am Bodensee (Schröer stellt in einer Anmerkung das nicht als ganz gewiß hin) eingewandert und noch 1659 ganz protestantisch gewesen sein soll ... In Oberufer ist nun der Besitzer der Spiele seit 1827 ein Bauer; er hatte schon als Knabe den Engel Gabriel gespielt, dann von seinem Vater, der damals der Spiele war, die Kunst geerbt. Von ihm hatte er die Schriften, die auf Kosten der Spieler angeschafften und instand gehaltenen Kleidungen und anderen Apparat geerbt, und so ging denn auch auf ihn die Lehrmeisterwürde über.» - Wenn die Zeit zum Einüben gekommen ist, «wird abgeschrieben, gelernt, gesungen, Tag und Nacht. In dem Dorfe wird keine Musik gelitten. Wenn die Spieler über Land gehen, um in einem benachbarten Ort zu spielen, und es ist Musik da, so ziehen sie weiter. Als man ihnen zu Ehren in einem Orte einmal die Dorfmusikanten aufspielen ließ, fragten sie entrüstet: ob man sie für Komödianten halte? ... Die Spiele dauern vom ersten Advent bis heiligen Dreikönig. Alle Sonntag und Feiertag wird gespielt; jeden Mittwoch ist eine Aufführung zur Übung. An den übrigen Werktagen ziehen die Spieler über Land auf benachbarte Dörfer, wo gespielt wird... Ich halte die Erwähnung dieser Umstände deshalb für wichtig, weil aus ihnen ersichtlich wird, wie auch gegenwärtig noch eine gewisse Weihe mit der Sache verbunden ist.»
Und wenn Schröer über die Spiele sprach, so hatten seine Worte noch einen Nachklang von dieser Weihe.
Ich mußte, was ich damals durch Schröer aufnahm, im Herzen behalten. Und nun spielen Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft seit einer Reihe von Jahren zur Weihnachtszeit diese Spiele.
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Während der Kriegszeit durften sie sie auch den Kranken in den Lazaretten vorspielen. Wir spielen sie auch seit Jahren um jede Weihnachtszeit im Goetheanum in Dornach. Auch dieses Jahr wird es wieder so sein. Es wird, soweit das bei den veränderten Verhältnissen möglich ist, streng darauf gesehen, daß Spielart und Einrichtung dem Zuschauer ein Bild geben, wie es diejenigen vor sich hatten, die im Volksgemüt diese Spiele festgehalten und als eine würdige Art, Weihnachten zu feiern, angesehen haben.
Weihnachten 1922 Rudolf Steiner
Dornach, 26. Dezember 1915 nach einer Aufführung zweier Weihnachtspiele, eines pfälzischen Hirtenspieles und eines Dreikönigspieles aus Oberufer bei Preßburg
#G274-1986-SE014 - Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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Dornach, 26. Dezember 1915
nach einer Aufführung zweier Weihnachtspiele, eines pfälzischen
Hirtenspieles und eines Dreikönigspieles aus Oberufer bei Preßburg
Wir haben in dieser Woche zwei Weihnachtspiele an unserer Seele vorüberziehen lassen. Wir dürfen vielleicht den Gedanken aufwerfen: Ist das eine Weihnachtspiel und das andere Weihnachtspiel in demselben Sinne der großen Menschheitsangelegenheit gewidmet, die uns in diesen Tagen so lebendig vor der Seele steht? - Grundverschieden, ganz verschieden sind die beiden Spiele voneinander. Man kann sich kaum etwas Verschiedeneres denken, das dem gleichen Gegenstande gewidmet ist, als die beiden Spiele.
Wenn wir das erste Spiel betrachten: es atmet in allen seinen Teilen wunderbarste Einfachheit, kindliche Einfachheit. Seelentiefe ist dar- innen, aber überall durchatmet, durchlebt von kindlichster Einfachheit. Das zweite Spiel bewegt sich auf den Höhen des äußeren physischen Daseins. Gleich wird daran gedacht, daß der Christus Jesus als ein König in die Welt eintritt. Gegenübergestellt wird er dem anderen König, dem Herodes. Dann wird gezeigt, daß zwei Welten sich vor uns auftun: diejenige, die im guten Sinne die Menschheit weiterentwickelt, die Welt, welcher der Christus Jesus dient, und die andere Welt, welcher Ahriman und Luzifer dienen, und die repräsentiert ist durch das teuflische Element. Ein kosmisches, ein kosmisch-geistiges Bild im höchsten Sinne des Wortes. Der Zusammenhang der Menschheitsentwickelung mit der Sternenschrift tritt uns gleich vor die Augen. Nicht das einfache, primitive Hirtenhellsehen, das einen Himmelsschein findet, das man in den einfachsten Verhältnissen finden kann, sondern jene Entzifferung der Sternenschrift, zu der alle Weisheit der vergangenen Jahrhunderte notwendig ist, und aus der man enträtselt, was da kommen soll. Hereinleuchtet in unsere Welt dasjenige, was aus anderen Welten kommt. In den Traum- und Schlafzuständen wird dasjenige, was geschehen soll, gelenkt und geleitet.
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Kurz, überall Okkultisrnus und Magie das ganze Spiel durch- dringend.
Grundverschieden sind die beiden Spiele. Das erste tritt uns entgegen, man darf wirklich sagen in kindlicher Einfachheit und Einfalt. Doch wie unendlich mahnend ist es, wie unendlich fühlsam. Aber fassen wir zunächst einmal bloß den Hauptgedanken ins Auge. Diejenige menschliche Wesenheit, die das Gefäß vorbereiten soll für den Christus, tritt in die Welt herein. Ihr Eintritt in die Welt soll vorgeführt werden, vorgeführt werden dasjenige, was der Jesus ist für die Menschen, in deren Daseinskreis er eintritt. Ja, so ohne weiteres hat diese Idee, diese Vorstellung keineswegs diejenigen Kreise erobert, innerhalb welcher dann mit Inbrunst, mit Hingebung solche Spiele angehört worden sind wie dieses. Derjenige, von dem ich öfter gesprochen habe, Karl Julius Schröer> gehörte im 19. Jahrhundert zu den ersten Sammlern von Weihnachtspielen. Er hat die Weihnachtspiele in Westungarn gesammelt, die Oberuferer Spiele, von Preßburg nach ostwärts gelegen, und er hat die Art und Weise studieren können, wie diese Spiele im Volke dort lebten und webten.
Es ist sehr, sehr bezeichnend, wenn man so sieht, wie von Generation zu Generation diese Spiele sich handschriftlich vererbten, und wie sich nicht etwa, wenn Weihnachten nahe war, sondern wenn Weihnachten von fern in der Zeit heranrückte, diejenigen, die im Dorf hierfür geeignet gefunden wurden, vorbereiteten, um diese Spiele darzustellen. Wenn man das sieht, so sieht man, wie innig verbunden mit dem Inhalt dieser Spiele das ganze Jahreskreislaufleben derjenigen Leute war, in deren Dorfkreisen solche Spiele aufgeführt wurden. Die Zeit, in der zum Beispiel Schröer in der Mitte des 19. Jahrhunderts diese Spiele dort gesammelt hat, war schon die Zeit, in der sie anfingen in der Art auszusterben, wie sie bis dahin gepflogen worden sind. Ja, schon viele Wochen, bevor Weihnachten heranrückte, mußten im Dorfe diejenigen Buben und Mädchen zusammengesucht werden, welche geeignet waren, solche Spiele darzustellen. Und sie mußten sich vorbereiten. Die Vorbereitung bestand aber nicht etwa bloß im Auswendiglernen und im Einüben desjenigen, was das Spiel enthält, um es darzustellen, sondern die Vorbereitung bestand zum Beispiel darinnen,
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daß diese Buben und Mädel die ganze Lebensweise, die äußere Lebensweise änderten.
Von der Zeit an, wo sie sich vorbereiteten, durften sie nicht mehr Wein trinken, nicht mehr Alkohol zu sich nehmen; sie durften nicht mehr, wie es ja sonst auf dem Dorfe üblich ist, am Sonntag raufen. Sie mußten sich ganz sittsam betragen; sie mußten sanft und mild werden, durften sich nicht mehr blutig schlagen, und durften mancherlei anderes nicht, was sonst in Dörfern besonders in jenen Zeiten ganz gang und gäbe war. Da bereiteten sie sich auch moralisch durch die innere Stimmung der Seele vor. Und dann war es wirklich, wie wenn sie etwas Heiliges herumtrügen im Dorfe, wenn sie ihre Spiele aufführten.
Aber nur langsam und allmählich kam das so. Gewiß, in vielen Dörfern Mitteleuropas im 19. Jahrhundert war solche Stimmung, war die Stimmung, daß man etwas Heiliges zu Weihnachten mit diesen Spielen entgegennahm. Aber man kann nur noch vielleicht ins 18. Jahrhundert zurückgehen und noch ein bißchen weiter, und diese Stimmung wird immer unheiliger und unheiliger. Diese Stimmung war nicht etwa von Anfang an da, als diese Spiele in das Dorf kamen, durchaus nicht von Anfang an, sondern sie stellte sich erst im Laufe der Zeit heraus und ein. Es gab schon Zeiten, und man braucht nicht einmal gar so weit zurückzugehen, da konnte man noch anderes finden. Da konnte man finden, wie sich da oder dort in Mitteleuropa das ganze Dorf versammelte, und wie eine Wiege hereingebracht wurde, in der das Kind lag, und dazu allerdings das schönste Mädchen des Dorfes - schön mußte Maria sein! -, aber ein häßlicher Joseph, ein urhäßlich aussehen- der Joseph. Dann wurde eine ähnliche Szene aufgeführt, wie Sie sie heute auch haben sehen können. Aber vor allen Dingen: da verkündet wurde, daß der Christus kommt, kam die ganze Gemeinde vor, und ein jeder trat auf die Wiege. Vor allen Dingen wollte ein jeder auf die Wiege etwas getreten und das Christkind auch geschaukelt haben. Darum handelte es sich allen. Und sie machten einen ungeheuren Krakeel, der ausdrücken sollte, daß der Christ in die Welt gekommen ist. In manche ältere von solchen Spielen ist eine fürchterliche Verspottung des Joseph eingestreut, der immer als ein tättelicher Greis in diesen Zeiten dargestellt worden ist, den man auslachte.
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Wie sind denn Spiele solcher Art eigentlich in das Volk gekommen? Nun, wir müssen natürlich uns erinnern, daß die erste Form der größten, gewaltigen Erdenidee, des Erscheinens des Christus Jesus auf der Erde, die war des durch den Tod gegangenen Heilands, desjenigen, der durch den Tod das für die Erde gewonnen hat, was wir den Sinn der Erde nennen. Das Leiden des Christus war es zunächst, das im ersten Christentum in die Welt gekommen ist. Und dem leidenden Christus wurden in verschiedenen Handlungen die Opfer dargebracht, die im Kreislauf des Jahres sich vollzogen. Aber nur ganz langsam und all- mählich eroberte sich das Kind die Welt. Der sterbende Heiland eroberte sich zuerst die Welt; langsam und allmählich erst das Kind. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Liturgie lateinisch war, daß die Leute nichts verstanden. Vom Messeopfer, das Weihnachten festgesetzt war, fing man allmählich an, den Leuten außer dem Meßopfer, das zu Weihnachten dreimal gehalten wird, noch etwas anderes zu zeigen. Vielleicht doch nicht so ganz mit Unrecht - wenn auch nicht auf ihn selbst, so auf Anhänger von ihm - wird die Idee, in der Weihnachtsnacht das Jesus-Geheimnis den Gläubigen zu zeigen, auf Franz von Assisi zurückgeführt, der aus einer gewissen Opposition heraus gegen die alten Kirchenformen und den alten Kirchengeist überhaupt seine ganze Lehre und sein ganzes Wesen gehalten hat. Da sehen wir allmählich, langsam, wie der gläubigen Gemeinde zu Weihnachten etwas geboten werden sollte, was mit dem großen Mysterium der Menschheit, mit dem Herabkommen de`s Christus Jesus auf die Erde zusammen- hing.
Zuerst stellte man eine Krippe auf und machte bloß Figuren. Nicht durch Menschen stellte man es dar, sondern man machte Figuren: das Kindlein und Joseph und Maria, aber plastisch. Allmählich ersetzte man das durch Priester, die sich verkleideten, und die in der einfachsten Weise das darstellten. Und erst vom 13., 14. Jahrhundert ab be
gann innerhalb der Gemeinden äußerlich diejenige Stimmung, die man etwa dadurch bezeichnen könnte, daß die Leute sich sagten: Wir wollen auch etwas verstehen von dem, was wir da sehen, wir wollen eindringen in die Sache. - Und da fingen die Leute an, zunächst einzelne Teile mitspielen zu dürfen in dem, was zuerst nur von der Geistlichkeit
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gespielt war. Nun muß man natürlich das Leben in der Mitte des Mittelalters kennen, um zu begreifen, wie dasjenige, was mit dem Heiligsten zusammenhing, zugleich in einer solchen Weise genommen wird, wie ich es angedeutet habe. Das war damals durchaus möglich aus einem Entgegenkommen der Stimmung, daß die Gemeinde des Dorfes, die ganze Gemeinde sagen konnte: Ich habe auch mit dem Fuß an der Wiege, wo der Christus geboren worden ist, ein wenig geschaukelt. - Es ließe sich in diesem und in vielem anderen ausdrücken, zum Beispiel in dem Singen dabei, das sich zum Teil bis zum Jodeln steigerte, in alldem, das sich begeben hatte. Aber dasjenige, was in der Seele lebte, das hatte in sich selber die Stärke, man möchte fast sagen, aus einem Profanen, aus einem Profanieren des Weihnachtsged~ankens zum Heiligsten selber sich umzubilden. Und die Idee des in der Welt erscheinenden Kindes eroberte sich das Allerheiligste in den Herzen der einfachsten Menschen.
Das ist das Wunderbare gerade` bei diesen Spielen, von deren Art das erste eines war, daß sie nicht einfach so da waren, wie sie jetzt uns erscheinen, sondern so geworden sind: Frommheit in der Stimmung erst entfaltend aus Unfrommheit heraus, durch die Gewalt desjenigen, was sie darstellen! - Ja, das Kind mußte erst die Herzen erobern, mußte erst Einlaß finden in die Herzen. Durch dieses, was in ihm selber heilig war, heiligte es die Herzen, die zuerst in Grobheit und in Ungezähmtheit ihm begegneten. Das ist das Wunderbare in der Entwickelungsgeschichte dieser Spiele, wie überhaupt Stück für Stück das Christ-Geheimnis die Herzen und die Seelen noch sich hat erobern müssen. Und einiges von diesem Stück-für-Stück-Eroberten wollen wir uns dann noch morgen vor die Seele führen. Heute möchte ich nur noch sagen: Nicht umsonst bemerkte ich, wie mahnend steht auch das Einfachste da in dem ersten Spiel.
Wie gesagt: langsam und allmählich trat dasjenige ein, was mit dem Christus-Geheimnis in die Welt, in die Herzen und in die Seelen der Menschen gekommen ist. Und es ist eigentlich so, daß, je weiter man zurückgeht in der Überlieferung der verschiedenen Christ-Geheimnisse, desto mehr sieht man, daß die Ausdrucksform eine gehobene ist, eine geistig gehobene. Ich möchte sagen: in ein im Kosmischen Aussprechen
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kommt man hinein, je weiter man zurückkommt. - Wir haben davon schon einiges in unsere Betrachtungen einfließen lassen, und auch im vorigen Weihnachtsvortrage habe ich gezeigt, wie die gnostischen Ideen verwendet worden sind, um das tiefe Christus-Geheimnis zu verstehen. Aber selbst wenn wir noch in den späteren Zeiten des Mittelalters dieses oder jenes verfolgen, finden wir, wie da noch - in der Mitte des Mittelalters -, ich möchte sagen, gerade in den damaligen Weihnachtsdichtungen etwas von dem vorhanden war, was später weg- geblieben ist: eine Betonung des urchristlichen Gedankens, daß der Christus aus Weltenweiten hinuntersteigt, aus Geisteshöhen. Wir finden es im 11., 12. Jahrhunderte, wenn wir zum Beispiel ein solches Weihnachtslied vor unsere Seele führen:
Des menschgewordnen Gottessohnes Ehre
Verkünden fröhlich jauchzend Himmelsheere,
Und laut erschallet aus des Hirten Munde Die frohe Kunde.
«Preis in der Höhe! und den Menschen Friede!»
So tönet es in feierlichem Liede;
Mit Staunen wird von Menschen heut` gesehen, Was nie geschehen.
Der Himmel hell erglänzt im neuen Sterne;
Von ihm geleitet, kommen aus der Ferne
Die Weisen, und begrüßen mit Entzücken, Den sie erblicken.
Mit ihm ist neu die Wahrheit nun geboren; Ersetzt ist, was durch Sünde war verloren; Es blühen herrlicher im Gnadenlichte
Des Segens Früchte.
Der Vorzeit Ahndung hat sich nun erschlossen, Seitdem der Erde diese Frucht entsprossen, Die Leben und Erquickung uns gewähret,
Und ewig iiähret.
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Gekommen ist, in unser Fleisch gekleidet, Der gute Hirt, der alle Völker weidet; Gewohnt hat er, wie wir, in Pilgerhü`tten,
Für uns gelitten.
Heil nun der Erde, die sein Licht erblicket! Durch ihn für Zeit und Ewigkeit beglücket,
Weih` jeder ihm, dem Retter, Dank und Liebe Mit reinem Triebe.
Hilf, Christus, selbst uns dein Gesetz vollbringen, Laß gute Taten uns durch dich gelingen,
Daß einst bei dir des ew>gen Lebens Krone Auch uns belohne!
So war der Ton, der herunterklang von denjenigen, die noch etwas verstanden hatten von der ganzen kosmischen Bedeutung des ChristGeheimnisses.
Oder ein anderes Weihnachtsgedicht auf das Weihnachtsfest gab
es aus der Mitte des Mittelalters, etwas später als die Karolingerzeit:
Der Gottessohn, von Ewigkeit erzeugt, der unsichtbar und ohne Ende;
Durch den des Himmels und der Erde Bau, und alles, was da wohnt, erschaffen,
Durch den der Tage und der Stunden Lauf vorübergeht und wiederkehrt;
Den stets die Engel in der Himmelsburg in vollharmonischem Gesange preisen,
Hat sich, von aller Erbschuld frei, mit schwachem Leib bekleidet,
Den aus Maria Er, der Jungfrau, nahm, die Schuld des ersten Vaters Adam,
Sowie die Lüsternheit der Mutter Eva zu vernichten.
Der heutige glorreiche Tag erhab`nen Glanzes zeugt, daß nun der Sohn,
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Die wahre Sonne, durch des Lichtes Strahl die alte Finsternis der Welt zerstreute.
Nun wird die Nacht erhellt vom Lichte jenes neuen Sternes,
Der einst den himmelskund`gen Blick der Magier in Staunen setzte,
Und sieh` den Hirten leuchtet jener Schein, die da geblendet wurden
Vom hehren Glanz der himmlischen Bewohner.
O Gottesmutter, freue dich, die du bei der Geburt von einer Engelschar,
Die Gottes Lob besingt, bedienet wirst.
O Christus, du des Vaters einz`ger Sohn, der unsertwegen die Natur
Der Menschen angenommen, so erquicke du die Deinen, die hier flehen.
O Jesus, höre mild die Bitten jener, deren du Dich anzunehmen dich gewürdigt hast, Um sie, o Gottessohn, teilhaft zu machen deiner Gottheit.
Das ist der Ton, der, ich möchte sagen, von den Höhen der mehr theologisch gefärbten Gelehrsamkeit hinuntertönte ins Volk.
Nun hören wir auch ein wenig den Ton, der zur Weihnacht aus dem Volk selbst erklang, wenn eine Seele sich fand, die des Volkes Empfinden wiedergab: Er ist gewaltic unde starc, der ze winnaht geborn wart: Daz ist der heilige Krist. jä lobt in allez daz dir ist Niewan der tiefel eine: dur sAinen grözen ubermuot s6 wart ime diu helle ze teile. In der helle ist michel unrät: swer dä heimuote hät,
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DiuA sUnne schAinet nie s6 lieht, der maAne hilfet in niht, Noh der liechte sterne, jaA müet in allez daz er siht, jaA waer er daA ze himel als6 gerne.
In himelflAch ein hüs sta»t, ein gUl~Ain wec dar iAn gät, Die siule die sint mermel?n, die zieret unser trehtiAn Mit edelem gesteine: daA enkumt nieman ?n, er ensAi vor allen sünden als6 reine.
Swer gerne zuo der kilchen gaAt und aAne nAit daA staAt, Der mac wol vr6liAchen leben, den wirt ze jungest gegeben Der Engel gemeine. wol im daz er ie wart: ze himel ist daz Leben alsö reine.
Ich haAn gedienet lange
leider einem manne,
Der in der helle umbe gät,
der brüevet m?ne misseta»t,
S?n l6n der ist boese.
Hilf mich heiliger geist,
daz ich mich von sAiner vancnisse loese.
Das ist das Gebet, das der einfache Mensch sagte und verstand. Wir haben den Herabklang gelesen, haben jetzt den Hinaufklang.
Ich will versuchen, dieses Weihnachtslied aus dem 12. Jahrhundert etwas wiederzugeben, damit wir sehen, wie auch der einfache Mensch die ganze Größe des Christus faßte und in Zusammenhang brachte mit dem ganzen kosmischen Leben.
Er ist gewaltig und stark, der zu Weihnacht geboren ward. Das ist der Heilige Christ. Es lobt ihn alles, was da ist, nur nicht ganz allein
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der Teufel, der durch seinen großen Übermut so war, daß ihm die Hölle zuteil ward. In der Höhe ist mikel Unrat (mikel - das ist das alte Wort für groß, mächtig). In der Hölle ist großer Unrat. Wer da seine Heimat hat, wer also in der Hölle zu Hause ist, muß wahrnehmen: die Sonne scheint da niemals nicht, der Mond hilft, hellet niemanden, noch die lichten Sterne. Da muß jeder, der etwas sieht, sich sagen, wie schön es wäre, wenn er in den Himmel gehen könne. Er wäre ganz gern in dem Himmel. Im Himmelreich steht ein Haus. Ein goldner Weg dazu geht. Die Säulen sind Mermel, (also von Marmor), geziert mit Edelgestein. Da aber kommt niemand hinein, als der von Sünden ganz rein ist. Wer zu der Kirche geht und da ohne Neid steht, der mag wohl höheres Leben haben, denn es wird immer junges gegeben, das heißt, wenn er zuletzt sein Leben geendet hat - erinnern Sie sich, ich habe hier einmal das Wort «jüngern» vom Ätherleib eingeführt; hier haben Sie das in der Volkssprache sogar! - also wenn er «jung» ist gegeben der Engelsgemeinde, wohl ihm, daß er darauf warten kann, denn im Himmel ist das Leben rein. - Und nun sagt der, der also dieses Weihnachtslied betet: Ich habe gefangen gedient leider einem Mann, der in der Hölle umgeht, der entwickelt hat meine Missetat. Hilf mir, heiliger Christ, daß ich von seinem Gefangse, (Gefängnisse), gelöst werde, das heißt: aus dem Gefängnis des Bösen gelöst werde.
Also das ist in der Sprache des Volkes:
Er ist gewaltig und stark,
Der zur Winacht geboren ward...
Den Dornacher Darstellungen war in Berlin am 19. Dezember 1915 ein Vortrag vorangegangen mit dem Titel: «Der Weihnachtsgedanke und das Geheimnis des Ich. Der Baum des Kreuzes und die Goldene Legende. Entstehung der Krippen- und Hirtenspiele.> - Der Vortrag wurde veröffentlicht in Bibl.-Nr. 165 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe: «Die geistige Vereinigung der Menschheit durch den Christusimpuls.» - Im gleichen Bande ist auch der hier einleitende Vortrag abgedruckt, dem noch zwei sich anschließende Vorträge folgen, die am 27. und 28. Dezember 1915 in Dornach gehalten wurden. Am 28. Dezember 1915 hält Rudolf Steiner zudem in Basel eine Ansprache und knüpft an die drei Dornacher Vorträge an. Auch diese Ausführungen sind in dem genannten Band der Gesamtausgabe veröffentlicht.
II Dornach, 3. Januar 1917
#G274-1986-SE024 - Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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Dornach, 3. Januar 1917
anläßlich einer Aufführung
des Paradeis-Spiels und des Christ-Geburt-Spiels
vor deutschen Internierten aus Basel und Bern
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Gestatten Sie, daß ich Sie vor allen Dingen aufs herzlichste begrüße und unsere Befriedigung zum Ausdruck bringe, daß wir Sie heute in unserer Mitte sehen können! Ich bitte Sie, dasjenige, was wir Ihnen werden bieten können, als etwas recht Bescheidenes hinzunehmen. Es soll nicht eine Probe einer vorzüglichen Aufführung oder einer besonderen künstlerischen Leistung sein, sondern, ich möchte sagen, mehr eine historische Darstellung. Und damit die Erwartungen nicht zu hoch gespannt werden, möchte ich nur mit ein paar Worten andeuten, wie es dazu gekommen ist, daß wir gerade diese zwei und einige andere solche Weihnachtspiele, Paradeis-Spiele und dergleichen, in einer etwas indirekten Beziehung mit unserer Sache seit Jahren in einfacher, primitiver Weise zur Aufführung bringen.
Es handelt sich dabei nicht eigentlich um solche Weihnachtspiele und Neujahrspiele, wie man sie sonst auch sehen kann, obwohl selbstverständlich eine Ähnlichkeit vorhanden ist. Ich selbst bin gerade auf diese Weihnachtspiele dadurch verfallen, daß, als ich im Jahre 1879 an die Wiener Technische Hochschule kam, ich dort einen Professor traf, der dann mir sehr intim befreundet wurde: Karl Julius Schröer. Karl Julius Schröer halte ich selbst - er ist längst tot - für einen der bedeutendsten germanistischen Forscher der neueren Zeit, obwohl er, wie es so manchen bedeutenden Menschen geht, gar wenig Anerkennung gefunden hat. Er war zuerst Professor an der Universität in Budapest, dann war er lange an dem deutschen Lyzeum in Preßburg, also einer Stadt auf dem Weg von Wien nach Budapest. Und nachdem zuerst der germanistische Forscher Weinhold begonnen hatte, die vorhandenen Reste alter Weihnacht- und Neujahrspiele aufzuzeichnen, wurde Karl Julius Schröer in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts von
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Preßburg aus aufmerksam auf besondere Darstellungen von Weihnacht- und Neujahrspielen, Paradeis-Spielen, welche in der Nähe von Preßburg unter den dortigen Bauern stattfanden.
Diese Weihnachtspiele hängen natürlich zusammen mit den sonst gesammelten Weihnachtspielen und Neujahrspielen in deutschen Gegenden. Sie sind aber, ich möchte sagen, um einen Grad echter, gerade die von Schröer gesammelten aus der Oberuferer Gegend - von Preßburg zu Fuß in einer halben Stunde zu erreichen, wo eine deutsche Enklave ist -, so daß man ein historisches Dokument an ihnen hat. Sie sind echter als diejenigen in den anderen Gegenden. Erhalten haben sie sich in der Weise, daß einfach die Bauern, die man für geeignet befunden hat, von einem ihrer Ältesten im Herbst, wenn nicht mehr Feldarbeiten zu verrichten waren, zusammenberufen wurden. Und nun wurden diese Weihnachtspiele, die traditionell aufbewahrt worden sind, einstudiert. Sie wurden, ich möchte sagen, in einer wirklich schönen, feierlichen Weise einstudiert, nicht so als irgend etwas bloß Künstlerisches, das man leisten wollte, sondern das hing zusammen mit der ganzen herzlichen Entfaltung der Leute. Man sieht dies schon daraus, daß diejenigen Bauern, die an dem Spiel teilnehmen durften, also die mitspielen sollten, in den Wochen, in denen die Proben statt- fanden und in denen sie auswendig lernen sollten, sich wirklich auch moralisch dazu vorbereiteten. Sie sollten moralisch würdig sein, aufzutreten in diesen Stücken.
Es sind vier Bedingungen gewesen, die der Älteste, welcher jene Manuskripte hatte, die von Generation zu Generation fortgepflanzt wurden, mitteilte. Diejenigen also, die diese Dinge lernen durften, mußten vier Bedingungen erfüllen. Die erste war: sie durften in der Zeit, in der sie lernen und sich auf die Aufführungen vorbereiten sollten, nicht zu einem Dirndl gehen; zweitens durften sie keine Schelmenlieder singen, das ist ausdrücklich als eine Art Katechismus ihnen dargelegt worden; drittens durften sie sich nicht berauschen, überhaupt keine Ausgelassenheiten begehen, wie sie selbstverständlich sonst in diesen Gegenden gang und gäbe waren an den Sonntagen; und viertens mußten sie brav gehorchen dem, der der Älteste war und der sie diese Sachen lehrte, der sie mit ihnen einstudierte und so weiter. Wenn sie
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nun als würdig befunden waren, wurde ihnen eine Abschrift gereicht, und diese durften sie dann behalten. Im nächsten Jahre mußten diejenigen, welche weiter dazu bestimmt waren, diese Sachen abschreiben lassen. So ist es gar nicht so leicht für Schröer gewesen, als er erfahren hatte, daß da draußen auf dem Lande solche Sachen aufgeführt werden, sie richtig zu erhalten. Denn die Dinge waren von Jahr zu Jahr abgeschrieben worden. Ein Weihnachtspiel war im Jahre 1809 bei einer Überschwemmung sogar sehr korrumpiert worden; und es war außerdem sehr schwer, sie zu lesen, es fehlten in verschiedenen Manuskripten verschiedene Stelle. Aber sie lebten so in diesem Volke darinnen, daß zum Beispiel Schröer, als er diese Aufstellungen machte, aus gewissen Zusammenhängen merkte: Da muß etwas fehlen. - Da ließ er solch einen Mann kommen, der den Unterricht gegeben hatte und sagte: Denken Sie einmal nach, ob da etwas fehlt. - Ja, ja, sagte der, und konnte dann manchmal seitenlang ganze Strophen wiederum rezitieren, die ausgefallen waren, seit Jahren vergessen worden waren.
So, nicht wahr, wurden diese Dinge einstudiert. Und wie gesagt, in den vier Wochen vor Weihnachten bis zum Dreikönigstag wurden sie unter den Bauern aufgeführt. Und wir möchten Ihnen eine Art historische Erinnerung`damit geben. Während die Weihnachtspiel-Aufführungen etwa bis ins 11. Jahrhundert zurück nachweisbar sind, sind sie doch eben in der Gestalt vorhanden geblieben, in der sie gelebt hatten im 16., 17. Jahrhundert. Und konservativ ist man geblieben. Von Jahr zu Jahr wurde in der selben Gestalt aufgeführt. Es wurde dann so aufgeführt, daß die Bauern in den verschiedenen Ortschaften herumgingen; keine andere Musik durfte gehört werden. Einmal hat es Schröer selber gesehen, daß die Bauern in einem Dorfe, wo sie hingingen und die Spiele vorführen wollten, mit Musik empfangen wurden. Da waren sie sehr beleidigt, denn sie sagten, sie seien doch keine Komödianten. Sie führten das wirklich auf, ich möchte sagen, wie eine Art Gottesdienst.
In dieser einfachen, primitiven Weise, wie es bei den Bauern gemacht wurde, wollten wir es eigentlich aufführen. Aber Verschiedenes können wir nicht machen. Die Bauern gingen im Dorfe herum; es wurden die Sachen einfach in einem gewöhnlichen Wirtshaus aufgeführt.
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Und noch manches was so drum und dran hängt, können wir nicht in der gleichen Weise tun. Der Teufel zum Beispiel zog sich immer viel früher an, zog mit einem Kuhhorn durchs Dorf, pustete in die Fenster hinein und erklärte den Leuten, sie müßten nun kommen. Wenn er irgendeinen Wagen fand, sprang er hinauf, zog die Leute herunter und nahm sie mit zur Aufführung. Und so zogen die Leute von Dorf zu Dorf und führten im Dialekte diese Dinge auf, in einem österreichischen Dialekt, ziemlich ähnlich dem bayrischen, also einem süddeutschen Dialekt, der in jenen Gegenden bei Preßburg heimisch ist.
Von diesem Gesichtspunkte aus bitte ich Sie, diese aus früheren Jahrhunderten bewahrten Dinge aufzunehmen, so anspruchslos, wie sie eben gemeint sind.
III Dornach, 7. Januar 1917
#G274-1986-SE028 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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III
Dornach, 7. Januar 1917
anläßlich der Aufführung der Weihnachtspiele: Paradeis-Spiel
und Hirten-Spiel, wozu Gäste eingeladen waren
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Darf ich zuerst mir erlauben, mit ein paar Worten unsere verehrten Gäste heute willkommen zu heißen und unsere Befriedigung hier auszudrücken, daß wir Sie in unserer Mitte haben, und dann mit einigen Sätzen zu kennzeichnen, was wir eigentlich mit den Vorführungen, die wir in bescheidener Weise jetzt versuchen werden, beabsichtigen. Ich bitte Sie, die Vorführungen durchaus so zu betrachten, daß sie als ein bescheidener Versuch aufgefaßt werden. Wir können nach keiner Richtung hin selbstverständlich irgend etwas Abgerundetes oder Vollkommenes bieten.
Es handelt sich um sogenannte Weihnachtspiele, aber Weihnachtspiele, die doch in einer gewissen Beziehung sich unterscheiden von sonstigen, die jetzt mit jedem Jahre mehr aufgefÜhrt werden. Ich darf
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kurz erwähnen, wie ich selbst dazugekommen bin, gerade die Aufmerksamkeit unserer Freunde auf diese hier vorzuführenden Weihnachtspiele zu lenken. Als ich im Jahre 1879 an die Hochschule in Wien kam, lernte ich den Professor Schröer kennen, bei dem ich zuerst hörte, und der mir dann sehr befreundet wurde. Er ist in weiteren Kreisen wenig bekannt geworden; aber er hat namentlich um die deutsche Mundartenforschung in Österreich und später um die Goethe-Forschung, wie ich glaube, noch nicht anerkannte, später anzuerkennende Verdienste. In den fünfziger Jahren widmete er sich nicht nur der Erforschung der deutschen Mundarten, wie sie bei den einzelnen deutschen Völkerstämmen in der österreichischen Monarchie vorhanden sind, sondern auch der Erforschung der Volksgebräuche und der verschiedenen, ich möchte sagen, Volkskulturschätze. Er war längere Zeit Professor am deutschen Lyzeum in Preßburg, das auf der Linie zwischen Wien und Budapest liegt, und dann Professor in Budapest; später an der Evangelischen Schule in Wien und Professor an der Technischen Hochschule in Wien. Da lernte ich ihn eben kennen.
Nun, in den fünfziger Jahren, nachdem Weinhold begonnen hatte, verschiedene Weihnachtspiele, namentlich aus Schlesien, zu sammeln, hat Schröer die Entdeckung gemacht, daß in der Nähe von Preßburg, in der sogenannten Oberuferer Gegend, in einem Zipfel, der eine deutsche Enklave ist, alte Weihnachtspiele leben. Diese Weihnachtspiele wurden von den Bauern direkt zur sogenannten Heiligen Zeit in jedem Winter aufgeführt. Wir wissen, daß solche Weihnachtspiele historisch zurückverfolgt werden können; sie gehen wahrscheinlich aber viel weiter zurück bis ins 10., 11. Jahrhundert. Sie nahmen, wie wir wissen, ihren Ausgangspunkt von der Kirche; sie lehnten sich zuerst an die Krippenspiele, an die Passionsspiele an, die in den Kirchen aufgeführt wurden. Dann wurden sie aber von den Kirchen abgesondert und kamen hinein ins Volk. Nun sind seither, später von Hartmann und anderen Germanisten, viele solche Weihnachtspiele gesammelt worden, die jetzt auch, seit die Anregung gegeben worden ist, an den verschiedensten Orten aufgeführt werden, Pfälzische, Oberbayrische Weihnachtspiele und so weiter. Alle diese Weihnachtspiele aber, die Sie sonst sehen können, unterscheiden sich doch in einer gewissen
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Weise von denjenigen, die Karl Julius Schröer dazumal in der Preßburger Gegend bei den sogenannten Haidbauern - so hießen diese Bauern dort in der Oberuferer Gegend - sammeln konnte. Er hat ein feines Gefühl entwickelt gerade für diese Dinge dadurch, daß er sich der Erforschung der Gebräuche der Einrichtungen bei diesen versprengten deutschen Volksstämmen in der Oberuferer Gegend gewidmet hatte, auch bei den sogenannten Heanzen, einer deutschen Enklave, dann bei den Zipser Deutschen, bei den Siebenbürgern, bei solchen im Gottscheer Ländchen, überall bei den einzelnen Volksstämmen, die aus dem Zusammenhang deutscher Sprachgebiete herausgebracht sind und kolonisiert haben in diesen Gegenden, wo man merkwürdige Dinge erhalten findet. So daß man sagen kann: Die Weihnachtspiele, die in den anderen Gegenden, im geschlossenen deutschen Sprachgebiete, leben, haben sich fortentwickelt, während wir hier in diesen Spielen etwas erhalten haben, das aus dem 16. Jahrhundert, spätestens aus den ersten Anfängen des 17. Jahrhunderts stammt und so erhalten worden ist. Die Leute sind herübergewandert nach dem Osten, haben die Dinge mitgenommen und haben sie so erhalten, wie sie sie ursprünglich in ihrer früheren deutschen Heimat gehabt haben. Die Dinge, die immer so aufbewahrt worden sind, daß sie von Jahr zu Jahr in bestimmten Familien fortlebten, gingen mit den Generationen durch die Jahrhunderte. Jedes Jahr mußten diejenigen, die von einem älteren, in der Sache erfahrenen Mann dazu ausgesucht wurden, die er unter den Bauernburschen und Bauernmädchen geeignet fand, sie abschreiben. In der Zeit, wenn die Weinlese vorüber war, wurden die Leute ausgesucht, die er für würdig hielt, daß sie die Dinge aufführten; sie wurden dann abgeschrieben, und dadurch sind, weil sie jeder für sich abschreiben mußte, gerade die älteren Handschriften verlorengegangen. Die Handschrift, die dem einen Hirtenspiel, das wir heute sehen werden, zugrunde liegt, ist vielleicht doch aus dem Anfange des 18. Jahrhunderts stammend; das kann man dadurch konstatieren, daß sie die Tinte verwischt enthielt, weil sie eine Überschwemmung im Jahre 1809, welche die dortige Gegend bedroht hat, mitgemacht hat, so daß wir der Abschrift nach eine ziemlich alte Gestalt vor uns haben.
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Aber diese Dinge leben selbst im Bewußtsein des Volkes in einer ganz wunderbaren Weise fort. Es waren, da die Manuskripte zum Teil korrumpiert waren, zuweilen Dinge ausgelassen; man sah das den Dingen an, die nicht zusammenstimmten in den Enden und Anfängen. Und Schröer hat dann einen alten Bauern, der eine Zeitlang Leiter der Dinge war, vorgenommen und gesagt: Sie, erinnern Sie sich, da muß etwas fehlen! - Und dann hat der Mann wirklich aus seinem Gedächtnis heraus selber ganze Strophen noch frei hergesagt, die eingefügt werden konnten. Also die Dinge lebten im Volke gut weiter: aus dem 16., Beginn des 17. Jahrhunderts unter diesen heutigen Bauern der Oberuferer Gegend. Heute ist zum großen Teil alles materialisiert; die Dinge sind eigentlich ausgestorben. Es ist möglich, daß es sich in einzelnen Gegenden noch in schwachen Nachzüglern findet.
Nun ist es besonders interessant, daß die Bauern, die das aufführten - ja nur Bauern waren und keine Künstler. Wir versuchen durchaus die Darstellung so einzurichten, daß sie ein Bild davon gibt, wie das unter den Bauern war. Ich habe selbst oftmals mit Schröer darüber gesprochen. Wir haben uns beide außerordentlich dafür interessiert, und ich konnte mir ein Bild davon machen, wie die Dinge unter den Bauern im 15. Jahrhundert gelebt haben. Interessant ist es aber, daß man eine gewisse Stimmung mit den Dingen verband, die dadurch charakterisiert ist, daß sich die Leute, die mitspielen durften, nicht nur durch Auswendiglernen, Proben und so weiter vorbereiteten, sondern sich gewissermaßen moralisch darauf vorbereitet hatten. Es bekam jeder einen Zettel, auf dem die Vorschriften standen, die er zu erfüllen hatte. War er für würdig gehalten, mitzuspielen, so mußte er vier Bedingungen erfüllen. Die Aufführung begann dann mit dem ersten Adventsonntag, ging über Weihnachten hin bis in die Dreikönigszeit, und einzelne fanden sogar noch bis in die Faschingszeit hinein statt. Aber wie gesagt, es bekamen die Mitspielenden einen Zettel, auf dem sie ihre moralischen Bedingungen aufgeschrieben hatten. Erstens durften diejenigen, die mitzuspielen hatten, während der ganzen Zeit, was sehr wichtig ist - wenn man unter Bauern gelebt hat, so weiß man, daß diese vier Bedingungen außerordentlich wichtig sind -, sie durften nicht, wie es dastand wörtlich, zu einem Dirndl gehen in der ganzen
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Zeit; zweitens durften sie nicht Schelmenlieder singen oder ähnliches; drittens durften sie während der ganzen Zeit nicht einen irgendwie anfechtbaren Lebenswandel führen, also sie mußten ganz 'sittsam eingezogen leben, das heißt, sie mußten sich moralisch vorbereiten, und viertens mußten sie unbedingten Gehorsam leisten demjenigen, der als Ältester ihr Lehrmeister war, der mit ihnen diese Dinge einstudierte.
Daraufhin wurden diese Dinge einstudiert, und sie mußten sie dann aufführen in einem Wirtshaus. Die Einrichtung war so, daß einfach in Hufeisenform die Bänke für die Zuschauer gestellt wurden, und in der Mitte des Saales wurde gespielt, so daß also in demselben Raume diejenigen waren, die zuhörten, und diejenigen, die spielten. Die Leute betrachteten das durchaus als eine festliche Angelegenheit und durchaus nicht als etwas Komödienhaftes. So zum Beispiel wurde beim H&umziehen der Leute im Dorf einmal eine solche Kumpanei, wie man sie nannte - Kumpanei = das ganze Ensemble der Mitspielenden, das nannte man die Kumpanei -, mit einer profanen Musik empfangen. Da erklärten sie, das wollten sie nicht, sie seien keine Komödianten, man möge ihnen so etwas nicht antun.
Nun, ich möchte bemerken, daß Derbheiten in den Dingen vorkommen, über die man vielleicht sogar, trotzdem es sich um die höchsten Angelegenheiten der Menschheit in dem Spiel handelt, zuweilen lachen und lächeln kann; das muß man durchaus zuschreiben der ganzen Stimmung, aus der so etwas herausgewachsen ist im Bauerntum.
Man muß sich klar sein darüber, daß im Bauerntum die höchsten Angelegenheiten nicht eigentlich sentimental behandelt werden, sondern daß durchaus in die heiligsten Dinge Lustiges, Derbes sich hineinmischen kann. Das entheiligt für den Bauernverstand und für das Bauerngemüt durchaus nicht - in den dortigen Gegenden meine ich - die höchsten Angelegenheiten. Die Leute, die das sich anhörten, wollten nicht etwa bloß mit langen Gesichtern und in sentimentaler Stimmung sich die Dinge anhören, sondern sie wollten zu gleicher Zeit etwas haben, was sie über die Sentimentalität hinausschob. Wenn Sie das Hirtenspiel sehen werden, so werden Sie bemerken, nicht wahr: das Kind ist ins Krippelein gelegt; aber die Hirten wurden angehalten von ihrem Lehrmeister, nicht bloß das Kind anzubeten, sondern das Krippchenso
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wie eine Wiege eingerichtet - wirklich mit den Füßen etwas zu wiegen. So daß also tatsächlich die heitere Stimmung sich hineinmischte in die ganz ernste und getragene Stimmung.
Ich bemerke, daß wir in diesen Spielen etwas haben, was zu gleicher Zeit ausgleichend, harmonisierend gewirkt hat auf die Bevölkerung. Die Bevölkerung war dazumal in den fünfziger, sechziger, siebziger Jahren, als diese Spiele noch aufgeführt wurden, man kann sagen zur Hälfte protestantisch, zur Hälfte katholisch. Während sie sonst selbstverständlich streng getrennt waren die Leute in ihren Gottesdiensten, in ihrem religiösen Kultus, fanden sie sich in diesen Spielen durchaus zusammen. Es ist sehr merkwürdig, wie man, wenn man auf dasjenige näher eingeht, das sich aus der Kultur der Mundart herausentwickelt, Zusammenhänge findet, die auf Uraltes in der Menschheit Veranlagtes hinweisen. So wie ein Dichter in niederösterreichisch-deutscher Mundart ein Gedicht verfaßt hat, das wie von selbst gleich den Homerischen Gesängen in niederösterreichischer Mundart in Hexametern ist, so sehen wir auftauchen etwas, was man hier nennt: das Singen der Kumpanei, etwas, was trotz der Verschiedenheit an die alten Chöre der griechischen Tragödie erinnert.
Nun, selbstverständlich, Einzelheiten, die sich ergaben im Zusammenhange mit der Bauernkultur, können wir hier nicht vorführen. Sie werden nachher sehen, daß in dem einen Spiele der Teufel eine gewisse Rolle spielt. Der Teufel wurde nicht bloß als Mitspieler verwendet. Die Leute zogen ja von Dorf zu Dorf, das waren das eigentliche Oberuferer Dorf S. Martin, Salendorf, Nikolas und so weiter, da zogen die Leute herum und führten in den Wirtshäusern, die dazu bestimmt waren, diese Dinge auf. Der Teufel aber zog sich schon früher an und lief durch das Dorf mit einem Kuhhorn und tutete zu allen Fenstern hinein
und rief so die Leute zusammen. Das können wir natürlich hier nicht nachmachen, nicht wahr. Wenn er einen Wagen kommen sah, so sprang er hinauf und erklärte den Leuten, sie müßten mit ihm kommen, sie würden etwas Schönes sehen. Es waren Aufführungen, die, ich möchte sagen, zu dieser Zeit die ganze Kultur zusammenhielten.
Nun, wir werden zwei von diesen Spielen aufführen. Bei den Bauernaufführungen war immer noch ein drittes Spiel, dazu haben wir
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keine Ausgabe, ein Fastnacht-Spiel. Gewöhnlich wurde die Reihenfolge dann gemacht, daß zuerst das Hirten-Spiel, dann das Paradeis-Spiel - wir werden es hier umgekehrt aufführen - gespielt wurcte und zuletzt wie eine Art von satyrischem Spiel, was wiederum erinnert an uralte Einrichtungen, ein Fastnacht-Spiel aufgeführt wurde. Also es war eine wirkliche Trilogie. Wir werden hier nur das Fastnacht-Spiel nicht haben.
Also jetzt bitte ich Sie, die Sachen sich in der Mundart, die der bayrisch-österreichischen Mundart sehr ähnlich, aber doch wieder in einigem verschieden ist, anzuhören. Es soll durchaus nur ein bescheidener Versuch sein, der mit unserer anthroposophischen Sache nur indirekt zusammenhängt, ein Versuch,` geistiges Leben eines bestimmten Zeitalters herauszuholen und es historisch fortzuführen. Ich möchte sagen: es soll ein historischer Versuch sein, ein Stückchen Kultur, das man sonst nicht sehen kann, in bescheidener Weise vorzuführen.
Die Musik ist von unserem Freunde Herrn van der Pals, mit Ausnahme der Choräle, die alt sind, ganz für diese Weihnachtspiele gemacht.
IV Dornach, 30. Dezember 1917
#G274-1986-SE033 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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IV
Dornach, 30. Dezember 1917
anläßlich der Aufführung von alten deutschen
Weihnachtspielen vor in der Schweiz internierten
deutschen Kriegsgefangenen
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Im Namen aller Freunde unserer anthroposophischen Bewegung und namentlich derjenigen, die hier an diesem Bau vereinigt sind, habe ich Sie mit tiefster Befriedigung heute auf das allerherzlichste zu begrüßen. Sie werden an die aufrichtige Herzlichkeit dieses unseres Grußes glau
ben. Sind ja doch die Empfindungen, die wir Ihnen entgegenbringen,
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durchtränkt von all dem, was wir miterleben als Folgen jener schmerzlichen Ereignisse der Gegenwart, die so tief eingreifen nicht nur in das allgemeine Weltenschicksal, sondern auch in das Schicksal jedes einzelnen Menschen, insbesondere derjenigen, deren Besuch uns heute hier zugedacht ist.
Das, was wir Ihnen bieten möchten, sind Weihnachtspiele. Anspruchslos sollen diese Darbietungen genommen werden; das bitten wir Sie zu bedenken. Denn sie sollen der Versuch sein, alte Erinnerungen der europäischen Kultur aufzufrischen. Und vielleicht kann ich am leichtesten sagen, wie es sich mit diesen Spielen verhält, wenn ich mir erlaube, darauf aufmerksam zu machen, wie ich selbst zunächst mit diesen Spielen bekanntgeworden bin.
Das, was diese Spiele darbieten sollen, steht zunächst in einem loseren Zusammenhang mit unserer anthroposophischen Bewegung, aber dies ist nur scheinbar. Nur derjenige, welcher diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft verkennt, kann des Glaubens sein, daß solche Aufgaben, wie die mit diesen Weihnachtspielen verbundenen, nicht in ihrer Richtung liegen. Muß doch in ihrer Richtung das Interesse für alles dasjenige liegen, was das geistige Leben und die Entwickelung der Menschheit betrifft.
I9h selbst wurde bekannt vor Jahrzehnten mit diesen Spielen, und zwar gerade mit den Spielen, von denen heute hier eine Probe entwickelt werden soll, durch meinen alten Freund und Lehrer, Karl Julius Schröer. Karl Julius Schröer entdeckte gerade diese Spiele, die alt sind, die irgendwo, da oder dort, in früheren Zeiten aufgeführt worden sind und die jetzt wiederum erneuert werden. Man kann viele solche Spiele allenthalben sehen. Allein gerade die beiden Spiele, um die es sich heute hier handeln wird, und einige andere unterscheiden sich doch von anderen Weihnachtspielen in ganz beträchtlicher Art. Karl Julius Schröer fand sie in den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf der Insel Oberufer. Das ist eine Vorinsel der Insel Schütt, welche durch die Donau unterhalb Preßburg, da wo Ungarn an Österreich angrenzt, gebildet wird. Da haben sich seit dem 16. oder mindestens seit dem Beginne des 17. Jahrhunderts unter den deutschen Bauern, den sogenannten Haidbauern, diese Weihnachtspiele erhalten,
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alle in persönlicher Überlieferung. Von Generation zu Generation sind sie gegangen. Der Haidbauer, von dem sie Karl Julius Schröer übernommen hat, hatte eigentlich nur noch die einzelnen Rollen abgeschrieben. Ein ganzes Manuskript von diesen Dingen fand sich kaum. Sie sind jedes Jahr, wenn man das konnte, wenn unter den Bauern Oberungarns die Leute dazu da waren, bei diesen Oberuferer Bauern auf- geführt worden.
Werfen wir zunächst einen flüchtigen Blick auf die Art, wie das zuging. Ich möchte das in der folgenden Weise schildern. Wenn die herbstlichen Arbeiten, die Erntearbeiten verrichtet waren, dann sammelte einer der angesehensten Bauern des Ortes, der von seinen Vorfahren diese Spiele ererbt hatte und das Recht ererbt hatte, sie aufzuführen, sich eine Reihe von Burschen zusammen und übte mit denen durch die Monate Oktober, November bis Dezember, bis in den Advent hinein die Aufführungen ein. Die Gesinnung, welche mit der Aufführung dieser Spiele verbunden war, ist eigentlich dasjenige, was das Ergreifendste an der Sache ist. Es war wirklich, indem man an die Aufführung dieser die biblischen Geheimnisse enthüllenden Schau- spiele ging, das ganze mit einem tiefen moralischen Bewußtsein verbunden. Das geht schon aus den Bedingungen hervor, die man denen auferlegt, welche mitspielen wollten. Der Bauer, der damals, in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, diese Spiele in Verwaltung hatte, teilte diese Bedingungen in folgender Art Karl Julius Schröer mit. Er sagte: Diejenigen Burschen, die aufführen durften, die also irgend etwas in diesen Spielen darstellen sollten, mußten für die ganze Zeit der Übungen bis zum Fest folgende Bedingungen erfüllen: erstens durften sie in dieser Zeit zu keinem Dirndl gehen; zweitens durften sie keine Schelmenlieder singen und drittens mußten sie ein ehrsames Leben führen die ganzen Wochen hindurch, was für manchen eine sehr schwierige Tatsache offenbar war; viertens mußten sie in allen Dingen, die sich auf die Vorbereitungen der Spiele bezogen, rückhaltlos dem Meister folgen, der sie mit ihnen einstudierte. Das war eben irgendeiner der angesehensten Bauern.
Diese Spiele wurden aufgeführt vor Katholiken und vor Protestanten durcheinander, und auch die Aufführenden selber waren das. Die
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Spiele hatten zwar einen religiösen, doch nicht den geringsten Konfessionscharakter. Und feindliche Gesinnung von irgendeiner Seite gegenüber dem, was in diesen Spielen dargeboten werden sollte, war eigentlich nur von seiten der «Intelligenz» in Oberufer. Dazumal schon war die Intelligenz abgeneigt solchen volkstümlichen Weihnachtspielen, solchen von jener Gesinnung getragenen Aufführungen. Nur, zum guten Glück, bestand die Intelligenz dazumal aus einem einzigen Schulmeister, der zugleich Bürgermeister und Notar war. Eine einzige Persönlichkeit, aber sie war spinnefeind den Spielen. Und die Bauern mußten sie gegen diese Obrigkeit des Ortes durchführen.
Teilnehmen durften an den Aufführungen als Mitspielende nur Burschen. Von dieser Gepflogenheit müssen wir aus leicht begreiflichen Gründen absehen; wie überhaupt manche Finessen, die mit jenen Aufführungen verbunden waren, wir natürlich nicht nachmachen können, obwohl wir uns bemühen, durch unsere eigenen Aufführungen eine Vorstellung von dem hervorzurufen, was dazumal durch die Bauern geboten werden konnte.
Die Burschen hatten auch die Frauenrollen darzustellen. Eva, Maria und so weiter wurden durchaus von Burschen dargestellt. Nachdem sie wochenlang geübt hatten, setzte sich der ganze Zug der Spieler in Bewegung. Vorne ging einer, der einen sogenannten Kranawittbaum als Paradiesesbaum oder Weihnachtsbaum trug. Das ist ein Wacholderbaum. Dahinter kam dann der Sternträger, der auf einer Stange oder auch auf einer sogenannten «Scher» den Stern trug. Sie werden es nachher sehen: die Schere ist so eingerichtet, daß der Stern durch Aufrollen der Sternschere nah oder fern gemacht werden kann. So bewegte sich der Zug dem Wirtshaus zu, in dem die Aufführung stattfinden sollte. Die Bekleidung derjenigen Personen, die mitspielten, außer dem Teufel und außer dem Engel, wurde erst im Wirtshaus selbst bewerkstelligt. Während sich die Personen ankleideten, lief im ganzen Ort der Teufel, den Sie auch kennenlernen werden, herum, machte überall Unfug mit einem Kuhhorn, machte aufmerksam, sprach auf die Leute ein, kurz, er bewirkte, daß möglichst viele Leute im Wirtshaus erschienen, wo dann die Aufführung stattfinden sollte. Die Aufführung selbst war dann so, daß die Zuschauer in einer Art von Hufeisenform saßen, und
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daß die Bühne in der Mitte dieses Hufeisens war, was wir natürlich wiederum auch nicht nachmachen können.
Sie werden sehen, daß es im wesentlichen biblische Erinnerungen sind, die aufgeführt wurden. Als erstes - die Aufführungen wurden bewerkstelligt zwischen drei und fünf Uhr - wurde in der Regel aufgeführt das Hirten-Weihnachtspiel, das wir hier als zweites darstellen. Es stellte dar die Verkündung des Christus Jesus durch den Engel, die Geburt des Christus Jesus, also alles dasjenige, was unser zweites Spiel, das Hirtenspiel, darbieten wird. Dann folgte das Paradeis-Spiel, welches darstellt den Sündenfall im Paradies - unser heute aufzuführendes erstes Stück -, dann folgte in der Regel noch ein Fastnacht-Spiel. So wie in der alten griechischen Tragödie dem Schauspiel immer ein Satyrspiel folgte, so hier ein Fastnacht-Spiel, ein komisches Nachspiel. Bemerkenswert ist, daß die Personen, welche heilige Individualitäten darstellten - Maria, Joseph und so weiter, die in den ersten Spielen auftraten - nicht im Fastnacht-Spiel mitspielen durften; so sehr verband man einen gewissen religiösen Gefühlsinhalt mit diesen Spielen.
Einzelne Dinge sind darinnen sehr interessant zu verfolgen. Wenn Sie heute das Hirtenspiel - das zweite aufzuführende - sehen werden, werden Sie drei Wirte erblicken, bei denen der wandernde Joseph, der als alter Mann in allen diesen Spielen dargestellt wird, als alter, gebrechlicher, schwacher Mann Herberge sucht für sich und Maria. Sie werden von den zwei ersten Wirten abgewiesen, von dem dritten in den Stall geführt. Das war ursprünglich anders, aber in Oberufer durchaus noch so dargestellt: ursprünglich war da ein Wirt, eine Wirtin und deren Magd. Und damit wurde noch die Idee verknüpft: der Wirz weist Joseph und Maria ab, wie auch die Wirtin, nur die Magd bietet eine Unterkunft im Stall. Weil es wahrscheinlich schwierig geworden ist, bei den Aufführungen die nötigen jungen Leute zu finden, um eine Wirtin und deren Magd darzustellen, wurden dann die Rollen übertragen auf zwei andere Wirte, so daß wir jetzt drei Wirte haben. Aber wie gesagt, das ist beim alten Oberuferer Spiel durchaus schon nicht so zu nehmen wie bei den anderen Weihnachtspielen. Die Weihnachtspiele, Osterspiele, Passionspiele und so weiter führen zurück auf uralte Aufführungen, die alle eigentlich hervorgegangen sind aus den
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Kirchenfeiern. In den Kirchen hat man ursprünglich anschließend an die Weihnachtsfeier, Osterfeier und so weiter, durch die Geistlichen dargestellt, allerlei Dinge aufgeführt, die sich bezogen auf die Heilige Geschichte. Dann - namentlich dadurch, daß die Zuhörerschar immer vermehrt wurde und daß die Dinge aus der lateinischen Sprache in die Landessprache übertragen worden sind - ist es gekommen, daß die Spiele allmählich von dem Kirchlichen mehr ins Weltliche übersetzt wurden und daß sie außerhalb der Kirche durch Bauern eben dargestellt worden sind.
Und so haben wir Ihnen diese Spiele hier vorzuführen. So haben sie sich erhalten in der ursprünglichen Gestalt, die sie> wahrscheinlich schon im 16. Jahrhundert, hatten. Und zwar haben sie sich aus dem Grunde erhalten, weil sie höchstwahrscheinlich aus alten Zeiten der deutschen Entwickelung in Süddeutschland stammen, namentlich aus der Bodenseegegend. Als die verschiedenen Stämme, die ursprünglich in der Bodenseegegend von Süddeutschland waren, in früheren Jahrhunderten nach Usterreich und nach Ungarn eingewandert sind, haben sie diese Spiele mitgenommen. Diese Spiele waren auch in der Heimat da, aber in der Heimat veränderten sie sich fortwährend. Da hatten zahlreiche Leute, Geistliche, Gelehrte, Einfluß auf diese Dinge, und die Dinge wurden verdorben. Unverdorben wurden sie erhalten unter der Pflege derjenigen, die inmitten der slawischen, magyarischen Bevölkerung auf sich angewiesen waren, und die durch die Jahrhunderte die Dinge in der ursprünglichen Gestalt erhalten haben. Deshalb war es für Schröer ein wirklicher Fund, als er in den vierziger, fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts unter den Deutschen Oberungarns diese Spiele entdeckte. Sie sind für eine feinere Empfindung durchaus nicht das, was die heute so vielfach aufgeführten Weihnachtspiele sind, die sich in den späteren Jahrhunderten verändert haben, sondern es ist wirklich etwas, was uns in einen Teil der europäischen Vergangenheit früherer Jahrhunderte zurückversetzt. Karl Julius Schröer war besonders geeignet, so etwas zu erhalten. Er war wirklich ein mustergültiger Mann, ein merkwürdiger Mann, und sein Andenken muß mit solchen Dingen mit erhalten bleiben; er war tief durchdrungen von dem Gedanken, wie durch solche und ähnliche Dinge eigentlich der Kitt geschaffen
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worden ist, der dieses Staatengebilde Usterreich kulturell zusammengehalten hat auf dem Grund und Boden, der geschaffen worden ist von jenen Kolonisten, die vom Rhein, von Süddeutschland, von Mitteldeutschland her hinüber gewandert sind nach Oberungarn, gewandert sind vom Westen nach Osten; auch nach der Steiermark, nach den südlicheren Gegenden Ungarns gewandert sind als Zipser Sachsen nach Siebenbürgen, gewandert sind als Schwaben nach dem Banat, was, ich möchte sagen, wie in einer tragischen Weise den Grund und Boden abgab, auf dem sich gerade diese Kultur entwickelt hat. Nun, von diesem Kulturgedanken war Schröer ganz durchdrungen, als er die alten Erinnerungen, die in den Weihnachtspielen enthalten sind, aufgefrischt hat. Er hat manches andere auch getan. Und wenn man sich mit ihm in sein Kulturstudium versenkte, das so ohne alle Färbung des Chauvinismus war, das aber tief von der Kulturmission durchdrungen war, die damit verbunden ist> so erkannte man erst den vollen Wert der Lebensarbeit dieses Mannes, der alles das gesammelt hat, was gerade von der Mitte des 19. Jahrhunderts ab in diesen Gegenden bereits mehr oder weniger durch die sich ausbreiten- den Kulturströmungen, die heute diesen Boden beherrschen, zum Verschwinden gebracht worden ist. Die Grammatik, die Wörterbücher der deutschen Dialekte in Ungarn, in den Zipser Gegenden, hat er uns in sorgfältigster Bearbeitung hinterlassen, die Heanzen-, die Gottscheer Mundart, nach der Grammatik behandelt. Es hat eigentlich so sein Lebenswerk, das er der Literaturgeschichte und Goethe gewidmet hat, eine wunderbare Schilderung hinterlassen über alles dasjenige, was zusammenführt mit dem gesamten deutschen Elemente, das in allen Kulturgebieten dieses mitteleuropäischen Staates Usterreich als der eigentliche Kulturkitt zugrunde liegt. Und das ist es, was als eine besondere Idee die Forschungen Karl Julius Schröers durchlebt. So daß wir nicht bloß das Produkt philologischer oder linguistischer Gelehrsamkeit vor uns haben, sondern etwas, was gesammelt worden ist mit Herz und Sinn für dasjenige, was als Geist in diesen Sachen lebt. Und deshalb ist es so befriedigend, diese Dinge ein wenig auffrischen zu können.
Unser Freund, Leopold van der Pals, hat versucht, das musikalische
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Element dieser Dinge etwas aufzufrischen, und mit seiner Musik werden Sie die Darbietungen hier sehen. So daß man sagen kann, dasjenige, was wir Ihnen hier bieten, ist das Produkt von den wirklichen Mysterienspielen, den verschiedenen Weihnachtspielen, wie sie überhaupt über Europa hin verbreitet waren in früheren Jahrhunderten. Aber man sollte sie nicht in der Gestalt haben, wie zum Beispiel in jener Karikierung, in der dann die Welt die sogenannten Oberammergauer Passionsspiele bewundert hat. Da hat man nichts mehr von dem, was eigentlich in jenen alten Zeiten gewollt war.
Allerdings, manches ist nicht wieder aufzufrischen. So zum Beispiel ist nicht aufzufrischen eine besondere Art des Vortrages, die noch ganz nach alter Sitte, auch in den fünfziger Jahren noch, unter den Bauern gepflogen war. Mit Ausnahme der besonders feierlichen Momente, wo Gottvater spricht und dergleichen, wurde alles, was vorgebracht wurde, von den Mitspielenden so vorgebracht, daß der Spielende im Geiste seines Verses sprach. Der Vers hatte vier Hebungen, er trat auf, der Ton bewegte sich bei der vierten Hebung um eine Tonstufe, Tonfolge. Eine bestimmte Person, sagen wir: Joseph, den Sie nachher finden werden, der Mann der Maria, hat zum Beispiel die erste Hebung in der Tonhöhe c vorgebracht, dann e, dann f, dann wurde also wiederum zurückgegangen bei der vierten Hebung. Die anderen Personen sprachen so, daß sie mit einem c begannen, und dann dreimal die Tonhöhe e e e hatten, dann wiederum zum c zurückgingen. Mit großer Kunst, aber mit einer einfachen, zurückhaltenden Kunst wurden diese Dinge vorgebracht und man merkte daran wirklich die Weihnachts-, die österliche Stimmung mit Übergängen ins Weltliche, ohne Sentimentalität, ohne alles Gefühlselement. So ist in diesen Dingen dasjenige enthalten, was die Leute als ihr geistiges Leben, wenn sie aus der Kirche in die Welt heraustraten> fühlten und empfanden.
Es sollen noch einige Stellen erläutert werden, welche vielleicht schwerer verständlich sein könnten. Das Ganze ist selbstverständlich in der Mundart vorgebracht worden, und da kommt manches darinnen vor, was nicht gleich verständlich sein könnte. Da ist zum Beispiel im Paradeis-Spiel der Gottvater.
Wenn gesagt wird: Eva ist gemacht aus einer Rieben, Sie müssen
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nicht denken, daß es eine falsche Aussprache hier ist, wenn es heißt, daß Eva erschaffen wird von Gottvater aus einer Rieben des Adam. Der Bauer sagt wirklich nicht Rippe, sondern Riebe. Der Teufel meldet dann im Laufe des Herodes-Spieles einmal, er habe a paar ratzen. Ratzen ist eine Entstellung von Ratten. Dann ist vielleicht auch nicht allgemein bekannt das Wort «Kletzen».
Hätten Adam und Eva Kletzen gfress`n, 's wär ihna tausendmal nützer gwes`n.
Nun, Kletzen ist etwas, was in jener Gegend, wo die Spiele aufgeführt wurden, zu Weihnachten immer gegessen worden ist: das sind nämlich gedörrte Pflaumen und Birnen. Das wird gesagt, damit die Leute an etwas anzuknüpfen haben, was sie schon kennen. Dann das Wort frozzeln, welches der Teufel gebraucht. Frozzelei, necken, sich lustig machen. Es gibt in beiden Spielen so einige Ausdrücke, die vielleicht nicht sogleich verständlich sein werden.
So werden Sie sehen, daß von den Wirten namentlich eine Redensart gebraucht wird:
I als a wirt von meiner gsta0lt
Hab in mein haus und logament gwalt.
Da könnte man meinen, daß der Wirt denkt, er sei ein Wirt von einer besonderen Statur, Gestalt und hätte in seinem Haus Gewalt. Es bedeutet dies aber Rang. Ich als ein Wirt von meinem Rang, von meinem Gestelltsein. Der so gut gestellt ist, solches Ansehen hat, der hat in seinem Haus Gewalt, nämlich Anziehungskraft für sein Wirtshaus. Also: ein Wirt, der weiß, seinem Haus solchen Ruf zu geben wie ich, der hat die Macht, sein Haus in solches Ansehen zu bringen, daß es viele Leute zu Gästen hat. Das ist mit diesem Ausdruck gemeint. Geschrei bedeutet: Gerücht; das Wort braucht der Bauer für ein Gerücht, das sich verbreitet. Der Engel sagt: Elisabeth stehe in dem Geschrei, daß sie unfruchtbar sei. - Also ist damit gemeint: es gehe das Gerücht, daß sie unfruchtbar sei. Aber der Bauer sagt: Geschrei, er sagt nicht: das Gerücht. Dann werden Sie von einem der Hirten das Wort hören: um und um. Das kommt öfter vor, es ist so üblich.
I hob`s ihm glichen um-und-um.
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Also: ich habe ihm meine Handschuhe geliehen, wie schon öfter. Dann finden Sie unter den Hirtenreden öfters das Wort bekern. Das ist in der Gegend, wo die Spiele gespielt wurden, gebräuchlich für etwas, was sich zugetragen hat; also eine Geschichte, die sich erzeugt, die sich zugetragen hat. Als sie sich sehen, sagen sie: es hat sie gefrört, gefroren; oder der Ausdruck: spiegelkartenhal is. Der Boden ist so glatt wie ein Spiegel.
Ein besonders hübsches Wort ist die Art, wie der eine Hirte aufmerksam gemacht wird, daß es schon spät ist, daß die Vögel schon zwitschern - das ist in der Bauernsprache piewen.
Stichl, steh auf, die waldvegala piewa scho! In der zweiten Zeile sagt der Gallus:
Stichl, steh auf, dö fuhrleut kleschn scho auf der stroßn.
Kleschen, das ist mit der Peitsche knallen. Die Fuhrleute knallen schon mit der Peitsche auf der Straße.
Das sind so einige Ausführungen, die ich unserer Aufführung noch voranstellen wollte. Im ganzen können die Spiele durchaus für sich selber sprechen. Sie sind der schönste Abglanz von allem, was in früheren Jahrhunderten durch ganz Mitteleuropa ging, in solchen festlichen Spielen ablief. Es gibt zum Beispiel noch die St. Galler IIandschrift, die aus 340 Versen besteht. Es gibt Spiele, die bis ins 11. Jahrhundert zurückgehen. Aber alles dasjenige, was sonst in dieser Beziehung existiert, glaube ich, kann nicht ganz heranreichen an die Innigkeit, die gerade in den Oberuferer Spielen liegt, die bis in die fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts sich in der Preßburger Gegend erhalten haben.
Man darf schon sagen: Diese Spiele gehören zu jenen Dingen, die sich leider verloren haben, die verschwunden sind und die man so gern, so gern wiederum auffrischen möchte. Denn sie sind wirklich so, als ob man durch sie sich erinnerte an das, was mit dem Werden unseres geistigen Lebens so innig zusammenhängt.
Das ist es, was vor der Aufführung Ihnen zu sagen ich mir gestatten wollte.
V Dornach, 6. Januar 1918
#G274-1986-SE043 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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V
Dornach, 6. Januar 1918
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Im Namen aller derjenigen, die an dem Bau beschäftigt sind und an den Arbeiten am Bau> und im Namen all derjenigen, die in unserer Anthroposophischen Gesellschaft mitarbeiten, habe ich Ihnen als unseren lieben Gästen herzlichen Willkommgruß zu sagen und Ihnen unsere große Freude darüber auszudrücken, daß Sie diese unsere anspruchslosen Spiele - Weihnachtspiele - einmal ansehen wollen. Ich werde mir nur erlauben, ein paar Worte über diese Spiele vorauszuschicken und darf dabei an die Art und Weise anknüpfen, wie wir eigentlich zu diesen Spielen gekommen sind, deren Aufführung in einem gewissen loseren Zusammenhang steht mit unseren Bestrebungen, die aber, wie Sie dann bemerken werden, doch wiederum sich in richtiger Weise in unsere Bestrebungen eingliedern.
Diese Spiele, die wir Ihnen vorführen werden, stammen aus der ehemaligen deutschen Gegend Oberungarns, ,des westlichen Oberungarns, von Oberufer. Sie sind durch Einwanderer nach Oberufer gekommen, die von mehr westlichen Gegenden nach diesem östlichen Teil von Mitteleuropa, wahrscheinlich schon im 16. Jahrhund,ert, mindestens im Beginne des 17. Jahrhunderts hingewandert sind. Gerade durch diesen Umstand, daß sie in dieser deutschen Kolonie gefunden worden sind, sind sie ganz besonders interessant; interessanter als ähnliche andere Weihnacht- und Osterspiele, die man ja zahlreich, besonders jetzt, da und dort aufgeführt kennenlernen kann. Dasjenige, was wir Ihnen vorführen, hat mein verehrter alter Freund, der jetzt schon längst verstorbene Karl Julius Schröer in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Oberufer in der Nähe von Preßburg unter den Bauern dort gesammelt. Das heißt, er hat von seinem Wohnsitz, von Preßburg aus erfahren, daß die vor Jahrhunderten eingewanderten sogenannten deutschen Haidbauern, wenn die Weihnachtszeit herannahte, gewisse Spiele auf die Art aufführen, wie ich es dann sogleich schildern werde. Er hat dann öfter teilgenommen an solchen Spielen. Sie haben ihm sehr gefallen, und er hat dann das aufschreiben
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können, was die einzelnen Bauern, die Mitspieler waren, als Rollen solcher Spiele sich abgeschrieben haben. Und dann hat er die Stücke zusammenstellen können.
Die Absicht war bei Karl Julius Schröer, das, was als Geistesgut in solchen Gegenden aus uralten Zeiten - denn es sind ja für solche Dinge uralte Zeiten - sich erhalten hat, zu bewahren. Denn die Zeiten, in denen Karl Julius Schröer diese Spiele dort gefunden hat, waren auch diejenigen, in denen schon diese alte Kultur am Zugrundegehen war, durch die neuere Form ersetzt worden ist. Und alle diejenigen ähnlichen Spiele, die mehr im Westen von Europa aufgeführt werden und die einen, wenn man nur ein gröberes Nachempfinden hat, ja erinnern können an die älteren Weihnachtspiele, wie wir sie heute hören und sehen werden, sind deshalb weniger interessant, weil sie in den Gegenden, in denen sie aufgeführt worden sind, später von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer mehr verändert, man möchte sagen, immer mehr modernisiert worden sind, so daß man in ihnen nicht mehr die echte, vorbildliche Gestalt hat. Dagegen haben wir die echte Gestalt, die diese Spiele noch im 16. Jahrhundert hatten, in den Spielen der Bauern in den Zipser und in den sonstigen Gegenden Ungarns erhalten, wo sich deutsche Bauern angesiedelt haben und deutsche Kultur wie eine Art Kulturferment erhalten hat. Es war so, daß diese Menschen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt diese Spiele in der wörtlich gleichen Weise fortgespielt haben und daß man sie daher im 19. Jahrhundert noch so finden konnte, wie sie im 16. Jahrhundert dort eingeführt worden sind. Deshalb sind gerade diese Spiele, die wir hier in diesem schwachen Versuch Ihnen vorzuführen trachten, besonders interessant.
Die Einrichtungen, die Karl Julius Schröer dazumal vorgefunden hat, waren diese, daß irgendeine Familie im Dorfe Oberufer - Oberufer ist auf einer Vorinsel der Insel Schütt, die gebildet wird von der Donau gleich unterhalb Preßburgs und ist von Preßburg soweit entfernt, daß man es mit einer Droschke bereits in einer halben Stunde erreichen kann -, in diesem Orte Oberufer, der dazumal ein reiches Bauerndorf war, da hatte in der Regel eine angesehene Bauernfamilie diese Spiele im Besitz. Und wenn die Erntearbeiten im Herbste vorüber waren, da versammelte der Bauer diejenigen Menschen, ältere und jüngere
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Burschen des Ortes, die mitspielen sollten. Frauen durften nicht mitspielen, das muß ich ausdrücklich bemerken, was hier natürlich aus leicht begreiflichen Gründen in unserer heutigen Aufführung anders sein muß. Die älteren und jüngeren Burschen, die mitspielen sollten, mußten im Oktober, November bis Advent hin ihre Rollen lernen. Daß diese Spiele mit einem großen Ernste, aber ohne jede Sentimentalität aufgeführt wurden, sieht man insbesondere aus folgendem. Es handelte sich keineswegs darum, eine bloße Komödie zu spielen, sondern diejenigen Burschen, die mitspielen sollten, mußten Bedingungen erfüllen, die vielleicht für manche Burschen gar nicht so leicht waren. Sie mußten sich verpflichten, ein ganz ehrsames Leben zu führen durch all die Wochen hindurch, in denen sie sich auf die Spiele vorzubereiten hatten; in der ganzen Zeit, wie man sagte, keine Schelmenlieder zu singen und so weiter. Außerdem während all dieser Zeit aufs Wort streng den Anordnungen zu folgen, die ihnen der Meister des Spieles gab. Unter diesen Bedingungen wurden dann die Rollen ausgeteilt und eingelernt. Auch die Rollen der Maria und der Eva hatte immer ein jüngerer Bursche.
Wenn dann die Weihnachtszeit herankam, wenn alle alles gelernt hatten, dann ist das so eingeleitet gewesen, daß sich der Engel, den Sie hier auch sehen werden, welcher die ganze Kumpanei mit einem Stern anführte, ankleidete, daß von dem Lehrmeisterhaus aus sich der Zug der Mitspielenden in Bewegung setzte. Der Engel war schon angezogen, die anderen Mitspielenden waren vom Lehrmeisterhaus aus noch nicht angezogen; die Mitspielenden trugen dann voran einen großen, wie man sagte, Kranawittbaum, das ist ein Wacholderbaum, der als Weihnachtsbaum diente. So zogen sie, allerlei Weihnachtslieder absingend, vom Meisterhaus nach dem Wirtshaus, wo die Sachen gespielt werden sollten.
Während sie mit ihrem großen Baum dahinzogen, war mittlerweile der Teufel, der auch schon angezogen war und den Sie auch in den Spielen kennenlernen werden, damit beschäftigt, allerlei dummes Zeug zu treiben. Er lief durch das ganze Dorf mit einem Kuhhorn, durch das er fürchterlich tutete, und schrie zu allen Fenstern hinein, die Leute müßten zum Spiele kommen. Wenn ein Wagen vorbeikam, sprang der
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Teufel auf den Wagen hinauf und rief und tutete von oben herunter und dergleichen mehr. Dann bewegte sich dieser ,Zug nach und nach zum Gasthause hin. Da war es so angeordnet, daß auf einer Anzahl in Hufeisenreihen aufgestellten Stühlen die Gäste untergebracht wurden. In der Mitte war der Spielplatz, die Bühne. Und dann wurden diese Spiele aufgeführt, die wir hier sehen und hören werden. Es ist in der Regel zuerst das Hirten-Spiel aufgeführt worden, das Sie hier als zweites sehen werden. Also in Wirklichkeit wurde es in Oberufer als erstes aufgeführt; wir hier führen es als zweites auf. Dann folgte das Paradeis-Spiel, das wir als erstes aufführen. Und dann folgte das, was wir bis jetzt nicht aufführen konnten, weil wir es bis jetzt nicht gelernt haben, vielleicht auch noch einmal aufführen werden: dann folgte ein Fastnacht-Spiel. So wie schon im alten Griechenland auf die ernsten Aufführungen ein sogenanntes Satyr-Spiel, ein komisches Spiel folgte, folgte da auch ein Fastnacht-Spiel. Es ist interessant, daß diejenigen Personen, welche die heiligen Personen spielten, ein gewisses Ansehen dadurch hatten, daß sie die heilige Maria und den Joseph und die anderen spielten, und daß diese nicht im Fastnacht-Spiel mitspielen durften. Also die Sache wurde schon heilig gehalten. Die Spiele fanden dazumal unter den Bauern von Oberufer einen großen Beifall. Nur: die ganze Intelligenz - wie das ja bei solchen Dingen schon manchmal so ist - war der Aufführung dieser Spiele feindlich gesinnt. Diese Intelligenz glaubte, daß es nichts Gebildetes ist, was richtig der Aufführung entspricht. Also, die ganze Intelligenz war dagegen. Es war nur gut für das Dorf, daß diese ganze «Intelligenz» bloß aus dem Schulmeister, dem Notar und dem Gemeindevorstandsbeamten bestand. Aber die waren alle in einer einzigen Person versammelt. So daß diese Intelligenz zwar einstimmig versammelt war, aber sie bestand eben nur aus einer Person.
Diese Spiele wurden aufgeführt. Sie sind im Grunde die echte Fortsetzung der Spielweise von solchen Dingen, wie sie seit Jahrhunderten durch ganz Europa gingen, damals in diesen Tagen sich aber verloren hatten. Wir können nachweisen, daß schon im 12. Jahrhundert ein Adam und Eva-Spiel durch ganz Europa gespielt wurde. Beim Konstanzer Konzil 1417 wurde vor dem Kaiser ein solches Weihnacht
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spiel in Konstanz vorgespielt. Sie werden an einer Stelle des Spieles sehen, wo vom Rhein die Rede ist, daß sich das darauf bezieht, daß die Spiele wirklich aus einer westlicheren Gegend stammen und in Ungarn eingeführt worden sind. In Ungarn wurden sie von den Bauern rein erhalten, wie sie waren. Dadurch tragen die Spiele wirklich ihren Ursprung an der Stirne, möchte ich sagen, der Jahrhunderte bis heute.
Manches hat sich auch im Laufe der Zeit seit dem 16. Jahrhundert etwas geändert, zum Beispiel die drei Hirten, die Sie sehen werden, gibt es in dem ältesten Spiel auch schon, aber die drei Wirte sind in dem Spiel, wie es nicht mehr in Oberufer gespielt worden ist, nicht drei Wirte gewesen, sondern ein Wirt, seine Frau, die Wirtin, und eine Magd.
Nun werden Sie zwei von unseren Wirten hier sehen, die recht grausam sind, die Maria und Joseph zurückweisen; der dritte wird dann milde sein. Im allerursprünglichsten Spiel war es der Wirt, der Joseph und Maria nicht annahm, sondern hinauswarf; die Wirtin nahm sie ebenfalls nicht auf; nur die Magd wies Joseph und Maria den Stall an. Zum Beispiel, als die Dinge in Oberufer anfingen, hatte man nicht das nötige Material; man mußte natürlich immer ganz junge Burschen haben, um sie für die Rolle der Maria oder die der Wirtin zu verwenden. Die hatte man oft nicht genug, und die Rollen mußten von älteren Burschen übernommen werden. Davon rührte es offenbar her, daß Wirt, Wirtin und Magd in einen Wirt und noch zwei weitere Wirte verwandelt wurden. Diese Spiele hatten und haben durch die Jahrhunderte viele Umwandlungen erfahren. Die Zuschauer, die zu den Spielen dann kommen sollten - sie waren immer am Mittwoch und an den Sonntagen zwischen drei und fünf Uhr nachmittags gespielt -, mußten zwei Kreuzer bezahlen, also vier RapPen; Kinder die Hälfte. Und die Aufführungen wurden, wie gesagt, ohne Sentimentalität, aber mit einem gewissen wirklichen moralischen Ernst aufgefaßt. Das geht schon daraus hervor - das hat zum Beispiel Schröer selbst einmal er- lebt -, daß sich die Mitspielenden einmal geweigert haben in einem Dorfe zu spielen - sie zogen dann auch in der Nachbarschaft herum, um dort die Spiele aufzuführen -, wo sie von einer Musikbande empfangen wurden. Da haben sie gesagt: Glaubt Ihr vielleicht, daß wir
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Komödianten sind? Das lassen wir uns nicht gefallen! - Und haben die Sachen nicht aufgeführt. Sie wollten die Sache als eine ganz ernste Sache behandelt wissen.
Und wenn dann die Spiele ihren Eindruck gemacht hatten auf die Leute, dann kann man sagen, daß in diesen Gegenden wirklich die Erinnerung an dasjenige, was diese Spiele zu sagen hatten als ein
fache, schlichte Wiedergabe der biblischen Erzählungen, sehr, sehr lange und schön nachhielt. Es war wirklich eine Feier des Weihnachts- festes für diese Dörfer, welche einen ganz ungeheuer bedeutsamen moralischen und sozialen Einfluß hatte, in die Gemüter der Menschen tief, tief hineinwirkte.
Karl Julius Schröer hat diese Spiele gesammelt; sie sind nun gedruckt. Aber es ist sehr bedeutsam, daß Schröer schon die Manuskripte, die nachgeschrieben wurden, nicht mehr bei den deutschen Leuten gefunden hat, sondern bei einem Bauern, der Malatitsch hieß, also bei einem slawischen Bauern. Es war schon die neuere Zeit über dasjenige hingeflutet, was eigentlich die ganze Konfiguration des österreichischen Staates durch Jahrhunderte hindurch bewirkt hat. Die Staatshäupter Ungarns und Österreichs haben selbst immer Aufrufe erlassen, weil sie den Einfluß der westdeutschen Kultur brauchten. Daraufhin sind dann Bauern hingezogen, und es entstanden diese Kolonien, diese deutschen Kolonien in der Zipser Gegend, in der Banater Gegend. Auch nach anderen Gegenden, nach den böhmischen Gegenden, nach Siebenbürgen> zogen diese Menschen. Sie bildeten überall einen Kultureinschlag, der steckt in dem anderen drinnen, ist aber in der neueren Zeit von dem überflutet, was darübergegangen ist. Schröer ist einer derjenigen Menschen, die das deutsche Volkstum in den österreichischungarischen Gegenden studierten. Ich habe in seiner Gesellschaft vor Jahrzehnten kennengelernt, wie er den Spuren dieser alten Kultur inmitten Österreichs nachgegangen ist, und es ist mir in einer sehr bedeutsamen Erinnerung, was ich an seiner Seite gerade über diese Kultur und ihre Entwickelung dazumal habe kennenlernen können. Schröer hat nicht nur diese Weihnachtspiele gesammelt, sondern er hat Grammatiken, Wörterbücher zusammengestellt aus den Mundarten und Dialekten in den verschiedenen Gegenden Oösterreichs, in Westungarn, im
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Gottscheer Land, in Siebenbürgen, in der sogenannten Heanzener Gegend. Das alles hat dieser Mann als einer der Letzten aus der lebendigen Geschichte zusammengestellt. Die Art und Weise, wie er das getan hat, ist mit Liebe geschehen, und Liebe hat auch aufbewahrt diese Stücke, die wir hier versuchen wiederzugeben.
So, sehr verehrte Anwesende, sind wir zu diesen Stücken gekommen, haben sie unseren Arbeiten hier am Goetheanum einverleibt, weil wir bestrebt sind, alles dasjenige, was im geistigen Leben der Menschheit hervortritt, wirklich zu pflegen. Was gewöhnlich draußen von uns erzählt wird, ist ja Unsinn zumeist. Dasjenige, was hier wirklich getrieben wird, ist aus einem Interesse an allem, was geistig in der Menschheit lebt, hervorgehend. Diese Spiele sind wirklich aus allgemein menschlichstem Interesse hervorgegangen. Wenn sie aufgeführt wurden, so saßen Katholiken und Protestanten in dem Zuschauerraum zusammen, denn die waren dazumal in jener Gegend. Und unter den Mitspielenden waren auch sowohl Katholiken als auch Protestanten. Daraus ersehen Sie, daß alles, was in diesen Spielen lebte, einen moralisch-religiösen Grundzug hatte, aber nichts irgendwie Konfessionelles. Das ist dasjenige, was besonders hervorgehoben werden soll.
Nun werde ich noch einige Ausdrücke erklären zum Paradeis-Spiel, also die Austreibung von Adam und Eva aus dem Paradiese, und zum Hirten-Spiel, damit sie nicht unverständlich sind. Sternscher ist jener Apparat, durch den man den Stern weit weg von sich schieben kann und, dann ihn wiederum nahebringen kann. Und diese Sternschere trägt der Anführer des Ganzen, mit dem Stern. Hier haben wir die Sache so eingerichtet, daß außer dem Träger des Sternes noch der Engel einen Stern trägt, aber Sternscher ist also das, was da verwendet werden kann, um den Stern hin und her zu schieben.
Gschrei in der Bedeutung, wie Sie es hier im Stück hören werden, ist gleich einem Gerücht. Dasjenige, was man von jemandem erzählt. Man erzählt allerlei Dinge. Ein Geschrei, ein Klatsch hat sich erhoben.
Dann hören Sie den Ausdruck gespirret = zugeschlossen, zugesperrt.
Dann im Hirten-Spiel, wenn der Wirt sich rühmen will:
I a0ls a wirt von meiner gsta0lt,
Ha0b in mein haus und logament gwa0ltheißt
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das nicht so, wie man leicht glauben könnte, daß er meint, der Wirt, er hätte eine besonders schöne Statur und deshalb hätte er besondere Gewalt in seinem Hause. Sondern es heiß`t: Ein Wirt von meinem Ruf, von meinem Gestelltsein, ein Wirt, der so gestellt ist wie ich, der hat in seinem Hause Gewalt, das heißt, Personen zu gestatten, in sein Haus einzuziehen.
Dann sagt einmal einer der Hirten zum anderen, er habe ihm seine Handschuhe glichen um-und-um, das heißt: immer wieder, öfters geliehen. Dann werden Sie das Wort hören: Es hat sich etwas bekert. Das heißt in jenen Gegenden, es ist etwas geschehen, es hat sich etwas zugetragen, etwas begegeben. Dann spiegelkartenhal. Das heißt, es hat Glatteis gegeben, so daß man leicht hinfällt, niederfällt. Die Waldvegala piewa scho. Das heißt, die Vögel zwitschern schon. Dö Fuhrleut kleschn. Das heißt, mit der Peitsche knallen, kleschen.
Dann mache ich Sie noch aufmerksam gleich zu Anfang des Paradeis-Spiels, wo der Herrgott zu Adam spricht, den er machte aus Ton, aus Erde, was sich scheinbar nicht reimt, aber im Dialekt heißt es:
Adam, nim an den lebendigen atem = Ton.
Rieben müssen Sie sich nicht vorstellen, als ob es schlecht ausgesprochen wäre, sondern so sagt der Bauer statt Rippen. Rieben. Also die Eva ist nicht aus einer Rübe gemacht, sondern aus einer Rippe = Rieben, und es reimt sich richtig auf lieben.
Sie ist zugleich aus deinem rieben, Drum sullst du sie a büllich liaben.
Ra0tzen ist etwas, worüber man sich unterhält. Der Teufel hat einen r?tzen, das heißt er hat Freude an irgend etwas. Frozzelei, das ist: zum Narren halten, an der Nase herumführen. Das ist auch solch ein Ausdruck, den der Teufel gebrauchen wird. - Logament. Der Bauer sagt es in der Regel, wenn er von seinem Wirtshaus oder von seinem Hause spricht; er spricht es ganz gebildet aus, meint er wenigstens, daß er es tue: in meinem Logament -,50 daß man nicht merkt, daß er einen fremden Ausdruck gebraucht. Dann:
Hätten Adam und Eva Kletzen gfress`n.
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Kletzen sind gedörrte Birnen und Pflaumen, die insbesondere zu Weihnachten von den Leuten bereitet werden.
Das sind so einige Dinge, die ich noch vorausschicken wollte, damit die Ausdrücke nicht unverständlich bleiben. Im übrigen möchte ich nur sagen, daß natürlich die Spiele für sich selbst sprechen müssen, indem sie wirklich in einer einfachen, schlichten Weise dasjenige zum Ausdruck bringen, was die Leute aufnehmen konnten von den Erzählungen des Alten und des Neuen Testamentes, was in ihre Gemüter, in ihre Herzen davon übergehen sollte.
Ich bitte sie so aufzunehmen, wie sie gemeint sind. Die Spiele sollen anspruchslos hingenommen werden. Wir können sie natürlich nicht ganz genau in derselben Form, wie sie die Bauern aufgeführt haben, hervorbringen; aber soweit man es kann, soll es versucht werden. Die Musik hat unser Freund, Herr Leopold van der Pals, wiederum zu erneuern versucht. Sie werden sie als Begleitspiel finden. - Zwischen den Spielen wird eine kurze Pause stattfinden. Zwischenhinein werden wir eine Weihnachtsmusik von Corelli bringen und ein Adagio aus der ersten Bach-Sonate. Damit habe ich mir erlaubt, das Wichtigste vorauszuschicken, was zu den Weihnachtspielen zu sagen ist.
VI Dornach 19. Dezember 1920
#G274-1986-SE051 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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VI
Dornach 19. Dezember 1920
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Wir werden uns erlauben, Ihnen heute Weihnachtspiele aus altem
Volkstum vorzuführen. Die beiden Spiele, die wir hier zur Darstellung bringen, sind aufgefunden von Karl Julius Schröer in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts innerhalb der deutschen Sprachinseln in Ungarn, in der Gegend, die nordwärts von der Donau liegt, von Preßburg westwärts liegt. In diesen Gegenden sind zu Ende des Mittelalters und noch etwas später Deutsche eingewandert. Sie haben sich unter anderen Kulturgütern, welche sie in ihrer Einfachheit besessen
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haben, nach ihrem neuen Aufenthaltsorte auch diese Weihnachtspiele mitgebracht.
Karl Julius Schröer, mit dem ich viel in meiner Jugend über diese Dinge gesprochen habe, der mir aus seinen persönlichen Erfahrungen erzählen konnte, wie wiederum in seiner Jugend - in den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts - unter diesen, ich möchte sagen slawischen und magyarischen Bevölkerungen von den dort lebenden verschlagenen Deutschen diese Weihnachtspiele immer aufgeführt worden sind, und wirklich in außerordentlichem Ernst und mit einem regen Eifer um die Weihnachtszeit auf die Gemüter dieser Menschen gewirkt haben.
Wir haben in diesen Weihnachtspielen deshalb Keime, die sich nach und nach aus einer längeren Kulturstraße herausentwickelt haben, die wir bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen können. So daß bis in die letzten Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts damals das Bedürfnis entstand, über die weitesten Gegenden Mitteleuropas hin - durch Thüringen bis an den Rhein hin und über den Rhein hinüber bis ins Elsaß, dann durch ganz Süddeutschland, durch die Nordschweiz -, was sich bezieht auf die biblische Geschichte, was sich bezieht auf die christlichen Traditionen, namentlich auch auf die christliche Legende, vor dem Volke dramatisch darzustellen.
Man kann geradezu sagen, daß vieles in der neueren Dramatik auf diesen Mysterienspielen - so nennt man sie ja wohl auch - beruht. Zunächst schlossen sich diese Spiele an die kirchlichen Handlungen an. Wenn die Weihnachtszeit, die Osterzeit, die Pfingstzeit, das Fronleichnamfest, manche anderen heiligen Feste herannahten, dann versammelten sich die Leute in der Kirche. Die Kirche selbst wurde dekoriert in der mannigfaltigsten Weise. Und zunächst im 12., 13. Jahrhundert wurde von den Geistlichen selbst, sogar zuerst in lateinischer Sprache dasjenige aufgeführt, was innerhalb der christlichen Tradition, innerhalb der Evangeliengeschichte enthalten ist.
So können wir gut zurückverfolgen, wie zum Beispiel dramatisch dargestellt wurde die Szene an dem Grabe Christi. Es kleideten sich ein drei Priester in Frauenkleider: die drei Frauen, die zu dem Grabe kamen; ein Engel, der auf dem eben verlassenen Grabe saß. Dasjenige,
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was die Evangelien erzählen, was die Tradition erhalten hat, wurde dramatisch dargestellt.
Man ging aber auch allmählich dazu über, die Dinge, welche man lateinisch zunächst dargestellt hat> dann in der Volkssprache darzustellen. Und im 14. Jahrhundert treffen wir bereits sehr weit ausgebildete dramatische Darstellungen, zum Beispiel der Geschichte von den weisen und törichten Jungfrauen.
Wir wissen, daß im Jahre 1322 in Thüringen, am Fuße der Wartburg, in Eisenach, in dem Hause «die Rolle», ein Spiel von den weisen und von den törichten Jungfrauen aufgeführt wurde, das so bedeutsam in ein Menschenschicksal eingreifen konnte, daß der Landgraf Friedrich, welcher dabei war, der den merkwürdigen Beinamen hat, «mit der gebissenen Wange», daß der Landgraf Friedrich mit der gebissenen Wange davon einen Schlaganfall bekam und im Jahre 1323 an den Folgen dieses Eindruckes sogar gestorben ist.
Aber es ging ja nicht jedem so, sondern es war schon durchaus gerade das, was durch solche Darstellungen dargeboten war, etwas in diesen Zeiten außerordentlich feierliches. Es war lange Zeit gerade die dramatische Darstellung verloren, welche dazumal in Eisenach gegeben worden ist und einen so großen Eindruck gemacht hat. Das Spiel wurde dann später wieder aufgefunden, merkwürdigerweise in Mülhausen im Elsaß, am Tegernsee und in einem Kloster Benediktbeuern, so daß man sehen kann, gerade aus diesem Auftreten am Tegernsee, daß diese Dinge eigentlich aus dem Süden in den Norden gezogen sind.
Wir finden dann sehr bald, wie nicht mehr etwa bloß Geistliche diese Dinge darstellten, sondern wie diese Dinge durchaus vom Volke übernommen wurden, dem Volke sehr ans Herz gewachsen waren.
Das Volk hatte sie außerordentlich lieb. Wir sehen, was ausgeführt wurde. Wir können das noch von einem Stück ablesen, dessen Handschrift erhalten ist. Wir entnehmen dieser Schrift, daß im 15. Jahrhundert die ganze Geschichte des Christus Jesus auf Erden aufgeführt worden ist: von der Hochzeit zu Kana in Galiläa bis zur Auferstehung. Und überall sehen wir, daß man außerordentlich dramatisch, geistig, gerade die wirksamsten Momente, die äußerlich für die Anschauung
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wirksamsten Momente herausgehoben hat, immer die Dinge, welche das Volk selber in diesen Darstellungen erlebte. Und wir dürfen annehmen, daß im 15. Jahrhundert, Ende des 16. Jahrhunderts und weiter über einen großen Teil der deutsch sprechenden Gegenden diese Volksspiele zur Weihnachtszeit, zur Osterzeit, zur Pfingstzeit, zum Fronleichnamstag, zu anderen Festen aufgeführt wurden.
Das eine der Weihnachtspiele ist ein Paradeis-Spiel, welches sich mehr an die Adventszeit hielt, das andere ist ein direktes christliches Hirten-Spiel, welches wir vor Ihnen hier aufführen. Sie werden aus dem zweiten Spiel, aus der Einleitung sehen, daß vom Rhein gesprochen worden ist, daß diese Stücke gewandert sind. Trotzdem kamen sie, wie Schröer sie aufgefunden hat, wie gesagt in den Oberuferer, in den Preßburger Gegenden - wie man sie ja auch nennt Oberuferer Weihnachtspiele - ostwärts von Preßburg zur Aufführung. Dort sind sie also in der Weihnachtszeit gespielt worden, trotzdem sie ganz anderswo entstanden sind. Ursprünglich sind sie gespielt worden da, wo der Rhein durchfließt. Sie sind also von einer Volksgemeinschaft mitgenommen worden, welche ostwärts gezogen ist, und die sich östlich von der Donau im Banat und so weiter angesiedelt hat. Da wurden dann diese Spiele weitergespielt bis eben ins 19. Jahrhundert hinein. In der letzten Zeit gingen viele solche Schätze des Volkes unter den Zeitereignissen, die ganz andere geworden sind, verloren. Aber diejenigen, die sich die Spiele noch angesehen haben, waren tief ergriffen, nicht nur von dem Spiel selbst, sondern namentlich von der Art und Weise, wie diese Spiele eingeleitet wurden.
Wenn die Weinlese vorüber war, im Herbste, dann versammelte der Geistliche und einige andere, der Lehrer des Ortes, diejenigen Burschen, die sie für fähig hielten, ein solches Weihnachtspiel aufzuführen. Durch viele Wochen hindurch wurden die Übungen, die Vorübungen gepflogen. Und aus der Art und Weise, wie die Leute sich vorbereiten mußten für das Feierliche dieser Stücke, ersieht man, aus welchem Geiste heraus solche Dinge unternommen worden sind. Es lebte, ich möchte sagen, ein innerlich gemütvolles Christentum, eine innerlichste gemütvolle Christlichkeit noch. Man sieht es in der ganzen Art und Weise der Einleitung solcher Spiele. Es gab bestimmte Vorschrif
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ten, nach denen wochenlang, viele Wochen lang diese Spiele vorbereitet wurden. Der Geistliche, der Lehrer hat die Burschen gesammelt. Es wurden auch die weiblichen Rollen in der Regel von Burschen gegeben; das können wir hier nicht nachahmen. Da würden gar zu sehr unsere weiblichen Mitglieder dagegen protestieren, aber in der Oberuferer Gegend, da wo Karl Julius Schröer diese Dinge entdeckte, waren es durchaus Burschen, welche auch die weiblichen Rollen gaben. Diesen Burschen wurden strenge Vorschriften gegeben. Vorschriften wurden gemacht, die in derselben Weise jetzt, wo wir hier schon seit Jahren den Versuch machen, diese Spiele innerhalb unserer Kreise wiederum zu beleben, für diejenigen der verehrten Zuhörer, die dabei erscheinen wollen, -Vorschriften also wurden denSpielenden gemacht, die für unsere Spielenden nicht mehr jene Bedeutung haben, aber die uns zeigen, mit welchem Ernst die Dinge da aufgefaßt worden sind. So zum Beispiel war einer der Paragraphen, daß diejenigen, die da mitspielen sollten, an den vielen Wochen, vor allem Abend für Abend all die Wochen durch, wo sie diese Proben durchmachten, ein ehrsames Leben zu führen haben. Nun, das ist selbstverständlich ganz natürlich, daß unsere Leute immer ein ehrsames Leben führen! Also dieser Paragraph hat für uns weiter keine Bedeutung. Ferner durften keine Schelmereien verübt werden. Das dürfte ja unter Anthroposophen nicht die Regel sein. - Allerdings gab es 'auch noch eine Vorschrift, eine Art Strafe, die wir hier einfach aus dem Grunde nicht einführen, weil auch dagegen zu stark protestiert würde, und wenn es doch nötig wäre, sie zu verlangen, würde das nicht eingehalten werden. Es war nämlich eine strenge Vorschrift, daß für jeden Gedächtnisfehler, der begangen wurde noch bei der Generalprobe und insbesondere bei den Aufführungen selbst, strenge Strafen bezahlt werden mußten durch den Mitspielenden! Wie gesagt, das können wir nicht einführen. Denn es würden nie diese Strafen bei uns bezahlt.
Nun war aber eine ganz strenge Vorschrift, meine sehr verehrten Anwesenden, die wir gar nicht einführen können, vorhanden. Diese strenge Vorschrift war diese, daß in der Zeit, während welcher die Proben stattfanden, die Probenden also dem Geistlichen oder Lehrer, also allen, die Lehrmeister sein müssen, streng gehorsam sein mußten.
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Nun, Sie werden begreifen, das können wir unter uns natürlich niemals einführen. Sie sehen aber aus diesen strengen Paragraphen, mit welch außerordentlichem Ernst man an diese Sache ging. Und dieser Ernst ist es, der einem auffällt, wenn man sich in die ganze Art und Weise wiederum vertieft, wie diese Spiele gespielt wurden. Nicht sentimental, oftmals mit einem köstlichen Humor durchsetzt, durchaus aus dem Volksgefühl heraus waren ursprünglich von der Geistlichkeit diese Dinge gegeben, aber das Volk hat sich ihrer bemächtigt, ganz in seinem Geiste aufgenommen. So daß, wie sie hier vorliegen, sie durch und durch volkstümlich sind und uns zurückweisen in das Fühlen, in das Empfinden, in das Denken eines Teiles des christlichen Volkes im 16. Jahrhundert, vielleicht im 15. Jahrhundert noch. Das alles steht vor unserer Seele, wenn wir diese Spiele ansehen.
Wir dürfen uns vorstellen, daß über einem großen Teil von Mitteleuropa, über die Gegenden, die ich früher schon erwähnt habe, vom 14. Jahrhundert bis in die folgenden Jahrhunderte hinein - in einzelnen Gegenden, wie Sie sehen, ist das erst nach und nach verschwunden im 19. Jahrhundert -, zu allen sogenannten heiligen Zeiten diese Spiele, also das Weihnachtspiel, das Osterspiel, das Pfingstspiel vorgeführt wurden. Und an der Art und Weise, wie diese Leute das Christentum in sich belebt haben, wie sie in einer außerordentlich volkstümlichen Art und Weise, ich möchte sagen, anschaulich die Evangelien vor uns hinstellen, sieht man, daß sie tief eingegriffen haben in das Volk. Und wir betrachten es als unsere Aufgabe auch, darauf aufmerksam zu machen, wie das geistige Leben durch die Jahrhunderte durch, wie ein Stück des geistigen Lebens Mitteleuropas dadurch erhalten blieb. Derjenige, der noch gesehen hat, wie auch sonst dieses geistige Leben Mitteleuropas, insoferne es Volksleben war, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich unter den neueren Zeiten dahingestorben ist, wird viel empfinden können durch diese Auferweckung alter volkstümlicher Zeiten. Aus diesem Geiste heraus, meine sehr verehrten Anwesenden, möchten wir Ihnen zunächst das Paradeis-Spiel und dann auch das Christ-Geburt-Spiel heute vorführen.
VII Dornach, 22. Dezember 1920
#G274-1986-SE057 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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Die beiden Weihnachtspiele, die heute vorgeführt werden, sind in derselben Weise, wie sie durch die Jahrhunderte gespielt worden sind, noch gespielt worden in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den deutschen Sprachkolonien, die sich in Ungarn finden, etwas ostwärts von Preßburg, nördlich von der Donau, in der sogenannten Oberuferer Gegend. Ungarn war damals durchaus in diesen Gegenden, sowohl nördlich von der Donau, an den Karpaten vorüber und südwärts davon bis hinein nach Siebenbürgen, also über die Zipser Gegend hinweg, dann wiederum nach dem Banat hin, der Gegend seines Westens, überall von deutschen Kolonisten durchsetzt, welche seit einigen Jahrhunderten von Westen her nach Ungarn einwanderten, ihre Kulturschätze mitnehmend. Und wertvollste dieser Kulturschätze sind wohl gerade diese Spiele. Wir werden zurückgeführt durch diese Spiele - gerade diese hier, die mein verehrter Lehrer, Karl Julius Schröer, in den fünfziger Jahren so gesammelt hat, wie ich es gleich mitteilen möchte, auf die Entwickelung der mitteleuropäischen Weihnacht- und christlichen Spiele überhaupt. Diese Spiele führen uns zurück bis ins 11. Jahrhundert. Sie sind ausgegangen von dem Impuls desjenigen, was sich in den Kirchen abspielt, in das Volkstum hineinwirkt, den Inhalt der heiligen Legende, den Inhalt der Bibel in einer dramatischen Weise ausgestaltet.
Ursprünglich war das wirklich so, wie es auch noch war in Griechenland, wo die ganze Dramatik aus den Dionysos-Spielen hervorgegangen ist. So ähnlich war es auch im Mittelalter vom 10., 11. Jahrhundert an vor sich gegangen. Man dekorierte den Altar, man dekorierte die übrige Kirche. Geistliche waren es zunächst, welche diese Spiele aufführten. Wir werden bis zurück ins 11. Jahrhundert finden, wie drei Geistliche in Frauenkleidern in der Kirche selbst die Szene an Christi Grab aufführen, nachdem der Tod eingetreten war. Zwei der Priester stellten die Frauen dar, die ans Grab gekommen waren, der dritte den Engel. Das ist im Grunde genommen eines der ältesten
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Motive, und von solchen biblischen Motiven sind diese Dinge ausgegangen. Wir finden dann, daß zum Beispiel ein sehr häufig gespieltes Spiel das war, welches drei aufeinanderfolgende Szenen vorstellte: den Gang der Frauen zum Grabe Christi, das Gespräch des Heilandes mit Magdalena, und dann einen Chor der Frauen und der Jünger als dritten Teil.
Diese Dinge wurden immer mehr und mehr ausgebildet. Wir finden zum Beispiel im Beginn des 14. Jahrhunderts, daß über die meisten Gegenden Mitteleuropas zu den christlichen Festen manchmal ganz große, bedeutende Spiele schon aufgeführt wurden. So wird uns berichtet, wie am 24. April 1322 in Thüringen, am Fuße der Wartburg, im Hause «die Rolle», aufgeführt wurde ein Stück von den zehn Jungfrauen, den klugen und den törichten Jungfrauen, und die ganze Folgezeit haben wir Berichte zu verzeichnen, die übriggeblieben sind, welche das außerordentlich Eindrucksvolle gerade dieser Aufführung vom Sonntag Misericordiae, am 24. April des Jahres 1322 schildern. Allerdings, das Eindrucksvolle wird in einer sehr realen Weise geschildert. Einer der Teilnehmer an diesem Stücke war der Landgraf Friedrich, der den sonderbaren Beinamen trug: «mit der gebissenen Wange»; dieser Friedrich, der schon etwas schwach offenbar war, als er an diesem Spiel von den klugen und törichten Jungfrauen teilnahm, wurde so gerührt, daß ihn der Schlag traf und er kaum noch zwei Jahre lebte, im Jahre 1323 gestorben ist. Dieses Spiel ist dann in Mülhausen aufgefunden worden, ist jetzt auch gedruckt und gehört zu den interessantesten Denkmälern dramatischer Kunst, welche aus der Kirche, also aus der heiligen Handlung, die sich allmählich in Wahrnehmung gestaltet hat, heraus entstanden sind.
Wir haben dann ein sehr interessantes Spiel aus einer etwas späteren Zeit, das sogar etwa 1340 Verse hat, und welches erhalten ist in einer St. Galler Handschrift. Sie enthält die ganze Heilige Geschichte von der Hochzeit zu Kana in Galiläa bis zur Auferstehung, und zwar in einer außerordentlichen eindrucksvollen Weise, indem gerade überall die Szenen herausgestellt sind, wo Christus als Lehrer wirkt. Und die Art und Weise, wie die Sachen inszeniert wurden, scheint tatsächlich eine außerordentliche geschickte dramatische Handlung zu
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verraten. Der Vorgang war in der Darstellung so getroffen, daß zuerst nur einiges Wenige ganz dramatisch dargestellt wurde, dazwischen wurde immer etwas erzählt und auch noch etwas pantomimisch dargestellt. Wenn wir also ins 12., 13 Jahrhundert zurückgehen, ist die Darstellung so, daß etwas besonders Packendes dargestellt wird, dann folgt Pantomimisches und dann wiederum wurde erzählt. Aber allmählich ging diese Handlungsweise ganz ins Dramatische über. Man sieht auch, wie die Sachen aus der Kirche allmählich ins Profane her- ausgewachsen sind. Die ältesten Stücke, die erhalten sind, sind in lateinischer Sprache erschienen, dann waren nur noch die Überschriften und einzelne Sätze lateinisch, der Text in der Volkssprache, und dann werden allmählich, indem es ins 15., 16. Jahrhundert geht, die Stücke ganz in der Volkssprache abgefaßt, und sie dringen auch von der Kirche nach auswärts.
Die Stücke, die Ihnen heute vorgeführt werden, wurden in der Nähe von Preßburg, namentlich in der Nähe der Oberuferer Gegend, in den Gasthäusern aufgeführt, also von der Kirche ist die Sache durchaus allmählich in das Volk hineingedrungen. Wir sehen, wie mit einem ungeheuren Ernst dasjenige, was aus dem Christus-Impuls heraus gerade im Volke gefühlt und empfunden werden konnte, in diesen Stücken lebt. Später sieht man, wie immer mehr und mehr in der weltlichen Legende Traditionen, die nicht in der Bibel stehen, die aber doch in der Überlieferung vorhanden sind, in diese Stücke einlaufen. Die Stücke wurden nicht bloß zu Weihnachten, sondern auch zu Ostern, zu Pfingsten, zu Fronleichnam, in manchen Gegenden zum Feste der heiligen Rosalie und so weiter aufgeführt, schlossen sich aber immer an dasjenige an, was der Kirchenkalender bot. Man sieht überall, wie geradezu die Empfindungen aus der Heiligen Geschichte heraus, die dem Jahreslauf gemäß verlaufen, auch in diesen Stücken enthalten sind, so daß wir ein wunderschönes Stück echten Volkstums erhalten haben, durch das wir in die Jahrhunderte des Geisteslebens zurücksehen, wie es in Mitteleuropa war, dann nach dem Osten herübergenommen wurde. Ein solches wunderbares Stück von Volkstum haben wir noch darin.
Bei den späteren Stücken müssen wir besonders bewundern, daß
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einerseits ein wirklicher Ernst, ein großer Ernst und eine wahrhaft christliche Gesinnung in den Stücken leben, daß sie aber gar nicht sentimental sind. Solche Stücke sentimental aufzufassen in der Darstellung, wäre eine vollständig irrtümliche Note, denn es spielte im Volk auch in das Heiligste immer ein gesunder Humor hinein. Und man kann sagen: Gerade darinnen drückt sich eigentlich erst der rechte Ernst aus, daß das Volk durchaus nicht in unwahrer Weise sentimental wurde, sondern seinen Humor hineintrug, und dennoch das ganze Ernste der Heiligen Geschichte auch zum Ausdruck brachte.
Aus dieser ganzen Tradition heraus sind auch diese beiden Stücke. Sie müssen aus ganz anderen Gegenden stammen als aus der, in welcher sie zuletzt gefunden worden sind, denn wir werden im zweiten Stück in der Einführung hören, wie hingewiesen wird auf das Meer und den Rhein; das Meer, das also etwa der Bodensee sein kann, der Rhein, der jedenfalls nicht in der Preßburger Gegend fließt. Also es haben von westwärts her diese Stücke ursprünglich gelebt und sind mit den nach Osten hin wandernden deutschen Kolonisten nach Ungarn gebracht worden, wo sie dann weitergelebt haben. Und wie sie gelebt haben, das hat noch Karl Julius Schröer, der die Stücke hat selber aufführen sehen und sie niedergeschrieben hat in seinem Buche «Deutsche Weihnachtspiele aus Ungarn», nach dem Anhören derjenigen, die sie selber aufgeführt haben, die sie gedächtnismäßig innehatten für die Aufführung, abgehört und niedergeschrieben, nicht irgendwo abgeschrieben, sondern niedergeschrieben nach dem Wort- laute, denn die Leute haben diese Stücke außerordentlich stark in Ehren und in Verwahrung gehalten. Es hat immer einzelne wenige angesehene Familien innerhalb des Dorfes gegeben, in den meisten Dör
fern sogar nur eine einzige, welche die Handschrift verwahrten. Es ging stets vom Vater auf den Sohn über. Und wenn nun die Weihnachts- zeit heranrückte, wenn die Weinlese vorüber war im Herbste, dann sammelte derjenige, der das-Stück hatte, im Verein mit der Geistlichkeit, dem Pfarrer des Ortes, diejenigen Burschen, welche er für geeignet hielt, in diesem Jahre die Vorstellung zu machen. Die weiblichen Rollen wurden durchaus auch von Burschen dargestellt, etwas, was wir hier - obwohl wir uns sehr bemühen, im Stile der Darstellung
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zu bleiben - nicht nachahmen können, weil unsere Frauen gar zu sehr remonstrieren würden, wenn wir die Stücke nur von Männern darstellen würden. Es würde nicht gehen, so etwas bei uns durchzuführen. Aber im übrigen bleiben wir tatsächlich in dem Stile, wie er sich erhalten hat ins 19. Jahrhundert herein.
Ich habe in meiner Jugend mit meinem verehrten Lehrer, Karl Julius Schröer, der in diesen Sachen ganz darinnen lebte, viel über diese Dinge gesprochen. Wir haben viel geredet über die Art und Weise, wie diese Spiele gespielt wurden, und es ist durchaus möglich, trotzdem wir unter ganz anderen Verhältnissen arbeiten, nicht wie dort in einem ländlichen Wirtshause und dergleichen und nicht unter der unmittelbaren Teilnahme der ganzen Bevölkerung, so wie es dort war, es ist doch möglich, annähernd in dem Stil zu bleiben. Der Ernst, mit dem die Sache angegriffen worden ist von diesen Leuten, konnte einem daraus hervorgehen, daß strenge Vorschriften da waren, wie die Leute, die an der Aufführung als Schauspieler teilnehmeil sollten, leben mußten. In dem Augenblicke, wo sie nach der Weinlese anfingen, die Proben zu machen, wurde die ganze Woche geübt. Von der Weinlese bis zum Weihnachtsfest, wo die Aufführung war, wurden strenge Vorschriften von ihrem Lehrmeister, Pfarrer, Lehrer und von dem Meister, der das Stück hatte, gegeben. Solche Vorschriften, die sich auf das ganze Leben dieser Burschen erstreckten, zeigen, mit welchem Ernst die Sache unternommen worden ist. Wir hören da, daß zum Beispiel die Menschen, welche teilnehmen sollten, eine Bedingung erfüllen mußten - das brauchen wir nicht vorzuschreiben, weil das natürlich ganz selbstverständlich ist, daß Anthroposophen ein ehrsames Leben führen, aber das scheint bei den Burschen des Ortes nicht immer der Fall gewesen zu sein. So wurde die strenge Vorschrift gegeben: die Burschen müssen die ganze Zeit, während die Proben stattfinden, ein ehrsames Leben führen.
Die zweite Bedingung, die einzuhalten war, war diese: sie dürfen die ganze Zeit über keine Schelmenlieder singen. Nun, ich habe nie gehört, daß Anthroposophen Schelmenlieder singen, also kommt diese Bedingung für unsere Mitspielenden nicht in Betracht! Die dritte Bedingung können wir allerdings nicht erfüllen, die von den Lehrmeistern
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den Burschen des Ortes gestellt worden ist. Das ist diese, daß sie in der strengsten Weise, während die Proben stattfinden, Gehorsam leisten müssen den Lehrmeistern. Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, das ist bei uns nicht durchzuführen! Also das würde uns gar nichts helfen, solch eine Vorschrift etwa zu geben. Ebensowenig ließe sich durchführen diejenige Vorschrift, die da bestimmt, daß Strafen zugelegt werden müßten für jeden Gedächtnisfehler, denn erstens behaupten unsere Leute, sie machen gar keine Gedächtnisfehler, und zweitens würden sie nie eine Strafe bezahlen!
Aber Sie sehen aus diesen strengen Bedingungen, die da gestellt worden sind, daß man die Sache mit außerordentlichem Ernst auffaßte. Es ist wirklich ein Stück wunderbaren christlichen Lebens, das sich da erhalten hat. Unter den modernen Verhältnissen gehen auch diese Dinge ganz verloren. Wir betrachten es seit Jahren mit als eine unserer Aufgaben, solche Dinge, die mehr als irgendeine theoretische Geschichtsbetrachtung in das Leben der Vergangenheit hineinführen, auch wiederum lebendig vor die Gemüter der Gegenwart hinzustellen, und wir glauben, daß es wirklich auf diese Art möglich ist, zu zeigen, wie das Christentum vom 11. bis ins 19. Jahrhundert in zahlreichen Gemütern Mitteleuropas, bis weit nach dem Süden vor, gelebt hat. Wir glauben, daß man zeigen kann, wie cliristliche Gesinnung in den Herzen vorhanden war aus dem heraus, was diese Leute als Ausfluß ihrer christlichen Gesinnung in solchen Spielen zu allen Festeszeiten des Jahres geleistet und gezeigt haben.
VIII Dornach, 23. Dezember 1921
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Dornach, 23. Dezember 1921
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Wir werden uns erlauben, Ihnen in diesen Tagen einige deutsche Weihnachtspiele, die aus älterem Volkstume erhalten sind, vorzuführen. Wir werden heute damit beginnen, ein sogenanntes Paradeis-Spiel vorzuführen. Diese Weihnachtspiele wurzeln tief im mitteleuropäisch-deutschen Volkstum und sind, wenn man sie heute betrachtet, eigentlich eine lebendige Geschichtsdarstellung. Viel lebendiger bekommt man das Bild der Volksentwickelung aus der Wiederbelebung dieser Spiele, als durch eine sonstige historische Schilderung. Es ist ja in Europa das Drama aus kirchlichen Veranstaltungen hervorgegangen. Solche kirchlichen Veranstaltungen können wir geschichtlich ziemlich weit, bis in das 12. Jahrhundert zurückverfolgen; sie gehen aber eigentlich viel weiter zurück. Aus dem 12. Jahrhundert wird namentlich über ein oftmals gespieltes kirchliches Drama «DerAntichrist» berichtet; in den verschiedensten Formen war dieser «Antichrist» vorhanden. Und es ist außerordentlich bemerkenswert zu sehen, wie in diesem «Antichrist» großartige Kämpfe dargestellt wurden, die zwischen den europäischen und asiatischen Völkern stattfanden.
Nun, später wurden dann das Leiden und die Geburt Christi und sonstige kirchliche Erinnerungen zuerst von Geistlichen in den Kirchen selbst dargestellt. Es wurden dann weltliche Veranstaltungen daraus, indem zuerst die Geistlichen außerhalb der Kirche diese geistlichen Spiele aufführten, und dann die Aufführungen auch auf weltliche Personen übergingen.
Ein besonders bemerkenswertes Spiel war zum Beispiel das von den «Zehn Jungfrauen». Bei einer Aufführung der «Zehn Jungfrauen», die 1322 in Eisenach stattfand, am Fuße der Wartburg, ging es so ergreifend zu, daß der anwesende Landgraf Friedrich «mit der gebissenen Wange» trostlos darüber war, daß es, wie dieses Spiel besagte, selbst der Heiligen Jungfrau nicht möglich war, durch ihre Fürbitte die Verbannten zu erlösen. Durch den mächtigen Eindruck, den dieses Spiel auf ihn mit dieser Tendenz machte, traf ihti der Schlag. Er siechte
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dahin und starb infolge des Eindruckes dieses Spiels der «Zehn Jungfrauen». Diese Geschichte wird durch das folgende Mittelalter hindurch viel erzählt. Kurz, wir finden überall Spuren durch ganz Mitteleuropa solcher geistlichen Spiele.
Diese geistlichen Spiele, welche dann ins Volksmäßige übergingen, treten uns noch in der mannigfaltigsten Gestalt als Festspiele, Weihnacht-, Oster- oder Fastnacht-Spiele durch die folgenden Jahrhunderte hindurch entgegen. Es ist insbesondere interessant, wie man ver
folgen kann, daß wandernde deutsche Stämme diese Spiele auf ihren
Wanderungen mitnahmen.
Wir müssen uns darüber klar sein, daß mehr im Westen Mitteleuropas lebende deutsche Stämme, die dann nach Osten herüberzogen, nach Usterreich zogen, die böhmischen Gegenden, aber namentlich Ungarn bevölkerten, ihre Spiele als ein teures, heiliges Gut mitnahmen und die Aufführung dieser Spiele in einer ganz außerordentlich bemerkenswerten Weise trieben. Diese Spiele lebten im Volke, ohne daß sich die gebildeten Stände viel darum kümmerten. Erst als die deutsche Altertumskunde im 19. Jahrhundert eine gewisse Vertiefung erfuhr, waren es einzelne solcher Altertumsforscher, welche aus dem Volkstum heraus diese Spiele aufführten. Einer derjenigen, die sich viel Mühe gaben, insbesondere solche Volkstümer in den verschiedensten deutschen Gegenden Ungarns aufzutreiben, war mein alter Freund und ehemaliger Lehrer Karl Julius Schröer. Seinem Verdienste ist es zuzuschreiben, daß namentlich aus der Preßburger Gegend die deutschen Weihnachtspiele erhalten blieben, wenigstens zunächst in der Literatur. Karl Julius Schröer fand solche Weihnachtspiele im Nordwesten Ungarns, in der Preßburger Gegend, in der sogenannten Oberuferer Gegend vor. Weihnachtspiele, die durchaus durch ihren Inhalt, durch ihre Sprache zeigten, wie sie aus westlicheren Gegenden mit den nach Osten wandernden deutschen Stämmen gebracht worden waren. Schröer konnte feststellen, daß solche Weihnachtspiele wie ein heiliges Gut von Generation zu Generation vererbt wurden, wie sie jedesmal, wenn die Weihnachtszeit herannahte, einstudiert und dann zur Weihnachtszeit aufgeführt wurden. Eine besonders bevorzugte Familie hatte diese Weihnachtspiele im Besitz. War nun die Zeit der Weinlese im
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Herbste vorüber, und hatten die Landleute einige freie Zeit gewonnen, dann versammelte derjenige, der im Besitze des Manuskriptes solcher Weihnachtspiele war, die Burschen des Ortes, die er` für geeignet hielt, und bereitete sie durch Einstudieren vor für die Aufführung zur Weihnachtszeit.
Es war mit solchen Aufführungen etwas ganz besonderes; sie wurden wie etwas behandelt, das eine tief religiöse Seite hat. Das geht daraus hervor, daß strenge Vorschriften für diejenigen bestanden, welche viele Wochen hindurch diese Spiele unter der Direktion des Meisters einstudiert hatten. Solche Vorschriften waren zum Beispiel diese, daß jene Burschen, die ausersehen waren, dieses Weihnachtspiel zu studieren und aufzuführen, während der Zeit des Einstudierens ihrem Meister in einer außerordentlichen Weise unbedingten Gehorsam leisten mußten; daß sie in dieser Zeit einen moralischen Lebenswandel führen mußten. Die besondere Vorschrift war diese, daß sie in dieser Zeit, wie der Volksmund sich ausdrückte, nicht zu dem Dirndl gehen durften. Wenn dann die Weihnachtspiele einstudiert waren, wurden
sie in der Regel in einem Gasthof aufgeführt, und zwar in echt volkstümlicher Weise. So gut es heute geht, wollen wir in unserer Aufführung diese Volkstümlichkeit eben festhalten, damit gewissermaßen historisch vor unsere Seele treten kann die Art und Weise, wie Weihnachten innerhalb dieses Volkstums gefeiert worden ist.
Eine besondere Eigentümlichkeit dieser Spiele war ihre Durchsetzung mit einem volkstümlichen Humor. Und es ist ganz falsch, wenn man diese Volksspiele etwa sentimental aufführt. Jede Sentimentalität muß ferneliegen. Führt man sie sentimental auf, so zeigt man einfach, daß man kein Verständnis hat für ein Element, welches im religiösen Leben des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit ganz besonders vorhanden war. Die Leute konnten tief religiös sein, waren es aber in humorvoller Weise, waren es ohne falsche Mystik, ohne Sentimentalität. Und sie konnten zwischen den Schilderungen der erhabensten Szenen zu gleicher Zeit echt volkstümliche Witze machen, echt volkstümlichen Humor entfalten. Man wollte das Lachen nicht verlernen, indem man betend zu den erhabensten Dingen aufblickte. Das ist ein Charakteristisches für die besondere Religiosiät
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früherer Zeiten, die in dieser Richtung gesund war. Ungesund wurde die Religiosität erst in späteren Zeiten.
Heute werden wir uns erlauben, dasjenige Spiel aufzuführen, das in der Regel den anderen voranging: das Paradeis-Spiel, darstellend wie Gott Adam und Eva ins Paradies führt, und wie sie von dem Teufel verführt werden. «Adam und Eva» ist ja der Festtag, welcher dem 25. Dezember im Kalender vorangeht, der eigentlichen Weihenacht. Und für die Weihnachtszeit, die spätere Weihnachtszeit war dann so etwas gewöhnlich in Aussicht genommen, wie das Christ-Geburt- Spiel, das wir uns dann erlauben werden, morgen diesem ParadeisSpiel nachfolgen zu lassen.
In dieser Aufführung wurde zum ersten Male der von Rudolf Steiner rekonstruierte Text zur Einleitung des «Paradeis-Spieles» gesprochen. - Von den Auf- führungen am 25. und 26. Dezember liegen keine Nachschriften vor.
IX Dornach, 8. Januar 1922
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Dornach, 8. Januar 1922
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Dieses Dreikönig-Spiel* gehört in die Reihe derjenigen christlichen Festspiele, welche vor jetzt etwa siebzig Jahren mein alter Lehrer und Freund Karl Julius Schröer in der Oberuferer Gegend gefunden hat, im westlichen Ungarn, in der Nähe von Preßburg. In dieser Oberuferer Gegend befinden sich in Ungarn eingestreut deutsche Dörfer, namentlich in slawischen Gebieten; Dörfer, welche in einem ausgiebigen Maße
die deutsche Sprache noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatten. Die deutschen Stämme, welche dort saßen, gehörten den sächsischen Stämmen an, den gleichen Stämmen, denen auch diejenigen Deutschen angehören, die am Südrande der Karpaten, in der Zipser Gegend wohnen, die dann auch in Siebenbürgen wohnen. Andere deutsche
* Die einleitenden Worte zu der Aufführung des Paradeis-Spieles und des ChristGeburt-Spieles am 4. Januar 1922 liegen nicht in einer Nachschrift vor.
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Stämme sind die schwäbischen Stämme, die mehr im Banat wohnen. Es sind das diejenigen deutschen Stämme, welche im Verlauf des 15., 16. Jahrhunderts wahrscheinlich von westlichen Gegeiiden Mitteleuropas, sogar von Gegenden am Rhein, vom Siebengebirge noch Osten gezogen sind und sich als Kolonisten in den ungarischen Gebieten nie- dergelassen haben. Allerdings gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden ja diese Gebiete sehr gewaltsam magyarisiert, und das deutsche Eletnent ging zum größten Teil verloren und damit auch solche Volkstümer, wie diese Weihnachtspiele, das DreikönigSpiel und so weiter es sind.
Diese Spiele weisen uns in diejenigen Zeiten zurück, in denen sich über das ganze West- und Süddeutschland, auch über einen großen Teil der Schweiz, christliche Festspiele ausgebreitet haben. Wir können diese Festspiele bis in das 11., sogar bis in das 10. Jahrhundert zurück verfolgen. Als älteste Formen finden wir sie in den Kirchen aufgeführt, zum Weihnachtsfeste, wo die Krippe aufgestellt worden ist, und wo die Geistlichen selbst - zuerst in lateinischer Sprache - diese Festspiele aufgeführt haben. Für die damaligen Begriffe war dieses Aufführen in lateinischer Sprache ebensowenig störend, wie ja heute noch im Katholizismus das lateinische Messelesen nicht störend ist. Später trifft man solche Festspiele an, welche die Heilige Geschichte, die Geburt Christi, das Erscheinen der Hirten, der Heiligen Drei Könige und so weiter zum Gegenstande haben, allerdings dann in der Landessprache und zwar im Dialekt, nur noch mit lateinischen Ausdrücken durchsetzt. Sie werden dann später auch von Laien aufgeführt, nicht mehr von Geistlichen, wandern aus der Kirche an andere, öffentliche Orte, namentlich in Gasthöfe, wo sie dann von Laien dargestellt werden. Solche Festspiele hatten die von Westen nach dem Osten wandernden Stämme, diese Kolonisten, mitgenommen, und sie hatten sie wirklich wie ein Heiligtum verehrt.
Wenn im Herbste die Weinlese zu Ende war, sammelte derjenige, der die Manuskripte dieser Spiele hatte - das war in der Regel der An- gehörige einer wohlangesehenen Dorffamilie -, die jungen Burschen des Ortes. Frauen durften nicht mitspielen, nicht Mitdarsteller sein. Er sammelte die Burschen des Ortes, die er für geeignet hielt, und u
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studierte durch Monate hindurch bis zur Weihnachtszeit hin diese Fest- spiele mit ihnen ein. Die ganze Inszenierung dieser Sache war eine außerordentlich feierliche. Es gab von dem Lehriheister verfaßte und den Burschen in die Hand gegebene strenge Vorschriftsmaßregeln, denen sich jeder zu fügen hatte. Sie mußten zum Beispiel - so wird betont in diesen Vorschriften - während der ganzen Zeit sich des Trunkes enthalten; sie mußten ein moralisches Leben führen; und ähnliche Vorschriften hatten sie zu erfüllen, die wirklich etwas Außer- ordentliches bedeuteten gerade innerhalb der Dorfgemeinde. Man sah also dem Herannahen dieser Festspiele wirklich in feierlicher Stimmung entgegen. Und wenn die Aufführungen kamen zu Weihnachten, am Dreikönigstag, da versammelte sich dann die Bewohnerschaft des Ortes in den entsprechenden Gasthöfen. Es wurden die Bänke an die Wand gestellt und in der Mitte des Saales wurde dann die Sache aufgeführt.
Wir haben versucht, soweit es bei unseren Verhältnissen geht, die Art und Weise nachzuahmen, wie die Aufführung gerade innerhalb des Volkstums stattgefunden hat. Alles läßt sich natürlich nicht nachahmen, vor allen Dingen nicht die Anordnung, wie sie im Gasthof war; wir wählen die bühnenmäßige Anordnung. Aber in allem übrigen sind wir, soweit es möglich ist auf die Überlieferung einzugehen, der Forderung nachgekommen, die Spiele so vor das Publikum der Gegenwart hinzustellen, daß man schon einmal eine Vorstellung von der Art und Weise bekommen kann, wie solche Festspiele aufgeführt worden sind.
Ein anderes, das ich besonders betonen möchte, ist dieses, daß sich in diesen Spielen beobachten läßt, wie eine wirklich fromme Stimmung, eine an die Heilige Geschichte hingegebene, feierliche Stimmung, sich überall mit Humor vereinigt, der hineinspielt. Der Teufel zum Beispiel ist überall der böse Feind der Menschen, aber zugleich eine lustige Person. Und in ähnlicher Weise spielt der gesunde Humor, ein gesunder Volkshumor in die feierliche, religiöse Stimmung hinein. Das ist dasjenige, was besonders betont werden muß aus dem Grunde, weil gerade diese Seite in der Volksfrömmigkeit in diesen Gegenden vorhanden war, und -sie sich bei den deutschen Kolonisten Ungarns bis ins 19. Jahrhundert hinein so erhalten hat, daß in dieser religiösen
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Volksstimmung keine Sentimentalität vorhanden war, sondern eine naive Ursprünglichkeit, die selbst das Erhabenste mit dem Humor durcheinanderspielen läßt.
Wir haben in diesen Festspielen etwas, was in einer viel anschaulicheren Weise, in einer viel lebendigeren Weise als sonst irgendwie, Zeiten, die nun schon seit Jahrhunderten vergangen sind, wieder auferstehen läßt vor uns. Das 15., 16. Jahrhundert steht wieder vor uns auf. So daß wir versuchen müssen, auch den Dialekt in entsprechender Weise festzuhalten, und, so gut es geht, versuchen müssen, diese Stücke auch in demjenigen Dialekt wiederzugeben, in dem sie dann im 19. Jahrhundert in den deutschen Gegenden Ungarns gespielt worden sind. Gerade aus dem Grunde, weil da ein Stück Geistesleben aus früherer Zeit vor die gegenwärtig Lebenden wieder hintreten kann, machen wir es uns innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft zur besonderen Aufgabe, diese Spiele vor die Oöffentlichkeit zu bringen.
Es sind dann später viele solche Weihnachtspiele auch aus anderen Gegenden gesammelt worden. Man sammelte sie dann zum Beispiel in Schlesien, wo Weinhold außerordentlich viel dafür getan hat; dann aber wurden sie auch bis in die Pfälzischen Gegenden hin gesammelt. Und es war so merkwürdig, daß der Grundcharakter und Grundinhalt im wesentlichen bei allen diesen Spielen derselbe ist; sie sind nur durch den Dialekt verschieden, so daß man also sieht: das ist gemeinsames Geistesgut von der zweiten Hälfte des Mittelalters, welches in unsere heutige Zeit heraufragt. Und es darf vielleicht gerechtfertigt sein, gerade in einer solchen Weise, wie wir es tun, vor die gegenwärtige Menschheit hinzutreten, weil dieses Volksgut verschwindet. Innerhalb der Dorfgemeinde ist natürlich nicht mehr die Stimmung vorhanden, in der gleichen Weise wie früher dieses Volksgut zu pflegen. Aber der von mir genannte Karl Julius Schröer, der in den vierziger, fünfziger Jahren diese Sachen gesammelt hat, hat mir oftmals erzählt, welchen tiefgehenden Eindruck diese Auferstehung alten Volkstums, dargestellt von den Bauern, die im Besitze dieser Stücke waren, auf ihn machte. Das ist dasjenige, was mich bewog, schon vor Jahren die An- regung zu geben, diese Spiele gerade innerhalb unserer Gesellschaft für ein weiteres Publikum aufzuführen. Und aus dieser Anregung
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heraus haben wir in den verflossenen Tagen das Weihnacht-Spiel und das Paradeis-Spiel aufgeführt, und werden uns erlauben, heute das Dreikönig-Spiel oder Herodes-Spiel so, wie es in den fünfziger Jahren in den Gegenden von Preßburg bei den deutschen Kolonisten aufgeführt worden ist, vor Sie hinzustellen.
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Wie seit vielen Jahren wollen wir auch diesmal Ihnen ein Weihnachtspiel vorführen, ein Volksspiel, welches in eine dramatisch-politische Zeit des Volkes zurückführt, ein Spiel, das gepflegt worden ist, lange bevor die moderne Arbeit der Bühne und des Bühnenspiels innerhalb Europas, des neueren Europa überhaupt, aufgekommen ist.
Die Spiele, die bei uns hier vorgeführt werden - das Adam und Eva-Spiel, welches gestern dargestellt worden ist und in den nächsten Tagen wiederum dargestellt werden wird, und das heutige Spiel, das Christ-Geburt-Spiel, und das Spiel, das ebenfalls in den nächsten Tagen vorgeführt werden wird, das Dreikönig-Spiel - diese Spiele lernte ich vor jetzt fast vierzig Jahren durch meinen längst verstorbenen Freund und Lehrer, Schröer, kennen. Karl Julius Schröer war eine Persönlichkeit, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ganz besondere Verdienste gehabt hat um die Erkenntnis jener deutschen Dialekte, welche namentlich den deutschen Kolonisten angehören, die einmal - wahrscheinlich schon im 16. Jahrhundert, gewiß aber im 17. Jahrhundert - aus Gegenden, die uns hier gar nicht so ferne liegen, aus Süddeutschland und vielleicht der Nordschweiz nach dem Osten hin ausgewandert sind; deutsche Kolonisten, die sich sowohl in West
~ Am 23. Dezember 1922 fanden nachmittags 5 Uhr und 6.30 Uhr zwei Aufführungen des Paradeis-Spieles statt, von denen aber keine Nachschriften vorhanden sind.
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ungarn niederließen, im nördlichen und im südlichen Westungarn, dann auch in Nordungarn, südwärts der Karpaten und in anderen Gegenden Ungarns.
Karl Julius Schröer hat alle diese Gegenden bereist und in mannigfaltigster Weise die verschiedenen dialektischen Sprachen studiert. Es war so, daß dieses Wesen des Volkes schon dazumal eigentlich in der Abenddämmerung war; andere Völkerschaften nahmen diese Volkstümer auf, absorbierten sie. Es sind außerordentlich interessante und schöne Bücher, die zwar im Gewande des Wörterbuches auftraten, die aber dennoch außerordentlich interessant für denjenigen sind, der
sich damit beschäftigen will, in denen Schröer die Sprache bearbeitet, die, wie gesagt, in uns nicht ferne liegenden westdeutschen Gegenden aufgekommen ist und dann durch Kolonisten nach dem Osten bis nach der Donau und den Karpaten also hineingetragen worden ist.
Unter diesen Leuten, in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, fand Karl Julius Schröer diese Weihnachtspiele, die wir hier aufführen; er hat sie dort kennengelernt. Diese Weihnachtspiele sind wohl entstanden im 16. Jahrhundert oder noch früher unter den Leuten, noch als sie mehr im westlichen Deutschland gelebt haben, bis zum Rhein hinüber. Das können wir noch aus gewissen Sätzen in den Stücken selber entnehmen. Sie sind dann, als sie auswandern mußten, von den Menschen mitgenommen worden und wurden immer wieder und wiederum alljährlich im Kolonistenlande, in Ungarn, aufgeführt. Unter dem Stand der sogenannten Haidbauern, welche in der Nähe von Preßburg, einer heutigen tschechoslowakischen Gegend, ihren ursprünglichen Duktus vom alten Volkstum her, lange bewahrt haben, wurden die hier aufgeführten, wieder aufgeführten Spiele eben jedes Jahr dort volkstümlich aufgeführt, aufgeführt in demjenigen Dialekt,
den sich diese Leute vom Westen nach dem Osten hingetragen haben. Diese Volksspiele sind gerade innerhalb dieses Kolonistenvolkes
in einer echteren alten Gestalt erhalten geblieben, als sie in anderen Gegenden, wo auch ähnliche Spiele gespielt wurden, erhalten worden sind. Denn diejenigen, die sich von dem Stamme ihres Volkstums getrennt haben, in die Fremde gezogen sind, haben solche Dinge wirklich als ein heiliges Gut bewahrt. Bei den armen Leuten - denn das waren
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sie wirklich - von Oberufer zum Beispiel und den benachbarten Gegenden auf der ungarischen Donau-Insel Schütt war es so, daß in einer besonders angesehenen Familie Abschriften dieser Spiele vom Vater auf den Sohn und von diesem auf den Enkel immer wiederum übergingen. Derjenige, welcher diese Spiele bewahren durfte, war in der Regel auch derjenige, welcher die Art und Weise, wie man sie spielte, in mündlicher Überlieferung von seinen Vorfahren erhalten hatte. Er war der sogenannte Lehrmeister. Er versammelte vielleicht mit einem Gehilfen im Herbste, wenn die Weinlese vorüber war, diejenigen Burschen des Ortes, die er für geeignet hielt, die Spiele aufzuführen. Nur Burschen wurden dazu verwendet; ein Gebrauch, den wir nicht nachmachen können. Diesen Burschen wurde Ernstliches auferlegt in dieser Zeit. Vor allen Dingen mußten sie einen außerordentlichen, sittlichen Lebenswandel führen, mußten friedfertig mit den übrigen Dorfbewohnern in der ganzen Zeit von der Weinlese bis zum Advent leben. Dann erst wurden sie für würdig gehalten, wirklich mitzutun bei dem- jenigen, was dann vom Advent bis zum Heiligen Dreikönigs-Tag an solchen Spielen aufgeführt worden ist.
In solchen Spielen drückte das Volk dasjenige aus, was für seine Anschauung, für seinen ästhetischen Genuß, möchte ich sagen, das Richtige war. Aber diese Spiele waren zu gleicher Zeit - ihre Stoffe sind ja den wichtigsten, für das Volk wichtigsten Partien der biblischen Geschichte entnommen - dem Volke ein Ausdruck seiner innigsten Frömmigkeit. Daher durften zum Beispiel auch in der ganzen Zeit, in der geübt wurde für diese Spiele, in dem Dorfe keine Musik aufgeführt werden, die eine andere gewesen wäre als die, die zu den Spielen gehörte. Und es ist uns überliefert, daß, als einmal einzelne Spielleute in ein Dorf kamen - sie sind mit ihren Spielen in die verschiedenen Dörfer herum- gezogen-, man ihnen zu Ehren die Dorfmusik hat aufspielen lassen. Da sagten sie ganz entrüstet: Hält man uns denn für Komödianten, daß man uns mit dieser Musik kränkt? - Sie betrachteten das als etwas durchaus Ernstes, was in der Aufführung solcher Spiele lag.
Dann, wenn die Adventszeit und später die Weihnachtszeit herangekommen war, wurden diese Spiele in einem Wirtshause aufgeführt. Die Leute aber trugen tatsächlich ihr frommes, echt frommes
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Gemüt, ihre heilige Stimmung, möchte ich sagen, in dieses Wirtshaus hinein. Diese Spiele tragen echt volkstümlichen Charakter schon da- durch in sich, daß sie erstens in der ganzen breiten EntWickelung des europäischen Spielwesens darinnen stehen. Man sieht das in den Nachwirkungen der Bilder, denn solche sind es, die immer wiederum eingestreut sind in die Handlung der Spiele. Man sieht, wie sich die Spieltradition aus dem alten Griechenland bis in diese einfachen Volksspiele hinein fortgesetzt hat.
Aber etwas anderes ist noch viel, viel wichtiger. Es ist dieses, daß eingestreut sind immer zwischen die zarteste, echte Frömmigkeit atmende Stimmung derbe Volksszenen mit robusten Späßen. Das ist gerade das Eigentümliche, das in diesen Stücken zum Beispiel neben der außerordentlich zart gezeichneten, in wunderbar frommer Verehrung gekennzeichneten Gestalt der Jungfrau Maria hingestellt ist der etwas tölpische Joseph. Es wurde auch nicht gerade besonders zart dargestellt in der Szene, wo neben das Ergreifende, zum Beispiel wo die Hirten dem Jesus-Kinde opfern, hingestellt ist, neben diese fromme, heilige Szene dasjenige, was die Hirten auf dem Felde an lustigen Späßen untereinander austauschen und so weiter. Gerade das zeigt
uns aber, wie diejenigen, deren Namen nicht erhalten sind, die aus echter Volksempfindung heraus diese Spiele gemacht haben, die wahre, ehrliche Frömmigkeit des Volkes kannten, die niemals sentimental wurde. Gerade dann war sie ehrlich, wenn sie nicht in die unehrliche Sentimentalität verfiel, wenn daneben vertragen werden konnte zugleich das Lachen und die derben Späße. Und in schöner Weise haben diejenigen, die solche Spiele gestaltet haben, herauszuformen gewußt aus dem derben Volksspaß dasjenige, was in einer zarten, frommen Verehrung, möchte ich sagen, himmelwärts dringen will.
Wie gesagt, Karl Julius Schröer hat in den fünfziger Jahren diese Spiele noch selbst von den Bauern der Haiddörfer aufführen sehen. Dazumal war es, gerade auch um die Weihnachtszeit, daß ich von ihm hörte von diesen Volksspielen. Er sprach mit einer ungeheuren inneren Hingabe, denn er liebte alles dasjenige, was volkstümlich war, und in seinen Worten lag selber etwas von einem Abglanz der Weihe, welche von den Bauern mit diesen Stücken verbunden wurde.
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Er übergab mir dann das Büchelchen, in dem er in den sechziger Jahren diese Stücke verfolgt hat, und ich konnte mit ihm nachher noch manches Gespräch führen, in dem er aufmerksam darauf machte, in welcher Weise der Dialekt gehandhabt wurde, in welcher Weise die Sprache geformt wurde in bäuerlich künstlerischer Weise, kann man schon sagen. So konnten wir über Gebärden, über die ganze Gestaltung des Stückes sprechen. Es war schon eine Offenbarung echten Volkstumes; sie wuchs mir dazumal wirklich recht gründlich ans Herz. Und als wir in der Lage waren, innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft nun schon vor vielen Jahren solches aufzuführen, war es vor allen Dingen mein Bestreben, zur Weihnachtszeit immer diese Stücke aufzuführen, soweit das bei den verwendeten Mitteln, die man für ein Bühnenmäßiges hatte, selbstverständlich möglich war, so daß ein Bild gegeben wird dessen, was das Volk in alten Zeiten vor sich hatte, und was es in gewissen Gegenden bis vor kurzer Zeit noch bewahrt hat.
Jetzt sind wohl diese Spiele zum großen Teil verlorengegangen. Wir durften selbst während der Kriegszeit die Spiele aufführen. Freunde von uns durften sie in den Lazaretten aufführen und während des furchtbaren Krieges die Kranken erfreuen und befriedigen mit diesen Spielen. Auch in Dornach spielen wir sie hier nun seit Jahren und versuchen es auch in diesem Jahre wiederum so, daß dadurch wirklich ein Bild entsteht zu gleicher Zeit von dem religiösen Gehalte und von dem volkstümlich-künstlerischen Streben.
Dasjenige, was Inhalt der Aufführungen ist, meine sehr verehrten Anwesenden, ist so überliefert, wie es immer vom Vater auf den Sohn und Enkel übergegangen ist, und wie es dann Karl Julius Schröer nach seinem Eindrucke beim Hören aufgezeichnet hat, wie er es aufgezeichnet hat nach dem, was ihm die Mitspielenden sagten. Nur in einem Falle habe ich mir erlaubt, ein in der Überlieferung nicht Vor- handenes hinzuzufügen. Sie konnten es gestern schon sehen beim Paradeis-Spiel, werden es dann sehen, wenn das Paradeis-Spiel wiederum aufgeführt wird, aber ich bin fest davon überzeugt, daß dieses Stück vorhanden war, und es kann sich nur darum handeln, den Geist, der dazumal im Volke lebte, wiederum lebendig werden zu lassen, so daß
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schon eine Überlieferung, die eben zu der Zeit da war, die schon einmal vorhanden war, ich möchte sagen, schwarz auf weiß vorhanden gewesen ist und nur verlorengegangen ist, daß die nun 'bühnenmäßig notwendig geworden ist. Wir versuchen durch die Aufführung dieser Spiele ein echtes Bild von dem zu geben, was in vielen Gegenden als Volkstum im 16. Jahrhundert bis zum 11. Jahrhundert zurück- gelebt hat und was am treuesten die armen Leute bewahrt haben, die dazumal gerade im Untergang ihres Volkstums lebten, welches Volkstum Karl Julius Schröer bewahren wollte, indem er es aufzeichnete in Wörterbüchern, sprachdramatischen Büchern, und indem er es uns gerade erhalten hat in diesen Weihnachtspielen.
Es sind viele dieser Weihnachtspiele auch von anderen dann gesammelt worden, aber mir scheint doch, daß diese Spiele der Haidbauern diejenigen sind, wo dasjenige, was da einmal im Spätmittelalter war, am reinsten bewahrt worden ist.
XI Dornach, 1. Januar 1923
#G274-1986-SE075 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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XI
Dornach, 1. Januar 1923
nach dem Brand des Goetheanum in der Silvesternacht 1922I23,
vor dem Dreikönig-Spiel
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Meine lieben Freunde! Der große Schmerz versteht zu schweigen über dasjenige, was er fühlt. Und deshalb werden Sie mich auch verstehen, wenn ich ganz wenige Worte nur, bevor wir das Dreikönig-Spiel beginnen, zu Ihnen spreche.
Das Werk, welches durch die aufopfernde Liebe und Hingabe zahlreicher für unsere Bewegung begeisterter Freunde innerhalb von zehn Jahren geschaffen worden ist, ist in einer Nacht vernichtet worden. Es muß selbstverständlich gerade heute der schweigende Schmerz aber empfinden, wie unendliche Liebe und Sorgfalt unserer Freunde
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in dieses Werk hineingetan war. Und dabei möchte ich es zunächst, meine lieben Freunde, eigentlich bewenden lassen.
Ich möchte nur sagen, daß nun auch für das Werk, das allerdings eine allzu kurze Zeit noch schien, als ob es ein Werk der Rettung werden könnte, und für welches wiederum die hingebungsvollste aufopferungsvollste Arbeit, sogar zuweilen recht gefährliche Arbeit von manchem unserer Freunde geleistet worden ist, der allerinnigste Dank gebührt, der ausgesprochen werden kann aus dem Geiste unserer Bewegung.
Da wir von dem Gefühl ausgehen, daß alles dasjenige, was wir in- nerhalb unserer Bewegung tun, eine Notwendigkeit innerhalb der gegenwärtigen Menschheitszivilisation ist, so wollen wir das, was beabsichtigt ist, in dem Rahmen, der uns noch gelassen worden ist, möglichst fortführen, und deshalb auch in dieser Stunde, wo sogar noch die uns so sehr zum Schmerze steigenden Flammen draußen brennen, jenes Spiel aufführen, das im Anschluß an diesen Kurs versprochen war, und auf das unsere Kursteilnehmer rechnen.
Ebenso werde ich heute abend um acht Uhr hier in der Schreinerei den angesetzten Vortrag halten. Gerade dadurch rollen wir zum Ausdruck bringen, daß selbst das eigentlich wirklich nicht in Worten, mit Worten zu schildernde Unglück, das uns getroffen hat, uns nicht niederschmettern soll, sondern daß uns der Schmerz gerade dazu auf- fordern soll, dasjenige, was wir als unsere Pflicht ansehen, weiter, so- weit uns dazu die Kraft verliehen ist, zu vollbringen.
Von diesem Gesichtspunkte aus, meine lieben Freunde, nehmen Sie zu den beiden anderen Weihnachtspielen, die aus wirklichem Volkstum herausgeschöpft sind, auch dieses Dreikönig-Spiel hin, das wir aufführen, trotzdem wir natürlich heute nicht in der Lage waren, die rechten Proben zu halten. Sie werden das berücksichtigen müssen, aber ganz gewiß auch in dieser schmerzlichen Zeit zu berücksichtigen die Neigung haben.
Nur diese wenigen Worte wollte ich, bevor wir mit unserer Aufführung beginnen, zu Ihnen sprechen. Es soll ja nicht ein Schaustück sein, das wir vorführen, sondern es soll dasjenige sein, durch das nun - als in seiner Kunst - sich einstmals das Volk zu seinem Heiligsten
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erhoben hat. Und wenn man gerade das berücksichtigt, so wird es durchaus nicht unangemessen befunden werden können, gerade auch aus dem tiefsten Schmerz heraus diesen heiligen Ernst vor unsere Seelen treten zu lassen.
Von der Aufführung des Dreikönig-Spieles am 6. Januar 1923 ist keine Nachschrift einer Ansprache von Rudolf Steiner vorhanden.
XII Dornach, 14. Dezember 1923
#G274-1986-SE077 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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XII
Dornach, 14. Dezember 1923
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Wir erlauben uns heute, Ihnen zwei Spiele aus altem Volkstum vorzuführen, welche jener Reihe von Spielen angehören, die zu den Festeszeiten im alten christlichen Volkstum des Mittelalters oftmals und für weite Gegenden gespielt worden sind.
Wir müssen uns nämlich klar darüber sein, daß die Festesgelegenheiten zur Zeit etwa vom 12., 13. Jahrhundert bis eigentlich zum vorigen Jahrhundert, noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts, daß die großen Feste des Jahres - das Weihnachtsfest, Osterfest, Pfingstfest, auch einige andere Feste - in christlichen Gegenden ganz außerordentlich bedeutsame Einschnitte des Jahres waren. Und wie das christliche Jahr überhaupt zugeteilt ist an alles das, was das Bewußtsein durchdringt, so wird das menschliche Herz zu besonderen Zeiten geradezu aufgerufen, diese Erinnerungen zu durchdringen mit demjenigen, was wiederum die größten Tatsachen im religiösen Leben und im religiösen Bewußtsein sind.
Es gibt Osterspiele, es gibt Pfingstspiele, Fronleichnamspiele, auch Spiele zu anderen heiligen Festen. Die liebenswürdigsten, die besonders tief ins Gemüt gehenden solcher Festspiele waren die Weihnachtspiele. Diese Weihnachtspiele sind uns insbesondere aus denjenigen Zeiten erhalten, in denen das Mittelalter zu Ende gegangen ist. Und
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auch diejenigen zwei Spiele, die wir Ihnen heute vorführen, stammen aus dem zu Ende gehenden Mittelalter. Sie sind wohl noch im 16. Jahrhundert überall gespielt worden, in den Gegenden sogar hier rings- herum. Sie werden es bei dem einen der Spiele finden, wie darauf hin- gewiesen wird, wie die Sonne über dem Rhein scheint. Daraus können Sie entnehmen, daß diese Spiele in einer Rheingegend ursprünglich heimisch sind. Aber gerade diejenigen Spiele, die wir Ihnen heute vor- führen, sind nicht hier in diesen Gegenden gefunden; sie sind auf- gefunden von meinem alten Lehrer und Freund Karl Julius Schröer, in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, in jenen Gegenden Oberungarns, die dazumal eigentlich noch urdeutsch waren, deren Deutschtum heute längst verklungen ist, dem slawischen und magyarischen Element Platz gemacht hat. In diesen Gegenden waren deutsche Kolonien, wie sie ja überall in Ungarn zerstreut sind. In der Preßburger Gegend, nördlich von der Donau, auch weiter hinüber, südlich von den Karpaten, das sogenannte ungarische Bergland entlang hinein bis nach Siebenbürgen; wiederum unten an der unteren Donau, im sogenannten Banat. In der letzteren Gegend sind die Schwaben seßhaft geworden, die ausgewandert sind aus Deutschland; in den Gegenden des nördlichen Ungarn, in den Gegenden, aus denen diese Spiele stammen, haben wir sächsische Kolonisten. Diejenigen aber, welche diese Spiele gepflegt haben, sind wahrscheinlich sogar alemannischen Ursprungs und sind ursprüng
lich seßhaft gewesen wohl in den Gegenden, die das Elsaß umfassen und die nördlich von dem die Nordgrenze der Schweiz bildenden Rhein gelegen sind. Diese Deutschen sind ausgewandert, haben sich niedergelassen in der Preßburger Gegend, nördlich von der Donau, der sogenannten Oberuferer Gegend, und haben als ein teures Andenken an ihre alte, mehr westlich gelegene Heimat diese Weihnachtspiele sich mitgebracht.
Jedes Jahr, wenn das Weihnachtsfest herannahte, fing man an, diese Weihnachtspiele im Dorfe einzustudieren. Eigentlich fing man schon damit an, wenn die Weinlese vorüber war. Da tat sich derjenige um, welcher diese Weihnachtspiele in seiner Familie bewahrte; eine wohl
angesehene Familie war es in den einzelnen Dörfern, welche diese Spiele aufgeschrieben hatte, und wiederum der angesehenste und älteste
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der Familie war der sogenannte Lehrmeister. Er sammelte um sich, wenn die Weinlese vorüber war, im Oktober schon die Burschen. Nur Burschen durften dazumal spielen. Er sammelte die Burschen, welche er tauglich fand, nicht nur in künstlerischer Beziehung, in volkstümlich künstlerischer Beziehung, sondern auch tauglich fand in moralisch- religiöser Beziehung. Es wurde ja sogar den Burschen während des Studierens, der Vorbereitung, auferlegt, ein besonders frommes Leben zu führen, damit sie durch ihre ganze Gesinnung, wenn sie zu Weihnachten auftreten sollten, in der richtigen Weise für dasjenige, was in diesen Spielen enthalten war, eintreten konnten. Dann wurde von Woche zu Woche studiert und in strenger Weise darauf gesehen, daß alles dasjenige, was ringsherum war, wirklich auch beobachtet wurde in diesen alten Spielen. Es war eigentlich alles bestimmt, wie jede einzelne Person sich zu verhalten hat. Nachdem lange Zeit diese Spiele vorbereitet waren, die Weihnachtszeit herannahte, rüsteten sich dann diejenigen, die vom Lehrmeister durch viele Wochen hindurch unterrichtet worden waren, und zur Weihnachtszeit zogen sie zunächst im Dorfe herum, zogen dann nach jenem Wirtshause hin, dass man zur Aufführung aus- ersehen hatte. In einem einfachen Wirtshause wurde nun mit den denkbar einfachsten Mitteln dasjenige aufgeführt, was Sie in den zwei heutigen Spielen sehen werden. Es sind zwei Proben davon, wie man die Heilige Geschichte dargestellt hat.
Das erste Spiel stellt dar die Paradeis-Geschichte, die Versuchung von Adam und Eva. Das zweite Spiel stellt dar, daß Christus erscheinen wird den Hirten zu Bethlehem, und alles dasjenige, was sich daran angeschlossen hat.
Zweierlei, meine sehr verehrten Anwesenden, ist aus diesen Spielen ersichtlich. Erstens, wie tief in das Gemüt mit einer echten, ehrlichen Frömmigkeit das Christentum eingeströmt war. Und auf der anderen Seite auch, wie jede Sentimentalität dazumal noch diesen einfachen Leuten fremd war. Ein sentimentales Wesen, das immer etwas unwahr ist, irgend etwas falsch Mystisches, war durchaus nicht mit dieser echten, ehrlichen volkstümlichen Frömmigkeit irgendwie verknüpft.
Ich selber war im tiefsten Sinne hingerissen, als ich, als ganz junger Kerl, von meinem verehrten Lehrer, Karl Julius Schröer, dazumal
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Ende der siebziger Jahre, Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, dieseWeihnachtspiele kennenlernte, und ich beschäftigte mich dann selber viel damit. Und so darf versucht werden, dasjenige vor- zuführen, was meiner Ansicht nach durch, man kann sagen, Jahrhunderte in deutschen Gegenden Mitteleuropas jedesmal um die Weihnachtszeit mit einer ehrlichen, elementarischen Frömmigkeit gefeiert worden ist, was dann als treues Erbstück hinübergebracht worden ist in die damaligen deutschen Kolonien in Ungarn, so wie es in diesen alten Zeiten vorgeführt worden ist. Allerdings ganz so primitiv kann man es nicht machen. Aber so gut als möglich muß man es machen. Und wir machen es hier so, daß man durchaus eine Vorstellung davon bekommt, wie es zu Weihnachten in diesen deutschen Kolonistendörfern aussah. So - heraufholend ein Stück christlichen deutschen Volkstums - sollen diese Weihnachtspiele jetzt in einer unverfälschten Gestalt vor Sie hintreten.
Sie werden sehen, wie alles aber darauf abgestellt ist, die Darstellung zu etwas Intimem zu machen, welches das ganze Publikum - es war ja das einfache Dorfpublikum - miterlebte. Daher werden Sie sehen den Sternsinger, der auftritt, um die ganze Sache einzuleiten. Sie werden sehen, wie er in der Tat die Brücke von den Spielenden zu dem Publikum hin bildet, so daß alles einen außerordentlich gemütvollen, innigen, herzlichen Ausdruck haben kann. Das, was ich Ihnen sagte, was einen nur veranlassen kann, diese Überlieferungen aus altem Volkstum lieb zu haben, hat dazu geführt, daß wir gerade innerhalb unserer anthroposophischen Bewegung jedes Jahr auch das Spielen dieser alten Volksstücke zu unserer Aufgabe gemacht haben, und es nun auch dieses Jahr wiederum tun. Und dazu haben wir Sie eingeladen.
Gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist so vieles von diesen alten Dingen verschwunden, und man muß eigentlich dankbar dafür sein, daß ein Mann, der als Gelehrter im Volkstum gelebt hat, wie Karl Julius Schröer, sich selber zu den Lehrmeistern hinbegeben hat, sich hat vorsagen lassen dasjenige, was der Lehrmeister oder diejenigen, welche Mitspieler waren, im Gedächtnis gehabt haben. Denn sie haben ihm etwas gesagt, was wirklich jahrhundertealtes, heiliges Gut ist. Und so ist es erhalten worden. Im Volkstum ist es leider heute höch
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stens in ganz vereinzelten Gegenden vorhanden, wo es auch übrigens wieder versucht wird unverfälscht zu geben. Es lebt eben ein Stück alten Volkstumes auf, wenn wir uns so in die Dinge vertiefen, wie es durch eine möglichst unverfälsch~e Darstellung, wie wir sie nun versuchen, geschehen kann. In diesem Sinne die Sachen anzusehen, hatten wir Sie freundlich eingeladen, dieses alte Volksgut mit uns anzusehen.
1m Anschluß an die beiden Aufführungen von dem «Paradeis-Spiel» und von dem «Christ-Geburt-Spiel» in Dornach am Freitag, den 14. Dezember 1923, reiste die Spielergruppe am Samstag zur Probe nach Schaffhausen, wo am Sonntag, den 16. Dezember 1923, die beiden Spiele aufgeführt wurden. Rudolf Steiner kam am Sonntag nachgefahren und hielt eine Ansprache, von der sich aber keine Nachschrift erhalten hat. Dann reiste er weiter nach Stuttgart. Marie Steiner war damals in Berlin. - In dem 1967 erschienenen Buch: Rudolf Steiner/Marie Steiner-von Sivers «Briefwechsel und Dokumente 1901-1925» schreibt Rudolf Steiner mehrmals über dieses in Vorbereitung befindliche Gastspiel.
XIII Dornach, 24. Dezember 1923
#G274-1986-SE081 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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Dornach, 24. Dezember 1923
während der Weihnachtstagung
der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft
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Wir werden uns gestatten, Ihnen einige Weihnachtspiele vorzufüh
ren aus altem Volkstum. Heute werden wir damit beginnen, Ihnen das Paradeis-Spiel vorzuführen, dann morgen und in den nächsten Tagen das Christ-Geburt-Spiel und das Dreikönig-Spiel. Diese Weihnachtspiele stammen aus jenen Zeiten, in denen man durch Europa hindurch vorzüglich, aber nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern auch zur Osterzeit und sogar zur Pfingstzeit ähnliche Spiele aufgeführt hat. Es sind solche Spiele von den germanistischen Gelehrten gesammelt, und man kann sie in allerlei Veröffentlichungen in den Bibliotheken finden. Solche Spiele wurden aufgeführt bis ins 19. Jahrhundert herein in den
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Marktflecken und Dörfern, weniger in den Städten. Nun muß man aber doch sagen: Diejenigen Weihnachtspiele, die wir Ihnen hier vor- führen, haben einen gewissen außerordentlichen, bedeutsamen Vor- zug vor anderen solchen Weihnachtspielen. Die anderen Weihnachtspiele, die in Mitteleuropa aufgeführt worden sind, wurden eigentlich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verbessert. Dasjenige, was aus altem Volkstum in einer wunderbaren Weise vorhanden war, ist von allerlei intelligenten Leuten verbessert worden, und man hat sie dann also von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wieder aufgeführt. Was aus dem dann werden kann, das wirklich altem Volkstum künstlerisch und religiös und musikalisch entstammt, sieht man an der Karikierung des Volkstümlichen in den Oberammergauer Passionspielen. Aber in diesen Weihnachtspielen, die wir hier aufführen, ist etwas, was tatsächlich, so wie es gespielt worden ist, noch bis ins 16., 15. Jahrhundert zurück unverfälscht erhalten geblieben ist, und zwar aus folgendem Grunde.
Diese Spiele, um die es sich hier handelt, sind wohl gespielt worden im Elsaß> durch den Süden von Baden und Württemberg hindurch, wo`hl auch bis nach Bayern hinein. Sie werden es aus einer Anspielung in einem der Spiele in den nächsten Tagen ersehen, wie hingewiesen wird auf äen Rhein. Sie wurden in den Gegenden nördlich vom Rhein - von der Schweiz aus gesehen - gespielt. Dann wanderten Stämme, unter denen diese Weihnachtspiele gespielt wurden, nach dem Osten hin aus, nach Ungarn. Man kann zunächst fragen: Warum wanderten im 15., 16. Jahrhundert deutsche Stämme nach Osten hinüber, nach Ungarn? Es wanderten ja solche Stämme aus in die Gegend von Preßburg, das heute in der Tschechoslowakei liegt, von der Donau abwärts über Preßburg nach den Zipser Gegenden, südwärts von den Karpaten, nach Siebenbürgen, nach dem Banat, der Gegend zwischen der südlichen Donau und der Theiß. Dahin wanderten diese schwäbischen Stämme aus. Und unter diesen Stämmen, die auswanderten, waren am charakteristischsten die Haidbauern. Und eben diese Leute sind in jener Gegend in Oberufer, etwas stromabwärts an der Donau, ansässig geworden und brachten sich aus ihrer ursprünglichen Heimat diese Weihnachtspiele mit, erhielten sie nun unverfälscht und spielten sie in der dortigen deutschen Kolonie von Jahr zu Jahr. Sie wurden
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als ein teures Gut in gewissen Familien aufbewahrt und so behandelt, wie sie vor Jahrhunderten waren. Da hat sie mein guter Freund und Lehrer, Karl Julius Schröer, kennengelernt, dort in Oberufer; es hatte sich noch keine Intelligenz, kein Verbesserer hineingemischt. Diese Spiele wurden in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts so aufgeschrieben, wie die Bauern, welche sie gespielt haben, sie Karl Julius Schröer diktieren konnten aus ihrem Gedächtnisse heraus, als er dahin kam. Er war ja in Preßburg Lyzeumsprofessor. Als er dahin kam, wo die Spiele gespielt wurden von den Haidbauern draußen in den Dörfern, da ging er zunächst - nicht wahr, man ist ja auch höflich - zu der Intelligenz des Dorfes, zum Beispiel zu dem Schulmeister, der zugleich Dorfnotär war. Der sagte: Das ist dummes Zeug, es ist gar nicht einmal der Mühe wert, daß man sich damit beschäftigt! - Dort hatte sich natürlich die Intelligenz nicht darum gekümmert, glücklicherweise hat sich die Intelligenz nicht darum gekümmert gehabt. So konnten sie noch die Spiele aufführen, wie sie von den Bauern hinterlassen worden waren. Das war ein besonderes Glück, denn dadurch sind sie in diesen Gegenden so erhalten geblieben, wie sie waren. Man kann höchstens noch die Frage aufwerfen: Wie kamen denn die Leute dazu, dort in dieser Gegend dieses teure Erbgut aufzubewahren? - Dann muß man sagen: Vorangegangen sind den heutigen Ausgewanderten die aus der Tschechoslowakei nach den ungarischen Gebieten ausgewanderten Mährischen Brüder. Und diese Mährischen Brüder mit ihrem intimen, christlichen tiefen Leben, das in so schöner Weise das Bruderschaftsprinzip zum Ausdrucke gebracht hat, waren schon dort, als dann die anderen Stämme, die ich jetzt meine, die Haidbauern und so weiter den Drang verspürten, auch hinüberzuwandern nach dem Osten. Es ist nicht irgendein besonderer wirtschaftlicher Beweggrund oder dergleichen gewesen, sondern es war tatsächlich ein idealer Grund für jene Menschen, als sie nachzogen dem schönen, intimen christlichen Bruderschaftsleben der Mährischen Brüder, die schon da hinübergewandert waren. Noch vor dem Auftreten des Luthertums haben diese aus dem eigentlich noch menschlichen Gemüte Mitteleuropas eine ideale christliche Atmosphäre hinübergetragen, die nicht die Schäden des in den westlichen Ländern vorhandenen Katholizismus mit sich nahm,
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aber auch nicht die Schäden des Protestantismus enthielt, sondern die wirklich echtes, wahres Christentum war, aus brüderlicher Menschheitsgesinnung heraus geboren. Das wanderte hin-über. Und angezogen von der idealen Gesinnung wanderten dann andere deutsche Stämme in die Gegenden hin, die von den Mährischen Brüdern besiedelt und mit dem Christentum durchtränkt worden waren und nahmen dahin das Teuerste mit, was sie hatten: diese christlichen Weihnachtspiele.
Diese Weihnachtspiele blieben in der ursprünglichen Gestalt da- durch, daß sie getrennt waren von dem Mutterlande, daß nicht über sie kommen konnte die spätere Intelligenz. Und in dieser ursprünglichen Gestalt hat sie mein alter Lehrer und Freund, Karl Julius Schröer, in Oberufer, das eine halbe Eisenbahnstunde von Preßburg entfernt ist, wo er dazumal Professor am Lyzeum war, gefunden und aufgeschrieben, so wie sie die Bauern ihm vorgesprochen haben. - Sie haben sie immer eingelernt gegen die Weihnachtszeit hin. So ließ er sie sich vor- sprechen und so sind sie uns ganz unverfälscht erhalten geblieben; so sind sie noch aufgeführt worden bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein. Heute wären sie ohne ihn verschwunden.
Karl Julius Schröer hat die Dinge, so wie sie gerade da unten üblich waren, erhalten. Ich habe viel im Beginne der achtziger Jahre über diese Dinge mit ihm sprechen können. Er war voll von Erinnerungen an die Aufführungen, die er dort gesehen hat, und so sind mir diese Spiele auch ans Herz gewachsen. Daher möchten wir sie unter unseren Gemeinschaften so aufführen - mit einigen Variationen, denn genau so, wie es in den Wirtshäusern aufgeführt wurde, können wir es hier nicht tun, auch manches andere, was dort ausgeführt worden ist, können wir hier nicht ausführen -, aber so echt diese Dinge nur dargestellt werden können, möchten wir Ihnen diese schönen Stücke echten Volkstums vorführen. Zum Beispiel hatte dort der Teufel vor der Aufführung ein Kuhhorn, und da rannte er im ganzen Dorfe herum und blies mit diesem Kuhhorn hinein in jedes Fenster und forderte die Leute auf, zum Spiel zu kommen: das sei Christenpflicht eines jeden zum Advent. - Nun, Sie können sich schon denken: das können wir hier nicht ausführen. Wir würden schön ankommen, wenn wir den Leuten sagen würden: das sei Christenpflicht zum Advent! - Außerdem mußte der
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Teufel auf jeden Wagen, der vorbeifuhr, hinaufsteigen, machte Unruhe, polterte herum und so weiter. Auch das und manches andere müssen wir hier bleiben lassen. Aber all dasjenige, was möglich sein kann, soll eben in voller, echter Wahrheit vorgeführt werden.
Ich will jetzt die Aufführung nicht länger aufhalten, doch wollte ich dasjenige, was zu sagen ist über die Art und Weise, wie die Aufführungen üblich waren und wie die Weihnachtspiele unter den Bauern einstudiert wurden, in einigen einleitenden Worten kurz mitteilen.
XIV Dornach, 25. Dezember 1923
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Dornach, 25. Dezember 1923
während der Gründungsversammlungen
der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft
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Ich habe mir gestern erlaubt, einiges über die historische Herkunft der Spiele zu sagen, die wir Ihnen hier während dieser Weihnachtstagung aufführen. Heute möchte ich nur noch etwas hinzufügen über die Art und Weise, wie diese Spiele in den ungarischen deutschen Kolonien aufgeführt worden sind in der Zeit, als sie Ende der vierziger Jahre, Anfang der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Karl Julius Schröer dort gefunden hat. Die Spiele waren handschriftlich das Besitztum der gewissermaßen angesehensten Familien im Dorfe. Und sie wurden gespielt von dem Dorfe aus, in dem sie vorhanden waren, in den Nachbardörfern im Umkreise von zwei bis drei Stunden. Wenn im Herbste die Weinlese vorüber war, also etwa Mitte oder Ende Oktober, dann kamen - nicht jedes Jahr, aber wenn es, ich möchte sagen, gerade das Schicksal ergab - die Bauernhonoratioren des Dorfes zusammen und besprachen sich. Der Schullehrer, der zu gleicher Zeit Notar war, war nicht dabei; er hielt sich zur Intelligenz, und die Intelligenz verachtete diese Spiele. Aber die Bauern, nachdem ein paar
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Jahre aus irgendwelchen Gründen die Spiele wiederum nicht gespielt wurden, sagten dann: Na, unseren jungen Burschen könnte es auch nichts schaden, wenn sie wiederum was besseres zu tun hätten zur heiligen Weihnachtszeit! - Und dann wurde beratschlagt, ob richtige Burschen dazu da sind, die man brauchen kann zum Spielen. Eine Liste wurde zusammengestellt. Dann aber, wenn man die Burschen gefragt hat, ob sie spielen wollen, und wenn sie nun ausersehen waren zu spielen, stellte man einzelne strenge Bedingungen.
Es will viel heißen für diese Gegenden, daß die Burschen - denken Sie, die ganze Zeit von Oktober bis zu Weihnachten hin und Heilige Dreikönige - sich nicht betrinken durften, nicht zu dem Dirndl gehen durften und was wir hier schon gar nicht durchführen können, absoluten Gehorsam leisten mußten dem, der die Sache mit ihnen ein- studierte. Nun, wenn wir so etwas verlangen würden wie das letzte, dann würden uns die Mitspielenden schön auf den Kopf kommen!
So wurden denn durch Wochen hindurch mit außerordentlichem Fleiß diese Übungen gemacht, in denen die Spiele einstudiert wurden. Aber noch etwas gab es, was wir nicht durchführen können. Derjenige, welcher etwas vergessen hatte oder etwas schlecht machte, mußte; einen halben Kreuzer Strafe zahlen. Nun, das können wir auch nicht durchführen, Strafen können wir nicht verhängen fürs Vergessen! Und so wurden dann in strengster Weise diese Übungen gemacht bis zum ersten Adventsonntag. Denn am Adventsonntag fing man schon an, das Paradeis-Spiel, das Sie gestern gesehen haben, zu spielen. Zu Weihnachten gab es das Christ-Geburt-Spiel und gegen den 6. Januar dann das Spiel, das in den nächsten Tagen noch hier zu sehen sein wird.
Die Anordnung des Spieles - ich habe ja schon gestern einiges davon erwähnt - war so, daß die Burschen sich versammelten und sich anzogen im Hause des Lehrmeisters, und von da aus dann in das Wirtshaus gingen, in dem die Aufführung stattfand. Aber der Teufel, der wurde schon früher weggeschickt. Sie haben ihn ja gestern auch gesehen. Er war mit einem Kuhhorn ausgestattet und tat etwas, was wir wiederum nicht nachmachen können, denn er tutete zu jedem Fenster hinein. Vielleicht würde das gerade unserem Dorf unten auch Spaß machen, aber wir wollen es zunächst nicht probieren. Dann aber sprang
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er auch auf jedes Fuhrwerk hinauf und trieb so sein Unwesen. Dann gesellte er sich zu der ganzen Kumpanei, wie man es nannte. Dort wurde es so aufgeführt: in der Mitte des Wirtshaussaales war die Bühne, und an den Wänden standen die Bänke für die Zuschauer. Die Einstudierung schilderte mir Karl Julius Schröer, mein alter Freund und Lehrer, sehr genau; er hat ja diese Spiele niedergeschrieben nach der Art, wie er sie gehört hat von den Bauern selber, sie dann korrigiert nach dem Manuskript. Es sind immerhin Fehler unterlaufen. Und ich muß schon sagen, erst im Laufe der Jahre komme ich auf so manches, was eigentlich ursprünglicher Text dieser Spiele war. So zum Beispiel konnten wir wirklich die verflossenen Jahre niemals zurechtkommen mit den ersten zwei Zeilen, welche der Herrgott spricht im ParadeisSpiel. Da steht bei Schröer: Adam, nimm an den lebendigen Atem, den du empfangest mit dem Tahen (Tag). Es reimt sich weder, noch hat es einen Sinn. Erst in diesem Jahre wurde mir ganz klar, es stimmt ab- solut:
Adam, nimm an den lebendigen Atem,
Den du empfangest mit dem datem...
mit dem Datum. Das ist absolut volkstümlich, also an diesem Tage. Das ist durchaus dasjenige, was da gestanden hat. Ich habe es daher wirklich schmerzlich empfunden, als schon vor einigen Jahren mit einer ungeheuren Schlampigkeit und Nachlässigkeit diese Spiele nachgedruckt wurden. Mir ist oftmals diese Zumutung gestellt worden, daß ich diese Spiele wieder erscheinen lassen soll; ich wollte es nicht tun, ohne eben erst diese Spiele redigiert zu haben. Aber es wurden solche Drucke mit großer Nachlässigkeit gemacht, und daher ist in den Drucken, die jetzt verbreitet sind, überall zeilenweise solcher Unsinn zu sehen.
Natürlich haben wir hier andere Mittel zur Verfügung. Wir spielen nicht in einem Wirtshause, können auch nicht die Anspruchslosigkeit entfalten, wie sie dort war, aber trotzdem: im Grundcharakter möchten wir diese Spiele so geben, wie sie eigentlich unter den Bauern bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts herein ursprünglich aufgeführt worden sind. Sie lernen da Spiele kennen, in denen Sie erstens wirklich
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die Grundgebräuche der Leute von dazumal ersehen können. In diesen Begrüßungen, wie sie vorhanden sind vor diesem Christ-Geburt-Spiel zum Beispiel, liegt etwas, was in schöner Weise den Kontakt herstellte zwischen den Spielern und dem damaligen Publikum. Es fühlte sich jeder eigentlich mit zur Sache gehörig, der dazumal erschien gerade durch diese Begrüßungen, die eigentlich etwas wunderbares sind. Daher habe ich nachgeforscht, ob es nicht auch vor dem Paradeis-Spiel eine solche Begrüßung gegeben hat, und Sie konnten wirklich, ohne daß das historische Dokument vorliegt, rein aus dem Geiste der Überlieferung eine solche Begrüßung vorgespielt bekommen im vorigen Jahr auch für das Paradeis-Spiel.
Sie werden ferner sehen, daß in diesen Spielen wirklich innerste Frömmigkeit waltet, aufrichtige, ehrliche Frömmigkeit, immer mit einer gewissen Derbheit zusammen waltet. Und damit ist gerade etwas im Grundcharakter der damaligen christlichen Frömmigkeit gegeben. Die war ohne Sentimentalität durch und durch absolut ehrlich. Der Bauer konnte nicht sentimental werden, er konnte nicht ein langes Gesicht machen; er mußte auch lachen, selbst bei dem Frömmsten. Und das tritt uns bei diesen Spielen in einer so schönen Weise entgegen. Manche Ausdrücke werden dadrinnen als in der Sprache unbekannt auffallen, zum Beispiel wird mancher bei «Kletzen gefressen» nichtwissen, was das bedeutet. Das sind nämlich getrocknete Birnen und Pflaumen, die insbesondere in diesen Gegenden zur Weihnachtszeit als solche Kletzen gegessen werden. Es wurden die Birnen getrocknet, dann in Spalten geschnitten, Pflaumen wurden getrocknet, und das bildete dann die Kletzen. Aber insbesondere wurden diese getrockneten Früchte in das Brot hinein verbacken, und im Brote drinnen wurden diese kleinen Stückchen von den Kletzen mit besonderem Appetit genossen. Das war zu Weihnachten in diesen Gegenden etwas ganz besonders Gutes, das Kletzenbrot. Daher haben Sie gehört im Paradeis-Spiel:
Hätten Adam und Eva Kletzen gfress`n,
's wär ihna tausendmal nützer gwes>n -
als wenn sie den Apfel im Paradies gegessen hätten! Gerade in solchen Dingen, die so ganz aus dem Volkstum heraus sind, kann man sehen,
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wie echt diese Spiele sich erhalten haben. Nun, wir möchten tatsächlich dasjenige, was sich da aus dem alten Volkstum erhalten hat als ein Stück mittelalterliche Geschichte, die aber in die Gegenwart hereinragt, vor Sie hinstellen.
Ich darf vielleicht noch auf unser Plakat aufmerksam machen, das allerdings mehr noch als zu dem Hirten-Spiel zu dem Dreikönig-Spiel paßt, aber es ist von uns auch heute schon verwendet worden. Wir wollten aus der farbigen Stimmung heraus dasjenige gestalten, was gerade diese Weihnachtspiele in der Gegenwart noch sein können.
Anläßlich der Weihnachtstagung 1923/24 wurden am 24. und am 25. Dezember infolge des großen Andranges sowohl das Paradeis-Spiel als auch das Christ-Geburt- Spiel um 4.30 Uhr und um 6 Uhr aufgeführt. Beide Ansprachen entsprechen sich fast wörtlich, so daß nur die erste Einführung hier zum Abdruck gelangt.
XV Dornach, 27. Dezember 1923
#G274-1986-SE089 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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Dornach, 27. Dezember 1923
während der Weihnachtstagung
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Heute werden wir uns erlauben, Ihnen das dritte der volkstümlichen Spiele vorzuführen, die um die Weihnachtszeit im älteren Volkstum in den Gegenden, von denen ich schon gesprochen habe> überall aufgeführt wurden.
Das erste Spiel war das Paradeis-Spiel, das immer begonnen wurde zu spielen am ersten Adventssonntag, dann durch die Adventszeit hin- durch gespielt worden ist. Das zweite war dann das eigentliche Weihnacht-Spiel, das ungefähr vom letzten Adventssonntag bis Ende Januar gespielt wurde. Dann um die Zeit des Heiligen Dreikönigs-Festes wurde dieses dritte Spiel aufgeführt. Über die Geschichte dieser Spiele habe ich ja schon gesprochen. Ebenso habe ich mir erlaubt, einiges anzuführen über die Art und Weise, wie gespielt wurde. Aus welchem
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Geiste heraus dies geschehen möchte, will ich nur in wenigen Worten noch darstellen, gerade mit Bezug auf dieses Dreikönig- oder HerodesSpiel.
Auch bei ihm wird man sehen, wie beschauliche Frömmigkeit, in diesem Falle sogar außerordentlich feierliche Frömmigkeit, vereinbar ist mit einer gewissen Derbheit. Das ist überhaupt der Grundcharakter dieser Spiele und das ist um so interessanter, als eigentlich ein radikaler Unterschied ist zwischen dem Weihnacht-Spiel, das wir vorgestern auch vorgeführt haben, und diesem Dreikönig-Spiel Es ist auf eine unbegreifliche Weise geschehen, daß mein lieber alter Freund und Lehrer,
Karl Julius Schröer> diese zwei Spiele - das Weihnacht-Spiel und das Dreikönig-Spiel - durcheinander gedruckt hat. Ich gebe zu, daß vielleicht schon durch eine ungenaue Überlieferung manches Ineinander- schieben der beiden Stücke irgendwie sich vollzogen hat. Aber ursprünglich sind die beiden Spiele - das eigentliche Weihnacht-Spiel und das Dreikönig-Spiel - durchaus auch ihrem Ursprunge nach ganz voneinander verschieden.
Von diesem Dreikönig-Spiel habe ich selbst noch einiges, was auf die Art und Weise hinweist, wie es aufgenommen wurde da, wo es sich zeigte, gesehen. Die anderen Spiele, sie habe ich viel besprochen mit dem Auffinder derselben, mit Karl Julius Schröer, im Anfange der achtziger Jahre, und sie sind mir dadurch ganz gegenwärtig geworden. Immer mehr und mehr hat sich das dann ergeben, wie es mit diesen Spielen war. Aber von diesem Herodes-Spiel konnte man eigentlich in allen Gegenden Deutsch-Usterreichs um die Neujahrszeit bis zur Dreikönig-Zeit und darüber hinaus einfach die Leute sehen, wie sie als Drei Könige - auf die war die Sache reduziert -, Kaspar, Melchior und Balthasar, wie sie als diese Drei Könige mit dem Stern herumzogen und ganz ähnliche Lieder sangen, wie sie hier vorkommen.
Nun mache ich Sie darauf aufmerksam, daß die Struktur dieser Spiele eigentlich an allerälteste Dramatik erinnert. Wir haben überall darinnen die gemeinsamen Chöre, wie man sie im Volkstümlichen nannte: die Kumpaneigesänge, die eigentlich dasselbe darstellen - nur eben in spätvolkstümlicher Weise -, was der griechische Chor darstellt. Und dann haben wir herausgewachsen aus diesen Gesängen, die auch
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für sich durchaus aufgeführt würden, das eigentlich Dramatisch-Dialogische und so weiter.
Nun, wenn ich von einem radikalen Unterschied der beiden Stücke sprach, so ist dieser nicht nur im Grundcharakter zu erkennen, sondern auch im Ursprung. Alles dasjenige, was Stil des Weihnacht-Spieles, des Christ-Geburt-Spieles ist, weist überall darauf hin, daß die eigentliche Pflege dieser Christ-Geburt-Spiele und wohl auch des Paradeis-Spieles von den Brüdergemeinden ausging und vor dem 16. Jahrhundert viel zahlreicher in Europa lebte, als man heute denkt. Überall waren solch christliche Brüdergemeinschaften, die insbesondere dasjenige auch in diesen dramatischen Darstellungen gepflegt hatten, was sich an den Grundstil des Lukas-Evangeliums anlehnt. Sie werden sozusagen den Grundton des Lukas-Evangeliums im Weihnacht-Spiel finden. Dagegen dieses Dreikönig-Spiel, welche Sie heute sehen, ist von den Kirchen ausgegangen, von den Kirchenleuten, allerdings von solchen Kirchenleuten, die mit ihrer Seele ganz im Volkstum darinnensteckten. Und gerade dieses Dreikönig-Spiel ist urkatholisch, währenddem das Christ-Geburt-Spiel herrührt von, ich möchte sagen, den Vorläufern des Protestantismus.
Da, wo diese Spiele in Deutsch-Ungarn aufgeführt worden sind, waren Katholiken, Protestanten und alles durcheinander; da nahm man sie ganz interkonfessionell. Aber dem Ursprunge nach sind die eigentlichen Weihnachtspiele aus den Brüdergemeinschaften hervorgegangen, in denen es auch wunderschöne Bibelübersetzungen in einem ganz prachtvollen Deutsch gegeben hat. Es würde mir einmal Freude machen, sogar einige Stücke dieser älteren deutschen, wirklich wunderschönen Bibelübersetzungen vorzuführen, denn sie zeigen ganz deutlich, was es für eine Geschichtslegende ist, für eine unglaubliche Geschichtslegende, wenn überall tradiert ist, Luther habe zum ersten Mal die Bibel ins Deutsche übersetzt und die Sprache dazu erfunden, was gar nicht wahr ist, weil die älteren Übersetzungen, die man nur nicht kennt, viel schöner und viel eindringlicher sind, sogar den ursprünglichen Text viel besser treffen als die lutherische Übersetzung. Aus diesen Brüdergemeinden sind also ursprünglich auch diese Spiele hervorgegangen. Dagegen dieses Dreikönig-Spiel trägt deutlich den katholischen
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Charakter an sich, ist von Klerikern des Mittelalters herstammend, welche sich im Volkstum eingelebt hatten, und die durchaus auch das Interesse der Kirche mit fördern wollten.
Es trägt dagegen das Weihnacht-Spiel vor allem den Charakter des Anmutigen, während dieses Herodes-Spiel zum Teil den Charakter des Suggestiven trägt. Ich möchte sagen, es würde beim WeihnachtSpiel ganz entschieden stören, wenn man Weihrauch dabei hätte; das würde nicht volkstümlich sein. Dagegen würde es bei diesem Dreikönig-Spiel, das durch die Kleriker dargestellt wurde - Sie werden es verspüren -, gar nichts machen, wenn irgendwie auch Weihrauchgeruch bemerkbar würde, denn es ist außerordentlich viel Suggestives darin, das bei der Darstellung herausgeholt werden soll. Aber natürlich wußte die Kirche der früheren Zeit auch sehr, wi`e sie volkstümlich wirken kann. Daher ist auch da durchaus echtes Volkstum, schöne, wahre, volle Feierlichkeit verbunden mit volkstümlich Derbem, und vor allen Dingen etwas außerordentlich Tiefes, dem Volke zum Herzen Sprechendes. Man darf daher auch dieses Dreikönig-Spiel, Herodes-Spiel schon als ein schönes Stück mittelalterlicher Geschichte ansehen, welches heraufgekommen ist bis ins 19. Jahrhundert herein am reinsten und unverfälschtesten in jenen Gegenden, wo die deutschen Kolonisten unter fremden Völkerschaften waren, wo sich nichts von der sogenannten Intelligenz und neueren Verbesserung von seiten des Klerus hineingemischt hat, so daß man also im Weihnacht-Spiel wie im Herodes-Spiel etwas hat, was im volkstümlich-künstlerischen dramatischen Stil, wie auch in dem Stil der volkstümlichen Frömmigkeit durchaus aus der vorreformatorischen Zeit stammt und die Geschichte des Christentums in Mitteleuropa, die Geschichte aus der vorreformatorischen Zeit, sehr schön vor uns wiedererstehen läßt.
Und damit das geschehen könne, was im Grunde ein Interesse vieler Menschenherzen sein muß, möchten wir diese Weihnachtspiele vor Ihnen aufführen.
XVI Dornach, 29. Dezember 1923
#G274-1986-SE093 - Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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Dornach, 29. Dezember 1923
während der Weihnachtstagung
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Ich habe Ihnen gewissermaßen die Geschichte dieser Weihnachtspiele geschildert gelegentlich der Aufführung des Paradeis-Spieles, so daß ich heute nur von der Art sprechen möchte, wie in jenen deutsch-ungarischen Kolonien, in denen Karl Julius Schröer diese Stücke gefunden hat, eigentlich diese Aufführung ins Werk gesetzt worden ist. Ich wiederhole also nur kurz, daß diese Weihnachtspiele, schon Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts aus ihrer mitteleuropäischen Heimat nach dem Osten gewanderten Stücke, bis ins 19. Jahrhundert herein in den verschiedensten Gegenden Ungarns aufgeführt worden sind. Karl Julius Schröer hat sie später in der Nähe von Preßburg, in der Oberuferer Gegend in der Familie Malatitsch gefunden. Die Aufführung dieser, als ein teures Erbgut angesehenen Stücke, welche sich in einer Familie immer fortsetzten, wurde gewöhnlich schon nach der Weinlese, also Mitte, Ende Oktober, beraten, ob die Spiele aufgeführt werden sollen. Schon aus dem Grunde war dies nötig, weil nicht jedes Jahr die nötige Stimmung bei den Leuten da war, durch das oder jenes, auch besonders weil nicht immer die nötigen Aufführer da waren. Aber zu gewissen Zeiten, nach der Weinlese, fanden sich doch die Leute zusammen an ihrem Stammtisch und sagten: Jetzt hätten unsere Burschen doch wieder einen gewissen neuen Aufputz für ihre Frömmigkeit nötig, und wir könnten dieses Jahr wiederum diese Spiele aufführen. - Und wenn sich der, welcher in der Familie diese Spiele bewahrte, dazu bereit erklärte, sah man sich um, welche Burschen im Dorf geeignet wären, um in dem betreffenden Jahre die Aufführungen zu machen.
Diese Spiele wurden nun in einer recht strengen Weise einstudiert. Denn, sehen Sie, die ganze Aufführung wurde als etwas angesehen, das mit dem innigsten religiösen Leben, mit der innigsten Frömmigkeit der Leute in jenen Gegenden zusammenhing. Und so gab es für diejenigen,
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die mitspielen sollten, während der Vorbereitungszeit strenge Verordnungen. Sie durften zum Beispiel in dieser Zeit sich nicht betrinken, was sehr viel heißen will in diesen Gegenden; sie durften nicht zum Dirndl gehen; sie durften viele andere Dinge nicht machen, welche sie sonst gerne machten. Das Ganze wurde überhaupt als etwas angesehen, was einer feierlichen Zeit angehört, und als etwas, dem man feierliche Stimmung entgegenbringen muß. Es verging zum Beispiel in gewissen Jahreszeiten kein Sonntag, ohne daß in diesen Dörfern der Haidbauern, oder wo die Dinge aufgeführt wurden, nicht Musik in den Wirtshäusern gewesen wäre. Nun kamen einmal diese Leute, welche die Volksspiele spielten, in ein Dorf, wo am Advent ihnen zu Ehren, als sie kamen, eine nicht schlimme Musik aufgeführt wurde. Da sagten sie, ob man glaube, daß sie Komödianten seien, daß man ihnen zu Ehren Musik mache! Also alle Lustbarkeit mußte überhaupt schweigen zu dieser Zeit, während der gespielt wurde. Es waren auch noch andere strenge Vorschriften, die wir durchaus nicht nachmachen können. Zum Beispiel derjenige, welcher mitspielte, mußte strengen Gehorsam dem Lehrmeister leisten. Das können wir natürlich nicht nachmachen. Außerdem, wenn irgend etwas, eine Attitüde, die einstudiert war, vergessen wurde, mußte man Strafe bezahlen. Auch das können wir natürlich hier nicht nachmachen. Das Entrée war zwei Kreuzer, Kinder zahlten die Hälfte. Zwei Kreuzer, das sind vier Centimes. Das konnen wir auch nicht nachmachen. Wir können auch nicht nachmachen, daß zu den Spielen in der Form eingeladen wurde, daß der Teufel eine halbe Stunde oder eine Stunde vorher, bevor die Aufführung begann, im Dorf herumlief mit seinem Schwanz - denken Sie! - und mit einem Kuhhorn nun überall da in die Fenster hinein-tutete und den Leuten erklärte, sie müßten kommen, das gehörte sich so. Dann sprang er auch auf Fuhrwerke hinauf und trieb so seinen Unfug. Wir könnten es ja einmal probieren, vielleicht könnten sich die Sympathien für uns nicht vermindern, sondern sogar etwas vergrößern. Aber bis jetzt haben wir immer noch geglaubt, solche Dinge müßten wir eigentlich weglassen.
So wurde also dieses einstudiert. Und wenn dann die Adventszeit herankam, wurde das Paradeis-Spiel gegeben, wie wir es hier vor einigen
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Tagen gegeben haben, zur Zeit der Weihnacht das Christ-Geburt-Spiel und zur Zeit des Heiligen Dreikönig-Festes das Herodesoder Dreikönig-Spiel, welches Sie noch sehen werden oder schon gesehen haben.
Wir können es diesen Stücken in der äußerlichen Struktur ansehen, wie geartet diese besondere bäuerliche Frömmigkeit war, die sich da so wundersam noch erhalten hat. Diese Frömmigkeit trägt ihre ehrliche, ihre innere Wahrheit dadurch zur Schau, daß sie alle Sentimentalität vermeidet und dafür eine ganze selbstverständliche Derbheit hat. Dieses derbe Wesen, dieses Sich-Ergehen in derben Späßen, ist etwas, was überhaupt den Volksspielen, trotzdem diese Leute volle, ehrliche Frömmigkeit hatten, durchaus eignete. Das ist das besonders Charakteristische. Sie werden daher auch hier Szenen von großer Feierlichkeit sehen und solche Szenen, welche massive Derbheit des Bauerntums, des Volkstums zur Schau bringen.
An solch einer Bemerkung, wie sie der Vorsinger, der Anführer der Singer, macht, wo hingewiesen wird, daß der Rhein da in der Nähe ist, sehen Sie eben, daß die Dinge aus der Gegend nördlich vom Rhein hier nach dem Osten hinübergewandert sind, und sie haben wirklich durchaus auch sich die Sprache erhalten. Es hat Karl Julius Schröer die Dinge nach dem Gehör aufgezeichnet, von seiten derjenigen, welche diese Stücke dazumal in den vierziger, fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auswendig gekannt haben und sie öfter aufgeführt hatten. Dabei sind mancherlei Fehler unterlaufen. Und diese Fehler, die da in dem Schröerschen Druck unterlaufen sind, haben es mir unmöglich gemacht, daß ich der Anforderung nachgekommen wäre, einen Text dieser Spiele neu drucken zu lassen, denn man müßte sich wahrhaftig viele Wochen damit beschäftigen, die ursprüngliche Fassung, die echte, ehrliche Fassung wieder herzustellen. Man kann natürlich nicht sein Einverständnis damit geben, einen schlampigen Text herzustellen. Sehen Sie, man kommt auf manches erst nach sehr, sehr langer Zeit. Der gedruckte Text war durchaus korrumpiert, zum Beispiel muß er an dieser Stelle heißen:
Adam, nimm an den lebendigen atem,
Den du empfangest mit dem datem...
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nämlich: mit diesem Datum. Das ist: von diesem Tage an bekommst du den lebendigen Atem.
Man muß, wenn man diese Dinge heute auf die Bühne bringen will, die Gewissenhaftigkeit haben, sich solche Texte herzustellen. Und so werden wir uns bemühen, meine lieben Freunde, Ihnen, trotzdem wir uns moderner Mittel bedienen müssen, ein Bild von der Art und Weise zu geben, wie solche Dinge ursprünglich gespielt worden sind, wie im Volkstum gesucht worden ist echte Frömmigkeit. Ich werde manches noch ausführen bei der nächsten Aufführung des Herodes-Spiels. Es ist hervorgegangen auch wiederum aus einem künstlerischen Elemente, das sich gerade in Mitteleuropa ergeben hat wie eine volkstümliche Vorführung uralter dramatischer Kunst.
Sie werden sehen, wie da Chöre sind, und aus den Chören der Dialog und das andere Dramatische herauswächst in einer wunderschönen Weise. Es ist wirklich so, wenn man dieses Primitive mit den griechischen Tragödien vergleicht, so sieht man, wie da in diesen volkstümlichen Gegenden eine sehr schöne Fortsetzung ist. Und der Kontakt, der da ist mit dem ganzen Publikum, daß man eigentlich sich als Mitspielender mit dem Publikum als eins fühlt, tritt insbesondere in dieser Begrüßung von allem zutage, was in dem Saal und außer dem Saale ist, was auf der Erde und außer der Erde ist. Das brachte etwas zutage, etwas zu fühlen von Heimischsein. Das ist dasjenige, was diesen Spielen den besonderen künstlerischen Reiz gibt.
Wir möchten uns damit eben bemühen, Ihnen in lebendiger Art ein Stückchen Geschichte, das im Grunde genommen draußen, außer unseren Kreisen schon zum größten Teil verlorengegangen ist, vorzuführen.
XVII Dornach, 31. Dezember1923
#G274-1986-SE097 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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XVII
Dornach, 31. Dezember1923
während der Weihnachtstagung
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Wir werden uns nun erlauben, Ihnen das Dreikönig- oder HerodesSpiel vorzuführen. Wir haben in den vergangenen Tagen uns gestattet, das Paradeis-Spiel und das Christ-Geburt-Spiel vor Sie hinzu-tragen, und heute bringen wir Ihnen das Dreikönig-Spiel. Über die Geschichte, das heißt über den Ursprung der Spiele, habe ich bereits gesprochen, ebenso über die Art der Einstudierung. Ich will heute nur noch bemerken, daß das Paradeis-Spiel in der Regel in der Art gespielt wurde, wie ich Ihnen das beschrieben habe, in der Adventszeit, das Christ-Geburt-Spiel in der eigentlichen Weihnachtszeit und dieses Dreikönig-Spiel um die Zeit des Dreikönigfestes, am 6. Januar, um diesen Tag herum. Man kann deutlich wahrnehmen, wie der Stil der beiden Spiele, des Weihnacht-Spiels und auch des Paradeis-Spiels und dieses Dreikönig-Spiels voneinander verschieden sind. Bei dem Weihnacht-Spiel sieht man ganz genau, daß man es mit etwas zu tun hat, das aus dem unmittelbaren Volksgemüt ist. Man muß sich etwa das Folgende vorstellen.
Es gab ja, namentlich vor der Reformation auch in Mitteleuropa, nach der Reformation aber in den verschiedenen deutschen Kolonien, von denen eine diejenige von Oberufer ist, aus der diese Spiele stammen, überall die Brüdergemeinde, welche ein christliches Gemeinschaftsleben zu ihrer Aufgabe hatte, die fortleben wollte die religiöse Stimmung, die im Lukas-Evangelium gegeben ist. Und solche Brüder-gemeinden waren sehr ausgedehnt. Es war eine Art von Gemeinschaftsleben, welches die religiöse Erbauung in den gemeinsamen Empfindungen derjenigen suchte, die sich zu einer solchen Brüdergemeinde zusammenfanden. In diesen Kreisen sind dann Spiele entstanden wie dieses Weihnacht-Spiel, das Christ-Geburt-Spiel. Dagegen ist dieses Spiel, welches wir heute sehen werden, nur, wie ich glaube, durch ein unbegreifliches Mißverständnis meines alten Freundes und Lehrers,
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Karl Julius Schröer, zusammengekoppelt mit dem Weihnacht-Spiel, mit dem es dem Stil nach gar nicht stimmt. Es ist dieses Dreikönig-Spiel aus dem Klerus hervorgegangen, der sich die Aufgabe gestellt hat, dem Volke etwas zu geben. Man kann es überall dem Spiel ansehen, daß das aus der Inspiration des Klerus stammt, allerdings solcher Kleriker, welche sich intim mit dem Volkstum befaßt haben, welche sich ganz in das Volkstum eingelebt hatten, und welche die Interessen der Kirche durch solche Spiele im Volkstum haben vertreten wollen.
Daher ist eine gewisse primitive Art in dem Christ-Geburt-Spiel zu bemerken, echte Frömmigkeit mit bäuerlicher Derbheit in Ehrlichkeit zu einem religiös-volkstümlichen Stil verbunden. Dagegen finden wir in diesem Spiel, welches heute vor unsere Seele tritt, Feierlichkeit. Feierlichkeit hervorgegangen aus dem Interesse der Kirche. Eine gründlich suggestive Gewalt ist gerade in diesem Dreikönig-Spiel sowohl in bezug auf die Komposition, die außerordentlich dramatisch geführt ist, wie auch in bezug auf das einzelne, das wir darinnen bemerken.
Das Paradeis-Spiel, das Christ-Geburt-Spiel traten immer vor mich hin im Gespräche mit Karl Julius Schröer, am Ausgang der achtziger Jahre. Er hatte die Dinge selber bei den Bauern aufführen sehen, wußte außerordentlich anschaulich von ihnen zu erzählen, und es konnte damals schon in mir eine deutliche Vorstellung von dem entstehen, was an altem Volkstum gerade in diesen Spielen enthalten ist. Von diesem Dreikönig-Spiel habe ich aber während meiner Knaben-zeit selber noch den Grundstock gesehen. Überall in katholisch christlichen Gegenden sah man von Neujahr gegen den Dreikönigstag hin diese Gruppen überall herumziehen, deren Mittelpunkt gerade die drei Magier, die drei Könige bildeten mit dem Stern. Sie zogen in den Dörfern von Haus zu Haus und führten zusammen die Sache auf; nicht dramatisch. Aber dasjenige, was Sie hier bei uns als Chorgesänge haben, dieses mit einigen dramatischen Dingen, führten sie manchmal vor den Türen auf und in den Häusern, welche sie da besuchten, wenn dazu Platz war. Doch konnte man sehen, daß in diesem Herumziehen der Magier etwas war, was aus der Kirche heraus kam. Und so ist das ganze Dreikönig-Spiel eigentlich aus der Kirche heraus gekommen, und daher hat es in den einzelnen Teilen seine besondere suggestive
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Gewalt. Es ist daher ganz unrichtig, diese zwei Spiele mit dem ganz verschiedenen Stil in eins zusammenzuwerfen und sie als zusammengehörig etwa hintereinander aufzuführen. Das kann nur dadurch geschehen sein, daß vielleicht schon vorher einmal diese Spiele zusammengeworfen worden waren, und Karl Julius Schröer sie dann bei dem Malatitsch so zusammengeworfen gefunden hat. Wer aber die ganze Entwickelung der Spiele verfolgen kann, der weiß, daß diese beiden Dinge durchaus nicht zusammengehören, sondern sogar ganz verschiedenen Ursprung haben.
Man sieht aber wiederum, wenn man den ganzen Komplex dieser Weihnachtspielerei ins Auge faßt, welcher große Wert gelegt worden ist sowohl von der mährischen Brüdergemeinde, die von der heutigen Tschechoslowakei hinübergezogen war nach dem Osten - sie waren ja lange Zeit hindurch die vorzüglichsten Pfleger des Christ-Geburt-Spiels - man kann sehen, was mit dem ganzen Komplex gemeint ist, auf der einen Seite im Volkstum ehrliche echte Frömmigkeit zu pflegen; Prokura, möchte ich sagen, der Kirche von der anderen Seite mit dem Dreikönig-Spiel. Man hat auf diese Weise gesucht, sich die Wege zu bahnen zu den Herzen der Menschen; man hat sie auch gefunden. Und es ist schon so, daß man in recht interessante Gebiete des religiösen Lebens hineinkommt, wenn man das mannigfaltige religiöse Leben vor der Reformation ins Auge faßt. Gewiß, nachher ist dazugekommen, was vielleicht schon von der Reformation beeinflußt ist, aber man sollte historisch wenigstens sich wieder vergegenwärtigen, wie eine ehrliche innerliche Grundstimmung vorhanden war in der Zeit, in der es gegen die Reformation zu ging. Der Klerus mußte da solche Mittel ergreifen, um zu der Volkseele seine Zuflucht zu gewinnen.
Manches von dem, was in der Geschichte heute dargestellt wird, beruht durchaus auf Mißverständnis. Es ist zum Beispiel außerordentlich interessant, Bibelübersetzungen, wenn auch nicht der ganzen Bibel, so doch großer Teile des Alten oder des Neuen Testaments in jener älteren, vorlutherischen Zeit kennenzulernen. Die Sprache ist eine viel ursprünglichere, viel innigere, als diejenige, die dann durch Luther angeblich für die Bibel geschaffen worden ist. Und es ist eigentlich bloß eine historische Legende, wenn immer wieder und wiederum erzählt
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wird, Luther hätte zuerst die Bibel ins Deutsche übersetzt. Es ist sogar nicht einmal die beste Übersetzungskunst durch ihn geübt wor-den, sondern dasjenige, was früher vorhanden war, ist eigentlich besser. Und aus derselben Stimmung, aus der in religiösen Gemeinschaften in der vorreformatorischen Zeit solche Bibelübersetzungen hervorgegangen sind, sind auch solche Spiele hervorgegangen. Wir werden also lebendig in ein Stück alten Volkstums durch diese Spiele versetzt.
Wir müssen das mit modernen Mitteln tun, aber wir versuchen sie in der Art aufzuführen, wie sie damals aufgeführt worden sind. Ich sagte schon einmal: gewisse Dinge können wir nicht wiederholen. Wohl könnte vielleicht einmal der Versuch damit gemacht werden, den Teufel mit dem Kuhhorn in Arlesheim und Dornach herumzuschicken. Zu jedem Fenster würde er hineinzututen haben, müßte den Leuten klarmachen - das ist so gebräuchlich -, daß sie heute zum Weihnacht-spiel kommen sollen! Aber ich weiß nicht, ob wir dadurch beliebter oder noch unbeliebter werden würden.
Manche andere Dinge können wir auch nicht nachmachen. Zum Beispiel wurden diese Spiele ganz nur von Burschen gespielt. Das würde auch bei uns nicht gehen, sie nur von Burschen spielen zu lassen. Dann können wir namentlich dieses nicht wiederholen, daß Strafen bezahlt werden müssen, wenn jemand irgend etwas, das der Lehrmeister einstudiert hatte, sich nicht in richtiger Weise merkte. Ja, da käme eine ganze Revolution unter den Spielern. Dann können wir weiter auch das nicht einführen, daß wir zwei Rappen als Eintritt nehmen würden, oder es wurden vier Rappen als Eintritt gegeben und genommen damals. Kinder bezahlten die Hälfte. Das können wir auch nicht nachahmen. Ich weiß es nicht, aber es wird berichtet, daß von dem, was auf diese Weise einkommt, defekte Kleider und so weiter für die nächste Aufführung wieder hergestellt wurden. Nun, dabei war das Publikum gewöhnlich gar nicht so zahlreich wie dieses hier. Also wir sehen dabei auch in Zeiten hinein, wo die Dinge noch wesentlicher billiger waren.
Aber abgesehen von all dem, möchten wir versuchen, ein richtiges Stück altes Volkstum vor Ihre Seele hinzustellen auch mit diesem Stück, diesem Dreikönig- oder Herodes-Spiel, trotzdem wir das nur
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dadurch können, daß wir sozusagen in moderne Verhältnisse transponieren, aber diese modernen Verhältnisse so gestalten, daß der alte Stil dabei erhalten bleibt. Und so möchten wir Ihnen auch gerade dieses Dreikönig-Spiel vor die Seele führen.
XVIII Dornach, 6. Januar 1924
#G274-1986-SE101 Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
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XVIII
Dornach, 6. Januar 1924
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Wir werden uns erlauben, Ihnen auch dieses Jahr hier eines der Weihnachtspiele vorzuführen, die aus altem deutschen Volkstume stammen. Ich darf vielleicht von etwas Persönlichem ausgehen. Ich selber lernte diese Weihnachtspiele - die dieses Jahr nicht öffentlich zur Darstellung kommenden, das Paradeis-Spiel und das Christ-Geburt-Spiel und auch dieses heute aufzuführende Dreikönig-Spiel - kennen vor etwa, ich kann sagen, vierzig Jahren. Dazumal lernte ich diese Spiele bei meinem alten Freund und Lehrer, Karl Julius Schröer, kennen. Karl Julius Schröer, der dazumal, als er mir diese Spiele nannte, in Wien Hochschulprofessor war, war aber um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in den vierziger, fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, Professor in Preßburg, das heute zur Tschechoslowakei gehört, dazumal in einer deutschen Kolonie Ungarns, Westungarns, war. Wenn man die Donau, an der Preßburg liegt, nur ein wenig weiter ostwärts gegen Budapest zu geht, dann kommt man in die sogenannte Oberuferer Gegend. In dieser Oberuferer Gegend war eine deutsche Kolonie. Sie war urdeutsch in meiner eigenen Jugend, wie ja überhaupt in Ungarn vor der Magyarisierung wirklich recht ausgebreitete deutsche Kolonien waren: in der Zipsergegend, die Siebenbürgener Sachsen, im Banat und so weiter. Nun, als Schröer Professor in Preßburg war, hörte er einmal, daß interessante, volkstümliche Weihnachtspiele draußen in Oberufer von den Nachkommen jener deutschen Kolonisten gespielt würden, welche vom Westen gegen Ungarn hin gezogen waren, um sich dort niederzulassen,
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aus Gegenden, die wahrscheinlich nördlich vom Rhein in Süddeutschland gelegen waren, unmittelbar an die Schweiz angrenzend, nördlich vom Rhein und bis nach dem Elsaß hinein. Und von daher scheinen diese Weihnachtspiele eigentlich zu stammen.
Es ist so - man kann das heute noch verfolgen -, daß wirklich im
13., 14. Jahrhundert diese Weihnachtspiele da jenseits des Rheins, vielleicht später in der Nordschweiz, höchstens in Brienz noch gespielt worden sind. Die Leute sind dann ostwärts gezogen, haben diese Weihnachtspiele als ein teures geistiges Erbstück mit einer innigen Frömmigkeit genommen und hielten es dann außerordentlich wert. Und durch das ganze 16., 17., 18. Jahrhundert wurden sie dann um die Weihnachtszeit und Dreikönigszeit in diesen Dörfern bei den sogenannten Haidbauern gespielt.
Es war dieses ein jährliches großes Erlebnis christlicher Frömmigkeit in diesen deutschen Gegenden Ungarns. Dadurch, daß diese Weihnachtspiele gerade dieses Schicksal gehabt haben, sind sie, ich möchte sagen, bis in die neueste Zeit herein ganz unverfälscht geblieben. Denn, sehen Sie, Weihnachtspiele sind in älteren Zeiten vor und nach der Reformation überall entstanden, sind gern gespielt worden, aber sie sind dann in späteren Zeiten von den sogenannten intelligenten Leuten verbessert worden, was man so verbessern nennt, das heißt, es ist ihnen ihre Volkstümlichkeit von Grund aus ausgetrieben worden. Und die Verbesserung, welche die Intelligenz hat anbringen wollen, ist eine gründliche Verschlimmerung geworden, so daß diese Volksspiele dann in den westlicheren Gegenden wirklich in einem schlechten Zustande eigentlich nur gefunden werden konnten.
Da unten aber galten diese Weihnachtspiele der Intelligenz nichts. Als Karl Julius Schröer eben so in dem Anfang der fünfziger Jahre auf die Dörfer hinauskam, da haben die Schullehrer und der Dorfnotar gefunden: das ist etwas, um das man sich nicht kümmert. Die «intelligenten Leute» haben das als nichtsnutziges Zeug angesehen. Und so sind diese Weihnachtspiele ganz unverfälscht geblieben, weil sie niemand verbessert, das heißt, verschlechtert hat in Wirklichkeit. So sind sie geblieben die ganzen Jahrhunderte hindurch, und so hat sie Karl Julius Schröer noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts gefunden.
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Da wurden sie nicht mehr jedes Jahr gespielt, sondern nur, wenn man glaubte, daß man das nötige Personal habe. Wenn die Weinlese vorüber war im Oktober, dann kamen die Honoratioren des Ortes zusammen bei ihrem Stammtisch und sagten: Dieses Jahr haben wir wiederum Burschen - denn nur Burschen durften da mitspielen -, um diese Weihnachtspiele aufführen zu können, und es tut unseren Leuten ganz gut, wenn sie wieder ein bißchen Frömmigkeit in die Adern kriegen. Jetzt wollen wir es wiederum einmal in diesem Jahr machen.
Da war dann auch derjenige darunter - es war immer eine angesehene Familie unter den Bauern des Dorfes -, welcher der Besitzer des «Manuskriptes» war. Gedruckt waren sie ja nicht, diese Weihnachtspiele. Der hatte es von seinem Vater und der wieder von seinem Vater und so weiter erhalten. So waren sie durch die Jahrhunderte bewahrt. Und wenn nun die Zeit da war nach der Weinlese, sollte derjenige, welcher im Besitz des Manuskriptes war, nun die Burschen um sich versammeln und ihr Lehrmeister sein und um die Advents- und Weihnachtszeit, um die Dreikönigszeit, die Aufführungen vorbereiten. Und diese Aufführungen wurden wirklich mit größtem Ernst betrieben. Es gab strenge Vorschriften für diejenigen Burschen, die da mitwirken sollten. Zum Beispiel durften diese Burschen die ganze Zeit über, während der sie diese Spiele vorbereiten sollten, sich nicht betrinken. Wer diese Gegenden kennt - ich habe lange dort in diesen Gegenden gelebt -, weiß, daß das eine große, eine außerordentlich große Entbehrung für diese jungen Burschen war, wenn sie nun von der Weinlese bis zum Dreikönigstag sich nicht betrinken durften; auch nicht raufen zum Beispiel. Wer kennt, was da alles sich noch in jener Zeit abgespielt hat, wenn zum Beispiel eine Bürgermeister- oder gar eine Vizinalratswahl war - das war einer der Vertrauensbeamten des Komitats -, was das alles in diesen Gegenden hieß: die Burschen durften nicht raufen an den Sonntagen! Also sie mußten ein ganz frommes Leben führen. Es war wirklich echte Frömmigkeit, volkstümliche Frömmigkeit. Außerdem war vorgeschrieben, die ganze Zeit nicht zum Dirndl zu gehen. Und es durfte auch keine weltliche Musik in den ganzen Wochen in den Dörfern, wo sie überall herumzogen, aufgeführt werden. Alle die Vorschriften, die wir hier bei unseren Spielern
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natürlich durchaus nicht durchführen können, das heißt, die bisher genannten können wir durchführen; die anderen aber nicht. Wenn zum Beispiel jemand etwas vergessen hatte, was er gelernt hatte, hatte er eine Strafe zu bezahlen. Das könnten wir bei uns nicht tun. Ebensowenig könnten wir das nicht durchführen, daß niemand zu spät kommen könnte und so weiter. Also alle diese Dinge wurden im strengsten Sinne dort gehandhabt. Es war wirklich etwas außerordentlich Disziplinierendes für die Burschen des Ortes.
Die Weihnachtspiele selber - als die Zeit herangekommen war -wurden in der Weise gefeiert, daß man sagen kann: es mischte sich da zusammen wirkliche, echte volkstümliche christliche Frömmigkeit, verbunden mit dem, was als Volksbräuche, nicht Sentimentalität da war. Es war wirkliche Volkstümlichkeit da drinnen: ehrliches Fromm-sein, nicht irgendwie scheinheiliges Frommsein, sondern ehrliches Frommsein, das schon vermischt ist auch mit einer gewissen Derbheit. Das war ja grade die aufrichtige Frommheit in alten Zeiten. Es hatte sich bis ins 19. Jahrhundert erhalten.
Dann, wenn die Aufführungen herannahten, kamen auch einige Sachen, die wir nicht ebenso nachmachen können, denn ich weiß doch nicht, wie man das auffassen würde, wenn wir das zum Beispiel nachmachen würden. Der Teufel, der mußte, wenn die Aufführung herankam, im ganzen Dorf mit seinem langen Schwanz herumgehen und überall hineintuten und den Leuten sagen, sie müßten jetzt zum Weihnachtspiel kommen. - Ich weiß nicht, wie man das auffassen würde; es könnte vielleicht gut sein, daß es gefiele! Und wir können auch das nicht nachmachen hier, daß der Teufel zum Beispiel auf jedes Fuhr-werk springt und dort seinen Schabernack treibt, wenn die Aufführung herannaht und so weiter. Wenn dann die Leute zusammengekommen waren im Wirtshause, ringsherum saßen auf den Bänken, dann wurde in der Mitte des Wirtshaussaales diese Aufführung gegeben. Etwas, was wir hier auch nicht nachmachen können, das war, daß man zwei Kreuzer bloß, das sind vier Rappen, Eintrittsgeld bezahlte. Das war für damals ein außerordentlich hohes Eintrittsgeld; Kinder zahlten die Hälfte. Die Dinge waren eben alle noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Karl Julius Schröer diese Spiele fand, durchaus so erhalten,
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auch die Gebräuche wie im 16. Jahrhundert, wo das Volk da hingezogen ist und diese Weihnachtspiele sich mitgebracht hat.
Und dazumal, vor vierzig Jahren, habe ich diese unendliche Liebe zu diesen wunderbaren Weihnachtspielen gefaßt, und ich glaube tatsächlich, daß etwas Schönes erhalten werden kann, wenn man sie da, wo man Gelegenheit hat, wieder spielt. Denn dort, in den ehemaligen deutschen Gegenden Ungarns, werden sie längst nicht mehr gespielt. Die letzte Familie, die sie gehabt hat, ist ja wohl ausgestorben, und erneuert sind sie nicht mehr worden, sodaß eigentlich dasjenige, was wir nun schon in der Vorkriegszeit für diese Spiele getan haben, eine wirkliche Erneuerung der Sache ist. Es steckt ein Stück deutschen Volkstums in diesen Spielen. Es ist wirklich etwas erhalten, was früher sehr geehrt und geschätzt worden ist im Volke.
Und hier glaube ich, daß das noch seinen besonderen Wert darinnen hat, daß die Schweizer sich erinnern, wenn vielleicht noch in der Nordschweiz, aber ganz sicher, wenn man die Augen über den Rhein hinüber gerichtet hat, dann waren diese Spiele im 14., 15., 16. Jahrhundert dort überall gespielt. Gerade hier kann man also recht gute Erinnerungen damit verbinden, und deshalb glauben wir, daß es auch ganz gut ist, diese Spiele hier zur Vorführung zu bringen. In diesem Sinne erbitten wir Ihre Aufmerksamkeit für diese Spiele.
Wir müssen natürlich mit ganz neuen Mitteln arbeiten, mit den Mitteln, die ein heutiger Bühnenbetrieb, soweit wir ihn hier haben, gibt, aber innerhalb dessen versuchen wir die Gestalt so zu geben mit dem Dialekt und mit allem, wie sie im Volke aufgeführt worden sind. Wir dürfen sie also nennen: Weihnachtspiele aus altem Volkstum.
Dieses ist die letzte Ansprache zu einer Aufführung von den Oberuferer Weihnacht-spielen, welche Rudolf Steiner gehalten hat. Im Herbst des gleichen Jahres erkrankte er schwer und starb am 30. März 1925.
HINWEISE
#G274-1986-SE107 - Ansprachen zu den Weihnachtsspielen aus altem Volkstum
#TI
HINWEISE
#TX
Die Texte der Weihnachtipiele (könig-Spiel») liegen, von Rudolf Steiner szenisch eingerichtet, in einer separaten
Ausgabe unter dem Titel «Weihnachtspiele aus altem Volkstum. Die Oberuferer
Spiele» (Dornach 1972) vor.
Folgende Ansprachen dieses Bandes waren in Zeitschriften abgedruckt:
Ansprachen 1 und VII in «,Das Goetheanum» 1928 und 1939;
Ansprachen III, XI, XIII und XVII in «,Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht. Nachrichten für deren Mitglieder» 1934, 1942, 1945 und 1943;
Ansprachen XII und XV in «,Mitteilungen für die Mitglieder der Allgemeinen Anthroposophiichen Gesellschaft», Basel 1950.
Hinweise auf Personen und Sachverhalte erfolgen nur bei der ersten Erwähnung, nicht aber bei den Wiederholungen.
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9 Von den volkstümlichen Weihnachtspielen: Der Aufsatz wurde erstmals in der Wochenichrift «,Das Goetheanum», II. Jahrgang, Nummer 20/21 vom 24. Dezember 1922, veröffentlicht. Innerhalb der Rudolf Steiner Gesamtausgabe erschien er 1961 in dem Band «Der Goetheanumgedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart». Gesammelte Aufsätze aus der Wochenschrift
Karl Julius Schröer, 1825-1890, Germanist. Professor an der Technischen Hochschule in Wien und Herausgeber der «Chronik des Wiener Goethe-Vereins». Von seinen Goethe-Schriften ist die Herausgabe von «Faust I und II» in Kürschners Deutscher National-Literatur mit Einleitungen und fortlaufenden Erklärungen zu erwähnen.
14 eines pfälzischen Hirtenspieles: Dieses Spiel ist der Sammlung
17 Franz von Assisi, 1182-1226. Siehe u. a. Rudolf Steiner «,Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen», Bibl.Nr.109/111, Gesamtausgabe Dornach 1965; «,Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit», Bibl.-Nr. 130, Gesamtausgabe Dornach 1962; «,Christus und die menschliche Seele», Bibl.-Nr. 155, Gesamtausgabe Dornach 1960.
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19 in den damaligen Weihnachtsdichtun gen: «Jesus im Urteil der Jahrhunderte. Die bedeutendsten Auffassungen Jesu in Theologie, Philosophie, Literatur und Kunst bis zur Gegenwart~ von Gustav Pfannmüller. 1908, Leipzig und Berlin, B. G. Teubner-Verlag.
24 Karl Weinhold, 1823-1901, Germanist. «,Weihnacht-Spiele und Lieder aus Süddeutschland und Schlesien», mit Einleitungen und Erläuterungen. 1875, Wien, Verlag Wilhelm Braumüller.
28 Hartmann: Siehe Hinweis zu S.14.
33 Leopold van der Pais: 1884-1966, Komponist am Goetheanum in Dornach. Zahlreiche Musiken für die Eurythmie.
38 sein Andenken muß ... erhalten hleihen: In den «Beiträgen zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr.47/48, Michaeli 1974, wurde ein Aufsatz über Schauspielkunst von K. J. Schröer wieder veröffentlicht, um auf das vielseitige Schaffen des bedeutenden Goetheanisten hinzuweisen.
48 Malatitseh: David Malatitseh hieß das Haupt der Familie, welche die Spiele verwaltete.
53 Landgraf Friedrich, 1257-1323.
71 interessante und schöne Bücher: «Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ungarischen Berglandes mit Sprachproben und Erläuterungen» von K. J. Schröer, Wien 1864.
74 das Büchelehen: Das Vorwort trägt das Datum: Weihnachten 1856. Die Erstauflage erfolgte entweder in diesem oder im folgenden Jahre. Die Neuausgabe ist datiert von 1862.
76 im Anschluß an diesen Kurs: Rudolf Steiner «Der Entstehungmoment der Naturwissenschaft in der Weltgeschichte und ihre seitherige Entwickelung». Neun Vorträge, Dornach 24. Dezember 1922 bis 6. Januar 1923, Bibl.-Nr. 326, Gesamtausgabe in Vorbereitung.
89 unser Plakat: Pastellskizze von Rudolf Steiner, am 14. Dezember 1923 als Dreikönigsmotiv entstanden. Format 55 x 65 cm. Eine Verkleinerung im Postkartenformat erschien Dornach 1955, eine Reproduktion in Originalgröße ist vorgesehen.