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= ERSTER VORTRAG Stuttgart, 23. Januar 1923 =
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<nowiki>#</nowiki>G257-1965-SE009 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung
<h3>RUDOLF STEINER</h3>
<h3>VORTRÄGE</h3>
<h4>VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN<br>
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT</h4>
 
<h3>Anthroposophische Gemeinschaftsbildung</h3>
 
<h5>Zehn Vorträge, gehalten in Stuttgart und Dornach<br>
zwischen dem 23. Januar und dem 4. März 1923</h5>
 
<h3>GA 257</h3>
<h3>1989</h3>
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= Inhaltsverzeichnis =
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* [[GA 257#ERSTER VORTRAG Stuttgart, 23. Januar 1923|ERSTER VORTRAG Stuttgart, 23. Januar 1923]]
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ERSTER VORTRAG


Stuttgart, 23. Januar 1923
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= ERSTER VORTRAG Stuttgart, 23. Januar 1923 =


Das seit zehn Jahren im Bau begriffene Goetheanum in Dornach ist nicht mehr. Die Anthroposophische Gesellschaft hat diesen Bau ver­loren. Sie hat damit außerordentlich viel verloren. Man muß sich nur klarmachen, was aus der Anthroposophischen Gesellschaft durch den Bau des Goetheanums geworden ist, und man wird, wenn man die Größe des Verlustes in der richtigen Art sich allmählich vor Augen führt, auch die Größe des Schmerzes ermessen, für die es keine Worte gibt, die Größe jenes Schmerzes, der uns geworden ist durch die furcht­bare Brandkatastrophe in der Neujahrsnacht 1922 auf 1923. Bis zu dem Zeitpunkte, wo wir 1913 den Grundstein zum Dornacher Goethe­anum legen konnten, war die Anthroposophische Gesellschaft als Hü­terin der anthroposophischen Bewegung in einem gewissen Gebiete der Welt durch ihre einzelnen Zweige verbreitet. Und aus dem Schoße dieser Gesellschaft heraus ist ja dann der Impuls entstanden, einen eigenen Zentralbau aufzurichten. Vielleicht wird man gerade hier dop­pelt all das durchempfinden können, was die gesamte Anthroposophi­sche Gesellschaft erleidet, indem sie diesen Zentralbau verloren hat. Denn hier in Stuttgart ging die Anthroposophische Gesellschaft mit jenem Bau voran, in dem wir seit vielen Jahren schon unsere Tätigkeit entfalten dürfen. Daher wird man hier wissen, was es heißt, von einem eigenen, der anthroposophischen Bewegung würdigen Baurahmen um­geben zu sein.
Das seit zehn Jahren im Bau begriffene Goetheanum in Dornach ist nicht mehr. Die Anthroposophische Gesellschaft hat diesen Bau ver­loren. Sie hat damit außerordentlich viel verloren. Man muß sich nur klarmachen, was aus der Anthroposophischen Gesellschaft durch den Bau des Goetheanums geworden ist, und man wird, wenn man die Größe des Verlustes in der richtigen Art sich allmählich vor Augen führt, auch die Größe des Schmerzes ermessen, für die es keine Worte gibt, die Größe jenes Schmerzes, der uns geworden ist durch die furcht­bare Brandkatastrophe in der Neujahrsnacht 1922 auf 1923. Bis zu dem Zeitpunkte, wo wir 1913 den Grundstein zum Dornacher Goethe­anum legen konnten, war die Anthroposophische Gesellschaft als Hü­terin der anthroposophischen Bewegung in einem gewissen Gebiete der Welt durch ihre einzelnen Zweige verbreitet. Und aus dem Schoße dieser Gesellschaft heraus ist ja dann der Impuls entstanden, einen eigenen Zentralbau aufzurichten. Vielleicht wird man gerade hier dop­pelt all das durchempfinden können, was die gesamte Anthroposophi­sche Gesellschaft erleidet, indem sie diesen Zentralbau verloren hat. Denn hier in Stuttgart ging die Anthroposophische Gesellschaft mit jenem Bau voran, in dem wir seit vielen Jahren schon unsere Tätigkeit entfalten dürfen. Daher wird man hier wissen, was es heißt, von einem eigenen, der anthroposophischen Bewegung würdigen Baurahmen um­geben zu sein.

Version vom 26. Oktober 2023, 12:48 Uhr

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

Zehn Vorträge, gehalten in Stuttgart und Dornach
zwischen dem 23. Januar und dem 4. März 1923

GA 257

1989

Inhaltsverzeichnis


9

ERSTER VORTRAG Stuttgart, 23. Januar 1923

Das seit zehn Jahren im Bau begriffene Goetheanum in Dornach ist nicht mehr. Die Anthroposophische Gesellschaft hat diesen Bau ver­loren. Sie hat damit außerordentlich viel verloren. Man muß sich nur klarmachen, was aus der Anthroposophischen Gesellschaft durch den Bau des Goetheanums geworden ist, und man wird, wenn man die Größe des Verlustes in der richtigen Art sich allmählich vor Augen führt, auch die Größe des Schmerzes ermessen, für die es keine Worte gibt, die Größe jenes Schmerzes, der uns geworden ist durch die furcht­bare Brandkatastrophe in der Neujahrsnacht 1922 auf 1923. Bis zu dem Zeitpunkte, wo wir 1913 den Grundstein zum Dornacher Goethe­anum legen konnten, war die Anthroposophische Gesellschaft als Hü­terin der anthroposophischen Bewegung in einem gewissen Gebiete der Welt durch ihre einzelnen Zweige verbreitet. Und aus dem Schoße dieser Gesellschaft heraus ist ja dann der Impuls entstanden, einen eigenen Zentralbau aufzurichten. Vielleicht wird man gerade hier dop­pelt all das durchempfinden können, was die gesamte Anthroposophi­sche Gesellschaft erleidet, indem sie diesen Zentralbau verloren hat. Denn hier in Stuttgart ging die Anthroposophische Gesellschaft mit jenem Bau voran, in dem wir seit vielen Jahren schon unsere Tätigkeit entfalten dürfen. Daher wird man hier wissen, was es heißt, von einem eigenen, der anthroposophischen Bewegung würdigen Baurahmen um­geben zu sein.

Die Anthroposophische Gesellschaft war, bis aus ihr der Impuls entstand, in Dornach einen Zentralbau aufzuführen, darauf angewie­sen, lediglich durch ihre Versammlungen zu wirken - Stuttgart ist durch die schon erwähnte Tatsache ja davon ausgenommen -, sie war angewiesen darauf, gewissermaßen lediglich das Wort dafür zu haben, von der heute durch die Menschheitsentwickelung notwendig gewor­denen Verbindung des Menschen mit der geistigen Welt zu sprechen. Nun, gewiß wird immer diese Art, durch das Wort für die anthropo­sophische Bewegung zu wirken, die wichtigste, die bedeutungsvollste,

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die unerläßlichste auf diesem Gebiete sein. Aber mit dem Bau des Goe­theanums war noch etwas anderes möglich. Es war möglich geworden, durch die künstlerischen Formen, die ja als rein künstlerische beim Goetheanumbau angestrebt worden waren, ich möchte sagen, zu der großen Welt zu sprechen. Gewiß, wer in unserer Gegenwart nicht Sinn und Gefühl hat für dasjenige, was Anthroposophie durch das Wort verkünden kann, wird auch nicht Sinn und Empfindung haben können für solche künstlerischen Formen, wie sie in Dornach am Bau des Goe­theanums sichtbar geworden waren. Aber dennoch muß man sagen, daß schon einmal, entsprechend den Sympathien der Menschen, in dieser unserer Gegenwart das Auge leichter sich hinlenkt auf dasjenige, was zu sehen ist, als die Seele durch innere Aktivität auf dasjenige, was zu hören ist. Und so war gerade durch den Dornacher Bau die Mög­lichkeit, von der heute der Menschheit notwendigen Geistigkeit zu sprechen, in einem unermeßlichen Umfang vergrößert worden. Durch das Goetheanum ist tatsächlich von den Geheimnissen der geistigen Welt zu einer unbegrenzt viel größeren Menge von Menschen gespro­chen worden, gesprochen worden durch sichtbare Formen und das sichtbare Werk, als jemals früher hat gesprochen werden können durch das Wort. Und ein für allemal ist durch das Dornacher Goetheanum vor allen denjenigen, welche nur einigen guten Willen hatten, mit Un­befangenheit auf dieses Goetheanum und die dahinterstehende Anthro­posophie zu schauen, erwiesen worden, daß die Anthroposophie nichts Sektiererisches ihrem Wesen nach ist, daß sie erfassen will die große Aufgabe unserer Gegenwart, die darinnen besteht, die der Menschheit nunmehr zugänglich gewordenen Strahlen eines neuen Geisteslichtes aufzufangen und in die menschlichen Kultur- und Zivilisationsmittel hineinzuprägen. Gegenüber einzelnen Versammlungen in beliebig hierzu gewählten Lokalen konnte unter Umständen auch der Unbefangene von einer sektiererischen Bewegung sprechen. Gegenüber jener Sorg­falt, mit der in Dornach versucht worden ist, jede Symbolik, jede Alle­gorik in den Bau- und Kunstformen zu vermeiden und ausströmen zu lassen den anthroposophischen Impuls in rein wirkliche Kunst, gegen­über diesem Streben war es nicht möglich, weiter bei gutem Willen von einer anthroposophischen Sekte zu sprechen. Man mußte erkennen, daß

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Anthroposophie etwas durchaus Allgemein-Menschliches will, keine Art von Absonderung pflegen will, sondern dasjenige suchen will für die Gegenwart, was ganz allgemein menschlich auf jedem Gebiete des menschlichen Sinnens und Schaffens in der Gegenwart ist. Und so war dieses Goetheanum, das jetzt als Ruine anzuschauen einen so furchtbar niederschmetternden Eindruck macht, ein mächtiges Mittel für die an­throposophische Bewegung geworden, um auszusprechen, was diese ihrem wahren Wesen nach eigentlich ist. Und wir haben ja versucht, in jede einzelne Form, in jedes einzelne Bild einzuführen alles dasjenige, was in diesem allgemeinen Impuls, den ich jetzt eben ausgesprochen habe, gelegen war. Wir haben versucht, reine Kunst zu geben, weil reine, wahre Kunst durchaus im Wesen des anthroposophischen Im­pulses liegt. Und so konnte gerade durch das Goetheanum auch für Menschen, die nichts von der Anthroposophischen Gesellschaft wissen wollten, über die heilige Angelegenheit dieser Anthroposophischen Ge­sellschaft gesprochen werden.

Das ist durch nahezu zehn Jahre geschehen. Das ist nunmehr in einer Nacht unmöglich geworden. Man braucht diese zwei Sätze nur neben­einander zu sagen und man wird in all diejenigen Empfindungen hin­eingedrängt, für deren Ausdruck es eben Worte wirklich nicht gibt. Demgegenüber ist natürlich all das klein, was man heute anführen kann von zehnjähriger Arbeit und zehnjährigen Sorgen; denn klein schließlich ist diese Arbeit und klein sind diese Sorgen gegenüber dem unersetzlichen Verlust eines bedeutsamsten Offenbarungsmittels für die anthroposophische Bewegung.

Nun, wenn heute das Goetheanum nicht mehr ist, so entsteht ja ge­wiß in jedem, der dieses Goetheanum lieb gehabt hat, der an diesem Goetheanum mit einem echten Verständnis gehangen hat, der Wunsch, dieses Goetheanum in irgendeiner Form wieder aufzubauen. Allein man darf gerade im Hinblick auf den Gedanken des Wiederaufbaues nicht vergessen, daß zehn Jahre über diesen Bau hinweggegangen sind und daß es in einem gewissen Sinne auch im Wesen der anthroposophi­schen Bewegung liegt, Gegner zu haben. Dieses, was die Gegnerschaft der anthroposophischen Bewegung bedeutet, wir sehen es ja wieder jetzt in den Tagen unseres Schmerzes. Es muß auf der einen Seite gesagt

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werden, daß es sich gerade angesichts der Katastrophe gezeigt hat, wie viele wirkliche Freunde die anthroposophische Bewegung durch das Goetheanum gewonnen hat. Denn außer den von mir mit so innigem Dank aufgenommenen Kundgebungen des Leides und des Schmerzes anläßlich der Katastrophe aus den Kreisen der anthroposophischen Freunde haben wir vieles zu verzeichnen von Menschen, die außerhalb des Kreises der Anthroposophischen Gesellschaft sich immer gehalten haben und die nunmehr sich ausgesprochen haben über ihre Mitanteil­nahme an dieser furchtbaren Katastrophe. Viel Liebe zu unserer Sache hat sich bei dieser Gelegenheit gezeigt.

Im Grunde ist ja der Dornacher Bau durch Liebe aufgebaut. Im Grunde ist er im Zeichen der Liebe zugrunde gegangen. Er konnte ja nur aufgebaut werden durch die grenzenlose Opferwilligkeit derjeni­gen Persönlichkeiten, die sich dazumal schon, als der Bau unternom­men wurde, 1913, durch eine gewisse Zeit der anthroposophischen Be­wegung hingegeben hatten. Materielle Opfer, Opfer des Geistes, Opfer der Arbeit sind in unermeßlicher Art gebracht worden. Und zusam­mengefunden haben sich in Dornach viele Freunde der anthroposophi­schen Sache, um in der allerselbstlosesten Weise an dem Zustande­kommen dieses Baues mitzuwirken.

Und es kam der furchtbare Krieg. Wenn auch das Tempo des Auf­baues des Goetheanums während des furchtbaren Krieges sich wesent­lich verlangsamt hatte, eine Bresche in den Geist anthroposophischen Zusammenwirkens ist dadurch eigentlich nicht geschlagen worden. Die Dornacher Baustätte war tatsächlich innerhalb von Völkerfeind-schaft und Völkerkampf eine Stätte, auf der Repräsentanten einer großen Anzahl einander bekriegender europäischer Nationen in fried­voller Arbeit, in liebevollem Miteinanderfühlen zusammen arbeiteten und zusammen dachten und zusammen wirkten. Und vielleicht darf es ohne Unbescheidenheit gesagt werden: die Liebe, die in diesen Bau hin-eingebaut worden ist, sie darf gezeigt werden, wenn einmal gesprochen werden wird in kulturhistorischem Sinne von demjenigen, was an Wel­len des Hasses zwischen den Jahren 1914 und 1918 in der zivilisierten Menschheit entfacht worden ist. In Dornach waltete, während rings-herum überall der Haß wütete, wirkliche Liebe und wurde in den Bau

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hineingebaut. Es war jene Liebe, die aus dem Geiste kommt. Denn An­throposophie trägt ihren Namen ganz zweifellos mit Recht: sie ist nicht bloß eine Erkenntnis wie andere Erkenntnisse. Mit dem Herannahen ihrer Ideen, mit dem Herannahen ihrer Worte ist etwas anderes ge­meint als theoretische, abstrakte Erkenntnis. Ideen werden in der An­throposophie nicht so gestaltet wie seit drei, vier, fünf Jahrhunderten auf dem Erkenntnisgebiete sonst Ideen gestaltet werden; Worte werden in ihr nicht so geprägt, wie heute auf andern Gebieten Worte geprägt werden. Ideen sind für Anthroposophie die aus Liebe gezimmerten Ge­fäße, in welche hereingeholt wird aus geistigen Welten auf geistige Art das menschliche Wesen. Von liebevoll geprägten Gedanken umhüllt soll leuchten durch Anthroposophie das Licht wahren Menschentums. Und Erkenntnis ist nur die Form, wie durch den Menschen die Mög­lichkeit gegeben werden soll, daß der wahre Geist aus Weltenweiten in menschlichen Herzen sich sammle, damit er von Menschenherzen aus die menschlichen Gedanken durchleuchten könne. Und weil wirklich Anthroposophie nur von der Liebe erfaßt werden kann, deshalb ist sie liebeschaffend, wenn sie in ihrer wahren Art von Menschen ergriffen wird. Deshalb konnte inmitten des wütenden Hasses eine Stätte der Liebe in Dornach gebaut werden. Und Worte, sie werden auf anthro­posophischem Gebiet nicht so geprägt, wie sonst in der Gegenwart Worte geprägt werden, Worte werden geprägt, indem sie alle eigent­lich Bitten sind. Jedes Wort in der Anthroposophie ist im Grunde ge­nommen, wenn es in richtigem Sinne gesprochen wird, eine Bitte, eine andächtige Bitte: die Bitte, daß der Geist zu den Menschen herab-kommen möge.

Und aus solcher Andacht heraus ist der Bau in Dornach aufgeführt worden. Liebe ist in ihn hineingebaut worden, und die Liebe unserer Freunde hat wiederum opferwillig gewirkt während der Brandnacht. Da war in Liebe metamorphosierter Geist vorhanden.

Nun ist es mir unmöglich, in dieser Zeit zu sprechen von demjeni­gen, was, ich möchte sagen, im tieferen geistigen Sinne über die Brand-katastrophe in Dornach zu sagen wäre. Ich möchte es nicht abweisen, wenn irgend jemand aus seinem Herzen heraus die Frage aufwürfe:

Wie steht es doch auf der einen Seite mit der Gerechtigkeit der Weltenmächte,

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die keinen Schutz gegeben haben gegen diese furchtbare Kata­strophe? Ich möchte es auch nicht abweisen, wenn etwa gesagt würde:

War denn diese Katastrophe nicht vorauszusehen? Allein das sind Fra­gen, die in das tiefste Gebiet der Esoterik hineinführen, und über sie zu sprechen ist heute aus dem Grunde unmöglich, weil es keine Stätte mehr gibt, in der man in unbefangenerweise über solche tiefere Gründe sich aussprechen kann, ohne daß dieses sogleich hinausgetragen würde durch undichte Wände zu solchen Menschen, die die Dinge nur wieder­um zum Schmieden von Waffen gegen die anthroposophische Bewe­gung gebrauchen. Und so ist mir heute das Wort genommen, über tiefere geistige Zusammenhänge in dieser Beziehung zu sprechen.

Aber dem, was sich auf der einen Seite, ich möchte sagen, in Liebe gegossen gezeigt hat, demgegenüber tritt sogleich in starker Weise die Gegnerschaft auf. Von allen Seiten her hagelt es gerade angesichts un­seres Unglückes von Spott, Hohn, Haß, und dasjenige, in das immer so viel von dieser Gegnerschaft getaucht war, objektive Unwahrheit, das zeigt sich insbesondere jetzt, wo die Gegnerschaft aus allen Luken her­aus kommt und Anlaß nimmt, selbst dem Unglück gegenüber mit der objektiven Unwahrheit zu kommen. Unsere Freunde haben redlich gearbeitet an der Rettung desjenigen, was eben nicht zu retten war. Gegner finden es aber zum Beispiel geschmackvoll, zu sagen: Diese Anthroposophen, man sah ihren Charakter bei Gelegenheit des Bran­des, sie hielten sich in der Nähe auf und beteten, damit das Feuer von selber aufhören würde! - Ich will nur diese kleine Probe aus all dem Spott und Hohn hervorheben, der gerade in Anknüpfung an diese Ka­tastrophe uns entgegentönt.

Nun, ich habe ja, ich darf sagen, seit Jahren darauf hingewiesen, daß wir mit einer immer sich vergrößernden Gegnerschaft rechnen müssen und daß Wachsamkeit gegenüber dieser sich vergrößernden Gegnerschaft unsere heiligste Pflicht ist. Schmerzlich war es mir immer, wenn von irgendeiner Seite her ausgesprochen wurde: Nach dieser oder jener Richtung scheinen sich die Gegner beruhigt zu haben. - So etwas hing zusammen mit der nun leider stark verbreiteten Illusionsfähigkeit in unseren Kreisen. Möge das furchtbare Unglück, das uns getroffen hat, unseren lieben Freunden wenigstens diese Illusionsfähigkeit nehmen

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und den Glauben beibringen, daß das Zusammennehmen aller starken Kräfte unseres Geistes und unseres Herzens notwendig ist für die Behauptung der anthroposophischen Bewegung. Denn wenn heute der Wunsch auftaucht, so etwas wie ein Goetheanum wiederum zu er­bauen, so ist es vor allen Dingen notwendig, daß wir uns bewußt sind:

Ohne eine dahinterstehende starke, energische Anthroposophische Ge­sellschaft ist ein solcher Wiederaufbau ohne Sinn. Der Wiederaufbau hat nur einen Sinn, wenn hinter ihm eine ihrer selbst bewußte, ihrer Pflichten eingedenke, starke Anthroposophische Gesellschaft steht. Demgegenüber darf aber nicht vergessen werden, welches die Bedin­gungen für das Bestehen einer solchen starken Anthroposophischen Gesellschaft sind. Und schließen wir in diesem ernsten, ich darf viel­leicht sagen, ernst-feierlichen Momente an das Gesagte einige Worte der Art an, wie zu denken ist über eine starke, ihrer Pflichten bewußte Anthroposophische Gesellschaft gerade in diesen Tagen.

Meine lieben Freunde, bis zum Jahre 1918 bestand die Anthropo­sophische Gesellschaft, ich möchte sagen, als ein Gefäß des Geistes-stromes, der in unserem Zeitalter nach der Meinung der führenden anthroposophischen Mitglieder zu der Menschheit kommen soll. Bis zum Jahre 1918 war zu dem hinzugetreten das, was aus dem anthropo­sophischen Mittelpunkt, aus anthroposophischem Denken, Fühlen und Wollen allein herausgebildet war. Und wenn auch der Bau in Dornach all dasjenige war, wovon ich heute gesprochen habe, wenn er auch ein Wahrzeichen der anthroposophischen Bewegung in einem viel weiteren Sinne war, als das Wort es sein kann, so muß doch gesagt werden, bis in seine kleinsten Einzelheiten hinein entsprang er aus dem Zentrum der anthroposophischen Impulse heraus. Aber Anthroposophie ist nicht die Angelegenheit eines sich absondernden Menschenkreises, sie ist eben das Gegenteil alles Sektiererischen ihrem Wesen nach. Und deshalb ist sie fähig, das, was sie aus ihrem Zentrum heraus gestaltet, doch auf den verschiedensten Gebieten des Lebens fruchtbar zu machen. In den schweren Zeiten, die der vorläufigen Beendigung des europäischen Krieges folgten, fanden sich Freunde der anthroposophischen Bewe­gung, die zunächst das Unglück auf den verschiedensten Gebieten des Lebens sahen, und sahen, wie neue Impulse auf den verschiedensten

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Gebieten des Lebens notwendig sind. Und es entstand seit 1919 im An­schluß an die anthroposophische Bewegung mancherlei auf eine andere Art, als es entstanden wäre, wenn Anthroposophie in derselben Bewe­gungsart, in demselben Bewegungswesen fortgeschritten wäre, die sie bis zum Jahre 1918 eingehalten hat. Es ist zweifellos so, daß Anthropo­sophie berufen ist, in die verschiedensten Gebiete des Lebens hineinzu­wirken, selbstverständlich auch in alle diejenigen, die in Verknüpfung mit ihr seit dem Jahre 1919 durch verschiedene Freunde der Anthropo­sophie haben fruchtbar gepflegt werden sollen. Aber die äußeren Er­eignisse haben in einer gewissen Weise dazu geführt, daß die Dinge nicht unmittelbar aus der Anthroposophie herausgeholt worden sind, sondern daß sie - allerdings durchaus nicht im anthroposophischen Sinne - gewissermaßen neben der Anthroposophie begründet und ge­pflegt worden sind. Und so haben wir seit 1919 verschiedenes gesehen, das nicht unanthroposophisch, aber neben der Anthroposophie in einer andern Bewegungsart gepflegt wurde, als aus dem Fortgange der an­throposophischen Bewegung bis 1918 auf elementareWeise gefolgt war. Das ist eine außerordentlich wichtige Tatsache und ich möchte Sie bit­ten, mich, indem ich heute gerade über diese Ereignisse zu sprechen habe - verpflichtet bin zu sprechen -, ja nicht mißzuverstehen.

Ich rede selbstverständlich nicht über dasjenige in seiner inneren Gediegenheit, was auf die Art im Zusammenhang mit der anthropo­sophischen Bewegung entstanden ist, wie etwa der «Kommende Tag» oder ähnliches, was in seinen eigenen Bedingungen lebt, zwar im Zu­sammenhang mit der anthroposophischen Bewegung entstanden ist, aber eben besondere Existenzbedingungen hat. Daher ist dasjenige, was ich in den folgenden Sätzen zu sagen habe, nicht anwendbar etwa auf solche Begründungen; darf daher nicht so mißverstanden werden, als ob dadurch im Allergeringsten etwas gesagt wäre über den Wert dieser auf materiellem Gebiete befindlichen Gründungen, die allerdings ge­halten sein wollen in jcnem Geist, der mit der anthroposophischen Be­wegung durchaus vereinbar ist. Was ich spreche, soll lediglich sich be­ziehen auf die Anthroposophische Gesellschaft als solche, auf die Arbeit innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft, für die Anthropo­sophische Gesellschaft und so weiter. Diese anthroposophische Bewegung,

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die in der Anthroposophischen Gesellschaft zum Teil verankert ist, hat ja gerade hier in Stuttgart den Beweis liefern können, daß sie ihrem Wesen nach etwas Allgemein-Menschliches ist, daß sie nicht irgendeinem geistigen Parteiprogramm oder dergleichen entspringt, daß sie entspringt aus dem ganzen Umfassenden der menschlichen Na­tur. Und der Unbefangene wird vielleicht doch einsehen, daß dieser Beweis für diese allgemein menschliche Wesenheit der Anthroposophie gerade hier in Stuttgart auf einem Gebiete erbracht worden ist. Er ist erbracht worden auf dem Gebiete der Pädagogik, der Didaktik durch die Waldorfschule. Er ist dadurch erbracht worden, daß die Waldorf­schule nicht ist eine Anthroposophie-Schule, sondern daß die Waldorf-schule das Problem lösen will: Wie erzieht und unterrichtet man am besten Menschen aus dem ganzen Umfassenden aller menschlichen An­lagen heraus? Wie entwickelt man durch Erziehung und Unterricht Menschen? - Und Anthroposophie soll den Weg angeben, wie dieses Problem gelöst werden kann. Eine Sekte, eine Partei hätte eine Anthro­posophie-Schule begründet, nicht eine allgemein menschliche Schule. Und es kann eigentlich nicht stark genug hingewiesen werden auf die­sen allgemeinen Menschheitscharakter, der angestrebt wird gerade durch die Waldorfschule. Hier erscheint es so, daß man sagen kann: Dem, der wirklich im echten Geiste zur Anthroposophie sich bekennt, dem ist der Name Anthroposophie ganz gleichgültig, ihm kommt es auf die Sache an. Die Sache aber ist eine ganz allgemein menschliche, und sie kann, indem sie an ein bestimmtes Gebiet herantritt, eben nur im Sinn des allgemeinsten Menschentums wirken. Jede Sekte, jede Par­tei, wenn sie schulgründend auftreten kann, ob die Sekte nun Adven­tisten- oder Monistenbund heißt, jede Sekte begründet, wenn sie eine Schule begründet, eine Sektenschule. Anthroposophie kann das ihrem Wesen nach nicht. Anthroposophie kann nur etwas Allgemein-Mensch­liches begründen. Das liegt in ihrem Wesen. Und wer heute eben an­gesichts auch solcher Tatsachen die anthroposophische Bewegung noch wie eine sektiererische behandelt, der kann das nur entweder aus Un­achtsamkeit oder Böswilligkeit tun. Gerade an der Waldorfschule ist hier in Stuttgart der Beweis geliefert worden, daß Anthroposophie eine allgemeine Menschheitssache ist.

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Das aber sollte im Grunde tief berücksichtigt werden auch innerhalb des Kreises der Anthroposophischen Gesellschaft. Die Art und Weise, wie die Waldorfschule begründet wurde, der Geist, aus dem heraus sie begründet wurde, über den sollte man innerhalb der Anthroposophi­schen Gesellschaft nachdenken. Und man sollte eigentlich, wenn man im Zusammenhang mit der anthroposophischen Bewegung oder Gesell­schaft irgend etwas begründet, darauf sehen, daß das in diesem Geiste geschehe. So darf vielleicht gesagt werden: Sowohl im Bau des Goethe­anums in Dornach wie in der Begründung der Waldorfschule und in der Art und Weise, wie die Waldorfschule geführt wird, liegt ausge­sprochen die Art, wie Anthroposophie für die einzelnen Kulturgebiete tätig sein will.

Ich führe also an - ich möchte das noch einmal sagen, damit ich nicht mißverstanden werde - zum Beispiel den Kommenden Tag als etwas, was von meinen folgenden Worten nicht berührt wird, weil es durch seine eigenen Daseinsbedingungen seinen Wert in sich trägt. Ich will nur sprechen von demjenigen, was innerhalb der anthroposophi­schen Bewegung durch anthroposophische Tätigkeit sich vollzieht oder zu vollziehen hat, und ich möchte besonders stark darauf hinweisen, daß die anthroposophische Bewegung ihrerseits gerade an derWaldorf­schule hat zeigen können, wie sie nicht im engen Sinne parteiegoistisch oder sektenegoistisch wirkt, sondern wie sie im allgemeinen Mensch­heitssinne so wirkt, daß man gewissermaßen ihren Kindern nicht mehr ansieht, aus welchem Quell sie entsprungen sind, weil sie in das All­gemein-Menschliche hineinwachsen. Man hat nicht nötig, gegenüber derWaldorfschule zu fragen: Ist sie aus Anthroposophie entsprungen?-Man hat nur nötig zu fragen: Erzieht sie und unterrichtet sie Kinder so, wie der Mensch erzogen und unterrichtet werden soll? - Und so muß man sagen, metamorphosiert sich in ihrer Arbeit, in ihrer Tätigkeit Anthroposophie in das Wesen des Allgemein-Menschlichen. Aber ge­rade, wenn das der Fall sein soll, gerade wenn Anthroposophie bauend auf den verschiedensten Gebieten in der richtigen Weise wirksam sein soll, dann muß sie nicht wegen ihrer selbst, aber ich möchte sagen, wegen ihrer Kinder ein Feld haben, auf dem sie in ihrer Reinheit ener­gisch gepflegt wird, ein Feld haben, auf dem man sich als Anthröposoph

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seiner Pflichten für die Gesellschaft voll bewußt ist. Nur so kann Anthroposophie die richtige Mutter sein für die verschiedensten Kin­der auf den verschiedensten Kultur- und Zivilisationsgebieten. Es muß die Anthroposophische Gesellschaft Menschen vereinigen, welche es im tiefsten, heiligsten Sinne ernst meinen mit der Pflege der anthropo­sophischen Sache. Nun, das ist schwierig. Viele glauben, das sei leicht. Es ist in einem gewissen Sinne schwierig, und die Schwierigkeiten sind eben seit 1919 in ganz starkem Maße insbesondere auch hier in Stutt­gart zutage getreten. Denn, haben wir auf der einen Seite in der Wal­dorfschule etwas, das, wenigstens bis heute, den eben besprochenen Charakter, der ganz im Wesen der Anthroposophie liegt, bewahrt hat, so haben wir auf der andern Seite gerade hier gesehen, wie außeror­dentlich schwierig es ist, mit der Mutter, mit der Anthroposophischen Gesellschaft als solcher, ich möchte sagen, im richtigen Verhältnis zu bleiben. Es ist das vielleicht ein zunächst paradox klingender Satz. Allein, wenn ich dasjenige, was ich meine, näher ausführe, so werde ich vielleicht doch auf diesem Gebiete auch verstanden werden.

Ich kann jetzt diese Sachen besprechen, ohne daß ich über den Wert dieser verschiedensten Bewegungen, die in Verknüpfung mit der An­throposophie seit 1919 entstanden sind, das Geringste sage, denn ich spreche nur in bezug auf die Zurückwirkung auf die Anthroposophi­sche Gesellschaft. Es darf also niemand meine Worte so verdrehen oder mißdeuten, als ob ich über den Wert der einzelnen Begründungen spre­chen würde, ich spreche nur über die Rückwirkung auf die Anthropo­sophische Gesellschaft. Diese Begründungen, welche entstanden sind, sie sind von denjenigen, die sie vertreten, nicht immer so aufgefaßt worden, daß, ich möchte sagen, in einem modernen geistigen Sinn das Wort empfunden wird: Du_sollst deine Mutter und deinenn Vater ehren, auf daß es dir wohlergehe auf Erden. - Denn es wirken ja innerhalb solcher Begründungen durchaus auch und zwar zumeist Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft. Nun ist die Frage: Sind diese Mit­glieder der Anthroposophischen Gesellschaft, die auf einem solchen in Verknüpfung mit ihr entstandenen Gebiet wirken, trotzdem sie die ausgezeichnetsten Leute auf diesem Gebiet sind, auch immer eingedenk der Mutter in der rechten Weise? Wirken sie von ihrem Gebiet aus auf

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die Anthroposophische Gesellschaft in der rechten Weise zurück? -Diese Frage ist ganz verschieden von der, ob die Betreffenden auf ihren Gebieten ausgezeichnete Menschen seien oder nicht. Wenn ich mich besonders radikal ausdrücken soll, so müßte ich ja folgendes sagen:

Es kann zum Beispiel jemand ein ganz ausgezeichneter Waldorfschul­Lehrer sein, ganz in dem Geiste, in dem die Waldorfschule begründet worden ist aus dem Sinn der anthroposophischen Bewegung heraus als eine allgemeine Menschheitssache, er kann so ausgezeichnet als möglich seine Stelle als Waldorfschul-Lehrer aus diesem Geiste heraus ausfüllen, die Waldorfschule kann gerade dadurch, daß sie keine Anthroposophie-Schule ist, aus dem Geiste der Anthroposophie heraus gestaltet sein und wirken. Der einzelne Waldorfschul-Lehrer kann darin ausgezeichnet an seinem Platz sein, aber er kann doch nicht in genügendem Sinne wir­ken als Anthroposoph für die Anthroposophische Gesellschaft. Ich sage nicht, daß das in dem einen oder andern Falle so ist, ich will nur begreiflich machen, daß das so sein kann. Der einzelne, sagen wir im Kommenden Tag Wirkende, kann ein ausgezeichneter Beamter des Kommenden Tages sein, er kann den Kommenden Tag in schönste Blüte bringen, und er kann - ich will das so sagen - ein durchaus Un­zulängliches auf dem Gebiete der Anthroposophischen Gesellschaft be­wirken! Dadurch aber, daß man gewissermaßen der Mutter nicht gibt, was der Mutter sein muß, damit auch alle die Kinder in der richtigen Weise versorgt werden können, dadurch entsteht die allerschwerste Sorge für die anthroposophische Bewegung, wirklich die allerschwerste Sorge.

Meine lieben Freunde, das war es,was auf einem besonderen Gebiete mir das Wort aus dem Mund gepreßt hat bei meinem vorletzten im Goetheanum gehaltenen Vortrag über die Bewegung für religiöse Er­neuerung. Diese Bewegung für religiöse Erneuerung werde ich doch ganz gewiß nicht in irgendeiner Weise kritisieren wollen, denn sie ist vor dreieinhalb Monaten in die Wirklichkeit getreten aus meinen ei­genen Ratschlägen heraus, und es ist ja das Natürlichste, daß ich selber diese Bewegung so ansehen muß, daß ich die tiefste Befriedigung habe, wenn sie gedeiht. Ich meine, darüber kann gar kein Zweifel sein. Den­noch aber mußte ich schon nach diesen dreieinhalb Monaten der Wirksamkeit

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zu dem Wort greifen, das in Dornach dazumal an die Adresse nicht der religiösen Erneuerungsbewegung, sondern an die Adresse der Anthroposophen gerichtet war, natürlich auch der Anthroposophen, die innerhalb der religiösen Erneuerungsbewegung stehen. Und dieses Wort konnte nicht anders lauten, als daß es eine Umschreibung war: Man freue sich der Tochter, aber man vergesse der Mutter nicht, ver­gesse nicht, daß die Mutter auch gehegt und gepflegt sein muß. - Dieses Hegens und Pflegens der Mutter muß sowohl die Bewegung für reli­giöse Erneuerung eingedenk sein, müssen aber insbesondere die Anthro­posophen eingedenk sein, welche innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft leben.

Denn, kann es auch nur im Entferntesten gesagt werden, daß der Anthroposophischen Gesellschaft ihr Recht widerfährt - ich meine jetzt Recht nicht im juristischen Sinne natürlich -, wenn Anthropo­sophen sich von ihr abwenden, zu einer Tochterbewegung hinwenden, nicht in dem Sinn, daß sie sagen: Wir sind verwachsen mit der anthro­posophischen Bewegung, wir können also am besten raten bei einer Tochterbewegung, wir können am besten beistehen dieser Tochter-bewegung-, sondern wenn Anthroposophen mit der Gesinnung sich abwenden von der anthroposophischen Bewegung, daß sie sagen: Jetzt haben wir das Wahre, was wir innerhalb der Anthroposophie niemals haben finden können! - Es handelt sich ja wirklich in diesem Punkte um eine Gesinnungs-, um eine Empfindungs-, um eine Gefühlssache. Und so sehr man sich zu freuen hat, wenn die Mutter sich der Tochter annimmt, so stark muß aber auch aufmerksam gemacht werden, daß auch die Tochter nicht gedeiht, ohne daß die Mutter nicht gehegt und gepflegt wird. Wenn also irgendwo sichtbar würde, daß diejenigen, welche innerhalb der Bewegung für religiöse Erneuerung als Anthropo­sophen stehen, unzulängliche Mitglieder der Anthroposophischen Ge­sellschaft würden, so würde eben derselbe Fall eintreten, wie wenn irgend jemand, der innerhalb der Waldorfschule als ein ausgezeichneter Lehrer wirkt, in unzulänglichem Sinne anthroposophisch innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft wirkt. Dieses Schicksal aber, das er­leben wir eben doch, wenn es auch so vielfach nicht bemerkt wird, seit dem Jahre 1919.

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Wir haben, und zwar aus guten Intentionen heraus, begründen sehen den «Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus». Er hat ein gutes Stück dazu beigetragen, den Impuls für Dreigliederung nicht hinauszutragen in andere Kreise, die nicht anthroposophisch noch sind, sondern ihn hineinzustoßen als einen Keil in die_anthroposophische Bewegung, die im Grunde genommen aus einem viel tieferen Wesen heraus all das schon hatte, was in der Dreigliederung lag in ganz exote­rischer, äußerlicher Weise. Und wir haben es schon erleben müssen, daß eifrig, intensiv auf dem Gebiete der Dreigliederungsarbeit arbeitende Anthroposophen schlechtere Mitglieder der Anthroposophischen Ge­sellschaft geworden sind, als sie früher waren. Und das ist, möchte ich sagen, seit vier Jahren unser Schicksal. Es muß dieses Schicksal charak­terisiert werden, weil ja eine starke und energische Anthroposophische Gesellschaft da sein muß, wenn überhaupt mit einiger Berechtigung an den Wiederaufbau des Goetheanums gedacht werden soll. Es muß dar­an erinnert werden, daß dieses gerade, ich möchte sagen, urphänomenal bedeutsam ist, daß hier in Stuttgart angefangen wurde, auf den ver­schiedensten Gebieten ausgezeichnet zu arbeiten. Aber, wenn wir die Dinge wirklichkeitsgemäß fassen, so dürfen wir uns ja etwa die fol­gende Frage vorlegen - bitte, mißverstehen Sie mich ja nicht, denn es nützt nichts, wenn ich heute nicht, ich möchte sagen, aus den Funda­menten heraus rede angesichts des heilig-feierlich-ernsten, aber auch traurigen Momentes -, nehmen wir, um ja nicht mißverstanden zu werden, gerade das Beispiel der Waldorfschule. Da müssen wir uns fol­gendes sagen: Wir müssen uns den Unterschied klarmachen, der da besteht zwischen der Verbreitung der Anthroposophie durch Wort und Schrift, durch Vorträge und Bücher, und der Pflege der Anthropo­sophischen Gesellschaft. - Um Anthroposophie zu verbreiten durch Wort und Schrift, ist ja zunächst theoretisch gar nicht eine Anthropo­sophische Gesellschaft notwendig, und vielfach wird Anthroposophie verbreitet durch Wort und Schrift ohne Anthroposophische Gesell­schaft. Aber das Ganze, was heute mit Anthroposophie einmal ver­bunden ist, kann nicht bestehen ohne Anthroposophische Gesellschaft, braucht die Anthroposophische Gesellschaft als ihr Gefäß. Nun kann man ein ausgezeichneter Waldorfschul-Lehrer sein. ein ausgezeichneter

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Pädagoge da oben in der Waldorfschule, kann nebenbei ein ausgezeich­neter Verbreiter der Anthroposophie in Wort und Schrift sein, kann aber seine Tätigkeit entziehen dem Hegen und Pflegen der Anthropo­sophischen Gesellschaft beziehungsweise überhaupt dem von Mensch zu Mensch Wirkenden aus der Anthroposophie heraus. Und muß denn nicht gesagt werden: Wir haben eine ausgezeichnete Waldorfschule, wir haben an dieser Waldorfschule ausgezeichnet wirkende Persönlich­keiten, die in viel glänzenderer Weise als man nur erwarten kann für beides ihren Mann stellen - oder man muß in diesem Zusammenhang auch sagen, ihre Frau stellen -, die aber für dieses eigentliche Hegen und Pflegen der Anthroposophischen Gesellschaft uns ihre Kraft ent­zogen haben. Sie kamen nach Stuttgart her, taten nach diesen beiden Seiten, die ich charakterisiert habe, in glänzender Weise ihre Dienste, aber sie stellten sie nicht in den Dienst der Anthroposophischen Gesell­schaft, sie nahmen nicht teil an dem Hegen und Pflegen der Anthropo­sophischen Gesellschaft.

Ich bitte, gerade heute meine Worte ganz genau hinzunehmen. Wir haben energisch wirkende, begeisterte Leute gehabt auf dem Gebiet der Dreigliederungsbewegung; sie haben, indem sie auf dem Gebiet der Dreigliederungsbewegung tätig waren, immer mehr und mehr entzogen ihre Tätigkeit der eigentlichen Anthroposophischen Gesellschaft. Und jetzt droht uns das, daß auf dem Gebiet der religiösen Erneuerung in einer vielleicht ganz glänzenden Weise durch ausgezeichnete Persön­lichkeiten gewirkt wird, und es könnte wiederum, und jetzt auf einem besonders bedeutsamen Gebiet, das geschehen, daß wiederum der An­throposophischen Gesellschaft die Kräfte entzogen werden. Das ist dasjenige, was so schwere Sorge macht gerade angesichts des unermeß­lichen Unglücks, das uns getroffen, und was notwendig macht, mit aller Deutlichkeit von den Dingen heute zu sprechen.

Ich möchte, um ja nicht undeutlich zu werden, um das Wesen des Wirkens in der Anthroposophischen Gesellschaft selber einigermaßen genügend zu charakterisieren, noch auf etwas anderes hinweisen, das ich in ganz anderer Weise charakterisieren muß als das bisher Anzu­führende. Wir haben in den letzten vier Jahren, in denen die Schick­sale der Anthroposophischen Gesellschaft so mannigfaltige waren, eine

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gewisse Bewegung auf zweifache Art sich entwickeln sehen. Und ge­rade diese zweifache Art, in der sie sich entwickelt hat, ist für diese Bewegung außerordentlich charakteristisch und charakteristisch für die Anthroposophische Gesellschaft: das ist die studentische Jugend­bewegung. Erinnern wir uns einmal, wie die studentische Jugendbewe­gung vor einiger Zeit entstanden ist. Sie nannte sich dazumal der An­throposophische Hochschulbund. Solche Dinge lassen sich natürlich, weil sie im Leben stehen, nicht ohne einen Zwang in feste, scharf um­rissene Begriffe fangen, aber einigermaßen muß man eben das doch versuchen. Was wurde mehr oder weniger bewußt von den Anteil­nehmern an diesem Anthroposophischen Hochschulbund namentlich durch diejenige Persönlichkeit, die dazumal bei seiner Begründung so stark Pate stand, durch Roman Boos, was wurde da angestrebt? Es wurde angestrebt, von anthroposophischer Seite her das Studium der einzelnen Wissenschaften zu beeinflussen, zu gestalten, umzugestalten gegenüber gewissen, von den Trägern der Bewegung empfundenen Miß­ständen. Die Bewegung wurde gedacht so, daß sie hineinwirken sollte, man möchte sagen, in die Hörsäle, daß in den Hörsälen durch die Tätigkeit der studierenden Jugend ein Geist sich geltend mache, der eben in Hörsälen wirke. Nur so konnte dasjenige, was dazumal pro­grammatisch hervortrat, aufgefaßt werden. Nun machte sich später, erst vor ganz kurzer Zeit, ich will nicht sagen eine studentisch-jugend­liche Gegenbewegung, aber eben eine anders geartete Bewegung gel­tend, die insbesondere aufgetreten ist, als hier in Stuttgart eine Anzahl von Mitgliedern studentischer Jugend sich zusammengefunden hatte, um etwas über Allgemein-Menschliches mit einer Art geistigem, päd­agogisch-didaktischem Unterton zu pflegen. Da war nicht die Tendenz, in die Hörsäle unmittelbar hereinzutragen programmatisch den Ein­fluß der Anthroposophie, da war ein anderer Schauplatz in Aussicht genommen worden; da war es nicht der Hörsaal, da war es das Innere des Menschen, das menschliche Herz, der menschliche Geist, die menschliche Empfindungsweise. Da war nicht gesagt: Es soll irgend etwas eintreten durch das Wort, meinetwillen daß das Wort, um es radikal zu sagen, anders tönt in dem Hörsaal, sondern es war ange­strebt: es soll unter der Jugend einzelne Menschen geben, die mit andern

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Herzen - weil das so in ihrem innersten Wesen liegt - jung sind und älter werden. Und weil sie als Studenten auch Menschen sind und als Menschen älter werden, so werden sie eben aus diesem Geist der An­throposophie heraus, der ein ganz allgemein menschlicher ist, eben als Menschen auch im Hörsaal drinnen sein. Sie rechneten nicht mehr, diese jungen Akademiker, mit den Kategorien des Hörsaals der Aka­demien, sie rechneten mit dem jungen Menschen. Es war auf demselben Gebiete etwas, was durchaus von dem andern unterschieden werden muß. Die Anthroposophische Gesellschaft aber muß, wenn sie in rich­tiger Weise wirkt, weitherzig genug sein können, überall den Menschen bis in das innerste Menschenwesen hinein zu finden, wenn er zu ihr kommt und an ihr eine Helferin haben will für dieses sein Suchen, die­ses sein Streben.

Wenn Sie nachlesen in meinem Buche «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?», so finden Sie da unter den mancherlei Übungen für die menschliche Seele, die da angeführt werden, auch sechs Übungen, die in gewissen Perioden gemacht werden sollen. Eine von diesen Übungen ist die Pflege einer völligen Unbefangenheit gegen­über den Gebieten des Lebens. Ja, meine lieben Freunde, diese sechs Tugenden braucht schon in ihrer Gänze die Anthroposophische Gesell­schaft selbst, und es muß angestrebt werden, daß die Anthroposophi­sche Gesellschaft als solche diese Tugenden habe. Sie muß Unbefangen­heit genug haben, um, wenn jemand gerade kommt, den Menschen auf­zusuchen, muß stark genug sein können, ihm voll entgegenzutreten. Und es hat sich eine der Schwierigkeiten der Anthroposophischen Ge­sellschaft gerade darin gezeigt, daß, als ich hierher kam und diese Ju­gend vor kurzer Zeit vorfand, die Anthroposophische Gesellschaft sich völlig zurückgezogen hatte von ihr und ein notdürftiger Zusammen­hang erst wiederum geleimt werden mußte. Ich spreche etwas radikal, aber vielleicht versteht man die Dinge dadurch besser. Ich will das nur anführen als ein Beispiel, daß die Anthroposophische Gesellschaft in sich die Möglichkeit haben muß, unbefangen den Erscheinungen des Lebens gegenüberzutreten.

Und wieder gehen wir auf ein anderes Gebiet. Es ist in letzter Zeit durch ausgezeichnete Persönlichkeiten schon seit Jahren von der Anthroposophischen

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Gesellschaft aus das Gebiet der Wissenschaft in den verschiedensten Verzweigungen betreten worden. Wir haben wirklich -ich bin nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich durchaus ganz ehr­lich zurückhaltend mit meinem Urteile - ganz ausgezeichnete Wissen­schafter, die nicht genug gewürdigt werden innerhalb unseres Kreises. Sie haben sich zur Aufgabe gestellt, das Wissenschaftliche zu pflegen innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft, das Wissenschaftliche auf den einzelnen Gebieten. In den ersten Jahren des Bestehens der Anthroposophischen Gesellschaft konnte sie nicht anders, als zu den Menschen als Menschen zunächst sprechen; sie konnte sich ja nicht gleich in die verschiedensten Gebiete hineinverzweigen, sie mußte erst von ihrem Zentrum aus von Mensch zu Mensch sprechen. Sie mußte erst, ich möchte sagen, sich ein gewisses Terrain in der Welt, nämlich in der Welt der Menschenherzen erobert haben, bevor auf einem einzelnen Gebiet etwas gepflegt werden konnte. Dann war es, weil eben die An­throposophie etwas ist, was in alle Kultur- und Zivilisationsgebiete befruchtend hineinwirken kann, das selbstverständlich Gegebene, daß auch Wissenschafter in ihr auftraten und für die Wissenschaft wirkten. Aber nun, meine lieben Freunde, man kann wiederum ein ausgezeich­neter Wissenschafter innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft sein und die Grundbedingungen der Anthroposophischen Gesellschaft als solche ganz außer acht lassen. Man kann gerade als Wissenschafter ausgezeichnet die anthroposophischen Lehren auf Chemie, Physik und so weiter übertragen und man kann ein so schlechter Anthroposoph als möglich sein. Und gerade auf diesem Gebiete haben wir es ja erlebt, daß die ausgezeichneten Wissenschafter eben uns alle ihre Kräfte ent­zogen haben, der Mutter alle Kräfte entzogen haben, alle ihre Wirkens-kräfte entzogen, nicht mitgemacht haben im Hegen und Pflegen der Anthroposophischen Gesellschaft als solcher. Diejenigen, die aus ein­fachen Menschenherzen heraus dann die Anthroposophie innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft suchen, sie sind zuweilen unsympa­thisch berührt davon, daß diese Wissenschafter doch noch mit jenem Ansatz sprechen, mit jenem Unterton, den sie aus der Chemie, aus der Physik heraus bringen, wo zwar noch immer etwas darin liegt von Allgemein-Menschlichem, das chemisch, physikalisch, biologisch oder

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juristisch ist,was aber doch vom Allgemein-Menschlichen sehr weit ent­fernt ist. Was wir aber brauchen, das ist, daß der Mutter nicht ver­gessen werde. Denn hätte die Anthroposophische Gesellschaft Anthro­posophie nicht gepflegt durch eineinhalb Jahrzehnte vom Zentrum aus, Anthroposophie als solche, die Wissenschafter hätten nicht sich auf ihrem Boden niederlassen können. Anthroposophie hat ihnen dasjenige gegeben, was sie brauchten. Sie müßten eingedenk dessen sein, daß sie wiederum zurückgeben müssen durch ihre Mitarbeit an der Anthropo­sophischen Gesellschaft dasjenige, was sie gefunden haben für die Wis­senschaft aus der Anthroposophie heraus.

Und so können wir eben gerade auf die verschiedensten Gebiete sehen und müssen uns gestehen: Anthroposophie hat - verzeihen Sie das scheinbar triviale Wort, aber es ist ja auch im Leben nicht so tri­vial - gerade seit 1919 viele Kinder gekriegt, aber die Kinder waren der Mutter wenig eingedenk.

Und heute stehen wir vor unserem furchtbaren Unglück, haben in Dornach die herzzerschmetternde Ruine des Goetheanums vor uns, und wir haben vor uns auch die Anthroposophische Gesellschaft; wenn sie auch der Zahl der Mitglieder nach unendlich vergrößert worden ist in der letzten Zeit, wir haben die Anthroposophische Gesellschaft ohne innere Festigkeit, auch mit etwas Ruinenhaftem in sich. Natürlich, wir können noch immer in anthroposophischen Zweigen uns versammeln, wir können noch immer Anthroposophie hören, aber das, was heute besteht, das kann im Nu durch die Gegner ausgelöscht werden, wenn wir das nicht bedenken angesichts des heutigen Unglücks, wovon ich heute sprechen mußte.

So war es das Wort der Trauer, das Wort des Schmerzes, das ich heute zu Ihnen sprechen mußte. Ich mußte in anderer Form zu Ihnen sprechen, als ich sonst von diesem Orte aus in der letzten Zeit zu Ihnen gesprochen habe. Aber dasjenige, was geschehen ist, und das, was das Geschehene begleitet, es zwingt mich, das Gesprochene ausklingen zu lassen in die Worte des Schmerzes, der Trauer, die wahrlich recht tief begründet sind, ebenso tief begründet sind wie das Wort des Dankes an alle diejenigen, die entweder durch ihre Liebe oder Arbeit an dem Aufbau des Goetheanums und beim Brande mitgeholfen haben. Ebenso

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tief begründet wie das Wort der Anerkennung alles desjenigen, was sich gerade in der neuesten Zeit in den weiten Kreisen der anthropo­sophischen Mitglieder in herzerhebender Weise gezeigt hat, ebenso tief begründet ist heute das Wort, in das der Schmerz ausklingen mußte, und das kein Wort der Kritik oder des Tadels sein soll nach irgendeiner Seite hin, sondern ein Wort der Gewissenserforschung, ein Wort zum Bewußtwerden der Verantwortlichkeit. Auch nicht ein Wort soll es sein, um niederzudrücken, sondern um aufzurichten in unseren Herzen, in unseren Geistern die Kräfte, die uns als Anthroposophische Gesell­schaft erhalten können, und zwar als Anthroposophische Gesellschaft. Denn wir dürfen nicht werden ein Kreis von Pädagogen, ein Kreis von Religionserneuerern, ein Kreis von Wissenschaftern, ein Kreis von Jun­gen und Alten und Mittleren, wir müssen sein eine anthroposophische Gemeinschaft, die sich bewußt ist dessen, woraus sie schöpft und wo­mit sie im Grunde genommen ihre Tochterbewegungen speist. Dessen müssen wir uns stark bewußt sein! Und wenn die Flammen von Dorn-ach wirklich uns tief ins Herz brennen, so möchte dieser Brand in un­seren Herzen - lassen Sie mich diesen Wunsch heute aussprechen zu Ihnen, meine lieben Freunde -, in uns erhärten die Kräfte zur Er­ringung des Bewußtseins, daß wir vor allen Dingen alle zusammen anthroposophisch arbeiten müssen. Denn es würden sich auch einzelne Spezialbewegungen ihre Kräfte entziehen, wenn sie der Mutter nicht eingedenk wären. Gewiß, es soll zugegeben werden, daß wegen der Schwierigkeiten solcher Sachen der Mutter vielfach vergessen wurde gerade von denjenigen, die am deutlichsten ihre Kinder sind. Aber wenn zur rechten Zeit, die vielleicht noch vorhanden ist, aber bald nicht mehr vorhanden sein wird, Umkehr erfolgt, wenn das Bewußt­sein auftritt, daß innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft an­throposophisch gearbeitet werden muß, daß vor allen Dingen die all­gemeine Aufgabe, den Menschen zusammenzubringen mit den gemäß der Menschheitsentwickelung heute aus göttlich-geistigen Höhen zu uns herunterwollenden Geistesstrahlen, wenn an diesem Bewußtsein, an dieser Aufgabe noch zur rechten Zeit die Kräfte durch die auch in unseren Herzen brennenden Dornacher Flammen erhärtet werden, dann wird trotz aller furchtbaren Gegnerschaft etwas erreicht werden.

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Möge das sein, meine lieben Freunde! Aber mögen Sie auch mit dem richtigen Ernste hören das, was ich, ich möchte sagen, mit tief schmer­zendem Herzen heute zu Ihnen habe sprechen müssen. Möchte das in Ihnen Arbeitskraft, Arbeitswille, Wille zum Zusammenhalten gerade auf dem Gebiete der anthroposophischen Bewegung sein. Niemandem soll nahegetreten werden, indem ihm gesagt wird, er ist ein ausgezeich­netes Mitglied in der Arbeit des Kommenden Tages, in der Waldorf­schule, oder ein ausgezeichnet Wirkender auf dem Gebiete der religiö­sen Erneuerung oder auf einem andern Gebiete. Allein diese alle, neben denjenigen, die nicht ein spezielles Gebiet betreten haben, und auch diejenigen, die alt und jung und in der Mitte sind, sie mögen alle sich bewußt werden der Mutter, nämlich der Anthroposophischen Gesell­schaft selbst, aus der all das entspringen muß und in der alle die ein­zelnen Spezialisten zusammenarbeiten müssen. Zuviel Spezialismus, ohne daß es in der richtigen Weise bemerkt worden ist, ist groß gewor­den unter uns; mancher so groß, daß er schon wieder klein ist, weil er der Mutter gar zu sehr vergessen hat. Möge der Dornacher Brand ein Wahrzeichen sein zu dem Willen, unsere Kräfte im Sinne der Anthro­posophischen Gesellschaft recht zu erstarken, zu erstarken zu red­lichem, ehrlichem Zusammenwirken.

ZWEITER VORTRAG Stuttgart, 30. Januar1923

#G257-1965-SE030 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

#TI

ZWEITER VORTRAG

Stuttgart, 30. Januar1923

#TX

Es war eigentlich meine Absicht, heute nur Sachliches aus dem Gebiete der Anthroposophie hier vor Ihnen vorzutragen, nachdem ich ja das­jenige, was über unser schmerzliches Ereignis und über andere laufende Angelegenheiten der Anthroposophischen Gesellschaft zu sagen ist, vor acht Tagen hier entwickelt habe. Allein es ergibt sich mir doch die Not­wendigkeit, wenigstens einleitungsweise einiges vorauszuschicken über anthroposophisch-gesellschaftliche Angelegenheiten, weil ich gestern wenigstens noch bei dem zweiten Teile der hier abgehaltenen Versamm­lung anwesend war und da gesehen habe, wie leicht doch mißverständ­liche Auffassungen von Dingen heraufkommen, die mit dem Wesen der Anthroposophischen Gesellschaft, so wie ich es ja vor acht Tagen hier charakterisiert habe, zusammenhängen, und die, wie ich glaube, nicht schnell genug eine Korrektur erfahren sollen. In einem gewissen Sinne wird daher dasjenige, was ich so einleitungsweise heute Abend zu sagen habe, trotzdem mit dem Wesen anthroposophischer Lebensauffassung zusammenhängen und vielleicht doch manches enthalten, was dem einen oder dem andern nützlich sein kann.

Es handelt sich mir vor allen Dingen darum, anzuknüpfen an das­jenige, was gestern gesagt worden ist über die Urteilsbildung innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft. Unabhängig von demjenigen, was ich selber sage, ist aufgefordert worden, sich als einzelnes Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft selbständige Urteile über die ver­schiedenen Angelegenheiten, auch die Gesellschaft betreffend, zu bil­den. Nun ist ja selbstverständlich nichts berechtigter als dieses. Allein es handelt sich darum, wenn eine solche Forderung vorgebracht wird, die, wie gesagt, prinzipiell in sich so berechtigt ist als es nur irgend möglich sein kann, gegen die auch in der Definition, wie das gestern vorgebracht worden ist, von mir nicht das Geringste eingewendet wer­den soll, die ich nur bekräftigen will -, so hat man es nicht allein zu tun mit dem Inhalte des Vorgebrachten, sondern mit dem ganzen Zu­sammenhang, in dem eine solche Sache vorgebracht wird. Etwas kann

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wahr sein, aber es handelt sich darum, ob in einem bestimmten Zusam­menhange eine Veranlassung ist, eine vielleicht auch selbstverständliche Wahrheit vorzubringen. Man kann jede Wahrheit isoliert vorbringen, das ist ja natürlich. Aber wenn ein gewisser Zusammenhang vorliegt, dann bekommt diese Wahrheit ihre unmittelbare Färbung durch die­sen Zusammenhang und dann kann eben gerade durch die Stelle, inner­halb welcher man eine solche Wahrheit vorbringt, das ärgste Mißver­ständnis hervorgerufen werden.

Diese Anschauung über die Urteilsbildung wurde vorgebracht im Zusammenhang mit dem Vortrag, den ich am 30. Dezember des vorigen Jahres in Dornach gehalten habe über die Beziehungen der Anthropo­sophischen Gesellschaft zu der Bewegung für religiöse Erneuerung. Und es wurde bemerklich gemacht, daß sich die Mitglieder unabhängig machen sollen mit Bezug auf ihre Urteilsfällung von demjenigen, was ich selber als ein solches Urteil abgebe. Nun, wie gesagt, das ist ganz berechtigt. Aber so, wie es vorgebracht worden ist, verstößt es in inten­sivstem Sinne gegen diejenige Gesinnung, die eigentlich aus der Erfas­sung des Kernes anthroposophischer Weltanschauung folgen muß. Denn bei der anthroposophischen Weltanschauung handelt es sich nicht dar­um, daß wir von dem einen Bild einer Weltanschauung, das wir heute durch die äußere Kultur gewinnen können, vielleicht den Blick ab­wenden und ihn hinführen zu einem andern Bild, das wir dann in der­selben Begriffsart, in derselben Vorstellungsweise auffassen wie das erste Bild, welches eben nur eine andere Weltauffassung ist, sondern -und das wird ja aus der ganzen Haltung, die anthroposophische Welt­anschauung einnimmt, klar sein müssen - es handelt sich bei der An­throposophie darum, nicht nur in vieler Beziehung anderes zu denken als sonst gedacht wird, sondern vor allen Dingen dieses andere auf eine andere Art zu denken, in einer anderen Seelenverfassung zu empfinden. Umdenken und umempfinden, das ist dasjenige, was zur Anthroposo­phie notwendig ist, nicht bloß anderes denken und anderes empfinden.

Wer die Neigung dazu hat, die Haltung der überwiegenden Mehr­zahl meiner Vorträge zu prüfen, der wird finden, daß ich mich streng­stens daran halte, dasjenige zu beobachten, was ich jetzt eben ausge­sprochen habe, und daß es in der Eigentümlichkeit anthroposophischer

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Weltanschauung selber liegt, die Dinge so hinzustellen, daß die eigene Urteilsbildung schon durch diese Art der Hinstellung nicht in irgend­einer Weise beeinträchtigt wird. Gehen Sie die Mehrzahl meiner Vor­träge durch, selbst diejenigen, die über ein solches Thema handeln, wie das des Vortrages vom 30. Dezember 1922, so werden Sie finden, daß der hauptsächlichste Inhalt aller meiner Vorträge die Angabe von Tat­sachen ist, daß ich Tatsachen vorbringe, Tatsachen der übersinnlichen Welt oder Tatsachen auch wohl, die aus der sinnlichen oder historischen Welt stammen, und daß ich die Darstellung dieser Tatsachen so einrichte, daß auf Grundlage dieser Tatsachen der Zuhörer oder Leser imstande ist, immer sein eigenes Urteil zu bilden, weil ich darauf ver­zichte, dieses Urteil auch nur im geringsten zu beeinflussen. Einer der in Dornach gehaltenen Vortragszyklen trägt sogar den Untertitel: Dar­stellung von Tatsachen, die zu einer Urteilsbildung vorgelegt werden - oder so etwa. Weil das der Fall ist, stellt sich ja oftmals etwas ganz anderes ein, als daß man sagen könnte, er hat dieses oder jenes als das Richtige hingestellt. Es stellt sich vielmehr das andere ein, daß der eine sich dieses Urteil, der andere sich jenes Urteil aus meinen Vorträgen herausholt, und jeder glaubt Recht zu haben, hat vielleicht auch von seinem Gesichtspunkte aus Recht, weil es sich mir niemals darum han­delt, irgendein Urteil in eine bestimmte Richtung zu bringen, sondern weil es sich mir immer darum handelt, die Tatsachengrundlage zu geben zur Bildung eines Urteils. Ich setze mich daher ganz absichtlich der Gefahr aus, daß der eine in meinen Tatsachenreihen das eine, der andere ein anderes lesen mag. Denn mir handelt es sich wirklich nur um die Mitteilung von Tatsachen, und wer die Neigung hat, die Dinge zu beobachten, wird sehen, daß ich eigentlich nur Urteile ausspreche, wenn es sich um Richtigstellungen oder Abwehrungen handelt.

Dies muß so sein, aus dem Grunde, weil eine solche Weltanschauung, wie die anthroposophische es ist, sich stark bewußt bleiben muß des Zeitenzusammenhanges, in den sie hineingestellt ist. Wir leben im Zeit­alter der Entwickelung der Bewußtseinsseele, das heißt derjenigen inneren Seelenverfassung, in der vor allen Dingen alles darauf an­kommt, daß die Menschen als Individuen sich aus den Impulsen ihrer Seelen heraus selber ihr Urteil bilden, daß die Menschen lernen, die

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Tatsachen in unbefangener Weise auf sich wirken zu lassen, um aus dem vollen Bewußtsein heraus ihr Urteil zu bilden. Aus diesem Be­wußtsein des Eintrittes der Menschheit in die Entwickelung der Be­wußtseinsseele ist der Stil meiner Darstellungen genommen. Daher eben ist es, wie gesagt, daß der eine sich dieses, der andere sich jenes Urteil bilden kann. Die Tatsachen versuche ich so klar wie möglich hinzustellen. Von einem Sollen oder Nichtsollen ist auf keinem Gebiete die Rede. Denn Anthroposophie ist nicht zum Agitieren da, Anthropo­sophie ist da zum Mitteilen der Wahrheit. Ich habe oftmals dieses für andere Gebiete betont. Ich habe betont, daß ich weder für Fleischnahrung noch für Vegetarismus agitiere. Wenn ich darstelle, wie Vege­tarismus auf den Menschen wirkt, wie Fleischnahrung auf den Men­schen wirkt, so geschieht es, um die Wahrheit darzustellen, um die Tat­sachen darzustellen. Kennt ein Mensch die Tatsachen genügend, so kann er sich eben im Zeitalter der Bewußtseinsseelenentwickelung sein Urteil bilden. Es gehört schon zum Wesen anthroposophischer Welt-auffassung, daß man sich über diesen Punkt vollständig klar ist.

Und so habe ich auch damals am 30. Dezember 1922 in Dornach eben einfach zu entwickeln versucht, wie das Verhältnis der Anthropo­sophischen Gesellschaft zu der Bewegung für religiöse Erneuerung ist, habe mich bei der Stilisierung nicht gerichtet an die Bewegung für religiöse Erneuerung, sondern an die Anthroposophische Gesellschaft. Aus dieser, ich möchte sagen, Adresse und aus meinem allgemeinen Grundsatz, so viel als möglich bei den Tatsachen stehenzubleiben, ist dieser Vortrag von damals verfaßt, und wer ihn liest, wird das empfin­den. Ob man nun das eine oder das andere tun soll, das steht durchaus im freien Ermessen eines jeden einzelnen; das wird man aus diesem Vortrag ersehen, und ich habe mich ja vor acht Tagen hier darüber mit aller Deutlichkeit ausgesprochen.

Es ist also notwendig, wenn man auf anthroposophischem Felde unter Verantwortung eine Behauptung aufstellt, daß man den Zusam­menhang ins Auge faßt, daß man also nicht in Anknüpfung an das­jenige, was gerade im strengsten Sinn sich auf den Boden der Anthropo­sophie stellen will, die Bemerkung macht, man bilde sich ein Urteil unabhängig von dem, was Steiner spricht. Denn wenn dieser nicht in

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der Abwehr ist, oder sonst genötigt wird, das eine oder das andere zu korrigieren, so wird er immer so sprechen, daß auch, wenn er gespro­chen hat, der einzelne sogar gezwungen ist, sich sein eigenes Urteil zu bilden, weil ihm die Möglichkeit der Bildung eines abhängigen Urteils gar nicht gegeben ist. Dies zu betonen ist viel wichtiger und wesent­licher für die ganze anthroposophische Gesinnung, als dasjenige, was gestern von einigen hier betont worden ist, und was eben durch seine Deplaciertheit viele Keime von Mißverständnissen hervorrufen kann. Das ist außerordentlich wichtig, daß ich einmal dieses als etwas prin­zipiell zur Anthroposophie Gehöriges hier vorbringe.

Dann aber kommt noch etwas anderes in Betracht. Bei der Bildung eines eigenen Urteils kommt es ja nicht bloß darauf an, daß man sicher ist, man habe dieses Urteil selbst gebildet, sondern ebenso sehr, daß man sicher ist, wenn man dieses Urteil ausspricht, man habe alles das­jenige berücksichtigt, was zur Bildung eines solche Urteils führen kann. Ein eigenes Urteil kann schließlich jeder haben. Das eigene Urteil muß zutreffend sein, soweit es zutreffend sein kann nach den Beob­achtungsmöglichkeiten der Tatsachen, die zugrunde liegen, oder auch nach der Ausschließungsnotwendigkeit der Tatsachen, die offenbar nicht stimmen können, weil sie nicht so sind, wie sie sein müßten, wenn das entsprechende Urteil ausgesprochen wird. Und so muß ich schon betonen - ich sage ausdrücklich, daß ich das, was ich heute einleitungsweise sage, nur pflichtgemäß, nicht neigungsgemäß sage: Wenn gestern gesagt worden ist, daß allerlei Mitteilungen über die andere Seite, näm­lich über die religiöse Bewegung, nach Dornach gekommen seien und auch dasjenige, was ich gesprochen habe, irgendwie beeinflußt oder nuanciert gewesen sein könnte von solchen Mitteilungen, so ist das nicht richtig. Denn ganz unabhängig - das wird jeder, der unbefangen auf die Sache eingehen will, dennoch einsehen -, ganz unabhängig von solchen Mitteilungen ist dieser Vortrag verfaßt. Und das dritte, was auch in Anknüpfung an diesen Vortrag vorgebracht worden ist, ist dieses, daß die eine Seite Gelegenheit gehabt hätte, über die Angelegen­heiten zu sprechen, die andere nicht. Und wenn ich nicht irre, so ist zum Beispiel die Waldorfschul-Lehrerschaft genannt worden, die immer Gelegenheit gehabt hätte, mit mir über die Angelegenheit zu

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sprechen. Die Wahrheit ist, daß ich überhaupt nicht mit der Waldorf­schul-Lehrerschaft bis zur Abhaltung dieses Vortrages hin über die An­gelegenheit gesprochen habe. Es ist wieder ein Urteil gefällt worden, das mit den Tatsachen nicht stimmt. Man könnte ja glauben, weil ich selbstverständlich öfter zusammenkomme mit der Waldorfschul-Lehrer­schaft, daß ich mit ihr öfter Gelegenheit gehabt hätte, über diese An­gelegenheit zu sprechen. Allein bei solchen Zusammenkünften bilden, wie es naturgemäß ist, pädagogische und didaktische Probleme den In­halt desjenigen, was verhandelt wird. Und vor allen Dingen bildet bei diesen Verhandlungen jedenfalls kein anthroposophischer Klatsch ir­gendwie einen Inhalt. Pflichtgemäß, sage ich, müssen diese Dinge betont werden, weil sie mit dem Wesen des anthroposophischen Wirkens zu­sammenhängen und weil wir ja jetzt gerade daran sind, das wenigstens herbeizusehnen, was das anthroposophische Wirken innerhalb der An­throposophischen Gesellschaft zu einer gewissen Gesundung bringen kann. Selbstverständlich konnte ich verlangen, daß von maßgeblicher Seite, die dazu in der Lage war, gleich nach der Begründung der Bewe­gung für religiöse Erneuerung innerhalb der Anthroposophischen Ge­sellschaft die nötigen Aufschlüsse gegeben würden. Mir selbst fiel das nicht zu. Das kann derjenige am besten wissen, der in gebührender Weise meine Schlußworte gehört hat, die ich, nachdem die religiöse Erneuerung auf die Bahn geleitet war, gesprochen habe. Mir ist es immer sehr fatal, wenn ich gezwungen werde, von der Mitteilung der Tatsachen abzuweichen und solche Dinge auszusprechen, wie sie mir gestern abgenötigt worden sind. Allein in dieser Gegenwart wälzt sich mir die ganze Schwere desjenigen, was mit dem anthroposophischen Wirken verbunden ist, auf die Seele. Und wenn nicht in einem aus­reichenden Maße zur Berichtigung gerade derjenigen Mißverständnisse beigetragen wird, die nicht so leicht bemerkt werden wie die groben, dann kommen wir im anthroposophischen Wirken doch eben nicht weiter. Und wir müssen weiterkommen im anthroposophischen Wir­ken, sonst müßte es selbstverständlich dabei bleiben, daß der Dornacher Bau abgebrannt ist. Ein Wiederaufnehmen der Arbeit hängt ganz und gar ab davon, daß die Anthroposophische Gesellschaft in sich erstarkt, daß sie sich vor allen Dingen von denjenigen Mißverständnissen freimacht,

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die an ihren Lebensnerv gehen. Und an ihren Lebensnerv geht es, wenn man zum Beispiel nicht beachtet, welches Prinzip darinnen liegt, gegenüber den Anforderungen des Zeitgeistes bei der Entwicke­lung der Bewußtseinsseele wirklich ehrlich in dem Sinne zu sprechen, wie ich dieses Sprechen für das wirklich Ethische unserer Zeit in mei­ner «Philosophie der Freiheit» angedeutet habe. Ich habe wahrhaftig dazumal mich nicht in leichter Weise jenem Vorwurf ausgesetzt, der von banausischer Seite selbstverständlich gefällt wird gegen das, was ich gegen die Gebotsethik vorgebracht habe. Aber jeder einzelne meiner Sätze - ich bemühe mich dessen immer - ist so geformt, daß er die Frei­heit im Menschen streng achtet, selbst nur in bezug auf die Gedanken- und Empfindungsbildung, die in meiner «Philosophie der Freiheit» gemeint ist. Daher muß ich darauf aufmerksam machen, daß es de­placiert ist, im Zusammenhange mit einem solchen Vortrag, wie ich ihn am 30. Dezember 1922 gehalten habe, die Frage der Beeinflussung des Urteils der Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft vorzu­bringen. Gewiß, bei vielen andern, bei reichlich andern Gelegenheiten kann das vorgebracht werden. Wenn es aber im Zusammenhang mit einem solchen Vortrag geschieht, dann ruft man Mißverständnisse her­vor, weil man die Wahrheit zudeckt, die von mir als eine heilige erstrebt wird: daß niemandes Urteil beeinflußt werde gegenüber dem, was ich selber als ein Wichtigstes innerhalb der Anthroposophischen Gesell­schaft zu sagen habe. Auch damit wollte ich ja nur meine Intentionen aussprechen, daß dasjenige, was der Formulierung dessen, was ich zu geben versuche, zugrunde liegt, immer darauf hinausläuft, niemandes Urteil zu beeinflussen. Daher braucht auch im Zusammenhang mit meinem Vortrag niemand davor gewarnt werden, sich dieses Urteil frei zu erhalten.

Nun, ich möchte sagen, in demselben Geiste fortfahrend, aus dem heraus ich dieses gesprochen habe, möchte ich heute zunächst einiges vorbringen über die Bildung eines geisteswissenschaftlichen Urteils überhaupt, ich meine eines solchen Urteils, das eine geisteswissenschaft­liche Wahrheit aussprechen will. Es berührt einen immer sehr eigen­tümlich, wenn man merkt, wie wenig Gefühl vorhanden ist für den Ernst, mit dem geisteswissenschaftliche Wahrheiten ausgesprochen

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werden. Für das Aussprechen irgendeines Urteils innerhalb der alltäg­lichen Welt, die man durch seine Sinne beobachtet, da gilt es, dieses Urteil durch Beobachtung oder Logik in einem bestimmten Zeitpunkte seines Lebens zu gewinnen. Und es ist voll berechtigt, wenn man durch Beobachtung und Logik ein solches Urteil über Dinge der sinnlichen oder der geschichtlichen Außenwelt gewonnen hat. Beim Geisteswissen­schaftlichen kann es eigentlich so nicht sein. Da genügt es nicht, einmal sich der Bildung eines Urteils unterzogen zu haben, sondern da ist we­sentlich ein anderes notwendig. Da ist notwendig dasjenige, was ich die zweimalige Umschmelzung des Urteils nennen möchte. Und diese Um­schmelzung geschieht in der Regel nicht nach kurzen Zeiträumen, son­dern meistens nach langen Zeiträumen. Man faßt irgendein Urteil nach den gewöhnlichen Methoden, die Sie ja kennen aus meiner Darstellung in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» oder aus dem zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft»; man gelangt, sage ich, durch solche Methoden zu irgendeinem Urteil über geistige Vorgänge oder geistige Wesenheiten. Man hat jetzt eigentlich die Verpflichtung, dieses Urteil zunächst bei sich selbst zu behalten, es nicht auszuspre­chen. Ja man hat sogar die innere Verpflichtung, dieses Urteil vor sich selbst so zu behandeln, daß man es zunächst als eine bloße Tatsache hinnimmt und ihm weder mit Zustimmung noch mit Ablehnung ent­gegenkommt. Dann wird man nach einiger Zeit, vielleicht nach Jahren erst, dazu kommen, in dem eigenen Seelenleben die erste Umschmel­zung dieses Urteils vorzunehmen, es zu vertiefen, ja es in vieler Bezie­hung zu verwandeln. Es wird dieses Urteil, selbst wenn es inhaltlich dasselbe bleibt nach dieser Umschmelzung, eine andere Nuance von innerem Anteil, von innerer ihm zuerteilter Wärme zum Beispiel, an­nehmen. Es wird unter allen Umständen nach dieser ersten Umschmel­zung sich in anderer Weise als beim ersten Fassen in das Seelenleben einverleiben, und man wird nach dieser ersten Umschmelzung das Ge­fühl haben: Du hast dich selber in einer gewissen Weise von dem Urteil getrennt. - Wenn es zu der ersten Umschmelzung Jahre dauert, so kann man ja auch nicht immerfort dieses Urteil in seiner Seele weiterwälzen. Dieses Urteil geht natürlich ins Unbewußte hinunter. Dieses Urteil führt unabhängig von dem Ich ein eigenes Leben. Das ist notwendig.

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Solch ein Urteil muß unabhängig von dem eigenen Ich ein selbstän­diges Leben führen. Man muß gewissermaßen ein solches Urteil leben lassen, ohne daß man dabei ist. Dadurch schmilzt man aus dem Urteil die Egoität heraus. Man übergibt es demjenigen, was in einem selber objektiv ist, während beim ersten Beobachten und bei dem ersten logischen Zusammenstellen des Urteils eben die Egoität, das eigene Ich, immer mitwirkt und mitspielt. Und dann, wenn das Urteil zum ersten Male - wie gesagt, vielleicht nach Jahren - umgeschmolzen ist, dann wird man merken: Dieses Urteil kommt wieder, kommt einem aus den Seelentiefen so zu, wie irgendeine Tatsache der Außenwelt. Man hat es in der Zwischenzeit verloren gehabt, man findet es wieder. Man findet es wieder so, daß es einem jetzt sagt: Du hast mich unvoll­kommen, du hast mich vorerst vielleicht irrtümlich gefällt; ich habe mich selber richtiggestellt. - Dieses Urteil wird der wahre Geisteswissenschafter suchen, dieses Urteil, das sein eigenes Leben in der menschlichen Seele entfaltet. Geduld, viel Geduld gehört zu einem solchen Umschmelzen des Urteils, denn, wie gesagt, es ist oftmals erst nach Jahren möglich, diese Umschmelzung herbeizuführen, und die Gewissenhaftigkeit, die bei der Geisteswissenschaft entfaltet werden muß, die verlangt eben durchaus, daß man nicht sich sprechen läßt, sondern daß man die Dinge sprechen läßt.

Aber nun, meine lieben Freunde, wenn man ein Urteil also umge­schmolzen hat, dann erlangt man gerade diesem umgeschmolzenen, ich möchte sagen, aus der Objektivität wieder an einen herantretenden Urteile gegenüber das starke Gefühl: Man ist mit diesem Urteil, trotz­dem man es sich objektiv hat wiedergeben lassen, dennoch in sich. Und noch immer kann es durchaus so sein, daß man sich durchaus außer­stande fühlt, ein solches Urteil über eine geisteswissenschaftliche An­gelegenheit schon abzugeben. Denn man hat eben die Aufgabe, die Dinge sprechen zu lassen, und nicht sich sprechen zu lassen. Daher wartet man auf die zweite Umschmelzung des Urteils, bis zu der es unter Umständen wiederum Jahre dauern kann. So daß man also nach der zweiten Umschmelzung des Urteils eine dritte Gestalt des Urteils hat. Da wird man einen bedeutsamen Unterschied merken zwischen dem, was vorgeht in dem Zeitraum zwischen der ersten Fassung des

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Urteils und der ersten Umschmelzung, und zwischen der ersten Um­schmelzung und der zweiten Umschmelzung. Man wird nämlich mer­ken, daß man in einer verhältnismäßig leichten Weise zwischen dem ersten Fassen und der ersten Umschmelzung das Urteil wiederum in das Gedächtnis heraufbringen konnte. Zwischen der ersten Umschmel­zung und der zweiten Umschmelzung hat man die größte Mühe, das Urteil wieder in Erinnerung zu bringen, denn es geht in tiefe, tiefe Seelenuntergründe hinunter, in Seelenuntergründe, in die ein zunächst an der Außenwelt leicht geschürztes Urteil gar nicht hinuntergeht. Ein so umgeschmolzenes Urteil geht in tiefe Seelenuntergründe hinunter, und da lernt man erst kennen, wenn man dann ein solches Urteil zwi­schen der ersten Umschmelzung heraufbringen will in die Seele, wie es oft eines Ringens bedarf, um ein solches Urteil ins Gedächtnis zu rufen. Unter dem Urteile meine ich jetzt die Anschauung der ganzen Tat­sache, wenn es sich auf eine geisteswissenschaftliche Tatsache bezieht. Und dann, wenn man das Urteil in der dritten Gestalt bekommt, dann weiß man, dieses Urteil ist bei der Sache oder bei dem Vorgang ge­wesen, auf den es sich bezieht, oder auf die es sich bezieht. Das Urteil zwischen dem ersten Fassen und der ersten Umschmelzung ist noch bei einem selbst geblieben, aber zwischen dem ersten und zweiten Umschmelzen ist das Urteil untergetaucht in die objektiv geistige Tatsache oder die objektiv geistige Wesenheit, und man merkt: die Sache selber gibt einem mit dieser dritten Gestalt das Urteil, das eben eine An­schauung ist, zurück. Und jetzt erst fühlt man sich eigentlich gegen­über den geisteswissenschaftlichen Tatsachen berufen, Mitteilung von der Anschauung beziehungsweise dem Urteile zu machen. Mitteilung macht man erst dann, wenn man diese zweifache Umschmelzung voll­zogen hat und dadurch die Gewißheit erhalten hat, daß dasjenige, was man erst angeschaut hat in der ersten Fassung, durch die Seele selber den Weg genommen hat zu den Tatsachen, zu den Dingen hin und von diesen wiederum zurückgekommen ist. Ja, ein Urteil, das abgegeben wird in gültiger Weise auf geisteswissenschaftlichem Gebiete, ein sol­ches Urteil hat man erst geschickt zu den Tatsachen oder Wesenheiten, über die es sprechen will.

Sehen Sie, dem, was ich jetzt gesagt habe, wird man nicht fernestehen,

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wenn man über wesentliche und bedeutungsvolle geisteswissen­schaftliche Tatsachen die Darstellungen richtig auffaßt. Wenn man freilich Zyklen so liest, wie man moderne Romane liest, dann wird man nicht aus der Fassung selber erkennen, daß das Wesentliche, der eigentliche Beweis in dieser zweimaligen Umschmelzung des Urteils liegt. Und man wird dann sagen, das sei eine Behauptung, das sei kein Beweis. Ja, ein anderer Beweis als das Erleben, aber das gewissenhafte Erleben nach zweimaliger Umschmelzung des Urteils, ein anderer Be­weis kann für Geistiges nicht aufgezeigt werden. Denn das Beweisen des Geistigen besteht in einem Erleben. Das Begreifen nicht. Das Be­greifen ist dem gesunden Menschenverstande nach einer hinlänglichen Darstellung überall zugänglich. Aber diese hinlängliche Darstellung muß die Möglichkeit geben, aus der Fassung der Sache eben dem ge­sunden Menschenverstande alle Anhaltspunkte zu liefern, damit er aus dieser Art der Darstellung sich überzeugen kann, daß durch das «Wie» des gegebenen Urteils seine Wahrheit verbürgt ist.

Es macht immer einen höchst eigentümlichen Eindruck, wenn Leute kommen und sagen: Geisteswissenschaftliche Wahrheiten sollen in der­selben Weise bewiesen werden, wie etwa Behauptungen über äußerlich sinnliche Tatsachen. Menschen, die dies fordern, kennen eben noch gar nicht den Unterschied zwischen dem, was eine Anschauung auf dem geistigen Gebiet ist, und demjenigen, was eine Anschauung auf dem Sinnes- oder gewöhnlichen historischen Gebiete ist. Derjenige, welcher Anthroposophie kennenlernt, wird bemerken, wie die einzelne Wahr­heit, die vertreten wird, sich in den Zusammenhang der ganzen An­throposophie hineinstellt. Und er wird einfach in demjenigen, das er im Zusammenhang kennengelernt hat, eine Bekräftigung einer neuen Wahrheit finden, die er hört. Und wiederum: die neue Wahrheit wird zurückwirken auf dasjenige, was er schon gehört hat. Und so ist mit Anthroposophie bekannt werden ein fortwährendes Wachsen in der Überzeugung von der Wahrheit der Anthroposophie. Von einer ma­thematischen Wahrheit kann man im Augenblick überzeugt sein, aber sie hat deshalb auch kein Leben. Das Anthroposophische ist Leben, da­her ist auch die Überzeugung nicht in einem Augenblick abgeschlossen, das heißt, sie lebt, sie vergrößert sich fortwährend. Ich möchte sagen,

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die anthroposophische Überzeugung ist zunächst ein Baby, wo man noch ganz unsicher ist, wo man fast nur einen Glauben hat, oder nur einen Glauben hat; dann wächst sich diese Überzeugung, indem man immer mehr und mehr kennenlernt, allmählich auch immer sicherer und sicherer aus. Dieses Auswachsen der anthroposophischen Über­zeugung ist eben ein Zeuge von ihrer inneren Lebendigkeit.

Und auch daran muß man erkennen, wie man nicht nur anderes empfindet und denkt auf anthroposophischem Felde als auf andern heute gebräuchlichen Gebieten, sondern wie man anders denken muß, anders empfinden, anders fühlen, anders gestimmt sein muß als auf andern Gebieten. In diesem Anders-Gestimmtsein liegt das Wesentliche des Verständnisses für Anthroposophie, und von diesem Gestimmtsein aus kann Anthroposophie, ich möchte sagen, ihre Kreise ziehen in die verschiedensten Gebiete des Lebens.

Das werden vor allen Dingen diejenigen zu berücksichtigen haben, die sich zum Beispiel als Wissenschafter in die anthroposophische Be­wegung hineinbegeben haben. Als solche Wissenschafter sollten sie nicht nur anstreben, ein anderes Weltenbild zu entwerfen, als dasjenige ist, welches die sogenannte äußere Wissenschaft anstrebt, sondern sie soll­ten sich klar sein, daß sie vor allen Dingen das anthroposophische Ge­stimmtsein und innerlich Lebendigsein in die verschiedensten Wissen­schaften hineinzutragen haben. Dann würden sie viel weniger in Pole­mik gegen die andern Wissenschaften geraten als vielmehr in ein Ausgestalten desjenigen an den andern Wissenschaften, was eben ohne Anthroposophie nicht ausgestaltet werden kann. Ich muß dies betonen in einer Zeit, in der wir in einer Krise der Anthroposophischen Gesell­schaft leben, in einer Krise, die nicht zum wenigsten herbeigeführt wird durch das Verhalten wissenschaftlicher Kreise innerhalb der An­throposophischen Gesellschaft. Ich muß es auch hier an dieser Stelle betonen, daß durch den Atomismusstreit in der «Drei» die naturwissen­schaftliche Diskussion auf ein totes Geleise geführt worden ist. Denn so sollte dieser Streit, diese Diskussion niemals geführt werden, daß, ich möchte sagen, mit denselben Gedankenformen hinüber- und herübergeschlagen wird und unter Umständen mit dem Wichtigsten sogar der sogenannte Gegner noch Recht hat. Dasjenige, um was es sich heute

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handelt, ist, daß gerade zum Beispiel die physikalische Wissenschaft in ihren Tatsachen - wenn man sie nimmt, wie sie ist, ohne daß man wider sie polemisiert - gerade die allerwichtigste Grundlage gibt für die an­throposophische Auffassung, während das Polemisieren, ohne das Hineintragen des anthroposophischen Gestimmtseins, eben auf ein totes Geleise führt, wie es führen mußte und wie es geführt hat in der Pole­mik, die in der «Drei» entfaltet worden ist.

Ich möchte dieses auch aus dem andern prinzipiellen Grund hervor­heben, damit ersichtlich wird, daß ich auch in dieser Beziehung durch­aus sagen darf: Nicht mir darf man alles in die Schuhe schieben, was auf anthroposophischem Felde getan wird! Denn ich achte die Freiheit der Menschen - aber wenn irgend etwas zur Schädlichkeit führt, dann muß ich auch mein freies Urteil haben, dieses aussprechen zu können. Auf anthroposophischem Felde muß völlige Unabhängigkeit herrschen, nicht etwa irgendein Opportunismus und am wenigsten eine Kameraderie in dem Sinne, wie es sonst vielfach in der Behandlung von wissen­schaftlichen Fragen sogar der Fall ist.

Nun, meine lieben Freunde, ich habe gesagt, man muß sich, wenn man Anthroposophisches ausspricht, immer klar sein darüber, daß wir im gegenwärtigen Zeitpunkte in der Entwickelung der Bewußtseinsseele leben, das heißt aber: Das Rationelle, das Intellektuelle ist die vorzüg­lichste Seelenverfassung der Menschen geworden. Wir urteilen eigent­lich - die Anfänge davon liegen bei Anaxagoras im alten Griechen­land - in der neueren Zeit so, daß wir alles, auch die Beobachtungs­resultate, durchgehen lassen durch die Intellektualität. Und nehmen Sie das, was Sie heute als rationelle Wissenschaft haben, nehmen Sie die rationellsten Wissenschaften, die mathematischen, nehmen Sie aber auch dasjenige, was in den übrigen Wissenschaften durch den Rationa­lismus, der die Empirie bearbeitet, vorhanden ist, dann können Sie sich die Vorstellung bilden von dem eigentlichen Denkinhalt unserer Zeit. Aber dieser Denkinhalt unserer Zeit, wie ihn schon die kleinsten Kinder in der Schule aufnehmen - denn so ist es -, dieser Denkinhalt unserer Zeit ist, approximativ genommen, in einem bestimmten Zeitpunkte in der Entwickelung der Menschheit eingetreten. Wir können deutlich auf das erste Drittel des 15. Jahrhunderts hinweisen: da ist mit aller Deutlichkeit

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erst dieser Intellektualismus heraufgekommen. Früher haben die Menschen, auch wenn sie sogenanntes Wissenschaftliches gedacht haben, viel mehr in Bildern, welche die Wachstumskräfte der Dinge selber darstellten, gedacht, nicht in abstrakten Begriffen, wie wir das heute selbstverständlich tun müssen. Nun, diese abstrakten Begriffe, die uns innerlich zum reinen Denken erziehen, wovon ich gerade in meiner «Philosophie der Freiheit» gesprochen habe, diese abstrakten Begriffe, sie machen es möglich, daß wir freie Wesen werden. Als die Menschen noch nicht in Abstraktionen denken konnten, waren sie mit ihrer ganzen Seelenverfassung determiniert, abhängig. Frei können sich erst die Menschen entwickeln, nachdem sie innerlich durch nichts bestimmt sind, nachdem die moralischen Impulse - Sie können das nachlesen in meiner «Philosophie der Freiheit» - im reinen Denken er­faßt werden können. Reine Gedanken sind aber keine Realität, sondern sie sind Bilder. Bilder können uns nicht zwingen, wir selber müssen unser Handeln bestimmen; Bilder haben nichts Zwingendes. Die Menschheit hat sich auf der einen Seite zum abstrakten Gedanken, auf der andern Seite zur Freiheit entwickelt. Das habe ich von andern Gesichtspunkten aus öfter dargestellt.

Aber nun, bevor die Menschheit fortgeschritten war dazu, im Erdenleben den abstrakten Gedanken zu fassen, im Erdenleben durch die­selbe Fähigkeit, die den abstrakten Gedanken fassen kann, zur Freiheit zu kommen, wie war es denn damals mit ihr? Da hat die Menschheit im Leben auf der Erde zwischen der Geburt und dem Tode nicht ab­strakte Gedanken gefaßt; selbst im alten Griechenland war das noch nicht möglich, geschweige denn in früheren Zeiten. Da hat die Mensch­heit durchaus in Bildern gedacht und war demgemäß auch nicht mit dem innerlichen Freiheitsbewußtsein ausgestattet, das eben heraufge-zogen ist mit dem reinen, das ist abstrakten Gedanken. Der abstrakte Gedanke läßt uns kalt. Dasjenige, was uns der abstrakte Gedanke an moralischer Fähigkeit gibt, das macht uns im intensivsten Sinne warm, denn das stellt im höchsten Sinne unsere Menschenwürde dar.

Wie war es, bevor der abstrakte Gedanke mit der Freiheit über die Menschheit kam? Nun, Sie wissen, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht, dann hat er in den ersten Tagen. nachdem er seinen

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physischen Leib verlassen hat, noch den ätherischen Leib an sich, und er hat wie in einer umfassenden Rückschau, nicht in Detailmalerei, aber in ausgleichenden universellen Bildern seinen ganzen Lebensgang, den er durchgemacht hat, soweit er sich zurückerinnert, vor sich. Dieses Lebenstableau hat der unmittelbar Verstorbene durch mehrere Tage vor sich als Bildinhalt. Ja, meine lieben Freunde, so ist es heute. In der­jenigen Zeit, in der die Menschen hier auf der Erde Bildinhalt hatten, hatten sie unmittelbar nach dem Tode das, was der heutige Mensch erlebt, das Rationelle, die logische Erfassung der Welt, die sie zwischen Geburt und Tod nicht hatten, in der Rückschau vor sich. Das ist etwas, was uns im eminentesten Sinne hineinführt in das Verständnis der Men­schenwesenheit. Dasjenige, was der Mensch einer älteren Geschichts­epoche sogar, nicht nur der Urzeit, erst nach dem Tode hatte: einen kurzen Rückblick in abstrakten Begriffen und den Impuls der Freiheit, der ihm dadurch dann blieb für das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, das hat sich hereingeschoben während der Menschheits­entwickelung in das Erdenleben. Das gehört zu den Geheimnissen des Daseins, daß sich Übersinnliches fortwährend hereinschiebt in das Sinn­liche. Was heute ausgedehnt ist über das Erdenleben, die Fähigkeit der Abstraktion und Freiheit, das war etwas, was bei einer älteren Mensch­heit nach dem Tode erst in den Menschenbesitz kam mit dieser Rück­schau, während heute der Mensch während des Erdenlebens zwischen der Geburt und dem Tode die Rationalität, die Intellektualität und die Freiheit hat, und daher eine bloße Bildrückschau nach dem Tode. So schieben sich die Dinge ineinander. Fortwährend schiebt sich real Kon­kret-Übersinnliches in das Sinnliche herein.

Daran können Sie ersehen, wie Anthroposophie, rein objektiv aus der Beobachtung des Geistigen, die Tatsachen holt, von denen sie spricht, wie nichts zunächst einfließt von subjektiver Willkür in die Behandlung dieser Tatsachen. Aber wenn wir diese Tatsachen haben, wirken sie nicht auf unser Gefühl, wirken sie nicht auf unsere Willensimpulse? Können wir bei Anthroposophie sagen, daß sie eine bloße Theorie sei? Wie theoretisch nimmt es sich aus, wenn wir bloß sagen, der Gegenwartsmensch ist der Mensch der Abstraktion und der Frei­heit! Wie durchdrungen von künstlerischem Empfinden und religiöser

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Innigkeit wird es, wenn wir wissen lernen: Dasjenige, was uns als heu­tige Menschen in diesem Erdenleben die Freiheit und die Fähigkeit der Abstraktion gibt, das ist das, was durch die Pforte des Todes in ent­gegengesetzter Richtung von der, in welcher wir selbst gehen, wenn wir durch diese Pforte des Todes ziehen, aus himmlischen Welten in irdische hereingezogen ist. Wir ziehen durch das Tor des Todes hinaus in geistige Welten. Unsere Freiheit und unsere Abstraktionsfähigkeit ist ein himmlisches Geschenk, das hereingezogen ist in die irdischen Wel­ten aus den übersinnlichen Welten. Das durchsetzt uns mit einem Er­fühlen desjenigen, was wir als Menschen sind, indem es uns eben innig durchdringen kann mit dem Bewußtsein nicht nur, daß wir ein Gei­stiges in uns tragen, sondern woher wir dieses Geistige haben. Wir schauen hin auf den Tod und sagen: Was jenseits dieses Todes liegt, das hat eine ältere Menschheit in einer ganz bestimmten Weise nach dem Tode kennengelernt, es ist jetzt hereingezogen, und der Mensch der Gegenwart lernt es zwischen der Geburt und dem Tode kennen. - Und indem so dieses Himmlische, die Intellektualität und die Freiheit, in das irdische Leben eingezogen ist, ist für die Menschheit ein anderes Aufblicken zur Göttlichkeit notwendig geworden, als das früher der Fall war. Und dieses andere Aufblicken zur Göttlichkeit ist für die Menschheit möglich geworden durch das Mysterium von Golgatha. Indem der Christus eingezogen ist in das irdische Leben, kann er hei­ligen dasjenige, was aus übersinnlichen Welten eingezogen ist, und was sonst den Menschen zur Hoffart und zu allem möglichen verführen würde. In einer Zeit leben wir, wo wir einsehen müssen: Von dem Christus-Impuls muß durchdrungen werden dasjenige, was unser Hei­ligstes in diesem Zeitalter ist: die Fähigkeit, reine Begriffe zu fassen und die Fähigkeit der Freiheit. Das Christentum ist nicht vollendet, das Christentum ist gerade dadurch groß, daß die einzelnen Entwicke­lungsimpulse der Menschheit nach und nach von diesem Christus-Impuls durchtränkt werden müssen. Der Mensch muß lernen, mit Christus rein zu denken, mit Christus ein freies Wesen zu sein, weil er sonst nicht in der rechten Weise dasjenige, was für ihn aus der über­sinnlichen Welt in die sinnliche herübergezogen ist, im Zusammenhang mit der übersinnlichen Welt wahrnimmt. Hier stehen wir als Menschen,

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wenn wir auf uns selber schauen, und wissen als moderne Menschen:

das Übersinnliche ist durch die Pforte des Todes in der Richtung ent­gegengesetzt jener, in der wir selber ziehen, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen, in das irdische Leben hereingezogen. Das ist dasjenige, was in uns Menschen vor sich geht. Was in der Welt vor sich geht, ist, daß aus geistigen Höhen der Christus, die Geistsonne heruntergezogen ist in irdische Welten, damit dasjenige, was menschlich aus dem Über­sinnlichen in das Sinnliche gezogen ist, sich finde mit dem, was kos­misch aus dem Übersinnlichen in das Sinnliche gezogen ist, auf daß der Mensch in der richtigen Weise sich zusammenfinde mit dem Geiste des Kosmos. Denn nur dann kann der Mensch in der richtigen Weise in der Welt stehen, wenn der Geist in ihm richtig den Geist außer ihm findet. Der Geist, der für die alte Menschheit jenseits des Todes gelebt hat, kann von der Menschheit der Gegenwart richtig nur in Besitz genom­men werden im irdischen Leben, wenn der Mensch zugleich von dem­jenigen bestrahlt und beschienen wird, was als Christus auf die Erde herabgezogen ist aus jenen Welten, aus denen Rationalität und Intel­lektualität und Freiheit in das menschliche Leben zwischen Geburt und Tod herabgezogen sind.

So beginnt Anthroposophie überall mit Wissenschaft, belebt ihre Vorstellungen künstlerisch und endet mit religiöser Vertiefung; be­ginnt mit dem, was der Kopf erfassen kann, geht heran an dasjenige, was im weitesten Umfange das Wort gestalten kann und endet mit dem, was das Herz mit Wärme durchtränkt und das Herz in die Sicher­heit führt, auf daß des Menschen Seele sich finden könne zu allen Zei­ten in seiner eigentlichen Heimat, im Geistesreich. So sollen wir auf dem Wege der Anthroposophie ausgehen lernen von der Erkenntnis, uns erheben zur Kunst und endigen in religiöser Innigkeit.

Daß man das heute nicht will, das schafft der Anthroposophie ihre Gegner. Diese Gegner haben manche Eigentümlichkeit. Ich habe Ihnen Ernstes vorgeführt, ich kann, weil es so nahe liegt, nicht mit Ernstem schließen, obwohl die Dinge ernster sind, als man gewöhnlich meint. Aber es soll schon der Kontrast recht oft vor unsere Seele treten zwi­schen dem Ernste wahren anthroposophischen Strebens und demjeni­gen, was unsere Mitwelt vielfach aus diesem anthroposophischen Streben

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macht. Da kommt manchmal allerdings etwas Groteskes, vielleicht, wenn wir nicht so nötig hätten, uns dagegen zu wehren, auch bloß Ko­misches heraus. Ich bin schon genötigt, manchmal auch auf die Außen­welt ein kleines Schlaglicht zu werfen, worüber sich dann jeder auch das seinige denken mag, und so will ich denn mit einer nicht ganz seriösen Bemerkung die heutige sehr seriös gemeinte Betrachtung schließen.

Es war vor einiger Zeit, da brachte mir unser lieber Freund Wachs­muth nach Dornach ein grobes Pamphlet gegen Anthroposophie und namentlich gegen mich und einige mir nahestehende Persönlichkeiten, und er sagte dazumal, er wolle mir dieses Buch nicht lassen, weil er mich nicht verletzen will mit der Zumutung, es zu lesen, denn es sei eine gröbere Mache als manche andere. Nun, ich habe das Buch auch nicht wieder zu Gesicht bekommen. Herr Wachsmuth hat es damals mitgenommen und ich habe mich nicht weiter darum gekümmert. Da­gegen fuhr ich gestern in Begleitung von Frau Dr. Steiner und Herrn Leinhas durch Freiburg; wir hielten uns dort ein wenig auf, saßen an einem Tisch. An einem Nachbartisch saßen zwei Herren, von denen einer eine ziemlich dicke Mappe hatte und das andere Dazugehörige. Wir hatten uns nicht sonderlich für die Leute interessiert, sie gingen etwas früher weg als wir, und nachdem sie weggegangen waren, brachte mir der Kellner ein Buch, er solle es mir abgeben von den beiden Her­ren, die da gesessen haben. Herr Leinhas erkundigte sich, wer die Herren waren und erfuhr, daß der eine Herr Werner von der Schulenburg war. Vor dem Titelblatt, auf dem Schutzblatt steht: «Beste Empfehlungen, der Verfasser».

Sehen Sie, meine lieben Freunde, das passiert einem auch. Man be­kommt daraus vielleicht eine Vorstellung, welche Begriffe von Takt gegenwärtig - von allem übrigen abgesehen - unter denen, die sich als unsere Gegner aufspielen, herrschen. Ich habe ja in der letzten Zeit wirklich nicht die Möglichkeit gehabt, mich viel mit meinen Gegnern zu befassen; denn derjenige, welcher ein wenig meine Tätigkeit in der letzten Zeit verfolgt hat, wird gesehen haben, wie sehr ich damit be­schäftigt war, manche neue Wahrheiten zu den alten hinzuzufügen. Und das braucht Zeit, die man sich nicht verderben lassen kann, selbst wenn das Gegnerische noch so wild wird. Denn es ist für die Erringung

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anthroposophischer Wahrheiten so, wie ich es heute im Laufe des Vor­trages geschildert habe. Wird sich die Anthroposophische Gesellschaft von diesem Bewußtsein durchdringen, dann wird sie manches von der Kraft erhalten, die in der jetzigen Zeit notwendig sein wird zur Reor­ganisation dieser Gesellschaft. Und die, meine lieben Freunde, die ist gar sehr notwendig. Nehmen Sie mir nicht übel, wenn ich es Ihnen nachdrücklich auch heute noch einmal wiederhole.

DRITTER VORTRAG Stuttgart, 6. Februar 1923

#G257-1965-SE049 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

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DRITTER VORTRAG

Stuttgart, 6. Februar 1923

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Angesichts der Verhandlungen, welche jetzt hier gepflogen werden zu einer Art Reorganisation der Anthroposophischen Gesellschaft, möchte ich heute meinen Vortrag so einrichten, daß er vielleicht manchem nützlich sein kann, um sich in diesen entscheidenden Tagen ein unab­hängiges Urteil zu bilden. Ich möchte zu diesem Zweck heute zuerst einmal verhältnismäßig zusammenfassender und kürzer sprechen, als ich sonst auf antliroposophischem Boden zu sprechen pflege zu dem, was ich die dritte Phase unserer anthroposophischen Arbeit nennen möchte. Und dann möchte ich eben zu dem angegebenen Zweck heute abend einiges zu Ihnen sprechen über die drei Phasen unserer anthro­posophischen Bewegung.

Wir vernehmen es ja heute sehr häufig, daß hingewiesen wird auf jenen großen Umschwung, den das abendländische Geistesleben ge­nommen hat, als Kopernikus das alte Himmelsbild zu dem neueren umgestaltete. Und wenn dann ausgedrückt werden soll, was das be­deutet, so spricht man wohl so davon, daß man sagt: In einer älteren Zeit habe der Mensch zunächst die Erde als das Gebiet seiner Erkennt­nis angesehen, es zur Hauptsache seiner Erkenntnisbetrachtung ge­macht und den Inhalt des ganzen Himmelsraumes um die Erde herum-kreisen lassen. In der neueren Zeit haben sich in einer gewissen Weise für die menschliche Anschauung die andern Himmelskörper weit über das Gebiet hinaus vergrößert, das man ihnen früher zugewiesen hatte, die Erde sei wie eine Art Staubkorn im Weltenraum geworden und der Mensch fühle sich auf der gegenüber der Gesamtheit des Universums unbedeutenden Erde unter Tausenden und aber Tausenden von Welten wie eben auf einem Staubkorn dieses Weltenalls. Man muß aber heute -Sie gestatten mir die skizzenartige Darstellung, denn ich will gewisser­maßen nur den Charakter der dritten Phase unserer anthroposophi­schen Bewegung damit charakterisieren - schon auch darauf hinweisen, daß der Mensch, indem er auf der einen Seite die Erde in seiner Be­trachtung zu einem Staubkorn des Weltenalls gemacht hat, auf der

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andern Seite die Möglichkeit verloren hat, über das übrige Weltenall überhaupt noch sich Erkenntnisurteile zu bilden außer denjenigen, welche dieses Weltenall nach den Begriffen der Physik vorstellen, höchstens noch in der neueren Zeit nach den Begriffen der Chemie. Von dem vor allem, was darüber hinausgeht, von einer Betrachtung, die nach der Beseelung, nach der Durchgeistigung dieses Weltenalls hinblickt, sieht man heute - und das ist ja bei der Gesamthaltung un­serer modernen Erkenntnis natürlich - ab. Man verliert die Möglich­keit, irgendwie das, was der Mensch als sein Seelisches, als sein Geistiges bezeichnet, in irgendeinen Zusammenhang zu bringen mit dem, was uns von den Sternen aus dem Weltenraum herunterleuchtet. Anthropo­sophie - Sie können das aus den andeutenden Skizzen meiner «Geheim-wissenschaft im Umriß» ersehen - will wiederum die Durchseelung und Durchgeistigung des ganzen Weltenalls, den Zusammenhang des Menschengedankens mit den Weltengedanken, den Zusammenhang der Menschenseele mit andern Weltenseelen, den Zusammenhang des Men­schengeistes mit andern Weltengeistern, mit der schaffenden Geistig­keit des Universums überhaupt durchschauen. Anthroposophie will also wiederum die Möglichkeit herbeiführen, Geist im Weltenall zu erkennen. Indem Anthroposophie dieses anstrebt, tritt ihr auf ihrem Wege ein starkes Hindernis entgegen; dieses starke Hindernis möchte ich heute einmal ganz unbefangen charakterisieren. Es treten Men­schen auf, die das Anthroposophische mit Recht, mit vollem Recht, mit Enthusiasmus verkünden. Sie betonen dabei aber, daß sie bei dieser Verkündung eine Lehre geben, die ihrer Erfahrung zunächst nicht zugänglich sei, die sie vertreten als eine Lehre, die nur dem Geistes-forscher als solchem zugänglich sei. Dadurch wird ein Konflikt herbei­geführt mit der Geisteshaltung der heutigen Zivilisation. Die heutige Zivilisation macht dem Menschen einen Vorwurf, wenn er gewisser­maßen doch auf eine Art Autorität hin irgendeine Weltanschauung vertritt. Dieser Vorwurf würde ja wegfallen, wenn man gründlich ein-mal hüben und drüben einsehen würde, daß die Ergebnisse der Geistes-forschung, wie sie in der Anthroposophie gemeint sind, zwar gefunden werden müssen mit Methoden, die der einzelne sich auf verschiedenen Wegen aneignen muß, daß diese Ergebnisse aber von dem wirklich unbefangenen

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Menschenverstande, wenn sie einmal da sind, tatsächlich auch eingesehen werden können. Aber dasjenige, was auf einem ge­meinsamen Boden des wirklich unbefangenen Menschenverstandes gefunden werden könnte, das wird dennoch nicht immer zu etwas Fruchtbarem führen, wenn nicht gerade auf dem Boden der Anthropo­sophie noch etwas auftritt wie eine Art anderer Haltung als es die­jenige ist, die viele von denen einnehmen, die heute auch Anthropo­sophie verkünden. Es handelt sich dabei um folgendes.

Ich möchte zurückverweisen auf mein Buch «Die Philosophie der Freiheit», das ja vor drei Jahrzehnten der Öffentlichkeit übergeben worden ist. Und ich möchte darauf aufmerksam machen, daß ich in diesem Buche bereits hingewiesen habe auf eine besondere Art des Denkens, die anders ist als diejenige, die man gewöhnlich heute zugibt. Wenn man heute vom Denken spricht, gerade wenn man in maßgebend­sten Kreisen vom Denken spricht, dann verbindet man mit diesem Be­griffe vom Denken den einer gewissen Passivität in der Haltung des Menschengeistes. Man übergibt sich als Menschengeist der äußeren Be­obachtung, man beobachtet oder experimentiert und man verknüpft die Beobachtungen durch das menschliche Denken, kommt dabei zu Naturgesetzen, streitet vielleicht auch über die Geltung dieser Natur­gesetze, über ihre metaphysische oder bloß physische Bedeutung. Aber etwas anderes ist, diese Gedanken, die man sich so an der Natur macht, zu haben - oder sich nun wirklich aufzuklären darüber, wie man sich als Mensch verhält zu diesen Gedanken, die man sich bildet über die Natur, die man sich, so wie man sie heute über die Natur sich bildet, erst in der neuesten Zeit bilden kann. Denn die Naturgedanken einer älteren Zeit - noch des 13., 12., ii. nachchristlichen Jahrhunderts -waren eben in bezug auf die menschliche Seelenhaltung ganz andere. Denken heißt für den Menschen von heute, passiv die Erscheinungen verfolgen und über ihre Regelmäßigkeit oder Unregelmäßigkeit sich eben Vorstellungen zu bilden. Man läßt die Gedanken gewissermaßen an den Erscheinungen auftreten, man läßt sie passiv anwesend sein in der menschlichen Seele. Demgegenüber habe ich in meiner «Philosophie der Freiheit» das aktive Element im menschlichen Denken betont, habe betont, wie der Wille einschlägt in das Gedankenelement, wie man

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gewahr werden kann die eigene innere Tätigkeit im sogenannten reinen Denken, indem ich zugleich gezeigt habe, daß aus diesem reinen Den­ken herausfließt alles dasjenige, was in Wirklichkeit moralische Impulse sein können. So daß ich also den Einschlag des Willens in die passive Gedankenwelt, dadurch die Auferweckung der passiven Gedanken­welt zu etwas, was der Mensch innerlich tätig, aktiv verrichtet, auf­zuzeigen versucht habe.

Was für eine Art von Lesen war nun vorausgesetzt bei dieser «Phi­losophie der Freiheit»? Bei dieser «Philosophie der Freiheit» war eine besondere Art des Lesens vorausgesetzt. Es war vorausgesetzt, daß der Leser, während er das Buch liest, eine Art inneren Erlebnisses durch-macht, welches man wirklich äußerlich vergleichen kann mit dem Auf­wachen, das man morgens früh erlebt, wenn man vom Schlaf- in den Wachzustand übergeht. Man sollte sich gewissermaßen so fühlen: In dem passiven Denken habe ich auf einer höheren Stufe der Welt gegen­über doch nur geschlafen, jetzt wache ich auf -, so wie man des Mor­gens, wenn man aufwacht, weiß: Du bist passiv im Bette gelegen, du hast dich hingegeben dem Lauf des Naturgeschehens in deinem Leibe, du fängst jetzt an, innerlich tätig zu sein, du verbindest jetzt die Tätig­keit deiner Sinne mit dem, was draußen in der tönenden, farbigen Welt vorgeht, du verbindest jetzt die Tätigkeit deines eigenen Leibes mit deinen Intentionen. - Dieses Moment des Übergehens aus einem bloßen Erleiden in ein Tätigsein, das ist es, was auf einer höheren Stufe in ähnlicher Weise beim Lesen der «Philosophie der Freiheit» in dem Menschen auftauchen sollte. Er sollte sich gewissermaßen sagen: Ja, ich habe bisher gedacht, aber dieses Denken bestand eigentlich darin, daß ich die Gedanken in mir strömen ließ, ich gab mich hin dem Strom der Gedanken. Jetzt beginne ich Stück für Stück meine innere Tätig­keit zu verbinden mit dem Gedanken; jetzt ist es so mit den Gedanken, wie wenn ich des Morgens aufwache und die Tätigkeit meiner Sinne verbinde mit der Farben- und Tonwelt oder die Tätigkeit meines Or­ganismus verbinde mit meinem Willen. - Dadurch aber, daß man ein solches Aufwache-Erlebnis hat - ich habe darauf hingedeutet in mei­nem Buche «Vom Menschenrätsel», da wo ich über Johann Gottlieb Fichte spreche -, kommt man zu einer Seelenhaltung, die eben durchaus

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eine andere Seelenhaltung ist als diejenige, die heute die gewöhn­liche ist. Diese Seelenhaltung aber, zu der man da kommt, die führt einen nach und nach nicht bloß zu einer Erkenntnis, die man auf Au­torität hinzunehmen hat, sondern sie führt einen dazu, sich zu sagen:

Ja, was sind denn diese Gedanken, die du früher gehabt hast, und was ist denn die Tätigkeit, die du jetzt in deine passiven Gedanken, in die Gedanken, die du bloß zu erleiden hattest, hast hineinschlagen lassen? Was ist denn dasjenige, was da in dein früheres Denken hineingefahren ist, so wie das seelisch-geistige Leben des Morgens in den Leib fährt? -Ich meine damit nichts anderes als die äußere Tatsache des Aufwachens. Da kommt man eben dazu, ein Erlebnis zu haben über das Denken, welches man gar nicht haben kann, solange man nicht das Denken auch als Lebendiges, als Aktives kennenlernt.

Solange man bloß auf das passive Denken hinblickt, ist einem eben das Denken dasjenige, was sich im Menschenleibe entwickelt, wenn dieser Menschenleib durch seine Sinne die äußeren Dinge ansieht. Läßt man aber in dieses passive Denken hineinfahren die Aktivität des inneren Menschen, dann kann man dasjenige, was man früher gehabt hat, mit etwas anderem vergleichen; dann kann man erst anfangen, über das Wesen dieses passiven Denkens sich aufzuklären. Und dann kommt man dazu, daß dieses passive Denken ja eigentlich im Seelen-leben sich so ausnimmt wie ein Leichnam eines Menschen in der phy­sischen Welt. Wenn man den Leichnam eines Menschen in der physi­schen Welt hat, dann sagt man sich: So etwas kann ja nicht primär entstehen; es kann durch keine gewöhnlichen Naturgesetze eine solche Zusammenfügung der Materien stattfinden, wie sie da in einem Leich­nam vor mir liegt. Diese Zusammenfügung der Materien ist nur da­durch möglich, daß der Leichnam früher belebt war von einem Men­schenwesen, daß er ein Rest ist, daß er übriggeblieben ist von einem belebten Menschen, der diesen Leib an sich getragen hat. - Der Leich­nam als solcher ist nur erklärlich unter der Voraussetzung des früher vorhandenen lebendigen Menschen. Vor seinem passiven Denken steht der Mensch so, wie ein Wesen, das niemals Menschen gesehen hätte, sondern nur Leichname. Ein solches Wesen müßte alle Leichname als ebenso viele Wunder empfinden; denn sie könnten gar nicht entstehen

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aus dem, was in der übrigen Natur um die Leichname herum ist. So lernt man - in dem Augenblicke, wo das aktive Element des Seelen­lebens in das Denken hineinschießt - das Denken erst erkennen als etwas, was ein Rest ist. Man lernt es erkennen als Rest von etwas. Das gewöhnliche Denken ist tot, es ist ein Seelenleichnam, und man muß aufmerksam werden auf diesen Seelenleichnam dadurch, daß man das eigene Leben der Seele hineinschießen läßt, und den Leichnam, das abstrakte Denken nun in seiner Lebendigkeit kennenlernt. Will man einen Leichnam verstehen, so muß man daneben einen lebendigen Men­schen anschauen. Will man das gewöhnliche Denken verstehen, so muß man sich sagen: Es ist tot, es ist ein Seelenleichnam, und das Lebendige davon war in dem vorirdischen Leben; da lebte die Seele ohne den Leib in der Lebendigkeit dieses Denkens, und das, was mir geblieben ist hier im irdischen Leben, das muß ich betrachten wie den Seelen-leichnam der lebendigen Seele des vorirdischen Lebens.

Das wird innere Erfahrung. Darüber kann man sich innerlich auf­klären, wenn man eben den Willen hineinschießen läßt in das Denken. In der Art muß man dieses Denken schon betrachten, indem man im Sinne der heutigen Menschheitsentwickelung die ethischen, die mora­lischen Impulse im reinen Denken aufsucht. Dann kommt man dazu, durch das reine Denken selber hinausgehoben zu werden aus seinem Leib in eine Welt, die nicht die irdische ist, und man weiß jetzt: Das, was du in deinem lebendigen Denken hast, das geht eigentlich diese physische Welt zunächst nichts an, aber es ist eine Realität; das geht eine Welt an, die deine Augen hier nicht sehen, in der du warst, bevor du in deinen physischen Leib heruntergestiegen bist. Das geht eine geistige Welt an. Und man kommt zuletzt dazu, sich aufzuklären dar­über, daß auch die Gesetze unseres Planetensystems solche sind, daß sie mit der Welt, in die man nun hineinversetzt ist durch das belebte Denken, nichts zu tun haben. So daß man bis zum Ende des Planeten-systems - ich will absichtlich im alten Sinne die Sache charakterisie­ren -- gehen muß, um in eine Welt zu kommen, für die dasjenige eine Bedeutung hat, was man im lebendigen Denken erfaßt. Das heißt, man muß über den Saturn hinaus gehen, um die Welt zu finden, auf die jetzt die lebendigen Gedanken anwendbar sind, aber in der dasjenige zu

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findenjst, was aus dem Universum herein auch auf unserer Erde schöpferisch ist. - Jetzt hat man einen ersten Schritt gemacht in dem Zeitalter, das sich sonst nur versetzt fühlt auf das Staubkorn Erde im Weltenraum, jetzt hat man einen ersten Schritt gemacht, um wiederum hinauszugehen in das Weltenall, um ein Mittel zu haben, da draußen wiederum etwas schauen zu können, etwas schauen zu können mit dem lebendigen Denken. Man kommt jenseits des Planetensystems.

Und betrachtet man in der Weise, wie ich es in meiner «Philosophie der Freiheit» getan habe, weiter den menschlichen Willen - ich habe in dieser «Philosophie der Freiheit» mich beschränken wollen auf die bloß sinnengemäße Welt, bin erst in den folgenden Schriften weiter­gegangen, weil die Dinge ja nach und nach entwickelt werden muß­ten -, so kommt man dazu, daß ebenso wie in das passive Denken, in das Denken, das man nur zu erleiden hat, der Wille einschlägt und man hinausgeführt wird über den Saturn in das Universum, daß man eben­so, indem man in den Willen sich hineinvertieft, so, daß man gewisser­maßen mit seinem ganzen Wesen ruhig wird, wie ein ruhender Pol in der Bewegtheit der Willenswelt, die man sonst entfaltet, man nach der andern Seite weiterkommt. Wenn wi? innerhalb unseres Leibes wollen, sind wir eigentlich in Bewegung. Selbst wenn das Wollen nur ein Wunsch ist, so liegt eine innere Stoffbewegung vor. Wollen ist, so wie es beim Menschen für das gewöhnliche Bewußtsein auftritt, Bewegung. Der Mensch ist gewissermaßen in die Bewegung der Welt hineinver­setzt, indem er will. Gelingt es einem nun durch jene Übungen, die ich angegeben habe in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», dieser Bewegung, in der man innerhalb des Wollens steht, die Ruhe des eigenen Wesens entgegenzusetzen, gelingt es einem, wenn ich mich bildlich ausdrücken will, in der Seele stehenzubleiben, während man mit dem Leibe im Raume geht - es ist nur ein Bild, es muß angewendet werden auf alle Betätigungen des Willens -, gelingt es einem, in der Welt tätig zu sein und in der Seele ruhig zu bleiben, gewissermaßen die eigene Tätigkeit sich fortbewegen zu lassen und ruhig zuzuschauen seiner eigenen Tätigkeit: dann trägt man das Den­ken in den Willen hinein wie früher den Willen in das Denken. Dann kommt man nach der andern Seite aus der Welt heraus. Man kommt

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nämlich dadurch dazu, den Willen zu erkennen als etwas, das nun wiederum sich loslöst von dem physischen Leibe, das sogar einen her-ausführt aus der gewöhnlichen Erdengesetzmäßigkeit, und man lernt auf diese Weise kennen eine ganz besonders bedeutsame Tatsache be­züglich des Zusammenhanges des Menschen mit dem Universum. Man lernt sich sagen: Du hast in dir allerlei Triebe, Instinkte, Leidenschaf­ten, die schon innerhalb des Willensmäßigen liegen. Aber diese Triebe, Instinkte, Leidenschaften, die beim Leichnam fehlen, die gehören gar nmcht der Welt an, die du mit deinen Experimenten erkennen kannst, indem du dich auf die irdische Sinnenwelt beschränkst. Das gehört einer andern Welt an, die in diese Welt hineingestellt ist und die von ihrer Wirksamkeit alles dasjenige zurückwirft, was in dieser Sinnes-welt liegt.

Ich will heute nur skizzenhaft die Dinge andeuten, weil ich den Charakter der dritten Phase der Anthroposophie darlegen will. Man kommt dazu, nach der andern Seite in das Universum hineinzukom­men, nämlich nach der Seite, die äußerlich-physisch durch den Mond charakterisiert wird. So wie der Mond das Sonnenlicht zurückwirft, es nicht aufnimmt, sondern in sich das Sonnenlicht freiläßt, indem er alles zurückstrahlt, so strahlt er auch andere Kräfte des Universums zurück. Er schließt sie aus, er gehört einer andern Welt an, als die­jenige ist, durch die wir die Dinge sehen. Wir sehen die Dinge durch das Licht, der Mond strahlt uns das Licht zurück, er nimmt es nicht in sich auf. Wir werden auf der einen Seite durch das Denken, das sich selbst erfaßt in innerer Tätigkeit, bis auf den Saturn hinaufgeführt. Wir werden auf der andern Seite, indem wir den Willen erfassen, in die Mondentätigkeit hineingeführt, lernen den Menschen in Beziehung setzen zum Universum, werden hinausgeführt über das Staubkorn Erde, schwingen wieder unsere Erkenntnis auf zum Universum, finden wiederum etwas im Universum, was verwandt ist demjenigen, was in uns seelisch-geistig lebt. Und wenn wir dann auf der einen Seite das vom Willen durchtränkte aktive Denken in unserer Seelenhaltung haben, auf der andern Seite den vom Denken durchtränkten Willen und uns bewußt geworden sind: auf der einen Seite kommen wir an die Grenze des Planetensystems bis ins Saturnische, auf der andern

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Seite, innerhalb des Irdischen, aus dem Planetensystem hinaus über das Universum in das Mondenhafte, wenn wir uns fühlen mit unserem Be­wußtsein im Universum, so wie wir uns hier auf der Erde mit unserem Bewußtsein im Irdischen fühlen, und dann mit diesem Bewußtsein, das nun, so wie das gewöhnliche Bewußtsein das Irdische miterlebt, das Universell-Himmlische miterlebt, wenn wir mit einem solchen Bewußt­sein im Himmlischen darinnenstehen und da das Selbstbewußtsein erlangen, dann taucht die Erinnerung auf an die früher zugebrachten Erdenleben, dann werden die wiederholten Erdenleben eine Tatsache des Weltengedächtnisses, das wir uns angeeignet haben. Man braucht sich nicht zu wundern darüber, daß im Irdischen nicht erinnert wer­den können die wiederholten Erdenleben; denn dasjenige, was da­zwischen liegt, wird ja nicht auf der Erde durchgemacht, und die Wirk­samkeit des einen Erdenlebens in das spätere kommt nur dadurch zu­stande, daß der Mensch sich vom Irdischen erhebt. Wie sollte der Mensch sich an die früheren Erdenleben erinnern, wenn er nicht sich zuerst aufschwingen würde zu einem himmlischen Bewußtsein!

Ich habe heute nur skizzenhaft darüber reden wollen, denn ich habe ja über solche Dinge hier auch schon oftmals geredet. Ich habe gewis­sermaßen andeuten wollen die Regionen, in denen sich die anthropo­sophische Forschung bewegt, namentlich in den letzten Jahren bewegt hat. Diejenigen, die prüfen wollen, was hier vorgegangen ist, die wer­den wissen, wie sich die Haltung meiner Vorträge in den letzten Jahren gerade in solchen Regionen bewegt hat. Es hat sich darum gehandelt, allmählich eine Klärung darüber hervorzurufen, wie man aus dem gewöhnlichen Bewußtsein in ein erhöhtes Bewußtsein hineinkommen kann. Und obwohl ich immer wieder gesagt habe, der gewöhnliche, unbefangene Menschenverstand kann die Ergebnisse der Anthropo­sophie einsehen, so habe ich auch betont, daß für jeden heute zugäng­lich ist eine solche Bewußtseinshaltung, durch die er unmittelbar selber ein neues Denken und ein neues Wollen erreicht, wodurch er sich hin­einversetzt fühlt in diejenige Welt, von der Anthroposophie redet. Dasjenige, was notwendig gewesen wäre, das ist, daß man abgekommen wäre davon, so etwas wie meine «Philosophie der Freiheit» mit der­selben Seelenhaltung zu lesen. wie man etwa andere philosophische

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Darstellungen liest. Man hätte sie in der Seelenhaltung lesen müssen, durch die man aufmerksam wird darauf, daß man in eine ganz andere Art des Denkens, des Anschauens und des Wollens hineinkommt. Dann aber würde man gewußt haben: Man erhebt sich mit dieser andern Be­wußtseinshaltung von der Erde in eine andere Welt hinein, und dann entspringt aus dem Bewußtsein einer solchen Seelenhaltung eben jene mnnere Festigkeit, welche mit Überzeugung reden darf von demjenigen, was die Geistesforschung ergründen kann. Liest man die «Philosophie der Freiheit» in richtigem Sinne, dann redet man über das, was der Geistesforscher zu sagen hat, der eben mehr ergründen kann als das­jenige, was der Anfänger kann, mit Sicherheit, mit innerer Überzeu­gung. Aber ein solcher Anfänger, wie ich ihn jetzt charakterisiert habe, kann eben schon durch das richtige Lesen der «Philosophie der Frei­heit» jeder werden. Dieser Anfänger kann dann von dem Ausführ­licheren, das der entwickelte Geistesforscher sagen kann, so reden wie derjenige, der Chemie gelernt hat, von Forschungsresultaten redet, die er auch nicht angesehen hat, von denen er aber weiß aus dem, was er gelernt hat, aus dem, wie man über die Sachen redet und wie sie der realen Sphäre des Lebens angehören. Immer kommt es darauf an, wenn es sich um Anthroposophie handelt, daß eine gewisse Seelenhaltung emntritt, nicht bloß das Behaupten eines andern Weltbildes, als man es im gewöhnlichen Bewußtsein hat. Das hat man eben nicht mitgemacht, die «Philosophie der Freiheit» anders zu lesen, als andere Bücher ge­lesen werden. Und das ist es, worauf es ankommt, und das ist es, worauf jetzt mit aller Schärfe hingewiesen werden muß, weil sonst eben einfach die Entwickelung der Anthroposophischen Gesellschaft ganz und gar zurückbleibt hinter der Entwickelung der Anthropo­sophie. Dann muß die Anthroposophie auf dem Umwege durch die Anthroposophische Gesellschaft von der Welt ja gänzlich mißverstan­den werden, und dann kann nichts anderes herauskommen als Konflikt über Konflikt!

Ich möchte nun, um eben der unmittelbaren anthroposophischen Gegenwart zu dienen, von den drei Phasen in der Entwickelung der Anthroposophischen Gesellschaft ganz kurz sprechen. Vor etwa zwei Jahrzehnten wurde begonnen, Anthroposophie zu verkünden - im

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wesentlichen, möchte ich sagen, denn im Keim liegt es durchaus zum Beispiel in meiner «Philosophie der Freiheit», schon in meinen Schrif­ten über Goethes Weltanschauung - aber im wesentlichen wurde es begonnen vor zwei Jahrzehnten. Und daß es als Anthroposophie be­gonnen hat verkündet zu werden, mag Ihnen aus folgendem hervor­gehen.

Als ich meine ersten Berliner Vorträge gehalten habe, die in dem Büchlein «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung» enthalten sind, als ich diese Vorträge im Anfange des 20. Jahrhunderts in Berlin gehalten habe, da forderte man mich von seiten der Theosophischen Gesellschaft auf, dort mitzumachen, wenn ich so sagen darf. Ich habe die Theo­sophische Gesellschaft nicht gesucht. Man hat dasjenige, was in jenen Vorträgen rein aus der Verfolgung meiner eigenen Weltanschauung entsprungen war, für dasjenige gehalten, was man dort hören wollte. Das hat dazu geführt, zu sagen: Die Theosophen wollen dasjenige hören, was da zu hören ist, und ich wiederum werde jederzeit da reden, wo man mich hören will. - Daher fand ich für mich, trotzdem ich früher die Theosophische Gesellschaft nicht gerade freundlich charak­terisiert habe - ich habe es früher so gemacht, und habe es später so gemacht -, keine Veranlassung, nicht nachzukommen der Aufforde­rung, innerhalb der Theosophischen Gesellschaft das zu vertreten, was ich selber aus der geistigen Welt heraus zu vertreten habe. Daß es aber als Anthroposophie vertreten worden ist, mag eben daraus hervor­gehen, daß in derselben Zeit, und zwar in denselben Stunden, als die Deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft in Berlin gegründet worden ist, ich abgesondert davon meinen damaligen Vortragszyklus über Anthroposophie gehalten habe, der auch so benannt war. Auf der einen Seite ist die Deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft gegründet worden und ich habe meinen Vortragszyklus über Anthro­posophie damals gehalten. Also es hat sich von Anfang an darum ge­handelt, nicht irgend etwas anderes zu vertreten als Anthroposophie. Und nun beginnt damit die erste Phase der anthroposophischen Be­wegung, verkörpert durch dasjenige, was dazumal sich gefunden hat, um die anthroposophische Weltanschauung aufzunehmen innerhalb

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zunächst der Deutschen Sektion, und dann auch weiterer Kreise der Theosophischen Gesellschaft. Durch die erste Phase hindurch war also gewissermaßen die Anthroposophische Gesellschaft in einer Art em­bryonalen Lebens innerhalb der Theosophischen Gesellschaft. Ich möchte sagen, eine Art Embryo war sie in der Theosophischen Gesell­schaft, aber sie hat sich entwickelt eben als Anthroposophische Gesell­schaft. Sie hatte innerhalb dieser ersten Phase ihre ganz besondere Auf­gabe: sie hatte die Aufgabe, zunächst demjenigen, was in der Theo­sophischen Gesellschaft vorlag - und das war die traditionelle Auf­nahme uralter orientalischer Weistümer -, entgegenzusetzen die Spiri­tualität der abendländischen Zivilisation mit dem Mysterium von Golgatha als Mittelpunkt.

Nun haben wir die erste Periode der anthroposophischen Bewegung, die etwa bis zum Jahre 1908 oder 1909 dauert. Diejenigen, welche die Geschichte der Entwickelung der anthroposophischen Bewegung zu­rückverfolgen, werden sehen können, wie hinorientiert worden ist alles dasjenige, was nun - nicht durch Ubernahme alter Traditionen, sondern aus dem unmittelbaren Bewußtsein der Gegenwart heraus - gefunden werden konnte über präexistentes Leben, über wiederholte Erdenleben und so weiter, wie das hinorientiert worden ist zu jener geschichtlichen Entwickelung innerhalb des menschlichen Erdendaseins, die ihren Mit­telpunkt hat in dem Mysterium von Golgatha und in dem Christus-Impuls. Es wurden da die Evangelien ausgearbeitet, es wurde anderes ausgearbeitet, und man hatte - ungefähr in der Zeit, in der man be­ginnen konnte mit dem Übergang der anthroposophischen Bewegung zu einer Art künstlerischen Offenbarung, was dann zunächst geschehen ist durch meine Mysteriendramen - da zunächst ausgearbeitet die An­throposophie und sie bis zu jenem Mittelpunkte gebracht, der in dem Mysterium von Golgatha lag.

Dann war die Zeit gekommen, in welcher die theosophische Bewe­gung in eine Art Absurdität ausgeartet ist, denn diese theosophische Bewegung konnte eben nicht herankommen an das Mysterium von Golgatha, hat dann die Absurdität vollbracht, eine Art wiederverkör­perten Christus in einer gegenwärtigen menschlichen Jünglingsgestalt der Welt zu verkündigen im Zusammenhang mit allerlei andern Absurditäten.

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Es war ganz selbstverständlich, daß ein ernster Mensch sich auf diese Absurditäten überhaupt nicht einlassen konnte, daß diese Absurdität~ächerlich waren gegenüber der abendländischen Zivili­sation. Aber Anthroposophie war hineingearbeitet in diese abendlän­dische Zivilisation, so hineingearbeitet worden, daß das Mysterium von Golgatha in emner erneuerten Auffassung innerhalb des Anthropo­sophischen erschien. Und es kam zu jenen Differenzen mit der Theo­sophischen Gesellschaft, die dann dazu geführt haben, daß alle Anthro­posophen eigentlich ausgeschlossen worden sind aus derTheosophischen Gesellschaft. Das hat ihnen nichts gemacht aus dem Grunde, weil sich ja an der Anthroposophie nichts dadurch geändert hat. Ich selber habe nie etwas anderes als Anthroposophie mit denen, die sie hören wollten, getrieben, auch in der Zeit nicht, in der Anthroposophie äußerlich ent­halten war in der Theosophischen Gesellschaft.

Nun kam die zweite Phase der anthroposophischen Bewegung. Diese zweite Phase der anthroposophischen Bewegung hatte also zu ihrer Voraussetzung die wichtigsten Lehren über Schicksal und wiederholte Erdenleben, sie hatte das Mysterium von Golgatha in einer spirituellen Beleuchtung, die im Einklang stand mit der Zivilisation der Gegen­wart; sie hatte ferner eine Evangelieninterpretation, welche die Tra­dition wiederum in Einklang erscheinen ließ mit dem, was man auch heute noch erfassen kann durch den lebendig gegenwärtigen und wir­kenden Christus. In der zweiten Phase, die dann etwa bis zum Jahre 1916 oder 1917 dauert, hatte man zunächst, ich möchte sagen, Um­schau zu halten auf alles dasjenige, was die äußere wissenschaftliche und praktische Zivilisation der Gegenwart ist. Man hatte zu zeigen, wie Anthroposophie in Einklang gebracht werden kann mit demjeni­gen, was heute wissenschaftlich ist, was heute künstlerisch ist, natürlich mn einem tieferen Sinn, und dem, was heute praktisches Leben ist. Sie brauchen nur solche Dinge, wie den Vortragszyklus, den ich 1911 in Prag und 1910 in Kristiania gehalten habe, den einen über «Okkulte Physiologie», den andern über die europäischen Völkerseelen, zu neh­inen, und Sie werden sehen, wie in der zweiten Phase der Anthropo­sophie ausgearbeitet worden ist der Zusammenhang mit den wissen­schaftlichen Fragen der Gegenwart und mit den Fragen des praktischen

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Lebens der Gegenwart. Das sind aber nur Beispiele; die Aufgabe war, die Beziehungen zu suchen zu Wissenschaft und Lebenspraxis der Ge­genwart. Während dieser zweiten Phase der Anthroposophischen Ge­sellschaft kam ja nichts anderes in Betracht, als daß sich in der Welt eine Anzahl von Menschen fand, die der Anthroposophie durch ihre innere Seelenverfassung Gehör schenken konnten. Diese Menschen haben sich in immer größerer und größerer Zahl gefunden. Es war nmchts anderes notwendig, als daß sich Menschen zusammenfanden, die der Anthroposophie aus ihrer ehrlichen Seelenhaltung heraus Gehör schenken konnten. Dadurch konnte eine Art anthroposophische Ge­mneinde entstehen, und die Aufgabe war eigentlich nur diese, solchen Menschen, die gemäß dem inneren Entwickelungsgange der Menschheit in der Gegenwart etwas entgegenbrachten der anthroposophischen Er­kenntnis, diesen Menschen - darum konnte es sich nur handeln - ge­recht zu werden, diesen Menschen etwas zu geben, was sie brauchten für ihre Seelenentwickelung. Es brauchte also nur der Verkündigung der Anthroposophie. Und im Grunde genommen konnte es einem gleichgültig sein, ob sich die Bekenner der Anthroposophie in diesen zwei ersten Phasen der Anthroposophischen Gesellschaft zusammen-fanden in sektenartigen Zirkeln, ob sie für öffentliche Vorträge herbei-kamen und dergleichen. Man brauchte sich nur auf die Grundlage der ehrlich erworbenen Erkenntnis zu stellen und das zu sagen, was von dieser ehrlich erworbenen Erkenntnisgrundlage aus zu sagen war. Und man konnte innerhalb dessen, was sich ila als Anthrosophische Ge­sellschaft herausgebildet hatte, durchaus zurechtkommen.

Ein weiteres in dieser Phase war die Weiterentfaltung des Künstle­rischen. Ungefähr in der Mitte dieser Phase ist aufgetreten die Inten­tion, das Goetheanum, den Dornacher Bau aufzuführen. Dasjenige, was in den Mysterien künstlerisch gegeben worden ist, das ist dadurch in das Architektonische, Bildhauerische, Malerische ausgedehnt wor­den. Es kam das Eurythmische dazu, das ich ja öfter in den Einleitun­gen zu eurythmischen Darstellungen in seinem Wesen charakterisieren konnte. Und das alles entsprang gewissermaßen aus dem Quell heraus, der eben eröffnet war durch die Wege, die ich in dem Buche «Wie er­langt man Erkenntnisse der höheren Welten?» skizzenhaft angedeutet

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habe, aber so weit, daß jeder, der will, eine Vorstellung davon bekom­men kann, wie man solche Wege zu gehen hat. Eine besondere Schwie­rigkeit ergab sich für diese zweite Phase der Anthroposophischen Ge­sellschaft dadurch, daß man hineinkam in jene furchtbare Zeit Europas und der neueren Zivilisation, die dann den entsetzlichen Weltkrieg gesehen hat. Und es war insbesondere schwierig in dieser Zeit, in der Mißtrauen und Haß die ganze neuere Zivilisation durchsetzten, das Schifflein der Anthroposophie durchzubringen, besonders auch des­halb, weil ja das Goetheanum auf einem neutralen Boden stand, der nicht immer ganz leicht in der Zeit der Absperrung zu erreichen war. Aber es war dasjenige, was man begründen konnte als Vertrauen in die Ehrlichkeit des anthroposophischen Wollens, eben doch größer, auch während der Zeit des Krieges, als dasjenige, was als Mißtrauen wider sie aufgetreten ist in der Nachkriegszeit. Und man kann sagen:

In der anthroposophischen Arbeit hat die Kriegszeit eigentlich keine Störung hervorgerufen, es konnte in dieser Arbeit fortgefahren wer­den. - Und es ist ja oft hervorgehoben worden, wie eine große Anzahl von Menschen aus den verschiedensten europäischen Nationen, die sich äußerlich auf den Kriegsschauplätzen in Haß und Feindschaft im Kampfe gegenüberstanden, in Dornach friedlich miteinander in an­throposophischer Gesinnung den Bau, der uns jetzt durch das furcht­bare Unglück entrissen ist, aufgeführt haben.

Und dann kam die dritte Phase der anthroposophischen Bewegung, jene dritte Phase, in der aufgenommen worden ist von einer Anzahl Persönlichkeiten allerlei Tätigkeit. Ich habe schon betont, auch hier:

der Inhalt dieser Tätigkeit war gut. Aber die Tätigkeiten mußten mit emsernem Willen aufgenommen und in ihrer Art verfolgt werden. Man mußte dasjenige, was man aufnahm - damals hat es sich genannt «Drei­gliederungsbewegung», später «Bund für freies Geistesleben», Hoch­schulbund und so weiter -, man mußte all das so aufnehmen, daß man wußte, man ist so dabei, daß man mit seinem ganzen Wesen untrennbar davon ist. In der dritten Phase der Anthroposophie war es nicht mehr möglich, die Sache 50 zu halten, daß Anthroposophie einfach ver'kündet wurde und sich diejenigen zusammenfanden, die ihr ehrlicher innerer Sinn zu dieser Anthroposophie brachte, sondern es war jetzt so gekommen,

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daß eine Anzahl von Persönlichkeiten dieses oder jenes tun wollten, von sich aus tun wollten und auch taten, so daß innerhalb der anthroposophischen Bewegung allerlei entstand von andern Gemein­schaften, als die ursprünglich anthroposophische ist. Zum Beispiel eine wissenschaftliche Bewegung. Diese wissenschaftliche Bewegung, sie hat sich erhoben auf Grundlage dessen, was von der Anthroposophie an Beziehungen zur Wissenschaft in der zweiten Phase festgelegt worden ist. Wissenschafter traten auf. Sie hatten die Aufgabe, gerade dasjenige der neueren Wissenschaft zu geben, was eben von der Anthroposophie aus der neueren Wissenschaft gegeben werden kann. Aber es hätte fort­gesetzt werden sollen dasjenige, was von mir angefangen worden ist an der Hand des Herstellens der Beziehungen zur neueren Wissenschaft. Ich darf an Vorträge erinnern, welche eben in der zweiten Phase der anthroposophischen Bewegung gehalten worden sind. Ich habe zum Beispiel immer darauf aufmerksam gemacht: Man sehe,wie die neueren Physiker zu dieser oder jener Denkweise kommen. Ich bin ausgegangen von dem, wozu die neueren Physiker kommen, ich habe es zunächst nicht verneint, sondern bejaht, ich habe gesagt: Fangen wir da an, wo die Physiker aufhören, dann kommen wir von der Physik in die An­throposophie hinein. Und so habe ich es für verschiedene andere Ge­biete gemacht. Diese Orientierung hätte fortgesetzt werden sollen, dann wäre ein anderes Bild von wissenschaftlicher Tätigkeit in der dritten Phase entstanden, als entstanden ist. Dann wäre vor allen Din­gen nicht das herausgekommen, was von mir schon das letzte Mal eine unfruchtbare Polemik und eine unfruchtbare Diskussion genannt wor­den ist. Und heute wäre die positive Aufgabe da, zu sagen: Gewiß, An­throposophie hat etwas in der Wissenschaft zu sagen, die Wissenschaft kann eine bestimmte Fortsetzung unter dem Einflusse der Anthroposo­phie gewinnen, das ist so und so zu machen. - Dann würde eine andere Haltung gegenüber der Wissenschaft herauskommen, als in einem der letzten Hefte der «Drei» herausgekommen ist, oder in einer Anzahl von Heften, die ich durchnehmen mußte wegen des Vortragszyklus' über Naturwissenschaft, den ich letzte Weihnachten in Dornach zu halten hatte. Sie hat mich erschreckt durch die der Anthroposophie ebenso wie der Wissenschaft schädliche Art, sich auseinanderzusetzen

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mit Wissenschaft und Anthroposophie. Mit dieser unfruchtbaren Po­lemik der Anthroposophen führt man nur die Anthroposophie einem gewissen Mißkredit entgegen. Damit habe ich nicht bloß eine Kritik geliefert, sondern zugleich angedeutet, was der Wissenschafter heute innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft zu tun hat.

In anderer Beziehung hat Ahnliches zu geschehen. Man beachte ein­mal einen andern Fall. Ich habe auch darauf schon das letzte Mal auf­merksam gemacht. Wir haben in der dritten Phase der anthroposophi­schen Bewegung den Hochschulbund sich begründen sehen. Dieser Hochschulbund ist aufgetreten mit einem ausgezeichneten Programm; aber man hätte dabei bleiben müssen, mit seinem ganzen Wesen dafür einstehen müssen, irgend jemand. Ich selber hatte nur für Anthropo­sophie einzustehen. Wenn irgend jemand auf dem Boden der Anthropo­sophie etwas unternahm, das selbständig war, hatte er selber dafür ein-zustehen. Man blieb nicht hinter dem Programm stehen, trotzdem ich, als das Programm gemacht wurde, ausdrücklich aufmerksam gemacht habe - die Worte habe ich gebraucht: Man mache solche Programme nur, wenn man den eisernen Willen hat, sie durchzuführen; sonst unter­lasse man sie. - Also man unterlasse sie, wenn man nicht dabei stehen­bleiben will. Wer nicht dabei stehen geblieben ist, das ist die führende Welt der Anthroposophischen Gesellschaft gewesen. Was hat sich her­ausentwickelt? Etwas hat sich herausentwickelt, was zur Anthropo­sophie wiederum hinkommt, das heißt, zur lebendigen Quelle der Anthroposophie hinkommt: eine Anzahl von jüngeren Menschen der studentischen Welt, die mit aller Sehnsucht zur echten Anthroposophie wiederum hinwollen, und die ihrerseits in der Anthroposophischen Gesellschaft dasjenige nicht finden können, was sie suchen, die aus­drücklich darauf aufmerksam gemacht haben: Wir wollen uns zum Beispiel auch von der künstlerischen Seite aus dem anthroposophischen Impuls nähern. - Zu Frau Dr. Steiner sind die Leute gekommen, um von der Rezitation und Deklamation aus hineinzukommen in den an­throposophischen Schwung, wenn ich mich so ausdrücken darf.

Daneben ging ein anderes, meine lieben Freunde. Daneben ging es so, daß in der dritten Phase der anthroposophischen Bewegung eben die geistigen Welten so geschildert wurden, wie ich sie jetzt am Anfange

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memnes heutigen Vortrages kurz skizziert habe für ein bestimmtes Ka­pitel, das gewissermaßen erhoben wurde in die Sphäre rein geistiger Betrachtung, wo man zeigen kann, wie der Mensch zu einem andern Bewußtsein kommt, um in die geistige Welt hineinzukommen. Zu der Orientierung nach dem Mysterium von Golgatha, zu der Orientierung gegenüber Wissenschaft und Lebenspraxis in der ersten und zweiten Phase kam die dritte Phase, ich möchte sagen, die unmittelbare Dar­stellung der geistigen Welten. Und wer verfolgt hat, was während der drei Phasen nach dieser Richtung in Dornach versucht worden ist, ver­sucht worden ist zum Beispiel auch hier, wer ein Herz und einen Sinn gehabt hat für den Fortschritt, der darin lag gegenüber der ersten und zweiten Phase, wer namentlich verfolgt hat das, was auch außerhalb der mitteleuropäischen Zivilisation in der letzten Zeit als anthropo­sophischer Inhalt verkündet werden kann, der wird bemerken, daß es sich darum handelt, eine wirkliche dritte Phase der anthroposophischen Bewegung zu begründen, die aber in geradem Aufstieg, in gerader Fort-entwickelung der beiden ersten liegt. Und im Grunde genommen wäre es nicht möglich gewesen, die Waldorfschul-Pädagogik, die ebenso aus dem ewigen wie aus dem zeitlichen Wesen des Menschen heraus ge­schaffen werden mußte, zu schaffen, ohne diese dritte Phase der an-throposophischen Bewegung.

Nun vergleichen Sie mit alledem, was ich Ihnen jetzt gesagt habe -ich will niemanden kritisieren, aber ich muß jetzt aus einem offenen Herzen zu Ihnen sprechen -, die beiden Diskussionen, die hier gepflegt worden sind gestern und eine Woche vorher, und fragen Sie sich, wie an der Anthroposophischen Gesellschaft die drei Phasen der anthropo­sophischen Arbeit vorbeigegangen sind. Wären nicht diese Diskussio­nen vor achtzehn Jahren oder meinetwillen sechzehn Jahren in genau demselben Wortinhalte möglich gewesen, wie jetzt nach zwei Jahr­zehnte langer anthroposophischer Arbeit? Ist es nicht, als ob die An­throposophische Gesellschaft im Anfange bei ihrer Gründung wäre? Wie gesagt, ich will niemandem irgendwie kritisch nahetreten, aber Anthroposophische Gesellschaft kann nur etwas sein, wenn sie die Pflegestätte desjenigen ist, was in anthroposophischer Arbeit errungen wird, wenn diejenigen, die zum Beispiel als Wissenschafter in ihr tätig

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sind, eingedenk dessen sind, daß sie die Anthroposophie nicht über der Wissenschaft vergessen dürfen, sondern daß sie gerade die neueste Phase der Wissenschaft mit Anthroposophie krönen müssen, nicht in unfruchtbarer Polemik die Anthroposophie, ich möchte sagen, bloß­stellen vor der Wissenschaft. Diejenigen, die als Lehrer tätig sind, haben eine ähnliche Aufgabe. Und insbesondere hätten diejenigen eine ähnliche Aüfgabe, die als Praktiker tätig sind; denn gerade die Lebens-praxis wird am meisten Einwendungen machen gegen Anthroposophie, die gerade sehr praktisch sein kann, der man es aber am allerintensiv­sten streitig machen will, praktisch zu sein. Heute steht eben die An­throposophische Gesellschaft vor der Notwendigkeit, nicht bloß zu-zusehen der wirklichen anthroposophischen Arbeit und daneben allerlei zu begründen, ohne daß man diesen Begründungen den anthroposophi­schen Eifer und anthroposophischen Enthusiasmus zugrunde legt, heute steht die Anthroposophische Gesellschaft vor der Notwendigkeit, sich bewußt zu werden der anthroposophischen Arbeit. Das ist eine ganz positive Bezeichnung ihrer Aufgabe, die nur in den Einzelheiten aus­geführt zu werden braucht. Sonst, wenn dieses Positive nicht unter­nommen wird, führt das dazu, daß Anthroposophie durch die Anthro­posophische Gesellschaft vor der Welt geschädigt und immer mehr geschädigt würde. Wie viele Gegnerschaft hat zum Beispiel die Drei­gliederungsbewegung der anthroposophischen Bewegung deshalb ge­bracht, weil die Dreigliederungsbewegung nicht verstanden hat, sich auf anthroposophischen Boden zu stellen, sondern sich auf den Boden aller möglichen Kompromisse gestellt hat, und man nach und nach in einzelnen Kreisen anfing, Anthroposophie zu verachten. In ähnlicher Weise geht es auf anderen Gebieten. Was wir zu sehen haben, ist eben, daß Anthroposophie, wie ich im ersten der Vorträge, die ich vor Ihnen hier halten durfte, gesagt habe, die Mutter ist dieser Bewegung. Dessen muß man sich bewußt werden; das hätte auch dazu geführt, die rich­tige Orientierung gegenüber der von mir ja inaugurierten Bewegung für religiöse Erneuerung zu finden. Statt dessen sind nur Schiefheiten auch auf diesem Gebiete zutage getreten. Heute handelt es sich darum, in dieser ernsten Stunde die Worte zu finden, die in positive Arbeit hineinführen, hinauszugehen über das unfruchtbare Reden in dem

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Sinne, als ob man heute in der Zeit vor zwei Jahrzehnten stünde und als ob keine anthroposophische Arbeit geleistet worden wäre.

Sie müssen, meine lieben Freunde, nicht übelnehmen, daß ich in die­ser Weise jetzt zu Ihnen gesprochen habe; ich mußte es tun, denn es liegt das vor, was ich am 6. Januar bereits in Dornach ausgesprochen habe: die Anthroposophische Gesellschaft ist gut, die Anthroposophi­sche Gesellschaft kann aufnehmen dasjenige, was ich auch mit den schärfsten Worten jetzt charakterisiert habe. Aber es muß die Führer­schaft der Anthroposophischen Gesellschaft sich der Aufgabe bewußt werden, daß die Anthroposophische Gesellschaft, wenn sie sich An-throposophische Gesellschaft weiterhin nennen will, eben ein Bewußt­sein davon in sich tragen muß, daß sie die Trägerin der anthroposophi­schen Arbeit sei. In dem Augenblicke, wo mit gutem Willen dieses Bewußtsein hinlänglich klar ausgesprochen wird, in dem Augenblicke hören die Konflikte, die jetzt ausgebrochen sind, auf. In dem Augen­blick ist auch die Krisis vorüber. Aber es gehört der gute Wille dazu, dieses auch wirklich auszusprechen, nicht bloß unfruchtbare Kritik zu üben; allerdings auch nicht sich in Illusionen zu wiegen, wenn man ein paar Kompromisse zwischen dieser oder jener Bewegung herbeigeführt hat, um dann wieder im alten Trott fortzusegeln, sondern es handelt sich darum, ganz und gar ernst zu machen mit der anthroposophischen Arbeit. Alle einzelnen Strömungen innerhalb der anthroposophischen Bewegung müssen zusammenwirken, um diesen Ernst herbeizuführen. Da darf es nicht geben abgesondert eine Waldorfschul-Bewegung, eine Bewegung für freies Geistesleben, eine Bewegung für religiöse Erneuerung, sondern das alles kann nur gedeihen, wenn es sich fühlt innerhalb der Mutterbewegung, der anthroposophischen Bewegung. Ich weiß, daß schließlich doch das aus aller Herzen heraus gesprochen ist für alle diejenigen, die es ehrlich mit der anthroposophischen Be­wegung meinen. Deshalb durfte ich es auch heute vor Ihnen hier mit etwas schärferen Worten aussprechen. Die meisten von Ihnen werden sich schon bewußt geworden sein, daß es jetzt darauf ankommt, die Dinge mit klar umrissenen Worten auszusprechen, damit eben dieses Bewußtsein entsteht, von dem ich die Notwendigkeit darlegen wollte.

Drei Phasen hat die anthroposophische Bewegung durchgemacht.

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In der dritten Phase hat man die Anthroposophie in einem gewissen Sinne über allerlei Einzelbewegungen vergessen. Sie muß wiedergefun­den werden, wiedergefunden werden als lebendige Geistesbewegung, als solche lebendige Geistesbewegung, die gerade von dem modernen Zivilisationsleben und vor allen Dingen von einem echten Empfinden moderner Herzen der Menschen gefordert wird. In diesem Sinne neh­men Sie diese Worte auf. Haben sie auch hart geklungen, meine lieben Freunde, denken Sie, daß sie um so herzlicher gemeint gewesen sind, daß sie auffordern wollen nicht zu irgendeiner kaustischen Überle­gung, sondern zu einer Bewegung aus gutem anthroposophischem Her­zen heraus.

VIERTER VORTRAG Stuttgart, 13. Februar 1923

#G257-1965-SE070 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

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VIERTER VORTRAG

Stuttgart, 13. Februar 1923

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Die Entwickelung der Verhältnisse innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft lassen mir es doch wünschenswert erscheinen, auch heute abend wenigstens einige mit diesen Angelegenheiten zusammenhän­gende Probleme zu streifen. Es ist eigentlich niemals meine Absicht, auf die Entwickelungsbedingungen, die Organisation und dergleichen der Anthroposophischen Gesellschaft in Vorträgen einzugehen, da ich als meine Aufgabe betrachten muß, für die Anthroposophie selbst zu wirken, und gerne die Auseinandersetzungen über die Lebensbedin­gungen und die Entwickelungsfaktoren der Gesellschaft andern über­lasse, welche da und dort die Leitung der Gesellschaft auf sich genom­men haben. Nun hoffe ich aber, über das Thema, das ich vielleicht sonst heute hier behandelt hätte, gerade nächstens bei der Delegiertenver­sammlung ausführlicher sprechen zu können und darf mir daher ge­statten, aus der Notwendigkeit heraus, die zusammenhängt mit der Entwickelung eben der laufenden Angelegenheiten der Gesellschaft, heute einiges zu Ihnen zu sprechen in Ergänzung dessen, was ich vor acht Tagen über die drei Phasen der anthroposophischen Entwickelung hier vorzubringen mir erlaubt habe.

Ich möchte heute mehr über dasjenige sprechen, was nun wiederum diesen drei Phasen gemeinsam ist, deren Unterschied ich ja das letzte Mal zu charakterisieren versucht habe, wenn auch nur ganz skizzen­haft. Ich möchte ausgehen davon, wie eigentlich so etwas wie die An-throposophische Gesellschaft zustande kommt. Es wird, wie ich glaube, das, was ich zu sagen haben werde, für manchen gerade als Vorberei­tung zur angekündigten Delegiertenversammlung eine Art Hilfe zur anthroposophischen Selbsterkenntnis sein können. Gewiß ist auf der einen Seite für den, der die Entwickelung der Zivilisation und Kultur in der Gegenwart verfolgen kann, klar, daß die anthroposophische Vertiefung unseres Erkenntnislebens, unseres ethisch-praktischen und innerlich-religiösen Lebens eine Zeitnotwendigkeit ist. Aber auf der andern Seite ist so etwas wie die Anthrosophische Gesellschaft eine

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Art Vortrupp für das, was einfach aus der Notwendigkeit der Zeit-verhältnisse heraus immer weitere Ausbreitung gewinnen muß. Und wie kommt dieser Vortrupp eigentlich zustande? Jeder wird vielleicht in dem, was ich zu sagen habe, wenn er in ehrlicher Weise an die An-throposophische Gesellschaft herangekommen ist, ein Stück eigenen Schicksals darin erblicken. Im Grunde genommen, wenn wir die ein-bis zweiundzwanzig Jahre anthroposophischer Gesellschaftsentwicke­lung überblicken, so finden wir ganz gewiß, daß in der überwiegendsten Mehrzahl an die Anthroposophische Gesellschaft Menschen heran­kommen, die in irgendeiner Weise sich unbefriedigt fühlen von dem, was sie an geistigen, seelischen und auch äußerlich praktischen Lebens­bedingungen umgibt in der äußeren Welt. Namentlich in den ersten, vielleicht sogar besseren Zeiten der Anthroposophischen Gesellschaft -nicht im üblen Sinne ist das gemeint, sondern rein als Tatsache -, ist schon etwas gewesen wie eine Art Flucht aus dem Gegenwartsleben in ein anderes Leben einer Menschengemeinschaft hinein, einer Menschen-gemeinschaft, wo auch ausgelebt werden kann dasjenige, was man aus der eigenen Seele heraus als das eigentlich Menschenwürdige empfindet. Dieses Sich-Entfremden gegenüber den äußeren, geistigen, seelischen und praktischen Lebensbedingungen muß man bei der Bildung der An­throposophischen Gesellschaft durchaus ins Auge fassen. Denn diejeni­gen, die Anthroposophen wurden, sind ja zunächst Menschen, die eben das zuallererst empfinden, was ganz gewiß im Laufe einer verhältnis­mäßig gar nicht langen Zukunft Millionen und Millionen von Men­schen recht deutlich empfinden und erleben werden: Es ist das Erleben, daß herkömmliche Formen, die sich durchaus nicht ungerechtfertigt, sondern mit historischer Notwendigkeit aus vergangenen Zeiten in die Gegenwart herauf gebildet haben, nicht mehr aus sich heraus das liefern, was der Mensch aus seinem Innenleben heraus heute fordert, fordert um seiner Menschenwürde willen, fordert deshalb, weil er nur durch diese Forderung ganz Mensch sein kann.

Wer unbefangen auf diese Dinge hinsieht, der wird namentlich bei einiger Selbstprüfung, wenn er eben ehrlich Anthroposoph geworden ist, finden, daß dieser Drang, in einer besonderen Menschengemein-schaft gegenüber den andern heutigen Menschengemeinschaften die

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Bedürfnisse seiner Seele zu befriedigen,wie etwas tief aus dem innersten Menschlichen Hervorquellendes ist, etwas, wovon man schon fühlen kann, daß es aus den ewigen Quellen alles Menschentums sich gerade in unserer Zeit an die Oberfläche der Seele heraufarbeitet. Und des­halb empfinden ja diejenigen, die ehrlich an Anthroposophie heran­gekommen sind, diesen Zusammenschluß mit einer anthroposophischen Gemeinschaft als wirkliche innere Herzensangelegenheit, als etwas, wovon sie, je ehrlicher sie sind, sich sagen, daß sie ohne ihn eigentlich doch nicht sein können. Nun müssen wir uns aber auch gestehen, daß aus der Deutlichkeit, aus der Klarheit - ich meine jetzt Klarheit im Fühlen, nicht im Denken -, aus denen heraus dieser Anschluß an die anthroposophische Gemeinschaft entsteht, schon ersehen werden kann, wmeviel in uns Unbefriedigendes für das Vollmenschliche in der heu­tigen äußeren Welt ist. Es würde ja der ehrliche Drang eines Menschen nicht mit jener Heftigkeit zur Anthroposophie hinneigen können, wenn nicht eben die Entfremdung mit den heutigen äußeren Verhältnissen, namentlich seelischer Art, so besonders stark wäre.

Aber sehen wir nach etwas anderem hin. Dasjenige, was ich bisher auseinandergesetzt habe, ist etwas, das man nennen könnte eine Um­kehrung der menschlichen Willensimpulse. Wenn der Mensch so in eine gewisse Zeitepoche hineingeboren ist, wenn er hineinerzogen wird in eine bestimmte Zeitepoche, dann laufen ja zunächst seine Willens-impulse in die landläufigen, gewohnten Willensimpulse seiner Um­gebung hinein. Der Mensch wächst auf, und er wächst, ohne daß sich innerlich viel in ihm regt, in die Willensrichtungen hinein, die auch die Willensrichtungen seiner Umgebung sind. Es muß sich schon in seinem Inneren, im tiefsten Herzen muß sich etwas regen, was innerlich ge­müthaft Anstoß nimmt an den eigenen Willensrichtungen, die er sich durch eine gewisse Zeit seines Lebens gegeben hat nach den äußeren Lebensgewohnheiten seiner Umgebung, damit er die Willensrichtung, die sich eigentlich bis dahin nur veräußerlicht hat, nun nach innen wendet. Wenn er sie aber nach innen wendet, dann wird er durch diese Umwendung des Willens aufmerksam auf dasjenige, was eben, ins­besondere in unserer heutigen Zeitepoche, wie aus ewigen Quellen der Menschenseele heraufquillt als ein Verlangen nach einem andern Sich-Hineinfügen

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in die Menschengemeinschaft, als es eben in den gewohn­ten Willensrichtungen liegt. Und alles, was mit dem Willen zusammen­hängt, ist ja etwas Ethisches, ist etwas Moralisches, und so ist eigentlich wenigstens dem Willens- und Empfindungsimpuls nach dasjenige, was den Menschen in die Anthroposophische Gesellschaft hineintreibt, ein moralischer Impuls zunächst, ein ethischer Impuls. Und indem dann der Mensch sein heiligstes Inneres mit diesem ethischen Impuls berührt, indem er durch diesen ethischen Impuls herankommt an die ewigen Quellen seines seelischen Lebens, wird der ethische Impuls, der ihn in eine anthroposophische Gemeinschaft hineingetrieben hat, auch, ich möchte sagen, wie in seiner Fortsetzung ein religiöser Impuls. Und so wird eigentlich das, was sonst bei den Menschen sich betätigt in der Befolgung äußerer Sittengebote und Rechtsregeln und in der Befolgung der Lebensgewohnheiten, wodurch sie mehr oder weniger gedankenlos aufwachsen in der gewohnten Umgebung, es wird das, was in diesem Aufwachsen ethisch, moralisch, religiös ist, umgekehrt nach dem Inneren, und es wird das ein Streben nach moralisch-ethischer und religiöser Verinnerlichung. Aber der Mensch mit seiner vollen Mensch­lichkeit kann nicht ein bloß wollendes und etwa noch fühlendes Seelen-leben entwickeln und dazu jede beliebige Erkenntnis hinnehmen.

Diejenigen Erkenntnisse, die wir heute schon, ich will nicht sagen mit der Muttermilch einsaugen, aber mindestens mit dem sechsten Le­bensjahre als eine innere Seelentrainierung empfangen,welche sich dann immer weiter fortsetzt, alle diese Dinge, die unser Verstand, unsere Erkenntniskraft aufnimmt, und die einen Gegenpol bilden müssen gegenüber dem Ethischen, Moralischen und Religiösen - aber einen solchen Gegenpol, der mit diesem Ethischen, Moralischen und Religiö­sen in Harmonie und Einklang ist -, alle diese Erkenntnisse sind ja nicht gleichgültig gegenüber dem religiösen Verinnerlichen des anthro­posophischen Strebens. Gerade diejenige Lebensführung und Lebens-praxis, aus der der Anthroposoph moralisch, ethisch, religiös heraus-will, sie ist ja diejenige Lebensführung und Lebenspraxis, die sich vor­zugsweise in den letzten Jahrhunderten innerhalb der zivilisierten Menschheit heraufgebildet hat. Und eigentlich will der Anthroposoph, wenn er auch dann seine Kompromisse schließt, ja schließen muß mit

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demjenigen, was äußeres Leben ist, doch heraus aus dem, was die Menschheitszivilisation in den letzten Jahrhunderten heraufgebracht hat und was ja in die furchtbare Katastrophe der Gegenwart hinein-geführt hat. Bei sehr vielen, die zur anthroposophischen Bewegung kommen, ist das gewiß mehr oder weniger instinktiv, allein es ist eben durchaus vorhanden.

Und nun seien wir uns doch klar darüber: Dasjenige, was sich als Wollensziele, als religiöse Impulse entwickelt hat im Laufe der letzten Jahrhunderte, das ist es ja, was auch hervorgebracht hat die ganze Richtung, die ganze Nuance des Erkenntnislebens der neueren Zeit. Nur wer in Vorurteilen befangen ist, steht ja heute in dem Erkenntnis-leben so darinnen, daß er sagt: Wir haben eine objektive Physik, eine objektive Mathematik, eine objektive Chemie, streben nach einer ob­jektiven Biologie und so weiter. - Das ist ein Vorurteil. In Wahrheit liegt die Sache so, daß dasjenige, was, wie gesagt, schon von seinem sechsten Lebensjahre ab heute den Menschen eintrainiert wird, doch das Ergebnis ist jener äußeren Willensformationen und religiösen Im­pulse, die sich in den letzten Jahrhunderten heraufgebildet haben. Wenn aber derjenige, der nach Anthroposophie strebt, herauswill aus diesen Willensimpulsen, ja auch aus dem, was sich in religiösen For­men als Krönung des moralischen Lebens abspielt, dann kann er auf der andern Seite nicht anders, als auch nach einer Erkenntnis verlan­gen, welche entspricht nicht der Welt, die er verlassen will, sondern der Welt, die er suchen will. Das heißt, der Anthroposoph muß, da er seine Willensimpulse nach innen gewendet hat, auch nach einer Er­kenntnisart streben, die diesem nach innen gewendeten Willen ent­spricht: also nach einer Erkenntnisart, die wegführt von jener äußer­lichen Wissenschaft, die eben mit der Veräußerlichung des Lebens in den letzten Jahrhunderten innerhalb der zivilisierten Gebiete herauf­gekommen ist. Und fühlen wird der Anthroposoph, wie er gedanken­los seinen Willen umwenden müßte, wenn er nicht zu gleicher Zeit seine Erkenntnis umwendete. Gedankentos müßte er sein, wenn er sich nicht sagte: Ich fühle mich als Mensch fremd innerhalb derjenigen Lebens­führung und Lebenspraxis, die da heraufgekommen ist, aber ich kann mich verwandt fühlen mit dem, was als Erkenntnis heraufgekommen

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ist. - Die Erkenntnis, die sich die zu fliehende Welt erworben hat, kann auch nicht die befriedigende Erkenntnis für den die Willens-impulse umwendenden Menschen sein. Und dadurch kommt vielleicht wiederum mancher ganz instinktiv darauf, daß die Lebenspraxis, der er entfliehen will, ihre Form, ihre Gestalt gerade dadurch angenommen hat, daß sie nur noch glaubt an das, was äußerlich sichtbar und mit dem Verstande aus dem Sichtbaren zu kombinieren ist. Deshalb wen­det sich der also Suchende nach demjenigen hin, was übersinnlich­unsichtbar ist als Grundlage der Erkenntnis. Wie für eine veräußer­lichte Lebensführung und Lebenspraxis eine nach dem Materialisti­schen hinschauende Wissenschaft das Entsprechende ist, so ist für den, der diese Lebensführung und Lebenspraxis nicht als das Vollmensch­liche, sondern als das Untermenschliche ansehen muß, auch nicht das Rechte eine Wissenschaft, die ihren Glauben nur, ich möchte sagen, auf die andere Seite dieser Lebensführung und Lebenspraxis, auf das Äußerlich-Materielle und verstandesmäßig zu Erfassende richtet. Und so entsteht, nachdem der erste Akt im Seelendrama des Anthropo­sophen ein moralisch-religiöser war, der zweite Akt, der aber schon in dem ersten wie keimhaft darinnen liegt: der Drang nach der übersinn­lichen Erkenntnis. Es bildet sich ganz von selbst heraus, daß die Hin­nahme einer Botschaft von übersinnlicher Erkenntnis Inhalt einer An­throposophischen Gesellschaft wird. Das alles, was in dieser Weise der Wille als sein Schicksal erfährt, was das Erkenntnisstreben als sein Suchen anerkennen muß, gliedert sich zusammen in Herz und Seele des Anthroposophen als ein Ganzes, als sein eigentlicher Lebens- und Menschenkern, und das alles bildet zusammen die Totalität seiner Ge­sinnung. Und mit dieser Gesinnung steht er dann zunächst innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft darinnen.

Aber nun betrachten wir die Lage, in die er dadurch versetzt ist, der anthroposophisch Gebildete. Er kann nicht ohne weiteres die äu­ßere Lebensführung und Lebenspraxis verlassen. Er fluchtet sich zu­nächst in die Anthroposophische Gesellschaft hinein, aber die äußeren Lebensnotwendigkeiten bestehen, sie können nicht mit einem Schritt und einem Schlag verlassen werden. Und so entsteht ein Zwiespalt in der Seele des Anthroposophen mit Bezug auf sein äußeres Leben und

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mit Bezug auf dasjenige, das ihm als ein Glied der Anthroposophischen Gesellschaft ein Ideal des Lebens und ein Ideal des Erkennens wird. Dieser Zwiespalt kann, je nachdem der eine oder der andere eine tiefere oder oberflächlichere Natur ist, ein mehr oder weniger schmerzlicher, ja tragischer sein. Aber in diesem Schmerze, in dieser Tragik sind zu­gleich enthalten die wertvollsten Keime für dasjenige, was aufbauendes Leben in unserer niedergehenden Zivilisation sein muß. Schließlich wmrd alles das, was sich im Leben zur Blütenhaftigkeit, zur Frucht­haftigkeit entfaltet, dennoch aus Schmerzen und aus dem Leide ge­boren. Und vielleicht empfindet der am tiefsten die Mission der An­throposophischen Gesellschaft, der das Hineinleben in diese Mission als sein Leid, als seinen Schmerz empfinden muß, wenn eben auch das eigentlich Kraftvolle in der Menschennatur allein darin bestehen kann, daß der Mensch die innerliche Macht findet, sich über Leid und Schmerz so zu erheben, daß im Erleben, im Erfahren des Leides und des Schmer­zes der Punkt erreicht werde, wo das Schmerzvolle, das Leidvolle zur Kraft des Lebens, zur bezwingenden Lebensmacht selber wird.

Und so, möchte ich sagen, besteht der Weg hin zur Anthroposophi­schen Gesellschaft zunächst in einer Umwendung des Willensimpulses, dann in emnem Erleben der übersinnlichen Erkenntnis, dann aber im Miterleben des Zeitenschicksals, das Schicksal der eigenen Seele wird. Und man fühlt sich dann innerhalb der Menschheitsentwickelung dar­mnnen gerade durch diese Umwendung des Willens, durch dieses Er­fahren der Ubersinnlichkeit alles Wahrheitswesens. Durch dieses Mit­erleben des eigentlichen Sinnes des Zeitalters fühlt man sich erst im vollen Sinne des Wortes als Mensch. Im Grunde genommen soll ja An­throposophie nichts anderes sein als jene Sophia, das heißt jener Be­wußtseinsinhalt, jenes innerlich Erlebte in der menschlichen Seelen-verfassung, die den Menschen zum vollen Menschen macht. Nicht «Weisheit vom Menschen» ist die richtige Interpretation des Wortes Anthroposophie, sondern «Bewußtsein seines Menschentums»; das heißt, hinzielen sollen Willensumwendung, Erkenntniserfahrung, Mit­erleben des Zeitenschicksals dahin der Seele eine Bewußtseinsrichtung eine Sophia zu geben

Das, was ich eben charakterisiert habe, es hat geführt zur ursprünglichen

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Entstehung der Anthroposophischen Gesellschaft. Diese ist ja nicht eigentlich begründet worden; sie ist ja entstanden. Durch irgend­eine Agitation, wie sich das mancher vorstellt, kann man ja so etwas, was auf ehrlicher Innerlichkeit begründet ist, nicht machen. Anthropo­sophische Gesellschaft kann ja nur entstehen dadurch, daß Menschen da sind, die eine Veranlagung haben zu der charakterisierten Willens­umwendung, zu solchem Erkenntnisleben und solchem Miterfahren des Zeitenschicksals, und daß dann von irgendwoher dasjenige er­scheint, das in einer gewissen Weise entgegenkommt dem, was in den menschlichen Herzen lebt, die da sind. Aber solch ein Zusammenfinden von Menschen ist ja eigentlich erst in unserem Zeitalter, in dem Zeit­alter der Bewußtseinsseelenentwickelung möglich und wird von allen denen nicht begriffen, die eigentlich noch gar nicht darinnenstehen in der Erfassung des Charakters der Bewußtseinsseelenentwickelung. So zum Beispiel konnte selbst von seiten eines Universitätsdozenten eine merkwürdige Behauptung auftreten, die Behauptung, daß sich einmal drei Menschen gefunden haben, die den Zentralvorstand der Anthro­posophischen Gesellschaft bildeten. Und jenes Universitätsdozenten­gehirn - es ist besser, wenn man da spezialisiert nach den Körperteilen, denn Vollmenschlichkeit liegt diesen Dingen nicht zugrunde -, jenes Universitätsdozentengehirn fand heraus, daß man die Frage stellen müsse: Ja, wer hat denn die drei gewählt, woher haben sie denn ihr Mandat genommen? - Ja, wie kann denn etwas auf freiere Weise ent­stehen als dadurch, daß sich drei Menschen hinstellen und sagen: Das und das wollen wir; wer da will, schließt sich uns an, wer nicht will, eben nicht. - Das steht doch ganz gewiß jedem frei. Es gibt also nichts, was der Freiheit der Menschen mehr Rechnung trägt als diese Entste­hung der Anthroposophischen Gesellschaft. Sie allein ist dem Bewußt­seinszeitalter in der Menschheitsentwickelung angemessen. Aber man kann ja auch Universitätsdozent sein, ohne das Zeitalter der Bewußt­seinsentwickelung erreicht zu haben; dann, nicht wahr, wird man das­jenige nicht begreifen, was im eminentesten Sinne nach der Freiheit hin tendiert.

Ich weiß, wie unangenehm es manchem immer war, wenn ab und zu nötig geworden ist, derlei Dinge doch zu besprechen, weil sie einfach

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da sind. Aber diese Dinge beleuchten ja dennoch dasjenige, was not­wendig ist, damit die Lebensbedingungen der Anthroposophischen Ge­sellschaft erfüllt werden können. Weil aber der Anthroposoph zunächst mn der äußeren Welt doch darinnen stehenbleiben muß, der er eigent­lich nur, zunächst nur, mit seiner Seele entfliehen kann, deshalb ent­steht, wie ich schon angedeutet habe, vom mnneren Leide bis zur Tragik hin eine besondere Nuance des seelischen Erlebens. Dieses seelische Erleben wurde ja besonders stark durchgemacht bei der Entstehung der Anthroposophischen Gesellschaft. Aber von denen, die zur Anthropo­sophischen Gesellschaft später gekommen sind und die heute kommen, wird ja dasjenige, was, ich möchte sagen, andere schon vor Jahrzehnten oder vielleicht vor Jahren durchgemacht haben, immer wieder von neuem durchgemacht. Und mit diesem, im sozialen Leben der Anthro­posophischen Gesellschaft ja Begründeten, hat natürlich die Anthropo­sophische Gesellschaft als mit einer ihrer Lebensbedingungen zu rech­nen. Es ist ganz natürlich, daß, wenn die anthroposophische Entwicke­lung durch drei Phasen gegangen ist, diejenigen, die heute frisch an die anthroposophische Bewegung herankommen, mit ihren Herzen in der ersten Phase sind. Und viele Schwierigkeiten liegen eben darin, daß den führenden Persönlichkeiten der Anthroposophischen Gesellschaft eigentlich die Pflicht erwächst, in Einklang zu bringen dasjenige, was die drei Phasen nebeneinander sind: die erste, zweite und dritte. Sie sind ja nacheinander, und sie sind zu gleicher Zeit nebeneinander. Und noch dazu: Nacheinander sind sie zum Teil Erinnerung, Vergangenes; nebeneinander sind sie unmittelbares Leben der Gegenwart. Deshalb sind wirklich nicht theoretische Bedingungen oder doktrinäre Bedin­gungen notwendig für den, der zur Pflege des anthroposophischen Lebens etwas beitragen will, sondern es ist notwendig ein liebevolles Herz und ein offener Sinn für das ganze anthroposophische Leben. Wie man alt werden kann, indem man zugleich in der Seele mürrisch wird, indem man nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich eine Glatze kriegt, indem man nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich runzelig wird, so daß man gar keinen Sinn dafür hat, lebendig seine Jugend vor die Seele hinzustellen, um sie noch einmal zu durchleben und immer wieder und wiederum wie etwas unmittelbar Gegenwärtiges

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zu durchleben, so kann man auch 1919 in die Anthroposophische Gesellschaft hereinkommen und keinen Sinn haben für das Aufspries­sende, Sprossende, Ursprüngliche der ersten Phase anthroposophischer Bewegung. Das muß man sich aneignen. Sonst fehlt einem für Anthro­posophie das Herz, sonst fehlt einem für sie das Gemüt. Und man wird in der Pflege anthroposophischen Lebens, wenn man auch sonst noch so hochnasig hinsieht über alle Doktrinen und Theorien, darin wird man ein Doktrinär. Das ist etwas, was einem Lebensvollen, wie es die Anthroposophische Gesellschaft sein soll, im eminentesten Sinne scha­det. Nun hat sich eben einfach in der dritten Phase der anthroposo­phischen Bewegung, von 1919 ab, ein merkwürdiger Konflikt ergeben. Ich will ihn heute nicht ethisch beurteilen; auch Gedankenlosigkeit ist ja ein Willensimpuis und im Grunde genommen ein ethischer Impuls, und wenn etwas aus Gedankenlosigkeit unterlassen worden ist, wenn aus Gedankenlosigkeit an die Stelle des festen Willens die Gschaftl­huberei vielfach getreten ist, so ist darin auch etwas Ethisch-Morali­sches zu suchen. Aber von dem will ich heute weniger sprechen, möchte mehr sprechen von jenem Konflikt, in den dadurch die Anthroposo­phische Gesellschaft gekommen ist, der lange latent war, von dem aber heute ganz offen gesprochen werden muß.

Es war in den ersten Phasen der anthroposophischen Entwickelung so, daß wirklich der Anthroposoph zumeist sich in zwei Menschen spaltete. Er war, sagen wir, Bürochef oder irgend etwas anderes, wie man heute die Dinge nennt, nicht wahr, ging diesen Dingen nach, hatte seine Willensimpulse in denjenigen Bahnen laufen, welche nun einmal die äußeren Lebensbedingungen, die äußere Lebenspraxis heraufbrach­ten, die sich in den letzten Jahrhunderten entwickelt haben, und die er eigentlich mit dem Innersten seiner Seele flieht. Aber er steckte da drinnen, steckte darin mit seinem Willen. Verkennen wir nicht: Der Wille ist mit all diesen Dingen im eminentesten Sinne verquickt. Mit dem, was man als Bürochef vom Morgen bis zum Abend verbringt, ist der Wille verquickt. Man braucht nicht Bürochef zu sein, man kann Schulmeister oder Professor sein, man denkt dann vielleicht; aber in diesem Denken, insofern dieses Denken im äußeren Leben darinnen steht, fließt das auch in den Willensimpuls. Also der Wille ist eigentlich

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doch da draußen geblieben, und gerade weil die Seele der eigenen Willensrichtung entfliehen wollte, ging sie mit Gefühl und Gedanke in die Anthroposophische Gesellschaft hinein. Nun war auf der einen Seite der Willensmensch und auf der andern Seite der Empfindungs-und Gedankenmensch. Darinnen fühlten sich sogar manche außer­ordentlich glücklich; denn, wie sehr lobten es sich manche kleine sek­tiererischen Zirkel, wenn sie sich zusammensetzen konnten, nachdem sie ja ihren Willensmenschen also in den allergewöhnlichsten Lebens-strömungen betätigt hatten, wenn sie sich dann niedersetzen konnten und «Gedanken aussandten, gute Gedanken aussandten». Man bildete solche Zirkel, schickte seine Gedanken aus, gute Gedanken, man floh aus dem äußeren Leben in das Leben, das nur, ich sage nicht unreal ist, aber das nur in Empfindungen und Gedanken lebt. Man spaltete sich wirklich entzwei in einen, der ins Büro ging oder auf den Katheder stieg, und in den andern, der in den anthroposophischen Zweig ging und dort ein ganz anderes Leben führte. Als aber der Drang in einer Anzahl von Leuten entstand, aus dem anthroposophischen Fühlen und Denken heraus etwas Lebenskräftiges durch den Willen zu begründen, da mußte man den Willen mit hereinnehmen in die Totalität des Men­schen. Da entstanden die Konflikte. Man kann sich verhältnismäßig leicht trainieren, gute Gedanken auszusenden, damit jemand, von dem man weiß, er macht eine Gebirgspartie, bei dieser Gebirgspartie sich nicht die Beine bricht. Aber diese guten Gedanken nun auch in den Willen hineinzusenden, der etwas unmittelbar Außeres, Materielles macht, so daß dieses Materielle selbst von einem Geistigen durchdrun­gen wird durch die Kraft des Menschen, das ist das Schwierige. Und daran scheiterte eben vieles in der Entwickelung der dritten Phase der Anthroposophischen Gesellschaft. Denn weder an Intelligenzen noch an Genies fehlte es - ich sage das ganz ehrlich und aufrichtig -, aber an dem Hineingießen von Genie und Intelligenz in die Straffheit und Strammheit des Willens, da fehlte es.

Betrachten Sie die Sache nur so recht, ich möchte sagen, vom Ge­sichtspunkte des Herzens; welch ein Unterschied! Denken Sie, man hat ein äußeres Leben, mit dem man herzlich unzufrieden sein kann. Herz­lich unzufrieden kann man ja sein, nicht nur aus dem Grunde, weil

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einen andere Menschen quälen, weil die Dinge unvollkommen sind, sondern weil das Leben überhaupt nicht alles ganz leicht macht. Nicht wahr, das Leben ist nicht immer ein sanftes Ruhekissen. Leben heißt ja doch arbeiten. Und da hat man nun dieses Leben, und auf der andern Seite die Anthroposophische Gesellschaft. Dann geht man in die An­throposophische Gesellschaft: man trägt durch die Tür die Unzufrie­denheit hinein. Da drinnen ist man als empfindender und denkender Mensch zufrieden, weil man wirklich dasjenige hat, was einem das mit Recht unzufrieden machende äußere Leben nicht gibt. Man hat es nun in der Anthroposophischen Gesellschaft. Man hat sogar das Gute, daß dadrinnen, währenddem sich sonst die Gedanken hart im Raume an der Ohnmacht des Willens stoßen, sie ganz leicht fliegen, wenn man von den Zirkeln gute Gedanken ausschickt, damit eben die Menschen sich nicht die Beine brechen bei den Bergpartien. Da gehen sie ganz leicht hin, die Gedanken, in alle Welt; da kann man zufrieden sein. Das befriedigt einen dann über das äußere Leben, das einem mit Recht Unbefriedigtheit gibt.

Nun, und jetzt kommt die Anthroposophische Gesellschaft und be­gründet selbst Dinge, wo man mit seinem Willen darin ist. Man soll nun nicht bloß Bürochef draußen sein, und dann in die Anthroposo­phische Gesellschaft gehen und über das Bürocheftum draußen unzu­frieden sein können - ich sage nicht, schimpfen können, obwohl das vielleicht auch vorkommen kann -, sondern man soll in der Gesell­schaft nun beides darinnen haben, und nun soll man nicht mit der Nuance der Unbefriedigtheit, sondern mit der Nuance der Befriedigt­heit darinnen leben. Das ist erforderlich, wenn die Anthroposophische Gesellschaft zurTat übergehen wollte, und das hat sie gewollt seit 1919. Und dann entsteht etwas sehr Merkwürdiges, was vielleicht nur in der Anthroposophischen Gesellschaft bemerkt werden kann: dann entsteht dieses Merkwürdige, daß man nicht mehr weiß, was man mit jener Portion von Unzufriedenheit machen soll, die schon einmal der Mensch gern haben möchte. Denn man kann doch nicht der Anthroposophi­schen Gesellschaft selber zuschreiben, daß sie einen unzufrieden macht! Aber dabei bleibt es nicht, man tut es nachher doch, schreibt ihr die Gründe für die Unzufriedenheit zu. Dasjenige aber, was da entstehen

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sollte, das ist eben jene innere Stufe der menschlichen Entwickelung, die es wirklich bringt von Gedanke und Empfindung zum Willen. Und wird der anthroposophische Weg in Richtigkeit gegangen, dann wird diese Stufe erreicht, dann gelangt man von Gedanke und Empfindung zum Willen. Überall sehen Sie in demjenigen, was in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» gesagt ist, daß keine Gedanken­entwickelung dort angestrebt wird, in der nicht zu gleicher Zeit eine Willensentwickelung liegt.

Aber die moderne Menschheit leidet eigentlich an zwei Übeln, an jenen beiden Übeln, die in der Anthroposophischen Gesellschaft über­wunden werden mussen. Das eine ist die Furcht vor dem Übersinn­lichen, denn diese Furcht, diese Angst vor dem Übersinnlichen ist es ja, was uneingestanden aller Gegnerschaft gegenüber der anthroposophi­schen Bewegung zugrunde liegt. Es ist in Wirklichkeit eine Art Wasser­scheu bei den Gegnern vorhanden. Sie wissen ja, daß sich die Wasser­scheu auch noch in einer andern Form impulsmäßig äußert, und daher braucht man sich auch nicht zu wundern, daß jene Wasserscheu, die ich jetzt meine, sich auch manchmal wutartig zum Ausdruck bringt. Manchmal sind sie übrigens auch harmlos, die Dinge. Für manche ist Anthroposophie heute ein gutes Mittel, um Bücher zu schreiben, mit denen man auch etwas verdienen kann, oder durch die man auch in einem Bücherverzeichnis darin steht, denn die Leute brauchen Themen, und nicht alle haben Themen, sie müssen das von der Außenwelt neh­men. Also manchmal sind die Sachen in ihren Motiven harmloser als man denkt. Sie sind nur in ihren Wirkungen nicht harmlos genug.

Dasjenige, was die Menschheit heute auf der einen Seite hat, ist Furcht vor der übersinnlichen Erkenntnis; sie gestaltet das zu einer Maske um, zu Logik der Forschung. Diese Logik der Forschung mit ihren Erkenntnisgrenzen ist nämlich in Wirklichkeit nichts anderes als das direkte Erbe des alten Sündenfalls; nur daß die Alten ihren Sünden­fall so aufgefaßt haben, daß man sich über die Sünde erheben muß. In der nachscholastischen Zeit ist die Erkenntnis durchaus noch ange­fressen von dem Glauben an den Sündenfall. Während früher auf dem moralischen Gebiete der Sündenfall gesehen worden ist so, daß der Mensch von Natur aus böse ist, daß er über seine Natur heraus muß,

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drückt es sich auf intellektualistischem Gebiete so aus, daß der Mensch auf dem gegebenen Bereiche das Übersinnliche nicht erreicht, daß er aus sich nicht heraus kann. Daß er diese Erkenntnisgrenze anerkennen will, ist nichts anderes als Erbschaft vom Sündenfall, nur daß man in den besseren Zeiten gestrebt hat, über die Sünde hinauszukommen, und der hochmütige moderne Mensch in der Sünde der Erkenntnis verblei­ben will, geradezu diktiert: Ich mag nicht über die Sünde hinaus, ich liebe den Teufel, ich möchte ihn wenigstens lieben.

Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, trotz mancher Außerun­gen des Willens, die aber eigentlich vielfach Maskierungen sind, die Willensschwäche und innere Willenslähmung des modernen Menschen. Und ich möchte sagen, diese beiden verhängnisvollen Eigenschaften der modernen Zivilisation und Kultur, die müssen gerade bei dem an­throposophischen Leben überwunden werden. Und soll das anthropo­sophische Leben praktisch werden, dann ist es eben notwendig, daß aus einer furchtlosen Erkenntnis und aus dem starken Willen heraus die Lebenspraxis geboren würde. Aber das setzt voraus, daß man eben lerne, auf anthroposophische Art mit der Welt zu leben. Vorher hat man gelernt, zunächst anthroposophisch zu leben, indem man die Welt flieht. Aber man muß auch auf anthroposophische Art mit der Welt leben lernen, hinaustragen in die Welt, in das alltägliche Leben, in die gewöhnliche Lebenspraxis den anthroposophischen Impuls. Man muß also tatsächlich den Menschen, den man gespalten hat in einen Anthro­posophen und in einen Praktiker, wiederum vereinigen in eine einheit­liche Menschenwesenheit. Und das erreicht man nie und nimmer, wenn irgendwo als anthroposophisches Leben Platz greift ein Leben, wie wenn man eigentlich abgeschlossen, von hohen Festungsmauern um­geben wäre, über die man nicht hinaussieht. Das muß in der Anthropo­sophischen Gesellschaft überwunden werden. Man muß sich offene Augen aneignen für dasjenige, was in der Umgebung, in der übrigen Welt geschieht, dann wird man auch zu den rechten Willensimpulsen kommen. Aber gerade in der Zeit, in der Anthroposophie als solche ihre dritte Phase erlangt hat - ich habe Ihnen dieses auch das letzte Mal charakterisiert ½, ist die Anthroposophische Gesellschaft vielfach zu­rückgeblieben hinter dem anthroposophischen Leben, dadurch zurückgeblieben,

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daß eben der Wille nicht mitkonnte. Weil es notwendig war, die früher da und dort führenden Persönlichkeiten zusammenzurufen für die verschiedenen Begründungen, wurde es vielfach so, daß der­jenige, der ein ausgezeichneter Waldorfschul-Lehrer sein konnte, der den Horizont des Waldorfschul-Lehrers sich aneignete - gegen die ein­zelne Institution ist nicht das geringste einzuwenden, die Waldorf-schule wird heute von der Welt beachtet, nicht bloß von der nächsten Umgebung, man darf wohl in aller Bescheidenheit sagen: mit Recht wird nichts eingewendet gegen die einzelne Institution, oder wenig­stens gehört die Kritik auf ein ganz anderes Blatt -, ein schlechter An­throposoph wurde. Man kann eben ein ausgezeichneter Waldorfschul­Lehrer sein und ein schlechter Anthroposoph, man kann ein ausgezeich­neter Arbeiter in irgendeiner andern Unternehmung sein und ein schlechter Anthroposoph. Das ist es aber, um was es sich handelt: daß doch alle die einzelnen Unternehmungen herausgewachsen sind aus dem Mutterboden der Anthroposophie und man dessen eingedenk bleiben muß, daß man vor allen Dingen wirklich Anthroposoph bleiben muß, daß man dieses Zentrum nicht verleugnen darf, nicht verleugnen darf als Waldorfschul-Lehrer, nicht verleugnen darf als Mitarbeiter des Kommenden Tages, nicht verleugnen darf als Forscher, nicht verleug­nen darf als Mediziner, daß man niemals auch nur im Entferntesten auf die Gesinnung kommen soll, zu sagen: Ich habe für die allgemeinen anthroposophischen Angelegenheiten keine Zeit. Sonst könnte zwar eine Zeitlang in jeder dieser Unternehmungen Leben sein, weil die An­throposophie als solche wirklich Leben enthält und geben kann, aber es könnte dieses Leben nicht auf die Dauer unterhalten werden. Es würde versiegen auch für die einzelnen Unternehmungen.

Von einer unsachlichen Gegnerschaft, für die bezeichnend ist, daß sie eigentlich überall sucht, nicht an die Sache der Anthroposophie her­anzukommen, sondern fragt: Wie ist das Anthroposophische gewonnen, wie ist es eigentlich mit dem Hellsehen, wie steht das, wie steht das, trinkt der Kaffee oder trinkt der Milch oder dergleichen - abgesehen von diesen Dingen, die mit der Sache nichts zu tun haben, aber viel­fach, nicht wahr, das Gerede bilden, wird dann, wenn man den Sinn dafür hat, der Anthroposophie eben den Garaus zu machen, zur Verleumdung

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gegriffen, und dann stellen sich selbst solche Erscheinungen heraus, die jetzt in der Welt vielfach auftreten, die eigentlich noch vor ganz kurzer Zeit, als die Zivilisation nicht ihren Tiefpunkt erreicht hatte, unmöglich waren, die aber heute möglich geworden sind! Ich will das alles des näheren nicht bezeichnen, sondern möchte das den andern überlassen, denen ja auch das Schicksal der Anthroposophi­schen Gesellschaft auf dem Herzen liegen muß. Aber ich wollte diese Dinge heute noch zu Ihnen sprechen, da ich noch einmal Gelegenheit -ich könnte auch sagen Ungelegenheit - gehabt habe, hier zu sein. Vom Standpunkte der Dornacher Arbeit aus ist es eine Ungelegenheit, vom Standpunkte der hiesigen Arbeit ist es eine freudige Gelegenheit, die Dinge haben immer zwei Seiten, in Dornach ist meine Anwesenheit sehr nötig; aber da ich heute noch einmal mit Ihnen zu meiner tiefen Befriedigung sprechen konnte, möchte ich sagen: Das ist es, was jetzt notwendig ist, daß man anthroposophisch fühlen und empfinden lernt, daß man lernt, die Anthroposophie im Herzen pulsieren fühlen. Das kann nicht in mystischer Nebulosität geschehen, das kann nur in voller Klarheit geschehen. Denn die Anthroposophie verträgt das Licht. Andere Dinge, die sich auch ähnlich charakterisieren in der Welt, ver­tragen eben nicht das Licht; die vertragen nur die Dunkelheit des Sek­tiererischen. Anthroposophie verträgt das volle Licht, kann mit dem Herzen, mit der innigsten Herzenswärme in das volle Licht gehen, hat sich nicht zu scheuen vor diesem vollen Licht. Die wesenlosen persön­lichen - und das geht ja weit, so daß man manchmal das Persönliche daran nicht erkennen kann -, die wesenlosen persönlichen Verleum­dungen können ja gewiß als das, was sie sind, hingestellt werden. Aber gegenüber ehrlicher Gegnerschaft kann Anthroposophie überall kom­men mit dem, was eben möglich ist auf dem Boden einer sachlichen Auseinandersetzung. Aber sachliche Auseinandersetzung fordert, daß man eingehe auf die Erkenntnismethoden der Anthroposophie. Und will einer sich sachlich auseinandersetzen, so kann er das gar nicht tun, bevor er sich nicht einläßt auf die Erkenntnismethoden. Dem Gemüt, dem Herzen nach, dem gesunden Menschenverstande nach kann jeder Anthroposophie aufnehmen. Diskutieren über Anthroposophie kann derjenige nicht, der sich von vornherein prinzipiell nicht auf ihre Erkenntnismethoden

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einlassen will, der nicht weiß, wie ihre Erkenntnis­methoden sind. Experimentieren und Experimente kombinieren, dazu ist keine innere Entwickelung notwendig, dazu ist nur äußere Trainie­rung notwendig, das kann jeder. Aber es darf nicht derjenige, der nur dieses kann, diskutieren wollen über Anthroposophie, wenn er sich nicht auf deren Erkenntnismethoden einläßt. Das aber wiederum lehnen die Bequemlinge von heute ab, die eben den Menschen in seiner Vollkommenheit dogmatisch hinstellen und von einer Entwickelung überhaupt nichts wissen wollen. Aber weder die Wahrheit noch die Güte enthüllt sich dem Menschen, ohne daß er aus seiner innersten Freiheit etwas dazu tut. Weiß man, welche Impulse notwendig sind innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft, um mit rechtem Her­zen darin zu stehen, mit dem rechten Herzen ihre Angelegenheiten zu führen, weiß man die Motive der Gegner in der richtigen Weise einzu­schätzen, so wird man, wenn man guten Willen hat, die Kraft auf­bringen, die heute aufzubringen notwendig ist, wenn eben gesund durch dasjenige hindurchgegangen werden soll, was Ihnen, bevor ich ge­sprochen habe, hier angekündigt worden ist als auch im Willen der Anthroposophischen Gesellschaft selbst gelegen.

FUNFTER VORTRAG Dornach, 22. Februar 1923

#G257-1965-SE087 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

#TI

FUNFTER VORTRAG

Dornach, 22. Februar 1923

#TX

Heute möchte ich auf dasjenige Ideal noch einmal hinweisen, das ver­bunden war mit dem Bau, den uns das Unglück entrissen hat. Ich möchte darauf hinweisen, damit auch hier das richtige Denken herrsche über das, was in den nächsten Tagen als, ich möchte sagen, ein erster Schritt zu einem neuen Leben in der Anthroposophischen Gesellschaft in Stuttgart unternommen werden soll. Denn was aus Anthroposophie hervorgehen soll, muß ja ruhen auf dem sicheren Fundamente mensch­licher Begeisterung. Und diese menschliche Begeisterung, sie kann uns ja nur dadurch werden, daß wir hinschauen zu demjenigen Ideal, das in jedes Anthroposophen Brust sein sollte, und das groß genug ist, um die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft in Liebe zusam­menzuhalten. Es ist ja nicht zu leugnen, daß zwar nicht dieses Ideal anthroposophischen Wirkens, wohl aber die Begeisterung für dieses Ideal in den drei aufeinanderfolgenden Epochen unserer anthropo­sophischen Entwickelung etwas hingeschwunden ist. Und jetzt, wo wir trauernd stehen vor der Ruine jenes Baues, durch den wir in einer äu­ßerlich bemerkbaren Sprache über dieses Ideal uns ausdrücken konn­ten, jetzt ist es um so notwendiger, daß wir uns zusammenfinden in dem richtigen Fühlen gegenüber dem anthroposophischen Ideal, damit aus diesem Zusammenfühlen und dem daraus hervorgehenden Zusam­mendenken eine starke Kraft entstehen könne, die wir heute, nament­lich angesichts der ja mit jederWoche sich vergrößernden Gegnerschaft, gar sehr brauchen. Daher sei es mir eben in diesem Vortrage heute gestattet, nicht über die Fortsetzung - wenigstens nicht unmittelbar über die Fortsetzung - dessen zu sprechen, was ich in den letzten Vor­trägen und nun schon seit Wochen hier vorgebracht habe, sondern ein wenig darzustellen, was sich vielleicht als eine der wichtigen Erinne­rungen an unseren Bau knüpfen kann, und was geeignet sein kann, jene Beziehungen wiederum zu knüpfen, welche notwendig sind zwischen den einzelnen Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft. Denn in dem Zusammenfinden in dem gemeinsamen Ideal muß sich auch entzünden

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jene Liebe, welche jeder einzelne Anthroposoph dem andern entgegenbringen sollte, und die ausschließen sollte, daß in irgend je­mandem innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft irgendeine Ranküne gegen den andern auch nur in Gedanken vorhanden sei.

Sie erinnern sich vielleicht, daß, als wir den ersten Hochschulkursus im Goetheanum eröffnen konnten, ich dazumal in einer kurzen Ein­leitungsrede betont habe, wie in einer neuen Art durch das, was durch Menschen im Goetheanum verwirklicht wird, ein wirklich weltgemäßes Zusammenwirken von Wissenschaft, Kunst und Religion erstrebt wer­den soll.

Was also im Goetheanum hätte erwachsen sollen,was hätte erwachsen sollen durch die Sprache seiner Formen und Farben, das war ein wissen­schaftliches, das war ein künstlerisches, das war ein religiöses Ideal.Wir müssen heute das, was nicht mehr durch äußere Formen und Farben zu uns sprechen kann, in unsere Herzen um so tiefer eingraben. Und wir können es vielleicht,wenn wir in derArt,wie wir das für andere Betrach­tungen in den letzten Wochen getan haben, einmal anfragen, wie in den aufeinanderfolgenden Epochen der Menschheitsentwickelung das wis­senschaftliche, das künstlerische, das religiöse Ideal erstrebt worden ist.

Schauen wir zurück in das gewaltige, in das hehre orientalische Gei­stesleben, so stoßen wir auf einen bestimmten Zeitpunkt dieses alten orientalischen Geisteslebens, in dem gewissermaßen den orientalischen Völkern der geistige Inhalt der Werte in unmittelbarer Offenbarung sich darbot. Wir stoßen auf eine Zeit, wo die Menschen gar nicht daran zweifelten, daß das, was sie mit ihren Sinnen sehen können, bloß der spärliche äußere Abdruck ist desjenigen, was ihrem älteren, zwar traumhaften, aber deshalb doch für sie ganz wirklichem Schauen als Göttlich-Geistiges sich offenbarte.

Das Schauen,wenn auch instinktiv und triebhaft, war in derMensch­heit einmal so, daß die Menschen in gewissen besonderen Zuständen ihres Bewußtseins die geistigen Wesen der Welt in unmittelbarer Wirk­lichkeit wahrnahmen, so wie sie durch den physischen Leib ihre Mit­menschen, wie sie durch die physische Körperlichkeit die Wesen der drei physischen Naturreiche wahrnahmen. Ebenso gewiß wie das Da­sein eines Mitmenschen, ebenso gewiß war für den alten Orientalen aus

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der unmittelbaren Anschauung heraus das Dasein der göttlich-geistigen Wesenheiten, die mit dem Menschen zusammenhängen.

Das gab ihm seine innere religiöse Gewißheit. Und diese innere reli­giöse Gewißheit war keine andere als die Gewißheit, die er besaß über die äußeren Naturdinge. Mit derselben Sicherheit, mit der er glauben konnte an das Dasein des Steines, der Pflanze, der Wolken und Flüsse, mit derselben Sicherheit konnte er an das Dasein seines Gottes glauben, denn er schaute diesen Gott. Und dasjenige, was in der neueren Wissen­schaft etwa Animismus genannt wird, was die Sache so darlegt, als wenn in älterer Zeit die Menschen Dinge in die Natur hineingedichtet, durch ihre Phantasie Lebendig-Geistiges in sie hineinversetzt hätten, das ist eben kindisch, das ist eben dilettantische Wissenschaft von heute. In Wahrheit schauten die Menschen das Göttlich-Geistige, wie sie das Sinnlich-Natürliche schauten.

Daraus entsprang ihnen, wie ich schon sagte, die Gewißheit ihres religiösen Lebens, daraus aber entsprang ihnen auch das, was sie für ihre Kunst, für ihr künstlerisches Schaffen brauchten. Das Göttlich-Geistige hatte für sie konkrete, unmittelbare Gestalt. Sie wußten, wel­che Formen dieses Göttlich-Geistige hat, sie wußten, in weichen Farben das Geistige erscheint. Sie konnten das, was ihnen im Geistigen erschien, durch die Mittel der Sinnenwelt, durch die Mittel der physischen Welt ausdrücken. Sie konnten die Baumaterialien nehmen, die ihnen zur Ver­fügung standen; die Mittel der Bildhauerei oder anderer Künste, sie konnten sie anwenden mit der Technik, deren sie fähig waren, und sie drückten dasjenige aus, was sich ihnen im Geiste offenbarte.

Wenn sie zur innerlichen Verehrung kamen, zu einem innerlich menschlichen Gemütsverhältnisse zu ihren göttlich-geistigen Wesen­heiten, so fühlten sie das als Religion. Wenn sie durch äußere Mittel, durch physische Mittel darstellten, was sie im Geiste erschauten, so empfanden sie das als ihre Kunst. Aber die Sache mit ihrer Kunst war so, daß alles, was sie machen konnten aus ihren Kunstmitteln, was sie als Technik hatten, was sie für das Physische an Materialien hatten, die sie verwenden konnten zum Ausdrucke dessen, was ihnen im Geiste vorschwebte: es war alles das gering gegenüber dem, was ihnen eben im Geiste vorschwebte.

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Wir treffen einen Zeitpunkt in der alten orientalischen Entwicke­lung, wo dasjenige, was als Göttlich-Geistiges dem Menschen erschien, was, um den Goetheschen Ausdruck zu gebrauchen, in sinnlich-über-sinnlicher Form erschien, von hehrer, glanzvoller Schönheit war und gewaltig auf das Gemüt, gewaltig auf die Phantasie wirkte, und weil man die Technik der äußeren Kunstmittel nicht meisterte, kam höch­stens in einer unbeholfenen symbolisierenden oder allegorisierenden Form das zum Ausdruck, was viel schöner erschien im Geiste. So ein Künstler jener uralten Zeit hätte sagen können, wenn er in unserem Empfinden sein eigenes Kunstschaffen hätte zum Ausdruck bringen wollen: Schön ist das, was im Geiste erscheint, und nur ein schwacher Abglanz davon kann in dem gegeben werden, was ich aus dem Ton, was ich aus dem Holz, was ich aus andern künstlerischen Materialien heraus formen kann, um auszudrücken, was im Geiste erscheint.

Und ein Künstler war dann ein Mensch, der das Geistige in einer schönen Weise sah und es im sinnlichen Abbilde den andern Men­schen zeigte, die es nicht unmittelbar schauen konnten, die aber über­zeugt davon waren: Wenn ihnen der Künstler in seiner allegorisierend-symbolisierenden Form das von ihm im Geiste Erschaute hinstellte, so gelangten auch sie dazu, durch das Mittel dieses sinnlichen Ausdruckes den Eingang zu finden in eine Welt, die über der irdischen liegt, in eine Welt, in die sich der Mensch versetzen muß, wenn er das Gefühl seiner vollen Menschenwürde haben will. - Und dieses Verhältnis, diese Be­ziehung zu dem Göttlich-Geistigen, die war eine so unmittelbare, sie war, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine so reale, konkrete, daß die Menschen das Gefühl hatten, wenn sie dachten, wenn sie sich Ge­danken bildeten, so hatten sie diese Gedanken von den Göttern, die sie ja schauten, die so da waren wie die andern Menschen. Und es sagten diese Leute einer alten Zeit: Wenn man mit Menschen spricht, so reden sie zu einem Worte, die in der Luft ertönen; wenn man zu den Göttern spricht, so sagen sie einem Gedanken, die nur im Innern der Menschen vernehmbar sind. Durch Laute ausdrückbare Worte sind Menschen-worte, durch Gedanken ausdrückbare Worte sind Göttermitteilungen.

Und indem der Mensch seine Gedanken faßte, glaubte er nicht, daß er diese Gedanken innerlich mit seiner Seele bildete, sondern er glaubte

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zu hören, was ihm als Gedanken die göttlich-geistigen Wesen zuraunten. Hörte er mit seinem Ohre, so sagte er sich: Ich höre Menschen. - Hörte er mit seiner Seele, wo sich das Gehörte nur in Gedanken darlebte, so sagte er: Ich höre göttlich-geistige Wesenheiten. - Und so war die Er­kenntnis, die in Ideen lebte, für diese Menschen eines alten Zeitalters Göttermitteilung. Göttersprache war der unmittelbar von den Göttern zu den Menschen gesprochene Logos.

So daß man sagen kann: Im religiösen Ideal lebte sich das Schauen der Götter aus. Im künstlerischen Ideal lebten sich die Nachformungen des Göttlichen durch menschliche Mittel in symbolisierend-allegorischer Art aus. In dem wissenschaftlichen Ideal gab der Mensch die Sprache wieder, welche die Götter zu ihm sprachen. Das waren jene drei Ideale, die in eins zusammenflossen in der alten orientalischen Zeit, denn es waren im Grunde genommen diese drei Ideale ein Ideal.

Der Mensch schaute hin in diesem einen Ideal auf die göttliche Of­fenbarung. Religion breitete sich aus über das ganze menschliche See­lenleben. Wissenschaft und Kunst waren die zwei Mittel, durch die das Göttliche mit dem Menschen auf Erden zusammenlebte. Und der Künstler fühlte, indem er sein Kunstwerk schuf, daß der Gott seine Hand führte, oder der Dichter fühlte, daß der Gott seine Worte formte und prägte. «Singe, o Muse, vom Zorn mir des Peleiden Achilleus!» Nicht der Dichter spricht, die Muse spricht in dem Dichter. Und das war eine Wahrheit. Die abstrakte Auffassung, der man heute so etwas zuschreibt und dabei etwa sagt, es sei schon eine dichterische Verklei­dung, gehört eben zu den grotesken Kindlichkeiten heutiger Anschau­ungen über solche Dinge, die gar nicht wissen, wie wahr der Goethe­sche Ausspruch ist: «Was Ihr so den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigener Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln.»

Und gehen wir von dieser orientalischen Dreiheit der Ideale des Menschen in Religion, Kunst und Wissenschaft herüber zu den Grie­chen, die dann einen prosaisch dürftigen Nachklang in den Römern gefunden haben, so finden wir diese drei Ideale weitergebildet. Was vorher, ich möchte sagen, aus Lichtglanzhöhe als Göttlich-Geistiges den Menschen sich geoffenbart hatte, das empfand der Grieche durch den Menschen selbst sprechend. Das religiöse Leben hat sich im griechischen

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Dasein eng an den Menschen gebunden. Der Mensch in Grie­chenland fühlte dasjenige, was er selber war an Gestalt, an innerem Leben, gottdurchdrungen, gottdurchsetzt. Nicht mehr in Lichtglanz-höhen sah er hinein, sondern in den Wunderbau des Menschen selber. Er hatte somit nicht mehr jenes starke Schauen des Göttlich-Geistigen, was der Orientale hatte, sondern, ich möchte sagen, ein schwächeres Schattenbild des Himmlisch-Geistigen. Aber wer wirklich sich hin­einversetzen kann in griechische Dichtung, in griechische Kunst, in griechische Philosophie, der kann wissen, für den Griechen war das doch eine Grundempfindung, durch die er sich sagte: Der Mensch, der hier auf der Erde wandelt, der nicht nur ein Zusammenfluß ist des­jenigen, was Augen schauen in der äußeren Sinneswelt, der ist ein Zeuge für das Vorhandensein eines Göttlich-Geistigen. Und der Mensch, der hier auf der Erde wandelt, der nicht irdischen Ursprunges sein konnte für den Griechen, der ist unmittelbar ein Zeugnis für das Walten des Zeus, für das Walten der Athene in geistigen Welten.

Der Grieche hat in Menschengestalt und innerer menschlicher Le­bensentwickelung das hehrste Zeugnis gesehen für das göttlich-geistige Walten in der Welt. Und so vermenschlichte der Grieche seine Götter, weil er den Menschen selber noch in seiner Göttlichkeit empfand.

Es ist etwas ganz anderes,wenn der Grieche seine Götter vermensch­licht, als wenn etwa der moderne Mensch in einem untergeordneten Anthropomorphismus seinen Gottmenschen vorstellt. Denn für den Griechen lebte eben noch in dem Menschen ein Zeugnis für das Gött­liche. Der Grieche konnte sich noch sagen: Wäre nicht ein Göttliches, die Welt durchwebend und durchwallend, so könnte nicht der Mensch so vor mir stehen, wie er dasteht. - Die Religion war einbezogen in das Erfassen des Menschen. Der Mensch wurde in bezug auf dasjenige, was er sich nicht selber geben konnte, aber als was er dastand in der Welt, in entsprechender Weise verehrt. Nicht das alltägliche menschliche Tun, nicht das eitle menschliche Erdenstreben, aber das, was mit dem Menschen in das irdische Leben hereingestellt war, das wurde in ent­sprechender Weise verehrt. Und diese Verehrung, die man für das Menschenwesen hatte, die weitete sich aus zu der Verehrung der gött­lich-geistigen Welt. Und das künstlerische Ideal war bei den Griechen

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so, daß der Grieche auf der einen Seite sein Göttlich-Geistiges empfand, bezeugt durch das Dasein des Menschen auf Erden, auf der andern Seite empfand er stark, wie es beim Orientalen noch nicht der Fall war, die Gesetze der sinnlich-physischen Natur, die Gesetze von Harmonie und Disharmonie, die Gesetze von Maß, die Gesetze des Lastens und Tragens der Materialien. Und während der Orientale, ich möchte sagen, noch ungeschickt war in der Bewältigung des Materials, wäh­rend er nur allegorisierend und symbolisierend ausdrücken konnte das ihn überflutende, überwuchernde Geistige, so daß das Geistige, das durch irgendein Sinnliches im Kunstwerke in der alten orientalischen Welt zum Ausdrucke kam, immer viel weiter, mächtiger, gewaltiger war, als was in der sinnlichen Form ungeschickt zum Ausdrucke kom­men konnte, strebte der Grieche darnach, alles, was er im Geiste er­fassen konnte, auch hineinzugießen in dasjenige, was er nun schon von der sinnlich-physischen Welt erkannte.

Bei ihm durfte die Säule nicht dicker sein, als sie sein mußte, um die Tragkraft zu entwickeln für das, was auf ihr lag. Es durfte nicht, wie bei der orientalischen Kunst, dasjenige, was sinnlicher Ausdruck für das Geistige war, in ungeschickter Weise die physisch-sinnlichen Ge­setze darstellen, sondern es mußten die sinnlich-physischen Gesetze in ihrer Vollkommenheit ergriffen werden. Der Geist mußte sozusagen mit der physischen Sinnlichkeit eine Ehe auf gleich und gleich eingehen. So viel Geist, so viel sinnlich-physische Gesetzmäßigkeit ist in einem griechischen Tempel, und so viel Ausdrucksfähigkeit des Materials als Geistigkeit durch dieses Material zur Offenbarung kommt, ist in einer griechischen Statue. Und so fließen die Verse des Homer, daß in dem Fluß der Menschensprache unmittelbar sich offenbart der Fluß der Göttersprache. Der Dichter fühlte, indem er seine Worte gestaltete, daß aus dem, was aus den Sprachgesetzen selber fließt, alles bewältigt werden muß, daß nichts ungeschickt bleiben darf, nichts stammelnd sein darf, wie es noch in der orientalischen Hymnuspoesie der Fall ist, sondern daß alles einen dem Geiste adäquaten Ausdruck finden muß:

Völlige Bewältigung der physisch-sinnlichen Gesetze der Kunstmateria­lien durch den Menschen, damit nichts mehr vom Geiste sich offenbart, was nicht in den sinnlichen Formen selbst erscheint.

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So wie der Grieche dem Menschen gegenüber empfand, daß er ein Zeugnis ist des Göttlichen, so mußte auch das Kunstwerk des Tempels, das Kunstwerk der Statue ein unmittelbares Zeugnis sein für das Wal­ten des Göttlichen, allerdings nunmehr aus der menschlichen Phantasie heraus. Man konnte es dem Tempel ansehen, daß derjenige, der ihn gebaut hat, alle Gesetze des sinnlich-physischen Materials bemeistert hat, damit er in jeder Äußerung dieses physisch-sinnlichen Materials hat wiedergeben können, was er im Verkehre mit den Göttern in sich, in seine menschliche Wesenheit hat einfließen lassen.

Und die ältesten Tragödien der Griechen, sie waren durchaus so, daß die dargestellten Wesen eigentlich Nachbildungen des Göttlichen, des Apollohaften, des Dionysoshaften waren, und daß der Chor rings-herum eine Art Widerklang der Natur war, eine Art Echo des gött­lich-geistigen Waltens. Mit Menschen als dem adäquaten Material wollte man in der Tragödie ausdrücken, was in den Götterwelten vor sich geht, aber so, daß nicht, wie bei dem Orientalen, man immer, ich möchte sagen, mit dem geistigen Auge hinaufsehen muß in eine höhere Region, als diejenige ist, in der sich das sinnliche Bild befindet, sondern daß man auf demselben Niveau bleiben kann,wo die Menschen die Tra­gödie darstellen, um in jeder Geste, in jedem Worte, in jedem Rezitativ des Chores etwas wahrzunehmen, worin Göttliches in einer ihm an­gemessenen sinnlichen Weise weiterflutete. Das war das künstlerische Ideal der Griechen.

Und das wissenschaftliche Ideal? Nicht mehr hat der Grieche in solcher Lebendigkeit empfunden wie der Orientale, daß in den Ideen, in den Gedanken Götter zu ihm sprachen. Er hat schon etwas von dem vernommen, daß der Mensch sich anstrengen muß, um sich Gedanken zu machen. Aber wie er den Menschen selbst, der auf Erden wandelte, in seiner Gestalt und in seinem inneren Leben als ein unmittelbar wan­delndes Zeugnis des Göttlichen empfand, so empfand er den Gedanken so real wie eine Sinneswahrnehmung. Wie er das Rot oder das Blau oder das Cis oder das G unmittelbar wahrnahm, so nahm er seine Ge­danken wahr, nahm sie wahr in der äußeren Welt, wie die Augen, die Ohren die Sinneswahrnehmungen empfangen. Dadurch wußte er zwar vom Logos nicht mehr in jener Konkretheit, in einer so konkreten

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Sprache, wie es der Orientale wußte; es schrieb der Grieche nicht mehr Veden, von denen der Orientale das Gefühl hatte, die Götter hätten sie ihm in die Gedanken hineingeführt. Der Grieche wußte, daß er seine Gedanken ausarbeiten muß, wie man weiß, daß man mit den Augen herumschauen muß, um den Umkreis sinnlich wahrzunehmen. Aber es wußte der Grieche doch noch, daß diese Gedanken, die er erarbeitete, die in die Natur gelegten göttlichen Gedanken sind. Und so war ihm der Gedanke das irdische Zeugnis für die göttliche Sprache. Während der Orientale die göttliche Sprache noch selber hörte, empfand der Grieche die Sprache schon als eine Menschensprache, aber er empfand sie als das unmittelbare Zeugnis der Göttersprache, wie sie ihm auf Erden eben bezeugt wird.

So war Wissenschaft für den Griechen etwas göttlich-geistig Ein-gegebenes, etwas, dem man noch ansehen konnte, daß es von dem Göttlich-Geistigen auf die Erde geschickt ist, wie der Mensch selbst in seiner Gestalt, in seinem inneren Erleben von den göttlichen Kräften auf die Erde gestellt wird. Wir sehen, wie sich das religiöse, das künst­lerische, das wissenschaftliche Ideal im Laufe der Menschheitsentwik­kelung von der uralt orientalischen Welt zu der griechischen Welt hin verändert hat.

Wir stehen nun wiederum an einem Punkte - und die Menschheits­entwickelung des zivilisierten Westens ist, wie ich Ihnen öfter ausge­führt habe, seit dem ersten Drittel des 15.Jahrhunderts an diesen Punkt herangekommen -, wo die Notwendigkeit an den Menschen herantritt, den uralt heiligen Idealen, dem religiösen, dem künstlerischen, dem Erkenntnisideal neue Gestalten zu geben. Das war es, was ich zum Ausdrucke bringen wollte, als wir den ersten Hochschulkurs in unserem Goetheanum eröffneten. Zum Ausdrucke bringen wollte ich, daß die­ses Goetheanum dasteht, weil aus den inneren Gesetzen der mensch­lichen Entwickelung selber folgt, daß das religiöse, das künstlerische, das Erkenntnisideal neue Gestalten selbst gegenüber dem Griechischen, großartige Gestalten annehmen müsse.

Das ist es, was einen mit einer so furchtbaren Wehmut erfüllt, wenn man heute die Ruine sieht anstelle desjenigen, was in Form und Farbe, was in jeder Linienführung, in jeder Holzform zum Ausdruck bringen

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wollte, wie aus dem Innersten der menschheitlichen Seelenentwicke­lung die drei großen Ideale neu sich gestalten sollten. Mit Wehmut nur, mit tiefstem Schmerze kann man die Stätte schauen, die so hätte spre­chen sollen von der Erneuerung der drei großen Ideale der Menschheit, und die heute in einer Ruine dasteht, so dasteht, daß wir nur im Herzen tragen können, was in diesen Bau hineingelegt worden ist. Denn, wenn es sich auch als eine Möglichkeit darstellen sollte, daß hier ein Bau wiederum aufgeführt würde - der alte Bau ganz gewiß nicht! Und in der Weise, wie durch den alten Bau gesprochen worden ist, wird eben nicht wiederum durch einen Bau gesprochen werden können.

Deshalb sollen wir um so tiefer in unsere Gemüter schreiben, was eigentlich durch diesen Bau für die drei großen Ideale der Menschheit gemeint war. Wir können heute nicht sagen, daß so wie dem instink­tiven Hellsehen des Orientalen das Göttlich-Geistige anschaulich uns entgegenleuchtet wie eine äußere sinnliche Wesenheit, oder daß die Göttertaten sich darstellen vor dem Seelenauge des Menschen, wie sich die sinnenfälligen Taten im Sinnlichen oder im alltäglichen Leben vor uns abspielen. Aber wenn wir diejenige Vertiefung in Natur- und Menschendasein in uns lebendig machen, die wir lebendig machen können durch anthroposophisches Denken und Fühlen, dann tritt uns die Welt, dann tritt uns der Kosmos, das Universum noch in einer andern Form entgegen, als sie dem Griechen entgegengetreten sind.

Wenn der Grieche seinen Blick in die Natur hinausgerichtet hat, wenn er seinen Blick auf den äußerlich-physisch wandelnden Menschen gerichtet hat, dann hatte er gewissermaßen die Empfindung: Wenn hier der Quell fließt, sich der Berg erhebt, den die Wolke krönt, dort die Sonne aufgeht im Morgenröteglanz, sich der Regenbogen wölbt -durch das alles spricht das Göttlich-Geistige. Der Grieche hat von der Natur so viel gesehen, daß er in allem das Göttlich-Geistige empfin­dend hat erleben können. Aber seine Naturanschauung war eine solche, daß er in ihr befriedigt war, daß er gewissermaßen seine vollmensch­liche Befriedigung fühlte an dem, was er von Natur sah.

Ich habe öfter hervorgehoben, daß man mit Recht von einem Fort­schritt in der Naturerkenntnis spricht, und gerade Anthroposophie ist geeignet, die wahre Bedeutung des naturwissenschaftlichen Fortschrit­tes

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der letzten Jahrhunderte einzusehen. Ich habe das ja oft betont. Nicht irgendein laienhaftes Abkritisieren der Naturwissenschaft, der Naturanschauung, des Sich-Vertiefens in die Natur kann der Anthro­posophie naheliegen, sondern allein ein wirkliches liebevolles Vertiefen. Ja, meine lieben Freunde, in bezug auf die Natur haben die Menschen in den letzten Jahrhunderten viel, viel gelernt. Und wenn man das­jenige, was gelernt worden ist, vertieft, so bekommt man aus einer Naturanschauung heraus - wie ich Ihnen gerade von dieser Stätte aus, hier von diesem Platze aus oftmals auseinandergesetzt habe - die Ein­sicht in des Menschen wiederholte Erdenleben, die Einsicht in die Um­wandlung der Natur. Man bekommt einen perspektivischen Blick in Zukunftszeiten, wo der Mensch wieder beleben wird, was er durch seine Sinne und durch seine Seele und durch seinen Geist in der Gegen­wart erlebt.

Und man bekommt durch eine richtige Vertiefung in die Natur eine andere Anschauung, eine andere Totalauffassung von der Natur, als der Grieche sie hatte. Man möchte sagen, der Grieche sah die Natur an wie ein ausgewachsenes Wesen, das ihm die Herrlichkeit der göttlich-geistigen Welt offenbarte. Der moderne Mensch kann nicht mehr so die Natur anschauen. Wenn wir überall auf das hinschauen, was wir heute von den Naturwesen empfinden können, mit all unseren vor­züglichen Instrumenten, mit all unseren vorzüglichen Werkzeugen, dann erscheint uns die Natur samt dem natürlichen Menschen als etwas, was keimhaft ist, was in seinem Schoße etwas trägt, das erst in der Zukunft sich entfalten kann.

Der Grieche sah jede Pflanze als etwas an, was unmittelbar so, wie es sich darlebt, ein vollkommenes Dasein hatte, weil der Gott der Pflanze in der einzelnen Pflanze lebt. Wir sehen die Pflanze an als etwas, aus dem in der Natur ein Höheres werden muß; wir sehen in allem, wo wir hinblicken, heute ein Keimhaftes. Und uns erscheint in dem, was wir heute nicht in der fertigen, sondern ich möchte sagen in der zukunftsschwangeren, zukunftsträchtigen Natur sehen, in alledem schauen wir etwas, demgegenüber wir beginnen uns zu sagen: Ein Göttliches waltet in der Natur und muß walten, weil es die keimhafte Natur zu einer einstmals vollkommenen Gestaltung bringen wird.

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Wir haben genauer hinsehen gelernt auf die Natur. Wenn der Grie­che den Vogel gesehen hat, sehen wir in der Natur das Ei. Während der Grieche das fertige Wesen gesehen hat, sehen wir überall die Anlagen. Und eine richtige Naturanschauung hat heute derjenige, der hingeris­sen werden kann mit seiner ganzen Seele, mit seinem ganzen Herzen, mit seinem ganzen Gemüte von der Keimhaftigkeit, von der Anlage­haftigkeit der Natur.

Das ist die andere Seite der heutigen Naturerkenntnis. Wenn man anfängt, religiös in das Mikroskop zu sehen, wenn man anfängt, reli­giös in das Teleskop zu sehen, so merkt man überall Keimzustände. Die Genauigkeit des Naturanschauens läßt uns die Natur im Embryo­nalzustand sehen, läßt uns die Natur sehen als überall schaffend, läßt uns die Natur sehen als überall der Zukunft zueilend. Das ergibt ein neues religiöses Ideal.

Dieses religiöse Ideal wird allerdings nur derjenige haben können, der auch in dem einzelnen Menschenleben erblickt - wie wir das oft­mals dargestellt haben hier an diesem Orte -, was ihm als keimhaft erscheint für künftige andersgeartete menschliche Erden- und Welten-leben.

Der Grieche hat gewissermaßen in dem Menschen den Zusammen-fluß des ganzen Kosmos gesehen, aber des gegenwärtigen Kosmos. Der alte Orientale hat in dem Menschen den Zusammenfluß der ganzen kosmischen Vergangenheit gesehen. Wir fühlen in dem Menschen den Keim des Zukünftigen. Das gibt dem neuen religiösen Ideal seine Fär­bung.

Und gehen wir zu dem Künstlerischen über, dann finden wir, wenn wir heute uns in die Natur vertiefen und nicht stehenbleiben bei den toten Konturen, nicht stehenbleiben bei den abstrakten Ideen, sondern uns mit lebendiger Seele hineinvertiefen in die Formen der Natur -ja, was finden wir dann? Meine lieben Freunde, Sie haben es gesehen an den Kapitälen, die ich geben konnte unseren Säulen, Sie haben es gesehen an den Architravmotiven, welche die Säulen krönten drüben:

das entstand nicht durch Beobachtung der Natur, das entstand durch Miterleben mit der Natur. Die Natur bringt Formen hervor, die aber auch anders sein könnten; die Natur fordert uns überall auf, ihre Formen

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in andere zu wandeln, zu metamorphosieren. Wer Natur nur beobachtet, kopiert sie, verfällt in Naturalismus. Wer die Natur erlebt, wer die Linien der Pflanzen, die Farben der Pflanzen nicht bloß an­schaut, sondern innerlich erlebt, für den schlüpft aus jeder Pflanze, aus jeder Gesteinsform, aus jeder Tierform eine andere heraus, die er dem Material einprägen kann. Man macht es nicht so wie der Grieche, der gewissermaßen in der Technik des Materials den Geist ganz aus­drücken wollte, man ringt mit den Formen der Natur und schafft aus den Formen der Natur selbständige Formen heraus, nicht in symbolisch-allegorischer Weise wie bei den Orientalen, auch nicht in solch adäqua­ter Weise wie bei den Griechen, aber so, daß in der sinnlichen Offen­barung sich unmittelbar etwas ausdrückt, was in jeder Linie, was in jeder Farbe hinstrebt zu dem Göttlichen. Bei den Orientalen drückte sich gewissermaßen durch das Symbolum, durch das Allegorische das Göttliche aus, strahlte heraus wie eine Aura, wie eine Wolke, so daß das Göttlich-Geistige die Formen überquellte, die Formen überwucherte, daß es mehr sagte als die Formen. Wir modernen Menschen müssen Kunstwerke schaffen, bei denen die Form mehr sagt als die Natur sagt, aber ganz natürlich spricht, so daß jede einzelne Linie, jede ein­zelne Farbe wie ein Naturgebet wird zu dem Göttlichen. Wir ringen gewissermaßen der Natur diejenigen Formen ab, durch welche die Na­tur selber verehren kann das Göttliche. Wir sprechen gewissermaßen künstlerisch zur Natur.

Eigentlich möchte jede Pflanze, jeder Baum in einem Gebete auf-blicken zu einem Göttlichen. Wir sehen es der Physiognomie des Bau­mes, der Physiognomie der Pflanze an. Aber die Ausdrucksmöglich­keiten der Pflanze, des Baumes, sind nicht groß genug. Sie liegen ver­anlagt in Baum und Pflanze. Holen wir heraus, was in Baum und Pflanze, in Wolke und Stein an Linienführung, an Farbe, an innerer Lebendigkeit lebt, prägen wir es dem Baumaterial, prägen wir es dem Bildhauermaterial ein, dann spricht durch unser Kunstwerk die Natur zu den Göttern. Wir entdecken den Logos in der Natur. Und uns er­scheint in unserer Kunst eine höhere Natur als die Natur draußen, eine Natur, die nun ihrerseits auf ganz natürliche Weise den Logos hinauf-strömen läßt zu der göttlich-geistigen Welt.

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In den orientalischen Kunstwerken strömte der Logos herunter, und einen stammelnden Ausdruck nur fand er in dem menschlichen Kunstmaterial. Unsere Kunstformen mussen wirkliche Sprachformen sein, die diejenige Sprache sprechen, welche die Natur sprechen möchte, wenn sie an ihr Ziel kommen könnte. Das ist das künstlerische Ideal, jenes künstlerische Ideal, welches sich hinstellt neben das religiöse Ideal, welches die Natur in ihren Anlagen, in ihren Keimungen sieht.

Und das dritte ist unser wissenschaftliches Ideal, jenes Ideal, wel­ches nicht mehr, wie beim Orientalen, den Gedanken als etwas empfin­det, was unmittelbar der Gott in die Seele raunt. Unser modernes Ge­danken- oder Ideenideal kann auch nicht mehr so wie der Grieche Ge­danken empfinden als ein im Menschen entstehendes Zeugnis für das Göttliche; wir finden auf rein menschliche Weise, durch menschliche Arbeit den Gedanken, durch menschliche innere Seelenarbeit. Haben wir uns aber so zu den Gedanken aufgeschwungen, daß wir nichts von Egoismus, nichts von Selbstsucht, nichts von innerer Leidenschaftlich­keit, die eingenommen ist für das oder jenes, also nichts von mensch­licher Parteinahme für das eine oder andere Urteil in den Gedanken einfließen lassen, haben wir uns als Mensch dazu aufgeschwungen, den Gedanken in derjenigen Form in uns zu erleben, die er selber an-nehmen will: dann fühlen wir uns nicht wie den Former, wie den Macher des Gedankens, sondern wie den innerlichen Seelenschauplatz, durch den der Gedanke in uns selber sich auslebt. Und dann empfinden wir das Große gegenüber den Gedanken, die wir selber uns gebildet haben, gegenüber den Ideen, die wir scheinbar selber in uns geschaffen haben, ohne Selbstsucht, ohne Parteinahme für das eine oder andere Urteil. Dann werden wir überrascht: die Ideen, die wir so gebildet haben, sind würdig, das Göttliche abzubilden. Wir entdecken hinterher, wie der in unserer eigenen Brust geformte Gedanke würdig ist, das Göttliche abzubilden. Wir entdecken zuerst den Gedanken und ent­decken nachher: Der Gedanke ist ja der Logos! Während du selbstlos deinen Gedanken in dir sich selber formen lässest, hast du dir durch die Selbstlosigkeit die Möglichkeit geschaffen, daß der Gott der Schöpfer deines Gedankens war. - Was der Orientale als Offenbarung des Ge­dankens empfand, was der Grieche als Zeugnis empfand durch den

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Gedanken, das empfinden wir als eine lebendige Entdeckung: wir haben den Gedanken, und er kündigt sich uns hinterher als dasjenige an, was den Gott ausdrücken darf. Das ist unser wissenschaftliches Ideal.

Und so stehen wir in der Menschheitsentwickelung darinnen, er­fassend den Zeitpunkt, in dem wir innerhalb der Menschheitsentwicke­lung leben, und wissen: Es muß uns gelingen, nicht bloß anzuschauen das menschliche Haupt mit den Ohren an der Seite, mit dem Kehlkopf, mit den verkrüppelten Schulterblättern, sondern es muß uns gelingen, indem wir die Form der Natur umbilden, daß aus dem Wachsen der Schulterblätter, aus dem Verweben des Kehlkopfes mit den Ohren, Eines entsteht aus Brust, Kopf, Flügel, Kehlkopf und Ohr, was uns als luziferische Gestalt erscheint.

Wir gelangen dazu, dasjenige Künstlerische in der Natur zu sehen, was in der Natur die Form leben läßt, so daß ein höheres Leben der Form herauskommt, als es in der Natur selber ist.

Dadurch aber sind wir auch imstande, die Natur noch da zu ver­folgen, wo sie selber metamorphosierend den Menschen umgestaltet. Wir sind imstande, diese Kunst hineinzutragen in das pädagogisch-didaktische Feld. Da, wo das Kind jeden Tag ein anderes wird, da tragen wir in das pädagogische Arbeiten die künstlerische Schaffens­kraft hinein, weil wir sie zunächst in der Kunst selber so ergriffen haben, daß wir in dieser Kunst sehen die über sich selber hinauswir­kende, den Logos produzierende Natur. Wir lernen an der Quelle, die mehr wird als Quelle, die zu den Göttern spricht, wir lernen an dem Baum, der mehr ist als Baum, weil er durch seine Äste nur in Gebärden stammelt, während er in denjenigen Formen, die aufgehen vor der modernen künstlerischen Phantasie, mit seinen Ästengebärden, mit seinen Kronengebärden zu den Göttern hinaufweist, wir lernen an dem Kosmos, indem wir seine Formen metamorphosierend so umgestalten, wie sie umzugestalten versucht worden sind in unserem Goetheanum, wir lernen daran, wie wir von Tag zu Tag an dem Kinde mitzuwirken haben, um dasjenige umzuschaffen, was sich eben am Kinde von Tag zu Tag umschafft. Wir sind dadurch imstande, die Kunst in die Menschheitsbehandlung, in die Pädagogik hineinzutragen. Und so auf andern Gebieten.

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So aufgefaßt, entstehen die drei neu belebten großen Ideale der Menschheit vor des Anthroposophen Seele: das religiöse Ideal, das künstlerische Ideal, das Erkenntnisideal. Durch die Formen des Goe­theanum sollte sich der Anthroposoph begeistert fühlen zum Erleben dieser Neugestaltung der hehren großen Menschenideale. Das müssen wir jetzt still in unsere Seelen einschreiben. Aber wir müssen uns dar­aus Begeisterung holen. Und wenn wir uns Begeisterung holen für das, was uns in dieser Weise durch die drei Ideale zum Göttlich-Geistigen erhebt, dann wird uns das irdische höchste Ideal daraus. Wenn im Evangelium gesagt wird: Liebe deinen Nächsten als dich selbst und Gott über alles -, so muß auf der andern Seite gesagt werden: Wer das Göttlich-Geistige so ansieht, wie es im Sinne der drei in die Gegenwart hereinversetzten Ideale von dem modernen Menschen angesehen wer­den muß, der lernt das Göttlich-Geistige lieben, denn er fühlt, daß er nicht Mensch sein kann, wenn er sich nicht mit aller ihm nur möglichen Liebe hingibt an diese drei Ideale. Dann aber fühlt er sich mit denen, die diese Liebe in gleicher Weise nach oben schicken können, auch in gleicher Weise vereint. Er lernt das Göttlich-Geistige über alles lieben -und dann seinen Nächsten als sich selbst, aus der Liebe zum Göttlichen. Und die Ranküne kommt nicht auf.

Das aber ist dasjenige, was die einzelnen Mitglieder der Anthropo­sophischen Gesellschaft zu einem Ganzen zusammenhalten kann. Das brauchen wir in der Gegenwart. Wir haben es eben erlebt, daß wir die Phase durchgemacht haben in der Anthroposophischen Gesellschaft, welche das Anthroposophische in einzelne Zweige des Lebens hat aus­fließen lassen: in das Pädagogisch-Didaktische, in andere praktische Lebensformen, in das Künstlerische und so weiter. Wir brauchen heute einen Zusammenschluß. Wir haben ausgezeichnete Waldorf-Lehrer, ausgezeichnet Wirkende auf andern Gebieten. Wir brauchen heute bei allen denen, die auf ihren einzelnen Posten ihr Bestes geben, auch, daß sie nun den Weg finden, damit die Quellen des anthroposophischen Lebens selber neu fließen. Das brauchen wir heute.

Und weil wir es brauchen, weil wir brauchen, daß Zeugnis abgelegt werde durch die führenden anthroposophischen Persönlichkeiten für das Bewußtsein, daß gegenwärtig eine Neubelebung der Anthroposophischen

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Gesellschaft notwendig ist, tritt diese Versammlung in Stuttgart in den nächsten Tagen zusammen, und man muß, wenn man es ehrlich meint mit der Anthroposophischen Gesellschaft, die denkbar größten Hoffnungen für dasjenige haben, was in diesen nächsten Tagen in Stuttgart geschieht. Denn nur dann, wenn diejenigen Persönlich­keiten, die dort auftreten werden, Töne finden werden für dies oder jenes, die herausklingen aus einer wahren, tatkräftigen Begeisterung für die drei großen Ideale, die zu gleicher Zeit in Liebe ausfließende Ideale sind, nur dann, wenn Garantie dafür vorhanden ist durch die Kraft und den Inhalt der Worte, die da gesprochen werden, kann ge­hofft werden, daß die Anthroposophische Gesellschaft ihr Ziel erreicht. Denn dasjenige, was da zutage tritt, wird eben dann in weiteren Krei­sen ebenfalls zutage treten müssen.

Für mich selber wird es sich ergeben, was ich zu tun habe, je nach-dem wie diese Stuttgarter Tagung ausfällt. Erwartungsvoll sieht man ihr entgegen. Sie bitte ich, insofern Sie vielleicht nicht hinfahren, mit kraftvollen Gedanken dabei zu sein. Denn es handelt sich um ein Da­beisein bei einem wichtigenMomente,um das tatkräftige Sich-Einsetzen auf einem gesunden Boden für die der heutigen Menschheit notwen­digen großen Ideale, jene großen Ideale, von denen uns nicht eine menschliche Willkürschrift spricht, sondern diejenige Schrift, die aus der ganzen Entwickelung, aus dem Sinn der ganzen Entwickelung der Erdenmenschheit selber so klar zu uns spricht, wie die Tagessonne zu dem wachen Menschen spricht. Wollen wir in dieser Weise Begeiste­rung anfachen in unseren Seelen, dann wird Begeisterung zu Taten werden. Und Taten brauchen wir.

SECHSTER VORTRAG Stuttgart, 27. Februar 1923

#G257-1965-SE104 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

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SECHSTER VORTRAG

Stuttgart, 27. Februar 1923

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Die Stimmung, aus der heraus ich heute zu Ihnen spreche, ist nicht die­selbe, aus der es mir vergönnt war, es in früheren Zeiten zu tun; denn seit dem Silvesterabend des Jahres 1922 auf 1923 steht im Hinter-grunde dieser Stimmung das furchtbare Bild des brennenden Goethe­anums. Es ist ja so, daß der Schmerz, das Leid, das verbunden sein muß für denjenigen, der aus der Sache der Anthroposophie heraus dieses Goetheanum liebte, ein so großer und so gearteter ist, daß er durch Worte nicht ausgedrückt werden kann. Es könnte vielleicht scheinen, als ob die Empfindung berechtigt wäre, daß eine ins Geistige blickende Bewegung, wie es unsere anthroposophische ist, keinen so tiefen Grund haben sollte, zu trauern über ein äußeres Denkmal ihres Wesens. Aber mit dem Goetheanum, das wir verloren haben, steht es doch etwas anders. Es war nicht ein beliebiger äußerer Bau für unsere anthropo­sophische Sache. Ich habe es oftmals während der fast zehnjährigen Arbeit am Bau auseinanderzusetzen gehabt, wie das, was bei einer andern, ähnlichen Gelegenheit, bei dem Bau eines Heimes für eine geistige oder sonstige Bewegung sonst wohl hätte der Fall sein können, nicht hat sein können bei unserer anthroposophischen Bewegung. Denn hier handelte es sich nicht nur darum, so sagte ich oftmals, daß man eine geistige Bewegung hat, die durch ihre Vergrößerung in einer Reihe von opferwilligen, hingebungsvollen Persönlichkeiten die Absicht her­vorbringt, ihr eine eigene Heimstätte zu bauen, die in diesem oder jenem herkömmlichen Stile hätte aufgeführt werden sollen. Hier han­delte es sich darum, daß Anthroposophie auf einem geistigen Boden steht, der nicht in einseitiger Weise irgendeine religiöse oder Erkennt­nis- oder künstlerische Bewegung ist, sondern eine umfassende Bewe­gung, die sich nach diesen verschiedenen Seiten der größten Mensch­heitsideale, dem religiös-moralischen, dem künstlerischen und dem Erkenntnisideale offenbaren will. Und so konnte gar nicht die Absicht entstehen, einen beliebig gestalteten Bau der anthroposophischen Be­wegung zu errichten, sondern es mußte aus denselben Quellen, aus

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denen die anthroposophischen Ideen gestaltet werden als Ausdruck geistiger Anschauung für die Erkenntnisbewegung der Anthroposophie, auch in künstlerischer Weise dieser Bau aufgeführt werden. Und wäh­rend fast zehn Jahren haben viele Freunde, mir zur Seite stehend, in jeder einzelnen Linienform, in jeder äußeren Gestaltung des Architek­tonischen und Plastischen, in jeder Farbengebung das äußerlich zu ver­körpern, zu verbildlichen gesucht, was aus den Quellen anthroposophi­scher Anschauung, anthroposophischen Lebens und anthroposophischen Wollens kommt. In jede Linienführung, in jede plastische Form, in jede Farbe war hineingelegt diese Anschauung, dieses Leben. Und innig verbunden war dieser Bau mit demjenigen, was auch sonst nach der Erkenntnisseite, nach der künstlerischen Seite innerhalb der anthropo­sophischen Bewegung arbeiten, wirken wollte. Die Freunde, welche zum Beispiel Eurythmievorstellungen im Dornacher Goetheanumbau gesehen haben, sie werden wohl den Eindruck bekommen haben, wie gewissermaßen alles dasjenige, was aus der inneren Architektur und aus der Innenbildlichkeit des Zuschauerraumes, des Bühnenraumes ant­wortete auf die Bewegungen der Eurythmie, in innigster Harmonie mit diesen Bewegungen stand. Man konnte wohl den Eindruck haben, daß aus den Bau- und plastischen Formen heraus die Bewegungen der Men­schen auf der Bühne selber geboren werden. Stand man am Podium und sprach man so recht herzlich aus dem anthroposophischen Geiste heraus, so war jede Linienführung, jede Formgestaltung dasjenige, was einem entgegenkam, was mitsprach. Das war angestrebt worden. Gewiß, es ist für das erste Mal ein Versuch gewesen, aber es ist an­gestrebt worden, und es konnte wohl empfunden werden. Und darum ist es so, daß derjenige, der seine Arbeit an dieses Dornacher Goethe­anum gewendet hat, die Empfindungen, die er hineingelegt hat in diese Arbeit, mit von den Flammen, die da sengten am Silvesterabend, selbst verzehrt findet. Gerade das intime Zusammensein anthroposophi­schen Fühlens und anthroposophischen Wollens mit diesen Formen, die so sehr aus der unmittelbaren Anschauung und für diese Anschauung künstlerisch gestaltet waren, die sich niemals ersetzen lassen durch irgendwelche Gedankenformen, durch irgendwelche Interpretationen, das macht den Schmerz über den Verlust zu einem so ungeheuer tiefen.

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Das muß aber auch einziehen in die Erinnerung, die diejenigen haben können, welche das Goetheanum liebgewonnen haben, welche diesen intimen Einklang empfunden haben. Und in einer gewissen Weise müs­sen wir es aufrichten als eine Erinnerung in unseren Herzen. Wir müs­sen gewissermaßen,während wir auf der einen Seite durch die erwähnte Intimität obdachlos geworden sind, ein geistiges Obdach in unseren Herzen um so intersiver suchen an Stelle desjenigen, was wir verloren haben. Wir müssen mit allen Mitteln danach streben, in unseren Herzen für die Ewigkeit diesen Bau aufzurichten, der uns für das äußere künst­lerische Empfinden genommen worden ist. Aber im Hintergrunde von alledem, was weiterhin gewirkt werden kann auf dem Felde der An­throposophie, steht dennoch diese furchtbare Flamme, in die alle Teil-flammen zusammenschlugen um Mitternacht vom 31. Dezember zum 1. Januar. Und es verbrannte schon, wenn auch nicht ein Stück der lebendigen geistigen Anthroposophie, so doch ein großes Stück Arbeit, welche zu leisten wir bestrebt waren für das Anthroposophische in unserer Gegenwart.

Ich glaube, daß dasjenige, was da erlebt worden ist, vor allen Din­gen wenn es in der richtigen Weise sich einwurzelt in den Herzen unserer anthroposophischen Freunde, aus dem Schmerze, aus der Trauer heraus doch auch eine Kraft wiederum geben kann zu alledem, wozu wir für die anthroposophische Arbeit in der nächsten Zeit aufgerufen sind. Es ist im Leben doch schon so, daß wenn eine Anzahl von Men­schen sich sagen muß, wir haben ein gemeinsames Unglück getragen, das auch in einer gewissen Weise bindet, so daß von der andern Seite wiederum Stärke und Kraft kommen kann zu gemeinsamem, wirk­samem Tun. Und aus Erlebnissen heraus, nicht aus grauen Theorien, nicht aus abstrakten Gedanken sollen ja die Kräfte kommen, welche uns beseelen sollen zu anthroposophischem Wirken.

Meine lieben Freunde, ich möchte diese Dinge doch hinzufügen zu jenem Thema, das ich mir für diese beiden Tage wählen mußte, zu der Schilderung der Bedingungen einer anthroposophischen Gemeinschafts­bildung. Ich möchte sie deshalb hinzufügen, weil sie, abgesehen davon, daß sie so tief eingegraben sind im Herzen, auf eine derjenigen Tat­sachen hinweisen, die wir gar sehr vor unser Seelenauge stellen sollten

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in diesen Tagen. In das Goetheanum ist viel von Opfersinn, viel von hingebungsvoller Arbeit hineingeströmt; und die Impulse zu diesem Opfersinn, zu dieser hingebungsvollen Arbeit, sie sind in den zwei Jahrzehnten, seit wir Anthroposophie treiben, überall da, wo eben An­throposophie gelebt hat, entstanden. Sie gingen hervor aus den Herzen, die für Anthroposophie begeistert waren. Und das Goetheanum war eine Tat der Gemeinschaft anthroposophisch gesinnter Menschen. Wenn heute aus verschiedensten Untergründen heraus nachgedacht wird und nachgedacht werden muß, wie die Anthroposophische Ge­sellschaft regeneriert werden soll, so darf auf der andern Seite nicht vergesseh werden, daß die Anthroposophische Gesellschaft ein zwei Jahrzehnte langes Leben hatte, daß da manches Schicksalserlebnis in gemeinsamem Tun und gemeinsamem Trachten von immerhin einer großen Anzahl von Menschen sich zugetragen hat, daß Anthropo­sophische Gesellschaft nicht etwas ist, was wir heute etwa neu gründen können; denn Geschichte, wirkliche Geschichte, erlebte Geschichte, gewirkte Geschichte läßt sich nicht auslöschen. Es läßt sich heute nicht ein Anfang mit einer Sache machen, die vor zwei Jahrzehnten an­gefangen hat. Vor einem diesbezüglichen Mißverständnisse sollten wir uns hüten, wenn wir hier an den Verhandlungen teilnehmen. Derjenige, der im Laufe der Zeit sich hinzugefunden hat zur Anthroposophischen Gesellschaft, der hat gewiß an ihr Mannigfaltiges auszusetzen, und mit vollem Recht. Und rechte und gewichtige Worte sind in dieser Hin­sicht hier gesprochen worden. Aber zu bedenken ist doch, daß Anthro­posophische Gesellschaft etwas ist, was gewirkt hat. Und es gibt immer­hin in dieser Anthroposophischen Gesellschaft genug Menschen, welche heute als gewichtiges, inhaltsschweres, weil lebensschweres und trauer-und leidschweres Wort aussprechen können: Uns ist gemeinsam unser liebes Goetheanum verbrannt.

Es ist doch ein Unterschied, ob man 1917 in die Gesellschaft ein­getreten ist und später, oder ob man so zu ihr gestanden hat, daß man dieses leiddurchtränkte Wort aus einem längeren, tiefsten inneren Er­leben heraus heute zu sich sagen kann. Unter dem Eindruck dieser Tat­sache sollten eigentlich unsere Verhandlungen stehen. Dann wird den­noch etwas, und zwar Bedeutungsvolles hinwegschwinden von denjenigen

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Empfindungen, die wiederum aus berechtigten Untergründen heraus manche unserer Freunde hier in diesen Tagen gesprochen haben. Es klang an mein Ohr - gewiß, ich fühlte die Berechtigung - das Wort:

Nach alledem, was ich hier gehört habe, kann ich jetzt, wenn ich nach Hause komme, nicht mehr in derselben Weise von Anthroposophie sprechen, wie ich das konnte, als ich noch voller Illusionen war. Ich sage, es schwindet doch etwas weg von diesem Worte, wenn man be­denkt, was Menschen, die seit zwei Jahrzehnten Anthroposophen sind, miteinander erlebt und in der letzten Zeit miteinander erlitten haben, weil dieses Leiden das Endglied eines langen Seins in der Anthropo­sophischen Gesellschaft war. Und das sollte man auch empfinden, daß das auch jene Sorgen nicht hinwegwischen können, die wir jetzt in diesen Tagen empfinden. Das ist doch etwas, was bleibt. Das würde selbst bleiben, wenn die Ereignisse hier noch viel schlimmer verliefen, als sie sich gezeigt haben. Müssen wir denn gleich über der Oberfläche das Tiefere vergessen? Wir dürfen es gerade nicht innerhalb einer gei­stigen Bewegung, die aus den Tiefen des menschlichen Herzens und der menschlichen Seele hervorgeht. Sonnenlos - auch die Sonne ver­finstert sich -, sonnenlos in der entsprechenden Bedeutung des Wortes ist dasjenige nicht, was in die Welt als anthroposophische Bewegung getreten ist. Das hindert natürlich nicht, daß jetzt doch die Dinge so genommen werden müssen innerhalb dieses Kreises, wie sie sich dar-bieten, gerade um für Anthroposophie das richtige Gefäß in einer wirklichen Anthroposophischen Gesellschaft wiederum zu gewinnen. Aber die Stimmung brauchen wir, aus der heraus das allein getan wer­den kann.

Ich kann natürlich heute nicht alles berühren, was in Betracht kommt. Ich will mich bemühen, in den beiden Vorträgen so viel als möglich zu berühren von dem, was jetzt gesagt werden soll. Es kann aber nicht alles gesagt werden, doch möchte ich auf zwei Dinge ganz besonders hinweisen: auf die drängende Not nach Gemeinschaftsbil-dung innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft und auf jenes Symptom, welches hineingekommen ist in diese anthroposophische Be­wegung durch die außerordentlich befriedigende Jugendbewegung. Aber auf anthroposophischem Boden muß eben manches anders angesehen

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werden als anderswo. Man wäre eben nicht auf diesem von vielen so ersehnten Boden, wenn man nicht die Dinge anders ansehen könnte, als sie sonst im heutigen Leben angesehen werden.

Gemeinschaftsbildung! Es ist vor allen Dingen im höchsten Grade merkwürdig, daß das Ideal der Gemeinschaftsbildung ganz besonders in unserer Gegenwart auftritt. Aus einer elementarischen, aus einer tiefen Empfindung vieler Menschenseelen heraus ergibt sich heute das Ideal der Gemeinschaftsbildung, eines ganz bestimmten Verhältnisses von Mensch zu Mensch mit dem Impuls des Zusammenwirkens. Als vor einiger Zeit eine Anzahl jüngerer Theologen zu mir kam, die auf dem Wege nach dem Seelsorgerberufe waren, da war vor allen Dingen der Impuls in ihnen nach einer religiösen Erneuerung, nach einer sol­chen religiösen Erneuerung, die durchströmt wird von der wirklichen Christus-Kraft, einer religiösen Erneuerung, die viele Menschenseelen der Gegenwart so ergreifen kann, wie sie ergriffen sein wollen, wie sie aber nicht ergriffen werden können innerhalb der traditionellen reli­giösen Bekenntnisse der Gegenwart. Und ich mußte ein Wort aus­sprechen, auf das mir außerordentlich viel anzukommen scheint bei der Entwickelung dieser religiösen Erneuerungsströmung, ich mußte das Wort aussprechen: Es muß in rechtem Sinne gesucht werden nach Ge­meinschaftsbildung, nach einem Elemente im religiösen und Seelsorger-wirken, das Menschen an Menschen bindet. - Und ich sagte zu den Freunden, die zu mir gekommen sind: Mit abstrakten Worten, mit der Predigt im gewöhnlichen Sinne, mit den spärlichen gottesdienstlichen Handlungen, die vielfach heute noch übriggeblieben sind in dem oder jenem Bekenntnisse, kann man nicht gemeinschaftsbildend auf religiö­sem Boden wirken. - Dasjenige, was auch in dem Religiösen immer mehr und mehr nach dem Intellektualistischen sich hinbewegt, hat be­wirkt, daß wahrhaft eine nicht geringe Anzahl heutiger Predigten ganz und gar durchsetzt von einem rationalistischen, intellektualistischen Element ist. Durch dasjenige, was heute so an die Menschen heran­kommt, werden diese nicht zusammengebunden, sondern im Gegen­teil vereinzelt, ihre soziale Gemeinschaft wird atomisiert. Und das muß begreiflich erscheinen dem, der ja weiß: das Rationelle, das Intel­lektuelle, das kann ich mir erwerben als einzelne menschliche Individualität.

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Ich kann mir, wenn ich nur eine bestimmte Bildungsstufe in meiner individuellen menschlichen Entwickelung erreicht habe, ohne mich anzulehnen an andere Menschen, das Intellektualistische erwerben und kann es in mir immer weiter und weiter vervollkommnen. Denken kann man allein, Logik treiben kann man allein, und man wird es sogar vielleicht um so vollkommener tun, je mehr man es allein tut. Man hat sogar das Bedürfnis, möglichst sich zurückzuziehen von der Welt, auch von der Welt der Menschen, wenn man in rein logischem Denken ver­harrt. Aber der Mensch ist zu solcher Einsamkeit denn doch nicht allein veranlagt. Und wenn ich mich heute bemühen will, in bildhafter, nicht intellektualistischer Weise dasjenige zu verdeutlichen, was in den Tiefen der Menschenherzen nach Gemeinschaftsleben sucht, so muß das aus dem Grunde geschehen, weil wir im Übergange zu der Aus­bildung der Bewußtseinsseele in der menschlichen Natur leben, weil unser Leben immer bewußter und bewußter werden muß. Bewußter werden heißt nicht intellektualistischer werden. Bewußter werden heißt, man kann nicht mehr beim bloß instinktiven Erleben stehen­bleiben. Aber gerade auf anthroposophischem Boden muß versucht werden, dasjenige, was in bewußte Klarheit heraufgehoben wird, den­noch in vollem elementarischem Leben, ich möchte sagen in einem Le­ben, das gleichgeartet ist für menschliches Empfinden dem naiven Wahrnehmen und Empfinden, darzustellen. Das muß gelingen. Nun gibt es eine Art von Gemeinschaft im menschlichen Leben, die für alle offenkundig ist, die über den ganzen Erdball hin zeigt, daß die Mensch­heit auf Gemeinschaft angelegt ist. Eine Gemeinschaft, auf die auch im heutigen Kultur-, ja politischen und wirtschaftlichen Leben überall, und zwar zumeist in einer sehr schädlichen Weise hingewiesen wird, von der man aber lernen kann, wenn auch in primitiver Weise.

Das Kind in den ersten Lebensjahren wird in eine menschliche Ge­meinschaft hineingeführt, die eine reale, konkrete menschliche ist, ohne die es nicht leben kann. Es ist die Gemeinschaft der menschlichen Sprache. In der Sprache haben wir, ich möchte sagen, die uns von der Natur vor das Seelenauge gestellte Gemeinschaftsform. Durch die Sprache, insbesondere durch die Muttersprache, die sich dem mensch­lichen Gesamtwesen einimpft in der Zeit, da noch der kindliche Ätherleib

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ungeboren ist, wird das erste Gemeinschaftsbildende an den Men­schen herangebracht. Und es ist nur Schuld unseres rationalistischen Zeitalters, daß man zwar in agitatorisch-politischer Weise heute die Sprachen der Völker empfindet und die Volkstümer nach den Sprachen empfindet, daß man aber gar nicht die tiefen, intimen Seelenkonfigura­tionen, die ungeheuren Schicksalswerte und Karmawerte, die an die Sprache und ihren Genius gebunden sind, beachtet als die natürliche Grundlage des Schreiens des Menschen aus seiner Naturanlage heraus nach Gemeinschaft. Was wären wir, wenn wir aneinander vorbeigehen müßten, ohne daß wir das gleiche Seelenleben ertönend finden in einem gleichlautenden Worte bei einem andern, in einem Worte, in das auch wir hineinlegen können dieses unser eigenes Seelenleben? Und wir brauchen ein jeder nur ein wenig Selbsterkenntnis zu üben, so werden wir das erreichen können, was ich hier der Kürze der Zeit willen nicht entwickeln kann, eine Überschau über alles dasjenige, was wir für eine erste primitivste menschliche Gemeinschaftsbildung der Sprache ver­danken.

Aber es gibt etwas Tieferes noch, wenn auch zwar seltener im Leben Auftretendes als die menschliche Sprache. Die menschliche Sprache ist wohl etwas, was auf einem gewissen außeren Niveau die Menschen zum Gemeinschaftsleben bindet; aber nicht ganz tief in die intimsten Untergründe des Seelenlebens dringt. Für das irdische Leben merken wir in gewissen Momenten noch etwas anderes Gemeinschaftsbildendes als die Sprache, etwas über die Sprache Hinausgehendes. Und das empfindet derjenige, welcher mit andern Menschen, die er als Kinder schon gekannt, einmal, wenn das Schicksal es fügt, sich im späteren Leben zusammenfindet. Denken wir uns den idealen Fall, daß jemand durch das Schicksal sich zusammenfinden konnte mit drei, vier, fünf Jugendgenossen, Kindheitsgenossen im späteren Lebensalter, vielleicht im vierzigsten, fünfzigsten Lebensjahre, mit Genossen, mit denen er nicht beisammen war durch Jahrzehnte, mit denen er aber vielleicht die Zeit durchlebt hat, die zwischen dem zehnten und zwanzigsten Lebensjahre liegt. Nehmen wir gute menschliche Beziehungen, frucht­bare menschliche Beziehungen, liebedurchtränkte menschliche Bezie­hungen zwischen diesen Menschen und versetzen wir uns im Geiste in

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den Gedanken, was es bedeutet, wenn solche Menschen nun gemeinsam ihre Seelen gegenseitig berührt werden lassen von den Erinnerungen an jene Zeit, die sie in der Kindheit miteinander durchlebt haben. Erinne­rung liegt tiefer als alles dasjenige, was auf dem Niveau der Sprache liegt. Und die Seelen klingen intimer zusammen, wenn die reine see­lische Sprache der Erinnerungen Mensch an Mensch binden kann, wenn auch vielleicht nur zu kurzer Gemeinschaft. Und es sind gewiß nicht -derjenige, der Erlebnisse auf diesem Gebiete hat, kann das wissen -, es sind gewiß nicht bloß die einzelnen Tatsachen, die man aus der Erinne­rung hervorruft und die von Seele zu Seele hinschlagen, wenn jenes ungeheuer Intime, Tiefe in den Seelen der Menschen auftritt, das in einem solchen Idealfall auftreten könnte, wie ich ihn eben konstruiert habe. Es ist etwas ganz anderes. Es ist nicht der konkrete Inhalt der Erinnerungsgedanken, es ist ein ganz unbestimmtes und doch wieder so bestimmtes Erleben, gemeinschaftliches Erleben in diesen menschlichen Seelen, es ist ein Wiederauferstehen desjenigen, mit dem man einmal zu­sammen war in hundertfältigen Einzelheiten, die aber zu einer Totalität zusammenschmelzen, und es ist alles dasjenige, was von der andern Seele kommt an Miterinnerung, das Erweckende für ein Totalerlebnis.

Das ist so für das irdische Leben. Und aus einer Verfolgung dieser seelischen Tatsache in das Geistige hinein mußte ich dazumal jenen theologischen Freunden, welche mit der gekennzeichneten Absicht zu mir gekommen sind, sagen: Wenn wirkliche Gemeinschaftsbildung bei der Arbeit in der religiösen Erneuerung auftreten soll, dann braucht man einen für die Gegenwart anwendbaren und abgestimmten Kultus. Das gemeinsame Erleben des Kultus, das gibt etwas, was in der Men­schenseele die Gemeinschaftsempfindung einfach durch seine eigene Wesenheit hervorruft. Und die Bewegung für religiöse Erneuerung hat verstanden, sie hat diesen Kultus angenommen, und ich glaube, es war ein gewichtiges Wort, das in diesen Tagen hier von dieser Stelle aus Dr. Rittelmeyer gesagt hat: Von dieser Seite der Gemeinschaftsbildung erwächst vielleicht eine der größten Gefahren für die anthroposophi­sche Bewegung von seiten der Bewegung für religiöse Erneuerung her. Denn in diesem Kultus liegt ein ungeheuer bedeutsames Element der Gemeindebildung. Er bindet Mensch an Mensch. Ja, was ist denn an

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diesem Kultus, was da Mensch an Mensch bindet, was aus den einzel­nen, die atomisiert worden sind durch das Intellektualistische, Logische, wiederum Gemeinde machen kann, und ganz sicher Gemeinde machen wird? Das hat offenbar Dr. Rittelmeyer gemeint; da ist vorhanden das Mittel für die Gemeindebildung. Da aber auch die Anthroposophische Gesellschaft nach Gemeinschaftsbildung hintendiert, so wird sie finden müssen das für sie geartete Mittel, wenn ihr nicht von der Bewegung für religiöse Erneuerung eine gewisse Gefahr drohen soll.

Nun,was ist das Geheimnis des Gemeinschaftserzeugenden imWesen des Kultus, wie er namentlich gerade mit diesem Ziele für die Bewegung für religiöse Erneuerung gefunden worden ist? Dasjenige, was sich in den Kultformen, seien sie nun gegeben in der Zeremonie, seien sie ge­geben im Worte, ausspricht, das ist ein Abbild von wirklichen Erleb­nissen; allerdings nicht von wirklichen Erlebnissen, die hier auf der Erde durchgemacht worden sind, sondern von wirklichen Erlebnissen in jener Welt, die der Mensch in seinem vorirdischen Dasein durch-macht, wenn er auf dem zweiten Teile des Weges zwischen dem Tode und einer neuen Geburt ist, aus jener Welt, die der Mensch durch-schreitet von jenem Zeitpunkte, der da liegt in der Mitternachtsstunde des menschlichen Daseins zwischen dem Tode und einer neuen Geburt bis zum Herabsteigen zum Erdenleben. In dem Gebiete, das da der Mensch durchmacht, liegt die Welt, liegen die Ereignisse, liegen die Wesenhaftigkeiten, die ein wirkliches Abbild finden in den echten, wahren Kultformen. Was empfindet daher derjenige, der den Kultus miterlebt, mit dem andern, mit dem er von irgendeinem Karma zusam­mengeführt wird - und das Karma ist so verwickelt, daß man durch­aus überall Karma voraussetzen darf, wo wir mit Menschen zusammen-geführt werden? Gemeinsame Erinnerungen an das vorirdische Dasein erlebt er mit ihm zusammen. Das taucht in den unterbewußten Tiefen der Seele auf. Wir haben, bevor wir zur Erde heruntergestiegen sind, zusammen eine Welt durchlebt, die hier im Kultus vor unserer Seele auf Erden steht. Das ist eine mächtige Bindung, das ist ein wirkliches Hereinholen nicht nur der Bilder, sondern der Kräfte der übersinn­lichen Welt in die sinnliche. Das ist aber ein Hereinholen derjenigen Kräfte aus der übersinnlichen Welt in die sinnliche, die den Menschen

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intim angehen, die verbunden sind mit den intimsten Hintergründen /< der menschlichen Seele. Deshalb bindet Kultus, weil im Kultus her­untergetragen ist aus den geistigen Welten dasjenige, was Kräfte dieser geistigen Welten sind, weil der Mensch das in seinem Erdenleben vor sich hat, was überirdisch ist. Nicht hat er es vor sich in dem rationa­listischen Worte, das das Vergessen an die geistige Welt bewirkt, auch in den unterbewußten Seelengründen, sondern er hat es vor sich in dem lebendigen Bild, das kraftdurchsetzt ist, das nicht bloß Sinnbild, das nicht totes Bild, das Kraftträger ist, weil er dasjenige vor sich hat, was zu seiner geistigen Umgebung gehört, wenn er nicht im irdischen Leibe ist. Eine umfassende, ins Geistige hinüberzielende gemeinsame Erinne­rung, das ist es, was die gemeinschaftsbildende Kraft des Kultus ist.

Eine solche Kraft braucht auch die Anthroposophische Gesellschaft, damit in ihr Gemeinschaftswesen auftauchen kann. Aber anders ge­artet kann der Grund zur Gemeinschaftsbildung in der anthroposophi­schen Bewegung sein als in der Bewegung für religiöse Erneuerung, obwohl das eine das andere nicht ausschließt, sondern das eine mit dem andern in der schönsten Harmonie stehen kann, wenn die Beziehung empfindungsgemäß richtig verstanden wird. Aber es muß eben auch erst verstanden werden, wie ein anderes gemeinschaftsbildendes Ele­ment in das menschliche Leben hereintreten kann. Eine ins Geistige umgesetzte Erinnerung strahlt uns entgegen aus der Kultgestaltung. Die Kultgestaltung spricht zu Tieferem als dem menschlichen Intellekt, die Kultgestaltung spricht zu dem menschlichen Gemüte, denn das menschliche Gemüt versteht im Grunde genommen die Sprache des Geistigen, obwohl für dieses Erdenleben zunächst diese Sprache des Geistigen nicht ins unmittelbare Bewußtsein hereintritt. Und nun, um das andere Element, das eine entsprechende Rolle spielen muß in der Anthroposophischen Gesellschaft, zu verstehen, ist vor allen Dingen notwendig, daß Sie nicht nur nach dem Geheimnis der Sprache und der Erinnerung mit Bezug auf das Wesen der Gemeinschaftsbildung hinschauen, sondern daß Sie noch auf etwas anderes hinschauen im menschlichen Leben. Nehmen Sie den Zustand des träumenden Men­schen und vergleichen Sie diesen Zustand des träumenden Menschen mit dem vollwachen Menschen im Tagesleben.

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Die Welt des Traumes, sie mag schön, sie mag großartig, sie mag bilderreich, vielbedeutend und vieldeutig sein, aber sie ist eine Welt, die für das irdische Leben den Menschen isoliert. Mit der Welt seiner Träume ist der Mensch allein. Da liegt der eine Mensch, schläft und träumt, andere sind um ihn herum, meinetwillen schlafend oder wachend, die Welten, die in ihren Seelen sind, sie haben zunächst für dasjenige, was er im Traumbewußtsein erlebt, sie haben mit seinem Traumbewußtsein nichts zu tun. Der Mensch isoliert sich in seiner Traumwelt, noch mehr in seiner Schlafenswelt. Wachen wir auf, leben wir uns hinein in ein gewisses Gemeinschaftsleben. Der Raum, in dem wir sind, in dem der andere ist, die Empfindung, die Vorstellung dieses Raumes, die er hat, haben wir selber auch. Wir erwachen an unserer Umgebung in einem gewissen Umfange zu demselben inneren Seelen-leben, wie er erwacht. Indem wir aus der Isoliertheit des Traumes er­wachen, erwachen wir bis zu einem gewissen Grade in menschliche Gemeinschaft hinein einfach durch dieses Wesen unserer Beziehung als Mensch zur Außenwelt. Wir hören auf, so entschieden in uns selbst, so eingesponnen und eingekapselt zu sein, wie wir in der Traumwelt ein­gesponnen und eingekapselt waren, auch wenn wir noch so schön, so großartig, so vielbedeutend und vieldeutig träumen. Aber, wie wachen wir auf? Wir wachen auf an der äußeren Welt, wir wachen auf an dem Lichte, wachen auf an dem Ton, an den Wärmeerscheinungen, an allem übrigen Inhalte der Sinneswelt, wir wachen aber eigentlich auch - we­nigstens für das gewöhnliche alltägliche Leben - an dem Äußeren der andern Menschen auf, an der Naturseite der andern Menschen.Wir wa­chen für das alltägliche Leben an der natürlichen Welt auf. Diese weckt uns auf, diese versetzt uns aus der Isoliertheit in ein gewisses Gemein­schaftsleben. Wir wachen noch nicht auf - und das ist das Geheimnis des alltäglichen Lebens - als Mensch am Menschen, am tiefsten Inneren des Menschen. Wir wachen auf am Lichte, wir wachen auf am Ton, wir wachen auf vielleicht an der Sprache, die der andere zu uns spricht als zugehörig zum Natürlichen am Menschen, wir wachen auf an den Worten, die er von innen nach außen spricht. Wir wachen nicht auf an dem, was in den Tiefen der Menschenseele des andern vor sich geht. Wir wachen auf an dem Natürlichen des andern Menschen,wir wachen

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in dem gewöhnlichen alltäglichen Leben nicht auf an dem Geistig­Seelischen des andern Menschen.

Das ist ein drittes Erwachen oder wenigstens ein dritter Zustand des Seelenlebens. Aus dem ersten erwachen wir in den zweiten hinein durch den Ruf der Natur. Aus dem zweiten erwachen wir in den dritten Zu­stand hinein durch den Ruf des Geistig-Seelischen am andern Men­schen. Aber wir müssen diesen Ruf erst vernehmen. Genau so, wie man in der rechten Weise für das alltägliche Erdenleben aufwacht durch die äußere Natur, gibt es ein höherstufiges Aufwachen, wenn wir in der richtigen Weise an dem Seelisch-Geistigen unseres Mitmenschen auf­wachen, wenn wir ebenso in uns fühlen lernen das Geistig-Seelische des Mitmenschen, wie wir fühlen in unserem Seelenleben beim gewöhn­lichen Aufwachen das Licht und den Ton. Wir mögen noch so schöne Bilder in der Isoliertheit des Traumes schauen, wir mögen außerordent­lich Großartiges erleben in diesem isolierten Traumbewußtsein, lesen zum Beispiel werden wir kaum zunächst, wenn nicht besonders ab­norme Zustände folgen. Diese Beziehung zur Außenwelt haben wir nicht. Nun, wir mögen noch so schöne Ideen aufnehmen aus der An­throposophie, aus dieser Kunde von einer geistigen Welt, wir mögen theoretisch durchdringen alles dasjenige, was von uns vom Äther-, Astralleib und so weiter gesagt werden kann, wir verstehen dadurch noch nicht die geistige Welt. Wir beginnen das erste Verständnis für die geistige Welt erst zu entwickeln, wenn wir am Seelisch-Geistigen des andern Menschen erwachen. Dann beginnt erst das wirkliche Ver­ständnis für die Anthroposophie. Ja, es obliegt uns auszugehen von jenem Zustande für das wirkliche Verständnis der Anthroposophie, den man nennen kann: Erwachen des Menschen an dem Geistig-See-lischen des andern Menschen.

Die Kraft zu diesem Erwachen, sie kann dadurch erzeugt werden, daß in einer Menschengemeinschaft spiritueller Idealismus gepflanzt wird. Man redet ja heute viel von Idealismus. Aber Idealismus ist heute innerhalb unserer Gegenwartskultur und Zivilisation etwas ziemlich Fadenscheiniges. Denn der wirkliche Idealismus ist nur vorhanden, wenn der Mensch sich bewußt werden kann, daß er genau ebenso, wie er, indem er die Kultusform hinstellt, eine geistige Welt ins Irdische

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hinunterhebt, er etwas, das er im Irdischen erschaut, im Irdischen er­kennen und verstehen gelernt hat, in das Übersinnlich-Geistige hinauf­hebt, indem er es ins Ideal erhebt. In das kraftdurchsetzte Bild bringen wir das Überirdische, wenn wir die Kultusgestalt zelebrieren. In das Übersinnliche heben wir uns mit unserem Seelenleben hinauf, wenn wir dasjenige, was wir erleben in der physischen Welt, spirituell-idea­listisch so erleben, daß wir es empfinden lernen als erlebt im Übersinn­lichen, wenn wir so empfinden lernen, daß wir uns sagen: Dasjenige, was du hier in der Welt der Sinne wahrgenommen hast, wird plötzlich lebendig, wenn du es zum Ideal erhebst. Es wird lebendig, wenn du es in der richtigen Weise durchdringst mit Gemüt und Willensimpuls. Wenn du dein ganzes Inneres vom Willen durchstrahlst, Begeisterung auf es wendest, dann gehst du mit deiner sinnlichen Erfahrung, indem du sie idealisierst, den entgegengesetzten Weg, wie du ihn gehst, wenn du das Übersinnliche in die Kultusgestalt hineingeheimnißt. Denn, haben wir eine kleine, haben wir eine große anthroposophische Ge­meinschaft, so können wir dasjenige, was in dieser Charakteristik ge­geben ist, in einem gewissen Sinne erreichen. Wir können es dann er­reichen, wenn wir tatsächlich imstande sind, durch die lebendige Kraft, die wir hineinlegen in die Gestaltung der Ideen vom Geistigen, etwas von einem Erweckenden zu erleben, etwas von dem, was nicht bloß das sinnlich Erlebte so idealisiert, daß das Ideal ein abstrakter Gedanke ist, sondern so, daß das Ideal ein höheres Leben gewinnt, indem wir uns in es hineinleben, daß es das Gegenbild des Kultus wird, nämlich das Sinnliche ins Über sinnliche hinauferhoben. Das können wir auf gefühlsmäßige Weise erreichen, wenn wir uns angelegen sein lassen, überall dort, wo wir Anthroposophisches Pflegen, diese Pflege von durchgeistigter Empfindung zu durchdringen, wenn wir verstehen, schon die Türe, schon die Pforte zu dem Raum - und mag er sonst ein noch so profaner sein, er wird geheiligt durch gemeinsame anthropo­sophische Lektüre - als etwas zu empfinden, was wir mit Ehrerbietung übertreten. Und die Empfindung müssen wir hervorrufen können, daß das in jedem einzelnen der Fall ist, der sich mit uns vereinigt zu ge­meinsamem Aufnehmen anthroposophischen Lebens. Und das müssen wir nicht nur zu innerster abstrakter Überzeugung bringen können,

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sondern zu innerem Erleben, so daß in einem Raume, wo wir Anthro­posophie treiben, wir nicht nur dasitzen als so und so viele Menschen, die aufnehmen das Gehörte, oder aufnehmen das Gelesene und es in ihre Gedanken verwandeln, sondern daß durch den ganzen Prozeß des Aufnehmens anthroposophischer Ideen ein wirkliches real-geistiges Wesen anwesend wird in dem Raume, in dem wir Anthroposophie treiben. Wie in den in der sinnlichen Welt sich abspielenden Kult-formen die göttlichen Kräfte auf sinnliche Art anwesend sind, müssen wir lernen mit unseren Seelen, mit unseren Herzen durch unsere innere Seelenverfassung übersinnlich anwesend sein zu lassen eine wirkliche Geistwesenheit in dem Raume, in dem das anthroposophische Wort ertönt, und unsere Rede, unser Empfinden, unser Denken, unsere Wil­lensimpulse mussen wir einrichten können im spirituellen Sinne, das heißt nicht in irgendeinem abstrakten Sinne, sondern in dem Sinne, daß wir uns so fühlen, als schaute herunter auf uns und hörte uns an ein Wesen, das über uns schwebt, das real-geistig da ist. Geistige Gegen­wart, übersinnliche Gegenwart müssen wir empfinden, die dadurch da ist, daß wir Anthroposophie treiben. Dann fängt die einzelne anthro­posophische Wirksamkeit an, ein Realisieren des Übersinnlichen selbst zu werden.

Gehen Sie in die primitiven Gemeinschaften, da gibt es noch etwas anderes als bloß die Sprache. Die Sprache ist dasjenige, was im oberen Menschen sitzt. Fassen Sie den ganzen Menschen ins Auge, so finden Sie in primitiven Menschengemeinschaften dasjenige, was Mensch an Mensch bindet, in dem gemeinschaftlichen Blute. Die Blutsbande hal­ten die Menschen zur Gemeinschaft zusammen. Aber in dem Blute lebt das als Gruppenseele oder als Gruppengeist, was bei einer freien Menschheit sich nicht in derselben Weise findet. In eine Gruppe von Menschen, die durch Blutsbande zusammengebunden war, war ein­gezogen ein gemeinsames Geistiges, gewissermaßen von unten herauf. Da, wo gemeinsames Blut durch die Adern einer Anzahl von Menschen strömt, ist ein Gruppengeist vorhanden. So kann auch durch dasjenige, was wir gemeinsam erleben, indem wir gemeinsam Anthroposophisches aufnehmen, zwar nicht ein solcher Gruppengeist durch das Blut, aber doch ein realer Gemeinschaftsgeist herangezogen werden. Vermögen

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wir diesen zu empfinden, dann binden wir uns als Menschen zu wahren Gemeinschaften zusammen. Wir müssen einfach Anthroposophie wahr machen, wahr machen dadurch, daß wir ein Bewußtsein hervorzurufen verstehen in unseren anthroposophischen Gemeinschaften, daß, indem die Menschen sich finden zu gemeinsamer anthroposophischer Arbeit, der Mensch am Geistig-Seelischen des andern Menschen erst erwacht. Die Menschen erwachen aneinander, und indem sie sich immer wieder und wiederum finden, erwachen sie, indem jeder in der Zwischenzeit ein anderes durchgemacht hat und etwas weitergekommen ist, in einem gewandelten Zustand aneinander. Das Erwachen ist ein Erwachen in Sprossen und Sprießen. Und wenn Sie erst die Möglichkeit gefunden haben, daß Menschenseelen an Menschenseelen und Menschengeister an Menschengeistern erwachen, daß Sie hingehen in die anthropo­sophischen Gemeinschaften mit dem lebendigen Bewußtsein: Da wer­den wir erst zu so wachen Menschen, daß wir da erst Anthroposophie verstehen miteinander, und wenn Sie dann auf Grundlage dieses Ver­ständnisses in eine erwachte Seele - nicht in die für das höhere Dasein schlafende Seele des Alltags - die anthroposophischen Ideen aufneh­men, dann senkt sich über Ihre Arbeitsstätte herunter die gemeinsame reale Geistigkeit. Ist es denn Wahrheit, wenn wir von der übersinn­lichen Welt reden und nicht imstande sind, uns aufzuschwingen zum Erfassen solcher realen Geistigkeit, solches umgekehrten Kultus? Erst dann stehen wir wirklich im Ergreifen, im Erfassen des Spirituellen drinnen, wenn wir nicht nur die Idee dieses Spirituellen abstrakt haben und etwa sie theoretisch wiedergeben können, auch für uns selbst theoretisch wiedergeben können, sondern wenn wir glauben können, aber glauben auf Grundlage eines beweisenden Glaubens, daß Geister im geistigen Erfassen geistige Gemeinschaft mit uns haben. Sie können nicht durch äußere Einrichtungen die anthroposophische Gemein­schaftsbildung hervorrufen. Sie müssen sie hervorrufen aus den tiefsten Quellen des menschlichen Bewußtseins selbst.

Ich habe Ihnen einen Teil des Weges dazu heute gezeigt; ich werde morgen in meinen Schilderungen darüber fortfahren. Ich möchte durch solche Schilderungen ein wenig hinweisen darauf, daß ja das Wichtigste ist für die Anthroposophische Gesellschaft, wenn sie sich weiterentwikkeln

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will, daß sie ergriffen wird wirklich von wahrem Verständnis für die Anthroposophie. Ist dieses wahre Verständnis für die Anthropo­sophie da, dann ist dieses Verständnis der Weg nicht bloß zu Ideen vom Geiste, sondern zu Gemeinschaft mit dem Geiste. Dann aber ist das Bewußtsein dieser Gemeinschaft mit der geistigen Welt auch ge-meinschaftsbildend. Und die Gemeinschaften, die vom Karma voraus-bestimmt sind, werden sich bilden. Sie werden eine Wirkung des rech­ten anthroposophischen Bewußtseins sein. Nicht äußerliche Mittel können angegeben werden. Wenn sie Ihnen ein Mensch schildert, schil­dert er Ihnen etwas Scharlatanhaftes.

Nun, bis zu einem gewissen Grade sind solche Dinge dennoch in den zwei Jahrzehnten anthroposophischer Entwickelung verstanden wor­den, verstanden auch von vielen in spirituellem Sinne, und ich werde darüber vielleicht noch morgen genauer zu sprechen haben, denn ich werde diese Betrachtung morgen fortsetzen und auf ein anderes Ziel hinweisen. Aber jetzt möchte ich nur mit ein paar Worten etwas an­fügen an dasjenige, was vielleicht bei Ihnen durch diese Schilderung der spirituellen Untergründe anthroposophischen Gemeinschaftslebens erregt worden sein mag. Auf der einen Seite steht doch nun wirklich in der anthroposophischen Bewegung das darinnen, aus dem heraus solche Schilderungen kommen müssen, wie ich sie Ihnen eben gegeben habe. Da mag die Anthroposophische Gesellschaft in gewissen Epochen so oder so ausschauen. Die Anthroposophie ist unabhängig von jeder an­throposophischen Gesellschaft und kann unabhängig von einer solchen gefunden werden. Sie kann aber allerdings auf besondere Art auch dadurch gefunden werden, daß Mensch an Mensch zu erwachen ver­steht und sich auf diese Weise, aus diesem Erwachen heraus Gemein­schaftsbildungen ergeben. Denn man erwacht mit den Menschen, mit denen man sich zusammenfindet, immer aufs neue, deshalb bleibt man mit ihnen zusammen. Da sind innere spirituelle Gründe da. Das muß immer mehr und mehr verstanden werden innerhalb der Anthropo­sophischen Gesellschaft; und eigentlich müßte alles, was zum Gedeihen der Anthroposophischen Gesellschaft vorgebracht wird, durchdrungen sein von Kräften, die zuletzt doch überall hineinführen in das Anthro­posophische als solches.

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Ich war tief befriedigt, als ich neulich, nachdem ich wochenlang die Versammlungen mitgemacht hatte, kleinere und größere Versamm­lungen, in denen vorbereitet worden ist dasjenige, was jetzt in diesen Tagen auf der Delegiertenversammlung geschah, nachdem man da de­battiert hatte, etwa wie man es in Parlamenten, wie man es in Vereinen und sonst macht aus den gewöhnlichen rationalistischen alltäglichen Erwägungen heraus, in eine Jugendversammlung, in eine Versammlung junger Akademiker kam. Da wurde auch gesprochen über dasjenige, was geschehen soll. Nun, man sprach eine Zeitlang über Äußeres; aber man war unversehens nach einer gewissen Zeit mitten in echt anthropo­sophischer Erörterung darinnen. Es floß von selbst die Angelegenheit des alltäglichen Lebens in eine solche Strömung hinein, daß man die Dinge nurmehr besprechen konnte, wenn man anthroposophisch sprach. Das wäre das Schönste, wenn man nicht in künstlicher, in sen­timental-künstlicher, in nebuloser Weise, wie es oftmals auch geschah, an den Haaren anthroposophische Theorien herbeizöge, sondern wenn man auf einem selbstverständlichen Weg aus den gewöhnlichen Be­dürfnissen des Lebens, aus der Besprechung derselben darauf käme:

Jetzt weiß man nicht mehr, wie man studieren soll, wie man Chemie, Physik studieren soll, wenn man nicht anfängt, um sich über die Not­wendigkeiten des Studiums zu informieren, von Anthroposophie zu reden. Das ist der Geist, der unter uns herrschen kann.

Aber wir kommen zu keinem Ergebnis bis morgen abend, wenn die Dinge in derselben Weise fortlaufen, wie sie bisher gelaufen sind. Wir kommen nur in ein ungeheures Chaos, in ein tragisches Chaos hinein. Denn wir müssen vor allen Dingen nicht sentimental allerlei an den Haaren herbeiziehen, sondern wir müssen anthroposophische Impulse in unsere Herzen gießen, anthroposophische Impulse in voller Klar­heit. Dann werden unsere Verhandlungen fruchtbar verlaufen.

So aber, wie die Sachen jetzt sind, so sehe ich in diesem Saale zwei Menschenparteien, zwei Menschengruppen, die sich gegenseitig gar nicht verstehen und die zum gegenseitigen Verständnis auch noch nicht den allerersten Schritt haben vollziehen können. Warum? Weil auf der einen Seite geredet werden muß aus einem zwei Jahrzehnte alten Er­leben, aus demjenigen heraus, was ich am Anfange heute ein wenig zu

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schildern mir erlaubte, und auf der andern Seite kein Interesse vor­handen ist für dieses Erleben. Das ist durchaus nicht in irgendeinem kritischen Sinne gemeint, sondern in dem Sinne eines besorgten Zu­sprechens nur. Haben wir es doch erlebt, daß sich Menschen gefunden haben, gutmeinende Menschen, für die Anthroposophie in ihrer Art begeisterte Menschen, die einfach unsere Erörterungen hier kupiert haben, indem sie gesagt haben: Was interessieren uns alle diese Refe­rate, wenn sie uns weiter aufgetischt werden in dem Momente, wo es sich doch darum handelt, daß kennenlernen wollen diejenigen, die es noch nicht kennen, die schweren Gefahren, denen die Anthroposophi­sche Gesellschaft ausgesetzt ist? - Da ist auf der einen Seite ein elemen­tares, naturhaftes, möchte ich sagen, Interesse für das Leben in der Anthroposophischen Gesellschaft, ein Leben, das etwas Familienhaftes hat, aber auch die guten Seiten des Familienhaften hat; da ist auf der andern Seite dasjenige, was sich dafür nicht interessiert, was nur eine allgemeine Vorstellung von einer Anthroposophischen Gesellschaft hat. Beides ist so, wie die Sachen heute liegen, berechtigt, so berechtigt, daß, wenn wir nicht bald zu einer ganz andern Form unserer Diskussion kommen, es das allerbeste ist - ich spreche nur meine Meinung aus, denn dasjenige, was geschehen soll, muß aus dem Schoß der Gesellschaft her­vorgehen -, wenn wir auf der einen Seite die alte Anthroposophische Gesellschaft ließen,wie sie ist, und daneben gründen für alle diejenigen, welche nun etwas ganz anderes wollen, einevereinigung freier anthropo­sophischer Gemeinschaften. Die beiden könnten, jede Partei auf ihrem Boden, dasjenige, was ihr am Herzen liegt, pflegen. Wir hätten auf der einen Seite die alte Anthroposophische Gesellschaft, wir hätten auf der andern Seite eine lose, aber innig zusammenhängendeVereinigung freier Gemeinschaften. Die zwei Gesellschaften könnten einen Modus, mit­einander zu leben, finden. Besser ware es immerhin, daß dieses ent­stünde, als das Aussichtslose, das sich ergeben müßte für morgen abend, wenn die Diskussion in dieser Weise weiterlaufen wird, wie sie bisher verlaufen ist. Deshalb bitte ich Sie, auch diesen angedeuteten Gedan­ken bei der weiteren Diskussion hereinzuwerfen, ob Sie nicht eine Un­wahrheit vermeiden wollen, die in einem Leimen bestehen würde, gleichgültig, ob man das Alte läßt oder es umformt. Wenn die Dinge

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so bleiben, daß die eine Seite die andere nicht versteht, so möge man diese skizzierten zwei Vereinigungen innerhalb der anthroposophischen Bewegung begründen. Das sage ich Ihnen aus einem besorgten, aus einem besorgtesten Herzen heraus; denn das wird mir ja niemand ab­sprechen, daß ich verstehe, was es heißt, Sorge zu tragen für die anthro­posophische Sache. Man wird mir ebensowenig absprechen, daß ich selber weiß, was es heißt, lieben die anth.roposophische Sache. Aber besser ist es, zwei einander liebende Geschwister zu haben, ein jedes seinen eigenen Weg gehend, die sich nur zusammenfinden in einem ge­meinsamen Ideale, als etwas zu haben, was nach kurzer Zeit dennoch wiederum ins Chaos hineinführen würde.

Meine lieben Freunde, Sie dürfen doch nicht übersehen, daß die Dinge, die uns die Schwierigkeiten machen, die einzelnen Begründun­gen sind. Das hätte sollen scharf herausgearbeitet werden. Ich will gar nicht einmal behaupten, daß der letzte Zentralvorstand im wesent­lichen materiell an Arbeiten mehr geleistet hat als der frühere, jeden­falls nicht mehr, als ich auf zentralem Gebiet Ähnliches geleistet habe, als ich Generalsekretär war. Aber darum handelt es sich nicht. Es han­delt sich darum: Was hätte geschehen sollen im anthroposophischen Sinn, nachdem die einzelnen Begründungen hier in Stuttgart entstan­den sind? - Diese Frage muß beantwortet werden. Denn heute können wir diese Gründungen nicht aus der Welt schaffen. Wir müssen uns informieren über ihre Lebensbedingungen, nachdem sie da sind. Aber wenn wir nicht verstehen lernen, im anthroposophischen Sinne zu ge­stalten, was wir nicht verstanden haben in den letzten vier Jahren, wenn wir sie hineinstellen als Fremdkörper in die anthroposophische Bewegung, wie es geschehen ist, dann ruinieren uns die Gründungen, die seit dem Jahre 1919 entstanden sind, die ganze anthroposophische Bewegung. Dann ruinieren sie jeden Zentralvorstand, mag er wie immer heißen. Daher handelt es sich darum, sachliche und nicht per­sönliche Diskussionen zu führen und sich klar zu werden, wie die An­throposophische Gesellschaft zu gestalten ist, nachdem sie nun einmal diese Begründungen in sich aufgenommen hat, von denen die eine eine so wunderschöne ist, wie die Waldorfschule. Davon ist gar nicht irgend­ein Ton gesprochen worden, weil diejenigen, die bekannt und vertraut

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sind mit den Dingen, die in Stuttgart vorgehen, eigentlich bisher sich mehr oder weniger ausgeschwiegen haben. Ich möchte insbesondere wünschen, daß die beiden Herren vom Zentralvorstand - ich nehme den dritten Herrn, Herrn Leinhas, immer aus, der als der einzige in einer wichtigen Angelegenheit mir intensiv geholfen hat und hilft, bei dem kann ich nicht einmal wünschen, daß er sich dem Zentralvorstand widme, obwohl er im eminentesten Sinne hineingehört -, ich möchte wünschen, daß die beiden andern Herren des Zentralvorstandes sich zu dieser Sache äußern. Um Verteidigung oder dergleichen handelt es sich nicht, sondern darum, was sie zu sagen haben über eine solche zu­künftige Gestaltung der Anthroposophischen Gesellschaft, die die Mög­lichkeit in sich hat, die Begründungen, die seit dem Jahre 1919 da sind, in sich aufzunehmen. Sonst sind diese Begründungen unverantwortlich geschehen. Das dürfen sie nicht, weil sie einmal da sind. Die Fragen sind im eminentesten Sinne ernst. Und wir müssen uns um sie beküm­mern, wir müssen sachlich und nicht persönlich die Diskussion führen. Ich meinte die Worte, die ich jetzt hier spreche, durchaus sachlich, nicht so sehr an eine Person oder Personen im Zentralvorstand gerich­tet. Persönlichkeiten sind nicht verunglimpft, aber ich meine, das­jenige, was ich jetzt wiederum scharf hingestellt habe, muß besprochen werden. Wenn eben die beiden Vereinigungen begründet werden, so könnte die, die die Fortsetzung der alten Anthroposophischen Gesell­schaft ist, sich bekümmern, wie man sich bekümmern muß um das­jenige, was nun einmal aus dem Schoße der Gesellschaft hervorgegan­gen ist; und die andere könnte, weil sie sich nicht dafür interessiert, den anthroposophischen Weg im engeren Sinne nachgehen. Ich wollte das kurz skizziert hinstellen. Von dem Sachlichen werde ich dann mor­gen um zwölf Uhr eingehender sprechen.

SIEBENTER VORTRAG Stuttgart, 28. Februar 1923

#G257-1965-SE125 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

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SIEBENTER VORTRAG

Stuttgart, 28. Februar 1923

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Allerdings hätte ich auch bei dieser Versammlung gerne, wie ich es in sonstigen Vorträgen vor den lieben Mitgliedern der Anthroposophi­schen Gesellschaft tue, über ganz speziell Anthroposophisches gespro­chen. Allein der ganze Verlauf der Versammlung, alles dasjenige, was sich in diesen Tagen zugetragen hat, veranlassen mich doch, gerade solche Fragen hier zu behandeln, welche innerhalb des unmittelbaren Interesses dieser Versammlung liegen. Hoffentlich wird ja auch wieder Gelegenheit sein, wenn auch vielleicht nicht auf einmal zu Ihnen allen, so doch bei wiederholten Anlässen zu einzelnen Gruppen von Ihnen über Anthroposophisches im engeren Sinne zu sprechen. Aber es soll gerade in diesen beiden Vorträgen gezeigt werden, wie Anthroposophie wirklich eine Art Lebensweisheit werden kann, wie sie einfließen kann in die täglichen Absichten und in die täglich wirkende Gesinnung. Und so möchte ich gerade für dasjenige, was hier verhandelt werden soll, vom anthroposophischen Gesichtspunkte aus gewisse Unterlagen geben. Ich habe gestern in diesem Stile gesprochen über die in der Anthroposo­phischen Gesellschaft mögliche Gemeinschaftsbildung, und ich möchte hieran anschließend einiges von der Art besprechen, dag sich zeigt, wie in der Tat die anthroposophische Auffassung der Welt dazu führt, das Leben in einer richtigeren Weise zu nehmen, als man es nehmen kann ohne diese.

Da möchte ich, gewissermaßen um das Gegenbild von dem zu zei­gen, wovon ich gestern gesprochen habe, von etwas ausgehen, was die­jenigen gut kennen, welche mit der Geschichte solcher Gesellschaften bekannt sind, die auf einer ähnlichen Grundlage ruhen wie diese an­throposophische. Ich werde dann später auch das Unterscheidende die­ser Anthroposophischen Gesellschaft von andern ein wenig kennzeich­nen; aber ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß es ja in der Welt schon viele Gesellschaften gegeben hat, die ihr Leben begründen auf einer irgendwie zustande gebrachten Einsicht in die geistige Welt, selbstverständlich abgestuft nach dem, was möglich war in den aufeinanderfolgenden

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Geschichtsepochen der menschlichen Entwickelung, selbstverständlich auch abgestuft nach den Möglichkeiten, die nach dem Charakter, nach den Fähigkeiten der Menschen, die an solchen Gesellschaften teilnahmen, vorlagen. Man findet innerhalb der großen Masse solcher Gesellschaften alle Abstufungen von ernstesten, wirklich wichtigsten, bis zu denen mit scharlatanhaftem Inhalt. Aber eines wis­sen diejenigen, die mit der Geschichte solcher Gesellschaften bekannt sind, wirklich recht gut. Das ist, daß ja immer eine Art moralischer Atmosphäre in solchen Gesellschaften dadurch geschaffen wird, und zwar mit einer gewissen Notwendigkeit, wenn gewisse Bedingungen vorhanden sind, von der man sagen kann: Angestrebt wird unter den Menschen solcher Gesellschaft echte, wahre menschliche Brüderlich­keit. - So daß in der Regel in den Satzungen solcher Gesellschaften auch dieses sich findet, und zwar, wie gesagt, mit Notwendigkeit, daß auf der einen Seite Brüderlichkeit angestrebt wird, auf der andern Seite eine Einsicht in die geistigen Welten. Dasjenige nun, was Kenner der Geschichte solcher Gesellschaften wissen, ist, daß in diesen auf Brüder­lichkeit und geistiger Einsicht begründeten Gesellschaften am aller­meisten gestritten wird, daß am allermeisten Gelegenheit gefunden wird zu Zwiespalt, zum Auseinandergehen, zum Bilden von selbstän­digen Gruppen innerhalb größerer Gemeinschaft, zum Austritt von Gruppen, zum scharfen Bekämpfen derjenigen, die zurückgeblieben sind, von denen, die ausgetreten sind und so weiter, kurz, daß dasjenige, was man nennen kann menschliches Streiten, in diesen Bruderschafts­gesellschaften eigentlich am üppigsten wuchert. Das ist eine eigentüm­liche Erscheinung. Aber Anthroposophie gibt uns auch die Möglichkeit, aus ihren eigenen Erkenntnissen heraus diese Erscheinung zu verstehen. Und es gehört dasjenige, was ich in diesen beiden Vorträgen sage, auch, wenn ich mich pedantisch ausdrücken darf, zu dem System der An­throposophie. Also es soll dennoch nicht ein allgemeiner Diskussions­vortrag gehalten werden, sondern doch - aber eben im Zusammenhang mit der Versammlung - ein anthroposophischer.

Wenn wir noch einmal zurückgehen nämlich auf dasjenige, was ich schon gestern erwähnt habe, so finden wir die drei Stufen des mensch­lichen Erlebens mit Bezug auf die menschliche Bewußtseinserscheinung.

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Wir finden den Menschen, der im tiefen Schlaf oder namentlich im Traumschlafe ist, der also für ein gewisses, meinetwillen untergeord­netes Bewußtsein eine gewisse Welt von Bildern erlebt, die er während des Träumens für seine Wirklichkeit hält. Wir wissen, dieser Mensch ist isoliert unter den andern Menschen, die mit ihm in der physischen Welt zusammenleben; sie haben mit ihm nicht gemeinsame Erlebnisse. Für dasjenige, was er erlebt, ist ein Austauschmittel nicht vorhanden. Wir wissen dann, daß der Mensch aus diesem Bewußtseinszustande eintreten kann in das gewöhnliche Alltagsbewußtsein, zu dem er er­weckt wird, wie ich gestern ausführte, durch das äußerliche Natür­liche, auch das äußerliche Natürliche an dem andern Menschen. Da erwacht einfach durch die natürlichen Triebe und durch die Lebens­notwendigkeit schon ein gewisses Gemeinschaftsgefühl, dem dann ja durch die Sprachen entgegengekommen ist.

Aber sehen wir uns nun einmal die Vermischung dieser beiden Be­wußtseinszustände an. Solange der Mensch in vollständig normalen Lebensverhältnissen ist, solange er scheidet, zeitlich scheidet durch seine normale Seelen- und Körperverfassung dasjenige, was er als iso­lierter Mensch im Traume erlebt, von demjenigen, was er mit andern Menschen zusammen erlebt, so lange wird er in seiner Traumwelt und in der gewöhnlichen Wirklichkeitswelt in einer für ihn und die andern Menschen angemessenen Weise leben. Nehmen wir aber an, durch irgend etwas, meinetwillen Pathologisches - so muß es ja in diesem Falle genannt werden -, ist ein Mensch in der Lage, daß er im wachen Tagesbewußtsein, also wenn er mit andern Menschen zusammen ist, nicht diejenigen Vorstellungen und Empfindungen erzeugt, die die andern Menschen haben. Nehmen wir an, daß er durch das Patholo­gische seiner Organisation in das wache Tagesbewußtsein eine Vorstel­lungs- oder Empfindungswelt hereinbringt, welche ähnlich der des Traumes ist. Statt logischer Gliederung seiner Gedanken bringe er her­ein eine Bilderwelt, die ähnlich der Traumbilderwelt ist. Wir nennen einen solchen Menschen geistig nicht gesund. Jetzt aber soll uns vor­zugsweise das interessieren, daß ein solcher Mensch die andern nicht versteht, sie ihn, wenn sie ihn nicht gerade medizinisch, pathologisch nehmen, auch nicht verstehen. In dem Augenblicke, wo die Seelenverfassung

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dieses andern, meinetwillen untergeordneten Bewußtseins-zustandes, herübergenommen wird in einen, meinetwillen höher gear­teten Bewußtseinszustand, in dem Augenblicke wird der Mensch unter Menschen ein krasser Egoist. Sie brauchen sich das nur zu überlegen und Sie werden das finden, ein solcher Mensch geht nur noch dem nach, was er sich selber einbildet, er gerät mit den andern auseinander, weil sie seine Gründe nicht einsehen können; er kann bis zu den schärfsten Exzessen kommen, weil er nicht in einer gemeinschaftlichen Seelenwelt mit den andern lebt.

Nun gehen wir von diesen zwei Bewußtseinsstufen zu den zwei andern: zu dem Alltagsbewußtsein, zu dem wir durch den natürlichen Gang der äußeren Ereignisse geführt werden, und stellen wir ihm ge­genüber den andern, meinetwillen höher gearteten Bewußtseinszustand, der, wie ich gestern ausführte, in einer gewissen Weise erwachen kann dadurch, daß man erwacht nicht bloß an dem Natürlichen der Umwelt, sondern an dem Inneren des andern Menschen. Man erwacht also, wenn das auch gewöhnlich nicht ganz klar gleich vorliegt im Bewußt­sein, auf zu einem solchen Bewußtseinsniveau. Es gibt natürlich viele andere Wege, um in die höheren Welten hineinzukommen, das wissen Sie ja alles aus meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der hö­heren Welten?»; aber man kann für diejenigen Augenblicke, die man so glücklich ist, mit den andern Menschen auf entsprechende Art zu-zubringen, hineinversetzt werden in die Möglichkeit, Dinge zu begrei­fen, vor sich zu haben, die man sonst nicht begreift oder vor sich hat. Da ergibt sich nun eine Möglichkeit, zunächst zu leben mit demjenigen, was der Kenner der geistigen Welt eben bezeichnet mit Ausdrücken, die sich auf diese geistige Welt beziehen. Es ergibt sich die Möglichkeit, zu reden vom physischen Leib, vom Atherleib, vom Astralleib und Ich. Da ergibt sich die Möglichkeit, zu reden von wiederholten Erdenleben, von karmischen Zusammenhängen der wiederholten Erdenleben. Ja, nun ist die Möglichkeit vorhanden, die ganze Seelenverfassung des Alltagsbewußtseins hineinzutragen in diese höhere Welt, der man da teilhaftig wird. Das ist auf einer andern Stufe dasselbe, wie wenn man die Konfiguration der traumhaften Bildlichkeit in das Alltagsleben hineinträgt. Man wird da auf einer gewissen Stufe zum Egoisten auf

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ganz natürliche Weise. Man wird es, wenn man sich nicht bewußt wird:

Du mußt in einer ganz andern Weise ansehen dasjenige, was einer hö­heren, einer geistigen, einer übersinnlichen Welt angehört, als was in der sinnlichen ist. Du mußt umdenken, umempfinden lernen. Geradeso wie der Träumer in einen ganz andern Bewußtseinszustand hinein-schnappen muß, wenn ich so sagen darf, wenn er im alltäglichen Be­wußtsein leben will mit den andern Menschen, so ist es notwendig, daß man sich bewußt wird: Man kann nicht mit derselben Seelenverfassung die Dinge ansehen, die einem in der Anthroposophie gegeben werden, mit der man die Dinge anschaut, die einem im Alltagsbewußtsein ge­geben werden.

Darin liegt ja die Schwierigkeit der Verständigung zwischen diesem Alltagsbewußtsein, das ja auch unser gewöhnliches Wissenschafts­bewußtsein ist, und demjenigen, was gegeben werden muß durch die Anthroposophie. Wenn da Leute kommen und hin und her sprechen, der eine mit dem Alltagsbewußtsein, also auch mit dem gewöhnlichen Wissenschaftsbewußtsein, der andere mit dem Bewußtsein, das wirk­lich gewachsen ist den Beurteilungen, die in einer übersinnlichen Welt statthaben müssen, dann ist das gerade so, wie wenn einer, der Träume erzählt, sich verständigen will mit einem andern, der ihm Dinge der äußeren Wirklichkeit erzählt. Und wenn mehrere Menschen sich mit demjenigen, was sie aus dem Alltagsbewußtsein haben, dann zusam­menfinden und nicht mit der vollen Empfindung sich erheben zu der übersinnlichen Welt, wenn sich solche Menschen zusammenfinden, um einfach in der alltäglichen Seelenverfassung die Sprache der übersinn­lichen Welt zu hören, dann ist eine unendlich große, eine unermeßlich große Möglichkeit gegeben, daß sie ins Streiten kommen, weil sie unter­einander auf die naturgemäßeste Weise zu Egoisten werden. Dagegen gibt es allerdings ein kräftiges Mittel, das aber auch erst in der Men­schenseele entwickelt werden muß. Das ist das Mittel der innerlichsten durchseelten Toleranz. Aber das muß eben anerzogen werden. Im ge­wöhnlichen Bewußtsein des alltäglichen Erlebens reicht für die Bedürf­nisse, die die meisten Menschen haben, ein recht geringfügiger Grad von Toleranz aus und vieles korrigiert ja einfach die natürliche Um­gebung. Aber für dieses gewöhnliche Bewußtsein des Alltagslebens, da

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ist es ja so - wer Lebenserfahrung hat, weiß das -, daß eben, wenn zwei Menschen miteinander reden, es ihnen sehr häufig gar nicht darauf ankommt, den andern zu hören. Heute ist ja die Sitte so eingerissen, daß man überhaupt kaum mehr gehört wird, sondern immer, wenn man das eine Viertel des Satzes gesprochen hat, der andere anfängt zu reden, weil ihn das eigentlich nicht interessiert, was man sagt, sondern es interessiert ihn nur seine eigene Meinung. Das geht, wenn auch in leidiger Weise, in der physischen Welt. Das geht nicht mehr in der geistigen Welt. In der geistigen Welt muß unbedingteste Toleranz die Seele durchdringen. Da muß man sich dazu erziehen können, selbst dasjenige, womit man nicht im geringsten übereinstimmt, in aller Ruhe hinzunehmen, nicht nur mit einer hochnäsigen Duldung, sondern so, daß man in einer gewissen Weise es zuinnerst sachlich toleriert als eine berechtigte Außerung des andern Menschen. Es hat in höheren Welten eigentlich nur einen ganz geringen Sinn, gegen irgend etwas Einwen­dungen zu machen; derjenige, der erfahren ist in den Erlebnissen hö­herer Welten, der weiß, daß über ein Faktum die entgegengesetztesten Anschauungen geäußert werden können zum Beispiel von ihm und einem andern. Wenn er in der Lage ist, die entgegengesetzte Anschau­ung des andern mit derselben Toleranz aufzunehmen - bitte, hören Sie das! - wie seine eigene, dann erst erwirbt er sich die notwendige soziale Seelenverfassung für das Erleben desjenigen, was in der Tlieorie aus höheren Welten heraus verkündet wird. Diese moralische Basis ist eben notwendig für ein richtiges Verhältnis des Menschen zu den höheren Welten. Und das Streiten in solchen Gesellschaften, wie ich sie charak­terisiert habe, das beruht eben einfach darauf, daß die Menschen, wenn die Sensation da ist, zu hören: Der Mensch hat nicht nur einen physi­schen Leib, sondern auch einen Ätherleib, Astralleib, Ich und so weiter -sie dieses auf Sensation hin annehmen, aber die Seele nicht umarten zu der Art, die notwendig ist, um das anders zu erleben, als man in der physischen Welt einen Tisch oder einen Stuhl erlebt, die man ja auch in der physischen Welt anders erlebt als im Traume. Wenn die Menschen also ihren gewöhnlichen Seelenduktus hineintragen in ihr vermeint­liches Verstehen der Lehre aus der höheren Welt, dann kommen sie aus diesem Hineintragen ganz selbstverständlich zu Egoismus und Streit.

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So wird es verständlich, gerade aus dem Begreifen der Eigentüm­lichkeit der höheren Welten heraus, daß sehr leicht gerade in Gesell­schaften mit geistigem Inhalt Streit und Zank entstehen kann und daß notwendig ist, sich für solche Gesellschaften in einer solchen Weise zu erziehen, daß man in einem unermeßlich weiteren Grade den andern erträgt, als man das für die physische Welt gewohnt ist. Anthroposoph werden heißt eben nicht bloß, Anthroposophie als Theorie kennen­lernen, sondern Anthroposoph sein erfordert in einem gewissen Sinne eine Seelenumartung. Diese aber wollen gewisse Menschen nicht. Daher wurde es auch nie verstanden, wenn ich gesagt habe: Es gibt zweierlei Arten, sich zum Beispiel mit meinem Buche «Theosophie» zu beschäf­tigen. Die eine ist, es zu lesen oder meinetwillen es auch zu studieren, indem man mit der gewöhnlichen Seelenverfassung an es herangeht und es im Sinne dieser gewöhnlichen Seelenverfassung beurteilt. Dann ist der Seelenvorgang der Qualität nach ganz der gleiche, ob man eine «Theosophie» liest oder ein Kochbuch. Für den Wert des Erlebens ist dann kein Unterschied zwischen dem Lesen dieser «Theosophie» und dem Lesen eines Kochbuches, nur daß man, wenn man das tut, eben einfach im Lesen der «Theosophie» auf einer höheren Stufe träumt, nicht lebt. Und wenn man so von höheren Welten träumt, dann kommt aus den Impulsen der höheren Welten heraus nicht die größte Einigkeit unter den Menschen, das größtmögliche Tolerieren als eine Errungen­schaft, sondern statt der Einigkeit, die gerade das Geschenk des Stu­diums der höheren Welten sein kann, immer weiter wirkender Streit und Zank. Damit haben Sie die Bedingungen des Streitens und Zankens gegeben in Gesellschaften, die auf einer Art Einsicht in die geistigen Welten beruhen.

Ich sagte, in die geistigen Welten hinein führen eben die verschie­denen Wege, die ich in dem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» zum Teil beschrieben habe. Nun, wenn jemand in einer intensiveren Weise damit beschäftigt sein muß, Erkenntnisse aus den höheren Welten zu suchen, dann wird das, wie Sie nun begreifen können nach dem, was ich gestern und heute für etwas ganz anderes ausgeführt habe, eine gewisse Seelenverfassung bedingen. Und so wird namentlich eine gewisse Seelenverfassung notwendig sein für den eigentlichen

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Geistesforscher. Man findet nämlich nicht die Wahrheit auf übersinnlichem Gebiete, wenn man fortwährend genötigt ist, der Seele dasjenige aufzudrängen, was in der physischen Welt in ganz berechtig­ter Weise sich abspielt, wenn man sich während des Geistesforschens fortwährend zu beschäftigen hat mit demjenigen, was von einem for­dert, daß man im Sinne der physischen Welt denkt. Nun werden Sie zugeben, daß derjenige, der in verantwortlicher Weise seinen Mitmen­schen etwas mitteilt aus den geistigen Welten, der also einfach nach dem Wortgebrauch, der für die übliche Wissenschaft vorhanden ist, sich einen Geistesforscher nennen kann, zu seinem Forschen viel Zeit braucht. Und damit werden Sie es gerechtfertigt finden, daß ich selber Zeit brauche zum Erforschen desjenigen, was ja jetzt nach und nach in immer erweiterter und erweiterterer Gestalt als eine Geisteswissen­schaft, als eine Anthroposophie von mir vorgetragen wird.

Diese Zeit, die kann man sich nach seinem Schicksale natürlich dann schaffen, wenn man ganz allein dasteht. Denn derjenige, der ein wirk­licher Geistesforscher ist und in verantwortlicher Weise seinen Mit­menschen mitteilen will dasjenige, was er in der geistigen Welt findet, der wird sich die Eigentümlichkeit aneignen, das ist eine ganz natür­liche Sache, sich um seine Gegner nicht zu bekümmern. Er weiß, daß er Gegner haben muß, aber ihm kommt es nicht darauf an, daß man gegen die Dinge, die er sagt, etwas einwendet; die Einwendungen kann er sich selber machen. Und so ist es eine natürliche Seelenverfassung, daß der Geistesforscher in positiver Weise seinen Weg geht und sich nicht um die Einwendungen viel kümmert, wenn nicht da oder dort eine besondere Veranlassung dazu vorliegt.

Diese Seelenverfassung kann man aber nicht aufrechterhalten, wenn einem eine Anthroposophische Gesellschaft zur Seite steht. Denn dann kommt zu der bloßen Verantwortlichkeit gegenüber der Wahrheit die Verantwortlichkeit gegenüber dem, was die Gesellschaft tut, welche sich, wie das so oft gesagt wird, zum Werkzeuge dieser Wahrheit machen will. Da muß man teilnehmen an den Verantwortlichkeiten dieser Gesellschaft. Nun, bis zu einem gewissen Grade geht das noch immer zusammen mit dem richtigen Verhalten gegenüber den Gegnern. So ist es auch bis zum Jahre 1918 mit mir und dieser Anthroposophischen

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Gesellschaft gegangen. Ich habe mich möglichst wenig geküm­mert um dasjenige, was eingewendet worden ist, und zwar - so para­dox es klingt - aus der Konsequenz jener Ihnen eben geschilderten Toleranz heraus. Warum soll ich denn so intolerant sein, immer wieder meine Gegner zu widerlegen? Es wird schon alles in das richtige Geleise kommen durch den naturgemäßen Fortschritt in der Menschheitsent­wickelung. Und deshal b kann ich sagen: Zwar nicht ganz, aber in einem hohen Maße war diese Frage in Ordnung bis 1918.-Wenn aber die Gesellschaft dazu übergeht, Dinge in sich aufzunehmen, wie unsere Anthroposophische Gesellschaft seit 1919 sie aufgenommen hat, dann gerät man in Verantwortlichkeiten hinein gegenüber diesen einzelnen aufgenommenen Dingen, dann wird das Schicksal dieser aufgenom­menen Dinge mit dem Schicksal der Anthroposophischen Gesellschaft verknüpft, und wiederum das Schicksal der Anthroposophischen Ge­sellschaft mit dem Schicksale des Geistesforschers. Und dann entsteht die Alternative: Entweder der Geistesforscher muß es nun in die Hand nehmen, sich gegen seine Gegner zu wehren, das heißt, sich mit lauter Dingen zu beschäftigen, die ihn von der geistigen Forschung abbringen müssen, weil man beides gleichzeitig nicht machen kann; oder aber er ist darauf angewiesen, weil er sich für seine Geistesforschung Zeit schaffen muß, die Behandlung der Gegner denjenigen zu überlassen, welche in einer gewissen Weise die Verantwortlichkeit übernommen haben für das äußerlich Begründete. Deshalb ist auch aus inneren an­throposophischen Gründen die Situation innerhalb unserer Anthropo­sophischen Gesellschaft seit 1919 eine wesentlich andere geworden. Deshalb muß, weil diese Gesellschaft sich entschlossen hat in einzelnen ihrer Persönlichkeiten, solche äußere Begründungen zu machen, und weil die Grundlage, auf der das alles ruht, ja doch die Anthroposophie ist, diese Grundlage gerade von denjenigen verteidigt werden, die nicht die volle Verantwortung tragen für die innere Berechtigung desjenigen, was von Tag zu Tag zu der Geistesforschung hinzugefügt werden muß durch wirkliches Forschen.

Ein großer Teil der Gegner ist ja eigentlich so geartet, daß er in irgendwelchen ganz bestimmten Lebenszusammenhängen darinnen lebt. Er hat zum Beispiel da oder dort dieses oder jenes studiert. Da ist

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es üblich, über diese oder jene Dinge so oder so zu denken. Dadurch, daß er so oder so denken muß, muß er ein Gegner der Anthroposophie werden. Er weiß ja gar nicht, warum er es werden soll, sondern er muß es werden, weil er unbewußt am Gängelbande desjenigen hängt, was ihn erzog, was er erlebt hat. So steht es innerlich. Äußerlich steht es so, daß natürlich um des Gedeihens oder Verderbens desjenigen, was mit der Anthroposophischen Gesellschaft begründet worden ist, auch solche Gegner in der entsprechenden Weise aus dem Felde geschlagen werden müssen.

Aber die eigentlich leitenden Persönlichkeiten in der Gegnerschaft, die wissen nämlich sehr wohl, was sie wollen. Denn unter denen finden sich solche, die gut bekannt sind mit den Gesetzen der geistigen For­schung, wenn auch von einem andern Gesichtspunkte aus als dem an­throposophischen, und die wissen, daß es das beste Mittel ist, den­jenigen, der die Ruhe zum Geistesforschen braucht, fortwährend zu bombardieren mit gegnerischen Schriften und Einwendungen, damit er abgezogen werde von seiner Geistesforschung. Denn diese wissen sehr gut: die Widerlegung der Gegner läßt sich nicht mit der Geistes-forschung vereinigen. Sie wollen einem Knüppel vor die Beine werfen, indem sie diese Dinge einem entgegensetzen. So ist einfach die Tatsache des Schreibens dieser Dinge die gegnerische Tat. Den Leuten, die eigent­lich wissen, auf was es ankommt, kommt es gar nicht so sehr darauf an, was in ihren Büchern steht, sondern daß diese Bücher dem Geistesfor­scher an den Kopf geworfen werden. Und besonders viel liegt ihnen daran, durch irgendwelche Tricks und ähnliche Mittel ihn zu zwingen, daß er sich selber verteidigen muß.

Diese Dinge müssen in voller Objektivität angesehen werden. Sie zu wissen, ist auch die Aufgabe derjenigen, die innerhalb der Anthropo­sophischen Gesellschaft mit Recht sitzen wollen. Nun, das, was ich eben gesagt habe, das ist etwas, was viele Leute wissen. Nur ist es in den Kreisen von vielen, die das wissen, eben durchaus Gebrauch, daß man darüber nicht spricht nach außen hin. So etwas ist in der Anthro­posophischen Gesellschaft, wie die Erfahrung zeigt, schon lange gar nicht mehr durchzuführen. Es wurden in der Anthroposophischen Ge­sellschaft Zyklen gedruckt, auf denen steht «Nur für Mitglieder». Man

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kann heute in Deutschland und auch anderswo in öffentliche Biblio­theken gehen und sich diese Zyklen ausleihen. Auch diejenigen, die nicht in der Anthroposophischen Gesellschaft sind, können alle Zyklen haben, und die Art der gegnerischen Schriften beweist, daß sie sie haben, wenn es auch manchmal schwierig war, sie zu erhalten. Aber diese Leute scheuen Schwierigkeiten viel weniger als manchmal An­throposophen. Jene Art des Sekretierens, die heute noch viele Gesell­schaften üben können, die ist eben bei der besonderen Art der Anthro­posophischen Gesellschaft, wo jeder ein freier Mensch bleiben soll, wo er kein Versprechen gibt, sondern einfach eintritt, um ein ehrlicher Erkenner zu werden, die ist bei der Anthroposophischen Gesellschaft, die im allermodernsten Sinne konstituiert sein muß, gerade nicht mög­lich. Und ich strebe nicht danach, daß es möglich wird. Strebte ich danach, würde ich Ihnen jetzt nicht empfehlen, neben der alten An­throposophischen Gesellschaft eine lose Vereinigung zu begründen. Denn Sie werden sehen, wieviel mehr Abzugskanäle - ich tadle diese nicht - für dasjenige, wovon ältere Mitglieder glauben, sie müssen es in ihrem Schrank verwahren, in die breite Öffentlichkeit hinaus durch diese lose Vereinigung geschaffen werden. Aber derjenige versteht eben den innersten Impuls der Anthroposophie nicht, der sie nicht im Sinne des modernsten Denkens und Empfindens der Menschen einrichten will. Daher ist es um so mehr notwendig, daß man die Bedingungen für eine solche Gesellschaft erfaßte.

Ich führe jetzt etwas nicht aus einer eitlen Albernheit an, sondern als ein Beispiel, das ich entnehme aus meinem eigenen Erleben. Ich habe im verflossenen Sommer in Oxford einen Vortragszyklus über die Päd­agogik, die in der Waldorfschule gepflegt wird, gehalten. In einem eng­lischen Journale ist ein Artikel erschienen, ich zitiere nicht wörtlich, aber sinngemäß, der ungefähr folgenden Anfang hat: Wer einfach als ein Außenstehender hineingeschneit worden ist in die Vorträge dieses Oxforder pädagogischen Zyklus, der hätte, wenn er nicht gewußt hätte, wer der Dr. Steiner ist und daß der mit Anthroposophie etwas zu tun hat, gar nicht merken können, daß da der Vertreter der Anthro­posophie spricht, sondern er hätte ihn halten können für jemanden, der über Pädagogik spricht, nur von einem andern Gesichtspunkte aus

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als dem, den man vielleicht selber hat. - Ich habe mich über diese Cha­rakteristik außerordentlich gefreut, weil sie zeigt, daß Menschen da sind, die bemerken, was ich gerne erreichen möchte, daß man der ein­zelnen Ausführung, die ich gebe, nicht sogleich anhört: Das ist vom anthroposophischen Standpunkt. - Von dem ist sie ja doch. Aber man wird diesen nur dann richtig einnehmen, wenn er zur Objektivität führt, wenn er nicht zu Einseitigkeiten, sondern dazu kommen läßt, daß man jede Einzelheit aus sich selber heraus erkennt und beurteilt.

Und bevor ich diesen Oxforder Zyklus gehalten habe, also auch bevor dieser Artikel erschien, habe ich einmal ein Ihnen vielleicht sehr unbedeutend scheinendes Experiment gemacht. Ich war ja auch auf dem Wiener Kongreß im Juni; ich habe da zwölf Vorträge gehalten in den zwei Zyklen. Ich habe mir die Aufgabe gesetzt, in allen zwölf Vorträgen dürfe das Wort «Anthroposophie» nicht vorkommen, und es kommt auch nicht vor. Es kommt auch nicht so irgend etwas vor, wobei man etwa sagt: Die anthroposophische Weltanschauung sagt dieses oder jenes. - Natürlich war doch, und gerade deshalb alles an­throposophisch. Ich will nicht in pedantisch-philiströser Weise sagen, man soll es zu einem Programmpunkte machen, daß Anthroposophen das Wort Anthroposophie nie aussprechen. Selbstverständlich will ich das nicht. Aber der Geist, aus dem heraus gewirkt werden muß, wenn man in einer richtigen Weise mit der Welt sich einstellen will, der Geist, der wird auf diese Art aufgesucht. Dieser Geist sollte auch frei wirken in den wirkenden und führenden Persönlichkeiten der Anthroposophi­schen Gesellschaft. Sonst werde ich selbst wiederum verantwortlich gemacht für dasjenige, was innerhalb der Anthroposophischen Gesell­schaft als etwas Unanthroposophisches getan wird. Und dann wird die Welt mit Recht das eine mit dem andern identifizieren. Also es handelt sich auch in solchen Dingen darum, daß der objektive Geist des Anthro­posophischen in der richtigen Weise erfaßt werde, und vor allen Dingen auch, daß dieser Geist des Anthroposophischen ausgewirkt werde. Dazu muß man sich allerdings auch in einem gewissen Grade erst er­ziehen. Aber diese Selbsterziehung ist innerhalb der Kreise der Anthro­posophischen Gesellschaft notwendig; und in dieser Beziehung sind eben, und zwar mitbeeinflußt durch die Gründungen, unzählige Fehler

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in den letzten Jahren gemacht worden. Ich stelle das objektiv hin, ohne jemanden persönlich damit treffen zu wollen.

Wenn die Anthroposophische Gesellschaft gedeihen soll, so muß einfach ein Vollbewußtsein von diesen Dingen bei jedem einzelnen Mit­gliede einziehen. Das kann aber nach der Natur des heutigen sozialen Zustandes nicht anders sein, als wenn ein lebendiger Verkehr versucht wird, wenn auch nur, sagen wir durch Mitteilungsblätter oder der­gleichen, zwischen den einzelnen Kreisen der Anthroposophischen Ge­sellschaft. Dazu gehört aber ein lebendiges Interesse des einzelnen Gliedes - ich sage nicht Mitgliedes - der Anthroposophischen Gesell­schaft für die Angelegenheiten der ganzen Gesellschaft und vor allen Dingen für die Angelegenheiten des Werdeganges der Anthroposophie selber. Auch darinnen mangelt vieles. Wäre eine Anthroposophische Gesellschaft nicht da, so wären wahrscheinlich doch so und so viele anthroposophische Bücher da. Man würde sich aber gesellschaftsmäßig gar nicht zu kümmern haben um diejenigen, die sie lesen. Die wären in der Welt zerstreut, bildeten vielleicht auch Gemeinschaften je nach ihrem Karma; aber man brauchte nicht selber mit ihnen äußerlich ver­bunden sein. Das ändert sich nicht viel für den Geistesforscher, selbst wenn die Gesellschaft eine Artung hat, wie die unsrige bis zum Jahre 1918 sie hatte. Das ändert sich sofort, wenn für den physischen Plan geltende Verantwortlichkeiten mit der Anthroposophischen Gesell­schaft verknüpft werden. Diese Dinge sage ich heute dezidierter als sonst, aber gesagt habe ich sie in dieser oder jener Form damals, als man am Ausgangspunkte der Begründungen stand. Ich konnte sie doch nicht jedem einzelnen anthroposophischen Mitgliede ins Ohr raunen, weiß nicht einmal, ob das sehr viel genützt hätte. Aber die Anthroposophi­sche Gesellschaft war doch da und hatte führende Persönlichkeiten. Die müssen dafür sorgen, daß diese Gesellschaft in einer solchen Ver­fassung ist, daß sie die Dinge wirklich ohne Gefährdung der anthropo­sophischen Forschung in sich aufnehmen kann.

Das ist, möchte ich sagen, der negative Anblick für die Gemein­schaftsbildung, während ich gestern den positiven vor Sie hingestellt habe. Ich möchte sagen, jeder, der eine solche Gemeinschaftsbildung anstrebt, wie ich sie ihren Bedingungen nach hingestellt habe in posi­tiver

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Weise, der muß sich bewußt sein alles dessen, was in der heute geschilderten Weise mit dem Fortschreiten in der Anthroposophischen Gesellschaft und mit dem Leben der Anthroposophischen Gesellschaft zusammenhängt. Und namentlich auf den einzelnen Gebieten des an­throposophischen Lebens muß das berücksichtigt werden.

In dieser Beziehung liegt ja zum Beispiel das Folgende vor, das, wie ich glaube, außerordentlich lehrreich ist. Ich komme da wiederum auf das tragische Kapitel des uns abgestorbenen Goetheanums zu sprechen. Wir konnten im September und Oktober des Jahres 1920 den ersten -wie man es genannt hat - Hochschulkurs in diesem Goetheanum durch drei Wochen hindurch halten. Ich habe schon gestern geschildert, wie dieses Goetheanum einen ganz bestimmten, aus der anthroposophischen Empfindungsweise herausgeborenen künstlerischen Stil hat. Dieser Stil, wie ist er entstanden? Er ist so entstanden, daß eine Anzahl von Per­sönlichkeiten, denen man dafür nicht genug danken kann, im Jahre 1913 es unternommen haben, dem, was im engeren Sinne für die An­throposophie damals vorhanden war, und was eventuell in diesem engeren Sinne aus dieser Anthroposophie noch hervorgehen konnte, eine Heimstätte zu bauen, das heißt, eine Heimstätte zu bauen dem Spiele von Mysterien, eine Heimstätte der dazumal noch keimhaften, aber durchaus schon für solche Dinge Aussichten versprechenden Eu­rythmie, eine Heimstätte vor allen Dingen den eigentlichen anthropo­sophischen Betrachtungen, die auf der Grundlage des geisteswissen­schaftlichen Forschens Weltenbilder entwerfen. Das lag dazumal in der Intention vor mir, der ich der Beauftragte dieser Persönlichkeiten war oder mich wenigstens als solcher betrachtete. Für mich lag dieAuf­gabe vor, dieser Arbeit einen Bau zu errichten mit dem entsprechenden, dieser Arbeit künstlerisch entsprechenden Stil. Das wurde das Goethe-anum. Dazumal gab es noch gar nicht die Gelehrten, die Wissenschafter in unserer Mitte. Die Anthroposophie war bis zu einem gewissen Punkte ins Wissenschaftliche vorgerückt. Aber dasjenige, was später eingetreten ist, daß die einzelnen Fachgebiete innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft behandelt wurden, das gab es dazumal nicht. Dasjenige, was auftrat, trat so auf, daß es in gerader Linie aus der Anthroposophie heraus kam, wie schließlich die ganze Waldorfschul-Pädagogik; die ist

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ja das eigentliche Beispiel, wie etwas ganz aus Anthroposophie heraus gekommen ist. Für solche Dinge mußte der künstlerische Stil gefunden werden. Der wurde gefunden meiner Überzeugung nach in dem Goe­theanum. Der Krieg hat den Bau des Goetheanums etwas verzögert. 1920 wurde dann jene Vortragsreihe gehalten, von der ich eben ge­sprochen habe. Sie wurde gehalten auf den Impuls hin, der schon aus­ging von den mittlerweile in so dankenswerter Weise in die Anthropo­sophische Gesellschaft eingezogenen Gelehrten. Er wurde auch arran­giert und mit Programm versehen von diesen Gelehrten. Mir wurde das Programm dargeboten. In der Anthroposophischen Gesellschaft herrscht gerade meiner Überzeugung nach absoluteste Freiheit. Viele Leute in der Außenwelt denken sich, in dieser Anthroposophischen Gesellschaft geht nur dasjenige vor sich, was sich der Steiner einbildet. Meistens gehen aber Dinge vor sich, die der sich ganz und gar nicht ein­bilden würde. Aber die Anthroposophische Gesellschaft ist ja nicht für mich da, sondern die Anthroposophische Gesellschaft ist für die Anthroposophen da. Und nun saß ich da, wirklich mit großer Auf­merksamkeit, in diesen Vortragsreihen vom September und Oktober 1920 - ich gebe nur ein Aperçu, nicht irgendeine Kritik - und ich ließ nun meine Augen schweifen über das Innere des Baues. In der Wochen-schrift «Das Goetheanum» habe ich beschrieben, wie zum Beispiel für die eurythmische Kunst die Linien des Goetheanums sich fortsetzen in die Bewegungen des Menschen; aber das mußte ja am Goetheanum nach den ursprünglichen Intentionen für alles der Fall sein. Ich ließ also meinen geistigen Blick schweifen über die Art und Weise, wie diese Innenarchitektur, Plastik und Malerei dem entsprach, was die Redner vom Podium herunter sagten. Und da fand ich - es war ja nicht nötig, den Leuten das damals an die Nase zu binden: Alles dasjenige, was, im besten Sinne des Wortes sei es gesagt, ein anthroposophisches Tableau war, wo aus der Anthroposophie im engsten Sinne heraus gesprochen wurde, es paßte wunderbar zum Baustil. Für eine ganze Reihe von Vor­trägen hatte man aber das Gefühl: Ja, die dürften eigentlich erst ge­halten werden, wenn das Goetheanum einmal dazu gekommen sein wird, eine ganze Reihe von Nebenbauten zu errichten, die in ihrem Baustile wiederum so eingerichtet werden, daß sie stimmen zu diesen

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Spezialstudien und Spezialbetrachtungen. Das Goetheanum in seinem fast zehnjährigen Schicksale hat wirklich miterlebt das Schicksal der Anthroposophischen Gesellschaft, und es ist leicht zu bemerken ge­wesen an dem Durchfühlen der Harmonie oder Disharmonie des Bau­stiles mit dem, was dadrinnen getrieben wurde, wie in der Tat etwas Unorganisches hineingekommen ist in die gerade Fortströmung der anthroposophischen Geistesbewegung.

Nun, das ist wirklich nicht gesagt, um zu tadeln, oder um zu sagen, irgend etwas hätte nicht so sein sollen. Natürlich lag eine Notwendig­keit vor, daß das alles so wurde. Aber auf der andern Seite ergab das die andere Notwendigkeit, daß nun Chemie, Physik, Mathematik und so weiter neu wiederum herausgeboren wurden, wiedergeboren wurden aus der Anthroposophie, um den geschilderten Ruck des Bewußtseins zu machen. Denn mit der gewöhnlichen Betrachtungsweise reicht man eben nicht aus, wenn anthroposophisch gesprochen werden soll. Dieser Ruck war nicht immer da. Am Goetheanum sah man es künstlerisch stilgemäß, an der Anthroposophischen Gesellschaft merkt man es an derjenigen Erscheinung, die sich zusammengezogen hat zu der Wolke, die uns in diesen Tagen bedeckt hat. Und die Aufgabe war da und muß als eine Zukunftsaufgabe dastehen, daß nun, nachdem schon einmal die Wissenschaft hereingeströmt ist - gedankt sei diesem Schicksale selbst­verständlich -, sie wiedergeboren werden muß aus der Anthroposophie. Und da hat es keinen Sinn, sich in allerlei wesenlose Polemiken zu ver­lieren, sondern da ist die Aufgabe vor allen Dingen drängend, die ein­zelnen Disziplinen aus der Anthroposophie wiederzugebären. Eine Art Surrogat wurde geschaffen in der Zeit, in der man nach Ersatz über­haupt streben mußte. Ich wurde vielfach aufgefordert - wiederum ging das aus einer Notwendigkeit hervor -, Vortragszyklen zu halten für diesen oder jenen Kreis über Dinge, die sich vielleicht in dem rich­tigen Tempo des anthroposophischen Fortlebens erst später entwickelt hätten. So waren diese Zyklen da. Für diese Zyklen hätte man nun vor allen Dingen die Notwendigkeit gehabt, sie zu benützen, um die ein­zelnen Wissenschaften aus der Anthroposophie wiederzugebären. Das war das anthroposophische Interesse. Und dieses Interesse wäre das­jenige gewesen, was durchaus der Entwickelung der Anthroposophischen

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Gesellschaft im eminentesten Sinne fruchtbar geworden wäre. Alle diese Dinge müssen gewußt werden. Sehen Sie, meine lieben Freunde, im Verlaufe der verschiedenen Seminarien, die in den Hoch­schulkursen da oder dort gehalten worden sind, habe ich immer wieder und wiederum Aufgaben gestellt, noch eine Aufgabe für mathematische Physiker in der letzten Ansprache, die ich halten konnte im kleinen Saale des Goetheanums bei dem naturwissenschaftlichen Kursus, der ja um die Neige des Jahres 1922 gehalten worden ist und nach Neujahr 1923 hätte im Goetheanum weiter fortdauern sollen. Da sprach ich noch, wie notwendig es wäre, die Aufgabe zu lösen, wie sich der Tast­raum in mathematische Formeln fassen läßt gegenüber dem Gesichts-raum; und ähnliche Dinge sind immer wieder und wieder dagewesen. Im Speziellen war das schon da, wozu die Zeit gedrängt hat, aber all das mußte so anthroposophisch verarbeitet werden, daß es wirklich den breitesten Kreisen der Anthroposophie, die sich gar nicht weiter kümmern können um den Tastraum und Sehraum und so weiter, den­noch etwas geben kann. Denn es gibt solche Wege, auf denen das, was einer vielleicht nur machen kann, einer großen Anzahl in einer ganz andern Form, in die es gegossen wird, dann fruchtbar wird. So sind eben durch die, wie ich so sagen möchte, außerordentlich übereilten Einrichtungen, die seit dem Jahre 1919 getroffen worden sind, nament­lich - es muß immer wieder betont werden - durch den Umstand, daß da Persönlichkeiten alles mögliche begründet haben und nachher nicht weiter mitgewirkt haben an dem, was sie selbst begründet haben, Schwierigkeiten über Schwierigkeiten erwachsen, und eben aus diesen Schwierigkeiten hat sich alles dasjenige ergeben, vor dem wir jetzt stehen. Aber in nichts davon liegt etwas, was ein Einwand gegen An­throposophie selber ist.

Und das ist dasjenige, dessen sich die lieben Anwesenden bewußt sein sollen, daß ja überall im einzelnen gesagt werden kann, wodurch die Schwierigkeiten entstanden sind, und daß scharf betont werden kann, daß es keine Berechtigung hat, daß wegen dieser Schwierigkeiten die Anthroposophie selber irgendwie abgekanzelt werde. Deshalb möchte ich gerade im Anschlusse an diese tiefere Erörterung ein Wort richtigstellen, das gestern hier von diesem Podium aus gesprochen worden

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ist, und an dem ich gerade aus dem Bewußtsein derjenigen Dinge, über die ich jetzt gesprochen habe, Anstoß nehmen mußte. Es wurde gesagt, man sei sich nicht bewußt - so ähnlich -, daß durch die Gegner die anthroposophische Bewegung zerstört werden könne. Das kann sie nicht. Durch die Gegner kann die größte Gefahr erwachsen der An-throposophischen Gesellschaft, meinetwillen mir selbst persönlich und so weiter. Aber die anthroposophische Bewegung, der wird kein Leid geschehen können, die kann höchstens aufgehalten werden durch die Gegner. Und in dieser Beziehung und in manchen ähnlichen Beziehun­gen ist in den letzten Jahren hervorgehoben worden auch von mir selbst oftmals: Man muß unterscheiden die anthroposophische Bewegung von der Anthroposophischen Gesellschaft. Das ist nicht deshalb hervor­gehoben worden, weil jetzt die Anthroposophische Gesellschaft nicht mehr Berücksichtigung finden soll, sondern aus dem Grunde, weil tat­sächlich die anthroposophische Bewegung und die Anthroposophische Gesellschaft sich verhalten wie Inhalt und Gefäß, auch für den einzel­nen Menschen wie Inhalt und Gefäß. Und auch auf diesem Gebiete muß man sich, ich möchte sagen, klarer Ideen voll bewußt sein. Man muß weder zusammenwerfen Anthroposophie und Anthroposophische Gesellschaft, noch darf man verkennen, daß durch die Entwickelung der letzten drei bis vier Jahre die eigentlich äußere Entfaltung der Anthroposophie in ihrem Schicksale mit dem Schicksale der Anthropo­sophischen Gesellschaft für die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft innig verwachsen ist. Die Dinge liegen scheinbar so nahe aneinander; sie sind dennoch scharf voneinander zu unterscheiden.

Theoretisch gesehen könnte eine Waldorfschule da sein, wenn nie­mals eine Anthroposophische Gesellschaft entstanden wäre; in Wirk­lichkeit nicht, weil die Menschen nicht dagewesen wären, die zu ihrei Gründung und Leitung und Versorgung und so weiter beigetragen haben. Die reale Logik, die Logik der Wirklichkeit ist also durchaus eine andere, als die abstrakte Verstandeslogik. Das ist wichtig, daß man das durchschaut als Mitglied der Anthroposophischen Gesell­schaft. Als solches Mitglied muß man eben sich wenigstens einen, wenn auch noch so bloß gefühlsmäßigen Eindruck verschaffen davon, wie zum Erfassen der höheren Welten eben durchaus gehört ein Bewußtsein

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davon, daß das Übersinnliche auf eine andere Weise erfahren wird wie die gewöhnliche physische Welt. Deshalb kann etwas in der phy­sischen Welt einem so richtig erscheinen, wie einem der Inhalt eines Traumes richtig erscheint, wenn man selber der Träumer ist; aber des­halb bleibt doch das Hineintragen des Traumzusammenhanges in den Zusammenhang des Alltagsbewußtseins eine unnormale, eine schäd­liche Erscheinung. Und so ist auch all das Hineintragen von Dingen, von denen man im gewöhnlichen Alltagsbewußtsein mit Recht über­zeugt ist, in das Bewußtsein, das man entwickeln soll beim Begreifen geistiger Welten, eine Schädlichkeit.

Das kann ich Ihnen an einem ganz bestimmten Beispiele erörtern. Weil die Menschen in der neueren Zeit so ungeheuer ins Intellektua­listische und Äußerlich-Empirische verfallen sind, gilt heute schon als Schlagwort auch für diejenigen, die gar nicht in einer Wissenschaft besonders bewandert sind, daß sie sagen: Ja, wenn man irgend etwas sagt, so muß man es beweisen. - Und sie meinen damit eine ganz be­stimmte Form der Anwendung des vermittelnden Denkens. Sie wissen eben nichts von der unmittelbaren Stellung, die die Menschenseele zu den Wahrheiten haben kann, die ein unmittelbares Begreifen der Wahr­heit ist, so wie das Auge nicht beweist die Röte, sondern sie anschaut. Aber im Intellektual-Verstandesmäßigen ist es so, daß man ein Begriffs-glied aus dem andern hervorgehen lassen muß. Für den physischen Plan ist es so gut als möglich, daß man gescheit wird, indem man un­geheuer viel beweisen kann, daß man eine gute Technik im Beweisen hat, daß einem das Beweisen nur so geht wie geschmiert. Das ist sehr gut für den physischen Plan, auch für die Wissenschaften, die für den physischen Plan arbeiten. Und auch für denjenigen, der Geistesforscher ist, ist es gut, wenn er in der physischen Welt viel von der Technik dieses Beweisens hat. Diejenigen, die sich näher bekanntmachen mit den Intentionen unseres Forschungsinstitutes, die werden sehen, daß für alle Dinge, wo das Beweisen in dieser Art anwendbar ist, es bei uns auch angewendet wird. Aber - lassen Sie mich das groteske Wort gebrau­chen - für das Begreifen der höheren Welten wird man, wenn man dies Beweisen hineinträgt so, wie den Traumzusammenhang in die alltäg­liche Bewußtseinswirklichkeit, dumm. Denn diese Methode des Beweisens

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in den höheren Welten ist genau dasselbe wie das Hineintragen der Traumzusammenhänge in die alltägliche Bewußtseinswirklichkeit. Nun hat man sich in der neueren Zeit hineingefunden, dieses Beweisen selbstverständlich zu finden. Auf manchen Gebieten ist es sogar furcht­bar geworden, wie dieses Beweisen lähmend gewirkt hat.

Die Religion, die durchaus auf nichts beruht, in ihren älteren For­men auf nichts beruht, was mit dem intellektualistisch-verstandes­mäßigen Beweisen zu tun hat, sondern mit Anschauen, ist zu einer rationalistischen Theorie geworden, die beweist; und die nach und nach in ihren extremsten Vertretern beweist, daß die ganze Religion nicht wahr ist, weil es im Grunde genommen selbstverständlich ist, daß geradeso wie man ein ahnormaler Mensch wird, wenn man den Traum-zusammenhang in sein Alltagsbewußtsein hineinträgt, daß man ab-normal wird für das Bewußtsein der höheren Welten, wenn man die in der physischen Welt mit Recht geltenden Zusammenhänge dort hin­einträgt. Theologie ist entweder Realwissenschaft geworden, die ein­fach die Dinge hinnimmt, oder Theologie, die als beweisende Wissen­schaft geeignet ist, nicht die Religion zu begründen, sondern sie zu zer­stören.

Das, meine lieben Freunde, sind die Dinge, die innerhalb der An­throposophischen Gesellschaft mit scharfem Bewußtsein erlebt werden müssen. Denn wenn das nicht der Fall ist, dann stellt man sich von vornherein als ein allseitiger, für alle Weltenniveaus vernünftiger Mensch in die Menschenwelt, in das Leben hinein, während, wenn man sich das aus unzähligen Zyklen Hervorgehende vorlegt, man als Mensch gar nicht von vornherein ohne geistige Entwickelung sein kann.

Der Geistesforscher hat es nicht nötig, gegen seine Gegner mit Be­weisen aufzutreten, denn alles, was eingewendet werden kann gegen dasjenige, was ich sage, brauchen die Gegner bloß aus meinen eigenen Schriften zu holen, denn ich mache überall, wo es nötig ist, aufmerk­sam, wie das physische Beweisen für etwas Übersinnliches sich aus­nimmt. Irgendwo findet man schon das Entsprechende, was der Gegner sagen kann, von mir selbst gesagt, so daß man eigentlich, um mich zu widerlegen, mich bloß abzuschreiben brauchte für das meiste. Aber das ist es, daß man über alle diese Einzelheiten im Gebiete der Anthroposophischen

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Gesellschaft ein Bewußtsein erwerben muß. Dann wird man in der Gesellschaft feststehen; man wird sowohl in der physischen Welt und in allen möglichen Welten feststehen, wenn man sich mit anthroposophischer Weltanschauung befaßt hat.

Dann wird man aber auch menschliche Liebefähigkeit, soziale Har­monisierung und alles, was zum sozialen Leben gehört, aus den anthro-posophischen Impulsen ziehen. Dann wird nicht Streit und Hader, nicht Abspaltung und Sezession, sondern trotz aller Isolierung die wahrhafte menschliche Einigkeit unter allen Anthroposophen eintreten können. Und dann wird man, trotzdem man ein Bekenner der An­schauungen aus den höheren Welten ist, nicht wie ein Träumer in der physischen Welt herumgehen, sondern man wird sich wie ein Mensch, der mit beiden Beinen in der Wirklichkeit steht, verhalten können, weil man sich gewöhnt hat, nicht die beiden Dinge zu vermischen, wie auch Traumwirklichkeit und Wirklichkeit des physischen Planes im gewöhnlichen Leben nicht vermischt werden dürfen.

Auf die Aneignung einer gewissen Seelenverfassung, einer gewissen Bewußtseinsverfassung kommt es dennoch an bei allen denjenigen, die sich im vollsten, echten Sinne des Wortes als richtige Glieder der an­throposophischen Bewegung in der Anthroposophischen Gesellschaft zusammenfinden wollen. Durchdringen wir uns mit dieser Seelenver­fassung, durchdringen wir uns mit dieser Bewußtseinsverfassung, dann werden wir eine richtige anthroposophische Gemeinschaft begründen; und dann wird, weil die Möglichkeit durchaus in ihr liegt, auch die Anthroposophische Gesellschaft blühen und gedeihen können.

ACHTER VORTRAG Dornach, 2. März 1923

#G257-1965-SE146 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

#TI

ACHTER VORTRAG

Dornach, 2. März 1923

#TX

Die Stuttgarter Versammlung ist vorgestern abend abgeschlossen wor­den und Sie werden wahrscheinlich die Meinung haben, daß ich Ihnen nun einiges von dem, was da in Stuttgart sich zugetragen hat, berichten soll. Es ist so, daß sich schon ein gewisses Ergebnis herausgebildet hat, ein Ergebnis, das angesichts der wirklichen Verhältnisse nicht anders sein kann. Um das, was da entstanden ist, völlig zu verstehen, wird es nötig sein, skizzenhaft eine Art Bericht über die Entwickelung der Dinge zu geben. Sie wissen ja aus den Andeutungen, die ich im Laufe der letzten Wochen gemacht habe, daß der Stuttgarter Versammlung wochenlange Vorbereitungen vorangegangen sind. Diese Vorbereitungen, die für alle Beteiligten eigentlich recht aufreibend waren, liefen darauf hinaus, durch das Ins-Leben-treten-Lassen der Bedingungen der Anthroposo­phischen Gesellschaft dieser für die nächste Zeit eine Zukunft zu geben.

Berücksichtigt bei allen diesen Dingen muß ja werden, daß das­jenige, was sich in Stuttgart zugetragen hat, ganz unbeeinflußt, wenig­stens seinen Ausgangspunkten, seinem Ursprunge nach, von den trau­rigen Ereignissen des Goetheanumbrandes ist. Denn daß irgend etwas zur Konsolidierung der Gesellschaft zu geschehen habe, war ja bereits Anfang Dezember von mir mit einem Mitgliede des Vorstandes be­sprochen worden, mit dem Auftrage, daß der ganze Zentralvorstand mit andern Persönlichkeiten sich mit der Sache befassen solle. So daß also das,was sich in Stuttgart abgespielt hat, in geradliniger Fortsetzung dessen steht, was am 10. Dezember von mir als Ergebnis der Beobach­tung über die gegenwärtige Situation in der Anthroposophischen Ge­sellschaft zu Herrn Ueh/i gesprochen worden war.

In diese Ereignisse fiel als schmerzliche Tatsache der Brand des Goe­theanum hinein. Aber auch, wenn wir heute noch das Goetheanum hier stehen hätten, wie es war, so würden sich alle diese Dinge in der ganz gleichen Weise haben abspielen müssen. Denn was lag eigentlich vor? Es lag dieses vor, daß die Anthroposophische Gesellschaft, wie sie sich seit zwei Jahrzehnten allmählich entwickelt hat, eine bestimmte Form

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und Gestaltung angenommen hat, eine Form und Gestaltung, die ins­besondere modifiziert worden war seit dem Jahre 1919 durch die ver­schiedenen Unternehmungen, die ihr eingefügt worden sind.

Es könnte leicht scheinen, als ob, wenn man so etwas ausspricht: die verschiedenen Unternehmungen, die der Anthroposophischen Gesell­schaft eingefügt worden sind - man ein abfälliges Urteil über diese Unternehmungen aussprechen würde. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Ich brauche nur die Waldorfschule zu nennen, die zu diesen Unter­nehmungen gehört, so wird Ihnen ja klar sein, daß es sich um etwas ganz anderes handelt, als um das Aussprechen irgendeines oberfläch­lichen Urteils. Gegen den Wert und die Bedeutungen dieser Unterneh­mungen soll ja gar nichts eingewendet werden, auch nicht in bezug auf die hauptsächlichsten, nichts gegen die Führung, gegen die Leitung die­ser Unternehmungen.

Was da verhandelt worden ist und verhandelt werden sollte, war lediglich die Anthroposophische Gesellschaft, ihre Gestaltung, ihre ganze Konfiguration als solche. Nun ist es ja schwierig, wirklichkeits­gemäß diese Gestaltung der Anthroposophischen Gesellschaft, die weit verzweigt ist, zu schildern, aber ich denke, jeder von Ihnen weiß ja von einem gewissen Gesichtspunkte aus, was die Anthroposophische Gesell­schaft geworden ist bis zum heutigen Tage, und er kann sich auch man­ches selbst schildern nach dem, was auch von mir hier im Laufe der letzten Wochen angeführt worden ist; er kann sich diese Schilderung dann ergänzen.

Nun ist eines der besonders wichtigen Ereignisse, die sich im Leben dieser Anthroposophischen Gesellschaft ereignet haben, dieses, daß den führenden Persönlichkeiten, oder wenigstens einer größeren Zahl der führenden Persönlichkeiten, für die Anthroposophische Gesellschaft aus dem, was sich aus ihr herausgebildet hat, ganz bestimmte, und zwar anthroposophische Aufgaben zugewachsen sind. Diese anthroposophi­schen Aufgaben harren seit 1919 ihrer Lösung. Sie waren eben nicht gelöst, und daher mußte am 10. Dezember des vorigen Jahres, als sich die Dinge nun, ich möchte sagen, mit aller Deutlichkeit gezeigt hatten, in der Weise, wie ich es eben getan habe, zu dem Zentralvorstand in Stuttgart gesprochen werden.

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Eine der letzten Begründungen, die aus der anthroposophischen Be­wegung herausgewachsen sind, ist ja die Bewegung für religiöse Erneue­rung, die insbesondere viel zu der Krisis der Anthroposophischen Ge-sellschaft in der letzten Zeit beigetragen hat. Das ist eine Seite der Tat­sachen, die im Leben der Anthroposophischen Gesellschaft aufgetreten sind.

Die andere Seite ist, daß Jugend herangekommen ist, Jugend mit inniger Begeisterung für die Anthroposophie, für alles das, was Anthro­posophie enthält, namentlich auch akademische Jugend, mit ganz be­stimmten Erwartungen, mit ganz bestimmten Vorstellungen von dem, was in der Anthroposophischen Gesellschaft gefunden werden kann, mit bestimmten Empfindungen, die man etwa so charakterisieren könnte, daß man sagt: Mit starken inneren Herzensimpulsen kam die Jugend an die Anthroposophische Gesellschaft heran und war beson­ders sensitiv für alles, was ihr entgegentrat aus den Reihen der Anthro­posophen, nahm alles in einem zwar nicht verstandesmäßigen, aber scharfen Empfindungsurteil auf. Was lag denn da zugrunde?

Ja, meine lieben Freunde, die Jugend von heute hat eben innere See­lenerlebnisse, die in einem gewissen Sinne zum erstenmal in die mensch­heitliche Entwickelung hereintreten. Dadurch, daß man abstrakt und oberflächlich von dem Gegensatz der älteren und jüngeren Generation spricht, ist es nicht getan. Dieser Gegensatz war in einem gewissen Sinne immer vorhanden, und er war vorhanden insbesondere bei denen, die sich als starke Individualitäten in ihrem jugendlichen Lebensalter in den verschiedenen Bildungsanstalten heranbilden wollten für das Leben. Man braucht nur an typisch charakteristische Beispiele zu er­innern. Lesen Sie in Goethes «Dichtung und Wahrheit», wie er in Leip­zig, statt in die Kollegien zu gehen, weil diese ihm furchtbar langweilig waren, zu der Bretzelbäckerin vis-á-vis hinging und da sich mit seinen Kameraden unterhielt, während der Professor Ludwig und andere drüben in den Hörsälen ihre gescheiten Lehren tradierten. Aber trotz dieses Gegensatzes, der ja immer vorhanden war, liefen ja auch diese, ich möchte sagen, etwas radikalen Mitglieder des Jugendtums immer ein in dasjenige, was eben von der alten Generation als Erbschaft vor­handen war. Auch die genialen Menschen liefen ein. Goethe ist ganz

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gewiß der unermeßliche Genius geblieben bis zu seinem Tode; allein in bezug auf das Sich-Hineinstellen in das unmittelbare Leben wurde er ja nicht nur der Genius Goethe, sondern auch der dicke Geheimrat mit dem Doppelkinn. Das ist auch eine Wahrheit.

Nun, diese Dinge muß man nur ganz unbefangen betrachten. Es war eben so bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, daß zwar der Gegensatz, von dem man auch heute eben oberflächlich spricht, daß der Gegensatz zwischen alt und jung schon vorhanden war, daß er aber im Sinne des Philisteriums ausgeglichen wurde, daß sich die Jugend eben immer mehr anphilisterte dem, was als die Erbschaft von dem Alten geblieben war, sie lief ein in diese Erbschaft. Das aber ist heute nicht mehr möglich.

Wenn man in der Terminologie, die aus der orientalischen Weisheit entnommen ist, sprechen wollte, müßte man sagen: Das ist nach dem Ablauf des Kali Yuga nicht mehr möglich, weil das Prinzip der Au­torität nicht mehr in derselben Weise das soziale Leben durchströmt, wie das früher der Fall war. - Immer mehr und mehr macht es sich geltend, daß die Menschheit in das Zeitalter der Bewußtseinsseelenent­wickelung eingetreten ist. Und das lebt auf eine allerdings nicht klar umrissene, aber instinktiv außerordentlich starke Weise in denjenigen Menschen, die in den neunziger Jahren oder vielleicht auch im Anfang des 20. Jahrhunderts geboren sind, oder später, und die ein Innenleben haben, das eben wirklich in liebevoller Weise von den Alteren an­gesehen werden sollte, wenn es verstanden werden soll. Und das kann nicht so ohne weiteres sein, denn unsere Kultur und Zivilisation hat solche Formen angenommen, insbesondere in unseren Bildungsanstal­ten, daß jene Ausgleichung zwischen alt und jung, die früher immer vorhanden war, jetzt eben nicht mehr vorhanden ist. Das fühlen die jungen Menschen der Gegenwart, das ist ihr inneres Schicksal. Das ist etwas, was, ich möchte sagen, den Duktus ihres ganzen Lebens aus­macht, und das gestaltet eine bestimmte Art des Verlangens an das Leben. Das bedingt, daß die Menschen, die jung sind, heute Suchende sind, aber Suchende in einer ganz andern Weise, als die älteren Men­schen Suchende waren.

Auf allen Gebieten des Lebens, namentlich auf allen Gebieten des

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geistigen Lebens ist das so. Reagiert hat ja schon längst in einer merk­würdigen Weise die Kultur des Alters auf die Jugend. Ich habe ja nicht versäumt, auch hier charakteristische Beispiele dafür anzuführen. Ich erinnere Sie an den Vortrag, den ich über Gregor Mendel gehalten habe. Im 20. Jahrhundert trat unter den Naturwissenschaftern ganz spo­radisch mit einer gewissen Vehemenz die Meinung auf, daß Gregor Mendel aus Mähren, der einsame Schullehrer, Gymnasiallehrer und spätere Abt, ein genialer Mensch war, der Großartiges geleistet hat für die Aufstellung der Vererbungsgesetze. Ja, wenn wir aber nun das Ver­hältnis dieses Gregor Mendel zu den Bildungsanstalten, in denen er war, betrachten, so müssen wir nicht vergessen, daß er, als er das nötige Alter hatte und seine Lehramtsprüfung ablegen sollte, glänzend durch-fiel. Es wurde ihm dann eine Zeit gegeben, nach welcher er noch ein­mal diese Lehramtsprüfung ablegen konnte. Er fiel wieder durch. Nun war man dazumal in den fünfziger Jahren noch toleranter als später:

Trotzdem er zweimal durchgefallen war in der Lehramtsprüfung, stellte man ihn als Gymnasiallehrer an. Und er wurde dann derjenige, der etwas ausgestaltete, was man eine der großartigsten Taten auf dem Gebiete der Naturwissenschaft der heutigen Zeit nennt.

Oder nehmen Sie irgend etwas ganz Naheliegendes: Röntgen - kein Mensch wird heute bezweifeln, daß Röntgen zu den größten Geistern der Gegenwart gehört. Aus dein Gymnasium ist er eines Tages hinaus­geworfen worden, er konnte es überhaupt nicht durchmachen. Es war auch nur mit großer Mühe zu erreichen, daß er überhaupt die Dozentur bekam, weil es, nun ja, nicht ging auf den Bildungsanstalten, weil er schon, wie gesagt, aus dem Gymnasium herausgeworfen worden war und später notdürftig auf einer Hochschule untergebracht wurde, auf der es dann ging. Aber da konnte er wieder nicht die Dozentur er­reichen in dem Fache, in dem er sie erreichen sollte. Nun wurde er aber doch der Ausgestalter einer der epochemachendsten Taten auf dem Gebiete der praktischen und theoretischen Naturwissenschaft. Ja man könnte diese Beispiele ins Unermeßliche vermehren. Überall zeigt sich eben dieses Wetterleuchten des unüberbrückbaren Gegensatzes der Erb­schaft von älteren Zeiten und dessen, was einfach in einer undefinier­baren Weise in der Jugend lebt.

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Nun kann man sagen, etwas radikal gesprochen, dieser Jugend ist es ganz gewiß höchst gleichgültig, wieviel Königsgräber in Agypten noch geöffnet werden, darauf kommt es ihr gar nicht so stark an. Aber die­ser Jugend kommt es darauf an, etwas zu finden, was aus viel ursprüng­licheren Quellen zur Anregung des Menschentums dient als die Öffnung alter Königsgräb er. Die Jugend hat das Gefühl, daß wir heute in einem Zeitpunkte der Menschheitsentwickelung sind, wo aus viel elementare-ren, ursprünglicheren Quellen geschöpft werden muß für das Mensch­tum.

Nun kann man durchaus sagen, vieles ist im Laufe der zwei ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts von der Jugend mit diesem Verlangen gesucht worden. Da lernte diese Jugend die Anthroposophie kennen, und da fühlte sie, man kommt da an dieses Elementare heran, es rührt das an die tiefsten Quellen des Menschtums. Und dann kam diese Ju­gend an die Anthroposophische Gesellschaft heran. Und einer der Ver­treter dieser Jugend hat am Montag oder Dienstag in Stuttgart gesagt Und nun war sie schockiert denn als sie herankam bekam sie einen wahren Schreck, wie die Anthroposophische Gesellsaft ist gegenüber der Anthroposophie. - Ja nicht wahr es ist eine der wichtigsten Tat sachen; sie läßt sich nicht hinwegdekretieren Sie mussen nur bedenken was schließlich diese Jugend, gerade die akademische Jugend alles er­leben mußte.

Da wollten also, sagen wir in einem der geistig freiesten Lehr- und Lernzweige, zum Beispiel in der Literaturgeschichte, diese jungen Leute nun eben diesen Bildungsgang durchmachen, wollten dann ihr Dok­torat machen. Wie war es denn im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts? Wie kamen denn die meisten zu einer Dissertation, zu einer Doktor-schrift? Da hatte der Professor - man muß natürlich die Dinge zu­sammenfassen und sie radikal schildern - sich die Aufgabe gestellt, ein Buch zu schreiben über die romantischen Schulen. Nun hatte er seine Studenten zu seiner Auswahl: Da gab er dem einen eine Aufgabe über Novalis, der andere bekam eine Aufgabe über Friedrich Schlegel, der andere über August Wilhelm Schlegel, der dritte über Ernst Theodor Amadeus Hoffmann - wenn es gut ging. Wenn es nicht gut ging, dann bekam der betreffende Kandidat eine Dissertation über die Interpunktionen

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oder über die Klammern in dem Satzgefüge bei Ernst Theodor Amadeus Hoffmann. Das alles hatte dann der Professor durchzuarbei­ten, und es ergab sich ihm dann daraus der Inhalt seines Buches über die romantische Schule. Da war alles, ich möchte sagen, ins Mechanische hineingezogen. Der junge Mensch war ein Glied an einem Mechanis­mus, an einem geistigen Mechanismus geworden. Dagegen revoltierte nun dasjenige, was, wenn ich mich des Ausdrucks noch einmal bedienen darf, eben als etwas ganz Elementares nach dem Ablaufe des Kali Yüga in der jugendlichen Seele lebte. Natürlich wären noch unzählige andere Erscheinungen anzuführen.

Nun, diese zwei Dinge standen nebeneinander da: die Anthropo­sophische Gesellschaft, wie sie eben geworden war durch zwei Jahr­zehnte - wie gesagt, ich brauche sie nicht zu schildern, jeder kann sie sich schildern von seinem Perspektivpunkte aus -, und auf der andern Seite die akademische Jugend. Aber im Gründe genommen war wieder­um gegenüber der Anthroposophischen Gesellschaft diese akademische Jugend nur der schärfste, radikalste Repräsentant desjenigen, was sonst ja auch vorhanden war. Das trat gerade bei der Stuttgarter Versamm­lung sehr kraß zutage.

Man hatte auf der einen Seite die führenden Persönlichkeiten der alten Anthroposophischen Gesellschaft überall, ich möchte sagen, en­gagiert für das, was sich da in festen Formen herausgebildet hatte. Der eine war Waldorflehrer, der andere war Bürochef im «Kommenden Tag». Ja die Leute hatten - das ist durchaus mit vollem Ernste zu nehmen - ungeheuer viel zu tun. Ich möchte sagen, alles, was in der Anthroposophischen Gesellschaft an freiergestellten Persönlichkeiten war, das war eingeflossen in diese Begründungen. Nun, ob mit Recht oder Unrecht, aber das führte auch in der Anthroposophischen Gesell­schaft einen gewissen, sagen wir, Bürokratismus, Schematismüs herbei. Da war eine unter diesen Gründungen der «Bund für Dreigliederüng des sozialen Organismus». Er hatte zunächst von dem Momente an, als er begründet worden war 1919, ein Oberhaupt, und ich war genötigt, nach einiger Zeit, nachdem ich mit diesem Bund gearbeitet hatte, zu sagen: Das geht nicht weiter, da mache ich nicht mehr mit. - Und, wie ich mich in Stuttgart ausdrückte in diesen Tagen, ich mußte mit den

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Ellenbogen dreinschlagen und einfach eines Tages sagen: Das geht nicht, da mache ich nicht mehr mit.

Nun kam ein anderes Haupt, ein ausgezeichneter Mensch. Ich kam damals mehrere Wochen nicht nach Stuttgart, kam dann wieder hin, hatte also mich darüber zu informieren, was geschehen war. Man wollte disponieren über weiteres. Da würde eine Sitzung gehalten, ich würde informiert über das, was geschehen war. Man teilte mir mit: Ja, wir sind jetzt so weit mit dem Anlegen einer Kartothek. Da haben wir klei­nere Zettel, auf die schreiben wir die kleineren Zeitungsaüsschnitte, da kommt der Inhalt ungefähr rechts unten, und das wird dann in Stel­lagen gelegt. Dann gibt es größere Zettel, mit etwas dickerem Papier; da stehen dann die größeren Journalartikel. Dann wiederum gibt es Zettel von einem andern Format, dahin kommen die eingelaufenen Briefe. - Und so ging es fort. Viele Stunden würde diese Anlegung der Kartothek geschildert, und geschildert, wie seit vielen Wochen mit un­geheurer Opferwilligkeit und Hingabe gearbeitet wurde, um diese Kar­tothek anzulegen, und was da alles drinnen ist, wie da alles in absolü­tester Ordnung da drinnen ist. Nun hatte ich vor mir im Geiste das Bild dieser Kartothek, in allen möglichen Formaten die Zettel, alles in wunderbarster Weise registriert, was in der Anthroposophischen Gesell­schaft geschehen war, was von den Gegnern aus geschehen war. Alles wunderbar registriert! Die Haufen dieser Zettel, die da übereinander-lagen, müßten ungeheuer groß sein. Und die Menschen, die dasaßen, die verschwanden ganz zu Gespenstern; sie waren gar nicht mehr da, nur eine Kartothek war da. Alles war registriert.

Ich sagte: Ja, meine lieben Freunde, habt Ihr auch zu dieser Karto­thek Köpfe? Mich interessiert ja die ganze Kartothek nicht, sondern nur, was in Ihren Köpfen drinnen ist. - Nicht wahr, ich will das gar nicht tadeln, ich will es nur erzählen, denn diejenigen, die das gemacht hatten, seufzten unter ihrer ungeheuren Arbeitslast. Aber auf der andern Seite, bedenken Sie doch nur wiederum, wenn da die herzbegei­sterte Jugend mit den umfassendsten Zukünftsidealen hereinkam und man erzählte ihr von einer Kartothek! Ich sage gar nicht, daß die Kar­tothek unnötig ist, ich sage auch nicht, daß sie schlecht war, ich sage, sie war ausgezeichnet, war auch außerordentlich notwendig; aber so

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geht es doch nicht. Es brauchte Herzen, die den Herzen entgegenkamen. Daraus nun ergaben sich eben allerlei Unmöglichkeiten. Diese Un­möglichkeiten und vieles andere, die führten zuletzt das herbei, daß eben daran gedacht werden mußte: Die Anthroposophische Gesell­schaft braucht eine Reorganisation. Sie braucht die Möglichkeit, daß in ihr menschliche Individualitäten ganz in ihrer Eigenart und mit der Möglichkeit, sich ganz auszuleben, wirklich darinnen wirkten und auch eine Atmosphäre fänden, in der sie, sich fortbildend, atmen könnten. Es waren also ganz fundamentale Probleme, die da an die Anthropo­sophische Gesellschaft herantraten. Es war eine Revision aller ihrer Lebensbedingungen notwendig. Und daß sie in ganz eminentem Sinne solche Lebensbedingungen hat, das geht ja einfach daraus hervor, daß eben die Jugend herankam mit dem innerlich strotzenden Leben. Aber die Gegensätze wurden immer größer.

Nun waren aber natürlich auch unter den Alteren solche Leute, die sich nie bekümmert hatten um die Kartotheken - die Kartothek ist hier nur der Repräsentant für ein ganzes System -, die also zwar vielleicht sehr alt waren, aber sich nicht um das, was schon einmal eine Notwen­digkeit geworden war, bekümmern wollten. Es waren durchaus solche Mitglieder, die vielleicht schon 1902 oder 1903 Mitglieder geworden waren, die aber, wenn sie auch sonst vielleicht sich von der Jugend viel­fach unterschieden, auch nicht näher herangekommen waren an das­jenige, was, ich möchte sagen, die Historie der Anthroposophischen Gesellschaft ist.

Das war wirklich etwas außerordentlich Schwieriges, was da zu­nächst in den vorbereitenden Verhandlungen einem vor die Seele trat. Es konnte einen mit ganz unermeßlich großen Sorgen beladen. Nun, zunächst brauchen wir ja über die Verhandlungen nicht zu reden. Die Tagung der Delegierten, zu der aufgefordert worden war - diese Auf­forderung war das Ergebnis der Verhandlungen -, fand also am letzten Sonntag in Stuttgart statt. Zunächst handelte es sich darum, daß jenes provisorische Führerkomitee, das sich aus allerlei Erwägungen aus dem alten Zentralvorstand heraus gebildet hatte, daß also das Neuner­komitee von sich aus über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Anthroposophischen Gesellschaft sprechen sollte, daß dann die

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ganze Gesellschaft innerhalb Deutschlands und Österreichs zu Worte kommen sollte durch ihre Delegierten. Nun rollte also die Sache ab. Da ich Ihnen ja nur eine kurze Skizze geben möchte von dem, was schließlich zu dem Ergebnis geführt hat, will ich nicht davon sprechen, daß es also wirklich «hagelte» von Geschäftsordnungsanträgen. Kaum war irgendein Geschäftsordnüngsantrag erledigt und man fing wieder­um an, sachlich zu sprechen, flugs flogen wiederum zwei, drei Ge­schäftsordnungsanträge auf den Präsidententisch. Es hagelte nur so; da kam man gar nicht zu Ende mit dem Besprechen dieser Geschäfts­ordnungsanträge. Aber davon will ich nicht sprechen. Ich will darauf hinweisen, daß wirklich Ausgezeichnetes geredet worden ist, wirklich Eindringliches, tief Anthroposophisches ist gesprochen worden. Wun­derbare, herzhafte, tiefgründige Worte hat Albert Steffen gesprochen. In genialer Weise hat Werbeck die Kategorien der Gegner und ihre Be­ziehung zur anthroposophischen Bewegung und zur ganzen Zivilisation geschildert. Lebendig ist von Dr. Büchenbacher geschildert worden, wie so jemand, der 1917 oder 1918 oder 1919 oder 1920 oder 1923 in die Gesellschaft eingetreten ist, gefühlt hat, nach dem, was da ihm ent­gegengebracht worden ist. Daß nicht alles gut war, und wie manches war, was dazwischen lag - nun, Sie wissen ja, darüber schweigt viel­leicht besser des Sängers Höflichkeit. Aber es rollte also Ausgezeich­netes, Großartiges, neben, ich will sagen anderem ab. Und trotz alle­dem verging Sonntag, Montag, Dienstag, und man war am Dienstag­abend so weit, daß man sagen konnte: Wenn das morgen - und morgen war der letzte Tag - so fortgeht, dann gehen die Delegierten wieder auseinander, wie sie zusammengetreten sind. Denn es war eigentlich nichts von dem zum Vorschein gekommen - natürlich vieles Anthropo­sophische, denn es war Ausgezeichnetes gesprochen worden -, was im Saale in den Menschen lebte, in den zahlreichen Menschen, die anwesend waren. Es waren doch alles Menschen, aber - nicht daß die Reden nicht von Wirklichem gehandelt hätten, die haben alle von Wirklichem ge­handelt -, aber es lebte nicht Realität in der Verhandlung, es lebte nicht Wirklichkeit, es lebte Abstraktion. Also es war ein Schulbeispiel von einem abstrakten Leben. Und es war ein wirkliches Chaos am Dienstag­abend. Man redete ganz aneinander vorbei.

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Nun konnte ich da nicht anders, als mich entschließen, im Anschlüsse an den Vortrag, den ich am Dienstag zu halten hatte, selbst eine Art von Vorschlag zu machen aus dem, was da im Saale war - und es saß ja in gewissem Sinne die ganze deutsche und österreichische Anthropo­sophische Gesellschaft da -, aber nun mußte man aus dem, was da als Wirklichkeit saß, etwas herausbekommen, was die Kräfte zusammen-faßte. Ich hatte gerade am Dienstag über das Gemeinschaftsleben zu sprechen, denn das hatte sich als eine Notwendigkeit ergeben aus vie­lem, was gesagt worden war. Ich machte dann einen Vorschlag, ich sagte: Man sehe ja, daß man hier aneinander vorbeiredet, daß dasjenige, was man redet, nicht dazu führt, daß nun die Wirklichkeit wirklich herauskommt an die Oberfläche. Wenn man von allem übrigen absieht, so hat man hier zwei Typen von Empfindungsweisen, Anschauungs­weisen, Meinungen. Der eine ist die alte Anthroposophische Gesell­schaft mit dem Komitee, das sich herausgebildet hat, der andere besteht aus Leuten, die im Grunde genommen alle gar kein Interesse an dem haben, was vertreten wird innerhalb des Verhältnisses zwischen diesem Komitee und der Anthroposophischen Gesellschaft - so will ich es ge­nauer ausdrücken. Lauter Leute, die nicht das geringste Interesse an dem hatten, was das Komitee zum Beispiel zu sagen hatte, die aber aus­gezeichnete Anthroposophen waren. Man kann sich eigentlich nichts Schöneres denken als das, was gerade bei dieser Stuttgarter Verhand­lung aus der Jugend herausgekommen ist: Ein wunderbar, energisch Schönes. Großartig lebte sich die Seele der Jugend dar, mit einem stür­mischen Drang, in das anthroposophische Leben hineinzukommen -aber auch nichts von Interesse für das, was sich nun da in der Anthro­posophischen Gesellschaft als Gesellschaft zeigte, was sich da geltend machte.

An solch eine Erscheinung muß man glauben. Man muß sehen ler­nen eine solche Erscheinung. Man muß nicht blind sein. Man muß sich nicht die Augen verbinden vor dem, was real ist. Und so konnte ich nichts anderes sagen, als: Da diese zwei Typen von Menschen hier vereint sind, ist ja jedes Reden über Verständigung, im abstrakten Sinne, unwahr. Die alte Anthroposophische Gesellschaft kann nicht anders sein, als sie ist; die andern können auch nicht anders sein,

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als sie sind. Daher wird die Anthroposophische Gesellschaft als Gan­zes am besten weiterbestehen, wenn jeder seinen Weg geht: auf der einen Seite die alte Aristokratie - nein, also die Mitglieder der älteren Anthroposophischen Gesellschaft mit der Historie auf den Schultern und Rücken; auf der andern Seite die anstürmenden alten und jungen Leute. Nun gibt es einen alten Entwurf einer Verfassung der An­throposophischen Gesellschaft. Was da drinnen steht, kann man beiden Parteien empfehlen! Jede kann wörtlich das ausführen, was da drinnen steht, aber jede wird etwas ganz anderes dabei heraus­bekommen. So ist es eben im Leben. In der Theorie ist es anders, aber so ist es im Leben.

Und so schlug ich vor: Die alte Anthroposophische Gesellschaft bleibt mit ihrem Neunerkomitee. Das charakterisierte ich so, daß ich sagte: Es sind darinnen die prominenten Persönlichkeiten von Stutt­gart, die ausgezeichnet ihre einzelnen Unternehmungen leiten, furcht­bar viel Arbeit leisten, eigentlich sogar in den Verhandlungen am Sonn­tag, Montag, Dienstag, Mittwoch als wesentliches Charakteristikon zeigten, daß sie von den vorhergehenden Anstrengungen müde Leute waren. Ich sagte: Wenn ich nach Stuttgart komme und irgend etwas soll gemacht werden - so war es, sagte ich, in den letzten Jahren -, brauche ich nur auf einen Knopf zu drücken. Ein feines Verständnis haben diese führenden Persönlichkeiten in Stuttgart, sie verstehen gleich alles, man braucht nicht viel zu reden. Würde man über alles furchtbar viel reden müssen, man könnte ja nicht die Zeit aufbringen; aber sie verstehen gleich alles. Es ist ihnen absolut alles klar, man braucht nur etwas anzuschlagen. Aber sie tun es meistens nicht. Dann sind die andern, das ist die andere Partei: voller anthroposophischer Seelen­haftigkeit, ganz bei der Anthroposophie dabei. Ich kann auch zu den führenden Persönlichkeiten dieser Partei sprechen: Sie verstehen zu­nächst nichts von dem, was ich sage, aber sie tun gleich alles. Ja da ist ein großer Unterschied, da ist ein gewaltiger Unterschied: die einen verstehen furchtbar leicht und tun nichts; die andern verstehen zu­nächst nichts, versprechen nur, alles zu verstehen, haben innere Kraft, Gefühl, Empfindung; aber sie tun gleich alles. Es wird alles getan, was nicht verstanden ist.

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Ja, da muß man zwei besonders geartete Zweige der Gesellschaft machen, wenn diese Gesellschaft eine Einheit bleiben soll; da darf die eine Partei die andere niemals beirren. Da ist die Partei, wie soll ich es nennen, nun, Ausdrücke muß man haben, Sie wissen, es handelt sich um nichts anderes als um eine Terminologie: die Partei der Gebunden­heit, der Tradition, der festumrissenen - es muß ja nicht immer ein physischer Zettelkatalog sein - Glieder der Kartothek, auf den kuruli­schen Stühlen. Man ist da etwas: Präsident, Vizepräsident und so wei­ter und man verwaltet die Gesellschaft. Man sitzt da und man geht so mit Systematik vor. Dort drüben sieht mich eben ein Herr an, der mich unterrichten konnte in den letzten Tagen, bevor ich abgereist bin, wozu manchmal solche Systematik führt. Da wurde herausgeschickt zum Beispiel eine Gutschrift für 21 Mark, glaube ich; der Brief mußte re­kommandiert werden mit 150 Mark! Das ist alles ganz in der Ordnung, wenn man heute ins Ausland einen Brief schickt, kostet er 150 Mark. Wenn man also jemand schreiben will: Wir haben dir in die richtige Rubrik unseres Kassabuches diese 21 Mark eingeschrieben -, so gibt man dafür 150 Mark aus, um die Sache richtig hineinzufügen. So geht es eben heute, wenn sich die Sachen nach A, B, C gliedern. Also da ist die Partei der Gebundenheit, die alte Anthroposophische Gesellschaft. Man kann in ihr ein gutes Mitglied sein. Dann ist die freie Vereinigung von Leuten, die auf all das nichts geben, die ganz nur aus dem Mensch­lichen heraus eine lose Vereinigung haben wollen. Diese zwei Strömun­gen, die sollen jetzt da sein.

Ich habe das zunächst rein fadengezeichnet, also angedeutet. Es ist gleich eine Rede geredet worden am selben Abend, daß es ja das Furcht­barste sei, wenn dies nun geschehen müßte, denn die Gesellschaft würde in zwei Teile gespalten werden und so weiter. Aber so war eben die Wirklichkeit! Wenn man irgend etwas tun wollte, nicht nach dem, was sich die Leute dachten - denn das, was der Mensch denkt, ist ja in der Regel nicht so bedeutend als das, was er ist -, sondern nach dem, was da war, dann mußte man das eben so machen. Das war der Ausdruck für das Wirkliche, was da war. Wie gesagt, es wurde gleich eine Rede darüber gehalten, was für eine schreckliche Konsequenz es wäre, wenn das notwendig würde und so fort.

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Auch äußerlich, räumlich-physisch hatte sich ein Chaos ergeben, überall gab es Gruppen, man kam nirgends durch, überall wurde man aufgehalten, überall sollte gesagt werden, wie das oder jenes gemeint war. Es war das innere Chaos nun auch ein äußeres Chaos an jenem Dienstag, als man nach elf Uhr dasVersammlungslokal verlassen wollte. Ich kam dann nach Hause, man war wirklich etwas müde. Da, um zwölf Uhr holte man mich. Ich war noch nicht ganz zum Antritt des Schlafens bereit, noch nicht ganz, aber man holte mich: Unten in der Landhausstraße wäre eine Versammlung. Ich wurde noch auf dem Wege von der zweiten Etage nach der ersten Etage aufgehalten in einer Zwischenversammlung, dann kam ich so ungefähr um dreiviertel ein Uhr in der Nacht in diese Versammlung. Da ergab sich aber sofort:

die Sache war doch verstanden, war ganz richtig verstanden worden. Man konnte sich über die Details wirklich sehr gut unterhalten; es war klar geworden, daß da etwas werden könnte, wenn man es in dieser Weise machte.

Da waren Zweifel geäußert worden - es ist ja natürlich, daß sich solche Zweifel äußerten -, da ist zum Beispiel gesagt worden: Ja, aber es gibt doch Persönlichkeiten, die sympathisieren mit der Jugend, die möchten alles dasjenige, was zum Beispiel die Jugend will, aber auf der andern Seite sind sie doch historisch in die alte Gesellschaft hinein­gestellt. Sie haben sogar ihre Posten in der alten gebundenen Gesell­schaft, da wollen sie doch weiter arbeiten.

Ich sagte: Das löst sich sehr leicht. Da braucht man nur dafür zu sorgen, wenn sie in beide Zweige eintreten, daß sie nur einmal den Mit­gliedsbeitrag bezahlen. Es ist nur ein technischer Modus zu finden. Es kann sich ja gar nicht handeln darum, daß man deswegen, weil man in dem einen ist, bei dem andern ausgeschlossen ist. Es muß nur die Mög­lichkeit vorhanden sein, daß die Realitäten zum Vorschein kommen. -Ich sagte, auch in den Institutionen ist durchaus die Möglichkeit vor­handen, daß beiden Richtungen Rechnung getragen wird. Ich kann mir zum Beispiel die Möglichkeit vorstellen: Da ist ein Waldorflehrer, der neigt zu der losen Vereinigung, dann ist er dort; der andere neigt zu der Gruppe der Gebundenen, der tritt also dort ein. In der Waldorf­schule wirken sie selbstverständlich harmonisch zusammen.

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Gestern trat noch der Zweifel auf, wie es nun in dem oder jenem Zweige ist. Ich sagte: Warum sollen nicht im Zweige auch nebeneinan­der sitzen die Gebundenen und Nichtgebundenen? Aber da muß die Möglichkeit sein des Auslebens der inneren Realität, die überall vor­handen ist. Wenn etwas aus der Realität heraus gedacht ist, so läßt es sich ja überall durchführen, und es wird dadurch erst die Einheit ge­bildet. Es hat sogar nur bis ein Viertel nach zwei Uhr gedauert am Mor­gen, da war es nun der Jugend wesentlich klar geworden - aber es waren weißhaarige Jünglinge auch da, die schon eine ganze Anzahl von Dezennien hinter sich hatten -, da war es dann dieser Jugend in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch klar geworden: die Sache geht.

Nun wurde der Mittwoch gewidmet der Auseinandersetzung über diese Intentionen. Und so hat sich dann am Mittwochabend - ich will das jetzt resümieren, will dann noch einiges ergänzen zu dem, was ich als Bericht gebe - herausgebildet eine Realisierung dieser Idee. Da ist nun die alte Anthroposophische Gesellschaft mit dem Neunerkomitee, das ich Ihnen ja schon neulich angeführt habe, und da ist die andere, die losere, die freiere Anthroposophische Gesellschaft, die vorzugs­weise darauf hinstrebt, Anthroposophie vor die Welt zu tragen, die danach strebt, das innerlich menschliche Leben zu vertiefen. Ich werde Ihnen morgen und übermorgen die wesentlichsten Inhalte meiner bei­den Vorträge, die ich in Stuttgart gehalten habe, wiedergeben; die hängen innig zusammen mit dem Leben in der Anthroposophischen Gesellschaft; denn der erste Vortrag handelte über die Bedingungen der Gemeinschaftsbildung, und der zweite Vortrag handelte über die Gründe, warum in Gesellschaften, die für die Brüderlichkeit begründet werden, so viel gestritten wird.

Für diese freiere Vereinigung hat sich dann zunächst ein Komitee gebildet - nicht wahr, da bedeutet der Name natürlich die Freiheit -aus Herrn Lehrs, Fräulein Dr. Rösch/, Herrn Maikowski, Dr. Büchen­hacher, Herrn Rath, Herrn von Grone, dem Rektor Bartsch aus Breslau und Herrn Schröder. Sie sehen, es sind nicht alle ganz jung, es sind ganz wurdige Leute mit Patriarchenbärten dabei. Also es ist nicht etwa bloß jugendlicher Radikalismus da vertreten, aber er wird voll zur Geltung kommen können

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Ja, und so wäre nun die Sache! Es handelt sich nur darum, daß sie in der richtigen Weise gehandhabt wird. Diese losere Vereinigung hat sich dann namentlich auch die Aufgabe gesetzt, engere Gemeinschaften zu bilden, gewissermaßen für die Arbeit der Anthroposophie im Gro­ßen exoterisch zu arbeiten, und esoterisch zu arbeiten im Kleinen für Gemeinschaften, die weniger durch eine schematische Organisation, als durch eine Art inneren Karmas zusammengehalten werden. Also wie gesagt, das waren die beiden Gruppen. Ich werde morgen und übermorgen noch davon sprechen. Das also ist doch notwendig gewor­den! Das Lebendige läßt sich nicht in der alten Form, in der alten Schablone erhalten. Man muß mit den Einrichtungen durchaus einem Lebendigen nachkommen.

Sie wissen, ich habe, als ich von hier nach Stuttgart fortgegangen bin, gesagt: Eigentlich ist das ganze Problem der Anthroposophischen Gesellschaft ein Schneiderproblem. Die Anthroposophie ist eben ge­wachsen und der Anzug, die Anthroposophische Gesellschaft - denn sie ist allmählich zum Anzug geworden - ist zu klein geworden: da geht der Rock nicht einmal bis zu den Ellenbogen und die Beinkleider nicht bis zu den Knien. Nun, ich will das nicht weiter ausführen; die Sache schaute eben grotesk aus, und das wurde bemerkt von denjenigen, die in der letzteren Zeit mit vollem Herzen hereinkamen.

Nun wird es sich darum handeln, ob dieser Versuch, nicht das alte Kleid auseinanderzuziehen, denn da würde es ja reißen, sondern ein neues Kleid, aber mit etwas größerer Zweckmäßigkeit zu machen, ob das eben gelingt. Innerlich hat es durchaus die Fähigkeit, zu gelingen. Es wird sich darum handeln, ob die Menschen die Kräfte finden wer­den, in dieser Weise nun zu arbeiten. Geradeso wie im Leben alles anders möglich ist als in der Theorie, so ist es eben auch hier so: Es han­delt sich wirklich darum, daß etwas Lebensfähiges geschaffen wird. Da haben Sie den Herrn von Grone; er ist Mitglied sowohl des einen Komitees der gebundenen Leute, wie auch des freien Komitees der freien Leute, er ist in beiden Komitees drinnen. Und so wird es am besten gehen, wenn man jeden in seiner Art sein läßt, entweder einen Patriarchen oder einen jugendlich begeisterten Menschen, und wenn einer alles beides zugleich sein will, warum soll einer nicht auch ein

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Geschöpf mit zwei Köpfen sein können? Es ist also durchaus notwen­dig, daß wirklich sich die Kräfte in freier Weise entfalten. Manches geht ja natürlich nicht. Es wurde mir zum Beispiel erzählt, daß in einem der Zweige der Vorsitzende einmal die Überraschung erlebt hat, daß das Wort begehrt worden ist, und während der eine nun eine flammende Rede gehalten hat, hat ein anderer immer dazwischen geredet. Da sagte der Vorsitzende: Ja, aber, liebe Freunde, das geht doch nicht! - Warum soll das nicht gehen? - war die Antwort. Wir wollen doch nach der Freiheitsphilosophie leben, da kann man sich doch nicht die Freiheit einschränken lassen, daß immer nur einer redet! Warum sollen da nicht mehrere zu gleicher Zeit reden? - Nun, nicht wahr, manche Sachen gehen eben nicht, aber manche Sachen werden auch nicht immer gerade verlangt.

Ich meinerseits bin nun vollständig überzeugt, daß es nun wiederum eine Weile gehen wird. Nicht immer; man kann nichts für die Ewigkeit begründen. Wir werden schon in einiger Zeit vor die Notwendigkeit gestellt werden, wiederum das, was anthroposophischer Organismus ist, mit neuen Kleidern zu versehen. Aber dieses Schicksal hat man ja als Mensch auch: man kann nicht immer dieselben Kleider anhaben. Und jede Organisation ist ja schließlich doch für das, was lebt, ein Kleid. Warum sollte man just in einem sozial organischen Gebilde für die Ewigkeit arbeiten wollen! Was leben will, muß sich wandeln, und eigentlich ist nur, was sich wandelt, lebensvoll. Daher müssen wir gerade für das, was im eminentesten Sinne lebensvoll sein soll, für die anthroposophische Bewegung eine Organisation haben, die eben auch lebt. Natürlich können wir uns nicht jeden Tag mit einer Reorganisa­tion befassen, aber alle paar Jahre wird es schon notwendig sein! Sonst werden die Stühle, auf denen die führenden Persönlichkeiten sitzen, eben gerade dadurch zu kurulischen. Wenn auf der einen Seite die be­sondere Spezialität eintritt des Ruhens auf den kurulischen Stühlen, dann juckt es die andern, die nicht darauf sitzen. Und so müssen wir schon die Möglichkeit finden, daß es auch die auf den kurulischen Stühlen juckt! Also wir müssen eben anfangen, die Stühle ein bißchen zu schütteln. Aber wenn man die richtigen Einrichtungen trifft, so kann das alles auf die beste Art von der Welt gehen.

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Meine lieben Freunde, ich wollte Ihnen einen Bericht geben. Es ist mir gar nicht spaßhaft gewesen, aber manches nimmt sich eben so aus, daß man nur mit Worten, die ein bißchen humoristisch klingen, gerade das Reale schildern kann.

NEUNTER VORTRAG Dornach, 3. März 1923

#G257-1965-SE164 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

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NEUNTER VORTRAG

Dornach, 3.März 1923

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Gestern habe ich mich bemüht, Ihnen eine Art Bericht zu geben über dasjenige, was in Stuttgart vorgefallen ist, und ich sagte dann, daß ich im wesentlichen den Inhalt der Vorträge andeuten möchte, die ich dort zu halten hatte. Ich werde also zunächst diesen Inhalt der Vorträge heute hier angeben und werde dann morgen versuchen, noch einiges in Anknüpfung an das gestern Ausgeführte zu sagen.

Der erste Vortrag am Dienstag hat sich ergeben aus einem ganz be­stimmten Bedürfnisse heraus, das sich im Laufe der Ihnen ja, ich möchte sagen, wenigstens stimmungsgemäß geschilderten Diskussion am Sonn­tag, Montag und Dienstag, also aus einem Bedürfnis heraus, das sich aus diesen Diskussionen gebildet hatte, klar gezeigt hat. Es war das Bedürfnis, das Wesen der Gemeinschaftsbildung zu betrachten. Dieses Bilden von Menschengemeinschaften durch die anthroposophische Sache, das ist ja etwas, was in der letzten Zeit innerhalb unserer An­throposophischen Gesellschaft eine große Rolle gespielt hat. Nament­lich die Jugend, aber auch andere Menschen, ältere Menschen kamen in die Anthroposophische Gesellschaft herein mit der ausgesprochenen Sehnsucht, innerhalb dieser Gesellschaft andern Menschen zu begegnen, mit denen zusammen sie gewissermaßen dasjenige finden könnten, was in der heutigen sozialen Ordnung das Leben dem einzelnen nicht geben kann. Es ist damit ja hingewiesen auf eine durchaus begreifliche Sehn­sucht vieler Menschen in unserer Zeit.

Durch das Heraufkommen des Bewußtseinszeitalters liegt ja die Sache so, daß die alten sozialen Bindungen den rein menschlichen Ge­halt und die rein menschliche Kraft verloren haben. Der Mensch wuchs ja immer in eine gewisse Gemeinschaft hinein. Er wuchs nicht zum Le­benseinsiedler heran, sondern er wuchs in eine bestimmte Gemeinschaft hinein. Er wuchs in die Familiengemeinschaft, in die Berufsgemein­schaft, in die Standesgemeinschaft, in der letzten Zeit in dasjenige hin­ein, was man die Klassengemeinschaft nennt und so weiter. Diese Ge­meinschaften haben immer etwas für den Menschen getragen, was er

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als einzelner nicht tragen kann. Eine der stärksten Bindungen von Men­schen im sozialen Leben untereinander hat ja in der neuesten Zeit die Klassengemeinschaft abgegeben.

Es entstanden aus den alten gesellschaftlichen Formationen heraus, aus Standesgemeinschaften, Volksgemeinschaften, sogar aus Rassen­gemeinschaften, die Klassengemeinschaften. Und es ist in der letzten Zeit ja so geworden, daß ein gewisser Zusammenhalt da war in den sogenannten höheren Ständen, denen des Adels, in dem Bürgerstande und dann im Proletarierstande. So entstanden Klassengemeinschaften, die sich hinübererstreckt haben über Volkstümer, sogar über Rassen-eigentümlichkeiten und so weiter. Und vieles von dem, was heute vor­handen ist im ganz internationalen sozialen Leben, ist zurückzuführen auf solche Klassengemeinschaften.

Nun aber ist ja das Zeitalter der Bewußtseinsseele, das ja schon seit dem Beginn des 15.Jahrhunderts sich immer mehr und mehr angekün­digt hat, in der neuesten Zeit mit einer gewissen Vehemenz, mit einer inneren Stärke aus den Menschenseelen heraus zur Offenbarung ge­kommen. Die Menschen fühlen doch: auch innerhalb von Klassen-gemeinschaften können sie nicht mehr zu dem kommen, was sie über das einzelne Individuelle hinaustragen soll. Der Mensch fühlt sich heute auf der einen Seite stark als eine Individualität, und er möchte zurück­weisen dasjenige, was ihm sein individuelles Fühlen, Empfinden, sein individuelles Denken irgendwie beeinträchtigt. Er möchte eine Persön­lichkeit sein. Und das rührt ja aus gewissen elementarischen Unter­gründen her. Es steckt in den Seelen der Menschen, wenn ich mich des Ausdruckes, dessen ich mich auch gestern bedient habe, noch einmal bedienen darf, seit dem Ablauf des Kali Yuga, also seit dem Beginne unseres Jahrhunderts, wenn auch noch so unklar, heute etwas, das sich ausdrückt in den Worten: Ich möchte eine in mir selbst geschlossene Persönlichkeit sein. - Gewiß, viele wissen sich das nicht zu formulieren. Es kündigt sich dann an in allerlei Unzufriedenheiten, in allerlei Halt­losigkeiten des Seelenlebens, aber es ist doch dieses: eine Persönlichkeit, eine geschlossene Persönlichkeit sein zu wollen.

Aber nun kann der Mensch einmal im irdischen Leben nicht ohne die andern Menschen auskommen. Die historischen Bindungen geben

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nicht das her, auch die proletarische Klassengemeinschaft zum Beispiel nicht, was zu gleicher Zeit dem Drang nach Persönlichkeit Rechnung trägt, und auf der andern Seite doch wiederum Menschen an Menschen schließt. Der Mensch möchte sich heute durch das rein Menschliche an das rein Menschliche des andern anschließen. Er möchte gewissermaßen zwar soziale Bindungen haben, aber sie sollen solchen individuellen Charakter tragen, wie etwa persönliche Freundschaften.

Und unendlich vieles, was heute im Leben zwischen Menschen spielt, ist ein Drängen nach solchen Menschengemeinschaften. Dieses Drängen nach solchen Menschengemeinschaften trat besonders stark zutage, als einige jüngere Persönlichkeiten vor einiger Zeit an mich herankamen mit der Tendenz, eine Art Erneuerung des Christentums herbeizu­führen, wobei sie glaubten, daß diese Erneuerung des Christentums nur herbeigeführt werden könne durch das Verlebendigen des Christus-Impulses auf die Art, wie es aus der Anthroposophie heraus möglich ist. Aus dieser Sehnsucht von jüngeren Theologen, die zum Teil eben in der Vollendung ihres theologischen Studiums waren, also vor der Aufgabe standen, den Seelsorgerberuf zu übernehmen, oder die noch in dem theologischen Studium standen, aus dieser Sehnsucht heraus ist dann dasjenige entstanden, was, ich möchte sagen, eingetreten ist als die jüngste Begründung durch unsere Anthroposophische Gesellschaft, die «Bewegung für religiöse Erneuerung».

Nun war natürlich für diese Bewegung für religiöse Erneuerung so mancherlei zu tun. Vor allen Dingen handelte es sich darum, in der Weise, wie das heute sein kann, den Christus-Impuls zu verlebendigen. Dazu war notwendig, ganz ernst zu machen mit dem, was ich ja oft­mals betont habe, daß der Christus nicht nur im Ausgangspunkt der christlichen Entwickelung zu den Menschenseelen gesprochen hat, son­dern daß er wahr gemacht hat dasjenige, was in dem Worte liegt: «Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Erdenzeiten», das heißt, daß er jedesmal gehört werden kann, wenn eine Seele ihn hören will, daß also eine fortwährende Christus-Offenbarung stattfindet. Also von den aufgeschriebenen Evangelienoffenbarungen mußte zu den unmittelbar lebendigen Offenbarungen des Christus-Impulses geschritten werden. Das war ja die eine Seite der Aufgaben für die religiöse Erneuerung.

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Die andere Seite war aber diejenige, die ich sogleich bezeichnen mußte dadurch, daß ich sagte: Aber eine religiöse Erneuerung muß herbeiführen Gemeindebildungen, religiöse Gemeindebildungen. Der Mensch kann seine Erkenntnis als einzelner pflegen, wenn er sie erst durch die Gemeinschaft erhalten hat. Aber jenes unmittelbare, nicht so sehr denkerische als empfindungsgemäße Erleben der geistigen Welt, das als Religiöses bezeichnet werden kann, das Erleben der geistigen Welt als einer göttlichen, das kann nur sich ausleben im Gemeinschaft-bilden. Und so, sagte ich, muß eine Gesundung des religiösen Lebens durch eine gesunde Gemeinschaftsbildung entstehen.

Es wären ja zunächst evangelische theologische Persönlichkeiten, die diese Bewegung für religiöse Erneuerung unternahmen. Sie konnte man darauf hinweisen, wie gerade die evangelischen Bekenntnisse in der neueren Zeit immer mehr und mehr hingeneigt haben zur beson­deren Betonung des Predigthaften und abgekommen waren von dem Kultusartigen. Aber die Predigt atomisiert die Gemeinschaften. Die Predigt, durch die ja die Erkenntnis von der göttlichen Welt durch­dringen soll, fordert die einzelnen Seelen dazu auf, sich ihre eigene Meinung zu bilden, was sich ja ausgedrückt hat dadurch, daß das Credo, das Glaubensbekenntnis am meisten angefochten worden ist in der neueren Zeit, daß gewissermaßen jeder sein eigenes Glaubens­bekenntnis haben wollte. Ein Atomisieren, ein Zersprengen der Ge­meinde und ein Hinlenken des Religiösen auf die einzelne Persönlich­keit ist eingetreten.

Das würde aber nach und nach überhaupt zur Auflösung der sozia­len Ordnung nach dem Seelischen hin führen, wenn nicht die Möglich­keit einer wirklichen Gemeindebildung wieder da wäre. Aber die wirk­liche Gemeindebildung, sagte ich, ist nur in einem Kultus gegeben, der nun wirklich aus den heutigen Offenbarungen der geistigen Welt her- 1 aus gewonnen wird. Und so ist denn jener Kultus auch eingezogen in die Bewegung für religiöse Erneuerung, der innerhalb derselben nun eben da ist. Dieser Kultus berücksichtigt durchaus die historische Ent­wickelung der Menschheit, trägt daher in vielen seiner Einzelheiten und auch in vielem, was in seiner Totalität auftritt, eine Fortführung des Historischen in sich. Aber er trägt überall auch die Einschläge desjenigen,

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was sich erst heute dem übersinnlichen Bewußtsein aus der geistigen Welt offenbaren kann.

Kultus bindet die Menschen, die im Kultus sich vereinigen, aneinan­der. Kultus schafft Gemeinden. Und Dr. Rittelmeyer hat im Verlaufe der Diskussionen ganz mit Recht gesagt: der Anthroposophischen Ge­sellschaft erwächst in der Bewegung für religiöse Erneuerung gerade durch das gemeindebildende Element des Kultus eine gewisse starke, vielleicht die stärkste Gefahr. Auf was hat er damit hingedeutet? Er hat damit auf das hingedeutet, daß ja heute viele Menschen doch, wie ich schon vorhin sagte, an die Anthroposophische Gesellschaft heran­kommen mit der Tendenz, den Anschluß an andere Menschen im Sinne einer solchen freien Gemeinschaftsbildung zu finden, daß mit der reli­giösen Färbung durch den Kultus dieses Gemeinschaftsleben gefunden wird, daß daher diejenigen Menschen, welche diese Sehnsucht nach dem Gemeinschaftsleben haben, sie zunächst befriedigen werden inner­halb der Bewegung für religiöse Erneuerung. Und die Anthroposophi­sche Gesellschaft müßte daher, wenn sie da nicht einer Gefahr ent­gegengehen will, danach trachten, auch ein gemeinschaftsbildendes Element zu pflegen.

Nun, damit war hingewiesen auf etwas,was gerade durch die neueste Phase unserer Anthroposophischen Gesellschaft von einer ganz beson­deren Bedeutung ist. Es war hingewiesen darauf, daß erkannt werden muß von den Anthroposophen das Wesen der Gemeinschaftsbildung. Die Frage muß beantwortet werden: Ist diese Gemeinschaftsbildung, die in der religiösen Erneuerung auftritt, die einzig mögliche in der Gegenwart, oder findet sich auch eine andere Möglichkeit innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft für die Gemeinschaftsbildung? -Diese Frage kann natürlich nur beantwortet werden, wenn man das Wesen der Gemeinschaftsbildung etwas ins Auge faßt. Es ist aber im Menschen der Gegenwart nicht bloß jene Tendenz zur Gemeindebil-dung vorhanden - sie ist stark vorhanden, aber nicht bloß vorhanden -, die durch den Kultus befriedigt werden kann, sondern es ist noch eine andere Art von Sehnsucht nach Gemeinschaftsbildung vorhanden. Und so kann es ganz gut sein, daß diesen zwei Arten von Sehnsucht nach Gemeinschaftsbildung, die in jedem Menschen heute vorhanden sind,

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für jeden einzelnen Menschen Rechnung getragen werden kann, so daß nicht nur in der Bewegung für religiöse Erneuerung ein gemeinschafts­bildendes Element vorhanden ist, sondern auch in der Anthroposophi­schen Gesellschaft.

Man muß natürlich, wenn man über Dinge spricht, diese in Ideen kleiden. Aber dasjenige, was ich nun in Ideen entwickeln werde, ist eigentlich im gefühlsmäßigen Erleben der heutigen Menschheit vor­handen. Man macht sich nur die Dinge dadurch klar, daß man sie in Ideen gibt; aber das, was ich jetzt ausdrücken will, ist etwas durchaus im heutigen Menschen eben gefühlsmäßig Vorhandenes.

Die erste Art der Gemeinschaftsbildung, die, ich möchte sagen, gleich bei unserer Lebensanfängerschaft auf der Erde an uns herantritt, die ja eine selbstverständliche ist, über die gewöhnlich nicht sehr nachgeson­nen und nachempfunden wird, das ist jene Gemeinschaftsbildung, die durch die Sprache gegeben ist.Wir lernen als Kind die Sprache. Und ein besonders stark gemeinschaftsbildendes Element ist ja durch die Mutter­sprache gegeben aus dem Grunde, weil die Muttersprache an das Kind herantritt und vom Kinde aufgenommen wird in der Zeit, in der der Atherleib noch ganz und gar ungeschieden und undifferenziert in der übrigen Organisation darinnensteckt. Dadurch verwächst die Mutter­sprache ganz intensiv mit dem ganzen Wesen des Menschen. Diese Spra­che ist aber etwas,was als ein Gemeinsames über Menschengruppen sich ausbreitet. Die Menschen finden sich zusammen in der gemeinschaft­lichen Sprache. Und wenn Sie sich daran erinnern, was ich ja öfter hier ausgesprochen habe, daß in der Sprache tatsächlich ein Geistiges verkör­pert ist, daß der Sprachgenius nicht bloß die Abstraktion der heutigen Gelehrten, sondern ein wirkliches geistiges Wesen ist, so werden Sie eben empfinden, wie die Gemeinschaft der Sprache darauf beruht, daß diejenigen, die in der gleichen Sprache sich verständigen, in ihrem Kreise, zu dem sie zu sammengekommen sind, die Wirksamkeit des realen Sprach genius fühlen. Sie fühlen sich gewissermaßen unter den Flügeln einer wirklichen geistigen Wesenheit. Und das ist bei aller Ge­meinschaftsbildung der Fall.

Jede Gemeinschaftsbildung läuft darauf hinaus, daß unter denjeni­gen, die sich zur Gemeinschaft zusammenschließen, ein höheres Geistig-Wesenhaftes

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waltet, das gewissermaßen aus geistigen Welten herunter­steigt und die Menschen zusammenbindet. Aber wir können ja, ich möchte sagen singulär, im einzelnen noch anderes finden, was im emi­nentesten Sinne wie ein gemeinschaftsbildendes Element auftreten kann unter einer Anzahl von Menschen. Die gemeinsame Sprache, sie bindet die Menschen, weil, was der eine sagt, in dem andern leben kann, weil also gleichzeitig ein Gemeinsames in mehreren Menschen leben kann. Aber stellen wir uns einmal folgendes vor: Eine Anzahl von Menschen, die gemeinsam ihre Kindheit und erste Schulzeit verlebt haben, finden sich durch irgendwelche Veranlassung - so etwas könnte ja eintreten, ist auch oftmals eingetreten und herbeigeführt worden - nach dreißig Jahren wieder zusammen. Sie kommen dazu, nun als ein kleines Häuf­lein vierzig- bis fünfzigjähriger Menschen, innerhalb dessen jeder ein­zelne die Kindheit mit dem andern in der Schule, in derselben Gegend verlebt hat, von dem zu sprechen, was sie in ihrer Kindheit und Jugend miteinander erlebt haben. Da lebt in ihnen etwas ganz Besonderes auf, etwas, was noch in diesem Augenblicke eine ganz andere Gemeinschaft ist als bloß die durch die Sprache herbeigeführte. Wenn eine Menschen­gruppe, welche die gleiche Sprache spricht, nun während des Bei­sammenseins eben in dem durch die Sprache herbeigeführten Verständ­nis der Seelen sich zusammenfindet, so ist dieses Zusammenfinden doch etwas verhältnismäßig Oberflächliches gegenüber dem andern, das ein­tritt, wenn man tief innen im Seelenzentrum dadurch gepackt wird, daß man in gemeinsamen Erinnerungen lebt. Jedes Wort bekommt sein besonderes Kolorit, seine besondere Färbung dadurch, daß es hinweist auf gemeinsam verlebte Kindheit, gemeinsam verlebte Jugend. Es geht dasjenige, was da für die Augenblicke einer solchen Zusammengehörig­keit Mensch an Mensch bindet, tiefer in das Seelische hinein. Man fühlt sich mit tieferen Organen an dasjenige gebunden, mit dem man da zu­sammen ist.

Und in was ist man zusammen? In Erinnerungen ist man zusammen, in demjenigen, was vor Zeiten gemeinschaftlich erlebt worden ist. In eine Welt fühlt man sich hineinversetzt, die jetzt nicht mehr da ist, in der man gemeinschaftlich gelebt hat mit jenen andern, mit denen man jetzt beisammen ist. Das gilt für irdische Verhältnisse, es soll nur veranschaulichen.

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Aber es veranschaulicht eben gerade das Wesen des Kul­tus, denn, was wird denn angestrebt beim Kultus? Der Kultus, ob er nun durch Worte, ob er durch Handlungen sich offenbart, gibt in der sinnlich-physischen Welt etwas wieder, was in ganz anderem Sinne als dasjenige, was wir in der äußeren natürlichen Umgebung haben, un­mittelbar Abbild der geistigen Welt, der übersinnlichen Welt ist. Gewiß, jede Pflanze, jeder Vorgang in der äußeren Natur ist Abbild eines Gei­stigen, aber nicht so unmittelbar wie dasjenige, was man in einer Kult-zeremonie oder in einem Kultworte, das in der richtigen Weise aus­gesprochen wird, offenbart. Da ist die übersinnliche Welt unmittelbar in Wort oder Handlung hineingelegt. Darin besteht ja der Kultus, daß in der sinnlichen Welt Worte so gesprochen werden, daß die übersinn­liche Welt unmittelbar in ihrer Wesenhaftigkeit anwesend ist, Hand­lungen so vollzogen werden, daß in diesen Handlungen die Kräfte der übersinnlichen Welt anwesend sind. Eine Kultzeremonie ist ja eine solche, wo etwas geschieht, was nicht bloß das bedeutet, was da zele­briert wird, wenn man es äußerlich mit den Augen anschaut, sondern es geht durch die gewöhnlichen physischen Kräfte etwas, was eben geistige Kräfte, übersinnliche Kräfte sind. Ein übersinnliches Geschehen vollzieht sich im sinnlichen Abbilde.

Der Mensch ist also im sinnlichen Sprechen und im sinnlichen Han­deln unmittelbar mit der geistigen Welt vereint. Es ist im richtigen Kultus so, daß die Welt, die gewissermaßen da in das Sinnliche herein­gebracht wird in Wort und Handlung, derjenigen entspricht, aus der wir Menschen aus unserem vorirdischen Leben heruntergezogen sind. Wie sich, wenn drei, vier, fünf Menschen im vierzigsten, fünfzigsten Lebensjahre zusammenkommen, welche die Kindheit zusammen erlebt haben, diese versetzt fühlen in die Welt, in der sie als Kinder zusammen waren, so fühlt sich derjenige, der einen richtigen Kultus mit den andern zusammen mitmacht - er weiß es nicht, es bleibt im Unterbewußten, aber dadurch lebt es sich um so mehr in das Fühlen und Empfinden ein -, versetzt in die Welt, in der sie ja gemeinsam waren, bevor sie auf die Erde heruntergestiegen sind. Denn so wird der Kultus gebildet. Der Kultus wird so gebildet, daß der Mensch im Kultus richtig etwas erlebt, was durchaus Erinnerung ist, Bild von dem ist, was er im vorirdischen

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Dasein, also bevor er zur Erde heruntergestiegen ist, erlebt hat. Und so fühlen diejenigen, die zu einer Kultgemeinde gehören, in einem er­höhten Maße das, was ich vorhin nur zur Verdeutlichung beschrieben habe, wenn man in einem späteren Lebensalter zusammenkommt mit einer Gruppe und Kindheitserinnerungen austauscht: sie fühlen sich versetzt in eine Welt, die sie gemeinsam durchgemacht haben im Über­sinnlichen. Das macht das Bindende in der Kultusgemeinde aus. Das hat immer das Bindende beim Kultus ausgemacht. Und wenn es sich um religiöses Leben handelt, das nicht atomisieren soll, das also nicht in die Predigt das Wesentlichste legen soll, sondern in den Kultus, dann führt der Kultus eben zur wirklichen Gemeinschaftsbildung, zur Ge­meindebildung. Und religiöses Leben kann nicht ohne Gemeindebil-dung bestehen. Daher ist die Gemeinschaft, die auf diese Weise eine Erinnerungsgemeinschaft in bezug auf das Übersinnliche ist, auch eine Sakramentsgemeinschaft.

Nun ist es aber nicht möglich, daß diese Form der Sakramenten-gemeinschaft, also der Kultgemeinschaft, stehenbleibt für den moder­nen Menschen bei dem, was sie ist. Gewiß, für viele wird es heute noch so sein; aber die Kultgemeinschaft selber würde nicht ihren Wert, ihren rechten Wert haben, vor allen Dingen nicht ihr rechtes Ziel erreichen, wenn sie eben eine bloße Erinnerungsgemeinschaft an das übersinnliche Erleben bliebe. Daher ist ja auch immer mehr und mehr das Bedürfnis aufgetreten, hineinzubringen in den Kultus die Predigt. Nur ist bei der Ausbildung dieser Predigt, wie sie hervorgetreten ist in der neueren Zeit in den evangelischen Gemeinschaften, eben das Atomisierende so groß geworden, weil die wirklichen Bedürfnisse der Bewußtseinsseelen­entwickelung im fünften nachatlantischen Zeitraum dabei eben nicht berücksichtigt worden sind. Die Predigt der älteren Kirchen ist durch­aus aufgebaut auf den Bedürfnissen des vierten nachatlantischen Zeit­raums. Die Predigt formt sich in den älteren Bekenntnissen aus der Weltanschauung des Verstandes- oder Gemütszeitalters heraus. Der moderne Mensch versteht das nicht mehr recht. Daher sind die evan­gelischen Bekenntnisse auch übergegangen zu der mehr auf die mensch­liche Meinung, auf die menschliche Bewußtseinserkenntnis gebauten Darstellung. Das ist auf der einen Seite etwas Vollberechtigtes. Auf

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der andern Seite ist wiederum die Form dafür noch gar nicht richtig gefunden. Die Predigt, die innerhalb des Kultus auftaucht, ist ja ein Herausfallen aus dem Kultus, ist ein Hinneigen vom Kultus aus zu der Erkenntnis. Aber wenig wird dem Rechnung getragen in der Form, welche die Predigt angenommen hat in der sich fortentwickelnden Menschheit. Ich brauche Sie nur an eines zu erinnern, so werden Sie das gleich einsehen. Rechnen Sie diejenigen Predigten der neueren Zeit ab, die nicht gebaut sind auf irgendein Bibeltextwort als Thema, so werden Sie sehen, wie wenig bleibt. Überall, bei Sonntagspredigten, bei Predigten für gewisse Anlässe, überall wird ein Bibeltextwort zu­grunde gelegt, weil eben verleugnet wird die unmittelbare lebendige Offenbarung, die in der Gegenwart auch da sein kann. Aber es wird durchaus nur an das Historische angeknüpft. Also es wird zwar die individuelle Predigt gesucht, aber die Bedingung dafür ist nicht ge­funden. Und so strömt eben die Predigt ein in die bloße menschliche Meinung, in die individuelle Meinung. Das aber atomisiert.

Wenn nun die neuerdings begründete Bewegung für religiöse Er­neuerung, da sie ja im wesentlichen auf dem Boden steht, der aus der Anthroposophie kommt, mit der unmittelbar fortgehenden, sich fort-bewegenden Offenbarung rechnet, also mit dem lebendigen Geist-Erleben aus der übersinnlichen Welt heraus, dann führt sie gerade ihre Predigt dazu, einzusehen, daß sie etwas anderes braucht, das nämlich, woraus unmittelbar diese fortdauernde lebendige Erkenntnis der gei­stigen Welt möglich ist. Sie braucht also anthroposophische Geistes­wissenschaft. Ich möchte sagen: die Predigt wird immer das Fenster sein, durch das die Bewegung für religiöse Erneuerung wird aufnehmen müssen dasjenige, was ihr eine fortwährende lebendige Anthroposophi­sche Gesellschaft wird geben müssen. Dazu bedarf es aber, was ich schon Ihnen eben in dem letzten Vortrag drüben im noch bestehenden Goetheanum gesagt habe in bezug auf die religiöse Erneuerung, dazu bedarf es, daß, wenn wachsen soll diese Bewegung für religiöse Er­neuerung, auch in aller Lebendigkeit die Anthroposophische Gesell­schaft daneben sein muß, das heißt das lebendige Leben der Anthropo­sophie durch eine Anzahl von Menschen. Die Bewegung für religiöse Erneuerung würde sich bald das Wasser abgraben, wenn sie nicht eben

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wiederum neben sich hätte eine Anzahl von Menschen - es brauchen nicht gleich wiederum alle Menschen zu sein, aber immer eine Anzahl von Menschen -, in denen lebendig das anthroposophische Erkennen lebt.

Nun kommen aber eben viele Menschen, wie ich Ihnen gesagt habe, zur Anthroposophischen Gesellschaft, und wollen nicht nur die anthro­posophische Erkenntnis in abstracto, sondern sie wollen auch in ihr, eben aus einem Drang der Menschen unseres Bewußtseinszeitalters heraus, Gemeinschaftsbildungen haben. Man könnte nun sagen: die Anthroposophische Gesellschaft könne ja auch einen Kultus pflegen. Gewiß, das könnte sie auch; das gehört aber jetzt auf ein anderes Feld. Ich will jetzt die spezifisch anthroposophische Gemeinschaftsbildung einmal ins Auge fassen. Es gibt eben durchaus noch etwas anderes im heutigen Menschenleben als dasjenige, was beruhen kann in bezug auf die Menschengemeinschaft auf einer gemeinsamen Erinnerung an die vor dem Erdendasein durchlebte übersinnliche Welt. Es gibt das, was heute wiederum gebraucht wird gerade auf die Art und Weise, wie es nur im Bewußtseinszeitalter sein kann. Da ist man genötigt, über etwas zu sprechen, was mit Bezug auf den modernen Menschen von den meisten heute noch ganz übersehen wird. Gewiß, man hat zu allen Zeiten von Idealismus gesprochen, aber heute ist der Idealismus, wenn von ihm gesprochen wird, auch bei den Gutmeinenden zumeist nichts anderes als Phrase, richtige Phrase. Denn es fehlt heute, in jenem Zeit­alter, wo in der ausgebreiteten Zivilisation besonders stark die intellek­tualistischen Kräfte und Elemente aufgetaucht sind, es fehlt das Welt­verständnis des ganzen Menschen. Gewiß, als Sehnsucht ist es insbeson­dere in der heutigen Jugend vorhanden. Aber gerade jene Unbestimmt­heit, mit der es auftritt in der heutigen Jugend, zeigt, daß eben etwas lebt in den heutigen Menschenseelen, was noch nicht klar geworden ist, was noch undifferenziert ist, was nicht unnaiver wird, wenn es diffe­renziert wird.

Bitte beachten Sie nur einmal folgendes: versetzen Sie sich zurück in Zeiten, in denen religiöse Strömungen innerhalb der Menschheit sich ausgebreitet haben. Sie werden sehen, daß in abgelebten, in früheren Zeiten der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit der oder jener

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Verkündigung aus der geistigen Welt von vielen Menschen mit un­geheurem Enthusiasmus begegnet worden ist. Ja, es wäre gar nicht möglich gewesen, daß die heute vorhandenen religiösen Bekenntnisse die Menschen tragen, wenn nicht bei ihrer Verkündigung eine viel stär­kere Affinität der Seelen für etwas, was aus der geistigen Welt ver­kündet worden ist, vorhanden gewesen wäre, als das heute der Fall ist. Man kann sich gar nicht vorstellen, wenn man die heutigen Menschen betrachtet, daß sie von so etwas gefangen werden könnten, wie oftmals in früheren Zeiten die Verkündigung religiöser Wahrheiten war. Gewiß, es finden heute noch Sektenbildungen statt; aber gegenüber dem Feuer, mit denen Menschenseelen früheren Verkündigungen entgegengekom­men sind, haben die heutigen Sektenbildungen etwas Philiströses. Es ist nicht die innere Wärme der Seelen vorhanden für das Aufnehmen von Geistigem. Das hat im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts sogar in rapider Weise abgenommen. Aus der Unbefriedigtheit finden sich heute allerdings noch Menschen, die dem oder jenem zuhören, auch zu einem gewissen Bekenntnis von dem oder jenem kommen; aber jene positive Wärme, die früher da war in den Menschenseelen, und die einzig und allein möglich gemacht hat, daß man um Geistiges sein ganzes Wesen, sein ganzes menschliches Wesen eingesetzt hat, das ist gewichen einer gewissen Kühle, ja Kälte. Und diese Kühle und diese Kälte, die ist ja auch in den Menschenseelen vorhanden, wenn sie heute von Idealen und Idealismus reden. Denn heute ist eigentlich etwas die Hauptsache, was im Grunde noch lange nicht Erfüllung ist, was im Grunde noch lange Erwartung sein wird, aber als Erwartung in ungeheuer vielen Menschen heute schon lebt. Das kann ich Ihnen auf die folgende Weise charakterisieren.

Nehmen Sie die zwei jedem Menschen ja gut bekannten Bewußt­seinszustände, die vorhanden sind: den träumenden Menschen und den Menschen im gewöhnlichen wachen Tagesbewußtsein. Wie ist es beim träumenden Menschen? Beim schlafenden Menschen, der nicht träumt, ist es ja ebenso, denn traumlos schlafen heißt nur, daß die Träume so sehr herabgedämpft sind, daß man sie nicht merkt. Also wie ist es beim träumenden Menschen?

Er lebt in seiner Traumbilderwelt. Er lebt in derselben, indem sie

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oftmals für ihn viel anschaulicher, viel tiefer ins Herz gehend ist - das kann man schon sagen - als dasjenige, was man im Alltag beim wachen Tagesbewußtsein erlebt. Aber man erlebt es isoliert. Man erlebt es als die einzelne menschliche Persönlichkeit. In einem und demselben Zim­mer können zwei Menschen schlafen, sie haben zwei ganz verschiedene Welten in ihrem Traumbewußtsein. Sie erleben diese Welten nicht mit­einander. Jeder erlebt sie für sich; sie können sich höchstens hinterher den Inhalt erzählen.

Wacht der Mensch auf aus dem Traumbewußtsein in das gewöhn­liche Tagesbewußtsein, so nimmt er durch seine Sinne dieselben Dinge wahr, die derjenige, der ihm zunächst steht, auch wahrnimmt. Eine gemeinschaftliche Welt tritt ein. Der Mensch erwacht zu einer gemein­schaftlichen Welt, indem er aus dem Traumbewußtsein in das wache Tagesbewußtsein übergeht. Ja, an was erwacht denn der Mensch aus dem Traumbewußtsein ins wache Tagesbewußtsein? Er erwacht am Licht, am Geräusch, an seiner natürlichen Umgebung - in dieser Be­ziehung machen auch die andern Menschen keine Ausnahme - zum wachen Tagesbewußtsein, zum gewöhnlichen wachen Tagesbewußtsein. Aus dem Traum heraus erwacht man an dem Natürlichen des andern Menschen, an seiner Sprache, an dem, was er einem sagt und so weiter, an der Art und Weise, wie sich seine Gedanken und Empfindungen in die Sprache hineinkleiden. An dem, wodurch der gewöhnliche Mensch, der andere Mensch sich natürlich auslebt, erwacht man. Also man er­wacht an der natürlichen Umgebung zum gewöhnlichen Tagesbewußt­sein. In allen früheren Zeitaltern war es so, daß der Mensch aus dem Traumbewußtsein ins wache Tagesbewußtsein an der natürlichen Um­gebung erwachte. Und dann hatte er an seiner natürlichen Umgebung zugleich das Tor, durch das er, wenn er es tat, in ein Übersinnliches hineindrang.

Mit dem Erwachen der Bewußtseinsseele, mit dem Entfalten der Be­wußtseinsseele ist in dieser Beziehung ein neues Element hereingetreten ins Menschenleben. Da muß es nämlich noch ein zweites Erwachen geben, und dieses zweite Erwachen wird immer mehr und mehr als ein Bedürfnis der Menschheit auftreten: Das ist das Erwachen an Seele und Geist der andern Menschen. Im gewöhnlichen wachen Tagesleben

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erwacht man ja nur an der Natur des andern Menschen; aber an Seele und Geist des andern Menschen will der Mensch erwachen, der selb­ständig, der persönlich durch das BeWußtseinszeitalter geworden ist. Er will an Seele und Geist des andern Menschen erwachen, er will dem andern Menschen entgegentreten so, daß der andere Mensch in seiner eigenen Seele einen solchen Ruck hervorbringt, wie es gegenüber dem Traumleben das äußere Licht, das äußere Geräusch und so weiter her­vorbringt.

Dieses Bedürfnis ist einmal ein ganz elementares seit dem Beginne des 20. Jahrhunderts und wird immer stärker werden. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch wird, trotz allem seinem chaotischen, tumultua­rischen Wesen, das die ganze Zivilisation durchsetzen wird, dieses als Bedürfnis aufzeigen: es wird sich einstellen das Bedürfnis, daß Men­schen an dem andern Menschen in einem höheren Grade werden er­wachen wollen, als man erwachen kann an der bloßen natürlichen Umgebung. Traumleben, es erwacht an der natürlichen Umgebung zum wachen Tagesleben. Waches Tagesleben, es erwacht am andern Men­schen, an Seele und Geist des andern Menschen zu einem höheren Be­wußtsein. Der Mensch muß mehr werden, als er dem Menschen immer war. Er muß ihm zu einem weckenden Wesen werden. Die Menschen müssen sich näherkommen, als sie sich bisher gestanden haben: zu einem weckenden Wesen muß jeder Mensch, der einem andern ent­gegentritt, werden. Dazu haben eben die modernen Menschen, die ins Leben jetzt hereingetreten sind, viel zu viel Karma aufgespeichert, als daß sie nicht ihr Schicksal verbunden fühlen würden, ein jeder mit dem, der ihm im Leben als anderer Mensch entgegentritt. Wenn man in frühere Zeitalter zurückgeht, da waren die Seelen jünger, da haben sie weniger karmische Zusammenhänge gehabt. Jetzt tritt eben die Not­wendigkeit ein, daß man nicht nur durch die Natur erweckt wird, sondern durch die Menschen, die mit einem karmisch verbunden sind und die man suchen will.

Und so gibt es außer jenem Bedürfnis nach Erinnerung an die über­sinnliche Heimat, die durch den Kultus befriedigt werden kann, das andere Bedürfnis, sich erwecken zu lassen zum Geistig-Seelischen durch den andern Menschen. Und der Gefühlsimpuls, der da wirksam sein

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kann, der ist der des neueren Idealismus. Wenn das Ideal aufhört, ein bloßes abstraktes zu sein, wenn es lebendig verwurzelt sein wird wie­derum mit dem menschlich Seelisch-Geistigen, dann wird es eben die Form annehmen: Ich will erwachen an dem andern Menschen. - Das ist schließlich ganz im Unbestimmten das Gefühl, das durch die Jugend heute sich einstellt: Ich will erwachen an dem andern Menschen. Und das ist es, was als besonderes Gemeinschaftsleben in der Anthroposophi­schen Gesellschaft gepflegt werden kann, was sich da auf die natür­lichste Weise von der Welt einstellt. Denn, wenn eine Menschengruppe sich zusammenfindet, um gemeinsam zu erleben dasjenige, was aus der übersinnlichen Welt heraus durch die Anthroposophie geoffenbart wer­den kann, dann ist dieses Erleben in einer Menschengruppe eben etwas anderes als das einsame Erleben. Daß man erwacht an der Seele des andern in dem Momente, wo man zusammen ist, das gibt eine Atmo­sphäre ab, die nicht etwa in die übersinnliche Welt hineinführt so, wie es in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben ist, die aber das Verständnis der Ideen fördert, welche durch anthropo­sophische Geisteswissenschaft von der übersinnlichen Welt gegeben werden.

Finden sich Menschen, die mit Idealismus in einer Menschengruppe zusammenleben, die sich, sei es durch Vorlesen, sei es durch etwas an­deres, dasjenige gegenseitig mitteilen, was Inhalt der Anthroposophie ist, dann ist ein anderes Verständnis da. Durch das gemeinsame Erleben des Übersinnlichen wird eben gerade am intensivsten Menschenseele an Menschenseele erweckt, die Seele erwacht in ein höheres Verständnis hinein, und wenn diese Gesinnung da ist, bildet sich etwas heraus, das bewirkt, daß auf Menschen, die vereinigt sind im gegenseitigen Sich-Mitteilen und im Miteinander-Erleben anthroposophischer Ideen, ein gemeinsames, wirkliches Wesen sich herniedersenkt. Wie in der Sprache der Sprachgenius lebt, in dessen Fittichen gleichsam die Menschen leben, so leben sie unter den Fittichen eines höheren Wesens, wenn sie mit der richtigen idealistischen Gesinnung miteinander erleben die an­throposophischen Ideen. Was tritt denn da ein?

Nun, wenn dies (es wird gezeichnet) das Niveau ist, wodurch über­sinnliche Welt von sinnlicher Welt sich scheidet, so haben wir im Kultus

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die Vorgänge und Wesenhaftigkeiten der höheren Welt (oben); wir haben sie im Kultus, im Kultuswort und in der Kultushandlung auch in die physische Welt herunterprojiziert (unten). Wenn wir einen an­throposophischen Zweig haben, so haben wir dasjenige, was in der physischen Welt in der anthroposophischen Gruppe erlebt wird, durch die Kraft des wirklichen Idealismus, der spirituell wird, hinaufversetzt in die geistige Welt. Durch den Kultus wird das Übersinnliche in Wort und Handlung heruntergeholt in die physische Welt. Durch den anthro­posophischen Zweig werden die Gedanken und Empfindungen der Anthroposophengruppe hinauferhoben in die übersinnliche Welt. Und wenn in der richtigen Gesinnung erlebt wird der anthroposophische Inhalt von einer Menschengruppe, wobei Menschenseele an Menschen-seele erwacht, wird tatsächlich diese Menschenseele erhoben zur Geist-gemeinschaft. Nur handelt es sich darum, daß dieses Bewußtsein wirk­lich vorhanden ist. Wenn dieses Bewußtsein vorhanden ist und solche Gruppen in der Anthroposophischen Gesellschaft auftreten, dann ist in diesem, wenn ich so sagen darf, umgekehrten Kultus, in dem andern Pol des Kultus, etwas Gemeinschaftsbildendes im eminentesten Sinne vorhanden. Man möchte sagen, wenn man bildlich sprechen will: die Kultgemeinde versucht die Engel des Himmels zu veranlassen, her­unterzugehen in den Kultraum, damit sie unter den Menschen seien. Die anthroposophische Gemeinde versucht, die Menschenseelen zu er­heben in die übersinnliche Welt, damit sie unter die Engel kommen. Das ist in beiden das gemeinschaftsbildende Element.

Aber wenn Anthroposophie dem Menschen etwas sein soll, was wirklich in die übersinnliche Welt führt, dann darf sie nicht Theorie, nicht Abstraktion sein. Dann darf man nicht bloß von geistigen Wesen reden, sondern man muß die nächsten, die unmittelbarsten Gelegen­heiten aufsuchen, um mit geistigen Wesen zusammenzusein. Die Arbeit einer anthroposophischen Gruppe besteht nicht bloß darin, daß eine Anzahl von Menschen über anthroposophische Ideen reden, sondern daß sie sich als Menschen so vereinigt fühlen, daß Menschenseele an Menschenseele erwacht und die Menschen hinaufversetzt werden in die geistige Welt, so daß sie wirklich unter geistigen Wesen sind, wenn auch vielleicht ohne Schauen. Auch wenn das in der Anschauung nicht

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da ist, im Erleben kann es da sein. Und das ist dann das Stärkende, das Kräftigende, das aus den Gruppen hervorgehen kann, die mit richtiger Gemeinschaftsbildung eben entstanden sind innerhalb der Anthropo­sophischen Gesellschaft. Es ist eben notwendig, daß das, was in vieler Beziehung doch vorhanden ist in der Anthroposophischen Gesellschaft, allgemeiner werde; und das ist es, was die in den letzten Jahren Ein­tretenden dann nicht gefunden haben. Sie haben eigentlich das gesucht, haben es aber nicht gefunden. Sie haben höchstens gefunden: Ja, wenn du richtiger Anthroposoph sein willst, dann mußt du an den Atherleib und an die Wiederverkörperung glauben und so weiter.

Ich habe es oft betont: Man kann ein Buch wie zum Beispiel meine «Theosophie» auf zweifache Weise lesen. Man kann so lesen, daß man da liest: Der Mensch besteht aus physischem Leib, Atherleib, Astralleib und so weiter, der Mensch hat wiederholte Erdenleben, Karma, das heißt, man nimmt Begriffe auf. Gewiß, das sind andere Begriffe als auf einem andern Felde, aber der geistige Prozeß, der sich abspielt, ist unter Umständen genau derselbe, wie wenn man ein Kochbuch liest. Denn gerade das habe ich ja oft gesagt, es handelt sich um den geistigen Prozeß, nicht um die Aufnahme von Ideen. Es ist ganz einerlei, ob Sie lesen, Sie sollen Butter in eine Pfanne gießen, Mehl hineintun, das durcheinanderrühren, Eier hineinschlagen, oder ob Sie lesen: Es gibt physischen Stoff, ätherische Kräfte, astralische Kräfte, die sind da durcheinandergemischt. Es ist ganz einerlei als Seelenprozeß, ganz einerlei, ob Sie Butter, Fett, Eier, Mehl auf irgendeinem Kochherde zusammengemischt haben, oder ob Sie für die Menschenwesenheit phy­sischen Leib, Atherleib, Astralleib zusammengemischt sich vorstellen. Man kann aber auch die «Theosophie» so lesen, daß man weiß: In ihr sind Begriffe enthalten, die sich zu der gewöhnlichen Begriffswelt des Physischen so verhalten wie die Begriffswelt des Physischen zur Traumwelt. Sie gehören einer Welt an, in die man ebenso aus der ge­wöhnlichen physischen hinein erwachen muß, wie man aus der Traum­welt in die physische Welt erwacht. Es ist die Gesinnung, mit der man liest, die dann das richtige Kolorit den Dingen gibt. Und diese Gesin­nung wird eben für den Menschen der Gegenwart, durch verschiedene Mittel natürlich, lebendig. Die andern, die der Mensch für sich ausmachen

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kann, sind ja alle beschrieben in «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?». Aber für den modernen Menschen ist eben auch noch die Durchgangsphase, ganz abgegrenzt von der Anschauung der höheren Welt, notwendig: daß er erwachen kann an dem Seelisch-Geistigen des andern Menschen zu dem Hineinleben in die geistige Welt, wie er erwacht aus dem Traumleben durch Licht und Geräusch und so weiter in die physische Welt herein.

Dafür muß man sich Verständnis erringen. Es ist notwendig, Ver­ständnis zu erringen für das, was Anthroposophie in der Anthropo­sophischen Gesellschaft sein soll: Ein Geistesweg soll sie sein. Dann findet sich auch die Gemeinschaftsbildung, wenn sie ein Geistesweg ist. Aber es muß wirklich Anthroposophie ins Leben hinein. Das ist ein Be­dürfnis, meine lieben Freunde. Daß es ein Bedürfnis ist, ich kann es Ihnen an einem ganz naheliegenden Beispiel veranschaulichen. Nach­dem wir viele kleinere Versammlungen im kleinsten und im größeren Kreise in Stuttgart hatten, wo viel verhandelt worden ist über das, was man nun tun soll für die Konsolidierung der Anthroposophischen Ge­sellschaft, war ich auch einmal - es war nicht jeneVersammlung,von der ich Ihnen gestern erzählte, die war erst später, sondern früher, es war aber auch in der Nacht - zusammen mit der Jugend. Es war akademi­sche Jugend. Ja da redete man nun auch zunächst darüber, wie man es am besten macht, damit die Gesellschaft die richtige Form bekommt, damit alles richtig getan wird und so weiter. Aber nach einiger Zeit war das Gespräch abgeglitten zu dem Anthroposophischen selber. Man war mitten drinnen, weil die Studenten und Studentinnen das Bedürf­nis hatten, zu fragen: Wie soll man in der Zukunft studieren, wie soll man seine Doktorarbeiten machen und so weiter? - Das konnte man nicht äußerlich beantworten, sondern da mußte man durchaus in die Anthroposophie hineinsegeln. Das heißt, man fing an mit dem Phili­strösen und kam gleich in das Anthroposophische hinein in seiner An­wendung: Wie macht man, wenn man Anthroposoph ist, eine Doktor-dissertation? Wie studiert man, wenn man Anthroposoph ist, Chemie und so weiter? Also es erwies sich die Anthroposophie dadurch als lebensfähig, daß ein Gespräch von selber in sie hineinlief.

Das ist es eben, daß Anthroposophie nicht bloß als Abstraktion da

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sein soll. Man kann natürlich die Sache so einrichten, daß man irgend­wo Menschen zu einer Versammlung zusammenruft, welche zu beraten hat: Wie soll man die Gesellschaft konstituieren und so weiter, und dann setzt man als zweiten Programmpunkt ein Gespräch über An­throposophie. Das ist äußerlich entwickelt. So äußerlich meine ich das nicht, sondern ganz innerlich, daß man eben einfach aus den alltäg­lichsten Bedürfnissen dazu kommt: Man muß die Geschichte anthropo­sophisch einrichten. Gerade daß so etwas sich zeigte, daß man über die Konstitution der Anthroposophischen Gesellschaft sprach und dazu kam - ganz notwendig durch innere organische Entwickelung -, aus­einandersetzen zu müssen, wie sich derjenige die Embryonalentwicke­lung vorzustellen hat, der heute ein wissenschaftlicher Philister ist, und derjenige, der Anthroposoph ist, daran sieht man dieses Lebensimpul­sierende der Anthroposophie. Das muß eben hinein, nicht eine doppelte Buchführung, wo man auf der einen Seite philiströs «Anthroposophi­sche Gesellschaft» und «Bund für freies Geistesleben» und so weiter einrichtet, sondern wo wirklich das Lebendige geschieht, ohne daß man Abstraktling und Theoretiker wird, ohne daß man an den Haaren herbeizieht das Anthroposophische und immer sagt: Im Anthropo­sophischen muß Mensch zu Mensch sich finden und so weiter. - Diese Abstraktionen dürfen natürlich nicht eine Rolle spielen, sondern es muß das konkret Anthroposophische hineinführen in dasjenige, um was es sich handelt. Meistens sagt man dann gar nicht: Das ist anthro­posophisch, oder nicht anthroposophisch, sondern meistens spricht man dann das Wort Anthroposophie gar nicht aus. Das ist auch etwas, was schon notwendig ist, daß man die Sache nicht ins Wortfanatische hin-einbringt.

Sehen Sie, meine lieben Freunde, es war keine Äußerlichkeit: Ich habe zwölf Vorträge gehalten beim letzten Wiener Kongreß über die verschiedensten Themata, und hatte mir zur Aufgabe gestellt, während dieser zwölf Vorträge niemals das Wort «Anthroposophie» auszuspre­chen. Es ist gelungen! Sie werden in den zwölf Vorträgen in Wien im Juni nirgends das Wort «Anthroposophie» oder «anthroposophisch» finden. Es ist gelungen. Man kann ja schließlich auch einen andern Menschen kennenlernen, ohne daß man sich dafür interessiert, ob er

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Müller heißt oder Kommerzienrat oder dergleichen ist; man nimmt ihn einfach so, wie er ist. Wenn man die Anthroposophie nimmt, so wie sie lebendig ist, ohne auf ihren Namen viel zu achten, dann ist es heute sogar am besten.

Nun, ich will über diese Dinge morgen weiter sprechen, und dann auch noch etwas, was einem Berichte ähnlich sein soll, Ihnen vortragen.

ZEHNTER VORTRAG Dornach, 4. März 1923

#G257-1965-SE184 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

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ZEHNTER VORTRAG

Dornach, 4. März 1923

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Ich möchte nun auch über den zweiten der Vorträge, die ich in Stutt­gart gehalten habe, einen Bericht geben, nicht so sehr einen wörtlichen Bericht, als vielmehr die Dinge, die in diesem Vortrage gesprochen worden sind, eben auch hier besprechen, um noch einzelne Bemerkun­gen daran zu knüpfen über die Stuttgarter Versammlung. Bei diesem zweiten Vortrage hat es sich darum gehandelt, die Gründe aufzuzeigen dafür, daß in einer solchen Gesellschaft wie der anthroposophischen, trotzdem es in ihr gerade nicht sein sollte, leicht auch das vorkommt, was in andern ähnlichen Gesellschaften eine wohlbekannte Tatsache für alle diejenigen ist, die mit der Geschichte solcher Gesellschaften bekannt sind, ich meine Gesellschaften, die auf einer gewissen geistigen Weltanschauung beruhen. Sie wissen ja, solche Gesellschaften hat es immer gegeben. Je nach den verschiedenen Zeitaltern der Menschheit waren sie gestaltet. In älteren Zeiten hat man eine andere Art des Be­wußtseins gehabt, um in die geistigen Welten einzudringen, heute hat man wiederum eine andere. Und es handelt sich darum, daß in der Regel diejenigen, die sich zusammengeschlossen haben, um auf Grund­lage einer höheren, übersinnlichen Einsicht eine Wissenschaft zu be­gründen, gewöhnlich, ja eigentlich immer unter ihre Grundsätze auch den aufgenommen haben, Brüderlichkeit unter den Mitgliedern zu ent­falten. Sie wissen aber auch, und das wissen namentlich diejenigen gut, die mit der Geschichte solcher Gesellschaften bekannt sind, daß diese Brüderlichkeit leicht Brüche erfahren hat, ja, daß gerade in solchen auf geistigen Grundlagen errichteten Gesellschaften die stärksten Dishar­monien, ja oft die schlimmsten Unbrüderlichkeiten sich entwickelt haben. Nun ist die Anthroposophische Gesellschaft, wenn Anthropo­sophie richtig erfaßt wird, durchaus geschützt vor solcher Unbrüder­lichkeit. Aber sie wird eben nicht immer richtig erfaßt. Sie kann aber vielleicht richtiger erfaßt werden, als das oftmals geschieht, wenn man sich gerade über die Gründe dieser Unbrüderlichkeit ein wenig klar wird.

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Betrachten wir dazu noch einmal die Dinge, die ich gestern Ihnen vor das Seelenauge geführt habe. Ich habe gesagt: Wir unterscheiden zunächst drei Bewußtseinsstufen, die eine ist die des wachen Tages-lebens, dann haben wir das Traumbewußtsein und endlich den von Träumen nicht durchsetzten Schlaf. Der Mensch erlebt seine Traum­bilder als eine Welt. Er ist auch in dem Augenblick des Träumens durch­aus in der Lage, die Träume für Wirklichkeiten zu halten; für solche Wirklichkeiten hält er sie, wie eigentlich die Erscheinungen, die Tat­sachen der physischen Welt, in der er sich wachend befindet. - Aber es ist doch eben, wie ich schon gestern gesagt habe, ein gewaltiger Unter­schied zwischen den Traumerlebnissen und den Erlebnissen des Alltags vorhanden. Mit den Traumerlebnissen ist der Träumende isoliert. Ein anderer, sagte ich, kann neben ihm schlafen, hat andere Träume, kann also eine ganz andere Welt haben. Beide verständigen sich nicht wäh­rend des Träumens über ihre jeweiligen Welten. Und wenn zehn Men­schen in einem Raume schlafen, so kann jeder seine eigene Welt vor seinem Bewußtsein haben. Das ist schließlich für denjenigen, der gerade geisteswissenschaftlich in die oft ja wunderbare Welt der Träume ein­tauchen kann, gar nicht besonders verwunderlich, denn die Welt, in welcher der Mensch träumend lebt, ist auch eine wirkliche Welt. Nur hängt sie durch ihre Bilder mit denjenigen Dingen zusammen, die den Menschen als einzelne menschliche Persönlichkeit ganz allein angehen. Gewiß kleidet der Traum dasjenige, was in ihm erlebt wird, in die Bil­der der physischen Welt; allein ich habe ja oftmals darauf aufmerksam gemacht: diese Bilder sind die Einkleidungen des Traumes. Die Wirk­lichkeit - und es steckt auch in dem Traum durchaus Wirklichkeit - ist eben doch eigentlich hinter diesen Bildern, für diese Wirklichkeit sind diese Bilder nur der oberflächliche Ausdruck.

Wer in geisteswissenschaftlichem Sinne sich an die Träume heran-macht, um ihre Bedeutung kennenzulernen, der sieht nicht auf die Bil­der, sondern auf die hinter den Bildern ruhende Dramatik des Trau­mes. Dem einen können diese Träume vor Augen stehen, dem andern jene Träume, aber es findet sich zum Beispiel bei beiden Träumenden, sagen wir ein Aufstieg, ein Stehen vor einem Abgrund oder vor irgend­einer Gefahr, eine Lösung. Diese Dramatik, das ist das Wesentliche,

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das sich dann nur in die Bilder kleidet. Und was da als Traumdramatik auftritt, das wurzelt oftmals in lang vergangenen Erdenleben, oder es weist auch hin auf spätere Erdenleben. Dasjenige, was der sich fort­ziehende Schicksalsfaden im menschlichen Leben ist, vielleicht durch viele Erdenleben, das ist es, was in die Träume hineinspielt. Der Mensch hat es im Traume durchaus mit dem zu tun, was sein individueller Kern ist. Er ist ja auch außer dem Leibe mit seinem Ich und mit seinem astra­lischen Leibe; also er ist außer dem Leibe mit seinem Ich, das er von Erdenleben zu Erdenleben trägt, und er ist in seinem astralischen Leib, das heißt in derjenigen Welt, die miterleben kann die ganze Umgebung von Vorgängen und Wesen, in denen wir sind, bevor wir zur Erde her­niedersteigen, und wiederum, wenn wir durch den Tod hindurch­gegangen sind, um in einer übersinnlichen Welt zu leben.

Aber wir sind auch von unserem physischen Leib und von unserem Atherleib im Schlafe isoliert. Die Träume kleiden sich erst in Bilder, wenn der astralische Leib an den Atherleib anstößt oder ihn eben ver­läßt, also beim Aufwachen oder Einschlafen. Aber als Träume sind sie vorhanden, wenn der Mensch auch im gewöhnlichen Bewußtsein keine Ahnung davon hat. Der Mensch träumt vom Abend bis zum Morgen während seines ganzen Schlafens. Da ist er immer beschäftigt mit dem, was eigentlich nur ihn angeht. Wenn der Mensch nun aufwacht, dann ist er in derjenigen Welt, in der er gemeinschaftlich mit seinen Mit­menschen ist. Da können nicht zehn Menschen in einem Zimmer sein und jeder im wesentlichen seine eigene Welt haben, sondern sie alle haben die Innenverhältnisse des Zimmers zu ihrer gemeinsamen Welt. Auf dem physischen Plane erleben zunächst die Menschen, die zusam­men sind, ihre gemeinsame Welt. Und dann habe ich gestern darauf aufmerksam gemacht: es sei schon notwendig, daß eine Art Ruck des Bewußtseins, daß wieder ein Aufwachen stattfinde für diejenigen Wel­ten, aus denen uns dann die wirklichen Erkenntnisse über die Über­sinnlichkeiten kommen, jene Erkenntnisse, welche vom wahren Wesen des Menschen handeln, und die ja gerade in der Anthroposophie zu­gänglich werden sollen. Wir haben also drei Stufen des Bewußtseins.

Nehmen wir aber jetzt den folgenden Fall an: Die Art des Bewußt­seins in Bildern, die der schlafende Mensch mit vollem Rechte entwickelt,

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setzt sich fort in das gewöhnliche alltägliche Bewußtsein, in die physische Welt herein. Diese Fälle kommen vor. Durch krankhafte Vorgänge im menschlichen Organismus stellt der Mensch in der phy­sischen Welt so vor, wie er sonst nur im Traume vorstellt: er lebt in Bildern, die nur ihm angehören. Es ist dies bei abnormen Geisteszustän­den, wie man sie nennt, der Fall. Eigentlich sind es Zustände, die durch irgend etwas Krankhaftes im physischen oder im ätherischen Organis­mus hervorgerufen werden. Da kann sich der Mensch gewissermaßen von dem Erleben der äußeren Welt ausschließen, wie sonst nur im Schlafe. Dafür aber steigen, durch seinen krankhaften Organismus ver­anlaßt, ähnliche Bilder in ihm empor, wie sie sonst nur im Traum vor­kommen. Gewiß, von der, ich möchte sagen, läßlichsten Störung des normalen Seelenlebens des Menschen bis zu den Geisteskrankheiten haben wir ja alle Abstufungen. Aber was tritt dann ein, wenn der Mensch die Traumbewußtseinsverfassung hereinträgt in das gewöhn­liche physische Erdenleben? Dann steht er neben seinem Neben­menschen so, wie eben der Träumende neben seinem Nebenmenschen schläft. Dann isoliert er sich, dann hat er etwas in seinem Bewußtsein, das sein Nebenmensch nicht hat. Und dann tritt bei einem solchen Menschen, ohne daß er schließlich im hohen Maße dafür verantwort­lich ist, ein besonderer Egoismus hervor. Er kennt nur das, was in seiner Seele lebt, er kennt nicht das, was in der Seele des andern lebt. Wir Menschen werden dadurch veranlaßt, miteinander zu leben, daß wir gemeinsame Sinnesempfindungen haben, über die wir uns dann wieder gemeinsame Gedanken machen. Wenn aber jemand das, was Seelen-verfassung im Traume ist, herausbringt in das gewöhnliche Erdenleben, so isoliert er sich zum Egoismus, so geht er neben seinem Neben-menschen hin und behauptet Dinge als wahr, die der andere eben nicht erlebt. Und Sie werden ja selbst schon im Leben erfahren haben, zu welchen Graden von Egoismus das verführt, wenn der Mensch das Traumleben in das gewöhnliche Alltagsleben hereinträgt.

Dieselbe Verirrung aber kann vorkommen, wenn der Mensch sich nun vereinigt mit andern Menschen, sagen wir in irgendeiner Gruppe, 4 um anthroposophische Wahrheiten zu pflegen, und das nicht eintritt, was ich gestern charakterisiert habe: daß in solchen Gruppen die eine

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Seele an der andern erwacht zu einem gewissen höheren, wenn auch nicht Bewußtsein, so doch zu einem gewissen höheren Empfinden, zu einem intensiven höheren Erleben. Dann wird der Grad von Selbst­sucht, den man in der physischen Welt mit Recht hat, hineingetragen in die Auffassung der geistigen Welt. Und geradeso wie jemand, der sein Traumbewußtsein hereinbringt in die physische Welt, ein Egoist wird in der physischen Welt, so wird man zwar in einem andern Grade, aber doch eben ein Egoist für die geistige Welt, in der Auffassung der geistigen Welt, wenn man die ganze Seelenstimmung, Seelenverfassung, die richtig ist für die physische Welt, hineinträgt in die Auffassung der höheren Welten.

Aber so geht es ja vielen Menschen. Sie interessieren sich aus einer gewissen Lebenssensation heraus dafür, daß der Mensch aus physischem Leib, Atherleib, astralischem Leib und Ich besteht, daß er wiederholte Erdenleben hat, daß er ein Karma hat. Sie informieren sich darüber so, wie man sich über irgendeine Wahrheit oder eine Tatsache der phy­sischen Welt informiert. Wir sehen ja, wie das alle Tage gerade heute geschieht in dem Kampfe, den man gegen Anthroposophie führt. Da kommen zum Beispiel die gewöhnlichen Wissenschafter und sagen: An­throposophie soll geprüft werden durch die gewöhnliche Wissenschaft. Das wäre gerade so, als wenn man dasjenige, was in der physischen Welt vor sich geht, prüfen wollte an den Bildern des Traumes. Wie absurd wäre es, wenn jemand sagen würde: Daß hier so und so viele Menschen versammelt sind in diesem Zimmer, daß hier ein anthropo­sophischer Vortrag gehalten wird, das glaube ich erst dann, wenn es mir nachher geträumt hat. - Denken Sie, wie absurd das wäre! Aber ebenso absurd ist es, wenn jemand anthroposophische Wahrheiten hört und sagt, er glaube sie erst dann, wenn es ihm die gewöhnliche Wissen­schaft, die nur auf dem physischen Plane Berechtigung hat, bewiesen hat. Man braucht nur ernsthaftig sachlich auf die Dinge einzugehen, so sind sie ja durchaus durchsichtig. Geradeso wie derjenige ein Egoist wird, der seine traumhaften Vorstellungen hereinträgt in die physische Welt, so wird in einem höheren Grade isoliert, sondert sich von den andern Menschen ab, will nur ganz sein Recht haben, wer nun die ge­wöhnliche Auffassung, die man über alle die Dinge von Mensch zu

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Mensch hat, hineinbewahrt in die Auffassung, die er haben sollte von der höheren Welt. Aber das machen eben schon die Menschen. Die meisten wollen ja sogar schon bei der Anthroposophie etwas Beson­deres. Sie finden in ihrer Lebensauffassung dies oder jenes dort ihrem Gefühl, ihrem Empfinden entsprechend; das hätten sie gerne. Deshalb nehmen sie es als wahr an, und weil ihnen das in der physischen Welt nicht bewiesen wird, möchten sie es gerade von der Anthroposophie bewiesen haben.

Also es wird hineingetragen in die Auffassung der höheren Welten die Bewußtseinsverfassung der gewöhnlichen physischen Welt. Und dadurch entsteht, daß, wenn man auch noch so sehr Brüderlichkeit als Grundsatz hat, man da die Unbrüderlichkeit hineinträgt, geradeso wie sich derjenige, der in der physischen Welt träumt, recht unbrüderlich benehmen kann gegen seinen Nachbarn. Wenn dieser Nachbar ver-nünftig handelt, so kann er vielleicht aus seinen Traumbildern heraus zu ihm sagen: Du bist ein Dummkopf, ich weiß es besser. - So kann der, der aus den Prätentionen der physischen Welt an die Auffassung der höheren Welt herantritt, demjenigen, der sich mit ihm vereinigt hat, wenn er etwas anderes als Auffassung hat, sagen: Du bist ein Dumm­kopf oder ein schlechter Mensch - oder irgend etwas Ähnliches. Es han­delt sich eben durchaus darum, daß man eine andere Seelenverfassung, ein ganz anderes Denken und Empfinden gegenüber der geistigen Welt entwickeln muß. Dann hört auch die Unbrüderlichkeit auf, dann kann man schon Brüderlichkeit entfalten. Sie ist gerade durch das anthropo-sophische Wesen im höchsten Maße gegeben, aber man muß auch dieses anthroposophische Wesen ohne alle Sektiererei und dergleichen Dinge, die eigentlich nur aus der physischen Welt kommen, betrachten.

Wenn man die Gründe kennt, warum so leicht gerade in eine Gesell­schaft, die auf geistigen Untergründen fußt, die Unbrüderlichkeit hin­einkommen kann, so weiß man auch, wie man sie zu vermeiden hat, indem man sich eben wirklich darauf einläßt, seine Seele etwas umzu­stimmen, wenn man sich anschickt, mit andern Menschen zusammen die Erkenntnis von den höheren Welten zu pflegen. Und das ist auch der Grund, warum diejenigen, die sagen: Was ich da gesehen habe, das glaube ich erst dann, wenn es mir nachträglich geträumt hat - und

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welche der Anthroposophie gegenüber nach diesem Grundsatze han­deln, warum diese schon die Sprache, in der die Anthroposophie ge­sprochen wird, anstößig finden. Wie viele Leute sagen, sie können die Sprache, in der die Anthroposophie dargeboten wird, namentlich in meinen Büchern, nicht vertragen! Ja, es handelt sich eben darum, daß nicht nur über anderes, sondern daß auch anders gesprochen werden muß, wenn man Erkenntnisse der übersinnlichen Welten darstellt. Das alles muß durchaus berücksichtigt werden. Wenn man tief durch­drungen ist davon, daß, um Anthroposophie zu verstehen, ein gewisser Ruck notwendig ist aus einer Lebenslage heraus in die andere, dann wird tatsächlich Anthroposophie so fruchtbar werden für das Leben, wie sie eben werden soll. Denn wenn auch Anthroposophie erlebt wer­den muß durch eine ganz andere Seelenverfassung, als es die gewöhn­liche ist, dennoch wird dasjenige, was man aus der Anthroposophie heraus gewinnt für die ganze Formung der Seele, für die Eigenart der Seele, moralisch, religiös, künstlerisch, erkenntnismäßig wiederum in die physische Welt hereinwirken, so wie diese physische Welt in die Traumwelt hereinwirkt. Man muß nur die Stufe der Realitäten in rich­tiger Weise ins Auge fassen.

Im Traume brauchen wir nicht mit andern Menschen in einer be­sonderen Kommunikation, in einer besonderen Beziehung zu stehen, denn im Traume arbeiten wir im Grunde genommen an unserem fort-strömenden Ich. Dasjenige, was wir hinter dem, was sich in Bildern im Traume darstellt, ausführen, das geht auch nur uns an. Im Traume arbeiten wir an unserem Karma. Irgend jemand mag dies oder jenes in den Bildern des Traumes vor sich haben, hinter diesen Bildern arbeitet seine Seele, sein Ich an dem Karma.

Hier in der physischen Welt arbeiten wir an dem, was in dem Menschengeschlechte lebt, das in physischen Leibern verkörpert ist. Wir müssen mit andern Menschen zusammenarbeiten, um an der ge­samtmenschlichen Entwickelung das unsrige zu tun. In der geistigen Welt arbeiten wir mit denjenigen zusammen, die Wesen sind wie wir Menschen, nur daß sie nicht in einem physischen Leibe leben, sondern in geistigen Elementen, in geistigem Substantiellen leben. Es ist eben eine andere Welt, aus der die übersinnlichen Wahrheiten entnommen

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werden, und wir müssen uns jeder dieser Welten anpassen. Das ist der Kern dessen, was ich in so vielen Vorträgen hier aus­gesprochen habe, daß es sich nicht nur darum handelt, die Erkenntnisse der Anthroposophie aufzunehmen wie andere Erkenntnisse, sondern sie mit einer andern Empfindung aufzunehmen, vor allen Dingen mit der Empfindung, daß man durch sie einen solchen Ruck im Leben macht, wie sonst nur durch die Farben, die in das Auge hereinfließen, durch die Töne, die das Ohr hört, gegenüber den selbsterzeugten Bildern der Traumeswelt.

Geradeso wie jemand, der weiß, in einer Eisdecke ist da oder dort eine Steile, durch die er einbrechen kann, wie der durch sein Wissen das Unglück vermeiden kann, so kann derjenige, der die Gefahr kennt, Egoismus auf einer höheren Stufe zu entwickeln gerade gegenüber den geistigen Wahrheiten, wenn man nicht mit der richtigen Seelenverfas­sung an sie herantritt, dasjenige vermeiden, was die Unbrüderlichkeit herbeiführt. Gegenüber geistigen Wahrheiten muß man fortwährend in einem höchsten Sinne dasjenige entwickeln, was im besten Sinne des Wortes als Toleranz bezeichnet werden kann. Toleranz gehört zum Verkehr mit solchen Menschen, die miteinander anthroposophische Geisteswissenschaft treiben wollen. Und wenn man von diesem Ge-sichtspunkte aus auf jene schöne Eigenschaft der menschlichen Toleranz sieht, so wird man zu gleicher Zeit gewahr werden, wie notwendig die Seibsterziehung zur Toleranz gerade in unserer gegenwärtigen Zeit ist. Ist es doch das Eigentümlichste in unserer Zeit, daß überhaupt kein Mensch mehr dem andern ordentlich zuhört! Kann man denn über­haupt noch einen Satz sprechen, ohne daß schon bei den ersten Worten der andere einem seine eigene Meinung sagt, und Meinung gegen Mei­nung stehen bleibt? Das ist ja die heutige Zivilisation im Grunde ge­nommen, daß keiner mehr zuhört, daß jedem nur seine eigene Meinung wert ist, und daß er jeden andern für einen Toren hält, der nicht die Meinung hat, die er selber hat.

Aber, meine lieben Freunde, wenn ein Mensch eine Meinung äußert, und wenn wir sie noch so sehr für töricht halten, sie ist eine mensch­liche Meinung, und sie muß von uns entgegengenommen werden kön­nen, wir müssen sie anhören können. Ich möchte Ihnen etwas recht

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Paradoxes sagen: Wenn man aus der heutigen intellektualistischen Seelenverfassung heraus seine Seele gestimmt hat, dann weiß man immer, was gescheit ist. Jeder einzelne weiß immer, was gescheit ist. Ich sage nicht, daß es nicht gescheit ist, es ist meistens auch gescheit! Aber das geht doch nur bis zu einem gewissen Punkte. Bis zu diesem Punkte hin hält der Gescheite denjenigen, der noch nicht seine Mei­nung hat, eben für einen Dummkopf. Wir finden ja heute dieses Urteil außerordentlich häufig, und zwar für die gewöhnlichen Lebensverhält­nisse mit Recht. Es ist ja manchmal für den Menschen, der sich ein gesundes Urteil über verschiedene Verhältnisse angeeignet hat, schreck­lich, was manche Menschen für Torheiten sagen. Man kann dann den Leuten nicht verübeln, wenn sie die Sache auch töricht finden. Ja, schön, aber das geht nur bis zu einem gewissen Punkte. Man kann dann noch gescheiter werden als gescheit, man kann dann sich noch mehr aneignen. Namentlich kann man die Gescheitheit etwas färben lassen durch übersinnliche Einsichten. Da ist das Merkwürdige, daß dann das Interesse an der Torheit nicht abnimmt, sondern daß es wächst. Wenn man selbst etwas weise geworden ist, hat man es ganz gern - verzeihen Sie, daß ich den harten Ausdruck gebrauche -, wenn einem die Leute Dummheiten sagen. Man findet manchmal die Dummheiten sogar ge­scheiter als das, was die durchschnittsgescheiten Leute sagen, denn hinter den Torheiten steckt manchmal unendlich viel mehr Menschlich­keit als hinter den Durchschnittsgescheitheiten der durchschnittsge­scheiten Menschen. Eigentlich fängt für eine wirklich immer tiefer dringende Einsicht in die Welt ein immer größer werdendes Interesse an für die menschliche Torheit. Denn diese Dinge sind ja für die ver­schiedenen Welten immer verschieden. Ein Mensch, der für einen ge­scheiten Menschen unserer gewöhnlichen physischen Welt ein Tor ist, der kann unter Umständen mit diesen Torheiten die Offenbarung sein für etwas, was Weisheiten in einer ganz andern Welt sind, die nur, ich möchte sagen, gebrochen und karikiert zum Vorschein kommen. Die Welt ist wirklich, wenn ich ein Wort Nietzsches gebrauchen darf, «tiefer als der Tag gedacht».

Solche Dinge müssen unserer Empfindungswelt zugrunde liegen, wenn die Anthroposophische Gesellschaft, das heißt die Vereinigung

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derer, die Anthroposophie treiben, auf eine gesunde Grundlage gebracht werden soll. Dann wird der Mensch gerade dadurch, daß er weiß, man muß sich anders verhalten gegenüber der geistigen Welt als gegenüber der physischen Welt, das Richtige aus dieser geistigen Welt in die phy­sische hereintragen. Er wird in der physischen Welt nicht ein Träumer werden, sondern gerade ein lebenspraktischer Mensch. Und das ist ja notwendig. Es ist wirklich notwendig, daß der Mensch nicht dadurch, daß er Anthroposoph ist, für die gewöhnliche physische Welt unbrauch­bar werde. Das muß immer wieder und wieder betont werden. - Dies wollte ich in meinem zweiten der Stuttgarter Vorträge auseinander­setzen, damit eben von da aus manches Licht fallen könnte auf die Art und Weise, wie sich die einzelnen in der Anthroposophischen Gesell­schaft angelegen sein lassen sollen die Pflege des richtigen anthropo­sophischen Lebens in dieser Gesellschaft. Denn was in dieser Gesell­schaft leben muß, ist durchaus nicht bloß eine Erkenntnissache, es ist eine Herzenssache. Aber inwiefern es eine Herzenssache ist, das muß eben durchschaut werden.

Gewiß, man kann ja finden, daß einen die Lebensverhältnisse nöti­gen, seinen eigenen, einsamen Weg zu gehen. Den kann man auch gehen. Aber in Stuttgart haben wir halt verhandelt über die Lebensbedingun­gen der Anthroposophischen Gesellschaft und so mußten diese eben einmal besprochen werden. Soll die Gesellschaft weiterbestehen, so muß bei denjenigen, die die Gesellschaft bilden wollen, unbedingt ein Interesse für die Lebensbedingungen dieser Gesellschaft vorhanden sein. Dann müssen aber auch diejenigen Dinge interessieren, die mit der täglich immer stärker werdenden Gegnerschaft gegen diese Gesellschaft zusammenhängen. Auch nach dieser Richtung mußte ich in Stuttgart einiges ausführen. Ich sagte, seit dem Jahre 1919 ist manches innerhalb dieser Gesellschaft begründet worden, das an sich gut ist, aber es ist nicht gelungen, die Dinge in der richtigen Weise in die gesamte anthro­posophische Bewegung hineinzustellen, das heißt, sie zur gemeinsamen Sorge der Anthroposophen zu machen. Denen, die heute eintreten, darf kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie gar kein Interesse haben an dem, was ohne sie seit dem Jahre 1919 begründet worden ist, und wenn sie bloß,wie das die Jugend zum Beispiel tut, eigentlich Anthroposophie

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an sich im engeren Sinne suchen. Aber die Gegnerschaft ist eigentlich im wesentlichen entwickelt worden an diesen neuen Begründungen. Gewiß, Gegnerschaft war auch schon früher da, aber man brauchte sich nicht um sie zu kümmern. Nun mußte ich in Anknüpfung an diese Erscheinungen über diese Gegner etwas sagen, was eigentlich gewußt werden sollte in der Anthroposophischen Gesellschaft. Meine lieben Freunde, ich habe Ihnen von den drei Phasen der anthroposophischen Gesellschaft gesprochen und habe darauf aufmerksam gemacht, wie ja doch in der letzten, in der dritten Phase vom Jahre 1916,1917 bis jetzt, in den Vorträgen eine ganze Menge anthroposophische Einsichten in die übersinnliche Welt an Sie herangekommen sind. Ja, das mußte alles herausgearbeitet werden, das erforderte ein wirkliches Forschen in der geistigen Welt. Wer unbefangen hinschaut, wird sehen, wieviel gegen­über Früherem gerade in den letzten Jahren aus der geistigen Welt her-ausgeholt und den Vorträgen einverleibt worden ist.

Nun sind unter den Gegnern ja gewiß unendlich viele, die eigentlich gar nicht wissen, warum sie Gegner sind, die es sind, weil sie eben Mit-läufer mit andern sind, weil sie sich irgendwie für ihre Bequemlichkeit einen blauen Dunst vormachen lassen. Aber es sind immerhin einige führende Menschen unter diesen Gegnern, die ganz gut wissen, um was es sich handelt, die eben einfach ein Interesse daran haben, daß diese Wahrheiten über die geistige Welt, welche einzig und allein die Men­schenwürde wirklich heben könnten, welche wiederum Friede über die Erde bringen werden, nicht ans Tageslicht treten, die diese Wahrheiten ausrotten möchten. Die andern laufen mit, aber einige wenige gibt es, die eben einfach nicht wollen, daß die anthroposophischen Einsichten in die Welt hineinkommen. Diese handeln ganz bewußt mit ihrer Geg­nerschaft und mit der Gegnerschaft, die sie unter ihren Mitläufern anzetteln. Denn, was wollen diese? Sie wollen, wenn ich in diesem Falle von mir sprechen darf, daß ich so viel zu tun habe mit der Abwehr der Gegner, daß ich nicht zum eigentlichen anthroposophischen Forschen mehr kommen kann; denn zum anthroposophischen Forschen gehört eine gewisse Ruhe, eine gewisse innere Betätigung der Seele, die nichts zu tun hat mit dem, was man tun müßte, wenn man alle die zumeist törichten Gegnerschaften abwehren möchte.

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Nun hat Herr Werbeck in seinem wirklich genialen Vortrage, den er in Stuttgart gehalten hat über die Gegnerschaften im allgemeinen, dar­auf aufmerksam gemacht, wie viele Bücher allein auf theologischem Gebiete da sind. Ich glaube, ein Dutzend hat er angeführt oder noch mehr, es sind also so viele, daß wenn man sie alle nur lesen würde, man schon genug damit zu tun hätte. Und denken Sie sich: das alles zu widerlegen! Man würde gar nicht zu einem Forschen kommen. Und das ist nur auf einem Gebiete. Auf andern Gebieten sind zum mindesten ebensoviel oder noch mehr Bücher geschrieben worden. Man wird eben mit gegnerischen Schriften bombardiert, um abgehalten zu werden von der eigentlichen anthroposophischen Tätigkeit. Das ist System, das ist so gewollt. Aber man hat die Möglichkeit, wenn eben auf der andern Seite das Notwendige vorhanden ist, nun doch die Anthroposophie zu pflegen und diese gegnerischen Schriften beiseite zu schieben. Viele kenne ich nicht einmal dem Titel nach, aber diejenigen, die ich habe, stapele ich zumeist auf, denn es ist nicht möglich, zu gleicher Zeit wirk­lich wahre, echte Geistesforschung zu betreiben und sich mit dieser Gegnerschaft selber zu befassen. Nun, dann sagen die Gegner: Er ant­wortet nicht selbst. - Aber was da von den Gegnern vorgebracht wird, kann eben auch von andern beantwortet werden. Und da die Begrün­dungen eben seit 1919 auf die Initiative von andern hin eigentlich ent­standen sind, so ist es notwendig, daß auf diesem Gebiete eben die Ge­sellschaft ihre Verpflichtung übernimmt, daß tatsächlich der Kampf gegen die Gegner gewissermaßen von der Gesellschaft übernommen werde, sonst ist es nicht möglich, die anthroposophische Forschung wirklich aufrechtzuerhalten.

Das wollen ja gerade die Gegner. Am liebsten wäre es ihnen sogar, wenn sie Prozesse machen könnten - dazu zeigen sie überall die Ab­sicht -, denn sie wissen, dadurch würde man genötigt, die ganze Seelen-verfassung und Seelenstimmung auf ein Feld zu bringen, das die eigent­liche anthroposophische Tätigkeit zerstört. Ja, meine lieben Freunde, die Gegner wissen eben zumeist sehr gut, was sie wollen, sie sind gut organisiert. Das ist es aber, was auch in der Anthroposophischen Gesell­schaft gewußt werden muß. Auf diese Dinge muß durchaus die nötige Aufmerksamkeit verwendet werden, dann führt sie schon auch zurTat.

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Ich habe Ihnen berichtet, inwiefern es in Stuttgart dazu gekommen mst, daß wiederum eine Zeitlang die Anthroposophische Gesellschaft wird arbeiten können. Aber es gab da einen Moment, in dem ich eigent­lich hätte sagen müssen: Ich ziehe mich nunmehr, nachdem das vor­gekommen ist, von der Gesellschaft zurück. - Es geht natürlich aus andern Gründen nicht, jetzt, nachdem eben die Gesellschaft das in sich aufgenommen hat, demgegenüber man sich nicht zurückziehen darf. Aber wenn es nur eben auf das angekommen wäre, was sich da in Stutt­gart im Versammlungssaal entwickelt hat in dem einen Momente, dann wäre es vollberechtigt gewesen, demgegenüber zu sagen: Nun muß ich sehen, Anthroposophie auf eine andere Weise vor der Welt zu ver­treten; ich muß mich von der Anthroposophischen Gesellschaft zurück­ziehen. - Dieser Moment war in dem Augenblick gegeben, als das Fol­gende eintrat. Der Neunerausschuß hatte beschlossen, eine Anzahl von Referaten zu halten über die Tätigkeit innerhalb dieses oder jenes Ge­bietes in der Anthroposophischen Gesellschaft. Es sollte ein Referat gehalten werden über die Waldorfschule, über den «Bund für freies Geistesleben», über den «Kommenden Tag», über die Zeitschrift «An­throposophie», über die Zeitschrift «Die Drei» und so weiter, auch Referate über die Gegnerschaften und namentlich die Behandlung der Gegnerschaften.

Nun hat ja Werbeck, der sich mit der Gegnerschaft befaßt hat, wie gesagt, über die Art und Weise, wie man literarisch die Gegnerschaft behandeln kann, einen genialen Vortrag gehalten. Jetzt mußte man aber erst noch auf die konkreten Dinge der Gegnerschaften eingehen. Und was geschah da? Gerade mitten in diesem Referieren über die Gegnerschaften wurde der Antrag gestellt, man wolle die Referate nicht mehr anhören, man wolle weiter diskutieren. Ohne eigentlich irgend etwas zu wissen, was geschehen ist in der Gesellschaft, wollte man weiter diskutieren. Man stellte also den Antrag, die Referate sollen abgesetzt werden, mitten drinnen im Referat über die Gegner! Der Antrag wurde angenommen.

Es stellte sich noch das Groteske heraus: Am Abend vorher hatte Dr. Stein über die Jugendbewegung das Referat zu halten gehabt. Dies war schon sehr spät am Abend. Herr Leinhas, welcher der Vorsitzende

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war, war wirklich in keiner beneidenswerten Lage, denn ich habe Ihnen schon vorgestern gesagt, er wurde förmlich bombardiert mit Geschäfts­ordnungsanträgen, die sich wiederum einkapselten.Wenn ein Geschäfts­ordnungsantrag gestellt war, so lief sofort ein anderer ein, und kein Mensch konnte überhaupt mehr übersehen, wie nun die Debatte geleitet werden sollte. Nun, diejenigen, die zu dieser Delegiertenversammlung gekommen waren, die waren nicht so dauerhaft im Sitzen, wie jene, die sie vorbereitet hatten. In Stuttgart ist man ja schon daran gewöhnt, wir haben schon Sitzungen gehabt, die bis sechs Uhr morgens gedauert haben, nachdem sie nicht viel später als um halb zehn oder zehn Uhr abends angefangen hatten. Aber wie gesagt, die Delegierten waren noch nicht trainiert auf diese Art. Und so war es schon spät geworden, bevor Dr. Stein sein Referat über die Jugendbewegung, über die Wün­sche der Jugend halten sollte, und da war irgendein Irrtum entstanden, so daß man nicht recht wußte: hält er das Referat oder nicht - und da gingen eine Menge fort. Nun hielt er es aber. Und am nächsten Tag, als die wieder kamen, hörten die Leute, er habe das Referat gehalten und sme waren nmcht dabei gewesen. Es wurde nun der Antrag gestellt, er solle das Referat noch einmal halten. Es scheiterte daran, daß er nicht da war. Aber just als Dr. Stein kam, um sein Referat über die Gegner zu halten, da wurde die Sache so, daß sie nun sein Referat nicht nur nicht zweimal, sondern nicht einmal einmal hören wollten; es wurde ein entsprechender Antrag angenommen. Er hat dieses Referat dann später gehalten. Aber an dieses Referat hätte sich noch eine Bespre­chung der konkreten Gegnerschaft schließen müssen. Stein hatte zu meiner Überraschung ja nicht über die konkrete Gegnerschaft gespro­chen, sondern er hat eine Art Metaphysik der anthroposophischen Gegnerschaft entwickelt, wodurch ja eigentlich die Sache nicht so recht anschaulich geworden war. Es war ein sehr geistreiches Referat, aber nicht über die Konkretheit der Gegner, sondern über die Metaphysik der Gegner. Und im Grunde genommen hat sich also dabei gezeigt, daß die ganze Gesellschaft - denn die Delegiertenversammlung repräsen­tierte die ganze Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland -nichts wissen wollte von der Gegnerschaft!

Man kann das natürlich begreifen. Aber heute ist das so notwendig

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für die Erkenntnis der Lebensbedingungen der Anthroposophischen Gesellschaft, daß es eben jemand nicht ernst meint mit der Anthropo­sophischen Gesellschaft, wenn er es ablehnt, die Gegnerschaft kennen­zulernen, wenn dazu die beste Gelegenheit gegeben wird. Und es hängt wirklich von der Art und Weise des Verhaltens der anthroposophischen Mitglieder gegenüber der mit jedem Tage intensiver werdenden Geg­nerschaft alles ab für das Vertreten der Anthroposophie vor der Welt. Also war in diesem Momente für mich eigentlich die Notwendigkeit gegeben, aus der Versammlung heraus zu sagen: Da kann ich nun nicht mehr mitmachen, wenn einen gar nichts mehr interessiert als nur das­jenige, was man immer wieder und wiederum sagen kann mit den all­gemeinen Worten «Menschlichkeit muß auf Menschlichkeit» stoßen, und wie diese allgemeinen Worte eben sind. Sie sind ja auch in Stutt­gart im ausgiebigsten Maße, man kann nicht sagen, diskutiert, sondern eben paraphrasiert worden oder irgend etwas Ähnliches. Aber es geht natürlich nicht, daß man sich heute trennt von etwas, was eben nicht bloß in der Einbildung, sondern in der Realität besteht: daß man sich von dieser Anthroposophischen Gesellschaft trennt! Und so ist es eben notwendig geworden, auch über solche Dinge hinwegzusehen und eben zu versuchen, den Modus zu finden, den ich Ihnen am Samstag geschil­dert habe: daß auf der einen Seite die alte Anthroposophische Gesell­schaft in voller Realität fortlebt, und auf der andern Seite eine lose Vereinigung besteht, die ja auch zu Gemeinschaftsbildungen in dem Sinne führen kann, wie ich sie gestern in ihren Bedingungen geschildert habe, und daß dann eben eine Art Bindeglied geschaffen werde für die Überbrückung des Gegensatzes, der da besteht.

Denn man muß sich gewiß durchaus klar darüber sein, daß Anthro­posophie etwas Ewiges ist. Daher kann sie jeder Mensch in voller Ein­samkeit studieren, dazu hat er auch das Recht; er braucht sich ja gar nicht für die Anthroposophische Gesellschaft zu interessieren. Es könnte ja vorkommen, und bis zum Jahre 1918 war durchaus die Mög­lichkeit gegeben, daß Anthroposophie nur verbreitet wird durch Lite­ratur oder durch Vorträge, die sich an den richten, der sie eben hören will. Die Anthroposophische Gesellschaft bis zum Jahre 1918 war inso­fern ganz richtig ihrem Wesen entsprechend, weil sie jeden Tag aufhören

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konnte, ohne daß die Anthroposophie aufhörte. Diejenigen, die sich außerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft wahrhaft interes­sierten für Anthroposophie, konnten alles geradeso haben, wie sie es durch die Anthroposophische Gesellschaft haben konnten. Durch die Anthroposophische Gesellschaft war nur eine werktätige Zusammen­arbeit und ein Erwachen einer Menschenseele an der andern gegeben. Aber aus demjenigen, was so gepflogen war, hat sich eben durch die Initiative dieser oder jener Persönlichkeiten innerhalb der Anthropo­sophischen Gesellschaft etwas herausentwickelt, was nun bindet, was da ist, was nicht jeden Tag aufgegeben werden kann. Und das muß von der alten Anthroposophischen Gesellschaft fortgepflegt werden. Deshalb kann einem die Art und Weise, wie das alte Komitee katalogi­siert und bürokratisiert und sich überhaupt verhält, noch so unsym­pathisch sein: was es zu besorgen hat, das muß es eben besorgen. Dafür können keine andern eintreten. Es ist ein ganz blinder Glaube, wenn man meint, daß derjenige, der nur im allgemeinen Interesse hat für anthroposophisches LebAlso diese alte Anthroposophische Gesellschaft muß fortbestehen, sie ist ja doch eben durchaus etwas Reales. Daneben aber haben die­jenigen, die einfach Anthroposophie als solche wollen, ihr volles Recht, an die Anthroposophie heranzukommen. Für die ist nun jene lose Ver­einigung geschaffen, von der ich Ihnen gestern gesprochen habe, die ihrerseits ihr Vertrauenskomitee hat, deren Namen ich Ihnen genannt habe. So daß wir diese zwei Vertrauenskomitees haben, und beide Ver­trauenskomitees werden nach und nach engere Komitees bilden, die dann miteinander verhandeln, so daß die Gesellschaft doch eine Ein­heit bildet. Daß auch bei der loseren Vereinigung ein Interesse da sein kann für alles dasjenige, was aus der Anthroposophischen Gesellschaft hervorgeht, das zeigte sich ja darin, daß gleich, und zwar gerade von den Jüngsten aus der Jugendbewegung heraus, aus der akademischen Jugendbewegung heraus der Antrag auf eine Neugründung gestellt worden ist, die also wieder da sein wird und als solche ihre volle Berechtigung

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hat. Es war, ich möchte sagen, sogar eine der allerberech­tigtsten, intimst berechtigten Fragen der anthroposophischen Bewe­gung, Gesellschaft.

Ein Antrag war ja ganz besonders interessant, der da gestellt wor­den ist, der ging aus von den Schülern der obersten Klassen der Wal­dorfschule. Ich habe ihn selber verlesen, weil er mir geschickt worden war. Also die Schüler der obersten Klassen der Waldorfschule stellten ihrerseits einen Antrag, der etwa den folgenden Inhalt hat. Sie sagten:

Wir haben uns jetzt nach den Grundsätzen, die in der Waldorfschule sind, entwickelt. Das nächste Jahr ist nun dasjenige, wo wir zum Abi­turmum kommen sollen. Vielleicht werden wir schon deshalb das Abi­turium nicht machen können, weil uns Schwierigkeiten erwachsen wer­den. Aber jedenfalls, wenn wir nun nach den richtigen Grundsätzen in der Waldorfschule erzogen werden und sollen jetzt an eine gewöhn­liche Hochschule kommen, wie wird es uns denn da ergehen? - Und da haben die Waldorfschüler schon in einer ganz netten Weise diese Hoch­schule charakterisiert und daher den Antrag gestellt, daß man eine freie Hochschule begründen soll, an der man nun studieren kann, wenn man Waldorfschüler gewesen ist.

Es ist ganz gescheit, es ist ganz berechtigt. Der Antrag wurde auch gleich von den Vertretern der akademischen Jugendbewegung auf­genommen, und es ist sogar schon eine - bei der jetzigen Valuta be­deutet es freilich nicht viel -, aber immerhin eine ganz erkleckliche Summe von, ich glaube, 25 Millionen Mark zustande gekommen als Grundkapital für die Begründung einer solchen freien Hochschule. Mit 25 Millionen Mark kann man heute natürlich keine Hochschule begründen, aber wenn sich ein Amerikaner finden würde, um eine sol­che Hochschule zu begründen, mit vielleicht einer Milliarde oder noch mehr, dann könnte man ja anfangen. Anders ginge es ja natürlich nicht, und das würde vielleicht auch noch zu wenig sein, ich kann es jetzt nicht gleich überschlagen. Aber wenn die Möglichkeit dazu gegeben würde, dann wäre erst recht eine Verlegenheit da, eine furchtbare Ver­legenheit, selbst wenn Aussicht vorhanden wäre, daß die Doktor-diplome und die Prüfungen anerkannt würden, nämlich diese: Soll ich nun diese Hochschule besetzen mit der Waldorflehrerschaft? Mit den

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einzelnen Mitgliedern unserer Forschungsinstitute? Das ginge ja allen­falls. Aber dann hätten wir keine Waldorfschule und keine Forschungs­institute. Denn durch die besondere Art, wie die Anthroposophische Gesellschaft sich in den letzten Jahren entfaltet hat, sind ja diejenigen Menschen, die, ich möchte sagen, gut in der Anthroposophischen Ge­sellschaft sein könnten, eher abgehalten worden. Heute ist es schon wirklich ein unglaublich schweres Problem, wenn ein neuer Waldorf­lehrer bei Begründung einer Waldorfschulklasse aUnd daran muß zunächst gearbeitet werden, die Gesellschaft wie­derum zur Geltung zu bringen, denn es sind viele Menschen in derWelt, die prädestiniert sind, Anthroposophie zu dem wichtigsten Inhalt ihres Herzens und ihrer ganzen Seele zu machen. Aber die Anthroposophi­sche Gesellschaft muß das Nötige dazu tun. So daß also, wenn man einer solchen Sache gegenübersteht, es sich sofort klar zeigt: Angefan­gen muß zunächst jetzt werden mit etwas ganz anderem, angefangen muß zunächst werden damit, wirklich Anthroposophie vor die Welt hinzutragen, so daß die Menschheit kennenlernt die Anthroposophie.

Unsere Gegner tragen sie als Karikatur vor die Welt hin. Da wird sehr stark gearbeitet. Überall ist auch das, was in den Zyklen steht, in die Schriften der Gegner hineingeheimnißt. Und jetzt gibt es ja Leih­bibliotheken, wo sie ausgeliehen werden können, die Zyklen und so weiter! Die alte Art, über die Dinge zu denken, ist heute nicht mehr tunlich. Es gibt durchaus Antiquariate, die Einrichtungen haben, daß man gegen ein Entgelt Zyklen ausborgen kann. Die kann jeder lesen, das ist nun schon so. Man kennt ja auch gar nicht die Bedingungen unseres gegenwärtigen sozialen Lebens, wenn man glaubt, daß man ewig solche Dinge sekretieren kann. Das kann man eben in der Gegen­wart nicht mehr. In dieser Beziehung ist unser Zeitalter tatsächlich auch geistig demokratisch geworden. Das muß wieder verstanden werden,

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daß Anthroposophie eben vor die Welt hingetragen werden soll. Das lebt nun tatsächlich in dieser losen Vereinigung.

Die Menschen, die sich dort zusammengefunden haben, haben von vornherein das Bestreben, die Anthroposophie in der breitesten Weise vor die Welt hinzutragen. Ich weiß ganz gut, daß dadurch wiederum allerlei neue Kanäle geschaffen werden, um das, was man glaubt, in der Gesellschaft halten zu können, eben aus der Gesellschaft hinauszu­liefern. Aber man muß sich den Notwendigkeiten der Zeit fügen. Und man muß als Anthroposoph ein aufmerksames Seelenauge haben kön­nen auf das, was die Zeit fordert. Deshalb ist es so, daß Anthroposophie gerade jetzt so angesehen werden muß, daß sie Lebensinhalt werden kann, wie ich das ja auch gestern angedeutet habe.

Nun, meine lieben Freunde, wie gesagt, es ist der Versuch gemacht worden, mit diesen zwei Strömungen in der Anthroposophischen Ge­sellschaft in einer loseren Bindung zueinander zu stehen, und ich hoffe, daß damit wiederum, wenn es richtig verstanden wird, wenn es richtig gehandhabt wird, sich eine Zeitlang leben läßt, wahrscheinlich eine gar nicht sehr lange Zeit, darüber gebe ich mich keinen Illusionen hin. Dann wird ja natürlich wieder etwas anderes gemacht werden müssen.

Aber ich habe ja damals gesagt, als ich nach Stuttgart reiste zu dieser Generalversammlung der Deutschen Anthroposophischen Gesellschaft, daß es notwendig wäre, weil die Anthroposophie von Deutschland aus­gegangen ist und die Welt das auch weiß und akzeptiert hat, daß zu­nächst innerhalb der Deutschen Anthroposophischen Gesellschaft eine gewisse Ordnung geschaffen werde, daß aber dann dies der Ausgangs­punkt sein soll für das Ordnung-Schaffen auch außerhalb. Ich stelle mir allerdings vor, daß die Anthroposophischen Gesellschaften in den verschiedensten Sprachgebieten, die ja überall vorhanden sind, sich nun auch veranlaßt sehen werden, in einem ähnlichen oder in einem andern Sinne etwas zur Konsolidierung der Gesellschaft zu tun, so daß tatsächlich überall der Versuch gemacht wird, die Lebensbedingungen dieser Anthroposophischen Gesellschaft so zu gestalten, daß Anthropo­sophie der Welt das werden kann, was sie werden soll.

HINWEISE

#G257-1965-SE203 Anthroposophische Gemeinschaftsbildung

#TI

HINWEISE

#TX

Für in diesen Vorträgen erwähnte Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft, die hier nicht nachgewiesen sind, vgl. das Personenregister zu Band IX dieser Reihe.


Zu Seite

9 Goetheanum: Der 1920 eröffnete, aher im Innern noch niuht ganz fertiggestellte Bau, wurde in der Silvemternacht 1922 durch einen von Gegnern Rudolf Steiners gelegten Brand vernichtet.

Bau in Stuttgart: Landhaumstraße 70. Grundsteinlegung 1911. Enthielt einen

Saal für interne Veranstaltungen nach Angaben von Rudolf Steiner. Vgl. dazu

die Vorträge vom 15./16. Oktober 1911: «Die okkulten Gesichtspunkte des

Stuttgarter Baues», Berlin 1912.

11 Unersetzlicher Verlust: Das zweite Goetheanum, 1929 eröffnet, ist in Beton er-richtet. Die plastische Arbeit im lebensvollen Material dem Holzes konnte nicht noch einmal unternommen werden.

16 «Der Kommende Tag, Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte», Stuttgart, sollte ein Beispiel assoziativer Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsbetrieben und Institutionen geistiger Art sein. Gegründet 13.März 1920,1924/25 liquidiert. Das Unternehmen fiel der Ungunst der Zeit-umstände, insbesondere der Inflation, zum Opfer.

17 Waldorfschule: Die erste «Freie Waldorfschule» nach den Richtlinien Rudolf Steiners wurde 1919 in Stuttgart begründet. Gegenwärtig (1965) bestehen mehr als 60 Schulen in vielen Ländern.

20 Bewegung für religiöse Erneuerung: Die «Christengemeinschaft», mit Haupt­sitz in Stuttgart.

Vorletzter im Goetheanum gehaltener Vortrag: 30. Dezember 1922, 11. Vortrag in «Das Verhältnis der Sternenwelt zum Menschen und des Menschen zur Ster­nenwelt. Die geistige Kommunion der Menschheit». Gesamtausgabe Dornach

1965.

22 Bund für Drei gliederung: Der Bund hatte seinen Sitz in Stuttgart und gab die Wochenschrift «Dreigliederung dem sozialen Organismus» heraus.

24 Roman Boos, 1889-1952.

Anthroposophischer HHerbst 1920 mit Der Bund für an die Öffentlichkeit und schularbeit» trat im ochschulbund: anthroposophischeHoch­veranstaltete u. a. die beiden sog. Hochschulkurse am Goetheanurn Herbst 1920 und Frühjahr 1921. Vgl. S. 87.

31 Vortrag vom 30. Dezember 1922: Siehe Hinweis zu S. 20.

32 Einer der. . . Vortragszyklen: «Entwicklungsgeschichtliche Unterlagen zur Bil­dung eines sozialen Urteils», Berlin 9.-24. November 1918, Gesamtausgabe Dornach 1963.

41 Atomismus-Streit: Siehe «Die Drei» 1. Jahrgang, ii. Heft, und folgende.

47 Guenther Wachsmuth, 1893-1963.

#SE257-204

47 Frau Dr. Steiner: Marje Steiner-von Sivers, 1867-1948.

Emil Leinhas: geb. 1878, damals Generaldirektor von «Der Kommende Tag» A. G.

Werner von der Schulenburg: geb. 1881, Literat. Die Schrift «Doktor Boetius, der Europäer», Dresden 1922, die damals überreicht wurde, ist im Archiv der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung vorhanden.

59 Vortragszyklus über Anthroposophie: Das Thema lautete: Von Zarathustra bis Nietzsche. Entwicklungsgeschichte der Menschheit an Hand der Weltanschau­ungen von den ältesten orientalischen Zeiten bis zur Gegenwart, oder Anthro­posophie (1902-03) (Keine Nachschriften vorhanden).

60 Absurditäten der Theosophischen Gesellschaft: Der Knabe Krishnamurti wurde von A. Besant als wiederverkörperter Christus und künftiger Weltenheiland proklamiert.

61 Vortragszyklen: «Eine okkulte Physiologie», Gesamtausgabe Dornach 1957. »Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhange mit der germanisch-nordischen Mythologie», Gesamtausgabe Dornach 1962.

64 Vorträge über Naturwissenschaft: «Der Entstehungsmoment der Naturwissen­schaft in der Weltgeschichte und ihre seitherige Entwickelung», 24. Dezember 1922-6. Januar 1923, Dornach 1937. Zum sogenannten Atomismus-Streit vgl. Hinweis zu S. 41.

65 Programm des Hochschulbundes: Wurde abgedruckt in «Die Erkenntnis-Auf­gabe der Jugend», Dornach 1957, S. 134 ff.

77 Behauptung eines Universitätsdozenten: Dr. Hans Leisegang in seinem Pam­phlet «Die Grundlagen der Anthroposophie», Hamburg 1922.

88 Einleitungsrede zum Ersten Hochschulkurs: Ansprache vom 26. September1920, abgedruckt in «Die Kunst der Rezitation und Deklamation», Dornach 1928.

91 Singe, o Muse: Anfangsworte von Homers «Odyssee».

Goethe-Zitat: Faust 1.Teil, Studierzimmer.

95 Der Neubau des Goetheanum: Vgl. Hinweis zu S. 11.

112 Dr. Friedrich Rittelmeyer, 1872-1938, erster Erz-Oberlenker der Christenge­meinschaft.

134 Zyklen «nur für Mitglieder»: Die bis 1922 erschienenen ca. 50 numerierten, im Großformat gedruckten Zyklen. Nach der Weihnachtstagung, 1923, an welcher alle Zyklen grundsätzlich als frei erhältlich bezeichnet wurden, erhielten die für die Mitgliedschaft bestimmten Werke den sog. Hochschulvermerk.

135 Zyklus in Oxford: «Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst».

16-25. August 1922, Dornach 1956.

Artikel über diesen Zyklus: Zeitungsberichte über Rudolf Steiners Vorträge in Oxford wurden in ,

136 Wiener Kongreß: Die dort gehaltenen Vorträge erschienen unter dem Titel »Westliche und östliche Weltgegensätzlichkeit», Dornach 1950.

138 Hochschulkurs 1920: Vgl. Hinweis zu S. 27.

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141 Aufgabe für mathematische Physiker: Im Anschluß an den Zyklus «Der Ent­stehungsmoment der Naturwissenschaft in der Weltgeschichte und ihre seit­herige Entwicklung», Dornach 1937. Das erwähnte Diskussionsvotum war am 29. Dezember nach dem Vortrag von Dr. Blümel und wird in der Gesamtaus­gabe dem Zyklus beigefügt.

143 Forschungsinstitut: Wissenschaftliches Forschungsinstitut des «Kommenden Ta­ges» in Stuttgart.

146 Zentralvorstand: Ein solcher bestand seit der Gründung der Anthroposophi­sehen Gesellschaft 1913 aus drei Mitgliedern. Er wurde 1921 neu konstituiert und bestand aus Dr. Carl Unger, Emil Leinhas und Ernst Uehli.

150 Vortrag über Gregor Mendel: vom 22. Juli 1922, in «Das Goetheanum» 8.Jahr-gang 1922 Nr.28-30. In der Gesamtausgabe in »Menschenfragen und Welten-antworten» (Bibl.-Nr. 213).

155 Albert Steffen, 1884-1963.

Louis Werbeck, 1879-1928. Verfasser von: «Eine Gegnerschaft als Kultur-Ver­failserscheinung» 1.Band: Die christlichen Gegner Rudolf Steiners und der An­throposophie durch sie selbst widerlegt; 2. Band: Die wissenschaftlichen Gegner Rudolf Steiners und der Anthroposophie durch sie selbst widerlegt, Stuttgart

1924.

157 Entwurf einer Verfassung der Anthroposophzschen Gesellschaft Erschienen

1913. Abgedruckt in: Dr Carl Unger, «Aus der Geschichte der anthroposophi sehen Bewegung» in «Die Drei», 1. Jahrgang 5./6. Heft, Stuttgart 1921 sowie in Rudolf Steiner «Östliche und westliche Kultur in geistiger Beleuchtung» S.53 ff, Dornach 1954.

196 Neuner-Ausschuß: Er bestand aus folgenden Personlichkesten Jurgen von

Grone, Dr. Eugen Kolisko Emil Leinhas Johanna Mucke Dr Otto Palmer

Dr. Friedrich Rittelmeyer, Dr Carl Unger Wolfgang Wachsmuth Louis

Werbeck.

Dr. Walter Johannes Stein, 1891-1957. 200 »jetzige Valuta«: Die Geldentwertung in Deutschland ging damals ihrem Höhepunkt entgegen.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.