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Und alles ist Frucht, und alles ist Same!
Und alles ist Frucht, und alles ist Same!
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= WAS HAT DIE ASTRONOMIE ÜBER WELTENTSTEHUNG ZU SAGEN? Berlin, 16. März 1911 =
= WAS HAT DIE ASTRONOMIE ÜBER WELTENTSTEHUNG ZU SAGEN? Berlin, 16. März 1911 =
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WAS HAT DIE ASTRONOMIE
ÜBER WELTENTSTEHUNG ZU SAGEN?
Berlin, 16. März 1911
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Wer könnte daran zweifeln, daß mit berechtigten Hoff­nungen auf diejenige Wissensdiaft gesehen werden muß, die wir als die Astronomie bezeichnen, wenn von Weltentstehung, von Weltentwickelung die Rede ist? Denn die Astronomie ist ja mit Recht eine Wissenschaft, vor der nicht nur der menschliche Intellekt seine hohe Achtung haben muß, weil sie uns mit gewichtigen Erkenntnissen in die Weiten der Welt führt, sondern die Astronomie ist etwas, was trotz aller Abstraktheit und Rauheit doch auch in intensivster Weise zu unserer Seele, zu unserem ganzen Geiste spricht, so daß man sagen darf: Es liegt etwas Be-greifliches darin, daß diese menschliche Seele zuletzt Auf­schluß zu gewinnen hofft über die tiefsten Geheimnisse des Daseins vom Aufblick zu dem Sternenhimmel, der so tief zu unserem Gemüte spricht, wenn wir ihn mit Gemüts-verständnis in Nächten auf unsere Seele wirken lassen.
Wer könnte daran zweifeln, daß mit berechtigten Hoff­nungen auf diejenige Wissensdiaft gesehen werden muß, die wir als die Astronomie bezeichnen, wenn von Weltentstehung, von Weltentwickelung die Rede ist? Denn die Astronomie ist ja mit Recht eine Wissenschaft, vor der nicht nur der menschliche Intellekt seine hohe Achtung haben muß, weil sie uns mit gewichtigen Erkenntnissen in die Weiten der Welt führt, sondern die Astronomie ist etwas, was trotz aller Abstraktheit und Rauheit doch auch in intensivster Weise zu unserer Seele, zu unserem ganzen Geiste spricht, so daß man sagen darf: Es liegt etwas Begreifliches darin, daß diese menschliche Seele zuletzt Auf­schluß zu gewinnen hofft über die tiefsten Geheimnisse des Daseins vom Aufblick zu dem Sternenhimmel, der so tief zu unserem Gemüte spricht, wenn wir ihn mit Gemütsverständnis in Nächten auf unsere Seele wirken lassen.


Nun wollen wir uns heute vom Standpunkte der Geistes­wissenschaft aus auf die Frage einlassen: Was hat uns diese Astronomie über Weltentstehung zu sagen? Vielleicht wird das, was zuletzt bei diesen Betrachtungen herauskommt, manchem so erscheinen, als ob eine Blume der Hoffnung in einer gewissen Weise zerpflückt werden könnte. Wer diesen Eindruck gewinnen sollte, könnte sich doch auf der andern Seite wieder damit trösten, daß diese Astronomie gerade in den letzten Jahrzehnten, in dem ausgehenden
Nun wollen wir uns heute vom Standpunkte der Geistes­wissenschaft aus auf die Frage einlassen: Was hat uns diese Astronomie über Weltentstehung zu sagen? Vielleicht wird das, was zuletzt bei diesen Betrachtungen herauskommt, manchem so erscheinen, als ob eine Blume der Hoffnung in einer gewissen Weise zerpflückt werden könnte. Wer diesen Eindruck gewinnen sollte, könnte sich doch auf der andern Seite wieder damit trösten, daß diese Astronomie gerade in den letzten Jahrzehnten, in dem ausgehenden
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Sie treffen sich im Menscheninnern
Sie treffen sich im Menscheninnern


Zu weisheitvoller Wirklichkeit.  
Zu weisheitvoller Wirklichkeit.


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Version vom 5. Oktober 2023, 15:05 Uhr

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

ÖFFENTLICHE VORTRÄGE

Antworten der Geisteswissenschaft
auf die großen Fragen des Daseins

Fünfzehn öffentliche Vorträge
Berlin, 20. Oktober 1910 bis 16. März 1911


GA 60

1983


Inhaltsverzeichnis


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ZU DIESER AUSGABE

Die Vorträge dieses Bandes gehören dem Teil von Rudolf Steiners Vortragswerk an, mit dem er sich an die Öffentlichkeit wandte. «Berlin war der Ausgangspunkt für diese öffentliche Vortragstätigkeit gewesen. Was in anderen Städten mehr in einzelnen Vorträgen behandelt wurde, konnte hier in einer zusammenhängenden Vortragsreihe zum Ausdruck gebracht werden, deren Themen ineinander Übergriffen. Sie erhielten dadurch den Charakter einer sorgfältig fundierten methodischen Einführung in die Geisteswissenschaft und konnten auf ein regelmäßig wiederkehrendes Publikum rechnen, dem es darauf ankam, immer tiefer in die neu sich erschließenden Wissensgebiete einzudringen, während den neu Hinzukommenden die Grundlagen für das Verständnis des Gebotenen immer wieder gegeben wurden.» (Marie Steiner).

Die vorliegenden während des Winterhalbjahres 1910/11 gehaltenen 15 Vorträge bilden die achte der öffentlichen Vortragsreihen, welche Rudolf Steiner in Berlin seit 1903 regelmäßig durchführte. Kurz zusammengefaßt wird darin folgendes dargestellt:

Geisteswissenschaft gibt ein neues Weltbild. Der Tod ist für sie Keim eines neuen Lebens. Die menschliche Seele wächst über das Gattungsmäßige des Tieres hinaus. Im Menschen ersteht die Ichkraft, die im Sinnesleben, in der Sprache, im sittlichen Leben wirksam ist. Die Geheimnisse des Schlafes enthüllen sich ebenso wie die des Erdenlebens. Der Mensch kann in eine höhere Welt, zu höheren Bewußtseinserlebnissen vordringen und die Erziehung gewinnt dadurch eine neue Aufgabe: die Pflege des Unvergänglichen im Menschenwesen. Geisteswissenschaft lehrt die geistigen Führer des Menschengeschlechtes wie Zarathustra, Hermes, Buddha, Moses neu zu verstehen. Sie weckt Verständnis für die Künder der abendländischen Kultur wie Galilei, Giordano Bruno und vor allem Goethe. Weltentstehung und Sternenwelt erscheinen in neuem Lichte. Das Weltbild der Naturwissenschaft wird überhöht durch das der Geisteswissenschaft, welches das Geistige hinter aller Erscheinung als wirksam erweist.

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DAS WESEN DER GEISTESWISSENSCHAFT UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE GEGENWART Berlin 20. Oktober 1910

Schon seit mehreren Jahren wird hier von diesem Orte aus die Wintermonate hindurch von mir der Versuch ge­macht, Vorträge über ein Gebiet zu halten, welches ich mir gestatte mit dem Namen der Geisteswissenschaft zu bezeich­nen. Auch in diesem Winter soll von diesem Gesichtspunkte aus in der Reihe der Ihnen angekündigten Vorträge wie­derum ein Bild gegeben werden von Tatsachen der geistigen Welt. Es soll betrachtet werden, was zu den großen Fragen des Daseins gehört: das Verhältnis von Leben und Tod, von Schlaf und Wachen, von Menschenseele und Tierseele, Menschengeist und Tiergeist und Geist im Pflanzenreich. Es soll dann betrachtet werden das Wesen der menschlichen Entwickelung durch die verschiedenen Lebensalter, durch Kindheit, Jugend und die späteren Lebensjahre, der Anteil der Erziehung an dem Hauptcharakter des Menschen. Es soll das Geistesleben beleuchtet werden, indem der Blick hingewendet wird zu großen Individualitäten der Mensch­heitsentwickelung, zu Zarathustra, Moses, Galilei, Goethe. Es soll versucht werden an einzelnen Beispielen zu zeigen, welches Verhältnis das, was hier Geisteswissenschaft ge­nannt wird, zur Naturwissenschaft hat: an dem Beispiel der Astronomie und der Geologie. Und dann soll versucht werden zu sagen, was aus den Quellen der Geisteswissen­schaft selbst über die Rätsel des Lebens zu sagen ist. Diesen

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Betrachtungen ging in jedem Jahre eine Art orientierender, allgemeiner Betrachtung voraus. Dieser Gepflogenheit soll auch in diesem Jahre gefolgt werden, indem heute gespro­chen wird über die Bedeutung der Geisteswissenschaft, ihr Wesen und ihr Verhältnis oder - man könnte auch sagen - ihre Aufgabe innerhalb der verschiedenen geistigen Bedürf­nisse der Gegenwart.

In dem Sinne, wie hier von Geisteswissenschaft gespro­chen wird, darf man wohl sagen, daß Geisteswissenschaft heute noch in den weiten Kreisen unserer Menschheit eine recht unbeliebte Sache ist. Zwar spricht man wohl auch außerhalb derjenigen Gesichtspunkte, die hier eingenom­men werden sollen, von «Geisteswissenschaft». Man ver­steht zum Beispiel unter Geschichte etwas, was man mit dem Namen Geisteswissenschaft belegt, und wohl auch unter noch anderen Wissensgebieten der Gegenwart. In an­derem Sinne als gewöhnlich von Geisteswissenschaft ge­sprochen wird, soll das hier geschehen. Wenn man heute von «Geisteswissenschaft» spricht und den Namen etwa auf Geschichte anwendet, so wird man im äußersten Falle zugeben, daß neben dem, was der menschlichen Beobach­tung, der Sinnes- und Verstandeserfahrung vorliegt, für die Geschichte noch gewisse große Tendenzen in Betracht kommen, die sich wie Kräfte im Strom des Weitgeschehens hindurch wirksam zeigen und gleichsam die Geschicke der einzelnen Völkerschaften und der einzelnen Staaten bewir­ken. Man spricht wohl auch von allgemeinen Ideen in der Geschichte und im menschlichen Leben. Wer sich besinnt, was in solchem Falle gemeint ist, der wird bald darauf kommen, daß abstrakte Ideen gemeint sind, an was man appelliert, wenn man von den Kräften, von dem Wesen-haften spricht, von dem, was die menschlichen Geschicke leitet. Es sind in gewisser Beziehung allgemeine Ideen, zu

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welchen die menschliche Verstandesfähigkeit ein Erkennt­nisverhältnis gewinnen kann.

In anderem Sinne wird hier von Geisteswissenschaft gesprochen, indem als geistige Welt vorausgesetzt wird eine Welt, welche wesenhaft ist, wie die Menschenwelt in­nerhalb des physischen Daseins wesenhaft ist. Es wird ge­zeigt werden: wenn man hinausgeht mit dem menschlichen Erkenntnisvermögen über das, was der äußeren Sinnes­beobachtung, der Verstandeserfahrung sich darbietet, und zu den leitenden Kräften des Menschen- und Weltendaseins überhaupt geht, daß man nicht zu Abstraktionen, zu saft­und kraftlosen Begriffen bloß kommt, sondern zu etwas Wesenhaftem, zu etwas, was lebendig, inhaltsvoll, geistig mit Dasein durchtränkt ist wie das Wesen des Menschen selber. Also von einer geistigen Welt mit realem Dasein wird hier gesprochen. Und eben das macht es, daß die Gei­steswissenschaft für die Standpunkte der weitesten Kreise unseres gegenwärtigen Geistesstrebens keine beliebte Sache ist. Es ist ja noch das Geringste, wenn man diejenigen, die sich auf solche geisteswissenschaftlichen Forschungswege begeben, als Schwätzer, als Träumer oder Phantasten be­zeichnet. Und es ist heute noch etwas Gewöhnliches, zu sagen, daß alles, was als strenge Methode, was als wirk­liche Wissenschaftlichkeit auf diesem Boden auftritt oder sich dafür ausgeben will, eine ziemlich zweifelhafte Sache ist.

Große, gewaltige Fortschritte haben ja auf die Mensch­heit immer, zu allen Zeiten, eine große suggestive Wirkung auch in bezug auf alles Denken, Fühlen und Empfinden ausgeübt. Und wenn wir auf die großen Fortschritte im allgemeinen Menschenleben in den letzten Zeiten - wir können fast sagen in den letzten Jahrhunderten - hin­blicken, so liegen sie nicht auf dem geisteswissenschaftlichen

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Gebiet, von dem hier gesprochen werden soll, sondern vielmehr auf demjenigen Gebiet, auf das die Menschheit heute - und zwar wie gleich betont werden soll - mit vollem Recht so stolz ist und auf das sie noch große Hoff­nungen für die Fortentwickelung der Menschheit in der Zukunft setzt. Es liegen diese Fortschritte der letzten Jahr­hunderte bis in unsere Tage hinein auf dem Gebiet, das aus den Naturwissenschaften herauswächst. Wenn man denkt, wie gewaltig alles ist, was heute nicht nur theoretisch auf naturwissenschaftlichem Gebiet für die menschliche Er­kenntnis gewonnen ist und was verspricht aus dem naturwissenschaftlichen Boden noch gewonnen zu werden, und wenn man außerdem in die Waagschale legt, welche große Bedeutung diese naturwissenschaftlichen Errungenschaften für das äußere Leben haben, so muß man sagen: der Segen, das Bedeutungsvolle dieses naturwissenschaftlichen Fort­schrittes konnte und mußte eine suggestive Macht auf das menschliche Gemüt in unserer Zeit ausüben. So ist es denn gekommen, daß diese suggestive Wirkung auch nach einer andern Seite sich geäußert hat. Hätte sie sich nur dahin geäußert, daß das Menschengemüt vor allen Dingen etwas empfand wie eine Art weltlichen Kultus gegenüber diesen gewaltigen Fortschritten, wer könnte auch nur ein Sterbens­wörtchen dagegen sprechen? Aber es hat sich diese sug­gestive Macht auch nach jener Richtung geäußert, daß nicht nur anerkannt wird, was die naturwissenschaftliche For­schung und der daraus folgende Fortschritt für unsere Zeit bedeutet, sondern es hat sich nach der Richtung ausgelebt, daß in den weitesten Kreisen der Glaube entstanden ist, daß alle Erkenntnis, alles Wissen der Menschheit nur auf demjenigen Boden gewonnen werden kann, der heute eben als der naturwissenschaftliche anerkannt wird. Und weil man von diesem Glauben aus zu dem Schlusse sich berechtigt

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glaubt, daß mit diesen naturwissenschaftlichen Me­thoden die geisteswissenschaftlichen in Widerspruch stehen, daß es unmöglich sei für den, der auf naturwissenschaft­lichem Boden steht, überhaupt von der Erforschung einer geistigen Welt zu sprechen, so ist in den weitesten Kreisen das Vorurteil verbreitet, daß Geisteswissenschaft gegen­über den berechtigten Anforderungen der Naturwissen­schaft abgelehnt werden müsse. Bei dieser Ablehnung kann es vor allen Dingen auffallen, daß man etwas außerordent­lich schwer in die Waagschale Fallendes geltend macht.

Die naturwissenschaftliche Methode, so wird gesagt, sei eine solche, deren Forschungsresultate, deren Erkenntnisse von jedem Menschen in jedem beliebigen Zeitpunkt nach­geprüft werden können, und daß bei der Gewinnung dieser Erkenntnisse, dieser Forschungsresultate nichts mitspielen darf von dem, was im subjektiven Menschen als Emp­finden, Sympathie oder Antipathie, Sehnsucht oder Begier­den waltet. Daß nichts sich einmischen darf von der Vor­aussetzung: man möchte dieses Resultat so oder so haben; ausschließen müsse sich das menschliche Element von der Forschung und rein die Objektivität der Dinge sprechen lassen, wenn es sich um Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung handele.

So ohne weiteres kann die Geisteswissenschaft diese For­derung nicht aufstellen. Für denjenigen, der sich rasch ein Urteil über das Allgemeingültige dieser Forderung bildet, wird einfach schon der Grund hinlänglich sein, die Geistes­wissenschaft abzulehnen, daß sie dieser Forderung nicht genügen kann. Warum ist das so? Die Naturwissenschaft hat die Gegenstände ihrer Forschung, von denen sie spricht, um den Menschen herum. Sie geht von demjenigen aus, was vor jeden Menschen hingestellt werden kann, worüber jeder Mensch mit den naturwissenschaftlichen Methoden

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nachdenken kann, wenn er vor die Sache geführt wird. Und es ist scheinbar ganz gleichgültig, mit welchen Voraus­setzungen der Mensch an das herantritt, was da in seiner Umgebung dem Blickfelde sich darbietet. Es ist gerade das, was sich in der allgemeinen Forderung ausspricht: Natur­wissenschaftliche Erkenntnis muß für jeden Menschen in jedem beliebigen Zeitpunkte nachgeprüft werden können.

Wie die Naturwissenschaft ihre Resultate gewinnt, in der Art, in welcher sie vorgeht, kann auch die wahre Geisteswissenschaft gar nicht vorgehen. Sie kann zunächst nicht sagen: Es ist notwendig, daß ihre Ergebnisse von jedem Menschen in jeder Zeit nachgeprüft werden können. Denn sie muß voraussetzen, daß diese Ergebnisse, diese Forschungsresultate dadurch gewonnen werden, daß der Mensch gerade sein Inneres nicht als ein Festes, als ein Ab­geschlossenes betrachtet, daß er seine subjektive Wesen­heit nicht als etwas Fertiges ansieht, sondern sich sagt:

Meine subjektive Wesenheit, diese ganze Summe meines Seelendaseins, wie ich sie der Welt entgegensetzen kann, ist nichts Abgeschlossenes, nichts Fertiges, sie kann ent­wickelt werden, das Seelenleben kann vertieft werden. Das Seelenleben kann so verlaufen, daß dasjenige, was man findet, wenn man die Sinne auf die äußere Welt richtet und den Verstand auf das anwendet, was die Sinne sagen, nur gleichsam eine Unterlage ist für weitere Seelenerfah­rungen. Weitere Seelenerfahrungen ergeben sich dann, wenn sich die Seele in sich selber vertieft, an sich selber arbeitet, wenn sie die unmittelbare Lebenserfassung nur als einen Ausgangspunkt betrachtet und dann durch Kräfte, die zu­nächst in ihr schlummern, die aber herausgeholt werden können, sich durch Stufen des Daseins ringt, die nicht so angeschaut werden können, daß man sie durch ein äußeres Auge nachprüfen könnte.

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Was also der Geistesforscher zur Vorbereitung für seine Studien durchmachen muß, ist ein innerliches Ringen der Seele, das ganz und gar unabhängig ist von dem, was der Mensch selber in sich hat. Wenn man also von Wissenschaft überhaupt verlangt, daß der Mensch nichts hinzubringen soll zu den Ergebnissen, die sich ihm äußerlich vorstellen, so könnte von Geisteswissenschaft gar nicht die Rede sein. Wer sich aber ein wenig besinnt und sich fragt: Welches ist denn der wichtigste Teil der Forderungen, welche da für die Geisteswissenschaft geltend gemacht werden, - könnte sich sagen, daß ihre Ergebnisse für jeden Menschen Gültigkeit haben, daß sie nicht der persönlichen Willkür dieser oder jener Menschenindividualität unterliegen, und nicht bloß eine Bedeutung haben für das Innenleben dieses oder jenes Menschen, sondern eine Bedeutung für alle Menschen haben.

Das ist ja das Bedeutsame bei allem Wissenschaftlichen, daß es nicht bloß bei dem gilt, dem sich die Gegenstände der Wissenschaft vor Augen stellen, sondern daß, wenn die Gegenstände erforscht sind, dies zu Erkenntnissen füh­ren kann, die für alle Menschen Gültigkeit haben können.

Wenn es nun wahr wäre, daß das, was so als Entwicke­lung des Menschen charakterisiert worden ist, nur subjektiv wäre, nur für den einen oder andern Menschen Geltung habe, und daß ihm so auch nur ein persönlicher Glaube zukäme, so könnte von Geisteswissenschaft auch wirklich nicht gesprochen werden. Es wird sich uns aber in diesem Winter auch noch zeigen, daß dieses Innenleben des Menschen, das Ringen der Seele aus Kräften heraus, die zunächst schlummern, die aber erwachen können, sich entfalten und entwickeln und dann den Menschen von Erlebnis zu Er­lebnis führen kann, und daß dieses Seelenleben noch auf­steigen kann zu einer Stufe, wo seine Erlebnisse eine ganz bestimmte Eigentümlichkeit haben.

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Wenn wir das Menschenleben betrachten, wie es sich im Innern der Menschenseele abspielt, so ist es zunächst ein ganz persönliches, für den einen so, für den andern anders. Wer eine gesunde Selbstbesinnung hat, wird bei diesem oder jenem, was in seiner Seele an Sympathie oder Antipathie aufsteigt, was gleichsam nur eine persönliche Note hat, sich klar sein können, daß dieses und wie es der Fall ist. Aber das innere Erleben führt zu einem gewissen Punkt, wo gerade eine methodisch getriebene Selbsterkenntnis, ein reines, von Persönlichem unbeeinflußtes Selbsterkennen sich sagen muß: das Persönliche ist eben abgestreift, bildet ein besonderes Gebiet, aber man kommt dann an einen be­stimmten Punkt, wo für das innere Erleben, für das über­sinnliche Erleben geradeso die Willkür aufhört, wie sie aufhört, wenn man diesen oder jenen sinnenfälligen Er­scheinungen gegenübertritt, und wo man auch nicht denken kann, wie man will, sondern in Gemäßheit des Gegenstan­des denken muß. So kommt der Mensch auch innerlich, seelisch in eine gewisse Sphäre, auf ein gewisses Gebiet, wo er sich deutlich bewußt wird, daß nicht mehr seine persön­liche Subjektivität spricht, sondern daß jetzt nicht sinn­lich anschaubare, aber übersinnliche Wesenheiten und Kräfte sprechen, für die seine Individualität ebensowenig Bedeu­tung hat, wie sie Bedeutung hat für das, was die äußeren Sinnesgegenstände sagen. Diese Erkenntnis muß allerdings gewonnen werden, wenn von dem Rechte gesprochen wer­den soll, daß dasjenige, was über die geistige Welt gesagt wird, überhaupt den Namen Wissenschaft trägt. Es sollen auch in diesem Winter diese Vorträge wieder ein Beweis dafür sein, daß die Betrachtungen über die Erforschung der geistigen Welt eine Wissenschaft genannt werden darf.

So muß man sagen, Geisteswissenschaft ist ihrem Wesen nach auf dem begründet, was durch die menschliche Seele

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erforscht werden kann, wenn diese in ihrem innerlichen Ringen und Erleben zu einem Punkte gekommen ist, an dem das Persönliche nicht mehr bei den Betrachtungen der gei­stigen Welt mitspricht, sondern wo sie sich von der geistigen Welt selber ihre Eigentümlichkeiten sagen läßt. Wenn man die Geisteswissenschaft dann einmal vergleichen wird mit der Naturwissenschaft, so wird mancher vielleicht sagen: Dann fehlt aber doch der Geisteswissenschaft das wichtige Kennzeichen, daß sie auf alle Menschen einen überzeugen­den Eindruck machen kann, welches bei der Naturwissen­schaft aus dem Grunde vorhanden ist, daß man überall, wo naturwissenschaftliche Resultate auftreten, das Bewußt­sein hat: Wenn du das auch nicht selber erforscht und gesehen hast, so könntest du doch, wenn du auf die Sternwarte oder in das Laboratorium gingest und dich des Fernrohres und des Mikroskopes bedientest, das in derselben Weise erkennen wie der, welcher dir die Mitteilung ge­macht hat. Und es könnte weiter gesagt werden: Wenn auf dem Wege der Geisteswissenschaft der Beweis ein rein innerlicher ist, und die Seele mit sich ringt, bis sie sagt:

jetzt gibst du nichts mit von deiner Persönlichkeit zu dem, was dir die Gegenstände sagen, - es bleibt doch ein einzelnes Ringen. Und dem, der auf diesem Wege zu gewissen Er­gebnissen gelangt ist, oder wem der geisteswissenschaft­liche Forscher diese Ergebnisse mitteilt, dem müßte man sagen: Für mich bleiben diese Ergebnisse ein unbekanntes Land, bis ich selber aufsteige zu demselben Punkte!

Auch dieses - das soll sich uns noch zeigen - ergibt sich uns als ein unrichtiger Einwand. Gewiß, es gehört dieses einsame Ringen der Menschenseele, dieses Bloßlegen von in der Menschenseele schlummernden Kräften dazu, um in die geistige Welt, wo sie objektiv zu uns spricht, hinauf­zudringen. Aber die geistige Welt ist so: Wenn die geisteswissenschaftlichen

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Resultate mitgeteilt werden, dann bleiben die Ergebnisse nicht etwa wirkungslos. Was aus einer durch die geisteswissenschaftliche Forschung geprüften Menschenseele als Mitteilungen zu andern Seelen tritt, kann von jeder Seele wieder, in einem gewissen Sinne allerdings, nachgeprüft werden, nicht so, daß man im Laboratorium sehen kann, was der andere gefunden hat, sondern so, daß man es einsehen kann. Denn in jeder Seele lebt ein unbe­fangener Wahrheitssinn, eine gesunde Logik, eine gesunde Vernünftigkeit. Und wenn die Ergebnisse der Geistesfor­schung in gesunde Logik gekleidet werden, in das, was zu unserem gesunden Wahrheitssinn spricht, dann klingt in jeder Seele oder kann wenigstens in jeder unbefangenen Menschenseele eine Saite mitklingen mit der mitteilenden Seele. Man kann sagen: Jede Seele ist in sich selber veran­lagt, wenn sie sich auch noch nicht dem gekennzeichneten einsamen Ringen hingegeben hat, durch eine unbefangene Logik und durch einen gesunden Wahrheitssinn in sich auf­zunehmen, was von der Geisteswissenschaft mitgeteilt wird. Wenn auch ganz gewiß zugegeben werden muß, daß im weitesten Umkreis, in dem heute dieses oder jenes von der Geisteswissenschaft getrieben wird, bei der Aufnahme der Mitteilungen der Geistesforschung nicht überall dieser ge­sunde Wahrheitssinn und diese gesunde Logik herrschen, so ist das ein Mangel einer jeden Geistesbewegung. Im Prinzip ist es aber durchaus richtig, was gesagt ist. Ja, im Prinzip sollte sogar beachtet werden, daß es zu Irrtümern über Irrtümern führen muß, wenn leichten Herzens und mit einem blinden Glauben das entgegengenommen wird, was so oft heute als Geisteswissenschaft an die Menschheit herangebracht wird. Wer wirklich auf dem Boden der Geisteswissenschaft steht, fühlt sich in strenger Art ver­pflichtet, logisch und vernunftgemäß das mitzuteilen, was

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er zu sagen hat, so daß es wirklich von einem gesunden Wahrheitssinn und von aller Logik geprüft werden kann. - So haben wir also von einer Seite das Wesen der Geistes­wissenschaft dadurch bezeichnet, daß wir gezeigt haben, wie ihre Resultate gefunden werden müssen.

Daß es nun eine solche objektive Tatsache des Geistes gibt, kann ja nur diese Wissenschaft selber belegen. Darauf aber soll jetzt schon aufmerksam gemacht werden, daß diese Wissenschaft eben zu dem führt, was wir den realen, den wirklichen Inhalt der geistigen Welt nennen, einen Inhalt, der lebendig erfüllt ist von solcher Wesenhaftigkeit, wie etwa ein Menschenwesen selber von Wesenhaftigkeit er­füllt ist. Von diesem Gesichtspunkte aus ist sich die Geistes­wissenschaft darüber klar, daß allem äußeren, physisch-sinnlichen Dasein, allem Dasein, von dem uns die Sinne sprechen und die verstandesmäßige Erfahrung, zuletzt eine geistige Welt zugrunde liegt, daß der Mensch so wie alle anderen Dinge aus dieser geistigen Welt herausgeboren ist, sich herausentwickelt hat, so daß also hinter der sinnen-fälligen Welt, hinter dem, was man gewöhnlich das phy­sische äußere Dasein nennt, das Gebiet der geistigen Welt sich ausdehnt. Wenn nun die Geisteswissenschaft allmählich dazu übergeht, aus ihren Beobachtungen heraus zu zeigen, wie es sich in dieser geistigen Welt ausnimmt, wie die gei­stige Welt unserer sinnenfälligen zugrunde liegt, dann fängt eben in vielen Kreisen unserer Gegenwart die Abneigung, die Antipathie an, was im Eingange der heutigen Betrach­tung damit bezeichnet wurde: In weiten Kreisen der Gegen­wart ist die Geisteswissenschaft eine ziemlich unbeliebte Sache. Und es ist keineswegs schwer zu begreifen, daß dieser Geisteswissenschaft heute noch ein gewaltiger Wider­stand entgegengebracht wird. Es ist durchaus selbstver­ständlich und nicht nur selbstverständlich aus dem Grunde,

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weil dasjenige, was in einer gewissen Beziehung, wie die Geisteswissenschaft, neu dem menschlichen Kulturleben sich einverleibt, immer mit einer gewissen Zurückdrängung be­handelt worden ist wie alle kleinen und großen Errungen­schaften der Menschheit; sondern weil es in der Tat recht vieles gibt im Umkreis der Vorstellungen, die der Mensch heute zum Beispiel aus der naturwissenschaftlichen Beob­achtung gewinnt, was gerade die Notwendigkeit hervor­ruft, daß sich der, der glaubt, ganz auf dem Boden der Na­turwissenschaft zu stehen, in lauter Widersprüche verwickelt findet, wenn er von dem hört, was die Geisteswissenschaft sagt. Wer selbst auf dem Boden der Geisteswissenschaft steht, zweifelt gar nicht, daß mit einem gewissen Rechte Hundert und aber Hundert von sogenannten Widerlegun­gen dieser Geisteswissenschaft aufgebracht werden können. Nur wie in Parenthese möchte ich einfügen, daß ich selber in der nächsten Zeit an verschiedenen Orten und auch hier einmal, damit Klarheit in die angeregte Frage gebracht wird, zwei Vorträge halten werde, wovon der erste lauten wird: «Wie widerlegt man Theosophie?» und der andere:

«Wie begründet man Theosophie?» Probeweise soll das ge­schehen, damit einmal gezeigt wird, wie der, der auf dem Boden der Geisteswissenschaft steht, wirklich alles zu­sammentragen kann, was an Widerlegungen gegenüber der Geisteswissenschaft aufgebracht werden kann. Ja, ich möchte sagen mehr noch als das, was schon angeführt worden ist, ist dies der Fall, daß die Widerlegungen der Geisteswissenschaft, wie man gewöhnlich heute von Wider­legungen spricht, in bezug auf ihre verschiedenen Resultate gar nicht so sonderlich schwierig sind. Es ist leicht, die geisteswissenschaftlichen Forschungen zu widerlegen.

Ich möchte diese Widerlegungen nicht direkt vergleichen, aber um zu verdeutlichen, was ich sagen will, anknüpfen

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an etwas, was einem oft auffällt, wenn man Werke von gewissen Philosophen über die Hegelsche Philosophie liest. - Ich will hier nicht über das sprechen, was an der Hegelschen Philosophie bedeutungsvoll ist, was wahr ist und was Irrtum ist; das wollen wir dahingestellt sein las­sen. - Es wird unter den Kennern Hegels doch wenige geben, die nicht anerkennen, daß sie es in Hegel mit einem bedeutenden Geist zu tun haben. Nun findet sich in Hegels Schriften ein merkwürdiger Satz, der sozusagen einen tie­fen Eindruck auf die machen kann, welche leichten Herzens Hegel widerlegen wollen. Und dieser Satz lautet: «Alles Wirkliche ist verünftig!» Nun denken wir einmal, man mdchte sagen, welch innerliches Lachen ein solcher Satz her­vorrufen muß bei dem, der gern widerlegt! Ein Philosoph soll groß sein, der solchen Unsinn spricht: «Alles Wirkliche ist vernünftig!» Man braucht nur einen einzigen Blick in die Welt zu lenken und wird sehen, wie unvernüinftig dieser Satz ist! Es gibt eine einfache Methode, um die Richtig­keit dieses Satzes zu widerlegen, und die besteht darin, daß man selbst eine knüppeldicke Dummheit macht. Denn davon kann man behaupten, es sei ganz gewiß nicht ver­nünftig. Soll die Tatsache, daß eine Widerlegung leicht wird, denn auch dazu führen, daß sie einfach leicht ge­nommen und leicht als bedeutungsvoll genommen werde? Das ist eine ganz andere Frage, die sich vielleicht dadurch beantwortet, daß man sich folgendes überlegt: Sollte denn wirklich Hegel - man mag sich zu Hegel stellen wie man will - so dumm gewesen sein, daß er nicht eingesehen hätte, was es gegen diesen Satz als Widerlegung gibt? Sollte er wirklich geglaubt haben, daß kein Mensch eine knüppel-dicke Dummheit machen kann? Sollte man nicht selbst ver­anlaßt sein, einmal darauf einzugehen, in welchem Sinne Hegel diesen Satz gemeint haben kann, und daß man mit

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einer solchen Widerlegung gar nicht das trifft, was ge­meint ist ?

So könnte es auch bei vielen Dingen der Geisteswissen­schaft sein. Um an etwas Konkretes anzuknüpfen: Die Geisteswissenschaft muß voraussetzen - das kann heute nur angeführt werden -, daß das, was wir im Menschen als das Werkzeug des Denkens, des Vorstellens, des Fühlens und des Wollens anerkennen, nämlich das Nervensystem mit dem Gehirn, herausgebaut ist aus einem Geistigen, daß Ge­hirn und Nervensystem Werkzeug sind eines Wesenhaften, das man nicht in der Sinneswelt aufzeigen kann, son­dern das durch die charakterisierten Methoden der Geistes­wissenschaft erforscht werden muß. Die Geisteswissenschaft muß also zurückgehen von dem, was die äußere, auf die sinnenfälligen Erscheinungen sich stützende Wissen­schaft über Gehirn und Nervensystem zu sagen weiß, auf etwas, was im Menschen als Seelisch-Geistiges selbst arbei­tet, was nicht mehr mit den Sinnen erforscht werden kann, was nur auf den inneren Wegen der Seele erforscht wer­den kann. Es ist nun wirklich kinderleicht zu widerlegen, was die Geistesforschung über ein Übersinnliches erzählt, das dem menschlichen Gehirn zugrunde liegt. Man kann sagen: Alles, was du da redest, ist selbst nur ein Produkt des Gehirns. Wenn du das nicht einsiehst, dann betrachte einmal, wie die geistigen Fähigkeiten in der Entwickelungs­reihe steigen. Bei den niederen Tieren sind die geistigen Fähigkeiten noch ganz unvollkommen, bei den höheren Tieren und besonders bei den höheren Säugetieren sind sie schon bedeutender und vollkommener, und beim Menschen sind sie deshalb am vollkommensten erscheinend, weil sein Gehirn die größte Vollkommenheit erlangt hat. Das zeigt, daß aus dem Gehirn herauswächst, was als Geistesleben erscheint. Und wenn du das noch nicht glaubst, so wende

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dich einmal an den, der dir zeigen kann, wie in gewissen Krankheitsfällen gewisse Gehirnpartien unwirksam wer­den und gewisse Fähigkeiten vom Menschen nicht mehr ausgeübt werden können, so daß gleichsam gewisse Ge­hirnpartien abgetragen werden und das geistige Leben ausgeschaltet wird. Da siehst du also, wie Stück für Stück dein Geistesleben abgetragen werden kann durch das, was sinnenfälliges Organ ist! Warum sprichst du also da noch von geistigen Wesenheiten, die hinter den sinnenfälligen Dingen stehen sollen?

Dieser Einwand ist wirklich kinderleicht zu machen. Daß er aber nicht aus den naturwissenschaftlichen Ergeb­nissen heraus, sondern aus der Suggestion getan wird, die für viele aus gewissen naturwissenschaftlichen Theorien heraus gebildet wird, das muß uns als selbstverständlich in der Gegenwart erscheinen. Das alles hängt damit zu­sammen, daß unsere Zeit unter der suggestiven Gewalt dessen steht, daß man Wahrheit, Erkenntnis nur gewinnen könne, wenn man die Sinne nach außen richtet und den Verstand an dem Gewonnenen entzündet. Wenn nun auch

- das muß in bezug auf die Geisteswissenschaft gesagt wer­den - diese Ergebnisse Widerlegungen der geisteswissen­schaftlichen Resultate von allen Punkten nur so hervor-quellen lassen müssen, so kann man doch sagen, daß auf der andern Seite in unserer Gegenwart ein tiefes Bedürf­nis, eine tiefe Sehnsucht vorhanden ist, aus jenen Landen etwas zu hören, von denen Geisteswissenschaft zu berich­ten weiß. Eine tiefe Sehnsucht darnach hat sich zugleich herausgebildet und ist bei einer Gruppe von Menschen lebendig und bewußt vorhanden. Bei dem großen Teil der Menschen schlummert sie sozusagen unter der Oberfläche des Bewußtseins, wird aber immer mehr und mehr zur Erscheinung kommen. Immer größer und größer wird das

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Bedürfnis nach geisteswissenschaftlichen Resultaten wer­den. Diese Sehnsucht, dieses Bedürfnis nach geisteswissen­schaftlichen Resultaten tritt - können wir sagen - als eine Nebenerscheinung neben der Bewunderung, der Hingabe gegenüber den naturwissenschaftlichen Errungenschaften auf. Gerade weil die naturwissenschaftlichen Errungen­schaften notwendigerweise den Blick des Menschen nach außen wenden müssen, erwacht wie ein Gegenpol die Sehnsucht nach geisteswissenschaftlichen Resultaten. In be­zug darauf sind wir innerhalb der Entwickelung, wie sie sich im neunzehnten und in unserem Jahrhundert ergeben hat, auf einem ganz anderen Gesichtspunkte angelangt, als die Menschheit ihn noch vor einem Jahrhundert hatte. Wenn man von dem Wert der geisteswissenschaftlichen Forschungen für die Gegenwart sprechen will, so ist es bedeutungsvoll, sich einmal vor die Seele zu rufen, daß selbst größere Geister vor einem Jahrhundert noch nicht das Bedürfnis gefühlt haben, von geisteswissenschaftlichen Ergebnissen in der Art zu sprechen, wie das heute im Sinne dieser Vortragsreihe geschehen soll. Und da die großen In­dividualitäten für die Menschheit nur tonangebend sind, in gewissem Sinne nur ausdrücken, was das Bedürfnis der gesamten Zeit ist, also auch der kleinen Individualitäten, so kann sich uns eine solche Sache anschaulich darstellen, wenn wir auf die größeren Individualitäten einmal hin-blicken.

Da kann mit Recht gesagt werden: ein solcher Mensch wie Goethe hat vor einem Jahrhundert keineswegs das Be­dürfnis gefühlt, sich über geisteswissenschaftliche Resultate auszusprechen, wie das heute etwa auf dem Boden der Geisteswissenschaft geschieht. Wo die Frage darauf kam, über etwas zu sprechen, was über dem äußerlich Sinnen-fälligen liegt, hat sich auch Goethe wie so viele Menschen

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oft darauf berufen, daß das eine Sache des Glaubens, aber nicht einer strengen Wissenschaft sein könne. Und daß im Grunde genommen die Mitteilung von allgemein gültigen Resultaten auf diesem Boden kaum sehr fruchtbar sein könne, wenn sie von dem einen Menschen zu dem anderen gemacht werden, hat auch Goethe öfter geäußert. Wir sind im Laufe eines Jahrhunderts in bezug auf die Gesamtent­wickelung der Menschheit nicht nur so fortgeschritten, daß Goethe in einem Zeitalter gelebt hat, welches keine Tele­grafen, Telefone, Eisenbahnen und keine solche Aussich­ten gehabt hat, wie sie sich der Luftschiffahrt bieten; wir stehen auch in bezug auf die geistige Entwickelung vor Er­gebnissen, die andere sind, als sie zur Zeit Goethes waren. Das können Sie an einem konkreten Fall sehen. Es gibt ein schönes Gespräch, das Goethe mit einem gewissen Falk geführt hat bei Gelegenheit des Todes Wielands. Da hat er sich über die Gebiete ausgesprochen, aus denen heraus eine gewisse Erkenntnis über das beim Menschen geschöpft werden soll, was über Geburt und Tod hinüberlebt, was nicht hinfällig ist mit der sinnlichen Hülle, was unsterb­lich ist gegenüber dem sterblichen Teil des Menschen. Der unmittelbare Anlaß des Todes des von ihm so geschätzten Wieland hatte Goethe dazu gedrängt, sich gegenüber einem Menschen wie Falk, der ihm Verständnis dafür entgegen-brachte, in populärer Weise auszudrücken. Und was er da sagte, ist höchst bezeichnend, wenn wir auf die Frage der Bedeutung der Geisteswissenschaft für die Gegenwart eingehen.

« ... Sie wissen längst, daß Ideen, die eines festen Fun­damentes in der Sinneswelt entbehren, bei allem ihrem übrigen Wert für mich keine Überzeugung mit sich führen, weil ich der Natur gegenüber wissen, nicht aber bloß ver­muten und glauben will. Was nun die persönliche Fortdauer

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unserer Seele nach dem Tode betrifft, so ist es damit auf meinem Wege also beschaffen: Sie steht keineswegs mit den vieljährigen Beobachtungen, die ich über die Be­schaffenheit unserer und aller Wesen in der Natur an­gestellt, im Widerspruch; im Gegenteil, sie geht sogar aus denselben mit neuer Beweiskraft hervor. Wie viel aber, oder wie wenig von dieser Persönlichkeit übrigens ver­dient, daß es fortdauere, ist eine andere Frage und ein Punkt, den wir Gott überlassen müssen. Vorläufig will ich nur dies zuerst bemerken: Ich nehme verschiedene Klassen und Rangordnungen der letzten Urbestandteile aller Wesen an, gleichsam der Anfangspunkte aller Erscheinungen in der Natur, die ich Seelen nennen möchte, weil von die­sen die Beseelung des Ganzen ausgeht, oder noch lieber Monaden - lassen Sie uns immer diesen Leibnizischen Aus­druck beibehalten! Die Einfachheit des einfachsten Wesens auszudrücken, möchte es kaum einen besseren geben. Nun sind einige von diesen Monaden oder Anfangspunkten, wie uns die Erfahrung zeigt, so klein, so geringfügig, daß sie sich höchstens nur zu einem untergeordneten Dienst und Dasein eignen; andere dagegen sind gar stark und ge­waltig. Die letzten pflegen daher alles, was sich ihnen naht, in ihren Kreis zu reißen und in ein ihnen Angehöri-ges, das heißt in einen Leib, in eine Pflanze, in ein Tier, oder noch höher hinauf, in einen Stern zu verwandeln. Sie setzen dies solange fort, bis die kleine oder große Welt, deren Intention geistig in ihnen liegt, auch nach außen leiblich zum Vorschein kommt. Nur die letzten möchte ich eigentlich Seelen nennen. Es folgt hieraus, daß es Welt­monaden, Weltseelen, wie Ameisenmonaden, Ameisensee­len gibt, und daß beide in ihrem Ursprung, wo nicht völlig eins, doch im Urwesen verwandt sind. Jede Sonne, jeder Planet trägt in sich eine höhere Intention, einen höheren

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Auftrag, vermöge dessen seine Entwickelungen ebenso regel­mäßig und nach demselben Gesetze wie die Entwickelungen eines Rosenstockes durch Blatt, Stiel und Krone, zustande kommen müssen. Mögen Sie dies eine Idee oder eine Mo­nade nennen, wie Sie wollen, ich habe auch nichts dawider; genug, daß diese Intention unsichtbar und früher, als die sichtbare Entwickelung aus ihr in der Natur, vorhan­den ist. . . »

In gewissem Sinne spricht also Goethe in der damaligen Zeit von dem, wovon wir in diesen Vorträgen hier öfter sprechen werden: über Wiederverkörperung der Menschen-seele. Und er macht die Bemerkung: nach allem, was er sich selbst als Anschauung über die Menschenwelt, Tier­welt und so weiter gebildet habe, widerspräche eine solche Anschauung nicht dem, was er als Wissenschaft da auf­gebaut habe.

Man kann sich nun leicht überlegen, was ein solcher Ausspruch im Munde Goethes besagt, wenn man sich dar­auf besinnt, daß Goethe 1784 eine Entdeckung gemacht hatte, die allein genügt haben würde, seinen Namen bis in die weitesten Zeiten zu erhalten, selbst wenn er sonst gar nichts geleistet hätte: die Entdeckung des sogenannten Zwischenkieferknochens in der oberen Kinnlade des Men­schen. Man hat in der oberen Kinnlade des Menschen - wie bei den Tieren auch - einen Zwischenknochen. Das leugnete man gerade damals, als Goethe in die Naturwissen­schaft hineinging. Man suchte, wo es sich um die Unter­scheidung von Mensch und Tier handelte, nur nach äußeren unterscheidenden Merkmalen und meinte, die Tiere hätten im Oberkiefer einen Zwischenknochen, und der wäre beim Menschen nicht vorhanden. Das unterscheide die mensch­liche von der tierischen Organisation. Goethe wollte es nicht zugeben, konnte es nicht glauben, daß in dieser

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untergeordneten Beschaffenheit der Unterschied zwischen Mensch und Tier anzugeben sei, und ging mit allen Mit­teln daran, zu zeigen, daß das, was man Zwischenkiefer­knochen nennt, beim Menschen zwar schon kurz nach der Geburt verwachse, aber doch in der Anlage vorhanden sei und nicht beim Menschen fehle. Daß nicht in so etwas Äußerem der Unterschied zwischen Mensch und Tier liege, war ihm wirklich gelungen zu beweisen.

Von diesem Ausgangspunkt aus hat Goethe auf allen Gebieten der Naturwissenschaft sich umgetan und war also wohl bekannt mit der wissenschaftlichen Denkweise seiner Zeit. Ja, er war seiner Zeit so weit voraus, daß Darwi­nianer, welche Goethe im Sinne Darwins umdeuten woll­ten, heute behaupten können: Goethe wäre ein Vorläufer Darwins. Obwohl Goethe so in der Wissenschaftlichkeit seiner Zeit wurzelt und darüber hinausgeht, kann er trotz­dem sagen, was er sich als Ansicht über des Menschen un­sterbliches Teil gebildet habe, was anklingt an die Wieder-verkörperung, das sei durchaus mit seinen wissenschaft­lichen Vorstellungen vereinbar. Und was Goethe damals sagen konnte, könnte sich im Grunde genommen jeder Mensch sagen. Auch andere Forscher, die sich in wissen­schaftlicher Weise die Erkenntnisbedürfnisse für das Leben zu erringen suchten, waren in derselben Lage. Charakteri­stisch dafür ist, daß man sich auf Haeckelschem Boden auf eine große Tat Kants beruft, auf die Begründung der mechanischen Weltanschauung durch Kant, und auf die im Jahre 1775 geschriebene «Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfas­sung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Welt-gebäudes» von Kant hinweist. Sie brauchen sich nur das Reclamheft zu nehmen, den Schluß sich anzuschauen und dann zu fragen: Wie stellen sich die, welche auf dem Boden

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des bloßen Haeckelismus stehen, zu Kant, wenn er von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele spricht, wo er über die großen Geheimnisse der Menschenseele spricht, über die Aussicht, die sich in der Bewohnbarkeit anderer Himmelskörper bietet und in dem Weiterleben der mensch­lichen Seele auf andern Planeten? Wie stellen sich solche Anhänger Haeckels zu der Möglichkeit einer Wiederver­körperung des Menschen, wie sie in dieser 1775 erschie­nenen Schrift Kants auftaucht? Man beruft sich heute auf Dinge so, daß man erstaunt sein müßte, wenn dieselben, die sich auf Kant berufen, diese Dinge wirklich gelesen hätten!

Es liegen die Dinge in der Gegenwart schon anders, als sie vor einem oder anderthalb Jahrhunderten lagen. Es lag im Zeitbedürfnis, daß man in einer gewissen Weise, die mit Wissenschaft nichts zu tun haben wollte, über die Dinge des geistigen Lebens sprach, weil man empfand, man spricht da von etwas, was in keinem Widerspruch steht zu dem, was von der Wissenschaft behauptet wer­den kann. Jeder, der die Wissenschaft von der Wende des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts auf sich wir­ken läßt, fühlt, wenn er nur durch die populären Schil­derungen Wissenschaftliches aufnimmt, daß er so sprechen könnte wie Goethe: Die Überzeugungen, die ich mir von einem geistigen Leben gebildet habe, seien sie auch nur wie ein persönlicher Glaube, werden in keinem Punkte dem widersprechen, was als Wissenschaft heute geboten wird.

Die Dinge sind anders geworden und werden heute gegenüber der Wissenschaft sehr schwierig. Man muß be­denken, daß nach dem Tode Goethes die großen Ent­deckungen von Schleiden und Schwann über die Men­schen- und Tierzelle eingetreten sind, und daß sich da erst sinnenfällig ein Elementar-Organismus dargeboten hat. Was

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braucht man zu reden von einem «Leben auf andern Him­melskörpern» und so weiter, wenn man sehen kann, wie bei einem Tier oder einer Pflanze durch Zusammenwirken der rein materiellen, sinnenfälligen Zellen die Körper sich aufbauen!

Dann kamen die andern gewaltigen Errungenschaften. Wir brauchen nur nachzudenken, was für einen Eindruck es auf das menschliche Nachsinnen machen konnte, als Kirchhoff und Bunsen die Spektralanalyse brachten, die des Menschen Blick erweiterte über ferne Welten, und wo der Schluß gezogen werden durfte, daß das materielle Da­sein, das wir auf der Erde finden, auch auf den fernsten Weltenkörpern dasselbe ist, so daß von einer Einheit des Stoffes in dem ganzen Weltendasein gesprochen werden durfte. Und jeder Tag vermehrt heute das, was uns auf diesem Gebiet entgegentreten kann. Ich könnte auf Hun­derte und Hunderte von solchen Dingen hinweisen, die umwälzend gewirkt haben - nicht auf die Tatsachenwelt, sondern auf die Vorstellungsart der Menschen, so daß die Überzeugung entstehen mußte, daß man gegenüber dem, was die naturwissenschaftliche Methode bietet, kein Recht habe anders als so zu sprechen: Wartet ab, was die natur­wissenschaftliche Forschung euch zu sagen hat über die Gründe des Lebens, über die Entstehung des Geisteslebens aus der Gehirntätigkeit, und redet nicht in phantastischer Art von einer geistigen Welt, welche dem allen zugrunde liegen soll! - Das ist alles nur zu leicht zu begreifen.

So hat sich für die menschliche Überzeugungskraft der Anblick des Naturwissenschaftlichen geändert. Goethe ist in dieser Beziehung wirklich ein Vorgänger Darwins. Aber trotzdem stieg er auf in Gemäßheit des Geistes seiner Zeit von seinen naturwissenschaftlichen Forschungen, von der Entwickelung der Lebewesen vom Unvollkommenen zum

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Vollkommenen, zu einer rein geistigen Weltanschauung, die durchaus das Übersinnliche, das Geistige hinter allem Sinnlichen sucht. Die Menschen, welche in derselben Weise in unserer Zeit vorgehen, glauben, daß die naturwissen­schaftlichen Resultate dazu drängen, haltzumachen vor dem, was diese naturwissenschaftlichen Resultate sein sollen, und daß alles, was Geistesgebiet ist, wie hervor-quillt aus dem sinnenfälligen Hintergrunde. Heute könnte eben nicht in derselben Weise wie vor einem Jahrhundert der Mensch sagen, was er durch seine persönliche Glaubens-überzeugung weiß oder zu wissen glaubt oder sich an­geeignet hat über die übersinnliche Welt, stehe nicht in Widerspruch zu den naturwissenschaftlichen Ergebnissen, sondern es scheint, daß es gar sehr in Widerspruch dazu stehen müsse. Und nicht bloß diesem oder jenem ernsten, würdigen Wahrheitsforscher und strebenden Menschen scheint es so.

Wenn das der Fall ist, so müssen wir sagen: Für unsere Gegenwart ist diejenige Überzeugungskraft, sind die Über­zeugungsgründe, die herangebracht werden konnten noch vor einem Jahrhundert oder auch noch später, ohne daß sie mit den äußeren wissenschaftlichen Resultaten in Wi­derspruch standen, nicht mehr unmittelbar maßgebend. Es bedarf heute gewichtigerer Impulse, um das, was über die übersinnliche Welt gesagt wird, gegenüber den strengen wissenschaftlichen Resultaten der Wissenschaft aufrecht­zuerhalten. Was wir über die geistige Welt zu glauben uns befugt halten, das müssen wir imstande sein, in derselben Weise einzukleiden, in derselben objektiven Weise zu ge­winnen, wie die naturwissenschaftlichen Resultate - nur auf anderem Boden - gewonnen werden können. Nur von einer Geisteswissenschaft, die mit derselben Logik, mit demselben gesunden Wahrheitssinn arbeitet wie die Naturwissenschaft,

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wird man empfinden können, daß sie sich neben die gewaltig fortgeschrittene Naturwissenschaft stellen kann. Wenn man dies bedenkt, begreift man, in welchem Sinne Geisteswissenschaft heute für unsere Gegen­wart eine Notwendigkeit geworden ist. Man begreift auch, daß diese Geisteswissenschaft einzig und allein den Sehn­süchten, von denen gesprochen worden ist, entgegenkom­men kann. Und diese Sehnsüchte sind deshalb vorhanden, weil unbewußt für viele Menschenseelen wirkt, was eben charakterisiert worden ist - gerade bei den besten Wahr­heitssuchern und auf einem Gebiet, wo man es sich gar nicht versieht -, wenn man anführt, wie der menschliche Erkenntnisdrang hinausstrebt aus dem, was immer auf wissenschaftlichem Gebiet früher zu sagen war.

Gewiß scheint das mathematische Gebiet, das Gebiet der Geometrie ein solches zu sein, auf welchem das, was man gewinnt, in seiner Anwendung auf die sinnliche Welt ge­sichert erscheint. Wer möchte sozusagen leichten Herzens glauben, daß irgend jemand behaupten könne, was die Welt über die Mathematik, über die Geometrie zu sagen habe, könnte irgendwie erschüttert werden? Und dennoch ist es charakteristisch, daß es im Verlaufe des neunzehn­ten Jahrhunderts Geister gegeben hat, die sich rein ma­thematisch, durch strenge mathematische Untersuchungen dazu aufgeschwungen haben, Geometrien, Mathematiken auszudenken, die nicht Geltung haben innerhalb unserer sinnlichen Welt, sondern Geltung haben für ganz andere Welten. Also denken wir: streng mathematisch denkende Geister hat es gegeben, die empfanden, sie könnten über das hinausgehen, was es bisher als Mathematik und Geo­metrie über das Gebiet der Sinneswelt gegeben hat, könn­ten eine Geometrie erfinden, die für eine ganz andere Sinneswelt gilt! Und es gibt nicht eine, sondern mehrere

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solcher Geometrien. Mathematisch Geschulte wissen etwas über die Namen Riemann, Lobatschewski, Bolyai. Wir wollen hier nicht näher darauf eingehen, denn es kommt uns nur darauf an, daß aus dem menschlichen Erkennen so etwas werden konnte. - Es gibt zum Beispiel Geome­trien, die nicht den Satz anerkennen: Die drei Winkel eines Dreiecks betragen zusammen 180 Grad, sondern für welche die Dreiecke eine ganz andere Eigenschaft haben, so daß zum Beispiel die drei Winkel eines Dreiecks stets kleiner sind als 180 Grad. Oder einen andern Fall: Für unsere euklidische Geometrie kann man durch einen Punkt zu einer gegebenen Linie nur eine Parallele ziehen. Geome­trien sind ausgedacht worden, wo man unendlich viele Parallelen durch einen Punkt zu einer andern Linie ziehen kann. Das heißt also: Geister hat es gegeben, die sich ge­drängt fanden, für andere Welten nicht bloß zu schwär­men, sondern sogar Geometrien für sie auszudenken! Das spricht gewaltig dafür, daß selbst in Mathematikerköpfen eine Sehnsucht waltete, darüber hinauszugehen, was in der unmittelbar uns umgebenden Welt ist.

Nur eines soll noch angeführt werden über die Tatsache, daß unsere Zeit etwas braucht, was aus der Geisteswissen­schaft gewonnen werden kann. Es wird sich uns zeigen, daß in der Tat der Mensch in bezug auf das, was sein eigentliches geistig-seelisches Wesen ist, immer wieder und wieder in erneuerten Leben auf unserer Erde selbst er­scheint. Daß das, was man Wiederverkörperung nennt, auf geistig-seelischem Gebiete eine ähnliche Tatsache ist wie die Entwickelungslehre oder Evolutionstheorie auf einer untergeordneten Stufe für das Tierreich. Daß also die menschliche Seele sich hindurchentwickelt durch Verkör­perungen, die sie während ferner Vergangenheiten erlebt hat, und durch solche sich hindurchleben wird, die sie in

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fernen zukünftigen Verkörperungen erleben wird. Gewiß, gerade gegen solche Dinge wird sich die Widerlegungs­kunst gar sehr in der Gegenwart noch wenden. Aber man kann schon behaupten, daß die Gegenwart ein tiefes Be­dürfnis nach solchen Ergebnissen hat, die zusammenhän­gen mit dem, wodurch sich der Mensch orientieren kann über seine Bestimmung, seine ganze Lage zur äußeren Welt.

Der Mensch hat seit kurzer Zeit erst angefangen, sich richtig als geschichtliches Wesen in die Weltentwickelung hineinzustellen. Das ist durch die äußeren Bildungsmittel gekommen. Denken Sie an den eingeschränkten Gesichts­kreis der Menschheit des vierzehnten, fünfzehnten Jahr­hunderts, bevor die Buchdruckerkunst die Bildungsmittel verbreitet hat. Dadurch traten an das menschliche Herz noch nicht Fragen heran wie die: Wie kann sich unsere Seele befriedigt gegenüberstellen dem, was wir als den geschichtlichen Fortschritt erkennen? Hier liegt der Ur­sprung einer Frage, die für viele Menschen heute schon eine Herzensfrage geworden ist. Der geschichtliche Fort­schritt zeigt uns, daß immer neue Errungenschaften, die auch für die innere Entwickelung der Seele selber Wert haben, daß neue und immer neue Tatsachen eintreten in den Strom der fortschreitenden Menschheit. Da muß sich der Mensch fragen: Wie verhält es sich nun mit dem Menschen in seiner innersten Wesenheit selber? Waren die Menschen der Vergangenheit dazu verurteilt, in einem dumpfen Dasein ihr Leben erlebt zu haben und nicht An­teil zu nehmen an Entwickelungsprodukten eines späteren Fortschrittes? Wie ist denn der Anteil der menschlichen Wesenheit an den aufeinanderfolgenden Entwickelungen des Menschengeschlechtes?

Mag das eine Frage sein, gegenüber der mancher Einwand

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gemacht werden könnte -, hier soll nur davon die Rede sein, daß in der Tat aus einem tiefen Gefühl der Menschenseele die Frage, das Rätsel entsteht: Ist es denn möglich, daß heute eine menschliche Seele lebt, die da­durch, daß ihr Leben eingeschlossen ist zwischen Geburt und Tod, nicht sich Errungenschaften einverleiben kann, die erst in der Zukunft dem Strom der Menschheitsent­wickelung eingeprägt werden?

Diese Frage nimmt für die Bekenner des Christentums eine grundlegende Bedeutung an. Wer auf dem Boden eines geläuterten Christentums steht, unterscheidet in der Entwickelung der Menschheit die vorchristliche Epoche von der nachchristlichen und spricht davon, daß von dem Christus-Ereignis ein Strom neuen geistigen Lebens aus­gegangen ist, der früher nicht für die Erdenmenschheit da war. Da muß sich für einen solchen Menschen besonders die Frage ergeben: Wie ist es mit den Seelen, die vor dem Christus-Ereignis gelebt haben, vor der Verkündigung dessen, was vom Christus-Ereignis ausströmte?

Eine solche Frage kann der Mensch stellen. Die Geistes­wissenschaft beantwortet sie ihm nicht nur theoretisch, sondern so, daß sie ihm auch befriedigend ist, indem sie zeigt, daß dieselben Menschen, die in der Zeit vor dem Christus-Ereignis Errungenschaften der vorchristlichen Zeit aufgenommen haben, wiederverkörpert werden, nachdem der Strom der christlichen Entwickelung seinen Anfang genommen hat, so daß also keiner verlustig gehen kann dessen, was in der Kultur eintritt. So wächst für die Gei­steswissenschaft aus der Geschichte etwas heraus, was nicht bloß allgemeine abstrakte Ideen sind, die kalt und abstrakt wie steife Kräfte den Menschheitsstrom durchkraften sol­len, sondern es spricht die Geisteswissenschaft von der Ge­schichte als von etwas, an dem der Mensch mit seinem

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innersten Wesen allüberall beteiligt ist. Und da sich der menschliche Horizont durch die modernen Bildungsmittel erweitert hat, wird diese Frage jetzt in einem ganz an­deren Sinne gestellt als etwa vor einem Jahrhundert, wo der Gesichtskreis der Menschen eingeschränkter war. Ein Verlangen nach Antwort ist vorhanden, das nur durch die Geisteswissenschaft gestillt werden kann.

Wenn wir dies alles in Erwägung ziehen - und wir könnten stundenlang so fortsprechen und vieles anführen, was dafür spricht, daß die Geisteswissenschaft deshalb eine Bedeutung hat für die Gegenwart, weil die Gegenwart gar sehr nach ihren Resultaten verlangen muß -, dann be­kommen wir eine Vorstellung von der Bedeutung der Geisteswissenschaft für die Gegenwart. Und alle Vorträge, die im Laufe dieses Winters hier gehalten werden, sollen nur dazu dienen, von den verschiedensten Seiten Material zu­sammenzutragen, um zu zeigen die geisteswissenschafilichen Resultate und ihre Bedeutung für das menschliche Leben, wie für die Befriedigung der höchsten Bedürfnisse des Menschen überhaupt.

Nur das sei zum Schluß noch gesagt: Einer der gewöhn­lichsten, allerdings nur von einem Schlagworte hergenom­menen Einwürfe gegen die Geisteswissenschaft ist heute der, daß man sagt, so habe es die Naturwissenschaft glück­lich dahin gebracht aus einem einheitlichen Prinzip, das gegeben ist durch die naturwissenschaftlichen Methoden, monistisch die Welt zu erklären. Und fast schon ist es zu einem Wort geworden, das bei vielen von selbst Anti­pathien hervorruft, daß jetzt die Geisteswissenschaft wie­der komme und einen Dualismus gegenüber diesem er­kenntnistheoretisch so segensreichen Monismus aufstelle! Mit solchen Schlagworten wird ja viel gesündigt. Ist denn das Prinzip, das Weltall einheitlich zu erklären, schon dadurch

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durchbrochen, daß im Weltall zwei Ströme zusam­menwirken, von denen einer von außen, der andere von innen in der Seele sich treffen? Darf denn gar nicht vor­ausgesetzt werden, daß das, was so von zwei Seiten an die Seele herandringt - nämlich von der Sinneserfahrung auf der einen Seite und von der geisteswissenschaftlichen For­schung auf der anderen Seite -, dennoch in einem einheit­lichen Dasein begründet ist und sich nur für die mensch­liche Auffassung zunächst in zwei Strömungen zeigt? Muß der Monismus durchaus oberflächlich genommen werden? Wenn das der Fall wäre, daß das monistische Prinzip dadurch durchbrochen würde, dann mag jemand nur gleich behaupten, daß das monistische Prinzip auch durchbrochen ist, wenn er zugesteht, daß Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff besteht. Wasserstoff und Sauerstoff können den­noch einen einheitlichen Ursprung haben, wenn sie sich auch vereinigen in dem, was wir Wasser nennen. Ebenso können sinnliche und übersinnliche Welt einen einheit­lichen Ursprung haben, wenn man auch durch die Tat­sachen der Naturwissenschaft und der Geisteswissenschaft ge­zwungen ist zu sagen: In der Seele des Menschen vereinigen sich zwei Ströme, von denen einer von der Sinnenseite, der andere von der Geistesseite hereinkommt. Dann kann man zwar das Einheitliche, das Monon, nicht sogleich aufzeigen, aber es widerspricht darum nicht der Anschauung von einer monistischen Welt. Was sich so von zwei Seiten zeigt, das erlangt erst dann die Kraft der vollen Wirklichkeit, wenn wir es sich zusammensetzend aus den zwei Strömungen erkennen. Wenden wir den Blick in die Außenwelt, er­blicken wir durch die Einrichtung unserer Sinne und un­seres Verstandes ein Weltbild, welches uns nicht das zeigt, woraus es herauswächst: den Geist. Wenn wir die Wege der geisteswissenschaftlichen Forschung gehen und in der

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Seele den Aufschwung durchleben, so finden wir den Geist. Und in der Seele ist es, wo sich begegnen Geist und Stoff. In der Zusammenfügung von Geist und Stoff innerhalb unserer Seele liegt erst die wahre, geist- und stofferfüllte geistige Wirklichkeit!

So darf vielleicht das jetzt Gesagte zusammengefaßt werden in die Worte, die etwa in dichterischer Form das­selbe geben, was dennoch alle, die sich unbefangen bemüht haben, eine Anschauung zu gewinnen von Geist und Stoff, zu allen Zeiten gefühlt haben. Geisteswissenschaft im Ver­bältnis zur Naturwissenschaft lehrt uns erkennen, daß es wahr ist:

Es drängt sich an den Menschensinn

Aus Weltentiefen rätselvoll

Des Stoffes reiche Fülle.

Es strömt in Seelengründe

Aus Weltenhöhen inhaltvoll

Des Geistes klärend Wort.

Sie treffen sich im Menscheninnern

Zu weisheitvoller Wirklichkeit.

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LEBEN UND TOD Berlin, 27. Oktober 1910

Wenn man so manche heutige Äußerung betrachtet, die getan wird über das Verhältnis des Menschen zu Leben und Tod, kann man an einen Ausspruch erinnert werden, den Shakespeare den düsteren Hamlet tun läßt:

Der große Cäsar, tot und Lehm geworden,

Verstopft ein Loch wohl vor dem rauhen Norden.

O daß die Erde, der die Welt gebebt,

Vor Wind und Wetter eine Wand verklebt.

Einen solchen Ausspruch kann mancher tun, der im Sinne der Auseinandersetzungen, die vor acht Tagen gemacht wurden, unter der suggestiven Wirkung mancher Zeitvor­stellungen steht, die auf dem Boden der Naturwissen­schaft gewonnen werden, und der sich bewogen fühlte, alle die Bewegungen der einzelnen Stoffe, die den mensch­lichen Leib aufbauen, nach dem Tode zu verfolgen, der vor allen Dingen sich berechtigt glaubt zu fragen: Was tun Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und so weiter, die den menschlichen Leib aufbauen, nach dem Tode des Men­schen? Abgesehen davon, daß es heute viele Menschen gibt, die von dem suggestiven Wort «Ewigkeit des Stoffes» beeinflußt werden, gibt es wieder andere, die ganz und gar die Möglichkeit verlieren, im unendlich leeren Raum an­deres sich zu denken als den Stoff mit seinen Wirkungen. Daß es allerdings bei Auseinandersetzungen dieser Art im­mer darauf ankommt, in möglichst genauer Weise vor

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allen Dingen die Begriffe und Ideen festzuhalten, das kann man mancher Betrachtung über das Wesen des Todes ansehen. Bei mancher Betrachtung, welche den Begriff eines Gegensatzes zwischen Tod und Leben aufstellt und dabei, wie es immer wieder und wieder vorkommt, vor allen Dingen ganz vergißt, daß Tod und Leben ein Gegen­satz ist, der von dem Wesen abhängt, auf das er sich be­zieht, - bei einer genaueren Betrachtung darf man gar nicht in derselben Weise über den Tod der Pflanze, des Tieres oder des Menschen sprechen. Inwiefern dies der Fall ist, sollen die nachfolgenden Auseinandersetzungen mit enthalten. Aber wie wenig man sich über die Worte klar ist, welche auf diesem Gebiete gebraucht werden, das mag sich uns daraus zeigen, daß zum Beispiel in der Phy­siologie des großen Naturforschers Huxley sich folgendes findet.

Da wird gesagt, daß man unterscheiden müsse zwischen dem lokalen, örtlichen Tod und dem allgemeinen Tod, dem Tod der Gewebe in einem Organismus, und dann wird ausdrücklich gesagt, daß das Leben des Menschen hänge an Gehirn, an Lungen, an Herz, daß aber dies eine Dreiheit sei, die man eigentlich zurückführen könne auf eine Zweiheit, daß man nämlich, wenn man künstlich die Atmung unterhält, einem Menschen ganz gut das Gehirn wegnehmen könnte und er doch fortleben würde. Das heißt, es wird gesagt, das Leben dauere fort, auch wenn das Gehirn weggenommen ist. Das will sagen: Wenn der Mensch nicht mehr imstande ist, irgendeine Vorstellung von dem zu gewinnen, was um ihn herum ist oder was in ihm vorgeht, wenn das Leben bloß als Lebensvorgang im Organismus durch eine künstliche Atmung unterhalten werden könnte, so würde der Organismus fortleben im Sinne dieser naturwissenschaftlichen Definition. Und man

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könnte eigentlich nicht von einem Tode sprechen, trotz­dem gar nicht ein Gehirn da sei.

Das ist eine Idee, daß jeder, wenn er sich für ein Leben ohne Gehirn nicht bedanken würde, so doch wenigstens, wenn er auch eine solche Definition plausibel finden könnte, in seiner Empfindung sich klar sein müßte, daß gerade diese Erklärung zeigt, wie die naturwissenschaftliche Definition von Leben in dieser Form überhaupt nicht auf den Men­schen anwendbar ist. Denn niemand würde das Leben eines Organismus - wenn auch eines menschlichen - das Leben des Menschen nennen können, wenn auch im übrigen die Tatsache, auf die angespielt wird, ganz richtig ist.

Nun ist man auch auf naturwissenschaftlichem Gebiete heute schon etwas weiter als vor vielleicht zehn Jahren, wo man sich fast genierte, überhaupt von Leben zu sprechen und alles Leben auf das Leben der kleinsten Lebewesen zu­rückführte. Dieses Leben der kleinsten Organismen sah man als einen komplizierten chemischen Prozeß an. Da würde es sich nach dieser Anschauung darum handeln, daß, wenn diese Definition zu einer Weltanschauung aus­gedehnt würde, nur davon gesprochen werden könnte, daß die kleinsten Teile des Lebens weiterleben, so daß dann nur von einer Erhaltung des Stoffes gesprochen werden könnte. Nun ist heute - zum Beispiel gegenüber den For­schungen über das Radium - der Begriff des Ewigen des Stoffes ein etwas schwankender geworden. Aber es soll jetzt nur darauf aufmerksam gemacht werden, daß man heute auf naturwissenschaftlichem Gebiet schon versucht, von einer Art Selbständigkeit wenigstens der kleinsten Lebewesen zu sprechen. Man sagt: die kleinsten Lebewesen vermehren sich durch Teilung, eines teilt sich in zwei, zwei in vier und so weiter. Da könnte man nichts angeben von einem Tode, denn das erste lebt in den zweiten

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weiter, und wenn diese sterben, leben sie in den näch­sten fort.

Es haben nun die, welche daraufhin von einer Ewigkeit der einzelligen Wesen sprechen wollten, nach einer Defini­tion des Todes gesucht. Aber gerade diese Definition für das Wesen des Todes ist außerordentlich charakteristisch. Man hat das Charakteristikum des Todes darin gefunden, daß bei einem Tode eine Leiche zurückbleibt. Und da bei einzelligen Wesen keine Leiche zurückbleibt, können sie auch nicht in Wahrheit sterben. Also man sucht das Cha­rakteristikum dessen, um was es sich im tiefsten Lebens-grunde handelt, in dem, was vom Leben zurückbleibt. Nun wird es ohne weiteres klar sein, daß das, was vom Leben zurückbleibt, allmählich in leblosen Stoff übergeht. So lebloser Stoff wird nun im Tode der äußere Organis­mus des kleinsten, der äußere Organismus des komplizier­testen Lebewesens. Allein wenn man die Bedeutung des Todes für das Leben in Betracht ziehen will, darf man nicht darauf sehen, was übrigbleibt, was also ins Leblose übergeht, sondern man muß auf die Ursache, auf die Prin­zipien des Lebens sehen, solange das Leben da ist.

Ich sagte, man könne nicht in derselben Weise von Tod sprechen bei Pflanzen wie bei Tieren und Menschen, weil man da eine wichtige Erscheinung nicht in Betracht zieht. Die findet sich auch bei gewissen niederen Tieren, zum Beispiel bei den Eintagsfliegen, und sie besteht darin, daß die Mehrzahl der Pflanzen und der niederen Tiere die Eigen­tümlichkeit hat, daß in dem Moment, wo der Befruch­tungsprozeß angelegt ist und die Möglichkeit eines neuen Lebewesens geschaffen ist, das Absterben des alten beginnt. Bei der Pflanze beginnt in dem Moment ihr rückwärts-gehender Prozeß, der Prozeß des Absterbens, wo sie in sich die Möglichkeit der Anlage einer neuen Pflanze aufgenommen

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hat. Von denjenigen Pflanzen, bei denen man das beobachten kann, kann man also ganz gewiß sagen: Die Ursache, die ihnen das Leben weggenommen hat, liegt in dem neuen oder den neuen Lebewesen; die haben nichts davon zurückgelassen in dem alten Wesen.

Durch eine einfache Überlegung könnte man sich über-zeugen, daß dies so ist. Es gibt gewisse Pflanzen, die dau­ern, die wiederholt blühen und Früchte tragen, wo sozu­sagen immer neue Pflanzengebilde, wie Schmarotzer, aufgepflanzt werden auf den alten Stamm. Aber da können Sie sich überzeugen, daß sie sich die Möglichkeit weiter zu­leben damit erkaufen, daß sie gewisse Teile in das Leblose hineinstoßen, in den Tod, das heißt, sich mit einer Rinde umgeben. Von einer Pflanze, die sich mit einer Rinde umgeben, das Leblose an sich tragen und weiterleben kann, muß man ganz berechtigt sagen, daß sie einen Überschuß an Leben hat. Und weil sie diesen Überschuß hat, den sie nicht abgeben wird - sie gibt nur ab, was die jungen Lebe­wesen brauchen -, muß sie sich dadurch sichern, daß sie den Tod nach außen abstößt. So kann man aber auch sa­gen, daß jegliches Lebewesen, das in sich die Möglichkeit enthält, über die Hervorbringung eines neuen Lebewesens hinauszuleben, in die Notwendigkeit versetzt ist, in sich selber fortdauernd das Leben selbst zu überwinden, in­dem es den unorganischen Stoff, den unbelebten Stoff auf­nimmt. Und das ist beim Tier, das ist beim Menschen hin­länglich zu beobachten.

Da haben wir also eine Auseinandersetzung zwischen Tod und Leben in dem Wesen selber. Wir haben da eine Wechselwirkung zwischen einem lebendigen Glied, das in einer Richtung sich entwickelt, und einem fortwährenden In sich Herein setzen eines andern Gliedes, das sich nach der Tod-Richtung entwickelt. Wenn wir nun von diesem

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Gesichtspunkte ausgehend bis in das innerste Wesen des Menschen hineinrücken wollen, so müssen wir allerdings einiges von dem uns wieder vor Augen führen, was öfter schon gesagt worden ist, was aber nie überflüssig ist, weil es durchaus noch nicht zu den gang und gäben Wahrheiten gehört.

Wenn man in Anlehnung an ganz gewöhnliche Vorstel­lungen - das wollen wir in der ersten Hälfte des Vortrages tun - geisteswissenschaftlich an die Frage nach Leben und Tod herangeht, muß man daran erinnern, daß allerdings dasjenige, was hier in Betracht kommt, heute sehr, sehr wenig anerkannt ist. Es handelt sich um eine Wahrheit, die der heutigen Menschheit ebenso neu ist, wie eine an­dere, die heute zu den Trivialitäten gehört, vor drei Jahr­hunderten der Menschheit neu, beziehungsweise unbekannt war. Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, daß es heute für den Naturforscher und für den, der auf naturwissen­schaftliche Begriffe seine Anschauungen aufbaut, eine Selbst­verständlichkeit ist, daß man den Satz anerkennt: «Alles Lebendige stammt von Lebendigem.» Natürlich spreche ich hier nur mit jener Einschränkung, mit der auch auf naturwissenschaftlichem Gebiete von diesem Satz gespro­chen wird. Wir brauchen uns dabei gar nicht einzulassen auf die Frage der Urzeugung, denn es kann von vornherein bemerkt werden, daß der analoge Satz, der dann genannt werden wird, ebenso auf geisteswissenschaftlichem Gebiete gebraucht wird.

Es ist noch nicht lange her, daß der große Naturforscher Francesco Redi mit aller Energie den Satz durchfechten mußte: «Alles Lebendige stammt von Lebendigem.» Denn man hatte vor diesem Naturforscher des siebzehnten Jahr­hunderts nicht bloß in Laienkreisen, sondern auch in natur-wissenschaftlichen Kreisen es durchaus für möglich gehalten,

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daß aus verfaulendem Flußschlamm, aus in Verfau­lung übergegangenen organischen Stoffen sich neue Or­ganismen herausentwickeln könnten. Von Würmern, sogar von Fischen glaubte man dies. Diese Anschauung, daß Lebendiges sich nur aus Lebendigem entwickeln kann, ist noch nicht alt. Und Francesco Redi hat vor kurzer Zeit, vor wenigen Jahrhunderten, einen solchen Sturm der Ent­rüstung hervorgerufen, daß er nur mit knapper Not dem Schicksal des Giordano Bruno entgangen ist. Wenn man bedenkt, daß die Moden der Zeit sich ändern, so kann man sagen, an dem Schicksal dieser Wahrheit kann man Mut gewinnen für das Schicksal derjenigen Wahrheit, die wir nun hier werden aussprechen müssen. Denn diese Wahr­heit: Lebendiges kann nur von Lebendigem stammen - rief damals einen Sturm von Entrüstung hervor. Man liefert ja heute diejenigen, die gezwungen sind, für andere Gebiete ähnliche Wahrheiten aus dem Born des Wissens herauf­zuholen, nicht mehr den Flammen des Scheiterhaufens aus. Das ist nicht mehr Mode. Aber man macht sich heute über solche lustig; man spottet über den, der solche Dinge mit­teilen kann. Und man macht die, welche gezwungen sind, solche Dinge in bezug auf geistige Entwickelung auszu­sprechen, geistig tot. Aber das Schicksal der eben genann­ten Wahrheit besteht auch noch darin, daß sie heute eine Selbstverständlichkeit, eine Trivialität geworden ist für den, der urteilsfähig ist.

Welcher Fehler lag denn zugrunde, als man diese Wahr­heit: Lebendiges kann nur von Lebendigem stammen -noch nicht anerkannt hatte? Ein ganz einfacher Beobach­tungsfehler! Man schaute das an, was man unmittelbar sah, und versuchte nicht einzudringen in die Tatsache, daß einem Lebewesen wirklich ein von einem anderen Lebe-wesen hinterlassener Keim zugrunde liegt, so daß also

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ein neues Lebendiges von einer bestimmten Art nur da­durch entstehen kann, daß ein altes Lebendiges einen Keim zurückläßt von einer gleichen Art. Das heißt: man schaute auf die Umgebung des sich entwickelnden Lebendigen und hätte eigentlich auf das sehen sollen, was von einem an­dern Lebewesen zurückgeblieben ist und sich innerhalb dieser Umgebung entwickelte. So aber machte man es in all den Jahrhunderten vor der Zeit des Francesco Redi. Man könnte ganz interessante Ausführungen bringen aus Büchern, welche im siebenten, achten Jahrhundert genau so viel galten wie heute autoritativ geltende Schriften der modernsten Naturforscher, und in denen ganz genau klassifiziert hingestellt worden ist, wie sich zum Beispiel aus einem mürbe geschlagenen Ochsenkadaver Hornissen entwickelten, aus einem Eselkadaver Wespen und so wei­ter. Das wurde hübsch eingeteilt. Und genau nach dersel­ben Methode, nach der man damals Fehler gemacht hat, macht man heute in bezug auf das Geistig-Seelische des Menschen Fehler.

Man sieht einen Menschen ins Dasein treten und be­trachtet seine individuelle Entwickelung von der Geburt angefangen durch das weitere Leben. Man sieht, wie sich die Gestalt, die verschiedenen Fähigkeiten, die Anlagen entwickeln. Über das Genauere dieser Entwickelung wer­den wir in einem späteren Vortrag sprechen. Aber wenn man das Wesen der menschlichen Gestaltung, das Wesen dessen, um was es sich handelt, erkennen will, hat man namentlich die Frage: Wie sind die Vererbungsverhält­nisse, wie sieht es in der Umgebung aus, aus der der Mensch herausgekommen ist? Das ist genau dieselbe Methode, als wenn man den Schlamm rings um den entstehenden Wurm ansieht und nicht auf das Ei blickt. In dem, was sich als Anlagen, als verschiedene Fähigkeiten in dem Menschen

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heranbildet, ist genau zu unterscheiden zwischen dem Cha­rakteristischen, was sich überträgt von Eltern, Voreltern und so weiter, und einem gewissen Kern, welchen der, der wirklich betrachtet, nicht verkennen wird. Nur wer dem geistig-seelischen Element gegenüber ebenso vorgehen wird, wie vor Francesco Redi die Naturforscher äußerlich vor­gegangen sind, wird es verkennen können, wie sich ein Kern des Menschen deutlich darstellt, der nicht zurück­geführt werden kann auf das, was vererbt ist von Eltern, Großeltern und so weiter.

In dem, was sich in einem Menschen heranentwickelt, haben wir daher zu unterscheiden das, was von der Um­gebung stammt, von dem, was nie aus der Umgebung hergeleitet werden kann. Bei einem pflanzlichen oder tierischen Lebewesen wird man immer finden, daß das neu entstehende Wesen im wesentlichen darauf angelegt ist, es bis zum Gattungsmäßigen des Vorfahren zu bringen. Nehmen Sie die höchsten Tiere. Wie weit bringen sie es? Bis zum Gattungsmäßigen. Und auf das Gattungsmäßige sind sie angelegt.

Gewiß werden manche sagen: Hat denn das Pferd, hat ein Hund oder eine Katze keine Individualität? Sie wer­den glauben, man könnte ebensogut das Individuelle der Katze, des Pferdes und so weiter schildern, vielleicht auch in einer Biographie, wie man das Individuelle eines Men­schen schildern kann. Wer es will, der mag es tun. Aber er sollte es nicht als etwas Wirkliches, sondern als etwas Sym­bolisches nehmen, wenn zum Beispiel den Schülern die Schulaufgabe gestellt wird - wie ich und meine Kollegen in der Jugend sie haben machen müssen -, die Biographie ihrer Schreibfeder zu schreiben. Da könnte man sonst dann auch von der Biographie einer Schreibfeder sprechen. Aber gegenüber der Wirklichkeit handelt es sich nicht darum,

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Analogien und Vergleiche zu pflegen, sondern auf das Wesentliche loszugehen. Das ist beim Menschen das Indi­viduelle, was den Menschen nicht zu einem Gattungswesen macht, sondern zu der ganz bestimmten Individualität, die ein jeder Mensch ist. Auf die Ausgestaltung des Individuel­len steuert ein jeder Mensch ebenso hin, wie die Pflanze auf die Gestaltung der Gattung hinsteuert. Und darauf, daß der Mensch in der Entwickelung über das Gattungs­gemäße einen Überschuß hat in der Individualität, beruht jede Entwickelung, jeder Fortschritt in der Erziehung wie in der geschichtlichen Entwickelung. Wenn nicht bei jedem Menschen ein geistig-seelischer, individueller Kern da wäre, der sich geistig-seelisch so entwickelt wie das Tier physisch bei der Gattung, gäbe es keine Geschichte. Dann könnte man beim Menschengeschlecht nur von einer Gattung sprechen. Dann könnte man auch nur von einer Entwicke­lung sprechen, aber nicht von einer Geschichte und von einer Kultur-Entwickelung. Daher wird die Naturwissenschaft von einer Gattungs- oder Art-Entwickelung der Pferde sprechen, aber nicht von einer Geschichte.

Wir haben also in der Entwickelung eines jeden Men­schen einen geistig-seelischen Kern zu sehen, der ganz die­selbe Bedeutung hat wie beim Tier das Gattungsgemäße. Das Gattungsmäßige im Tierreich entspricht im Menschen dem Individuellen. Wenn aber im Tierreich ein jegliches Wesen, das zum Gattungsmäßigen hinsteuert, die Gattung des Ahnen wiederholt und nur entstehen kann auf Grund­lage der Samenanlage des Ahnen, der physischen Keim-anlage, dann kann das Individuelle des einzelnen Men­schen nicht aus irgend etwas entstehen, was hier in der physischen Welt ist, sondern lediglich aus etwas, was ein Geistig-Seelisches ist. Das heißt: ein geistig-seelischer Kern, der mit der menschlichen Geburt ins Dasein tritt, weist

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nicht auf eine Gattung Mensch bloß zurück, insofern der Mensch zurückgeht auf Ahnen, auf Eltern und Voreltern, sondern er weist auf einen solchen Ahnen, der geistig­seelischer Art ist, auf ein Wesen, das vorangegangen ist, das individuell nicht zur Gattung Mensch, überhaupt zu keiner Gattung gehört, sondern zu dieser selben Menschen­Individualität. Wird also ein Mensch geboren, so wird mit ihm ein individueller Kern geboren, der auf nichts anderes hin angelegt ist als nur wieder auf diesen individuellen menschlichen Kern. Wie das Tier seine Gattung sucht, so sucht der Mensch sein Individuell-Menschliches. Das heißt:

wie dieser individuelle Kern mit der Geburt erscheint, so ist er vorher dagewesen, ebenso wahr wie ein Gattungs­keim für das Tier da war. Und wir müssen in der Vor-zeit etwas wesenhaft Geistig-Seelisches suchen, welches der geistig-seelische, nicht physische Keim dieses individuell sich entwickelnden geistig-seelischen Menschen ist. Nur der, welcher keine Augen dafür hat, daß Geistig-Seelisches als Kern sich nicht innerhalb der menschlichen allgemeinen Er­scheinung herausentwickelt, wird leugnen, daß die eben ge­gebene Schlußfolgerung richtig ist.

So führt jedes individuelle Menschenleben in sich den Beweis dafür, daß es früher schon da war. Wir werden daher von einem individuellen Menschenleben ebenso zu­rückgeführt auf einen individuellen geistig-seelischen Keim und von diesem wieder auf einen geistig-seelischen Keim, das heißt wir werden von unserem individuellen Leben auf ein früheres individuelles Leben zurückgeführt und dann selbstverständlich zu unserem nächsten Leben. Die unbefangene Betrachtung des menschlichen Lebens liefert das mit derselben Notwendigkeit, wie die ausgesprochene Wahrheit auf naturwissenschaftlichem Gebiete dort als Wahrheit erscheint.

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Man nehme einmal an, man wollte als ein Mensch mit unbefangenem Verstande sagen: Darüber kann man nichts wissen. Wenn man die Schlußfolgerung immer wieder und wieder zieht, dann könnte man folgendes Schicksal erleben, sich zu sagen: Du mußt gegen jede Beobachtung und gegen jede Logik sündigen. Trotzdem ist diese Wahrheit von den wiederholten Erdenleben noch eine wenig anerkannte. Aber diese Wahrheit, daß Geistig-Seelisches nur aus Geistig-See­lischem entstehen kann, wird sich gewiß in nächster Zeit ebenso schnell in das menschliche Kulturleben einbürgern wie die andere charakterisierte Wahrheit. Und es wird eine Zeit kommen, wo man ebenso wird begreifen müssen, daß man früher etwas anderes geglaubt hat, wie man früher geglaubt hat, daß niedere Tiere, Fische und so weiter aus Flußschlamm entstehen können.

Wenn man aber diesen individuellen Wesenskern des Menschen, den man sozusagen mit der Geburt ins Dasein treten sehen kann, im Laufe des Lebens weiter verfolgt, zeigt er sich gewissermaßen in einer zweifachen Beziehung, vor allen Dingen im aufgehenden Menschen, in der Ju­gend. Er zeigt sich da als das, was eine aufsteigende Ent­wickelung des ganzen Menschen bedingt. Und wer wirk­lich intim Jugendleben beobachten kann, wer das Kind nicht nur äußerlich, sondern ganz intim beobachten gelernt hat, wer selber sich erinnert, was er in dieser Beziehung erlebt hat, der wird zugeben, daß das, was in ihm steckt, noch nicht da ist in einem bestimmten Zeitpunkt, daß es sich erst später zeigt als Kraftgefühl, als Lebensgefühl, als Le­bensinhalt, der mächtig hebend wirkt. Nicht nur auf die äußere Lebensgestaltung, sondern bis in die elementarsten Lebensgestaltungen und Lebensfunktionen hinein wirkt das nach, was man als individuellen Wesenskern in sich trägt. Und wenn eine bestimmte Reife des Menschen eintritt,

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und er nach außen hin Gelegenheit hat, vieles auf-zunehmen, dann wirkt dieser individuelle Lebenskern so, daß er sich bereichert, sich an die äußere Welt anpaßt, In-halt ansammelt. Wenn man aber diese Wechselbeziehung beobachtet des individuellen Wesenskernes des Menschen mit demjenigen, was an den Menschen im Laufe des Le­bens nicht nur durch das zu Lernende und zu Erfahrende, sondern auch durch Erlebnisse wie Lust und Leid, Schmer­zen und Freuden herantritt, dann wird man in diesem geistig-seelischen Leben selber auf einem höheren Gebiete eine ähnliche Wechselwirkung sehen wie - sagen wir zwi­schen dem neuen Pflanzenkeim, der sich in der Blüte des alten entwickelt, und der alten Pflanze, der der neue Keim das Leben wegnimmt.

Wenn man diese Betrachtung auf den Baum ausdehnt, wird man sagen können: da wird auch immer Leben weg­genommen, indem im Pflanzenreich der Baum verholzt. Aber dafür verwandeln sich gewisse Dinge am Baum selbst in tote, unlebendige Produkte; unorganisch werdende Rinde umgibt den Baum.

In derselben Weise sehen wir, wenn wir das Wesen des Menschenlebens genauer betrachten, nicht nur eine auf­steigende Entwickelung, sondern wir sehen eine aufstei­gende Entwickelung, die den geistig-seelischen Wesenskern des Menschen aufsteigen und wachsen läßt, ihn sich an­gliedern läßt an die äußere Welt; und indem er immer weiter und weiter wächst, sehen wir ihn in Konflikt kom­men mit der alten Anlage, das heißt mit sich selber in Konflikt kommen. Das geschieht dadurch, daß er sich in der Jugend Organe aufbauen, Organe gliedern konnte nach seiner Anlage, während jetzt im weiteren Verlauf des Le­bens dieser Prozeß nicht mehr möglich ist und er nun in dem verholzenden Leben weiter existieren muß. So sehen

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wir, daß wir gerade, wenn unser Leben sich reich entwik­kelt im Laufe der Zeit, wenn wir Neues aufnehmen und dadurch unsern individuellen Wesenskern bereichern, in Konflikt kommen mit dem, was die Hülle dieses Wesens-kernes ist, was wir herangebaut haben und was im Wach­sen war. Solange wir wachsen, und insofern wir so wach­sen, nehmen wir in uns keinen geistig-seelischen Todes-prozeß auf. Erst indem wir Äußeres aufnehmen, nehmen wir einen geistig-seelischen Todesprozeß auf. Das ist aber im Grunde genommen, wenn es auch in der Kindheit noch weniger als in späterer Zeit hervortritt, das ganze Leben hindurch der Fall.

So können wir sagen, daß auf geistig-seelischem Gebiet ein Wachsen und Absterben im Innersten des Menschen, auch geistig-seelisch, sitzt. Aber worin besteht jetzt der Prozeß, der sich da abspielt? Wir können ihn gut ver­stehen, wenn wir ihn einmal in einer niedrigeren Form betrachten und irgend etwas aus dem Bereich des gewöhn­lichen Lebens zur Betrachtung heranziehen, um dadurch sozusagen zu Begriffen und Ideen über das höhere Gebiet des Daseins zu kommen.

Nehmen wir zum Beispiel die Ermüdung. Von Ermu­dung sprechen wir bei tierischen und menschlichen Wesen. Nun handelt es sich darum, daß man einen Begriff ge­winnt über das Wesen der Ermüdung. Ich kann mich jetzt nicht einlassen auf alle die Begriffe, die darüber aufgesam­melt worden sind, sondern wir wollen den ganzen Prozeß der Ermüdung im Verhältnis zum Lebensprozeß in Be­tracht ziehen. Man kann sagen: Der Mensch ermüdet, weil er seine Muskeln abnutzt und weil den Muskeln neue Kräfte zugeführt werden müssen. In diesem Falle könnte man definieren: Der Mensch ermüdet, weil er seine Muskeln durch irgendeine Arbeit abnutzt.

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Recht plausibel schaut für den ersten Augenblick eine solche Definition aus. Nur wahr ist sie nicht. Aber heute ist es schon so, daß man mit Begriffen arbeitet, welche sich gerade so ausnehmen, daß sie von oben an die Dinge tippen, aber nicht in die Untergründe dringen wollen. Denn denken Sie, wenn wirklich die Muskeln ermüden könnten, wie stünde es denn dann mit dem Herzmuskel? Der wird aber überhaupt nicht müde, der arbeitet Tag und Nacht, fortwährend, und so auch andere Muskel­gebiete des menschlichen und tierischen Leibes. Das gibt Ihnen einen Begriff, daß es nicht richtig ist zu sagen, in der Beziehung zwischen Arbeit und Muskel könne irgend etwas zur Erklärung der Ermüdung liegen.

Wann ermüdet das Tier oder der Mensch? Wenn eine Arbeit nicht durch den Organismus, nicht durch den Le­bensprozeß veranlaßt wird, sondern wenn eine Arbeit von der Außenwelt selbst veranlaßt wird, das heißt aus der Welt, mit der ein Lebewesen durch seine Organe in Beziehung treten kann. Also wenn ein Lebewesen Arbeit auf Grundlage seines Bewußtseins ausführt, ermüdet das betreffende Organ. An sich liegt im Lebensprozeß nichts, was zu einer Ermüdung Veranlassung geben könnte. So muß also der Lebensprozeß, müssen die sämtlichen Lebens-organe mit etwas zusammengeführt werden, was gar nicht zu ihnen gehört, wenn sie ermüden sollen.

Ich kann nur aufmerksam machen auf diese wichtige Tatsache. In ihrer Ausgestaltung kann man ungeheuer fruchtbare Gesichtspunkte finden. Also nur das, was auf dem Umwege durch einen Bewußtseinsprozeß, was durch eine Bewußtseinsveranlassung einem Lebewesen zugeführt wird, kann Veranlassung zur Ermüdung sein. Es wäre daher ganz unsinnig, bei den Pflanzen von Ermüdung zu sprechen. Daher kann man sagen: In alledem, was ein

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Lebewesen ermüden soll, muß ihm tatsächlich etwas Frem­des gegenüberstehen, muß ihm etwas eingefügt werden, was nicht in seiner eigenen Natur liegt .

So können wir sagen, daß jene Störung des Lebenspro­zesses, die durch die Ermüdung eintritt, schon auf einem ganz untergeordneten Gebiete darauf hinweist, daß das, was wir im Seelenleben haben, nicht ohne weiteres her­ausgeboren ist aus dem physischen Leben, sondern daß es durchaus mit den Gesetzen dieses Lebens in einem Wider­spruch steht. Der Widerspruch zwischen den Gesetzen des Bewußtseinslebens und den Gesetzen des Lebens und der Lebensprozesse allein erklärt, was in der Ermüdung gegeben ist, wovon Sie sich selbst überzeugen können, wenn Sie es sich genauer überlegen. Deshalb können wir sagen, daß die Ermüdung ein Ausdruck dafür ist, daß das, was zu einem Lebensprozeß hinzukommt, ihm fremd sein muß, und daher kann es ihn nur stören. Nun kann der Lebensprozeß im wesentlichen ausgleichen, was durch die Ermüdung abgenutzt ist, durch Schlafen und durch die Ruhe. Aber Abnutzung wird dadurch herbeigeführt, daß ein Neues gegenüber dem alten Lebensprozeß auftritt.

Nun tritt im menschlichen individuellen Leben dadurch, daß der Mensch mit der Außenwelt in Beziehung tritt, ein innerer Abnutzungsprozeß auf. Das Alte, das in der An­lage vorhanden war, tritt mit Neuem in Wechselbeziehung. Das Ergebnis ist darin ausgedrückt, daß während des in­dividuellen Lebens zwar der individuelle Lebenskern um­gestaltet wird, aber dafür auch sozusagen Verholzendes abstoßen muß, was er sich selbst von seiner Geburt an ge­bildet hat. Die Ursache des Todes liegt mit der Bestim­mung zu einem neuen Leben in dem menschlichen Seeli­schen geradeso, wie in dem tierischen Organischen die An­lage zur Ermüdung nur dadurch liegen kann, daß es mit

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Neuem, ihm Fremden in Wechselbeziehung tritt. Man könnte daher sagen: der Prozeß des Todes, des allmäh­lichen Absterbens läßt sich besser begreifen, wenn man den Gegensatz in Erwägung zieht, in welchem Seelisches steht zu Organischem, und der sich in der Ermüdung ausdrückt. Daher haben wir eigentlich in unserem inneren Wesens­kern das ganze individuelle Leben hindurch den Todes-keim. Wir könnten uns aber nicht weiterentwickeln, könn­ten unmöglich das, was wir schon sind bei der Geburt, um einen Schritt weiterbringen, wenn wir nicht von innen heraus diesen Tod dem Leben beigesellen würden. Wie zur Verrichtung äußerer Arbeit Ermüden gehört, so gehört zu einer Bereicherung und Höhergestaltung des individuellen Lebenskernes das Abstoßen, das Töten der äußeren Um­hüllung.

Gerade an dem geistig-seelischen Lebens- und Todes-prozeß drückt sich uns mit einer großen Klarheit aus, was wir nennen können: wir erkaufen uns die Höhergestal­tung, die Weiterentwickelung des Lebens dadurch, daß wir die Wohltat genießen, das, was wir schon waren, von uns abzustoßen. Eine Entwickelung wäre nicht möglich, wenn wir nicht das Alte abstoßen könnten. Mit dem aber, was wir in dem Neuen unserem Geistig-Seelischen einorgani­siert haben, schreiten wir durch den Tod. Was liegen darin für Kräfte? Solche Kräfte, die die Früchte sind des ver­flossenen Lebens. Wir können die Samen zu diesen Früch­ten zwar erleben, können die Lebensbeobachtungen zwar erleben, können auch vieles im Leben machen, aber wir können sie uns nicht einorganisieren, können sie nicht wirklich in unsere äußere Hülle übertragen. Denn unsere Hülle bauen wir uns nicht aus dem, was wir in einem Leben lernen, oder höchstens zu einem gewissen Teil, son­dern wir bauen sie nach Maßgabe dessen, was wir im vorhergehenden

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Leben geworden sind. Wir können uns also unser Leben nur dadurch aufbauen, daß wir dasjenige ver­wenden, was wir uns im vorigen Leben angeeignet haben, und können uns dadurch fortentwickeln, daß wir das Alte - wie der Baum die Rinde - von uns abstoßen und in den Tod eingehen. Und mit dem, was wir mitnehmen durch den Tod hindurch, sind wir imstande, unser nächstes Leben aufzubauen, weil es in sich dieselben Kräfte enthält, die unser geistig-seelisches Wachstum aufgebaut haben, als wir frisch und froh uns in der Jugend entwickelten. Die­sen Kräften ist es gleichartig. Wir haben es aus der Le­benserfahrung aufgenommen und bauen uns ein künftiges Lebewesen, eine künftige leibliche Hülle, die das als Blüte in der Anlage in sich tragen wird, was wir in dem einen Leben gewonnen haben.

Solchen Dingen gegenüber wird immer wieder die Frage geltend gemacht: Was hilft es im Grunde genommen dem Menschen, wenn von wiederholten Erdenleben gesprochen wird, wenn er doch nicht imstande ist, sich an frühere Le­ben zu erinnern, wenn ein Gedächtnis an frühere Leben nicht vorhanden ist?

Es liegt ja im Wesen der heutigen geistigen Kultur, daß man über solche Fragen des geistig-seelischen Lebens noch nicht geläufig nachzudenken und nachzusinnen in der Lage ist wie über die Dinge des Naturlebens, aber wir müssen uns doch klar sein, daß es möglich ist, über diese Fragen des geistig-seelischen Lebens in genau derselben Weise uns Begriffe, Anschauungen zu entwickeln. Dies können wir nur, wenn wir dieses geistig-seelische Leben wirklich ge­nauer betrachten, wenn wir uns fragen: Wie muß es denn überhaupt mit dem menschlichen Gedächtnis stehen, wie ist denn das Wesen des menschlichen Gedächtnisses?

Es gibt einen Punkt im persönlichen Menschenleben, der

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sehr leicht dahin führen kann, über diese Frage Ansichten zu gewinnen, das ist der folgende. Sie wissen alle, daß es im heutigen normalen Menschenleben eine Zeit gibt, an die das spätere Leben hindurch keine Erinnerung vorhan­den ist. Das ist die Zeit der allerersten Kindheit. Der Mensch erinnert sich im heutigen normalen Leben bis zu einem gewissen Punkt seiner Kindheit, dann schwindet ihm die Erinnerung. Obwohl er sich ganz klar ist, daß er früher schon dabei war, erinnert er sich daran doch nicht. Er weiß, daß es sein gleiches geistig-seelisches Ich ist, das ihm das Leben aufgebaut hat, aber es fehlt ihm die Mög­lichkeit, sein Gedächtnis über diese Stufe auszudehnen. Wer viele Kindesleben betrachtet, wird daraus eine Beob­achtung machen können. Die wird natürlich nur im we­sentlichen sich im äußeren Leben verwirklicht finden, aber sie ist doch richtig. Aus der Beobachtung der kindlichen Seele wird man das Resultat gewinnen können, daß die Erinnerung genau so weit zurückgeht, bis sie den Zeitpunkt trifft, wo der Ich-Begriff, die Vorstellung von dem eigenen Ich in dem betreffenden Menschenwesen entstanden ist. Das ist eine außerordentlich wichtige Tatsache. In dem Moment, wo das Kind nicht mehr aus sich selbst heraus sagt: Karlchen will dies, oder: Mariechen will dies, sondern wo es sagt: Ich will das, - von dem Zeitpunkt, wo die bewußte Ich-Vorstellung anhebt, fängt auch die Rückerinnerung an. Woher kommt diese merkwürdige Tatsache? Sie kommt daher, weil zur Erinnerung noch etwas anderes notwendig ist, als daß man sozusagen einmal oder überhaupt mit einem Gegenstande in Berüh­rung gekommen ist. Man kann noch so oft mit einem Gegenstande in Berührung kommen, eine Erinnerung muß deshalb nicht hervorgerufen werden. Die Erinnerung beruht nämlich auf einem ganz bestimmten seelischen

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Prozeß, auf einem ganz bestimmten geistig-seelischen, inneren Lebensprozeß, den Sie sich vergegenwärtigen können, wenn Sie sich folgendes vor Augen stellen.

Man muß unterscheiden zwischen der Wahrnehmung eines Gegenstandes oder Erlebnisses und zwischen dem, was die Vorstellung dieses Gegenstandes ist. Im Wahr­nehmungsprozeß hat man etwas, was man immer wieder haben kann, wenn man vor das Ding hintritt. Aber man hat an dem Erlebnis noch etwas anderes. Wenn man mit einem Ding in Berührung gekommen ist, einen Gesichts-oder Gehörseindruck in sich aufgenommen hat, so hat man außerdem noch etwas wie einen inneren Siegelabdruck in sich aufgenommen, und der ist es, den wir mitnehmen, der in der Vorstellung bleibt, der sich der Erinnerung einver­leiben kann. Der muß aber erst entstehen. Ich weiß, daß das, was ich jetzt gesagt habe, vielfach beanstandet werden wird von wackeren Schopenhauerianern, von denen, die da behaupten, daß unsere Weltanschauung nur unsere Vorstel­lung sei. Aber das beruht auf Verwechselung von Wahr­nehmung und Vorstellung. Beide müssen dringend unter­schieden werden. Die Vorstellung ist ewas Reproduziertes. Das äußere Erlebnis kann noch so oft auftreten: wenn es nicht den inneren Siegelabdruck der Vorstellung erfährt, kann es nicht dem Gedächtnis einverleibt werden. Wenn dagegen gesagt wird, die Vorstellung ist nichts anderes, als was sich in der Wahrnehmung darbietet, so braucht man nur darauf aufmerksam zu machen, daß die Vor­stellung eines noch so heißen Stückes Stahl ganz gewiß niemanden brennen wird, aber das Sinneserlebnis wird brennen. Da haben Sie den Unterschied zwischen Vorstel­lung und Sinneswahrnehmung. Deshalb können wir sagen:

Die Vorstellung ist ein nach innen gewendetes Sinneserlebnis.

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Aber bei dieser Wendung nach innen, bei diesem äuße­ren Anprall des Gegenstandes im Wechselverkehr mit dem menschlichen Innern, wobei der innere Siegelabdruck her­vorgerufen wird, kommt noch etwas anderes in Betracht. Was da nach innen in unserm Sinnesleben erlebt wird, das wird bei jedem äußeren Sinneseindruck, bei allem, was wir an der äußeren Welt aufnehmen können, einverleibt unserm Ich. Eine Sinneswahrnehmung kann auch da sein, ohne daß sie dem Ich einverleibt wird. Für die äußere Welt ist es unmöglich, daß eine Vorstellung im Gedächtnis behalten wird, wenn sie nicht nach innen, in den Bereich des Ich aufgenommen wird. So steht bei jeder Vorstellung, die wir uns aus einem Sinneserlebnis bilden und die im Gedächtnis behalten werden kann, das Ich am Ausgangs­punkt. Eine Vorstellung, die von außen herein in unser Seelenleben kommt, ist gar nicht zu trennen von dem Ich. Ich weiß wohl, daß ich bildlich spreche. Aber diese Dinge bedeuten trotzdem eine Wirklichkeit, wie wir im Laufe der nächsten Vorträge sehen werden.

Wir können uns vorstellen, daß das Ich-Erlebnis etwas darstellt wie eine innere Kugelfläche, von außen gesehen, daß dann die Sinneserlebnisse herankommen und daß das Sich-Spiegeln der Erlebnisse im Innern die Vorstellung er­gibt. Dazu muß aber das Ich dabei sein bei jeder einzelnen Sinneswahrnehmung. So ist tatsächlich das Ich-Erlebnis bei allem, was der Erinnerung einverleibt werden kann, wie ein Spiegel, der nach innen uns die Erlebnisse zurück-strahlt. Es muß da sein. Daraus erklärt sich uns folgendes:

Solange das Kind nicht die Begriffswahrnehmungen so aufnimmt, daß sie Vorstellungen werden, sondern solange sie nur als Sinneswahrnehmungen äußerlich an das Kind herantreten, nur äußerlich zwischen Ich und Außenwelt erlebt werden, nicht aber zum inneren Ich-Erlebnis umgewandelt

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werden, solange das Kind nicht die Ich-Vor­stellung hat, deckt ihm kein Ich-Spiegel sozusagen zu, was ringsherum ist. Solange wird man aber auch bemerken, daß das Kind Mannigfaltiges, was die Erwachsenen nicht verstehen, in die Umgebung hineinphantasiert. Bei der Rückerinnerung aber kann nur das auftauchen, was das Ich schon aufgenommen hat, so daß es dadurch in die Erinnerung gedrängt ist. Wo die Ich-Wahrnehmung auf­getreten ist, stellt sich das Ich vor die Vorstellungen wie ein Spiegel, und was dann vor dieser Zeit des Ich-Erleb­nisses liegt, kann nicht mehr in die Erinnerung herauf-gerufen werden. Daher tritt der Mensch immer so mit der Außenwelt in Berührung, daß sein Ich alle Erlebnisse mit­erlebt, daß sein Ich immer dabei ist. Damit ist nicht gesagt, daß auch alles zum Bewußtsein kommen muß, sondern nur, daß Erlebnisse nicht bloß als Sinneswahrnehmungen verbleiben, sondern in Vorstellungen umgewandelt werden.

So können wir jetzt sagen: Der innerste Wesenskern des Menschen, aus dessen Mittelpunkt sich das heraus-entwickelt, was jetzt beschrieben worden ist als von Verkörperung zu Verkörperung gehend, wird gerade zu­gedeckt durch die Ich-Vorstellung, wie sie gewöhnlich vorhanden ist. Der Mensch stellt sich selbst vor sein Gedächtnis hin mit seiner heutigen Ich-Entwickelung. Und daher ist es ganz erklärlich, daß sein Gedächtnis nur über die Sinneswelt reichen wird.

Kann nun durch die Erfahrung selber der Beweis ge­liefert werden, daß das auch anders werden kann? Kann von Erweiterung des Gedächtnisses bis in frühere Verkör­perungen hinein gesprochen werden? Das ist aus der blo­ßen Definition selbstverständlich, wenn das erfaßt wird, was hinter dem eigenen Ich-Punkt liegt, den man sich so-zusagen selber zudeckt. Fängt man an ihn zu erfassen, so

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muß man auch seine innerste Natur und Wesenheit erken­nen, und man muß auch erkennen, was ein Mensch im menschlichen Leben und nicht bloß im allgemeinen, son­dern im eigenen individuellen Leben tut. Gibt es eine Mög­lichkeit, sozusagen hinter dieses Ich dahinter zu schauen? Die gibt es allerdings. Und sie liegt in jenem inneren Seelenleben, von dem ich schon in dem einleitenden Vor-trage gesprochen habe. Wenn es der Mensch wirklich un­ternimmt, in streng methodischer Schulung seine Seele so zu entwickeln, daß die in ihr sch]ummernden Kräfte her­vorkeimen, daß die Seele über sich selber hinaussteigt, dann kann er das nur dadurch, daß er mit einer gewissen in­neren Entsagung sich Vorstellungen aneignet, welche nicht solche sind, bei denen das Ich-Erlebnis unmittelbar dabei ist. Bei allem, wo das Ich-Erlebnis dabei ist, stellt sich das Ich-Erlebnis vor dem menschlichen Wesenskern auf. Für die Seelenschulung muß er sich also Vorstellungen aneig­nen, bei denen das Ich-Erlebnis nicht dabei ist. Deshalb müssen jene inneren Seelenübungen, die der Mensch vor­nimmt, in einer ganz bestimmten Art getroffen werden. Da kommt es auf den Inhalt des Nachsinnens an, was er da seinem Seelenleben einverleibt. Und er muß seinem Seelenleben etwas einverleiben, was der inneren Seelen-natur zwar gleichkommt, aber sich nicht auf Äußeres be­zieht. Was bezieht sich nicht auf das Äußere? Nur das Nachdenken. Aber das Nachdenken erstreckt sich gewöhn­lich über die äußere Welt. Daher ist es nicht brauchbar für den, der in die höheren Welten hinaufsteigen will. Es muß daher ein solches Vorstellungsleben entwickelt werden, das in Bildern, in Symbolen, die immerfort und fort vor die Seele hingestellt werden, im Ich eine solche Tätigkeit her­vorruft, daß das Ich, wenn es die Wahrheiten der gewöhn­lichen Sinneswelt gewinnen wollte, sich nie eine solche Vorstellung

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bilden würde. Also es muß sich die Seele Bilder und Symbole einverleiben, die nicht eintreten, wenn man mit seinem Ich-Erlebnis alles Äußere begleitet.

Beachtet man das, dann macht man die folgende Erfah­rung, über die man nur etwas aussagen kann, indem man hinweist auf jenen Zustand, in welchem der Mensch immer wieder in seinem Leben eintritt, nämlich in den Schlaf-zustand. Mit dem Einschlafen versinken alle Vorstellun­gen, alle Leiden, Schmerzen und so weiter, die der Mensch während des Tages erlebt hat, in ein unbestimmtes Dun­kel. Das ganze bewußte Leben des Menschen geht in ein unbestimmtes Dunkel hinunter, und es kommt wieder, wenn der Mensch des Morgens aufwacht. Vergleichen Sie das Bewußtseinsleben beim Aufwachen und beim Einschla­fen. Solange der Mensch nur bewußte Eindrücke aus dem äußeren Sinnesleben gewinnt, bringt er nur wieder mit am Morgen, was er am Abend im Bewußtsein hatte. Er wacht mit demselben Bewußtseinsinhalt wieder auf, er erinnert sich an denselben, kann dasselbe denken und so weiter. Wenn der Mensch aber in der angedeuteten Weise eine solche innere Trainierung vornimmt, bei der das Ich nicht dabei ist, dann stellt sich die Sache anders. Da findet der Mensch allerdings, daß er seine ersten Fortschritte dar­an merkt, daß er sich beim Aufwachen bereichert fühlt durch den Schlaf, daß dasjenige, was er vor dem Einschla­fen aufgenommen hat, ihm mit einem reicheren Inhalt zu­rückkommt. Da kann er nun sagen: Jetzt habe ich hinter die geistige Welt geschaut, die das Ich nicht zudeckt, und habe als Frucht davon, daß sich mir in mein Bewußtseins-leben etwas eingliedert, was ich nicht aus der Sinneswelt gewonnen habe, denn ich habe es mir mitgebracht aus der Welt des Schlafes. So sind die ersten Fortschritte dessen, der ein geistig - seelisches Leben durchmacht.

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Dann aber tritt weiter die Möglichkeit ein, daß er auch während des wachen Tageslebens einen solchen Inhalt sich eingliedern kann, der nicht vom Ich-Erlebnis durchdrun­gen ist, obwohl das Ich dabei ist. Das Ich-Erlebnis muß sich neben diesen Inhalt ebenso stellen, wie es sich in allen sinnlichen Inhalt hineinstellt. Wenn wir dies in Betracht ziehen, müssen wir sagen: In einen seelisch-geistigen In­halt des Menschseins hineinschauen kann der, welcher in der Lage ist, hinter das Ich zu schauen. Wer einen solchen Weg durchmacht, dem wird auch oft nahegelegt, gewisse Gefühle zu entwickeln. An der Art wie diese Gefühle sind, zeigt sich schon, wie auch der Weg ist. So muß man lernen, wunschlos zu sein gegen kommende Erlebnisse, lernen, wunschlos zu werden, und namentlich sich Furcht und Angst vor kommenden Ereignissen abzugewöhnen.. Man muß lernen, kaltblütig zu sagen: Du läßt alles an dich herankommen, was auch kommen mag, und sich das nicht bloß in einer trockenen, abstrakten Vorstellung zu sagen, sondern es sich zum innersten Gefühl zu machen. Fatalist braucht man deshalb nicht zu werden, denn man. muß selbst dabei eingreifen ins Leben. Fatalist ist man, wenn man denkt, daß alles von selbst geschieht. Aber dieses absolute Gleichgewicht als Gefühl und Empfindung dem Ich einzuimpfen, das ist etwas, was nach dem geistig-seelischen Wesen des Menschen eine solche Kraft hinstößt, die das Ich ausschaltet von den Wahrnehmungen, die sich. in unser Bewußtsein bereits hineinstellen. So bleibt man innerhalb der Ich-Welt darinnen stehen, nimmt aber eine neue Welt von inneren Seelenerfahrungen auf. Diese machen es einzig und allein möglich, daß man den innersten Wesens-kern des Menschen, der sich zwar von der Geburt an ent­wickelt als das, was aus einem vorhergehenden Leben stammt, aber nicht in Wahrheit erkannt werden kann,

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nun in seiner wahren, individuellen Gestalt sehen kann. Man muß ihn erst sehen wie er ist, wie er unmittelbar in der Gegenwart ist und arbeitet. Wie soll man sich an etwas erinnern, auf das man noch nie die Augen gewendet hat? Wie das Kind dasjenige auch im Bewußtsein nicht hat, was sich vor der Entwickelung der Ich-Wahrnehmung abge­spielt hat, so kann der Mensch diejenigen Erlebnisse vor­heriger Geburten nicht in sein Gedächtnis hereinnehmen, die nicht aufgebaut sind auf einer Erkenntnis des inneren Wesenskernes des Menschen, auf Gefühlen und Empfin­dungen des geistigen und seelischen Kernes, der in jedem Menschen ist.

Wer das wirklich durchmacht, wer vor allen Dingen lernt, sich die Rückschau in frühere Leben dadurch zu er­kaufen, daß er mit Gleichmut und Gelassenheit wunschlos der Zukunft entgegenschaut, der wird sehen, daß die frühe­ren Erdenleben nicht bloß eine logische Schlußfolgerung sind, sondern durch ein neu entstandenes, wirklich hervor­gerufenes Gedächtnis als Realität sich erweisen. Aber dazu ist eines notwendig. Die Möglichkeit, in die Vergangen­heit zu schauen, kann nur erkauft werden durch Wunsch-losigkeit, durch Gleichmut und Gleichgültigkeit gegenüber der Zukunft. Soweit wie wir in unseren Gefühlen und Empfindungen darauf gefaßt sind, die Zukunft zu erleben, soweit wie wir unser Ich ausschalten können gegenüber dem Erleben der Zukunft, so weit sind wir imstande, in die Vergangenheit zu schauen. Und je mehr der Mensch diesen Gleichmut entwickelt, desto mehr nähert er sich dem Zeitpunkt, wo die vergangenen Erdenleben eine Rea­lität für ihn sind.

So können wir den Grund angeben, warum für das ge­wöhnliche Menschenleben oft gesagt werden kann, eine Erinnerung sei nicht da. Dieser Einwand ist ebenso, wie

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wenn jemand ein Kind von vier Jahren bringen würde und sagte: Dieses Kind kann nicht rechnen, und nun daraus schließen wollte: Also kann der Mensch nicht rechnen! Dagegen könnte man nur erwidern: Laß das Kind zehn Jahre alt werden, und es kann rechnen. Also kann der Mensch rechnen! - Die Erinnerung an die ver­gangenen Erdenleben ist eine Sache der Entwickelung! Da­her ist es notwendig, daß man durch das Zwingende des logischen Schlusses, der an die Spitze des heutigen Vor­trages gestellt worden ist, darüber nachdenken lernt. Dann wird man finden, daß ein geistig-seelischer Wesenskern des Menschen da sein muß und daß wir ihn durch den Tod hindurch in ein neues Leben hinübertragen, wie wir ihn durch die Geburt in dieses Leben hineingetragen haben.

So kann Geisteswissenschaft nicht in einfacher Weise, sondern so wie es sachlich richtig ist, auf das hinweisen, was im Menschen gegenüber Leben und Tod ewig ist. Und wir dürfen sagen: Die logische Schlußfolgerung über Tod und Leben in bezug auf die menschliche Wesenheit sagt uns von vornherein, daß in dieser menschlichen Individua­lität die Möglichkeit auch zur Erringung des Gedächtnisses für die vergangenen Leben vorhanden ist. Dann braucht man auch nicht mehr zu sagen: Wenn man sich nicht daran erinnern kann, nutzen einem die vergangenen Erdenleben nichts! Nutzt einem denn nur das, an was man sich erin­nert? Sind nicht auch für das Kind die Zeiten wichtig, an die es sich nicht erinnert? Wir tragen in uns die Früchte vergangener Leben. Wir entwickeln in uns - ohne unser Bewußtsein - im gegenwärtigen Leben das, was wir aus früheren Leben haben. Und wenn wir anfangen, in frühere Erdenleben zurückzusehen, dann ist ja die Rückerinnerung da. Dann können wir uns auch sagen, wie gut es war, daß wir uns in früheren Zeiten nicht zurückerinnert haben. Es

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ist zum Beispiel die Rückerinnerung nicht nur erst durch das zu erringen, was ich an Gefühlen und Empfindungen für das zukünftige Leben charakterisiert habe, sondern sie ist sogar nur verträglich mit einer solchen geschilderten Seelenverfassung. Wenn sie auf eine künstliche Weise einträte und ihr. dennoch der Mensch ein von Egoität durch­drungenes Wunsch- und Begierdenleben zur Seite stellen würde, müßte sein geistig-seelisches Leben aus dem Gleich­gewicht kommen, müßte aus den Fugen gehen. Denn ge­wisseDinge gehören zusammen - und gewisse andere Dinge stoßen sich ab.

So konnten wir verfolgen das, was im Menschen ewig ist, was durch die Geburt ins Leben tritt, was aus dem Leben durch den Tod in geistige Welten übertritt und in neuen Verkörperungen wiedererscheint. Und verbunden damit ist, wie wir nur dadurch in neuen Verkörperungen uns höher entwickeln können, daß wir die Früchte aus den früheren Leben verwerten. Heute sollten die Be­ziehungen des menschlichen Wesenskernes zu diesen bei­den Begriffen gezeigt werden. Wenn wir das vor Augen haben, werden wir nicht mehr bei der Frage nach dem Wesen von Leben und Tod zur Antwort geben: Das We­sen des Todes erkenne man an der Leiche, - sondern wir werden sagen: Wir suchten im innersten Wesenskern des Menschen dasjenige, was neues Leben herbeiführen muß. Damit aber neues Leben entstehen kann, muß das alte nach und nach absterben und dann ganz erlöschen, ebenso wie die alte Pflanze, wenn sie einjährig ist, absterben muß, damit die neue Pflanze das Leben aus ihr nehmen kann. Wer so die Welt des Todes betrachtet, wird nicht auf das hinschauen, was als Leiche übrigbleibt, sondern er wird in jedem Wesen auf das Charakteristische des Lebens hin­schauen, das in ein neues Leben hinübergeführt wird. Mag

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also auch Shakespeare den düsteren Dänenprinzen das­jenige aussprechen lassen, was für viele scheinbar aus den sicheren Tatsachen der heutigen Wissenschaft folgen kann:

Der große Cäsar, tot und Lehm geworden,

Verstopft ein Loch wohl vor dem rauhen Norden.

O daß die Erde, der die Welt gebebt,

Vor Wind und Wetter eine Wand verklebt.

Liegt einer solchen Betrachtung nur das zugrunde, was die Wege des Absterbenden sind, so wenden wir uns, indem wir aus der Geisteswissenschaft heraus den Menschen be­trachten, an den geistig-seelischen Wesenskern, der durch Geburt und Tod und durch immer neue Leben hindurch­geht. Und wir gewinnen die Zuversicht, indem wir nicht die Wege verfolgen, die Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff gehen, sondern die Wege des Lebens suchen, indem wir auf das sehen, was der eigentliche Wesenskern des Men­schen durchmacht, daß wir dem Worte Shakespeares das andere Wort gegenüberstellen können:

Der kleinste Erdenmensch,

Ein Sohn der Ewigkeit,

Besiegt in immer neuen Leben

Den alten Tod!

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MENSCHENSEELE UND TIERSEELE Berlin, 10. November 1910

Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, daß im Anschluß an den heutigen Vortrag hier in acht Tagen ein Vortrag ge­halten werden soll über «Menschengeist und Tiergeist», während heute der Gegenstand, über den wir sprechen wollen, «Menschenseele und Tierseele» heißt. Warum das geschehen ist, daß über Geist und Seele in zwei getrennten Vorträgen gesprochen werden soll, kann allerdings erst im nächsten Vortrage vollständig deutlich zutage treten. Vor­läufig kann nur darauf aufmerksam gemacht werden: wenn man geisteswissenschaftlich Leben und Dasein betrachtet, hat man es in einer gewissen Beziehung allerdings nicht so leicht wie bei der anderen wissenschaftlichen Betrachtang, die in der Gegenwart üblich ist, wo Begriffe und Ideen, die durchaus zu einer wirklichen Erfassung der Dinge aus­einandergehalten werden müssen, eben zusammengewor­fen werden. Und wir werden sehen, daß wir mit den Rät­seln, die sich auf Seele und Geist bei Tieren und Menschen beziehen, nicht zurechtkommen könnten, wenn wir nicht die Unterscheidung zwischen Seele und Geist klar und sicher machen könnten.

Wenn wir geisteswissenschaftlich, wie es hier geschehen soll, von Seele sprechen, dann ist mit dem Begriff der Seele immer der andere Begriff der Innerlichkeit, des innerlichen Erlebens verbunden. Und wenn wir in bezug auf die uns umgebende Welt vom Geist reden, sind wir uns darüber klar, daß wir in allem, was uns nur erscheinen, entgegentreten

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kann, etwas wie eine Offenbarung des Geistes haben. Es ist das auch schon öfter erwähnt worden, daß sich der Mensch in einem sonderbaren Selbstwiderspruch befinden würde, wenn er den Geist nicht voraussetzen würde in allenErscheinungen desDaseins, die ihn umgeben. Nur der­jenige Mensch kann eigentlich, ohne in einen sich tötenden Selbstwiderspruch zu kommen, erkennend an die Außen­welt herantreten, der zugibt, daß das, was er in seinem Geiste zuletzt über die Außenwelt findet, was er erkennend sich an Begriffen und Ideen aneignet, um die Außenwelt zu erfassen, mit den Dingen selbst etwas zu tun hat. Wer nicht zugeben wollte - womit er dann von den Dingen ausgeht, wenn er glaubt, in irgendeiner Weise etwas er­kannt zu haben, wenn er sich Begriffe von den Dingen gemacht hat -, wer nicht zugeben wollte, daß in diesen Begriffen etwas lebt, was in den Dingen selber ist, der dürfte, wenn er mit sich selbst in Übereinstimmung lebt und sein erkennendes Leben selber logisch auffassen will, gar nicht an das Erkennen schreiten. Nur der kann Er­kenntnis als etwas Wirkliches betrachten, der sich sagt:

Was ich zuletzt in meinem Geist in der Erkenntnis finden und behalten, gegenwärtig machen kann, das muß zuerst in den Dingen enthalten sein. Insofern ich in meinem Geist von den Dingen etwas hereinnehme, gleichgültig welchem Reiche sie angehören, setze ich in allen Reichen den Geist voraus.

Gewiß, diese Anerkennung, die jetzt ausgesprochen wor­den ist, wird nicht überall gemacht. Aber sie wird nur dann nicht gemacht, wenn man sich in den charakterisier­ten Selbstwiderspruch versetzt hat. Deshalb sprechen wir von Geist, indem wir uns klar sind, daß er sich in allen Welten offenbart, und wir suchen zu erkennen, wie er sich in die Welten hineingießt und in ihnen erscheint. Anders

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sprechen wir, wenn wir von Seele sprechen. Von Seele sprechen wir nur, wenn das Geistige, von dem eben jetzt gesprochen worden ist, das wir als Menschen uns durch unseren Intellekt, durch unsere Vernunft und andere Mittel aneignen, durch die wir die Dinge erkennend durchdrin­gen, in einem Wesen selber innerlich lebt und erlebt wird. Wir sprechen einem Wesen Seele zu, das den Geist nicht nur in sich aufnimmt, sondern das den Geist in sich erlebt und aus dem Geist heraus in sich selber schaffend ist. Also nur dann sprechen wir von Seele, wenn Geist innerlich in einem Wesen ist, das uns entgegentritt. So aber - innerlich schaffend - finden wir den Geist bei Mensch und Tier.

Wie es sozusagen leicht wird, manches andere zu wider­legen - was in dem ersten Vortrag dieser Serie gesagt und gezeigt worden ist -, wenn man sich an landläufige Be­griffe hält, ebenso ist es auch kinderleicht, sich über das widerlegend herzumachen, was sozusagen fundamentale Ergebnisse der Geistesforschung sind, die sich darin aus-drücken, daß man auf dem Boden der Geisteswissenschaft innerhalb der menschlichen Natur nicht bloß ein ein­gliedriges Wesen, sondern eine mehrgliederige Wesenheit unterscheiden muß. Gewiß, es gibt heute noch weite, weite Kreise, welche - und man kann das ganz gut verstehen und sich in solche Menschen hineindenken, kann mit ihnen fühlen und nachempfinden, was sie eigentlich wollen - so­zusagen ein Hohngelächter der Hölle anfangen, von ihrem Standpunkt aus mit vollem Recht, wenn von geisteswis­senschaftlicher Seite folgendes gesagt wird: Der Mensch muß zusammengesetzt gedacht werden nicht nur aus dem physischen Leib, den man in der äußeren Welt durch die Sinneswahrnehmung sieht, den man anerkennt in der äußeren Wissenschaft und auch untersucht, sondern dem Menschen muß auch zugeschrieben werden ein höherer

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Leib, der sogenannte Äther- oder Lebensleib, wobei nicht an den hypothetischen Ather der Physik zu den­ken ist. Ebenso muß, wenn geisteswissenschaftlich ge­sprochen wird, ein drittes Glied der menschlichen Wesen­heit anerkannt werden, der Astralleib, und ein viertes Glied des Menschen, sein Ich. Wenn diese Glieder als etwas Reales anerkannt werden, so ist es vom Stand­punkt der gegenwärtigen Forschung außerordentlich leicht zu widerlegen, was so von der Geisteswissenschaft gesagt wird, und zwar deshalb leicht - das kann gerade aus dieser Serie von Vorträgen ersichtlich werden -, weil man in die ganze Art und Weise des geisteswissenschaft­lichen Forschens erst einen Blick hineintun muß, um die Berechtigung dieser Dinge anzuerkennen.

Vom Standpunkte des Geistesforschers selbst sind diese vier Glieder der menschlichen Wesenheit - physischer Leib, Atherleib oder Lebensleib, Astalleib und Ich, das heißt also ein sichtbares und drei unsichtbare, übersinnliche Glie­der der menschlichen Wesenheit - Realitäten, weil der Geistesforscher seine Seele in bezug auf die in ihr schlum­mernden Kräfte in einer solchen Weise entwickelt hat, daß er die höheren Leiber des Menschen so wahrnehmen kann, wie die gewöhnlichen Augen den physischen Leib wahr­nehmen. Diese höheren Glieder sind also Realitäten und, insofern sie unsichtbare Glieder sind, gerade dem sicht­baren Glied, dem physischen Leib zugrunde liegend. Aber wenn sie wahrnehmbare Realitäten auch nur für den Geistesforscher sind, so kann man doch sagen, daß sich dem Denken verständlich machen kann, was gemeint ist, wenn von diesen höheren Gliedern der menschlichen Natur ge­sprochen wird. In dem Atherleib erkennt der Geistes-forscher zunächst eine Realität, den Träger aller Lebens-erscheinungen des Menschen. Und der Geistesforscher zeigt,

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daß der Tod dann eintritt, wenn der physische Leib ver­lassen wird von seinem Äther- oder Lebensleib. Deshalb sieht der Geistesforscher in dem Äther- oder Lebensleib dasjenige, was den physischen Leib davor bewahrt, den physischen und chemischen Kräften zu folgen, die ja im physischen Leibe des Menschen tätig sind. In dem Augen­blicke, da der Tod eingetreten ist, ist der physische Leib eine nicht mehr mögliche Zusammenfügung von chemischen und physischen Vorgängen. Daß der menschliche Leib zeit-lebens herausgerissen ist aus diesen physischen und chemi­schen Vorgängen, die sich seiner sofort bemächtigen, wenn der Tod eintritt, das verdankt er dem Äther- oder Lebens-leib. Mit demselben haben wir etwas gegeben, was die chemischen und physischen Stoffe und Kräfte aus ihrer Wirksamkeit herausreißt und sie erst wieder im Moment des Todes dieser physischen Wirksamkeit übergibt.

Wir haben öfter gesagt, was dagegen eingewendet wer­den kann, das ist kinderleicht vorzubringen. Aber diese Einwände sind auch solche, die bei einer tieferen Erfassung der Sache wegfallen. Ganz abgesehen davon, daß der Äther-leib für den Geistesforscher eine Tatsache ist, zeigt auch eine wirkliche Logik, daß es unmöglich ist, einen leben­digen Organismus ohne einen solchen Äther- oder Lebens-leib zu denken. Einen solchen Ätherleib schreiben wir daher im geisteswissenschaftlichen Sinne auch den Pflanzen zu und sagen: Während der Mensch noch höhere Glieder übersinnlicher Art hat - den astralischen Leib und das Ich -, ist die Pflanze eine Wesenheit, die nur physischen und Ätherleib hat, während ein Mineral nur aus phy­sischem Leib besteht, soweit es sich uns in der Außenwelt darstellt. Treten wir zum Tier heran, so sprechen wir nur davon, daß sich beim Tier in physischen Leib und Äther-leib eingliedert - indem wir uns bei diesem Worte nichts

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anderes denken wollen, als was jetzt gesagt wird - der Astralleib.

Nun schreiben wir dem Astralleib die Fähigkeit zu, daß dasjenige, was zum Beispiel beim Kristall die Gestaltung hervorruft, also das Geistige, in dem Wesen selber inner­lich, organbildend wird. Und wenn wir sehen, daß in einem tierischen Wesen aus der innerlichen Organisation heraus sich die Sinnesorgane, die Funktionen der tierischen Seele aufbauen, so sagen wir: Während beim Mineral sich der Geist erschöpft in der Ausgestaltung der Form, ist er innerlich lebendig im Tier. Dieses Innerlich-lebendig-Sein, dieses Dasein des Geistes innerhalb der tierischen Organi­sation selber bezeichnen wir als eine Tätigkeit des Astral­leibes. Beim Menschen aber sprechen wir davon, daß dieser Astralleib noch durchdrungen ist von einem Ich-Leib, und wir werden gleich nachher sehen, welche Bedeutung dieser Ich-Leib für das Menschenleben hat.

Was sprechen wir denn dem Geiste eigentlich zu, wenn wir von Geist reden? Wir sprechen ihm dasjenige als Realität, als äußere Wirklichkeit zu, was wir sozusagen in uns selber in unserer Intelligenz erleben. Wir führen durch unsere Intelligenz dieses oder jenes aus, wir bringen die Kräfte der Wesenheiten in ein Zusammenspiel durch unsere Intelligenz. Diese unsere schöpferische Intelligenz hat eine gewisse Art. Indem sie in uns gleichsam in ein zeitliches Dasein tritt, schöpferisch auftritt, bilden wir uns einen Begriff von Intelligenz, von vernünftigem Erleben, von vernunftgemäßem Schaffen, und schauen uns rings-herum das Weltall an. Wir müßten sehr kurzsichtig sein, wenn wir Intelligenz, alles was wir Geist nennen, nur uns selbst zuschreiben wollten. Das ist gerade die Grund­lage für die Unmöglichkeit, in die Rätsel des Daseins ein­zudringen, daß der Mensch leicht geneigt ist, das Wesen

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der Intelligenz nur sich selber zuzuschreiben, und sich gar nicht die Frage beantworten kann: Wie bin ich berechtigt, die Intelligenz auf das Dasein anzuwenden? Wenn wir aber hinausschauen und sehen, daß die Dinge des Raumes und der Zeit sich so aussprechen, daß unsere Intelligenz die Gesetzmäßigkeit umfassen kann, dann sagen wir: Was in uns als Intelligenz lebt, das ist ausgebreitet in Raum und Zeit und wirkt dort in Raum und Zeit. Wenn wir uns umsehen im weiten, toten Naturreich, sprechen wir davon, daß der Geist in diesem weiten, toten Naturreich gleichsam im Stoffe erstarrt ist, und daß wir das, was in den Formen, in.der gesetzmäßigen Wirksamkeit des Stoffes sich ausprägt, hereinlassen, auffangen können in unserer Intelligenz, und dadurch in unserer Intelligenz eine Art Spiegelung des die Welt durchwebenden und durchwir­kenden Geistes haben.

Wenn wir so den Geist im ganzen Weltall verfolgen und ihn jetzt vergleichen, wie er gleichsam in den toten Wesen des Daseins erstarrt ist, mit der Art, wie er uns im Tierreich entgegentritt, dann sagen wir uns: Sehen wir ein einzelnes tierisches Wesen an, so erscheint uns in ihm ein in sich geschlossenes Dasein, das in derselben Art schafft wie der Geist, der ausgebreitet ist in Raum und Zeit. Wir können uns vorläufig ein Gefühl dafür aneignen, warum die Menschen, welche die Gründe dafür wußten, diesen im Tier wirksamen Geist den «Astralleib» nannten. Sie richteten den Blick in die große Welt des Daseins, durch welche die Sterne in ihren Bahnen sich bewegen, die der Mensch durch seine Intelligenz begreift, und sagten sich: In der Gesetzmäßigkeit der ganzen Welt lebt der Geist, und wir sehen einen gewissen Abschluß in einem einzelnen tierischen Organismus, sehen ihn in dem Raum, der durch die tierische Haut begrenzt wird, eingeschlossen. -

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Was so im Tiere wirkt und gleichartig ist dem, was sich sonst ausbreitet in Raum und Zeit, das bezeichneten sie im einzelnen tierischen Organismus als astralischen Leib.

Ob nun ein dunkles Gefühl, nur eine Ahnung die Ver­wandtschaft dessen fühlt, was sich da im Tiere ausspricht, mit dem, was in Raum und Zeit ergossen ist, oder ob die auf Geisteswissenschaft beruhende strenge Forschung dies erkennt - zwischen diesem beiden ist ein weiter Weg. Aber das Gefühl ist ein sicherer Führer, und es zeigt manchem, bevor er in das Wesen der Geistesforschung eindringen kann, daß es eine Wahrheit ist, was vom Geistesforscher gesagt wird.

Wenn wir jetzt diesen Geist, den wir bewundern können in seinem Ergossensein in Raum und Zeit, betrachten, wie er wirkt im Tier, dann dürfen wir sagen: Wir sehen an dem Tier, wo wir es auch betrachten, wie aus seiner Organi­sation die geistige Wirksamkeit heraussprießt, die wir sonst herausholen müssen aus allen Gesetzen des Raum- und Zeitdaseins. Dazu brauchen wir nicht absonderliche Er­scheinungen zu betrachten, sondern dazu genügen die aller-nächstliegenden Erscheinungen. Der sinnige Mensch braucht nicht weit zu gehen, und er wird aus der tierischen Tätig­keit die geistige Wirksamkeit heraussprießen sehen, wie er sie sonst aufsuchen muß in den Weiten des Daseins. Wenn er die Wespe das Wespennest aufbauen sieht, kann er sich sagen: Da sehe ich gleichsam Intelligenz aus der tierischen Organisation heraussprießen. Die Intelligenz, die ich draußen im Weltenall finde, wenn ich meine eigene Intelligenz auf die Gesetze des Daseins anwende, sehe ich in dem an der tierischen Organisation wirksamen Geist. Wenn der Mensch diesen in der tierischen Organisation wirksamen Geist betrachtet - gleichgültig wo er ihm ent­gegentritt -, dann kann er sich wahrhaft sagen: Zuweilen

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ist wirklich dieser in der tierischen Organisation wirksame Geist, diese Verinnerlichung des Geistes im Tier weit über das hinaus, was der Mensch in bezug auf Intelligenz zu erschaffen vermag! Wir haben ein naheliegendes Beispiel schon öfter erwähnt. Wie lange hat der Mensch im Ver­laufe seines geschichtlichen Daseins warten müssen, bis ihn die eigene Intelligenz dazu befähigte, Papier zu bereiten! Untersuchen wir die Kräfte der Intelligenz, die der Mensch aufwenden und seinem eigenen Seelenleben einverleiben mußte, um Papier bereiten zu können. Sie können in jeder Schulgeschichte nachlesen, was es für ein großes Ereignis gewesen ist, daß der Mensch zur Papierbereitung aufstieg. Nun - die Wespe kann das schon seit Jahrtausenden! Denn das ist ganz dasselbe, was uns im Wespennest entgegen-tritt, und was der Mensch als Papier herstellt.

So sehen wir fömlich, was der Mensch im Kampf ums Dasein aus seiner Intelligenz herausfließen läßt, in aller Lebendigkeit aus dem tierischen Organismus heraus­sprießen. Da man die Dinge gewöhnlich am verkehrten Ende anfaßt, so hat man sich lange Zeit hindurch in der sonderbaren Redensart ergangen, ob das Tier intelligent oder nicht intelligent ist, - gar nicht darauf achtend, daß man den Punkt, worauf es eigentlich ankommt, verkannte. Denn die Frage kann nicht lauten, ob das Tier intelligent ist oder nicht, sondern ob das Tier in allem, was es zu­stande bringt, das entfaltet, was der Mensch nur durch seine Intelligenz kann. Dann wird man sich die Antwort geben, daß in dem Tier innerlich schaffende und waltende Intelligenz ist, die unmittelbar aus dem tierischen Leben heraus wirkt. Man wird sich dann ein Gefühl aneignen von dem, was dem Geistesforscher in dem Astralleib als Wahrnehmung vorliegt und was er innerlich und äußer­lich im Tier wirksam sieht, indem die Intelligenz in dem

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Organismus selber schöpferisch ist und aus ihm heraus schafft. Denn der Geistesforscher spricht vom Astralleib, wenn solche Organe veranlagt sind, durch deren Tätig­keit etwas zustande kommt, was der Mensch nur durch seine Intelligenz vollbringen kann. Und wir sehen auf die verschiedenen Tiere verteilt sozusagen dieses inner­liche geistige Wirken, sehen es in den Geschicklichkeiten der einzelnen Arten hervortreten. Die eine Tierart kann dieses, die andere jenes, was wir dann als eine Verschiedenartigkeit des Astralleibes bei den verschiedenen Tierarten ansehen.

So sind wir sozusagen dabei, die individuelle Wirk­samkeit des Geistes in dem tierischen Organismus zu be­trachten. Dieses innerliche Wirken des Geistes in einem Organismus, dieses Sich-Erleben des Geistes in seiner Tätig­keit, das ist es, was wir als seelisches Erleben bezeichnen. Dieses seelische Erleben finden wir nun, wenn wir es vorurteilslos betrachten, in einer ganz verschiedenen Art beim Menschen und beim Tier ausgebildet. Man hat viel gesprochen und spricht heute noch von dem, was in dem Tier Instinkte sind, und was beim Menschen bewußte Tätigkeit ist. Man täte gut, wenn man sich in dieser Be­ziehung weniger an Worte hielte und mehr die Sache ins Auge faßte, wenn man mehr darauf einginge, das Wesen der Instinkte zu verstehen. Vor allem zeigt die Betrach­tung, die wir jetzt gepflogen haben, daß die Instinkte etwas sein können, was weit der Intelligenz des Menschen voraus sein kann, und daß wir die Qualität, die hervor­gebracht wird, durchaus nicht auf das Wort Instinkt be­ziehen dürfen. Der Mensch fragt so leicht - man möchte sagen in seinem universellen Hochmut: Was habe ich vor den Tieren voraus? Vielleicht könnte er auch, wenn er wollte, einmal fragen: Worin bin ich hinter den Tieren zurückgeblieben? Da könnte er finden, daß er vor allem

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hinter den Tieren in vielen, vielen Verrichtungen und Ge­schicklichkeiten zurückgeblieben ist, welche wir beim Tier einfach vorfinden, die der Mensch aber, wenn er sie in bezug auf sich selber ausbilden will, sich erst aneignen, erst erlernen muß.

Der Mensch, das ist oft gesagt worden, kommt hilflos durch die Geburt ins Dasein. Das Tier kommt so auf die Welt, daß die Natur ihm aus dem Innern herausstrotzt und daß es als vererbtes Kapital mitbringt, was ihm das Leben so, wie es leben soll, möglich macht. Gewiß, wir wollen nicht verkennen, daß das Tier auch erst manches wird lernen müssen, daß das Küchlein zwar gleich pickt, aber nicht gleich unterscheiden kann zwischen dem, was genießbar ist oder nicht, was verdaubar ist oder nicht. Aber das ist so nur kurze Zeit. Darauf kommt es jedoch an, daß gewisse tierische Fähigkeiten so auftreten, daß wir deutlich sehen, sie liegen in der ganzen Vererbungslinie, sind wirklich angeboren und kommen zu ihrer Zeit heraus. Daß irgendeine Fähigkeit erst zu einer bestimmten Zeit auftritt, ist kein Beweis dafür, daß sie eine anerzogene ist und etwa erst erlernt werden mußte. Die ganze tierische und auch pflanzliche Organisation zeigt, daß etwas, was in der Vererbungslinie liegt, erst auftreten kann, lange nach­dem die Organisation des betreffenden Wesens schon da ist. Geradeso wie der Mensch die Fähigkeit, die zweiten Zähne zu bekommen, auch nicht erst erwirbt - er hat sie, wenn auch die zweiten Zähne erst später auftreten -, so treten gewisse Geschicklichkeiten und Fähigkeiten beim Tier auch erst später auf, die aber doch in die Vererbung gehören. Betrachten wir als ein Beispiel dafür den Ein-siedlerkrebs. Er zeigt die Eigentümlichkeit, wenn er eine Weile gelebt hat, daß er dazu getrieben wird, ein Schnecken-haus aufzusuchen, weil sein Hinterleib zu weich ist und sich

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so nicht halten kann. Dieses Aufsuchen eines Schnecken­hauses, um einen Schutz für seinen Hinterleib zu haben, geschieht in einem bestimmten Zeitpunkt aus Selbsterhal­tungstrieb, tritt aber da mit Sicherheit auf, das heißt, es ist seiner Organisation eingeboren. So müssen wir sagen, daß wir den Umkreis des tierischen Lebens in weitestem Maße in dem Augenblick umrissen sehen, wo das Tier ins Dasein tritt, und daß die Art, wie sich das Tier weiterentwickelt, mit dem Augenblick seiner Geburt gegeben ist und dann sich ausgestaltet. In diesem Ausgestalten erkennen wir die Wirksamkeit des Geistes an, und in dem Dabeisein des Tieres bei diesem Ausgestalten erkennen wir das seelische Leben des Tieres.

Man könnte, wenn man wollte und das Wort nicht miß­verstünde, das seelische Leben des Tieres nennen ein «Ge­nießen des Geistes innerhalb des Organismus». Man wird im großen Umfange zurechtkommen, wenn man an diesem Begriffe festhält, um das seelische Leben zu charakterisieren. Dann aber wird man sehen - und wir wollen vorläufig bei den höheren Tieren bleiben -, daß dieses Erleben der geisti­gen Wirksamkeit, dieses seelische Erleben des Tieres in einem hohen Maße sich innerlich erschöpft, daß es sozu­sagen sich innerlich auslebt. Ja, seelisches Erleben des Tieres liegt in dem Haben seiner Organe, in dem Begehren seiner Organe, namentlich in der Tätigkeit dieser Organe, die auf das innere Leben gerichtet ist. Eine Ahnung davon, was sich allerdings erst im vollenUmfange derGeistesforschung ergibt, wie das Tier sozusagen die Arbeit des Geistes in sich selber genießt, kann der bekommen, der den Blick auf ein in der Verdauung begriffenes Tier richtet. Ein Tier, das verdaut, also die innere Tätigkeit des Geistes in sich erlebt, fühlt darin sein besonderes Wohlbehagen. Das ist seelisches Erleben der inneren Leiblichkeit, in der der Geist unmittelbar

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wirkt. Und in dieser Weise ist das seelische Erleben an die Leiblichkeit durch die Tierreiche in einer gewissen Weise gebunden. Es ist sogar reizvoll, möchte man sagen, eine Herde Rinder zu betrachten, unmittelbar nachdem sie ge­weidet hat und sich nun hinlagert und verdaut, und wenn man dann das seelische Leben beobachten kann, das in jedem Tiere vorgeht. Erhöht ist das sogar noch bei den­jenigen Tieren vorhanden, die in eine Art Verdauungs-schlaf versinken. Dann erleben sie die Wirksamkeit des Geistes in den Organen.

Aber die Wirksamkeit des Geistes ist beim Tier noch eng gebunden an die Organisation. Das Tier hat, indem der Geist eine gewisse Summe von Organen aufgebaut hat, die­sen Geist zur Darstellung zu bringen, wie er in den Orga­nen gewirkt hat, wie er sich in den Organen darlebt; es hat keine Möglichkeit, hinauszugehen über das Maß dieses Gei­stes, wie er sich in den Organen darlebt. Wenn man die äußeren seelischen Lebensfunktionen, die äußeren Lebens­vorgänge des Tieres bei dieser oder jener Tiergattung be­trachtet, wird man sehen, wie eng an die Organisation des Tieres, also an das, was der Geist an dem Tier gemacht hat, die seelischen Äußerungen gebunden sind. Beobachtet man einmal, unter welchen Umständen ein Tier Furcht zeigt, so kann man sagen: Wo es Furcht zeigt, hat es diese eben wegen seiner besonderen Organisation. Und ebenso wenn ein Tier einen Diebessinn zeigt, kann man sagen: es zeigt ihn wegen seiner Organisation.

Was hier geisteswissenschaftlich angeführt ist, das finden Sie schön zusammengestellt in dem Schriftchen des um die Erforschung der Tierseele verdienstvollen Schriftstellers Zell: «Ist das Tier unvernünftig?» Wenn auch das kleine Schriftchen von einem anderen Gesichtspunkt aus geschrie­ben ist, so ist es doch gut, um Beispiele zu geben, wie das

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seelische Erleben des Tieres an die Organisation gebunden ist, und es kann geradezu ein Beleg für das sein, was die Geistesforschung von einer ganz anderen Seite herzuholen hat. Deshalb zeigt sich uns das seelische Leben des Tieres bei den verschiedenen Tieren in der verschiedensten Art abgestuft, weil sich der Geist in seinen besonderen Arten seine Organe geschaffen hat. Aber wir sehen, daß das gei­stige Schaffen, also das, was wir im Astralleib verankert finden, sich erschöpft in Organbildungen, in dem, was die Tiere unmittelbar auf die Welt bringen. In dem Art-gemäßen hat es sich erschöpft. Das Tier bringt, was es kann und was es das Dasein erleben läßt, mit auf die Welt. Es kann wenig darüber hinausgehen. Damit zeigt es zugleich, daß sich der Geist in der Organbildung des Tieres erschöpft, sich ausgegossen hat. In der Organbildung liegt uns aber die Art des Tieres vor. Daher können wir die Frage: Was erlebt, was genießt das Tier seelisch? dahin beantworten:

Von der Geburt bis zum Tode erlebt es seine Art. Es erlebt dasjenige an seinem eigenen Organismus seelisch, was ihm der Geist mit in das Dasein gegeben hat.

Einer, der viel, viel nachgedacht hat über das Leben der Tiere und des Menschen, und der aus einem tiefen Bewußt­sein heraus gesprochen hat, nämlich Goethe, hat das schöne Wort geprägt: « Die Tiere werden durch ihre Organe be­lehrt, sagten die Alten. Ich setze hinzu: die Menschen gleich­falls, sie haben jedoch den Vorzug, ihre Organe dagegen wieder zu belehren.»

Damit ist ein ungeheuer tiefes Wort gesprochen. Was kann ein Tier im Leben? Was seine Organe ihm möglich machen, das kann ein Tier. Und so ängstigt sich ein Tier, ist mutig oder feige, raubsüchtig oder sanftmütig, wie sich der Geist in seine Organisation ergossen hat. Es spiegelt sich in dem seelischen Erleben des Tieres das Schaffen des Geistes

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in den Organen. Damit aber ist das seelische Erleben des Tieres auch eingeschlossen in seine Gattung, es kann nicht heraus aus der Gattung, aus der Art, es genießt sich als Gattung, als Art.

Stellen wir das seelische Leben des Menschen dagegen. Dieses seelische Leben oder, wir könnten besser sagen dieses seelische Erleben des Menschen, wie es sich in des Menschen Wollen, Fühlen und Denken darlebt, wie es sich in des Menschen Begehrungen, Interessen, in seiner Intelligenz darlebt, ist etwas, was in dem Augenblick, wo der Mensch durch die Geburt ins Dasein tritt, nicht durch das gegeben ist, was er durch die Vererbung hat, es ist etwas, was der Mensch auch selber nicht durch die Vererbung an seine Nachkommen abgeben kann. Auf den letzteren Umstand wird eigentlich viel zu wenig gesehen. Aber es ist eine ganz unendlich wichtige Tatsache, die eigentlich aller Betrach­tung des Lebens zugrunde liegen sollte, und die man etwa in folgender Weise ausdrücken kann. In dem Moment, wo ein tierisches, ein menschliches Wesen die Fähigkeit erlangt hat, seinesgleichen hervorzubringen, da ist in ihm das, was wir vorhin den Ätherleib genannt haben, bis zu einem ge­wissen Punkte abgeschlossen. Dieser Ätherleib trägt die Fähigkeit in sich, das, was er in sich hat, auf die Nachkom­men zu vererben. Entwickelt sich nun der Mensch über die­sen Zeitpunkt hinaus, wächst er darüber hinaus, so kann er das, was noch zu entwickelnde Fähigkeiten über diesen Zeitpunkt bleiben, nicht vererben. Das ist eine Selbstver-ständlichkeit. Der Mensch muß in dem Augenblick, wo er geschlechtsreif ist, alle dieFähigkeiten an sich haben, welche die Vererbbarkeit bedingen. Also kann er die Fähigkeiten, die über den Zeitpunkt der Geschlechtsreife hinaus ent­wickelbare Fähigkeiten bleiben, nicht als solches haben, was in den Ätherleib zurücktritt, was vererbbar ist. Das ist

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eine Kapitalwahrheit, die durchaus berücksichtigt werden muß.

Das ist ja gerade das Bedeutsame in der Betrachtung des Menschenlebens, daß der Mensch von der Geburt bis zum Tode fähig ist, neue Sprachen zu lernen, und daß es eben­falls etwas so Bedeutsames ist, was hier auch schon erwähnt worden ist, daß der Mensch, wenn er auf einer fernen, ein­samen Insel aufwachsen würde, überhaupt sich nicht ent­wickeln könnte. Ebenso steht es mit der Fähigkeit der Be­griffsbildung und der Entwickelung der Ich-Vorstellung. Das sind Dinge, die mit der Vererbung nichts zu tun haben, die der Mensch aber auch nicht an die Vererbung abgeben kann, weil sie nicht zur Art und Gattung gehören. Was nicht zum Vererbbaren gehört, was Entwickelungsfähig­keiten bleiben über die Vererbung hinaus, mit dem hat der Mensch etwas, was nicht in seiner Art, in der Gattung be­dingt ist, sondern das der Individualität angehört. Und ge­rade in der Fähigkeit der Sprache, in der Möglichkeit der Begriffsbildung und in dem Erleben der Ich-Vorstellung liegt das, was sich der Mensch so in die Welt hereinbringt, daß er durch dieses - umgekehrt - wieder seine Organe be­lehren und präparieren muß, daß er sie darin belehrt, was sie noch nicht mitbekommen haben, was sie aber haben sollen.

Das ist eine Auseinandersetzung des Menschen mit dem Geiste außerhalb dessen, was er erleben kann. Das ist eine Auseinandersetzung in einer solchen Weise, daß die Erfolge dieser Auseinandersetzung nicht vererbbar sind, nicht in die Eigenschaften, die in der Vererbungslinie liegen, auf­genommen werden können. Der Mensch entwickelt etwas, was nicht in das Gattungsmäßige einfließen kann, was dem Gattungsmäßigen enthoben ist. Insofern der Mensch ein Gattungswesen ist, hat er alle Fähigkeiten, die ihm als

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Gattungswesen zukommen, geradeso vererbt, wie sie das Tier vererbt hat. Nur vererbt man ihm nicht soviel Ge­schicklichkeit, nicht soviel Geist, wie man dem Tier vererbt; sondern man läßt noch etwas übrig, was er sich als Indivi­dualität aneignen kann. Und das Leben des Geistes in be­zug auf die nicht vererbbaren Eigenschaften ist das über das Tier hinausgehende menschliche seelische Erleben. Indem der Mensch die Produkte seiner Arbeit und Tätigkeit ge­nießt, insofern sie durch nicht vererbbare Eigenschaften im Leben erworben werden, entwickelt er ein seelisches Leben, das über das tierische Leben hinausgeht.

So tritt der Mensch ungeschickter ins Dasein als das Tier. Der Mensch ist ungeschickter, da das Tier jene Auseinan­dersetzung, welche der Mensch erst nach der Geburt mit dem Geiste zu pflegen hat, schon vorher gehabt hat und fertig geworden ist. So genießt das Tier in seinem seelischen Erleben dasjenige, was ihm vererbt werden kann;das heißt, das seelische Leben des Tieres weist auf die Vergangenheit hin. Und in dem Augenblick, wo wir das seelische Erleben des Tieres in den Tod sinken sehen, sehen wir das, was das Tier von sich als Gattung erleben kann, mit in den Tod versinken. Alles, was am Tier individuell ist, indem es Seelisches erlebt, erlebt es als etwas, was es überkommen hat, was ihm von der Vergangenheit zugekommen ist. Es erschöpft im Leben das seelische Leben. Und es ist kein An­haltspunkt da für eine Unsterblichkeit. Dagegen sehen wir, was das Tier seelisch erlebt, immer wieder und wieder im Gattungsleben weiterleben. Daher sprechen wir beim Tier, wenn wir geisteswissenschaftlich sprechen, von einer Gat­tungsseele, die in der Gattung stets von neuem aufersteht, in der Gattung stets weiterlebt. Und niemand, der in klaren Begriffen leben will, kann verkennen, welche Berechtigung dieser Satz hat. Was der Geist in der tierischen Art und

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Gattung schafft, das sehen wir in der einzelnen tierischen Individualität erlebt werden. Wir sehen aber auch, daß die­ses Erleben auf das Vergangene hinweist und daß es in dem Augenblick, wo das Vergangene erschöpft ist, wo das see­lische Erleben sich dem Tod zuneigt, zu Ende gehen muß, daß die Abendröte damit beginnt.

Anders ist es, wenn wir unbefangen das menschliche seelische Leben betrachten. Da sehen wir in dem Sinne, wie es vorhin charakterisiert worden ist, daß der Mensch, in­dem er mit der Geburt ins Dasein tritt, etwas miterhält, was sich noch nicht in seinen Organen erschöpft hat. Wir sehen, wie er weiter an seinen Organen arbeitet, wie er wirklich seine Organe belehrt. Daran sehen wir aber, daß der Mensch in einer unmittelbaren Weise im individuellen Leben mit dem Geist in Wechselwirkung steht. Der Mensch erlebt seelisch nicht nur das, was ihm sozusagen von der Vergangenheit überliefert ist, sondern auch dasjenige, was ihm im Leben entgegentritt, was von außen an ihn heran­tritt, was unmittelbar als Geist sich ihm darstellt.

So zerfällt des Menschen seelisches Leben in zwei genau voneinander zu trennende Glieder: einmal in das, was er als Seelisches so wie ein Tier erlebt. Was er von der Art, der Menschen-Art, mitbekommen hat, das lebt er als ein Wesen der Vergangenheit aus, das dem Tode entgegengeht, wo sich der Geist aus den Organen zurückzieht, wo die Organe zu verholzen, zu verdorren beginnen. Was aber eigene Aus­einandersetzung ist mit dem Geist, das gehört nicht den Organen, das ist etwas, was der Mensch unabhängig von den Organen in seinen Ätherleib aufgenommen hat. Das ist daher etwas, was nicht in die Vergangenheit, die vererbt ist, den Menschen hineinverweist, sondern was unmittel­barer Same für das Weiterleben ist. In dem Maße, als wir sehen, daß des Menschen Innerlichkeit sich von den Organen

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losreißt, das heißt individuell wird, in dem Maße kön­nen wir logisch davon sprechen, daß wir das Unsterbliche des Menschen seelisch sich herauskristallisieren sehen aus dem leiblichen Leben. So lernen wir fühlen, daß dieses ge­rade im Menschen wächst, während er in bezug auf das Vererbte das Vergangene seelisch erlebt. So wächst im Men­schen etwas der Zukunft entgegen, von dem wir sagen müs­sen, daß es nicht in die Vererbungslinie aufgenommen wer­den kann. Das zeigt sich aber auch, wenn wir unbefangen das seelische Leben bei Mensch und Tier beobachten.

Sehen wir nur einmal, wie das seelische Erleben beim Tier eng an die Organisation gebunden ist, wie eng die Ge­schicklichkeit eines Tieres, das ganze Erleben des Tieres an seine Organe und an die vererbten Merkmale gebunden ist. So recht können wir das seelische Leben des Tieres nur betrachten, wenn wir es im Selbstgenuß seiner Leiblich­keit belauschen. Das ist das Wesentliche. Wir merken das Wesentliche eines Tieres sehr wenig, wenn wir darauf sehen, wie es sich an der Außenwelt freut, wohl aber dann, wenn wir beobachten, wie es seine eigene Verdauung erlebt. Man muß innerhalb der Grenzen seiner Organe stehenbleiben, wenn man das Höchste des seelischen Erlebens beim Tier haben will. Das Tier erschöpft sich geradezu innerhalb sei­ner Organisation in seinem seelischen Erleben, und was es nach außen noch übrig hat, ist doch für das Tier nur inso­fern bedeutsam, als es sich im inneren Seelischen des Tieres ausleben kann. Gewiß, es ist vorauszusetzen und zu sagen und durch die Geistesforschung auch zu dokumentieren, daß der Adler seelisches Erleben an der Höhe hat, in der er sein Dasein hat. Aber er hat es in der Betätigung, in dem, was in seinen Organen lebt, was innerhalb seiner Organe zum Ausdruck kommt. Beim Menschen löst sich das seelische Erleben von dem innerlichen Genießen los, von dem innerlichen

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Sich - Erleben. Das muß der Mensch, wenn man so sagen darf, auch büßen. Beim Tier ist eine gewisse Instinkt-sicherheit vorhanden, das Tier weiß, welche Nahrungsmittel ihm schaden, welche ihm nützen. Das Tier verdirbt sich viel weniger, als es durch den Menschen verdorben wird. Es wird höchstens verdorben, wenn der Mensch die Tiere in Käfigen zusammenhält. Aber in der freien Natur, wenn das Tier dem folgt, was seiner Organisation eingeboren ist, entfaltet es eine große Instinktsicherheit, weil es mit seinen Organen verbunden bleibt. Der Mensch dagegen löst sich von seinen Organen los. Die Folge davon ist, daß er jetzt nicht mehr unmittelbar dem folgen kann, was für ihn gut oder schlecht ist. Er wird unsicher. Und während die Tiere Leidenschaften zeigen, welche mit den Organen zusammen­fallen, zeigt der Mensch Leidenschaften, die vielleicht sehr viel verwüstender sind und gar nicht mit seinen Organen zusammenfallen. Während die Spinne mit Sicherheit ihr Netz baut und es unsinnig wäre, ihr von Logik zu reden, muß sich der Mensch gar sehr bedenken, wenn er seine Bau­ten zusammenfügen soll. Da kann er sehr irren. Das seelische Leben des Menschen hat sich losgelöst, hat sich von der Leiblichkeit emanzipiert. Das muß der Mensch aber auch büßen.

Dagegen kann sich der Mensch aber auch wieder nach der anderen Seite mit dem Geist verbinden und in die Seele aufnehmen, was ihm der Geist vermittelt. Er ist fähig, Geist aufzunehmen, ohne daß dieser sich erst durch die Organe, durch die Leiblichkeit ergießen muß, während das Tier dar­auf angewiesen ist, wie sich der Geist in die Organe ergießt. Das Tier erlebt in sich den Geist, wie er in die Organe ein­fließt. Der Mensch dagegen reißt seine Organe von dem Seelischen los und erlebt unmittelbar das Einfließen des Geistes in seine Seele.

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Diese Dinge sind, wenn man wirklich hinter die Bedeu­tung des Geistes gekommen ist und hinter die Art, wie sich der Geist in der Seele auslebt, von einer unendlichen Be­deutung. Eine vollständige Klarheit wird sich uns erst heute über acht Tage bei dem Vortrag «Menschengeist und Tier-geist» ergeben. Aber gerade wenn wir das Seelische, das Innere betrachten, bekommen wir ein Gefühl für den Unter­schied zwischen Mensch und Tier, wenn wir gegenüberstel­len die leibliche Innerlichkeit der tierischen Seele der leib­lichen Äußerlichkeit der menschlichen Seele. Dafür kann die menschliche Seele geistig innerlicher werden. Daß sie sich freuen kann an den Dingen der Außenwelt, daß sie dringen kann zu dem, was äußerlich erscheint, was als Geist zu der Seele spricht, das verdankt der Mensch allerdings dem Umstande, daß sich seine Seele von der Leiblichkeit emanzipiert hat, sich von dem innerlichen Erleben des Gei­stes getrennt hat - und die Sicherheit, den Geist selbst zu erleben, sich mit einer Unsicherheit und Ungeschicklichkeit, ja Unvollendetheit in den Instinkten erkauft hat.

Es ist ziemlich leicht, zu sagen: Wie kann man überhaupt von einer tierischen Seele reden, da «Seele» den Begriff der Innerlichkeit in sich schließt, und da im Grunde genommen in das Innere eines anderen Wesens der Mensch zunächst nicht hineinschauen kann? Auf diesen leichtfüßigen Ein­wand stützen sich ja gerade die, welche es überhaupt ver­bieten wollen, über seelisches Erleben zu sprechen, weil seelisches Erleben nur in uns erlebt werden kann und daher im Grunde genommen bei anderen Wesen nur durch Ana­logie erschlossen werden kann. Aber wenn man nicht in ganz abstrakter Weise solche Dinge hinspricht, sondern die Dinge nimmt, wie sie sind, dann muß man sagen: Wie sich ein Wesen darlebt, darin zeigt es, was es unmittelbar inner­lich erlebt. Und wer nicht glauben will, daß sich ein Wesen

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unmittelbar darlebt nach dem, was es innerlich erlebt, der wird überhaupt für eine Weltbetrachtung taub sein. Wir haben ja gewiß in der unmittelbaren Beobachtung keine rechte Garantie, wenn wir nicht nachweisen - was noch ge­schehen soll, um zu zeigen, wie man geisteswissenschaftlich die Sachen dokumentieren soll -, daß das Tier wirklich etwas Innerlich-Seelisches erlebt, wenn es in der Verdauung behaglich sich darlebt. Aber wer die Dinge in der Welt ver­gleicht und nicht nur eine Sache betrachtet, der wird schon sehen, daß recht viel Gründe vorhanden sind, um in dieser Weise über das Innere zu sprechen. Und wenn man sich dann ein Gefühl von dem Unterschied des seelischen Er­lebens im Tier und im Menschen verschafft hat, so wird man auch sein Fühlen und sein Empfinden über das See-lische des Tieres in einer richtigen Weise ausdehnen können. Man wird dann vor allen Dingen immer mehr und mehr ein Gefühl dafür erhalten, wie beim Menschen sich das Seelische emanzipiert von dem, was innerlich-leiblich er­lebter Geist ist. Der Geist ist es, der die Organe schafft, der in der Organisation wirkt und dieselbe so aufbaut, wie sie ist. Und wir sprechen vom Geist, der im Ätherleib wirkt, wenn wir vom Aufbauen der Organe sprechen. Dieser Geist, der da innerlich erlebt wird, kann nun, wenn der Astralleib sich einschiebt in die Organisation, unter gewissen Voraus­setzungen in einer ganz besonderen Weise erlebt werden. Wenn wir das ernst nehmen können, was vorhin über den physischen Leib, Ätherleib und Astralleib ausgesprochen wurde, so können wir uns sagen: Der physische Leib ist bei den Menschen und Tieren zunächst das unterste Glied ihrer Wesenheit. Der Ätherleib ist der, welcher die chemischen und physischen Stoffe so formt, daß sie Lebensprozesse werden. Dadurch lebt der Ätherleib in dem physischen Leibe darinnen, faßt in sich, umspannt die chemischen und

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physischen Prozesse. In alledem lebt wieder der Astralleib und erlebt im Ätherleib als seelisches Erleben alles, was im Ätherleib vorgeht. So ist also der Ätherleib der Tätige, der Schaffende am physischen Leib, und der Astral­leib ist der die Taten des Ätherleibes seelisch erlebende Teil einer tierischen oder menschlichen Wesenheit. So ist der physische Leib mit dem Ätherleibe in dem Aufbauen der Organe verbunden - und der Ätherleib ist verbunden mit dem Astralleib in dem innerlichen Erleben dieses Aufbauens und dieser Tätigkeit der Organe. So haben wir alles, was im physischen Leib, Ätherleib und Astralleib sich darstellt, in gegenseitigen Bezug zueinander zu stellen.

Was ruft denn nun ein ganz besonderes seelisches Erleben hervor? Dasjenige, was sich bei Mensch und Tier über die gesamte innere Organisation ausgießt. Dieses besondere seelische Erleben können wir am besten dann fassen, wenn wir es in einem gewissen Zustand erfassen. Wer kennt denn nicht jene eigentümliche Art des seelischen Erlebens, die nur vorhanden ist, solange das Tier wächst, seine Organe ver­größert, und die aufhört, wenn das Wachstum abgeschlos­sen ist? Was sich da in dem Erleben ausdrückt von strotzen-der Kraft, das ist verbunden mit einem gewissen Arbeiten des Ätherleibes am physischen Leib, und es ist der Ausdruck dafür, daß dieses Arbeiten in gehöriger Weise vor sich geht. Was wir aber in diesem Zustande hervorheben können, das ist immer vorhanden als ein gewisses Wohlgefühl der Seele, als ein Lebensgefühl, als Behaglichkeit oder Un­behaglichkeit, und das kommt davon her, wie der Äther­leib bezwingt oder nicht bezwingt, mächtig oder ohnmäch­tig ist gegenüber der physischen Organisation. Ist er nicht imstande, sich wirklich in den physischen Organen zur Gel­tung zu bringen, so kommt das in der astralischen Orga­nisation, in dem Unbehagen, zum Ausdruck. Wenn aber

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der Ätherleib in seiner Tätigkeit überall an die physischen Organe herankann, wenn alles, was Tätigkeit werden soll, wirklich mit Hilfe der physischen Organe ausgeführt wer­den kann, dann ruft dies das weiteste Wohlgefühl im Men­schen hervor. Man kann es im Feineren und im Gröberen spüren. Wenn der Magen verdorben ist, was heißt das an­ders, als daß der Ätherleib eine Tätigkeit, die er sonst aus­führen soll, nicht ausführen kann? Das gibt sich dann in dem damit verbundenen Unbehagen kund. Oder nehmen wir an, es hat sich jemand mit seinem Denken so weit ab­gemüht, daß das Organ des Gehirns nicht mehr mit will. Der Ä therleib kann dann wohl noch denken, aber das Ge­hirn kann nicht mehr mit. Da fängt das Denken an, Kopf­schmerzen zu machen. Und davon geht das Unbehagen aus im allgemeinen Lebensgefühl. Das erfährt seine besondere Steigerung, wenn der Teil, der vom Ätherleib aufgebaut ist, eine völlige Störung erfährt. Dann sagen wir: Uns ist, wie wenn die Haut, die vom Ätherleib aufgebaut ist, sich nicht dehnen kann, wenn sie durch äußere Hitze sich deh­nen will, oder: Es ist mir, als wenn ich einen brennenden Pfahl daranhalte.Dann trifft der Ätherleib auf einenWider­stand eben auf. Der Ätherleib, der vom äußeren Eindruck nicht verzehrt, nicht ergriffen wird, ist dann auf einen physischen Leib getroffen, zu dem er nicht paßt. Das drückt sich im astralischen Leib als Schmerzgefühl aus.

So haben wir den Schmerz im astralischen Leibe begrif­fen, indem wir ihn als den Ausdruck für eine Ohnmacht des Ätherleibes gegenüber dem physischen Leib zu erfassen ver­stehen. Ein Ätherleib, der mit seinem physischen Leib zu­rechtkommt, wirkt auf seinen Astralleib so zurück, daß in diesem Behagen gesundes inneres Erleben auftritt. Ein Ätherleib, der dagegen nicht mit seinem physischen Leib zurechtkommt, wirkt so auf den Astralleib zurück, daß in

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demselben Schmerz und Unbehagen auftreten muß. Jetzt werden wir einsehen können, wie gerade bei den höheren Tieren - von den niederen Tieren werden wir besser das nächste Mal sprechen, weil da das seelische Erleben so innig an die Leiblichkeit gebunden ist - dieses seelische Erleben auch in die gestörte Leiblichkeit sich viel tiefer hineinleben wird, als es sich beim Menschen in die gestörte Leiblichkeit hineinleben kann. Weil sich das seelische Leben des Men­schen von dem inneren leiblichen Erleben so emanzipiert, deshalb ist beim Menschen ganz gewiß gegenüber dem höheren Tier der Schmerz, der durch die bloßen leiblichen Verhältnisse herbeigeführt wird, kein so peinigender und in der Seele fressender als beim Tier. Wir können das noch bei Kindern beobachten, wie leiblicher Schmerz noch ein viel größerer seelischer Schmerz ist als in den späteren Jah­ren, weil der Mensch in dem Maße, als er von der leib­lichen Organisation unabhängig wird, in den Eigenschaften seiner Seele, die ihm unmittelbar aus der Seele kommen müssen, auch die Mittel findet gegen den leiblichen Schmerz, während das höhere Tier, das so eng an seine Leiblichkeit gebunden ist, auch mit alledem, was Schmerz bedeutet, in einem unendlich viel höheren Maße zusammenhängt als der Mensch. Das alles sind auf nichts basierende Redens­arten, welche davon sprechen, daß beim Menschen ein Schmerz höher sein könnte als beim Tier. Der Schmerz ist beim Tier ein viel tieferer und viel mehr seelenerfüllend, als es beim rein leiblichen Schmerz für den Menschen der Fall sein kann.

So sehen wir, daß sich der Mensch in der Erhebung über das Leibliche etwas herausholt in bezug auf das Tiefste sei­nes Wesens aus seiner Innerlichkeit selbst. Was sich der Mensch da herausholt, das bezeichnen wir als sein eigent­liches Ich. Was er nicht vererbt, was sich über den Verlauf

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des Gattungsmäßigen erhalten kann, was er durch seine Individualität irnmer mehr ausbilden muß, nennen wir ge­bunden an sein Ich. Das ist es, was in das Menschendasein hineinkommen muß - da es nicht durch die Vererbung ge­geben werden kann - als von der menschlichen Individua­lität kommend, was mit der Geburt aus den geistigen Rei­chen ins Dasein tritt, was nach erfolgtem Tode dem Geisti­gen wieder zurückgegeben wird. Wir reden deshalb von einem von Leben zu Leben durch immer wiederkehrendes Dasein gehenden menschlichen Wesenskern, weil wir ihn im unmittelbaren Dasein erfassen können, wenn wir das Leben nur vorurteilslos betrachten.

Ich habe heute in einer Art versucht, aus der unmittel­baren Erfahrung heraus einen kleinen Hinweis auf das zu geben, was es begründet, daß man im Menschen von einer Wesenheit sprechen kann, die nicht vererbt ist, sondern die von ganz anderer Seite her in das Menschenleben eintritt, und die wieder, wenn der Mensch das, was in ihm vererbt ist, mit dem Tode aufgelöst sieht, nach dem Tode in ein anderes, geistiges Dasein eintreten kann. Ich habe das in einer Weise heute gezeigt, wie es, wenn weitere Voraus­setzungen der Geisteswissenschaft gemacht worden sind, im Grunde genommen nicht mehr gezeigt zu werden braucht, weil die Geistesforschung auf der unmittelbaren Anschau­ung fußt und noch von ganz anderer Seite her die Beweise und Belege für das bringen kann, was heute aus dem un­mittelbaren Erleben des Alltags heraus veranschaulicht wer­den sollte. In der Geisteswissenschaft liegen aber auch die Möglichkeiten, die Erlebnisse des Alltags so zu gruppieren, in Beziehung zu bringen, daß sie uns zeigen, was in dem Menschen eine auf die Beobachtung der Tatsachen gestützte Hoffnung auf ein dauerndes, über das leibliche Dasein hin­ausgehendes Leben der Seele begründen kann.

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So sehen wir, wie eine Beobachtung des Daseins überall das erwähnte Goethe-Wort beweist. Das tierische seelische Erleben ist ein solches, das wir eingeschlossen sehen in den Kreis der tierischen Organe. Wir sehen überall die Organe als die Meister, die der Geist geformt hat, damit sich das Tier nach Maßgabe der Organe seelisch erleben und ihrer bedienen kann. Und wir sehen den Menschen in bezug auf dasjenige hilflos ins Dasein treten, worüber ihrn seine Organe keine Richtung geben, was er aus dem Leben heraus seinem seelischen Erleben einprägen muß. Aber gerade in dem letzteren finden wir das, was des Menschen Anwartschaft auf Unsterblichkeit bedeutet, was ewig ist, weil es nicht auf Vererbung zurückgeführt werden kann. Das ist es, was Goethe meinte mit dem Satz: Das Tier werde durch seine Organe belehrt; der Mensch aber hätte den Vorzug, seine Organe wieder belehren zu können. Und wer in richtiger Weise diesen letzten Satz auffaßt, daß der Mensch im Verlaufe seines Daseins fähig ist, seine Or­gane wieder zurückzubelehren, der wird sich sagen: In dem Umkreise des seelischen Lebens, wo sich darstellt, wie der Mensch seine Organe belehrt, zeigt sich die Verbindung, welche der Mensch mit dem Geiste eingeht, und die unauf­löslich sein muß, weil sie sich nicht erschöpft und aus der Vergangenheit kommt, sondern in die Zukunft hinweist und der Same für sie ist, durch welche der Mensch wirklich erreichen kann, was in seinem seelischen Erleben innerlich bilden wird die Kraft, durch die er in stets neuen Leben den alten Tod besiegen kann.

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MENSCHENGEIST UND TIERGEIST Berlin, 17. November 1910

Es wird mir gestattet sein, heute mit ein paar Worten an einige Ausführungen des letzten Vortrags zu erinnern. Be­sonders wichtig sind uns ja die Anschauungen gewesen, die wir uns aus der unmittelbaren Beobachtung heraus über den Unterschied des menschlichen und tierischen Seelenlebens haben bilden können. Diesen Unterschied haben wir dahin angegeben, daß wir uns klar waren, daß das tierische Seelenleben nicht so von dem menschlichen unterschieden werden dürfe, daß man sagt: Der Mensch ist so und so weit vor dem Tier voraus in bezug auf diese oder jene geistigen Eigenschaften. Denn um eine solche Anschauung zu wider­legen, braucht man nur darauf hinzuweisen, wie gewisse Verrichtungen, die beim Menschen zweifellos nur durch Er­ringung einer gewissen Intelligenzstufe zu erreichen sind, objektiv innerhalb der tierischen Welt im Bau der tierischen Wohnungen, im ganzen tierischen Leben ausgeführt wer­den, so daß sozusagen in den Produkten, in der Hervor­bringung dessen, was das Tier tut, genau dieselbe intelli­gente Tätigkeit steckt wie in dem, was der Mensch als seine Werkzeuge, als seine Produkte hervorzubringen vermag. Man könnte wirklich sagen: In dem, was das Tier voll­bringt, fließt hinein, erstarrt darinnen dieselbe Intelligenz, die wir dann auch beim Menschen finden. Deshalb dürfen wir nicht einfach in der Art von Tierseele und Menschenseele sprechen, daß wir sagen, das Tier wäre so und so weit

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hinter dem Menschen zurück - der Mensch so und so weit vor dem Tier voraus.

Insoweit wir von Seele gesprochen haben - wir bezeich­nen im Gegensatz zu dem Geistesleben, das wir vorzugs­weise in der Formung, in der Ausgestaltung sehen, das seelische Leben als das Leben der Innerlichkeit -, haben wir uns darauf berufen, daß wir in dem tierischen Seelenleben ein enges Gebundensein an die Organisation des Tieres ge­sehen haben, und daß das, was das Tier in seinem Seeli­schen erleben kann, uns vorherbestimmt erscheint durch den ganzen Bau und die ganze Fügung seiner Organe. Deshalb mußten wir sagen: Dieses tierische Seelenleben ist durch die Art und Weise bestimmt, wie das Tier organisiert ist, und das Tier lebt in seinem Seelenleben gleichsam in sich selbst hinein.Das aber ist das Wesentliche des menschlichenSeelen­lebens, daß die Seele des Menschen sich von dem unmittel­baren Organismus bis zu einem hohen Grade eman­zipiert und gewissermaßen - bitte das nicht mißzuver­stehen, es ist nur relativ gemeint - unabhangig von der leiblichen Organisation den Geist als solchen, wie wir ihn verstanden haben, erlebt, das heißt unmittelbar in der Lage ist, sich dem Geist hinzugeben.

Wenn wir nun aufsteigen zur Betrachtung des mensch­lichen und tierischen Geistes, so müssen wir vor allen Din­gen von diesen Begriffen und Ideen ausgehen, die wir an der Betrachtung der menschlichen und tierischen Seele ent­wickelt haben und uns ein wenig intimer mit einer Erschei­nung befassen, die aus alledem hervorgeht, was das vorige Mal gesagt worden ist. Das Tier hat alle seine geistigen Verrichtungen, die ja unmittelbar an seine Organe gebun­den sind und in seiner Seele erlebt werden, hineingelegt, gebunden an das, was sich im Tier gattungsmäßig vererbt. Wir können also sagen: In dem tierischen Seelenleben lebt

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sich das Gattungsmäßige aus, und weil dies vererbbar ist, tritt sozusagen das Tier mit der Geburt so in die Erschei­nung, daß alle durch den Geist bedingten Verrichtungen, die durch das Seelische erlebt werden können, veranlagt sind. Dadurch tritt das Tier gewissermaßen fertig ins Da­sein und vererbt die Merkmale, die wir als einen Ausfluß des tierischen Geistes bezeichnen können, auch wieder gat­tungsmäßig auf die Nachkommen. Anders ist es beim Men­schen, der sich in bezug auf das seelische Leben von der leiblichen Organisation emanzipiert. Weil diese aber natür­lich in die Vererbungslinie übergeht, so tritt er in einer ge­wissen Beziehung hilflos ins Dasein hinein gegenüber den­jenigen Verrichtungen, die ihm im Leben dienen sollen. Auf der andern Seite aber macht diese Hilflosigkeit erst mög­lich, was man seelisch-geistige Entwickelung nennen kann. So finden wir als das Gewichtigste für den Menschen, wenn er durch die Geburt ins Dasein tritt, daß offen stehen bleibt, was von außen bestimmt ist. Damit haben wir darauf hin­gewiesen, wie wir uns überhaupt die Beziehung des Geistes zu der Leiblichkeit - zwischen Geist und Leiblichkeit steht das Seelische darinnen - bei Tier und Mensch zu denken haben. In dem, wie uns das Tier gattungsmäßig vor Augen tritt und seine Instinkte nach und nach im Leben auslebt, haben wir eine unmittelbare Betätigung des Geistes in der organischen Leiblichkeit zu sehen. Es ist gleichsam der orga­nische Leib, in dem sich das Tier seelisch erlebt, der in die Wirklichkeit getretene Geist. Ein unmittelbares Verhältnis zwischen Geist und Leib ist beim Tier vorhanden. Wenn wir den Blick auf das Tier richten, es studieren, ob nun oberflächlich mit der Laienbeobachtung oder genauer mit dem, was uns die vergleichende Anatomie und Physiologie oder andere Wissenschaften bieten können: überall sehen wir sozusagen den in den tierischen Formen, in den tierischen

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Lebensverhältnissen geronnenen Geist, der sich aus-lebt in dieser Weise in der einzelnen Tiergattung. Die äußere Form und das äußere Leben ebenso ist uns unmittelbar ein Abdruck dessen, was wir den dem Tiere zugrunde liegenden Geist nennen, so daß wir die engste Beziehung zwischen dem Geiste und der Leiblichkeit beim Tiere zu suchen haben.

Das ist ganz anders beim Menschen. Es ist außerordent­lich wichtig, wenn man auf das Wichtige im Unterschiede zwischen Mensch und Tier aufmerksam zu machen hat, daß man sozusagen nicht die Dinge weit herholt. Das Wich­tigste liegt nahe genug, wenn es sich darum handelt, die Dinge in der richtigen Weise anzusehen, als daß man mit allen möglichen intimen Einzelheiten der Forschung zu kommen brauchte. Wenn wir den Menschen betrachten, fin­den wir, daß sich zwischen den Geist und die Leiblichkeit etwas hineinstellt, das beim Tier nicht hineingestellt ge­dacht werden darf. Und das ist das Wesentliche. Gleichsam unmittelbar wirkt sich der Geist in der tierischen Form und Organisation aus. Beim Menschen wirkt er sich nicht unmittelbar aus, sondern es schiebt sich ein Zwischenglied hinein, das wir im unmitelbaren Leben sehr genau beobach­ten können. Wie uns der Mensch rein in der Beobachtung entgegentritt, drückt sich dieses Zwischenglied, das gleich­sam die losere Beziehung zwischen Geist und Leiblichkeit vermittelt, in dem aus, was wir beim Menschen das selbst­bewußte Ich nennen. Ich will jetzt noch nicht darauf Rück­sicht nehmen, wie sich dieses selbstbewußte Ich wieder in der Leiblichkeit gestaltet, sondern ich will nur sagen: Wie uns der Mensch in der Beobachtung entgegentritt, wie uns seine seelischen Erscheinungen entgegentreten, steht zwi­schen Geist und Leiblichkeit dieses selbstbewußte Ich. Ge­wiß, es ist wieder kinderleicht, vom Standpunkt einer Wissenschaft, die glaubt, auf dem festen Boden der Naturwissenschaft

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zu stehen, bloß gegen den Ausdruck «selbst­bewußtes Ich» etwas einzuwenden. Aber wir wollen jetzt die Art verfolgen, wie sich dieses selbstbewußte Ich zwi­schen Geist und Leiblichkeit hineinstellt.

Da finden wir vor allen Dingen - wir haben schon das letzte Mal darauf aufmerksam gemacht -, daß der Mensch angewiesen ist auf das Leben in seiner Umgebung, in der Außenwelt in bezug auf die Aneignung der Sprache, die Aneignung der Denkweise und auch in bezug auf die An­eignung eines gewissen Selbstbewußtseins. Das ist ja eine allbekannte Tatsache, daß der Mensch, wenn er, ausge­schlossen von jeder menschlichen Gemeinschaft, einsam sich entwickeln müßte, weder zur Sprache, noch zu einer gewis­sen Denkart, noch zu einem gewissen Selbstbewußtsein kommen würde und in jener Hilflosigkeit verbleiben müßte, in der er geboren ist. Wir sehen also, daß beim Tier alle die Betätigungen, die für das tierische Leben, für die tierische Existenz notwendig sind, von vornherein in die Vererbungs­linie hineingeboren sind. Wir sehen die Betätigungen beim Menschen so auftreten, daß sie ebensowenig innerhalb der Vererbungslinie gesucht werden dürfen wie etwa die Wärme, die beim Bebrüten eines Hühnereies notwendig ist, inner­halb des Hühnereies gesucht werden darf, denn sie muß von außen an dasselbe herankommen. Da sieht man schon, daß es der Mensch nötig hat, sich Dinge, die zu seiner Ent­wickelung gehören, durch etwas anzueignen, was in ihm ist, während sie dem Tier sozusagen direkt geistig ein­geprägt sind. Beim Menschen bleiben also bestimmte Ent­wickelungsmöglichkeiten offen, in die er durch sein selbst­bewußtes Ich gewisse Organisationskräfte aufnimmt. Denn niemand wird natürlich daran zweifeln, daß mit dem Hin­einwachsen des Menschen in Sprache, in Denkweisen, in das Selbstbewußtsein und durch die damit verbundenen

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Betätigungen Veränderungen der Organisation verbunden sind; so daß sozusagen dasselbe, was sich beim Tier durch Tätigkeiten veranlagt vorfindet, die vererbbar sind, beim Menschen hereingenommen wird von der Umgebung, wie die Wärme vom bebrüteten Hühnerei aufgenommen wird, das heißt von außen hineinorganisiert wird. So bleiben beim Menschen Entwickelungsmöglichkeiten offen gegen­über den Einwirkungen der Umgebung, denn natürlich steht die Geisteswissenschaft nicht auf dem Standpunkt, daß der Mensch irgend etwas ohne Organe verrichten könne.

So müssen wir uns klar sein, daß alles, was auf den Menschen hereinwirkt, ihn umorganisiert. Das ist auch der Fall, wenn man recht genau auf die menschliche Organisa­tion eingeht, daß der Mensch tatsächlich durch die von außen an ihn herantretenden Kräfte umorganisiert wird, die auf dem Umwege durch sein Ich an ihn erst heran-treten müssen. Dabei sehen wir noch etwas: Wenn wir den Menschen betrachten, wie er sich in die Welt hineinstellt, um das zu werden, was er durch Sprache, Denkart und Selbstbewußtsein werden kann, dann fassen wir ihn gleich­sam an dem einen Pol, an dem einen Ende an. Wir müssen ihn aber auch an dem andern Ende anfassen. Das ist, wenn man es mit dem Gedanken durchdringen will, nicht so ganz leicht. Aber es ist tatsächlich notwendig, daß man den Men­schen auch am andern Ende anfaßt.

Der Mensch kommt tatsächlich hilflos auf die Welt. Es ist ja kinderleicht zu finden, um was es sich handelt, aber nicht so leicht, es in die Betrachtung hineinzustellen. Der Mensch muß im Laufe seines Lebens etwas herstellen, was dem Tier herzustellen erspart bleibt. Dieses stellt derMensch her, während er gehen lernt, oder, noch besser gesagt, wäh­rend er stehen lernt. Hinter dem Stehenlernen verbirgt sich sehr viel im menschlichen Leben: nämlich die Überwindung

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dessen, was man das Gleichgewicht der Leiblichkeit nennen kann. Wenn man genau auf den Organisationsplan ein­geht, auf die Organisation des Baues der Tiere, so findet man, daß in der Tat das Tier so organisiert ist, daß ihm ein gewisses Gleichgewicht eingeprägt ist, durch das es sich in die Lage zu bringen vermag, in der es sein Leben fort­bringen kann. Es ist so gebaut, daß ein festes Gleichgewicht seiner Körperlichkeit mitgegeben ist. Das ist auf der einen Seite die Hilflosigkeit, auf der andern Seite der Vorzug des Menschen gegenüber dem Tier, daß er darauf ange­wiesen ist, mit Hilfe seines Ich sich dieses Gleichgewicht erst zu erringen. Hier geht es auch nicht, daß man den Menschen mit den nächststehenden Tieren vergleicht. Wenn man eingeht auf die vergleichende Anatomie, auf alle ein­zelnen Organe, so würde es kindisch sein von der Geistes­wissenschaft, wenn sie eine Kluft annehmen würde zwi­schen dem Menschen und den nächststehenden Tieren. Aber in dem Organisationsplan des Tieres liegt ein vorbestimm­tes Gleichgewicht. Beim Menschen liegt die Möglichkeit offen, nach der Geburt dieses Gleichgewicht erst herzustel­len. Es liegt aber noch mehr an Möglichkeiten offen. Beim Tier ist durch die eingeprägte - wenn man das Wort ge­brauchen will - vorbestimmte Organisation die Richtung der Eigenbewegung angegeben. Beim Menschen bleibt wie­der die Möglichkeit offen, sozusagen innerhalb eines gewis­sen Spielraumes seinen Eigenbewegungssinn zu entwickeln. Noch mehr bleibt beim Menschen offen - wir werden dar­auf noch zurückkommen, wie das sich anders äußert -: eine gewisse Möglichkeit, in die Organisation selbst das Leben hineinzuprägen.

Man kann ganz gewiß von einer gewissen Prägung des Lebens in einem Lebewesen sprechen. Oder wer würde mit einigem plastischen Sinn nicht merken, daß sich die Organisation

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einer Ente an den plastischen Formen zum Aus­druck bringt? Oder daß sich die Organisation des Elefanten an den plastischen Formen zum Ausdruck bringt? Und daß vorzugsweise das Skelett, wenn wir es anschauen, im Unter­schiede zu den einzelnen Tierarten uns Rätsel über Rätsel enthüllt, wie sozusagen das Leben in die Form hinein­schießt, in der Form sich verfängt und uns wie erstarrt er­scheint? Auch da bleibt dem Menschen ein Spielraum, das Leben in einer ganz gewissen Weise in die Form hineinzu­gießen, so daß wir nur vorauszuschicken brauchten, daß wir, wenn wir eine tierische Form mit unserm plastischen Sinn studieren, uns viel mehr für das Allgemeine, für das Gattungsmäßige, Generelle interessieren und die indivi­duellen Formen sehr vernachlässigen. Beim Menschen in­teressiert uns das edelste Organ - als das Organ des Ske­lettes - der Schädelbau, ganz besonders in seiner Plastik. Und er ist bei jedem Menschen ein anderer, weil er offen bleibt für das, was dem Menschen in dem Ich zugrunde liegt, für das Individuelle, während er beim Tier das Gat­tungsmäßige zum Ausdruck bringt. Wenn wir also den Menschen beim anderen Ende anfassen, dann finden wir, daß er während gewisser Zeiten des Lebens freien Spiel­raum innerhalb der Ausprägung des Gleichgewichtssinnes, des Eigenbewegungssinnes und des ganzen Lebenssinnes hat. Das Interessante ist, daß wir sozusagen diese Arbeit des Geistes am Menschen, diese Ausprägung des Geistes in Form und Bewegung im Beginne des menschlichen Lebens sehen können: wie in der Erringung des aufrechten Ganges, in der Erringung des Eigenbewegungssinnes und in der Ausprägung der Körperformen sich diese Kräfte wirklich betätigen und zum Ausdruck bringen. Dann aber hört in einem gewissen Lebensalter die Möglichkeit auf, daß die Kräfte, die in der Kindheit frei spielen, weiter einwirken.

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Mit einem bestimmten Lebensalter sind diese Kräfte in be­zug auf die Wirkung, die wir charakterisiert haben, abge­schlossen. Wenn sie aber wirklich in dem Menschen als Individualität darinnen sind, können sie nicht auf einmal verschwinden, wenn sie ihre Arbeit in bezug auf ein ge­wisses Gebiet getan haben, sondern sie müssen uns in einer späteren Lebenszeit wieder entgegentreten. Wir müßten für das spätere Leben nachweisen können, daß diese Kräfte da sind, Realitäten im menschlichen Leben sind.

Wir finden nun in der Tat diese Kräfte wieder in einer ganz charakteristischen Weise für den Fortschritt des Gei­stes am Menschen deutlich hervortreten. Was der Mensch in der Ausbildung des Gleichgewichtssinnes leistet, das fin­den wir im späteren Leben wieder, wenn er dieselbe Kraft für die Ausbildung seiner Gebärden anwendet. Die Ge­bärde ist etwas, was uns tatsächlich in das tiefere Gefüge der menschlichen Organisation, insofern der Geist im Men­schen lebt, hineinführt. Und indem der Mensch sein Inneres in der Gebärde zum Ausdruck bringt, verwendet er die-selbe Kraft, die er erst verwendet, um den Gleichgewichts-sinn zur Herstellung einer gewissen Gleichgewichtslage zu erringen. Was der Mensch beim Gehenlernen, beim Stehen-lernen handgreiflich entwickelt, das erscheint uns also ver­feinert, vertieft, verinnerlicht im späteren Leben, wenn es, statt körperlich zur Darstellung zu kommen, mehr seelisch zur Darstellung kommt in der Gebärde. Daher fühlen wir uns erst so recht intim in das menschliche Innere hinein, wenn wir einem Menschen gegenüberstehen und seine Ge­bärden, die ganze Art und Weise, wie sich in seinen äußeren Bewegungen das Innere ausdrückt, auf uns wirken lassen können. In dieser Beziehung ist eigentlich jeder Mensch mehr oder weniger ein feiner Künstler gegenüber seinen Mitmenschen. Wenn man eingehen würde auf feine psychologische

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Wirkungen, die von einem Menschen zum anderen gehen, so würde man sehen, daß unendlich viel davon ab­hängt - ohne daß es sich die Menschen zum Bewußtsein bringen -, wie die Gebärde als Ganzes genommen auf einen Menschen wirkt. Das braucht nicht in das grobe äußere Bewußtsein einzutreten, es tritt aber darum doch in die Seele ein und äußert sich dann besonders in Wirkungen, wo das äußere Bewußtsein unzählige Intimitäten, die sich unter der Schwelle des Bewußtseins abspielen, einfach grob in Worten zusammenfaßt wie: er gefällt mir, er gefällt mir nicht, oder sie gefällt mir, sie gefällt mir nicht.

Wir können aber auch sehen, wie die Kräfte, die in der Eigenbewegung organisierend wirken, im späteren Leben weiterwirken, wenn wir von der Gebärde, die sich in der Bewegung ausdrückt, mehr übergehen zu dem, wo das Innere des Menschen sozusagen in die äußere Form - aber in Beweglichkeit - sich hineinergießt in der Mimik und in der Physiognomie. Da wirkt in der Tat dasjenige weiter, was erst als Eigenbewegungssinn wirkt und sozusagen der Hilf­losigkeit des Menschen Spielraum läßt, sich weiterzuent­wickeln, und dann diese Hilflosigkeit in Zucht nimmt. Wenn wir sehen, wie der Mensch sein Äußeres durch sein Inneres sozusagen in fortwährendem Gange hält mit seiner Miene, auch mit dem Spiel seiner Physiognomie, so finden wir, wie in der Tat das, was erst in der Organisation mehr als ein bloßer Ausdruck der Wirkung in die Leiblichkeit erscheint, mehr in das Seelische umgegossen und dadurch verinnerlicht erscheint. Was in der ersten Lebenszeit des Menschen mehr direkt wirkt, wird gleichsam in die Inner­lichkeit eingefangen, in das selbstbewußte Ich, um dann von innen nach außen sich in die leibliche Sphäre hineinzu-ergießen, während es anfangs eine Auseinandersetzung des selbstbewußten Ich mit dem Geist war.

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Wenn wir nun beim Menschen sehen, wie uns an ihm berechtigterweise die besondere Schädelform interessiert, so müssen wir sagen: In dieser besonderen Schädelform drückt sich in der Tat auch etwas von seinem innersten We­sen aus. Jeder Mensch weiß, daß dies schon im groben der Fall ist und daß man immer Unterschiede zwischen dem menschlichen Innern bei diesem oder jenem Menschen in der Stirnform, in der Schädelform finden wird. Selbstver­ständlich darf man nicht auf gewisse Gebiete des geistigen Lebens dabei blicken, die sich wieder von der an den Leib gebundenen Seele emanzipieren. Aber als eine gewisse Grundlage ist doch das vorhanden, was man als Ausdruck des zur Seele gewordenen Geistes bezeichnen kann und mit so großem Unrecht ausgestaltete in dem, was man Phrenologie, Schädelbeobachtung und dergleichen nennt. Denn das Wesentliche ist gerade, sich klarzumachen, daß jene Formen, die im menschlichen Schädel zum Ausdruck kommen, für den Menschen als solchen, wie er als mora­lisches, intellektuelles Wesen vor uns steht, individuelle und nicht generelle sind. Wo wir aber darangehen, zu gene­ralisieren, da verkennen wir überhaupt den ganzen Zu­sammenhang. In dieser Art ist die ganze Phrenologie, wenn sie so getrieben wird, ein materialistischer Unfug. Man sollte sie überhaupt zu keiner Wissenschaft machen im rechten Sinne des Wortes, denn das kann sie nicht sein. Was uns in der menschlichen Schädelbildung entgegentritt, ist ein Individuelles, das von Mensch zu Mensch verschie­den ist. Die Art und Weise, wie wir dann den Menschen gerade nach diesen Merkmalen beurteilen wollen, muß ebenso eine individuelle sein, wie es das Verhältnis des Menschen zu einem Kunstwerk ist. Wie es da keine all­gemeinen, festgestellten Regeln gibt, sondern wie man ein Verhältnis zu einem jeden Kunstwerk gewinnen muß,

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wenn es wirklich eines ist, so wird man, wenn man nach allgemeinen Regeln an das geht, was an künstlerischem Sinn in dem Menschen steckt, schon zu einigen Urteilen kommen können. Nur werden sich diese Urteile ganz an­ders ergeben, als sie gewöhnlich ausgesprochen werden. Aber gerade das wird sich uns ergeben: Betrachten wir einen menschlichen Schädel, so werden wir sehen, wie der Geist in der Form in unmittelbarer Beziehung arbeitet, wie die Kräfte des Geistigen - des Ich - von innen heraus die Schädelkapsel förmlich entgegenschieben dem, was von außen nach innen arbeitet. Nur wenn man ein Gefühl für dieses Arbeiten von außen nach innen und von innen nach außen hat, kann man sich auf das einlassen, was in der menschlichen Schädelform, die das Gehirn umschließt, uns entgegentritt.

So zeigt uns die Beobachtung, wie in der Tat der Geist im Tiere unmittelbar sich auslebt in den Formen. Da das seelische Leben des Tieres wieder unmittelbar an die Organisation gebunden ist und das instinktive Leben ein Ausdruck der Organisation ist, so wird man immer finden können, warum diese oder jene Instinkte oder Im­pulse gefühlsmäßig beim Tier auftreten müssen. Dagegen kann man vom Menschen sagen: Bei ihm sehen wir ebenso den Geist von innen an seiner Organisation arbeiten. Wir sehen aber auch, wie das, was dem selbstbewußten Ich zu­grunde liegt, sich entgegenstellt und sich hineinschiebt in die Organisation - und damit in die Arbeit des Geistes.

Nun betrachten wir aber den Menschen einmal etwas anders. Da haben wir - was offen am Tage liegt - die Fähigkeit der Sprache, eine gewisse Denkungsart und ein gewisses Selbstbewußtsein durch die Erziehung bei ihm vorliegend. Diese Fähigkeiten entstehen durch die Berührung des Menschen mit der Außenwelt. Aber man tut nicht

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genug, wenn man diese Dinge einfach hinnimmt. Denn man muß sich klar sein, daß etwas viel Tieferes, viel Inti­meres sowohl der Sprache, der Denkart wie auch dem Selbstbewußtsein zugrunde liegt, das durch die Umgebung ausgelöst wird. Es liegt dem zugrunde, daß der Mensch in der Tat gewissermaßen drei Sinne hat, die wir beim Tier nicht finden. Man darf dabei das Wort Sinn nicht nur ver­gleichsweise nehmen; aber halten wir uns an Tatsachen und nicht an Worte. Das Tier zeigt sich im weitesten Umfange unfähig, auf dem Gebiete des Lautes, des Begriffes und dem, was wir Ich-Wesenheit nennen, sich so aufnahme­fähig zu erweisen wie der Mensch. Das Tier geht, wenn wir die Sinne durchgehen, bis zum Tonsinn hinauf. - Das liegt für die äußere Wahrnehmung dem Tier als eine Art Höchstes zugrunde. - Bis zum Ton geht es mit seiner Sinn-fähigkeit, dann aber lösen sich aus seiner allgemeinen Organisation nicht die Möglichkeiten heraus, ein Verständ­nis zu haben für Laut, Begriff und für die Ich-Wesenheit, die in einem anderen Wesen ist. Das Tier sieht die Gattung:

der Hund den Hund, der Elefant den Elefanten und so weiter. Aber kein Geistesforscher würde dem Tier die Wahrnehmung für eine Ich-Wesenheit zuschreiben. Es wird der materialistischen Forschung nicht gelingen, für die Wahrnehmung einer Ich-Wesenheit in der tierischen Orga­nisation etwas nachzuweisen; also die Naturforschung sollte es nicht bezweifeln, und die Geistesforschung wird es nicht bezweifeln. So haben wir Entwickelungsmöglichkeiten beim Menschen offen für die Wahrnehmung der Innerlich­keit des Lautes, für die Innerlichkeit von Begriff und Vor­stellung und für die Innerlichkeit des Ich-Wesens selbst. Hätte der Mensch für diese drei Betätigungen nicht Ent­wickelungsmöglichkeiten offen, so würden die andern Kräfte, die ich genannt habe, keine von innen sich ergießende

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Nahrung haben und sich auch nicht ausdrücken können. Das Tier hat für diese drei Entwickelungsmöglich­keiten nicht die Organe. Denn in alledem, was der Mensch in seinem Hinausgehen über das Tier darlegt, zeigt sich der Abdruck dessen, was in seinem Innern ist, als Möglichkeit des Ausdruckes der Lautauffassung, der Begriffsauffassung und der Ich-Auffassung, des Ich-Bewußtseins, während­dessen haben wir beim Tier ausgedrückt, wie der Geist in die Form gegossen ist, und es zeigt uns daher eine durch das Gattungsmäßige gegebene Gebärde und eine durch das Gattungsmäßige bedingte Physiognomie. Das alles drückt sozusagen aus, wie sich der Geist unmittelbar in die Form hineingerinnend betätigen kann. Beim Menschen sehen wir, wie ein jeder seine spezielle Gebärde hat, seine spezi­elle Physiognomie und Mimik, und wie sich gerade darin ganz besonders ausdrückt, was er auf der anderen Seite an Entwickelungsmöglichkeiten für den Laut, für Begriff oder Vorstellung und für das Selbstbewußtsein hat. In der Tat ergießt sich in die Gebärde, in die Physiognomie und Mi­mik und in das ganze Auftreten des Selbstbewußtseins dasjenige, was der Mensch in bezug auf Entwickelungsmög­lichkeiten für Laut, Begriff und Ich-Wesenheit hat. Da sehen wir von innen nach außen rinnen das, was erst durch den unmittelbaren Verkehr des selbstbewußten Ich mit dem Geist erlebt wird, und sehen es sich am Menschen aus­drücken.

Wenn wir dies so erleben, dürfen wir uns sagen: Also sehen wir am Menschen, wenn wir nur nicht mit abstrakten, trockenen, nüchternen Begriffen an ihn herantreten, son­dern mit lebendiger, lebensvoller Anschauung, wie Ich-Wesen, Vorstellungs-Wesen und Laut-Wesen unmittelbar an der äußeren Gestaltung und Bewegung arbeiten. Es ist förmlich so, wie wenn wir als Kristallographen die Formkräfte

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eines Kristalls studieren würden und uns dann eine Vorstellung bilden, wie wir im Steinsalz einen Würfel, im Schwefel ein Oktaeder, im Granat ein Rhombendodekaeder und so weiter vor uns haben. Wie wir da sehen, wie innere Kraftwirkungen sich in die Form ergießen, so sehen wir beim Menschen nach außen unmittelbar leben vor der lebendigen Anschauung alles, was der Mensch uns eigentlich ist, was gerade starken Eindruck in bezug auf seine Wesen­heit auf uns macht, und was uns wie geronnene Ich-Vor­stellung, wie geronnene Begriffe oder Vorstellungen und wie geronnener Lautsinn entgegentritt. Ja, das Letzte, was uns im Ton oder Laut entgegentritt, können wir ganz be­sonders anschaulich uns vor Augen führen. Denn jenen Verkehr mit dem Geist, den der Mensch vielleicht auf die intimste Art pflegt, den jeder Mensch, ob Künstler oder nicht, mit dem Geiste pflegen kann, der sozusagen ganz in die feinsten Seelenverwebungen seines Wesens hineinwirkt, erlebt der Mensch in jener Eigentümlichkeit, die doch nicht in ihrer ganzen Bedeutung für das menschliche Leben über­sehen werden soll, übersehen werden darf in dem Gehalt, in der Innigkeit - ich sage jetzt nicht des Wortinhaltes, son­dern in der Innigkeit des Wie im Wortinhalt, in der Innig­keit des Lautcharakters, der Seele der Sprache. Die Sprache hat nicht nur den Geist, der sich äußert im Inhalt der Worte, die Sprache hat auch eine Seele. Und viel mehr als wir denken, wirkt gerade in dem Lautcharakter eine Sprache auf uns. Ganz anders wirkt in unserer Seele eine Sprache, welche viel a hat, ganz anders eine solche, die im Wortcharakter mehr i oder u hat. Denn in dem, was im Timbre des Lautcharakters liegt, ergießt sich wie im Unbe­wußten die Seele, die über die ganze Menschheit aus­gegossen ist, über uns herüber. Das baut und wirkt an uns, und das kommt im Leben wieder als eine besondere Art

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von Gebärde zum Ausdruck. Denn eine besondere Art von Gebärde ist auch die Sprache des Menschen, aber nicht in­sofern sie Ausdruck der Worte ist, sondern insofern sie Seele hat, wie der Mensch mit seiner Seele in der Sprache lebt und sich ausdrückt. Da können wir sogar ganz wichtige Unterschiede angeben.

Jeder weiß, daß zu jenen eigentümlichen Imponderabi­lien, die von Mensch zu Mensch spielen, die Innigkeit ge­hört, wie ein Mensch spricht, ganz abgesehen davon, was er sagt. Wenn wir dieses berücksichtigen, werden wir uns sagen: Wir lernen viel, viel von dem Intimsten eines Men­schen gerade dadurch kennen, wenn wir beobachten, wie ein Mensch spricht. Wir müssen im Leben oftmals darüber hinwegsehen, denn höhere Gesichtspunkte können es in den Hintergrund treten lassen. Dennoch ist aber etwas in uns, was sehr rechnet mit dem Krächzen oder dem Wohllaut einer Stimme. Wer ein wirklicher Seelenbeobachter ist, der weiß, daß eine krächzende Stimme bei einem Mann viel unangenehmer ist als bei einer Frau - aus dem einfachen Grunde, weil diese Gebiete ganz intim mit unserer Orga­nisation zusammenhängen und beim Manne eine viel inti­mere Beziehung, eine viel innigere Verbindung des Seelen­lebens mit der ganzen Behandlung der Stimme, dem Timbre und so weiter besteht, als es bei der Frau der Fall ist. Wahr ist es, aber beweisen kann man es nicht. Man kann nur darauf hinweisen. Wenn Sie darauf achtgeben, werden Sie es schon bemerken. Wer auf solche Dinge einzugehen ver­mag, wird daher gerade das Bedürfnis haben, wenn er besonders wichtige Dinge aussprechen will, in die Sprache nicht bloß Inhalt hineinzulegen, sondern auch dasjenige, was jetzt gerade angedeutet worden ist. Und wahrhaftig nicht aus Unbescheidenheit, sondern um ein Beispiel anzu­führen für das, was gemeint ist, will ich dabei hinweisen

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auf das von mir verfaßte Rosenkreuzermysterium «Die Pforte der Einweihung». Da tritt an den gewichtigsten Stellen überall hervor, daß das, was überdies nicht in dem Inhalt gesagt werden kann, in der Behandlung der Sprache bis auf den Vokalklang gegeben ist; Sie werden nicht dort, wo ein u klingt auf ein a' ein i auf ein a folgen lassen können.

Es ist außerordentlich wichtig, daß wir dieses Gebiet als die «Gebärde der Sprache» ins Auge fassen und sehen, wie der Geist in seiner Macht auf die Organisation wirkt, und daß wir die unmittelbare Wirkung des Geistes auf die Seele, die das selbstbewußte Ich in sich enthält, beachten. Dann sehen wir wieder zurück, wie die menschliche Seele in die Leiblichkeit sich hineinergießt. Jetzt komme ich allerdings zu einer Sache, welche für viele von Ihnen selbstverständ­lich eine Hypothese sein muß, und die auszusprechen für den einen gewagt, für den andern sogar ärgerlich erschei­nen kann. Aber darauf kommt es nicht an.

Wir sehen am Menschen die Ich-Wesenheit, was der Vorstellungssinn ergibt und erleben kann und was der Lautsinn erleben kann, in die Gebärde, in die Physiognomie und Mimik sich hineinergießen und auch in die Form inner­halb jener Grenzen, die ich angedeutet habe, so daß wir im Menschen eine unmittelbare Wirksamkeit des Geistes sehen in jenem Lebensalter zwischen Geburt und Tod, wo das Ich sich hineinstellt zwischen Geist und Leiblichkeit. Nun denken wir uns jetzt einmal folgendes: ich rede, weil die Dinge mehr oder weniger subtil sind, in Gleichnissen. Denken wir uns das, was der Mensch vollbringt mit Ich­Wesenheit, Begriffsvermögen und Lautsinn, so wie es sich hineinergießt wirklich zunächst mehr oder weniger in das Gleichgewicht, in die Eigenbewegung und in das Selbst­bewußtsein, später in die freie Gebärde, in die freie Mimik

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und in die das Innerliche verratende Physiognomie, von vornherein mit einer Notwendigkeit zusammenwirken, so daß sich zwischen diese zwei, beziehungsweise drei Seiten kein Ich hineinstellt. Denken wir uns also das Ich aus­geschaltet und so die beiden Seiten der menschlichen Natur aufeinanderwirken, daß gleichsam durch einen nicht zum Bewußtsein gekommenen Lautsinn, der das tiefste Innere auslebt, von vornherein in seinen Erlebnissen eine ohne das Dazwischentreten des Ich bewirkte Herstellung des Gleich­gewichtes zustande kommt, so haben Sie etwas, was beim Menschen offen bleibt, ohne ein Dazwischentreten eines Ich hergestellt: das ist das, was dem Tier sein Gleichgewicht von vornherein bestimmt. Und denken Sie sich die Vorstellung, wodurch der Mensch seine Gesetze und die tierische Gat­tung erfaßt, das heißt, die ganze Organisation insofern sie Eigenbewegung ist, und wo sie Physiognomie und Mimik ist, in der ganzen Bewegung des Tieres ausgedrückt - was ausgedrückt wird in den tierischen Instinkten, Leidenschaf­ten und so weiter -, so haben Sie wieder dasjenige, durch eine naturgesetzliche Notwendigkeit im Tier verbunden, was der Mensch in seinem Leben so hat, daß sein Ich ver­bindend dazwischen tritt. Wieder haben wir beim Tier durch naturgesetzliche Notwendigkeit verbunden, was im Menschen der unmittelbare Ausdruck des Lebens ist. Beim Menschen arbeitet die Lebensgestaltung noch hinein in die Form. Denken Sie es sich aber nicht mehr aufgespart für das Leben, sondern unmittelbar durch die Naturwirksam­keit gestaltet, dann haben Sie es gattungsmäßig, wie es uns in der Plastik der verschiedenen Tiergattungen entgegen­tritt.

So sehen wir im Menschen ein Wesen, das seine Sinnen-welt in der Mitte hat zwischen zwei Polen. Er hat seine

Sinnenwelt: die Wahrnehmungswelt, die Tonwelt, die

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Geschmackswelt, die Geruchswelt und so weiter. Diese lie­gen zwischen dem, wie er sich selber wahrnimmt, sich Be­ziehungen gibt in den verschiedenen Richtungen des Rau­mes im Gleichgewichtssinn, wie er sich im eigenen Leib befindlich fühlt, und zwischen dem Lautsinn, dem Begriffs-verständnis und der Ich-Vorstellung auf der anderen Seite. Wie sich nun mit innerer Notwendigkeit das innere Leben für die dazwischen liegenden Sinne verhält, so verhält es sich für das Tier, notwendig gestaltend die ganze Leibes-Organisation. Lassen Sie beim Menschen die beiden Seiten zusammengehörig sein ohne ein Dazwischenkommen eines Ich, so haben Sie das unmittelbare, ohne das Dazwischen-treten seiner Seele vorhandene Einwirken der Geistigkeit auf die Leiblichkeit. Beim Menschen haben wir das, was wir nennen können: er ist nach der geistigen und physischen Seite eine Auslegung in Raum, Gebärde und so weiter, die offen bleibt für die Wirkung des Geistes nach der einen Seite und nach der andern Seite. Damit müssen wir uns befreunden, daß in der Tat gewissermaßen dadurch die Grundlage für das ganze Verständnis des Menschen und des menschlichen Geisteslebens überhaupt geschaffen ist, insofern es sich in der Geistesgeschichte abspielt.

Wir sehen, daß wir nicht zusammenwerfen dürfen, was der Mensch im Begriff erlebt, mit dem, was er erlebt, indem er den Begriff selber verwirklicht und selber ausgestaltet. In einer gewissen Beziehung ist der Mensch in bezug auf die Ausgestaltung des Begriffes in einer ganz anderen Lage als in bezug auf das Verständnis des Begriffes. Die Aus­gestaltung des Begriffes steht auf einem ganz anderen Blatt als die Mittel zum Verständnis des Begriffes. Ich möchte dabei auf eine Tatsache hinweisen.

Im Jahre 1894 hielt ein großer Verehrer Galileis in Wien, als er das Rektorat der Wiener Universität antrat,

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Lau renz Müliner, eine Rektoratsrede und machte dabei auf eine eigentümliche Tatsache aufmerksam, die ja zunächst sehr interessant ist. Er machte darauf aufmerksam, daß in Galilei derjenige Geist der Menschheit gegeben worden ist, der in Begriffe fassen konnte die mechanisch-physikalischen Gesetze - die Gesetze der Pendelbewegung, der Wurf­bewegung, der Fallgeschwindigkeit, des Gleichgewichtes -, die in der grandiosesten Weise vielleicht zum Ausdruck kommen - so sagte Professor Müllner - in der himmelan­steigenden Kuppel der Peterskirche in Rom, in dem wun­derbaren Werke Michelangelos. Das ist wahr, das muß jeder sagen, auf den das betreffende Kunstwerk einen Ein­druck macht. Und so können wir sagen, meinte Laurenz Müllner: In Galileis Verständnis treten jene Gesetze zuerst in Begriffe gefaßt auf, die wir in dem Gleichmaße und den Gleichgewichtsverhältnissen der gigantischen Kuppel der Peterskirche zu Rom zum Himmel aufragen sehen. Der Mensch hat sozusagen in Galilei in Begriffe zu fassen ver­standen, was sich in der Peterskirche in Rom als Kunst-schöpfung Michelangelos darstellt. Nur tritt dazu jetzt die eine Tatsache: daß der Geburtstag Galileis und der Todes­tag Michelangelos in dasselbe Jahr fallen: 1564 stirbt Michelangelo am 18. Februar, und in demselben Jahr, fast auf den Tag genau, am 15. Februar, wird Galilei geboren, der die mechanisch-physikalischen Gesetze für die Mensch­heit entdeckte!

Das ist in der Tat eine außerordentlich interessante Tat­sache, denn sie weist darauf hin, daß der Mensch jenen Verkehr mit dem Geist, durch den er in die Lage kommt, die Gesetze, die nachher gefunden werden, selber den Din­gen einzuprägen, in unmittelbarer Weise vollzieht und nicht durch den Verstand, nicht durch den Begriff, über­haupt nicht durch die Intelligenz. Das weist uns aber auf

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etwas anderes hin, nämlich darauf, daß der Mensch in seiner Organisation in einem Verkehr mit dem Geiste ist, bevor innerlich, seelisch, die Intelligenz ihn auch verarbeitet hat. Daher können wir gewissermaßen sagen: Der Mensch ist so beschaffen, daß er selber der Materie einverleiben kann, was in ihm lebt als Ausfluß des Geistes, was auf ihn gewirkt hat, bevor er es in die Intelligenz fassen konnte. Und das ist ja so bei allem künstlerischen Schaffen. Diese Tatsache interessiert uns deshalb, weil wir daran sehen, daß der Mensch im physischen Leben mit Bezug auf alles, was er lebt und was offenbar in einem Organ seinen Ausdruck hat, vor dem Verständnis für die Gesetze jener Organe etwas an sich hat, was die Gesetze plastisch durchführt, sie plastisch gestaltet. So daß es also, wenn wir den Gedanken durchdenken, ganz klar ist, daß der Sinn für jene Gesetze des Geistes, die sich zum Beispiel in einem Kunstwerk aus­drücken, vor dem Einverleiben der Gesetze in die Seele da ist und da sein muß. Daher haben wir also sozusagen an dem geistigen Ende des Menschen auch das Umgekehrte, wenn wir nur das Wort nicht unedel anwenden, sondern entsprechend ins Geistige hinaufgehoben. Dann zeigt sich uns in der Tat: durch einen ins Geistige heraufgehobenen und geläuterten Instinkt schafft der Mensch dasjenige, was er erst später entdeckt. Wie das Tier instinktiv schafft, wie zum Beispiel die Bienengenossenschaft ihren wunderbar eingerichteten Bienenstaat zustande bringt, so schafft der Mensch unmittelbar aus der geistigen Welt heraus, bevor sich die geistige Welt in seiner Intelligenz spiegelt.

So sehen wir, daß auch nach dieser Richtung hin alles auf das Gegenübertreten des selbstbewußten Ich gegenüber dem Wirken des Geistes hinweist. Das Tier kommt mit seinem Instinkt eben seelisch dazu, in seiner Intelligenz zu spie­geln, was es hineinbaut in seine Baue und dergleichen.

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Nehmen wir als Beispiel den Biber und seinen Bau: Unter den Bibern wird es immer geben, aber nie­mals einen , der in derselben Weise die Gesetze versteht, die der in den Biberbau hineinbaut. Beim Menschen gibt es das, was dem selbst­bewußten Ich gegenübertritt, was der Geist schafft, wenn er in die Organisation hineintritt.

So haben wir bei der Betrachtung der menschlichen Ent­wickelung klar gesehen, daß sich zwischen Geist und Leibes-organisation dasjenige hineinstellt, was der Ausdruck des selbstbewußten Ich beim Menschen ist, daß beim Menschen die veredelte Organisation den Geist unmittelbar erlebt, wie wir es im künstlerischen Phantasieschaffen erblicken, und daß dann noch die selbstbewußte Wesenheit in ihm lebt, die sich der Einordnung des Geistes in den Leib ent­gegenstellen kann. Also es kommt nicht darauf an, ob wir dem Menschen einen Vorzug geben vor dem Tier oder nicht, das wäre der verkehrte Weg; sondern wir haben darauf zu sehen, daß beim Tier der Geist unmittelbar an die Leibesorganisation heranrückt und die Seele gemäß dieser Leibesorganisation das Leben hinbringt, während beim Menschen sich zwischen Geist und Leibesorganisation das in der Seele befindliche lebendige Ich hineinstellt, die Vermittelung herstellt und arbeitet zwischen Geist und Leibesorganisation. Damit aber hat das Ich des Menschen einen unmittelbaren Verkehr mit dem, was in der geistigen Welt lebt. Es lebt zunächst diesen unmittelbaren Verkehr dadurch aus, daß es sich durchringt, geistige Verhältnisse in seiner Umgebung zu begründen, welche das Tier nur aus seinen Instinkten begründen kann. Wir sehen ein gewisses Rechtsleben, ein moralisches Leben beim Tier schon aus­geprägt. Wir verstehen aber das Rechtsleben, das mora­lische Leben, das Staatsieben, den ganzen Gang der Weltgeschichte

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nur, wenn wir beim Menschen die Emanzipation des Geistes von der Leibbichkeit sehen, indem sich das Ich hineinsteibt zwischen Geist und Leiblichkeit und dadurch in unmittelbaren Verkehr mit der geistigen Welt tritt.

Wie dieses Ich mit der geistigen Welt in einen unmittel­baren Verkehr tritt, ist es der normale Menschheitszustand. Wie aber ein Fortschritt gegenüber der Tierentwickelung das Hineinstellen eines selbstbewußten Ich zwischen Geist und Leibbichkeit bedeutet, so ist es auch möglich, daß der Mensch weiterschreitet auf dieser Bahn, indem er den Geist wieder, den er emanzipiert hat von der Leiblichkeit, in sich selber weiterentwickelt, wie er sich im freien Verkehr mit ihm erlebt. Dessen Möglichkeiten werden wir sehen in dem Vortrag über das «Wesen des Schlafes», und dessen volle Bedeutung wird sich uns zeigen in dem Vortrag «Wie er­langt man Erkenntnis der geistigen Welt?». Da werden wir sehen, wie das Emanzipieren des Geistes von der Leiblich­keit für den normalen Menschen bis zu einer gewissen Stufe eingetreten ist, aber weitergeführt werden kann, indem schlummernde, keimhafte Kräfte in dem Menschen veranlagt sind, durch deren Entfaltung er zu einem unmittelbaren Hineinschauen in die geistige Welt geführt werden kann.

Wir mußten erst einen Unterbau schaffen für das, was wir als die eigentliche Betrachtung der geistigen Welt wer­den pflegen können. Wir haben damit gewonnen, daß wir die eigentliche Bedeutung des menschlichen Wesens darin zu suchen haben, daß das menschliche Ich hineintritt zwi­schen Geist und Leiblichkeit. Das aber ist auch wieder äußerlich leiblich gegeben, indem uns sozusagen das selbst­bewußte Ich, wie es uns im Leben entgegentritt, in der menschlichen Innerlichkeit schon durchaus, man möchte sagen, physiognomisch und auch der Geste nach entgegen­tritt. Einige von Ihnen werden sich erinnern, daß ich nicht

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nur ausgesprochen, sondern auch belegt habe, daß dem alten Satz «Blut ist ein ganz besonderer Saft» eine tiefe Wahrheit zugrunde liegt. Das ist in der Tat so. Und in dem, was sich einfach als eine unmittelbare Wirkung der Seele auf die Blutzirkulation ausdrückt, kann man schon etwas erraten von jenem Hineinwirken des selbstbewußten Ich in die Leiblichkeit, in die Organisation. Das ist sozusagen die nächste Pforte, wo das vom Geist befruchtete Ich in die Leiblichkeit hineinwirkt. Wir sehen es, wenn wir das See­lische in seiner Wirkung auf die Blutzirkulation betrachten. Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, daß wir in den ganz groben Erscheinungen der Schamröte und der Angst­bleichheit eine unmittelbare Wirkung sehen von etwas, was in der Seele vor sich geht und im Leib sich ausdrückt, denn es sind in der Tat Furcht und Schamgefühl seelische Vor­gänge. Man müßte, wollte man das bestreiten, unbewußter Materialist sein, was zum Beispiel William James tat­sächlich ist, obwohl er Spiritualist sein will, indem er in der Tat den Satz verfechten will: «Der Mensch weint nicht, weil er traurig ist, sondern er ist traurig, weil er weint.» Man müßte sich demnach vorstellen, daß der Mensch da­durch in seiner Seele Traurigkeit erlebt, daß irgendwelche, wenn auch noch so feine, materielle Einflüsse auf den Organismus ausgeübt werden, welche die Tränen heraus­pressen, und wenn der Mensch dies merkt - so meint William James - dann werde er traurig. Wenn wir diesen Schluß in seiner ganzen Unhaltbarkeit nicht erkennen, werden wir nicht einsehen können, daß wir es in Dingen wie Lachen und Weinen, aber auch in der Schamröte, wo eine Umlagerung des Blutes vom Zentrum nach der Peri­pherie stattfindet, mit materiellen Vorgängen zu tun haben, welche unmittelbar unter seelisch-geistigen Ein­flüssen stehen.

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Wenn wir das bedenken, werden wir sagen können: In der Tat drückt sich beim Menschen das Seelische in der Blutzirkulation aus. Was wir aber so vom Menschen sagen, daß das selbstbewußte Ich im Blut und in der Blutzirku­lation sich auslebt, können wir nicht unmittelbar auf das Tier anwenden, weil da ein selbstbewußtes Ich nicht in die Blutzirkulation hineinwirken kann. Das aber ist das We­sentliche, weil das Tier sich nicht unmittelbar dem Einfluß der geistigen Welt öffnet, die mit Notwendigkeit herein-wirkt. Während wir in der tierischen Blutzirkulation wieder etwas vor uns haben, wo sich unmittelbar auslebt, wie das tierische Seelenleben zum Ausdruck kommt, haben wir in der menschlichen Blutzirkulation etwas von der Art zu sehen, wie der Geist auf das Ich wirkt.

Wenn die Menschen dereinst anfangen werden, ein wenig die Dinge zu studieren, auf die es ankommt, nämlich daß das, was ich heute im Anfang sagte, wesentlich ist für das menschliche Leben, daß der Mensch nicht von vornherein organisiert ist für eine bestimmte Ausprägung von Gleich­gewichts-, Eigenbewegungs- und Lebenssinn, sondern sie sich erst erringen muß, - wenn man dahinterkornmen wird, daß mit den Richtungen im Raume Realitäten gegeben sind, daß es nicht gleichgültig ist, ob ein Rückgrat horizon­tal oder vertikal zu den Raumverhältnissen steht oder ob eine Blutzirkulation in dieser oder jener Richtung fließt, dann wird man vor allen Dingen in der Art und Weise, wie sich solche Organisationen in den ganzen Welten­zusammenhang hineinstellen, das Wesentliche sehen. Man wird zum Beispiel in der Tat in den Richtungen nach einer bestimmten Linie im Raum hin etwas Wesentliches sehen müssen. Wenn man das einsieht, wird man die große Bedeutung gerade der Lage und der ganzen Blutvorgänge im menschlichen Blutsystem beurteilen können. Heute

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glaubt man, daß die Lehre von der Blutzirkulation etwas einigermaßen Abgeschlossenes ist. Das ist es gar nicht. Wir sind erst im Beginn, etwas von den Geheimnissen der Blut­zirkulation kennenzulernen. Damit ich diese Dinge nicht so hinstelle, als ob sie bloße Behauptungen wären, will ich auf folgendes hinweisen.

Es ist höchstens fünfundzwanzig Jahre her, daß ein auf diesem Gebiete sehr bedeutender Naturforscher, weil er die nötige mathematische Vorbildung dafür hatte, nämlich der Kriminalanthropologe Moriz Benedikt, erst auf die sehr erhebliche Tatsache aufmerksam machte, die ja heute wieder vielfach ignoriert wird, daß die gleichartigen Schläge in der Pulsader rechts und links verschieden sind, was außerordentlich wichtig ist für die Erkenntnis der Zu­sammenhänge im Menschenwesen. Und besonders ist wich­tig, was kein berühmter Mann auf diesem Gebiete gefunden hat, sondern ein sehr einfacher Mann, Dr. Karl Schmidt, und was er 1892 veröffentlichte in der «Wiener Medizi­nischen Wochenschrift» in seiner Abhandlung «Herzschläge und Pulsbewegungen». Da wird hingewiesen auf ganz wich­tige Beobachtungen. Erst wenn man diese Dinge, die jetzt erst im Anfang sind, einigermaßen studieren wird, wird man einen Anfang gemacht haben in der Erkenntnis des Zusammenhanges zwischen selbstbewußtem Ich und Blut­zirkulation auf der einen Seite und auf der andern Seite zwischen dem im Tier wirkenden tierischen Geist und der tierischen Blutzirkulation.

Ich habe das letzte Mal darauf hingewiesen, daß wir in der Tat vermögen, bis in die Einzelheiten der Organologie und der einzelnen Funktionen zu gehen, und den Unter­schied nachweisen können, wie der Geist sich im Menschen und wie der Geist sich im Tier zeigt. Demgegenüber ist es ganz begreiflich, daß die neueren Forschungen über die

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Verwandtschaft von Menschen- und Affenblut weniger besagen, weil sie auf das Äußere, rein Stoffliche gehen, auf die chemische Reaktion und so weiter und nicht auf das, worauf es ankommt. Käme es auf das bloß Stoffliche an, so müßte es ganz gleichgültig sein, ob ein Rad als Spiel­zeug für Kinder, oder bei einer Uhr verwendet wird. Aber es hängt immer davon ab, wie ein Glied oder Organ in der Gesamtheit eines Wesens oder Dinges verwendet wird. Es hängt nicht davon ab, wie Menschenblut sich zu Affenblut verhält oder dergleichen, sondern wie die betref­fenden Organe in den Dienst der Gesamtorganisation ge­stellt sind. Wie sich da wirklich das, was wahr ist, berührt mit der äußeren Forschung, das zeigt uns ja am besten das Verhältnis Goethes zur Naturwissenschaft. In dem Zeit­alter Goethes war in bezug auf die Naturdinge schon ein harter Materialismus im Schwunge, und gerade die hervor­ragendsten Naturforscher, die den Unterschied zwischen Mensch und Tier festhalten wollten, beriefen sich dabei auf etwas rein Materielles. Sie meinten, jener Unterschied zeige sich darin, daß die Tiere in der oberen Kinnlade noch einen Zwischenknochen haben, der beim Menschen fehle, und sie sagten etwa: Das ist die Kluft zwischen Mensch und Tier, daß das Tier noch einen Zwischenknochen für die Aufnahme der oberen Schneidezähne hat, der Mensch aber keinen! Für Goethe war das unerträglich. Ihm kam es darauf an, nicht in den einzelnen Baustücken, sondern in bezug auf die Art, wie der Geist im Menschen und wie der Geist im Tier sich der Organe bedient, den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu finden. Nebenbei will ich nur darauf hin­weisen, daß man die Goethesche Metamorphosen-Lehre an­wenden kann in bezug auf alle einzelnen menschlichen Or­gane. So konnte sich Goethe niemals, von Anfang an nicht mit dem Gedanken befreunden, daß in einer materiellen

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Einzelheit das Hinausragen des Menschen über die Tiere zu suchen sein sollte. Deshalb wollte er zunächst nach­weisen, daß jene Behauptung nicht zutrifft und daß diese Kluft nicht da ist, und er ging nun daran, den «Zwischen-kieferknochen» beim Menschen aufzuweisen. Wenn Goethe weiter nichts getan hätte als diese eine einzige Tat, wenn er nichts anderes gefunden hätte, als daß in der Tat der Zwi­schenkieferknochen beim Menschen da ist, nur verwachsen, so daß man ihn nicht sieht, so würde er schon dadurch ein gewaltiges Genie in der menschlichen Entwickelung sein. Goethe sagte sich - nicht weil er es getan hat, erzähle ich es, sondern weil es in der Empfindung Goethes zutage tritt-:

Ich habe mit Herder und mit andern, die sich bemühen, den Menschen aus dem Geist heraus zu begreifen, vor allen Dingen das Augenmerk darauf gerichtet, daß der Mensch gerade deshalb über den Tieren steht, weil die Tiere an ihre Organisation gebunden sind. Der Mensch aber emanzipiert sich davon und tritt in einen unmittelbaren Verkehr mit dem Geist und kann dadurch wieder zurückwirken auf die Organe, was Goethe, wie ich auch schon andeutete, mit den Worten sagte: «Die Tiere werden durch ihre Organe be­lehrt, sagten die Alten. Ich setze hinzu: die Menschen gleich­falls; sie haben jedoch den Vorzug, ihre Organe wieder zu belehren.» Goethe konnte gar nicht anders als zugeben: die Organe sind dieselben; nur werden sie von einer andern Seite her gestaltet. Daher die große Freude Goethes, als er den Zwischenkieferknochen am Menschen endlich gefunden hatte. Da schreibt er an Herder:

«... Ich habe gefunden - weder Gold noch Silber, aber was mir unendliche Freude macht - das os inter­maxillare am Menschen! Ich verglich mit Lodern Menschen- und Tierschädel, kam auf die Spur und siehe, da ist es. Nun bitt' ich dich, laß dich nichts

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merken, denn es muß geheim behandelt werden. Es soll dich auch recht herzlich freuen, denn es ist wie der Schlußstein zum Menschen, fehlt nicht, ist auch da! Aber wie! Ich habe mir's auch in Verbindung mit dei­nem Ganzen gedacht, wie schön es da wird...»

In nichts einzelnem kann der Unterschied des Menschen vom Tier gefunden werden; er muß durchaus in dem ge­funden werden, wie sich der Geist der Dinge bedient. Denn dadurch blicken wir auf das hin, was der Mensch dem Geist gegenüber ist, wie er sich von der Leiblichkeit emanzipiert hat und in einen unmittelbaren Verkehr mit dem Geiste treten kann. Daher der Unterschied in der Empfindung, der uns überkommt, wenn wir auf ein Geistiges und wenn wir auf ein Leiblich- Materielles hinblicken. Wir werden versuchen, die Worte mit einem ganz andern Sinn zu ge­brauchen, ob wir auf das Geistige hinblicken oder auf das Leibliche.

Zwei Gedichte stehen in Goethes Werken nebeneinander. Merkwürdige drei Zeilen enthalten sie:

Das Ewige regt sich fort in allen:

Denn alles muß in nichts zerfallen,

Wenn es im Sein beharren will.

So schließt das eine Gedicht. Und das andere beginnt:

Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!

Das Ewige regt sich fort in allen,

Am Sein erhalte dich beglückt!

Ein vollständiger Widerspruch! Wie können wir ihn er­klären? Goethe hat ihn so grob in zwei Gedichten hingestellt, die unmittelbar aufeinander folgen. In der Tat kön­nen wir die Empfindung in unserm Herzen auslösen, wenn wir hinschauen auf den Geist im materiellen Dasein. Wenn

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der Geist beharren wollte im materiellen Dasein, wenn er nicht jede Form zerbrechen wollte, müßte er in nichts zer­fallen. In dem Augenblick, wo wir den Geist in der Leib­lichkeit erblicken, müssen wir sagen: Er muß in nichts zer­fallen! Wo wir aber auf den Geist sehen, der in jeder Form in dem Geistigen neu erscheint, da müssen wir sagen: Wir haben es mit dem ewigen, unsterblichen Sein zu tun, mit dem Geist, mit dem wir uns in der emanzipierten Men­schenseele verbinden können. Da dürfen wir gerade so sagen:

Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!

Das Ewige regt sich fort in allen,

Am Sein erhalte dich beglückt!

wenn wir das unsterbliche Ewige eines Wesens ins Auge fassen.

Sehen wir die Seele, sehen wir den Geist in der Leib­lichkeit an, so müssen wir sagen: Lebte er sich ganz in der Leiblichkeit aus, wollte er die Leiblichkeit festhalten: er müßte in nichts zerfallen.

So führt uns gerade die Betrachtung des Tiergeistes und Menschengeistes dahin, nach und nach zu einer Ahnung erst aufzusteigen von dem, was im Grunde genommen Geist ge­nannt werden darf. Und bevor man dazu vordringen will, wie man Erkenntnisse über den Geist gewinnen kann, muß man vor allem erst wissen, wie der Geist hereinleuchtet in die menschliche Seele, die er emanzipiert von der Leiblich­keit, um innerhalb ihrer ein von der leiblichen Organisa­tion unabhängiges und ein in seine Eigengebiete führendes Leben zu haben.

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DAS WESEN DES SCHLAFES Berlin, 24. November 1910

Es liegt in der Natur der gegenwärtigen wissenschaft­lichen Betrachtungen, daß von solchen Erscheinungen, wie diejenige ist, der wir heute diese Stunde widmen wollen, im Grunde genommen recht wenig innerhalb der gebräuch­lichen Wissenschaft die Rede ist. Und dennoch sollte jeder Mensch fühlen, wie der Schlaf etwas ist, was sich in unsere Lebenserscheinungen so hineinstellt, wie wenn uns gerade durch ihn die größten Lebensrätsel aufgegeben werden sol­len. Man hat wohl dieses Geheimnisvolle und das Bedeu­tungsvolle des Schlafes immer gefühlt, wenn man gespro­chen hat von dem Schlaf als dem «Bruder des Todes». Nun werden wir uns heute auf die Besprechung des Schlafes als solchen zu beschränken haben, denn auf die Betrachtung des Todes werden uns die folgenden Vorträge noch in man­cher Beziehung zurückführen.

Alles, was der Mensch zu seinem Seelenerleben in un­mittelbarem Sinne rechnen muß, alle vom Morgen bis zum Abend auf- und abwogenden Vorstellungen, alle Empfin­dungen und Gefühle, welche das Seelendrama des Menschen ausmachen, alle Schmerzen und Leiden, auch die Willens-impulse, sie sinken gleichsam in ein unbestimmtes Dunkel hinunter, wenn der Mensch in den Schlaf versinkt. Und es könnten sozusagen manche Philosophen an sich selber irre werden, wenn sie sprechen von dem Wesen des Seelischen, von dem Wesen des Geistigen, das sich offenbart in der Menschennatur, und von dem sie doch zugeben müssen, daß

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es innerhalb eines jeden Tageslaufes - auch wenn es sich noch so gut in Begriffe und Ideen hat einspannen lassen und noch so gut erforscht zeigt - im Grunde genommen in nichts sich zu verlieren scheint. Wenn wir die Erscheinungen des Seelenlebens so betrachten, wie man sie eigentlich sowohl wissenschaftlich als auch laienhaft zu betrachten gewohnt ist, so müssen wir im Grunde genommen sagen, sie sind während des Schlafzustandes ausgelöscht, sind fort. Für den, der bloß das betrachten will, was sich von dem Seeli­schen im Leiblichen äußert, ist gewissermaßen der Mensch erst recht ein Rätsel, wenn er tiefer nachdenkt. Denn die eigentlichen leiblichen Funktionen, leiblichen Tätigkeiten, dauern während des Schlafes fort. Nur was wir gewöhnlich als das Seelische bezeichnen, hört auf. Es fragt sich nun nur, ob man in ganz richtigem Sinne über Leibliches und Seeli­sches spricht, wenn man in das, was wie ausgelöscht er­scheint mit dem Einschlafen, wirklich dieses Seelische in seinem ganzen Umfange einschließt. Oder ob schon die ge­wöhnliche Beobachtung des Lebens, wenn wir jetzt ganz absehen von geisteswissenschaftlichen oder anthroposophi­schen Betrachtungen, uns doch zeigen kann, daß dieses See­lische auch tatig ist, seine Wirksamkeit auch erweist dann, wenn es vom Schlaf umfangen ist. Will man allerdings über diese Begriffe einige Klarheit gewinnen, man könnte auch sagen, will man die Erscheinungen des Lebens im rich­tigen Sinne auf diesem Gebiete beobachten, so muß man sich genaue Begriffe vor die Seele stellen.

Einleitungsweise möchte ich von vornherein erwähnen, daß auch in bezug auf dieses Thema die Geisteswissenschaft oder Anthroposophie nicht in der Lage ist, so allgemein zu sprechen, wie man es heute liebt. Wenn wir heute vom Wesen des Schlafes sprechen, werden wir nur vom Schlaf des Menschen sprechen. Denn die Geisteswissenschaft weiß

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sehr wohl - das ist in dem letzten Vortrage in bezug auf andere Gebiete mannigfach gestreift worden -, daß das, was in dieser oder jener Erscheinung bei verschiedenartigen Wesen äußerlich sich scheinbar gleich ausdrückt, auf ganz verschiedenen Ursachen innerhalb der betreffenden Wesen beruhen kann. Das haben wir angedeutet für den Tod, für das ganze geistige Leben und für die Ausgestaltung des gei­stigen Lebens bei Tier und Mensch. Es würde heute zu weit führen, über den Schlaf der Tiere noch zu sprechen. Wir wollen deshalb vorausschicken, daß alles, was heute gesagt wird, nur für den Schlaf des Menschen gesagt werden soll.

Von seelischen Erscheinungen innerhalb unserer selbst zu sprechen, dazu sind wir Menschen in der Lage - das fühlt ein jeder - durch unser Bewußtsein, dadurch, daß wir ein Bewußtsein haben von dem, was wir vorstellen, was wir wollen, was wir fühlen. Es muß nun die Frage entstehen

- und sie ist gerade für unsere heutigen Beobachtungen außerordentlich wichtig -: Dürfen wir den Begriff des Be­wußtseins, wie wir ihn für das normale Bewußtsein des Menschen in der Gegenwart kennen, ohne weiteres mit dem Begriff des Seelischen oder des Geistigen im Menschen zu­sammenwerfen? Um mich über diese Begriffe zunächst klarer auszusprechen, möchte ich zu einem Vergleich grei­fen. Ein Mensch kann in einem Zimmer herumgehen und kann nirgends an den verschiedenen Orten, wo er sich im Zimmer befindet, etwas sehen von seinem eigenen Antlitz. Nur an einem einzigen Orte, wo er in den Spiegel hinein-schauen kann, kann er etwas von seinem eigenen Antlitz sehen. Da tritt ihm die Gestalt seines Antlitzes im Bilde entgegen. Ist es nun nicht für den Menschen doch ein gewal­tiger Unterschied, ob er nur im Zimmer herumgeht und in sich lebt, oder ob er das, was er so darlebt, auch im Spiegel-bilde sieht? So könnte es vielleicht mit dem menschlichen

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Bewußtsein in einer etwas erweiterten Art sein. Der Mensch könnte sozusagen sein Seelenleben leben, und dieses Seelen-leben selber - wie er es darlebt - müßte ihm erst dadurch, daß es sich in einer Art Spiegel ihm entgegenstellt, zum Wissen, zum Bewußtsein kommen. Das könnte sehr wohl sein. Wir könnten also zum Beispiel sagen: Es ist durchaus denkbar, daß das menschliche Seelenleben fortdauert, gleichgültig ob der Mensch wacht oder schläft, daß aber der Wachzustand darin besteht, daß der Mensch durch eine Spiegelung - sagen wir zunächst durch eine Spiegelung innerhalb seiner Leiblichkeit- sein Seelenleben wahrnimmt, und daß er es im Schlafzustand deshalb nicht wahrnehmen kann, weil es sich nicht in seiner Leiblichkeit spiegelt.

Damit hätten wir zwar zunächst nichts bewiesen, zum mindesten aber hätten wir zwei Begriffe gewonnen. Wir könnten unterscheiden zwischen dem Seelenleben als solchem und zwischen dem Bewußtwerden des Seelenlebens. Und wir könnten uns denken, daß für unser Bewußtsein, für unser Wissen um das Seelenleben, wie wir im normalen Menschenleben gegenwärtig stehen, alles davon abhängt, daß wir das Seelenleben durch unsere Leiblichkeit gespiegelt erhalten, weil wir, wenn wir es nicht gespiegelt erhalten, nichts von ihm wissen könnten. Wir wären dann ganz in einem Zustande wie im Schlafe. Versuchen wir jetzt, nach­dem wir diese Begriffe gewonnen haben, die Erscheinung des Wach- und Schlaflebens uns ein wenig vor die Seele zu führen.

Wer das Leben wirklich zu beobachten vermag, kann sehr deutlich fühlen, man möchte sagen schauen, wie der Moment des Einschlafens wirklich verläuft. Er kann wahr­nehmen, wie die Vorstellungen, die Gefühle schwächer werden, in ihrer Helligkeit, in ihrer Intensität abnehmen. Das ist aber nicht das ganz Wesentliche. Während der

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Mensch wacht, lebt er so, daß er in seinem ganzen Vorstel­lungsleben von seinem selbstbewußten Ich aus Ordnung schafft, gleichsam alle Vorstellungen zusammenfaßt mit seinem Ich. Denn in dem Augenblick, wo wir im Wach-leben unsere Vorstellungen nicht mit unserm Ich zusam­menfassen würden, würden wir kein normales Seelenleben führen können. Wir würden eine Gruppe von Vorstel­lungen haben, die wir auf uns beziehen würden, die wir unsere Vorstellungen nennen würden, und eine andere Gruppe, die wir wie etwas Fremdes anschauen würden, wie eine Außenwelt. Nur Menschen, die eine Spaltung ihres Ich erleben, was für den gegenwärtigen Menschen ein krank­hafter Zustand ist, könnten eine solche Auseinanderzerrung ihres Vorstellungslebens in verschiedene Gebiete haben. Beim normalen Menschen ist es das Wesentliche, daß alle Vorstellungen wie auf einen Punkt perspektivisch bezogen sind: auf das selbstbewußte Ich. Im Moment des Einschla­fens fühlen wir deutlich, wie sozusagen das Jch zunächst von den Vorstellungen überwältigt wird, trotzdem sie dunkler werden. Die Vorstellungen machen ihre Selbstän­digkeit geltend, leben ein Eigenleben, gleichsam einzelne Vorstellungswolken bilden sich innerhalb des Horizontes des Bewußtseins, und das Ich verliert sich an die Vorstel­lungen. Dann fühlt der Mensch, wie die Sinnesempfindun­gen Sehen, Hören und so weiter immer stumpfer und stumpfer werden, und er fühlt endlich, wie die Willens-impulse gelähmt sind. Nun müssen wir auf etwas hin­weisen, was im Grunde genommen von wenigen Menschen schon klar beobachtet wird. Weiter fühlt der Mensch, während er im Tagesleben die Dinge mit bestimmten Umrissen sieht, daß sich im Moment des Einschlafens etwas geltend macht wie ein Eingeschlossensein in einen unbe­stimmten Nebel, der sich zuweilen kühlend, zuweilen mit

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anderen Gefühlen geltend macht an gewissen Körperstel­len: an den Händen, an den Gelenken, an den Schläfen, am Rückgrat und so weiter. Das sind Gefühle, die der Ein-schlafende recht wohl beobachten kann. Das sind - man möchte sagen - solche trivialen Erfahrungen, wie man sie jeden Abend beim Einschlafen machen kann, wenn man will.

Bessere Erfahrungen machen schon die Menschen, die durch eine feinere Ausbildung ihres Seelenlebens den Mo­ment des Einschlafens genauer beobachten. Sie können dann trotz des Einschlafens etwas wie ein Aufwachen fühlen. Was ich Ihnen jetzt erzähle, kann ein jeder sagen, der sich einige Methoden angewöhnt hat, um diese Dinge wirklich zu beobachten, denn es ist eine allgemein menschliche Er­scheinung. In dem Moment, wo die Menschen beim Hin­überschlummern etwas wie Aufwachen fühlen, ist es so, daß man wirklich sagen kann: Es wacht etwas auf wie ein sich ausbreitendes Gewissen, etwas wie die Moral der Seele wacht auf. Das ist tatsächlich der Fall. Und es zeigt sich insbesondere dadurch, daß solche Menschen an dem See­lischen die mit Bezug auf das im vorhergehenden Tages-leben Erlebte Beobachtung machen, womit sie in ihrem Ge­wissen selber befriedigt sind. Das fühlen sie in diesem Moment des moralischen Aufwachens ganz besonders. Zu­gleich ist dieses Fühlen ganz entgegengesetzt dem Fühlen des Tages. Während das Fühlen des Tages sich in der Weise zeigt, daß die Dinge an uns herankommen, fühlt der Einschlafende, wie wenn seine Seele sich aus-gießen würde über eine Welt, die jetzt erwacht und die hauptsächlich umschließt ein Sichausspannen, ein Sichausgießen des Gefühls über das, was die Seele durch sich selber wie durch ein sich ausbreitendes Gewissen in bezug auf ihre moralische Innerlichkeit erleben kann. Da

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ist es dann ein Moment, der aber für den Einschlafenden viel länger erscheint, von einer inneren Seligkeit, wenn es sich um ein Sichausbreiten über die Dinge handelt, mit welchen die Seele einverstanden sein kann, und es ist oft ein Gefühl von tiefem Zerrissensein, wenn sie sich Vorwürfe zu machen hat. Kurz, der moralische Mensch, der während des Tages durch die stärkeren Sinneseindrücke niederge­drückt wird, spannt sich aus und fühlt sich ganz beson­ders im Moment des Einschlafens. Und jeder, der sich eine gewisse Methode oder vielleicht auch nur eine Empfindung in bezug auf solche Beobachtungen angeeignet hat, weiß, daß eine gewisse Sehnsucht in diesem Moment erwacht, die wir etwa so beschreiben können: Man will, daß dieser Moment eigentlich sich ins Unbestimmte ausdehnen möge, daß er nicht ein Ende finde. Dann aber kommt etwas wie ein Ruck, eine Art innere Bewegung. Das ist nun für die meisten Menschen schon außerordentlich schwer zu beschrei­ben. Die Geistesforschung kann diese innere Bewegung natürlich ganz genau beschreiben. Es ist gleichsam eine Forderung, die sich die Seele selber macht: Du mußt dich jetzt noch weiter ausspannen, dich noch weiter ergießen! Aber indem sie sich diese Forderung stellt, verliert sich die Seele für das moralische Leben in der Umgebung. Es ist, wie wenn Sie einen kleinen Farbentropfen ins Wasser wer­fen und zur Auflösung bringen: zunächst sieht man die Farbe noch, wenn sich aber der Tropfen über das ganze Wasser ergießt, verblaßt er immer mehr und mehr, und endlich hört die Farbenerscheinung als solche auf. So ist es, wenn die Seele eben anfängt aufzuquellen, in ihrer mora­lischen Spiegelung zu leben, da fühlt sie sich noch; aber das Fühlen hört dann auf, wenn der Ruck, die innere Bewegung eintritt, wie sich der Tropfen mit seiner Farbe in dem Wasser verliert.

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Das ist keine Theorie, das ist zu beobachten und jedem zugänglich, wie eine naturwissenschaftliche Beobachtung exakt jedem zugänglich ist. Wenn wir so das Einschlafen beobachten, können wir allerdings sagen: Der Mensch fängt mit dem Einschlafen gleichsam etwas ab, was gewisser­maßen nicht mehr nachher in seinem Bewußtsein sein kann. Der Mensch hat - wenn ich mich jetzt der früher konstruierten beiden Ideen bedienen darf - gleichsam einen Moment des Abschiednehmens von dem Spiegel des Leib­lichen, worin ihm die Erscheinungen des Lebens gespiegelt erscheinen. Und weil er noch keine Möglichkeit hat, das, was sich im Leibe spiegeln soll, an etwas anderem sich spiegeln zu lassen, so hört die Möglichkeit auf, wahrzu­nehmen, was er ist.

Nun kann man aber auch wieder - wenn man nicht durchaus eigensinnig und halsstarrig sein will in bezug auf das, was sich auf die Seele bezieht und auf die Wirkung dessen, was da in ein unbestimmtes Dunkel hineingeht -die Erscheinungen des Tages in einem gewissen Sinn wahr­nehmen. In anderem Zusammenhang habe ich schon darauf aufmerksam gemacht, wie der Mensch, der genötigt ist die­ses oder jenes zu memorieren, also Dinge auswendig zu ler­nen, dies viel leichter zustandebringt, wenn er es öfter über­schläft, und wie der größte Feind des Auswendiglernens das Sichabstehlen des Schlafes ist. Es ist sogar wieder die Mög­lichkeit und die Fähigkeit da, leichter zu memorieren, wenn wir die Sache überschlafen haben, als wenn wir in einem Zuge etwas auswendig lernen wollen. So ist es aber auch bei anderen Tätigkeiten der Seele.

Wir würden uns aber ganz leicht überzeugen können, daß es unmöglich wäre, überhaupt etwas zu lernen, uns etwas anzueignen, wo die Seele etwas mitzutun hat, wenn wir nicht immer die Zustände des Schlafes in unsere Lebenszustände

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einfügen könnten. Der natürliche Schluß, der aus solchen Erscheinungen gezogen werden muß, ist der, daß unsere Seele es nötig hat, sich von Zeit zu Zeit dem Leibe zu entziehen, um sich Kraft aus einem Gebiete zu holen, das nicht innerhalb des Leibes ist, weil innerhalb des Leiblichen die entsprechenden Kräfte gerade abgenutzt werden. Wir müssen uns vorstellen: wenn wir morgens aus dem Schlafe aufwachen, so haben wir uns aus dem Zustande, in dem wir waren, Stärkung mitgebracht, um Fähigkeiten zu ent­wickeln, die wir nicht entwickeln könnten, wenn wir im­mer nur an unseren Leib gefesselt wären. So zeigt sich in unserem gewöhnlichen Wesen die Wirkung des Schlafes, wenn man geradlinig denken will und nicht halststarrig sein will.

Was sich so im allgemeinen zeigt und wozu man, wenn man im gewöhnlichen Leben stehenbleibt, schon etwas guten Willen braucht, um die einzelnen Erscheinungen zu­sammenzuhalten, das zeigt sich ganz klar und deutlich, wenn der Mensch Entwickelungen durchmacht, die ihn zum wirklichen Hineinschauen in das geistige Leben führen können. Ich möchte hier etwas darüber ausführen, was ein­tritt, wenn der Mensch die in der Seele schlummernden Kräfte entwickelt hat, um jenen Zustand zu erreichen, wo er nicht durch die Sinne wahrnehmen und durch den Ver­stand begreifen kann. - Genaueres darüber folgt in dem Vortrag «Wie erlangt man Erkenntnis der geistigen Welt?», wo die Methoden in ziemlich umfassender Weise besprochen werden sollen. - Jetzt aber sollen einige von den Erfah­rungen hervorgehoben werden, die ein Mensch machen kann, der wirklich solche Übungen durchmacht, die seine Seele gleichsam mit geistigen Augen, mit geistigen Ohren begaben, wodurch er in die geistige Welt hineinschauen kann, die nicht ein Gegenstand der Spekulation ist, sondern

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ebenso ein Gegenstand, wie es die Farben und Formen, Wärme und Kälte und Töne sind für den Menschen, der sinnlich wahrnimmt. Es ist ja schon durch die früheren Vor­träge zutage getreten, wie man zu wahrer Hellsichtigkeit kommt. Diese geistige Entwickelung, dieseübungen bestehen ja tatsächlich darin, daß der Mensch etwas, was er in sich hat, aus sich herausholt, andere Erkenntnisorgane gewinnt, gleichsam einen Ruck über die Seele, wie sie im normalen Zustande ist, hinaufmacht und dadurch eine Welt wahr­nimmt, die immer um ihn ist, die aber im normalen Zustande nicht wahrgenommen werden kann. Wenn der Mensch solche Übungen durchmacht, ändert sich allerdings zunächst sein Schlafleben. Das weiß jeder, der zu wirk­lichen eigenen geistigen Forschungen gekommen ist. Ich will nun von dem allerersten Zustand der Änderung des Schlaflebens bei dem eigentlich hellsichtigen, geistesfor­scherischen Menschen sprechen.

Die ersten Anfänge dieser Möglichkeit des geistigen Forschens lassen den Menschen eigentlich nicht sehr ver­schieden erscheinen von dem gewöhnlichen, normalen Be­wußtseinszustand. Denn wenn der Mensch solche Übungen vornimmt, wie wir sie später besprechen werden, schläft er zunächst ganz sowie ein anderer Mensch und ist geradeso bewußtlos wie irgendein anderer Mensch. Aber der Moment des Aufwachens zeigt doch dem, der geistig-seelische Übun­gen durchgemacht hat, etwas ganz Besonderes. Und ich will einige ganz konkrete Erscheinungen vor Sie hinmalen, die Tatsachen sind.

Nehmen Sie an, ein Mensch, der solche Übungen macht, denkt sehr scharf über etwas nach, worüber auch ein an­derer Mensch nachdenken könnte, er versucht, weil er vielleicht ein sehr schweres Problem vor sich hat, alle Gei­steskräfte anzuspannen, um hinter die Sache zu kommen.

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Es kann ihm da geradeso gehen, wie es einem Schulbuben geht: es reicht die geistige Kraft nicht aus, um die Aufgabe zu lösen. Das kann durchaus passieren. Wenn er nun durch seine Übungen schon mehr Erfahrungsmöglichkeiten über innere seelische Zustände im Zusammenhang mit leiblichen hat, dann fühlt er allerdings etwas ganz Besonderes, wenn er etwas nicht kann. Er fühlt dann in einer anderen Weise als sonst, wie er einen Widerstand an seinen physischen Organen hat, zum Beispiel am Gehirn. Er fühlt richtig, wie wenn das Gehirn ihm Widerstand entgegensetzen würde, wie wir zum Beispiel den Widerstand fühlen, wenn wir einen Nagel mit einem zu schweren Hammer einschlagen wollten. Da fängt das Gehirn an, eine Realität zu gewin­nen. Wie der Mensch gewöhnlich sein Gehirn benutzt, fühlt er es nicht so, wie wenn er ein Instrument benutzte, wie es zum Beispiel bei einem Hammer der Fall ist. Der Geistes­forscher fühlt sein Gehirn, er fühlt sich selbständig gegen­über seinem Denken. Das ist eine Erfahrung. Aber wo er eine Aufgabe nicht lösen kann, da fühlt er, daß er für gewisse Tätigkeiten, die er beim Denken ausführen muß, nicht mehr die Möglichkeit hat sie auszuführen. Er verliert die Macht über das Instrument und fühlt das ganz deutlich. Das ist eine ganz genau zu erlebende Tatsache.

Wenn nun der Geistesforscher das Problem überschläft und aufwacht, dann kann es sehr häufig vorkommen, daß er sich ohne weiteres jetzt der Aufgabe gewachsen fühlt. Aber er empfindet zu gleicher Zeit ganz präzise, daß er vor dem Aufwachen etwas getan hat, daß er etwas gearbeitet hat. Er fühlt, daß er imstande war, während des Schlafes in sich etwas zur Beweglichkeit, zur Tätigkeit zu bringen. Für den Wachzustand war er gezwungen, das Gehirn zu benutzen. Das weiß er. Er kann gar nicht anders, als das Gehirn im Wachzustand zu benutzen. Aber er konnte es

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nicht mehr recht benutzen, weil es ihm - wie ich beschrieben habe - Widerstand geboten hat. Im Schlafzustand - das fühlt er - ist er nicht angewiesen gewesen auf die Benutzung des Gehirns. Er konnte eine gewisse Beweglichkeit schaffen ohne das sonst zu stark ermüdete oder sonst zu stark in Anspruch genommene Gehirn. Nun fühlt er etwas ganz Eigenartiges: er nimmt wahr seine Tätigkeit, die er im Schlafe ausgeübt hat, aber nicht direkt. Den Seinen gibt es der Herr doch nicht im Schlafe. Erspart wird es ihm nicht, daß er das Problem nun im Wachzustand lösen muß. Es kann ihm zufallen; aber gewöhnlich ist es nicht so, und namentlich nicht bei Dingen, die nun schon durch das Ge­hirn gelöst werden müssen.

Dann also fühlt der Mensch etwas, was er vorher in der Sinnenwelt gar nicht gekannt hat, er fühlt seine eigene Tätigkeit wie in Bildern sich ihm darlebend, in merkwür­digen Bildern, die in Bewegung sind - gleichsam wie wenn die Gedanken, die er nötig hätte, lebendige Wesen wären, die allerlei Beziehungen zueinander eingehen. Er fühlt also seine eigene - nennen Sie es Gedankentätigkeit, die er im Schlafe ausgeübt hat, - wie eine Reihe von Bildern. Dieses Gefühl ist schwierig zu schildern, weil man in ganz eigen­artiger Weise darinnensteckt und sich sagen muß: Das bist du selber! Aber dieses Gefühl kann man auf der andern Seite wieder ganz genau von sich unterscheiden, wie man eine äußere Bewegung, die man macht, von sich unter­scheiden kann. Also man hat Bilder, Imaginationen von einer Tätigkeit, die vor dem Aufwachen ausgeführt worden ist. Und jetzt kann man merken, wenn man auf sich acht-zugeben gelernt hat, daß diese Bilder einer Tätigkeit, die vor dem Aufwachen lag, sich mit unserem Gehirn verbin­den und es zu einem beweglicheren, brauchbareren Instru­ment machen, so daß man imstande ist, etwas zu Ende zu

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führen, was man vorher nicht konnte, weil ein Widerstand da war, zum Beispiel gewisse Gedanken zu denken. Es sind dies feine Dinge, aber ohne sie kann man nicht recht hinter das Geheimnis des Schlafes kommen. Man fühlt also, daß man nicht eine Tätigkeit ausgeübt hat wie im Wachen, sondern eine Tätigkeit, die zur Wiederherstellung gewisser Dinge im Gehirn, die abgebraucht waren, gedient hat, und daß man das Instrument wieder aufgebaut hat, wie man es vorher nicht aufbauen konnte. Man fühlt sich wie ein Bau­meister an seinen eigenen Instrumenten.

Es ist ein beträchtlicher Unterschied, was man bei einer solchen Tätigkeit für eine Empfindung hat gegenüber einer Tätigkeit des Tages. Für die Tätigkeit des Tages hat man so ein Gefühl, das man vergleichen kann damit, wie wenn man irgend etwas nach einer Vorlage oder einem Modell abzeichnet. Da bin ich gezwungen, in jedem Strich oder Farbenfieck mich nach dem Bilde zu richten, das vor mir steht. Bei jenen Dingen, die da als Bilder im Moment des Aufwachens auftreten, und die gleichsam eine Tätigkeit während des Schlafes verbildlichen, hat man das Gefühl, wie wenn man die Striche selber erfinden würde und aus sich selber, ohne an ein Modell gebunden zu sein, die Figu­ren schaffen würde. Mit einer solchen Erscheinung hat man gleichsam abgefangen, was die Seele getan hat, bevor sie aufgewacht ist: man hat die Tätigkeit der Regeneration des Gehirns abgefangen. Denn man kommt nach und nach wirklich dahinter, daß das, was man empfindet wie eine Art von Überziehen der Gehirnorgane mit dem, was man da als Figuren erinnert, nichts anderes ist als ein Wiederauf­bauen dessen, was während des Tages daran zerstört worden ist. Man kommt sich wirklich wie ein Baumeister an sich selber vor.

Nun besteht im Grunde genommen der Unterschied

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zwischen einem Geistesforscher, der solches wahrnimmt, und einem gewöhnlichen Menschen nur darin, daß der Gei­stesforscher dies eben wahrnimmt, während der gewöhn­liche Mensch darauf nicht achtgeben kann und es nicht wahrnimmt. Denn dieselbe Tätigkeit, die da vom Geistes-forscher ausgeführt wird, wird von jedem Menschen aus­geführt, nur fängt der gewöhnliche Mensch den Moment nicht ab, wo aus der Tätigkeit während des Schlafes die Organe neu aufgebaut werden.

Nehmen wir einmal eine solche Erfahrung und ver­gleichen wir sie jetzt mit dem, was wir vorher gesagt haben, mit dem Stumpferwerden und Dumpferwerden, mit dem Abnehmen der Helligkeit des täglichen Vorstellungslebens beim Einschlafen. Diese letztere Erscheinung läßt sich wirk­lich nur im rechten Lichte betrachten, wenn man sich ent­weder frei macht von den heute sehr suggestiv wirkenden Vorstellungen jener Weltanschauung, die glauben auf dem festen Boden der Naturwissenschaft zu stehen, oder wenn man sich wirklich einläßt auf die vorliegenden Ergebnisse der Naturforschung der Gegenwart. Da werden - zum Beispiel bei der Gehimforschung - die genauer denkenden Men­schen gar nicht mehr anders können, als nach den Er­gebnissen der Naturforschung die Unabhängigkeit des Seelischen von dem Leiblichen zuzugeben. Und es ist sehr interessant, daß vor kurzem ein populäres Buch erschienen ist, wo im Grunde genommen alles von dem, was über das Geistesleben und über die Quellen des Geisteslebens han­delt, verkehrt, vollständig ohne Einsicht dargestellt ist. Aber es ist in diesem Buche «Das Gehirn und der Mensch» von William Hanna Tbomson manches sehr Gescheite ge­sagt. Vor allem ist auf die Gehimnforschung der Gegenwart eingegangen worden und auf manche Dinge, welche sich sonst darbieten, zum Beispiel - worauf ich schon öfter aufmerksam

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gemacht habe - auf die Ermüdungserscheinungen, die so lehrreich sind. Aber ich habe schon ausgeführt, daß die Muskeln oder Nerven nicht anders ermüden als durch bewußte Tätigkeit. So lange unsere Muskeln nur der orga­nischen Tätigkeit dienen, können sie nicht ermüden, denn es wäre schlimm, wenn zum Beispiel der Herzmuskel und andere Muskeln sich ausruhen müßten. Wir ermüden nur, wenn wir eine Tätigkeit ausüben, die dem Organismus nicht eingeboren ist, wenn wir also eine Tätigkeit ausüben, die zum bewußten Seelenleben gehört. Deshalb muß man sagen: Wäre das Seelenleben so aus dem Menschen heraus­geboren wie die Herztätigkeit, dann wäre dieser gewaltige Unterschied zwischen dem Ermüdetwerden und dem Nicht­Emmüdetwerden gar nicht erklärlich. Daher fühlt sich der Autor jenes Buches gerade genötigt zuzugestehen, daß das Seelische zum Körperlichen sich wie nichts anderes verhält als dem Reiter zum Pferde, das heißt also vom Körperlichen ganz unabhängig ist. Das ist von einem naturwissenschaft­lich denkenden Menschen ein ganz gewaltiges Zugeständnis. Und man könnte ganz eigentümliche Gefühle erhalten, wenn ein Mensch, genötigt durch die Naturforschung der Gegenwart, dazu kommt sich zu gestehen, daß die Be­ziehung des seelischen Lebens zum körperlichen ungefähr so gedacht werden muß wie die Beziehung des Reiters zum Pferde, das heißt nach dem Bilde, das man in früheren Zei­ten, als man noch mehr in das Geistige hineingesehen hat, sich im Kentauren vorgestellt hat. Es ist durch nichts ersichtlich, daß der Autor dieses Buches sich das gedacht hat, aber diesem Gedanke springt durch die naturwissen­schaftliche Vorstellung wieder hervor, und man bekommt da Gefühle von solchen Vorstellungen, die aus Zeiten her­rühren, wo ein gewisses Hellsehen für viele Menschen noch vorhanden war. Allerdings, gewisse heutige Vorstellungen

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über den Kentauren scheinen ja besser dem zu entsprechen, was mir einmal ein Herr sagte. Der Betreffende meinte:

Da haben die Griechen die aus dem Norden herkommen­den Skythen oder andere Reitervölker gesehen, aber sie haben sie vielleicht aus dem Nebel hervorkommen sehen, da haben sie jene Gestalten dann nicht genau unterscheiden können und haben sich dann gedacht, daß sie aus dem Pferde hervorgewachsen wären. Mit einer solchen Erklä­rung mag sich vielleicht der Materialist zufrieden geben. Aber gerade die naturwissenschaftlichen Forschungen der Gegenwart drängen dazu, die Unabhängigkeit des Seeli­schen von dem Körperlichen zugeben zu müssen.

Es wird üns dabei ganz gewiß eines auffallen können, und wir können solche Dinge am besten verfolgen, wenn wir gewisse Erscheinungen uns vor die Seele rufen, die nicht alltäglich sind, aber solche Erscheinungen sind ja des­halb doch vorhanden und lassen sich nicht ableugnen. Der Geistesforscher kennt es, wie jener einfache Mensch auf dem Lande plötzlich anfing in seiner Todesstunde in lateinischer Sprache zu reden, die er niemals eigentlich gebraucht hat, und von dem man nachweisen konnte, daß er sie nur als kleiner Knabe in der Kirche einmal gehört hatte. Das ist keine Fabel, sondern eine Realität. Er hat natürlich nichts davon verstanden, als er sie gehört oder mezitiert hat. Aber wahr ist es doch. Daraus müßte sich jedem Mensch die Vorstellung bilden, daß das, was von der Umgebung auf uns wirkt, noch ganz anderes in sich enthält als das, was wir in unser gewöhnliches Bewußtsein auf-nehmen. Denn was wir in unser gewöhnliches Bewußtsein aufnehmen, hängt vielfach von dem ab, was wir für eine Bildung haben, wofür wir Verständnis haben und der­gleichen. Aber nicht allein das, wofür wir Verständnis haben, vereinigt sich mit uns, sondern wir haben in uns die

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Möglichkeit, unendlich viel mehr aufzunehmen als das, was wir bewußt aufnehmen. Wir können es sogar bei jedem Menschen beobachten, wie zu gewissen Zeiten Vorstellun­gen bei ihm auftreten, die damals, als er sie da oder dort erfahren hat, gar nicht so stark beachtet wurden, so daß er sich vielleicht an gar nichts mehr erinnern kann. Aber durch gewisse Dinge treten sie wieder auf, stellen sich vielleicht sogar in den Mittelpunkt des Seelenlebens. Wir müssen durchaus zugeben, daß das, was den Umfang unseres Seelenlebens ausmacht, unendlich viel mehr ist als das, was wir in unser Tagesbewußtsein aufnehmen und mit dem­selben umfassen können. Das ist außerordentlich wichtig. Denn dadurch wird sozusagen unser Blick auf ein Innemes in uns hingelenkt, das ja wahrhaftig auf unsere Leiblichkeit aus dem Grunde nur geringen Eindruck machen kann, weil es kaum beachtet worden ist, und das andererseits dennoch fortlebt in uns. Wir werden dadurch auf Untergründe unseres Seelenlebens hingewiesen, die eigentlich für jeden vernünftigen Menschen da sein müßten. Denn jeder ver­nünftige Mensch müßte sich sagen: Was für sein Bewußtsein um ihn herum in der Welt ist, während er die Welt bewußt anschaut, das ist im Grunde genommen von der Einrichtung seinem Sinnesorgane abhängig und von dem, was er ver­stehen kann. Und niemand ist berechtigt, etwa das Wirk­liche begrenzen zu wollen durch das, was er wahrnehmen kann. Ganz unlogisch wäre es, dem Geistesforscher abstrei­ten zu wollen, daß es hinter der physischen Welt eine geistige Welt gibt, aus dem einfachen Grunde, weil doch der Mensch nur sagen darf, was er sieht und hört und worüber er denken kann, und niemals über das urteilen darf, was er nicht wahrnehmen kann. Denn die Welt des Wirklichen ist nicht die Welt des Wahrnehmbaren. Die Welt des Wahr­nehmbaren ist begrenzt durch die Sinnesorgane. Deshalb

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sollte man niemals - wie im kantischen Sinne - von Gren­zen der Erkenntnis sprechen, oder davon, was der Mensch wissen oder nicht wissen könnte, sondern nur von dem, was man in Gemäßheit seiner Wahrnehmungsorgane vor sich hat.

Wenn man das bedenkt, muß man sich sagen: Dann liegt hinter dem Farbenteppich der Sinneswelt, hinter dem, was der Wärmesinn wahrnimmt als Wärme oder Kälte und so weiter, eine unbegrenzte Wirklichkeit. Sollte daher nur das auf uns Einfluß haben, was wir wahrnehmen, oder nur die­jenige Wirklichkeit, die wir wahrnehmen? Logisch haltbar ist nur, wenn wir uns denken, daß durch unsere Wahr­nehmung uns ein Teil, ein Ausschnitt dem ganzen Wirklich­keit gegeben ist, daß hinter dem, was uns durch unsere Wahrnehmung gegeben werden kann, eine unbegrenzte Wirklichkeit liegt, die aber auch für uns wirklich ist, denn wir sind in sie hineingestellt, so daß für uns weiterlebt, was da draußen wogt und lebt und auf uns Einfluß hat. Wie stellt sich dann aber eigentlich unser waches Tagesleben dar? Dann müßten wir uns ja das wache Tagesleben so vorstel­len - und es gibt gar keine andere Möglichkeit -, daß wir sagen: Wir öffnen unsere Sinne, unser Erkenntnisvermögen einem Unermeßlichkeit und stellen uns diesem Unermeßlich­keit entgegen. Dadurch, daß wir so geartete Augen, so geartete Ohren, einen solchen Wärmesinn und so weiter haben, stellen wir einen bestimmten Ausschnitt der Wirk­lichkeit vor uns hin; das andere weisen wir zurück, wehren uns gleichsam dagegen, schließen es von uns aus. Worin besteht also dann unsere bewußte Tätigkeit? Sie besteht in einem Sich-Wehren, in einem Ausschließen von etwas anderem. Und indem wir unsere Sinnesorgane anstrengen, ist es ein Zurückhalten eines Nicht - Wahrgenommenen. Was wir wahrnehmen, ist dem Rest, der bleibt von dem, was sich

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um uns ausbreitet, und das wir zum größten Teil zurück­stoßen. So fühlen wir uns aktiv in die Welt hineingestellt, fühlen uns mit ihr verbunden. Wir wehren uns gleichsam durch unsere Sinnestätigkeit gegen die Menge dem Ein­drücke, indem wir - bildlich gesprochen - die ganze uner­meßliche Unendlichkeit nicht ertragen können und nur einen Ausschnitt von ihr aufnehmen. Wenn wir so denken, müssen wir zwischen unserem ganzen Organismus, zwischen unserem ganzen Leiblichkeit und zwischen der Außenwelt noch ganz andere Beziehungen denken als die, welche wir wahrnehmen oder mit dem Verstande begreifen können. Dann liegt es uns nicht mehr so fern, daran zu denken, daß diese Beziehungen, die wir zur Außenwelt haben, in uns leben, daß auch das Unsichtbare, Übersinnliche oder Außer­sinnliche in uns tätig ist, daß das Außersinnliche, indem es in uns tatig ist, sich der Sinne bedient, um einen Ausschnitt zu fabrizieren aus dem gesamten Unermeßlichen der Wirk­lichkeit. Dann ist aber unser Verhältnis zur Wirklichkeit ein ganz anderes, als wir es durch unsere Sinne wahrnehmen können. Dann liegt in unserer Seele etwas an Beziehungen zur Außenwelt, was sich gar nicht erschöpft in dem Sinnes­wahrnehmung, was sich dem wachen Tagesbewußtsein ent­zieht, - dann ist es mit uns so, wie wenn wir mit unserm Wesen vor einen Spiegel hintreten und uns sagen müssen:

Du bist im Grunde genommen etwas ganz anderes; der Spiegel zeigt dir nur die Form, vielleicht auch die Farben; aber da denkst du drinnen, da fühlst du drinnen, das alles kann dir der Spiegel nicht zeigen, er zeigt dir nur, was von seinen Gesetzen abhängig ist. Wie du aber als Seele gegen­über deinem Organismus bist, so bist du etwas ganz anderes, als deine Sinne dir zeigen; die beschränken dich darauf, was ihren Gesetzen angemessen ist. Also tatsächlich stehst du, wenn du der Welt entgegentmittst - in ähnlicher Weise

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wie das auch beim Spiegel der Fall ist -, einer Welt gegen­über, die nur durch die Einrichtung deiner Sinne möglich wird!

Wenn Sie diese Vorstellung zu Ende denken, werden Sie nicht mehr verwundert sein, daß im Grunde genommen alles Leben unseres wachen Tagesbewußtseins sehr abhängt von der Einrichtung unserer Sinnesorgane und unseres Ge­hirns, geradeso wie das, was wir von uns im Spiegel sehen, von der Beschaffenheit des Spiegels abhängt. Wer in einen Gartenspiegel hineinsieht und das karikierte Gesicht sieht, das ihm da entgegenscheint, wird gern zugeben, daß das Bild darin nicht von ihm, sondern von dem Spiegel ab­hängt. So hängt das, was wir wahrnehmen, von der Ein­richtung unseres Spiegelungsapparates ab, und unsere seelische Tätigkeit wird begrenzt, gleichsam in sich selber zurück reflektiert, indem sie sich im Leibesleben spiegelt. Dann ist es nicht weitem wunderbar, daß dem Ausschnitt

- was man auch physiologisch nachweisen kann - abhängt von dem Leiblichen, indem dieses oder jenes im Bewußtsein so oder so sich vollzieht, denn alles, was die Seele tut, hängt von der Einrichtung unseres Leibes ab, wenn es uns zum Bewußtsein, zum Wissen werden soll. Die Beobachtung zeigt uns, daß die Begriffe, die wir anfangs nur konstruiert haben, durchaus den Tatsachen entsprechen. Der Unter­schied ist nur der, daß unsere Leiblichkeit ein lebendiger Spiegel ist. Den Spiegel, in den wir hineinschauen, lassen wir so, wie er ist. Allerdings durch eines können wir auch die Spiegelung beeinträchtigen: wenn wir den Spiegel an­hauchen, dann spiegelt er auch nicht mehr ordentlich. Aber die Spiegelung in unserer Leiblichkeit, welche die Tätigkeit unserer Seele erlebt, ist verbunden damit, daß, während wir uns in unserer Leiblichkeit spiegeln, die Spiegelung selbst eine Tätigkeit, ein Vorgang ist in unserer Leiblichkeit,

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und daß wir das, was da als Spiegelung auftritt, als eine Tätigkeit vor uns selber hinstellen.

So stellt sich uns das Leibesleben tatsächlich so dar, wie wenn wir in einem gewissen Beziehung das, was wir denken, aufschreiben und dann die Buchstaben vor uns haben. So schreiben wir die Tätigkeit dem Seele in unser Leibesleben hinein. Was dem Anatom nachweist, das sind nur die Buchstaben, der äußere Apparat, denn unser Seelenleben beobachten wir nicht vollständig, wenn wir es nur im Leibesleben beobachten, wir beobachten es nur dann voll­ständig, wenn wir es unabhängig von dem Leibesleben beobachten. Das kann aber nur der Geistesforscher, wenn er das Seelenleben beobachtet, wie es sich hineinspiegelnd zeigt beim Aufwachen in das wache Tagesleben. Es zeigt sich, daß das Seelenleben wie ein Architekt ist, der etwas aufbaut während der Nacht, und im Tagesleben der Ab-bauer ist.

Nun haben wir also das Seelenleben im Wach- und im Schlafzustand vor uns, und wir haben es uns im Schlaf-zustand unabhängig zu denken vom Leibesleben, wie der Reiter unabhängig ist vom Pferde. Aber wie der Reiter das Pferd benützt und seine Kräfte verbraucht, so verbraucht die Seele dieTätigkeit des Leibes, sodaß chemische Prozesse sich abspielen als die Buchstaben des Seelenlebens. Damit kommen wir an einen Punkt, wo wir das Leibesleben, wie es in den Sinnen, im Gehirn begrenzt wird, so abgenutzt haben, daß wir es zunächst erschöpft haben. Dann müssen wir die andere Tätigkeit beginnen, den umgekehrten Prozeß einleiten und das Abgebaute wieder aufbauen. Das ist das Schlafesleben, so daß wir von der Seele aus zwei entgegen­gesetzte Tätigkeiten an unserm Leibe verrichten. Während des Wachens haben wir zwar um uns herum unsere Welt der auf- und abwogenden Vorstellungen, Freud und Leid,

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Gefühle und so weiter. Während wir aber diese vor uns haben, nutzen wir unser Leibesleben ab, zerstören es im Grunde genommen fortwährend. Während wir schlafen, sind wir die Architekten, wo wir wieder aufbauen, was wir während des wachen Lebens zerstört haben.

Was nimmt nun der Geistesforscher wahr? Er nimmt die architektonische Tätigkeit in eigentümlichen Bildern wie sich in sich schlingende Bewegungen wahr, dieses Wieder­aufbauen: ein wirklicher Prozeß, der umgekehrt ist dem gewöhnlichen wachen Tagesleben. Das ist wirklich keine Phantasterei, wenn man davon spricht, daß man in diesen sich verschlingenden Bewegungen jene geheimnisvolleTätig­keit wiedererkennt, welche die Seele im Schlafe ausführt, und die darinnen besteht, daß wir wiederherstellen, was wir im Tagesleben zerstört haben. Daher das Gesundende und das Notwendige des Schlaflebens.

Warum ist nun das Schlafleben ein solches, daß es nicht zum Bewußtsein kommt? Ja, woran liegt es, daß das wache Leben uns zum Bewußtsein kommt? Das liegt daran, daß wir bei den Prozessen, die wir im Tagesleben vollziehen, etwas wie Spiegelbilder haben; indem wir aber die andere Tätigkeit ausüben, das Wiederherstellen des Abgenutzten, haben wir nichts, worin sie sich spiegeln kann. Dem Spiegel fehlt uns dafür. Was dem zugrunde liegt, das kann wieder nur der Geistesforscher zeigen. Von einem bestimmten Punkte an erlebt dem Geistesforschem nicht nur die seelische Tätigkeit, wie ich sie beschrieben habe, wie eine Traum-Erinnerung aus dem Schlafe, sondern so, wie wenn er gar nicht angewiesen ist auf das Instrument des Leibes, so daß er dann eine Tätigkeit wahrnehmen kann, die sich nur im Geistigen abspielt. Da kann er sich sagen: Jetzt denkst du nicht mit deinem Gehirn, sondern jetzt denkst du in ganz anderen Formen, jetzt denkst du Bilder, unabhängig von

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deinem Gehirn. Der Geistesforscher kann aber erst dazu kommen, so etwas zu erleben, wie es beschrieben wurde, wenn er erlebt, daß das Ganze, was sich beim Einschlafen als ein Nebuloses um ihn hemumlegt, nicht verschwindet, sondern wenn der Nebel, der an den Schläfen, an den Ge­lenken, am Rückgrat wahrnehmbar ist, etwas wird, aus dem sich reflektiert, was er tut - geradeso wie sich zurück­reflektiert, was wir im groben Leibesleben erleben -, wenn er in sich selber seine Tätigkeit begrenzen und zurückneh­men kann. Der ganze Unterschied der wirklichen Hellsich­tigkeit von dem gewöhnlichen wachen Tagesleben besteht darin, daß das wache Tagesleben, um zum Bewußtsein der seelischen Tätigkeit zu kommen, eines andern Spiegels be­darf, indem es sich der Leiblichkeit dazu bedient, während die Tätigkeit des Hellsehers, wenn sie als Seelentätigkeit ausstrahlt, so stark ist, daß der ausfallende Strahl in sich selber zurückgezogen wird. So findet gleichsam eine Spiege­lung an dem eigenen inneren Erleben, an einem Geistes-Organismus statt. In diesem Geistesorganismus ist im Grunde genommen unsere Seele auch dann, wenn wir keine Geistes-forschem sind, in der Nacht. Da hinein ergießt sie sich. Und wir kommen mit dem ganzen Schlafleben nicht zurecht, wenn wir uns nicht klar sind, daß in der Tat unsere Leibes-vorgänge - alles, was die Anatomie, die Physiologie, er­forschen kann - nichts anderes bewirken als die Spiegelung der Seelenvorgänge, und daß diese Seelenvorgänge immer vom Einschlafen bis zum Aufwachen in einem geistigen Dasein leben. Wenn wir anders denken, können wir gar nicht zurechtkommen. Wir müssen also gleichsam von einem geheimnisvollen Seelenleben sprechen, das gar nicht in das Bewußtsein, das durch den Leib vermittelt ist, hineinkom­men kann. Wenn man also bei einem Menschen Vorstel­lungen, die er lange nicht beachtet hat, in seinem Bewußtsein

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auftreten sieht, so muß man doch sagen: Es ist noch etwas anderes im Menschen vorhanden als die Vorstellun­gen des bewußten Seelenlebens, die in Aufmerksamkeit aufgenommen sind.

Nun habe ich schon einmal angedeutet, daß es kinder­leicht ist, die Dinge, welche für den Geistesforscher eine Realität sind, zu widerlegen. Wahr sind sie aber doch. Die Geistesforschung muß davon sprechen, daß wir es beim Menschen einmal mit dem menschlichen physischen Leibe zu tun haben, den wir mit Augen sehen, mit Händen grei­fen können, und den auch die Anatomie und die Physio­logie kennt. Weiter haben wir als ein inneres Glied dem menschlichen Wesenheit den Astralleib, den Träger alles dessen, was der Mensch mit Bewußtsein aufnimmt, was er wirklich während des Tageslebens so erlebt, daß er es aus dem Leib gespiegelt erhalten kann. Zwischen dem Astral­leib und dem physischen Leib liegt der Träger dessen, was Vorstellungen sind, die unbeachtet bleiben, jahrelang, die dann in den Astralleib heraufgeholt werden und sich dann ausleben. Kurz, wir sprechen davon, daß zwischen dem Astralleib, dem Träger des Bewußtseins, und dem physi­schen Leib der Ätherleib des Menschen tätig ist. Dieser Ätherleib ist nicht nur dem Träger von solchen unbeachtet gebliebenen Vorstellungen, sondern überhaupt der Auf-bauer des ganzen physischen Leibes.

Was tritt nun eigentlich im Schlafe ein? Es tritt ein, daß dem Astralleib, dem Träger des Bewußtseins, mit dem Ich aus dem physischen Leib und Ätherleib herausgeht, so daß eine Spaltung der menschlichen Natur eintritt. Wenn der Mensch im wachen Tagesleben ist, steckt der Astralleib mit dem Ich im physischen Leib und Ätherleib drinnen, und dieVorgänge des physischen Leibes wirken wieSpiegelungs­vorgänge, durch die alles, was im Astralleib vorgeht, zum

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Bewußtsein kommt. Bewußtsein ist die Spiegelung der Er­lebnisse durch den physischen Leib, und wir dürfen daher Bewußtsein nicht verwechseln mit den Erlebnissen selbst. Wenn der Astralleib im Schlafe herausgeht, ist er zunächst beim gewöhnlichen Menschen nicht imstande, in der Welt des Astralischen etwas wahrzunehmen. Dem Mensch ist da bewußtlos.

Welche Fähigkeit erlangt nun der Geistesforscher, indem ihm im Schlafe auch Dinge bewußt werden, wenn er sich auch nicht auf sein Gehirn stützt? Da erlangt er die Fähig­keit, in etwas wahrzunehmen und seine Seelentätigkeit spiegeln zu können, was so für ihn zwischen den Dingen webt und lebt, daß es im wachen Tagesbewußtsein ebenso wahrzunehmen ist wie der eigene Ätherleib. Der Ätherleib des Menschen ist aus dem gewoben, wodurch der hellsichtige Mensch wahrnimmt; so daß für den hellsichtigen Menschen die äußere Welt spiegelnd wird, wie für das Seelenleben des normalen Menschen die physische Leiblichkeit spiegelnd wird.

Nun gibt es Zwischenzustände zwischen Wachen und Schlafen. Ein solcher Zwischenzustand ist der Traum. In bezug auf seine Entstehung zeigt die Geistesforschung, daß in der Tat das Träumen auf etwas Ähnlichem beruht wie Hellsehen, nur ist das Letztere etwas Geschultes, während das Träumen immer phantastisch ist. Der Mensch verliert die Möglichkeit, wenn er mit dem Astralleib herausgeht, durch den physischen Leib sein Seelenleben gespiegelt zu erhalten. Aber er kann unter gewissen abnormen Verhält­nissen, die für jeden Menschen eintreten, die Fähigkeit erhalten, durch den Ätherleib die seelischen Erlebnisse ge­spiegelt zu erhalten. Denn in der Tat müssen wir nicht nur den physischen Leib als einen Spiegelungsapparat betrach­ten, sondern auch den Ätherleib, denn solange die äußere

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Welt auf uns Eindruck macht, ist es in der Tat der physische Leib, der wie ein Spiegelungsapparat wirkt. Wenn wir aber still in uns selber werden und das, was die äußere Welt an Eindrücken auf uns gemacht hat, verarbeiten, dann arbeiten wir in uns selber, unsere Gedanken aber sind trotzdem real. Wir leben unsere Gedanken, und wir fühlen auch, daß wir von etwas Feinerem abhängig sind, als unser physischer Leib ist, nämlich von dem Ätherleib. Dann ist der Äther-leib dasjenige, was im einsamen Sinnen, dem keine äußeren Eindrücke zunächst zugrunde liegen, in uns sich abspiegelt. Aber wir stecken in unserm Ätherleib im wachen Tages-bewußtsein; wir nehmen das wahr, was sich spiegelt, aber wir nehmen nicht die Tätigkeit des Astralleibes direkt wahr. Indem wir in einem Zwischenzustand zwischen Wachen und Schlafen nicht die Fähigkeit haben, äußere Sinnes­eindrücke zu empfangen, wohl aber noch in gewisser Weise etwas, was mit unserm Ätherleib zusammenhängt, kann uns der Ätherleib das spiegeln, was wir in unserm See­lischen mit unserm Astralleibe erleben. Das sind dann die Träume, die deshalb, weil der Mensch dabei in einer ganz ungewohnten Lage ist, jene Regellosigkeit zeigen.

Wenn wir dies bedenken, wird sich uns manches an der Traumwelt aufklären, was sonst an ihr recht rätselhaft ist. Wir werden daher die Untergründe des Seelenlebens eng mit dem Traumleben verknüpft denken müssen. Während der physische Leib der Spiegler des Seelenlebens ist und unsere Tagesinteressen sich daran auswirken, hängen wir durch den Ätherleib oft in der abgelegensten Amt mit Erleb­nissen zusammen, die lange hinter uns sind und die uns, weil das Tagesleben stark auf uns wirkt, nur schwach zum Bewußtsein kommen. Daher bleiben sie uns etwas höchst Unbekanntes. Wenn wir aber nun Träume betrachten, die wirklich auf guter Beobachtung beruhen, kann sich uns

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mancherlei Merkwürdiges zeigen. Zum Beispiel ein guter Komponist erlebt das Bild, daß eine etwas teuflische Gestalt ihm eine Sonate vorspielt. Er wacht auf - und kann die Sonate hinschreiben. Da ist etwas in ihm tätig geworden, was wie ein Fremdes gewirkt hat. Und das ist möglich ge­wesen, weil etwas in ihm war, wozu die Seele des Kompo­nisten reif war, was aber im wachen Tagesleben sich nicht wirksam erweisen konnte, weil das Leibesleben nur ein Hemmnis und nicht geeignet zu spiegeln war. Da sehen wir, daß das Leibesleben ein Hemmnis ist und darin seine Bedeutung hat. Wir können im Tagesleben nur das erleben, wofür das Leibesleben - bildlich gesprochen - eingeschmiemt ist als Maschine. Das Leibesleben ist uns immer ein Hemm­nis. Aber wir bringen es bis zu einem gewissen Grade dahin, das Leibesleben zu gebrauchen. Man braucht ja überall «Hemmungen». Wenn eine Lokomotive über die Schienen fährt, sind es auch die Hemmungen, die Reibungen, wo­durch sie fahren kann, denn ohne Reibung könnten sich die Räder nicht umdrehen. Unsere Leibesvomgänge sind in Wahrheit das, was unserem Seelenleben hemmend ent­gegentritt, und diese Hemmungsvorgänge sind zu gleicher Zeit die Spiegelungsvorgänge. Wenn wir in unserer Seele für etwas reif sind und es noch nicht dazu gebracht haben, unsere Maschine gut zu schmieren, so ist das wache Tages-leben ein guter Hemmschuh. Wenn wir aber herausgehen aus unserm physischen Leib, dann kann unser Ätherleib

- was uns als etwas ganz Fremdes erscheinen muß, weil es feinerer Natur ist - dasjenige, was im Seelenleben lebt, zum Ausdruck bringen. Wenn es dann stark genug ist, drängt es sich in das Traumleben herein wie in diesem Falle bei dem Komponisten. Das hängt mit den Tagesinteressen weniger zusammen als mit verborgenen Interessen, die weiter ab­liegen in den feinen Untergründen. So zum Beispiel auch in

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dem Folgenden. Ich bemerke, ich erzähle nur etwas wirk­lich Beobachtetes. Eine Frau träumt - trotzdem sie Kinder hat, die sie sehr liebt, und einen Mann hat, der sie außer­ordentlich liebt -, daß sie sich zum zweiten Male verlobt und alle Ereignisse, die sie dabei dumchmacht, mit großer Freude erlebt. Was träumt sie? Sie träumt Erlebnisse, die ihrem jetzigen Leben sehr fern liegen, die sie einmal durch­gemacht hat, die sie aber nicht wiedererkennt, weil das gewöhnliche Tagesinteresse nur mit dem physischen Leibe zusammenhängt. Und was in ihr noch fortlebt in ihrem Ätherleibe, das wird durch ein anderes Ereignis, weil viel­leicht irgendeine freudige Empfindung den Traum ausgelöst hat, nun vom Ätherleib her gespiegelt.

Ein Mann träumt, daß er Kindheitserlebnisse durch-macht. Und diese Kindheitserlebnisse spiegeln sich ganz wunderbar ab. Ein ihm besonders wichtiges, weil ihm sehr zu Herzen gehendes Ereignis bewirkt, daß er aufwacht. Zunächst ist ihm der Traum etwas sehr Liebes, er schläft aber bald wieder ein und träumt weiter. Eine ganze Summe von unangenehmen Erlebnissen gehen jetzt durch seine Seele, und ein besonders schmerzliches Ereignis weckt ihn auf. Alles das liegt höchst fern seinen gegenwärtigen Erlebnissen. Er steht auf, weil er von dem Traum sehr erschüttert ist, geht eine Weile im Zimmer herum, legt sich dann aber wieder hin und erlebt jetzt im Traum Ereignisse, die er nicht erlebt hat. Alle Ereignisse, die er durchgemacht hat, verwirren sich, und er erlebt nun etwas ganz Neues. Das Ganze wird zu einem Gedicht, das er sogar nachher niederschreiben und in Musik setzen kann. Das ist eine durchaus reale Tatsache. Nun wird es nicht schwer sein, mit den Begriffen, die wir schon gewonnen haben, uns vorzustellen, was da geschehen ist. Für den Geistesforscher stellt es sich so dar: Der Mann hat in einem ganz bestimmten Augenblick seines Lebens

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gewissermaßen in seiner Entwickelung einen Bruch erlitten. Er mußte etwas, was in seiner Seele lag, aufgeben. Aber wenn er es auch hat aufgeben müssen, so ist es darum nicht aus seinem Äthemleib gewichen. Die gewöhnlichen Inter­essen waren nur so stark, daß sie es zurückdrängten. Und wo es durch innere Elastizität stark genug war, drängte es sich im Traum heraus, weil der Mensch da von den Hem­mungen des wachen Tageslebens befreit ist. Das heißt, der betreffende Mensch war tatsächlich nahe daran, einmal zu dem zu kommen, was in dem Gedicht sich ausdrückte; aber dann ist es übertäubt worden.

So sehen wir im Traume anschaulich die Unabhängigkeit des Seelenlebens vom äußeren Leibesleben. Und das muß uns zur Evidenz klar machen, daß der Gedanke der Spiege­lung des Seelenlebens im Leibesleben eine große Berechti­gung haben muß. Gerade der Umstand, daß die Interessen, in die wir verstrickt sind, nicht geradlinig in unser unmit­telbares Erleben sich hineinprägen, zeigt uns, daß neben dem Leben, wie es sich im Alltag darlebt, ein anderes nebenherläuft, das ich für ein bewußtes feineres Beobachten wie eine Art von Aufwachen bezeichnet habe. Darin lebt alles, was für unser geistiges Leben - auch schon begrifflich, ideell - wie zum Beispiel das Gewissen, unabhängig ist vom Leibesleben, das fühlt ein jeder. Aber im Tagesleben er­weist sich dieses andere Leben doch als etwas, was sehr be-grenzt ist durch unsere Tagesinteressen. Im Schlafe zeigt sich unsere Seele ganz erfüllt auch von dieser ihrer mora­lischen Qualität. Es ist wirklich ein Hineinleben in das Geistige, was wir als einen Ruck, als eine innere Bewegung bezeichnen können. Was wir geisteswissenschaftliche For­schung nennen, wird sich uns ergeben als etwas, wodurch wir bewußt hineinleben in die Welt, in die der normale Mensch unbewußt jedesmal beim Einschlafen hineinlebt.

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Die Menschen werden sich schon nach und nach damit bekannt machen müssen, daß die Welt viel weiter ist als das, was wir mit den Sinnen begreifen und mit dem Ver­stande verfolgen können, und daß das Schlafesleben ein Gebiet ist, das wir brauchen, weil wir im Tagesleben eine Abnutzung gerade der edelsten Organe haben, die zum Vorstellungsleben dienen. Im Schlafe stellen wir sie wieder her, so daß sie sich stark und kräftig der Welt gegenüber­stellen können und unser Seelenleben im wachen Tages leben uns spiegeln können. Alles Charakteristische des Seelen­lebens könnte uns dadurch klar werden. Wer wüßte nicht, daß er sich nach einem guten, tiefen Schlaf abgespannt, ermu­det fühlt? Da klagen oft die Menschen darüber; aber das ist gar keine Kmankheitserscheinung, sondern durchaus begreif­lich. Denn im Grunde genommen tritt die vollständige Er­holung durch den Schlaf erst eine oder anderhalb Stunden nachher ein. Warum? Weil wir gut gearbeitet haben an unseren Organen, daß sie nicht bloß für ein paar Stunden wieder aushalten, sondern für den ganzen Tag. Und da sind wir unmittelbar nach dem Aufwachen noch nicht ein­geschult, um sie zu gebrauchen, wir mussen sie erst ein-schleifen, und erst nach einiger Zeit können wir sie gut gebrauchen. Man müßte in einer gewissen Weise bei einer bestimmten Art von Abgespanntheit davon sprechen, daß man sich freuen könnte nach anderhalb Stunden, wie man sich hineinfühlen kann in die wieder gut gemachten Organe. Denn aus dem Schlaf kommt uns, was wir brauchen: die architektonischen Kräfte für die Organe, die abgenutzt und abgebraucht sind während des Tages.

So dürfen wir nun sagen: Unser Seelenleben ist ein Leben in Selbständigkeit, ein Leben, von dem wir im wachen Tagesleben durch unser Bewußtsein etwas haben, was eine Spiegelung ist. Bewußtsein ist Spiegelung des Verkehrs der

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Seele mit der Umgebung. Da sind wir im wachen Tages­leben verloren an unsere Umgebung, an ein Fremdes, sind hingegeben an etwas, was wir nicht selber sind. Während des Schlafes aber - und das ist das Wesen des Schlafes -ziehen wir uns von aller äußeren Tätigkeit zurück, um an uns selber zu arbeiten. Dem Vergleich dafür ist treffend: An dem Schiff, das dem Schiffahrt gedient hat, während es auf hoher See war, wird gezimmert und ausgebessert, wenn es in den Hafen einfährt.

Wer da glaubt, daß nichts mit uns geschieht während des Schlafes, der könnte auch glauben, daß nichts mit dem Schiff zu geschehen braucht, wenn es nach einem Fahrt im Hafen ist. Es wird aber wieder ausfahren, und da wird er schon sehen, was geschieht, wenn es nicht ausgebessert wird. So würde es sein, wenn nicht an uns selber von der Seele aus während des Schlafes gearbeitet würde. Wir sind uns selbst zurückgegeben im Schlafe, während wir im Tages-leben an die Außenwelt verloren sind. Der normale Mensch ist nur nicht fähig, was die Seele im Schlafe macht, so wahr­zunehmen, wie er die Außenwelt am Tage wahrnimmt.

In dem Vortrag «Wie erlangt man Erkenntnis der geisti­gen Welt?» werden wir sehen, daß auch im Geistigen eine Spiegelung als Erkenntnis erreicht werden kann, wodurch dann dem Mensch zum Wahrnehmung in den höheren Welten kommen kann. Das alles zeigt uns, daß gerade die Seele, wenn sie ihrer selbst nicht bewußt ist, nichts weiß von ihrer eigenen Tätigkeit, daß sie aber mit sich selbst beschäftigt ist, in sich selber arbeitet und unabhängig von aller Leib­lichkeit die Kräfte holt, die gerade dem Aufbau des Leib­lichen dienen sollen.

So dürfen wir zusammenfassen, was wir ausgesprochen haben, und das Wesen der Seele mit den Worten bezeich­nen, die aus der Erkenntnis des Wesens des Schlafes eine

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Art Grundlegung bilden für manches in der Geisteswissen­schaft:

Es gibt sich selbst zurück

Die Seele, die schlafumfangen

In Geistesweiten flieht,

Wenn Sinnesenge sie bedrückt!

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DER GEIST IM PFLANZENREICH Berlin, 8. Dezember 1910

Wie die Geisteswissenschaft den in allen uns umgebenden Wesen lebenden und webenden Geist anerkennen muß, wenn sie nur von dem Grundsatze ausgeht, daß der erken­nende Mensch sich selbst in seinem Erkennen verstehen soll, das ist in den Vorträgen über «Menschenseele und Tierseele» und «Menschengeist und Tiemgeist» erwähnt worden. Es ist gesagt worden, daß im Grunde genommen der sich selbst erkennende Mensch nimmermehr daran denken könne, in seinem eigenen Geist als geistigen Inhalt Ideen, Begriffe und Vorstellungen von Dingen und Wesenheiten aufzu­nehmen, wenn diese Begriffe und Ideen - dieser geistige Inhalt, durch den sich der Mensch begreiflich machen will, was in den Dingen liegt - nicht zuerst in den Dingen vor­handen, nicht in sie gelegt wären. Alles Herausziehen von Geistigem aus den Dingen und Wesenheiten wäre die reine Phantastemei, wäre eine selbstgemachte Phantastik, wenn man nicht voraussetzen würde, daß allüberall, wohin wir blicken und woraus wir den Geist ziehen können, dieser Geist auch vorhanden ist. Nun darf man wohl sagen, daß - wenn auch nur in kleinen Kreisen - dennoch diese all­gemeine Voraussetzung von dem geistigen Inhalt der Welt doch schon vielfach gemacht wird. Aber auch bei den­jenigen, die vom Geist in den Dingen sprechen, bleibt es in der Regel dabei, sozusagen von diesem Geist im allgemei­nen zu sprechen, das heißt davon zu sprechen, daß allem Mineralischen, Pflanzlichen, Tierischen und so weiter geistiges

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Weben, geistiges Leben zugrunde liegt. Aber auf die Art und Weise einzugehen, wie der Geist sich uns spezi­alisiert, wie er sich im besonderen in diesen oder jenen Daseinsformen auslebt, daran denkt man in den weitesten Kreisen unserer gegenwärtigen Bildung noch nicht. Man nimmt es im Grunde genommen denjenigen recht übel, die nicht nur von dem Geist im allgemeinen sprechen, sondern die von den besonderen Formen, den besonderen Arten des Geistes sprechen, wie er sich hinter dieser oder jener Erschei­nung geltend macht. Dennoch aber muß auf dem Boden unserem Geisteswissenschaft nicht nur in so vager, allgemei­nem Amt von dem Geist gesprochen werden, wie es jetzt an­gedeutet ist, sondern so, daß wir erkennen: wie webt der Geist hinter dem mineralischen oder pflanzlichen Dasein, wie im tierischen und menschlichen Dasein?

Über das Wesen des Geistes im Pflanzenreiche einiges zu sagen, soll die Aufgabe dem heutigen Betrachtung sein. Man muß gestehen, wenn man nicht von abstrakter Philo­sophie, nicht von abstrakter Theosophie, sondern wenn man vom unbefangenen Betrachtender Wirklichkeit ausgeht und zu gleicher Zeit - wie es ja auf einem gesunden Boden der Geisteswissenschaft sein muß - auf dem Boden der Natur­wissenschaft feststeht und über den «Geist im Pflanzenreich» sprechen will, dann greift man nicht nur - ich möchte sagen - in unberechtigte Vorurteile unserer wissenschaft­lichen und sonstigen Zeitbildung hinein, sondern man greift da auch in mehr oder weniger berechtigte Vorstellun­gen hinein, die stark suggestiv wirken und suggestiv wirken müssen. Gerade bei diesem Betrachtung, welche von dem Geist handeln soll, der seinen Ausdruck, gleichsam seine Physiognomie in dem Reiche findet, das uns entgegenschaut sowohl von den gigantischen Riesenbäumen des Urwaldes oder solchen, wie sie sich auf Teneriffa jahrtausendelang erhalten

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haben, bis zu dem kleinen, sich bescheiden im stillen Walde oder sonstwo bergenden Veilchen, - gerade bei einer solchen Betrachtung fühlt man sich, wenn man die natur-wissenschaftlichen Begriffe des neunzehnten Jahrhunderts in sich aufgenommen hat, in einer recht schwierigen Lage. Ja man fühlt sich in einer recht schwierigen Lage, wenn man sich zu dem durchgearbeitet hat, was auf diesem Gebiete über den Geist gesagt werden soll. Denn wie könnte es in Abrede gestellt werden, daß große und wun­derbare Entdeckungen auf dem Gebiete der materiellen Forschung - auch auf dem Gebiete des Pflanzenwesens - im neunzehnten Jahrhundert gemacht worden sind, die tief hineingeleuchtet haben von einem gewissen Standpunkte aus in das Wesen der Pflanzennatur. Da muß immer wieder daran erinnert werden, wie im zweiten Drittel des neun­zehnten Jahrhunderts dem große Botaniker Schleiden die Entdeckung der Pflanzenzelle gemacht hat, das heißt zu­nächst vor die Menschen die Wahrheit hingestellt hat, daß ein jeglicher Pflanzenleib aufgebaut ist aus kleinen - man nennt sie wohl Elementarorganismen - selbständigen We­senheiten, Zellen, die sich wie die Bausteine dieses Pflanzen-leibes ausnehmen. Hatte man vorher nur die Pflanzen in bezug auf ihre groben Teile und Organe betrachten können, so wurde jetzt der Blick darauf gelenkt, wie jedes Blatt der höheren Pflanzen aus unzähligen solcher kleinen winzigen mikroskopischen Gebilden - den Pflanzenzellen - besteht. Und wie sollte man darüber verwundert sein, daß eine solche Entdeckung großen, gewaltigen Einfluß hatte auf das ganze Denken und Empfinden gegenüber dem Pflanzen­welt. Schließlich ist es ganz natürlich, daß derjenige, der zunächst gesehen hat, wie sich der Pflanzenleib so aus diesen Bausteinen aufbaut, auf die Idee verfallen mußte, daß mit der Untersuchung dieser kleinen Gebilde, dieser

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Bausteine im Grunde genommen überhaupt das Geheimnis der Pflanzennatur enthüllt werden kann. Das mußte schon der geistvolle Gustav Tbeodor Fechner erfahren, der um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in der Tat so etwas in seine Gedankenreihen aufzunehmen versucht hat wie die «Pflanzenseele», obwohl man sagen könnte, daß seine zu phantastischen Auseinandersetzungen über die Pflanzennatur vielleicht etwas zu früh gekommen sind. Von einer Seele des Pflanzenwesens sprach Fechner im um­fassenden Sinne, zum Beispiel in seinem Buche «Nanna», und er sprach nicht als ein bloßer Phantast, sondern als ein gründlichem und tiefer Kenner der naturwissenschaft­lichen Fortschritte des neunzehnten Jahrhunderts. Aber er konnte nicht umhin, sich die Pflanzen nicht bloß aufgebaut zu denken aus den Zellen, sondern wenn er sich die For­men, die Ausgestaltungen der einzelnen Pflanzen ansah, wurde er zu dem Annahme gedrängt, daß das Sinnlich­Wirkliche dem Ausdruck für ein dahinterliegendes See­lisches sei.

Nun muß gesagt werden: Gegenüber dem, was die Geisteswissenschaft heute über das Leben des Geistes im Pflanzenreich zu sagen hat, nimmt sich allemdings das, was man in Fechners Auseinandersetzungen findet, recht phan­tastisch aus, aber seine Gedanken waren ein Vorstoß. Trotzdem hat es Fechnem erfahren müssen, welchem Wider­stand gerade durch jenes Denken kommen kann, in welches der Menschengeist hineingedrungen ist durch die Ent­deckungen des neunzehnten Jahrhunderts. Man muß billig denken und verstehen, daß selbst die größten Geister, wenn sich ihnen unter dem Mikroskop zeigte, wie der Pflanzen-leib ein Gefüge ist der kleinen Zellen, von diesem An­schauen fasziniert waren und sich gar nicht vorstellen konnten, wie jemand da noch auf die Idee kommen konnte,

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von einer «Pflanzenseele» zu sprechen, nachdem sich das Materielle in einem so grandiosen Weise dem forschenden Menschengeiste gezeigt hatte. Daher müssen wir es billig verstehen, daß gerade der Emforscher der Pflanzenzelle auch der größte und heftigste Gegner wurde gegenüber dem, was Fechner über das Seelenwesen der Pflanzen sagen wollte. Und es ist einer gewissen Weise reizvoll, den feinen und subtilen Fechner im Kampf zu sehen mit dem durch seine epochemachende Entdeckung für die Botanik berühmt gewordenen Schleiden, der aber in einer materialistisch groben Weise alles das abtut, was Fechner aus seinen in­timen Betrachtungen heraus über die Pflanzen sagen wollte. In einem solchen Kampf zwischen Fechnem und Schleiden im neunzehnten Jahrhundert spielt sich im Grunde ge­nommen etwas ab, was eine jede Seele, die durch die Wissen­schaft unserem Zeit hindurchgeht, empfinden muß, wenn sie sich durch die Zweifel und Rätsel hindurcharbeitet, die dann doch kommen, gerade wenn man auf die natur-wissenschaftlichen Errungenschaften eingeht. Sie wird sehr zweifeln, ob sie sich sozusagen auf einem solchen Gebiete aus den manchmal recht zwingenden Vorstellüngen heraus-arbeiten kann. Wer dieses Zwingende der materialistischen naturwissenschaftlichen Vorstellungen des neunzehnten Jahrhunderts nicht kennt, dem mag es manchmal trivial, vielleicht auch kleinlich erscheinen, was von seiten der Weltanschauung gesagt wird, die sich auf den festen Boden dem Naturwissenschaft stellen will. Wer aber mit gesundem Wahrheitssinn und mit einem ernsten Bedürfnis, die Le­bensrätsel zu lösen, und zugleich ausgerüstet mit den Be­griffen dem Botanik des neunzehnten Jahrhunderts an die Sache herangeht, für den kann sich manche innere Seelen-tragik da ergeben. Nur angedeutet soll etwas davon werden.

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So lernt man zum Beispiel erkennen, was die Botanik des neunzehnten Jahrhunderts gebracht hat. Es ist darin wirklich manches Großartige und wahrhaft Frappierende. Dann kommt der, welcher so mit gesundem Wahrheitssinn gerade an die naturwissenschaftlichen Begriffe geht, auf der einen Seite dahin, daß diese Begriffe suggestiv, mit einer ungeheuren Gewalt auf ihn wirken, daß sie ihn nicht los­lassen, sondern ihm immer wieder und wieder in die Ohren raunen: Du begehst einen Unsinn, wenn du den sicheren Pfad verläßt, wo man verfolgt, wie Zelle zu Zelle sich ver­hält, wie Zelle durch Zelle ernährt wird und so weiter. Zuletzt kommt dann die Notwendigkeit, sich von den materialistischen Begriffen loszureißen auf diesem Gebiete. Es geht nicht mehr anders, gerade bei den naturwissen­schaftlichen Voraussetzungen, wenn man noch so sehr sich festhalten lassen wollte durch die suggestive Gewalt der den äußeren materialistischen Vorstellungen bloß folgen­den Weltanschauungen. Es geht nicht mehr von einem bestimmten Punkte ab. Das letztere machen nun lieute noch nicht viele mit. Das erstere macht der weitaus größte Teil demjenigen mit, die sich von den naturwissenschaftlichen Ergebnissen fasziniert fühlen und sich nicht getrauen, auch nur einen Schritt über das hinauszugehen, was das Mikro­skop zeigt. Den andern Schritt machen die allerwenigsten. Aber klar ergibt sich für den, der sich einen gesunden Wahrheitssinn gerade auf naturwissenschaftlichem Boden erhält - und der ist notwendig, wenn man an den Geist im Pflanzenreich herantreten will -, daß man sich zunächst mit einem gewissen Vorstellung zu befassen hat, denn sonst wird man immer in die Irre gehen, wird immer in ein Labyrinth hineinkommen, in das auch Fechner hinein-gekommen ist, trotzdem er sich so sehr bemüht hat, fein­sinnig das Symbolische, das Physiognomische dem einzelnen

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Pflanzenformen und Pflanzengestaltungen zu untersuchen. Worauf es hier ankommt, das möchte ich zuerst wieder durch einen Vergleich vor Ihre Seele führen.

Nehmen Sie an, es fände jemand auf diesem oder jenem Wege irgendeinen Teil einer Materie, irgendeinen Stoffteil. Wenn er diesen Stoffteil, wie er sich ihm darbietet, in ge­wissen Fällen untersucht, so kann es sein, daß er niemals zurechtkommen wird. Warum nicht? Wenn dieser Stoffteil ein Stück Knochen aus einem menschlichen Arm ist, wird der Betreffende, wenn er bloß dieses Stück Knochen an­schaut und es aus sich selbst heraus erklären will, nicht zu­rechtkommen können. Denn nirgends in aller Welt wäre es möglich, daß ohne die Voraussetzung eines menschlichen Armes dieser Stoffteil entstehen würde. Man kann gar nicht über ihn sprechen, wenn man ihn nicht in Zusammen­hang stehend mit einem ganzen menschlichen Organismus auffaßt. So ist es unmöglich, daß wir von einem solchen uns entgegentretenden Gebilde anders sprechen als im Zusam­menhange mit einem ganzen Wesen. Ein anderer Vergleich könnte der folgende sein. Wir finden irgendwo ein Gebilde, das ein menschliches Haar ist. Wollten wir es erklären, wie es entstanden sein müßte dort, wo es liegt, so würden wir ganz in die Irre gehen, denn wir können es nur so erklären, daß wir es im Zusammenhange mit einem ganzen mensch­lichen Organismus betrachten. Für sich ist es nichts, für sich ist es unerklärbar.

Das ist etwas, was der Geistesforscher für den ganzen Umfang unserer Beobachtungen, unserer Erklärungen fest­halten muß. Er muß ein jegliches Ding, wo es ihm ent­gegentritt, daraufhin anschauen, ob es für sich selbst be-trachtet werden kann, oder ob es für sich selbst unerklärbar bleibt, ob es nicht zu einem anderen dazugehört - oder besser als eine Individualität für sich betrachtet werden kann.

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Merkwürdigerweise zeigt sich dem Geistesforscher, daß es überhaupt unmöglich ist, die Pflanzenwelt, diese wun­derbare Erdendecke, jemals als etwas für sich selbst Beste­hendes zu betrachten. Es fühlt sich der geistige Betrachter gegenüber der Pflanzendecke so, wie er sich einem Finger gegenüber fühlt, den er nur als einem ganzen menschlichen Organismus zugehörig betrachten kann. Die Pflanzenwelt kann aus dem Grunde nicht für sich allein betrachtet wer­den, weil sie sich für den geistesforschemischen Blick gleich hinzugesellt zu dem ganzen Erdplaneten und mit ihm ein Ganzes bildet wie der Finger mit unserm Organismus odem ein Stück Knochen oder das Gehirn mit unserm Organis­mus. Und wer die Pflanzen für sich betrachtet, einzeln-stehend, dem tut dasselbe wie der, welchem eine Hand oder ein Stück Menschenknochen für sich allein erklären wollte. Die gesamten Pflanzenwesen sind gar nicht anders zu be­trachten denn als ein Glied unseres gesamten Erdplaneten.

Da kommen wir allerdings schon zu einer Sache, die für viele heute ärgerlich sein mag, die aber dennoch für den geistesforschemischen Blick gilt. Wir kommen dazu, unsern ganzen Erdplaneten anders anzusehen, als er gewöhnlich von der heutigen Wissenschaft betrachtet wird. Denn unsere heutige Wissenschaft - sei es Astronomie, Geologie oder Mineralogie - spricht im Grunde genommen von der Erde nur in dem Sinne, daß diese Erdkugel zusammengesetzt ist aus den Gesteinen, dem Mineralischen, dem Leblosen. Die Geisteswissenschaft darf nicht so sprechen. Sie kann nur so sprechen, daß alles, was auf unserer Erde gefunden wird, was sozusagen ein Wesen, das aus dem Weltenraum auf unsere Erde herniederstiege, an Menschen, Tieren, Pflanzen und Steinen finden würde, so zu dem Ganzen unserer Erde gehörte, wie die Steine selber zu unserer Erde gehören. Das heißt, wir dürfen den Emdplaneten nicht bloß als totes Gesteinsgefüge

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betrachten, sondern als etwas, was ein in sich lebendes Ganzes ist, das auch die Pflanzenwesen aus sich selbst so hervorbringt wie der Mensch die Gebilde seiner Haut, seiner Sinnesorgane und dergleichen. Mit andern Worten: wir dürfen nicht die Erde ohne die dazu gehörige Pflanzendecke betrachten.

Schon ein äußerlicher Umstand könnte die Menschen darauf hinweisen, daß, wie ein jeglicher Stein zu der Erde in gewisser Beziehung gehört, ebenso auch alles Pflanzliche zu ihm gehört. Denn wie jeder Stein, jeder leblose Körper seine Zugehörigkeit zu der Erde zeigt, indem er auf die Erde fallen kann, wo er eine Widemlage findet, so zeigt jede Pflanze ihre Zugehörigkeit zum Erde dadurch, daß die Stengelmichtung der Pflanzen immer eine solche ist, die durch den Mittelpunkt der Erde geht. Alle Pflanzenstengel wür­den sich im Mittelpunkt dem Erde schneiden, wenn wir sie bis zum Mittelpunkt der Erde verlängerten, das heißt die Erde ist imstande, aus ihrem Mittelpunkt alle die Kraft-strahlen zu ziehen, welche die Pflanzen aus sich hervorgehen lassen. Wir betrachten sonst nur ein Abstraktes, ein Aus­gedachtes, wenn wir das Gesteinsmeich betrachten, ohne die Pflanzendecke dazuzunehmen. Es kommt dazu nun, daß die mein auf das äußere Materielle gehende Naturwissenschaft sehr gern davon spricht, wie alles Leben - also auch das Pflan­zenleben - einmal aus dem Leblosen, dem Mineralischen entstanden sein müsse. Diese Frage gibt es für den Geistes-forscher gar nicht, weil nie das Untergeordnete, das Niedere die Voraussetzungen des Höheren sind, sondern immer ist das Höhere, das Belebte die Voraussetzung des Niederen, des Unbelebten. Wir werden spätem bei dem Vortrage «Was hat die Geologie über Weltentstehung zu sagen?» noch sehen, daß die Geistesforschung zeigt, wie alles Steinige, Mineralische - vom Granit bis zur Ackerkrume - in einem

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ähnlichen Weise entstanden ist, wie es heute die Natur­wissenschaft noch glaubt in bezug auf die Steinkohle. Denn die Steinkohle ist heute ein Mineral, wir graben sie aus der Erde heraus. Was war sie auch nach naturwissenschaftlichen Begriffen vor Jahrmillionen? Große, mächtige Wälder - so sagt die Naturwissenschaft - bedeckten damals einen großen Teil der Erdoberfläche; später sanken sie bei Erdumwäl­zungen in die Erde hinein, verwandelten sich chemisch in bezug auf ihre stoffliche Zusammensetzung, und was wir heute aus den Tiefen der Erde herausgraben, das sind die zu Stein gewordenen Pflanzen. Wenn man das heute der Steinkohle gegenüber zugibt, wird man es auch nicht mehr gar zu lächerlich finden, wenn die Geisteswissenschaft durch ihre Methoden, die sie anwendet, darauf kommt, daß nun alles Gestein, das unsere Erde birgt, zuletzt aus der Pflanze entstanden ist, daß sozusagen die Pflanze erst hat zu Stein werden müssen, so daß also nicht das Stei­nige die Voraussetzung des Pflanzlichen ist, sondern daß umgekehrt das Pflanzliche die Voraussetzung des Minera­lischen ist. Alles Mineralische ist zunächst eine Verhärtung, dann eine Versteinerung des Pflanzlichen.

So haben wir auch in dem Erdplaneten etwas vor uns, von dem wir voraussetzen müssen: das war einstmals in bezug auf seine dichteste Qualität pflanzlicher Natur, war ein Gefüge aus pflanzlichen Wesen, und aus diesem Leben­digen hat sich erst das Leblose herausentwickelt, indem es sich nacheinander verhärtet, verholzt, versteint hat. Wie unser Knochengerüst, das sich im Grunde genommen auch erst aus dem Organismus heraus absondert, so haben wir das Gesteinsgemüst als das große Knochengerüst des Erden-wesens, des Erdenorganismus anzusehen.

Nun können wir, wenn wir diesen Erdenorganismus geisteswissenschaftlich betrachten, noch weiter gehen. Ich

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kann heute nur die allerersten Linien dafür angeben, denn wir haben es mit einem Zyklus von Vorträgen zu tun, wo eines in das andere hineingreifen muß. Wir können uns fragen: Wie steht es mit dem Erdenorganismus als sol­chem?

Wir wissen, wenn wir einen Organismus betrachten, zeigt er uns abwechselnd verschiedene Zustände. Der menschliche und der tierische Organismus zeigen in der Zeit abwechselnd einen Wach- und einen Schlafzustand. Kön­nen wir nun geisteswissenschaftlich etwas Ähnliches für den Erdenleib, für den Erdenorganismus finden? Es nimmt sich das Folgende für eine äußere Betrachtung zunächst wie ein Vergleich aus, aber für die geistige Forschung ist es nicht ein Vergleich, sondern ein Tatbestand. Wenn wir auf der Erde die eigentümliche Gesetzmäßigkeit von Sommer und Winter betrachten, wie sie sich geltend macht, indem auf der einen Hälfte Sommer, auf der andern Winter ist, wie dieses Verhältnis abwechselt, und wenn wir einen Blick darauf werfen, wie es sich - als Winterzeit und Sommer­zeit - unterscheidet in bezug auf das ganze Erdenleben, so wird es nicht mehr absurd erscheinen, wenn die Geistes­wissenschaft erzählt, daß Winter und Sommer für den Erdenorganismus entsprechen dem Wachen und Schlafen derjenigen Organismen, die wir selbst um uns herum haben. Die Erde schläft nur nicht so in der Zeit wie die andern Organismen, sondern sie wacht immer irgendwo und schläft immer irgendwo an irgendeiner Stelle ihres Wesens. Wachen und Schlafen ziehen herum, indem die Erde in einem Teil schläft, wo sie Sommer hat; sie wacht mit einem Teil ihres Wesens, wo sie Winter hat. So steht der ganze Erdenorga­nismus geistig mit Zuständen wie Wachen und Schlafen wie ein anderer Organismus vor uns.

Der Sommemzustand des Erdenorganismus besteht ja nun

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in einem ganz besonderen Verhältnis der Erde zur Sonne, nämlich darin, daß die Erde in eine solche Beziehung zur Wirkung der Sonne tritt - und das dürfen wir sagen, weil wir es mit einem lebendigen, geistemfüllten Organismus zu tun haben -, daß sie sich einer Wirkung hingibt, die geistig von der Sonne ausgeht. Für den Wintemzustand verschließt sich dem Erdenorganismus dieser Sonnenwirkung, zieht sich gleichsam in sich selber zusammen. Vergleichen wir nun einmal diesen Zustand mit dem menschlichen Schlafzustand. Ich will jetzt scheinbar äußerlich von einer bloßen Analogie sprechen; die Geisteswissenschaft liefert aber die Belege für den Tatbestand.

Betrachten wir den Menschen des Abends, wenn er ermu­det ist, wie sein Bewußtsein heruntersinkt, wie alle Gedan­ken und Empfindungen, die während des Tages durch die äußeren Dinge in unsere Seele hereinziehen, alle Lust und Leid, Freuden und Schmerzen in ein unbestimmtes Dunkel hinuntersinken. In dieser Zeit geht das menschliche Geist-wesen - wie wir es in dem Vortrage über das «Wesen des Schlafes» gezeigt haben - aus dem physischen Menschenleib heraus und tritt ein in die geistige Welt, ist hingegeben der geistigen Welt. In diesem Schlafzustand ist nur das Eigen­tümliche für den Menschen, daß er bewußtlos wird. Für den Geistesforscher - wir werden sehen, wodurch er das weiß - zeigt sich, daß das menschliche Innere, Astralleib und Ich, in der Tat aus dem physischen Leib und Ätherleib sich herauszieht, aber nicht nur sich herauszieht und wie ein Wolken gebilde über ihm schwebt; sondern dieses mensch­liche Innere breitet sich aus, ergießt sich über die ganze planetarische Welt, die um uns ist. So unwahrscheinlich es ist: es zeigt sich doch, daß sich die Menschenseele einheitlich ausgießt über das Astralische. Die Forschem, die auf diesem Gebiete beschlagen waren, haben wohl gewußt, warum sie

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das, was herausgeht, den Astralleib nannten, weil nämlich dieses Innere aus dem Himmeisraum, mit dem es eine Ein­heit bildet, sich die Kräfte holt, die es braucht, um das zu ersetzen, was des Tages Mühe und Arbeit am physischen Leib abgenutzt hat. So geht der Mensch im Schlafe auf in die große Welt, so zieht er sich des Morgens wieder zurück in die Grenzen seiner Haut, in die kleine Menschenwelt, in den Mikrokosmos. Da fühlt er wieder, weil der Leib ihm Widerstand bietet, sein Ich, sein Selbstbewußtsein.

Dieses Ausatmen und Wiedereinatmen der Seele ist das wunderbare Wechselspiel im menschlichen Leben. Von alle denen, die nicht direkt vom okkulten, geisteswissenschaft­lichen Standpunkt aus gesprochen haben, habe ich eigentlich nur bei einem einzigen Geist eine so treffende Bemerkung gefunden über das Wechselspiel von Wachen und Schlafen, daß man sie direkt in die Geisteswissenschaft hineinnehmen kann, weil sie sich mit dem geisteswissenschaftlichen Tat­bestand deckt. Allerdings war es ein gründlicher mathema­tischer Denker, aber ein sinnigem Mensch, der mit seinem Geist großartig die Natur zu umfassen verstand: Novalis. Er sagt: «Schlaf ist ein vermischtem Zustand des Körpers und dem Seele. Im Schlafe ist Körper und Seele chemisch verbunden. Im Schlafe ist die SeeLe durch den Körper gleichmäßig verteilt - der Mensch ist neutralisiert. Wachen ist ein geteilter - polamischer Zustand. Im Wachen ist die Seele punktiert - lokalisiert. Schlaf ist Seelenvemdauung; der Körper verdaut die Seele. (Entziehung des Seelenrei­zes.) - Wachen ist Einwirkungszustand des Seelenreizes -der Körper genießt die Seele. Im Schlafe sind die Bande des Systems locker - im Wachen angezogen.»

Schlaf bedeutet also für Novalis das Verdauen der Seele durch den Leib. Novalis ist sich immer bewußt, daß in dem Tat im Schlafe die Seele eins wird mit dem Universum und

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verdaut wird, damit sich der Mensch weiterhelfen kann für die physische Welt.

So wechselt der Mensch in bezug auf sein inneres Wesen in der Weise, daß er sich beim Tagwachen in die kleine Welt, in die Grenzen seiner Haut zusammenzieht und sich in der Nacht im großen ausdehnt, sich durch die Hingabe Kräfte holt aus der Welt, in die er da hineingebettet ist. Denn wir verstehen den Menschen nicht, wenn wir ihn nicht herausgebildet verstehen aus dem ganzen Makro-kosmos.

Für den Teil dem Erde nun, der Sommer hat, liegt etwas Ähnliches vom wie bei einem Menschen, der im Schlafzu-stande ist. Die Erde gibt sich hin alledem, was von der Sonne herunterkommt, und gestaltet sich so, wie sie sich gestalten soll unter dem Einfluß der Sonnenwirksamkeit. Für den Teil, wo die Erde Winter hat, verschließt sie sich dem Einwirkung der Sonne, lebt in sich selber. Da ist es so, wie wenn der Mensch in die kleine, innere Welt zusammen­gezogen ist und in sich selbst lebt, während es für den Teil der Erde, wo Sommer ist, so ist, wie wenn der Mensch hin­gegeben ist der ganzen äußeren Welt.

Nun gibt es ein Gesetz dem geistigen Welt, daß wir uns, wenn wir weiter voneinander liegende geistige Wesen­heiten ins Auge fassen - wie zum Beispiel hier den Menschen auf der einen Seite und den Emdorganismus auf der andern Seite -, die Bewußtseinszustände in gewisser Beziehung umgekehrt vorzustellen haben. Beim Menschen ist das Hin­austreten in die große Welt der Schlafzustand. Für die Erde ist der Sommerzustand - den man vielleicht einen Wach-zustand nennen möchte - etwas, was sich doch nur ver­gleichen läßt mit dem, was beim Menschen das Einschlafen ist. Der Mensch tritt mit dem Einschlafen in die große Welt hinaus; die Erde tritt mit dem Sommer mit allen ihren

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Kräften in den Bereich der Sonnenwirksamkeit, nur müssen wir uns die Erde und die Sonne als geisterfüllte Organismen denken.

Zur Winterzeit, wo die Erde in sich selber ruht, müssen wir uns ihren Zustand entsprechend dem Wachzustande des Menschen denken, während man gewohnt sein könnte, das, was die Erde im Winter ist, als den Erdenschlaf zu betrach­ten. Aber wenn wir weit auseinanderliegende Wesenheiten

- wie Mensch und Erde - betrachten, zeigen sich die Be­wußtseinszustände in einer Art entgegengesetzt.

Was ist nun das, was die Erde vollzieht unter dem Ein­fluß der Hingabe an das Sonnenwesen, an den Sonnengeist? Es ist nichts anderes als etwas, was sich vergleichen läßt geistig - wir werden jetzt, um einen leichteren Vergleich zu haben, gut tun die Begriffe umzudrehen - mit dem Zu­stande des Menschen, wenn er des Morgens aufwacht und aus dem dunklen Schoße des Daseins, aus der Nacht auf­taucht in seine Lust und sein Leid. Wenn die Erde in den Bereich der Sonnenwirksamkeit tritt, dann können - ob­wohl es sich vergleichen läßt mit dem Schlafzustande des Menschen - alle die Kräfte, die aus der Erde hervorsprießen, den ruhenden Winterzustand der Erde in den tätigen, den lebendigen Sommerzustand übergehen lassen.

Was sind nun die Pflanzen in dem ganzen Gewebe des Seins? Wir könnten sagen: Wenn der Frühling herannaht, beginnt der Erdenomganismus zu denken und zu fühlen, weil die Sonne mit ihren Wesen seine Gedanken und Ge-fühle herauslockt. Die Pflanzen sind für den Erdenorganis­mus nichts anderes als eine Art Sinnesorgane, die jeden Früh­ling von neuem erwachen, damit der Erdenorganismus mit seinem Denken und Fühlen in dem Bereich der Sonnen-wirksamkeit sein kann. Wie sich im Menschenorganismus das Licht das Auge schafft, um durch das Auge als «Licht»

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erscheinen zu können, so schafft sich der Sonnenorganismus am Erdenorganismus in jedem Frühling die ausgebreitete Pflanzendecke, um durch diese Pflanzendecke sich selber zu beschauen, zu fühlen, zu empfinden, zu denken. Nicht etwa sind die Pflanzen unmittelbar die Gedanken der Erde zu nennen, aber sie sind die Organe, durch welche die im Früh­ling aufwachende Organisation der Erde mit der Sonne zusammen ihre Gefühle und Gedanken entwickelt. Wie wir unsere Nerven vom Gehirn ausgehen sehen und Augen und Ohren mit den Nerven zusammen unser Empfindungs- und Vorstellungsleben entwickeln, so sieht der Geistesforscher in dem, was sich abspielt zwischen Erde und Sonne mit Hilfe der Pflanzen, das wunderbare Weben einer kos­mischen Gedanken-, Gefühls- und Empfindungswelt. Denn für den Geistes forscher ist die Erde nicht nur mit der mine­ralischen Emdenluft, mit der rein physischen Erdenatmo­sphäre umgeben, sondern von einer Aura von Gedanken und Gefühlen. Für die Geistesforschung ist die Erde ein geistiges Wesen, und die Gedanken und Gefühle erwachen in jedem Frühling und gehen den Sommer hindurch durch die Seele unserer ganzen Erde. Die Pflanzenwelt aber, die ein Teil unseres ganzen Erdenorganismus ist, gibt die Organe ab, daß unsere Erde denken und fühlen kann. In den Geist der Erde sind die Pflanzen hineinvemwoben wie unsere Augen oder Ohren in das Getriebe unseres Geistes. Da erwacht im Frühling ein lebendigem, geisterfülltem Organismus, und in den Pflanzen sehen wir etwas, was sich heraustreibt aus dem Antlitz unserer Erde, wo sie auf irgendeinem Gebiete an­fangen will zu fühlen und zu denken. Und wie alles, was in uns Menschen ist, nach einem selbstbewußten Ich hin tendiert, so ist es auch in der Pflanzenwelt. Die ganze Pflanzenwelt gehört zum Erde. Ich habe schon gesagt, daß ein Mensch dem Wahnsinn nahe sein müßte, der nicht denken

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würde, wie in uns alles, was Empfindungen, Vorstel­lungen, Gefühle sind, nach unserm Ich hin gerichtet ist. So ist alles, was die Pflanzen während der Sommerzeit ver­mitteln, nach dem Erdmittelpunkt gerichtet, der das Erden­Ich ist. Das soll nicht bloß symbolisch gesagt sein! Wie der Mensch sein Ich hat, so hat die Erde ihm selbstbewußtes Ich. Deshalb streben alle Pflanzen nach dem Mittelpunkt der Erde hin. Daher dürfen wir die Pflanzen gar nicht für sich betrachten, sondern müssen sie im Wechsel mit dem selbst­bewußten Ich der Erde betrachten. Was sich als Gedanken und Empfindungen der Erde abspielt, das ist so, wie in uns die Empfindungen und Vorstellungen leben, was in uns auf- und abwogt zur Wachenszeit, was in uns astralisch lebt, wenn wir geisteswissenschaftlich sprechen.

So können wir uns die Erde nicht nur als ein physisches Ge­bilde vorstellen. Denn das physische Gebilde ist uns so etwas wie unser eigener physischer Leib, den man mit den äußeren Augen sehen und mit den Händen greifen kann, und den die äußere Wissenschaft beobachtet; so ist der Erdenleib, den die heutige Astronomie oder Geologie betrachtet. Dann haben wir das zu nennen, was wir beim Menschen kennen­gelernt haben als Ätherleib oder Lebensleib. Einen solchen Ätherleib hat auch die Erde. Und endlich hat sie auch einen Astralleib. Das ist das, was jeden Frühling erwacht als die Gedanken und Gefühle der Erde, die zurücktreten, wenn der Winter herannaht, so daß dann die Erde in sich selbst verschlossen in ihrem eigenen Ich ruht und sich nur bewahrt, was sie braucht, um durch das Gedächtnis hinüberzutragen das Vorhergehende zu dem Nachfolgenden, sich bewahrt in den Pflanzen-Samenkräften, was sie sich erobert hat. Wie der Mensch, wenn er einschläft, auch nicht seine Gedanken und Empfindungen verliert, sondern sie am nächsten Mor­gen wiederfindet, so findet die aus dem Schlafzustand im

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Frühling wieder erwachende Erde die Samenkräfte der Pflanzen, um aus ihrem lebendigen Gedächtnis das wieder-erstehen zu lassen, was die Eroberung dem früheren Zeit ist.

So aufgefaßt, lassen sich die Pflanzen mit dem vemglei­chen, was unsere Augen und Ohren, unsere Sinne an uns selber sind. Das sind sie für den Erdenomganismus. Aber was wahrnimmt, was zu einem Bewußtsein kommt, das ist die von der Sonne zur Erde herniederströmende geistige Welt. Diese geistige Welt würde nicht zu einem Bewußtsein kommen können, wenn sie nicht in den Pflanzen ihre Or­gane hätte, die ebenso ein Selbstbewußtsein vermitteln, wie unsere Augen und Ohren und Nerven unser Selbstbewußt­sein vermitteln. Das macht uns darauf aufmerksam, daß wir eigentlich nur richtig sprechen, wenn wir sagen: Jene Wesen, die von der Sonne herunterströmen zur Erde und ihre geistige Wirksamkeit entfalten, begegnen sich vom Frühling durch die Sommerzeit hindurch mit dem Wesen, das zur Erde selbst gehört. Im Austausch werden die Organe gebildet, durch welche die Erde sie wahrnimmt, denn nicht die Pflanze nimmt wahr. - Es ist ein Aberglaube, auch von seiten dem Naturwissenschaft, wenn man sagt, die Pflanze nehme wahr. - Die geistigen Wesenheiten, die zur Erdenwirksamkeit und Sonnenwimksamkeit gehören, neh­men durch die Pflanzenomgane wahr, und alle Organe, die sie brauchen, um sie zusammenzuschließen nach dem Mittel­punkt der Erde, richten sie daher hin nach dem Mittelpunkt der Erde. Was wir also hinter der Pflanzendecke zu sehen haben, sind die geistigen Wesenheiten, welche die Erde umspielen und die in den Pflanzen ihre Organe haben.

Es ist in unserer Zeit so merkwürdig, daß die Natur­wissenschaft geradezu hindrängt, diese Dinge der Geistes­wissenschaft anzuerkennen. Denn es ist ja nichts Gerin­geres als die volle Anerkennung des Umstandes, daß unsere

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physische Erde nur ein Teil der gesamten Erde ist, daß auch der gasige Sonnenball nur ein Teil dem ganzen Sonne ist, und daß unsere Sonne, wie sie uns physisch erscheint, nur ein Teil ist der geistig-seelischen Wesenheiten, die in Wech­selwirkung treten mit den geistig-seelischen Wesenheiten dem Erde. Wie die Menschenwelt mit ihrer Umwelt in Zusammenhang ist und wie die Menschen ihre Organe haben, um zu leben und sich zu entwickeln, so schaffen sich diese Wesenheiten, die real und wirklich sind, in der Pflan­zendecke ein Organ, um sich selbst wahrzunehmen. Aber­glaube - sagte ich - ist es, wenn man glaubt, daß die Pflanze als solche wahrnehme oder als einzelne Pflanze eine Art Seele hätte. Das ist ein ebensolcher Aberglaube, wie wenn man von der Seele eines Auges sprechen wollte. Trotzdem durch eine merkwürdige, für die Geisteswissen­schaft aber selbstverständliche Verkettung der Tatsachen die äußere Wissenschaft durch das ganze neunzehnte Jahr­hundert hindurch mit Notwendigkeit dazu gedrängt hat, das, was jetzt gesagt worden ist, anzuerkennen, ist es in der Tat so, daß sich die äußere Wissenschaft auf diesem Gebiete doch sehr wenig ausgekannt hat, auch heute noch. Denn was die Wissenschaft über das Sinnesleben der Pflanzen bis jetzt zustande gebracht hat, ist restlos eine Bestätigung dessen, was ich jetzt über den Geist und seine Wirksamkeit im Pflanzenreich gesagt habe, aber in der äußeren Wissen­schaft kann man es nicht als solches einsehen. Das können wir an folgendem Beispiel sehen.

Im Jahre 1804 machte Sydenham Edwards die Ent­deckung von der merkwürdigen Beschaffenheit der Venus­Fliegenfalle, die auf ihren Blättern gewisse Borsten hat. Wenn ein Insekt in die Nähe dieser Pflanze kommt, so daß eine gewisse Berührung der Borsten stattfindet, wird das Insekt von dem Blatt umfangen, wird wie aufgefressen und

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verdaut. Es war merkwümdig, als die Menschen entdeckten:

Pflanzen können fressen, können in ihrem Innern sogar Tiere aufnehmen, sind Fleischfresser! Aber man konnte nichts Rechtes damit anfangen. Es ist interessant, wie man nichts damit anfangen konnte, denn diese Entdeckung ist immem wieder vergessen worden und wieder neu gefunden worden, so 1818 durch Nuttall, 1834 durch Cumtis, 1848 durch Lindley und 1859 dumch Oudemans. Fünf Leute hin­tereinander haben dieselbe Sache gefunden! Es ließ sich weiter nichts für die Wissenschaft damit machen, als daß dem um die Erforschung der Pflanzenwelt so verdienstvolle Schleiden sagte, man solle sich hüten, dadurch in allerlei mystische Sachen zu verfallen, daß man etwa den Pflanzen Seele zusprechen wolle! Aber auch heute ist man in der Wissenschaft wieder bereit, der einzelnen Pflanze - wie zum Beispiel der Venus-Fliegenfalle - eine Seele zuzu­schreiben, was aber ein Aberglaube wäre, wie wenn man dem Auge eine Seele zuschreiben wollte. Gerade Leute wie Raoul Francé zum Beispiel haben solche Dinge gleich im äußerlichen Sinne genommen und gesagt: Da sieht man Seelisches, das sich analog dem Seelischen des Tieres aus­nimmt!

Das zeigt also die Notwendigkeit, daß man gerade auf dem Gebiete der Geisteswissenschaft nicht in die Phantastik verfallen darf, denn hier ist die äußere Wissenschaft in die Phantastik verfallen, wenn man der Venus-Fliegenfalle ein seelisches Wesen zuschreiben will, das man mit dem menschlichen oder tierischen seelischen Wesen zusammen­werfen dürfe. Dann dürfte man auch einem andern Wesen eine Seele zuschreiben, das auch andere Wesen, auch kleine Tiere anzieht und, wenn diese in seine Nähe gekommen sind, sie mit seinen Fangarmen umschlingt, so daß sie darinnenbleiben müssen. Denn man kann, wenn man bei

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der Venus - Fliegenfalle von Seele spricht, auch bei der Mausefalle davon sprechen, daß sie eine Seele hat. So dür­fen wir aber nicht sprechen. Sobald man in den Geist ein­dringen will, muß man genau und exakt die Dinge ins Auge fassen und nicht aus einem scheinbar gleichen Äußeren schließen, daß auch das Innere in derselben Weise vor sich ginge.

Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, daß manche Tiere etwas Gleichartiges wie ein Gedächtnis zeigen. Wenn ein Elefant zur Tränke geführt wird und dabei auf dem Wege von einem Menschen gereizt wird, dann kann es vor­kommen, daß er, wenn er wieder zurückkommt, Wasser in seinem Rüssel drinnenbehalten hat und jetzt den Men­schen anspritzt, der ihn vorher gereizt hat. Da wird dann gesagt: Da sieht man also, daß dem Elefant ein Gedächtnis hat; er hat sich den Menschen gemerkt, der ihn gereizt hat, und sich vorgenommen: auf dem Rückwege werde ich ihn mit Wasser spritzen! Das ist aber nicht so. Beim Seelenleben ist es wichtig, daß wir den inneren Vorgang genau verfolgen und nicht gleich von Gedächtnis sprechen, wenn später ein Geschehnis eintritt als Wirkung einer früheren Ursache. Nur dann, wenn ein Wesen wirklich zurückschaut auf etwas, was in einer früheren Zeit vorgegangen ist, haben wir es mit Gedächtnis zu tun; in jedem andern Falle nur mit Ursache und Wirkung. Das heißt: wir müßten jetzt genau in die Struktur der Elefantenseele hineinschauen, wenn wir sehen wollten, wie dem Reiz, der ausgeübt wird, dann so etwas auslöst, daß er noch nach einer gewissen Zeit eine Wirkung hervorruft.

Deshalb müssen wir sagen: Wir dürfen derartige Dinge, wie sie uns bei der Venus-Fliegenfalle entgegentreten, nicht anders auffassen, als daß die ganze Einrichtung der Pflanze nicht dazu da ist, um ein inneres Seelenwesen dem Pflanze

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zu bedingen, sondern was dabei vomgeht, ist von außen bewirkt. Die Pflanze dient als Organ dem ganzen Erden­Organismus auch für eine solche Sache. Wie die Pflanzen auf der einen Seite dem Ich der Erde, auf der andern Seite der Aura der Erde - dem Astralleib, der Empfindungs- und Gefühiswelt der Erde - angehören, das hat insbesondere gerade diese Forschung des neunzehnten Jahrhunderts ge­zeigt. Man ist eigentlich wirklich denjenigen Natumforschern

- wie etwa Gottlieb Haberlandt - dankbar, welche trocken die Tatsachen hinstellen, die sie erforscht haben, und nicht

- wie Raoul Francé oder andere - daraus rein äußere Schlüsse ziehen. Wenn er dabei bliebe, die Dinge nur hin­zustellen, wie sie sind, so könnte man ihm wirklich dankbar sein; wenn er aber daraus Schlüsse ziehen will auf das Seelenleben einem einzelnen Pflanze, so mag er auch gleich auf das Seelenleben eines einzelnen Haares oder Zahnes schließen.

Wenn wir dann diejenigen Pflanzen betrachten, die in Wirklichkeit Ähmenpflanzen sind, so zeigt sich, daß bei allen diesen Pflanzen merkwürdige kleine Organe vorhanden sind. Kleine Gebilde von Stärkezellen wurden aufgefun­den. Diese Zellen sind merkwürdigerweise so gebaut, daß in ihrem Innern etwas ist wie ein lockerer Kern. Das Eigen­tümliche ist, daß die Zellenwand nur an einer Stelle un­empfindlich bleibt für den Kern. Wenn dieser anderswohin rutscht, so wird die Zellenwand von ihm berührt, und die Folge ist, daß die Pflanze ihn wieder in die frühere Lage zurückbringt. Solche Stämkemehlzellen finden sich bei allen Pflanzen, die in ihrer Hauptrichtung nach dem Mittelpunkt dem Erde hinweisen, so daß die Pflanze ein Organ in sich hat, welches es ihr immer möglich macht, sich in ihrer Hauptrichtung nach dem Mittelpunkt dem Erde zu richten. Das ist allerdings eine wunderbare Sache, die im Laufe des

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neunzehnten Jahrhunderts von verschiedenen Forschern gefunden worden ist, und die sich am besten ausnimmt, wenn die Dinge einfach hingestellt werden. Wenn zum Bei­spiel Haberlandt meint, daß man es da mit einer Art von Sinnesempfindung dem Pflanze zu tun habe, so setzt er doch die Tatsachen so klar auseinander, daß man gerade für diese trockene und nüchterne Darstellung ganz besonders dankbar sein muß.

Nun aber etwas anderes. Wenn man ein Pflanzenblatt betrachtet, ist immer eigentlich die äußere Oberfläche eine Zusammenfügung von lauter kleinen linsenartigen Gebil­den, ähnlich der Linse unseres Auges. Diese Linsen sind so eingerichtet, daß das Licht nur dann wirkt, wenn es in einem ganz bestimmten Richtung auf die Oberfläche des Blattes auffällt. Wenn das Licht in einer andern Richtung auffällt, bekommt das Blatt sogleich den Antrieb, sich so zu wenden, daß das Licht in die Linsenmitte hineinfallen kann, weil es nach der Seite hin in anderer Weise wirkt. So sind also an der Oberfläche der Blätter dem Pflanzen Organe für das Licht vorhanden. Diese Lichtorgane, die sich tatsächlicn mit einer Amt Auge vergleichen lassen, das über die Pflanzen ausgebreitet ist, durch das aber nicht die Pflanze sieht, son­dern das Sonnenwesen schaut durch dasselbe auf das Erden-wesen, - diese Lichtomgane bewirken, daß die Pflanzen-blätter immer die Tendenz haben, sich senkrecht zum ein­fallenden Sonnenlicht zu stellen.

Darin - wie sich die Pflanze hingibt zur Fmühlings- und Sommerzeit dem Sonnenwirkung - haben wir eine zweite Hauptmichtung dem Pflanze. Die Stengelmichtung, wodurch sich die Pflanzen als hinzugehörig zum Erden-Selbst­bewußtsein erweisen, ist die eine; die andere ist die, wodurch die Pflanzen die Hingabe der Erde an die Wirk­samkeit der Sonnenwesen ausdrücken.

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Wollen wir nun noch weitergehen, so müßten wir finden, wenn die bisherigen Auseinandersetzungen richtig sind, daß die Pflanzen durch diese Hingabe dem Erde an die Sonne irgendwie ausdrücken, wie die Erde durch das, was sie hervorbringt, wirklich im großen Makrokosmos lebt. Wir müßten sozusagen in den Pflanzen irgend etwas wahrneh­men, was uns anzeigen würde, daß auf die Pflanzenwelt eigentlich hereinwirkt, was draußen gerade durch die Sonnenwesen bewirkt wird. Schon Linne' hat darauf hin­gewiesen, daß bei gewissen Pflanzen das Aufblühen um fünf Uhr morgens und zu keiner andern Zeit geschieht. Das heißt: die Erde ist hingegeben an die Sonne, und das drückt sich dadurch aus, daß bei gewissen Pflanzen das Aufblühen nur zu ganz bestimmten Tagesstunden möglich ist. So blü­hen zum Beispiel Hemerocallis fulva, die Taglilie, nur um fünf Uhr, Nymphaea alba, die Seerose, nur um sieben Uhr, Calendula, die Ringelblume, nur um neun Uhr auf. Darin sehen wir das Verhältnis dem Erde zur Sonne in wunderbarem Weise ausgedrückt, was schon Linné die «Sonnen-Uhr» ge­nannt hat. Ja, auch das Einschlafen, das Zusammenklappen der Blütenblätter ist wieder auf ganz bestimmte Tageszeiten beschränkt. Eine wunderbare Gesetzmäßigkeit und Regel­mäßigkeit liegt in dem Leben der Pflanzen.

Das alles zeigt uns, wie die Erde hingegeben ist - wie der Mensch im Schlafe - an die große Welt und mit derselben lebt. Wie sie die Pflanzen blühen und welken läßt, zeigt uns das ganze geistige Wesen und Weben, das zwischen Sonne und Erde vor sich geht. Wenn wir so die Dinge betrachten, müssen wir allerdings sagen: wir blicken da hinein in tiefe, tiefe Geheimnisse unserer Umwelt. Da hört für den ernsten Wahrheitssucher die Möglichkeit auf - selbst wenn die rein materiellen Forschungsergebnisse noch so faszinierend sind -, auch nur noch daran zu denken, daß da ein Gasball

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durch den Raum gehe in der Sonne, hört auf die Möglich­keit, daß die Erde so betrachtet werden darf, wie die Astronomie oder Geologie sie heute betrachtet. Da gibt es zwingende Gründe, denen sich auch der gewissenhafte Naturdenker unterwerfen muß, daß er sich sagt: Du darfst nicht mehr anderes sehen in dem, was dir die Naturwissen­schaft enthüllt, als einen Ausdruck des allem zugrunde lie­genden geistigen Lebens! - Dann betrachten wir aber die Pflanzen wie einen physiognomischen Ausdruck der Erde, als den Ausdruck des Antlitzes unserer Erde. So vertieft sich das, was wir unser ästhetisches Gefühl gegenüber der Pflanzenwelt nennen, gerade durch die Geisteswissenschaft. Wir gehen hin vom die gigantischen Bäume des Urwaldes, vom das stille Veilchen oder Schneeglöckchen und betrachten sie als einzelne Individuen zwar, aber so, daß wir sagen:

Da spricht sich uns der Geist aus, dem den Raum durchlebt

- Sonnengeist, Emdengeist! Was wir beim Menschen aus dem Ausdruck seines Geistes erschauen, wenn wir seine Stimme hören und auf das Fromme oder Unfromme seiner Seele schließen, so schließen wir aus dem, was uns aus den Pflanzen entgegenschaut, auf das, was lebt als Erdengeist, als Sonnengeist, wie sie miteinander im Kampfe oder in gegenseitiger Harmonie stehen. Da fühlen wir uns selber im Geist drinnen weben und leben.

Und um nur anzuzeigen, wie sich tatsächlich durch die Naturwissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts die Gei­steswissenschaft wohl bestätigen läßt, kann man noch fol­gendes erwähnen. Diejenigen Zuhörer, welche früher die Vorträge hier angehört haben, werden sich an den Hinweis erinnern, daß es Pflanzen gibt in der Erdenwelt, die depla­ziert sind, die nicht hereingehören in unsere Erdenwelt. Eine solche Pflanze ist zum Beispiel die Mistel, die in Sage und Mythos deshalb eine so merkwürdige Rolle spielt, weil

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sie zu einem früheren planetarischen Zustand unsemer Erde gehört und wie ein Rest zurückgeblieben ist von einer vor-irdischen Entwickelung. Daher kann sie nicht in der Erde wachsen, sondern sie muß in andern Pflanzen wurzeln. Die Naturwissenschaft zeigt uns, daß die Mistel nicht jene eigentümlichen Stärkezellen hat, welche die Pflanzen dahin bringen, nach dem Mittelpunkt der Erde zu zeigen. Kurz, ich könnte jetzt beginnen und die ganze Botanik des neun­zehnten Jahrhunderts Stück für Stück auseinanderlegen, und Sie würden Stück für Stück die Belege dafür finden, wie die Pflanzendecke unserer Erde das Sinnesorgan ist, durch welches sich beschauen Erdengeist und Sonnengeist.

Wenn wir das beachten, bekommen wir gerade - wie es uns ja geziemend erscheinen muß für die von uns geliebte und uns erfreuende Pflanzenwelt - eine Wissenschaft, welche zugleich unsere Seele erheben, nahebringen kann dieser Pflanzenwelt. Wir fühlen uns mit Seele und Geist selber zur Erde und zur Sonne gehörig und fühlen so, wie wenn wir gleichsam aufschauen müßten zur Pflanzenwelt, wie sie zu unserer großen Erdenmutter gehört. Das müssen wir im Grunde genommen auch. Denn alles, was als Tier oder Mensch scheinbar unabhängig ist von der unmittel­baren Wirkung der Sonne, das ist durch die Pflanzenwelt und dadurch, daß es angewiesen ist auf die Pflanzenwelt, wieder indirekt abhängig von der Sonne. Der Mensch macht zwar im Winter und Sommer keine solche Verwand­lungen durch wie die Pflanzen, aber die Pflanze ist es, die ihm die Möglichkeit gibt, in sich selber jene Beständigkeit zu haben. Was die Pflanze an Stoffen entwickelt, kann sie nur unter dem Einfluß der Sonnenwirkung entwickeln, durch das Wechselverhältnis von Sonnengeist und Erden-geist. Namentlich die Kohlehydrate sind es, die nur entstehen, wenn sich Sonnengeist und Erdengeist küssen

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durch das Pflanzenwesen. Die Stoffe, die da entwickelt werden, liefern erst das, was die höheren Organismen zur Wärme-Entwickelung in sich hereinnehmen müssen. Denn nur durch das, was die höheren Organismen als Wärme entwickeln, indem sie die von der Sonne auf dem Umwege durch die Pflanze zubereiteten Stoffe aufnehmen, können sie erst gedeihen.

So müssen wir materiell allerdings hinblicken auf unsere Erdenmutter als auf unsere große Nährmutter. Aber wir haben gesehen, daß wir in der Pflanzendecke die Physio­gnomie des Pflanzengeistes haben, und wir fühlen uns dadurch in Geist und Seele stehend. Wir blicken gleichsam

- wie wir einem andern Menschen ins Auge blicken - der Erde in die Seele, wenn wir verstehen, wie sie ihre Seele uns ankündigt in den Blüten und Blättern der Pflanzenwelt.

Das war es, was Goethe sich beschäftigen ließ mit der Pflanzenwelt, was ihn zu einer Beschäftigung führte, die im Grunde genommen in nichts anderem besteht, als daß er zeigt, wie der Geist in der Pflanzenwelt wirksam ist, und wie das Blatt, das bald so, bald so in der Pflanze erscheint, von dem Geist herausgestaltet wird in den verschiedensten Formen. Goethe war entzückt, daß der Geist in der Pflanze die Blätter formt, sie rundet und sie auch im Gewinde um den Stengel herumführt. Und ebenso denkwürdig mußte es bleiben, als ein den Geist wirklich erkennender Mensch

- als Goethe Schiller nach einem Vortrage des Botanikers Batsch in der naturforschenden Gesellschaft zu Jena gegen­überstand. Als Schiller, den der Vortrag nicht befriedigt hatte, meinte: Das ist doch eine Betrachtung der Pflanzen, wie sie einseitig dasteht! - nahm Goethe ein Blatt heraus und zeichnete in seiner Weise mit einigen Strichen, wie für ihn der Geist in der Pflanze wirkt. Da sagte Schiller, der solche konkrete Erfassung des Geistes der Pflanzen nicht

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verstehen konnte: Was Sie da zeichnen, ist aber doch nur eine Idee! Darauf konnte Goethe nur sagen: «Das kann mir sehm lieb sein, wenn ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe!»

Gerade die Amt, wie ein solchem Mensch wie Goethe in der Pflanzenwelt forscht, als er über den Brenner geht und den Huflattich mit ganz anderen Augen ansieht, wie er darin sieht, wie dem Geist über der Erde wirkt und die Blätter gestaltet, das zeigt uns, wie wir von einem gemeinsamen Geist der Erde sprechen können, der sich nur zum Ausdruck bringt in den mannigfaltigen Pflanzen­wesen als in seinem besonderen Organ. Was physisch ist, ist Geist. Wir haben immer nur die Aufgabe, den Geist in dem richtigen Weise zu verfolgen. Wem die Pflanze so verfolgt, wie sie aus dem Gesamtgeist der Erde herauswächst, der findet den Erdengeist, den Goethe schon im Auge hatte, als er seinen Faust anrufen ließ den die Erde durchwir­kenden Geist, der von sich sagt:

In Lebensfluten, in Tatenstumm

Wall' ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Der Mensch aber, der so den Geist in dem Pflanzenleben der Erde erblickt, fühlt sich selber gestärkt und gekräftigt, indem er das, was er als sein inneres Wesen ansehen muß, ergossen sieht über den ganzen Schauplatz, den er bewoh­nen darf. Und er muß sich sagen: Betrachte ich den Umkreis

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meines Raumes, so finde ich bestätigt, was aller Dinge Ursprung ist, das finde ich im Schoß des Geistes! Und was als Ausdruck gelten kann des Verhältnisses von Menschen­geist und Menschenseele, auch für das Verhältnis von Pflanzenseele und Pflanzengeist, das können wir zusam­menfassen in die Worte:

Es sprechen zu dem Menschensinn

Die Dinge in den Raumesweiten,

Sie wandeln sich im Zeitenlauf.

Erkennend lebt die Menschenseele

Durch Raumesweiten unbegrenzt

Und unversehrt durch Zeitenlauf.

Sie findet in dem Geistgebiet

Des eignen Wesens tiefsten Grund!

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WIE ERLANGT MAN ERKENNTNIS DER GEISTIGEN WELT? Berlin, 15. Dezember 1910

Bevor mit dem heutigen Thema von mir begonnen werden soll, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß diese heu­tigen Auseinandersetzungen der Anfang sein werden einer ganzen Reihe von solchen Auseinandersetzungen, und daß im Grunde genommen alle nächstfolgenden Themen für diesen Winter genau denselben Titel tragen könnten wie das heutige Thema. Es wird in Anlehnung an die verschie­densten Erscheinungen des menschlichen Lebens und des wissenschaftlichen Lebens, an die verschiedensten Kultur-Persönlichkeiten der Menschheit überhaupt im Laufe der nächsten Vorträge zur Erörterung kommen der Weg, den der Mensch zu gehen hat, wenn er zur Erkenntnis der gei­stigen Welt kommen will.

Gestatten Sie mir - obwohl dieses Thema, diese Betrach­tung, sozusagen in die Region des Allerunpersönlichsten, des Objektiv-Geisteswissenschaftlichen führen soll -, daß ich trotzdem in der Einleitung von etwas Persönlichem aus­gehe, denn der Weg in die geistige Welt ist ja ein solcher, der durch das Persönlichste ins Unpersönliche führen muß. Daher wird trotz des Unpersönlichen das Persönliche oft­mals sinnbildliches Kennzeichen für diesen Weg sein, und man erlangt so auch die Möglichkeit, auf mancherlei Be­deutsames gerade dadurch hinzuweisen, daß man gewisser­maßen von dem intimeren unmittelbaren Erleben ausgeht. Dem Betrachter der geistigen Welten wird mancherlei im

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Leben sinnbildlich wichtiger sein, als es zunächst erscheinen kann. Manches, was vielleicht sonst vor dem Menschen­blicke vorübergehen kann, ohne von der Aufmerksamkeit besonders gestreift zu werden, kann dem tief bedeutsam erscheinen, der sich intensiv mit einer solchen Betrachtung befassen will, wie sie auch den heutigen Auseinanderset­zungen zugrunde liegen soll. Und ich kann sagen: es gehört das Folgende - was Ihnen zunächst wie eine Kleinigkeit des Lebens erscheinen wird - für mich zu den mancherlei unvergeßlichen Dingen, die mir auf meinem Lebensweg auf der einen Seite kennzeichneten die Sehnsucht der Men­schen unserer Gegenwart wirklich hinauf nach der geistigen Welt, auf der anderen Seite aber doch die mehr oder weniger eingestandene Unmöglichkeit, mit den Mitteln, die nicht nur die Gegenwart, die sogar die letzten Jahrhunderte geben, soweit sie äußerlich dem Menschen erreichbar sind, irgend­wie einen Zugang in die geistige Welt zu erlangen.

Ich saß einmal in der traulichen Wohnung von Herman Grimm. Diejenigen von Ihnen, welche mit dem deutschen Geistesleben ein wenig bekannt sind, werden mit dem Namen Herman Grimm einiges verbinden. Sie werden vielleicht den geistvollen, bedeutenden Biographen Michelangelos und Raffaels kennen und vielleicht auch wissen, wie gewisser­maßen die Summe der Bildung unserer Zeit wenigstens Mitteleuropas oder - sagen wir noch enger - Deutschlands in der Seele Herman Grimms vereinigt war. Bei einem Gespräch mit Herman Grimm über den ihm ja so nahe-stehenden Goethe und über Goethes Weltanschauung fiel dasjenige, was eine Kleinigkeit ist, vor, was eben zu den unvergeßlichsten Dingen meines Lebensweges gehört. Bei einer Bemerkung, die ich machte - wir werden nachher sehen, wie gerade in bezug auf den Aufstieg des Menschen in die geistige Welt diese Bemerkung eine Bedeutung haben

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kann -, antwortete Herman Grimm mit einer ablehnenden Bewegung der linken Hand. Was in dieser Handbewegung lag, das ist es, was ich gewissermaßen zu den unvergeß­lichen Erlebnissen meines Lebensweges rechne. Es sollte sich darum handeln, in Anlehnung an Goethe davon zu sprechen, wie Goethe in seiner Art - wir werden noch im Laufe dieser Vorträge den Weg Goethes in die geistige Welt zu besprechen haben - diesen Weg in die geistige Welt finden wollte. Herman Grimm folgte gern den Wegen Goethes in die geistige Welt - aber auf seine Art. Es lag ihm völlig fern, in einer solchen Art auf Goethe einzugehen, daß man etwa Goethe als den Repräsentanten eines Men­schen betrachtet, der wirklich - auch als Künstler - aus der geistigen Welt herunterholt geistige Realitäten, um sie in sei­nen Kunstwerken zu verkörpern. Es lag Herman Grimm viel näher, sich zu sagen: Ach, in diese geistige Welt können wir mit den Mitteln, die wir heute als Menschen haben, doch nur hinaufgelangen durch die Phantasie. Die Phantasie bietet zwar Dinge, die schön, groß, gewaltig sind und das menschliche Herz mit Wärme erfüllen können; aber Er­kenntnis, festbegründete Erkenntnis, das war etwas, was Herman Grimm, der so intime Betrachter Goethes, auch bei Goethe nicht finden wollte. Und als ich davon sprach, daß Goethes ganze Grundwesenheit darauf fußte, daß er das Wahre im Schönen, in der Kunst verkörpern wollte, und dann zu zeigen versuchte, daß es doch Wege gebe außerhalb der Phantasie, Wege in die geistige Welt, die auf festeren Grund und Boden führen als die Phantasie, da war es nicht etwa die Ablehnung desjenigen, der nicht gern einen sol­chen Weg gehen möchte. Nicht die Ablehnung eines solchen Weges war es, was Herman Grimm in diese Handbewe­gung legte, sondern in der Art, die nur der kennt, der ihn genauer verstand, legte er in die Handbewegung ungefähr

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das Folgende: Es mag wohl einen solchen Weg geben, aber wir Menschen können uns doch nicht berufen fühlen, irgend etwas darüber auszumachen!

Wie gesagt, ich möchte das nicht etwa in aufdringlicher Weise als eine persönliche Angelegenheit hier vorbringen, sondern mir scheint, daß in einer solchen Geste sich die Stellung gerade der besten Menschen unseres Zeitalters gegenüber der geistigen Welt verkörpert. Denn ich hatte später einmal ein langes Gespräch mit demselben Herman Grimm bei einem Wege, der uns beide von Weimar nach Tiefurt führte, in dem er auseinandersetzte, wie er sich ganz befreit habe von aller bloß materialistischen Auffassung des Weltgeschehens, von der Auffassung, daß der Geist des Menschen in den aufeinanderfolgenden Epochen aus sich selbst hervorbringe, was des Menschen eigentlichen see­lischen Reichtum ausmacht. In einem großen Plan, der ja

- wie die wissen, die sich mit Herman Grimm beschäftigt haben - nicht mehr in einem Werke, das er vorhatte, zur Ausführung gekommen ist, sprach Herman Grimm damals davon, daß er beabsichtige, eine «Geschichte der deutschen Phantasie» zu schreiben. Er hatte im Auge das Walten der Phantasie wie einer Göttin in den geistigen Welten, die das, was die Menschen zum Heile des Weltenfortschrittes schaffen, aus sich hervorbringt. Ich möchte sagen: in jener lieblichen Gegend zwischen Weimar und Tiefurt hatte ich bei diesen Worten eines Menschen, den ich immerhin als einen der größten Geister unserer Zeit anerkenne, ein Ge­fühl, das ich etwa in folgende Worte kleiden möchte.

Es sagen sich heute viele Menschen: Tief unbefriedigt muß man sein bei alledem, was die äußere Wissenschaft über die Quellen des Lebens zu sagen vermag, über das Geheimnis des Daseins, über die Welträtsel; aber es fehlt die Möglichkeit, kraftvoll in eine andere Welt hineinzutreten.

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Es fehlt die Intensität des Erkenntnis-Willens, als etwas anderes diese Welt des geistigen Lebens zu erkennen, denn als etwas, was der Mensch sich in seiner Phantasie ausbildet. Gar mancher geht eben gern in dieses Reich der Phantasie, weil es für ihn das einzige geistige Reich ist. Ich wußte mich gerade gegenüber dieser Persönlichkeit zu er­innern - dieser Weg nach Tiefurt liegt vielleicht jetzt siebzehn Jahre zurück-, daß vor jetzt mehr als dreißig Jah­ren einmal - neben vielem, vielem, was Herman Grimm schon durch seine Schriften an Eindruck auf mich gemacht hatte - mein Blick auf jene Stelle fiel innerhalb seiner «Goethe-Vorlesungen», die er im Winter 1874/75 in Berlin gehalten hat, wo er in Anlehnung an Goethe von jenem Eindrucke spricht, den die rein äußerliche, geistentblößte Naturbetrachtung auf einen solchen Geist machen muß, wie der seinige es ist. Ebenso war es schon damals vor dreißig Jahren, als mir Herman Grimm als der Typus eines Men­schen erschien, den alle Gefühle und Empfindungen hinauf-drängen in die geistige Welt, der aber die geistige Welt nicht in einer Realität finden kann, sondern nur in der Phantasie, in ihrem Walten und Wirken, und der auf der andern Seite - gerade weil er so war - nicht zugeben wollte, daß Goethe selber in einem anderen als bloß im Reiche der Phantasie, nämlich im Reiche der geistigen Realität, die Quellen und Rätsel des Daseins suchte.

Eine Stelle ist es, die heute am Ausgangspunkte unserer Betrachtungen auf unsere Seele wirken soll, wo Herman Grimm von etwas spricht, was auch schon von mir ange­deutet worden ist als zwar in seiner Bedeutung von der Geisteswissenschaft nicht zu leugnen, was aber doch so, wie es von der äußeren Naturwissenschaft genommen wird oder von jener Weltanschauung, die auf dem festen Boden der Naturwissenschaft stehen will, nicht nur für die Empfindung

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und für das Gefühl, sondern für eine wirklich sich selbst verstehende Erkenntnis eine Unmöglichkeit bedeutet. Ich meine die Kant - Laplacesche Theorie, die unser Sonnen­system so erklärt, als wenn es nur aus leblosen, unorga - nischen Stoffen und Kräften bestünde und sich aus solchen herausgeballt hätte aus einer riesigen Gaskugel. Ich darf aus Herman Grimms Goethe - Vorlesungen die Stelle vor­lesen, welche Ihnen zeigt, was diese heute so faszinierende, so tiefen Eindruck machende Weltanschauung für einen Geist wie Herman Grimm zu bedeuten hatte.

«Allein, sosehr Goethe dem Verstande hier verbietet, mehr für Wahrheit zu nehmen, als sich in der Tat mit den fünf Fingern der Hand greifen lasse, um so voller gibt er der Phantasie des Dichters das Recht, aus unbewußter, träumender Kraft Bilder dessen zu schaffen, was der Geist zu erblicken wünscht. Nur daß er mit Schärfe die Grenze beider Tätigkeiten aufrecht hält. Längst hatte, in seinen Jugendzeiten schon, die große Laplace-Kantsche Phantasie von der Entstehung und dem einstigen Untergang der Erd­kugel Platz gegriffen. Aus dem in sich rotierenden Welt-nebel - die Kinder bringen es bereits aus der Schule mit -formt sich der zentrale Gastropfen, aus dem hernach die Erde wird, und macht, als erstarrende Kugel, in unfaßbaren Zeiträumen alle Phasen, die Episode der Bewohnung durch das Menschengeschlecht mit einbegriffen, durch, um endlich als ausgebrannte Schlacke in die Sonne zurückzustürzen:

ein langer, aber dem Publikum völlig begreiflicher Prozeß, für dessen Zustandekommen es nun weiter keines äußeren Eingreifens mehr bedarf als der Bemühung irgendeiner außenstehenden Kraft, die Sonne in gleicher Heiztempe-ratur zu erhalten.

Es kann keine fruchtlosere Perspektive für die Zukunft gedacht werden als die, welche uns in dieser Erwartung als

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wissenschaftlich notwendig heute aufgedrängt werden soll. Ein Aasknochen, um den ein hungriger Hund einen Um­weg machte, wäre ein erfrischendes appetitliches Stück im Vergleiche zu diesem letzten Schöpfungsexkrement, als welches unsere Erde schließlich der Sonne wieder anheim­fiele, und es ist die Wißbegier, mit der unsere Generation dergleichen aufnimmt und zu glauben vermeint, ein Zei­chen kranker Phantasie, die als ein historisches Zeitphäno-men zu erklären, die Gelehrten zukünftiger Epochen einmal viel Scharfsinn aufwenden werden.»

Es war mir notwendig, auf eine solche Stelle hinzu­weisen, weil es im Grunde genommen heute wenig geschieht. Heute, wo so faszinierend die Vorstellungen jener Welt­anschauungen wirken, die scheinbar so fest auf dem Boden der Naturwissenschaft stehen, wird wenig darauf hin­gewiesen, daß es immerhin Geister gibt, die tief mit dem Kulturleben unserer Zeit zusammenhängen und dennoch in einer solchen Art aus ihrem ganzen Seelengepräge heraus sich zu dem verhalten, wovon jetzt unzählige Menschen sagen: Es ist selbstverständlich, daß die Dinge so sind, und es ist jeder eigentlich ein Tropf, der nicht zugeben wird, daß die Dinge so sind! Ja, wir sehen heute sehr viele Menschen schon, welche die tiefste Sehnsucht haben eine Verbindungsbrücke zu schlagen zwischen der Seele des Menschen und der geistigen Welt. Aber wir sehen auf der anderen Seite außerhalb derjenigen Kreise, die sich tiefer mit dem befassen, was wir Geisteswissenschaft nennen, nur wenige sich mit den Mitteln beschäftigen, die diese Menschenseele zu dem hinführen könnten, was man immerhin nennen könnte das Land ihrer Sehnsucht.

Wenn wir deshalb heute von den Wegen sprechen, welche den Menschen in die geistige Welt führen sollen, und ge­wissermaßen so sprechen, daß das Gesprochene nicht für

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einen engen Kreis gelten soll, sondern sich an alle die rich­tet, welche mit der heutigen Zeitbildung ausgerüstet sind, dann stoßen wir in einer gewissen Beziehung noch sehr auf Widerstand. Da kann es nicht nur sein, daß dasjenige, was vorgebracht wird, als Träumerei und Phantasterei ange­sehen wird, sondern es kann auch sehr leicht sein, daß das Vorgebrachte sehr viele Menschen der Gegenwart eigentlich ärgert, ihnen etwas Ärgerliches ist, weil es so sehr von dem abweicht, was - wie die suggestiven und faszinierenden Vorstellungen derer, die sich für die Gebildetsten halten -für die weitesten Kreise heute gilt.

Es ist schon in dem ersten Vortrage angedeutet worden, daß das Hinaufschreiten in die geistige Welt im Grunde genommen eine intime Angelegenheit der Seele ist, und daß es recht sehr dem widerspricht, was sowohl in popu­lären wie auch in wissenschaftlichen Kreisen heute gang und gäbe ist für das Vorstellungs- und Empfindungsleben. Namentlich der Wissenschaftler ist heute gleich bei der Hand mit der Forderung: Was wissenschaftlich gelten soll, das muß sich zu jeder Zeit und für jeden Menschen bewei­sen lassen, und er weist dann wohl hin auf sein äußeres Experiment, das man zu jeder Zeit, vor jedem Menschen beweisen kann. Es ist selbstverständlich, daß dieser Forde­rung die Geisteswissenschaft nicht genügen kann. - Wir werden gleich sehen, warum nicht. - Daher wird die Gei­steswissenschaft - das heißt jene Wissenschaft, die vom Geist nicht als einer Summe von abstrakten Begriffen und Ideen spricht, sondern als von etwas Realem und von wirklichen Wesenheiten - schon gegen die methodische Forderung ver­stoßen müssen, welche die Wissenschaft und die Weltan­schauungen heute so leicht aufstellen: Für jeden überall und zu jeder Zeit beweisbar zu sein. In populären Kreisen stößt die Geisteswissenschaft schon aus dem Grunde sehr häufig

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auf Widerstand, weil nun einmal in unserer Zeit - selbst da, wo man die Sehnsucht in sich trägt in die geistige Welt hinaufzusteigen - die Empfindungen und Gefühle von materialistischer Anschauungsart durchsetzt und durch­drungen sind. Man kann beim besten Willen nicht anders, selbst wenn man sich nach der geistigen Welt sehnt, als doch den Geist in irgendeiner Beziehung wieder materiell zu denken, oder wenigstens das Hinaufschreiten in die geistige Welt sich an Materielles geknüpft zu denken. Daher wird es den meisten Menschen lieber sein, wenn man ihnen von rein äußeren Mitteln redet, zum Beispiel was sie essen und trinken oder nicht essen und trinken sollen, oder was sie sonst rein äußerlich in der materiellen Welt unternehmen sollen. Das wird ihnen viel lieber sein, als wenn man von ihnen verlangt, daß sie intime Entwickelungsmomente in ihre Seele einführen. Aber um solches gerade handelt es sich beim Hinaufsteigen in die geistige Welt.

Nun wollen wir - ganz in dem Sinne, wie die Geistes­wissenschaft das selbst ansieht - einmal versuchen kurz zu skizzieren, wie dieser Aufstieg der Menschenseele in die geistige Welt stattfinden kann. Der Ausgangspunkt muß ja immer von dem genommen werden, worin der Mensch zunächst lebt. Nun lebt der Mensch, wie er in unserer Gegenwart in die Welt hineingestellt ist, ganz und gar fest in der äußeren, sinnlichen Welt. Man versuche es nur ein­mal sich klarzumachen, wieviel noch in dieser Menschen-seele übrigbleibt, wenn man den Blick von dem abwendet, was die äußeren Sinneseindrücke der physischen Welt an Vorstellungen in uns entzündet haben, was durch die äußeren, physischen Erlebnisse, durch Augen, Ohren und die anderen Sinne in uns hereingekommen ist, was auch durch Augen und Ohren in uns an Leiden und Freuden, Lust und Schmerz angeregt wird, und was dann unser

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Verstand sich kombiniert hat aus diesen Eindrücken der Sinneswelt. Man versuche das alles aus der Seele auszu­tilgen, sich wegzudenken, und überlege einmal, was dann zurückbleiben würde. Die Menschen, die es ehrlich mit die­ser einfachen Selbstbeobachtung nehmen können, werden sehen, daß äußerst wenig gerade beim Gegenwartsmenschen in der Seele zurückbleibt. Das aber ist es, daß zunächst der Aufstieg in die geistige Welt nicht ausgehen kann von dem, was uns von der äußeren Sinneswelt gegeben ist, sondern er muß so unternommen werden, daß der Mensch in seiner Seele Kräfte entwickelt, die für gewöhnlich in dieser Seele schlummern. Es ist sozusagen ein Grundelement für alle Möglichkeiten des Aufstieges in die geistige Welt, daß der Mensch gewahr werde, daß er innerlich entwickelungsfähig ist, daß in ihm noch etwas anderes liegt als das, was er zunächst mit seinem Bewußtsein überschaut.

Es ist das wirklich schon für viele Menschen heute eine ärgerliche Vorstellung, denn - nehmen wir gleich einen ganz besonderen Menschen der heutigen Bildung - was tut denn zum Beispiel der heutige Philosoph, wenn es sich ihm darum handelt, die ganze Bedeutung und das Wesen der Er­kenntnis festzustellen? Ein solcher wird sagen: Ich will einmal versuchen, wie weit wir mit unserem Denken, mit unseren Seelenkräften als Menschen überhaupt kommen können, was wir erfassen können von der Welt. Da sucht er auf seine Art - je nachdem es ihm augenblicklich möglich ist - ein Weltbild zu erfassen und vor sich hinzustellen, und er wird dann in der Regel sagen: Das andere können wir eben nicht wissen, das liegt jenseits der Grenzen mensch­licher Erkenntnis! - Es ist überhaupt die verbreitetste Re­densart, die man in der heutigen Literatur finden kann:

Das können wir nicht wissen!

Nun gibt es aber einen anderen Standpunkt, der ganz

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anders zu Werke geht als der eben gekennzeichnete, indem er sagt: Gewiß, mit den Kräften, die ich jetzt in meiner Seele habe, die vielleicht jetzt die normalen menschlichen Seelenkräfte sein mögen, kann ich dieses oder jenes erken­nen, aber hier in der Seele ist ein entwickelungsfähiges Wesen. Diese Seele hat vielleicht Kräfte in sich, die ich erst aus ihr herausholen muß. Ich muß sie erst gewisse Wege führen, muß sie über den jetzigen Standpunkt hinausfüh-ren, dann will ich einmal sehen, ob nicht ich schuld gewesen bin, wenn ich gesagt habe, dies oder jenes liege jenseits der Grenze unserer Erkenntnis. Vielleicht brauche ich nur etwas weiterzugehen in der Entwickelung meiner Seele, dann erweitern sich die Grenzen, und ich kann tiefer in die Dinge hineindringen.

Mit Logik nimmt man es ja, wenn man darüber urteilen will, nicht immer ganz genau, sonst würde man sagen: Was wir erkennen, hängt ab von unseren Organen. Deshalb kann zum Beispiel der Blindgeborene nicht über Farben urteilen, er kann nur darüber urteilen, wenn er durch eine glückliche Operation sein Sehvermögen bekommen hat. Ebenso könnte es sein - ich will hier nicht von einem «sech­sten Sinn» sprechen, sondern von etwas, was rein geistig aus der Seele herausgeholt werden kann -, daß es möglich wäre, daß Geistesaugen oder Geistesohren aus unserer Seele herausgeholt werden. Dann könnte für uns das große Er­eignis eintreten, das auf niederer Stufe eintritt, wenn der Blindgeborene so glücklich ist, operiert zu werden, so daß dann für uns die Vermutung zunächst Wahrheit werden könnte: Es gibt um uns eine geistige Welt, aber um hinein-zuschauen, müssen wir erst die Organe in uns erweckt haben. Das wäre das einzig Logische. Aber mit Logik nimmt man es - wie gesagt - nicht immer genau, denn in unserer Zeit haben die Menschen ganz andere Bedürfnisse, wenn sie

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von einer geistigen Welt hören, als sich hineinzufinden in diese geistige Welt. Ich habe schon einmal erzählt, daß in einer süddeutschen Stadt, als ich dort einmal einen Vortrag zu halten hatte, ein braver Mensch, der Feuilletons schreibt, sein Feuilleton anfing mit den Worten: «An der Theosophie ist das, was einem am meisten in die Augen fällt, ihre Un­verständlichkeit.» Das wollen wir dem Manne gern glau­ben, daß die Theosophie für ihn als hervorstechendsteEigen­schaft die Unverständlichkeit hat. Aber ist das irgendwie ein Kriterium? Man übertrage dieses Beispiel einmal auf die Mathematik, daß jemand von ihr sagen würde: Was mir an der Mathematik am meisten in die Augen fällt, ist ihre Unverständlichkeit. Dann wird jeder sagen: Gewiß, das kann sein; dann möge er aber eben so gut sein, wenn er Feuilletons schreiben will, erst etwas zu lernen! - Oft wäre es besser, das, was für ein besonderes Gebiet gilt, auf ein anderes sachgemäß zu übertragen. So bleibt also nichts an­deres übrig, als daß die Menschen leugnen - das können sie dann nur durch einen Machtspruch -, es gäbe eine Ent­wickelung der Seele - nämlich wenn sie es ablehnen, eine durchzumachen -, oder aber, daß sie sich hineinbegeben in die Entwickelung der Seele. Dann wird die geistige Welt für sie zur Beobachtung, zur Realität, zur Wahrheit. Aber um hinaufzugelangen in die geistige Welt, muß die Seele fähig werden - nicht für das physische Leben, sondern für die Erkenntnis der geistigen Welt -, sich in einer gewissen Beziehung der Gestalt gegenüber, welche sie zunächst hat, vollständig umzuwandeln, in einer gewissen Beziehung ein anderes Wesen zu werden.

Das kann uns schon aufmerksam machen, was hier oft und oft betont worden ist, daß der, welcher den Drang hat hinaufzusteigen in die geistige Welt, vor allen Dingen sich immer wieder und wieder darüber klar sein muß, ob er

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hier in dieser Welt physischer Wirklichkeit zunächst festen Boden gefaßt hat, ob er imstande ist, hier festzustehen. Denn für alle Verhältnisse, die sich in der physischen Welt abspielen, müssen wir Sicherheit, Willenskraft und Emp­findungsvermögen haben, dürfen nicht den Boden unter den Füßen verlieren, wenn wir hinaufsteigen wollen von dieser Welt in die geistige. Das ist eine Vorstufe: alles zu tun, was unseren Charakter dahin führen kann, festzu­stehen in der physischen Welt. Alsdann kommt es darauf an, für die geistige Welt die Seele zu einem andern Fühlen und andern Wollen zu bringen, als Fühlen und Wollen in der Seele gewöhnlich sind. Es muß gewissermaßen unsere Seele innerlich ein anderer Fühlens- und Wollensorganis­mus werden, als sie im normalen Leben ist. Da kommen wir darauf, was die Geisteswissenschaft auf der einen Seite zunächst wirklich in eine Art von Gegensatz bringen kann zu dem, was heute als «Wissenschaft» anerkannt wird, was die Geisteswissenschaft aber auf der andern Seite doch wie­der unmittelbar neben diese Wissenschaft mit derselben Gültigkeit hinstellt, welche die äußere Wissenschaft hat. Wenn man sagt, daß alles, was Wissenschaft sein soll, zu jeder Zeit und für jeden Menschen beweisbar sein muß, so meint man, daß das, was man als Wissenschaften betrachtet, nicht abhängen darf von unserer Subjektivität, von unsern subjektiven Gefühlen, von dem, was wir als irgendwelche Willensentschlüsse, Willensimpulse, Gefühle und Empfin­dungen nur individuell in uns tragen. Nun muß aber zu­nächst der, der hinaufsteigen will in die geistige Welt, den Umweg durch das Innere seiner Seele nehmen, muß seine Seele umorganisieren, muß zunächst den Blick völlig ab­wenden von dem, was außen in der physischen Welt ist. Der Mensch wendet ja im normalen Leben den Blick von dem, was innerhalb der physischen Welt ist, nur dann ab,

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wenn er schläft; dann läßt er durch seine Augen, Ohren und durch die ganze Organisation seiner Sinne nichts in seine Seele herein, aber dafür wird er dann auch bewußtlos und ist nicht imstande, in einer geistigen Welt bewußt zu leben.

Es ist nun gesagt worden, daß es zu den Grundelementen der geistigen Erkenntnis für den Menschen gehört, in sich selber die Möglichkeit zu finden, über sich hinauszugehen. Das heißt aber nichts anderes, als in sich selber zunächst den Geist wirksam zu machen. Wir kennen alle im heutigen normalen Menschenleben nur ein Sichabwenden von der physischen Welt, wenn wir in die Bewußtlosigkeit des Schlafes eingehen. Nun hat uns die Betrachtung über das «Wesen des Schlafes» gezeigt, wie der Mensch da in einer realen geistigen Welt ist, wenn er auch nichts davon weiß. Denn es wäre absurd, zu glauben, daß das, was des Men­schen Seelen- und Geisteszentrum ist, des Abends ver­schwindet und des Morgens wieder neu entstünde; nein, es überdauert real die Zustände vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Aber was für den heutigen normalen Men­schen die innerliche Kraft ist, sich bewußt zu sein - auch dann, wenn keine Anregung für das Bewußtsein durch die Eindrücke der Sinne oder durch die Arbeit des Verstandes hereinfließt -, das fehlt im Schlafe. Das Seelenleben ist so herabgestimmt im Schlafe, daß der Mensch nicht fähig ist, dasjenige anzufeuern und aufzuwecken, was die Seele sich selber innerlich erleben läßt. Wenn der Mensch wieder auf-wacht, dringen von außen die Erlebnisse herein, und weil dem Menschen auf diese Weise ein Seeleninhalt geschenkt wird, wird er sich seiner an diesem Seeleninhalt bewußt. Er kann seiner nicht bewußt werden, wenn er nicht angeregt wird von außen. Dazu ist die Kraft des Menschen sonst zu schwach, wenn er im Schlafe sich selbst überlassen ist.

Der Hinaufstieg in die geistige Welt bedeutet also die

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Anfachung solcher Kräfte in unserer Seele, welche die Seele fähig machen, gleichsam in sich selber real bewußt zu leben, wenn sie gegenüber der äußeren Welt so wird, wie sonst der Mensch im Schlafe ist. Also im Grunde genommen for­dert zunächst das Hinaufsteigen in die geistigen Welten eine Anfeuerung innerlicher Energien, ein Herausholen von Kräften, die sonst schlafen, gleichsam gelähmt sind in der Seele, so daß der Mensch sie überhaupt nicht handhaben kann. Alle diejenigen intimen Erlebnisse, die der Geistes-forscher in seiner Seele durchzumachen hat, gehen zuletzt nach dem Ziele hin, das eben jetzt gekennzeichnet worden ist. Und ich möchte Ihnen heute einiges zusammenfassend erzählen über den Weg in die geistige Welt hinauf. Aus­führlich sind diese Dinge dargestellt in ihren Elementen

- sozusagen in ihren Anfangsgründen - in dem Buche, das von mir unter dem Titel erschienen ist: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Aber ich will mich heute nicht gerade dadurch wiederholen, daß ich Ihnen einen Auszug aus diesem Buche gebe, sondern ich will von einer andern Seite her darstellen, was die Seele mit sich machen muß, um in die geistige Welt hinaufzukommen. Wer sich tiefer dafür interessiert, kann die Einzelheiten in dem genannten Buche nachlesen. Nur darf niemand glau­ben, daß das, was dort ausführlich gesagt worden ist, hier so dargestellt werden kann, wenn man es kurz zusammen­faßt, daß man dieselben Worte und Sätze gebrauchen kann. Die das Buch kennen, werden es also nicht so finden, daß es eine Zusammenfassung des dort Gesagten ist, sondern daß es doch von einer andern Seite her die Sache charakterisiert.

Außerordentlich wichtig ist es, daß für den Geistes-forscher, der die Schritte in die geistige Welt lenken will, vieles von dem, was für die anderen Menschen direkt zu einem Erkennen und Ziel führt, einfach Erziehungsmittel

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wird, intimes Erziehungsmittel der Seele. Lassen Sie mich das an einem Beispiel aussprechen. Ich habe vor vielen Jahren ein Buch geschrieben: «Die Philosophie der Frei­heit». - Es ist augenblicklich nicht zu haben, weil es seit Jahren vergriffen ist, wird aber hoffentlich in zweiter Auf­lage in nächster Zeit erscheinen. - Diese «Philosophie der Freiheit» ist so gefaßt, daß sie sich doch ganz unterschei­det von anderen philosophischen Büchern der Gegenwart, welche mehr oder weniger durch das, was in ihnen steht, das Ziel haben, sozusagen etwas zu geben, wie es in der Welt ausschaut oder ausschauen soll nach den Vorstellungen der Verfasser. Das ist nicht das nächste Ziel dieses Buches, sondern es soll dem, der sich auf die Gedanken einläßt, die dort stehen, eine Art Gedankentrainierung geben, so daß die Art des Denkens, die besondere Art, sich diesen Gedanken hinzugeben, eine solche ist, welche die Empfindungen und Gefühle der Seele in Bewegung bringt - etwa wie man beim Turnen, wenn ich es damit vergleichen darf, die Glieder in Bewegung bringt. Was sonst bloß Erkenntnismittel ist, das ist in diesem Buche zugleich geistig-seelisches Selbsterzie-hungsmittel. Das ist außerordentlich wichtig. Daher kommt es bei diesem Buche - was selbstverständlich für viele Philo­sophen der Gegenwart ärgerlich ist, die mit Philosophie etwas ganz anderes verbinden als das, was den Menschen ein Stück weiterbringen kann, denn er soll womöglich so bleiben, wie das normale Erkenntnisvermögen dem Men­schen eingeboren ist -, es kommt bei diesem Buche daher nicht so sehr darauf an, ob man über das oder jenes streiten kann, ob etwas so oder so aufgefaßt werden kann, sondern darauf, daß wirklich die Gedanken, die da zu einem Or­ganismus verbunden sind, unsere Seele schulen können, sie ein Stück weiterbringen können.

So ist es auch in meinem Buche «Wahrheit und Wissenschaft».

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Und so ist es mit vielem, was zunächst Grund-elemente sein sollen, um die Seele zu trainieren, in die gei­stige Welt hinaufzukommen. Mathematik, Geometrie, sie lehren den Menschen die Kenntnis von den Dreiecken, Vierecken und anderen Figuren. Aber warum lehren sie das alles? Weil er dadurch Kenntnis bekommen soll, wie die Dinge im Raume sind, welchen Gesetzen sie unterliegen und so weiter. Mit ähnlichen Figuren als Sinnbildern arbei­tet im Grunde auch das geistige Hinaufsteigen in die höhe­ren Welten. Es legt dem Schüler zum Beispiel das Symbol des Dreieckes, des Viereckes oder andere symbolische Figu­ren vor, aber nicht, daß er durch sie unmittelbare Kennt­nisse erlangt, die kann er ja auch so erlangen, sondern daß er in ihnen die Möglichkeit erhält, seine geistigen Fähig­keiten so zu schulen, daß der Geist an dem, was sich ihm als Eindruck ergibt aus diesen Sinnbildern, hinaufsteigt in eine höhere Welt. Also um Gedankenschulung oder - miß-verstehen Sie es nicht - um Gedankenturnen handelt es sich dabei. Deshalb wird vieles von dem, was trockene äußere Wissenschaft, trockene äußere Philosophie ist, was Mathe­matik oder Geometrie ist, für die geistige Schulung leben­diges Sinnbild, das uns in die geistige Welt hinaufführt. Wenn wir dies auf unsere Seele haben wirken lassen, dann lernen wir verstehen, was im Grunde genommen keine äußere Wissenschaft versteht, daß die alten Pythagoräer unter dem Einflusse ihres großen Lehrers Pythagoras von dem Weltall als bestehend aus Zahlen gesprochen haben, weil sie die inneren Gesetzmäßigkeiten der Zahlen ins Auge faßten. Nun betrachten wir, wie uns die Zahlen in der Welt überall entgegentreten. Es ist ja nichts leichter, als Geisteswissenschaft oder Anthroposophie zu widerlegen, denn man wird leicht von einem sehr erhaben sich dünken­den Standpunkte sagen können: Da kommen diese Geisteswissenschaftler

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aus ihrem mystischen Dunkel mit der Zah­lensymbolik wieder hervor, sagen in den Zahlen liege eine innere Gesetzmäßigkeit, und daß man zum Beispiel die wahre Grundlage der menschlichen Wesenheit nach der Sie­benzahl betrachten müsse. - So etwas aber meinten auch Pythagoras und seine Schüler, wenn sie von der inneren Gesetzmäßigkeit der Zahlen sprachen. Wenn wir jene wun­derbaren Zusammenhänge, die in den Beziehungen der Zahlen liegen, auf den Geist wirken lassen, können wir ihn dadurch so trainieren, daß er aufwacht, wo er sonst schläft, und stärkere Kräfte in sich entwickelt, um hineinzudringen in die geistige Welt.

Also es ist eine Schulung durch solche andere Wissen­schaft. Das ist es auch, was man eigentlich nennt das Stu­dium desjenigen, der in die geistige Welt eindringen will. Und nach und nach wird für einen solchen alles, was für die anderen Menschen derbe Wirklichkeit ist, mehr oder weniger zum äußeren Sinnbild, zum Symbol. Wenn der Mensch imstande ist, diese Sinnbilder auf sich wirken zu lassen, so macht er dadurch nicht nur seinen Geist frei von der äußeren, physischen Welt, sondern durchdringt ihn auch mit starken Kräften, so daß sich die Seele ihrer bewußt sein kann, wenn keine äußere Anregung da ist. Ich habe schon erwähnt, daß der Mensch, wenn er ein solches Symbol, wie es das Rosenkreuz ist, auf sich wirken läßt, einen Impuls haben kann, um hinaufzusteigen in die geistige Welt. Un­ter dem Rosenkreuz stellen wir uns ein einfaches schwarzes Kreuz vor, an das sich kreisförmig am Schnittpunkt der Balken sieben rote Rosen angliedern.

Was soll es uns sagen? Derjenige läßt es richtig auf seine Seele wirken, der sich dabei vorstellt: Ich betrachte zum Beispiel eine Pflanze; ich sage von dieser Pflanze, sie ist ein unvollkommenes Wesen, - und stelle daneben einen Menschen,

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der in seiner Art ein vollkommeneres Wesen ist, aber eben nur in seiner Art. Denn betrachte ich die Pflanze, so muß ich sagen: In ihr habe ich eine materielle Wesenheit vor mir, die nicht durchdrungen ist von Leidenschaften, Trieben, Instinkten, die sie herunterführten von der Höhe, wo sie sonst stehen könnte. Die Pflanze hat die ihr ein­geborenen Gesetze, denen folgt sie vom Blatt durch die Blüte bis zur Frucht herauf; so steht sie da trieblos, keusch. Daneben lebt der Mensch, gewiß in seiner Art ein höheres Wesen, aber durchtränkt von Trieben, Instinkten, Leiden­schaften, durch die er von seiner strengen Gesetzmäßigkeit abirren kann. Er muß erst etwas in sich überwinden, wenn er ebenso seinen inneren Gesetzen folgen will, wie die Pflanze den ihr eingeborenen Gesetzen folgt. Nun kann sich der Mensch sagen: Der Ausdruck für die Triebe, In­stinkte in mir ist das rote Blut. Das kann ich in gewisser Beziehung vergleichen mit dem, was der keusche Pflanzen-saft, das Chlorophyll, in der roten Rose ist, und kann sagen:

Wenn der Mensch in sich selber so stark geworden ist, daß das rote Blut nicht mehr ein Ausdruck ist für das, was ihn unter sich herunterdrückt, sondern was ihn über sich er­hebt, - wenn es der Ausdruck eines so keuschen Wesens ist wie der zum Rot der Rose gewordene Pflanzensaft, oder mit andern Worten: Wenn das Rot der Rose die reine Innerlichkeit ausdrückt, die geläuterte Wesenheit des Men­schen in seinem Blut, so habe ich das Ideal dessen vor mir, was der Mensch durch Uberwindung der äußeren Natur erreichen kann, die sich mir darstellt unter dem Symbol des schwarzen Kreuzes, des verkohlten Holzes. Und das Rot der Rose symbolisiert das höhere Leben, das erwacht, wenn also das rote Blut zu einem keuschen Ausdruck der über sich selbst hinausgegangenen, geläuterten Trieb-Natur des Menschen geworden ist.

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Wenn man das Dargestellte nicht eine abstrakte Vor­stellung sein läßt, wird es zur lebendig empfundenen Ent-wickelungsidee. Dann lebt eine ganze Welt von Gefühlen und Empfindungen in uns auf; wir spüren in uns eine Ent­wickelung von einem unvollkommenen zu einem voll­kommeneren Zustand. Wir spüren unter Entwickelung noch etwas ganz anderes als jenes abstrakte Ding, das uns die äußere Wissenschaft im Sinne eines rein äußeren Darwinis­mus gibt. Da wird Entwickelung etwas, was tief in unser Herz schneidet, was mit Wärme, mit Seelenwärme uns durchzieht, sie wird in uns eine Kraft, die uns trägt und hält. Nur durch solche inneren Erlebnisse kann die Seele starke Kräfte in sich entwickeln, daß sie in ihrem innersten Wesen - in jenem Wesen, das sonst bewußtlos wird, wenn es sich zurückzieht von der äußeren Welt - sich durchleuch­ten kann mit Bewußtsein.

Es ist natürlich kinderleicht zu sagen: Dann empfehlt ihr ja die Vorstellung von etwas ganz Imaginärem, von etwas ganz Erdachtem. Wert hat aber doch nur das an Vorstellungen, was Abbild ist einer äußeren Vorstellung, und eine Vorstellung von dem Rosenkreuz hat doch kein äußeres Gegenbild! - Darum aber handelt es sich nicht, daß die Vorstellung, durch die wir unsere Seele schulen, ein Abbild einer äußeren Wirklichkeit ist, sondern darum, daß die Vorstellung kräfteweckend für unsere Seele ist und aus der Seele herauslockt, was verborgen in ihr schlummert. Wenn die Menschenseele einem solchen bildlichen Vorstellen hingegeben ist, wenn ihr gewissermaßen alles, was ihr sonst als Realität wert ist, Anlaß wird zu Bildern, die nicht will­kürlich aus der Phantasie herausgeholt werden, sondern so an die Realität angelehnt sind, wie jetzt das Symbol des Rosenkreuzes, dann sagen wir: Der Mensch bemüht sich, zur ersten Stufe der Erkenntnis der geistigen Welt hinaufzurücken

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. - Das ist die Stufe der imaginativen Erkenntnis> die uns hinaufführt über das, was sich unmittelbar nur mit der physischen Welt beschäftigt.

So arbeitet der Mensch, der in die geistige Welt hinauf­steigen will, in seiner Seele mit ganz bestimmten Vor­stellungen, mit einer ganz bestimmten Art, die sonst äußere Wirklichkeit auf sich wirken zu lassen. Er arbeitet in dieser Seele selber. Wenn der Mensch in dieser Weise eine Zeit­lang gearbeitet hat, steht es so, daß der äußere Wissen­schaftler ihm sagen kann: Das hat für dich nur einen subjektiven, nur einen individuellen Wert. Aber der äußere Wissenschaftler weiß nicht, daß es unter einer solchen stren­gen, gesetzmäßigen Trainierung der Seele eine Stufe inne­rer Entwickelung gibt, wo für die Seele die Möglichkeit ganz aufhört, subjektive Gefühle und Empfindungen spre­chen zu lassen, wo die Seele dort ankommt, wo sie sich sagen muß: Jetzt gehen in mir innerlich Vorstellungen auf, die mir so entgegentreten wie sonst Bäume und Felsen, Flüsse und Berge, Pflanzen und Tiere der äußeren Welt, die so real sind wie sonst nur äußere physische Dinge, und zu denen meine Subjektivität nichts hinzubringen und nichts hinwegnehmen kann.

So ist in der Tat ein Mittelzustand vorhanden für jeden, der in die geistige Welt hinauf will, wo der Mensch der Gefahr unterliegt, daß er sein Subjektives, was nur für ihn gilt, etwa hineintragen kann in die geistige Welt. Aber durch diesen Mittelzustand muß der Mensch durch, und er kommt dann an eine Stufe, wo das, was durch die Seele erlebt wird, ebenso objektiv - für jeden, der dazu die Fähigkeit hat - beweisbar wird wie alle Dinge der äußeren, physischen Wirklichkeit. Denn schließlich gilt ja für die äußere Wissenschaft der Grundsatz: Was wissenschaftlich gelten soll, muß zu jeder Zeit für jedermann beweisbar

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sein, - auch nur für den, der genügend dazu vorbereitet ist. Oder glauben Sie, daß Sie das Gesetz der «korrespondie­renden Siedetemperatur» einem achtjährigen Kinde bei­bringen können? Ich bezweifle es. Nicht einmal den pytha­goräischen Lehrsatz werden Sie ihm beibringen können. Also es ist doch schon an diesen Grundsatz gebunden, daß die menschliche Seele in entsprechender Weise vorbereitet ist, wenn man ihr irgend etwas beweisen will. Und wie man dazu vorbereitet sein muß - obwohl es für jeden Men­schen möglich ist -, den pythagoräischen Lehrsatz zu ver­stehen, so muß man durch eine bestimmte Übung seiner Seele dazu vorbereitet sein, wenn man dieses oder jenes in der geistigen Welt erfahren oder erkennen will. Dann aber ist das, was erkannt werden kann, für jeden Menschen in der gleichen Weise erfahrbar und beobachtbar, der dazu in der nötigen Weise vorbereitet ist. Oder wenn Mitteilungen gemacht werden aus den Beobachtungen der Geisteswissen­schaft von denen, die ihre Seele dazu vorbereitet haben, daß ein solcher Mensch auf wiederholte Erdenleben zurück­blicken kann, so daß diese für ihn eine Tatsache werden, dann kommen wohl die Menschen und sagen: Da bringt er uns ja wieder Dogmen und fordert, daß wir das glauben sollen! So tritt aber der Geistesforscher nicht vor die Mit­welt mit seinen Erkenntnissen, daß die Menschen es glau­ben sollen.

Wenn die Menschen meinen, es wären Dogmen, was gesagt wird, so frage man sich einmal: Ist die Tatsache, daß es einen Walfisch gibt, ein Dogma für den, der nie einen gesehen hat? Gewiß, man kann es damit erklären: es ist für den ein Dogma, der nie einen Walfisch gesehen hat. Aber nur mit Mitteilungen tritt die Geistesforschung nicht an die Welt heran. Das tut sie auch nicht, wenn sie sich selbst versteht; sondern sie kleidet das, was sie aus den

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höheren Welten herunterholt, in logische Formen, die genau dieselben logischen Formen sind, von denen auch die andern Wissenschaften durchdrungen sind. Dann kann jeder nach­prüfen durch gesunden Wahrheitssinn und unbefangene Logik, ob das stimmt, was der Geistesforscher gesagt hat. Immer ist es gesagt worden: zum Selbstaufsuchen der gei­stigen Tatsachen gehört eine Schulung der Seele, gehört, daß die Seele das durchgemacht hat, was jetzt beschrieben wird, nicht aber zum Verstehen des Mitgeteilten; dazu ge­nügt gesunder Wahrheitssinn und vorurteilslose Logik.

Wenn nun der Geistesforscher eine Zeitlang solche sym­bolischen Begriffe und Bilder auf seine Seele hat wirken lassen, so merkt er, daß sein Empfindungs- und Gefühls­leben ganz anders wird, als es vorher war.

Wie ist denn das Empfindungs- und Gefühlsleben des Menschen in der gewöhnlichen Welt? Es ist eigentlich heute schon etwas trivial geworden, überall den Ausdruck ego­istisch zu gebrauchen und zu sagen, im normalen Leben seien die Menschen egoistisch. Ich möchte es nicht so aus­drücken, sondern lieber sagen: Im normalen Leben sind die Menschen zunächst eng an die menschliche Persönlichkeit gebunden, so zum Beispiel, wenn uns irgend etwas freut, ja gerade gegenüber den Dingen, welche uns freuen, von den vornehmsten geistigen Schöpfungen, von Dingen der Kunst und der Schönheit. Das drückt ja schon das Sprich­wort «Über den Geschmack läßt sich nicht streiten» aus, daß vieles an unsere Persönlichkeit gebunden ist und daß davon abhängt, wie wir uns subjektiv zu den Dingen stel­len. Prüfen Sie, wie alles, was Ihnen Freude machen kann, damit zusammenhängt, wie Ihre Erziehung gewesen ist, an welchen Ort der Welt, in welchen Beruf Ihre Per­sönlichkeit gestellt ist und so weiter, um zu sehen, wie die Empfindungen und Gefühle eng mit unserer Persönlichkeit

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zusammenhängen. Wenn man aber solche Übungen der Seele wie die charakterisierten macht, dann merkt man, daß die Empfindungen und Gefühle ganz unpersönlich werden. Das ist ein großes und gewaltiges Erlebnis, wenn der Mo­ment eintritt, wo unser Empfindungs- und Gefühlsleben gewissermaßen unpersönlich wird. Dieser Moment kommt, er kommt sicher, wenn der Mensch im Verlaufe seines gei­stigen Weges angeregt wird durch die, welche seine geistige Führung übernehmen, namentlich folgende Dinge so recht auf seine Seele wirken zu lassen. Ich will jetzt einiges auf­zählen, was, wenn es der Mensch wochen-, monatelang auf seine Seele wirken läßt, erziehend auf unser ganzes Emp­findungs- und Gefühlsleben wirkt.

Da kann folgendes in Betracht kommen. Wenn wir un­ser Augenmerk auf das richten, was Sie in der Philosophie in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt finden, auf das geistige Zentrum des Menschen, das Ich - wenn wir gelernt haben, uns zur Ich-Vorstellung aufzuschwingen -, das alle unsere Vorstellungen begleitet, das geheimnisvolle Zentrum alles Erlebens; und wenn wir immer weiter treiben jenen Respekt, jene Achtung und Hingabe, die sich verknüpfen kann mit der Tatsache - für viele allerdings keine Tatsache, sondern eine Chimäre -: Da innen lebt ein Ich! - wenn das zum größten, zum einschlagendsten Ereignis werden kann, sich immer wieder zu sagen, daß dieses «Ich bin» das We­sentlichste der Seele des Menschen ist, dann entwickeln sich an dem « Ich bin» gewaltige, starke Gefühle, die unpersön­lich sind und gerade darauf hingehen, zu erkennen, wie gleichsam in einen Punkt - in den Ich-Punkt - zusammen­gedrängt ist alles, was uns an Weltgeheimnissen und Myste­rien umschwebt, um vom Ich-Punkt aus den Menschen zu erfassen. Über dieses Bewußtwerden des Ich erzählt zum Beispiel der Dichter Jean Paul in seiner Lebensbeschreibung:

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«Nie vergeß ich die noch keinem Menschen erzählte Er­scheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines Selbst­bewußtseins stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiß. An einem Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Haustür und sah links nach der Holziege, als auf einmal das innere Gesicht, ich bin ein Ich, wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor mich fuhr und seitdem leuch­tend stehenblieb: da hatte mein Ich zum erstenmal sich selber gesehen und auf ewig. Täuschungen des Erinnerns sind hier schwerlich gedenkbar, da kein fremdes Erzählen sich in eine bloß im verhangnen Allerheiligsten des Men­schen vorgefallne Begebenheit, deren Neuheit allein so all­täglichen Nebenumständen das Bleiben gegeben, mit Zu­sätzen mengen konnte.»

Das ist schon viel, schon mit allen Schauern der Ehrfurcht und mit aller Empfindung für die Größe dieser Tatsache die Hingabe zu spüren an das Zusammengedrängtsein des Weltwesens an einem Punkt. Aber das kann, wenn der Mensch es immer wieder und wieder empfindet und auf sich wirken läßt, so sein, daß es ihn zwar nicht über alle Wel-tenrätsel aufklärt, aber ihm noch eine ganz auf das Un­persönliche und ganz auf das innerste Menschenwesen ge­hende Richtung gibt.

So erziehen wir an der Ichheit unser Gefühls- und Emp­findungsleben. Und wenn wir es eine Zeitlang getan haben, können wir unsere Gefühle und Empfindungen in eine an­dere Richtung bringen, können uns sagen: Dieses Ich in uns ist verbunden mit allem, was wir denken, fühlen und emp­finden, mit allem unserem seelischen Leben, durchglüht und durchglänzt unser Seelenleben. Da können wir, ohne daß wir auf uns selber Rücksicht nehmen oder persönlich wer­den, die menschliche Natur mit dem Ich als dem Mittel­punkte des Denkens, Fühlens und Wollens studieren. Der

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Mensch wird uns zum Mysterium, nicht wir uns selbst. Da erweitern sich unsere Gefühle vom Ich aus über die Seele. Dann können wir zu anderem Fühlen übergehen, können uns namentlich jenes schöne Gefühl aneignen, ohne das wir unsere Seele nicht weiterführen können in die geistige Er­kenntnis, das ist das, was man nennen möchte: das Gefühl dafür, daß in jedem Ding, welches uns entgegentritt, gleich­sam der Zutritt zu einem Unendlichen sich uns eröffnet. Das ist das wunderbarste Gefühl, wenn man es immer wieder und wieder vor die Seele treten läßt. Das kann da sein, wo wir hinausgehen und ein wunderbares Naturschau­spiel sehen: die von Wolken eingehüllten Berge in Donner und Blitz. Da wirkt das groß und gewaltig auf unsere Seele. Aber dann müssen wir lernen, das Große und Ge­waltige nicht nur dort zu sehen, sondern wir nehmen viel­leicht ein einzelnes Blatt, betrachten es genau mit allen Rip­pen und allen wunderbaren Dingen, die daran sind, und können dabei ebenso das Große und Gewaltige, das sich wie ein Unendliches aus dem kleinsten Blatt enthüllt, ver­nehmen und fühlen wie bei dem größten Naturschauspiel. Sonderbar mag es erscheinen, aber es ist doch etwas daran, und man muß sich nachher grotesk ausdrücken: Es mag einen großen Eindruck machen, wenn der Mensch sieht, wie die glühende Lavamasse aus der Erde herauskommt. Dann aber denken wir uns, es sieht jemand warme Milch oder gewöhnlichsten Kaffee an, sieht da etwas wie kleine kraterförmige Gebilde und sieht da ein ähnliches Schau­spiel im Kleinen sich abspielen. Überall, im Kleinsten wie im Größten, der Zugang zu einem Unendlichen.

Und wenn wir immer weiter forschen, und wenn sich uns noch soviel enthüllt hat: es ist immer noch mehr unter der Decke, die wir vielleicht oben erforscht haben. So empfin­den wir also gerade, was sich in jedem Punkt des Weltalls

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als eine Offenbarung eines intensiv Unendlichen ergeben kann. Das füllt unsere Seele aus mit Empfindungen und Gefühlen, die uns notwendig sind, wenn wir das erlangen wollen, was Goethe «Geistesaugen», «Geistesohren» nennt. Kurz, es ist eine Auslebung unseres Gefühlslebens, das sonst das Subjektivste ist, bis zu dem Punkt, wo wir uns nur mehr fühlen als der Schauplatz, auf dem sich etwas ab­spielt, wo wir unsere Gefühle gar nicht mehr zu uns rech­nen. Unsere Persönlichkeit ist zum Schweigen gebracht. Es ist ungefähr so, wie wenn man eine Leinwand aufspannt und als Maler ein Bild darauf malt, so spannen wir unsere Seele auf, wenn wir uns so trainieren, und lassen die geistige Welt auf dieser Seele malen. Das fühlt man von einem be­stimmten Zeitpunkt ab. Man muß sich dann nur selbst ver­stehen, daß es notwendig ist zur Anerkennung dessen, was die Welt wesenhaft ist, eine gewisse Stufe des Seelenlebens einzig und allein als ausschlaggebend zu betrachten.

So wird in der Tat das, was sich der Mensch im heißen Seelenstreben erwirbt, zum Entscheiden der Wahrheit. In der Seele selber muß entschieden werden, ob etwas wahr ist oder nicht. Nicht ein Äußerhches kann entscheiden, sondern indem der Mensch über sich hinausgeht, muß er in sich die Autorität finden, um die Wahrheit zu schauen oder zu fin­den. Ja, wir können im Grunde genommen sagen: Wir kön­nen uns da doch nicht ganz von den übrigen Menschen unterscheiden. Die andern Menschen suchen nach objektiven Kriterien, nach etwas, was uns die Bestätigung der Wahr­heit von außen gibt. Der Geistesforscher aber sucht die Bestätigung der Wahrheit von innen. Also das Umgekehrte tut er. Wenn es so stünde, könnte man vielleicht zum Scheine sagen: Es steht schlimm, wenn die Geisteswissen­schaftler in ihren Verdrehtheiten die Welt auf den Kopf stellen wollen. Denn in Wahrheit tun die Naturforscher

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und Philosophen nichts anderes als die Geistesforscher, nur wissen sie nicht, daß sie es tun. Ich will Ihnen einen Beweis dafür geben, der aus der unmittelbaren Gegenwart heraus­genommen ist.

Auf der letzten Naturforscher-Versammlung hat Oswald Külpe einen Vortrag gehalten über die Beziehung der Naturwissenschaft zur Philosophie, in welchem er darauf kommt, daß der Mensch, indem er in die Sinneswelt hinaus-blickt und sie als Ton, Farbe, Wärme und so weiter emp­findet, nur subjektive Qualitäten hat. Das ist nur etwas anders gefärbt, als wenn Schopenhauer sagt: «Die Welt ist unsere Vorstellung.» Aber Oswald Külpe macht darauf aufmerksam, daß das, was wir durch unsere Sinne wahr­nehmen, kurz alles, was uns bildhaft auftritt, subjektiv sei, daß dagegen das, was die Physik und die Chemie sagen -Druck, Anziehungs- und Abstoßungskraft, Widerstand und so weiter -, sich als objektiv charakterisieren lassen müsse; so daß man es auf diese Weise zu tun habe in unsern Welt­bildern teils mit etwas rein Subjektivem, teils mit dem, was objektiv ist wie Druck, Anziehungs- und Abstoßungskraft.

Ich will mich auf die Kritik, die sich darüber geäußert hat, nicht weiter einlassen, sondern nur auf die Denkweise eingehen. Das scheint ja für den heutigen Erkenntnistheore­tiker so furchtbar leicht zu beweisen: weil wir ohne Augen nicht sehen könnten, wäre das Licht nur etwas, was durch unsere Augen bewirkt würde. Aber was in der äußeren Welt geschieht, so wird gesagt, wenn eine Kugel die an­dere stößt, was da als Kräfte, als Widerstand, Druck und so weiter wirkt, das müsse man doch in die Außenwelt ver­setzen, in den Raum. Warum meinen das die Leute? Oswald Külpe verrät sich an einer bestimmten Stelle sehr deutlich, wo er von den Sinnesempfindungen spricht. Weil er diese als Bilder ansieht, darum sagt er: Die können sich nicht

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stoßen oder anziehen, auch nicht drücken oder gegenseitig erwärmen, können auch nicht im Raume eine soundso große Entfernung haben, daß sie das Licht in der und der Ge­schwindigkeit durch den Raum schicken, können auch nicht so angeordnet sein, wie der Chemiker die Elemente an­ordnet. Warum sagt er das von den Sinnesempfindungen? Weil er die Sinnesempfindungen als Bilder ansieht, die nur durch unsere Sinne bewirkt werden.

Nun möchte ich Ihnen einen einfachen Gedanken vor­legen, der zeigt, daß die Bildartigkeit gar nichts ändert. Die Dinge stoßen sich und ziehen sich an. Wenn Herr Külpe nun aber die Sinnesempfindungen betrachtet, diese Welt, die sich nicht anziehen und nicht stoßen könnte, so tritt sie Herrn Oswald Külpe eben nicht als Wirklichkeit, sondern als Spiegelbild entgegen. Da hat er allerdings Bil­der vor sich. Aber Stoß, Druck, Widerstand und alles, was da in die Welt hineingelegt wird als sich unterscheidend von den andern, den Sinnesempfindungen, das wird auf keine andere Weise objektiv erklärt als durch die Bild-artigkeit der Sinnesempfindungen. Warum ist das so? Weil der Mensch, wenn er Druck, Stoß und so weiter empfindet, dasjenige, was in den Dingen lebt, zu den Empfindungen der Dinge macht. Der Mensch sollte studieren, wenn er zum Beispiel sagt: Die eine Billardkugel stößt die andere, daß er dabei das, was er als Stoßkraft erlebt, hineinlegt in die Dinge! Und wer auf dem Boden der Geisteswissenschaft steht, macht auch nichts anderes. Was in dem Innern der Seele lebt, das macht er zum Ausdruckskriterium der Welt. Ein anderes Erkenntnisprinzip gibt es nicht als das, was durch die Entwickelung der Seele selber gefunden werden kann. So machen also die andern dasselbe wie die Geistes-forschung. Die Geistesforschung weiß es nur. Die andern tun es unbewußt, haben keine Ahnung davon, daß sie auf

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elementarer Stufe dasselbe tun, sie bleiben nur auf der aller-ersten Stufe stehen und leugnen das, was sie selber tun. Des­halb dürfen wir sagen: Die Geisteswissenschaft steht in gar keinem Gegensatz zur übrigen Wahrheitsforschung; die an­dern Forscher tun dasselbe, nur machen sie den ersten Schritt und wissen nichts davon, während die Geistesforschung die Schritte bewußt so weit macht, als es eine bestimmte Men­schenseele nach ihrer Entwickelungstufe machen kann.

Wenn nun das erreicht ist, daß unsere Gefühle in ge­wisser Weise objektiv geworden sind, so tritt das erst recht ein, was ich auch schon angedeutet habe, was aber eine notwendige Voraussetzung beim Fortschritt in die geistigen Welten ist. Das ist, daß der Mensch begreifen lernt, so in der Welt zu leben, daß man voraussetzt, eine allumfassende geistige Gesetzmäßigkeit webt und lebt in der geistigen Welt. Im gewöhnlichen Leben ist der Mensch von einer solchen Denkweise weit entfernt. Er erbost sich, wenn ihm irgend etwas passiert, was ihm nicht paßt. Das ist ganz begreiflich, denn ein anderer Standpunkt muß schwer er­rungen werden. Dieser andere Standpunkt besteht darin, zu sagen: Wir kommen aus einem früheren Leben her, haben uns in die Lagen, in denen wir jetzt sind, selber ver­setzt, haben uns hingeführt zu dem, was uns aus dem Schoße der Zukunft entgegentritt. Was uns da entgegen­tritt, das entspricht einer streng objektiven geistigen Ge­setzmäßigkeit. Wir nehmen sie hin, denn es wäre ein Un­ding, sie nicht hinzunehmen. Was da aus dem Schoße der geistigen Welten an uns herantritt, ob uns die Welt tadelt oder lobt, ob uns Freudvolles oder Leidvolles erscheint:

wir nehmen es hin als weisheitvolles Durchleben und Durchweben der Welt. Das ist etwas, was wieder langsam und allmählich zum ganzen Grundsatz unseres Wesens werden muß. Wenn es das wird, fängt unser Wille an ge­- schult

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zu sein. Während vorher unsere Gefühle umorgani­siert werden sollen, wird jetzt unser Wille umorganisiert, wird unabhängig von unserer Persönlichkeit und dadurch zu einem Organ, um geistige Tatsachen wahrzunehmen.

Dann tritt für den Menschen nach der Stufe der imagi­nativen Erkenntnis das ein, was im wahren und echten Sinne die Inspiration, die Erfüllung durch geistige Tat­sachen genannt werden kann. Darüber müssen wir uns aber immer wieder klar sein, daß der Mensch die Trainierung des Willens nur auf einer bestimmten Stufe erreichen kann, wenn seine Gefühle in einer gewissen Beziehung schon ge­läutert sind, daß sich sein Wille mit der Gesetzlichkeit der Welt verbinden kann und er als Mensch nur noch da ist, damit diejenigen Tatsachen und Wesenheiten, die ihm er­scheinen wollen, ihm in seinem Willen eine Wand vor­halten, auf der sie sich ihm abbilden können, so daß sie für ihn dasein können.

Ich habe Ihnen nur einiges von dem schildern können, was die Seele in stiller, geduldiger Hingabe durchmachen muß, wenn sie hinaufsteigen will in die höheren Welten. In den folgenden Vorträgen werde ich Ihnen vieles aus der weltgeschichtlichen Entwickelung zu schildern haben, was die Seele durchmachen muß, um in die geistigen Welten hinaufzudringen. Sehen Sie also das, was heute gesagt wor­den ist, nur als eine Einleitung an, daß sich durch eine solche Schulung unser Gefühls- und Willensleben und unser ganzes Vorstellungsleben so entwickeln, daß sie zu Trägern neuer Welten werden, so daß wir tatsächlich in eine Welt eintreten, die wir ebenso als eine Realität erkennen, wie wir die physische Welt in ihrer Art als eine Realität er­kennen. Ich habe schon bei anderer Gelegenheit erwähnt:

Wenn die Menschen sagen: Du bildest dir das, was du zu sehen glaubst, doch nur ein, so muß erwidert werden, daß

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nur die Erfahrung, die Beobachtung den Unterschied zwi­schen Wirklichkeit und Schein, ergeben kann, zwischen Realität und Phantastik, gerade wie in der physischen Welt auch. Da muß man an der Realität den Unterschied ge­winnen. Wer zum Beispiel mit gesundem Denken an die Wirklichkeit herantritt, weiß ein glühendes Stück Eisen in der Wirklichkeit zu unterscheiden von einem solchen, das nur in der Vorstellung besteht, und es mögen noch soviele Schopenhauerianer kommen: er wird die beiden voneinan­der schon unterscheiden können, - was Wahrheit ist und was Vorstellung ist. An der Realität also kann sich der Mensch orientieren. So kann er auch nur an der Realität sich über die geistige Welt orientieren. Es hat einmal je­mand gesagt, daß der Mensch, wenn er nur daran denke, Limonade zu trinken, auch den Limonadengeschmack auf der Zunge empfinde. Ich habe ihm darauf erwidert: So stark kann die Einbildung sein, daß jemand, der gar keine Limonade vor sich hat, vielleicht bei der lebhaften Vor­stellung einer Limonade auch den Geschmack auf der Zunge empfindet, aber ich möchte einmal sehen, ob sich schon ein­mal jemand mit einer nur vorgestellten Limonade den Durst gelöscht hat. Da beginnt dann das Kriterium realer zu werden. Und so ist es auch mit einer inneren Entwicke­lung des Menschen, daß der Mensch nicht nur ein neues Seelenleben, neue Vorstellungen kennenlernt, sondern in seiner Seele mit einer andern Welt zusammenstößt und weiß: Du stehst jetzt vor einer Welt, die du ebenso schil­dern kannst, wie du die äußere Welt schildern kannst. -Das ist nicht ein bloßes Spekulieren, was sich nur mit einer Gedankenentwickelung vergleichen ließe, sondern das ist ein Heranbilden neuer Sinnesorgane und ein Erschließen neuer Welten, die wahrhaftig ebenso real vor uns stehen wie unsere äußere, physische Welt.

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Was heute angedeutet worden ist, ist der durch unsere Zeitverhältnisse notwendige Hinweis darauf, daß eine gei­stige Forschung möglich ist. Es ist nicht deshalb gesagt, daß jeder gleich ein Geistesforscher werden müsse. Denn es muß ja immer betont werden: Wenn ein Mensch mit gesundem Wahrheitssinn und vorurteilsfreier Logik die Mitteilungen der Geisteswissenschaft an sich herankommen läßt, auch wenn er nicht selbst in die geistigen Welten hineinschauen kann, so kann doch alles, was aus solchen Mitteilungen kommt, zu Energie und Kraftgefühlen für die Seele wer-den, auch wenn er zunächst an einen Haeckelismus oder Darwinismus glaubt. Was der Geistesforscher zu sagen hat, das ist geeignet, immer mehr und mehr zu dem gesunden Wahrheitssinn der Menschen zu sprechen, um so mehr als es zusammenhängt mit den tiefsten Interessen eines jeden Menschen. Mag es Menschen geben, die es nicht für ihr Seelenheil notwendig halten, zu wissen, wie Amphibien und Säugetiere zueinander stehen oder dergleichen. Das aber muß alle Menschen erwärmen, was aus der auf siche­rer Grundlage ruhenden Geistesforschung gesagt werden kann: daß die Seele - insofern sie der geistigen Welt an-gehört, heruntersteigend durch die Geburt ins sinnliche Dasein und durch die Pforte des Todes wieder in das gei­stige Reich eintretend - der Sphäre der Ewigkeit angehört. Das muß für alle Menschen von tiefstem Interesse sein, was sich ihnen immer mehr und mehr in die Seele hinein-senkt an Kraft, die so ist, daß die Seele daraus Sicherheit gewinnt, um an ihrem Platze im Leben zu stehen. Eine Seele, die nicht Bescheid weiß über das, was sie ist und will, was sie ihrer Wesenheit nach bedeutet, kann trostlos wer­den, kann endlich verzweifeln und sich öde und leer fühlen. Eine Seele aber, die sich mit den geistigen Errungenschaften der Geisteswissenschaft erfüllt, kann nicht leer und öde

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bleiben, wenn sie die Mitteilungen der Geistesforschung nur nicht wie Dogmen aufnehmen wird, sondern als leben­diges Leben, das unsere Seele wärmend durchströmt. Das gibt Trost für alles Leid im Leben, wenn wir hinaufgeführt werden von allen zeitlichen Leiden zu dem, was der Seele an Trost werden kann von dem Anteil des Zeitlichen an dem Ewigen. Kurz: die Geisteswissenschaft kann dem Men­schen das geben, was er heute braucht wegen der gesteiger­ten Zeitverhältnisse in den einsamsten und in den arbeits-reichsten Stunden seines Lebens, - oder wenn ihn die Kraft verlassen wollte, was er braucht, um in die Zukunft hinein-zusehen und kraftvoll dieser Zukunft entgegenzugehen.

So kann die Geisteswissenschaft, wie sie von der Geistes-forschung, von denjenigen ausgeht, welche die Schritte in die geistige Welt tun wollen, immerdar bekräftigen, was wir in wenige Worte zusammenfassen wollen, welche die Charakteristik des Weges in die geistige Welt und seine Bedeutung für die Menschen der Gegenwart darin empfin­dungsgemäß ausdrücken. Was wir so zusammenfassen wollen, soll nicht eine Betrachtung über Theorien des Le­bens sein, sondern eine Betrachtung über Heilmittel, über Kraftmittel, über Stärkungsmittel des Lebens:

Die Geisterwelt - sie bleibet dir verschlossen,

Erkennst du in dir selber nicht

Den Geist, der in der Seele leuchtet

Und tragend Licht dir werden kann

In Weltentiefen, auf Weltenhöhen!

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ANLAGE, BEGABUNG UND ERZIEHUNG DES MENSCHEN Berlin, 12. Januar 1911

Wenn wir den Blick auf das richten, was sich wie eine Art Leitmotiv durch die bisherigen Vorträge dieses Winterzyklus' gezogen hat, wenn wir auf jenes im Menschen lebende Wesenhafte sehen, das wir nicht nur einmal zwi­schen Geburt und Tod beobachten, sondern das wir als in wiederholten Erdenleben daseiend voraussetzen, so wird uns die Frage nach dem, was der Entwickelung eines Men­schen in seinem einen Leben, in einer Erdenverkörperung zugrunde liegt, als eine ganz wesentliche insbesondere in unserer Gegenwart erscheinen. Denn der Mensch der Gegen­wart steht gewiß fragend und forschend dem eigentüm­lichen In-die-Erscheinung-Treten von Anlage, Begabung und Erziehung des Menschen gegenüber. Da er aber wenig geneigt ist, den Blick von dem abzuwenden, was uns da erscheint als sich in einem Leben ausgestaltend, und auf den eigentlichen Erbauer, den eigentlichen Schöpfer im Men­schen diesen Blick hinzurichten, so werden schon die Fragen dieses Gegenwartsmenschen leicht den Charakter der Halb­heit, der Unbestimmtheit in sich tragen. Setzt man nämlich voraus, daß es etwas in der menschlichen Natur gibt, was sich wie das eigentliche innerlich Belebende durch viele Leben hindurchzieht, dann wird einem erst das ganz Rätsel­hafte, ganz Fragenswerte dieses Menschenwesens entgegen­treten. Und man wird die Fragen nach Anlagen, nach der Begabung und Erziehung in einem neuen Lichte betrachten

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wollen, in einem ganz andern Lichte, als sie betrachtet wer­den können, wenn man bloß im Auge hat, was die Gegen­wart so häufig betont: die Vererbung, die von den Vorfahren vererbten Eigenschaften. Nicht als ob die Geisteswissenschaft den Blick von demjenigen abwenden wollte, was in solchen vererbten Anlagen sich ausspricht, als ob sie die sorgfältigen Beobachtungen alles dessen, was die äußeren Sinne und der auf sie gerichtete Verstand sagen können, außer acht ließe; aber die Geisteswissenschaft weiß, daß dies alles sich zu dem eigentlich Wesenhaften des Menschen wie etwas verhält, was von diesem letzteren so benutzt wird, in sich aufgenom­men wird, wie die äußere Materie im physischen Leben auf­genommen wird von dem kleinen Keim eines Lebewesens, der seine Form aus sich selbst heraus bestimmt, aber das­jenige, was ihm möglich machen soll, diese Form im äußeren Leben darzuleben - das Substantielle, das Materielle -, aus seiner Umgebung sich aneignet. So werden wir im großen und ganzen in der Art, wie sich ein Mensch darlebt, einen Zusammenfluß dessen zu erkennen haben, was mit seiner Geburt ins Dasein tritt, und desjenigen, in welches das Wesenhafte und Individuelle des Menschen hineingebettet wird und woraus es seine geistig-seelische Nahrung zieht.

Wenn wir zum Beispiel als Erzieher mit Aufgaben einer Menschenseele, die ins Dasein tritt, die von Stunde zu Stunde, von Woche zu Woche immer mehr und mehr von ihren inne­ren Fähigkeiten ausprägt, wenn wir einem heranwachsen­den Menschen gegenüberstehen wie einem heiligen Rätsel, das wir zu lösen haben, das von der Unendlichkeit her zu uns gekommen ist, damit wir ihm die Möglichkeiten geben, sich zu entfalten und zu entwickeln, dann wird sich für alles, was menschliche Verhältnisse im Dasein sind, eine ganze Summe von neuen Aufgaben, neuen Anschauungen, neuen Möglichkeiten überhaupt ergeben. Wir sehen also

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einen Menschen mit der Geburt ins Dasein treten und setzen voraus, daß er in einer gewissen Weise das Kernhafte seines Wesens durch seine Geburt ins Dasein hereinbringt. Auch die äußere Wissenschaft zeigt uns, wenn wir nicht auf Schlagworte und Theorien, sondern auf Tatsachen sehen, wie dieser geistig-seelische Wesenskern des Menschen auch noch nach der Geburt am Kinde arbeitet, wie das, was uns als körperhafte Organisation entgegentritt, sich verändert, plastisch unter dem Einfluß des Geistig-Seelischen gebildet wird. Auch die äußere Wissenschaft kann uns zum Beispiel zeigen, wie das, worin wir zunächst das Werkzeug für äußere Tätigkeiten zu sehen haben, wie das Gehirn eine noch unbestimmte, durchaus noch plastisch bildsame Materie beim Menschen ist, wenn er durch die Geburt ins Dasein tritt, und wie dann das, was er sich aus dem Geistesschatze seiner Umgebung aufzunehmen bemüht, formend und bil­dend wie ein Künstler auf die plastische Masse unseres Ge­hirns eindringt und sie bearbeitet. Wenn wir die Voraus­setzung machen - was ja eine Tatsache ist und in anderen Zusammenhängen öfter erwähnt wurde -, daß der Mensch, wenn er nach der Geburt hilflos auf eine einsame Insel hinausversetzt würde, die Fähigkeit der Sprache nicht er­ringen kann, so müssen wir sagen: Der geistig-seelische In­halt, der in die Sprache gekleidet an uns von der Geburt an herantritt, ist nicht etwas, was aus dem Inneren des Men­schen herausdringt, was bloß in seiner Anlage haftet, was der Mensch sozusagen ohne die Einflüsse seiner geistig-seeli­schen Umgebung erhält, wie er etwa seine zweiten Zähne um das siebente Jahr herum durch die innere Veranlagung erhält, sondern die Sprache ist etwas, was an dem Menschen arbeitet. Sie ist wirklich wie ein Plastiker, der gleichsam das Gehirn formt. Wir können diese Formung des Gehirns in den ersten Zeiten, ja Jahre hindurch, auch äußerlich wissenschaftlich

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wohl verfolgen. Wenn dann anatomisch, phy­siologisch nachgewiesen wird: die Sprachfähigkeit des Men­schen, das Gedächtnis für gewisse Sprachvorstellungen sei an dieses oder jenes Organ gebunden, jedes Wort sei gleich­sam aufgehoben wie ein Buch in der Bibliothek, so dürfen wir auf der anderen Seite fragen: Was hat das Gehirn erst dazu geformt? Und wir können antworten: Dasjenige, was als Geistig-Seelisches in dem Sprachschatz der Umgebung des Menschen da war.

Das zeigt uns, daß wir beim Menschen in bezug auf seine ganze Seelenentwickelung alles, was er in seinen Gedanken, Vorstellungen und Empfindungen erlebt - auch in seinen Willensimpulsen und Gefühlen, was sozusagen bloß inner­lichesErlebenbleibt-, von etwas anderemunterscheidenmüs­sen, was so innerliches Erleben bleibt, daß es eingreift in die äußere physische Organisation, dieselbe plastisch gestaltet und erst zum Werkzeuge macht für zukünftige Geistesfähig­keiten oder zukünftiges geistig-seelisches Leben. Das können wir ganz anschaulich am besten sehen, wenn wir eine Fähig­keit des Menschen durch sein Leben hindurch verfolgen, die ganz verschiedene Seiten zeigt, obwohl diese verschiedenen Seiten von der äußeren Seelenwissenschaft mehrfach zusam­mengeworfen wurden: wenn wir unser Gedächtnis ver­folgen.

Wenn wir uns etwas durch das Gedächtnis aneignen, wenn wir memorieren, so eignen wir uns dies durch die Mittel an, von denen eines der hauptsächlichsten die Wie­derholung ist. Wir haben es dann zu unserem Eigentum gemacht, können es von uns geben. Nun kennt jeder eine mißliche Sache: das Vergessen. Denn die Dinge vergessen sich wieder, schwinden so aus unserem Gedächtnis, daß wir nicht wieder imstande sind, sie in einer späteren Zeit zu reproduzieren. Oder können Sie sich nicht erinnern, wieviel

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Sie in Ihrer Jugend haben auswendig lernen und hersagen müssen, und wieviel Sie jetzt davon nicht mehr auswendig hersagen können? Aber schwindet denn wirklich alles, was wir gedächtnismäßig aufgenommen haben?

Wir wollen jetzt nur das betrachten, wovon der Mensch später sagt: ich habe es vergessen, - was er also nicht mehr heraufholen kann, so daß er es reproduzieren kann. Ist es gar nicht mehr da? Es ist auf eine ähnliche Weise da wie etwas, was wir auch schon erwähnt haben, was im normalen Menschenleben immer vergessen wird: wie die wunder­baren, reichen ersten Erlebnisse der Kindheitsjahre vergessen werden. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt erinnern wir uns im normalen Menschenleben nur zurück. Vor diesem Zeit­punkt aber haben wir unendlich viele Eindrücke gehabt. Wer würde das nicht zugeben, wenn er wirklich unbefangen die Entwickelung eines Kindes in den ersten Lebensjahren beachtet. Aber es ist in dem Sinne vergessen, wie wir ge­wöhnlich von vergessen sprechen. Ist es aber gar nicht da? Spielt es gar keine Rolle mehr in der Menschenseele? Ja, es spielt eine bedeutende Rolle in der Menschenseele. Denn wie die ersten Kindheitseindrücke sind, ob wir Freudiges oder Trauriges erleben, Liebe oder Gleichgültigkeit, diese oder jene äußeren Eindrücke, davon hängt unendlich mehr, als der Mensch im späteren Leben vermag, von der Gesamt-stimmung und der gesamten Verfassung seiner Seele ab, als man gewöhnlich annimmt. Wichtiger ist es, was man in den ersten Jahren vergessen hat, was uns formt und bildet im Seelenwesen, als gewöhnlich zugestanden wird. So ist es auch mit dem, was wir später lernen, wir vergessen es dem Wortlaut, dem Gedanken nach, aber es bleibt in uns als eine gewissen Seelenstimmung zurück. Wenn zum Beispiel ein Mensch in einem gewissen Alter Balladen gelernt hat oder andere Dichtungen von großen Helden mit ganz bestimmten

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Aufgaben, ganz bestimmten Eigenschaften, so mag er die Gedanken, die Begebenheiten und so weiter vergessen, so daß er sie nicht wieder reproduzieren kann; zurück bleibt aber, was er gelernt hat, im Gefüge seines eigenen Charak­ters vielleicht als Seelenstärke, als eine Art, sich zum Leben zu stellen und Lust und Leid an sich herankommen zu lassen. Zu Stimmungen, Gefühlswerten, ja zu Willensimpulsen, zu dem, was mehr oder weniger nicht bewußt in unserem Seelenleben ruht, was aber in uns schafft und formt, wird das, was wir vergessen. Nur manchmal zeigt es sich durch ganz bestimmte Vorgänge im späteren Leben, daß ein so Vergessenes doch nicht ganz vergessen ist, daß sich der Mensch, wenn man nämlich die gehörigen Anstalten trifft und ihm etwas Verwandtes vor die Seele bringt, dann doch an etwas Vergessenes erinnert, so daß man nachweisen kann, daß sich nur etwas wie eine Decke in unterbewußten Schichten seines Seelenlebens darübergeschoben hat, daß es aber doch in ihm vorhanden ist. So sehen wir förmlich, wie das, was wir vergessen, was uns aus dem Gedächtnis schwin­det, bildend und gestaltend an unserer Seele schafft und sich dann an unserer Stimmung Lust und Leid gegenüber zeigt, an unserm Mut, an unserer Tapferkeit oder Feigheit oft­mals, oder auch an unserer Furcht und Angst dem Leben gegenüber. Was wir so gleichsam aus dem Gedächtnisschatze in das Unterbewußtere heruntersinken sehen, wird dann schöpferisch an unserer Seele selber. Wir sind es im Grunde genommen selbst, was die Dinge, die wir vergessen haben, aus uns gemacht haben. Denn was ist der Mensch im Kon­kreten anderes, als die Art, wie er sich freuen, tapfer sein kann und so weiter! Wenn wir den Menschen nicht abstrakt, sondern ganz konkret ins Auge fassen, müssen wir sagen:

Er ist das harmonische Ineinanderweben und Ineinander-spielen seiner Eigenschaften, so daß der Mensch selber von

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dem bedingt wird, was in tiefere Schichten seines Bewußt­seins herunterfließt. Das sehen wir während des Lebens.

Aus allem, was bisher berücksichtigt wurde und was noch angeführt werden soll, kann hervorgehen, daß dasjenige, was so geistig-seelisch in tiefere Schichten sinkt, dann noch tiefer sinkt, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes schreitet. Denn jedesmal, wenn der Mensch durch das, was er aufnimmt, an seiner äußeren physischen Organisation formen will im Leben, findet er in diesem Leben schon eine bestimmte Organisation vor. Die ist so oder so beschaffen, mit diesen oder jenen Anlagen kommt er ins Leben herein. Dagegen muß anstürmen, was in unserer Seele schöpferisch ist. Nehmen wir an, durch das, was wir in uns aufnehmen, könnte eine Eigenschaft der Tapferkeit in uns herangebildet werden. Wenn wir aber eine Organisation haben, die sich mehr zum Hasenfuß als zum tapferen Menschen eignet, so müssen wir mehr oder weniger gegen etwas anstürmen, was wir im Leben von unserer Organisation haben. Und wenn wir die Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durchmachen, so liegt das Wesentliche dieser menschlichen Entwickelung darin, daß wir uns das Urbild, die Urgestalt unseres neuen physischen Leibes, unserer neuen physischen Erdenorganisation vorbilden. Da haben wir keine solchen Grenzen und Widerstände, wie sie sich unserer Organisation im Leben zwischen Geburt und Tod darbieten, da bauen wir plastisch mit dem, was wir uns im Leben erworben haben, die Grundlage, die Grundkräfte für eine neue Kör­perlichkeit innerhalb weiterer Grenzen auf, als es zwischen Geburt und Tod der Fall ist. Daher dürfen wir sagen: Was so an vergessenen Vorstellungen während des Lebens zwi­schen Geburt und Tod nur an unserer Seele arbeitet, das arbeitet, wenn wir durch die Pforte des Todes schreiten, bis zur Zeit der Wiederverkörperung an der Gestaltung unserer

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nächsten Organisation, arbeitet sich selbst in das hinein, was mit unserer neuen Leibesorganisation zusammenhängt; so daß wir durch die Geburt mit solchen Anlagen zum neuen Dasein schreiten, die in noch tiefere Schichten unseres Wesens heruntergehen als die vergessenen Vorstellungen im Leben zwischen Geburt und Tod.

Aus alledem wird es durchaus verständlich sein, daß der Mensch, weil er aus dem Leben, aus der unmittelbaren Um­gebung die Ursachen zur Organisation einer neuen Körper­lichkeit hergeholt hat, in der Tat auch dieselben Bedin­gungen in einer gewissen Weise wieder braucht. Anders ist es beim Tier, das seine Organisation, wie wir aus den Betrachtungen über «Menschenseele und Tierseele» und «Menschengeist und Tiergeist» gesehen haben in der Ver­erbungslinie bestimmt hat. Da tritt das Tier mit den ganz bestimmten, plastisch sich gestalten wollenden Tenden­zen auf, weil die Tendenzen nicht aus der Umgebung des Tieres genommen sind. Bedenken wir, wie wenig das Tier durch die Erziehung, durch die Dressur sich aus der äuße­ren Welt aneignet, hereinnimmt, wie wenig es daher einen Schauplatz braucht, der in der äußeren Welt liegt, um das wieder herauszubringen, was an Bildungsprinzipien herein­genommen ist. Der Mensch aber braucht einen solchen Schauplatz. Daher tritt er ungeschickt in die Welt, tritt so in die Welt, daß wir auch da nur wieder die letzte Hand anzulegen haben an die feinere Ausgestaltung seiner Or­ganisation. Daher das Leben und Weben der Individualität des Menschen, seiner eigentlichen Grundwesenheit, in den ersten Jahren seines Daseins! Daher tritt plastisch bestimm­bar, formbar sein Geistesorgan, das Gehirn, ins Dasein, und wird daher im Grunde genommen erst nach der Geburt mit den letzten entscheidenden Bahnen, Linien und Rich­tungen versehen, wie sich die Anlagen ausleben sollen.

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Daraus sehen wir, wie das, worauf es in der Entwickelung ankommt, als ein von früheren Dasein sstufen Herüberkom­mendes zu betrachten ist, und daß es daher weniger darauf ankommen wird, bestimmte, eigensinnige Erziehungsprin­zipien zu haben, als darauf, jedes einzelne Menschenwesen, jede Individualität als ein Problem, als ein heiliges Rätsel zu betrachten, das zu lösen ist, und daß es an uns ist, die Gelegenheiten herbeizuschaffen, damit dieses Rätsel in der möglichst besten Weise gelöst werden kann. Unbequem ist eine Erziehung, die überhaupt keine festen Grundsätze auf­stellen kann, sondern die an ein dem Künstlerischen ver­wandtes Prinzip in dem Erzieher appellieren muß, um zu beobachten, was da aus der Wesenhaftigkeit des Menschen herauskommt, unbequemer ist es, als wenn man reglement-mäßig sagt: so oder so sind diese oder jene Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen. Aber nur dann stehen wir mit der rechten Gesinnung dem heranwachsenden Menschen gegenüber, wenn wir ihn in jedem einzelnen Falle als eine Individuahtät, als etwas Besonderes für sich betrachten. Wenn man allerdings die Dinge durchaus trivial nehmen will - manche Leute haben schon einmal die Begabung, alles trivial zu nehmen -, kann man ja sagen: Individualität zeigt sich nicht nur beim Menschen, sondern auch bei einem jeglichen Tier. Gewiß zeigt sie sich. Das wird aber auch keiner leugnen, der aus den Grundlagen der Geisteswissen­schaft heraus spricht. Ich habe oft gesagt: wenn man in die­sem Sinne von Individualität spricht, muß man genauer darauf eingehen, muß sich bewußt sein, daß, wenn man die Sachen trivial nehmen will, man auch von der Biographie und der Individualität der Schreibfeder sprechen kann. Ich kannte einen Mann, der - weil zu seiner Zeit noch die Schreibfedern aus Gänsekielen geschnitten wurden - schon unterscheiden konnte zwischen den Schreibfedern, denn da

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sich jeder seine Feder selbst zurechtschnitt, so bekam sie immer ein persönliches Verhältnis zu ihm, und da der Be­treffende eine ausgezeichnete Phantasie hatte, so hätte er sehr wohl eine Biographie jeder einzelnen Schreibfeder mit allen Einzelheiten schreiben können. Beim Menschen aber handelt es sich nicht darum, den Maßstab der Trivialität anzulegen, sondern den Maßstab, der aus den Tiefen der Erkenntnis herausgeholt ist.

Nun können wir - da sich gerade durch solche Betrach­tungen die Art und Weise herausstellt, wie der Mensch, seine eigentliche Wesenheit formend und gestaltend, seine Außerlichkeit, seine äußere Organisation plastisch bildet und darin seine eigentliche Wesenheit darlebt - an diesem Dar-leben wieder sehen, wie es in den ersten Jahren geschieht und sich mit der Entwickelung des Menschen umbildet, umgestal­tet und, was es aus der Umgebung aufnehmen kann, be­nützt. Da finden wir in den ersten Lebensjahren des Men­schen von ganz besonderer Wichtigkeit, daß wir ihm sozusagen seine Fähigkeiten erhalten, plastisch, bildsam einzugreifen in seine körperliche oder leiblich-seehsche Or­ganisation, und daß wir ihm nicht die Möglichkeit, plastisch einzugreifen, versperren. Am meisten versperren wir einem Menschen diese Möglichkeit, wenn wir ihn zu früh mit Be­griffen und Ideen vollpfropfen, die sich nur auf eine äußere Sinnlichkeit beziehen und welche die strengsten Konturen haben, oder wenn wir ihn auf eine Tätigkeit festnageln, die theoretisch in ganz bestimmte Formen eingeschnürt ist. Da ist keine Variabilität, keine Modifikation, auch keine Mög­lichkeit, die geistig-seelischen Fähigkeiten herauszubilden, wie sich die Seele von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde betätigt. Nehmen wir an, ein Vater wäre ein furchtbar eigensinniger Mensch, der sich zum Prinzip gemacht hat:

Mein Junge muß so werden, wie ich war! Ich habe mein

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ganzes Leben hindurch die Schuhe so gemacht für meine Kundschaft, und so muß mein Junge seine Schuhe auch machen! Wie ich denke, so muß mein Junge auch denken! -Da wird in die Umgebung dieses Jungen ein geistig-seeli­sches Gefüge gebracht, das so an seiner geistig-seelischen Organisation arbeitet, wie am Vater gearbeitet worden ist, und der Junge wird dadurch in ganz bestimmte Formen hineingezwängt, während es sich darum handeln sollte, die Individualität, die ins Dasein tritt, zu erforschen, um nach der daraus gewonnenen Erkenntnis die geistig-seelische Or­ganisation zu formen.

Der Erzieher-Instinkt der Menschheit hat schon durch das allgemeine Bewußtsein ein wunderbares Mittel geschaf­fen, wodurch der Mensch in den ersten Jahren in die Mög­lichkeit versetzt wird, an dem Veränderlichen, Modifizier­baren, Beweglichen des Geistig-Seelischen zu arbeiten, so daß freier Spielraum für die Ausgestaltung des Menschen-wesens gelassen wird. Das ist das Spiel. Das ist auch die Art und Weise, wie wir ein Kind am besten beschäftigen, daß wir ihm nicht Begriffe geben, die in feste Konturen ge­schnürt sind, sondern solche, die dem Gedanken Spielraum lassen, so daß er da oder dorthin abirren kann. Nur dann findet man den Lauf des Gedankens, der vorbestimmt ist durch die innere Anlage. Erzähle ich ein Märchen, so daß es die geistige Tätigkeit des Kindes anregt, daß nicht sich Begriffe in bestimmten Konturen ausbilden, sondern daß es die Konturen der Begriffe beweglich läßt, dann arbeitet das Kind so, wie jemand arbeitet, der probiert und durch das Probieren das Rechte herauszubekommen sucht. Das Kind arbeitet, um herauszubekommen, wie seine Geistigkeit sich bewegen muß, damit es in der besten Weise seine Organi­sation herausgestaltet, wie sie innerlich vorgebildet ist. Und so ist es beim Spiel. Das Spiel unterscheidet sich von der in

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feste Formen geprägten Tätigkeit dadurch, daß man in einem gewissen Grade doch machen kann, was man will, wenn man spielt, daß man nicht von vornherein scharfe Konturen in den Gedanken und Beweglichkeiten der Or­gane hat. Dadurch wird wieder in einer freien, bestimm­baren Weise auf die geistig-seelische Organisation des Men­schen zurückgewirkt. Spiel und die eben charakterisierte geistig-seelische Betätigung für das Kind in den ersten Jahren entspringen einem tiefen Bewußtsein dessen, was die Natur und Wesenheit des Menschen eigentlich ist. Wer ein wirklicher Erzieher werden will, wird auch für die späteren Jahre durchaus das Bewußtsein haben, daß in der Tat jede einzelne Fähigkeit sozusagen zuerst studiert, er­kannt, bestimmt werden will an dem sich herausentwickeln-den Menschen. Aber es gibt doch die Möglichkeit, gewisse große Grundsätze zu beobachten. Solche Grundsätze führen uns dann erst auf die Art, wie der Wesenskern des Men­schen, der von Geburt zu Geburt geht, sozusagen das Äußere verwendet, das in der Vererbungslinie liegt.

Da ist es von höchstem Interesse, den Blick hinzulenken auf die Art, wie der geistig-seelischeWesenskern des Menschen in ganz verschiedener Weise die Merkmale, die Eigenschaf­ten, Tugenden und so weiter von Vater und Mutter, von den väterlichen und mütterlichen Vorfahren benützt, um ein Neues aufzubauen. Und in der Tat: nicht in gleicher Weise werden die väterlichen und mütterlichen Eigenschaf­ten von dem individuellen Wesenskern des Menschen be­nützt, sondern da liegt ein ganz bestimmtes Gesetz zu­grunde. Gerade dieses Gesetz ist unendlich lehrreich. Wenn wir versuchen, es in seiner Vollständigkeit zu fassen, um es zu durchschauen, so müssen wir darauf sehen, wie in der menschlichen Seele zweierlei sich geltend macht. Das eine ist die Intellektualität, zu der wir jetzt auch die Fähigkeit

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rechnen wollen, in Bildern, in Vorstellungen schneller oder langsamer, gescheiter oder dümmer zu denken. Das andere ist die allgemeine Richtung des Willens und Gefühles, der Affekte, das Interesse, das wir an unserer Umgebung neh­men. Die ganze Art und Weise, wie wir imstande sind, etwas zu leisten, hängt davon ab, ob wir einen beweglichen oder einen langsamen, einen stumpfen oder einen in die Dinge dringenden Geist haben, ob wir scharfsinnig sind oder nicht. Was der Mensch den Mitmenschen leisten kann und wie wir das leisten, hängt davon ab, ob wir im rechten Sinne unsere Interessen mit dem zu verbinden verstehen, was in unserer Umgebung vorgeht. Manche Menschen haben gute Vorbedingungen, aber sie haben an den Mitmenschen und an der Umwelt wenig Interesse. Da liegt die Tatsache vor, daß das Interesse nicht die Fähigkeiten herauslockt. Daher ist es nötig, daß das Interesse in uns ebenso beachtet werde wie das, ob uns die Beweglichkeit unserer Intellek­tualität gestattet, dieses oder jenes für unsere Mitwelt zu leisten.

Für die ganze Art des Interesses nun, womit wir auch verbunden denken können die Art und Weise, wie die Be­gierden des Menschen, wie die äußere Handhabung des ganzen Lebens sich gestaltet, wie der Mensch geschickt oder ungeschickt sich entwickelt, kurz, die ganze Art und Weise des seelischen Lebens, die mit unserem Umgang mit der Außenwelt, mit unserem größeren oder geringeren Inter­esse und mit unserer Geschicklichkeit für die Außenwelt zusammenhängt - dafür entnimmt der Mensch die wichtig­sten Elemente in der Erbschaft von dem Vater, so daß die Interessen und was aus den Interessen uns geschickt, fähig macht, unsere Organe, unseren ganzen Menschen zu gebrau­chen, in der Regel Erbgut vom Vater ist. Die Seele nimmt also vom Vater die entsprechenden Elemente, damit sie jene

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Eigenschaften in sich ausbilden kann. Was dagegen intellek­welle Beweglichkeit ist, womit dann auch Phantasietätig­keit, bildhaftes Vorstellen, Erfindergabe verbunden ist, nimmt unsere durch die Geburt ins Dasein tretende Indi­vidualität als Erbstück von den mütterlichen Eigenschaften. Sie finden schon bei Schopenhauer in einer gewissen Weise dieses außerordentlich interessante Kapitel etwas angedeu­tet; er hatte eine Ahnung davon, war aber nicht in derLage, auf die tieferen Dinge dabei hinzuweisen.

Wir dürfen aber auf der anderen Seite noch etwas an­deres sagen. Was im Vater als die Art und Weise lebt, wie er sich zu den Dingen verhält, was er für Interesse, für Be­gierden gegenüber den Dingen hat, wie er verlangt, wünscht, will, ob er ein Mensch ist, der tapfer in die Lebensverhält­nisse eingreift oder der kleinmütig zurückweicht, ob er pedantisch oder großmütig ist, also die Eigenschaften, die mit den Willensimpulsen zusammenhängen, finden wir in einer gewissen Weise vom Vater entlehnt. Alles dagegen, was Beweglichkeit der Seele, der Intellektualität ist, finden wir von der Mutter übergehend. - Nun zeigt sich aber ein interessanter Unterschied, der nur beobachtet werden kann, wenn man auf den ganzen Umfang des Lebens eingeht. Dann werden Sie auch die Belege dafür überall finden. Nämlich in bezug auf das Geschlecht zeigt sich dabei ein gewaltiger Unterschied. Man darf sagen: Für einen Sohn ist im Grunde genommen ganz wunderbar das Verhältnis zu Vater und Mutter in den Goetheschen Worten geschil­dert: «Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernstes Führen», das heißt alles, was sich auf den Verkehr des Menschen mit der äußeren Welt bezieht - «vom Mütter­chen die Frohnatur, die Lust zu fabulieren», das heißt die ganze Art und Weise des geistigen Lebens. Sehen wir aber jetzt auf die Tochter, so zeigt sich in einer ganz merkwürdigen

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Weise, daß die väterlichen Eigenschaften bei der Toch­ter so auftreten, daß sie nun um eine Stufe aus der Natur der Willensimpulse heraufgehoben sind, aus der Natur, die sich mehr ausspricht in dem Verkehr mit der Umgebung -in das Seelische. Daher kann man von einem Vater - das gilt natürlich nur bei gleichen Umständen -, der überall tapfer zugreift, der reges Interesse für dieses oder jenes hat und damit in dem Verkehr mit der Umgebung einen ge­wissen Ernst auslebt, diese Eigenschaften von der Indi­vidualität der Tochter so übernommen finden, daß sie ins Seelische heraufgehoben sind, daß eine Tochter da ist mit einem ernsten seelischen Leben, mit einem ins Seelische um­gesetzten Charakterleben des Vaters, die beweglicher macht, was vielleicht beim Vater schwerflüssig ist, so daß die wich­tigsten Eigenschaften, die uns beim Vater mehr äußerlich entgegentreten, bei der Tochter sich mehr verinnerlicht zeigen.

Daher können wir sagen: Die Charaktereigenschaften des Vaters leben weiter in dem Seelischen der Tochter, die see­lischen Eigenschaften der Mutter, die Regsamkeit des Geistes wie auch Talente und Fähigkeiten, die man ausbilden kann, leben in dem Sohne weiter. Die Mutter Goethes, die alte Frau Rat, war eine Frau, die fabulieren konnte, bei der die Phantasie in der wunderbarsten Weise funktionierte. Das ging bei dem Sohn um eine Stufe herunter, wurde Anlage, Organisation, so daß der Sohn Goethe die Fähigkeit hatte, das der Menschheit zu geben, was in der Mutter lebte. So sehen wir, wie die mütterlichen Eigenschaften bei den Söh­nen um eine Stufe heruntergeführt werden, so daß sie zu Organfähigkeiten werden, während die väterlichen Eigen­schaften von den Töchtern um eine Stufe hinaufgeführt werden, so daß sie uns verinnerlicht, verseelischt entgegen­treten. Dafür ist vielleicht nichts charakteristischer als der

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schöne Gegensatz Goethes zu seiner Schwester Cornelia, die nun ganz der alte Rat war, die verinnerlicht, verseelischt eine stille, ernste Natur war und daher dem Dichter schon in der Knabenzeit das sein konnte, was er brauchte: ein außerordentlich guter Kamerad. Berücksichtigen Sie das nun und betrachten Sie, wie Goethe nach seiner Beschrei­bung kein günstiges Verhältnis zu seinem Vater gewinnen konnte. Das war aus dem Grunde, weil die väterlichen Eigenschaften veräußerlicht waren beim alten Herrn Rat. Was Goethe brauchte, waren schon diese Eigenschaften, aber er konnte sie so nicht verstehen, wie sie bei seinem Vater vorhanden waren. Da waren sie richtig. Zur Seele geworden lebten sie in seiner Schwester, die ihm deshalb ein so guter Kamerad sein konnte.

Gehen Sie nun mit mir durch die Geschichte, so werden Sie sehen, wie ein jeder Schritt das Gesagte bestätigt, und wie man überall dort, wo man Hindeutungen hat, historisch eine Bestätigung einer solchen Sache geben könnte. Die schönste Bestätigung in dieser Beziehung haben wir von der Mutter der Makkabäer, die mit einer heroischen Größe ihre Söhne für das, was sie glaubt und was ihre Väter glaubten, dem Tode entgegengehen läßt mit den großen, schönen Worten: «Ich habe euch die äußere Körperlichkeit gegeben; der aber, der Welt und Menschen geschaffen hat, hat euch gegeben, was ich euch nicht geben konnte, und der wird dafür sorgen, daß ihr es wieder erhaltet, wenn ihr es um eures Glaubens willen verliert!» Wie oft wird uns in der Geschichte gerade das mütterliche Element vorgehalten:

von der Mutter Alexanders und der Gracchen-Mutter bis in unsere Zeit herein, wenn wir sehen, wie Eigenschaften im Menschen auftreten, daß dieser Mensch fähig ist, auf die Umwelt zu wirken, daß er die Kräfte und Talente und auch die leiblich-seelische Organisation dafür hat. Da könnten

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wir jiberall - wo wir wollten - die Geschichte bedeutender Männer aufschlagen: überall werden wir die mütterlichen Eigenschaften so übersetzt finden, daß sie um eine Stufe weiter heruntergeschritten sind, daß sie Fähigkeiten ge­worden sind, die ins Leben hineingestellt sind. Nehmen wir das Beispiel von Bürgers Mutter und seinem Vater, von dem er auch die Willenseigenschaft geerbt hatte. Mit dem Vater hatte er im Grunde genommen wenig gemein; der Vater war froh, wenn er nicht nötig hatte, sich um die Ent­wickelung des kleinen Knaben zu kümmern; die Mutter aber hatte einen wunderbar beweglichen Geist, sie war es, die grammatisch und stilistisch den richtigen Ausdruck be­saß. Das war wieder nötig für den Dichter; diese Eigen­schaften übernahm er von der Mutter, und die ergaben sich eben, weil er der nächsten Generation angehörte. Oder denken wir an Hebbel, wie er zu seinem Vater stand. Wer den Dichter Hebbel genauer kennt, wird in all dem herben Eigenartigen und Eigensinnigen der Interessen schon einen Nachkiang fühlen auch von dem väterlichen Erbteil. Der alte Maurermeister Hebbel hat schon vieles in dieser Be­ziehung auf seinen Sohn vererbt. Aber verstanden haben sich der Sohn und die Mutter, und die Mutter war es, die den Sohn davor behütete, daß Hebbel, statt später seine Dramen der Menschheit zu geben, in seinem Geburtsorte ein Maurermeister geworden wäre. Es ist rührend zu lesen, wie Hebbel selber in seinen wunderbaren Tagebüchern er­zählt, was ihn mit seiner Mutter verband.

Diese Beispiele könnten ins Unendliche vermehrt werden. Wir dürfen aber durchaus nicht - weil wir am Leben zu beobachten glauben, daß uns da oder dort ein anderes ent­gegentritt - daraus den Schluß ziehen, daß die Dinge falsch sind. Das wäre ebenso, wie wenn jemand sagte: Die Phy­siker beweisen uns das Fallgesetz; ich werde ihnen nun,

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indem man allerlei Vorrichtungen anbringt, beweisen, daß man das Gesetz beeinträchtigen kann! - Gesetze sind aber nicht dazu da, daß wir jeden Umstand berücksichtigen, son­dern das im Auge haben, was in Frage kommt. So müssen wir es in der Naturwissenschaft, so müssen wir es in der Geisteswissenschaft machen. Nur ist die Geisteswissenschaft heute noch nicht weit genug, um in derselben Weise vor­zugehen. Wenn man das berücksichtigt, wird man das ge­nannte Gesetz von dem väterlichen und mütterlichen Erbgut überall bestätigt finden können. Man wird aber, wenn man auf das Ganze des Menschen sieht, sich klar sein müssen, daß das, was wir die menschliche Seele nennen, und was sich auslebt in der ganzen, auch leiblich-seelischen Organi­sation des Menschen, nichts Einfaches ist. Man kann ja wieder rückhaltlos den Willen zur Trivialität haben und sagen: Warum habt ihr Anthroposophen durchaus den Spleen, in der Seele drei Seelenglieder und gar viele Glieder in der menschlichen Natur zu unterscheiden? Ihr redet da von einer Empfindungsseele, von einer Verstandesseele und von einer Bewußtseinsseele. Es wäre doch viel einfacher, von der Seele als einer einheitlichen Wesenheit zu sprechen, in der gedacht, empfunden und gewollt wird. - Einfacher ist es gewiß, bequemer - und trivial auch. Aber das ist auch zugleich etwas, was die wissenschaftliche Betrachtung des Menschen nicht in Wahrheit fördern kann. Denn nicht aus der Sehnsucht, einzuteilen und viele Worte zu machen, ent­springt die Gliederung der menschlichen Seele in Empfin­dungsseele, das heißt in denjenigen Teil, der zunächst mit der Umgebung in Verbindung tritt und die Wahrneh­mungen und Empfindungen von außen erhält, in dem sich auch die Begierden und Instinkte entwickeln, und der dann von dem Teil zu trennen ist, in dem schon in einem ge­wissen Sinne das Gewonnene verarbeitet ist. Unsere Empfindungsseele

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bringen wir in Tätigkeit, indem wir der Außenwelt gegenüberstehen, von ihr Farben- und Ton-eindrücke empfangen, aber auch auftauchen lassen, was wir als normale Menschen zunächst nicht in der Hand haben:

unsere Triebe, Begierden und Leidenschaften. Wenn wir uns aber zurückziehen und das, was wir durch die Wahr­nehmungen und so weiter aufgenommen haben, in uns ver­arbeiten, so daß das durch die Außenwelt in uns Angeregte sich zu Gefühlen umformt, dann leben wir in dem zweiten Seelengliede, in der Verstandes- oder Gemütsseele. Und in sofern wir unsere Gedanken lenken und leiten und nicht am Gängelbande geführt werden, leben wir in der Bewußt­seinsseele.

In der «Geheimwissenschaft» oder in der «Theosophie» werden Sie sehen, daß die drei Seelenglieder noch viel mehr Beziehungen haben - in anderer Art - zu dem, was in der Außenwelt ist, nicht weil wir an der Einteilung Freude haben, sondern weil das, was wir Empfindungsseele nennen, in ganz anderer Weise zum Kosmos zugeordnet ist als das, was wir Bewußtseinsseele nennen.

Die Bewußtseinsseele ist es, die den Menschen isoliert, die ihn sich so recht als ein innerlich geschlossenes Wesen emp­finden läßt. Was wir Verstandesseele nennen, bringt ihn zu der Umgebung und zum ganzen Kosmos in Beziehung, dadurch ist er ein Wesen, das wie ein Extrakt, wie ein Zu­sammenfluß der ganzen Welt erscheint. Durch die Bewußt­seinsseele lebt der Mensch in sich, isoliert sich. Das Haupt­sächlichste, was man in der Bewußtseinsseele erlebt, ist das, was man am spätesten unter seinen Anlagen als Mensch zur Entwickelung bringt: die Fähigkeit des logischen Den­kens, daß wir Meinungen, Gedanken und so weiter haben. Das ruht in der Bewußtseinsseele. In bezug auf diese Eigen­schaften ist der individuelle Weseuskern des Menschen, der

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durch die Geburt ins Dasein tritt, in der Tat am meisten zur Isolierung veranlagt. Dieser innerste Wesenskern arbei­tet sich am spätesten beim Menschen heraus. Während seine Umhüllung, seine leibliche Organisation sich am frühesten herausschält, schält sich seine eigentliche Individualität am spätesten heraus. Aber wie der Mensch gegenwärtig ist - er war in der Vergangenheit anders und wird in der Zukunft anders sein -, entwickelt er in der Tat seine Meinungen, Begriffe, Vorstellungen in dem isoliertesten Teil seines Wesens. Diese haben daher am wenigsten auf den ganzen Aufbau und die Ausgestaltung seiner Gesamtpersönlichkeit Einfluß und kommen auch erst als Anlage heraus, wenn die Gesamtpersönlichkeit fest gestellt, plastisch gebildet ist.

Da sehen wir, wie die Begabung des Menschen in einer bestimmten Reihenfolge sich entwickelt. Wir sehen zunächst auftreten, was in dem wenigst isolierten, abgesonderten Element des Menschen, in der Empfindungs- oder Trieb-seele lebt. Das hat aber dafür auch die größte Kraft, in die ganze menschliche Organisation einzugreifen. Daher können wir sehen, wie wir am wenigsten mit Meinungen, Theo­rien, Ideen an das Kind herankommen, wenn diese Emp­findungsseele am intensivsten von innen heraus gestalten will. Wir können nur dann an das Kind herankommen, wenn wir auf die Empfindungsseele wirken lassen - dar­gestellt in meiner Schrift «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» -, worauf man besonders in den ersten Lebensjahren zu sehen hat, daß nicht Theorien, Lehren entwickelt werden, sondern daß das Kind zur Nachahmung angehalten wird, daß man ihm vorlebt, was es nachleben soll. Das ist von unendlicher Wichtigkeit, weil dieser Nachahmungstrieb als eine der allerersten Anlagen auftritt, auf die man wirken kann. Die Ermahnungen und Lehren wirken in dieser Zeit am wenigsten.

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Was das Kind sieht, das macht es nach, weil es sich so bildet, wie es sich in Gemäßheit seines Zusammenhanges mit der Außenwelt bilden muß. Wir legen den ersten Grund-stock für das ganze persönliche Wesen des Kindes, wenn wir ihm in den ersten sieben Jahren vorleben, was es nach­leben darf, wenn wir erraten, wie wir uns in der Um­gebung des Kindes benehmen müssen. Das ist allerdings ein für viele höchst merkwürdiger Erziehungsgrundsatz. Die meisten Menschen werden fragen, wie sich das Kind be­nehmen solle, und jetzt kommt die Geisteswissenschaft mit ihren Anforderungen: die Menschen sollen vom Kinde ler­nen, wie man sich in der Umgebung des Kindes zu beneh­men habe - bis auf die Worte, Gesinnungen und Gedanken hin! Denn das Kind ist in seiner Seele viel empfänglicher, als man gewöhnlich glaubt, vor allem empfänglicher als der erwachsene Mensch. Es gibt ja solche Menschen mit einer gewissen Sensitivität, die es sofort merken, wenn zum Bei­spiel ein Mensch hereinkommt, der die gute Stimmung ver­dirbt. Das ist beim Kinde, trotzdem es heute wenig beachtet wird, in einem ungeheuren Maße der Fall. Und es kommt viel weniger darauf an, was man im einzelnen unternimmt, als darauf, was man für ein Mensch zu sein sich bemüht, was man für Gedanken, für Vorstellungen hegt. Es genügt nicht, daß man es vor den Kindern verschweigt und sich Gedanken gestattet, die nicht für das Kind sein sollten, son­dern unsere Gedanken müssen so ausgelebt werden, daß wir das Gefühl haben: das darf in dem Kinde weiterleben und soll weiterleben. - Das ist unbequem, aber doch richtig!

Dann kommt, wenn der Zahnwechsel eingetreten ist, das in Betracht, was wir nennen können: das Bauen auf das -jetzt nicht was der Mensch tut, sondern was der Mensch als Persönlichkeit in sich birgt -, das Bauen auf Autorität. Das ist das Allerwichtigste, daß das Kind in den ersten Lebensjahren

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nachleben kann, was wir sprechen, tun und denken, und daß es in der zweiten Epoche in uns einen Menschen fühlt, auf den es bauen kann, so daß es sagen kann: Das ist gut, was der tut! - Nicht daß wir vom siebenten bis zum vierzehnten, sechzehnten Lebensjahre dem Kinde die Er-mahnung geben aus dem Prinzip heraus, eine Moraltheorie zu entwickeln, ihm zeigen: das muß getan werden, das muß unterlassen werden, - sondern den besten Schatz geben wir dem Kinde mit, wenn es für die Verstandes- oder Gemüts-seele die Empfindung haben kann: Gut ist es, was der Mensch neben mir tut; unterlassen muß ich, was er unter­läßt! - Das ist von einer unendlichen Wichtigkeit.

Erst mit dem Eintreten des vierzehnten, sechzehnten Jahres beginnt die Möglichkeit, daß der Mensch auf den isoliertesten Teil seiner Wesenheit, auf die Bewußtseins-seele baut, das heißt auf das, was sich in der Bewußtseins-seele bildet: auf seine Meinungen, Begriffe und Ideen. Die müssen aber erst einen festen Grund und Boden haben, und der muß geschaffen werden. Schaffen wir ihn nicht, indem wir die Gelegenheit herbeiführen durch die Erziehung, wie die Individualität sie uns erkennen läßt, schaffen wir da­durch der Entwickelung nicht freie Bahn, dann wird der Mensch von einem anderen Element ergriffen: von der Festigkeit seiner Hüllennatur. Dann veräußerlicht er sich; dann greift nicht seine von Leben zu Leben gehende Indi­vidualität ein, sondern dann wird er zum Sklaven seiner Leibesorganisation, die von außen herein den Menschen unterjocht. Das zeigt der Mensch daran, daß er in seinem geistig-seelischen Teile nicht Herr ist, sondern ganz ab­hängig von seiner leiblich-seelischen Organisation ist, starre Eigenschaften zeigt, die unveränderlich sind. Ein Mensch dagegen, bei dem wir achtgegeben haben, daß seine An­lagen möglichst herauskommen. der behält sein ganzes

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Leben hindurch eine gewisse Beweglichkeit, kann sich auch im späteren Leben noch in neuen Situationen zurechtfinden. Bei dem anderen dagegen veräußerlicht sich die Organi­sation, bekommt starre Formen, und der Mensch behält sie durch das ganze Leben hindurch. Wir leben in einer Epoche, wo die Individualität des Menschen wenig geschätzt wird und wo daher wenig Gelegenheit ist, sich zu überzeugen, daß die Individualität im späteren Leben noch beweglich und regsam ist und sich in neue Situationen und Wahrheiten hineinfinden kann. Da kommen wir auf ein Kapitel, an dem wir einsehen können, wie sich manche Menschen ein­fach zum Leben stellen müssen.

Wie viele bemühen sich, wenn sie in eine Weltanschauung hineingeblickt haben, so daß sie davon überzeugt sind, nun auch andere davon zu überzeugen. Sie glauben, es ist ein sehr löbliches Bemühen, wenn sie sagen: Da ich es so klar einsehe, müßte ich doch eigentlich einen jeden zu dieser Überzeugung bringen können! Das ist aber eine Naivität. Unsere Meinungen hängen gar nicht davon ab, ob uns etwas logisch bewiesen wird. Das ist in den wenigsten Fällen mög­lich. Denn des Menschen Meinungen und Überzeugungen sind aus ganz anderen Untergründen seiner Seele - aus seiner Willensnatur, seiner Gemüts- und Gefühlsnatur heraus gebildet, so daß ein Mensch ganz gut Ihre logischen Auseinandersetzungen verstehen kann, Ihre scharfsinnigen Schlüsse begreifen kann und sie hinterher gar nicht auf­nimmt aus dem einfachen Grunde, weil das, was ein Mensch glaubt und wozu er sich bekennt, nicht aus seiner Logik und seinem Verstehen fließt, sondern aus der Gesamtpersönlich­keit kommt, das heißt aus jenen Gliedern, wo Wille, wo Gemüt aufsteigen. Unsere Gedanken sind aber dasjenige von uns, was am spätesten von allen unseren Anlagen her­auskommt, wenn die Körperorganisation längst abgeschlossen

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ist. Das ist das isolierteste Feld. Dort finden wir am wenigsten den Zugang zu den anderen Menschen. Mehr können wir erreichen, wenn wir sie in den Teilen ergreifen, die tiefer liegen: in dem Gemüt, im Willen. Da wird noch eingegriffen in die Organisation. Wenn aber ein Mensch in einer sehr materialistischen Sphäre aufgewachsen ist, sagen wir da, wo man nur die Materie, den Stoff gelten läßt, da bildet sich während der Zeit seines Aufwachsens eine Summe von Gemüts- und Willensimpulsen, die seine Leiblichkeit und auch sein Gehirn plastisch gestalten. Später kann er sich dann ein ganz gutes logisches Denken aneignen, das greift aber nicht mehr in die Plastik seines Gehirns ein. Logische Gedanken sind das Allerohnmächtigste in der menschlichen Seele. Daher hängt es besonders davon ab, daß wir den Zugang zu anderen Menschen auch in der Seele finden, nicht bloß in der Logik. Wenn jemand sein Gehirn schon in einer gewissen Weise ausgebildet hat, dann formt dieses Gehirn, das nur immer wieder und wieder die alten Vorstellungen reflektiert, weil es körperlich geworden ist, keine Logik mehr um. Daher kann man für solche Weltanschauungen, die auf die reinste, die schärfste Logik gebaut sind wie die Geisteswissenschaft, nicht hoffen, daß man auf die Weise wirken kann, daß man vom einen zum anderen Menschen geht, um ihn zu überzeugen. Wenn jemand, der den geistes-wissenschaftlichen Impuls versteht, glauben wollte, er könnte durch Überredung oder durch Logik die Menschen über­zeugen, wer etwa glauben wollte, daß sich der Geistes­wissenschaftler dieser Illusion hingibt, der irrt sich selir! Denn es gibt in unserem Zeitalter eine große Anzahl von solchen Menschen, die vermöge ihrer Gesamtpersönlichkeit, ihrer Willens- und Gemütsnatur nicht nach dem sehen, was geistige Welt und geistige Forschung ist. Aus der großen Masse derer, die um uns leben, werden sich diejenigen herauswählen,

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die den Zug haben zu der Geisteswissenschaft, werden zu dem gehen, was sie dunkel ahnen, was sie schon in der Seele haben. Eine Selektion, eine Auswahl nur kann stattfinden in bezug auf eine Weltanschauung, die auf das gebaut ist, was rein die Logik, das menschliche Bewußtsein umspannen kann. Daher geht der Geisteswissenschaftler heran an die Menschen und weiß zu unterscheiden: Da ist einer, dem kannst du jahrelang predigen, er wird nicht auf deine Gedanken eingehen können. Das mußt du ihm erst zum Bewußtsein bringen; zu seiner Seele kannst du sprechen, aber er selbst kann es sich nicht aus seinem ganzen Seelen-werkzeug, aus dem Gehirn heraus reflektieren. Der andere ist so gebaut, daß er die Möglichkeit hat, auf das einzu­gehen, was die Geisteswissenschaft in ihrer logisch ausgebil­deten Weise zeigt, und der findet sich daher auch hinein in das, was im Grunde genommen schon in seiner Seele lebt.

So ist die Art und Weise, wie wir uns in die großen Kul­turaufgaben der Gegenwart oder der Zukunft hineinstellen müssen. Nur wenn wir erkennen, wie die Gesanirpersön­lichkeit des Menschen sich zu dem verhält, was der Mensch nach und nach im Laufe seiner Entwickelung und Erziehung von neuen Wahrheiten aufnehmen kann, von solchen Din­gen, die sich nun wirklich mit seiner Persönlichkeit ver­einigen müssen, wenn man wieder einmal eingesehen hat, wie im Grunde genommen das Seelisch-Geistige der Former, der Plastiker, der Künstler ist für das, was Leiblich-Seeh­sches ist, dann wird man auch einen größeren Wert darauf legen, dieEntwickelung des Geistig-Seelischen beim Menschen so zu betreiben, daß er es - besonders in den Jahren, wo er der Erziehung zugänglich ist - machtvoll in bezug auf die Art, wie er auf das Leiblich-Seelische wirken kann, in die Hand bekommt. Wir müssen uns klar sein, daß in dieser Beziehung viel gesündigt werden kann. Wir sehen ja aus

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unseren Darstellungen, wie menschliche Vorliebe und so weiter viel mehr zur Formung der Anschauungen beiträgt als die reine Logik. Die reine Logik allein sprechen lassen könnte man erst, wenn überhaupt Begierden und Instinkte völlig schweigen. Vorher muß man sich klar sein, wenn wir glauben, irgendwo auf einem besonderen Gebiete die An­lagen eines Menschen einseitig gebildet zu haben, daß dann in einer merkwürdigen Weise dasjenige zutage tritt, was wir unberücksichtigt gelassen haben.

Nehmen wir an, wir erziehen einen Menschen so, daß wir nur die abstrakten Anlagen zum Ausdruck bringen, wie es in der Schule häufig gemacht wird. Dann können die reinen Begriffe und abstrakten Ideen nicht in das ganze Gemüts-und Gefühlsleben eingreifen. Das bleibt dann unentwickelt, ungebildet und tritt uns später in allen möglichen trivialen Lebensführungen hervor. Zwei Naturen sind dann später oft im Leben sichtbar. Selbst bei Leuten, die hochstehen, macht sich - wenn sie nicht in sich haben hineinentwickeln können, was in den Tiefen der Persönlichkeit sitzt - Vor­liebe, Neigung, Sympathie, die tiefer sitzt, in anderer Weise geltend. Welcher Prüfling hätte es nicht erfahren, wenn er einem noch so gescheiten Examinator gegenübersteht, der vieles in seiner Wissenschaft zu überschauen vermag, wie diese Einseitigkeit dadurch zum Ausdruck kommt, daß er eine Vorliebe dafür hat, wie er gerade die Antworten hören will! Und wehe manchem Prüfling, wenn er das, was er sagen soll, nicht in die Worte zu kleiden versteht, wie der Examinator sie haben will!

In einem Buche über Seelenkunde von Moriz Benedikt ist gerade über die Fehler der menschlichen Erziehung nach dieser Richtung hin manches Richtige gesagt. Auch das, was eine Wahrheit ist: daß einmal zwei Prüflinge geprüft wur­den von zwei Examinatoren, und es stellte sich das Malheur

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heraus, daß zum Examinator A. der eine zu Prüfende die Antworten so gab, wie wenn der Examinator B. die Fragen gestellt hätte. Hätte er diesem die Antworten geben dürfen, so hätte er die Prüfung glänzend bestanden. Und der an­dere der Kandidaten war in dem umgekehrten Fall. Daher fielen beide durch!

Das kann uns zeigen, wie ganz gut in logische Formen einzukleiden ist, was unanfechtbar ist. Sobald wir aber nicht in der Lage sind, unsere Begriffe in die Gedanken-erziehung während der Erziehung einzutauchen, ist kein geeignetes Feld zu finden, um von hier aus am Menschen zu bilden. Wie müssen wir uns denn dann zum Menschen ver­halten? Wir müssen uns so verhalten, daß wir in der Zeit, wo der Mensch vorzugsweise noch plastisch gebildet werden soll und wo abstrakte Begriffe und Ideen am wenigsten wirksam sind, ihm möglichst wenig mit abstrakten Be­griffen und Ideen kommen, sondern mit solchen Ideen, die möglichst bildhaft sind. Deshalb habe ich so hervorgehoben, daß das Bildhafte, das Anschauliche, welches sich möglichst wenig von dem entfernt, was Bild, Gestalt, Umriß hat, in die Begriffe aufgenommen wird. Denn was so als Bild, als Gestalt oder als Gestalt der Phantasie aufgenommen wird, hat eine große Kraft, in unsere Leibesorganisation einzu­greifen. Daß das Bildhafte, was uns in der Gestaltung ent­gegentritt, in die Leibesorganisation eingreift, können Sie schon daraus entnehmen, daß Sie sehen, wie wenig es hilft, wenn Sie einem Kranken, der in einer bestimmten Situation ist, einreden: Das sollst du tun, das sollst du lassen. - Das hilft sehr wenig. Wenn Sie aber einen Apparat hinstellen, der einer Elektrisiermaschine ähnlich ist, so daß sich der Kranke dieses Bild machen kann, ihm zwei Handgriffe in die Hand geben, gar keinen Strom durchlassen, - wenn er nur das Bild vor sich hat, dann verspürt er den Strom, und

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dann hilft's! Überall aber, wo so schön deklamiert wird, daß die Einbildungskraft eine große Rolle spielt, müssen wir uns klar sein, daß es sich dabei nicht um jede Einbil­dungskraft handelt, sondern nur um die bildliche.

Wir leben in einem Zeitalter, in welchem es nach und nach Usus geworden ist, daß dem Grundsatz der Geistes­wissenschaft: daß der Mensch erst zwischen dem vierzehn­ten, sechzehnten Jahre und dem einundzwanzigsten, zwei­undzwanzigsten Jahre fähig wird, Begriffe und Ideen auszubilden, daß man da Begriffe aufnimmt, die erst später ausgebildet werden sollen - sehr wenig gehuldigt wird; sondern heute wird der Mensch schon vor Ablauf dieses Lebensalters reif, um über und unter dem Strich Zeitungs­artikel zu schreiben, die gedruckt und dann von den Leuten hingenommen werden. Da ist es dann schwer, abstrakte Begriffe bis zu dem charakterisierten Zeitalter fernzuhalten und das Bildhafte, das Anschauliche dem Menschen vor Augen zu führen. Denn das Bildhafte hat die Kraft, in die leiblich-seelische Organisation einzugreifen.

Was ich jetzt sage, können Sie immer bestätigt finden, nur gibt man nicht immer darauf acht. Moriz Benedikt klagt zum Beispiel darüber, daß viele Gyninasiasten oft im späteren Leben so ungeschickt sind. Woher kommt das? Weil die ganze Erziehung so unanschaulich ist, so wenig auf das Anschauliche eingeht und sich nur an abstrakte Begriffe hält, sogar bei dem Lehren der Sprachen. Dagegen können wir Bildhaftes, das an uns herantritt, weil die Gegenstände selbst uns in Bildern entgegentreten, bis in die Hand hinein fühlen. Da könnte man sagen: Wenn du einen Gegenstand vorstellen willst, mußt du dich so bewegen, daß du mit der Hand im Kreise oder in der Elipse das Zusammenwachsen fühlst mit dem Gegenstande in Bildern. Nicht bloß das Nachahmen in der Handfertigkeit, sondern das Fühlen und

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Liebenlernen der Dinge zeigt uns, wie bildhaftes, anschau­liches Vorstellen uns in die Glieder zuckt, uns die Glieder gelenkig und beweglich macht. Wir können ja heute viele Menschen finden, die, wenn ihnen ein Knopf abgerissen ist, sich keinen neuen wieder annähen können. Das ist ein großer Nachteil. Das Wichtige ist, daß wir mit allem, was wir haben, eingreifen können in die Außenwelt. Alles können wir natürlich nicht lernen. Aber das können wir lernen, wie das Geistig-Seelische herunterrutscht aus dem Geistigen in das Leiblich-Seelische und unsere Glieder ge­lenkig macht. Und niemand, den wir in der Jugend an­gewiesen haben, dasjenige nachzufühlen, was außer ihm ist, wird später im Leben ein ungeschickter Mensch sein. Denn was schon unter der Schwelle unseres Bewußtseins liegt, kann am wesentlichsten an unserer Organisation arbeiten. Das gilt auch in bezug auf die Sprache. Man lernt eine Sprache am besten in der Zeit, wo man noch gar nicht in der Lage ist, diese Sprache grammatisch zu verstehen, denn da lernt man mit dem Teil der Seelenwesenheit, der tieferen Schichten angehört.

So hat sich die Menschheit entwickelt - so muß sich der einzelne Mensch entwickeln. Ich habe schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, wie Laurenz Müllner bei einer Rek­toratsrede aufmerksam machte auf die Peterskirche in Rom, wie sie großartig dasteht, wie da hineingeheimnißt sind die Raumesgesetze in die Mechanik des Kuppelbaues, sodaß man die Raumesmechanik in der wunderbarsten Weise zum Aus­druck gebracht sieht. Nun wies er aber darauf hin, daß die Gesetze, welche Michelangelo darin zum Ausdruck gebracht hat, dann Galilei durch seinen hochfliegenden Geist gefun­den hat und uns dadurch erst die mechanische Wissenschaft gegeben hat. Ich habe auch darauf aufmerksam gemacht, daß der Todestag Michelangelos fast zusammenfällt mit

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dem Geburtstage Galileis, so daß die abstrakten Gesetze der Mechanik - was in der Bewußtseinsseele des Menschen lebt - später aufgetreten sind als das, was aus den tieferen Seelengliedern heraus Michelangelo in den Raum hinein-gebaut hat. Wie sich die höheren Seelenglieder auf Grund­lage der niederen entwickeln, wie wir auf Grundlage der Anlagen unsere Glieder ausbilden müssen, um dann auf sie zurückzuschauen und einen Begriff von ihnen zu bekom­men, so ist es auch im einzelnen Leben. Auch im einzelnen Leben muß der Mensch von der menschlichen Gesellschaft umgeben sein, muß sich hineinstellen in das, was ihn wie in eine Atmosphäre taucht, in das Geistig-Seelische unserer Umgebung. Dann wird das, was der Mensch in das Dasein hereinbringt, geformt und gebildet. Aber der Mensch bringt nicht nur herein, was ihm aus der Vererbungslinie mit­gegeben wird, sondern das wird in der mannigfaltigsten Weise durch ein Drittes, durch die ewige Individualität des Menschen bestimmt. Diese Individualität des Menschen braucht die vererbten Eigenschaften, muß sie sich aneignen und ausbilden. Das steht auch höher als das, was mit un­serer Individualität ins Dasein tritt. Wir treten mit der Geburt ins Dasein: eine schaffende, produktive Geistigkeit eignet sich, wo wir noch nicht Begriffe bilden können, den plastischen Stoff aus der Vererbungslinie an. Später erst wird die Bewußtseinsseele hinzugefügt. So sehen wir auf ein Individuelles in der Menschennatur, das plastisch die Fähigkeiten und Talente gestaltet. Wenn wir Erzieher wer­den, ist es unsere Aufgabe, daß das, was wir so als ein gei­stiges Rätsel betrachten, bei jedem Menschen von neuem gelöst werden muß.

Das alles weist uns auf eine Stimmung hin. Als Goethe bei der Ausgrabung von Schillers Knochen dessen Schädel fand und sah, wie da die Formen ausgeprägt sind, wie die

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menschliche Individualität daran gearbeitet hat, als er sah:

in diese Form mußte sich der flüssige Geist Schillers hinein-gestalten, damit er das werden konnte, was er geworden ist - konnte Goethe das mit den Gedanken ausdrücken:

Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,

Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare,

Wie sie das Feste läßt zu Geist verrinnen,

Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre!

Einen solchen Ausspruch Goethes muß man aus der Situation heraus verstehen. Wer ihn nimmt, ohne darauf zu sehen, was sich als Geist-Erzeugtes in der festen Form ausprägt, versteht ihn falsch. Der aber auch versteht ihn nicht, der nicht weiß, wie tief Goethe Einsicht in das ewige Weben einer Individualität hatte, die von Geburt zu Ge­burt geht und sich immer wieder neu verkörpert und der eigentliche Architekt des Menschen ist. Wie wir vom Geiste die Organe erhalten haben, die wieder Organe des Geistes sind, das kann man im Grunde genommen durch einen kindlichen Vergleich in einfacher Weise sagen: Die Uhr zeigt uns die Zeit an, aber wir konnten sie nicht brauchen, wenn sie nicht erst der menschliche Geist geformt hätte. -Unser Gehirn brauchen wir zum Denken in der physischen Welt, aber wir könnten es nicht zum Denken brauchen, wenn es der Weltengeist nicht geformt hätte. Und wir würden es nicht mit einer solchen Individualität ausgebil­det haben, wenn nicht unsere Individualität selbst sich aus­gegossen hätte als ein Geist-Erzeugtes in unser so aus dem Menschengattungsmäßigen heraus gebildetes Gehirn. Da verstehen wir tiefer, was wir heute äußern konnten, und was Goethe meinte, indem er auf dasjenige im Menschen hinwies, was im Wesen des Menschen für alle seine Talente und Fähigkeiten bestimmend ist, wie wenn die Sterne selber

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aufgefaßt würden wie irgendeine Situation der Welt, und wie das, was sich auswirkt im Inneren des Menschen als ein Ewiges, nur darum durch die Pforte des Todes geht, um zu neuen Entwickelungsformen vorzuschreiten. Kurz, wir dürfen zusammenfassen, was wir heute betrachtet haben, in die Stimmung der Goetheschen Gedanken, die er äußert in den «Orphischen Urworten»:

Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,

Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,

Bist alsobald und fort und fort gediehen

Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.

So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen,

So sagten schon Sibyllen, so Propheten;

Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt

Geprägte Form, die lebend sich entwickelt!

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ZARATHUSTRA Berlin, 19. Januar 1911

Unter den Feststellungen der Geisteswissenschaft, auf die im Verlaufe der bereits stattgefundenen Vorträge dieses Zyklus hingewiesen werden durfte, findet sich vor allen Dingen die Idee der wiederholten Erdenleben, das heißt jene heute ja wenig beliebte und verstandene Idee davon, daß sich die menschliche Individualität immer wieder und wieder in einer einzelnen menschlichen Persönlichkeit im Laufe der Menschheitsentwickelung der Erde auszuleben hat. Wir haben gesehen und werden noch sehen, wie sich mancherlei Fragen an diese Idee knüpfen. Unter diesen Fragen wird aber eine sein, die sich bezieht auf die Be­deutung dieser wiederholten Erdenleben. Man könnte näm­lich fragen: Was hat es denn für eine Bedeutung, daß die menschliche Individualität nicht nur einmal dieses Leben zwischen Geburt und Tod durchläuft, sondern immer wie­der und wieder? Wenn man aber auf der anderen Seite die menschliche Erdenentwickelung im Sinne der Geisteswissen­schaft betrachtet und findet, daß in dieser menschlichen Entwickelung ein fortschreitender Sinn enthalten ist, daß jede Epoche, jedes neue Zeitalter in einer gewissen Bezie­hung doch einen andern Inhalt darbietet und die Menschenentwickelung in einer aufsteigenden Linie ist, - so erscheint es einem bedeutungsvoll, daß diese mannigfaltigen Mög­lichkeiten des Lebens, diese vielen Inhalte des Lebens, die auf uns einströmen können im Laufe der Menschheitsentwickelung, eben wirklich von dem menschlichen Wesenskern

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auch immer wieder und wieder in sich aufgenommen werden. Das aber ist nur möglich, wenn der Mensch mit alledem, was er wesenhaft ist, nicht bloß einmal, sondern viele Male mit dem lebendigen Strome der Erdentwicke­lung verknüpft ist. Wenn wir so diese ganze menschliche Entwickelung der Erdenmenschheit als ein sinnvolles Fort­schreiten mit Herauskehrung eines immer neuen Inhaltes betrachten, erscheinen uns erst diejenigen geistigen Größen in ihrer rechten Bedeutung, welche in den verschiedenen Epochen als die tonangebenden, als die eigentlich führen­den zu gelten haben, als diejenigen, von denen in einer gewissen Beziehung neuer Inhalt, neue Impulse für die fortschreitende Entwickelung der Menschheit ausgehen. Mit einer Anzahl von solchen führenden Wesenheiten der Menschheitsentwickelung wollen wir uns im Zusammen-hange mit anderen Fragen in diesem Winterzyklus beschäf­tigen. Heute sei die Aufgabe gestellt, auf eine solche füh­rende Menschheitsindividualität hinzuweisen, die in einer gewissen Weise ganz besonders rätselhaft für die äußere Geschichtsforschung dasteht, sich auch für dieselbe in einem grauen, nicht mehr durch äußere Dokumente erreichbaren Altertum verliert: auf die viel besprochene, aber heute noch wenig erkannte Persönlichkeit des Zarathustra.

Gerade an einer solchen Persönlichkeit, wie Zarathustra es war, die in allem, was sie der Menschheit gegeben hat, was von ihr erhalten ist, das heutige Zeitalter schon so fremdartig anmutet, kann man sehen, wie groß die Unter­schiede werden in bezug auf die ganze menschliche Wesen­heit, wenn wir die verschiedenen Zeitalter der Menschheit in Betracht ziehen. Ein kurzsichtiger Blick mag sich leicht denken: wie der Mensch heute ist, wie er heute denkt, emp­findet, vorstellt, wie er heute moralisch fühlt, so hat er im wesentlichen gefühlt, solange er Mensch ist. Die Geisteswissenschaft

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aber zeigt uns - das geht schon aus den bisher gehaltenen Vorträgen hervor und wird auch aus den fol­genden hervorgehen -, daß gerade das menschliche Seelen-leben, die Art des Empfindens, Fühlens und Wollens im Laufe der Menschheitsentwickelung großen, bedeutungs-vollen Veränderungen unterworfen ist, daß das menschliche Bewußtsein in alten Zeiten ganz anders war, und daß wir Grund zu der Annahme haben, daß in der Zukunft wieder andere Stufen dieses Bewußtseins erreicht werden, als die ist, auf der heute die normale Menschheit lebt.

Wenn wir nun den Blick auf Zarathustra lenken, so ist es im Grunde genommen eine weite, weite Zeitstrecke, die wir von unserem Zeitpunkt aus zurückblicken müssen. Allerdings machen zwar gewisse neuere Forschungen den Zarathustra zu einem Zeitgenossen des Buddha, so daß er also etwa sechs oder sechseinhalb Jahrhunderte vor der Erscheinung des Christentums auf die Erde zu versetzen wäre. Allein hier ist die bemerkenswerte Tatsache zu ver­zeichnen, daß die Forschung auch in den letzten Jahren, indem sie aufmerksam alles verfolgt hat, was an Über-lieferungen über Zarathustra vorhanden ist, darauf hat hinweisen müssen, daß doch diejenige Persönlichkeit, die sich hinter dem Namen des Zarathustra, des alten persi­schen Religionsstifters, verbirgt, viele, viele Jahrhunderte vor den Buddha zu setzen ist. Griechische Geschichtsschreiber weisen immer wieder und wieder darauf hin, daß man Zarathustra hinaufzuversetzen hat weit - etwa fünf- bis sechstausend Jahre weit in die Zeit vor den Trojanischen Krieg. Man kann schon aus dem, was die äußere Forschung auf vielen Gebieten erfahren hat, den Schluß ziehen: die äußere Geschichtsforschung wird sich zwar schwer dazu entschließen, wird aber doch zuletzt - auch durch die Do­kumente - genötigt sein dasjenige anzuerkennen, was die

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griechische Wissenschaft, die griechische Überlieferung auf-bewahrt hat über das weite Zurückliegen des Zeitalters des Zarathustra. Die Geisteswissenschaft muß aus ihren Voraussetzungen heraus tatsächlich auch das Leben des persischen Religionsstifters, des Zarathustra, so weit zurück-verlegen, als dies griechische Schriftsteller schon im Alter­tum getan haben. Dann aber haben wir ein Recht, darauf hinzuweisen, wie Zarathustra, wenn er Jahrtausende vor dem Eintritt des Christentums in der Welt gelebt hat, vor einer ganz andern Art des menschlichen Bewußtseins ge­standen haben mag.

Nun ist schon öfters darauf hingewiesen worden und wird noch weiter ausgeführt werden, daß die Entwickelung des menschlichen Bewußtseins so geschehen ist, daß traum­hafte, hellseherische - das Wort soll hier nicht so mißbraucht werden, wie es auf vielen Gebieten heute der Fall ist -Zustände in alten Zeiten die Bewußtseinszustände des eigentlichen normalen Menschen waren, so daß der Mensch nicht so die Welt in Begriffen und Ideen, in streng um­grenzten sinnlichen Wahrnehmungen gesehen hat, wie er sie heute sieht. Man bekommt am besten ein Bild davon, wie der Mensch in Urzeiten die Welt um sich herum in sein Bewußtsein aufgenommen hat, wenn man an die letzten Reste des alten Urbewußtseins denkt: an das Traum-bewußtsein. Jedem sind die auf- und abwogenden, heute zum größten Teil für das menschliche Bewußtsein sinnlosen Traumbilder bekannt, die oft nur Reminiszenzen der äuße­ren Welt sind, obwohl auch höhere Bewußtseinsarten hin­einragen können, die aber der heutige Mensch schwer zu deuten versteht. Das Traumbewußtsein - können wir sa­gen - verläuft bildhaft, in schnell wechselnden Bildern, aber zu gleicher Zeit symbolisch. Wer würde nicht erfahren haben, wie der Eindruck, das ganze Ereignis eines Feuers

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sich sinnbildlich im Traume offenbart? Lenken Sie einmal den Blick auf dieses andersartige Bewußtsein, auf diesen andersartigen Bewußtseinshorizont, wie er im Traume vor­handen ist; so wie er da vorhanden ist, ist er nur der letzte Rest eines uralten Menschheitsbewußtseins. Aber dieses uralte Bewußtsein war so, daß der Mensch in der Tat in einer Art von Bildern lebte. Diese Bilder bezogen sich nicht auf Unbestimmtes oder auf nichts, sondern auf eine reale Außenwelt. Es gab in den Bewußtseinszuständen der alten Menschheit zwischen Wachen und Schlafen Zwischen-zustände, und in diesen Zwischenzuständen lebte der Mensch gegenüber der geistigen Welt. Diese geistige Welt kam herein in sein Bewußtsein. Heute ist das Tor der gei­stigen Welt gegenüber dem normalen Menschenbewußtsein verschlossen. In alten Zeiten war dies nicht so. Da hatte der Mensch die Zwischenzustände zwischen Wachen und Schlafen; dann sah er in Bildern, die zwar den Traum-bildern ähnlich waren, aber eindeutig geistiges Wesen und geistiges Weben darstellten, wie es hinter der physisch-sinnlichen Welt ist. So daß der Mensch in alten Zeiten wirklich - wenn auch zu Zarathustras Zeiten schon ziemlich undeutlich und unbestimmt - dennoch aber eine unmittel­bare Beobachtung und Erfahrung der geistigen Welt hatte und sagen konnte: Ebenso wie ich die äußere physische Welt und das sinnliche Leben sehe, ebenso weiß ich, daß es Erfahrungen und Beobachtungen eines anderen Bewußt­seinszustandes gibt, daß eine andere Welt, eine geistige, dem Sinnlichen zugrunde liegt.

Der Sinn der Menschheitsentwickelung besteht darin, daß von Epoche zu Epoche immer geringer und geringer die Fähigkeit des Menschen wurde, hineinzuschauen in die geistige Welt, weil sich die Fähigkeiten so entwickeln, daß immer die eine auf Kosten der anderen erkauft werden

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muß. Unser heutiges exaktes Denken, unser Vorstellungs-vermögen, unsere Logik, alles, was wir als die wichtigsten Triebräder unserer Kultur bezeichnen, war damals nicht vorhanden. Das mußte sich der Mensch erst in jener Epoche, die auch schon die unsrige ist, auf Kosten des alten hell­seherischen Bewußtseinszustandes erkaufen. Das hat der Mensch heute auszubilden. Und in der zukünftigen Mensch­heitsentwickelung wird dann zu dem rein physischen Be­wußtsein mit der Intellektualität und der Logik wieder hinzukommen der alte Hellseherzustand. Ein Abstieg und ein Aufstieg ist also in bezug auf das menschliche Bewußt­sein zu unterscheiden. Ein tiefer Sinn liegt in der Entwicke­lung, wenn wir sagen: Der Mensch lebte erst mit seinem ganzen Seelenleben noch in einer geistigen Welt drinnen, stieg dann herunter in die physische Welt und mußte dazu das alte hellseherische Bewußtsein aufgeben, damit er sich in Anlehnung an die physische Welt - erzogen durch die rein physische Welt - die Intellektualität, die Logik aneig­nen konnte, um dann in der Zukunft wieder hinaufzusteigen in die geistige Welt.

Nun liegt allerdings das, was die Menschen geschichtlich innerhalb ihres alten, eben geschilderten Bewußtseinszu-standes durchgemacht haben, vor den Zeiten, aus denen äußere geschichtliche Nachrichten vorhanden sind. Aber Zarathustra fällt auch in die Zeit, in welche noch nicht geschichtliche Nachrichten hinaufreichen, und Zarathustra ist eine der großen führenden Persönlichkeiten, welche die Anregungen für die großen Kulturfortschritte der Mensch­heit gegeben haben. Solche führenden Persönlichkeiten mussen immer, ob das normale Menschheitsbewußtsein auf dieser oder jener Stufe steht, aus dem schöpfen, was man die Erleuchtung, die Einweihung in die höheren Geheim­nisse der Welt nennen kann. Und zu jenen Persönlichkeiten,

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die wir im Laufe dieser Vorträge betrachten werden

- Hermes, Buddha, Moses - gehört nun auch Zarathustra. Er steht jedenfalls mindestens achttausend Jahre vor un­serem jetzigen Zeitpunkt in der Menschheitsentwickelung, und was er an Großem, Gewaltigem aus einem erleuchteten Geiste heraus der Menschheit gegeben hat, ist lange Zeit unter den allerwirksamsten Kulturgütern der Menschheit deutlich vernehmbar gewesen. Das kann auch heute noch derjenige wahrnehmen, der die geheimeren Strömungen in der ganzen Menschheitsentwickelung beachtet. Zarathustra gehört wesenhaft zu denen, die in ihrer Seele Wahrheiten, Weistümer, Anschauungen zu erleben hatten, die weit über das normale Menschheitsbewußtsein ihrer Zeit hinaus­gingen. Wahrheiten also aus den übersinnlichen Welten, aus jenen Gebieten der übersinnlichen Welten, die weit hinaus liegen über alles, was das normale Menschenbewußtsein seiner Zeit schauen konnte, hatte Zarathustra seinen Mit­menschen in jenem Lande, wo sich später das persische Reich ausbreitete, zu verkünden.

Wenn man nun verstehen will, was Zarathustra für die Menschheit bedeutet, muß man sich darüber klar sein, daß er einem gewissen Teil der Menschheit, einem ganz bestimm­ten Bruchteile der Menschen eine gewisse Art von Weltanschauung, von Weltverstehen zu überliefern hatte, während in der Tat andere Menschenströmungen, andere Völker, andere Menschheitsgebiete eine andere Art von Weltanschauung sozusagen in das Gesamtgebiet der Mensch­heitskultur hineinzutragen hatten. Und Zarathustras Per­sönlichkeit ist uns deshalb so interessant, weil er innerhalb eines Völkergebietes lebte, das nach Süden hin unmittelbar an ein anderes Volksgebiet anstieß, das in ganz anderer Weise geistige Güter, geistige Strömungen der Menschheit zu schenken hatte. Da haben wir, indem wir in jene alten

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Zeiten hinaufblicken, auf dem Boden des alten Indiens die­jenigen Völker, deren Nachkommen später die Vedensänger unter sich gesehen haben. Und nordwärts von diesem Ge­biet, auf dem sich die große Brahman-Lehre ausgebreitet hatte, haben wir dasjenige Volksgebiet zu suchen, das durch­strömt war von dem mächtigen Impuls des Zarathustra. Aber in einer gewissen Weise grundverschieden war das, was Zarathustra der Welt zu geben hatte, von dem, was die Lehrer, die großen führenden Persönlichkeiten den alten Indern zu geben hatten, was dann aufbewahrt ist in den hinreißenden Gesängen der Veden, in der tiefgründigen Vedanta-Philosophie, und was noch nachklingt wie in einem letzten großen Aufleuchten in der Offenbarung des großen Buddha.

Nun versteht man nur den Unterschied zwischen dem, was von der Strömung des alten Indien und was von der Strömung des Zarathustrismus ausging, wenn man ins Auge faßt, daß der Mensch von zwei Seiten her in das Gebiet der übersinnlichen Welt kommen kann. Es ist im Laufe dieser Vorträge über die Frage gesprochen worden, wie der Mensch in eine geistige Welt kommt. Es gibt nun zwei Möglichkei­ten, durch die der Mensch die Kräfte seiner Seele, die Fähig­keiten seines Inneren so über den normalen Zustand hin-aufheben kann, daß er aus der sinnlichen Welt in die übersinnliche Welt hinaufgelangen kann. Man kann den einen Weg als den bezeichnen, durch welchen der Mensch immer mehr und mehr in die eigene Seele hineinsteigt, sich vertieft in seine eigene Seele; den anderen kann man so darstellen, daß man sagt, er führt den Menschen über das, was als der Teppich der physisch-sinnlichen Welt um uns herum ausgebreitet ist, führt ihn hinter diesen Teppich der physischen Welt. Man kommt auf beiden Wegen in das übersinnliche Gebiet. Wenn wir in einem intimen inneren

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Erleben alles, was wir in der Seele an inneren Gefühls­werten, an Vorstellungs- und Ideenwerten, kurz, an Im­pulsen in der Seele haben, vertiefen - sozusagen in uns selber immer mehr und mehr hineinschlüpfen, so daß die Kräfte unseres Innern immer stärker und stärker werden -, dann können wir gleichsam mystisch in uns untertauchen und durch das, was in uns selber der physischen Welt an­gehört, zu dem durchdringen, was unser eigentlicher geistig-seelischer Wesenskern ist, der von Verkörperung zu Ver­körperung geht und gegenüber dem Vergänglichen ein Unvergängliches ist. Wir dringen dann in die geistige Welt unseres eigenen Inneren ein. Indem wir den Schleier unseres eigenen Inneren durchdringen, indem wir das, was an Begierden, Leidenschaften und inneren Seelenerlebnissen in uns lebt und uns nur dadurch eigen ist, daß wir in dieser physischen Welt in einem physischen Leibe verkörpert sind, durchdringen und in unser Ewiges untertauchen, gelangen wir in eine geistige Welt. Aber auch wenn wir auf der anderen Seite diejenigen Kräfte entwickeln, die nicht nur auf die äußere Welt hinschauen und Farben sehen, Töne hören, äußere Wärme- oder Kälteeindrücke empfangen, sondern wenn wir unsere geistigen Kräfte so machtvoll machen, daß sie hinter die Farben, hinter den Ton, hinter Wärme und Kälte und die andern Sinneseindrücke dringen können, die sich wie ein Teppich um uns herum ausbreiten, dann dringen die Kräfte, die in unserer Seele verstärkt sind, hinter den Schleier der Außenwelt in das übersinnliche Reich, das sich ins Unendliche, man möchte sagen, in unend­liche Fernen ausbreitet.

So gibt es einen Weg, den wir den mystischen nennen kön­nen, und so gibt es einen Weg, der durchdringend den Schleier des Sinnlichen in die Weiten des Kosmos führt, den wir den eigentlich geisteswissenschafllichen nennen können. Auf diesen

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zwei Wegen sind alle die großen geistigen Persönlich­keiten zu Wahrheiten und Offenbarungen gekommen, die sie den Menschen als Kulturfortschritte einzuimpfen hatten. Nur war in uralten Zeiten die Entwickelung der Menschen so, daß immer einem bestimmten Volkstum nur auf einem dieser Wege die großen Offenbarungen zukommen konnten. Erst von dem Zeitalter an, in welchem die Griechen gelebt haben, in das dann auch der Aufgang, die Entstehung des Christentums hineinfällt, rinnen gleichsam die beiden Strö­mungen zusammen und wurden immer mehr und mehr eine Kulturströmung. Wenn wir heute reden von dem Betreten der höheren Welten, reden wir so, daß der, welcher zu den übersinnlichen Welten hinaufdringen will, gewissermaßen beide Kräftearten in seiner Seele entwickelt, sowohl die Kräfte für den mystischen Weg in das eigene Innere, wie auch für den geisteswissenschaftlichen Weg in die Außen­welt. Heute werden die beiden Wege nicht mehr streng voneinander geschieden, denn es liegt im Sinne der Mensch­heitsentwickelung, daß ungefähr um die Epoche, die durch das Griechenvolk bezeichnet wird, diese beiden Ströme zu­sammenfließen: der, welcher seine Offenbarungen empfängt durch die mystische Versenkung in das eigene Innere, und der, welcher seine Offenbarungen empfängt durch Stärkung der geistigen Kräfte hinausführend in den großen Kosmos. In der vorgriechischen oder in der vorchristlichen Zeit aber war es so, daß diese beiden Möglichkeiten auf verschiedene Volkstümer verteilt waren, und sie treten uns - räumlich eng zusammengestellt - in uralten vorgriechischen und vorchrist­lichen Zeiten entgegen in der indischen Kultur, die in den Veden ihren Ausdruck gefunden hat, und in der Zarathustra-Kultur mehr im Norden. Denn alles, was wir in der in­dischen Kultur bewundern, was auch noch in Buddha zum Ausdruck gekommen ist, ist erlangt durch innere Versenkung,

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durch Hinwegwendung des Blickes von der äuße­ren Welt, durch Abtötung des Auges für die sinnlichen Farben, des Ohres für die sinnlichen Töne, der äußeren Organe für den Sinnesteppich überhaupt und durch Stär­kung der inneren Seelenkräfte, um herunterzudringen zu Brahman, in dem sich der Mensch eins fühlt mit dem, was für alle Zeit webt als das Innere der Welt. Daraus sind die Lehren der alten heiligen Rishis entsprungen, die in den Veden dichterisch weiterleben, die in der Vedanta-Philo­sophie und im Buddhismus weiterleben. Aus der anderen Art ist der Zarathustrismus entsprungen.

Zarathustra hatte seinen Schülern namentlich das Ge­heimnis davon überliefert, wie man die Erkenntniskräfte des Menschen stärkt, damit sie den Schleier der äußeren Sinneswelt durchdringen. Nicht lehrte Zarathustra wie die Lehrer Indiens: Wendet den Blick ab von den Farben, von den Tönen, von den äußeren Sinneseindrücken und suchet den Weg zum Geistigen lediglich durch Versenkung in euer Seeleninneres! - sondern er sagte: Stärkt die Erkenntnis-kräfte so, daß ihr hinausschauen könnt auf alles, was als Pflanze und Tier, was in Luft und Wasser lebt, auf Berges-höhen und in Talestiefen! Schaut hin auf diese Welt! -Wie wir wissen, war diese Welt für den Schüler der in­dischen Mystik doch nur Maja, um den Blick dorthin zu wenden, wo man Brahman findet. Zarathustra lehrte seine Schüler, daß sie den Blick nicht abwenden von dieser Welt, sondern sie durchdringen, daß sie sich sagen: Überall, wo wir in der äußeren Welt sinnlich-physische Offenbarungen sehen, ist dahinter - außer uns - wirkend und webend Geistiges! - Das ist der andere Weg. Merkwürdig kommen in der griechischen Zeit die beiden Wege zusammen. Und weil in der Erkenntnis, die wahrhaftig in bezug auf Gei­stiges tiefer ging als in unserer Zeit, die es so herrlich weitgebracht

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haben will, alles ausgedrückt wird durch Bilder, die in die Mythen übergegangen sind, so finden wir auch, wie die beiden Strömungen - die eine, die mystische in das eigene Innere, und die andere nach außen in den Kosmos -in der griechischen Kultur zusammengekommen sind, sich getroffen haben und gleichzeitig gepflegt worden sind. Das kommt darin zum Ausdruck, wie man den einen Weg auf den Namen des Dionysos, des geheimnisvollen Gottes ge­tauft hat, der gefunden werden kann, wenn der Mensch immer tiefer und tiefer in sein Inneres untertaucht und dort jenes fragliche Untermenschliche findet, das er früher nicht gehabt hat, aus dem er sich erst heraufentwickelt hat zum Menschen. Es ist das, was da noch ungeläutert, noch halb tierisch ist, getauft auf den Namen des Dionysos. Das aber, was uns entgegentritt, wenn wir die Welt durchschauen, wenn wir das, was uns physisch für die Sinne entgegentritt, geistig schauen, ist getauft auf den Namen des Apollo. Daher treten uns in der Apollo-Strömung die Zarathustra-Lehre und in der Dionysos-Strömung die Lehre der mysti­schen Versenkung im Griechentum nebeneinander entgegen. Da vereinigen sie sich, da strömen sie zusammen, der Zarathustrismus und die mystische Lehre, die uns auf ihren Höhen im alten Indertum entgegenkommt. So waren die alten Zeiten dazu berufen, sozusagen zwei Ströme neben­einanderlaufen zu lassen, und im apollinischen und im dionysischen Glaubenskreise Griechenlands strömten beide zusammen, um dann einheitlich weiterzufließen, so daß sie in unserer Kultur, wenn wir uns zum Geistigen erheben, einheitlich weiterleben.

Es ist ganz merkwürdig - und das gehört zu den vie­len Rätseln, die dem Denker aufgegeben werden -, daß Nietzsche davon eine Ahnung hatte - allerdings nicht mehr - und in seiner ersten Schrift «Die Geburt der Tra­

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gödie aus dem Geiste der Musik» begründete, daß dieser dionysische und apollinische Glaubenskreis Griechenlands sich als die geisteswissenschaftliche und als die mystische Strömung begegnen.

Nun ist es interessant zu sehen, wie in der Tat Zarathu­stra in allen Einzelheiten seine Schüler und damit die ganze Kultur, die von ihm den Ausgangspunkt nahm, lehrte, hinter allem Sinnlichen den Geist zu sehen. Da handelt es sich darum, daß es nicht genügt, wenn man sagt: Vor uns breitet sich die Sinneswelt aus, und dahinter webt das Geistig-Göttliche. Man fühlt sich dabei vielleicht ganz be­sonders bedeutend, arbeitet aber damit nur auf einen all­gemeinen Pantheismus hin. Man denkt, daß man schon etwas getan hat, wenn man sagt: Hinter allem Sinnlichen webt ein Göttliches - das heißt ein verschwommenes, nebu­loses Geistiges hinter allen physischen Erscheinungen im allgemeinen zugibt. In einer solchen abstrakten verschwom­menen und nebulosen Weise sprach ein Mensch wie Zara­thustra, der wirklich in eine geistige Welt hinaufgestiegen war, nicht zu seinen Schülern und zu seinem Volke; son­dern er wies darauf hin: so wie sich die einzelnen sinnlichen Erscheinungen unterscheiden, wie die eine bedeutender, die andere unbedeutender ist, so ist auch das Geistige, das da­hinter ist, entsprechend den einzelnen Erscheinungen bald bedeutender, bald unbedeutender. Da wies er dann darauf hin, daß hinter dem Physischen der Sonne, die - rein in bezug auf die physische Anschauung unseres Weltsystems -zum Beispiel den Ursprung alles Lebens, aller Erscheinun­gen und Tätigkeiten enthält, sich verbirgt der Mittelpunkt des geistigen Lebens, insofern uns dieses geistige Leben zunächst angeht.

Es sagte Zarathustra, wenn wir etwa das, was er in ein­dringlichen Lehren seinen Schülern klarmachen wollte, in

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einfache Worte fassen: Seht, wie der Mensch, der vor uns steht, nicht allein der physische Leib ist, denn der ist nur der äußere Ausdruck des Geistes. Aber wie der physische Leib nur die Offenbarung, die Kristallisation des geistigen Menschen ist, so ist die Sonne, die uns als physischer Licht­körper erscheint, insofern sie ein solcher physischer Licht­körper ist, nur der äußere Körper eines Geistigen, gleich­sam einer Geistessonne. - Und wie man das, was der Geistesmensch gegenüber dem physischen Menschen ist, als seine Aura bezeichnen kann - als Aura oder Ahura, wenn man den alten Ausdruck gebrauchen will -, so kann man das, was hinter der physischen Sonne ist, als «große Aura», als eine umfassende Aura bezeichnen, wogegen das, was hinter dem physischen Menschen als Geistiges ist, die «kleine Aura» ist! Deshalb nannte Zarathustra das, was hinter der physischen Sonne ist, die «Große Aura», Auramazda oder Ahura Mazdao. Das war das Geistige hinter der Sonne, dasjenige, was uns in bezug auf alle geistigen Ereignisse, alle geistigen Seinszustände ebenso angeht wie die physische Sonne in bezug auf das Gedeihen der Pflanzen, Tiere und alles Lebens auf der Erde. Hinter der physischen Sonne der geistige Herr und Schöpfer, Ahura Mazdao, Auramazda! Daraus wurde dann der Name Ormuzd oder «Geist des Lichtes». Während also die Inder mystisch in ihr Inneres hineinblickten, um so zu Brahman, zu dem Ewigen zu kommen, das wie in einem Punkte aus dem Inneren des Menschen herausleuchtet, wies Zarathustra seine Schüler hin auf die große Peripherie des Daseins und zeigte, wie in dem Sonnenleib der große Geist der Sonne, Ahura Mazdao, der Geist des Lichtes vorhanden ist. Und wie ün Menschen sein eigentlicher Geistesmensch hinaufstrebt zur Vervollkommnung, aber gegen sich die niederen Leiden­schaften und Begierden hat, die Möglichkeit, den Trugbildern

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der Lüge und Unwahrheit ausgesetzt zu sein, - wie der Mensch so den Gegner der eigenen Vervollkommnungs-impulse in sich hat, so hat Ahura Mazdao sich gegenüber den Gegner, den Geist der Finsternis; Angro-Mainyush, Ahriman.

Da sehen wir, wie sich des großen Zarathustra Anschau­ung auch umwandeln konnte aus einer Lehre in einen Empfindungs- und Gefühlsinhalt. Dadurch konnte er seine Schüler so weit bringen, daß er ihnen klarmachen konnte:

Da steht ihr als Menschen mit einem Vervollkommnungs-prinzip im Innern, das euch sagt: wie ich auch jetzt sein mag - das Prinzip zur Vervollkommnung in mir wird so wirken, daß der Mensch immer höher und höher kommen kann. Aber in diesem Innern arbeiten die zum Unvollkom­menen führenden Neigungen und Triebe, Lug und Trug. Was so im Menschen ist, das ist ausgebreitet, expansiert als das Prinzip der Vervollkommnung, das immer höhere und höhere, immer weisere und weisere Vervollkommnungs-zustände in die Welt bringen muß: das Prinzip von Ahura Mazdao. Dieses Prinzip wird zunächst überall draußen in der Welt von dem bekämpft, was Unvollkommenheit, was das Böse, was den Schatten in das Licht hineinbringt: von Angro-Mainyush, von Ahriman! - So sahen und fühlten die Zarathustra-Schüler wirklich in dem einzelnen Menschen ein Abbild dessen, was die Welt draußen darstellt. Wir müssen das eigentlich Bedeutungsvolle einer solchen Lehre nicht in ihren Theorien, nicht in ihren Begriffen und Ideen suchen, sondern in dem lebendigen Gefühl und in der Emp­findung, die sie durchdringt, wenn durch sie der Mensch so zum Weltall steht, daß er sich sagt: Ich stehe hier, bin eine kleine Welt, bin aber als kleine Welt wie ein Abdruck einer großen Welt. Wie wir hier als Menschen in uns ein Prinzip zum Guten haben und etwas, was diesem entgegen-arbeitet, so stehen sich in der großen Welt gegenüber

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Ormuzd und Ahriman. Die ganze Welt ist gleichsam ein ausgebreiteter Mensch, und die besten Kräfte sind die, welche wir als Ahura Mazdao bezeichnen, denen dann ent­gegenarbeiten die Kräfte des Angro-Mainyush.

So wie der Mensch, der nur das Sinnliche ins Auge faßt, mit seinen physischen Vorgängen sich in den ganzen Welten-prozeß hineingestellt findet und - selbst wenn er materia­listisch denkt, aber nur zu fühlen beginnt - eine heilige Scheu haben kann, wenn er zum Beispiel durch die Spek­tralanalyse erfährt: dieselben Stoffe, die hier auf der Erde sind, existieren auf den fernsten Sternen, - so fühlte sich der Mensch im Sinne des Zarathustrismus mit seinem gei­stigen Teil in den Geist der ganzen Welt hineinversenkt, fühlte sich aus ihm herausgeboren. Und darin liegt das Bedeutungsvolle einer solchen geistigen Lehre.

Nun blieb aber diese Lehre durchaus nicht etwas Ab­straktes, im Gegenteil, sie wurde etwas ganz Konkretes. Es ist für das heutige Zeitalter, selbst wenn die Menschen ein gewisses Gefühl für das Geistige haben, das hinter dem Sinnlichen steht, schon recht schwer begreiflich zu machen, wie eine wirklich geisteswissenschaftliche Weltanschauung nicht nur eine einheitliche zentrale Geistesmacht braucht. Wie wir aber die einzelnen Naturkräfte unterscheiden müssen - Wärme, Licht, chemische Kräfte und so weiter -, so müssen wir auch in der Welt des Geistigen nicht bloß einen einheitlichen Geist unterscheiden, der wahrhaftig dadurch nicht geleugnet wird, sondern geistige Unterkräfte, geistige «Hilfskräfte», deren Gebiet dann enger umgrenzt ist als das Gebiet des allumfassenden Geistes. So unter­schied denn auch Zarathustra von diesem allumfassenden Ormuzd sozusagen die Diener, die dienenden geistigen Wesenheiten des Ormuzd. Bevor wir aber zu diesen dienen­den geistigen Wesenheiten heruntersteigen, wollen wir noch

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auf eines aufmerksam machen, darauf nämlich, daß diese Zarathustra-Anschauung nicht etwa ein bloßer Dualismus ist, eine bloße Zwei-Welten-Lehre, eine Lehre von der Welt des Ormuzd und der Welt des Ahriman; sondern sie ist schon eine Lehre davon, daß diesen zwei Weltenströmun­gen etwas Einheitliches zugrunde liegt, eine einheitliche Macht, aus der wieder hervorgeht sowohl das Reich des Lichtes wie das Reich des Schattens, das Reich des Ormuzd wie das des Ahriman. Es ist nun sehr schwierig, einen Be­griff davon hervorzurufen, was Zarathustra als das Ein­heitliche hinter Ormuzd und Ahriman ansah, von dem un& schon die griechischen Schriftsteller sagten, daß die alten Perser es als das in Einheitlichkeit Lebende verehrten, und was Zarathustra nannte «Zeruane akarene», das ist, wa& hinter dem Licht steht. Wodurch können wir uns einen Begriff für das schaffen, was Zarathustra und die Zara­thustra-Lehre unter «Zeruane akarene» oder «Zaruana akarana» versteht?

Denken wir uns einmal den Verlauf der Entwickelung. Wir müssen uns vorstellen, daß die Entwickelung gegen die Zukunft hin so verläuft, daß die Wesen immer vollkomme­ner und vollkommener werden, so daß wir, wenn wir in die Zukunft blicken, immer mehr und mehr den Schein des Lichtreiches, des Ormuzd, sehen. Wenn wir in die Ver­gangenheit den Blick richten, sehen wir, wie da die Kräfte liegen, welche mit der Zeit völlig aufhören müssen, die besiegt werden müssen, so daß wir da in die dem Ormuzd gegnerischen Kräfte, in die ahrimanischen Kräfte herein-blicken. Nun hat man sich vorzustellen, daß dieser Blick sowohl in die Zukunft wie in die Vergangenheit zu dem­selben Punkte führt. Das ist eine Vorstellung, die für den heutigen Menschen außerordentlich schwer zu vollziehen ist. Denken wir uns dazu einen Kreis: wenn wir von dem

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untersten Punkte nach der einen Seite gehen, kommen wir zu dem gegenüberliegenden Punkte oben; wenn wir nach der andern Seite gehen, kommen wir ebenfalls zu demselben Punkte. Nehmen wir den Kreis größer, so müssen wir einen weiteren Weg machen, und der Bogen wird dadurch flacher und flacher. Nun können wir den Kreis immer größer und größer machen, dann ist das Ende, daß die Kreislinie zu­letzt eine Gerade wird: dann geht der Weg nach der einen Seite in die Unendlichkeit und nach der anderen Seite auch. Aber kurz vorher, wenn wir nicht so weit gehen, wenn wir den Kreis nicht so groß machten, dann würden wir, wenn wir nach der einen Seite wie nach der andern Seite gingen, zu einem und demselben Punkte kommen. Warum sollte nun, wenn der Kreis so flach wird, daß seine Linie eine Gerade wird, nicht dasselbe gelten? Dann muß der eine Punkt in der Unendlichkeit der gleiche sein wie der auf der anderen Seite. Und wenn man nur lange genug den Atem halten könnte, müßte man nach der einen Seite ge­hen können und auf der andern Seite zurückkommen. Das heißt: es liegt für eine die Unendlichkeit ergreifende Vor­stellung eine Linie zugrunde, die nach beiden Seiten ins Unendliche verläuft, die aber eigentlich eine Kreislinie ist.

Was ich Ihnen jetzt als eine Abstraktion vor Augen ge­führt habe, das liegt in der Zarathustra-Anschauung dem zugrunde, was er mit Zaruana akarana meinte. Wir blicken auf der einen Seite - der Zeit nach - in die Zukunft hinein, auf der andern Seite in die Vergangenheit; aber die Zeit schließt sich zum Kreise, nur liegt dieser Zusammenschluß erst in der Unendlichkeit. Und dieser sich selbst findenden Schlange der Ewigkeit - die dargestellt werden kann durch die Schlange, die sich selbst in ihren Schwanz beißt - ist sowohl die Kraft des Lichtes einverwoben, die uns immer heller und heller leuchtet, wenn wir nach der einen Seite

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blicken, wie auch die Kraft der Finsternis, die uns nach der andern Seite immer dunkler und dunkler scheint. Und wenn wir selbst mitten drinnen stehen, haben wir selbst Licht und Schatten - Ormuzd und Ahriman - durcheinan­dergemischt. Alles ist einverwoben dem sich selbst finden­den, unendlichen Strome der Zeit: Zaruana akarana.

Es ist nun etwas weiteres für eine solche alte Welt­anschauung dies, daß sie die Sache ernst nahm, von der sie ausging, daß sie nicht bloß nebulos hinstellte: da draußen ist hinter den Dingen der Sinneswelt, die auf unsere Augen, Ohren und anderen Sinne Eindruck machen, Geist, son­dern daß sie in der Tat in dem, was sie sah, etwas wie die Schriftzeichen des Geistes oder der geistigen Welten er­blickte. Wir nehmen zum Beispiel irgendein Blatt, sehen darauf die Buchstaben und setzen sie zu Worten zusammen; wenn wir aber das wollen, müssen wir erst etwas gelernt haben, nämlich lesen. Wer das nicht kann, kann nie Zara­thustra lesen, sondern sieht nur gewisse Zeichen, denen er mit dem Blicke nachlaufen kann. Zarathustra aber kann er erst lesen, wenn er diese Zeichen gemäß dem, was er in seiner Seele trägt, zu verbinden versteht. Nun sah Zara­thustra hinter dem, was in der Sinneswelt ist, besonders in der Art, wie sich die Sterne innerhalb des Weltenraumes zu Gruppen zusammenfügen, eine solche Zeichenschrift. Wie wir auf dem Papier die Buchstaben haben, so sah er in dem, was uns als die Sternenwelt im Raume umgibt, etwas wie die Buchstaben von den geistigen Welten, die zu uns spre­chen. Und es bestand die Kunst, einzudringen in die gei­stige Welt und die Zeichen, die uns durch die Anordnung der Sterne gegeben sind, zu lesen, zu deuten, an der Be­wegung und Anordnung der Sternenwelten die Art zu entziffern, wie die Geister draußen ihre Taten des Geist­Erschaffens in den Raum schreiben. Das wurde für Zarathustra

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und seine Schüler dasjenige, worauf es ihnen ankam. So war ihnen besonders ein wichtiges Schriftzeichen dies:

daß Ahura Mazdao seine Schöpfungen, seine Offenbarun­gen in der Welt dadurch vollbringt, daß er scheinbar im Sinne unserer Astronomie einen Kreis im Himmelsraum zu beschreiben hat. Dieses Beschreiben eines Kreises wurde der Ausdruck für ein Schriftzeichen, das Ahura Mazdao oder Ormuzd den Menschen kundgibt, um zu zeigen, wie er wirkt, wie er seine Taten in den ganzen Weltenzusam­menhang stellt. Da war es wichtig, daß Zarathustra darauf hinweisen konnte: Es ist der Tierkreis, der Zodiakus, eine in sich selbst zurückkehrende Linie, ein Ausdruck für die in sich selbst zurückkehrende Zeit. Im höchsten Sinne des Wortes geht der eine Ast der Zeit nach der Zukunft, nach vorwärts, der andere in die Vergangenheit, nach rückwärts. Was später der Tierkreis wurde, ist Zaruana akarana: die in sich selbst sich findende Zeitlinie, welche Ormuzd be­schreibt, der Geist des Lichtes. Das ist der Ausdruck für die geistige Tätigkeit des Ormuzd. Die Bahn der Sonne durch die Tierkreisbilder ist der Ausdruck der Tätigkeit des Ormuzd, und Zaruana akarana hat sein Symbol im Tier­kreis. Im Grunde genommen sind «Zaruana akarana» und «Zodiakus» dasselbe Wort so wie «Ormuzd» und «Ahura Mazdao». Einverwoben ist zweierlei in dem «Gehen durch den Tierkreis»: einmal ein gewisser Gang der Sonne im Hellen, wo sie im Sommer ihre vollen Kräfte als Lichtkräfte auf die Erde sendet, - aber auch ihre geistigen Kräfte schickt sie uns aus dem Lichtreich des Ormuzd. Derjenige Teil des Tierkreises also, den Ormuzd während des Tages oder während des Sommers durchläuft, zeigt uns, wie Ormuzd unbehindert von Ahriman wirkt; diejenigen Tierkreisbilder dagegen, die unter dem Horizont liegen, symbolisieren das Reich des Schattens das sozusagen Ahriman durchläuft.

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Wodurch drückt nun sowohl Ormuzd, der gedacht ist als der helle Teil des Tierkreises, des Zaruana akarana, und wodurch drückt Ahriman, der dunkle Teil des Tierkreises, die Art aus, wie sie auf die Erde wirken?

Anders wirkt die Sonne des Morgens, anders am Mittag. Indem sie hinaufsteigt vom Widder bis zum Stier, indem sie wieder hinuntersteigt, wirken ihre Strahlen immer an­ders; anders wirken sie im Winter, anders im Sommer, von jedem Sternbild aus verschieden. So werden für Zarathustra die Wirkungen des Ormuzd von den verschiedenen Rich­tungen, die symbolisiert werden durch das Stehen der Sonne in den verschiedenen Sternbildern, das heißt die verschiede­nen Richtungen der Ormuzd-Wirkungen, zum Ausdruck der­jenigen geistigen Wesenheiten, die gleichsam die Diener, die Söhne des Ormuzd sind, die das ausführen, was er anord­net: das sind die «Amshaspands» oder «Amesha-Spentas», die gleichsam unterhalb des Ormuzd stehen und ihre Spe­zialtätigkeit haben. Während Ormuzd die ganze Tätigkeit des Lichtreiches hat, haben die Amshaspands die Spezial-tätigkeiten, die ausgedrückt werden durch das Herleuchten der Sonne aus dem Widder, aus dem Stier, dem Krebs und so weiter. Die Ormuzd-Wirksamkeit kommt durch das volle Leuchten der Sonne durch alle hellen Tierkreisbilder

- vom Widder bis zur Waage oder zum Skorpion - zum Ausdruck. So können wir weiter im Sinne des Zarathustra sagen: Ahriman wirkt gleichsam wie durch die Erde hin­durch aus dem Finstern und hat da seine Diener, seine Amshaspands, die Gegner sind der guten Genien, welche dem Ormuzd zur Seite stehen. Zarathustra hat so in der Tat zwölf verschiedene geistige Wesenheiten unterschieden, welche die Diener sind - auf der einen Seite sechs be­ziehungsweise sieben des Ormuzd, auf der andern Seite sechs beziehungsweise fünf des Ahriman, die dann symbolisiert

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werden als gute oder böse Genien oder Unter-geister, Amesha-Spentas, je nachdem die Sonne von den hellen oder von den dunklen Tierkreisbildern strahlt. Diese dienenden Geister des Ormuzd meinte zum Beispiel auch Goethe, als er im Anfang des «Faust», im «Prolog im Him­mel» sagte:

Doch ihr, die echten Göttersöhne,

Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfass' euch mit der Liebe holden Schranken,

Und was in schwankender Erscheinung schwebt,

Befestiget mit dauernden Gedanken.

An dasselbe noch, an was Zarathustra bei seinen Amshas­pands dachte, dachte Goethe bei seinen «echten Götter-söhnen», welche die Diener sind der höchsten göttlichen Macht. Zwölf solcher Genien haben wir zu verzeichnen, die wir als die Amshaspands zu nennen haben. Unter diesen stehen wieder andere geistige Mächte oder Kräfte, und zwar unterscheidet man gewöhnlich als unter ihnen stehend im Zarathustrismus achtundzwanzig. Aber die Zahl ist nie so ganz bestimmt; man könnte sagen vierundzwanzig bis acht­undzwanzig oder einunddreißig «Yazatas» oder «Izeds». Was sind dies für Wesenheiten? Wenn wir uns die großen Kräfte, die durch den Raum wirken, in der Zwölfzahl den­ken als die Amshaspands, dann sind wieder die dienenden Kräfte, die hinter den niederen Naturwirkungen stehen, die Kräfte der Izeds, achtundzwanzig bis einunddreißig etwa. Und als eine dritte Gattung solcher geistiger Kräfte oder Mächte nennt dann der Zarathustrismus die «Fravashis». Diese Kräfte sind sozusagen die in unserem Sinne am we­nigsten in die körperliche Welt eingreifenden. Während wir uns vorzustellen haben, daß in alledem, was physische

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Lichtwirkungen auf unserer Erde sind, die zwölf Kräfte wirksam sind, hinter denen die Amshaspands stehen, und wir uns hinter den Izeds Kräfte zu denken haben, die ins Tierreich hineinwirken, haben wir uns unter den Fravashis nur solche geistigen Wesenheiten vorzustellen, welche die Gruppenseelen der Tiere lenken. So sieht der Zarathustris­mus ein spezialisiertes Reich hinter der Sinneswelt als über-sinnliches Reich.

Was Zarathustra so-nicht in einer allgemeinen, abstrak­ten Weise, sondern ganz konkret - als die Welt durch-organisierend denkt: Ormuzd und Ahriman, hinter ihnen Zaruana akarana, dann die Amsbaspands, die guten und die bösen, dann die Izeds, die Fravashis - was sind sie? Sie sind das, was die große Welt, den Makrokosmos, durch­geistigt, was hinter allen sinnlich-physischen Wirkungen steht, was das Wesenhafte ist hinter dem, was uns schein­bar bloß als äußeres Sinnliches erscheint. Der Mensch aber, wie er dasteht in der Welt, ist ein Abbild dieser großen Welt. Und in ihm muß sich daher alles finden, was die große Welt durchkraftet. Wie wir in den nach Vollkom­menheit strebenden Kräften den Ausdruck des Ormuzd im Menschen, in den ungeläuterten Kräften den Ausdruck des Ahriman im Menschen gefunden haben, so werden wir auch für die anderen geistigen Wesenheiten, gleichsam für die Untergenien, den Ausdruck finden. Jetzt muß ich aller­dings etwas sagen, was in unserer heutigen Zeit bei dem gegenwartigen Stande unserer Weltanschauungen geeignet ist, unendliches Argernis zu erregen. Aber es wird sich schon in einer gar nicht so weiten Zukunft auch für die äußere Wissenschaft zeigen, daß hinter allem Physischen ein Über-sinnliches, hinter allem Sinnlichen ein Geistiges steht. Dann wird sich auch zeigen, daß der physische Leib des Menschen in den gröbsten Teilen ein Abdruck ist von dem, was die

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ganze Welt durchwebt und durchlebt und in den physischen Leib des Menschen hereinströmt, um sich gleichsam im Menschen zu verdichten. Und wenn wir uns jetzt auf die Zarathustra-Vorstellung berufen, die der geisteswissen­schaftlichen sehr nahe steht, so können wir sagen: Draußen wirken Ormuzd und Ahriman; sie wirken herein in den Menschen - und zwar Ormuzd als die Impulse zum Voll­kommenen, Ahriman als alles, was diese aufhält. Aber auch die Amshaspands wirken herein, schicken herein ihre gei­stige Wirksamkeit. Denken wir uns diese im Menschen gleichsam verdichtet, so müßten sie sich nachweisen lassen bis in die physische Wirksamkeit hinein.

Zur Zeit Zarathustras gab es noch keine Anatomie im heutigen Sinne. Da sahen Zarathustra und seine Schüler durch ihre geistige Anschauung die Strömungen wirklich, von denen wir heute gesprochen haben, die als zwölf Ströme von der großen Welt auf den Menschen zufließen und sich in den Menschen hinein fortsetzen, so daß uns in der Tat das menschliche Haupt als der Ausdruck dessen erscheint, daß in den Menschen hereinströmen die Kräfte der sieben guten und der fünf bösen Amshaspands-Strö­mungen. Da drinnen im Menschen sind die Fortsetzungen der Ströme der Amshaspands. Wie geben sie sich heute kund einer viel späteren Zeit? Heute deckt der Anatom zwölf Hauptpaare von Gehirnnerven auf, die vom Gehirn aus in den Leib gehen. Das sind die physischen Gegenbilder, gleichsam die zwölf gefrorenen Strömungen der Amshas­pands, zwölf Nervenpaare für die höchste menschliche Tätigkeit, durch die der Mensch zu den höchsten Voll­kommenheiten wie auch zum ärgsten Bösen kommen kann. Da sehen wir, wie in unserm Zeitalter - materialistisch um­gestaltet - das wiedererscheint, was Zarathustra seinen Schülern aus der geistigen Welt heraus gesagt hat. Das ist

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das Argerliche, und leicht wird es für einen heutigen Men­schen, zu sagen: Da predigt die Geisteswissenschaft das ganz Phantastische, daß Zarathustra mit den zwölf Am­shaspands etwas gemeint habe, was mit den zwölf Nerven­paaren im menschlichen Kopfe zusammenhängen soll! Aber die Welt wird noch etwas ganz anderes erfahren: sie wird erfahren, wie sich in den Menschen hinein fortsetzt, was die ganze Welt durchwebt und durchlebt. In unserer Phy­siologie steht der alte Zarathustrismus wieder auf! Und wie die achtundzwanzig bis einunddreißig Izeds unter den Amshaspands stehen, so stehen die achtundzwanzig Rücken­marksnervenpaare unter den Gehirnnerven. In den Rücken­marksnerven, die das niedere Seelenleben des Menschen anregen, schaffen die Izeds, die als geistige Strömungen draußen vorhanden sind; sie wirken in uns herein, kristalli­sieren sich gleichsam in den achtundzwanzig Rückenmarks­nerven, denn in denselben haben wir die verdichteten Izeds-Strömungen. Und in dem, was nicht mehr Nerv ist, was uns zur Persönlichkeit abrundet, haben wir das, was nun nicht mehr in einer äußeren Strömung, in einer äuße­ren Richtung sich auslebt: was die Fravashis sind, das sind in uns die Gedanken, die sich über das bloße Gedanken-und Gehirnleben erheben.

Es ist damit in der Tat in einer ganz eigenartigen Weise unsere Zeit wieder verknüpft mit dem, was Zarathustra -allerdings in seinem geistigen Urbilde - den Menschen hat geben können als eine Strömung nach dem, was hinter dem Teppich der Sinneswelt ausgebreitet liegt. Das ist nun das ganz Bedeutsame der Zarathustra-Lehre. Nachdem sie eine lange Zeit hindurch durch diese oder jene Kulturfermente sich immer wieder und wieder in die weiterstrebenden Menschen hineinergossen hat und dann eine Weile zurück­gegangen ist, ist es so gekommen, daß es in der Tat - wie

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man immer, nachdem im Griechentum sich die beiden Wege in die geistige Welt vereinigt hatten, eine Vorliebe für die mystische oder für die geisteswissenschaftliche Strömung hatte - heute wieder eine Vorliebe für eine mystische Strö­mung gibt. Daher die Vorliebe mancher für eine indische Geisteswissenschaft oder Vertiefung. Diese Tatsache hat es mit sich gebracht, daß dasWesentlichste, dasTiefbedeutsamste des Zarathustrismus - sein eigentlicher Lebensnerv - heute in unserem ganzen Geistesleben kaum bemerkt wird. Vieles von zarathustrischer Anschauungsweise und zarathustri­schem Denken wird sich ja auch heute in unserem Geistes­leben finden. Aber etwas, was als ein Grundnerv, als das Gesündeste in ihm liegt, ist in einer gewissen Weise un­serem Zeitalter verlorengegangen. Und wenn man wieder verstehen wird, wie der Zarathustrismus das geistige Ur­bild ist für alles, was wir auf dem Gebiete der physischen Forschung - Unzähliges könnte von ihr angeführt werden -wiederfinden und was sich weiter einleben wird, dann wird ein Grundton in unserer Kultur glücklich überwunden wer­den durch einen anderen, der sich eben im Zarathustrismus findet.

Es ist merkwürdig, wie im Zarathustrismus durch seine Hingebung an die großen Erscheinungen des Makrokos­inischen, der äußeren Welt, etwas zurücktritt, was fast in allen anderen, sich mehr an die Mystik anschließenden Kulturströmungen eine bedeutende Rolle spielt, auch in unserm Materialismus. Man faßte den großen Gegensatz, der in der Welt doch immer wieder vorhanden war, so auf, daß man als Symbol dafür den Gegensatz des Geschlecht­lichen - des Männlichen und des Weiblichen - nahm: so zum Beispiel indem man in den alten Religionssystemen, die auf mystischem Boden fußen, den Göttern Göttinnen entgegenstellte für das, was als ein Gegensatz die Welt

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durchströmt. Im Zarathustrismus haben wir das Wunder­bare, daß er sich erhebt über diese Anschauung, um die Urgründe der geistigen Wirksamkeit in einem andern Bilde sich zu denken: in dem Bilde des Guten, des Lichtvollen und des Bösen, des Schattenhaften. Daher die ungeheure Keuschheit des Zarathustrismus, die Erhabenheit, das Hin­ausgehen über alle die Vorstellungen und Anschauungen, die wieder in unserer Zeit eine so häßliche Rolle spielen, wenn man glaubt, die Anschauung des Menschen über das geistige Leben vertiefen zu können. Wenn auch selbst noch die griechischen Schriftsteller sagen: es mußte die höchste Gottheit, um Ormuzd zu schaffen, auch Ahriman schaffen, damit er einen Gegensatz hätte, so ist doch, indem Ahriman sich dem Ormuzd entgegenstellt, damit etwas gegeben, wie sich eine Urkraft der anderen entgegenstellt; was selbst noch im Hebräischen zum Ausdruck kommt, indem das Böse durch das Weib - durch Eva - in die Welt getreten ist. Nichts von dem, was die Welt durchlebt als das Böse, das durch einen Geschlechtsgegensatz in die Welt kommt, ist im Zarathustrismus zu finden. Was heute so häßlich bis in die Tagesliteratur unser ganzes Denken und Fühlen durchströmt, was vieles so verhäßlicht in bezug auf den Hauptwert bei Krankheits- und Gesundheitserscheinungen und was doch nicht die Hauptsachen des Lebens enthält, das wird überwunden werden, wenn der Gegensatz von Ormuzd und Ahriman, der ein ganz anderer - ein heroi­scher gegenüber dem spießbürgerlichen ist, sich einmal als ein Ferment mit den Worten des Zarathustrismus in un­sere Kultur einleben wird. Die Dinge gehen in der Welt ihren Weg - und nichts wird den Siegeslauf der Zarathu­stra-Anschauung aufhalten, die sich ja nach und nach auch einleben wird.

Wenn wir Zarathustra so betrachten, sehen wir in ihm in

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der Tat einen Geist, der in einer längst vergangenen Zeit der Menschheitskultur mächtige Impulse gegeben hat. Denn man braucht nur das, was erlebt worden ist in Vorderasien in den späteren Zeiten der Völker der Assyrer, Babylonier bis in die ägyptische Zeit, ja bis in die Zeit, wo sich das Christentum ausgebreitet hat, zu verfolgen: überall wird man etwas an Vorstellungen finden, das sich zurückver­folgen und in seinem Ursprung sich aufweisen läßt in den großen Lichtern, die Zarathustra der Menschheit angesteckt hat. Wir werden es begreiflich finden, wenn der griechische Schriftsteller, der ausdrücken wollte, wie einzelne Führer ihren Völkerschaften immer den späteren Anteil gegeben haben, den diese Völker an der Kultur brauchen, darauf hinwies: als Pythagoras von den Vorfahren lernte, was auf ihn übergehen konnte - von den Agyptern die Geometrie, von den Phöniziern die Arithmetik, von den Chaldäern die Astronomie -, da mußte er zu den Nachfolgern des Zarathustra gehen, um von ihnen die geheimnisvollen Leh­ren des Verhältnisses der Menschheit zur geistigen Welt und einer wahren Lebensführung zu lernen. Damit ist von dem Schriftsteller, der uns das von Pythagoras sagt, kon­statiert, daß die Zarathustra-Lebensführung über alle an­deren Gegensätze hinausführt und alle die anderen Gegen­sätze gipfeln läßt in dem einen Gegensatz von Gut und Böse, - ein Gegensatz, welcher nur seine Überbrückung in der Läuterung von dem Bösen, von Lug und Trug findet. Es wird zum Beispiel als schlimmster Gegner des Ormuzd derjenige angesehen, der mit dem Namen «Verleumdung» bezeichnet wird: das ist eine der wichtigsten Eigenschaften des Ahriman. Damit wird von dem griechischen Schrift­steller darauf hingewiesen, wie Pythagoras das reinste Sittenideal, das Ideal für die moralische Läuterung des Menschen, weder finden konnte bei den Agyptern, von

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denen er die Geometrie lernen konnte, noch bei den Phöni­ziern, von denen er die Arithmetik lernen konnte, und auch nicht bei den Chaldäern, von denen er die Astronomie ler­nen konnte, sondern wie er zu den Nachfolgern des Zara­thustra gehen mußte, um eine heroische Weltanschauung zu haben, die ernst anerkennt die Überwindung des Bösen in der Läuterung. Damit war also der hohe Adel und die Einzigkeit des Zarathustrismus schon im Altertum an­erkannt

Alles, was jetzt gesagt worden ist, könnte auch durch Aussprüche aus der äußeren Geschichte belegt werden. So sollten die Menschen nachdenken, ob es stimmt, was die Vertreter der äußeren Wissenschaft sagen, wenn zum Bei­spiel Plutarch erwähnt, daß es im Sinne des Zarathustris­mus liegt, als Leiblichkeit für die höchste für die Erde in Betracht kommende Wesenheit das Licht anzusehen, und daß ihr Geistiges als die Wahrheit erscheint. Da gibt einer der alten Schriftsteller eine Definition, die ganz genau mit dem übereinstimmt, was jetzt ausgedrückt ist. Aber auch die historischen Erscheinungen werden klar werden, wenn wir in Betracht ziehen, was jetzt charakterisiert worden ist.

Sehen wir da noch einmal auf die altvedische Anschau­ung. Sie beruhte auf einem mystischen Hinuntertauchen in das eigene Innere. Bevor der Mensch zum inneren Licht des Brahman kommt, trifft er auf das, was innerlich an Be­gierden, Leidenschaften, an wilden, halbmenschlichen Im­pulsen entgegensteht der Vertiefung in das eigentliche Geistig-Seelische, in das ewig Innere. Durch das muß der Mensch durch. Der Inder kam zu der Anschauung, daß er nur zu dem inneren Licht kommt, wenn es ihm wirklich in der mystischen Versenkung gelingt, mit Brahman alles auszulöschen, was man in der Sinneswelt erlebt, was uns in den Farben und Tönen reizt und sinnliche Begierden

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erregt. Solange das noch in unsere Meditation hereinspielt, solange haben wir den Gegner unserer mystischen Vervoll­kommnung in uns. Werft alles heraus, so hätte der in­dische Lehrer gesagt, was aus den äußeren Mächten in die Seele hereinkommen kann, vertieft euch nur in das Innere der Seele, steigt zu den Devas herunter; da werdet ihr, wenn ihr auch die niederen Devas zu überwinden habt, im Reiche der Devas Brahman finden. Aber meidet das Reich der Asuras, der Wesenheiten, die aus der Welt der Maja, der äußeren Welt, an euch herandringen. Das muß unter allen Umständen gemieden werden! - Zarathustra dagegen mußte seinen Schülern sagen: Auf dem Wege, auf dem im Süden die Anhänger eines anderen Volkstumes durch ihre andersgeartete Organisation das Geistige suchen, kann ein Volk nicht vorwärtskommen, das nicht bloß zum übersinn­lichen Brüten und Träumen berufen ist, sondern zum Leben in einer Welt, die reichlich alles, was zum Lebensunter­halt nötig ist, hergibt, - das dazu berufen ist, der Mensch­heit die Künste des Ackerbaues und die Überwindung der Unkultur zu geben. Ihr dürft nicht bloß das Äußere als Maja ansehen, sondern durch den Teppich, der sich in Far­ben und Tönen und so weiter um uns ausbreitet, müßt ihr durch! Alles daher, was in eurem Innern euch selbst in eurem Egoismus halten will, alles, was Deva-Charakter hat, das meidet! Ihr müßt durch das Reich der niederen Asuras bis zu den höchsten Asuras empordringen. Und da ihr dazu organisiert seid, durch die niederen Asuras hin­durch zu den höheren Asuras zu kommen, so müßt ihr das Reich der Devas meiden! - In Indien dagegen war die Lehre der Rishis: Ihr seid nicht dazu organisiert, das zu suchen, was in den Reichen der Asuras ist; meidet das Reich der Asuras; in das Reich der Devas müßt ihr hinunterkom­men!»

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So ist der Gegensatz zwischen der indischen und der per­sischen Kultur: bei den Indern der Hinweis darauf, wie man die Asuras zu meiden hat, wie dies böse Geister sind, denn man kannte nur vermöge der indischen Organisation die niederen Asuras. Bei dem persischen Volke dagegen, wo man nur die niederen Devas im Reiche der Devas finden konnte, sagte man: Geht in das Reich der Asuras. Ihr seid so organisiert, daß ihr die Höchsten der Asuras finden könnt! - Es lag in dem, was Zarathustra als Impuls seiner Menschheit gab, die Stimmung: Ich habe der Menschheit etwas zu geben, was fortwirken muß durch alle Zeiten, was der Menschheit den Weg nach oben ehnet und alle Irrlehre überwindet, die ein Hindernis ist und die Menschen ab­zieht von dem Vollkommenheitsstreben! - Daher empfand sich Zarathustra als der Diener des Ahura Mazdao und empfand selber als solcher Diener des Ahura Mazdao die Gegnerschaft des Ahriman. Seine Lehre aber sollte der Menschheit dazu dienen, zur heroischen Überwindung alles Ahriman-Prinzips zu kommen. Das sprach Zarathustra mit den bedeutungsvollen Worten aus, die wir dann auch noch in den späteren Schriften finden, denn alles Schrift­liche ist ja erst später aufgezeichnet, - was die Geistes­wissenschaft aber zu sagen hat, hat sie aus andern Quellen-, sprach er aus mit dem schönen Wort, aus dem uns der ganze innere Impuls seiner Mission herausklingt; die ganze Leidenschaft aber auch klingt uns da heraus, mit der er sich als Gegner des Ahriman- oder Finsternis-Prinzipes fühlte, wenn er sagt: «Ich will reden! Nun kommt und hört mir zu, ihr, die ihr von fern - ihr, die ihr von nah darnach Verlangen tragt, und merket alles genau. Denn nicht mehr soll besiegen er, der böse Feind und Irrlehrer, den guten Geist; solange hat er schon durchdrungen mit seinem schlim­men Hauch des Menschen Stimme und Rede. Ich aber will

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reden ihm entgegen im Sinne dessen, was das Höchste, das Erste mir sagt, was Ahura Mazdao mir sagt. Und wer nicht hören will meine Worte, wie ich sie sage, wie ich sie meine, der wird Schlimmes erfahren, bevor der Erdenzyklen Ende gekommen ist!»

So spricht Zarathustra. Und wir wollen darin empfinden, daß er der Menschheit etwas sagen konnte, was wirklich gespürt und empfunden werden kann durch alle späteren Kulturepochen. Und wer einen Sinn hat, hinzuhorchen auf das, was in unserer Zeit lebt, wenn auch nur schwach wahr­nehmbar, wer mit geistigem Sinne unsere Kultur belauscht, dem wird noch immer der Nachklang dessen wahrnehmbar sein, was vor Jahrtausenden Zarathustra der Menschheit gesagt hat. Und so wird er einer von denjenigen sein, denen gegenüber das, was wir - auch in bezug auf vieles noch, was wir über Hermes, Buddha, Moses und andere große Führer noch hören werden - über die Gaben dieser großen Führer für die Menschheit und ihre Stellung innerhalb der Menschheit sagen können, sich zusammenfassen läßt in die

Worte:

Es leuchten gleich Sternen

Am Himmel des ewigen Seins

Die gottgesandten Geister.

Gelingen mög' es allen Menschenseelen,

Im Reich des Erdenseins

Zu schauen ihrer Flammen Licht!

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GALILEI, GIORDANO BRUNO UND GOETHE Berlin, 26. Januar 1911

Es ist eine weite Spanne Zeit, die übersprungen werden muß, wenn der geistige Blick sich von jener großen Per­sönlichkeit, von dem Zarathustra oder Zoroaster, welcher den Gegenstand des letzten Vortrages dieses Zyklus bil­dete, wenden soll bis zu jenen drei großen Persönlichkeiten, welche heute unseren Betrachtungen zugrunde liegen sollen. Von dem, was Jahrtausende vor unserer christlichen Zeit­rechnung liegt und was uns nur erklärlich sein konnte da­durch, daß wir für jene Zeit ganz andere Seelenverfassun­gen bei den Menschen voraussetzten, gehen wir herauf bis in diejenige Zeit des sechzehnten, siebzehnten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, in welcher derjenige Geist, welcher bis in die Gegenwart herein in allen nach vorwärts sich bewegenden Kulturströmungen der Menschheit tätig und regsam ist, zuerst aufgeleuchtet ist. Zeigen soll sich uns dann, wie dieser Geist, der im sechzehnten, siebzehnten Jahrhundert so gewaltig aufleuchtet in Persönlichkeiten wie Giordano Bruno und Galilei, dann in einer gewissen Weise eine umfassende Ausgestaltung in einer Persönlich­keit gefunden hat, die uns so nahesteht wie diejenige Goethes. Galilei und Giordano Bruno sind die beiden Na­men, die wir nennen müssen, wenn wir des Anfangs der­jenigen Zeitepoche in unserer Menschheitsentwickelung ge­denken müssen, in welcher die Naturwissenschaften an demselben Wendepunkte standen, an dem heute die Geisteswissenschaft

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steht. Was damals zuerst geradezu in einer gewaltigen Weise für das naturwissenschaftliche Denken getan worden ist, das muß in einer gewissen Weise im Laufe der nächsten Zeiten für das geisteswissenschaftliche Denken geschehen. Das wird uns insbesondere naheliegen, wenn wir - um im vollen Sinne des Wortes Galilei und Giordano Bruno zu verstehen - den Blick werfen auf die ganze Art und Weise des Denkens und Fühlens der Mensch­heit in der Zeit, in welche Galilei und Giordano Bruno um die Wende des sechzehnten, siebzehnten Jahrhunderts hin­eingestellt waren.

Da müssen wir allerdings auf eine zunächst ganz eigen­artige Vertretung dessen zurückblicken, was man für die vorangehenden Jahrhunderte - etwa für die Zeit vom elften bis zum fünfzehnten Jahrhundert - im weitesten Umfange als Wissenschaft bezeichnete. Man muß sich klar­machen, daß für diese Jahrhunderte die Popularisierung, die allgemeine Bekanntmachung des Wissenschaftlichen eine ganz andere Gestalt als später in unserer Zeit haben mußte. Denn wir sprechen da von denjenigen Jahrhunderten, in denen es noch keinen Buchdruck gab, in denen die weitaus größte Anzahl der Menschen darauf angewiesen war, nur das als geistiges Leben entgegenzunehmen, was in Kirchen, Schulen oder dergleichen durch das mündliche Wort ge­bracht wurde. Daher ist es gerade für jene Zeit so bedeut­sam, daß man sich ein Bild davon macht, wie der gelehrte, wissenschaftliche Betrieb war. In den Zeiten, die dem Zeit­alter des Galilei und Giordano Bruno vorangegangen sind, kann ein wissenschaftlicher Betrieb dem Menschen von heute nur schwer verständlich sein; man kann ihn nur ver­stehen, wenn man sich in etwas ganz anderes hineinfinden kann, als was heute gang und gäbe ist. Damals hätte man in jeden Hörsaal, überall wo Wissenschaft betrieben worden

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ist - sagen wir Naturwissenschaft dieses oder jenes Gebietes, auch Medizin und so weiter -, gehen können und man würde gehört haben, daß der, welcher etwas aus der Wissenschaft der damaligen Zeit vortragen wollte, nicht etwa auf das, was man in der damaligen Zeit in diesem oder jenem Institute beobachtet hatte, wie dieses heute geschieht, wo die wissenschaftlichen Methoden beachtet werden, ganz und gar sich stellte, sondern auf etwas, was allem Vorgetra­genen, allem Betriebe des Wissenschaftlichen zugrunde lag in den alten Schriften des allerdings für seine Zeit unendlich bedeutsamen Aristoteles. Wie ein geistiger Riese ragt dieser Aristoteles empor, wenn man den Fortschritt der Mensch­heit geschichtlich betrachtet. Was er für seine Zeit geleistet hat, ist ein unendlich Bedeutsames. Was uns aber jetzt interessiert, ist, daß die Bücher des Aristoteles oft gar nicht in der Form, wie sie in der Ursprache vorhanden waren, gelesen wurden, sondern es wurde überall zugrunde ge­legt, wie die Überlieferung war: das gab den Ton an. Was man auch vortrug: über das, was Prinzip, Grundsatz war, was überhaupt irgendwie für eine Wahrheit in Betracht kam, darüber sagte man: Aristoteles hat über diesen Gegen­stand so und so gedacht. So steht es im Aristoteles! - Wäh­rend der heutige Forscher oder derjenige, der irgendwie die Wissenschaft selbst nur vorträgt oder sogar nur in populärem Stile vorträgt, sich darauf beruft, daß dieses oder jenes da oder dort beobachtet worden ist, berief man sich in den Jahrhunderten von Giordano Bruno und Galilei darauf, daß vor so und so viel Jahrhunderten der ton­angebende Aristoteles diese oder jene Behauptung über diesen oder jenen Gegenstand gemacht hat. Geradeso wie man sich heute in bezug auf das Geistige auf die religiösen Urkunden und ihre Überlieferung beruft und nicht auf die unmittelbare Beobachtung geht, so berief man sich damals

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in den Wissenschaften nicht auf die Natur und ihre Be­obachtung, sondern auf das Überlieferte, auf Aristoteles.

Es ist außerordentlich interessant, sich selbst noch in eine solche Universitäts-Vorlesung zu vertiefen, um zu sehen, wie die Mediziner überall bei ihren Kollegs die Theorien des Aristoteles zugrunde legten. Aristoteles aber war ein geistiger Riese. Und wenn man auch sagen müßte, daß selbst eine solche geistige Persönlichkeit nach Jahrhunder­ten nicht mehr unverändert vorgetragen werden sollte, so kann man auf der andern Seite doch wieder mit Recht den­ken: da Aristoteles so Bedeutsames und Großartiges ge­leistet hat, so müßten die Menschen doch, wenn sie auch nichts Neues gelernt hätten, wenn man ihnen immer wieder den jahrtausendealten Aristoteles vorgebracht hat, etwas Bedeutsames in ihre Köpfe hineinbekommen haben, denn es müßte bedeutend und nützlich gewesen sein, die tief einleuchtenden Lehren und Theorien des Aristoteles zu empfangen. Das war aber dennoch nicht der Fall, und zwar deshalb nicht, weil die, welche diese Lehren damals vor­trugen und sie nach dem Aristoteles überall verkündigten, in der Regel nichts von Aristoteles verstanden, weil es im Grunde genommen eine unglaublich mißverstandene Lehre war, die da vorgetragen und überall vor Galilei und Giordano Bruno als «aristotelisch» gelehrt wurde. Ich will heute vom Standpunkt der Geisteswissenschaft nur das eine hervorheben, das zeigen soll, wie damals Galilei und Giordano Bruno sich in das geistige Leben ihrer Zeit hinein­stellen mußten. Ich habe die Sache, die keine Anekdote ist sondern eine Wahrheit, oft erwähnt, will daher jetzt nur noch einmal darauf aufmerksam machen.

Da war einer der vielen Gelehrten, die auf Aristoteles schworen, der selbst mit Galilei befreundet war. Galilei war - wie auch Giordano Bruno - ein Gegner der Aristoteliker,

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nicht des Aristoteles, und zwar aus gutem Grunde. Galilei wies darauf hin, daß man sich an das große Buch der Natur, das zum Menschen spreche, selber wenden und nicht nur aus den Büchern des Aristoteles entnehmen sollte, was der Geist in der Natur bedeutet. Nun hatten die Aristoteliker eine merkwürdige Lehre damals vertreten:

daß die Nerven, das ganze Nervensystem des Menschen vom Herzen ausginge, und daß vom Herzen aus sich die Nerven bis zum Gehirn hinauf und durch den ganzen Leib verbreiteten. Das - sagte man - habe Aristoteles gelehrt, und das sei wahr! Galilei, der nicht auf alte Bücher und alte Überlieferungen, sondern auf das hinweisen wollte, was man sieht, wenn man den menschlichen Leib unter­sucht, wies darauf hin, daß die Nerven vom Gehirn aus­gingen, und daß die hauptsächlichsten Nerven vom Gehirn aus ihren Ursprung nehmen. Nun sagte dies Galilei seinem Freunde, er solle sich überzeugen, wie die Nerven vom Gehirn ausgingen. Ja, ich will es schon sehen, sagte der Betreffende und ließ es sich zeigen am menschlichen Leibe. Da war dieser Gelehrte, der glaubte, ein guter Aristoteliker zu sein, höchst erstaunt und meinte zu Galilei: Es schaut fast so aus, als wenn die Nerven vom Gehirn ausgingen, aber Aristoteles sagt doch, daß die Nerven vom Herzen ausgehen, und wenn hier nun ein Widerspruch zustande kommt, so glaube ich dem Aristoteles und nicht der Natur!

Das waren die Ausdrücke, die Galilei damals zu hören bekam. Aristoteles wurde zu allem herbeigezogen, was nur irgendwie Wissenschaft sein sollte. So wollte auch einmal ein kirchlich gesinnter Gelehrter über die Unsterblichkeits­frage schreiben. Wie schrieb man damals? Man nahm, was man vertreten wollte, aus der Kirchenlehre, und nahm das dazu, was man glaubte, aus dem Aristoteles anführen zu können, um die betreffende Frage so oder so beweisen zu

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können, wie man sie beweisen wollte. Da hatte der be­treffende Mann, der innerhalb des Verbandes der Geist­lichkeit stand, allerlei Stellen in der Absicht herangezogen, über die Unsterblichkeitsfrage das zusammenzubringen, was die rechte Meinung des Aristoteles sei. Das ist nun wieder eine Wahrheit: da hat - weil die Geistlichen ihre Bücher den Oberen vorlegen mußten - dieser Obere dem Betreffenden gesagt: Es ist gefährlich, man wird es nicht approbieren können, denn die Auszüge aus dem Aristoteles könnten auch das Gegenteil beweisen. - Da schrieb der Ver­fasser zurück: Wenn es nur darauf ankäme, noch deutlicher zu beweisen, daß Aristoteles etwas gemeint habe, was annehmbar sei, dann würde er es durch ein anderes Zitat belegen. Denn das könnte man auch machen! - Kurz, es wurde Aristoteles in jeder Weise gebraucht und mißbraucht.

Von diesem ausgehend wollen wir sehen, wie Aristoteles in der Zeit vor Giordano Bruno und Galilei mißverstanden worden ist, und wollen dazu gerade dieses Beispiel nehmen von dem Ausgang der Nerven vom Herzen. Was dahinter­steckt, versteht man nur, wenn man weiß, daß Aristoteles, der am Ausgang der alten griechischen Kultur stand, damit auch zugleich am Ausgange derjenigen Zeit stand, in wel­cher das alte hellseherische Bewußtsein geherrscht hat. Und indem Aristoteles in seine Vorzeit hinaufsah, hatte er eine Wissenschaft überliefert, die herausgeboren war aus einem hellseherischen Bewußtsein, welches hinter die sinnliche Welt in die geistige Welt hineinschaute. Dieses Bewußtsein hatte die alten Wissenschaften zustande gebracht. Und das, was uralte Wissenschaft war, was auch durch das Griechen­tum als uralte Wissenschaft heraufgelangt war, hatte Ari­stoteles, der selbst nicht mehr in der Lage war, ein solches hellseherisches Bewußtsein zu entwickeln, der nur ein in­tellektuelles Bewußtsein hatte, als ein Letzter registriert.

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Darüber sollte man nachdenken. Denn nicht umsonst ist Aristoteles der Begründer der Logik in der Geschichte! Das ist er, weil das intellektuelle, das beweisende Denken das maßgebende wurde. Aristoteles war also der, welcher uralte Lehren aufnahm und sie in ein logisches System in seinen Schriften brachte, so daß wir manches bei ihm nur ver­stehen, wenn wir wissen, was damit eigentlich gemeint ist. Und wenn Aristoteles von Nerven spricht, müssen wir dieses Wort bei ihm nicht so nehmen, wie es unser Zeitalter nimmt, auch nicht so, wie es das Zeitalter des Galilei und Giordano Bruno nahm, das ja dem unsrigen schon ganz verwandt ist, sondern wir müssen folgendes wissen. Indem Aristoteles von dem Nervenverlauf spricht, hat er das­jenige im Auge, was wir heute wiederum kennen als das nächste an den physischen Leib des Menschen sich an­schließende übersinnliche Glied der Menschennatur: als den übersinnlichen Ätherleib des Menschen. Das ist etwas, was mit dem vorrückenden Menschenbewußtsein sich allmäh­lich verloren hat aus dem, was der Mensch sehen kann. Aristoteles sah es auch nicht mehr, aber er übernahm diese Anschauung von den Zeiten, da das hellseherische Bewußt­sein nicht nur den physischen Leib, sondern auch die äthe­rische Aura, den Ätherleib gesehen hat, der der eigentliche Aufbauer und Kraftträger des physischen Leibes ist. Aus den Zeiten, da man den Ätherleib so sah wie jetzt das Auge die Farben, nahm Aristoteles seine Lehre. Und wenn man nicht auf den physischen Leib, sondern auf den Ätherleib blickt, dann ist in der Tat der Ausgangspunkt für gewisse Strömungen, die jetzt Aristoteles dem zugrunde legte, was man etwa gewöhnlich hinter dem Ausdruck «Nerv» sucht, nicht das Gehirn, sondern die Herzgegend. So meinte Aristoteles nicht unsere heutigen Nerven, sondern durchaus übersinnliche Strömungen, übersinnliche Kräfte, die vom

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Herzen ausgehen, zum Gehirn hingehen und nach den ver­schiedenen Richtungen des menschlichen Leibes verfließen. Das sind Dinge, die erst wieder die Geisteswissenschaft durch die Erkenntnis der übersinnlichen Teile und Glieder der Menschennatur begreiflich machen kann.

Nun hatte man, weil die Menschen ja nicht in der Lage waren, übersinnlich zu sehen, auch schon in den Zeiten, die dem Zeitalter des Giordano Bruno und Galilei voran­gegangen waren, keine Ahnung mehr davon, daß Aristo­teles die Ätherströmungen gemeint hat; man glaubte, er meinte die physischen Nerven, und behauptete deshalb:

Aristoteles hat gesagt, die physischen Nerven gehen vom Herzen aus. Das meinten die Aristoteliker. Das konnten aber die, welche wußten, was in dem Buche der Natur steht, den Aristotelikern nicht zugeben. Daher der große Streit zwischen Galilei, Giordano Bruno und den Ari­stotelikern, da den richtigen Aristoteles niemand ver­stand - natürlich auch nicht Galilei und Giordano Bruno, die sich keine Mühe gaben, in den ursprünglichen Aristo­teles einzudringen. Sie waren aber daher die großen Kultur-träger für ihr Zeitalter und wiesen von der Buchgelehrsam­keit auf das große Buch der Natur hin, der Natur, die vor allen ausgebreitet ist.

Ein Mann - ich habe auch das schon einmal erwähnt -, den ich als Philosophen sehr schätze, der im Jahre 1894 Rektor der Wiener Universität war und eine Rektorats-rede über Galilei hielt, Laurenz Müllner, machte in dieser Rede darauf aufmerksam, daß Galilei in seiner umfassen-den Größe mit seinem Verstande die großen Gesetze der Mechanik, der Raumeswirkungen durchschaut hat, die uns am meisten auffallen und zu unserem Herzen sprechen, wenn wir zum Beispiel der Peterskirche in Rom ansichtig werden. Wenn dieser mächtige Bau auf uns wirkt, dann

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erfährt tatsächlich jeder etwas, was wir verstehen kön­nen. Ich will es durch eine kleine Tatsache, die immerhin bezeichnend dafür ist, charakterisieren.

Es fuhren einmal der Wiener Feuilletonist Speidel und der Bildhauer Natter in die Gegend von Rom. Als sie in die Nähe von Rom kamen, da hörte Speidel eine ganz merk­würdige Bemerkung von Natter, der in einer gewissen Weise ein genialer Geist war. Plötzlich sprang Natter nämlich auf, und der Freund wußte gar nicht, was eigent­lich mit ihm los war, er hörte nur die Worte: «Mir wird angst!» Er kam erst später darauf, weil Natter schwieg, daß dieser ganz von ferne den Turm der Peterskirche mit der Kuppel gesehen hatte.

So etwas wie ein Staunen über die Raumeskräftevertei-lung, die da aus der Genialität des Michelangelo entsprun­gen ist, kann jeden überfallen, der diesen eigentümlichen Bau sieht. Da machte denn Laurenz Müllner auf die Tat­sache aufmerksam, daß die Menschheit durch Galilei, diesen großen Denker, die Möglichkeit erhalten hat, mathema­tisch-mechanisch solche Raumesverteilungen zu denken, wie sie uns in dem schönen Gebilde der Kuppel der Peterskirche zu Rom entgegentreten. Gleichzeitig aber muß man be­tonen, daß fast in der Todesstunde des Michelangelo, des Erbauers der Peterskirche, Galilei geboren worden ist, der die mechanischen Gesetze gefunden hat. Das heißt: Es entsprang aus den Geisteskräften des Michelangelo die­jenige Verteilung der Raumeskräfte, die der Menschheit für den Intellekt erst später zugänglich wurde.

An diesem Beispiel kann man begreifen, daß das, was man verstandesmäßiges, intellektuelles Wissen nennen kann, viel später kommen kann als das Zusammenstellen dieser Dinge in dem Raum. Wird so etwas einmal wirklich denkerisch betrachtet, dann werden es die Menschen eher

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für möglich halten, daß das Bewußtsein der Menschen eine Änderung erfahren hat: daß die Menschen früher ein gewisses Hellsehen hatten und daß die Art des Denkens durch den Intellekt gar nicht so weit zurückgeht, sondern daß durch ganz gewisse geschichtliche Notwendigkeiten diese Art des Denkens erst in der Zeit des fünfzehnten, sechzehnten, siebzehnten Jahrhunderts entstehen konnte. Und Geister wie Galilei und Giordano Bruno bedeuten die ersten Tonangeber dessen, was dann kommen sollte. Daher ihre starke Opposition gegen die Aristoteliker und nament­lich gegen die, welche den Aristoteles, der als ein Ausdruck alter Wissenschaft genommen werden könnte, erst falsch auslegten und ihn dann so auf die Natur anwandten. Damit haben wir zugleich die Weltstellung Galileis bezeichnet.

Oh, Galilei war im höchsten Sinne des Wortes der, wel­cher zuerst in die Menschheit jene Art strengen natur­wissenschaftlichen Denkens hineinstellte, man möchte sagen, jene Art von Verhältnis der Naturwissenschaft zur Mathe­matik, wie sie für die ganze folgende Zeit bis in unsere Zeit herein tonangebend geworden ist. Was ist das Eigen­tümliche an Galilei? Galilei - ganz in dieser Beziehung ein Kind seiner Zeit - sagte sich mit einem kühnen Mut zuerst folgendes. Ich versichere Sie, mit solchen Worten kann man die Empfindung, die Galilei hatte, umschreiben, denn um die ganze Seele, die ganze Verfassung des Geistes Galileis zu begreifen, muß man das, was er empfand, etwa so be­schreiben: Da stehen wir als Menschen auf der Erde. Es breitet sich vor uns die Natur aus mit allem, was sie unseren Sinnen, unserem Verstande zu geben vermag, der an das Instrument des Gehirns gebunden ist. Durch die Natur - so sagt etwa Galilei an unzähligen Stellen seiner Schriften -durch die Natur spricht ein Göttlich-Geistiges. Wir Men­schen schauen mit unseren Augen die Natur an und betrachten

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sie mit den anderen Sinnen. Was da unsere Augen wahrnehmen, was durch unsere Sinne empfunden wird, das ist aber hineingedacht in die Natur durch göttlich-geistige Wesenheiten. Zuerst leben die Gedanken der geistig-gött­lichen Wesenheiten, dann kommen - herausspringend aus den Gedanken der. göttlich-geistigen Wesenheiten - die sinnlichen Dinge der Natur wie die Offenbarungen der Gottesgedanken, und dann kommt unser Wahrnehmungs­vermögen, vor allen Dingen unser Verstand, der an unser Gehirn gebunden ist. Dann stehen wir da, um zu entziffern, wie aus den Buchstaben ein Buch wird und dasjenige zu­stande kommt, was der Autor gemeint hat, das heißt, was die göttlichen Gedanken in der Natur zum Ausdruck brachten.

Galilei stand durchaus auch auf dem Standpunkt, auf dem alle großen Geister der Weltentwickelung gestanden haben, daß in den Naturerscheinungen, in den Naturtat­sachen etwas wie Buchstaben gegeben ist, die den Geist der göttlich-geistigen Wesenheiten zum Ausdruck bringen. Der menschliche Geist ist dann dazu da, um zu lesen, was die göttlich-geistigen Wesenheiten in die Formen der Mine­ralien, in den Verlauf der Naturerscheinungen, selbst in den Verlauf der Sternbewegungen hineingeschrieben haben. Die menschliche Natur ist dazu da, zu lesen, was der göttliche Geist gedacht hat. Nur unterscheidet sich der göttliche Geist von dem menschlichen im Sinne Galileis dadurch, daß für den göttlichen Geist alles, was es gibt zum Denken, auf ein­mal unbegrenzt von Raum und Zeit in einem Augenblicke ausgedacht ist.

Nehmen wir das nur für ein Gebiet - für das Gebiet der Mathematik -, so werden wir schon sehen, wie eigenartig dieser Gedanke war. Denken Sie sich, wenn jetzt einer die ganze Mathematik, so weit sie schon von Menschen studiert

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ist, gebraucht, so muß er sich lange quälen, bis er sie be­herrscht. Diejenigen, die hier sitzen, werden wissen, wie sehr die Auffassung mathematischer Gedanken durch den Menschen von der Zeit abhängig ist. Nun dachte Galilei sich: Was der Mensch im Laufe langer Zeiten erfaßt, das ist für den göttlichen Gedanken in einem Augenblicke da, ist nicht begrenzt von Raum und Zeit. Der menschliche Geist

- dachte er sich - muß vor allen Dingen nicht glauben, daß er mit seinem Verstande, der an Raum und Zeit gebunden ist, den göttlichen Geist schnell erfassen kann, er muß ver­suchen, Schritt für Schritt zu beobachten, lichtvoll die ein­zelnen Erscheinungen zu beobachten. Er muß nicht glauben, daß man die einzelnen Erscheinungen überfliegen kann, daß man überspringen kann, was Gott als Grund der Erschei­nungen vorgedacht hat. Galilei sagte sich: Es ist übel be­stellt mit den Denkern, die nicht durch strenge Beobachtung dessen, was vor unserem Verstande in der Natur ausge­breitet ist, zur Wahrheit kommen wollen, sondern die durch ihre Spekulation, indem sie die einzelnen Dinge überfliegen, schnell zur Wahrheit kommen wollen. - Aber Galilei sagte das aus anderen Gründen, als es die sind, aus denen man dies heute oft sagt. Denn nicht deshalb wollte Galilei den menschlichen Geist auf die Beobachtungen beschränken, weil er geleugnet hätte, daß der große Geist mit den «Vorgedan­ken» dahintersteht, sondern weil ihm dieser göttliche Geist so groß und gewaltig und erhaben dadurch erschien, daß alles, was überhaupt an «Vorgedanken» da ist, in einem Augenblicke vorhanden ist, weil der menschliche Geist eine unendliche Zeit zur liebevollen Entzifferung der Buchstaben braucht, um nach und nach hinter die einzelnen Gedanken zu kommen. Aus Demut, wie tief der menschliche Verstand unter dem göttlichen Verstande steht, ermahnte Galilei seine Zeitgenossen: Ihr könnt nicht mehr hinter die Dinge

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schauen, - nicht, weil die Menschen es überhaupt nicht könnten, sondern weil die Zeit dafür abgelaufen ist.

Beobachtung, Erfahrung und Selbstdenken war es, was Galilei als das Maßgebende für seine Zeitgenossen hin-stellte. Er konnte das, weil in gewissem Sinne sein Geist ganz mathematisch geordnet war, weil er ein so richtig mathematisches Denken hatte. Es ist ganz wunderbar, wenn wir zum Beispiel vernehmen, wie Galilei hört, daß in Holland etwas entdeckt ist wie die Fernrohre, durch die man in die fernsten Himmelsräume hinaussehen kann. Man muß bedenken, damals gab es keine Zeitungen. Galilei hörte von Reisenden erzählen, daß in Holland etwas wie Fernrohre entdeckt worden ist. Da kam er von selbst darauf, als er so etwas hörte - es ließ ihm keine Ruhe -, und er erfand selbständig ein Fernrohr. Da war es das Fernrohr, mit dem Galilei seine großen Entdeckungen machte, die sich in das hineinstellten, was seit kurzem durch das kopernikanische Weltsystem zustande gekommen war. Um diese Zeit richtig zu verstehen, muß man zwei Dinge zusammendenken: das eine war, daß die Menschen nichts mehr von der alten übersinnlichen Wissenschaft verstanden und daß Galilei ein Pfadfinder für die neue Wissenschaft war. Und das zweite war, daß es in bezug auf die Sterne ein Bedeutsames war, daß Kopernikus unmittelbar vorher dem Weltbilde ein neues Antlitz gegeben hatte durch das äußere Denken über die Bewegungen der Planeten um die Sonne. Man muß sich nur einmal in die Lage der damaligen Menschen und in die Gemüter derjenigen versetzen, die da seit Jahrtausenden als Menschen geglaubt haben: Hier - mit dieser Erde - stehen wir fest im Raum! Und jetzt war dieses Denken geradezu auf den Kopf gestellt: die Erde mit riesiger Geschwindigkeit sich um die Sonne herum be­wegend! Das war ein Gedanke, der buchstäblich den Leuten

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den Boden unter den Füßen wegzog. Man darf sich gar nicht über den gewaltigen Eindruck wundern, den ein sol­cher Gedanke machte, der in der Tat bei allen - ob sie Geg­ner waren oder ihm zustimmten - von tiefster Wirkung war. Für Geister wie Galilei war der Grund, warum Kopernikus zu dieser Anschauung gekommen war, ganz besonders ausschlaggebend. Vergegenwärtigen wir uns, warum Kopernikus besonders zu dieser Anschauung von der Bewegung der Planeten um die Sonne gekommen war.

Es herrschte bis dahin ein Weltsystem, das man auch nicht verstanden hatte, weil es eigentlich geistig gemeint war. So, wie man es verstand, war es ein vollständig un­möglicher Gedanke: dieses Ptolemäische Weltsystem. Denn man mußte sich vorstellen, daß die Planeten ganz kompli­zierte Bewegungen beschrieben, Kreise und noch einmal Kreise in den Kreisen. Es war besonders das ungeheuer Komplizierte der Vorstellungen, denen man sich hingeben mußte. Das war es, was solchen Geistern auch nicht recht zu Gemüte wollte. Kopernikus hat im Grunde genommen auch keine neue astronomische Entdeckung gemacht. Er hat sich nur gesagt: Nehmen wir den einfachsten Gedanken, wie wir die Bewegungen erklären können! - Er hat das ganze Weltbild in die Einfachheit dieses Gedankens gestellt. Es war etwas Großartiges, wenn in die Mitte gelegt wurde die Sonne, und in Kreisen sich herum bewegten die Plane­ten, oder, wie später Kepler nachgewiesen hat, in Ellipsen. Die ganze Anschauung grandios vereinfacht! Das war es, was besonders auch auf Galilei überzeugend wirkte. Denn er betonte immer: Es ist dem menschlichen Verstande an-gemessen, die Wahrheit in der Einfachheit anzuerkennen. Nicht das Komplizierte, sondern die Einfachheit ist das Schöne, - und das Wahre ist schön!

Wegen der Schönheit und der Schönheit in der Einfachheit

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nahm vielfach die damalige Zeit den Gedanken des kopernikanischen Weltsystems an. Und Galilei fand beson­ders das, was er an Einfachheit und an Schönheit in dem Kopernikus suchte. Jetzt stand er da, sah, was kaum einmal die Leute glauben wollten: sah die Jupiter-Monde! Ja, das Auge des Galilei sah zuerst die Jupiter-Monde, die den Jupiter umkreisen wie die Planeten die Sonne - ein kleines

Sonnensystem: der Jupiter mit seinen Monden wie die Sonne mit den Planeten. Das war geeignet, ein Weltsystem zu bestätigen, das ganz auf den Gedanken der Sinneswelt gebaut war. So war es Galilei, der besonders den Gedanken des Kopernikus im kleinen für die Sinneswelt schaute. Da­durch wurde er besonders ein Pfadfinder der neueren Wissenschaft. So war er es, der zuerst eine Ahnung davon hatte, daß es Gebirge auf dem Monde, daß es Sonnen-flecken gibt, und daß das, was als ein Nebelstreifen über die Sterne hingeht, eine ausgesäte Sternenwelt ist. Kurz, alles das kam, was man nennen kann: eine in der Sinnes-weit ausgedrückte, «informierte» Schrift der Gottesweisheit. Das war es, was so besonders auf Galilei wirkte. Die Zeit, die ganz aufgehen wollte in dem Anschauen der Sinneswelt, hatte für Galilei und seinen auf die Mathematik gebauten Geist etwas ganz Besonderes. Und so wurde Galilei der, der gewissermaßen den ersten Impuls für die Menschheit gab, zu sagen: Hinter diesen Sinnenteppich können wir zunächst doch nicht mit dem normalen Bewußtsein blicken. Das Übersinnliche ist für keinen Menschensinn und auch nicht für den menschlichen Verstand da. Der göttliche Ver­stand umfaßt es außerhalb von Raum und Zeit. Der mensch­liche Verstand ist an Raum und Zeit gebunden. Also halten wir uns an das, was in Raum und Zeit für den menschlichen Verstand gegeben ist!

Da Galilei so vieles Große tun konnte, ist er tatsächlich

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auch philosophisch - wenn wir so sagen dürfen - einer der wichtigsten Pfadfinder der neueren geistigen Entwickelung der Menschheit. Was Wunder also, wenn wir in Galilei zu gleicher Zeit den Geist sehen, der nun auch für sich klar werden wollte, wie sich eigentlich die Sinneserscheinungen zum Menschen und zu seinem Seelenleben verhalten. Man spricht ja auch vielfach in populären Darstellungen davon, daß sozusagen Kant zuerst darauf hingewiesen hätte, daß die Welt um uns herum nur eine Erscheinung sei, daß man nicht vordringen könnte zum «Ding an sich». In einer etwas anderen Wendung als Kant hat schon Galilei auf diesen Gedanken hingewiesen, nur daß er überall hinter den Sinnesdingen den allumfassenden Gedanken des Gött-lich-Geistigen sah und nur aus Demut annahm, daß der Mensch sich nur in langen Zeiten dem nähern könnte, -nicht aus Prinzip. Aber Galilei sagte: Wenn wir eine Farbe sehen, so macht sie einen Eindruck, zum Beispiel das Rot. Ist das Rot in den Dingen? - Galilei brauchte einen sehr bezeich­nenden Vergleich, aus dem zugleich hervorgeht, wie falsch der Gedanke ist; aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf, den Gedanken als Zeitgedanken zu fassen. Er sagte:

Man nehme eine Feder und kitzle einen Menschen an der Fußsohle oder an der Handfläche: da empfindet der Mensch einen Kitzel. Ist nun der Kitzel in der Feder?, fragte er. Nein, er ist etwas ganz Subjektives. In der Feder ist etwas ganz anderes. Und wie der Kitzel etwas Subjektives ist, so ist auch das Rot, das draußen in der Welt ist, etwas Sub­jektives. - Galilei verglich die Farben, sogar die Töne mit dem Kitzel, der mit der Feder auf die Fußsohle ausgeübt wird.

Wenn wir das ins Auge fassen, sehen wir sogar in Galilei schon dasjenige leben, was als Philosophie gerade der neu­eren Zeit gekommen ist, weil die Philosophie der neueren

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Zeit an der Möglichkeit zweifelt, daß der Mensch über­haupt irgendwie hinter den Teppich der Sinneswelt dringen könnte.

Sehen wir in Galilei den ruhigen, fest auf seinem Boden stehenden Pfadfinder, so tritt uns in dem etwas älteren Giordano Bruno - Galilei ist 1564 geboren, Giordano Bruno 1548 - der Mensch entgegen, der unmittelbar in seiner Per­sönlichkeit, in der Ganzheit alles das reflektiert, was in den anderen Geistern - in Kopernikus, in Galilei selber - wie überhaupt in der damaligen Zeit durch die Menschenseelen an großen Wahrheiten zog. Aus dem Geiste Giordano Brunos heraus reflektiert sich uns das alles wie in einer ge­waltigen, umfassenden Stimmungs-Philosophie. Wie stand Giordano Bruno zur Welt - sie ganz aus dem Geiste seiner Zeit heraus als seine eigene tiefste Wesenheit empfindend?

Da sagte sich etwa Giordano Bruno: Aristoteles - näm­lich wie er den mißverstandenen Aristoteles kannte - hat noch gesagt, es gäbe eine Sphäre, die bis zum Mond hinauf-reicht, dann die verschiedenen Sternen-Sphären, dann käme die Sphäre des Göttlich-Geistigen, und außerhalb der Ster­nen-Sphären wäre der bewegende Gott zu suchen. - Gior­dano Bruno hatte also vor sich - im Sinne des Aristoteles -zunächst die Erde, dann die Sphäre des Mondes und der Sterne, und dann erst außerhalb dieser Welt und außerhalb dessen, worin der Mensch lebt, diese Welt im größten Um-kreise drehend und wendend - buchstäblich wendend in den Drehungen und Bewegungen der Sterne - den gött­lichen Geist. Das war ein Gedanke, den Giordano Bruno nicht mit dem vereinigen konnte, was jetzt die Menschheit erlebte. Was jetzt die menschlichen Sinne sahen, was der Sinn sah, wenn er auf Pflanzen, Tiere und Menschen blickte, wenn er die Berge, Meere, Wolken und Sterne sah, das erschien ihm als eine bewunderungswürdige Ausgestaltung

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dessen, was im Göttlich-Geistigen selber lebt. Und er wollte in dem, was sich da als Sterne bewegte, was als Wolken durch die Luft zog, nicht bloß eine Schrift des göttlichen Wesens sehen, sondern etwas, was zum göttlichen Wesen so gehört wie die Finger oder die anderen Glieder zu uns selber. Nicht einen Gott, der von außen, vom Umkreise aus auf das Sinnliche hereinwirkt, sondern einen Gott, der in jedem einzelnen Sinnlichen drinnen ist, dessen Körper, dessen gestalteter Leib die Sinneswelt ist: das war der Grundgedanke Giordano Brunos. Wollen wir verstehen, wie er zu einem solchen Grundgedanken gekommen ist, so müssen wir sagen: Es war das Entzücken, die Seligkeit über diese ganze neue Zeit dazumal! Da war vorangegangen eine Zeit, in der man nur in den alten Gedanken des Aristoteles gewühlt hatte. Die tonangebenden Gelehrten hatten, wenn sie durch Wald und Fluren gingen, kein Auge für die Reiche der Natur und ihre Schönheiten, sondern nur Sinn für das, was auf den Pergamenten stand, was von dem alten Aristoteles stammte. Jetzt war eine Zeit gekom­men, wo die Natur zu dem Menschen sprach, die Zeit der großen Entdeckungen, wo solche gewaltigen Geister wie Galilei dazu drängten, von Angesicht zu Angesicht selbst ein Göttliches in der Natur zu erkennen. Das ganze Ent­zücken über dieses Göttliche gegenüber der entgöttlichten Natur des Mittelalters - das war gekommen! Das war es, was bei Giordano Bruno in jeder Fiber lebte.

Geist überall - sagte er - zeigen uns die Sinnesforschun­gen, und überall daher, wo uns ein Sinnliches entgegentritt, zeigt sich uns ein Göttliches! Es ist nur ein Unterschied zwischen Sinnlichem und Göttlichem: daß das Sinnliche uns

- weil wir ja eng begrenzte Menschen sind - erscheint im Raume und in der Zeit. - Aber hinter dem Sinnlichen steht für Giordano Bruno der göttliche Geist, nicht so, wie er

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glaubte, daß er für Aristoteles gestanden habe oder für die Menschen des Mittelalters, sondern selbständig, nur daß die Natur sein Leib war, die alle seine Herrlichkeiten ver­kündete. Aber der Mensch kann den ganzen Geist in der Natur nicht überschauen, sondern er sieht überall nur ein Stück. In allen Dingen aber, in aller Zeit und allem Raum ist der göttliche Geist. Darum sagt Giordano Bruno: Wo ist das Göttliche? In jedem Stein, in jedem Blatt, überall ist das Göttliche, in jeder Ausgestaltung, insbesondere aber in den Wesen, die eine gewisse Selbständigkeit im Dasein haben. - Solche Wesen, die ihre Selbständigkeit empfinden, nannte er Monaden. Eine Monade ist für ihn das, was gleichsam im Meere des Göttlichen schwimmt und schwelgt. Alles, was eine Monade ist, ist zugleich ein Spiegel des Universums. So dachte sich Giordano Bruno den Allgeist zersplittert in viele Monaden - in jeder Monade, die ein selbständiger Geist war, etwas, was wie ein Spiegel das Universum empfand. Eine solche Monade ist die Menschen-seele, und solcher Monaden gibt es viele. Selbst im mensch­lichen Leibe sind viele Monaden, nicht eine. Wenn wir daher nach Giordano Bruno die Wahrheit sagen würden über den menschlichen Leib, so würden wir darin nicht den fleischlich angeordneten menschlichen Leib zu sehen haben, sondern ein System von Monaden. Diese Monaden sehen wir nur nicht genau, wie wir auch nicht bei einem Mückenschwarm die einzelnen Mücken sehen. Würden wir genau sehen, so würden wir den menschlichen Leib als ein System von Monaden sehen, und die Hauptmonade ist die Menschen-seele. - Von dem Leben, wenn es durch die Geburt für die Menschenseele ins Dasein tritt, sagt Giordano Bruno, es ist so, daß dann die anderen Monaden, die zur Seele gehören, sich zusammendrängen und dadurch die Erlebnisse der Hauptmonade, der Seelenmonade, möglich machen. Wenn

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der Tod eintritt, werden von der Hauptmonade die Neben­monaden wieder entlassen, breiten sich aus. Geburt ist die Versammlung von vielen Monaden um eine Hauptmonade. Tod ist für Giordano Bruno die Trennung der Neben­monaden von einer Hauptmonade, damit die Haupt-monade eine andere Gestalt annehmen kann. Denn jede Monade ist berufen, nicht nur die eine Gestalt, die wir hier erkennen, anzunehmen, sondern alle Gestalten, die möglich sind im Universum. An einen Durchgang durch alle Gestal­ten denkt Giordano Bruno. Damit steht er so nahe wie möglich - nur aus einem Enthusiasmus herausgeboren - der Idee von der Wiederverkörperung der menschlichen Seele.

Und in bezug auf die Auffassung der gesamten Wirk­lichkeit sagt Giordano Bruno sich: Der Mensch steht zu­nächst mit dem normalen Bewußtsein dieser Wirklichkeit gegenüber. Was ihm zunächst entgegentritt, sind die Sinnes­eindrücke. Das ist das erste Erkenntnisvermögen. Aber es gibt deren vier, sagte Giordano Bruno. Das erste, wodurch sich der Mensch Erkenntnisse verschaffen kann, sind die Sinneseindrücke; das zweite sind die Bilder, die wir in unseren Vorstellungen bilden, wenn wir die Sinnesein­drücke nicht mehr vor uns haben, sondern uns nur daran erinnern. Da gehen wir schon tiefer in die Seele herein, ändern auch die Sinneseindrücke. Dieses zweite Erkenntnis­vermögen nennt er die Einbildungskrafl, wobei nicht an die Bedeutung dieses Wortes im heutigen Sinne gedacht werden. darf, sondern womit im Sinne des Giordano Bruno gemeint ist: Nachdem der Mensch aufgenommen hat, was die Sinneseindrücke ihm geben können, bildet er sich - es ist das ein Im-Innern-Stehen - in die Eindrücke hinein. Es ist ein von außen nach innen Gewendet-Werden, also nicht ein Erträumtes, sondern ein von außen nach innen «Einge­drücktes». Dann hat Giordano Bruno den Gedanken, daß

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der Mensch, indem er die Dinge in dem Verstande verinner­licht und dann weitergeht, gerade dadurch der Wahrheit näherkommt und sich nicht von ihr entfernt. Daher erkennt Giordano Bruno als das dritte Erkenntnisvermögen den Verstand an, den Intellekt. Dabei hat er genau den Moment im Sinne, wo wir von den Sinnesdingen aufsteigen und uns Gedanken machen, indem von der übersinnlichen Welt in uns ein Höheres einströmt, ein Wahreres, als es die Sinnes­eindrücke sind. Die vierte Stufe ist für Giordano Bruno die Vernunfl. Die Vernunft ist jetzt wieder für ihn ein Leben und Weben in einem rein Geistigen.

So ist für Giordano Bruno eine Stufenfolge von vier Erkenntnisstufen vorhanden. Nur unterscheidet er diesel­ben nicht in der Weise, wie Sie dies zum Beispiel angegeben finden können in dem Buche «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?» als gegenständliche Erkenntnis, imaginative Erkenntnis, inspirierte Erkenntnis und intuitive Erkenntnis, sondern er unterscheidet mehr abstrakt. Daher müssen wir dieses so auffassen, daß wir sagen: Giordano Bruno steht gerade am Ausgangspunkt der Zeit, welche das Erkennen für die sinnliche Anschauung herausfordert und sich daher Ausdrücke bedient, die uns mehr an die Ausdrücke der gewöhnlichen Erkenntnis für die Sinneswelt erinnern als für die höhere Welt. Aber wie Giordano Bruno hinauf-schaut in die geistige Welt aus seiner gewaltigen Emphase, das können wir daran sehen, daß er sagt: Der göttliche Geist, der in allem lebt, der in allem seinen Leib hat, er hat das, was wir als Vorstellungen haben, als die vor den Din­gen zu bedenkenden Ideen. Wie ist die Welt in Gott? Wie ist der Geist in Gott?, fragt er und sagt: Der Geist ist in Gott als Idee, als Vorgedanke der Welt. - Und wie ist für ihn der Geist in der Natur? Als Form, sagt er, und Giordano Bruno meint damit, was im göttlichen Geiste

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vorhanden ist als Ideen, das ist im Kristall, der eine Form hat, in dem Tier, das Form hat, in dem menschlichen Leib, der eine Form hat. Und was in den Dingen draußen als Form ist, das ist in der menschlichen Seele als Vorstellun­gen. Ja, noch genauer sagt Giordano Bruno: Die Dinge der Natur sind die Schatten der göttlichen Ideen; und unsere Vorstellungen sind die Schatten der göttlichen Gedanken! -Wohlgemerkt: Unsere Vorstellungen, sagt er, sind nicht die Schatten der Dinge, sondern die Schatten der göttlichen Gedanken. - Wenn wir also die Dinge der Natur um uns herum haben und darin die Schatten der göttlichen Ideen haben, so werden unsere Vorstellungen dadurch wieder befruchtet. Indem wir vorstellen, spielt herein der göttliche Geist mit seinen Ideen, so daß wir einen Strom haben, kann man sagen, der uns verbindet mit den göttlichen Ideen.

Wenn man die naturwissenschaftlichen Theorien sich ansieht, was sich heute als Monismus so un-Giordano-Bruno-mäßig geltend macht, was so ins Gesicht schlagend ist, das ist, daß diese Theorien sagen müßten, wenn sie konsequent sein wollten: Über die göttlichen Gedanken sprechen wir überhaupt nicht! Das sagt Giordano Bruno aber nicht. Er ist Spiritualist im eminentesten Sinne des Wortes. Was er aus der richtigen Begeisterung des Renaissance-Menschen heraus zu sagen hat, geht auf die Monade, auf ihre Zusammenziehung durch die Geburt und ihre Ausdehnung durch den Tod, auf das, was in die Vor-stellungswelt von den göttlichen Gedanken hereinströmt, auf das eine einzige Wort: Die menschlichen Gedanken sind die Schatten der göttlichen Gedanken! Wenn man das ver­steht, hat man etwas von der Spiritualität des Giordano Bruno verstanden. Aber eines ist dazu nötig: der Appell zum Begreifen von dem mißverstandenen Giordano Bruno zu dem, was Giordano Bruno wirklich war. Er war der

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Geist, der das, was Galilei mehr intellektuell für das natur­wissenschaftliche Denken gegeben hat, aus einem über­schwenglichen Enthusiasmus heraus seinen Zeitgenossen übertragen hat. Daher klingt das, was aus Giordano Bruno stammt, so gewaltig, wie wenn die ganze Freude, das ganze Entzücken des damaligen Zeitgeistes, der sehen wollte, wie die Natur im Sinnlichen webt und lebt, im Geiste des Gior­dano Bruno aufjauchzte. Dieses Jauchzen wird selber Philo­sophie, weil der göttliche Geist, der überall draußen lebt, bewußt in der Seele des Giordano Bruno aufgeleuchtet ist. Daher verstehen wir solche Worte, die mit Recht gerade bei Giordano Bruno hervorgehoben werden sollen, die wie etwas klingen, was die Natur selbst den Menschen damals zu sagen hatte. Nur ein paar Worte seien davon angeführt.

Wie groß und wunderbar ist es, wenn Giordano Bruno diesen Gedanken im Gegensatz zu Aristoteles ausspricht:

Nicht cfraußen, außerhalb der sinnlichen Welt, sondern überall, wo wir hinblicken, ist der Geist, der Geist der göttlichen Intelligenz. Es ist nicht die göttliche Intelligenz in etwas äußerlichem, nicht in etwas, wovon man dann sagen kann: Ein Etwas stößt im weiten Umkreise - nicht ein Herumstoßendes, im Kreise Herumführendes kann sie sein, sondern es ist des Göttlichen würdiger, ein inneres Prinzip der Bewegung zu sein, das in allem zu sehen ist, was in der Natur selber ist. - Das war die Sprache, die in dem dama­ligen Zeitalter erklang, das aus Giordano Brunos Seele selber sprach.

Wie kann man das eben Gesagte am besten wiederge­ben, damit es so recht zu unserm Herzen spräche? Es hat schon auf diese Tatsache ein Geist aufmerksam gemacht, der es sich allerdings hat gefallen lassen müssen, ein zu enthusiastischer Verehrer des Giordano Bruno genannt zu werden - Hermann Brunnhofer -, welcher nachwies, was

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sich ergibt, wenn man wörtlich, nur in schöne Verse ge­bracht, das ausdrückt, was Giordano Bruno sagt:

Non est Deus vel intelligentia exterior circumrotans et circumducens;

dignius enim illi debet esse internum principium motus, quod est natura propria, species propria, anima propria, quam habeant tot quot in illius gremio et corpore vivunt hoc generali spiritu, corpore, anima, natura animantia, plantae, lapides quae universa ut diximus proportionali­ter cum astro eisdem composita ordine, et eadem con­temperata complexionum, symmetria, secundum genus, quantumlibet secundum specierum numeros singula distinguuntur.

Was wär' ein Gott, der nur von außen stieße,

Im Kreis das All am Finger laufen ließe!

Ihm ziemts, die Welt im Innern zu bewegen,

Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen,

So daß, was in Ihm lebt und webt und ist,

Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermißt!

So Zeile für Zeile übersetzt, gibt dieses Goethesche Ge­dicht eine poetische Übersetzung Giordano Brunos aus dem Geiste Goethes heraus! Man kann nicht Goethe sein

- und etwa Giordano Bruno neben sich liegen haben, wenn man diese Verse hinschreiben will; es mußte dabei etwas spielen, was niemals spielen kann, wenn Goethe bloß ein­fach in poetische Form umgegossen hätte, was Giordano Bruno gesagt hat. Da sehen wir, wie in Goethe Giordano Brunos Geist ganz lebendig geworden ist.

Aber wir müssen nicht nur ein paar Jahrhunderte hinauf gehen, wenn wir von Galilei und Giordano Bruno kommen und Goethe sprechen lassen wollen, sondern wir müssen

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sozusagen auch bekennen, daß dasjenige, was bei Giordano Bruno wie aus der ersten großen enthusiastischen Stim­mung, aus der philosophischen Naturstimmung heraus ent­sprungen ist, bei Goethe diejenige Stimmung weckt, die nun mit voller Hingabe wieder von Ding zu Ding geht und den Gott, den der Mensch nun fühlen gelernt hat in der Natur, wieder hineinträgt in die Naturdinge. Bei Goethe ist die Giordano Bruno-Stimmung eben Stimmung gewor­den, ist gleichsam mit ihm geboren. Sie war da, als der siebenjähriger Knabe das Notenpult seines Vaters nimmt, es hinstellt, Mineralien aus seines Vaters Sammlung darauf legt, um Naturprodukte zu haben, ebenso Pflanzen aus seines Vaters Herbarium, oben darauf ein Räucher­kerzchen steckt und nun ein Brennglas nimmt, an den Strahlen der aufgehenden Morgensonne das Räucher­kerzchen entzündet, um so dem Gotte, der in den Minera­lien und Pflanzen lebt und dem er einen Altar errichtet hat, ein Rauchopfer darzubringen, das von den Kräften der Natur selbst entzündet ist. So lebt Giordano Bruno um die Wende des achtzehnten, neunzehnten Jahrhunderts in Goethe - aber so, daß das, was da als innerste Seelen-verfassung lebt, Goethe in alle Einzelheiten der Natur hineintrug. Gerade aus diesem Geiste heraus konnte es Goethe nicht begreifen, wie dem Menschen - nach Natur-forschern der damaligen Zeit - in so äußerlicher Weise ein materielles Kennzeichen zugeschrieben werden sollte, das ihn von den Tieren unterschiede. Es war so ganz materi­alistisch gedacht, als die Naturforscher des achtzehnten Jahrhunderts sagten, der Mensch habe nicht jenen kleinen Knochen, den die Tiere in der oberen Kinnlade haben, den Zwischenkieferknochen, und der die oberen Schneidezähne enthält. Die Tiere hätten ihn - und das unterscheide den Menschen vom Tier. Es müßte in der Tat kein Gott sein,

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der inneres, bewegendes Prinzip der Natur wäre, sondern ein Gott, der von außen stieße, von dem Giordano Bruno sagt «circumrotans et circumducens», müßte es sein, der zuerst die Tiere gemacht hat und dann den Menschen daneben gestellt hätte und - wie um eine Marke anzukle­ben, daß die Menschen noch etwas anderes sind - bestimmt hätte: die Tiere haben den Zwischenkieferknochen, die Menschen haben ihn nicht! Daher wird Goethe der große Naturforscher, der darauf ausgeht zu zeigen, wie das, was in der Natur der Form nach lebt, eine Steigerung erfahren kann, so daß man in der Tat nicht in so etwas äußerem, wie es der Zwischenkieferknochen ist, den Unterschied zwischen Mensch und Tier finden könne, sondern daß im Menschen etwas lebt, was mit denselben Knochen und Mus­keln, wie sie die Tiere haben, den höheren Geist des Men­schen ausmacht. Daher kommt es bei Goethe so wunderbar heraus, daß er nicht nur den Zwischenkieferknochen findet und zeigt, wie derselbe beim Menschen verwachsen ist, weil er nur ein untergeordneter Knochen ist, sondern es kommt bei Goethe auch heraus, wie die Rückenwirbelknochen auf­geblasen werden können, wenn der Geist, der in einem Gehirn tätig sein will, dies braucht.

Wahrhaftig: es war mir immer ganz wunderbar, als ich lange Zeit mit Goethes naturwissenschaftlichen Schriften gearbeitet hatte und in ein solches Prinzip einzudringen versuchte, wie das ist, wo Goethe sich die Schädelknochen einfach als umgestaltete Wirbelknochen vorstellt, indem diese ausgedehnt und zur Schädelhöhle werden. Da war es mir ein Gedanke, der gar nicht anders zu denken war als:

Goethe müsse auch die Idee gefaßt haben, daß das Gehirn selber ein durch den Geist umgebildetes Rückenmark sei, so daß nicht nur die Umhüllung, sondern auch das Gehirn selber auf eine höhere Stufe hinaufgefördert das ist, was in

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den Wirbelknochen und im Rückenmark auf einer unteren Stufe vorhanden ist. Und es war mir ein wunderbarer Augenblick, als ich auf einem kleinen Zettel von Goethe mit Bleistift geschrieben fand in den neunziger Jahren, was dann von Professor Bardeleben mitgeteilt worden ist im Weimarischen Jahrbuch in einem Aufsatz «Goethe als Anatom»: Das Gehirn ist im Grunde genommen nur ein umgebildetes Stück des Rückenmarks.

So sehen wir in Goethe die Stimmung, die wir bei Giordano Bruno zum erstenmal finden, auf die einzelnen Glieder der Naturwesen angewendet, sehen, wie Goethe praktisch den Geist des Giordano Bruno - dem er ja selbst den Worten nach so nahe steht - in alles Naturdenken ein­zuführen versucht. Daher war es für Goethe so bedeutsam, in der ganzen Pflanzenwelt eine Umwandlung der Ur-pflanze zu sehen. Und neben dem, was Goethe, der Künstler, geleistet hat, steht groß und gewaltig da, was Goethe als Naturforscher geleistet hat, weil in gewisser Weise derselbe Geist, der von hellseherischen Stufen heruntergestiegen war zu einem sinnlichen Anschauen, sich in Goethe in einer Persönlichkeit verkörperte, die in der Beobachtung überall hingebungsvoll das Geistige auch wieder in die Einzelheiten hineintrug. Was sah Goethe in der einzelnen Pflanze? Den Ausdruck der Urpflanze. Und was war ihm die Urpflanze? Das Spirituelle, das Geistige in den einzelnen Pflanzen-gebilden. Da ist nun bedeutsam jenes Gespräch zwischen Schiller und Goethe, als beide in Jena eine Versammlung der naturforschenden Gesellschaft besucht hatten. Da ging Schiller heraus und sagte zu Goethe: Es bleibt doch alles so unbefriedigend, was da über die Pflanzen gesagt wird, worauf Goethe meinte: Man kann es ja vielleicht auch anders machen, so daß uns in der Tat nicht nur erscheint, was die Teile sind, die einem in der Hand bleiben, sondern

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was einem das geistige Band ist. - Goethe nahm nun ein Blatt Papier und zeichnete mit wenigen Strichen ein Pflan-zengebilde vor Schiller hin. Er war sich klar darüber: das ist nicht bloß in der Lilie oder im Löwenzahn oder Ranun­kulus vorhanden, sondern in allen Pflanzen, aber in den verschiedenen Pflanzen vermannigfaltigt. Da sagte Schiller, der dieses Gebilde der Urpflanze nicht verstehen konnte:

Das ist keine Wirklichkeit, das ist eine Idee! Da war Goethe perplex und meinte nur: «Das kann mir sehr lieb sein, wenn ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe!» Denn Goethe sah das Geistige, das sich durch alle Pflanzen hindurch ausbreitet, sah es so, daß er es sogar zeichnen konnte. Und ebenso war es mit dem Urtier in allen Tieren.

So verfolgte Goethe den Gott, der nicht von außen stößt, sondern der im Innern alles bewegt, verfolgte den gött­lichen Geist, der in allem webt und lebt, ganz konkret von Pflanze zu Pflanze, aber auch durch Blätter und Blüte und Frucht, ebenso von Tier zu Tier, aber auch von Knochen zu Knochen, von Tiergebilde zu Tiergebilde. Und inter­essant ist es, daß Goethe wenig verstanden wurde von sei­ner Zeit, daß man nicht wußte - wie ja Schiller auch nicht - was Goethe eigentlich wollte. Aber nach und nach wird sich der Goethesche Geist einleben, auch in das Natur-denken. Dann wird man erkennen, daß auch der Goethesche Geist wieder um eine Stufe über Giordano Bruno hinaus war, daß Giordano Bruno gesprochen hat von dem Gott, der pantheistisch überall, in Steinen und Pflanzen und Tie­ren zu finden ist, daß aber Goethe zwar auch suchte den Gott, der nicht von außen stößt, sich aber weiter sagte: Wir dürfen nicht nur auf das Allgemeine sehen, sondern wir müssen auch zu den einzelnen Erscheinungen gehen und den Geist im Einzelnen suchen. - Denn anders lebt der Geist in

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der Pflanze, anders im Stein, anders in diesem, anders in jenem Knochen. Der Geist ist das ewig Bewegliche, der die einzelnen Teile der Materie formt. Die Materie folgt dem bewegenden Geist. Das kann man aus einem Geiste heraus aussprechen, wie es Giordano Bruno tut; das kann man aber auch in allen Einzelheiten mit der Hingebung suchen, wie es Goethe tut. Da kommt dann der Mensch immer mehr und mehr dazu, wirklich an das heranzutreten, was der ausgebreitete Teppich der Natur an Geist enthält, so daß sich ihm der Geist darin allmählich enthüllt.

Wenn wir so über die Stufenfolge solcher Geister den­ken, wie es Galilei, Giordano Bruno und Goethe waren, so werden wir uns endlich daran gewöhnen, an das zu appellieren, was der Grundnerv solcher Geister ist, und nicht beim Landläufigen stehenbleiben, denn auch über die großen Geister hören die Menschen so gern Phrasen. Mit Bezug auf Galilei, der mit seiner großen göttlichen Idee raumlos und zeitlos in dem Augenblick das ganze Leben umspannte, kann man wohl fragen: Was wissen denn unsere Menschen der Gegenwart über die eigentliche Be­deutung Galileis oftmals viel mehr als das eine Einzige, was ganz sicher nicht richtig ist, daß er gesagt haben soll:

«Und sie bewegt sich doch!»? Dies ist zwar eine schöne Phrase, aber etwas - wie Sie aus den Forschungen des italienischen Gelehrten Angelo de Gubernatis ersehen kön­nen -, was ganz gewiß nicht richtig ist. Und wie oft wird von Goethe immer wieder und wieder zitiert, daß sein letztes Wort gewesen sei: «Mehr Licht!» - das Einzige, was er nicht gesagt hat. Daher ist es notwendig, daß durch das, was Geisteswissenschaft ist, auch in den Geist solcher Per­sdnlichkeiten hineingeleuchtet werde, und daß nicht nur unser eigener Geist, wie wir ihn so gerne haben möchten, in die verschiedenen Zeiten hineingetragen werde.

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Diese drei Geister, die ein wunderbar gestimmtes Tri­folium am Ausgangspunkte unserer neueren Zeit bilden, die in Galilei und Giordano Bruno wie eine Morgenröte da­stehen, die dann in Goethe zur Sonne geworden ist, kön­nen wir am besten charakterisieren, wenn wir vielleicht denken an ein Wort Goethes selber, das uns so recht zeigt, wie er aus dem Geiste der neueren Zeit heraus empfand, daß selbst das kleinste Atom von Materie gar nicht sein kann ohne den dahinterstehenden Geist, der es an das andere heranbringt. Da können wir uns an die Situation erinnern, die Goethe selber schildert, als er dasteht, viele Jahre nach Schillers Tode, als man dessen Knochen in die Fürstengruft bringen wollte, und nun an einem besonders geformten Schädel den Genius Schillers wiederzuerkennen glaubte. Er glaubte Schillers Schädel wiederzuerkennen in einer ganz bestimmt ausgeprägten Schädelform, die dann auch in die Fürstengruft übergeführt worden ist. Und es zeigte sich ihm so recht, was wir an Galilei sähen: daß man in Demut und mathematisch den Geist finden muß. Sie besteht heute noch, die alte Kirchenlampe im Dome zu Pisa, die für unzählige Seelen hin- und hergependelt hat. Aber als Galilei einst davor saß, maß er an dem eigenen Pulsschlag die Regelmäßigkeit der Schwingungen der Lampe und entdeckte daran das heute so wichtige Gesetz der Pendelschwingungen, das ihm ein Gedanke der Gott­heit war. Und so vieles. In Goethe ging am Grabe Schillers der Gedanke auf, der in Giordano Bruno lebte aus seiner philosophischen Begeisterung heraus: Geist ist in aller Ma­terie, überall, aber nicht herumstoßend und herumführend, sondern als ein Geist, der im kleinsten Atom lebt! Dieses Spirituelle Giordano Brunos stand auch in Goethes Seele wieder auf, als er Schillers Schädel in der Hand hielt und - wie Wasser zu Eis geronnen - der Schillersche Geist ihm

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erscheint in der Schillerschen Schädelform. Die ganze spiri­tuelle Grundanlage Goethes steht vor uns, wenn wir das schöne Gedicht Goethes betrachten, das er nach der Be­trachtung von Schillers Schädelform schrieb, und besonders jene Zeilen, die so oft falsch zitiert werden, die nur aus der Situation heraus zu ergreifen sind, indem wir uns denken müssen, daß Goethe plastisch Schillers Individualität wie geronnen vor sich erblickte und dann sagte, wie er es sagen mußte gemäß der Eigenart des in Giordano Bruno und Goethe verwandten Geistes:

«Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,

Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare,

Wie sie das Feste läßt zu Geist verinnen,

Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre!»

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WAS HAT DIE GEOLOGIE ÜBER WELTENTSTEHUNG ZU SAGEN? Berlin, 9. Februar 1911

Es könnte wie ein Alp lasten auf jener Weltanschauung, welche die Geisteswissenschaft zu ihrer Grundlage hat, wenn in Ernst und in Wahrheit diese Weltanschauung in einen Gegensatz kommen müßte zu den berechtigten Er­gebnissen naturwissenschaftlicher Forschung - jener For­schung, welche im Laufe der letzten Jahrhunderte und ins­besondere im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts nicht nur auf dem Gebiete der Erkenntnis, sondern auf dem Ge­biete des Gesamtfortschrittes der Menschheit so Großes, so Segenbringendes geleistet hat. Insbesondere aber müßte es bedrückend wirken, wenn diese Geisteswissenschaft sich in Widerspruch setzen müßte mit einem Zweige naturwissen­schaftlicher Forschung, der verhältnismäßig zu den jüng­sten gehört, der aber durch seine Eigenart, seine besonderen Aufgaben geeignet ist, nicht nur im tiefsten Sinne des Wortes das menschliche Interesse zu erregen, sondern der auch Perspektiven eröffnet in dasjenige, was wir nennen das Werden unseres Planeten sowohl, wie das Werden und die Wandlung jener Geschöpfe, welche diesen Planeten bevölkern. Dieser junge Zweig naturwissenschaftlicher Forschung ist die Geologie, jene Wissenschaft, welche ins­besondere seit dem zweiten Drittel des neunzehnten Jahr­hunderts, aber auch schon vorher, so gewaltigen Aufschwung genommen hat und trotz der großen Fragen, von denen wir zu sprechen haben werden, die stehengeblieben sind

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und heute noch dastehen, Bedeutsames geleistet hat. Es wird sich heute für uns hauptsächlich darum handeln, uns das Verhältnis vor die Seele zu führen, in welchem die Geisteswissenschaft zur Geologie stehen muß, und die Frage zu beantworten: wieviel hat im Sinne der Geisteswissen­schaft - jenes Wissenszweiges, welcher diesen Betrachtungen hier immer zugrunde gelegen hat - die Geologie über die Frage nach der Entstehung, nach dem allmählichen Werden und der Entwickelung der Erde und ihrer Lebewesen zu sagen?

Da müssen wir uns allerdings kurz vor die Seele führen, um was es sich eigentlich bei den Methoden, bei der Eigen­art der geologischen Forschung handelt. Es ist ja wohl be­kannt, daß die Geologie ihre Erkenntnisse aus unserem Erdboden heraus selber schöpft, und daß sie aus dem, was sie dort findet, ihre Schlüsse zieht in bezug auf die Art und Weise, wie unser Planet im Laufe der Zeit vielleicht ent­standen ist, sich umgewandelt hat. Bekannt ist ja: wenn wir durch irgendwelche Aufschlüsse unseres Erdbodens -zum Beispiel beim Eisenbahnbau, bei Steinbrüchen, im Bergbau - Gelegenheit haben, tiefere Schichten unserer Erde in bezug auf ihre Gesteinsinhalte und ihre sonstigen Inhalte zu studieren, daß sich uns diese Schichten von der­jenigen verschieden zeigen, über die wir zunächst unsere Schritte lenken, verschieden von der äußersten Oberfläche. Aber auch innerhalb dieser Oberfläche wieder zeigt sich uns der Boden in der mannigfaltigsten Weise verschieden, wenn wir ihn in bezug auf seine Gesteinsarten und seinen minera­lischen Charakter untersuchen. Es ist wohl ferner bekannt, daß zu den interessantesten Forschungen diejenigen ge-hören, welche sich auf solche Schichten unserer Erdober­fläche beziehen, die deutlich einen derartigen Charakter zeigen, daß wir sagen können, das Material, welches da den

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Boden bedeckt, sei ursprünglich im Wasser aufgelöst ge­wesen oder sei sonstwie unter der Gewalt des Wassers gewesen, sei sozusagen einmal in verflossenen Zeiten von dem Wasser angeschwemmt worden. Wir sehen ja noch heute, wie Flüsse diejenigen Gesteinsmaterialien, welche sich in ihrem Wassergehalt ansammeln, weit forttragen und dann in anderen Gebieten ablagern. Wir sehen, wie sich durch solche Ablagerungen der Boden bedeckt. In derselben Weise haben wir uns in alten Zeiten Anlagerungen über Anlagerungen entstanden zu denken. Über die eine auf solche Weise entstandene Anlagerung haben wir uns eine andere darübergelagert zu denken, die sich, wenn wir sie untersuchen, so zeigt, daß sie einen von der unteren Schicht verschiedenen Charakter trägt. So zeigt uns unsere Erde schichtenweise ihr Gesteinsmaterial von verschiedenem Charakter. Es ist natürlich unschwer sich zu sagen, daß diejenigen Schichten, welche zuoberst liegen, die jüngsten sein müssen, welche durch die jüngsten Vorgänge unserer Erde aufgelagert worden sind, und daß wir, je tiefer und tiefer wir in das Untere des Erdbodens hineinzuschauen Gelegenheit haben, zu Schichten kommen, die in älteren und immer älteren Zeiten aufgelagert worden sind und eben von den jüngeren Schichten bedeckt worden sind. Fer­ner ist auch bekannt, daß sich in diesen Schichten unserer Erde allerlei Einschlüsse finden, welche nach den Anschau­ungen unserer Gegenwart davon herrühren, daß tierische Lebewesen und Pflanzen sozusagen ihren Tod gefunden haben, mit dem Wasser und mit den Schichten fort-geschwemmt, auf natürliche Weise begraben worden sind, und sich dann mehr oder weniger verändert oder unver­ändert innerhalb des Gesteinsmateriales als die Überreste vorweltlicher Lebewesen finden. Unschwer ist es ferner, sich zu denken, daß wir eine gewisse Beziehung zwischen einer

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solchen Schicht von Gesteinsmaterial, wie sie da lagert, und den tierischen und pflanzlichen Einschlüssen, die da drinnen sind, annehmen müssen.

Nun darf man sich allerdings nicht vorstellen, daß so bequem über die ganze Erdoberfläche hin jüngere Schichten über die älteren darübergelagert sind, sondern man muß sich klar sein, daß zuweilen bis an die Oberfläche herauf -durch ihren Charakter erkennbar - ältere Schichten lagern, daß im Laufe der Erdentwickelung die mannigfaltigsten Störungen, Durcheinanderlagerungen, Übereinanderlage­rungen, Aufstülpungen und so weiter dieser Schichten statt­gefunden haben, so daß es der Geologe keineswegs leicht hat, im einzelnen Falle zu sagen, wie die eine Schicht über die andere zu lagern gekommen ist. Das sind Dinge, die hier nur angedeutet werden können. Jedenfalls dürfen wir von den eben genannten Unregelmäßigkeiten absehen und dürfen annehmen, daß den Geologen die Schichten der Erde mit den Einlagerungen durch alle hindurch zur Ver­fügung stehen, und daß sie daraus ihre Schlüsse ziehen, wie es eigentlich auf der Erde ausgesehen hat, als die oberste Schicht noch nicht abgelagert war, oder weitere unter der oberen Schicht liegende tiefere Schichten noch nicht da waren und so weiter, - daß man sich also von da aus Vor­stellungen bilden kann, wie es in vergangenen Zeiten un­serer Erde ausgesehen hat.

Nun ist ferner allgemein die interessante Tatsache be­kannt, daß die obersten Schichten - also die jüngsten unseres Erdmateriales - Einschlüsse der vollkommeneren tierischen und pflanzlichen Lebewesen zeigen, und daß wir, in je tie­fere Schichten wir kommen, zu den Resten unvollkomme­nerer Lebewesen gelangen, die wir heute bei den niedrigeren Arten und Gattungen des Tier- und Pflanzenreiches auf-zuzählen gewohnt sind. Wir kommen dann gewissermaßen

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zu den untersten Schichten unserer Erdoberfläche, die im­mer wieder und wieder von anderen Schichten bedeckt worden sind, kommen zu der sogenannten kainbrischen Schicht unserer Erdentwickelung und sehen da, wie von unseren tierischen Lebewesen in dieser Schicht nur Ein­schlüsse derjenigen Tiere sind, die noch kein Wirbelskelett besessen haben. Wir treffen dann andere Tiere mit einem Wirbelskelett in den Schichten, die oben lagern, die also die Geologie berechtigt ist, als jüngere Schichten des Erden­werdens anzusehen.

So scheint die Geologie eine volle Bestätigung dessen zu liefern, was die Naturwissenschaft heute aus anderen Vor­aussetzungen her kennt: daß sich im Prozeß unserer Erdentwickelung langsam und allmählich die Lebewesen von unvollkommenen zu vollkommeneren Gebilden ent­wickelt haben. Wenn wir etwa einen Blick auf die kam­brische Schicht werfen, die unterste Ablagerung, und uns denken, alle übrigen Schichten wären noch nicht entstanden, so müßten wir uns denken, daß in den ältesten Zeiten nur die niedersten tierischen Wesenheiten vorhanden waren, die noch kein Skelett besessen haben und die ersten Vor­läufer der unvollkommenen Tiere waren, dann ihr Grab gefunden haben und auf die unterste Schicht des Gesteins­materiales abgelagert worden sind. Wir müssen uns vor­stellen, daß diese Wesen Nachkommen gehabt haben, sich vielleicht unter andern Verhältnissen verändert haben, die dann eingetreten sind. Wir sehen bei der nächsten Schicht, die also jünger ist, solche Tiere auftreten, die in gewisser Beziehung skelettartige Bildungen schon in sich haben. Und indem wir uns den jüngeren Schichten nähern, sehen wir immer vollkommenere und vollkommenere Tierarten auf­treten, bis wir heraufkommen in die Tertiärschichten, wo wir sehen, daß die Säugetiere bereits da sind, und dann in

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den Schichten, die noch jünger sind als die Tertiärschichten, den Menschen auftreten sehen.

Sie wissen, daß es heute eine Vorstellungsart gibt, die sich einfach denkt, daß die niederen Tiere, die zur Zeit des Kambriums gelebt haben, Nachkommen gehabt haben, von denen ein Teil stehengeblieben ist, ein anderer Teil sich weiterentwickelt hat und dann zu den skelettartigen Tieren und so weiter geworden ist; so daß wir das Auftreten voll­kommenerer Tiere in den späteren, jüngeren Schichten so zu erklären hätten, daß sich die unvollkommensten, einfachsten tierischen und pflanzlichen Lebewesen allmählich vervoll­kommnet hätten. Das gäbe ein rein anschauliches Bild der allmählichen Entwickelung des Lebens und auch der son­stigen Vorgänge auf unserer Erde - so etwa, wie es sich dem Auge des Beobachters zeigte, der während der Jahrbillio­nen und Jahrbillionen hätte zuschauen können, welche die Geologie für dieses Geschehen herausgerechnet hat. Damit wir uns auch vor die Seele führen, wie die Methoden und Forschungsarten sind, darf folgendes angedeutet werden. Wenn man zum Beispiel sieht, wie heute noch gewisse Schichten durch Flußanschwemmungen oder dergleichen im Laufe von so und so vielen Jahren abgelagert werden und man die Höhe einer solchen Schicht mißt, so daß sich ein gewisses Maß ergibt und man sagen kann: in soundsovielen Jahren hat sich eine solche Schicht abgelagert, - dann kann man berechnen, wie lange es gedauert hat, bis sich solche Schichten abgelagert hatten, wie wir sie ins Auge faßten, vorausgesetzt, daß die Verhältnisse so waren, wie sie heute sind. Da kommen dann die verschiedensten Zahlen heraus, je nach den verschiedenen Berechnungen, welche die Geolo­gen angestellt haben. Es ist nicht nötig sich darin zu er­gehen, daß darüber Widersprüche vorhanden sind, denn wer die Widersprüche kennt, wird wissen, daß sie nichts

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zu bedeuten haben, wenn sie auch wirklich manchmal recht kraß sind und die Verschiedenheiten sich zwischen vielen Billionen von Jahren belaufen, die von den einzelnen For­schern zu verzeichnen sind.

Wenn wir uns das alles vorführen, haben wir doch nur ein Bild dessen, wie sich nach den Anschauungen der Geolo­gie - genau in dem Ton, in dem das jetzt Gesagte geschildert worden ist - die Vorgänge in unserer Erdentwickelung in den letzten Jahrbillionen abgespielt haben. Die Geologie zwingt uns weiter, allen diesen Vorgängen andere voraus­zusetzen. Denn alle diese Schichten, welche Reste tierischer Lebewesen eingeschlossen enthalten, ruhen gewissermaßen auf anderen, die ja dann bis an die Oberfläche herausragen, indem sie die über sie gelagerten Schichten durchbrechen und Gebirge bilden und so sichtbar werden, so daß die Vorstellungen der Geologie dazu führen, daß alle Reste von Lebewesen führenden Schichten unserer Erde auf einer anderen Schicht ruhen, welche uns sozusagen in ein Alter unserer Erde zurückweist, das allem Leben vorangegangen ist. Denn die Zusammensetzung dieser ältesten und unter­sten Schicht unserer Erdoberfläche zeigt uns, daß, als sie entstanden ist, gewissermaßen - wenigstens nach den Vor­stellungen der Gegenwart - Leben, wie es heute ist, nicht auf unserer Erde gewaltet haben kann. Die Geologie sieht sich bemüßigt anzunehmen, daß die unterste Schicht einem Feuerprozeß ihre Entstehung verdankt, innerhalb dessen es unmöglich ist, sich irgendein Leben zu denken, so daß uns die Geologie im Werdegange unserer Erdentwickelung in alte Zeiten zurückführen würde, in denen gewissermaßen aus einem Feuerprozeß heraus älteste Gesteins- und Mine­ralarten sich gebildet haben. Erst später haben sich auf der Grundlage dieser untersten Schicht die jüngeren, Lebewesen-reste führenden Schichten durch solche Vorgänge abgelagert,

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die sich zugetragen haben, als unsere Erde durch die Aus­strahlung ihrer Wärme in den Weltenraum schon so abge­kühlt war, daß Leben möglich wurde. Das alles hat man sich begleitet zu denken von Prozessen physischer, chemi­scher Art, die nicht im einzelnen geschildert werden können.

Wenn wir so gleichsam in diese ältesten Zeiten unserer Erde zurückschauen, nachdem eine gewisse Abkühlung be­reits eingetreten ist - man denkt sich in der Geologie die Erde vor der ersten Gesteinsbildung in einem noch heißen Zustande, so finden wir unseren Erdball - entsprechend der Oberfläche zu - mit einer Grundschicht behaftet und sehen, wie sich über diese Grundschicht jene Schichten ausbreiten, die in ihren Einschlüssen lebendige Zeugen dafür liefern, daß sich Leben auf unserer Erde seit langen Zeiten abge­spielt hat. Wenn wir diese ältesten Schichten, auf denen die lebenführenden ruhen, in bezug auf ihr Gesteinsmaterial betrachten, das im wesentlichen das ist, was man als Granit benennt, so schauen wir damit auf eine Gestalt unseres Erdballs, die uns denselben noch als eine Art von leblosem Zustand im Sinne unserer heutigen Geologie zeigt. Das ist dort, wo die oberen Schichten offen sind und der Granit heraustritt und Gebirge bildet: gleichsam als Zeugnis für die ältesten Zeiten unserer Erde.

Goethe, der neben dem, daß er ein großer Dichter war, auch ein großer Naturdenker und Naturforscher war, hat insbesondere tief empfunden, wenn ihm dieses älteste Steins-gebilde unserer Erde, der Granit, entgegengetreten ist, wie dieses körnige Gesteinsmaterial etwas ist, auf dem gleich­sam wie auf dem Knochengerüst der Erde das andere alles sich erhebt. Das flößte Goethe etwas ein, was ihm wie der Widerklang einer Ur-Ruhe unseres Planeten war, und mit Ehrfurcht betrachtete er dieses Gestein. Ein solcher Mensch konnte nicht anders, als die Vorgänge innerhalb unserer

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Erdentwickelung nicht nur mit dem Verstande, sondern auch mit dem Herzen zu betrachten, was uns diese Über­reste enthüllen über das Erdenwerden. Tief ergreifend und tiefer noch in die Geheimnisse hineinführend als alles ab­strakte Denken sind die Worte, die Goethe angesichts dieses «ältesten Sohnes der Natur», wie er sich ausdrückt, ange­sichts des Granits sprach:

«. . . Mit diesen Gesinnungen nähere ich mich euch, ihr ältesten würdigsten Denkmäler der Zeit. Auf einem hohen nackten Gipfel sitzend und eine weite Gegend überschauend, kann ich mir sagen: Hier ruhst du un­mittelbar auf einem Grunde, der bis zu den tiefsten Orten der Erde hinreicht, keine neuere Schicht, keine aufgehäuft zusammengeschwemmte Trümmer haben sich zwischen dich und den festen Boden der Urwelt gelegt, du gehst nicht wie in jenen fruchtbaren schönen Tälern über ein anhaltendes Grab, diese Gipfel haben nichts Lebendiges erzeugt und nichts Lebendiges verschlungen, sie sind vor allem Leben und über alles Leben. In diesem Augenblicke, da die inneren anziehenden und bewe­genden Kräfte der Erde gleichsam unmittelbar auf mich wirken, da die Einflüsse des Himmels mich anher um-schweben, werde ich zu höheren Betrachtungen der Natur hinaufgestimmt, und wie der Menschengeist alles belebt, so wird auch ein Gleichnis in mir rege, dessen Erhaben­heit ich nicht widerstehen kann. So einsam, sage ich zu mir selber, indem ich diesen ganz nackten Gipfel hinab-sehe und kaum in der Ferne am Fuße ein geringwachsen­des Moos erblicke, so einsam, sage ich, wird es dem Menschen zu Mute, der nur den ältesten ersten tiefsten Gefühlen der Wahrheit seine Seele eröffnen will.»

Das ist die Stimmung, die Goethe überkam, als er dieses

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Gestein betrachtete, das durch seine ganze Beschaffenheit zeigt, daß es nichts Lebendiges in sich haben konnte, also auch nichts Lebendiges wie die darüberliegenden Schichten verschlungen haben konnte.

So skizzenhaft das ist, was ich bisher anführen durfte, es zeigt doch - gleichsam in großen Kohlestrichen - das Bild, das man sich heute aus der Geologie heraus über den Gang der Erde und ihre Lebewesen machen kann. Nun aber hat man nicht immer so gedacht, und es hat sich diese Denk­weise nur ganz allmählich herausgebildet. Denn zum Bei­spiel zur Zeit, als sich Goethe mit Geologie beschäftigte, tobte in einer gewissen Weise ein Streit über die Entstehung unserer Erde, den man den Streit der Plutonisten und der Neptunisten nennt. Einer der hauptsächlichsten Vertreter der letzteren war der mit Goethe auch bekannte Geologe Werner. Dieser war der Anschauung, daß sich im wesent­lichen alles, was wir an Schichtungen innerhalb unseres Erdbodens zu schauen haben, nicht auf irgendwelche Feuer-wirkungen zurückführen läßt, sondern daß alles, was man erforschen kann, darauf hinweist, daß die Erde im Grunde genommen doch nur aus einem wässerigen Ele­mente, einer wasserigen Gestaltung unseres Planeten sich herausgebildet habe. Daß selbst die ältesten Schichtungen Ablagerungen aus dem Wasser seien, daß also auch der Granit nicht durch das brodelnde Feuer sich herausgebildet habe, sondern ebenfalls aus dem Wasser sich abgelagert habe und nur durch die späteren Vorgänge im Laufe der Zeit sich so umgeändert habe, daß heute sein Wasser-ursprung nicht mehr so klar erscheint. Alles ist sozusagen aus dem Wasser entstanden - das war. eine Grundanschau­ung der Neptunisten und namentlich Werners. Dagegen stand die Anschauung der Plutonisten, die davon ausging, daß unsere Erde mit unserem ganzen Planetensystem sich

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aus einem gasförmigen, mit hoher Temperatur behafteten Weltennebel herausgebildet, sich durch Abkühlung heraus­gesondert und weiter durch Ausstrahlung der Wärme in den Weltenraum abgekühlt habe. Daß dann Verhältnisse eingetreten sind, wo durch die Wärmewirkungen der Granit und vielleicht ähnliche Gesteinsarten haben entstehen kön­nen, daß aber durch die Ausstrahlung der Wärme nur die Oberfläche der Erde abgekühlt worden sei, während das Innere noch immer feurig-flüssig wäre, und daß die Vul­kanausbrüche und die Erscheinung der Erdbeben lebendige Zeugen dafür seien, daß der Erdboden Reste eines feurig­flüssigen Zustandes in seinem Innern berge. Die Anhänger der Neptunistischen Schule sahen dagegen in allen vulka­nischen Erscheinungen nur solche Vorgänge zugrunde liegend, welche gewissermaßen durch Druck oder durch chemische Verhältnisse im Innern der Erde, das sie sich durchaus nicht feurig dachten, es möglich machten, daß sich gewaltige innere Katastrophen abspielten, die sich nach außen entladen, so daß wir erst jetzt solche Vorgänge haben, die sich nach oben so ausleben, daß sie ganze Ge­birgsmassive aus dem Innern der Erde hervorschieben.

Kurz: wir haben es noch in der ersten Hälfte des neun­zehnten Jahrhunderts mit einem sehr interessanten Streit zwischen derjenigen Anschauung zu tun, die man kurz ein­mal mit dem Worte bezeichnen kann, das Goethe im «Faust» gebraucht: «Alles ist aus dem Wasser entsprungen>, und derjenigen Anschauung, nach welcher im Grunde ge­nommen doch allen Erdbildungen die Vorgänge von Feuer-wirkungen zugrunde liegen. Dann muß gedacht werden, daß sich oben an der äußersten Schale, die sich zum Innern wie die Eischale zum Eidotter verhält, etwas abgespielt hat, wodurch eine ganz dünne Schicht als Abkühlungs­schicht geblieben ist, die sozusagen die Erde als Bedeckungs­schicht

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des mächtigen Erdvulkanes umgibt, der unser Erdplanet, auf dem wir herumwandeln, wäre.

Nun müssen wir uns die Frage vorlegen: Was hat diese äußere Forschung zu sagen, und was hat die Geisteswissen­schaft mit den Mitteln, die in den bisher gehaltenen Vor­trägen charakterisiert worden sind, über das Werden der Erde zu verkünden? - Über die Stufen der Erde, die jetzt da sind und die vorangegangen sind, können Sie sich auch noch genauer unterrichten durch meine «Geheimwissen­schaft im Umriß». -Wie weit bringt uns im Grunde genom­men die Geologie? Wir wollen es jetzt mit klaren Worten zusammenfassen.

Die Geologie kann uns sagen: Sieh einmal, was du an Schichtbildungen an der Erdoberfläche findest. So wie diese Schichten gelagert sind, zeigen sie dir, daß Ablagerungen stattgefunden haben, jedenfalls in den jüngsten Zeiten, daß dadurch tierische Wesen ihr Grab gefunden haben, deren Nachkommen jetzt noch auf der Erde sind, aber auch solche, welche ausgestorben sind, und die wir nur dadurch als Be­wohner der Erde kennenlernen, daß wir ihre in der Erde befindlichen Reste ausgraben. Da werden wir bis zu einer untersten Schicht der Erdoberfläche geführt, die noch immer zu dem gehört, was sich zum ganzen Planeten so verhält wie die Eischale zum Eidotter, und die uns zeigt, daß sie einer Feuerwirkung wohl ihren Ursprung verdanken könnte. Tiefer Blickende allerdings, wie zum Beispiel Goethe, sprechen sich schon vorsichtiger aus, auch da, wo sie ganz geologisch denken wollen. Und es ist interessant, das Wort Goethes zu vernehmen, das er über diese untere Schicht spricht.

«. . . In den innersten Eingeweiden der Erde ruht sie

- diese Steinart - unerschüttert, ihre hohen Rücken steigen empor, deren Gipfel nie das alles umgebende

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Wasser erreichte. Soviel wissen wir von diesem Gestein und wenig mehr. Aus bekannten Bestandteilen, auf eine geheimnisreiche Weise zusammengesetzt, erlaubt es aber so wenig seinen Ursprung aus Feuer wie aus Wasser herzuleiten. »

Also Goethe macht schon darauf aufmerksam, daß even­tuell sowohl Feuer- wie Wasserwirkungen nicht dasjenige sein könnten, was uns auf die geheimnisvolle Bildung dieses ältesten Sohnes unserer Erde, des Granits, hinweise. Wenn wir einfach neben die geologische Forschung, die uns im Grunde genommen nun nicht weiterführen kann, dasjenige hinstellen, was die Geisteswissenschaft sagt, was aus der hellseherischen Forschung gewonnen ist, so nimmt es sich etwa in folgender Weise aus.

Blicken wir mit dem geistigen Auge, das uns durch die Methoden geschärft werden kann, die im Laufe dieser Vorträge öfter angeführt worden sind, in die Vorzeit unseres Planeten, so erscheint uns in gewisser Beziehung das, was sich dem sinnlichen Auge darbieten dürfte, ungefähr in der­jenigen Zeit und Zeitfolge, die uns durch die geologische Forschung dargeboten wird. Wir blicken gewissermaßen da auch zurück, wie die geologische Forschung sich eigentlich in der Phantasie den rückläufigen Blick konstruieren mußte. Wir schauen von jenen Wesen, die wir heute nach unseren menschlichen Begriffen als vollkommen bezeichnen, indem wir nach rückwäts gehen, auf immer unvollkommenere und unvollkommenere Lebewesen auf der Erde, und wir sehen sich darin zuweilen groteske Formen mischen, die zum Beispiel in den verschiedenen Sauriergestalten enthalten sind, im Ichthyosaurus, Plesiosaurus, Dinosaurus, Archae­opteryx. Wir finden dann Wesenheiten, die nichts von einem Wirbelskelett gehabt haben und so weiter und treffen in der Tat durch den hellseherischen Blick auf

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eine Zeitepoche unserer Erde, in welcher wir nicht solche Wesenheiten schauen können, wie sie jetzt auf unserer Erde leben. Wir müssen also zugeben, daß auch die geisteswissenschaftliche Forschung dieses allmähliche An­steigen der Vervollkommnungsgrade aus ihren eigenen Quellen heraus schauen kann. Wenn wir nun so zurück­gehen und gewissermaßen bei dem Zeitpunkt mit der hellseherischen Forschung ankommen, den die Geologie mit dem Granit fixiert, der sich im Sinne der heutigen Geologie aus dem schon abgekühlten, aber noch immer in Feuerwirkungen wogenden Erdengebilde herausgeballt hat, so müssen wir fragen: Was hat die Geologie - was hat die Geisteswissenschaft nun als Voraussetzungen einer früheren Zeit anzunehmen?

Wenn wir innerhalb der Geologie auf einem wirklich sicheren Boden bleiben - eigentlich sollte das, was jetzt gesagt wird, kein Naturforscher bezweifeln -, dann hat die Geologie hinter dem, was jenseits des Granits nach der Vorzeit zu liegt, nur Vermutungen. Solche Vermutungen kann sie auch darüber haben, wie es im Innern der Erde ausgeschaut habe, denn die Bohrlöcher, die durch Bohrun­gen in die Erde hineingearbeitet worden sind, führen nur so weit, daß man sie als winzig kleine Nadelstiche bezeich­nen muß. Vermutungen und Hypothesen, weiter nichts, Ahnungen höchstens noch über das, was dem Gewoge und Getriebe der Granitbildung vorangegangen ist!

Die Geisteswissenschaft nun folgt - allerdings mit jenem Blick, dessen Eigentümlichkeiten hier öfter charakterisiert worden sind - dem Erdenwerden, rückwärtslaufend, in die Vorzeit und findet in dem Reiche, das man mit Augen sehen kann, immer unvollkommenere und unvollkomme­nere Wesen als die Vorläufer unserer gegenwärtigen irdischen Lebewelt. Aber sie findet, daß die Erde, wenn wir sie so

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rückwärtssehend verfolgen, gewaltig anders sich darstellt, als sie sich in der jetzigen Zeit darstellt. Wie sie sich gegen­wärtig als die mineralische Grundlage zeigt, auf der wir wandeln, umgeben von der Luft, wo sich die Nebel, die Wolkenbildungen und so weiter finden, so stellt sie sich, indem wir so in die Vorzeit zurückschreiten, durchaus nicht dar. Eine große Anzahl von Stoffen, die heute in den Tiefen der Erde sind, waren in früheren Zeiten noch in der Um­gebung der Erde und schlugen sich erst nach und nach nie-der. Das muß auch die Geologie zugeben. Aber je weiter wir zurückgehen, desto mehr finden wir, daß unsere Erde überhaupt als Planet ein ganz anderes Gebilde, etwas ganz anderes wird, daß gewissermaßen das, was jetzt Luft-umkreis ist, immer mehr und mehr, indem wir nach rück­wärts gehen, uns selber den Charakter eines Lebewesens zeigt. Daß wir im Umkreis unserer Erde nicht nur solche mineralische Luft und solche mineralische Wolkenbildung finden, wie wir sie jetzt haben, sondern daß wir innerhalb dessen, was zu unserer Erde gehört, in den ältesten Zeiten etwas wie lebendige Glieder eines großen lebendigen We­sens finden. Wir kommen uns vor, wenn wir so nach rück­wärts schreiten, wie wenn wir heute als ganz winzige Wesen in einem menschlichen Organismus stehen könnten, wenn wir darinnen auf dem festen Boden eines Knochen stünden und hinaussehen könnten und draußen das Blut-system, das Nervensystem und so weiter wie eine Umwelt sehen würden. So würde jemand in alten Zeiten, der auf der Erde gestanden und hinausgeschaut hätte, nicht minera­lisches Weben und mineralische Luft gesehen haben, sondern lebendiges, pulsierendes Leben. Je weiter wir zurückkom­men, desto mehr wäre dies der Fall, so daß wir bis zu der Epoche zurückkommen könnten, die wir als Granitbildung bezeichnen. Und wir könnten uns sagen: Da ist die Erde

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im Grunde genommen ein mächtiges Lebewesen, hat ein zahlreiches, mannigfaltiges Leben in sich, ist noch nicht von den Lebewesen belebt, die heute auf ihr herumwandeln oder sich im Wasser und so weiter aufhalten, sondern die da drinnen leben - gleichsam wie Parasiten des ganzen lebendigen Erdenorganismus, die in seinem Blute schwim­men, wie heute die Regenmassen in der Luft und dergleichen mehr. Dann kommen wir zu einer Zeit, von der wir sagen müssen: Auf dem Erdboden herrscht allerdings eine so große Temperatur, daß sich Leben nicht entwickeln kann, aber im Umkreise entwickelt sich Leben, Leben, das herun­ter will, aber nicht herunter kann. Warum kann es nicht herunter? Da unten wird durch den Feuerprozeß, den Prozeß hoher Erwärmung zunächst das aufgenommen, was das Lebendige unserer Erde so aus sich heraus absondert, wie unser lebendiger Organismus die festen Bestandteile, die Knochen, aus den weichen Teilen heraus absondert. Und jetzt blicken wir auf die Granitbildung und sagen: Das Material, welches der Granit enthält - Quarz, Feldspat und Glimmer - ist ursprünglich aufgelöst in dem großen leben­digen Wesen: Erde. Das braucht zur Entwickelung die Tatsache, daß es sich dieser Stoffe entledigen kann, es son­dert sie aus, läßt sie zur Erde fallen. Was unten ist, nimmt dies Ausgesonderte auf, bildet ein Grundmassiv, ein Knochengerüst in dem Lebewesen Erde. Und wenn wir noch weiter zurückgehen, müssen wir die Ursachen suchen, warum die ganze lebendige Erde aus sich heraus die Stoffe abgesondert hat, welche als chemische Stoffe heute unsere Erde bilden und nicht zugleich diejenigen sind, die sich im tierischen, pflanzlichen oder menschlichen Organismus be­finden. Diese Stoffe wurden damals nach und nach auf ähn­liche Weise durch Feuer- oder Wasserwirkung abgesondert und dann umgebildet zum Knochengerüst unserer Erde.

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Wenn wir nun weiter zurückfragen, wie es kommt, daß die Stoffe nun aus dem Erde-Lebewesen herausgesondert wurden und einen Grundstock bildeten, aus dem das Leben gewichen ist, und nach den Ursachen fragen, durch welche das hat kommen können, so stoßen wir auf etwas, was

- spricht man von ihm als von Vorgängen innerhalb un­serer Erdentwickelung - heute noch im weitesten Umkreis sehr leicht Argernis erregt, und zwar nicht bei naturwissen­schaftlichen Denkern - diese sollten es anerkennen -, sondern besonders bei denen, die auf ein paar Vorstellun­gen hin, die sie gewonnen haben, eine Weltanschauung bauen wollen. Wir müssen aber hinweisen auf das, was die Geisteswissenschaft aus ihren Betrachtungen heraus zeigt, daß eben so die Wahrheit ist. Es zeigt sich nämlich, daß diesen Prozessen - gleichsam des Aussonderns der Gesteins-materialien - innerhalb des Erde-Lebewesens vorausgegan­gen ist ein solcher Prozeß, den wir nun mit einem heutigen Vorgang bezeichnen können, wenn wir auf un­seren eigenen Innenvorgang hinweisen, der ja für die äußere Wissenschaft wenig bekannt ist, der aber auch in diesen Vorträgen - ich kann das auch nur andeutungsweise sagen - durch die Geisteswissenschaft bereits ein wenig be­schrieben worden ist, - auf jenen Vorgang, der sich den ganzen Tag über in unserem eigenen Leibe abspielt, wenn wir durch Arbeit, durch die Begriffe, die der Geist schafft, unsere Muskeln, die Werkzeuge unseres Gehirns, überhaupt unsern ganzen Leib anstrengen. Da spielt sich der Prozeß ab, den wir als Ermüdung bezeichnen. Das ist im wesent­lichen eigentlich eine Art Zerstörungsprozeß des Organismus. Deshalb können wir sagen: Während wir heute vom Mor­gen bis zum Abend unser waches Tagesleben führen, indem wir denken, fühlen und wollen, spielen sich in uns Zerstö­rungsprozesse ab, die wir dann als Ermüdung fühlen. Solche

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Prozesse geistig-seelischer Art, die aber in die Materie hineinwirken, wird als äußere Naturwirkungen eine natur­wissenschaftliche Weltanschauung gewiß nicht leicht zugeben wollen. Aber sie waren in jenem großen, gewaltigen Organis­mus vorhanden, der einst die Erde war. Und als sich die Erde dem Zeitpunkt näherte, wo sich der Granit und ähnliches abgesondert hat, wurde sie von lauter solchen Zerstörungsprozessen ergriffen, die so wirkten, daß ein Geistig-Seelisches an einem Materiellen arbeitete. In jenen Organismus, in den früher hineingearbeitet waren nicht nur die Stoffe, die heute der pflanzliche, tierische und mensch­liche Organismus hat, sondern auch die Stoffe, welche heute unser Erdmassiv ausmachen, ergoß sich alles, was von solchen durch geistig-seelische Vorgänge bewirkten Zerstö­rungsprozessen vorhanden war. Diese Zerstörungsprozesse leiteten in dem großen Lebewesen Erde dasjenige ein, was dann herbeiführte, daß dasjenige - gleichsam durch einen Absonderungsprozeß - ausgestoßen wurde, was wir heute an chemischen Stoffen im Aufbau unserer Erde haben, was wir nicht in den organischen Leibern finden.

So werden wir durch die Geisteswissenschaft zu der Erde zurückgeführt als zu einem Organismus - nicht zu einem Urzustand unserer Erde, in welchem sie sozusagen tote Masse war, sondern wo die Erde ursprünglich ein großer Organismus war. Im Sinne der Geisteswissenschaft muß man nämlich eine Frage, die heute ganz falsch gestellt wird, geradezu umdrehen. Keine Wissenschaft wird - wenn sie annimmt, daß unsere Erde einstmals eine tote Kugel war, worin nur chemische und physikalische Prozesse sich ab­gespielt haben - in der Lage sein, erklären zu können, wie aus dieser toten Kugel heraus das Leben hat entstehen können. Das ist eine große Streitfrage, aber sie wird in der Regel ganz falsch gestellt. Denn man fragt gewöhnlich:

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Wie hat sich aus dem Leblosen Leben entwickeln können? -Aber so ist es nicht: nicht dem Lebendigen geht das Leb­lose voran, sondern umgekehrt, dem Leblosen geht das Lebendige voran. Das leblose Mineral ist ein Absonderungs­produkt, wie unsere Knochen eine Absonderung unseres Organismus sind. So ist alles Gestein ein Absonderungspro­dukt unseres Erdenorganismus, und geistig-seelische Prozesse sind es - wenn auch zunächst Zerstörungsprozesse -, die bewirkt haben, daß unser Erdenorganismus zu solchen Ab­sonderungen kam. Wenn wir weiter zurückgingen, würden wir sehen, daß dieser Gang uns noch viel weiter führen würde. Wir würden da von dem, was sich in unserem Mine­ralischen abspielt, zu der Erde als einem Organismus ge­führt, ja, wir sehen jetzt schon, indem wir noch weiter zurückgehen, kommen wir nicht nur zu einem Organismus, sondern zu einem Gebilde unseres Planeten, das von geistig-seelischen Wirkungen durchsetzt ist. Wir leiten nicht nur das Leben nicht auf Lebloses zurück, sondern wir führen das Leblose zurück auf Absonderungsprozesse aus dem Lebendigen, und wir nehmen das Lebendige als Folge-zustand des Geistig-Seelischen an. Je weiter wir zurück­gehen, desto mehr nähern wir uns dem, woraus wirklich entsprungen ist, was wir heute als Mineralien, Pflanzen-gebilde und so weiter vor uns haben: Wir nähern uns dem Geistigen und lassen uns von der Geisteswissenschaft sagen, daß nicht nur aus einem leblosen, feurigen Urnebel sich dasjenige gebildet hat, was uns heute in der Mannigfaltig­keit der Erderscheinungen gegenübertritt, sondern daß sich alles aus dem Geistigen herausgebildet hat, daß ursprüng­lich unsere Erde lauterer Geist war. Der Fortgang war so, daß auf der einen Seite aus dem Geistigen sich die Gebilde absonderten, die mehr nach dem Mineralischen zu liegen, und daß auf der anderen Seite die Möglichkeit dazu kam,

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daß gewisse neue Gebilde entstanden, die eine neue Form geistiger Wirkungen aufnehmen konnten. Denn wenn wir jetzt den umgekehrten Weg nehmen und sagen: In den alten Gesteinsmaterialien haben wir etwas, was sich aus dem ursprünglichen Erdenorganismus herausgesondert hat, und wir gehen dann weiter bis in unsere Zeit, so geschieht diese Absonderung fortwährend. Der Granit ist nur die älteste Absonderung. Aber die Prozesse, die Absonderungen bilden, werden immer weniger und weniger lebensvolle Prozesse sein, werden immer mehr und mehr bloße che­mische, mechanische Prozesse sein, so daß wir zuletzt in unserer Zeit nur noch jene Wasserwirkungen haben, die beobachtet werden können, wenn zum Beispiel ein Fluß das Gesteinsmaterial von einem Orte zum andern trägt. Aber was uns da als mechanisch-chemische Prozesse ent­gegentreten, das ist nur das letzte Produkt, ist das, was das gesetzmäßige Mineral geworden ist, was als Folgezustand von dem eingetreten ist, was sich ursprünglich als Lebens-wirkungen abgespielt hat.

Wir sehen also, wie sich in der Tat im Laufe unserer Erdentwickelung in bezug auf das, was den Grund bildet, auf dem wir herumwandeln, etwas abspielt, was wir in ähnlicher Weise im einzelnen menschlichen oder tierischen Organismus haben. Da sehen wir, wie dieser Mensch bis zu einem gewissen Zeitpunkt lebt, wie er dann durch die Pforte des Todes schreitet, seinen Leib als Leichnam ablegt, und sehen die Prozesse, die bloß mineralische Prozesse sind, sich fortsetzen. Während der Lebenszeit des Leibes aber waren diese chemischen und physikalischen Prozesse in gei­stig-seelische Vorgänge einbezogen. So kommen wir auch zu einem Zeitpunkt des Erdendaseins zurück, wo die Prozesse, die wir heute als chemische und mechanische sich abspielen sehen, eingefangen und durchsetzt waren von organischen,

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ja von geistig-seelischen Prozessen. Was sich aber auf dem Boden unserer Erde abspielt, das ist sozusagen nur die eine Strömung, die aus früheren zunächst mehr lebendig orga­nischen und dann geistigen Vorgängen geblieben ist. Dieser Boden mußte entstehen, sich bilden, damit auf seinem Grunde sich nun ein anders geartetes Leben abspielen kann:

dasjenige Leben, das allmählich zu unserem Leben wurde, damit sozusagen nach und nach solche Gehirnwerkzeuge bei den Lebewesen sich ausbilden konnten, wodurch diese nun den Geist innerlich sich vergegenwärtigen können, innerlich sich Gedanken und Empfindungen bilden können, die gleichsam die äußeren Vorgänge erkennend und fühlend wiederholen. Daher muß die gesamte Stoffmasse unserer Erde erst «durchgesiebt» werden, die heute bloß minera­lischen Stoffe ausgeschieden werden und diejenigen zu­rückbehalten werden, welche heute die Organismen bilden können, die nur von einem Teile des alten Stoffnassives durchsetzt sind. Das sind die Teile, die sich erst jetzt bilden können - zum Beispiel zu dem, was heute der Mensch ist. Der Geist, der im Menschenkopfe, im Menschenherzen lebt, der also in einem Wesen lebt, das gewissermaßen feiner organisiert ist als das gesamte Erdplanetenwesen, dieser Geist konnte nur in einem solchen Wesen entstehen, das erst aus sich ausgesondert erhalten hat die andere Stoff-masse, die heute nicht zum organischen Leben gehört. Durchgesiebt worden ist das gesamte Stoffmassiv unserer Erde, und was abgeflossen ist, das wurde zur Grundlage gemacht, die dem rein mineralischen Leben übergeben worden ist, damit sich darauf ein neues Leben entwickeln konnte, das wir nun in dem Augenblick in seine unterste Form eintreten sehen, wo von der nachfolgenden Zeit die einfachsten Wesen in der kambrischen Form von der Geo­logie uns vorgeführt werden.

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Wenn wir so im Sinne der Geisteswissenschaft betrachten, was an heutigem Leben vorhanden ist, so werden wir sagen müssen: Dieses Leben war ursprünglich im Umkreise der Erde, ist dann gleichsam aus diesem Umkreise herabgekom­men, konnte aber den Boden der Erde nicht früher betreten, bevor es nicht dasjenige vorausgeschickt hatte, was es an Stoffmassen brauchte, um darauf herumzuwandeln. Der Zersetzungsprozeß, der durch geistig-seelische Prozesse hervorgerufen worden ist, ist der Einleitungsvorgang zu zwei Strömungen, die sich seither abspielen: einer aufstei­genden Strömung, die ein feiner, höher geartetes Leben entfaltete - das brauchte nur einen Teil der Stoffmassen -und einer anderen Strömung, welche die Zersetzung fort­setzt und als Grundlage sich bietet für die feineren Orga­nismen, die sich dann bis zum Menschen herauf entwickeln. Diese feineren Organismen sind in einer aufsteigenden Entwickelung. Warum? Weil sie dadurch - was man ja heute auch nicht zugeben wird -, daß sie das gröbste Material wie in einem gewaltigen Ausscheidungsprozeß abgesondert haben, durch den dann die Erdoberfläche wurde, in die Lage gekommen sind, sich von der Erde und ihren Innen-wirkungen mehr oder weniger abzuschließen, und nun dem hingegeben sind, was an Weltenwirkungen von außen auf die Erde hereinströmt. Sie sind nun den geistigeren Vor­gängen der Weltenwirkungen ausgesetzt und verdanken dem das Aufsteigen von den unvollkommenen Lebewesen bis zum Menschen.

Wenn wir die Erdentwickelung so ansehen, blicken wir auf den Grund und Boden, auf dem wir herumgehen, ohne daß wir die einzelnen Vorgänge in Betracht ziehen, so hin, daß wir uns sagen: Wir stehen auf ihm, er enthält

- in dem Granit und in dem, was sich darauf abgesondert hat - dasjenige, was die Reiche der Lebewesen nicht

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brauchen konnten, die es nur so verwenden konnten, daß sie es als Boden absonderten, um darauf herumzuwandeln. Und was als Fortsetzung davon vorhanden ist, ist ein Zer­störungs- und Auflösungsprozeß. Da müßten wir uns im Grunde genommen mit dem Gedanken bekannt machen:

Wenn uns heute der Geologe den Erdboden darlegt, wie er aus Tälern und Gebirgen besteht und sich schichtenweise auf­baut, so müßte das etwas wie ein sich zersetzender Leich­nam sein, der einen alten Zerstörungs- und Zersetzungs­prozeß fortsetzt. Wir wandelten dann im Sinne der Gei­steswissenschaft auf einem solchen Zerstörungsprozeß, damit wir einen Grund und Boden haben, den wir haben mußten, wenn wir die blühenden, die nach der Zukunft wei­senden Kräfte ins Auge fassen, die nach der anderen Seite gehen als die, welche uns im Erdboden entgegentreten. Denn diese nach der Zukunft weisenden Kräfte sind etwas, was sozusagen unabhängig vom Erdboden in die menschlichen Seelen, die menschlichen Geister hereindringt, vielleicht auch in jene Wesen, die außerhalb des Menschlichen sind, die sich erst auf Grundlage des Erdbodens erheben. Im Erdboden selbst aber hätten wir etwas Zerfallendes. Geisteswissen­schaftlich-geologisch betrachtet würde uns unsere Erde als ein immer mehr und mehr zerfallender Leichnam erschei­nen, und die geologischen Gesetze würden zugleich Gesetze des sich auflösenden Erdenleichnams sein. Und der Mensch auf der Erde würde etwas sein, was sich aus dem Erden-leichnam heraushebt, wie sich die menschliche Seele, wenn sie durch die Pforte des Todes schreitet, vom Leichnam erhebt und diesen jenen Kräften zurückläßt, die ihn zer­setzen und zerstören.

Es könnte ein trübes Bild bieten, wenn man dies sagt. Aber es wird nur ein trübes Bild bieten, wenn man sozu­sagen am Geist verzweifelt und den Geist lediglich an die

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Materie gebunden hält und glaubt, daß mit dem Abfall des Menschen von der lebendigen Erdengestalt überhaupt das Ende des Menschen gekommen ist. Wenn man die Dinge aber betrachtet, wie es eine gesunde Naturbetrach­tung ergibt, so muß man sagen: Es muß sich in gewisser Weise erfüllen, daß nicht nur der einzelne Mensch, sondern die ganze Menschheit den Erdenleib nach und nach abwirft, um in andere Regionen der Entwickelung nach und nach aufsteigen zu können. Wir wären somit - geisteswissen­schaftlich-geologisch betrachtet - über die Mitte der Erdent­wickelung schon seit jener Zeit hinaus, seitdem der <älteste Sohn der Erde» abgesondert worden ist, und die Wesen, die einen Zukunftsanfang bilden, werden sich auf der damit gebildeten Grundlage weiter entfalten.

Was sagt nun zu einer solchen geisteswissenschaftlich­geologischen Auffassung die moderne Geologie? Wenn Worte, Theorien, Hypothesen, Weltanschauungen in Be­tracht kommen, die leichthin und flugs von Parteiströmun-gen und so weiter gebildet sind, dann kann man sehr leicht konstruieren, wie eine solche Geisteswissenschaft mit dem naturwissenschaftlichen Denken in Widerspruch gerät. Aber wenn man diese Geisteswissenschaft, die ebenso streng und methodisch wie irgendeine andere Wissenschaft arbeitet, im Verhältnis zu der Naturwissenschaft betrachtet, so ist es schon nötig, daß man zu dem hinblickt, was die Natur­wissenschaft wirklich zu sagen hat, das heißt also in bezug auf das heute Gesagte die Frage aufwirft: Was hat die Geologie in bezug auf das Erdenwerden zu sagen? Heute werden in populär-wissenschaftlichen Schriften und in popu­lären Weltanschauungen oft Dinge in die Menge gebracht, die sehr sekundärer Natur sind, und dann wird gesagt: das habe «die Wissenschaft» festgestellt. Wenn man dies dann mit dem vergleicht, was die «vertrackten, halb wahnsinnigen»

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Geistesforscher sagen, so wird sich das manchem herausstellen als etwas, worauf man sich «überhaupt nicht einlassen kann» . Denn so wird mancher sagen, der von der Geisteswissenschaft vielleicht nicht viel mehr kennt als das, was von allerlei abgelegenen Quellen zu ihm kommt. Aber man muß sich da schon zu dem wenden, was die wirkliche Wissenschaft und die wirkliche Geisteswissenschaft zu sagen hat. Denn nicht wie populäre Weltanschauungen, die aus der Wissenschaft nur scheinbar gewonnen sind, ist die Geisteswissenschaft zu betrachten, sondern mit der Strenge, mit der jede wahre Wissenschaft von den wahren Forschern an den Quellen zu betrachten ist. Da stellt sich denn etwas heraus, was ich Ihnen nicht anders schildern kann, als daß ich Sie auf dasjenige Werk hinweise, das einem der bedeu­tendsten Geologen unserer Zeit entsprungen ist und das ein sehr bekannter Geologe unserer Zeit die geologische Epopöe des neunzehnten Jahrhunderts genannt hat: das «Antlitz der Erde» von Eduard Sueß. Man darf sagen, daß in diesem Werke, an dem Sueß nicht Jahre, sondern Jahrzehnte - und zwar in der denkbar sorgfältigsten Weise - gearbeitet hat, die geologischen Forschungen, die dieser jüngste Zweig der Naturwissenschaft im Verlauf weniger Jahrzehnte hervor­gebracht hat, zusammenfließen. Was zeigt sich da?

Eduard Sueß war einmal der, welcher gesagt hat: Sehen wir einmal ab von allen Vorurteilen der Neptunisten, der Plutonisten und von allem, was sich sonst an Theorien durch die Geologen des neunzehnten Jahrhunderts ange-häuft hat. Konstruieren wir nicht, sondern sehen wir das an, was sich als die Physiognomie, als das Bild der Erd­oberfläche darbietet. - Von der allerdings sinnenfälligen, aber reinen und durch keine Theorie und Hypothese ge­trübten Anschauung ist Eduard Sueß ausgegangen. Da hat er dann andere Anschauungen gewonnen als die, welche

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lange Jahrzehnte hindurch gang und gäbe waren. Er ist zu dem Resultat gekommen, daß die Gebirge, die uns als scheinbar mächtige Massive entgegentreten, sich doch nur wie die Runzeln auf der Apfelschale ausnehmen und sich in keiner anderen Weise erklären lassen als dadurch, daß man annimmt, daß gewisse Kraftwirkungen rein physikalisch-chemischer Art im Erdplaneten walten, durch deren Tätig­keit unsere Unebenheiten, unsere Täler und Berge, die verschiedenen Schichten und so weiter zustande kommen; so daß im wesentlichen die Verteilung von Wasser und Land, die Bildung der Kontinente und so weiter dadurch zu erklären ist, daß sich Faltungen bilden, daß gewisse Kräfte die Erdmassive zusammenschieben, wodurch sich gewisse Erdnassen zu Gebirgen auftürmen. Andre Kräfte sind tätig, die bewirken, daß das Aufgetürmte dann zusammenstürzt; dadurch geschieht dann das Bilden der Meere. Also durch Zusammenstürze, durch Überstülpun-gen und Zusammenfaltungen und so weiter erklärt er zum Beispiel das Gebirgsmassiv der Alpen. In einer geistvollen Weise wird so gezeigt, daß das ganze Antlitz der Erde durch solche Zusammenschiebungen, Einstürze, Faltungen und so weiter zustande gekommen ist. Meeresbildungen und Bildung der Kontinente werden zum Beispiel dadurch erklärt, daß gewisse Einstürze geschehen, daß die Wasser nach der einen Richtung abfließen, und dort, wo Wasser früher war, wird auf diese Weise Land freigelegt und so weiter. Wir haben es also mit einer Erdoberfläche zu tun, wo Prozesse geschehen, die auf einem Durcheinanderrütteln der Erdmassen von mechanischen Kräften und auf Einstür­zen beruhen. Und indem sich Sueß ein Gesamtbild zu ma­chen versucht von dem, was auf dem Boden vorgeht, auf dem wir herumwandeln, gelangt er zu einem eigentümlichen

Resultat: daß es im Grunde genommen überhaupt ein

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Prozeß der Zerstörung ist, der sich auf unserer Erdober­fläche abspielt, und daß eigentlich der Boden, wo wir heute den Pflug über den Acker führen, aus dem unsere Früchte kommen, nur dadurch entstanden ist, daß von irgendwo anders her Faltungen, Einstürze - kurz: Zerstörungs-prozesse gewirkt haben. Ich brauche nur wenige Worte aus diesem bedeutendsten Werke der gegenwärtigen Geologie zu zitieren, und Sie können daraus entnehmen, wohin den gewissenhaften Naturforscher Eduard Sueß die rein sinnen-fällige geologische Betrachtungsweise geführt hat.

« . . . Der Zusammenbruch des Erdballs ist es, dem wir beiwohnen. Er hat freilich schon vor sehr langer Zeit begonnen, und die Kurzlebigkeit des menschlichen Ge­schlechtes läßt uns dabei guten Mutes bleiben. Nicht nur im Hochgebirge sind die Spuren vorhanden. Es sind große Schollen hunderte, ja in einzelnen Fällen viele tausende von Fuß tief gesunken, und nicht die geringste Stufe an der Oberfläche, sondern nur die Verschieden­heit der Felsarten oder tiefer Bergbau verraten das Dasein des Bruches. Die Zeit hat alles geebnet. In Böh­men, in der Pfalz, in Belgien, in Pennsylvanien, an zahl­reichen Orten zieht der Pflug ruhig seine Furchen über die gewaltigsten Brüche.»

Hier haben Sie das Ergebnis sorgfältiger Wissenschaft über den Boden, auf dem wir herumwandeln. Denken Sie sich jetzt, was die Geisteswissenschaft über die Einleitung dieses Prozesses durch einen geistig-seelischen Zerstörungs-prozeß zu sagen hat, dessen Fortsetzung auf der einen Seite bedeutet den physikalisch-mechanischen Zerstörungspro­zeß, der auf der Erdoberfläche geschieht und den die Geo­logie durch sorgfältige Forschung von sich aus zu behaupten genötigt ist. So ist es auf allen Gebieten. Wenn Sie die

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wirklichen Forschungen, die Tatsachen zu Rate ziehen, werden Sie überall sehen: Hier steht die Geisteswissen­schaft mit dem, was sie aus der hellseherischen Forschung heraus zu sagen hat, und dort die Naturwissenschaft, die nur unbeeinflußt von monistischen, materialistischen oder sonstigen Vorurteilen gedacht werden muß, die auf reinem, gesundem Boden der Tatsachen steht. Überall, werden Sie sehen, mündet die Geisteswissenschaft so in die Natur­wissenschaft ein, daß die Naturwissenschaft durch das, was sie aus dem reinen Boden der Tatsachen zu liefern hat, einen ausgiebigsten Beweis für das bringt, was die Geistes­wissenschaft von sich aus zu sagen hat. Niemals ist ein Widerspruch zwischen Geisteswissenschaft und wahrer Naturwissenschaft vorhanden. Widersprüche bestehen nur zwischen gesunder Geisteswissenschaft, die auf die Realität losgeht, und den Theorien der Phantasten und derjenigen, die da sagen, sie stünden auf dem festen Boden der Wissen­schaft, die aber sofort den festen Boden verlieren, wenn sie nicht in das einmünden, was die Tatsachen sagen, son­dern in das, was sie selbst über die Tatsachen sagen möchten. Die Geisteswissenschaft läßt sich von den geistigen Tatsachen sagen, was diese von den Weltengeheinnissen zu sagen haben. Naturwissenschaft blickt mit ihren Metho­den auf das hin, was sich ihr ergeben hat und was sie zu sagen hat. Beide stehen in vollstem Einklang. Und wenn Sie nicht jene populären Werke nehmen, die sagen: «das und das steht wissenschaftlich fest», sondern wenn Sie zu den Quellen gehen, dann können Sie insbesondere auf dem Gebiete der Geologie finden, wie die Geologen überall bis zu einem gewissen Punkte vordringen und dann Frage­zeichen hinsetzen. Wenn man bei diesen Fragezeichen an-gekommen ist, kann man von ihnen ausgehen, indem man jetzt die geisteswissenschaftliche Forschung betrachtet. Diese

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sagt uns dann: Wenn es richtig ist, was die Hellsichtigkeit zeigt, so muß sich das äußere Tatsachenmaterial so und so gestalten. In dem geologischen Falle hat sich gezeigt: Wenn es richtig ist, was die Geisteswissenschaft darzustellen hat, dann muß als die Fortsetzung des heutigen Zersetzungs­prozesses unser Erdball jetzt im Zusammenbruch sein. Geologie, die auf die Tatsachen geht, zeigt aus den Ge­setzen, daß es so ist! Die Ergebnisse der Naturwissenschaft sind überall die Konsequenzen der geisteswissenschaftlichen Forschung. Wenn wir den ganzen Geist und Sinn dieser Auseinandersetzung betrachten, werden wir keineswegs darüber trübsinnig werden, daß wir auf einem Boden gehen, der ein sich zersetzender Leichnam ist. Denn wir sehen ein, daß auf diesem Boden sich das entwickelt hat, was wiederum Zukunftskeime in sich enthält.

Auch die folgenden Vorträge werden uns immer mehr zeigen, daß ebenso, wie der Mensch auf seinen Geist sieht, so das Geistige, das sich einst den Boden unter den Füßen bereitet hat, Zukunftsepochen entgegengeht, die es auf immer höheren und höheren Höhen zeigen werden. Wenn schon der Geologe Sueß - weil er durch den Umgang mit der Natur auf alles Schöne der Natur selbst in den Zerstö­rungsprozessen eingeht - das Antlitz der Erde zu bewun­dern versteht, indem er in seinem großen, monumentalen Werke die beherzigenswerten Worte sagt: «Im Angesichte dieser offenen Fragen erfreuen wir uns des Sonnenscheines, des gestirnten Firmamentes und aller Mannigfaltigkeit des Antlitzes unserer Erde, welche durch eben diese Vorgänge erzeugt worden ist, zugleich erkennend, bis zu welchem Grade das Leben von der Eigenart und den Schicksalen des Planeten beherrscht ist», wenn schon der Geologe - sich über allen Pessimismus erhebend - diesen Ausblick in der Seele empfindet, dann sagt erst recht der Geistesforscher,

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der weiß, daß das Goethesche Wort wahr ist: die Natur hat den Tod erfunden, um viel Leben zu haben -, und der auch weiß, daß es erkenntnismäßig wahr ist zu sagen: die Natur hat den Tod erfunden, um immer höheres und immer geistigeres Leben zu haben - es sagt der Geistesforscher, der dies weiß: Wenn wir auch hinblicken müssen auf das, was ein höheres Leben sich ausgesondert hat, wie auf einen in Zerstörungsprozessen begriffenen Leichnam, so sehen wir doch in allem, was auf diesem Boden wandelt, Keime leuchten dessen, was in unseren Herzen Hoffnung und Sicherheit erregen kann. Das aber sagt uns: Wir wandeln auf dem Boden, den uns die Vorwelt gegeben hat, den sie in seiner Zersetzung, in seiner Zerstörung zu dem Boden unter unseren Füßen hat werden lassen. Wir wandeln auf diesem Boden, ahnend - indem wir uns in unserem Geiste zu Himmeishöhen erheben -, daß wir diesen Boden im Laufe der zukünftigen Entwickelung zur rechten Zeit zu verlassen haben, um in den Schoß der geistigen Welt auf­genommen zu werden, mit der wir uns, wenn wir es recht verstehen, so innig verbunden fühlen.

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HERMES Berlin, 16. Februar 1911

Wenn es schon für die Geisteswissenschaft an sich eine große Bedeutung hat, zu sehen, wie das geistige Leben der Menschheit von Epoche zu Epoche fortschreitet, langsam sozusagen aus dunklen Tiefen sich an die Oberfläche drängt, so hat die Betrachtung der altägyptischen Kultur und des altägyptischen Geisteslebens, man möchte sagen, noch in ganz hervorragenderem Maße eine solche Bedeu­tung. In einer doppelten Weise wird diese Bedeutung empfunden, wenn man sich in dieses altägyptische Geistes­leben hineinzuleben versucht.

Zunächst erscheint dasjenige, was zu uns aus grauen Vorzeiten herübertönt, so geheimnisvoll wie das Antlitz der Sphinxe selbst, die wir ja als Denkmäler dieser alt-ägyptischen Kultur haben. Dieses Geheimnisvolle wird dadurch noch erhöht, daß selbst die äußere Forschung in den letzten Zeiten mehr und mehr in immer ältere und ältere Zeiten zurückschreiten mußte, um das Dasein der späteren ägyptischen Kultur, für welche bedeutsamere Dokumente vorhanden sind, erklären zu können. Weite Jahrtausende vor unsere Zeitrechnung hinauf bis ins sie­bente Jahrtausend mindestens - aber auch noch weiter hinauf - datiert für die äußere Forschung das, was in dem ägyptischen Kulturleben gearbeitet hat. Ist das der eine Grund, warum wir gerade dieser Kultur ein besonderes Interesse zuwenden, so dürfen wir sagen: der andere Grund ist der, daß - man mag wollen oder nicht - für den Men­schen

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der Gegenwart diese Kultur etwas Merkwürdiges da­durch hat, daß dieser Mensch der Gegenwart - ich meine jetzt unsere größere, breitere Gegenwart - das Gefühl hat, diese Kultur habe doch etwas Verwandtes, etwas geheimnisvoll Verwandtes mit dem, was dieser Mensch der Gegenwart selbst will und sich als Ziel setzen mag. Daher erscheint es auch bedeutsam, daß ein so großer Geist, der in der Mor­genröte der neueren naturwissenschaftlichen Entwickelung steht, wie Kepler, sein Gefühl über das, was die Natur­wissenschaft bis zu ihm und er selbst der Welt zu geben hatte, nicht anders auszudrücken vermochte als in Worten, die etwa so lauten: Mit alledem, was ich zu enthüllen ver­suchte über den Gang der Planeten um ihre Sonne, habe ich hineinzuschauen versucht in die Geheimnisse des Welten-raumes. Es ist mir oft, als ob ich mit den Ideen von diesen Geheimnissen die heiligen Gefäße der Ägypter in ihren geheimnisvollen Tempelstätten aufgesucht und hinüber-getragen hätte in die neuere Zeit. Und daraus entstammt das Gefühl, daß die Nachwelt erst einsehen wird, was mit dem gemeint ist, was ich ihr zu geben habe. - So verwandt fühlte sich einer der größten Geister der modernen Zeit mit der altägyptischen Kultur, daß er den Grundton dessen, was er der Welt geben wollte, nicht besser zu bezeichnen wußte, als daß er ihn als eine Erneue­rung dessen darstellte, was - freilich mit anderen Worten und in anderer Art - in den geheimen Lehr- und Kultstätten des alten Ägyptens an die Bekenner und Anhänger geflossen ist. Daher muß es uns im besonderen interessieren, wie diese Ägypter selber das Wesen und die ganze Art ihrer Kultur empfunden haben.

Es gibt ein bedeutungsvolles Wort, welches uns aus der alten griechischen Überlieferung erhalten ist und das be­deutsam zum Ausdruck bringt, wie nicht nur die Ägypter

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selber, sondern wie das Altertum diese ägyptische Kul­tur empfunden hat. Da wird uns überliefert, daß ein ägyptischer Weiser zu Solon gesagt habe: Ihr Griechen bleibt doch ewig Kinder; was ihr wißt, ist entsprungen aus eurem eigenen menschlichen Sinnen und Schauen. Ihr habt nicht alte Überlieferungen. Ihr bleibt Kinder, ihr werdet nicht erwachsen, denn ihr habt keine altersgraue Lehre! -Eine «altersgraue Lehre»: was das bedeutet, erfahren wir erst, wenn geisteswissenschaftlich versucht wird hineinzu­leuchten in die ganze Art und Weise des ägyptischen Den­kens und Fühlens. Da muß man sich an das erinneren, was schon öfter hier gesagt worden ist: daß die Menschheit in den aufeinanderfolgenden Zeiträumen ihrer Entwickelung eine Entfaltung verschiedener Bewußtseinsformen durch­gemacht hat. Das Bewußtsein, in dem wir jetzt leben, diese ganze Art und Weise der Aneignung der Außenwelt durch die Sinne, der Kombination durch den Intellekt und Ver­stand, diese Art des alltäglichen, auch des wissenschaft­lichen Denkens war nicht immer vorhanden, sondern das menschliche Bewußtsein unterliegt erst recht dem, was man mit dem Worte Entwickelung bezeichnet. Es unterliegt dieser Entwickelung nicht nur die äußere Formenwelt, sondern auch die Seelenverfassung des Menschen und das menschliche Bewußtsein selbst. Darauf ist hingewiesen worden, daß wir die alten Kulturstätten der Menschheit nur verstehen können, wenn wir voraussetzen, was die Geisteswissenschaft aus ihren Quellen heraus zu sagen hat: daß in alten Zeiten statt des heutigen intellektuellen Bewußtseins ein altes hellseherisches Bewußtsein vorhan­den war, das weder unserem Tagesbewußtsein gleich war, das vom Aufwachen bis zum Einschlafen dauert, noch auch unserer Bewußtlosigkeit im Schlafe vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Sondern dieses uralte Bewußtsein der

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Vormenschheit bestand in einem Zwischenzustand, der nur, man möchte sagen, atavistisch wie in einem verkümmer­ten Erbstück in der Bilderwelt unserer Träume erhalten ist. Während aber unsere Träume chaotisch sind und so, wie sie im gewöhnlichen Leben sind, nichts zu bedeuten haben, war das alte Bewußtsein, das in Bildern wirkte, aber doch in einer gewissen Weise einen dumpfen, traum-haften Charakter hatte, ein hellseherisches Bewußtsein, dessen Bilder nun nicht auf unsere physische Welt, sondern auf das, was hinter dieser als eine geistige Welt liegt, hin-deuteten. Man darf sagen, daß im Grunde genommen alles hellseherische Bewußtsein - sowohl das traumhafte der Vormenschheit wie auch das, welches der Mensch heute durch jene Schulung erreicht, von der hier schon gesprochen worden ist - in Bildern wirkt, nicht in Begriffen und Ideen wie das äußere physische Bewußtsein; und daß die Bilder in der richtigen Weise durch den Träger des Bewußtseins auf die geistigen, spirituellen Realitäten, die hinter den physisch-sinnlichen Erscheinungen stehen, bezogen werden müssen.

So blicken wir im Grunde genommen auf alle alte Volksentwickelung zurück und sagen uns: Was uns da her-übertönt in so merkwürdigen Bildern, das ist nicht bloß -wie heute ein materialistisches Bewußtsein im weitesten Kreise glaubt - eine kindliche Ausgestaltung phantastischer Naturanschauungen, sondern eine Summe von Bildern, die zwar in Bildform uns vor die Seele treten, aber in dieser Bildform auf ein wirkliches Anschauen einer geistigen Welt hinweisen. Wer nicht mit einem modernen materialistischen Bewußtsein, sondern mit einem Sinn für Menschen-schöpfungen und geistige Menschenwerke sich in die alten Mythologien und Legenden vertieft, für den gewinnen die eigentümlichen Erzählungen dieser Mythologien einen Zusammenhang,

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der in einer wundersamen Weise mit den­jenigen Gesetzen der Welt zusammenstimmt, die höher sind als unsere physikalischen, chemischen, biologischen Gesetze. So durchklingt ein Ton von geistiger Realität die alten Mythologien, die alten Religionssysteme. Sie erhalten dadurch einen Sinn.

Nun müssen wir uns aber klarmachen, daß die verschie­denen Völker in einer verschiedenartigen Weise je nach Anlage und Temperament, Rasse und Volkscharakter diese Bilderwelt ausbildeten, in welcher sie die höheren, geistigen Kräfte sich vorstellten, die hinter den bloßen Natur-kräften stehen. Wir müssen uns auch klar sein, daß in der allmählichen Entwickelung alle möglichen Übergänge vor­kommen von diesem alten hellseherischen Bewußtsein bis zu unserem gegenwärtigen Gegenstandsbewußtsein, un­serem intellektuellen alltäglichen Bewußtsein. Wir müssen uns ein Abglimmen, ein allmähliches Zurücktreten des alten hellseherischen Bewußtseins denken, müssen uns bei den verschiedenen Völkern denken, wie die Kräfte des alten Hellsehens nach und nach abnehmen, wie sozusagen in den Bildern, die vor die Seelen traten, welche noch hinein­schauen konnten in die geistige Welt, immer geringere und geringere geistige Kräfte enthalten waren; wie die höheren Welten allmählich ihre Tore schlossen, bis nur mehr die alleruntersten Stufen des geistigen Wirkens im niederen Hellsehen wahrnehmbar waren. Wir müssen uns auch vor­stellen, daß dann für die allgemeine Menschheit das alte Hellsehen überhaupt erlosch, und der Tagesblick auf die um uns liegende physische Welt und auf unsere Vorstellun­gen von den physischen Dingen beschränkt blieb, was dann, indem wir die physischen Dinge kombinieren, zu unserer heutigen Wissenschaft führte. So entwickelte sich nach und nach, indem das alte Helisehen allmählich erlosch,

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in uns das Gegenwartsbewußtsein, und zwar bei den verschiedenen Völkern in einer verschiedenen Weise. Eine ganz besondere war dabei die Mission des ägypti­schen Volkes.

Alles, was wir aus älteren Zeiten auch äußerlich wissen, was in unserer Zeit aus neueren Forschungen hinzugekom­men ist, zeigt uns, wenn wir sie richtig verstehen, daß es wahr ist, was die Geisteswissenschaft zu behaupten hat: daß es gerade in der. Mission des ägyptischen Volkes lag, auf alte Zeiten zurückzublicken, wo die führenden Individuali-täten und Persönlichkeiten dieses ägyptischen Volkes durch starke hellseherische Kräfte noch tief hineinschauten in die geistigen Welten. Innerhalb des ägyptischen Volkes war es, wo sich eine gewisse schwächere hellseherische Kraft und eine schwächere Kraft der Seelenverfassung, die mit diesem Hellsehen zusammenhing, bis in späte Zeiten erhalten hat. Daher müssen wir sagen: Die späteren Ä gypter - bis herein in die letzten Jahrtausende vor der christlichen Zeitrech­nung - wußten aus eigener Erfahrung, daß es ein anderes Anschauen als das des gewöhnlichen Tageslebens gibt, wo man nur die Augen aufmacht und den Verstand zu Hilfe nimmt, und daß dieses andere Anschauen den Menschen in die geistige Welt hineinblicken läßt. Aber sie kannten nur die niedrigsten bildhaften Vorstellungen eines Reiches, das man da wahrnehmen konnte, und sie erinnerten sich ihrer alten Zeiten, in welchen ihre Priesterweisen wie in einem goldenen Zeitalter der ägyptischen Kultur tief hinein­schauen konnten in die geistige Welt.

Was damals als die Geheimnisse der geistigen Welten geschaut worden war, das war insbesondere bei den älte­ren Ägyptern mit der denkbar größten Pietät, mit der tiefsten Religiosität und alleräußersten Sorgfalt durch die Jahrtausende hindurch aufbewahrt worden, so daß diejenigen,

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welche in dem späteren ägyptischen Zeitalter leb­ten, wenn sie auch noch hineinzuschauen vermochten in die geistigen Welten, sich etwa folgendes sagen konnten: Wir sehen jetzt noch eine niedrige geistige Welt, wir wissen, daß es ein solches Anschauen einer geistigen Welt gibt; das zu bezweifeln wäre ebenso klug, als zu bezweifeln, daß es ein äußeres Anschauen mit den Augen gibt. - Das konnte sich der Ägypter der späteren Zeit sagen. Er hatte zwar nur noch schwache Nachklänge niedriger geistiger Welten, doch er fühlte und ahnte dabei, daß es eine alte Zeit gegeben hat, in welcher man tiefer in das, was hinter dem Physisch-Sinnlichen liegt, hineinschauen konnte. Und eine alters-graue Lehre, von welcher eben der ägyptische Weise zu Solon sprach, in wundersamen Tempelinschriften und Säu­lenaufschriften erhalten, gab Kunde von den heilseherischen Kräften in der alten Zeit. Den aber, in welchem die Ägypter sozusagen alle ursprüngliche Größe jener alten hellseherischen Weisheit sahen, nannten sie ihren großen Weisen, den alten Hermes. Als dann in einer späteren Zeit wieder ein Erneuerer der altägyptischen Weisheit kam, nannte er sich - wie im Grunde genommen so viele nach einem alten Brauch der ägyptischen Weisen - wieder Hermes. Und seine Bekenner, weil sie sagten, daß des in urferner Vergangenheit lebenden Hermes Weisheit wieder auflebte, nannten jetzt diesen ersten Hermes den Dreimal Großen: Hermes Trismegistos. Doch im Grunde genommen nannte ihn nur der Grieche Hermes, bei den Ägyptern hatte er den Namen lhoth. Verstehen aber kann man diesen Weisen nur, wenn man begreift, was die Ägypter gerade unter dem Einfluß der Überlieferungen von Her­mes oder Thoth als die eigentlichen Weltengeheimnisse be­trachteten.

Es mutet uns ganz sonderbar an, was sozusagen äußerlich

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als ägyptische Glaubensvorstellungen überliefert erscheint. Einzelne Götter, von denen die bedeutsamsten Osiris und Isis sind, erscheinen, wo sie dargestellt werden, nicht einmal in der bildhaften Darstellung völlig menschlich ausgebildet, sondern oft mit menschlichem Leib und Tierkopf und in der mannigfaltigsten Weise aus Menschengestalt und Tier-gestalt zusammengefügt. Merkwürdige religiöse Legenden sind uns von dieser Götterwelt überliefert. Ferner ist jener Tierdienst der Ägypter etwas höchst Eigenartiges, die Ver­ehrung der Tiere, der Katzen und anderer, der so weit ging, daß man heilige Tiere anerkannte, die eine tiefe Verehrung genossen, in denen man etwas erblickte wie höhere Wesen­heiten. Es wird sogar erzählt, daß diese Verehrung der Tiere bei den Ägyptern so weit gegangen ist, daß Weh­klagen angestimmt wurden, wenn zum Beispiel eine Katze, die lange in einem Hause gelebt hatte, gestorben war. Oder wenn ein Ägypter von ferne sah: dort liegt ein totes Tier, so ging er nicht in die Nähe, weil man sonst sagen könnte, er habe das Tier getötet, denn es stand eine harte Strafe darauf. Ja, es ist uns sogar überliefert, daß ein Römer in der Zeit, als Ägypten schon unter der Herrschaft der Römer stand, wegen der Tötung einer Katze geradezu sein Leben gefährdete, weil er dadurch einen Aufruhr unter den Ägyptern hervorgerufen hatte. Dieser Tierdienst erscheint als etwas besonders Rätselhaftes in dem ganzen Zusam­menhange des ägyptischen Denkens und Empfindens. Und weiter: Wie sonderbar mutet den modernen Menschen die ragende Pyramide an in ihrer viereckigen Grundform und den dreieckigen Seitenflächen! Wie sonderbar muten die Sphinxe an und alles, was mit immer größerer und größerer Deutlichkeit selbst durch die moderne Forschung aus den Tiefen der ägyptischen Kultur an die Oberfläche unseres Wissens heraufbefördert wird! So fragen wir uns

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jetzt: Welche Stellung nahm die Vorstellungswelt von all diesem in der Seele des alten Ägypters ein? Was sagte der alte Ägypter, daß ihn Hermes gelehrt habe? Wie kam er zu all diesen Vorstellungen?

Da müssen wir uns nun daran gewöhnen, in Legenden, namentlich in den bedeutungsvolleren, überall sozusagen eine tiefere Weisheit auch anzuerkennen. Wir müssen vor­aussetzen, daß über gewisse Gesetze des geistigen Lebens

- also Gesetze, die höher sind als die äußeren Naturgesetze -diese Legenden in Bildern berichten wollen. Da spricht zum Beispiel die ägyptische Legende von dem Götterpaare Osiris und Isis, und die ägyptische Legende nennt Hermes den weisen Ratgeber des Osiris. In Osiris sieht die Legende ein Wesen, das in grauer Vorzeit auf dem Gebiete gelebt habe, auf dem nunmehr die Menschen leben. Dieser Osiris, der von der Legende dargestellt wird als der Wohltäter der Menschheit, unter dessen weisem Einfluß Hermes oder Thoth den Ägyptern ihre alte Kultur gegeben hat bis in das materielle Wesen dieser Kultur hinein, dieser Osiris hatte einen Feind. Denselben nannte der Grieche dann Typhon. Dieser Feind stellte dem Osiris nach, tötete ihn, zerstückelte den Leichnam, verbarg ihn in einem Sarg und warf ihn ins Meer. Die Schwester und Gattin Isis suchte den Osiris, suchte lange nach dem Gatten, der ihr durch Typhon oder Seth entrissen worden war, und als sie ihn endlich fand, sammelte sie die Stücke, in die ihn Typhon oder Seth zerstückelt hatte, begrub ihn an verschiedenen Orten des Landes, wo dann Tempel errichtet wurden und gebar wie ein nachgeborenes höheres Wesen den Horus, der also erst entstanden war nach dem Tode des Osiris - nur durch einen geistigen Einfluß, der von dem mittlerweile in eine andere Welt gegangenen Osiris auf die Isis übergegan­gen war. Und Horus ist nun dazu berufen, Typhon zu

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besiegen und in einer gewissen Weise die Herrschaft jenes Lebens wieder einzuführen, das - von Osiris ausgehend -in die Menschheit einströmen sollte.

Eine solche Legende muß man nicht bloß allegorisch und symbolisch auslegen, sondern sich ein wenig in die ganze Gefühis- und Empfindungswelt der alten Ägypter hinein-begeben können; denn daraus wird - was wichtiger ist als alle abstrakten Vorstellungen - das Gefühl und die Emp­findung gegenüber solchen Gestalten wie Osiris und Isis zunächst lebendig. Es ist nicht gut, wenn man solche Ge­stalten wie Osiris und Isis dahin auslegen will, daß man in Osiris von vornherein die Sonne, in Isis von vornherein den Mond und dergleichen sieht und so eine astronomische Auslegung gibt, wie das Wort heute von der äußeren Wissenschaft gebraucht wird, wobei man glaubt, es wären bloß gewisse Vorgänge am Himmel durch eine solche Le­gende versinnlicht. Das ist nicht der Fall. Sondern wir müssen auf uralte Gefühle der Ägypter zurückgehen und uns aus diesen Gefühlen heraus die ganz eigenartige Natur des Aufblickens zu übersinnlichen, unsichtbaren Mächten vorstellen, zu solchen übersinnlichen, unsichtbaren Mäch­ten, welche der Sinneswelt zugrunde liegen und die in ihren gegenseitigen Verhältnissen zunächst in Osiris und Isis charakterisiert sind. Bei diesen beiden Namen empfand der alte Ägypter ungefähr folgendes.

Der Menschheit liegt, sagte er sich, ein Höheres, Gei­stiges zugrunde. Das ist nicht vom materiellen Dasein aus­gegangen, in welchem sie jetzt lebt, sondern sie hat sich zu dem jetzigen physischen Menschendasein sozusagen erst hereinverdichtet, nach und nach hereinentwickelt. Von einem andern Menschendasein mehr geistigerer Art ging die eigentliche Menschheitsentwickelung aus. Blicke ich nun in die eigene Seele, so werde ich mir bewußt, daß in mir

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etwas liegt, was Sehnsucht nach einem Geistigen, Sehnsucht zugleich nach dem Ursprunge, aus dem ich selber aus dieser geistigen Welt herabgestiegen bin, bedeutet. Die Kräfte, von denen ich herstamme, leben noch in mir selber. Was ich als meine besten übersinnlichen, unsichtbaren Kräfte in mir trage, das ist innig diesen ursprünglichen übersinnlichen Kräften verwandt. Daher fühle ich in mir eine Osiris-Kraft. Sie stellt mir ein übersinnliches Menschenwesen dar, das einstmals in anderen, übersinnlichen Regionen gelebt hat. Wenn es auch dort dumpf, instinktiv gelebt hat, wenn es auch erst mit dem physischen Leib und seinen Werkzeugen hat umkleidet werden müssen, um die physische Welt an­zuschauen, so lebte es doch gegenüber diesem physisch-sinn­lichen Leben ehedem in einem geistigen Leben.

Die Kräfte, welche der Menschheitsentwickelung ur­sprünglich zugrunde liegen, müssen nach altägyptischer Anschauung in einer Zweiheit erfaßt werden, in einer sol­chen Zweiheit, daß man das eine Element derselben mit dem Namen Osiris und das andere mit dem Namen Isis belegt: Osiris-Isis. Wenn wir in uns selber blicken und dabei die Empfindungen, das Gefühl des alten Ägypters gebrauchen, so können wir uns sagen: Wir haben in uns zunächst das aktive Denken. Man braucht sich nur zu erin­nern, wie gedacht werden muß, wenn ein Gedanke zuletzt entsteht, wenn wir zum Beispiel den Gedanken eines Drei­eckes in uns haben. Da muß das aktive, das tätige Denken vorangehen, um den Gedanken eines Dreieckes zu bilden. Nachdem wir in der Seele tätig waren, können wir uns passiv zu dem Ergebnis unseres Denkens, zu unseren Ge-danken und Vorstellungen wenden. Wir sehen zuletzt in unserer Seele die Gebilde unseres aktiven Denkens. Wie nun das Denken zu den Gedanken, wie das Vorstellen zu den Vorstellungen, wie das Tätige zu dem, was aus

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dem Tätigen wird und zuletzt vor uns steht, so verhält sich Osiris zu Isis. Man möchte auch sagen: Das Tätige erscheint uns wie ein Väterliches, wie ein männliches Prin­zip: das Osiris-Prinzip, wie ein Kämpfendes, das dann unsere Seele erfüllt, anfüllt mit Gedanken und Emp­findungen. Und wie der Mensch hier steht, sagte sich der alte Ägypter, wie die Stoffe, die in seinem Blut leben oder seine Knochen bilden, nicht immer in seinem Blut und in seinen Knochen waren, sondern draußen im Weltenraume zerstreut vorhanden waren, wie dieser ganze physische Leib ein Zusammenschluß von physisch verfolgbaren Stof­fen ist, die hereinwandern in die menschliche Form, wäh­rend sie vorher draußen im Universum ausgebreitet waren, so ist es mit unserer Denkkraft: sie ist in uns Vorstellungs­kraft. So wie die Stoffe in unserem Blut einmal drinnen sind in der Menschenform und das andere Mal draußen ausgebreitet sind, so ist die Osiris-Kraft als Denkkraft in uns tatig und ausgebreitet im geistigen Weltall als Osiris, als die das ganze Weltall durchlebende und durchwebende Osiris-Kraft, die ebenso einzieht in den Menschen wie die Stoffe, die dann das Blut und die Knochen im Körperhaften des Menschen zusammensetzen. Und in die Gedanken und Vorstellungen und Begriffe fließen ein die um das Univer­sum webenden und lebenden Isis-Kräfte. So müssen wir uns zunächst den Aufblick in der Seele des alten Ägypters zu Osiris und Isis vorstellen.

Für solche Vorstellungen konnte das alte Bewußtsein keinen Ausdruck finden innerhalb derjenigen Welt, die uns hier auf der Erde in unserer Sinnlichkeit umgibt. Denn alles, was uns hier zunächst umgibt, galt eben als sinnliche Welt, die keine äußeren Sinnbilder darbieten konnte für die übersinnliche Welt. Um nun etwas wie eine Art von Sprache, von schriftlichem Ausdruck für solche Vorstellungen

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zu gewinnen, welche die Seele mächtig bewegten, wenn sie sich sagte: die Osiris-Isis-Kraft wirkt in mir - griff man hinauf zu der Schrift, welche die Himmelskörper im Wel­tenraume schreiben. Man sagte: Was man an übersinnlicher Kraft als Osiris empfindet, das kann man sich versinnlicht denken in dem, was als Sonnenlicht von der Sonne ausgeht und den Raum durchwebt und durchlebt als die tätige Lichtkraft. Und in dem, was man als Isis empfindet, kann man das sehen, was uns als reflektiertes, zurückgeworfenes Sonnenlicht vom Monde kommt, der an sich dunkel ist

- wie die Seele, wenn nicht das tätige Denken in sie fällt -und auf das Licht der Sonne wartet, um es zurückzuwerfen, wie die Seele auf die Osiris-Kraft wartet, um sie als Isis­Kraft zurückzuwerfen. Wenn so der alte Ägypter emp­fand: Draußen sagen mir die Sonne und der Mond, wie ich am besten sinnbildlich denken kann über das, was meine Seele empfindet, - dann wußte er zugleich: Es ist doch kein zufälliger Zusammenhang zwischen dem, was da geheim­nisvoll im Raume erscheint als die lichtverbreitende Sonne und der das Sonnenlicht zurückwerfende Mond, sondern was ich da als den Raum durchleuchtend, Licht verbreitend und Licht zurückwerfend sehe, das muß etwas mit den Kräften zu tun haben, die ich als übersinnliche in mir emp­finde. - Wie wir in der Uhr nicht etwas sehen, was durch kleine Dämonen seine Zeiger treibt, sondern etwas Mecha­nisches, so wissen wir doch auch, daß der ganzen Zusam­menfügung der Uhr der Gedanke des Uhr-Erfinders zugrunde liegt, der aus der Seele des Menschen gekommene Gedanke, so daß also ein Geistiges den Mechanismus der Uhr geformt hat. So wie die Zeiger einer Uhr zueinander stehen, abhängig voneinander freilich, - und wenn wir in den Raum hinausblicken, durch mechanische Gesetze be­herrscht, aber zuletzt doch abhängig von den Gesetzen,

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die der Mensch in seiner Seele empfindet, wenn er von der Osiris- und Isis-Kraft spricht -, so erschien als Ausdrucks­mittel einer gewaltigen Weltenuhr Sonne und Mond. Und der Ägypter sagte sich nicht nur: Sonne und Mond versinn­lichen mir die Beziehung zwischen Osiris und Isis, son­dern er empfand: Was in mir lebt, das liegt ursprünglich jenem geheimnisvollen Kräfteverhältnis zugrunde, welches das Licht trägt zu Sonne und Mond.

So wie es in bezug auf Osiris und Isis gegenüber Sonne und Mond war, so war es in bezug auf andere Gestirne und Planeten bei den andern Göttern. Die Ägypter sahen in der Stellung der Himmelskörper zunächst Sinnbilder für das, was sie als Übersinnliches erlebten oder was ihnen überliefert war als Erlebnisse der ältesten Hellseher. Sie sahen aber in diesem Ausdruck einer Weltenuhr die Dar­stellungen derselben Kräfte, die sie zuletzt in der mensch­lichen Seele empfanden. So wurde die große Weltenuhr mit der Bewegung ihrer Sterne und dem Verhältnis der bewegten Sterne zu den ruhenden Sternen eine Offen­barung der geistigen, übersinnlichen Kräfte, die dahinter-standen, die diese Stellungen hervorgerufen haben und sich in einer universellen Schrift, die man zu verstehen hat, ein Ausdrucksmittel für ihre übersinnlichen Mächte und Kräfte verschafften.

Das sind die Gefühle und Empfindungen gegenüber die­ser höheren Welt, welche die alten Ägypter durch Hellseher über jene geistige Welt überliefert erhielten, von der sie wußten, daß sie besteht, weil sie die letzten Nachklänge des alten Hellsehens selbst noch hatten. Nun aber sagten sie sich: Wir Menschen stammen aus dieser geistigen Welt. Aber wir sind hereingestellt in eine Welt der Sinnlichkeit, die uns in den sinnlich-physischen Dingen und im sinnlich-physischen Geschehen gegeben ist. Wir stammen aus der

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Welt von Osiris und Isis. Was als der beste Teil in uns strebt und höhere Vollkommenheitsstufen erreichen kann als die, welche wir jetzt haben, ist ausgeflossen von Osiris und Isis. Diese leben unsichtbar in uns als Kraft. Was der physische Mensch ist, stammt aus äußeren Verhältnissen, ist der äußeren Welt entnommen, darinnen ist der Osiris­Isis - Teil nur eingekleidet.

Eine solche Vorstellung uralter Weisheiten wurde aber in der Seele des alten Ägypters eine diese Seele ganz beherr­schende Empfindung, ein ganz umfassendes Gefühl des ägyptischen Seelenlebens. Man kann abstrakte Vorstellun­gen in die Seele aufnehmen, ohne daß das Moralisch-Ethi­sche des Seelenlebens, oder auch das Schicksalsmäßige, das Glückhafte des Seelenlebens berührt wird; ja, besonders mathematisch-abstrakte Vorstellungen der Naturwissen­schaft kann man so aufnehmen, kann über Elektrizität und ähnliche Kräfte debattieren, ohne daß die Seele die Frage nach dem Schicksal an den Menschen stellen muß. Aber man kann nicht die eben charakterisierten Gefühle und Empfin­dungen über das Hineinschauen in die geistigen Welten und das Sich-verwandt-Denken der tiefsten Seeleneigenschaf­ten mit Osiris und Isis als Gedanken und Ideen fassen, ohne daß die Glücks- und Schicksalsgedanken aufgerührt würden, die moralischen Impulse des Menschen. Ja, die werden aufgerüttelt! Denn da sagt sich der Mensch: Ich trage ein besseres Selbst in mir, aber durch das, was ich im physischen Leibe bin, tritt zunächst dieses bessere Selbst zurück, wird zunächst nicht ganz offenbar. Mir liegt eine Osiris-, eine Isis-Natur zugrunde, aber die gehört den Ursprungswelten, den alten goldenen, heiligen Zeiten an. Für den gegenwärtigen Menschen ist sie durch die Kräfte überwunden worden, die das äußere Physische zum Men­schenleib geballt haben und die Osiris- und Isis-Kräfte in

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den Leib eingekerkert haben, der verweslich ist und der Zerstörung unterliegt wie die äußeren Naturkräfte.

So sehen wir die Legende von Osiris und Isis in Empfin­dungen umgesetzt. Osiris, des Menschen höhere Kraft, die im Weltenraume ausgebreitet ist, wird von denjenigen Kräf­ten überwunden, welche der Zerstörung in der Menschen-natur unterliegen. Von Typhon wird eingekerkert, was als Osiris-Kraft im Menschen lebt. Typhon hängt sogar sprach­lich mit dem Worte «auflösen, verwesen» zusammen. Sie wird eingekerkert in das, was wie ein Sarg des geistigen Menschenteiles geformt wird, in welchem - unsichtbar für die äußere Welt - der Osiris-Teil des Menschen verschwin­det. Aber es bleibt als ein Geheimnisvolles für die Vorstel­lungen des alten Ägypters die Seelennatur darin, die für den Menschen die geheimnisvolle Isis-Natur ist. Sie bleibt, um in der Zukunft - und zwar mit Durchdringung der intellektuellen Kraft - das wieder zu erreichen, aus dem der Mensch hervorgegangen ist. So strebt also etwas in dem Menschen Verborgenes darnach, den Osiris wieder zu bele­ben. Die Isis-Kraft ist in der menschlichen Seele, um den Menschen aus dem, was er gegenwärtig ist, nach und nach wieder zum Osiris hinzuführen. Und diese Isis-Kraft macht es, daß der Mensch, allerdings nicht, solange er physischer Mensch bleibt, sich von der physisch-sinnlichen Natur ab­sondern kann, aber sie macht es, daß der Mensch, ob er zwar ein äußerer, physischer Mensch bleibt und voll in der äußeren, physischen Welt steht, doch in seinem Inneren immerfort den Aufblick hat zu einem höheren Ich, das nach der Anschauung aller bedeutendsten Geister der Mensch­heit tief verborgen allen menschlichen Kräften zugrunde liegt. Dieser Mensch, der nicht der äußere, physische Mensch ist, sondern der Mensch, der zum geistigen Licht aufzu-streben immerfort den Ansporn hat, immer von den ver­- borgenen

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Isis - Kräften getrieben wird, ist es, der wie der irdische Sohn des nicht in der irdischen Welt aufgegan genen, sondern in den geistigen Welten verborgen gebliebenen Osiris erscheint. Dieser unsichtbare Mensch, der Mensch des Strebens nach dem höheren Selbst, wurde von der ägypti­schen Seele als Horus empfunden, als der nachgeborene Sohn des Osiris.

So blickte mit einer gewissen Wehmut der alte Ägypter hin zu dem Osiris-Ursprung, den der Mensch hat, blickte aber zugleich hinein in die Seele und sagte: Die Seele hat noch etwas von der Isis-Kraft erhalten, die selbst den Horus gebiert, der immer den Ansporn hat, hinaufzustreben zu den geistigen Höhen. Und in diesen geistigen Höhen findet der Mensch wieder den Osiris. - Aber in zweifacher Weise ist für den gegenwärtigen Menschen der Osiris wieder zu er­reichen. Der Ägypter sagte sich: Ich bin ausgegangen von dem Osiris und wieder kommen soll ich zu dem Osiris. In bezug auf meinen geistigen Ursprung ist Osiris in mir, und Horus leitet mich an, wieder zum Osiris, zu seinem Vater zu kommen. Osiris ist aber nur in der geistigen Welt zu erreichen. Er konnte nicht eingehen in die physische Men­schennatur. Dort ist er überwunden worden von den Typhon-Kräften, die der Zerstörung unterliegen, weil sie äußere Naturkräfte sind.

Daher ist der Osiris nur auf zwei Wegen zu erreichen. Der eine Weg ist der, welcher durch die Pforte des Todes geht. Der andere ist der, welcher durch die Pforte des­jenigen Todes geht, der nicht zum physischen Sterben führt, sondern zur Initiation, zur Einweihung geht. Daher stellte sich der Ägypter vor, was auch noch weiter ausgeführt ist in meiner Schrift «Das Christentum als mystische Tat­sache»: Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes schreitet, kommt er nach den nötigen vorbereitenden Stadien

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zum Osiris. Es erwacht in ihm, wenn er von der irdischen Leibeshülle befreit ist und in der geistigen Welt steht, das Bewußtsein seiner Verwandtschaft mit Osiris. Der Tote selber fühlt sich so, daß er in der geistigen Welt nach dem Tode angesprochen werden kann als «Osiris». Jeder wird sozusagen nach dem Tode als Osiris ange­sprochen. Der andere Weg zum Osiris zurück - der andere Weg in die geistige Welt also - ist der Weg der Einweihung oder Initiation. Diesen stellte sich der Ägypter so vor, daß durch ihn der Mensch das kennenlernt, was zunächst un­sichtbar, übersinnlich in der menschlichen Natur vorhanden ist. Das ist Isis oder die Isis-Kraft. Im alltäglichen Erken­nen, in dem Wissen, das wir im Alltagsleben haben, dringen wir nicht bis zu den Tiefen unserer Seele, bis zur Isis-Kraft vor. Aber es gibt einen Weg, um bis zur Isis-Kraft vorzu­dringen, um herunterzusteigen bis zum eigenen Ich, um zu sehen, wie dieses Ich von der physischen Materie umhüllt ist. Geht man diesen Weg, so kommt man dort hinunter, wo das Ich in seiner eigentlichen geistigen Heimat ist. Deshalb sagte sich der alte Ägypter: Du mußt also in dein eigenes Inneres hinuntersteigen. Dort findest du zunächst die physische Menschennatur, insofern sie der Ausdruck des eigentlichen Menschen selbst ist: das Ich. Durch diese physische Menschennatur mußt du hindurchdringen. Die Außenwelt, insofern sie die Schöpfung der geistigen, über­sinnlichen Mächte ist, erblickst du in den drei Reichen der Natur: wenn du auf die Steine siehst und auf ihre mathe­matischen Formen, wenn du auf die Pflanzen siehst und auf ihre merkwürdigen Formen, die von innerem Leben belebt sind, in dem göttlich-geistige Kräfte wirken, und endlich auch im dritten Reich, im Tierreich. Beim Menschen aber darfst du nicht an der äußeren Form stehenbleiben, sondern mußt in das, wo seine Seelenkräfte als Isis-Kräfte

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leben, untertauchen. - Daher war mit der Einweihung in die Isis-Mysterien das verbunden, was zunächst dem Men­schen sich selbst zeigen sollte, wo er schauen sollte, wie er in Stoff eingekleidet ist. Was da geschah, wenn so der Mensch in seine eigene Natur untertauchte, das war das­selbe, was im Grunde genommen im Tode geschieht, nur auf eine andere Weise. Der Mensch mußte durch die Pforte des Todes bei lebendigem Leibe gehen, mußte jenen Über­gang vom physischen Schauen zum überphysischen Schauen, von der physischen Welt in die geistige Welt kennenlernen,

- jenen Übergang, den der Mensch beim Durchgehen durch den wirklichen Tod durchmacht. Der einzuweihende Mensch mußte diesen Weg im Hinuntersteigen in das eigene Innere durchmachen, mußte kennenlernen, was nur beim Hinunter-steigen in das eigene Innere zu erleben ist. Da kam er zunächst in das körperliche Innere, in die Art und Weise, wie aus der Natur das herausgeformt wird, was physisches Werkzeug ist für das Ich: das Blut.

Wir haben es öfter angeführt: während für das Fühlen, Wollen und Denken das Nervensystem die Werkzeuge bildet, müssen wir das Werkzeug des Ich in dem Blut sehen. Will der Mensch in seine Werkzeuge hinuntersteigen, so muß er - wie der alte Ägypter es sich dachte - hinunter-steigen in seine physisch-ätherische Hülle, in das Ätherisch­Seelenhafte, muß lernen, unabhängig zu werden von der Kraft, von der sonst der Mensch in seinem Blute abhängig ist, und muß sich - nachdem er sich von ihr abgesondert hat - in die merkwürdigen Gänge des Blutes selbst hinein-begeben. Der Mensch muß erst seine höhere Natur physisch kennenlernen. Das kann er nur, wenn er sich so kennen­lernen kann, daß er sich wie einen Gegenstand anschaut. Der Mensch kann einen Gegenstand als Objekt nur erken­nen, wenn er außerhalb desselben ist. So muß er außer sich

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sein, um sich zu erkennen. Daher führt die Einweihung zu solchen Kräften, durch welche die Seelenkräfte etwas erleben können, ohne die physischen Werkzeuge zu gebrauchen, so daß der Mensch die physischen Werkzeuge - in ähnlicher Weise wie nach dem Tode der geistige Teil des Menschen auf den physischen Leib herunterschaut - als Objekt vor sich hat. So sollte in den Isis-Mysterien der Mensch zu­nächst sein Blut kennenlernen.

Da machte der Mensch zunächst etwas durch, was man nicht besser bezeichnen kann als: das Herankommen bis an die Schwelle des Todes. Das war die erste Stufe der Ein­weihung in die Isis-Mysterien: der Mensch mußte sein Blut, sich selber anschauen als Objekt, mußte untertauchen in die Hülle, die das Werkzeug ist für seine Isis-Natur. Da wurde er in den Einweihungsstätten an zwei Tore geführt, wo in Bildern, die er am eigenen Leibe erlebte, ihm gezeigt wurde:

So sieht es aus, wenn du dir das einmal vor die Seele malst, was in deinem Inneren vorgeht. - Zwei Tore zeigten sich ihm da, ein geschlossenes Tor und ein offenes Tor. Und wir müssen sagen: Merkwürdig, diese Lehren, die da aus Jahr­tausenden zu uns herüberklingen, wie sie wieder stimmen zu dem, was der Mensch heute auch glaubt, nur daß er es sich heute materialistisch interpretiert. Ich konnte schon bei Gelegenheit des Zarathustra-Vortrages darauf hindeu­ten. Zwei Tore trifft der Mensch, so sagte der alte ägyptische Hellseher, wenn er in der Unterwelt ist. Durch zwei Tore trittst du in dein Blut und in dein Inneres ein. Der Anatom kann sagen: durch die zwei Eingänge, die in den beidseitigen Klappen des Herzens liegen. Wenn er eindringen wollte durch seinen Leib, so würde er durch das «offene Tor» eindringen. Durch das «geschlossene Tor» wird verhindert, daß der Blutstrom einen unrichtigen Weg nimmt. In dem, was uns anatomisch entgegentritt, sind die

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Sinnbilder enthalten für das, was - allerdings in hellsehe­rischen Formen und Gebilden - die alten Weisen erlebten, die zwar nicht so unmittelbar wie der moderne Anatom die anatomischen Gebilde vor sich hatten, wohl aber das, was das hellseherische Bewußtsein sieht, wenn es selber auf das Innere von außen hinsieht.

Die nächste Stufe der Isis-Einweihung bestand in dem, was dadurch ausgedrückt wird, daß man sagt: Der Mensch wird geführt durch die Feuer-, Luft- und Wasser-Probe. Das heißt, er lernt ganz kennen die Hüllen-Natur seines Isis-Wesens; er lernt kennen das Feuer, wie es in seinem Blute als Werkzeug durch den Leib fließt und wie es zur Flüssigkeit wird; er lernt weiter kennen, wie die Luft ein­dringt als Sauerstoff. Feuer, Luft und Wasser: Wärme des Atemlaufes, Flüssigkeit des Blutes lernt der Mensch kennen. Und geläutert wird der Mensch, indem er so seine Hüllen-Natur kennenlernt durch die Elemente von Feuer, Luft und Wasser; und wenn er so seine Hüllen durchschaut hat, ist er bei seiner Isis-Natur angekommen. Das wird wieder tech­nisch ausgedrückt dadurch, daß man sagt: Nun fühlt sich der Mensch erst zu sich gekommen, daß er sich jetzt als geistige Wesenheit weiß und sich nicht mehr beschränkt weiß auf die Menschheit der äußeren Welt, sondern in die geistige Welt hineinschaut. Denn es ist ein Gesetz, daß wir die physische Sonne nur bei Tage schauen, weil sie uns bei Nacht zugedeckt ist durch die Materie. In der geistigen Welt aber gibt es kein solches Zudecken. Da sieht man die geistigen Mächte gerade dann, wenn die physischen Augen unwirksam sind. Das bezeichnet symbolisch die Isis-Ein­weihung damit, daß sie sagt: Der Mensch gelangt, wenn er geläutert ist, dazu, die geistigen Wesen von Angesicht zu Angesicht zu schauen: die Sonne um Mitternacht zu schauen. Das heißt: wenn es dunkel und finster ist, ist dennoch das,

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was als geistiges Leben und als geistige Urkraft der Sonne zugrunde liegt, für den in die Isis-Mysterien Eingeweihten sichtbar.

So wird uns der Weg zu den Isis-Kräften der Seele be­schrieben, wie er von denjenigen gegangen werden konnte, die noch im Leben die tiefsten Kräfte der Seele aufsuchten. Dann gab es noch höhere Mysterien, welche die eigentlichen Osiris-Mysterien waren. Da wurde tatsächlich dem Men­schen klar, wie man durch die Isis-Kraft sich bei jener Urkraft geistiger, übersinnlicher Art fand, aus welcher der Mensch hervorgegangen ist: bei Osiris - wie Osiris der Menschenseele aufgeht.

Wenn nun der Ägypter in einer besonderen Schrift zum Ausdruck bringen wollte, auf seine Weise hinmalen wollte die Art, wie sich Isis zum Osiris verhält, so drückte er es aus durch das Wandeln von Sonne und Mond am Himmel, und die anderen geistigen Mächte durch die Verhältnisse der andern Sterne. Vor allem kam dabei in Betracht der Tierkreis mit seiner verhältnismäßigen Ruhe und was sich an Planeten bewegt über die Tierkreisbilder hin. In allem, was sich darin enthüllte, sah der alte Ägypter die Art, wie er am besten in einer geistigen Schrift zum Ausdruck brin­gen konnte, was seine Seele bewegte. Er wußte: Von dem, was auf der Erde ist, kann ich nichts nehmen, um auszu­drücken, wozu der Mensch berufen ist, wenn er der Isis-Kraft zum Osiris folgt; das muß, wenn es beschrieben wer­den soll, aus der Konstellation der Sterne hergeholt wer­den. - Das führte dazu, daß der große Weise, der in grauer Vorzeit existierend gedacht werden muß, nach Anschauung der Ägypter vor allen Dingen den tiefsten hellseherischen Einblick hatte in dieses eben nur skizzenhaft dargestellte Verhältnis der Menschheit zum Universum, und daß er zum höchsten Ausdruck gebracht hat, was die Konstellation

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der Sterne war in bezug auf diese geistigen Kräfte und ihr Geschehen und die zwischen ihnen spielenden Tatsachen. In Sternensprache drückte er aus, was geschah. Sollte so zum Beispiel ausgedrückt werden, wie sich Osiris zu Isis verhält, so konnte man es in Form der Legende - exote­risch - dem Volke sagen. Für die, welche dann in die Ein­weihung geführt wurden, drückte man das genauere Ver­hältnis aus in dem Verhältnis des von der Sonne ausgehen­den, vom Monde zurückgeworfenen und in merkwürdigen Verhältnissen vom Neumonde durch die Viertel zum Voll-monde gehenden Lichtes. Man erblickte darin mit Recht etwas, was ähnlich war dem Verhältnis der Isis-Kraft der menschlichen Seele zu Osiris. Und dann wurde von diesen Verhältnissen am Himmel und ihren Formen hergenom­men, was man wirklich als die Urformen der Schrift an­sehen kann. Denn so wenig, wie die Menschen dies in der Schrift noch erkennen, so sehr muß man sagen: In den Konsonanten hat man Nachbildungen der Tierkreiszeichen zu erblicken, des verhältnismäßig Ruhenden. Und in dem Verhältnis der Vokale zu den Konsonanten hat man Nach­bildungen des Verhältnisses der Planeten und ihrer beweg­lichen Kräfte zum Tierkreis. Vom Himmel heruntergeholt, muß man sagen, sind die Schriftzeichen.

So empfanden die alten Ägypter gegenüber dem Her­mes, dessen Lehrer wiederum waren die Kräfte, die vom Himmel herunter sprachen und das kündeten, was in den Menschenseelen sich auslebt. Ja, mehr noch: Was in den menschlichen Taten, selbst in aller Alltagstätigkeit des Lebens sich auslebt, was in Verrichtungen wie Feldmeß­kunst sich auslebt, zu denen notwendig waren mathema­tischeWissenschaften, Geometrie - die dann Pythagoras von den Ägyptern gelernt hat -, das wurde zurückgeführt von den alten Ägyptern auf die Weisheit des Hermes, der sozusagen

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in allen irdisch-räumlichen Verhältnissen etwas wie Abbilder der himmlischen Verhältnisse gesehen hat und die himmlischen Verhältnisse in der Sternenschrift dargestellt hat. Die Sternenschrift hat Hermes heruntergetragen in die Mathematik und Geometrie, hat die Ägypter gelehrt, in den Sternen etwas zu finden, was auf der Erde vorgeht. Wir wissen, daß das ganze ägyptische Leben zusammen-hing mit den Überschwemmungen des Nils, mit dem, was der Nil aus den Gebirgsgegenden absetzte, die südlich von Ägypten lagen. Wir können aber auch daraus ermessen, wie nötig es war, in einer gewissen Weise vorauszuwissen, wann diese Überschwemmungen des Nils eintreten können, wann die Umgestaltung der natürlichen Verhältnisse im Laufe eines Jahres sich richtig ergeben kann. Ihre Zeit­rechnung nahmen die Ägypter auch noch von der Sternen-schrift am Himmel. Wenn der Sirius, der Hundsstern, sichtbar wurde in dem Zeichen des Krebses, dann wußten sie: es kommt bald die Sonne in jenes Zeichen, von dem herabgehend ihre Strahlen sozusagen hervorzaubern, was auf dem Erdboden der Nil mit seinen Überschwemmungen bringt. So wußten sie: Sirius ist der Wachsame, er kündigt an, was wir zu erwarten haben. Das war ein Teil ihrer Sternen-Weltenuhr. Um in richtiger Weise das Land zu bebauen und zu beherrschen, was für das äußere Leben nötig war, blickte man dankbar hinauf zum Hundsstern. Und man blickte weiter hinauf, wo in altersgrauen Zeiten die Lehre ihnen gegeben worden ist, daß die Bewegung der Sterne der Ausdruck ist der Weltenuhr.

Für solche und ähnliche Verhältnisse haben sich die Ägypter Rat geholt in der Sternenschrift. In Thoth oder Hermes sahen sie denjenigen Geist, der nach den alten Überlieferungen die urältesten Aufzeichnungen der Wel­tenweisheit gemacht hat, und der nach dem, was er als

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Inspiration aus der Sternenschrift heraus empfangen hat, die physischen Buchstaben gebildet hat, der den Menschen den Ackerbau gelehrt, die Geometrie, die Feldmeßkunst gegeben hat - kurz, alles das gelehrt hat, was die Menschen zum physischen Leben brauchen. Alles physische Leben aber ist nichts anderes als der Leib eines geistigen Lebens. Das geistige Leben aber hängt zusammen mit dem ganzen Weltall, und aus diesem heraus war Hermes inspiriert. So erschien bald die ganze Kultur verbunden mit Hermes. Ja, die Ägypter fühlten sich in noch innigerer Weise mit ihm verbunden. Nehmen wir zum Beispiel an, daß ein Ägypter im Jahre 1322 vor unserer Zeitrechnung zum Himmel hinaufsah, so sah er eine ganz besondere Sternkonstellation. Denn die alten Ägypter hatten eine Zeitrechnung, die für die menschlichen Verhältnisse - besonders für das mensch­liche rechnerische Denken - zunächst bequem war: zwölf Monate zu dreißig Tagen, das gibt - mit fünf Ergänzungs­tagen - für das Jahr 365 Tage. So hatten sie gerechnet durch die Jahrhunderte hindurch, denn das war sozusagen mathematisch, rechnerisch bequem: ein Jahr war abgelau­fen, wenn 365 Tage abgelaufen waren. Da blieb, wie wir aus der gegenwärtigen Astronomie wissen, ein viertel Tag jedesmal unberücksichtigt; das heißt, wenn das ägyptische Jahr zu Ende gerechnet war, so war es um einen viertel Tag zu früh. Wenn Sie es sich ausrechnen, können Sie darauf kommen, daß mit jedem Male das Jahr früher be­gann: es rückte das Jahr monateweise herein und rückte dann wieder an den Anfang. Das war der Fall nach vier mal 365 Jahren. Nach 1460 Jahren also war jedesmal die Tatsache eingetreten, daß die Himmelsverhältnisse sich wiederum mit der irdischen Rechnung ausgeglichen hatten, indem durch 1460 Jahre hindurch das gesamte Jahr zurück­gegangen war. Wenn Sie das dreimal zurückrechnen, von

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dem Jahre 1322 vor unserer Zeitrechnung angefangen, so kommen Sie hinauf zu der Periode, bis zu welcher die Ägypter ihre uralte heilige Weisheit zurückschrieben, so daß sie sagten: In den alten Zeiten war noch hellstes Helisehen vorhanden. Mit jedem solchen großen Sonnenjahr, das einen Ausgleich der irdischen Zeitrechnung herbeiführte, hatte die alte hellseherische Kraft um eine Stufe abgenom­men. Wir leben jetzt in die vierte Stufe hinein. Unsere Kultur geht schon da hinein, wo wir nur mehr Überliefe­rungen einer altersgrauen Lehre haben können. Aber wir blicken hinauf durch drei Weltenjahre hindurch zu einer großen Vorzeit, in welcher unser größter Weiser seine Schüler und Nachfolger gelehrt hat, was wir heute - viel­fach umgewandelt - in der Schrift haben, in der Mathe­matik, Geometrie, Feldmeßkunst, in allen übrigen ge­bräuchlichen Handhabungen unseres Lebens, auch in der Astronomie. Gleichsam sagte sich der alte Ägypter: Uns zeigt unsere menschliche Berechnung, die sich an die be­quemen Zahlen von zwölf mal dreißig plus fünf Ergän­zungstagen hält, wie uns die göttlich-geistige Welt korri­gieren muß. Denn durch das, was wir in unserem Verstande haben, sind wir selbst dem Osiris und der Isis fremd gewor­den. Wir können nicht genau das Jahr berechnen. Aber wir blicken hinauf in eine verborgene Welt, da korrigieren uns die Mächte, welche die Sterne lenken.

So blickte der alte Ägypter selbst für seine Chronologie als von seiner menschlichen schwachen Kraft aus, die an den Verstand gebunden ist, zu den geistigen Kräften und Wesenheiten auf, die im Verborgenen leben und nach tieferen Gesetzen dasjenige korrigieren, beschützen und bewachen, was die Menschen auf der Erde zu durchleben haben. Und als denjenigen, der von diesen wachsamen Himmelskräften inspiriert wurde, verehrte der alte Ägypter

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seinen Thoth, seinen Hermes. Daher war diese Individu­alität für die Seele des alten Ägypters nicht etwa bloß ein großer Lehrer, sondern eine solche Wesenheit, zu der er mit tiefsten Dankgefühlen, tiefster Verehrung hinaufblickte, indem er sich sagte: Alles, was ich habe, habe ich von dir. Du stehst oben in einer altersgrauen Zeit und schicktest durch die, welche die Träger deiner Überlieferungen waren, das herunter, was in die äußere Menschenkultur einfließt und den Menschen zur größten Wohltat wird. Dadurch fühlte sich die Seele des alten Ägypters - sowohl in bezug auf den eigentlichen Urheber der Kräfte wie in bezug auf den Hüter derselben, sowohl für Osiris wie für Hermes oder Thoth - nicht bloß durchzogen von einem Wissen, das in Weisheit beschlossen war, sondern von einem Gefühl, das im tiefsten Sinne ein moralisches war, das ein in tiefste Verehrung, Dankbarkeit gehülltes Gefühl war. Daher zei­gen uns die alten Schilderungen, daß alles, was die Ägypter an Weisheit hatten, besonders in den alten Zeiten, später dann immer weniger und weniger, durchzogen war mit einem religiösen Charakter. Es war sogar alles menschliche Wissen mit einem heiligen Gefühl, alle Weisheit stets mit Frömmigkeit, alle Wissenschaft mit Religion verbunden im Sinne der alten Ägypter. Das alles zeigte sich in den spä­teren Zeiten mehr oder weniger nicht mehr in seiner reinen Gestalt. Denn so wahr es ist, daß die einzelnen Völker in den aufeinanderfolgenden Epochen die Mission haben, das allgemeine Geistige in speziellen Gestalten zur Ausgestal­tung zu bringen, so wahr ist es, daß die einzelnen Kulturen, wenn sie ihre Höhe erreicht haben, einer Dekadenz ent­gegengehen. Und das meiste sogar, was aus der altägypti­schen Kultur erhalten ist, stammt schon aus der Verfallszeit, und es kann nur geahnt werden, was dahintersteckt: was uns zum Beispiel an den Pyramiden merkwürdig anmutet,

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oder was mit dem grotesk erscheinenden Tierdienst gemeint ist. Denn da sagten sich die Ägypter: Der Zeit, in welcher die Weisheit gewirkt hat - nicht in der Zeit, in welcher sie dieselbe überkommen hatten - geht eine andere voran, wo alle Wesen, nicht nur der Mensch, aus göttlich-geistigen Höhen heruntergestiegen sind. Wenn wir des Menschen Innerstes kennenlernen wollen, dürfen wir nicht auf seine äußere Gestalt sehen, sondern da müssen wir hineindringen in das Innere. Was uns außen entgegentritt, sind wie stehen­gebliebene Stufen der Uroffenbarung. Das zeigt sich wie verdichtet in mächtigen Bildern alter Gesetzmäßigkeit in den drei Reichen der Natur; zunächst in der Welt der Ge­steine. Was sich uns da zeigt, sind Gestaltverhältnisse, die wir wieder zum Ausdruck bringen in der Pyramide. Was wir sehen in den Pflanzen an inneren Kräften, das ist etwas, was wir wieder ausgedrückt sehen in der Lotusblume. Und endlich auf dem Wege zum Menschen sehen wir, wie kristallisiert, wie nicht bis zum Menschen heraufgelangt göttliche Kräfte in äußere Formen gegossen, herumgestreut in den einzelnen Tiergestalten.

So ungefähr können wir uns die Empfindungen des alten Ägypters denken, wenn er in den Tieren auf die stehen­gebliebenen Formen uralter Götterkräfte hinsah. Denn der alte Ägypter sah auf uralte Zeiten zurück, wo aus göttlich-übersinnlichen Kräften alles hervorsproßte, und er vermu­tete, daß in den Wesen der drei Reiche der Natur göttliche Kräfte stehengeblieben sind, die dann in ihm selbst zur Menschlichkeit sich heraufgestaltet haben. Immer zu dem Gefühl, zu der Empfindung und zu jener Notwendigkeit müssen wir blicken, die uns zeigt, daß solche Weisheit, wie sie bei den alten Ägyptern vorhanden war, durchaus eine Weisheit war, welche die Seelen moralisch ergriff, sie gar nicht ohne Moral lassen konnte. Und durch die Art, wie

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die gesamte Welt zusammengebracht wurde mit übersinn­lichen Kräften, mußte ein moralisches Verhältnis zur Tier­welt entstehen, das sich nur in der ägyptischen Verfallszeit grotesk und sonderbar zum Ausdruck gebracht hat. Denn wenn man auf die spätere ägyptische Kultur sieht, so zeigt sich gerade, daß das Unvollkommene nicht am Ausgangs­punkte steht, sondern daß am Ausgangspunkte der ägyp­tischen Kultur geistige Offenbarungen, Höhen der Kultur stehen. Wir dürfen - was man heute so gern zum Ausgangs­punkt der Kulturen nimmt - die primitiven einfachen Zu-stände nicht den Urzuständen zuschreiben, sondern im Gegenteil den Verfallszeiten, in welchen das große geistige Gut bereits hinuntergesunken, verfallen war. Wenn wir irgendwo Kulturen der Barbarei finden, so sind dies nicht Urkulturen, sondern Verfallskulturen, die von der geistigen Höhe heruntergestiegen sind.

Das ist allerdings wieder etwas, was zum Ärgernis jener Wissenschaft dienen kann, die alle Kulturen so beschreiben mdchte, als wenn sie von den urprimitivsten Zuständen ausgegangen wären, von solchen primitivsten Zuständen, wie man sie heute noch bei den Wilden sieht. Aber in den heutigen primitivsten Kulturen hat man Verfallskulturen, und am Beginne der Menschheit stehend hat man Urkul­turen, welche unmittelbar aus der geistigen Welt heraus von den führenden geistigen Wesenheiten inspiriert sind, die hinter der äußeren Geschichte sehen. Das sagt die Geisteswissenschaft aus dem, was sie wissen kann. Wie­derum können wir fragen: Kommt mit der Wissenschaft von heute, die auf der Höhe der Zeit steht, die Geistes-wissenschaft dabei in Kollision, wenn sie behauptet, daß wir, indem wir in der Zeit zurückgehen, nicht zu Verfalls-kulturen, sondern zu hohen Kulturen kommen, die dann heruntergefallen sind?

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Wir haben bei dem Vortrag «Was hat die Geologie über Weltentstehung zu sagen?» gezeigt, daß dies in bezug auf die Geologie nicht der Fall ist. Für das, was heute gesagt worden ist, kann ein gleiches behauptet werden. Sie hat lange gedauert, die Zeit, in der man glaubte, daß man von unserer Zeit zu kindlichen, primitiven Zuständen zurück-zusehen hat, wie sie heute noch bei den Wilden vorhanden sind, und nicht zu erhabenen Theorien. Wenn wir aber auf die äußeren Forschungen sehen, die klar und ohne Vorurteil den Tatsachen zuleibe gehen, was finden wir da? Ich möchte Ihnen einiges wörtlich mitteilen aus einem neueren Werke «Der Einfluß Babyloniens auf das Verständnis des Alten Testamentes» von Alfred Jeremias, was uns zeigen wird, wie allmählich auch die äußere Forschung zurückgelangt zu einer geistig hochstehenden und von weitsichtigen Theorien durchzogenen Urkultur, und wie man das, was man bar­barische Kulturen nennt, als Verfallskulturen ansehen muß. Das sei hier bei diesem neueren Werke besonders hervor­gehoben.

«Die ältesten Urkunden sowie das gesamte euphraten-sische Kulturleben setzen eine wissenschaftliche und zugleich religiöse Theorie voraus, die nicht etwa nur in den Geheimlehren der Tempel ihr Dasein fristet, sondern nach der die staatlichen Organisationen ge­regelt sind, nach der Recht gesprochen, das Eigentum verwaltet und geschützt wird. Je höher das Altertum ist, in das wir blicken können, um so ausschließlicher herrscht die Theorie; erst mit dem Verfall der alten euphratensischen Kultur kommen andere Mächte zur Geltung.»

Das ist der erste Anfang der äußeren Wissenschaft, die auch hier. - wie wir es das letzte Mal für die Geologie zeigen

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konnten - Wege einschlägt, die mit dem zusammen­führen können, was die Geisteswissenschaft in die gegen­wärtige Kultur hineinzuführen hat. Wird man auf diesen Wegen weiter fortschreiten, dann wird man immer mehr und mehr von jenem toten Gebilde abkommen, das man an den Ausgangspunkt der menschlichen Kulturen hinstellen möchte als ein primitives, kindliches, und wird zu den gro­ßen Individualitäten kommen, die uns um so überragender erscheinen, weil sie einer noch hellseherischen Kultur aus ihren Inspirationen dasjenige zu überliefern hatten, was wir in aller Kulturbetätigung drinnen haben als die größ­ten Wohltaten, deren wir teilhaftig sind. So blicken wir gerade zu denjenigen Geistern der Menschheit hin, die uns

- wie Zarathustra, so auch Hermes - deshalb so groß er­scheinen, weil sie zuerst die größten Impulse der Mensch­heit in jener altersgrauen Zeit gegeben haben, von welcher der Weise zu Solon sprach. Wir schauen hinauf zu Hermes oder Thoth und sagen uns: Wie Zarathustra, so steht auch Hermes da als eine derjenigen führenden Individualitäten der Menschheit, gegenüber denen wir, sie anblickend, in uns selber eine Steigerung unserer Kräfte fühlen, wissend, daß der Geist nicht nur in der Welt ist, sondern immerzu herein-strömt in Weltentaten, in Menschheitsentwickelung! Wir fühlen uns so recht in unserem Dasein bekräftigt, in unserem Wirken beglaubigt, in unserer Hoffnung versichert, in un­serer Bestimmung als Menschen verstärkt durch den Zu­sammenhang mit solchen Geistern, von denen wir immer sagen werden: Zu ihnen blicken Nachgeborene und suchen ihr eigenes Dasein in den Gaben ihrer Seelenkräfte und erkennen das eigene Wirken in den ewigen Geisteswerken der durch die Menschheit hin mit mächtigem Impuls wir­kenden Geistes führer!

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BUDDHA Berlin, 2. März 1911

Von Buddha und dem Buddhismus ist in unserer Zeit verhältnismäßig viel die Rede. Diese Tatsache darf dem Betrachter der Menschheitsentwickelung um so interessanter sein, als dieses Bewußtsein von dem Wesen des Buddhismus oder, vielleicht besser gesagt, diese Sehnsucht, den Bud­dhismus zu begreifen, gar noch nicht so alt ist innerhalb unseres abendländischen Geisteslebens. Wir brauchen dabei nur an die bedeutsamste Persönlichkeit zu denken, welche um die Wende des achtzehnten und neunzehnten Jahr­hunderts so gewaltig in unser abendländisches Geistesleben eingegriffen hat und die bis in unsere Zeit herein so ge­waltig fortwirkt: an Goethe. Wenn wir Goethes Leben, Goethes Schaffen, Goethes Wissen verfolgen, dann sehen wir, daß in alledem Buddha und der Buddhismus noch gar keine Rolle spielen. Und verhältnismäßig bald sehen wir an einem Geiste, der in gewissem Sinne sogar Goethes Schüler war, an Schopenhauer, wie in seinem Wirken bereits mächtig der Einfluß des Buddhismus aufleuchtet. Dann wird das Interesse für diese morgenländische Geistesrichtung immer größer und größer. Und in unserer Zeit liegt es für viele Menschen schon in ihnen, sich mit dem­jenigen auseinanderzusetzen, was eigentlich in die Mensch­heitsentwickelung eingeflossen ist durch das, was sich an den Namen des großen Buddha knüpft.

Nun darf allerdings gesagt werden, daß merkwürdigerweise

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die meisten Menschen heute noch immer mit dem Buddhismus einen anderen Begriff verbinden, der eigent­lich, wenn man auf das Wesentliche sieht, doch nicht in solcher Art, wie es häufig geschieht, mit dem Buddhismus verknüpft werden sollte: nämlich der Begriff der wieder­holten Erdenleben, der hier in diesen Vorträgen immer wieder und wieder eine Rolle spielte. Wir dürfen wohl sagen, daß für die meisten Menschen, die sich heute für den Buddhismus interessieren, in gewisser Beziehung diese Idee von den wiederholten Erdenleben oder auch - wie wir sie nennen - die Idee der Reinkarnation ganz wesentlich sich mit dem Buddhismus verbunden zeigt. Nun muß auf der anderen Seite gesagt werden, so grotesk es klingt: Für den, der tiefer in die Dinge eindringt, erscheint dieses Zusam­menkoppeln von Buddhismus und der Idee der wieder­holten Erdenleben fast so, wie wenn man etwa sagen wollte: Man könnte das beste Verständnis für die Kunst­werke des Altertums bei denjenigen suchen, welche diese Kunstwerke im Beginne der mittelalterlichen Weltentwicke­lung zerstört haben! Es klingt dies grotesk, aber dennoch ist es so. Es kann bald einleuchten, daß es so ist, wenn man bedenkt, daß alles Streben, auf das der Buddhismus ab­zielt, darauf gerichtet ist, diese ihm ja allerdings als ganz gewiß erscheinenden wiederholten Erdenleben soviel wie möglich zu unterschätzen, ihre Zahl soviel wie möglich ab­zukürzen. Also Erlösung von den Wiedergeburten, den wiederholten Erdenleben ist das, was wir als den innersten Nerv der ganzen buddhistischen Geistesrichtung anzusehen haben. Befreiung, Erlösung von den wiederholten Erden-leben, die ihm allerdings als eine sichere Tatsache gelten, ist sein Wesen.

Schon eine, man möchte sagen oberflächliche Betrach­tung der Geschichte unseres abendländischen Geisteslebens

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könnte uns lehren, wie die Idee der wiederholten Erden­leben eigentlich nichts zu tun hat mit dem Verständnis für Buddhismus und umgekehrt. Denn innerhalb des abend­ländischen Geisteslebens tritt uns ja die Idee der wieder­holten Erdenleben in einer so grandiosen Weise bei einer Persönlichkeit entgegen, die ganz gewiß unbeeinflußt ge­blieben ist von der buddhistischen Denkergesinnung: näm­lich bei Lessing in seiner reifsten Abhandlung über «Die Erziehung des Menschengeschlechtes»; diese schließt er mit seinem Bekenntnis zu den wiederholten Erdenleben. Im Ausblick zu dieser Idee ertönt uns aus der Abhandlung «Die Erziehung des Menschengeschlechtes» von Lessing das bedeutungsvolle Wort: «Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?» So werden für Lessing die wiederholten Erdenleben in Hinsicht auf die Fruchtbarkeit des Erdentrachtens das Do­kument, das uns sagt: Wir sind nicht umsonst auf der Erde; wir wirken innerhalb des Erdenlebens und schauen auf ein immer sich erweiterndes Erdenleben hin, in welchem wir die Früchte der vergangenen Erdenleben zur Reife bringen können. - Also gerade der Ausblick auf eine inhaltsvolle, fruchtbringende Zukunft und das Bewußtsein, daß im Menschenleben sich etwas findet, was im Hinblick auf die wiederholten Erdenleben sich sagen darf: du wirkst fort! -das ist es, worauf es im wesentlichen Lessing ankommt.

Worauf es im wesentlichen dem Buddhismus ankommt, ist, sich zu sagen: Man muß solch ein Wissen, solch eine Weisheit erringen, die uns von dem befreien kann, was uns als wiederholte Erdenleben vor dem geistigen Auge stehen kann. Nur dann sind wir in der Lage, ruhig einzugehen in etwas, was mit dem Worte Ewigkeit belegt werden darf, wenn wir uns in irgendeinem dieser Leben von den folgen­den, die sich daran anschließen sollen, befreien können.

Nun war es immer mein Bestreben, im Verlaufe dieser

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Wintervorträge zu zeigen, wie die Idee der wiederholten Erdenleben keineswegs für die Geisteswissenschaft etwa aus irgendwelchen alten Überlieferungen geschöpft ist, auch nicht aus buddhistischen, sondern wie sie uns einer un­befangenen Beobachtung und Betrachtung des Lebens im geistesforscherischen Sinne gerade in unserer Zeit sich uns aufdrängen, ergeben muß. So erscheint es wie eine Außer­lichkeit, wenn man gerade den Buddhismus unmittelbar zusammenstellt mit der Idee der wiederholten Erdenleben. Wir müssen vielmehr, wenn wir das Wesen des Buddhismus ins Auge fassen wollen, nach ganz anderem unsern geistigen Blick richten. Da muß ich noch einmal an das Gesetz in der Menschheitsentwickelung erinnern, das uns schon bei der Betrachtung des großen Zarathustra entgegengetreten ist und an dem sich uns gezeigt hat, daß die menschliche Seele mit ihrer ganzen Verfassung im Laufe der Zeitentwicke­lung verschiedene Zustände durchgemacht hat, daß die Er­lebnisse, von denen uns die äußere Geschichte, die äuße­ren Urkunden berichten, für die Menschheit im Grunde genommen nur eine späte Phase in der Menschheits­entwickelung sind, und daß, wenn wir zurückgehen in vorhistorische Zeiten, wir vielmehr geisteswissenschaftlich auch eine solche Seelenverfassung der Vormenschen sehen können, in welcher das menschliche Bewußtsein in einem ganz anderen Zustande war. Nur kurz sei es wiederholt.

Die Art und Weise, wie wir heute im normalen Men­schenleben die Dinge ansehen, mit unsern Sinnen verfolgen, mit unserem an das Gehirn gebundenen Verstand kombi­nieren, um sie zur Lebensweisheit, zu unserer Wissenschaft zu machen, diese im wesentlichen intellektuelle Art un­seres Bewußtseins hat sich erst aus einer anderen Form des Bewußtseins entwickelt. Darauf ist schon aufmerksam ge­macht worden, und darauf muß heute noch besonders hin- gewiesen

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werden. Beim Vormenschen war eine andere Art des Bewußtseins vorhanden: In der chaotischen Ungeord­netheit unseres Traumlebens haben wir einen letzten Rest, eine Art Erbstück, aber ein atavistisches Erbstück von dem, was einstmals als ein gewissermaßen normaler menschlicher Seelenzustand vorhanden war: ein altes Hellsehen, durch das die Menschheit in einem Zustande, der zwischen Wa­chen und Schlafen liegt, in das, was hinter der Sinneswelt verborgen ist, hineingesehen hat. Während heute im we­sentlichen unser Bewußtsein zwischen Wachen und Schlafen abwechselt und im Wachen die intelligente Seelenverfas­sung gesucht wird, war in alten Zeiten die Sache so, daß dieMenschen in den auf- und abwogendenBildern, die aber nicht so bedeutungslos wie die Bilder des Traumes waren, sondern eindeutig auf übersinnliche Geschehnisse und Dinge zu beziehen waren, eine Art von Bewußtseinszustand hat­ten, aus dem sich nach und nach unser heutiger intellektua­listischer Bewußtseinszustand entwickelt hat. So können wir also auf eine Art Hellsehen der Vormenschheit und eine langwährende Entwickelung des menschlichen Be­wußtseins zurückgehen. Durch jenes alte traumhafte Hell-sehen konnte die Vormenschheit in die übersinnliche Welt hineinsehen, und aus dem Zusammenhange mit dem Über­sinnlichen gewann sie nicht nur ein Wissen, sondern das, was man nennen könnte: innerste Befriedigung der Seele an der geistigen Welt, Glückseligkeit in dem Empfinden des Zusammenhanges mit einer geistigen Welt. Denn so gewiß es heute für den Menschen in seinem sinnlichen, intellektuellen Bewußtsein ist, daß sein Blut aus Stoffen besteht, die im physischen Raume draußen sind, ja, daß sein ganzer Organismus aus diesen Stoffen zusammen­gesetzt ist, so gewiß war es für den Menschen der Vorzeit, daß er in bezug auf seinen geistig-seelischen Teil herausentsprungen

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ist aus dem, was er als geistige Welt mit sei­nem hellseherischen Bewußtsein erblickte.

Es ist auch schon darauf aufmerksam gemacht worden, wie gewisse Erscheinungen der Menschheitsgeschichte, die auch durch die äußeren Tatsachen uns gesagt werden, nur verstanden werden können, wenn man einen solchen Ur­zustand des menschlichen Erdenlebens voraussetzt. Immer mehr und mehr - darauf wurde bereits aufmerksam ge­macht - kommt auch die äußere Wissenschaft darauf, in Urzeiten der Menschheit nicht mehr so etwas anzunehmen, wie es die materialistische Anthropologie des neunzehnten Jahrhunderts getan hat, daß in den Urzeiten ein solcher Urzustand allgemein gewesen wäre, wie er heute bei den primitivsten Völkerschaften gefunden wird, sondern immer mehr und mehr zeigt sich, daß im Urzustand der Mensch­heit hohe theoretische Anschauungen vorhanden waren über die geistige Welt, nur daß diese bildlich gegeben waren. Was wir in den Sagen und Legenden haben, das können wir, wenn wir richtig in sie eindringen, nur be­greifen, wenn wir es auf eine Urweisheit der Menschheit zurückführen, die auf ganz andere Art zur Menschheit geflossen ist als die intellektualistische Wissenschaft der heutigen Zeit. Es ist zwar heute noch nicht viel Sympathie für eine solche Anschauung vorhanden, daß dasjenige, was wir bei primitiven Völkern finden, nicht der geistige Zu­stand der Urmenschheit sei, sondern etwas in Dekadenz Befindliches von einer früheren Höhe Heruntergestiegenes; es ist nicht viel Sympathie für eine Anschauung vorhanden, wonach bei allen Völkern ursprünglich eine hohe Weisheit vorhanden war, die heilseherisch geschöpft worden ist; aber die Tatsachen werden die Menschheit dazu zwingen, auch hypothetisch so etwas anzunehmen, was die Geisteswissen­schaft aus ihren Quellen erforscht und was - wie es an

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manchem anderen gezeigt werden könnte - die Natur­wissenschaft durchaus bewahrheitet. So wird sich bewahr­heiten, was jetzt eben über einen etwaigen zukünftigen Verlauf der Menschheitsentwickelung in wissenschaftlicher Beziehung charakterisiert worden ist.

Wir blicken also zurück auf eine Art Urweisheit, aber auch auf ein Urgefühl und Urempfinden der Menschheit, die wir als einen hellseherischen Zusammenhang des Men­schen mit der geistigen Welt charakterisieren können. Nun ist auch leicht zu begreifen - wir haben schon bei Bespre­chung des Zarathustrismus darauf aufmerksam machen können -, daß bei dem Übergang von der alten Seelen-verfassung, also von dem hellseherischen Zustand der menschlichen Seele zu dem intellektuellen, unbefangenen Anschauen der äußeren Sinneswelt, zwei Strömungen auf­treten können. Die eine Strömung findet sich insbesondere durch die Zeitentwickelung hindurch bei denjenigen Völ­kern, welche die alten Erinnerungen und auch die alten Empfindungen sich in der Art bewahrt hatten, daß sie sag­ten: Es war die Menschheit einst in einem hellseherischen Zustande mit der geistigen Welt verbunden, und sie ist dann herabgestiegen auf die Sinneswelt. Das breitete sich auf das Gesamtempfinden der Seele so aus, daß gesagt wurde: Wir sind herausgetreten in die Welt der Erschei­nungen, die ist aber Illusion, ist Maja. Was des Menschen wahres Wesen ist, das kannte der Mensch doch nur und hing mit ihm zusammen, als er mit der geistigen Welt in Verbindung war. - So durchdringt die Menschen und die Völker, welche eine solche Ahnung an einen uralten hell­seherischen Zustand sich bewahrt hatten, eine gewisse Weh­mut über etwas Verlorenes und ein gewisses Hinwegsehen über das, was in der unmittelbaren sinnlichen Umgebung ist und was der Verstand des Menschen begreifen kann.

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Dagegen können wir eine andere Strömung charakterisie­ren, die wir insbesondere beim Zarathustrismus verfolgen können. Sie findet sich bei den Menschen und Völkern, die sich sagten: Wir wollen angreifen die neue Welt, die uns im Grunde genommen erst jetzt gegeben ist. Die Men­schen, die sich zu diesem Angreifen der neuen Welt be­kannten, blickten nicht mit Wehmut auf das zurück, was sie verloren hatten, sondern sie fühlten immer mehr und mehr, daß sie sich mit all den Kräften verbinden müssen, mit denen sie durch das alles hindurchschauen können, was uns als Sinneswelt umgibt, und zu denen auch der Geist bei einer wirklich in die Tiefe dringenden Betrachtung für das menschliche Wissen kommen kann. Solche Menschen hatten den Drang, sich mit der Welt zu verbinden, nicht zurück­zusehen, sondern vorwärtszublicken, Kämpfer zu sein und sich zu sagen: In die Welt, die uns nunmehr gegeben ist, ist dasselbe Göttlich-Geistige verflochten, in das wir in der Vorzeit eingesponnen waren. Wir haben es in der Um­gebung zu suchen, wir haben uns mit dem guten Elemente des Geistigen zu verbinden und dadurch die Weltentwicke­lung zu fördern. - Das ist im wesentlichen jene Welt­anschauungsströmung, die von der mehr nördlich gelegenen Partie des asiatischen Landes ausgegangen ist: nördlich von jenem Territorium, wo der Mensch mit Wehmut auf das Verlorene zurückblickte.

So entstand also auf Indiens Boden ein Geistesleben, das ganz und gar in dem Zurückblicken auf das frühere Verbundensein mit der geistigen Welt zu begreifen ist. Wenn wir vor uns treten lassen, was in Indien entstand als die Sankhya-Philosophie oder als die Yoga-Philosophie oder auch als die Yoga-Schulung, so können wir es zu­sammenfassen, indem wir sagen: Der Inder war immer bestrebt, den Zusammenhang wiederzufinden mit den- jenigen

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Welten, aus denen er herausgetreten ist; was ihn in der Welt umgab, das versuchte er abzustreifen. Wegzukom­men suchte er von dem, wie er mit der äußeren Sinneswelt verwoben und verbunden ist, und durch Abstreifen der Sinneswelt den Zusammenhang wiederzufinden mit den geistigen Welten, aus denen der Mensch heruntergestiegen ist. Yoga ist Wiederverbinden mit der geistigen Welt, Her-austreten aus der Sinneswelt, Befreiung von der Sinnes­welt. Nur wenn man diese Voraussetzungen macht für die Grundstimmung des indischen Geisteslebens, kann man begreifen, wie auf dem Boden Indiens - wenige Jahrhun­derte, bevor sich für das abendländische Leben der christliche Impuls geltend machte - der große gewaltige Impuls des Buddha wie eine letzte Abendröte des indischen Geistes­lebens vor unserem geistigen Blick aufleuchtet. Verstehen kann man die Buddha-Gestalt nur auf dem Boden, den wir eben seiner Stimmung nach charakterisiert haben. Da müs­sen wir sagen: Wenn wir eine solche Grundstimmung vor­aussetzen, begreifen wir es, daß auf dem Boden Indiens eine Denkweise und eine Gesinnung entstehen konnten, welche die Welt in einem Niedergange erblickte, in einem Herabsteigen von der geistigen Welt zur Sinnes-Illusion, zu Maja, zu dem, was die «große Täuschung)>, die Maja eben ist. Begreiflich ist es auch, daß aus den Anschauungen der äußeren Welt, in welche der Mensch so sehr hinein-verwoben ist, für den Inder sich die Vorstellung ergab, daß dieses Heruntersteigen gleichsam etappenweise, in sich wiederholenden Stufen geschieht. So daß wir es in der in­dischen Weltanschauung sozusagen nicht mit einem Herab­steigen in einer geraden Linie zu tun haben, sondern mit einem Herabsteigen von Epoche zu Epoche. Aus dieser Anschauung heraus begreifen wir die allerdings tiefsinnige Stimmung einer Kultur, die wir aber doch als Abendröte­

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Kultur bezeichnen müssen, denn als solche müssen wir die Buddha-Idee charakterisieren, die einer solchen Welt­anschauung entstammt.

Wir werden deshalb etwa sagen können: Der Inder blickte in eine solche Zeit hinauf, wo die Menschheit mit der geistigen Welt verknüpft war, dann sank sie herab bis auf eine gewisse Stufe, stieg wieder hinauf, sank wieder hinunter, wurde wieder heraufgehoben, sank wieder herab -so aber, daß jedes folgende Hinabsinken immer ein weiteres Hinabsinken war. Jeder Aufstieg ist etwas wie eine Ab­schlagszahlung, die der Menschheit geboten wird, damit sie nicht auf einmal aufzunehmen hat, was sie ja mit diesem Heruntersteigen betreten hat. Jedesmal, wenn eine solche Epoche des Niederganges zu Ende ist, steht für die alte indische Weltanschauung eine solche Gestalt auf, welche als ein «Buddha» bezeichnet wird. Der letzte der Buddhas ist derjenige, welcher in dem Sohn des Königs Suddhodana -in dem Gotama Buddha - inkarniert, das heißt verkörpert war. Der Inder sieht auf andere Buddhas hin und sagt sich:

Seit der Zeit, da die Menschheit auf der Höhe der geistigen Welt gestanden hat, sind eine ganze Anzahl von Buddhas dagewesen; seit dem letzten Niedergange der Welt sind fünf Buddhas erschienen. - Die Buddhas bedeuten immer, daß die Menschheit nicht in einem Abfallen in die Maja heruntersinken soll, sondern daß immer wieder und wieder etwas von der uralten Weisheit gebracht werden soll, wo­von sie wieder zehren kann, weil sich aber die Menschheit in einem absteigenden Sinne bewegt, verliert sich immer wieder und wieder diese Weisheit, und es muß dann ein neuer Buddha kommen, der ihr wieder eine solche Ab­schlagszahlung bringt. Der letzte war eben der Gotama Buddha. Bevor nun ein solcher Buddha, wenn wir trivial sprechen dürfen, zur Buddha-Würde durch seine verschiedenen

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Leben hindurch hinaufsteigt, muß er zu einer an­deren Würde kommen: zu der Würde eines Bodhisattva. Die indische Weltanschauung sieht auch in dem Königssohn des Suddhodana, in dem Gotama Buddha, bis zu dessen neunundzwanzigstem Jahre nicht einen Buddha, sondern einen Bodhisattva. Es ist also dieser Bodhisattva, der in das Königshaus des Suddhodana hereingeboren worden ist, durch die Anstrengungen seines Lebens zu jener inneren Erleuchtung aufgestiegen, die symbolisch als das «Sitzen unter dem Bodhibaum» geschildert wird und dann in der «Predigt von Benares» zum Ausdruck kommt. In seinem neunundzwanzigsten Jahre ist dieser Bodhisattva durch diese Vorgänge zur Buddha-Würde emporgestiegen und konnte nunmehr als Buddha wieder der Menschheit einen letzten Rest der uralten Weisheit bringen, welche die fol­genden Jahrhunderte - nach indischer Anschauung - wieder verbrauchen dürfen. Wenn die Menschheit so tief herunter-gestiegen sein wird, daß die Weisheit, welche dieser letzte Buddha gebracht hat, verbraucht sein wird, dann wird ein anderer Bodhisattva zur Buddha-Würde aufsteigen, der Buddha der Zukunft, der «Maitreya-Buddha», der nach der indischen Weltanschauung für die Zukunft erwartet wird.

Nun betrachten wir, was sozusagen wie eine uralte Weis­heit dem Buddha die Seele durchdrang in dem Moment, da er eben von einem Bodhisattva zum Buddha aufgestie­gen war. Daraus können wir dann auch am besten ersehen, was dieser Aufstieg von einem Bodhisattva - der man durch die Anstrengungen vieler Leben hindurch wird - zu einem Buddha zu bedeuten hat.

Was sich in der Seele dieses Bodhisattva noch abspielte, wird uns durch eine Legende erzählt. Bis zu seinem neun­undzwanzigsten Jahre hatte er nur gesehen, was er in dem

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Königshause des Suddhodana hat sehen können. Da wurde von ihm alles ferngehalten, was wir menschliches Elend nennen können, das sich in das Leben hineinstellt und immerfort auf den fruchtbringenden Fortlauf des Lebens als solches zerstörend wirkt. So wuchs denn der Bodhisattva heran - allerdings mit seinem Bodhisattva-Bewußtsein, das heißt mit einem Bewußtsein, das ganz durchdrungen war aus seinen früheren Erdenleben mit innerer Weisheit -schauend nur das Fruchtbringende, das Werdende des Le­bens. Dann trat er hinaus - die Legende ist bekannt ge­nug, wir brauchen uns daher nur das Wesentliche derselben vor Augen zu führen - und wurde ansichtig dessen, wessen er nie in dem Königspalaste hatte ansichtig werden können:

eines Leichnams. Er sah an dem Leichnam, daß der Tod das Leben ablöst: das Todeselement tritt hinein in das, was fruchtbringendes, fortzeugendes Leben ist. Er wurde an­sichtig eines kranken und siechen Menschen: in die Gesund­heit tritt die Krankheit hinein. Und er wurde ansichtig eines Greises, der müde dahinwankte: das Alter tritt hinein in das, was jugendfrisch sich zum Dasein erhebt. Wir müs­sen uns klar sein - was die indische Weltanschauung vor­aussetzt im Sinne des Buddhismus selber-, daß der, welcher aus einem Bodhisattva ein Buddha geworden ist, alle solche Erlebnisse mit seinem Bodhisattva-Bewußtsein sah. Er sah also in das weisheitsvolle Werden das zerstörende Element des Daseins hineingestellt. Das wirkte auf seine große Seele so, daß er sich sagte - so erzählt die Legende -: «Leiden durchzieht das Leben!» Nun stellen wir uns so recht auf den Standpunkt desjenigen, der aus dem Buddhismus her­aus selber diese Dinge ansieht, auf den Standpunkt dieses Bodhisattva Gotama, der mit hoher Weisheit - deren er sich allerdings noch nicht voll bewußt war, die aber in ihm lebte - bisher in diesem Leben das fruchtbare Werden

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durchschaut hatte und jetzt den Blick auf das Zerstörende, auf das untergängliche Element des Daseins richtete. Stellen wir uns auf einen solchen Standpunkt, wie der Buddha sel­ber sich vermöge der Voraussetzungen seines Daseins stellen mußte, dann können wir uns vorstellen, dieser Buddha mit seiner großen Seele mußte sich sagen: Ja, wenn wir nun erreichen Weisheit, Wissen, so führt uns dieses Wissen zum Werden, dann drängt sich in unsere Seele herein eine Idee von einem immer fortgehenden fruchtbaren Werden. Weis­heit also gibt die Idee von fruchtbarem Werden. Dann aber schauen wir hinaus in die Welt. Da sehen wir ein zer­störendes Element: Krankheit, Alter und Tod. Weisheit, Wissen kann es nicht sein, was etwa in das Leben hinein-mischen würde Alter, Krankheit und Tod. Etwas anderes muß es sein. Man kann also - so etwa konnte der große Gotama sagen, oder besser gesagt empfinden, weil er sich seines Bodhisattva-Bewußtseins nicht klar war - von Weis­heit durchdrungen sein, aus der Weisheit heraus die Idee des fruchtbaren Werdens erlangen, aber das Leben zeigt uns Zerstörtes, Krankheit und Tod und manches andere, was sich zerstörend hineinstellt ins Leben. - Da gibt es etwas zu erkennen, was der Bodhisattva noch nicht ganz durch­schauen kann. Der Bodhisattva ist durch Leben und Leben gegangen, hat Wiederverkörperungen und Wiederverkör­perungen für seine Seele so angewendet, daß die Weisheit in ihm immer größer und größer geworden ist, so daß er das Leben von einer höheren Warte herab anzusehen ver­mag. Noch nicht durchdrang, indem er nach seinem Heraus-treten aus dem Königspalast nun ansichtig wurde des wirk­lichen Lebens, das Wesen desselben sein Bewußtsein. Was wir von Leben zu Leben als Wissen in uns sammeln, als Weisheit in uns aufstapeln können, kann uns zuletzt doch nicht zum Begreifen der eigentlichen Geheimnisse des Daseins

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führen. Die müssen woanders liegen, müssen außer­halb des Lebens liegen, das wir durchleben von Verkörpe­rung zu Verkörperung.

Diese Idee wurde fruchtbar in des großen Gotama Seele und führte gerade zu der Erleuchtung, die man nennt die «Erleuchtung unter dem Bodhibaum». Da wurde ihm klar

- wir können es so umschreiben -: Wir sind in einer Welt der Maja oder Illusion. Wir durchleben Leben nach Leben in dieser Welt der Maja oder Illusion, in die wir aus einem geistigen Dasein herausgetreten sind. Wir können in diesem Leben zu Würden und Würden in geistiger Beziehung auf­steigen. Aber durch das, was uns dieses Leben gibt - wenn wir durch noch so viele Verkörperungen hindurchgehen und immer weiser und weiser durch dieses Leben werden -können wir nicht das große Daseinsrätsel lösen, das uns in Alter, Krankheit und Tod anstarrt. - Da ging ihm auf, daß die Lehre vom Leid für ihn eine noch größere sein müsse als die Weisheit eines Bodhisattva. Und seine Er­leuchtung bestand nun darin, daß er sich sagte: Also ist das, was sich ausbreitet in der Welt der Maja oder Illusion, nicht wahre Weisheit, ist so wenig wahre Weisheit, daß wir selbst nach vielen Leben aus diesem äußeren Dasein nicht ein Ver­ständnis für das Leidvolle saugen können und loskommen können vom Leid. Dieses äußere Dasein also hat in sich einverwoben etwas anderes, was der Weisheit, was allem Wissen fernsteht. - Dadurch war es von selbst gegeben, daß in einem weisheitslosen Element dasjenige von dem Buddha gesucht worden ist, was das Leben durchzieht mit Alter, Krankheit und Tod. - Weisheit dieser Welt ist es nicht, was irgendwie befreiend wirken kann, sondern etwas anderes, was gar nicht aus dieser Welt gewonnen werden kann, was nur gewonnen werden kann, wenn man sich völlig zurück­zieht von der Welt des äußeren Daseins, in welcher Wiedergeburt

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auf Wiedergeburt, Verkörperung auf Verkörperung folgt. - So sah der Buddha von diesem Augenblicke an in der Lehre vom Leid das Grundelement, das die Menschheit zu ihrem weiteren Fortschritt braucht. So sah er in einem weisheitslosen Element, das er nannte den Durst nach Da­sein, den weisheitslosen Durst nach Dasein, die Veranlas­sung dafür, daß das Leid in die Welt hineinkommt. Weisheit auf der einen Seite, weisheitsloser Durst nach Dasein auf der anderen Seite, das war es, was ihn wieder dazu führte, sich zu sagen: Also kann nur die Befreiung von diesen Wieder­geburten, von diesen wiederholten Erdenleben, die ja selbst in der höchsten Weisheit uns nicht befreien können vom Leid, dasjenige sein, was zur Erlösung, zur wahren Men­schenfreiheit führen kann. Deshalb sann er nach den Mit­teln, die den Menschen aus der Welt hinausführen können, in welcher seine Wiederverkörperungen liegen, in jene Welt hinein - die wir nur richtig verstehen müssen, dann werden wir nicht die grotesken, phantastischen Begriffe bekommen, die sehr häufig darüber im Umlaufe sind -, die Buddha das Nirwana nannte.

Was für eine Welt ist das Nirwana, in das der eintreten soll, der es im Leben so weit gebracht hat, daß der Durst nach Dasein gelöscht ist, daß er nicht mehr verlangt, wie­dergeboren zu werden? Es ist die Welt, die man nur dann richtig bezeichnen kann, wenn man sich sagt: Im Sinne des Buddhismus kann die eigentliche Welt der Erlösung, der Seligkeit mit nichts bezeichnet werden, was irgendwie aus dem genommen wird, was wir in der Sinneswelt, in der Raumeswelt, in der Welt des physischen Daseins rings um uns herum wahrnehmen. Alles, was wir in der Raumeswelt, in der physischen Welt wahrnehmen, kann uns nur etwas geben, was nicht auf eine Befreiung hinweist, deshalb dür­fen wir keines der Prädikate auf die Welt anwenden, in

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welcher der Mensch seine Befreiung suchen will. Laßt also in euch schweigen alle die Prädikate, alle die Worte, die der Mensch auftreiben kann, wenn er etwas in der Umwelt bezeichnet. Von alledem ist nichts in der Welt der Seligkeit. Es gibt keine Möglichkeit, sich eine Vorstellung zu machen von der Welt, in die derjenige eingeht, der die Wieder-verkörperungen überwunden hat. Man kann sie daher nur mit einem negativen Wort bezeichnen: Sie ist alles das nicht, was wir in der Umwelt wahrnehmen! Daher lege man ihr nur eine negative Bezeichnung bei, sage von dieser Welt:

Der, für den alles ausgelöscht ist, womit er hier in diesem Dasein verbunden ist, der wird kennenlernen, wie es dort ausschauen wird, wenn er in diese Welt eingehen wird, die hier nur mit einem negativen Wort - mit Nirwana - be­zeichnet werden kann.

So ist diese Welt für den Buddhisten eine solche, die mit keinem unserer Worte bezeichnet werden kann. Nicht ein Nichts, sondern ein so volles, erfülltes, mit Seligkeit er­fülltes Dasein, daß er keine Worte dafür hat: so wenig will er damit ein Nichts bezeichnen. Damit haben wir schon den eigentlichen Nerv des Buddhismus und seiner Gesinnung ergriffen. Von jener Predigt in Benares, wo zum ersten Male die Lehre vom Leid zum Ausdruck kam, durchdringt alles, was wir über den Buddhismus wissen, die Erkenntnis von dem Leid des Lebens, die Erkenntnis von dem Wesen des Leides und dem, was zum Leid führt: der Durst nach Dasein. Daher kann es nur eines geben, das den Menschen zum Fortschritt bringt: die Befreiung von diesem Dasein in den Wiederverkörperungen. Das nächste ist dann die Angabe derjenigen Mittel, das heißt des Erkenntnispfades, der über die irdische Weisheit hinausführt und die Mittel enthält, daß der Mensch nach und nach fähig wird, in das Nirwana einzutreten, oder mit anderen Worten, daß er die

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irdischen Wiedergeburten so benutzen lernt, daß sie zuletzt überwunden werden und man von ihnen befreit ist.

Wenn wir, nachdem hier abstrakt der Grundgedanke des Buddhismus dargelegt worden ist, jetzt auf seinen eigent­lichen Nerv sehen, so müssen wir sagen: Eigentümlich stellt sich diese Gesinnung zum Gesamtbilde des Menschen. Es isoliert den Menschen, es fragt nach dem Schicksal und nach dem Daseinsziel des Menschen, wie er dasteht als einzelne Persönlichkeit, als einzelne Individualität in der Welt. Wie sollte eine Weltanschauung, die auf der Grundstimmung aufgebaut ist, von der gesprochen worden ist, es auch anders denken? Eine Weltanschauung, die aus der Grundstimmung hervorgegangen ist: Herabgestiegen ist der Mensch aus gei­stigen Höhen und befindet sich jetzt in einer Welt der Illu­sion, aus der ihn ab und zu für das irdische Dasein die Weisheit eines Buddha befreien kann, die ihn aber hinführt

- wie beim letzten Buddha -, Befreiung vom irdischen Dasein zu suchen. Wie könnte das Daseinsziel des Men­schen innerhalb einer solchen Gesinnung anders charakteri­siert werden, als daß er isoliert dasteht gegenüber seiner ganzen Umgebung? Es ist ja das zugrunde liegende Daseins-bild so, daß es einen Niedergang darstellt und daß die Entwickelung des irdischen Lebens ein Herabsteigen be­deutet. Daher ist es auch sehr merkwürdig und bezeichnend, wie von Buddha selber die Erleuchtung gesucht wird. Ohne diese besondere Charaktensierung der Erleuchtung des Buddha ist der Buddha, ist der Buddhismus nicht zu ver­stehen.

Buddha sucht die Erleuchtung in völliger Isolierung. Er geht hinaus in die Einsamkeit. Was er sich von Leben zu Leben erworben hat, soll in einem völlig isolierten Dasein überwunden werden, und es soll hervorbrechen in der Kraft seiner Seele dasjenige Licht, das ihn aufzuklären

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weiß über die Welt und ihr Elend. Als isolierter Mensch steht Buddha da, wartend auf den Augenblick der Erleuch­tung, wo er einzusehen vermag - ganz gestellt auf sich sel­ber -, daß die Gründe für das Leid der Menschheit in dem Drang des einzelnen Menschen nach Wiedergeburt liegen, nach Verkörperung in dieser Welt, daß der Durst nach Da­sein, wie er in dem einzelnen Menschen lebt, der Grund für das Elend ringsherum ist, für alles, was an Zerstörung in das Dasein hereinwirkt.

Man kann diese ganz eigentümliche Art der Buddha­Erleuchtung und der Buddha-Lehre nicht verstehen, wenn man ihr nicht gegenüberstellt, was uns im Christentum entgegentritt. Da haben wir sechshundert Jahre nach dem Auftreten des großen Buddha etwas ganz anderes. Die Stellung des Menschen zur Welt und zur ganzen Umgebung wird darin auch charakterisiert. Aber wie? Wollten wir noch einmal den Buddha-Menschen charakterisieren, so könnten wir einen abstrakten Ausdruck gebrauchen und sagen: Durch die Buddha-Lehre wird die Weltbetrachtung ungeschichtlich, unhistorisch. Das Ungeschichtliche, Un­historische ist es im Grunde genommen auch, was alles Morgenländertum charakterisiert. Da sieht das Morgen­ländertum eine Buddha-Epoche nach der andern ablaufen. Geschichte ist nicht das Herabsteigen von einer Höhe zu Niederem, sondern Geschichte ist das Hinaufstreben zur Erringung eines bestimmten Zieles und die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen mit der gesamten Welt, mit der Vorzeit und mit der Nachwelt. Das wäre Geschichte. Der Buddha-Mensch aber steht isoliert und allein da, nur auf der Grundlage seines Eigendaseins, und er will in dem Eigendasein die Kräfte finden, die ihn zur Erlösung vom Durst nach Dasein und damit von den Wiedergeburten führen. Anders steht sechs Jahrhunderte darnach der Mensch

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im Christentum zur Gesamtentwickelung der Menschheit. Wenn wir jetzt davon absehen, was als Vorurteil weit in der Welt schwebt, so können wir das, was christliche Idee ist, in der folgenden Weise charakterisieren.

Insofern die christliche Idee auf den Ideen des Alten Testamentes fußt, weist sie uns auf eine Vormenschheit zurück, wie sie das auch in den großen, gewaltigen Bildern der Genesis tut, auf jenen Zustand, da der Mensch in an­derer Art zu seinen geistigen Welten gestanden hat als spä­ter. Aber nun tritt das Eigentümliche auf, durch das sich der Mensch in einer ganz anderen Weise innerhalb des Christentums zur Welt stellt, als es im Buddhismus der Fall ist. Da kann als christlich die Idee bezeichnet werden:

In mir lebt eine Weisheit durch jene Seelenverfassung, die ich jetzt habe. Durch die Art und Weise, wie ich die Sinnes-welt beobachte und mit meinem Verstande zusammenfasse, lebt in mir eine Weisheit, eine Wissenschaft, eine Lebens-praxis. Aber ich kann auf eine Seelenverfassung der Vor-menschheit zurückgehen, wo die Seelen in einem anderen Zustande waren. Damals geschah etwas, was nicht bloß im buddhistischen Sinne bezeichnet werden darf als ein Herabsteigen des Menschen aus göttlich-geistigen Höhen in die sinnliche Maja oder Illusion, sondern was noch als etwas anderes bezeichnet werden muß, nämlich als das, was mit einem großen, allerdings in unserer Zeit vielfach noch auf Nichtverständnis beruhenden Bilde charakterisiert wird: mit dem Sündenfall. Man mag über den Sündenfall denken wie immer, das eine muß aber zugegeben werden, und das genügt heute. In diesem Sündenfall fühlt der Mensch etwas, was zu ihm gehört, etwas, wodurch er sich sagt: Wie ich jetzt als Mensch dastehe, so wirken in mir Kräfte, die durchaus nicht isoliert in diesem vor mir stehen­den Menschen gewachsen sind, sondern die in eine urferne

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Vergangenheit zurückgehen und da an etwas beteiligt waren - eben daran beteiligt waren, daß damals die Mensch­heit, zu der ich gehöre, nicht bloß heruntergestiegen ist, sondern so heruntergestiegen ist, daß sie in ein anderes Verhältnis zur Welt gekommen ist, als sie nach den Be­dingungen, die vorher geherrscht haben, hätte kommen sollen. Die Menschheit ist beim Herunterstieg gleichsam durch etwas, was durch die eigene Schuld geschehen ist, was als die vorbewußte Schuld bezeichnet werden kann, von einer Höhe, auf der sie war, zu einer gewissen Tiefe her­untergestiegen. Wir haben es also nicht bloß mit einem einfachen Herunterstieg wie im Buddhismus zu tun, son­dern mit einem sich verändernden Fühlen in diesem Her­untersteigen, das, wenn bloß die vorherigen Bedingungen gewirkt hätten, nicht so geworden wäre, wie es jetzt geworden ist: denn jetzt ist es so geworden, daß die Seelenverfassung der Menschen einer Versuchung ver­fallen ist.

So blickt der, welcher von der Oberfläche des Christen­tums in seine Tiefen sieht, auf einen Seelenzustand des Menschen zurück, der ja im Laufe der Geschichte über­wunden ist, von dem er sich aber sagt: Dadurch, daß etwas in der Vorzeit geschehen ist, ist dieser Seelenzustand, der in seiner Wirkung als ein Unterbewußtes in mir ruht, an­ders geworden, als er hätte werden sollen. Der Buddhist aber steht der Welt so gegenüber: Ich bin in die Welt hinausversetzt aus einem Zusammenhange mit der göttlich-geistigen Welt. Diese Welt bietet mir, indem ich sie anschaue, nur Maja oder Illusion. - So aber steht der Christ der Welt gegenüber: Ich bin in diese Welt heruntergestie­gen. Wäre ich so heruntergestiegen, wie es den vorherigen Bedingungen allein entsprochen hätte, so würde ich überall hindurchsehen können hinter den Sinnesschein, hinter die

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Illusion in das wahre Sein und würde überall imstande sein, das Richtige zu finden. Da ich aber in einer anderen Weise heruntergestiegen bin, als es den vorherigen Be­dingungen entsprach, so habe ich durch mich diese Welt zu einer Illusion gemacht. - Woran liegt es, daß diese Welt eine Illusion ist? fragt der Buddhist. Er antwortet: Es liegt an der Welt! - Woran liegt es, daß diese Welt eine Illusion ist? fragt der Christ. Er antwortet: Es liegt an mir! Ich selber, mein Erkenntnisvermögen, meine ganze Seelen-verfassung haben mich so in die Welt hineingestellt, daß ich jetzt nicht das Ursprüngliche sehe, daß jetzt nicht die Folgen meiner Taten so auftreten, daß alles fruchtbringend ist oder leicht entstehen könnte. Ich bin es selber, der die Welt mit dem Schleier der Illusion überzogen hat. - So darf der Buddhist sagen: Die Welt ist die große Illusion, also muß ich die Welt überwinden! So darf der Christ sagen:

Ich bin in die Welt hineingestellt und muß dort mein Ziel finden.

Wenn der Christ einsieht, daß die Geisteswissenschaft ihn zu der Erkenntnis der wiederholten Erdenleben hinführen kann, so kann er sich sagen, daß er dieselben gebrauchen muß, um das Ziel seines Lebens zu erringen. Er weiß: Jetzt blicken wir in eine Welt voll Leid und Irrtum, weil wir uns selber so weit von unserer ursprünglichen Bestimmung ent­fernt haben, daß wir uns durch unseren Blick, durch unsere Taten die Welt, die um uns herum ist, zur Maja verwandelt haben. Aber wir müssen uns nicht aus dieser Welt entfer­nen, um zur Seligkeit zu kommen, sondern was wir uns selber angetan haben und was bewirkt, daß wir die Welt nicht in ihrer wahren Gestalt, sondern in einer Illusion sehen, das mussen wir überwinden und uns zu unserer ursprünglichen Menschenbestimmung zurückführen. Denn es liegt uns zugrunde ein höherer Mensch. Würde dieser

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höhere Mensch, der tief verborgen in uns ist, die Welt an­schauen, so würde er sie in Wahrheit erkennen, er würde nicht sein Sein durch Krankheit und Tod führen, sondern durch Gesundheit und Jugendfrische und immerwährendes Leben. Das ist der Mensch, den wir in uns selber mit einem Schleier überzogen haben, indem wir mit einem Ereignis der Weltentwickelung verbunden waren, das in uns nach-wirkt und uns bezeugt, daß wir nicht isoliert dastehen, nicht durch den Durst nach Dasein des einzelnen Indivi­duums in die Welt hineingeführt sind, sondern daß wir in der gesamten Menschheit ruhen und teilnehmen an einer Urschuld dieser gesamten Menschheit.

So steht der Christ historisch in der gesamten Menschheit drinnen und fühlt sich mit ihr verbunden, historisch ver­bunden mit dieser gesamten Menschheit. Er blickt auf eine Zukunft, von der er sich sagt: Was wie mit einem Schleier in mir selber bedeckt worden ist durch das Heruntersteigen der Menschheit, das muß ich wieder erringen. Nicht ein Nirwana muß ich suchen, sondern den höheren Menschen in mir muß ich suchen. Zu mir selber muß ich den Weg zurückfinden. Dann wird die Welt um mich herum nicht Illusion sein, sondern wird die Welt sein, in der ich im­stande sein werde, durch eigene Arbeit Leid und Krankheit und Tod zu überwinden. - So sucht der Buddhist Befreiung von der Welt und von den Wiedergeburten durch Bekämp­fung des «Durstes nach Dasein», so sucht der Christ Be­freiung vom niederen Menschen und Auferweckung des höheren Menschen, den er selber mit einem Schleier zu­gedeckt hat, um die Welt in ihrer Wahrheit zu sehen. Und es ist etwas, was sich wie Schwarz zu Weiß verhält, was wir in der Buddha-Weisheit finden, wenn wir es vergleichen mit dem bedeutungsvollen Wort des Paulus: «Nicht ich -sondern der Christus in mir!» Hier sehen wir dasjenige

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Bewußtsein, das in uns wirkt, und stellen uns mit dem­selben als menschliche Individuen in die Welt hinein.

Der Buddhist sagt: Der Mensch ist aus geistigen Welten heruntergestiegen, weil die Welt ihn heruntergedrängt hat. Es muß also die Welt überwunden werden, die ihm den Durst nach Dasein eingepflanzt hat, er muß hinweg aus dieser Welt. - Der Christ aber sagt: Nein, nicht an der Welt liegt es, daß ich so bin, an mir selber liegt es! - So stellen wir uns als Christen in die Welt mit unserem ge­wöhnlichen Bewußtsein hinein. Unter diesem Bewußtsein wirkt fort in unserer Persönlichkeit, in unserer Individuali­tät etwas, was früher als ein hellseherisches, als ein bild­haftes Bewußtsein vorhanden war. Wir haben geirrt inner­halb dieses Bewußtseins, das jetzt nicht mehr unser ist. Wir müssen aber, wenn wir unser Daseinsziel erlangen wollen, diesen Irrtum wieder gutmachen. Gerade so wie der Mensch sich niemals, wenn er im späteren Leben steht, sagen darf: Ich habe in meiner Jugend gesündigt, doch es ist nicht recht, wenn ich jetzt für das büße, was ich in mei­ner Jugend getan habe, wo ich noch nicht mein Bewußtsein von jetzt gehabt habe, - so darf der Mensch jetzt auch nicht sagen: Es wäre ungerecht, wenn ich mit meinem jetzigen Bewußtsein ausgleichen sollte, was ich in einem anderen Bewußtsein getan habe, das ich ja nicht mehr habe, sondern das ersetzt ist durch das intellektualistische Bewußtsein. -Dieses Wieder-Gutmachen kann der Mensch aber nur, wenn in ihm der Wille entsteht, von dem gegenwärtigen Bewußtseinszustande mit dem Ich, in dem er jetzt lebt, hinaufzuschreiten zu einem höheren Ich, das mit dem pau­linischen Wort charakterisiert werden kann: Nicht ich -sondern der Christus in mir, - sondern ein höheres Be­wußtsein in mir! - Ich bin heruntergestiegen - muß der Christ sagen - bis zu anderen Zuständen, als sie vorher bedingt

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waren. Jetzt muß ich wieder hinaufsteigen. Aber ich muß hinaufsteigen nicht durch das Ich, das ich jetzt habe, sondern durch eine Kraft, die in mir Platz greifen kann und mich über das gewöhnliche Ich hinaufführt. Das kann nur geschehen, wenn nicht ich, sondern wenn der Christus in mir wirkt und mich wieder dahin hinaufführt, wo ich die Welt nicht sehe in Maja oder Illusion, sondern in ihrer wahren Wirklichkeit, wo die Kräfte, durch die Krankheit und Tod in die Welt gekommen sind, überwunden werden können durch das, was der Christus in mir bewirkt.

Man begreift den Buddhismus in seinem innersten Nerv am besten, wenn man ihn mit dem innersten Nerv des Christentums zusammenstellt. Denn dann sieht man, wie es möglich ist, daß bei Lessing in seiner «Erziehung des Menschengeschlechtes» das Wort stehen kann: «Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?» - das heißt: Benutze ich die auf­einanderfolgenden Verkörperungen dazu, immer mehr und mehr in mir die Christus-Kraft leben zu lassen, dann komme ich dazu, wozu ich jetzt nicht kommen kann, weil ich mich selbst mit einem Schleier umhüllt habe: in die Sphäre der Ewigkeiten. - Die Idee der Wiederverkörperung wird sich in einem ganz anderen Glanze noch zeigen in der Sonne des Christentums. Aber nicht nur auf die Idee der Wieder-verkörperung kommt es an, denn sie wird von der christ­lichen Kultur als eine geisteswissenschaftliche Wahrheit immer mehr und mehr in die Zukunft hinein erobert wer-den, sondern darauf kommt es an, daß der Buddhismus aus seiner innersten Gesinnung heraus die Welt verantwortlich machen muß für die Maja oder Illusion, während der Christ sich als Mensch verantwortlich macht und in das Innerste des Menschen dasjenige hineinverlegt, was Vor­gänge sind, um aufzusteigen zu dem, was man die Erlösung nennen kann, was aber im christlichen Sinne nicht bloß Erlösung,

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sondern Auferstehung ist, weil das Ich dadurch hinaufgehoben wird zu einem höheren Ich: zu dem, von dem der Mensch heruntergestiegen ist.

So hat der Buddhist, wenn er auf die Welt blickt, es mit einer Urschuld der Welt zu tun und fühlt sich nur in diese Welt hineingestellt, will von ihr erlöst sein. So hat es der Christ mit seiner Urschuld zu tun und will diese Urschuld korrigieren. Das ist historische, geschichtliche Denkweise. Denn da knüpft der Mensch sein Dasein an eine Urtat der Vormenschheit in der Vergangenheit an und an eine Zu­kunftstat, wo der Mensch so weit gekommen sein wird, daß sein ganzes Dasein durchglänzt und durchleuchtet sein wird von dem, was wir als Christus-Wesenheit bezeichnen. Da­her kommt es aber auch, daß das Christentum in die Welt­entwickelung nicht aufeinanderfolgende Buddhas hinein­stellt, die sozusagen unhistorisch von Epoche zu Epoche gewissermaßen das Gleiche wiederholen, sondern daß es ein einmaliges Ereignis in die ganze Menschheitsentwicke­lung hineinstellt. Während der Buddhist seinen Buddha unter dem Bodhibaume sitzend sieht, wie er als isolierter Mensch zur Erleuchtung aufsteigt, sieht der Christ hin zu dem Jesus von Nazareth als zu dem Heruntersteigen aus dem Weltenäußeren desjenigen, was der inspirierende Weltengeist ist. Das wird uns im Bilde ebenso anschaulich durch die Johannes-Taufe im Jordan dargestellt wie die Erleuchtung des Buddha in dem Sitzen unter dem Bodhi­baum. So sehen wir den Buddha im Sitzen unter dem Bodhibaum mit der eigenen Seele, die sich hinaussehnt aus den Wiedergeburten, - so sehen wir den Jesus von Na­zareth stehen im Jordan: herunter dringt zu ihm, was die Essenz der Welt ist, und was symbolisch bezeichnet wird unter dem Bilde der Taube als der Geist, der sich in sein Inneres herniedersenkt. So fühlt der Bekenner des Buddhismus:

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Es dringt zu mir etwas aus der Tat des Buddha, was mir sagt: Stille den Durst nach Dasein, reiße aus die Wur­zeln des Erdendaseins und folge dem Buddha dahin, wo die Welten sind, die man mit keiner irdischen Prägung be­zeichnen kann. - So fühlt der Christ: Von der Tat des Christus geht etwas aus, wodurch die Tat, die in der Vor-menschheit liegt, korrigiert werden kann. Und wenn in meiner Seele ebenso lebendig wird der spirituelle Einfluß der Welt, die hinter der physischen Welt ist, wie in dem Christus selber, dann werde ich in meine folgenden Ver­körperungen hineintragen, was immer mehr mir das pau­linische Wort: «Nicht ich - sondern der Christus in mir!» zur Wahrheit werden läßt, was mich immer mehr hinauf-heben wird zu der Stufe, von welcher ich heruntergestiegen bin. - Daher ist es so ergreifend, wenn erzählt wird, daß Buddha zu seinen intimen Schülern gesagt hat: «Da blicke ich zurück auf meine früheren Leben wie auf ein auf­geschlagenes Buch, kann Seite für Seite lesen, kann über­schauen Leben für Leben, die ich durchmachte, und in jedem dieser Leben habe ich mir einen sinnlichen Leib aufgebaut, in dem mein Geist wohnte wie in einem Tempel. Aber jetzt weiß ich, daß dieser Leib, in dem ich zum Buddha geworden bin, der letzte ist.» Und hin wies er auf das Nirwana, in das er eintreten sollte, und sagte: «Ich fühle schon, wie die Balken krachen, wie die Pfosten stürzen, wie der sinnliche Leib zum letzten Male aufgebaut ist und nun ganz zerstört wird.»

Vergleichen wir jetzt eine solche Aussage mit einer an­deren, die wir im Johannes-Evangelium finden, wo der Christus auch darauf hinweist, daß er in einem äußeren Leibe wohnt, und hören wir, was da der Christus sagt:

«Brecht diesen Tempel ab - und am dritten Tage will ich ihn wieder aufrichten! » Die ganz entgegengesetzte An- schauung!

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Das heißt: Ich will etwas tun, was alles das fruchtbringend und lebendig machen kann, was von Gott herunteriließt aus der Vormenschheit, was in die Welt, in uns einfließt. - Wir sehen in diesen Worten den Hinweis darauf, daß der Christ alle Kräfte durchzuleben hat in den immer wiederkehrenden Erdenleben, die das Wort wahr machen: «Nicht ich - sondern der Christus in mir!» Nur müssen wir uns klar sein, daß der Christus so sprach, daß die Auferbauung dieses Tempels sozusagen eine Ewigkeits­bedeutung hat, daß damit ein Einziehen der Christus-Kraft in alle diejenigen gemeint ist, welche sich so hineingestellt fühlen in die Gesamtentwickelung der Menschheit. Wir dürfen von diesem Ereignis, das wir als den Christus-Impuls bezeichnen, nicht so sprechen, als ob es sich in irgend­einer Weise im Laufe der Menschheitsentwickelung wieder­holen könnte. Der Buddhist hat, wenn er im wahren Sinne denkt, eine Aufeinanderfolge von Buddhas, ein Wieder­holen der Erdepochen, die in ihrem irdischen Ablauf im Grunde genommen einen ähnlichen Sinn haben. Der Christ weist auf ein einmaliges Ereignis zurück, das im Sündenfall charakterisiert wird, und er muß daher auch auf ein ein­maliges Ereignis hinweisen: auf das Mysterium von Gol­gatha, das die Umkehrung jenes ersten Ereignisses ist. Wer

- wie es ja in der Menschheitsgeschichte häufig geschehen ist und auch jetzt wieder zu geschehen droht - auf eine Wie­derholung des Christus-Ereignisses hindeuten wollte, der würde damit nur zeigen, daß er den eigentlichen Nerv einer historischen Erfassung der Menschheitsentwickelung nicht inne hat. Soll Geschichte wirklich sein, so muß sie so verlaufen, daß sie dirigiert wird von einem Punkte aus. Wie die Waage einen Gleichgewichtspunkt haben muß und wie der Waagebalken, an dem die beiden Waagschalen hängen, einen Unterstützungspunkt haben muß, so muß bei

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einer historischen Auffassung der Menschheitsentwickelung ein einmaliges Ereignis da sein so, daß die geschichtliche Entwickelung von rückwärts und vorwärts auf ein solches einmaliges Ereignis hinweist. Wer von einer Wiederholung des Christus-Ereignisses sprechen würde, der würde etwas ebenso Absurdes sagen, wie wenn jemand behaupten würde, man könnte einen Waagebalken an zwei Punkten unter­stützen. Daß eben in der morgenländischen Weisheit von einer Aufeinanderfolge gleichartiger Individualitäten ge­sprochen wird, die sich ablösen, wie dies bei einer Anzahl von Buddhas der Fall ist, das charakterisiert uns den Un­terschied zwischen der morgenländischen Weltanschauung und dem, was sich die Menschheit im Laufe der Entwicke­lung errungen hat, was zuerst im Abendlande aufgetreten ist mit dem Christus-Impuls, der nur ein einmaliger ist. Wer die Einmaligkeit und die Einzigartigkeit des Christus-Ereignisses bestreiten wollte, würde damit zugleich die Möglichkeit einer wirklichen Geschichte in der Mensch­heitsentwickelung bestreiten, das heißt: er versteht nichts von wirklicher Geschichte.

Das, was wir nennen können: das Bewußtsein des Ent­haltenseins des einzelnen Menschen in der ganzen Mensch­heit - daß ein Sinn die Menschheitsentwickelung von An­fang bis zu Ende durchzieht, daß nicht bloß Gleiches sich wiederholt - ist in seinem tiefsten Sinne zugleich christ­liches Bewußtsein. Das gehört zum Christentum und kann nicht von ihm getrennt werden. Es ist der eigentliche Fort­schritt, den die Menschheit im Laufe ihrer Entwickelung gemacht hat, daß sie von der alten Weltanschauung des Morgenlandes zu der neuen Weltanschauung fortgeschritten ist, von der Unhistorie zur Historie, - der Fortschritt von dem Glauben, es rollten die Räder des Weltgeschehens immer in einer gleichen Weise hintereinander ab, zu dem

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anderen Glauben, der in der gesamten Menschheitsent­wickelung etwas sieht, was von einem Sinn durchdrungen ist.

So bekommt durch das Christentum erst die Lehre von den wiederholten Erdenleben ihren wahren Sinn.Denn jetzt sagen wir uns: Der Mensch lebt seine wiederholten Erden-leben, weil ihm wiederholt eingepflanzt werden soll der Sinn des Erdendaseins und weil ihn mit einem jeden Erdenleben ein neuer Sinn des Erdendaseins trifft. Nicht bloß in dem isolierten, einzelnen Menschen ist ein Streben, sondern auch in der gesamten Menschheit, mit der wir uns verbunden füh­len, ist Sinn. Und der in der Mitte stehende Christus-Im­puls zeigt, daß sich im Hinblick auf die geistige Sonne der Mensch dieses Zusammenhanges bewußt werden kann, daß er sich nicht bloß bewußt wird eines Bekenntnisses zu einem Buddha, der ihm sagt: Erlöse dich!, sondern sich des Zu­sammenhanges mit einem Christus bewußt wird, der die Tat getan hat, wodurch korrigiert wird, was mit Bezug auf den Herunterstieg der Menschen symbolisch als der Sündenfall dargestellt wird. Wir können den Buddhismus nicht besser charakterisieren, als daß wir zeigen, wie er die Abendröte einer Weltanschauung ist, die sich zum Niedergang geneigt hat, und daß ein letztes großes, gewaltiges Aufleuchten dieser Weltanschauung mit dem Gotama Buddha gegeben war. Wir verehren ihn deshalb nicht minder. Wir verehren ihn als den großen Geist, der noch einmal in das Erden-dasein die Stimmung hineinruft, die der Menschheit so recht das Bewußtsein ihres Zusammenhanges mit der Urweisheit bringt, der eben mit seiner Stimme in die Vergangenheit hinweist. Wir wissen dagegen, daß kraftvoll in die Zukunft der Christus-Impuls hineinweist, der sich immer mehr und mehr in die Menschenseelen einleben soll, damit sie begrei­fen: Nicht Erlösung - sondern Auferstehung, Verklärung

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des Erdendaseins, das ist es, was dem Erdendasein erst den rechten Sinn gibt.

Man braucht, was im Menschenleben tätig ist, nicht nur zu suchen in den Dogmen, in Begriffen und Ideen, da könnte es manche geben, denen der Buddhismus besser ge­fällt, als ihnen das Christentum gefallen könnte. Sondern man muß das Wesentliche suchen in den Impulsen, in den Empfindungen und Gefühlen, welche der Menschheits­entwickelung den Sinn geben. Und da können wir sagen:

Es gibt in unserer Zeit etwas, was einer großen Anzahl von Geistern Sympathie einflößen kann für den Buddhismus. Es ist gewissermaßen etwas Ahnliches wie eine Buddha­Stimmung in einer großen Anzahl unserer Menschen der Gegenwart. In Goethe war diese Buddha-Stimmung noch nicht. Goethe mit seiner Liebe zum Dasein, mit seiner Ge­sinnung, daß in dem äußeren Dasein der Geist verwoben ist, aus dem der Menschengeist stammt, suchte Erlösung von den Qualen der Engigkeit, die ihn zum Beispiel wäh­rend seines ersten Aufenthaltes in Weimar umfing, in der Betrachtung der Außenwelt, indem er von Pflanze zu Pflanze ging, von Mineral zu Mineral, von Kunstwerk zu Kunstwerk, und indem er hinter der Pflanze, hinter dem Mineral, hinter dem Kunstwerk den Geist suchte, aus dem der menschliche Geist stammt. Er suchte zu verwachsen mit dem, was sich als der Geist in allen Dingen kundgibt. Und Schopenhauer, sein Schüler, über den selbst Goethe mit Bezug auf das, was Schopenhauer von Goethe lernte, sagte:

Dein Gutgedachtes, in fremden Adern,

Wird sogleich mit dir selber hadern

dieser Schopenhauer, der zu seiner Devise sein selbstgepräg­tes Wort machte: «Das Leben ist eine mißliche Sache; und ich habe mir vorgenommen, das meinige damit hinzubringen,

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über dasselbe nachzudenken», er suchte das, was über die Quellen des Daseins aufklären kann. Da wurde er auf naturgemäße Weise zum Buddhismus hingeführt und ver­wob dann seine eigenen Ideen mit denen des Buddhismus. Wir können sagen: Im Laufe der Entwickelung des neun­zehnten Jahrhunderts haben die einzelnen Kulturzweige der Menschheit soviel Großes und Gewaltiges gegeben, daß sich eigentlich der menschliche Geist nicht fähig dünkte, seine Ausgleichung, seine Harmonisierung gegenüber dem zu finden, was von außen in ihn aus den großen Errungen­schaften der äußeren Forschung einströmte. Immer hilf­loser fühlte er sich gegenüber der Tatsachenwelt der wissen­schaftlichen Forschung. Während wir gesehen haben, daß diese Tatsachenwelt wunderbar mit der Geisteswissenschaft übereinstimmt, sehen wir, wie bald das Denken, das sich im neunzehnten Jahrhundert herausgebildet hat, nicht den Tatsachen gewachsen ist, die als Ergebnisse wissenschaft­licher Forschung in den Menschen einströmen, so daß der Mensch des neunzehnten, zwanzigsten Jahrhunderts gerade dann am meisten fühlt: Du kannst mit deinem Erkenntnis­vermögen das alles nicht bewältigen. Da breitet sich das alles draußen aus, du aber mußt fertig werden mit dir in einer anderen Weise. Diese Welt kannst du nicht umspan­nen mit dem, was in dir lebt. - Da sucht denn der Mensch nach einer Weltanschauung, die nicht den vollen Kampf mit all den Tatsachen aufnimmt, die uns heute von der Außenwelt in die Seele hereinsprechen. Von der Geistes­wissenschaft dagegen werden wir sehen: sie geht von den tiefsten Grundlagen und Erfahrungen der geistigen Er­kenntnis aus, sie ist aber imstande, alle Tatsachen, die durch die äußere Wissenschaft geboten werden, zu umspannen, zu verarbeiten und in allem zu zeigen, wie in der äußeren Wirklichkeit Geist lebt. Das ist für manche Menschen unbequem.

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Da ziehen sich die Menschen - wenigstens für ihr Wissen - von der Tatsachenwelt, in der man soviel zu ver­arbeiten hat, zurück und wollen nur in ihrem Inneren durch die Entwickelung ihrer Seele eine höhere Stufe erreichen. So gibt es einen unbewußten Buddhismus schon seit langer Zeit. Er arbeitet an der Philosophie des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Kommt dann ein solcher un­bewußter Buddhist zu einer Bekanntschaft mit dem Bud­dhismus, so fühlt er sich aus Bequemlichkeit mehr mit dem Buddhismus verwandt als mit der europäischen Geistes­wissenschaft, die da mit den Tatsachen ringt, weil sie weiß, daß in dem ganzen Umfang der Tatsachen der Geist sich manifestiert.

Deshalb kann man sagen: Es ist etwas von dem Unglau­ben und der Willenslähmung, die aus einer geistigen Er­kenntnisschwäche eindringen, welche Sympathie erwecken für den Buddhismus. Die christliche Weltanschauung da­gegen fordert in ihrem ganzen Wesen - wie etwa ihr Grundnerv in Goethe lebte -, daß der Mensch sich nicht seiner einzelnen Erkenntnisschwäche hingibt und von den Grenzen der Erkenntnis spricht, sondern daß er sagt: In mir lebt etwas, was über alle Illusion hinauskommen und zur Wahrheit und Lebensbefreiung kommen kann. - Es mag auch eine solche Weltanschauung vieles an Resignation erfordern, das ist aber eine andere Resignation als die, welche vor Erkenntnisgrenzen zurückschreckt. Resigniert man im Sinne des Kantianismus, so sagt man: Der Mensch ist überhaupt nicht imstande, in die Tiefen der Welt ein­zudringen. Da resigniert man prinzipiell, indem man der Erkenntnisschwäche ein besonderes Zeugnis ausstellt. Man kann aber auch resignieren mit Goethe, indem man sich sagt: Du bist heute nur noch nicht auf der Stufe, um die Welt in ihrer Wahrheit zu erkennen; aber du bist entwicke­lungsfähig.

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- Dann führt eine solche Resignation zu der Stufe, wo der Mensch fähig wird, den höheren Menschen, den Christus-Menschen, aus sich herauszuholen. Dann resi­gniert man, weil man weiß, daß man augenblicklich noch nicht die höchste Menschenstufe erreicht hat. Das ist heroische Resignation! Die verträgt sich mit dem Menschenbewußt­sein, denn sie sagt: Wir gehen mit dem Gefühl des Daseins von Leben zu Leben und wissen, indem wir der Zukunft entgegenleben, daß in der Wiederholung des Erdendaseins die ganze Ewigkeit unser ist.

So stehen in der ganzen Menschheitsentwickelung zwei Weltanschauungsströmungen vor uns. Die eine ist die Scho­penhauerische, die sagt: Ach, diese Welt mit all ihren Lei­den ist eine solche, daß wir die rechte Stellung des Menschen nur dann empfinden, wenn wir zu den Werken der großen Maler hinschauen, die eine Gestalt darstellen, welche durch ihre Askese etwas errungen hat wie Befreiung vom irdischen Dasein, die schon über dem Erdendasein schwebt. Im Grunde genommen - meint Schopenhauer - zeigt sich das Höchste einer solchen, durch Askese erdbefreitenMenschen­wesenheit daran, daß sie wie zurückblickt auf das Erden-dasein und sagt: Jetzt habe ich nur noch die leibliche Hülle an mir, die mir bedeutungslos geworden ist. Ich strebe hin­auf und antizipiere dasjenige Dasein, das mich berührt, wenn die Erde überwunden ist, wenn ich das überwunden habe, was mit dem Erdendasein verknüpft ist. Darin liegt die große Befreiung. Und nichts habe ich mehr an mir, was mich in Zukunft noch erinnern könnte an mein Erden-dasein. So Schopenhauer, nachdem er von der Gesinnung durchdrungen war, die der Buddhismus in die Welt brachte. Goethe, aus einem echten christlichen Impuls heraus, sieht auf die Welt hin so, wie er seinen Faust auf die Welt schauen läßt. Wenn wir auch nicht im äußerlich trivialen

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Sinne hinschauen, wenn wir auch wissen, daß alles, was unsere Erdenwerke sind, mit der Erde zerfallen und mit dem Erdenleichnam hinsterben wird, so können wir doch im Sinne Goethes sagen: Wir blicken auf alles hin, was wir auf der Erde durchmachen, und indem wir es durchmachen, lernen wir. Denn geht auch das zugrunde, was wir hier auf der Erde bauen - nicht geht zugrunde, was wir uns errin­gen, indem wir die Schule des Erdendaseins in unserem Erdenbauen durchmachen. - Und so sehen wir mit Faust nicht bloß auf den Bestand unserer Erdenwerke, sondern auf die Früchte unserer Erdenwerke in der eigenen Seelen­Ewigkeit und sagen, indem wir - so recht goethisch - das, was über den Buddhismus hinausführen muß, in die Worte zusammenfassen:

Es kann die Spur von meinen Erdetagen

Nicht in Äonen untergehn!

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MOSES Berlin, 9. März 1911

Bei der Betrachtung jener großen geschichtlichen In­dividualitäten, mit denen wir es in den vorhergehenden Vorträgen zu tun hatten, bei Zarathustra, Hermes, Bud­dha, standen wir Erscheinungen gegenüber, welche uns als Menschen interessieren, insoweit wir fühlen, daß wir Anteil haben mit unserem ganzen Seelenleben an der Ge­samtentwickelung der Menschheit und die Gegenwart nur dann verstehen können, wenn wir auf diejenigen geisti­gen Größen der Vergangenheit zurückblicken, die mitgebaut haben an dem, was in unsere Gegenwart hereinragt. Bei Moses, dessen Persönlichkeit wir heute zu betrachten haben, steht die Sache noch ganz anders. Bei alledem, was sich an den Namen des Moses knüpft, fühlen wir, daß Unendliches davon noch unmittelbar fortlebt in dem, was Bestandteil, geistiger Inhalt unserer eigenen Seele ist. Wir fühlen gleichsam in unseren Gliedern noch immer die Im­pulse nachwirken, die von Moses ausgegangen sind. Wir fühlen, wie er noch hereinlebt in unsere Gedanken und Empfindungen, und wie wir gewissermaßen, wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen, uns mit einem Stück unserer eigenen Seele auseinandersetzen. Daher ist uns auch die fortlaufende Überlieferung, welche an Moses sich anfügt, in einer ganz anderen Weise gegenwärtig, steht uns un­mittelbarer vor Augen als die fortlaufende Überlieferung, die sich an die anderen betrachteten Größen anschließt. Das macht es auf der einen Seite leicht, die Persönlichkeit des

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Moses zu behandeln, denn ein jeder kennt heute aus der Bibel diese mächtige, in die Zeiten hineinragende Gestalt. Wenn auch die gewissenhafte Forschung, die ernste Wissen­schaft in den letzten Jahrzehnten und Jahren so manches an die Oberfläche geworfen hat, was in gewisser Beziehung dieses oder jenes neue Licht auch auf die Geschichte des Moses werfen kann, insofern wir sie aus der Bibel entneh­men, so müssen wir doch sagen, wenn wir genau zusehen:

An dem Gesamtbilde des Moses, das wir in uns tragen und aus der Bibel gewonnen haben, hat sich eigentlich ungemein wenig geändert. Wir sprechen daher, wenn wir über ihn sprechen, wie über etwas in weitesten Kreisen Bekanntes. Das macht die Betrachtung gewissermaßen leicht. Auf der andern Seite aber dürfen wir wieder sagen, daß gerade durch die Art und Weise der Überlieferung, die wir in der Bibel über Moses haben, diese Betrachtung wieder schwierig gemacht wird. Das kann man schon an dem Schicksal der Bibelforschung im neunzehnten Jahrhundert sehen. Es darf ja immer wieder und wieder betont werden, daß - selbst wenn wir die Naturwissenschaften ins Auge fassen - uns kaum irgendein Zweig menschlicher Gelehrsamkeit, mensch­lichen ernsten wissenschaftlichen Wollens eine so tiefe Ach­tung, einen so heiligen Respekt abfordern kann wie die Bibelforschung des neunzehnten Jahrhunderts. Jenem Fleiß, jenem Scharfsinn, der darauf verwendet worden ist, um zum Beispiel die einzelnen Partien der Bibel in bezug auf ihren Stil, auf das, was man über ihre Herkunft vermeint wissen zu können, kennenzulernen, - jener selbstlosen wissenschaftlichen Hingabe, wie sie geübt worden ist, kann sich eigentlich für den, der die Bibelforschung genauer kennt, nichts an die Seite stellen. Dennoch kann man etwas Tragisches in dieser Bibelforschung des neunzehnten Jahr­hunderts sehen. Denn je weiter sie es gebracht hat, desto

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mehr hat sie uns eigentlich - wenn man so sagen darf - die Bibel aus der Hand genommen. Denn sie hat uns gewisser­maßen - davon kann sich jeder überzeugen, der nur die landläufigen Bücher über die Resultate der Bibelforschung in die Hand nimmt - die Bibel, vor allem das Alte Testa­ment, zerstückelt, um uns zeigen zu wollen, wie das eine Stück einem andern Strom der Überlieferung gefolgt ist als das andere, wie alles das gewissermaßen im Laufe der Zeit zusammengebracht worden ist zu einem Ganzen, das die Gelehrsamkeit erst wieder zerlegen müßte, um es zu ver­stehen. Und in gewissem Sinne ist das Resultat dieser For­schung deshalb ein tragisches zu nennen, weil es eigentlich im Grunde genommen ganz negativ ist, weil es nichts bei­getragen hat zum Auflebenlassen dessen, was die Bibel auf­leben lassen kann, was sie durch Jahrtausende aufleben ließ in den Herzen und Seelen der Menschen.

Da ist es in einer gewissen Weise in unserer Zeit die Auf­gabe jener Geistesrichtung, die wir die Geisteswissenschaft nennen müssen, welche gegenüber den anderen Wissen­schaften in unserer Zeit oftmals die Aufgabe des Aufbauens hat, nicht nur der bloßen Kritik, daß wir vor allem die Bibel selber wieder verstehen lernen, vor allen Dingen der Bibel gegenüber die Frage aufwerfen: Ist es denn nicht nötig, erst einmal in den Gesamtsinn der Überlieferungen in ihrer ganzen Tiefe einzudringen, und dann erst, nach­dem man sie voll verstanden hat, nach ihrem Ursprung zu fragen? Das ist nun keineswegs leicht, insbesondere dem Alten Testament gegenüber, und besonders schwierig auch denjenigen Partien des Alten Testamentes gegenüber, die von der Persönlichkeit, von der großen Gestalt des Moses handeln. Denn was zeigt uns die Geisteswissenschaft als eine Eigentümlichkeit der biblischen Schilderungen? Sie zeigt uns, daß äußere Geschehnisse, äußere Tatsachen, die

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sich an diese oder jene Persönlichkeit, an dieses oder jenes Volk knüpfen, so dargestellt werden, wie sie eben verlaufen für die äußere geschichtliche Betrachtung, so daß wir also die Persönlichkeit des Moses in der Bibel so dargestellt er­halten, daß uns seine Erlebnisse in der äußeren physischen Welt, wie sie sich im Raume und in der Zeit abspielen, vorgeführt werden. Dann aber zeigt sich - und es kann im Grunde genommen nur die geisteswissenschaftliche Ver­tiefung in die Bibel dieses Resultat ergeben -, daß eine Schilderung, die zunächst von äußeren Vorgängen und Er­lebnissen in der äußeren Welt handelt, sich in der biblischen Darstellung unmittelbar fortsetzt in eine Schilderung ganz anderer Art, die man nur schwer von dem unterscheiden kann, was vorhergeht. Es werden Reisen und sonstige äußere Erlebnisse erzählt, die wir einfach als solche zu nehmen haben. Dann wird so fortgesetzt, daß wir zunächst gar nicht merken, daß wir mitten im Weiterleben in einer Schilderung ganz anderer Art drinnen sind, als ob eine Reise weiterginge von einem Orte zum andern, und als ob die weiteren Erlebnisse geradeso wie äußere physische Er­lebnisse zu nehmen wären wie die vorhergehenden. Und dann sind wir mitten drinnen in einer Schilderung des Seelenlebens der betreffenden Persönlichkeit, in einer Schil­derung, die sich gar nicht auf äußere Ereignisse bezieht, sondern auf innere Seelenkämpfe, Seelenüberwindungen, Seelenerlebnisse, wodurch die betreffende Persönlichkeit dann zu einer höheren Stufe der Seelenentwickelung, der Erkenntnis, zu einer höheren Stufe der Tatkraft oder zu einer Mission in der Weltentwickelung hinaufsteigt. Es laufen gewissermaßen die Schilderungen der äußeren Er­eignisse unvermittelt über in sinnbildliche Darstellungen, die ganz im Stile der früheren äußeren Ereignisse gehalten sind, die aber gar nicht äußere Erlebnisse meinen, sondern

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innere Seelenerlebnisse. Es muß gesagt werden, daß diese Behauptung für jeden so lange eine Behauptung bleiben wird, als er sich nicht an der Hand geisteswissenschaftlicher Darstellungen immer mehr und mehr in die Eigentümlich­keit der Schilderungen der Bibel hineinlebt, insbesondere auch der Partien, die von Moses handeln. Wenn man sich aber in diese Eigentümlichkeit hineinlebt, lernt man fühlen, wie an solchen Punkten, wo eine äußere Schilderung physi­scher Erlebnisse in eine Schilderung seelischer Erlebnisse und Entwickelungen übergeht, allerdings der ganze Stil, der ganze Grundton sich ändert, daß plötzlich ein neues Element der Darstellung auftritt, demgegenüber wir uns fragen: Warum ist das? Dieses Warum läßt sich dann in keiner anderen Weise beantworten als durch die Überzeu­gung, die aus der Seele selbst gewonnen werden kann. Wir haben es mit jener Eigentümlichkeit der Darstellung zu tun, die eben jetzt charakterisiert worden ist. Das findet man im Grunde genommen bei allen alten religionsgeschicht­lichen Darstellungen und besonders dann, wenn Persönlich­keiten geschildert werden sollen, die eine gewisse Höhe des Erkennens, des Seelenwirkens erreicht haben, und man macht sich vertraut mit einem solchen Stil, wenn man sich immer mehr und mehr in die Geisteswissenschaft einlebt. Das macht es sozusagen wieder schwierig, aus der biblischen Darstellung heraus ein volles Verständnis dessen zu gewin­nen, was an den einzelnen Stellen bei der Schilderung des Moses gemeint ist.

So haben wir gewissermaßen die Bibel auf der einen Seite - so haben wir aber audi auf der andern Seite Schwie­rigkeiten durch ihre Art der Darstellung, wo sie in beson­dere Tiefen eindringt. Das hat es gemacht, daß man in bezug auf die Auffassung der Bibel zuweilen recht sehr zu weit gegangen ist. Wenn man zum Beispiel ins Auge faßt

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die Auffassung der akhebräischen Geschichte durch jenen Philosophen, der in der Zeit der Begründung des Christen­tums gelebt hat, Philo, dann sieht man, wie er die ganze Geschichte des althebräischen Volkes als eine Allegorie dar­stellen will. Eine symbolische Darstellung der Geschichts-auffassung will er geben, so daß die ganze Geschichte eine Art Symbolik der Seelenerlebnisse eines Volkes sein würde. Das wäre zu weit gegangen. Philo ging darum so weit, weil ihm der geisteswissenschaftliche Takt fehlte, um zu wissen, wo die äußeren Erlebnisse einlaufen in die seelischen Er­lebnisse.

An Moses soll nun gezeigt werden, wie in den lebendigen Gang der Menschheitsentwickelung eine Persönlichkeit ein­greift, die etwas Allerhöchstes, Allerbedeutsamstes der Menschheit zu bringen hatte. Wenn wir von diesem Be­deutsamen fühlen, daß wir mit ihm noch immer Verwand­tes in unserer Seele haben, so wird uns das volle Verständnis des Moses-Impulses zu einer ganz besonderen Notwendig­keit. Daher können wir gewissermaßen ohne weitere Um­stände gleich eingehen in die Mission des Moses Aber man kann diese Mission des Moses nicht verstehen, wenn man nicht voraussetzt, daß im Grunde genommen der biblischen Darstellung zunächst das Bewußtsein einer Tatsache zu­grunde liegt, welche wir bei Betrachtung der Individualitä­ten des Hermes, des Buddha und des Zarathustra schon ins Auge fassen konnten: daß die Menschheitsentwickelung in bezug auf das Seelenleben des Menschen im Laufe der Zei­ten einen Übergang von einem alten hellseherischen Zustand zu dem heutigen Zustande unseres intellektuellen Bewußt­seins durchgemacht hat. Noch einmal sei es erwähnt, daß in uralten Zeiten die Menschenseele in gewissen Zwischen-zuständen zwischen Wachen und Schlafen in eine geistige Welt hineinschauen konnte, daß das, was auf diese Weise

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in der geistigen Welt geschaut wurde, in Bildern dargestellt worden ist, und daß uns diese Bilder in den Mythologien und Legenden der alten Zeiten erhalten geblieben sind. Wenn jemand fragt: Wie kann man das alte hellseherische Bewußtsein auch äußerlich beweisen ohne die Geisteswissen­schaft?, so kann er sich die Antwort auf diese Frage durch gewissenhafte Forschungen verschaffen, die auch schon in unserer Zeit gepflogen worden sind, die aber nur noch nicht ihre volle Anerkennung gefunden haben. Da ist darauf zu verweisen, daß gewisse Mythenforscher in bezug auf my­thenähnliche Bildungen, Sagen und so weiter, die sich noch in verhältnismäßig später Zeit bei einzelnen Völkern her­ausgebildet haben, sich in die Notwendigkeit versetzt fühl­ten, eine ganz andere Art und Weise des menschlichen Be­wußtseinszustandes für die Entstehung solcher Mythen anzunehmen. Ich habe in früheren Zeiten öfter auf ein interessantes Buch hingewiesen, das von einem Mythen-forscher herrührt, der als solcher der bedeutsamste Mythen-forscher der neueren Forschung genannt werden muß: ich meine Ludwig Laistner und sein Buch «Rätsel der Sphinx». Dieses Buch gehört zu den bedeutendsten auf seinem Ge­biete. Darin wird gezeigt, daß sich gewisse Mythen aus­nehmen wie Fortsetzungen der Ereignisse der Traumwelt, die typisch erlebt werden. Laistner ging nicht bis zur Gei­steswissenschaft, er hatte kein Bewußtsein davon, daß er die ersten Bausteine lieferte zu einem wirklichen Erkennen der alten Mythologien. Aber man kann die Mythen und Sagen nicht so begreifen als die Umgestaltung typischer Träume, wie Laistner sie aufgefaßt hat, sondern man muß sie verstehen als hervorgehend aus einem früheren mensch­lichen Bewußtseinszustand, der in Bildern die geistige Welt sah und sie deshalb auch in Bildern zum Ausdruck brachte. Niemand kann die alten Sagen, Mythen und Legenden

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wirklich verstehen - deshalb geschieht auch so wenig zum Verständnis der alten Sagen und Mythen! - der nicht vor­aussetzt - zunächst wie eine Hypothese -, daß die alten Mythologien aus einem andern menschlichen Bewußtseins-zustande heraus geschöpft sind. Dieser alte vormenschliche, oder wenigstens vorgeschichtliche Zustand der Seelenver­fassung ist in den jetzigen Bewußtseinszustand übergegan­gen, der kurz dahin charakterisiert werden kann, daß man sagt: Wir wechseln in bezug auf unser Bewußtsein ab zwi­schen Wachen und Schlafen. Im Wachbewußtsein bemäch­tigen wir uns der Wahrnehmungen der äußeren Welt durch unsere Sinne und verknüpfen die Wahrnehmungen, kom­binieren sie durch unsern Intellekt. Das sinnlich-intellek­tuelle Bewußtsein, das durch unseren Verstand, durch unsere Vernunft wirkt, hat die alte hellseherische Seelen-verfassung abgelöst. So haben wir einen Zug der Geschichte damit charakterisiert, wie sich die Geschichte darstellt, wenn man die Menschheitsentwickelung in ihren Tiefen betrachtet.

Aber noch etwas anderes liegt solchen Darstellungen zu­grunde, wie sie in der Bibel gegeben sind. Das ist, daß einem jeden Volke, einem jeden Stamme, einer jeden Men­schenrasse, wie sie im Laufe der Menschheitsentwickelung auftreten, sozusagen eine gewisse Mission zuerteilt ist. Die alten hellseherischen Bewußtseinsformen traten in verschie­denen Arten, in den verschiedensten Gestalten auf, je nach den Begabungen, dem Temperament der einzelnen Völker. Daher haben wir die Einheit des alten hellseherischen Be­wußtseins in den verschiedenen Mythologien und heid­nischen Religionsbekenntnissen der einzelnen Völker über­liefert. So können wir sagen: Es ist nicht bloß eine abstrakte Einheit dieser alten Auffassung der Welt da, sondern es sind verschiedensten Völkern und Rassen die verschiedensten

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Missionen übergeben worden, und dadurch ist das gemeinsame Bewußtsein in der verschiedensten Art aus­gestaltet. Dann aber müssen wir dabei darauf Rücksicht nehmen, wenn wir diese Menschheitsentwickelung verstehen wollen, daß sie nicht eine sinnlose Aufeinanderfolge von Kulturen ist, sondern daß ein Sinn durch den ganzen Werdegang der Menschheit durchgeht, so daß irgendeine Bewußtseinsform sich in einer bestimmten Kultur später auslebt, weil das Spätere etwas wie ein neues Blatt, eine neue Blüte zu dem Früheren hinzuzufügen hat, weil sich der Gesamtsinn der Menschheitsentwickelung in aufein­anderfolgenden Ausgestaltungen auslebt. So begreifen wir im geisteswissenschaftlichen Sinne ein Volk am besten da­durch, daß wir uns sagen: Diese betreffenden Völker -seien es die alten Inder, Perser, Babylonier, Griechen oder Römer - haben alle eine bestimmte Mission gehabt; auf eine ganz besondere Art hat sich das, was im Menschheits-bewußtsein leben kann, bei ihnen ausgestaltet. Wir ver­stehen diese Völker nicht, wenn wir nicht ihre ganz be­sondere, individuelle Eigenart als ihre Mission aufzufassen in der Lage sind. Nun aber geht die Gesamtentwickelung der Menschheit so vor sich, daß sozusagen einer jeden sol­chen Mission eine Zeit zugeteilt ist. Wenn diese Zeit ab­gelaufen ist, ist diese betreffende Mission erfüllt. Die betreffende Mission war einem Volke zugeteilt. Es kann sozusagen die Stunde abgelaufen sein für die betreffende Volksmission. Was in ihr keimhaft enthalten ist, hat seine Früchte getrieben, hat sich ausgelebt. Dann kann aber der Fall eintreten, daß dieses oder jenes Volk die entsprechende Eigenart, das, was in seinem Temperament, in seinen son­stigen Anlagen liegt, weiterbehält. Dann überspringt so­zusagen das betreffende Volk den Zeitpunkt, in dem eine neue Mission eintreten soll an die Stelle der alten, lebt sich

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hinüber mit seiner Eigenart in die spätere Zeit, während der objektive Gang der Menschheitsentwickelung etwas Neues an ihre Stelle gesetzt hat.

So etwas kann man besonders betrachten bei den Agyp­tern, deren Eigenart wir kennengelernt haben in dem Vor-trage über Hermes. Die Agypter hatten eine hohe Mission im Gesamtwerdegang der Menschheit. Aber diese Mission hat alles, was in ihr lag, einmal aus sich herausgebildet. Was weiter kommen sollte, war zwar keimhaft in der ägyptischen Kultur gelegen, aber das ägyptische Volk als solches behielt sein Temperament, seine Eigenart, war nicht imstande, aus sich selbst heraus die neue Mission zu formen. Daher mußte die Lenkung und Leitung der Menschheit an ein anderes Menschheitselement übergehen. Das mußte zwar herauswachsen aus dem ägyptischen Element, aber es mußte doch ein anderes sein. So sehen wir denn etwas wie eine Richtungsänderung im Gesamtsinn der Entwickelung der Menschheit. Man muß sich dazu in den Werdegang der ägyptischen Mission hineindenken. Was aus derselben her­ausgeholt werden konnte, das ließ Moses zunächst auf seine Seele wirken. Das wirkte auch hinein in die Seelen seines Volkes. Aber er hatte den Beruf nicht, die alte ägyptische Mission fortzusetzen, sondern aus ihr heraus etwas ganz Neues der Menschheitsentwickelung einzuimpfen. Und weil dieses Neue so gewaltiger, so umfassender und so einschnei­dender Natur war, deshalb ist die Persönlichkeit des Moses eine so mächtige für den Gesamtgang der menschlichen Ge­schichte, und deshalb ist die Art, wie die Mission des Moses sich aus der abgelaufenen Entwickelung des ägyptischen Volkes hervorentwickelt hat, so interessant und so frucht­bar zu betrachten noch für unsere Zeit. Denn was Moses aus dem ägyptischen Volke herausgeholt hat, was er dann wie aus ewigen Höhen der Geistesentwickelung dazugetan hat,

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das wirkt fort bis in unsere Seelen herein. Daher wurde Moses als eine Persönlichkeit empfunden, welche gewisser­maßen das, was sie der Menschheit zu geben hatte, nicht aus irgendeiner Zeit, nicht aus irgendeiner Spezialmission unmittelbar zu nehmen hatte, sondern es wurde Moses als eine Persönlichkeit aufgefaßt, die in ihrer Seele berührt sein mußte von den Wogen des Ewigen, das immer wieder und wieder durch neue Kanäle sich in die Menschheits-entwickelung hereinsenkt, um dieselbe zu befruchten. Was gleichsam als der ewige Kern in des Moses Seele vorhanden war, das mußte seinen Boden finden und ausreifen auf dem, was er herausbekommen konnte aus der ägyptischen Kultur.

Daß man es mit Moses zu tun hat, mit einer Seele, die das Höchste, was sie zu geben hatte, aus ewigen Quellen heraus zu bieten hatte, das wird uns nach der Art alter Darstellungen symbolisch angedeutet in dem Eingeschlos­sensein des Moses in dem Kästchen bald nach seiner Geburt. Wer solche Darstellungen in der religiösen Entwickelung kennt, weiß, daß sie immer auf ein Bedeutsames hindeuten wollen. Aus früheren Darstellungen dieses Vortragszyklus wissen wir, daß der Mensch, wenn er zu höheren, geistigen Welten sein Erkennen hinaufbringen will, gewisse Stadien seiner Seelenentwickelung durchzumachen hat, indem er sich völlig von aller Umwelt abschließt und die elementar­sten geistigen Kräfte seiner Seele wachruft. Wenn nun dar­gestellt werden soll, daß ein solcher Mensch sich bereits durch die Geburt jene geistigen Güter mitbringt, die zu den Höhen der Menschheit hinaufführen, so kann das nicht besser dargestellt werden, als daß gesagt wird: Für diese Persönlichkeit war es notwendig, sozusagen bis ins Phy­sische hinein ein Erlebnis durchzumachen, wodurch ihre Sinne, alles, was sie an Auffassungsgaben hat, gleichsam

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abgeschlossen ist von der physischen Welt. - Es klingt uns dann verständlich, wenn wir hören, daß die ägyptische Königstochter, die Tochter des Pharao, selber den Knaben aus dem Wasser holte und ihn «Moses» nannte, weil sie sagte: «Denn ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.» Das liegt für den, der den Namen Moses versteht - wie es auch die Bibel andeutet -, schon in dem Namen selber. Es sollte damit gesagt werden, daß die Vertreterin der ägyptischen Kultur, die Tochter des Pharao, hineinlenkte das Leben in eine Seele, die mit Ewigkeitsgehalt angefüllt ist. So wird uns wunderbar angedeutet, wie das Ewige, das Moses der Menschheit zu bringen hatte, in die äußere Hülle der ägyp­tischen Kultur und Mission eingehüllt wird.

Dann werden uns dargestellt in der Entwickelung des Moses äußere Erlebnisse. Da sehen wir wieder, wie die Bibel ihre Darstellung so gibt, daß sie äußere Erlebnisse meint. Was wir in der Bibel über die Schicksale des Moses lesen und über alles, was er an Schmerzen über das Ge­knechtetsein seines Volkes im Agypterlande erlebt, das kön­nen wir als eine Darstellung äußerer Verhältnisse ansehen. Dann geht aber wieder die Darstellung - man muß sagen unvermerkt - über in eine Schilderung innerer Seelenerleb­nisse des Moses. Das geschieht da, wo Moses zur Flucht greift und zu einem Priester geführt wird, zu dem midiani­tischen Priester Jethro oder Reguel. Wer eine solche Dar­stellung aus der Gepflogenheit alter geistiger Darstellungen erkennen kann, der findet bis auf die Namen hin heraus, daß hier die Schilderung in die Beschreibung von Seelen-erlebnissen des Moses übergeht. Das ist nicht etwa so ge­meint, als wenn Moses nicht wirklich eine solche Reise nach einer Tempelstätte, einer priesterlichen Lehrstätte ange­treten hätte, aber die Darstellung ist kunstvoll so gegeben, daß das Außere verwoben wird in die Erlebnisse, die des

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Moses Seele durchmacht. So sind die äußeren Erlebnisse, die uns da gegeben werden, an dieser Stelle, überall Andeu­tungen von dem, wozu Moses sich durchkämpft, um zu einer erhöhteren Stellung der Seele hinaufzugelangen. Was ist in Jethro angedeutet? Man kann aus der Bibel leicht entnehmen, daß es eine der Individualitäten ist, zu denen wir immer wieder und wieder geführt werden, wenn wir das Menschheitswerden durchgehen, die sich in hohem Grade zu einer überschauenden Erkenntnis durchgerungen haben, zu einer Erkenntnis, die man nur gewinnen kann, wenn man sich langsam und allmählich und durch innere Seelenkämpfe in das einlebt, was erst jenen Geisteshöhen Verständnis geben kann, auf denen solche Menschen wan­deln. Angeregt werden sollte Moses zu seiner Mission da­durch, daß er gewissermaßen der Schüler einer solchen ge­heimnisvollen Gestalt wurde, die sich mit ihrem Sinnen für die übrige Menschheit zurückziehen und nur die Lehrer der Führer der Menschheit sind. Ich weiß wohl, daß hiermit etwas gesagt wird, was bei vielen Menschen heute Anstoß findet. Aber es ist etwas, was jedem tieferen Betrachter des geschichtlichen Menschheitswerdens schon äußerlich auffal­len sollte, daß es solche Geheimnisse und geheimnisvolle Persönlichkeiten gibt.

Was Moses nun als Schüler dieses großen Priesterweisen erleben sollte, wird uns so dargestellt, daß er zunächst an dem Orte, wo er den Priester aufsucht, bei einem Brunnen -wieder ein Symbol, ein Symbol für den Weisheitsquell - die sieben Töchter des Priesterweisen trifft. Wer verstehen will, was in einer solchen Schilderung Tieferes liegt, muß sich vor allem daran erinnern, daß in aller mythischen Dar­stellung immer, zu allen Zeiten, das, was die Seele an höheren Erkenntnissen und Seelenkräften überhaupt in sich entwickeln kann, durch das Symbol von weiblichen Gestalten

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dargestellt wird - bis herunter zu Goethe in seinen Worten am Schlusse des «Faust» vom «Ewig-Weiblichen». So erkennen wir in den «sieben Töchtern» des Priesters Jethro die sieben menschlichen Seelenkräfte wieder, über welche die Weisheit des Priesterweisen zu verfügen hatte. Da muß man bedenken, daß in jenen alten Zeiten, die noch durchaus von dem Bewußtsein des alten Hellsehens belebt waren, andere Anschauungen über das herrschten, was die Menschenseele mit ihren einzelnen Kräften ist. Wir können uns über dieses Bewußtsein nur eine Vorstellung bilden, wenn wir von Begriffen ausgehen, die wir heute selber haben. Wir sprechen heute von der menschlichen Seele und ihren Kräften, dem Denken, Fühlen und Wollen, in der Weise - und es ist richtig vom Standpunkte des intellek­tualistischen Bewußtseins aus so zu sprechen -, daß wir in uns haben dessen Kräfte, daß sie gleichsam Einschlüsse der Seele bilden. Anders dachte der alte Mensch unter dem Einflusse der hellseherischen Begabung. Er fühlte zunächst einmal in seiner Seele kein solches einheitliches Wesen und in seinem Denken, Fühlen und Wollen nicht solche Kräfte, die aus dem Zentrum des Ich wirken und einheitlich die Seele organisieren. Sondern der alte Mensch fühlte sich wie hingegeben an den Makrokosmos und die einzelnen Kräfte, und die einzelnen Seelenkräfte fühlte er wie im Zusammen-hange stehend mit besonderen göttlich-geistigen Wesen­heiten. Wie wir - was wir aber nicht tun - uns vorstellen können, daß unser Denken befruchtet wird, getragen wird von einer anderen geistigen Weltenkraft als unser Fühlen und unser Wollen, so daß sich verschiedene Strömungen, verschiedene geistige Kräfte aus dem Makrokosmos in unser Denken, Fühlen und Wollen hineinergössen, und daß wir mit diesen in Beziehung stünden - so fühlte der alte Mensch nicht die Seele als ein Einheitliches, sondern der Mensch

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sagte sich: Was in mir ist, das ist nur der seelische Schau­platz, und geistig-göttliche Kräfte aus dem Universum sind es, welche sich ausleben auf diesem Schauplatz.

Sieben solcher Seelenkräfte waren es, die bei Moses ge­geben sind, die hereinwirkten auf den Schauplatz des Seelen­lebens. Wenn wir sehen wollen, wie überhaupt für die Entwickelung des menschlichen Bewußtseins die ganzen Anschauungen abstrakter und abstrakter, intellektueller und intellektueller wurden, so können wir zum Beispiel auf Plato hinschauen, dessen Ideen lebendige Wesen sind, die ein Dasein führen wie für den heutigen Menschen nur die Stoffe. Und die einzelne Seelenkraft hat etwas, was sich auswirkt auf dem Schauplatze der gesamten Seele. Aber immer mehr und mehr werden die Fähigkeiten der Seele zu abstrakten Begriffen, und die Einheit des Ich tritt immer mehr und mehr in ihre Rechte. Wir können - so sonderbar es klingt - in einer abstrakten Form das, was uns die sieben Töchter des midianitischen Priesterweisen symbolisieren sollen, als die sieben lebendigen Geistkräfte, die auf dem Schauplatz der Seele wirken sollen, noch in den mittelalter­lichen sieben freien Künsten erkennen; wie da die sieben freien Künste aus der menschlichen Seele sich hervorleben, das ist der letzte abstrakte Nachklang des Bewußtseins, daß sieben Fähigkeiten sich in dem Seelischen ausleben, daß diese sieben Fähigkeiten eben die Seele zu ihrem Schauplatz haben.

Wenn wir dies berücksichtigen, werden wir vor die Tat­sache geführt, daß Moses mit seinem Seelischen vor dem Gesamtaspekt der sieben menschlichen Seelenkräfte stand, daß er aber vorzugsweise die Aufgabe hatte, eine einzige derselben ganz und gar wie einen Impuls der menschlichen Entwickelung einzuimpfen. Das konnte er dadurch, daß es der besonderen Blutanlage und dem Temperament seines

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Volkes gegeben war, dieser Seelenkraft, die in ihren Wir­kungen bis zu uns herunterreicht, ein besonderes Interesse entgegenzubringen. Das war die Seelenkraft, welche die übrigen, vorher getrennt gedachten Seelenkräfte in ein einheitliches inneres Seelenleben zusammenschließt, in ein Ich-Leben. Darum wird erzählt: Eine der Töchter des Jethro heiratet Moses. Das heißt: in seiner Seele machte sich insbesondere eine der Seelenkräfte wirksam, machte sich so wirksam, daß sie unter seinem Impulse für eine lange Zeit der Menschheitsentwickelung die tonangebende Seelenkraft wird, welche die anderen zu einer einheitlichen Ich-Seele zusammenfaßt.

Man muß solche Darstellungen in unserer heutigen Zeit mit aller Reserve geben. Denn unsere Zeit hat sozusagen kein rechtes Organ, um einzusehen, daß diejenigen Schilde­rungen, die wie äußere, physische Erlebnisse sich ausneh­men, gerade deshalb gegeben werden, um zu zeigen, daß in der Zeit, für welche das geschildert wird, die betreffende Seele eine innere Entwickelung durchmacht, das heißt zu ihrer Mission besonders herangezogen wird. So sehen wir, wie das, was die alten Agypter nicht hatten: diese Inspira­tion des Moses mit der menschlichen Ichkraft, mit dem Mittelpunkt der menschlichen Seelenkräfte, gerade für ihn das Maßgebende ist. Wir dürfen daher sagen: Es lag in der Mission des altägyptischen Volkes, eine Kultur mit der Mission des alten Hellsehens noch zu begründen. Alles, was uns als ihr Bestes die ägyptische Kultur überliefert hat, ist noch aus der besonderen Art hellseherischer Kräfte ent­sprungen, welche die ägyptischen Priesterweisen und die Führer des ägyptischen Volkes hatten. Aber es war gleich­sam die Weltenuhr für diese Mission abgelaufen, und die Menschheit sollte zur Entfaltung derjenigen Seelenkraft aufgerufen werden, die für eine lange Zeit der Menschheitsentwickelung

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das alte dumpfe Hellsehen ersetzen soll. Ich-Bewußtsein, Intellektualität, Rationalismus, Vernunft und Verstand, die auf die äußere Sinneswelt gerichtet sind, sollten an Stelle des alten Helisehens hineingesetzt werden in die Menschheit. Ich habe aber auch schon erwähnt, daß für die Zukunft sich die beiden Arten verbinden werden:

die hellseherische Kraft mit dem intellektuellen Bewußt­sein, so daß die Menschheit einer solchen Zukunft entgegen-geht, wo eine von hellseherischer Kraft durchwobene In­tellektualität für die Menschen allgemein sein wird.

Was wir also heute als das wichtigste Element für das Kulturleben betrachten, hat seinen ersten Impuls durch Moses erhalten, daher das Fortwirken-Fühlen des Impulses des Moses noch in unserer eigenen Seelenkraft. Das intellek­tualistische Denken, das Wirken in Verstand und Vernunft war es, was dem Moses gegeben war. Ihm aber war es noch in ganz besonderer Weise gegeben. Denn alles, was später in seiner besonderen Eigenart auftreten soll, muß vorher in der Eigenart der alten Zeiten gegeben werden. Hier liegt nun eine wunderbare Tatsache vor uns ausgebreitet. Was die spätere Menschheit dem Moses verdankt, ist die Kraft, Vernunft und Intellekt zu entfalten, aus dem Ich-Bewußt­sein heraus im vollen Wachzustande intellektuell über die Welt zu denken, über die Welt sich intellektuell aufzuklä­ren. Dem Moses mußte das Bewußtsein von der Intellek­tualität so gegeben werden, daß in ihm selber das intellek­tuelle Bewußtsein noch auf die Art der alten Hellseher aufleuchtete. Das heißt also: Moses hatte zwar den ersten intellektualistischen Impuls, aber bei ihm war er noch ein Hellsehen. Bei ihm war er der erste der neuen und der letzte der alten Impulse. Was die spätere Menschheit außer­halb des Hellsehens hatte, das hatte er innerhalb desselben. Die Erkenntnis für die reine Vernunft und den Verstand

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war ihm gegeben, indem seine Seele in hellseherische Zu­stände durch den Einfluß versetzt wurde, den er bei dem midianitischen Priester erhalten hatte, so zum Beispiel bei dem Erlebnis vor dem «brennenden Dornbusch», der aber in solchem Feuer erglühte, daß er nicht dabei verbrannte. Da offenbarte sich in neuer Art der Weltengeist vor Moses, wie er sich für die hellseherische Erkenntnis der Agypter nicht hatte zu erkennen geben können.

Wer mit den Tatsachen bekannt ist, der weiß, wie im Verlaufe der Entwickelung die Menschenseele dazu kommt, die äußeren Gegenstände allmählich verändert zu erblicken, so daß sie auf dem Hintergrunde durchwoben erscheinen von den Urbildern, aus denen sie hervorsprossen. Und das Bild, das uns grandios in der Bibel mit dem «brennenden Dornbusch» entgegengestellt wird, erkennt jeder, der zu einem geistigen Erkennen aufrückt, als etwas wieder, wo­durch man hineinsieht in eine geistige Welt. So begreifen wir, wie das, was dem Moses auf hellseherische Art gegeben werden mußte, ein neues Bewußtsein von dem Welten-geiste sein mußte, der die Welt durchwebt und durchlebt. Während die früheren Völker zu der Mehrheit der Welten-kräfte so aufgeschaut haben, daß diese in die menschliche Seele in der Weise hereinwirken, daß die einzelnen Seelen-kräfte nicht eine Einheit, sondern eine Mannigfaltigkeit darstellen, und die Menschenseele nur ihr Schauplatz ist -so sollte Moses nun einen solchen Weltengeist erkennen, der sich nicht bloß für eine einzelne Seelenkraft offenbart, der nicht neben Geistern gleichen Wertes steht, die in andere Seelenkräfte hereinwirken; sondern jenen Weltengeist sollte Moses erkennen, der sich nur offenbaren kann im tiefsten, allerheiligsten Mittelpunkte des Seelenlebens, der sich nur auslebt in dem Ich selber, wo die menschliche Seele sich ihres Zentrums bewußt wird. Wenn die menschliche Seele

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fühlt, daß sie in dem Ich so in dem Weben und Leben des Geistigen steht, wie die Völker einst gefühlt haben, daß sie mit ihrem Wesen in den geistigen Weltenkräften stehen, dann fühlt die Seele, was sich dem Moses zuerst durch heilseherisches Erkennen offenbarte und was als der Welten-grund beachtet werden sollte, von dem die Völker durch Moses den Impuls bekamen, und den man mit dem Ver­stande, der die Erscheinungen der Welt kombiniert, begrei­fen kann als das, was als eine Einheitlichkeit der Welt zu­grunde liegt. Wenn der Mensch heute auf den Mittelpunkt seines Seelenlebens blickt, so ist dieser selbst noch etwas, was ihm recht arm an Inhalt erscheinen muß, trotzdem es das Stärkste ist, was der Mensch erleben kann. Auf diesen Mittelpunkt ihres Seelenlebens haben sich insbesondere hochbegabte Naturen im Verlaufe ihres Lebens hingewiesen gefühlt, so zum Beispiel Jean Paul, der in seiner Selbst-biographie erzählt: «Nie vergeß' ich die noch keinem Men­schen erzählte Erscheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines Selbstbewußtseins stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiß. An einem Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Haustür und sah links nach der Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht wie ein Blitzstrahl vom Himmel auf mich fuhr und seitdem leuchtend stehenblieb: da hatte mein Ich zum ersten Male sich selber gesehen und auf ewig. Täuschungen des Erinnerns sind hier schwerlich gedenkbar, da kein fremdes Erzählen sich in eine bloß im verhangenen Allerheiligsten des Men­schen vorgefallene Begebenheit, deren Neuheit allein so alltäglichen Nebenumständen das Bleiben gegeben, mit Zusätzen mengen konnte.» - Was das «verhangene Aller­heiligste» ist, erscheint dem Menschen zwar als das Stärkste, als das Kraftvollste des Seelenlebens, aber er kann sich dessen nicht so bewußt werden wie der mannigfaltigen

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anderen Seelenerlebnisse: es ist nicht so reich. Wenn sich der Mensch auf diesen Mittelpunkt zurückzieht, so fühlt er, daß in dem wunderbaren Worte «Ich bin» mächtig und intensiv, aber eben mit geringem Wortinhalt, dieser Mittel­punkt seines Seelenlebens erklingt.

Bis hinein in dieses verhangene Allerheiligste wirkt der­jenige Weltengeist, der dem Moses als der einheitliche Weltengeist klar wurde. Was Wunder, als dieser Welten-geist sich ihm offenbarte, daß Moses sich sagte: Wenn ich die Aufgabe erhalte, hinzutreten vor das Volk, um eine Kultur zu inaugurieren, die auf Selbstbewußtsein begrün­det sein soll, wer wird mir glauben? Auf welchen Namen soll ich meine Mission stiften? Zur Antwort bekam er: «Du sollst sagen: Ich bin der ICH-BIN!» - Das heißt: Du kannst den Namen jenes Wesens, das sich im innersten Allerheiligsten des Menschenwesens ankündigt, nicht anders ausdrücken als mit dem Worte, welches das Selbstsein be-zeichnet! So erblickte Moses in der Erscheinung des bren­nenden Dornbusches die Jahve- oder Jehova-Natur, und wir begreifen, daß in der Stunde, da in Moses der Name des Jahve aufging als «Ich bin», eine neue Strömung, ein neues Element in die Entwickelung der Menschheit herein-trat, daß abgelöst werden sollte die alte ägyptische Kultur, an der Moses nur seine Seele heranzubilden hatte, um das zu verstehen, was ihm im Leben als Höchstes begegnen sollte.

Dann haben wir die Unterredung des Moses mit dem Pharao. Der können wir leicht ansehen, daß sich Moses und Pharao gegenüberstehen und sich nicht verstehen können. Die Schilderungen sollen darstellen, daß alles, was Moses aus einem vollständig gewandelten Menschenbewußtsein zu sagen hat, dem Pharao unverständlich bleiben muß, in dem nur die Fortwirkungen der alten hellseherischen Agypterkultur

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leben können. Das wird uns anschaulich in der Art dargestellt, wie hellseherische Urkunden reden. Denn Moses redet eine neue Sprache, kleidet das, was er zu sagen hat, in Worte, die aus dem Ich-Bewußtsein der menschlichen Seele entspringen, die ganz unverständlich bleiben mußten gegenüber dem, was der Pharao nur denken konnte. So war das ganze ägyptische Volk bis zu jener Weltenstunde mit einer Mission bedacht, die es auf Grundlage des alten hell­seherischen Bewußtseins vollbringen konnte. Aber die Uhr dafür war abgelaufen. Wenn das ägyptische Volk weiter-lebte, so lebte es weiter mit den Volkseigenschaften, mit dem Temperament und so weiter, die es vorher hatte, aber es fand nicht den Übergang aus dem Abgrund, der zwischen der alten Zeit und der neuen, für die gerade das hebräische Volk bestimmt war, sich auftat. Diesen Übergang von der alten in die neue Zeit fand Moses Daher wurde das An­denken an das, was Moses mit seinem Volke gefunden hat, zur Erinnerung des Überganges von der alten in die neue Zeit, das Passah, fortgefeiert. Denn dieses Passah sollte daran erinnern, daß mit Moses die Möglichkeit gegeben war, den Abgrund von der alten in die neue Zeit zu über­brücken. Die Agypter konnten diesen Abgrund nicht über­brücken, während sie als Volk stehenblieben und die Zeit über sie hinwegging. So haben wir uns das Verhältnis des Moses zu den Agyptern und zu seinem eigenen Volke zu denken.

Was Moses seinem eigenen Volke zu geben hatte, das war ganz begründet in der Natur des althebräischen Vol­kes. Was war es? Es sollte das alte Hellsehen von dem intellektuellen Verstandes-Bewußtsein abgelöst werden. Nun ist in den vorhergehenden Vorträgen dargestellt wor­den, wie hellseherisches Bewußtsein nicht an die äußere Körperlichkeit gebunden ist, wie es sich frei entfaltet gerade

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dann, wenn der Mensch durch seine Seelenübungen frei wird in dem Seelenleben von dem äußeren körperlichen Instrument. Das intellektuelle Bewußtsein aber hat gerade zu seinem Instrument und Werkzeug den menschlichen Organismus, wie er an das Gehirn und an das Blut gebun­den ist. Was früher gleichsam über der physischen Organi­sation schwebte und seine Fortentwickelung jenseits der Organisation durch die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler gefunden hat, das mußte sich einleben als gebunden an eine physische Organisation, das heißt gebunden an das, was mit dem Blute des Volkes von Generation zu Genera­tion weiterfloß. Daher konnte das, was Moses geben sollte, weil es der Impuls war zu einer intellektuellen Kultur, nur einem Volke gegeben werden, das streng hielt auf das Fort-strömen des Blutes durch die Generationen. An dieses In­strument war zunächst das Wesen der neuen Kultur ge­bunden. Es mußte sich so ausleben, daß es sich nicht bloß an dem Geistigen auslebte, sondern so, daß das Volk herausgeholt wurde aus dem anderen Volke, innerhalb dessen es seine Vorbereitung genossen hatte, und dann rein für sich in getrennter Generationenfolge, in getrennter Blutströmung durch die Jahrhunderte hindurch das äußere Werkzeug entwickelte, das der intellektuellen Kultur für alle Zukunft die Grundlage schaffen sollte.

So zeigt sich uns, wie die Weltgeschichte sinnvoll wird und wie das Geistige an das äußerliche physische Werk­zeug des Blutes geknüpft ist. Wir können in der Bibel sehen, wie der Darsteller bemüht ist zu zeigen, daß der Übergang von der alten Kultur der Agypter zu der Kultur des Moses in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung dargestellt sein sollte, so zum Beispiel bei dem Durchgang durch das Rote Meer. Hinter dem Durchgehen der Israeliten durch das Meer und dem Ertrinken der Agypter verbirgt sich eine

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wunderbare Tatsache für die Entwickelung der Menschheit. Diese Tatsache wird uns nur erklärlich, wenn wir diese Ereignisse verstehen.

Da sehen wir an dem agyptischen Volke sich bewahr­heiten, was für die Seelenkräfte notwendigerweise mit dem zusammenhängt, was man hellseherische Kultur nennt. Sie werden nach dem, was bis jetzt in diesen Vorträgen vor­gebracht worden ist, nicht voraussetzen, daß ich den Men­schen nahe an die Tiernatur heranbringen will. Aber was hier klarzumachen ist, das ist am besten einzusehen, wenn wir den Ausgangspunkt von der tierischen Organisation nehmen. Wir müssen uns denken, daß das ganze tierische Vorstellen und das tierische Seelenleben ein traumhaftes, ein dumpfes ist gegenüber dem menschlichen, namentlich gegenüber dem intellektuellen Seelenleben. Obzwar das alte menschliche Hellsehen durchaus nicht an das tierische Seelenleben herangebracht werden darf und sich radikal von ihm unterscheidet, so dürfen wir uns an dem tierischen Seelenleben, an dem Instinktleben des Tieres doch einen Zug verdeutlichen, den das alte menschliche Seelenleben auch hatte. Wenn es auch in den betreffenden Schilderungen oft übertrieben ist, so liegt doch etwas Wahres dem zu­grunde, daß dort, wo Erdbeben, Vulkanausbrüche und so weiter geschehen, die Tiere tagelang vorher Reißaus neh­men, die Flucht ergreifen. Während die Menschen, die alles aus ihrem Intellekt heraus begreifen, sitzenbleiben, werden die Tiere aufgerüttelt. So sehen wir an das dumpfe Instinkt-leben des Tieres ein Verwobensein mit dem Naturleben gebunden und sehen, wie es wirkt. Die Schilderungen sind oft übertrieben. Aber wer die Geisteswissenschaft kennt, der weiß, daß die tierische Natur so hineinverwoben in das ganze umliegende Naturleben ist, daß wir beim Tier ge­wissermaßen von einem «Wissen» reden können, das in

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seinen elementaren Kräften das Leben des Tieres regelt und das der Mensch deshalb nicht hat, weil er seinen höheren Intellekt entwickelt, der ihn befähigt, die Dinge durch Begriffe zusammenzufassen, Jer ihn aber auch wieder aus dem Verwobensein mit der Natur selber herausgerissen hat.

Nun müssen wir uns mit dem alten Hellsehen ein solches instinktives Verwobensein auch des Menschen mit den Naturtatsachen verbunden denken, ein instinktives Erken­nen, das dem Menschen sagte: Dies und das geschieht; es bereitet sich dies oder jenes vor, - wie ja auch bei Menschen, die sich durch die Anstrengungen der Seele zu einer höheren Erkenntnis hinauferheben, wenn ihre ganze Anlage dafür günstig ist, ein solches Hineinschauen in die Naturtat­sachen möglich wird, ein Hineinschauen, für das man keine «Gründe» angeben kann. Wer an seiner Seele arbeitet und aus der Konfiguration der Seele heraus manches zu sagen weiß, was das intellektuelle Bewußtsein nicht zu sagen weiß, der fühlt sich unbehaglich, wenn man dann überall fragt: Warum ist das so? Beweise mir, was du zu sagen hast! - Man merkt nicht, daß ein solches Wissen ganz andere Wege einschlägt als das Wissen, das aus der Ver­standeslogik heraus gewonnen ist. Es ist durchaus treffend, daß Goethe, wenn er zum Fenster hinaussah, oft für Stunden voraussagen konnte, was für ein Wetter eintreten würde. Denken wir uns das bei den alten Menschen so vorhanden, daß sie durch Eintreten in die geistige Welt die Möglichkeit hatten, mit der Natur und ihren Tatsachen ganz anders verwoben zu sein als die heutigen Menschen mit ihrer Wissenschaft, dann werden wir einen der Grundzüge des alten Hellsehens für die Lebenspraxis begreifen. Die alte Menschheit hatte keine meteorologischen Anstalten und Be­richte, wo aus Zeitungen und so weiter die Witterung vor­ausgesagt werden konnte, aber sie hatte ein Empfinden,

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richtete sich nach ihrem Blick, der ihr in anschaulicher Weise darstellte, was eintreten wird. Das war ganz besonders in einem hohen Grade bei den alten Ägyptern der Fall, ohne daß sie unser zerlegendes Wissen und unsere Wissenschaft hatten; sie wußten sich so zu benehmen, daß es dem leben­digen Zusammenhange mit der ganzen Umwelt entsprach. Aber gerade weil die Weltenzeit für die ägyptische Kultur abgelaufen war, deshalb war immer mehr und mehr diese Fähigkeit der Agypter in Verfall gekommen, und sie waren immer weniger und weniger imstande, sich in die Tatsachen der Natur hineinzufinden, wußten nicht mehr aus den Konstellationen der äußeren Elemente anzugehen, wie sie sich verhalten sollten. Denn die Menschen sollten die Kon­stellationen der äußeren Elemente mit dem Verstande durchschauen lernen, und Moses sollte dafür den Impuls noch aus dem hellseherischen Bewußtsein heraus geben.

Da sehen wir Moses mit seinem Volke hingestellt vor das Rote Meer. Durch ein Wissen, das dem unsrigen ähnlich ist, das bei ihm ins Hellseherische noch übersetzt ist, erkennt er, wie durch die natürlichen Zusammenhänge - durch eine besonders kombinierte Verbindung von Ostwind und dem ebbe- und flutartigen Gang des Meeres - eine Möglichkeit besteht, sein Volk zur günstigen Stunde durch das Meer hin-durchzuführen. Dazu wird uns die Tatsache geschildert und gezeigt: Moses steht da als der Begründer der neuen, intel­lektualisierten Weltanschauung, die durchaus noch nicht ab­gelaufen erscheint, die den Menschen erst wieder lehren wird, die Lebenspraxis in Einklang mit den Naturverhält­nissen zu bringen, wie es Moses getan hat. Die Agypter waren ein Volk, dessen Stunde abgelaufen war; sie konnten nicht mehr wissen, was in später Stunde geschieht. Die alten Naturinstinkte waren bei ihnen verfallen. So standen sie an derselben Stelle wie in den alten Zeiten. Aber in den

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alten Zeiten hätten sie sich gesagt: Wir können jetzt nicht mehr hinüber! - Dieses alte, instinktive Naturfühlen war bei ihnen in Dekadenz gekommen, und in das neue, in­tellektuelle Bewußtsein konnten sie sich nicht hineinleben. Daher standen sie vor dem Roten Meere ratlos und beirrt da durch ihr nicht mehr maßgebendes Bewußtsein und ver­fielen dem Unglück. So sehen wir, wie das neue Element des Moses recht kontrastiert mit dem alten Element, sehen das alte Hellsehen so in Verfall gekommen, daß es an sich irre werden muß und sich durch das Nicht-mehr-Hinein-passen in die neue Zeit den Untergang bereiten muß.

Wenn wir durch solche scheinbar äußeren Schilderungen auf das durchblicken, was der Darsteller eigentlich sagen will, so finden wir in solchen Angaben die großen Wende­punkte der Menschheitsentwickelung charakterisiert und begreifen, daß es gar nicht leicht ist, aus der ganzen eigen­artigen Darstellung der alten Schriften die Bedeutung sol­cher Persönlichkeiten - wie zum Beispiel Moses - heraus­zufinden. Daß Moses ganz auf einem alten Hellsehen fußte, daß bei ihm die neue intellektuelle Kultur noch hellsehend war, das wird uns auch noch später da gezeigt, wo es sich entscheiden soll, ob er nun wirklich sein Volk nach Palästina hinüberführen soll. Dieses Volk sollte ja hinübergeführt werden als das, welches durch die ganze Blutart die in­tellektuelle Kultur begründen sollte. Was Moses als Hell-sehen hatte, das konnte den Impuls geben, konnte aber selbst diese Kultur nicht sein. Denn hellsehend sollte diese Kultur nicht sein; sie sollte gerade als ein Neues gegenüber dem alten Hellsehen auftreten. Daher sehen wir, wie Moses sich berufen fühlte, sein Volk bis zu einem gewissen Punkte zu führen, es selber aber nicht in das neue Land führen konnte. Das sollte er denen überlassen, die zu der neuen Kultur berufen sind. Klar wird uns das in der Bibel

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gesagt. Während Moses der Verkünder des Gottes ist, der bis in die Ich-Wesenheit hinein sich verkündet, wird uns aber auch angedeutet, daß Moses nur imstande ist, durch seinen hellseherischen Blick die Wortgewalt dieses Welten-geistes zu vernehmen. Und als er in einer Lage ist, wo er -sich selbst überlassen - seinem Volke helfen soll, da flieht er zum Zelte hin, wo er hellseherisch seines Gottes wieder ansichtig werden könnte. Da wird ihm aber gesagt: Weil du nicht fortführen konntest, was dir im hellseherischen Denken gegeben ist, so muß ein anderer dein Volk fort­führen. - Daraus spricht etwas, wodurch er uns aber auch wie in einem Glanze erscheint, der sagen will, daß der, der heliseherisch ist, als ein Prophet wie keiner mehr in Israel aufgetreten ist. Damit ist angedeutet, daß er der letzte war, der ein solches Heilsehen hatte, und daß die neue Kultur ohne Hellsehen, auf bloße Überlieferung hin und auf bloße Intellektualität bei den entsprechenden Völ­kern weiterwirken sollte, damit vorbereitet werden konnte, daß das Ich, dessen sich die Menschheit jetzt auf dieser neuen Kulturgrundlage bewußt geworden war, in sich auf­nehmen konnte ein neues Element.

Durch die Mission des Moses war die Menschheit bis dahin geführt worden, wo sie einsehen konnte, daß der die Welt durchwebende und durchlebende Weltengeist sich am deutlichsten, am menschlichsten fühlen läßt im Ich-bin, im innersten Mittelpunkt der menschlichen Seele, daß aber erst das Ich-bin sich mit einem Gehalte anfüllen muß, der nun wieder die Welt umfassen kann, so daß das arme Wort Ich-bin reichsten Inhalt erhalten kann. Dazu war aber eine andere Mission notwendig, die Mission, die dann mit dem bedeutungsvollen Wort des Paulus ausgesprochen werden konnte: «Nicht ich - sondern der Christus in mir!» Bis zur Begründung einer Ich-Kultur hatte Moses die Menschheit

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geführt. Einzuleben hatte sich nun die Ich-Kultur wie eine Gabe von oben, wie eine Volkskultur, wie ein Gefäß, das neuen geistigen Inhalt aufnehmen sollte. Es sollte das Ich sich zunächst im Schoße des althebräischen Volkes ent­wickeln, und hineinfallen sollte in das Gefäß dasjenige, was von einem wirklich echten Verständnis der palästinensischen Ereignisse des Mysteriums von Golgatha ausgehen konnte. Da sollte das Ich wieder einen neuen Inhalt bekommen, einen Inhalt, der nun selber aus der geistigen Welt geschöpft war. Was aus der vorbereitenden Menschheitsentwickelung des althebräischen Volkes Neues in das Ich hineingegossen wurde, das können wir am besten ersehen, wenn wir die wunderbare, aber nur aus der Eigenart des althebräischen Volkes verständliche Tragödie des Buches Hiob uns vor Augen führen.

Da wird uns erzählt, daß Hiob - trotzdem er als ein Gerechter festhält an seinem Gotte und sich bewußt ist, daß alles, was er hat, von seinem Gotte stammt - Unglück über Unglück erfährt an seinem Eigentum, an seiner Fa­milie, an seiner Person selber, so daß an den Offenbarungen seines Gottes etwas ist, was ihn irre machen könnte, daß nun wirklich jener Weltengeist, von dem wir eben gespro­chen haben, sich auslebt im menschlichen Ich. So weit geht es, daß das Weib des Hiob nicht begreifen kann, warum ihr Mann noch an seinem Gotte festhält, und ihm daher das bedeutungsvolle Wort sagt, das von einer unvergleichlichen Bedeutung ist: «Sage deinem Gotte ab - und stirb !» Was heißt also im Sinne dieser bedeutungsvollen allegorischen Tragödie dieses Wort: «Sage deinem Gotte ab und stirb»? Nichts anderes als: Wenn der Gott, der der Quell deines Lebens sein soll, dich so behandelt, so sage ihm ab. Aber gewiß ist es dann, daß der Tod das Los ist der Absage an Gott, so daß der, welcher dem Gotte absagt, sich heraushebt

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aus dem lebendigen Werdegang. Die Freunde des Hiob können es nicht begreifen, daß er keine Sünde auf sich ge­laden habe, da sich doch die Ergebnisse an der gerechten Persönlichkeit ausleben müßten. Ja, der Darsteller selbst kann uns nicht anders begreiflich machen, daß die Welt-gerechtigkeit dennoch besteht, als dadurch, daß der tief-gebeugte, ins Elend geworfene Hiob dennoch einen Ersatz bekommt in der physischen Welt für alles, was er verloren hat.

So klingt durch schon in der bedeutungsvollen Allegorie des Buches Hiob das Moses-Bewußtsein, so daß wir sehen:

Es ist der Mensch gewiesen bis zu seinem Ich. Aber in dem Augenblick, wo er irren kann, da das Ich sich ausleben kann im Physischen, da verliert er - oder kann verlieren - das Bewußtsein des Zusammenhanges mit dem Lebensquell. Daß aber nicht bloß Ausgleich sein soll in der Welt des Physischen, sondern daß bei allem Verfall in das Elend des Physischen, in das Leid und in den Schmerz des Phy­sischen der Mensch Sieger sein kann über alles Physische, weil in sein Ich nicht bloß der Urquell alles in Zeit und Raum Ausgedehnten hereinscheint, sondern weil in sein Ich herein die Macht des Ewigen aufgenommen werden kann - daß der Mensch dies verstehen lernt, das war mit dem Christus-Impuls gegeben. So war mit dem Worte des Paulus «Nicht ich - sondern der Christus in mir» gesagt:

Bei Moses wurden die Menschen bis dahin geführt, daß sie begriffen: Alles, was die Welt in Raum und Zeit durchlebt und durchwebt, spricht sich in tiefster Eigenart im mensch­lichen Ich aus. Man begreift die Welt, wenn man sie in ihrer Einheit wie aus einem solchen Ich hervorgehend be­greift. Willst du aber das Ewige in das Ich aufnehmen, so mußt du nicht bloß die Zusammenfassung des Zeitlichen, nicht bloß die Jahve-Einheit hinter allem in Raum und

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Zeit Ausgebreiteten erkennen, sondern den konzentrisch hinter aller Einheit selbst gegebenen Christus-Quell!

Damit sehen wir die Persönlichkeit des Moses als die wahre vorbereitende Persönlichkeit für das Christentum; sehen, wie dem menschlichen Selbstbewußtsein durch Mo­ses gleichsam das Gefäß eingepflanzt worden ist, das nun in aller künftigen Menschheitsentwickelung durch die ewige geistige Substantialität, das heißt - im rechten Sinne ver­standen - durch die Christus-Wesenheit ausgefüllt werden soll. So verstehen wir, wie Moses hereingestellt ist in den menschlichen Werdegang. Gerade durch eine solche Be­trachtung gewinnt alles Anschauen in der Geschichte den tiefsten Sinn. Daß in diesem oder jenem Zeitpunkt diese oder jene Persönlichkeiten auftreten, daß durch dieselben jene ewigen Quellen für die Menschheit fließen, welche die Menschheit in ihrem Werdegange vorwärtsbringen, das erzeugt in uns das Gefühl von dem echten Zusammenhange des Einzelnen mit der ganzen Menschheitsentwickelung, auf den schon im vorigen Vortrage über Buddha aufmerk­sam gemacht worden ist.

Wenn wir so die Menschheitsentwickelung überblicken, sagen wir uns: Wir lernen uns in einem lebendigen Sinn der Entwickelung drinnenstehend erkennen. Wir lernen er­kennen, wie sozusagen die Weltengeister mit unserem Da­sein etwas gemeint haben, und wie das, was sie gemeint haben, im Leben immer mehr und mehr zum Vorschein kommt. Ja, gerade die Betrachtungen der größten Geister und der größten Ereignisse der Weltentwickelung und der Menschheitsgeschichte statten uns mit jenem Kraftbewußt­sein, jener Zuversicht in unserer Seele aus, mit jener Hoff­nungssicherheit, mit der wir dadurch allein in der gesamten Menschheitsbestimmung drinnenstehen können, daß wir die Weltgeschichte so überblicken und aufs neue das schöne

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Goethe-Wort empfinden, daß «das Beste», was die Ge­schichte in uns erzeugen kann, «der Enthusiasmus» ist. Jener Enthusiasmus aber, der nicht bloß tote Bewunderung bleibt, sondern der darin besteht, daß wir die Samen der Vorzeit in unsere Seele aufnehmen und die Samen für die Zukunft zu Früchten entwickeln. Und des Dichters Wort belebt sich in einer etwas veränderten Form, indem wir aus der Betrachtung der größten Persönlichkeiten und der größten Ereignisse die Wahrheit gewinnen:

Die Zeit, sie ist eine blühende Flur,

Ein großes Lebendiges ist der Menschheit Werdegang,

Und alles ist Frucht, und alles ist Same!

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WAS HAT DIE ASTRONOMIE ÜBER WELTENTSTEHUNG ZU SAGEN? Berlin, 16. März 1911

Wer könnte daran zweifeln, daß mit berechtigten Hoff­nungen auf diejenige Wissensdiaft gesehen werden muß, die wir als die Astronomie bezeichnen, wenn von Weltentstehung, von Weltentwickelung die Rede ist? Denn die Astronomie ist ja mit Recht eine Wissenschaft, vor der nicht nur der menschliche Intellekt seine hohe Achtung haben muß, weil sie uns mit gewichtigen Erkenntnissen in die Weiten der Welt führt, sondern die Astronomie ist etwas, was trotz aller Abstraktheit und Rauheit doch auch in intensivster Weise zu unserer Seele, zu unserem ganzen Geiste spricht, so daß man sagen darf: Es liegt etwas Begreifliches darin, daß diese menschliche Seele zuletzt Auf­schluß zu gewinnen hofft über die tiefsten Geheimnisse des Daseins vom Aufblick zu dem Sternenhimmel, der so tief zu unserem Gemüte spricht, wenn wir ihn mit Gemütsverständnis in Nächten auf unsere Seele wirken lassen.

Nun wollen wir uns heute vom Standpunkte der Geistes­wissenschaft aus auf die Frage einlassen: Was hat uns diese Astronomie über Weltentstehung zu sagen? Vielleicht wird das, was zuletzt bei diesen Betrachtungen herauskommt, manchem so erscheinen, als ob eine Blume der Hoffnung in einer gewissen Weise zerpflückt werden könnte. Wer diesen Eindruck gewinnen sollte, könnte sich doch auf der andern Seite wieder damit trösten, daß diese Astronomie gerade in den letzten Jahrzehnten, in dem ausgehenden

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neunzehnten Jahrhundert uns so wunderbare Ergebnisse gebracht hat, daß wir genügend Grund haben, uns über diese Ergebnisse als solche - auch intellektuell - im äußer­sten Maße zu freuen, selbst wenn wir durch diese tiefere Erkenntnis der neueren Zeit auf diesem Gebiete dazu ge­führt werden sollten, daß gerade diese Vertiefung der astronomischen Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten uns weniger hoffnungsfreudig macht, wenn wir direkt durch sie, wie sie uns als Wissenschaft in der äußeren Welt ent­gegentritt, Aufschlüsse zu gewinnen suchen über die großen Fragen nach Entstehung und Entwickelung des Weltalls. Da dürfen wir zunächst darauf hinweisen, daß gerade zu alledem, was da war seit der Zeit, da die Naturforschung durch Kopernikus, Kepler, Galilei, durch die Beobachtun­gen Herschels oder durch die kühnen Spekulationen von Kant und Laplace eine so gewaltige Vertiefung erfahren hat, daß zu alledem im Laufe des neunzehnten Jahrhun­derts etwas dazugekommen ist, was uns in einer vorher ungeahnten Weise eingeführt hat auch in den stofflichen Charakter der Himmelswelt. Während man sich früher darauf beschränken mußte, sozusagen aus der Kühnheit des menschlichen Denkens heraus zu behaupten, daß, wenn wir den Blick in die Sternenwelten hinauslenken, uns dort Welten entgegenschauen, die wir als ähnlich unserer eige­nen Welt ansehen sollen, während man sich auf diese Kühn­heit der menschlichen Intellektualität beschränken mußte, führte uns so etwas wie die Spektralanalyse der genialen Forscher Kirchhoff und Bunsen im neunzehnten Jahrhun­dert die Möglichkeit herbei, direkt durch das physikalische Instrument in die stoffliche Natur der Sterne einzudringen; so daß man seit jener Zeit eine auf die unmittelbare Be­obachtung begründete Behauptung wagen darf, daß wir in den verschiedenen Sonnen, die uns aus dem Raume entgegenleuchten,

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in den Nebelfiecken und in andern Gebilden, die uns im Himmelsraume entgegentreten, im wesentlichen dieselben Stoffe mit denselben stofflichen Eigenschaften an­zuerkennen haben, die wir auch auf unserer Erde finden. So darf man sagen, daß seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts unsere Wissenschaft von der Erkenntnis er­griffen sein konnte: Wir ruhen hier als Menschen der Erde innerhalb einer stofflichen Welt mit ihren Gesetzen, mit ihren Kräften. Aus der Wirkung, welche diese stofflichen Gesetze der Erde im sogenannten Spektroskop zeigen - das wir ja erst seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts kennen -, und weil von den fernsten Himmelsräumen her­ein in das Spektroskop die gleichen Wirkungen geschickt werden, kann man darauf schließen, daß sich in den ganzen Weltenraum, soweit die stoffliche Welt in Betracht kommt, dieselbe Stofflichkeit und dieselben Gesetze dieser Stoff­lichkeit ergossen haben. Während es früher in gewisser Be­ziehung bloß eine Art geometrischer. Rechnung war, die Bewegungen der Sterne zu untersuchen, hat es die schöne, geniale Verbindung der Spektralanalyse mit dem soge­nannten Dopplerschen Prinzip uns möglich gemacht, daß wir nicht nur sozusagen diejenigen Bewegungen beobach­ten, die sich vor uns so abspielen, daß wir sie wie auf eine Fläche gezeichnet als die Bewegungen der Sterne erkennen; sondern wir können seit jener Zeit auch jene Bewegungen der Sterne in unser Urteil einbeziehen, die sich von uns ab und auf uns zu geltend machen, weil durch das Dopplersche Prinzip die kleine Verschiebung der Linien im Spektroskop bedeutungsvoll für den Gang eines Sternes wurde, insofern er sich von unserer Erde ab oder auf dieselbe zu bewegt; während es früher nur möglich war, dasjenige wirklich zu berechnen, was in einer Ebene geschah, die senkrecht zu unserer Blickrichtung steht. In einem solchen Prinzip, wie

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es die Verbindung des Dopplerschen Prinzips mit der Spek­tralanalyse ist, liegen gewaltige Errungenschaften der astro­nomischen Wissenschaft. Was nun der Menschenkopf als eine Art von Weltbild ersinnen konnte, wie es sich ergibt, wenn wir uns den Raum angefüllt denken mit Sonnen, Planeten, Nebenpianeten, mit Weltennebeln und andern Gebilden und ihre ineinandergeschlungenen Bewegungen und ihr gesetzmäßiges Ineinanderwirken betrachten, - von diesem Weltbild, wie es sich so ergibt und wie wir es in unseren Gedanken festhalten können, sagen wir: Wir kön­nen es begreiflich finden, daß ein solches Bild dem Men­schengeist, der nach Erkenntnis strebte, als ein Muster von Klarheit, von innerer Gediegenheit erschien, wenn es sich dabei darum handelte, die Wirklichkeit mit dem Gedanken zu umspannen.

Vergegenwärtigen wir uns, was es heißt, ein Gebilde, das den Raum erfüllt, mit dem Gedanken zu umspannen, aus­zurechnen: so bewegen sich die Gebilde, die großen und die kleinen, so wirkt eines auf das andere. Vergegenwärti­gen wir uns, was es heißt: einen so in sich klaren Gedanken in den Raum hineindenken zu können, vergegenwartigen wir es uns, indem wir es zum Beispiel vergleichen mit irgendeiner andern Naturwirkung, die wir in unserer Um­gebung sehen, zum Beispiel mit dem Grünwerden der Blät­ter der Bäume im Frühling oder mit dem Aufblühen der Blüte einer Pflanze. Derjenige, welcher lebendig in der Wissenschaft drinnensteht oder drinnengestanden hat, weiß, wie bitter es der menschlichen Seele wird, wenn sie zu­nächst auf dem Boden rein äußerlicher Betrachtung immer wieder und wieder genötigt ist, zu Begriffen zu greifen, die keineswegs zu Ende gedacht werden können, wenn es sich zum Beispiel darum handelt, eine werdende, sich entwik­kelnde Pflanze vorzustellen, ganz abgesehen von komplizierteren

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Erscheinungen wie tierischen Organismen. Ja, selbst schon in den Erscheinungen der Chemie und Physik unserer Erdenentwickelung bleibt uns in den Wärmewirkungen und so weiter gar mancher Rest, wenn wir begreifen, mit klaren Begriffsgebilden umspannen wollen, was unsere Augen sehen, was unsere Ohren hören. Wenn wir nun den Blick hinauswenden und schauen, was da unsere Augen sehen, und dann dies Gesehene in einem solchen Bilde zusammen­fassen können, das in klaren Ortsveränderungen, in gegen­seitigen Bewegungsverhältnissen sich ausdrückt, dann ist es begreiflich, daß dies eine beseligende Wirkung in unserem Innern hat, daß wir uns sagen: Solche Erklärungen, die wir von der Bewegung der Sterne im Raume und ihrer gegenseitigen Wirkung geben können, sind in sich so un­endlich klar, daß wir in ihnen ein Muster überhaupt von Erklärungen sehen können. Kein Wunder daher, daß dieser Gedanke von der faszinierenden Klarheit des astronomi­schen Weltbildes zahlreiche Geister ergriff. Es war für den, der die theoretische Wissenschaft des neunzehnten Jahr­hunderts verfolgte, außerordentlich lehrreich, zu sehen, wie die hervorragendsten Geister des neunzehnten Jahr­hunderts Wege nahmen, die durch die eben charakterisierte faszinierende Empfindung vorgezeichnet waren.

So etwa dachten hervorragende Geister des neunzehnten

Jahrhunderts: Da sehen wir hinaus in den Raum, sehen in den gegenseitigen Beziehungen und Bewegungen der Sterne, wenn wir es in Gedanken verwandeln, ein Bild wunder-barer Klarheit. Jetzt versuchen wir in jene kleine Welt hineinzublicken, in welche allerdings nur der spekulierende Gedanke hineinblicken kann, die man hypothesenhaft im neunzehnten Jahrhundert immer mehr und mehr aufbaute:

in die Welt der Atome und Moleküle. Man dachte sich ja im neunzehnten Jahrhundert immer mehr und mehr, daß

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jeder Stoff aus kleinsten Teilen besteht, die kein Auge und kein Mikroskop mehr sehen kann, die aber doch hypo­thetisch vorausgesetzt werden müssen. So setzte man vor­aus, daß man - wie man viele Sterne im Weltenraum hat -überall, wohin man den Blick richtet, als gleichsam kleinste Sterne die Atome vorhanden hat. Aus der gegenseitigen Anordnung der Atome, wie sie zusammen gruppiert sind, ergibt sich dann - allerdings nur für die Hypothese - das, was uns im kleinen das Bild erwecken kann: Hier hast du eine Anzahl Atome, sie stehen in einer bestimmten Be­ziehung zueinander und bewegen sich umeinander. Wenn die Atome zueinander in Beziehungen stehen und sich be­wegen, so bedeutet das, daß der Stoff, der diese Atome zu­sammensetzt, zum Beispiel Wasserstoff oder Sauerstoff ist. Die Stoffe sind alle auf kleinste Atome zurückführbar, aus denen sie bestehen. Diese kleinen Atome sind wieder grup­piert, gewisse Gruppen bilden dann die Moleküle. Aber wenn man in diese Atome und Moleküle hineinschauen könnte, so hätte man im winzig kleinsten ein Abbild von der Klarheit, die wir draußen haben, wenn wir den Himmelsraum mit den Sternen angefüllt haben. Es hatte etwas Verlockendes für manche Denker des neunzehnten Jahrhunderts, wenn sie sich sagen konnten: Alle Erschei­nungen, die wir draußen sehen, Licht, Schall, Elastizität, Elektrizität und so weiter führen uns zuletzt auf solche Wirkungen zurück, die von den Bewegungen und Kräften von Atomen bedingt sind, die so geschehen wie die Kräfte und Bewegungen im großen, wenn wir in den Himmels-raum hinaussehen. Ja, es entstand in manchem Geist ein merkwürdiges Bild: Wenn wir in das menschliche Gehirn hineinsehen, so besteht es ja auch aus den Stoffen und Kräften, die wir in der Welt draußen finden; und könnte man in die kleinsten Gebilde des menschlichen Gehirns, in

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das zirkulierende Blut des Menschen sehen, so würde man zuletzt überall etwas wie kleinste atomische und molekulare Welten, die im kleinen ein Abbild der großen Himmelswelt sind, erkennen. Man glaubte, wenn man nun rechnerisch verfolgen könnte, was sich durch die Atome und ihre Be­wegungen ergibt, dann würde man erkennen können, wie eine gewisse Art von Atombewegungen - indem sie auf unser Auge wirken - den Eindruck des Lichtes, andere den Eindruck der Wärme hervorrufen. Kurz, man dachte sich alle Erscheinungen der Natur auf eine kleine, winzig kleine Astronomie zurückführen zu können: auf die Astronomie der Atome und Moleküle. Es war geradezu das Wort ge­prägt worden, das ja eine große Rolle spielte in den auf­sehenerregenden Vorträgen, die in den siebziger Jahren Emil Du Bois-Reymond über «die Grenzen des Natur-erkennens» gehalten hat, das Wort von dem «Laplaceschen Geist». Das war eine Art Schlagwort geworden und be­deutete nichts anderes, als daß es das Ideal einer Natur-erklärung sein müßte, alles was wir um uns herum sehen, auf astronomie-artige Erkenntnis der Bewegungen der Atome und Moleküle zurückzuführen. Laplace war jener Kopf, in dem Platz griff eine Überschau über unseren Sternenweltenraum. Und derjenige Kopf, der diesen Über­blick über die Sterne im Weltenraum in die kleinsten mole­kularischen und atomischen Gebilde hineintragen könnte, würde sich sozusagen immer mehr und mehr dem Ideal nähern, astronomisch unsere Natur zu erkennen. Daher können wir jetzt - und mit Recht - sagen: Es gab Leute, die da glaubten: wenn ich den Eindruck habe, ich höre den Ton cis, oder ich sehe rot, so geht in Wahrheit eine Be­wegung in meinem Gehirn vor; und könnte ich diese Bewegungen so beschreiben, wie die Astronomen die Be­wegungen der Sterne am Himmel beschreiben, dann würde

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ich verstehen, um was es sich beim Begreifen der Natur­erscheinungen und auch des menschlichen Organismus han­delte. Wir würden dann in unserem Bewußtsein das Fak­tum haben: Ich höre cis, ich sehe rot. Aber in Wahrheit wäre es so: Wenn wir rot wahrnehmen, spielt sich in uns ein kleiner atomischer und molekularer Kosmos ab, und wenn wir wissen würden, wie die Bewegungen sind, dann würden wir begriffen haben, warum wir rot und nicht gelb wahrnehmen, denn bei gelb würde sich eine andere Be­wegung abspielen.

So wurde astronomische Erkenntnis im Laufe des neun­zehnten Jahrhunderts ein Ideal, durchdringend alle Natur­erkenntnis mit denselben klaren Begriffen, die für die Astronomie gelten. Ja, man darf sagen, es ist im hohen Grade interessant, zu verfolgen, wie sich unter dem Ein­fluß eines solchen Gedankens die theoretische Naturwissen­schaft entwickelt hat. Wenn ich auf etwas hinweisen darf, was mir selber vor vielen Jahren entgegengetreten ist, so könnte es etwa das folgende sein. Ich kannte einen Schul-direktor, der ein ausgezeichneter Mann war, auch als Schuldirektor. Aber er hatte sich während seiner übrigen Schultätigkeit - schon im Beginn der siebziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts - damit beschäftigt, ein solches Natursystem auszudenken, in welchem man die seit New-tons Zeit geltende Anziehungs- und Abstoßungskraft auch entbehren kann, so daß also jener Schuldirektor - Heinrich Schramm - dessen Werke doch recht bedeutend sind, in seinem Buche «Die allgemeine Bewegung der Materie als Grundursache aller Naturerscheinungen» versucht hat, zu allem übrigen, was von der astronomischen Erkenntnis schon weggeschafft war, auch das wegzuschaffen, was man bis dahin die Anziehungskraft genannt hat, mit der sich die Materien im Raume anziehen.

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Es war sehr interessant, was dieser Mann in einer ge­wissen genialen Weise - was später vielfach nachgemacht wurde - zuerst versucht hat. Denn wenn wir glauben, daß Licht nichts anderes ist als Bewegung kleinster Massen­teilchen, wenn wir glauben, daß Schall und Ton wie auch Wärme nichts anderes sind als Bewegung kleinster Massen­teilchen, wenn astronomische Erkenntnis überall hinein­leuchten kann, warum sollten wir dann jene sonderbaren, mystischen Kräfte noch gelten lassen: von der Sonne zur Erde durch den leeren Raum hindurch? Warum sollte man nicht imstande sein, anstelle dieser mystischen Anziehungs­kraft, an die man bis dahin als an etwas Unerschütterliches geglaubt hatte, nun auch eine solche zwischen den Atomen und Molekülen anzunehmen? Warum sollte man nicht auch daran rütteln können? Es gelang diesem Manne in der Tat, ohne Zuhilfenahme einer besonderen Anziehungskraft die Anziehung der Weltenkörper und der Atome zueinander zu begreifen, indem er zeigte: Wenn sich zwei Körper im Raume gegenüberstehen, so brauche man doch nicht an­zunehmen, daß sie sich anziehen, denn eine solche An­ziehung - so meinte Schramm - nimmt doch der nicht an, der nicht an so etwas glaubt, was wie durch den Raum sich reichende Hände geht. Das einzige, was man annehmen darf, das ist, daß kleine, bewegte Materie da ist, die von allen Seiten wie kleine Kugeln stößt, sodaß von allen Seiten kleine Kugeln die beiden großen Kugeln stoßen. Wenn man nun in der Rechnung genau vorgeht und keinen Fehler macht, dann findet man, daß einfach aus dem Grunde, weil die Stöße zwischen den beiden Kugeln und die, welche von außen verursacht werden, eine Differenz ergeben, die Kräfte, welche sonst als Anziehungskräfte von außen angenommen worden sind, durch das Stoßen von außen ersetzt werden können, so daß man anstelle der Anziehungskraft

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Stoßkräfte zu setzen hätte, welche die Materie anziehen.

Mit einem großen Scharfsinn finden Sie diesen Gedanken in der angeführten Schrift durchgeführt. Ich könnte spätere Schriften desselben Charakters anführen - Schramm aber hat die Sache zuerst behandelt -, will aber überall, wo eine Erscheinung neu auftritt, sie dort anführen, wo sie zuerst aufgetreten ist. So konnte also Schramm zeigen, wie ganz nach demselben Gesetz zwei Moleküle Anziehungskräfte ausüben genau so wie die größten Weltenkörper. So wurde astronomische Erkenntnis etwas, was in dem größten Wel­tenraum Platz griff und bis in die kleinsten, angenomme­nen Teile der Materie und des Athers hineinwirkte. Das stand wie ein großes gewaltiges Ideal die ganze Zeit über vor den Denkern des neunzehnten Jahrhunderts. Wer seine Studien in dieser Zeit gemacht hat, der weiß, wie damals dieses Ideal für die verschiedensten Erscheinungen durch­gearbeitet worden ist, wie astronomische Erkenntnis eben ein durchgreifendes Ideal war. Und man darf sagen, daß alles - zunächst in den siebziger Jahren - geeignet war, die­ses Ideal zu fördern, denn zu allem, was man - anknüpfend an die großen Errungenschaften der Naturwissenschaften -damals herausbrachte, gesellte sich in dieser Zeit noch dasjenige hinzu, was durch die genauere Untersuchung der Verhältnisse der Wärme zu den andern Naturkräften zutage trat. In den sechziger Jahren ist immer mehr und mehr anerkannt worden, was Julius Robert Mayer schon in den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts mit genialem Blick gezeigt hat: daß Wärme nach ganz be­stimmten Zahlenverhältnissen in andere Naturkräfte ver­wandelt werden kann. Daß dies der Fall ist, sehen wir, wenn wir zum Beispiel mit dem Finger über eine Fläche hinfahren: da verwandelt sich der Druck in Wärme. Wenn

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wir eine Dampfmaschine heizen, verwandelt sich die Wärme in die fortbewegenden Kräfte der Maschine. Wie sich hier Wärme in bewegende Kraft oder Druckkraft in Wärme verwandeln, so verwandeln sich die andern Naturkräfte, Elektrizität und so weiter ebenfalls in Naturkräfte, von denen man dachte, daß sie verwandelbar sind. Verband man diesen Gedanken mit den Gesetzen der astronomischen Erkenntnis, dann konnte man sagen: Was uns da entgegen­tritt, unterscheidet sich in bezug auf die Wirklichkeit nur dadurch, daß eine bestimmte Form von Bewegung inner­halb der Welt der Atome und Moleküle sich in eine andere verwandelt. Wir haben eine bestimmte Form von Bewegung in den Molekülen vorhanden, gleichsam ein kleines, kom­pliziertes astronomisches System, und es verwandeln sich die Bewegungen in andere Bewegungen, das System in ein anderes System. So wird die Wärme in fortbewegende Kraft verwandelt und so weiter.

So glaubte man alles durchschauen zu können. Und so groß und gewaltig war der Eindruck der astronomischen Erkenntnis, daß er ein solches Ziel abgeben konnte. Nun müssen wir sagen, daß zunächst für eine Weltentstehungs­lehre durch alle diese Gedanken noch wenig gewonnen war. Warum? Da müssen wir uns, damit wir nicht gleich vom Anbeginn an auf das verfallen, was die Geisteswissenschaft zu sagen hat und was von den Gegnern leicht angefochten werden kann, ein wenig in den Ideen umsehen, die solche Leute gehabt haben, die in dem geistigen Leben jener Zeit und in solchen Idealen mitten drinnen standen. Wir können uns in einfachster Art davon überzeugen, wie sich diese Dinge abgespielt haben, wenn wir ein wenig näher hin­schauen auf jene Rede «Über die Grenzen des Naturerken­nens», welche Du Bois-Reymond am 14. August 1872 auf der Naturforscher-Versammlung in Leipzig gehalten hat.

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Da hat Du Bois-Reymond in allen Tonarten dieses Ideal einer astronomischen Erkenntnis gepriesen und gesagt, daß wahre Naturwissenschaft überall nur dort vorhanden sei, wo wir imstande sind, die einzelnen Naturerscheinungen zurückzuführen auf eine Astronomie der Atome und Mole­küle, alles übrige gelte nicht als Naturerklärung; so daß also jemand naturwissenschaftlich das menschliche Seelen-leben erläutert hätte, wenn es ihln gelungen wäre zu zeigen, wie nach dem Muster astronomischer Bewegungen sich die Atome und Moleküle im Menschen gruppieren müssen, um ein menschliches Gehirn erscheinen zu lassen. Nun machte aber Du Bois-Reymond zugleich darauf aufmerksam, daß wir ja im Grunde genommen für die Erklärung der Seele und ihrer Tatsachen durch eine solche astronomische Er­klärung noch nichts getan haben, denn er sagte: Nehmen wir an, es wäre das Ideal erfüllt, daß wir wirklich sagen könnten, so und so spielen sich innerhalb des Gehirns die Bewegungen der Atome nach dem Muster der astronomi­schen Bewegungen ab: bei der Wahrnehmung des Tones cis wäre dieser Bewegungskomplex zu schauen, bei der Wahrnehmung der Farbe rot ein anderer - dann hätten wir naturwissenschaftlich unser Kausalbedürfnis befriedigt. Aber kein Mensch, betonte Du Bois-Reymond, könnte einsehen, warum eine bestimmte Art von Bewegungen ge­rade sich umsetzt in unserem Seelenleben in das Erlebnis:

ich nehme rot wahr, ich höre Orgelton, ich rieche Rosenduft oder dergleichen. Denn Du Bois-Reymond machte auf etwas aufmerksam, was im Grunde genommen schon Leibniz be­tont hat und wogegen sich nichts einwenden läßt: Denken wir uns - wenn es nur auf Bewegung ankäme - das Gehirn des Menschen ins Riesenmäßige vergrößert, so daß wir es dann so vor uns hätten, daß wir darin wie in einer Fabrik spazierengehen könnten, wo wir alle Bewegungen der Räder

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und Riemen beobachten können und hinweisen könn­ten: da ist eine bestimmte Bewegung - die würden wir dann in der nettesten Weise zeichnen und berechnen können, wie wir die Bewegungen der Planeten um die Sonne berechnen können. Kein Mensch aber würde wissen, wenn er es nicht aus andern Dingen wüßte: diese Bewegung, die ich da be­obachte, entspricht in der Seele dem Erlebnis: ich sehe rot. Das würde er nicht herausbringen können, sondern er würde nur Gesetze der Bewegung herausfinden können und sich sagen können: so und so verläuft die Bewegung, dies und das geschieht im Raume, - würde aber nicht den Zu­sammenhang finden können zwischen diesen nach dem Muster der Astronomie gedachten Bewegungen und dem eigentümlichen Erlebnis: ich sehe rot, ich höre Orgelton, ich rieche Rosenduft. Wenn er nicht von woanders her wüßte, woher diese Erlebnisse sind - aus den Bewegungen der Atome würde er nie darauf schließen können. Du Bois­Reymond sagte sogar recht kraß: «Welche denkbare Verbin­dung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht weg­zuleugnenden Tatsachen: ich fühle Schmerz, fühle Lust, ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe rot, und der ebenso unmittelbaren daraus fließenden Gewißheit:

also bin ich? Es ist eben durchaus und für immer unbegreif­lich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht solle gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden.»

Nun war ganz zweifellos das, was Du Bois-Reymond damit gesagt hat, nicht voll einer naturgemäßen Logik ent­sprechend; denn gerade an diesem krassen Ausdruck kön­nen wir sehen, daß es einer Anzahl von Molekülen - also

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stofflichen Teilen - nicht gleichgültig ist, wie sie liegen und sich bewegen. Denn Sie wissen es alle, daß es Schwefel, Salpeter und Kohle nicht gleichgültig ist, wie sie neben­einanderliegen:wenn sie unter gewissen Bedingungen neben­einanderliegen, ergeben sie das Schießpulver. Ebenso ist es nicht gleichgültig, in was für ein Verhältnis man den Kohlen­stoff zum Wasserstoff gebracht hat; sondern es handelt sich darum, ob der Stoff bei der Bewegung zu einem andern Stoffe geführt wird, mit dem er verwandt ist und vielleicht eine Explosivkraft bilden kann. Dieser Ausspruch war also über das Ziel hinausgeschossen, wenn er auch einen Schat­ten von Richtigkeit hatte. Aber das Richtige daran hatte schon Leibniz erkannt: daß es keine Art von Übergang gibt zwischen der astronomischen Bewegung der Moleküle und Atome und zwischen den Qualitäten unseres Erlebens und unseres inneren Seelenlebens. Es gibt nicht die Möglichkeit, diesen Abgrund durch die bloße astronomische Wissenschaft als «Bewegung» zu überbrücken.

Das ist es, was wir reinlich aus den mancherlei Irrtümern herausschälen müssen, die in der erwähnten Rede von Du Bois-Reymond «Über die Grenzen des Naturerkennens» enthalten sind. Aber das ist das Wertvolle in dieser Rede:

es lag in ihr etwas wie eine Reaktion, wie ein Empfinden gegen die Allmacht und die Allweisheit der astronomischen Erkenntnis. Wenn wir das, was wir so reinlich herausson­dern können, in Erwägung ziehen, so finden wir die Mög­lichkeit, es zu übertragen auf die große astronomische Er­kenntnis. Nehmen wir einmal an, was ja zweifellos berech­tigt ist: man kann nicht von der astronomischen Erkenntnis der Bewegung der kleinsten Massenteilchen irgendwie die Brücke zu den Seelenerlebnissen und Geisteserlebnissen fin­den. Dann kann man aber von dem, was die große Astro­nomie bietet - von der Beschreibung des Sternenhimmels

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und seinen Bewegungen und den Verhältnissen der Sterne untereinander - auch nicht die Brücke zu etwaigen den Raum erfüllenden Seelen- und Geisteswirkungen schlagen! Wenn es wahr ist - und es ist berechtigt, dies als wahr an­zunehmen -, wenn wir uns das menschliche Gehirn im Sinne Leibniz' und Du Bois-Reymonds so vergrößert den­ken, daß wir darin spazierengehen könnten und die Be­wegungen darin wie die Bewegungen der Himmelskörper ansehen, und wenn wir in diesen Bewegungen unseres Gehirns nichts wahrnehmen von seelischen Gegenbildern dieser Bewegungen, so brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, wenn wir in einem solchen vergrößerten Gehirn

- nämlich im Weltengebilde - drinnenstehen und auch nicht die Brücke finden können zwischen den Bewegungen der Sterne im Himmelsraum und den eventuellen Seelen- und Geistestätigkeiten, die den Weltenraum durchmessen und die ebenso zu den Bewegungen der Sterne stehen würden wie unsere Gedanken, Empfindungen und Seelenerlebnisse zu den Bewegungen unserer eigenen Gehirnmasse. Damals war - als Du Bois-Reymond dies sprach - für jeden, der denken konnte, der Schluß möglich, der allerdings seither nie gezogen worden ist: Wenn das richtig ist, worauf mit einer gewissen Sicherheit Du Bois-Reymond hinwies, so muß man auch sagen: Wenn den Raum ein Seelenhaftes, ein Geisthaftes erfüllt, dann kann keine Astronomie, keine astronomische Erkenntnis - insbesondere dann nicht, wenn sie dieses gekennzeichnete Ideal des neunzehnten Jahr­hunderts erfüllt - irgendwie pro oder contra von dem den Raum erfüllenden Geistigen oder Seelischen sprechen, denn man kann nicht von Bewegungen auf Geistiges schließen.

Damit war die Notwendigkeit gegeben zu sagen: Der Astronom muß sich auf die Beschreibung dessen beschrän­ken, was im Himmelsraum vorgeht, er kann unmöglich in

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bezug auf das, was im Himmelsraum vorgeht, das geringste Urteil darüber fällen, daß zu den Bewegungen der Sterne im Großen Seelenerlebnisse kosmischer Art gehören, wie zu unseren Massenbewegungen im Gehirn unsere Seelen-erlebnisse gehören. Damit war bereits in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts der Astronomie ihre Grenze angewiesen. Man hätte aber ganz anders fragen müssen, als Du Bois-Reymond gefragt hat, nämlich:

Gibt es eine Möglichkeit, auf eine andere Art vor­zudringen, um etwa die den kosmischen Raum aus-füllenden Seelen- und Geisteswesenheiten zu finden? - Des­halb weist die Geisteswissenschaft gegenüber der Astro­nomie auf etwas hin, was wiederholt in diesen Vorträgen besprochen worden ist: daß der Mensch imstande ist, seine Erkenntniskräfte zu anderen Stufen hinaufzuentwickeln, als er sie im normalen Leben hat. Dann erst, wenn diese Erkenntniskräfte auf eine höhere Stufe hinaufgehoben wor­den sind, ist es möglich, anderes im Raume und in der Zeit zu finden als das, was man als die idealste Erfüllung von Raum und Zeit im neunzehnten Jahrhundert angesehen hat: die astronomisch feststellbaren Bewegungen der Kräfte und Atome im Raum.

Nun dürfen wir aber doch nicht allzu gering über das denken, was die äußere Naturwissenschaft in bezug auf das Werden der Welt zu sagen hat. Denn die naturwissenschaft­lichen Tatsachen, die allerdings in einer gewissen radikalen, phantastischen Ausbildung zu dem Ideal einer astrono­misch-molekularischen und -atomischen Erkenntnis geführt haben, haben auf der anderen Seite im neunzehnten Jahr­hundert etwas aus sich herausgetrieben, was wir geradezu als ein Muster einer naturwissenschaftlichen, tief in die Geheimnisse des Daseins hineinleuchtenden Tatsache an­sehen müssen. Und wenn sie auch eine eingeschränkte Bedeutung

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hat, so ist sie doch eine Tatsache allerersten Ranges. Sie kann ja heute auch nur angedeutet werden, denn um was es sich da handelt, ist die Beantwortung der Frage: «Was hat Astronomie über Weltentstehung zu sagen?» Da­zu muß hingewiesen werden auf das, was in der äußeren Welt gezeigt werden kann, um die Antwort auf diese Frage zu geben: daß innerhalb des naturwissenschaftlichen Den­kens, Forschens und Experimentierens mit Klarheit nach­gewiesen ist, wie es zwar im allgemeinen richtig ist, daß wir Naturkräfte ineinander verwandeln können, daß wir zum Beispiel Wärme in Arbeit oder, wenn wir irgendeine Arbeit verrichtet haben, diese in Wärme verwandeln können, aber es ist richtig mit einer ganz gewichtigen Einschränkung. Während auf der einen Seite gilt: Wärme kann in mecha­nische Arbeit, in Bewegungsenergie verwandelt werden und Bewegungsenergie wieder in Wärme - müssen wir auf der andern Seite sagen, daß, wenn man Wärme zurückverwandeln will in Arbeit, in Bewegungsenergie, dies nicht in uneingeschränkter Weise geschehen kann. Das sehen wir am anschaulichsten bei der Dampfmaschine. Wir bringen die Bewegung durch die Wärme hervor, aber wir können nicht alle Wärme, die wir in den Dampfkessel hineinheizen, so umwandeln, daß sie sich ganz umwandelt in Bewegungs­energie. Es geht immer etwas Wärme verloren, so daß wir immer bei allen Prozessen in der Natur, wo Wärme-Energie in Bewegung umgesetzt wird, mit einem Wärmeverlust zu rechnen haben, wie er bei einer Dampfmaschine sicher ist. Denn selbst bei den bestgehenden Dampfmaschinen können wir nur ungefähr ein Viertel der Wärme umwandeln in Bewegung, die andere strahlt aus in den Kühlraum und so weiter. Wir können es nur so, daß wir bei der Umwandlung zusehen müssen, daß ein Teil der Wärme - als Wärme - in den Weltenraum hinausstrahlt.

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Diese Erkenntnis, daß sich zwar Bewegungsenergie rest­los in Wärme, nicht aber umgekehrt Wärme restlos in Be­wegungsenergie zurückverwandeln läßt, ist auch in äußer­licher Beziehung eine der fruchtbringendsten Erkenntnisse für die Wissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts gewor­den. Denn alles, wofür jetzt Lehrkanzeln bestehen, worüber ganze Bibliotheken existieren - über die Thermodynamik-, beruht lediglich auf dieser Erkenntnis, so daß ein großer Teil unserer gegenwärtigen Physik auf dem aufgebaut ist, was eben hier als die Erkenntnis charakterisiert worden ist, daß nicht rückläufig Wärme unbedingt in Bewegungs­energie verwandelt werden kann, sondern daß immer ein Rest von Wärme bleibt, der ausstrahlt. Das ist unwider­leglich gezeigt worden durch solche Untersuchungen wie zum Beispiel die des berühmten Physikers Clausius, von dem die Verallgemeinerung dieses Satzes geltend gemacht worden ist, daß bei allen Vorgängen im Weltall dieser Satz gelten muß. Daher haben wir es bei allen Verwandlungs­prozessen, wo ja überall die Wärme ihre Rolle spielt, mit einer Überleitung der Wärme in jene Arbeit zu tun, die eben bei den Tatsachen unserer Natur in Betracht kommt. Da aber immer bei der Umwandlung ein Rest von Wärme bleibt, so ist unschwer einzusehen, daß zuletzt der Endzustand dieser unserer Entwickelung, in der wir als in einer materiellen Entwickelung drinnenstehen, die Umwandlung der sämt­lichen Bewegungsenergie, der sämtlichen sonstigen Arbeit in der Natur in Wärme ist. Das ist das letzte, was heraus­kommen muß: alles übrige an Naturvorgängen muß sich zuletzt in Wärme umwandeln, weil immer ein Rest von Wärme übrigbleibt, so daß alle Weltenvorgänge so ver­laufen - wenn sich auch noch so lange Zeiten hindurch Natur­vorgänge abspielen werden, die wir als «Naturarbeiten» bezeichnen können -, daß immer größer und größer die

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Wärme sein wird, die als Rest sich ergeben wird, und zu­letzt muß das Ergebnis sein, daß alle Bewegungsvorgänge in Wärme umgewandelt sein werden. Dann hätten wir es also mit einem großen Weltenchaos zu tun, das nur noch aus Wärme besteht, die nicht mehr zurückverwandelbar ist. Alles also, was unsere Sonne an Lebensvorgängen auf der Erde bewirkt, läßt zurück Wärmereste; alles, was von der Sonne zu uns strahlt, tendiert zuletzt dahin, in einen allge­meinen Wärmetod überzugehen. Das ist der berühmte «Clausius'sche Wärmetod», in den alle materielle Entwicke­lung des Weltalls einmünden muß. Und hier hat die Physik für den, der überhaupt etwas von Erkenntnis versteht, eine Erkenntnis geliefert, die ganz unwiderleglich ist, gegen die physikalisch nichts eingewendet werden kann. Es strebt unser materielles Weltall dem Wärmetode entgegen, in dem alles, was an Naturvorgängen besteht, einstmals be­graben sein wird.

Da haben wir aus der Physik selber etwas, was wir un­mittelbar auf die gesamte Astronomie übertragen können. Würden wir nur in der Lage sein, zu sehen, wie sich Be­wegung in Wärme verwandelt, so könnten wir sagen: Das Weltall könnte nach vorn und nach rückwärts unendlich sein, brauchte kein Ende zu nehmen. Aber die Physik zeigt uns an dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie, daß die materiellen Vorgänge des Weltalls dem Wärmetode entgegenstreben. Man kann überzeugt sein: Wäre es nicht gar so schwierig, würde man nicht gar so viele mathematische Vorkenntnisse notwendig haben und auf schwierige physikalische Prozesse eingehen müssen, so würden viel mehr Leute heute von dem Clausius'schen Wärmetod etwas wissen, als es wirklich der Fall ist.

Da haben wir etwas in unser astronomisches Weltbild hineingetragen, was gewissermaßen Entwickelung bedeutet.

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Denken Sie, wie fatal es für eine materialistische Er­kenntnis sein muß, dieses unwiderlegliche Resultat auf sich wirken zu lassen! Wer also Geistiges und Seelisches nur ansieht als Begleiterscheinungen der materiellen Bewegun­gen, der muß ja unmittelbar annehmen, daß alles Seelische und Geistige in das Wärmechaos hineinbegraben sein wird, dem unsere materielle Welt zustrebt, so daß alle Kultur, nach der die Menschen streben, alle Schönheit und Wirk­samkeit der Erde einstmals mit dem allgemeinen Wärmetode zugleich den Tod finden müßte. - Nun darf man sagen, daß insbesondere dem astronomischen Weltbilde dieser all­gemeine Wärmetod etwas fatal geworden ist. Nicht alle Astronomen machen sich die Sache so leicht, wie es sich Sie wissen aus anderen Gelegenheiten, in was für einer anerkennenden Art ich über Haeckel als Naturforscher gesprochen habe - Ernst Haeckel in seinen «Welträtseln» gemacht hat. Er meint, der «zweite Hauptsatz der mecha­nischen Wärmetheorie» widerspreche eigentlich dem ersten, daß alle Wärme umwandelbar ist. Zwar läßt sich nicht leugnen - das weiß auch Haeckel -, daß unser Sonnen­system einem solchen Wärmetod zueilt, aber er tröstet sich damit, daß er sagt: Wenn das ganze Sonnensystem dem Wärmetod verfallen ist, wird es schon einmal zusammen­stoßen mit einem andern Weltsystem, dann entsteht durch den Zusammenprall wieder Wärme - und dann entsteht ein neues Weltsystem! - Es ist dabei nur nicht bedacht, daß ein Aufeinanderprallen der Schlacken und Reste schon be­dacht ist in dem Hinlaufen zum allgemeinen Wärmetod, so daß also von einem solchen Trost nicht viel zu hoffen ist.

Aber auch ernster zu nehmende Leute, die von dem Drange beseelt sind, aus der physikalisch-astronomischen Erkenntnis heraus die Möglichkeit zu gewinnen, die Weltentwickelung

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zu begreifen, suchen geradezu über den all­gemeinen Wärmetod hinauszukommen. Da darf, weil er als der neueste Versuch gelten kann, der Versuch von Arrhenius genannt werden, dem schwedischen Forscher, der in seinem Buche «Das Werden der Welten» in mannigfal­tiger Weise gerade auf solche Fragen vom Standpunkt der physikalischen Chemie, der Physik, der Astronomie, Geo­logie aus zurückkommt. Man darf sagen: Hier ist schon in einer etwas geistreicheren Weise als bei Haeckel der Versuch gemacht, die Lehre von dem allgemeinen Wärmetode zu überwinden. Aber wenn man alles berücksichtigt, was Arrhenius beizubringen versucht, so muß man doch sagen: Überzeugend ist alles das in keiner Weise. Nur kurz soll hier charakterisiert werden, was von dieser Seite aus zur Überwindung des allgemeinen Wärmetodes beigebracht wird. Selbstverständlich kann nicht geleugnet werden, daß ein Sonnensystem - etwa wie unser Sonnensystem - dem allgemeinen Wärmetode entgegengeht. Nun vertritt Ar­rhenius daneben allerdings noch eine andere Idee, die sich auf gewisse Annahmen Maxwells gründet und dessen soge­nannten Strahlungsdruck. Das ist etwas, was der früheren Anziehungskraft der Weltenmassen entgegengerichtet ist, was fortwährend von den einzelnen Weltenkörpern in den Raum hinauswirkt bis in die andern Weltenkörper hinein als Strahlung der verschiedensten Naturkräfte, die Druck erzeugen. Diesem Druck, dem also gleichsam das ist, was die Weltenkörper in den Raum senden, ist nun imstande - weil er eine in den Weltenraum strahlende Kraft ist -, kleinste Teile von Materie mit sich zu führen, die von einem Weltenkörper abgestoßen werden. Nun sucht Arrhenius durch allerlei Erwägungen zu zeigen, daß es ja selbstverständlich ist, daß, solange nicht besondere Verhältnisse eintreten, diese Erscheinungen, die durch den Strahlungsdruck hervorgerufen

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werden, keineswegs den allgemeinen Wärmetod verhindern. Aber Arrhenius glaubt, daß solche besonderen Verhältnisse dadurch herbeigeführt werden, daß gleichsam dieser Weltenstaub zu werdenden Weltennebeln hingeführt wird, die in ganz besonderen materiellen Zuständen sind - beispielsweise dadurch, daß in solche Weltennebel von irgendeiner Seite her irgendein Stern hineingefahren wäre, der die Materie mit sich genommen hat, sie dadurch zusam­mengezogen und eine Erhöhung der Temperatur hervor­gerufen hat. Wenn es also möglich wäre, daß ein solcher Stern, der in einen solchen Weltennebel hineinfährt, im Hineinfahren die Materie, die er trifft, heranzieht und verdichtet, so hätten wir darin, weil durch die Verdichtung eine Erhöhung der Temperatur hervorgerufen wird, etwas, was neuerdings im Weltenraum eine Erhöhung der Tempe­ratur hervorruft, hätten also eine Wärme, die wiederum umgesetzt werden könnte in Arbeit! In einer geistreichen Weise zeigt Armhenius, daß der Weltenstaub, der an ein solches Weltennebelgebilde anfliegt, in einer andern Lage ist - gleichsam hingerissen wird in eine solche Lage, in welchem er dem allgemeinen Tendenz des Wärmetodes ent­zogen wird.

Ich konnte nur flüchtig andeuten, was ja auch nur allzu flüchtig in den Arrhenius'schen Schriften angedeutet ist. Im wesentlichen aber wird der, welcher auf das eingeht, was zur Annahme des allgemeinen Wärmetodes geführt hat, nicht umhinkönnen zuzugeben, daß die Möglichkeit nur scheinbar ist, daß in einem Weltennebel, auch wenn durch Hineinfahren von Sternen eine Erhöhung der Temperatur stattfindet, der Wärmetod aufgehalten werden könnte. Denn das sind doch nur Trugschlüsse, und das Gesetz von dem allgemeinen Wärmetode ist ein so allgemeines, daß wir zugeben müssen, wenn wir richtig vorgehen: nach

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physikalischen Gesetzen müssen die Sterne, die mit einem Weltennebel zusammenstoßen, dadurch, daß sie früher auch da waren und soviel zerstreut haben, nur den Rest ihrem früheren Existenz mitbringen, so daß also auch diese Vorgänge, die in den Weltennebeln sich abspielen, hinein­bezogen werden müssen in die Tendenz des Entgegeneilens des Weltenalls zum allgemeinen Wärmetode. Nun ist es charakteristisch, daß Arrhenius noch weiter geht und in seine Idee des Strahlungsdruckes die Möglichkeit einbe­zieht, daß Samen lebender Wesen von einem Weltenkörpern zum andern durch den Strahlungsdruck gestoßen werden könnten. Und man kann in der Tat - mit einem großen Schein von Richtigkeit - nachweisen, wie die Kälte, durch die gewisse Pflanzensamen, Tiersamen getragen würden, konservierend auf dieselben wirken würde, so daß durch die reine Rechnung angenommen werden könnte, daß das Leben von dem einen zum andern Weltenkörper durch den Strahlungsdruck getragen würde. Das könnte man aus­rechnen zum Beispiel für den Weg von der Erde bis zum Mars. Man erspart dann dem Erde - anstatt es ihr sonst aufzuhalsen - die Möglichkeit, wie man es sonst in der Physik, Geologie und so weiter will, einmal Leben hervor­gebracht zu haben, denn man kann dann sagen: Es braucht also die Erde kein Leben hervorgebracht zu haben, denn es kann ihr von andern Weltenkörpern zugeflossen sein. - Es kommt nicht viel dabei heraus. Denn wird man damit etwas Besonderes gewinnen, daß man die Frage nach der Entstehung des Lebens auf andere Weltenkörper verlegt? Da haben wir ja dieselben Schwierigkeiten, nur daß uns auf der Erde die Verhältnisse hindern, um die Entstehung von Leben auf andern Weltenkörpern anzunehmen. Das sind überhaupt Dinge, die zeigen können, wie scheinbar gut gemeinte Unternehmungen der Gegenwart, die selbst von

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der Ewigkeit des Lebens ausgehen, unter dem Einfluß von materialistischen Vorurteilen stehen. Denn der ganze Ge­dankengang ist durchaus materialistisch, so materialistisch, daß gar nicht darauf Rücksicht genommen wird, daß Leben ebenso hier seinen Ursprung haben könnte als in dem, was von einem Weltenkörper zum andern hinstrahlend gedacht werden könnte. Es zeigt dies, daß selbst gut gemeinte Ge­danken in der Gegenwart daran leiden, sich auf den Boden des Materialismus stellen zu müssen.

So tritt uns also überall das gleiche entgegen: das Stu­dium physikalischer Gesetze, materieller Gesetze, materi­eller Kräfte, und dieses Studium wird dann so verwendet, daß gleichsam alles, was die Physik findet, auf das große Weltgebäude übertragen wird, und man versucht sich das Werden der Welt mit diesen Kräften vorzustellen. Wir haben gesehen, wie im Grunde genommen die Grenze, die der Astronom sich ziehen müßte, durch solche Gedankenunternehmungen überall überschritten wird. Denn der Astronom kann aus dem, was er vom sich hat, gar nicht auf irgend etwas schließen, was mit den Kräften zu tun hat, die das Werden der Welt bedingen. Das können wir uns wieder daran verdeutlichen, daß unser Denken und Empfinden seelische Vorgänge sind, die ganz zweifellos materielle Vor­gänge hervorrufen, zum Beispiel in unserem Gehirn, selbst in unserer Blutentwickelung. Wer Schamgefühl empfindet, wem die Schamröte ins Gesicht steigt, der kann sich davon überzeugen, daß seelische Vorgänge materielle Vorgänge im Gefolge haben. Wer aber zugibt, daß das Seelisch-Geistige in uns materielle Vorgänge bewirkt, der muß sich sagen: Würde ich im menschlichen Gehirn drinnenstehen und die Außenbewegungen studieren, so würde ich in den Bewegungen nur Bewegungen sehen; da würde ich gar nicht einmal ahnen, daß ich die Bewegungen mitmechne, welche

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durch die geistig-seelischen Prozesse bewirkt werden. Ich lasse es also weg, was die geistig-seelischen Ursachen sind. - Kann es dadurch nicht begreiflich erscheinen, daß der Astmo­nom genötigt ist, wenn er an seinem Orte die Himmelskörper studiert, dasjenige, was die Ursachen sind, daß da oder dort irgendein Stern so oder so sich bewegt, so oder so zu entwickeln? Dürfen wir aus den bloßen Bewegungen oder aus den dynamischen Gesetzen folgern: Die Sonne muß in einer bestimmten Weise zur Erde stehen, dem Mond muß in einer bestimmten Weise zur Erde stehen, muß in einer bestimmten Weise um die Erde herumgehen, und da­durch können sich diese Bewegungen ergeben? - Wodurch sie im Seelisch-Geistigen verursacht sind, darüber kann die Astronomie überhaupt nichts entscheiden. Deshalb können wir gerade aus dem Felde der Astronomie heraus in die Notwendigkeit kommen, durch ganz andere Mittel hin­weisen zu müssen auf das, was die wahren Ursachen sind auch des Weltsystemes. Da kann - heute eben nur mit ein paar Worten - auf den Zusammenhang von Erde, Sonne und Mond hingewiesen werden.

Wie diese drei Himmelskörper zueinander stehen, so hat sich ihr gegenseitiges Leben und so haben sich ihre Bewe­gungsverhältnisse entwickelt. Wollen wir erkennen, warum Sonne, Erde und Mond sich gerade so verhalten, wie sie sich heute verhalten, so müssen wir nicht bloß von den­jenigen Kräften auf der Erde, die wir als die physikalisch-mechanischen erkennen, zum Himmelsraum aufrücken, son­dern wir müssen von noch andern Vorgängen, die sich auf der Erde abspielen, zur Welt des Himmelsraumes aufrücken. Da haben wir, wenn wir den Menschen betrachten, ganz gewiß ebenso etwas vor uns, was zur ganzen Erde und ihrem Zusammenhange mit Sonne und Mond gehört wie das Blühen der Blumen oder irgendein anderer Vorgang -

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oder wie ein elektrischer Vorgang in der Luft. Zweifellos gehört der Mensch mit allem, was er ist, zur Erde, und es ist eine Abstraktion, wenn man sich die Erde nur vorstellt, wie es die Geologen machen, als ein bloß anorganisches, unbelebtes Gebilde, sondern man muß die Menschen in die ganzen Vorgänge der Erde hineinstellen. Da haben wir zunächst die Schwierigkeit, daß wir zweierlei auseinander­halten müssen, wenn wir in der richtigen Amt den Unter­schied zwischen Mensch und Tier fassen wollen: Beim Tier überwiegt das Gattungsmäßige, so daß ein individuelles Ich mit seiner ganzen Entwickelung zwischen Geburt und Tod nicht in so entscheidender Weise zur Geltung kommt, wie dies beim Menschen mit seinem individuellen Ich der Fall ist, das sich in aller Erziehung und in allem Kultur­leben des Menschen ausdrückt. Das unterscheidet den Men­schen von dem Tier, bei welchem das Gattungsmäßige über­wiegt. Nun ist es so, daß solche Dinge durch Übergänge ineinander übergehen. Beim Tier überwiegt das Gattungs­mäßige, aber das Gattungsmäßige geht in die Menschen­natur hinein. Je weiter wir zurückgehen in dem Laufe dem Zeiten - welchen Gang wir angetreten haben, als wir die großen Geister betrachteten -, desto mehr finden wir, daß dem Mensch auch ein gattungsmäßiges Wesen ist, und das Individuelle sehen wir immer mehr und mehr heraus­sprießen aus dem Gattungsmäßigen. Auf dem Boden des Gattungsmäßigen erhebt sich das Individuelle. Wir haben das Ideal einer Menschenzukunft vor uns, die uns sagt: Es wird das Individuelle, die Ich-Natur eines jeden Menschen im Verlaufe der Erdentwickelung den Sieg über das Gat­tungsmäßige davontragen. Aber im Zurückgehen erblicken wir auf dem Grunde der menschheitlichen Entwickelung gerade das Gattungsmäßige. Wir haben uns ja auch, indem wir zurückgegangen sind, immer mehr und mehr einem

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anderen Bewußtseinszustand nähern können, in welchem der Mensch traumhaft, bildhaft mit einer geistigen Welt zusammengehangen hat, so daß wir diese zwei Dinge als zusammengehörig betrachten müssen: das Gattungsmäßige und das bildhafte, traumhafte Bewußtsein der alten Zeiten einerseits und andererseits die Entwickelung dem Individu­alität, und verbunden mit der Entwickelung der Individu­alität den Durchgang unseres individuellen Bewußtseins durch das, was sich der Mensch im Laufe der Zeiten anzu­eignen hat. Ein solches Herausgehen des Individuellen aus dem Gattungsmäßigen, des Intellektuellen, durchsichtigen Vernunftmäßigen aus dem Hellseherisch-Traumhaften, das muß in seinen Ursprüngen innerhalb der ganzen Weltent­wickelung gesucht werden. Denn wie sozusagen dem Stein, der zur Erde fällt, unter den allgemeinen Weltgesetzen steht, so steht auch dieses Hervorgehen dem menschlichen Individualität und der menschlichen Intellektualität aus dem menschlichen Gattungsmäßigen und dem menschlichen Hellsehen in einem Zusammenhange mit den großen kosmischen Gesetzen, die überall im Raum wirken. Wir haben ja in dieser Beziehung einen Schritt schon gemacht, als wir die Bedeutung der Geologie für die Geisteswissen­schaft charakterisieren konnten. Wir konnten da zeigen, wie wir die Erde zu einem Zustande zurückverfolgen können, in welchem solche Vorgänge tellurisch, irdisch sind, die sich heute nur abspielen, wenn unsere Gedan­ken und Empfindungen wie zersetzend in unserem Orga­nismus wirken, so daß wir, wenn wir in der Erd­entstehung zurückgehen, solche Epochen finden, in denen die Erde in einem Zersetzungsprozesse war. Da zeigt uns nun - was genauer in der «Geheimwissenschaft» dar­gestellt ist - jenes Erkennen, das in diesen Vorträgen charakterisiert worden ist, daß sich gleichsam die ganze

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Erde vor einem zu weit gehenden Zersetzungsprozeß da­durch geschützt hat, daß sie den Mond aus sich heraus ab­gesondert hat. Damit also jener Zustand hat überwunden werden können, welcher als ein Zersetzungsvorgang inner­halb der Erdentwickelung geschildert werden kann, mußte dem Mond aus unserer Erde abgesondert werden.

Jetzt haben wir nicht bloß einen mechanisch-physika­lischen Vorgang, sondern wir haben in dem Abstoßen des Mondes einen solchen Vorgang zu sehen, der dadurch not­wendig geworden ist, daß die Erde sich, indem sie den Mond auswarf, vor einem zu weit gehenden Zersetzungsprozeß schützte. Dadurch hat die Erde die Möglichkeit herbei­geführt, zum Sonne direkt in ein neues Verhältnis zu treten. Denn während sie den Mond in sich hatte, war dieser Zer­setzungsprozeß in der Erde ein solcher, daß - wenn wir uns die damalige Erdatmosphäre vorstellen - die Sonnenwirkung nicht durch die Erdatmosphäre hindurch konnte. Deshalb mußte erst ein neuer Zustand herbeigeführt wer­den, damit Erde und Sonne einander ansichtig werden konnten. Mit diesem Ansichtig-Werden von Sonne und Erde, mit der Reinigung der Erdatmosphäre - was erst möglich wurde mit dem Mond-Herausgehen - trat der Kräftezustand ein, der allmählich dazu führte, daß das alte Gattungsbewußtsein nach und nach in das Ich-Bewußt­sein, in das intellektuelle Bewußtsein verwandelt wurde. So sehen wir mit der ganzen Menschheitsentwickelung zu­sammenhängend das Hinausgehen des Mondes, die Reini­gung der Erdatmosphäre und dadurch das Herstellen einer direkten Beziehung der Sonne zur Erde. Wir könnten nun noch weiter zurückgehen und würden einen solchen Zustand unserer Erdentwickelung finden, in welchem die Erde noch mit der Sonne selber verbunden war. Wir würden weiter finden, daß die Trennung von Erde und Sonne aus

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dem Grunde vor sich gegangen ist, um die Möglichkeit von bewußten Wesen überhaupt auf der Erde herbei­zuführen. Nur durch das Abstoßen der Erde von der Sonne ist dasjenige von Kräftesystemen zustande gekom­men, was es möglich machte, daß Wesenheiten in sich selber zu einem Erleben und zu einem Bewußtsein kommen konnten. So wurde das alte hellseherische Bewußtsein möglich durch die Abstoßung der Erde von der Sonne - und das Aufrücken zu einem höheren Bewußtsein, zu einem intellektuellen Bewußtsein durch die Abstoßung des Mondes von der Erde. Wenn wir hell­seherisch - durch eine höhere Erkenntnis - zu dem auf­steigen, was uns eine äußere Astronomie nicht geben kann, so haben wir in kosmischen Kräften die Gründe für das, was in der Abtrennung der Sonne und auch der übrigen Planeten von der Erde geschehen ist - das heißt wir kom­men zu geistigen Ursachen!

Ich konnte hier das Prinzip nur andeuten. Natürlich könnte jeder fragen: War denn der Mensch schon vorhanden, als Erde und Sonne sich trennten? Gewiß, er war vor­handen, nur unter anderen Verhältnissen. Daß der Mensch, wie er unter den jetzigen Verhältnissen lebt, nicht möglich wäre, wenn die Sonne mit der Erde zusammen ist, das ist natürlich. Das wäre aber kein Einwand. Wir erhalten also für die Bewegungen der Himmelskörper geistige Ursachen, geistige Gründe. Jetzt stehen wir nicht mehr bei dem, auf das uns vom mehr als einem Jahrhundert die Astronomie hingewiesen hat mit der bloßen Verwertung physikalischer Gesetze und gesagt hat: Die Erde war früher mit der Sonne vereinigt in einem großen Gasball, der kam in Rota­tion, und dadurch haben sich die Planeten und auch die Erde abgetrennt und später ebenso der Mond von der Erde. - Jetzt kommen wir nicht mehr dazu, zu behaupten,

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daß so etwas nur aus mechanisch-physikalischen Gesetzen geschieht, sondern es müssen innere, geistige Gründe vor­liegen, daß die Sonne von der Erde getrennt wurde. So wurde die Erde von der Sonne getrennt, damit der Mensch zum bewußten Erleben erhoben wurde, und so wurde der Mond von der Erde getrennt, damit der Mensch zu seinem höheren Bewußtsein kommen kann. Kurz: wir fangen an, in das astronomische Weltbild das hineinzubringen, was wir hineinbringen müssen - und zwar in das astronomische Weltbild des kleinen Gehirns dasjenige, was wir hinein­bringen müssen, wenn wir übergehen wollen von der bloßen Bewegung der Gehirnatome zu der Erkenntnis: ich sehe rot, höre Orgelton, rieche Rosenduft und so weiter. - So müssen wir vorgehen, wenn wir den Übergang finden wollen von dem, was uns die populäre Astronomie zu geben vermag, zu dem, was die Ursachen der Geschehnisse im Himmelsraume sind. Daher sollten die, welche auf dem Boden der äußeren Physik stehenbleiben wollen, sich dar­auf beschränken, nur das zu erforschen, was Bewegungen oder was Kräfte sind, was also astronomisch zu erkennen ist; sie sollten sich gestehen, daß ein ganz anderer Fort­schritt in der Erkenntnis notwendig ist, wenn die Astro­nomie zu einer Erklärung des Weltenwerdens kommen will, sollten sich gestehen, daß sie als Vertreter einer rationalistischen und empirischen Astronomie stehenbleiben müßten vor der Erklärung des Weltenwerdens.

Wenn dies berücksichtigt wird, dann stellt sich heraus, daß die großen und wirklich bedeutsamen Ergebnisse der modernen Astronomie sich in unser geisteswissenschaftliches Weltengebilde ganz wunderbar einfügen. Nehmen Sie die «Geheimwissenschaft» zur Hand. Da ist gezeigt, wie sich nach und nach unsere Erde entwickelt hat, wie sie - gerade wie dem einzelne Mensch in den aufeinanderfolgenden Erdenleben

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- Entwickelungsstufen durchmacht, wie sozusagen ein Planet selber Entwickelungsstufen durchmacht. Da ist un­sere Erde auf einen früheren planetarischen Zustand zu­rückgeführt, dieser frühere wieder auf einen früheren, so weit, wie man es zurückverfolgen kann, bis zu einem Zustand, der dort genannt ist - aber darauf, wie man ihn nennt, kommt es nicht an - der «alte Saturn», womit aber nicht unser heutiger Saturn gemeint ist, sondern ein plane­tarischem Vorgänger unserer Erde. Da zeigt uns dasselbe Erkennen, das von aller äußeren Physik ganz unabhängig ist, unabhängig von jeder Spekulation - das können Sie in dem genannten Buche selber sehen -, daß ein entsprechen­der planetarischer Vorgänger unserer Erde, eben dieser alte Saturn, lediglich in einem Wärmezustand bestand und daß geistige Kräfte in diesen Wärmezustand eingegriffen haben, so daß geistige Kräfte von dem Wärmechaos Besitz ergriffen haben. Dadurch wird alle Entwickelung bis zu unserer Erde herein herbeigeführt. Weiter zeigt uns die Geisteswissen­schaft, daß tatsächlich das Materielle unter unseren Füßen in einem Absterbeprozeß ist. In dem Vortrage «Was hat die Geologie über Weltentstehung zu sagen?» haben wir gezeigt, wie die Geologie so weit ist, uns Recht zu geben, wie die Erdrinde in einem Absterbeprozeß ist. Alles, was wir an der Erdrinde kennen, begreifen wir nur gut, wenn wir es als in einem Absterbeprozeß begriffen verstehen. Darin aber liegt - das zeigt die Geisteswissenschaft -, daß das Geistige von dem Materiellen frei wird. Wenn unter uns das planetarische Materielle abstirbt, befreit sich der Geist daraus.

Jetzt haben wir eine andere Möglichkeit! Wir können auf die Weltnebel hinweisen - da haben wir keine Speku­lationen nach dem Muster der bloßen Physiker, die doch nicht haltmachen vor dem Wärmetod - und können sagen:

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Gewiß, da haben wir Gebilde, in denen die Verwandlung aller übrigen Vorgänge in Wärme vorliegt. Aber wie beim Anfang der Erde geistige Mächte den Wärmezustand er­griffen haben, so führen aus den Weltennebeln, in welche durch den Wärmetod die Sonnensysteme eingemündet haben, geistige Mächte aus dem Wärmetod heraus die Weltennebel zu neuen Sonnensystemen. Es gibt eigentlich nichts Überraschenderes als die Übereinstimmung eines der wunderbarsten Gesetze des neunzehnten Jahrhunderts in seiner Anwendung auf die Astronomie - wie die Anwendung des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie - mit den positiven, tatsächlichen Ergebnissen der astrono­mischen Beobachtungswelt. Wenn Sie nun nicht das nehmen, was durch Spekulation über allerlei Strahlungsdruck oder selbst durch empirische Ergebnisse über den Strahlungsdruck sich ausdenken läßt, sondern wenn Sie von dem ausgehen, was wirklich im Spektroskop oder durch die Photographie der Weltengebilde gewonnen werden kann, so werden Sie sehen, daß alles bis ins letzte Glied hinein mit dem übereinstimmt, was als Werden der Welten und als Ent­wickelung der Welten aus der Geisteswissenschaft gewonnen werden kann, indem gezeigt wird, wie das, was man als astronomisches Raumesbild sieht, das Ergebnis - geistige Ergebnis - ist geistiger Wesenheiten. Anders als die astro­nomischen Physiker der heutigen Zeit können wir sagen: Der Mensch hat keinen Grund, den Wärmetod zu bekämp­fen oder sich davor zu fürchten, denn er weiß, daß daraus neues Leben aufblühen wird, wie aus dem alten Wärme­chaos das Leben aufgeblüht ist, das wir jetzt vom uns haben. Aus dem Grunde, weil nur so eine wirkliche- Wiederholung und Steigerung des Lebens möglich ist - nicht nur aus dem, was Arrhenius meint, daß das Leben wie in einem neu aufgezogenen Uhrwerk in dem neu angeordneten Weltennebel

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sich von neuem abspiele, sondern nur im Hinüberarbeiten eines geistigen Elementes von einem Wärmezustand zum andern -, ist eine Entwickelung möglich. Und wenn unsere Weltensubstanz in dem Wärmegrabe begra­ben sein wird, wird der Geist um eine Stufe weitergeschrit­ten sein und wird höhere Gebilde, höheres Leben aus dem Wärmechaos hervorzaubern. Daher ist in der «Geheimwissenschaft» der Endzustand der Erdenverkörperungen - der Vulkanzustand - derjenige, welcher auf das hindeu­tet, was als neues Leben aus dem Grabe des Wärmetodes herausschaut. Deshalb ist der Name «Vulkan» gebraucht. Wenn wir das Astronomische in Frage ziehen, können wir gerade daraus sehen, wie tief die äußere Wissenschaft über­einstimmt mit dem, was die Geisteswissenschaft zu geben hat.

Gewiß werden die Leute immer wieder sagen: Ihm Geisteswissenschafter seid Phantasten, denn das richtige Ergebnis der exakten Wissenschaft widerspricht durchaus dem, was ihr glaubt aus der Geisteswissenschaft heraus gewinnen zu können. - Und es könnte jemand weitem sagen: Du hast neulich sogar von Moses ernsthaft gesprochen, aber wir wissen doch, daß das alles überholt ist. Denn die glor­reiche Naturwissenschaft hat uns längst darüber belehrt, wie wir über die Weltentwickelung des Moses - das hat die Naturwissenschaft gezeigt - hinaus sind. - So sagen die, welche von außen bloß dabei sind. Fragen wir aber andere, die nicht von außen, sondern mehr von innen dabei waren. Da weiß ich Ihnen zu sagen, wie ein sehr bedeutender Phy­siker, der an der Entwickelung der Lichtlehre einen ganz bedeutenden Anteil hat, Biot, gesagt hat: Entweder hatte Moses in den Wissenschaften eine ebenso tiefe Erfahrung, wie sie unser Jahrhundert hat, oder er war inspiriert.

So ein ton angebendem Physiker des neunzehnten Jahrhun­derts. Nun werden vielleicht die, welche populäre- Bücher

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über Weltanschauungen schreiben, meinen: Gewiß, so denkt eben ein Physiker, der sich nur mit der Außenseite der Erscheinungen befaßt. Aber die, welche tiefer in das Wesen des Organischen eingehen, zeigen uns, daß man im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts, wo man die natürlichen Ursachen suchte, weggetrieben wurde von dem Geist. - Nun, Liebig, der tief in das Wesen des Organischen einge­drungen ist, wie dachte er über die Beziehungen der Welt, welcher er seine Forscherkraft gewidmet hatte, zu der geisti­gen Welt? Er sagt: Es sind die Meinungen von Dilettan­ten, welche von ihren Spaziergängen an der Grenze der Gebiete der Naturforschung die Berechtigung herleiten, dem unwissenden und leichtgläubigen Publikum auseinan­derzusetzen, wie die Welt und das Leben eigentlich ent­standen und wie weit doch der Mensch in der Erforschung der höchsten Dinge gekommen sei. - Nun könnten uns die Leute vordeklamieren: Habt ihr nie gehört, daß ein Lyell eine Geologie- begründet hat? Habt ihr nie gehört von dem großen Fortschritt, der durch ihn gekommen ist, wie er der große Überwinder derjenigen Weltanschauungen ist, die noch mit geistigen Kräften rechnen? - Ich könnte Ihnen Schriften von Lyell vorführen, die heute tiefen Eindruck machen. Aber gerade Lyell hat sogar einmal gesagt: In welche Richtung wir immer unsere Nachforschungen an­stellen mögen, überall entdecken wir die klarsten Beweise einer schöpferischen Intelligenz, ihrem Vorsehung, Macht und Weisheit. - So dem Begründer der neueren Geologie. Nun könnten die Leute kommen und sagen: Aber durch Darwin ist doch überwunden die Einwirkung irgendwel­cher geistigem Kräfte! Darwin hat uns gezeigt, wie durch rein natürliche Vorgänge die Entwickelung dem Organismen geschieht. - Darwin selber aber hat den Satz hingeschrie­ben: Ich halte dafür, daß alle Lebewesen, die je auf der

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Erde gewesen sind, von einer Urform abstammen, welcher das Leben vom Schöpfer eingehaucht wurde. - Also mit Darwin können uns die Leute auch nicht kommen, die da sagen, wir wären Phantasten, wenn wir von geistigen Wesen­heiten und geistigen Kräften sprechen. Dann kommen viel­leicht noch die Menschen und sagen uns: Wißt ihr denn gar nicht, was der Grundnerv für alle- naturwissenschaftliche Entwickelung des neunzehnten Jahrhunderts ist, der alle Entwickelung tief beeinflußt hat? Wißt ihr denn nichts von dem Grundgesetz der Umwandlung der Naturkräfte? -Nun, wir haben heute eben davon gesprochen, haben ge­sehen, wie die- Umwandlung der Naturkräfte durchaus nicht dem widerspricht, was die Geisteswissenschaft zu sagen hat. Aber die Leute könnten sich berufen wollen auf Julius Robert Mayer, auf den Begründer des Satzes von dem mechanischen Wärme-äquivalent wie auch von der Um­wandlung der Naturkräfte selber. Doch Julius Robert Mayer hat den merkwürdigen Ausspruch getan: Aus gan­zem vollen Herzen rufe ich aus: Eine richtige Philosophie kann und darf nichts anderes sein als eine Pmopädeutik für die christliche Religion! - Überall sind die- Sachen anders, wenn man auf die Quellen und auf diejenigen zurückgeht, die diese Quellen geschaffen haben, die- die großen Pfad­finder sind auf dem Wege der menschlichen Erkenntnis, und nicht auf ihre Nachtmetem, noch auf diejenigen sieht, die ein leichtgeschürztes Ideengebäude ausfindig machen wollen - wie die neueren Astrophysiker - und damit die ganze Welt umspannen wollen. Wenn man nicht zu den letzteren, sondern zu den ersteren geht, dann kann man sagen: Mit denen, die- die großen Pfadfinder waren, ist die Geisteswissenschaft überall im vollen Einklang. Daher weiß die Geisteswissenschaft, daß sie sich in den Werdegang der menschlichen Geistesentwickelung hineinstellen darf und

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daß sie harmonisch in der Entwickelung der Menschheit weiterschreitet mit alledem, was die Entwickelung der Menschheit gefördert hat. Wenn die Astronomie als eine bloß äußere, physikalische Astronomie ein Werden der Welt aussinnen will, dann möchte man doch die, welche so tun, an einen generellen Ausspruch in den Xenien von Goethe und Schiller erinnern:

In unendliche- Höhen erstreckt sich das Sternengewölbe, Doch der Kleinigkeitsgeist fand auch bis dahin den Weg.

Wir müssen uns davor schützen, daß der Kleinigkeitsgeist auch bis in die- Sternenhöhen seinen Weg findet, indem wir zeigen: Ebensowenig wie uns die Gehirnbetrachtung zu einem geistig-seelischen Leben führt, sondern wie dieses abgeson­dert ist von den bloßen Bewegungen und diese überschreiten kann, ebensowenig kann die Betrachtung der äußeren Be­wegungen und Gesetze in den Geist des WeltenalIs hinein­führen. Daher bleibt es in einer gewissen Weise wahr, was Schiller meint, wenn er den Astronomen sagt:

Schwatzet mir nicht so viel von Nebelfiecken und Sonnen!

Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen euch gibt?

Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume;

Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht!

So meint Schiller. Es ist richtig, wenn man auf das bloß bewegliche Äußere im Raume sieht. Es ist nicht richtig, wenn man auf das eingeht, was aus sich heraus - als Geisti­ges - die- Raumesgesetze herausstrahlt. - So bleibt das Wort wahr: Das Hinaufdmingen mit dem Gemüte zu den Sternen wird immer in jedem Gemüte die- Ahnung von dem Geistig-Göttlichen hervorrufen. Wenn wir aber mit unserem Er­kennen hinaufdmingen wollen, so muß unser Erkennen den Weg gehen: Per aspera ad astra - durch Strenge zu den

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Sternen, wie wir uns durch die Dornen zu den Rosen hinaufarbeiten. Das ist aber der Weg der geistigen Erkennt­nis. Gerade der geiste-swissenschaftliche Weg zu den Sternen wird zeigen, daß er der Weg ist, der den Menschen dahin bringt, sich zu sagen: Wie meine Stoffe und die, welche in meinem Umkre-ise sind, im ganzen Weltall ausgebreitet sind - wie mir es das Spektmoskop zeigt -, so ist im ganzen Weltall ausgebreitet und ihm angehörig, was als Geistig­Seelisches in mir lebt. Herausgebomen ist mein Körperliches aus dem Weltenall - herausgeboren ist mein Geistig-Seeli­sches aus dem Weltenall. Wahr bleibt es, was hier noch einmal mit den paar Worten charakterisiert werden soll, die ich bei anderer Gelegenheit schon einmal anführen durfte: Wahr bleibt es, daß dem Mensch nur dann zu dem vollständigen Weltenbewußtsein kommen kann, wenn er sich klar wird über die Frage, die ihm die Astronomie- auch nicht beantworten kann: die Frage über seinen Anteil an der Welt und seine Bestimmung in der Welt. Und wahr ist es, daß die Antwort auf diese Frage ihm Lebenssicher­heit geben kann, Lebensmut, Lebenshoffnung, wenn er aus dem geisteswissenschaftlichen Erkenntnis heraus weiß, was mit den Worten gemeint ist:

Es drängt sich an den Menschensinn

Aus Weltentiefen rätselvoll

Des Stoffes reiche Fülle.

Es strömt in Seelengründe

Aus Weltenhöhen inhaltvoll

Des Geistes klärend Wort.

Sie treffen sich im Menscheninnern

Zu weisheitvoller Wirklichkeit.

HINWEISE

#G060-1959-SE478 - Antworten der Geisteswissenschaft auf die grossen Fragen des Daseins

#TI

HINWEISE

#TX

Diese im Winterhalbjahr 1910/11 in Berlin gehaltenen fünfzehn Vor­träge werden hier zum ersten Male chronologisdi in Buchform ver-öffentlicht.

Die Vorträge erschienen bereits in folgenden Zeitschriften:

I-VII «Die Drei> 1929/30, 9. Jahrg., Heft 1-7. (III «Gäa Sophia». Band V. Jahrbuch der Naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum Dornach, Stuttgart 1930. - III und IV «Mitteilungen des Forschungsringes für Biolo­gisch-Dynamische wirtschaftsweise» Stuttgart 1949, Nr.13 und 14. - VI «Mitteilungen des Forschungsringes für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise> Stuttgart 1948, Mai)

VIII «Die Drei» 1928/29, 8. Jahrg., Heft 7. - «Die Menschen-schule» 1935, 9. Jahrg., Heft 10

IX «Die Drei» 1925/26, 5. Jahrg., Heft 10

X «Das Goetheanum» 1942, 21. Jahrg., Nr. 2-6

XI «Die Drei» 1928/29, 8. Jahrg., Heft 11. - «Die Men­schenschule» 1942, 16. Jahrg., Heft 1. - «Mitteilungen des Forschungsringes für Biologisch-Dynamische Wirt­schaftsweise», Stuttgart 1949, Nr.10

XII u. X1II «Die Drei« 1925/26, 5. Jahrg., Heft 11 und 12

XIV «Die Drei« 1926/27, 6. Jahrg., Heft 1

XV «Die Drei» 1928/29, 8. Jahrg., Heft 12.

Es ist die achte der Vortragsreihen, welche Rudolf Steiner seit dem Herbst 1903 öffentlich in Berlin hielt und bis zum Frühjahr 1918 regelmäßig durchführte. In seiner Selbstbiographie «Mein Lebensgang» (Kapitel 31) weist er in folgender Art auf diesen Teil seiner Vortrags­tätigkeit hin: «So war es nicht etwa die in der Theosophischen Ge­sellschaft vereinigte Mitgliederschaft, auf die Marie von Sivers (Marie Steiner) und ich zählten, sondern diejenigen Menschen überhaupt, die sich mit Herz und Sinn einfanden, wenn ernst zu nehmende Geist-Erkenntnis gepflegt wurde. Das Wirken innerhalb der damals be­stehenden Zweige der Theosophischen Gesellschaft, das notwendig als Ausgangspunkt war, bildete daher nur einen Teil unserer Tätigkeit. Die Hauptsache war die Einrichtung von öffentlichen Vorträgen, in

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denen ich zu einem Publikum sprach, das außerhalb der Theosophi­schen Gesellschaft stand und das zu meinen Vorträgen nur wegen deren Inhalt kam.» - Die in diesen Vorträgen gebrauchten Worte «Theo­sophie» und «theosophisch», deren sich Rudolf Steiner im Sinne seiner anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft (Anthroposophie) bedient hat, sind meist durch «Geisteswissenschaft» oder «Anthropo­sophie» ersetzt worden.

Zu Seite:

7 Zur Einfübrung: aus dem Vorwort von Marie Steiner zu «Wendepunkte des Geisteslebens», Dresden 1940.

20 «Wie widerlegt man Theosophie? Wie begründet man Theoso­phie?>

Über dieses Thema sprach Rudolf Steiner zum ersten Male am 19. und 25. März 1911 in Prag und später an verschiede­nen Orten in Deutschland. Die Berliner Vorträge werden in der Reihe der Architektenhaus-Vorträge erscheinen.

25 Goethes Gespräch mit Falk:

Flodoard Freiherr von Biedermann: Goethes Gespräche ohne

die Gespräche mit Eckermann. Gesamtausgabe Leipzig 1909

Band II, Seite 169 ff. Gespräch vom 25. Januar 1813.

29 die großen Entdechun gen von Schleiden und Schwann über die Menschen- und Tierzelle:

Matthias Jakob Schleiden, 1805-1881, Botaniker, Professor in Jena und Dorpat. «Die Pflanze und ihr Leben», 1848.

Theodor Schwann, 1810-1882, Anatom und Physiologe, Pro­fessor in Löwen und Lüttich. «Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmung in der Struktur und dem Wachstum von Tier und Pflanze»,] 1839.

30 Gustav Robert Kirchhoff, 1824-1887, Physiker, Professor in Breslau, Heidelberg und Berlin. Er entdeckte mit Bunsen zu­sammen 1860 die Spektralanalyse. «Untersuchungen über das Sonnenspektrum und die Spektren chemischer Elemente», 1861 bis 1863.

Robert Bunsen, 1811-1899, Chemiker, war unter anderem Pro­fessor in Marburg und Heidelberg. «Gesammelte Abhandlun­gen», 3 Bände, 1904.

33 Bernhard Riemann, 1826-1866, Professor in Göttingen. «Über die Hypothesen, die der Geometrie zugrunde liegen», 1854.

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Nikolaus Lobatschewski, 1793-1856,] Rußland,] «Über die An­fangsgründe der Geometrie», 1829.

Johann Bolyai, 1802-1860, Ungarn, Ingenieuroffizier und Ma­thematiker.

40 Thomas Henry Huxley, 1825-1895, Physiologe und Zoologe, Professor in London. «Anatomy of Vertebrated Animais», 1871.

44 Francesco Redi, 1626-1698, Leibarzt des Herzogs von Toscana. Gesammelte Werke in 7 Bänden, 1664/1690. Er untersuchte unter anderem Anatomie, Fortpflanzung und Metamorphose der Insekten.

63 So muß man lernen:

Aus erhaltenen Notizen des Kasseler Vortrages «Menschen-seele und Tierseele» vom 3. Dezember 1910 sei ergänzend an­geführt:

«Wollen wir den Blick in die geistige Welt erringen, dann müssen wir mit absolutem Gleichmut, mit absoluter Gelassen­heit zu allem, was der Strom der Zukunft an uns heranbringt, schweigen können; müssen alles begründet finden können in der geistigen Varsehung. Wenn die Seele ruhig bleiben kann gegenüber Furcht und Schmerz, bis ins Physische, auch gegen­über äußeren Ereignissen, wenn die Seele so gleichmütig der Zukunft gegenüber ist, dann eröffnet sich ihr allmählich der Blick in die geistigen Welten.>

67 Der den Vortrag abschließende Spruch wurde von Rudolf Stei­ner in der nachstehenden Form in einem Notizbuch aufgeschrie­ben:

«Der kleinste Erdenmensch, Ein Sohn der Ewigkeit, Er wird in Zukunft stets Sich blühend finden Als Zeuge der Vergangenheit.»

80 Theodor Zell, Pseudonym für Leopold Bauke, 1862-1924, naturwissenschaftlicher Schriftsteller. «Ist das Tier unvernünf­tig?», Berlin 1904.

Aus dem gleichnamigen Kasseler Vortrag vom 3. Dezember 1910 sei ergänzend angeführt: «Zell schreibt ein kleines, sehr gutes Büchlein: >Ist das Tier unvernünftig?< Er zeigt da: der Hund hat Angst vor dem Wasser, nicht nur, wenn man ihn übergießt, sondern überhaupt vor Wasser, und je reiner es ist, desto mehr fürchtet er sich. Weshalb? Er ist auf den Geruch hin organisiert. Reines Wasser riecht aber nicht. Es ist für den

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Hund dasselbe wie für ein Kind, das in ein ganz dunkles Zim­mer gehen soll, wo seine Organe keine Wahrnehmungen mekr machen können.»

111 «Die Pforte der Einweihung». Ein Rosenkreuzermysterium durch Rudolf Steiner, Berlin 1910. In «Vier Mysteriendramen» Rudolf Steiner Gesamtausgabe.

112 Rudolf Steiner sprach über die geisteswissenschaftliche Sinnes­lehre in zahlreichen Vorträgen. Besonders in den Vorträgen «Anthroposophie» die in Berlin vom 23.-27. Oktober 1909 gehalten wurden, und in dern Fragment gebliebenen Buche «Anthroposophie» aus dem Jahre 1910, Darnach 1951.

114 Laurenz Müllner, 1848-1911, Professor für christliche Philo­sophie in Wien. «Die Bedeutung Galileis für die Philo-sophie» am 8. November 1894. Neu abgedruckt in der Zeit-schrift «Anthroposophie», 16. Jahrgang 1933, Buch 1, Seite 29. In diesem Heft finden sich zahlreiche Angaben zur Biographie Müllners. Über Laurenz Müllner siehe auch von Rudolf Steiner «Mein Lebensgang», Kapitel VII, Darnach 1925 und «Vom Menschenrätsel», Berlin 1916. Rudolf Steiner Gesamtausgabe.

118 William James, 1842-1910, Philosoph, Professor der Psycho­logie und Philosophie an der Harvard Universität. «Principles af Psycholagy», 1890, deutsch 1909.

120 Moriz Benedikt, 1835-1920, Professor der Nervenpathologie. Er begründete mit Lombroso die Kriminalanthropologie. «Seelenkunde des Menschen als reine Erfahrungswissenschaft», Wien 1894.

122 Brief vom 27. März 1784.

123 Zwei Gedichte Goethes: Eins und alles. Vermächtnis.

138 William Hanna Thomson: «Das Gehirn und der Mensch» Düs­

seldorf 1910.

159 der große Botaniker Schleiden: s.o. Hinweis zu S.29.

160 Gustav Theodor Fechner, 1801-1887, Physiker, Professor in Leipzig. «Nanna, oder über das Seelenleben der Pflanze», 1848.

169 Novalis Briefe und Werke. Herausgegeben von E. Wasmuth, Berlin 1943, Band III. Fragment 1900; Novalis Fragmente, Dresden 1929, Fragment 1304.

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175 Sydenham Edwards,] um 1760-1828, Begründer der ersten eng­lischen botanischen Zeitschrift.

176 Thomas Nuttall,] 1785-1859, englischer Botaniker;

William Curtis,] 1746-1799,] englischer Botaniker;

John Lindley,] 1799-1865, englischer Botaniker;

Ge,rneille Oudemans,] 1825-1906,] holländischer Botaniker;

Raoul Francé, 18741944, Österreich, naturwissenschaftlicher Schriftsteller.

178 Gottlieh Haberlandt, 18541945, Professor für Botanik in Graz und Berlin. Gründer des Pflanzenphysiologischen Instituts in Berlin. «Physiologische Pflanzenanatomie», 1884. 6. Auflage 1926.

183 Das Gespräch zwischen Goethe und Schiller ist hier nur sinn­gemäß wiedergegeben. Der Wortlaut steht in Goethes Aufsatz «Glückliches Ereignis», der in «Zur Naturwissenschaft über­haupt, besonders zur Morphologie Heft I», Stuttgart 1817, erst­mals erschienen ist. Goethes Naturwissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Rudolf Steiner. Band I. In Kürschners Deutsche Nationalliteratur. Faksimile-Druck Bern 1947.

190 Herman Grimm: «Goethe-Vorlesungen», Berlin 1877.23. Vor­lesung, Seite 215 ff.

201 «Die Philosophie der Freiheit» erschien erst 1918 in zweiter

Auflage. Rudolf Steiner hielt aus diesem Anlaß einen Vortrag

über die Entstehung dieses Buches, der den sechsten Vortrag

des Zyklus «Geschichtliche Symptomatologie», Dornach 1942,

bildet. Neu abgedruckt in Rudolf Steiner «Briefe>, Band 2,

Dornach 1953.

203 ich habe schon erwähnt;

in der vorangegangenen Vortragsreihe der Architektenhaus­Vorträge 1909/1910. Gedruckt in «Pfade der Seelenerlehnisse» im Vortrag «Was ist Mystik?» vom 10. Februar 1910. Rudolf Steiner Gesamtausgabe.

210 Jean Pauls Werke, Berlin 1865. Band 16, Seite 26 ff.

212 was Goethe «Geistesaugen», «Geistesohren> nennt:

Zum Beispiel in der «Farbenlehre». Goethes Naturwissenschaft­liche Schriften. Herausgegeben von Rudolf Steiner, Band 1, Bern 1947, Seite 107 und Seite 262.

483

213 Oswald Külpe, 1862-1915, Philosoph und Psychologe. «Er­kenntnistheorie und Naturwissenschaft», Vortrag gehalten am 19. September 1910 auf der 82. Versammlung Deutscher Natur-forscher und Arzte, Leipzig 1910.

233 bei Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Er­gänzungen zum vierten Buch. Kapitel 43: Erblichkeit der Eigenschaften. Sämtliche Werke mit Einleitung von Rudolf Steiner. 6. Band, Stuttgart und Berlin 1894.

235 von der Mutter der Makkabäer: 2. Makkabäer, 7, 20-23. Wörtlich: Ich hin ja eure Mutter und habe euch geboren; aber den Odem und das Leben habe ich euch nicht gegeben, noch eure Gliedmaßen also gemacht. Darum so wird der, der die Welt und alle Menschen geschaffen hat, euch den Odem und das Leben gnädig wiedergeben, wie ihr's jetzt um seines Gesetzes willen waget und fahren lasset.

236 Gottfried August Bürger, 1747-1794, Dichter.

245 Moriz Benedikt: «Die Seelenkunde des Menschen als eine Er­fahrungswissenschaft». VIII. Anhang. Erziehungsfragen. Leip­zig 1895.S.o. Hinweis zu S.120.

248 Laurenz Müllner: s.o. Hinweis zu S.113.

254 Griechische Geschichtsschreiber: z. B. Plutarch, Über Isis und Osiris. 45.-48. Abschnitt.

280 Plutarch: Moralische Schriften.

284 Galileo Galilei, 1564-1642.

Giordano Bruno, 1548-1600.

292 Ludwig Speidel, 1830-1906, seit 1872 an der «Neuen Freien

Presse» tätig.

Heinrich Natter, 1846-1892, berühmt durch seine Denkmäler

in Wien.

Todesstunde des Michelangelo: 18. Februar 1564; am 15. Fe­

bruar 1564 wird Galilei geboren.

296 Nikolaus Kopernikus, 1473-1543.

297 Johannes Kepler, 1571-1630.

306 wenn Giordano Bruno ausspricht: Freie Übersetzung durch Rudolf Steiner.

484

Hermann Brunnhofer: geb. Aarau 1841; lebte zuletzt in Pe­tersburg. Goethe-Jahrbuch VII. Band 1886. Giordano Brunos Einfluß auf Goethe.

310 Zettel von Goethe: Goethe-Jahrbuch XIII. Band 1892. «Goethe als Anatom» von Karl von Bardeleben: «In dern Venezianischen Tagebuche von 1790 fand R. Steiner folgenden Satz, der in innerem Zusammenhange mit den Gedanken über die Wirbel­natur der Schädeiknochen stehen dürfle: Gespräch zwischen Schiller und Goethe: s.o. Hinweis zu S.183.

312 Angelo de Gubernatis, 1840-1913, ital. Dichter, Orientalist.

322 Goethe: Abhandlung über den Granit.

324 Abraham Gottlob Werner, 1750-1817.

325 «Faust> II. Teil: Klassische Walpurgisnacht, Feisbuchten des ägäischen Meeres.

326 So. Hinweis zu Seite 322.

339 Eduard Sueß, 1831-1914, «Das Antlitz der Erde», 1885-1905, Drei Bände.

341 Ebenda, I. Band, Seite 778.

343 Ebenda, III. Band, 2. Hälfle, S.777.

344 das Goethesche Wort: Die Natur, aphoristisch, 1780. Wörtlich:

Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunst­griff, viel Leben zu haben.

346 Kepler: s.o. Hinweis zu S.297. - Harmonices mundi, 5. Buch.

368 Wenn der Sirius: Über den heliakischen Aufgang des Sirius, die erste Sichtbarkeit dieses Fixsterns am Morgenhimmel, ver­gleiche: Prof. Hermann Beckh «Isis», veröffentlicht in «Die Drei», 5. Jahrg., 1926, Hefl 11.

369/70 von dem Jahre 1322: Über diese Zeitperioden schreibt Prof. Beckh in dern oben erwähnten Aufsatz «Isis»: Eine Krisis für die Entwicklung der ägyptischen Mysterien bedeutet ein Jahr, in dern wieder eine solche Sirius-Periode ablief, das Jahr 1322, in dern Moses die Hebräer aus Ägypten führte.

485

374 Alfred Jeremias, Pfarrer der Luther-Kirche in Leipzig und Universitäts-Dozent, geb. 1864. Die Schrifl erschien in «Zeit-und Streitfragen, bibl., zur Aufklärung der Gebildeten», IV/2. Gr. Lichterfelde 1908.

397 Wort des Paulus: An die Galater 2/20: Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir.

401 im Johannes-Evangelium: Joh. 2, 19.

402 und auch jetzt wieder zu geschehen droht: Der Versuch von Annie Besant, der Präsidentin der Theosophical Society, den Hinduknaben Krishnarnurti als wiederverkörperten Christus zu erklären.

405 sein selbstgeprägtes Wort: Zu Wieland. Schopenhauers sämt­liche Werke, 12 Bände mit Einleitung von Rudolf Steiner. Cotta Stuttgart 1894, Band 1, Seite 12.

415 Philo, um 20 v. Chr. - etwa 54 n. Chr., jüdisch-griechischer Philosoph aus Alexandria.

416 Ludwig Laistner, 1845-1896, Schrifisteller, s. «Mein Lebens-gang», Kapitel XV (s. o.); Briefe II, Dornach 1953.

428 Jean Paul: s.o. Hinweis zu S. 210.

429 Zur Antwort bekam er: II. Mos., 3/14.

436 Da wird ihm aber gesagt: IV. Mos., 20/12; V. Mos. 3/26-28.

440 Goethe-Wort: Das Beste, was wir von der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus, den sie erregt. - Sprüche in Prosa, 9. Abtlg. in Goethes Naturwissenschafilichen Schriflen, herausgegeben von Rudolf Steiner. IV. Band, 2. Abteilung.

des Dichters Wort: Schiller in «Die Braut von Messina»:

Die Zeit ist eine blühende Flur, Ein großes Lebendiges ist die Natur, Und alles ist Frucht und alles ist Samen.

442 Sir Friedr. Wilh. Herschel, 1738-1822, Astronorn.

Kirchhoff: s.o. Hinweis zu S. 30. Bunsen: s.o. Hinweis zu S. 30. 443 Dopplerschen Prinzip: Christian Doppler, 1803-1853, österr. Physiker und Mathematiker.

486

447 Ernil Du Bois-Reyrnond, 1818-1896, Physiologe «Über die Grenzen der Naturerkenntnis». Die sieben Weiträtsei. 5. Aufl. Leipzig 1882. 448 Wenn ich auf etwas hinweisen darf: Vergl. Rudolf Steiner: Be­ antwortung von sechs Fragen über das Wesen einiger natur- wissenschaftlicher Grundbegriffe, 1919. In «Anthroposophie», Zeitschrift für freies Geistesleben, 17. Jahrgang, Buch IV, Sep­ tember 1935. Heinrich Schramm: 1868-74 Leiter der Ober-Realschule in Wiener-Neustadt. S. Rudolf Steiner: Briefe I. Dornach 1955. 450 Julius Robert Mayer, 1814-1878, Arzt und Naturforscher. 1842: Gesetz von der Erhaltung der Energie; 1851: Das mecha­ nische Wärmeäquivalent. 458 Rudolf Clausius, 1822-1888, deutscher Physiker. 461 Svante Arrhenius, 1858-1927, schwed. Chemiker, 1903 Nobel­ preis. James Clerc Maxwell, 1831-1879, englischer Physiker. 465 heute eben nur mit ein paar Worten: Der für den 6. April an­ gekündigte letzte Vortrag des Zyklus über «Erde, Sonne und Mond» fiel aus. 473 Jean Baptiste Biot, 1774-1862, französischer Physiker. 474 Justus Liebig, 1803-1873, deutscher Chemiker. Sir Charles Lyell, 1797-1875. Vgl. Schlußbemerkung «Geologie oder Entwickelungigeschichte der Erde und ihrer Bewohner». Darwin selber hat den Satz hingeschrieben: Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat. - Schlußbemerkung zu «Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl», sechste Auflage, Stutt­ gart 1876. 475 wie die neueren Astrophysiker: Vgl. die kritischen Worte von Herbert Dingle in seiner Präsidial-Ansprache vor der Royal Astronomical Society in London, 1953. Abgedruckt in Monthly Notices of the Roy. Astr. Soc. 113, 1953, S. 393; in der amerik. Zeitschrift «Science», S. 515 ff. 476 Schiller: So unermeßlich ist, so unendlich erhaben der Himmel! Aber der Kleinigkeitsgeist zog auch den Himmel herab. «Astro­ nomische Schriften», ebenso wie der folgende Spruch «An die Astronomen»: Votivtafeln.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.