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so muß man antworten: Es erfüllte ihn dasjenige, was er von Plotin gelernt hatte. Und er trug auch in dasjenige, was ihm Bibelverständnis war, das hinein, was er von Plotin gelernt hatte. Man sieht, wie das noch weiter fortwirkt, denn diese Trinität wird wiederum lebendig zum Beispiel in Scotus Erigena, der am Hofe Karls des Kahlen im neunten Jahrhundert lebte, und der ein Buch über die Teilung, über die Gliederung der Natur geschrieben hat, in dem wir eine ähnliche Trinität noch finden. Christentum interpretiert seinen Inhalt aus dem Plotinismus heraus. | so muß man antworten: Es erfüllte ihn dasjenige, was er von Plotin gelernt hatte. Und er trug auch in dasjenige, was ihm Bibelverständnis war, das hinein, was er von Plotin gelernt hatte. Man sieht, wie das noch weiter fortwirkt, denn diese Trinität wird wiederum lebendig zum Beispiel in Scotus Erigena, der am Hofe Karls des Kahlen im neunten Jahrhundert lebte, und der ein Buch über die Teilung, über die Gliederung der Natur geschrieben hat, in dem wir eine ähnliche Trinität noch finden. Christentum interpretiert seinen Inhalt aus dem Plotinismus heraus. | ||
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Wir lenken nicht mehr in dieser starken Weise aus unseren heutigen Begriffen heraus unsere Vorstellungen der ganzen Menschheit zu, wie Augustinus das getan hat aus dem Plotinismus heraus. Ich möchte sagen, von da unten angesehen nehmen sich die Menschen als Individuen aus; von oben angesehen - wenn man das hypothetisch so sagen darf - nimmt sich die ganze Menschheit als eine Einheit aus. Von diesem Gesichtspunkte wuchs nun auch, von vorne gesehen, die ganze Menschheit für Plotin in Adam zusammen. Adam war die ganze Menschheit. Und indem Adam hervorging aus der geistigen Welt, war er eine Wesenheit, mit der Erde verbunden, die freien Willen hatte, und die, | Wir lenken nicht mehr in dieser starken Weise aus unseren heutigen Begriffen heraus unsere Vorstellungen der ganzen Menschheit zu, wie Augustinus das getan hat aus dem Plotinismus heraus. Ich möchte sagen, von da unten angesehen nehmen sich die Menschen als Individuen aus; von oben angesehen - wenn man das hypothetisch so sagen darf - nimmt sich die ganze Menschheit als eine Einheit aus. Von diesem Gesichtspunkte wuchs nun auch, von vorne gesehen, die ganze Menschheit für Plotin in Adam zusammen. Adam war die ganze Menschheit. Und indem Adam hervorging aus der geistigen Welt, war er eine Wesenheit, mit der Erde verbunden, die freien Willen hatte, und die, | ||
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weil in ihr lebte dasjenige, was da droben noch war nicht dasjenige, was aus der Verirrung der Materie stammt -, unfähig war zu sündigen. Unmöglich war es diesem Menschen, der zunächst Adam war, zu sündigen, unfrei zu sein, und damit auch unmöglich, zu sterben. Da kam die Wirkung desjenigen, was Augustinus empfand als den Gegengeist, als die satanische Wesenheit. Die versuchte, verführte den Menschen. Er fiel in die Materie, und damit die ganze Menschheit. | weil in ihr lebte dasjenige, was da droben noch war nicht dasjenige, was aus der Verirrung der Materie stammt -, unfähig war zu sündigen. Unmöglich war es diesem Menschen, der zunächst Adam war, zu sündigen, unfrei zu sein, und damit auch unmöglich, zu sterben. Da kam die Wirkung desjenigen, was Augustinus empfand als den Gegengeist, als die satanische Wesenheit. Die versuchte, verführte den Menschen. Er fiel in die Materie, und damit die ganze Menschheit. | ||
Sehen Sie, insofern steht mit seiner aufgenommenen Erkenntnis Augustinus ganz in dem drinnen, was der Plotinis-mus ist. Die ganze Menschheit ist ihm eines. Es sündigt nicht der einzelne Mensch, es sündigt in Adam die ganze Menschheit. Geht man ein auf das, was oftmals zwischen den Zeilen namentlich der letzten Schriften des Augustinus lebt, so sieht man, wie außerordentlich schwer es Augustinus geworden ist, so seine Blicke auf die ganze Menschheit zu werfen, auf die Möglichkeit zu werfen, daß die ganze Menschheit sündigt. Denn es liegt in ihm schon eben der moderne Mensch, der Vorzügler im Gegensatze zum Nachzügler. Es lebte in ihm der individuelle Mensch, der eine Empfindung dafür hatte, daß der einzelne Mensch immer mehr und mehr verantwortlich wird für das, was er tut und lernt. Fast als etwas Unmögliches erschien es Augustinus in gewissen Augenblicken, zu empfinden, daß der einzelne Mensch nur ein Glied in der ganzen Menschheit ist. Aber der | Sehen Sie, insofern steht mit seiner aufgenommenen Erkenntnis Augustinus ganz in dem drinnen, was der Plotinis-mus ist. Die ganze Menschheit ist ihm eines. Es sündigt nicht der einzelne Mensch, es sündigt in Adam die ganze Menschheit. Geht man ein auf das, was oftmals zwischen den Zeilen namentlich der letzten Schriften des Augustinus lebt, so sieht man, wie außerordentlich schwer es Augustinus geworden ist, so seine Blicke auf die ganze Menschheit zu werfen, auf die Möglichkeit zu werfen, daß die ganze Menschheit sündigt. Denn es liegt in ihm schon eben der moderne Mensch, der Vorzügler im Gegensatze zum Nachzügler. Es lebte in ihm der individuelle Mensch, der eine Empfindung dafür hatte, daß der einzelne Mensch immer mehr und mehr verantwortlich wird für das, was er tut und lernt. Fast als etwas Unmögliches erschien es Augustinus in gewissen Augenblicken, zu empfinden, daß der einzelne Mensch nur ein Glied in der ganzen Menschheit ist. Aber der Neuplatonismus, der Plotinismus war so fest bei ihm, daß er doch wiederum nur den Blick auf die ganze Menschheit werfen konnte. Und so war dieser Zustand bei den ganzen Menschen - der Zustand der Sünde, des Sündigens, des Sterbens - übergegangen in den Zustand des Nichtfreiseinkönnens, des Nichtunsterblichseinkönnens. | ||
Die ganze Menschheit war damit gefallen, hatte sich abgewendet von ihrem Ursprung. Und Gott würde, wenn er bloß gerecht wäre, die Menschheit nun einfach verworfen haben. Er ist aber nicht bloß gerecht, er ist auch barmherzig. So empfand es Augustinus. Daher beschloß Gott, einen Teil der Menschheit - wohlgemerkt: einen Teil der Menschheit zu retten. Das heißt, Gottes Ratschluß bestimmte einen Teil der Menschheit zum Empfangen der Gnade, wodurch dieser Teil der Menschheit zurückgeführt wird von dem Zustande des Nichtfreiseinkönnens, des Nichtunsterblichseinkönnens, in den Zustand des Freiseinkönnens, des Unsterblichseinkönnens, was allerdings erst nach dem Tode vollständig verwirklicht werden kann. Ein Teil der Menschheit wird in diesen Zustand zurückversetzt. Der andere Teil der Menschheit - das sind die nicht Erwählten -, der bleibt in dem Zustand der Sünde. So daß die Menschheit in diese zwei Teile zerfällt: in diejenigen, die erwählt sind, und in diejenigen, die verworfen sind. Und sieht man im augu-stinischen Sinne hin auf die Menschheit, so zerfällt sie einfach in diese zwei Glieder, in diejenigen, die zur Seligkeit bestimmt sind ohne ihr Verdienst, bloß weil es im göttlichen Weltenplan weise so eingerichtet ist, und in solche, die, was sie auch immer machen, die Gnade nicht erringen können, die determiniert sind, prädestiniert sind, in Verdammnis zu fallen. Diese Anschauung, die man auch die Prädestinationslehre nennt, die ergab sich für Augustinus aus der Art heraus, wie er seinen Blick auf die gesamte Menschheit hinrichtete. Wenn die gesamte Menschheit sündigte, so war eigentlich die gesamte Menschheit wert, das Schicksal des Teiles der Menschheit zu erfahren, der verworfen wurde. | Die ganze Menschheit war damit gefallen, hatte sich abgewendet von ihrem Ursprung. Und Gott würde, wenn er bloß gerecht wäre, die Menschheit nun einfach verworfen haben. Er ist aber nicht bloß gerecht, er ist auch barmherzig. So empfand es Augustinus. Daher beschloß Gott, einen Teil der Menschheit - wohlgemerkt: einen Teil der Menschheit zu retten. Das heißt, Gottes Ratschluß bestimmte einen Teil der Menschheit zum Empfangen der Gnade, wodurch dieser Teil der Menschheit zurückgeführt wird von dem Zustande des Nichtfreiseinkönnens, des Nichtunsterblichseinkönnens, in den Zustand des Freiseinkönnens, des Unsterblichseinkönnens, was allerdings erst nach dem Tode vollständig verwirklicht werden kann. Ein Teil der Menschheit wird in diesen Zustand zurückversetzt. Der andere Teil der Menschheit - das sind die nicht Erwählten -, der bleibt in dem Zustand der Sünde. So daß die Menschheit in diese zwei Teile zerfällt: in diejenigen, die erwählt sind, und in diejenigen, die verworfen sind. Und sieht man im augu-stinischen Sinne hin auf die Menschheit, so zerfällt sie einfach in diese zwei Glieder, in diejenigen, die zur Seligkeit bestimmt sind ohne ihr Verdienst, bloß weil es im göttlichen Weltenplan weise so eingerichtet ist, und in solche, die, was sie auch immer machen, die Gnade nicht erringen können, die determiniert sind, prädestiniert sind, in Verdammnis zu fallen. Diese Anschauung, die man auch die Prädestinationslehre nennt, die ergab sich für Augustinus aus der Art heraus, wie er seinen Blick auf die gesamte Menschheit hinrichtete. Wenn die gesamte Menschheit sündigte, so war eigentlich die gesamte Menschheit wert, das Schicksal des Teiles der Menschheit zu erfahren, der verworfen wurde. |
Version vom 4. Dezember 2023, 16:13 Uhr
RUDOLF STEINER
VORTRÄGE
ÖFFENTLICHE VORTRÄGE
Die Philosophie
des Thomas von Aquino
Drei Vorträge, gehalten in Dornach
vom 22. bis 24. Mai 1920
Mit Übertragungen aus Werken des
Thomas von Aquino durch Roman Boos
GA 74
1993
Inhaltsverzeichnis
- ERSTER VORTRAG - THOMAS UND AUGUSTINUS, Dornach, 22. Mai 1920
- ZWEITER VORTRAG DAS WESEN DES THOMISMUS Dornach, 23. Mai 1920
- DRITTER VORTRAG DIE BEDEUTUNG DES THOMISMUS IN DER GEGENWART Dornach, 24. Mai 1920
- Einladung zu den Vorträgen Notizbucheintragungen Rudolf Steiners
- Textübertragungen aus Schriften des Thomas von Aquino mit verbindenden Erläuterungen, von Roman Boos
- DER MENSCH UND DIE INTELLIGIBLE WELT
- DER MENSCH UND DIE MATERIELLE WELT
- DER MENSCH ALS ERKENNENDES WESEN
- HINWEISE Zu dieser Ausgabe
- Hinweise zum Text
- NAMENREGISTER
- Literatur
ERSTER VORTRAG - THOMAS UND AUGUSTINUS, Dornach, 22. Mai 1920
In diesen drei Tagen möchte ich über ein Thema sprechen, das gewöhnlich von einer mehr formalen Seite her betrachtet wird, und dessen Inhalt gewöhnlich nur darinnen gesehen wird, daß durch die zugrunde liegende philosophische Bewegung des Mittelalters die Stellung der philosophischen Weltanschauung zum Christentum gewissermaßen festgelegt worden sei. Da gerade diese Seite der Sache in der neueren Zeit eine Art Wiederauffrischung gefunden hat durch die Aufforderung des Papstes Leo XIII. an seine Kleriker, den Thomismus zur offiziellen Philosophie der katholischen Kirche zu machen, so hat von dieser Seite her gewiß unser gegenwärtiges Thema eine gewisse Bedeutung.
Allein, ich möchte eben nicht bloß von dieser formalen Seite her die Sache betrachten, die sich als mittelalterliche Philosophie gewissermaßen herumkristallisiert um die Persönlichkeit des Albertus Magnus und des Thomas von Aquino, sondern ich möchte im Laufe dieser Tage dazu kommen, den tieferen historischen Hintergrund aufzuzeigen, aus dem diese von der Gegenwart trotz alledem viel zu wenig gewürdigte philosophische Bewegung sich erhoben hat. Man kann sagen: In einer ganz scharfen Weise versucht Thomas von Aquino im 13. Jahrhundert das Problem der Erkenntnis, der Gesamtweltanschauung zu fassen, in einer Weise, die, man muß es ihr zugestehen, heute eigentlich schwer nachzudenken ist, weil zu dem Nachdenken Voraussetzungen gehören, die bei den Menschen der Gegenwart
kaum erfüllt sind, auch wenn sie Philosophen sind. Es ist notwendig, daß man sich ganz hineinversetzen könne in die Art des Denkens des Thomas von Aquino, seiner Vorgänger und Nachfolger, daß man zu wissen vermag, wie die Begriffe zu nehmen sind, wie die Begriffe in den Seelen dieser mittelalterlichen Menschen lebten, von denen eigentlich die Geschichte der Philosophie in ziemlich äußerlicher Weise berichtet.
Sieht man nun auf der einen Seite hin auf den Mittelpunkt dieser Betrachtung, auf Thomas von Aquino, so möchte man sagen, in ihm hat man eine Persönlichkeit, die gegenüber der Hauptströmung der christlichen Philosophie des Mittelalters eigentlich als Persönlichkeit verschwindet, die, man möchte sagen, eigentlich nur der Koeffizient oder der Exponent ist für dasjenige, was in einer breiten Weltanschauungsströmung lebt und nur mit einer gewissen Universalität eben gerade durch diese eine Persönlichkeit zum Ausdrucke kommt. So daß man, wenn man von dem Thomismus spricht, sein Auge richten kann auf etwas außerordentlich Unpersönliches, auf etwas, das sich eigentlich nur offenbart durch die Persönlichkeit des Thomas von Aquino. Dagegen erblickt man sofort, daß man eine volle, ganze Persönlichkeit mit alledem, was eben in einer Persönlichkeit sich darlebt, in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen muß, wenn man denjenigen ins Auge faßt, auf den zunächst als hauptsächlichsten Vorgänger der Thomismus zurückgeht, wenn man Augustinus ins Auge faßt: bei Augustinus alles persönlich, bei Thomas von Aquino alles eigentlich ganz unpersönlich. Bei Augustinus haben wir es zu tun mit einem ringenden Menschen, bei Thomas von Aquino mit der ihre Stellung zum Himmel, zur Erde, zu den Menschen, zu der Geschichte und so weiter feststellenden mittelalterlichen Kirche, die sich eigentlich sogar, könnte man, allerdings mit
gewissen Einschränkungen, sagen, als Kirche ausdrückt durch die Philosophie des Thomas von Aquino.
Ein bedeutsames Ereignis liegt zwischen den beiden, und ohne daß man den Blick auf dieses Ereignis richtet, ist es nicht möglich, die Stellung dieser beiden mittelalterlichen Persönlichkeiten zueinander festzustellen. Das Ereignis, das ich meine, das ist die durch den Kaiser Justinian betriebene Verketzerung des Qrigenes. Die ganze Färbung der Weltanschauung des Augustinus wird erst verständlich, wenn man den ganzen historischen Hintergrund, aus dem sich Augustinus herausarbeitet, ins Auge faßt. Dieser historische Hintergrund wird aber in der Tat ein ganz anderer dadurch, daß jener mächtige Einfluß - es war in der Tat ein mächtiger Einfluß trotz vielem, was in der Geschichte der Philosophie gesagt wird - auf das Abendland aufhört, der ausgegangen ist von den Philosophenschulen in Athen, ein Einfluß, der im wesentlichen bis ins sechste Jahrhundert hinein dauerte, dann abflutete, so daß etwas zurückbleibt, was tatsächlich in der weiteren philosophischen Strömung des Abendlandes etwas ganz anderes ist als das war, in dem Augustinus noch lebendig drinnengestanden hat.
Ich werde Sie bitten müssen zu berücksichtigen, daß heute mehr eine Einleitung gegeben wird, daß morgen das eigentliche Wesen des Thomismus hier behandelt werden soll, und daß mein Ziel, dasjenige, warum ich all das vorbringe, was ich in diesen Tagen sagen will, eigentlich erst am dritten Tage ganz zum Vorschein kommen wird. Denn sehen Sie, auch mit Bezug auf die christliche Philosophie des Mittelalters, namentlich des Thomismus, bin ich ja - verzeihen Sie einleitend diese persönliche Bemerkung - in einer ganz besonderen Lage. Ich habe öfter hervorgehoben, auch in öffentlichen Vorträgen, wie es mir einmal gegangen ist, als ich vor einer proletarischen Bevölkerung dasjenige vorgetragen
hatte, was ich als die Wahrheit in dem Verlauf der abendländischen Geschichte ansehen muß. Es hat dazu geführt, daß zwar unter den Schülern eine gute Anhängerschaft da war, daß aber die Führer der proletarischen Bewegung um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert darauf gekommen sind, es würde da nicht echter Marxismus vorgetragen. Und obschon man sich berufen konnte darauf, daß eine Zukunftsmenschheit eigentlich doch etwas wie Lehrfreiheit anerkennen müsse, wurde mir in der maßgebenden Versammlung dazumal erwidert, diese Partei kenne keine Lehrfreiheit, sondern nur einen vernünftigen Zwang! Und meine Lehrtätigkeit mußte, obwohl dazumal eine große Anzahl von Schülern herangezogen waren im Proletariat, damit beschlossen werden.
In einer ähnlichen Weise ging es mir an anderer Stätte mit demjenigen, was ich vor etwa jetzt neunzehn bis zwanzig Jahren sagen wollte über den Thomismus und alles dasjenige, was sich als mittelalterliche Philosophie daranschließt. Es war das die Zeit, in welcher eben um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert zu ganz besonderer Hochflut gekommen war dasjenige, was man gewohnt worden ist, den Monismus zu nennen. Als eine besondere Färbung des Monismus, nämlich als materialistischer Monismus, scheinbar zur Pflege einer freien, unabhängigen Weltanschauung, aber im Grunde genommen doch nur zur Pflege dieser materialistischen Färbung des Monismus, war dazumal in Deutschland der «Giordano-Bruno-Bund» begründet worden. Weil es mir unmöglich war, all das leere Phrasengerede mitzumachen, das dazumal als Monismus in die Welt ging, hielt ich im Berliner «Giordano-Bruno-Bund» einen Vortrag über den Thomismus. In diesem Vortrage suchte ich den Nachweis zu führen, daß in dem Thomismus ein wirklicher spiritueller Monismus gegeben sei, daß dieser spirituelle
Monismus gegeben sei außerdem in der Weise, daß er sich offenbart durch das denkbar scharfsinnigste Denken, durch ein scharfsinniges Denken, von dem die neuere, unter Kantschem Einfluß stehende und aus dem Protestantismus hervorgegangene Philosophie im Grunde genommen keine Ahnung hat, zu dem sie aber jedenfalls keine Kraft mehr hat. Und so hatte ich es denn auch mit dem Monismus verdorben! Es ist tatsächlich heute außerordentlich schwierig, von den Dingen so zu sprechen, daß das Gesprochene aus der wirklichen Sache herausklingt und nicht in den Dienst irgendeiner Parteifärbung sich stellt. So zu sprechen über die Erscheinungen, die ich angedeutet habe, möchte ich mich in diesen drei Tagen wiederum bestreben.
Die Persönlichkeit des Augustinus stellt sich hinein in das vierte und fünfte Jahrhundert als, wie ich schon sagte, eine im eminenten Sinne ringende Persönlichkeit. Die Art und Weise, wie Augustinus ringt, das ist dasjenige, was sich einem tief in die Seele gräbt, wenn man auf die besondere Natur dieses Ringens einzugehen vermag. Zwei Fragen sind es, die sich in einer Intensität vor des Augustinus Seele stellen, von der man heute, wo die eigentlichen Erkenntnis-und Seelenfragen verblaßt sind, wiederum eigentlich keine Ahnung hat. Die erste Frage ist die, die man etwa dadurch charakterisieren kann, daß man sagt: Augustinus ringt nach dem Wesen desjenigen, was der Mensch eigentlich als Wahrheit, als eine ihn stützende, als seine Seele erfüllende Wahrheit anerkennen könne. Die zweite Frage ist diese: Wie ist zu erklären in einer Welt, die doch nur einen Sinn hat, wenn wenigstens das Ziel dieser Welt mit dem Guten irgend etwas zu tun hat, wie ist zu erklären in dieser Welt die Anwesenheit des Bösen? Wie ist zu erklären in der menschlidien Natur namentlich der Stachel des Bösen, der eigentlich - wenigstens nach des Augustinus Ansicht - nie-
mals zum Schweigen kommt, die Stimme des Bösen, die niemals zum Schweigen kommt, auch dann nicht, wenn der Mensch ein ehrliches und aufrichtiges Streben nach dem Guten entwickelt?
Ich glaube nicht, daß man an Augustinus wirklich herankommt, wenn man diese zwei Fragen in dem Sinne nimmt, wie sie der Durchschnittsmensch der Gegenwart, auch wenn er Philosoph ist, zu nehmen geneigt ist. Man muß nach der besonderen Färbung suchen, die für diesen Menschen des vierten und fünften Jahrhunderts diese beiden Fragen hatten. Augustinus geht ja zunächst durch ein innerlich bewegtes, man möchte sagen ausschweifendes Leben. Aber aus diesem ausschweifenden und bewegten Leben heraus tauchen ihm doch immer wieder diese beiden Fragen auf. Persönlich ist er in einen Zwiespalt hineingestellt. Der Vater ist Heide, die Mutter ist fromme Christin. Die Mutter gibt sich alle Mühe, den Sohn für das Christentum zu gewinnen. Zunächst ist der Sohn nur für einen gewissen Ernst zu gewinnnen, und dieser Ernst richtet sich zunächst nach dem Manichäismus. Wir wollen nachher einige Blicke nach dieser Weltanschauung werfen, die zunächst in den Gesichtskreis des Augustinus hereintrat, als er von einem etwas lotterigen Leben zu einem vollen Lebensernst überging. Dann fühlte er sich aber immer mehr und mehr, allerdings erst nach Jahren, abgestoßen von dem Manichäismus, und es bemächtigte sich seiner nun wiederum, nicht etwa nur aus den Tiefen der Seele heraus oder aus irgendwelchen abstrakten Höhen her, sondern aus der ganzen Zeitströmung des philosophischen Lebens heraus ein gewisser Skeptizismus, der Skeptizismus, in den zu einer gewissen Zeit die griechische Philosophie ausgelaufen war, und der sich dann erhalten hat bis in die Zeit des Augustinus.
Aber nun tritt immer mehr und mehr der Skeptizismus zurück. Es ist der Skeptizismus für Augustinus gewissermaßen nur etwas, was ihn mit der griechischen Philosophie zusammenbringt. Und dieser Skeptizismus trägt ihm zu dasjenige, was zweifellos auf seine Subjektivität, auf die ganze Haltung seiner Seele für einige Zeit einen ganz außerordentlich tiefen Einfluß ausgeübt hat. Der Skeptizismus führt ihm eine ganz andere Richtung zu, dasjenige, was man in der Geschichte der Philosophie gewöhnlich den Neuplatonismus nennt. Und Augustinus ist viel mehr, als man gewöhnlich denkt, von diesem Neuplatonismus zugeführt worden. Die ganze Persönlichkeit und alles Ringen des Augustinus ist nur begreiflich, wenn man versteht, wie viel von neuplatonischer Weltanschauung hineingezogen ist in die Seele dieser Persönlichkeit. Und wenn man objektiv auf die Entwickelung des Augustinus eingeht, dann findet man eigentlich kaum, daß der Bruch, der in dieser Persönlichkeit war beim Übergang vom Manichaismus zum Plotinismus, sich in derselben Stärke wiederholt hat dann, als Augustinus vom Neuplatonismus zum Christentum überging. Denn man kann eigentlich sagen: Neuplatoniker in einem gewissen Sinne ist Augustinus geblieben; soweit er Neuplatoniker werden konnte, ist er es geblieben. Nur, daß er es eben nur bis zu einem gewissen Grade werden konnte. Und weil er es nur bis zu einem gewissen Grade werden konnte, trug ihn dann sein Schicksal dazu, bekannt zu werden mit der Erscheinung des Christus Jesus. Und eigentlich ist da gar kein enormer Sprung, sondern es ist in Augustinus eine naturgemäße Fortentwickelung vorhanden vom Neuplatonismus zum Christentum. So, wie in Augustinus dieses Christentum lebt, kann man dieses augustinische Christentum nicht beurteilen, wenn man nicht zunächst hinschaut auf den Manichaismus, eine eigentümliche Form, die alte heidnische
Weltanschauung zu überwinden zu gleicher Zeit mit dem Alten Testament, mit dem Judentum.
Der Manichiäismus war in der Zeit, als Augustinus aufwuchs, schon eine Weltanschauungsströmung, die durchaus über Nordafrika, wo ja Augustinus aufwuchs, sich ausgedehnt hatte, in der viele Leute des Abendlandes schon lebten. Im dritten Jahrhundert etwa entstanden in Asien drüben durch Maniy einen Perser, ist vom Manichiäismus historisch außerordentlich wenig auf die Nachwelt gekommen. Will man diesen Manichiäismus charakterisieren, so muß man sagen: Mehr kommt es dabei an auf die ganze Haltung dieser Weltanschauung als auf dasjenige, was man heute wortwörtlich als Inhalt bezeichnen kann.
Dem Manichiäismus ist vor allen Dingen eigentümlich, daß für ihn die Zweiteilung des menschlichen Erlebens als geistige Seite und als materielle Seite noch gar keinen Sinn hat. Die Worte oder Ideen «Geist» und «Materie» haben für den Manichiäismus keinen Sinn. Der Manichiäismus sieht in dem, was den Sinnen materiell erscheint, Geistiges und erhebt sich nicht über dasjenige, was sich den Sinnen darbietet, wenn er vom Geistigen spricht. Es ist in einem viel intensiveren Maße, als man gewöhnlich denkt, wo die Welt so abstrakt und intellektualistisch geworden ist, für den Manichiäismus das der Fall, daß er in der Tat in den Sternen und in ihrem Gange geistige Erscheinungen, geistige Tatsachen sieht, daß er in dem Sonnengeheimnis zugleich dasjenige sieht, was als Geistiges, als Spirituelles hier auf der Erde sich vollzieht. Einerseits von Materie, andererseits von Geist zu sprechen, das hat für den Manichiäismus keinen Sinn. Für ihn ist das, was geistig ist, zugleich materiell sich offenbarend, und dasjenige, was sich materiell offenbart, ist für ihn das Geistige. Daher ist es für den Manichiäismus ganz selbstverständlich, daß er von Astronomischem, von Welt-
erscheinungen so spricht, wie er auch von Moralischem und von Geschehnissen innerhalb der Menschheitsentwickelung spricht. So ist für den Manichäismus viel mehr als man denkt jener Gegensatz, den er in die Weltanschauung hineinsetzt - Licht und Finsternis, etwas Altpersisches nachahmend -, er ist für ihn zugleich durchaus ein selbstverständliches Geistiges. Und ein Selbstverständliches ist es, daß dieser Manichäismus noch spricht von dem, was da als Sonne scheinbar am Himmelsgewölbe sich bewegt, als von etwas, das auch mit den moralischen Entitäten und moralischen Impulsen innerhalb der Mensdiheitsentwickelung etwas zu tun hat, und daß er von den Beziehungen dieses Moralisch-Physischen, das da am Himmelsgewölbe dahingeht, zu den Zeichen des Tierkreises spricht wie zu zwölf Wesenheiten, durch die das Urwesen, das Urlichtwesen der Welt, seine Tätigkeiten spezifiziert.
Aber etwas anderes ist noch diesem Manichäismus eigen. Er sieht auf den Menschen hin, und dieser Mensch erscheint ihm keineswegs schon als dasjenige, als was uns heute der Mensch erscheint. Uns erscheint der Mensch wie eine Art Krone der Erdenschöpfung. Mag man nun mehr oder weniger materialistisch oder spiritualistisch denken, es erscheint dem Menschen heute der Mensch wie eine Art Krone der Erdenschöpfung, das Menschenreich wie das höchste Reich, oder wenigstens wie die Krönung des Tierreiches. Das kann der Manichäismus nicht zugeben. Für ihn ist das, was als Mensch auf der Erde gewandelt hat und eigentlich zu seiner Zeit noch wandelte, eigentlich nur ein spärlicher Rest desjenigen, was auf der Erde durch das göttliche Lichtwesen hätte Mensch werden sollen. Etwas ganz anderes hätte Mensch werden sollen als das, was jetzt als Mensch auf der Erde herumwandelt. Dasjenige, was jetzt als Mensch auf der Erde herumwandelt, ist dadurch entstanden, daß der ur-
sprüngliche Mensch, den sidi das Lichtwesen zur Verstärkung seines Kampfes gegen die Dämonen der Finsternis geschaffen hat, diesen Kampf gegen die Dämonen der Finster-nis verloren hat, aber dur* die guten Mädite in die Sonne versetzt worden ist, also aufgenommen worden ist von dem Lichtreiche selbst. Aber die Dämonen haben es doch zuwege gebracht, gewissermaßen ein Stück dieses Urmenschen dem in die Sonne entfliehenden wirklichen Menschen zu entreißen und daraus zu bilden, was das Menschen-Erdengeschlecht ist, dieses Menschen-Erdengeschlecht, das also herumwandelt wie eine schlechtere Ausgabe hier auf Erden desjenigen, was auf der Erde hier gar nicht leben könnte, weil es im großen Geisteskampfe in die Sonne entrückt werden mußte. Um wieder zurückzuführen den Menschen, der in dieser Weise wie eine schlechtere Auflage auf der Erde erschien, zu seiner ursprünglichen Bestimmung, ist dann die Christus-Wesenheit erschienen, und durch ihre Tätigkeit soll die Wirkung des Dämonischen von der Erde weggenommen werden.
Ich weiß sehr gut, meine sehr verehrten Anwesenden, daß alles das, was man im heutigen Sprachgebrauche von dieser Weltanschauung noch in Worte fassen kann, eigentlich kaum genügend sein kann; denn das ganze geht eben aus Untergründen des seelischen Erlebens hervor, die von den jetzigen wesentlich verschieden sind. Aber das Wesentliche, worauf es heute ankommen muß, das ist dasjenige, was ich schon hervorgehoben habe. Denn wie phantastisch es auch erscheinen mag, was ich Ihnen so erzähle über den Fortgang der Erdenentwickelung im Sinne der Manichäer, der Manichäismus stellte das durchaus vor nicht wie etwas, das man etwa nur im Geiste erschauen müßte, sondern wie etwas, das sich wie eine heute sinnlich genannte Erscheinung vor den physischen Augen zugleich als Geistiges abspielt.
Das war das erste, was mächtig auf Augustinus wirkte. Und die Probleme, die sich an die Persönlichkeit des Augustinus anknüpfen, gehen einem eigentlich auch nur dadurch auf, daß man diese mächtige Wirkung des Manichäismus, seines geistig-materiellen Prinzips, ins Auge faßt. Fragen muß man sich: Woraus gingen denn die Unbefriedigtheiten des Augustinus mit dem Manichäismus hervor? Nicht eigentlich aus dem, was man den mystischen Inhalt, wie ich ihn Ihnen jetzt charakterisiert habe, nennen könnte, sondern die Unbefriedigtheit ging aus der ganzen Haltung dieses Manichäismus hervor.
Zuerst war es für Augustinus so, daß er in gewissem Sinne eingenommen war, sympathisch berührt war von der sinnlichen Anschaulichkeit, von der Bildhaftigkeit, mit der diese Anschauung vor ihn hintrat. Dann aber regte sich in ihm etwas, was gerade mit dieser Bildhaftigkeit, mit der das Materielle geistig und das Geistige materiell angeschaut wurde, nicht zufrieden sein konnte. Und man kommt wirklich nicht anders zurecht, als wenn man hier von dem, was man eigentlich oftmals bloß als eine formelle Betrachtung vor sich hat, zu der Realität übergeht, wenn man also den Blick darauf wirft, daß der Augustinus eben ein Mensch war, der im Grunde genommen den Menschen des Mittelalters und vielleicht selbst den Menschen der neueren Zeit schon ähnlicher war, als er irgendwie sein konnte denjenigen Menschen, die durch ihre Seelenstimmung die naturgemäßen Träger des Manichäismus waren. Augustinus hat bereits etwas von dem, was ich eine Erneuerung des seelischen Lebens nennen möchte.
Bei anderen Gelegenheiten mußte auch in öffentlichen Vorträgen auf das, was hier in Betracht kommt, öfters hingewiesen werden. In unserer heutigen intellektuellen, zum Abstrakten hingeneigten Zeit, da sieht man eigentlich immer
in dem, was geschichtlich wird für irgendein Jahrhundert, die Wirkung, die hervorgehen soll aus dem, was das vorige Jahrhundert gebracht hat und so weiter. Beim individuellen Menschen ist es ja ein reiner Unsinn zu sagen, dasjenige, was sich zum Beispiel im achtzehnten Lebensjahre abspielt, sei in ihm eine bloße Wirkung von dem, was sich im dreizehnten, vierzehnten Jahre abgespielt habe; denn dazwischen Hegt etwas, was aus den tiefsten Tiefen der Menschennatur sich heraufarbeitet, was nicht bloß Wirkung ist des Vorhergehenden in dem Sinne, wie man von Wirkung als hervorgehend aus einer Ursache berechtigt sprechen kann, sondern was eben sich hineinstellt in das menschliche Leben als aus dem Wesen der Menschheit herauskommende Geschlechtsreife. Und auch zu andern Zeiten der individuellen Menschheitsentwickelung müssen solche Sprünge in der Entwicklung anerkannt werden, wo sich etwas emporringt aus Tiefen heraus an die Oberfläche; so daß man nicht sagen kann: Was geschieht, ist nur die unmittelbar gradlinige Wirkung desjenigen, was vorangegangen ist.
Solche Sprünge vollziehen sich auch mit der Gesamtmenschheit, und man muß annehmen, daß vor einem solchen Sprung dasjenige lag, was Manichäismus war, nach einem solchen Sprung diejenige Seelenverfassung, diejenige Seelenhaltung, in der sich auch Augustinus befand. Augustinus konnte einfach nicht auskommen in seinem Seelenleben, ohne daß er aufstieg von dem, was ein Manichaer materiell-geistig vor sich hatte, zu einem reinen Geistigen, zu einem bloß im Geiste Erkonstruierten, Eranschauten. Zu etwas viel Sinnlichkeitsfreierem mußte Augustinus aufsteigen als ein Manichaer aufstieg. Deshalb mußte er sich abwenden von der bildhaften, von der anschaulichen Weltanschauung des Manichäismus. Das war das erste, was sich in seiner Seele so intensiv auslebte, und wir lesen es etwa aus seinen Worten: Daß ich mir, wenn ich Gott denken wollte, Körpermassen vorstellen mußte und glaubte, es könne nichts existieren als
derartiges das war der gewichtigste und fast der einzige Grund des Irrtums, den ich nicht vermeiden konnte.
So weist er auf diejenige Zeit zurück, in der der Manichäismus mit seiner Sinnlichgeistigkeit, Geistigsinnlichkeit in seiner Seele lebte; so weist er auf diese Zeit hin, und so charakterisiert er diese Zeit seines Lebens als einen Irrtum. Er brauchte etwas, zu dem er aufblickte als zu etwas, das der Menschenwesenheit zugrunde liegt. Er brauchte etwas, das nicht so, wie die Prinzipien des Manichäismus, in dem sinnlichen Weltenall als Geistig-Sinnliches unmittelbar zu schauen ist. Wie bei ihm alles intensiv ernst und stark sich an die Oberfläche der Seele ringt, so auch dieses: «Ich fragte die Erde, und sie sprach: Ich bin es nicht. Und was auf ihr ist, bekannte das gleiche.»
Wonach fragt Augustinus? Er fragt, was das eigentlich Göttliche sei, und er fragt die Erde, und die sagt ihm: Ich bin es nicht. Im Manichäismus wäre ihm geantwortet worden: Ich bin es als Erde, insofern das Göttliche durch das irdische Wirken sich ausspricht. - Und weiter sagt Augustinus: «Ich fragte das Meer und die Abgründe und was vom Lebendigen sie bergen: Wir sind dein Gott nicht, suche droben über uns. - Ich fragte die wehenden Lüfte, und es sprach der ganze Dunstkreis samt allen seinen Bewohnern: Die Philosophen, die in uns das Wesen der Dinge suchten, täuschten sich, wir sind nicht Gott.» Also auch nicht das Meer und auch nicht der Dunstkreis, alles dasjenige nicht, was sinnlich angeschaut werden kann. «Ich fragte Sonne, Mond und Sterne. Sie sprachen: Wir sind nicht Gott, den du suchst.»
So ringt er sich heraus aus dem Manichäismus, gerade aus dem Element des Manichäismus, das eigentlich als das Bedeutsamste, wenigstens in diesem Zusammenhange, charakterisiert werden muß. Nach einem sinnlichkeitsfreien Geistigen sucht Augustinus. Er steht gerade in demjenigen Zeitalter der menschlichen Seelenentwickelung drinnen, in dem die Seele sich losringen muß von dem bloßen Anschauen d
es Sinnlichen als eines Geistigen, des Geistigen als eines Sinnlichen; denn man verkennt auch in dieser Beziehung durchaus die griechische Philosophie. Und deshalb wird der Anfang meiner «Rätsel der Philosophie» so schwer verstanden, weil ich versuchte, einmal diese griechische Philosophie so zu charakterisieren, wie sie war.
Wenn der Grieche spricht von Ideen, von Begriffen, wenn Plato so spricht, so glauben die heutigen Menschen, Plato oder der Grieche überhaupt meine mit seinen Ideen dasjenige, was wir heute als Gedanken oder Ideen bezeichnen. Das ist nicht so, sondern der Grieche sprach von Ideen als von etwas, das er in der Außenwelt wahrnimmt, geradeso, wie er von der Farbe oder von Tönen als Wahrnehmungen in der Außenwelt sprach. Was nur im Manichäismus umgestaltet war mit einer, ich möchte sagen, orientalischen Nuance, das ist im Grunde in der ganzen griechischen Weltanschauung vorhanden. Der Grieche sieht seine Idee, wie er die Farbe sieht. Und er hat noch das Sinnlichgeistige, Geistigsinnliche, jenes Erleben der Seele, das gar nicht aufsteigt zu dem, was wir als sinnlichkeitsfreies Geistiges kennen; wie wir es nun auffassen, ob als eine bloße Abstraktion oder als einen realen Inhalt unserer Seele, das wollen wir in diesem Augenblick noch nicht entscheiden. Das ganze, was wir sinnlichkeitsfreies Erleben der Seele nennen, das ist ja noch nicht etwas, womit der Grieche rechnet. Er unterscheidet nicht in dem Sinne wie wir zwischen Denken und äußerem sinnlichen Wahrnehmen.
Die ganze Auffassung der Platonischen Philosophie
müßte eigentlich von diesem Gesichtspunkte aus korrigiert werden, denn erst dann gewinnt sie ihr rechtes Antlitz. So daß man sagen kann: Der Manichäismus ist nur eine nachchristliche Ausgestaltung wie ich schon sagte, mit orientalischer Nuance - desjenigen, was im Griechentum war. Man versteht auch nicht jenen großen Genialen, aber Erzphilister, der die griechische Philosophie abschließt, Aristoteles, wenn man nicht weiß, daß, wenn er noch spricht von den Begriffen, er zwar hart an der Grenze schon steht vom Erfassen von etwas sinnlichkeitsfreiem Abstrakten, daß er aber im Grunde genommen doch noch im Sinne der gefühlten Tradition desjenigen spricht, was auch die Begriffe noch im Umkreise der sinnlichen Welt gesehen hat wie die Wahrnehmungen.
Augustinus war einfach durch den Gesichtspunkt, zu dem sich die Menschenseelen durchgerungen hatten in seinem Zeitalter, durch reale Vorgänge, die sich in den Menschenseelen abspielten, in deren Reihen Augustinus stand als eine besonders hervorragende Persönlichkeit, Augustinus war einfach gezwungen, nicht mehr so bloß in der Seele zu erleben, wie ein Grieche erlebt hat; sondern er war gezwungen, zu sinnlichkeitsfreiem Denken aufzusteigen, zu einem Denken, das noch einen Inhalt behält, wenn es nicht reden kann von der Erde, von der Luft, vom Meer, von den Sternen, von Sonne und Mond, das einen unanschaulichen Inhalt hat. Und nach einem Göttlichen rang Augustinus, das einen solchen unanschaulichen Inhalt haben sollte. Und nun sprachen zu ihm nur Philosophien, Weltanschauungen, die eigentlich das, was sie ihm zu sagen hatten, von einem ganz anderen Gesichtspunkte aus sagten, nämlich von dem eben charakterisierten des Sinnlich-Übersinnlichen. Kein Wunder, daß, weil diese Seelen in unbestimmter Art strebten nach etwas, was noch nicht da war, und, wenn sie hinlangten
wie mit geistigen Armen nach dem, was da war, sie nur finden konnten dasjenige, was sie nicht aufnehmen konnten, kein Wunder, daß diese Seelen zum Skeptizismus kamen!
Aber auf der anderen Seite war das Gefühl, auf einem sicheren Wahrheitsboden zu stehen und Aufschluß zu bekommen über die Frage nach dem Ursprung des Bösen, so stark in Augustinus, daß doch in seine Seele noch ebenso beträchtlich diejenige Weltanschauung hereingeleuchtet hat, die als Neuplatonismus am letzten Ausgange der griechischen philosophischen Entwickelung steht, namentlich in der Person des Plotin, und die uns auch historisch verrat - was im Grunde genommen nicht die Dialoge des Piaton und am wenigsten die Aristotelische Philosophie verraten können -, wie das ganze Seelenleben dann verlief, wenn es eine gewisse Verinnerlichung, ein Hinausgehen über das Normale suchte. Plotin ist wie ein letzter Nachzügler einer Menschenart, die ganz andere Wege zur Erkenntnis, zum inneren Leben der Seele einschlug als dasjenige, was überhaupt nachher verstanden worden ist, wovon man nachher eine Ahnung entwickelt hat. Plotin steht so da, daß er dem heutigen Menschen eigentlich als Phantast erscheint.
Plotin erscheint gerade denjenigen, die mehr oder weniger in sich aufgenommen haben von der mittelalterlichen Scholastik, wie ein schrecklicher Schwärmer, ja, wie ein gefährlicher Schwärmer. Ich habe das wiederholt erleben können. Mein alter Freund Vincenz Knauer, der Benediktinermönch, der eine Geschichte der Philosophie geschrieben hat, und der auch ein Buch geschrieben hat über die Hauptprobleme der Philosophie von Thaies bis Hamerling, war die Sanftmut selber. Dieser Mann schimpfte eigentlich nie zu andern Zeiten, als wenn man mit ihm über die Philosophie des Neuplatonismus, namentlich des Plotin, zu v
erhandeln hatte. Da wurde er bös und schimpfte sehr, fürchterlich über Plotin wie über einen gefährlichen Schwärmer. Und Brentano, der geistvolle AristoteÜker und Empiriker Franz Brentano, der aber auch die Philosophie des Mittelalters in einer außerordentlich tiefen und intensiven Weise in seiner Seele trug, er schrieb sein Büchelchen «Was für ein Philosoph manchmal Epoche macht», und da schimpft er eigentlich geradeso über Plotin, denn Plotin ist der Philosoph, der Mann, der nach seiner Meinung als ein gefährlicher Schwärmer am Ausgange des griechischen Altertums Epoche gemacht hat. Plotin zu verstehen, wird für den heutigen Philosophen tatsächlich außerordentlich schwer.
Von diesem Philosophen des dritten Jahrhunderts müssen wir zunächst sagen: Dasjenige, was wir als unseren Verstandesinhalt erleben, als unseren Vernunfinhalt erleben, was wir erleben als die Summe der Begriffe, die wir uns über die Welt machen, das ist für ihn durchaus nicht, was es für uns ist. Ich mochte sagen, wenn ich mich bildlich ausdrücken darf (es wird gezeichnet *): Wir fassen die Welt auf durch Sinneswahrnehmungen, bringen dann durch Abstraktionen lmks diese Sinneswahrnehmungen auf Begriffe und endigen so bei den Begriffen. Wir haben die Begriffe als inneres seelisches Erlebnis und sind uns, wenn wir Durchschnittsmenschen der Gegenwart sind, mehr oder weniger bewußt, daß wir ja Abstraktionen haben, etwas, was wir aus den Dingen wie herausgesogen haben. Das Wesentliche ist, wir endigen da; wir wenden unsere Aufmerksamkeit der Sinneserfahrung zu und endigen da, wo wir die Summe unserer Begriffe, unserer Ideen bilden.
Das war für Plotin nicht so. Für Plotin war diese ganze Welt der Sinneswahrnehmungen im Grunde genommen zunächst kaum vorhanden. Dasjenige aber, was für ihn etwas war, wovon er so sprach wie wir von Pflanzen, Mineralien, Tieren und physischen Menschen, das war etwas, was er nun
* Zu den Tafelzeichnungen siehe Seite 162.
über den Begriffen liegend sah, das war eine geistige Welt, und diese geistige Welt hatte für ihn eine untere Grenze. Diese untere Grenze waren die Begriffe. Während für uns die Begriffe dadurch gewonnen werden, daß wir zu den Sinnesdingen uns wenden, abstrahieren und die Begriffe uns bilden und sagen: Die Begriffe sind die Zusammenfassungen, die Extrakte ideeller Natur aus den Sinneswahrnehmungen , sagte Plotin, der sich zunächst um die Sinneswahrnehmungen wenig kümmerte: Wir als Menschen leben in einer geistigen Welt, und dasjenige, was uns diese geistige Welt als ein Letztes offenbart, was wir wie ihre untere Grenze sehen, das sind die Begriffe.
Für uns liegt unter den Begriffen die sinnliche Welt; für Plotin liegt über den Begriffen eine geistige Welt, die eigentliche intellektuelle Welt, die Welt des eigentlichen Geistesreiches. Ich könnte auch folgendes Bild gebrauchen: Denken wir uns einmal, wir wären in das Meer untergetaucht, und wir blicken hinauf bis zur Meeresoberfläche, sehen nichts als diese Meeresoberfläche, nichts über der Meeresoberfläche, so wäre die Meeresoberfläche die obere Grenze. Wir lebten im Meere, und wir hätten vielleicht eben in der Seele das Gefühl: Diese Grenze umschließt uns das Lebenselement, in dem wir sind -, wenn wir für das Meer organisierte Wesen wären.
Für Plotin war das anders. Er beachtete nicht dieses Meer um sich. Für ihn war aber seine Grenze, die er da sah, die Grenze der Begriffswelt, in der seine Seele lebte, die untere Grenze desjenigen, was über ihr war; also wie wenn wir die Meeresgrenze als die Grenze gegenüber dem Luftraum und der Wolkenwelt und so weiter auffassen würden. Für Plotin, der dabei durchaus für sich die Meinung hat, daß er die wahre, echte Anschauung des Plato fortsetzt, für Plotin ist dieses, was über den Begriffen liegt, zugleich dasjenige, was Plato die Ideenwelt nennt. Diese Ideenwelt ist zunächst durchaus etwas, wovon man als einer Welt spricht im
Sinne des Plotinismus.
Nicht wahr, es wird Ihnen allen nicht einfallen, selbst wenn Sie subjektivistisch oder Anhänger der modernen subjektivistischen Philosophie sind, wenn Sie hinaussehen auf die Wiese zu sagen: Ich habe meine, du hast deine Wiese, der dritte hat seine Wiese —, auch wenn Sie überzeugt sind davon, daß sie alle eben nur die Vorstellung der Wiese haben. Sie reden von der einheitlichen Wiese, von der einen Wiese, die draußen ist; so Plotin zunächst von der einen Ideenwelt, nicht von der Ideenwelt dieses Kopfes, oder eines zweiten Kopfes, oder der Ideenwelt im dritten Kopfe. An dieser Ideenwelt - und das merkt man ja schon aus der ganzen Art und Weise, wie man den Gedankengang zu charakterisieren hat, der zu dieser Ideenwelt führt -, an dieser Ideenwelt nimmt nun teil die Seele. So daß wir also sagen können: Gewissermaßen entfaltet sich aus der Ideenwelt heraus, diese Ideenwelt erlebend, die Seele, die Psyche. Und ebenso wie die Ideenwelt die Psyche, die Seele schafft, so schafft sich die Seele ihrerseits erst die Materie, in der sie verkörpert ist. So daß also dasjenige, woraus die Psyche ihren Leib nimmt, im wesentlichen ein Geschöpf dieser Psyche ist.
Da aber ist erst der Ursprung der Individuation, da erst gliedert sich die Psyche, die sonst teilnimmt an der einheitlichen Ideenwelt, da gliedert sie sich in den Leib A, in den Leib B und so weiter ein, und dadurch entstehen erst die Einzelseelen. Die einzelnen Seelen entstehen dadurch, daß gewissermaßen die Psyche eingegliedert wird in die einzelnen materiellen Leiber. Geradeso, wie wenn ich eine große Menge Flüssigkeit hätte als eine Einheit, dann zwanzig Gläser nehmen und jedes mit dieser Flüssigkeit vollschütten
würde, so daß ich überall diese Flüssigkeit, die als solche eine Einheit ist, nun drinnen hätte, geradeso habe ich überall die Psyche drinnen dadurch, daß die Psyche sich in Leibern, die sie sich aber selbst schafft, verkörpert. So daß im plotinischen Sinne der Mensch sich anschauen kann zunächst seiner Außenseite nach, seinem Gefäß nach. Das ist aber im Grunde genommen nur dasjenige, wodurch die Seele sich offenbart, wodurch die Seele sich auch individualisiert. Dann hat der Mensch innerlich zu erleben seine Seele selbst, die sich hinauferhebt zu der Ideenwelt. Dann gibt es eine höhere Art des Erlebens. Daß man von abstrakten Begriffen redet, das hätte für einen Plotinisten keinen Sinn; denn solche abstrakten Begriffe, ja, ein Plotinist würde gesagt haben: Was soll das sein, abstrakte Begriffe? Es können doch Begriffe nicht abstrakt sein, Begriffe können doch nicht in der Luft hängen, sie müssen doch irgendwie vom Geiste heruntergesenkt sein, sie müssen doch die konkreten Offenbarungen des Geistigen sein. Man hat also unrecht, wenn man so interpretiert, daß das, was man als Ideen gegeben hat, irgendwelche Abstraktionen seien. Das ist der Ausdruck einer intellektuellen Welt, einer Welt der Geistigkeit. Es ist dasjenige, was auch im gewöhnlichen Erleben bei denjenigen Menschen vorhanden war, aus deren Verhältnissen Plotin und die Seinigen herauswuchsen. Für die hatte ein solches Reden über Begriffe, wie wir es heute entfalten, überhaupt keinen Sinn, denn für sie gab es nur ein Hereinragen der geistigen Welt in die Seelen. Und an der Grenze dieses Hereinragens, im Erleben, ergab sich diese Begriffswelt. Erst dann aber, wenn man sich vertiefte, wenn man weiterentwickelte die Seele, ergab sich das, was nun der gewöhnliche Mensch nicht wissen konnte, was eben ein solcher erlebte, der zu einem höheren Erleben sich aufschwang. Er erlebte dann dasjenige, was noch über der Ideenwelt war, das Eine, wenn man es etwa so nennen will,
Erleben des Einen, was für Plotin dasjenige war, das für keine Begriffe zu erreichen war, weil es eben über der Begriffswelt war, das nur zu erreichen war, wenn man begriffslos ins Innere sich versenken konnte, und das charakterisiert ist durch das, was wir hier in unserer Geisteswissenschaft Imagination nennen. Sie können darüber nachlesen in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», nur daß dasjenige, was in diesem Buche gemeint ist, im Sinne der Gegenwart ausgebildet ist, während es bei Plotin im Sinne des alten ausgebildet war. Was da die Imagination genannt werden kann, das versenkt sich nach Plotin in dasjenige, was über der Ideenwelt steht.
Aus dieser Gesamtanschauung der Welt ergab sich für Plotin eigentlich auch alles Erkennen über die menschliche Seele. Es liegt ja eigentlich schon darinnen. Und man kann nur Individualist im Sinne Plotins sein, indem man zu gleicher Zeit ein Mensch ist, der anerkennt, wie der Mensch sich hinauflebt in etwas, das über alle Individualität erhaben ist, wie sich der Mensch hinauflebt in ein Geistiges, in das er sich gewissermaßen nach oben erhebt, während wir heute in unserem Zeitalter mehr die Gewohnheit haben, unterzutauchen in das Sinnliche. Das alles aber, was da der Ausdruck von etwas ist, was also selbst schon ein richtiger Scholastiker als Schwärmerei ansieht, das ist für Plotin nichts etwa Erdachtes, das sind für Plotin keine Hypothesen. Für Plotin war das so sichere Wahrnehmung, bis zu dem Einen hin, das eben nur in Ausnahmefällen erlebt werden konnte, für Plotin war es so sichere Wahrnehmung, so selbstverständliche Wahrnehmung, wie für uns eben heute Mineralien, Pflanzen, Tiere Wahrnehmungen sind. Er sprach nur im Sinne von etwas, das wirklich unmittelbar von der Seele erlebt wird, wenn er sprach von der Seele, dem Logos, der teilnimmt an dem Nous, an der Ideenwelt und an dem Einen.
Für Plotin war gewissermaßen die ganze Welt eine Geistigkeit; wieder eine andere Nuance von Weltanschauung, als es der Manichäismus war und als dasjenige, wonach Augustinus strebte. Der Manichäismus erkennt ein Sinnlich-Übersinnliches; für ihn haben die Worte und Begriffe Materie und Geist noch keinen Sinn. Augustinus ringt darnach, aus seiner sinnlichen Anschauung heraus nach einem sinnlichkeitsfreien geistigen Erleben der Seele zu kommen. Für Plotin ist die ganze Welt ein Geistiges, für ihn sind Sinnendinge nicht da. Denn das, was materiell erscheint, ist nur die Offenbarungsart, die unterste Offenbarungsart des Geistigen. Alles ist Geist, und dringen wir nur tief genug in die Dinge hinein, so offenbart sich alles als Geist.
Das ist etwas, womit Augustinus nicht ganz mitgehen konnte. Warum? Weil er die Anschauung nicht hatte. Weil er eben schon in seinem Zeitalter lebte als - ja, wenn ich Plotin einen Nachzügler nennen möchte der alten Zeiten, wo man solche Anschauungen hatte, der aber noch hereinragte ins dritte Jahrhundert, so war Augustinus eben ein Vorzügler, im Gegensatze zu dem Nachzügler - ein Vorzügler derjenigen Menschen, die nicht mehr fühlen, empfinden, wahrnehmen konnten, daß in der Ideenwelt eine geistige Welt nach unten sich offenbart. Er schaute das eben nicht mehr. Er konnte es sich nur erzählen lassen. Er konnte es nur von andern erfahren. Er konnte nur darauf kommen, daß man das sagte, und er konnte noch ein Gefühl dafür entwickeln, daß darinnen etwas stecke, was ein menschlicher Weg zur Wahrheit ist. Das war der Zwiespalt, in dem Augustinus dem Plotinismus gegenüberstand. Aber eigentlich wurde er niemals davon ganz abgelenkt, hinzustreben nach einem inneren Verständnis dieses Plotinismus. Aber das Schauen eröffnete sich ihm nicht. Er ahnte nur: In dieser Welt muß etwas drinnen sein. Aber er konnte sich nicht durchringen.
Das war die Seelenstimmung, in der Augustinus sich in Einsamkeiten zurückzog, aus welchen Einsamkeiten heraus er dann die Bibel und das Christentum kennenlernte, später die Predigten des Ambrosius, die Paulus-Briefe. Und es war die Seelenstimmung, die ihn endlich dazu brachte, zu sagen: Dasjenige, was der Plotin gesucht hat als das Wesen der Welt zunächst im Wesen der Ideenwelt, des Nous, oder in dem Einen, das man nur in besonderen Vorzugszuständen der Seele erreicht, das ist ja leibhaftig erschienen auf der Erde in menschlicher Gestalt durch den Christus Jesus. - Das sprang ihm als eine Überzeugung aus der Bibel hervor: Du brauchst nicht hinaufzudringen zu dem Einen, du brauchst nur hinzuschauen zu dem, was dir die historische Tradition von dem Christus Jesus vermittelt. Da ist der Eine herabgestiegen, ist Mensch geworden.
Und Augustinus tauscht die Kirche ein für die Philosophie des Plotin. Daß er die Kirche eintauscht, spricht er eigentlich klar genug aus. Er spricht es aus, indem er sagt: «Wer könnte so verblendet sein, zu sagen, die Kirche der Apostel verdiene keinen Glauben, die so treu ist und von so vieler Brüder Übereinstimmung getragen, daß sie deren Schriften gewissenhaft den Nachkommen überlieferte, wie sie auch deren Lehrstühle bis zu den gegenwärtigen Bischöfen herab mit streng gesicherter Nachfolge erhalten hat.» Das ist dasjenige, worauf jetzt Augustinus aus der gekennzeichneten Seelenstimmung heraus den Hauptwert legt, daß ja schließlich, wenn man nur nachgeht durch die Jahrhunderte hindurch, nachgewiesen werden kann: Es hat Menschen gegeben, die haben die Schüler des Herrn noch gekannt, und es ist eine fortlaufende Tradition glaubwürdiger Art vorhanden, daß auf der Erde erschienen ist dasjenige, was Plotin auf dem angedeuteten Wege zu erringen suchte.
Und nun entstand in Augustinus das Bestreben, so weit er
in den Plotinismus eindringen konnte, diesen Plotinismus zum Verständnisse desjenigen zu verwenden, was sich ihm für sein Gefühl, für seine Empfindung, für seine innere Wahrnehmung durch das Christentum erschlossen hatte. Er wendete tatsächlich dasjenige, was er durch den Plotinismus bekommen hatte, an, um das Christentum und seinen Inhalt zu verstehen. So formte er zum Beispiel den Begriff des Einen um. Für Plotin war das Eine ein Erlebnis; für Augustinus, der bis zu diesem Erlebnis nicht dringen konnte, wurde das Eine etwas, was er mit dem abstrakten «Sein» bezeichnete, Ideenwelt etwas, was er mit dem abstrakten Begriff des «Wesens» bezeichnete, Psyche etwas, was er mit dem abstrakten Begriff «Leben» oder auch mit dem Begriff «Liebe» bezeichnete. Daß Augustinus so verfuhr, charakterisiert uns am allerbesten, daß er versuchte, die geistige Welt, aus der er sich den Christus Jesus stammend dachte, mit neuplatonischen, mit plotinischen Begriffen zu erfassen: daß da über den Menschen eine geistige Welt ist, aus der der Christus stammt. Die Dreigeteiltheit, das war etwas, was dem Augustinus aus dem Plotinismus heraus klargeworden war. Es wurden für Augustinus die drei Persönlichkeiten der Trinität - der Vater, der Sohn, der Geist - aus dem Plotinismus klar.
Eine __________________ Sein | } | |
Ideenwelt _____________ Wesen | Trinität | |
Psyche _______________ Leben - Liebe |
Und will man nun im Ernste fragen: Was erfüllte die Seele des Augustinus, wenn er von den drei Personen sprach? -
so muß man antworten: Es erfüllte ihn dasjenige, was er von Plotin gelernt hatte. Und er trug auch in dasjenige, was ihm Bibelverständnis war, das hinein, was er von Plotin gelernt hatte. Man sieht, wie das noch weiter fortwirkt, denn diese Trinität wird wiederum lebendig zum Beispiel in Scotus Erigena, der am Hofe Karls des Kahlen im neunten Jahrhundert lebte, und der ein Buch über die Teilung, über die Gliederung der Natur geschrieben hat, in dem wir eine ähnliche Trinität noch finden. Christentum interpretiert seinen Inhalt aus dem Plotinismus heraus.
Was aber Augustinus ganz besonders stark blieb aus diesem Plotinismus heraus, das war etwas Grundwesentliches für diesen Plotinismus. Denken Sie sich doch, daß ja eigentlich nur, indem die Psyche hinunterragt in das Materielle wie in ein Gefäß, der Mensch eine irdische Individualität ist. Gehen wir nur etwas hinauf in das höhere Wesenhafte, steigen wir vom Menschlichen zum Göttlichen oder Geistigen auf, wo die Trinität wurzelt, dann haben wir es nicht mehr mit dem einzelnen Menschen zu tun, dann haben wir es gewissermaßen mit der Gattung, mit der Menschheit zu tun.
Wir lenken nicht mehr in dieser starken Weise aus unseren heutigen Begriffen heraus unsere Vorstellungen der ganzen Menschheit zu, wie Augustinus das getan hat aus dem Plotinismus heraus. Ich möchte sagen, von da unten angesehen nehmen sich die Menschen als Individuen aus; von oben angesehen - wenn man das hypothetisch so sagen darf - nimmt sich die ganze Menschheit als eine Einheit aus. Von diesem Gesichtspunkte wuchs nun auch, von vorne gesehen, die ganze Menschheit für Plotin in Adam zusammen. Adam war die ganze Menschheit. Und indem Adam hervorging aus der geistigen Welt, war er eine Wesenheit, mit der Erde verbunden, die freien Willen hatte, und die,
weil in ihr lebte dasjenige, was da droben noch war nicht dasjenige, was aus der Verirrung der Materie stammt -, unfähig war zu sündigen. Unmöglich war es diesem Menschen, der zunächst Adam war, zu sündigen, unfrei zu sein, und damit auch unmöglich, zu sterben. Da kam die Wirkung desjenigen, was Augustinus empfand als den Gegengeist, als die satanische Wesenheit. Die versuchte, verführte den Menschen. Er fiel in die Materie, und damit die ganze Menschheit.
Sehen Sie, insofern steht mit seiner aufgenommenen Erkenntnis Augustinus ganz in dem drinnen, was der Plotinis-mus ist. Die ganze Menschheit ist ihm eines. Es sündigt nicht der einzelne Mensch, es sündigt in Adam die ganze Menschheit. Geht man ein auf das, was oftmals zwischen den Zeilen namentlich der letzten Schriften des Augustinus lebt, so sieht man, wie außerordentlich schwer es Augustinus geworden ist, so seine Blicke auf die ganze Menschheit zu werfen, auf die Möglichkeit zu werfen, daß die ganze Menschheit sündigt. Denn es liegt in ihm schon eben der moderne Mensch, der Vorzügler im Gegensatze zum Nachzügler. Es lebte in ihm der individuelle Mensch, der eine Empfindung dafür hatte, daß der einzelne Mensch immer mehr und mehr verantwortlich wird für das, was er tut und lernt. Fast als etwas Unmögliches erschien es Augustinus in gewissen Augenblicken, zu empfinden, daß der einzelne Mensch nur ein Glied in der ganzen Menschheit ist. Aber der Neuplatonismus, der Plotinismus war so fest bei ihm, daß er doch wiederum nur den Blick auf die ganze Menschheit werfen konnte. Und so war dieser Zustand bei den ganzen Menschen - der Zustand der Sünde, des Sündigens, des Sterbens - übergegangen in den Zustand des Nichtfreiseinkönnens, des Nichtunsterblichseinkönnens.
Die ganze Menschheit war damit gefallen, hatte sich abgewendet von ihrem Ursprung. Und Gott würde, wenn er bloß gerecht wäre, die Menschheit nun einfach verworfen haben. Er ist aber nicht bloß gerecht, er ist auch barmherzig. So empfand es Augustinus. Daher beschloß Gott, einen Teil der Menschheit - wohlgemerkt: einen Teil der Menschheit zu retten. Das heißt, Gottes Ratschluß bestimmte einen Teil der Menschheit zum Empfangen der Gnade, wodurch dieser Teil der Menschheit zurückgeführt wird von dem Zustande des Nichtfreiseinkönnens, des Nichtunsterblichseinkönnens, in den Zustand des Freiseinkönnens, des Unsterblichseinkönnens, was allerdings erst nach dem Tode vollständig verwirklicht werden kann. Ein Teil der Menschheit wird in diesen Zustand zurückversetzt. Der andere Teil der Menschheit - das sind die nicht Erwählten -, der bleibt in dem Zustand der Sünde. So daß die Menschheit in diese zwei Teile zerfällt: in diejenigen, die erwählt sind, und in diejenigen, die verworfen sind. Und sieht man im augu-stinischen Sinne hin auf die Menschheit, so zerfällt sie einfach in diese zwei Glieder, in diejenigen, die zur Seligkeit bestimmt sind ohne ihr Verdienst, bloß weil es im göttlichen Weltenplan weise so eingerichtet ist, und in solche, die, was sie auch immer machen, die Gnade nicht erringen können, die determiniert sind, prädestiniert sind, in Verdammnis zu fallen. Diese Anschauung, die man auch die Prädestinationslehre nennt, die ergab sich für Augustinus aus der Art heraus, wie er seinen Blick auf die gesamte Menschheit hinrichtete. Wenn die gesamte Menschheit sündigte, so war eigentlich die gesamte Menschheit wert, das Schicksal des Teiles der Menschheit zu erfahren, der verworfen wurde.
Welche furchtbaren geistigen Kämpfe sich aus dieser Prädestinationslehre ergeben haben, wie der Pelagianis-mus, der Semipelagianismus daraus herausgewachsen sind,
davon soll dann morgen gesprochen werden. Aber heute möchte ich nur ganz zum Schlüsse noch hinzufügen: Wir sehen nun, wie Augustinus als lebendig ringende Persönlichkeit drinnensteht zwischen jener Anschauung, die nach dem Geistigen hinaufgeht, und für deren Blick die Menschheit ein Ganzes wird. Das legt er sich in seinem Sinn, im Sinn der Prädestinationslehre aus. In seiner Seele aber lebt der Drang, aus der menschlichen Individualität aufzusteigen zu einem sinnlichkeitsfreien Geistigen, einem Geistigen, das wiederum nur aus der Individualität stammen kann. Das war eben das Charakteristiken des Zeitalters, dessen Vorzügler der Augustinus ist, daß dieses Zeitalter gewahr wurde, was im Altertum nicht gewahr worden sind die Menschen: das individuelle Erleben.
Heute nimmt man ja vieles als Phrase. Klopstock war noch ernst, nicht Phraseur, als er seinen «Messias» mit den Worten begann: Singe, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung. Homer hat begonnen, ebenso ehrlich
und aufrichtig: Singe, o Göttin, mir von dem Zorn
oder: Singe, o Muse, mir von dem Manne, dem vielgewanderten Odysseus. - Diese Leute sprachen nicht von dem, was in der Individualität drinnenlebt; die sprachen von dem, was als allgemeine Menschheit, als Gattungsseele, als Psyche durch sie spricht. Das ist keine Phrase, wenn Homer die Muse singen läßt statt seiner selbst. Daß man sich als Individualität empfinden kann, das kommt erst auf. Und Augustinus ist einer der ersten derjenigen, die im Grunde genommen eigentlich erst empfanden das individuelle Dasein des Menschen mit der individuellen Verantwortlichkeit. Deshalb lebte er in diesem Zwiespalt drinnen. Aber es entstand eben in seinem Erleben das individuelle Streben nach dem unsinnlichen Geistigen. In ihm war ein persönliches, subjektives Ringen.
In der Folgezeit wurde verschüttet auch dasjenige Ver-, ständnis nodi, das Augustinus haben konnte für den Ploti-nismus. Und nachdem die griechischen Philosophen, die letzten Nachzügler des Piaton, und Plotin in die Verbannung nach Persien hinüber auswandern mußten, nachdem diese letzten Philosophen in der Akademie von Gondishapur dann ihre Nachkommen gefunden haben, da versiegte im Abendlande dieses Hinaufschauen nach dem Geistigen, und nur dasjenige blieb, was der Generalphilister Aristoteles als filtrierte griechische Philosophie auf die Nachwelt überliefert hat, aber auch das nur in einzelnen Fragmenten. Das pflanzte sich fort, kam dann auf dem Umwege, wie wir sehen werden, über die Araber nach Europa herein. Das war dasjenige, was kein Bewußtsein mehr hatte von der eigentlichen Ideenwelt, was keinen Plotinismus mehr im Leibe hatte. Und so blieb die große Frage übrig: Der Mensch muß das Geistige ja aus sich selbst herausspinnen. Der Mensch muß das Geistige als Abstraktion gebären. Wenn er die Löwen sieht und den Begriff des «Löwen» dazu denkt, wenn er die Wölfe sieht und den Begriff «Wolf» dazu denkt, wenn er den Menschen sieht und den Begriff des «Menschen» dazu denkt, so sind diese Begriffe nur in ihm lebend, so steigt das aus der Individualität auf.
Die ganze Frage hätte noch keinen Sinn für einen Plotin gehabt; jetzt bekommt diese Frage einen Sinn. Und jetzt bekommt diese Frage noch einen tiefen, anderen Sinn. Augustinus hat noch mit dem, was aus dem Plotinismus in seine Seele hereingeleuchtet hat, erfassen können das Mysterium des Christus Jesus. Das war verschüttet, was als solcher Plotinismus da war; mit der Schließung der Philosophenschule in Athen 529 durch den Kaiser Justinian war der lebendige Zusammenhang mit solchen Anschauungen
abgebrochen. Verschiedene haben in tiefer Weise empfunden, was es heißt: Uns wird gesprochen von einer geistigen Welt in der Tradition, in der Schrift; wir erleben aus der Individualität heraus übersinnnliche Begriffe, vom Sinnlichen abgezogene Begriffe. Wie stehen wir mit diesen Begriffen zum Sein? Wie stehen wir mit diesen Begriffen zur Wesenheit der Welt? Lebt dasjenige, was wir uns als Begriffe bilden, nur als etwas Willkürliches in uns, oder hat es etwas zu tun mit der äußeren Welt?
In dieser Form tauchten die Fragen auf, in äußerster Abstraktion, aber in einer Abstraktion, die tiefernste menschliche und ganz mittelalterlich-kirchliche Angelegenheiten waren. In dieser Abstraktion, in dieser Herzensinnigkeit tauchten die Fragen auf in den beiden Persönlichkeiten des Albertus Magnus und des Thomas von Aquino. Sie wurden dann, wiederum verabstrahiert, die Fragen zwischen Realismus und Nominalismus genannt. Wie steht man zu einer Welt, von der uns berichtet wird durch diejenigen Begriffe, die nur in uns selbst aus unserer Individualität heraus geboren werden können? Das war die große Frage, die sich die mittelalterlichen Scholastiker vorgelegt haben. Und wenn Sie bedenken, welche Form der Plotinismus in der Prädestinationslehre des Augustinus angenommen hat, dann werden Sie die ganze Tiefe dieser scholastischen Frage fühlen können: Nur ein Teil der Menschheit, und der nur durch Gottes Ratschluß, konnte der Gnade teilhaftig werden, das heißt, zur Seligkeit gelangen; der andere Teil war zur ewigen Verdammnis von vornherein bestimmt, was er auch tun mochte. Dasjenige aber, was der Mensch als seinen Erkenntnisinhalt sich erringen konnte, das ging ja gerade aus dem hervor, aus dem Augustinus noch nicht seinen Begriff, den furchtbaren Begriff der Prädestinationslehre hat umbilden können, das ging hervor aus der menschlichen Individualitat. Für Augustinus war die Menschheit ein Ganzes, für Thomas war jeder einzelne Mensch eine Individualität.
Wie hängt dieser große Weltenprozeß der Prädestination, wie ihn Augustinus sah, mit dem zusammen, was die einzelne menschliche Individualität erlebt? Wie hängt zusammen dasjenige, was Augustinus eigentlich ganz abgeworfen hat, mit dem, was die einzelne menschliche Individualität sich erringen kann? Man bedenke: Augustinus hat, weil er die menschliche Individualität nicht zur Geltung bringen wollte, die Prädestinationslehre hingenommen, ausgelöscht die menschliche Individualität um der Menschheit willen; Thomas von Aquino hatte nur den einzelnen Menschen mit seinem Erkenntnisstreben vor sich. Aus dem, was Augustinus ausgeschlossen hat aus seiner Menschheitsbetrachtung, mußte Thomas die menschliche Erkenntnis und ihr Verhältnis zur Weit suchen.
Es genügt nicht, daß man eine solche Frage abstrakt und verstandesmäßig und rationalistisch stellt. Es ist notwendig, daß man eine solche Frage mit dem ganzen Herzen faßt, mit der ganzen menschlichen Persönlichkeit faßt. Dann wird man ermessen können, wie diese Frage lastete auf denjenigen Menschen, die ihre Träger im 13. Jahrhundert waren.
ZWEITER VORTRAG DAS WESEN DES THOMISMUS Dornach, 23. Mai 1920
ZWEITER VORTRAG
DAS WESEN DES THOMISMUS
Dornach, 23. Mai 1920
Was ich mich gestern besonders hervorzuheben bemühte, das war, daß in jener geistigen Entwickelung des Abendlandes, die dann ihren Ausdruck in der Scholastik gefunden hat, nicht bloß dasjenige spielt, was man in abstrakten Begriffen erfassen kann und was sich etwa in abstrakten Begriffen, in einer Entwickelung abstrakter Begriffe vollzogen hat, sondern daß dahinter eine reale Entwickelung der Impulse der abendländischen Menschheit steht. Ich meine das so: Man kann zunächst, wie man ja das zumeist in der Philosophiegeschichte macht, den Blick auf dasjenige richten, was man bei den einzelnen Philosophenpersönlichkeiten findet. Man kann verfolgen, wie gewissermaßen die Ideen, die man bei einer Persönlichkeit des 6., 7., 8., 9. Jahrhunderts findet, dann fortgesponnen werden von Persönlichkeiten des 10., 11., 12., 13. Jahrhunderts, und man kann durch eine solche Betrachtung den Eindruck gewinnen, ein Denker habe von dem anderen gewisse Ideen übernommen und es Hege eine gewisse Evolution von Ideen vor.
Das ist eine geschichtliche Betrachtung des geistigen Lebens, die allmählich verlassen werden müßte. Denn dasjenige, was sich so abspielt, was sich offenbart aus den einzelnen menschlichen Seelen heraus, das sind doch eigentlich nur Symptome für ein tieferes Geschehen, das gewissermaßen hinter der Szene der äußeren Vorgänge liegt. Und dieses Geschehen, das sich abspielte von etwa ein paar Jahrhunderten an schon bevor das Christentum begründet worden ist, dann in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bis in die Zeit der Scholastik hinein, ist ein ganz organischer Vorgang im Werden der abendländischen Menschheit. Ohne den Blick hinzurichten auf diesen organischen Vorgang, ist es ebenso unmöglich, darüber Aufschluß zu bekommen, wie über dasjenige, was Entwidkelung, sagen wir vom zwölften bis zum zwanzigsten menschlichen Lebensjahre ist, wenn man nicht den wichtigen Einschlag in diesem Lebensalter ins Auge fassen würde, der mit der Geschlechtsreife und all den Kräften, die sich da aus den Untergründen der menschlichen Wesenheit heraufarbeiten, verbunden ist. So wühlt sich herauf aus den Tiefen dieses ganzen großen Organismus europäischer Menschheit etwas, was man eben dadurch charakterisieren kann - man könnte auch andere Charakteristiken erfinden -, daß man sagt: Sehr ehrlich und aufrichtig haben jene alten Dichter gesprochen, die etwa wie Homer begannen ihre epischen Gedichte: Singe mir, Göttin, den Zorn des Peleiden Achilleus -, oder: Singe mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes. - Diese Leute haben nicht eine Phrase sagen wollen, diese Leute haben empfunden als inneren Tatbestand ihres Bewußtseins, daß nicht ein einzelnes individuelles Ich sich da aussprechen will, sondern daß sich aussprechen will, was in der Tat empfunden wurde als ein höheres Geistig-Seelisches, das hereinspielt in den gewöhnlichen Bewußtseinszustand des Menschen.
Und wiederum - ich sagte es schon gestern - war Klopstock aufrichtig und durchschaute in einer gewissen Beziehung diesen Tatbestand, wenn auch vielleicht nur instinktiv, als er seine «Messias»-Dichtung begann; jetzt nicht: Singe, o Muse -, oder : Singe, o Göttin, von der Erlösung der Menschen -, sondern als er sagte: Singe, unsterbliche Seele -, also: Singe, individuelles Wesen, das in dem einzelnen Menschen als einer Individualität wohnt. - Als Klopstock seinen
«Messias» schrieb, war allerdings dieses individuelle Fühlen in der einzelnen Seele schon weit vorgeschritten. Aber dieser innere Trieb, die Individualität herauszukehren, individuell das Leben zu gestalten, bildete sich im eminentesten Sinne in dem Zeitalter aus, das etwa von der Begründung des Christentums bis zu der Hochscholastik verläuft. In dem, was die Philosophen gedacht haben, kann man nur das Oberste sehen, dasjenige, was an die alleräußerste Oberfläche hinaufgeht von dem, was in den Tiefen der ganzen Menschheit sich vollzieht: das Individuellwerden des Bewußtseins europäischer Menschen. Und ein wesentliches Moment in der Verbreitung des Christentums durch diese Jahrhunderte ist die Tatsache, daß diejenigen, welche die Träger dieser Verbreitung waren, hineinsprechen mußten in eine Menschheit, die aus den Tiefen ihres Wesens heraus den Menschen immer mehr und mehr zu einem innerlichen Individuell-Erfühlen hindrängte.
Nur unter diesem Gesichtspunkte lassen sich die einzelnen Ereignisse verstehen, die sich in diesem Zeitalter vollziehen. Und auch nur mit dem Blick auf diese Tatsachen läßt sich verstehen, was an Seelenkämpfen in solchen Persönlichkeiten stattgefunden hat, die dann eben in den tiefsten Tiefen der Menschenseele sich auseinandersetzen wollten mit dem Christentum auf der einen Seite und mit der Philosophie auf der andern Seite, wie Albertus Magnus und Thomas von Aquino. Heute liegt den gebräuchlichen Philosophiegeschichtsschreibern viel zu wenig von den wahren Gestalten der Seelenkämpfe vor, die ihren letzten Abschluß gewissermaßen in Albert und Thomas gefunden haben, als daß dieses Zeitalter in den gebräuchlichen Philosophiegeschichten auch nur annähernd deutlich genug geschildert würde. Da spielt vieles herein in das Seelenleben des Albert und des Thomas.
Äußerlich sieht es so aus, als ob Albertus Magnus, der vom 12. ins 13. Jahrhundert hinüber lebte, und Thomas, der im 13. Jahrhundert lebte, nur gewissermaßen dialektisch hätten vereinigen wollen auf der einen Seite Augustinismus, von dem wir gestern gesprochen haben, und Aristotelismus. Der eine war der Träger der kirchlichen Ideen, der andere der Träger der ausgebildeten philosophischen Ideen. Den Einklang zwischen beiden zu suchen zieht sich allerdings wie ein Duktus hindurch durch all dasjenige, was die beiden geschrieben haben. Aber in alldem, was da in Gedanken fixiert wird wie in einer Blüte des abendländischen Fühlens und Wollens, lebt doch unendlich viel darinnen von dem, was dann nicht auf jenes Zeitalter übergegangen ist, das sich etwa von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis in unsere Tage erstreckt, und aus dem wir unsere gebräuchlichen Ideen für alle Wissenschaften und auch für das gesamte öffentliche Leben entnehmen.
Dem heutigen Menschen erscheint es eigentlich nur wie etwas Paradoxes, wenn er hört, was wir gestern hören mußten von der Lebensanschauung des Augustinus: daß Augustinus tatsächlich der Anschauung war, daß ein Teil der Menschen von vornherein dazu bestimmt sei, die göttliche Gnade ohne Verdienst zu empfangen denn eigentlich müßten sie nach der Erbsünde alle zugrunde gehen , die göttliche Gnade zu empfangen und gerettet zu werden, seelischgeistig gerettet zu werden; ein anderer Teil der Menschheit müsse seelisch-geistig zugrunde gehen, gleichgültig was er auch unternimmt. - Für den heutigen Menschen erscheint das paradox, vielleicht sogar sinnlos. Wer sich hineinfühlen kann in das Zeitalter, in dem Augustinus gelebt hat, in dem Augustinus all diejenigen Ideen und Empfindungen empfangen hat, die ich gestern charakterisierte, der wird anders fühlen. Der wird fühlen, daß man - noch dazu als ein
Mensch wie Augustinus, der mittendrinnen stand in dem Kampfe zwischen dem Gedanken, der die ganze Menschheit als eine Einheit umfaßte, und jenem Gedanken, der die Individualität des Menschen herauskristallisieren wollte aus dieser einheitlichen Menschheit -, daß man es begreiflich finden kann, daß Augustinus auf diese Weise noch festhalten wollte an den Gedanken, die noch nicht als die altertümlichen Gedanken Rücksicht nahmen auf den einzelnen Menschen, die noch unter dem Einflüsse solcher Ideen wie die des Plotinismus, den ich gestern charakterisiert habe, eben einzig und allein das Allgemeinmenschliche im Sinne hatten. Aber auf der anderen Seite wühlte auch in der Seele des Augustinus der Drang nach Individualität. Daher bekommen diese Ideen eine so prägnante, Seelen- und herzensmäßig prägnante Fassung, daher sind sie so erfüllt von menschlichem Erleben, und dadurch wird gerade Augustinus jene unendlich sympathische Gestalt, welche so tiefen Eindruck macht, wenn wir den Blick zurückwenden auf die Jahrhunderte, die der Scholastik vorangegangen sind.
Über Augustinus hinaus hat sich dann für viele dasjenige, was den einzelnen Menschen des Abendlandes als Christ zusammenhielt mit seiner Kirche - aber nur in den Ideen des Augustinus , erhalten. Nur waren diese Ideen, so wie ich sie Ihnen gestern gezeigt habe, eben nicht annehmbar für diese abendländische Menschheit, die den Gedanken nicht ertrug, die Gesamtmenschheit, das Einheitliche, als ein Ganzes zu nehmen und sich darinnen nur etwa zu fühlen wie ein Glied, noch dazu wie ein Glied, das zu dem Teil der Menschheit gehört, der dem Untergang, der Vernichtung verfallen ist. Und so sah sich die Kirche gedrängt, zu einem Ausweg zu greifen.
Augustinus führte noch seinen gewaltigen Kampf gegen den Pelagius, jenen Mann, der schon ganz erfüllt war von
dem Individualimpuls des Abendlandes. Es war dies jene Persönlichkeit, bei der wir als einem Zeitgenossen des Augustinus sehen können, wie voraus erscheint das Sich-als-In-dividualität-Fühlen, wie es sonst erst die Menschen der späteren Jahrhunderte gehabt haben. Daher kann er nicht anders als sagen: Es kann keine Rede davon sein, daß der Mensch ganz unbeteiligt bleiben müsse an seinem Schicksal in der sinnlichen Welt; es muß aus der Menschenindividualität selbst herausgeboren werden können die Kraft, durch welche die Seele den Anschluß findet an das, was sie aus der Umstrickung der Sinnlichkeit erhebt in die reinen geistigen Regionen, wo sie ihre Erlösung und Rückkehr zur Freiheit und Unsterblichkeit finden kann. - Das war dasjenige, was Augustinus* Gegner geltend machten: daß der einzelne Mensch die Kraft finden müsse, die Erbsünde zu überwinden.
Die Kirche stand mittendrinnen zwischen den beiden Gegnern, und sie suchte nach einem Ausweg. Dieser Ausweg wurde vielfach besprochen. Es wurde gewissermaßen hin und her geredet, und man ergriff dann die Mitte, und ich kann es jedem einzelnen von Ihnen überlassen, ob er diese Mitte in diesem Falle als die goldene Mitte oder als die kupferne Mitte ansieht. Man ergriff die Mitte: den Semi-pelagianismus. Man fand eine Formel, die eigentlich nicht recht Schwarz und nicht recht Weiß sagte, die verkündete: Es ist zwar so, wie Augustinus gesagt hat, aber es ist doch nicht ganz so, wie Augustinus gesagt hat; es ist auch nicht ganz so, wie Pelagius gesagt hat, aber es ist in einem gewissen Sinne auch so, wie er gesagt hat. Und so könne man sagen, daß zwar nicht durch einen weisheitsvollen ewigen Ratschluß der Gottheit die einen zur Sünde, die anderen zur Gnade verurteilt sind, daß die Menschen Anteil haben an ihrem Sündhaflwerden oder an ihrem Erfülltsein mit Gnade; aber die Sache sei denn doch so, daß zwar nicht eine göttliche Vorherbestimmung vorliege, aber ein göttliches Vorherwissen. Die Gottheit weiß vorher, ob der eine ein Sünder sein werde oder der andere ein Gnadenerfüllter sein werde.
Dabei wurde nicht weiter darauf Rücksicht genommen, als dieses Dogma verbreitet wurde, daß es sich im Grunde gar nicht um ein Vorherwissen handelte, sondern daß es sich darum handelte, klipp und klar Stellung zu nehmen zu dem, ob nun der einzelne individuelle Mensch sich verbinden kann mit den Kräften in seinem individuellen Seelenleben, die ihn herausheben aus seiner Trennung von dem göttlichgeistigen Wesen der Welt und ihn wieder zurückführen können zu dem göttlich-geistigen Wesen der Welt. So bleibt für das Dogmenwesen im Grunde genommen die Frage ungelöst, und ich möchte sagen: Auf der einen Seite genötigt, den Blick nach dem Dogmengehalt der Kirche zu richten, auf der anderen Seite aber aus innerster Empfindung heraus mit tiefster Verehrung für die Größe des Augustinus erfüllt, standen in der Hochscholastik Albertus und Thomas dem gegenüber, was sich als abendländische Geistesentwickelung innerhalb der christlichen Strömung ausbildete. Und hinein spielte doch noch manches aus früheren Zeiten. Es lebte fort so, daß man es sieht, wenn man genau hinblickt auf die Seele des Albertus, des Thomas, daß man es sieht auf dem Grunde ihrer Seele tätig sein, aber daß man auch einsieht, daß es ihnen selber nicht ganz vollbewußt ist, daß es in ihre Gedanken hineinspielt, daß sie es aber nicht zu einer präzisen Fassung bringen können.
Das muß man bedenken, mehr bedenken für diese Zeit der Hochscholastik des Albert und des Thomas, als man eine ähnliche Erscheinung zum Beispiel in unserer Zeit bedenken müßte. Das Warum habe ich mir schon erlaubt hervorzu-
heben in meinen «Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert», die dann erweitert wurden zu meinem Buche «Die Rätsel der Philosophie», wo dann die Aufgabe anders gestellt war und daher die betreffende Stelle nicht wiederkehren konnte, wie ich mir noch erlauben will zu bemerken. Das gilt durchaus und das wird uns morgen noch eingehend zu beschäftigen haben, jetzt will ich es nur erwähnen -, daß wir aus diesem Emporringen der Individualität bei den Denkern, die nun philosophisch ausbildeten dieses Emporringen der Individualität, dasjenige erleben, was höchste Blüte logischer Urteilskraft ist, man könnte sagen höchste Blüte logischer Technik.
Man kann schimpfen wie man will von diesem oder jenem Parteistandpunkte über die Scholastik - all dieses Schimpfen ist in der Regel wenig von einer wirklichen Sachkenntnis erfüllt. Denn wer Sinn hat für die Art und Weise, wie sich, ganz abgesehen jetzt von, dem sachlichen Inhalt, der Scharfsinn der Gedanken abspielt bei irgend etwas, was wissenschaftlich oder sonst erklärt wird, wer Sinn dafür hat zu erkennen, wie Zusammenhänge zusammengedacht werden, die zusammengedacht werden müssen, wenn das Leben Sinn bekommen soll -, wer für alles das und für manches andere Sinn hat, für den geht es schon auf, daß so präzis, so innerlich logisch gewissenhaft niemals gedacht worden ist vorher, und nachher niemals gedacht worden ist als in der Zeit der Hochscholastik. Gerade das ist das Wesentliche, daß da das reine Denken mit mathematischer Sicherheit von Idee zu Idee, von Urteil zu Urteil, von Schlußfolgerung zu Schlußfolgerung so verläuft, daß über den kleinsten Schritt und über das kleinste Schrittchen diese Denker sich immer Rechenschaft geben.
Man muß nur bedenken, in welchem Milieu sich dieses Denken abspielte. Das war nicht ein Denken, das sich etwa
so abspielte wie jetzt sich das Denken abspielt in der geräuschvollen Welt. Das war ein Denken, das sich abspielte in der stillen Klosterzelle oder sonst fern von dem Weltengetriebe. Das war ein Denken, das ganz aufging in dem Gedankenleben, und das war ein Denken, das auch noch durch andere Umstände die reine Denktechnik ausbilden konnte. Es ist heute tatsächlich schwer, diese reine Denktätigkeit auszubilden, denn kaum wird es irgendwie versucht, solche Denktätigkeit vor die Öffentlichkeit hinzustellen, die nichts anderes möchte als, durch ihren Inhalt bedingt,Gedanken an Gedanken reihen, dann kommen die unsachlichen Leute, die unlogischen Leute, greifen alles mögliche auf, werfen ihre brutalen Parteimeinungen entgegen. Und da man schon einmal ein Mensch unter Menschen ist, muß man sich auseinandersetzen mit diesen Dingen, die eigentlich nichts anderes sind als hineingeworfene Brutalitäten, die gar nichts zu tun haben oftmals mit demjenigen, um was es sich eigentlich handelt. Da ist sehr bald jene innere Ruhe verloren, der sich Denker des 12. und 13. Jahrhunderts hingeben konnten, die nicht auf den Widerspruch der Unvorbereiteten in ihrem sozialen Leben so außerordentlich viel zu geben brauchten.
Dieses und noch manches andere hat gerade in diesem Zeitalter jene auf der einen Seite wunderbare plastische, aber auch in feinen Konturen verlaufende Denktätigkeit hervorgerufen, welche die Scholastik kennzeichnet und welche namentlich bewußt angestrebt worden ist von Leuten wie Albertus und Thomas.
Aber nun bedenke man dieses: Auf der einen Seite sind Forderungen des Lebens da, die sich so ausnehmen, daß man es zu tun hat mit nicht ins Klare gebrachten Dogmen, was in zahlreichen Fällen ähnlich war dem charakterisierten Semi-pelagianismus, und daß man kämpfte, um aufrechtzuerhalten dasjenige, von dem man glaubte, daß es aufrechterhalten
werden müsse, weil es die dazu berechtigte Kirche aufgestellt hat, daß man das aufrechterhalten wollte mit dem scharfsinnigsten Denken. Man stelle sich nur vor, was es heißt, gerade mit dem scharfsinnigsten Denken hineinzuleuchten in das, was so geartet war, wie ich es Ihnen nach dem Augustinismus charakterisieren mußte. Man muß schon in dieses Innere des scholastischen Strebens hineinschauen und nicht bloß am Faden der BegriflFe, die man aufgelesen hat, diesen Hergang von der Patristik bis zu der Scholastik charakterisieren wollen.
Es spielte eben vieles halb Unbewußte in diese Geister der Hochscholastik hinein, und man kommt eigentlich nur zurecht, wenn man über das, was ich schon gestern charakterisiert habe, hinausblickend, noch etwa eine solche Gestalt ins Auge faßt wie die, die halb mysteriös vom sechsten Jahrhundert an in das europäische Geistesleben eintrat, die bekannt geworden ist unter dem Namen des Dionysius des Areopagiten. Ich kann heute, weil die Zeit dazu nicht ausreichen würde, nicht eingehen auf all die Streitigkeiten darüber, ob nun irgend etwas daran ist, daß diese Schriften erst im sechsten Jahrhundert verfaßt worden sind oder ob die andere Anschauung die richtige ist, die wenigstens das Traditionelle dieser Schriften in viel frühere Zeiträume zurückführt. Auf all das kommt es ja nicht an, sondern darauf kommt es an, daß vorlagen die Anschauungen des Dionysius des Areopagiten für die Denker des siebenten, achten Jahrhunderts bis noch in die Zeiten des Thomas von Aquino, und daß diese Schriften durchaus mit christlicher Nuance dasjenige in einer besonderen Gestalt enthielten, was ich Ihnen gestern als den Plotinismus, als den Neuplatonismus des Plotin charakterisiert habe, aber eben in einer besonderen Gestalt, durchaus mit christlicher Nuance. Und ganz besonders bedeutsam ist es geworden für die christlichen Denker
des ausgehenden Altertums und des Beginnes des Mittelalters bis in die Mitte des Mittelalters, eben bis zur Hochscholastik, wie sich der Schreiber der Dionysiusschen Schriften verhalten hat zu dem Aufsteigen der menschlichen Seele bis zu einer Anschauung über das Göttliche.
Dieser Dionysius wird ja gewöhnlich so geschildert, als ob er zwei Wege zum Göttlichen hätte. Die hat er auch. Der eine Weg ist der, daß er verlangt: Wenn der Mensch aufsteigen will von den Außendingen, die uns umgeben in der Welt, zu dem Göttlichen, so muß er versuchen herauszufinden aus all den Dingen, die da sind, ihre Vollkommenheiten, ihr Wesentliches, muß versuchen zurückzugehen zu dem Allervollkommensten, muß die Möglichkeit haben, das Allervollkommenste so mit Namen zu benennen, daß er einen Inhalt hat für dieses Göttlich-Vollkommenste, der nun wiederum sich gleichsam ausgießen und durch Individualisierung und Differenzierung die einzelnen Dinge der Welt aus sich hervorbringen kann. So, möchte man sagen, ist für diesen Dionysius die Gottheit diejenige Wesenheit, die mit den Namen im reichlichsten Umfange versehen werden muß, die belegt werden muß mit den Prädikaten, die man als auszeidinendste Prädikate nur herausfinden kann aus allen Vollkommenheiten der Welt, die man zusammenfinden kann: Nimm all das, was dir auffällt in den Dingen der Welt an Vollkommenheit, benenne es und benenne dann damit die Gottheit, dann kommst du zu einer Vorstellung über die Gottheit. - Das ist der eine Weg, den Dionysius vorschlägt.
Der andere Weg ist, daß er sagt: Du erreichst die Gottheit nie, wenn du ihr auch nur einen einzigen Namen gibst, denn der ganze Seelenprozeß, der darauf hinausgeht, Vollkommenheiten in den Dingen zu finden, der darauf hinausläuft, das Wesenhafte der Dinge zu suchen, es zusammen-
zufassen, um es dann in dieser Zusammenfassung der Gottheit anzuheften, das führt niemals zu dem, was man Erkennen der Gottheit nennen kann. Du mußt so werden, daß du dich frei machst von alledem, was du in den Dingen erkannt hast. Du mußt dein Bewußtsein vollständig reinigen von alldem, was du an den Dingen erfahren hast. Du mußt nichts mehr wissen von demjenigen, was dir die Welt sagt. Du mußt alle Namen, die du gewohnt bist, den Dingen zu geben, vergessen und dich in einen Seelenzustand versetzen, wo du von der ganzen Welt nichts weißt. Wenn du das in deinem Seelenzustand erleben kannst, dann erlebst du den Namenlosen, der sofort verkannt wird, wenn man ihm irgendeinen Namen beilegt; dann erkennst du den Gott, den Übergott in seiner Oberschönheit. Aber schon die Namen Übergott und Überschönheit würden störend sein. Sie können nur dazu dienen, didi hinzuweisen auf dasjenige, was du als Namenloses erleben mußt.
Wie kommt man zurecht mit einer Persönlichkeit, die einem nicht eine Theologie gibt, die einem zwei Theologien gibt, eine positive und eine negative, eine rationalistische und eine mystische Theologie? Wer sich eben hineinversetzen kann in die Geistigkeit der Zeitalter, aus denen heraus das Christentum geboren ist, der kommt ganz gut damit zurecht. Wenn man allerdings den Verlauf der Menschheitsentwickelung audi für die ersten christlichen Jahrhunderte so schildert, wie die heutigen Materialisten das tun, dann erscheint einem so etwas wie die Schriften des Areopagiten mehr oder weniger als Narretei, als Hirnverbranntheit. Dann weist man sie in der Regel aber auch einfach zurück. Wenn man aber sich hineinversetzen kann in das, was damals erlebt und erfühlt worden ist, dann sieht man ein, was ein Mensch wie der Areopagite eigentlich wollte: im Grunde genommen nur ausdrücken, was Unzählige anstrebten. Für sie war nämlich
die Gottheit ein Wesen, das man überhaupt nicht erkennen konnte, wenn man nur einen Weg zu ihr einschlug. Für ihn war die Gottheit ein Wesen, dem man sich nähern mußte auf rationellem Wege durch Namengebung und Namen-findung. Aber geht man nur diesen einen Weg, dann verliert man den Pfad, dann verliert man sich in dasjenige, was gewissermaßen der gottentleerte Weltenraum ist. Dann gelangt man nicht zu Gott. Aber man muß ihn gehen, diesen Weg, denn ohne ihn zu gehen, kommt man auch nicht zu dem Gotte. Aber man muß noch einen anderen Weg gehen. Das ist eben der, der das Namenlose anstrebt. Geht man Tafel 2 jeden allein, dann findet man ebensowenig die Gottheit; aber geht man beide, so kreuzen sie sich, und man findet in dem Durchkreuzungspunkte die Gottheit. Es genügt nicht, zu streiten darüber, ob der eine Weg oder der andere Weg richtig sei. Beide sind sie richtig; aber jeder einzelne, für sich gegangen, führt zu nichts. Beide gegangen führen, wenn die Menschenseele sich im Kreuzungspunkte findet, zu dem, was angestrebt wird.
Ich kann begreifen, wie manche Menschen der Gegenwart, die gewöhnt sind an das, was als Polemik gilt, zurückschrecken vor dem, was hier von dem Areopagiten gefordert wird. Aber dasjenige, was hier gefordert wird, das lebte bei den Menschen, die in den ersten christlichen Jahrhunderten die führenden geistigen Persönlichkeiten waren, und es lebte dann traditionell noch weiter fort in der christlich-philosophischen Strömung des Abendlandes, und es lebte bis auf Albertus Magnus und bis auf Thomas von Aquino. Es lebte zum Beispiel durch jene Persönlichkeit, deren Namen ich schon gestern genannt habe, durch den am Hofe Karls des Kahlen lebenden Scotus Erigena. Dieser Scotus Erigena erinnert einen lebhaft an dasjenige, was ich Ihnen gestern sagte: Ich habe nie einen so sanften Menschen gekannt wie Vtncenz Knauer, den Philosophiegeschichtsschreiber. Vin-cenz Knauer war immer sanft, aber er fing an wie ein Rohrspatz zu schimpfen, wenn die Rede kam auf Plotin oder das, was Plotin ähnlich war. Und Franz Brentano, der geistreiche Philosoph, der immer feierlich war, er wurde ganz unfeierlich und schimpfte in seinem Buch «Was für ein Philosoph manchmal Epoche macht» -, er meint «Plotin».
Diejenigen, die mehr oder weniger, wenn auch mit Scharfsinn und Geistreidiigkeit, dem Rationalismus zugeneigt sind, die werden schon schimpfen, wenn sie das zu Gesicht, zum geistigen Gesichte bekommen, was etwa da ausströmte von dem Areopagiten, und was dann eine letzte bedeutende Offenbarung fand in diesem Erigena. Er war in den letzten Lebensjahren noch Benediktinerprior. Aber seine eigenen Mönche haben ihn, wie die Sage sagt - die Sage; ich sage ja nicht, daß das wörtlich wahr ist, aber wenn es nicht ganz wahr ist, so ist es annähernd wahr -, die haben ihn so lange mit Stecknadeln bearbeitet, bis er tot war, weil er noch den Plotinismus hereinbrachte in das neunte Jahrhundert. Aber über ihn hinaus lebten seine Ideen, die zugleich die weitere Fortbildung der Ideen des Areopagiten waren. Seine Schriften sind mehr oder weniger bis in späte Zeiten hinein verschwunden gewesen; sie sind dann ja doch auf die Nachwelt gekommen. Im 12. Jahrhundert ist Scotus Erigena als Ketzer erklärt worden. Aber das hat ja noch nicht eine solche Bedeutung gehabt wie später und wie heute. Trotzdem sind Albertus Magnus und Thomas von Aquino tief beeinflußt auch von den Ideen des Scotus Erigena.
Das ist das eine, was wir gewissermaßen als eine Erbschaft aus früheren Zeiten auf dem Grunde der Seelen erblicken müssen, wenn wir vom Wesen des Thomismus sprechen wollen. Noch ein anderes aber kommt in Betracht. Im Plotinismus, den ich Ihnen gestern in bezug auf seine Kosmologie
zu charakterisieren versuchte, findet sich eine sehr bedeutsame, aus einer sinnlich-übersinnlichen Schauung hervorgegangene Charakteristik des menschlichen Wesens. Man bekommt vor diesen Dingen eigentlich erst wiederum Respekt, wenn man sie aus geisteswissenschaftlichen Untergründen heraus wieder findet. Da macht man auch ohne weiteres gern das folgende Geständnis. Da sagt man: Wenn man so unvorbereitet liest etwas wie den Plotin oder das, was von ihm überliefert ist, dann sieht es auch ziemlich chaotisch und kraus aus. Wenn man aber die entsprechenden Wahrheiten selber wieder entdeckt, dann gewinnen Ansichten, wenn sie auch anders ausgesprochen waren in der damaligen Zeit, als sie heute ausgesprochen werden müssen, doch ein ganz besonderes Antlitz. Und so ist denn bei Plotin eine Anschauung zu finden, die ich etwa in der folgenden Weise charakterisieren möchte.
Plotin betrachtet die menschliche Wesenheit mit ihren leiblich-seelisch-geistigen Eigentümlichkeiten. Er betrachtet sie zunächst von zwei Gesichtspunkten aus. Er betrachtet sie zuerst von dem Gesichtspunkte der Arbeit der Seele am Leib. Wollte ich in der heutigen Charakteristik sprechen, so müßte ich folgendes sagen. Plotin sagt sich zunächst: Wenn man ein Kind betrachtet, das hereinwächst in die Welt, dann sieht man, wie gewissermaßen noch fertig entwickelt wird dasjenige, was aus Geistig-Seelischem heraus sich als menschlicher Leib gestaltet. Für Plotin ist alles das, was materiell auftritt namentlich am Menschen - wenn ich den Ausdruck, bitte stoßen Sie sich nicht daran, gebrauchen darf - eine Ausschwitzung des Geistig-Seelischen, eine Krustation gewissermaßen des Geistig-Seelischen. Wir können alles das, was leiblich auftritt, als eine Krustation des Geistig-Seelischen auffassen. Dann aber, wenn der Mensch herangewachsen ist bis zu einem gewissen Grade, dann hören
die geistig-seelischen Kräfte auf, ins Leibliche hineinzuarbeiten.
Man könnte also sagen (es wird gezeichnet): Zunächst Tafel3 haben wir es zu tun mit einer solchen Betätigung des Geistig-Seelischen am Leiblichen, daß dieses Leibliche herausgestaltet, herausorganisiert wird aus dem Geistig-Seelischen. Die Menschheitsorganisation ist aus dem Geistig-Seelischen heraus gearbeitet. Wenn ein gewisser Reifezustand eingetreten ist für irgend etwas in der organischen Tätigkeit, sagen wir zum Beispiel für diejenige Tätigkeit, auf welche die Kräfte verwendet werden, die später als die Kräfte des Gedächtnisses erscheinen, so treten eben diese Kräfte, die früher in den Leib hineingearbeitet haben, in einer geistigseelischen Metamorphose auf. Was also zuerst materiell gearbeitet hat vom Geistig-Seelischen, das befreit sich, wenn es fertig ist mit seiner Arbeit, und tritt auf als selbständige Wesenheit: Seelenspiegel müßte man etwa sagen, wenn man im Sinne des Plotin sprechen wollte.
Es ist außerordentlich schwierig, mit unseren heutigen Begriffen diese Dinge zu charakterisieren. Man kommt ihnen nahe, wenn man etwa das Folgende denkt: Man sehe, wie der Mensch von einem gewissen Reifezustand seines Gedächtnisses an sich erinnern kann. Das kann er nicht als kleines Kind. Wo sind die Kräfte, mit denen er sich erinnert? Sie arbeiten zunächst am Organismus, sie gestalten den Organismus. Haben sie am Organismus gearbeitet, dann emanzipieren sie sich rein geistig-seelisch und bearbeiten jetzt, aber noch immer als Geistig-Seelisches, den Organismus. Dann erst wohnt wiederum in diesem Seelenspiegel drinnen der eigentliche Kern, das Ich. In Charakteristiken, in einem Ideengehalt, der außerordentlich bildhaft ist, arbeiten diese Anschauungen von dem, was Seelisches tätig arbeitet, und von dem, was dann bleibt, was gewissermaßen passiv wird
gegenüber der Außenwelt, so daß es wie das Gedächtnis aufnimmt die Eindrücke der Außenwelt, sie dann behält -, in einer außerordentlich bildhaften Weise wird diese zweifache Arbeit der Seele, diese Gliederung der Seele in einen aktiven Teil, der eigentlich den Leib aufbaut, und in einen passiven Teil, von jener alteren Schichte menschlichen Empfindens und menschlicher Weltanschauung geschildert, die in Plotin ihren letzten Ausdruck gefunden hat und die dann übergegangen ist auf Augustinus und seine Nachfolger.
Rationalisiert, in mehr physische Begriffe umgesetzt, finden wir diese Anschauung im Aristotelismus. Aristoteles hatte auch wiederum von Plato her und auch von dem, worauf wiederum Plato fußte, dieses Schauen vorliegend. Aber wenn man Aristoteles liest, ist es so, als ob man sagen müßte: Aristoteles selber bestrebt sich, alles in abstrakte Begriffe zu fassen, was er an alten Anschauungen vor sich hatte. Und so sehen wir in dem aristotelischen System, das sich nun auch fortpflanzte, das gewissermaßen die rationalistische Gestalt desjenigen war, was Plotin gegeben hat in der anderen Gestalt, wir sehen in dem, was sich als Aristotelismus fortpflanzt bis zu Albertus und bis zu Thomas dem Aquinaten, eine gewissermaßen rationalisierte Mystik, eine rationalistische Beschreibung des geistigen Geheimnisses der menschlichen Wesenheit.
Daß Aristoteles gewissermaßen heruntergeholt hat durch abstrakte Begriffe dasjenige, was die anderen in Schauungen gehabt haben, davon haben ein Bewußtsein Albertus und Thomas. Deshalb stehen sie auch dem Aristoteles wahrhaftig nicht so gegenüber wie die jetzigen Philosophiephilologen, die kuriose Streite entfaltet haben über zwei Begriffe, die von Aristoteles herrühren. Aber da die Aristotelischen Schriften nicht vollständig auf die Nachwelt gekommen sind, so findet man diese beiden Begriffe, ohne daß man sie
bei Aristoteles im Zusammenhang hat - was ja immer eine Tatsache ist, die für viele gelehrte Streitigkeiten den Unterschied bieten kann -, man findet zwei Ideen bei Aristoteles. Aristoteles sieht ja in der menschlichen Wesenheit das, was zu einer Einheit zusammenfaßt das vegetative Prinzip des Menschen, das animalische Prinzip des Menschen, das niedere menschliche Prinzip, und dann das höhere menschliche Prinzip, dasjenige, was Aristoteles den Nous, was die Scholastik dann den Intellekt nennt. Aber Aristoteles unterscheidet zwischen dem Nous poietikos und dem Nous pathetikos, zwischen dem tätigen und leidenden Geiste des Menschen. Die Ausdrücke sind nicht mehr so bezeichnend, wie die griechischen waren, aber man kann doch sagen, Aristoteles unterscheidet zwischen dem aktiven Verstand, dem tätigen Geist des Menschen und dem passiven Verstand des Menschen. Was ist damit gemeint?
Man begreift nicht, was damit gemeint ist, wenn man nicht auf den Ursprung dieser Begriffe zurückgeht. Geradeso wie die anderen Seelenkräfte sind in einer anderen Metamorphose die beiden Arten des Verstandes an dem Aufbau der menschlichen Seele betätigt: der Verstand, insofern er wirkt als tätiger, noch im Aufbau des Menschen wirksam, aber als Verstand, nicht wie das Gedächtnis einmal aufhörend und dann als Gedächtnis sich emanzipierend, sondern als Verstand das ganze Leben hindurch wirkend, das ist der Nous poietikos, das ist dasjenige, was aus dem Weltenall heraus sich individualisierend den Leib aufbaut im Sinne des Aristoteles. Es ist nichts anderes als das, was die den menschlichen Leib aufbauende tätige Seele des Plotin auch ist. Und dasjenige, was dann sich emanzipiert, was nur noch dazu da ist, um die äußere Welt aufzunehmen und die Eindrücke der äußeren Welt dialektisch zu verarbeiten, das ist der Nous pathetikos, das ist der leidende Intellekt, der
intellectus possibilis. Es geht zurück, was in scharfer Dialektik, in präziser Logik in der Scholastik uns entgegentritt, auf diese alten Überlieferungen. Und man kommt nicht zurecht mit dem, was in den Seelen der Scholastiker sich abspielte, wenn man nicht dieses Hereinspielen uralter Traditionen berücksichtigt.
Dadurch, daß das alles, was ich Ihnen geschildert habe, in die Seele der Scholastiker hineinspielte, entstand für sie die große Frage, die man so gewöhnlich als das eigentliche Problem der Scholastik empfindet. In der Zeit, in der es für die Menschheit ein Schauen gab, das solche Dinge hervorbrachte wie den Piatonismus oder seine rationalistische Filtrierung, den Aristotelismus, in der aber auch noch nicht das individuelle Fühlen bis zu seinem Höhepunkt gekommen war, in dieser Zeit konnte es die Scholastikprobleme noch nicht geben. Denn dasjenige, was wir heute Verstand nennen, was wir heute Intellekt nennen, und was nach der einen Seite hin seinen Ursprung in der Scholastikterminologie hat, das ist gerade ein Ausfluß des individuellen Menschen. Wenn wir alle gleich denken, so kommt es nur davon, daß wir alle gleich individuell organisiert sind und daß der Verstand geknüpft ist an dies in allen Menschen gleich organisierte Individuelle. Sie denken schon, insoferne Sie differenziert sind, auch verschieden. Das sind aber Nuancen, die mit der eigentlichen Logik nichts zu tun haben. Das eigentliche logische und dialektische Denken ist aber ein Ausfluß der allgemeinen menschheitlichen, aber individuell differenzierten Organisation.
So steht dann der Mensch, wenn er fühlt, er ist eine Individualität, da und sagt sich: Da steigen im Menschen auf die Gedanken, durch die die Außenwelt innerlich repräsentiert wird; da werden gewissermaßen von innen heraus die Gedanken zusammengestellt, die in ihrer Zusammenstellung
wiederum ein Bild der Welt geben sollen. Da arbeiten im Innern des Menschen auf der einen Seite Vorstellungen, die sich knüpfen an einzelne individuelle Dinge, wie an einen einzelnen Stier oder an einen einzelnen Menschen, sagen wir wie Augustinus. Dann aber kommt der Mensch zu anderen inneren Erlebnissen, wie zu seinen Träumen, für die er einen solchen äußeren Repräsentanten zunächst nicht findet. Da kommt er zu denjenigen Erlebnissen, die er sich bildet, die rein Schimäre sind, wie hier auch schon für die Scholastik der Kentaur oder dergleichen Schimäre waren.
Dann sind aber auf der anderen Seite diejenigen Begriffe und Ideen, die eigentlich nach beiden Seiten hin schillern: die Menschheit, der Typus Löwe, der Typus Wolf, und so weiter. Das sind die allgemeinen Begriffe, welche die Scholastiker nach altem Gebrauch die Universalien nannten. Als die Sache für die Menschen so lag, wie ich sie Ihnen gestern geschildert habe, als man herauf sich erhob gewissermaßen zu diesen Universalien und sie empfand als die unterste Grenze der sich dem Menschen durch Schauen offenbarenden Geistwelt, da waren eben einfach diese Universalien - Menschheit, Tierheit, Löwenheit und so weiter - dasjenige, durch das sich die Geistwelt, die intelligible Welt offenbarte, dasjenige, was die Seele als einen Ausfluß der übersinnlichen Welt erlebte. Um so zu erleben, war es nötig, jenes individuelle Gefühl noch nicht in sich zu haben, das sich dann in den charakterisierten Jahrhunderten auslebte. Jenes individualisierte Gefühl brachte es dahin, daß man sich sagte: Man steigt von den Sinnendingen auf bis zu jener Grenze, Tafel 2 wo die mehr oder weniger abstrakten, aber doch erlebten rechts Dinge sind, die Universalien Menschheit, Löwenheit, und so weiter.
Das sah die Scholastik sehr gut ein, daß man nicht ohne weiteres sagen kann: Das sind bloße Konzeptionen, bloße
Zusammenfassungen der äußeren Welt -, sondern für die Scholastik wurde das ein Problem, mit dem sie rang. Wir müssen uns aus unserer Individualität heraus solche allgemeinen Begriffe bilden, solche Universalbegriffe. Wenn wir aber auf die Welt hinausschauen, so haben wir nicht die Menschheit, sondern einzelne Menschen, nicht die Wolfheit, sondern einzelne Wölfe. Aber auf der andern Seite: Wir können nicht dasjenige, was wir uns als die Wolfheit ausbilden oder als die Lammheit ausbilden, nur sehen gewissermaßen so, daß wir einmal die Materie in einer Weise lammhaft gebildet haben, ein anderes Mal sie wolfhaft gebildet haben und die Wolfheit und die Lammheit nur so Zusammenstellungen wären, und das Materielle, das in diesen Zusammenfassungen drinnen ist, nur das einzig Wirkliche sei. Das können wir auch nicht ohne weiteres annehmen, denn wenn wir das annehmen, dann müßten wir ja annehmen: Sperren wir einen Wolf ein und schauen wir darauf, daß er durch eine gewisse Zeit hindurch, bis sein Stoffwechsel vollständig umgesetzt ist, nur Lämmer frißt, da erfüllt er sich dann ganz mit Lammesmaterie; aber er wird kein Lamm. Die Materie macht es nicht, er bleibt Wolf. Die Wolfheit ist also doch etwas, was nicht so ohne weiteres bloß mit dem Materiellen in einen Zusammenhang gebracht wird, denn materiell ist der ganze Wolf Lamm, aber er bleibt Wolf.
Es ist heute vielfach ein Problem, das die Menschen gar nicht ernst nehmen. Es ist ein Problem gewesen, mit dem man mit allen Fasern der Seele gerungen hat in der Scholastik, gerade in ihrer Blütezeit. Und dieses Problem, das war in unmittelbarem Zusammenhang stehend mit den kirchlichen Interessen. Wie es mit den Kircheninteressen im Zusammenhang steht, davon können wir uns eine Vorstellung machen, wenn wir das Folgende berücksichtigen.
Bevor Albertus Magnus und Thomas von Aquino mit ihrer besonderen Ausgestaltung der Philosophie auftraten, war es so, daß allerdings Leute schon aufgetreten waren wie Roscellin zum Beispiel, die die Behauptung aufgestellt haben und auch durchaus der Meinung waren: Diese allgemeinen Begriffe, diese Universalien sind eigentlich nichts anderes als dasjenige, was wir zusammenfassen von den äußeren individuellen Dingen; sie sind eigentlich bloße Worte, bloße Namen. - Und es hatte sich ausgebildet ein gewisser Nominalismus, der in den allgemeinen Dingen, in den Universalien, nur Worte sah. Aber Roscellin, der hat dogmatisch Ernst gemacht mit dem Nominalismus und hat ihn auf die Trinität angewendet und hat gesagt: Wenn - was er als Richtiges ansah - dasjenige, was Zusammenfassung ist, nur ein Wort ist, dann ist die Dreieinigkeit nur ein Wort, und die Individuen sind das einzig Wirkliche: der Vater, der Sohn, der Heilige Geist. Dann fasse nur der menschliche Verstand durch einen Namen diese drei: Vater, Sohn und Heiliger Geist. - Mittelalterliche Geister haben bis in die letzten Konsequenzen hin solche Dinge ausgedehnt. Die Kirche war genötigt, auf der Synode zu Soissons diese Anschauung des Roscellin für einen partiellen Polytheismus und die Lehre für häretisch zu erklären. Also man war in einer gewissen Kalamität gegenüber dem Nominalismus. Es war also ein dogmatisches Interesse, das sich mit einem philosophischen zusammenschloß.
Heute empfindet man selbstverständlich eine solche Situation nicht mehr als etwas Reales. In der damaligen Zeit hat man es allerdings als etwas sehr Reales empfunden, und gerade mit dem Verhältnis der Universalien zu den individuellen Dingen ringen die beiden geistig, Thomas und Albertus, und das ist für sie das wichtigste Problem. Im Grunde genommen ist alles andere nur eine Folge, das heißt insofern eine Folge, als alles andere eine gewisse Schattie-
rung bekommen hat durch die Art und Weise, wie sie sich zu diesem Problem gestellt haben. Aber gerade in die Art und Weise, wie sich Albertus und Thomas zu diesem Problem gestellt haben, spielen hinein alle die Kräfte, die ich Ihnen bis jetzt geschildert habe, alle die Kräfte, die noch als Tradition geblieben waren von dem Areopagiten, die geblieben waren von Plotin, die durchgegangen waren durch die Seele des Augustinus, durch Erigena und durch viele andere, - all das spielt herein in die besondere Art der Gedankenformung, welche nun zutage trat zunächst durch Albertus und dann in einer weitläufigen philosophischen Begründung durch Thomas. Und man wußte ja noch: Da hat es Menschen gegeben, die über die Begriffe hinaufsahen in die geistige Welt, in die intellektuelle Welt, in diejenige Welt, von der auch der Thomismus als von einer Wirklichkeit spricht, in der er die materiefreien intellektuellen Wesen erblickt, die er die Engel nennt. Das sind nicht bloße Abstraktionen, das sind reale Wesenheiten, die nur keine Leiber haben. Es sind jene Wesenheiten, die Thomas versetzt in die zehnte Sphäre. Indem er sich umkreist denkt die Erde von der Sphäre des Mondes, des Merkur, der Venus, der Sonne und so weiter, kommt er dann über die achte zur neunten Sphäre und zu dem, was das Empyreum war, also zur zehnten Sphäre. Er denkt sich das alles durchaus durchsetzt von Intelligenzen, und die Intelligenzen, auf die er zunächst rekurriert, es sind diejenigen, welche das, was sie zu ihrer untersten Grenze haben, gewissermaßen hinunterscheinen lassen so, daß die menschliche Seele es erleben kann. Aber so, wie ich es jetzt ausgesprochen habe, in dieser Form, in der es mehr angelehnt ist an den Plotinismus, kommt es nicht heraus aus dem bloßen individuellen Fühlen, zu dem sich gerade die Scholastik durchgerungen hatte, sondern es blieb für Albertus und für Thomas ein Glaube, daß
es über den abstrakten Begriffen oben die Offenbarung dieser abstrakten Begriffe gebe. Und für sie entstand die Frage: Welche Realität haben denn diese abstrakten Begriffe?
Nun hatten sowohl Albertus wie Thomas noch eine Vorstellung von dem Tatbestand des Arbeitens des Seelisch-Geistigen an dem Leiblichen und des nachherigen Sichspie-gelns des Seelisch-Geistigen, wenn genügend am Leiblichen gearbeitet ist. Von alldem hatten sie Vorstellungen. Sie hatten nun Vorstellungen auch von dem, was der Mensch in seinem einzelnen individuellen Leben wird, wie er von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sich weiterentwickelt gerade durch dasjenige, was er an Eindrücken der Außenwelt aufnimmt und durch Eindrücke der Außenwelt verarbeitet. Und so bildete sich aus der Gedanke, daß wir allerdings die Welt um uns herum haben, aber diese Welt ist eine Offenbarung dessen, was überweltlich ist, was geistig ist. Indem wir die Welt betrachten, indem wir uns zu den einzelnen Mineralien, Pflanzen und Tieren hinwenden, ahnen wir gewissermaßen, daß dahintersteckt dasjenige, was sich offenbart aus höheren geistigen Welten.
Betrachten wir dann mit logischer Zergliederung, mit alldem, wozu uns unsere Seele fähig macht, mit alldem, was an Denkkrafl in uns ist, die Welt der Naturreiche, so kommen wir zu dem, was von der geistigen Welt in die Naturreiche hineingelegt ist. Dann aber müssen wir uns klarwerden darüber: Wir wenden unseren Blick, unsere übrigen Sinnesorgane hin auf diese Welt. Da stehen wir mit der Welt in Verkehr. Wir gehen dann weg von der Welt. Wir bewahren gewissermaßen als Erinnerung dasjenige auf, was wir aus der Welt aufgenommen haben. Wir blicken in der Erinnerung wiederum zurück. Da erscheint uns eigentlich erst das Universelle, das Allgemeine, so etwas wie «Menschheit» und dergleichen, das erscheint uns erst in der inneren
begrifflichen Gestalt. So daß Albertus und Thomas sagen: Blickst du zurück, wenn dir deine Seele reflektiert dasjenige, was sie an der Außenwelt erlebt hat, dann hast du in deiner Seele lebend die Universalia. Du hast dann Universalia. Du bildest dir aus all den Menschen heraus, die dir begegnet sind, den Begriff der Menschheit. Du könntest ja überhaupt, wenn du nur individuelle Dinge erinnertest, bloß in irdischen Namen leben. Indem du überhaupt nicht bloß in irdischen Namen lebst, mußt du Universalia erleben. Da hast du die universalia post res, diejenigen, die nach den Dingen in der Seele leben. Während der Mensch seine Seele hinwendet zu den Dingen, hat er nicht dasselbe in seiner Seele, was er nachher hat, wenn er sich daran erinnert, wenn es ihm gewissermaßen vom Innern reflektiert wird, sondern er steht in einer realen Beziehung zu den Dingen. Er erlebt an den Dingen ihr Geistiges; er übersetzt es sich nur in die Form der Universalien post rem.
Indem Albertus und Thomas annehmen, daß der Mensch in dem Augenblicke, wo er durch sein Denkvermögen in Beziehung steht zu seiner Umgebung, zu einem Realen in Beziehung steht, also nicht bloß zu dem, was der Wolf ist dadurch, daß das Auge ihn sieht, das Ohr ihn hört und so weiter, sondern dadurch, daß der Mensch über ihn denken kann, sich den Typus «Wolf» herausbildet, erlebt er etwas» was in den Dingen unanschaulich gedanklich erfaßt wird, was auch nicht in den Sinnenentitäten aufgeht. Er erlebt die universalia in rebus, in den Dingen.
Nun ist die Unterscheidung nicht ganz leicht zu machen, weil man gewöhnlich denkt, dasjenige, was man im Innern seiner Seele hat zuletzt als Reflexion, das sei auch in den Dingen dasselbe. Nein, es ist nicht dasselbe im Sinne des Thomas von Aquino. Was der Mensch als Idee in seiner Seele erlebt, mit seinem Verstände sich erklärt, das ist das-
jenige, wodurch er das Reale, das Universelle erlebt. So daß der Form nach die Universalien in den Dingen verschieden sind von den Universalien nach den Dingen, die in der Seele dann bleiben; aber innerlich sind sie dasselbe. Da haben Sie einen der scholastischen Begriffe, die man sich gewöhnlich nach ihrer ganzen Schärfe nicht vor die Seele führt. Die Universalien in den Dingen und die Universalien nach den Dingen in der Seele sind inhaltlich dasselbe, nur der Form nach verschieden.
Dann aber kommt noch dazu, daß nun das, was in den Dingen ausgebreitet, individualisiert lebt, wiederum hinweist auf dasjenige, was ich gestern als im Plotinismus liegend, als die eigentlich intelligible Welt charakterisierte. Da sind wiederum dieselben Inhalte, die in den Dingen, nach den Dingen in der Menschenseele sind, inhaltlich gleich, formell verschieden, sind wiederum in anderer Form enthalten, aber wiederum von gleichem Inhalt: das sind die univer-salia ante res, vor den Dingen. Das sind die Universalien, wie sie in dem göttlichen Verstände und in dem Verstände der Diener des Göttlichen, der englischen Wesenheiten, enthalten sind.
So wird dasjenige, was einer älteren Zeit unmittelbar geistig-sinnlich-übersinnliches Anschauen war, zu Anschauungen, die nur eben in sinnlichen Bildern abgebildet wurden, weil man das, was man übersinnlich schaut, selbst nach dem Areopagiten nicht einmal mit einem Namen benennen kann, wenn man es in seiner wahren Gestalt behandeln will. Man kann nur hinweisen und sagen: Es ist das alles nicht, was die äußeren Dinge sind. - So wird dasjenige, was für die Alten Schauung war, was für die Alten sich als eine Realität in der geistigen Welt darstellte, für die Scholastik etwas, worüber zu entscheiden hat eben all jener Scharfsinn des Denkens, all jene Plastizität und feine Logik, von der ich
Ihnen heute gesprochen habe. Es ist heruntergeholt das Problem, das früher durch Schauen abgemacht wurde, in die Sphäre des Denkens, in die Sphäre der Ratio. Das ist das Wesen des Thomismus, das Wesen des Albertinismus, das Wesen der Hochscholastik. Sie sieht vor allen Dingen, daß in ihrer Zeit das Erfühlen der menschlichen Individualität in der Kulmination angelangt ist. Sie sieht vor allen Dingen alle Probleme vor sich in der rationellen Gestalt, in der logischen Gestalt, in der Gestalt, wie sie der Denker auffassen muß.
Mit dieser Gestalt der Weltenprobleme in der Form des Denkens ringt wesenhaft die Scholastik. Und mit diesem Ringen und Denken steht die Scholastik mitten im kirchlichen Leben drinnen, das ich Ihnen nach den verschiedensten Seiten gestern und heute, wenn auch nur mit einzelnen Lichtern, beleuchtet habe. Da steht dasjenige, wovon man im 13., im 12. Jahrhundert glauben konnte, es ist zu erringen mit dem Denken, mit der scharfsinnigen Logik; da steht auf der anderen Seite dasjenige, was als kirchliche Dogmen überliefert ist, da steht der Glaubensinhalt.
Nehmen wir ein Beispiel, wie ein solcher Denker wie Thomas von Aquino zu den beiden Dingen steht. Da sagt Thomas von Aquino: Kann man das Dasein Gottes beweisen durch Logik? Ja, man kann es. - Thomas von Aquino gibt eine ganze Reihe von Beweisen. Einer derselben ist zum Beispiel der, daß er sagt: Erkenntnisse können wir zunächst nur gewinnen, indem wir an die universalia in rebus herangehen, in die Dinge hineinblicken. Wir können nicht durch Schauen - das ist einfach persönliches Erlebnis dieses Zeitalters - in die geistige Welt eindringen. Wir können nur dadurch mit menschlichen Kräften in die geistige Welt eindringen, daß wir uns in die Dinge vertiefen, aus den Dingen dasjenige herausholen, was wir universalia in rebus nennen
können. Dann kann man zurückschließen, wie das mit diesen universalia ante res ist vorher -, so sagt er. Die Welt sehen wir bewegt; ein Ding bewegt immer das andere, weil es selbst bewegt ist. So kommen wir von einem bewegten Ding zu einem anderen bewegten Ding, von dem anderen bewegten Ding zu einem weiteren bewegten Ding. Das kann nicht so fortgehen, sondern wir müssen zu einem ersten Beweger kommen. Wäre der aber wieder bewegt, so würde es sich darum handeln, daß wir zu einem anderen Beweger übergehen. Wir müssen also zu einem unbewegten Beweger kommen. - Damit ist Thomas gerade angelangt - und auch Albertus macht ja denselben Schluß - bei dem aristotelischen unbewegten Beweger, bei der ersten Ursache. Den Gott als eine notwendig erste Wesenheit, als einen notwendig unbewegten ersten Beweger anzuerkennen, das ist dem logischen Denken gegeben.
Für die Trinität gibt es keinen solchen Gedankengang, der zu ihr hinführt. Sie ist aber überliefert. Man kann mit dem menschlichen Denken nur so weit kommen, daß man probiert, ob die Trinität widersinnig ist. Da findet man: Sie ist nicht widersinnig, aber man kann sie nicht beweisen, man muß sie glauben, man muß sie hinnehmen als einen Inhalt, bis zu dem sich die auf sich selbst gestellte menschliche Intellektualität nicht erheben kann.
So steht die Scholastik vor der damals so bedeutungsvollen Frage: Wie weit kommt man mit dem sich selbst über-lassenen menschlichen Verstände? Aber durch die Zeitentwickelung war sie noch in ganz besonderer Weise hineingestellt in die Tiefen dieses Problems, denn andere Denker gingen voran. Die hatten etwas scheinbar ganz Absurdes angenommen. Die hatten gesagt, es könne etwas theologisch wahr und philosophisch falsch sein. Man könne rundweg sagen: Es kann durchaus sein, daß Dinge dogmatisch über-
liefert sind, wie zum Beispiel die Trinität; wenn man dann nachdenkt über dieselbe Frage, so kommt man zum entgegengesetzten Resultat. Es ist durchaus möglich, daß die Vernunft zu anderen Ergebnissen führt als der Glaubensinhalt. - Und das ist wichtig, das war das andere, wovor die Scholastiker standen: die Lehre von der doppelten Wahrheit. Das ist dasjenige, worauf die beiden Denker Albertus und Thomas ganz besonderen Wert legten: den Glaubensinhalt in Einklang zu bringen mit dem Vernunftinhalt, keinen Widerspruch zu suchen zwischen dem, was die Vernunft denken kann, allerdings nur bis zu einer gewissen Grenze, und dem Glaubensinhalt. Aber was die Vernunft denken kann, darf nicht widersprechen dem Glaubensinhalt, der Glaubensinhalt darf nicht widersprechen der Vernunft.
Das war dazumal ein Radikalismus, denn die Mehrzahl der tonangebenden Kirchenautoritäten hielt fest an der Lehre der doppelten Wahrheit: daß einfach der Mensch müsse auf der einen Seite etwas Vernünftiges denken, inhaltlich in einer Gestalt, und der Glaubensinhalt könne es ihm in einer anderen Gestalt geben, und er müsse mit diesen zwei Gestalten der Wahrheit leben.-Ich glaube, man könnte ein Gefühl bekommen für das geschichtliche Werden, wenn man bedenken würde, daß die Menschen mit ihren ganzen Seelenkräften vor so wenigen Jahrhunderten in solchen Problemen drinnensteckten. Denn diese Dinge tönen noch fort in unsere Zeiten. Wir leben auch noch in diesen Problemen. Wie wir darinnen leben, das wollen wir dann morgen besprechen. Heute wollte ich das Wesen des Thomismus im allgemeinen so charakterisieren, wie er in der damaligen Zeit gelebt hat.
Nun, sehen Sie, so war es, daß das Hauptproblem, das sich vor Albertus und Thomas hinstellte, das war: Wie ver-
hält sich der Vernunftinhalt des Menschen zu dem Glaubensinhalt? Wie kann dasjenige, was die Kirche zu glauben vorgibt, erstens verstanden werden, zweitens verteidigt werden gegen das, was ihm entgegengesetzt ist? Darinnen hatten ja auch Leute wie Albertus und Thomas viel zu tun. Denn in Europa lebte nun nicht eben ausschließlich das, was ich charakterisiert habe, sondern es lebten noch allerlei andere Ansichten. Mit der Ausbreitung des Islam, mit der Ausbreitung der Araber haben sich noch andere Anschauungen in Europa geltend gemacht. Und etwas von jenen Anschauungen, die ich gestern als die manichäischen charakterisiert habe, war über ganz Europa hin geblieben.
Aber auch so etwas lebte wie dasjenige, was man als Repräsentation kennt durch die Lehre des Averroes aus dem 12. Jahrhundert, der da sagte: Was der Mensch denkt mit seinem reinen Intellekt, das gehört ihm nicht besonders, das gehört der ganzen Menschheit an. - Averroes sagt: Wir haben nicht etwa einen Verstand für uns; wir haben jeder einen Leib für uns, aber nicht jeder hat einen Verstand für sich. Der A hat einen eigenen Leib, aber der Verstand, der ist derselbe, den auch der B und wieder der C hat. - Man könnte sagen, für Averroes ist die Menschheit so, daß eine einheitliche Intelligenz, Verstand, da ist; in den tauchen alle Individuen unter. Da leben sie mit ihrem Kopf gewissermaßen. Wenn sie sterben, zieht sich der Leib zurück aus diesem universellen Verstände. Eine Unsterblichkeit gibt es nicht in dem Sinne eines individuellen Weiterdauerns nach dem Tode. Was da dauert, ist nur der universelle Verstand, ist nur das, was allen Menschen gemeinsam ist.
Für Thomas lag die Sache so, daß er zu rechnen hatte mit dieser Universalität des Verstandes, daß er aber sich stellen mußte auf den Standpunkt, daß dasjenige, was universeller Verstand ist, sich nicht nur so innig vereinigt mit dem, was
nun individuelles Gedäditnis ist im einzelnen Menschen, sondern was während des Lebens sich so vereinigt auch mit dem, was die tätigen Kräfte der Organisation, der leiblichen Organisation sind, so vereinigt, so eine Einheit bildet, daß all das, was im Menschen wirkt als die gestaltenden, vegetativen Kräfte, animalen Kräfte, als die Kräfte des Gedächtnisses, daß all das gewissermaßen während des Lebens angezogen wird von dem universellen Verstände und der Gesinnung. So daß sich Thomas das so vorstellt, daß der Mensch das Individuelle durch das Universelle anzieht und dann in die geistige Welt hineinzieht dasjenige, was sein Universelles angezogen hat, so daß er es da hineinträgt. Es kann also für Albertus und Thomas keine Präexistenz geben, wohl aber eine Postexistenz. Das ist ja dasjenige, was auch für Aristoteles da war. In dieser Beziehung wird auch der Aristotelismus fortgesetzt von diesen Denkern.
So schließen sich zusammen die großen logischen Fragen der Universalien mit den Fragen, die das Weltenschicksal der einzelnen Menschen betreffen. In alles spielt schließlich auch wenn ich Ihnen die Kosmologie des Thomas von Aquino, wenn ich Ihnen die außerordentlich weite, über fast alle Gebiete sich erstreckende, zahlreiche Bände umfassende Naturgeschichte des Albertus charakterisieren würde -, in all die Einzelheiten spielt hinein dasjenige, was ich Ihnen als das allgemeine logische Wesen des Albertinismus und des Thomismus charakterisieren mußte. Diese logische Wesenheit bestand darinnen: Wir können mit unserer Vernunft, was man dazumal eben den Intellekt nannte, nicht hinaufreichen; bis zu einer gewissen Grenze können wir alles in scharfsinniger Logik und Dialektik durchdringen, dann müssen wir eindringen in den Glaubensinhalt. Und so, wie ich es charakterisiert habe, standen beide diesen zwei Dingen gegenüber, ohne daß sie sich widersprechen: Was wir
mit unserer Vernunft erfassen und was durch den Glaubensinhalt geofTenbart ist, beides kann nebeneinandergehen.
Was lag denn nun aber eigentlich vor? Ich glaube, man kann diese Frage von den verschiedensten Seiten anfassen. Was lag da eigentlich welthistorisch vor als Wesen des Alber-tinismus und als Wesen des Thomismus? Sehen Sie, für Thomas ist eigentlich charakteristisch und wichtig, daß er, indem er die Vernunft anstrengt, den Gott zu beweisen, zu gleicher Zeit zusetzen muß: Man kommt zu einer Gottesvorstellung, wie sie mit Recht im Alten Testament als Jahve bezeichnet worden ist. - Das heißt, indem Thomas ausgeht von den vernünftigen Wegen, welche die einzelne Menschenseele machen kann, kommt er zu jenem einheitlichen Gotte, den auch das Alte Testament als den Jahve-Gott bezeichnet hat. Will man zu dem Christus kommen, muß man zu dem Glaubensinhalt übergehen; zu ihm kann man nicht durch das kommen, was die menschliche Seele an eigenem Geistigen erlebt.
Nun steckt in den Auseinandersetzungen, gegen die sich die Hochscholastik einfach aus dem Zeitgeiste heraus wenden mußte, in diesen Anschauungen von der doppelten Wahrheit - daß etwas theologisch wahr und philosophisch falsch sein könne , in ihnen steckt doch noch etwas Tieferes darinnen, was man allerdings in dem Zeitalter nicht überschauen konnte, in dem man überall umgeben war von dem Streben der Menschheit nach Rationalismus, nach Logik; es steckte doch etwas Tiefes dahinter. Es steckte nämlich das Folgende dahinter: daß diejenigen, die von der doppelten Wahrheit sprachen, allerdings nicht der Ansicht waren, daß theologisch Geoffenbartes und durch die Vernunft zu Erreichendes letzten Endes zweierlei ist, sondern vorläufig zweierlei Wahrheiten sind, und daß der Mensch deshalb zu
zweierlei Wahrheiten kommt, weil er bis in das Innerste der Seele hinein den Sündenfall mitgemacht hat.
Diese Frage glimmt gewissermaßen in den Untergründen der Seele bis zu Albertus und Thomas hin. In den Untergründen der Seele glimmt die Frage: Ja, haben wir nicht auch in unserem Denken, in dem, was wir als Vernunft in uns sehen, die Erbsünde aufgenommen? Ist es nicht gerade, weil die Vernunft abgefallen ist von der Geistigkeit, daß uns die Vernunft andere Wahrheitsgehalte vorgaukelt als die wirkliche Wahrheit? - Nehmen wir in unsere Vernunft den Christus auf, nehmen wir in unsere Vernunft etwas auf, was diese Vernunft also umwandelt, was diese Vernunft weiterentwickelt, dann erst stellt sie sich in Einklang mit der Wahrheit, die der Glaubensinhalt ist. Die Sündhaftigkeit der Vernunft lag in einer gewissen Weise zugrunde, indem die Denker der voralbertinischen und vorthomistischen Zeit von zwei Wahrheiten sprachen. Mit der Lehre von der Erbsünde und der Lehre von der Erlösung durch Christus wollten sie Ernst machen. Sie hatten noch nicht die Gedankenkraft, die Logizität dazu, aber sie wollten das ernsthaft machen. Sie legten sich die Frage vor: Wie erlöst der Christus in uns die Wahrheit der Vernunft, die der geistig ge-offenbarten Wahrheit widerspricht? Wie werden wir bis in das Innerste hinein Christen? Denn unsere Vernunft ist schon verderbt; in ihr lebt die Erbsünde, daher widerspricht sie der reinen Glaubenswahrheit.
Und nun traten Albertus und Thomas auf, und für sie schien es zunächst, daß es unrichtig ist, daß, wenn wir uns rein logisch in die universalia in rebus vertiefen, wenn wir in uns aufnehmen dasjenige, was in den Dingen Wirklichkeit ist, daß wir uns dann in Sündhaftigkeit über die Welt ergehen. Es darf nicht die gewöhnliche Vernunft sündhaft sein. Im Grunde lebt die Frage der Christologie in dieser
Frage der Hodisdiolastik. Und was nicht gelöst werden konnte für die Hochscholastik, das war die Frage: Wie tritt der Christus in das menschliche Denken ein? Wie wird das menschliche Denken durchchristet? Wie führt der Christus das eigene menschliche Denken hinauf in die Sphäre, wo es zusammenwachsen kann mit dem, was nur der geistige Glaubensinhalt ist?
Das steckte noch als das eigentlich Bewegende in den Seelen der Scholastiker drinnen. Daher ist es, trotzdem die vollkommenste logische Technik in der Scholastik lebt, vor allen Dingen wichtig, daß man nicht die Resultate der Scholastik nimmt, sondern daß man durch die Antwort hinschaut auf die Fragestellungen; daß man absieht von dem, wozu sich im 12., im 13. Jahrhundert die Menschen hindurchringen können; daß man sieht auf die großen Probleme, die damals aufgestellt worden sind. Man war noch nicht mit der Christologie so weit gekommen, daß man die Erlösung der Menschen von der Erbsünde bis in das menschliche Denken hinein hat verfolgen können. Daher mußten Albertus und Thomas der Vernunft das Recht absprechen, die Stufen zu überschreiten, über die hinaufschreitend sie in die geistige Welt selbst eintreten könne. Und es blieb von der Hochscholastik die Frage zurück: Wie entwickelt sich das menschliche Denken hinauf zu einer Anschauung der geistigen Welt?
Selbst das wichtigste Ergebnis der Hochscholastik ist eine Frage, ist nicht dasjenige, was als Inhalt von der Hochscholastik existiert. Es ist die Frage: Wie trägt man die Christologie in das Denken hinein? Wie wird das Denken christlich gemacht? - Diese Frage steht welthistorisch da in dem Augenblicke, als Thomas von Aquino 1274 stirbt. Bis zu diesem Momente konnte er sich nur durchringen zu der Frage. Die Frage steht mit aller Herzinnigkeit da in der
europäischen Geisteskultur. Was aus ihr werden soll, das konnte nur zunächst so angedeutet werden, daß man sagte: Der Mensch dringt bis zu einem gewissen Grade in das Wesen, in das geistige Wesen der Dinge ein. Aber dann muß der Glaubensinhalt kommen. Und die beiden dürfen einander nur nicht widersprechen, sie müssen in Konkordanz miteinander sein. Aber die gewöhnliche Vernunft kann den Inhalt der höchsten Dinge, wie zum Beispiel die Trinität, die Inkarnation des Christus in dem Menschen Jesus und so weiter, nicht von sich aus begreifen. Die Vernunft kann begreifen nur so weit, daß sie sagen kann: Die Welt könnte in der Zeit entstanden sein, könnte aber auch von Ewigkeit her sein. Aber die Offenbarung sagt, sie ist in der Zeit entstanden. Wenn Sie die Vernunft noch einmal fragen, so finden Sie die Gründe, warum das In-der-Zeit-Entstehen das Vernünftigere, das Weisere ist.
So ist der Scholastiker hineingestellt in die ganze Zeit. Mehr als man denkt, lebt in aller heutigen Wissenschaft, in dem ganzen öffentlichen Leben der Gegenwart noch dasjenige fort, aber allerdings in einer besonderen Gestalt, was von der Scholastik übriggeblieben ist. Wie lebendig im Grunde genommen die Scholastik noch in unseren Seelen ist und welche Stellung zu dem, was noch lebt von der Scholastik, der gegenwärtige Mensch eigentlich einnehmen muß, davon wollen wir dann morgen sprechen.
DRITTER VORTRAG DIE BEDEUTUNG DES THOMISMUS IN DER GEGENWART Dornach, 24. Mai 1920
DRITTER VORTRAG
DIE BEDEUTUNG DES THOMISMUS IN DER GEGENWART
Dornach, 24. Mai 1920
Es war gestern mein Bemühen, am Schlüsse der Betrachtungen über die Hochscholastik darauf hinzuweisen, wie das Wesentlichste in einer Gedankenströmung die Probleme sind, die Probleme, die in einer ganz bestimmten Weise in den Menschenseelen sich kundgaben, und die ja eigentlich doch alle gipfelten in einer gewissen Sehnsucht, zu begreifen: Wie erlangt der Mensch diejenigen Erkenntnisse, die ihm zum Leben notwendig sind, und wie gliedern sich diese Erkenntnisse in dasjenige ein, was dazumal in sozialer Beziehung die Gemüter beherrschte, wie gliedert sich das, was an Erkenntnissen gewonnen werden kann, ein in den Glaubensinhalt der christlichen Kirche des Abendlandes?
Die ringenden Scholastiker haben es zunächst zu tun gehabt mit der menschlichen Individualität, die, wie wir gesehen haben, als solche sich immer mehr herausrang, die zunächst nicht mehr als solche imstande war, das Erkenntnisleben hinaufzutragen bis zu wirklichem, konkretem Geistinhalt, wie er noch heraufleuchtete im Laufe der Zeit aus dem, was übriggeblieben war von dem Neuplatonismus, was übriggeblieben war von dem Areopagiten und von Scotus Erigena. Ich habe auch schon darauf hingewiesen, daß die Impulse, die durch die Hochscholastik gegeben waren, in einer gewissen Weise fortlebten. Aber sie lebten so fort, daß man sagen kann: Die Probleme selbst sind groß und gewaltig, und die Art und Weise, wie sie gestellt waren - wir haben
gestern gesehen, wie sie gestellt waren -, die wirkte noch lange nach. Und - das soll gerade der Inhalt der heutigen Betrachtung sein - eigentlich wirkt, wenn auch in ganz veränderter methodischer Form, dasjenige, was dazumal als das größte Problem aufging, das Verhältnis des Menschen zur sinnlichen und geistigen Wirklichkeit, es wirkt noch immer nach, wenn man es auch nicht sieht in der heutigen Zeit, wenn es auch in der heutigen Zeit scheinbar ganz der Scholastik entgegengesetzte Gestalt annimmt. Es wirkt nach. Es ist gewissermaßen das alles in den geistigen Betätigungen der Gegenwart noch, aber wesentlich verändert durch alles das, was in der Zwischenzeit wiederum durch bedeutsame Persönlichkeiten hingestellt worden ist in die europäische Menschheitsentwickelung auf dem philosophischen Gebiete.
Wir sehen auch, wenn wir hinübergehen von Thomas von Aquino zu dem Franziskanermönch, der wahrscheinlich aus Irland stammte und im Beginne des 14. Jahrhunderts in Paris, später in Köln gelehrt hat, Dum Scotus, wir sehen da sogleich, wenn wir zu dieser Persönlichkeit herüberkommen, wie gewissermaßen das Problem zu groß wird selbst für alles das, was an wunderbarer, intensiver Denktechnik zurückgeblieben war aus den Zeiten der eigentlichen Meisterschaft in der Denktechnik, aus den Zeiten der Scholastik.
Vor Duns Scotus steht neuerdings die Frage: Wie lebt das Menschlich-Seelische in dem Menschlich-Leiblichen? Es war noch so bei Thomas von Aquino, daß er - wie ich gestern auseinandersetzte - das Seelische sich hinein wirksam dachte in die Gesamtheit des Leiblichen. So daß der Mensch zwar, wenn er durch Empfängnis und Geburt hereintritt in das physisch-sinnliche Dasein, nur ausgerüstet wird durch die physisch-leibliche Vererbung mit den vegetativen Kräften, mit den gesamten mineralischen Kräften und mit den Kräften des sinnlichen Auffassungsvermögens, daß sich aber
ohne Präexistenz eingliedert in den Menschen der eigentliche Intellekt, der tätige Intellekt, dasjenige, was Aristoteles den Nous poietikos genannt hat. Aber für Thomas ist die Sache so, daß dieser Nous poietikos nun gewissermaßen aufsaugt das gesamte Seelische - das vegetativisch Seelische, das animalisch Seelische und nur die Körperlichkeit durchsetzt, um das in seinem Sinne umzuwandeln, zu me-tamorphosieren,um dann unsterblich fortzuleben mit dem, was er, der selbst aus ewigen Höhen heraus in den Menschenleib, aber ohne Präexistenz, eingezogen ist, aus diesem Menschenleib gewonnen hat.
Duns Scotus kann sich ja schon nicht vorstellen, daß solch ein Aufsaugen des gesamten Kräftesystems der menschlichen Wesenheit durch den tätigen Verstand stattfinde. Er kann sich nur vorstellen, daß die menschliche Körperlichkeit gewissermaßen wie etwas Fertiges vorliegt, daß in einer gewissen selbständigen Weise durch das ganze Leben hindurch bleibt das vegetative, das animalische Prinzip, dann abgeworfen wird mit dem Tode, und daß nur das eigentlich geistige Prinzip, der intellectus agens, dann in die Unsterblichkeit übergeht. Scotus kann sich das ebensowenig vorstellen, was dem Thomas von Aquino noch vorgeschwebt hat: die Durchdringung des ganzen Leibes mit dem Menschlich-Seelisch-Geistigen, wie sein Schüler, Wilhelm von Ockham -der dann in München im 14. Jahrhundert gestorben ist, und der vor allen Dingen wieder zum Nominalismus zurückgekehrt ist , weil ihm der menschliche Verstand etwas Abstraktes geworden ist, etwas, das ihm nicht mehr die geistige Welt repräsentierte, sondern was ihm nur aus der Überlegung gewonnen erschien, aus der sinnlichen Wahrnehmung. Er konnte sich nicht mehr vorstellen, daß nur in den Univer-saiien, in den Ideen das gegeben sei, was nun eine Realität ergäbe. Er verfiel wiederum in den Nominalismus, wiederum in die Anschauung, daß dasjenige, was im Menschen sich festsetzt als Ideen, als allgemeine Begriffe, nur konzipiert ist aus der sinnlichen Umwelt, daß es eigentlich nur etwas ist, was im menschlichen Geiste, ich möchte sagen, um der bequemen Zusammenfassung des Daseins willen lebt als Name, als Worte. Kurz, er kehrte wiederum zurück zum Nominalismus.
Das ist im Grunde genommen eine bedeutsame Tatsache, denn man sieht, der Nominalismus, wie er zum Beispiel bei Roscellin aufgetreten ist - dem selbst die Trinität auseinandergefallen ist wegen seines Nominalismus -, dieser Nominalismus wird nur unterbrochen durch die intensive Gedankenarbeit des Albertus Magnus und Thomas von Aquino und einiger anderer, und gleich fällt die europäische Menschheit wiederum zurück in den Nominalismus, in jenen Nominalismus, der im Grunde genommen ist die Unfähigkeit der sich immer mehr und mehr herauf ringenden Individualität des Menschen, das, was er im Geiste als Ideen gegenwärtig hat, zu fassen als eine geistige Realität, es so zu fassen, daß es etwas ist, was lebt in dem Menschen und lebt in einer gewissen Weise auch in den Dingen. Die Ideen werden von Realitäten sogleich wiederum zu Namen, zu bloßen leeren Abstraktionen.
Man sieht hin auf die Schwierigkeiten, welche das europäische Denken immer mehr und mehr hatte, indem es die Frage nach der Erkenntnis aufwarf. Denn erkennen müssen wir Menschen doch schließlich - wenigstens im Beginne des Erkennens müssen wir uns der Ideen bedienen -, erkennen müssen wir durch die Ideen. Die große Frage muß immer wieder auftreten: Wie vermitteln uns die Ideen die Wirklichkeit? Aber es ist im Grunde genommen kaum eine Möglichkeit für eine Antwort da, wenn einem die Ideen bloß als realitätslose Namen erscheinen. Und diese Ideen, die dem
alten Griechentum, wenigstens dem eingeweihten Griechentum, noch waren die letzten von oben herunterkommenden Kundgebungen einer realen Geistwelt, diese Ideen verabstrahierten sich immer mehr und mehr für das europäische Bewußtsein. Diesen Prozeß des Verabstrahierens, des Wortwerdens der Ideen, sehen wir im Grunde genommen immer mehr und mehr zunehmen, indem wir weiterverfolgen die Entwicklung des abendländischen Denkens.
Einzelne Persönlichkeiten heben sich später noch heraus, wie zum Beispiel Leibniz, der sich im Grunde genommen nicht einläßt auf die Frage: Wie erkennt man durch die Ideen?, weil er wohl traditionell noch im Besitze einer gewissen spirituellen Anschauung ist und alles zurückführt auf individuelle Weltenmonaden, die eigentlich geistig sind. Es ragt Leibniz über die anderen turmhoch empor, indem er noch den Mut hat, die Welt als geistige vorzustellen. Ja, die Welt ist ihm geistig; sie besteht ihm aus lauter geistigen Wesenheiten. Aber ich möchte sagen, was für eine frühere Zeit, deren Erkenntnis allerdings mehr instinktiv war, deren Erkenntnis noch nicht durchleuchtet war von einer solchen Logik, wie die Scholastik war, dasjenige, was für eine solche Zeit differenzierte geistige Individualitäten waren, das sind für Leibniz mehr oder weniger graduell abgestufte Geistpunkte, Monaden. Die geistige Individualität ist gesichert, aber sie ist nur in der Gestalt der Monade gesichert, in der Gestalt gewissermaßen eines geistigen Punktwesens.
Wenn wir absehen von Leibniz, dann sehen wir im ganzen Abendlande zwar ein starkes Ringen nach Gewißheit über die Urgründe des Daseins, aber zu gleicher Zeit überall das Unvermögen, die Nominalismusfrage wirklich zu lösen. Ganz besonders bedeutsam tritt das hervor bei dem Denker, der ja mit Recht immer an den Ausgangspunkt der neueren Philosophiegeschichte gestellt wird, es tritt entgegen bei dem
Denker Cartesius, Descartes, der im Beginn oder in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte. Man lernt ja überall in der Philosophiegeschichte den eigentlichen Grundquell der Cartesiusschen Philosophie kennen in dem Satz: cogito ergo sum: ich denke, also bin ich. - In diesen Satz ragt noch herein ein Streben des Augustinismus. Denn Augustinus ringt sich aus jenem Zweifel heraus, von dem ich im ersten Vortrage gesprochen habe, indem er sich sagt: Zweifeln kann ich an allem, aber die Tatsache des Zweifeins besteht doch, und ich lebe doch, wahrend ich zweifle. Ich kann daran zweifeln, daß Sinnen dinge um mich herum sind, ich kann daran zweifeln, daß Gott ist, daß Wolken sind, daß Sterne sind, aber wenn ich zweifle, so ist der Zweifel da. An demjenigen, was in meiner eigenen Seele vorgeht, kann ich nicht zweifeln. Da ist eine Sicherheit, ein sicherer Ausgangspunkt zu erfassen. Cartesius nimmt diesen Gedanken wieder auf: Ich denke, also bin ich.
Bei solchen Dingen setzt man sich selbstverständlich argen Mißverständnissen aus, wenn man genötigt ist, ein Einfaches gegen ein historisch Angesehenes setzen zu müssen. Und dennoch ist es notwendig. Nicht wahr, dem Cartesius und vielen seiner Nachfolger in dieser Beziehung hat er ja unzählig viele Nachfolger gehabt - schwebt vor: Wenn ich in meinem Bewußtsein Denkinhalt habe, wenn ich denke, so ist nicht hinwegzuleugnen die Tatsache, daß ich denke; also bin ich, also ist mein Sein durch mein Denken gesichert. Ich wurzle gewissermaßen im Weltensein, indem ich mein Sein durch mein Denken gesichert habe.
Damit beginnt eigentlich die neuere Philosophie als Intellektualismus, als Rationalismus, als etwas, das ganz aus dem Denken heraus arbeiten will und insoferne nur der Nachklang ist der Scholastik, die ja die Wendung zum Intellektualismus hin in so energischer Weise genommen hat.
Zweierlei sieht man bei Cartesius. Erstens muß man ihm den einfachen Einwand machen: Ist wirklich durch die Tatsache, daß ich denke, mein Sein ergriffen? Jeder Nachtschlaf beweist das Gegenteil. - Das ist eben das Einfache, das man einwenden muß: Wir wissen an jedem Morgen, an dem wir aufwachen, wir müssen gewesen sein vom Abend bis zum Morgen, aber wir haben nicht gedacht. Also ist der Satz: Ich denke, also bin ich, cogito ergo sum einfach widerlegt. Das Einfache, das, ich möchte sagen, wie eine Art Ei des Kolumbus ist, das muß schon einmal einem angesehenen Satze, der ungeheuer viel Nachfolge gefunden hat, entgegengehalten werden.
Das ist das eine, was in bezug auf Cartesius zu sagen ist. Das andere aber ist die Frage: Worauf ist denn eigentlich das ganze philosophische Streben des Cartesius gerichtet? Es ist nicht mehr auf Anschauung gerichtet, es ist nicht mehr auf das Empfangen eines Weltengeheimnisses für das Bewußtsein gerichtet, es ist wirklich ganz intellektualistisch, ganz denkerisch orientiert. Es ist auf die Frage hingerichtet: Wie erlange ich Gewißheit? Wie komme ich aus dem Zweifel heraus? Wie erfahre ich, daß Dinge sind, und daß ich selbst bin} -Es ist nicht mehr eine materielle Frage, eine Frage des inhaltlichen Ergebnisses der Weltenbeobachtung, es ist eine Frage der Sicherung der Erkenntnis.
Diese Frage steigt auf aus dem Nominalismus der Scholastiker, den nur Albertus und Thomas für eine gewisse Zeit überwunden haben, der aber nach ihnen sogleich wiederum auftritt. Und so stellt sich für die Leute dasjenige dar, was sie in ihrer Seele bergen und dem sie nur einen Namencharakter beilegen können, den sie hineinklauben in die Seele, um irgendwo in dieser Seele einen Punkt zu finden, von dem aus sie sich jetzt nicht ein Weltbild, eine Weltanschauung verschaffen können, sondern die Gewißheit, daß überhaupt nicht alles Täuschung, nicht alles Unwahrheit ist, daß man hinausschaut in die Welt und auf eine Realität schaut, daß man hineinschaut in die Seele und auf eine Realität schaut.
Es ist in alledem wohl deutlich wahrnehmbar dasjenige, worauf ich gestern am Schlüsse hingedeutet habe, nämlich daß die menschliche Individualität zum Intellektualismus gekommen ist, aber gewissermaßen im Intellektualismus, im Denkerischen das Christus-Problem noch nicht empfunden hat. Das Christus-Problem tritt für Augustinus etwa auf, indem er noch auf die ganze Menschheit schaut. Der Christus da drinnen in der menschlichen Seele, der dämmert, möchte ich sagen, dann für die christlichen Mystiker des Mittelalters auf; aber er dämmert nicht klar und deutlich auf bei denjenigen, die ihn aus dem Denken heraus nur finden wollten, aus jenem Denken, das der sich gebärenden Individualität so notwendig ist, oder aus dem, das diesem Denken sich ergeben würde. Dieses Denken, das nimmt sich gewissermaßen in seinem Urzustand so aus, wie es herausquillt aus der menschlichen Seele, daß es ablehnt dasjenige, was gerade für das Innerste des Menschen das Christliche sein müßte. Es lehnt ab die Umwandlung, die innere Metamorphose, es lehnt ab, so sich zum Erkenntnisleben zu stellen, daß man sich sagen würde: Ja, ich denke, ich denke zunächst über mich und die Welt. Aber dieses Denken ist noch ein unentwickeltes. Dieses Denken ist gewissermaßen dasjenige, das nach dem Sündenfall liegt. Es muß sich über sich selbst erheben. Es muß sich verwandeln, es muß sich emporheben in eine höhere Sphäre.
Eigentlich hat nur einmal so recht deutlich diese Notwendigkeit aufgeleuchtet in einer Denkerpersönlichkeit, und das ist bei dem Nachfolger des Cartesius, bei Spinoza. Spinoza hat ja wirklich aus guten Gründen jenen tiefen Eindruck auf Leute wie Herder und Goethe gemacht; denn Spinoza, wenn er auch scheinbar ganz im Intellektualismus, der aus der Scholastik heraus geblieben ist oder sich umgewandelt hat, noch drinnensteckt, Spinoza faßt doch diesen Intellektualismus so auf, daß der Mensch zuletzt eigentlich nur zur Wahrheit komme - die zuletzt für Spinoza in einer Art Intuition besteht -, indem er das Intellektuelle, das innere denkerische Seelenleben umwandelt, nicht stehenbleibt bei dem, was im Alltagsleben und im gewöhnlichen wissenschaftlichen Leben da ist. Und da kommt gerade Spinoza dazu, sich zu sagen: Durch die Entwickelung des Denkens füllt sich dieses Denken wieder an mit geistigem Inhalt. - Gewissermaßen die geistige Welt, die wir kennengelernt haben im Plotinismus, ergibt sich wiederum dem Denken, wenn dieses Denken entgegengehen will dem Geiste. Der Geist erfüllt als Intuition wiederum das Denken.
Es ist sehr interessant, denke ich, daß es im Grunde genommen dieser Spinoza ist, welcher sagt: Überblicken wir das Weltendasein, wie es in seiner höchsten Substanz im Geiste sich weiterentwickelt, wie wir dann diesen Geist in die Seele aufnehmen, indem wir uns mit unserem Denken zur Intuition erheben, indem wir auf der einen Seite so intellektualistisch sind, daß wir strenge wie mathematisch beweisen, aber im Beweisen zu gleicher Zeit uns entwickeln und erheben, so daß der Geist uns entgegenkommen kann. -Wenn wir uns so erheben, dann begreifen wir auch von diesem Gesichtspunkte aus den historischen Werdegang desjenigen, was in der Menschheitsentwickelung drinnen ist. Und es ist merkwürdig, daß herausleuchtet aus den Schriften des Juden Spinoza folgender Satz: Die höchste Offenbarung der göttlichen Substanz ist in Christus gegeben. - In Christus ist die Intuition zur Theophanie geworden, zur Menschwerdung Gottes, und Christus' Stimme ist daher in Wahr-
heit Gottes Stimme und der Weg zum Heil. - Das heißt, der Jude Spinoza kommt darauf, daß der Mensch aus seinem Intellektualismus heraus sich so entwickeln kann, daß ihm der Geist entgegenkommt. Ist er dann in der Lage, sich auf das Mysterium von Golgatha zu richten, so wird die Erfüllung mit dem Geiste nicht nur Intuition, das heißt Erscheinung des Geistes durch das Denken, sondern es verwandelt sich die Intuition in Theophanie, in die Erscheinung des Gottes selbst. Der Mensch tritt dem Gotte spirituell entgegen. Man möchte sagen, Spinoza war nicht zurückhaltend mit dem, was ihm plötzlich aufgegangen war, denn dieser Ausspruch beweist das. Aber es erfüllt wie eine Stimmung, wie ein Grundton dasjenige, was er in dieser Weise herausgefunden hat aus der Entwickelung der Menschheit, es erfüllt das seine «Ethik».
Und wiederum geht es über auf einen empfänglichen Menschen. Deshalb kann man einsehen, daß für jemanden, der ganz gewiß auch zwischen den Zeilen dieser «Ethik» lesen konnte, der das Herz, das in dieser «Ethik» lebt, in dem eigenen Herzen empfinden konnte, daß für Goethe diese «Ethik» des Spinoza ein so tonangebendes Buch wurde. Es wollen doch diese Dinge nicht bloß so abstrakt angesehen werden, wie man das gewöhnlich in der Philosophiegeschichte tut; sie wollen angesehen werden vom menschlichen Standpunkte aus, und man muß schon hinblicken auf dasjenige, was herüberleuchtet von Spinozismus in die Goethesche Seele hinein. Aber im Grunde genommen ist dasjenige, was da nur zwischen den Zeilen des Spinoza herausleuchtet, doch etwas, was schließlich nicht zeitbeherrschend wurde. Zeitbeherrschend wurde dennoch das Unvermögen, über den Nominalismus hinauszukommen. Ja, der Nominalismus wird zunächst so, daß man sagen möchte, der Mensch spinnt sich immer mehr und mehr ein in den Gedanken: Ich
lebe ja in etwas, was die Außenwelt nidit erfassen kann, in etwas, was aus mir nidit herauskann, um in die Außenwelt sidi hineinzuversenken und etwas von der Natur der Außenwelt aufzunehmen. - Und so kommt es, daß diese Stimmung, daß man so allein ist in sidi selber, daß man nidit hinauskann über sidi und von der Außenwelt etwas empfängt, dann schon auftritt bei Locke im 17. Jahrhundert in der Form, daß Locke sagt: Auch dasjenige, was wir als Farben, als Töne in der Außenwelt wahrnehmen, das ist nicht mehr etwas, was uns zur Realität der Außenwelt führt; es ist im Grunde genommen nur die Wirkung der Außenwelt auf unsere Sinne, es ist etwas, mit dem wir schließlich auch in unsere eigene Subjektivität eingesponnen sind. - Das ist die eine Seite der Sache.
Die andere Seite der Sache ist, daß bei solchen Geistern wie Baco von Verulam im 16. und 17. Jahrhundert der Nominalismus eine ganz durchdringende Weltanschauung wird, daß bei Baco das so zutage tritt, daß er sagt: Man muß aufräumen mit alledem, was des Menschen Aberglaube an die Realität desjenigen ist, was im Grunde genommen nur als Name gegeben ist. Eine Realität liegt uns nur vor, wenn wir hinausschauen auf die Sinneswelt. Die Sinne allein liefern in der empirischen Erkenntnis Realitäten. - Neben diesen Realitäten spielen eine wirklich wissenschaftliche Rolle jene Realitäten bei Baco schon nicht mehr, um derentwillen eigentlich Albertus und Thomas ihre Vernunfterkenntnistheorie aufgebaut haben. Sozusagen verflüchtigt hat sich die geistige Welt bei Baco schon zu etwas, was nun nicht mehr mit einer wissenschaftlichen Gewißheit und Sicherheit aus dem Innern des Menschen hervorquellen kann. Nur Glaubensinhalt wird dasjenige, was geistige Welt ist, den man nicht berühren soll mit dem, was man Wissen, was man Erkenntnis nennt. Dagegen soll die Erkenntnis nur gewonnen werden
aus der äußerlichen Beobachtung und aus dem Experiment, das ja nur eine gesteigerte äußere Beobachtung ist.
Und so geht es dann fort bis zu Hume im 18. Jahrhundert, dem sogar schon der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zu etwas wird, was nur in der menschlichen Subjektivität lebt, was schließlich der Mensch den Dingen nur beilegt aus einer gewissen äußeren Gewohnheit heraus. Man sieht, wie ein Alp lastet der Nominalismus, das Erbe der Scholastik, auf den Menschen.
Was ist zunächst das wichtigste Kennzeichen dieser Ent-wickelung? Das wichtigste Kennzeichen dieser EntWickelung ist doch dieses, daß die Scholastik mit ihrem Scharfsinn dasteht, daß sie entsteht in einer Zeit, wo das Vernunftgut abgegrenzt werden soll gegen das Wahrheitsgut einer geistigen Welt. Der Scholastiker hatte zur Aufgabe, auf der einen Seite hinzuschauen auf das Wahrheitsgut einer geistigen Welt, das für ihn ja natürlich durch den Glaubensinhalt, durch den Orfenbarungsinhalt der Kirche überliefert war. Er hatte auf der andern Seite hinzuschauen auf dasjenige, was sich durch die eigene Kraft der menschlichen Erkenntnis ergeben kann. Das, was der Gesichtspunkt der Scholastiker war, das versäumte zunächst jene Frontänderung, die einfach die Zeitentwickelung notwendig gemacht hätte. Als Thomas, als Albertus ihre Philosophien zu entwickeln hatten, da gab es noch keine naturwissenschaftliche Weltanschauung. Da hatten noch nidit Galilei, Giordano Bruno, Kopernikus, Kepler gewirkt, da gab es noch nicht den Hinblick der Menschen auf die äußere Natur mit den Kräften des menschlichen Verstandes. Da hatte man nicht sich auseinanderzusetzen gebraucht mit dem, was die menschliche Vernunft aus den Tiefen der Seele heraus finden kann, und dem, was gewonnen wird aus der äußeren empirischen, aus der sinnlichen Welt. Da hatte man sich nur auseinanderzu-
setzen gebraucht mit dem, was die Vernunft zu finden hat aus den Tiefen der Seele heraus im Verhältnis zu dem, was geistiges Wahrheitsgut war, wie es die Kirche überliefert hatte, wie es dastand vor diesen Menschen, die nicht mehr durch innere spirituelle Entwicklung sich zu diesem Weisheitsgut selbst in seiner Realität erheben konnten, die es aber sahen in der Gestalt, wie es ihnen die Kirche überliefert hatte, eben einfach als Tradition, als Schriftinhalt und so weiter.
Entsteht da eigentlich nicht die Frage: Wie verhält sich der Vernunftinhalt, dasjenige, was Albertus und Thomas als Erkenntnistheorie für den Vernunftinhalt entwickelt haben, zum Inhalte der naturwissenschaftlichen Weltanschauung? Man möchte sagen, es ist jetzt ein ohnmächtiges Ringen bis in das 19. Jahrhundert hinein. Und da sehen wir etwas sehr Merkwürdiges. Während wir zurückblicken in das 13. Jahrhundert, Albertus und Thomas sehen, die Menschheit belehrend über die Grenzen der Vernunfterkenntnis gegenüber dem Glaubens-, dem Offenbarungsinhalt, sehen wir, wie Albertus und Thomas Stück für Stück zeigen: Der Offenbarungsinhalt ist da, aber er ergibt sich nur bis zu einem gewissen Teile der menschlichen Vernunfterkenntnis, er bleibt außerhalb dieser Vernunfterkenntnis, er bleibt für die Vernunfterkenntnis Welträtsel. - Wir können sie aufzählen, diese Welträtsel: die Inkarnation, das Enthaltensein des Geistes im Altarsakramente, und so weiter - das liegt jenseits der Grenze des menschlichen Erkennens. Für Albertus und Thomas ist es so, daß der Mensch auf der einen Seite steht, die Grenze der Erkenntnis gewissermaßen ihn umgibt und er nicht hineinblicken kann in die spirituelle Welt. Das ergibt sich für das 13. Jahrhundert.
Und jetzt blicken wir herüber in das 19. Jahrhundert. Da sehen wir eine merkwürdige Tatsache: In den siebziger
die Menschen, die philosophieren, auch heute noch stehen, nachdem in den sechziger Jahren, als die Kantsche Philosophie ein wenig zurückgetreten war, die Philosophen Deutschlands den Ruf erhoben haben: Zurück zu Kant! -und seither eine unübersehbare Kantliteratur sich geoffen-bart hat und auch selbständige Kantdenker wie Volkelt^ Cohen und so weiter - ein ganzes Heer könnte man aufzählen - aufgetreten sind.
Wir können ja heute Kant selbstverständlich nur skizzenhaft charakterisieren. Wir brauchen nur hinzuweisen auf das, was das Wesentliche bei ihm ist. Ich glaube nicht, daß, wer Kant wirklich studiert, ihn anders finden kann als so, wie ich ihn versuchte zu finden in meiner kleinen Schrift «Wahrheit und Wissenschaft». Vor Kant steht Ende der sechziger Jahre und Anfang der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts mit aller Gewalt jetzt nicht eine Inhaltsfrage der Weltanschauung, nicht irgend etwas, was in bestimmten Gestalten, Bildern, Begriffen, Ideen über die Dinge bei ihm aufgetreten wäre, sondern vor ihm steht eigentlich die formelle Erkenntnisfrage: Wie gewinnen wir Sicherheit über irgend etwas in der Außenwelt, über ein Sein in der Außenwelt? Mehr peinigt Kant die Frage der Gewißheit der Erkenntnis als irgendein Inhalt der Erkenntnis. Ich meine, das sollte man sogar fühlen, wenn man die Kantsche «Kritik» vornimmt, wie es nicht der Inhalt der Erkenntnis ist, sondern wie es das Streben nach einem Prinzip der Sicherheit der Erkenntnis ist, was bei Kant auftritt. Man lese doch die «Kritik der reinen Vernunft», die «Kritik der praktischen Vernunft», und sehe sich um, wie, nachdem das ja in einer gewissen Beziehung klassische Kapitel über Raum und Zeit überwunden ist, wie dann auftritt die Kategorienlehre, nur, man möchte sagen rein pedantisch abgezählt, um eine gewisse Vollständigkeit zu haben. Wahrhaftig, da läuft nicht
die Darstellung, diese «Kritik der reinen Vernunft» so fort, wie bei jemandem, der von Satz zu Satz mit seinem Herzblut schreibt.
Wichtiger ist es für Kant, viel wichtiger: Wie verhält sich dasjenige, was wir Begriffe nennen, was überhaupt der ganze Inhalt der Erkenntnis ist, zu einer äußeren Wirklichkeit? -als dieser Inhalt der Erkenntnis selbst. Den Inhalt stoppelt er sozusagen aus alledem, was ihm philosophisch überliefert ist, zusammen. Er schematisiert, systematisiert. Aber überall tritt die Frage auf: Wie kommt man zu einer Gewißheit, zu einer solchen Gewißheit - das sagt er ja ganz deutlich -, wie sie in der Mathematik vorhanden ist?-Und zu einer solchen Gewißheit kommt er auf eine Art, die im Grunde genommen nichts weiter ist als ein verwandelter und noch dazu außerordentlich kaschierter und maskierter Nominalismus, nur ein Nominalismus, der nun auch noch auf die Formen der Sinnlichkeit, Raum und Zeit ausgedehnt wird außer auf die Ideen, auf die Universalien. Er sagt: Dasjenige, was wir in unserer Seele entwickeln als Inhalt der Erkenntnis, das hat im Grunde genommen gar nichts mit etwas zu tun, das wir aus den Dingen herausholen. Wir stülpen es über die Dinge drüber. Wir bekommen die ganze Form unserer Erkenntnis aus uns selber heraus. Wenn wir sagen: A hängt Tafel 4 mit B nach dem Prinzip der Verursachung zusammen -, so ist dieses Prinzip der Verursachung nur in uns. Wir stülpen es über A und B, über die beiden Erfahrungsinhalte hinüber. Wir tragen die Ursächlichkeit in die Dinge hinein.
Mit andern Worten, so paradox das sich ausnimmt - aber wirklich nur historisch paradox gegenüber etwas, das solch maßloses Ansehen hat wie die Kantsche Philosophie -, es muß doch dieses Paradoxe gesagt werden: Kant sucht ein Prinzip der Gewißheit dadurch, daß er überhaupt leugnet, wir nehmen den Inhalt unserer Erkenntnis aus den Dingen,
und behauptet, wir nehmen ihn aus uns selber und legen ihn in die Dinge hinein. Das heißt mit anderen Worten, und das ist eben die Paradoxie: Wir haben Wahrheit, weil wir sie selber machen, wir haben im Subjekte Wahrheit, weil wir sie selbst erzeugen. Wir tragen die Wahrheit erst in die Dinge hinein.
Da haben Sie die letzte Konsequenz des Nominalismus. Die Scholastik hat gerungen mit den Universalien, mit der Frage: Wie lebt dasjenige, was wir in die Ideen aufnehmen, draußen in der Welt? Sie konnte nicht zu einer wirklichen Losung des Problems kommen, die vorläufig vollauf befriedigend geworden wäre. Kant sagt: Nun gut, die Ideen sind bloße Nomina. Wir bilden sie nur in uns, aber wir stülpen sie als Nomina hinüber über die Dinge; dadurch werden sie Realität. Sie mögen lange nicht Realität sein, aber indem ich mich den Dingen gegenüberstelle, schiebe ich die Nomina in die Erfahrung hinein und mache sie zu Realitäten, denn die Erfahrung muß so sein, wie ich es ihr durch die Nomina befehle.
Der Kantianismus ist damit in einer gewissen Weise die Vermehrung des Nominalismus, in einer gewissen Weise die äußerste Spitze des Nominalismus, in einer gewissen Weise der äußerste Niedergang der abendländischen Philosophie, der vollständige Bankrott des Menschen in bezug auf sein Wahrheitsstreben, die Verzweiflung daran, daß man irgendwie aus den Dingen heraus die Wahrheit gewinnen könnte. Daher das Diktat: Die Wahrheit kann nur sein, wenn wir sie selber in die Dinge hineintragen.-Kant hat alle Objektivität, alle Möglichkeit des Menschen, in die Realität der Dinge unterzutauchen, zerstört. Kant hat jede mögliche Erkenntnis zerstört, jedes mögliche Wahrheitsstreben zerstört, denn Wahrheit kann nicht bestehen, wenn sie nur im Subjekte gemacht wird.
Dies ist eine Konsequenz der Scholastik, weil sie nicht eingehen konnte in die andere Seite, wo sich die andere Grenze ergeben hat, die zu überwinden war. Weil das naturwissenschaftliche Zeitalter herauftauchte und die Scholastik nicht die Frontänderung nach der Naturwissenschaft hin vorgenommen hat, trat der Kantianismus auf, der im Grunde als Subjektivität ausgegangen ist und dann aus der Subjektivität, in der er alle Erkenntnis ausgelöscht hat, heraufsprießen läßt die sogenannten Postulate Freiheit, Unsterblichkeit und die Gottesidee. Wir sollen das Gute tun, den kategorischen Imperativ erfüllen, dann müssen wir es können. Das heißt, wir müssen frei sein, aber wir können es nicht, indem wir hier im physischen Leibe leben. Wir erreichen erst eine Vollkommenheit, so daß wir den kategorischen Imperativ voll ausführen können, wenn wir außer dem Leibe sind. Also muß es eine Unsterblichkeit geben. Aber auch da können wir es noch nicht als Menschen einsehen. Dasjenige, was der Inhalt ist unseres Handelns in der Welt - wenn wir uns dessen befleißigen, was wir sollen , das muß eine Gottheit einordnen in die Welt. Also muß eine Gottheit da sein.
Drei Glaubenspostulate, von denen nicht gewußt werden kann, wie sie in der Realität an sich wurzeln, das ist dasjenige, was Kant gesichert hat nach seinem eigenen Ausspruche: Ich mußte die Erkenntnis vernichten, um für den Glauben Platz zu bekommen. - Und Kant bekommt jetzt nicht für einen Glaubensinhalt im Sinne des Thomas von Aquino Platz, für einen überlieferten Glaubensinhalt, sondern für einen abstrakten Glaubensinhalt - Freiheit, Unsterblichkeit und die Gottesidee -, für einen Glaubensinhalt, der eben herausgeboren wird aus dem die Wahrheit, das heißt den Schein diktierenden menschlichen Individuum.
Damit wird Kant der Erfüller des Nominalismus. Er
wird diejenige Philosophenpersönlichkeit, welche im Grunde genommen alles dem Menschen abspricht, was dieser Mensch haben konnte, um in irgendeine Realität unterzutauchen. Daher gleich jene Reaktion gegen Kant, die zum Beispiel Fichte, die dann Schelling, die dann Hegel vorgenommen haben, auch noch andere Denker des 19. Jahrhunderts. Man braucht nur auf Fichte zu sehen, indem er alles dasjenige, was Kant im Grunde genommen nur als eine Scheinwelt oder Erscheinungswelt statuiert hatte, herausholen wollte aus dem eigentlichen schöpferischen Ich, das er aber wurzelnd dachte im Seinsgehalt der Welt. Man braucht nur auf diesen Fichte zu sehen, wie er genötigt war, zu einem intensiveren, man möchte sagen immer mystischer und mystischer werdenden Erleben der Seele zu dringen, um über den Kan-tianismus hinauszukommen. Fichte konnte nicht einmal glauben, daß Kant das gemeint haben konnte, was in den Kantschen Kritiken wirklich enthalten ist. Er glaubte im Anfang, ich möchte sagen,in einer gewissen philosophischen Naivität, daß er nur die letzte Konsequenz der Kantschen Philosophie zog. Wenn man nicht diese «letzten Konsequenzen» ziehe, meinte Fichte, so müßte man glauben, es habe der wunderlichste Zufall diese Philosophie zusammengestoppelt, jedenfalls aber nicht ein menschlich denkender Kopf.
Das alles steht im Grunde genommen außerhalb dessen, was heraufzieht in der abendländischen Menschheitsentwickelung durch die aufkeimende Naturwissenschaft, die auftritt wie eine Reaktion gerade um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die im Grunde genommen gar nichts von der Philosophie versteht und daher bei vielen Denkern in krassen Materialismus ausgeartet ist. Und so sehen wir, wie sich die philosophische Entwicklung in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts herauf entfaltet. Wir sehen gewissermaßen dieses philosophische Streben vollständig in der Nichtigkeit
ankommen, und wir sehen dann, wie von allem möglichen, das man anheftet an den Kantianismus und dergleichen, ausging der Versuch, etwas zu begreifen von dem, was eigentlich als Wesenhaftes in der Welt liegt. Was so bedeutend erschienen wäre, wenn man es erfaßt hätte, die Goethesche Weltanschauung, die ging eigentlich, mit Ausnahme der Geister, die sich an Schelling, Hegel und Fichte anlehnten, als Weltanschauung für das 19. Jahrhundert vollständig verloren. Denn in dieser Goetheschen Weltanschauung liegt der Anfang dessen, was eigentlich, nur mit Frontänderung nach der Naturwissenschaft hin, aus dem Thomismus werden muß, indem er sich herauf erhebt zu der Entwickelungshöhe der Gegenwart, indem er eine wirkliche Entwickelungs-strömung wird.
Thomas konnte es nur bis zu einem abstrakten Statuieren dessen bringen, daß das Seelisch-Geistige wirklich bis in die letzten Tätigkeiten der menschlichen Organe hinunter wirkt. In abstrakter Form sprach das Thomas von Aquino aus: Alles das, bis in die vegetativen Tätigkeiten hinein, was im menschlichen Leibe lebt, wird von dem Seelischen aus dirigiert und muß von dem Seelischen aus erkannt werden. -Goethe macht den Anfang zur Frontänderung in seiner «Farbenlehre», die deshalb so ganz und gar nicht verstanden wird; Goethe macht den Anfang mit seiner «Morphologie», mit seiner Pflanzen- und Tierlehre. Die völlige Erfüllung dieses Goetheanismus wird aber erst gegeben, wenn man eine Geisteswissenschaft hat, die aus ihrer eigenen Kraft Aufklärung über die naturwissenschaftlichen Tatsachen hervorbringt.
Vor einigen Wochen versuchte ich hier auszuführen, wie unsere Geisteswissenschaft zum Beispiel korrigierend der Naturwissenschaft sich gegenüberstellen will, sagen wir, in bezug auf die Lehre vom Herzen. Dieses Herz hat die
mechanisch-materialistische Anschauung zu einer Pumpe gemacht, die das Blut durch den menschlichen Körper treibt. Es ist das Gegenteil, dieses Herz: Ein Lebendiges ist die Blutzirkulation - die Embryologie kann es exakt nachweisen, wenn sie nur will -, und das Herz wird durch das innerlich bewegte Blut in Tätigkeit versetzt. Das Herz ist dasjenige, worinnen sich die Bluttätigkeit schließlich statuiert, wor-innen die Bluttätigkeit hereingenommen wird in die ganze menschliche Individualität. Die Tätigkeit des Herzens ist eine Folge der Bluttätigkeit, nicht die Bluttätigkeit eine Folge der Herztätigkeit. Und so kann man, wie es hier schon in bezug auf die Einzelheiten gezeigt worden ist in einem Kursus für Ärzte, in bezug auf die einzelnen Organe des Leibes durchaus zeigen, wie die Erfassung des Menschen als eines Geistwesens erst wirklich sein Materielles erklärt. Man kann in einer gewissen Weise real machen dasjenige, was wie in abstrakter Gestalt dem Thomismus vorgeschwebt hat, der da sagte: Das Geistig-Seelische durchdringt alles Leibliche. -Eine konkrete, reale Erkenntnis wird das. Es lebt, indem sie sich entzündet an dem Goetheanismus, die thomistische Philosophie, die im 13. Jahrhundert noch eine abstrakte Gestalt hatte, in unserer Gegenwart als Geisteswissenschaft weiter. Wenn ich hier ein persönliches Erlebnis einfügen darf, so kann es das folgende sein. Es soll nur illustrieren, in aller Bescheidenheit. Als ich am Ende der achtziger Jahre in Wien im «Wiener Goethe-Verein» sprach über das Thema «Goethe als Vater einer neuen Ästhetik», da war unter den Zuhörern ein sehr gelehrter Zisterzienser. Ich setzte auseinander, wie man sich die Vorstellung Goethes über die Kunst zu denken hat, und da tat dazumal der Pater Wilhelm Neumann, ein Zisterzienser, der zugleich Professor an der theologischen Fakultät der Wiener Universität war, den merkwürdigen Ausspruch: Die Keime zu diesem Vortrage, den Sie heute
uns gehalten haben, die liegen schon bei Thomas von Aquino! - Es war mir doch ein außerordentlich interessantes Erlebnis, von dem Pater Wilhelm Neumann zu hören, daß er, der natürlich voll eingeschult war - denn es war ja schon nach dem Erscheinen des Neuthomismus innerhalb des katholischen Klerus -, der also ganz eingeschult war im Thomismus, daß er empfand, daß im Thomismus etwas liegt wie die Keime zu dem, was da als die Konsequenz der Goetheschen Weltanschauung in bezug auf die Ästhetik gesagt wurde.
Man muß schon sagen: Die Dinge, der Wahrheit gemäß angesehen, nehmen sich durchaus anders aus, als sie sich unter dem Einflüsse einer ohnmächtigen nominalistischen Weltanschauung, die zum großen Teil doch auf Kant und die kantianisierende moderne Physiologie zurückgeht, für die Philosophiegeschichte darstellen. Und so würden Sie manches finden, wenn Sie nachsehen in der Geisteswissenschaft. Lesen Sie in meinen «Seelenrätseln», die vor mehreren Jahren erschienen sind, wie da von mir versucht wird, auf Grund von dreißigjährigen Studien die menschliche Wesenheit zu gliedern in drei Glieder; wie da versucht wird zu zeigen, wie das eine Glied des menschlichen physischen Leibes mit der Denk- und Sinnesorganisation zusammenhängt, wie dann das rhythmische System, alles dasjenige, was zum Atmen und zur Herztätigkeit gehört, zusammenhängt mit dem Gefühlssystem, wie der Stoffwechsel mit dem Willenssystem zusammenhängt. Da wird überall der Versuch gemacht, das Geistig-Seelische in seinem Schaffen im Physischen wieder zu finden. Das heißt, die Frontänderung nach der Naturwissenschaft hin wird ernsthaft gemacht. Es wird versucht, so einzudringen in das Gebiet des natürlichen Daseins nach dem Zeitalter der Naturwissenschaft, wie vor dem Zeitalter der Scholastik, der Thomistik - wir haben es bei
dem Areopagiten und bei Plotin gesehen , von der menschlichen Erkenntnis aus in das spirituelle Gebiet eingedrungen worden ist. Es wird mit dem Christus-Prinzip Ernst gemacht, wie mit dem Christus-Prinzip Ernst gemacht worden wäre, wenn man gesagt hätte: Das menschliche Denken kann sich umwandeln, so daß es wirklich hinaufdringen kann, wenn es die Denk-Erbsünde der Erkenntnisgrenze abstreift und sich rein durch sinnlichkeitsfreies Denken hinaufentwickelt in die geistige Welt - nach der Frontänderung. Was sich als Natur offenbart, das kann durchdrungen werden als der Schleier des Naturdaseins. Man dringt über die Grenze der Erkenntnis hinaus, die ein Dualismus glaubte aufrichten zu müssen, so wie die Scholastiker die Grenze auf der anderen Seite aufgerichtet haben. Man dringt ein in diese materielle Welt und entdeckt, daß diese eigentlich die geistige ist, daß hinter dem Schleier der Natur in Wahrheit nicht materielle Atome sind, sondern geistige Wesenheiten.
Das zeigt Ihnen, wie eigentlich gedacht wird in einer fortschrittlichen Weise über eine Fortentwickelung des Thomismus des Mittelalters. Suchen Sie die wichtigsten psychologischen Gedanken des Albertus und des Thomas in ihrer Abstraktheit auf. Da wird allerdings nicht so eingedrungen in das Menschlich-Leibliche, daß gesagt wird, wie der Geist oder die Seele arbeiten am Herzen, an der Milz, an der Leber und so weiter, aber es wird schon darauf hingewiesen, daß der ganze menschliche Leib herausentstanden gedacht werden muß aus dem Geistig-Seelischen.
Die Fortsetzung dieses Gedankens ist die Arbeit, wirklich zu verfolgen das Geistig-Seelische bis in die Einzelheiten des Leiblichen hinein. Das macht nicht die Philosophie, das macht nicht die Naturwissenschaft, das wird nur eine Geisteswissenschaft machen, die nicht zurückscheut, die Gedanken, die einmal als große Gedanken in der Menschheitsentwicke-
Tafel 5 links
lung gefaßt worden sind, wie die Gedanken der Hochscholastik, hereinzutragen in unsere Zeit und sie anzuwenden auf all dasjenige, was unsere Zeit an Naturanschauungen gebracht hat. Dazu war allerdings notwendig, wenn die Sache wissenschaftlich bestehen sollte, eine Auseinandersetzung mit dem Kantianismus.
Diese Auseinandersetzung mit dem Kantianismus habe ich versucht zuerst in meiner kleinen Schrift «Wahrheit und Wissenschaft» schon vor Jahren, in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in meiner kleinen Schrift «Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung» und dann wiederum in meiner «Philosophie der Freiheit». Nur ganz kurz und ohne Berücksichtigung dessen, daß die Dinge ja, wenn man sie kurz darstellt, scheinbar schwer sind, möchte ich den Grundgedanken, der in diesen Büchern lebt, einmal vor Sie hinstellen.
Diese Bücher gehen aus davon, daß allerdings in der Welt der Wahrnehmung, die um uns herum sich ausbreitet, nicht unmittelbar die Wahrheit gefunden werden kann. Man sieht in einer gewissen Weise, wie in der menschlichen Seele sich festlegt der Nominalismus, wie er die falsche Konsequenz des Kantianismus annehmen kann, aber wie Kant durchaus nicht sah das, womit einmal Ernst gemacht wurde in diesen Büchern. Das ist, daß eine Betrachtung der Wahrnehmungswelt selbst, wenn sie ganz sachlich und gründlich angestellt wird, zu der Erkenntnis führt: Diese Wahrnehmungswelt ist nicht etwas Ganzes, diese Wahrnehmungswelt stellt sich dar als etwas, das wir verwirklichen.
Wodurch entstand denn eigentlich die Schwierigkeit des Nominalismus? Wodurch entstand der ganze Kantianismus? Dadurch, daß die Wahrnehmungswelt genommen wird, dann beobachtet man die Wahrnehmungswelt und breitet über sie durch das Seelenleben die Ideenwelt aus. Nun hat
man die Anschauung, als ob diese Ideenwelt die äußeren Wahrnehmungen abbilden sollte. Aber die Ideenwelt ist im Innern. Was hat diese im Innern des Menschen befindliche Ideenwelt mit dem, was da draußen ist, zu tun? Diese Frage konnte Kant nicht anders beantworten als dadurch, daß er sagte: Also stülpen wir eben über die Wahrnehmungswelt die Ideenwelt drüber, machen wir die Wahrheit. So ist die Sache nicht. Die Sache ist so, daß, wenn wir die Wahrnehmung unbefangen betrachten, sie ein Nichtfertiges ist, überall einNicht-in-sich-Abgeschlossenes.Das versuchte ich streng zu beweisen zunächst in meinem Buche «Wahrheit und Wissenschaft», dann in meinem Buche «Philosophie der Freiheit». Die Wahrnehmung ist überall so, daß sie als ein Nicht-Abgeschlossenes erscheint. Indem wir uns hereingestellt haben in die Welt, indem wir hereingeboren sind in die Welt, spalten wir die Welt. Die Sache ist so, daß wir den Weltinhalt gewissermaßen hier haben (es wurde gezeichnet). In- Tafel 5 dem wir uns als Mensch hineinstellen in die Welt, spalten wir rechts den Weltinhalt in die Wahrnehmung, die uns von außen erscheint, und in die Ideenwelt, die uns im Innern der Seele erscheint. Dadurch, daß wir in der Welt sind, spaltet sich für uns die Welt in eine Wahrnehmungswelt und in eine Ideenwelt. Wer diese Spaltung für eine absolute ansieht, wer einfach sagt: Da ist die Welt, da bin ich -, der kann gar nicht hinüber mit seiner Ideenwelt in die Wahrnehmungswelt. Aber die Sache ist so: Ich schaue mir die Wahrnehmungswelt an; die ist in sich überall nicht fertig, der fehlt überall etwas. Ich selber bin aber mit meinem ganzen Sein aus der Welt, der auch die Wahrnehmungswelt angehört, herausgestiegen. Da schaue ich in mich selber hinein: was ich durch mich selber erblicke, das ist gerade das, was der Wahrnehmungswelt fehlt. Ich muß das, was, indem das Ich in die Welt hineingetreten ist, sich in zwei Glieder auseinandergelegt hat, durch mein
eigenes Dasein vereinigen. Ich erarbeite die Wirklichkeit. Dadurch, daß ich geboren bin, erzeugt sich der Schein, indem sich das, was eins ist, in zwei gliedert, in Wahrnehmung und Ideenwelt. Dadurch, daß ich lebe, daß ich werde, daß ich mich entwickle, bringe ich die zwei Strömungen der Wirklichkeit zusammen. Ich in meinem Erkenntniserleben arbeite mich in die Wirklichkeit hinein. Ich würde niemals zu einem Bewußtsein gekommen sein, wenn ich mir nicht abgespalten hätte durch mein Hereingehen in die Welt die Ideenwelt von der äußerlichen Wahrnehmungswelt. Aber ich würde niemals die Brücke zur Welt finden, wenn ich dasjenige, was ich mir abgespalten habe, die Ideenwelt, nicht wiederum in Vereinigung brächte mit dem, was ohne diese Ideenwelt eben keine Wirklichkeit ist.
Kant sucht die Wirklichkeit bloß in der äußeren Wahrnehmung und ahnt gar nicht, daß diese andere Hälfte der Wirklichkeit gerade in dem liegt, was wir in uns tragen. Wir haben das, was wir als Ideenwelt in uns tragen, erst der äußeren Wirklichkeit entrissen. Jetzt ist der Nominalismus gelöst, denn jetzt stülpen wir nicht irgendwie formal Raum und Zeit und Ideen, die bloße Nomina wären, über die äußere Wahrnehmung hinüber, sondern jetzt geben wir in ihrem Erkennen der Wahrnehmung zurück, was wir ihr, wenn wir bei unserer Geburt ins sinnliche Dasein treten, genommen haben.
Auf diese Weise tritt einem des Menschen Beziehung zur geistigen Welt vor die Seele zunächst in einer rein philosophischen Form. Und wer nun meine «Philosophie der Freiheit», die ganz ruht auf diesen erkenntnistheoretischen Untergründen von der Erarbeitung der Wirklichkeit, von dem Hineinleben in die Wirklichkeit durch die menschliche Erkenntnis -, wer diesen Grundgedanken in sich aufnimmt, der schon in dem Titel der Schrift «Wahrheit und Wissen-
sdiaft» ausgedrückt ist: daß die wirkliche Wissenschaft Wahrnehmungen und Ideenwelt miteinander vereinigt und in diesem Vereinigen nicht bloß ein Ideelles, sondern einen realen Prozeß sieht, wer nun etwas von einem Weltprozeß sehen kann in diesem Vereinigen von Wahrnehmungs- und Ideenwelt, der steht dabei, den Kantianismus zu überwinden, der steht aber auch dabei, nun endlich fertigzuwerden mit dem Problem, das wir haben aufgehen sehen in der abendländischen Entwickelung, das den Nominalismus hervorgebracht hat, das in der Scholastik manche Lichter geworfen hat im 13. Jahrhundert, das aber zuletzt ohnmächtig gegenüberstand der Scheidung in Wahrnehmung und in Ideenwelt.
Diesem Problem der Individualität kommt man nun nahe auf ethischem Gebiete. Deshalb ist meine «Philosophie der Freiheit» das geworden, was Wirklichkeits-Philosophie ist. Indem das Erkennen nicht bloß ein formaler Akt ist, indem das Erkennen selber ein Wirklichkeitsprozeß ist, stellt sich das ethische, das moralische Handeln als ein Ausfluß desjenigen dar, was in diesem Werden in einem realen Prozeß das Individuum erlebt durch die moralische Phantasie als Intuition. Und es entsteht das, was im zweiten Teil meiner «Philosophie der Freiheit» dargestellt ist, der ethische Individualismus, der nun tatsächlich baut, wenn das auch in meiner «Philosophie der Freiheit» nicht ausgesprochen ist, auf den Christus-Impuls im Menschen. Er baut auf dasjenige, was der Mensch sich erringt als Freiheit, indem er umwandelt das gewöhnliche Denken in dasjenige, was in meiner «Philosophie der Freiheit» das reine Denken genannt wird, das sich erhebt in die geistige Welt und herausgebiert aus der geistigen Welt die Antriebe für die moralischen Handlungen, sie herausgebiert dadurch, daß sich etwas, was sonst an die menschliche Leiblichkeit gebunden ist, der Im-
puls der Liebe, heraufspiritualisiert. Und indem die sittlichen Ideale aus der geistigen Welt durch die moralische Phantasie entlehnt werden, äußern sie sich in ihrer Kraft, werden die Kraft der geistigen Liebe.
Daher mußte entgegengehalten werden dem Philister-prinzip Kants: Pflicht! Du erhabener Name, der du nichts von Schmeichelei bei dir führst, sondern strenge Unterwerfung forderst - diesem Philisterprinzip, gegen das sich Schiller schon aufgelehnt hat , dem mußte die «Philosophie der Freiheit» entgegensetzen das umgewandelte Ich, das hinauf sich entwickelt hat in die Sphäre der Geistigkeit und oben in der Sphäre der Geistigkeit anfängt, die Tugend zu lieben, und deshalb die Tugend übt, weil es sie aus der Individualität heraus liebt.
So stellte sich auch das, was für Kant ein bloßer Glaubensinhalt geblieben ist, als ein realer Welteninhalt dar. Denn für Kant ist die Erkenntnis etwas Formales, für die «Philosophie der Freiheit» etwas Reales. Es ist ein wirklicher Prozeß, der vorgeht. Daher ist auch dasjenige, was die höhere Sittlichkeit ist, durch sie verknüpft zu einer Realität, aber zu einer Realität, welche Wertphilosophen wie Windelband und Kichert durchaus nicht erreichen, indem sie nicht daraufkommen, wie das, was sittlich wertvoll ist, eingewurzelt ist in der Welt. Selbstverständlich, diejenigen Menschen, die den Erkenntnisvorgang nicht als einen realen Vorgang ansehen, die kommen schließlich auch nicht zu einer Verankerung der Sittlichkeit in der Seins weit; die kommen überhaupt zu keiner Wirklichkeitsphilosophie.
Aus dem ganzen Werdegang der abendländischen philosophischen Entwickelung wurde eigentlich die philosophische Grundlegung desjenigen, was hier als Geisteswissenschaft auftritt, herausgeholt. Und ich habe im Grunde genommen heute den Versuch gemacht, Ihnen zu zeigen, wie
jener Zisterzienserpater dazumal nicht ganz unrichtig gehört hat: wie wirklich der Versuch vorliegt, die realistischen Elemente der Hochscholastik durch eine Geisteswissenschaft in unser naturwissenschaftliches Zeitalter her einzustellen, wie Ernst gemacht wurde mit der Umwandlung der menschlichen Seele, mit der wirklichen Erfüllung der menschlichen Seele mit dem Christus-Impuls auch im Gedankenleben. Das Erkenntnisleben ist zu einem realen Faktor im Weltenwerden gemacht, das sich nur auf dem Schauplatz wie ich in meinem Buche «Goethes Weltanschauung» ausgeführt habe -des menschlichen Bewußtseins vollzieht. Aber das, was sich da auf dem Schauplatze des menschlichen Bewußtseins vollzieht, das ist zugleich Weltenvorgang, das ist ein Geschehen in der Welt; und es ist dasjenige Geschehen, das die Welt und innerhalb der Welt uns selbst vorwärtsbringt.
Da gewinnt das Erkenntnisproblem eine ganz andere Gestalt. Da wird das, was wir erleben, geistig-seelisch in uns zu einem real uns entwickelnden Faktor. Da sind wir das, was hervorgeht aus dem, was wir Erkenntnis nennen. Wie der Magnetismus wirkt in der Gestaltung der Eisenfeilspäne, wenn er die Figuren hervorbringt, die wir kennen als die Ergebnisse der Wirkung des Magnetismus auf die freien Eisenfeilspäne, so wirkt in uns dasjenige, was sich in uns spiegelt als Erkenntnis. Es wirkt zu gleicher Zeit als unser Gestaltungsprinzip, und wir erkennen dann zu gleicher Zeit das Unsterbliche, das Ewige in uns, und wir werfen das Erkenntnisproblem nicht mehr in bloß formaler Weise auf.
Wie wurde immer das Erkenntnisproblem aufgeworfen? Das Erkenntnisproblem wurde immer in Anlehnung an den Kantianismus so aufgeworfen, daß man sich sagte: Wie kommt der Mensch dazu, in dieser Innenwelt ein Abbild der äußeren Welt zu erblicken? - Aber das Erkennen ist zunächst gar nicht dazu da, um Abbilder der äußeren Welt zu
schaffen, sondern um uns zu entwickeln, und es ist ein Nebenprozeß, daß wir die Außenwelt abbilden. Wir lassen in der Außenwelt zusammenfließen in einem Nebenprozeß, was wir erst durch unsere Geburt abgespalten haben, und es ist geradeso bei dem modernen Erkenntnisproblem, wie wenn jemand Weizen oder andere Feldprodukte hat und, wenn er das Wesen des Wachstumsprinzips im Weizen untersuchen will, den Weizen auf seinen Nahrungsmitteleffekt untersucht. Gewiß kann man Nahrungsmittelchemiker werden, aber das, was im Weizen wirkt von der Ähre bis zur Wurzel und wieder weiter, das wird nicht durch Nahrungsmittelchemie erkannt. Die erörtert nur irgend etwas, was hinzukommt zu der geradlinig sich fortbewegenden Ent-wickelungsströmung, die in der Weizenpflanze liegt.
So gibt es eine Entwickelungsströmung des geistigen Lebens in uns, die uns erkraftet, die mit unserem Wesen etwas zu tun hat, wie die Entwickelung der Pflanze von der Wurzel durch den Stamm, durch das Blatt zur Blüte und zur Frucht, und von da wiederum zum Keime und zur Wurzel wird. Und wie das, daß wir das essen, wahrhaftig nicht bei der Wesenserklärung des Pflanzenwachstums eine Rolle spielen soll, so darf auch nicht die Frage nach dem Erkenntniswerte dessen, was in uns als Entwickelungsimpuls lebt, die Grundlage für eine Erkenntnistheorie sein, sondern es muß klar sein, daß das, was wir im äußeren Leben Erkenntnis nennen, ein Nebeneffekt ist der Arbeit des Ideellen in unserer Menschenwesenheit. Da kommen wir zu dem Realen desjenigen, was ideell ist. Es arbeitet in uns. Und nur dadurch ist der falsche Nominalismus, ist der Kantianismus entstanden, daß man die Erkenntnisfrage so aufgeworfen hat, wie man die Frage nach dem Wesen des Weizens von der Nahrungsmittelchemie aus aufwerfen würde.
So kann man sagen: Erst wenn man darauf kommt, was
in unserer Zeit der Thomismus sein kann, was der Thomis-mus für die Gegenwart sein kann, wie er aufsprießt gerade aus dem, was sein Bedeutendstes im Mittelalter ausmacht, dann sieht man ihn aufsprießen in seiner Gestalt für das 20. Jahrhundert in der Geisteswissenschaft, dann ist er als Geisteswissenschaft wieder da. Und dadurch ist schon ein Licht geworfen auf die Frage: Wie nimmt sich das aus, wenn man jetzt kommt und sagt, gegenüber der Philosophie der Gegenwart müsse zurückgegangen werden zu Thomas von Aquino, und Thomas von Aquino müsse studiert werden, höchstens mit einigen kritischen Erläuterungen und einigen anderem, wie er im 13. Jahrhundert geschrieben hat? - Da sehen wir, was es heißt, in ehrlicher und aufrichtiger Weise sich in die Entwickelungsströmung, die von der Hochscholastik ausgeht, hineinzuversetzen, und was es heißt, bloß mit Obersehen alles dessen, was seit dem 13. Jahrhundert in der europäischen Menschheitsentwickelung vor sich gegangen ist, sich in dieses 13. Jahrhundert zurückzuversetzen. Das ist im Grunde genommen doch dasjenige, was geschehen ist infolge der Enzyklika «Aeterni patris» von 1879, welche die katholischen Kleriker anweist, den Thomas von Aquino für die offizielle Philosophie der katholischen Kirche anzusehen. Ich will hier die Frage nicht erörtern: Wo ist der Thomismus? denn man müßte die Frage erörtern: Ist die Rose, die ich jetzt vor mir habe, am besten angeschaut, wenn ich die Blüte außer acht lasse, nur in die Erde hineingrabe, um die Wurzeln anzuschauen, und übersehe, daß aus dieser Wurzel schon etwas entstanden ist - oder wenn ich hinsehe auf alles dasjenige, was aus dieser Wurzel entstanden ist?
Nun, das alles können Sie sich ja selbst ausmalen. Wir erleben das, was sich unter uns geltend macht, wie eine Wiedererneuerung desjenigen Thomismus, wie er war im 13. Jahrhundert, neben dem, was ehrlich die Entwicklung des
europäischen Abendlandes mitmachen will. Wir dürfen demgegenüber fragen: Wo lebt der Thomismus in der Gegenwart? Man braucht ja nur die Frage auf zuwerfen: Wie hat sich Thomas von Aquino selber verhalten zu dem, was ihm dazumal vorlag, zu dem Offenbarungsinhalt? Er hat gesucht, ein Verhältnis zu ihm zu gewinnen. Wir haben die Notwendigkeit, ein Verhältnis zu dem Naturoffenbarungsinhalte zu gewinnen. Da können wir nicht stehenbleiben bei der Dogmatik. Da muß «das Dogma der Erfahrung», wie ich bereits in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geschrieben habe, ebenso überwunden werden wie auf der anderen Seite das Dogma der Offenbarung. Da muß tatsächlich rekurriert werden zu dem geistig-seelischen Inhalt des Menschen, zur Ideenwelt, die das Umwandelnde des Christus-Prinzips in sich aufnimmt, um durch den Christus in uns, das heißt in unserer Ideenwelt, die geistige Welt wiederum zu finden. Soll man denn durchaus dabei stehenbleiben, nur die Ideenwelt auf dem Standpunkte des Abfalles zu lassen? Soll die Ideenwelt der Erlösung nicht teilhaftig werden?
Man konnte im 13. Jahrhundert noch nicht das christliche Erlösungsprinzip in der Ideenwelt finden; deshalb stellte man sie entgegen der Offenbarungswelt. Das muß der Fortschritt der Menschheit in die Zukunft hinein werden, daß nicht nur für die äußere Welt das Erlösungsprinzip gefunden werde, sondern daß das Erlösungsprinzip gefunden werde für die menschliche Vernunft. Die unerlöste menschliche Vernunft nur allein könnte sich nicht in die geistige Welt erheben. Die erlöste menschliche Vernunft, die das wirkliche Verhältnis zu Christus hat, die dringt ein in die geistige Welt.
Eindringen in die geistige Welt von diesem Gesichtspunkte aus ist Christentum des 20. Jahrhunderts, ist Christentum so stark, daß es in die innersten Fasern desjenigen hinein-
dringt, was menschliches Denken, was menschliches Seelenleben ist. Das ist kein Pantheismus, das ist alles dasjenige nicht, als was man es heute verleumdet, das ist Ernst des Christentums. Und vielleicht kann man gerade, wenn sie auch in gewisser Beziehung sich in abstrakte Gebiete verlieren mußte, aus dieser Betrachtung der Philosophie des Thomas von Aquino ersehen, wie Geisteswissenschaft es mit den Problemen des Abendlandes ernst nimmt, wie Geisteswissenschaft aber immer stehen will auf dem Boden der Gegenwart, wie Geisteswissenschaft sich nicht auf einen anderen Boden stellen kann, was auch gegen sie vorgebracht werden mag.
Ich weiß, meine sehr verehrten Anwesenden, was alles an unwahren Dingen jetzt heranschwirrt. Ich könnte mir auch denken, daß nun vielleicht auch wiederum gesagt werden könnte: Ja, der, der hat schon oftmals die Haut gewechselt; der wendet sich jetzt, weil die Sachen brenzlig werden, nun gar zum Thomismus. - Nun, man hat zwar in uralten Zeiten in gewissen Bekenntnissen die Priester auch «Schlangen» genannt. Schlangen häuten sich. So daß gerade auf seiten des Angreifers heute das Häuten verstanden werden kann, obwohl es in dem Sinne ganz gewiß eine Lüge ist, wie es dem vorgeworfen wird, was Sie in meinen Schriften finden. Denn ich habe heute gezeigt, wie gerade die philosophisch getreuliche Grundlegung der Geisteswissenschaft in meinen frühesten Schriften zu finden ist. Aber nun - Häuten hin, Häuten her , aus dem Ton der Polemiken, die jetzt geführt werden, kann man ersehen, daß diese Leute das Häuten ganz gewiß nicht verstanden haben, daher haben sie so viele Häute bekommen und sind solche Dickhäuter. Aber man könnte vielleicht sagen, es sei herausgefordert dasjenige, was ich in diesen Tagen gesagt habe, wenigstens im Tone, gegenüber dem, was wir als Angriffe auf die Geisteswissenschaft erleben.
Nun darf ich vielleicht auf zwei Tatsachen hinweisen: 1908 habe ich in Stuttgart einen Vortrag gehalten über die philosophische Entwickelung des Abendlandes. In diesem Vortrage fand ich mich genötigt, gar nicht darauf hinzuweisen, daß etwa meine Besprechung des Thomismus Mißfallen finden könnte auf katholisch-klerikaler Seite, denn ich bin dem Thomismus dazumal voll gerecht geworden, habe alles das, was man als seine Verdienste hervorheben kann, sogar mit viel deutlicheren Worten hervorgehoben als es von den Neuthomisten, von Kleutgen oder ähnlichen, geschieht. Daher kam ich dazumal gar nicht darauf, daß mir von Seiten des katholischen Klerus mein Lob des Thomismus übelgenommen werden könnte, und ich sagte: Wenn man abfällig von der Scholastik spricht, kommt man nicht in die Gefahr, von den sogenannten freien Geistern verketzert zu werden; spricht man aber objektiv darüber, so liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, mißverstanden zu werden, und zwar deshalb, weil man sich heute innerhalb der positiven und gerade der intolerantesten Kirchenbewegung vielfach philosophisch ganz mißverständlich auf die Thomistik stützt. Ich habe also gar nicht befürchtet, auf Grund gerade meines Lobes des Thomismus vom katholischen Klerus angegriffen zu werden, sondern von den sogenannten freien Geistern.
Es ist anders gekommen, und die Leute werden sagen: Wir sind ja zuerst diejenigen, denen etwas getan worden ist. -In diesen Tagen ist auch auf meine Bücher hingewiesen worden, die noch um die Wende des 19. und 20. Jahrhunderts geschrieben worden sind, unter anderem auch auf das Ernst Haeckel gewidmete Buch. Ich habe dazumal meine «Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert» geschrieben. Darin finden Sie auf Seite 172 folgenden Satz. Es ist darauf hingewiesen, wie das heutige Denken durchaus kein scharfsinniges, logisches ist; dann ist darauf
hingewiesen, wie die Neuscholastik versucht hat, auf das streng Logische des Thomismus sich zu stützen: «Diese Denker konnten sich wirklich in der Ideenwelt bewegen, ohne sich diese Welt in grobsinnlicher Form zu verkörperlichen.» So habe ich von den Scholastikern gesprochen, und dann sprach ich noch von den katholischen Denkern, die dazumal das Studium der Scholastik wieder aufgenommen haben: «Und die katholischen Denker, die sich heute bemühen, diese Gedankenkunst zu erneuern, sind in dieser Beziehung der Berücksichtigung durchaus wert. Es wird immer Geltung haben, was einer von ihnen, der Jesuitenpater Joseph Kleutgen, in seinem Buche (Innsbruck 1878) sagt: und so weiter. Sie sehen, auch wenn der Jesuit Joseph Kleutgen etwas Verdienstvolles getan hat, wurde es anerkannt in dem Buche, das Ernst Haeckel gewidmet war. Es wurde nirgends verleugnet dasjenige, worauf hingewiesen werden mußte zur Steuer der Wahrheit. Warum erwähnt man, wenn man die Tatsache erwähnt die in jenem Buche ja gerechtfertigt ist -, daß es Ernst Haeckel gewidmet ist, nicht auch, daß der Jesuitenpater Joseph Kleutgen da zu seinem Recht kommt? Doch hat das die Folge gehabt, daß man dazumal gesagt hat, ich sei selber ein verkappter Jesuit. Sehen Sie, damals war ich ein verkappter Jesuit; jetzt lesen Sie in zahlreichen Schriften, in zahlreichen Angriffsartikeln, ich sei Jude. Das wollte ich am Schlüsse nur erwähnen, um auch noch in einer kleinen Nuance Licht zu werfen auf das, was eigentlich zugrunde liegt als der innerste Impuls für dasjenige, was ich bei dieser Betrachtung über den Thomismus ausgeführt habe. Jedenfalls glaube ich nicht, daß jemand aus dieser Betrachtung den Schluß ziehen kann, hier sei gesprochen worden zur Herab-
zerrung des Thomismus, sondern ich glaube, daß jedermann den anderen Schluß ziehen kann.
Diese Betrachtungen wurden gesprochen, um zu erweisen, daß sich in der Hochscholastik des 13. Jahrhunderts im Abendlande eine Kulmination europäischer Geistesentwik-kelung gezeigt hat, und daß die gegenwärtige Zeit alle Ursache hat, auf die besondere Wesenheit dieser Kulmination europäischer Geistesentwickelung einzugehen; daß wir unendlich viel lernen können von einem solchen Eingehen, lernen können vor allen Dingen in bezug auf das, was wir im eminentesten Sinne brauchen: Vertiefung unseres Ideenlebens damit wir hinauskommen über allen Nominalismus, damit wir wiederfinden durch die Durchchristung der Ideen das Christentum, das eindringt in das geistige Sein, dem der Mensch doch entstammen muß, da ihn, wenn er ganz ehrlich und aufrichtig gegen sich ist, nichts anderes befriedigen kann als das Bewußtsein seines geistigen Ursprunges.
Einladung zu den Vorträgen Notizbucheintragungen Rudolf Steiners
ANHANG
Einladung zu den Vorträgen Notizbucheintragungen Rudolf Steiners
*
Textübertragungen aus Werken des Thomas von Aquin von Roman Boos
Hinweise des Herausgebers
Namenregister Ausführliche Inhaltsangaben
ersieht über die Rudolf Steiner Gesamtausgabe
Textübertragungen aus Schriften des Thomas von Aquino mit verbindenden Erläuterungen, von Roman Boos
Textübertragungen aus Schriften
des Thomas von Aquino mit
verbindenden Erläuterungen, von Roman Boos
THOMAS UND DER PLATONISMUS
Im ersten Vortrag Rudolf Steiners wird der Einblick in den Punkt der Geistesgeschichte erarbeitet, auf den Thomas den Einsatz seines Lebenswerkes machte. Die damals modernste Strömung, der arabistische Aristotelismus, der «keinen Plotinis-mus mehr im Leib hatte» (S. 35), stellte alle Ergebnisse der christlichen Denkarbeit in Frage. So die Grundbegriffe des Augustinus - von dem schon Thomas sagt, daß er von den Lehren der Platoniker «durchtränkt» (imbutus) sei -, darunter jenen Begriff der «Menschheit als Ganzes», der ein trüber Nachglanz alter hellseherischer Schau war. Aus dem vom Arabismus durchtränkten «modernen» Denken - das nach rückwärts zur hellseherisch geschauten geistigen Welt die Brücken abgebrochen, nach vorwärts zum auf Erden sich selbst findenden Individuum aber keine neuen Brücken geschlagen hatte -, also aus dem einzelnen Menschen und seinem abstrakt gewordenen Erkenntnisstreben, mußte vom christlichen Geistesleben die Frage beantwortet werden: «Wie steht man zu einer Welt, von der uns berichtet wird durch diejenigen Begriffe, die nur in uns selbst aus unserer Individualität heraus geboren werden können?» (S. 36).
Aus den durch alle Werke des Thomas zerstreuten Zeugnissen seiner ablehnenden Auseinandersetzung mit einem unzeitgemäß gewordenen Piatonismus - dessen Positionen ihm gegen den arabistischen Aristotelismus als unhaltbar erschienen - sei ein Teil des «Prologus» des Thomas zu einem Werk des Dionysius Areopagita ausgewählt, dessen geistesgeschichtliche Bedeutung im zweiten der Vorträge (S. 38 ff.) sichtbar wird:
Kommentare zum Buch des seligen Dionysius «Über die göttlichen Namen»
PROLOGUS
... Es muß beachtet werden, daß sich der selige Dionysius in allen seinen Schriften eines dunklen Stils bedient. Aber nicht aus Unwissenheit, sondern mit Fleiß, um die heiligen und göttlichen Lehren vor der Verhöhnung durch die Ungläubigen zu bergen.
Die Schwerverständlichkeit dieser Schriften entspringt mancherlei Gründen.
Erstens daraus, daß Dionysius den Stil und die Ausdrucksweise verwendet, deren sich die Platoniker bedienten, die aber bei den Modernen (apud modemos) ungewohnt sind. Die Platoniker nämlich stellten, im Bemühen, alles Zusammengesetzte (compositum) und Materielle in einfache und abgezogene (simplicia et abstracta) Prinzipien zurückzuführen, von den Dingen abgetrennte (separatas) Sonderformen (species) auf, indem sie vom «Menschen außerhalb der Materie» (homo extra materiam) sprachen, und desgleichen vom Pferd, und von andern Spezialformen der natürlichen Dinge. Sie sagten nämlich, daß dieser bestimmte, sinnlich sichtbare Mensch (hie homo singularis sive sensibilis) nicht dasjenige ist, was «der Mensch» ist (non est hoc ipsum quod est homo); sondern daß er Mensch genannt wird durch ein Anteilhaben (partieipatione)
an jenem abgetrennten Menschen. Folgerichtig wird dann im einzelnen sinnlichen Menschen ein Etwas erblickt, was nicht der Sonderform Menschheit (species humanitatis, der Menschenart) angehört, nämlich die individuelle Materie (materia individualis, der physische Leib) und anderes; im abgetrennten Menschen aber ist dann Nichts, was nicht der Sonderform Menschheit angehört. Daher wurde der abgetrennte Mensch «Mensch an sich» (per se homo) genannt, weil er nichts an sich trägt, das nicht menschheitlich ist; und auch «Mensch im ursprünglichen Sinn» (principaliter homo), insofern das Mensch-Sein vom abgetrennten Menschen her nach der Weise des Anteilhabens auf die sinnlichen Menschen übergeleitet wird. So kann man auch sagen, daß der abgetrennte Mensch über den Einzelmenschen sei, und daß er das Mensch-Sein aller sinnlichen Menschen (humanitas omnium hominum sensibilium) sei, insofern die menschliche Natur rein dem abgetrennten Menschen zugeteilt sei und von ihm her zu den sinnlichen Menschen übergeleitet werde.
Mit solcher Abstraktion stellten die Platoniker aber nicht nur über die letzten Sonderformen der Naturdinge ihre Betrachtungen an, sondern auch über die umfassendsten (maxime communia) Formen, nämlich das Gute, das Eine, das Seiende. Sie stellten nämlich ein Ur-Eines (unum primum) auf, das der Seinsgrund (essentia) der Güte, und der Einheit, und des Seins ist, und das wir Gott nennen; und behaupteten, daß alle anderen Wesen «gut» oder «einheitlich» oder «seiend» durch Ableitung von jenem Ur-Einen genannt werden. Daher nannten sie jenes Erste das Selbst-Gute, oder das An-sich-Gute (per se bonum), oder das Ur-Gute (principale bonum), oder das Ubergute (superbonum), oder auch die Güte aller Güter (bonitatem omnium bonorum), oder das Gut-Sein, oder den Seinsgrund und die Substanz, in dem Sinn, wie es beim abgetrennten Menschen auseinandergesetzt wurde.
Diese Denkart der Platoniker ist aber mit dem Glauben (fides) und der Wahrheit (veritas) so weit nicht im Einklang, als sie sich auf die Sonderformen, die von Natur abgetrennt seien, erstreckt; hinsichtlich dessen aber, was sie vom ersten Prinzip der Dinge sagten, ist die Ansicht der Platoniker durchaus wahr (verissima) und mit dem christlichen Glauben im Einklang. Deswegen nennt Dionysius Gott bisweilen das Selbst-Gute, das Über-Gute, das Ur-Gute, oder das Gut-Sein jeden Gutes; und ähnlich nennt er ihn das Überleben, die Übersubstanz, und erzgöttliche Gottheit (deitatem thearchicam), das heißt die ursprüngliche Gottheit, da ja auch von gewissen Geschöpfen (den himmlischen Hierarchien) der Name Gottheit nach einem gewissen Anteilhaben empfangen wird.
Die zweite Schwierigkeit in den Aussprüchen des Dionysius kommt daher, daß er sich meist durchschlagender Gründe zur Darlegung seiner Sätze bedient, und oft weniger Worte, oder sie gar alle in ein einziges Wort zusammendrängt.
Die dritte Schwierigkeit: weil er sich oft auch einer gewissen Häufung von Worten bedient, die zunächst als überflüssig erscheinen mögen, aber sich denen, die mit Hingabe darauf ruhen, als Gefäße einer großen Tiefe des Satzes enthüllen.
Das «Individuellwerden des Bewußtseins europäischer Menschen» (S. 40 ff.) drückt sich in der Ablehnung des Piatonismus mit seinen von der Materie abgetrennten Sonderformen aus. Das Einverständnis mit dem Piatonismus in dem, was er über den Bereich des «ersten Prinzips» und der von den Sinnendingen abgetrennten göttlich-geistigen Welt der reinen Geister zu sagen hat, wird in den Kommentaren zu den 13 Kapiteln des Buchs «Von den göttlichen Namen» zu einem Wunderbau der logischen Technik entfaltet. In dieser Technik, die an die Schauungen der dionysischen Schrift gewendet wird, prägt sich der andere Pol des geistesgeschichtlichen Bewußtseinswandels aus:
«Es ist heruntergeholt das Problem, das früher durch Schauen abgemacht wurde, in die Sphäre des Denkens» (S. 64). Wie ein Hinaufblicken aus dem arm gewordenen Bewußtsein, das vom Geborgensein im Schauen zur Einsamkeit im Denken gekommen ist, zum entschwundenen Reichtum der Geisteswelten des Plotinismus (S. 22 ff.) und des Dionysius und Erigena muten die Sätze an, mit denen Thomas den Kommentar abschließt:
Und nach den Auseinandersetzungen über die Aussprüche des seligen Dionysius, hinter dessen Einsicht wir weit zurückbleiben (longe ab ejus intellectu deficientes), fordern wir dazu auf (postulamus), in dem, was wir nicht richtig gesagt haben, korrigiert zu werden. Wenn aber etwas gut gesagt ist, so ist der Dank dem Spender alles Guten zu bringen, dem dreieinigen Gott, der durch alle Weltenzeiten lebt und herrscht. Amen.
DER MENSCH UND DIE INTELLIGIBLE WELT
DER MENSCH UND DIE INTELLIGIBLE WELT
Im zweiten Vortrag (S. 59) zeigt Rudolf Steiner, wie das «wichtigste Problem», das «Verhältnis der Universalien zu den individuellen Dingen», nur in seinem Verflochtensein in die durch den Areopagiten, Plotin, Augustinus und Erigena begründete Tradition von der Wirklichkeit einer von «materiefreien intellektuellen Wesen» durchsetzten «intellektuellen Welt» verstanden werden kann. Dieser geistesgeschichtliche Hintergrund des Ringens um das Problem der Universalformen des Seins und des Erkennens wird wunderbar plastisch im zitierten Kommentar des Thomas zum Buch des Areopagiten «Über die göttlichen Namen» sichtbar, besonders im vierten Kapitel («Vom Guten, dem Licht, dem Schönen, der Liebe, der Entrückung und dem Eifer»), in dessen 7. Lektion untersucht wird, «Wie die Bewegungen der Engel und der Seelen» sind. Eingekleidet in die Imaginationen der kreis-, krumm- und geradlinigen Bewegungen entwickelt Thomas nicht nur eine Erkenntnis-Theorie, sondern geradezu eine Erkenntnis-Eurythmie, die, wenn man sich einmal in ihr lichtes Spiel hat aufnehmen lassen, auch durch die
abstraktesten erkenntnistheoretischen Gedankengänge der «Summa Theologica» oder der Aristoteles-Kommentare klärend hindurchleuchtet. In dem Hereinscheinen dieses Bewegungsspiels ins Verstandesdenken wird nicht nur verständlich, sondern voll erlebbar, wie das Ringen um die Universalien für Thomas ein Problem des Grenzenziehens ist zwischen der «intellektuellen Welt» der «materiefreien, intellektuellen Wesen, ... die das, was sie zu ihrer untersten Grenze haben, gewissermaßen hinunterscheinen lassen so, daß die menschliche Seele es erleben kann» (S. 60), und dem Reich der an die Materie gebundenen, auf den «geradlinigen» Verstand angewiesenen Menschenseelen. (Die Universalien, die in der intellektuellen Welt Kreis- und Kurvenbewegungen der intellektuellen Wesen sind, werden dem menschlichen Denken nur in geradlinigen Projektionen sichtbar.) Es fehlt hier leider der Raum, diese - durchaus in den Formen des Maßwerks gotischer Kirchenfenster spielende -Erkenntnis-Eurythmie auf die Bühne treten zu lassen.
Dafür soll eine Darstellung der «intellektuellen Welt,... in der Thomas die materiefreien intellektuellen Wesen, die er die Engel nennt, erblickt» (S. 60) mitgeteilt werden, die deshalb eine entscheidende geistesgeschichtliche Bedeutung hat, weil darin rein irdisch-logische Verstandesbegriffe zu einem Gefäß für die Erkenntnis einer Welt gefügt werden, deren Inhalte einst dem übersinnlichen Schauen aufgegangen waren. Als Zeugnisse dieses wahrhaft «gotischen» Strebens - mit irdischem Gestein durch den blauen Himmel zum alten Goldhimmel stoßen wollen! -seien einige Stellen aus dem «Compendium Theologiae» wiedergegeben, das Thomas für seinen Ordensbruder Reginald verfaßt hat.
Zur göttlichen Güte gehört, daß sie die Ähnlichkeit ihrer selbst den Geschöpfen mitteilt (communicet) . . . zur Vollendung der göttlichen Güte nun gehört sowohl, daß Gott in sich gut sei, als daß er die andern Wesen zur Güte zurückführe (reducat). Beides teilt Gott deshalb dem Geschöpf mit: sowohl, daß es in sich gut sei, als daß eins das andere zum Guten hinführe (inducat). So also führt er durch die einen Kreaturen die andern zum Guten hin.
Erstere aber sind notwendig die höheren Geschöpfe: denn, was von einem Wirkenden (agens) die Ähnlichkeit der Form und des Wirkens empfängt, ist vollkommener als das andere, das die Ähnlichkeit der Form, aber nicht des Wirkens empfängt. Wie der Mond in vollkommenerer Weise das Licht von der Sonne erhält - weil er nicht nur beleuchtet wird, sondern selbst beleuchtet - als die beschatteten Körper, die nur beleuchtet werden und nicht beleuchten. Gott lenkt (gubernat) also durch die oberen Geschöpfe die unteren . . . (Kap. 124).
Weil also die intellektuellen Geschöpfe (intellectuales creaturae) den anderen Geschöpfen übergeordnet sind, ist offensichtlich (manifestum), daß durch die intellektuellen Geschöpfe alle anderen von Gott gelenkt werden. Und da auch unter den intellektuellen Geschöpfen die einen den andern übergeordnet sind, werden die unteren durch die oberen von Gott regiert. Daher kommt es, daß die Menschen, die nach der Ordnung der Natur die unterste Stellung unter den intellektuellen Substanzen einnehmen, durch höhere Geister (per superiores Spiritus) geleitet werden, die deshalb, weil sie vom Göttlichen den Menschen Botschaft bringen (divina hominibus nuntiant), Angeli genannt werden, das heißt Boten. Und auch unter den Engeln werden die untern durch die obern regiert gemäß dem Umstand, daß bei ihnen verschiedene Hierarchien, das heißt heilige Würden (sacri principatus), und in den einzelnen Hierarchien verschiedene Ordnungen (ordines) unterschieden werden (Kap. 125).
Und weil jedes Tun (operatio) einer intellektuellen Substanz als solches aus dem Intellekt hervorgeht (ab intellectu procedit), muß bei den intellektuellen Substanzen die Verschiedenheit im Tun (operatio), im Sich-Verhalten (praelatio) und in der Rangordnung (ordo) als in der Verschiedenartigkeit der Intelligenz (intelligentiae) begründet erkannt werden. Der Intellekt aber vermag, je
erhabener (sublimior) oder würdiger (dignior) er ist, die Gründe der Wirkungen (rationes effectuum) in umso höherer und umfassenderer Ursache (in altiori et uni-versaliori causa) zu erblicken. Von «höher» aber spricht man, weil der höhere Intellekt umfassendere intelligible Sonderformen hat (species intelligibiles universaliores: Gedankenformen, die, obschon sie «universell» sind, vermöge der Kraft des in ihnen sich betätigenden höheren Erkenntnislichts, doch die Sonderdinge, das «Spezielle», zu fassen, zu-begreifen, vermögen).
Die erste den intellektuellen Substanzen zukommende Weise des Intelligierens (intelligendi) besteht darin, daß sie in der ersten Ursache selbst (in ipsa prima causa), nämlich in Gott, an den Gründen der Wirkungen (effectuum rationes) teilhaben, und folglich an seinen Werken (operum), da Gott durch seine Gründe die geringeren Wirkungen ordnet (dispensat). Und dies ist eigentümlich der ersten Hierarchie, die in drei Ordnungen geteilt ist gemäß den drei Wesenszügen, durch die sich jede tätige Kunst (operativa ars) kennzeichnet: erstens das Ziel (finis), aus dem die Gründe der Werke genommen werden; zweitens die Gründe der Werke, sofern sie im Geist des Künstlers (artifici) existieren; und drittens die Anpassungen der Werke auf die Wirkungen. Der obersten Ordnung nun steht zu, im höchsten Gut selbst (in ipso summo bono), das ja das letzte Ziel der Dinge ist, über die Wirkungen belehrt zu werden (edoceri); weshalb sie nach der Glut der Liebe (ab ardore amoris) «Seraphim» genannt werden, da sie gleichsam glühen (ardentes) oder befeuern (incendentes): denn der Liebe Gegenstand ist das Gute. Der zweiten Ordnung aber steht zu, die Wirkungen des Tuns Gottes in Gottes intelligiblen Gründen (in ipsius rationibus in-telligibilibus) zu betrachten (contemplari), insofern sie in Gott sind, weshalb sie «Cherubim» genannt werden nach der Fülle des Wissens (a plenitudine scientiae). Der dritten
Ordnung aber steht zu, in Gott selbst (in ipso Deo) zu erwägen (considerare), in welcher Weise von den Geschöpfen an den auf die Wirkungen angewandten intelligiblen Gründen teilgenommen werde, weshalb sie vom Gott-in-sich-sitzen-haben (ab habendo in se Deum insidentem) «Throne» genannt werden.
Die zweite Weise des Intelligierens besteht darin, die Gründe der Wirkungen, sofern sie in den umfassenden Ursachen (in causis universalibus) liegen, zu betrachten (considerare); und dies ist eigentümlich der zweiten Hierarchie, die gleichfalls in drei Ordnungen geteilt ist gemäß den drei Wesenszügen, die zu den umfassenden Ursachen, vorzüglich wenn sie gemäß dem Intellekt wirken, gehören. Deren erster besteht darin, vorzuschreiben (praeordinare), was zu wirken ist, weshalb unter den Kunstverrichtenden (in artificibus) die obersten Künste die anordnenden (praeceptivae) sind, die die architektonischen (archi-tectonicae, die erz-bauenden) genannt werden; und deshalb wird die erste Ordnung dieser Hierarchie «Dominationes» genannt, denn dem Herrn (domini) steht zu, anzuordnen und vorzuschreiben. Der zweite Wesenszug der umfassenden Gründe ist ein Etwas, das ursprünglich zum Werk treibt (aliquid primo movens ad opus; das «Motiv») und so gleichsam die erste Würde im Ausführen (principatum executionis) hat; und deshalb wird der zweite Reigen dieser Hierarchie nach Gregorius «Principatus» genannt oder «Virtutes» nach Dionysius, damit sie als «Virtutes», als Tüchtigkeiten, deshalb anerkannt werden, weil der erste Schritt zum Wirken (primo operari) der tüchtigste (maxime virtuosum) ist. Das dritte, was im Bereich der umfassenden Gründe (in causis universalibus) gefunden wird, ist etwas, das die Hindernisse der Ausführung entfernt, weshalb der dritte Reigen dieser Hierarchie der der «Potestates» ist, deren Amt ist, alles, was der Ausführung des göttlichen Befehls im Weg stehen
(obviare) könnte, niederzuzwingen (coercere), weshalb man ihnen auch die Bändigung der Dämonen (daemones arcere) zuschreibt.
Die dritte Weise des Intelligierens aber besteht darin, die Gründe der Wirkungen in den Wirkungen selbst zu betrachten. Und dies ist der dritten Hierarchie eigentümlich, die unmittelbar uns Menschen übergeordnet ist, die wir darauf angewiesen sind, aus den Wirkungen selbst die Kenntnis der Wirkungen zu empfangen. Auch sie umfaßt drei Ordnungen. Deren unterste wird «Angeli» genannt, weil sie den Menschen das als Botschaft bringen, was zu ihrer Lenkung (ad eorum gubernationem) gehört; weshalb sie auch die Wächter (custodes, Schutzengel) der Menschen genannt werden. Darüber steht die Ordnung der «Archangeli», durch die den Menschen das als Botschaft gebracht wird, was die Vernunft übersteigt (quae sunt supra rationem), wie die Glaubensgeheimnisse (mysteria fidei). Die oberste Ordnung dieser Hierarchie aber wird nach Gregorius « Virtutes» genannt, weil sie Werke, die die Natur übersteigen (quae sunt supra naturam), tun zur Bekräftigung (in argumentum) dessen, was uns als vernunftübersteigende Botschaft zukommt; weshalb das Wunder-Tun den «Virtutes» zugeschrieben wird. Nach Dionysius aber wird die oberste Ordnung dieser Hierarchie «Principatus» genannt, damit wir sie als Fürsten (principes) erkennen, die den einzelnen Völkern vorstehen, die Engel aber als Führer der einzelnen Menschen und die Erzengel als die Geister, die den vereinzelten Menschen das als Botschaft bringen, was auf das Gemeinwohl (ad communem salutem) Bezug hat.
Und weil eine untergeordnete Fähigkeit (potentia) kraft der übergeordneten (in virtute superioris) wirkt, führt die untere Ordnung die Angelegenheiten der oberen aus, sofern sie aus ihrer Kraft wirkt; und die Höhern haben ja auch das, was den Untern eignet, in vorzüglicherer Weise.
Deshalb ist alles in ihnen gewissermaßen gemeinschaftlich (communis); ihre Eigennamen aber empfangen sie danach, was jeder Ordnung für sich zusteht. Die unterste Ordnung nun hat sich den gemeinsamen Namen vorbehalten, da sie gleichsam kraft aller wirkt. Und weil es Sache des Obern ist, in den Untern zu wirken, das intellektuelle Wirken (actio intellectualis) aber ein Unterrichten oder Lehren ist, wird von den obern Engeln, insofern sie die untern unterrichten, gesagt, daß sie diese reinigen (purgare), erleuchten (illuminare) und vervollkommnen (perficere). Reinigen nämlich, insofern sie das Nichtwissen beseitigen (nescientiam removent); erleuchten aber, insofern sie mit ihrem Licht die Intellekte der untern Engel verstärken (confortant), so daß sie Höheres fassen können; und vervollkommnen, indem sie die Untern zur Vollkommenheit des höheren Wissens hinführen. Denn diese drei Dinge gehören zum Aufnehmen (assumptio) des Wissens, wie Dionysius sagt. Aber dadurch wird nichts daran geschmälert, daß alle Engel, auch die untersten, den göttlichen Seinsgrund (divinam essentiam) schauen. Wenn nämlich auch jeder der seligen Geister Gott seinem Seinsgrund nach schaut, schaut doch der eine ihn vollkommener als der andere, - wie aus dem Gesagten sich ergeben kann. Um wieviel aber eine Ursache (causa) vollkommener erkannt wird, umso zahlreichere ihrer Wirkungen (effectus) werden in ihr erkannt. Über die göttlichen Wirkungen also, welche die obern Engel in Gott vor den andern erkennen, unterrichten sie die untern; nicht aber über den göttlichen Seinsgrund, den alle unmittelbar schauen (Kap. 126).
Der Scharfsinn, der zur Konstruktion dieser lückenlos gefügten logischen Strebepfeiler aufgewendet wird, hat in dieser Abhandlung ein Musterbeispiel dessen geschaffen, was Rudolf Steiner die «höchste Blüte logischer Urteilskraft», die «höchste
Blüte logischer Technik» nennt (S. 45). Diese «gotische» Denktechnik illustriert - nach der Vergangenheit hin -, daß es «für Thomas ein Glaube blieb, daß es über den abstrakten Begriffen oben die Offenbarung dieser abstrakten Begriffe gebe» (S. 60/ 61), denn ein Umein-Schauen in einen «offenen Himmel» bedürfte solcher Spitzbogenkonstruktionen nicht. Nach der Zukunft hin aber offenbart sich in diesem türmenden Ringen des Denkens das Drängen der - von der Scholastik nur erreichten, nicht gelösten - Frage: «Wie entwickelt sich das menschliche Denken hinauf zu einer Anschauung der geistigen Welt? . . . Wie wird das Denken christlich gemacht? ...» (S. 71).
DER MENSCH UND DIE MATERIELLE WELT
DER MENSCH UND DIE MATERIELLE WELT
Wie der Mensch nach oben «der geistigen Welt», der «intellektuellen Welt» verbunden ist, in der Thomas «die materiefreien intellektuellen Wesen» erblickt, so erhebt er sich von unten aus der «Welt der Naturreiche», in der die menschliche Denkkraft finden kann, «was von der geistigen Welt in die Naturreiche hineingelegt ist» (S. 60/61).
Dies «Hineinlegen» vollzieht sich nach der aristotelisch-thomistischen Auffassung nicht als ein Füllen irgendwie bereitstehender Gefäße, sondern als schöpferisches Tun. Das Urstoffliche, die «materia prima», denkt Thomas nicht als ein -auch nur zum Geringsten taugliches - Gefäß, sondern als «maxime imperfectum», als - wenn man so sagen darf -vollkommene Unvollkommenheit, als «maxime in potentia», d. h. ganz nur im Zustand des Möglich-Seins. Jeder geringste Grad von Wirklich'-Sein, von «actus», von «forma», muß von außen, aus der geistigen Welt, erst hineingelegt werden, und jedes Wirklich-Sein, jeder «actus», muß letztlich dem «actus purus», dem vollkommenen Wirklich-Sein, Gott, entstammen. Zwischen den Polen der «materia prima», der absoluten bloßen «potentia», und Gottes, des «actus purus», liegt die ganze materielle und geistige Welt. Die eine beim potentiellen, die andere beim aktuellen Pol, aber so, daß bis zuunterst das Licht des «actus» und bis zuoberst der Schatten der «potentia» reicht.
Als Beispiel des Ringens der scholastischen Denkkraft um die Erkenntnis dessen, «was von der geistigen Welt in die Naturreiche hineingelegt ist», seien einige Stellen aus der Quaestion des Thomas «Von den geistigen Geschöpfen» («De spiritualibus creaturis») übersetzt.
... je vollkommener eine Form ist, um so mehr überwindet sie die körperliche Materie, was bei Betrachtung der verschiedenen Grade der Formen sichtbar wird. Die Form des Elements (also das Erde-, Wasser-, Luft- oder Feuer-Sein) hat keine andere Tätigkeit als die aus den aktiven und passiven Qualitäten sich ergebende, die die Zustände der körperlichen Materie sind. Die Form des mineralischen Körpers hat eine gewisse die aktiven und passiven Qualitäten übersteigende Tätigkeit, die mit dieser Sonderform durch den Einfluß eines Himmelskörpers verbunden ist: so wenn der Magnet das Eisen anzieht und der Saphir Abszesse (apostema) heilt. Darüber hinaus aber hat die pflanzliche Seele (anima vegetabilis) eine Tätigkeit, welcher sogar die aktiven und passiven organischen Qualitäten dienstbar sind (deserviunt); und über das Vermögen dieser Qualitäten hinaus entwickelt sie noch eine ihr eigentümliche Wirkung, indem sie Ernährung und Wachstum bis zu dem ihr gesetzten Ziel und anderes dergleichen vollbringt. Die empfindende Seele (anima sensitiva) hat darüber hinaus eine Tätigkeit, zu der in keiner Weise die aktiven und passiven Qualitäten sich hinauferstrecken, es sei denn, sie würden zur Zusammensetzung eines Organs gebraucht, durch das eine solche Tätigkeit ausgeführt wird, wie das Sehen, das Hören, das Verlangen und dergleichen. Die vollkommenste der Formen aber, nämlich die menschliche Seele (anima humana), die das Endziel aller natürlichen Formen ist, hat eine Tätigkeit, die gänzlich die Materie überragt, und die nicht durch ein körperliches Organ geschieht, nämlich das Intelligieren. Und da das Sein eines Dings seiner Tätigkeit entspricht... muß notwendigerweise
das Sein der menschlichen Seele die körperliche Materie weit übersteigen (superexcedere) und kann nicht ganz von ihr eingefaßt (comprehendere) sein, wenn es schon auf irgendeine Weise von ihr berührt (attingere) wird. Insoweit nun die menschliche Seele das Sein des materiellen Körpers übersteigt und imstand ist, auf sich selbst zu ruhen (subsistere; d. h. ein Sein ohne stoffliche Unterlage zu haben) und zu handeln, ist sie eine geistige Substanz (substantia spiritualis); insofern sie aber von der Materie berührt wird und ihr das eigene Sein mitteilt (esse suum communicat), ist sie Form des Körpers. Sie wird aber von der körperlichen Materie aus dem Grund berührt: weil stets das Oberste der untern Ordnung das Unterste der obern berührt, wie von Dionysius im Kap. VII «Von den göttlichen Namen» deutlich gemacht wird. Und so kann die menschliche Seele, die unterste in der Ordnung der geistigen Substanzen, ihr Sein dem menschlichen Körper mitteilen, - was auch das Würdigste ist, damit aus Seele und Leib Eins werde wie aus Form und Materie.
Nach der aristotelischen Lehre - die Thomas nicht müde wird, gegen die Platoniker zu verteidigen - ist aber der Mensch nicht etwa aus diesen verschiedengradigen Formen zusammengesetzt. Sondern die «nobilissima forma» unter allen Formen mit stofflicher Unterlage, die «anima humana», hat auch die vornehmste «operatio» mit einer alle andern Wirksamkeiten in sich fassenden Kraft.
Bei den wirkenden und handelnden Kräften (in virtutibus activis et operativis) zeigt sich, daß eine Kraft, je höher sie steht, um so mehr Verrichtungen in sich faßt, und zwar nicht in zusammengesetzter, sondern in einheitlicher Weise . . . weshalb die vollkommenere Form durch Eins alles das bewirkt, was die niederen durch Viele tun, und noch mehr. Wenn beispielsweise die Form des unbeseelten Körpers das Sein und das Körpersein gibt, und die pflanzliche Form
sowohl dies, als darüber hinaus noch das Leben, und die anima sensitiva alles dies und überdies noch das Empfindenkönnen, so verleiht die Vernunftseele auch dieses und über es hinaus noch das Vernünftig-Sein (rationale esse) ... Beim Embryo verschwindet (deficit) die unvollkommenere Form, wenn die vollkommenere auftritt (adveniente). Und wenn so im Embryo zuerst nur die pflanzliche Seele ist, so wird sie entfernt, wenn er zu größerer Vollkommenheit gelangt ist, als unvollkommene-re Form, und es folgt die vollkommenere, die zugleich pflanzliche und empfindende Seele ist; und wenn diese schwindet, folgt die letzte und vollendetste, nämlich die Vernunftseele (anima rationalis) . . .
Ursprünglich, bei Adam und Eva, war nach thomistischer Lehre die «anima rationalis» oder «humana» mit der Urgerech-tigkeit (justitia originalis) begnadet, die ihr die Kraft verlieh, den materiellen Leib gegen die Gesetze der Materie unzerstörbar, frei von Krankheit und Tod, zu halten. Seit dem Sündenfall ist der Leib den materiellen Vorgängen der «generatio» und «corruptio», des Werdens und Vergehens, ausgeliefert. Da aber alle Bewegung auf Erden - auch die des Werdens und Vergehens - von den Himmelskörpern her verursacht wird, ist der Mensch seither in seinem Körper nicht nur den fortschreitenden Bewegungsimpulsen, die als Impulse des Werdens von der Sonne ausgehend gedacht werden, sondern auch allen Zerstörungsimpulsen - wie sie etwa von den rückläufigen Bewegungen des Mars ausgehen -ausgesetzt. Und vom Körper her können die Trübungen durch die Leidenschaften trübend in Intellekt und Willen hinaufschatten.
Der Himmelskörper hat nach Aristoteles und Thomas ein ganz unstoffliches Sein. Er ist im Bereich der Materie als reine Bewegung aber doch vorhanden. Er «hat Materie nicht im Sinn des Seins, sondern im Sinn des Wo» (. . . habet materiam non ad esse sed ad ubi). Alle seine Kräfte, besonders das Licht, sind überstofflich, aber im Stofflichen sich bewegend und Bewegung schaffend. Er selbst ist deshalb unzerstörlich; aber die von ihm
ausgehenden Bewegungen vermögen im Stoffesreich Zerstörung zu bewirken.
Im Kommentar zur Schrift des Aristoteles «Über Himmel und Welt» schreibt Thomas:
Die Himmelskörper wirken, aber leiden nicht; deshalb berühren sie, werden aber nicht berührt. Deshalb sind in den Himmelskörpern die Körper eigens chaften, die getastet werden können, nicht in der Weise vorhanden, wie sie in den niederen Körpern sind, sondern in hervorragenderer Weise, nämlich in der wirkenden Ursache (causa activa): denn dort ist nicht ein Kalt oder Warm, ein Feucht oder Trocken, aber die Kraft, die solches bewirken kann . . .
Deshalb können die Himmelskörper auch sich gegenseitig und alle materiellen Stoffe durchdringen. Sie sind ja nicht «im Himmel» gedacht, sondern - im Sinn des ptolemäischen Systems - als sich gegenseitig durchdringende Kugeln, die alle die Erde als gemeinsamen Mittelpunkt haben, und in ihren Bewegungen individuell so verschieden sind, daß sich jede der sieben Planetenkugeln ihr eigenes Tempo und ihre eigenen Vor- und Rückläufe wahrt. (Die achte Sphäre, die der Fixsterne, dreht sich am würdigsten, und die neunte und zehnte, die des Kristall- und des Glanzhimmels, sind wie Gott - der erste, selbst unbewegte, Beweger (vgl. S. 65) - unbewegt. Im Schoß dieser umfassendsten Sphären kreist und kreißt die Welt.) Zu den einzelnen Sternen verhalten sich die Himmelskörper so, daß
. . . die Sterne nicht eine eigene Bewegung haben, sondern von den Bewegungen der Sphären mit bewegt werden, denen sie eingefügt (infixae) sind, jedoch nicht so, als ob sie anderer Natur wären, wie ein eiserner Nagel einem hölzernen Rad eingefügt wird, sondern nach einer Seinsweise gleicher Natur, so, daß der Stern ein edlerer Teil der Sphäre selbst ist, in dem das Licht und die wirkende Kraft versammelt wird (congregatur) . . . Alle sind um das gleiche Zentrum, die Erde . . .
Diese Sphären sind von den materiefreien intellektuellen Wesen durchsetzt (S. 60) und dienen ihnen mit ihren «virtutes» - hauptsächlich dem Licht - als Werkzeuge des Wirkens auf Erden.
Der Mensch aber (vgl. unten, S. 133ff.) ragt über das Gebiet der Materie, in dem die Himmelskörper ihre Wirkungen ausüben, mit seiner «anima humana», die ja nicht nur die oberste Körperform, sondern auch das unterste Geistwesen ist, in die geistige Welt hinauf.
Das menschliche Erkennen aber ist zugleich das höchste Tun, das überhaupt eine leibgebundene Substanz ausführen kann, und die niederste Art des Intelligierens, verglichen mit dem Schauen, das den Hierarchien zukommt. Aus dieser Angelstellung der «anima humana» ergibt sich mit eiserner Konsequenz, bis in die feinsten Einzelheiten hinein, die Gestaltung der thomistischen Erkenntnislehre.
DER MENSCH ALS ERKENNENDES WESEN
DER MENSCH ALS ERKENNENDES WESEN
Jede Übersetzung erkenntnistheoretischer Texte des Thomas in die deutsche Sprache muß darunter leiden, daß diese zum Wort «Vernunft» keine sinnentsprechenden Verbalformen enthält. Denn «vernehmen» brauchen wir nicht für ein Inempfang-nehmen geistiger Inhalte durch rein geistiges Tun. Im Wort «Vernunft» hat der mittelalterliche Realismus der deutschen Sprache ein Zeugnis einverleibt: denn «nehmen» kann ich nur ein Objektiv-Reales. Der mittelalterliche Nominalismus, der ein solches «Nehmen» nicht kennt, weil für ihn die Begriffe nur Namen mit subjektiver Bedeutung sind, hat dann dafür gesorgt, daß die Verbalformen, wie «vernehmen», «vernehmlich» ins Gebiet der Sinnesempfindungen abgeschoben worden sind. Deshalb muß wohl oder übel in den nachfolgenden Texten das lateinische Wort (intelligere mit seinen Ableitungen) beibehalten werden. Zum Verständnis wird förderlich sein, wenn der Leser wenigstens in Gedanken aus den Worten «Vernunft» (= intel-lectus) und «vernünftig» (= intellectualis) die Verbalformen bildet, wie: «vernehmen» für intelligere, «vernehmend» für intelligens, «vernehmbar» für intelligibilis usw.
In einem Kapitel der «Summa Theologica», das «von der Gabe des Intellekts» (de dono intellectus) - d. h. von der Verstärkung der normalen menschlichen Vernunft bis zur Kraft des Schauens (durch Gabe des Heiligen Geistes) ~ handelt, zeichnet Thomas scharf den Ort, wo der Mensch als erkennendes Wesen steht.
Das Wort «intellectus» faßt in sich ein gewisses innerstes Wahrnehmen (quamdam intimam cognitionem): denn «intelligere» heißt gleichsam «innerlich lesen» (intus legere). Und dies ist ganz offensichtlich, wenn man den Unterschied zwischen Intellekt und Sinn (sensus) betrachtet: denn das sinnliche Wahrnehmen (cognitio sensitiva) wird beschäftigt (occupatur: man beachte die Passivform!) im Bereich der äußeren sinnlichen Eigenschaften (circa qualitates sensibiles exteriores); das intellektive Wahrnehmen (cognitio intellectiva) aber dringt durch (penetrat: man beachte die Aktivform!) bis zum Seinsgrund des Dings (usque ad essentiam rei). Denn der Gegenstand des Intellekts ist: «Was etwas ist», wie es bei Aristoteles im 3. Buch «Von der Seele» heißt.
Mannigfacher Art aber ist das, was innerlich verborgen ist (quae interius latent), zu dem das Wahrnehmen des Menschen gleichsam nach der innern Seite hin (quasi intrinsecus) durchdringen muß. Denn unter den unwesentlichen Eigenschaften (sub accidentibus = zu(ac)-fällig(cidens)) ruht verborgen die wesentliche (substantialis) Natur des Dings; unter den Worten ruhen die Bedeutungen der Worte; unter den Ähnlichkeiten und Zeichen (figuris) ruht die bezeichnete Wahrheit (veritas figurata) -denn die intelligiblen Dinge sind gewissermaßen innerlich, verglichen mit den sinnlich wahrnehmbaren Dingen, die äußerlich wahrgenommen werden -, und in den Ursachen ruhen verborgen die Wirkungen und umgekehrt. Deshalb kann im Hinblick auf alles dies das Wort «Innerlich-Lesen» (intellectus) verwendet werden.
Da aber die Erkenntnis des Menschen von den Sinnen, also gleichsam von außen, anhebt, ist offensichtlich, daß, je stärker das Licht des Intellekts ist, dieser tiefer ins Innerste durchdringen kann. Das natürliche Licht (lumen naturale) aber unseres Intellekts ist von begrenzter Kraft (finitae virtutis), deshalb kann es bis zu einem gewissen Grenzbereich vordringen (pertingere). Um also weiter durchzudringen, um von etwas Kenntnis zu bekommen, was durch das natürliche Licht nicht erkannt zu werden vermag, bedarf der Mensch eines übernatürlichen Lichts (supernaturali lumine). Und dies dem Menschen gegebene übernatürliche Licht wird «Gabe des Intellekts» (donum intellectus: Geschenk des In-sich-Lesenkönnens) genannt. (Summa Theologica, II, 2. Quaestio VIII, Art. 1)
Die Zentralfrage für Thomas, «Welche Realität haben denn diese abstrakten Begriffe» (S. 61), die der Mensch da «innerlich liest», führt ins innerste Herz des Thomismus hinein.
Da die Dinge Geschöpfe Gottes sind - wie das Haus Geschöpf des Architekten wäre, wenn er auch den ganzen Baustoff aus dem Zustand völliger Formlosigkeit erbildet hätte -ist ihr Wesen, ihre «substantia», zwar in sie «hineingelegt» (vgl. oben) ~ als «universalis in rebus» - und kann in ihnen vom Menschen durch das «lumen naturale», das Verstandeslicht, «innerlich gelesen» und als «universalia post res» zu seelischem Besitz gemacht werden. Aber zuvor ruhte das Wesen der Dinge in Gott, der es im Selbst-Intelligieren durch das «lumen gloriae», das Glorienlicht, schaute (mit einem Blick das Ganze und jedes Einzelne, so daß der Unterschied von universeller und spezieller Form noch gar nicht Platz hat). Beim Übergang des Schöpfungs-Plans in den Bereich des mittleren Lichts, des «lumen gratiae», des den Hierarchien eingegossenen Gnadenlichts, tritt die Spaltung in «Morgenerkennen» (cognitio matutina) und «Abenderkennen» (cognitio vespertina) ein, von denen das erste aus dem Universellen ins Spezielle vorwärts, das zweite aus dem Speziellen ins Universelle rückwärts geht.
Das Intelligieren steht also zu:
1. Gott im Licht der Glorie, der «doxa», der Wesensoffenbarung,
2. den Engeln im eingegossenen Licht der Gnade, der «gra-tia», weil Gott «Alles, was er in der Natur der Einzeldinge geschaffen hat, in der englischen Intelligenz geschaffen hat» als «universalia ante res», und
3. den Mensch en, die mühsam - nach Verlust der Paradieses-gnaden - aus den Einzeldingen sich ihr Wissen im «natürlichen Licht» zusammensuchen müssen.
Wie aber zum äußeren Lesen nicht nur ein Auge, sondern auch ein lesbares Buch nötig ist, so kann das Intelligieren, das «intus legere», das innere Lesen, nur stattfinden, wenn ein «Lesbares» (intelligibile), ein Erkennbares (cognoscibile), d. h. eine von einer der drei Erkenntnis-Lichtarten beleuchtete geistige Substanz (spirituahs substantia) in Sicht ist.
Und, daß in Wirklichkeit (actu) Erkenntnis zustande komme, setzt drittens voraus, daß das «Auge des inneren Lesens», der «intellectus», nicht zu schwach sei, die Fülle des Glanzes zu fassen, die von einer geistigen Substanz ausgeht.
Erkennbar (cognoscibile) ist etwas, sofern es im Zustand des Wirklichseins ist (in actu). Deshalb ist Gott, der reines Wirklichsein ohne jede Beimischung eines Möglichseins (actus purus absque omni permixtione potentiae) ist, in seinem In-sich-Sein am meisten erkennbar (maxime cognoscibilis). - Was aber in sich am meisten erkennbar ist, ist nicht jedem beliebigen Intellekt erkennbar, wegen des Übermaßes des Intelligiblen über den Intellekt (propter excessum intelligibilis supra intellectum). Wie die Sonne, die am meisten sichtbar (maxime visibilis) ist, wegen des Übermaßes des Lichtes von der Fledermaus nicht gesehen werden kann. (Summa Theol. I, Quaestio XII, Art. I.)
Wie Faust zum Sonnenaufgang sagt:
«Sie tritt hervor! - und leider schon geblendet,
Kehr ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.»
Vom «Flammenübermaß», vom «excessus luminis» geblendet,
sagt Faust:
«So bleibe denn die Sonne mir im Rücken . . .»
und
«Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.» Und Thomas sagt:
. . . Insofern läßt sich sagen, daß wir Alles in Gott sehen und gemäß ihm über Alles urteilen, als wir durch Anteilhaben (participatio) an seinem Licht Alles erkennen und beurteilen. Denn auch das natürliche Licht des Verstandes (lumen naturale rationis) ist ein gewisses Anteilhaben am göttlichen Licht; wie sich ja auch sagen läßt, daß wir alles Sinnenfällige in der Sonne, das heißt durch der Sonne Licht, sehen und beurteilen . . . Wie aber, um etwas sinnlich zu sehen (ad videndum aliquid sensibiliter), nicht nötig ist, daß die Substanz der Sonne gesehen werde, so ist, daß etwas geistinnerlich gesehen werde (ad videndum aliquid intelligibiliter), nicht nötig, daß der Seinsgrund Gottes (essentia Dei) gesehen werde. (Summa Theol. I, Quaestio XII, Art. XL)
Auch das Verstandeslicht, das dem Menschen eingeschaffene natürliche Licht, ist Anteilhaben am göttlichen Licht, - wie der «farbige Abglanz» am «Flammenübermaß» der Sonne. Dieser -oft gerügte - «Intellektualismus» des Thomas ist die tiefste Kraftquelle seiner gewaltigen Denkleistung. Auch als Denkender weiß er sich «am Lichtfaden des Himmels» (Hegel), also gottgeborgen. Auch sein Denken ist von Gebetsgebärde durchzogen.
Und der Vollzug dieser Gebetsgebärde im Denken sind die Gottesbeweise des Thomas. Sie überschreiten nicht den Bereich des «lumen naturale», dringen aber bis zum Quell dieses Lichts vor.
. . . unsere natürliche Erkenntnis nimmt vom Sinn (a sensu) ihren Ausgang. Daher kann unsere natürliche Erkenntnis sich so weit erstrecken, als sie durch die
Sinnendinge an der Hand geführt (manuduci) werden kann. Aus dem Sinnenreich aber vermag sich unser Intellekt nicht so weit auszudehnen, daß er den göttlichen Seinsgrund (divinam essentiam) erblickte; denn die sinnenfälligen Geschöpfe sind Wirkungen (effectus) Gottes, die der Kraft (virtus) ihrer Ursache nicht gleichkommen. Deshalb kann aus der Erkenntnis der Sinnenwelt nicht die ganze Kraft Gottes erkannt, und folglich auch sein Seinsgrund nicht geschaut werden. Aber weil die Wirkungen von der Ursache abhängen, können wir aus ihnen dazu geführt werden, von Gott zu erkennen, ob er sei, und von ihm das zu erkennen, was ihm als erste Ursache von Allem, die doch Alles übersteigt, notwendigerweise zukommt. (Summa Theol. I, Quaestio XII, Art. XII.)
«... das ist einfach persönliches Erlebnis dieses Zeitalters -, wir können nicht durch Schauen in die geistige Welt eindringen ...» (S. 64)
. . . auch vom reinen Menschen kann Gott in seinem Seinsgrund nicht geschaut werden, wenn er nicht von diesem sterblichen Leben getrennt wird. Deshalb nicht, weil die Weise des Erkennens der Seinsweise des erkennenden Wesens folgt. Unsere Seele aber hat, solange wir in diesem Leben leben, ihr Sein in der körperlichen Materie (anima ... habet esse in materia corporali); deshalb erkennt sie auf natürliche Weise (naturaliter) nichts, das nicht seine Form in der Materie hat, oder was durch solcherlei erkannt werden kann . . ?
Aber dies Sichbescheiden in der Sphäre des irdischen Denkens ist nicht ein feiger Verzicht im Willen. Als der Goldhimmel der altchristlichen Kunst hinterm blauen Vorhang verschwand, wuchs aus der Menschheit die himmelstürmende Gotik. Und als der Plotinismus versiegte, entstand die «gotische» Denktechnik der Hochscholastik.
Das «... die Sonne im Rücken . . .» ist nur ein vorläufiger Zustand. Im verstärkten Leib werden wir einst Gott in seinem Seinsgrund schauen.
.. . Da die letzte Glückseligkeit des Menschen in seinem erhabensten Tun besteht, nämlich im Tun des Intellekts (in operatione intellectus), so würde der Mensch entweder nie die Glückseligkeit erlangen, oder diese würde in etwas anderem als Gott bestehen, wenn der geschaffene Intellekt niemals den Seinsgrund Gottes schauen könnte, - was dem Glauben widerspricht. In demjenigen nämlich Hegt die letzte Vollendung des vernünftigen Geschöpfs, was ihm Ursprung seines Seins ist (principium essendi); und so weit ist etwas vollendet, als es seinen Ursprung erreicht. Es widerspricht aber auch der Vernunft. Es liegt im Menschen ein natürliches Begehren (naturale desiderium), die Ursache zu erkennen, wenn er schon die Wirkung erblickt; und daraus entspringt in den Menschen das Staunen (admiratio). Wenn der Intellekt des vernünftigen Geschöpfs nicht zur ersten Ursache der Dinge sollte gelangen können, müßte dies Begehren der Natur eitel bleiben. Deshalb muß bedingungslos eingeräumt werden, daß die Glückseligen Gottes Seinsgrund schauen.
Dies «natürliche Begehren zum Ursprung» ist der Urtrieb der Scholastik, vergleichbar dem pflanzenhaften Himmelstrieb der gotischen Kunst. Wie es in der Gotik, bevor die Zeit des Fischblasenstils gekommen ist, keine Schlappheit gibt, so räumt Thomas niemals irgend einer - wie auch immer gearteten -«Frömmigkeit» die Kompetenz ein, den Intellekt vom Tun zu dispensieren. Aus dem Denkakt gibt es für Thomas nur Aufschwünge nach oben, nie ein Sich-Hinlegen aufs Ruhebett. Sein Beten hat nichts mit Betten und Ruhekissen zu tun.
. . . nicht deshalb wird Gott unerfaßlich (incom-prehensibilis) genannt, weil irgend etwas an ihm so wäre,
daß es nicht gesehen wird; sondern weil es nicht so vollkommen gesehen wird, wie es sichtbar ist . . .
. . . umfaßt wird, was vollkommen erkannt wird; vollkommen aber wird erkannt, was so tief erkannt wird, als es erkennbar ist. Wenn also etwas, das durch die demonstrative Wissenschaft erkennbar ist, nur in einer Meinung (opinio) getragen wird, die aus irgend einem Wahrscheinlichkeitsgrund stammt, so wird es nicht umfaßt. Wenn z. B. jemand den Satz, daß die Winkelsumme eines Dreiecks zwei Rechten gleichkommt, per demonstrationem weiß, erfaßt er ihn. Wenn aber jemand davon eine Meinung wahrscheinlichkeitsmäßig (probabiliter) annimmt, weil es die Gelehrten sagen, oder die Mehrzahl, dann erfaßt er ihn nicht, weil er nicht zu jener vollkommenen Weise des Erkennens heranreicht, nach der er erkennbar ist. Kein geschaffener Intellekt aber vermag hinaufzureichen zu jener vollkommenen Weise, den göttlichen Seinsgrund zu erkennen, nach der er erkennbar ist . . . Denn Gott ist unendlich erkennbar. Kein geschaffener Intellekt aber kann Gott unendlich erkennen. In dem Maß erkennt nun ein geschaffener Intellekt den göttlichen Seinsgrund vollkommener oder weniger vollkommen, als er von einem größeren oder geringeren Glorienlicht durchgründet wird (perfunditur)... (Summa Theol. I, Quaestio XII, Art. VII.)
Den Anteil des nur auf äußere Autorität hin, also wahrschein-lichkeitsmäßig - probabiliter - Übernommenen, am Glaubensinhalt der Kirche möglichst zugunsten des per demonstrationem Erreichbaren, einzuschränken, ist der innerste Arbeitsimpuls des Thomas. Möglichst tief ins Reich der Glaubensinhalte hinein wollte er «diejenigen Begriffe, die nur in uns selbst aus unserer Individualität heraus geboren werden können» (S. 23) mit der «gotischen» Technik seiner Begriffsdome führen. Den Glaubensinhalt dem Verstehen zu erschließen - auch um ihn gegen die Ungläubigen verteidigen zu können - war das «Hauptproblem, das sich vor Albertus und Thomas hinstellte» (S. 66).
Dies Intelligieren im «natürlichen Licht» liefert also einerseits Waffen zum Kampf der «ecclesia militans» - und unter diesem Gesichtspunkt schreibt Thomas seine «Summa contra gentiles» (gegen die «Heiden», d. h. die Araber) -, anderseits Grundmauern, auf denen sich die «ecclesia triumphans» aufbauen kann, -was der Gegenstand der «Summa Theologica» ist.
Denn dem natürlichen Licht kann durch Gnade - nach dem Tod oder, durch Wunder («miraculose», wie etwa bei Moses oder Paulus), schon vorher - eine Erhebung zur Kraft des Schauens zuteil werden.
. . . wenn etwas zu einem Grad erhoben wird, der seine Natur übersteigt, muß ihm eine Eignung (dispositio) verliehen werden, die über seiner Natur ist. Wenn beispielsweise die Luft die Form des Feuers empfangen soll, muß sie durch eine bestimmte Eignung zu dieser Form geeignet gemacht werden. Wenn aber ein geschaffener Intellekt Gott in seinem Seinsgrund schaut, wird der Seinsgrund Gottes selbst zur intelligiblen Form der Intellekts (ipsa essentia Dei fit forma intelligibilis in-tellectus). Deshalb muß ihm eine übernatürliche Eignung (dispositio supernaturalis) zugefügt werden (supperaddatur), daß er zu solcher Erhabenheit (sublimitas) erhoben werde. Denn da die natürliche Kraft des geschaffenen Intellekts nicht genügt, Gottes Seinsgrund zu schauen . . . muß ihr aus göttlicher Gnade die Kraft des Intelligierens darüber hinaus zuwachsen (superaccrescat). Und deshalb nennen wir die Mehrung (augmentum) der Kraft des Intelligierens Erleuchtung des Intellekts (illuminationem intellectus); wie ja auch das Intelligible «Licht» genannt wird. Und dies ist das Licht, von dem in der Apokalypse 21, 23 gesagt wird, daß «die Helligkeit Gottes sie erleuchten wird», nämlich die Gemeinschaft der Gott schauenden Glückseligen. (Summa Theol. I, Quaestio XII, Art. V.)
. . . von denen, die Gott in seinem Seinsgrund schauen, wird ihn der eine vollkommener schauen als der andere
. . . weil der Intellekt des einen eine größere Kraft oder Fähigkeit haben wird, Gott zu schauen, als der des andern. Die Fähigkeit der Gottesschau aber kommt dem geschaffenen Intellekt nicht nach seiner Natur zu, sondern durch das Licht der Glorie . . . Daher wird der Intellekt, der am Glorienlicht mehr Anteil hat, Gott vollkommener schauen. Mehr Anteil aber am Glorienlicht wird haben, wer mehr Geistliebe (charitas) hat. Denn wo mehr Geistliebe, da ist größerer Wunsch (desiderium), und der Wunsch macht gewissermaßen den Wünschenden zum Empfang (susceptio) des Gewünschten geeignet und bereit. Wer also mehr Geistliebe haben wird, wird Gott vollkommener schauen und glückseliger sein. (Summa Theol. I, Quaestio XII, Art. VI.)
Aber die innere Dramatik der aristotelisch-thomistischen Erkenntnislehre läuft nicht nur auf einer abstrakten Entwicklungslinie vom Unvollkommeneren zum Vollkommeneren, sondern weist schon den niedereren Stufen des Erkennens ihre ganz besondern, sie auszeichnenden Anteile am Vollkommenen zu.
Nach der Annahme der Platoniker (daß die Seele alles Wissen in sich trage, es aber wegen der Verbindung mit dem Leib vergessen habe, daß alles Lernen ein Wieder-Erinnern und die Hinwendung zur Sinnenwelt schlechthin eine Unvollkommenheit sei) wäre die Seele dem Körper nicht vereinigt zum Bessern der Seele (propter melius animae), da sie ja mit dem Körper verbunden schlechter intelligierte als getrennt; sondern diese Verbindung wäre allein zum Bessern des Leibes, was widervernünftig ist, da die Materie der Form wegen da ist, und nicht umge-j\.enrt ...
Wenn nun aber - kann eingewendet werden - eine Sache stets auf das Bessere hingeordnet ist (und eine bessere Art des Intelügierens ist die durch direkte Hinwendung (conversio) zum Intelligibeln, als die durch Hinwendung
zu den Sinnesnachbildern), hätte doch von Gott die Natur der Seele so eingerichtet werden sollen, daß die edlere Art des Intelligierens ihr natürlich wäre, und sie dazu nicht dem Körper vereint sein müßte.
Das muß beachtet werden, daß, wenn auch das Intelligieren durch Hinwendung zum Höhern schlechtweg vollkommener ist als das Intelligieren durch Hinwendung zu den Sinnesnachbildern, doch die erstgenannte Art des Intelligierens unvollkommener war, wenn man betrachtet, in welcher Weise sie der Seele möglich gewesen wäre. Das wird durch folgende Überlegungen deutlich: In allen intellektuellen Substanzen ist die Kraft zum Intelligieren (virtus intellectiva) durch Einfließen des göttlichen Lichts (per influentiam divini luminis) begründet. Dieses nun ist im Urquell (in primo principio) eins und einfach (unum et simplex). Je weiter aber die intellektuellen Geschöpfe vom Urquell entfernt sind (distant), umsomehr wird dies Licht zerteilt (dividitur) und vermannigfacht (diversificatur), wie es bei Linien der Fall ist, die von einem Zentrum ausgehen. Und daher rührt es, daß Gott durch seinen einen Seinsgrund (per unam suam essentiam) Alles intelligiert. Und wenn auch die höheren intellektuellen Substanzen durch mehr als eine Form intelligieren, so intelligieren sie doch durch weniger zahlreiche, und durch umfassendere (magis universales), und zur Erfassung der Dinge tüchtigerere (virtuosiores), Formen (als die niedereren Substanzen) vermöge der Wirkenskraft (efficacia) der intellektiven Tüchtigkeit (virtutis intellectivae), die in ihnen ist. In den niedereren aber sind zahlreichere Formen, und weniger umfassende, und weniger wirkenskräftige zu Erfassung der Dinge, in dem Maß als sie ja hinter der intellektiven Tüchtigkeit der höheren zurückstehen. Wenn nun aber die niedereren Substanzen die Formen in jener umfassenden Weite (in illa universalitate) hätten, in der die oberen sie haben, würden sie, weil sie selbst im Intelligieren nicht eine
solche Kraft entfalten können, durch diese Formen nicht eine vollkommene (perfecta) Kenntnis von den Dingen sich erwerben, sondern in einer gewissen Allgemeinheit (communitas) und Verwischtheit (confusio). Das gilt entsprechend für die Menschen. Denn die mit schwächerem Intellekt ausgestatteten erwerben sich durch die umfassenden Begriffe der intelligenteren nicht ein vollkommenes Wissen, wenn ihnen nicht die Einzelheiten im Speziellen (in speciali) auseinandergesetzt werden. Offensichtlich aber ist, daß unter den intellektuellen Substanzen nach der Ordnung der Natur die Menschenseelen die untersten sind. Die Vollkommenheit des Ganzen (universi) aber erforderte, daß in der Welt verschiedene Stufen (diversi gradus) seien. Wenn also die menschlichen Seelen von Gott so eingerichtet wären, daß sie auf die Weise intelligierten, die den reinen Geistern (substantiis separatis) zukommt, verfügten sie nicht über ein vollkommenes Erkennen, sondern über ein im Allgemeinen sich verwischendes. Dazu also, daß sie eine vollkommene und angemessene Erkenntnis von den Dingen haben können, sind die Menschenseelen von Natur so beschaffen, daß sie den Körpern vereint sind und also durch sie von den Sinnendingen das angemessene Wissen sich erwerben, so wie ungebildete (rudis) Menschen zum Wissen nur durch handgreifliche Beispiele geleitet werden können. Demnach ist klar, daß es zum Bessern der Seele ist, daß sie dem Körper verbunden sei und durch Hinwendung zu den Sinnesnachbildern (ad phantasmata) intelligiere ... (Summa Theol. I, Quaestio LXXXIX, Art. I.)
So führt die thomistische Erkenntnislehre von Gott, der in einem Intelligieren alle Einzelheiten umfaßt, über die reinen Geister, die zum Intelligieren immer unkräftiger werdender «Universalien» bedürfen, zum Menschen, der sich die Universalien vom Boden auflesen muß, indem er aus den Dingen durch die Sinne die Sinnesnachbilder (phantasmata), aus diesen durch
den intellectus agens die Spezialbegriffe (species), und daraus durch den intellectus possibilis die Universalbegriffe (universa-lia) löst, mit denen er denkend - nicht schauend - durchs Reich der Geister seinen Erkenntnisdom zum Himmel türmt.
Als Hintergrund für die grandiose Zusammenfassung der thomistischen Erkenntnislehre im zweiten der Vorträge Rudolf Steiners (insbesondere S. 54 ff.) seien die kurzen Kapitel übersetzt, in denen Thomas in seinem «Compendium Theologiae» dem Bruder Reginald in gedrängter Fülle die Quintessenz seiner Erkenntnislehre gab.
Kap. 78. Daß die Substanz, durch die der Mensch intelligiert, die unterste in der Gattung der intellektuellen Suhstanze ist.
Da es nicht in den Dingen liegt, ins Unendliche fortzugehen, so muß unter den intellektuellen Substanzen nicht nur eine oberste zu finden sein, die am nächsten an Gott heranreicht, sondern auch eine unterste, die sich am meisten der körperlichen Materie nähert. Und das kann auf folgende Weise eingesehen werden: Das Intelligieren eignet dem Menschen vor den andern beseelten Wesen (animalia): Ist es doch offenbar, daß allein der Mensch die Allgemeinformen (universalia) und die Eigenschaften der Dinge und die immateriellen Dinge betrachtet, was alles nur durch Intelligieren erfaßt wird. Nun ist es aber unmöglich, daß das Intelligieren ein durch ein körperliches Organ ausgeführter Akt sei, wie das Sehen durch das Auge ausgeführt wird. Denn es muß notwendigerweise jedes Werkzeug der Erkenntniskraft (virtutis cognoscitivae) selbst jener Art Dinglichkeit bar sein, die durch es erkannt wird (cognoscitur), wie die Pupille ihrer Natur nach der Farben bar ist: dadurch nämlich werden die Farben erkannt, daß die Sonderformen (species) der Farben in der Pupille aufgenommen werden; was aufnimmt aber, muß dessen bloß (denudatum) sein, was aufgenommen wird. Der
Intellekt aber ist in Erkenntnisbereitschaft (cognoscitivus) gegenüber aller sinnlichen Natur. Wenn er also durch ein Körperorgan erkennte, müßte dies Organ jeder sinnlichen Natur bloß sein, - was unmöglich ist.
Ferner: jedes Erkenntniswerkzeug (ratio cognoscitiva) wird auf die Weise selbst erkannt, nach der die Sonderform (species) des von ihm Erkannten bei ihm ist; denn dies ist für es das Prinzip des Erkennens. Der Intellekt aber erkennt die Dinge immateriell, und zwar auch jene, die ihrem Eigenwesen nach materiell sind, indem er die allgemeine Form (formam universalem) von den die Sonderung schaffenden (individuantibus) materiellen Bedingungen abzieht (abstrahendo). Unmöglich ist es also, daß die Sonderform (species) des erkannten Dings im Intellekt auf materielle Weise (materialiter) sei: sie wird demnach nicht in einem körperlichen Organ empfangen (recipitur); denn jedes körperliche Organ ist materiell.
Das Gleiche ist auch daraus ersichtlich, daß der Sinn (sensus) von übermäßigen (excellens) Sinnesqualitäten geschwächt und zerstört wird, wie das Gehör von starken Tönen und das Gesicht von sehr blendenden Dingen; was sich ereignet, weil die Harmonie (harmonia) des Organs aufgelöst wird. Der Intellekt aber wird vielmehr durch das Übermaß (excellentia) der intelligiblen Qualitäten gekräftigt (roboratur): denn wer höhere Intelligibilien intelligiert, vermag die andern nicht weniger gut, sondern besser zu erkennen. Wenn also der Mensch als intelligierendes Wesen erfunden wird, und sich das Erkennen des Menschen nicht durch ein körperliches Organ abspielt, muß notwendigerweise irgend eine körperlose Substanz (ahqua substantia incorporea) vorliegen, durch die der Mensch intelligiert. Denn, was durch sich selbst ohne Körper tätig sein kann, hängt auch seiner Substanz nach nicht vom Körper ab: denn alle Kräfte (virtutes) und Formen, die für sich nicht bestehen können (subsistere) ohne Körper,
vermögen auch ohne Körper nicht eine Wirksamkeit zu haben: so macht die Wärme nicht durch sich warm, sondern ein Körper macht durch die Wärme warm.
Diese körperlose Substanz also, durch die der Mensch intelligiert, ist die unterste in der Gattung der intellektuellen Substanzen und die der Materie am nächsten stehende.
Kap. 79. Vom Unterschied des Intellekts und der Art des Intelligierens.
Da das intelligible Sein über dem sinnlichen steht, wie der Intellekt über dem Sinn, und da das im Sein (in entibus) Niederere möglichst das Höhere nachahmt, wie die dem Entstehen und Vergehen unterworfenen Körper gewissermaßen die Umdrehung der Himmelskörper nachahmen (vgl. oben), muß angenommen werden, daß auch die sinnlichen Qualitäten den intelligiblen auf ihre Weise angeglichen sind; und so können wir aus der Ähnlichkeit des Sinnlichen irgendwie zur Kenntnis (notitia) des Intelligiblen gelangen. Im Sinnlichen nun findet sich ein gewissermaßen Höchstes, nämlich das Wirklichsein (actus), die Form, und ein Niederstes, das Möglichsein (potentia), die Materie, und ein Mittleres, nämlich das aus Materie und Form Zusammengesetzte (compositum). So ist auch im intelligiblen Sein zu unterscheiden: denn das höchste Intelligible, Gott, ist reines Wirklichsein (actus purus); die andern intellektuellen Substanzen aber haben etwas vom Wirklichsein und etwas vom Möglichsein gemäß ihrem intelligiblen Wesen; die unterste der intellektuellen Substanzen aber, durch die der Mensch in-telligiert, ist im intelligiblen Bereich nur im Zustand des Möglichseins. Dadurch wird bekräftigt, daß der Mensch ursprünglich (a principio) nur der Möglichkeit nach als intelligierend erfunden und nachträglich allmählich zum Wirklichsein
geführt wird (reducitur in actum). Und daher wird das, wodurch der Mensch intelligiert, «intellectus possibilis» genannt.
Kap. 80. Daß der «intellectus possibilis» im Menschen die intelligiblen Formen von den sinnlichen Dingen erwirbt.
Da nun, wie gesagt, eine intellektuelle Substanz, je höher sie ist, umso umfassendere (universaliores) intelligible Formen hat, folgt, daß der menschliche Intellekt, den wir «possibilis» nannten, unter den andern intellektuellen Substanzen weniger umfassende (minus universales) Formen hat; und da liegt der Grund, daß er die intelligiblen Formen von den sinnlichen Dingen erwirbt.
Das kann auch einer andern Überlegung einleuchten. Die Form muß doch dem angemessen (proportionata) sein, was durch sie aufgegriffen werden soll (susceptibili). Wie also der menschliche intellectus possibilis unter allen intellektuellen Substanzen der körperlichen Materie am nächsten liegt, so müssen notwendigerweise auch seine intelligiblen Formen den materiellen Dingen am nächsten sein.
Kap. 81. Daß der Mensch der Sinneskräfte zum Intelligieren bedarf.
Es ist zu beachten, daß die Formen in den körperlichen Dingen zerstückelt (particulares) sind und ein materielles Sein haben, im Intellekt aber umfassend (universales) und immateriell: was die Art unseres Intelligierens dartut. Denn wir intelligieren «universaliter» und «immaterialiter». Die Art unseres Intelligierens muß aber notwendigerweise den intelligiblen Sonderformen (speciebus), vermittels wel-
eher wir intelligieren, entsprechen. Deshalb ist notwendig, da wir vom Extrem zum Extrem nur durch ein Mittleres kommen, daß die Formen von den körperlichen Dingen zum Intellekt durch gewisse Mittler gelangen. Dieser Art sind die Sinneskräfte (potentiae sensitivae), die die Formen der materiellen Dinge ohne Materie aufnehmen - kommt doch ins Aug die Sonderform des Steins, aber nicht die Materie - und anderseits doch in sich die Formen der Dinge im zerstückelten Zustand (particulariter) aufnehmen - denn mit den Sinneskräften erfassen wir nur Zerstückeltes (particularia). Es war also notwendig, daß der Mensch, um zu intelligieren, Sinne habe. Das wird dadurch bestätigt, daß, wem ein Sinn fehlt, auch das Wissen um den Sinnesbezirk fehlt, der von diesem Sinn umfaßt wird, wie der Blindgeborene ein Wissen von den Farben nicht haben kann.
Kap. 82. Daß notwendig ist, einen «intellectus agens» anzunehmen.
Es leuchtet also ein, daß das Wissen um die Dinge in unserm Intellekt nicht verursacht wird durch ein Teilhaben (per partieipationem) an irgendwelchen durch sich bestehenden (per se subsistentium) aktuell intelligiblen Formen oder durch ihr Einfließen (influxus), wie die Platoniker und andere, die ihnen folgten, behaupteten. Sondern der Intellekt hebt dies Wissen aus den sinnlichen Dingen durch Vermittlung der Sinne heraus. Aber weil, wie gesagt, die Formen der Dinge in den Sinneskräften zerstückelt sind, sind sie nicht der Wirklichkeit, sondern nur der Möglichkeit nach (non actu, sed potentia tantum) intelligibel. Denn der Intellekt intelligiert nur die Allgemeinformen (intellectus non nisi universalia intelligit). Was aber im Zustand des Möglichseins ist, kann nur von einem Wirkenden (ab aliquo agente) in den des Wirklichseins übergeführt wer-
den. Es muß also ein «agens» vorhanden sein, das die in den Sinneskräften liegenden Sonderformen (species) in Wirklichkeit intelligibel macht. Dies kann aber nicht der intellectus possibilis zustand bringen: denn er selbst ist ja mehr im Zustand des Möglichseins (in potentia) im Hinblick auf die intelligiblen Qualitäten, als in ihnen wirkend. Es muß also ein anderer Intellekt angenommen werden, der die der Möglichkeit nach intelligiblen Sonderformen in Wirklichkeit intelligibel macht, wie das Licht die der Möglichkeit nach sichtbaren Farben dazu bringt, wirklich sichtbar zu sein. Und ihn nennen wir den «intellectus agens», - den wir nicht annehmen müßten, wenn die Formen der Dinge der Wirklichkeit nach intelligibel wären, wie die Platoniker annahmen.
... der «intellectus possibilis» ist empfänglich (receptivus) für die intelligiblen Sonderformen ... der «intellectus agens» macht sie wirklich intelligibel . . .
Kap. 83. Daß die menschliche Seele unzerstörbar ist.
«So schließen sich zusammen die großen logischen Fragen der Universalien mit den Fragen, die das Weltenschicksal der einzelnen Menschen betreffen», sagt Rudolf Steiner (S. 68): wie sich dies 83. an die vorangegangenen Kapitel anschließt!
Es muß also nach dem Vorausgeschickten notwendigerweise der Intellekt, mit dem der Mensch intelligiert, unzerstörbar (incorruptibilis) sein. Jedes Seiende nämlich ist gemäß dem Sein, das es hat, tätig. Der Intellekt aber hat eine Tätigkeit, durch die er nicht den Körper mit sich verbindet, wie gezeigt worden ist, - woraus sich ergibt, daß er durch sich selbst tätig ist. Deshalb ist er eine Substanz, die im eigenen Sein Bestand hat (substantia subsistens in suo esse). Oben aber wurde gezeigt, daß die intellektuellen
Substanzen unzerstörbar sind. Also ist der Intellekt, durch den der Mensch intelligiert, unzerstörbar.
Ferner: Die eigentliche Grundlage (subjectum) der Entstehung und Zerstörung ist die Materie. Soweit ist also etwas von der Zerstörung entfernt, als es von der Materie entfernt ist: die aus Materie und Form zusammengesetzten Dinge sind durch sich selbst zerstörlich; die materiellen Formen sind zerstörlich durch das mit ihnen Verbundene (per accidens), und nicht durch sich selbst; die immateriellen Formen aber, die das Maß der Materie übersteigen, sind schlechthin unzerstörlich. Der Intellekt aber ist seiner Natur nach schlechthin über die Materie erhaben, was sein Tun zeigt: denn nichts intelligieren wir durch Anderes, als daß wir es von der Materie trennen (separamus). So ist also der Intellekt seiner Natur nach unzerstörbar.
Damit ist auch Averroes überwunden, der behauptete: «Eine Unsterblichkeit gibt es nicht in dem Sinne eines individuellen Weiterdauerns nach dem Tode» (S. 67). In der von Rudolf Steiner (S. 66 ff.) gezeigten Problemverknüpfung faßt Thomas in den anschließenden Kapiteln des «Compendium Theologiae» die Hauptargumente seines gewaltigen Arsenals gegen den individualitätsfeindlichen Arabismus zusammen, indem er beweist, «Daß nicht ein einziger intellectus possibilis in allen Menschen ist» (Kap. 84), «Daß nicht der intellectus agens in allen Menschen ein einziger ist» (Kap. 85), sondern «Daß der intellectus possibilis und der intellectus agens im Seinsgrund der Einzel-Seele gegründet sind» (Kap. 86).
Der Kampf gegen Averroes.
Zum Kampf gegen die Verleugnung des Individuums durch den arabischen Arzt und Philosophen Averroes (1126 - 1198) hat Thomas ein gewaltiges Arsenal mit wunderbar geschmiedeten und geschliffenen logischen Waffen gefüllt. Aus dieser Rüstkammer sei hier nur ein einziges Argument - mit dem Thomas das
gewaltige 73. Kapitel des II. Buches der «Summa contra gentiles» abschließt - eingefügt, an das sich in andern Schriften des Aquinaten besonders bedeutsame Problemverschlingungen knüpfen.
Der Standpunkt des Averroes ist: «... wir haben jeder einen Leib für uns, aber nicht jeder einen Verstand für uns . ..» (S. 67). Thomas antwortet:
Wenn der intellectus possibilis durch eine in ihn aufgenommene Sonderform in den Zustand des wirklichen Intelligierens versetzt ist, kann er durch sich selbst wirklich bleiben, wie Aristoteles im dritten Buch «Von der Seele» sagt. Daher steht es in unserer Macht, etwas, wovon wir uns einmal ein Wissen erworben haben, wiederum zu betrachten (considerare), wenn wir nur wollen, ohne wegen der Sinnesnachbilder (d. h. durch ein Nicht-emp-fangen dieser «Bilder» durch die Sinne) daran verhindert zu sein. Denn es steht in unserer Macht, solche Bilder, die der von uns gewollten Betrachtung angemessen sind, zu bilden, wenn nicht ein Hindernis von Seiten des in Frage kommenden Organs vorliegt, wie es der Fall ist bei Gehirnkranken und Schlafsüchtigen, die nicht den freien Gebrauch von Phantasie und Erinnerung haben. Und deshalb sagt Aristoteles im achten Buch der Physik, daß derjenige, der schon die Dauerfähigkeit (habitum) zum Wissen hat, nicht nötig hat, wenn er im Zustand ist, Betrachtungen anstellen zu können, aus diesem Zustand in den des wirklichen Betrachtens durch einen fremden Beweger (motor) versetzt zu werden, abgesehen vom Beseitigen eines Hindernisses, sondern daß er selbst, wenn er will, zum Akt des Betrachtens übergehen kann. Wenn aber im intellectus possibilis die intelligiblen Sonderformen aller Wissenschaften liegen (N.B. was man behaupten muß, wenn man ihn, wie Averroes, als einen Einen und Ewigen - unus et aeternus - ansieht), so müßte die Rolle der Sinnesnachbilder im Hinblick auf den intellectus possibilis
stets so geartet sein, wie bei dem Menschen, der schon im Besitz einer Wissenschaft ist und kraft dieser Wissenschaft Betrachtungen anstellen kann, was er gleichfalls nicht vermöchte ohne solche Bilder (N.B. indem er sie sich aus der Erinnerung durch Vor-Stellen formt). Da aber weiter der Mensch durch den intellectus possibilis insofern intelligiert, als dieser durch intelligible Sonderformen (species) in den Zustand des wirklichen Intelligierens übergeführt ist, könnte jeder Mensch, wenn er nur wollte, die Wissensschätze aller Wissenschaften (scita omnium scientiarum) betrachten. Das ist aber offensichtlich falsch; denn dann bedürfte niemand eines Lehrers (doctor), um sich eine Wissenschaft anzueignen. Folglich ist der intellectus possibilis nicht ein Einer und Ewiger.
Der «doctor angelicus», der größte theologische Lehrer der christlichen Geschichte, wirft sein persönliches Schicksal - seine geistige Berufung zum Lehren - gegen den Arabismus in die Wagschale. Denn «Thomas wollte Averroes nicht widerlegen, sondern überwinden» (wie Dr. Carl Unger im letzten Vortrag seines Lebens im Goetheanum sagte). Er kämpfte aus der ganzen Kraft seines individuellen Seins um «die Aufnahme des Wortes durch die Sohneskraft» (Unger: «Erkenntnis-Sprache», in «Schriften II»). Das Erwerben von Wissen - zu dem der Lehrer führen soll - ist für Thomas nicht ein Eindringen in eine Schatzhöhle, wo die «scita omnium scientiarum», die Wissensschätze aller Wissenschaften, dem offen liegen, der das «Sesam öffne dich!» weiß, sondern ein Pflegen von Geistessaaten, die in die Erde gestreut sind und «im Schweiß des Angesichts» durch harte Feldarbeit betreut werden müssen. Aus dem Reich des Lichts und des Pflanzenlebens nimmt Thomas die Imaginationen, um - beispielsweise - im Kapitel «Vom Lehrer» aus der großen Abhandlung «Von der Wahrheit» deutlich zu machen, wie sich das Tun des «doctor» zu den «Saaten» in den Seelen der Schüler verhält.
... Es präexistieren in uns Samen der Wissenschaften (scientiarum semina), gewissermaßen als die ersten Emp-
fängnisse (primae conceptiones) des Intellekts, die sofort im Licht (lumine) des «intellectus agens» erkannt werden, und zwar vermittels der Einzelformen (species), die von den sinnlichen Qualitäten abgezogen werden ... In diesen universellen Prinzipien sind alle Prinzipien eingeschlossen (includuntur) wie in Samengründen (rationibus semi-nalibus). Wenn nun die Geistseele (mens) aus diesen universellen Erkenntnissen herausgeführt wird (educitur), so daß sie in der Tat (actu) die zerstückelten Teile (particularia) erkennt, die zuvor nur der Möglichkeit nach (in potentia) und gewissermaßen im Allgemeinen (in universali) erkannt waren, dann sagt man von jemand, daß er Wissenschaft erwerbe (scientiam acquirere).
«prasexistere» wird von Thomas nicht - wie von den Platoni-kern - so verstanden, daß die «Urbegriffe» schon vor der Geburt des Menschen in ihn hineingelegt waren, so daß sein Wissen ein Erinnern an Vorgeburtliches wäre; sondern so, daß vor dem Erkenntnis^&i in uns als «Wirkenskraft und Samen», als «lumen creatum», als von Gott in unsere Natur eingeschaffene Lichtsaat ruht, was im Erkenntnisakt dann «herausgeführt» wird.
Daß jede Seele eine ihr eigene Lichtsaat in sich berge, aus der sie der «doctor» wecken kann, ist die gegen den Arabismus vertretene These.
Aber Thomas überwindet den Averroes nicht nur auf dem eigenen Boden - dem des Lehrers -, sondern auch auf dem des Arztes, des «medicus», durch eine äußerst fruchtbare Verschlingung der Probleme des Lehrens und des Heilens. Er erscheint dadurch geradezu als ein Vorläufer der grandiosen Erneuerung der Heilkunst, die in unseren Tagen der größte Lehrer zur Freiheit, Rudolf Steiner, aus der «Verstärkung der Denkkraft» vollzog. (Vgl. Kap. I. «Wahre Menschenwesen-Erkenntnis als Grundlage medizinischer Kunst» im Buch «Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen», GA 27.) Rudolf Steiner überwindet den im gedankenschwachen bloßen Empirismus von heute verborgenen materialistischen Nachklang des arabistischen
Schatzsucher-Strebens. (In «Handbüchern» gräbt man heute nach den Schätzen des Wissens.)
. . . Die Wissenschaft wird vom Lehrer im Schüler bewirkt, nicht wie die Warme im Holz vom Feuer, sondern wie die Gesundheit im Kranken vom Arzt . . . (Abhandlung «Von den geistigen Geschöpfen», Art. IX. in Verbindung mit einer Polemik gegen Averroes).
. . . Der Arzt ist beim Heilen Helfer (minister) der Natur, die ursprünglich (principaliter) wirksam ist, indem er die Natur verstärkt (confortando naturam) und Heilmittel zufügt, die die Natur wie Werkzeuge (instrumenta) zum Heilen verwendet.
Wie nun ein Mensch auf zwei Wegen geheilt werden kann - erstens durch alleinige Wirksamkeit der Natur, zweitens von der Natur mit einer kleinen Dosis (adminiculo) Medizin -, so gibt es auch einen zwiefältigen Weg des Erwerbens von Wissenschaft: erstens, wenn der durch die Natur mir eingepflanzte Vernunftsamen durch sich selbst zur Erkenntnis von unbekannt Gewesenem kommt, und dann spricht man von Findung (inventio); und zweitens, wenn der eingepflanzten Vernunft von außen her jemand Hilfsdosen reicht (adminiculatur), dann spricht man von Lehre (disciplina) . . . und man sagt danach, daß ein Mensch den andern lehre, wenn er die Schrittbewegung (discursum) der Vernunft, die er in sich selbst kraft der eingepflanzten Vernunft macht, dem andern durch Zeichen dartut (exponit per signa)... Wie man also vom Arzt sagt, daß er im Wirkungsbereich der Natur im Kranken die Gesundheit verursache, so sagt man auch von einem Menschen, daß er einem andern im Wirkensbereich seiner eingepflanzten Vernunft Wissenschaft verursache. Und das heißt «Lehren». Und in diesem Sinne kann man sagen, daß ein Mensch den andern lehre und sein Lehrer sei. Das Licht dieser Vernunft aber, durch das uns diese Urbegriffe
bekannt sind, ist uns von Gott eingegeben (inditum: als der «intellectus possibilis»), gleichsam als eine Ähnlichkeit (similitudo) mit der ungeschaffenen Weisheit (increatae veritatis: der «Sophia», als deren «similitudo» auf Erden in der Menschenseele der «intellectus possibilis» leuchtet). Und da nun irgendeine menschliche Belehrung (doctrina humana) in uns keine Wirksamkeit haben kann, es sei denn aus der Kraft dieses Lichts, steht fest, daß Gott allein es ist, der im Innern ursprünglich lehrt, wie auch die Natur im Innern ursprünglich heilt ...
In dieser dem Arabismus entgegengestellten Lehre vom Lehren macht Thomas im Menschen einen Bereich des Allerheilig-sten frei, wo er mit dem Schöpfer unvermittelt vereint ist: «Um die Aufnahme des Wortes durch Sohneskraft» (Unger) ringt Thomas; als Herzenswort, als «verbum cordis» spricht im Einzelmenschen Gott. Für die Wiedergabe der «verbum»-Lehre des Aquinaten, wie sie besonders im «Tractatus de verbo» entwickelt wird, fehlt der Raum. Hier seien nur noch einige Sätze angereiht, in denen diese Lichtatmosphäre leuchtet, die der - so viel verkannte - größte Beitrag des Aquinaten an die abendländische Geistesgeschichte ist.
... Wie man vom Arzt, obschon er von außen wirkt, und allein die Natur von innen wirkt, sagt, er mache die Gesundheit, so sagt man auch vom Menschen, daß er die Wahrheit lehre, wenn er sie schon nur von außen ankündet (annuntiet), aber im Innern Gott lehrt.
... die Worte des Lehrenden (doctoris), als gehörte oder gelesene, spielen beim Erzeugen des Wissens im Intellekt die Rolle von Dingen, die außerhalb der Seele sind . . .
... Schlußfolgerungen (conclusiones) werden mit Gewißheit gewußt, wenn sie zurück-gelöst werden (resol-vuntur) in die Urbegriffe. Und deshalb stammt das, was jemand mit Gewißheit weiß, aus dem innerlich ein-
geschaffenen Vernunftlicht, durch das in uns Gott spricht, und nicht vom Menschen, der äußerlich lehrt ...
... wer lehrt, verursacht nicht Wahrheit, sondern verursacht Erkenntnis der Wahrheit im Lernenden. Denn die Lehrinhalte (propositiones), die gelehrt werden, sind wahr, bevor sie gewußt sind: weil die Wahrheit nicht abhängt von unserm Wissen, sondern vom Dasein der Dinge (ab existentia rerum) ...
... wenn man sagt: nichts kann die Geistseele (mentem) des Menschen formen außer Gott, so versteht sich das von ihrer obersten Form, ohne die sie selbst formlos wäre, welch andere Form sie auch hätte. Das aber ist jene Form, durch die sie dem WORT zugewendet ist und ihm anhängt (forma illa qua ad VERB UM convertitur et ei inhaeret) ...
So ist der erkennende Mensch durch seine oberste Form «dem WORT zugewendet». Aus der im Kampf gegen den Arabismus entwickelten Philosophie des Erkennens und Lehrens dringt Thomas zu der Frage vor: «Wie wird das Denken christlich gemacht?» (Vgl. S. 71.)
Eine Antwort aber auf diese Frage findet er nicht für den Menschen, der im irdischen Leib lebt, sondern nur für den Menschen, dem einst - nach dem jüngsten Tag - durch Gottes Gnade sein irdischer Leib, zum Geistleib verklärt, wiedergegeben werden wird.
Rudolf Steiner hat die Antwort auf unsere Erde gestellt: die Anthroposophie, in der sich der geschaffene Mensch durch Entfaltung des schöpferischen Denkens mit der ungeschaffenen Weisheit, der sapientia increata - also der Anthropos mit der Sophia verbindet.
HINWEISE Zu dieser Ausgabe
HINWEISE
Zu dieser Ausgabe
Als Rudolf Steiner diese Vorträge am 15. Mai 1920 ankündigte, betonte er, daß er ja «aus einem gewissen Antriebe heraus» zu Pfingsten über die Philosophie des Thomas von Aquino sprechen werde, und es sei abzuwarten, ob dieser ernsthaften Betrachtung des Thomismus auch vorgeworfen werde, sie sei unberechtigte Propaganda, die von Dornach ausgehe. Aus diesen Worten geht hervor, daß die Vortragsreihe in einer Kampfsituation gehalten werden mußte. Auch der Schlußabschnitt des dritten Vortrages gibt davon eine deutliche Vorstellung, war doch schon am Tag des ersten Vortrages im «Tagblatt für das Birseck, Birsig- und Leimental» zu lesen, in diesen Vorträgen werde «einmal allen denjenigen, die in törichter Weise versuchen, die geistigen Bestrebungen des Goetheanums mit allem möglichen und unmöglichen Unfug in Beziehung zu bringen, die Gelegenheit geboten, zu sehen, wie sich die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft auseinandersetzt mit Zentralgestalten der geistigen Menschheitsgeschichte.»
Der Gesamttitel könnte zur Annahme verleiten, Thomas' Philosophie sei das Hauptthema; doch zu Beginn des ersten Vortrages spricht Rudolf Steiner selber aus, daß sein eigentliches Ziel, warum er all dieses vorbringe, erst im dritten Vortrag ganz zum Vorschein kommen werde. Hier umschreibt er die Bedeutung, die der Thomismus für eine philosophische und allgemeine Weltanschauung der Gegenwart noch haben kann. Hier ist die Notwendigkeit einer Metamorphose des Thomismus begründet.
In einem öffentlichen Vortrage am 16. Oktober 1916 in Liestal hatte Rudolf Steiner ausgeführt, daß man im strengsten Sinne Anhänger der Thomistik sein und doch die Erkenntnisse der Geisteswissenschaft mit diesem Bekenntnis vereinigen könne. Die Pfingstvorträge 1920 unterbauen nun dieses Anliegen: zu zeigen, daß es darauf ankommt, den Thomismus in einer den heutigen Bedürfnissen der Menschheit entsprechenden Weise weiterzubilden. Durch verschiedene Ereignisse in der näheren Umgebung «herausgefordert», wies Rudolf Steiner in einem öffentlichen Vortrag vom 5. Juni 1920 nochmals darauf hin, daß in der Geisteswissenschaft eine wirkliche Fortsetzung desjenigen liegt,
was durch die Hochscholastik für die Zeit des 13. Jahrhunderts angestrebt worden ist.
Von da an reißt die Kette der Hinweise und Ausführungen über das Verhältnis des kirchlich approbierten Thomismus zum geisteswissenschaftlichen Erkenntnisweg nicht mehr ab. In unerhört eindringlicher Weise wird darüber gesprochen im Vortrag vom 30. Juli 1922 über das Geheimnis der Trinität und genau bezeichnet das Verhängnis, welches sich daraus ergab, daß durch die Beschränkung der menschlichen Erkenntnismöglichkeit auf die Sinneswelt die Dogmen verhärtet wurden: «Denn daß der Glaube jemals wirklich ein Verständnis bringen könne, das ist eine Unmöglichkeit. Was erlöst werden muß innerhalb der Menschheit, das ist die Erkenntnis selber, das ist die Zurückführung der Erkenntnis zum Übersinnlichen.» Diese Notwendigkeit, das Denken zu erlösen, wird auch im Vortrag vom 26. Januar 1923 überzeugend dargelegt. Dabei erwähnte Rudolf Steiner die Pfingstvorträge 1920 und führte aus, es sei gerade das Schmerzliche, was der anthroposophischen Bewegung so wenig förderlich sei, daß solche Anregungen gar nicht aufgegriffen werden, daß der Zusammenhang des heutigen glänzenden naturwissenschaftlichen Zustandes mit dem, was nun in die Naturwissenschaft hineinfahren müsse, eben nicht gesucht werde.
In den vorangehenden Ausführungen erwähnte Vorträge Rudolf
Steiners: (GA = Rudolf Steiner Gesamtausgabe)
16. Oktober 1916: «Das menschliche Leben vom Gesichtspunkte
der Geisteswissenschaft (Anthro-posophie)» in «Philosophie
und Anthro-posophie 1904 - 1918», GA 35. 15. Mai 1920: 15. Vortrag in «Entsprechungen zwischen
Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Mensch - eine
Hieroglyphe des Weltenalls», GA 201, 5. Juni 1920: «Die Wahrheit über die Anthroposophie und deren
Verteidigung wider die Unwahrheit», öffentlicher Vortrag in
Dornach in «Die Hetze gegen das Goetheanum» (Dornach
1920), noch nicht in der GA. 15. Juli 1922: Vortrag in Dornach: «Offenbarungsinhalt und
Vernunfterkenntnis in der mittelalterlichen Scholastik und im
19. Jahrhundert», in «Menschenfragen und Weltenantworten»,
GA 213. 30. Juli 1922: Vortrag IV in «Das Geheimnis der Trinität», GA
214.
26. Januar 1923: In «Lebendiges Naturerkennen - Intellektueller Sündenfall und spirituelle Sünden-erhebung», GA 220
Bibliographie der früheren Buchausgaben
1. Auflage: Dornach, 1930, herausgegeben von Marie Steiner, mit einem Anhang: Nachwort und Textübertragungen aus Werken des Thomas von Aquino mit Erläuterungen, von Roman Boos (5 Kapitel).
2. Auflage: Dornach 1958, herausgegeben von Ernst Weidmann, ohne Anhang.
3. Auflage: Gesamtausgabe Dornach 1967.
4. Auflage: Gesamtausgabe Dornach 1993, herausgegeben von
Anna-Maria Baiaster nach der 1. Auflage 1930 mit Anhang:
Textübertragungen aus Werken des Thomas von Aquino mit
Erläuterungen, von Roman Boos (ohne das Nachwort und das
letzte Kapitel).
Veröffentlichungen in Zeitschriften: «Die Drei» 1926/27, 6. Jg., Hefte 8-10.
Für die 4. Auflage (1993) wurde der Band von Anna-Maria Baiaster neu durchgesehen, mit ausführlichen Inhaltsangaben und einem Namenregister versehen. Neu aufgenommen wurden Notizbucheintragungen Rudolf Steiners sowie Textübertragungen aus Werken des Thomas von Aquin mit verbindenden Erläuterungen von Roman Boos (siehe oben), wie sie auch in der von Marie Steiner herausgegebenen Erstauflage von 1930 enthalten waren. Roman Boos war seinerzeit von Rudolf Steiner ausdrücklich dazu aufgefordert worden, über Thomas von Aquin zu arbeiten (siehe: Roman Boos «Thomas von Aquino, Übersetzungen, Aufsätze, Vorträge», Schaffhausen 1959).
Textunterlagen: Die Vorträge wurden von der Berufsstenographin Helene Finckh (1883 - 1960) mitgeschrieben. Dem Druck liegen die von ihr vorgenommenen Klartextübertragungen zugrunde. Durch Vergleich des Textes mit dem Originalstenogramm ergab sich eine notwendige Korrektur, die bei den Hinweisen zu Seite 30 näher begründet ist.
Der Titel des Bandes und die Titel der einzelnen Vorträge sind von Rudolf Steiner.
Zu den Tafelzeichnungen: Die Original-Wandtafelzeichnungen und -anschriften Rudolf Steiners bei diesen Vorträgen sind erhalten geblieben, da die Tafeln damals mit schwarzem Papier bespannt waren. Sie werden als Ergänzung zu den Vorträgen im Band I der Reihe «Rudolf Steiner, Wandtafelzeichnungen zum Vortragswerk» verkleinert wiedergegeben. Die in früheren Auflagen in den Text eingefügten zeichnerischen Übertragungen sind auch für diese Auflage beibehalten worden. Auf die entsprechenden Originaltafeln wird jeweils an den betreffenden Textstellen durch Randvermerke aufmerksam gemacht.
Hinweise zum Text
Hinweise zum Text
Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Anmerkungen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß der Ausgabe.
zu Seite
7 die Aufforderung des Papstes Leo XIIL: Durch die Enzyklika
«Aeterni patris» vom 4. August 1879; vgl. kritische Würdigung
durch Karl Heyer in «Vom Genius des Mittelalters».
Albertus Magnus, 1193 - 1280, lehrte an deutschen Ordensschulen und an der Universität Paris.
Thomas von Aquino, um 1225 - 1274, Dominikaner, 1323 heilig gesprochen.
1. Augustinus, 354 - 430, seit 395 Bischof in Nordafrika.
2. Verketzerung des Origenes: Durch das 5. ökumenische Konzil in Konstantinopel im Jahre 553 von Justinian (527 - 565) bewirkte endgültige Verurteilung der Lehren Origenes1 (um 185 - 254).
als ich vor einer proletarischen Bevölkerung . . . vorgetragen hatte: Siehe Kapitel XXVIII in Rudolf Steiner «Mein Lebensgang», GA 28.
10 «Giordano-Bruno-Bund» einen Vortrag über den Thomismus: Siehe «Rudolf Steiner und der Giordano-Bruno-Bund» in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Nr. 79/80, Seite 16 ff.
11 Augustinus: Siehe auch Rudolf Steiner, das letzte Kapitel «Augustinus und die Kirche» in «Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums» (1902), GA 8.
14 Mani, 216 - 277. Manichäische Originalschriften sind erst um die Jahrhundertwende bekanntgeworden. 1905 Funde in Turf an; 1930 Fund koptischer Übersetzungen manichäischer Originale aus dem vierten Jahrhundert in Mittelägypten.
19 «wenn ich Gott denken wollte»: In «Bekenntnisse» V, 19.
Wonach fragt Augustinus: In «Die Bekenntnisse des hl. Augustinus», X. Buch, 6. Kapitel.
1. Aristoteles, 384 - 322 v. Chr. Siehe Rudolf Steiner «Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien - besonders zu dem Lukas-Evangelium», GA 112, XII. Vortrag in Kassel am 5. Juli 1909: «Deshalb mußten die Männer des 13. Jahrhunderts zurückgehen bis zu dem alten Aristoteles. Der hatte noch von dem alten Erbgut der Weisheit, und er konnte die Begriffe liefern, durch die man die Wissenschaft mit dem Christentum zusammenbringen konnte.»
2. Plotin, 204 - 269.
Vincenz Knauer, 1828 - 1894. «Die Hauptprobleme der Philosophie in ihrer Entwicklung und teilweisen Lösungen von Thaies bis Robert Hamerling», Wien 1892. Eine Besprechung dieses Buches durch Rudolf Steiner in «Methodische Grundlagen der Anthroposophie 1884 - 1901», Seite 329f., GA 30.
23 Franz von Brentano, 1838 - 1917, katholischer Priester, 1870
wegen des Unfehlbarkeitsdogmas mit der Kirche gebrochen.
«Was für ein Philosoph manchmal Epoche macht» erschien
1876, Wien.
25 dadurch entstehen erst die Einzelseelen: Vgl. dazu das Schema auf Seite 30.
27 «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (1904/05), GA10.
29 Ambrosius, 339 - 397, Kirchenlehrer.
«Wer könnte so verblendet sein . . .»: In «Contr. Faustum» XXXIIL, 6; zitiert nach Otto Willmann, «Geschichte des Idealismus» IL Band (1896), S. 256.
30 Zeile 12 und Schema: Eine Prüfung des Originalstenogramms
hat zweifelsfrei ergeben, daß Rudolf Steiner hier gesprochen hat
vom Begriff des «Wesens» (nicht des «Wissens»). Auch wurde
an die Tafel (siehe Tafel 1) geschrieben «Ideenwelt - Wesen».
Frühere Herausgeber, die weder das Orignialstenogramm noch
die Tafelzeichnung kannten, hatten diese beiden Stellen korri
giert und anstelle des Wortes «Wesen» «Wissen» gesetzt.
Inhaltlich lassen sich beide Versionen vertreten, wie die nachfol
genden Zitate zeigen:
«Wir sind, und wir wissen, daß wir sind, und wir lieben dieses unser Sein und Wissen.» (De civitate dei, XI, 26, die Schöpfung als Abbild der dreifaltigen Gottheit)
«Es gibt Ideen, und sie sind bestimmte Grundformen und bleibende, unveränderliche Wesenheiten der Dinge; sie sind selbst nicht gebildet worden und verhalten sich darum ewig in derselben Weise und befinden sich im Geiste Gottes. Während aber sie selbst nicht entstehen noch vergehen, wird alles nach ihnen gebildet, was entstehen und vergehen kann und tatsächlich entsteht und vergeht» (De div. quaest. 83, qu. 46, 2).
31 Scotus Erigena, um 810 bis um 877. Sein Hauptwerk «De
divisione naturae» wurde 1225 durch Papst Honorius in Paris
auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Seine Trinitätsformel lautete:
«Per essentiam patrem, per sapientiam filium, per vitam spiri-
tum sanctum.» Siehe den Vortrag von Rudolf Steiner am 2. Juni
1921 «Dionysius der Areopagite und Johannes Scotus Erigena»
in «Perspektiven der Menschheitsentwickelung. Der materiali
stische Erkenntnisimpuls und die Aufgabe der Anthroposophie»,
GA 204.
34 Friedrich Gottlieb Klopstock, 1724-1803. «Der Messias» 1748/1773.
1. Pelagius, britischer Laienmönch, der bis 410 in Rom tätig war, dann zuerst in Afrika, spater in Palästina wirkte; nach 418 wird er nicht mehr genannt. Seine Lehre wurde 431 auf dem Konzil von Ephesus verworfen.
2. in der sinnlichen Welt: In den Nachschriften und früheren Ausgaben stand an dieser Stelle: in der sinnlich-geistigen Welt.
45 Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert: Vgl. Rudolf Steiner, «Welt- und Lebensanschauungen im neun-
zehnten Jahrhundert», Berlin 1901 (Band XIX des Sammelwerks «Am Ende des Jahrhunderts, Rückschau auf 100 Jahre geistiger Entwicklung», Verlag Cronbach), Band II, Seite 171f. Die in das Buch «Die Rätsel der Philosophie» nicht übernommene Textstelle lautet:
«Es hängt alle höhere Weltanschauung davon ab, das Denken selbst zu fühlen, es zu erleben. In dieser Richtung könnte das moderne Denken viel lernen von der innerhalb der katholischen Theologie wieder belebten mittelalterlichen Weltanschauung, wie sie namentlich einen gewaltigen Ausdruck gefunden hat in dem Ideengebäude des heil. Thomas von Aquino. Man muß davon absehen können, daß diese Weltanschauung sich von dem kirchlichen Dogmenglauben ganz ins Schlepptau nehmen ließ; man muß den Blick auf ihre Gedankenwelt allein richten können. Diese Denker konnten sich wirklich in der Ideenwelt bewegen, ohne sich diese Welt in grobsinnlicher Form zu verkörperlichen.» (Fortsetzung des Zitats siehe Seite 107 im vorliegenden Band).
47 Patristik: Die Lehren der Kirchenväter im 2. bis 7. Jahrhundert.
Dionysius der Areopagite: Hinweis zu S. 11, im Abschnitt «Vom Wesen des Christentums».
1. Scotus Erigena: Siehe Hinweis zu Seite 31.
2. Vincenz Knauer: Siehe Hinweis zu Seite 22. Franz von Brentano: Siehe Hinweis zu Seite 23.
55 was Aristoteles den Nous . . . nennt: Sprich «nus».
1. die Wolfheit und die Lammheit: Vgl. hierzu Vincenz Knauer, «Die Hauptprobleme der Philosophie . . .», Wien 1892, S. 137 (21. Vorlesung während des Wintersemesters).
2. Johannes Roscellin von Compiegne, um 1050 - 1120. Synode zu Soissons: Fand im Jahre 1092 statt.
67 Averro'es, 1126 - 1198, arabischer Philosoph.
71 Wie wird das Denken christlich gemacht?: Vgl. u. a. den Vortrag von Rudolf Steiner am 30. Juli 1922 in «Das Geheimnis der Trinität», GA 214.
74 Johannes Duns Scotus, 1266 - 1308, schottischer Theologe, lehrte in Paris, England und Köln.
1. Wilhelm von Ockham, um 1300 - 1349, englischer Scholastiker, eigentlicher Systematiker des Nominalismus, lehrte in Paris.
2. dem selbst die Trinität auseinandergefallen ist wegen seines Nominalismus: Siehe dazu den Vortrag vom 27. Januar 1923 in «Lebendiges Naturerkennen, intellektueller Sündenfall und spirituelle Sündenerhebung», GA 220.
3. Gottfried Wilhelm von Leibnitz, 1646 - 1716, «Monadologie» 1714.
4. Rene Descartes (Cartesius), 1596 - 1650.
Augustinus ringt sich aus jenem Zweifel heraus: Siehe u. a. «De vera relig. 73»; De civit. dei XI 26f.
1. Benedictus (Baruch) Spinoza, 1632 - 1677.
2. Durch die Entwickelung des Denkens füllt sich dieses Denken wieder an mit geistigem Inhalt: In Spinozas «Ethik», II. Teil, Über die Seele: «Jede Vorstellung irgendeines wirklich existierenden Körpers oder einzelnen Dinges enthält notwendig die ewige und unendliche Wesenheit Gottes.»
des Juden Spinozas folgender Satz: Z. B. im 73. Brief vom November 1675 an H. Oldenburg: «sage ich, daß es zum Heile nicht schlechthin notwendig ist, Christus nach dem Fleische zu erkennen, daß es aber etwas ganz anderes ist mit jenem ewigen Sohn Gottes, d. h. mit Gottes ewiger Weisheit, die sich in allen Dingen und am meisten im menschlichen Geiste und von allem am meisten in Christo Jesu kundgetan hat.» («Sämtliche Werke», 3. Band, Leipzig 1914, übersetzt von C. Gebhardt.)
83 John Locke, 1632 - 1704, Vertreter des Empirismus.
Baco von Verulam, 1561 - 1626, Begründer des neuzeitlichen Empirismus.
84 David Hume, 1711 - 1776.
86 hei einer berühmten Naturforscherversammlung: Die 45. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte (1872). Die sog. Ignorabimus-Rede von Emil Du Bois-Reymond wurde 1882 veröffentlicht in «Über die Grenzen der Naturerkenntnis». Vgl. dazu Rudolf Steiner «Grenzen der Naturerkenntnis», GA 322.
1. Emil Du Bois-Reymond, 1818 - 1896.
2. Johannes Volkelt, 1848 - 1930. Hermann Cohen, 1842 - 1918.
Immanuel Kant, 1724 - 1804.
90 den kategorischen Imperativ: Zuerst erwähnt im 2. Abschnitt der «Grundlegung zur Metaphysik der Sitten», Riga 1785.
90 Kant. . . nach seinem eigenen Ausspruche: In der Vorrede zur
zweiten Auflage der «Kritik der reinen Vernunft», Riga 1787:
«Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu
bekommen ...»
Kant.. . Freiheit, Unsterblichkeit und die Gottesidee: In «Kritik der praktischen Vernunft», 1788, 1. Teil, 2. Buch, 2. Hauptstück, Kap. VIII: Vom Fürwahrhalten aus einem Bedürfnisse der reinen Vernunft, S. 256f.; Reclam 1945, S. 196, wörtlich: «Dagegen ist ein Bedürfnis der reinen praktischen Vernunft, auf einer Pflicht gegründet, etwas (das höchste Gut) zum Gegenstande meines Willens zu machen, um es nach allen meinen Kräften zu befördern; wobei ich aber die Möglichkeit desselben, mithin auch die Bedingungen dazu, nämlich Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, voraussetzen muß, weil ich diese durch meine spekulative Vernunft nicht beweisen, obgleich auch nicht widerlegen kann.»
91 Fichte konnte nicht einmal glauben, daß Kant: Siehe Fichte
«Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschafts-Lehre» (1795,
2. Aufl. 1802). Kant bezeichnete in einer öffentlichen Erklärung
am 7. August 1799 Fichtes «Wissenschaftslehre» als ein gänzlich
verfehltes System - und Fichte nannte ihn darauf einen «Drei-
viertel-Kopf».
93 Kursus für Ärzte: Rudolf Steiner, «Geisteswissenschaft und Medizin», GA 312.
«Goethe als Vater einer neuen Ästhetik»: Vortrag am 9. November 1888, in «Kunst und Kunsterkenntnis», GA 271, sowie als Einzelausgabe.
Pater Wilhelm Neumann, 1837 - 1919. Vgl. Rudolf Steiner, VII. Kap. in «Mein Lebensgang» (1923 - 25), GA 28.
94 Lesen Sie in meinen «Seelenrätseln»: «Von Seelenrätseln» (1917), GA 21. In diesem Werk wurde erstmals die innere Gliederung des physischen Menschen als dreigliedriger Organismus öffentlich dargestellt.
96 «Wahrheit und Wissenschaft» (1892), GA 3; «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung» (1886), GA 2; «Die Philosophie der Freiheit» (1894), GA 4.
100 dem Philisterprinzip Kants: Die These von Kant in seiner «Kritik der praktischen Vernunft» 1788, lautet: «Pflicht! Du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeiche-lung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst ...» - Die Antithese von Rudolf Steiner im Abschnitt über «Die Idee der Freiheit» in «Die Philosophie der Freiheit» (1894), GA 4.
Wilhelm Windelband, 1848 - 1915. Heinrich Rickert, 1863 - 1936.
104 ein Verhältnis zu dem Naturoffenbarungsinhalte: Vgl. den Vortrag Rudolf Steiners am 15. Juli 1922 in «Menschenfragen und Weltenantworten», GA 213.
«das Dogma der Erfahrung»: Siehe Rudolf Steiner, «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, mit besonderer Rücksicht auf Schiller» (1886), GA 2.
Die unerlöste menschliche Vernunft: Vgl. dazu den Vortrag Rudolf Steiners vom 30. Juli 1922 in «Das Geheimnis der Trinität», GA 214.
106 Vortrag gehalten über die philosophische Entwickelung des Abendlandes: Siehe Rudolf Steiner «Philosophie und Anthroposophie 1904 - 1918», GA 35, Seite 78f.
Joseph Kleutgen, 1811 - 1883, katholischer Theologe, der erste große Vertreter des Neu-Thomismus in der deutschen Sprache; er schrieb: «Die Philosophie der Vorzeit verteidigt» (2 Bde.) und «Die Theologie der Vorzeit verteidigt» (5 Bde.).
meine «Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert»: Siehe Hinweis zu Seite 45.
NAMENREGISTER
NAMENREGISTER
* = ohne Nennung im Text
Albertus Magnus 7, 36, 40, 44, 46, 50, 51, 54, 58, 59, 60, 61, 62, 65-68, 70, 71, 76, 79, 84, 85,95
Ambrosius 29
Aristoteles 21, 35, 54, 55
Augustinus 7 - 37, 41 - 44,54, 78, 80
Averroes 67
Baco von Verulam 83 Brentano, Franz 23, 51 Bruno, Giordano 84
Cohen, Hermann 87
Descartes, Rene 78, 79 Dionysius Areopagita 47-49, .
51, 60, 73, 95 Du Bois-Reymond, Emil 86
Duns Scotus 74, 75
Fichte, Johann Gottlieb 91
Galilei, Galileo 84
Goethe, Johann Wolfgang von 81, 82, 92
Haeckel, Ernst 106, 107 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
92 Herder, Johann Gottfried 81 Homer 34, 39 Hume, David 84
Justinian 9, 35
Kant, Immanuel 87ff., 94, 97,
98, 100 Karl der Kahle 31,
Kepler, Johannes 84 Kleutgen, Joseph 106, 107 Klopstock, Friedrich Gottlieb
34, 39 Knauer, Vincenz 22, 51 Kopernikus, Nikolaus 84
Leibniz, Gottfried Wilhelm von
77 Leo XIII. 7 Locke, John 83
Mani 14
Neumann, Wilhelm 93, 94, 101*
Ockham, Wilhelm von 75 Origines 9
Paulus 29
Pelagius 42, 43
Plato 20, 22, 24, 25, 54
Plotin 22ff., 47, 51- 53, 60, 95
Rickert, Heinrich 100 Roscellin von Compiegne, Johannes 59, 76
Schelling, Friedrich Wilhelm
Joseph 92 Schiller, Friedrich 100 Scotus Erigena 31, 50, 51, 60,
73 Spinoza, Baruch 81
Volkelt, Johannes 87
Windelband, Wilhelm 100
Literatur
- Rudolf Steiner: Die Philosophie des Thomas von Aquino, GA 74 (1993), ISBN 3-7274-0741-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv. Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen. Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners. |