GA 334: Unterschied zwischen den Versionen

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Und da kommt man dann auf eine Frage, die ich für außeror­dentlich wichtig halte. Man soll eben auch nicht von einem allge­meinen Sozialismus ausgehen und soll nicht glauben, daß es einen abstrakten Sozialismus gebe, sondern soll fragen: Wie muß ein jedes Volkstum aus seinen eigenen Entitäten heraus behandelt werden? -Und derjenige, der von westeuropäischen Beobachtungen kommt, sie hier in der Schweiz noch bebrütet hat, nach Rußland geht und dem russischen Volk etwas ganz Fremdes aufdrängt, der zerstört eigentlich das, was sich aus dem russischen Volk heraus hat bilden können. - Aber, wie gesagt, es können heute nicht alle sozialen Fragen mehr gelöst werden.
Und da kommt man dann auf eine Frage, die ich für außeror­dentlich wichtig halte. Man soll eben auch nicht von einem allge­meinen Sozialismus ausgehen und soll nicht glauben, daß es einen abstrakten Sozialismus gebe, sondern soll fragen: Wie muß ein jedes Volkstum aus seinen eigenen Entitäten heraus behandelt werden? -Und derjenige, der von westeuropäischen Beobachtungen kommt, sie hier in der Schweiz noch bebrütet hat, nach Rußland geht und dem russischen Volk etwas ganz Fremdes aufdrängt, der zerstört eigentlich das, was sich aus dem russischen Volk heraus hat bilden können. - Aber, wie gesagt, es können heute nicht alle sozialen Fragen mehr gelöst werden.
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= ANSPRACHE VOR DEM SCHWEIZER STAATSBÜRGER-VEREIN Dornach, 18. April 1920 =
= ANSPRACHE VOR DEM SCHWEIZER STAATSBÜRGER-VEREIN Dornach, 18. April 1920 =
<nowiki>#</nowiki>G334-1983-SE173 - Vom Einheitsstaat zum dreigliedrigen sozialen Organismus
<nowiki>#</nowiki>TI
ANSPRACHE VOR DEM
SCHWEIZER STAATSBÜRGER-VEREIN
Dornach, 18. April 1920
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Meine sehr verehrten Anwesenden! Auf Ihren Wunsch darf ich Ihnen heute einiges auseinandersetzen über den sozialen Impuls, der unter dem Namen der Dreigliederung des sozialen Organismus der Welt gegenübertreten will - gegenübertreten will zunächst von hier aus. Und er darf gerade von hier aus in die Welt getragen werden aus dem Grunde, weil hier Geisteswissenschaft getrieben werden soll und eigentlich heute schon weiteste Kreise begreifen könnten, daß eine Gesundung der allgemeinen Weltenverhältnisse doch nur durch eine geistige Vertiefung kommen kann.
Meine sehr verehrten Anwesenden! Auf Ihren Wunsch darf ich Ihnen heute einiges auseinandersetzen über den sozialen Impuls, der unter dem Namen der Dreigliederung des sozialen Organismus der Welt gegenübertreten will - gegenübertreten will zunächst von hier aus. Und er darf gerade von hier aus in die Welt getragen werden aus dem Grunde, weil hier Geisteswissenschaft getrieben werden soll und eigentlich heute schon weiteste Kreise begreifen könnten, daß eine Gesundung der allgemeinen Weltenverhältnisse doch nur durch eine geistige Vertiefung kommen kann.
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Ich danke Ihnen, meine sehr verehrten Anwesenden, daß Sie anhören wollten, was ich vorzubringen hatte. Ich kann nur um Ihre Nachsicht bitten, da ich in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, selbstverständlich nur einige reine Gedanken ohne die nöti­gen Beweise vor Sie hinstellen konnte, die Sie aber in den entspre­chenden Büchern und Zeitschriften, die auch hier in der Schweiz zu haben sind, und die Sie auch in der «Sozialen Zukunft» finden können, die von Dr. Boos herausgegeben wird. Ich konnte Ihnen nur einige Leitgedanken hinstellen; und ich hoffe nur, daß diese Leitgedanken in Ihnen vielleicht doch die Empfindung hervorrufen können, daß es sich jedenfalls in diesem Impuls von der Dreiglie­derung des sozialen Organismus nicht um einen zufällig hingewor­fenen Ideeneinfall handelt, sondern daß diese Dreigliederung des sozialen Organismus herausgegriffen ist aus den tiefsten Nöten der heutigen Menschheit, die aber zu gleicher Zeit die heutige Mensch­heit aus ihren Nöten wirklich herausführen kann, aus dem Chaos und dem Niedergang herausführen will zu einem wirklichen Neu­bau, nach dem sich heute so viele Menschen, und zwar mit Recht, doch sehnen.
Ich danke Ihnen, meine sehr verehrten Anwesenden, daß Sie anhören wollten, was ich vorzubringen hatte. Ich kann nur um Ihre Nachsicht bitten, da ich in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, selbstverständlich nur einige reine Gedanken ohne die nöti­gen Beweise vor Sie hinstellen konnte, die Sie aber in den entspre­chenden Büchern und Zeitschriften, die auch hier in der Schweiz zu haben sind, und die Sie auch in der «Sozialen Zukunft» finden können, die von Dr. Boos herausgegeben wird. Ich konnte Ihnen nur einige Leitgedanken hinstellen; und ich hoffe nur, daß diese Leitgedanken in Ihnen vielleicht doch die Empfindung hervorrufen können, daß es sich jedenfalls in diesem Impuls von der Dreiglie­derung des sozialen Organismus nicht um einen zufällig hingewor­fenen Ideeneinfall handelt, sondern daß diese Dreigliederung des sozialen Organismus herausgegriffen ist aus den tiefsten Nöten der heutigen Menschheit, die aber zu gleicher Zeit die heutige Mensch­heit aus ihren Nöten wirklich herausführen kann, aus dem Chaos und dem Niedergang herausführen will zu einem wirklichen Neu­bau, nach dem sich heute so viele Menschen, und zwar mit Recht, doch sehnen.


[Schlußwort des Veranstalters.]  
[Schlußwort des Veranstalters.]
 
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= DIE GEGENWÄRTIGE WIRTSCHAFTSKRISIS UND DIE GESUNDUNG DES WIRTSCHAFTSLEBENS DURCH DIE DREIGLIEDERUNG DES SOZIALEN ORGANISMUS Basel, 26. April 1920 =
= DIE GEGENWÄRTIGE WIRTSCHAFTSKRISIS UND DIE GESUNDUNG DES WIRTSCHAFTSLEBENS DURCH DIE DREIGLIEDERUNG DES SOZIALEN ORGANISMUS Basel, 26. April 1920 =
<nowiki>#</nowiki>G334-1983-SE194 - Vom Einheitsstaat zum dreigliedrigen sozialen Organismus
<nowiki>#</nowiki>TI
DIE GEGENWÄRTIGE WIRTSCHAFTSKRISIS UND
DIE GESUNDUNG DES WIRTSCHAFTSLEBENS DURCH
DIE DREIGLIEDERUNG DES SOZIALEN ORGANISMUS
Basel, 26. April 1920
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Ich könnte mir denken, daß es den Redaktor eines Witzbiattes reizen könnte, wenn bei einer Veranstaltung einer Mustermesse über die Gesundung des wirtschaftlichen Lebens der Erbauer der Dornacher Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, des Goe­theanum, das Wort ergreift. Denn es ist ja schon einmal im allge­meinen Zeitbewußtsein wohl gelegen, daß nichts einander ferner stehen könnte, als dasjenige, was sich die Menschen, die die Sache oberflächlich kennen, vorstellen unter der nebulosen Mystik des Dornacher Goetheanum, und was man ansieht als die Lebenspraxis. Und dennoch, es könnte ja vielleicht noch paradoxer und witziger erscheinen, daß gerade in den letzten Zeiten, in den letzten Wochen, an einem Orte Süddeutschlands - und die Schweiz wird in allernäch­ster Zeit diesem Muster folgen - an die Gründung gegangen wird, gerade von derjenigen Geistes- und Weltanschauungsströmung, die in Dornach vertreten wird, rein wirtschaftlicher Unternehmungen, einer Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geisti­ger realer Werte.
Ich könnte mir denken, daß es den Redaktor eines Witzbiattes reizen könnte, wenn bei einer Veranstaltung einer Mustermesse über die Gesundung des wirtschaftlichen Lebens der Erbauer der Dornacher Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, des Goe­theanum, das Wort ergreift. Denn es ist ja schon einmal im allge­meinen Zeitbewußtsein wohl gelegen, daß nichts einander ferner stehen könnte, als dasjenige, was sich die Menschen, die die Sache oberflächlich kennen, vorstellen unter der nebulosen Mystik des Dornacher Goetheanum, und was man ansieht als die Lebenspraxis. Und dennoch, es könnte ja vielleicht noch paradoxer und witziger erscheinen, daß gerade in den letzten Zeiten, in den letzten Wochen, an einem Orte Süddeutschlands - und die Schweiz wird in allernäch­ster Zeit diesem Muster folgen - an die Gründung gegangen wird, gerade von derjenigen Geistes- und Weltanschauungsströmung, die in Dornach vertreten wird, rein wirtschaftlicher Unternehmungen, einer Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geisti­ger realer Werte.
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Sehen Sie, es muß immer wieder und wiederum das gesagt werden
Sehen Sie, es muß immer wieder und wiederum das gesagt werden


- und nicht umsonst wiederhole ich es immer wieder und wiederum in der Stuttgarter Dreigliederungszeitung, die jede Woche erscheint und ich habe den Gedanken schon auch ausgeführt in der Zeitung, die der Dreigliederung des sozialen Organismus gewidmet ist hier in der Schweiz: in der «Sozialen Zukunft», die von Dr. Boos hier redigiert wird und besonders ausgeführt wird für schweizerische Verhältnisse, und in der vertreten wird die Dreigliederung hier in der Schweiz, daß es notwendig ist vor allen Dingen, daß der Dreigliederungsgedanke in einer genügend großen Anzahl von Köpfen Platz greife. Man muß ihn erst verstehen. Die Menschen müssen da sein und ihn verstehen, damit er Wurzel fassen kann. Denn, meine sehr verehrten Anwesenden, dann ist er selber, dieser Dreigliederungsgedanke, beziehungsweise das, was aus ihm wird, die einzig wirkliche Abwendung gegenwärtigen Übels.  
- und nicht umsonst wiederhole ich es immer wieder und wiederum in der Stuttgarter Dreigliederungszeitung, die jede Woche erscheint und ich habe den Gedanken schon auch ausgeführt in der Zeitung, die der Dreigliederung des sozialen Organismus gewidmet ist hier in der Schweiz: in der «Sozialen Zukunft», die von Dr. Boos hier redigiert wird und besonders ausgeführt wird für schweizerische Verhältnisse, und in der vertreten wird die Dreigliederung hier in der Schweiz, daß es notwendig ist vor allen Dingen, daß der Dreigliederungsgedanke in einer genügend großen Anzahl von Köpfen Platz greife. Man muß ihn erst verstehen. Die Menschen müssen da sein und ihn verstehen, damit er Wurzel fassen kann. Denn, meine sehr verehrten Anwesenden, dann ist er selber, dieser Dreigliederungsgedanke, beziehungsweise das, was aus ihm wird, die einzig wirkliche Abwendung gegenwärtigen Übels.
 
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= GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) IM VERHÄLTNIS ZU GEIST UND UNGEIST IN DER GEGENWART Erster Vortrag, Basel, 4. Mai 1920 =
= GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) IM VERHÄLTNIS ZU GEIST UND UNGEIST IN DER GEGENWART Erster Vortrag, Basel, 4. Mai 1920 =
<nowiki>#</nowiki>G334-1983-SE225 - Vom Einheitsstaat zum dreigliedrigen sozialen Organismus
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GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE)
IM VERHÄLTNIS ZU
GEIST UND UNGEIST IN DER GEGENWART
Erster Vortrag, Basel, 4. Mai 1920
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In diesen drei Vorträgen möchte ich von einer gewissen Seite her eine Art zusammenfassenden Bildes geben von dem Wollen der geisteswissenschaftlichen Bewegung, von jenem Wollen, das her­vorgeht aus den klar ersichtlichen Aufgaben der Gegenwart selber und aus dem, was man erkennen kann an Menschheitsaufgaben für die nächste Zukunft.
In diesen drei Vorträgen möchte ich von einer gewissen Seite her eine Art zusammenfassenden Bildes geben von dem Wollen der geisteswissenschaftlichen Bewegung, von jenem Wollen, das her­vorgeht aus den klar ersichtlichen Aufgaben der Gegenwart selber und aus dem, was man erkennen kann an Menschheitsaufgaben für die nächste Zukunft.
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Das weitere will ich in den nächsten Tagen entwickeln. Heute wollte ich einleitungsweise sagen, daß anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, nicht sich beteiligen möchte an der Herbeiführung eines Zustandes, in welchem man immer mehr und mehr wird sagen müssen: Unsinn, du hast ent­schieden -, sondern an der Herbeiführung eines Zustandes, in dem aus innerster Menschentüchtigkeit, aus innerlichster wirklicher Menschenerkenntnis heraus man wird sagen müssen: Sinn können wir wiederum in das Leben bringen, aufbauenden Sinn. Daran möchte Geisteswissenschaft arbeiten.
Das weitere will ich in den nächsten Tagen entwickeln. Heute wollte ich einleitungsweise sagen, daß anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, nicht sich beteiligen möchte an der Herbeiführung eines Zustandes, in welchem man immer mehr und mehr wird sagen müssen: Unsinn, du hast ent­schieden -, sondern an der Herbeiführung eines Zustandes, in dem aus innerster Menschentüchtigkeit, aus innerlichster wirklicher Menschenerkenntnis heraus man wird sagen müssen: Sinn können wir wiederum in das Leben bringen, aufbauenden Sinn. Daran möchte Geisteswissenschaft arbeiten.


Und ihre Kraft schöpft sie aus dem Glauben, der doch wohl mehr als ein bloßer Glaube ist, aus der Überzeugung, daß die Zeit wird kommen müssen, in der der Ungeist der Phrase, der Ungeist der Konvention, der Ungeist der Routiniertheit wird besiegt werden müssen durch den Geist, der aus einer tieferen Erkenntnis heraus wiederum von dem Sinn des Lebens spricht. Denn Geisteswissen­schaft muß der Überzeugung sein: Nicht der Ungeist wird die Menschen zu einer heilsamen Entwickelung ihres Lebens führen, sondern allein der Geist. Daher möchte Geisteswissenschaft, so stark sie es nur kann, gegenüber den Bedürfnissen gerade der heutigen Gegenwart und der nächsten Zukunft den Ruf nach dem Geiste und nach seiner wahren Erkenntnis erheben.  
Und ihre Kraft schöpft sie aus dem Glauben, der doch wohl mehr als ein bloßer Glaube ist, aus der Überzeugung, daß die Zeit wird kommen müssen, in der der Ungeist der Phrase, der Ungeist der Konvention, der Ungeist der Routiniertheit wird besiegt werden müssen durch den Geist, der aus einer tieferen Erkenntnis heraus wiederum von dem Sinn des Lebens spricht. Denn Geisteswissen­schaft muß der Überzeugung sein: Nicht der Ungeist wird die Menschen zu einer heilsamen Entwickelung ihres Lebens führen, sondern allein der Geist. Daher möchte Geisteswissenschaft, so stark sie es nur kann, gegenüber den Bedürfnissen gerade der heutigen Gegenwart und der nächsten Zukunft den Ruf nach dem Geiste und nach seiner wahren Erkenntnis erheben.
 
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= SEELENWESEN UND SITTLICHER MENSCHENWERT IM LICHTE DER GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) Zweiter Vortrag, Basel, 5. Mai 1920 =
= SEELENWESEN UND SITTLICHER MENSCHENWERT IM LICHTE DER GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) Zweiter Vortrag, Basel, 5. Mai 1920 =
<nowiki>#</nowiki>G334-1983-SE251 - Vom Einheitsstaat zum dreigliedrigen sozialen Organismus
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SEELENWESEN UND SITTLICHER MENSCHENWERT
IM LICHTE DER GEISTESWISSENSCHAFT
(ANTHROPOSOPHIE)
Zweiter Vortrag, Basel, 5. Mai 1920
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Im gestrigen Vortrag habe ich schon darauf hingewiesen, wie unter dem Einflusse der neueren, von der Naturwissenschaft her bestimm­ten Weltanschauung eine gewisse Unsicherheit in die Menschheit kommen mußte in bezug auf die Frage: Wie stellt sich dasjenige Weltgeschehen, das die Naturwissenschaft als eben naturnotwendig darstellt, zu der Geltung, zu der Bedeutung der sittlichen Men­schenwerte?
Im gestrigen Vortrag habe ich schon darauf hingewiesen, wie unter dem Einflusse der neueren, von der Naturwissenschaft her bestimm­ten Weltanschauung eine gewisse Unsicherheit in die Menschheit kommen mußte in bezug auf die Frage: Wie stellt sich dasjenige Weltgeschehen, das die Naturwissenschaft als eben naturnotwendig darstellt, zu der Geltung, zu der Bedeutung der sittlichen Men­schenwerte?
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Geisteswissenschaft zeigt, daß sittliche Menschenwerte mit Recht im Seelenwesen aufgehen, weil sich künftige Welten ihre Keime gerade in den Menschenseelen durch sittliche Menschenwerte schaf­fen. Sittliche Menschenwerte von heute sind Naturwerte zukünf­tiger Welten. Wie wir heute in die Naturwerte hineinschauen und sehen die Ergebnisse vergangener Welten, so sehen wir in dem, was tief in unserer Brust entsteht, den Aufgang von neuen Welten. Nicht in abstrakter Form spricht Geisteswissenschaft von der Ewigkeit. Denn was so im ewigen Werden, im Wandel lebt, so daß es als Natürliches aus Sittlichem hervorgeht und wieder Sittliches für künftige Welten in seinem Schoße trägt, was so im Wandel der Zeiten lebt, das hat das Leben der Ewigkeiten. Und damit hat, weil der Keim für Ewigkeiten in der Menschen-Seelenwesenheit ruht, die Menschenseele ihre wahre Ewigkeit.  
Geisteswissenschaft zeigt, daß sittliche Menschenwerte mit Recht im Seelenwesen aufgehen, weil sich künftige Welten ihre Keime gerade in den Menschenseelen durch sittliche Menschenwerte schaf­fen. Sittliche Menschenwerte von heute sind Naturwerte zukünf­tiger Welten. Wie wir heute in die Naturwerte hineinschauen und sehen die Ergebnisse vergangener Welten, so sehen wir in dem, was tief in unserer Brust entsteht, den Aufgang von neuen Welten. Nicht in abstrakter Form spricht Geisteswissenschaft von der Ewigkeit. Denn was so im ewigen Werden, im Wandel lebt, so daß es als Natürliches aus Sittlichem hervorgeht und wieder Sittliches für künftige Welten in seinem Schoße trägt, was so im Wandel der Zeiten lebt, das hat das Leben der Ewigkeiten. Und damit hat, weil der Keim für Ewigkeiten in der Menschen-Seelenwesenheit ruht, die Menschenseele ihre wahre Ewigkeit.  
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= DIE GEISTIGEN UND SITTLICHEN KRÄFTE DER GEGENWÄRTIGEN VÖLKER IM LICHTE DER GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) Dritter Vortrag, Basel, 6. Mai 1920 =
= DIE GEISTIGEN UND SITTLICHEN KRÄFTE DER GEGENWÄRTIGEN VÖLKER IM LICHTE DER GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) Dritter Vortrag, Basel, 6. Mai 1920 =
<nowiki>#</nowiki>G334-1983-SE273 - Vom Einheitsstaat zum dreigliedrigen sozialen Organismus


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Es war gestern meine Bemühung, zu zeigen, wie mit dem Herauf­kommen einer Weltanschauung, die ganz beeinflußt ist von naturwissenschaftlicher Grundlegung, die sittlichen Menschenwerte all­mählich nicht mehr in Verbindung gebracht werden können im Bewußtsein der Menschen mit dem, was in dieser Art als ein Weltbild vor der menschlichen Seele steht. Und es wurde darauf hingewiesen, wie aus den Quellen geisteswissenschaftlicher Er­kenntnis diese Festlegung des sittlichen Menschenwertes wiederum gefunden werden müsse. Da war gewissermaßen mein Bestreben gestern, zu zeigen, wie die Menschheit durch Aufnahme der Gei­steswissenschaft zu einem vollen Bewußtsein ihrer sittlichen Würde wiederum kommen könne.


DIE GEISTIGEN UND SITTLICHEN KRÄFTE
Man kann dieselbe Aufgabe von einer anderen Seite zu bewältigen suchen dadurch, daß man geisteswissenschaftlich untersucht die Wesenheiten der heute die Erde bewohnenden Völker, dasjenige untersucht, was in diesen Völkern zusammenwirkt an geistigen und sittlichen Kräften, um sich die Frage beantworten zu können: Inwiefern können die Menschen der Gegenwart aus den verschie­denen Volkskräften heraus nach dem hinstreben, was man eine soziale Gesundung auf Grundlage einer ethischen, einer sittlichen Gesundung nennen kann?
 
DER GEGENWÄRTIGEN VÖLKER IM LICHTE DER
 
GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE)
 
Dritter Vortrag, Basel, 6. Mai 1920
 
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Es war gestern meine Bemühung, zu zeigen, wie mit dem Herauf­kommen einer Weltanschauung, die ganz beeinflußt ist von natur-wissenschaftlicher Grundlegung, die sittlichen Menschenwerte all­mählich nicht mehr in Verbindung gebracht werden können im Bewußtsein der Menschen mit dem, was in dieser Art als ein Weltbild vor der menschlichen Seele steht. Und es wurde darauf hingewiesen, wie aus den Quellen geisteswissenschaftlicher Er­kenntnis diese Festlegung des sittlichen Menschenwertes wiederum gefunden werden müsse. Da war gewissermaßen mein Bestreben gestern, zu zeigen, wie die Menschheit durch Aufnahme der Gei­steswissenschaft zu einem vollen Bewußtsein ihrer sittlichen Würde wiederum kommen könne.
 
Man kann dieselbe Aufgabe von einer anderen Seite zu bewältigen suchen dadurch, daß man geisteswissenschaftlich untersucht die Wesenheiten der heute die Erde bewohnenden Völker, dasjenige untersucht, was in diesen Völkern zusammenwirkt an geistigen und sittlichen Kräften, um sich die Frage beantworten zu können:
 
Inwiefern können die Menschen der Gegenwart aus den verschie­denen Volkskräften heraus nach dem hinstreben, was man eine soziale Gesundung auf Grundlage einer ethischen, einer sittlichen Gesundung nennen kann?


Wir haben es als Menschheit erlebt, daß die äußeren materiellen, namentlich die wirtschaftlichen Zusammenhänge, sich nach und nach fast über die ganze bewohnte Erde hin erstreckt haben. Die Erde ist ein Wirtschaftsgebiet geworden. Und die Menschen waren gezwungen, nach den Erkenntnissen, die sie gehabt haben, sich dieses Wirtschaftsgebiet der Erde in einer gewissen Weise einzurich­ten: Die alten, aus ganz anderen Voraussetzungen heraus gegebenen Staatengebilde und Volksorganismen so zueinander in ein Verhältnis
Wir haben es als Menschheit erlebt, daß die äußeren materiellen, namentlich die wirtschaftlichen Zusammenhänge, sich nach und nach fast über die ganze bewohnte Erde hin erstreckt haben. Die Erde ist ein Wirtschaftsgebiet geworden. Und die Menschen waren gezwungen, nach den Erkenntnissen, die sie gehabt haben, sich dieses Wirtschaftsgebiet der Erde in einer gewissen Weise einzurich­ten: Die alten, aus ganz anderen Voraussetzungen heraus gegebenen Staatengebilde und Volksorganismen so zueinander in ein Verhältnis
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Gebiete gemacht werden, für diesen weltgeschichtli­chen Augenblick zu zerstören: Geisteswissenschaft müßte doch wiederum von neuem entstehen! Denn ihre Hoffnung ist nicht begründet auf ein subjektives Wollen eines einzelnen oder einiger weniger oder auch einer Sekte, nein, ihre Hoffnung ist begründet darauf, daß die Menschheit mit Bezug auf ihre seelischsten, wich­tigsten Angelegenheiten der Gegenwart und nächsten Zukunft diese Geisteswissenschaft und alles, was lebensvoll mit ihr zusammen­hängt, braucht. Darauf wird gerechnet in den Hoffnungen der Geisteswissenschaft, daß diese Geisteswissenschaft gedeihen wird, weil die Menschheit sie braucht, was die Menschheit so verlangt, wie sie eine Erneuerung des Geisteslebens verlangt. Das kann vielleicht für den Augenblick durch Böswilligkeiten, durch Unverstand nie­dergetreten werden. Für die Dauer aber kann es nicht überwunden werden. Denn was die Menschheit brauchen wird, das wird ihr werden, mögen die Gegner noch so greulich, noch so böswillig oder mißverstehend sein, es wird dasjenige, was zum Besten der Mensch­heit geschehen soll, geschehen, weil es aus inneren, aus geistig-gött­lichen Gründen heraus geschehen muß.  
Gebiete gemacht werden, für diesen weltgeschichtli­chen Augenblick zu zerstören: Geisteswissenschaft müßte doch wiederum von neuem entstehen! Denn ihre Hoffnung ist nicht begründet auf ein subjektives Wollen eines einzelnen oder einiger weniger oder auch einer Sekte, nein, ihre Hoffnung ist begründet darauf, daß die Menschheit mit Bezug auf ihre seelischsten, wich­tigsten Angelegenheiten der Gegenwart und nächsten Zukunft diese Geisteswissenschaft und alles, was lebensvoll mit ihr zusammen­hängt, braucht. Darauf wird gerechnet in den Hoffnungen der Geisteswissenschaft, daß diese Geisteswissenschaft gedeihen wird, weil die Menschheit sie braucht, was die Menschheit so verlangt, wie sie eine Erneuerung des Geisteslebens verlangt. Das kann vielleicht für den Augenblick durch Böswilligkeiten, durch Unverstand nie­dergetreten werden. Für die Dauer aber kann es nicht überwunden werden. Denn was die Menschheit brauchen wird, das wird ihr werden, mögen die Gegner noch so greulich, noch so böswillig oder mißverstehend sein, es wird dasjenige, was zum Besten der Mensch­heit geschehen soll, geschehen, weil es aus inneren, aus geistig-gött­lichen Gründen heraus geschehen muß.
 
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= HINWEISE =
= HINWEISE =
<nowiki>#</nowiki>G334-1983-SE296 - Vom Einheitsstaat zum dreigliedrigen sozialen Organismus
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HINWEISE
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Innerhalb der in diesem Band vereinigten elf öffentlichen Vorträge aus dem Jahre 1 92C greift Rudolf Steiner erneut die Grundfragen einer Neugestaltung des sozialen Lebens auf, die er bereits im Jahre 1919 in zahlreichen Vorträgen zunächst in der Schweiz (siehe: «Die soziale Frage», GA Bibl.-Nr. 328, und »Soziale Zukunft», GA Bibl.-Nr. 332a) und dann auch in Deutschland (siehe: »Neugestaltung des sozialen Organismus», GA Bibl.-Nr. 330/331, und «Gedankenfreiheit und soziale Kräfte», GA Bibl.-Nr. 333) ausführlich behandelt hat.
Innerhalb der in diesem Band vereinigten elf öffentlichen Vorträge aus dem Jahre 1 92C greift Rudolf Steiner erneut die Grundfragen einer Neugestaltung des sozialen Lebens auf, die er bereits im Jahre 1919 in zahlreichen Vorträgen zunächst in der Schweiz (siehe: «Die soziale Frage», GA Bibl.-Nr. 328, und »Soziale Zukunft», GA Bibl.-Nr. 332a) und dann auch in Deutschland (siehe: »Neugestaltung des sozialen Organismus», GA Bibl.-Nr. 330/331, und «Gedankenfreiheit und soziale Kräfte», GA Bibl.-Nr. 333) ausführlich behandelt hat.

Aktuelle Version vom 30. Oktober 2023, 19:59 Uhr

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER DAS SOZIALE LEBEN UND
DIE DREIGLIEDERUNG DES SOZIALEN ORGANISMUS

Vom Einheitsstaat zum
dreigliedrigen sozialen Organismus

Elf öffentliche Vorträge
gehalten in Basel, Zürich und Dornach
zwischen dem 5. Januar und 6. Mai 192

GA 334

1983

Inhaltsverzeichnis


11

WEGE UND ZIELE DER GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) Erster Vortrag, Basel, 5. Januar 1920

Wer draußen in der Nachbarschaft den Bau betrachtet, der dem sogenannten Goetheanum, einer freien Hochschule für Geisteswis­senschaft, gewidmet ist, die den Geistes-, den Zivilisationsinteres­sen der Zukunft dienen will, der kann zunächst absonderlich be­rührt sein von den Formen, von der Stilweise, die ihm da entgegen­treten. Man mag nun gegen das, was man da sieht, mancherlei einzuwenden haben. Diejenigen, die am Bau beteiligt sind, werden solche Einwände, daß es sich um einen vorläufigen Versuch handelt, durchaus verstehen können, wenn sie aus gutem Willen hervorge­hen. Aber gegenüber diesem Bau muß eine gewisse Frage aufge­worfen werden, die charakteristisch ist für alles das, was jene geistige Bewegung will und anstrebt, deren Repräsentant dieser Bau sein soll. Hätte man in der gewöhnlichen Art die Notwendigkeit gehabt, für eine gewisse geistige Strömung, für eine gewisse Art von geistiger Tätigkeit einen selbständigen Bau irgendwo zu errichten, dann hätte man sich wohl an diesen oder jenen Architekten ge­wandt, an diesen oder jenen Künstler, und man hätte vielleicht mit ihnen verhandelt darüber, was in einem solchen Bau getrieben werden soll, und dann wäre in irgendeinem antiken, einem Renais­sancestil oder in irgendeinem anderen Stil ein Bau errichtet worden, in dem nun diese geisteswissenschaftliche Tätigkeit ihre Wohnung finden sollte. Es würde nur ein äußerliches Verhältnis bestehen zwi­schen den Formen innerhalb des Gebäudes und um das Gebäude, das dieser geistigen Tätigkeit gewidmet ist, und dieser letzteren selbst.

So konnte es gerade bei dieser geistigen Bewegung nicht gemacht werden. Hier handelt es sich darum, für eine gewisse Geistes-strömung eine äußere Umhüllung zu schaffen, welche im ganzen und in jeder, auch der geringsten Einzelheit wie herausgeboren ist aus dem ganzen Denken, Empfinden und Wollen dieser Geistesbe­wegung selbst. Es handelte sich darum, in den äußeren Formen bis

12

ins einzelnste hinein etwas zu schaffen, was in gleicher Weise ein äußerer Ausdruck ist für das innerlich Gewollte wie das Wort oder irgend etwas anderes, das ausdrücken soll den Inhalt dieser Geistes­bewegung selbst. Da konnte man sich nicht wenden an irgendeinen schon bestehenden Stil, an irgendwelche Formensprache, die histo­risch überliefert ist. Da mußte aus demselben geistigen Untergrunde heraus, aus dem der Inhalt der Weltanschauung geschöpft ist, auch das geschöpft werden, was für das Auge sichtbar in den Bauformen auftritt. Nicht nur im innersten Antriebe der geisteswissenschaft­lichen Bewegung, die sich auch die anthroposophische nennt, liegt dies, sondern in der ganzen Art, wie diese Bewegung ihre Aufgabe, ihre Wege, ihre Ziele im Verhältnis zu den großen Anforderungen der gegenwärtigen zivilisierten Welt auffaßt.

Diese geistige Bewegung will nicht so irgendeine abgezogene Theorie, eine nur den Intellekt beschäftigende Wissenschaft, sie will nicht etwas sein, was dienen kann allein einer einseitigen Befriedi­gung der inneren Seeleninteressen, sie will etwas sein, was allerdings Befriedigung, innigste Befriedigung gewähren kann jenen Sehn­süchten der menschlichen Seele, die nach Weltanschauung hinge­hen. Sie will aber diese Weltanschauung so fest in der Wirklichkeit verankern, daß sie einzugreifen vermag in alles praktische Leben. Und so ist, was wir ja zunächst allein leisten konnten, das unmit­telbare Schaffen von Bau- und Kunstformen für unsere Sache, charakteristisch für diese ganze Bewegung. Wie sie da allerdings nur auf einem engbegrenzten und zunächst auch dem äußeren Leben scheinbar fernliegenden Gebiete unmittelbar in das Allerprak­tischste eingegriffen hat, so will diese geistige Bewegung Wege suchen und Ziele weisen, die in alles Soziale, in alles Sittliche, in alles in weitestem Umfange zu denkende menschliche Zusammenleben hineingreifen. Nicht weltfremde Idealisten sollen jene Idealisten sein, welche auf diese Geisteswissenschaft bauen, sondern sie sollen solche Idealisten werden, welche das, was aus ihrer Seele wird, unmittelbar einfließen lassen können in ihre praktische Lebensbetä­tigung. Und alles das, was oftmals so fremd verläuft in demjenigen, was der Mensch denkt, das soll zusammengestimmt werden mit

13

dem, was in des Menschen innerstem seelischen Streben ist. Die äußere Lebenspraxis, sie soll eins werden mit dem, wodurch der Mensch seine sittlichen Impulse sucht, seine sozialen Triebe entwik­kelt, seiner religiösen Verehrung nachhängt. Mit einer solchen Gesinnung, mit einer solchen Anschauung steht allerdings diese geisteswissenschaftliche Strömung heute noch ziemlich fern demje­nigen, was in weitesten Kreisen der heute gebildeten Menschen angestrebt, gewollt, ja für das Richtige gehalten wird.

Daß das so sein muß, aber auch daß es notwendig ist, daß in unsere moderne Zivilisation sich eine solche geistige Bewegung hineinstellt, das kann ersichtlich werden, wenn man den Blick wendet auf die Art und Weise, wie unser ganzes Leben, in dem wir heute drinnenstehen, eigentlich aus den verschiedensten Strömun­gen zusammengeflossen ist. Ich möchte heute zunächst von zwei hauptsächlichsten Strömungen unseres Zivilisationslebens spre­chen. Wir haben heute das, was wir unsere geistige Bildung nennen, in dem unsere religiösen Überzeugungen wurzeln, in dem unsere sittlichen Ideale entspringen, aber in dem auch unser ganzes höheres Geistesleben wurzelt. Wir haben dasjenige, wodurch der Mensch ausbilden soll über das gewöhnliche Handarbeitliche hinaus seine Fähigkeiten und Kräfte für eine geistige Bildung. Und wir haben neben dem die praktische Lebenstätigkeit, die in den letzten Jahr­hunderten so intensive Impulse erhalten hat. Wir haben um uns herum eine allerdings von unserer Wissenschaft angeregte, aber tief in das soziale Leben hineingreifende Technik, die umgestaltet hat das moderne Zivilisationsleben in einem Sinne, welcher ganz gewiß noch einem Menschen vor acht bis neun Jahrhunderten völlig unfaßlich gewesen wäre.

Wenn wir uns nun fragen, woher das eine, unser geistiges Bil­dungsleben, das nicht etwa bloß unsere höheren Schulen beherrscht, das bis in unsere Volksschulen hinunter seine Triebe entfaltet, und woher andererseits unsere von einer so ausgebreiteten Technik durchzogene Lebenspraxis kommt, so erhält man eine Antwort, über die sich der Mensch der Gegenwart heute noch wenig Rechen­schaft gibt. Aber man braucht ja nur - und wir werden das noch

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ausführlicher im dritten Vortrag auseinandersetzen -, man braucht nur das, was gewissermaßen doch die Grundlage für unsere abend­ländische Zivilisation, namentlich für ihren höheren geistigen Teil bildet, ins Auge zu fassen, man braucht im weitesten Sinne auf das Christentum zu sehen, so wird man sich auch bei einer oberfläch­lichen weltgeschichtlichen Betrachtung sagen können: Wenn man von dem, was in uns als die christlichen Anschauungen, die christ­lichen Überzeugungen lebt, aus denen sich soviel von unseren allgemein geistigen Anschauungen und Überzeugungen herausge­bildet hat, viel mehr, als man heute zugeben will, wenn man den Ursprung dieser Überzeugungen und Anschauungen sucht, so wird man zuletzt doch auf den Weg kommen, den das Christentum genommen hat vom Orient herüber zum Okzident. Und man kann ja nach dem Leitfaden, den man in solcher Art gewonnen hat, weiter Umschau halten, und man wird finden, daß jene Wege, die sich ergeben, wenn man unsere geistige Bildung zurückverfolgt - jene Wege, die ins Lateinisch-Römische hinein, ins Griechische führen, von denen unsere geistige Bildung doch innerlich noch die Nachfol­gerschaft deutlich zeigt -, daß diese Wege zuletzt hinüberführen in die besondere Geistesverfassung, in die besondere Seelenkonstitu­tion, durch welche vor Jahrtausenden, vor vorgeschichtlichen Jahr­tausenden, aus dem Orient herüber gerade unser mehr auf das Innere, auf das Seelisch-Geistige gerichtetes Bildungsleben seinen Ursprung genommen hat. Nur weil dieses Bildungsleben, diese innere Geistesanschauung sich im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende sehr gewandelt hat, bemerken wir heute nicht mehr, wie es seine Herkunft ableitet von dem, was, wie gesagt, vor vorchristlichen Jahrtausenden aus einer Geistesverfassung heraus, die den heutigen zivilisierten Menschen ganz fremd geworden ist, seinen Ursprung genommen hat. Man muß, um diesen weiten Weg zu verstehen, nicht allein zurückgehen auf das, was die äußere, durch Dokumente zu belegende Geschichtsschreibung bietet, man muß über das, was diese Geschichtsschreibung sagen kann, hinaus­gehen eben in vorgeschichtliche Zeiten. Das wird dem gegenwär­tigen Menschen recht schwierig. Denn der denkt in seinem Innersten,

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daß er es im Laufe der letzten Jahrhunderte, vielleicht erst des allerletzten Jahrhunderts, in geistigen Dingen «so herrlich weit gebracht» habe, daß alles dasjenige, was in Zeiten liegt, auf die eben hingedeutet worden ist, in das Gebiet des Kindlichen, des Primiti­ven verwiesen werden müsse.

Wer nun aber ungetrübt durch ein solches Vorurteil den Weg in die alte Kultur des Orients zurückzugehen vermag, der sieht, daß allerdings in den vorchristlichen Zeiten im Orient die Zivilisation, die Geistesbildung eine wesentlich andere war, daß sie aber durch­aus intensive geistige Inhalte den menschlichen Seelen bot. Nur wurden diese auf ganz andere, ich möchte sagen, auf radikal andere Weise erreicht, als heute das erreicht wird, was die Menschen beherrschen sollen, die an höheren Schulen sich eine höhere Geistes-bildung aneignen.

Wer einstmals im alten Orient die höhere Geisteskultur sich aneignen sollte, der mußte durchmachen, nachdem er auserwählt war von den Leitern und Lenkern der betreffenden Bildungsstätten, eine völlige Umwandlung seines ganzen menschlichen Wesens. Von den Bildungsstätten dieses alten Orients spreche ich. Der Geistes­wissenschaft, von der hier gesprochen wird, sind sie erkenntnis-mäßig zugänglich; aber wenn man vorurteilslos genug ist, wenn man einen gewissen Mut des Denkens und Erkennens hat, dann kann man auch aus dem, was geschichtlich überliefert ist, zurück-schließen auf das, was da vorgeschichtlich vorhanden war. Von diesen Bildungsstätten muß man so sprechen, daß sie dasjenige wie in einer inneren Einheit hatten, was bei uns getrennt auftritt. Diese Bildungsstätten, auf die zurückweist alles, was wir eigentlich heute noch in uns tragen, aber in wesentlich verwandelter Gestalt, sie waren zugleich das, was wir heute Kirche nennen, aber auch das, was wir heute Schule nennen, waren zugleich auch das, was wir heute Kunstanstalten nennen. Kunst, Wissenschaft, Religion, sie bildeten in älteren menschlichen Zivilisationen eine Einheit. Und wer in diesen Bildungsstätten entwickelt werden sollte, der mußte seinen ganzen Menschen zur Entwickelung bringen. Er mußte seinen ganzen Menschen umwandeln. Er mußte eine andere Form

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des Denkens annehmen als diejenige, die im alltäglichen Leben die wirksame ist. Er mußte sich hingeben beschaulichem Denken. Er mußte sich daran gewöhnen, mit dem Denken so umzugehen, wie man sonst nur mit der äußeren Welt umgeht. Er mußte sich aber auch daran gewöhnen, sein ganzes Gefühls- und Willensleben umzuwandeln. Man macht sich heute schwer eine Vorstellung von dem, was in solcher Richtung angestrebt worden ist. Denn wie denken wir eigentlich über unser Leben? Wir geben zu: das Kind, das muß entwickelt werden. Seine Fähigkeiten und Kräfte, mit deren Anlagen es in die Welt hereinversetzt ist, sie müssen durch die Erziehung entwickelt werden. Nun ja, das Kind kann sich nicht selber erziehen; die anderen, die Erwachsenen, haben zunächst die Anschauung, daß das Kind mit seinen Fähigkeiten und Kräften entwickelt werden muß. Und wir machen das Kind auch anders in bezug auf sein Denken, Fühlen und Wollen, als es hereingeboren wird in die Welt. Wenn wir aber nun dem Menschen zumuten, daß er auch dann noch, wenn er bereits zu seinem eigenen Willen gekommen ist, wenn nicht mehr die anderen aus ihren Anschau­ungen heraus seine Entwickelung besorgen, diese Entwickelung fortsetzen soll, dann findet der gegenwärtige Mensch darin eine sonderbare Zumutung; denn man soll nur entwickelt werden, solange man diese Entwickelung nicht durch eigene Willkür besor­gen, nicht selbst in die Hand nehmen kann. Kommt man einmal zu einer gewissen Freiheit in bezug auf sein eigenes Entwickeln, dann verläßt man die Entwickelung. Das ist der intellektuelle Hochmut, in dem wir heute leben. Wir denken in dem Augenblicke, wo wir in die Lage kämen, unsere Entwickelung selbst in die Hand zu neh­men, wir seien schon fertig, und stellen uns als fertige Menschen in die Welt hinein.

Solch eine Anschauung gab es innerhalb jener Zivilisation, auf die ich hier hindeuten möchte, nicht, sondern der Mensch wurde weiter und immer weiter entwickelt. Und ebenso wie dasjenige, was das Kind imstande ist zu erkennen, zu fühlen, zu tun, nachdem es durch eine gewisse Schulung gegangen ist, wie das in der Seelenverfassung eine Art Aufwachen darstellt, so gibt es für die Weiterentwickelung,

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die der Mensch nun in die Hand nehmen kann, auch ein solches Aufwachen. Zu diesem Aufwachen in Seelentätigkeiten, die höhere waren gegenüber den gewöhnlichen in demselben Sinne, wie die höheren Fähigkeiten der Erwachsenen höher sind als die des Kin­des, zu solchem Aufwachen wurde der orientalische Mysterien-schüler erzogen. Und man hatte die Anschauung, daß nur derjenige urteilsfähig sei über die höchsten Angelegenheiten des Lebens, welcher also jene spätere Erweckung im besten Sinne des Wortes im Leben durchgemacht hat. Und vorbereitet wurde man da nicht etwa bloß dazu, nun ein Mensch zu sein, der, wenn er nachdenkt, wenn er ein gewisses innerliches Fühlen und Empfinden entwickelt, durch das Wissen von seinem Zusammenhang mit einer geistigen Welt sich befriedigt fühlt, nein, entwickelt wurde da nicht nur die Fähigkeit für eine Weltanschauung, entwickelt wurden da jene Fähigkeiten, durch die das soziale und äußerlich technische Leben geleitet, durch die das menschliche Zusammenleben dirigiert wurde. Das ganze Leben wurde da aus der geistigen Bildung und Entwickelung heraus beeinflußt.

Wir können uns so schwer zurückversetzen in das, was da am Ausgangspunkt unserer neueren menschlichen Entwickelung vor Jahrtausenden im Orient drüben waltend war, weil unsere ganze Seelenverfassung mit der Fortentwickelung der Menschheit etwas anderes geworden ist, weil wir zu anderen Empfindungen und Anschauungen über das Leben gekommen sind. Denjenigen Men­schen, die in der hier angedeuteten Geistesbildung drinnenstanden, war es instinktiv, zu einer solchen Umbildung des menschlichen Wesens hinaufzurücken. Die Instinkte dieser Menschen waren andere. Sie tendierten hin zu einem solchen Erschauen des Geistes­lebens nach einer gewissen Umbildung. Die Menschen, die nicht selbst solche Ausbildung durchmachten, sahen aus ihren Instinkten, die auch bei ihnen vorhanden waren, zu demjenigen empor, was die Ausgebildeten ihnen geben konnten. Sie folgten ihnen in bezug auf die Ausbildung ihres inneren Seelenlebens. Sie folgten ihnen aber auch in bezug auf die Einrichtung des gesellschaftlichen Lebens, in bezug auf das Sich-Hineinstellen in das Gesamtleben.

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Die Instinkte, die zu solchem Leben führten, sie sind ebenso aus der heutigen Gesamtkultur der Menschheit heraus, wie beim Er­wachsenen die besonderen Seeleninstinkte des Kindes umgewandelt sind. Aber durch diese Instinkte, im Zusammenhang mit dem, was aus jenen Bildungsstätten, die man eben Mysterien nennen kann, erwachsen ist, ergab sich eine menschliche Seelenstimmung, durch die man gar nicht anders konnte, als das, was des Menschen Wesenskern ist, nicht hier in dem Umkreis des Lebens zu suchen, der den menschlichen Leib in sich schließt, sondern diese ganze Lebensanschauung führte dahin, auch gewissermaßen instinktiv sich zu erheben, im ganz populären Bewußtsein sich zu erheben zu dem höheren Menschen im Menschen, zu demjenigen im Men­schen, was wesentlich geistig-seelischer Art ist, zu demjenigen im Menschen, was zwar im sinnlichen Leibe für die Zeit zwischen Geburt und Tod erscheint, was aber in sich selber ewig ist und einer geistigen Welt angehört, in die man eben instinktiv hineinschaute. Etwas Übermenschliches, wenn ich diesen Ausdruck, der durch die Nietzsche-Anhänger etwas bedenklich geworden ist, gebrauchen darf, etwas Übermenschliches wurde als das Wesen des Menschen angesehen. Dasjenige, worauf der Mensch hinsah als auf sein eigenes Wesen, war etwas, was über diesen gewöhnlichen Menschen hinaus­ging. Darin war jene Bildung groß: den Menschen aufzusuchen seinem Wesen nach in einem Geistig-Seelischen, das im Leiblichen nur seinen Ausdruck findet, das aus geistig-seelischer Welt herein-greift in das ganze Menschenwesen, dieses Menschenwesen in seinen materiellsten Äußerungen vom Geistig-Seelischen aus diri­gierend.

In vielen Metamorphosen, durch viele Umwandlungen hindurch ist das, was da als Inhalt der Geistesbildung zustande kam, dann ausgearbeitet worden im Orient, ist in weiten Umwandlungen herübergekommen nach Griechenland. Es erscheint da, ich möchte sagen, filtriert. Während wir in der ältesten Griechenzeit, die Fried­rich Nietzsche genannt hat das tragische Zeitalter der Griechen, noch etwas sehen von einem solchen Hinauflenken des ganzen Menschen zum höheren Menschen, tritt in der späteren Griechenzeit

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das ein, was man in einem umfassenderen Sinne das dialektische, das rein intellektuelle Wesen des Menschen nennen kann. Es wurde gewissermaßen der ganze reiche und intensiv allmenschliche Inhalt einer Urkultur filtriert und weiter und weiter filtriert, und im verdünntesten Zustande kam er herüber in unser Zeitalter. Und so bildet das die eine Strömung unseres Lebens, was durchaus hinauf­ging zum geistig-seelischen Menschen und was dem Menschen ein Bewußtsein gab, durch das er sich in jedem Augenblick des Lebens, beim Gebet und bei der schmutzigsten Arbeit, als einen äußerlichen Ausdruck fühlte des geistig-seelischen Menschen.

Wir werden im dritten Vortrage sehen: das Mysterium von Golgatha, von dem das Christentum in seiner Entwickelung auf dieser Erde ausgegangen ist, steht als eine Tatsache für sich da, die in verschiedenen Zeitaltern in verschiedenster Weise begriffen werden kann. Aber das, woraus man geprägt hat das nächste Verständnis dieses Mysteriums von Golgatha, das war das, was man an Bildung vom Orient herübergebracht hatte. Und im Grunde genommen lebt in alledem, was wir auch heute noch aufbringen zum Begreifen des Christentums, dasjenige, was letztes, allerdings geistesmäßig ver­dünntes Erleben des Orients ist. Es gibt eine gewisse Eigentüm­lichkeit dieser ganzen Seelenkonfiguration, die nur mehr in ihrer letzten Metamorphose in uns lebt. Und diese Eigentümlichkeit muß man in dem Folgenden suchen.

So groß und gewaltig diese Weltanschauung ist mit Bezug auf das Hinaufgehen zum Übermenschlichen im Menschen, herunter­steigen zu dem, wozu die abendländische, die westliche Zivilisation gestiegen und worin sie groß geworden ist, hätte diese orientalische Zivilisation niemals können. Den Übermenschen, den geistig seelischen, konnte sie hervorbringen, etwas anderes konnte sie nicht hervorbringen. Es ist etwas, worauf ich in anderen Zusammen-hängen hier schon hingedeutet habe. Gerade in der Zeit, als schon die letzte Metamorphose des orientalischen Geisteslebens im Abendlande begann Platz zu greifen, da fing ein Ansatz zu einem neuen Geistesleben an, zu einem Geistesleben, das bis in unsere Zeit in der Lebenspraxis allerdings gewaltige Blüten hervorgebracht hat,

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aber Blüten ganz anderer Art als das eben geschilderte orientalische Geistesleben. Sehen wir auf diese anderen Blüten.

Auf folgende Tatsache möchte ich da noch einnial hinweisen. Ich habe sie, wie gesagt, von anderen Gesichtspunkten aus auch hier schon angeführt. Wenn wir heute die gebräuchlichen Handbücher durchschauen danach, wie viele Menschen auf der Erde sind, so wird uns gesagt, ungefähr 1500 Millionen Menschen bewohnen die Erde. Wenn wir auf das schauen, was innerhalb der menschlichen Zivilisation gearbeitet wird, wenn wir auf die Arbeitskräfte schauen, die in unserem Menschenwesen und Menschenleben tätig sind, dann mussen wir merkwürdigerweise etwas anderes sagen. Dann müßten wir eigentlich sagen: die Erde arbeitet so, wie wenn sie nicht bloß von 1500 Millionen Menschen, sondern von 2200 Millionen Men­schen bewohnt wäre. Seit drei bis vier Jahrhunderten arbeitet unsere Welt der Maschinen so, daß dadurch Arbeit geleistet wird, die man sich denken könnte auch von Menschen geleistet. Wir ersetzen menschliche Arbeitskraft durch Maschinenkraft. Und wenn man umrechnet, was unsere Maschinen leisten, in menschliche Arbeits­kraft, so bekommt man heraus, wenn man achtstündige Arbeitszeit in Anschlag bringt, daß in unserer Erdenarbeit drinnenstecken sieben- bis achtmal hundert Millionen Menschen, das heißt, nicht wirkliche Menschen, sondern menschliche Arbeit, die aber durch Maschinen aufgebracht wird.

Das ist etwas, was hineingeliefert wird in die Menschheitszivili­sation durch jene Geisteskräfte, die erwachsen sind dem Menschen des Westens, jene Geisteskräfte, die niemals hätten in gerader Linie sich entwickeln können aus jener inneren Geistes- und Seelenkul­tur, die in so grandioser Weise zu dem Übermenschen hinauf, zu dem höheren Menschen im Menschen, zu dem geistig-seelischen Menschen sich aufgeschwungen hatte. Diese Kultur blieb in gewis­sen Seelenhöhen. Sie durchdrang nicht das, was wir heute prakti­sches Leben nennen. Sie hätte niemals totes Metall oder sonstiges Material in solchen Zusammenhang bringen können, daß mitten unter den Menschen arbeitet, jetzt allerdings kein Übermensch, aber ein Untermensch, ein Mensch, der eigentlich gegenüber den

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Menschen aus Fleisch und Blut ein Homunkulus ist, ein Mecha­nismus, der aber in die menschliche Kultur hereinstellt das, was sonst Menschen hereinstellen könnten. Das ist das Wesentliche unseres westlichen Geisteslebens. Es ist um so mehr charakteristisch für dieses westliche Geistesleben, je weiter wir nach dem Westen kommen, wo aus diesem Geistesleben hervorgegangen ist der me­chanische Mensch, der Untermensch, wie aus dem orientalischen Geistesleben der seelisch-geistige Mensch, der Übermensch hervor­gegangen ist.

Daß aber solches geschaffen werden konnte im Westen, das ist hier nicht eine isolierte Erscheinung des Zivilisationslebens. Es hängt ja zusammen mit der ganzen Ausbildung des Vorstellens, Fühlens und Denkens. Die Menschen, die diesen Homunkulus ins Leben hereinstellten, die sind in ihrer ganzen Seelenverfassung selbstverständlich groß nach der anderen Richtung hin als der orientalische Mensch. Man kann heute das Leben nicht durch­schauen, wenn man nicht diesen Gegensatz in seiner ganzen Intensi­tät durchschauen kann. Denn auf der einen Seite trägt dieser moder­ne Mensch in sich noch die letzte Metamorphose desjenigen, was ihm vom Orient gekommen ist, und auf der anderen Seite nimmt er auf schon seit Jahrhunderten das andere, was das Wesentlichste des westlichen Geisteslebens ist. Ein Ausgleich ist heute noch nicht da. Wie zwei getrennt voneinander fließende Strömungen, so stehen sie da, die Strömung vom Übermenschen, wenn auch sehr verändert, die Strömung vom Untermenschen, wenn auch erst in ihrem Anfan­ge. Und der moderne Mensch, der Mensch der Gegenwart, wenn er zum Bewußtsein erwacht, daß in seiner Seele unvermittelt diese beiden Strömungen leben, er leidet seelisch, geistig und wohl auch leiblich an dem Mißklang, der da herauskommt. Gewiß, das sind Dinge, die sich so tief in demjenigen abwickeln, was unbewußt und unterbewußt bleibt, daß in das Bewußtsein des Menschen herauf, nicht allein nur in dieses, sondern sogar in seine Leibeskonstitution ganz anderes eintritt als die eigentliche Ursache. Der moderne Mensch findet sich nervös, findet sich unzufrieden in den Verhält­nissen. Hunderterlei könnte man anführen, wie dieser moderne

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Mensch einen Mißklang zwischen sich selbst und der Umgebung fühlt, wie dieser Mißklang auch in seiner leiblichen Gesundheit zum Ausdruck kommt. Das, was angeführt worden ist, das steckt dahin­ter. Es steckt dahinter die große Frage: Wie bringen wir für die Zivilisation der Zukunft das in Einklang, was den Untermenschen hervorgebracht hat, mit dem, was in seiner letzten Phase in uns lebt als Erbstück einer Zivilisation, die zum geistig-seelischen Menschen geführt hat?

Dieses, was da liegt in den Kräften unserer Zivilisation, wie ich es Ihnen eben angeführt habe, das sucht sich anthroposophisch orien­tierte Geisteswissenschaft besonders vor die Seele zu stellen. Sie sieht als ein notwendiges, von den bedeutsamsten Zeitforderungen getragenes Ziel vor sich einen Ausgleich zwischen den Seelenkräf­ten, die in der einen Richtung, und den Seelenkräften, die in der anderen Richtung geführt haben. Und sie ist sich bewußt, wie ungeheuer notwendig und bedeutungsvoll es für die Menschheit ist, die Wege zu finden zu diesem Ziele. Instinktiv habe ich das orientali­sche Geistesleben genannt.

Aus den Instinkten der alten Menschen war dieses Geistesleben herausgeboren. Wir haben es als Erbstück erhalten. Aber wir haben es erhalten in einem schon intellektualisierten Zustande; in Begrif­fen, in Vorstellungen recht abstrakter Art hat es sich in unsere Zivilisation hineingelebt. Denn wir haben nicht mehr die Instinkte, die der ehemalige Träger dieses Geisteslebens hatte. Man mag, soviel man will, davon phantasieren, daß der gegenwärtige Mensch zur Naivität zurückkehren, daß er wiederum instinktiv werden soll. Man hat gewiß in einer Beziehung recht mit einer solchen Forde­rung. Allein die Naivität wird sich in anderer Weise ausdrücken als früher. Das Instinktleben wird nach anderen Richtungen gehen. Und zu fordern, wir sollten so werden wie Menschen früherer Jahrtausende, das kommt gleich der Forderung: der Erwachsene solle spielen wie das Kind. Nein, weder können wir zurückgehen, um unsere tiefsten Seelenbedürfnisse zu befriedigen, in die Zivili­sation abgelebter Jahrtausende, noch können wir, wenn wir nicht in Dekadenz verfallen wollen, als abendländische Menschen «ex orien­telux»

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rufen; nein, das dürfen wir nicht rufen, aus dem Orient komme uns das Licht. Denn das Licht, das heute dort ist, das hat ebenfalls viele Metamorphosen durchgemacht, und wir können uns durchaus nicht der Illusion hingeben, daß das, was heute noch irgendwo im Orient zu finden ist, eine Spiritualität darsteile, die irgendwie fruchtbar in unsere Zivilisation hineingreifen könne. Es war eine Dekadenz der schlimmsten Art, als eine theosophische Bewegung sich geltend machte aus den religiösen und Kulturbe­dürfnissen des Abendlandes heraus, aus dem Maschinenzeitalter heraus, das sich auch eine mechanistische Weltanschauung, die den Menschen nicht befriedigen kann, gebildet hatte, es war Dekadenz der schlimmsten Sorte, daß man in dasjenige Gebiet ging, das die heutige dekadente orientalische Nachfolgerschaft eines geistigen Lebens früherer Zeiten hat. Wenn man indische Kultur heute aufgesucht hat, um sie der Theosophie des Abendlandes einzuver­leiben, so zeigte das eben, wie unfruchtbar man geworden war, wie nicht mehr sich die Schaffenskräfte regen aus dem eigenen Geistes­leben heraus, wie man nur groß sein konnte im Mechanistischen, wie man aber keinen eigenen Weg fand in diejenigen Gebiete hinein, die die Seele braucht zu ihrer Anschauung von dem wahren geistig-seelischen Wesen des Menschen.

Diese Tendenz liegt übrigens dem heutigen Leben nur allzu sehr zugrunde. Sehen wir denn nicht, wie diejenigen, die mit dem gegenwärtigen Christentum unzufrieden sind, oftmals nachfor­schen: Wie war das Christentum früher? Wie war das Urchristen­tum? Machen wir es wiederum so, wie es die Urclrristen gemacht haben. Als ob wir nicht fortgeschritten wären seither, als ob wir nicht ein neues Verständnis des Christentums brauchten! Oh, es ist uberall das Charakteristikon der Unfruchtbarkeit da, der Unmög­lichkeit des eigenen Schaffens. Nein, das will anthroposophiscli orientierte Geisteswissenschaft nicht: Anleihen machen bei irgend-einer alten Kultur oder bei der gegenwärtigen Nachfolgerschaft einer alten Kultur.

Gerade wenn man das Konkrete desjenigen begreift, worin an­throposophisch orientierte Geisteswissenschaft wurzelt, wird man

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das Gesagte leicht einsehen. Sie können hören, wie der heutige Orientale noch, ich möchte sagen, wie nachbildend alte Methoden, den Weg ins Geistige sucht in einem gewissen Atmungsprozesse, in einer Regelung des Atmens diejenige Menschheitskonstitution aus­zubilden sucht, durch die man innere Erkenntniskräfte und Füh­lenskräfte und Willenskräfte findet, um in die geistige Welt hinauf­zusteigen, wo der geistig-seelische Mensch zu finden ist, wo wahre Selbsterkenntnis ist. Der Orientale tut heute das, was der Orientale in früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden immer für solchen Weg getan hat, er steigt herunter von dem bloßen intellektuellen Leben des Kopfes in das Leben des ganzen Menschen. Er weiß, welcher innere organische Zusammenhang ist zwischen der Art, wie wir ein-, wie wir ausatmen - ich werde in den nächsten Tagen davon noch sprechen - und dem Vorgang unseres Vorstellens und Den­kens. Aber er weiß auch, daß das Denken und Vorstellen wie herauswächst aus dem Atmungsprozeß. Und so möchte er zurück­gehen zu der Wurzel des Denkens, zum Atmungsprozeß. In einer Regulierung des Atmungsprozesses sucht er den Weg hinauf in die geistige Welt. Diesen Weg können wir nicht nachmachen. Würden wir ihn nachmachen, so würden wir sündigen wider unsere ganz anders gewordene Menschenkonstitution. Das innere Gefüge unse­res Gehirns und Nervensystems ist ein anderes als dasjenige, aus dem die instinktive Geisteskultur des Orients hervorgegangen ist. Würden wir heute als das Richtige ansehen, uns nur einem regu­lierten Atmungsprozeß hinzugeben, so würden wir verleugnen das intellektuelle Leben. Wir würden verleugnen das, wofür wir heute konstituiert sind.

Wir müssen, um die Wege in die geistige Welt hinaufzugehen, andere Metamorphosen einschlagen. Wir müssen nicht mehr zu­rückgehen vom Denken zu Leibesvorgängen wie dem Atem, wir müssen das Denken selber ausbilden. Deshalb muß heutige, auf der Höhe ihrer Zeit lebende Geisteswissenschaft sprechen von einer Ausbildung des intellektuellen Lebens, aber nicht desjenigen intel­lektuellen Lebens, das man heute fast einzig und allein kennt. Gerade dieses intellektuelle Leben hat uns für den ganzen Umfang

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des Lebens wie ausgedörrt gemacht, trocken und nüchtern gemacht. So sehr auch von einzelnen Seiten in der Gegenwart gewettert wird gegen den einseitigen Intellektualismus, man bringt ja nichts auf, um diesen Intellektualismus wirklich bekämpfen zu können. Man fühlt, die bloßen Begriffe, auch diejenigen, die aus der ernsten und gewissenhaften Wissenschaft genommen sind, lassen die Seele kalt, so daß sie die Wege durch das wahre Leben nicht findet. Aber man findet andererseits nicht die Möglichkeit, dieses intellektuelle Leben nach einer Richtung hin zu lenken, die befriedigend sein kann, weil man gerade dasjenige vermeiden will, was die hier gemeinte Gei­steswissenschaft als das Richtige für den Gegenwartsmenschen ansehen muß. Der Gegenwartsmensch kann nicht, wenn er einsieht die Trockenheit, die Nüchternheit, das Einseitige des bloßen Intel­lektualismus, aus irgendeinem, wie man oftmals sagt, vorgedank­lichen, primitiven elementarischen Leben heraus Emotionen holen, um sich aufzubessern als intellektueller Mensch. Er kann nicht, ich möchte sagen, in einem blindwütigen Leben, das man nicht versteht, dasjenige suchen, was er äußerlich anleimen will an die intellektua­listische Zivilisation.

Deshalb sucht anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft durch übungsmäßige Entwickelung der Seele dasjenige, wonach dieser moderne Mensch eigentlich zur wirklichen Befriedigung seiner Seele lechzt. Im einzelnen habe ich beschrieben im zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft», in meinem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in anderen meiner Schriften, wie dieser Weg in einer dem abendländischen Menschen angemessenen Weise gegangen werden soll. Prinzipiell will ich nur andeuten, daß es sich darum handelt, das Seelenleben so in die Hand zu nehmen, daß man allerdings vermeidet, Vorstellungen, Begriffe, Ideen ins Höchste hineingehend zu entwickeln, daß man also nicht einseitig bloß das Gedankenleben entwickelt, sondern die Seele so übt, daß mit den Gedanken selber, die da kommen, die sich verbinden, die sich trennen, die lebendigsten Gefühle sich verbin­den. Während heute der einseitige Intellektualist nüchtern in seinem Gedankenleben ist, aber auch dieses Gedankenleben spazieren läßt

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auf dem dem Leben fremden Gebiete der Wissenschaft oder auf anderen Gebieten und sonst gedankenlos sich ins Leben hineinlebt, sucht dasjenige, was anthroposophisch orientierte Geisteswissen­schaft ihr Üben nennt, ins Denken sich zu vertiefen, aber an dieser Vertiefung des Denkens Gefühl zu entwickeln, so daß man sich freuen kann, zornig werden kann, daß man hassen und lieben kann das, was man nur denkt, wie man Menschen haßt und liebt, wie man zornig wird über äußere Ereignisse, daß ein ganzes inneres Leben aufgeht, in solcher Lebendigkeit aufgeht, wie das äußere Leben ist. Daß dies systematisch gemacht werden kann, dafür sollen eben die genannten Bücher Zeugnis ablegen.

Dann aber, wenn der Mensch solche Wege aufsucht, wenn er wirklich das, was sonst in seinem Inneren schläft an Erkenntnis-, an Fühlens- und Wollenskräften, zur Entwickelung bringt, wenn er also nicht vom Leibe aus, wie die alte orientalische Kultur, in einem regulierten Atmungsprozeß, sondern von der Seele und vom Geiste aus seine Entwickelung in die Hand nimmt, dann findet er den Weg in die geistige Welt hinein. Und was wendet er für Kräfte an? Er wendet die Kräfte an, durch die seine Zivilisation groß geworden ist. Er wendet die Kräfte an, die er auch anwandte, indem er seine Maschinen ausbaute, indem er seine mechanistischen Kopernikani­schen, Galileischen, Keplerschen, Newtonschen astronomischen Anschauungen entwickelte. Was von unserem Geiste und von unserer Seele in die Maschinen hinein sich an Scharfsinn des Vorstel­lens entwickelt, was lebt in unserer Astronomie, in unserer Chemie, was liegt in unserem sozialen Leben, alles das wird ausgebildet. Der Orientale hatte das gar nicht. Er hätte sein Seelenleben nicht bis zu diesen Seelenkräften fortsetzen können. Er mußte zur Atmung des Leibes gehen, um den Erkenntnisweg zu beschreiten. Wir müssen einsetzen da, worinnen wir im außeren praktischen Leben einset­zen. Wir müssen von denselben Seelen- und Geisteskräften ausge­hen, die in unserer mechanistischen Kultur leben, die den Unter-menschen in sieben- bis achthundert Millionen Exemplaren hervor­gebracht haben. Wir müssen einen neuen Orient, das heißt, ein Erschauen des Höheren, des Ewigen, des unsterblichen Menschen

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aus dem Sinnlichsten, aus dem Maschinellsten, aus demjenigen herausbilden, was unserer abendländischen Zivilisation als der Weg zum Untermenschen sich erweist.

Allerdings, es ist den modernen Menschen nicht in allen Punkten sympathisch, was also in die moderne Zivilisation sich hineinstellen will. Denn dieser moderne Mensch, er verlangt ja eben, das Kind solle sich entwickeln, denn das kann noch nicht selber die Entschei­dung über seine Entwickelung treffen. In dem Augenblick, wo er selber die Entscheidung treffen soll, da läßt er sich nicht mehr ein auf die Entwickelung; da ist man fertig; da läßt man sich in die Stadtversammlung, ins Parlament wählen, denn man weiß ja alles. Man kennt alles. Man braucht nicht mehr hinunterzusteigen zu der Entwickelung der Fähigkeiten, durch die man etwas weiß. Man ist Kritiker für alles, wenn man nur einmal zum Bewußtsein seiner Willkür gekommen ist, wenn nur die anderen allein nicht mehr herummurksen dürfen in bezug auf die Entwickelung. Dieser mo­derne Mensch, er muß eben den Weg suchen, hinaufzusteigen wiederum zu jenen Höhen, wo man findet den geistig-seelischen Menschen.

Nun ist die Sache ja so, daß vorläufig der innere Antrieb, diesen geistig-seelischen Menschen zu suchen, den Weg zu diesen Erkennt­nissen zu beschreiten, noch ein entsagungsvoller ist, denn dieser Weg fordert ein Leben, das allerdings in Schmerzen und Leiden vor sich geht, ein Leben, das heute noch nicht jeder gehen muß, nicht jeder gehen kann, auch nicht jeder zu gehen braucht. Aber geradeso, wie nicht jeder ein Chemiker werden kann, aber die Ergebnisse der Chemie für alle Menschen nützlich werden können, wie nicht jeder ein Astronom werden kann, aber die Ergebnisse der Astronomie in alle Seelen hineinspielen können, so kann es wenige Geistesforscher geben, aber die Ergebnisse dieser Geistesforschung, sie können -das habe ich hier oftmals gesagt - mit dem gewöhnlichen gesunden Menschenverstande begriffen werden. Die wenigen Geistesforscher können ihre geistigen Schauungen mitteilen, und der gesunde Men­schenverstand wird sie begreifen. Aber das leugnen ja heute gerade die Menschen. Sie kommen und sagen: Was du Geistesforscher uns

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mitteilst, das mögen schöne Phantasien sein; aber wir zergliedern es logisch, wir lassen es nicht gelten, denn vor unserem Menschenver­stand zeigt es sich nicht. Zum höheren Schauen haben wir uns noch nicht hinaufgebildet.

Man erfährt ja auf diesem Gebiete ganz sonderbare Dinge. Eben ist wieder eine Broschüre erschienen über das, was ich als anthropo­sophisch orientierte Weltanschauung vor der Menschheit heute zu vertreten habe. Da sagt ein Mann, der, nun, «Universitätsprofessor» ist, der sagt da, wo er mich abkanzelt als Philosoph und, wie er sagt, als Theosoph: Ja, da behauptet dieser Steiner, daß man ja auch ein Chemiker werden müsse, um die chemischen Dinge zu verstehen, ein Physiker werden müsse, um die physischen Dinge zu verstehen; das kann man ihm zugeben. Aber nun ist es sehr merkwürdig, wie sich dieser Herr sonderbar verhält. Er sagt: Jeder kann einverstan­den sein damit, daß die Chemiker dieses oder jenes behaupten, denn wenn er selbst Chemiker wird, so wird er ja einsehen, daß das richtig ist; jedermann kann einverstanden sein mit dem, was die Physiker behaupten, denn wenn er selbst Physiker wird, so wird er einsehen, daß das richtig ist, was die Physiker sagen. Aber um dasjenige einzusehen, was Geisteswissenschaft sagt, müßte man ja besondere Fähigkeiten entwickeln.

Etwas anderes sage ich aber auch nicht. Wie der Mensch, um über Chemie ein Urteil zu haben, Chemiker werden muß, wie der Mensch, um über Physik ein Urteil zu haben, Physiker werden muß, so muß der Mensch, um über Geisteswissenschaft zu ent­scheiden, Geisteswissenschafter werden. Aber nun sagt, seinen Text weitersetzend, jener sonderbare - vielleicht ist er gar nicht sonder­bar - Universitätsprofessor: Es handelt sich nicht darum, daß das, was Steiner behauptet, sich nur vor geisteswissenschaftlich geschul­ten Leuten rechtfertigen läßt, sondern es muß sich vor mir recht­fertigen lassen! Das heißt, es muß sich rechtfertigen lassen vor dem, der nicht nur keinen Dunst davon hat, sondern sich auch nicht verschaffen will.

Das ist allerdings ein «gesunder Menschenverstand», in Anfüh­rungszeichen geschrieben, der nicht taugt, das zu verstehen, was

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Geisteswissenschaft zu verzeichnen hat. Der unbefangene gesunde Menschenverstand wird es fassen. Ja, man wird über diese Dinge vielleicht in der Zukunft noch ganz anders denken, als man heute in vielen Kreisen gewohnt ist, zu denken. Die Welt ist da. Die Philoso­phen haben sich immer gestritten um die Welt. Nun, die Philoso­phen werden doch gesunden Menschenverstand haben. Und man kann sogar sagen, wenn man unbefangen ist: die Philosophie ist besser als ihr Ruf. Aber die Philosophen streiten sich. Und ist man unbefangen, so kann man sogar demjenigen einen gewissen Scharf­sinn auf philosophischem Gebiete zubilligen, der das Gegenteil von dem sagt, was eben ein anderer vorbringt, wiederum aus einem gewissen Scharfsinn heraus. Ja, man kommt, wenn man hier auf diesem Gebiete unbefangen ist, dazu, ein sehr merkwürdiges Urteil über den gesunden Menschenverstand zu gewinnen. Er ist da. Die Leute reden im allgemeinen in diesem gesunden Menschenverstand. Aber er ist ja gar nicht geeignet, die Welt zu begreifen, sonst brauchten sich die Philosophen nicht zu streiten. Die Welt, die äußerlich den Sinnen vorliegt, so ohne weiteres zu begreifen, dazu scheint gar nicht zu taugen dieser gewöhnliche gesunde Menschen­verstand. Man probiere es einmal, ob er dasjenige begreift, was Geisteswissenschaft zu sagen hat, und man wird sehen: der Weg wird sich eröffnen, daß man gerade das begreifen wird. Es ist Wischiwaschi, nicht einmal bloß ein Vorurteil, wenn man sagt:

Geisteswissenschafter behaupten auch verschiedenes; der eine das oder der andere das. Das sagt man ohne Kenntnis der Tatsachen. Lernt man die Tatsachen kennen, so wird man dies nicht mehr behaupten.

So wird allerdings manches Vorurteil und namentlich manches Vorempfinden überwunden werden müssen, wenn sich die hier gemeinte anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft in das moderne Leben hineinstellen soll. Aber sie wird sich hineinstellen müssen. Denn der Weg wird gefunden werden müssen, um die beiden Ihnen heute gekennzeichneten Geistesströmungen zu ver­binden. Wir können keine Reaktionäre werden, um zurückzukeh­ren zu früheren Geistesbildungen. Wir müssen uns hineinstellen in

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dasjenige, was das naturwissenschaftliche, das mechanistische Zeit­alter hervorgebracht hat. Aber wir müssen die Kräfte, die einen Kopernikus, einen Galilei, einen Giordano Bruno, einen Röntgen, einen Becquerel und so weiter bis in unsere Tage hervorgebracht haben, wir müssen die Kräfte so weit vergeistigen, daß wir durch dieselben Kräfte der menschlichen Seele, durch die wir Maschinen bauen, auch hinaufsteigen zur Erkenntnis des geistig-seelischen Menschen. Dann werden wir nicht mehr bloß vom Geiste reden, dann werden wir dem Streben nach dem Geiste einen Inhalt zu geben vermögen.

Das ist es, was dem tieferen Betrachter der Gegenwartszivilisa­tion so nahegeht, daß die Leute heute viel vom Geiste reden, aber diesem Reden vom Geiste keinen Inhalt geben. Dadurch entstehen Weltanschauungen auf der einen Seite, entsteht die Lebenspraxis unorganisch mit diesen Weltanschauungen verbunden auf der ande­ren Seite so, wie sich ausnehmen würde unsere geisteswissenschaft­lich schaffende Weltanschauung in einem Hause, das einen alten Baustil trägt. Unsere geisteswissenschaftlich orientierte Weltan­schauung will in Bauformen leben, die aus ihr selbst geboren sind. Sie soll so schaffen und kann so schaffen, daß sie das äußere materielle Leben bis in die technischen Einzelheiten, bis in die sozialen Verkettungen zu durchdringen vermag. Dann wird diese Geisteswissenschaft der Träger einer Zivilisation werden können, die die rechten Wege findet zu den Zielen, die heute angedeutet worden sind. Dann wird diese Geisteswissenschaft es sein, welche nicht mehr groß werden läßt jenes Leben, von dem man sagen kann: Nun ja, einzelne streben wieder nach dem Geiste hin; sie verlangen, daß der Mensch, der in der Fabrik hart arbeitet, nicht mehr bloß in der Fabrik arbeitet, sondern daß er Zeit genug übrig habe, um sich auch dem Geiste zu widmen. Oh, nein, das verlangt Geisteswissen­schaft nicht allein, daß man in der Fabrik zu arbeiten hat und, wenn man die Türe hinter sich zuschließt, dann heraustritt aus der Fabrik, um da das Geistesleben zu finden. Nein, das Umgekehrte verlangt Geisteswissenschaft, daß, wenn man sie aufschließt, die Fabrik, um zur Arbeit zu gehen, man den Geist hineintrage, damit jede Maschi­ne

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durchgeistigt ist von dem, was auch die Weltanschauung in die höchsten Höhen des Erkennens, des Unsterblichen hinaufträgt. Nicht Zeit übrig lassen für den Geist möchte die Geisteswissen­schaft, sondern alle Zeit durchtränken von dem, was der Mensch als den Inhalt seines Geistes finden kann.

Nun, die Menschen schreien heute vielfach nach Geist. Eben ist ein Buch über den Sozialismus erschienen - es gibt allerlei gefühl­volle und auch manchmal verständige Anschauungen - von Robert Wilbran dt, dem Tübinger Universitätsprofessor. Es tönt aus: Ja, aber wir kommen mit dem Sozialismus doch nicht weiter, wenn wir nicht den neuen Geist, die neue Seele finden. Auf den letzten Seiten des Buches also der Schrei nach dem Geist, nach der Seele! Führt man einen solchen Mann, eine solche Persönlichkeit jedoch dahin, wo dem Geiste Inhalt gegeben werden soll, wo man nicht nur in abstracto nach dem Geiste und der Seele deutet, wo man von geistigen und Seeleninhalten spricht, wie sonst die Naturwissen­schaft von natürlichen Inhalten spricht, da drückt sich die betref­fende Persönlichkeit hinweg, da hat sie nicht den Mut, zum wirkli­chen inhaltsvollen Geiste sich zu bekennen. Und so sehen wir das bei vielen. Sie schreien nach dem Geiste. Aber wenn dann der Geist einen wirklichen Inhalt sucht, dann finden sie sich nicht ein. Sie bleiben beim bloßen Hinweisen auf ein abstraktes Zusammen­schließen der Menschenseelen mit dem Geistigen. Das ist dasjenige, was anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft als Weg sucht: den Weg zum wirklichen geistigen Inhalte, zu einer wirkli­chen geistigen Welt, aus unseren eigenen organischen Erkenntnis-kräften heraus als Ziel sucht: sich die bloß unorganisch in uns zusammengefügten zwei Strömungen, den Orientalismus und den Okzidentalismus, zu einem Streben auszubilden, das aus unserem eigenen Streben den Weg wie hinunter in den Mechanismus, so hinauf in die höchste Spiritualität findet.

Den weiteren Ausführungen dieses Themas, die ich morgen und übermorgen geben werde, wo auch manches wird breiter charakteri­siert werden können, als ich das heute in der Einleitung tun konnte, will ich zum Schlusse heute nur das Folgende noch vorausschicken.

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Der Ruf nach einer neuen Geistigkeit, er geht heute durch viele Herzen, durch viele Gemüter, und in einer gewissen Weise ahnt man schon, daß unser Unglück, das sich so furchtbar, so schrecklich geoffenbart hat in den letzten fünf Jahren, in der äußeren Welt zusammenhängt damit, daß unser Geist in eine Sackgasse geraten ist. Daß durchbrochen werden müsse eine Wand, um vorwärtszu­kommen im Geiste. Geahnt wird, daß wir im Sozialen, im Politi­schen, im äußerlich Technischen nicht weiterkommen ohne einen neuen Geist. Ein Mann, der vielleicht nicht immer eine ganz vorteil-hafte, aber doch vielleicht eine gescheitere Rolle als mancher seiner Kollegen unter den «Staatsmännern» - ich sage das in Anführungs­zeichen, wenn ich von Staatsmännern heute spreche - in den letzten Jahren gespielt hat, der hat nun auch - Staatsmänner und Generäle schreiben ja heute Kriegserinnerungen -, der hat nun auch seine Kriegserinnerungen geschrieben. Sie endigen mit den folgenden

Worten:

«Der Krieg geht weiter, wenn auch in veränderter Form. Ich glaube, daß die kommenden Generationen das große Drama, wel­ches seit fünf Jahren die Welt beherrscht, gar nicht den Weltkrieg nennen werden, sondern die Weltrevolution... »

Das sagt Czernin, der österreichische Staatsmann. Also wenig­stens einer sieht schon Dinge ein, wie sie zusammenhängen, wenn auch noch in sehr beschränktem Maße. Und er fährt fort:

... . und wissen werden, daß diese Weltrevolution nur mit dem Weltkrieg begonnen hat. Weder Versailles noch Saint Germain werden ein dauerndes Werk schaffen. In diesem Frieden liegt der zersetzende Keim des Todes. Die Krämpfe, die Europa schütteln, sind noch nicht im Abnehmen. So wie bei einem gewaltigen Erdbe­ben dauert das unterirdische Grollen an. Immer wieder wird sich bald hier, bald dort die Erde öffnen und Feuer gegen den Himmel schleudern, immer wieder werden Ereignisse elementaren Charak­ters und elementarer Gewalt verheerend über die Länder stürmen. Bis alles das hinweggefegt ist, was an den Wahnsinn dieses Krieges und die französischen Frieden erinnert.

Langsam, unter unsäglichen Qualen, wird eine neue Welt gebo­ren

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werden. Die kommenden Generationen werden zurückblicken auf unsere Zeit wie auf einen langen bösen Traum, aber der schwär­zesten Nacht folgt einmal der Tag. Generationen sind in das Grab gesunken, ermordet, verhungert, der Krankheit erlegen. Millionen sind gestorben in dem Bestreben, zu vernichten und zu zerstören, Haß und Mord im Herzen.

Aber andere Generationen erstehen und mit ihnen ein neuer Geist. Sie werden aufbauen, was Krieg und Revolution zerstört haben. Jedem Winter folgt der Frühling. Auch das ist ein ewiges Gesetz im Kreislauf des Lebens, daß dem Tod die Auferstehung folgt.

Wohl denen, die berufen sein werden, als Soldaten der Arbeit die neue Welt mitaufzubauen.»

Auch hier aus einem beschränkten staatsmännischen Geist der alten Zeit heraus der Ruf nach dem neuen Geiste. Nun ja, dieser Ruf nach dem neuen Geiste muß nur begriffen werden und wahr und ernst genug in den Menschenseelen Wurzeln fassen. Denn auch das Äußerlichste im Leben hängt mit dem Innerlichsten, die äußerlich­sten materiellen Ereignisse mit den innerlichsten geistigen Erleb­nissen zusammen. Und wenn wir anschauen, was sich als der Geist, der im Beginn des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht hat, ausgelebt hat in den Ereignissen der letzten Jahre, dann werden wir verstehen, daß der Ruf eintreten muß nach einem neuen Geistes­leben. Mit diesem neuen Geistesleben möchte ihre Wege und Ziele die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft zum Aufbau der Welt ebenso verbunden haben, wie diejenigen geistigen Bestre­bungen, die sie bekämpfen, ersichtlich verbunden sind mit den furchtbaren Ereignissen der letzten Jahre.

Ich habe noch in diesen Tagen einen merkwürdigen Vortrag gelesen, der im Baltenlande gehalten worden ist - merken Sie auf das Datum - am 1. Mai 1918. Da klingt der Vortrag eines Physikers, am 1. Mai 1918, aus in die Worte: Der Weltkrieg hat doch gezeigt, daß noch zu isoliert dastehen die geistigen Bestrebungen der Gegen­wart, die wissenschaftlichen Arbeiten der Gegenwart. Der Welt­krieg - so ungefähr sagt dieser Physiker - hat uns gelehrt, daß

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zukünftig dasjenige, was in den wissenschaftlichen Laboratorien gearbeitet wird, in innerem organischem Zusammenhange, in fort­währendem innerem Ideenaustausch mit dem stehen muß, was in den Generalstäben gearbeitet wird. Es muß ein innigstes Bündnis angestrebt werden - so sagt dieser Physiker - zwischen der Wissen­schaft und dem Generalstab. Darin sieht er das Heil der Zukunft!

Man sieht, die Wissenschaft der Vergangenheit kann Bündnisse, die zwischen ihr und den zerstörendsten Kräften der Menschheit geschlossen werden, sogar als Ideal ansehen. Anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft möchte das Bündnis zwischen ih­rem geistigen Streben und allen wahrhaft aufbauenden Kräften der Menschheitszivilisation schließen.

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DIE GEISTESWISSENSCHAFTLICHEN GRUNDLAGEN DER LEIBLICHEN UND SEELISCHEN GESUNDHEIT Zweiter Vortrag, Basel, 6. Januar 1920

Bevor ich anschließend an die gestrigen einleitenden Ausführungen über Wege und Ziele der Geisteswissenschaft morgen zu jenen wichtigen, insbesondere das Interesse der Gegenwart unmittelbar berührenden Konsequenzen dieser Geisteswissenschaft schreiten werde, welche den geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkt für die sittlichen, sozialen und religiösen Kräfte des Menschenwesens be­handeln, möchte ich heute eine Betrachtung einfügen über dasjeni­ge, was Geisteswissenschaft zu sagen hat über leibliche und seelische Gesundheit des Menschen. Gerechtfertigt wird eine solche Betrach­tung wie die heutige ja auch deshalb sein, weil schließlich der Mensch sich nur dann menschenwerte und menschenwürdige sittli­che Ziele setzen, soziale Aufgaben stellen und ein entsprechend religiöses Leben aus den Untergründen seiner Seele wird hervorbringen können, wenn zugrunde liegt diesen seinen Zielsetzungen und Hervorbringungen das, was man nennen kann seine auf leib­licher, seelischer und geistiger Gesundheit ruhende Tüchtigkeit.

Sie werden von vornherein voraussetzen, daß, wenn im geistes­wissenschaftlich-anthroposophischen Sinne über die Grundlage des Gesundseins gesprochen werden soll, dann gerade die geistigen und seelischen Faktoren, die dabei in Betracht kommen, besonders berührt werden. Nun stößt man aber mit einer solchen Betrachtung sofort auf eine der ältesten und zu gleicher Zeit, man darf sagen, strittigsten Fragen menschlicher Weltanschauung: auf die Frage nach dem Zusammenhange des Seelisch-Geistigen in der Men­schenwesenheit mit dem Leiblich-Physischen überhaupt. Vieles ist nachgedacht, vieles ist nachgeforscht worden mit den Mitteln ver­schiedener wissenschaftlicher Gebiete über diese Frage: Wie verhält sich eigentlich das Geistig-Seelische des Menschen zum Leiblich-Physischen?

Die hier gemeinte Geisteswissenschaft muß sich auf den Standpunkt

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stellen, daß sie diese Frage so, wie sie gewöhnlich gestellt wird, nicht von vornherein schon als eine richtig gestellte ansehen kann. Man fragt gewöhnlich: Wie verhält sich des Menschen Geist oder Seele zu seinem Leib, zu seiner physischen Organisation? Man berücksichtigt dabei nicht, ob das, was wir die unter die Willkür gestellte Seelenverfassung und Seelentüchtigkeit des Menschen nen­nen können, nicht vielleicht in verschiedener Weise bei verschie­denen Menschen ein besonderes Verhältnis begründet zwischen Geist und Leib, ob nicht eingreifen könnte durch gewisse Verhält­nisse der Mensch gerade durch diese Kräfte, die er in seiner Seele entwickelt, in seine leibliche Organisation. Und diese Frage kann eigentlich nur eine geisteswissenschaftliche Betrachtung behandeln, wie diejenige ist, die ich mir erlaubte gestern vor Ihnen anzustellen. Denn gerade wenn wir das in Betracht ziehen, was die Wissenschaft des Abendlandes in dem Sinne, wie sie gestern charakterisiert worden ist, zu ihren Triumphen geführt hat, so müssen wir sagen: es ist dies nicht ein Element, das zum Menschen hinführt, sondern es ist ein Element, das in einer gewissen Beziehung eigentlich vom Menschen entfernt.

Was strebt der Wissenschafter, welcher die Grundsätze der letz­ten drei bis vier Jahrhunderte angenommen hat, für seine Wissen­schaft besonders an? Er strebt besonders an, solche Vorstellungen über die äußeren Dinge und auch über den Menschen zu gewinnen, in die sich möglichst wenig, ja womöglich gar nicht einmischen die menschlichen Gefühle und Willensimpulse. Je mehr man alles das, was man das Subjektiv-Persönliche nennen kann, auseinanderzu­halten vermag von wissenschaftlicher Betrachtung, um so mehr glaubt man das Ideal dieser wissenschaftlichen Betrachtung erfüllt. Der Physiker, der Biologe glaubt heute seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen zu können, wenn er irgend etwas, was nur innerlich in der Seele erfaßt werden kann, in seine Feststellungen einmischt.

Wenn ich erinnern darf an dasjenige, was ich als ein allerdings einer weiten Vergangenheit angehöriges Ideal orientalischer Weltbe­trachtung gestern charakterisierte, so muß gesagt werden: da dort der ganze Mensch herangezogen wurde zu jener Umwandlung, zu

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jener Entwickelung der Menschennatur, die im Orient die Grundla­ge zu einer Weltanschauung bildeten, so war diese Methode das völlige Gegenbild von dem, was uns heute als wissenschaftliches Ideal erscheint.

Nun muß man, wenn man sich solchen Dingen hingibt, heute gar viele Vorurteile abstreifen, die da gelten, ich möchte sagen, als Selbstverständlichkeit, die aber in kurzer Zeit keine Selbstverständ­lichkeiten mehr sein werden, sondern Vorurteile, die durch die Menschheitserziehung der letzten drei bis vier Jahrhunderte bedingt sind.

Wenn man wirklich eingeht auf den Grundcharakter desjenigen, was all unser durch die Wissenschaft imprägniertes Denken kenn­zeichnet, so findet man, daß eigentlich vor diesem Denken heute nur ein Teil, ein Glied der ganzen Menschennatur Gnade findet: dasjeni­ge, was man nennen kann das intellektualistische Element, das Element, das zu den gefühls- und willensfreien Gedanken aufsteigt, das nichts hinzutun will aus der eigenen, subjektiven Menschenna­tur zu diesem Vorstellen. Dadurch aber nimmt gerade an der wichtigsten wissenschaftlichen Arbeit der ganze Mensch als solcher nicht teil, sondern nur dasjenige vom Menschen, was eben der Träger des intellektualistischen Seelenlebens ist.

Was ich gestern charakterisierte als das wahrhaft abendländische Streben nach einer geisteswissenschaftlichen Weltanschauung, das will wieder, ohne etwa zurückzukehren zu orientalischen Idealen, aus der ganzen Menschennatur heraus die Seelenkräfte entwickeln, die eine Weltanschauung produzieren. Daher mußte ich gestern etwa in der folgenden Weise die Erkenntniswege charakterisieren, die zu einer solchen anthroposophisch orientierten geisteswissen­schaftlichen Weltanschauung führen. Während der Mensch, der bloß wissenschaftlich ist, mit seinen Experimenten oder mit seiner Naturbeobachtung zusammen das intellektualistische Vorstellen entwickelt, muß derjenige, der zu einer geisteswissenschaftlichen Anschauung aufsteigen will, aus den Tiefen seines Seelenlebens heraufholen geläuterte Gefühle, geläuterte Willensimpulse. Er muß sich allerdings versenken in eine Gedankenwelt. Er muß ebenso

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intellektualistisch arbeiten können wie nur der exakteste Wissen­schafter. Aber er steht mit seinem Menschen in anderer Weise als dieser exakte Wissenschafter zur Intellektualität. Er versenkt sich in Ideenwelten, er versenkt sich in dasjenige, was sonst nur der blasse, schattenhafte Gedanke liefert. Aber so, wie man sonst nur an den Ereignissen des äußeren Lebens mit seinen Sympathien und Antipa­thien, mit seiner ganzen Gefühlswelt teilnimmt, wie man sonst nur an den Forderungen des Lebens mit seinen Willensimpulsen teil­nimmt, so begleiten bei demjenigen, der den Weg in die geistige Welt hinein suchen will im Sinne dieser Geisteswissenschaft, das Fühlen, das Wollen, die Sympathien und Antipathien den Gedan­ken, die Ideen. Mit der Art und Weise, wie die Ideen wirken, wie sie sich zueinander stellen, verbindet man ein innerliches Sympathie-und Antipathie-Element, ein innerliches Wollen, das man sonst nur etwa dem Menschen von Fleisch und Blut oder der Natur in geringerem Sinne entgegenbringt oder das man entwickelt, wenn man Hunger oder Durst hat, oder wenn andere Aufgaben des gewöhnlichen Lebens gestellt sind. So innerlich lebendig wie im Wollen unter dem Einflusse von Hunger und Durst, wie in den Gefühlen, die man zu geliebten oder gehaßten Menschen entwik­kelt, so innerlich lebendig ist man bei den Methoden, die zur geisteswissenschaftlichen Einsicht führen sollen. Der ganze Mensch mit seinem Fühlen und Wollen nimmt teil an diesen Methoden. Das entwickelt eben andere Erkenntnisse, andere Verhältnisse zur Außenwelt und auch zu den anderen Menschen als bloß das intel­lektualistische Treiben.

Wenn nun diejenigen Erkenntnisse, die auf diese Weise Inhalt der Geisteswissenschaft werden - die ja allerdings für die weitesten Kreise der gegenwärtigen Menschheit ein Buch mit sieben Siegeln sind, nicht etwa, weil die Geisteswissenschafter dieses Buch mit sieben Siegeln versiegeln, sondern weil diejenigen, die herangehen sollten an diese Geisteswissenschaft, damit sie nicht heranzugehen brauchen, erst mit den sieben Siegeln ihrer Vorurteile und ihres Hohnes und Spottes es versiegeln -, wenn dieser Inhalt der Geistes­wissenschaft dann von den Menschen aufgenommen wird, wenn

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sich die Seele des Menschen mit ihm vereint, so wirkt er daher auch anders als der Inhalt des bloß intellektualistischen Wissens. Er ergreift unmittelbar die ganze Seele des Menschen. Er gießt Ener­gien, Kräfte in diese ganze Seele des Menschen. Und wenn der Inhalt der Geisteswissenschaft so gewonnen ist, daß er entspricht den großen weltgesetzlichen Zusammenhängen, dann gießt er gewisser­maßen dieselben Kräfte in die menschliche Seele, aus denen der menschliche Organismus aufgebaut ist. Denn der menschliche Or­ganismus ist aus den Kräften der Welt heraus aufgebaut. Das geisteswissenschaftliche Erkennen geht wiederum zurück zu diesen Kräften der Welt. Also muß es ein innerliches Zusammenstimmen zwischen demjenigen geben, was aus der Weltgesetzlichkeit heraus erkannt wird durch Geisteswissenschaft, und dem, was bei der Organisation des Menschenwesens entsteht als der Mensch selbst, indem der Mensch aus den Grundlagen der Weltenordnung heraus seine eigene Organisation empfängt.

Das aber hat zur Folge, daß ein ganz anderes Verhältnis besteht zwischen dem, was man als Inhalt der Geisteswissenschaft auf­nimmt, und der ganzen Entwickelung des Menschen, als zwischen dem, was nur den Intellekt beschäftigt, wie die Naturwissenschaft oder wie heute die Sozialwissenschaft und ähnliches, und diesem Menschen selbst. Aber es gibt etwas, was dieses Verhältnis verhüllt. Dadurch ist es schwierig für den, der noch nicht in den eigentlichen Sinn der Geisteswissenschaft eingedrungen ist, sich über solche Dinge genaue Vorstellungen zu machen. Durchaus muß gesagt werden: Wie die gesunde Natur des Menschen in gesunder Art aus der Welt heraus organisiert ist, so wird in gesunder Art das gewon­nen, was Inhalt der Geisteswissenschaft ist, und kann daher, da es den ganzen Menschen begreift, nicht nur auf den Intellekt, sondern wiederum auf den ganzen Menschen zurückwirken. Wenn man das sagt, so wird heute derjenige, der der Geisteswissenschaft gegenüber Laie ist, etwa folgenden Schluß ziehen. Er wird sagen: Gewiß, ich will dir zunächst hypothetisch zugeben, du ziehst als Geisteswissen­schafter gesunde Gedanken aus deiner Weltbetrachtung. Gedanken, die intellektualistisch schattenhaft sind, die wirken nicht auf den

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menschlichen Organismus; die deinigen sind unter der Inanspruch­nahme der ganzen Menschennatur gefaßt, sie wirken also auf den menschlichen Organismus, also wird man sie brauchen können, nehmen wir hypothetisch an, im Sinne der gesunden Menschenna­tur. Sagen wir also: diejenigen Gedanken, die du durch deine Geisteswissenschaft als gesunde Gedanken entwickelst, werden wir so anwenden, daß wir uns mit ihnen erfüllen, sie auf uns wirken lassen, dann werden sie wie eine Arznei eben gegen Abirrungen der menschlichen Natur von der Gesundheit wirken können.

So naheliegend diese Hypothese wäre, und soviel Glauben sie auch bei gewissen abergläubischen Menschen gefunden hat, so wenig entspricht sie so, wie ich sie jetzt eben ausgesprochen habe, der Wirklichkeit. Und hier ist es nötig, gerade, ich möchte sagen, das Fundament zu berühren, das gelegt werden muß, damit man in der richtigen Art das Zusammenwirken zwischen gesundem Geistig-Seelischen und gesunder Leiblichkeit einsehen kann. Wenn der Mensch durch die Geburt oder durch die Empfängnis aus geistigen Welten in das physische Dasein tritt, indem er sich umkleidet mit einem physischen Leib, so sehen wir ja, wie dasjenige, was geistig­seelisch sich mit diesem physischen Leib umkleidet, Zeit braucht, um sich auszuwirken. Das Kind kommt mit seinen Anlagen in der physischen Welt an. Aber es muß heranwachsen. Wir können verfolgen, wie von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr, von Jahr­zehnt zu Jahrzehnt in der physischen Organisation erst dasjenige herauskommt, was geistig-seelisch im Menschen veranlagt ist. Wer sich durch die hier gemeinte Geisteswissenschaft die Möglichkeit erwirbt, einzudringen in den wirklichen Zusammenhang zwischen Geistig-Seelischem und Leiblich-Physischem, der kommt nun nicht durch irgendeine logische Phantasie, sondern durch eine eindring­liche, ganz gewissenhafte und durch lange Zeiten fortgesetzte Beob­achtung des Lebens zu folgender Erkenntnis:

So wie die Gesamtnatur des Menschen Zeit braucht, um sich als Geistig-Seelisches einzugliedern der physischen Organisation, so bedarf alles das, was wir geistig-seelisch aufnehmen, erst der Zeit, um sich einzugliedern in die physisch-leibliche Organisation. Wenn

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ich also als achtjähriges Kind oder als zwanzigjähriger oder erst als fünfzigjähriger Mensch irgend etwas aufnehme von geistig-seeli­schem Inhalt, wenn irgend etwas meine Seele ergreift von solchem Inhalte, dann ist dieser Inhalt im Verhältnis zu meiner leiblichen Organisation da, wo er in meine Seele eintritt, so jung wie die Seele eines Kindes in bezug auf die leibliche Organisation, und es braucht ein solcher seelischer Inhalt Zeit, um sich im Leibe aus­zuwirken. Man kann daher nicht hoffen, daß man nach Art ameri­kanischer Gedankenheilungskunst Gedanken erfinden kann, die dem Menschen wie eine flüssige Medizin eingegeben werden und die unmittelbar wirken. Nein, zu jener Umwandlung, die der gei­stig-seelische Inhalt erfährt dadurch, daß er immer mehr und mehr das Leiblich-Physische durchdringt, bedarf es Zeit. Der eine gei­stig-seelische Inhalt braucht weniger, der andere mehr Zeit, aber Zeit muß verfließen zwischen dem Augenblick, wo ein geistig-seelischer Inhalt abstrakt aufgenommen wird, wo wir ihn er­kenntnismäßig durchdringen, und dem Zustande, wo er uns durch-organisiert hat.

Was ich Ihnen hier erzähle, das ist nicht irgendeine Idee, die man leichtfertig anknüpft an die Lebenserscheinungen, sondern das ist etwas, was in so gewissenhafter Weise gefunden wird wie nur irgendein Laboratorium- oder Klinik-Ergebnis, ja viel gewissen­hafter. Man geht bei solchen Untersuchungen zunächst aus von den Wegen, die das gewöhnliche alltägliche geistige Aufnehmen im Menschen durchmacht, indem der Mensch erinnerungsmäßig dasje­nige später wieder aus seinen Seelentiefen hervorzaubern kann, was er einmal in diese Seele hinein aufgenommen hat. An den Wegen, die das Seelenleben mit Bezug auf die Erinnerung macht, gehen ja die allermeisten Menschen im Leben einfach vorbei; sie beobachten nicht, wie es ganz anders sich erlebt, wenn wir uns an etwas erinnern, was wir vor Jahrzehnten erlebt haben, und an etwas, was wir vor drei Tagen erlebt haben. Das eine und das andere holen wir aus den Seelentiefen herauf, gewiß. Das aber, was wir vor drei Tagen oder selbst noch vor drei Jahren erlebt haben, das erweist sich vot dem, der Beobachtungsvermögen hat für solche Dinge, als etwas,

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was, ich möchte sagen, aus geringen Tiefen des Seelenlebens herauf-geholt wird, was noch durchaus seelischer Inhalt ist. Dasjenige, an das man sich vielleicht als älterer Mensch als an die Erlebnisse seiner Kindheit erinnert, das holt man aus Seelentiefen herauf. Beobachtet man den Vorgang, so schaut man, wie das schon innig verflochten ist mit der ganzen Leiblichkeit, wie es wie ein seelisches Blut unsere Leiblichkeit durchdringt, wie es stark den Charakter angenommen hat, den die Kräfte haben, die das Gewohnheitsmäßige in uns bezeichnen.

Das ist freilich nur der Anfang jener ausführlichen Methode, durch die beobachtet wird, wie im Laufe der Zeit erst dasjenige, was wir als geistig-seelischen Inhalt aufnehmen, sich vereint mit dem Leiblich-Physischen. Daraus aber werden Sie einsehen, wie Gei­steswissenschaft verlangen muß, daß ihre Art, leibliche, seelische Gesundheit zu pflegen, nicht nur unter die augenblicklich wirken­den Künste gerechnet werde, sondern wie sie appelliert an dasjenige, was erstens Kindererziehung ist, zweitens was Volkserziehung und Volksleben ist. Denn mit Voraussicht, ich möchte sagen, mit einem prophetischen Gesichte muß Geisteswissenschaft in bezug auf das Gesundsein des Menschen wirken.

Durchschaut man das, was ich hier berühre, dann merkt man erst, was es bedeutet, wenn in die Erziehungsmethode geisteswissen­schaftliche Impulse aufgenommen werden, wenn tatsächlich unsere Kinder so erzogen werden, daß die Erziehungsantriebe in geistes-wissenschaftlichem Sinne gehalten werden; und dann werden die Dinge, die man den Kindern beibringt, durchdrungen, nicht etwa mit geisteswissenschaftlichen Theorien - davor braucht die Welt keine Angst zu haben -, aber mit geisteswissenschaftlicher Gesin­nung, mit geisteswissenschaftlicher Seelenverfassung, vor allen Din­gen mit geisteswissenschaftlichem pädagogischem Feuer. Dadurch wird schon in das Kindergemüt das gesenkt, was sich dann verbin­den soll mit der seelischen und physischen Organisation, was heranwächst und was, weil es gesund ist, in gesunder Weise ver­wächst mit der menschlichen Organisation und sie gesund und stark macht, widerstandsfähig macht gegen äußere Einflüsse.

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Wenn die Welt einmal die volle Bedeutung dessen, was hier Geisteswissenschaft leisten kann, einsehen wird, dann werden all­mählich nicht verschwinden, aber von geringerer Bedeutung wer­den alle die schönen - ich sage das nicht ironisch, sondern durchaus im ernsten Sinne -, all die schönen Theorien von Infektionskrank­heiten und dergleichen, die heute nur in einseitiger Weise betrachtet werden. Es wird viel mehr als auf die Art, wie die Bazillen und Bakterien einziehen in unseren Organismus, darauf gesehen wer­den, wie stark wir von der Seele und vom Geiste geworden sind, um diesen Invasionen zu widerstehen. Diese Stärke wird in der mensch­lichen Natur kein äußeres Heilmittel bedingen, aber das Heilmittel, das innerlich den Menschen stärkt vom Geiste und von der Seele aus durch einen gesunden geisteswissenschaftlichen Inhalt. Damit wird allerdings öffentliche Gesundheitspflege gerade durch Geisteswis­senschaft auf eine wesentlich andere Grundlage gestellt, als die sich träumen lassen, die glauben, daß nur im Fortgange der gegenwär­tigen Ansichten das Heil der menschlichen Entwickelung liegen könne.

Ich möchte unter vielem nur auf eines aufmerksam machen, auf das ich von anderen Gesichtspunkten aus auch hier in dieser Stadt schon einige Persönlichkeiten aufmerksam gemacht habe. Heute legt man zum Beispiel in der Erziehung, im Unterricht einen ungeheuren Wert auf die sogenannte Anschauung, mit Recht, denn innerhalb gewisser Grenzen ist es gut, wenn man das Kind unmit­telbar hinführt vor das äußerlich oder innerlich Anschaubare und seine Vorstellungen, seine Begriffe sich ihm einbilden läßt so, daß es sie selbst abzieht. Aber nicht alles kann in dieser Weise an das Kind herangebracht werden, wessen es bedarf zu seiner Entwickelung für ein menschenwürdiges Dasein. Und so muß in das Kind vieles einziehen bloß dadurch, daß es hinaufsieht zu seinem Erzieher, zu seinem Unterrichter als zu seiner Autorität, zu dem, der ein gewis­ses Feuer im Erziehen, im Unterrichten entwickelt, der Impondera­bilien mit seinem Feuer von sich in das Kind hinüberleitet. Da wird es dann manches geben können, was das Kind aufnimmt in dem Glauben, die Autorität glaube an das; es versteht es aber noch nicht.

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Dann können die Zeiten eintreten vielleicht nach fünfzehn, zwanzig Jahren, nachdem das Kind die Schule verlassen hat, wo es sich erinnert: das hast du dazumal gelernt und nicht verstanden, jetzt bist du reif geworden, jetzt holst du es rein gedächtnismäßig aus deinem Seelenquell herauf. Jetzt verstehst du es. Wer das Seelenleben des Menschen kennt, der weiß, daß ein solches durch späteres Reifwer­den vermitteltes Verstehen desjenigen, was man schon Jahre, viel­leicht Jahrzehnte in der Seele getragen hat, Kräfte entwickelt, die innerlich den Menschen erstarken; es gießt in den Willen nichts eine solche Energie hinein vom Innersten der Seele aus wie das Verstehen-lernen von etwas durch seine eigene Reifekraft, von etwas, was man vor Jahren auf Autorität, auf Mitteilung hin aufgenommen hat.

So kann verbunden werden Pädagogik mit ideeller, mit spirituel­ler Hygiene. Wenn einmal wirklich unsere öffentliche Gesundheits­pflege durchzogen werden wird mit solchen weitgehenden An­schauungen, dann wird erst das Geistige, das in der Menschheit wurzelt, seine für die Menschheit so heilsamen Energien wirklich entfalten können. Während all das, was wir nur aufnehmen durch den Intellekt und seine Ausbildung, gewissermaßen vom Menschen losgelöst ist und daher auch nicht auf den Menschen zurückwirken kann, wird das, was aus der ganzen Menschennatur herausgeholt ist, das Geisteswissenschaftliche, auch zurückwirken können auf diese ganze Menschennatur. Und wir haben, wenn wir auch in der Medizin nicht bloß auf Augenblickserfolge, sondern auf eine Ge­sundheitspflege sehen, die mit den Weltgesetzen, also auch mit den Zeitgesetzen rechnet, wir haben die Möglichkeit, ungeheuer Günsti­ges in dieser Richtung zu wirken. Nur ist leider die gegenwärtige Menschheit so geartet, daß sie gar nicht gern hinschaut auf dasjeni­ge, was sich dem Augenblick entzieht und was mit seiner Wirkung, ich möchte sagen, ins Große geht. Der gegenwärtige Mensch möch­te sich am liebsten von den Weltgesetzen die Erlaubnis nehmen, krank zu werden, wenn es ihm beliebt - Sie verstehen, daß ich das nicht in ganz wörtlichem Sinne meine, aber es ist so etwas unter den Neigungen der Menschennatur - und dann möchte er wiederum im Augenblicke geheilt werden können. Auf was aber gesehen werden

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muß, das ist, daß die innerliche starke Energie entwickelt werde in einzelnen Volkserziehungen, ja durch das ganze Leben hindurch in den Menschen die gesundenden, die Heilkräfte von der Seele, vom Geiste aus wirklich zur Entfaltung zu bringen. Von diesem Ge­sichtspunkt aus wird man einsehen, daß leibliche und seelische Gesundheit gar sehr davon abhängt, daß ein so starkes, ein so energisches Seelenleben in den Menschen heranentwickelt werde, daß dieses starke, energische Seelenleben wirklich auch in das leibliche Wesen eingreifen kann.

Dazu ist wiederum die Ausdehnung der Betrachtungsweise über größere Zeiträume notwendig. Dasjenige, was auf unsern Intellekt wirkt, wirkt nicht zu gleicher Zeit auf unsern Willen. Und wir können uns allerdings, wenn wir niemals auf unsern Willen gewirkt haben, in irgendeinem Lebensalter mit noch so gesunden Ideen und Gedanken anstrengen, um vom Intellekt aus auf unsere Seele zu wirken, wir werden keinen Erfolg haben. Denn vom Intellekt aus greift nicht unmittelbar irgendein geistig-seelischer Inhalt in die Menschennatur ein. Wir müssen auch auf den Willen einwirken. Auf den Willen wirken wir ein durch alles das, was unser Interesse an der Welt erregt, was unsern Anteil, unsere liebevolle Teilnahme an der Welt erregt. Menschen gehen oftmals durch die Welt, ich möchte sagen, mit einem gewissen Schwachsinn. Gewiß, es gibt auch tiefer liegende Ursachen, aber eine der Ursachen des Schwach­sinns ist, daß man nicht verstanden hat bei solchen Menschen, als sie noch Kinder waren, weitgehende, tiefeingreifende Interessen für alles, was in ihrer Umgebung wirkt und lebt, zu entfalten, denn dieses Interesse-Entfalten, das wirkt auf den Willen. Und nur, wenn der Wille in dieser Weise gestärkt wird, kann später dasjenige, was auf den Intellekt wirkt, auch wiederum auf den ganzen Menschen Einfluß gewinnen. Das Schlimmste, was dem Menschen in bezug auf seine leibliche und seelische Gesundheit passieren kann, ist, daß seine leiblich-physische Organisation sich abtrennt von seinem seelisch-geistigen Wesen. Geradezu experimentell wird diese Ab­trennung der physischen Organisation des Menschen von seinem seelisch-geistigen Wesen beim Mediumismus herbeigeführt. Da

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sehen wir, daß das geistig-seelische Wesen geradezu gelähmt, einge­schläfert wird für eine gewisse Zeit, damit das Leiblich-Physische, mit dem aber auch Geistiges immer verbunden ist, wie automatisch wirkt. Von einem richtigen Gesichtspunkt aus angesehen ist das mediale Wesen nichts anderes als eine wirkliche Krankheit, ein wirklicher Mißklang zwischen dem ganz unenergisch gewordenen Geistig-Seelischen und dem daher die Oberhand gewinnenden Leiblich-Physischen. Daher ist auch immer Mediumismus, wenn er radikal ausgedehnt wird, verbunden mit der Willenslähmung, mit der ganzen Seelenlähmung des betreffenden Mediums. Und da das Moralische nur aus der seelischen Energie erquellen kann, so ist in der Regel auch ein gewisses moralisches Herabkommen mit dem Mediumismus verbunden. Gerade aus der Einsicht in den Zusam­menhang zwischen geistig-seelischer Gesundheit und physisch-leib­licher Gesundheit kann alles, was Schattenseite des Mediumismus ist, auch wirklich eingesehen werden.

Wenn diejenigen, die ohne Kenntnis des eigentlichen Wesens der Geisteswissenschaft über diese urteilen, nur nicht allzu oft diese Geisteswissenschaft zusammenwerfen würden mit all den Verir­rungen des Zeitgeistes oder überhaupt der neueren Zeit, auf die ich hier hinweise! Es ist allerdings leichter, zu appellieren an den geistlosen Mediumismus, um etwas zu erfahren über die geistige Welt, als zu appellieren an die Geisteswissenschaft, die Anstren­gungen fordert. Wenn man an den Mediumismus appelliert, so läßt man sich über den Geist berichten von einem Medium, bei dem man erst den Geist ausschaltet. Es ist eine bequeme Methode, zum Geiste zu kommen. Geisteswissenschaft verlangt allerdings, daß man nicht bei einem anderen den Geist ausschalte, um über den Geist etwas zu erfahren, sondern daß man den Geist in sich selber zur höheren Entfaltung und Entwickelung bringe, damit er seine Kräfte hineinge­leiten kann in die geistige Welt, daß sie dort die Eigentümlichkeiten der geistigen Welt erfahren. Wollte man vorurteilslos die Geistes­wissenschaft betrachten, so würde man geradezu sehen, wie sie das Universalheilmittel ist gegen solche Verirrungen, wie diejenigen sind, auf die ich jetzt mit ein paar Worten hingedeutet habe.

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So kann man sagen: Gesundheitspflege ist eine notwendige Kon­sequenz desjenigen, was Geisteswissenschaft hineintragen will in die Menschheitsentwickelung. Aber selbstverständlich ist die Men­schennatur mannigfaltigen Einflüssen unterworfen. Niemand darf dasjenige, was ich bisher besprochen habe, so deuten, als ob ich meinen wollte, daß durch die Pflege der Geisteswissenschaft etwa einmal alle Krankheiten aus der Welt geschafft werden sollten. Das meine ich durchaus nicht. Krankheiten haben ihre Ursachen. Wich­tiger als die Erkenntnis ihrer Ursachen ist der Prozeß ihrer Heilung. Und hier handelt es sich darum, daß allerdings die Geisteswissen­schaft auch etwas zu sagen hat nicht nur über jene Gesundheits­pflege, die geisteswissenschaftliche Grundlagen hat, sondern daß sie, wie über alle Lebenspraxis, so auch über die Medizin selber etwas zu sagen hat. Es ist eine zwar von vielen geleugnete, weil sie sich in diesem Punkt den wahren Tatbestand nicht gestehen wollen, aber doch eben bestehende Tatsache, daß viele wirklich gründlich denkende Menschen, die durch das medizinische Studium heute gegangen sind, wenn sie sich dann losgelassen fühlen auf die leiden­de Menschheit, von den herbsten Seelenqualen befallen werden, weil ihnen dann vor Augen tritt, welche Anforderungen der mensch­liche Organismus, wenn er vom Gesunden abirrt in das Kranke hinein, an die menschliche Einsicht stellt, und wie wenig gerade aus den Erkenntnismitteln und Erkenntnismethoden der rein naturwis­senschaftlichen Betrachtungsweise für dieses medizinische Wirken gewonnen werden kann. Gerade an der Medizin zeigt sich so recht die Schattenseite der bloßen naturwissenschaftlichen Betrachtung, die übrigens mit Bezug auf die Anschauung über die bloße äußere Natur auch eine Lichtseite hat. In der Medizin ist die Schattenseite da. Denn man muß nur das Folgende beachten: Diese Naturwissen­schaft, noch einmal sei es gesagt, legt ihren Hauptwert darauf, den Menschen ganz auszuschalten, indem sie intellektualistisch die Welt betrachtet und intellektualistisch mit den Experimenten zusammen ihre Naturgesetze sucht. Man lernt das, was man aus der Beobach­tung lernen kann von der Wirksamkeit dieser oder jener Heilmittel auf den kranken Menschen, von der Wirksamkeit überhaupt dieses

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oder jenes Naturprodukts auf den Menschen. Aber es fehlt einem das innere Anschauen von dem Zusanimenhange erstens der ganzen Menschennatur, zweitens aber von dem Zusammenhange zwischen dem, was draußen in der Natur hervorgebracht wird, sei es als Nahrung, sei es als Heilmittel, und der menschlichen Wesenheit selber. Und man merkt erst, wenn man in solch unbefangener Weise von der bloßen Naturwissenschaft zur Medizin fortschreiten möch­te, was es heißt, den Menschen ausschalten von der Betrachtungs-weise, und nachher das, was man durch eine solche Betrachtungs-weise gewonnen hat, auf die Natur des Menschen anwenden. Das rächt sich, daß Naturwissenschaft alles, was in der Menschennatur aufsprießen kann, ausschaltet, um, wie sie sagt, zur rechten Objekti­vität zu kommen. Da kommt sie zur Objektivität. Allein in dieser Objektivität ist der Mensch nicht drinnen. Der Mensch schaltet erst sich selbst aus. Kein Wunder, daß er in der Wissenschaft, die er nun ausbildet, den Menschen nicht drinnen hat. Nun soll man anwenden diese Wissenschaft auf den Menschen. Man kann es nicht, weil man auf den Menschen keine Rücksicht genommen hat.

Das volle Gegenteil findet statt bei dem, was anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft anstrebt. Da wird der ganze Mensch aufgerufen, um über den Menschen und über die Welt Urteile zu gewinnen. Da allerdings werden die Erkenntnisse auch anders fundiert. Um mich in diesem Punkte klarzumachen, möchte ich auch heute daran erinnern, wie die Geisteswissenschaft, die hier gemeint ist, im Grunde genommen nur eine Ausgestaltung desjeni­gen ist, was in dem ersten Elemente wie eine neue Erkenntnis der Natur begründet worden ist durch den vielverkannten Naturfor­scher, nicht den Dichter Goethe. Gerade deshalb nennen wir ja unseren Bau draußen auf dem Dornacher Hügel das Goetheanum, weil wir Goetheanismus treiben wollen, allerdings nicht Goetheanis­mus, wie ihn die Goethe-Forscher treiben, die glauben, der Goethe­sche Geist habe 1832 aufgehört, und man müsse studieren, was dieser Goethesche Geist hervorgebracht hat, um Goethe-Wissen­schaft zu treiben. Nein, wir treiben einen Goetheanismus, der nicht zurückgeht auf 1832, sondern der ein Goetheanismus ist durch den

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fortwirkenden Goethe-Geist heute vom Jahre 1920. Aber was bei Goethe noch ganz elementar auftritt, kann heute eben in einer höheren Ausbildung vom Entwickelungsgang der Menschheit er­griffen werden.

Nun will ich etwas scheinbar recht Fernliegendes erwähnen, an dem ich aber werde anschaulich machen können, wie man vom Goetheanismus ausgehend zu den höchsten Höhen der Geisteswis­senschaft kommt. Goethe ging nach den Ähnlichkeiten, den Ver­wandtschaften namentlich in der Natur der Lebewesen. Ihm ist es klar geworden, wie die ganze Pflanze nur ein kompliziertes Blatt ist und ein einzelnes Pflanzenblatt eine ganze Pflanze, nur einfach gestaltet. So sah Goethe in jedem Gliede eines Organismus die Metamorphose, die Umwandlungsform des anderen Gliedes. So hat er gesucht, woher die rätselvollen, für den unbefangenen Beobach­ter nämlich rätselvollen, Formen der menschlichen Schädelknochen herkommen. Als er, er erzählt es selbst, einmal auf den Juden-kirchhof in Venedig ging, da fand er einen besonders glücklich gespaltenen Schafschädel liegen. Die Knochen waren so auseinan­dergefallen, daß ihre Form unmittelbar auf Goethes Seele wirkte. Und so, wie er diese Form anschaute, da sagte er sich: Ja, diese Schädelknochen sind nichts anderes als umgestaltete, metamorpho­sierte Rückgratsknochen. Wenn sich die einfachen fast ringförmi­gen Rückenwirbelknochen - so ist Goethes Ansicht - so umwan­deln, daß gewisse Fortsetzungen stärker anwachsen, gewisse Wülste sich abflachen, so entsteht durch ein umgebildetes Wachstum des einfachen Rückenwirbels der Schädelknochen. Dadurch konnte Goethe zum ersten Mal dasjenige aussprechen, was mit einer gewis­sen Modifikation ein Ergebnis auch unserer heutigen menschlichen Anatomie ist, daß die Schädelknochen umgewandelte Rücken­markwirbel sind. Ich darf im Zusammenhange damit, weil es ja auch die Sache, die ich meine, erläutern wird, eine Art persönlichen Erlebnisses erzählen. Mir lagen ja diese Goetheschen Anschauun­gen seit dem Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts beson­ders nahe. Nun, ich habe bereits dazumal begonnen zu schreiben über die Goethesche naturwissenschaftliche Weltanschauung. Auch

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diese Anschauung von der Umwand'lung der Schädelknochen, der Wirbelknochen in Schädelknochen bildete ein Bestandstück desje­nigen, was ich für die Goethesche Weltanschauung näher ausarbei­tete. Aber ich sagte mir, wie könnte es einem so universellen Geiste wie Goethe entgangen sein, daß man ja, wenn man von der Umbil­dung der Wirbelknochen in Schädelknochen spricht, fortschreiten müsse zu der Anschauung von der Umbildung des einfachen Ner­vengebildes im Rückenmark in den komplizierten Bau des Gehirns, so daß man auch anschauen müsse das Gehirn als eine Umwandlung des einfachen Nervengebildes, das eben im Rückenmarkwirbel drinnensitzt. Und als ich dann am Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nach Weimar berufen wurde, um mitzuar­beiten am Goethe- und Schiller-Archiv für die Neuherausgabe oder überhaupt erste Herausgabe der noch unveröffentlichten Goethe­schen Schriften, da war es mir selbstverständlich eine liebe Aufgabe, nun zu untersuchen, ob vielleicht irgendwo etwas zu finden sei von einer Spur, daß Goethe auch diese Anschauung von der Formum­wandlung des Gehirns aus einfachen Nervenganglien schon hatte. Und siehe da, als ich ein Notizbuch mit schlecht geschriebenen Bleistiftstrichen aus den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts in die Hand bekam, da stand von Goethe aufnotiert diese Anschauung über das menschliche Gehirn ganz so, wie ich es vermutet hatte!

Ich weise Sie dabei hin auf eine andere Anschauungsweise - bei Goethe tritt sie allerdings noch elementar nur zutage -, auf eine andere Anschauungsweise, als die die Naturgesetze bloß intellektua­listisch beobachtende ist. Ich weise Sie auf eine Betrachtungsweise hin, wie sie instinktiv in Goethe sitzt, die den ganzen Menschen zu Hilfe nimmt. In der Art von zergliedernder analytischer Experimen­tiermethode, die heute in der Naturwissenschaft üblich ist, kommt man nicht darauf, solche Umwandlungen richtig zu sehen, denn man muß da alles berücksichtigen, nicht bloß dasjenige, was man messen und zählen kann. Man muß auch dasjenige berücksichtigen, was man nur seiner Intensität, seiner Qualität nach beobachten kann. In der Geisteswissenschaft muß man noch weiter vorrücken. Da muß man die Dinge tatsächlich beobachten nach Eigenschaften,

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die ihnen der Geist der Welt, das Seelische der Welt aufprägt, die man bei der äußerlichen wissenschaftlichen Methode eben nicht findet.

Dann kommt man zu solchen Resultaten wie demjenigen, von dem man glauben könnte, daß es vielleicht nur ein Aperçu sei, das aber kein Aperçu ist, sondern das Ergebnis einer geisteswissenschaft­lichen Arbeit, von der ich sagen darf, daß ich mehr als dreißig Jahre an ihr gearbeitet habe, jenes Ergebnis, das den Menschen gliedert in drei, ich möchte sagen, Unterglieder seiner Natur. Gewöhnlich nimmt man an, daß das, was im Menschen geistig ist, Seelisches ist, an sein Sinnes-Nervensystem gebunden sei. Das ist ja die heutige einseitige Anschauung - derjenige, der die Entwickelung der Wis­senschaft kennt, der begreift, daß das hat so kommen müssen -, daß der Mensch heute glaubt, das geistig-seelische Leben hänge einzig und allein an dem Nervensystem. Sie können nachlesen, was ich über diesen Punkt zu sagen habe aus geisteswissenschaftlichen Untersuchungen heraus, in meinem vor zwei Jahren erschienenen Buch «Von Seelenrätseln». Da versuchte ich zu zeigen, daß an das Sinnes-Nervensystem als sein Werkzeug in der menschlichen Natur nur gebunden ist das intellektualistisch-sinnliche Leben, dasjenige, was sinnlich die Gegenstände beobachtet und sie intellektuell verar­beitet. Dagegen ist das Gefühlsleben des Menschen gebunden unmit­telbar, nicht bloß mittelbar, an das rhythmische Leben im Men­schen, jenes rhythmische Leben, welches einschließt das Atmungs­system, das damit zusammenhängende Blutzirkulationssystem, und das mit dem Träger des intellektualistischen Systems in einer eigen­tümlichen Art zusammenhängt, und zwar so: Wir haben in uns als wichtigsten Bestandteil unseres Gehirns das sogenannte Gehirn-wasser. Unser Gehirn ist allerdings zunächst ein Nervenorgan, das weiterzuverarbeiten hat dasjenige, was durch die Sinne vermittelt wird. Aber dieses Gehirn schwimmt im Gehirnwasser. Und dieses Gehirnwasser, das ausfüllt unsere Haupteshöhle, unsere Rücken­markshöhle, es hat eine besondere Aufgabe. Atmen wir aus, senkt sich das Gehirnwasser von oben nach unten. Das Zwerchfell steigt in die Höhe, das Gehirnwasser steigt dadurch nach unten; umge­kehrt

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beim Einatmen. So daß wir in einem fortwährenden Rhyth­mus des auf- und absteigenden Gehirnwassers drinnen sind.

Dieser Rhythmus des auf- und absteigenden Gehirnwassers ist der äußere Träger des Gefühlslebens im Menschen. Und durch die Wechselwirkung desjenigen, was die Gehirnnerven erleben, mit dem, was als solcher Rhythmus erfolgt durch das Gehirnwasser, entsteht das, was Austausch zwischen den Gefühlen und den Ge­danken ist.

Hier liegt ein Punkt, wo anthroposophisch orientierte Erkenntnis der Menschenwesenheit einen weiten Weg wird durchzumachen haben, wenn der Mensch richtig in seiner seelisch-geistigen und seiner physischen Wesenheit verstanden werden soll. Nur dann, wenn man jene Erkenntnismethoden in sich entwickelt, welche charakterisiert sind in meinem Buche «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?», in meiner «Geheimwissenschaft», in anderen meiner Schriften, dann lernt man wirklich erkennen -indem man ein innerliches Seelenerleben hat, das solches zu durch­schauen vermag -, wie sich abtrennen läßt Gefühlsleben von intel­lektuellem Leben. Sonst vermischen sie sich. Und der Mensch mit der gewöhnlichen Wissenschaft lernt gar nicht erkennen, daß das Gehirn, daß der Nerven-Sinnes-Apparat nur Träger des Intellek­tuellen ist, während das Rhythmische im Menschen Träger des Gefühlslebens ist.

Und ebenso ist Träger des Willenslebens der Stoffwechsel, über­all, wo er vorkommt, der Stoffwechsel; auch der Stoffwechsel im Gehirn ist Träger des Willenslebens. Aber mit der Nerven-Sinnestä­tigkeit, mit der rhythmischen Tätigkeit, mit der Stoffwechseltätig­keit ist das Wesen des Menschen in bezug auf seine Funktionen erschöpft. Das ist der ganze Mensch. Diesen ganzen Menschen sucht aus den Erkenntniskräften wiederum des ganzen Menschen anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft zu erfassen. Da­her, weil sie zu Hilfe nimmt alles dasjenige, was nicht bloß aus dem Intellekt, was aus dem Gefühlsleben und was aus seinem Träger, aus der rhythmischen Tätigkeit des Menschen kommt, weil sie auch aus dem, was geistig im Stoffwechsel webt und lebt, ihre Erkenntnisse

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hervorholt, kann sie den ganzen Menschen erfassen. Dadurch lernt sie eigentlich erst erkennen, was Lunge, was Leber, was Milz, was die anderen Organe im Menschen bedeuten; denn das läßt sich nur auf dem Weg erkennen, der zu Hilfe nimmt die geistige Imprä­gnation der Dinge.

Dadurch erlangt man eine intuitive Menschenerkenntnis, und man schafft den Weg zu einer intuitiven Medizin. Dadurch, daß man den Menschen betrachtet wie einen Mechanismus, lernt man ihn nicht erkennen. Man lernt nur das Mechanische an ihm erken­nen. Dadurch, daß man den Menschen so erfaßt, daß man die Goethesche Anschauungsweise, die intuitiv ist, noch weiter aus­dehnt, noch weiter vergeistigt, dadurch werden einem erst die einzelnen Organe des Menschen in ihren Metamorphosen durch­schaubar. Dann aber, wenn man kennengelernt hat, was diese einzelnen Metamorphosen des menschlichen Organismus bedeu­ten, dann kann man den Menschen, den man jetzt erfaßt hat, in die Natur wiederum hineinstellen. Wenn man die Natur erst so er­kennt, daß man den Menschen ausschaltet, dann kann man den Menschen auch nicht wiederum in die Natur hineinstellen. Lernt man den Menschen so, wie ich ihn geschildert habe, wirklich kennen, so kann man ihn auch wieder in die Natur hineinstellen. Man studiert seine Organologie, und man lernt erkennen die tiefe Verwandtschaft, die zwischen dem Menschen und dem Kosmos besteht. Dann geht einem der Zusammenhang auf zwischen dem Nahrungsmittel, das aus der äußeren Natur genommen wird, und der menschlichen Organisation. Dann geht einem aber auch der Zusammenhang auf zwischen dem Heilmittel, das aus der äußeren Natur oder auch aus dem seelischen bei der geistigen Heilung genommen wird, und der ganzen Menschennatur.

Nur skizzieren konnte ich diese Anschauungsweise über den Menschen. Aber was ich da skizziert habe, das ist der Weg aus der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft heraus in eine intuitive Medizin, in diejenige Medizin, nach der, ich möchte sagen, sich heute so viele sehnen, die vorurteilslos den Gang des medizinischen Studiums durchgemacht haben und dann auf die

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leidende Menschheit sich losgelassen fühlen. Sie vermissen in demje­nigen, was auf sie gewirkt hat in Menschenerkenntnis und Men­schenheilungskunst, das intuitive, das geistige Element. Gerade in der Medizin zeigt sich am intensivsten, wozu es eine Wissenschaft bringt, welche den Menschen ausschließt bei ihren Methoden.

Oh, ich weiß, daß ich mit dem, was ich also ausspreche, noch vor einer Mauer von Vorurteilen in der Gegenwart stehe. Aber diese Mauer von Vorurteilen, sie muß wieder und wiederum angespro­chen werden. Es wird lange dauern, bis man den hier skizzierten Weg von einer größeren Anzahl von Menschen wird versucht finden, weil er allerdings weniger bequem ist als derjenige Weg, der heute eingeschlagen wird. Denn so, wie die ganze Pflanze schon im Goetheschen Sinne ein kompliziertes Blatt ist, so ist der ganze Mensch gewissermaßen aus drei Menschen zusammengesetzt: aus dem denkenden und durch die Sinne aufnehmenden Menschen, aus dem rhythmischen Menschen, aus dem Stoffwechselmenschen. Jeder stellt in einer gewissen Weise einen Menschen dar, und man muß aus den drei Menschen sich die Gesamtnatur des Menschen aufbauen. Und jedes Glied des Menschen steht in einer anderen Beziehung zur äußeren Natur. Das aber, was jener geheimnisvolle Zusammenhang zwischen Heilmittel und Krankheit ist, das kann nur der hier gekennzeichneten intuitiven Medizin aufgehen.

Ich weiß auch, daß es viele Menschen heute noch als eine Anma­ßung der hier gemeinten Geisteswissenschaft empfinden, daß sie neben manchem anderen nun auch noch an die Reform der Medizin denke. Sie muß daran denken aus einer heiligen Verpflichtung gegenüber dem Menschheitsfortschritt. Denn sie muß einsehen, wie niemals der Weg, den die Naturwissenschaft zum Segen auf so vielen Gebieten in den letzten drei bis vier Jahrhunderten gegangen ist, ein heilsamer werden kann für die Behandlung des kranken Menschen. So, wie der Künstler selber kein wirklicher Künstler sein kann, wenn er nur intellektuell die ästhetischen Gesetze kennt, so kann der Arzt kein Heiler sein, wenn er nur dasjenige kennt, was heute Naturgesetze sind. Er muß sich mit seinem ganzen Menschen einleben können in das Weben und Wesen der Natur selber. Er muß

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untertauchen können in die schaffende und webende Natur. Dann wird er mit innigem Anteil verfolgen können auch jene Wege, welche die Natur einschlägt beim Kranksein. Dann wird ihm aufgehen aus der Anschauung des gesunden Menschen die Anschau­ung des kranken Menschen.

Nicht nur daß Geisteswissenschaft hinzuweisen hat auf eine Hygiene, die sie aus geistigen Kräften heraus gewinnt, Geisteswis­senschaft muß die Perspektive eröffnen auf eine intuitive Medizin. Wer sich einläßt auf diese Geisteswissenschaft, der wird vernehmen, wie ich heute nur in großen Strichen und im allgemeinen, im Abstrakten einen Weg charakterisiert habe zu einer intuitiven Medi­zin, wie aber manches von dem, was ich hier skizziert habe, schon ausgebaut ist, wie manches nur wartet auf den Moment, an dem die offiziellen Vertreter medizinischen Wissens kommen und sich die Einsicht aneignen, daß es aufgenommen werden müsse. So in bezug auf physische Krankheiten des Leibes, so in bezug auf Erkran­kungen der Seele selber. Man muß heute schon wie unbescheiden erscheinen, wenn man auf das hinweisen will, was aus guten Er­kenntnisgrundlagen heraus für Menschenheil und Menschenwesen Geisteswissenschaft glaubt leisten zu können.

Ich möchte den Übergang zu dem, was ich morgen werde ausein­anderzusetzen haben über die sittliche, die religiöse und soziale Natur des Menschen, dadurch gewinnen, daß ich jetzt zum Schlusse hinweise darauf, wie gerade auf einem solchen Gebiet, wie dem einer wirklichen intuitiven Medizin, es das Ideal des Geisteswissen­schafters wäre, einmal sich aussprechen zu können vor denjenigen, die ganz sachverständig sind. Würden sie sich einfinden und würden sie ihre Sachverständigkeit vorurteilslos sprechen lassen, dann wür­den sie sehen, welche Befruchtung gerade diese Sachverständigkeit erfahren könnte von seiten der Geisteswissenschaft. Geisteswissen­schaft fürchtet die Kritik der Sachverständigen nicht. Geisteswissen­schaft ist kein laienhafter Dilettantismus. Geisteswissenschaft ver­sucht zu schöpfen aus tieferen wissenschaftlichen Grundlagen her­aus, als die gewöhnliche heutige äußere Wissenschaft ist. Geisteswis­senschaft weiß, daß laienhafter Sinn, nicht Sachverständigkeit dasjenige

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ist, vor dem sie sich vielleicht fürchten könnte, wenn sie sich nicht das Fürchten längst abgewöhnt hätte aus leicht begreiflichen Gründen. Vor Sachverständigkeit, vor Vorurteilslosigkeit hat Gei­steswissenschaft keine Scheu zu tragen, sich nicht zu fürchten. Sie weiß: je sachverständiger man ihre Ergebnisse betrachten wird, desto mehr wird man im positiven Sinne auf sie eingehen. Gerade an dem, was einem als Perspektive einer intuitiven Medizin vor­schweben kann, möchte man erinnern an ein altes Wort, dessen Universalwert ich heute nicht untersuchen möchte, das aber in einem gewissen eingeschränkten Sinne ganz gewiß für diejenige Anschauungsweise gelten muß, die sich willig zeigt, ihre Anwen­dung zu finden in der Behandlungskunst des kranken Menschen. Alte Weise haben gesagt: Gleiches werde nur von Gleichem er­kannt. Um den Menschen zu heilen, muß man ihn erst erkennen. Was vom Menschen heute in der Wissenschaft sich betätigt, ist nicht der ganze Mensch, darum nicht der Mensch, darum nicht ein dem Menschen Gleiches. Wenn der ganze Mensch aufgerufen wird zur Erkenntnis des Menschen, dann wird Gleiches - der Mensch - von Gleichem - von dem Menschen - erkannt werden. Und dann wird eine Menschenerkenntnis und eine Menschenbehandlungskunst entstehen, welche auf der einen Seite des Menschen Gesundheit erhalten wird im sozialen Zusammenleben, soviel sie nur erhalten werden kann, und welche auf der anderen Seite die Krankheit so behandeln wird, wie sie nur aus der Zusammennahme aller wirkli­chen Heilfaktoren heraus behandelt werden kann.

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DIE SITTLICHEN UND RELIGIÖSEN KRÄFTE IM SINNE DER GEISTESWISSENSCHAFT Dritter Vortrag, Basel, 7. Januar 1920

Eine Anschauung von der Welt, wie sie ja auch die geisteswissen­schaftliche sein will, muß sich dadurch bewähren, daß sie dem Menschen eine Stütze gibt für dasjenige, was er im Leben braucht. Stütze für das Leben muß das sein, was wir nennen können morali­sche Tüchtigkeit, moralische Kraft. Stütze für das Leben muß aber auch unter anderem dasjenige sein, was wir nennen können die innere Seelenverfassung, die dem Menschen werden kann dadurch, daß er sich in dem großen Weltenganzen als ein Glied fühlt, daß er sich so eingegliedert fühlt in das Weltenganze, wie es entspricht dem, was man nennen kann sein religiöses Bedürfnis. Was nun zunächst die innere moralische Kraft des Menschen betrifft, so hat Schopenhauer ein treffliches Wort gesprochen, wenn auch die weite­ren Ausführungen, die er an diese Worte in seiner Art geknüpft hat, recht anfechtbar erscheinen. Er sagte: Moral predigen ist leicht, Moral begründen ist schwierig. - Dies ist tatsächlich ein wahres Lebenswort. Denn einsehen im allgemeinen, was das Gute ist, was das moralische Leben von uns fordert, das ist als eine Sache des Intellektes verhältnismäßig leicht. Dagegen heraufholen aus den Urkräften der Seele diejenigen Antriebe, die im Menschen notwen­dig sind, damit er sich in das Lebensgefüge als ein moralisch Kraftvoller hineinstellt, das ist schwierig. Das aber heißt erst Moral begründen. Moral begründen heißt nicht bloß sagen, was gut, was moralisch ist. Moral begründen heißt an den Menschen solche Impulse heranbringen, welche, indem er sie in sein Seelenleben aufnimmt, in ihm eine wirkliche Kraft, eine wirkliche Tüchtigkeit werden.

Nun steht der Mensch unserer gegenwärtigen Zivilisationsstufe mit Bezug auf sein sittliches Bewußtsein in einer ganz eigenartigen Weise in der Welt drinnen, in einer Weise, die durchaus nicht immer voll bewußt beobachtet wird, die aber der Grund ist für mancherlei

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Unsicherheit und Haltlosigkeit, die sich im Leben der Menschen geltend machen. Wir haben auf der einen Seite unser intellektuali­stisch orientiertes Wissen, unsere Erkenntnis, die es uns möglich macht, in die Naturerscheinungen einzudringen, die es uns möglich macht, das Weltenganze in unser Vorstellen bis zu einem gewissen Grade aufzunehmen, die es uns möglich macht, in einem allerdings, wie wir in den zwei letzten Betrachtungen hier gesehen haben, sehr eingeschränkten Maße uns auch Vorstellungen über das Wesen des Menschen zu machen.

Neben dem, was da in uns aufleuchtet als unsere Erkenntnisfähig­keit, als alles dasjenige, was, ich möchte sagen, dirigiert wird von unserer Menschenlogik, neben all dem macht sich geltend, muß sich geltend machen im Menschen ein anderes Element seines Wesens, dasjenige, aus dem ihm seine sittliche Pflicht, seine sittliche Liebe, kurz, die Antriebe zum moralischen Handeln quellen. Und man muß sagen: der moderne Mensch lebt auf der einen Seite in seinen Erkenntnisfähigkeiten und ihren Ergebnissen, auf der anderen Seite lebt er in dem, was seine moralischen Antriebe sind. Beides sind Seeleninhalte. Aber es ist für diesen modernen Menschen im Grun­de genommen zunächst wenig Vermittlung zwischen beiden, so wenig Vermittlung, daß zum Beispiel Kant den Ausspruch tun konnte: Zweierlei sei ihm das Wertvollste in der Welt, der gestirnte Himmel über ihm, das moralische Gesetz in ihm. - Aber gerade diese Kantsche Vorstellungsart, die in dem modernen Menschen west, sie kennt keine Brücke zwischen dem, was zur Erkenntnis der Welt auf der einen Seite führt, und dem, was moralische Impulse auf der anderen Seite sind. Wie unvermittelt betrachtet Kant das Er­kenntnisleben in seiner «Kritik der reinen Vernunft», das morali­sche Leben in seiner «Kritik der praktischen Vernunft».

Und wir müssen eigentlich sagen, wenn wir völlig ehrlich sind gegenüber unserem Zeitbewußtsein, daß hier ein Abgrund liegt zwischen zweierlei Erlebnissen der Menschennatur. Indem die heutige Wissenschaft sich Vorstellungen macht über den Gang der Weltenentwickelung in den verschiedensten Wissensgebieten, be­trachtet sie das Geschehen der Natur von den einfachsten Lebewe­sen,

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ja von der unorganischen Natur an bis herauf zum Menschen. Sie macht sich Vorstellungen darüber, wie etwa dieses uns unmit­telbar vorliegende Weltenganze entstanden sei. Sie macht sich auch Vorstellungen, in welchen Vorgängen das einstmalige Ende dieses uns zunächst vorliegenden Weltenganzen sich abspielen könnte. Aber nun quillt aus dem Menschen, der doch eingesponnen ist in diese Naturordnung, das hervor, was er seine sittlichen Ideale nennt. Und diese sittlichen Ideale empfindet der Mensch so, daß er eigentlich sich selbst nur als wertvoll fühlen kann, wenn er diesen Idealen folgt, wenn eine Übereinstimmung ist zwischen ihm und diesen Idealen. Der Mensch macht seinen Wert abhängig von diesen sittlichen Idealen. Aber wenn wir uns vorstellen, daß einstmals durch die Naturkräfte, die dem Menschen zugänglich werden durch seine Erkenntnis, das uns zugängliche Weltenganze seinem Ende entgegengeht, wo bleibt für das heutige Zeitbewußtsein dasjenige, was der Mensch aus seinen sittlichen Idealen, aus seinen morali­schen Antrieben heraus schafft? Wer ehrlich ist, wer nicht in Nebuloses einhüllt dasjenige, was heutiges Zeitbewußtsein ist, der muß sich sagen: Diese sittlichen Ideale sind vor der gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Anschauung etwas, wonach sich der Mensch im Leben zwar richten muß, wodurch aber nichts entsteht, was einstmals triumphieren könnte, wenn die Erde mit dem Men­schen selbst ihrem Untergang entgegengeht.

Es ist für das heutige Zeitbewußtsein, das muß man sich nur gestehen, keine Brücke zwischen den Erkenntnisfähigkeiten, die zum Naturwissen führen, und den Fähigkeiten, welche uns beherr­schen, indem wir sittliche Wesen sind. Dem Menschen wird nicht alles bewußt, was in den Tiefen seiner Seele vorgeht. Vieles bleibt unbewußt. Aber was da unten unbewußt rumort, das macht sich geltend im Leben durch Disharmonien, durch seelische oder sogar leibliche Krankheitserscheinungen. Und wer nur unbefangen sehen will in dasjenige, was heute vorgeht, der wird sich sagen müssen: da wogt unser Leben, und da sind die Menschen in diesem Leben drinnen mit allen möglichen seelischen und leiblichen Zwiespalten. Und das, was da wogt, das wogt auf aus einer Tiefe herauf, in der

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allerdings so etwas tätig ist wie jene schwachen Menschheitskräfte, die keine Brücke bauen können zwischen dem moralischen Leben und dem Naturerkennen. Anthroposophisch orientierte Geisteswis­senschaft stellt sich zu diesen Fragen in der folgenden Art. Sie muß verlassen alles dasjenige, was auf der einen Seite nur theoretische Anschauung der äußeren Wirklichkeit ist. Sie muß also alles das erkennen - das habe ich in den beiden letzten Vorträgen hier ausgeführt -, was den Menschen gewissermaßen bei dieser An­schauung von der Natur ausschalten möchte, damit nur ja eine rechte Objektivität entstehen könne.

Was ich als Weg in die geistige Welt charakterisierte, das stellt sich ja - ich möchte zusammenfassend das noch einmal sagen - etwa in der folgenden Art dar: Zunächst muß sich derjenige, der diesen Weg in die geistige Welt hinein gehen will, einer gewissen inneren seelisch-geistigen Arbeit hingeben. In meinen Büchern habe ich zusammenfassend dieses innere Üben, dieses innere geistig-seeli­sche Arbeiten eine Meditations-, eine Konzentrationsarbeit ge­nannt. Diese Arbeit bringt den Menschen in die Lage, sich seinem Vorstellungsleben anders gegenüberzustellen, als das im gewöhn­lichen Leben geschieht, wenn wir die Naturerscheinungen oder auch das soziale Leben verfolgen. Es ist ein vollständiges Zusam­mensein mit den Vorstellungen, die sonst nur schattenhaft die äußeren Eindrücke begleiten. Wie wir sonst, so sagte ich, mit unserem Gefühl, mit unseren Sympathien und Antipathien Men­schen oder der Natur oder sonst etwas im physischen Leben gegenüberstehen, wie wir Tatsachen gegenüberstehen mit unseren Willensemotionen, so stehen wir als einer, der den Weg in die geistige Welt sucht, den bloßen Vorstellungen gegenüber. Wie Vorstellungen auftreten, das regt uns auf, das fordert unsere Sympa­thie und Antipathie heraus, das regt unsere ganze Lebenskraft an. Das wird für uns ein Schicksal. Wir machen, während wir äußerlich ganz ruhig sind, innerlich etwas durch, was durchaus nicht schwä­cher ist als dasjenige, was wir sonst als Lebensschicksal in der äußeren Welt durchmachen. Wir verdoppeln gewissermaßen unser Leben. Während wir sonst in Aufregung geraten, Sympathie und

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Antipathie entwickeln, Willensimpulse geltend machen nur im äußeren Leben, äußeren Ereignissen gegenüber, tragen wir das, was uns sonst nur in dieser äußeren materiellen Welt beschäftigt, hinein in unser inneres Gedankenleben. Können wir dies - und jeder Mensch kann es, wenn er in der Art sich übt, wie ich es beschrieben habe in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» oder in meiner «Geheimwissenschaft» -, kommt der Mensch dazu, dies wirklich auszuführen, so tritt für ihn zuletzt ein Augenblick ein, in dem er Bilder der Welt nicht nur hat, wenn er seine Sinne öffnet, wenn er hört oder sieht, sondern wo er Bilder hat rein aus dem Vorstellungsleben heraus, so vollinhaltliche Bilder -wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf -, so vollsaftige Bilder, wie sie sonst nur durch die Sinneswahrnehmung uns kommen. Die kommen durch dieses also verstärkte und verschärfte Vorstellungs­leben. Ohne das Sinneswahrnehmen zu haben, leben wir in einer Welt von Bildern, wie sie uns sonst nur werden durch die Sinnes-wahrnehmung.

Damit ist aber ein anderes bedeutsames Erlebnis verknüpft - diese Dinge können nur als Erlebnisse verstanden werden, abstrakte Logik, sogenannte Beweisführung führt nicht an sie hertn -, ein anderes Erlebnis ist damit verbunden: Wir lernen wissen durch solches Üben, was es heißt, eine geistig-seelische Tätigkeit unabhän­gig von der leiblichen Tätigkeit zu entwickeln. Es tritt der Augen­blick für den Menschen ein, wo er sich - wenn ich mich so ausdrücken darf - mit Recht gestehen darf, ein Materialist zu sein, so sonderbar und paradox das klingt. Er darf in diesem Augenblick sagen: jawohl, im gewöhnlichen Leben sind wir ganz abhängig von dem Werkzeug unseres Leibes. Da denken wir durch das Werkzeug unseres Nervensystems. Aber das ist eben gerade das Charakteri­stische dieses äußeren Lebens, daß wir es durchmessen, indem wir das Geistig-Seelische nur dann entwickeln können, wenn es sich der leiblichen Werkzeuge bedient. Aber dieses Geistig-Seelische ist nicht angewiesen darauf, sich bloß der leiblichen Werkzeuge zu bedienen. Es kann sich durch die geschilderten Anstrengungen loslösen von dem leiblichen Werkzeug, kann leibfrei werden. Man

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kann noch soviel spekulieren und philosophieren mit dem Materia­lismus. Wenn man nur das gegen ihn ins Feld führt, was man wissen kann aus dem gewöhnlichen Leben, wird man ihn nie widerlegen, denn für das gewöhnliche Leben hat der Materialismus Recht. Widerlegen kann man den Materialismus nur durch die spirituelle Praxis, dadurch, daß man im unmittelbaren Erleben loslöst das Seelisch-Geistige von dem Leiblichen. Man stellt in Bildern vor - ich nannte es in den genannten Büchern imaginatives Vorstellen oder Imagination -, man stellt in Bildern vor, aber außerhalb des Leibes, wobei das «außerhalb» selbstverständlich nicht räumlich, sondern unabhängig vom Leibe vorzustellen ist. Das ist die eine Seite desjenigen, was man kennenlernen muß innerhalb der anthroposo­phisch orientierten Geisteswissenschaft, um die Brücke, die auf die Art nicht geschlagen werden kann, wie wir es geschildert haben, wirklich zu schlagen. Was man auf diese Art erlangt als Inhalt der [maginativen Erkenntnis, das ist nicht im Menschenleibe, das ist außerhalb des Menschenleibes und gibt die praktische Erklärung, daß unser innerstes Wesen, bevor es sich mit diesem Leibe umklei­det hat, in der geistig-seelischen Welt war. Denn man ist nicht nur außerhalb des Leibes, man ist außerhalb der Zeit, in der man mit dem Leibe lebt. Man erlebt auf diese Art wirklich das Vorgeburtli­che, oder sagen wir, das vor der physischen Empfängnis Liegende im Menschen. Wie ein Licht von außerhalb in das Zimmer herein-scheint, so scheint unser vorgeburtliches Leben in dieser Imagina­tion in unser gegenwärtiges Leben herein.

Was da hereinscheint, das sind jetzt nicht bloß Gedanken, das hat einen lebendigen Inhalt. Dieser lebendige Inhalt enthüllt sich als etwas ganz Besonderes. Er enthüllt sich als ein gewisser, ich möchte sagen, Intelligenzinhalt. Während wir also auf die Art, wie ich es geschildert habe, das Vorstellungsleben pflegen, schärfen, erkraften, kommen wir aus uns selber heraus in einen Willensinhalt hinein, der aber zu gleicher Zeit etwas Lebendiges hat. Es ist der Willensinhalt, der dasjenige in uns schafft, was sich mit dem physischen Leib umkleidet, was wir nicht durch Vererbung, was wir überhaupt nicht aus der physischen Welt haben.

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Zur Erkenntnis der Unsterblichkeit gelangt die anthroposo­phisch orientierte Geisteswissenschaft nicht durch spekulatives Ver­arbeiten des gewöhnlichen Lebens, sondern durch die Kultivierung einer Erkenntnisfähigkeit, die zunächst im gewöhnlichen Leben nicht da ist. Was heute für uns besonders wichtig ist, ist aber, daß wir Menschen auf diese Weise außerhalb unseres physischen Leibes gelangen, sogar außerhalb der Zeit, in der unser physischer Leib lebt. Man gelangt da zu Ideen, die für den größten Teil der gegenwär­tigen Menschen noch schwer vorstellbar sind, die aber ein wichtiges Glied in der Entwickelung der Menschheit nach der Zukunft zu werden bilden müssen.

Und jetzt stellt sich etwas sehr Merkwürdiges heraus, wenn man nicht nur nach der einen Seite hin, nach der des Vorstellungslebens Übungen macht, sondern wenn man auch nach der Seite des Willens-lebens Übungen macht. Wir Menschen leben, ich möchte sagen, so, wie Faust das Leben durchmacht, der da sagt: Ich bin nur durch die Welt gerannt. - Wir rennen durch die Welt. Gewiß, wir machen eine Entwickelung durch zwischen Geburt und Tod, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt; aber wir machen diese Entwickelung durch, indem wir uns gewissermaßen der äußeren Objektivität überlassen: Hand aufs Herz, wie viele Menschen tun es denn anders, als sich vom Leben, sei es vom Kindesleben, wo die Erwachsenen sie erziehen, sei es von dem späteren Leben und seinem Schicksal tragen lassen? Sie werden vollkommener, weil die Welt sie vollkommener macht. Aber was tun denn die meisten Menschen anderes, als daß sie sich eben dem Strom des Lebens überlassen? Mit diesem Sich-Überlassen dem Strom des Lebens kommt man allerdings nicht auf den hier gemein­ten geisteswissenschaftlichen Weg. Da ist notwendig, daß man in Selbsttätigkeit seine Selbstzucht übernimmt, daß man tatsächlich an sich so arbeitet, daß man nicht nur durch das Leben, das an einen durch das Schicksal herantritt, sich weiterentwickelt, sondern daß man sich weiterentwickelt dadurch, daß man sich vornimmt: du willst dir diese oder jene Gesinnungsrichtung einpflanzen. Jetzt arbeitet man daran, diese Gesinnungsrichtung sich einzupflanzen.

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Man kann im kleinen, man kann im großen so etwas unternehmen. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man irgend etwas an sich selbst, in der Zucht seines eigenen Wesens nur ausführt, indem man sich dem Leben überläßt, oder ob man diese Zucht des eigenen Selbst wiederum durch das eigene Selbst in die Hand nimmt. Man lernt durch dieses In-die-Hand-Nehmen den Willen in seiner Wirk­samkeit kennen; denn man lernt erkennen, was für Widerstände diesem Willen entgegenstehen, wenn man ihn nun in Selbstzucht kultivieren will. Oh, man lernt auf diese Weise allerlei kennen, man verstärkt vor allen Dingen die eigenen Kräfte des Geistig-Seeli­schen, und man wird sehr bald bemerken, wenn man solche Übun­gen in Selbstzucht ausübt - aber man muß sie jahrelang ausüben -, daß einem dann innere Kräfte zuwachsen. Diese inneren Kräfte, die sind von solcher Art, daß wir sie nicht in der äußeren Natur finden. Sie sind von solcher Art, daß wir sie auch nicht in dem gewöhnlichen Seelenleben finden, das wir vor unseren Übungen in uns getragen haben. Diese Kräfte entdecken wir erst, wenn wir eben eine solche innere Übung mit uns anstellen. Diese Kräfte sind zu etwas ganz Bestimmtem imstande: Sie sind imstande, die moralischen Antriebe, die sonst wie instinktiv, wie unbestimmt und getrennt von den Erkenntnisfähigkeiten aufquellen in der Seele, in unser eigenes Selbst viel bewußter aufzunehmen. Aber verstehen Sie mich recht, nicht in das Selbst, das wir entwickeln in unserem Leibe, sondern in dasjenige Selbst, das wir entwickeln, wenn wir auf die vorhin geschilderte Weise aus unserem Leibe heraustreten mit unserer Imagination. Nicht konnen wir die wahre Gestalt der moralischen Antriebe in unseren sinnlichen Leib, in unser sinnliches Erkennen hereinbekommen; aber wir bekommen das, was so isoliert dasteht, daß Kant es ganz isoliert als kategorischen Imperativ hinstellte, wir bekommen das herein in unser Selbst, das sich vom Leibe getrennt hat.

Und dann wird das, was ich vorhin geschildert habe als Imagina­tion, als Bildvorstellungen, durchtränkt von dem, was man nennen kann die objektive Kraft der sittlichen Impulse; es wird durchtränkt von der sittlichen Inspiration. Wir erkennen jetzt, daß dasjenige,

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was in uns a[s sittliche Imperative, als sittliche Ideale aufquillt, nicht bloß in uns wurzelt, daß es im Weltenganzen wurzelt. Wir lernen, indem wir außerhalb unseres physischen Menschen sind, erkennen, daß dasjenige, was in seiner wahren Gestalt nicht innerhalb der physischen Organisation erscheint, in dieser seiner wahren Gestalt, in der wir es erkennen durch imaginatives Anschauen, objektive Kräfte der Welt sind.

Solch eine Anschauung kann dem Menschen aufgehen, der richtig mit seinem gesunden Menschenverstand das aufnimmt, was der Geistesforscher zu sagen vermag aus seiner Anschauung der geisti­gen Welt heraus. Wer sich mit solcher Anschauung durchdringt, der fühlt gegenüber dem, was heute populäre öffentliche Vorträge sind, etwas ganz besonderes. Es klingt vielleicht sonderbar, wenn ich das ausspreche, aber ich möchte sagen: Wer dieses Inspirierte in der Imagination, das sich deckt mit den sittlichen Kräften, die im Menschenleben sind, unbefangen aufnimmt und sich vorstellt, wie in der Gegenwart durch Geist-Erkenntnis so etwas durchschaut werden kann, der möchte sich am liebsten denken: wenn doch solch eine Erkenntnis die Menschen ergreifen könnte, nur so stark wenig­stens, wie sie ergriffen werden, wenn sie hören, die Röntgenstrahlen oder die drahtlose Telegraphie sind gefunden worden! Man möchte angesichts desjenigen, was sich da in die Seele eines Geistesforschers senkt, sagen: es ist sehr notwendig für die Zivilisation der Gegen­wart, daß die Menschen dahin kommen, das auf geistigem Wege an Kräften für Menschenerstarkung zu Findende ebenso zu schätzen wie das, was nützlich und förderlich sein kann im äußeren Leben.

Damit haben wir, wie ich glaube, an eine wichtige Zivilisations-forderung der Gegenwart gerührt. Die geisteswissenschaftlichen Er­kenntnisse sind, ich sage es noch einmal, keine Spekulation, sie sind Erlebnisse. Und daß sie von so wenigen heute noch angenommen werden, das beruht darauf, daß die meisten sich blenden lassen von den materialistischen naturwissenschaftlichen Anschauungen, sich ihre Vorurteile selber in den Weg werfen, ihren gesunden Men­schenverstand nicht anwenden, daher nicht in der richtigen Weise prüfen können, was der Geisteswissenschafter sagt. Sie sagen immer:

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wir können das ja nicht selber sehen, was der Geistesforscher sagt. Ich möchte wissen, wie viele Leute, die an die Venus-Durch­gänge glauben, jemals einen Venus-Durchgang gesehen haben! Ich möchte wissen, wie viele Leute, die da sagen, das Wasser besteht aus Wasserstoff und Sauerstoff, jemals in einem Laboratorium beobach­tet haben, wie man feststellt, daß Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff besteht und so weiter. Es gibt doch eine Logik des gesunden Menschenverstands. Durch sie kann man prüfen, was der Geistesforscher sagt. Ich kann gewiß vor denjenigen, die ihren gesunden Menschenverstand gebrauchen, keine Illusionen hinma­len, keine Phantastereien vor sie hinschwätzen, denn sie können achtgeben durch ihren gesunden Menschenverstand, ob ich rede wie ein Schwärmer oder ob ich in logischen Zusammenhängen rede, ob ich rede wie jemand, der Idee auf Idee stellt, wie man das auch in der exaktesten Wissenschaft tut. Wer sich eine solche gesunde Men­schenerkenntnis und Menschenanschauung erwirbt, der wird unter­scheiden können, ob er einen Phantasten vor sich hat oder einen Menschen, der dadurch, daß er seine Anschauung in gesunde logische Formen zu kleiden weiß und auch sonst nicht den Eindruck eines Schwärmers macht, ernst zu nehmen ist. Vieles im Leben müssen wir auf diese Art entscheiden; warum sollten wir dasjenige, was zum Wichtigsten gehört: die Einsicht in die Weltenordnung, nicht so entscheiden? Auf eine andere Art läßt sich zunächst für den, der nicht selbst Geistesforscher werden kann - bis zu einem gewis­sen Grade kann aber jeder ein Geistesforscher werden, wie ich es in den genannten Büchern dargestellt habe -, auf eine andere Art läßt sich das nicht feststellen; denn Geisteswissenschaft ist etwas Erleb­tes, etwas, was erfahren werden muß, nicht etwas, was nur durch logische Schlußfolgerungen erreicht wird.

Lernt man also die Weltanschauungen durch, ich möchte sagen, die Kombination zwischen Imagination und inspirierter Sittlichkeit kennen, dann lernt man noch etwas anderes kennen, dann lernt man erkennen, was es mit dem Widerspruche für ein Bewenden hat zwischen der sogenannten Naturkausalität, der Naturnotwendig­keit, und dem Elemente, in dem der Mensch als in seiner Freiheit

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lebt. Denn nur in dem Elemente der Freiheit können wir mit unseren sittlichen Impulsen leben. Wir sehen hinaus in die äußere Natur. Überwältigend wirkt auf die Naturanschauung, die sich in den letzten drei bis vier Jahrhunderten herausgebildet hat, dasjeni­ge, was man den notwendigen Zusammenhang des Folgenden mit dem Vorhergehenden, was man die allgemeine Ursächlichkeit nennt. So stellt sich die Natur einschließlich der Menschenwesen­heit dar, als ob alles von einer Naturnotwendigkeit ergriffen wäre. Dann stünde es aber schlimm mit unserer Freiheit; dann könnten wir nicht anders handeln, als die Naturnotwendigkeit in uns das Handeln erzwingt. Freiheit wäre eine Unmöglichkeit, wenn die Welt so beschaffen wäre, wie die in den letzten drei bis vier Jahrhunderten beliebt gewordene naturwissenschaftliche Anschau­ung will.

Aber wenn man den Standpunkt errungen hat, den ich eben geschildert habe, den Standpunkt der Beobachtung außerhalb des menschlichen Leibes, dann stellt sich einem alles dasjenige, was von Notwendigkeit durchdrungen ist, gewissermaßen als eine Art Na­turleib dar. Und dieser Naturleib treibt an allen möglichen Stellen eine Naturseele, einen Naturgeist hervor. Der Naturleib ist gleich­sam dasjenige, was ausgeworfen und abgeworfen hat die werdende Welt; der Naturgeist, die Naturseele ist dasjenige, was in die Zukunft hinüberwächst.

So wie, wenn ich einen Leichnam vor mir sehe, dieser Leichnam keine Möglichkeit mehr hat, etwas anderem zu folgen als den Notwendigkeiten, die veranlagt hat das Geistig-Seelische, das in ihm gewohnt hat, so hat dasjenige, was leichenhaft ist an der äußeren Natur, nichts in sich von Antrieben als Notwendigkeiten. Aber an jeder Stelle sprießt hervor, was in die Zukunft hinüberwächst. Unsere Naturwissenschaft ist nur gewohnt worden, den Natur-leichnam zu beobachten, sieht daher überall nur die Notwendigkeit. Geisteswissenschaft muß dazukommen. Die wird das überall sprie­ßende, sprossende Leben sehen.

Damit aber ist der Mensch auf der einen Seite in die Naturkausa­lität hineingestellt, auf der anderen Seite hineingestellt in dasjenige,

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was auch da ist, aber keine Kausalität enthält, sondern etwas enthält, was gleich ist mit dem innerlich erlebten Elemente der Freiheit. Dieses Element der Freiheit erleben wir so, wie ich es dargestellt habe in meiner «Philosophie der Freiheit», wenn wir uns erheben zum innerlich durchsichtigen, reinen Denken, das aber eigentlich ein Ausfluß unserer Willenstätigkeit ist. Das Genauere finden Sie in dieser meiner «Philosophie der Freiheit».

So trägt uns dasjenige, was wir uns erringen, indem wir uns eine Erkenntnismöglichkeit schaffen außerhalb des menschlichen Lei­bes, hinein in eine Welt, wo der Gegensatz erklärlich wird zwischen Naturnotwendigkeit und Freiheit. Wir lernen die Freiheit selber in der Welt kennen. Wir lernen uns fühlen in einer Welt, in welcher die Freiheit west.

Wenn ich Ihnen so etwas schildere, dann schildere ich es Ihnen nicht, um Ihnen gewissermaßen nur den Inhalt desjenigen, was ich schildere, zu zeigen, sondern ich möchte Ihnen das, was ich schilde­re, aus dem Grunde darstellen, weil ich daran zeigen möchte, wie der Mensch in eine gewisse Seelenverfassung kommt, indem er sich mit Erkenntnissen, die aus solchen Regionen herausgeholt sind, durchdringt, indem er sich belebt mit solchen Erkenntnissen.

Wie wir, wenn wir meinetwillen ein außerordentlich freudiges Ereignis erleben, von Freude durchdrungen werden, wie manche Menschen, wenn sie so und soviel Mosel getrunken haben, von jener Stimmung ganz durchdrungen werden, die eben vom Moselwein kommt, so kann auch die ganze Seelenverfassung des Menschen ergriffen werden von etwas so Real-Spirituellem, das den Menschen durchdringt. Wann ist seine Seelenverfassung von etwas ergriffen worden, von dem sie zunächst nur im äußeren Leben, dann aber schattenhaft ergriffen ist? Wenn gegenüber den sittlichen Verpflich­tungen der kategorische Imperativ oder das Gewissen sich regt. Aber der Inhalt dieses Gewissens wird jetzt hell, und er wird auch eine andere Gefühlsnuance annehmen. Denn was ist eigentlich geschehen - ob der Mensch nun selber ein Geistesforscher ist, ob er das, was der Geistesforscher bringt, durch seinen gesunden Men­schenverstand aufnimmt und als Erkenntnisse seiner Seele einverleibt -,

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was ist denn mit dem Menschen geschehen? Er ist mit etwas zusammengegangen, hat sich mit etwas zusammengeschlossen, mit dem man nur zusammenkommt, wenn man aus sich herausgeht, wenn man sich seiner selbst entfremdet. Sie finden keine bessere, realistischere Definition der Liebe und des Liebesgefühls als dasjeni­ge, was man schildern kann als die Seelenverfassung, die einen uberkommt, wenn man leibfrei hineindringt in die Wesenhaftigkeit der äußeren Welt. Wirken die sittlichen Imperative sonst wie ein Zwang, so können sie in eine solche Form gegossen werden, daß sie durchdrungen erscheinen von derselben Stimmung, von der die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse durchdrungen sein müssen. Diese sittlichen Antriebe, diese moralischen Imperative können lernen von dem, was man als Seelenstimmung bekommt im Auf­nehmen von Geisteswissenschaft; diese Moral kann durchwärmt werden von dem, was in Geisteswissenschaft leben muß im höch­sten Sinne: von Liebe.

Das versuchte ich wiederum zu zeigen in meiner «Philosophie der Freiheit», daß des Menschen würdigster Antrieb für das sittliche Handeln die Liebe ist. Innerhalb der modernen Geistesentwicke­lung war von diesen Dingen schon einmal, mehr instinktiv die Rede, als es heute schon sein kann, wo wir eben in der Geisteswissen­schaft, wenri wir wollen, vorgeschritten sein können. Kant sprach einstmals von der zwingenden Pflicht, von dem, ich möchte sagen, den Menschen bändigenden kategorischen Imperativ, der nichts gestattet von Einmischung irgendeiner Sympathie. Was man tut aus sittlicher Pflicht, tut man, weil man es muß. Kant sagt deshalb:

Pflicht, du erhabener, großer Name, der du nichts bei dir führest, was Einschmeichelung oder dergleichen bedeutet, sondern nur strengste Unterwerfung. - Schiller fand dieses sklavische Unter­werfen unter die Pflicht nicht menschenwürdig. Und er setzte entgegen dieser Kantschen Ausführung das, was er so schön, so großartig ausgedrückt hat in seinen «Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen».

Aber wir brauchen nur ein kleines Epigramm zu nehmen, das Schiller geprägt hat gegen diesen Kantschen rigoristischen, starren

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Pflichtbegriff, so haben wir einen wichtigen menschlichen Gegen­satz in bezug auf das sittliche Leben: «Gerne dien' ich den Freun­den» - sagt Schiller - «doch tu ich es leider mit Neigung. Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin.» Er meint, im Kantschen Sinne müßte man nicht gerne den Freunden dienen, sondern sich gehorchend der Pflicht unterwerfen. Das aber, was das Menschenleben erst menschenwert machen kann, das ist, wenn erfüllt wird, was Goethe in ein paar Worten ganz monumental sagt:

Pflicht, wo man liebt, was man sich selbst befiehlt. - Aber die Stimmung, zu lieben, was man sich selbst befiehlt, sie kann nur angefeuert werden aus jener Verfassung der menschlichen Seele, die im Erwerben der Geisteswissenschaft zustande kommt.

So ist, wenn man sich in die Geisteswissenschaft vertieft, nicht etwas neben dem Leben herlaufend, wie Moral predigen, sondern es ist darinnen eine Kraftentwickelung, welche das sittliche Wollen unmittelbar ergreift. Es ist ein Begründen der Moral da. Es ist dasjenige da, was in den Menschen hineingießt die sittliche Liebe. Geisteswissenschaft predigt nicht bloß Moral, Geisteswissenschaft, wenn sie in ihrem vollen Ernst, in ihrer vollen Kraft genommen wird, begründet die Moral, doch indem sie nicht Worte der Mo­ral gibt, sondern Kraft zur tugendlichen Liebe, zur liebenden Tugend gibt.

Geisteswissenschaft ist eben nicht bloß Theorie, sie ist Leben. Und wenn man Geisteswissenschaft sich aneignet, so ist es nicht bloß ein Nachdenken, so ist es etwas wie ein Aufnehmen des Lebens wie beim Atmen selber. Das ist es, was diese Geisteswissenschaft der modernen Zivilisation auf sittlichem Gebiete leisten möchte, was sie ihr leisten muß. Denn in alten Zeiten, ich habe das vorgestern angedeutet, hatte man auch eine Geisteswissenschaft, aber eine instinktive. Woher kam die Geisteswissenschaft der alten, vor Jahrtausenden sich entwickelnden orientalischen Weisheit? Es war ein dumpfes, traumhaftes Sich-Verbildlichen der Welt. Es kam herauf aus den menschlichen Instinkten, aus dem menschlichen Triebleben. Instinktiv war diese Geisteswissenschaft. Die Men­schen sahen hinein durch eine Art Hellsehen in die Natur. Und

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dieses Hellsehen war verbunden mit ihrem Blute, war verbunden mh ihrer äußeren Leiblichkeit. Mit diesem Blute, mit dieser äußeren Leiblichkeit waren aber auch verbunden die damaligen sittlichen Antriebe. Beides kam aus einer Quelle. Die Menschheit - ich habe es gerade in diesen Tagen immer wieder gesagt - macht eine Entwik­kelung durch und glaubt, wir könnten so sein wie die Menschen vor Jahrtausenden; das kommt dem gleich, zu glauben, der erwachsene Mann könnte gleich sein dem Kinde. Wir können nicht mehr auf dem Standpunkt der primitiven hellseherischen Künste des alten Orients oder des alten Ägyptens stehen. Wir sind vorgerückt zum Galileismus, zum Kopernikanismus. Wir sind vorgerückt zu demje­nigen Anschauen, das im Intellekt aufgeht. In jenen alten orientali­schen Anschauungen war der Intellekt noch nicht entwickelt. Dafür müssen wir aber auch aus dem Geiste heraus, nicht aus dem Instinkte heraus die Impulse unseres sittlichen Handelns holen.

Das ist heute das Schlimmste, daß die Menschen, indem sie von Idealen oder Lebensimpulsen reden, immer alles verabsolutieren. Wenn heute irgendein Parteimensch oder ein schwärmerischer Theoretiker, der das tausendjährige Reich herbeiführen möchte, auftritt, da sagen sie: dies oder jenes will ich für die Menschheit -und sie denken sich dabei, das, was sie da aussprechen, sei gut für die Menschheit in alle folgenden Zeiten hinein und über die ganze Erde hin. Das sei im absolutesten Sinne gut. Wer wirklich hineinschaut in das Leben der sich entwickelnden Menschheit, der weiß, daß dasje-nige, was gut ist, was gültig ist für die Weltanschauung, immer nur für ein gewisses Zeitalter entsprechend ist, daß man die Natur dieses Zeitalters kennen muß. Ich habe bei früheren Vorträgen hier öfter gesagt: Geisteswissenschaft, anthroposophisch orientiert, wie ich sie hier ausspreche, bildet sich nicht ein, etwas Absolutes zu sein. Sie glaubt aber, daß sie aus dem Herzen der Gegenwart und der nächsten Zukunft heraus so redet, daß sie für Menschenseelen das sagt, was diese Menschenseelen in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft brauchen. Sie weiß aber sehr gut, diese Geistes­wissenschaft: wenn in fünfhundert Jahren wiederum jemand spre­chen wird von den großen Weltenrätseln und von den Menschheitsangelegenheiten,

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so wird er in anderen Tönen, in anderer Art sprechen, denn es gibt nichts Absolutes in diesem Sinne, nichts ewig Dauerndes .

Gerade dadurch wirken wir im Leben, daß wir es in seiner Lebendigkeit, in seiner Metamorphose auch da, wo wir drinnen stehen, entsprechend aufzufassen vermögen. Leichter ist es, in Abstraktionen absolute Ideale aufzustellen, als erst sein Zeitalter kennenzulernen und aus dem Wesen dieses Zeitalters heraus das zu sprechen, was ihm angemessen ist. Dann, wenn aus dem Aufneh­men der geisteswissenschaftlichen Impulse der Mensch sich so, wie das angeführt worden ist, durchdringt mit dem, was ihm vom Geiste kommt, dann wird er wissen, daß er als Mensch Geist ist, Seele ist, dann wird er wissen, daß er lebt durch die Welt als Geist und Seele. Und dann wird er jeden anderen Menschen als Geist und Seele ansprechen. Ein Ungeheures, möchte man sagen, wird hervorgehen, wenn das zur Geisteswissenschaft wird im Menschenleben, zu dieses Menschenleben durchtränkender Gesinnung wird so, daß man mit vollem Bewußtsein dem anderen Menschen entgegentritt wie einem Rätsel, das man zu lösen hat, weil man mit jedem Menschen in ein Unendliches, in geistige Untergründe und Abgrün­de hineinblickt.

Was sich da bildet aus diesem wirklichen Anschauen des Mitmen­schen als Geist und Seele, das wird sozial-sittliche Kräfte geben, welche die Grundlage werden bilden müssen für eine wirkliche Behandlung der so brennenden sozialen Frage in unserer Zeit. Ich kann mir nicht anders vorstellen, als daß diejenigen geradezu gewis­se Seelenqualen leiden, die das ganze Wesen der sozialen Frage durchschauen und zu gleicher Zeit die heutige Menschheitsverfas­sung auf sich wirken lassen. Wir leben in einer Zeit, wo die soziale Frage gelöst sein will in einer bestimmten Weise. Wir leben zugleich in einer Zeit, in der die Förderer der sozialen Ordnung durch­seelt sind von den antisozialsten Trieben, wo einem die Forderung nach sozialer Gestaltung des Lebens wie der Widerpart erscheint zu dem, was in den Menschenseelen als antisoziale Triebe lebt. Man mag die schönsten Programme aufstellen, man mag sich noch so

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schönen Vorstellungen hingeben über das, was werden soll zur Lö­sung der sozialen Frage, ein Weg zur Lösung kann sich nur fin­den, wenn Geist geschaut, gefühlt, empfunden wird unter den Menschen, wenn die Menschen so einander gegenübertreten, daß sie in ihren Mitmenschen achten, schützen, ehren, lieben Geist und Seele, nicht bloß dasjenige, was man heute im Mitmenschen neben sich hat.

Darum habe ich in meinem Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» die Absonderung des Geisteslebens von dem übrigen sozia­len Leben gefordert, damit dieses Geistesleben nur auf seine eigenen Untergründe gestellt werden kann, unabhängig vom Staatlichen und unabhängig von wirtschaftlichen Impulsen rein der Menschen-natur folgen kann. Nur ein solches freies Geistesleben wird wirklich auch soziale Triebe, soziale Auffassungen und Gesinnungen unter die Menschen verbreiten. Auch die soziale Sittlichkeit hängt daran, daß die Menschen in ihre Seelenverfassung das aufnehmen, was ihnen werden kann im Verfolge dessen, was man zu sagen hat aus den Forschungen der Geisteswissenschaft heraus.

Und das, worin der Mensch als in einem werten und würdigen Ganzen ruhen muß, damit er sich nicht als bloßer einsamer Welten-wanderer fühle, sondern als ein Glied des Weltenganzen, das religiö­se Element, es kann in dem Sinne, wie das der moderne Mensch braucht, wohl auch nur angefacht und angefeuert werden durch dasjenige, was als Stimmung errungen wird im Verfolgen der Gei­steswissenschaft.

Diejenigen Ereignisse der Weltenordnung oder der menschlichen Entwickelung, auf die die religiösen Empfindungen hinschauen, sie stehen als Tatsache da. Als Tatsache steht da zum Beispiel das Mysterium von Golgatha. Als Tatsache steht da, was im Beginn unserer Zeitrechnung in Palästina sich abgespielt hat als die Menschwerdung des Christus in dem Jesus. Man muß unterschei­den diese Tatsache, diese objektive Tatsache, von der Art und Weise, wie der Mensch sich nähert dem Verstehen, dem Anschauen einer solchen Tatsache. In den Zeiten, in denen das Christentum sich zuerst ausgebreitet hat, da konnte es strömen innerhalb der

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Menschheitsgesinnungen, die noch herübergekommen sind aus dem alten Orient, man verstand das, was in Palästina als das Ereignis von Golgatha geschehen ist, mit den Vorstellungen, die in gewisser Weise aus alten Zeiten, aus urtümlichen Menschheitsanschauungen stammten. Durch die Jahrhunderte hindurch waren die Menschen, die es sein konnten, ehrlich und aufrichtig, indem sie das Ereignis von Golgatha verstanden durch solche Vorstellungen. Dann kam aber die Zeit, in welcher der Galileismus auftauchte, in welcher Giordano Bruno in einer so merkwürdigen Weise für die mensch­liche Anschauung den Raum überwand, indem er zeigte, daß, was da oben blaues Firmament ist, nur dasjenige ist, was in uns selber lebt, die Grenzen, die wir selber setzen, während in einem weit ausgedehnten Raumesmeere die Sterne sind in einer Unendlichkeit. Es kam alles dasjenige, was Kopernikus brachte, was gebracht wurde in die neuere Weltanschauung des Äußerlichen durch die Geister, die gelebt haben bis heute. In dieser Zeit haben die Men­schen innerlich sich gewöhnt an ein anderes Anschauen der Welt, als dasjenige war, durch das zuerst das Christentum begriffen worden ist. In dieser Zeit muß auch ein neues Verhältnis gewonnen werden zu den religiösen Grundlagen der Menschheitsentwickelung. Nicht handelt es sich darum, etwas zu erschüttern an den Tatsachen, die der religiösen Entwickelung der Menschheit zugrunde liegen. Es handelt sich aber darum, heute an das moderne Menschengewissen so zu appellieren, daß der Mensch der heutigen Zeit aus seiner Seelenverfassung heraus so, wie er es muß, das Christus-Ereignis verstehen könne.

Die meinen es mit der Religion am ehrlichsten und am ehrerbietig­sten, die da sagen: ein neuer Weg muß auch zu den alten Tatsachen auf religiösem Boden gesucht werden. Geisteswissenschaft, anthro­posophisch orientiert, wird die beste Vorbereitung, in der moder­nen Art das Christentum oder andere religiöse Inhalte zu verstehen. Diejenigen meinen es nicht ehrlich mit dem religiösen Leben, die das nicht zugeben, denn sie wollen Wege bewahren zu den Grundlagen des religiösen Lebens, denen heute der Mensch, wenn er sonst den Anschauungen seiner Zeit huldigt, nicht huldigen kann.

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Wir haben es in der neueren Zeit zum Materialismus gebracht. Gewiß, verschiedene Arten von Menschen sind die Veranlasser des Materialismus geworden; aber unter diesen Menschen sind auch die, welche bewahrt haben gewisse alte Lebensgewohnheiten in der Menschheitsentwickelung, Lebensgewohnheiten, die dahin gingen, daß man den Bekenntnissen ein Monopol gegeben hat auf alles das, was über Geist und Seele zu sagen ist. Dadurch, daß die Bekennt­nisse allein das Recht hatten, zu entscheiden, was man glauben müsse über Geist und Seele, dadurch kam es, daß die Naturfor­schung ohne Geist forschte. Die Naturforschung glaubt heute, sie habe ihre Gestalt dadurch angenommen, daß es eben so sein müsse beim Naturforschen, daß man ausschalten müsse den Geist. 0 nein, die Naturforschung ist so geworden, weil in früheren Zeiten es verboten war, über die Natur mit Geist zu forschen, denn über den Geist und über die Seele hatte die Kirche zu entscheiden. Und heute setzt man die Gewohnheiten fort und posaunt sie noch dazu aus als vorurteilsloses wissenschaftliches Urteil.

Man sehe nur einmal nach bei solchen Forschern, die im Sinne von materialistischer Forschung aufs höchste gelobt werden müs­sen, wie zum Beispiel bei dem Jesuitenpater und Ameisenforscher Wasmann, dem ausgezeichneten materialistischen Forscher auf dem Gebiete der Naturforschung, ein Forscher, der aber auch nicht ein Quentchen Geist hineinfließen läßt von demjenigen, was das Dog­ma ist. Da muß Geist und Seele herausbleiben. Deshalb: äußere Wissenschaft materialistisch. Nicht zum geringsten Teile sind die Träger der Bekenntnisreligionen die Begründer des modernen Mate­rialismus. So paradox das heute klingt, es ist so: weil die Kirche in die Naturbetrachtung den Geist hineinzutragen nicht erlaubte, deshalb ist die Naturwissenschaft geistlos geworden. Die anderen haben sich das nur als Gewohnheit angeeignet. Anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft muß in die Naturforschung wieder den Geist hineintragen. Noch einmal möchte ich sagen: Nicht steht diese Geisteswissenschaft auf dem Boden, daß der Geist nur wie beim Materialismus zuweilen Logierbesuche oder kurze vorüberge­hende Besuche machen soll, damit der Mensch sich überzeugen

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kann, daß es einen Geist gibt - nein, diese Geisteswissenschaft will zeigen, daß im Kleinen und Großen, in allem Materiellen immer und überall Geist ist, daß man immer und überall den Geist verfolgen kann. Dadurch aber, daß anthroposophisch orientierte Geisteswis­senschaft immer und überall im Materiellsten den Geist erforscht, darlegt, daß es ein Materielles neben dem Geist ebensowenig als Selbständiges gibt, wie es Eis in dem Wasser als Selbständiges gibt -Eis ist verwandeltes Wasser, ist Wasser abgekühlt, Materie ist Geist, verfestigt. Man muß es im einzelnen nur in der richtigen Weise erklären. Indem anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft zeigt, wie überall, wo Materie ist, wo äußeres Leben ist, Geist waltet und den Menschen dazu bringt, sich mit dem waltenden Geiste zu verbinden, liefert sie auch heute die Antriebe zu einer wirklichen religiösen Vertiefung.

Aber man erlebt ja auf diesem Felde gar mancherlei. Sehen Sie, ein Erlebnis von einem sogar gutwilligen Manne ist das Folgende. Da sagt jemand: die Geisteswissenschaft, wie sie der Steiner gibt, ich kann sie nicht prüfen; sie mag Wahrheiten enthalten, aber man soll sie ganz fernhalten von jeglichem religiösen Leben, denn das religiö­se Leben, das muß fern von aller Kenntnis ein unmittelbares Ver­hältnis, eine unmittelbare Einheit des Menschen mit Gott darstellen. Und nun sagt der Betreffende sehr merkwürdig: wir haben in unserer Zeit zu viel von religiösem Interesse, von religiösem Erle­ben, die Menschen wollen nur immer etwas Religiöses erleben. Sie wollen religiöses Interesse haben. Das braucht man alles nicht in der Religion. In der Religion braucht man nur unmittelbare Einheit des Menschen mit Gott. Weg, sagt der betreffende Kirchenmann, mit allem religiösen Interesse, mit allem religiösen Erleben.

Nun, ein vorurteilsloser Mensch muß heute sagen, wenn die Menschen heute auch noch nach einem unklaren religiösen Erleben lechzen, wenn sie auch noch ein unklares religiöses Interesse in sich erwecken, so ist das eben der Anfang zu jener Sehnsucht, wirklich einen Weg, wie ich ihn Ihnen jetzt geschildert habe, in das religiöse Element hinein zu finden. Wer es ehrlich und aufrichtig mit dem religiösen Leben meint, der sollte ergreifen jenen Trieb des religiö­sen

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Interesses, des religiösen Erlebens. Statt dessen verpönt der Kirchenmann religiöses Erleben, religiöses Interesse. Man fragt heute, wo wirkliches religiöses Verständnis ist, bei denen, die so sprechen, oder bei denjenigen, die versuchen, so zu sprechen, wie ich heute zu Ihnen gesprochen habe. Allerdings, man muß auch da an ihren Früchten die Leute erkennen.

Ein Mann, der auch ein Kirchenmann, aber allerdings daneben auch noch Universitätsprofessor ist, versuchte in einem Vortrag vor kurzem eine Widerlegung der anthroposophisch orientierten Gei­steswissenschaft. Zwei junge Freunde von mir waren in diesem Vortrag, und sie konnten nachher in der Diskussion sprechen. Weil der Zusammenhang es ergab, so brachten diese beiden jungen Leute, die aber gut aufgenommen hatten die Impulse der Geisteswissen­schaft, Worte der Bibel vor, um zu beweisen, wie übereinstimme das, was in der Bibel steht, wenn es richtig verstanden wird, mit demjenigen, was auf diesem Gebiete anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft zu sagen hat. Und da wußte sich der Vorsit­zende, der ein richtiger Kirchenmann war, nicht anders zu helfen, als daß er sagte an einer Stelle: Hier irrt Christus! Es konnte ihm erwidert werden: Also du glaubst an einen Gott, der irrt! Schöne religiöse Gesinnung. Sie treibt sonderbare Blüten heute. Religiöse Gesinnung ist nur echt, wenn sie ins wirklich moralische Leben übertritt. Da macht man allerdings sonderbare Erfahrungen. So ziemlich das Allergemeinste, was gesagt werden kann, finde ich jetzt durch eine ganze Reihe deutscher Zeitungen über dasjenige, was als soziale Konsequenz auftritt in dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, vom Anfang bis zum Ende erlogen. Aber die Menschen finden es mit einer Moral heute vereinbar, allerdings in einer Zeit, in der das Folgende als Moralkorisequenz religiöser Praxis, sagen wir, geschehen kann. Vor kurzem hat auch in einer Stadt ein Domkapitular, also ein Kirchenmann von der katholischen Art, einen Vortrag gehalten über diese hier vertretene Geisteswis­senschaft, und am Schlusse hat er gesagt: überzeugen Sie sich aus den gegnerischen Schriften, was der Mann für eine Weltanschauung vertritt, denn seine eigenen Schriften und die seiner Anhänger

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dürfen Sie nicht lesen. Die hat nämlich zum Lesen für Katholiken der Papst verboten.

Die Empfehlung, etwas kennenzulernen aus dem Übelgewollten, aus den übelwollendsten gegnerischen Schriften, das ist moralische Konsequenz mancher religiösen Praxis der Gegenwart. Kein Wun­der, daß aus solchen Untergründen des Lebens über die Welt hin sich das ergossen hat, was wir in den letzten fünf Jahren erlebt haben. Oder war es nicht ein An-die-Oberfläche-Treiben von Lüge und Menschenhaß und vielem anderen, was aber wurzelte und heute noch wurzelt in den Tiefen der Menschenseelen? Sollte die Tatsa­che, die man erlebt hat, nicht Veranlassung geben, ganz ernstlich mit sich zu Rate zu gehen, ob nicht ein gründliches Umlernen notwen­dig sei? Ist nicht an die Oberfläche des Welthistorischen in der Gegenwart so etwas wie welthistorische Unmoral gekommen? Oder ist es religiöse Gesinnung, die sich in den letzten fünf Jahren in der Welt ausgelebt hat? Die Gesinnungen, die nicht Jahrhunderte, die Jahrtausende Zeit gehabt hätten, an der Verbesserung der Menschheit zu arbeiten, Sie sehen heute ihre Früchte! Die Theologie des 19. Jahrhunderts weiß nichts mehr von der Geistigkeit des Ereignisses von Golgatha. Diese Geistigkeit, dieser göttliche Chri­stus in dem Menschen Jesus, auf dem Wege anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft wird er wieder gefunden werden. Von da aus wird er wiederum in die Menschenseelen einziehen, um sie zu veranlassen, daß sie nicht bloß predigen von Moral, sondern daß in ihnen begründet werde das richtige Triebhafte, das richtige Impulsive des moralischen Wirkens und Arbeitens in der Welt. Ist nicht eine Erneuerung, ein Aufbau augenscheinlich notwendig? Stellt sich diese Notwendigkeit nicht heraus, wenn man die Ereignis­se der letzten fünf bis sechs Jahre betrachtet, sieht man nicht da die Früchte desjenigen, was jahrhundertelang unter der Oberfläche gelebt hat und jetzt heraufgekommen ist? Sollte das nicht Beweis sein, daß gründliche religiös-moralische Arbeit notwendig ist?

An dieser Arbeit, deren Notwendigkeit jeder Unbefangene heute zugeben muß, wenn er nicht mit seiner Seele schläft innerhalb der großen Ereignisse der Zeit, möchte die anthroposophisch orien­tierte

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Geisteswissenschaft mitarbeiten. Und wer sie kritisieren, wer sie verdammen will, der sollte erst die gründliche Frage aufwerfen: will sie ehrlich mitarbeiten an dem wirklichen Fortschritt der Menschheit? - Und wenn er sich gewissenhaft davon unterrichtet hat, so daß er ein Urteil darüber hat gewinnen können, dann wird sich erst zeigen, inwiefern diese anthroposophisch orientierte Gei­steswissenschaft ein Recht hat, mitzuarbeiten. Denn sie möchte ehrlich und aufrichtig an dem notwendigen Fortschritt, an dem notwendigen Umdenken und Umlernen der Menschheit mit­arbeiten .

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UNGEIST UND GEIST IN DER GEGENWART UND FÜR DIE ZUKUNFT Erster Vortrag, Zürich, 17. März 1920

Unter den irgendwie maßgeblichen Urteilen, die in der Gegenwart abgegeben worden sind über die heutige so chaotische Weltlage, ist zweifellos eines der allerbedeutsamsten dasjenige des Engländers John Maynard Keynes, der in seinem Buch «Die wirtschaftlichen Folgen des Versailler Friedensschlusses» eine solche Beurteilung der gegenwärtigen allgemeinen Weltenlage gebracht hat. Keynes ist ganz zweifellos auch durch seine äußeren Verhältnisse zu einem solchen Urteil berufen. Er war während der Kriegszeit zugeteilt dem englischen Schatzamt, war in der Lage, selbstverständlich aus den sich ihm da ergebenden Untergründen heraus, sich eine Grund­lage für ein entsprechendes Urteil zu bilden. Auf der anderen Seite war er unter den Abgesandten, unter den Mitarbeitern des Versailler Friedensschlusses selbst. Allerdings trat er schon im Juni 1919 von dieser Stellung zurück. Und dieser Rücktritt wie auch die Schlüsse, zu denen er in seinem Buch über die wirtschaftlichen Folgen des Friedensschlusses kommt, sie sind gerade dasjenige, was ein bedeu­tungsvolles Licht wirft auf die Art und Weise, wie sich diese Persönlichkeit zu der Weltlage der Gegenwart stellt. Auch Keynes gehörte ja zu denjenigen, welche zunächst wahrscheinlich wohl noch bei ihrem Gang nach Versailles in der von Amerika herüberge­kommenen, mit so großer Glorie empfangenen Persönlichkeit Woodrow Wilson etwas wie einen Propheten und Ordner der gegenwärtigen Weltlage sahen. Er ist gründlich von diesem Urteil abgekommen. Und derjenige, der wie ich, auch in den Zeiten, in denen Woodrow Wilson von einer ungeheueren Menschenmenge geradezu zu einem Weltbefreier erklärt worden ist, der - auch von dieser Stelle aus habe ich das getan - hier in der Schweiz unumwun­den sein Urteil dahin abgegeben hat, daß die inhaltsleeren und abstrakten Auseinandersetzungen Woodrow Wilsons und seine Manifeste zu einem wirklichen Neubau der zerstörten Zivilisation

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nichts beitragen können, der darf wohl hinweisen heute auf ein solches maßgebendes Urteil. Keynes schildert in seinem Buche geradezu, was die Persönlichkeit anbelangt, mit einer intensiven Plastik - möchte man sagen. Er schildert, wie Woodrow Wilson in Versailles ankommt, wie er an den Versammlungen teilnimmt, wie sein Denken ein langsames ist, wie er gewissermaßen überall hinten-nach hinkte. Während die anderen schon weit vorne sind mit ihrer Beurteilung der Dinge, ist er noch weit zurück bei irgend etwas, das man vor fünf, sechs oder vor zehn Sätzen gesprochen hat, geradezu ein Mann, der an der Langsamkeit seines Denkens leidet. Vieles andere wird plastisch geschildert in bezug auf die Persönlichkeit dieses angeblichen Weltenbefreiers.

Aber auch auf die anderen führenden Persönlichkeiten, die bei diesem Friedensschlusse tätig waren, kommt Keynes zu sprechen, eindringlich zu sprechen. Er schildert, wie Clemenceau ein Mann ist, der eigentlich die ganze Entwickelung der europäischen Menschheit seit den siebziger Jahren verschlafen hat, der eigentlich nichts anderes wollte bei diesem Friedensschlusse, als in einem gewissen Sinne die Welt wiederum zurückschrauben zu dem, was in den siebziger Jahren innerhalb Europas vorhanden war. Und er schildert dann nicht minder anschaulich und plastisch, wie Lloyd George eigentlich allen überlegen ist, wie er einen gewissen Instinkt hat, um zu erfühlen dasjenige, was bei den Persönlichkeiten seiner Umgebung gedacht und getan und gewollt wird. Und man sieht aber aus alledem, wie schwer es heute selbst einem scharfsinnigen Beschreiber wie Keynes wird, sich nach und nach durch die Gewalt der Tatsachen ein Urteil zu verschaffen. Das ist es ja, was immer mehr und mehr beiträgt zu dem Chaotischwerden unserer gegen­wärtigen Weltenlage, daß gerade die führenden Persönlichkeiten, die die Angelegenheiten, die das öffentliche Leben der letzten Jahrzehnte an die Oberfläche gebracht hat, daß die so gar nicht gewachsen sind den großen Anforderungen, welche die heutige Zeit stellt. Gerade das geht aus dem angezeigten Buche und seinem Urteil hervor. Man sieht daraus, daß alles dasjenige, was an zerstö­renden Mächten in der Welt wirkt, durchaus nicht in irgendeine

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Urteilsordnung gebracht werden kann von denjenigen, die eben durch das öffentliche Leben zur Führerschaft berufen worden sind, Und da Keynes sah, daß nichts irgendwie bei dieser Konferenz herauskommen könne, was zu einer heilsamen und gedeihlichen Weiterentwickelung der europäischen Zivilisation führt, so legte et eben sein Amt nieder gleich in den Anfängen der Verhandlungen. Und wie er nun sein Urteil aufbaut, das ist außerordentlich bedeut­sam. Und eigentlich hat man in der Gegenwart nur nötig, auf Urteile, die auf solchen Unterlagen ruhen, etwas Wirkliches zu bilden. Das Urteil von Keynes ist, ich möchte sagen, errechnet. Nur diejenigen Persönlichkeiten können eigentlich in der Gegenwart mitsprechen, die einen gewissen Sinn und Instinkt haben, aus noch vorhandenen Kräften in einer gewissen Weise die Zukunft mit aller Nüchternheit zu errechnen. Auf sie zu hören hat man deshalb besondere Veranlassung, weil ja weitaus die größte Zahl der heuti­gen Urteile abgegeben wird aus irgendwelchen völkisch-chauvinisti­schen oder sonstigen Vorurteilen heraus, während die Zahl derjeni­gen gering ist, die in objektiver Weise aus der Sprache der Tatsachen selber heraus sich ihr Urteil diktieren lassen. Zu ihnen gehört Keynes. Er hält Umschau über dasjenige, was vor allen Dingen in bezug auf Ökonomisches aus dem hervorgehen könne, was die drei genannten führenden Persönlichkeiten in Versailles gebraut haben, was wirklich gerade im wirtschaftlichen Leben der europäischen Zivilisation nach und nach erfolgen müsse, wenn nichts anderes eintritt, als daß die Kräfte wirken, die dazumal in Versailles zur Geltung gebracht worden sind. Und Keynes errechnet - ich sage ausdrücklich und ich betone es sehr stark -, Keynes errechnet, daß aus diesem Friedensschlusse nichts anderes folgen könne, als der wirtschaftliche Ruin Europas. Selbstverständlich muß mit dem wirtschaftlichen Ruin Europas verbunden sein der geistige und der politische Ruin.

So ist das Buch über die wirtschaftlichen Folgen des Versailler Friedensschlusses schon durch diesen seinen Inhalt interessant ge­nug. Aber in gewisser Beziehung wird es noch interessanter durch seinen Schluß. In diesem Schluß gesteht Keynes ganz unverhohlen,

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daß er eigentlich keine Ahnung habe von demjenigen, was zu tun oder zu wollen sei, um aus dem Chaos, in das wir hineintreten, herauszukommen. Und er sagt, indem er dieses Geständnis macht, etwas eigentlich außerordentlich Bedeutungsvolles, in einen einzi­gen Satz faßt er dieses bedeutungsvoll zusammen. Er sagt, man könne nur erhoffen, daß irgendein Heil für die europäische Zivili­sation erfolge aus dem Zusammennehmen aller in Betracht kom­menden Kräfte zu einer neuen Seelenverfassung und zu neuen Imaginationen.

Meine sehr verehrten Anwesenden, das sagt ein Mann, der drin­nengestanden hat in den Verhältnissen, der berufen war mitzutun, der durch seine Auseinandersetzung zeigt, daß er ein Mensch ist, der im weitesten Umfange nüchtern rechnen kann. Eine neue Seelenver-fassung, ein Zusammennehmen aller Kräfte zu einer neuen An­schauung der im öffentlichen Leben der Menschheit tätigen Gewal­ten, wo sind diese zu finden? Wie ist zu diesen zu kommen?

Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, es bedarf wohl nur einiger Unbefangenheit, so wird man zugeben müssen, daß dazu der erste Schritt sein müsse der: in voller Vorurteilslosigkeit das Wesent­liche im öffentlichen Leben der Gegenwart zu erforschen; sich zu fragen: Welches sind denn eigentlich die wirksamen Kräfte in diesem öffentlichen Leben der Gegenwart? In früheren Vorträgen, die ich hier zu halten die Ehre hatte, habe ich darauf hingewiesen, welcher Art von geschichtlichen Betrachtungen es verdarikt werden soll, auf wirklich wirksame Kräfte im Leben der Menschheit zu kommen. Da muß man vor allen Dingen auf gewisse Symptome sehen, durch die anschaulich wird dasjenige, was in den Tiefen der Menschheitsentwickelung wirkt. Und deshalb möchte ich, um et­was, was vielleicht zum Hervorragendsten gehört unter den Kräf­ten, die mit am Zerstörungswerk gearbeitet haben, möchte ich hinweisen gerade auf die Weltanschauungsgrundlage der Gegen­wart, allerdings so, wie sie sich herausgebildet hat im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte. Nicht als ob ich die Meinung erwecken wollte, als ob eine Weltanschauung, die begründet wird in einsamer Denkerstube, nun etwa hingehen würde und wirkte auf

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jede einzelne Seele, und daß die öffentlichen Angelegenheiten gewis­sermaßen aus einer solchen Weltanschauung heraus zustande kä­men. Das ist ja ganz gewiß nicht der Fall. Aber so wie dasjenige, was öffentliche Angelegenheiten sind, herauswächst aus dem Wollen, aus dem Empfinden, aus dem Gemütsleben, aus den Gedanken der Gesamtverfassung des Menschen, so wächst eben auch die Weltan­schauung heraus aus dieser Gesamtverfassung des menschlichen Lebens, namentlich der menschlichen Seele. Und man kann sehen wie an einem Symptom, wie die Menschen eines Zeitalters beschaf­fen sind in ihrem ganzen Wirken, in ihrem ganzen Tun, wenn man gewissermaßen das Symptom der Weltanschauung ins Auge faßt, insofern man auf die gerade in der Gegenwart maßgebenden, zur Geltung gekommenen Weltanschauungen hinweisen will. Dieses Maßgebende charakterisiert sich ja insbesondere dadurch, daß alles dasjenige, was nicht durch Tradition von alten Zeiten in unsere Weltanschauung hineingekommen ist, sich herausentwickelt hat aus dem Boden der Naturwissenschaft, die auf äußere materielle Beob­achtung allein ihre Erkenntnisse bauen will. Was zeigt denn, tiefer betrachtet, diese naturwissenschaftliche Weltanschauung?

Derjenige kann sie vielleicht allein richtig beurteilen, der sie bewundern kann. Und in früheren Vorträgen habe ich diese meine Bewunderung für die naturwissenschaftliche Weltanschauung ge­wiß stark genug zum Ausdruck gebracht. Nicht von irgendeiner Bekämpfung dieser naturwissenschaftlichen Weltanschauung, die auf ihrem Gebiete gewiß außerordentlich berechtigt ist, sollen diese Ausführungen, die ich hier entwickele, getragen werden. Diese naturwissenschaftliche Anschauung hat namentlich in ihren techni­schen und wirtschaftlichen Konsequenzen zu großartigen Zivilisa­tionsfrüchten für die Menschheit geführt. Aber nehmen wir an, es gäbe heute irgendeinen Geist - er ist schon kaum mehr möglich erstens bei dem großen Gebiete naturwissenschaftlicher Erkennt­nis, zweitens bei ihrer Spezialisierung -, aber nehmen wir an, es gäbe heute einen Geist, welcher den ganzen Umschwung der naturwis­senschaftlichen Anschauung von der Mathematik und von der Mechanik bis herauf in die Biologie und bis herauf in dasjenige, was

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über die Biologie für die menschliche Seelenkunde gewonnen wer­den kann, umspannte: ein solcher Geist, er würde in gewissen Gebieten des Naturschaffens und Naturseins ganz zweifellos be­deutsame Einblicke gewinnen können. Allein, wenn ein solcher Geist mit völliger Klarheit sich die umfassende große Menschheits­frage stellte: Was ist eigentlich der Mensch in seinem eigenen Wesen und in seinem ganzen Verhältnis zur Welt? - dann müßte gerade derjenige, der auf dem Boden der Naturwissenschaft ganz fest steht, der die Tragweite der naturwissenschaftlichen Erkenntnis gerade richtig zu beurteilen vermag, er müßte sagen: für die Beantwortung dieser Fragen nach dem Menschenwesen und nach dem Verhältnis des Menschen zu dem übrigen Kosmos vermag die naturwissen­schaftliche Weltanschauung nichts zu sagen. Diese Frage bleibt gerade von der neusten physischen naturwissenschaftlichen Er­kenntnis unbeantwortet. Wie der Mensch hervorgegangen ist in äußerlicher physischer Entwickelung von niederen, tierähnlichen Formen, zu seiner heutigen Menschengestalt, darüber sind schon großartige Erkenntnisansätze vorhanden. Was der Mensch ist in seinem Verhältnis zu geistigen Welten, davon haben gerade diese Erkenntnisansätze den Menschen weit abgeführt. Wer sich das nicht unbefangen eingestehen kann, der wird auch kein Urteil darüber gewinnen können, aus welchen inneren Impulsen heraus die gegen­wärtige Menschheit wirkt, indem sie die öffentlichen Angelegen­heiten organisiert oder auch öffentliche Organisationen zerstört. Denn mögen wir uns auch nicht immer bewußt sein wie aus dem, was wir über das Wesen des Menschen und seine Stellung zur Welt bewußt denken, mögen wir uns auch nicht immer bewußt sein, welche Gedanken wir in dieser Stellung hegen, diese Gedanken, so unbewußt, so instinktiv sie sein mögen, sie wirken in unseren Empfindungen, in unseren Willensentschlüssen. Sie werden daher doch die Schöpfer des ganzen öffentlichen, geistigen, politischen und wirtschaftlichen Lebens. Wer nur die Dinge richtig ansehen will, der wird gewahr werden, wie auch die wirtschaftlichen Zu­sammenhänge, da sie doch von Menschen gemacht werden, Men­schen aber wiederum aus ihren Seelenimpulsen heraus handeln, wie

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auch die wirtschaftlichen Zusammenhänge der Welt durchaus ein Abbild desjenigen darstellen, was der Mensch über sich zu empfin­den vermag und über sein Verhältnis zur Welt. Nun müssen wir sagen: groß ist geworden die naturwissenschaftliche Weltan­schauung über alles dasjenige, was außermenschlich ist. Über den Menschen selber vermag sie keine Antwort zu geben. Groß ist sie, wenn über die Reiche, die untermenschlich sind, Auskunft verlangt wird. Wie aber verhalten sich die Auskünfte, die wir uns erobern als Menschen zu dem, was wir aus unseren Ideen, aus unseren inneren Seelenimpulsen einfließen lassen sollen in das soziale Leben, über­haupt in das Zusammenleben von Mensch zu Mensch und in Menschengruppen? Kann man denn irgendwelche Antriebe emp­fangen von denjenigen Gebieten, die außerhalb des Menschen liegen, für das menschliche Wirken, für das menschliche Zusam­menleben? Das zeigt sich am besten, daß man das nicht kann, wenn man das Verhältnis des Menschen zur Sprache beobachtet.

In der Sprache lebt im Grunde genommen doch alles dasjenige, was Mensch zu Mensch führt. Durch die Sprache beherrschen wir auch das wirtschaftliche Leben. Durch die Sprache inaugurieren wir die äußeren politischen und geistigen Verhältnisse. Nun gibt es ein höchst Merkwürdiges, das nur leider nicht oft genug gründlich betrachtet wird. Wenn wir versuchen, unsere Sprache anzuwenden für die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, so können wir eigent­lich niemals etwas anderes tun, als die Worte, die Redewendungen, auch alles dasjenige, wodurch wir Naturgesetze ausdrücken, jene Naturgesetze, die wir heute so bewundern als den großen Fort­schritt der neueren Menschheit, wir können nichts anderes als dasjenige, was wir uns gebildet haben in den Worten als Ausdruck für innere Seelenverhältnisse oder für Verhältnisse am Menschen, auf die Natur hinaus auszudehnen. So feinsinnige Geister wie Goethe, die bemerkten das. Deshalb sagte Goethe: Der Mensch begreift gar nicht, wie anthropomorphistisch er ist. - Wenn wir sagen: eine elastische Kugel stößt die andere -, und wir daraus die Gesetze des elastischen Stoßes in der Physik ableiten, so gehen wir im Grunde genommen aus von dem, was wir in der Wortbedeu­tung

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für den Stoß haben, den wir in unserem eigenen Organis­mus ausführen. Und derjenige, der nur richtig nachforschen will, wird sehen, daß alles dasjenige, was nur überhaupt von der Spra­che angewendet werden kann auf die Naturwissenschaft, die das Außermenschliche behandelt, vom Menschen her genommen wer­den muß.

Wie ist denn unsere Sprache zu einem Inhalte gekommen? - Sie wäre zu einem sehr geringen Inhalte gekommen, wenn wir nur das Muhen der Kuh und andere tierische Laute nachahmen könnten. Wie ist denn unsere Sprache zu einem Inhalte gekommen? Wer unbefangen den Entwickelungsgang der Menschheit betrachten kann, der findet, daß aller Inhalt der Sprache davon herkommt, daß die Menschheit in Zeiten, die allerdings hinter unserer Zivilisation zurückliegen, eine gewisse instinktiv-geistige Erkenntnis hatte, ich sage: eine instinktiv-geistige Erkenntnis hatte mit den natürlichen elementaren Nachempfindungen, die in der menschlichen Seele aufsteigen. Mit den Willensimpulsen, mit dem bildhaften Vorstel­len, die sich im Mythus, in Mythologie auslebten, kamen dem Menschen geistige Anschauungen, und aus diesen geistigen An­schauungen heraus bildete er sich den Seeleninhalt, der dann zum Inhalt seiner Sprache wurde in der neueren Zeit, die groß ist dadurch, daß sie in einer gewissen Weise verachtungsvoll hinsah auf dasjenige, was instinktive geistige Fähigkeiten dem Menschen einer früheren Zeit gegeben haben. In dieser neueren Zeit, in der man vorzugsweise groß geworden ist in bezug auf die Naturwissen­schaft, in dieser neueren Zeit haben unsere Worte keinen neuen Inhalt bekommen. Und eines ist geschichtlich bedeutsam gerade in den letzten zwei bis vier Jahrhunderten: Unsere Sprache, alle Sprachen unserer zivilisierten Welt haben ihren alten Inhalt verlo­ren. Kein neuer Inhalt konnte in sie ergossen werden, weil dasjenige, was einen solchen Inhalt nicht geben kann, die bloße Naturer­kenntnis, dasjenige ist, was gerade in dieser Zeit groß geworden ist. Und in der Zeit, die wir in anderer Beziehung so bewundern müssen, spielte sich das ab, was man nennen kann Entleerung der zivilisierten Sprachen von ihren alten geistigen Inhalten.

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Was wurden die zivilisierten Sprachen dadurch, daß sie ihren alten Instinktinhalt verloren haben und ihnen die Naturwissen­schaft keinen neuen geben konnte? - Sie wurden dasjenige, was nun in der Gegenwart bis zu einem gewissen Höhepunkt gestiegen ist. Sie wurden dasjenige, was sich ausbildete zur Phrase, und wahrhaf­tig nichts, was nur in einem eingeschränkten Gebiete einen Sinn hätte, sondern man nennt dasjenige, was heute Weltherrschaft ausübt, wenn man heute von Phrase spricht. Und die vier bis fünf Schreckensjahre, die wir hinter uns haben, sie haben die Weltherr­schaft der Phrase auf ihrem Höhepunkt gezeigt. Wir leben heute geradezu unter der Weltherrschaft der Phrase. Was gibt es gegen diese Weltherrschaft der Phrase für ein Heilmittel? Einzig und allein die Gewinnung eines neuen geistigen Inhaltes, eines bewußten geistigen Inhaltes. Der alte, durch die frühere Menschheit auf instinktivem Wege gewonnene geistige Inhalt, der die Sprache zur Summe von Worten, nicht von Phrasen gemacht hat, er ist dahin, an ihn kann die wirklich an der Gegenwart hängende Menschheit nicht mehr glauben. Ein neuer bewußter geistiger Inhalt muß erobert werden.

Das, meine sehr verehrten Anwesenden, ist es, was die anthropo­sophisch orientierte Geisteswissenschaft, die ihren Repräsentanten in dem Dornacher Bau hat, in ganz bewußter Weise anstrebt:

bewußte geistige Erkenntnis zu dem naturwissenschaftlichen Er­kennen, das über alles Außermenschliche so großartige Aufschlüsse gibt, hinzuzuerobern mit derselben Gedankenklarheit, logischen Strenge, mit derselben wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit hin­zuzuerobern geistige Erkenntnis, die nun Auskunft geben kann über die große Frage nach dem Wesen des Menschen und nach der Stellung des Menschen zum übrigen Kosmos. Allerdings, gestehen muß man sich, bevor man zu einer solchen Erkenntnis vorschreiten kann, daß eben die äußere naturwissenschaftliche Methode zwar in ihrer Gewissenhaftigkeit nachgeahmt werden muß heute von jeder Erkenntnis, daß sie aber selbst nicht zur Geist-Erkenntnis führen kann. Um zur Geisteserkenntnis zu kommen ist notwendig, daß der heutige Mensch vor allen Dingen diejenigen inneren Fähigkeiten

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zur Geltung bringt, welche gerade auf dem Boden der hier gemein­ten anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft erwachsen sollen. Ich habe dargestellt, wie der Mensch durch sein eigenes Seelenleben zu solchen Erkenntnissen kommen kann, zum Beispiel in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und im zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft». Al­lerdings dann ist eines notwendig - ich habe es ja auch hier schon des öfteren hervorgehoben -, eines ist notwendig für den Menschen, dem er sich heute nur höchst widerwillig ergibt. Es ist dasjenige notwendig, was ich nennen möchte intellektuelle Bescheidenheit. Auf seine intellektuelle Entwickelung ist ja der heutige Mensch so stolz. Intellektuelle Bescheidenheit, sie macht sich erst dann gel­tend, wenn man sich zum Beispiel sagt: Angenommen, man gebe einem fünfjährigen Kind einen Band von Goethes Lyrik in die Hand. Was wird das Kind mit dem Band Goethes lyrischer Gedich­te anfangen? Es wird ihn wahrscheinlich zerreißen oder es wird spielen damit. Es wird ganz gewiß nicht dasjenige von dem Band Goethes lyrischer Gedichte haben, was der Erwachsene haben kann, und was eigentlich das ist, wozu der Band Goethescher Lyrik bestimmt ist. Es müssen in dem Kinde erst nach und nach die Fähigkeiten heranerzogen werden, welche es bestimmen können, welche ihm möglich machen können, den Band Goethescher Lyrik in der rechten Weise auf sich wirken zu lassen. Für diese Entwik­kelung der kindlichen Fähigkeiten gibt man einiges zu im Menschen­leben heute. Daß aber der Mensch etwa, wenn er erwachsen ist und nur ausgerüstet ist mit den Fähigkeiten, die man eben im noi'rnalen äußeren sinnlichen Menschenleben heute sich aneignen kann, daß er dann vor der Welt selber so stehen könnte, wie das fünfjährige Kind vor dem Band Goethes lyrischer Gedichte, daß er durch das eigene In-die-Hand-Nehmen seiner Seelenfähigkeiten sich erst entwickeln müsse, um aus dem, was ihm in der Welt vorliegt, etwas herauszu­ziehen, was sich vergleichen läßt mit dem, was das Kind erst, wenn es erwachsen ist, aus dem Band Goethes lyrischer Gedichte heraus-zieht, also, was es mit dem Band Goethes lyrischer Gedichte mit fünfundzwanzig Jahren anfängt - ja, das zuzugeben, dazu will sich

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der Mensch der Gegenwart in seinem intellektuellen Hochmut nicht bequemen. Das aber muß vor allen Dingen geltend gemacht werden, daß zur wirklichen Menschenerkenntnis, zum endlichen Erfüllen des apollinischen Ausspruches «Erkenne dich selbst» notwendig ist ein In-die-Hand-Nehmen der menschlichen Seelenfähigkeiten. Wie das im einzelnen möglich ist, das wird Gegenstand des morgigen Vortrages sein.

Heute will ich nur im allgemeinen hervorheben, daß es allerdings möglich ist, daß der Mensch durch eine gewisse Behandlung seines Denkens, die ich dann morgen schildern werde, dieses Denken sich erkrafte, daß es nicht mehr passiv an den Erscheinungen dahin geht, sondern daß es innerlich wie durch einen Willen ergriffen wird, aktiv wird, daß es intensiver wird, daß es auftritt so, daß der Mensch durch innere Erfahrung im unmittelbaren Erleben weiß: jetzt ist das Denken ein geistig-seelisches Schauen geworden. Während man mit dem gewöhnlichen Denken abhängig ist von seinem Denkapparat, von seinem Leibe, von dem Nervensystem, und während man gerade, wenn man das Denken etwas entwickelt, diese Abhängigkeit genau durchschaut, weiß man auch, daß wenn das Denken auf den entsprechenden Wegen, die in den angegebenen Büchern geschil­dert sind, sich erkraftet, es frei wird vom Leibe, es eine Tätigkeit wird, die nicht mehr durch das Instrument des Leibes geführt wird. Gewisse Meditationen, denen man sich hingibt mit derselben Objek­tivität, wie man im chemischen Laboratorium ein Experiment macht oder auf der Sternwarte die Sterne beobachtet, erkraften dieses Denken und befreien es von dem Werkzeug des Leibes. Es muß nur dazu kommen, wenn dann dieses Denken gebraucht werden soll für ein wirkliches Weltschauen, daß Selbstzucht des Willens eintrete. Wenn Selbstzucht des Willens mit innerem Medi­tieren sich zu einem willensdurchtränkten Denken entwickelt, das unabhängig vom Leibe ist, dann erst tritt Geist-Erkenntnis ein, bewußte Geist-Erkenntnis, die nun wiederum dem Menschen das geben kann, was ihm einstmals eine instinktive Geist-Erkenntnis gegeben hat: Inhalt für seine Rede, Inhalt für die Sprache. Damit der Mensch in sich den Impuls fühle, aus sich selbst heraus seiner

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Sprache einen Inhalt zu geben, setzte in einer gewissen Beziehung die Menschheitsentwickelung aus, hörte auf das alte instinktive Geist-Erkennen, trat das äußere Naturerkennen an dessen Stelle, was der Sprache keinen Inhalt geben kann. Aber der Mensch muß aus den Zeichen der Gegenwart heraus erkennen, daß er durch bewußtes inneres seelisches Arbeiten, durch Entwickelung seines Denkens zum seelischen Schauen sich wiederum Selbsterkenntnis, Menschheitserkenntnis erwerben müsse und dadurch allein das entstehen kann, was unserer Sprache wiederum Inhalt gibt, was beseitigen kann die Weltherrschaft der Phrase.

Aber solch eine Erkenntnis gibt zu gleicher Zeit die Einsicht, daß eben die Außenwelt, indem wir sie mit unseren Sinnen betrachten, wir hineinwachsen im Verlaufe unseres Lebens zwischen Geburt und Tod, daß diese äußeren Betrachtungen uns nicht das eigentlich Geistige geben können, daß dieses, der eigentlich geistige Inhalt, von uns in die Welt hineingetragen wird, daß wir ihn selbst mitbrin­gen, indem wir aus geistigen Welten - wie gesagt, über diese Dinge werden wir morgen genauer sprechen - durch die Geburt herunter-steigen in diese physische Welt, daß wir hinschauen müssen, wenn wir von dem geistigen Inhalt sprechen, auf dasjenige, was die Menschen hereintragen, was sie nur durch das Instrument ihres Leibes nach und nach von Jahr zu Jahr entwickeln. Nicht dasjenige, was als immer reicherer Welteninhalt in der äußeren Erfahrung an uns herantritt, das bringt in die Wirklichkeit den Geist, sondern dasjenige, was wir als Menschenindividualität durch unsere Geburt in die Welt hereintragen. Die Menschen fürchten sich nur heute vor demjenigen, was der Mensch selber in die Welt hereinträgt. Sie fürchten sich, weil sie glauben, daß, wenn er es geltend macht, es in die Phantastik führen würde. Allein es gibt durchaus Methoden, diese Phantastik zu vermeiden. Derjenige aber, der durchschaut, wie im Grunde genommen doch aller geistige Inhalt aus den mensch­lichen Individualitäten kommen muß, der wird ohne weiteres zuge­ben, daß eine gedeihliche Entwickelung dieses Geisteslebens nur kommen könne, wenn dem Menschen die volle menschliche Ent­wickelungsmöglichkeit gegeben ist, wenn er in seiner geistigen

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Entwickelung und in den Darlegungen und Offenbarungen seines Geistes von keinen äußeren Mächten, die nur hier in der physischen Welt dienen, abhängig ist. Denn mit dem Heraufkommen der reinen naturwissenschaftlichen Erkenntnis, jener Erkenntnis, die nur durch das Außermenschliche Auskunft gibt, ist eben, wie organisch damit verbunden, auch heraufgekommen die Abhängigkeit des Geisteslebens jetzt nicht von dem, was der Mensch durch die Geburt in die Welt hereinträgt, sondern von dem, was das äußere Staatsleben feststellt, von dem, was das Wirtschaftsleben aus dem Menschen macht. In derselben Zeit, in der die Naturwissenschaften groß geworden sind, haben wir die Omnipotenz des Staates aufs höchste entwickelt gesehen dadurch, daß der Staat seine Fangarme ausstreckt über alles dasjenige, was Geistesleben ist; er hat das Schulleben angefangen zu organisieren, das Wirtschaftsleben ist auf der anderen Seite maßgebend geworden für das Einleben derjenigen Persönlichkeiten, die eben in dieses Geistesfeld kommen konnten. Das aber ist Hand in Hand gegangen damit, daß der Mensch verloren hat die Möglichkeit, herauszugebären aus sich selbst einen geistigen Inhalt, seinen Worten einen geistigen Inhalt zu geben. Daher hat sich entwickelt im Zeitalter der Naturwissenschaft die Abhängigkeit des Geisteslebens von den politischen, von den wirt­schaftlichen Mächten, und es hat sich unter diesem Einflusse ent­wickelt die Weltherrschaft der Phrase.

Das ist das erste Glied in den nach der Zerstörung hin arbeitenden gegenwärtigen Organisationen: die Weltherrschaft der Phrase, die inhaltsleere Rede. Wenn der Mensch nicht in der Lage ist, geistige Substanz, die er unmittelbar aus seiner Verbindung mit der Geistes­welt schöpft, in die Worte hineinzulegen, müssen die Worte zur Phrase werden, müssen die Worte allmählich in den Menschen sich so eingewöhnen, daß der Mensch gewissermaßen nur sich forttra­gen läßt von den Mechanismen der Sprache. Und das sehen wir nur leider allzu deutlich in der neueren Zeit heraufkommen: dasjenige, was mit Urgewalt hervorbricht aus dem geistig-seelischen Inneren des Menschen, was sich gewissermaßen nur entlädt in der Sprache, das verschwindet. Das Leben in den Mechanismen der Sprache wird

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immer intensiver und intensiver, und es ist an seinem Höhepunkt angelangt in den letzten Jahren. Weil die Menschen, indem sie miteinander redeten über die zivilisierte Welt hin, redeten unmit­telbar oder mittelbar durch den Druck eigentlich von nichts, und indem die Worte nur in ihrem Mechanismus sich abspielten, entwik­kelte sich dasjenige, was an chaotischen Kräften zur Zerstörung hintrieb.

Ich weiß sehr gut, daß in der Gegenwart wenig Neigung dafür vorhanden ist, auf diese Intimitäten des menschlichen Lebens einzu­gehen, wenn von den Ursachen des gegenwärtigen Chaos die Rede sein soll. Aber niemand wird über diese Ursachen klare Begriffe und klare Urteile gewinnen, der nicht auf diese Intimitäten des menschli­chen Seelenlebens eingehen will. Nicht früher auch wird in die öffentlichen Angelegenheiten wiederum Harmonie anstelle des Chaos kommen, nicht früher, als bis durch geistige Vertiefung, durch wirkliche Geisteswissenschaft in dem Menschen wiederum der Drang entsteht, seinen Worten einen vollen Inhalt zu geben. Denn dasjenige, was allerdings zuerst auf wissenschaftlichem Gebie­te auftritt, was auf wissenschaftlichem Gebiete geboren wird, es drängt sich hinein in die übrigen Lebensgewohnheiten, es wird im öffentlichen Leben zu dem Tonangebenden. Und wer einen Sinn hat für Lebensbeobachtung, der sieht, wie im Alltagsleben zuletzt sich nur die letzten Konsequenzen von dem abspielen, was zum Schluß doch als das Charakteristische vorhanden ist da, wo man Weltan­schauungen macht. Allerdings, die Zusammenhänge, die da auftre­ten, die Menschen wollen sie schon seit langem nicht ordentlich überschauen. Hier in der Schweiz hat einmal ein polternder Geist gewirkt, ich nenne ihn ausdrücklich einen polternden Geist, damit Sie sehen, ich überschätze ihn nicht, Johannes Scherr. Er hat durch seinen polternden Ton und sein polterndes Urteil manches sich verdorben, was allerdings auch an gesunden Gedanken in dem war, was er öffentlich zu sagen hatte. Er hat in den sechziger, siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus einer wirklich eindringlichen Beobachtung des geschichtlichen, sozialen Lebens heraus ein sehr bedeutsames Urteil gefällt. Er hat gesagt: Wenn der materialistische

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Ungeist, der nurmehr sich stützt auf dasjenige, was der Mensch in der Außenwelt erschaut und erlebt, wenn der fortherrscht, wird er einziehen auch in alles dasjenige, was der Mensch in den äußeren öffentlichen Angelegenheiten tut; er wird eingehen in das Wirt­schafts-, in das finanzielle Leben, und es wird sich eine soziale Struktur entwickeln, die endlich dazu führen wird, daß man sagen muß: Unsinn, du hast gesiegt!

Meine sehr verehrten Anwesenden! Auf solche Leute hört man nicht gern. Auch dieses Urteil des Johannes Scherr hat man über­hört. Aber jetzt nach fünfzig Jahren muß für denjenigen, der auf alles, was mit der sogenannten Weltkriegskatastrophe zusammen­hängt, hinschaut, gesagt werden: Die Worte dieses Weltenbeobach­ters Johannes Scherr, die in dem Satze gipfelten: Ihr werdet sagen müssen: Unsinn, du hast gesiegt, - die Worte haben sich erfüllt! Denn dieser Johannes Scherr hat gut gesehen, wie sich herausge­preßt hat allmählich aus dem menschlichen Leben dasjenige, was Geist ist, wie an die Stelle des Geistes der materialistische Ungeist getreten ist, und er hat aus dieser Beobachtung eine wahre Prophetie machen können. Die Welt weiß eben nicht, daß dasjenige, was zuerst nur Weltanschauung, nur Theorie ist, daß das im Grunde genommen nach zwei Generationen moralisches, öffentliches Wir­ken wird, Tat wird. Oh, man sollte gewisse Zusammenhänge in der Welt viel, viel besser bemerken! Man sollte sich ein viel gründ­licheres Urteil, ein reales Urteil über gewisse Dinge verschaffen!

Hier hat auch einmal ein Philosoph gewirkt, Avenarius. Er ist ein Geistesverwandter von Mach, der wiederum einen Schüler vor ganz kurzer Zeit hier in Zürich wirken hatte. Diese Leute haben auf dem Weltanschauungsfelde die Konsequenzen gezogen des gegenwar­tigen materialistischen Ungeistes - ich nenne ihn Ungeist, weil eben bloße Naturerkenntnis in unsere Sprache keinen substantiellen Inhalt hineingießen kann. Sie haben, die Philosophen, Avenarius und so weiter, die Weltanschauungskonsequenzen gezogen aus dem materialistischen Ungeist der Zeit. Die Philosophie, die sie gewon­nen haben, und die ganze Art und Weise, wie solche Leute wie Avenarius sich darlebten, ist gut bürgerlich. Niemand wird selbstverständlich

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diesen Leuten ansehen, daß sie etwas anderes sind, als brave Staatsbürger. Aber heute sollte man etwas anderes notifizie­ren. Heute sollte man einmal aus den Tatsachen heraus die Frage studieren: Welches ist die Staatsphilosophie des Lenin und Trotzki geworden? Welches ist die Staatsphilosophie der Bolschewisten? -Das ist die Avenariussche, die Machsche! Da ist nicht bloß der zeitliche Zusammenhang, daß eine Anzahl dieser Leute hier in Zürich studiert haben, da ist der innere Tatsachenzusammenhang, daß dasjenige, was in den menschlichen Seelen als Weltanschauungs­gedanke in einer Generation lebt, in der dritten Generation zu Taten wird. Und an diesen Taten kann man die Ursachen sehen, wie sie in der Welt spielen. Aber die heutige Menschheit will nur abstrakt logische Urteile und begreift nicht, daß etwas, was logisch er­schlossen ist, noch kein Tatsachenurteil, kein Tatsachenschluß ist, daß man mit wirklichem geistigem Schauen hineinblicken muß in den realen Zusammenhang, in den Wirklichkeitszusammenhang, und dann das scheinbar Unähnlichste, die bourgeoise Weltan­schauung des Avenarius, die aber aus materialistischem Ungeiste hervorgegangen ist, wieder auflebt tief in demjenigen, was alle menschliche Gesellschaft von Grund aus zerstört, was zu den Totengräbern hinführt der ganzen europäischen Zivilisation.

Damit ist zu gleicher Zeit angedeutet, daß allerdings diese Welt­herrschaft der Phrase nicht etwas ist, was nur auf einem engen Gebiete gilt. Es ist etwas, was als eine Grundkraft unser ganzes öffentliches Leben, vor allen Dingen auf dem Gebiete des Geistes durchzieht. Und eher wird kein Heil sein, als bis das Geistesleben sich emanzipiert von dem, was sich gerade als die Grundlage zu diesem Phrasentum ergeben hat, bis sich das Geistesleben emanzi­piert von dem äußeren politischen oder Rechtsleben, von dem Wirtschaftsleben, und allein auf dasjenige gebaut wird, was der Geist selber aus sich hervorbringt, das heißt, dasjenige, was der individuelle Mensch produziert aus dem, was er durch die Geburt aus der Geisteswelt in die sinnliche Welt hereinträgt. Zu geistigem Inhalt zu kommen ist allein der Weg, die Weltherrschaft der Phrase zu überwinden. Und mit der Phrase innig im Bunde ist etwas

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anderes. Weil die Phrase nicht den Zusammenhang des Wortes mit den Inhalten verbindet, so wird das Wort sehr leicht in dem Zeitalter der Phrase zum Träger der Lüge. Und von der Phrase zur Lüge führt ein gerader Weg. Daher auch die Herrschaft, der Siegeszug der Lüge in den letzten vier bis fünf Jahren, der wiederum so viel Anteil hat an dem Zerstörungsprozesse, dem wir entgegengehen, wenn nicht Geist an die Stelle des Ungeistes gerufen wird!

Nun, sehr verehrte Anwesende, das auf dem einen Gebiete des öffentlichen Lebens, auf dem Gebiete des Geisteslebens. Aber es gibt noch andere Gebiete. Sie alle aber, Sie sind abhängig in einer gewissen Beziehung von dem Geistesleben. Wird das Geistesleben beherrscht von der Phrase, von der inhaltslosen Rede, so ist auch dasjenige, was aus dieser Rede kommt, was namentlich im Zusam­menhange mit der Rede innerhalb der sozialen Gemeinschaft ge­lernt werden kann, nicht geeignet, in die Gefühle, in die Empfin­dungen hinein sich auszuleben. Dasjenige aber, was in den Gefühlen und Empfindungen im sozialen Zusammenleben sich entwickelt, was sich in dem Wechselverkehr von Mensch zu Mensch entzündet, indem der eine Mensch mit dem anderen mitfühlt, das ist Sitte, das ist dasjenige, was aus der sozialen Gemeinschaft heraus zur Ge­wohnheitssitte wird. Und nur aus dieser Gewohnheitssitte kann sich geschichtlich das Recht entwickeln. Aber dieses Recht kann sich nur entwickeln, wenn in die Empfindungen, die im Wechselver­kehre zwischen Mensch und Mensch stattfinden, nicht die Phrase sich hineinlebt, wenn in diese Empfindungen das substanzerfüllte Wort, die gedankengetragene Rede sich hineingliedern. Und im Zeitalter der Phrase kann auch die Empfindung zwischen Mensch und Mensch sich nicht in entsprechender Weise entzünden, kann sich nur ergeben ein äußeres Verhältnis von Mensch zu Mensch. Die Folge ist daher, daß in dem Zeitalter, wo sich auf dem Gebiete des sozialen Geisteslebens die Phrase entwickelt, sich auf dem Gebiete des sozialen Fühlens statt des unmittelbar substantiellen Verhält­nisses von Mensch zu Mensch die Konventionen entwickeln, das inhaltlose Verhalten des Menschen zum Menschen, das höchstens durch äußere Verträge geregelt werden kann, daß man selbst zwi­schen

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Völkern schwärmt von Verträgen, weil man zum elementaren Ausleben desjenigen, was von Mensch zu Mensch enthüllt werden kann, nicht kommt. Dieses Zeitalter der Konvention, es macht ein zweites Gebiet unseres öffentlichen Lebens so inhaltsleer: Es ver­ödet das menschliche Zusammenleben, wie die Phrase das Geistes­leben, das Seelenleben verödet.

Das ist es, was hinführt ebenso zum bloßen äußeren Menschen, nicht zu dem aus dem Inneren des Menschen geborenen Recht. Denn dieses Recht, es kann sich nur entzünden, wenn das gedanken-getragene Wort vom Kopfe zum Herzen fließt. Wie das wirkliche Recht, das im sozialen Leben allein gedeihen kann, zu dem wirkli­chen Geistesleben, das von substantiellem Geiste erfüllt ist, gehört, so gehört die Konvention zu dem Geistesleben, das in der Phrase lebt. Damit haben wir zwei Gebiete unseres öffentlichen Lebens in der Gegenwart charakterisiert.

Das dritte Gebiet, aus dem das öffentliche Leben hervorgeht, ist das menschliche Wollen. Zu einem bewußten Wollen, zu einem Wollen, welches nun den Menschen hineinstellt in die menschliche Gesellschaft so, daß dieser Mensch in die Gesellschaft hineinträgt etwas, was aus seiner menschlichen Natur selber fließt, zu einem solchen Wollen kann es nicht kommen, wenn dieses Wollen nicht getrieben werden kann von wirklichen substantiellen, geistigen Gehalten. Die Phrase ist ungeeignet, ein wirkliches bewußtes Wol­len hervorzurufen. Wie das Geistesleben zur Phrase wird, wenn es abhängig wird vom äußeren Staats- oder Rechtsleben, abhängig vom äußeren Wirtschaftsleben, wie das Rechtsleben selber in der Konvention aufgeht, wenn es nur gespeist werden kann von der Phrase, so wird das Gebiet des wirtschaftlichen Lebens, das Gebiet des äußeren menschlichen Zusammenlebens, statt von wjrklicher Lebenspraxis von bloßer Lebensroutine getragen, wenn das Wollen nicht angetrieben wird vom Geiste. Neben der Phrase, neben der Konvention sehen wir daher heraufkommen in dem Zeitalter, aus dem sich unsere Gegenwart entwickelt hat auf dem Gebiete des Lebens und auf dem Gebiete der äußeren Darstellung des Lebens, auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens überall die Routine.

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Was damit gemeint ist: unser Wirtschaftsleben ist von der Routi­ne beherrscht -, es wird vielleicht klar werden dadurch, wenn ich sage: Einer wirklichkeitsgemäßen Betrachtung unseres öffentlichen Lebens hat sich ergeben, daß auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens jenes Chaos aufhören müsse, das in der Gegenwart herrschend ist, wo jeder nur aus seinem Egoismus heraus erwerben will und keiner den Zusammenhang kennt, in den sich sein eigenes Produzieren hineinstellt gegenüber dem Produzieren der Gesamtheit. Erst wenn man durchschaut, daß dieses Wirtschaftsleben, das allmählich in das Chaos hineingekommen ist, nur gesunden kann dadurch, daß sich die verschiedensten Berufs- und Lebensgebiete miteinander assoziie­ren, daß zusammengehörige Menschen in verschiedenen Berufen sich wirklich auch ineinandergliedern, so daß Assoziationen entste­hen von Beruf zu Beruf, daß Assoziationen entstehen zwischen den Konsumenten eines Berufes mit den Produzenten des Berufes, kurz, daß unser Wirtschaftsleben eine Struktur erhalte, so daß die Produ­zenten sich innerlich organisierend mit ihren Konsumenten zusam­menschließen, so daß der einzelne, der konsumierend oder produ­zierend in einem Beruf steht, erschauen kann, wie sich sein Konsu­mieren und Produzieren in irgendeinen wirtschaftlichen Kreislauf hineinordnet - nur dann, wenn der Mensch in einer solchen Organi­sation lebt, wenn unser Wirtschaftsleben auf Assoziation gegründet ist, nur dann sieht der einzelne Mensch, wie er beiträgt durch dasjenige, was er produziert oder wie er mitwirkt durch dasjenige, was er konsumiert, zu dem Wirtschaftsprozeß. Dann weiß der einzelne Mensch nicht nur zu handhaben in irgendeiner Lebens-routine das oder jenes, dann weiß er, daß dasjenige, was er tut, hineingehört in den Gesamtprozeß des wirtschaftlichen Lebens der Menschheit. Dann wirkt er aus anderen Antrieben heraus. Dann wird dasjenige, was er tut, nicht beherrscht von einer oberflächli­chen Routine, sondern von Lebenspraxis, die nur gegeben ist, wenn man eine Idee damit verbinden kann, wenn man sich selber wirt­schaftlich in den Gesamtorganismus der Menschheit hineinstellt. Dadurch, daß das Leben der Phrase Platz gegriffen hat, daß im Wechselverkehr der Menschen die Konvention Platz gegriffen hat,

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dadurch fanden die Menschen auch nicht die Gelegenheit, sich in dieser Weise zu assoziieren, dadurch wurden sie hinweggewiesen von den Aufgaben, in denen sie stehen, wurden sie zu bloßen Routiniers. Und die Routine breitete sich aus von dem einzelnen mechanischen Tun zum Mechanismus unserer gesamten Organi­sation und unserer gesamten Finanzwirtschaft. Aus der phraseer­füllten Zeit wurde die Zeit der Routiniers. Und die Routiniers führten herbei jene Katastrophe, die an der Oberfläche dies oder jenes zeigt, die aber in ihren Tiefen die Ursachen zeigt, die auf dem Gebiete liegen, das eben jetzt charakterisiert worden ist.

Wenn wir so unbefangen, ohne Sympathie und Antipathie, dasje­nige prüfen, was das Leben der Gegenwart beherrscht, so müssen wir sagen: Auf dem Gebiete des Geisteslebens die Phrase, auf dem Gebiete des Rechtslebens die Konvention, und auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens die Routine. Zum Heile können allein die Kräfte führen, die ich mir erlauben werde morgen zu schildern, also wenn an die Stelle der Phrase tritt die von substantiellem Geist, von angeschautem Geiste erfüllte Rede, die nur kommen kann in einem auf sich selbst gestellten Geistesleben, das herausträgt, was der Mensch hereinzutragen hat in das äußere Leben, das nicht so beherrschen will dieses Geistesleben wie die Naturgesetze, die gewonnen werden durch die äußere Erfahrung. An die Stelle der Konvention desjenigen, was äußerlich festgesetzt ist, muß das lebendige Wechselspiel treten, das entstehen kann, wenn auf streng demokratischem Boden alle mündig gewordenen Menschen für dasjenige, was allgemein menschliche Angelegenheiten sind, was der Mensch nicht durch seine Geburt hereinträgt, sondern was sich erst im menschlichen Zusammenleben der mündig gewordenen Menschen entwickeln kann, eintreten. Aus der Routine, die haften bleibt am vergänglichen Wirtschaftsobjekte, kann sich nur die wahre Lebenspraxis entwickeln, wenn der Mensch aus dem phrasen-freien, gedankenerfüllten Worte zu einer solchen Weltanschauung kommt, daß er weiß: er muß Assoziationen begründen, die bezeu­gen, die offenbaren, daß dasjenige, was bewirkt wird auf dem Boden des Wirtschaftslebens, noch mehr ist als dasjenige, was man durch

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die Maschine zustande bringt, daß es ein Glied ist in dem Gesamt­prozesse der Menschheitsentwickelung auf der Erde. Darinnen wird man nicht stehen, wenn man als Routinier an seiner Maschine, in seiner Fabrik, in seiner Bank oder sonst irgendwo steht, darinnen wird man nur stehen, wenn von einem zu dem anderen Menschen ausgehen die Fäden der Assoziation, wenn der Mensch von dem anderen Menschen erfährt, wie er in seinem Konsumieren, in seinem Produzieren mit der ihm nächstliegenden sozialen Organisation zusammenhängt. Da wird sich in dem, was diese Menschen zusam­men wirken, in diesen Assoziationen ergeben, daß sie in ihrem Wirtschaftsleben etwas begründen, was mehr ist als der Mensch im Wirtschaftsleben haben kann. Der Mensch muß wirtschaften, aber er erhebt sich mit seinem ganzen Menschenwesen aus dem Wirt­schaften heraus aus dem Vergänglichen zum Ewigen. Und er wird erfahren aus seinem Wirtschaftsleben, daß er gerade, indem er hier im Leben ein Praktiker wird, an der Praxis eine Schule hat, deren Ergebnisse er noch durch den Tod hindurchtragen kann.

So ergibt sich gerade aus einer mehr nach dem Geiste hin trach­tenden Beobachtung über das gegenwärtige Leben aus den drei charakteristischsten Herrschaftsgebieten, dem der Phrase, dem der Konvention, dem der Routine, die Notwendigkeit, zu wirken nach einer Dreigliederung des sozialen Lebens, nach einer Gesundung unseres Geisteslebens durch seine Selbständigkeit, nach einer Ge­sundung unseres Rechtslebens, das nur befreit werden kann von der Konvention, wenn die lebendige demokratische Wechselwirkung eintritt zwischen allen mündig gewordenen Menschen, nach einer Gesundung des Wirtschaftslebens, indem durch die Selbständigkeit des Wirtschaftslebens die Routine aufgehoben wird zugunsten einer wirklichen Lebenspraxis. Das kann aber nur geschehen, wenn Mensch mit Mensch sich assoziativ verbindet; denn nur durch dieses soziale Zusammenwirken entsteht aus dem, was der einzelne erwirtschaften kann, etwas, was die ganze Menschheit über sich selbst von der bloßen Materie zum Geiste hinführt. Phrase bedeutet tet auf dem Gebiete des Geisteslebens den Ungeist; Konvention bedeutet auf dem Gebiete des staatlichen, des Rechtslebens den

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Ungeist; Routine bedeutet den Ungeist auf dem Gebiet des Wirt­schaftslebens. An die Stelle des Ungeistes muß der Geist treten. Daß er es könne, mit welchen Kräften er es könne, das will ich mir erlauben, morgen zu schildern. Denn allein, wenn da tritt an die Stelle der Phrase wiederum die gedankengetragene Rede, dadurch aber wiederum der Geist, wahres Geistesleben, nur dadurch, daß an die Stelle der Konvention das vom menschlichen sozialen Fühlen erfüllte Rechtsleben tritt, und nur dadurch, daß an die Stelle der wirtschaftlichen Routine die durchgeistete Wirtschaft, die votn Geiste geordnete, assoziationendurchtränkte Wirtschaft tritt, da­durch allein wird unser ganzes öffentliches Leben geheilt werden können von dem, woran es krankt in der Gegenwart, man muß das sagen: woran es zugrunde gehen müßte, wenn kein Heilungsprozeß eintreten würde.

In der Gegenwart bemerken wir nur leider zuviel die Phrase, die Konvention, die Routine. Wir sehen das Ergebnis: das Chaos. Für die Zukunft brauchen wir das gedankengetragene Wort, den von Substanz erfüllten Geist, das aus dem Zusammenwirken aller mün­dig gewordenen Menschen sich ergebende lebendige Recht. Das ist an dieser Stelle Geist statt des Ungeistes. Auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens brauchen wir die aus dem Geiste hervorgehenden Assoziationen, brauchen die Ablösung der Routine durch die wah­re, geistgetragene Wirtschaft. Das bedeutet auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens Ablösung des Ungeistes der Gegenwart durch den Geist für die Zukunft. Und allein dadurch können wir aus pessimistischen Stimmungen, die ja aus der Beobachtung des äuße­ren Lebens heraus heute nur allzu gerechtfertigt sind, uns erheben zu gewissen Zukunftshoffnungen, daß wir gar nicht bauen auf dasjenige, was uns irgendwo heute zugeworfen werden könnte als Hoffnung für die Zukunft, sondern daß wir bauen auf den eigenen menschlichen Willen, der da setzen will aus seiner Kraft, aus seiner Ausdauer, aus seinem Feuer heraus, aus der Gegenwart heraus für die Zukunft den Sieg des Geistes über den Ungeist.

[Es folgt eine kurze Aussprache].

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Schlußwort

Es hat zunächst der erste Herr Diskussionsredner seine Ausfüh­rungen dahin gipfeln lassen, daß er hinwies auf eine internationale Sprache als auf ein Verbindendes in der Menschheit. Ich möchte nicht, weil das nur wirklich durch ausführliche Erörterungen ent­schieden werden kann, auf das Pro und Kontra eingehen, das man geltend machen kann gegenüber einer solchen internationalen Spra­che. Allein ich will annehmen, daß diejenigen ein gewisses Recht haben, die sich bestreben, eine solche internationale Sprache zu begründen. Man kennt dasjenige, was nach dieser Richtung ver­sucht und getan worden ist. Nun ja, mit der vereinsmäßigen Art, in der eine solche Sprache bisher getrieben worden ist, ist es ja noch nicht getan, denn eine solche Sprache müßte noch ganz andere Wege zu den Menschen finden, als sie bisher gefunden hat, wenn sie eine wirklich praktische Bedeutung haben sollte. Ich will aber durchaus nicht gerade gegen eine solche Sprache sprechen. Denn sehen Sie, ich weiß auf der einen Seite, daß dasjenige, was künstlich entsteht in unserer heutigen Zeit, auch die charakteristischen Eigenschaften all dessen an sich trägt, was unsere heutige Zeit eben hervorbringen kann, ein gewisses Verstandesmäßiges, ein gewisses Intellektualisti­sches. Und ich kann nicht umhin zu bekennen, daß mir doch scheint, daß gerade dasjenige, was uns heute heruntergebracht hat, der Intellektualismus, das Anti-Elementarische, wesentlich auch beim Aufbau der heutigen versuchten internationalen Sprache tätig war. Ich kann sehr gut würdigen die Anschauung derjenigen, die sagen: was soll schließlich aus jener Ursprünglichkeit des menschli­chen Sich-Offenbarens in der Dichtung, in der Rede, die wirklich im Innerlichsten mit der Menschenwesenheit zusammenhängt, wer­den, wenn wir eine abstrakte Sprache über die ganze Menschheit ergießen? Ich habe aber auch auf der anderen Seite wirklich ganz wunderschöne Dichtungen in Esperanto gehört, und ich muß sagen, ich habe schon versucht, eine gewisse Objektivität in dieser Frage zu gewinnen.

Allein dasjenige, meine sehr verehrten Anwesenden, was ich

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heute vorgebracht habe, das wird durchaus nicht berührt von der Frage nach einer solchen Sprache. Denn eben, hypothetisch ange­nommen, es glückte, eine solche Sprache in die Menschheit zu ergießen, sie würde auch nichts anderes in sich enthalten können als Phrasen, wenn wir eben nicht zu einem neuen Aufleben des substan­tiellen Geistes kämen. Ob wir schließlich auf Esperanto Phrasen drechseln oder auf englisch oder auf deutsch oder französisch oder auf russisch, das ist ganz gleich. Dasjenige, worauf es ankommt, ist, daß wir die Möglichkeit finden, substantiellen Geist ins Russische, ins Deutsche, ins Englische, ins Französische und ins Esperanto zu bringen. Und das ist eine der Fragen, die ich heute behandelt habe.

Also wie gesagt, ich will nichts gegen die Bestrebungen derjenigen sagen, die nach einer solchen abstrakten Sprache gehen. Ich glaube, daß vielleicht der eine Gesichtspunkt nicht ganz unfruchtbar sein könnte, wenn es gelänge, für dasjenige, was nun wirklich im interna­tionalen Wirtschaftsleben zum Beispiel lebt, eine internationale Sprache zu haben, daß dann vielleicht gerade die Möglichkeit gegeben wäre, für das eigentliche Geistesleben, das ja doch immer aus der Individualität hervorgehen muß, die anderen Sprachen zu befreien - was nur dann sein kann, wenn sie sich ganz individuell entwickeln können, wie der Geist überhaupt sich individuell ent­wickeln muß, wenn sie nicht durch irgendwelche Eroberer-Herr­schaftsgelüste von seiten der politischen Mächte in ihrer Entwik­kelung gestört werden. Ich glaube aber allerdings, daß die Hoffnun­gen der Esperantisten und ähnlicher Leute auf einem viel schwä­cheren Boden noch sind, als die Hoffnungen derjenigen, die glau­ben, daß wenn sich nur eine genügend große Anzahl von Menschen heute zusammenfinden kann, um an einer Erneuerung unseres Geisteslebens vom wirklichen Geiste aus mitzuwirken, daß dann eine bessere Zeit anbrechen könne, selbstverständlich keine voll­kommene. Zu dem Erhoffen eines irdischen Paradieses kann derje­nige nicht gehören, der die Wirklichkeit durchschaut. Ich glaube, daß die Menschen der letzteren Art doch noch auf einem festeren Wirklichkeitsboden stehen, als die Erhoffer einer internationalen Sprache.

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Was von seiten des zweiten Diskussionsredners vorgebracht worden ist, war ja im wesentlichen eine Art Interpretation desjeni­gen, was ich in einem Teil meiner Ausführungen gesagt habe, und ich möchte nur bemerken, daß nicht vergessen werden darf, wenn man heute über solche Dinge spricht, aus solchen Grundlagen heraus redet, wie es für meinen heutigen Vortrag versucht worden ist, daß dann notwendig ist, daß man den Menschen nicht so auffasse, als ob man einfach an ihn herantreten könne und durch Belehrung ihn besser machen könne. Ich habe oftmals für die reine Lehrmethode im öffentlichen Leben das Bild gebraucht: Wenn ich einen Ofen vor mir habe, dann kann ich sagen: sieh einmal, es ist deine Ofenpfiicht, das Zimmer zu erwärmen, dein kategorischer Imperativ ist es, das Zimmer zu erwärmen. Ich kann nun fortpre­digen, mit aller Kantschen Einsicht kann ich fortpredigen, es wird nicht warm. Wenn ich stumm bleibe und bloß Holz in den Ofen lege und es anzünde, wird der Ofen ohne alles Predigen das Zimmer erwärmen. So ist es auch mit Bezug auf den Menschen. Wenn der ganze Mensch in Frage kommt, wenn nicht nur das in Frage kommt, was etwa in dem Menschen ein theoretisches Echo liefern kann, wenn der ganze Mensch in Frage kommt, nützt Predigen außeror­dentlich wenig, denn da hat man es ja zu tun vor allen Dingen mit dem Drinnenstehen des Menschen in einer sozialen Ganzheit. Und der Mensch in einer sozialen Ganzheit ist etwas anderes als der einzelne, individuelle Mensch. Verlangt man von dem einzelnen individuellen Menschen, er solle durch ein konzentriertes Gedan­kenleben irgendwie zur Besserung der Menschheit beitragen, dann muß es erst möglich sein, daß ein solches konzentriertes Gedanken-leben in fruchtbarer Art sich entwickelt. Das ist nur in einem freien Geistesleben letzten Endes möglich. Weitere Ausführungen finden Sie in den «Kernpunkten der sozialen Frage». Es handelt sich also weniger heute darum, daß man dasjenige untersucht, was dem einzelnen Menschen frommt, sondern was man herbeiführen muß in dem menschlichen sozialen Organismus, damit der einzelne wirklich zu seiner Entfaltung kommen könne.

Ich habe in den neunziger Jahren, 1894, meine «Philosophie der

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Freiheit» zum ersten Mal veröffentlicht. Darinnen findet sich als Konsequenz einer geistigen Weltanschauung auch eine gewisse Ethik, die gerade auf den individuellen Menschen gebaut ist. Aber es ist da die Voraussetzung gemacht, und diese Voraussetzung muß jeder machen, der das Freiheitsproblem in ernstem und wirklich­keitsgemäßem Sinne erfaßt, daß tatsächlich dann, wenn es möglich ist, Intuitionen zu haben, die des Menschen wirkliche Freiheit begründen, daß dann aus diesem einzelnen Menschen auch hervor-kommen könne dasjenige, worauf man bauen könne im sozialen Zusammenleben. Aber auf dieses soziale Zusammenleben muß fortwährend der Blick gerichtet werden. Daher darf ich sagen, daß in gewissem Sinne die Ergänzung zu meiner «Philosophie der Freiheit» meine «Kernpunkte der sozialen Frage» sind. Wie meine «Philosophie der Freiheit» untersucht, woraus beim einzelnen Men­schen die Kräfte zur Freiheit kommen, so untersuchen meine «Kernpunkte der sozialen Frage», wie der soziale Organismus beschaffen sein muß, damit der einzelne Mensch sich frei entwickeln kann. Und das sind im Grunde genommen die beiden großen Fragen, die uns im offentlichen Leben der Gegenwart beschäftigen müssen. Eine wirkliche Antwort auf diese Frage wird zu gleicher Zeit einiges Licht in das Chaos bringen können.

Ich möchte bemerken, daß ich den heutigen und den morgigen Vortrag so eingerichtet habe, daß gewissermaßen der heutige Vor­trag mehr eine Zeitkritik sein sollte, auf dasjenige hinweisend, was bisher ist in der Gegenwart, daß diese Gegenwart so geworden ist, wie wir sie, in ein Chaos hineintreibend, ausgerüstet mit ungeheue­ren Zerstörungskräften sehen. Morgen möchte ich gerade dasjenige ausführen, was getan werden soll, damit das Volksleben im weite­sten Umfange und das Leben der zivilisierten Menschheit über­haupt sich wiederum herauswinden könne aus dem Chaos. Ich möchte zeigen, wie die Kräfte, die schon im Menschen liegen, und die namentlich im menschlichen Zusammenleben liegen, entfesselt werden können, wie sie heute aber gefesselt sind. Daher wird das Positive, auf das der letzte Redner offenbar hinweisen wollte, mehr in meinem morgigen Vortrage als in meinem heutigen zur Geltung

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kommen. Allein es mußte gerade darauf hingewiesen werden, wo­ran wir kranken, damit aufgebaut werden kann auf dieser Erkennt­nis der Gegenwart eine Erkenntnis des Willens, die notwendig ist für eine gedeihliche Entwickelung in der Zukunft.

Ich möchte zum Schlusse aber doch das eine noch erwähnen. Derjenige, der es ernst meint mit den großen Fragen der Gegenwart, der darf nicht in einem althergebrachten Sinne ein Anhänger von so etwas Ähnlichem sein wie einem «Tausendjährigen Reich» und dergleichen, der darf nicht der Meinung sein, daß wir hier ein Paradies auf Erden begründen können, sondern der muß der Mei­nung sein, daß jede Wirklichkeit nur die ihr gemäßen Daseinsbedin­gungen entfalten kann, daß man innerhalb des Lebens zwischen Geburt und Tod nur dann zu einem Ja in diesem Leben kommen könne, wenn man in der Lage ist, dasjenige, was das Leben im Physischen an Unvollkommenheiten hat, ständig zu ergänzen durch den Ausblick auf ein geistiges Leben. Einer der größten Fehler unserer Zeit ist der, daß eine große Anzahl von Menschen allmählich älles, was das Leben lebenswert macht, beanspruchen will von dem bloßen äußeren Leben. Und geradezu werden so heute die sozialen Fragen formuliert: Wie muß das äußere Leben beschaf­fen sein, damit es dem Menschen alles dasjenige gibt, was er ungefähr von einem Paradiese sich vorstellt? Wer die Frage so stellt, wird niemals zu einer Antwort kommen. Zu einer wahren, echten Antwort kann man nur kommen, wenn man mit einem Wirklich­keitssinn erfüllt ist. Und dasjenige, was ein solcher Wirklichkeits­sinn geben kann als Antwort auf die große Frage der Gegenwart, davon werde ich mir dann erlauben morgen zu sprechen.

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DIE GEISTIGEN KRÄFTE IN DER ERZIEHUNGSKUNST UND IM VOLKSLEBEN Zweiter Vortrag, Zürich, 18. März 1920

Gestern erlaubte ich mir auszuführen, wie in den Niedergangser­scheinungen unserer Zeit drei zerstörende Mächte wirken: die Weltherrschaft der Phrase, die Weltherrschaft der Konvention, die Weltherrschaft der Routine. Und ich versuchte gestern schon anzu­deuten, wie treten müsse an die Stelle der Phrase wiederum die gedankenerfüllte Rede, der von geistiger Substanz durchdrungene Gedanke, der sich durch die Sprache ausleben kann im sozialen Leben der Menschen. Und ich versuchte damit im Zusammenhang anzudeuten, wie an die Stelle der Konvention treten müsse gerade durch die Wiederbelebung des Geisteslebens dasjenige, was auch aus der lebendigen Wechselwirkung der im demokratischen Sinne miteinander lebenden mündigen Menschen allein entstehen kann. Und anzudeuten versuchte ich, wie an die Stelle der bloßen Routine, der geistlosen Routine, treten müsse die durchgeistigte Lebenspraxis.

Wenn man zunächst alle diese Dinge nur von außen her charakte­risiert, so scheinen sie eigentlich auch Oberflächentatsachen unseres gegenwärtigen Lebens nur zu berühren. In Wahrheit aber drängen sie hin gerade zu demjenigen, was auf der einen Seite im Allerin­timsten der Menschenwesenheit wurzelt, was auf der anderen Seite aber auch wiederum sich auslebt in den bedeutsamsten, eingrei­fendsten und für das Leben maßgebenden sozialen Tatsachen.

Nun habe ich schon gestern angedeutet, wie man an einem bestimmten Symptom aufsuchen müsse eine der Grundursachen unserer gegenwärtigen, von so vielen Zerstörungskräften durch­setzten Zivilisation. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß seit drei bis vier Jahrhunderten es im wesentlichen die naturwissen­schaftliche Erkenntnis ist, welche die Grundlage unserer Weltan­schauung abgibt, derjenigen Weltanschauung, die Neues begründen will. Was sonst in unserem sozialen Leben vorhanden ist, es sind die

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traditionellen Impulse zur Weltanschauung. Was neu fruchtet, was die Menschen wirklich bewegt seit drei bis vier Jahrhunderten, das ist die Frage: In welcher Art kann aus den naturwissenschaftlichen Grundlagen des menschlichen Erkennens eine Weltanschauung fließen? Kein Wunder, daß unter dem Drang, auf diese Weise eine Weltanschauung zu begründen, gerade diejenigen Kräfte des menschlichen Seelenlebens sich ausgebildet haben, die geeignet sind, eine solche Weltanschauung ins Leben zu rufen. Eine ganz bestimmte Art des Denkens und eine ganz bestimmte Art des Wollens hat sich in diesen letzten Jahrhunderten herausgebildet und ist in unserer Gegenwart bis zu einem gewissen Höhepunkt des Wirkens gekommen. Die Naturforschung betont ja immer wieder und wiederum, daß es für sie, für ihre gewissenhafte Methode darauf ankomme, die Welt der Tatsachen zu erforschen, so daß nichts einfließe in dasjenige, was ausgemacht wird über die Tatsachen selbst, daß da nichts einfließe von dem, was aus dem Menschen, aus der menschlichen Persönlichkeit selbst kommt. Vergeblich haben solche Geister wie Goethe, die einsahen, zu welcher Einseitigkeit bloßes Naturerkennen, vom Menschen abgesondertes Naturer­kennen führen müsse, aufmerksam darauf gemacht, wie wirkliches, zu einer umfassenden Weltanschauung brauchbares Erkennen nicht abgesondert werden dürfe vom Menschen, wie selbst die äußere physikalische Tatsache im Zusammenhange mit dem in der Welt stehenden Menschen betrachtet werden müsse. Allein auf der ande­ren Seite kann man doch sagen, daß diese vom Menschen abgeson­derte Betrachtungsweise wiederum ihre großen Triumphe gefeiert hat dadurch, daß sie die Welt der Technik zu dem gebracht hat, was diese eben heute ist. Das alles aber konnte nur unter dem Einflusse einer gewissen Art des Denkens entstehen; jenes Denkens, das sich hingibt entweder dem, was die Natur durch sich selbst der Beobach­tung darbietet, oder demjenigen, was wir im Experimente darstellen können. Die Sprache der Tatsachen selber zu verstehen, es ist das Ideal dieses Denkens.

In dieses Denken fließt wenig von dem hinein - derjenige, der gerade neben Geisteswissenschaft auch mit Naturwissenschaft in

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gewissenhafter Weise, in methodischer Weise zu tun gehabt hat, der weiß es, was menschlicher Wille ist, von dem, was uns impulsiert, indem wir äußerlich im Leben unsere Aufgabe vollziehen, indem wir mit anderen Menschen in Berührung und in Beziehung treten, indem wir mit anderen Worten ins soziale Wesen uns hineinstellen. Ja, die großen Triumphe der Naturwissenschaft und der Technik sind nur möglich geworden dadurch, daß gewissermaßen der Mensch denken gelernt hat in der Weise, daß dieses Denken so wenig wie möglich von seinem Wollen beeinflußt ist. Eine Art von Denkgewohnheit, kann man schon sagen, ist unter dem Einflusse dieser Tatsache im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte entstanden.

Nun kann man mit einem solchen Denken Großartiges erkennen auf dem Gebiete der mineralischen Welt, der pflanzlichen Welt noch, weniger schon der tierischen Welt und - wie ich gestern schon angedeutet habe - gar nichts erkennen mit Bezug auf das wahre Wesen des Menschen. Und daß man neben diesem, ich möchte sagen, willensentblößten Denken kein anderes Denken ausgebildet hat, das hat seinen Grund in einer gewissen Weise in der Furcht vor alle dem, was in unser Denken hineinkommt, wenn der Mensch von sich aus, von seinem Willen, diesem Denken seine Struktur, seine Organisation gibt. Phantastik, Willkürlichkeit kann auf diesem Wege durch das menschliche Wollen in das Denken hineinkommen. Und immer wieder und wiederum wird darauf hingewiesen, wie phantastisch die Weltanschauungen gewisser Philosophen sich aus­nehmen, die allerdings menschliches Wollen in ihr Denken hineinge­legt haben, gegenüber den sicheren Ergebnissen, zu denen Naturfor­scher gekommen sind, die ganz allein sprechen ließen dasjenige, was die Natur ihnen selbst oder das Experiment sagte.

Man hat eben nicht gewußt, daß es möglich ist, das Denken des Menschen mit dem Willen so zu durchdringen, daß bei diesem wohlgeschulten, willengetragenen Denken ebenso jede Willkür verschwindet, wie sie verschwindet gegenüber jenem Denken, das sich nur mit äußeren Tatsachen oder mit Experimenten befaßt. Um ein solches Denken, das vom Willen durchdrungen ist, aufzufinden, dazu gehören allerdings mit Energie, Sorgfalt und Geduld vollbrachte

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innerliche Seelenübungen. Dazu gehört, daß der Mensch, der ein Geistesforscher werden will, der wirklich eindringen will in die geistige Welt, aus der allein heraus Erkenntnis des Menschen erfließen kann, daß der Mensch sich immer wieder und wiederum durch lange Zeiten und mit innerlicher Seelenmethodik Gedanken vorhält, an denen er nichts anderes entwickelt, als innerliches Wollen, daß er an diesen Gedanken ein solches Wollen entwickelt, wie man es sonst nur in der äußeren Welt entwickelt. In der äußeren Welt liebt man, haßt man, man nimmt diese oder jene Tätigkeit auf, weist diese oder jene Tätigkeit ab. Man hat es in der äußeren Welt zu tun mit etwas, worüber man bloß Ansichten haben kann. Man hat es mit dem zu tun, was Krisen in sich enthält. Dasjenige, was man da in der äußeren Welt durch seinen Willen erkennt, oder wovon man bekämpft wird, das muß man hineintragen, wenn man Geistesfor­scher werden will, in die Welt seiner Gedanken, und man wird nach und nach bemerken, daß diese Gedanken wirklich willengetragene Mächte werden, von innerer Gesetzmäßigkeit durchtränkt. Sie müssen nur das, was ich jetzt eben in scheinbarer Abstraktheit gesagt habe, so hinnehmen, daß die Arbeit, die damit charakterisiert wird, die innere Seelenarbeit, eine solche ist, die lange Zeit in Anspruch nimmt, die wahrhaftig nicht weniger methodisch, wenn auch auf geistigem Felde, durchgeführt wird, als alles dasjenige, was wir mit den exaktesten Präzisionsinstrumenten für unsere chemi­schen oder physikalischen Experimente durchführen. Wie der Che­miker oder der Physiker exakt seine Experimente durchführt, so führt der Geistesforscher dasjenige durch, was Abwägen des einen Gedankens an dem anderen ist, Wirkung des einen Gedankens auf den anderen. Er kommt dadurch dazu, daß das abstrakte Denken, das gerade unter dem Einfluß des naturwissenschaftlichen For­schens im Laufe der drei bis vier letzten Jahrhunderte sich herausge­bildet hat, zu einem innerlich lebendigen Denken aufsteigt, zu einem Denken, das mehr ein Bildanschauen geistiger Art ist als das gewöhnliche abstrakte Denken. Das ist die eine Seite, die ausgebil­det werden muß zu wirklicher Menschenerkenntnis, weil es unmög­lich ist, jenes abstrakte Denken zu gebrauchen für diese Menschenerkenntnis,

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die eine Geist-Erkenntnis sein muß, eine Geistan­schauung, das in der Naturwissenschaft seine großen Triumphe feiert. Allein dieses Denken, das in der Naturwissenschaft voll am Platze ist, dieses Denken hat insbesondere im sozialen Leben im weitesten Sinne gewisse, ich möchte sagen, unmögliche Ergebnisse. Je abstrakter unser Denken wird, desto rechthaberischer im einzel­nen Menschen wird es. Gewiß, man wird sehr kritisch, man wird gewissenhaft, man wird methodisch, wenn man das in den letzten drei bis vier Jahrhunderten großgezogene Denken anwendet. Aber man wird doch in bezug auf seine soziale Eingliederung in die ganze Menschheit oder in einen Teil der Menschheit rechthaberisch. Man forsche nur einmal nach und man wird sehen, wenn man sich an das Denken hält, das die Naturwissenschaft groß gemacht hat: Man gewöhnt sich daran, immer recht zu haben - und der andere hat auch recht! Und die Menschen, das würde das Extrem sein, könnten sich im Grunde genommen eigentlich gar nichts mehr mitteilen.

Leben wir nicht mitten in diesem Zustande? Findet nicht heute derjenige, der durch eine prüfungsreiche Lebenserfahrung gegangen ist und durch Jahrzehnte gerungen hat mit den Problemen, der genötigt ist, aus der heutigen Menschheitserziehung heraus diese Probleme in den gangbaren gebräuchlichen Formen der geisteswis­senschaftlichen Begriffe darzustellen, findet er nicht überall die jüngsten Leute, die kommen und sagen mit ihrer anderthalb Jahr­zehnte höchstens dauernden Erfahrung: Das ist mein Standpunkt, das denke ich, das setze ich entgegen den reichen Lebenserfahrun­gen. Und schließlich, abstrakt genommen, kann man diesen Lebens-anfängern, die ebensogut logisch denken können wie die lebenser­fahrenen Greise, man kann ihnen nicht einmal unrecht geben, denn dasjenige, was den Nerv ausmacht unseres gegenwärtigen wissen­schaftlichen Erkennens, das ist im Grunde nicht gebunden an menschliche Entwickelungen, das ist etwas, was man erreicht, wohinein man sich findet, und was man schließlich, wenn man einen gewissen Grad von Erwachsenheit erreicht hat, eben erlangt. Und so kann man sagen: Dieses abstrakte Denken, dieser Intellektua­lismus, der es heute zu einem hohen Grade an Vollkommenheit

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gebracht hat, der gibt jedem etwas, was er eigentlich jedem anderen mitteilen möchte, aber was der andere schon von sich selber aus weiß. Man möchte sich mitteilen im sozialen Leben. Man kann sich nicht mitteilen, weil der andere nicht geneigt ist, die Mitteilung zu empfangen, sondern höchstens ihr seinen Standpunkt entgegenzu­stemmen.

Was die Naturwissenschaft groß macht, das ist unanwendbar im sozialen Leben, denn der Mensch gibt dadurch etwas, möchte etwas geben, was kein anderer eigentlich empfangen will, weil er es schon zu haben glaubt. Wer nur richtig durchdenkt dasjenige, was die wirkliche Grundrichtung unseres ganzen heutigen Seelenlebens ist, der wird vieles von dem, was heute in unserem sozialen Leben an Zerstörungskräften vorhanden ist, was die Menschen auseinander-treibt, statt sie zusammenzuführen, er wird es zum Teil in dem sehen müssen, was ich jetzt als eine Eigentümlichkeit und soziale Konsequenz des abstrakten, gerade für die Naturwissenschaft taug­lichen Denkens charakterisiert habe.

Über dieses Denken hinaus wird Geisteswissenschaft führen, weil sie kultiviert dasjenige, was unbewußt bleibt in dem heute gebräuchlichen Denken, weil sie das Wollen - das ist es eben, was unbewußt bleibt - in dieses Denken hineindrängt, weil sie willentli­ches Denken entwickelt. Und aus dem willentlichen Denken heraus kann wirkliche Menschenkenntnis erfolgen. Aber das ist nur das eine Element.

Das andere ist, daß gerade unter dem Einfluß dieser Denkweise, wie sie in der naturwissenschaftlichen Weltanschauung hervorge­treten ist, der Mensch auch dazu gekommen ist, gegenüberzustellen dem willensentblößten Denken das gedankenentblößte Wollen. Aus dieser Zweiheit besteht im Grunde genommen der heutige Mensch, aus jenem Seelenelemente, das man nicht anders bezeich­nen kann, als willensentblößtes Denken, und aus dem anderen Seelenelemente, das man bezeichnen muß als gedankenentblößtes Wollen. Geisteswissenschaftliche Erkenntnis, sie sucht ebenso, wie sie den Willen hineinzuschieben versucht in das Denken, den Menschen, der ein Geistesforscher werden will, dazu zu bringen,

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seinen eigenen Handlungen, seinen eigenen Willensergebnissen mit einer solchen Objektivität gegenüberzustehen, wie man sonst nur gegenübersteht äußeren Tatsachen. Der Mensch muß werden, wenn er sich auf den Weg des Geistesforschens begibt, ein treuer Beobach­ter dessen, was er selber tut, was er selber will. Gewissermaßen muß er sich ideell zunächst herausheben und muß wie in einem Höheren von sich selbst neben sich einhergehen. Und dieses Höhere neben sich selbst muß den Menschen so beobachten in allem, was er tut, wie man sonst nur beobachtet, wenn man äußere Naturtatsachen oder das Experiment beobachtet. Denn dann lernt man an etwas Gedanken entwickeln, was gerade in den letzten drei bis vier Jahrhunderten am allermeisten, besonders bei gewissen radikalen extremen Kreisen, nur beherrscht und impulsiert wird von den persönlichsten Emotionen. Man lernt erkennen dasjenige in Gedan­ken, worauf man sonst eigentlich gar nicht sieht, dessen Gedanken sonst völlig im Unbewußten bleiben.

Und deshalb, weil der Mensch in diese beiden Elemente zerfällt, sehen wir auch heute auseinandergerissen auf der einen Seite die abstrakt naturwissenschaftliche Erkenntnis, die nur auf das Außer-menschliche geht, und die sozialen Impulse bloß als persönliche Instinkte wirksam. Wir sehen, wie die Naturwissenschaft auf gewis­se Höhen gestiegen ist, wie man aus der Erziehung, die man aus diesem naturwissenschaftlichen Denken gewonnen hat, jetzt zum Beispiel im Osten - und es wird nicht beim Osten verbleiben, leider

- Grundsätze daraus gewinnen will für das soziale Zusammenleben der Menschen, wie sich aber in diesem Osten zeigt, daß man mit naturwissenschaftlicher Sozialpolitik nichts anderes kann, als wüste­ste menschliche Instinkte organisieren, organisieren so, daß die Organisation die Menschheit in den Untergang hineintreiben muß.

Diese Dinge hängen zusammen mit dem, was in den letzten Jahrhunderten groß geworden ist, und man muß sie in diesem Zusammenhange betrachten. Erst dann, wenn man den Willen kultiviert im Denken, wie ich es angedeutet habe, dann das Denken im Wollen kultiviert - die genaue Beschreibung können Sie in meinen Büchern «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Wel­ten?»

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und im zweiten Teile meiner «Geheimwissenschaft», und in ähnlichen Büchern finden -, erst dann, wenn man eine solche Geisteswissenschaft auf diese Art begründet, die in das wirkliche Wesen des Menschen eindringen kann, wird eine solche Wissen­schaft nicht machtlos gegenüberstehen der ganzen menschlichen Persönlichkeit. Ja, unsere gegenwärtige Wissenschaft, sie steht der ganzen menschlichen Persönlichkeit machtlos gegenüber, denn das­jenige Denken, in das nicht der Wille hineinpulsiert, es ist eine Beschäftigung bloß des menschlichen Kopfes, es ist Intellektua­lismus, der keine mitteilende Kraft für das Leben hat. Geistige Erkenntnis, wie sie nach und nach zu einer Weltanschauung sich formt aus solchen Grundlagen heraus, wie ich sie jetzt nur andeuten konnte, Geisteswissenschaft ist etwas, was nicht nur die menschli­chen Gedanken, den menschlichen Intellekt, sondern was die ganze menschliche Persönlichkeit ergreift. Weil sie aus dem Willen hervor­gegangen ist, aus dem willengetragenen Denken, stellt sie dieses menschliche Denken hinein in die soziale Gemeinschaft, und weil sie den Gedanken hineinträgt in das Wollen, kann sie auch Gedan­ken im Menschen anregen, welche wahrhaftige Lebenspraxis her­vorbringen, nicht bloß Routine, sondern Lebenspraxis, die eben nur beruhen kann auf Ideen, auf geistgetragenem Wollen.

Solche geisteswissenschaftliche Weltanschauung, wir brauchen sie heute vor allen Dingen auf dem Boden desjenigen Geisteslebens, das für die Öffentlichkeit das Allerwichtigste ist, wir brauchen sie auf dem Boden der Erziehungskunst. Und gerade in der Erzie­hungskunst kann man die innere Wahrheit desjenigen erforschen, was ich als Prinzipien einer Geisteswissenschaft eben charakterisiert habe. In der schon erwähnten «Waldorfschule», die unter der Ägide unseres Freundes, des Herrn Molt in Stuttgart errichtet worden ist, ist versucht w9rden, auf geisteswissenschaftlicher Grundlage Päd­agogik als Erziehungskunst zu begründen. Diese Waldorfschule will nicht eine Weltanschauungsschule sein. Diejenigen Menschen sagen die Unwahrheit, welche sagen, sie will eine Schule sein, in die anstelle alter Weltanschauungen anthroposophisch orientierte Gei­steswissenschaft schon in das Kind hineingetragen wird. Darum

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handelt es sich gerade bei dieser Schule nicht, sondern darum handelt es sich, daß das, was als Geisteswissenschaft hier gemeint ist, eben den Willen des Menschen erfassen kann, sein Handeln durch­dringen kann und daß dasjenige, was in anderen Weltanschauungen nur Gedanke, Idee bleibt, bei der anthroposophisch orientierten geisteswissenschaftlichen Weltanschauung methodisch gefaßt wer­den kann. Daher handelt es sich bei der Waldorfschule in Stuttgart nicht darum, was man inhaltlich an die Kinder heranbringen will, sondern es handelt sich darum, daß unsere Geisteswissenschaft in ihr Methode wird, wird dasjenige, was die Grundlage abgibt zu der Verrichtung im Lehren, im Erziehen, zum Handeln, zum Wollen des Lehrers.

Dazu gehört aber allerdings, daß diese Pädagogik, diese Erzie­hungskunst gebaut werde auf wirkliche Menschenkenntnis. Wirkli­che Menschenkenntnis ergibt sich nur mit den Methoden, die ich heute andeutend charakterisiert habe. Da lernt man erkennen, wie aus dem inneren Seelisch-Geistigen heraus vor allen Dingen gewisse Epochen sich unterscheiden lassen in dem werdenden Menschen. Diese Epochen, sie sind dasjenige in der menschlichen Wesenheit, worüber man heute oftmals selbst in der Wissenschaft, die sich sehr exakt dünkt, oberflächlich hinweggeht. Man sieht ja in dem Kinde gewisse Vorgänge, wenn um das siebente Jahr herum der Zahn-wechsel eintritt. Aber derjenige, der tiefer hineinschaut in die menschliche Natur, der sieht auch, wie in dieser Zeit des Zahnwech­sels im Kinde eine vollständige Metamorphose des ganzen Seelenle­bens vor sich geht. Während in der ersten Zeit, von der Geburt bis zum siebenten Jahre, alles, was das Kind treibt, wozu das Kind sich geneigt, befähigt fühlt, herausstammt aus dem Prinzip der Imita­tion, der Nachahmung, aus einem Sich-Hineinfühlen in alles dasje­nige, was die Umgebung tut, beginnt mit dem Zahnwechsel unge­fähr gegen das siebente Jahr beim Kinde die Epoche, wo es durch seine inneren Fähigkeiten auf Autorität hin angelegt ist. Wie durch das selbstverständliche elementarische Leben wird das Kind bis zum siebenten Jahr hin selbst in seinen Handbewegungen, in der For­mung seiner Sprache dasjenige tun, was die Erwachsenen seiner

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Umgebung tun. Es wird sich ganz hineinverweben in dasjenige, was ausströmt selbst von den Imponderabilien der Gedanken- und Vorstellungsrichtungen der Umgebung. Vom siebenten Jahr an braucht das Kind in seiner Umgebung den, von dem es glauben kann: der weiß in gewissem Sinne das Richtige; es braucht die Autorität. Man mag heute noch so sehr gegen Autorität wettern, man sollte berücksichtigen, daß Autorität vom siebenten Jahr an ungefähr bis zu dem Jahre, wo die Geschlechtsreife eintritt, etwas ist, unter dessen Einfluß der Mensch stehen muß, wenn er sich gesund entwickeln will. Denn eine zweite Epoche in der mensch­lichen Kindheit ist diese vom Zahnwechsel bis zu der Geschlechts-reife, bis zum vierzehnten Jahre ungefähr. Ungefähr, sage ich; hier ist nicht irgendein Zahlenspiel in Frage kommend, sondern es sind die wichtigen Abschnitte, die Umänderungen der Lebensmetamor­phosen sind es, die in Frage kommen. Mit diesem vierzehnten Jahre ungefähr wird der Mensch geschlechtsreif. Da tritt eine vollständige Umwandlung seines Seelenlebens ein, da tritt dasjenige ein, was ihn innerlich befähigt, selbständig zu urteilen, der Welt sich entgegenzu­stellen mit dem, was als Urteil in seinem Inneren entsteht, während er vom siebenten bis vierzehnten Jahr recht gedeiht, wenn er neben sich die Autorität haben kann, zu der er aufschaut.

Nun sind es gerade die Jahre vom Zahnwechsel bis zu der Geschlechtsreife, in denen man das Kind zu betreuen hat in Unter­richt und Erziehung während seiner sogenannten Volksschulzeit. Aber auch in dieser Zeit kann man noch gewisse Epochen, Unter-epochen unterscheiden. Dasjenige, was als Nachahmungstrieb aus der innersten Wesenheit des Menschen heraus bis zum siebenten Jahre waltet, es erstreckt sich noch in seiner Abschwächung, aber deutlich sich offenbarend, über das siebente Jahre hinaus bis ins neunte Lebensjahr hinein. Und derjenige, der sich aneignet durch Geisteswissenschaft einen lebendigen Sinn, wie in jedem einzelnen Kinde zum Vorschein kommt dieses Zusammenspielen von Nachah­mungsfähigkeit, von Autoritätsbedürfnis in allem Lernen und ge­genüber aller Erziehung, der wird in jedem Kinde, selbst wenn er die größte Klasse vor sich hat, ein eigenes Erziehungsproblem sehen

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können. Denn ein solcher Mensch als Erzieher und Lehrer wird nicht hingegeben sein können irgendeiner Normpädagogik, nicht einer Pädagogik, die wiederum abstrakte Grundsätze etwa aufstellt aus dem Intellektualismus heraus: so muß man erziehen, oder so muß man erziehen - nein, derjenige, der durch Geisteswissenschaft zum Lehrer geworden ist, der sieht in dem werdenden Kinde etwas, was der Künstler in jedem einzelnen, das er schafft, sieht: immer wieder ein Neues und ein Neues. Da gibt es nicht abstrakte pädago­gische Grundsätze, da gibt es ein lebendiges Sich-Hineinfinden in das Kind, ein Herausschaffen aus dem Kinde selbst, ein Rätsellösen desjenigen, was im Kinde verborgen ist, was durch die Leiblichkeit als ein Geistig-Seelisches heraus will. Denn das ist das Eigentümli­che beim Geist-Erkennen, das vor allen Dingen in der Erziehungs­kunst zur Anwendung kommen muß, daß dieses Geist-Erkennen den Menschen zurückführt zur unmittelbaren Lebendigkeit. Das ist beim Intellektualismus, beim abstrakten Erkennen nicht der Fall. Wenn ich abstrakt irgend etwas aufgefaßt habe, nun, da habe ich es aufgefaßt, da trage ich es dann weiter ins Leben fort. Da erinnere ich mich höchstens an dasjenige, was ich schon gelernt habe. So ist es bei der Geist-Erkenntnis nicht. Derjenige, der nur einige Schritte in dieser Geist-Erkenntnis gemacht hat, der weiß, daß diese Geist-Er­kenntnis nichts gibt, woran man sich bloß erinnern kann. Ebensowe­nig gibt Geist-Erkenntnis etwas, woran man sich bloß erinnern kann, wie dasjenige, was ich heute gegessen und getrunken habe, mir etwas geben kann, woran ich mich morgen und die folgenden Tage bloß erinnern kann; man ist nicht zufrieden als Mensch, wenn man sich nur erinnern soll an dasjenige, was man gegessen hat vor vier Wochen. Aber man ist zufrieden als Mensch, der eine abstrakte Erkenntnis aufgenommen hat, wenn man sich an das erinnert, was man vor vier Wochen gelernt hat oder sich angeeignet hat. Mit Geist-Erkenntnis ist es nicht so. Geist-Erkenntnis verwebt sich dem menschlichen Wesen, geht hinunter, wird verdaut und muß immer neu belebt werden, geht so hinein in die Erscheinungen des Lebens.

Wenn irgend jemand ein großer Geistesforscher wäre in seinem vierzigsten Lebensjahre und er würde nicht fortpflegen immerfort

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den lebendigen Umgang mit dem, was zu erkennen ist, er würde gegenüber dem seelisch-geistigen Inhalt so verhungern, wie jemand verhungern würde, der mit seinem vierzigsten Jahre zu essen aufhör­te. Abstrakte Erkenntnis, wie sie die Naturwissenschaft groß ge­macht hat, die kann zufrieden sein mit Erscheinungen. Die ist einmal abgeschlossen. Geist-Erkenntnis bringt den Menschen in lebendigen Zusammenhang mit seiner Umgebung, muß immerfort erneuert werden, wenn sie nicht absterben soll, wird im Leben ähnlich, wie auf einem niedrigeren Gebiete Essen und Trinken.

Indem man so etwas ausspricht, sollte die Welt erkennen, wie radikal verschieden diese Geist-Erkenntnis von derjenigen ist, von der man heute glaubt, daß sie die einzig mögliche ist. Aber stellen Sie sich vor, diese Geist-Erkenntnis durchdringend alles dasjenige, was der Erzieher und der Unterrichter tun will, so durchdringend seine Handlungen, seine Gedanken, wenn er das Schulzimmer betritt, wie das Eisen unser Blut belebt - stellen Sie sich vor eine Gesinnung, die aus einer Geist-Erkenntnis kommt und die weiß: du mußt jedes einzelne Individuum besonders anfassen, du kannst dir nichts mer­ken, du mußt jedem Kinde als einem neuen Rätsel gegenüberstehen

- das gibt erst eine wirkliche Pädagogik, eine lebensvolle Pädagogik. Man redet heute viel davon, man soll die Individualität erziehen. Man gibt auch allerlei schöne abstrakte Grundsätze darüber -dadurch wird man nichts erreichen. Erreichen für unsere Leben fordernde Zeit wird man nur dadurch etwas, daß man eine Pädago­gik als Kunst begründet. Diese Pädagogik als Kunst, die hinein-schaut jederzeit aufs neue in den Menschen, sie vergißt die Erkennt­niswissenschaft, wie der Künstler alle Ästhetik und alles wegwirft, wenn er positiv schaffen will. Was nützen uns alle Grundsätze über das Schöne, wenn wir den Ton formen wollen! Derjenige, der weiß, was künstlerisch Schaffen ist, der gibt mir recht darin. Was nützen uns alle pädagogischen Regeln, wenn wir dasjenige, was als See­lisch-Geistiges im Kinde ist, zu enträtseln beginnen und entwickeln sollen? Da handelt es sich darum, daß wir als Pädagogen zu Künstlern werden. Das können wir werden, wenn in unsere Zivilisa­tion Geisteswissenschaft als ein lebendiger Bestandteil eindringt.

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Dann werden wir aber auch sehen, wie wir in der Zeit, wo zwischen dem siebenten und neunten Jahre der Nachahmungssinn mit dem Autoritätssinn sich die Waage hält, wie wir da gerade den Willen ausbilden müssen, wie wir da nicht auf den Intellekt des Kindes zu große Bedeutung legen dürfen. Da dürfen wir vor allen Dingen nicht unkünstlerisch an das Kind heranbringen, was durch mensch­liche Konvention festgelegt ist. Wir dürfen nicht dasjenige, was bloß zum Intellekt spricht, als Konvention an das Kind heranbringen. Das sind auch die Buchstabenformen, das ist auch Schreiben, Lesen. All das beruht, so wie wir es heute haben, denn wir sind nicht mehr in der Zeit der alten Bilderschrift, auf menschlicher Konvention. Wir müssen davon loskommen. Daher wird in der Waldorfschule versucht, Lesen und Schreiben - zunächst Schreiben - aus dem Künstlerischen hervorzurufen. Es wird versucht, zuerst solche Formen zu zeichnen, ja auch zu malen, aus denen sich dann aufbauen lassen die Buchstabenformen; also erst das Künstlerische, daraus dann das Intellektualistische. Damit aber dasjenige, was eigentlich die Kindesnatur begehrt in diesem Zeitalter, in der richti­gen Weise aufsprossen kann, muß alles auf diesen künstlerischen Unterricht angelegt sein. Und jetzt, wo wir erst einige Monate in der Waldorfschule unseren Unterricht geben, jetzt sehen wir, wie wirk­lich aus dem Künstlerischen sich heraus arbeiten läßt, wie es mög­lich ist, vor allen Dingen im Musikalischen, im Gesanglichen, im Eurythmischen, in beseelter Tonkunst - denn das ist für das Kind noch die Eurythmie -, wie es möglich ist, in alledem dem Kinde etwas zu geben, das seine Natur fordert, das seine Natur will, das aber zu gleicher Zeit den künstlerischen Sinn biegsam macht, den künstlerischen Sinn geneigt macht, die ganze Welt in künstlerischer Weise entgegenzunehmen. Dann kann man, wenn das neunte Jahr herankommt, wo der Mensch sein Verhältnis setzen kann zwischen dem Ich und der Außenwelt, dann kann man experimentell zusteu­ern auf dasjenige, was Naturbeschreibung ist, dann kann man Wissenschaft hervorrufen aus dem Künstlerischen.

Allerdings muß da darauf Rücksicht genommen werden immer -so sonderbar, so trivial es klingt, es muß gesagt werden -, daß der

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Mensch Mensch ist. Nicht Rücksicht darauf, daß der Mensch Mensch ist, nimmt die Einrichtung, wie wir sie heute vielfach haben, des sogenannten Stundenplanes. Nichts Unpädagogischeres gibt es, als dem Kinde beizubringen Dreivierelstunden das, nachher gleich Dreiviertelstunden etwas ganz Entgegengesetztes. Dreiviertel-stunden Religion, Dreiviertelstunden Rechnen, Dreiviertelstunden Schreiben und so weiter. Wir suchen in der Waldorfschule alles hervorzuholen aus den Gesetzen, die im Seelisch-Geistigen des Kindes sich selber aussprechen. Da ist allerdings nötig, daß man irgend etwas, zum Beispiel Rechnen, durch drei, vier, fünf bis sechs Wochen einzig und allein treibt, ohne Stundenplan, und erst wenn man ein bestimmtes Pensum aufgearbeitet hat, geht man zu etwas anderem über. Das wird Konzentration des Unterrichtes. Es kann dann am Ende des Schuljahres durch Wiederholungen alles, was in Betracht kommt, zusammengefaßt werden. Aber der Stundenplan, der ist eigentlich der Feind jeder wirklichen Erziehungskunst.

Und auf diese Weise gelangt man dazu, nicht nur in bezug auf die erzieherische und unterrichtende Führung des Kindes etwas zu erringen, sondern man gelangt dazu, aus der Entwickelung des Kindes selber die Notwendigkeiten des Lehrplanes abzulesen. Als ich für die Lehrer der Waldorfschule den pädagogischen Kursus abgehalten habe, der sie vorbereitet hat zu ihrer Aufgabe, da war ich vor allen Dingen darauf bedacht, einen Lehrplan auszuarbeiten, der eigentlich das bloße Ergebnis desjenigen ist, was das Kind verlangt vom sechsten, siebenten bis zum achten, neunten Jahre, vom neun­ten Jahre bis zum zwölften Jahre, vom zwölften Jahre bis zur Geschlechtsreife. Ablesen aus dem, was elementar die Menschen-natur entwickelt, dasjenige, was getan werden soll, man kann es, wenn man Sinn und Verständnis für das Menschenwesen durch Geisteswissenschaft hat, von Jahr zu Jahr, und man kann es, wenn man das Schulzimmer betritt, mit tiefem pädagogischen Sinn able­sen dem, was einem die Gesichter der Kinder sagen, die vor einem sitzen. So wird versucht - ich kann es Ihnen nur skizzieren, kann selbstverständlich nicht diese Dinge bis in alle Einzelheiten schil­dern -, durch Geisteswissenschaft unmittelbares Leben hineinzu­bringen

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in eines der wichtigsten sozialen Gebiete, in die Erziehungs­kunst.

Alle Abstraktionen, alles dasjenige, was die Technik groß macht, das ist nicht fruchtbar da, wo es sich darum handelt, die Menschen zusammenzubringen. Wirkliche Erziehungskunst, sie wird ihre Quellen suchen müssen in der Geisteswissenschaft. Sie wird es nur können, wenn im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organis­mus das geistige Leben befreit ist vom staatlichen, befreit ist vom wirtschaftlichen Leben. Eigentlich nur dadurch, daß das Württem­bergische Schulgesetz noch ein Loch hat, in das man hineinschlüp­fen konnte, war es möglich, die Waldorfschule in dieses Loch hineinzubringen als eine freie Schule, in der wirklich verfahren werden kann nach pädagogisch-künstlerischen Prinzipien. Um die Geisteswissenschaft anzunehmen, braucht man nicht Geistesfor­scher zu werden. So wie man die moderne Astronomie oder die moderne Chemie annehmen kann und man nicht Astronom oder Chemiker zu werden braucht, wie man dazu nur den gesunden Menschenverstand nötig hat, so hat man auch nur den gesunden Menschenverstand nötig, wenn man sich nur nicht von Vorurteilen beeinflussen läßt, um dasjenige aufzunehmen, was der geisteswis­senschaftliche Forscher aus den Tiefen der Seele an die Oberfläche fördert. Aber wenn man sich durchdringt mit dem, was aus willen-getragenen Gedanken, aus gedankengetragenem Wollen heraus erkannt wird, dann bekommt man auch die nötige Lebensbegei­sterung, die der heutigen schlafenden Menschheit fehlt und die kommen muß, wenn es besser werden soll.

Bevor nicht von einer genügend großen Anzahl von Menschen energisch verlangt wird dasjenige, was notwendig ist zu einem Neuaufbau, wird es nicht aus irgendwelcher Ecke von selbst heraus kommen. Die heutige Menschheitsentwickelung ist dazu veranlagt, aus dem Wollen, aus dem bewußten Wollen heraus die großen Lebensziele zu fordern. Jene Politik haben wir lange genug getrie­ben, die immer diplomatisch hinschaut auf dasjenige, was dort [ Lücke] und nach der man sagt: es wird sich schon wieder geben. Heute sehen die Menschen, wie es täglich schlechter wird; jeden Tag

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von neuem glauben sie, es bleibe bei dem, was gerade eingetreten ist. Man hat nicht den geringsten Sinn dafür, daß erkannt werden muß im Niedergange die Kraft des Aufganges. Und so wird man, wie in der Erziehungskunst, auch im Volksleben suchen müssen selbst diejenigen Kräfte, die zum Neuaufbau führen können. Es können auch da nur jene Kräfte sein, welche da kommen aus dem Geiste, aus der Erkenntnis des Geistes, aus dem Anschauen des Geistes. Wie stehen sich doch jene zwei Seelenelemente in unserem sozialen Leben, in unserem Volksleben heute gegenüber, auf die ich hinge-deutet habe! Das abstrakte Denken, das eigentlich jeder Mensch hat

- es ist ja ganz gleichgültig, ob man herausgewachsen ist aus der Schusterwerkstätte, der Sohn des Schusters ist oder [Lücke], wenn man es bis zu einer Stufe des Denkens gebracht hat. Dieses Denken, es ist unabhängig vom Persönlichen, von diesem Denken aus hat man seinen Standpunkt. Aber diese Standpunkte sind ja alle eigent­lich nicht notwendig, denn jeder Mensch hat eigentlich das Recht für seinen eigenen Standpunkt, und er könnte eigentlich mit diesem Standpunkt als ein Einsamer durch die Welt ziehen. Man braucht gar nicht miteinander zu leben, wenn jeder «seinen Standpunkt» hat, wenn keiner dem anderen etwas zu sagen hat.

Das aber ist das Eigentümliche bei der Geist-Erkenntnis, daß sie von diesen «Standpunkten», von diesem Stehen auf Standpunkten ganz loskommt, daß sie eigentlich wird etwas, was Menschen empfänglich macht für das Leben, für eine wahre Schule. Derjenige, der sich mit Geisteswissenschaft in dem Sinne, wie sie hier als anthroposophisch orientierte gemeint ist, wie sie durch den Dorna­cher Bau repräsentiert wird, bekannt macht, für den wird jeder einzelne Mensch, dem er im Leben begegnet, ein interessantes Problem. Das Kind selbst, das ist ja wichtig gerade für die Erzie­hungskunst; das Kind wird ein interessantes Problem. Und so wie man im physischen Leben Hunger fühlt gegenüber der äußeren Natur, wie man sich verbinden muß mit der äußeren Natur, so fühlt man als Geisteswissenschafter das Bedürfnis, sich immer und immer mit dem auseinanderzusetzen, was andere Menschen meinen, was andere Menschen denken, empfinden und wollen. Geisteswissen­schaft

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bringt uns im weitesten Umfange mit den Menschen zu­sammen.

Heute kann der Geisteswissenschafter vor allen Dingen sagen:

wenn er andere Weltanschauungen liest, oh, er läßt sie anders auf sich wirken als andere Menschen. Er fragt weniger nach dem, was Irrtum oder Wahrheit ist, denn das ist ja zumeist nur der eigene Standpunkt, der darüber entscheidet, und über diesen Standpunkt habe ich mich ja gerade ausgesprochen. Aber wie groß auch der vermeintliche Irrtum sein mag, der von dem oder jenem hervorge­bracht wird denkend oder handelnd, dasjenige, was der Mensch uns darlebt, es ist die Ergänzung unseres eigenen Wesens, wenn wir uns von Geisteswissenschaft durchdringen. So wie der Naturforscher das Bedürfnis hat, sich mit dem Experiment auseinanderzusetzen, so hat der Geistesforscher das Bedürfnis, sich mit allem Menschli­chen auseinanderzusetzen. Begründet er eine Weltanschauung, so wird sie zu einem sozialen Impuls, weil sie die Menschen nicht auseinanderbringt, weil sie die Menschen zusammenführt; weil sie wiederum individuelles Leben hineinbringt in dasjenige, was sonst nur abstrakter Standpunkt ist, den jeder jedem gegenüber haben kann. Der Geistesforscher, er tritt dem kleinen Kinde gegenüber, das vielleicht nur lallen kann, vielleicht nicht einmal lallen kann, das aus elementaren Blicken heraus ihm Geheimnisse durch das noch ganz kindliche Auge enthüllen kann. Er empfängt Offenbarungen von allem Menschlichen. Dadurch wird dasjenige, was Geisteswis­senschaft zu sagen hat, wenn man es nur einmal aufnehmen wird in das menschliche Leben, zum Impuls für soziales Zusammensein der Menschen. So wie die naturwissenschaftliche Erkenntnis herausge­holt hat aus der menschlichen Sprache den Gedankeninhalt, so wie sie die Phrase geschaffen hat, so wird Geisteswissenschaft in unsere Sprache hineingeheimnissen lebendige geistige Substantialität, und unsere Sprache wird dadurch, daß Geisteswissenschaft den Men­schen zum Menschen führt, zu dem wichtigsten sozialen Besse­rungsmittel für die kommende Zeit werden.

Und gerade dadurch, daß die Erkenntnis auf der einen Seite so abstrakt geworden ist, ist der Wille abhängig geworden von den

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bloßen Emotionen, von den bloßen persönlichen Instinkten, wie ich heute auch ausgeführt habe. Dadurch, daß Geisteswissenschaft herausschafft ihre Inhalte aus dem gedankengetragenen Willen, dadurch ist das, was sie dem Menschen geben kann, die Grundlage für weitergehende Interessen, als sie das bloß persönliche Fühlen, der bloß persönliche Egoismus geben kann. Was ist denn zum Schluß in den letzten drei bis vier Jahrhunderten im sozialen Leben das Ausschlaggebende geworden? Das Ausschlaggebende ist der Egoismus geworden. Wenn man sich nicht erheben kann durch die Erkenntnis, [Lücke] zu dem Menschlichen, wenn das Menschliche uns nicht durchdringen kann, dann können wir im sozialen Leben nur den Egoismus geltend machen. In dem Augenblicke aber, wo wir das Geistesleben in seiner Selbständigkeit haben, und dadurch jene Selbständigkeit begründen können in der Erziehungskunst, die ich heute skizziert habe, und in dem Augenblick, wo wir unser Wollen von Ideen durchdringen, können wir in unserem Wirt­schaftsleben den Weg finden von Mensch zu Mensch, können aus den Berufsständen, können aus dem Zusammenfügen von Konsu­menten und Produzenten Assoziationen bilden, können bilden eine Wirtschaftsstruktur im sozialen Organismus, die aufgebaut ist gera­de auf demjenigen, was ein Mensch vom anderen lernen kann, was ein Mensch vom anderen erfahren kann. Lebensroutine wird sich verwandeln dadurch in Lebenspraxis. Je innerlicher man betrachtet das Menschenleben, je mehr man auf das Menschenleben selbst hinsieht, desto mehr drängt sich aus jeder Ecke die Notwendigkeit der Dreigliederung des sozialen Organismus heraus. Und wie auf der einen Seite das Wirtschaftsleben befruchtet wird durch ein von Ideen durchdrungenem Wollen, auf der anderen Seite das Geistes­leben [Lücke], so wird dasjenige, was zwischen Mensch zu Mensch sich abspielt - in der heutigen Zeit spielt es sich eigentlich nur als Konvention ab, und zwar so sehr, daß man Konvention auch will in Form des Völkerbundes zwischen den Völkern -, zum lebendigen Elemente im staatlichen Rechtsleben, das als ein selbständiges Glied im dreigliedrigen sozialen Organismus den anderen selbständigen Gliedern, dem selbständigen Geistesleben, dem selbständigen Wirtschaftsleben

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gegenüberstehen soll. Aber Sie sehen zugleich gerade an dem Beispiel der Erziehungskunst, wie in das Volksleben, in das soziale Leben hereingreift die Geisteswissenschaft, wie diese Geisteswissenschaft es sein muß, auf deren Grundlagen auf­gebaut werden muß die Struktur des dreigliedrigen sozialen Orga­nismus. Oh, zu was allem ist man gekommen in der neuesten Zeit unter dem Einflusse der zwei geschilderten Seelenelemente! Da haben wir auf der einen Seite das, ich möchte sagen, über alle menschliche Individualität hinausgreifende abstrakte Denken, das gleich ist bei allen Menschen, die es zu der Fähigkeit dieses logisch abstrakten intellektualistischen Denkens gebracht haben. Weil das gleich ist, deshalb ist auch notwendig, daß dasjenige, was der Mensch doch nicht als abstrakter Mensch erlangen kann, was er erwerben will in der sozialen Gemeinschaft, daß sich das auf das Untermenschliche, auf die bloßen Instinkte, auf die egoistischen Instinkte aufbaut. Und so sehen wir, wie in der Zeit des Darwi­nismus, wo man bemerkt hat im Tierreiche den allerdings auch da nur eingeschränkt geltenden Kampf ums Dasein, wie es gekommen ist, daß Naturforscher Sozialpolitiker, Sozialwissenschafter werden wollten, und nun auch im Menschenleben den Kampf ums Dasein statuieren wollten als das Selbstverständliche. Ja, es ist sogar wahr, daß der Kampf ums Dasein im Menschenleben wüten würde, wenn nur die Instinkte des Egoismus im sozialen Leben tätig sein könn­ten. Und [diesen Kampf ums Dasein wollen] auch Lenin und Trotzki statuieren; sie werden nur den Egoismus organisieren. Das weiß jeder, der das Menschenleben heute durchschauen kann. Alles übrige wird eine Maske sein. Wir sehen schon heute die innere Unwahrheit des Leninismus, der den Leuten goldene Berge ver­spricht, kurze Arbeitszeit, und jetzt bereits dabei angekommen ist, zwölfstündige Arbeitszeit zu statuieren, weil sich das als eine Notwendigkeit herausstellt innerhalb des Mechanismus, den man da einführen will.

Aber niemals wird im Menschenleben das, was in ihm als abstrak­tes Denken vorhanden ist, was bei allen Menschen gleich ist, Ja sagen können zu diesem Kampf ums Dasein, das wird immer

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unzufrieden sein mit diesem Kampf ums Dasein, das wird immer nach Harmonie, nach Überwindung des Kampfes ums Dasein hinstreben. Wenn wir aber nicht dazu gelangen, hineinzugießen wirkliche Geistigkeit in den abstrakten Intellektualismus, so wird die Welt der Abstraktion zu schwach sein, um aus dem sozialen Leben den Egoismus herauszubringen. Und auf der anderen Seite wird der Egoismus brutal bleiben, wenn in ihn nicht hineingegossen wird dasjenige, was nur Geist-Erkenntnis, Geistesschau über den Menschen bringen kann. Dasjenige, was im Menschen heute duali­stisch auftritt, auf der einen Seite der abstrakte Intellektualismus, auf der anderen Seite das bloße Walten der Instinkte, es kann nur seinen Ausgleich finden dadurch, daß beides durchdrungen werden kann vom Geiste. Werden die Gedanken vergeistigt, dann werden sie an den individuellen Menschen herangebracht und machen diesen individuellen Menschen zu dem, der nicht nur recht haben will, der nicht nur dasjenige geben kann, was die anderen nicht wollen, sondern der sich mit den anderen Menschen fortwährend auseinandersetzen muß, fortwährend mit den anderen Menschen gewissermaßen anstelle der Phrasensprache die Gedankensprache führen muß. Die wird aber nur geführt aus einem Geistesleben heraus, das nicht bloß auf die Erinnerung gebaut ist, sondern das wie Hunger und Durst auf die tägliche Erneuerung, auf die Metamor­phose des Lebens gebaut ist, das immerfort sich erneuern muß, wenn es auch bis zum Höchsten schon gediehen wäre. Das kann nur geschehen, wenn die Instinkte durchdrungen werden von denjeni­gen Gedanken, die auf die Art entstehen, wie ich das heute geschil­dert habe. Dann wird der Mensch innerhalb seiner wirtschaftlichen Assoziationen dasjenige wollen können, was über den einzelnen Menschen hinausgeht. Dann wird das Wirtschaftsleben durchgei­stigt sein können. Es ist schon so, wo man die Welt auch anfaßt heute, wo man hineinschaut ins wirklichkeitsgemäße Leben, da ergibt sich die Notwendigkeit zu dem, was man als Dreigliederung des sozialen Organismus fordern kann. Das ist nicht eine Utopie. Als Utopie bezeichnen die Dreigliederung nur diejenigen Men­schen, die keinen Wirklichkeitssinn haben, die selber Utopisten

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sind, und die daher alles dasjenige, was ihnen in ihre Utopien nicht hineinpaßt, zur Utopie erklären.

Dasjenige, was der Welt entgegengehalten wird als der Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus, es ist aus dem vollen Leben herausgegriffen. Es zeigt aber auch, daß dieses volle Leben heute fordert eine Durchdringung mit dem, was lebendig in Geistes-schau ergriffen werden kann. Diese Geistesschau ist dem Menschen notwendig. Und ehe man nicht erkannt, daß der Mensch nicht ein bloßes Naturwesen ist, ehedem wird man nicht zu einer Lösung der heute so drängenden sozialen Probleme kommen können. Vor Jahren, als der theoretische Materialismus in seiner Blüte stand, da haben sich die Leute ereifert, die schon durchschauen konnten, daß dieser theoretische Materialismus auch zum praktischen Materia­lismus führen müsse, sie haben sich ereifert gegen diesen Materia­lismus. Aber man kann doch nicht umhin zu sagen, daß schließlich die Menschen, die theoretische Materialisten geworden sind, wie Haeckel und ähnliche, nicht auch gescheite Menschen gewesen sind. Man steht da der eigentümlichen Erscheinung gegenüber, daß wahrhaft helle Köpfe Materialisten geworden sind. Warum? Sie sind Materialisten geworden, weil das Denken, das sich im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte als das abstrakte Denken entwik­kelt hat - gerade für den Geistesforscher wird das klar -, materiali­stisch erklärt werden muß. Dasjenige Denken, das die Naturwissen­schaft groß macht, das ist an das Werkzeug des Gehirns, an das Werkzeug des menschlichen Leibes gebunden. Das Denken hört mit dem Tode auf. Allein wenn wir den Willen hineingießen in unsere Gedankenoperationen, wenn wir uns nicht nur leiten lassen von Naturbeobachtung und Experiment, wenn wir das Denken durchgießen mit demjenigen, was aus dem Willen aufsteigt, dann ergibt sich etwas, was leibfrei werden kann, was wirklich seelisch-geistig ist. Der Materialismus hatte recht für dasjenige Denken, das gerade in den letzten drei bis vier Jahrhunderten groß geworden und auf seinen Höhepunkt gekommen ist in die Gegenwart herein. Das muß man materialistisch erklären. Daher sind die gescheitesten Menschen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Materialisten

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geworden, weil ihnen schließlich nur vorlag das große Rätsel: Wie ist es mit dem gewöhnlichen Denken, das gerade in der Naturwis­senschaft zu solcher Höhe kommt? Das muß materialistisch erklärt werden. Der Materialismus auf seine Art ist in vollem Recht, und keiner kann im Sinne anthroposophisch orientierter Geisteswissen­schaft Spiritualist sein, der nicht weiß, daß der Materialismus auf seinem eingeschränkten Gebiete sein Recht hat. Wer nun die Frage stellt: Entweder Materialismus oder Spiritualismus? - der ist auf dem Holzwege. Denn der Materialismus hat sein Gebiet, und man muß sich klar darüber sein, daß der Mensch, will er das Seelisch-Gei­stige retten, auch über das Denken hinauskommen muß, auf das er heute so stolz ist. Und ebenso wird niemals eine wirkliche soziale wünschenswerte Ordnung eintreten können, wenn der Mensch nur aus den gewöhnlichen egoistischen Emotionen heraus diese sozialen Ordnungen begründen will, denn die können nur den Kampf ums Dasein begründen, nicht einen Leninschen sozialen Traum. Eine wirkliche soziale Ordnung kann der Mensch nur begründen, wenn er das Geistig-Seelische, wie es heute geschildert ist, und wie es angeregt in ihm wird durch jene Weltanschauung, die aus der Geistesschau kommt, in dieses soziale Leben hineingießt. Dann wird der Mensch erkennen und durch das Leben bewahrheiten können, was Goethe vorschwebte, als er seinen Blick richtete auf das Wesen des Menschen und sich fragte: Wie steht eigentlich der Mensch zur Natur? - Goethe sagte sich: Wenn wir alles das überblicken, von den wunderbaren Sternen oben bis zu all dem, was sich in den verschiedenen Reichen darbietet als Natur um uns herum, müssen wir den Menschen anschauen, gegenüberstehend dieser Natur, wie er diese Natur in sich aufnimmt, wie er sie umformt, wie er sie als etwas Neues in sich schaffend erstehen läßt, eine höhere Natur durch den Menschen im Menschen schaffend, eine höhere Natur, die geist-seelisch, seelisch-geistig ist. Das drückt Goethe so schön aus, indem er sagt:

«Indem der Mensch auf den Gipfel der Natur gestellt ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an, die in sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazu steigert er sich, indem er sich mit

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allen Vollkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ord­nung, Harmonie und Bedeutung aufruft, und sich endlich bis zur Produktion des Kunstwerkes erhebt, das neben seinen übrigen Taten und Werken einen glänzenden Platz einnimmt.» Und wie die Ergänzung zu diesem Gedanken ist der andere, der in dem Buche über Winckelmann steht, in dem auch der eben genannte zu finden ist, wenn Goethe sagt: «Wenn die gesunde Natur des Menschen als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in der Welt als in einem großen, schönen, würdigen und werten Ganzen fühlt, wenn das harmoni­sche Behagen ihm ein reines freies Entzücken gewährt; dann würde das Weltall, wenn es sich selbst empfinden könnte, als an sein Ziel gelangt aufjauchzen und den Gipfel des eigenen Werdens und Wesens bewundern. Denn wozu dient all der Aufwand von Sonnen und Planeten und Monden, von Sternen und Milchstraßen, von Kometen und Nebelflecken, von gewordenen und werdenden Wel­ten, wenn sich nicht zuletzt ein glücklicher Mensch unbewußt seines Daseins erfreut?»

Aus solcher Gesinnung heraus, die den Menschen durch die Natur, über die Natur zu sich selbst, zum Seelisch-Geistigen führt, aus solcher Gesinnung heraus kann nur dasjenige entstehen, was unser soziales Leben aufbauen soll. Aber es wird nur entstehen, wenn der Mensch durch seinen Willen seine Blicke hinlenkt auf dasjenige, was ihm die Erforschung des Geisteslebens selber geben kann.

Daher muß gesagt werden: Nicht in äußeren Institutionen und in ihrer Umgestaltung sollen wir dasjenige sehen, was uns weiterfüh­ren kann. Wie wir auch äußere Institutionen umgestalten mögen, es wird doch zu keinem Neuaufbau führen. Zu einem solchen kann nur führen, wenn der Mensch dasjenige, was in ihm gegenwärtig zur Zerstörung neigt, in seinem eigenen Inneren selber aufsucht. Denn alles Äußere, was im Leben des Menschen entsteht, wird von dem Menschen selbst, von dem innersten Wesen des Menschen gemacht. Nur durch Umlernen, nur durch Umdenken können wir vorwärts­kommen. Daher kann es nicht früher besser werden, als bis eine genügend große Anzahl von Menschen den Mut aufbringt zum

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Umdenken, zum Umlernen. Und schließlich wird dasjenige, was einstmals wiederum als aufbauende Kräfte über die Menschheit kommen kann, hervorgehen müssen aus dem Mute zur Erhebung zum wirklichen Geiste, damit dieser, wie ich schon gestern am Schlusse sagte, nach und nach, aber wirksam den Ungeist beseitigen könne.

[Es folgt eine Aussprache.]

Schlußwort

Meine sehr verehrten Anwesenden! Ich habe eigentlich keinen besonderen Anhaltspunkt aus den Ausführungen des Herrn B. heraus, um irgend etwas Erhebliches in diesem Schlußwort zu sagen, denn er hat 4as Beispiel erbracht, wie man aus dem abstrakten Denken der Gegenwart heraus dasjenige beurteilt, was eben aus dem geistbefruchteten Denken heraus gern gesagt sein möchte. Und daher möchte ich für diejenigen der verehrten Zuhörer, welche etwa auch, aber vielleicht doch berechtigt, mißverstanden haben könnten dasjenige, was ich über den Lehrplan gesagt habe, einige Worte hier anbringen.

Was ich über den Lehrplan gesagt habe, das ist das, daß er auf Konzentration hinarbeiten sollte. Ich habe nicht gesagt, daß keine Abwechslung da sein sollte. Abgesehen davon, daß man ja streiten könnte, ob diese Abwechslung nach drei bis fünf Wochen geschaf­fen werden soll für das Rechnen, oder ob das besser ist oder das, das ist eine rein didaktische Frage, die sich nicht agitatorisch behandeln läßt, sondern nur sachlich. Aber abgesehen davon: man hat auf Konzentration im Unterricht zu arbeiten, daß man also ein gewisses Pensum so aufzuarbeiten hat, daß einen der Stundenplan dabei nicht geniert, daß man wirklich drei bis sechs Wochen, so lange es notwendig ist, ein Pensum durcharbeitet, ohne durch etwas anderes unterbrochen zu sein. Selbstverständlich wird dabei der Wesenheit des Kindes voll Rechnung getragen. Damit Sie mich nicht mißver­stehen,

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möchte ich Ihnen ausführen, wie es etwa in irgendeiner Klasse der Waldorfschule zugeht. Nehmen wir die fünfte Volks­schulklasse. Ich könnte ebensogut die erste anführen. Da beginnt der Unterricht einige Minuten nach acht Uhr morgens. Da wird zunächst in den ersten zwei Stunden eben auf diese Konzentration in dem hingewirkt, was sonst in den gewöhnlichen Schulgegen­ständen durch den Stundenplan dekonzentriert, ohne alle Konzen­tration verteilt wird auf kurze Zeit. So daß also in diesen zwei ersten Stunden bis etwa ein paar Minuten nach zehn Uhr in konzentrierter Weise auf das hingearbeitet wird, was man sonst als Inhalt der Schulgegenstände anschaut. So daß also in dieser Zeit, sagen wir, durch eine genügend große Anzahl von Wochen, Rechnen getrieben wird, dann wieder Sprachlehre durch eine Anzahl von Wochen und so weiter. Dann kommt anschließend dasjenige, was eine Konzen­tration dadurch möglich macht, daß man es in einer gewissen Weise treibt; schon bei den kleinsten Kindern wird bei uns fremdsprach­licher Unterricht getrieben, französischer und englischer Unter­richt, so daß schon die ersten Klassen fremdsprachlichen Unterricht bekommen. Und es übt einen großen Eindruck aus, wenn man die kleinen Sputze kommen sieht in ihre Stunden und sieht, wie sie tatsächlich mit einer großen Freude Fortschritte in den wenigen Wochen schon gemacht haben im fremdsprachlichen Unterricht. Da wird mit ihnen tatsächlich auf das Gebrauchen der Sprache hin gearbeitet. Also fünf bis sechs Wochen ist es bei der ersten Klasse schon so der Fall; da wird dann bis elf Uhr Französisch, bis zwölf Uhr Englisch getrieben. Dann gehen die Kinder nach Hause. Und an einigen Nachmittagen - die Kinder haben genug frei, das gehört auch zur Abwechslung, daß sie nun wieder hinauskommen -, an einigen Nachmittagen, wenn sie nun wieder kommen, haben sie Gesang, Musik und Eurythmie, beseeltes Turnen, beseelte Bewe­gungskunst. In dieser beseelten Bewegungskunst haben die Kinder nicht bloß physiologisches Turnen, das auch getrieben wird, son­dern durchgeistigte Bewegung. Sie haben gleichsam eine stumme Sprache in der Eurythmie gegeben. In das finden sich die Kinder außerordentlich gut hinein. Und wenn öfter einmal an solchen

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Tagen, wo die Kinder zu besonderen Festlichkeiten zusammenge­rufen werden, dann Eurythmieaufführungen sind, dann drängen sich die Kinder dazu, dann sieht man, wie das alles lebt. So daß also davon gar keine Rede sein kann, daß keine Abwechslung sei oder keine Rücksicht auf dasjenige, was der Natur des Kindes entspricht, genommen werde. Wenn nun aber gesagt wird: Wenn es den Kindern zu langweilig wird, muß etwas anderes kommen - ja, meine sehr verehrten Anwesenden, das ist gerade die Aufgabe, daß es niemals den Kindern zu langweilig wird! Die Kinder werden höch­stens einmal ungezogen, weil sie irgend etwas sticht, aber aus Langweiligkeit - dafür muß Sorge getragen werden - wollen sie niemals, daß der Unterricht irgendwie aufhöre. Und ich konnte mich schon in dieser kurzen Zeit, da ich ja zweimal durch längere Zeit die Schule besucht habe und den Unterricht eigentlich immer in meiner Hand habe, ich konnte mich überzeugen, wie auf diese Weise tatsächlich Leben in den ganzen Unterricht hineingebracht wird.

Meine sehr verehrten Anwesenden, wenn man nicht durch Schwätzen, sondern durch die Tat dasjenige begründen will, was gleiches Recht für alle ist, so muß man sich wirklich nicht in geschwätziger Weise über den Unterschied zwischen Unternehmer und Arbeitern aufregen, der da heute trotz allen Geschwätzes doch noch vorhanden ist; er ist einfach als eine Tatsache da, und wenn man heute redet, so kann man nun wahrhaftig diesen Unterschied vorläufig nicht hinwegwischen. Es handelt sich darum bei der Waldorfschule, daß in der Tat das Proletarierkind sitzt neben dem Unternehmerkind. Die Kinder werden in vollständiger Einheit erzogen, und da wird durch die Tat gleiches Recht für alle begrün­det! Während mit allem Geschwätz und allem agitatorischen Her­umreden: es müssen nicht «Unternehmer» und «Arbeiter» da sein, man noch nichts erreichen wird, sondern sie müssen gleiches Recht haben. Kurz, mit Schwätzen läßt sich die Frage nicht lösen, einzig und allein dadurch, daß man Ziele schafft, und vor allen Dingen die wirkliche Lösung der sozialen Frage ins Auge faßt. Dadurch, daß man immer dann, wenn es sich um die Tat handelt, hineinschwätzt

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mit agitatorischen Phrasen, dadurch kann doch nicht ein einziger Schritt zur Besserung jemals gemacht werden! Das ist es, worauf es heute ankommt, zu unterscheiden zwischen Tat und Schwätzen. Wenn man diesen Unterschied nicht machen wird zwischen den Schwätzern und denjenigen, die etwas tun wollen, wird man nicht auf einen grünen Zweig kommen, sondern es werden die Schwätzer alle soziale Ordnung geradezu totreden. Mit schönem Geschwätz ist in unserer heutigen Zeit nichts zu erreichen, wenn dieses Ge­schwätz noch so sehr von Gleichberechtigung ausgeht. Gleichbe­rechtigtheit muß begründet werden, von Gleichberechtigtheit bloß zu schwätzen, damit ist gar nichts erreicht.

Eine andere Frage, meine sehr verehrten Anwesenden: Muß heute dem wirtschaftlich Bedrückten nicht die materielle Vorbedin­gung geschaffen sein, damit ihm die Möglichkeit geboten wird, Geistiges aufzunehmen? Ich habe gerade in der letzten oder in der vorletzten Nummer der Zeitschrift für «Dreigliederung des sozialen Organismus», die in Stuttgart erscheint, einen Artikel geschrieben:

«Ideen und Brot» -, um entgegenzutreten dem landläufigen Vorur­teil, daß, wenn von seiten der Gesättigten und auch heute noch Sich-sättigen-Könnenden immer wieder und wieder darauf hinge­wiesen wird: Es braucht ja nichts anderes getan zu werden, um die soziale Frage zu lösen, als daß die Leute arbeiten. Das ist leicht gesagt! Es handelt sich darum, daß die Leute ein Ziel sehen, einen Sinn in ihrer Arbeit! Aber auf der anderen Seite ist auch nichts damit getan, wenn immer gesagt wird von der anderen Seite: Erst muß den Leuten Brot geschaffen werden, dann werden sie geistig hochkom­men, oder dann kann man dafür sorgen, daß sie geistig hochkom­men. Geistige Arbeit ist es ja, welche dazu führt, daß das Brot erarbeitet werde. Man muß organisieren, man muß in einer gewissen Weise dasjenige, was gearbeitet wird, in irgendeine Struktur brin­gen, in eine soziale, sonst kann das Brot nicht entstehen. Wenn jetzt über Mitteleuropa eine furchtbare Hungersnotwelle sich ausbreitet, so ist ja diese Hungersnotwelle - wenn es auch vorher selbstver­ständlich nicht gut war, darüber wollen wir uns jetzt nicht unter­halten - nicht gekommen dadurch, daß plötzlich das Brot sich

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entzogen hat dem Menschen, sondern daß die Menschen in eine soziale Ordnung hineingekommen sind durch die Kriegskata­strophe, innerhalb welcher kein Brot erarbeitet wird, innerhalb welcher keine Ideen wirken, die das Brot erarbeiten lassen. Die Ideen, die bis 1914 von den Leuten angebetet worden sind, die die Führenden waren, die sind ad absurdum geführt durch die letzten fünf bis sechs Jahre, die sind abgetan. Wir brauchen neue Ideen! Und wenn man sich nicht entschließt, sich zu sagen: Wir brauchen neue Ideen -, durch diese neuen Ideen wird die soziale Ordnung organisiert, dadurch wird das nötige Brot geschaffen; wenn man sich nicht entschließt dazu, dann kommen wir doch in keiner heilsamen Weise zur Weiterentwickelung in die Zukunft hinein.

Es ist sehr merkwürdig, wie sich, ich möchte sagen, im einzelnen Falle zeigt, daß die Menschen sich nicht eingestehen wollen, wie eigentlich die Wahrheit liegt und läuft. Einer der Radikalsten war gewiß bis zum Jahr 1914 der Fürst Krapotkin. Als er wieder nach Rußland gegangen war, da hörte man bald danach: Ja, wenn wir nur von dem Westen Brot bekommen, dann wird es schon besser gehen!

- Und daneben hörte man, daß er eine «Ethik» schreibt. Sehen Sie, das ist dasjenige, was uns zugrunde gerichtet hat, daß die Leute auf der einen Seite das materielle Leben haben, auf der anderen Seite ein abstraktes Geistesleben, und daß von dem abstrakten Geistesleben nichts hereinspielt in das wirklich materielle Leben. Der Geist zeigt sich nicht dadurch, daß man ihn anbetet, der Geist zeigt sich dadurch, daß er fähig wird, auch die Materie zu beherrschen und zu organisieren. Das ist gerade das Schlimme, daß unsere Bekenntnisse es dahin gebracht haben, dem Menschen einen schönen Inhalt bloß geben zu wollen, wenn er aufgehört hat zu arbeiten, oder höchstens eine Direktive auf der ersten weißen Seite des Hauptbuches, wo steht: «Mit Gott» - wenn auch das, was da in Soll und Haben verarbeitet wird, durchaus nicht immer rechtfertigt, daß da steht:

«Mit Gott»! Aber darinnen zeigen sich die Niedergangserschei­nungen unserer Zeit, daß wir die Macht verloren haben, über das, wozu wir uns geistig bekennen, den Übergang zu finden zum materiellen Leben, daß geradezu die Gesinnung herrschend wird,

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die da sagt: Ach ja nicht verknüpfen das materielle Leben mit dem Geist! Der Geist ist etwas ganz Erhabenes, den muß man frei halten vom materiellen Leben! - Nein, nicht dazu ist der Geist da, daß man ihn freihält vom materiellen Leben, daß man ihn, wenn man aus der Fabrik herausgeht, ihn als Sonntag-Nachmittag-Sensation nur ha­ben kann, wenn auch noch so edler Art, sondern dazu ist der Geist da, daß man ihn durch das Tor der Fabrik hineinträgt, daß die Maschinen nach dem Geiste gehen, daß die Arbeiter nach dem Geiste organisiert sind. Dazu ist der Geist da, daß er das materielle Leben durchdringe! Und daran sind wir zugrunde gegangen, daß das nicht der Fall ist, daß wir ein abstraktes Geistesleben neben einem geistlosen, von bloßen Routiniers beherrschten materiellen Leben haben. Eher wird es nicht besser, bis der Geist so mächtig wird, daß er die Materie beherrschen kann. Nicht der der Materie fremde, weltenfremde Geist ist es, zu dem Geisteswissenschaft führen will, sondern der Geist, der die Menschen beherrschen kann, den man nicht nur findet, wenn man froh ist, daß man aus der Fabrik hinausgehen kann, sondern den man froh und freudig in die Fabrik hineinträgt, damit jeder einzelne Handgriff im Lichte dieses Geistes­lebens geschehe.

Diejenigen, die in dem Sinne, wie es hier gemeint ist, den Geist wollen, die wollen wahrhaftig nicht einen unpraktischen Geist, die wollen den Geist, der in der Welt wirklich nicht nur etwas zu schwatzen hat, nicht nur etwas zu sagen hat, was einen in freien Stunden erfreuen kann, sondern einen Geist, der dadurch, daß er die Materie beherrscht, das Leben durchorganisiert, mit dem Leben sich innig verbinden kann. Von diesem Geiste beziehungsweise von seiner Annahme wird es abhängen, ob wir, wenn wir ihn verleug­nen, immer tiefer und tiefer in das Unglück hineinsegeln wollen oder nicht. Zwischen diesem «Entweder-Oder» muß man heute entscheiden. Je mehr Menschen entscheiden werden dahin, daß sie sich zu diesem tätigen Geist aufraffen, desto besser wird es für die Zukunft der Menschheit sein.

Das ist dasjenige, was ich zu meinen heutigen Worten noch hinzufügen wollte.

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DREIGLIEDERUNG UND GEGENWÄRTIGE WELTLAGE Zürich, 19. März 1920

Was man soziale Programme oder dergleichen nennen könnte, schwirrt heute in endloser Zahl durch die Luft, herausgefordert wahrhaftig mehr als zu irgendeiner anderen Zeit, durch alles das, was in der Gegenwart an Kräften wirkt, die in die Zerstörung hineinführen. An Vorschlägen, wie sich aus dieser Zerstörung heraus etwa ein Neuaufbau entwickeln soll, fehlt es eigentlich nicht. Wenn dennoch das, was man nennen kann die Idee von der Dreiglie­derung des sozialen Organismus, sich, durch die Not der Zeit gedrängt, Geltung verschaffen will unter diesen mancherlei Vor-schlägen, so geschieht es zunächst hauptsächlich aus der Anschau­ung heraus, daß mit dieser Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus etwas gegeben ist, was, wenn man es seiner inneren Wesenheit nach erfaßt, nicht irgendwie gleichgestellt werden kann mit programmartigen Vorschlägen oder sozialen Idealen in abstrak­tem Sinne. Was ich Ihnen hier darbieten möchte, soll durchaus durchdrungen sein von der Erkenntnis, daß ja heute die große Gefahr für all dergleichen Dinge vorliegt, in das Utopistische zu verfallen. Man braucht nur daran zu denken, wie im Grunde genommen, wenn es auch da oder dort in der europäischen Welt noch nicht hinlänglich bemerkt wird, alles, wovon man geglaubt hat, daß es feststehe in der hergebrachten wirtschaftlichen, juristi­schen, geistigen Ordnung, einem gewissen Zerstörungsprozeß un­terliegt und wie sich dieser Zerstörungsprozeß im Laufe der letzten vier bis fünf Schreckensjahre der europäischen Zivilisation nur allzu deutlich gezeigt hat.

In einer solchen Zeit kann man nicht auf das oder jenes, was schon da ist, was seine Wirklichkeit bewahrt hat, aufbauen. Es haben sich ja sozusagen die festgeschraubtesten Institutionen durch die letzten Jahre ad absurdum geführt. Und da liegt es selbstverständlich nahe, gewissermaßen aus einem ganz neuen Fundament heraus zu bauen. Das kann dann der Mensch nur, indem er aus dem Gedankenfundament

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heraus baut, und da zeigt es sich denn alsbald, daß die Grundlagen nicht leicht zu finden sind, die einen gediegenen Auf­bau möglich machen. Denn man hat zunächst scheinbar gar keinen Anhaltspunkt, ob das, was man aus den Gedanken heraus in die Wirklichkeit umsetzen will, auch irgendwie in dieser Wirklichkeit sich begründen läßt. Und alles das, was nicht von vornherein durch seinen Inhalt selbst zeigt und erweisen kann, daß es sich voll in die Wirklichkeit hineinstellen kann, ist ja utopistisch.

Gerade der Gefahr des Utopistischen möchte nun die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus entgehen, und sie möchte ihr dadurch entgehen, daß sie im Grunde genommen gar nicht etwas aufstellt, was man eine soziale Lebensauffassung, was man ein soziales Programm nennt, sondern daß sie hinweisen will auf eine besondere Art, wie Menschen im öffentlichen Leben zusammen­wirken können, damit den Kräften der Zerstörung Kräfte des Neubaus, der Neuentwickelung entgegengestellt werden können.

Ich möchte sagen, dasjenige, wovon die anderen angeben, daß es geschehen soll, das soll der Idee der Dreigliederung nach erst entstehen, wenn ein solches Zusammenarbeiten von Menschen und Menschengruppen einmal stattfinden kann, von dem die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus sprechen will. Man steht nicht, wenn man auf diesem Boden steht, auf dem Standpunkt, daß man irgendwie allwissend ist, daß man Prophet ist, der angeben kann, wie sich diese oder jene Institution in der Zukunft zum Heil der Menschheit ausnehmen soll, sondern man will nur das Urteil der Menschen, die etwas zu sagen haben, in einer Weise aufrufen, daß durch das Zusammenarbeiten der Menschen dieses Urteil auch sachliche Wirklichkeit werden kann.

Der Anlaß zu dieser Idee von der Dreigliederung des sozialen Organismus liegt eigentlich bei demjenigen, der sich erlaubt, zu Ihnen zu sprechen, weit zurück. Er ist zu suchen in jahrzehntelan­gen Lebenserfahrungen, die sich auf die sozialen Verhältnisse der verschiedensten Gegenden Europas beziehen, namentlich aber Mit­teleuropas und der Teile Mitteleuropas, die gerade an ihrem Schick­sal in der letzten großen Kriegskatastrophe zeigen, wie das, was

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bisher soziale Struktur der Menschheit, der zivilisierten Menschheit Europas war, aus sich selbst nach etwas Neuem hintendiert, wie es den Kräften nicht gewachsen ist, die, ich möchte sagen, aus den Tiefen der Menschheit sich heute an die Oberfläche bewegen wol­len. Man kann, wenn man unbefangen das geschichtliche Leben betrachtet, namentlich in dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, in den Jahren des 20. Jahrhunderts, die 1914 vorangegangen sind, durchaus sehen, wie dasjenige, an dem man so dogmatisch festhält, das man heute noch, wenn es auch in vielen Gebieten Europas erschüttert ist, doch noch immer als etwas betrachtet, an dem man nicht rütteln soll, wie der Einheitsstaat, der alle Gebiete des öffentli­chen Lebens seit drei bis vier Jahrhunderten allmählich erfaßt hat, eigentlich seiner Aufgabe gegenüber gewissen großen Menschheits­forderungen nicht mehr gewachsen ist, wie er nicht fähig ist, zu gleicher Zeit zu umfassen das geistige Leben, das staatlich-politische oder Rechtsleben im engeren oder auch im weiteren Sinne, und das Wirtschaftsleben. Daher entstand für diejenigen, die sich mit der Idee von der Dreigliederung zuletzt befaßten, der Gedanke, gerade da einzusetzen und die Frage aufzuwerfen: Welche Gestalt muß der bisher als eine notwendige Einheit angesehene Staat annehmen gegenüber den drei hauptsächlichsten Lebensgebieten der Mensch­heit, gegenüber dem geistigen Gebiet, gegenüber dem rechtlich-poli­tischen Gebiet und gegenüber dem wirtschaftlichen Gebiet? Und nun will ich, bevor ich zu einer Art Begründung übergehe, mir zuerst erlauben, Ihnen in einer kurzen Skizze darzulegen, wie das Zusammenarbeiten der Menschen gedacht werden soll, damit nun wirklich aus der sozialen Struktur heraus die Aufgaben bewältigt werden können, die den Menschen aus diesen drei hauptsächlich­sten Lebensgebieten erwachsen.

Zusammengefaßt ist im Grunde genommen erst in den letzten drei bis vier Jahrhunderten das Leben dieser drei Gebiete. Sie brauchen sich nur zu erinnern - um eines anzuführen -, wie mit der Entwickelung der mittelalterlichen Verhältnisse in die neuzeitlichen herauf Schulen, bis in die Universitäten herauf, nicht Gründungen des Staates waren, sondern Gründungen waren von Kirchengemeinschaften

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oder anderen Gemeinschaften, die ihre Entwickelung ne­ben den Ansätzen zum staatlichen Leben gehabt haben. Erst im Laufe der drei bis vier letzten Jahrhunderte entstand die Anschau­ung, daß der Einheitsstaat seine Macht auch ausdehnen müsse zum Beispiel über Schulen, über Universitäten und dergleichen. Ebenso kann man sagen: auch das Wirtschaftsleben war getragen von unter wirtschaftlichen Impulsen gefaßten Korporationen, es war geführt von denjenigen Persönlichkeiten, die Vereinigungen gebildet haben nur aus wirtschaftlichen Antrieben heraus. Und erst wiederum im Laufe der drei bis vier letzten Jahrhunderte hat der Staat auch über das Wirtschaftsleben seine Macht ausgedehnt, so daß diese Zusam­menfassung von Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben eigentlich etwas ist, was erst in der neueren Zeit in seiner vollen Bedeutung heraufgezogen ist, wenn es auch seine Ansätze selbstver­ständlich, weil ja alles im geschichtlichen Leben der Menschen sich voraus ankündigt, schon früher da und dort gezeigt hat.

Demgegenüber möchte die Idee von der Dreigliederung des sozialen Organismus jedes dieser drei Gebiete auf seinen selbstän­digen Boden stellen. Sie geht davon aus, daß ein gewisser Impuls mit einer inneren Notwendigkeit im Laufe der neuesten Geschichte, ich möchte wieder sagen, aus den Tiefen des menschlichen Fühlens und Empfindens heraufgezogen ist an die Oberfläche des geschichtli­chen Werdens. Und das ist - man kann es, ich glaube, selbst wenn man noch so befangen ist, nicht leugnen -, daß im öffentJichen Leben trotz allem, was heute hervortritt, der mächtigste Impuls der ist nach der Demokratie. Dieser Impuls tritt wie etwas Elementares auf in der Menschheits entwickelung. Man kann sagen: Wie in dem einzelnen Menschen einer bestimmten Epoche seines Lebens, sagen wir, die Geschlechtsreife auftritt, so tritt in der Entwickelung der europäischen Menschheit, sich vorbereitend seit dem 15. Jahrhun­dert, die Tendenz nach der Demokratie hervor.

Versucht man in den verschiedenen Formen, die für das demokra­tische Zusammenleben der Menschen gefordert werden, das Wesent­lichste herauszufinden, so ist es zum Schlusse doch dieses - wenig­stens ergibt sich dies als das einzig Vernunftmögliche -, daß die

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Angelegenheiten des Staates besorgt werden sollen aus dem Zusam­menarbeiten und Zusammenurteilen aller mündig gewordenen Menschen, die in diesem Zusammenarbeiten, in diesem Zusammen-urteilen als Gleiche angesehen werden, so daß jeder als ein Gleicher dem anderen gegenübersteht, gleichberechtigt in seinem Urteil, gleichberechtigt in dem Beitrag, den er zum sozialen Leben zu leisten hat, auch gleich in allem, was er von diesem sozialen Leben zu fordern hat. Dies ist zunächst die abstrakte demokratische Forderung. Sie wird konkret dadurch, daß wichtigste Empfin­dungen und Gefühlsimpulse mit ihr im neueren geschichtlichen Leben der Menschheit sich verbinden. Man kann auch sagen, daß diese demokratische Tendenz in die Staatsgebilde Europas eingezo­gen ist in der verschiedensten Weise kämpfend gegen dasjenige, was aus feudalen, aus anderen Gesellschaftsordnungen heraufgezogen ist. Es hat sich der demokratische Zug mehr oder weniger hineinge­schoben in die altgebliebenen Formen. Aber der Drang dazu prägte sich ganz deutlich in der neueren Geschichte aus. Indem so die Staaten nicht umhin konnten, zu ihren früheren Kräften die demo­kratische Kraft irgendwie hinzuzufügen, wenn es auch manche, ich möchte sagen, nur schandenhalber getan haben, so dehnten sie dieses demokratische Prinzip auch über die Gebiete des Geistes­lebens und des Wirtschaftslebens aus.

Nun aber kam dadurch herauf in der Entwickelung der neueren Menschheit ein bedeutsamer Widerspruch im ganzen öffentlichen Leben. Gerade derjenige, der es ernst und ehrlich meint mit der Verwirklichung des demokratischen Triebes, der muß eigentlich diesen inneren Widerspruch im modernen öffentlichen Leben be­merken. Es ist der Widerspruch, den ich in der folgenden Weise charakterisieren möchte: Das Geistesleben kann sich bis in seinen wichtigsten Teil, in das Schulleben hinein, nicht aus etwas anderem herausentwickeln als aus den Fähigkeiten der Menschen, die durch­aus individuell voneinander verschieden sind. In dem Augenblick, wo man das nivellierende Demokratische ausdehnen will über dasjenige, was einzeln in individueller Gestalt erwachsen will zum Blühen und Gedeihen des Geisteslebens, in dem Augenblick muß

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immer das Geistesleben in irgendeiner Weise leiden, muß immer in irgendeiner Weise sich gedrückt fühlen. Deshalb glaube ich: derjeni­ge gerade, der es ehrlich meint mit der demokratischen Tendenz, so daß er sagt, überall da, wo nur im öffentlichen Leben Demokratie sein kann, muß sie sein, der muß sagen: Dann muß man von all dem, worüber alle mündig gewordenen Menschen entscheiden als Glei­che, dasjenige ausscheiden, worüber wahrhaftig nicht alle mündig gewordenen Menschen als Gleiche ein sachgemäßes Urteil haben können. Indem dieser Gedanke bis in seine äußersten Konsequen­zen verfolgt wird, indem man sich auch prüft, ob man wirklich alles berücksichtigt, was dabei in Betracht kommt, kommt man doch dazu, sich zu sagen: gerade wenn man Demokratisierung des mo­dernen Staatslebens anstrebt, muß man herausschälen das ganze Geistesleben aus diesem Staatsleben, aus dem politisch-juristischen Leben.

Das Geistesleben muß auf seinen eigenen Boden gestellt werden. Es muß so stark auf seinen eigenen Boden gestellt werden, daß diejenigen, die zum Beispiel unterrichten, von der untersten Schule bis zu den höchsten Stufen des Unterrichts hinauf zu gleicher Zeit die Verwalter des Erziehungs- und Unterrichtswesens sind, daß zusammenhängt Verwaltung des Erziehungs- und Unterrichts-wesens mit dem gesamten irgendwie gearteten Geistesleben eines zusammengehörigen sozialen Organismus. Nur wenn man - ich möchte konkret sprechen - demjenigen, der in der Schule steht und unterrichtet, zu gleicher Zeit nur soviel zu seiner Aufgabe macht, daß im übrigen zugleich Zeit bleibt, daneben Verwalter des Unter­richtswesens zu sein von der untersten Stufe bis zu der obersten Stufe, nur dann, wenn man solche Institutionen schafft, daß derjeni­ge, der im Geistesleben zu wirken hat, insbesondere unterrichtet und erzieht, mit nichts anderem zu tun hat als wiederum mit Unterrichtenden und Erziehenden, wenn der ganze geistige Orga­nismus eine selbständige Einheit, auf sich selbst aufgebaut, ist, können alle Kräfte, die in der Menschheit veranlagt sind, auf dem Gebiet des geistigen Lebens wirklich entfesselt werden, dann kann das Geistesleben sich in seiner vollen Fruchtbarkeit entwickeln. Das

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scheint doch wohl zunächst wenigstens in einer Art abstrakten Form auf die Notwendigkeit hinzuweisen, das Geistesleben, das auf seine eigenen Prinzipien, auf seine eigenen Impulse aufgebaut werden muß, abzugliedern von all dem, was im Demokratischen aufgeht.

Ebenso aber muß, wie das Geistesleben abgegliedert werden muß von dem bloßen Staatsleben, auf der anderen Seite von diesem abgegliedert werden auch das Wirtschaftsleben. Da betritt man allerdings ein Gebiet, auf dem man heute weniger Gegner findet als beim Geistesleben. Beim Geistesleben, insbesondere beim Schulwe­sen, ist es in den letzten drei bis vier Jahrhunderten üblich gewor­den, denjenigen allein als einen aufgeklärten Kopf zu betrachten, der die Macht des Staates über das Schulwesen als das Richtige betrach­tet, der sich gar nicht denken kann, daß man ohne in Klerikalismus oder dergleichen zu verfallen, wiederum zurückgehen könnte zur Selbständigkeit des Geisteslebens.

Beim Wirtschaftsleben liegen im Grunde die Dinge ähnlich. Während das Geistesleben es zu tun hat mit demjenigen, was als Fähigkeit im Menschen veranlagt ist, was in freier Weise entfaltet werden muß, was gewissermaßen der Mensch durch seine Geburt hier ins physische Dasein hereinträgt, hat es das Wirtschaftsleben zu tun mit dem, was auf der Erfahrung aufgebaut sein muß, was aufgebaut sein muß aus dem, wohinein man wächst, indem man in einem bestimmten Wirtschaftsgebiet mit seiner Berufstätigkeit auf­geht. Daher kann im Wirtschaftsleben wiederum das nicht maßge­bend sein, was aus dem demokratischen Leben stammt, sondern nur dasjenige, was aus fachlichen und sachlichen Untergründen heraus ist.

Wie lassen sich diese fachlichen und sachlichen Untergründe dem Wirtschaftsleben geben? Eigentlich alle nicht durch eine Art von Korporation, durch eine Art von Organisation, die man heute so sehr liebt, sondern einzig und allein durch dasjenige, was ich nennen möchte Assoziationen. So daß sich aus den Menschen, die sich in die Berufe hineinleben, die wirklich sach- und fachkundig auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens werden, Assoziationen bilden. Nicht daß man die Menschen organisiert, sondern daß sie sich zusammenschließen

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nach sachlichen Gesichtspunkten, wie sie sich ergeben aus den einzelnen Wirtschaftszweigen heraus, aus dem Verhältnis von Produzenten und Konsumenten, aus dem Verhältnis der Berufs­zweige und Wirtschaftszweige. Da ergibt sich - das können Sie in meinen Schriften deutlicher nachlesen in seinen Einzelheiten - sogar ein gewisses Gesetz, wie groß solche Assoziationen sein dürfen, wie sie sich zu gestalten haben, wodurch sie schädlich werden, wenn sie zu groß werden, wodurch sie schädlich werden, wenn sie zu klein werden. Man kann durchaus dadurch ein Wirtschaftsleben begrün­den, daß man es auf solche Assoziationen aufbaut, indem man alles das, was innerhalb solcher Assoziationen aus rein wirtschaftlichem Impuls heraus in der sozialen Struktur bewirkt wird, eben nur auf das Sachliche und Fachliche stellt. Es weiß gewissermaßen jeder, an wen er sich zu wenden hat mit dem oder jenem, wenn er weiß, er ist so oder so durch die soziale Struktur der Assoziationen mit dem anderen zusammengekettet, er hat sein Produkt in einer solchen Weise durch eine Kette von Assoziationen zu leiten und derglei­chen.

Ich kann natürlich hier, da ich kurz sprechen muß, nur die Prinzipien der Sache skizzieren. Und so, möchte ich sagen, muß sich das geistige Leben selbständig ausbauen aus seinen eigenen Kräften heraus, indem diejenigen, die es leisten, zu gleicher Zeit die Verwal­ter sind; ebenso das Wirtschaftsleben aus seinen eigenen Gesichts­punkten heraus, indem diejenigen, die im Wirtschaftsleben tätig sind, sich zusammenschließen nach Grundsätzen des Wirtschaftsle­bens. Ist das Wirtschaftsleben selbständig, dann wird sich dasjenige, was nur beruhen kann auf dem gleichen Urteil aller mündig gewor­denen Menschen, als der Inhalt des dritten Gliedes des sozialen Organismus, der eigentlichen staatlichen Gemeinschaft, ergeben.

Ich weiß sehr gut, daß viele Menschen einen wahren Schrecken bekommen, wenn man ihnen von dieser Dreigliederung des sozialen Organismus, die sich als notwendig erweisen soll für die Zukunft, spricht. Aber das geschieht nur aus dem Grunde, weil man gewöhn­lich glaubt, nun soll der Staat auseinandergesplittert werden in drei

Teile: Wie sollen diese drei Teile dann zusammenwirken? - In

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Wahrheit wird gerade dadurch, daß diese drei Teile zu ihrer vollen Entfaltung gebracht werden auf die Art, wie ich es allerdings nur skizzieren konnte, die Einheit aufrecht erhalten, denn der Mensch als Einheit steht ja in allen drei Gliedern darinnen. Er wirkt mit in irgendeiner Weise an dem geistigen Organismus. Wenn er Kinder hat, so ist er interessiert an dem geistigen Organismus durch die Schule. Mit seinen geistigen Interessen ist er irgendwie verstrickt in den geistigen Organismus. Er trägt das, was er aus dem geistigen Organismus hat, da er mitwirkend ist als mündig gewordener Mensch im demokratischen Staatswesen, in seinen Taten, in seinem Leben auch in dieses demokratische Staatswesen hinein. Das aber, was öffentliches Recht, was öffentliche Sicherheit, öffentliche Wohl­fahrt und so weiter ist, was angeht jeden mündig gewordenen Menschen, das wird auf dem Boden des einheitlichen Staatswesens entwickelt. Und mit den Verfassungen der Seele, die man da entwik­kelt im unmittelbaren Wechselverhältnis von Mensch zu Mensch, tritt man wieder ein im Wirtschaftsleben in sein spezielles Gebiet, in dem man verkettet ist durch verschiedene Assoziationen, in denen man tätig ist. Man trägt das, was man aus dem Geistesleben, aus dem Staatsleben hat, in dieses Wirtschaftsleben hinein, befruchtet es durch das, hält es aufrecht, bringt Recht und bringt geistige Befruch­tung hinein in dieses Wirtschaftsleben. Der Mensch selbst bildet die Einheit zwischen dem, was nicht Gliederung in Stände ist.

Man hat mir vielfach eingewendet, da würde man wiederum zurückgehen auf dasjenige, was im alten Griechenland Nährstand, Wehrstand, Lehrstand umfaßt hat. Ein solcher Einwand bezeugt nur, wie sehr oberflächlich man heute oftmals solche Dinge betrach­tet. Denn nicht um eine Gliederung der Menschen selber, nicht um eine Einteilung in Stände, sondern darum handelt es sich, daß das äußere Leben in seinen Einrichtungen dreigegliedert wird. Gerade dadurch, daß der Mensch sich drinnen befindet in einem solchen dreigegliederten sozialen Organismus, ist es möglich, daß alle Stän­de aufhören, daß wirkliche Demokratie eintritt. Darauf weist, ich möchte sagen, für jeden Unbefangenen mit einer inneren Notwen­digkeit gerade die Entwickelung der modernen Staaten.

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Sehen wir denn nicht, daß sie auf der einen Seite dem notwendi­gen Impuls nach Demokratie Rechnung tragen müssen, aber dann die Demokratie wiederum verderben lassen dadurch, daß selbstver­ständlich aus dem Geistesleben heraus der Fähige im demokrati­schen Staatsleben immer mehr Gewicht haben wird als der weniger Fähige? In den Dingen, wo es auf die Fähigkeit ankommt, ist das ganz gerechtfertigt, zum Beispiel im geistigen Gebiet. Dagegen muß das eigentlich demokratische Staatswesen frei und rein gehalten werden von solchen übermächtigen Einflüssen besonders befähigter Persönlichkeiten, denn es muß eben ein Gebiet geben nach der Grundforderung der modernen Menschheit, in dem sich nur gel­tend macht dasjenige, was allen Menschen, die mündig geworden sind, in gleicher Weise zukommt.

Das wirtschaftliche Gebiet zeigt im besonderen Maße, wie un­möglich es ist, das einwirken zu lassen, was der Mensch durch seine besondere Artung sich als Fähigkeit im Wirtschaftsleben erwirbt. Er erwirbt sich dadurch vielleicht eine wirtschaftliche Übermacht. Sie darf aber nicht zu einer sozialen Übermacht werden. Sie wird es nur dadurch nicht, daß dasjenige, was wirtschaftliche Macht ist, was innerhalb des Wirtschaftslebens verbleibt, unmöglich zu einer poli­tischen, zu einer rechtlichen Übermacht werden kann. Alles dasjeni­ge, was heute gerade zur Karikatur der sogenannten sozialen Frage geführt hat, das würde überwunden werden, wenn man sich einlas­sen wollte darauf, daß das Wirtschaftsleben auf seinen eigenen Boden gestellt würde und das demokratische Staatsleben gerade dadurch ehrlich und aufrichtig wiederum auf seinen eigenen Boden sich stellen könnte. Die neueren Staaten lehren durch ihre Entwicke­lung, wie notwendig die Hinwendung der Menschheit zu solchen Prinzipien ist. Und daher gestatten Sie mir, daß ich Ihnen neben den geschichtlichen Impulsen, die man aufnehmen muß, um hinge­wiesen zu werden auf diese Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus, zunächst einmal, ich möchte sagen, die zwei subjek­tiven Quellen noch etwas charakterisiere, aus denen seit langen Jahren sich mir dieser Impuls von der Dreigliederung des sozialen Organismus ergeben hat.

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Die eine Quelle ist die, daß man mit geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, die ich mir ja als meine Lebensauffassung zu vertre­ten erwählt habe, über gewisse Entwickelungsbedingungen der Menschheit sich anders unterrichten kann, als aus der heute gang und gäben materialistisch-naturwissenschaftlichen Weltanschau­ung heraus. Diese heute gang und gäbe materialistisch-naturwissen­schaftliche Weltanschauung kann eigentlich zu einer wirklichen Erkenntnis des geschichtlichen Werdens der Menschheit nicht kommen, denn das, was wir heute «Geschichte» nennen, ist im Grunde genommen mehr oder weniger eine Fable convenue. Wir treiben heute so Geschichte - und wollen dann für die sozialen, für die politischen Aufgaben der Gegenwart aus dieser Geschichte etwas lernen -, daß wir uns vorstellen, das Folgende im Menschen-werden ist immer die.Wirkung des Vorhergehenden, dieses Vorher­gehende wiederum die Wirkung eines Weitervorhergehenden und so weiter. Eine wirklich sachgemäße, nicht bloß auf Analogien beruhende Vergleichung des ganzen Werdens der Menschheit mit dem Werden des einzelnen Menschen könnte einen heilen von diesem Irrtum.

Wenn ich den einzelnen Menschen sich entwickeln sehe, dann muß ich sagen: Was bei ihm auftritt in den ersten Lebensjahren, in den mittleren Lebensjahren, am Ende des Lebens, das stellt sich nicht bloß so dar, daß ich von Ursache und Wirkung sprechen kann. Ich kann wahrhaftig nicht sagen, daß der Mensch, der fünfund­dreißig Jahre alt wird, organisch nur dasjenige erlebt, was die Wirkung ist dessen, was er mit zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren erlebt hat, sondern wir sehen, indem der Mensch sich entwickelt, wie aus seinem Organismus heraus, aus seinem ganzen organischen Sein und Wesen heraus gewisse Entwickelungsimpul­se, Entwickelungskräfte aufsteigen, die sich zu bestimmten Zeit-epochen ganz besonders wirksam zeigen.

So muß man für den einzelnen Menschen sagen, es gibt für ihn Lebensepochen: Wenn der Zahnwechsel eintritt ungefähr um das siebente Jahr herum, da finden wir, wenn wir nur ein Organ haben, die Sache zu beobachten, daß das ganze Seelenleben des Kindes

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anders wird, daß das Kind von einem nachahmenden Wesen zu einem solchen wird, das Bedürfnis hat, unter eine gewisse Autorität zu kommen, nach Urteilen von Menschen sich zu richten, während es früher nachahmte. Wiederum bei der Geschlechtsreife setzt auch deutlich eine Umwandlung des Seelenlebens ein. Man kann auch für spätere Epochen diese Umwandlung des Seelenlebens bemerken, wenn man nur ein Organ dafür hat.

Wie für den einzelnen Menschen nicht bloß Ursache und Wir­kung dastehen, sondern wie aus den Tiefen seines Wesens die Entwickelungskräfte aufschießen, so ist es der Fall mit der ganzen Menschheit. Und studiert man Geschichte wirklich sachgemäß, dann findet man - um nur eines anzuführen - so um die Mitte des 14., 15. Jahrhunderts solch einen Einschnitt in der Entwickelung der ganzen zivilisierten neueren Menschheit. Da findet man gerade jenen Übergang, der aus elementarer Notwendigkeit der Entwik­kelung heraus die neuere Menschheit mit ihren Forderungen eigent­lich erst hat entstehen lassen. Oh, es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was der Mensch als das Richtige für sich ansieht zu einem menschenwürdigen Dasein seit diesem 15. Jahrhundert, und dem, was der Mensch des Mittelalters dafür angesehen hat.

Seelengeschichte - wir haben sie eigentlich gar nicht getrieben -, wie sie aus der Geisteswissenschaft hervorgehen kann, deren Reprä­sentant unser Bau in Dornach ist, die führt einen dazu, dasjenige, was ich das demokratische Prinzip genannt habe, als etwas in der neueren Menschheit so Auftretendes anzusehen, wie man die Eigen­schaften ansieht, die auftreten im einzelnen Menschen, sagen wir im Alter der Geschlechtsreife. Durch dieses Hinblicken auf die Tatsa­che, daß die neuere Menschheit eben eine ganz andere ist, und daß auch bei der ganzen Menschheit wie beim einzelnen Menschen Rechnung getragen werden muß seinen Entwickelungsprinzipien, dadurch ergibt sich die Stärke der Überzeugung, daß Demokratie etwas ist, wogegen man sich nicht stemmen kann, daß man aber, weil Demokratie etwas ist, was aus dem elementarsten Menschen-wesen heraufsprießt, gerade deshalb den sozialen Organismus drei-gliedern muß, damit dasjenige, was demokratisch geordnet werden

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kann, eben in der Entwickelung der Menschheit zu seinem Recht kommt. Das ist das eine, dieses geisteswissenschaftliche Hinblicken auf die Entwickelungsimpulse der Menschheit. Das andere ist die Beobachtung der Tatsachen des Völkerlebens.

Da kann ich ,Ihnen allerdings nur einzelne Beispiele angeben. Aber es ist immerhin interessant, an einzelnen Beispielen die Un­möglichkeit zu sehen, daß die neueren Einheitsstaatsgebilde aus ihrer Einheit heraus zu einer wirklich lebensfähigen sozialen Struk­tur kommen. Es ist nur notwendig, um das zu zeigen, eben auf einzelne Beispiele hinzuweisen. Sie werden es begreiflich finden, daß ich als Nicht-Schweizer nicht gerade die Schweiz als nahelie­gendes Beispiel anführe. Ich brauche nur zu erwähnen, daß, was bei einzelnen Staatsgebilden Europas in so hohem Maße schon einge­treten ist, auch bei den anderen nach und nach eintreten wird, und daß es recht große Kurzsichtigkeit ist, wenn man immer wiederum darauf baut: Ach, bei uns ist es noch anders, wir brauchen uns nicht um das zu kümmern, was sonstwo geschieht.

Nun wähle ich vielleicht als ein Beispiel den Osten Europas, Rußland, nicht bloß deshalb, weil Rußland durch sein heutiges tragisches Schicksal besonders bedeutsam ist für die Menschenbe­trachtung, sondern weil Rußland nach den praktischen politischen Urteilen der führenden englischen Politiker auch das Land ist, an dem sich am alleranschaulichsten, ich möchte sagen, wie an einem im Völkerleben sich abspielenden Experiment zeigen muß, was für Bedürfnisse und was für Unmöglichkeiten im modernen Völker­leben walten. Nur einiges aus diesem russischen Volkswesen lassen Sie mich Ihnen hervorheben.

Da tritt uns, mitten hineingestellt in den Ihnen ja sattsam bekann­ten russischen Absolutismus in den sechziger Jahren, die merk­würdige Einrichtung der Semstwos entgegen. Landschaftsversamm­lungen, wo sich die Vertreter des landschaftlichen Lebens, diejeni­gen Menschen, die im Wirtschaftsleben oder in sonstigen Lebensge­bieten in einzelnen Landschaften drinnenstehen, in gewissen Ver­sammlungen zusammenfinden, um, ich möchte sagen, nach Art eines Rates oder dergleichen, eines Kantonsrates, über diese Angele­genheiten

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zu beraten. Rußland ist von den sechziger Jahren an mit solchen Semstwos erfüllt. Sie leisten eigentlich eine fruchtbare Arbeit; sie arbeiten zusammen mit etwas anderem, was Altherge­brachtes in Rußland ist: den Mir-Organisationen der einzelnen Dorfgemeinden, eine Art Zwangsorganisation zum wirtschaftli­chen Leben des Dorfes. Da haben wir drinnenstehend erstens altdemokratische Gebräuche in der russischen Bauernorganisation, wir haben aber in dem Auftreten der Semstwos etwas Neueres, was durchaus nach dem Demokratischen hintendiert. Aber etwas höchst Merkwürdiges zeigt sich. Und dieses Merkwürdige wird noch auffälliger, wenn wir eine andere Erscheinung betrachten, wie sie sich ergeben hat in Rußland, bevor die Weltkatastrophe das alles vernichtet oder in ein anderes Licht gestellt hat.

In Rußland hat sich ergeben, daß sich die Menschen der verschie­densten einzelnen Berufe untereinander assoziiert haben, und wie­derum, daß Assoziationen entstanden sind von Beruf zu Beruf -Bankkassenbeamte, Bankkassenausträger haben Assoziationen ge­bildet. Diese Assoziationen haben sich wiederum zu umfassenderen Assoziationen zusammengetan. Wer nach Rußland gekommen ist, hat eigentlich seine Begegnungen gehalten nicht mit einzelnen Menschen, sondern er stieß überall, wo er mit irgend etwas zu tun hatte, auf solche Assoziationen.

Das alles schob sich hinein in das sonstige Staatsleben des Absolu­tismus. Nun, wenn man diese Semstwos, wenn man die Assozia­tionen, wenn man selbst die Mir-Organisation studiert, so bemerkt man eines. Gewiß, diese Organisationen erstrecken sich auch auf manche andere Gebiete des Lebens, Schuleinrichtungen und derglei­chen, aber da leisten sie nichts Besonderes. Wer sich auf ein unbefangenes Studium dieser Assoziationen einläßt - denn schließ­lich gestalteten sich die Semstwos auch nicht zu Korporationen, sondern eigentlich zu Assoziationen, die Landwirte verbanden sich mit denen, die im Aufgange des industriellen Lebens standen und so weiter -, wenn das auch alles einen solchen Charakter bekam, der wie eine öffentliche Einrichtung aussah, in Wirklichkeit hatte man es mit Assoziationen zu tun, und sie alle leisteten Gutes. Aber was

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sie leisteten, leisteten sie eigentlich nur auf dem Boden des Wirt­schaftslebens. Und wir können sagen: In diesem Rußland zeigt sich das Merkwürdige, daß ein auf Assoziationswesen begründetes orga­nisches System entsteht. Es erweist sich weiter, daß der russische Staat unfähig ist, irgend etwas mit dem anzufangen, was da im Werden ist. So daß wir sagen können: Indem die Notwendigkeit der frühkapitalistischen Entwickelung, wie sie in Rußland auftritt, zu wirtschaftlichen Organisationen führt, müssen sich diese aus einer inneren Notwendigkeit heraus neben die politischen Institutionen hinstellen.

Nun, etwas anderes Eigentümliches tritt in Rußland auf im 19. und im Beginn des 20. Jahrhunderts. Ja, gewiß, der Absolutismus gründet seine Schulen; aber diese Schulen sind nichts anderes als, ich möchte sagen, ein Spiegelbild für die Bedürfnisse des absolutisti­schen staatlichen Lebens. Nun, ein Geistesleben entwickelt sich in Rußland, ein intensiveres Geistesleben, als der Westen Europas annimmt. Aber wie muß dieses Geistesleben sich entwickeln? Durchaus in Opposition, ja in revolutionärem Aufruhr gegen alles, was russisches Staatswesen ist. Man sieht, dieser stramm einheitlich organisierte Staat splittert sich auseinander in drei Glieder, aber will sich eigentlich bloß auseinandersplittern. Er kann es aber nicht. Er zeigt uns gerade an dem, was er erlebt, wie unmöglich es ist, mit dem Einheitsstaat diese drei vorzüglichsten Lebensgebiete der Menschen zusammenzupressen.

Ich kann Ihnen das auch nur skizzieren. Wenn man im einzelnen studiert, wie sich diese drei Glieder im russischen Staatsleben dann hineinentwickeln in den Weltkrieg, wie sich aus dem Weltkrieg herausentwickelt zuerst die wirklich wesenlose Herrschaft Milju­kows, wie sich dann aber unter Kerenski etwas herausentwickelt, was man nennen kann die Umwandlung des Absolutismus in ein demokratisches Staatswesen, aber noch durchaus mit dem Glauben an die Allmacht des Einheitsstaates, dann kann man gerade an dem sehen, woran nach kurzer Regierungszeit Kerenski scheitern muß, wie dieser demokratisch werden wollende russische Staat in die Unmöglichkeit versetzt ist, die wichtigsten Fragen, eine wirtschaftliche

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Frage, die Agrarfrage eigentlich nur anzufassen, weil in der Agrarfrage die Assoziationen des russischen Lebens so sind, daß an ihnen das, was an Demokratie versucht wird aus dem alten Absolu­tismus heraus, zerbricht.

Gewiß, es zeigt sich alles eben auch in einer bestimmten konkre­ten Weise. Man kann nicht alles gleich darin sehen. Aber wer es unbefangen überblickt, dieses Werden Rußlands, sein Hinein-steuern in eine unmögliche sozialdemokratische Struktur, weil eben zersplittert ist der Einheitsstaat an der Unmöglichkeit, die drei Lebensgebiete zusammenzufassen, der wird sehen, daß gerade die­ses Beispiel von Osteuropa ein sehr bedeutungsvolles ist und daß die weitblickenden englischen Politiker wohl recht haben, die gerade Rußland betrachten als dasjenige Feld, auf dem sich wie in einem Weltexperiment zeigt der Hergang der Entwickelung der Mensch­heit.

Man könnte ganz Europa überschauen von solchen Gesichts­punkten, man würde überall sehen, wie der Einheitsstaat allmählich sich auflöst. Wenn er auch in manchen Gegenden noch festgefügt erscheint, er wird sich auflösen, weil er nicht bewältigen kann das richtige Zusammenwirken der drei menschlichen Lebensgebiete. Sehen Sie nur, wie in der neueren Zeit da, wo zum Beispiel der politische Sinn, die politische Gesinnung ganz das innerste Wesen des Menschen erfüllt, wie da die politische Gesinnung nicht Herr werden kann über das wirtschaftliche Leben.

In dieser Beziehung bildet ein gutes Beispiel Frankreich. Frank­reich hat sich aus seiner Revolution im 18. Jahrhundert heraus das gerettet, was nun wirklicher innerer demokratischer Sinn ist, wenn auch dieser demokratische Sinn mit einem großen Konservatismus in bezug auf das Familienleben gepaart ist. Wenn auch vieles zwischen dem Demokratischen an philiströses Patriarchales erin­nert, so ist doch im tiefsten Wesen der Gesinnung des Franzosen die Tendenz nach der Demokratie vielleicht, wenn auch nicht am reinsten, so doch am stärksten unter der europäischen Menschheit ausgesprochen. Dieser demokratische Sinn suchte sich zunächst im Staatsleben auszugestalten. Gerade durch diese Ausgestaltung des

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demokratischen Sinns im französischen Staatsleben ist dieses auf der einen Seite abstrakt zergliedert worden in seine Departements; aber diese Departements sind wiederum in eine Einheit zusammengefaßt worden. Das alles als Frucht der Französischen Revolution.

Man braucht nur eines zu betrachten in dieser Struktur des französischen Staates: die Stellung des Departementspräfekten, und man wird sehen, in welch unorganischer Weise verknüpft ist das politisch-rechtliche, das staatliche Element mit dem wirtschaftli­chen Element. Der Präfekt ist eigentlich nichts anderes von einer gewissen Seite her als das ausführende Organ der Pariser Regierung. Die Pariser Regierung hat, ich möchte sagen, wie zu ihren vielen Händen die verschiedenen Departementspräfekten. Aber der De­partementspräfekt wiederum muß in Verbindung stehen mit den wirtschaftlichen Interessengruppen seines Departements. So daß, wenn eine Wahl in Frankreich ist, gewiß der Präfekt diese Wahl leiten wird, aber sie wird doch nicht anders ausfallen, als sie ausfallen kann aus dem, was der Präfekt den wirtschaftlichen Inter­essengruppen zugesteht.

So sehen wir, wie in Frankreich Parteien vorhanden sind, Parteien unter Parteidevisen, unter Parteischlagworten wohl auch, wie aber diese Parteischlagworte viel weniger Reales bedeuten als dasjenige, was herauswächst aus den wirtschaftlichen Interessen des Departe­ments. In dieser Beziehung ist das Studium der einzelnen Tatsachen des französischen Lebens außerordentlich interessant. Gerade an Frankreich sieht man, wie ein richtiges Zusammenwirken des recht­lich-staatlichen Wesens und des wirtschaftlichen Wesens zu einer gewissen öffentlichen Wahrheit sich nicht umgestalten kann, weil das staatliche Element das wirtschaftliche nicht bewältigen kann.

Ich selbst habe, ich möchte sagen, jahrzehntelang aus unmittel­barer Anschauung das studiert, was da notwendig führen mußte zum Untergang, sagen wir Österreichs. Dieses Österreich konnte gar nicht anders als auf irgendeine Weise zugrundegehen. Denn als das neuere demokratische Leben heraufzog, da mußte es auch so etwas wie Demokratie in sein Staatsleben hereinbringen, in dieses Staatsleben, das vor allen Dingen seine geistige Struktur hatte von

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einer solchen Vielgestaltetheit in den Völkerschaften, daß eigentlich dreizehn offizielle Sprachen in Österreich vorhanden waren, das auf der anderen Seite ein kompliziertes Wirtschaftsleben hatte, an den Orient auf der einen Seite hin angelehnt, an Deutschland und an den Westen Europas auf der anderen Seite, an Italien und so weiter. Als nun auch etwas Demokratisches hineingebracht werden sollte in dieses österreichische Staatsleben, da wurde es so gebildet, daß man einen Reichsrat gestaltete. In diesen Reichsrat wurden gewählt vier verschiedene Sektionen: Die Kurie der Handelskammern, die Kurie der Großgrundbesitzer, die Kurie der Städte, Märkte und Indu­strialorte und die Kurie der Landgemeinden. Geht man genauer auf den Grund: lauter Vertreter wirtschaftlicher Interessen, die wurden in das österreichische Parlament gewählt, da sollten sie den Staat gestalten. Sie brachten selbstverständlich nichts zustande, als daß sie die wirtschaftlichen Interessen metamorphosierten in staatliche Interessen, und es entstand überhaupt nichts von wirklichem Staate, sondern es entstand ein Konglomerat von wirtschaftlichen Interes­sen, gegen das sich dann aufbäumte das geistige Leben der verschie­denen Nationen, etwas, was notwendig aus inneren Gründen seiner Zersplitterung entgegengehen mußte.

Etwas anderes noch können wir beobachten, was aber viel interna­tionaler und universell ist, und wir werden daran sehen, wie alles, was unbefangen betrachtet wird im neueren Leben der Menschheit, nach dieser Dreigliederung hintendiert. Denn nehmen Sie das Auf­fälligste, was heraufgezogen ist, nehmen Sie, ich sage ausdrücklich nicht die soziale, ich sage die sozialdemokratische Frage. In Ruß­land hat sich ja, weil das alte Staatsleben, als es sich demokratisieren wollte, zersplittert an der Unmöglichkeit, die drei Lebensgebiete so einheitlich zusammenzufassen, wie man es aus demokratischer Staatsauffassung heraus will, in Rußland hat sich ja ergeben, daß etwas völlig Fremdes wie darübergestülpt wurde über das russische Volkstum, und daß das, was nun heute in Rußland entfaltet wird, selbstverständlich nichts anderes ist als etwas, was notwendiger­weise das soziale Leben, das es trifft, in den Untergang hineinführen muß. Was praktisch die Sozialdemokratie, die auf den Marxismus

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schwörende sozialistische Richtung leisten kann, vor allen Dingen für die wahrhaftig doch von dem innersten Menschen geforderte Demokratie, das zeigt sich gerade an dem traurigen Zustand des heutigen Rußland, von dem schon berichtet werden kann, daß die Ideale der gutgläubigen Arbeiter so erfüllt werden, daß man jetzt unter der Notwendigkeit der Verhältnisse genötigt ist, den Acht­stundentag in den Zwölfstundentag zu verwandeln, daß man anstel­le der gewöhnlichen Organisation, in der der Arbeiter vermeint seine Freiheit zu finden, ein Militär-Arbeitsregiment einrichtet, das viel tyrannischer zu werden verspricht, als jemals das preußische Militärregiment tyrannisch war. Das sind die Früchte des Leninis­mus, des Trotzkismus!

Sie können auch nicht anders sein. Sie zeigen nur an dem radikal­sten Auswuchs, wie sich aus dem Proletariat heraus - denn die heutige russische Herrschaft gegenüber den vielen Millionen des russischen Volks umfaßt ja nur ein paar Millionen von Industriear­beitern, und im Grunde genommen ist dort heute eine Tyrannei der wenigen Millionen Industriearbeiter vorhanden -, wie sich eben die sozialdemokratische Strömung entwickelt hat. Wodurch hat sie sich entwickelt? Ja, wir können sagen: diese Sozialdemokratie, die sich besonders dadurch charakterisiert, daß sie alles Leben der Mensch­heit nur von der wirtschaftlichen Produktion herleitet, daß sie alles geistige Leben nur wie eine Ideologie anschaut, wie etwas, was als ein Rauch aufsteigt aus der wirtschaftlichen Produktion, diese Sozialdemokratie, wie konnte sie entstehen?

Diese Sozialdemokratie, die unter marxistischem Einfluß steht -ich meine nicht den gesunden Sozialismus, selbstverständlich -, ist eigentlich die Sünde der bürgerlichen Strömungen, die in der neue­ren Zeit heraufgezogen sind, das Ergebnis der Sünde der bürgerli­chen Strömungen, könnte ich auch sagen. Denn sieht man überall hin, würde man so, wie ich es an zwei Beispielen, an Frankreich und Rußland gezeigt habe, die ganze zivilisierte Welt durchgehen in ihrer Entwickelung in der neueren Zeit, würde man überall sehen:

das Wirtschaftsleben ist ein solches geworden, das durch die Tech­nik seinen Stempel aufgedrückt erhalten hat, das den Menschen

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hinweggeholt hat von seiner früheren Verbindung mit seinem Be­ruf, ihn an die abstrakte, gleichgültige Maschine, in die gleichgültige Fabrik hineingestellt hat - und das Proletariat, es hat im Grunde genommen nichts anderes kennengelernt als das Wirtschaftsleben.

In der neueren Zeit hätte man notwendig gehabt, dieses immer größer und größer werdende Proletariat hineinzustellen in eine soziale Struktur. Man konnte nicht aus dem, was die geschichtliche Entwickelung in der Menschheit heraufgebracht hat, etwas gewin­nen, wodurch man gewissermaßen eine einheitliche Struktur ausge­dacht hätte über diejenigen, die die Führenden sind im Wirtschafts­leben, im geistigen Leben und so weiter, und diejenigen, die mit der Hand arbeiten müssen. Man hatte gewissermaßen unterlassen, aus den alten Kräften neue Kräfte herauszuentwickeln. Aus den alten Fürstenstaaten entstanden nicht wirkliche Einrichtungen, die von der Demokratie getragen gewesen wären. So muß man sagen, daß eigentlich das, was moderne Sozialdemokratie ist, dadurch entstan­den ist, daß von den führenden Ständen, von den führenden Leuten in der neueren Geschichte das nicht bewältigt werden konnte, was das Wirtschaftsleben heraufgebracht hat. Man hat die Staaten eben so organisiert gelassen, daß sie das immer wuchtender und wuchten-der werdende Wirtschaftsleben nicht umfassen konnten. Und so zeigt sich gerade an der Nichtbewältigung dessen, was mit der Entstehung des Proletarischen in den Menschenseelen heraufge­zogen ist, die Tatsache, daß aus dem, was man sich vom Staate vorstellen konnte, nichts Fruchtbares für eine mögliche Struktur des sozialen Organismus hervorgehen konnte.

Und so könnte ich noch vieles anführen, es würde Ihnen zeigen, daß tatsächlich aus dem, was man beobachten kann, die Notwendig­keit folgt, die drei hauptsächlichsten Lebensgebiete des Menschen und der Menschheit auf ihren eigenen Boden zu stellen.

Über diese Notwendigkeit konnte man wahrhaftig auch spre­chen, bevor diese furchtbare Katastrophe in der Welt heraufgezogen ist und die zerstörenden Kräfte so klar geoffenbart hat in den letzten vier bis fünf Jahren. Aber ich glaube nicht, daß die Menschheit in der Zeit vor 1914, wo man nur in Illusionen lebte über das, was man als

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einen großen, gewaltigen Aufschwung in der neueren Menschheit empfand, für ein Verständnis dieser Notwendigkeit irgendwie zu gewinnen gewesen wäre. Jetzt sind Zeiten heraufgezogen, in denen man nicht bloß theoretisch zu beweisen braucht, daß eine solche Notwendigkeit besteht, sondern in denen Staaten, die ganz beson­ders den Gefahren des Einheitsstaates ausgesetzt waren, hinweg­gefegt worden sind in ihrer alten Form und vor der Notwendigkeit stehen, sich ganz neu aufzubauen.

Wir sehen das östliche ehemalige russische Staatswesen zersplit­tert, vor der Notwendigkeit, sich neu aufzubauen, aber auch vor der Ohnmacht, sich in gedeihlicher Weise neu aufzubauen, indem es sich gefallen lassen muß, daß ihm übergestülpt wird etwas, was niemals aus dem eigenen Volkstum heraus erwächst, sondern was wie eine allgemeine sozialistische Schablone, die auf alles anwend­bar ist, über das Volkstum drübergestülpt wird. Und wir sehen zum Beispiel an Deutschland, wo eine verunglückte Revolution, die Revolution vom November 1918, wirklich viel erkennen läßt, wie aus den Verhältnissen heraus sich nur ein Chaos, ein wirkliches Chaos, ergibt. Und das Auffallendste, ich möchte sagen, eigentlich Herzzerreißende, im Leben des heutigen Deutschland ist, daß die Menschen überall, wo man auf sie trifft und über öffentliche Angelegenheiten mit ihnen zu sprechen hat, sich ratlos zeigen. Warum zeigen sie sich ratlos? Aus dem einfachen Grunde, weil das Dogma von dem Einheitsstaate in den Seelen festgewurzelt ist und weil die furchtbaren Lehren der letzten vier bis fünf Jahre wahr­haftig noch nicht hinreichend waren für die Menschen, um die­ses Dogma aus ihnen auszutilgen. Ich habe manchen einzelnen ge­fragt, woher es denn kommt, daß man so schläft, daß man nie­manden gewinnen kann zum Aufraffen für irgend etwas Positives nach der Richtung des Aufbaus. Die Leute gestanden ruhig: Ja, wir waren so und so lange im Schützengraben, wir haben nicht gewußt, ob wir in acht Tagen noch leben, es mußte uns allmählich gleich­gültig werden, ob wir in acht Tagen noch leben; sollte es uns jetzt nicht gleichgültig sein, was für soziale Einrichtungen in acht Tagen gemacht werden? Man fügt sich in so manche Seelenstimmungen

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hinein. So hat manch einer, wahrhaftig nicht bloß einer gesagt.

Gewiß, die Zeitverhältnisse machen manches erklärlich, aber etwas Größeres, etwas Bedeutsameres ist die historische, die rein menschliche Notwendigkeit. Da gibt es nur ein Entweder-Oder. Und ich glaube, auch hier könnte schon eingesehen werden - da die Zustände wahrlich nicht weit weg sind, die geeignet sind, ihre Wellen nach ganz Europa hineinzuwerfen -, was eingesehen werden soll: das ist das Unmögliche, die drei Lebensgebiete, Geistesleben, Staatsleben, wirtschaftliches Leben in eine Einheit zusammenzu­bringen. Die Notwendigkeit sollte eingesehen werden, jedes dieser drei Gebiete auf seinen eigenen Boden zu stellen.

Ich weiß sehr wohl, wieviel sich aus den alten Anschauungen heraus gegen diese Dreigliederung des sozialen Organismus ein­wenden läßt. Wer aber die gegenwärtige Weltlage, wie ich sie an einzelnen Beispielen zu schildern versuchte, ins Auge faßt, der wird sich sagen: von allen anderen, mehr utopistisch gearteten Vor­schlägen, unterscheidet sich dieser nach der Dreigliederung des sozialen Organismus dadurch, daß er nicht ein Programm gibt, daß er durchaus nicht auftritt mit der Prätention des Alleswissens, sondern daß er sagt: Wenn die Menschen sich sozial so gliedern, daß ihr Bestes selbständig in einem freien emanzipierten Geistesleben, dasjenige, worinnen alle mündig gewordenen Menschen gleich sind, in einem selbständigen demokratischen Staatsleben, dasjenige, wo-rinnen alles aus wirtschaftlichen Unterlagen heraus sich entwickeln muß, in einem selbständigen Wirtschaftsleben herauskommt, dann wird dadurch gerade, daß die Menschen aufgerufen werden zu einem sozialen Wirken, so etwas wie die Lösung der sozialen Frage zustande kommen.

Denn ich glaube nicht, daß derjenige, der das Leben kennt, mitgehen kann mit der oberflächlichen Anschauung, als ob die soziale Frage etwas wäre, gestern entstanden, für die man nur irgendwelche Ideen zu haben oder irgendwelche Schlüsse aus dem Leben zu ziehen braucht, um ein Programm zu zimmern, und dann wird die soziale Frage gelöst sein. Solche Mixturen gibt es viele.

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Aber auf diesem Boden des Alleswissens steht der Impuls für die Dreigliederung des sozialen Organismus nicht. Er ist durchdrungen von der Überzeugung, daß die soziale Frage allerdings heraufge. kommen ist, daß man sie überhaupt nicht von heute auf morgen oder mit irgendeinem Einzelnen lösen kann: sie wird immer in der Zukunft da sein, sie wird unser Leben durchdringen, und die Lösung kann nur darin bestehen, daß man fortlaufend unter solchen Einrichtungen steht, daß die täglich neu kommenden Schwierig­keiten nach und nach überwunden werden. Das ganze Leben in der Zukunft wird darin bestehen, daß es eine Art Lösung der sozialen Frage ist.

Von dem, was die einzelnen Menschen wirken werden, indem sie in naturgemäßer Weise in dem dreigegliederten sozialen Organis­mus arbeiten und urteilen können, davon erhofft der Impuls für die Dreigliederung dasjenige, was man eine Lösung der sozialen Frage nennen könnte. Er will nicht die soziale Frage theoretisch lösen, er will den Menschen die Möglichkeit geben, daß alle im Zusammen­wirken, Zusammenurteilen die soziale Frage lösen. Aber selbst das, was als Vorschlag gemacht werden kann - ich habe Ihnen heute nur eine Skizze geben können -, diese Charakteristik der drei Gebiete des sozialen Organismus, selbst das wird keineswegs von den Trägern dieses Gedankens als etwas betrachtet, was irgendein Dog­ma sein könnte. Das ist es allein, was ich möchte: daß es diskutiert würde, daß möglichst viele Menschen durchdrungen wären von dem, was die Not der heutigen Zeit lehrt, daß aus den besten Kräften des Menschenwesens heraus das getan werde, was zu einem Aufbau führen kann.

Wenn so die guten Willen von den verschiedensten Seiten zusam­menwirken, dann kann eine fruchtbare Diskussion entstehen. Und auf eine solche fruchtbare Diskussion kommt es eigentlich denen an, die die Träger des Gedankens von der Dreigliederung des sozialen Organismus sind. Wenn diese glauben müssen, daß sie nicht hätten hervortreten können, bevor die Not der Weltkatastrophe einge­treten ist - einigen Optimismus haben sie jetzt; allerdings, ich möchte sagen, einen traurigen Optimismus: daß die sich immer

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weiter verbreitende Not die große Lehrmeisterin werden muß, daß gerade aus der Not die Menschen werden erkennen müssen, daß so etwas, wie es sich heute aussprechen will - ich will nicht sagen schon in dem Inhalt, den wir zu geben vermögen über die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus, sondern in dem Impuls, den wir der öffentlichen Diskussion geben möchten durch diese Idee -, daß das irgendwie ernst genommen werden muß. Viel wird davon abhängen, daß solche Dinge ernst genommen werden kön­nen. Noch immer breitet sich aus über der europäischen Mensch­heit, überhaupt über der modernen zivilisierten Menschheit etwas wie eine Schläfrigkeit der Seelen, und wenn auch diejenigen, die heute schon wirken in der Bewegung für die Dreigliederung des sozialen Organismus, das eine oder andere aus ihren Überzeu­gungen getan haben, sie wissen: das Richtige wird erst kommen, wenn eine genügend große Anzahl von Menschen sich auf die Einzelheiten der Sache einläßt.

Wir haben ja schon die Möglichkeit gehabt, in der Waldorfschule in Stuttgart eine Freie Schule zu begründen, in der Kinder zwischen dem sechsten, siebenten und dem vierzehnten und fünfzehnten Lebensjahre in einer achtklassigen Volksschule nach den Grund­sätzen eines freien Geisteslebens unterrichtet werden, so daß sie aus einem freien Geistesleben heraus in eine soziale Ordnung hineinwachsen. Wir haben das Verschiedenste auf diesem Gebiet versucht, und auch wirtschaftliche Dinge sind in Aussicht genorn­men, wo wir versuchen wollen, die verschiedensten Zweige des wirtschaftlichen Lebens unter die Gesichtspunkte der Dreigliede­rung zu stellen, sie zu organisieren, sie zu finanzieren nach diesen Gesichtspunkten; denn es wird vielleicht ganz besonders notwendig sein, um überzeugend zu wirken, daß das Vorbild, daß das Beispiel dastehe. Aber um dieses Beispiel in genügendem Maße zur Wirkung zu bringen, um es überhaupt in die Wirklichkeit hineinzustellen, ist eben vor allen Dingen notwendig, daß eine genügend große Anzahl von Menschen sich an der Diskussion darüber beteiligt, was der Impuls für die Dreigliederung des sozialen Organismus eigentlich will.

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Zu diesem und nichts anderem möchte ich gern ein wenig ange­regt haben mit den allerdings ganz skizzenhaften Ausführungen, die ich in dieser kurzen Zeit am heutigen Abend habe geben können.

Es folgt eine Diskussion, in welcher verschiedene Fragen und Einwände gegenüber den Ausführungen des Vortrages laut geworden waren.


Schlußwort

Eigentlich muß ich gestehen, daß wirkliche Einwendungen nicht vorgebracht worden sind. Ich begreife sehr gut, daß angelehnt an das, was ich heute abend gesagt habe, die verschiedenartigsten Fragen gestellt werden können, und ich glaube, daß es unmöglich ist, in einem einstündigen Vortrag eine solche Frage so erschöpfend zu behandeln, daß nicht Hunderte und Tausende und vielleicht noch mehr Fragen im Anschluß daran gestellt werden können. Ich möchte deshalb auch nur einiges bemerken, das vielleicht statt einer Antwort auf die verschiedenen Fragen, die ja wirklich mehrere Tage dauern müßte, wenigstens einige Andeutungen geben kann.

Zunächst mit Bezug auf dasjenige, was der Herr Vorsitzende zuletzt gesagt hat, daß keine klaren Formulierungen vorliegen über das, was die Dreigliederung eigentlich will. Sehen Sie, ich habe versucht, in meinem Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage», so gut es geht bei einer solchen Bewegung, die im Grunde genommen erst am Anfang ihres Wirkens ist, einzelne dieser Probleme zu besprechen, wie zum Beispiel das schon dargestellte der Zirkulation der Produktionsmittel, die ich an die Stelle der undurchführbaren Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu setzen habe und so weiter. Sie werden in den «Kernpunkten der sozialen Frage» mehr solcher Einzelheiten finden, als vielleicht vermutet wird. Ich muß immer wieder betonen: wie ich versuche, diesen Dreigliederungsim­puls zu fassen, so ist er eigentlich aus dem ganzen, vollen Leben herausgeschöpft, und das ganze, volle Leben hat eigentlich Dimen­sionen nicht nur nach zwei Richtungen, sondern immer auch

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Dimensionen nach den Tiefen, und da sind zuweilen die abstrakten Formulierungen nicht so einfach mit Konturen zu umschließen, wie man das vielleicht wünschenswert findet, weil natürlich die einzel­nen Probleme erst ausgebaut werden müssen. Das bitte ich doch zu berücksichtigen, daß die Bewegung am Anfang steht und daß ich am Schluß meines heutigen Referates, wenn ich es so nennen darf, eigentlich aufgefordert habe gerade zu einer Diskussion. Ich glaube, daß erst aus einer Diskussion das recht Fruchtbare herauskommen wird.

Nun möchte ich doch auf einzelne Fragen wenigstens andeutend eingehen. Ein wesentliches Mißverständnis zwischen Herrn Dr. S. und mir wird gerade dadurch heraufgekommen sein, daß ich ja gar nicht spreche, wie der Herr Doktor das aufgefaßt hat, von drei Parlamenten. Ich sehe gerade das Wesentliche dieser Dreigliederung nicht darin, daß man etwa heute das Einheitsparlament in drei Parlamente teile, sondern daß man ein Parlament im heutigen Sinn nur hat für dasjenige, was demokratisch verwaltet respektive orien­tiert werden kann, daß aber die beiden anderen Gebiete eben nicht parlamentarisch verwaltet werden, sondern verwaltet werden aus dem, was sich aus ihnen selbst heraus ergibt. Es ist mir sehr schwer, in abstrakten Begriffen diese konkreten Dinge zu besprechen. Ich möchte daher die Antwort gewissermaßen aufbauen.

Ich habe gerade bei dem Einrichten der Waldorfschule mich wiederum eingehend befassen müssen mit all dem, was sich, ich möchte sagen, einem wie ein Querschnitt ergibt: das Ergebnis staatlicher Verwaltung für das Schulwesen. Nicht wahr, ich hatte von zwei Seiten her die Waldorfschule zu konstituieren. Das eine war, dasjenige zugrunde zu legen, was ich glaubte, aus den bloßen Anforderungen des geistigen Lebens selbst als Impuls der Waldorf­schule zu geben. Auf der anderen Seite durfte ich selbstverständlich nicht in die Luft bauen. Das heißt, ich mußte eine Schule schaffen, bei der es möglich ist, daß die Schüler, die abgehen, zum Beispiel mit dem vierzehnten Jahr oder auch meinetwillen dazwischen abgehen, sich wiederum anschließen können an das andere Schulleben. Da mußte ich selbstverständlich mich mit den Lehrplänen auseinandersetzen.

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Nun, nicht wahr, da stieß ich zunächst - ich bitte, zu verzeihen, daß ich auf ganz Konkretes eingehen muß, aber ich glaube mich so am besten zu verständigen -, da stieß ich auf die Lehrpläne. Die Lehrpläne sind staatlich festgesetzte Umschrei­bungen des Lehrstoffes, des Lehrzieles und so weiter. Etwas anderes ist es, wenn man als pädagogischer und didaktischer Künstler rein aus der Wesenheit des Menschen studieren kann, wie vom siebenten zum vierzehnten Jahre das abläuft, was an den Menschen da heran-gebracht werden soll. Ich stehe auf dem Standpunkt der Überzeu­gung, daß durchaus von dem sich entwickelnden Menschen für jedes Jahr die Lehrziele abgelesen werden können.

Nun möchte ich, daß derjenige die Lehrziele festsetzt, der im lebendigen Unterricht drinnensteht, und nicht derjenige, der her­ausgerissen wird und Staatsbeamter wird, der also übergeht von dem lebendigen Lehren zur Demokratie. Ich möchte also, daß das, was das geistige Leben umfaßt, von denen verwaltet wird, die noch drinnenstehen, die dieses geistige Leben aufbauen. Also es kommt darauf an, daß die ganze Struktur der Verwaltung aufgebaut ist auf dem Gefüge eines Geisteslebens selbst. Nicht wahr, ich mußte zum Beispiel heute noch die Einteilung treffen, daß die Kinder, wenn sie drei Klassen absolviert haben, sich wiederum anschließen können -um dazwischen Freiheit zu haben -, nach weiteren drei Jahren, mit dem zwölften Jahre, wiederum sich anschließen können. Also ich mußte einem Äußeren gerecht werden.

Das ist das Wesen der Dreigliederung Sie steht überall auf einem realen Boden, muß auch aus einem realen Boden heraus arbeiten. Aber wenn man einen realen Boden hat, hat man nicht irgend etwas Unbestimmtes. Das Geistesleben ist doch da, es hat doch eine Verwaltung, einfach dadurch, daß der eine in der Position, der andere in einer anderen Position steht. Ich möchte nun in dieser Loslösung des Geisteskörpers vom Staatskörper einfach, daß die Verwaltung sich hierarchisch gestalte, und ich glaube - selbstver­ständlich ist das natürlich etwas, was jetzt nicht so schnell ausge­führt werden kann -, daß die hierarchische Verwaltung alle Unvoll­kommenheiten haben wird. Ich weiß, was ganz besonders von

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Dozenten eingewendet wird, aber vielleicht sind sogar zu solchen Übergängen manchmal größere Unvollkommenheiten notwendig, damit man auf etwas Vollkommenes kommt, aber worum es sich handelt, das ist, daß sich nach und nach nur aus den rein pädagogi­schen und didaktischen Bedingungen und weiteren Bedingungen des Geisteslebens eine rein didaktische Körperschaft des Geistes­lebens bildet, die so verwaltet, wie es im Sachlichen begründet ist, nur etwas abstrakt anklingend an die Klopstocksche «Gelehrtenre­publik», und daß so etwas auf dem Gebiet des Geisteslebens tatsächlich möglich ist, wenn man nur den guten Willen hat, es zu begründen.

Ich denke mir, daß dann sehr deutlich hervortreten wird - lassen Sie mich etwas Konkretes erwähnen, ein Beispiel herausgreifen -, daß die Pädagogik, hochschulmäßig betrieben, zu den schlechtesten Disziplinen bis jetzt gehört hat, wenigstens in ganz Mitteleuropa. In der Regel ist sie irgendeinem Pädagogen aufgehalst worden, der sie im Nebenfach betrieben hat. In einer solchen Gelehrtenrepublik kann derjenige, der sich tüchtig erweist, drei Jahre abgerufen wer­den, kann Pädagogik lehren, dann wiederum zurückkehren in das Lehrfach.

Was aber die äußere Konstitution betrifft, muß ich sagen, es ging im kleinen bis jetzt vorzüglich bei unserer Lehrerschaft der Waldorf­schule in Stuttgart. Da ist gleich eingangs die Frage aufgetaucht:

Wer wird der Direktor sein? - Selbstverständlich niemand; wir haben einfach gleichberechtigte Lehrer durch alle Klassen, und einer aus dieser Lehrerschaft, der etwas weniger Stunden hat als die anderen, der besorgt die Verwaltungsdinge. Dabei sieht man schon jetzt, daß die tüchtigen Lehrer auch eine gewisse Autorität über die anderen haben, eine naturgemäße Autorität, und ein gewisses hierar­chisches System bildet sich heraus. Das braucht aber gar keine Beantwortung der Frage zu sein, wie der Herr Oberrichter L. gemeint hat: Wer befiehlt? - sondern das macht sich von selber. Ich werde mich natürlich hüten, Namen zu nennen; aber es bildet sich dies heraus. Also auf dem Gebiet des Geisteslebens. . .

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Wie fragen Sie die Eltern über den Lehrstand? Das ist doch Diktatur!

Fachlich-sachlich! Gewiß, nennen Sie es meinetwillen Diktatur, auf den Namen kommt es mir da nicht an. Insofern ist es eine Diktatur, als nicht der einzelne entscheidet. Da Sie Wissenschafter sind, werden Sie es leicht verstehen, wenn ich sage: über die Richtigkeit des pythagoräischen Lehrsatzes schadet es nicht, wenn eine «Diktatur» entscheidet, weil eine gewisse Notwendigkeit in der Sache liegt.

Und der Religionsunterricht?

Da handelt es sich darum, daß manche theoretischen Fragen nunmehr übergehen in didaktische Fragen. Beim Religionsunter­richt, wie er geordnet ist in der Waldorfschule, wobei ich nicht sagen will, daß er immer so geordnet wird, weil vielleicht auch da eine Entwickelung stattfindet, handelt es sich darum, daß es zunächst meinetwillen opportun oder so etwas ist, daß zum Beispiel dasjeni­ge, was ich geben konnte als einen pädagogischen und didaktischen Unterrichtskurs, sich nur in der Methodik äußert, nicht in der Weltanschauung, sondern in der Handhabung des Unterrichts. Die Waldorfschule soll nach keiner Richtung hin eine Weltanschauungs-schule sein. Das ist nur dadurch zu erreichen gewesen, daß meine Einrichtungen sich alle auf das Pädagogisch-Didaktische bezogen und aus dem heraus arbeiten. Die Kinder, die von katholischen Eltern kommen, haben ihren katholischen Religionsunterricht, die Kinder, die von evangelischen Eltern kommen, haben ihren evange­lischen Religionsunterricht von dem jeweiligen katholischen und evangelischen Pfarrer. Nun, da gab es sich, daß eine große Anzahl Proletarierkinder und auch Anthroposophenkinder da waren und daß auch verlangt wurde ein freier Religionsunterricht. Und die Kinder, deren Eltern einen freien Religionsunterricht verlangen, die bekommen von uns ihren freien, aus unseren Überzeugungen her­vorgehenden Religionsunterricht. Also in dieser Frage entscheidet eine Gefühlswahrheit, verbunden mit gewissen sozialen Trieb-kräften.

Die Dinge nehmen sich natürlich im Werden anders aus als nach

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einiger Zeit. Aber gerade an der Praxis zeigt es sich, daß man vorwärtskommen kann, wenn man für die geistigen Angelegen­heiten kein Parlament will. Deshalb kann ich auch nicht mit den «drei Parlamenten» mitgehen, kann auch nicht die Frage beant­worten, «wenn der Kerenski drei Parlamente gehabt hätte. . . »; das ist es eben, daß er in seinem einen die Agrarfrage hätte lösen sollen und gescheitert ist daran. Ich sehe zum Beispiel keinen Kausalnexus zwischen Dreigliederung und dem, was vorher war, ich wollte nur darauf aufmerksam machen, daß dasjenige, was vorher war, scheiter­te an den drei Lebensgebieten, die ich nicht als zwei oder vier oder noch mehr nehmen kann, weil es nur drei sind.

Dr. S.: Den Einwand habe ich auch nicht im Ernst erwogen.

Dr. Steiner: Das habe ich auch nicht anders aufgefaßt! Ich frage mich nun, nachdem der Staat gescheitert ist an der Einrichtung der drei Parlamente, die er bildete, wie man durch einen neuen Anfang weiterkommen kann, nicht durch einen Kausalnexus, wobei aber allerdings dasjenige bestehen bleiben muß, was Gutes ist. Sie sehen, die Elemente der Beantwortung Ihrer Fragen liegen in dem, was Sie sagten. Auch auf wirtschaftlichem Gebiet wünsche ich kein Parla­ment; um Gottes willen keine Demokratie auf wirtschaftlichem Gebiet! Aber eine nun nicht hierarchisch, sondern aus der Sache selbst hervorgehende Ordnung.

Nun stehen durchaus nicht einfach nebeneinandergeordnet diese Gebiete, sondern wenn Sie meine «Kernpunkte» nachlesen, so werden Sie finden, daß die Zirkulation der Produktionsmittel im wesentlichen mitbestimmt wird gerade durch das, was im Geistigen bestimmt wird, so daß also das Geistige direkt herüberwirkt in das Wirtschaftliche. Und so wird vieles im wirtschaftlichen Leben in bezug auf die Stellung, die einer hat, bestimmt aus der geistigen Organisation herüber. Ich will also sagen, in der geistigen Organi­sation wird es sich ja auch handeln um die Feststellung, ob ein Mensch zu dem oder jenem fähig ist und dafür ausgebildet wird; davon hängt es ab, in welche wirtschaftliche Position er hineinge­stellt werden kann.

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Das muß natürlich nun gemeinschaftlich geschehen zwischen dem Wirtschaftlichen und dem Geistigen. Dadurch, daß er zu diesem oder jenem befähigt ist, wird er schon einem anderen übergeordnet sein, der in einer anderen Position drinnen steht. Daraus entwickelt sich nichts Hierarchisches, aber in einem gewis­sen Sinne auch nichts Bürokratisches. Jedes bürokratische Parla­ment für das Wirtschaftswesen führt nur zur Auflösung des Wirt­schaftswesens. So daß also das Wesentliche bei mir liegt in der Art und Weise, wie die drei Glieder organisiert sind, und man kann nicht sagen: jeder wird in drei Parlamenten drinnenstehen; es ist nur ein Parlament, in dem jeder drinnenstehen kann, aber nur auf der Urteilsfähigkeit eines jeden mündig gewordenen Menschen beru­hend. Also sagen wir, um das wichtigste Gebiet herauszuheben: alle Rechtsfragen. Die Rechtsfragen sind tatsächlich so, daß sie zum mindesten im Interesse jedes mündig gewordenen Menschen liegen, und ich möchte sagen, selbstverständlich, jeder mündig gewordene Mensch ist ja auch nicht idealiter gleich fähig mit jedem anderen mündig gewordenen Menschen. Dafür aber ergibt ein gewisses arithmetisches Mittel doch das Entsprechende in bezug auf die Rechtsfragen. Da müßte man jetzt auf die Theorie der Rechtsbe­gründung überhaupt zu sprechen kommen. Das Recht beruht eigentlich nicht auf dem Urteil, sondern auf der Empfindung, auf den Gewohnheiten, die aus dem Wechselspiel der zusammenwoh­nenden Menschen entstehen. Darüber läßt sich urteilen, wenn zusammengehörige Menschen darüber urteilen. Ich glaube nicht, Herr Doktor 5., daß der einzelne Mensch deshalb das richtige Recht zu finden braucht, aber zusammen werden sie es finden. Das macht die Demokratie. Ich sehe viel Wichtigeres im Wechselspiel als im einzelnen. Also ich möchte die mündig gewordenen Menschen im demokratischen Parlament haben und sie da beschließen lassen hauptsächlich über Rechtssachen, aber mit Recht auch über Wohl­fahrtseinrichtungen, weil da auch jeder mündig gewordene Mensch entscheiden kann; selbstverständlich in vielen Dingen nicht über das Sachliche und Fachliche.

Nun, der Achtstundentag, der ist etwas, was überhaupt für die

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Dreigliederung des sozialen Organismus ernsthaftig doch nicht in Frage kommen kann, denn was heißt eigentlich Achtstundentag? Ich muß gestehen, ich renommiere nicht, aber den größten Teil des Jahres arbeite ich viel mehr als acht Stunden und finde es durchaus nicht irgendwie übertrieben, und ich glaube nicht, daß es möglich ist, ohne eine Untergrabung unseres wirklichen sozialen Lebens einen solchen Achtstundentag festzulegen. In meinen «Kern­punkten der sozialen Frage» finden Sie deshalb ausgeführt, daß alles das, was sich auf die Zeit der Arbeit bezieht, innerhalb des demokra­tischen Staatswesens festgesetzt wird, und auf Grundlage dessen kommen dann die Verträge zustande über die Verteilung der Erträg­nisse, nicht Arbeitsverträge, sondern Verträge über die Verteilung des Ergebnisses zwischen dem, was ich Arbeitsleiter nenne, und zwischen dem, was ich eben Arbeiter nennen muß.

Also das im Rechtsparlament?

Im Rechtsparlament wird die Zeit und die Art der Arbeit be­stimmt. Da ist der Handarbeiter ganz gleich mit dem geistigen Arbeiter, denn der geistige Arbeiter kann nicht seine Interessen geltend machen. Man kann sich gegenseitig verständigen mit gutem Willen, aber man kann nicht irgendwelche Anforderungen stellen, die sich auf das Wirtschaftsleben selbst beziehen, nicht Export und Import nach parlamentarischen Gesetzen regeln, sondern das muß studiert werden aus den wirtschaftlichen Bedingungen heraus, aus sachlich-fachlichen Vorkenntnissen heraus. Dadurch, daß ich zwan­zig Jahre in einem Betrieb stehe, habe ich auch einen anderen moralischen Kredit bei meinen Mitmenschen, als wenn ich nur ein Jahr drinnenstehe. Im demokratischen Leben kommt es nicht in Betracht, ob ich ein frecher junger Dachs mit einundzwanzig Jahren bin, um über irgend etwas zu urteilen. Im Wirtschaftsleben kommt es einfach darauf an, daß die Lebenserfahrung in Rechnung gezogen wird. Das ist einfach notwendig zum Heil der Menschheit.

Ich habe absichtlich die Frage des Achtstundentages gestellt. Wenn man nun einen Vierstundentag hatte, was kann der Leiter machen? Mir liegt an dem Achtstundentag gar nichtsi Ich arbeite auch mehr. Ich meine die Regelung der Arbeitszeit.

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Gut. Die Sache ist diese: Wenn das demokratische Parlament einen Vierstundentag beschließt, so wird dieser Vierstundentag innerhalb des Wirtschaftslebens entweder ausreichen, um das Wirt­schaftsleben zu führen, oder er wird nicht ausreichen. Nicht wahr, dann wird es sich darum handeln, daß jeder wiederum aus seiner mündig gewordenen Vernunft einsieht - die Änderung ist nämlich auch notwendig auf demokratischem Weg durchzuführen -, daß auf demokratischem Weg wiederum die Änderung zustande komme, nicht auf einem anderen Weg, nicht dadurch, daß der wirtschaftlich Mächtigere etwa einen Druck ausüben kann. Also das, was besteht als Rechtsverhältnisse des Wirtschaftslebens, gehört hinein in das demokratische Parlament. Was aber die wirtschaftliche Frage ist -nicht wahr, was ist nicht eine wirtschaftliche Frage? Man kann sagen: Kann man denn das geistige Leben überhaupt trennen von dem wirtschaftlichen Leben? - Hier hat man mit Recht die Geldfra­ge eingewendet: es kostet etwas. Nun, darum sehe ich im Wirt­schaftsleben Assoziationen entstehen aus den einzelnen Zweigen des Wirtschaftslebens, die sich verweben, von verwandten und nichtverwandten Zweigen, Produktion, Konsumtion und so weiter. Dies im einzelnen zu schildern, würde zu weit führen.

Worauf es ankommt, ist das: die verschiedenen Angehörigen des Geisteslebens, die sind in ihrer Verwaltung des Geisteslebens das, was ich geschildert habe für das Geistesleben; als Teilnehmer am Wirtschaftsleben bilden sie wirtschaftliche Konsumenten und sind Glieder, Assoziationen, die zum Wirtschaftskörper gehören. Was ich trenne, ist das Leben; es ist nicht eine abstrakte Trennung in drei Körperschaften, sondern es ist das Leben, das gegliedert wird. Nicht wahr, das geistige Leben wird tatsächlich hierarchisch verwaltet, aber das wirtschaftliche Leben all der geistig Wirkenden, das steht im Wirtschaftsleben der Assoziationen drinnen. Also in ihrem Wirtschaften sind Lehrer und so weiter auch durchaus Wirtschafts­körper, Wirtschaftsorganisationen. Und so wirken die Verschie­denen tatsächlich durcheinander. Und das läßt sich ja wirklich nur im einzelnen verfolgen; wie schließlich, wenn man Chemie darstel­len will, in einer Stunde auch nicht alles vorgebracht werden kann,

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sondern man muß eben auf das verweisen, was dann im einzelnen durchzuführen ist.

Daß aber, um eine Frage des Herrn Oberrichters L. zu beant­worten, leichter gewisse Fragen dem einfach mündig gewordenen Menschen zu behandeln und zu beantworten sind als sachliche Fragen, ich meine, das ist doch schließlich auf der Hand liegend. Gewisse Sozialisten - sie sind wirklich nicht mehr dutzend-, son­dern schockweise aufgetreten in der Zeit, nicht wahr, als man plötzlich in Deutschland drüben sich wieder regen durfte -, gewisse Sozialisten haben sich vorgestellt, wie man die einzelnen Zweige organisieren kann und so weiter, indem sie das, was sie als politische Agitatoren gelernt haben, daraufgestülpt haben auf das Wirtschafts­leben. Das ist ja das große Unglück in der heutigen politischen Diskussion, daß eigentlich die Leute eine gewisse Schulung nur erlangt haben bei dem rein politischen Kampf, bei den Wahlen und so weiter, aber nun nicht eingehen können auf das Wirtschaftsleben.

Im Grunde genommen haben sozialistische Agitatoren zumeist keinen Dunst vom Wirtschaftsleben und für die Bedingungen des Wirtschaftslebens erst recht nicht. Und so sind die verschiedensten Utopien aufgestellt worden, wie man nun das oder jenes gliedern kann. Ich will zum Beispiel erwähnen, wie Industriezweige, die auf einem feinen, minuziösen Ineinandergreifen von ganz Verschie­denem beruhen, mit ihrem Export zurechtkommen sollen, wenn sie nach einer Möllendorffschen Planwirtschaft oder dergleichen orga­nisiert werden sollen. Es kommt darauf an, gewisse Dinge, die nur aus einem Wirtschaftsorganismus heraus verwaltet werden können, nicht regierungsmäßig, sondern aus sich selbst heraus zu verwalten.

Charakteristisch ist es zum Beispiel, wenn gesagt wird: Man kann heute die Schule nicht herausnehmen aus dem Staate, man läßt sich das nicht gefallen, und in einem sozialistischen Staat ist es nicht notwendig. - Wer die Verhältnisse, die in der Menschheit wirklich sind, nicht die, die in den Köpfen der politischen Agitatoren spuken, kennt, der muß sich sagen: im sozialistischen Staate wäre es erst recht notwendig! Da wäre vor allen Dingen zum Heile der Men­schen erst recht notwendig, mindestens die Schule aus dem herauszunehmen,

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was da im sozialistischen Staat, wie er marxistisch vorgestellt wird, mit der Menschheit beabsichtigt wird.

Also ich glaube, wenn der gute Wille vorhanden ist, gerade auf das einzelne einzugehen - mir ist der Einwand von den drei Parlamen­ten schon wiederholt gemacht worden -, ich will gerade sachlich die Dreigliederung haben, nicht etwa, um bloß drei Gruppen von Menschen zu haben, drei Häuser nebeneinander; es werden wirk­lich nicht drei Häuser sein. Wenn ich richtig verstanden werde, so wird man wahrscheinlich finden, daß man sich schon begegnen kann in den konkreten Lösungen, die ich für einzelne Fragen schon gegeben habe, für andere, wenn ich noch einige Zeit zu leben habe, noch geben werde - lieber wäre es mir, wenn sie andere geben werden -, ich glaube, man wird schon durchaus zurechtkommen.

Ich möchte hier wiederum betonen: nicht um ein Alleswissen kann es sich handeln, sondern es handelt sich darum, daß versucht worden ist, einmal ohne Utopie das festzustellen, was bis ins einzelne geschehen soll, auszugehen davon, daß die drei Lebensge-biete ganz verschiedene Lebensbedingungen haben, und daß dann, wenn die Menschen so zusammenwirken von den drei Lebensge­bieten, qualitativ verschieden zusammenwirken, also nicht bloß par­lamentarisch quantitativ, sondern qualitativ, daß dann erst die konkre­ten Feststellungen sich in der richtigen Weise ergeben werden.

Geradeso muß ich sagen: für mich steht diese Dreigliederung des sozialen Organismus so fest, daß ich dieses Feststehen vergleichen möchte ungefähr, also natürlich cum grano salis, mit dem Feststehen des pythagoräischen Lehrsatzes. Man kann ihn auch nicht überall, in allen Fällen beweisen, aber man kann beweisen, daß man ihn brauchen kann. Die Dreigliederung braucht durchaus nicht abstra­hiert zu sein von allem einzelnen, aber sie ist in allen Einzelheiten anwendbar, in diesem Falle praktisch anwendbar, indem in dem dreigliedrigen Organismus eben das Staatsleben, Wirtschaftsleben und Geistesleben so organisiert wird - es wird eine Praxis erreicht werden.

Die ja natürlich sehr weitgehenden Fragen des Herrn Oberrich­ters L. zu beantworten, würde, glaube ich, heute abend zu lange

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dauern; aber es ist vielleicht doch ersichtlich, daß es sich hier überall darum handelt, von der konkreten Gestaltung der Wirklichkeit auszugehen, und daß es daher mit abstrakten Antworten außeror­dentlich schwierig ist, weil man eben in der vollen Wirklichkeit drinnenbleiben will.

Ich möchte nur noch darauf zurückkommen: ich finde es auch außerordentlich interessant, daß innerhalb des französischen Volks­tums gerade der Syndikalismus heraufgekommen ist, und glaube, daß man diese Frage am besten löst, wenn man das Vergesellschaften studiert. Es ist sehr interessant, die verschiedenen Nuancen des englischen und des französischen Sozialismus zu studieren. Der englische Sozialismus ist im Grunde genommen eine abgeschwächte kapitalistische Methode. Es ist eigentlich durchaus dasjenige, was im Kapitalismus wirkt. Also das rein wirtschaftliche Element ist eigentlich in der englischen Arbeiterfrage im großen nur eben auf die Interessen des Arbeiters zugespitzt; aber es ist nicht ganz herausgegangen, so daß der englische Sozialismus eine wirtschaft­lich opportunistische Färbung hat.

Der deutsche Sozialismus hat mit einer militärischen Tüchtigkeit und mit militärischem Organisationsgeist den Marxismus aufge­nommen, und er hat eine stramme militärische Organisation be­kommen. Und wer, wie ich, gewirkt hat in einer Arbeiter-Bildungs-schule, die ganz aus der Sozialdemokratie herausgewachsen war, allerdings auch durch seine nichtmarxistische Orthodoxie, also durch seinen Nicht-Marxismus herausgeworfen worden ist, indem man gesagt hat: Nicht Freiheit, sondern ein vernünftiger Zwang -der kann schon darüber urteilen. Der deutsche Sozialismus ist im Grunde genommen etwas, was ganz drinnensteht in demselben Geist, der den preußischen Militarismus hervorgebracht hat.

Der französische Syndikalismus ist doch das - wirklich ohne irgendeiner Volksart etwas zugute sagen zu wollen oder ohne dem Deutschen etwas anzuhängen -, der französische Syndikalismus ist doch dasjenige, was ich durch seinen assoziativen Charakter als den besten Anfang gerade zu dem sehen muß, was ich mir als die Assoziation im Wirtschaftsleben denken muß. Und gerade wenn ich

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es vergleiche mit dem englischen und mit dem deutschen Sozialis­mus, dann sehe ich doch, daß es hervorgeht aus demselben, was ich versuchte zu charakterisieren, aus der demokratischen Gesinnung. Es sind zwei Seiten; die eine Seite hat sich gezeigt bei dem Bürger­tum, die andere Seite bei den Arbeitern. Und was sich bei dem Bürgertum eben mehr kapitalistisch und rentiermäßig ausgestaltete, das ist beim Arbeiter die syndikalistische Ausgestaltung. Es ist nur Avers- und Revers-Seite.

Also ich glaube, daß diese drei verschiedenen Nuancen, die englische, französische und die deutsche Nuance des Sozialismus, zusammenhängen mit den Qualitäten des Volkstums.

Und da kommt man dann auf eine Frage, die ich für außeror­dentlich wichtig halte. Man soll eben auch nicht von einem allge­meinen Sozialismus ausgehen und soll nicht glauben, daß es einen abstrakten Sozialismus gebe, sondern soll fragen: Wie muß ein jedes Volkstum aus seinen eigenen Entitäten heraus behandelt werden? -Und derjenige, der von westeuropäischen Beobachtungen kommt, sie hier in der Schweiz noch bebrütet hat, nach Rußland geht und dem russischen Volk etwas ganz Fremdes aufdrängt, der zerstört eigentlich das, was sich aus dem russischen Volk heraus hat bilden können. - Aber, wie gesagt, es können heute nicht alle sozialen Fragen mehr gelöst werden.

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ANSPRACHE VOR DEM SCHWEIZER STAATSBÜRGER-VEREIN Dornach, 18. April 1920

Meine sehr verehrten Anwesenden! Auf Ihren Wunsch darf ich Ihnen heute einiges auseinandersetzen über den sozialen Impuls, der unter dem Namen der Dreigliederung des sozialen Organismus der Welt gegenübertreten will - gegenübertreten will zunächst von hier aus. Und er darf gerade von hier aus in die Welt getragen werden aus dem Grunde, weil hier Geisteswissenschaft getrieben werden soll und eigentlich heute schon weiteste Kreise begreifen könnten, daß eine Gesundung der allgemeinen Weltenverhältnisse doch nur durch eine geistige Vertiefung kommen kann.

Es erwartet uns nach diesem kurzen Vortrage noch die Besich­tigung des Baues, und Sie werden daher begreifen, daß ich mich kurz fassen will, und Sie nur aphoristisch auf das Wesentlichste des Dreigliederungsgedankens heute hinweisen kann.

Dieser Dreigliederungsgedanke ist nicht etwa ganz neu, sondern er ist entsprungen aus einer jahrzehntelangen Beobachtung der europäischen, namentlich der mitteleuropäischen Verhältnisse und namentlich aus der Beobachtung derjenigen Verhältnisse, welche zu der Schreckenskatastrophe der letzten fünf bis sechs Jahre geführt haben.

Für denjenigen, der heute zu Ihnen spricht, kamen diese Verhält­nisse, unter denen ein großer Teil der Welt heute furchtbar leidet, nicht überraschend. Es war im Frühling des Jahres 1914, da hielt ich vor einem kleineren Kreise in Wien - gerade in Wien, Sie wissen ja, der Weltbrand ist von Wien ausgegangen! - eine Reihe von Vorträ­gen. Innerhalb dieser Vorträge mußte ich sagen, einfach unter der Verpflichtung, möchte ich sagen, gegenüber der Zeit heraus, daß man sich nicht soll beruhigen dabei, immerfort nur die Großartig­keit der Entwickelung der Gegenwart in allen möglichen Worten zu preisen, sondern daß man hinschauen soll auf dasjenige, was sich vorbereite. Und ich mußte dazumal sagen - also es war im Frühfrühling

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des Jahres 1914, viele Wochen vor dem Ausbruche des Weltkrieges! : Wer die sozialen Verhältnisse Europas mit einem gewissen Kennerblick überschaut, der kann gewisse Erscheinungen, namentlich in unserem Wirtschaftsleben, nur vergleichen mit einer Art sozialer Krebskrankheit, die in kürzester Zeit zu einem furcht­baren Ausbruch kommen müsse.

Sehen Sie, jemanden, der im Frühling des Jahres 1914 so etwas gesagt hat, den hat man als einen verträumten Idealisten angesehen, der pessimistische Ansichten hegt. Und diejenigen, die sich dazumal «Praktiker» gedünkt haben, die haben gesprochen davon, daß die allgemeine politische Lage sich entspanne, daß die besten Bezie­hungen zwischen den Regierungen Europas seien und so weiter.

Heute darf wohl darauf hingewiesen werden, daß nicht der Idealist dazumal Unrecht gehabt hat mit seiner Vorhersage, sondern die zehn bis zwölf Millionen Menschen, die seither durch den Weltbrand getötet worden sind, und die dreimal soviel, die zu Krüppeln geschlagen sind innerhalb der zivilisierten Welt, die liefern wohl den hinlänglichen Beweis dafür, daß der «Idealist» dazumal solche Worte sprechen durfte.

Man wird an die Stellung, die dazumal die Leute, die sich praktisch dünkten, einnahmen, auch heute in einer gewissen Weise wiederum erinnert. Denn auch heute wird demjenigen kaum voll geglaubt, der davon spricht, daß wir keineswegs am Ende des europäischen Niederganges sind, sondern daß wir immer weiter und weiter hinunter uns bewegen werden auf der schiefen Ebene, wenn nicht in einer genügend großen Anzahl von Menschen die Erkenntnis aufdämmert, wie diesem allgemeinen Niedergange ent­gegenzusteuern sei.

Auch heute wird mancher sagen, man rede pessimistisch, wenn man eine solche Prognose stellt. Man redet nicht pessimistisch, man redet nur aus einer Erkenntnis der Verhältnisse heraus.

Und so wie man heute, gewissermaßen durch Geisteswissen­schaft gestärkt, einen tieferen Blick in die Verhältnisse tun kann, so konnte man es seit Jahrzehnten. Man konnte sorgfältig beobachten, wie sich die einzelnen Staatenverhältnisse untereinander in Europa

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immer mehr und mehr zu gegensätzlichen entwickelten, wie dasje­nige, was als Maßnahme getroffen worden ist, durchaus nicht hinlänglich war, um das, was sich überall als Zündstoff anhäufte, zu bewältigen. Und man mußte voraussehen dasjenige, was kommt:

die Schreckensjahre, die wir nun scheinbar hinter uns haben.

Heute darf aber gesagt werden, daß eben vor diesen furchtbaren Jahren keine, wenn ich mich so ausdrücken darf, keine Ohren da waren, um diese Dinge zu hören. Es mußte erst über einen großen Teil Europas die furchtbare Not kommen, die jetzt da ist. So mußte man sich sagen dazumal, es waren nicht Ohren da um zu hören, und man muß auch heute noch warten damit, ob man wirklich gehört werde. Dennoch, trotz der Not, trotz der furchtbaren Lehre, die uns die letzten Jahre gebracht haben, kann man nicht sagen, daß gerade die Idee der Dreigliederung, die aus einer sorgfältigen Beob­achtung der Verhältnisse hervorgegangen ist, in entsprechender Weise heute schon aufgenommen werde. Und da möchte ich Ihnen denn gleich im Anfange von dem Grund sprechen, warum man sich so sehr gegen diese Idee von der Dreigliederung stemmt, warum man sie für eine Art Utopie, für eine Art Phantasiegebilde hält.

Sehen Sie, das kommt davon her, weil Verhältnisse so verwickel­ter Art, Verhältnisse, die die Verheerung, das Chaos so ausgebreitet hatten, eigentlich noch niemals da waren in der ganzen Menschheits­entwickelung! Die Menschheit hat viel durchgemacht; zu bestimm­ten Zeiten ist auch über Europa viel niedergegangen. Verhältnisse, wie sie jetzt sind, waren in der Zeit der geschichtlichen Entwicke­lung wirklich noch nicht da.

Es haben es die Umstände mit sich gebracht, daß früher kleine Gruppen der Menschheit ergriffen worden sind von Niedergangser­scheinungen. Selbst als das große Römische Reich seinem Nieder-gange entgegenging, da war das im Verhältnis zu der ganzen Erde doch ein kleines Gebiet. Heute werden durch die Verquickung der Verhältnisse, die wir eigentlich über die ganze zivilisierte Erde ausgebreitet haben, die Niedergangserscheinungen sichtbarer. Kein Wunder, daß daher es auch notwendig ist, nun nicht eine kleine Idee, wie man auf dem oder jenem beschränkten Gebiet, das oder

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jenes verbessern kann, heute fruchtbar machen kann, sondern daß eine umfassende Idee nötig ist, eine Idee, die wirklich auch so tief eingreift, wie die Verwirrung tief ist. Eine solche Idee möchte die Dreigliederung des sozialen Organismus sein. Außer dem, daß sie hervorgegangen ist aus der Beobachtung der wirklichen Verhält­nisse, ist sie auch hervorgegangen aus der Betrachtung der geschicht­lichen Zeitpunkte, in denen sich die Menschheit in der Gegenwart befindet. Und auch deshalb, weil sie eigentlich mit der ganzen zivilisierten Menschheit der Gegenwart rechnet, diese Dreigliede­rungsidee, deshalb kommt man ihr so ablehnend entgegen. Man hält sie für eine Utopie, man hält sie für irgend etwas, was ausgedacht ist. Sie ist aber das Wirklichste, oder will wenigstens sein das Wirklich­ste, das sich in die gegenwärtigen Verhältnisse hereinzustellen hat.

Wenn wir nämlich die Entwickelung der geistigen, der staatli­chen, der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Gegenwart über­blicken, so müssen wir sie anschließen an dieselbe Entwickelung der letzten drei bis vier Jahrhunderte. Was weiter zurückliegt, das hat einen ganz anderen Charakter. Die letzten drei bis vier Jahrhun­derte, und namentlich das 19. Jahrhundert und bis in unsere Tage herein, haben die Menschheit in einen ganz besonderen Entwicke­lungszustand hineingebracht. In einzelnen Teilen bemerkt man das noch nicht. Mit vollem Recht ist hier von der Gesundheit des Schweizer Volkes gesprochen worden. Auf sie muß für die Zukunft gerechnet werden. Aber es ist dazu auch notwendig, damit diese Gesundheit bleibe, daß man sich keinen Illusionen hingibt, daß etwa gegenüber all dem jetzt Zusammenbrechenden ein kleines Gebiet jetzt isoliert bleiben könnte. Dieses kann nicht sein.

Sehen Sie, es gibt heute in Mittel- und Südosteuropa große Gebiete, von denen Sie wissen, wie sehr sie unter dem Herab-kommen der Valuta leiden. Dieses Herabkommen der Valuta, dem Volkswirtschafter tritt es entgegen, ich möchte sagen, als eine große Erscheinung gegenüber kleinen Erscheinungen, die es früher auch immer gegeben hat. Man wußte, wenn die Valuta auf irgendeinem Gebiete fällt, dann wird dadurch die Einfuhr in das betreffende Gebiet etwas untergraben; die Ausfuhr wird dadurch um so mehr

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gefördert. Dieses Gesetz, es läßt sich nicht mehr anwenden auf die Verheerungen der Wirtschaftsverhältnisse, die in Mittel- und Ost­europa eingetreten sind.

Aber bis jetzt hat sich bloß gezeigt, welches die Nachteile des Sinkens der Valuta in gewissen Gebieten sind! Sie werden nicht sehr lange dazu brauchen, um einzusehen, wie groß die Nachteile des Steigens der Valuta in einem Lande sind! Die werden kommen, und es wird gar nicht so lange dauern, dann werden die Länder mit sinkender Valuta, wo die Wirtschaftsverhältnisse zurückgehen, nicht allein stehen in ihrer Sorge, es werden die Länder mit steigen­der Valuta mit furchtbaren Gefühlen an ihre hohe Valuta denken.

Diese Dinge, die zeigen dem, der in die Verhältnisse hinein­schauen kann, nur, wie dadurch, daß heute im Grunde das Wirt­schaftsgebiet der Erde doch eine Einheit bildet, trotz aller Staaten-gliederungen, wie das Wohl und Wehe eines kleinen Gebietes der Erde von dem Wohl und Wehe der ganzen Erde abhängt. Daher kann auch heute nur über die sozialen Verhältnisse in ganz interna­tionalem Sinne gedacht werden.

Überblickt man dasjenige, was uns eigentlich in die heutige Lage hineingebracht hat, so muß man sagen: Wir sehen, wie weit wir es gebracht haben - heute sieht man es noch nicht -, aber man könnte eigentlich sagen, man könnte es sehen an der Mißbildung des europäischen Ostens, an der Mißbildung von Rußland. Man muß schon sagen: Solche Dinge sind tief bezeichnend, wie wir sie jetzt zum Beispiel - ich will eine Kleinigkeit erwähnen, aber sie ist tief bezeichnend -, wie wir sie jetzt aus Rußland lesen. Sie konnten lesen, daß Trotzki die Leute aufgefordert hat, den 1. Mai nicht zu feiern, sondern am 1. Mai zu arbeiten. Ich bitte Sie, da drüben in Rußland soll das Ideal der Sozialisten in großem Maßstab verwirk­licht werden - ein Paradies wurde den Leuten versprochen. Dasjeni­ge, was das Proletariat durch Jahrzehnte hindurch als sein Manifesta­tionszeichen bezeichnet hat - die Maifeier -, das ist etwas, was da abgeschafft werden muß. Es ist nur ein Ausdruck für dasjenige, was da alles abgeschafft werden muß! Man hat lange Zeit gesprochen von dem Schlimmen des Militarismus, gewiß mit Recht davon

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gesprochen. In Rußland wird gegenwärtig die Arbeit militarisiert. In Rußland wird gegenwärtig gesagt, es sei ein Unsinn, daß der Mensch hier auf dieser Erde über seine eigene Person verfügen solle. Eine Freiheit des Verfügens über seine eigene Person könne es nicht geben. - Das zeigt so recht die Früchte in dem extremen Falle, zu dem es die Entwickelung der letzten drei bis vier Jahrhunderte gebracht hat. Auf diese Dinge muß man hinschauen. Man muß sich klar darüber sein, daß dieser Staat - ich meine jetzt nicht den einzelnen Staat, sondern den Staat überhaupt -, der sich aus ganz andersartigen Verhältnissen eben im Laufe dieser letzten drei bis vier Jahrhunderte entwickelt hat, daß dieser sich überladen hat mit Dingen, die der Staat als solcher nicht besorgen kann. Denn warum?

Sehen Sie, wir mussen, um solche Dinge wirklich nüchtern und klar, ohne Phantastik, zu betrachten, uns schon zu dem Gedanken aufschwingen, daß das ganze Leben der Menschheit etwas Ähnli­ches ist wie das Leben des einzelnen Menschen. Wir können nicht das Leben des einzelnen Menschen so beschreiben, daß wir immer sagen: Nun, wenn der Mensch vierzig Jahre alt ist, so ist er mit vierzig Jahren in der Welt die Wirkung der Ursache, die mit dem neununddreißigsten Jahre da war, die im neununddreißigsten Jahre sind die Wirkung von dem achtunddreißigsten Jahre und so weiter. Das kann man nicht sagen, sondern es ist eine innere gesetzmäßige Entwickelung im Menschen. Der Mensch bekommt durch eine innere Gesetzmäßigkeit um das siebente Jahr herum die zweiten Zähne. Er macht andere Entwickelungsstadien durch in späteren Jahren. Es lebt im Inneren des Menschen ein gewisser Impuls, der ihn in einer gewissen Zeit für etwas reif macht. So ist es auch mit der ganzen Menschheit. Dasjenige, was in der ganzen Menschheit heraufgekommen ist im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte, das ist etwas, dem die Menschheit nicht entgehen kann.

Man konnte gar nicht anders innerhalb der Menschheit, als den Ruf ertönen lassen nach Demokratie. Was man auch für Ideale hingestellt hat, im äußeren sozialen Leben, das Ideal der Demokra­tie, das ist dasjenige, das am allermeisten die Menschheit der Gegen­wart ergriffen hat, und auch ergreifen muß. Es muß dasjenige, was

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Staat ist, demokratisch werden, demokratisch werden im weitesten Umfange. Gerade in der Schweiz sollte man so etwas empfinden, wo man ja die alte Demokratie hat, aber wo man auch wahrnehmen wird nach und nach die Notwendigkeit, diese Demokratie von gewissen Gebieten zu entlasten.

Was heißt denn Demokratie? Demokratie heißt: die Möglichkeit, daß die Menschen in bezug auf dasjenige, was für alle gleiche Angelegenheiten sind, was für jeden mündig gewordenen Menschen Angelegenheit des Lebens ist, daß darüber die Menschen, sei es durch Referendum, sei es durch Vertretung, selber entscheiden. Das ist zuletzt das Ideal der Demokratie, das gleiche unter den Men­schen in bezug auf die Entscheidungen jetzt alles desjenigen, was von mündig gewordenen Menschen gleich ist - nach diesem strebte der Staat. Aber was strebte der Staat, der sich eben im Laufe der Geschichte entwickelt hat, der aus ganz anderen Verhältnissen hervorgegangen ist, bloß an? Zwei Gebiete können niemals im Menschenleben demokratisch entschieden werden: das eine Gebiet ist dasjenige des Geisteslebens und das andere Gebiet ist dasjenige des Wirtschaftslebens. Gerade, wer es ehrlich meint mit der Demo­kratie, der muß sich klar darüber sein: Wenn volle Demokratie werden soll, dann muß aus dem Gebiete des bloß demokratischen Staates ausgesondert werden auf der einen Seite das Geistesleben, auf der anderen Seite das Wirtschaftsleben.

Wer beobachten kann auf diesem Gebiete, der kann an nahelie­genden Beispielen einsehen, wie unmöglich es ist, in das demokra­tisch politische Gebiet das Geistesleben als solches hineinzutragen. Ich will nicht von den hiesigen Verhältnissen sprechen, das kommt mir nicht zu; aber es geht ja gar nicht, diese Verhältnisse nur von einem kleinen Gesichtspunkte heute ins Auge zu fassen, sondern man muß die ganze Welt überblicken, die ganze zivilisierte Welt wenigstens.

Sehen Sie sich aber den ehemaligen, bis zum Jahre 1914 und darüber hinaus scheinbar bestandenen deutschen Reichstag an, so haben Sie so recht das Beispiel, wie sich der Staat - ob er nun mehr oder weniger demokratisch ist, darauf kommt es nicht an in diesem

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Falle - überladen hat mit rein geistigen Angelegenheiten. Sie haben unter den Parteien des deutschen Reichstags eine sehr große Partei gehabt, das sogenannte Zentrum. Es spielt gegenwärtig wiederum in jener Metamorphose des alten Reichstags, die man Nationalver­sammlung nennt, eine Rolle, das Zentrum. Dieses Zentrum hat keine anderen Interessen gehabt, als lediglich religiöse, das heißt geistige Angelegenheiten. Kam irgendeine wirtschaftliche, kam eine politische Frage in Betracht, so wurde sie entschieden durch irgend­einen Kompromiß, den man von dem Zentrum aus mit anderen Parteien schloß. Aber es ist ganz selbstverständlich, daß dieses Zentrum immer nur das Interesse hatte, seine eigenen geistigen Interessen zu fördern. Kurz, führt man den Gedankengang zu Ende, so zeigt es sich, daß dasjenige, was nur geistige Angelegenheit ist, nicht hineingehört in das politische Parlament.

Nehmen Sie das Wirtschaftsleben. Sehen Sie, Österreich, das ist ja das Land, das so recht zeigt, ich möchte sagen, das ein Schulbeispiel für das ist, was sich entwickelt hat unter den neueren Verhältnissen, dafür, daß eben die Länder zugrundegehen mussen. Nur, Öster­reich ist das Schulbeispiel für Zugrundegehendes!

Derjenige, der, wie ich selber, dreißig Jahre seines Lebens in Österreich zugebracht hat, und sehen konnte die Entwickelung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, der konnte alle die Verhältnisse heraufkommen sehen, die sich dort entwickelt haben, konnte sehen alle die neueren sozialen Zustände eintreten. Da dachte man auch in Österreich ein Parlament zu machen. Aber wie machte man dieses Parlament? Man machte vier Kurien: die Kurie der Städte, die Kurie der Länder, der Gemeinden, die Kurie der Großgrundbesitzer -lauter Wirtschaftskurien, Wirtschaftsassoziationen wurden ge­macht, und in das politische Parlament hineingewählt. Die ent­schieden dann von ihrem wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus über dasjenige, was öffentliches Recht sein sollte. Da haben Sie das andere Beispiel! An dem deutschen Reichstag haben Sie das Beispiel, wie sich eine rein Geistiges erstrebende Partei als ein Störenfried entpuppt im rein wirtschaftlichen Parlament. In Österreich haben Sie ein Parlament aufgebaut auf reinen wirtschaftlichen Kurien, und

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wer beobachten konnte die Verhältnisse, der weiß, daß dieses Parlament niemals imstande war, dasjenige zu bewältigen, was zum Beispiel gerade in Österreich notwendig gewesen wäre: die geistigen Verhältnisse, insoferne sie sich kundgegeben haben in den welt­lichen Verhältnissen der Nationalitäten, zu regeln.

In Österreich konnte man noch etwas anderes sehen. Da war der Staat nur politisches Gebiet. Dreizehn offizielle Sprachen waren da. Diese dreizehn offiziellen Sprachen, man konnte sie nicht unter einen Hut bringen; man konnte sie unter dem Eindrucke nicht unter einen Hut bringen, denn die Leute mit den verschiedenen Sprachen hatten in Österreich die verschiedensten geistigen Interessen. Man hat versucht, auf privatem Wege manches zu erhalten. Oh, ich war oft dabei, wie man, wissen Sie, solche langen Strohfäden, die in den sogenannten Virginia-Zigarren stecken, wie man die amerikanisch versteigert hat zugunsten der Schulvereine! Damit wurden die Schulvereine gegründet, um aus den geistigen Interessen selber heraus etwas zu tun, was der Staat als solcher nicht tun konnte. Aber man war zu sehr versessen in die Einheitsstaat-Idee, als daß solche privaten Begründungen eine größere, breitere Wirkung erzielen konnten. Und so könnte ich Ihnen bis morgen früh erzählen von der Unmöglichkeit, gewisse Dinge zusammenzuhalten, die der mo­derne Staat zusammenhalten will.

Die Mittelstaaten Europas und Rußland, sie haben am eigenen Leib erfahren müssen, daß dieser Einheitsstaat nicht bestehen kann so, wie er bisher bestanden hat. Diejenigen, die noch nicht von diesem Schicksal betroffen sind, die glauben heute noch, es läßt sich abwenden. Es wird sich nicht abwenden lassen, wenn man nicht zum Rechtlichen die Idee faßt, wie aus dem menschlichen Willen heraus den Zuständen abgeholfen werden könne. Da ist es doch, wo wirklich aus reichlicher Beobachtung heraus und aus der Erwägung der geschichtlichen Verhältnisse heraus, die Idee der Dreigliederung einsetzen will. Sie sagt: Immer ehrlicher und ehrlicher müssen die Menschen im Streben nach Demokratie werden. Dann aber muß das demokratische Prinzip sich beschränken auf das bloße Staatsprin­zip, in dem jeder Mensch über alles, was alle mündig gewordenen

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Menschen angeht, in gleicher Weise zu entscheiden hat. Wie gesagt, entweder durch Referendum oder durch Vertretung. Dann aber muß ausgesondert werden von diesem Staatsgebilde, von dem, was streng parlamentarisch zu verwalten ist, muß ausgegliedert werden auf der einen Seite das gesamte geistige Leben. Dieses gesamte geistige Leben, es ist ja immer mehr und mehr in den letzten Jahrhunderten in die Macht des Staates gekommen, und noch heute betrachten die meisten Menschen das als einen großen Vorzug der modernen Staatsidee, das Geistesleben, namentlich das Schulwesen, aufzusaugen. Da kämpft man noch sehr gegen die furchtbarsten Vorurteile. Aber man sieht eben in der Welt die Zusammenhänge nicht.

Wenn Sie sich aber fragen: Woher ist es denn eigentlich gekom­men, daß wir heute nicht nur vor lauter Klassenkämpfen, sondern vor dem Gutheißen der Klassenkämpfe stehen? Daß wir stehen vor jeglichem Mangel an Verständnis der Menschen untereinander? Daß wir es erleben, daß in Rußland ein paar Hunderttausende von Menschen heute tyrannisch herrschen über Millionen von Men­schen und vorgeben, demokratisch zu sein, woher ist denn das alles gekommen? Es hat sich langsam vorbereitet. Man braucht an ein einziges Wort zu denken - ich habe darauf aufmerksam gemacht in meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebens-notwendigkeiten der Gegenwart» -, um einzusehen, warum aus dem Irrtum heraus ein großer Teil der Menschheit heute, derjenige Teil der Menschheit, der das Proletariat enthält, aufsteht und glaubt:

Nur aus dem heraus, was Ihnen ja sattsam bekannt ist, irgendeine Umgestaltung der Verhältnisse bewirken zu können. Das einzige Wort, das man zu nennen braucht, das ist dasjenige, was man hören konnte in allen, allen sozialdemokratischen Veranstaltungen durch Jahrzehnte: es ist das Wort «Ideologie». Und dieses Wort Ideologie, meine sehr verehrten Anwesenden, das weist hin auf den ganzen Gang, den die materialistische Weltanschauung in der neueren Zeit genommen hat.

Man mag über die früheren Verhältnisse der Menschheit denken wie man will, wir wollen ganz gewiß nicht die früheren Verhältnisse

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wieder heraufführen, wollen vorwärts und nicht zurück; aber man muß doch sagen: Man schaue sich den Menschen der Vorzeit an! Er wußte, daß in seiner Seele etwas lebt, das eine unmittelbare Verbin­dung hat mit dem Geistigen, das die Welt durchzieht. Was weiß schließlich der Mensch seit der Mitte des 15. Jahrhunderts von diesen Zusammenhängen seines Inneren mit einem Geistigen in der Welt! Die Sonne, sagt man ihnen, das ist ein glühender Gasball. Was wissen die Menschen heute über die Sterne, über die Sonne! Fragt man unsere Gelehrten: Wovon ist die Erdenentwickelung ausge­gangen? - da wird gesagt: Das war einstmals ein Dunstnebel; da haben sich Sonne und Planeten abgeschnürt im Laufe von Tausen­den von Jahren. Darein haben sich ja auch die Menschen ergeben, das einzusehen! Ich habe schon öfter hingewiesen auf die Schilde­rung von Herman Grimm, der sagte: Künftige Menschen werden große Mühe haben, den Wahnsinn zu begreifen, der in dieser Kant-Laplaceschen Idee von dem Herkommen der Erde aus dem Urnebel spricht. - Aber heute betrachtet man das als eine große Entwickelung und Wissenschaft.

Dasjenige, was da gepflegt worden ist, das hat dann die mannigfal­tigsten Strömungen aus sich herausgetrieben, und diese Strömun­gen, die sind eingeflossen in das Proletariat. Und im Grunde genom­men ist dasjenige, was heute in Rußland von Trotzki und Lenin vertreten wird, nur die letzte Konsequenz desjenigen, was unsere Gelehrten an den Universitäten als Materialismus gelehrt haben.

Hier in der Schweiz war ein Mann, der viel gepoltert hat, schon in den siebziger Jahren, der aber durchschaut hat, was sich naht. Man hatte ihn nicht gern, weil er viel gepoltert hat, Johannes Scherr. Aber neben manchem Poltern hat er auch Wichtiges gesehen. Und er hat Ln den siebziger Jahren bereits gesagt: Wenn man hinschaute auf die wirtschaftliche Entwickelung, wenn man hinschaute auf das geistige Leben, wie es immer mehr und mehr herunterkommen mußte, so wird man zuletzt dahin kommen, daß Europa sich sagen muß:

Unsinn, du hast gesiegt!

In den letzten fünf bis sechs Jahren konnte man es und bis heute kann man es noch immer sagen: Unsinn, du hast gesiegt!

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Ideologie, was heißt es denn? Das heißt nichts anderes als: Alles geistige Leben ist schließlich nur ein Rauch, der aufsteigt aus dem bloßen wirtschaftlichen Leben. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind die einzige Realität, so predigt der Marxismus in allen Tonar­ten. Und dasjenige, was sich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen ergibt, ist dasjenige, was der Mensch als seinen Seeleninhalt in sich trägt. Recht, Sitte, Religion, Wissenschaft, Kunst: alles Ideologie. Das ist die Saat, die aufgegangen ist: Ideologie, Unglaube an das geistige Leben.

Woher kommt dieser Unglaube? Dieser Unglaube, er kommt von der Verquickung des geistigen Lebens mit dem Staatsleben in den letzten Jahrhunderten. Denn das geistige Leben, meine sehr verehr­ten Anwesenden, kann nur gedeihen, wenn es ganz allein auf seinen eigenen Boden gestellt ist. Denken Sie sich - ich will nur das Schulwesen herausgreifen, denn es ist das wichtigste Gebiet des öffentlichen Geisteslebens -, das Schulwesen ist so geordnet, daß diejenigen, die lehren, diejenigen, die erziehen, zu gleicher Zeit die Verwalter des Lehr- und Erziehungswesens sind. Denken Sie sich, daß der Lehrer der untersten Schulklasse niemandem anderen zu gehorchen hat, als wiederum jemandem, dem er nicht gehorcht, sondern dessen Rat er wiederum befolgt, der selber wieder im Unterrichts- und Erziehungswesen drinnensteht. Jemand, der so weit entlastet wird, daß er zu gleicher Zeit verwalten kann das Unterrichts- und Erziehungswesen, so daß niemand hineinspricht von irgendeinem politischen Departement in das geistige Leben selbst, daß das geistige Leben selber auf seinen eigenen Füßen steht. Sie können das in meinem Buche nachlesen. Ich habe versucht, die Sache so anschaulich wie möglich zu machen, daß nur ein solches, auf sich selbst gestelltes Geistesleben uns von all den schädlichen Wirkungen befreien kann, die uns in das Unglück gestürzt haben. Aber nur ein solches auch, das unmittelbar aus dem Geistigen heraus geschöpft wird, kann im Grunde wiederum den Glauben an den Geist, den Zusammenhang mit dem Geist wiederum erzeugen.

Ich möchte anschaulich werden. Wir haben in Stuttgart, weil dort noch ein Schulgesetz, ich möchte sagen, eine kleine Lücke läßt, die

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Waldorfschule gegründet. Diese Waldorfschule ist eine wirkliche Einheitsschule, denn es sind die Kinder der Arbeiter der Waldorf­Astoria-Fabrik neben den Kindern der Fabrikanten und so weiter alle nebeneinander; es ist eine wirkliche Einheitsschule, eine voll­ständige Volksschule, bis ins vierzehnte, fünfzehnte Jahr hinein, herausgekommen.

Ich habe für die Lehrer, die ich selber ausgewählt habe, einen pädagogischen Kursus gehalten, um so die Lehrer für diese Schule vorzubereiten, wo nur gelehrt werden soll nach Menschenkenntnis, nach der Anschauung desjenigen, was aus dem Menschen heraus­will; wo nicht nach irgendwelchen Vorurteilen gelehrt werden soll, es müsse so und so sein, sondern aus dem Beobachten desjenigen, was durch den Menschen hereinkommt in die Welt, was daraus gelehrt werden soll. Ich habe darüber in den verschiedensten Zeit­schriften, auch hier darüber berichtet, wie die Methoden in der Waldorfschule eingerichtet worden sind. Dasjenige aber, was ich Ihnen jetzt erwähnen will, ist dieses: Nicht wahr, wenn man einen solchen Lehrgang hält für die Art und Weise, wie unterrichtet und erzogen werden soll, dann richtet man sich nach dem, was die Menschenkenntnis, was die wirkliche Geisteswissenschaft ergibt. Aber im heutigen Schulwesen gibt es noch etwas anderes. Da gibt es auch dasjenige, was die Pädagogen glauben, daß es das richtige ist für die Erziehung des Kindes. Dann aber ist immer mehr und mehr etwas anderes gekommen. Ich mußte es mir anschauen, gerade weil ich ganz praktisch vorgehen mußte, als ich die Waldorfschule mit Bezug auf ihren geistigen Inhalt begründete. Da sind aus dem politischen Leben herauskommend die Verfügungen: Erste Klasse:

das und das muß durchgenommen werden, das und das ist das Lehrziel. Zweite Klasse: Das und das muß durchgenommen wer­den, das ist das Lehrziel. - Sehen Sie, das kommt vom politischen Leben herüber! Ist es nicht mit Händen zu greifen, daß das nicht hineingehört, daß der, der nicht hineinschaut, der nichts vom Lehren und Erziehen versteht, daß der die Vorschriften geben muß? Die Vorschriften muß lediglich der geben, der Pädagoge ist, und der soll auch nicht hinübergerufen werden, als Experte in das Ministerium,

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sondern der soll im lebendigen Erziehen und Unterrichten drinnenstehen. Das geistige Leben muß aus sich selbst heraus auch auf allen Gebieten des Schulwesens, auf seinen eigenen Boden gestellt werden. Dann wird der Geist wiederum die Menschen ergreifen.

So daß man sagen muß: Der Staat verwirklicht ehrlich die Demo­kratie, indem er sich entlastet von dem Geistesleben, das ganz auf Sachkenntnis und Fachtüchtigkeit gestellt ist, in dem man ja wahr­haftig nicht durch Majoritäten entscheiden kann, sondern nur nach dem, was man weiß. Da handelt es sich darum, daß wirklich nur das Fachliche und das Sachliche entscheidet, daß die Entscheidungen kommen aus der Eigenverwaltung des Schulwesens. Das ist das eine Gebiet, das ausgeschieden werden muß aus dem Staatlichen. Das andere Gebiet ist das wirtschaftliche. Sehen Sie, woher kommt denn all dasjenige, was heute die Welt immer mehr und mehr hineintreibt in eine allgemeine Wirtschaftskrise? Woher kommen denn solche Dinge, wie sie zum Beispiel 1907 in Europa von einzelnen Leuten sehr gut bemerkt werden konnten? Aber es ging dazumal, wenn auch nicht ohne Schmerzen, so doch noch ohne größere Katastro­phen für die Weltwirtschaft vorüber, ich möchte sagen, nur mit dem Wehtun von einigem vorüber. Dann war wiederum ein Gejubel bei allen vorhanden über die großen wirtschaftlichen Fortschritte und «wie wir es so herrlich weit gebracht» haben in der neueren Zeit. Man hat nicht bemerkt, wie sich an ganz charakteristischen Erschei­nungen dasjenige zeigt, was sich jetzt allmählich zur allgemeinen Weltkrisis entwickelt. Diese charakteristischen Erscheinungen ...

Alle diese Dinge haben sich im kleinen und im großen überall abgespielt. Sie sind im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts allmählich das Geld eigentlich der Regent geworden ist über das gesamte Wirtschaftsleben. Das Geld als Regent über das gesamte Wirtschaftsleben; was bedeutet denn das? Sehen Sie, ob es sich um Weizen handelt - denn Sie müssen auf den Geldwert sehen -, er kostet so und so viel Franken. Wenn Sie Röcke kaufen, wenn Sie bloß auf den Geldwert sehen: Franken. Kurz, das Geld, das spezifiziert sich nicht, das richtet sich nicht nach

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der Konkretheit des Wirtschaftslebens. Das ist etwas, was so dasteht im außerwirklichen Leben, wie die abstrakten Begriffe im Geistes­leben, mit denen man auch keinen Hund hinter dem Ofen hervor­lockt in Wirklichkeit. Nur, daß die abstrakten, phantastischen Begriffe nicht so viel Unheil anrichten, wie diese verallgemeinerte Abstraktheit des Geldes. Man kann gerade darauf hinweisen, wie im Laufe des 19. Jahrhunderts der Geldleiher allmählich zum eigentlich treibenden Motor in unserem Wirtschaftsleben geworden ist. Wäh­rend vorher bloß der wirtschaftliche, ökonomische Mensch derjeni­ge war, auf den es angekommen ist. Es ist allmählich auch die Möglichkeit entstanden, daß sich die Staaten in das Wirtschaftliche hineingestellt haben, so daß die Staaten selber Wirtschaftende ge­worden sind.

Wenn man einmal unbefangen die Kriegsursachen untersuchen wird, wird man feststellen: durch rein wirtschaftliche Verhältnisse sind die gekommen, und mußten kommen, weil sich solche Verhält­nisse, wie ich sie angeführt habe, herausgebildet haben. Da wieder­um liefert ein sorgfältiges Studium Aufschlüsse über dasjenige, um was es sich handelt: daß man zurückkommen muß zu einem Zusammenkommen des Menschen mit dem wirtschaftlich Produ­zieren selber. Der Mensch muß wiederum herangeführt werden an dasjenige, was er produziert. Der Mensch muß wiederum zusam­menwachsen mit Weizen und mit Roggen und mit dem allem, was er sonst hervorbringt, und er muß das Wirtschaftsleben wandeln nach dem, was er hervorbringt. Und die Menschen dürfen es nicht erzwingen, dieses Geld rein zu vermehren. Ohne daß man an diese Dinge denkt, kommt man nicht weiter. Eine Gesundung des Wirt­schaftslebens ist nur möglich, wenn der Mensch wieder mit der Wirtschaft zusammengeführt wird, aus dem Bedürfnis der Wirt­schaft heraus arbeitet.

Das aber kann nur kommen, wenn man nicht vom Staate aus organisiert, sondern wenn man die Menschen, die in den entspre­chenden Wirtschaftszweigen drinnen stehen, zu Assoziationen kommen läßt, wenn man Interessenwirtschaft lediglich baut auf Sachkenntnis und Fachkenntnis und Fachtüchtigkeit im Wirtschaftsleben.

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Zweierlei ist notwendig: erstens, daß man dasjenige kann, was man produzieren will, und zweitens, daß man das Vertrauen der Menschen hat. Das aber kann man nur haben, wenn man in dem entsprechenden Wirtschaftszweig drinnensteht und mit ihm zusammengewachsen ist.

Dadurch aber ergeben sich die einzelnen Berufe, dadurch ergeben sich die Gesetzmäßigkeiten der Produktion und Konsumtion. Da­gegen können die einzelnen Wirtschaftsweisen nur dadurch in ein bestimmtes Verhältnis zueinander gebracht werden, indem die einzelnen Assoziationen selbständig arbeiten, kein Staat und keine Obrigkeit hineinredet. So wie namentlich das Geistesleben vom Staatsleben abgesondert auf seine eigenen Füße gestellt werden muß, so das Wirtschaftsleben ebenfalls. Das Geistesleben kann einzig und allein gedeihen, wenn der einzelne Mensch, der die Fähigkeiten hat, diese Fähigkeiten auch zum Besten seiner Mit-menschheit entfalten kann. Das Geistesleben wirkt am idealsten und am sozialsten dann, wenn die einzelne Individualität, die begabt ist, wirken kann im Dienste ihrer Mitmenschen. Das Wirtschaftsleben wirkt am besten da, wenn diejenigen, die auf irgendeinem Gebiete produzieren, oder wenn die Konsumentenkreise so sich miteinan­der verbinden, daß einfach durch das Bestehen der Assoziationen und Verbindungen ein reales, nicht vom Gelde abhängiges Vertrau­en da ist, wenn das Kreditwesen ein reales, nicht ein bloß fingiertes ist, wie es in der abgelaufenen Periode der Fall war, und wenn man weiß, daß man irgendeinen Produktionszweig unterstützen kann, weil in diesem Produktionszweige die Leute drinnenstehen, die man nun kennengelernt hat, und die zusammengewachsen sind mit ihrem Produktionszweig.

Das ist gewiß in kleinen Verhältnissen noch der Fall; in den großen Verhältnissen, die den eigentlichen Verderb herbeigeführt haben, ist es nicht der Fall. Sehen Sie, ich konnte Ihnen nur skizzieren, um was es sich bei der Dreigliederung handelt. Ich konnte Ihnen nur zeigen, daß gewissermaßen die Menschheitsent­wickelung bis zu dem Punkt gekommen ist, in dem dasjenige, was man dem Staate als ein Einheitsgebilde aufgeladen hat, getrennt sein

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will in drei selbständige Gebiete: in das sich selbständig verwaltende Geistesleben, in das selbständig sich verwaltende Staatsleben demo­kratischer Art, das im besonderen das Rechtsleben sein wird, und in das selbständig sich auf eigene Füße stellende Wirtschaftsleben, das wiederum ein gesondertes Gebiet darstellt. Allein das ist das Wesent­liche: Ablesen an dem, wohin die zivilisierte Welt heute streben sollte, und eigentlich auch streben will, nur daß es den Menschen noch nicht zum Bewußtsein gekommen ist, und daß die Menschen festhalten wollen an den alten Verhältnissen.

Sehen Sie, es ist sehr merkwürdig, wie man gerade am Sozialde­mokratismus sehen kann, so wie er sich heute entwickelt, das konservativste Prinzip. Denn, was will denn dieser Sozialdemokra­tismus? Er will den Staat zu einer einzigen großen Genossenschaft machen, durch die er alles militarisieren könnte. So könnte man heute sagen, wenn man auf Rußland sieht, wo alles militarisiert wird. Vom Militarisieren der Arbeit spricht man ja schon aus russischen Verhältnissen heraus, weil gerade die Sozialdemokratie marxistischer Färbung sagt: Der Staat ist da. Dem laden wir nun alles auf, die Erziehung und das Wirtschaftsleben und alles laden wir ihm auf. - Das ist das Ungesunde! Gerade der sozialistische Gedan­ke stellt die letzte, ungesundeste Konsequenz desjenigen dar, was sich in den letzten Jahrhunderten heraufentwickelt hat.

Das Gesunde ist, einzusehen, daß dasjenige, was dem Staate aufgeladen worden ist, was er aus seinem Demokratischen heraus nicht entscheiden kann, von ihm losgetrennt und auf eigene Beine gestellt werden muß, das Geistesleben und das Wirtschaftsleben. Man kann ja natürlich begreifen, daß sehr viele Menschen heute auf solche Ideen nicht eingehen können, denn es ist dem heutigen Menschen einmal anerzogen, den Staat als dasjenige zu betrachten, was am besten durch eine gewisse Allmacht wirkt. Man meint es eigentlich doch nicht ernsthaft mit dem demokratischen Gedanken, wenn man dem Staate alles aufhalsen will. Man meint es mit dem demokratischen Gedanken nur dann ernsthaft, wenn man dasjenige demokratisch behandelt sehen will, was gleich behandelt werden kann unter allen mündigen Menschen. Wenn es auf den einzelnen

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Menschen ankommt, auf seine Fähigkeiten, die er durch seine Geburt aus anderen Welten in diese Welt hereinträgt, dann handelt es sich darum daß diese Welt, diese geistige Welt, auch aus diesen Fähigkeiten heraus organisiert werden muß. Beim wirtschaftlichen Leben handelt es sich darum, daß man nicht über alles eine abstrakte Organisation spannt, was die Geldwirtschaft durch ihre eigene Wesenheit ist, sondern daß aus dem konkreten Wirtschaftsleben heraus gewirtschaftet werden könne. Aus dem konkreten Wirt­schaftsleben heraus können sich aber nur Assoziationen bilden, die sich zusammenschließen, und die durch ihr gegenseitiges Verhältnis wirklich das erreichen, was ein gesundes Verhältnis zwischen Kon­sumierenden und Produzierenden sein kann. Gewiß, ein solcher Gedanke, der gewissermaßen auf alles dasjenige eingeht, was heute nach dem Niedergange hindrängt, und der einsieht, daß der Nieder-gang nicht anders aufgehalten werden kann, als indem man gründ­lich nach einer Neubildung sucht, ein solcher Gedanke kann nicht gleich verstanden werden. Man sieht ein, daß er nicht gleich verstan­den werden kann. Denn die Menschen sind doch eigentlich darauf­hin organisiert, immer sich zu denken : Ja, jetzt geht es schlecht, aber es wird schon wieder besser werden. Aus irgendeinem Winkel heraus, so meinen sie, wird die Besserung kommen. So hat man es auch gemacht zum Beispiel in Deutschland während des Krieges. Immer, wenn es schlecht gegangen ist, hat man gewartet, daß aus irgendeinem Winkel heraus die Besserung kommen werde. Sie ist nicht gekommen! So sollte man auch heute nicht warten, daß von irgendwoher, man weiß nicht woher, zunächst schon wiederum die Verhältnisse besser werden! Nein, die Menschheit ist heute - das bezeugt gerade das Auftreten der Demokratie -, die Menschheit ist heute in einem gewissen Grade dazu aufgerufen, sich reif zu beneh­men. Reif ist man aber nur dann, wenn man nicht von irgend etwas Unbestimmtem erwartet, es wird die Besserung kommen, sondern wenn man sich sagt: Die Besserung kann nur von dem eigenen Willen kommen, von einem einsichtigen Willen, der die Wirkung durchschaut. [Lücke] Wenn doch nur ein Prozent der heutigen zivilisierten Menschheit sich durchringen könnte zu einer klaren

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Erkenntnis der Gefahr für die ganze zivilisierte Welt, und sehen könnte, sehen könnte, wie nötig die Zustände nach Dreigliederung streben! Aber die Dreigliederung wird überall mit Füßen getreten. Wenn nur ein Prozent der Menschen bis zu einem gewissen Grade die Dinge einsehen würde, so würde es besser werden. Denn nur durch die Menschen kann die Besserung kommen! Das Schlimmste war für die Menschheit immer der Fatalismus.

Aber das Allerschlimmste heute ist eben dieser Fatalismus! Neu­lich konnten Sie hier in einem Blatte, das in Basel erscheint, einen Brief eines Deutschen lesen, der da sagt: Wir müssen es in Deutschland nun einmal hinnehmen, durch den Bolschewismus durchzugehen. Dann, wenn wir durch den Bolschewismus durchge­gangen sind, dann wird - man weiß nicht woher! - das Bessere kommen.

Das ist der furchtbarste Fatalismus. Das ist die Folge davon, daß man im Grunde genommen das tiefste Wesen des Christentums heute noch nicht versteht. Der Christus ist für alle Menschen in die Welt gekommen. Er ist in die Welt gekommen nicht bloß für das eine Volk, aus dem er hervorging; nicht bloß für den einen Volks-gott kämpfte er, denn er hat gelehrt: Nicht dieser eine Volksgott, sondern dasjenige, was der Gott ist für alle Menschen, das ist es, worauf es ankommt. Haben nicht in den letzten fünf bis sechs Jahren die Menschen zu dem alten Jehova wieder zurückgeschaut, haben sie nicht überall für die Volksgötter gekämpft, indem sie diese Volksgötter mit dem Christus-Namen belegt hatten? War es der wirkliche, allen Menschen zukommende Christus, von dem sie gesprochen haben? - Nein, es war nicht der allen Menschen zu­kommende Christus, von dem gesprochen wurde; es waren die einzelnen Volksgötter! Und man spricht ja von den einzelnen Völkern in diesem Sinne heute wie damals als denjenigen, die in sich verkörpern ihre gesonderten Ideale. Man muß das Christentum wiederum als ein allgemeines verstehen; aber nicht bloß mit Wor­ten, sondern mit reifen Ideen.

Sehen Sie, indem ich so heute nur ein paar skizzenhafte Gedanken angab in dieser kurzen Zeit, aber indem ich immer wieder und

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wiederum zu den Leuten gesprochen habe über Dreigliederung, da traten auch solche Menschen auf, die heute «gute Christen» sind, das heißt mit Phrasen sind sie aufgetreten. Sie redeten von allem möglichen; aber man sollte es heute doch sagen, meinten sie, daß das Christentum erfüllt, der Christus wirklich werden soll. - Ich konnte nur erwiedern: Es gibt ein Gebot: Du sollst den Namen deines Gottes, den Namen deines Herrn nicht eitel aussprechen. - Ist man deshalb ein schlechter Christ, weil man nicht immer den Christus-namen auf der Zunge führt? Der Christus wollte nicht immer bloß angeredet sein mit dem Namen «Herr! Herr!» - sondern er wollte eine Gesinnung unter die Menschen bringen, die, so ausgestaltet, konkrete Formen annimmt, die nicht immer sich bloß auf seinen Namen berufen, sondern die in seinem Sinn soziale Zustände herbeiführen, die alle Menschen gleich umfassen.

Es mag mit äußeren Worten scheinbar nicht vom Christentum die Rede sein in der Dreigliederung, aber diese Dreigliederung des sozialen Organismus ist im Sinne des echten, wahren, praktischen Christentums gedacht. Und man wird doch noch einmal einsehen -das ist meine tiefe Überzeugung, meine sehr verehrten Anwesen­den -, daß die Idealisten, die heute von Dreigliederung sprechen, die eigentlichen wahren Praktiker sind. Und die anderen, die sagen :

Ach, Schwärmereien! - das sind diejenigen, die heute so sprechen, na, wie zum Beispiel fast gleichlautend der Außenminister des deutschen Reichstags und der österreichischen Delegation im Mo­nat Juni 1914 gesprochen haben. Diese beiden praktischen Herren, die haben etwa das Folgende, fast Gleichlautende in Berlin und Wien gesagt: Unsere freundnachbarlichen Beziehungen zu Peters­burg sind die allerbesten, die es gibt. In der politischen Lage ist eine Entspannung eingetreten; wir gehen friedlichen Zuständen in Euro­pa entgegen - im Mai, Juni 1914! Mit England schweben Unterhand­lungen, so sagte man in Berlin von den Praktikern aus, die dem-nächst zu befriedigenden Resultaten führen werden. - Die befriedi­genden Resultate kamen dann im August 1914! So haben die «Praktiker» gesprochen, so haben die Praktiker die Dinge vorausge­sehen.

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Man sollte das bedenken, meine sehr verehrten Anwesenden, wenn man heute in einem solchen Vorschlage, wie sie diese Dreiglie­derung des sozialen Organismus ist, einen bloßen Idealismus einiger Schwärmer sieht, während man darinnen sehen sollte das Allerprak­tischeste, das am allermeisten mit der Wirklichkeit Rechnende, das sich in unsere Zeit hineinstellen will!

Ich danke Ihnen, meine sehr verehrten Anwesenden, daß Sie anhören wollten, was ich vorzubringen hatte. Ich kann nur um Ihre Nachsicht bitten, da ich in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, selbstverständlich nur einige reine Gedanken ohne die nöti­gen Beweise vor Sie hinstellen konnte, die Sie aber in den entspre­chenden Büchern und Zeitschriften, die auch hier in der Schweiz zu haben sind, und die Sie auch in der «Sozialen Zukunft» finden können, die von Dr. Boos herausgegeben wird. Ich konnte Ihnen nur einige Leitgedanken hinstellen; und ich hoffe nur, daß diese Leitgedanken in Ihnen vielleicht doch die Empfindung hervorrufen können, daß es sich jedenfalls in diesem Impuls von der Dreiglie­derung des sozialen Organismus nicht um einen zufällig hingewor­fenen Ideeneinfall handelt, sondern daß diese Dreigliederung des sozialen Organismus herausgegriffen ist aus den tiefsten Nöten der heutigen Menschheit, die aber zu gleicher Zeit die heutige Mensch­heit aus ihren Nöten wirklich herausführen kann, aus dem Chaos und dem Niedergang herausführen will zu einem wirklichen Neu­bau, nach dem sich heute so viele Menschen, und zwar mit Recht, doch sehnen.

[Schlußwort des Veranstalters.]

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DIE GEGENWÄRTIGE WIRTSCHAFTSKRISIS UND DIE GESUNDUNG DES WIRTSCHAFTSLEBENS DURCH DIE DREIGLIEDERUNG DES SOZIALEN ORGANISMUS Basel, 26. April 1920

Ich könnte mir denken, daß es den Redaktor eines Witzbiattes reizen könnte, wenn bei einer Veranstaltung einer Mustermesse über die Gesundung des wirtschaftlichen Lebens der Erbauer der Dornacher Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, des Goe­theanum, das Wort ergreift. Denn es ist ja schon einmal im allge­meinen Zeitbewußtsein wohl gelegen, daß nichts einander ferner stehen könnte, als dasjenige, was sich die Menschen, die die Sache oberflächlich kennen, vorstellen unter der nebulosen Mystik des Dornacher Goetheanum, und was man ansieht als die Lebenspraxis. Und dennoch, es könnte ja vielleicht noch paradoxer und witziger erscheinen, daß gerade in den letzten Zeiten, in den letzten Wochen, an einem Orte Süddeutschlands - und die Schweiz wird in allernäch­ster Zeit diesem Muster folgen - an die Gründung gegangen wird, gerade von derjenigen Geistes- und Weltanschauungsströmung, die in Dornach vertreten wird, rein wirtschaftlicher Unternehmungen, einer Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geisti­ger realer Werte.

Wie gesagt, das könnte noch paradoxer erscheinen. Denn man sieht eben in einer solchen geistigen Bewegung, wie diese ist, für die der Dornacher Bau als Repräsentant der äußerliche Ausdruck sein soll, man sieht eben darinnen durchaus etwas Unpraktisches, das nur dann zu reden hat, wenn man sich mehr oder weniger zur Sonntagsruhe abzuwenden hat von den wirklichen praktischen Lebenszielen.

Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, ich will Sie durchaus nicht etwa lange aufhalten einleitend mit irgendeiner Ausführung über die Aufgaben der durch das Goetheanum repräsentierten Geistesbewegung. Aber ich möchte nur so viel sagen, daß diese Geistesbewegung gerade durch ihre besondere Eigenart sein will die

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Grundlage für diejenige Lebenspraxis, die wir so recht für die Gegenwart brauchen, um herauszukommen aus demjenigen, wohin-ein uns geritten hat dasjenige, was man immer als so praktisch angesehen hat, und was sich so ganz besonders praktisch gezeigt hat an dem Ruinieren der europäischen Zivilisation in den letzten fünf bis sechs Jahren!

Gewiß, in jener freien Hochschule für Geisteswissenschaft, die hier gemeint ist, soll der Blick der Menschen nicht nur auf dasjenige gewendet werden, was in der äußeren materiellen Welt dem Men­schen entgegentritt, sondern es soll wiederum einmal die Mensch­heit darauf hingewiesen werden, daß allem Materiellen Geistiges zugrunde liegt, und daß man gerade das Materielle nicht verstehen kann, wenn man nicht das zugrunde liegende Geistige versteht. Aber wie die geistige Welt erschlossen werden soll, welche Wege der einzelne Mensch einzuschlagen hat, um zu dieser wirklichen, realen Geisteswelt zu kommen, darüber will ich ja heute nicht sprechen. Darüber ist gesprochen in den verschiedenen Büchern, die ja reich-lich gerade über diesen Gegenstand erschienen sind. Aber davon möchte ich sprechen, daß gerade die besondere Art der geistigen Betätigung, die gepflegt werden muß, um dasjenige, was man die Geisteswissenschaft nennt, durch diese besondere Art geistiger Betätigung und Anstrengung etwas hervorruft im Menschen, was ihn nun nicht unpraktisch, sondern gerade praktisch macht, indem sie ihm eröffnet einen gesunden, illusionsfreien Blick auf die Wirk­lichkeit. So sonderbar es klingt, durch die Dornacher Hochschule wird nicht angestrebt eine Flucht aus der Wirklichkeit, sondern im Gegenteil. Durch die Dornacher Hochschule wird angestrebt die Aneignung eines gesunden Blickes für die Wirklichkeit, die Aneig­nung eines solchen gesunden Blickes, der sehen kann, was auch in jeder Wirklichkeit vor sich geht, die vom Menschen selbst dirigiert werden muß, vor allen Dingen auch in der wirtschaftlichen Wirk­lichkeit.

Und um mich noch deutlicher zu dem, was ich eigentlich meine, auszudrücken, möchte ich durch folgenden Vergleich das, was ich zu sagen habe, veranschaulichen.

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Sehen Sie, meine sehr verehrten Anwesenden, wenn jemand als Chemiker behaupten würde, er habe ein Mittel erfunden, um Wäsche zu bleichen, ein neues Mittel, um Wäsche zu bleichen, und er dann dieses Mittel in Angriff nehmen würde, und siehe da, die Wäsche würde von diesem Mittel schmutzig braun, man würde ihn wahrscheinlich nicht für einen guten Chemiker halten, und man würde sagen: Der versteht eigentlich nichts von der wirklichen chemischen Wissenschaft. So gilt es heute durchaus auf dem Gebiete der Technik und des äußeren Lebens, insofern dieses Gebiet abhän­gig ist vom naturwissenschaftlichen Denken. So gilt es aber durch­aus nicht, wenn es sich um jene Technik handelt, die im Wirtschafts­leben, in der Handhabung des Wirtschaftslebens zutage tritt, und die in irgendeiner Weise abhängig sein soll auch von einem gesunden wirtschaftlichen Denken, von einer wirklichen, sagen wir National-oder Sozialökonomie oder dergleichen. Sehen Sie, dafür ein Beispiel

- aber ich könnte viele anführen: Es ist schon einige Zeit her, da stritt man viel in der internationalen Welt unter denjenigen Leuten, die über wirtschaftliche Fragen nachdachten, wie man am besten derjenigen wirtschaftlichen Bewegung Geltung verschaffen könnte, welche man Freihandelsbewegung nennt. Man untersuchte von einem gewissen Gesichtspunkte aus, welche Schädigungen das in­ternationale Wirtschaftsleben dadurch erleidet, daß an den Grenzen der Länder Zölle erhoben werden und dergleichen; Zölle, denen die verschiedensten Absichten zugrunde liegen. Kurz, es gab einmal Parlamente - jetzt sind sie ja schon lange vorbei die Zeiten -, in denen man als ein Ideal, als ein wirtschaftliches Ideal, die Freihan­delsbewegung ansah. Man hat dann nach einem Mittel gesonnen in gewissen Kreisen, wie man den Freihandel, den Zollfreihandel vor allen Dingen fördern kann. Da lag man sich in den Haaren, so stark lag man sich in den Haaren, daß man sagte: Durch die Liebe und durch die Schutzzollfrage wird man in der Welt am meisten nar­risch. Da lagen sich dazumal die Anhänger der Goldwährung und die Anhänger des Metallismus, der Gold- und Silberwährung in den Haaren. Die Anhänger der vermeintlichen Goldwährung, das wa­ren diejenigen Menschen, die da sagten aus ihrer wissenschaftlich-wirtschaftlichen

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Einsicht heraus: Indem wir die Goldwährung för­dern, fördern wir den Freihandel. - Das war wirtschaftlich-wissen­schaftliche Überzeugung.

Was hat dann die Wirklichkeit ergeben? Es hat sich allerdings der Zufall ereignet, daß gerade, nachdem diese wissenschaftlich-wirt­schaftlichen Deklamationen losgelassen waren, daß da gerade bedeu­tende Goldfunde in Afrika gemacht worden sind, und diejenigen Länder, welche wenig hatten gerade von den Gebieten, in denen Gold gefunden wurde, konnten das Gold in besonders reichlichem Maße ausprägen. Aber mit solchen Dingen müßte man ja eigentlich immer rechnen, müßte vor allen Dingen das Analogon des Chemi­kers rechnen damit, was ich zur Verdeutlichung angeführt habe. Aber in Wirklichkeit, was hat sich ergeben? Es hat sich ergeben, daß durch Einführung der Goldwährung überall die Schutzzollbewe­gung in die Wege geleitet worden ist, das heißt, die Wirklichkeit hat genau das Gegenteil von dem gezeigt, was man theoretisch aus wirtschaftlichem Denken vorausgesagt hat.

Genau so ist es eingetroffen, wie wenn ein Chemiker mit einem Mittel, das bleichen soll die Wäsche, die Wäsche schmutzig braun machte. Wie gesagt, solche Beispiele könnte man viele anführen, wo aus dem wirtschaftlichen Denken heraus die Wirklichkeit nicht im allerentferntesten berührt wird, wo die Wirklichkeit gerade im entgegengesetzten Sinne verläuft. Solche Beispiele könnte man viele anführen.

Wer heute die Frage aufwirft: Gibt es eine wirtschaftliche Krise, eine internationale wirtschaftliche Krise? - der braucht ja wahrhaf­tig nur auf die Verhältnisse zu schauen. Diese wirtschaftliche Krise ist ja überall vor der Türe. Über die besondere Gestaltung und über die Ursache denken allerdings die Leute in der verschiedensten Weise. Aber kann man denn eigentlich hoffen, daß bei einem so gearteten Denken gegenüber der Wirklichkeit ein so kompliziertes Phänomen, eine so komplizierte Tatsache, wie die internationale Wirtschaftskrise, ohne weiteres verstanden werden kann?

Nicht wahr, das kann nicht der Fall sein! Nun werden Sie sagen:

Aha, da ist einer, der behauptet, die wirtschaftlichen Denker seien

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alle dumm, sie wissen alle nichts; die Wirtschaft läuft, und die wirtschaftlichen Denker sind alle dumm. Nein, ich behaupte durch­aus nicht, daß alle dumm seien, behaupte vielmehr, daß es unter den wirtschaftlichen Menschen sehr gescheite Leute gibt, in gewisser Beziehung viel gescheiter als in allen anderen Berufen des Lebens, daß aber dasjenige, was die Monometallisten, die Anhänger der Goldwährung waren, geredet haben, und das, was geschehen ist, das Gegenteil von dem war, was die sehr gescheiten Leute in sehr gescheiten Sätzen und Wendungen und Theorien vertreten haben. Nein, das behaupte ich durchaus nicht, daß alle Wirtschafter dumm sind, sondern ich will gerade ausgehen von der merkwürdigen Tatsache, daß die moderne Zivilisation die eigentümliche Er­scheinung heraufgebracht hat, daß man ein glänzender wirtschaftli­cher Denker sein kann, und genau das Gegenteil von dem denken kann, was im wirtschaftlichen Leben Wirklichkeit ist! Das ist eine auffällige Erscheinung, eine Erscheinung, die sich aber auch darin­nen noch zeigt, daß man eigentlich gegenüber der heutigen euro­päischen Verwirrung ziemlich hilflos ist gerade in den Kreisen der­jenigen, die in hergebrachter Weise das wirtschaftliche Denken am besten gelernt haben.

Und da sehen Sie, da möchte ich eben behaupten, daß dasjenige, was man sich einfach als eine Denktechnik angeeignet hat, durch die gesunde Geisteswissenschaft, welche in derjenigen Bewegung ge­trieben wird, für die Dornach der äußere Repräsentant ist, durch diese Denktechnik ist es möglich, die Dinge in der äußeren Wirk­lichkeit auch zu durchschauen, von denen man eben durch unzähli­ge Beispiele einfach beweisen kann, daß sie gerade von denjenigen nicht durchschaut werden, die man als Fachleute ansieht.

Sehen Sie, vor allen Dingen, wenn von wirtschaftlichen Krisen zu reden ist - die Leute denken ja dann gewöhnlich an dasjenige, was etwa in den Konstellationen liegt zwischen Konsum und zwischen Produktion -, man redet davon, eine Wirtschaftskrise tritt dann ein, wenn eine Überproduktion da ist, die vom Konsum nicht aufge-braucht werden kann. Man kann ebensogut beweisen, daß die Wirtschaftskrise nicht von der Überproduktion komme, sondern

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vom Unterkonsum kommt, einfach davon, daß dann die Leute, die vielleicht auch nicht genug Geld haben, um sich das Produzierte zu kaufen, also zu wenig einkaufen. Und das Merkwürdige ist, man kann das eine und das andere beweisen. Wenn Sie die Wirtschafts­krisen nur von 1919 durchgehen, finden Sie, die eine hat als Ursache Überproduktion, die andere hat als Ursache Unterkonsumtion, die dritte hat wieder ganz andere Ursachen, wie zum Beispiel ein falsches Verhältnis zwischen Kapitalismus und Arbeiterschaft, oder, was auch wiederum für einzelne Fälle gilt, daß die wirtschaftli­chen Krisen da kommen müssen, wenn man zuviel spart in einer großen Menschengemeinschaft und so weiter. Nun, alle diese Dinge berücksichtigen nicht dasjenige, was gerade für das Wirtschafts­leben der Gegenwart das Allerallerwichtigste ist.

Da darf ich ja wirklich aus einer Art persönlicher Erfahrung heraus sprechen. Es ist jetzt schon lange her, es war Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und im Anfange dieses Jahrhunderts, da lernte ich gründlich die mitteleuropäische Arbei­terschaft kennen. Ich war Lehrer an einer Arbeiter-Bildungsschule, hatte aber dadurch Zusammenhänge mit der Arbeiterbewegung nach allen Seiten hin wirklich bekommen können. Und ich lernte kennen erstens dadurch, daß sich an die verschiedensten Vorträge, die ich zu halten hatte, zuweilen sehr lebhafte Diskussionen ange­schlossen haben, die zeigten, was man in den breitesten Kreisen der heranwachsenden Arbeiterschaft denkt. Auf der anderen Seite sah ich mich mit meinen eigenen Vorträgen aufgenommen, und konnte sehen, wie man da in sich aufnehmen kann, was nicht bloß wirt­schaftlich und so weiter ist. Und derjenige, der, ich möchte sagen, mit einem gewissen beobachtenden Sinn für menschliche Verhält­nisse und ohne Vorurteile in so etwas gelebt hat, der weiß zu sagen, welcher Irrtum es ist, wenn man heute meint, in bloßen wirtschaftli­chen Kategorien, wie Kapital und Lohn und dergleichen, oder Einfuhr und Ausfuhr, Handel, Finanz, Zahlungsbilanz, Valuta und anderen Dingen, in diesen Dingen läge mehr als dasjenige, was sich nur an der Oberfläche abspielt. Nein, in diesen Dingen liegt wirk­lich für die gegenwärtige Krise dasjenige, was sich nur an der

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Oberfläche abspielt. Denn alles dasjenige, was sich im wirtschaft­lichen Leben abspielt, geht zuletzt doch von dem Menschen aus, von den Gedanken der Menschen aus, und was die Menschen tun, so daß herauskommen Qualifikationen von Kapital- und Lohnverhält­nissen, von Einfuhr und Ausfuhr und so weiter, von Valutaschwan­kungen. Das ist zuletzt abhängig von dem, was aus den Gedanken der Menschen hervorgeht.

Sehen Sie, ich kann da wirklich unbefangen sprechen, denn ich war durch fünf bis sechs Jahre eben Lehrer unter Arbeitern und habe es dahin gebracht, daß zuletzt allerdings eine große Anhänger­schaft da war unter den Arbeitern, daß aber eines schönen Tages die Führer dieser Arbeiterschaft merkten, daß da einer ist, den man nicht dulden kann, daß da einer ist, der nicht orthodoxen Marxis­mus lehrt, daß da einer ist, der sich bemüht, ganz anderes in die Herzen und in die Gemüter hineinzubringen als die orthodoxe Lehre ist.

Es wurde eine Sitzung mit meinen Schülern abgehalten. Dazumal waren bei der Sitzung Hunderte meiner Schüler anwesend, und Arbeiterführer, zwar von zweiter Garnitur, aber geschickt von erster Garnitur, die alles mögliche vorbrachten, so auch: daß ich eben in der Arbeiterbewegung eine unmögliche Persönlichkeit sei. Ich sagte: Ja, aber wollen Sie wohl in Zukunft hier etwas pflegen, was für die Zukunft taugen soll, und Sie verstehen nicht das Einfachste, Lehrfreiheit? Da brachte es doch einer der Führer dahin, das Wort auszusprechen: Lehrfreiheit? Nein, wir kennen nur ver­nünftigen Zwang! Und trotzdem die Abstimmung mit allen gegen die vier war, gegen die vier Führer, war meine Tätigkeit ferner natürlich ganz unmöglich.

Das, sehen Sie, das berechtigt mich, eben aus den Tatsachen heraus doch mit einiger Unbefangenheit über dasjenige zu sprechen, was heute sich eigentlich hineinstellt ganz im internationalen Euro­pa in das Wirtschaftsleben.

Aber man muß auch dasjenige wirklich studieren können, was aus dem Menschen selbst herauskommt, und was jene Kategorien, von denen ich gesprochen habe, die man gewöhnlich aufzählt, eigentlich

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erst bewirkt. Man muß sich zunächst fragen: Was für Eigentümlich­keiten hat denn der Glaube, der sich allmählich ausgebreitet hat in dem europäischen Proletariat?

Sehen Sie, das charakteristischste Zeichen für die Anschauung von Millionen von Menschen ist, daß die Leute erstens gegenüber dem Geistesleben so denken, daß alles dasjenige, was der Mensch geistig hervorbringe, auch dasjenige, was er aus seinem Geiste heraus als Recht, als Sitte, als Religion hervorbringe, als Wissen­schaft hervorbringe, daß das nichts weiter ist als etwas, was in abstrakter Art das menschliche Gehirn gebiert, was eine Art von ideologischem Oberbau ist auf der einzigen Wirklichkeit, dem Unterbau, der einzigen Wirklichkeit: dem wirtschaftlichen Produk­tions- und Konsumtionsleben.

Das hat sich festgesetzt bei Millionen und aber Millionen von Menschen. Ich will jetzt nicht untersuchen, inwieweit das zurück­geht auf die Theorie des Marx und Engels, festgesetzt hat sich das in Millionen und aber Millionen von Menschen: Das ganze geistige Leben ist eine Ideologie, etwas bloß aus dem Wirtschaftsleben Herausgewachsenes.

Ja, vielleicht wird man doch in den Kreisen derjenigen, die sich wirtschaftlich sehr gescheit fühlen, gering denken mit Bezug auf die gegenwärtige wirtschaftliche Krisis im internationalen Leben, über diesen Glauben des Proletariats. Aber das ist gerade der große Fehler, daß man über die wichtigsten Dinge heute gering denkt. Denn man lernt nicht erkennen, woraus die Krise entspringt, woraus dasjenige entspringt namentlich, was im Unbewußten der Menschen lebt, und woraus doch das wirtschaftliche Unheil hervor­geht, wenn man nicht den Blick auf das Seelenleben der großen Masse richtet. Man muß das Seelenleben der großen Masse ins Auge fassen; denn es läßt sich das glauben, Geistesleben sei nur eine Ideologie, aber es läßt sich nicht damit leben, und der Mensch verödet, der Mensch verliert den Halt im Leben.

Und das ist das Eigentümliche: Mit einem Fanatismus ohneglei­chen hängt die große Masse an diesen Lehren, die Masse namentlich, die heute in gewissen wirtschaftlichen Arbeiterkreisen den Ton

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angibt, mit Fanatismus hängt die Masse an diesen Lehren; aber immer mehr verödet sie dabei.

Wie ist das gekommen? Der Materialismus ist nicht dieser Arbei­terschaft selbst entsprungen, der Materialismus ist entsprungen in den letzten vier Jahrhunderten in den führenden Kreisen. Nur, die führenden Kreise haben sich aus einer gewissen Halbheit heraus die alten Traditionen bewahrt. Auf der einen Seite haben sie über das äußere Leben, in dem sie drinnenstehen, materialistisch zu denken begonnen, auf der anderen Seite haben sie sich die alten Traditionen als ihre Religion, als ihre Sittlichkeit und so weiter bewahrt, und führen im Grunde genommen eine doppelte Lebensbuchführung.

Das kann der Arbeiter nicht, der hinweggerufen worden ist von dem, woran er früher stand, mit dem er zusammengewachsen war:

vom Handwerk, dessen Produkte er lieb hatte, in die er sein Leben hineinlegte. Er ist hingerufen worden an die abstrakte Maschine, in die abstrakte Fabrik hineingestellt. Er sucht sein Heil in demjenigen, das die anderen nur zur Hälfte nehmen. Man kann es eben beurtei­len, wenn man darinnen gestanden hat. Das hat sich nach und nach heraus ergeben. Und so ist in Europa jenes große Nichtverstehen entstanden.

Das liegt wie ein furchtbares Schicksal heute über Europa, dieses Nichtverstehen. Da sind oben diejenigen, die die Kapitalien zu verwalten haben, da sind oben diejenigen, die das Wirtschaftsleben zu leiten haben, die es leiten könnten, wenn sie nur wollten, die auch den Materialismus umwandeln könnten in eine gesunde Weltan­schauung, die auch praktisch sein könnten. Da sind diejenigen, die alles könnten, wenn sie wollten.

Da sind unten diejenigen, die ernst genommen haben dasjenige, was sich als Materialismus bei diesen führenden Kreisen herausge­bildet hat, die nichts können, die da glauben, indem sie sagen: den Kapitalismus muß man bekämpfen -, man könne irgend etwas mit dieser Phrase erreichen; die da nicht wissen, daß man ja Wirtschafts­leben ohne Kapitalismus im modernen Sinne des Wortes überhaupt nicht haben kann, daß man ohne Kapitalismus nur in die Barbarei zurückkehren kann. Hilflos in seinen Gedanken, hilflos gegenüber

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der Wirklichkeit ist der Arbeiter geworden über ganz Europa hin, der Arbeiter, der an die Maschine gezwängt worden ist, der sich ausmalt im Ernste diejenigen Theorien, die, ich möchte sagen, als Nebenprodukte des Lebens bei den anderen abfallen, mit denen man nicht leben, und wohl auch nicht wirtschaften kann, wie eben solche Dinge wie der Metallismus und Monometallismus und ähnli­ches zeigen.

Dieses große Mißverstehen, was hat es denn heraufgebracht? Nun, Sie können es sehen an der Entwickelung der europäischen Verhältnisse, was es heraufgebracht hat. Sehen Sie sich Rußland an. In Rußland hat sich der Volkseigentümlichkeit gemäß etwas erge­ben, was schwierig zu studieren ist für den, der unbefangen und vorurteilsfrei, ohne ein Agitator zu sein, auf diese Dinge hinsieht. Es waren viele Differenzierungen der sozialistischen und sozialen Ideale in Rußland da. Was war da in diesem Rußland bis 1914? Durch den russischen Militarismus niedergehalten, niedergehalten durch den von so vielen gehaßten Zarismus, war dasjenige, was in den breiten Massen lebte, was gerade in diesen breiten Massen dasjenige bildete, von dem keine Brücke zu finden war zu dem anderen, was in den leitenden Kreisen lebte. Man wollte nicht dasjenige erreichen, was man hätte erreichen müssen: die Brücke zu bauen, als Führende, als Intellektuelle diese Brücke zu bauen. Wir sehen heraufkommen den modernen Kapitalismus. Wir sehen her­aufkommen den modernen Individualismus mit dem Hereinrufen einer millionenfachen Menschenmenge in Fabriken, an Maschinen. Was da notwendig gewesen wäre, zu einem neuen praktischen Denken zu greifen, wie es notwendig gewesen wäre, auf seiten der Intellektuellen, sich zum Führer zu machen, Vertrauen zu gewin­nen, begreiflich zu machen den großen Massen, daß man versteht, die Allüren des Wirtschaftslebens wirklich auch im Ernste durchzu­führen, man hat nichts von dem getan. Man hat für sich gelebt, eine Oberschicht. Man hat die anderen studieren lassen. Studiert hat ja gerade das Proletariat außerordentlich viel, einfach einsam für sich hingegeben an dasjenige, was Abfallprodukte der Bildung, materiali­stische Abfallprodukte der Bildung waren.

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Heute sind die Früchte davon in der Wirtschaftskrisis Europas da. Es ist ein geistig bedingtes, tragisches Schicksal.

Dann kamen aus dem heraus geboren, was niederhielt dasjenige, was man nicht geistig durchdringen wollte, was man nicht geistig durchsetzen wollte mit vernünftigen Anschauungen, was man nie­derhalten wollte durch äußere physische Gewalt des Militarismus und desjenigen der absoluten Monarchie oder irgendwelcher ande­rer Mächte, aus dem heraus, was gebraucht wurde, um unschädlich zu machen dasjenige, was man nicht geistig bezwingen wollte, aus dem heraus kamen die europäischen Kriegskatastrophen.

Und was entstand dann? Dann entstand für Rußland der Leninis­mus, der Trotzkismus. Nicht etwa heraus aus dem russischen Sozialismus, 0 nein, am allerwenigsten ist der Leninismus und Trotzkismus aus dem russischen Sozialismus heraus geboren. Nie­mals hätte etwas wie der Leninismus und der Totzkismus aus dein russischen Sozialismus heraus geboren werden können. Da wäre etwas ganz anderes herausgekommen, wenn man Verständigung gesucht hätte in vernünftiger Weise von Seiten der Intellektuellen zur Seite der breiten Masse der Bevölkerung. Nein, Lenin und Trotzki sind nicht aus der Revolution herausgewachsen! Lenin und Trotzki sind aus den Kreisen herausgewachsen desjenigen, was der Krieg als Ergebnis gebracht hat, desjenigen, was durch den Krieg geworden ist als letzte Konsequenz des Militarismus, daraus sind Lenin und Trotzki erwachsen. Die Ergebnisse des Krieges sind eingezogen in Rußland und haben neuerdings dasjenige, was von unten heraufwollte, mit dem man sich hätte verständigen sollen, niedergehalten. Lenin und Trotzki sind keine Helden des Sozia­lismus; sie sind die Söhne der europäischen Kriegskatastrophe und sind nur dadurch möglich geworden, daß über Rußland sich das Elend der Kriegsfolgen ausgebreitet hat. Und dasjenige, was im ubrigen Europa war, lesen Sie das sehr schöne Buch - aber man könnte vieles andere noch verfolgen - von Keynes, «Die ökonomi­schen Folgen des europäischen Friedensschlusses». Dasjenige, was sich über das übrige Europa ausbreitete - was ist es denn? Ist es etwa das Bekenntnis des wirtschaftlichen Denkens; ist es das wirtschaftliche

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Streben bis 1914, das uns in die furchtbare Katastrophe hineingebracht hat? Nein, das ist es nicht, sondern dasjenige, was wir erleben, einschließlich aller Valutasorgen einzelner Länder, ist nicht ein gesundes Zurückkehren zu gesunden Ansichten, die man glaubt bekommen zu können dadurch, daß die Krankheit sich ad absurdum geführt habe durch die Katastrophen. Dasjenige, was wir erleben, ist Ergebnis des Krieges. Aus einem sehr, sehr kurzsichti­gen Urteil heraus hat ein deutscher General die Worte geprägt, die während dieser Kriegskatastrophe vielfach nachgesprochen worden sind: Der Krieg ist nur die Politik mit anderen Mitteln ausgeführt.

Ich habe während des Krieges immer wieder dieses Diktum mit dem Wort verglichen: Die Scheidung ist nur die Ehe mit anderen Mitteln fortgeführt! Aber mit einer gewissen richtigen Variante könnte man doch sagen: Dieser Friede ist, insbesondere auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens, nur die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln. Das sagt man wahrhaftig nicht wiederum mit einer agitatorisch oder von irgendeiner Seite her gefärbten Betrachtung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Zustände, sondern das sagen selbst so objektive Urteiler, von derjenigen Seite, die heute am allermeisten Veranlassung hätte, objektiv zu urteilen, von seiten der Engländer, das sagt eben Keynes in seinem Buche «Die ökonomi­schen Folgen des Friedensschlusses».

Nun, sehen Sie, wenn man diese Dinge wirklich ins Auge faßt, dann muß man sagen: Oh, viel, viel tiefer liegen die Ursachen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Katastrophen! Und schließlich, man braucht ja nur einmal das heutige Wirtschaftsleben, wie es sich heraufentwickelt hat, zu betrachten. Man braucht sich nicht gefan­gennehmen zu lassen von den einseitigen Deklamationen über Kapitalismus und Antikapitalismus, sondern man braucht sich nur den objektiven und gewiß durch die modernen Verhältnisse berech­tigten Tatsachen hinzugeben, daß unser Wirtschaftsleben innig verquickt ist mit dem, was wir nennen müssen die Geldwirtschaft.

Nun, ich bin selbstverständlich weit entfernt von der närrischen Idee, etwa die Geldwirtschaft bekämpfen zu wollen. Darum kann es sich nicht handeln, denn das würde ich eben für eine närrische Idee

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halten, ebenso gut wie ich es für eine närrische Idee halte, das Geld irgendwie auch reformieren zu wollen. Nein, sondern dasjenige, um was es sich handelt, ist, daß durch die ganzen modernen wirtschaft­lichen Verhältnisse dasjenige, was im Gelde vorliegt, innerhalb des Wirtschaftslebens abstrakt geworden ist.

Ein englischer ökonomischer Zeitungsmann sagte mit vollem Rechte: Welche Funktionen eigentlich das Geld in unserem Wirt­schaftsleben hat, das ist außerordentlich verwickelt und eigentlich gar nicht wirklich auseinander zu schälen für eine Betrachtung. - So ist es ja. Aber ich könnte mich durch einen Vergleich klarmachen.

Sehen Sie, meine sehr verehrten Anwesenden, wenn jemand ein Denker ist von recht abstrakter Wesenheit, wenn er immer gleich übergeht von dem Besonderen zum Allgemeinen, wenn er etwa draußen auf der Wiese allerlei Blumen mit einem konkreten Namen sieht, und dann sagt: Pflanzen oder Blumen - und «Blumen» vergleicht mit Tier und so weiter, so denkt er abstrakt. Er bringt abstrakte Gedanken, die vieles umfassen, und breitet sie wie einen Teppich aus über die konkreten Teile.

So ist es im wirklichen Wirtschaftsleben mit dem Gelde. Das Geld bringt in das reale wirtschaftliche Leben, in die Wirklichkeit ein ganz abstraktes Element hinein. Denken Sie doch, wenn ich der Besitzer von 50 Franken bin, so bin ich eben der Besitzer dieser 50 Franken, und es ist ganz gleichgültig zunächst, wenn ich die 50 Franken im Portemonnaie habe, ob ich mir morgen für die 50 Franken einen Hasen oder ob ich mir Mehl oder irgendeine silberne Uhr kaufe, oder ob ich mir einen Rock kaufen werde oder derglei­chen. Die Konkretheit des Wirtschaftslebens hört auf gegenüber der Abstraktheit des Geldes. Das kommt dann zum Vorschein in dem Augenblicke, wo Geld gegen Geld steht, wo man Geld kauft. Man kann das am besten sehen, wie sich, geradeso wie die Abstraktionen sich verbergen vor der Realität des Denkens, wie sich die Ab­straktheit des Geldes verbirgt vor der Realität. Sehen Sie, wer in den letzten Wochen die Zeitungen verfolgt hat in Deutschland, der konnte finden, daß die Leute eine große Freude gehabt haben über das bißchen Besserwerden der Valuta. Sie ist ja dann aber zurückge­gangen.

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Und wer die tieferen Zusammenhänge kennt, der wird sich nicht sehr imponieren lassen von zeitweiligem Besserwerden dieser Valuta. Nun, aber allen möglichen Ursachen wurde die Sache zugeschoben, wobei aber im Hintergrunde nichts anderes stand, als daß in Spanien vorhandene deutsche Noten durch irgendeine beson­dere Konstellation, durch eine besondere Absicht von Amerikanern an der Börse gekauft worden sind, und daß das das bißchen Hinauf-schnellen der deutschen Valuta bewirkt hat. Das entzog sich den Blicken aus dem einfachen Grunde, weil immer dann, wenn das Geld als solches im Handel umläuft, wenn Geld als solches gehan­delt wird, dann steht das ferne dem konkreten Wirtschaftsleben, und man sieht nicht mehr die Zusammenhänge. So wie wenn jemand eben abstrakt spricht, einem ein Mühlrad im Kopfe herumgeht und man nicht mehr eine Ahnung davon hat, was er eigentlich mit seiner Abstraktheit meint, so weiß man nicht mehr bei den Geldmanipula­tionen, was nun eigentlich im Wirtschaftsleben vor sich geht.

Sehen Sie, in diesen Dingen liegt es im wesentlichen in einem Fremdwerden des Verkehrsmittels Geld im eigentlichen Wirt­schaftsleben; und das ist der Grund, daß wir in eine so furchtbare Wirtschaftskrise hineingekommen sind. Denn diese Wirtschafts­krisis war eigentlich schon vor dem Kriege da, und der Krieg war nur der Ausdruck für diese Wirtschaftskrise. [Lücke.]

Sehen Sie, es könnte ja einer, sagen wir, im Jahre 1865, die größtmöglichen Anlagen gehabt haben für die Luftschiffahrt, - er konnte diese Anlagen nicht betätigen, weil es noch keine Luftschiff-fahrt gab! Es hilft nichts, auf irgendeinem Gebiete des Lebens bloß gescheit zu sein. Wenn einen die Verhältnisse hinwegführen von dem unmittelbaren Erleben desjenigen, das erlebt werden soll, dann hilft einem jeglicher gescheite Gedanke gar nichts. Und daß man gerade auf wirtschaftlichem Gebiete, wie auch auf anderen Gebie­ten, hinweggetrieben worden ist vom wirklichen Leben, das brachte die ganze moderne Zivilisation dadurch hervor, daß man die drei Hauptgebiete des Lebens: Geistesleben, politisches oder Rechts-leben und Wirtschaftsleben, immer mehr und mehr zu einem Einheitsstaat zusammengeschweißt hat.

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Dem Zusammenschweißen in dem Einheitsstaat war die Geld­wirtschaft günstig. Wie gesagt, ich bitte, mich durchaus nicht mißzuverstehen, daß ich etwa gegen die Geldwirtschaft irgend etwas einwenden wolle. Ich will nur darauf hinweisen, wie dasjeni­ge, was nicht erfaßt worden ist von der Geldwirtschaft, gerade zur Gesundung unseres wirtschaftlichen Lebens führen muß!

Es ist ja immer wieder und wiederum in den Gedanken der neueren Zeit dies geltend gemacht worden, daß der Einheitsstaat ein Allheilmittel ist. Dieses Allheilmittel, es hat vorgeleuchtet den bis jetzt führenden Leuten, aber auch den Sozialisten; denn was wollen die Sozialisten? Den Rahmen, den ausgewalzten Rahmen des Staates benützen, um ihre sozialistischen Trugschlüsse [Lücke] hineinzu­bauen. Sogar Lenin und Trotzki taten nichts anderes als dasjenige, was ihnen der Krieg übriggelassen hat von dem alten russischen Zarenstaat, zu übergießen mit ihren sozialistischen abstrakten Be­griffen. Dieser Gedanke des Einheitsstaates ist in den letzten drei bis vier Jahrzehnten - wer die Geschichte wirklich zu betrachten weiß, der weiß, daß es erst so lange her ist in Wirklichkeit - sozusagen erst der Gedanke all derjenigen geworden, die glauben, das Richtige aller öffentlichen Verhältnisse zu wollen, und die darüber versäumen, zu sehen, was in der Wirklichkeit der Menschheit heranreift: daß heranreift in der Wirklichkeit der Menschheit der Drang, gegenüber dem Geistesleben, der Drang, gegenüber dem Rechts- oder Staats-leben und gegenüber dem Wirtschaftsleben zu ganz anderen Kon­stellationen zu kommen, als man sie bisher gehabt hat. Ich will an einem Zipfel, möchte ich sagen, die Sache anfassen.

In manchen Gebieten des europäischen Lebens ragt hervor aus alten Einrichtungen dasjenige, was wir das Erbrecht nennen. Erb­recht, es hängt zusammen mit den Verhältnissen der Blutsbande der Menschen. Verfolgen Sie dasjenige, was von dem Erbrecht aus­strahlt in die ganzen öffentlichen Verhältnisse, auch in die Konfigu­ration der Staaten- und Gesellschaftszusammenhänge, so werden Sie sehen, wie viel auch im wirtschaftlichen Leben an diesem Erbrecht hängt. Das Erbrecht wirkt bei gewissen Leuten in diese oder jene Wirtschaftszweige hinein, es bringt die Leute hinein, sie

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sind da drinnen, und aus ihren Fähigkeiten heraus werden einzelne Dinge. Aber schließlich, aus diesen einzelnen Dingen setzt sich wiederum ein großer Teil des Gesamtwirtschaftslebens zusammen. Kurz, wir haben das Erbrecht eng gebunden an Blutsbande, an dasjenige, was von der Natur in der Menschheit organisiert ist.

Was ist denn geschehen gerade in denjenigen Staaten, die sich am allermustergültigsten betrachten in den letzten drei bis vier Jahrhun­derten? Man hat von der Natur das Organisieren gelernt. Man schreibt ja besonders den Deutschen das Organisieren zu. Sie haben es nur so gut gekonnt, daß sie es bis zum Mechanisieren verzerrt haben. Aber es ist im wesentlichen über die ganze zivilisierte Welt ausgegossen. Man hat das Organisieren, das von der Natur aus der Menschheit eigentümlich ist, auch in das soziale Leben hineinge­tragen. Und dieses Organisieren, das mit den Blutsbanden zusam­menhängt, dieses Organisieren, das ein sehr Symptomatisches - es gibt viele andere - im Erb recht hat, dieses Organisieren, es kommt ja im Grunde genommen sehr deutlich auch in der Organisation des geistigen Lebens heraus. Und schließlich - allerdings will die katho­lische Kirche eine demokratische Einrichtung sein, die denjenigen, der da unten aus dem alleruntersten Stande ist, auch unter Umstän­den heraufkommen läßt bis zu den höchsten Stellen der kirchlichen Hierarchien - hat sich in der Praxis aber auch da dasjenige, was zusammengeschweißt hat solche Dinge, wie die alten Organisa­tionen, die an den Blutsbanden hängen, auch in katholische Kir­chenorganisationen hineingeschlichen; denn schließlich waren doch mehr Hochadlige Erzbischöfe geworden als andere und so weiter. Kurz, wir sehen in vieler Beziehung, wie hereinragt in die moderne gesellschaftliche Ordnung, was aus den Blutsbanden kommt; und was in solchen Dingen, wie dem Erbrecht, besonders zum Aus­druck kommt, darüber ist aber eigentlich das Menschengeschlecht mit seinem innersten Bewußtsein hinausgewachsen. Wenn einer sagt: Mensch ist Mensch und weist auf ein siebenjähriges Kind und auf einen vierzigjährigen erwachsenen Menschen, so werden Sie lachen. Sie werden nicht sagen, daß der vierzigjährige Mensch nur etwa die Folge des fünfunddreißigjährigen, des dreißigjährigen und

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so weiter Menschen ist, sondern Sie werden so auf den Menschen hinschauen, wie aus seinen Tiefen heraus dasjenige sich entwickelt, was in seinem Wesen liegt. Nur in der Geschichte ist man zu der törichten Anschauung gekommen, daß immer nur das Folgende die Wirkung des Vorhergehenden ist, während seit langer Zeit das Menschengeschlecht so ist, daß die aufeinanderfolgenden Phasen in seinem innersten Wesen sich so ergeben, wie etwa Zahnwechsel oder Geschlechtsreife in dem einzelnen Individuum. So hat sich einfach während der letzten Zeit, während als Erbteile im Geistes­leben, Wirtschafts- und Rechtsleben diejenigen Dinge geblieben sind, die aus den alten Blutsbanden und den dadurch bedingten Verhältnissen hervorgegangen sind, während die alten öffentlichen Rechte geblieben sind, hat sich in dem Menschen unbewußt festge­setzt der Drang nach einer neuen Ordnung, nach dem, daß etwas anderes eintreten soll.

Da sehen Sie, wenn man versuchen will, zu erlauschen, was die Menschen wirklich wollen, dann erscheint eben so etwas wie in meinen «Kernpunkten der sozialen Frage». Man beachtet nur nicht, wie in der wahren Wirklichkeit und wahren Praxis, dem, was das Leben heute fordert, diese Dinge abgelauscht sind. Da haben wir das Erbrecht aus der alten Menschheitsentwickelung heraus. Man will es behalten so wie etwa seine zwölfjährige oder vierzehnjährige Entwickelungszeit ein Mensch behalten wollte, der nicht einsieht, daß man mit zwanzig anders sein muß als mit zwölf und vierzehn Jahren. Man wird natürlich im einzelnen solche Torheiten nicht wollen. Da haben wir das Erbrecht. Es ist zu etwas geworden, wohinein sich das Bewußtsein der Menschen nicht fügen will. Der Mensch hält heute aus einem elementaren Gefühl heraus zu viel von seiner Individualität, als daß er, wenn er auch äußerlich aus Konven­tion festhalten will an dem konventionellen Mittel des Erbrechts [Lücke]. Ist man ehrlich und hört hin auf das, was die Menschheit eigentlich will, so kommt man auf das, was Sie ausgeführt finden in den «Kernpunkten der sozialen Frage», wo gezeigt ist, daß die Menschheit hintendiert in einer sozialen Ordnung nach einem Verbundensein des Menschen, der gewisse Fähigkeiten hat, mit den

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Produktionsmitteln, oder sagen wir mit dem Kapital. Kann er diese Fähigkeiten damit nicht mehr verbinden, dann muß die Summe der Produktionsmittel oder das Kapital von ihm übergehen wiederum an einen Befähigten. Da zeigt sich, wie die alte Zeit in die neue Zeit hineinwachsen muß. Die alte Zeit machte abhängig die wirtschaft­liche Konfiguration vom Blute. Die neue Zeit macht abhängig - im Bewußtsein der Menschen ist es schon vorhanden -, will abhängig machen die Konfiguration des Wirtschaftslebens von dem, was bewußt erlebt wird. So daß in der neuen Ordnung nicht im gewöhn­lichen Sinne vom Erbrecht gesprochen wird. Es wird aus diesem Grunde vielfach heute zum Beispiel das Erbrecht angezweifelt, es wird angezweifelt, daß vom Erbrecht die Rede sein kann. Es soll nur davon die Rede sein, daß, wenn ich durch meine Fähigkeiten mir eine Summe von Produktionsmitteln erworben habe, durch die ich etwas erreichen kann, ein Kapital angesammelt habe, so habe ich die Verpflichtung, wenn ich selber nicht mehr der Verwalter sein kann, das an einen anderen zu übertragen, der wiederum, seinen Fähig­keiten nach, damit verbunden sein muß. Ersetzt werden muß durch Vernunft und Menschenindividualität das, was nur vom Blute abhängig war.

Das klingt für manchen radikal, aber es ist ja nicht aus irgendei­nem Radikalismus gesprochen, sondern nur erlauscht aus dem, was unbewußt die Menschheit eigentlich will.

Betrachtet man in dieser Weise dasjenige, was sich heute als Menschheitsentwickelung darstellt, dann kommt man darauf, daß ja durch den Standpunkt, den die Menschen erreicht haben in der allgemeinen Wissenschaft des menschlichen Geschlechtes, im Gei­stesleben, Rechts- oder Staatsleben und Wirtschaftsleben heute eben so weit gekommen sind, daß sie sich nicht mehr in den Einheitsstaat zusammenpressen lassen.

Hier setzt der Impuls für die Dreigliederung des sozialen Orga­nismus ein, so ein, daß er verlangt für das Geistesleben ein vollstän­diges Auf-sich-selbst-Gestelltsein, daß er verlangt dasjenige, was heute gerade vielleicht am meisten bekämpft werden wird, weil man es für besonders gescheit hält, den Staat zum Wächter über das

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Geistesleben zu machen. Das aber muß verlangt werden von dem, der heute erkennt, was die Menschheit unbewußt will, daß das Geistesleben völlig auf sich selbst gestellt wird.

Nehmen wir einen der wichtigsten Teile: das öffentliche Schulwe­sen. Vom Lehrer der untersten Schulklasse bis hinauf zum höchsten Lehrer muß alles Selbstverwaltung sein.

Sehen Sie, über jene pädagogisch-didaktischen Prinzipien, die sich ergeben aus einer solchen Denkweise, war ich ja dazu berufen, in Stuttgart die Waldorfschule zu begründen. Emil Molt, der dortige Fabrikant der Waldorf-Astoria-Fabrik, hat diese Waldorfschule eingerichtet. Mir oblag es, der Waldorfschule die geistige Grundlage zu geben, und bis heute ist mir - wenn auch zuweilen von außen nicht erkennbar - die eigentliche Leitung, die eigentliche Führung der Schule übertragen. Und da hatte ich wochenlang für die Lehrer einen seminaristischen, pädagogischen Kursus gegeben, um eben die Richtung anzugeben, in der diese Schule wirken soll.

Ja, da war ich auch genötigt - zu sehen, wie weit wir es bis jetzt gebracht haben, wird Ihnen noch Gelegenheit geboten werden -, da war ich auch genötigt, sehen Sie, zu erkennen, auf welcher abschüs­sigen Bahn gerade das Geistesleben an seinem wichtigsten Gebiete, dem Schulwesen, sich befindet. Ich mußte ja natürlich auch Lehrplä­ne ausarbeiten, und mußte, um mich zu orientieren, einsehen, was da ist, um den gegenwärtigen Schul-Lehrzielen und Lehrplänen gerecht zu werden.

Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, ich kann mich noch erinnern - es ist allerdings lange her, als ich selber in der Schule war, oder mit Lehrern verkehrt habe -, da war es so, daß alles Schulpro­grammäßige, es war so etwas Gedrucktes, noch auf einer Seite stand; jetzt sind das dicke Bücher geworden, und alles ist bis ins einzelne hinein spezifiziert. Auf der einen Seite hat man dasjenige, was die pädagogischen Künstler und pädagogischen Wissenschafter in ihre Bücher hineinlegen, was sie übermitteln dem Lehrenden. Da hat man dasjenige, was aus der Sachkenntnis und Fachkunde heraus kommt. Dann das Bürokratische, das vom Staate herkommt. Viel wichtiger als man denkt ist das! Es hat keine Berechtigung, daß

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irgend etwas anderes hineinspricht als das sachlich Fachkundige in die Verwaltung des Geisteslebens. Gerade zum Beispiel auf dem Gebiete des Schulwesens zeigt sich das mit Deutlichkeit. Wie anders würden die Menschen erzogen und hineingestellt ins Wirtschafts­leben, wenn das Geistesleben völlig frei, nur aus seinen eigenen Grundlagen heraus sich verwalten könnte! Das kann nur derjenige ermessen, der wirklich sich ein gesundes Urteil über den Zusam­menhang des freien geistigen Lebens, des Entwickelns der menschli­chen Fähigkeiten aus dem freien geistigen Erleben heraus, auch in bezug auf die Bedeutung für das Wirtschaftsleben und das Staats-leben erworben hat. - Da handelt es sich darum, daß man endlich darauf kommt: Wie steht das Geistesleben in der ganzen mensch­lichen Entwickelung darinnen?

Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, das Geistesleben ist organisiert. Und das Geistesleben ist um so mehr organisiert, um so elementarer ein Gebiet ist. Betrachten Sie es an dem Beispiel der Familie. Sehen Sie sich an, wie der einzelne aus der Familie heraus-wächst, der eine Sohn ins Künstlerische hereinwächst, heraus aus dem, was Vater oder Mutter ähnlich war, nicht nur äußerlich physisch, sondern geistig-seelisch. Man sieht gerade, je weiter man zurückgeht in den Jahren, an dem, was aus den Familien heraus-wächst, wie da von Natur aus gerade das Geistesleben organisiert ist.

Worin besteht denn dasjenige, was wir für das Geistesleben zu leisten haben? In bezug auf die einzelnen Individuen besteht es darin, daß wir das einzelne Individuum herauszubringen haben aus der Organisation: Wir müssen die Organisation überwinden, die Organisation, die von Natur gegeben ist; wir müssen den einzelnen in die Freiheit hinein erziehen. Die Freiheit muß im Erdenleben erst erworben werden. Dann kann die Freiheit nur erworben werden, wenn wir wirklich imstande sein werden, als Lehrer, als Erzieher oder eben als Teilnehmer des Geisteslebens den Menschen zu verstehen, aus den individuellsten Fähigkeiten des Menschen heraus zu arbeiten, und den Menschen auch ins Wirtschaftsleben hinein zu stellen gemäß den Fähigkeiten, mit denen er impulsiert im Natur­zusammenhange sich uns offenbart.

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Das ist das eigentümliche des Geisteslebens, daß man sagen muß:

Gerade derjenige, der ehrlich über die Demokratie denkt, der denkt gerade so, wie im vierzehnten, sechzehnten Jahre über den Men­schen kommt die Geschlechtsreife. So ist über die Menschheit gekommen im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte die Tendenz nach der Demokratie. Gerade derjenige, der ehrlich denkt, verlangt, daß alle diejenigen Angelegenheiten, die die Menschen entwickeln, wenn sie mündig geworden sind, so behandelt werden, daß sie als gleiche unter gleichen die Dinge zu ordnen haben. Das wird sich ergeben in demjenigen, was Menschenbildung ist im Gebiete des Geisteslebens. Das hängt so sehr ab von der mensch­lichen einzelnen Fähigkeit und Sachkenntnis, so daß das niemals Gegenstand der demokratischen Verwaltung oder Verfassung sein darf, so daß das nur gestellt sein darf auf Selbstverwaltung dieses Geisteslebens. Das geistige Leben, es ist organisiert, und es muß der Organisation entrissen werden.

Und das Wirtschaftsleben? Das Wirtschaftsleben kann nicht organisiert werden [Lücke]. Ideologische, weltfremde Leute geben in allen möglichen utopistischen Idealen an, nach welchen Formen sich das Wirtschaftsleben organisieren soll, wodurch man das Wirt­schaftsleben in diese oder jene Struktur hineinbringen soll. Das wäre der Tod des Wirtschaftslebens! Diesen Unsinn hat man begonnen, als die sogenannte Deutsche Republik sich zuerst auf die Beine hat stellen wollen. Ebenso unsinnig ist es, wie der Planwirtschafter denkt: Das Wirtschaftsleben kann man organisieren! Wer etwas versteht von dem Wirtschaftsleben, der weiß aber: Das Wirtschafts­leben kann man nicht organisieren! Das Wirtschaftsleben kann nur in Assoziationen zu einem Ganzen zusammenwachsen. Das heißt:

Das Wirtschaftsleben kann nicht von oben oder von irgendeiner Richtung her, von irgendeiner Seite her organisiert werden, sondern das Wirtschaftsleben kann nur in Assoziationen, die herauswachsen aus den Berufsständen, aus denjenigen, die zusammengehören, auf einem gewissen Produktionsgebiete zusammengehören, auf einem gewissen Konsumtionsgebiete, erfolgreich sein.

Dasjenige, was gleichartige Interessen hat, gliedert sich an in den

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Assoziationen an dasjenige, was verwandte Interessen hat. Ver­wandte Interessen haben eine Verkettung. Eine Verkettung, eine Durchgliederung bildet sich aber nicht so, daß man sie von außen her organisiert, sondern dadurch, daß sich ein Glied durch andere Glieder an diese Assoziationen anhängt. Es handelt sich um eine Verkettung und Verschlingung von solchen Menschen, die darinnen stehen im Leben, die herauswachsen aus dem Leben, die Sach­kenntnis und Fähigkeit auf einem bestimmten Gebiete des Wirt­schaftslebens haben, die hineingewachsen sind in das Wirtschafts­leben in einer bestimmten Weise, die auch Vertrauen gewinnen können; weil sie drinnenstehen, weil sie in gewissem Sinne einem Zweige verwandt sind. Aber notwendig ist es, daß dieser Zweig sich assoziativ angliedert an den nächsten, so daß man nicht in einer zufälligen Weise gezwungen ist, von der Abstraktheit des Geld­erwerbes heraus zu kommen, zu suchen, sondern weil man weiß, daß es, indem man in einer assoziationswirtschaftlichen Arbeit drinnensteht, man sich zu diesem Zwecke an den Vertreter einer anderen Assoziation wendet. Der weiß wiederum, wie es sich da verhält.

Ja, sehen Sie, meine sehr verehrten Anwesenden, da kommt es heraus, wenn man ein solches, auf Assoziation gebautes Wirtschafts­leben hat, daß einem die Gescheitheit des wirtschaftlichen Denkens etwas hilft! Was hilft einem die Gescheitheit, wenn man dem undurchsichtigen Wirtschaftsleben gegenübersteht? Das kann man sehen an dem Monometallismus, dem Freihandel. Sie haben gerade die Schutzzölle in ihrem Gefolge bewirkt. Man durchschaut das Wirtschaftsleben heute nicht. Es müssen erst die Lebensverhältnisse herbeigeführt werden, durch die man Zusammenhänge durch­schauen kann. Man wird die wirtschaftlichen Zusammenhänge durchschauen, wenn sich derjenige von einer Assoziation meinet­willen von einem anderen Kreuzpunkte aus mit dem, der in einer anderen Assoziation drinnensteht, verständigt. Wenn sich der an diese oder irgendeine andere Assoziation unmittelbar wenden kann, dann hilft einem die Gescheitheit etwas, so wie sie durch die Assoziationen zusammenhängt, und diese Zusammenhänge, diese

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Maßregeln muß man irgendwie ergreifen, und selbst so weit könn­ten die Bögen gespannt werden, wie die Wirklichkeit durch die Kette der Assoziationen hindurch erlaubt. Das war ja die Eigentüm­lichkeit in der bisherigen Wirtschaft, daß einem die Möglichkeit fehlte, auf diese Weise fortzuschreiten und die Dinge auswachsen zu lassen. Das, meine sehr verehrten Anwesenden, ist heute noch immer nicht durchschaut.

Wahrhaftig nicht aus irgendeiner Selbstüberschätzung sage ich das, sondern ich sage es, weil ich glaube, daß das heute jeder einsehen kann. Es ist nicht erkannt worden, daß diese Dreigliede­rung des sozialen Organismus eintreten muß für die Selbständigkeit des Geisteslebens, desjenigen Wirtschaftslebens, das auf Assozia­tionen und auf nichts anderem als auf Assoziationen gebaut ist, ganz und gar auf die aus dem wirtschaftlichen Untergrund selbst heraus-wachsenden Assoziationen, während der Staat bleiben muß für das, was dazwischen ist, nichts zu tun haben darf mit dem Wirtschafts­leben, nichts zu tun haben darf mit dem freien Geistesleben. Das Geistesleben muß auf die Erkenntnis des einzelnen Menschen und auf seine Tüchtigkeit aufgebaut sein. Dasjenige, was wirtschaftlich ist, muß aufgebaut sein auf jene praktischen Erfahrungen und Handhabungen des Wirtschaftslebens, die erworben werden kön­nen in dem lebendigen Verkehr von Assoziation mit Assoziation. Mit beidem hat der Staat nichts zu tun. Der Staat hat etwas zu tun mit den Menschen, die auf diese Weise im Wirtschaftsleben stehen, auf der anderen Seite im Geistesleben stehen, die sich finden werden mit allen mündig gewordenen Menschen im demokratischen Staats-leben, wo das öffentliche Recht festgesetzt ist, das dann ausstrahlt auf der einen Seite ins Geistesleben, auf der anderen Seite ins Wirtschaftsleben. Man braucht sich nicht zu fürchten, daß die drei Glieder des sozialen Organismus auseinanderfallen werden. Sie werden sich verbinden durch die Menschen. Der eine Mensch steht in dem einen Kreis drinnen, der andere in dem anderen. Die drei Organisationen sind nur zum Heile der Menschheit getrennt, weil die komplizierter gewordenen Verhältnisse der neueren Zeit diese Gliederung des sozialen Organismus fordern.

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Das ist es, was wirklich gesundend eingreifen kann in das ganz und gar von Krisen erschütterte Wirtschaftsleben. Ich sagte in meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage»: Der Dreiglie­derungsgedanke ist nicht irgendeine Utopie, der Dreigliederungs­gedanke kann überall an die unmittelbare Wirklichkeit anknüpfen. Diese unmittelbare Wirklichkeit soll genommen werden so, wie sie ist; aber sie soll wiederum in die Gesundung hineinwachsen durch staatsfreies, assoziatives Leben auf dem Gebiete des Wirtschaftli­chen. Herausgliedern das Wirtschaftsleben aus dem Organisieren des Staates und Stellen dieses Wirtschaftsleben auf seine eigenen Gesetze, die sich nur ergeben können von Assoziation zu Assozia­tion, das ist es, was notwendig ist. Das sieht abstrakt aus, aber meine sehr verehrten Anwesenden, es ist nicht abstrakt, es ist das allerkon­kreteste.

Die Wirtschafter sind da, es handelt sich nur darum, daß sie nach den verwandten Beziehungen, die da herrschen zwischen Produk­tion und Konsumtion, zwischen dem einen Berufszweig, zwischen dem einen Produktionszweig und dem anderen Produktionszweig entsprechende Assoziation, unbekümmert um politische Grenzen, anstreben. Und es würde auf die Dauer tatsächlich einem solidari­schen Streben der international in das Wirtschaftsleben hineinge­stellten Menschen gelingen müssen, gegenüber den Bestrebungen, die heute da oder dort zur Verbesserung der Valuta und so weiter auftreten, gegenüber denen zurecht zu kommen. Man denke nur einmal, wie sich das bloße abstrakte Wirtschaften im Gelde von den realen Verhältnissen loslösen kann. Nehmen Sie Deutschland vor dem Jahre 1914. Da wurde ungefähr in einem Jahre 5 bis 6 Milliar­den Kapital erspart und erarbeitet. Neue Emissionen auch unter Einbeziehung von Pfandobligationen, Grundbuchschulden und all-dem, was ausgegeben wurde für Luxusbauten, neue Wohnungen und dergleichen, das gab zusammen vor dem Jahre 1914 ungefähr 11 Milliarden Mark. Erarbeitet, erspart wurde ein Kapital von 5 bis 6 Milliarden, neue Emissionen beliefen sich auf 11 Milliarden, doppelt so viel! Was bedeutet das? Das bedeutet: man bewegt sich jenseits der wirklichen Wirtschaft, denn die wirkliche Wirtschaft muß

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erarbeitet werden: jenseits der wirklichen Wirtschaft steckt der Kapitalwert, um das doppelte dessen, was der reale Kapitalwert ist. Denn der erarbeitete Kapitalwert hätte bloß aus neuen Emissionen und Pfandrechtsobligationen in Höhe von 5 bis 6 Milliarden Mark erscheinen dürfen. Das war ja in Wirklichkeit da. Denken Sie sich, wohin das führt, wenn in dieser Weise sich die abstrakte Geldwirt­schaft emanzipiert von der konkreten des Wirtschaftslebens!

Das ist nur zu heilen dadurch, daß der Mensch wiederum mit den Erfahrungen des Wirtschaftslebens selbst zusammenkommt, das heißt, daß der im Wirtschaftsleben in einem Gebiete stehende sich assoziiert mit dem System, in dem ein anderer drinnensteht, mit dem System auf einem anderen Gebiete. Dasjenige, was Dreiglie­derung des sozialen Organismus zeigt, ist keine dilettantische Sache, ist nichts Utopistisches, ist etwas, was überall das praktische Leben unmittelbar angreift. Und die Leute finden sich heute mit dieser Dreigliederungsidee aus einem ganz bestimmten Grunde nicht zurecht: sie wollen noch nicht rechnen damit, daß wir in einer großen Verwirrung drinnenstehen, sie möchten immer mit kleinen Mixtürchen und mit kleinen Mittelchen helfen. Das wird nicht gehen, meine sehr verehrten Anwesenden! Wenn einer stark krank ist, dann muß er auch zu starken Arzneien greifen. Mit demjenigen, was man sonst empfiehlt an sozialen Heilmitteln, wird man nicht auskommen. Es ist allerdings zuzugeben, daß dasjenige, was unter dieser Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus auftritt, ein starkes Heilmittel sein will. Allein es gilt ja nicht bloß das Sprich­wort: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, sondern es gilt auch das andere Sprichwort: Auf eine schwere Krankheit gehört auch ein radikales Heilmittel. Und ich glaube, derjenige, der die immer größer und größer werdende Verwirrung des internationalen Wirtschaftslebens in Europa durchschauen kann, dieses Hinein­gehen in die Barbarei, der wird doch Ernst genug dazu haben, ein wenig sich anzuschauen dasjenige, was glaubt herausführen zu können aus diesem Niedergang zu einem neuen Aufstieg, was glaubt, gerade aus einem wirklichen Verfolgen der Verhältnisse, nicht aus einem solchen, wie es die Monometallisten gemacht haben,

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sondern aus einem wirklichen Verfolgen der Verhältnisse, so daß man dasteht, wie der, der mit chemischem Mittel die Wäsche behandelt und sie dann schwarz oder braun macht - gegenüber der Wirklichkeit -, man wird, glaube ich, wenn man die Größe der europäischen Gefahr einsieht, man wird dann doch im Ernste herantreten an das Studium des Heilmittels. Das ist dasjenige, worauf es ankommt, und worauf ich jetzt schon seit so langer Zeit in der verschiedensten Weise aufmerksam machen wollte, und worauf ich auch wiederum heute, meine sehr verehrten Anwesenden, mit diesen Worten in ernsthaftester Art habe hindeuten wollen.

Zunächst ist die Frage an mich gerichtet worden:

Wird im dreigliedrigen sozialen Organismus der Kapitalbesitz aufgehoben?

Sehen Sie, es handelt sich ja wirklich der Realität gegenüber um etwas anderes, als um den Kapitalbesitz. Es handelt sich darum, daß erstens möglich ist, kapitalmäßig zu arbeiten. Es ist nicht möglich, daß in unserem komplizierten modernen Leben etwa das Kapital als solches, wie so viele unverständigerweise fordern, abgeschafft wür­de. Man braucht ja selbstverständlich Kapital, wenn auch nur in Form der Produktionsmittel. Man braucht Kapital, um den moder­nen Wirtschaftsapparat in Wirksamkeit setzen zu können. Also das Kapital muß da sein.

Ich habe das genauer ausgeführt in meinem Buche «Die Kern­punkte der sozialen Frage». Aber es handelt sich eben darum, über die Verwaltung des Kapitals von demjenigen, der durch seine Fähigkeiten in irgendeinem Gebiet dazu berufen ist, dieses Kapital zu verwalten, der es gewissermaßen zusammengebracht hat, oder auf eine andere Weise erreicht hat, die Wege zu finden, wie sie in meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebens-notwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft» über dieses Kapital angegeben sind, daß der dieses Kapital nur solange verwaltet, beziehungsweise die Produktion, solange verwaltet - Grund und Boden ist von diesem Gesichtspunkt aus auch ein Produktionsmit­tel -, als er selber dabei sein kann. Dann geht, sei es Grund und Boden, seien es andere Produktionsmittel, dann geht es wiederum

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über auf einen anderen in der Weise, wie der Betreffende selbst es noch regeln kann, der nun wiederum durch seine Fähigkeiten damit verknüpft ist. So wird allmählich sich von selbst das herausbilden, daß das Wirtschaftsleben um so fruchtbarer werden kann, je mehr fähige Leute da sind, weil wirklich auf die fähigen Leute die Kapitalverwaltung übergehen kann.

Sehen Sie, es kommt durchaus nicht darauf an, etwas anderes zu sein, als der Verwalter desjenigen, was als Kapital aufgefaßt werden soll. Das können sich heute die Menschen noch nicht so vorstellen. Aber nehmen Sie nur so etwas, was, ich möchte sagen, schon in einer gewissen Weise vorbildlich dasteht, wie gerade das, was ich im Vortrag öfter erwähnen mußte, den Dornacher Bau.

Es kann die Frage entstehen: Wem gehört denn der? Er gehört eigentlich nicht in dem alten Sinne irgend jemandem. Er hat nur dann Sinn, wenn er an denjenigen einmal übergeht, der ihn in der entsprechenden Weise einmal leiten kann. Es müssen nur die Mittel und Wege gefunden werden, um ihn zu leiten.

Das, was mit einem mehr oder weniger idealen Institut erreicht werden kann, es kann auch, gerade wenn man es im praktischen Geiste tut, mit jeder praktischen Einrichtung, mit jeder Fabrik geschehen. Und Sie können sich leicht eine soziale Struktur denken, durch die der alte, an die Blutsbande geknüpfte Besitz ersetzt wird, durch die Verwaltung desjenigen, der über Kapital verfügt auf Grund von Fähigkeiten.

Damit will ich dann gleich verknüpfen die Frage, die hier münd­lich vorhin von einem Herrn gestellt worden ist:

Inwiefern werden diese Einrichtungen die sogenannte Ausbeutung beseitigen können?

Da ist es ganz klar, daß diese Ausbeutung doch nur so lange da sein kann, so lange auch persönliche Macht da ist im Wirtschaftli­chen. Sie finden in meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage» ausgeführt, wie der soziale Organismus in drei Gliedern auftritt, wie das Wirtschaftsleben ganz aus wirtschaftlichen Ge­sichtspunkten heraus gestaltet ist. Da stehen dann, sagen wir, in einem Betrieb drinnen, der Arbeitsleiter und die Arbeitsleister,

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vielleicht auch hierarchisch gegliedert oberste Arbeitsleiter, mittlere und so weiter bis zu dem eigentlichen Handarbeiter. Keiner steht zu einem anderen in einem wirtschaftlichen Machtverhältnisse. Denn die Stellung des mündig gewordenen Menschen zum mündig ge­wordenen Menschen, die wird gar nicht im Wirtschaftsleben gere­gelt. Im Wirtschaftsleben hat man es zu tun mit Wirtschaft. Die Stellung aber des mündig gewordenen Menschen zum mündig gewordenen Menschen, das ist eben Gegenstand des Staats- oder Rechtslebens, das Maß, die Dauer der Arbeit, das ordnet sich irgendwie gegenseitig im staatlichen, politischen oder rechtlichen Gebiete. Diese Dreigliederung des sozialen Organismus, hat man mir eingewendet, ist ja dasjenige, was schon Plato vertreten hat, indem er die menschliche Gesellschaft in Nährstand, Wehrstand, Lehrstand gegliedert hat, - so wurde mir gesagt.

Nein, sehr verehrte Anwesende. Es ist das gerade Gegenteil von dem, wenn Plato gesagt hat, die menschliche Gesellschaft sei einge­teilt in Nährstand, Wehrstand, Lehrstand; da gliederte er die Men­schen in diese drei Gruppen, und der einzelne gehörte zu einer der drei Gruppen. Heute handelt es sich darum, daß nicht die Menschen gegliedert werden, sondern daß die Organisation als eine drei­gliedrige auftritt, und jeder Mensch mit seinen Interessen in allen drei Organisationen drinnensteht, der eine so, der andere so.

Denken Sie sich, ein Mensch hat Kinder. Dadurch steht er in der geistigen Organisation durch das Schulwesen drinnen. Er steht von vornherein wie jeder Mensch als ein mündiggewordener Mensch als ein gleicher anderen gegenüber in der rechtlichen Organisation drinnen, gleichgültig, was er ist, ob er irgendeinen anderen Beruf oder irgendeine andere Betätigung hat als ein anderer. Und er steht in der wirtschaftlichen Organisation drinnen, denn der Lehrer, insoferne er essen und trinken muß, gehört dem wirtschaftlichen Organismus an. Das ist dasjenige, was in Betracht kommt: Nicht die Menschen sind gegliedert, sondern der gesellschaftliche Organis­mus ist gegliedert.

Dadurch aber ist alles dasjenige unmöglich, was gerade im heuti­gen Sinne zur Ausbeutung führt. Zur Ausbeutung führt heute

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erstens: äußere politische Macht, auch die des menschlichen Indivi­duums, also politische Macht, die politisch geregelt sind. Zweitens:

wirtschaftliche Macht. Wirtschaftliche Macht zum Beispiel beim Lohnverhältnis, das ist unmöglich. Denn es wird in der Zukunft, -also ich meine, wenn man daran denken könnte, daß wirklich die Menschen in einer genügend großen Anzahl sich finden würden und dadurch den gesunden Verhältnissen das aufgeprägt würde durch den dreigliedrigen sozialen Organismus, wenn ihm Eingang ver­schafft würde - es würde in diesem dreigliedrigen sozialen Organis­mus gar nicht zu einer wirklichen Ausbeutung kommen können. Aber es würde allerdings eines erkannt werden: Sehen Sie, alle sozialen Ideale sind mehr oder weniger, wenn sie heute so umfas­send auftreten, mehr oder weniger Kurpfuscherei, aus dem einfa­chen Grunde, weil sie nicht unter Berücksichtigung der wirklichen Verhältnisse geschehen. Die Menschen denken nämlich immer: Wie muß der soziale Organismus eingerichtet werden, damit es allen Leuten gut geht? Natürlich hat darüber noch jeder seine subjektiven Ansichten. So fragt die Idee der Dreigliederung des sozialen Orga­nismus gar nicht! Denn selbstverständlich, wenn Sie einen natürli­chen Organismus betrachten, den Löwenorganismus oder so etwas, Sie können sich ideal etwas viel besser eingerichtetes denken als den Löwenorganismus. Man muß nur aus seinen Bedingungen heraus an seine Möglichkeit denken. So denken auch die Ideen der Dreigliede­rung nicht an ein tausendjähriges Reich, glauben nicht an ein Paradies auf Erden, sondern die Idee der Dreigliederung fragt, welche gesellschaftliche Gestaltung ist möglich, wenn die Menschen so sind, wie sie sind. Da bekommt sie heraus die gesellschaftliche Gliederung, die im dreigliedrigen sozialen Organismus liegt. Gera­de aus der assoziativen Gestaltung des Wirtschaftslebens ersehen Sie, wie durchaus aus der Wirklichkeit heraus die Sachen gedacht sind.

Ja, es ist im Grunde genommen recht leicht, soziale Programme aufzustellen, umfassende Programme! Oh, ich weiß mich noch zu erinnern in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts: Ich war recht oft im Wiener sogenannten Cafe Griensteidl, das so berühmt war,

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weil schon die alten Achtundvierziger dort verkehrt haben; wäh­rend der Revolution ist es das Literaten-Cafe geworden. Karl Kraus, von dem man ja in der Schweiz schon gehört hat, hat über dieses recht berühmte Cafe Griensteidl sein Büchelchen «Die demolierte Literatur» geschrieben. Es war in der Tat so; denn jeder, der ins Cafe Griensteidl ging, bildete sich ein, ein großer Mann zu sein. So wurde also eigentlich an jedem Tische nachmittags, wenn man seinen Kaffee trank, an jedem Tische die soziale Frage dreimal gelöst, zwischen zwei und vier Uhr, und von denselben Menschen in der Nacht, bis nach Mitternacht, wenn man nicht gerade auf das «Sperr-Sechserl» zu großen Wert legte!

Also programmäßige Lösungen dieser sozialen Frage lassen sich sehr gut finden!

Sehen Sie, wenn man überhaupt nicht auf die Wirklichkeit sieht, sondern aus Programmen und abstrakten Idealen heraus arbeitet, so lassen sich Organisationen ausdenken in Hülle und Fülle.

Goethe hat so sehr schön das abstrakte Gestalten von Weltan­schauungen persifliert in seinem Gedichte: «Die Welt ist ein Sardel­lensalat!» Man kann ebensogut sagen, wie die Welt, statt daß sie aus abstrakten Atomen besteht, wie man zum Beispiel bei den Monisten vorgeht, man kann ebensogut sagen, daß die Welt ein Sardellensalat ist, und das beweisen; oder man kann so weit gehen wie Gustav Theodor Fechner, der ganz exakt in einer sehr netten kleinen Broschüre, einer kleinen Schrift bewiesen hat, daß der Mond aus Jodin besteht. Sie finden da einen sehr exakten Beweis. So kann man im Grunde genommen, wenn man abstrakt denkt, alles Mögliche beweisen. Das ist eben gerade das, wodurch die Leute so sehr in Irrtümer hineinkommen, daß sie dem Abstrakten nachgehen, und nicht in die Wirklichkeit hineingehen. Aber es genügt nicht, daß man logisch ist. Man muß außerdem noch wirklichkeitsgemäß sein. Ein zweifaches muß das wirkliche Denken haben: Logizität und Wirklichkeitsgemäßheit. Das eine ist ohne das andere nicht denk­bar. Aber vor allen Dingen: das Wirklichkeitsgemäße ist notwendig.

Und so ist es auch notwendig, daß man sich nicht einen beliebigen Zustand der Welt vorstellt und daraufhin Programme schmiedet,

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sondern es ist notwendig, daß man fragt: Was ist möglich? Das ist die Grundfrage für die Dreigliederung des sozialen Organismus! Und es ist gar keine Möglichkeit vorhanden, daß in dem heutigen Sinne eine Ausbeutung stattfindet. Sehen Sie, alle Sachen haben zwei Seiten! Von seinem Gesichtspunkte aus kann sogar der Kapitalist sagen: er wird ausgebeutet. Nicht wahr, es handelt sich darum, daß man auf das Mögliche hinsieht.

Dann ist noch eine interessante Frage da:

Was hat dureh die vorgetragenen Gedanken zur Abwendung der Gefahr des Bolsche­wismus zu geschehen?

Sehen Sie, es muß immer wieder und wiederum das gesagt werden

- und nicht umsonst wiederhole ich es immer wieder und wiederum in der Stuttgarter Dreigliederungszeitung, die jede Woche erscheint und ich habe den Gedanken schon auch ausgeführt in der Zeitung, die der Dreigliederung des sozialen Organismus gewidmet ist hier in der Schweiz: in der «Sozialen Zukunft», die von Dr. Boos hier redigiert wird und besonders ausgeführt wird für schweizerische Verhältnisse, und in der vertreten wird die Dreigliederung hier in der Schweiz, daß es notwendig ist vor allen Dingen, daß der Dreigliederungsgedanke in einer genügend großen Anzahl von Köpfen Platz greife. Man muß ihn erst verstehen. Die Menschen müssen da sein und ihn verstehen, damit er Wurzel fassen kann. Denn, meine sehr verehrten Anwesenden, dann ist er selber, dieser Dreigliederungsgedanke, beziehungsweise das, was aus ihm wird, die einzig wirkliche Abwendung gegenwärtigen Übels.

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GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) IM VERHÄLTNIS ZU GEIST UND UNGEIST IN DER GEGENWART Erster Vortrag, Basel, 4. Mai 1920

In diesen drei Vorträgen möchte ich von einer gewissen Seite her eine Art zusammenfassenden Bildes geben von dem Wollen der geisteswissenschaftlichen Bewegung, von jenem Wollen, das her­vorgeht aus den klar ersichtlichen Aufgaben der Gegenwart selber und aus dem, was man erkennen kann an Menschheitsaufgaben für die nächste Zukunft.

Ich möchte heute in einer Art Einleitung Bemerkungen machen über das Wesen der anthroposophisch orientierten Geisteswissen­schaft und über die Notwendigkeit einer geisteswissenschaftlichen Bewegung innerhalb des Zivilisationslebens der Gegenwart. Ich möchte dann morgen insbesondere zeigen, wie diese Geisteswissen­schaft zu einer tieferen Erkenntnis, einer lebensvoll erfaßten Er­kenntnis des menschlichen Seelen- und Geisteswesens, und von da aus dann zu einer Vertiefung des sittlichen, des moralischen Bewußt­seins führt. Ich möchte dann auch zeigen, wie sich diese Geisteswis­senschaft zu den religiösen Bekenntnissen der Gegenwart stellen muß, und ich möchte endlich im dritten Vortrage zeigen, wie die Kalamität in der Gegenwart aus den psychologischen Eigentümlich­keiten der heute über die Erde verbreiteten Völker hervorgeht, wie sie hervorgegangen sind aus der geschichtlichen Entwickelung die­ser Völker. So daß ich gewissermaßen vorschreiten möchte von einer Charakteristik der Geisteswissenschaft zu einer Betrachtung über die gegenwärtige Zivilisation, beleuchtet vom geisteswissen­schaftlichen Standpunkte aus.

Wenn man heute äußerlich, oberflächlich, wie es schon einmal dem Geschmacke sehr vieler Zeitgenossen entspricht, von so etwas hört, wie die Geistesbewegung ist, deren äußerer Repräsentant der Dornacher Bau ist, so hat man sofort das Gefühl: So etwas kann ja eigentlich nur für den Sonntag sein, denn an allen Wochentagen

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haben die Menschen ihre nützlichen Beschäftigungen, die geregelt sind, die vielleicht einmal durch irgendwelche Ereignisse in vier oder fünf Jahren große Unregelmäßigkeiten gezeigt haben, die aber wieder aufgebaut werden, insofern sie zerstört sind - aber man hat nicht das Gefühl, daß so etwas, das mit diesen Alltagsaufgaben der Menschheit zu tun habe, entstehen könne durch eine geistige Bewe­gung. So ist denn auch die Meinung entstanden, daß alles dasjenige, für das der Dornacher Bau der äußere Repräsentant ist, eben eine sektiererische Bewegung sei, eine Art neue Religionsbildung sein wolle, und überläßt es höchstens denjenigen, die mit einem gewis­sen, aus dem einen oder anderen Beweggrund hervorgehenden Fanatismus an dem Alten hängen, alle möglichen Kampfesarten gegen eine solche Bewegung zu suchen.

Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, neben allem anderen möchte ich gerade heute gleich beim Ausgangspunkte dieser Be­trachtung darauf hinweisen, daß die Geistesbewegung, die hier gemeint ist als anthroposophisch orientierte, in den letzten Wochen daran gegangen ist, sehr praktische Tätigkeiten zu entfalten. So wie an anderen Orten, so ist auch hier eine ganz praktische Tätigkeit im Gange, indem versucht wird, durch eine - bitte, es kann sogar paradox klingen, wenn man im Namen einer geisteswissenschaft­lichen Bewegung spricht -, durch eine «Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte» dem niederge­henden gegenwärtigen Leben einen Aufbau entgegenzusetzen. Ganz praktische Tätigkeiten sollen in der nächsten Zeit begonnen werden. Und da soll auch gezeigt werden, wie dasjenige, was gemeint ist mit der anthroposophisch orientierten geisteswissen­schaftlichen Bewegung, wirklich nicht eine Summe von Sonntag-nachmittags-Predigten ist, sondern etwas, was innig zusammen­hängt mit dem, was unsere Zeit an neuen Einschlägen auch des praktischen Lebens braucht.

Lassen Sie mich deshalb auch ausgehen von einer charakteristi­schen Darstellung des praktischen Lebens nach einer bestimmten Richtung hin, um dann gerade von da aus intimer das Wollen anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft charakterisieren

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zu können. Es haben manche Leute, die heute aus mehr oder weniger Ideologie, aus Utopismus heraus das soziale Leben refor­mieren wollen, ja auch schon bemerkt, worauf ich jetzt hinweisen will; aber sie haben es nicht so bemerkt, daß sie haben hinschauen können auf das Prinzipielle, auf das es ankommt.

Man kann, wenn man verschiedene Bewegungen des 19. Jahrhun­derts verfolgt, die seit der Mitte des Jahrhunderts darauf ausgingen, an die Stelle der Gold- und Silberwährung, der Doppelwährung, die Goldwährung als einheitliche Währung zu setzen, man kann bemer­ken, daß diese Anhänger des, sagen wir, Monometallismus, unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkte die Sache anfaßten. Sie sagten - und man kann das aus unzähligen Parlamentsberichten der europäischen Volksvertretungen konstatieren -, es müsse sich unter dem Einflusse der einheitlichen Goldwährung über die ganze zivili­sierte Welt hin der Freihandel entwickeln, der Freihandel als der eigentliche Träger des ungehinderten Wirtschaftslebens, der nicht beeinträchtigt werde durch allerlei Zollschranken, Schutzzölle und so weiter. In allen möglichen Tonarten ist dieses von der Förderung des Freihandels durch den Monometallismus, durch die Gold­währung, besprochen worden. Aber was ist eingetreten unter dem Einfluß der Goldwährung? Gerade dort, wo diese Goldwährung in radikaler Weise eingedrungen ist, ist überall das Gegenteil von dem gekommen, was die gescheiten ökonomischen Praktiker voraus­gesagt haben! Uberall hat sich die Notwendigkeit ergeben, zu Schutzzöllen zu greifen, einschließlich der amerikanischen Staaten. Das heißt, diejenigen, die über die Goldwährung gesprochen haben aus ihrer praktischen Lebenskenntnis heraus oder aus nationalöko­nomischer Wissenschaft heraus, sie haben sich fast alle über dasjeni­ge geirrt, was in der Wirklichkeit wurzelte.

Nun kann man sagen: Sind denn die Menschen alle dumm gewesen? Haben denn die Menschen wirklich keine Logik gehabt? Haben sie so wenig verstanden von dem Leben, daß das Gegenteil von dem eingetreten ist, was sie vorausgesagt haben? Ich bin nicht der Ansicht, daß die Leute etwa lauter Dummköpfe gewesen wären, die im Laufe des 19. Jahrhunderts sich für den Freihandel auseinan­dergesetzt

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haben, ich finde sogar, daß das sehr gescheite Leute gewesen sind, daß sie mit scharfer Logik gesprochen haben und dennoch nichts getroffen haben von der Wirklichkeit! Dasjenige, was nicht eingesehen wird, wenn man heute eine solche Sache bespricht, ist eben, daß man im Sinne derjenigen Denkungsweise, die sich im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte in der zivilisierten Welt herausgebildet hat, sehr gescheit sein kann und dennoch mit seinem Urteil wirklichkeitsfremd sein kann, daß man sich für einen großen Praktiker halten und die unpraktischsten Ratschläge geben kann, die nur irgend möglich sind. Und im Grunde genommen waren es diese unpraktischen Ratschläge, die im Laufe der letzten Jahrzehnte die Menschheit in ihre furchtbare Katastrophe hineingetrieben haben. Man hat insbesondere in Deutschland sehen können, wie die wirkliche Beherrschung der Zustände allmählich übergegangen ist in das Urteil der großen oder kleinen industriellen und kommerziellen Führer des Staates. Andere Leute sind mehr oder weniger abhängig geworden von den indu­striellen und kommerziellen Führern. Viel größer war der Einfluß der kommerziellen und industriellen Führer, als man eigentlich denken möchte. Erst während des Krieges hat sich gezeigt, wie eigentlich alles auf die Urteile von diesen Seiten gehört hat, und wie verhängnisvoll die Urteile von diesen Seiten aus geworden sind.

Und daran konnte man eben sehen, daß sich das ganze öffentliche Leben gewissermaßen summiert aus dem Urteile solcher angebli­chen Praktiker heraus. Das aber hat die Summe gegeben, die als die verhängnisvolle Katastrophe über die zivilisierte Menschheit in den letzten fünf bis sechs Jahren hereingebrochen ist und die noch lange nicht abgeschlossen ist.

Was anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft über­haupt veranlaßt aufzutreten, das ist die Bemerkung dieser Tatsache. Das war der Grund, warum gerade von der Seite her, von der diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft geltend gemacht wird, immer wieder und wiederum auf die praktische Auslebung dieser Geisteswissenschaft hingewiesen werden muß. Ich weiß, wie es einzelne Menschen, selbst die kleine Gruppe hier in Basel überrascht

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hat, als ich vor vielen Jahren darauf hingewiesen habe, daß wir ja mit einer sozusagen halbpraktischen Tätigkeit begonnen haben, nämlich Mysterienspiele aufzuführen. Das haben schon manche «Mystiker» für etwas gehalten, das man eigentlich nicht tun sollte; denn da verschwägert man sich schon in einer gewissen Richtung mit praktischen Maßnahmen, die man nötig hat. Aber ich habe dazumal gesagt: Mein Ideal wäre es, nicht etwa bloß Spiele aufzu­führen, sondern eine Banktätigkeit zu entfalten, um gerade das Praktischste des Lebens mit derjenigen Denkweise zu durchdrin­gen, welche notwendig ist, wenn man fruchtbare Geisteswissen­schaft treiben will. Indem ich immer davon überzeugt sein mußte, aus sachlichen Untergründen heraus, daß man nicht durch ein ungesundes, kurzsinniges Denken zu den Ergebnissen kommt, zu denen Geisteswissenschaft kommen will, sondern gerade durch ein gesundes, umsichtiges und geistesgegenwärtiges Denken, und daß man lernen kann an Geisteswissenschaft das Denken so zu schulen, wie man es unter der materialistischen Betrachtungsweise der letz­ten Jahrhunderte eben nicht schulen konnte; daß man gerade prak­tisch werden kann für das Leben durch die gesunde Denkweise, die notwendig ist, wenn man Geisteswissenschaft in dem Sinne, wie es hier gemeint ist, treibe. Ich möchte sagen: Es fällt gewissermaßen als ein Nebenprodukt ab die gesunde Behandlung des Lebens. Man ist gedrängt, wenn man nicht blöde, nebulose, sondern wahre Einsicht in das Weltwesen durch Geisteswissenschaft erwerben will, nicht ein schwafelndes, nebuloses Denken zu entfalten, sondern ein Denken von viel größerer Klarheit, als man es heute gerade in der Wissenschaft gewöhnt ist. Und entfaltet man dieses Denken, gibt man sich Mühe, das zu verstehen, was Geisteswissenschaft ver­standen wissen will, dann schult man das Denken nebenbei so, daß man auch in praktischen Gebieten des Lebens richtig und sachgemäß denken kann und nicht mehr voraussagt, der Mono­metallismus werde den Freihandel entwickeln, wenn die Verhält­nisse so liegen, daß unter der Goldwährung gerade die Schutzzölle kommen!

Es entsteht gerade auf diese Art von Weltbetrachtung, die hier die

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Anthroposophie genannt wird, Lebenspraxis, wirkliches Untertau­chen in die Realität im Gegensatze zum Materialismus, der überall nach dem Intellektuellen, nach dem bloß äußeren Betrachten der Welt hintendiert und unfruchtbar bleibt, mit Ausnahme des einzi­gen Gebietes, wo er fruchtbar sein konnte, wo er von Triumph zu Triumph geführt hat: dem der äußeren Technik. Um aber nach dieser Richtung klar zu sehen, ist es notwendig, daß dasjenige, was ich von den verschiedensten Gesichtspunkten im Laufe der Jahre hier über das Wesen anthroposophisch orientierter Geisteswissen­schaft entwickelt habe, wenigstens mit ein paar Worten heute noch einmal berührt wird. Anthroposophisch orientierte Geisteswissen­schaft geht im Grunde von der intimsten innersten menschlichen Seelentätigkeit aus. Sie macht geradezu diese menschliche Seelentä­tigkeit zur Methode geisteswissenschaftlicher Forschung. Aber in­dem dasjenige, was in den Tiefen der Menschennatur als Tätigkeit, als Wesen liegt, durch diese Geisteswissenschaft erkundet wird, wird der Mensch zu gleicher Zeit hingewiesen auf das ganze Univer­sum, auf das natürliche Universum und auf das soziale Universum. Der Mensch wird gerade dadurch in die Tiefen der Welt hinein-dringen, daß er lernt, in sachgemäßer Weise in die Tiefen des eigenen Wesens hineinzuschauen.

Von zwei Dingen im menschlichen Erleben muß die Geisteswis­senschaft ausgehen: Erstens von einer Weiterentwickelung des Vorstellungslebens und zweitens von einer Weiterentwickelung des Willenslebens. Wir entwickeln in einem gewissen Sinne dasjenige, was Vorstellen, Denken ist, entweder für die äußere praktische Welt oder auch für die landläufige Wissenschaft. Und wir entwickeln unsern Willen, insoferne wir eingespannt sind, ich möchte sagen, in instinktiv heraufgetriebene soziale Zustände. Geisteswissenschaft aber führt dazu, anzuerkennen, daß ebenso, wie man die noch unentwickelten Kräfte des Kindes so entwickeln kann, daß es dann als erwachsener Mensch sich mit einem gewissen Vorstellen, mit einem gewissen Wollen in die Welt hineinstellen kann, daß man ebenso dasjenige, was der Mensch heute aus einer gewissen Bequem­lichkeit heraus betätigt, weiter entwickeln kann als das alltägliche

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und auch das wissenschaftliche Vorstellen und Wollen. Dazu ist allerdings notwendig, daß man sich zuerst in einem gewissen Sinne eine richtige Menschenerkenntnis erwirbt. Man muß die Möglich­keit gewinnen, hinzuschauen auf den werdenden Menschen. Man wird ja ohnedies lernen müssen, auf den werdenden Menschen zu sehen, was sich als Notwendigkeit gerade für eine Reform des Erziehungswesens ergibt. Dieses Erziehungswesen wird reformiert werden müssen. Man wird es tun, wenn man einsehen wird, daß ein großer Teil der sozialen Verwirrung der heutigen Tage von dem verfehlten Erziehungs- und Unterrichtswesen herrührt. Aber man wird nicht früher das Erziehungswesen reformieren können, bevor man nicht mit einer wirklichen Sachkenntnis den werdenden Men­schen betrachtet, diesen werdenden Menschen, der in jedem einzel­nen Exemplar ein Rätsel darstellt, das in einem gewissen Sinne gelöst sein will. Wir betrachten das werdende Kind. Welche wunderbaren Ereignisse treten uns entgegen, wenn wir das Kind in den ersten Wochen, in den ersten Monaten, in den ersten Jahren seines Heran­wachsens betrachten, wenn wir wirklich nicht hinwegschauen über dasjenige, was von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr geschieht, sondern uns vertiefen in diesen werdenden

Menschen: was für Wunder des Geschehens, des Weltgeschehens treten uns da entgegen!

Gewöhnlich sieht man zum Beispiel auf so etwas, wie es der Zahnwechsel ist, eben nur ganz äußerlich hin. Man betrachtet nicht dasjenige, was mit dem Zahnwechsel zugleich als eine völlige Um­wandlung der ganzen kindlichen Seelenverfassung vor sich geht. Bis zum Zahnwechsel lebt das Kind so, daß es im Grunde genommen als innersten Instinkt Nachahmung desjenigen hat, was in seiner Um­gebung durch Menschen geschieht, namentlich durch diejenigen Menschen, mit denen es durch Blut oder Erziehung zusammenge­wachsen ist. Jede Handbewegung, die das Kind macht, können wir begreifen, wenn wir wissen, wie das Kind hingegeben ist an die Menschen seiner Umgebung; und im Grunde ist jede Handbewe­gung eine Nachahmung, wenn auch manchmal so, daß sich das Nachahmewesen kaschiert. Aber wer beobachten kann, merkt, daß

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zum Beispiel auch in der Sprachbildung eine Angliederung, eine nachahmende Angliederung an die Umgebung vorhanden ist.

So sehen wir, wie das Kind in den ersten Lebensjahren ein Nachahmer ist. Und indem wir das Kind so betrachten und sehen, wie von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr aus den innersten Tiefen heraus dasjenige wächst, was sich dann überträgt in Form, in Geste, in Bewegung und Handlung, in Laut, in Gedanken, wenn wir das beobachten bei dem Kinde, so werden wir bemerken - wenn man es nicht anders kann, so werden wir meinet-willen durch Hypothese zunächst zu der Vorstellung kommen -, wie das Seelisch-Geistige nun an dem Leiblichen arbeitet. Und vertieft man sich in eine solche Beobachtung, schaut man hin, wie das Seelisch-Geistige an dem Leiblichen arbeitet, dann kann man nicht anders, als diese Arbeit des Seelisch-Geistigen an dem Leibli­chen bis hinein in das Innerste zu verfolgen. Dann wird man sich sagen: Da geschieht etwas Bedeutsames durch den ganzen Organis­mus hindurch, was sich um das siebente Jahr herum auslebt in den zweiten Zähnen, die die Milchzähne ersetzen. Da ist gewissermaßen in diesem Zahnwechsel ein Schlußpunkt.

Und was tritt dann auf bei dem Kinde, wenn der Zahnwechsel abgeschlossen ist? Das tritt auf - jeder kann das, indem er sich an sein eigenes Leben zurückerinnert, klar und deutlich bemerken -, daß dann bei dem Kinde die Vorstellungen, die vorher in einer gewissen Weise flüchtige waren, die kamen und gingen, die chao­tisch waren, daß diese Vorstellungen sich in strengere Konturen formen, daß sie sich so fest gestalten, daß sie gewissermaßen kristalli­sieren, um dann zu bleibenden Erinnerungen zu werden.

Das Erinnerungsvermögen tritt allerdings bei manchen Men­schen schon früher auf, aber die festumrissene Erinnerung, die zu Gedanken gestalteten Erinnerungen, die treten dann auf. Und wer dann diese Vorstellungsreihe verfolgt, der wird nicht umhin kön­nen, sich zu sagen: Ja, das ist ja dieselbe Tätigkeit; bis zum Zahn-wechsel hin war eine geistig-seelische Tätigkeit, um die Zähne herauszutreiben. Diese geistig-seelische Tätigkeit wirkte im Orga­nismus. Jetzt hat sie ihre Tätigkeit, ihr Feld abgeschlossen. Jetzt tritt

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sie als geistig-seelische Tätigkeit selber auf. Die festumrissenen Gedanken, die Gedanken, die der Erinnerung mächtig sind, diese Gedanken treten jetzt auf. Was haben sie früher getan? Sie waren es, die im Organismus gearbeitet haben, um die Zähne herauszuarbei­ten; dieselbe Tätigkeit, die später im Denken und im Erinnern lebt, lebte im Organismus, war dort tätig, um die Zähne herauszutreiben. Es ist gewissermaßen eine organische Tätigkeit, metamorphosiert, umgewandelt zu einer geistig-seelischen Tätigkeit. Und als solche geistig-seelische Tätigkeit lebt sie nun weiter im Menschen.

Sehen Sie, von diesen Dingen geht in streng methodischer Weise anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft aus. Sie sagt sich:

Man versuche nur einmal hinzuschauen, wie in starker Weise in den ersten sieben Lebensjahren dasjenige im Organismus tätig ist, was später nur als Gedankenarbeit, als Erinnerungsarbeit wirkt. Nun sage man sich, man nähme diese verstärkte Tätigkeit des Denkens, des Vorstellens auf, man halte sich daran, nicht bloß die umgesetzte geistig-seelische Tätigkeit der späteren Jahre in seiner Seele arbeiten zu lassen, sondern die stärkere Tätigkeit, die imstande war, nicht bloß Gedanken zu Erinnerungen zu formen, sondern die Zähne herauszutreiben. Das ist aber nur ein Teil der Tätigkeit, der größere, intensivere, bis zum siebenten Jahre. Diese stärkere Tätigkeit wird in Angriff genommen durch dasjenige, was anthroposophisch orien­tierte Geisteswissenschaft das Meditieren nennt. Meditieren ist nichts anderes als ein verschärftes Denken, als ein intensiver gemach­tes Denken, als ein ausgebildetes Denken. Die Meditation besteht darin, daß man einen Gedanken oder eine Gedankenreihe - für den einen Menschen ist das gut, für den anderen jenes, das Genauere findet man mitgeteilt in den Schriften: «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?», in «Die Geheimwissenschaft im Um­riß», «Vom Menschenrätsel» und «Von Seelenrätseln» und so wei­ter -, diese Meditation, die hier gemeint ist, besteht darin, daß man einen Gedanken oder eine Gedankenreihe intensiv in den Mittel­punkt des Bewußtseins stellt und dann so stark seelisch-geistig in dieser Gedankenreihe tätig ist, daß man nun nicht bloß jene abstrak­te, intellektualistische Gedankentätigkeit entfaltet, die man in der

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gewöhnlichen Wissenschaft oder im gewöhnlichen Leben hat, son­dern jene intensive Gedankentätigkeit, die, wären wir noch Kinder unter sieben Jahren, in unseren Organismus eingreifen würde, im Organismus drinnen brodeln und kochen würde. So aber trägt sie uns, nachdem wir sie als seelisch-geistige Tätigkeit treiben, dahin, daß wir lernen mit Gedanken zu leben wie mit Realitäten. Man sehe einmal nach, wie die Menschen im alltäglichen Leben oder in der gewöhnlichen Wissenschaft dem Gedanken, dem Urteil gegenüber leben; die regen sie nicht auf. Es regt einen Menschen auf, wenn er mit einem befreundet ist und der ihn schädigt oder er verliebt ist in einen anderen, oder Hunger oder Durst hat und so weiter. Die Dinge des Leibes regen den Menschen auf; die Gedanken nicht in der gleichen Weise.

In dem Gedanken lernt man sich bewegen durch das Meditieren, wie man sich bewegt im Alltag. Und nach und nach wird es so, daß man merkt, man macht ja innerlich durch dieses Meditieren einen Ruck durch. Während man im gewöhnlichen Leben eine Art Füh­rung in seiner Gedankenwelt hat durch die Außenwelt, während man sich hingibt den Gedanken, die uns umgeben je nachdem sie kommen durch die ungezügelten Erinnerungen, auftauchen, wieder verschwinden und so weiter, besteht das Meditieren darinnen, daß man aus dem eigenen Willen heraus seine Gedanken in das Bewußt­sein hineinbringt, daß man einen Gedanken so handhabt, wie man meinetwillen die Hand bewegt, wenn man mit der Hand irgend etwas ausführt. Und man bekommt nach und nach tatsächlich das Gefühl, daß man denken lernt, wie man sonst greifen oder sonst gehen gelernt hat: daß die Gedankentätigkeit sich als etwas vom Menschen Abgesondertes ergibt. Wenn man so vordringt zu einer solchen Gedankentätigkeit, die intensiver ist als die gewöhnliche Gedankentätigkeit, zu einer Gedankentätigkeit, von der man inner­lich erlebt: Wäre man noch Kind, würde dieses Denken, das man im Meditieren entwickelt, sogar in das Wachstum, in die Gestaltung des Leibes eingreifen - wenn man dieses Denken entwickelt, dann lernt man das kennen, was es heißt: im Denken selber, im Vorstellen leibfrei sich einer Tätigkeit hingeben.

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Es ist ja ganz richtig, daß das gewöhnliche Denken ganz an das Gehirn gebunden ist. Und das lernt man gerade dann erkennen, wenn man dieses leibfreie Denken, zu dem man sich nur durch meditative Entwickelung erheben kann, kennenlernt. Dieses Den­ken, das ebenso in die Willkür gestellt ist wie die Handbewegungen, wie die Beinbewegungen, das man durch Anstrengung vollführen kann, unter dem man ermüdet, das man nach einer bestimmten Zeit so unterlassen muß, wie man unterlassen muß die Anstrengung des äußeren Leibes, wenn man dieses Denken so kennenlernt, so von innen kennengelernt hat, dann hat man überhaupt erst ein Erlebnis von dem schaffenden Denken, von dem schaffenden Vorstellen. Dann ergreift man in dem Menschen ein Wesen, das ätherisch-den­kerisch ist und das zugleich dasjenige ist, das durch die Geburt oder sagen wir durch die Empfängnis aus übersinnlichen Welten herun­tergestiegen ist, und eben als Plastiker, als Architekt am menschli­chen Leibe mitgearbeitet hat. Wir haben dasjenige erfaßt, was am menschlichen Leib arbeitet, und wir haben damit lebensvoll uns zurückversetzt in das, was wir Menschen waren, bevor wir in diesen physischen Leib heruntergestiegen sind und den Leib angenommen haben, der uns gegeben worden ist durch die Vererbung von Vater, Mutter und so weiter. Wir haben ein Erlebnis von dem Vorgeburtli­chen oder von dem Leben vor der Empfängnis, ein Erlebnis von dem, was unser übersinnliches Dasein war vor dem jetzigen phy­sischen Dasein.

Durch die Ausbildung des Denkens erweitert sich unser Men­schenleben über Geburt und Empfängnis hinaus. Das, was ich Ihnen hier erzähle, ist geradeso sicheres Ergebnis einer strengen methodischen Untersuchung, die auf den Wegen wandelt, die ich Ihnen hier skizzierte, wie irgendein chemisches Resultat. Nicht sicherer ist dasjenige, was die Chemie im Laboratorium oder die Astronomie auf der Sternwarte zuwegebringt als dasjenige, was so aus der Intimität des entwickelten menschlichen Gedankenlebens als Erkenntnis der übersinnlichen Menschenwesenheit vor der Ge­burt hervorgeht; es ist einfach weiterentwickeltes Denken, welches die Methode liefert, in die übersinnliche Welt einzudringen. Dieses

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Denken liefert allerdings dann die Möglichkeit, auch etwas zu sagen über dieses vorgeburtliche Leben. Darauf wollen wir morgen zu­rückkommen. Ich möchte aber jetzt hinweisen auf die andere Seite desjenigen, was im Menschen entwickelt werden muß, damit er aufsteigt von der sinnlichen Erkenntnis zu der übersinnlichen Er­kenntnis. Dieses andere ist der Wille. Und um die Bedeutung dieser Willensentwickelung einzusehen, brauchen Sie nur daran zu den­ken, wie weit entfernt dasjenige ist, was wir den Inhalt unserer sittlichen Ideale, der sittlichen Impulse nennen, von dem, was äußeres Naturgeschehen, was auch Naturgeschehen im Menschen ist. Das ist ja gerade die Sorge der philosophischen Weltanschauung, daß die sogenannten Ideale nicht herangebracht werden können an das Naturdasein. Da beschreiben auf der einen Seite die Geologen und Astronomen, wie unsere Erde mit alledem, was zu unserem Planetensystem gehört, aus einem Urnebel nach ewigen, ehernen Gesetzen hervorgegangen ist, wie sie sich abgespalten hat, wie Pflanzen sich entwickelt, Tiere sich entwickelt haben bis herauf zum Menschen. Dann verfolgen sie das, um Hypothesen darüber aufzu­stellen, wie das alles wiederum zugrunde gehen wird. Aber beden­ken wir: In diese Welt stellt sich nicht hinein die Welt der Ideale, die Welt desjenigen, was wir uns vorsetzen müssen, wenn wir ein menschenwürdiges Dasein führen wollen, die Welt desjenigen, unter dessen Einflusse wir unsere Handlungen ausführen; alles dasjenige, was zu unserem Gewissen spricht, das stellt sich nicht hinein. Aber, meine sehr verehrten Anwesenden, was hat denn das für eine Bedeutung für alles das, was vor sich geht als rein natürli­ches Dasein? Keine Brücke kann geschlagen werden in der heutigen Weltanschauung von dem sittlichen Ideal zu dem, was sich natürlich entwickelt. Hin schaut der Astronom, der Geologe auf einen Endzu­stand der Erde, wenn alles entweder dem Wärmetod verfallen wird, oder, wie andere beschreiben, vereist sein wird und so weiter, da wird dasjenige, was jetzt Erdenleben ist, ein grandioses Grab sein. Was wird geworden sein aus dem, was wir die sittlichen Ideale nennen? Sie sind gleichsam wie der menschliche Gedanke, Gedan­ken, die wie hinhuschen über dem natürlichen Dasein für eine

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solche materialistische Weltanschauung. Wer vom Gesichtspunkt der hier gemeinten Geisteswissenschaft ausgeht, theoretisiert nicht über diese sittlichen Ideale, sondern sucht auf einem anderen Wege das Leben zu vertiefen. Er versucht vor allen Dingen, etwas in die menschliche Willkür hereinzubekommen, was sonst nur so vom Menschen betrachtet wird, daß er sich ihm in passiver Weise überläßt.

Und wiederum hilft uns, um das, was ich meine, zu begreifen, wenn wir die zweite Epoche des menschlichen Lebens, die Epoche vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife mit unbefangenem Auge betrachten. Wir sehen wiederum, wie sich in dem Kinde vom 7. bis 14. Jahre nach und nach gewisse Kräfte herausentwickeln, die ihre Kulmination erleben im 14., 15. Jahre. Wir sehen, wie da zunächst die individuelle Liebe auftaucht, wie alles dasjenige, was mit der Fortpflanzung des menschlichen Geschlechtes zusammenhängt, auftaucht. Aber gewöhnlich verfolgen wir nicht, wie ein Geistig-See­lisches vom 7. bis zum 14., 15. Jahre wiederum so arbeitet wie in den ersten sieben Lebensjahren und einen Abschluß findet, so daß es frei wird und gewissermaßen erlöst wird aus der organischen Tätigkeit mit dem 14., 15. Jahre. Wenn wir den Knaben in seiner Entwicke­lung betrachten, dann finden wir - in einer etwas anderen, hier nicht weiter zu erörternden Weise, mehr seelisch ist es beim weiblichen Geschlecht -, wir finden den Abschluß dieser Lebensepoche in der Umänderung der Stimme, in dem anderen Timbre, den da die Stimme annimmt. Was ist das eigentlich, was da in die Sprache hineingeschossen ist? Beobachtet man unbefangen, so findet man:

Es ist der Wille, wie es in den ersten sieben Lebensjahren das Vorstellungsleben war, das sich dann zu einem erinnerungsfähigen Gedanken formt, jetzt ist es der Wille, der in den Organismus hineinschießt, der sich dem Organismus eingliedert und von jetzt ab als freier Wille die Sprache durchdringt, während bis dahin das Kind bis zum 14., 15. Jahre in seiner Sprache nicht frei war, sondern

- man kann das nachweisen - unter dem Einflusse der Umgebung gestanden hat. So daß wir uns sagen können: In der zweiten Lebensepoche ist dasjenige, was später als Wille auftritt, das Organgestaltende.

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Und es tritt, im Jünglingsalter dann, im 17., 18. Jahr bis in die Zwanzigerjahre hinein zutage, indem es den Jüngling durch-glüht mit Idealen. Es ist frei geworden dasjenige, was gearbeitet hat an dem, was dann als Geschlechtsliebe, als Menschenliebe über­haupt, erscheint. Was da frei geworden ist nach dem 14., 15. Lebensjahr in der Geschlechtsreife, es hat gearbeitet bis zum 7. Jahr; der Wille ist es - erst der Wille, der an das Organ gebunden ist, dann der frei werdende Wille. Nimmt man das wiederum auf, und zwar in der Weise, daß man jetzt an den Willen sich wendet und das, was man gewöhnlich eigentlich passiv als Mensch hinnimmt, ins Aktive verwandelt, dann wird man sehen, daß sich eine zweite, besondere geistig-seelische Kraft in der menschlichen Innerlichkeit entwickelt. Man erreicht das dadurch, daß man beobachtet, wie man sich sagen kann: Siehst du auf deinen Lebensweg zurück, so bist du eigentlich von Jahr zu Jahr - das wird weniger bemerkt -, jedenfalls aber von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ein anderer geworden. Das Leben, äußere Verhältnisse, Leiden, Freuden, alles mögliche greift in das Leben ein. Und jeder von Ihnen frage sich, ob er nicht im Laufe der Jahrzehnte ein anderer geworden ist? Das aber hat man nicht in seiner Gewalt. Das Leben schleift einen ab. Das Leben macht einen zu einem anderen.

Geisteswissenschaftliche Methode besteht gerade darin, daß man auf diesem Gebiete auch die Entwickelung selbst in die Hand nimmt, daß man ernster, als man das sonst tut, zum Beispiel die sittlichen Lebensideale nimmt, diese sittlichen Lebensideale sich selber einverleibt, prüft, wie man irgend etwas, das man sich vorsetzt, so gestalten kann, daß man es will, wie man essen will, wenn man hungrig ist. Dazu kann man es bringen. Man kann es dazu bringen, daß das, was sonst nur abstrakte moralische Ideale sind, Instinkt wird, daß es innerlicher Trieb wird. Dann allerdings nähert sich dasjenige, was sonst, wie ich gesagt habe, über der Natur schwebt, von dem man nicht einsehen kann, was es eigentlich für eine Bedeutung hat, es nähert sich das dem menschlichen inneren organischen Werden. Ja, wenn das vielen auch paradox klingen wird, es tritt ein Zeitpunkt ein, wo auf einen moralische Impulse so

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wirken, wie sonst auf den Geschmack die Speisen wirken. Man hat nicht mehr nur das abstrakte Gefühl gegenüber irgend etwas, was man für gut oder schlecht findet, sondern man bekommt eine innerliche Antipathie gegen etwas moralisch Ungeheuerliches oder Schlechtes oder auch nur Tadelnswertes, wie man eine Antipathie bekommt gegen das, was schlecht schmeckt. Was sonst in abstrak­ten Höhen schwebt, nähert sich intim dem, was sonst im Ge­schmack, im Geruche lebt. Man bekommt ein Gefühl davon, wenn man nur einen Arm hebt, so ist dasjenige, was man sich vorsetzt, wirksam im Stoffwechsel des Armes. Man bekommt mit anderen Worten, wenn man also seine menschliche Entwickelung aktiv in die Hand nimmt, ein Gefühl von dem Durchdringen des Geistig-Seelischen gegenüber dem Physisch-Leiblichen. Wie man im Den­ken, wenn man es entwickelt, frei wird von dem Leiblichen, so wird man es durch die andere Entwickelung, die ich jetzt erörterte, die einfach dasjenige, was vom 7. bis 14. oder 15. Lebensjahr hin im Organismus wirkt, so intensiv aufnehmen, daß da die Liebe nicht bloß so wirkt wie sonst im Leben, im sozialen oder im individuellen Leben, sondern daß die Liebe so wirkt, daß sie organisch uns erst zum Leibe gestaltet. Wenn man nun jene Intensität der Liebe auf die eigene Selbsterziehung anwendet, dann erlangt man in dem Willen dasjenige, was stark genug ist zu wirken, wenn auch dieser Leib der Erde oder den Elementen übergeben wird. Hat man einmal eingese­hen, wie der Wille die Macht besitzt, auf den Leib zu wirken, wie der Wille nicht bloß sittliche Impulse in uns abstrakt veranlagt, sondern wie der Wille uns nötigt, die sittlichen Impulse zu empfinden, wie sonst Speisen durch den Geschmack empfunden werden, dann hat man auch begriffen, wie dieser Wille eingreift in das eigene mensch­liche natürliche Dasein, wie er eingreift in das gesamte natürliche Dasein des Universums. Dann erlangt man durch diese andere Seite der Entwickelung die Möglichkeit, zu begreifen, was nach dem Tode ist. Wie man durch die Entwickelung des Vorstellungslebens das vorgeburtliche Leben als ein Übersinnliches, als ein Ewiges begreift, so durch die Willensentwickelung das Leben nach dem Tode. Es erweitert sich dasjenige, was der Mensch hier erlebt in

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dieser physischen Welt durch dasjenige, was Geisteswissenschaft zutage fördert, eben über diese physische Welt hinaus, aber nicht so, daß man nur spekuliert über die physische Welt hinaus, sondern daß man tatsächlich, um zu dem zu kommen, was ich jetzt geschildert habe, ein Gedanken- und Willensleben entwickeln muß, das mit der Wirklichkeit verbunden ist. Man entwickelt das Gedankenleben so wirklich, daß man es in den Kräften hat, in denen es uns selber gestaltet, indem wir ins Leben eintreten. Man ergreift das Willens-leben in einer so starken Wirklichkeit, daß man es hat, wie es wirken wird noch, wenn unser Leib mit allen seinen Instinkten und natür-lichen Trieben zerfallen sein wird.

Dann, wenn dieses erreicht ist, hat man etwas, was so auftreten kann wie der Inhalt meiner «Geheimwissenschaft» etwa. So wie man von einer äußeren naturwissenschaftlichen Wissenschaft aus über die Außenseite der Welt spricht, so kann man über die Innenseite der Welt sprechen. Es braucht nicht jeder ein Geisteswis­senschafter zu werden, um die Geisteswissenschaft einsehen zu können. Der unbeirrte Menschenverstand führt dahin, diese Gei­steswissenschaft begreifen zu können. Wie viele Geistesforscher es geben wird in der Zukunft, darüber brauchen wir uns ja gar nicht zu unterhalten. Es mag viele, es mag wenige geben. Aus meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» werden Sie ersehen, daß jeder bis zu einem gewissen Punkte ein Geisteswissen­schafter werden kann, nämlich selber hineinschauen kann, wenn er nur seine natürlichen Gaben entwickeln will, in das übersinnliche Weltenwesen. Um in dem hier gemeinten Sinne Geistesforscher zu werden, ist vielleicht schon aus dem Grunde manchen nicht mög­lich, weil vieles notwendig ist, was der Mensch im gewöhnlichen Leben ja nicht eigentlich anstreben kann. Denken Sie nur, wenn einer ein Chemiker wird, wieviel er dann abgesondert vom übrigen Leben im Laboratorium zubringen muß, wie er in einem gewissen Sinne auf manches verzichten muß im anderen Leben. So ist es bei jeder einzelnen menschlichen Betätigung im Leben. Bedenken Sie nur, was es bedeutet, wenn jemand sich bekannt machen muß mit einer Welt, die ganz verschieden ist von der, in der wir täglich vom

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Aufwachen bis zum Einschlafen leben, mit einer Welt, die ganz andere Gesetze hat, obwohl diese Gesetze hier wirksam sind, aber im Verborgenen. Das prägt dem Menschen etwas ein, was zu gleicher Zeit der Quell von Leid, von Schmerzen ist. Und jeder wirkliche Geistesforscher wird Ihnen sagen: Dasjenige, was ihm das Leben an Freuden gebracht hat, nimmt er dankbar hin und möchte den Weltenmächten immerzu in einem demütigen Gebete danken für das, was er an Freude erleben durfte. Aber seine Erkenntnis verdankt er nicht eigentlich seinen Freuden, die in einer gewissen Weise einschläfern über die eigentliche Wesenheit des Lebens - die Erkenntnisse verdanken wir dem Leid. Und vertiefte Leiden sind es geradezu, die durch unsere Seelen ziehen, wenn wir eine bestimmte Stufe erstiegen haben in dem Hinausgehen aus der sinnlich-wir­kenden Welt, wie ich es Ihnen heute geschildert habe.

Dann kommt das andere. Denken Sie nur, ich habe es ja selbst gesagt, das Denken wird etwas, wie das Greifen oder Gehen: Es wird in die Willkür des Menschen gestellt. Wir sind sonst gewöhnt, unwillkürlich zu denken, das Denken so automatisch fortlaufen zu lassen. Dieses Denken muß sich so umgestalten - wenigstens für die Zeit, in der man im Geistigen forscht -, wie wir sonst willkürlich Hände und Beine bewegen. Man muß nun genau unterscheiden lernen - und das lernt man sorgfältig, wenn man zum richtigen Weg im Geistesforschen angeleitet wird -, man muß nun sorgfältig lernen zu trennen das Leben, das man in der physischen Welt führen muß und das Leben, das in die geistige Welt hineinführt. Denn hier in der physischen Welt muß man leben können wie ein anderer Mensch. Nicht diejenigen sind die wirklichen Geistesforscher, welche aus einem gewissen Hochmut oder aus einer Wollust der Seele heraus lebensfremd werden, die sich hingeben können mystisch und dabei das Leben verachten, die vielleicht von der übrigen Menschheit sich absondern, sich allerlei absonderliche Kleider anziehen und derglei­chen oder sagen: Wir gehören zu einer ganz anderen Menschensor­te. - Diejenigen sind vielmehr die wirklichen Geistesforscher, de­nen man das gar nicht anmerkt, weil sie im äußeren Leben geradeso drinnen stehen wie die anderen, ja noch praktischer, weil sie dasjeni­ge

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durchdringen mit den wirklichen Gesetzen des äußeren Lebens, die man gar nicht in der äußeren Welt kennenlernen kann, sondern nur aus der übersinnlichen Welt; denn alles Sinnliche ist ganz abhängig von der übersinnlichen Welt. Daher sagte ich schon öfter, am meisten wird diese Geisteswissenschaft, die hier gemeint ist, ihre Ideale erfüllt sehen, wenn sie gerade in die verschiedenen prakti­schen Zweige des Lebens hineinwirken kann. So zum Beispiel sagte ich, würde es ganz besonders eine Erfüllung dieses anthroposophi­schen Ideales sein, wenn man mit einer Anzahl von Ärzten sprechen könnte über dasjenige, was Geisteswissenschaft für eine Erneu­erung der Medizin werden könnte. Das hat sich nun mittlerweile schon erfüllt: In Dornach draußen ist ein Kursus vor Ärzten und angehenden Medizinern gehalten worden über dasjenige, was der Arzneiwissenschaft zugeführt werden kann gerade von dieser an­throposophisch orientierten Geisteswissenschaft.

Wahrhaftig, alles liegt näher dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, was fruchtbares Wirken auf die praktischen Lebenstätigkeiten ist, als das wesenlose Herumstreiten mit denjeni­gen, die ja aus einem blinden Fanatismus oder viel Schlimmerem heraus verleumderisch sich auftun, um als eine religiöse Sekte diese Geisteswissenschaft hinzustellen, weil sie eine allgemeine Abnei­gung haben gegen jeden menschlichen Fortschritt. Denjenigen, denen es mit dieser Geisteswissenschaft ernst ist, kommt es nicht auf das Herumstreiten mit Bekenntnissen an, sondern ihnen kommt es auf ernsthafte Arbeit auf allen praktischen Gebieten des Lebens an.

Das ist es, was vor allen Dingen von Dornach aus geleistet werden will und wogegen einfach, ich möchte sagen, all das Geschwafel, das sich jetzt erhebt von allen Seiten her, grotesk ist. Man versuche nur einmal, sich bekanntzumachen mit dem, was wirklich gewollt wird und man wird sehen, daß das ganz anders aussieht als dasjenige, was jetzt durch einen großen Teil der Presse geht. Das ist es, um was es sich handelt, daß in der Tat durch die geschilderte Methode, durch die der Mensch in sein eigenes Wesen tiefer hineindringt, er auch tiefer in die Welt hineindringt. Man lernt erkennen auf der einen Seite die Wirklichkeit, die uns ins Dasein bringt; man lernt erkennen

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auf der anderen Seite die Wirklichkeit, die uns aus dem Dasein hinausträgt. Dadurch aber gewinnt man auch die Möglichkeiten, tiefer in das Leben selbst hineinzusehen. Heute gehen die Menschen aneinander vorbei, wissen gar nicht, wie der Einfluß des einen Menschen auf den anderen ist, nicht nur der, der durch die äußere sinnliche Leiblichkeit vermittelt wird, sondern wie tatsächlich Seele auf Seele, Geist auf Geist wirkt. Es fürchten sich die Menschen fast, an diese Wirkungen von Seele auf Seele, von Geist auf Geist zu denken. Aber ehe man nicht dahin gelangt, einzusehen, wie die Menschen als geistige Wesen aufeinander wirken, ehe wird man auch nicht eine richtige Vorstellung von dem gewinnen, was über­sinnliche Welt ist.

Der Geistesforscher muß durchaus sich angewöhnen, unbefan­gen in die übersinnliche Welt hineinzuschauen und dabei seinen Platz in der sinnlichen Welt auszufüllen. Diese Notwendigkeit, in einer ganz anderen, viel bewußteren Weise das Leben in der Welt hier zu regeln, wenn man Geistesforscher ist, das gehört wiederum zu den Dingen, die vielleicht nicht jedermanns Sache ist, neben vielem anderen. Aber es genügt ja, wenn dasjenige, was einzelne Geistesforscher als Ergebnisse mitteilen, einfach in den gesunden Menschenverstand aufgenommen wird. Die Geisteswissenschaft hat nicht Sorge, daß sie nicht begriffen wird von unbefangenen Denkern. Nein, sie weiß, daß, je unbefangener man ihr entgegen tritt, je sachgemäßer, je weniger dilettantisch, je wissenschaftlicher man ihr entgegentritt, sie um so mehr verstanden werden wird. Sie fordert geradezu heraus, sie so exakt und ernst zu nehmen wie möglich. Dann wird man schon sehen, daß man nicht mehr in der Weise über sie sprechen kann, wie man über sie spricht, wenn es sich um bloß oberflächliche Bekanntschaft handelt. Der gesunde Men­schenverstand kann durchaus Ja sagen zu dem, was als geisteswissen­schaftliche Ergebnisse auftritt; aber es wird an den gesunden Men­schenverstand dann eine gewisse Anforderung gestellt, eine Anfor­derung, die man heute noch nicht liebt, aber weil man sie nicht liebt, hat man sich in die Katastrophe hineingebracht, die die Menschheit in den letzten fünf bis sechs Jahren durchmachen mußte.

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Sehen Sie, wenn man meine «Geheimwissenschaft» nehmen und lesen würde mit derjenigen Gesinnung, die man heute besonders liebt, dann ist sie strohern, dann haben Sie auch ein Recht, darüber zu schimpfen. Sie ist nicht in der Lage, Ihnen so viel zu sagen, wie Ihnen gesagt wird, wenn Sie sich in ein Kino setzen und da Bilder vor Ihnen abrollen. Sie brauchen nicht viel zu arbeiten. Sie können da passiv sein. Wenn Sie einem Vortrag zuhören, der mit Lichtbil-dern gemacht wird, können Sie auch schlafen. In den Zwischentei­len können Sie Ihre Aufmerksamkeit passiv den Lichtbildern hinge­ben. Anders schon ist es mit einem solchen Vortrag, wie ich ihn mir erlaube. Da muß man in einer gewissen Weise selbst mitgehen, wenn er eine Bedeutung haben soll für den Menschen. Aber erst in der Literatur - meine «Geheimwissenschaft» hat für niemand einen Inhalt, der nicht darauf eingeht, sie selbst zu erarbeiten. Sie ist gewissermaßen nur eine Partitur, und man muß sich den Inhalt aus einer aktiven inneren Tätigkeit selbst erarbeiten; dann hat man ihn erst. Dadurch aber erwirbt man sich als Betrachter dessen, was der Geistesforscher erkundet hat, dann erwirbt man sich aktives Den­ken, jenes Denken, das untertaucht in die Wirklichkeit, das mit der Wirklichkeit sich verbindet. Man erwirbt sich ein Denken, das nicht mehr sagt: Wenn wir die Goldwährung einführen, werden wir Freihandel begünstigen. Dieses Denken, ganz außerhalb der Wirk­lichkeit stehend, ist unreal gegenüber der Wirklichkeit. Man schult sich an einem Denken, das mit der Wirklichkeit innig verbunden ist und das auch in praktischen Fällen sich orientieren kann an der Wirklichkeit. Das andere Denken ist ungeschult. Das geschulte Denken, das gewissermaßen als ein Nebenprodukt der geisteswis­senschaftlichen Bestrebungen abfällt, bewirkt, daß man gegenüber den Forderungen, die heute das Leben stellt, ein praktischer Mensch wird.

Deshalb darf auch diese Geisteswissenschaft geltend machen, die scheinbaren Praktiker, die illusionären Praktiker, die - ja, wie soll ich sagen, großmäulig darf ich wohl nicht sagen -, die großmäulig alles gewußt haben, was da wird im Geschäfts- und anderen Leben, und die das Leben so zerschlagen haben, wie es zerschlagen worden

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ist, die werden ersetzt werden müssen durch diejenigen Menschen, welche etwas zu sagen wissen über den wirklichen Gang des Lebens, weil sie gelernt haben, etwas zu sagen über das Leben, insofern es das Verhältnis des Menschen zum Universum betrifft.

Da darf ich immer wiederum auf die Tatsache hinweisen, die ja immerhin nachweisbar dasteht, es war im Früh-Frühling 1914, wo ich einer kleinen Gesellschaft in Wien, in jenem Orte, von dem der Weltenbrand ausgegangen ist, gesagt habe: Wir stehen in einer sozialen Entwickelung Europas drinnen, die uns zeigt, wie das öffentliche Leben leidet wie an einem sozialen Karzinom, wie an einer sozialen Krebskrankheit, die in der nächsten Zeit zum furcht­baren Ausbruch kommen muß. - Das im Früh-Frühling 1914. Etwas später haben fast gleichlautend Männer, die sich ja auch für Praktiker rechnen, zum Beispiel der deutsche Auswärtige Minister, der österreichische Auswärtige Minister, ihren Parlamenten bezie­hungsweise Delegationen gesagt: Die allgemeine politische Ent­spannung macht großartige Fortschritte. Wir sind in freundnachbar­lichen Verhältnissen zu Rußland, und wir werden dank dieser freundnachbarlichen Verhältnisse demnächst in eine Epoche euro­päischen Friedens eingehen. - In Deutschland sagte man: Wir haben Verhandlungen mit England, die zwar noch nicht zum Abschlusse gekommen sind, die aber versprechen, in der nächsten Zeit zum Abschlusse zu kommen und ein langdauerndes Friedensverhältnis zwischen Deutschland und England hervorrufen werden. - Das alles etwa im Mai 1914! Das haben die Praktiker gesagt. Der andere, der gesagt hat: Wir leiden an einem sozialen Karzinom, der war der Träumer, der Phantast, der verrückte Anthroposoph. Die Praktiker aber, auf die die Menschen gehört haben, die haben gesagt, was ich Ihnen erwähnt habe. Ihre Praktik hat sich so erfüllt, daß in den nächsten Jahren zehn bis zwölf Millionen Menschen totgeschlagen worden sind und dreimal so viel zu Krüppeln!

Wie sich aber hier die Voraussagen erfüllt haben, wie sich auf dem Gebiete des Monometallismus erfüllt hat, wie sich im Kleinen die Maßnahmen auswirkten dieser scheinbaren Praktiker, die dem wirklichen Leben doch fremd gegenüberstehen, das hat sich alles in

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den letzten fünf bis sechs Jahren gezeigt. Gegenüber der Zivilisation der Menschheit macht Geisteswissenschaft heute geltend, indem sie sagt, wie man sich in den Inhalt der Geisteswissenschaft vertiefen muß, um ein solches Denken anzuwenden, das nicht nur logisch ist, sondern wirklichkeitsgemäß. Ich sagte ausdrücklich, ich halte sie nicht für dumm, die Monometallisten, aber ich halte sie für Leute, deren Denken nicht untertauchen kann in die Wirklichkeit, deren Denken wirklichkeitsfremd ist. Ich weiß, wie viele Menschen das heute nicht glauben, daß man gerade durch geistige Vertiefung hineinkommt in das wirkliche Leben!

So steht Geisteswissenschaft zum Geiste unserer Zeit; so steht sie zum Ungeiste unserer Zeit. Wie äußert sich dieser Ungeist? Nun, die Menschheit hat eigentlich den Intellektualismus erst in den letzten drei bis vier Jahrhunderten erhalten. Sie hat sich entwickelt aus einer Urweisheit heraus, die allerdings mehr instinktiv, mehr traumhaft war, die daher abglimmen mußte. Die Intellektualität mußte aufkommen. Wir sind an einem Punkte der intellektualisti­schen Entwickelung angekommen, von dem wir uns wieder entfer­nen müssen, um wiederum Geistiges zu erkennen, was der bloße Intellekt niemals kann. Alles, auch unsere Wissenschaft, Medizini­sches, Jurisprudenz, alle einzelnen Wissenschaften sind bei Wirk­lichkeitsfremdheit heute angelangt, mit Ausnahme allein der unor­ganischen Wissenschaften und der Technik mit ihrem Gefolge. So hat sich die Intellektualität in den letzten Jahrhunderten entwickeln müssen. Es war früher eine instinktive geistige Erkenntnis da, sie ist abgedämmert eine Weile. Eine neue geistige Erkenntnis muß sie wieder ersetzen.

Aber wir haben die Erbschaft dieser alten geistigen Erkenntnis in uns, und eines der bedeutendsten Teile dieser Erbschaft, das ist unsere Sprache selbst, das sind alle unsere Zivilisationssprachen. Dasjenige, was in unserer Sprache lebt, ist nicht hervorgegangen aus einer solchen Weltbetrachtung, wie sie in den letzten drei bis vier Jahrhunderten geübt wurde. Hätten die Menschen nicht schon die Sprachen gehabt, aus einer solchen Seelenbetätigung heraus, wie sie zum Intellektualismus geführt hat, hätten die Menschen nimmermehr

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die Sprachen entwickelt. Die Sprachen sind altes Erbgut. Sie sind hervorgegangen aus einer Zeit, in der man, wenn auch instink­tiv, das Geistige erfaßt hat. Was sind sie geworden in der Zeit des Intellektualismus? Sie sind zu dem geworden, was unser öffentli­ches Leben allmählich in den Zustand der Phrasenhaftigkeit ge­bracht hat. Wir leben, weil wir den alten geistigen substantiellen Inhalt verloren haben, der in dem Worte war, wir leben mit der Sprache in der Phrase und wir sind darauf angewiesen, durch geistige Vertiefung wiederum substantiellen Gehalt für unsere Spra­chen zu finden. Die Phrase aber ist die Schwester der Lüge. Und fragen Sie sich unbefangen, wie die Lüge ihren Siegeszug in den letzten fünf bis sechs Jahren durch die Welt getragen hat, wie wir in dem Zeitalter der Phrase leben! Unser geistiges Leben steht ganz im Zeichen der Phrase. Das ist der Ungeist im geistigen Leben der

Gegenwart: die Phrasenhaftigkeit. Aus der Phrasenhaftigkeit, aus diesem Teil des Ungeistes kommen wir nur heraus, wenn wir uns wieder erfüllen können mit der anthroposophischen Geisteswissen­schaft. Will man geistigen Inhalt mit geistiger Substanz, dann werden durch unsere Worte wiederum geistige Inhalte klingen. Heute redet der Mensch Worte und Worte, weil er den geistigen Inhalt verloren hat. Das ist der eine Punkt, worauf hingewiesen wird von geisteswissenschaftlicher Seite aus in dem Dreigliederungsge-danken für den sozialen Organismus, daß das Geistesleben von der Phrase beherrscht ist, daß ein Weg gesucht werden muß - wir werden über diesen Weg noch zu sprechen haben in den nächsten Tagen -, um von dem Geistesleben aus wiederum in unsere Worte hinein substantiellen Inhalt hineinzubringen. Das ist die erste Auf­gabe, die wir gegenüber dem Ungeist unserer Zeit haben.

Das zweite ist: Es hat sich deutlich ergeben, daß diese neuere Zeit ganz unter dem Einfluß steht des Triebes, demokratisches, wahrhaf­tig demokratisches Leben entwickeln zu wollen. Das hat die Men­schen ergriffen, wie sonst den einzelnen Menschen die Geschlechts-reife erfaßt oder andere Perioden des Lebens. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts macht sich immer mehr und mehr geltend in der ganzen zivilisierten Welt der Ruf nach Demokratie, nach wahrer

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Demokratie. Und was ist wahre Demokratie? Ehrlich erfaßt ist Demokratie ein solches Zusammenleben der Menschen im sozialen Organismus, daß jeder Mündiggewordene als Gleichberechtigter jedem anderen Mündiggewordenen gegenübersteht. Das kann nicht entwickelt werden mit Bezug auf das Geistesleben; denn da kommt es auf die Fähigkeiten an. Das Geistesleben muß auf seinem eigenen Boden abgesondert werden. Die Demokratie kann nur umfassen das politische Leben. Aber was ist das politische Leben geworden? Weil der Trieb zwar da ist, Demokratie zu bilden, aber dieser Trieb überall unterbrochen wird unter dem Einfluß des modernen materia­listischen Ungeistes - was ist dieses Leben geworden? Es ist gewor­den statt eines rechtlichen Zusammenlebens, statt des wirklichen, vom Inneren des Menschen heraus geborenen Rechtslebens, ein Leben der Konvention. Wie wir im Geistesleben in der Phrase leben, so im Rechtsleben in den Konventionen, in dem, was paragra­phenmäßig festgesetzt ist, dem der Mensch nicht mit seiner Seele angehört, sondern gehorcht, indem es von einer absoluten Macht oder zum Beispiel einer Demokratie konventionell festgesetzt wird. Das zweite, das Geisteswissenschaft mit Bezug auf die Dreigliede­rung des sozialen Organismus will, ist: Wirkliche Demokratie auf dem Gebiet, wo Demokratie sein kann, begründen. So daß die Konvention ersetzt wird durch dasjenige, was sich vom Innersten der Menschennatur heraus unter gleichberechtigten mündiggewor­denen Menschen ergeben muß.

Und auf einem dritten Gebiet, dem Gebiet des Wirtschaftslebens, haben wir an die Stelle der wirtschaftlichen Einheit, des Errechnens der Verhältnisse, ein wirkliches wirtschaftliches Urteilen zu setzen, das sich auf die Weise ergeben wird, wie ich es auch in den nächsten Tagen andeuten will, was Sie aber auch namentlich in meinen «Kernpunkten der sozialen Frage» finden werden. Dieses wirt­schaftliche Urteilen ist aufgetreten an dem Ungeiste der neueren Zeit. Der Mensch ist ein Routinier statt ein wirklicher wirtschaft­licher Praktiker geworden, ein Routinier, der einfach drinnensteht in dem Gewebe, in das ihn gerade Geburt oder sonstige Verhältnisse des Lebens hineingestellt haben. Der Mensch ist nicht wirklicher

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Praktiker auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens, sondern Routi­nier unter einem triebhaft gestalteten Ungeist. Wir leben unter dem Ungeist der Phrase, der Konvention, der Routiniertheit. Wir kom­men nicht heraus, wenn wir nicht erfüllen sowohl das Rechtsleben, wie das Geistesleben, wie das Wirtschaftsleben mit demjenigen, was wir uns an Wirklichkeitssinn, an Geistsinn aneignen können aus dem Treiben der Geisteswissenschaft heraus.

Nun, die Menschen sehen heute noch über solche Dinge hinweg. Mit Bezug auf das, daß man hinweisen kann auf Wichtigstes, was wirklich unmittelbar im praktischen Leben drinnensteht, bleiben die Menschen eben oftmals bei dem Urteil, das sei eben eine Träumerei, eine Phantastik und so weiter. Ja, die Menschen sind eben so. Hier in der Schweiz hat ein Mensch gelebt in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, Johannes Scherr. Er war in vieler Beziehung ein Polterer, er hat seine bissige Kritik über alles mögli­che ergossen, eben wie ein polternder Mensch. Aber in seinem Pol­tern liegt oftmals ein sehr gesundes Urteil. Dieser Johannes Scherr hat aus einer gewissen Einsicht in das, was er in seiner Zeit gesehen hat, gesagt: Wenn das so fortgeht, wenn die Menschen in der Er­kenntnis bloß dem Materialismus nachjagen werden, wenn sie im äu­ßeren politischen, sozialen Leben bloß einer Finanzwirtschaft nach-jagen werden, wie sie jetzt entfacht wird, wo jeder nur seine finan­ziellen oder industriellen Interessen in Betracht zieht, seinem Egois­mus nachgeht, wenn dieses Treiben fortgeht, dann wird die Zeit kom­men, wo der Mensch wird sagen müssen: Unsinn, du hast gesiegt!

Ich möchte wissen, wer mit unbefangenem Sinn sich nicht hinstel­len mußte in den letzten Jahren und noch jetzt, wenn er sieht, was da und dort in der Welt geschieht, wenn er sieht, wie entgegengehan­delt wird alledem, was der Menschheit nur förderlich sein könnte, durch die ganze zivilisierte Welt hindurch, wenn man sich insbeson­dere während des Ad-absurdum-Führens der gegenwärtigen Zivili­sation in diesem Kriege hineingestellt hat in diese Verhältnisse, wie er nicht sich hat sagen müssen: Nun, die Zeit ist gekommen, wo man nicht sagen müßte: Unsinn, du hast gesiegt, wie Johannes Scherr:

sondern: Unsinn, du hast entschieden!

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Das weitere will ich in den nächsten Tagen entwickeln. Heute wollte ich einleitungsweise sagen, daß anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, nicht sich beteiligen möchte an der Herbeiführung eines Zustandes, in welchem man immer mehr und mehr wird sagen müssen: Unsinn, du hast ent­schieden -, sondern an der Herbeiführung eines Zustandes, in dem aus innerster Menschentüchtigkeit, aus innerlichster wirklicher Menschenerkenntnis heraus man wird sagen müssen: Sinn können wir wiederum in das Leben bringen, aufbauenden Sinn. Daran möchte Geisteswissenschaft arbeiten.

Und ihre Kraft schöpft sie aus dem Glauben, der doch wohl mehr als ein bloßer Glaube ist, aus der Überzeugung, daß die Zeit wird kommen müssen, in der der Ungeist der Phrase, der Ungeist der Konvention, der Ungeist der Routiniertheit wird besiegt werden müssen durch den Geist, der aus einer tieferen Erkenntnis heraus wiederum von dem Sinn des Lebens spricht. Denn Geisteswissen­schaft muß der Überzeugung sein: Nicht der Ungeist wird die Menschen zu einer heilsamen Entwickelung ihres Lebens führen, sondern allein der Geist. Daher möchte Geisteswissenschaft, so stark sie es nur kann, gegenüber den Bedürfnissen gerade der heutigen Gegenwart und der nächsten Zukunft den Ruf nach dem Geiste und nach seiner wahren Erkenntnis erheben.

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SEELENWESEN UND SITTLICHER MENSCHENWERT IM LICHTE DER GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) Zweiter Vortrag, Basel, 5. Mai 1920

Im gestrigen Vortrag habe ich schon darauf hingewiesen, wie unter dem Einflusse der neueren, von der Naturwissenschaft her bestimm­ten Weltanschauung eine gewisse Unsicherheit in die Menschheit kommen mußte in bezug auf die Frage: Wie stellt sich dasjenige Weltgeschehen, das die Naturwissenschaft als eben naturnotwendig darstellt, zu der Geltung, zu der Bedeutung der sittlichen Men­schenwerte?

Die naturwissenschaftliche Weltanschauung ist ja immer mehr und mehr dazu gekommen, darauf hinzuweisen, daß alles dasjenige, was in der Welt geschieht, naturgesetzlich notwendig geschieht. Und sie ist immer mehr und mehr dahin gekommen, in diese Naturgesetzlichkeit nur dasjenige einzuschließen, was im Grunde genommen gar nichts zu tun hat mit dem sittlichen Menschen. Und so haben wir entstehen sehen, eigentlich so recht deutlich erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts, ein naturwissenschaftliches Weltbild, zusammengefügt aus den verschiedenen Ergebnissen des naturwis­senschaftlichen Denkens, das ungefähr sagt zunächst für unsere Erde und was zu ihr gehört: diese Erde sei ein Glied eines allge­meinen Systems, unseres Sonnensystems, und sie sei mit demselben hervorgegangen aus einer Art Urnebelzustand, habe sich da heraus-geballt, habe sich abgesondert im Laufe der Zeit. Dann seien ent­standen die Wesen des mineralischen, des pflanzlichen, des tieri­schen Reiches, durch die Vervollkommnung der tierischen Form auch der Mensch. Es werde, indem jene naturgesetzliche Notwen­digkeit des Kräftewirkens, welche den Weltengang bis zu diesem Zeitpunkt und bis zu dieser gegenwärtigen Gestalt geführt habe, wei­tergehe, einmal dasjenige, was jetzt von Menschen bewohnt ist als Erde, menschenleer sein, tierleer sein, pflanzenleer sein, es werde wiederum verschwinden in den allgemeinen Weltenprozeß hinein.

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Gewiß, wer energisch dasjenige fühlt, was Naturwissenschaft heute als Autorität den Menschen bedeutet, wird kaum daran zweifeln, daß dieses Weltbild eine gewisse ausschließliche Bedeu­tung hat. Ja, es werden sehr viele gerade unter den gegenwärtigen Gebildeten sein, welche strikte behaupten, daß derjenige, der die Bedeutung dieses Weltbildes nicht anerkennen will, sich blamiere.

Allerdings sind unter denjenigen, die sich so blamieren, Leute, deren Stimmen ganz gewichtig ins Feld zu stellen sind. Ich habe hier schon einmal bei früheren Vorträgen aufmerksam darauf gemacht, wie der geistvolle Kunstforscher Herman Grimm in seinem Goe­the-Buch darauf hinweist, wie wenig dem ursprünglichen, elemen­taren Empfinden des Menschen entsprechen kann dieses Weltbild. Er sagt geradezu: Der Anblick eines Knochens, um den herum ein hungriger Hund seine Kreise zieht, sei appetitlicher als dieses Weltbild. Es werde einer zukünftigen Geschichtsschreibung der Menschheit einigermaßen schwer werden, den Zeitwahnsinn zu erklären, der zu dieser Kant-Laplaceschen Theorie geführt habe.

Gewiß, so etwas wird heute als Laienhaftigkeit, Dilettantismus und so weiter angesehen. Dasjenige, was naturwissenschaftlicb festgestellt ist, bauscht sich gewissermaßen als Weltanschauung zu einem ganzen Weltbild auf, und dann macht es sich in dieser Weise geltend. Und wir stehen davor, zu fragen: Wie stellt sich nun gegenüber einem solchen Weltbilde, das in gewisser Beziehung seine Ausschließlichkeit in Anspruch nimmt, wie stellt sich einem solchen Weltbilde gegenüber die ja doch im Innern des Menschen vernehmbare Stimme des sittlichen Ideales, des Gewissens, die Stimme, welche uns auffordert, dieses zu tun, jenes zu unterlassen, die Stimme, welche uns sagt, dieses sei gut, jenes böse? Wie stellt sich das ganze sittliche Leben in dieses Weltbild hinein?

Ich habe viele Menschen kennengelernt, die dieses sittliche Leben wie eine Art vergänglichen Rauch ansehen, der aufsteigt, eigentlich die Illusion eines Rauches, die aufsteige aus dem naturwissenschaft­lichen Geschehen, den Menschen illusionär eine Zeitlang erfülle, um dann für immer zu verschwinden. Und wie sollte man denn eigent­lich anders denken, wenn man ganz ehrlich ist, als daß dasjenige,

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was in dem Kopfe des Menschen entsteht, nachdem der Mensch im Laufe von Jahrmillionen aus niederen Tierformen sich herausge­bildet hat, wie sollte man anders denken, als daß das, was da im Kopfe des Menschen als Ideale ersteht, auch wiederum spurlos verschwunden sein werde, wenn die Erde in den Zustand zurück­fällt, in den sie sich in dem allgemeinen Weltenlauf auflöst. Es wäre eben eine Episode gewesen, daß die Menschen sich sittliche Ideale vorgesetzt hätten. Die Menschen hätten unter dem Einfluß dieser sittlichen Ideale gehandelt. Alle diese sittlichen Ideale hätten eben nichts mehr zu bedeuten, als daß sie illusionäre Blasen seien, die aufgestiegen wären, nach welchen die Menschen ihr Leben einge­richtet hätten, und die weiter keine Folgen in der Weltenentwicke­lung hätten.

Ich weiß, wieviel von materialistischer Seite auch heute einge­wendet wird gegen eine solche volle Konsequenz dieses Weltbildes. Aber es gibt etwas, was auch einmal berührt werden muß gegenüber den Einwendungen, die heute Materialisten machen, wenn man ihnen sagt: Euer Weltbild, euer bloß aus Naturwissenschaft gehol­tes Weltbild läßt eigentlich den sittlichen Menschenwert doch zu nichts anderem werden als zu einer illusionären Blase.

Sehen wir uns einmal um in der Zeit, in der mit voller Frische und mit vollem Feuer das naturwissenschaftliche Weltbild heraufge­zogen ist in der zivilisierten Welt. Es war ungefähr in der Mitte des

19. Jahrhunderts, wo, ich möchte sagen, nicht so schläfrig und inkonsequent wie heute, sondern aus vollem Feuer heraus die Materialisten die Nägel geschlagen haben dazu, wie man aus dem Gedanken heraus - alles ist nur so geordnet, wie Physik, Chemie, Biologie es wollen -, wie man aus diesem Gedanken heraus gedacht hat über die sittlichen Werte; davon möchte ich doch einige Proben geben, die vielleicht heute nicht mehr genügend bekannt sind. Sehen Sie, in der Zeit, in welcher der Materialismus, ich möchte sagen, in seiner Jugendfrische durch die europäische Zivilisation zog, da war ein Geschichtsschreiber Hellwald; er schrieb vom Standpunkte des naturwissenschaftlichen Weltbildes aus eine Kulturgeschichte. Er sagte sich, indem er die wirkliche, wahre Konsequenz dieses naturwissenschaftlichen

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Weltbildes zog: Sittliche Ideale, überhaupt sittli­che Ideen des Menschen, das sind Illusionen. Wie soll man nach dem notwendigen Geschehen, wie es die Chemie annimmt, wie es die Physik annimmt, an irgendwelche objektive Berechtigung von sittli­chen Ideen denken? Aber die Menschen haben immer sittliche Ideen gehabt. Das muß einfach naturwissenschaftlich erklärt werden, sagt der Kulturhistoriker Friedrich von Hellwald. Vorerst aber drückt er sich über die sittlichen Ideale vom rein wissenschaftlichen, das heißt damals naturwissenschaftlichen Standpunkte aus. Diese Art des Sich-Ausdrückens, die möchte ich doch einmal in einer Probe vorführen. Er sagt: «Aufgabe der Wissenschaft ist es, alle Ideale zu zerstören, ihre Hohlheit, Nichtigkeit zu erweisen, zu zeigen, daß Gottesglaube und Religion Trug, daß Sittlichkeit, Liebe, Freiheit und Menschenrecht Lügen sind.»

Sehen Sie, so hat man gesprochen, als man glaubte, naturwissen­schaftliche Kausalität sei einzig hinzustellen als ein Weltbild, in der Zeit, in der das frisch in die Herzen einzog, in der man nicht inkonsequent und kalt diesen Dingen gegenübertrat.

Aber, sagt nun derselbe Historiker, warum haben sich die Men­schen nun diese sittlichen Ideale vorgemacht, die ja nichtig sind? Die Wissenschaft bezeugt ihre Nichtigkeit. Weil die Menschen, sagt er, sie brauchten; im Kampf ums Dasein brauchten sie diese. Hat man sittliche Illusionen, glaubt man an den Trug der sittlichen Ideale oder der Wahrheitsideale, so kommt man besser im Kampf ums Dasein vorwärts, als wenn man nicht an diese Trugbilder glaubt. Deshalb stiegen diese Blasen auf. Deshalb hat man sich dieser sittlichen Ideale bemächtigt. Sie sind die richtigen Mittel im Kampf ums Dasein gewesen.

Das war Konsequenz vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts! Das ist etwas, was allerdings nocht murkst in den Seelen; aber die Seelen sind nicht mehr so konsequent, wie diejenigen der damaligen Leute waren, und daher gestehen sich die heutigen Seelen nicht die Konsequenz, die darinnen besteht: Entweder nehme ich das Kant­Laplacesche oder ein ähnliches Naturbild an, dann muß ich die sittlichen Ideale als Trugbilder und Lügen erklären, oder aber ich

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muß abreißen dasjenige, was bloß naturwissenschaftliches Welt­bild ist.

Ja, die Menschen waren konsequenter. Ich möchte Ihnen noch eine Probe vorlesen. Eine Dame schrieb an einen der tonangebenden naturwissenschaftlichen Weltbildgestalter der damaligen Zeit, an Moleschott. Diese Dame schrieb dazumal über ihre Anschauung in bezug auf den sittlichen Menschenwert das Folgende: «Das sittliche Maß für jeden Menschen liegt nur in seiner eigenen Natur, und ist darum für jeden ein anderes. Was sind Ausschweifungen und Leidenschaften an sich? Nichts anderes als ein größeres oder kleine­res Ausmaß eines vollberechtigten Triebes.» Und weiter schreibt die Dame: «Die Menschheit habe ich lieb, wie sie ist, und selbst den Dieb und den Mörder hat ihre Lehre» - sie meint Moleschotts Lehre

- «mich achten und seine Menschenrechte anerkennen gelehrt. Vollberechtigt im Kreise menschlicher Anlagen ist alles, was den Dieb sowohl als den Kaufmann macht. List und Verschlagenheit, mit dem Erwerbstrieb verbunden, ist hier wie dort nur eine Zusam­menstellung mit anderen Geisteskräften, das belebende Prinzip. Alles, was ins Leben eintritt, hat mit diesem Eintritt auch sein Recht zu leben erworben. Darum muß ich es noch einmal aussprechen:

Auch der zum Dieb gewordene Mensch brachte das Recht mit sich, seine Natur zu vollenden, und sie allseitig zu machen, und kann auf diese Weise nur eine kraftvolle, eine sittliche Natur sein. Und wie der Dieb, so jeder Lasterhafte, auch der zum Mörder Gewordene. Dieser kann zur Vollendung seiner Menschheit nur gelangen, indem er seine Mordlust befriedigt.»

Meine sehr verehrten Anwesenden, das ist nicht eine Revolutio­närin, das ist eine ganz brave, bürgerlich gesinnte Dame gewesen, die nur in der damaligen Zeit der Jungfräulichkeit jener Weltan­schauung, die heute im Grunde genommen auch vertreten, aber nur nicht ernst genommen wird, die diese Weltanschauung eben ernst genug genommen hat, die nur wußte: wenn man so denkt, wie auch heute noch in bezug auf das naturwissenschaftliche Weltbild die meisten Menschen denken, dann muß man über den sittlichen Menschenwert so denken, wie sie denkt. Es war eine tiefinnerliche

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Verpflichtung, die da gefühlt wurde von einer solchen Persönlich­keit zu dem Bekenntnis, das ich hier anführte, das ja im Grunde genommen zur Auflösung alles Wahrheitsstrebens, zur Auflösung aller Ideale führt und durchaus keinen Anhaltspunkt hat, sittlichen Menschenwert in der Welt irgendwie verankert zu denken.

Ich habe Ihnen diese Proben, die noch vermehrt werden könnten, vorgelesen, damit Sie sehen, wie es gekommen ist, daß dasjenige, was heute über Europa geht, in den Menschenseelen Platz gegriffen hat. Braucht man sich zu wundern, daß über Europa heute jene Stimmung geht, die Sie genügend kennen, wenn diese Stimmung herausgeboren wurde gerade in den konsequent denkenden und empfindenden Menschen, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts und im Beginne des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts diese Weltanschauung vertreten haben?

Es ist ja in der Tat so, daß der heutige Mensch in der Halbheit seiner Seele sich nur nicht gesteht, daß er eigentlich über sittlichen Menschenwert so denken müßte, wenn er nicht sein Weltbild, wie es ihm die naturwissenschaftlich gesinnten Weltanschauungsgestalter vormachen, revidiert. Das ist der große Ernst all jener Fragen, die entstehen, wenn nach einem neuen Aufbau unseres Weltbildes gesehen wird. Das ist dasjenige, was so schwer lastend auf der Seele derjenigen liegt, die in der Geisteswissenschaft, von der ich Ihnen auch gestern wieder gesprochen habe, etwas sehen, was notwendig sich hineinstellen muß in den gegenwärtigen Gang der Menschheits­entwickelung und dem der nächsten Zukunft. Nur davon ist zu erwarten, daß der sittliche Menschenwert Grund und Boden gewin­ne, wahrhaftig Grund und Boden gewinne, daß die naturwissen­schaftliche Weltanschauung selbst durch Geisteswissenschaft, durch die Erkenntnis des Geistes befruchtet werde.

Nun brauchen wir nur einige der Dinge zu bedenken, die hier gestern erwähnt worden sind, um so recht in allen Tiefen zu durchschauen, wie die Welt nicht erkannt werden kann von dem Menschen, wenn er nicht zuerst über sich selbst sich aufklären kann. Die Prozesse draußen in der Welt, wir werden sie nur in ihrer wahren Wesenheit erkennen, wenn wir sie von der Seelenwesenheit

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aus erforschen können. Da erinnern wir uns, wie gestern geltend gemacht worden ist, wie die hier gemeinte Geisteswissenschaft durch innere Seelenentwickelung ihre Methoden, ihre geistigen Erkenntnisse sucht. Und noch einmal will ich kurz hinweisen auf dasjenige, was da im Innern der menschlichen Seele heranentwickelt wird, wie dieses menschliche Seelenwesen weiter gebracht wird, als im gewöhnlichen Leben und in der gewöhnlichen Wissenschaft, um einzutreten in die Anschauungen der geistigen Welt. Ich habe darauf hingewiesen, wie das Haupt sich entwickelt, wie wir in dem Kinde sehen, indem es in die Welt hereintritt, wie von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr ein inneres Seelisch-Geistiges sich an die Oberfläche drängt. Wir sehen, wie die Züge des kindlichen Antlitzes immer seelischer, immer geistiger werden, wie da drinnen etwas arbeitet, das an die Oberfläche heraus plastisch das Menschenwesen gestaltet. Wir ahnen vielleicht nur, aber ein unbefangenes Beobachten, das weiter in die Dinge eingeht, durchschaut es, daß dasjenige, was sich so, ich möchte sagen, in den Zügen des Antlitzes ausdrückt, sich weiter hinein erstreckt in die kindliche Organisation. Und ich habe gestern darauf aufmerksam gemacht, wie der intensivste Ausdruck desjeni­gen, was da geschieht durch dieses plastische Durchgestalten des Menschenleibes von dem Seelisch-Geistigen, der Zahnwechsel ist, das Herausdringen der zweiten Zähne ist, die an die Stelle der Milchzähne treten. Diese zweiten Zähne zeigen in ihrer Bildung am markantesten, am auffälligsten, wie in den ersten sieben Lebens­jahren der menschliche Organismus in seine Verhärtung schießt. Dann, wenn das Kind die Zähne bekommen hat, bekommen die Vorstellungen Gestalt, sie können bleibende Erinnerungen werden; sie bekommen Konturen. In dem Augenblicke des menschlichen Lebens, wo die Kräfte, die im Innern des Organismus bis zum siebenten Lebensjahre gewirkt haben, ihre Aufgabe für den Orga­nismus in einer gewissen Weise erfüllt haben, ist der Zalinwechsel da. Dann kommen diejenigen Kräfte, die im Organismus gewirkt haben bis zum Zahnwechsel hin, in ihre Freiheit. Sie zeigen sich in ihrer geistig-seelischen Gestalt; sie wirken dann im menschlichen Erinnerungsvermögen, im menschlichen Denkvermögen. Dasselbe,

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womit wir denken, womit wir unsere Erinnerung bilden, das hat bis zu unserem siebenten Lebensjahre in unserem Organismus als der menschliche Plastiker gearbeitet; das hat es dahin gebracht, daß aus der Ganzheit der menschlichen organischen Substanz die Zahnsub­stanz sich abgesondert hat, wenn ich es so aphoristisch andeuten darf, sonst müßte man, um die Sache ganz zu erklären, viele Vorträge über diesen Zahnwechsel halten.

Sehen Sie, es ist nur eine kleine Probe, aber eben eine Probe davon, wie Geisteswissenschaft nicht im Wolkenkuckucksheim irgendwie sich ergehen will, wie sie nicht in mystischen Nebel aufsteigt, sondern wie sie gerade in die Erkenntnis der Wirklichkeit hineindeutet, wie sie zeigt, was als Geistig-Seelisches in den ersten sieben Jahren am menschlichen Organismus arbeitet. Diese Gei­steswissenschaft lehrt ja erst den menschlichen Organismus erken­nen! Das ist gerade das Schicksal des Materialismus, daß er die Materie nicht erkennen kann, daß er uns nichts sagt über die Materie. Geisteswissenschaft sagt uns gerade über die Materie solche Dinge, wie ich sie jetzt angedeutet habe in dem Arbeiten desjenigen, was später Gedankenbewegung wird, an dem menschli­chen Organismus bis zum siebenten Jahre hin. Würde man eingehen konnen ins Einzelne, Konkrete, so würde man sehen, wie das Geistig-Seelische arbeitet an den menschlichen Organen, an Leber, Lunge, Niere und so weiter. Geisteswissenschaft wird die wirkliche Erkenntnis gerade der materiellen Vorgänge bringen, weil sie diese materiellen Vorgänge aus dem Geistigen heraus zu erklären in der Lage ist.

Wenn man als Geistesforscher weitergeht in der Heranbildung jener Methode, durch die man eintreten kann in die geistige Welt, dann muß man ja dasjenige, was sich da abgegliedert hat im sieben­ten Jahre als denkerische Tätigkeit, als Vorstellungstätigkeit, durch Meditation - wie ich es gestern angedeutet habe - weiter ausbilden. Dann muß man so stark in Gedanken innerlich arbeiten, wie der Gedanke arbeitet in den ersten sieben Lebensjahren, wenn er nicht bloß Gedanken eben vor das Bewußtsein zu zaubern hat, sondern wenn die Gedankenkraft so stark im Organismus arbeitet, daß sie es

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zuletzt dahin bringt, die Zähne herauszugestalten aus dem Organis­mus. Arbeitet man durch Meditation sich in eine solche verstärkte Gedanken- und Vorstellungstätigkeit hinein, dann merkt man aber auch den Unterschied zwischen diesem Denken, das einem dann unmittelbar in die Anschauung der geistigen Welt hinein bringt, das einen unmittelbar erkennen läßt, wie der Mensch aus einem Gei­stig-Seelischen heruntergestiegen ist durch die Geburt in sein physi­sches Dasein, und kann dann vergleichen dasjenige, was man sich so, ich möchte sagen, künstlich durch Meditation errungen hat, mit dem, was das gewöhnliche menschliche Denken ist.

Nicht wahr, auf diese Weise hat man erfahren, woraus das gewöhnliche menschliche Denken besteht, das der Mensch im täglichen Leben, in der gewöhnlichen Wissenschaft ausübt. Dieses Denken üben die Menschen aus; aber sie können ja nicht wissen, worinnen dieses Denken eigentlich besteht. Man lernt erst erken­nen, worinnen dieses Denken besteht, wenn man daneben stellen kann das Denken, das leibfrei ist, das nicht an das Gehirn gebunden ist, das im rein Geistig-Seelischen, Ätherischen verläuft, das man sich nur durch Meditation aneignen kann. Man hat dann erst die Vergleichsmöglichkeit, kann dann erst das gewöhnliche Denken des Menschen vergleichen mit diesem ganz leibfreien Denken. Das ist wichtig, daß man das kann, denn das gibt dann erst eine wirkliche Wissenschaft über die ganze Bedeutung des menschlichen Seelen-wesens.

Sehen Sie, es ist eine außerordentlich bedeutungsvolle Erfahrung, die man macht, wenn man einmal soweit ist, das Denken in seinem leibfreien Zustande zu erfassen, und damit zu vergleichen, wie das Denken ist, wenn es als gewöhnliches Denken des Lebens an das Gehirn gebunden ist. Man sieht dann in bezug auf das Denken den Unterschied, der besteht zwischen dem Menschen und dem Tiere. Über diesen Unterschied des Menschen vom Tiere ist ja viel gefabelt worden, namentlich viel von der modernen Wissenschaft gefabelt worden. Aber erkennen, worinnen dieser Unterschied besteht -man kann es erst durch solches Vergleichen, wie ich es eben angedeutet habe.

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Und wenn man sich fragt: Ja, wodurch entsteht denn das gewöhn­liche Denken im Gegensatze zu dem leibfreien Denken, das unmit­telbar anknüpft an das seelische Sein des Menschen, indem es nur im Geistig-Seelischen verläuft, worinnen besteht denn - so kann man jetzt fragen - vom Gesichtspunkte dieses leibfreien Denkens, das gewöhnliche Denken? Dieses gewöhnliche Denken ist durchaus an das Gehirn gebunden. Es muß etwas da sein von organischer Organisation, wodurch dieses gewöhnliche Denken verläuft. Das leibfreie Denken, das durch Meditation erworben wird, braucht dieses Nervenwerkzeug nicht. Das gewöhnliche Denken braucht dieses Nervenwerkzeug. Dieses Nervenwerkzeug hat der Mensch nur dadurch, daß bei ihm die Organisation nicht so weit getrieben wird wie beim Tiere. Das Tier schießt gewissermaßen mit seiner tierischen Organisation bis zu einem gewissen Punkte vor, verhärtet sich bis zu einem gewissen Punkte. Der Mensch geht in der Verhär­tung, in der Verknöcherung in das Sklerotisieren des Seelenlebens beim Beginne des Lebens nicht so weit, wie die Tiere am Beginne des Lebens. Aber während des Lebens entwickelt der Mensch dieses Verhärten. Denn dasjenige, was im Verhärten des Organismus sich dadurch ausdrückt, daß die zweiten Zähne als reine Verhärtungs­produkte erscheinen, das setzt sich ja auch im gewöhnlichen alltägli­chen Denken fort; es werden nur nicht Zähne, es werden viel gelindere Einschiebsel, möchte ich sagen, in den Organismus, die sich wiederum auflösen. Aber dieses Denken, dieses gewöhnliche Denken besteht eben darinnen, daß der Mensch im fortlaufenden Prozesse fortwährend dasjenige, was entsteht in ihm, sprießendes, sprossendes Leben ist, daß er das fortwährend ertötet. Dasjenige tritt zutage, daß in uns fortwährend vorübergehend der Gedanke, der frühere Wirklichkeit hat als die Zähne, als abgestorbene Teile aus dem Organismus herausschießt und daß dieses Schießen in die Sklerotisierung, Verknöcherung sich wieder auflöst. Das Denken besteht eben darinnen, daß wir in bezug auf unser Kopfsystem, unser Nerven-Sinnessystem, fortwährend den Tod in uns tragen.

Das ist dasjenige, worauf ich in anderen Zusammenhängen auch hier an dieser Stelle schon aufmerksam gemacht habe. Unser Denken

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besteht darinnen, daß wir im fortlaufenden Zeitprozesse durch unsere eigene innere Aktivität dasjenige vollziehen, wozu das Tier von Anfang an angelegt ist: den Sklerotisierungs-, den Verknöche­rungsprozeß, den Todesprozeß, den wir hineintragen in unseren Organismus. Man blickt hin vom Gesichtspunkte des leibfreien Denkens, das man sich durch Meditation angeeignet hat, auf dieses fortwährende Sterben, ohne das das gewöhnliche Denken des Men­schen nicht vor sich gehen kann. Und dieses Sterben wird nur fortwährend ausgeglichen dadurch, daß wiederum aus der übrigen Organisation, aus der Blut- und Herz-Organisation, in den zum fortwährenden Sterben neigenden Kopf heraufschießen die bele­benden Kräfte. Im Menschen ist, gerade indem er ein Denker ist, ein fortwährender Kampf zwischen Sterben und Leben. Und dasjenige, was am Ende des physischen Lebens auftritt, der einmalige Moment des Sterbens, ist eben nur die synthetische Zusammenfassung desje­nigen, was im kleinen immer geschieht. Wir sterben von unserer Sinnes-Nervenorganisation aus fortwährend; nur wird dieses Ster­ben fortwährend aufgehoben. Erst wenn der übrige Organismus, nicht bloß der Organismus des Kopfes, nicht mehr die Fähigkeit hat, das Sterben aufzuheben, erst dann sterben wir wirklich. Der Tod ist nicht etwas, was eben nur einmal an den Menschen heran­tritt, der Tod ist ein dauernder Prozeß. Und diesem Tode verdanken wir das Denken. Dadurch, daß wir durch das Denken den Tod in uns eingliedern, dadurch ist erstens dieses Denken überhaupt nur in uns vorhanden, zweitens aber lernen wir erkennen, was das Tote eigentlich substantiell ist.

Wenn man sich das leibfreie, durch Meditation herangepflegte Denken ausgebildet hat, so sieht man erstens auf das andere Denken hin, sieht, wie es fortwährend mineralisiert, verknöchert die mensch­liche Substanz, und man lernt den Mineralisierungsprozeß kennen. Indem man im Menschen ein Mineralisches rein als das Produkt des Denkens, ausfüllend den Menschen, ausfüllend ihn mit dem Toten, kennenlernt, lernt man in sich das Mineralreich kennen. Und indem man das Denken in sich erhebt über den Grad des Todes, in sich selber erweckt, indem man erlebt, daß in uns etwas sterben muß,

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damit die Gedanken entstehen, indem man dieses erlebt, lernt man erkennen auch das Geheimnis des Weltenalls. Man lernt erkennen, was eigentlich dieses Mineralreich da draußen bedeutet. Dieses Mineralreich der außermenschlichen Welt, man lernt es eben nur dadurch erkennen, daß man das an das Denken gebundene Mineral-reich im Menschen selbst erkennt. Die rechte Welterkenntnis wird einem nur durch die intime Menschenerkenntnis. Und indem man sieht, wie etwas erstirbt im Menschen, entgeht man dem Vorurteil, das als das schärfste, intensivste Vorurteil sich in das 19. Jahrhundert hereingeschlichen hat und geblieben ist bis in unsere Tage; so starrte, möchte ich sagen, unter einer infamen Suggestion befangen, starrte der Mensch hin auf die mineralische Welt mit ihrer Kausali­tät. Er kannte ja nichts in sich, was ihn die Wesenheit dieser mineralischen Welt kennen gelehrt hätte. Er konnte sich nichts anderes sagen, als: Diese Welt war einstmals Weltennebel, Kant-La­placescher Urnebel. Daraus ist hervorgegangen das Planetensystem, die Erde; daraus hat sich alles andere entwickelt, und das wird so fortgehen. Dieses Werden, dieses kausale Geschehen, das ist etwas Ewiges; darinnen sind die sittlichen Menschenwerte Blasen, die aufsteigen, noch dazu Blasen, die nur aus Illusionen bestehen. -Lernt man erkennen dieses mineralische Reich, indem man es in sich selber erkennen lernt, dann lernt man seine Wesenheit in der äußeren Welt durchschauen. Man sieht in sich, wie das mineralische Reich ein fortwährendes Sterben ist. Und man konstruiert nicht mehr in der alten Weise das äußere Weltbild, sondern man weiß jetzt, wie dieses äußere Weltbild eigentlich konstruiert ist unter dem Vorurteil von Wissenschaft. Sehr geistvoll ist es konstruiert, darauf haben wir schon aufmerksam gemacht: Man könnte ja durch fünf Jahre die Veränderung des menschlichen Herzens verfolgen und man würde finden, daß heute das menschliche Herz etwas anderes ist als vor fünf Jahren. Man könnte dann weiter verfolgen, wie es nach weiteren fünf Jahren ist, könnte dann ausrechnen, wie es nach dreihundert Jahren ist, es ist nur nicht mehr da, aber die Ausrech­nung kann sehr starksinnig und richtig sein. So rechnen die Geo­logen, so rechnen die Astronomen, wie es ausschauen würde auf

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dieser Erde nach Jahrmillionen. Diese Erde ist nur dann ebenso wenig da, wie der Mensch als physischer Mensch nach dreihundert Jahren noch da ist. Und ebensowenig, wie das menschliche Herz vor dreihundert Jahren da war, ebensowenig war die Erde zu der Zeit da, wofür die Geologen ihre Rechnung anstellen!

Das lernt man eben erkennen, indem man die Natur des Mineral-reiches in der menschlichen Wesenheit selber auf dem Wege kennen­lernt, den ich Ihnen angegeben habe. Dann aber, wenn man kennen­gelernt hat auf diese Weise das Wesen des Mineralreiches, dann weiß man: Dieses Mineralreich versinkt ebenso von der Erde, ohne daß die ganze Erde versinkt, wie beim Menschen aufhört dasjenige, was bei ihm verknöchert ist, im Tode, ohne daß der ganze Mensch seelisch-geistig aufhört.

Und weiter: Man kann ebenso, wie man das Denken durch Meditation vorwärts bringt; ebenso kann man das menschliche Fühlen vorwärts bringen; wie man das menschliche Denken in einer gewissen Weise hellsichtig machen kann, so kann man das mensch­liche Fühlen hellfühlig machen, so daß man auch durch das mensch­liche Fühlen in die geistige Welt eintritt. Und wie man durch das Denken in der Art wie ich es eben angedeutet habe, das mineralische Reich kennenlernt, so lernt man dadurch, daß das Fühlen leibfrei wird, und man zurückschauen kann auf das alltägliche Fühlen, wie es gebunden ist an das menschliche Drüsensystem, man lernt erken­nen, wie dieses alltägliche Fühlen an einen ähnlichen Prozeß im Organismus gebunden ist, wie es der Pflanzenprozeß in der äußeren Welt ist.

Und wiederum lernt man das Wesen des Pflanzenprozesses in der äußeren Welt kennen. Und man lernt erkennen - was dem heutigen Menschen sehr paradox erscheint -, daß das Pflanzenreich ein längeres Dasein hat als das mineralische Reich, daß das Pflanzen­reich auch älter ist als das Mineralreich. Der heutige Mensch kann sich gar nichts anderes vorstellen, als daß das pflanzliche Reich aus dem Boden des Mineralischen herauswächst. Er sollte sich lieber anschauen, wie aus dem pflanzlichen Reich ein deutlich Minerali­sches in der Steinkohle daraus wächst! Er würde von da ausgehend

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erschauen können, wie alles Mineralische, das heute existiert, eine Absonderung ist, ein Ergebnis eines ursprünglichen Pflanzlichen, und wie das Pflanzliche ein längeres Dasein haben wird als das Mineralische.

Ebenso wie man leibfrei machen kann das Denken und Fühlen, so auch den Willen. Und erlangt man diesen leibfreien Willen - ich habe auch davon gestern gesprochen, wodurch man diesen leibfrei­en Willen erlangt, durch eine besonders geeignete, intensive Selbst-erziehung, durch ein Sich-Selbsterfassen, durch Selbstzucht -, dann lernt man erkennen das besondere Wesen im Menschen, das nun verwandt ist dem tierischen Reiche. Dann lernt man auch erkennen das Wesen dieses tierischen Reiches. Aber auch wie das pflanzliche Reich wiederum eine Absonderung des tierischen Reiches ist, wie das tierische Reich älter ist als das pflanzliche, das pflanzliche aus sich herausgesondert hat, wie es länger bestehen wird, wie das pflanzliche Reich eher verschwinden wird als das tierische Reich. Allerdings natürlich nicht in den physischen Tierformen wie heute, aber in den Tierwesenheiten, die in diesem physischen Reiche verkörpert sind.

Und dann bekommt man erst einen wahren Einblick in die Menschenwelt. Dann bekommt man einen solchen Einblick in diese Menschenwelt, daß man sich sagt: Der Mensch ist es ja, der herausgewachsen ist über all diese Reiche, weil er gewissermaßen so, wie das pflanzliche Reich das mineralische, das tierische Reich das pflanzliche abgesondert hat, so hat der Mensch wiederum das Tier aus sich herausgesondert; er ist älter als das tierische Reich und dauert länger als das tierische Reich. Zuerst geht das Mineralische zugrunde, dann das Pflanzliche, dann das Tierische. Dann wird dasjenige vom Menschen da sein, das man kennenlernte, indem man hinschaute auf dasjenige, was sich aus dem Tode des Mineralischen erhob, was sich erhob auf dem Tode des Pflanzlichen, auf dem Tode des Tierischen, wenn die übrigen drei Reiche verschwunden sein werden. - Was wird sich dann erheben aus unserer Erde, aus unserem Erdendasein? Derjenige, der den Menschen kennenlernt, lernt das schon jetzt erkennen. Er sieht, wie das Denken, wie die

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Gedanken - und die sittlichen Ideale sind Gedanken -, wie die sich erheben aus dem Grabe des verknöchernden Teiles des Organismus in uns; so wird einstmals nur dasjenige da sein, was der Mensch hervorgebracht hat. Es wird sich, wenn verschwunden sein wird dasjenige, was im mineralischen Reich, was im pflanzlichen Reich, was im tierischen Reich ist, es wird sich das hervorheben aus allem diesem Untergegangenen, was gerade der Mensch hervorgezogen hat aus Überwindung des toten Mineralreiches, aus der Überwin­dung des Pflanzenreiches, aus der Überwindung des Tierreiches. Und wir werden darauf hingewiesen, daß dasjenige, was wir heute als sittliche Ideale ausbilden, in unseren keimhaften Gedanken weltbildend sein wird, wenn alles dasjenige verschwunden sein wird, was im heutigen mineralischen, pflanzlichen, tierischen Reich enthalten ist. Wir stellen uns zur Welt nunmehr so, wie wir uns stellen müssen, wenn wir im Bilde die Pflanze anschauen: Da wächst sie herauf, bildet Blatt für Blatt; dann ist aber schon veranlagt der kleine Keim, der dann zur neuen Pflanze wird. Das alte Laub blättert von der Pflanze ab; die Blütenblätter, all das hat keine Bedeutung für den weiteren Fortgang. Wir stehen in der Welt als Mensch darinnen. Wir sehen, wie dasjenige in uns schon jetzt geschieht, was einmal Erdenprozeß sein wird. Wir sehen, wie in uns ein Mineralreich sich bildet, weil wir denken, wie in uns ein Pflanzenreich sich bildet, weil wir denken, wie in uns ein Tierreich sich bildet, weil wir denken. Über all dieses triumphiert dasjenige, was sich in uns als Denken, Fühlen und Wollen ausbildet. Damit ist der Keim gegeben. Wir müssen nur die Möglichkeit haben zu wissen, daß dasjenige, aus dem dieser Keim sich entwickelt, abfällt, wie die Blütenblätter, die Stengelblätter abfallen, daß das eben den Keim einer neuen Welt ergibt.

Der Feind dieser Anerkennung hat sich im 19. Jahrhundert heraufentwickelt, indem man sich nichts anderes vorstellen konnte als: Das mineralische Geschehen schließt in sich eine Substantialität, die konstant ist. Man redete von Konstanz der Materie, der Kraft. In dem Augenblick, wo man diese Dogmen hingestellt hat, in diesem Augenblick ist dieses Mineralische etwas; in diesem Augenblick

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sieht man nicht ein, daß dieses Mineralische dem Untergange geweiht ist, später das Pflanzliche dem Untergange geweiht ist, später das Tierische dem Untergange geweiht ist, und daß sich auf diesem ganzen Grabe nicht ein Nichts erheben wird, sondern dasjenige erheben wird, was wir Menschen heute in uns tragen.

Ja, diese Erde mit allem, was in den drei Reichen auf ihr ist, wird zugrunde gehen. Aber dasjenige, was wir schon heute in uns ausbilden, und dem wir sittlichen Menschenwert zuschreiben, das ist der Keim einer neuen Erde, der Keim eines neuen Weltendaseins. Wir sehen nicht auf den sittlichen Menschenwert hin, indem wir sagen: Das ist eine illusionäre Blase, die aufsteigt - weil wir einse­hen, wie alles dasjenige rings herum, wie die Blätter der Pflanze abfallen, ebenso alles übrige von der Erde abfällt, aber als ein Keim sich entwickelt dasjenige, was wir als den sittlichen Menschenwert in uns tragen. Wir müssen nur solche Vorstellungen überwinden, wie das Vorurteil von der Konstanz der Materie, von der Konstanz der Kraft, diese furchtbaren Dogmen, welche die Naturwissen­schaft hereingepflanzt hat im 19. Jahrhundert, weil sie keine Ah­nung davon hatte, was der Mensch erkennen kann, wenn er sich zur Geist-Erkenntnis aufschwingt und das dann in sich selber erlebt, im Mikrokosmischen, im Menschlichen: den Tod des mineralischen Reiches, über den triumphiert der Gedanke, der sich nur entwickeln kann, indem wir fortwährend sterben, geradeso wie sich der neue Pflanzenkeim nur entwickeln kann, indem die alten Pflanzenblätter absterben und der Keim über die alten Pflanzenblätter triumphiert. Unser sittliches Menschenwesen, unser sittlicher Menschenwert ist der Triumphator über dasjenige, was untergeht in den übrigen Reichen, in demjenigen, was von uns selber auch diesen übrigen Reichen angehört.

Da sehen wir, wie die sittlichen Weltanschauungen hinein-schießen in die naturwissenschaftlichen Weltanschauungen. Da sehen wir, wie die naturwissenschaftliche Weltanschauung es mit demjenigen zu tun hat, was abstirbt an der Welt, die sittliche Weltanschauung es zu tun hat mit demjenigen, was jetzt als Keim in diesem Absterbenden als eine neue Welt aufgeht. Da erwächst in uns

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das Bewußtsein, daß wir, indem wir eine sittliche Welt mit Idealen aufbauen, arbeiten an dem Keime einer zukünftigen Welt. Da wird der sittliche Menschenwert auf dieselbe Linie gestellt mit dem Naturgeschehen. Da wird aber das Naturgeschehen in seine Gren­zen zurückgewiesen, dieses Naturbetrachten, das ja ohnedies zu seinen Ergebnissen kommt, indem es den Menschen hineinnimmt in die Kliniken und an dem Kadaver die Untersuchungen macht. Die Naturwissenschaft macht die Untersuchungen an dem Abster­benden. Sie gelangt auch nur zu Erkenntnissen über das Abster­bende. Dasjenige aber, was der Kliniker nicht in die Leichenkammer tragen kann, was nicht seziert werden kann, dasjenige was trium­phiert über das Seziert-zu-Werdende, das ist dasjenige, was schon jetzt als sittlicher Menschenwert aufbaut eine neue Welt.

Sehen Sie, Geisteswissenschaft hat allerdings die Aufgabe, die Anmaßungen, wenn ich so sagen darf, der naturwissenschaftlichen Weltanschauung zu brechen. Denn Geisteswissenschaft sieht klar und deutlich ein: Ja, es ist so, entweder man lehnt diese naturwissen­schaftliche Weltanschauung - nicht die Naturwissenschaft mit ihren gesicherten Resultaten selbstverständlich -, man lehnt diese natur­wissenschaftliche Anschauung ab, oder aber man muß den sittlichen Menschenwert ablehnen. Nur weil heute die Menschen so unkonse­quent und erhaben sind, sehen sie nicht ein, daß sie sich entschließen müssen, um den sittlichen Menschenwert zu retten, zu einer gei­steswissenschaftlichen Weltanschauung zu greifen. Die Menschheit sieht es nicht ein, weil sie diejenige Weltanschauung, die heute bloß auf Naturanschauung baut, behalten will. Dann aber müßte sie so sprechen, wie einstmals Mathilde Reichardt dem Moleschott, dem materialistischen Naturforscher geschrieben hat: «Darum muß ich es noch einmal aussprechen: Auch der zum Dieb gewordene Mensch brachte das Recht mit sich, seine Natur zu vollenden und sie allseitig zu machen, und kann auf diese Weise nur eine kraftvolle, eine sittliche Natur sein. Und wie der Dieb, so jeder Lasterhafte, auch der zum Mörder Gewordene. Dieser kann zur Vollendung seiner Menschheit nur gelangen, indem er seine Mordlust befrie­digt.» Entweder man spricht so, und gibt damit der Naturwissen­schaft

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als Weltanschauung ihr Recht, spricht ihr jeden sittlichen Menschenwert ab, oder man greift zur Geisteswissenschaft.

Es gibt noch ein Drittes. Man sagt: Alle Weltanschauung ist mir gleichgültig, ich will lieber das Weltendasein in instinktartiger Weise verschlafen. Gewiß, dieses Dritte ist auch möglich. Viele Menschen tun es heute. Wer ernstlich mit sich selbst und mit seinem Verhältnis zur Welt ins klare kommen will, kann nur den einen der bezeichneten Wege gehen. So liegen heute die Dinge. Diese Ent­scheidung ist da. Die Naturwissenschaft hat sich zur Weltan­schauung ausgewachsen. Man predigt nicht theoretisch, so wie Mathilde Reichardt und der Kulturhistoriker Hellwald und andere getan haben, daß der Dieb, daß der Mörder zum vollen Menschen nur werden kann, wenn er sich auslebt, weil in ihm die Naturkausa­lität in genau derselben Weise wirtschaftet wie in dem sogenannten ehrlichen Menschen. Man predigt das nicht theoretisch. Aber dasje­nige, was in dieser Gesinnung lebt, das geht durch Europa. Es hat die letzten fünf bis sechs Jahre erzeugt. Es wird weiter wirken. Europa wird barbarisiert; oder Europa muß einsehen, daß es keine Weltanschauung auf der Grundlage der Naturwissenschaft allein aufbauen kann.

Das scheint heute vielleicht fanatisch gesprochen, das scheint heute vielleicht radikal gesprochen. Jeder klopfe sich selber an seine Brust und frage, aber er frage ernst genug, und ich glaube nicht, daß der Ernst eine andere Antwort geben könne. Und dann sehe man hin auf eine solche Weltanschauung, die so vom Seelenwesen aus den sittlichen Menschenwert wiederum erobern will, wie sie genö­tigt ist, eben vom Geiste aus den sittlichen Menschenwert wieder zu suchen, wie sie brechen muß mit demjenigen, was die mannigfal­tigsten Vorurteile unserer Zeit geworden sind: Konstanz der Ener­gie, Konstanz der Substanz und so weiter. Man sehe hin auf diese Geisteswissenschaft: sie muß eine ganz andere Art des Vorstellens, eine ganz andere Art des Sich-zur-Welt-Stellens sich aneignen. Sie kommt dadurch dazu, so auf dasjenige hinzuschauen, was scheinbar nur Gedanke ist, was scheinbar ganz verdünnter Gedanke nur ist, der dahinhuscht und verschwindet, sie kommt dazu, das als den

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Keim zu einer neuen Realität, nachdem die ganze Erde ver­schwunden sein wird, zu halten. Diese Geisteswissenschaft wird von dem, der die Sache ernst meint, als eine Notwendigkeit unserer Zeit empfunden werden. Sie wird aber auch von dem Religiösen, von dem wahrhaft Religiösen unserer Zeit als eine Notwendigkeit empfunden werden müssen. Unsere Zeit braucht die Möglichkeit, begreifen zu können, wie etwas Geistiges sich hineinstellen kann in diese physische Welt.

Nun sehe man sich dasjenige an, was der von der heutigen Bildung durchdrungene Mensch über das Ereignis von Golgatha sagen kann. Er kann nicht anders, als von dem Ereignis von Golgatha sagen: Nun ja, die ganze Zeit über, die vorangegangen ist diesem Ereignis von Golgatha, muß es sich vorbereitet haben im Geschehen der Erde, dann war es da. Dann hat es wieder seine Folgen gehabt. Es muß in der Reihe der Ursachen und der Wirkun­gen drinnenstehen. Denn woher sollte derjenige, der in dieser heutigen Bildung steht, die auf Naturwissenschaft allein gebaut ist, worinnen sollte er die Möglichkeit sehen, daß mit dem Ereignis von Golgatha etwas ganz Neues in die Erde sich hereinbegeben hat, um sich nunmehr mit dem Weiterentwickeln der Erde auch weiter zu gestalten! Einzig und allein dadurch, daß man schon begreift, wie in dem menschlichen innersten Leben, der eigentlichen Gedankenwelt etwas enthalten ist, was dauert über diese Erde hinaus und all ihre Reiche, nur dadurch, daß man dieses begreift, daß etwas in der Erde ist, was sich nicht erschöpft in dem verstandesmäßigen Äußeren, in dem sinnengemäßen Äußeren, was triumphiert über diese Erde, was seiner Substanz nach über dieses Irdische hinausgeht, ist man auch befähigt, hinzuschauen auf diejenige Wesenheit, auf die Geist­wesenheit, die durch das Mysterium von Golgatha in die Erde her-eingezogen ist und als der Christus Jesus der Erde ihren weiteren Sinn gibt.

Heute ist es notwendig, daß man sich mit dem, was Geisteswissen­schaft entzündet im Menschen, dem Mysterium von Golgatha, den Geheimnissen des Christentums nähert. Denn heute muß das Chri­stentum geistig verstanden werden. Sehen wir bei den Materialisten

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nach: Geradeso, wie sie den sittlichen Menschenwert, wenn sie konsequent sind, ableugnen, so muß ihnen das Christentum ein Unding sein. Auf dem Standpunkte der alten traditionellen Be­kenntnisse können die Menschen nicht bleiben, denn, sehen Sie einmal nach bei den Vertretern, sagen wir zum Beispiel der katholi­schen Kirche, da sehen Sie, wenn diese Vertreter gerade Wissen­schafter werden, wie sie die allermaterialistischste Wissenschaft pflegen! Sie können nachsehen bei denjenigen, die als katholische Priester Wissenschafter werden: Sie wollen nicht den Geist in die Wissenschaft hineintragen. Sie wollen gerade die Wissenschaft be­wahrt wissen vor dem Hineintragen des Geistes, denn sie wollen die alten traditionellen Formen im Geiste weiterbewahren. Sie fürchten sich vor der neuen Entdeckung geistiger Substantialität, sie flüchten davor. Davon ist auch nichts zu holen. - Und sehen wir bei den protestantischen Formen der Christentums-Interpretation nach, da sehen wir, wie mächtig auf diese protestantische neuere Theologie die naturwissenschaftliche Weltanschauung drückt: Sie können nicht in dasjenige, was in der Welt geschieht, das Ereignis von Golgatha einreihen! Deshalb sagen sie, man müsse den Christus Jesus bloß auffassen hinsichtlich seiner moralischen Qualitäten, hinsichtlich des­jenigen, was er als Ethos hereingebracht hat. - Aber dann steht wiederum dieses Ethos vollständig in der Luft, wenn man es nicht verankert in einer geisteswissenschaftlichen Weltanschauung.

Wer die Gefahren, in denen das Christentum gerade heute schwebt, erkennt, der wird sich sagen müssen: Gerade das Chri­stentum ist darauf angewiesen, zur Erkenntnis seines Mittelpunk­tes, zur Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha selbst, zur Gei­steswissenschaft zu greifen. Denn wie Geisteswissenschaft hin­weist, wo der Keim ist zur zukünftigen Erde, so weist Geisteswis­senschaft auch hin darauf, wo die Kräfte sind, die sich mit der Erde verbunden haben, ohne daß sie unmittelbar in dem Vorchristlichen der Erde enthalten waren. Man kann die Geistigkeit des Mysteriums von Golgatha nur begreifen, wenn man sich durch Geisteswissen­schaft erst zu einem geistigen Begreifen überhaupt heraufgerungen hat. Gerade sollten diejenigen, die es mit dem Christentum ernst

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meinen, zur Rettung dieses Christentums an die Geisteswissen­schaft appellieren. Das werden auch diejenigen tun, die es mit dem Christentum, die es überhaupt mit dem Religiösen ernst nehmen.

Warum haben denn die Menschen des rein naturwissenschaftli­chen Zeitalters noch sittliche Ideale? Das können uns wiederum solche Stimmen wie die von Hellwald und Mathilde Reichardt lehren, die aber durch zahlreiche andere vermehrt werden könnten. Sie lehren uns: Aufgabe der Wissenschaft ist, alle Ideale zu zerstö­ren, ihre Hohlheit, ihre Nichtigkeit zu erweisen, zu zeigen, daß Gottesglaube und Religion Trug seien, daß Sittlichkeit Lüge ist und so weiter. - So müßte man eigentlich aus einer bloß naturwissen­schaftlichen Weltanschauung heraus sagen, wenn man nicht zu feige dazu wäre!

Von einem solchen Standpunkte aus ist das Christentum nicht zu retten. Einzig und allein dadurch wird dem Christentum wiederum der Boden geschaffen, daß durch Geisteswissenschaft die Möglich­keit erreicht wird, ins Geistige selber hineinzuschauen, so hin­einzuschauen, daß dieses geistige Leben als Realität erkannt wird und nicht als illusionäre Blasen, denen man sich nur hingibt, weil man es im Kampfe ums Dasein braucht. Nein, nicht weil man das Geistige im Kampfe ums Dasein braucht, sondern weil es erzeugt wird mit einer Notwendigkeit aus unserer Welt, wie der Keim der neuen Pflanze aus der alten mit der Notwendigkeit erzeugt wird! Aber nur, wenn man einsieht, daß das Alte nicht der Konstanz der Energie, der Unzerstörbarkeit des Stoffes unterliegt, sondern daß abfällt alles Stoffliche wie die Pflanzenblätter abfallen, und daß das Geistige der Keim desjenigen ist, was da kommt, wie der Pflanzen-keim die neue Pflanze hervorbringt. Nur wenn man diese geistgetra­gene Notwendigkeit einsieht, kommt man zu den Quellen im menschlichen Inneren, wo wiederum sittlicher Menschenwert er­zeugt wird, wo wiederum sittlicher Menschenwert lebt. Dasjenige, was Leuten vom Schlage der Mathilde Reichardt, des Hellwald und ande­ren als sittliche Ideale noch geblieben ist, ist das konventionsmäßige Festhalten an den ererbten Idealen. Hätten sich nicht solche Ideale ver­erbt aus den Anschauungen, die uns aus dem 19. in das 20. Jahrhundert

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hereingekommen sind, wären sie niemals zu gewinnen! Fruchtbarer Boden für sittliche Ideale wird allein wiederum dasjenige sein, was durch die Geisteswissenschaft als solcher Boden geliefert wird.

Aus all diesen Gründen heraus glaubt Geisteswissenschaft wirk­lich nicht aus bloßem subjektivem Bedürfnisse ihrer Bekenner zu wirken, sondern glaubt zu wirken aus der Notwendigkeit der Zeit heraus. - Wie sie wirken muß aus der Notwendigkeit des Charak­ters der heutigen Erdenvölker, wie diese Erdenvölker heute in bezug auf ihre Seele, in bezug auf ihre äußeren Kulturverhältnisse beschaffen sind, davon möchte ich dann morgen sprechen: wie es sich auch durch die Betrachtung, ich möchte sagen, dieser geistigen Biographie und Geschichte der Erde als eine Notwendigkeit erweist

- was ich heute durch die Natur des menschlichen Seelenwesens mit Bezug auf den sittlichen Menschenwert zu erweisen versuchte -, den Blick hinzuwenden zu dem Aufgang eines neuen Geisteslebens. Denn nur dann, wenn wir diesen Weg zum Geiste finden, finden wir auch wiederum die Quellen des sittlichen Menschenwertes, brau­chen wir nicht mehr zu verzweifeln darüber, daß einstmals die ganze Erde ein ödes Grab sein werde, und nicht einmal eine Erinnerung zurückgeblieben sein werde an dasjenige, was als sittliche Men­schenwerte im Seelenwesen gelebt hat.

Geisteswissenschaft zeigt, daß sittliche Menschenwerte mit Recht im Seelenwesen aufgehen, weil sich künftige Welten ihre Keime gerade in den Menschenseelen durch sittliche Menschenwerte schaf­fen. Sittliche Menschenwerte von heute sind Naturwerte zukünf­tiger Welten. Wie wir heute in die Naturwerte hineinschauen und sehen die Ergebnisse vergangener Welten, so sehen wir in dem, was tief in unserer Brust entsteht, den Aufgang von neuen Welten. Nicht in abstrakter Form spricht Geisteswissenschaft von der Ewigkeit. Denn was so im ewigen Werden, im Wandel lebt, so daß es als Natürliches aus Sittlichem hervorgeht und wieder Sittliches für künftige Welten in seinem Schoße trägt, was so im Wandel der Zeiten lebt, das hat das Leben der Ewigkeiten. Und damit hat, weil der Keim für Ewigkeiten in der Menschen-Seelenwesenheit ruht, die Menschenseele ihre wahre Ewigkeit.

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DIE GEISTIGEN UND SITTLICHEN KRÄFTE DER GEGENWÄRTIGEN VÖLKER IM LICHTE DER GEISTESWISSENSCHAFT (ANTHROPOSOPHIE) Dritter Vortrag, Basel, 6. Mai 1920

Es war gestern meine Bemühung, zu zeigen, wie mit dem Herauf­kommen einer Weltanschauung, die ganz beeinflußt ist von naturwissenschaftlicher Grundlegung, die sittlichen Menschenwerte all­mählich nicht mehr in Verbindung gebracht werden können im Bewußtsein der Menschen mit dem, was in dieser Art als ein Weltbild vor der menschlichen Seele steht. Und es wurde darauf hingewiesen, wie aus den Quellen geisteswissenschaftlicher Er­kenntnis diese Festlegung des sittlichen Menschenwertes wiederum gefunden werden müsse. Da war gewissermaßen mein Bestreben gestern, zu zeigen, wie die Menschheit durch Aufnahme der Gei­steswissenschaft zu einem vollen Bewußtsein ihrer sittlichen Würde wiederum kommen könne.

Man kann dieselbe Aufgabe von einer anderen Seite zu bewältigen suchen dadurch, daß man geisteswissenschaftlich untersucht die Wesenheiten der heute die Erde bewohnenden Völker, dasjenige untersucht, was in diesen Völkern zusammenwirkt an geistigen und sittlichen Kräften, um sich die Frage beantworten zu können: Inwiefern können die Menschen der Gegenwart aus den verschie­denen Volkskräften heraus nach dem hinstreben, was man eine soziale Gesundung auf Grundlage einer ethischen, einer sittlichen Gesundung nennen kann?

Wir haben es als Menschheit erlebt, daß die äußeren materiellen, namentlich die wirtschaftlichen Zusammenhänge, sich nach und nach fast über die ganze bewohnte Erde hin erstreckt haben. Die Erde ist ein Wirtschaftsgebiet geworden. Und die Menschen waren gezwungen, nach den Erkenntnissen, die sie gehabt haben, sich dieses Wirtschaftsgebiet der Erde in einer gewissen Weise einzurich­ten: Die alten, aus ganz anderen Voraussetzungen heraus gegebenen Staatengebilde und Volksorganismen so zueinander in ein Verhältnis

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zu bringen, daß sie sich zusammengliedern könnten schlecht und recht zu diesem gemeinsamen Wirtschaftsgebiet, wozu es eben die neuere Zivilisation der Menschheit gebracht hat.

Daß dieses Zusammengliedern nicht möglich geworden ist, zeigt die Entwickelung der letzten fünf bis sechs Jahre; das zeigt aber auch diejenige Entwickelung, in der wir noch drinnenstehen: das zeigt der Niedergang unseres öffentlichen Lebens. Man denke an all das, was an Lobsprüchen der neueren Zivilisation im Beginne des

20. Jahrhunderts vorgebracht worden ist, dahingehend, wie mit Windeseile die Menschen gewissermaßen über Landes- und Staaten-grenzen hin ihre Angelegenheiten besorgten, wie mit ungeheurer, früher nie geahnter Schnelligkeit Telegraph, Telephon und so weiter wirkten, wie alle früher als unübersteiglich scheinenden Grenzen überwunden zu sein schienen. Und siehe da, so wenig fundiert war alles das, daß wir heute vor Landesgrenzen stehen, so scharf abge­schlossen, wie sie vor langer Zeit nicht waren, seit langer Zeit nicht mehr abgeschlossen waren. Und was die Hauptsache ist, dasjenige, was vor wenigen Jahrhunderten, vielleicht noch bis ins 19. Jahrhun­dert herein als natürlich empfunden worden ist, die Abschließung der Landes- und Staatengrenzen, heute können wir es nur wie etwas Völkisch-Perverses, Menschheits-Perverses ansehen, wie etwas, das keine Begründung haben kann in den wirklichen Verhältnissen der Menschheits entwickelung. Und die Frage muß entstehen: Was hat dieses bewirkt, daß die Menschheit einen so furchtbaren Zug nach rückwärts angetreten hat?

Man wird sehr bald, wenigstens äußerlich darauf kommen, was der Grund ist, wenn man sich fragt: Ist mit alledem, was in materieller Beziehung sich gestaltet hat über den ganzen Erdball hin, auch das seelisch-geistige Leben der Menschheit gleichen Schritt gegangen? Wir haben die gleiche Art des Eisenbahnverkehrs über die ganze zivilisierte Welt ausgebreitet und auch über die unzivili­sierte Welt; wir haben verstanden, die anderen Verkehrsmittel überallhin zu tragen, sogar die Art des Verkehrs überallhin zu tragen. Man hat nicht verstanden, hinzutragen überall ein gegensei­tiges wirkliches Menschheits- und Weltenverständnis. Wir haben

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gewissermaßen den wirtschaftlich-materiellen Körper einer einheit­lichen Erdenkultur erlebt, und wir haben es nicht gebracht zu einer Beseelung, zu einer Durchgeistigung dieses materiell-wirtschaftli­chen Körpers einer einheitlichen Erdenkultur. Seelenlos ist dasjeni­ge geblieben, was sich als ein wirtschaftlich-materiell Einheitliches über die Erde hin gestaltet hat. Da muß denn gefragt werden: Wie kommt man zur Seele der nach Gemeinsamkeit hinstrebenden Erdenmenschheit? Man wird nicht anders dahin kommen, als wenn man sich dazu entschließt, hinzusehen auf die wirkliche Wesenheit der die Erde heute bewohnenden Völker.

Nun, selbstverständlich, man kann nicht in einem kurzen Vortra­ge auf alle Einzelheiten verschiedener Völker eingehen; aber das ist vielleicht möglich, daß aus gewissen typischen Eigentümlichkeiten heraus ein Bild entworfen werde, wie die Menschen über die Erde hin ihrer Wesenheit nach, ihrer Seelenwesenheit nach leben. Und da darf man sagen: Wenn man mit dem Blick, den die Geisteswissen­schaft heranerzieht, die Erdenmenschheit ansieht, dann sieht man in orientalischen Gegenden einen Menschentypus, welcher eine alte Kultur - allerdings in der neueren Zeit im Niedergang befindliche -bis heute bewahrt, einen Menschentypus, der in alten Zeiten Vorfah­ren hatte, von einer ungeheuer hohen Kultur und Zivilisation, allerdings einer solchen, die sehr verschieden von der unsrigen ist. Verschiedene Völker können wir sich herausdifferenzieren sehen aus diesem orientalischen Typus. Auf diese Differenzierung wird nicht eingegangen werden können; aber der Typus wird in einer gewissen Weise charakterisiert werden können.

Dann sehen wir einen zweiten Menschentypus. Ich möchte ihn den mittleren Menschentypus nennen, denjenigen, der namentlich den Grundstock der europäischen Kultur, der mitteleuropäischen Kultur gebildet hat, der zurückgeht bis zum Griechenvolk, und der in einer gewissen Beziehung seine Fortsetzung gefunden hat in der Gegenwart in den mitteleuropäischen Völkern.

Und wir sehen einen dritten Menschentypus, den Typus der Westvölker, der dann seine radikalste Ausgestaltung in den ameri­kanischen Völkern gefunden hat.

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Von diesen drei Typen aus wird man versuchen können, ein Verständnis der Völkerwesenheiten der Erde zu finden.

Sehen wir hinüber nach dem Oriente. Heute macht sich aus der orientalischen Zivilisation heraus solches geltend, wie Rabindra­nath Tagore, dessen Worte uns so eigentümlich klingen, zum Teil so verwandt, weil sie innerste Seiten unserer Seele berühren, zum Teil so fremd, weil sie aus ganz anderen Unterlagen wiederum herausge­sprochen sind, als dasjenige gesprochen werden kann, was aus mittel- und westeuropäischer Kultur gesprochen werden muß. Man bekommt vor dieser orientalischen Zivilisation, ich möchte sagen, einen demütigen Respekt, wenn man sich vertieft in das, was sie hervorgebracht hat für den Orientalen mit seiner vollen Menschen­wesenheit. Man braucht nur Einzelnes vorzunehmen, die Veden, dasjenige, was in der Vedanta-Weltanschauung die indische Kultur hervorgebracht hat; man kann sich vertiefen in dasjenige, was das Persertum hervorgebracht hat; man kann sich vertiefen in dasjenige, was die babylonisch-assyrische Welt hervorgebracht hat, überall darf man sagen: Gewiß, derjenige, der in der neueren Zeit mit der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisart diese Dinge betrachtet, wird sie so betrachten, daß ihm vielleicht nicht das Herz aufgeht, sondern daß er nur allerlei seltsame, fremdartige Dinge entziffert aus dem Sanskrit, aus den heiligen Schriften. Derjenige aber, der mit vollem Herzen und mit gesundem, offenem freiem Sinn sich diesen orientalischen Kulturen nähert, der wird finden, wie wunderbar es ist, daß sie zurückweisen in eine Urzeit der Menschheit, wo aller­dings die ganze Art des Menschen, sich zur Welt zu stellen, eine andere war, als sie heute bei uns und bei den Westvölkern geworden ist. Aber diese instinktive Art, diese intuitive Art, sich zur Welt zu stellen, dieses Träumen über die Welt, wenn wir es recht verstehen, gibt tiefe, ungeheuer tiefe Einblicke in das Weltenwesen des Men­schen, Einblicke, zu denen wir trotz aller unserer wissenschaftli­chen und sonstigen Bemühungen eben heute in der mittleren und westlichen Welt noch nicht gekommen sind.

Wenn wir fragen: Worauf beruhen solche Dinge? - muß ich Sie auf etwas verweisen, was ich hier schon erwähnt habe, da muß ich

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Sie verweisen, um überhaupt eine Leitlinie zu gewinnen durch die Wesenheit der Erdenvölker hindurch, auf dasjenige, was ich in meinem Buche «Von Seelenrätseln» geltend gemacht habe über die dreifache Wesenheit des Menschen.

Ich habe hier schon einmal erwähnt, wie es bei mir auf einem dreißigjährigen Studium beruht, was ich da geltend gemacht habe über die Dreigliederung des einzelnen Menschen, wie dieser ein­zelne Mensch tatsächlich aus drei voneinander verschieden organi­sierten Gliedern besteht: dem, was man nennen kann den Nerven­Sinnesmenschen, dem, was man nennen kann den rhythmischen Menschen und dem, was man nennen kann den Stoffwechsel-menschen.

Diese drei Glieder der menschlichen Natur sind nicht etwa so voneinander verschieden, daß man sagen kann: Da mache ich eine Grenze, da hört der Nerven-Sinnesmensch auf, da fängt der rhyth­mische Mensch an. Diese drei Glieder sind ineinander verwoben. Aber sie sind für den, der sie unterscheiden will, voneinander zu unterscheiden; denn auch das Seelische weist zurück auf diesen dreigliedrigen Menschen. Alles dasjenige, was in unseren Sinnes­wahrnehmungen und in unserem Vorstellen sich in uns vollzieht, weist auf den Nerven-Sinnesmenschen als auf sein Werkzeug hin. Alles dasjenige, was sich auf unser Fühlen bezieht, was in unserem Fühlen erlebt wird, weist zurück auf den rhythmischen Menschen. Und es ist ein großer Irrtum - auf den man noch kommen wird, wenn unsere abstrakte Naturwissenschaft gesunden wird -, zu glauben, daß des Menschen Gefühls- und Gemütsleben mit dem Nervensystem direkt zusammenhängt. Es hängt nur indirekt mit dem Nervensystem zusammen. So wie das Gedankenleben mit dem Nervensystem unmittelbar zusammenhängt, so hängt das Gemüts-, das Gefühlsleben unmittelbar mit Atmung, mit Herzrhythmus, kurz, mit dem rhythmischen Menschen zusammen; und mit dem Nervensystem nur dadurch, daß wir den Rhythmus und damit die Gefühlswelt wahrnehmen. Bloß die Vorstellungen, die Wahrneh­mungen von unseren Gefühlen, die werden durch das Nervensy­stem vermittelt. Die Gefühle selbst hängen unmittelbar mit dem

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rhythmischen Menschen zusammen. Und so hängen unmittelbar mit dem Stoffwechselmenschen zusammen die Willensimpulse, das Wollen. Und wiederum die Gedanken vom Willen, die Gedanken von unseren Willensimpulsen, sie sind es, die mit dem Nervensy­stem zusammenhängen, nicht der Wille selbst, der unmittelbar mit dem Stoffwechselsystem zusammenhängt. Das kann ich jetzt hier nur anführen.

Etwas, was ich heute als ein gesichertes wissenschaftliches Le­bensgut betrachten darf, trotzdem die ganze äußere Wissenschaft heute noch dem widerstrebt - sie wird, durch die Tatsachen selber gezwungen, dieses annehmen müssen -, ist, daß dasjenige, was so beim einzelnen Menschen als drei Glieder seiner Wesenheit er­scheint, nicht in der gleichen Art verteilt ist auf die Menschen, insofern sie den einzelnen Völkern angehören, die wir heute eben nur nach ihren Typen betrachten wollen. Denn das merkwürdige ist, gerade wenn wir hinüberschauen nach diesen orientalischen Völkern, namentlich nach jener Gestaltung der orientalischen Völ­ker in alten Zeiten, in denen sie ihre wunderbare Kultur entwickelt haben, da finden wir, daß diese orientalischen Völker merkwürdig gerade in der Zeit, in der sie die geistigste Kultur entwickelt haben, ganz und gar hinorganisiert waren auf den Stoffwechsel. Das war das vorherrschende bei den orientalischen Urvölkern: der in ihnen wirkende Stoffwechsel. Zurück traten hinter den Stoffwechsel die rhythmische Tätigkeit und namentlich die Nerven-Sinnestätigkeit.

Es überrascht den geisteswissenschaftlichen Forscher, wenn er zurückgeht in die orientalische Urzeit und die merkwürdig hochsin­nige, feine Vedanta- und Vedenkultur findet und alles dasjenige, was sonst aus orientalischer Weisheit und orientalischer Weltauffassung hervorgegangen ist, es überrascht ihn, daß das gerade zusammen­hängt mit einer besonderen Verfeinerung des Stoffwechsels und mit einem Zurücktreten der anderen Glieder der Menschennatur.

Man muß sagen, gerade durch diese Verfeinerung des Stoff­wechsels erreichte aber der Orientale das, was ich hier als seine feine, als seine hochsinnige Kultur meine. So wie die Pflanze mit ihren Wurzeln im Boden eingesenkt ist, unmittelbar in aller Ursprüng­lichkeit

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die Bodensäfte in sich einzieht, wie sie mit ihren Blüten anzieht dasjenige, was in ihrer Umgebung ist, wie sie mit ihrem ganzen Stoffwechsel zusammenhängt mit ihrer natürlichen Umge­bung, mit dem allem, was sie wie spiegelnd widergibt, so ist es mit der orientalischen Wesenheit des Menschen in jenen Zeiten der asiatischen Urkultur. Da nimmt der Mensch nicht bloß so, wie jetzt bei uns, die Stoffe der Umgebung auf, da saugt er nicht so unbewußt wie wir, die umgebende Luft ein, da nimmt er alles dasjenige, was in ihm den Stoffwechsel bewirkt, mit ursprünglicher, elementarer Kraft auf. Da lebt er in dem, was er im Stoffwechsel in sich aufnimmt. Und man kann sagen: Dasjenige, was im Menschen dann weiter lebt aus dem Stoffwechsel heraus, was in ihm Empfindung, was in ihm Gedanke wird, das ist geradeso ein natürlicher Ausdruck seines Wesens aus dem Stoffwechsel-Verhältnis heraus mit seiner Umgebung, wie die Baumblüte und die Baumfrucht, die man am Baume sieht, die unmittelbar widerspiegeln das Verhältnis zur Umgebung; der Baum spiegelt in seiner Blüte, in seiner Frucht dasjenige, was in seiner Umgebung klimatisch, den Stoffen, den Substanzen nach lebt. Der Mensch des Orients hat allerdings zu hoher Blüte und hoher Frucht dasjenige getrieben, was er von außen aufnahm. Aber dasjenige, was nun auftritt in der älteren orientali­schen Urkultur, erscheint uns so, wie wenn es von der Natur selbst geboren wäre, wie wenn da in Menschenwissen und Menschensin­nigkeit die Natur selber ihre Blüte getrieben hätte, und der Mensch nur das Durchgangsorgan für dasjenige hätte werden sollen, was die Natur selber herstellen will an weisem, an sinnigem Vorstellen über die Welt.

Das ist das eigentümliche dieser orientalischen Urkultur, daß sie förmlich den Beweis liefert: wenn die Natur selber sprechen darf, wenn sie sich im Menschen ein Organ machen darf, dann spricht sie in höchster Geistigkeit. Und diese orientalische Urkultur ist höch­ste Geistigkeit gerade deshalb geworden, weil sie nur durch den Menschen durchgehend dasjenige ist, was die Natur selber spricht. Diese orientalische Urkultur, sie hob hinauf bis zu den Blüten jene Weisheit, die von der Natur selber getrieben werden kann, sie hob

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sie hinauf zu einer neuen Sinneswesenheit. Die Natur offenbart sich in übersinnlicher Anschauung. Die Natur offenbart sich nicht - das wird unmittelbar dadurch bewiesen - durch materialistische An­schauung, durch materialistische Gesinnung; die Natur offenbart sich durch geistige Anschauung, durch geistige Gesinnung. Die Natur spricht nicht von Materie, wenn sie ihr Wesen durch den Menschen ausspricht, die Natur spricht von Geist, wenn ihr der Mensch nur nicht entgegenhält aus sich heraus die Anschauung von der bloßen groben Materie.

Das ist die wunderbare Lehre, welche aus der alten orientalischen Urkultur herauftönt. Sie lebte einstmals im Oriente. Sie wirkte im Oriente auch in das äußere Leben hinein die Theokratie. Die Menschen, welche die von der Natur selber gepflegten Kinder der Natur waren, nicht die Schüler der Natur, welche ihre Weisheit entwickelten wie die Bäume ihre Früchte, diese Menschen sprachen, indem sie sprachen von der Welt, nur vom Göttlichen, vom Über­menschlichen. Sie sprachen von dem, was übersinnlich ist. Sie verwendeten auch in das soziale Leben hinein diese Anschauung des Übersinnlichen: sie gründeten ihre Theokratien. Es ist dasjenige in diesem Menschentypus herausgekommen in der Urkultur Asiens, was wir nennen können die Anschauung des Göttlichen durch die Menschen. Es ist die Anschauung des Göttlichen als eines Geistigen eine Erbschaft dieser alten orientalischen Zeiten.

Das Christentum beruht auf einer Tatsache. Derjenige, der den Ursprung des Christentums nicht in der Tatsache von Golgatha sieht, versteht das Christentum nicht richtig. Etwas anderes ist es aber mit den Anschauungen über dieses Christentum, mit dem, wodurch wir das Christentum verstehen. Diejenigen Anschauun­gen, die es uns ermöglichen, das Christentum zu verstehen, wenn wir nur auf das Historische sehen, ohne neue geisteswissenschaft­liche Vertiefung, sind die aus orientalischen Erbschaften. Denn da ge­langte man hinauf zu dem Übermenschlichen, da gelangte man hin­auf zu dem Übersinnlich-Geistigen. Daher ist im Grunde genom­men selbst das Christentum nach den mittleren Gegenden der Erde und nach den Westgegenden der Erde vom Oriente ausgezogen.

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Als ein Ideal betrachten kann der Mensch immer dasjenige Glied, welches gewissermaßen über dem liegt, das ihm elementar von der Natur eingepflanzt ist. Der Orientale hat eingepflanzt dasjenige Glied, das scheinbar das niedrigste der Menschennatur ist, das aber, wenn es eingegliedert ist in den jungfräulich-elementaren Naturzu­sammenhang, in die höchste geistige Höhe hinaufführt, der Orienta­le hat eingegliedert das Stoffwechselsystem als sein Elementares. Das darüber liegende ist das rhythmische System. In dem sucht er daher sein Ideal. Er sucht sich aufzuschwingen aus dem, was ihm die Natur gibt, zu dem, was er sich selbst in bewußter menschlicher Tätigkeit erobern kann. Daher wird angestrebt bei dem orientali­schen Volkstypus, bei denjenigen, die nach einem Ideal hin streben, das Hinstreben nach dem rhythmischen Menschen. Und wir sehen, wie diejenigen, die wie eine Naturblüte die Veden, die Vedantaweis­heit, die wunderbarste Naturanschauung heraufgebracht haben in die menschliche Kultur, wie diese als ihr Ideal betrachten eine besondere Art und Weise, durch den rhythmischen Menschen in geistige Welten sich zu erheben mit Bewußtsein. Unbewußt erhe­ben sie sich zu derjenigen Geistigkeit, von der ich eben jetzt gesprochen habe. Mit Bewußtsein erheben sie es zu einem Ideal, durch den rhythmischen Menschen sich zu erheben. Das ist: das Atmen in einer Weise zu regeln, Jogaphilosophie, Jogapraktik zu uben, dasjenige, was im rhythmischen Menschen ist, in einer be­stimmten Art zu trainieren, zu schulen. Aus dem rhythmischen Menschen soll ihnen werden das Ideal. Dasjenige, was, ich möchte sagen, eine Stufe über dem Stoffwechselmenschen liegt, das wird diesen Menschen zum Ideal.

Und so sehen wir, wie eine Priesterschaft, eine Lehrerschaft oder eigentlich eine Menschheit, die beides zugleich ist, sich aus dem orientalischen Volks typus herauskristallisiert, welche in dieser Joga­trainierung das Ideal sieht, den rhythmischen Menschen besonders zu organisieren, um etwas Höheres zu erlangen als dasjenige, was man durch die elementar eingepflanzten Kräfte erreicht.

Wenn wir nun in all das, wovor wir stehen können gegenüber dieser orientalischen Urkultur, hineinschauen und finden, wie da

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Aufschwung ist zu dem reinsten, feinsten Geistigen, wie da wirklich aus dem Geistigen eine wunderbare konkrete Fülle herausquillt -denn voll Inhalt, mag man ihn auch im Abendlande als phantastisch empfinden, voll Inhalt ist diese Geistigkeit-, müssen wir sagen: Was diese Menschen sich niemals erwerben konnten, die so groß waren in dem angedeuteten Gebiete und in der Trainierung des rhythmi­schen Menschen ihr Ideal gesucht haben, was dort fehlt, das ist ein gewisses Leben im Rechte, eine gewisse Gliederung in eine Rechts­gemeinschaft. Das irgendwie hineinzudenken in die Kultur, die die Veden, die Vedanta hervorgebracht hat, die die anderen orientali­schen geistigen Gebilde hervorgebracht hat - unmöglich! Man mag dasjenige, was sich von der Art findet, noch so sehr verkennen, indem man abendländische Begriffe hineinträgt, ein unbefangenes Urteil muß sagen: Da lebt geistiges Leben. Das rechtliche, das wirtschaftliche Leben, das ist instinktiv; das bleibt instinktiv. Es erhebt sich aus der Grundlage, in der das wirtschaftliche, in der das rechtliche oder staatliche Leben besteht, aus der hebt sich heraus zum höchsten Bewußtsein das geistige Leben. Und im Grunde genommen leben die abendländischen Menschen durchaus zu ihrem größten Teil von den Erbschaften des Orientalismus im geistigen Leben.

Haben wir ja sogar gesehen, wie in einer gewissen Richtung, die man die theosophische nennt, mit der böser Wille oder Unverstand unsere Bewegung oftmals verwechselt, wie da durch diese theoso­phische Richtung nun, ich möchte sagen, zuletzt aus voller Deka­denz heraus die Menschen wiederum suchen eine neue Geistigkeit aus dem Oriente nach dem Westen herüber zu tragen, immer dieser Zug, das Geistige vom Oriente nach dem Westen herüber zu tragen. Heute bedeutet er eine äußerste Dekadenz. Zur Zeit, als der Orient dem Christentum die nötige geistige Vertiefung geben konnte, war das eine Selbstverständlichkeit.

Anderes bietet sich unserem Blicke, wenn wir denjenigen Volks­typus betrachten, der, ich möchte sagen, am sympathischsten er­scheint im alten Griechenvolke, der dann seine Fortsetzung aber uberhaupt in Mitteleuropa erfahren hat. Da haben wir das andere

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Glied der Menschennatur gewissermaßen mit elementarer Notwen­digkeit entwickelt. Das wissen ja gewöhnlich die Menschen nicht, was als selbstverständliche Wesenheit in ihnen vorhanden ist. Das wissen die Menschen Mitteleuropas nicht, daß in ihnen als Haupt­sache vorhanden ist, gegenüber welcher die anderen Glieder der Menschenwesenheit zurücktreten, daß in ihnen als Hauptsache vorhanden ist der rhythmische Mensch. Alle Tugenden und alle Laster des mitteleuropäischen Menschen und derjenigen, die von ihm angesteckt sind, beruhen auf diesem Vorherrschen des rhyth­mischen Systems.

Das rhythmische System hängt seelisch mit dem zusammen, was das menschliche Fühlen ist. Im menschlichen Fühlen ist alles dasje­nige beschlossen, was die Tugenden des Starkmuts, was die Leiden­schaften des Mutes sind und so weiter. All das, was zum Beispiel Tacitus von den alten Germanen schildert, ist im Grunde genom­men ein solches Seelisches, das begründet ist auf dem rhythmischen Menschen, geradeso wie orientalische Weisheit und orientalische Sinnigkeit auf dem Stoffwechsel begründet ist. Und dasjenige, was den Griechen zu einer solchen einheitlichen Menschenwesenheit macht, was wir am Griechen so bewundern, wenn wir ihn wirklich verstehen, dieses Gleichmaß, es beruht zuletzt auf einem der menschlichen Natur völlig angepaßten Gleichmaß des Einatmens, des Ausatmens und aller anderen Rhythmen. Griechisches Eben-maß ist zum Schlusse eine Folge menschlichen ebenmäßigen rhyth­mischen Systems.

Dasjenige, was wir aufdämmern sehen in der griechischen Kunst, was uns als griechische Plastik entgegentritt, ist nichts dem Modell Nachgeahmtes. Das, was der Grieche formt, ist so gebildet, daß er in sich selber, wie einen zweiten Menschen, den rhythmisch-ebenmä­ßigen Menschen in Tätigkeit fühlte und den ausgestaltete. Oder wenn er sich auflöste, ihn so darstellt, wie den Laokoon in der bekannten Gruppe. All das, was dem Griechen als plastische Men­schengestalt aufgegangen ist, beruht auf seinem Sich-in-sich-Fühlen aus dem Ebenmaß des rhythmischen Systems heraus.

Und wenn wir zum Beispiel hinsehen auf die griechischen Tragö­dien -

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man könnte auf alles mögliche sehen, was Ausdruck griechi­schen Wesens ist -: Leidenschaften sollen sich entwickeln durch die Tragödie, Furcht und Mitleid. Und wiederum soll durch dieselbe Tragödie, die Furcht und Mitleid erregt, diese Leidenschaft beruhigt werden, abreagiert werden. Das ist die Katharsis. Das ist dasjenige, was der Grieche als die Selbstregulierung, als das rhythmische in der Dramatik suchte, wie als Abbild seines eigenen Wesens. Und Aristoteles hören wir sagen, daß die wirkliche Tugend darinnen besteht, daß man nicht nach dem einen und nicht nach dem anderen Extrem, nicht nach dem zu Geistigen oder zu Materiellen, nicht nach dem zu Hoch oder zu Niedrig geht, sondern daß man die Mittellage einhält. Alles dasjenige, was der Grieche wie von selbst darlebt, das ist der ebenmäßige Mensch, der durch seinen Lebens­rhytmus ebenmäßig ist.

Und wir sehen bis herein in die Fortsetzung des Griechentums, im Goetheanismus, in demjenigen, was als ein neuerer Aufschwung geistigen Lebens in Mitteleuropa stattgefunden hat, wir sehen insbe­sondere in der Gestalt Goethes dieses Spiel des rhythmischen Systems.

Geradeso wie der Orientale dadurch, daß die Natur in ihm das Stoffwechselsystem sprechen ließ, gewissermaßen vor sich die höch­ste Geistigkeit hinstellte, so stellte das rhythmische System, das in dem Menschen das eigentliche Ebenmaß bewirkt, den Menschen selber vor sich hin. Und man kann sich nicht eigentlich einen schöneren Ausdruck vorstellen für dieses Bedürfnis, den Menschen in seinem Ebenmaß aus seiner Lebensrhythmik vor sich hinzustel­len, als das Buch Goethes über Winckelmann, wo Goethe alles mögliche, was er über den ebenmäßigen Menschen zu sagen hat, in dieses Buch hineingeheimnißt. In diesem Buche finden sich die schönen Ausdrücke, wie: Wenn die Natur an ihrem Gipfel im Menschen gelangt ist, und der Mensch alles dasjenige, was in seiner Umgebung ist, Ordnung, Harmonie, Maß und Bedeutung zusam­mennimmt, so fühlt er sich wieder in sich selber als eine ganze Natur und erhebt sich zur Schöpfung des Kunstwerkes. Oder: Wenn im Menschen die Natur auf ihren Gipfel gelangt ist, so würde sie, wenn

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sie sich selbst verstehen könnten, aufjauchzen und diesen Gipfel ihres Werdens und Wesens bewundern.

Und man kann sagen, wenn solch reife Worte, Worte, die so völlig süß vor Kulturreife sind, gesprochen werden, dann sind sie der Ausdruck für das ganze Wesen, das da völkisch zugrunde liegt.

Und wenn Schiller jenen Brief im Anfange der neunziger Jahre an Goethe schrieb: Ich habe lange dem Gang Ihres Wesens zugesehen. Sie nehmen die ganze Natur zusammen, um aus ihren einzelnen Bestandteilen den Menschen aufzubauen. Aus einer Intuition her­aus konstruieren Sie den Menschen. Das hätten Sie eigentlich voll­kommen nur tun können, wenn Sie als ein Grieche, oder wenig­stens als ein Italiener geboren wären. - Diese Schilderung des Menschen aus den Tiefen der Menschennatur heraus, dieses Hinstellen des Menschen vor den Menschen, so wie der Orientale das Göttliche vor die Welt hinstellt, gewissermaßen die Natur selbst ihr Wesentli­ches vor die Welt hinstellt - dieses Hinstellen des Menschen vor den Menschen, das ist das Wesentliche des mittelländischen Ty­pus Mensch. Für ihn wird nun das Nächstdarüberstehende das Ideal.

Dasjenige, was der Nerven-Sinnesmensch ist, das wird für ihn das Ideal. Daher sehen wir aus diesen Mittelländern heraus mit einer gewissen Unbewußtheit, geradeso wie der Orientale seine Geistig­keit aus seinem Stoffwechsel heraus unbewußt geltend macht, so sehen wir aus dem Rhythmus heraus dasjenige, was selbstverständ­liche Kultur ist, sich geltend machen. Dafür aber sehen wir als das Ideal auftreten das Hinarbeiten zur Idee, das Hinarbeiten zum Idealismus. Und aufkeimt im Griechentum schon dasjenige, was der Idealismus der Gedanken ist in Plato und Aristoteles.

Wiederum ersteht das in dem deutschen Idealismus der Weltan­schauungen: in dem ganzen mitteleuropäischen Idealismus der Weltanschauungen ersteht das Ideal der Geistigkeit aus dem Ner­ven-Sinnesmenschen heraus, gerade so wie das Jogaideal im Oriente entsteht. Und da sehen wir, wie noch immer instinktiv bleibt, wirklich instinktiv bleibt dasjenige, was wirtschaftliche Organisa­tion ist, wie aber ein Zweites auftritt, was im Morgenlande noch instinktiv war, was jetzt in die Bewußtheit eintritt: das ist das

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Nachdenken, das Nachsinnen über die Rechtsnatur des menschli­chen sozialen Zusammenlebens.

Und so sehen wir die Rechtsnatur des sozialen Zusammenlebens gerade in den mittleren Gegenden aus dem Typus der mittleren Völker heraus sich entwickeln. Die orientalischen Völker haben in alten Zeiten eine Geistigkeit entwickelt. Sie ist dann herunterge­kommen. Und selbst, wenn wir heute Rabindranath Tagore spre­chen hören, so ist es wie der Klang aus ferner, vergangener Zeit:

Schön, fein, aber wir können nicht glauben, daß das noch da ist. Und es ist auch wirklich nicht da. Es ist, ich möchte sagen, gemütliche Verabstrahierung. Es ist tief zu uns sprechend, aber es spricht nicht eigentlich von einer gegenwärtigen Wirklichkeit. Indem im Oriente auch diese Geistigkeit in die Dekadenz gekommen ist, bewahrt die Menschheit gewissermaßen auf die Hinneigung zum geistigen Le­ben eine Erbschaft der orientalischen Urkultur.

Dazu ist gekommen dasjenige, was der Mensch über den Menschen zu sagen hat, was der Mensch über den Menschen auch anzuschauen hat. Und das ist gekommen durch die mittlere Bevöl­kerung. Da steht der Mensch vor sich selber. Im Oriente steht der Mensch vor dem Übermenschen, und aus der Welt des Über­menschlichen heraus quellen die sittlichen Ideen.

Es ist gerade immer wieder und wiederum von Rabindranath Tagore auch heute betont, daß die Kultur des Orients vor allem auf Sittlichkeit gebaut ist, auf alle die sittlichen Qualitäten, während er der abendländischen und der amerikanischen Kultur vorwirft, daß sie auf Mechanismus, auf technischem Mechanismus, auf politi­schem Staatsmechanismus gebaut ist, daß sie entleert ist der sittli­chen Ideen. Und es ist so, daß im Öriente aus der Anschauung - die auf die Art, wie wir sie geschildert haben, über die geistige Welt entsteht - eine Fülle von sittlichen Ideen herausquillt. Und im Grunde genommen leben wir heute eigentlich noch immer von diesen sittlichen Ideen. Denn der Materialismus des Abendlandes hat, das ist wohl aus dem gestrigen Vortrage zur Genüge hervorge­gangen, keine sittlichen Ideen als solche erzeugt. Die sittlichen Ideen sind eine alte Erbschaft, denn sie quillen in diese Menschenseele

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nur hinein, wenn diese Menschenseele den Zusammenhang mit der geistigen Welt hat.

In der mittelländischen Kultur: der Mensch steht vor sich selber; er bekommt als eine Erbschaft die sittlichen Ideen. Rechtsideen treten auf, Regelung des menschlichen Verhältnisses so, daß der einzelne Mensch dem einzelnen Menschen im sozialen Zusammen­leben entgegensteht. Man möchte sagen: Dadurch, daß der Mensch auf seine eigene Wesenheit kommt, kommt er dazu, zu fragen: Wie befolge ich dasjenige, was sittliche Idee ist? Ein Bedürfnis tritt im Menschen auf, das der Orientale nicht hatte, gerade damals nicht hatte, als seine geistige, seine spirituelle Kultur am reinsten einfloß in seine Wesenheit. Innerhalb dieser ganzen Kultur des Orientes, gerade je weiter wir zurückgehen in ältere Zeiten, hat das Wort und die Wesenheit der Freiheit keine Bedeutung. Der Mensch ist ein Glied der Weltenordnung; er ist eingegliedert in die Weltenord­nung. Freiheit ist etwas, was im Grunde genommen keinen Sinn hat. Man kann nicht davon sprechen. Denn die Gebote des sittlichen Lebens, die verknüpft sind mit der Anschauung des Göttlich-Gei­stigen, wirken so auf den Menschen, indem er sie anschaut aus seiner Geistigkeit heraus, daß sie selbstverständlich von ihm verwirklicht werden. Er fühlt kein menschliches Verhältnis zu ihnen. Ebenso wie er essen muß, so fühlt er, daß er die Gebote befolgen muß, wenn er sie nur erkennt.

Das, was so wie selbstverständlich verbunden mit der geistigen Welt in der orientalischen Urweisheit quillt - allerdings in der orientalischen Niedergangskultur nicht mehr quillt -, das wird eine Frage in dem Augenblicke weltgeschichtlicher Entwickelung, wo der Mensch dem Menschen gegenübersteht, wo die mittelländische Kultur eintritt. Und das wird ganz besonders eine Frage dann, wenn die Kultur, die eigentliche Kulturrichtung der Westvölker auftritt. Das ist der dritte Typus.

Geradeso wie der Orientale ursprünglich veranlagt war für den Stoffwechsel, der Mittelländer für den rhythmischen Menschen, so ist der Westmensch veranlagt für den Nerven-Sinnesmenschen. Und wer verfolgen kann auch das Höchste, was sich entwickelt hat

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an geistiger und an materieller, an innerer und an äußerer Zivilisa­tion im Westen Europas und in Amerika - abgesehen von den romanischen Völkern, die einen ganz anderen Weg gegangen sind, die Erbschaften übernommen haben von den alten lateinischen Völkern, die nicht in dieser Reinheit das darstellen, was Westeuro­päisches, was Westländisches überhaupt ist -, wenn wir auf die andere westländische Bevölkerung sehen, so ist das diejenige Bevöl­kerung, bei der vorherrscht der Nerven-Sinnesmensch: Dieser Ner­ven-Sinnesmensch, der da hervorgebracht hat den Typus, mit Be­griffen, mit Vorstellungen, mit Ideen verständig alles zu über­schauen, der insbesondere auf das Abstrakte geht, der auf dasjenige geht, was nun nicht den Menschen vor den Menschen stellt wie beim mitteleuropäischen Menschen, was nicht stellt den Übermenschen vor den Menschen wie beim Orientalen, sondern was die Natur vor den Menschen stellt.

Das ist das Eigentümliche: rückt man hinauf mit der natürlichen Organisation bis zum Nerven-Sinnesmenschen, dann steht die äußere Natur vor dem Menschen. Man denke sich nur, welche Absurdität es wäre für den Orientalen, zu fragen, ob er irgendwie nur zusammenhinge materialistisch mit der Tierheit. Er schaut, gerade weil er der Stoffwechselmensch ist, die geistige Welt, die übersinnliche Welt unmittelbar an. Der Westmensch hat diese Anschauung der geistigen Welt nicht. Er hat das Nachdenken über die geistige Welt, er hat die Abstraktion. Für ihn wird dasjenige, was sich vor ihn hinstellt, auch wenn es der Mensch selber ist, für ihn wird das die außermenschliche Natur. Für Goethe steht Mensch gegen Mensch, und er will den Menschen begreifen. Schiller sagt: Sie sind es, der aus allen Einzelheiten der Natur den ganzen Menschen aufbauen will. - Aber der Mensch ist es, den Goethe aufbauen will; und im Grunde genommen will er die Natur nur begreifen, um zuletzt den Menschen in der Natur überall zu erblicken.

Unter den Westmenschen, unter den Nerven-Sinnesmenschen entsteht der Darwinismus in derjenigen Form, wie ihn das 19. Jahrhundert erlebt hat. Da ist der Mensch nicht dasjenige, was in erster Linie dasteht; da dämmert gewissermaßen die Idee des Men­schen

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ab, da weiß man nichts mehr von dem Menschen als solchem, da wird der Mensch das höchststehende Tier. Da wird die Tierreihe studiert, da wird alles das an Kräften studiert, was in dieser Tierreihe spielt. Nicht der Mensch wird begriffen, sondern das höchste Tier wird begriffen. Und der Mensch gilt nur als das höchste Tier. Das Menschliche tritt zurück. Dafür aber der ausgesprochenste Sinn für Naturerkenntnis, dafür jene wunderbare Vertiefung in die Einzel­heiten alles desjenigen, was Entwickelungsanschauung ist zum Beispiel im Darwinismus.

Niemals selbstverständlich hätte aus orientalischer Anschau­ungsweise auch nur annähernd so etwas hervorgehen können wie Darwins Entstehung der Arten. Niemals auch hätte Goethe so etwas verfassen können. Was er verfaßt hat, ich habe es immer wieder darzustellen versucht: es ist ganz anders geartet. Es ist nicht Darwinismus im späteren Sinne, es ist etwas, was sich davon unterscheidet.

Dadurch aber, daß dieser westliche Menschentypus der Nerven­Sinnesmensch ist, dadurch entsteht, ich möchte sagen, in rückläu­figer Entwickelung nun das Ideal der Naturerkenntnis, das Ideal der materiellen Erkenntnis, das Einleben in das Materielle.

Und im Grunde genommen ist es die Denkweise der westlichen Welt, welche eingezogen ist in Mittel- und Osteuropa seit langen Zeiten. Denn dasjenige, was auf dem Grunde von Mitteleuropa selber erwachsen ist, das ist Fortsetzung des Griechentums. Was in Rußland aus eigenem russischem Wesen erwachsen ist, das ist sogar in Fortsetzung des alten Orientalismus; dasjenige aber, was mo­derne Kultur des 19. Jahrhunderts immer mehr und mehr gewor­den ist, das ist dasjenige, was aus dem Nerven-Sinnesmenschen des Westens ist.

So muß man die drei Menschentypen, aus denen sich wiederum die Völker herausdifferenzieren, anschauen. So muß man gewahr werden, wie allerdings die geistigste Geistigkeit instinktiv in der orientalischen Urmenschheit vorhanden war; wie das gemütvolle Auffassen des Menschen im Griechentum vorhanden war und nur noch einen Nachklang gezeigt hat am Ende des 18. und am Anfange

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des 19. Jahrhunderts in der mitteleuropäischen Kultur, die im Goetheanismus zutage getreten ist, und wie wir stehen unter dem Einflusse der Nerven-Sinneskultur, wie wir aus dieser heraus den­ken müssen. Sie bringt als solche ganz gewiß unmittelbar keine sittlichen Ideale hervor. Hat sie deshalb keinen sittlichen Wert? Ich habe gestern von sittlicher Weltanschauung naturalistisch denken­der Menschen Ihnen Proben vorgeführt, aus denen heraus man glauben könnte, daß dieser neuere Naturalismus allerdings gar keinen sittlichen Wert hätte. Das ist nicht der Fall. Gewiß, er hat keinen sittlichen Inhalt. Sein sittlicher Inhalt ist alte Erbschaft und muß alte Erbschaft sein. Aber er hat einen sittlichen Wert. Welchen sittlichen Wert hat er? Er hat den sittlichen Wert, daß der Mensch ein Naturbild als Weltbild sich bildet, das eben gerade ihm keine sittlichen Ideen gibt. Indem der Orientale sich vertiefte in seine Umwelt, bekam er die sittlichen Ideen mit seinem Naturbild mit. Und so, wie er der Natur folgte als Naturmensch, folgte er als sittlicher Mensch der sittlichen und der geistigen Welt.

Der mittelländische Mensch stellt den Menschen vor sich selber hin. Er bekam das Bild des Menschen, indem er in die Welt hineinblickte. Aber damit zugleich, möchte ich sagen, verabstra­hierte sich die sittliche Idee. Sie mußte als eine Erbschaft sich geltend machen. Aber der Mensch fühlte noch das Erwärmende dieser sittlichen Idee. Und im wesentlichen war vieles vom religiösen Leben derjenigen Zeit, in welcher die mittelländischen Völker tonangebend waren, dieses warme Fühlen der sittlichen Weltenord­nung. Verlassen, einsam gegenüber seinen sittlichen Empfindungen fühlt sich der Mensch erst, indem er allerdings um sich das sitten-freie Naturbild hat. Da sieht der Mensch hinaus in die Welt, in der er als Naturwesen steht, der er angehört als Naturwesen. Sie gibt ihm nichts Sittliches. Will er Sittliches, so muß er es aus dem Quell seines innersten Wesens hervorbringen. Er steht da vor der Welt, die ihm keine Direktive gibt. Er muß die Direktive suchen. Freiheit hat keinen Sinn in der orientalischen spirituellen Urkultur. Freiheit bekommt ihren Sinn aus dem Naturalismus heraus. Sittliche Bedeu­tung hat dieser Materialismus, der hervorgeht aus dem Nerven-Sinnesmenschen

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der westlichen Völker. Diese Kultur verlangt vom Menschen, sich seiner Freiheit bewußt zu werden, sein Sittliches aus sich heraus zu gebären. Würde man beim bloßen Naturalismus bleiben - das war schon das Ergebnis der gestrigen Betrachtungen hier -, so würde man so wie diejenigen Persönlichkeiten, deren Aussprüche ich gestern angeführt habe, Sittlichkeit in Grund und Boden treten. Würde man aber nicht durch diesen gefährlichen Zustand der Menschenentwickelung durchgegangen sein, wo Sitt­lichkeit in Frage steht, wo Sittlichkeit in die Freiheit des menschli­chen Entschlusses gegeben wird - die Menschheit könnte sich nicht zur Freiheit entwickeln! Das ist der Sinn der Menschheitsentwik­kelung, von einer spirituellen Urkultur bis zu der materiellen Kultur des Westens, die insbesondere für das Wirtschaftsleben veranlagt ist, die eine Utilitätsethik im Grunde genommen an die Oberfläche gebracht hat, die aber den Menschen in bezug auf den eigentlichen sittlichen Impuls das Bewußtsein der Freiheit geben muß.

Wir bekommen eine Grundlage für die Betrachtung der Differen­zierungen der Völker, wenn wir von diesen drei Menschentypen ausgehen. Aber wir erlangen nimmermehr eine Charakteristik der vollen Menschheit, die wir heute brauchen für den Menschen, wenn wir dasjenige nehmen, was aus diesen Einseitigkeiten hervorgeht.

Lernen kann man gerade aus einer solchen Betrachtung, daß dann, wenn der Mensch aus irgendeiner Lokalkultur, und wäre das Lokal noch so groß, herausgestaltet dasjenige, was in ihm veranlagt ist, so ist es eine Einseitigkeit. Die wunderbare Urkultur - eine Einseitigkeit, die Westkultur mit ihrem Materialismus - eine Ein­seitigkeit.

Das alles gibt eine Vorstellung, wie einseitig dasjenige ist, was in den einzelnen Völkern lebt. Daher muß der moderne Mensch, der nun einsieht, daß über die ganze Erde hin eine gleichmäßige, nicht nur materiell-wirtschaftliche, sondern Seelenkultur wachsen muß, der muß aus anderen Untergründen heraus als dem Völkischen geistig-sittliche Ideen entwickeln. Die Menschheit ist dazu veran­lagt, denn in ihren verschiedenen Völkern bringt sie die einseitigen Begabungen. Aber über das Völkische muß der Einzelmensch

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hinauswachsen. Er wächst nur hinaus über das Völkische, wenn er nicht aus irgendeinem Volkstum anderes begründet, als was zu diesem seinem Volkstum gehört, sondern wenn er aus diesem Volkstum heraus das allgemeine Menschentum zu gestalten vermag.

Für die ethische Grundlegung der Weltanschauung habe ich das versucht in meinem Buche, das Anfang der neunziger Jahre zum ersten Male erschienen ist, in meiner «Philosophie der Freiheit». Da ist versucht worden, den Menschen den Weg zu Freiheit und zugleich zur Sittlichkeit zu zeigen, so daß in diesem Buche aber auch gar nichts gefunden werden kann, was nur aus einer einseitigen, völkischen Richtung heraus geboren wäre. Da ist alles so gedacht, daß es der Orientale so denken kann wie der Westmensch und wie der mittelländische Mensch. Da ist überhaupt von einer Volksdiffe­renzierung nichts darin.

Da ist wie eine selbstverständliche Note durch das ganze Buch durchgehend, daß der Mensch noch nicht Vollmensch ist, wenn er sich als Angehöriger einer menschlichen Differenzierung fühlt, einer Nation, eines Volkes fühlt, daß er Vollmensch ist erst, wenn er herauswächst aus dieser Differenzierung. Gewiß, der Mensch ist Russe, der Mensch ist Engländer, der Mensch ist Franzose; aber der Franzose, der Russe, der Engländer ist als solcher nicht Mensch, sondern der Mensch muß aus seinem Volkstum herauswachsen. Das zeigt gerade ein wirkliches verständnisvolles Betrachten dieses Volkstums.

Dann aber kommt man dazu, die Sittlichkeit auf die menschliche Individualität zu bauen. Und baut man sie auf die menschliche Individualität, dann kommt man darauf, worauf im sozialen Zu­sammenleben die Sittlichkeit beruhen muß: Die Sittlichkeit muß im sozialen Zusammenleben beruhen auf dem Vertrauen, das der einzelne Mensch zum einzelnen Menschen haben kann. Dieses Vertrauen muß da sein können. Dahin muß die Erziehung wirken, jene Erziehung, welche uns allein eine Besserung unserer sozialen Verhältnisse bringen kann.

Man erwähnt in gewissen Kreisen immer wieder und wiederum, daß nur der Zwang, daß nur die Macht, nur die Organisation

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dasjenige sein könne, was innerhalb des menschlichen sozialen Organismus Ordnung macht. Nein, nimmermehr wird die Organi­sation Ordnung machen; sondern der soziale Organismus kann nur gedeihen, insoweit als ein Mensch zu anderen Menschen Vertrauen haben kann, als die Sittlichkeit in der menschlichen Individualität verankert wird.

«Ethischer Individualismus» wurde genannt dasjenige, was ich in meiner «Philosophie der Freiheit» zu begrunden versuchte, «Ethi­scher Individualismus» aus dem Grunde, weil in der Tat dasjenige, was als Ethik, was als sittliche Idee auftritt, aus der Individualität des einzelnen Menschen heraus auftreten muß.

Aber nun kommt das Bedeutsame. Ich habe Ihnen gestern eine Stelle vorgelesen von einer Persönlichkeit, die mit dem Materialisten Moleschott korrespondierte. Da wird gesagt: Die sittlichen Impulse sind in jedem Menschen, deshalb in jedem Menschen anders. -Sehen Sie, das ist Materialismus. Die wirkliche Einsicht ist die genau entgegengesetzte. Wahr ist es: die ethische Grundlegung ist in jedem menschlichen Individuum. Aber im höchsten Sinne tritt uns das wunderbar entgegen, daß sie in jedem menschlichen Individuum dieselbe ist; nicht eine irgendwie vorherbestimmte Gleichheit, nicht eine organisierte Gleichheit, sondern eine gegebene Gleichheit ist es, die unter den Menschen auftritt. Und immer wieder von neuem treten wir vor jeden Menschen hin, um mit jedem Menschen zusammen vertrauensvoll sittliche Impulse zu begründen.

Das ist dasjenige, was den ethischen Individualismus, wenn er richtig erfaßt wird, wenn er begriffen wird als der wahre Akt der menschlichen Freiheit, zu gleicher Zeit zur universellen Ethik macht, und was uns hoffen läßt, daß wir dahin kommen als sittliche Menschen, daß wir ebensowenig, wie, wenn wir einander auf der Straße begegnen, es richtig finden, daß der eine den anderen, indem er an ihm vorbeigeht, anrempelt - man weicht sich selbstverständ­lich aus -, so wird, wenn jenes Menschenbewußtsein, von dem ich Ihnen gestern und vorgestern gesprochen habe, aus geisteswissen­schaftlichen Untergründen die Menschen ergreift, so wird sie sol­ches Empfinden, solches Denken in den Menschen erzeugen, daß

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dasjenige, was sittlich unter ihnen lebt, so selbstverständlich wird, wie das, daß man sich nicht anrempelt gegenseitig, wenn man aneinander vorbeigeht. Wir können, wenn wir so als Menschen nebeneinander leben, daß wir den Menschen, begegnend in welcher Lage immer im Leben, verstehen werden; wir können Sittlichkeit aus der Menschennatur selbst heraus bringen. Das zeigt, wie, ausgehend von geistig-orientalischen Urzeiten, zum Menschen­fühlen in der Erdenmitte, zur menschlichen Abstrahierung, zum menschlichen Verstehen der Welt, zum Verstehen sowohl der Welt als der Natur, wie das der Weg ist, um endlich den Menschen wirklich zum Erfassen der Freiheit zu bringen.

Aber nur dann, wenn er aus geisteswissenschaftlichen Unter­gründen heraus die Sittlichkeit wieder findet. Im Oriente war sie gegeben durch den Inhalt der sittlichen Ideen, die aber noch wie mit einer Naturnotwendigkeit durch den Menschen hindurch wirken. Aus dieser Naturnotwendigkeit wurde herausgeworfen der Inhalt des Sittlichen. Der Mensch stand gewissermaßen sittlich nackt vor der Natur, sittlich bloß vor der Natur. Er soll in sich, in seiner Individualität, die Sittlichkeit wieder gebären. Er wird sie nur wieder gebären, wenn er sie aus dem wiedergefundenen Geistigen seines innersten Wesens heraus gebären kann.

Das ist dasjenige, was Geisteswissenschaft, Geisteserkenntnis will: ein sittliches Wollen zu gebären, das wirklich unseren sozialen Aufstieg bewirken kann. Geisteswissenschaft möchte das, weil sie glaubt, einsehen zu müssen, daß der Menschheit der Gegenwart und Menschheit der nächsten Zukunft insbesondere das notwendig sei, daß soziale Gesundung nur hervorgehen könne aus geistiger Gesun­dung.

Sie haben in den gestrigen und vorgestrigen Bemerkungen viel davon gehört, wie schmählich oftmals die Angriffe sind, die sich gegen diese Geisteswissenschaft heute geltend machen. Ich könnte Ihnen davon noch vieles erzählen, doch will ich es nicht in diesem Augenblicke tun. Aber sagen möchte ich dies heute zum Schlusse:

wie auch die Angriffe sich geltend machen, wenn sie selbst in der Lage wären, diejenigen Bestrebungen, die heute auf geisteswissen­schaftlichem

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Gebiete gemacht werden, für diesen weltgeschichtli­chen Augenblick zu zerstören: Geisteswissenschaft müßte doch wiederum von neuem entstehen! Denn ihre Hoffnung ist nicht begründet auf ein subjektives Wollen eines einzelnen oder einiger weniger oder auch einer Sekte, nein, ihre Hoffnung ist begründet darauf, daß die Menschheit mit Bezug auf ihre seelischsten, wich­tigsten Angelegenheiten der Gegenwart und nächsten Zukunft diese Geisteswissenschaft und alles, was lebensvoll mit ihr zusammen­hängt, braucht. Darauf wird gerechnet in den Hoffnungen der Geisteswissenschaft, daß diese Geisteswissenschaft gedeihen wird, weil die Menschheit sie braucht, was die Menschheit so verlangt, wie sie eine Erneuerung des Geisteslebens verlangt. Das kann vielleicht für den Augenblick durch Böswilligkeiten, durch Unverstand nie­dergetreten werden. Für die Dauer aber kann es nicht überwunden werden. Denn was die Menschheit brauchen wird, das wird ihr werden, mögen die Gegner noch so greulich, noch so böswillig oder mißverstehend sein, es wird dasjenige, was zum Besten der Mensch­heit geschehen soll, geschehen, weil es aus inneren, aus geistig-gött­lichen Gründen heraus geschehen muß.

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HINWEISE

Innerhalb der in diesem Band vereinigten elf öffentlichen Vorträge aus dem Jahre 1 92C greift Rudolf Steiner erneut die Grundfragen einer Neugestaltung des sozialen Lebens auf, die er bereits im Jahre 1919 in zahlreichen Vorträgen zunächst in der Schweiz (siehe: «Die soziale Frage», GA Bibl.-Nr. 328, und »Soziale Zukunft», GA Bibl.-Nr. 332a) und dann auch in Deutschland (siehe: »Neugestaltung des sozialen Organismus», GA Bibl.-Nr. 330/331, und «Gedankenfreiheit und soziale Kräfte», GA Bibl.-Nr. 333) ausführlich behandelt hat.

Mit der Veröffentlichung seiner Schrift »Die Kernpunkte der sozialen Frage« (GA Bibl.-Nr. 23) im April 1919 und dem in mehreren großen Tageszeitungen publizierten Aufruf «An das deutsche Volk und an die Kulturwelt» war durch Rudolf Steiner die geistige Grundlage gegeben, die zur Gründung des »Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus« und zu zahlreichen Aktivitäten auf sozialem Felde führte. So setzte Rudolf Steiner auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens in zahlreichen Vorträgen und Besprechungen Akzente, die die Begründung von Betriebsräten in mehreren Stuttgarter Betrieben zur Folge hatten. Um die Befreiung des Geisteslebens aus staatlicher Bevormundung ging es ihm bei seiner Aufforderung zur Gründung von Kulturräten und der Begründung der ersten Waldorfschule in Stuttgart im Herbst 1919, die Ausgangspunkt für eine heute weltweite Schulbewegung wurde.

Die schwierigen äußeren Bedingungen und die mangelnde Bereitschaft der Menschen, wirklich neue Wege auf sozialem Gebiete zu beschreiten, ließen eine Realisierung der Ideen Rudolf Steiners zunächst nicht zu. Es mag daher nicht verwundern, daß er im Jahre 1920 -und dies wird in den in diesem Band vorliegenden Vorträgen besonders deutlich - in den Mittelpunkt seiner Vorträge wesentliche Aspekte der geisteswissenschaftlichen Forschung (Anthroposophie) stellte. Hinzu kommt, daß durch das Hereinwirken anthroposophischen Gedankengutes in das öffentlich-praktische Leben auch die Kritiker und Gegner immer stärker auf den Plan gerufen wurden. So ist zum Beispiel die Sprechweise Rudolf Steiners innerhalb der Basler Vorträge vom Mai 1920, die er zeitlich parallel zu dem sogenannten «Basler Lehrerkurs » (siehe: «Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft«, GA Bibl.-Nr. 301) gehalten hat, stark mitbestimmt von der sich in der Schweiz zusehends ausbreitenden Verleumdungskampagne gegen Rudolf Steiner und die Anthroposophie. Angesichts dieser Situation sah er sich auch in diesen Vorträgen immer wieder zu grundlegenden Darstellungen der Geisteswissenschaft veranlaßt.

Der vorliegende Band enthält drei in sich geschlossene Vortragsreihen (Basel 5.-7. Januar, Zürich 17./18. März, Basel 4.-6. Mai 1920), sowie drei Einzelvorträge, die alle innerhalb eines recht kurzen Zeitraumes an verschiedenen Orten gehalten wurden, wodurch aus der Sache heraus manche Wiederholungen auftreten. Dennoch meinen die Herausgeber es vertreten zu können, alle elf Vorträge der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, da im Hinblick auf das recht unterschiedliche Publikum (Mitglieder des Schweizer Staatsbürger-Vereins, Besucher der Mustermesse in Basel u. a.) der Gesamtduktus der einzelnen Vorträge immer wieder von neuen Gesichtspunkten bestimmt ist.

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Textgrundlagen: Die Vorträge wurden von der Stenographin Helene Finckh mitstenogra­phiert und in Klartext übertragen. Für den Druck wurden die Originalstenogramme neu überprüft. An einigen Stellen weisen diese Lücken auf, die im hier gedruckten Vortragstext durch eine eckige Klammer [. ..] gekennzeichnet sind. Dieses Kennzeichen steht auch dann, wenn vom Herausgeber einzelne Worte oder kürzere Textpassagen fortgelassen wurden, die aufgrund von Schwierigkeiten beim Mitatenographieren bzw. bei der Übertragung in Klartext eine sachgemäße Rekonstruktion des Wortlautes oder auch des Sinnzusammen­hanges nicht mehr zulassen. Gegebenenfalls sind die »Hinweise« zu beachten. Die Vorträge waren unter den in diesem Band verwendeten Titeln öffentlich angekündigt worden.

Einzelausgaben

Basel, 5., 6., 7. Januar 1920 in: Schriftenreihe «Geisteswissenschaft und die Lebensforde­rungen der Gegenwart«, Heft I, Dornach 1920

Zürich, 19. März 1920 in: Schriftenreihe wie oben, Heft IV, Dornach 1950

Veröffentlichungen in Zeitschriften

Zürich, 17. März 1920 in französischer Sprache in: »La Science spirituelle», 1928, Nr.203

Zürich, 18. März 1920 in: «Das Goetheanum», 13. Jg. 1934, Nr.31 (ohne Schlußwort); das Schlußwort erschien (unvollständig) in: «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht«, 11. Jg. 1934, Nr.39/40; desgl. Vortrag ohne Schlußwort in: »Die Menschenschu­le«, 32. Jg. 1958, Heft 6

Basel, 4., 5., 6. Mai 1920 in: «Die Menschenschule«, 32. Jg. 1958, in den Heften 7/8,9 und 10/11.

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

zu Seite

11 Goetheanum: Zentrum der Anthroposophisehen Bewegung in Dornach bei Basel, Hochschule für Geisteswissenschaft; künstlerisch in Holz gestalteter Doppelkup­pelbau, erbaut 1913-1922 unter der künstlerischen Leitung Rudolf Steiners. Der im Innern noch nicht ganz fertiggestellte, aber seit 1920 in Betrieb genommene Bau wurde in der Silvesternacht 1922/23 durch Brand vernichtet. Für einen zweiten Bau schuf Rudolf Steiner das Außenmodell; er wurde 1928/29 fertiggestellt. Vgl. Rudolf Steiner, «Wege zu einem neuen Baustil«, GA Bibl.-Nr. 286.

18 in der ältesten Griechenzeit, die Friedrich Nietzsche genannt hat das tragische Zeitalter der Griechen: Seinen «Versuch«, die Geschichte der älteren griechischen Philosophen «zu erzählen«, überschrieb Nietzsche mit den Worten »Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen«. Siehe auch: Friedrich Nietxsche, «Wissenschaft und Weisheit im Kampfe«, Gesamtausgabe hg. v. K. Schlechta, München 1956, Bd. III, S.338.

20 die Erde arbeitet so, wie wenn sie nicht bloß von 1500 Millionen Menschen, sondern von 2200 Millionen Menschen bewohnt wäre: Siehe Rudolf Steiners Vortrag vom 27. Dezember 1919 in «Gedankenfreiheit und soziale Kräfte«, GA Bibl.-Nr. 333, Dor­nach 1971, S.131 ff.

21 Homunkulus: Siehe J. W. v. Goethe, «Faust», Zweiter Teil, Laboratorium.

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25 Im einzelnen habe ich beschrieben: Die Übungswege sind ausführlich in den folgen­den Schriften Rudolf Steiners dargestellt:

»Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (1904), GA Bibl.-Nr. 10; »Die Geheimwissenschaft im Umriß» (1910), GA Bibl.-Nr. 13; »Ein Weg zur Selbster­kenntnis des Menschen» (1912), GA Bibl.-Nr. 16; »Die Schwelle der geistigen Welt» (1913), GA Bibl.-Nr. 17.

28 Da sagt ein Mann, der, nun, «Universitätsprofessor» ist: Gemeint ist Friedrich Traub,

Verfasser der Schrift »Rudolf Steiner als Philosoph und Theosoph», Tübingen 1919.

Steiner behandelt diese Broschüre ausführlich in seinem Vortrag vom 16. November

1919 in «Die geistigen Hintergründe der sozialen Frage», IV. Band, Dornach 1951.

30 Nikolaus Kopernikus, 1473-1543, Astronom.

Galileo Galilei, 1564-1642, Physiker und Astronom.

Giordano Bruno, 1548-1600, Philosoph.

Wilhelm Conrad Röntgen, l845-1923, Physiker.

Antoine César Beequerel, 1788-1878, Physiker.

31 ein Buch über den Sozialismus... von Robert Wilhrandt: Dieses Buch mit dem Titel «Sozialismus«, Jena 1919, endet mit den Worten: «Und der Sozialismus wird, wenn jemals verwirklicht, als Gesellschaftsbedürfnis pflegen, was heute gepredigt, doch in der Welt fremd ist: das Christentum.« (S.338)

32 Ein Mann. . . hat nun auch seine Krie gserinnerun gen geschrieben: Ottokar Graf von Czernin (1872-1932); 1916 österreichischer Außenminister, mußte 1918 zurücktre­ten; er setzte sieh für eine rasche Beendigung des Krieges ein. Das von Steiner angeführte Zitat beschließt das von Czernin im Jahre 1919 verfaßte Werk «Im Weltkrieg«, Berlin/Wien 1919, S. 372/373.

33 Ich habe noch in diesen Tagen einen merkwürdigen Vortrag gelesen: Der Name des Redners und das Thema des Vortrages konnten bisher noch nicht festgestellt werden.

42 Kindererziehung - Volkserziehung - Volksleben: Siehe auch Rudolf Steiner, «Drei Vorträge über Volkspädagogik« (1919), in «Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen«, GA Bibl.-Nr. 192

48 den vielverkannten Naturforsch er, nicht den Dichter Goethe: Vgl. Rudolf Steiner, «Goethes Naturwissenschaftliche Schriften. Sämtliche Einleitungen zur Herausgabe in Kürschners , GA Bibl.-Nr. 1.

49 die Metamorphose: Vgl. Rudolf Steiner, «Die Metamorphosenlehre», in «Goethes Weltanschauung« (1897>, GA Bibl.-Nr. 6, Dornach 1963, S. 101ff.

50 um mitzuarbeiten am Goethe- und Schiller-Archiv: Siehe Rudolf Steiner, «Mein Lebentgang» (1923-25), IX. Kap., GA Bibl.-Nr. 28.

51 in meinem vor zwei Jahren erschienenen Buch «Von Seelenrätseln»: Siehe hier besonders dat Kapitel «Die physischen und die geistigen Abhängigkeiten der Men­schen-Wesenheit« (1917), GA Bibl.-Nr. 21.

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52 Erkenntnismethoden..., welche charakterisiert sind in meinem Buche: Siehe Hin­weis zu S. 25.

57 so hat Schopenhauer ein treffliches Wort gesprochen: Wörtlich heißt es: »Da ergibt sich, daß Moral-Predigen leicht, Moral-Begründen schwer ist.» Siehe Arthur Scho­penhauer, Sämtliche Werke in 12 Bänden mit Einleitung von Dr. Rudolf Steiner, J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1894, 6. Band, S. 361.

58 daß zum Beispiel Kant den Ausspruch tun konnte: Wörtlich heißt es bei Kant: »Zwei

Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und

Ehrfurcht . Der gestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.»

In: «Kritik der praktischen Vernunft», 2. Teil, »Methodenlehre der reinen praktischen

Vernunft«, Beschluß S.221, Ehemalige Kehrbachsche Ausgabe, herausgegeben von

Dr. Raymund Schmidt, Leipzig o.J. Siehe auch Rudolf Steiner, «Luzifer-Gnosis.

Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie», GA Bibl.-Nr. 34, Dornach 1960, S.

103, und »Die Rätsel der Philosophie», GA Bibl.-Nr. 18, Dornach 1968, S. 156.

Immanuel Kant, 1724-1804, »Kritik der reinen Vernunft», Riga 1781; »Kritik der praktischen Vernunft», Riga 1788.

64 als kategorischen Imperativ: «Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte», in: I. Kant, «Kritik der praktischen Vernunft», a.a.O., I. Teil, § 7.

68 in meiner «Philosophie der Freiheit«: »Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung« (1894), GA Bibl.-Nr. 4.

69 Kant sprach einstmals von der zwingenden Pflicht. Wörtlich heißt es in seiner «Kritik der praktischen Vernunft», a.a.O., S. 212: «Pflicht! Du erhabener, großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einsehmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst.«.

Friedrich Schiller, 1759-1805, «Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen» (1793-95).

70 «Gern dien' ich den Freunden»: Siehe Fr. Schiller, Gedichte, ,,Die Philosophen. Gewissensskrupel».

was Goethe . . . sagt: Siehe «Sprüche in Prosa», 6. Abt. «Ethisches», in «Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften«, herausgegeben und kommentiert von Rudolf Steiner in Kürschners «Deutsche National-Litteratur» (1883-97). 5 Bände. Nach­druck Dornach 1975, GA Bibl.-Nr. la-e.

73 in meinem Buch: «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft« (1919), GA Bibl.-Nr. 23.

75 Erich Wasmann, 1859-1931, Jesuit, Insektenforscher; insbesondere erforschte er das Leben der Ameisen. Er schrieb u. a. «Mensch- und Tierseele», Köln 1904.

77 Ein Mann . . . versuchte in einem Vortrag vor kurzem eine Widerlegung: Gemeint ist der Tübinger Professor Friedrich Traub, der in Reutlingen gegen Steiner sprach. Walter Johannes Stein, Lehrer an der Waldorfschule in Stuttgart, berichtete am 14. Dezember 1919 in Dornach: «Ich meldete mich zur Diskussion. Ich stellte Traub hin alt einen gewissenlosen, der Materie, die er behandelt, gänzlich unkundigen Men­schen.

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Sein Schlußwort brachte er nur noch stammelnd hervor. Der Stadtpfarrer, der eröffnete, wurde durch Bibeltexte in die Enge getrieben, so daß er in bezug auf die Stelle, wo Christus von der Reinkarnation spricht, sagte: >Hier irrt Christus!» >

77 ein Domkapitular: Es handelt sich um den katholischen Domkapitular Laun, über den Rudolf Steiner in seiner Einleitung zum Vortrag vom 28. November 1919, GA Bibl.-Nr. 194, Dornach 1977, S. 239, folgendes ausführte:

»Eine kleine Einleitung muß ich dem Vortrag vorausschicken, weil ich Sie doch gewissermaßen informieren muß, besonders in der jetzigen Zeit, über verschiedene Dinge, die vorgehen. Da möchte ich Ihnen nur eine kleine Notiz vorlesen, die unser Freund Dr. Stein in der letzten Nummer der >Dreigliederung des sozialen Organis­mus> geschrieben hat-, ein kleiner Artikel, der heißt >Neue Wahlverwandschaften>:

>Am 11. November hielt im Sieglehaus in Stuttgart Domkapitular Laun einen gänzlich unbedeutenden Vortrag über das Thema >Theosophie und Christentum>, von dem wir keinerlei Notiz nehmen würden, wenn er nicht nach einer sogleich zu charakterisie­renden Richtung symptomatisch gewesen wäre. Der Vortragende folgte nämlich in seinem Gedanken - genauer müßte man sagen: in seiner Sätzeanordnung - den Ausführungen der Broschüre des Professors Traub, die den Titel trägt: >Steiner als Philosoph unhd Theosoph>. Natürlich blieb Traub unerwähnt, aber es war symptoma­tisch-interessant zu sehen, wie ein katholischer Domkapitular gemeinsame Sache machte mit dem evangelischen Professor - hinter den Kulissen. Katholische und evangelische Partei (denn Religionen sind das doch nicht mehr) kämpfen gemeinsam gegen Steiner. Was sich vor aller Augen bekämpft - hinter den Kulissen versteht es einander. Welcher Art die Kampfmittel des Vortragenden waren, geht wohl zur Genüge hervor, wenn ich erwähne, daß nach dem Vortrag keiner Diskussion stattge­geben wurde und daß der Vortragende darauf hinwies, daß, wer sich über Steiner orientieren wolle, dies bei Gegnern Steiners, die er aufzählte, tun könne, nicht aber durch Steiners Schriften selbst, da dies der Papst verboten haben. Dr. J. W. Stein.« (Nr.21 der Zeitschrift »Dreigliederung des sozialen Organismus», Stuttgart.)

80 John Maynard Keynes> 1883-1946; englischer Nationalökonom, Professor an der Universität Cambridge. Während des Krieges trat er in das englische Schatzamt ein. Er hat in dieser Eigenschaft an den mit der Finanzierung des Krieges verknüpften Fragen an einflußreicher Stelle mitgearbeitet und schließlich als britischer Finanzvertreter und als Vertreter des englischen Schatzkanzlers beim Obersten Wirtschaftsrat an der Pariser Konferenz teilgenommen. Am 7. Juni 1919 legte er seine Amter nieder, nachdem er erkannt hatte, daß wesentliche Änderungen der Friedensbedingungen nicht zu erreichen sein würden. Siehe hierzu auch seine Schrift »Die wirtschaftlichen Folgendes Friedensvertrages«, deutsch von M. J. Bonn und C. Brinkmann, München und Leipzig 1920.

Thomas Woodrow Wilson, 18561924, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika von 1913-1921. Er verkündet am 8. Januar 1918 als Haupt der Entente die auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker aufgebauten »Vierzehn Punkte» für die Neuge­staltung der Welt nach dem Ersten Weltkrieg.

die inhaltsleeren und abstrakten Auseinandersetzungen Woodrow Wilsons: Wörtlich heißt es in der von Keynes 1920 verfaßten Schrift a.a.O., S. 32: »Zu Beginn der Pariser Konferenz glaubte man allgemein, der Präsident habe mit Hilfe eines großen Stabes von Beratern einen Plan nicht nur für den Völkerbund, sondern auch zur Verkörpe­rung der 14 Punkte in einem ausführlichen Friedensvertrag entworfen. In Wirklichkeit

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hatte der Präsident nichts entworfen. . . Als man zur Ausführung seiner Gedan­ken schritt, waren sie nebelhaft und unvollständig. Er hatte keinen Plan, keinen Entwurf, keinen aufbauenden Gedanken irgendwelcher Art, um die Gebote, die er vom Weißen Hause mit Donnerstimme verkündet hatte, mit dem Blute des Lebens zu erfüllen. Er hätte über jedes einzelne dieser Gebote eine Predigt halten oder ein majestätisches Gebet an den Allmächtigen um ihre Erfüllung richten können; ihre konkrete Anwendung auf den augenblicklichen Zustand Europas konnte er nicht gestalten. »

81 Georges Clemenceau> 1841-1929, französischer Ministerpräsident 1917-1920; siehe

J. M. Keynes, a.a.O., S. 23 ff.

David Lloyd George, 1863-1945, englischer Premierminister 19161922, siehe J. M. Keynes, a.a.O., S. 30 ff.

83 Er sagt> man könne nur erhoffen: Wörtlich heißt es dort auf S. 242: »Der Bankerott und Verfall Europas wird, wenn wir ihn weiter fortschreiten lassen, auf die Dauer einen jeden erreichen, nur vielleicht nicht in auffallender und unmittelbarer Weise. Das hat sein Gutes. Wir können immer noch Zeit haben, unsere Politik zu überprüfen und die Welt mit neuen Augen anzusehen. Denn in der unmittelbaren Zukunft liegt das Schicksal Europas nicht mehr in der Hand eines einzelnen. Die Ereignisse des kommenden Jahres werden nicht von den planvollen Handlungen der Staatsmänner, sondern von den verborgenen Strömungen gestaltet werden, die ständig unter der Oberfläche der politischen Geschichte dahinfließen und deren Ergebnisse niemand voraussagen kann. Nur in einer Weise können wir sie beeinflussen, dadurch, daß wir die Kräfte der Bildung und der Phantasie in Bewegung setzten, die die öffentliche Meinung ändern. Die Wahrheit aussprechen, Trugbilder bloßlegen, Haß zerstreuen, Herz und Geist der Menschen weiten und bilden, das müssen die Mittel sein.»

In früheren Vorträgen: Vgl. die in Zürich gehaltenen Vorträge »Die soziale Frage», CA Bibl.-Nr. 328, und »Soziale Zukunft», CA Bibl.-Nr. 332a.

86 Deshalb sagte Goethe: Vgl. »Naturwissenschaftliche Schriften«, Hinweis zu S. 70, 4. Bd., 2. Abt., Sprüche in Prosa, I. Abt. Das Erkennen, S. 353.

88 Dornacher Bau: Siehe Hinweise zu S. 11

89 in meinem Buche: Siehe Hinweis zu S. 25

93 Johannes Scherr, 1817-1886; Kultur- und Literaturhistoriker; zuletzt Professor am Polytechnikum in Zürich.

94 Richard Avenarius, 1843-1896, Philosoph; erlebte zuletzt in Zürich. Mit seiner Lehre des »Empiriokritizismus» versuchte er, ähnlich wie Ernst Mach, eine von dogmati­scher Metaphysik unabhängige Wirklichkeitslehre zu schaffen. Lenin hat den Begriff «Empiriokritizismus » wieder aufgenommen, polemisierte aber gegen eine empiriokri­tische Auslegung der marxistischen Lehre. Bedeutende Werke von Avenarius: «Philo­sophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes« (1876), «Kritik der reinen Erfahrung», 2 Bde., Leipzig, 1888/90, «Der menschliche Weltbe­griff» (1891).

Ernst Mach> 1838-1916; österreichischer Physiker und Philosoph, einer der Begrün­der des «Empiriokritizismus»; in der Erkenntnistheorie erneuerte er die Anschau­ungen

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Berkeleys und Humes. Seine erkenntnistheoretischen Ansichten waren von großem Einfluß auf die theoretische Physik (Machsche Zahl) und wurden vom »Wiener Kreis» ausgebaut. Werke: »Die Mechanik in ihrer Entwicklung» (1883), «Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychi­schen« (1886), »Erkenntnis und Irrtum» (1905), «Die Leitgedanken meiner naturwis­senschaftlichen Erkenntnislehre« (1919).

94 einen Schüler [von Ernst Mach]: Es handelt sich um Friedrich Adler (1879-1960), einem führenden Theoretiker des Austromarxismus und Anhänger des Empiriokriti­zismus; er versuchte, den Marxismus durch die »machistische Philosophie» zu ergänzen. Am 21. Oktober 1916 erschoß er den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürgkh, wurde zum Tode verurteilt, 1918 freigelassen. Später war er einer der Führer der »Sozialistischen Arbeiterinternationale».

95 Welches ist die Staatsphilosophie der Bolschewisten?: Rudolf Steiner stützt sich hier auf einen Aufsatz von Nicolay A. Berdjajev über »Die politische und die philosophische Wahrheit», der in der von Elias Hurwicz herausgegebenen Schrift »Rußlands politi­sche Seele» 1918 in Berlin veröffentlicht wurde. In Rußland erschien dieser Aufsatz bereits imJahre 1909 in der Sammelschrift »Wjechi» (d.h. «Grenzpfähle»). Auf S.93 der deutschen Ausgabe heißt es u. a.: »Dann ging sie (die russische Intelligenz, Anm. d. Hg.) sogar zu dem schwer verdaulichen Avenarius über, weil die abstrakteste,

>reinste> Philosophie von Avenarius ohne dessen Wissen und Schuld plötzlich als eine Philosophie des >Bolschewismus> hingestellt wurde.» Vgl. auch Rudolf Steiner, «Die soziale Grundforderung unserer Zeit. In geänderter Zeitlage», GA Bibl.-Nr. 186, 9. und 10. Vortrag, und den 3. Vortrag in »Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen«, CA Bibl.-Nr. 192, und »Die soziale Frage», CA Bibl.-Nr. 328, Vortrag vom 25. Februar 1919.

101 In der Aussprache referierte zunächst ein Zuhörer den Stand der Erörterungen um die Einführung einer einheitlichen internationalen Sprache, Esperanto. In einem sich daran anschließenden Votum eines weiteren Zuhörers wurde die Frage gestellt, welche Aussichten es für Rudolf Steiner gebe, um aus dem geschilderten Chaos herauszukommen.

114 Waldoifscbule: Auf Anregung Emil Molts, des Direktnrs der Waldorf-Astoria-Ziga­rettenfabrik, wurde im Herbst 1919 in Stuttgart unter der Leitung Rudolf Steiners die erste Freie Waldorfschule als einheitliche Volks und Höhere Schule gegründet.

Diese Waldorfschule will nicht eine Weltanschauungsschule sein: Siehe hierzu auch Rudolf Steiner, «Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geistes­wissenschaft», 11. Vortrag, CA Bibl.-Nr. 301.

115 gewisse Epochen . . . in dem werdenden Menschen: Vgl. Rudolf Steiner, «Die Erzie­hung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» (1907) (Einzelaus­gabe), in «Luzifer-Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie«, (1903-08), CA Bibl.-Nr. 34.

120 Als ich für die Lehrer der Waldorfschule den pädagogischen Kursus abgehalten habe:

Der gesamte Kursus aus dem Jahre 1919 liegt innerhalb der Gesamtausgabe in den folgenden drei Bänden vor: «Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädago­gik«, CA Bibl.-Nr. 293;« Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches«, CA Bibl.-Nr. 294; » Erziehungskunst. Serminarbesprechungen und Lehrplanvorträge«, CA Bibl.-Nr. 295.

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125 Lenin und Trotzki . . . sie werden nur den Egoismus organisieren: Siehe hierzu Lenins Schrift «Staat und Revolution«, BelpiBern 1918, und Trotakis Vortrag vom 28. März 1918 «Arbeit, Disziplin und Ordnung werden die sozialistische Sowjet-Republik retten», S.17 f., Basel 1918.

128 was Goethe vorschwebte: Vgl. J. W. v. Goethe, «Winckelinann», Sophien-Ausgabe Weimar 1891, Band 46, S. 29 u. 22.

130 In der Aussprache erörtern ein Zuhörer und Emil Molt Probleme des Epochenunter­richtes, des Verhältnisses von Waldorfschule und Lebenspraxis und des Verhältnisses Unternehmer- Arbeiter.

133 Ich habe gerade . . . einen Artikel geschrieben: Der genannte Artikel erschien erstmalig in der vom » Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus» herausgege­benen Zeitschrift »Dreigliederung des sozialen Organismus», Nr.37, März 1920. Innerhalb der Gesamtausgabe befindet sich der Aufsatz in dem Band «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organisumus und zur Zeitlage 1915-1921», CA Bibl.-Nr. 24.

134 Fürst Peter Krapotkin (auch: Kropotkin), 1842-1921; Vertreter des »Kommunisti­schen Anarchismus». Krapotkin strebte die Abschaffung des Privateigentums und des Staates an und wollte die Gesellschaft auf dem Prinzip »gegenseitiger Hilfe» in freiwilligen Assoziationen aufbauen. Er verfaßte u. a. das Buch »Gegenseitige Hilfe in der Entwickelung«, Leipzig 1904, und «Ethik», 1922, deutsch 1923.

144 was im alten Griechenland Nährstand, Wehrstand> Lehrstand umfaßt hat: Diese Formulierung stammt von Erasmus Alberus (1500-1553), ähnlich auch Luther; sie faßt das von Plato in der »Politeia« über die Stände Gesagte zusammen; siehe den «phönikischen Mythos», wonach Gott den Herrschenden (Weisen) bei der Geburt Gold, ihren Beihelfern, den Wächtern, Silber, den Bauern und Handwerkern aber Eisen und Erz beigemischt habe (Politeia, III. Buch, 414, Stephanus-Numerierung).

150 Paul Nicolajewitsch Miljukow, 1859-1943, russischer Historiker und liberaler Politi­ker; leitete nach dem Sturz des Zarentums von März bis Mai 1917 das Außenministe­rium der provisorischen Regierung.

Alexander F. Kerenski, 1881-1970; trat 1917 an die Spitze einer neuen sozialrevolutio­nären Regierung. Diese wurde jedoch nach der mißglückten Sommeroffensive gegen die Mittelmächte, welche die völlige Auflösung der russischen Front zur Folge hatte, im November durch die von Lenin und Trotzki geführten Bolschewiki gestürzt.

163 anklingendan die Klopstocksche «Gelehrtenrepublik»: In seiner Schrift »Gelehrtenre­publik« vom Jahre 1774 vertrat Klopstock im Bilde eines Druidenstaates die Idee einer Vereinigung aller deutschen Schriftsteller, deren »Gesetzbuch» in einer von Klop­stock entwickelten Poetik bestehen sollte.

169 Wichard von Möllendorff 1881-1937; Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsamt. Er entwickelte den Plan einer nationalen Gemeinwirtschaft, der jedoch von der Nationalversammlung abgelehnt wurde. Seine Ideen legte er nieder in: »Konservati­ver Sozialismus«, gesammelte Aufsätze aus den Jahren 1913-1922, Hamburg 1932.

171 Und wer, wie ich, gewirkt hat in einer Arbeiter-Bildungsschule: Rudolf Steiner lehrte von 1899-1904 an der von dem Sozialdemokraten Wilhelm Liebknecht (1826-1900) begründeten Arbeiterbildungsschule in Berlin (ab 1902 auch in Spandau) Geschichte,

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Redekunst und Naturwissenschaften. Siehe auch: Rudolf Steiner, «Mein Lebens­gang«, Kap. XXVIII, GA Bibl.-Nr. 28; «Briefe II-1892-1902», Dornach 1953, S. 30; Johanna MückelAlwin Rudolph, «Erinnerungen an Rudolf Steiner und seine Wirk­samkeit an der Arbeiterbildungsschule in Berlin 1899-1904«, Basel 1979; »Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Heft Nr.36, Dornach 1971/72, S. 21/22.

173 da hielt ich vor einem kleineren Kreis in Wien . . . eine Reihe von Vorträgen: Vgl. Rudolf Steiner, «Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt», GA Bibl.-Nr. 153. Im 6. Vortrag spricht er über die soziale Krebskrankheit:

»Es wird also heute für den Markt ohne Rücksicht auf den Konsum produziert, nicht im Sinne dessen, was in meinem Aufsatz >Geisteswissenschaft und soziale Frage> [in:

>Luzifer-Gnosis 1903-1908>. S. 191; Anm. d. Herausg.) ausgeführt worden ist, sondern man stapelt in den Lagerhäusern und durch die Geldmärkte alles zusammen, was produziert wird, und dann wartet man, wieviel gekauft wird. Diese Tendenz wird immer größer werden, bis sie sich . in sich selber vernichten wird. Es entsteht dadurch, daß diese Art von Produktion im sozialen Leben eintritt, im sozialen Zusammenhang der Menschen auf der Erde genau dasselbe, was im Organismus entsteht, wenn so ein Karzinom entsteht. Ganz genau dasselbe, eine Krebsbildung, eine Karzinombildung, Kulturkrebs, Kulturkarzinom! So eine Krebsbildung schaut derjenige, der das soziale Leben geistig durchblickt; er schaut, wie überall furchtbare Anlagen zu sozialen Geschwürbildungen aufsprossen. Das ist die große Kultursorge, die auftritt für den, der das Dasein durchschaut. Das ist das Furchtbare, was so bedrückend wirkt, und was selbst dann, wenn man sonst allen Enthusiasmus für Geisteswissenschaft unterdrücken könnte, wenn man unterdrücken könnte das, was den Mund öffnen kann für die Geisteswissenschaft, einen dahin bringt, das Heilmittel der Welt gleichsam entgegenzuschreien für das, was so stark schon im Anzug ist und was smmer stärker und stärker werden wird. Was auf seinem Felde in dem Verbreiten geistiger Wahrheiten in einer Sphäre sein muß, die wie die Natur schafft, das wird zur Krebsbildung, wenn es in der geschilderten Weise in die Kultur eintritt.»

180 Zentrums-Partei: Im Jahre 1870 auf Anregung von Peter Reichensperger als katholi­sche Partei gegründet, bildete sich die Opposition gegen die kleindeutsch-preußische Reichsgründung. Nach 1914 gab sie sich den Namen «Deutsche Zentrumspartei». Während des Ersten Weltkrieges verband sie sich unter dem Einfluß Erzbergers mit den »Fortschrittlern» und Sozialdemokraten zur Reichstagsmehrheit der Friedensre­solution (1917).

182 es ist das Wort »Ideologie»: Zum Verhältnis Ideologie - materialistische Weltan­schauung vgl. Rudolf Steiner, »Die Kernpunkte der sozialen Frage», CA Bibl.-Nr. 23, S. 44 ff.

183 die Schilderung von Herman Grimm: Vgl. »Goethe», Vorlesungen, gehalten an der Königlichen Universtität in Berlin; erschienen in zwei Bänden 1877, 8. Auflage Stuttgart und Berlin 1903; hier: 2. Band, 23. Vorlesung, S. 171. Wörtlich heißt es dort:

»Längst hatte, in seinen Jugendzeiten schon, die große Laplace-Kantsche Phantasie von der Entstehung und dem einstigen Untergange der Erdkugel Platz gegriffen. Aus dem in sich rotierenden Weltnebel - die Kinder bringen es bereits aus der Schule mit-formt sich der zentrale Gastropfen, aus dem hernach die Welt wird, und macht, als erstarrende Kugel, in unfaßbaren Zeiträumen alle Phasen, die Episode der Bewoh­nung durch das Menschengeschlecht mit einbegriffen, durch, um endlich als ausge­brannte Schlacke in die Sonne zurückzustürzen: ein langer, aber dem heutigen Publikum völlig begreiflicher Prozeß, für dessen Zustandkomme es nun weiter keines

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äußeren Eingreifens mehr bedürfe, als die Bemühung irgendeiner außenstehenden Kraft, die Sonne in gleicher Heiztemperatur zu erhalten.

Es kann keine fruchtlosere Perspektive für die Zukunft gedacht werden als die, welche uns in dieser Erwartung als wissenschaftlich notwendig heute aufgedrängt werden soll. Ein Aasknochen, um den ein hungriger Hund einen Umweg machte, ware ein erfrischendes appetitliches Stück im Vergleiche zu diesem letzten Schöp­fungsexkrement, als welches unsere Erde schließlich der Sonne wieder anheimfiele, und es ist die Wißbegier, mit der unsere Generation dergleichen aufnimmt und zu glauben vermeint, ein Zeichen kranker Phantasie, die als ein historisches Zeit-phänomen zu erklären die Gelehrten zukünftiger Epochen einmal viel Scharfsinn auf­wenden werden.

Niemals hat Goethe solchen Trostlosigkeiten Einlaß gewährt.»

183 Kant-Laplacesche Idee: Sie ist hervorgegangen aus Kants »Nebularhypothese» in seiner »Naturgeschichte und Theorie des Himmels» (1755), wonach sich die Erde aus einem Urnebel heraus gebildet hat und - unabhängig von Kant (und in vielem abweichend) - aus den Theorien in »Exposition du systéme du monde» (1796) von dem Mathematiker und Astronom Laplace.

Johannes Scherr: Siehe Hinweis zu S. 93.

184 Sie können das in meinem Buche nachlesen: Vgl. Rudolf Steiner, »Die Kernpunkte der sozialen Frage», CA Bibl.-Nr. 23, Dornach 1976, S. 8 ff. und S. 80 ff.

185 einen pädagogischen Kursus gehalten: Siehe Hinweis zu S. 120.

186 zum Beispiel 1907: Gemeint ist hier die Wirtschaftskrise in Amerika. In dem Buch «Volkswirtschaftslehre» (4. Aufl., Leipzig 1918) von CarI Jentsch, das sich in Rudolf Steiners Bibliothek befindet und zahlreiche Anstreichungen von ihm aufweist, heißt es hierzu auf S. 189: »Die amerikanische Krisis von 1907, die in den Vereinigten Staaten hunderttausende von Arbeitern aufs Pflaster warf, hat zwar, weil Amerika aus England und Deutschland viel Gold an sich zog, in Europa Goldknappheit, aber bei uns wenigstens keine Absatzstockung, keine Arbeitslosigkeit zu Folge gehabt.»

diese charakteristischen Erscheinungen: Rudolf Steiner schildert nun den Kauf und Verkauf von Wertpapieren durch eine große Finanzgruppe in Amerika. Vermutlich handelt es sich um das Finanzimperium J. P. Morgan & Co.. An dieser Stelle des Vortrages weist die stenographische Mitschrift erhebliche Ungenauigkeiten auf, so daß eine exakte Wiedergabe des Wortlautes nicht möglich ist. Um Mißverständnisse zu vermeiden, wurde die entsprechende Passage aus dem laufenden Vortragstext herausgenommen. Der lückenhafte Text lautet in der wörtlichen Übertragung des vorliegenden Stenogrammtextes wie folgt: «Diese charakteristischen Erscheinungen sind zum Beispiel die gewesen, daß eine gewisse Finanzgruppe in Amerika dazumal Papiere zusammengekauft hat, dann, nachdem sie eine gewisse Sorte von Papieren zusammengekauft hatte, Anweisungen herausgaben, um diese Papiere weiter zu kaufen. Nun hatten europäische Firmen diese Papiere; nicht wahr, es war ein großes Angebot auf diese Papiere da. So verlockte, sie zu verkaufen. Man machte Geschäfte im Spiegelbild, wie man sagt. Man verkaufte diese und suchte sie nachträglich zu bekommen. Aber alle hatten die Amerikaner. Sie waren nur durch sie selbst zu beziehen. So beherrschte eine einzelne Firma das Industriewesen über ein großes Territorium herüber. Eines Tages sperrten sie das Ganze und sagten: Wegen Mangel am Geldmarkt gibt sie keine weiteren Papiere mehr heraus. Nun können Sie sich denken, wie der Diskont gewachsen ist.«

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191 in einem Blatte> das in Basel erscheint: Vgl. »Basler Nachrichten« vom 2. April 1920,

76. Jg., Nr.142. Es handelt sich um einen «Brief aus Hamburg, den ein freundlicher Leser zur Verfügung stellt» (anonym).

192 Diese beiden praktischen Herren: Einer von ihnen ist Gottlieb von j agow (1863-1935), der von 1913 bis 1916 Staatssekretär im Auswärtigen Amt und von 1914 an preußischer Staatsminister war. Uber die »freundnachbarlichen Beziehungen» berichtet ausführlich Th. von Bethmann Hollweg in seinen »Betrachtungen zum Weltkriege«, Teil I, Berlin 1919, S. 62. Siehe auch Gottlieb von Jagow »Ursachen und Ausbruch des Weltkrieges«, Berlin 1919.

193 Soziale Zukunft: Monatsschrift, herausgegeben vom »Schweizer Bund für Dreigliede­rung des sozialen Organismus«, unter der Schriftleitung von Roman Boos; 1 .-4. Heft Zürich 1919; 5.-7. Heft Dornach 1920, 8.-10. Heft Stuttgart 1921.

Dem Vortrag schloß sich folgendes Schlußwort des Veranstalters an:

Meine Damen und Herrn! Ich bitte Sie noch, sich einen Augenblick zu gedulden. Wir können vom Staatsbürgerkurs aus danken Herrn Dr. Steiner, aber meine Damen und Herren, so darf es nicht sein, daß man es bewenden laßt mit dem heutigen Vortrag. Der Staatsbürgerkurs ist nicht fertig; nach dem heutigen Vortrage erst recht nicht fertig. Wir müssen nun hinausgehen, und das, was wir hier so schön und so tief begründet haben sagen hören, überdenken, überarbeiten, mit heimnehmen, müssen nachlesen, was uns anempfohlen worden ist. Und dann hört der Staatsbürgerkurs überhaupt nie auf! Und das ist sein Zweck, wenn Sie hier Anregungen bekommen haben, die Sie forttragen, hinaustragen ins tägliche Leben, in die Welt. Nun zu Herrn Dr. Steiners Worten. Ich weiß nicht, ob Sie ihn alle verstanden haben, ob alle bis auf den Grund seines reifen Gedankenganges gekommen sind, ich weiß nicht. Ich habe so das Gefühl: Er ist uns allen um ein halbes oder ein ganzesjahrhundert voraus. Er kann uns Führer, Leiter sein, nicht Verführer, denn er meint es mit der Menschheit gut. Das haben Sie alles aus seinen Worten herausholen können: Er will das Beste der Menschheit, und das danken wir ihm.

Meine Damen und Herren> als ich letzte Woche von . . . daher fuhr, sagte mir jemand - wir kamen auch auf das Goetheanum zu sprechen - ja, der Geistesgasometer! Das Wort ist typisch! Gasometer, Gas, Auftrieb. - Der Geistesgasometer will die Menschheit inspirieren, emporheben aus dem Sumpf des Alltags, der täglichen Kümmernisse und Sorgen. Lassen wir diesem Bau diesen Namen, denn hier soll emporgetrieben werden, soll zu höheren Gedankenformen begeistert werden. Und das hat uns Herr Dr. Steiner heute gelehrt. Ich sage ihm herzlichen Dank.

Und noch etwas. Wahrscheinlich wissen es manche, aber nicht alle: Der 10. Staatsbürgerkurs schließt also äußerlich aber nicht innerlich, damit die Kursleiter-Tä­tigkeit überhaupt, ab. Wir hatten viele freudige Stunden in diesem Winter und viele glückliche Stunden> in denen wir lernen konnten, und am meisten hat wohl der Sprecher in diesem Staatsbürgerkursus gelernt. Meinen Dank also all denen, die geholfen haben, sei es durch Finanzmittel, durch Vorträge, sei es den Sängerinnen, und den andern, allen herzlichen Dank.

194 Aktiengesellschaft: Am 13. März 1920 wurde in Stuttgart, inspiriert vom Dreigliede­rungsgedanken, das Unternehmen «Der Kommende Tag. Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte» gegründet. Vorsitzender des Auf­sichtsrates war bis 1923 Rudolf Steiner. Das Unternehmen, dem laut Geschäftsbericht von 1921 die Absicht zugrunde lag, »einen Keim zu einem neuen, auf assoziativer

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Grundlage sich entwickelnden Wirtschaftsleben zu bilden», mußte infolge der allge­meinen Wirtschaftskrise (Inflation) liquidiert werden. In der Schweiz wurde auf derselben ideellen Grundlage am 16. Juni 1920 die «Futurum AG, Ökonomische Gesellschaft zur internationalen Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte» gegründet. Bis März 1922 war Rudolf Steiner Präsident des Verwaltungsrates. Infolge der Wirtschaftskrise mußte auch dieses Unternehmen 1924 liquidiert werden. Siehe auch: Rudolf Steiner, «Die Konstitution der Allgemeinen Anthroposophischen Ge­sellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft», CA Bibl.-Nr. 260a Dornach 1966,S.441/2,472-474, 515ff., 573ff., 719 f. Siehe auch: Emil Leinhas, »Die Idee des >Kommenden Tages»>, Stuttgart 1921, und Hans Kühn, »Dreigliederungs­zeit. Rudolf Steiners Kampf für die Gesellschaftsordnung der Zukunft«, Dornach 1978, S. 101 ff.

196 Freibandelabewegung: Sie vertrat den unbeschränkten zwischenstaatlichen Güteraus­tausch und richtete sich gegen Außenhandelsbeschränkungen wie Schutzzölle, Ein-und Ausfuhrbeschränkungen. Theoretisch entwickelt wurde die Freihandehlslehre von den englischen Klassikern der Nationalökonomie, vor allem von David Ricardo. In Deutschland wurde der Freihandel durch den »Freihandelsverein» (1858) und den «Deutschen Handelstag« (1861) gefordert. Im Zolltarif von 1879 siegte endgültig der Schutzzollgedanke.

199 Lehrer an einer Arbeiter-Bildungsschule: Siehe Hinweis zu S. 171.

204 John Maynard Keynes: Siehe Hinweis zu 80.

205 hat ein deutscher General die Worte geprägt: Gemeint ist Karl von Clausewitz

(1780-1831); preußischer General und Militärschriftsteller. Das von Rudolf Steiner

angeführte Zitat ist aus der Schrift »Vom Kriege. Erstes Buch: Über die Natur des

Krieges«, Berlin 1832, S. 16. Wörtlich heißt es dort: «Der Krieg ist eine bloße

Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.«

206 Ein englischer ökonomischer Zeitungsmann: Vermutlich handelt es sich um den englischen Finanztheoretiker Hartley Withers, aus dessen Schrift »The meaning of money«, deutsch: «Geld und Kredit in England», Jena 1911, Rudolf Steiner öfters zitiert. In seinem für die Zeitschrift »Soziale Zukunft» verfaßten Aufsatz vom Januar 1920 unter dem Thema «Dreigliederung und soziales Vertrauen - Kapital und Kredit» heißt es: «Es ist von verschiedenen Seiten, zum Beispiel von dem englischen Finanz-theoretiker Hartley Withers (in seinen Ausführungen über >Money and Credit>), gesagt worden, daß alle Fragen, die das Geld betreffen, so verwickelt seien, daß ihre scharfe Fassung in bestimmte Gedanken außerordentlichen Schwierigkeiten be­gegne.« Der Aufsatz befindet sich innerhalb der Gesamtausgabe in dem Band «Auf­sätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921», CA Bibl.-Nr. 24.

212 Waldorfschule . . . pädagogischer Kursus: Siehe Hinweis zu S. 114 und S. 120.

214 Assoziationen: Siehe auch den Vortrag vom 17. März in diesem Band. Vgl. Rudolf Steiner, «Nationalökonomischer Kurs», CA Bibl.-Nr. 340, besonders 5., 6., 10. und 12. Vortrag.

219 Ich habe das genauer ausgeführt: Vgl. Rudolf Steiner, «Die Kernpunkte der sozialen Frage«, CA Bibl.-Nr. 23, Kap. III, «Kapitalismus und soziale Ideen».

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221 Plato: Siehe Hinweis zu S. 144.

222 Gafe Griensteidl: Das berühmte Wiener Café (Ecke Herren- und Schaufergasse) wurde im Jahre 1847 eröffnet und 1897 geschlossen. Hier hat Rudohlf Steiner - nach einer persönlichen Äußerung - seine «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung», GA Bibl.-Nr. 2, geschrieben. Siehe auch: Rudolf Steiner, »Aus dem mitteleuropäischen Geistesleben», GA Bibl.-Nr. 65, Dornach 1962, S. 330.

223 Karl Kraus> 1874-1936; er veröffenthlichte nach dem Abriß des berühmten Café Griensteidl im Januarheft 1897 der »Wiener Rundschau» unter dem Titel «Die demohlierte Literatur« eine Satire auf das damalige hliterarische Jung-Wien; noch im gleichen Jahr erschien der Artikel als Broschüre.

Goethe . . . in seinem Gedichte: Rudolf Steiner zitiert hier die erste Zeile des Gedichtes «Eins wie's andere«, in: 4. Band der Sophienausgabe, Weimar 1891, S. 150.

Gustav Theodor Fechner, 1801-1887; Naturwissenschafter und Philosoph. Unter dem Namen Dr. Mises verfaßte er mehrere satirische Schriften, u.a. den »Beweis, daß der Mond aus Jodine bestehe«, Leipzig 1832.

224 in der Stuttgarter Dreigliederungszeitung: Wochenschrift «Dreigliederung des sozia­len Organismus», herausgegeben vom «Bund für Dreigliederung des sozialen Orga­nismus«. Sie erschien zunächst in drei Jahrgängen von Juli 1919 bis Juni 1922 unter der Schriftleitung von Ernst Uehli. Ab Juli 1922 erschien sie unter dem Namen «Anthro­posophie, Wochenschrift für freies Geistesleben, früher Dreigliederung des sozialen Organismus«. Im April 1923 übernahm die Schriftleitung Jürgen von Grone, im Juli 1923 Dr. Kurt Piper. Ab August 1923 zeichnete der Vorstand der Anthroposophi­sehen Gesellschaft in Deutschland als Herausgeber. Im Jahre 1924 erfolgte erneut eine Namensänderung. Die Zeitschrift hieß nun «Anthroposophie und Das Goetheanum-Wochenschrift für freies Geistesleben». Im Juli 1924 wurde nochmals eine Namensän­derung vorgenommen in «Anthroposophie. Wochensehrift für freies Geistesleben». Im Oktober 1931 wird die Zeitschrift vereinigt mit der Zeitschrift »Die Drei« und erscheint nun als Monatsschrift unter dem Titel «Anthroposophie. Monatsschrift für Freies Geistesleben«. Sämtliche in der Wochensehrift «Dreigliederung des sozialen Organismus» von Rudolf Steiner veröffentlichten Aufsätze sind enthalten in dem Band »Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921», CA Bibl.-Nr. 24.

226 «Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte»: Siehe Hin­weis zu S. 194.

227 Monometallismus: Währungssystem, bei dem im Unterschied zum Bimetallismus die Geldeinheit nur an ein Metall (Gold oder Silber) gebunden ist.

Freihandel: Siehe Hinweis zu S. 196.

229 Mysterienspiele: Vgl. Rudolf Steiner, «Vier Mysteriendramen» (1910-13), CA Bibl.­Nr.14, und «Entwürfe, Fragmente und Paralipomena zu den vier Mysteriendramen», CA Bibl.-Nr. 44.

233 in den Schriften: Siehe Hinweis zu S. 25.

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242 ein Kursus vor Ärzten: Vom 21. März bis 9. April 1920 hielt Rudolf Steiner zwanzig Vorträge vor Arzten und Medizinstudierenden. Siehe «Geisteswissenschaft und Medizin», CA Bibl.-Nr. 312.

245 wo ich einer kleinen Gesellschaft in Wien: Siehe Hinweis zu S. 173.

252 Herman Grimm in seinem Goethe-Buch: Siehe Hinweis zu S. 183.

253 Friedrich von Hellwald, 1842-1892; Kulturhistoriker. Er schrieb u. a. «Kulturge­schichte in ihrer natürlichen Entwicklung bis zur Gegenwart», Augsburg 1875.

255 Eine Dame schrieb an . . . Moleschott: Siehe hierzu »Philosophische Zeitfragen», von Jürgen Bona Meyer, Bonn 1874, Kap. 9, »Das Gewissen und die sittliche Weltord­nung«, S. 323 ff.; dort heißt es: »Eine Dame, Mathilde Reichardt, die im Jahre 1856 in Briefen an Moleschott ein Buch über Wissenschaft und Sittenlehre herausgab, hat sich unstreitig das wenig beneidenswerte Vorrecht erworben, unter denen, welche alle sitilichen Begriffe auf den Kopf stellen, in erster Linie und an erster Stelle genannt zu werden. Nach der Meinung dieser Dame hat die Sittenlehre nur darnach zu fragen, ob eine Menschennatur die in sie gelegten Elemente harmonisch entwickelt. Die Natur aber - meint sie - spreche durch jeden Menschen einen anderen Willen aus. Sie stehet daher nicht an zu behaupten, >daß, so es Menschen gibt, denen eine Neigung, ein vorherrschender Trieb zum Betrügen und zum Stehlen innewohnt, diese Menschen nur als Betrüger, nur als Diebe durch und durch sittliche Menschen sein können>. -

>Auch der zum Diebe geborene Mensch brachte wie jeder andere das Recht mit sich ins Leben, seine Natur zu vollenden und allseitig zu entwickeln und kann nur auf diese Weise eine kraftvolle, eine sittliche Natur sein. Und wie der Dieb, so jeder andere Lasterhafte, so auch der zum Mörder Geborene.>«

Der wörtliche Inhalt dieses Briefes findet sich bei Moritz Carriere in: »Die sittliche Weltordnung», Leipzig 1877, 1 . Kap. Die mechanische Naturordnung und die Materialisten, S. 24.

Jakob Moleschott, 1822-1893; Physiologe. Hauptwerk: »Der Kreislauf des Lebens»,

o.J.

276 Rabindranatb Tagore, 1861-1945, indischer Dichter, Philosoph und Freiheitskär>ip­fer; Hauptwerk: «Nationalismus», deutsch von H. Meyer-Franck, Leipzig o.J.

277 Ich habe hier schon einmal erwähnt: Siehe den Vortrag vom 6. Januar 1920, S. 35 in diesem Band, und Hinweis zu S. 51.

283 Publius Cornelius Tacitus, um 55-120, römischer Geschichtsschreiber; er verfaßte u. a. «De origine, situ, moribus ac populis Germanorum».

Laokoon-Gruppe: Marmorplastik, die den Tod Laokoons und seiner Söhne darstellt; entstanden um 50/25 v. Chr.

284 Aristoteles, 384-322 v. Chr.; wörtlich heißt es in seiner »Nikomachischen Ethik» in der Übersetzung von J. Rieckher, Stuttgart 1856, S. 47: ». . . die Selbstbeherrschung und der Mut gehen am Zuviel und am Zuwenig zugrunde, erhalten aber werden sie durch das Rechte Maß.» S. 54 heißt es: »So meidet nun jeder Kundige das Zuviel und das Zuwenig, die Mitte dagegen sucht und wählt er, aber nicht die Mitte in bezug auf den Gegenstand, sondern die in bezug auf sich selbst.»

284 das Buch Goethes über Winckelmann: Siehe Hinweis zu S. 128.

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285 Und wenn Schiller jenen Brief. . . an Goethe schrieb: Siehe Schihllers Brief an Goethe vom 23. August 1794, in: »Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe in den Jahren 1794-1805», Stuttgart und Tübingen, Cottasche Buchhandlung 1828, S. 13 ff. Wört­lich heißt es dort: »Lange schon habe ich, obgleich aus ziemlicher Ferne, dem Gang Ihres Geistes zugesehen, und den Weg, den Sie sich vorgezeichnet haben, mit immer erneuter Bewunderung bemerkt. Sie suchen das Nothwendige der Natur, aber Sie suchen es auf dem schwersten Wege, vor welchem jede schwächere Kraft sich wohl hüten wird. Sie nehmen die ganze Natur zusammen, um über das Einzelne Lieht zu bekommen; in der Allheit ihrer Erscheinungsarten suchen Sie den Erklärungsgrad für das Individuum auf. . . Eine große und wahrhaft hehldenmaßige Idee, die zur Genüge zeigt, wie sehr Ihr Geist das reiche Ganze seiner Vorstellungen in einer schönen Einheit zusammenhält... Wären Sie als ein Grieche, ja nur als ein Italiener geboren worden, und hätte schon von der Wiege an eine auserlesene Natur und eine idealisi­rende Kunst Sie umgeben, so wäre Ihr Weg unendlich verkürzt, vielleicht ganz überflüssig gemacht worden.»

288 Darwinismus: Begriff für die Entwicklungslehre des englischen Forschers Charles Darwin (1809-1882), die gleich einer neuen Religion das Bild der modernen Naturwis­senschaft prägte. Hauptwerk: »Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der bevorzugten Rassen im Kampfe ums Dasein» (1859), aus dem Englischen von David Haek. Univ. Bibl. Leipzig o.J.

293 Ethischer Individualismus: In seiner im Jahre 1894 erschienenen Schrift »Die Philoso­phie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung. Seelische Beobach­tungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode», CA Bibl.-Nr. 4, entwickelt Rudolf Steiner ein dem Kantschen Sitthlichkeitsprinzip (Kategorischer Imperativ) entgegengesetztes. Im Kapitel IX heißt es u. a. » . . . Die Menschen sind dem Intuitionsvermögen nach verschieden... Wie ein Mensch handelt, wird also abhängen von der Art, wie sein Intuitionsvermögen einer bestimmten Situation gegenüber wirkt. Die Summe der in uns wirksamen Ideen, den realen Inhalt unserer Intuitionen, macht das aus, was bei aller Allgemeinheit der Ideenwelt in jedem Menschen individuell geartet ist. Insofern dieser intuitive Inhalt auf das Handeln geht, ist er der Sittlichkeitsgehalt des Individuums. Das Auslebenlassen dieses Gehalts ist die höchste moralische Triebfeder und zugleich das höchste Motiv dessen, der einsieht, daß alle anderen Moralprinzipien sich letzten Endes in diesem Gehalte vereinigen. Man kann diesen Standpunkt den ethischen Individualismus nennen».

Ich habe Ihnen gestern: Siehe Vortrag vom S. Mai, S. 251, und den entsprechenden Hinweis zu S. 255.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.