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«Doch unsre Tugend schlägt plötzlich zum Laster um, sowie ein großes Ereignis geharnischt vor unsre Schwelle tritt, ohne unser leiden­des und leidiges Wesen aufzurütteln und unsre eingewurzelte unnatür­liche Scheu vor dem göttlichen Wink der Geschichte zu überwinden, die uns schon oft unter das Richtbeil des Verhängnisses geführt. Die Götter sind niemandem feindlicher gesinnt, als dem Philister, und nir­gends unter der Sonne gibt es Kleinkrämer, die nicht von einem Groß-krämer tyrannisiert würden. Wie jede Zukunft, so mag uns unsre deutsche Zukunft ein Rätsel sein. Doch dieses ist nicht so undurchdring­lich, als wir gewöhnlich meinen. Wir stoßen bereits auf wirkliche Lö­sungen dieses deutschen Rätsels, Lösungen, die wir mit Beziehung auf unsre Heimat prophetisch nennen können.»
«Doch unsre Tugend schlägt plötzlich zum Laster um, sowie ein großes Ereignis geharnischt vor unsre Schwelle tritt, ohne unser leiden­des und leidiges Wesen aufzurütteln und unsre eingewurzelte unnatür­liche Scheu vor dem göttlichen Wink der Geschichte zu überwinden, die uns schon oft unter das Richtbeil des Verhängnisses geführt. Die Götter sind niemandem feindlicher gesinnt, als dem Philister, und nir­gends unter der Sonne gibt es Kleinkrämer, die nicht von einem Großkrämer tyrannisiert würden. Wie jede Zukunft, so mag uns unsre deutsche Zukunft ein Rätsel sein. Doch dieses ist nicht so undurchdring­lich, als wir gewöhnlich meinen. Wir stoßen bereits auf wirkliche Lö­sungen dieses deutschen Rätsels, Lösungen, die wir mit Beziehung auf unsre Heimat prophetisch nennen können.»


Das alles in einer Rede, die über die Zigeuner handelt. Seine Be­trachtungen knüpft er an das Zigeuner-Sein an, Fercher von Steinwand
Das alles in einer Rede, die über die Zigeuner handelt. Seine Be­trachtungen knüpft er an das Zigeuner-Sein an, Fercher von Steinwand


«Laßt uns ein wenig über den Atlantischen Ozean schauen! Lenken wir unsre Blicke auf São Jorge dos Ilheos oder wandern wir in Ge­danken den Rio Contas hinauf, wo wir auf deutsche Ansiedlungen treffen. - also erzählt Kaiser Max, der ein Mann von Gemüt und schöpferischem Geiste ist, also etwas weit Besse­res, als Kaiser von Mexiko -, #SE185a-086
«Laßt uns ein wenig über den Atlantischen Ozean schauen! Lenken wir unsre Blicke auf São Jorge dos Ilheos oder wandern wir in Ge­danken den Rio Contas hinauf, wo wir auf deutsche Ansiedlungen treffen. - also erzählt Kaiser Max, der ein Mann von Gemüt und schöpferischem Geiste ist, also etwas weit Besse­res, als Kaiser von Mexiko -,  
 
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dominieren, eine Art Mittelding zwischen Sklaven und Freien abgeben. Welch eine Schmach für deutsche Eltern, mit ihren Kindern in frem­den Lauten zu verkehren! Wie muß das Familienverhältnis darunter leiden, wenn die schwache Mutter sich in fremden Ausdrücken mit ihrem eigenen Blute abquälen muß! - Diese überall sich wiederfin­dende Tatsache mag ein Hauptgrund der trüben Melancholie sein, die auf dem Antlitz und auf dem Wesen aller deutschen Kolonisten schwer und beängstigend lastet. Ich habe während meiner Reise keinen ganz heiteren deutschen Auswanderer gesehen; auf allen lag ein geheimer Schmerz. Erst die Kinder ziehen zuweilen Vorteil aus der gebrochenen Existenz ihrer Eltern, deren Charakterlosigkeit sie fast immer den fremden und geschlossenen Nationalitäten preisgibt. Das ist der Schmerz, der auf dem Gemüte dieser Fremdlinge lastet. - Zwei blasse Männer zogen des Weges mit abgehärmten Zügen; einige deutsche Worte bewiesen uns ihren transatlantischen Ursprung. Sie antworteten in der Sprache ihres Heimatlandes, aber der Klang war nicht mehr voll und rein, der matte Ton hatte etwas Müdes und Trauriges; auch die Gestalten waren ohne Energie und Elastizität, wie von Leuten, die ihren Beruf verfehlten, sich nicht heimisch fühlen, für die der fran­zösische Ausdruck dépaysé im vollsten Sinne gilt. Ein solches Bild der Melancholie bieten die meisten deutschen Auswanderer; an allen nagt der heimliche Wurm.> - -
dominieren, eine Art Mittelding zwischen Sklaven und Freien abgeben. Welch eine Schmach für deutsche Eltern, mit ihren Kindern in frem­den Lauten zu verkehren! Wie muß das Familienverhältnis darunter leiden, wenn die schwache Mutter sich in fremden Ausdrücken mit ihrem eigenen Blute abquälen muß! - Diese überall sich wiederfin­dende Tatsache mag ein Hauptgrund der trüben Melancholie sein, die auf dem Antlitz und auf dem Wesen aller deutschen Kolonisten schwer und beängstigend lastet. Ich habe während meiner Reise keinen ganz heiteren deutschen Auswanderer gesehen; auf allen lag ein geheimer Schmerz. Erst die Kinder ziehen zuweilen Vorteil aus der gebrochenen Existenz ihrer Eltern, deren Charakterlosigkeit sie fast immer den fremden und geschlossenen Nationalitäten preisgibt. Das ist der Schmerz, der auf dem Gemüte dieser Fremdlinge lastet. - Zwei blasse Männer zogen des Weges mit abgehärmten Zügen; einige deutsche Worte bewiesen uns ihren transatlantischen Ursprung. Sie antworteten in der Sprache ihres Heimatlandes, aber der Klang war nicht mehr voll und rein, der matte Ton hatte etwas Müdes und Trauriges; auch die Gestalten waren ohne Energie und Elastizität, wie von Leuten, die ihren Beruf verfehlten, sich nicht heimisch fühlen, für die der fran­zösische Ausdruck dépaysé im vollsten Sinne gilt. Ein solches Bild der Melancholie bieten die meisten deutschen Auswanderer; an allen nagt der heimliche Wurm.> - -
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Solches wollte ich im Zusammenhange mit den wichtigen Fragen der Gegenwart zu Ihnen sprechen.
Solches wollte ich im Zusammenhange mit den wichtigen Fragen der Gegenwart zu Ihnen sprechen.
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Diese acht Vorträge stehen im unmittelbaren Zusammenhange mit den neun voran­gehenden «Geschichtliche Symptomatologie», Gesamtausgabe Dornach 1962 und den zwölf nachfolgenden «In geänderter Zeitlage - Die soziale Grundforderung unserer Zeit», Gesamtausgabe Dornach 1963.
Diese acht Vorträge stehen im unmittelbaren Zusammenhange mit den neun voran­gehenden «Geschichtliche Symptomatologie», Gesamtausgabe Dornach 1962 und den zwölf nachfolgenden «In geänderter Zeitlage - Die soziale Grundforderung unserer Zeit», Gesamtausgabe Dornach 1963.

Aktuelle Version vom 16. Oktober 2023, 22:52 Uhr

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Entwicklungsgeschichtliche Unterlagen
zur Bildung eines sozialen Urteils

Acht Vorträge,
Dornach 9. bis 24. November 1918

GA 185a

1963

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Dornach, 9. November 1918

Es ist ganz plausibel, Ihnen wahrscheinlich aueh, daß in diesem Augenblicke mancherlei bedeutungsvoll in die europäische Entwicke­lung Eingreifendes sich vorbereitet, daß gewissermaßen entscheidende Wendungen bevorstehen. Das mag rechtfertigen, wenn wir heute epi-sodisch und zugleich - das muß ich betonen, es ist gegenüber der Ent­wickelung in der Zeit auch durchaus nicht anders möglich - aphoristisch einiges rückblickend besprechen von demjenigen, was zusammenhängt mit der Herbeiführung der gegenwärtigen katastrophalen Ereignisse. Wir werden ja gewiß versuchen, weil sich das so geziemt innerhalb unserer anthroposophischen Bewegung, das, was ich gewissermaßen wie eine Summe von aphoristisch vorgebrachten geschichtlichen Bemer­kungen werde zu sagen haben, zu benützen, um daran dann vielleicht schon morgen weitergehende geisteswissenschaftliche, geisteswissen­schaftlich-geschichtliche Betrachtungen anzuknüpfen. Allein es wird nicht vorauszusetzen sein, daß jedem von Ihnen die Unterlagen für weitere Ausblicke, soferne sie aus geisteswissenschaftlichen Untergrün­den heraus zu gewinnen sind, die tatsächlichen, äußerlich-sinnenfälligen Unterlagen, zur Verfügung stehen, und daher möchte ich heute ganz anspruchslos einiges von diesen tatsächlichen Unterlagen vor Ihnen hier besprechen. Es ist ja auch notwendig, daß sich ein Gefühl dafür entwickelt, daß die Menschheit allmählich kein innerliches Recht haben werde, schläfrig hinwegzugehen über die Zeitgeschichte und geschehen zu lassen, was eben geschieht, sondern die andere Empfindung muß sich in unserem Zeitalter der Entwickelung der Bewußtseinsseele geltend machen, daß ein jeder das Auge offen haben soll und mit wachem Be­wußtsein die Ereignisse, die da geschehen, vorurteilslos wenigstens ver­folgen soll. Es ist ja natürlich, daß nicht jeder an einen Platz gestellt ist, von dem aus er ein dahingehendes Wissen irgendwie verwerten kann. Aber keiner von uns kann wissen, wann er vielleicht im klei­neren oder im größeren Maßstabe aufgerufen wird, dies oder jenes

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mitzuberaten, mitzubeeinflussen, zu dem er eben dann ein offenes, vor­urteilsloses Wissen über die Ereignisse braucht.

Nun wird ja allerdings vieles von dem, was gerade jüngste Ereig­nisse sind, in ihrem Zusammenhange mit der übrigen geschichtlichen Entwickelung, rasch veraltet sein; es wird manches von dem, was jüng­ste, bedeutungsvolle Ereignisse sind, für den weiteren Fortgang selbst der äußerlichen Menschheitsgeschichte der zivilisierten Welt in ge­ringem Maße in Betracht kommen. Allein es wird in der Zukunft not­wendig sein, daß man mit offenem Auge und wachem Bewußtsein sich dem gegenüberstellt, was geschieht. Daher wird es schon gut sein, um ein Gefühl, eine Empfindung zu bekommen, wie man sich so den Er­eignissen gegenüberstellen soll, manches von den abgelaufenen Ereig­nissen zu verfolgen.

Einleitend nur möchte ich sagen: Ich habe im Laufe der Zeit, wäh­rend welcher diese katastrophalen Ereignisse äußerlich sichtbar, deut­lich sichtbar selbst für die Schläfrigen schon da sind in Form des so­genannten Krieges der letzten viereinhalb Jahre, ich habe manches Wort zu Ihnen gesprochen, da- oder dorthin gehend, dies oder jenes zu beleuchten. Und deswegen möchte ich eben einleitend bemerken, daß ich jetzt, wo entscheidende, wenn auch nicht etwa einen Abschluß her­beiführende - das würde ich durchaus nicht hervorrufen wollen, diesen Glauben, daß man etwa vor einem Abschluß stünde -, aber wo in gewissem Sinne für die Beurteilung der ganzen Sachlage entscheidende Tatsachen sich abspielen, jetzt in diesem Augenblicke möchte ich es ausdrücklich betonen, daß ich genau auf demselben Standpunkte stehe in bezug auf die Beleuchtung der Ereignisse, auf dem ich gestanden habe im Anfange des Hereinbrechens der sogenannten kriegerischen Katastrophe. Denn eine der bedeutsamsten Tatsachen, die die Mensch­heit im Laufe dieser letzten Jahre sich vor Augen führen konnte, ist diese, wie unendlich stark, wie unermeßlich stark es möglich war, das menschliche Urteil allseitig zu korrumpieren, dieses menschliche Urteil in falsche Bahnen zu führen, namentlich dadurch auch in falsche Bah­nen zu führen, daß man stets von verschiedenen Seiten her bemüht war, die Beurteilungsmaximen, die Beurteilungsrichtungen aus falschen Ecken herauszuholen. Nicht wahr, es sind im Laufe dieser Jahre Urteile

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aus den verschiedensten Interessengebieten heraus gefällt worden. Jede sogenannte Nation hatte schließlich ihr Interessengebiet und urteilte mit mehr oder weniger, meistens mit weniger Wissen über die geschehe­nen Tatsachen. Und von maßgebenden Stellen, wenigstens von frag­würdig maßgebenden Stellen - aber man könnte sagen: wo waren denn andere in den letzten viereinhalb Jahren? - wurde diese falsche Rich­tung, in welcher diese Urteile sich bewegten, vielfach genährt und viel-fach benützt, um das oder jenes zu erreichen.

Vor allen Dingen hat ja immer von dem Ausbruche dieses sogenann­ten Krieges bis zum heutigen Tage von den verschiedensten Stand-punkten aus, man könnte sagen, von den verschiedensten Interessen aus, die sogenannte Schuldfrage in diesen Ereignissen eine große Rolle gespielt. In dem, was die Menschen da oder dort geurteilt haben, hat diese sogenannte Schuldfrage eine bedeutende Rolle gespielt. Aber man kann nicht sagen, daß diese sogenannte Schuldfrage eine irgendwie günstige Rolle gespielt hat. Gerade diese Schuldfrage und die Art und Weise, wie diese Schuldfrage das öffentliche Urteil gelenkt hat, hat so ungeheuer korrumpierend auf das intellektuelle und moralische Ur­teilsvermögen der Menschen gewirkt. Und unendlich viel wird gutzu­machen sein, und wird nur gutzumachen sein auf geisteswissenschaft­lichem Wege, wenn die Korruption, die in bezug auf intellektuelle und moralische Urteilsverrenkung über die ganze zivilisierte Welt einge-treten ist, wiederum auch nur einigermaßen zurechtgerückt werden soll. Dabei kann man eines nicht unterlassen zu betonen. Unter den mancherlei Urteilen, die gefällt worden sind, sind ja solche, die in dem sogenannten guten Glauben, wenn auch nicht immer mit einem wirk­lichen Gewissen, mit einem wirklichen, der Verantwortung gegenüber dem Worte sich bewußten Gewissen, gefällt worden sind. Es sind solche, die in dem sogenannten guten Glauben gefällt worden sind auch auf Grundlage desjenigen, was man gerade gewußt hat, so daß auch keine Anklage erhoben werden soll gegenüber der einen oder der an­deren Urteilsrichtung. Aber vor allen Dingen wird der Gang der Ereig­nisse selbst zunächst nicht entkorrumpierend auf das Urteil wirken. Der Gang der Ereignisse wird vielleicht eher die Urteile im ungün­stigen Sinne beeinflussen können, und gerade einer anthroposophisch

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orientierten Geistesbewegung würde es angemessen sein, da manches einfach dadurch bei sich selber und bei anderen zu berichtigen, daß man das ganze Niveau des Urteiles, das ganze Niveau der Beurteilung wirklich herausrückt aus denjenigen Sphären, in denen die Urteile über die ganze Welt bisher gefällt worden sind und sie in ganz andere Be­leuchtung rückt.

Da handelt es sich vor allen Dingen darum, daß ja ganz gewiß, durch den Gang der Ereignisse begünstigt, eine große Anzahl von Menschen jetzt denen recht geben wird, welche sagen können: Wir haben es ja immer gesagt, von seiten der europäischen Mittelmächte ist, ohne daß sie irgendwie provoziert waren, ein Krieg in Szene gesetzt worden. Den Mittelmächten muß man die Schuld beimessen. - Nun, das Urteil in diese Richtung lenken, hat gegenüber den wirklichen Tatsachen auch nicht den allergeringsten Sinn. Und wenn man von der unmittelbaren -ich rede jetzt von einer unmittelbaren - Schuldfrage ausgehen wollte, so würde man bei gerechter Beurteilung ganz gewiß nicht dazu kom­men können, überhaupt die Frage von dem eben berührten Gesichts­punkte aus zu behandeln. Die Frage: Haben die Mittelmächte eine Schuld gehabt am Ausbruche dieses Krieges? - diese Frage hat eigent­lich in Wirklichkeit gar keinen ernsthaften Sinn. Und wenn man sich dagegen wendet, so wendet man sich hauptsächlich deshalb dagegen, weil das Bringen des Urteils in diese Richtung doch keinen eigentlichen greifbaren Inhalt und Sinn hat.

Am wenigsten hat es einen Sinn gegenüber den Tatsachen, die eben durchaus einmal an die Öffentlichkeit kommen müssen, etwa davon zu sprechen, daß man von seiten der Mittelmächte aus einen Präventiv-krieg führen wollte, daß ein sogenannter Präventivkrieg geführt wer­den sollte. Diese Anschauung, die also etwa darinnen bestünde, daß man auf seiten der Mittelmächte gesagt hätte: Der Krieg muß ja doch einmal kommen, dann würde er unter ungünstigeren Verhältnissen für uns kommen, also beginnen wir ihn lieber früher, denn wir sind dann in einem gewissen Vorteil -, diese Anschauung hat gegenüber den Tat­sachen auch nicht den allergeringsten Sinn. Davon kann überhaupt gar keine Rede sein, daß man zu einem Urteil über die Sachlage kommt, wenn man das Urteil in diese Richtung lenkt. Es handelt sich wirklich

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bei einer solchen Sache darum, daß man den Tatsachen ganz vorurteils­frei ins Auge schaut. Und da muß man - und ich tue es heute apho­ristisch - eben natürlich auf Einzelheiten hinweisen, auf solche Einzel­heiten, die symptomatisch gravierend sind. Natürlich kann ich nicht bis zu Adam und Eva zurückgehen. Dazu ist man ja immer, wenn man eine geschichtliche Darstellung gibt, durch die man etwas zum Ausdruck bringen will, gewissermaßen verführt. Allein ich kann nicht bis zu Adam und Eva zurückgehen. Ich will zunächst nur weniges sagen und meine Betrachtungen über eine kurze Zeitspanne ausdehnen.

Da führt in eine Art Disposition unserer aphoristischen Betrach­tungen das hinein, daß ja äußerlich der Ausgangspunkt, ich möchte sagen, der Grundstoß zu diesem sogenannten Kriege ausgegangen ist von dem in Österreich fabrizierten, nach Serbien geschickten Ulti­matum. Man wird also vielleicht gut tun, an diesen Ausgangspunkt der sogenannten kriegerischen Ereignisse, die betrachtet werden, die geschichtlichen Symptome anzuknüpfen. Nun, gerade dieser Ausgangs­punkt führt zurück bis in die siebziger Jahre des neunzehnten Jahr­hunderts. Man kann dasjenige, was da zwischen dem gewesenen Österreich und Serbien sich abgespielt hat, nicht betrachten, ohne zu­rückzugehen bis zu der sogenannten Okkupation von Bosnien und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn im Jahre 1878. Diese Okku­pation von Bosnien und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn im Jahre 1878, die bedeutet die Einleitung einer gewissen österreichi­schen Politik, welche eigentlich in ihrem weiteren Verlaufe dann zu dem, was man das österreichisch-serbische Ultimatum nennen kann, führt. Aus den Wirren, die in Europa entstanden waren durch den russisch-türkischen Krieg in den siebziger Jahren, war ja der sogenannte Berliner Kongreß hervorgegangen. Und dieser Berliner Kongreß hat neben anderen Taten, vorzugsweise auch unter dem Einflusse der da­maligen englischen Politik, Österreich das Mandat übertragen, Bosnien und die Herzegowina vorläufig zu okkupieren.

Im Grunde genommen hängt vieles, was sich auf dem Balkan ab­gespielt hat, zusammen mit dieser Okkupation von Bosnien und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn. Man muß daher die Frage aufwerfen: Wie ist es denn eigentlich gekommen, daß Österreich veranlaßt

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werden konnte, Bosnien und die Herzegowina zu okkupieren? -Es hat das sogar schon etwas mit den Ursachen zum Ausbruch des rus­sisch-türkischen Krieges zu tun. Nach Südosten hin grenzen balkan­slawische Völker an Österreich-Ungarn an. Aber Österreich-Ungarn selbst hat gegen Südosten hin slawische Bevölkerung. Es hat die Süd­slawen, es hat die Kroaten, es hat die Slawonier, die sich, namentlich die letzteren, die Kroaten und Slawonier, sehr verwandt fühlen mit den Serben. In Bosnien und in der Herzegowina, die ja bis in die sieb­ziger Jahre in einem etwas zweifelhaften, aber doch in einem Unter­tänigkeitsverhältnis zur Türkei standen, da ist slawische und türkische Bevölkerung durcheinander gewesen. Da entstanden Unruhen, die zu­nächst so sich ausnahmen vor der europäischen Welt, daß sie Unruhen sein sollten, welche sich gegen die Herrschaft der Türken richteten. Natürlich, ich müßte jetzt viel ausführlicher sein, wenn ich mehr tun wollte als skizzieren, aber ich will Ihnen nur einiges skizzieren. Nun ist schon interessant, sich darüber zu unterrichten, wie denn dazumal eigentlich diese Unruhen, deren letzte Niederwerfung eben in der Okku­pation von Bosnien und der Herzegowina durch Österreich bestehen sollte, zustande gekommen sind. Denn gerade die Art, wie diese Un­ruhen zustande gekommen sind, ist zeitgeschichtlich von außerordent­lich großer Bedeutung.

Hätte man dazumal die Herzegowsken und die Bewohner von Bos­nien, die Bosniaken, für sich selbst ihrem Schicksal überlassen, es wären wahrscheinlich nicht gerade Unruhen ausgebrochen, die Europa beson­ders beunruhigt haben würden. Allein solche Dinge wurden ja unter dem alten Regime, das aber nicht etwa bloß das alte Regime an der Stelle ist, sondern das im Grunde das alte Regime über die ganze zivili­sierte Welt war bis jetzt, solche Unruhen wurden unter dem alten Regime oftmals, man kann schon sagen, fabriziert. Gewiß, unter den Bosniaken und den Herzegowsken waren Beunruhigungen ausgebro­chen; sie waren nicht zufrieden mit der türkischen Herrschaft. Aber das hätte, wenn man sie sich selbst überlassen hätte, eigentlich äußerlich Europa nicht in Aufruhr zu versetzen, in Unruhe zu führen gebraucht. Dasjenige, was aber geschehen ist, das geschah ganz gewiß auf Betrei­ben zahlreicher Versammlungen, die von Generalen und Untergeneralen

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der verschiedensten, namentlich auch slawischer Nationen, in Wien abgehalten worden waren. Denn diejenigen, die hauptsächlich an jenem Aufstande, der dem türkisch-russischen Kriege voranging in je­nen fragwürdigen Provinzen, teilnahmen, das waren zumeist Leute aus dem benachbarten Österreich und Dalmatien, also Dalmatiner und dalmatinisch-österreichische Montenegriner, die nach Bosnien und der Herzegowina hingeschickt worden sind. Man hat die Dinge von Wien aus so gedreht, daß dalmatinische Bevölkerung, Beunruhigung hervor­rufend, hinübergeschickt worden ist in das benachbarte Bosnien und die Herzegowina. Die nötige Munition und das Kriegsmaterial wur­den auch durch die zahlreichen Pässe befördert. Die Regierung hat sich dazumal so benommen, daß sie, um vor Europa gerechtfertigt dazu­stehen, bei einem Paß Gendarmen aufgestellt hat, um irgendeinen Menschen, der mit ein bißchen Munition durch den Paß nach Bosnien hinüberkutschierte, abzufangen, zu der gleichen Zeit, zu der man Leute hinübergeschickt hat von Dalmatien und auch von Triest und durch andere Pässe mit Munition und Kriegsmaterial ruhig hat passieren lassen.

Dann sind die Unruhen inszeniert worden, und von Triest aus sind immer die entsprechenden Börsentelegramme nach Europa abgesendet worden über den Verlauf dieser furchtbaren Unruhen. Und als einmal die Journalisten der «Neuen Freien Presse> - Sie wissen ja, Journalisten wollen nicht nur große Persönlichkeiten, sondern auch Ereignisse inter­viewen - hinüberkamen, wurden ihnen die Ereignisse vorgeführt. Da wurden sie hingestellt an einen Platz, wo es möglich war, große auf­ständische Massen, so viel, als man doch nicht hingeschickt hatte, vor­zuführen. Aber das hat man so eingerichtet, sehen Sie - ich zeichne im Grundriß (es wird gezeichnet) -: Da stehen die braven Journalisten, und da zogen die Insurgenten vorbei. Aber es waren die Einrichtungen so getroffen - wissen Sie, wie beim Theater: da gehen sie heraus und da wieder herein -, daß sie da dreimal vorbeigeführt wurden. So wurde ein solcher weltbewegender Aufstand inszeniert! Selbstverständlich -die Journalisten konnten ja auch die ungeheure Zahl angeben, die sie da gesehen haben -, was sollte das europäische Publikum, das ja nicht autoritäts-, aber zeitungsgläubig ist, was sollte das anderes tun als

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wissen, daß da ungeheure Insurgentenmengen sind und daß da irgend etwas geschehen müsse.

Nun, die Dinge führten dann zu der kriegerischen Verwickelung, führten zum Berliner Kongreß. Da erhielt dann Österreich-Ungarn eben das Mandat, in diesen Provinzen, in denen alles so unruhig ist, in denen man immer befürchten muß, daß Unruhen ausbrechen, da Ord­nung zu machen. Und es wurde ihm nicht die Annexion - es war schon die Zeit, in der man sich zu radikalen Entschlüssen nicht aufraffen konnte -, es wurde ihm die Okkupation übertragen. Das ist so eine halbe oder viertel Sache. Es war damit etwas eingeleitet, was sich in gewisser Beziehung in Mitteleuropa mit einer gewissen Notwendig­keit ergab aus den vorangehenden Differenzen, die zwischen der mitteleuropäischen Bevölkerung, der norddeutschen Bevölkerung und Österreich, den süddeutschen Staaten 1866 ausgebrochen waren, was dahin geführt hatte, daß bei der Berliner Politik ein gewisser Zug ent­stand, Österreich als Habsburgerreich mehr nach dem Osten, nach der Slawenseite abzuschieben. Und Sie dürfen glauben, daß ein Mann wie ich, der mitten drinnengestanden hat, gerade als die entscheidenden Empfindungen bei den Deutschen Österreichs sich über diese Ereignisse entwickelten, daß der schon über diese Sache in unbefangener Weise zu reden weiß, jetzt nach so viel Jahren, ich kann fast sagen Jahrzehnten. Es handelte sich darum, daß als Begleiterscheinungen dieses Hinüber­schiebens des Habsburgerreiches nach dem slawischen Osten genommen werden mußte das An-die-Wand-Drücken der Deutschen Österreichs. Das lag natürlich im Sinne und Stile der Berliner Politik wiederum aus dem Grunde, weil es ja nicht zwei Reiche in Mitteleuropa mit ent­schieden deutscher Färbung geben kann; daher sollte Österreich eine mehr slawische Färbung bekommen.

Dadurch aber waren gewisse Vorbedingungen gegeben, die eigent­lich, wenn sie in gesunde Bahnen gelenkt worden wären, doch geeignet gewesen wären, außerordentlich geeignet gewesen wären, aus dieser sogenannten Donaumonarchie ein europäisches Gebilde mit einer groß­artigen Mission zu machen. Man könnte sich nichts Schöneres denken, als wenn in diese Tendenz, die Habsburgermonarchie nach Osten hin­über so langsam abzuschieben, die österreichischen Deutschen ja an die

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Wand zu drücken - aber die würden sich ihre Aufgabe selber haben stellen können -, wenn da durch diesen Rahmen, der dadurch entstan­den ist, zur rechten weltgeschichtlichen Stunde eine richtige Mission hineingegossen worden wäre. Das wäre, man kann wirklich schon sagen, nicht bloß für Europa, sondern für die ganze zivilisierte Welt von ungeheuerster Bedeutung gewesen. Denn es hatte gutes Material in diesem Gebiete von Europa. Man darf nämlich folgendes nicht außer acht lassen. Die Deutschen Österreichs selber, sie sind so veranlagt -ich habe schon neulich auf einige Charakterzüge hingewiesen -, daß ihnen jeder imperialistische Impuls so fern wie möglich liegt. Es ist eigentlich vielleicht nicht einmal zu viel gesagt, wenn man die Meinung hat, daß man abstimmen könnte, nicht bloß über das Wort, sondern über dasjenige, was Imperialismus als Impuls ist: man würde wahr­haftig sehr wenige Leute unter der wirklichen deutsch-österreichischen Bevölkerung finden, die eine Ahnung davon haben, daß man sich einer solchen Sache zuwenden könnte. Daher kam es auch, daß sich diese deutsch-österreichische Bevölkerung mit Händen und Füßen gesträubt hat gegen die Okkupation von Bosnien und der Herzegowina, die ja, wenn auch eine Art Talmi, aber doch eine Art Anfall für eine öster­reichisch-imperialistische Politik war, die eigentlich eine historische Unmöglichkeit war, weil Österreich nicht so geartet ist, daß es eine imperialistische Politik jemals aus seiner eigenen Wesenheit heraus hätte entfalten können. Diese deutsch-österreichische Bevölkerung lebte, wie schon neulich gesagt, korrumpiert durch den Klerikalismus, in vieler Beziehung eine Art Pflanzendasein. Aber aus diesem Pflanzen-dasein heraus besteht die Möglichkeit, daß sich gerade starke Indi­vidualitäten entwickeln. Und an Geistigkeit hat sich wahrhaftig in Individualitäten nicht wenig gerade aus diesen deutschen Gebieten Österreichs entwickelt, auch in der Zeit, in der von Deutschland aus Deutsch-Österreich, weil man eben das Habsburgerreich mitslawisieren wollte, an die Wand gedrückt worden ist.

Nun muß man nicht vergessen, daß allerdings innerhalb dieses Terri­toriums ein außerordentlich stark chauvinistisches Element ist, das den spezifischen Charakter des Chauvinistischen an sich trägt: das ist das magyarische Element, das seinen Chauvinismus in rücksichtslosester

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Weise immer zur Durchführung zu bringen gesucht und auch gewußt hat durchzuführen. Das ist von jeher eine sehr üble Beigabe gewesen, und wäre es auch gewesen, wenn der österreichische Rahmen mit einer Mission irgendwie angefüllt worden wäre. Aber dann kommen für Österreich in Betracht die verschiedenartigsten Slawen, die verschie­denartigste slawische Bevölkerung, und diese slawische Bevölkerung Österreichs, sie hat nicht im geringsten in der Zeit, welche in Betracht kommt für die Vorbereitung der gegenwärtigen katastrophalen Ereig­nisse, an denen sie gewiß einen sehr großen Anteil hat, irgendeine im­perialistisch geartete Politik in ihren Anlagen gehabt. Ganz entfernt von jeder imperialistisch gearteten Politik war die siawische Bevölke­rung, auch der polnische Teil der österreichisch-slawischen Bevölke­rung. Und unvergeßlich wird mir immer bleiben jene Rede, welche 1879 Otto Hausner, der damalige polnische liberale Abgeordnete, gegen die Okkupation von Bosnien und der Herzegowina gehalten hat gerade vom Standpunkte der Verdammung einer imperialistischen Politik aus.

Dasjenige, was die Slawen in Österreich trieben, war eigentlich im wesentlichen immer allerdings nationale - das ist das Schlimme daran -, aber nationale Kulturpolitik. Sie wollten durch die Pflege der Natio­nalität, nicht in chauvinistischer Weise - das unterscheidet sie oder unterschied sie wenigstens immer von den Magyaren -, als Völker vor­wärtskommen, als Völker dasjenige entwickeln, was in ihren Anlagen liegt. Hätte man alles das, was da in den Anlagen der verschiedenen Völker Österreichs ist und was durch den Rahmen Österreich eben ein­geschlossen war, gewußt in eine Mission zu vereinigen, so hätte eben wirklich Großes und Bedeutsames daraus entstehen können. Denn die slawische Bevölkerung Österreichs war niemals, auch noch nicht im Beginn dieser kriegerischen Weltkatastrophe, geneigt, sich darauf ein­zulassen, mit der slawischen Bevölkerung Rußlands irgendeine Kon­föderation einzugehen. Die slawische Bevölkerung Österreichs, viel­leicht mit Ausnahme der polnischen, die ihr eigenes geschlossenes Reich haben möchten, aber die andere slawische Bevölkerung Österreichs, war vor allen Dingen noch lange in diese Kriegszeit herein - diese Kriegszeit hat eben verschiedene Phasen, die man jetzt noch nicht berücksichtigt

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und unterscheidet - durchaus noch nicht irgendwie ruß­landfreundlich gesinnt. Was die slawische Bevölkerung Österreichs, indem das zum Ausdrucke kam durch ihre Führer, wollte, das war gerade eine slawische Kulturpolitik der österreichisch-slawischen Völ­ker, vielleicht mit einiger Ausdehnung über die Balkanslawen, aber in ausgesprochener Weise gerichtet gegen den Zarismus. Gewiß, einzelne Erscheinungen weichen davon ab, aber auf die kommt es im großen Ganzen nicht an; aber daher ist im Grunde genommen jene rasche und große Wendung der österreichischen Slawen zu Rußland hin erst ge­schehen mit dem Sturze des Zarismus. Der Sturz des Zarismus hat für Österreich ungeheuer entscheidend gewirkt, denn mit einem zaristischen Rußland wären die Slawen Österreichs niemals zu vereinigen gewesen, in ihren Sympathien meine ich, und darauf kam es ja an; denn die Tschechoslowaken-Frage wurde im ganzen Hergang der Ereignisse eine der allerwichtigsten.

Nun hat man in Österreich nicht verstanden, das alles zu sehen und in eine Mission zu vereinigen, und das war das tragische Geschick Österreichs. Man hat das eben durchaus nicht verstanden. Nun war selbstverständlich unter der slawischen Bevölkerung Österreichs eine große Gärung, die darauf hinzielte, dasjenige zu verwirklichen, was ich eben angedeutet habe: Befreiung der Slawen als Nation so, daß sie ihre Anlagen frei entwickeln können im Rahmen Österreichs. Das alles wurde statt in eine große Kulturmission, in Österreich unter dem Ein­flusse der habsburgischen Hausmachtpolitik und unter dem Kleri­kalismus leider gezwängt in eine Politik, welche Moriz Benedikt nicht mit Unrecht eine «ärarische Politik» genannt hat. Man kann sie auch nicht gut anders bezeichnen. Es ist eine Politik, welche so durchein­andergemischt ist aus schlampiger Soldatenorganisation, noch schlam­pigerem Bürokratismus, aus einem nicht ganz vollendeten, aber auch wiederum zu Schlampigkeit neigenden Pedantismus und so weiter.

Das ist eben hauptsächlich dasjenige Element, von dem ich neulich einmal sagen konnte: es gehörte zu dem, was einen eigentlich nichts anging. Nun aber, wir dürfen nicht vergessen: Solche Gärungen, die dann keine territorialen Grenzen kennen, sind Material für kommende Ereignisse. Nicht wahr, wenn es irgendwo, sagen wir, bei den Tschechen,

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gärt, wenn man da etwas will, so können irgendwelche Großmächte gewissermaßen wettlaufen um die Sympathien einer solchen Volks­gemeinschaft - auch um die realen Sympathien, die dann zu etwas führen. Großmächte, die gar nichts dort zu tun haben, die bemäch­tigen sich eines solchen Gebietes. Dadurch entstehen unnatürliche Verhältnisse in der Welt. Es sympathisieren dann also in dem Beispiel, das ich gewählt habe, die Tschechen mit einer Großmacht, von der sie sich eine Förderung in ihren Aspirationen versprechen, mit einer Groß­macht, mit der sie sonst gar nicht weiter irgendwie Sympathien ent­wickeln konnten. Dadurch, mit diesen Vorbedingungen, die da gegeben werden, sind für diejenigen, die schlau sein konnten, für diejenigen, die die Politik im alten Sinne verstehen, zahlreiche Möglichkeiten ge­geben zu Wühlereien, wenn man das oder jenes will. Es bildet sich Zündstoff für Konflikte, den man dann benützen kann. Nun, der lang­jährige österreichische Ministerpräsident Graf Taaffe, dem übertragen war, eine sogenannte Versöhnungspolitik der verschiedenen Völker Österreichs zu bewirken, hat den Grundcharakter seiner eigenen Poli­tik selber bezeichnet: «fortwursteln». Ja, es ist vielleicht schwer zu übersetzen, «fortwursteln»; das heißt vielleicht also: so schlampig fort-machen, ohne daß man eine Idee sich bildet, wie es nun weitergehen soll. Man macht, macht, macht so, bis der Karren nicht mehr weiter­geht. - «Fortwursteln» nannte der Graf Taaffe dasjenige, was der Kern seiner eigenen Politik war. Dann kamen andere, die den Grafen Taaffe ablösten, aber sie wurstelten auch fort. Sie betrachteten die Ver­söhnung immer so, daß sie einmal der einen Nationalität eine Universi­tät bewilligten, ein andermal der anderen Nationalität irgendeinen Landesausschuß oder so etwas bewilligten, eine Bank gründeten oder dergleichen. Dadurch brachten sie die Nationalitäten erst recht durch-einander und entfremdeten sie einer wirklichen Mission, die sich hätte finden lassen, die auch verstanden worden wäre, wenn man sie nur wirklich gebracht hätte.

Und so eigentlich ging es, bis das unselige Jahr 1914 herankam. Man kann nicht einmal sagen, daß diese Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand viel mehr war als ein äußerer Anlaß zu dem, was dann als sogenanntes Ultimatum von Österreich-Ungarn an Serbien gestellt

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worden ist. Denn man war schon längst nicht mehr in dem Stadium, in dem sich solche Ereignisse wie diejenigen, die nun hereingebrochen sind, direkt etwa dadurch entschieden, daß diese oder jene Gegensätze da waren. Diese oder jene Gegensätze wurden nur benützt, um weit­aus andere Dinge zu erreichen. Nun, will man die Frage beantworten: Wollte innerhalb Österreichs irgend jemand den Krieg, der dann ge­kommen ist? - so würde man die Frage in ganz falsche Richtung len­ken, wenn man das eine oder das andere Volk Österreichs anklagen wollte, oder auch, wenn man gar die österreichische Regierung an­klagen wollte. Denn die österreichische Regierung 1914: ein weit über achtzig Jahre alter, nicht mehr denkfähiger Kaiser, dem es wirklich nicht darauf ankam, einen Krieg zu führen; ein bis zum Pathologischen unfähiger Außenminister, der Graf Berchtold, der wohl geeignet war, da oder dort hingeschoben zu werden, aber dem man ja nicht zumuten darf, daß er irgendwie den initiativen Gedanken hätte fassen können, irgendeinen Krieg zu entfesseln. Und diejenigen, die ihn als Kreaturen umgaben, gerade im engeren Amte, die waren schon sicher auch wenig dazu geeignet, den Krieg zu entfachen. Also wer innerhalb der öster­reichischen Regierung oder innerhalb der Hofburg von Wien die Schuld zu diesem Kriege sucht, der lenkt eigentlich die Frage in eine ganz falsche Richtung, denn solche Unfähigkeit beschließt keine Kriege. Ich sage das nicht aus einer Emotion heraus, ich sage es auch nicht, um etwas zu beurteilen, sondern als eine Zusammenfassung von Tatsachen.

Aber man darf das andere nicht vergessen. Man kann ja noch nach anderen Richtungen die Blicke lenken. Man muß sich klar darüber sein, daß ja im Hintergrunde von allem, was in den letzten Jahren geschehen ist, eine Kriegsmöglichkeit lag, eine Kriegsmöglichkeit, welche nach den verschiedensten Richtungen sich ausleben konnte. Und diese Kriegs-möglichkeit liegt, ich möchte sagen, in einer historischen Entwickelung selbst. Ich habe hier oft davon gesprochen. Sie liegt einfach darinnen, daß von der englischsprechenden Bevölkerung der Welt aus gewissen Voraussetzungen heraus die Weltherrschaft angestrebt wird. Dies ist eine Tatsache, die man als Tatsache hinnehmen muß. Aber nicht wahr, einer solchen Tatsache gegenüber verhalten sich nicht alle Menschen, die nicht dazu gehören zur Anstrebung dieser Weltherrschaft, ganz

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passiv, sondern sie haben allerlei Aspirationen, und dadurch kann so mancherlei geschehen. So daß einfach durch das Vorhandensein des englischen Imperialismus, der sich ja insbesondere im zwanzigsten Jahr­hundert immer sichtbarer und sichtbarer herausgebildet hat, natürlich lauter Kriegsmöglichkeiten entstanden sind. Diese Kriegsmöglichkeiten waren für diejenigen Menschen, die Kriege brauchten, selbstverständ­lich immer etwas, was benützt werden konnte. Nun lagen die Dinge für Österreich so, daß allerdings in Wien und Österreich Finanzkreise waren, die eigentlich schon durch mehrere Jahre es gern gesehen hätten, wenn sie ihrer Wirtschaft durch einen Krieg hätten aufhelfen können, die interessiert waren an der Herbeiführung eines Krieges. Und man kann sagen: Es ist den Entente-Regierungen selbstverständlich un­geheuer leicht, zu beweisen, daß sie den Krieg nicht verursacht haben. Nichts leichter als das, aber es will nicht viel besagen, denn darum handelt es sich nicht. Die eigentlichen Kriegsveranlasser gerade in die­ser Zeit waren eben auf keinem Boden die Regierenden, sondern solche Mächte, die dahinterstanden. Ich habe von bedeutsamen Mächten, die nun ganz dahinterstanden, vor einem Jahr hier hinlänglich gesprochen. Aber es waren dann wiederum da die vorgeschobenen Posten, und das waren im wesentlichen Finanzkreise und Unternehmer, Großunter­nehmerkreise.

Nun konnten diese Großunternehmerkreise alle möglichen Diffe­renzen und Disharmonien, die bestanden, benützen, um gewissermaßen die Weltgeschichte in ihrer Richtung zu lenken. Solche Konsortien gab es selbstverständlich auch in Wien. Die waren dort die eigentlich trei­benden Mächte. Ich würde gar nicht einmal untersuchen mögen, wel­chen Ursprungs solche Konsortien sind. Solche Konsortien brauchen durchaus nicht einmal aus dem eigenen Land zu sein, sie können wo­anders her sein. Aber territorial waren jedenfalls solche Konsortien da. Das waren in einer gewissen Beziehung schon die schiebenden Mächte. Und da immer dasjenige, was in der slawischen Bevölkerung sowohl Österreichs wie des weiteren Ostens gärte, benützt werden konnte, und benützt werden konnte die ganze nicht vorhandene Mis­sion Österreichs, so war es natürlich möglich, solche vorhandene Ten­denzen auszunützen, wenn man etwas beitragen wollte zur Herbeiführung

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irgendeines Krieges. Es waren ganz gewiß unter denjenigen treibenden Mächten, welche es möglich gemacht haben, daß diese Kriegskatastrophe den Ausdruck gefunden hat, den sie gefunden hat, die Differenzierungen und Aspirationen der slawischen Völker Öster­reichs und des Ostens sehr, sehr stark daran beteiligt, aber im Grunde genommen auch nur als gebrauchte Objekte, als dasjenige, was man benützte.

Wenn man die nächsten Stoßenden ins Auge fassen will, so sind es eigentlich im Grunde genommen Finanzmächte, Kapitalmächte, weniger im gewöhnlichen Sinne, als Großkapitalmächte, Gründerkapitalmächte und dergleichen. Das war es, was dahinterstand. Das war natürlich seit Jahrzehnten überhaupt das Herrschende in der gegenwärtigen Mensch­heit. Mehr als irgend jemand, der schläft, glauben kann, steht hinter den Ereignissen der letzten Jahrzehnte die internationale Finanzwelt, die Gründerwelt im großen. Nicht wahr, die Mächte, von denen ich hier gesprochen habe, die benützten wiederum die Finanzwelt, aber die Finanzwelt gab die nächsten Stöße. Und von dieser Finanzwelt ging auch das in Österreich aus, was schon jahrelang als Zündstoff vorhan­den war. Da schob man. Es war überhaupt eine günstige Zeit herauf­gekommen für die Möglichkeit, daß sich über ihre Gewinnchancen sehr klare, aber sonst sehr, sehr im Trüben fischende Finanzmächte irgend etwas arrangieren konnten. Es war eine günstige Zeit heraufgekom­men. Und gerade in der Art und Weise, wie diese Katastrophe herein­gebrochen ist, zeigt sich, daß für diese Mächte eine außerordentlich günstige Zeit hereingebrochen ist. Sie wußten auch diese günstige Zeit in der richtigen Weise auszunützen. Man muß eben nur daran denken, was es bedeutet, wenn man die Maschinerie ganzer Reiche in Bewegung setzen kann, um irgend etwas rein Geschäftliches zu erreichen. Solche Dinge sind lange vorbereitet worden in der neueren Zeit, und der Zeit­punkt war gerade eben beim Ausbruch unserer kriegerischen Kata­strophe ganz besonders günstig. Es ist vieles mit heraufgewühlt wor­den, was in Untergründen der Völker saß, aber man kann sich eigent­lich nichts denken, was teuflisch-geistvoller war als diese Ausnützung der Weltkonjunktur in den letzten Jahrzehnten durch internationale Finanzmächte.

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Sehen Sie, die Macht der mitteleuropäischen Reiche und eigentlich auch des russischen Reiches - für England nicht die Macht des Reiches, wohl aber die Macht der Finanz - ist eigentlich nach und nach ohn­mächtig geworden. Die Reiche bedeuteten eigentlich im Grunde ge­nommen nichts Besonderes, nichts, was Entscheidungen im weltgeschicht­lichen Fortgange herbeiführte. Entscheidungen im weltgeschichtlichen Fortgange führten herbei die Transaktionen der Großkapitalmächte, der internationalen Großkapitalmächte, die sich der Reiche als Instru­mente bedienten. Und dazu war die Weltkonjunktur gerade, als das Jahr 1914 herannahte, eben außerordentlich günstig. Österreich kam allmählich dahin, nur zu sein das Instrument finanzieller Konsortien. Aber auch Deutschland, das sogenannte Deutschland kam dahin, nur zu sein das Instrument finanzieller Konsortien. Das war dadurch her­beigeführt worden, daß in Österreich auf dem sogenannten Throne saß ein alter Herr, der eigentlich kaum noch fähig war, in seine Sinne auf­zunehmen, was um ihn herum vorging, der nicht mehr wußte, was um ihn herum vorging, der bewogen werden konnte zu allem, was man ihm eben äußerlich plausibel machte; daß durch diese Verhältnisse, wie ich es Ihnen geschildert habe, durch dieses Fortwursteln, nach und nach überhaupt nur noch möglich geworden war, die absoluteste Unfähigkeit in die Ministerien hineinzubringen. Denn wenn man eine Menagerie von lauter Unfähigen haben wollte, so brauchte man sie nur zusam­menzusetzen aus den verschiedenen österreichischen Ministerien der letzten Zeit. Das war ein gutes Feld, welches als Instrument benützt werden konnte. Denn man brauchte nur die Dinge so zu lenken, daß ein immerhin doch respektabler Heeresorganismus so verwendet wurde, daß sich ein Finanzkonsortium versprechen konnte, durch diese Ver­wendung eine entsprechende Welttransaktion zu machen. Hinter dem, was im Juli/August 1914 in Österreich geschehen ist, stehen eben durch­aus Finanzmächte, die vielleicht gar nicht einmal ihren Ursprung in Österreich selber haben, denen aber dieses Österreich ein Instrument war, um gewisse Dinge zu erreichen. Den Grafen Berchtold konnte man wirklich schieben, wenn man ein richtiger Finanz-Schachmann war, wohin man wollte, wie eine Schachfigur. Das war das eine.

Das andere war doch, daß durch die unglückseligen Verhältnisse der

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letzten Jahrzehnte auch das Deutsche Reich allmählich übergegangen war in ein Instrument für finanzielle Operationen und auch indu­strielle Operationen. Das Fehlerhafteste, was man beim Aufwerfen von Schuld- oder anderen Fragen bei dieser Gelegenheit begehen kann, das ist, wenn man sich dem Glauben hingibt, daß eine deutsche Regie­rung eine mächtige Regierung war, irgend etwas von sich aus wollte. Sie wollte wirklich nichts Besonderes. Denn die meisten in Deutschland, im sogenannten Deutschland Regierenden, die könnte man zu den anderen, die ich eben genannt habe, dazusperren, und sie würden sich nicht so sehr unterscheiden von ihnen namentlich in bezug auf ihre politischen Qualitäten. Dazu kam ein anderer Umstand. Dazu kam der Umstand, daß gerade innerhalb des Deutschen Reiches eine große Bedeutung für die Einschläferung des allgemeinen Bewußtseins die Tatsache hatte, daß ein sehr unbedeutender, eigentlich seiner ganzen intellektuellen Qualität nach höchst unbedeutender Herrscher insze­niert wurde in einer Art - man darf das Wort, das ja heute vielfach gebraucht worden ist, wieder gebrauchen - Theaterpolitik. Und in nicht geringerem Maße als der alte Kaiser von Österreich ist der von vielen ganz zu Unrecht für bedeutend angesehene Kaiser, der Deutsche Kaiser, das geeignete Instrument gewesen innerhalb der von mir an­gedeuteten und charakterisierten Weltkonjunktur. Der größte Irrtum, dem sich die zivilisierte Menschheit hingegeben hat, ist der, daß auf dem Deutschen Kaiserthron - man kann staatsrechtlich nicht von einem Deutschen Kaiserthron sprechen, nun, aber Sie wissen, was ich meine - irgendein bedeutender, in Frage kommender Mensch gesessen hätte. Das ist ja eben durchaus nicht der Fall gewesen. So daß auch da die hier allerdings mehr dahinterstehende industrielle Welt, aber in Verbindung mit der Finanzwelt, die eigentlichen Schieber lieferte.

Als drittes kommt natürlich in Betracht, daß nicht minder unbedeu­tend der Herrscher Rußlands war, der in ebensolcher Weise ein Instru­ment war und nun für alle möglichen nicht nur Finanz- und indu­striellen Mächte, sondern für manche anderen dunklen Mächte auch noch gebraucht werden konnte. Zu all dem kommt eben hinzu, daß hinter all diesem, was sich in der Weltkonjunktur ausspricht, die Ex­pansion des Imperialismus der englischsprechenden Reiche stand. Das

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darf nicht übersehen werden. Denn in alle diese Gegensätze, die ich jetzt aufgezählt habe, spielen hinein die anderen Gegensätze, wie zum Beispiel jene europäische Sackgasse, die man als Elsaß-Lothringische Frage bezeichnen kann, und dergleichen. Das spielt so hinein in einer gewissen Weise. Aber dasjenige, was von allen Ecken heraus zu Kriegs-ursachen hat führen können, wenn man sie eben wollte, das ist die Umwandlung der so liberal, in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts so liberal gewordenen englischen Politik in den englischen Imperialis­mus des zwanzigsten Jahrhunderts.

Nun erzeugte natürlich das alles alle möglichen, ich möchte sagen, Pulverfässer, in die man nur den Zündfunken hineinzutun brauchte. Es erzeugte auch jene eigentümlichen Ideen, mit denen die finanziellen Schachfigurenschieber so hauptsächlich rechnen. Sehen Sie, man darf eben nicht außer acht lassen: Als gewissen Finanzleuten in Österreich die Idee immer mehr und mehr kam, ein Krieg wäre für uns gut -, da dachten sie vor allen Dingen daran: Wir können erreichen, was wir erreichen wollen an geschäftlichen Transaktionen und ihren Folgen, und dem, was dann weiter daraus folgen wird, wenn wir einen Balkan­krieg führen. - Es gab, indem der Balkankrieg in Aussicht genommen worden ist, natürlich zwei bedeutsame Eventualitäten. Die eine Even­tualität war diese: Wie konnte ein solcher Finanzmann in Wien, dem der Krieg zum Beispiel ganz angenehm war, wie mochte der speku­lieren? - Er sagte sich: Ist es wahrscheinlich, daß wir, wenn wir Öster­reich benützen als unser Instrument, von Rußland angegriffen werden? Ist das wahrscheinlich? Es ist ebenso wahrscheinlich, wie es unwahr­scheinlich ist. Es muß nicht sein. Man riskiert etwas, aber es ist nicht unsinnig, dieses Risiko einzugehen, denn es ist nicht unter allen Um­ständen unmöglich, daß wir von Rußland sogar in Ruhe gelassen wer­den, wenn wir zum Beispiel in Serbien einfallen. - Das war die eine Sache, die man sich überlegen mußte. Da sagte sich der Betreffende: Ganz sicher ist es nicht, daß das zaristische Rußland uns angreifen wird, denn die Sache liegt so, daß eine gewisse Solidarität dynastischer Interessen besteht, und, wenn nicht irgendwelche Mächte in Rußland eingreifen, die man vielleicht schon weniger in Rechnung ziehen kann, so ist es nicht ganz unwahrscheinlich, daß der Zar aus dynastischer

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Solidarität mit dem Kaiser von Österreich, mit der österreichischen Dynastie, zwar mobilisiert, riesig auftritt, aber nur, damit er sagen kann, er sei der Schützer der Slawen. Losschlagen wird er doch nicht. Er wird es vielleicht allerdings darauf ankommen lassen, daß er durch seine Mobilisation verhindert, daß die Österreicher gar zu weit gehen. -Aber Sie wissen ja auch, es ist 1914 viel die Rede gewesen von einem Privatbrief, den der österreichische Kaiser geschrieben, oder der durch den österreichischen Kaiser - wie sagt man?, zu dem der österreichische Kaiser geschrieben wurde, kann man auch nicht sagen, aber Sie werden vielleicht aus dem verstehen, was ich meine -, nicht wahr, es ist viel die Rede gewesen von einem solchen Privatbriefe, der da geschrieben wurde an den russischen Zaren. Der liegt in der Linie von solchen Be­trachtungen. Nun, das war freilich die Erwägung eines solchen Finanz­mannes.

Dann sagte sich ein solcher Finanzmann: Ja, also muß man alles ver­suchen, um das, was sein kann, zu ermöglichen, das Regierungs-, das Reichsinstrument zu benützen. - Aber nun, nicht wahr, große Fähig­keiten hat ja der Graf Berchtold sicher nicht gehabt, aber sicher eine heillose Angst. Indem er so geschoben worden ist, hat er sicher eine heil­lose Angst gehabt. Und nun entstand dasjenige, was rein äußerlich angesehen - man muß natürlich immer die tieferliegenden Motive bei so etwas auch in Erwägung ziehen, die historischen Motive, aber man muß sich schon einmal äußerlich über diese Dinge Klarheit verschaf­fen - verhängnisvoll wurde; das geschah. Nicht wahr, da muß ich auf die andere üble Sache hinweisen, die sich auch solch ein Finanzmann überlegen mußte. Der mußte sagen: Ja, was wird aber nun mit diesem Deutschen Reich, mit dem wir verbündet sind? Riskieren, daß dieses Deutsche Reich den Bündnisfall verwirklicht, wird ja eigentlich für Österreich verhängnisvoll. Denn wenn das Deutsche Reich den Bünd­nisfall zu verwirklichen strebt, so ist ja ein Weltkrieg da. Dann wird man erdrückt, dann riskiert man zu viel. - Es lag ganz gewiß den Finanzkreisen viel näher, die Sache nicht in irgendeine Konfundierung mit dem Deutschen Reich zu bringen. Aber eben, von der Intention der Finanzleute bis zu dem, was der Graf Berchtold tun sollte, der es mit der Angst zu tun kriegte, da liegt ein gewisser Weg. Und die anderen

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Leute, die mit dem Grafen Berchtold zu tun hatten, die hatten ja natürlich nicht minder solche Angst, nicht wahr. Nun, da liegt ein gewisser Weg, und im Verfolg dieses Weges kam das zustande, daß in Berlin angefragt wurde, ob man eventuell, wenn Rußland angreifen würde, den Bündnisfall als gegeben ansehen würde. Man frug wohl gerade bei derjenigen Persönlichkeit an, die immer in den Händen des deutschen und internationalen Industrialismus und der internatio­nalen und deutschen Finanzkreise war, man frug bei dem Kaiser an. Nun ist eine Eigentümlichkeit dieses Kaisers gewesen, zu reden ohne zu denken, so hinzuschmettern, renommistisch hinzuschmettern. Und auch da lag natürlich die Intention von Industriellen und von Finanz-leuten hinter der Sache.

Durch diese ganze Konstellation kam das zustande, daß, selbstver­ständlich in unverbindlicher Weise, denn es war kein Regierungsakt, der Kaiser großtat, er werde sich diesmal nicht kleinmachen lassen, und er werde, wenn irgendwie Rußland mobilisieren sollte, ganz gewiß mobilisieren und so weiter. Nun muß man nicht vergessen, daß gerade diese Persönlichkeit sehr leicht zum Instrument von anderen Kreisen gemacht werden konnte, denn es gab ganze Kreise in der Umgebung gerade dieser Persönlichkeit, die sich ständig damit befaßten, diese Per­sönlichkeit bei guter Laune zu erhalten, sie abzulenken von dem, was sie tun sollte.

Nicht wahr, wer verständig war innerhalb des deutschen Volkes, gab nie etwas auf die Worte dieser Persönlichkeit. Das Ausland hat dem deutschen Volke gerade mit dem Urteil über dieses Reichshaupt, gleich­gültig ob manche entzückt waren vom deutschen Kaiser, oder ob manche ihn später, namentlich während der Kriegszeit, für einen Teufel hiel­ten - zu beidem war er viel zu unbedeutend, ist er viel zu unbedeu­tend -, das Ausland hat dem deutschen Volke mit allen diesen Urteilen das allergrößte Unrecht getan, wird vermutlich auch weiter das aller­größte Unrecht tun. Denn selbst die treu ergebene Umgebung, jene Umgebung, die insbesondere gewöhnt ist an den nicht ganz graden Rücken, diese treue Umgebung bezeugte in ihrem Verhalten am aller­besten, wie die Dinge da eigentlich liegen. Da braucht man sich nur zu erinnern an die Palastrevolution in Berlin vom Jahre 1908. Diese

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Palastrevolution in Berlin vom Jahre 1908, die ja außerordentlich viel mit diesem Weltkonflikte zu tun hat, wenn man die äußeren histori­schen Ereignisse ins Auge faßt, die drückt eigentlich, ich möchte sagen, alles aus, was an dieser Stelle der Betrachtung gerade ins Auge zu fallen hat. Es ist das, was ich meine, die berühmte Daily-Telegraf-Angelegen­heit. Da nahm sich ein englischer Journalist des Daily Telegraf vor, den Kaiser Wilhelm zu interviewen. Vielleicht war das dem Kaiser Wilhelm etwas langweilig, und da hat er denn dem Journalisten ge­sagt: ach, er habe ja schon so viel über sein Verhältnis zu England geredet. - Er hat ihm dann einiges gesagt und riet ihm dann, das andere auch zusammenzustellen, was er sonst schon über England ge­sagt habe. Und da stellte denn der Journalist ein ausführliches Inter­view zusammen.

Dieses Interview, das ist ein Prachtstück einer Politik. In diesem Interview - ich kann es nur dem Sinne nach, es würde sonst zu aus­führlich werden, ein bißchen charakterisieren - wurde gesagt: Ihr Eng­länder seid eigentlich alle verrückte Hühner, denn ihr beurteilt mich und meine Politik ganz falsch. Wenn ihr die Wahrheit erhalten wolltet, so müßtet ihr doch einsehen, daß es in ganz Deutschland nur einen einzigen wirklichen Freund der Engländer gibt, und das bin ich; sOnst seid ihr im übrigen Deutschland eigentlich die verhaßtesten Menschen. Und ihr sollt nur ja nicht glauben, daß ich irgend etwas jemals gegen die englische Politik getan habe. Denn man bedenke nur das eine: Als der Burenkrieg losging, da schaute ich mir die Situation etwas an bei den Buren, dann nahm ich einen Stift und skizzierte rasch den Feldzug, den die Engländer machen mußten gegen die Buren, um ihn möglichst glücklich fertig zu bringen. Dann übergab ich die Karte, die ich ent­worfen hatte, meinem Generalstab. Er arbeitete sie weiter aus; ihr könnt sie wirklich noch in euren Archiven drüben finden. Ich habe auch wirklich bemerken können, wie der Krieg der Engländer gegen die Buren nach dieser von mir ausgeführten Karte geführt worden ist und verlaufen ist. Im übrigen sollt ihr durchaus nicht glauben, daß ich irgendwie jemals etwas gegen die englische Politik gemacht habe, denn mir sind angeboten worden Bündnisse von Frankreich und von Rußland; die haben mir den Auftrag gegeben, ja nicht darüber zu

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reden, aber ich habe es gleich meiner Großmutter gesagt, und daraus sieht man, wie ich die Engländer eigentlich liebe, und wie ich wirklich der einzige Freund Englands bin. Nur mir habt ihr es zu verdanken, daß dieses Bündnis zwischen Frankreich und Deutschland und Rußland nicht zustandegekommen ist. Und wenn ihr glaubt, daß ich gegen euch eine Flotte baue, irrt ihr euch; meine Flotte soll dazu dienen, den Inter­essen Japans im Stillen Ozean entgegenzutreten. - Nun, also dieses ganze Interview wurde von dem englischen Journalisten zusammen­geschrieben und Wilhelm II. gezeigt, der es sehr gut fand. Er schickte es dem Fürsten Bülow, der dazumal sein sogenannter Reichskanzler war. Fürst Bülow war gerade zur Sommerfrische in Norderney und sagte: Ach ja, das ist ein dickes Interview von S. M.; der kann doch nicht verlangen, daß ich mir meine Sommerfrische mit dem Lesen seiner überflüssigen Ausführungen verderbe. Was S. M. sagt, damit brauche ich mich nicht erst zu beschäftigen. - Er gab es einem Unter-beamten, ohne besondere Weisung. Und die Sache kam eben bald zu­tage, da der englische Journalist das wirklich im Daily Telegraf ver­öffentlichte. Und nun war die Geschichte fertig, nicht wahr, ein Pracht­stück einer deutschen Politik. Es kam dann dazu, daß sich selbst die Konservativen gegen S. M. auflehnten, und daß es dazumal sehr nahe an der Abdankung war. Aber er hat sich dann bereit erklärt, nicht mehr zu reden, was so ausgedrückt wurde, daß er ferner für die Konti­nuität der Politik sorgen würde. Es ist nur eine andere Ausdrucksweise dafür gewesen. Nun ja, das dauerte drei Monate, dann fing er wieder an zu reden; es war die alte Geschichte. Das nur zur Charakteristik.

Aber nun darf man nicht vergessen: Durch alle diese Dinge war eine Situation herbeigeführt worden, die man im wesentlichen so charakte­risieren kann, daß durch mitteleuropäische Finanzkonsortien, die die Geschichte sehr gut kennenlernten, Machinationen gemacht worden waren, zu denen als Instrumente Österreich und Deutschland benützt werden sollten. Diese Machinationen - es waren ganz gewöhnliche geschäftliche Machinationen -, die konkurrierten mit englischen ge­schäftlichen Kombinationen. Da war der Gegensatz gegeben. Dieser Gegensatz war da. Es ist ganz selbstverständlich: In England konnte niemand begreifen, daß mitteleuropäische Finanzkonsortien Transaktionen

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machen wollen, Unternehmungen machen wollen, die doch nur England gebühren. Nicht wahr, das ist ganz selbstverständlich, das kann dort niemand begreifen! Das versteht man auch selbst, daß es niemand begreifen kann.

Durch alle diese Dinge war es aber zu der russischen Mobilisation gekommen, von der man nicht recht wissen konnte, was da gewollt wurde. Wie hätte man auch wissen sollen, was da gewollt wurde! Der Zar hat es ganz gewiß nicht gewußt, was gewollt wird; andere wollten das, andere wollten jenes. Die Dinge gingen durcheinander.

Nun darf man nicht vergessen: In Berlin eine Regierung, die eigent­lich überhaupt nicht vorhanden war, die ganz und gar bar jeder Ein­sicht war in den Gang der Verhältnisse, die so schlechte Politik seit Jahren getrieben hat, als es nur irgendwie möglich ist, und die gerade in dem Jahre 1914 an dem Punkt angekommen war, daß sie über­haupt nicht regierte, daß sie geschehen ließ, was da kam. - Eine furcht­bare Situation war da; eine ganz furchtbare Situation war da. Eigent­lich war nun die ganze Last der Ereignisse abgeladen auf die deutsche Heeresleitung. Das darf man nicht vergessen: Die ganze Last der Er­eignisse und ganze Verantwortung der Ereignisse war abgeladen auf die deutsche Heeresleitung. - Denn was auch immer geredet wird von irgendwelchen Konferenzvorschlägen und dergleichen, die von seiten der Ententemächte gemacht worden sind, das alles ist ja Unsinn, das hätte niemals zu irgend etwas führen können, weil dasjenige, zu dem es hätte führen können, natürlich niemals von seiten der Mittelmächte in ihrer damaligen Verfassung hätte angenommen werden können. Man kann selbstverständlich sehr leicht aus dem Verlauf dieser Kon­ferenzvorschläge und so weiter beweisen, daß die Ententeregierungen unschuldig sind an dem Kriegsausbruch. Aber mit diesem Beweis ist nicht das Allergeringste getan. Das ist eine Trivialität, mit der man hausieren gehen kann, alles Mögliche behaupten kann, aber man bringt damit all die Fragen, um die es sich handelt, in absolut falsche Rich­tungen.

Man muß ganz genau, von Stunde zu Stunde, kennen, was in den letzten Tagen des Juli 1914 und vielleicht noch in den ersten Tagen des August in Berlin geschah. Und es wird schon einmal Gelegenheit kommen,

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vor der Welt zu sprechen über dasjenige, was von Stunde zu Stunde in Berlin geschah, und man wird sehen, daß dasjenige, was da geschehen ist, unter gar keinem anderen Impuls geschehen ist als unter dem: Was soll getan werden in dieser furchtbaren Situation, die her­aufgekommen ist? - Wäre eine Regierung dagewesen, die die Dinge überschaut hätte, so wären selbstverständlich die Verhältnisse ganz anders gekommen. Wäre ein Monarch dagewesen, der das geringste getan hätte, der auch nur im allergeringsten teilgenommen hätte an dem Entschlusse, der sich nicht ganz ferngehalten hätte von jeglicher Initiative, obwohl er dabei war, so wären natürlich alle Dinge anders gekommen. Aber alles schaltete sich von selber aus, was nicht Heeres­leitung war, die natürlich die einzige Verpflichtung haben konnte, eben ihre Pflicht zu tun. So daß dasjenige, was gemacht worden ist, wenn normale Verhältnisse dagewesen wären, niemals hätte so aussehen kön­nen wie irgendeine Kriegserklärung.

Es ist in der letzten Zeit vielfach die Sache so ausgesprochen wor­den - aber es gibt sehr wenige Menschen, eigentlich wirklich furchtbar wenige Menschen, die die Verhältnisse genau kennen -, daß man in Berlin in den Krieg mehr hineingerutscht ist, als daß man ihn gewollt hat. Man ist auch wirklich mehr hineingerutscht. Man darf auch nicht vergessen, daß es in einer gewissen Beziehung ganz selbstverständlich war, daß die Heeresleitung in dem Augenblicke, wo die ganze Verant­wortung auf ihr lastete, sich sagte: Jede Stunde verloren bedeutet Ungeheures verloren. - Man muß in Betracht ziehen, daß das deutsche Heer in dieser Zeit, in der man den Mittelmächten zumutete, einen Präventivkrieg haben führen zu wollen, was doch wirklich ein bloßer Unsinn ist, noch keineswegs in einer Verfassung war, daß ein Sach­verständiger großes Zutrauen haben konnte, daß es durchkommen werde bei dem, was doch hereinbrechen mußte. Denn man wußte: In dem Augenblicke, wo der Bündnisfall geltend gemacht wird, geht alles übrige automatisch. - Es ist ja auch gegangen und es war ganz selbst­verständlich, daß es automatisch ging. Aber man darf nicht vergessen, daß gerade derjenige, der die Verhältnisse genau kannte, keine Stunde zu verlieren gedachte, zu verlieren denken durfte, aus dem einfachen Grunde, weil man ganz und gar nicht glauben konnte, daß dieses Heer

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nach dem, was in den verschiedenen vorangegangenen Jahren gesche­hen war, irgendwie gewachsen sein könnte der furchtbarsten Weltkoa­lition, die man heraufbeschwor, selbstverständlich, wenn man sich zum Kriege entschloß. Man darf nicht vergessen: Bereits Ende September hatte dieses Heer keine Munition mehr! - Zwei Tage vor der Kriegs­erklärung an Rußland war noch beim Kriegsministerium vom Auswär­tigen Amt eine dringende Anforderung eingelaufen, die Munitions­bestellungen geringer zu machen. Das sind ja alles schließlich nicht Dinge, die man tut, wenn man sich einen Präventivkrieg vornimmt, nicht wahr. Und solche Dinge könnte man zu Hunderten und Tausen­den aufzählen, wenn man nicht ohnedies wüßte, daß niemand dachte an einen Präventivkrieg.

Aber es kommt in Betracht, indem man es so für selbstverständlich fand in dieser furchtbaren Situation des mobilisierten Russischen Reiches mit dem verbündeten Frankreich, daß dieses deutsche Heer ja ein zwei­felhaftes Instrument war. Denn man darf nicht vergessen: Durch viele Jahre ist unter der Ägide des Generals von Schlieffen die Schulung dieses Heeres in der unglaublichsten Weise getrieben worden. Die Sache wurde erst als Unfug verbessert, als Moltke Generalstabschef geworden ist. Denn dieses Heer wurde so gedrillt, daß der Kaiser stets auf den großen Manövern unter dem General Schlieffen Abteilungen führte, ohne einen Schimmer von irgend etwas in der Kriegführung oder der­gleichen zu haben. Die ganzen Anordnungen wurden so getroffen, daß selbstverständlich Majestät siegte. Also man soll sich nur vorstellen, wie man ein Heer schulen konnte, wenn man jene Theatercoups machen mußte, daß jeder, der auf der Abteilung war, auf der nicht Majestät war, notwendigerweise die Sache so anordnen mußte, daß er eine Nie­derlage kriegte, damit Majestät siegen konnte. Solche Dinge lassen sich in kurzer Zeit nicht verbessern, sondern das bedarf dann erst wiederum langer Arbeit. Das aber erzeugt selbstverständlich die Stimmung, daß man zugreifen muß, wenn man darauf angewiesen ist, ja etwas zu tun, wo die berufenen Instanzen gar nichts tun. So daß dasjenige, was in Berlin im Juli 1914 geschah, auch in den ersten Augusttagen des Jahres 1914 geschah, nicht im entferntesten dasjenige ist, was man etwa, wie Harden meint, als Schulfall eines Präventivkrieges ansehen kann, sondern

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es ist im eminentesten Sinne das, was man nennen muß: Es ge­schieht etwas durch Menschen, die unter ungeheuer schwierigen Ver­hältnissen in unmögliche Situationen hineingedrängt worden sind. -Man mag verurteilen, wie man will: da in der Kriegführung der Erfolg entscheidet, wenn man siegt, so entscheidet selbstverständlich auch der Mißerfolg wenn man geschlagen wird, wenn man mit irgendeiner mili­tärischen Sache nicht dasjenige erreicht, was man sich verspricht. Es ist ganz selbstverständlich, daß von dem Augenblicke an - ich sage das ganz unbefangen, indem ich vielleicht auch mich der Gefahr aussetze, daß solch ein Urteil merkwürdig befunden wird -, wo durch den Ein­fall in Belgien nichts erreicht werden konnte, wo er durch die Tage der Marne-Schlacht kaputt gemacht worden ist, dieser Einfall ein Unrecht war. Das mag jemand von irgendeinem philiströsen Standpunkte aus so oder so finden, aber das ist niemals anders beurteilt worden. Und wenn jetzt von seiten Amerikas und der Entente - nun Friede wird es ja nicht sein, aber so etwas, man müßte einen neuen Namen finden für die Dinge - geschlossen wird, so wird man sehen, daß es sich auch nicht um andere Gesichtspunkte handelt, als um die Gesichtspunkte, um die es sich im Verlaufe der Menschheitsentwickelung immer ge­handelt hat, wenn solche Dinge in Betracht kamen, wo Machtfragen und dergleichen entschieden. Das andere korrumpiert gerade das Urteil in fürchterlichster Weise. Aber man muß eben nicht vergessen, daß histo­risch nachzuweisen ist, was ich hier öfter betont habe, und das wird einmal historisch nachgewiesen werden müssen, und es kann historisch nachgewiesen werden, und ich darf mich vielleicht nicht davor scheuen, zu sagen, daß unter den vielen Dingen, um die ich mich bemüht habe in den letzten Jahren, dieses mit darunter war, daß vor der Welt eine schlichte Darstellung desjenigen, was am 28., 29., 30., 31. Juli und 1. August in Berlin geschehen ist, ohne Urteil, eine schlichte Darstel­lung der wirklichen Ereignisse, gegeben werde. Ich habe es nicht er­reicht. Aber es wäre viel erreicht worden, wenn diese schlichte Dar­stellung wirklich gegeben worden wäre.

Man kann mit solchen Beweismitteln, wie ich sie hier schon gezeigt habe, bis zur fast unanfechtbaren Gewißheit, aber mit dieser schlichten Darstellung würde man bis zur vollen Gewißheit zeigen können, bis

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zu absolutester Gewißheit, daß, wenn die englische Regierung ernst­haftig gewollt hätte, der Einfall in Belgien vermieden worden wäre. Bitte, nicht in irgendeiner anderen Form, als wie ich das sage! Ich habe mich immer gehütet, dies in anderer Weise auszusprechen. Ich sage nicht, daß die englische Regierung in bezug auf diese Frage etwas anderes getan hat, und ich sage vor allen Dingen nicht damit irgend etwas über das Verhältnis von Deutschland zum Einfall in Belgien. Aber das ist es, was strikte vor der Welt bewiesen werden kann, daß, wenn die eng­lische Regierung gewollt hätte, wenn vor allen Dingen der ja nicht ge­rade dem Grafen Berchtold gleiche, aber auch schon recht sehr törichte Sir Grey, Lord Grey, gewollt hätte, der Einfall in Belgien unterblieben wäre. Das ist etwas, was schlankweg durch eine schlichte Darstellung der Ereignisse bewiesen werden kann.

Es stumpft dies natürlich nicht ab, was man sich als Ansicht über diesen Einfall in Belgien bilden kann, aber es richtet vielleicht doch die Frage nach der anderen Richtung hin: Warum wurde es nicht verhin­dert, da es hätte verhindert werden können? - Denn gerade nach diesem Augenblicke, da es in Berlin klar wurde, daß von England aus der Ein­fall in Belgien nicht verhindert wird, von da ab beginnen alle Ereig­nisse eigentlich einen irrationalen Charakter anzunehmen. Von da ab kann man gar nicht mehr mit irgendeiner Ratio die Erscheinungen ver­folgen.

Das sind einige Aphorismen. Die Zeit ist spät geworden; wir werden morgen weiterreden.

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ZWEITER VORTRAG Dornach, 10. November 1918

Ich werde auch heute vor Ihnen ähnliche Betrachtungen anstellen, wie die gestrigen waren. Es sind ja diese Betrachtungen gewiß von man­chem Gesichtspunkte aus nicht dasjenige, was rein anthroposophisch genannt wird, aber ich denke, wir leben in einer Zeit und in Verhält­nissen, wo wohl gerade der Boden der anthroposophisch-geisteswissen­schaftlichen Bewegung, auf dem wir stehen, derjenige ist, auf dem solche Betrachtungen angestellt werden müssen - nicht nur angestellt werden sollen und können, sondern geradezu in der Gegenwart angestellt wer­den müssen. Ich möchte womöglich auch bei dieser Gelegenheit mich des eigenen Urteils enthalten - ich sage: womöglich - und nur Unter­lagen liefern zur Beurteilung, insofern mir eine solche Beurteilung not­wendig erscheint, für denjenigen, der eben sich gedrängt fühlt, die gegenwärtigen Zeitverhältnisse zu beurteilen. Ich bin gestern davon ausgegangen, daß gegenüber den jetzigen katastrophalen Ereignissen die Stellung der Schuldfrage, so wie man den Begriff der Schuldfrage gewöhnlich auffaßt, das ganze Urteil in falsche, in unrichtige Bahnen lenkt. Denn in dem Augenblicke wird das Urteil in falsche Bahnen gelenkt, in dem in einer so weltbewegenden Sache, wie diese Kata­strophe ist, irgendwie geartete Emotionen, Sympathien und Antipa­thien, einfließen. Das muß man sagen, trotzdem es so natürlich ist, daß solche Sympathien und Antipathien einfließen, ja, ich möchte sagen, so selbstverständlich es ist, daß sie einfließen. Aber man kann sich doch bemühen, aus den Tatsachen heraus wenigstens Richtungen zu finden, um zu urteilen, Richtungen zu finden zu dem Urteile, das sich ja doch allmählich entwickeln muß, zu dem Urteile, welches seine Grundlage in der Tragik und in dem Verhängnis der gegenwärtigen Ereignisse sucht, und nicht immer wieder und wiederum nur dadurch sucht, daß man frägt: Ja, hat man da oder dort in diesem oder jenem Zeitpunkt schon an den Krieg, der da kommen soll, gedacht, oder hat man sich vorgenommen, den Krieg zu führen? - oder dergleichen.

Man muß sich solchen Dingen gegenüber doch wirklich klar werden,

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daß zumeist solch ein Urteil gar keinen Inhalt hat. Denn was will es denn besagen, wenn irgendwo irgend jemand gehört hat - man hat ja selbstverständlich viele solche Dinge gehört -, daß aus diesen oder jenen Voraussetzungen heraus ein Krieg kommen müsse? Es handelt sich bei solchen Dingen immer darum, ob an irgendeiner Stelle, wo man zum Beispiel den Krieg will, man auch in der Lage ist, dieses Wollen durchzusetzen, den Krieg auch herbeizuführen, oder auch nur irgend etwas Erhebliches zu tun, um ihn herbeizuführen. Es können da oder dort unzählige Menschen den Krieg gewünscht haben: wenn sie nicht in der Lage waren, irgend etwas zu tun, um ihn herbeizu­führen, so ist ja dasjenige, was sie gesprochen haben, bloße Rederei. Gerade bei der Beurteilung der gegenwärtigen Ereignisse ist es not­wendig, wirklich zu verstehen, was es eigentlich heißt, die Geschichte symptomatisch ins Auge zu fassen. Niemand kann, wenn er nicht im­stande ist, die Motive zu wägen, die Tatsachen zu wägen, eine gesunde Richtung für sein Urteil bekommen, wenn er sich nicht wenigstens eben nach dieser Richtung bemüht, denn in der Gegenwart sind alle Ereignisse ungeheuer kompliziert. Und wenn Sie da oder dort eine Tatsache oder gar eine Rederei auffangen, so handelt es sich immer darum, welches Gewicht eine solche Tatsache oder eine solche Rederei innerhalb des Zusammenhanges der Ereignisse haben kann. Schon bei der Aufzählung der Tatsachen muß man gerade auf das, was ich da im Auge habe, in ganz besonderem Maße Rücksicht nehmen.

Sehen Sie, für denjenigen, der erkennen will - und eigentlich müßte jeder in der Gegenwart bestrebt sein, auf diesem Gebiete das Richtige zu erkennen -, handelte es sich auch darum, daß er sich um die richtigen Dinge bekümmert hat, daß er gewissermaßen an die Ereignisse die richtige Frage gestellt hat, woran manchen natürlich das Maß von Leidenschaftlichkeit, das er in sich hatte, eben gehindert hat.

Ich habe mancherlei Gelegenheit gehabt, nach dieser Richtung hin zu fragen, nach dieser Richtung hin die Dinge kennenzulernen. So zum Beispiel habe ich wahrhaftig da, wo es möglich war, auf eine maß­gebliche Antwort zu warten, nicht wenige Male die Frage gestellt innerhalb der Grenzen Deutschlands, auch an österreichische Menschen die Frage gestellt: Was ist eigentlich das wirkliche, von verantwortlichen

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Stellen ausgehende Ziel dieses sogenannten Krieges? - Ich habe nur ein einziges Mal von irgendeiner verantwortlichen Stelle eine sehr vage Antwort bekommen, und habe gesehen, daß eigentlich überall da, wo gefragt werden konnte innerhalb der deutschen Grenzen und auch der österreichischen Grenzen über ein sogenanntes Kriegsziel, man von einem Kriegsziel nichts wußte. Das einzigste, was mir eben als vage Antwort einmal gegeben worden ist, das war, daß man wünschte die Freiheit der Meere. Das ist das einzige, was mir einmal geantwortet worden ist.

Nun weiß ich selbstverständlich, daß da geantwortet werden kann:

Ja, aber die Alideutschen, was haben die alles für ausgedehnteste Kriegsziele aufgestellt - und so weiter. Ja, man darf dabei nicht ver­gessen, daß eben natürlich in solchen Zeiten viele Leute vieles reden, daß Agitationen getrieben werden. Aber es gab nie eine Möglichkeit, daß dasjenige, was zum Beispiel von alldeutscher Seite gesagt worden ist, zu einem anderen Zwecke, als um aufzureizen und um Torheiten zu verbreiten, ernst genommen werden konnte. Das ist außerordentlich wichtig, daß man die Dinge wiegt, daß man zum Beispiel weiß, daß in Mitteleuropa, namentlich im Beginne des Krieges, ein wirkliches Kriegsziel nicht vorhanden war bei denjenigen, die in der Lage waren etwas beizutragen, in der Richtung des Krieges etwas zu unternehmen oder in der Richtung des Krieges etwas zu unterlassen. Das gibt schoij dem Urteil eine Richtung, wenn man weiß: Die Leute haben gerade in den ersten Zeiten des Krieges absolut nicht gewußt, wofür sie eigent­lich kämpfen. - Wer wäre in der Lage, sich vorzustellen, daß man sich vornehme, aus heiterem Himmel heraus einen Krieg zu entfesseln, wenn man überhaupt nicht weiß, was man mit diesem Kriege eigentlich anfangen soll! Denn selbst die vage Antwort, die ich bekommen habe, von der Freiheit der Meere, die ist eigentlich nur eine Notantwort ge­wesen, weil der Betreffende nichts anderes gewußt hat und dies etwas ist, was man wenigstens schandenhalber sagen konnte. Das ist das eine, was ich doch eben, ich möchte sagen, wie einen Tatsachenzusammen­hang vor Ihre Seele hinstellen möchte.

Ein anderes scheint mir wichtig und wird immer wichtiger und wich­tiger werden bei der Beurteilung der Sachlage, je mehr man objektiv

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über die Dinge urteilen will. Ich habe gestern ausgeführt, daß die eigentliche Entscheidung über das, was Ende Juli und Anfang August in Deutschland zu tun oder zu unterlassen sei, durch die ja schon gestern charakterisierten Verhältnisse leider ganz allein bei der Heeres­leitung lag, die nur nach strategischen Gesichtspunkten die Entschei­dung, namentlich nach Maßgabe der Verhältnisse und der Sachlage, treffen konnte. So daß man nicht einmal nach einem Einzelwollen bei der deutschen Politik zum Beispiel Ende Juli und Anfang August und auch die vorhergehende Zeit sprechen kann. Weder von einem gesam­ten Wollen, noch von irgendeinem Einzeiwollen, das irgendwie zu­sammenhinge mit dieser Katastrophe, kann man da sprechen. Man kann geradezu sagen: Ein politisches Ziel, ein politischer Gedanke, eine politische Idee war überhaupt in Mitteleuropa nicht vorhanden. Das ist ja gewiß eine merkwürdige Tatsache. Aber es ist eben die Tatsache, die als solche berücksichtigt werden muß. Es gab militärische Ideen, wie man den Krieg führen müsse, wenn er kommt. Nicht wahr, mili­tarische Ideen beruhen in gesunden Verhältnissen immer auf sogenann­ten Konditionalsätzen: «wenn er kommt», denn der Militär sollte nie zu entscheiden haben, ob irgend etwas bei Kriegsausgange zu unter­nehmen ist oder nicht. Gesundes Denken über das Verhältnis von Po­litik und Kriegführung, das ist überhaupt etwas, was in den vier letzten Jahren wahrhaftig nicht gezüchtet worden ist. Ich habe zum Beispiel zu meinem Jammer immer wieder hören müssen, daß auf dem Gebiete der mitteleuropäischen Staaten der Satz des Clausewitz wiederholt worden ist: Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln. -Nun, es gibt keinen törichteren Satz als diesen, denn er ist aufgebaut nach dem logischen Muster des Satzes: Die Scheidung ist die Fortset­zung der Ehe mit andern Mitteln. - Aber es wurde dieser Satz als ge­scheiter Satz überall zitiert - ich meine den ersteren - und als gescheiter Satz überall aufgefaßt.

Es scheint mir gerade angesichts dieses Verhältnisses von Politik und Kriegführung in Mitteleuropa wichtig, daß der Welt gegenüber betont werde, was nun eigentlich die deutsche Heeresleitung wollte, wenn es zu einem Kriege komme. Nicht wahr, die deutsche Heeresleitung hatte ihre Voraussetzungen, die Voraussetzungen zu einer strategischen

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Unternehmung, wenn es zu einem Kriege kommen sollte, von folgen­den Unterlagen zu nehmen. Die Unterlage für die Heeresleitung war diese: Wenn es durch irgendeine europäische Verwickelung zum Kriege kommt, so ist es durch die Bündnisverhältnisse so, daß zwei Bündnis-gebiete einander gegenüberstehen werden, die sich automatisch zusam­menschließen werden; daß gegenüberstehen werden die Mittelmächte -zu denen man immer im Glauben, im törichten, aber ehrlichen Glauben Italien gerechnet hat - auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Rußland-Frankreich-England. - Man hat nicht anders denken können nach den verschiedenen Bündnisverhältnissen, soweit sie bekannt wa­ren. Danach mußte gewissermaßen der strategische Plan formuliert werden. Und wohin ging dieser strategische Plan? Das ist wichtig, daß man darinnen die Tatsache ins Auge faßt: Was wollte die Heereslei­tung? - Die Heeresleitung wollte das Folgende: sie wollte durch Belgien in Frankreich so weit eindringen, als notwendig war, um das russisch-französische Bündnis unwirksam zu machen. - Die Heeres­leitung wollte nicht mehr tun, als Frankreich veranlassen, vom Bündnis mit Rußland in bezug auf die Kriegsführung abzusehen. An irgend etwas anderes als an einen rein strategisch gedachten Durchzug durch Belgien, der dazu führen müsse, daß selbstverständlich Belgien voll entschädigt wird für diesen Durchmarsch, und an etwas anderes als einen ebenfalls, insoweit es Zerstörungen herbeiführt, zu entschädigen-den Einbruch in Frankreich, etwa an irgend etwas wie Annexionen französischen Gebietes und dergleichen, konnte nach der ganzen Ver­fassung des deutschen Heereswesens, die ich schon gestern zum Teil charakterisierte, nicht gedacht werden. Es handelte sich lediglich ge­wissermaßen darum, Frankreich davon abzuhalten, an einem even­teIlen Zweifrontenkrieg sich dauernd zu beteiligen. Mehr sollte strate­gisch nach dem Westen hin nicht erreicht werden.

Das war selbstverständlich nur so lange durchzuführen, als es keine wirksame Verbindung gab zwischen Frankreich und England. In dieser Beziehung gaben sich die verantwortlichen deutschen Menschen dem allerdings unverantwortlichen Gedanken hin, daß es ihnen gelingen werde, England abzuhalten von irgendeiner Verbindung mit Frank-reich. In dem Augenblicke, in dem diese Verbindung da war, war natürlich

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der ganze Feldzugsplan nach Westen hin eigentlich über den Hau­fen geworfen. Dies das eine, was durchaus berücksichtigt werden muß. Und man muß dabei berücksichtigen, daß dieses bei jemandem, der überhaupt sich irgendeiner Verantwortlichkeit unterzog, das einzig Maßgebende war. Nach dem Osten hinüber, nach der anderen Seite, handelte es sich auch nicht um Annexionen, sondern um die Aufrecht­erhaltung desjenigen, was man so philiströs den Status quo ante nannte. So daß - es kann das nun angefochten werden oder nicht - in der ersten Zeit nach dem Ausbruch dieser katastrophalen kriegerischen Verwicke­lung tatsächlich in der Mitte Europas niemand anders dachte, als daß man es zu tun habe mit einem Verteidigungskriege. Dann sind ver­schiedene Ereignisse geschehen, welche, ich möchte sagen, das Urteil völlig getrübt haben.

Sehen Sie, da sind verschiedene Dinge zu berühren, die natürlich nur richtig ins Auge gefaßt werden können, wenn man den Willen hat, auf diese Dinge auch sachgemäß einzugehen. Zunächst möchte ich, daß Sie nicht aus dem Auge verlieren, daß also, ganz abgesehen von andern Machinationen, die von den Kräften ausgingen, auf die ich gestern hingedeutet habe, von Finanz- und Industriegruppen und dergleichen -aber da dürfen Sie glauben, daß in allen Gebieten der Erde der eine nicht unschuldiger und schuldiger ist als der andere -, ganz abgesehen von diesen Dingen, als durch die verschiedenen Antezedentien, ich möchte sagen, der Kriegsausbruch vor Europa hingestellt war, und als es sich darum handelte: Muß das deutsche Heer, rein militärisch auf-gefaßt, eingreifen? - da darf man doch zum Beispiel eine Szene, die ja auch öffentlich bekannt geworden ist, obwohl ich nicht weiß, ob sie viel berücksichtigt worden ist, nicht aus dem Auge lassen. Der General­stabschef des deutschen Feldheeres kam von einem längeren Bade-aufenthalt in Karlsbad am 26. Juli nach Berlin zurück. Das muß ins Auge gefaßt werden, weil es ja auch Grundlagen für die Beurteilung abgibt, wenn sich diejenige Persönlichkeit, die dann durch die Lage der Sache einzig und allein die Verantwortung zu tragen hatte für den Kriegsausbruch - denn so steht die Sache für die Beteiligung Deutsch­lands am Kriege -, bis vier Tage vor der Entscheidung einfach im Bade befindet; und daß diese Persönlichkeit gerade von den Ereignissen aufs

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allerhöchste überrascht worden ist, das gehört zu denjenigen Dingen, die einmal historisch werden nachgewiesen werden können. Man möchte, daß die Zeit zum historischen Nachweis dieser Tatsache recht bald komme. Für mich ist es im höchsten Maße eine Grundlage für ein Urteil, wenn ich weiß, daß diejenige Persönlichkeit, die dann durch die Verhältnisse einzig und allein entschied: Müssen wir jetzt angreifen oder nicht? - vier Tage vorher überhaupt in einer Lage ist, sich um die ganze Lage Europas nicht kümmern zu können, sondern sorglos unbekümmert um die Verhältnisse außerhalb des Staates im Bade sich aufhält. Er war auch außerhalb des Staates zu jenem Zeit­punkt, dem 5. Juli 1914, der als ein besonders entscheidender angese­hen wird, wo eine Konferenz in Potsdam stattgefunden haben soll und worinnen die deutsche Heeresleitung gewissermaßen ein Ultimatum bezüglich des Krieges gestellt haben soll. Ja, er war auch abwesend schon zu diesem Zeitpunkte, war nicht in Berlin. Ich habe mich gerade mit Bezug auf diesen S. Juli viel bemüht, herauszubekommen, um was es sich da eigentlich handelt. Ich habe immer nur die Erfahrung machen können, daß Leute genannt worden sind, die bei dieser Konferenz zu-gegen gewesen sein sollen. Daß dazumal am S. Juli etwas stattgefunden hat, das leugne ich nicht; daß aber dazumal etwas stattgefunden hat, was eine Inaugurierung der Kriegsrichtung war, die Aussicht hatte auf Erfolg, wenn nicht eben eine solche Konstellation eingetreten wäre, wie ich sie gestern charakterisiert habe, das ist strikte zu verneinen. Denn es laufen viele Fäden nebeneinander. Derjenige Faden, der zu der Beteiligung Mitteleuropas, also Deutschlands, sagen wir, am Krieg geführt hat, der knüpft nicht an einen früheren Tag an als höchstens an den 28. Juli. Andere Fäden gehen weiter zurück. In deren Fort­setzung liegt aber nicht dasjenige, was geschehen ist, trotzdem man sehr leicht versucht und verführt wird, in deren Fortsetzung das zu suchen, was geschehen sein soll.

Ich will dann einen solchen Faden zum Beispiel zeigen, aber ich will vorher sagen: Es sind Personen genannt worden, die an dieser Kon­ferenz am S. Juli teilgenommen haben sollen. - Man konnte überall nur das Alibi nachweisen dieser Personen! Der eine war irgendwo im Schwarzwalde an diesem 5. Juli, der andere war an der Nordsee und

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so weiter; wobei ich durchaus nicht in Abrede stelle, daß andere, deren Alibi man eben nicht suchte, teilgenommen haben. Aber ich möchte damit nur hinweisen, auf welchem falschen Wege sich sehr häufig das Urteil bewegt. Sehen Sie, ich will Ihnen ein Beispiel dafür angeben, wie verfänglich es ist, wenn man nicht objektiv sein will, bei solchen Dingen auf eine falsche Fährte zu kommen. Es ist das Folgende: In Berlin gab es, wie ja in aller Welt, selbstverständlich eine kriegstreibe­rische Partei. Diese kriegstreiberische Partei hat durch ihre Organe gewirkt. Durch diese kriegstreiberische Partei erschien an einem Tage, der nahe dem Kriegsausbruch ist, in Berlin ein Extrablatt, das unge­fähr den Inhalt hatte, in einem Kronrate hätte man den Krieg be­schlossen. Das war ein Extrablatt, das ausgegeben worden ist. Dieses Extrablatt wurde dazumal schleunigst, in dem Momente, wo es aus­gegeben worden war, nach Petersburg telegraphiert, so daß in Peters­burg durch das Bekanntwerden des Inhaltes dieses Blattes eine gewisse Stimmung gemacht worden ist. Es ist nun eigentümlich, daß sogleich, nachdem in Regierungskreisen, in diesen absolut untätigen Regierungs-kreisen, in diesen unfähigen Regierungskreisen bekannt geworden ist: Dieses Blatt ist ausgegeben worden -, es sogleich überall konfisziert worden ist. Es ist sogleich richtiggestellt worden, daß eine solche Be­schlußfassung nicht stattgefunden hat, daß von einem solchen Kronrate nicht die Rede sein könne, daß überhaupt vorläufig noch nicht einmal die Mobilisation beschlossen worden ist. Dieses Telegramm, welches die Dementierung des stimmungsmachenden Telegramms enthielt, das wurde auf dem Berliner Hauptpostamte sechs Stunden aufgehalten, nach sechs Stunden erst nach Petersburg telegraphiert.

Da sehen Sie, daß allerdings allerlei Leute tätig waren, die auch gute Verbindungen hatten, die auch bewirken konnten, daß dasjenige, was sie als Stimmung in Petersburg erzeugen wollten, was aber gar keine Unterlage hatte an maßgebender Stelle, daß das Zeit hatte, um Stimmung zu machen. Und dennoch, die ganze Clique, um die es sich dabei handelte, war nicht in der Lage, einen Faden anzuspinnen, der in seiner Fortsetzung zum Krieg hätte führen können. Denn schließlich hat im Grunde genommen nichts anderes in Deutschland bewogen, mit der Mobilisation vorzugehen, als die Nachrichten - man muß ja nur

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die ganz nackten Tatsachen zusammenstellen, ohne sie irgendwie zu verbrämen mit demjenigen, womit man gern die Tatsachen verbrämt -, daß Rußland das gesamte Heer mobilisiert. Es ist bekannt geworden durch die Verbindung mit den Telephonämtern der Grenzen. Ich sage: Es ist so bekannt geworden, es ist veranlaßt worden, daß man drei solche Nachrichten bekam. Erst nachdem drei Nachrichten da waren, welche gleichermaßen besagten: In Rußland wird mobilisiert -, da voll­zog sich das Folgende, das man als eine ganz trockene, nüchterne Tat­sache eben hinstellen muß, wenn man wirklich die Absicht hat, die Tatsachen kennenzulernen. Da vollzog sich die Tatsache, daß eine Art Adjutant des Generalstabschefs gerufen wurde, um ein Promemoria für den Kaiser aufzusetzen, in dem die Notwendigkeit der Mobilisation gegenüber der russischen Mobilisation auseinandergesetzt werden sollte. In jenem Zimmer, in dem das geschah, steht ein Schreibtisch, so in die Ecke einer Nische hineingestellt, so daß man hinter dem Schreib­tisch stehen kann, und in der Nische stand mit ringenden Händen der Generalstabschef und sagte: Wenn wir jetzt doch gezwungen sind, los­zuschlagen, dann muß man sich nur klar darüber sein, daß Jahre hin­durch die Völker Europas sich zerfleischen werden.

Das ist eine einfache Szene. Sie können sie natürlich zurückführen auf Denkweisen innerhalb militärischer Kreise oder dergleichen. Aber darauf kommt es wirklich nicht an, wenn man die Tatsachen wägen will, sondern darauf kommt es an, daß man sich in den Stand setzt, auch ruhig und objektiv die Tatsachen ins Auge zu fassen. Wenn ich einmal in der Lage sein werde, Schritt für Schritt - man kann es Stunde für Stunde tun - die Tatsachen der Welt vorzuführen, schlicht bloß vorzuführen, ohne irgendein Urteil, dann erst wird es möglich sein, ein Urteil über diese tragische Angelegenheit der Menschheit überhaupt ins Auge zu fassen. Dazu ist allerdings notwendig, daß man die Tatsachen von Stunde zu Stunde, namentlich an dem verhäng­nisvollen Sonnabend vor dem Kriegsausbruche in der Zeit zwischen halb vier Uhr nachmittags und halb elf Uhr nachts in Berlin, schlicht und einfach erzählt. Da kann man jeden Schritt verfolgen, da kann man alle Einzelheiten verfolgen. Und die schlichte Erzählung, die ist dasjenige, was einzig und allein geeignet ist, der Welt ein Urteil möglich

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zu machen. Ich darf vielleicht heute schon sagen, daß unter den verschiedenen Bemühungen, die ich selbst angestellt habe und die ich paragraphiert habe, dies der erste Punkt war, daß man sich entschließe, in Mitteleuropa diese Tatsachen schlicht vor die Welt hinzustellen, ohne irgend etwas sonst zu sagen, als: Das und das ist geschehen. -Neben all dem, was dazu gehörte, ist das verschiedenen Menschen vor­gelegt worden - das werde ich einmal dokurnentarisch zu beweisen haben -, mit allen Einzelheiten verschiedenen Menschen vorgelegt wor­den. Urteilsfähige Menschen haben mir namentlich mit Bezug auf diesen ersten Punkt etwas gesagt, was selbstverständlich von mir an­ders beurteilt werden mußte als von jenen «urteilsfähigen Menschen», die dies gesagt haben. Aber heute ist auch durchaus kein Grund mehr da, solche Urteile, die gefällt worden sind, zu verschweigen, die Urteile, die gefällt worden sind darüber, wenn ich immer wieder und wiederum gesagt habe: Man denke nur, wie die ganze Situation eine andere wer­den müßte für die Welt, wenn das geschähe, was alles verhütet würde, auch für Mitteleuropa, wenn das geschähe. - Da antworteten mir urteilsfähige Leute, daß ja das alles vielleicht sein könnte, daß un­geheueres Unheil verhütet werde, aber wenn man das tue, was ich da eigentlich wolle, dann müsse etwas anderes eintreten. Und dasjenige, was sie bezeichneten als das, das eintreten müsse, das ist nun nach langer Zeit - nämlich erst gestern - eingetreten!

Es enthalten eben bei demjenigen, dem es sich um die Wirklichkeit handelt, die Dinge, wenn sie am richtigen Ende angefaßt werden, dasjenige, was sich dann durch die Logik der Tatsachen von selber vollzieht. Die Dinge sind schon auf diesem Gebiete komplizierter, als die leichtfertigen Urteiler, die oftmals über diese Dinge gesprochen haben oder noch sprechen, irgendwie sich bewußt sind. Und derjenige, der da auf diese Dinge in dem Sinne eingehen möchte, wie es einem sachgemäßen, wirklichkeitsgemäßen Urteil entspricht, der muß eben unerschrocken auf das eingehen, was war und was ist, und nicht auf das, was die eine oder andere Sympathie oder die eine oder andere Emotion gibt.

Dasjenige, worauf ich Sie dann ferner aufmerksam machen möchte, das ist, daß eigentlich die gesamte Entscheidung, die dann herbeigeführt

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worden ist, bereits gegeben war nach der Marneschlacht am 9. Sep­tember 1914. Ich schrecke auch nicht davor zurück, ruhig zu be­kennen, daß ich nicht gleich durchschaut habe, daß das so ist, daß ich nicht gleich nach der Marneschlacht durchschaut hatte, daß wirklich damit dasjenige herbeigeführt werden mußte, was nun herbeigeführt worden ist. Ich habe es erst durchschaut in einem späteren Zeitpunkte, in demjenigen Zeitpunkte, in dem ich dann versuchte, das oder jenes zu tun, um den Ereignissen diese oder jene Richtung zu geben. Ich muß sagen, ich schrecke nicht zurück, dieses zu bekennen, daß es mir erst später klar geworden ist. Denn es war überhaupt nicht leicht, historisch und wahrheitsgemäß und zu gleicher Zeit so, daß das Betreffende rich­tig im betreffenden Zeitpunkte getan wurde innerhalb dieser kata­strophalen Zeit, sich zu verhalten. Als ich meine «Gedanken während der Zeit des Krieges» veröffentlicht habe, da habe ich dasjenige zu­sammengestellt, wobei man keine Rücksicht zu nehmen hatte auf zu­grundeliegende okkulte Erkenntnisse, dasjenige, was sich aus einer einfachen neuzeitlichen Geschichtsbetrachtung heraus ergeben hatte. Man wird wohl bemerken, daß ich aufgehört hatte zu schreiben - aller­dings damals noch geglaubt habe, weiterschreiben zu können in einem späteren Zeitpunkte -, als ich in der Darstellung zu Italien gekommen war. Ich will aber damit andeuten, daß es für denjenigen, der die Dinge wirklichkeitsgemäß und ernst nimmt, nicht so leicht ist, zu einem Urteile zu kommen, wie für manche andere Menschen. Ich habe nur dasjenige umrissen, was eben der Beurteilung möglich war. Und ich möchte sagen: Es gelang eben einfach nicht, mit dem Urteil einzudrin­gen in das, was die Stellung Italiens ergab. Ich habe dazumal dieses Büchelchen «Gedanken während der Zeit des Krieges» vor allen Dingen geschrieben für die Menschen Mitteleuropas, nicht um irgend etwas zu erreichen der Welt gegenüber, sondern für die Menschen Mitteleuropas, und es stellte sich mir, bald nachdem ich dieses Bücheichen geschrieben hatte, heraus, wie die Situation war infolge der Marne-Niederlage. Und ich habe mich mit Händen und Füßen gesträubt, jemals eine wei­tere Auflage dieses Büchelchens erscheinen zu lassen, trotzdem es mir selbstverständlich nicht nur nahegelegt wurde, sondern ja auch der An­reiz gut vorhanden war. Aber derjenige, der in diesen Dingen ernsthaft

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denkt, der weiß, daß es sich darum handelt, in einer solchen Weltenlage, wie die ist, in der wir drinnen waren und jetzt noch sind, nicht nur, daß das, was das Richtige ist, ausgesprochen wird, sondern daß auch zur rechten Zeit dies oder jenes geschieht oder zur rechten Zeit unterlassen wird. Es handelte sich nicht bloß darum, daß man den Trieb hat, seine Meinung zu sagen, sondern es handelte sich darum, daß man nicht nur sagt, was man meint, sondern daß man auch acht gibt, ob das gesagt werden soll oder nicht gesagt werden soll, was man meint.

Damit will ich Sie auch nun eben darauf hinweisen, wie es nötig ist, sich zu begrenzen, zu beschränken, wenn es sich darum handelt, das Urteil über diese furchtbare Menschheitskatastrophe aus der richtigen Ecke heraus zu gewinnen oder in die richtige Richtung zu bringen. Man darf nicht vergessen, daß dieser Krieg - ich habe schon gestern in einem Satze darauf hingewiesen - verschiedene Phasen hat, daß eigentlich seit dem Jahre 1916 dieser Krieg nicht mehr dasselbe ist, was er war in seinem Anfange, in seinem Ausgangspunkte. Er ist etwas ganz an­deres geworden. Und ich habe vielfach darunter gelitten, daß während dieser vier Jahre Menschen zuletzt dieselben Urteile gehabt haben, die sie im Anfange gehabt haben, nachdem doch die Weltereignisse in mehr­facher Beziehung ganz, ganz andere geworden sind. Er ist allmählich in ganz andere Bahnen gelenkt worden, dieser sogenannte Krieg. Man darf nicht vergessen: Wenn man die Bahnen verfolgen will, in die dieser Krieg gelenkt worden ist, dann muß man eine andere Eventuali­tät, die namentlich die Wiener Kriegspartei ins Auge gefaßt hat, nicht vergessen. Nicht wahr, ich sagte Ihnen gestern: Diejenigen Menschen, die hinter der vollständig unfähigen Regierung und hinter dem alters-schwachen Kaiser standen, diejenigen Menschen, die für das eigentlich verantwortlich sind, was in Österreich geschehen ist, diese Menschen -was reine Finanzkreise sind -, die rechneten damit, daß die dynasti­schen Verhältnisse in Rußland doch zu nichts weiter führen würden als zu einer Mobilisierung in Rußland. Man dachte, man könne nach dern Balkan hin seine Geschäftchen machen, und Rußland werde doch nicht ernsthaft mobilisieren. Und wenn es mobilisiere, so werde es doch nur - nun Sie wissen, es gibt einen Ausdruck, der ganz schrecklich ist,

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den man in der Politik immer wieder und wiederum gebraucht - nichts weiter bezwecken als zu «bluffen». Man sagt dann «bluffen». Es ist das Frivolste, was man sich denken kann, aber der Ausdruck «bluffen» ist zum Beispiel in der Diplomatie etwas, was ganz gang und gäbe ist. Nur da, auf diesem Gebiete, war ein gewisser Unterschied zwischen Österreich und Deutschland. Sie wissen ja, der Krieg von Österreich an Rußland ist ja auch erst am 7. August erklärt worden, also fast eine Woche nach der deutschen Kriegserklärung an Rußland. Das alles weist auf Machinationen zurück, die ich der Kürze der Zeit halber nicht berühren kann, die alle einmal an den Tag kommen werden. Es weist aber darauf hin, daß man in Österreich mit einer ganz anderen Art von Verhalten gerechnet hat als in Deutschland. In Deutschland hat man mit nichts anderem gerechnet, als: Wenn Rußland mobilisiert, müssen wir auch mobilisieren. - Aber so wie die deutsche Heeresver­waltung ist, so bedeutet heute Mobilisation morgen den Krieg anfan­gen. Das ließ sich gar nicht anders denken. Wer die Verhältnisse kennt, weiß, daß man in Deutschland entweder gar nicht hätte mobilisieren dürfen als eine Art Antwort auf die russische Mobilisation, oder man hat am Tag darauf mit der Kriegserklärung vorgehen müssen.

Das ist vom militärischen Standpunkte, der eben leider nur allein in Betracht gekommen ist, eben einfach eine Selbstverständlichkeit ge­wesen. Aber so lagen die Dinge nur im Anfange. Im Laufe der Zeit stellte sich gerade für die Kriegstreibenden Österreichs eine andere Eventualität ein. Sie rechneten darauf, daß sie sich mit der Entente rangieren und die Sache im rechten Augenblicke anhalten könnten. Und die unterschiedlichen Verhandlungen, die namentlich zwischen Österreich und der Entente gepflogen worden sind, die können, recht ausgeführt, Bücher füllen. Diese Verhandlungen gingen verhältnis­mäßig sehr früh an. Diese Verhandlungen haben, wie Sie vielleicht aus den Zeitungen ersehen haben, jetzt noch nicht ihr Ende erreicht, denn die Dynastie Habsburg hofft gerade mit Hilfe der Entente in irgend­einer Form wiederum eingesetzt zu werden. Die Frage wird nur diese sein - denn alle Fragen, die sich entscheiden werden, werden sich als Machtfragen entscheiden -, ob es die Entente in ihrem Interesse findet, in irgendeiner Weise die Habsburgische Dynastie - ja, man weiß nun

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nicht für etwas, was nichts ist, einen Ausdruck zu finden -, die Habs­burgische Dynastie für irgend etwas, was da aus diesem Völkerzusam­menhang gemacht werden soll, der früher unter Österreich zusammen­gefaßt war, in diesem Irgendetwas auf irgendeine Weise unter irgend­einer Form wiederum einzusetzen. Wenn das im Interesse der Entente liegen sollte, so wird es selbstverständlich auch in irgendeiner Form geschehen. Das muß man nur durchaus nicht vergessen. Aber das hat sehr früh angefangen, und das bedeutet eine wesentlich andere Phase des Krieges, wenn so etwas geschieht. Wer in Erwägung zieht, wie dieser Krieg für Österreich zu Ende gegangen ist, der wird es nicht auffallend finden, wenn man sagt: Nun, das war jedenfalls im Jahre 1916 schon zu sehen, daß man in Österreich unter allen Umständen den Frieden braucht. Darüber konnte gar kein Zweifel sein, unter allen Umständen und unter allen Bedingungen, daß es einfach ein Unsinn ist, irgendwie, selbst wenn es die härtesten Bedingungen sind, den Krieg fortzusetzen. Das zeigt ja der Hergang, ich meine nicht so sehr das, was geschehen ist, sondern ich meine einfach die Verfassung, in der das österreichische Heer zurückgekommen ist. Alle diese Tatsachen im Zu­sammenhang, die gaben natürlich auch den gutmeinenden Menschen in Österreich es ein, daß sie sich viel davon versprachen, wenn eine Ran­gierung mit der Entente zustandekommen könnte, um Österreich vor einem großen Unheil zu bewahren. Der eine sieht dann das, was die gutmeinenden Menschen loslassen, der andere sieht das, was die schlecht­meinenden Menschen loslassen und bildet sich, je nachdem er gerade seine Emotionen gerichtet hat, sein Urteil.

Allein dafür kommt eine andere Tatsache in Betracht. Dafür kommt dann in Betracht, daß durch solche Dinge im wesentlichen die ganze Richtung, die ganze Bewegung der kriegerischen Katastrophe beein­flußt worden ist, daß selbstverständlich auch innerhalb Österreichs Par­teien entstanden. Die einen wollten so, die anderen sich anders zu Deutschland verhalten, Rankünen gegenseitig, vieles, das aufzuzählen natürlich die Zeit heute nicht ausreicht. Das bewirkte, daß man von dem eben charakterisierten Zeitpunkte an zu tun hat mit einer ganz anderen Phase der kriegerischen Katastrophe als früher. Man konnte nicht so einfach das bequeme Urteil fortführen: Nun, die Mittelmächte

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sind eben verbündet, und an den Umständen, unter denen sie 1914 als Verbündete in den Krieg verwickelt worden sind, müsse man fest­halten auch nach der Fortsetzung des Krieges. - Das war einfach nicht wahr. Nicht wahr, die Tragik für Mitteleuropa, die liegt ja in vielem. Sie liegt zum Beispiel in dem unglückseligen Bündnis, das dann heraus­gekommen ist mit der Türkei. Die Lösung dieses Bündnisses sowohl mit der Türkei wie mit Bulgarien, sie hat sich ja langsam und allmäh­lich vollzogen. Derjenige, der von den Ereignissen etwas wußte, der weiß, daß sich die Türkeh ebensogut hätten längst früher loslösen können, ebenso die Bulgaren. Es kam eben dann der Zeitpunkt, wo die Türken sich zurückzogen, selbst nachdem ihnen 40 Millionen in Gold noch gegeben worden waren, denn 40 Millionen in Gold sind den Türken von Deutschland aus gegeben worden, bevor sie sich zurück­gezogen haben. An Bulgarien sind 250 000 Anzüge abgeliefert worden, bevor es sich zurückgezogen hat. Alle diese Dinge hat man eben ge­macht. Sie zeigen, wie wenig man eigentlich die Sachlage überschaut hat, denn es scheint mir nicht sehr wahrscheinlich, daß man den Türken 40 Millionen in Gold gegeben hätte, wenn man gewußt hätte, was man wahrhaftig mit einem nicht sehr tiefgehenden Urteil wissen konnte:

bald werden sie sich zurückziehen.

Damit will ich Ihnen nur andeuten - denn ich müßte das, was ich sage, ins Hundertfache vermehren -, daß allmählich diese ganze krie­gerische Katastrophe in ein Fahrwasser hineingekommen ist, das sich ganz wesentlich unterscheidet von dem Ausgangspunkt; was notwen­dig machte, daß man das Urteil vollständig umkehrte, umwandelte, wenn man sich nach den Tatsachen richten wollte. Und bald hat es sich gezeigt, daß im Verlaufe dieser kriegerischen Katastrophe alle, alle die Schläfrigkeiten und Untaten der durch Jahrzehnte verschlafenen Bourgeoisie zutage getreten sind. Und das ist eine wichtige Sache. Der Trotzki, der hat viel Unsinn geredet und noch mehr Unsinn getan und Unheil angerichtet in der Welt, aber einen Satz hat er ausgespro­chen mit Bezug auf diese kriegerische Katastrophe, der anfing, verhält­nismäßig bald Wahrheit zu werden. Das ist der Satz: Die führenden Kreise - womit er diejenigen meinte, die auf der ganzen Welt selbst­verständlich, nicht bloß in Mitteleuropa, an diesem Kriegsausbruch

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beteiligt waren - haben nur die Wahl zwischen Dauerkrieg oder Revo­lution; ein Drittes gibt es nicht. - Es ist eben richtig, daß die Ereignisse der Welt so geschoben und geleitet worden sind - und da beginnt die Verantwortlichkeit der breiten Masse der zivilisierten Welt -, daß man endlich in die Sackgasse hineingetrieben worden ist, wo es nur noch gab: entweder zäh festhalten oder die Revolution ist da. Nun, das haben Sie ja gesehen, wie man zäh festgehalten hat an dem Krieg, denn solange er dauert, ist die Revolution nicht da. In dem Augenblick, wo er aus ist, wird sich die Revolution schon da oder dort zeigen.

Sie erinnern sich vielleicht, daß ich Ihnen hier oftmals im Verlauf der letzten Jahre nach dieser Richtung Gehendes gesagt habe. Ich habe Ihnen wohl gesagt zum Beispiel vor recht, recht langer Zeit, in der Zeit eben, in der das am Platze war: Gegenüber all dem, was die Leute jetzt urteilen, ist es viel wichtiger, hervorzuheben, was zum Beispiel in Rußland geschehen war, innerhalb Rußlands. - Viel wichtiger war das, was innerhalb Rußlands geschah unmittelbar nach dem Sturz des Zarentums, als dasjenige, was auf dem sogenannten Schauplatz des Weltkrieges geschah. Und so wurde es wiederum wichtiger, was ich an einer anderen Stelle, wo es am Platze war, betonte: hinzuschauen auf das, was sich aus den Tschechoslowaken, die in Rußland sich gel­tend machten, heraushob, als auf all die anderen Dinge, auf die man in bequemer Weise hingeschaut hat, wenn auch natürlich diese bequeme Weise selbstverständlich durch manche Tragik oder auf andere Weise herausgefordert war.

Und damit komme ich auf eine Frage, die mir in der letzten Zeit immer wieder und wiederum von den verschiedensten Seiten her ge­stellt worden ist über das mögliche Verhalten, das man jetzt einschlagen könne, nachdem die Dinge nun bis zu diesem Zeitpunkt gekommen sind. Ich glaube nicht, daß das, was ich sage, heute auf fruchtbareren Boden fällt als dasjenige, was ich im Laufe der Jahre gesagt habe; aber dennoch, jeder hat seine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, die Dinge zu sagen, und ich werde Ihnen gegenüber und auch der Welt gegenüber, wenn es am Platze ist, die Gelegenheit nicht versäumen, dasjenige, was ich nicht nur für richtig halte, sondern für angemessen halte, daß es gesagt werde, auch wirklich zu sagen.

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Sehen Sie, dasjenige, was heranrückt - wir können ja hier, wo wir unter uns sind gewissermaßen, sehr unbefangen über diese Sache spre­chen -, was herannaht, ist ja zweifellos eine Auseinandersetzung des auch auf die Weise wie ich es selbst im öffentlichen Vortrage in Basel neulich erwähnt habe, in den letzten Jahrhunderten aus dem modernen Industrialismus herausgewachsenen Proletariats mit den alten Klassen der Menschheit. Nun, ich habe mich schon einigermaßen ausgesprochen, als ich in Anknüpfung an meine «Philosophie der Freiheit» sagte, was ich für das Allernotwendigste gehalten hätte in den letzten Jahren und auch heute noch halte, aber ich möchte noch das Folgende sagen: Das­jenige, um das es sich handelt, ist, daß man erkenne, daß eine Strömung heranzieht wie mit einer gewissen elementaren Notwendigkeit. Ich meine mit dieser Strömung die soziale Bewegung, oder die Summe der sozialen Forderungen, die aus dem Proletariat erhoben werden. Da handelt es sich nicht darum, daß man über diese Strömung das eine oder andere Urteil abgibt, sondern da handelt es sich darum, daß man sich wirklich vertiefen kann in dasjenige, was da heranzieht, was ein­fach als Tatsache heranzieht. Darum handelt es sich. Darüber Kritik zu üben, das ist etwas, was man ja kann, wenn man es will, was aber nicht viel mehr Wert hat als eine vielleicht sehr berechtigte, aber doch nur private Meinung. Worauf es ankommt, das ist doch wirklich, daß eine Möglichkeit gefunden werde, daß die Massen der nichtproletari­schen Bevölkerung der ganzen zivilisierten Welt eine Stellung gewin­nen zu dem, was heraufzieht. Gerade nach dieser Richtung gingen manche Fragen, die an mich gestellt worden sind. Und das ist es ja, was jetzt vor den Seelen der Menschen liegen muß: Stellung zu ge­winnen. Nun, da kann ich nur sagen: Wir sind mit Bezug auf die soziale Bewegung, wie sie sich aus dieser kriegerischen Katastrophe heraus entwickelt hat, nur aus dieser heraus entwickelt hat in ihrer heutigen Gestalt, in ein Stadium eingetreten, wo es sich wahrhaftig nicht mehr darum handeln kann, abstrakte Programme zu machen, so und soviele Punkte zusammenzustellen, man solle dies oder jenes tun. - Das wäre vielleicht noch vor drei Jahren, vor zwei, vielleicht vor einem Jahre eine Möglichkeit gewesen. Heute ist das keine Mög­lichkeit mehr. Heute kann ich jemandem, der mich nach dieser Richtung

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frägt, nur die Antwort geben, daß es sich heute nur darum handeln kann, daß man an jedem einzelnen Platze, an den man gestellt ist, gerade wenn man Geisteswissenschafter ist, finden kann durch ein wirk­lichkeitsgemäßes Betrachten der Situation, was zu tun ist, und daß man auch die Mittel und Wege findet, um dasjenige, was getan werden muß, zu tun.

Da ist es natürlich wiederum gut, wenn man objektiv und sorgfältig erwägt, was insbesondere von den bürgerlichen Kreisen unterlassen worden ist. Nicht wahr, der abstrakte Satz kann leicht eingesehen wer­den: Die bürgerlichen Kreise müssen die Möglichkeit finden, wenn es nicht zu furchtbaren Katastrophen kommen soll, sich zu rangieren mit dem Proletariat. - Aber so ist der Satz doch ein ganz abstrakter, so besagt er gar nichts Besonderes. Um was es sich handelt, ist doch etwas ganz anderes. Dieses Rangieren, das notwendig ist, das geschehen muß, wird nicht leicht sein. Denn gerade die bürgerlichen Klassen haben im Laufe der Jahre Ungeheueres unterlassen, was dazu geführt hat, daß ihnen jetzt vieles fehlt, um sich unmittelbar zu rangieren mit dem Proletariat. Die bürgerlichen Klassen in ihrer Mehrheit haben keine Ahnung von der Seelenverfassung des Proletariats. Dasjenige, was heranzieht, sind Masseninstinkte. Aber diese Masseninstinkte, sie muß man wirklich verstehen können, sie muß man wirklich so, wie sie ihrer Natur nach sind, ins Auge fassen. Und gerade dieser Situation gegen­über darf man gar nicht den Glauben haben, daß das Verständnis für diese Masseninstinkte, die heute heranziehen, von selbst kommt. Mit patriarchalischer Denkweise, mit dem, was die bürgerlichen Kreise heute Verständnis solcher Dinge nennen, ist nicht im entferntesten irgend etwas getan. Die bürgerlichen Kreise verstehen von sozialen Fragen, wenn sie sich auch nach der oder jener Richtung damit beschäf­tigt haben, doch nicht viel mehr, als daß die Leute Hunger haben und nach Brot schreien, weil sie das nämlich auch tun, wenn sie Hunger haben. Das ist es, was sie heute gemeinschaftlich haben mit den prole­tarischen Kreisen. Sie haben gar nichts getan in den letzten Jahrzehn­ten, um wirklich eine geistige Gemeinschaft mit dem Proletariat anzu­streben, um eine geistige Gemeinschaft einzuleiten. Ich darf mich schon für einen Beurteiler dieser Sache aus dem Grunde halten, weil ich das,

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was ich sage, nicht bloß aus dem Studium heraus sage; denn wer, wie ich selber, aus dem Proletariat hervorgegangen ist, weiß, wie das Pro­letariat lebt und denkt, ich möchte sagen, auf allen möglichen Gebieten; und wer sich dann beschäftigt hat, soviel sich nur ein Mensch beschäfti­gen kann, mit den Gedanken, die durch Jahrzehnte hindurch das Prole­tariat gebildet hat, und mit den Empfindungen, die von diesem Prole­tariat ausgehen, der darf eben über diese Sache reden.

Da ist ins Auge zu fassen und wohl zu berücksichtigen, daß im Ver­lauf der letzten Jahrzehnte die proletarischen Kreise jede freie Zeit von ihrer Arbeit, die sie hatten, dazu benützt haben, um sich Vorstellun­gen, Begriffe, und danach auch Empfindungen und Impulse anzueignen über Kapital und Kapitalwirtschaft, über Lohn und Mehrwert, über materialistische Geschichtsentwickelung, über Unternehmertum und Arbeitertum. Und man darf nicht vergessen, wenn man selber seine Empfindungen in die richtigen Bahnen lenken will, daß in den letzten Jahrzehnten in der Zeit, in welcher die Arbeiter Abend für Abend, insoweit sie in Betracht kommen, gesessen haben, sich volkswirtschaft­liche Begriffe anzueignen für etwas, was sie Revolution nennen, was aber auch eine Reform hätte werden können - in der Zeit, was haben denn die bürgerlichen Kreise getan? In der Zeit haben die bürgerlichen Kreise Karten gespielt oder sogenannte unterhaltende Theaterstücke angehört oder Zeitungen gelesen, nun, oder ähnliche nützliche Beschäf­tigungen mehr gehabt. Dadurch ist mit Bezug auf menschliches Ver­ständnis auf seiten der bürgerlichen Bevölkerung endlich der Zustand eingetreten, der heute da ist: der Zustand der völligen Unfähigkeit, das, was proletarisch ist, zu verstehen.

Dieser Zustand war solange aufrechtzuerhalten, als nicht elementare Masseninstinkte entfesselt wurden. Er ist nicht aufrechtzuerhalten, wenn elementare Masseninstinkte entfesselt werden. Denn der ganze Gang der Bewegung ist so, daß man nicht ohne drinnen zu stehen in der Seele des Proletariers an eine Rangierung denken kann. Derjenige, der wirklich die Entwickelung des Proletariats verfolgen konnte, der weiß, daß alle die verschiedenen patriarchalischen Machinationen, die von wirtschaftlich Führenden ausgegangen sind, von der Seele der Pro­letarier gerade am intensivsten abgelehnt worden sind. Was man in

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bürgerlichen Kreisen geglaubt hat, zugunsten der Arbeiter zu machen, das ist ja im Innersten der Proletarierseele strikte abgelehnt worden, ist sogar als eine Art Beleidigung aufgefaßt worden, insofern es einen patriarchalischen Charakter hat. Aber auf dern Gebiete der volkswirt­schaftlichen Zusammenhänge hat sich der Proletarier Kenntnisse er­worben, die er heute hat, hat sich ein Urteil erworben, mit dem er als einem Inhalt seiner Seele herumgeht, und von dem der Zugehörige der bürgerlichen Klasse gar nicht die allergeringste Ahnung, keinen Schimmer hat. Denn so ist die Tatsache gekommen, daß heute der proletarische Arbeiter über die Funktionen des Kapitals, über Unter­nehmertum und Lohnverhältnisse, über materialistische Geschichts­entwickelung mehr weiß als ein nationalökonomischer Universitäts­professor, dessen Beruf es ist, über diese Dinge etwas zu wissen.

Das ist die Lage, die man vor allen Dingen richtig ins Auge fassen muß. Denn nur wenn man sie richtig ins Auge faßt, dann wird man verstehen, was gemeint ist, wenn ich sage: Derjenige, der sich jetzt rangieren will mit dem, was herauftaucht, der hat nötig, eine ganz neue Sprache zu sprechen. All das, was bisher gedacht worden ist in bürgerlichen Kreisen, das muß sich in eine ganz andere Sprache verwan­deln; denn das, was hergestellt werden muß, muß Vertrauen sein. Sie müssen aus der Seele der Leute heraus sprechen können, und an jedem einzelnen Ort aus der Seele der Leute heraus sprechen und vor allen Dingen handeln können. Das können Sie nicht mit abstrakten Pro­grammpunkten, sondern nur, wenn Sie sich hineinstellen in das, was heute geschieht, oder hineingestellt werden, wenn das das Richtige ist. Vorläufig wird aber noch alles zurückgewiesen, was das Richtige ist, werden auf keinem Punkte irgendwelche Anstalten gemacht, um irgend etwas nach dieser Richtung zu unternehmen. Denn nicht um die Ab-forderung von abstrakten Programmen kann es sich heute noch han­deln, sondern heute kann es sich nur darum handeln, das persönlichste Wirken zu entfalten aus dem Verständnis der Sachlage heraus im kon­kreten einzelnen Fall. Nur darum kann es sich handeln.

Was im allgemeinen gesagt werden kann, ist ja das Folgende. Sehen Sie, dadurch, daß alles das in proletarischen Kreisen getrieben worden ist, was die bürgerlichen Kreise verschlafen haben, was weder Inhalt

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der Schulbildung, noch Inhalt der Salonunterhaltungen oder derglei­chen war, dadurch wissen die meisten Menschen heute nicht viel über die Dinge, über die man eben fähig sein muß, sich Gedanken zu machen. Nun ist heute nur ein Zweifaches möglich: entweder Sie machen sich Gedanken über gewisse soziale Werte vom Gesichtspunkte des heutigen Proletariats aus, oder Sie machen sich solche Gedanken vom Gesichts­punkte der Geisteswissenschaft aus. Sind Sie durch Jahre in der geistes-wissenschaftlichen Bewegung drinnengewesen und haben Sie Ihre Zeit darinnen richtig angewendet, so denken Sie einfach richtig über das, was Ihnen heute im konkreten Fall entgegentreten kann, und nur dann sind Sie in der Lage, ein Vertrauensverhältnis herzustellen, auf das es vor allen Dingen ankommt. Denn mit dem, was heute der Bürger­liche sagen kann, muß er überall zurückgewiesen werden, weil eben der Proletarier eine viel vorgeschrittenere Sprache führt. Der Bürger­liche muß lernen, eine noch vorgeschrittenere Sprache zu führen. Das muß er aber erst wollen.

Sehen Sie, was notwendig ist, das ist, das Augenmerk zu richten auf die drei Typen von volkswirtschaftlichen Werten, die die hauptsächlich­sten drei Typen sind und um die die eigentlichen Fragen gehen. Was heute behandelt werden muß durch Denken und durch die Tat, das sind diese drei Typen von volkswirtschaftlichen Werten. Sie können sich aber nur verständigen, auch durch die Tat nur verständigen mit dem, was als elementare Strömung heraufzieht, wenn Sie den Willen haben, auf die Sprache, die das Proletariat spricht, einzugehen und Ihr wirklich sachgemäßeres und wirklichkeitsgemäßeres Urteil ins Auge fassen und geltend machen können. Die drei Typen sind der soge­nannte Unternehmergewinn, Kapitalgewinn, die Rente und der Lohn. Andere Typen von nationalökonomischen Werten gibt es nicht. Alles, was es gibt an nationalökonomischen Werten, fällt sachgemäß unter die drei Typen, entweder Unternehmergewinn, oder Rente, oder Lohn. Diesen drei Typen von volkswirtschaftlichen Werten steht das Prole­tariertum in einer gewissen Weise gegenüber. Es will die schädlichen Seiten - nach seiner Ansicht schädlichen Seiten -, welche diese drei Typen von volkswirtschaftlichen Werten haben, dadurch beseitigen, daß herbeigeführt werde die Vergesellschaftung der Produktionsmittel

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und des Grundes und Bodens, und daß die Herrschaft übergehe an das eigentliche Proletariat, die Herrschaft in den verschiedenen gesell­schaftlichen Gebieten, weil das Proletariat eben das Vertrauen zu den anderen Klassen verloren hat. Ja, darüber kann man heute nicht bloß theoretisch sprechen, darüber kann man nur wirklichkeitsgemäß spre­chen. Man kann nur so sprechen, daß man ins Auge faßt: Wie weit sind die Verhältnisse gediehen? - Und mit den Verhältnissen meine ich namentlich: Wie weit sind die Gedanken und Empfindungen der Prole­tariermasse gediehen? - Man kann, wenn man diese oder jene national-ökonomische Theorie durchgeochst hat, das eine oder das andere für das Richtige halten, aber das besagt gar nichts für die Wirklichkeit, für dasjenige, was zu tun ist. Für dasjenige, was zu tun ist, besagt heute etwas einzig und allein das Faktum, was in den Köpfen der proletari­schen Massen drinnen ist. Und das ist sehr uniform, das hat sich durch Jahrzehnte sehr uniform ausgebildet, und mit dem muß vor allen Dingen gerechnet werden.

Man muß sich vor allen Dingen klar darüber sein, daß gewisse Dinge, die angestrebt werden müssen, verständnisvoll verfolgt wer­den müssen, wenn sich das Bürgertum überhaupt rangieren will mit dem Proletariat. Unternehmergewinn - die Tendenz der Arbeiterschaft geht darauf hin, den Unternehmergewinn so zu gestalten, daß aus dem Unternehmergewinn nichts einfließe in den privaten Erwerb. Dieses ist aber eine Sache, über die eine Verständigung mit dem Proletariat durchaus möglich wäre. Wenn man verfolgen würde all die Kanäle, all die Rinnsale, in die sich im volkswirtschaftlichen Körper ergießt dasjenige, was Kapital ist, und dann, wenn das Kapital die Form des Unternehmergewinns annimmt, wenn man das alles verfolgt, und wenn man sich zu gleicher Zeit sagt: Das hat das ärgste Mißtrauen des Proletariats hervorgerufen gegen das Bürgertum, namentlich gegen die Großbourgeoisie, daß in ausgiebigstem Maße der Unternehmergewinn in den Privaterwerb einbezogen worden ist - darüber wird sich in der Zukunft überhaupt nicht streiten lassen -, dann ist man auf dem rech­ten Wege. Dann wird man aber auch, wenn man Verständnis zeigt für dasjenige, was in diesem Punkte das Proletariat will, die Mittel und Wege finden, um jene tiefe soziale Schädigung hintanzuhalten, die dann

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eintreten muß, wenn im Sinne des radikalen Proletariats heute der Unternehmergewinn bekriegt wird. Es liegen leider die Dinge so, daß nach den Kenntnissen, die die Bürgerlichen von diesen Dingen haben, meistens gar nicht diskutiert werden kann mit dem Proletariat, weil diese Kenntnisse eben nicht da sind, weil der Bürgerliche heute nichts weiß von den Kanälen und von den Funktionen, in denen so etwas wie Unternehmergewinn - von einer Fabrik der Gewinn des Unter­nehmers, oder von irgend etwas anderem der Gewinn des Unterneh­mers - sich ergießt. Da dem Proletarier notwendig die Ausblicke feh­len, in die die eine oder die andere soziale Gestaltung führt, so bekämpft er nur die Schäden, die allmählich durch das Verhalten des Bürgertums in bezug auf den Unternehmergewinn hervorgerufen worden sind, aber er ruft dadurch ganz sicher nur Zerstörung, nur Untergang hervor. Sache des Bürgertums wäre es nun, über diesen Punkt sich im einzelnen zu verständigen. Gerade wenn man sich in diesen Einzelheiten ver­ständigen würde, so würden diejenigen, die fähig sind dadurch, daß sie bisher in den Wirtschaftskörpern drinnengestanden haben, führende Stellungen hatten in den Wirtschaftskörpern, die darum einzig und allein nur die Kenntnisse hätten, um die Kontinuität des Wirtschafts­lebens fortzuführen, ganz von selbst nach demWillen des Proletariats an erste Stellen gestellt werden; ob nun durch Arbeiter- und Soldatenräte oder andere Räte, sie würden schon ganz von selbst dort hineinkom­men. Aber es muß die Möglichkeit vorhanden sein, wirklich über etwas zu verhandeln mit den Leuten. Wenn die Möglichkeit vorhanden ist, über etwas zu verhandeln, so daß die Leute wissen: Aha, der weiß selber, was wir eigentlich wollen, aber er weiß noch etwas mehr -, dann kommt, was kommen muß: Vertrauen, das heute nicht vorhanden sein kann. Denn der Zustand kann nie eintreten, daß, wenn die Prole­tarier einfach den Glauben haben müssen: Nun ja, jetzt haben sie das Heft in der Hand, und die Bürgerlichen, die bisher sich so und so be­nommen haben, die wollen sich jetzt auch hinsetzen an den Tisch -, daß sie da gleich aus Gutmütigkeit sie mit hinsetzen lassen werden; das wird nicht eintreten, sondern es muß das durch Vertrauen gestützt sein. Und die Schwierigkeit besteht darinnen, daß eigentlich in weitesten Kreisen keine Möglichkeit besteht, eine gemeinsame Sprache zu sprechen.

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Man kann ja dann die verschiedensten Ansichten haben, aber man muß eine gelneinsame Sprache sprechen können.

Dann muß man sich aber darüber klar sein, daß nicht nur der Unter­nehmergewinn, sondern auch die Rente wesentlich angefochten werden wird. Nun hat ja gerade die Rente zu den ärgsten Auswüchsen geführt, und aus den Masseninstinkten heraus wird nicht nur der Unterneh­mergewinn bekriegt, sondern selbstverständlich auch die Rente bekriegt werden. Nun ist es ganz klar, daß wieder nur derjenige in diese Dinge hineinsehen kann, der die Funktionen der Rente überschaut. Und da handelt es sich darum, daß es heute leicht ist, wenn man die Sprache des Proletariats handhabt, es wenigstens bis zur Diskussion zu brin­gen - Verständnis wird sich nur langsam und allmählich entwickeln, gegenseitiges Verständnis - und es bis zu einer gewissen Art von Ver­trauen zu bringen.

Nicht wahr, beim Unternehmergewinn handelt es sich ja darum, daß man einsehe, daß man wirklich nicht den Unternehmergewinn betrachte als eine Grundlage für privaten Erwerb, sondern daß alles, was Unter­nehmergewinn ist, zu einem nur in dem Verhältnis steht, daß man die Sache zu verwalten hat, daß man mit der Sache zu wirtschaften hat, und daß der Unternehmergewinn in der Zukunft nicht hineingehen darf in den privaten Erwerb, in all dasjenige, was privater Erwerb ist. Bei der Rente handelt es sich darum, daß die Welt ohne Rente gar nicht leben kann, denn von der Rente im weitesten Sinne muß das ganze geistige Leben, Erziehung, Unterricht und alles erhalten werden, und außerdem müssen die nicht arbeitsfähigen und kranken Menschen, die alten Menschen und dergleichen eigentlich aus der Rente erhalten werden. In dem Augenblick, wo man sachgemäß über diese Dinge redet, würde es sich selbstverständlich darum handeln, daß man wenig­stens in eine fruchtbare Diskussion kommt, aber man muß sich auch klar darüber sein, daß es unmöglich ist, in eine fruchtbare Diskussion zu kommen, wenn man nicht weiß, daß das wirklich Berechtigte der Rente nur darinnen bestehen kann, daß sie in diese Richtungen geleitet wird, von denen ich eben gesprochen habe.

Das dritte ist der Lohn, den ja das Proletariat so regeln will, daß kein Mehrwert sich ergibt, der in etwas anderes fließt als in den nicht

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zum privaten Erwerb umzusetzenden Unternehmergewinn und in die berechtigte Rente. Natürlich ist es ein Horror für die auf diesem Ge­biete ganz kenntnislose bürgerliche Bevölkerung, darinnen Einsicht zu gewinnen, daß nun wirklich niemand auch nur im geringsten etwas zu fürchten hat, wenn im Prinzip das wirklich besteht: daß jedem zufällt das Erträgnis seiner Arbeit, daß tatsächlich die volkswirtschaftliche Struktur so ist, daß sich für jeden Arbeitenden umwandelt die Arbeit in Erträgnis seiner Arbeit. Ein Idealist es nicht, das können Sie aus meinem Aufsatz «Geisteswissenschaft und soziale Frage» sehen, aber es handelt sich heute nicht um ein Ideal, sondern um dasjenige, was allein erreicht werden kann in der unmittelbaren Zukunft. Und da handelt es sich darum, daß man in der Tat ein Verständnis dafür er­weckt, welches das Minimum des Mehrwertes ist, und nur das Mini­mum des Mehrwertes zurückhält von dem Lohn, der dann nicht mehr Lohn sein wird, sondern der einfach Entschädigung sein wird für Arbeit.

In der allergerechtesten Weise, man kann sogar sagen, in der aller-bequemsten Weise würde sich die soziale Struktur gestalten, natürlich nach und nach, wenn man zunächst gar nichts anderes wollte, als mit wirklichem Verständnisse nach diesen drei Richtungen hin sich zu rangieren. Denn man würde dann zunächst dasjenige hervorrufen, was das Allernotwendigste ist: man würde hervorrufen die Möglichkeit einer Kontinuität des Wirtschaftslebens. Und das ist vor allen Dingen notwendig. Das ist dasjenige, was nicht möglich war auf dem Gebiete des Bolschewismus in Rußland und was niemals möglich sein wird, wenn nicht eine Rangierung in dem angedeuteten Sinne stattfindet. Anders als in dem angedeuteten Sinne ist es nicht möglich.

Nach diesen drei Richtungen hin handelt es sich darum, daß man vor allen Dingen so Verständnis erweckt, daß aus diesem Verständnis eine Bewegung nach der Regel nach diesen drei Richtungen geschieht. Dadurch allein ist es möglich, daß die tauglichen Führer des wirtschaft­lichen Lebens - was nämlich dringend notwendig ist, wenn nicht un­ermeßliches Unheil kommen soll; die Tauglichen, nicht die Untaug­lichen, die müssen selbstverständlich heraus - diesem wirtschaftlichen Leben wirklich erhalten bleiben. Es ist unter keinen anderen Verhält­nissen möglich, das Proletariat für die Kontinuität des Wirtschaftslebens

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zu gewinnen, als wenn man in dieser Weise eine ihm verständ­liche Sprache zu führen vermag. Die Kontinuität des Wirtschaftslebens, die muß erhalten werden. Und dann muß Verständnis dafür hervor­gerufen werden, welches die inneren Zusammenhänge sind.

Sehen Sie, ein Zusammenhang, der vor allen Dingen eine große Rolle in der nächsten Zeit wird spielen müssen, wenn nicht unermeßliches Unglück, das verhütet werden kann und verhütet werden darf, trotz des Weltenganges heraufkommen soll, das ist der: Alles, was heute Proletariat ist, ist ja in seinem Denken doch genährt von den perversen wissenschaftlichen und sonstigen Auseinandersetzungen der letzten Jahrhunderte - und namentlich des letzten Jahrhunderts - des Bürger­tums. Das Proletariat hat ja alles das geerbt, was das Bürgertum her­vorgebracht hat in bezug auf Denken und Vorstellen. Das Proletariat steht nur in einer anderen Weise in der Welt drinnen und zieht andere Konsequenzen daraus. Der Ursprung von dem, was die Bolschewisten tun, liegt in der Universitätsbildung von heute, in der Gestaltung, welche das Erziehungswesen gerade der bürgerlichen Klassen gefunden hat. Denn die Proletarier haben ja nichts anderes gelernt als dasjenige, was die bürgerlichen Klassen produziert haben. Sie ziehen eben nur in ihrer Art die Konsequenzen daraus. Deshalb ist es notwendig, vor allen Dingen dafür Verständnis hervorzurufen im Proletariat selber, wie sie eigentlich von den abgefallenen Brocken des unbrauchbaren bürgerlichen Denkens zehren und nun eine Bewegung hervorrufen wollen, die doch nur ohnmächtig sein kann, weil sie eben aus dem unfruchtbaren Bourgeois-Denken hervorgeht. Dieses Verständnis muß erweckt werden, kann aber natürlich nicht anders erweckt werden, als daß man sich klar wird darüber, daß nun in der Bourgeoisie selber eine völlige Umkehrung stattfinden muß gerade in bezug auf diesen Punkt, in bezug auf das geistige Leben, in bezug auf das Bildungswesen. Die ganze Art der Einrichtungen des Bildungswesens ist eben wirklich für die neue Zeit nicht zu gebrauchen, und es muß einfach dafür gesorgt werden, daß die Kontinuität des Wirtschaftslebens so lange aufrecht erhalten wird, bis überwunden wird alles dasjenige, was in ungesunder Weise in unsere Volkswirtschaft eingreift von dem ungesunden Bour­geois-Getriebe des Lebens.

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Da müssen Sie schon Rücksicht darauf nehmen, daß man in verständ­licher Weise sich die Sache zurechtlegen muß. Denken Sie doch, daß Sie sich klarmachen müssen, daß Geld als solches überhaupt nichts ist. Wahre Werte sind ja nur Arbeit. Geld ist ja niemals etwas anderes als Anweisung auf Arbeit. Aber die letzten Konsequenzen aus diesen Dingen werden ja nicht gezogen. Ich will ein Beispiel von der Bildung der heutigen Zeit selber nehmen. Sehen Sie, da sind die jungen Füchse, die Studenten meine ich, die müssen - nun, ich will ein Beispiel heraus­heben - Dissertationen machen. Es ist ja wirklich so, daß Dissertationen gemacht werden müssen, meinetwillen über den i-Punkt in den Ur­kunden von Innozenz IV. Ich kenne einen Mann, der sein ganzes Leben hindurch einen gewissen Ruf hatte, über die Schimpfwörter bei Properz eine Dissertation gemacht zu haben, oder über die Parenthesen der griechischen Dramatiker und so weiter. Ich könnte Ihnen Unzähliges anführen. Aber das sind ja nur Beispiele, die vermillionfacht werden könnten jetzt, nicht nur hundert- oder tausendfach auf den verschie­densten Gebieten vermehrt werden könnten. Ja, diese Dinge, die dür­fen nicht weiter belletristisch behandelt werden, sondern diese Dinge müssen nach den Anforderungen unserer Zeit in eine volkswirtschaft­liche Perspektive gerückt werden. Der junge Fuchs sitzt ein ganzes Jahr über seiner Dissertation, die über die Parenthese meinetwillen bei Homer handelt. Nicht wahr, er sitzt ein ganzes Jahr darüber. Es kann eine sogenannte fleißige, saubere Arbeit werden. Aber was bedeutet das? Das bedeutet, daß sich der Student ein Jahr damit beschäftigt und ißt und trinkt und sich kleidet. Dasjenige, was er ißt und trinkt und womit er sich kleidet, das muß gearbeitet werden von so und soviel Leuten. Da muß die soziale Struktur dazu da sein, daß wirkliche Arbeit, reelle Arbeit sich so umwandelt, daß dieser junge ochsende Student ein Jahr essen und trinken und sich bekleiden kann, um über die Schimpf­wörter bei Properz oder über die Parenthese bei Homer zu schreiben. Wenn Ihnen jemand nur annähernd einen Begriff geben würde, wie in dieser Weise richtige menschliche Arbeit umgewandelt wird in absolut kulturnichtsnutziges Zeug, was wertlos nach jeder Richtung ist, dann würde er eine ungeheuer wohltätige Tat begehen.Aber das sind die Dinge, die zum Verständnis gebracht werden müssen, daß das, woran man

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gar nicht denkt, als höchstens es mit einem Lächeln zu behandeln, daß das in volkswirtschaftliche Perspektive gerückt werden muß. Denn wir sind bei der Zeit angekommen, wo alle Dinge in volkswirtschaftliche Perspektiven gerückt werden müssen. Derjenige Bürgerliche, der nicht versteht, was es heißt, Arbeitskraft von Menschen zu mißbrauchen, um einem jungen Menschen möglich zu machen, ein ganzes Jahr zu essen und zu trinken und sich zu bekleiden über der Tat, die Schimpf­wörter des Properz in ein System zu bringen, der Mensch, der das nicht begreift, findet auch nicht die Möglichkeit, die Rangierung zu bewirken, von der ich gesprochen habe.

Das bezeugt Ihnen aber auch das andere, was notwendig ist: auf der einen Seite sich zu rangieren, daß wirklich Kontinuität des Wirt­schaftslebens möglich ist, auf der anderen Seite Verständnis hervor­zurufen gerade im Proletariat, daß man gemeinsam mit dern Prole­tariat ein solches Geistesleben pflegen will, das nicht in ungesunder Weise sich wirtschaftlich auslebt, sondern in gesunder Weise sich wirt­schaftlich auslebt. Wenn man erst diese Grundlage geschaffen hat, wenn zum Beispiel der Proletarier weiß: Du bist mit mir einverstanden, ich kann dich brauchen, denn du weißt dies oder das zu tun, weil du gelernt hast, was ich noch nicht gelernt habe - auf etwas anderes hin, als daß einen die Leute brauchen, werden sie einen nicht sich zu ihnen setzen lassen -, wenn erst der Proletarier einsieht, daß der Bürgerliche Ver­ständnis hat für solche Dinge, dann wird er die Möglichkeit herbei­führen, die Kontinuität des Wirtschaftslebens zu begründen, einfach aus solchen Gründen. Auf andere Weise, auf anderem Wege ist es nicht zu machen. Dann aber wird er zugänglich sein, wenn man sich mit ihm verständigt darüber, daß ferner nicht auf ungesunde Weise Unter­nehmergewinn privater Erwerb sein darf, denn nur dadurch, daß Unter­nehmergewinn privater Erwerb sein kann, ist es möglich, daß in den Dissertationen der jungen Füchse an den Universitäten, indem der Unternehmergewinn wiederum in ihr Essen und Trinken umgewandelt wird - der Unternehmergewinn, welcher aber Mehrwert der Arbeit ist -, die Schimpfwörter bei Properz oder die Parenthese bei Homer in ein System gebracht werden können. Das ist aber nur vergleichsweise gesagt, denn es könnte vertausendfacht und vermillionfacht werden.

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Dadurch allein aber wird man Verständnis hervorrufen, Verständnis dann auf einem Umwege, für das, was auf geistigem Wege besonders notwendig ist und was droht, ganz zugrunde zu gehen, wenn man sich nicht rangiert - denn aus dem Proletariat heraus wird das Gegenteil von dem folgen, was notwendig ist auf dem geistigen Wege -, und das ist: die Freiheit der Individualität. Sie wird aus dem Proletariat heraus totgeschlagen. Die Freiheit der Individualität, die ermöglicht, daß Anlagen gebraucht werden können, daß Talente sich verwirk­lichen, daß der Mensch überhaupt mit Bezug auf alles dasjenige, was er geistig produziert oder woran er geistig teilnehmen soll, ein freier Mensch ist, das alles läßt sich aus den Voraussetzungen der heutigen Proletarier-Anschauungen nicht realisieren. Aber zum Verständnisse zu bringen wäre es, wenn man sich entschließen würde, wirklich die neue Sprache zu führen, die notwendig ist. Das ist es, über was man heute als, ich möchte sagen, etwas Tagesnotwendiges unbedingt sich aufklären sollte, in was man heute Einsicht gewinnen sollte. Und ge­winnt man Einsicht, dann wird man schon sehen, was alles versäumt worden ist, indem man eine tiefe Kluft aufgerissen hat zwischen dem Proletarier, der seine Zeit so verwendet hat, wie ich es Ihnen angedeu­tet habe, und zwischen dem Bürgertum, das über die Dinge doch im Grunde genommen ganz unwissend geblieben ist.

Dieses will Ihnen aber zeigen, daß man mit abstrakten Program­men und mit sogenannten Idealen, wenn sie noch so schön klingen, heute gar nichts anfangen kann, daß man heute einfach kennenlernen muß, was die Leute wollen. Aber das lernt man nicht kennen, wenn man mit ihnen verhandelt, denn sie sind natürlich weit entfernt davon, irgend etwas von sich zu enthüllen, wenn man mit ihnen verhandelt. Man muß nicht bloß verhandeln, nicht bloß mit ihnen leben, man muß mit ihnen denken lernen, man muß mit ihnen empfinden lernen. Und man muß dann eine Verpflichtung, ein Pflichtgefühl dafür haben, daß dasjenige, was einem durch das Karma zugefallen ist, nun tatsächlich in einer entsprechenden Richtung verwendet werden muß. Das Maß desjenigen, was gut werden kann an den furchtbaren Stürmen, die heute vor der Tür stehen, das wird sich ganz danach richten, ob man anfangen wird, für solche Dinge, wie ich sie zum Beispiel inauguriert

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habe mit meiner «Philosophie der Freiheit» oder dergleichen, Ver­ständnis zu gewinnen oder nicht. Nicht wahr, jeder tut dasjenige, was er tun kann, was in seinem Karma, in seiner Richtung liegt. Von den Dingen, die ich selber getan habe, möchte ich eben gerade hervorheben die Produktion von Gedanken, die dem sozialen Leben eine Struktur geben können, und von denen ich im Anfange der neunziger Jahre, vor einem Vierteljahrhundert eben hoffte, daß sie schon dazumal einen Resonanzboden finden könnten, von denen ich heute wiederum hoffe, daß sie einen Resonanzboden finden könnten, nachdem nach einem Vierteljahrhundert nun die zweite Auflage erschienen ist, vielleicht einen Resonanzboden finden werden, nicht nur trotz, sondern wegen der schwierigen Zeiten, die jetzt beginnen.

Das andere, das ich auch nicht unerwähnt lassen will, ist das, daß ich ja nur dadurch zu Einsichten kommen konnte auf dem Gebiete, von dem ich Ihnen auch heute gesprochen habe, wie überhaupt auf geisteswissenschaftlichem Gebiete, daß ich niemals in meinem Leben irgendeine Stellung angestrebt habe, die zusammenhing mit dem unter­gehenden Staatsbetriebe. Ich bin nie in einen Zusammenhang mit irgendeiner äußeren Anstellung in einem Staate gekommen, auch nie­mais mit irgendeiner sozialen Stellung, welche auf der Monopolisierung der Bildung beruht. Denn die Monopole auf die Bildung müssen alle im Grunde genommen angesehen werden als dasjenige, was die heutige Katastrophe mit herbeigeführt hat, das Arzt-Monopol und so weiter, und was sonst auf diese Weise konfundiert ist. Denn Freiheit in bezug auf das Geistige ist nur dann nicht von Schaden, wenn das Geistige im Geistigen stehenbleibt. Sobald irgendwie, was heute und seit langer Zeit immer geschieht, das Geistige, das heißt die Aneignung von Fähig­keiten, konfundiert wird mit der Möglichkeit, aus Unternehmergewinn privaten Erwerb zu machen, so daß der private Erwerb, der aus dern Unternehmertum gezogen ist, irgendwie eine Rolle spielen kann bei der Verwertung des Geistigen - alles das, was auf diesem Wege ge­schieht, ist etwas, was nur die tiefsten Schäden herbeiführen kann gegenüber dem, was in der Zukunft notwendig ist. Alle diese Dinge, die ich da berühre, sie hängen wiederum zusammen mit grundlegenden Dingen, die in alles Leben hineinspielen. Der innigste Zusammenhang

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ist ja zwischen den geistigen Fähigkeiten und dern Unternehmergewinn auf dem Gebiete des - mit Respekt zu vermelden - Journalismus ein­getreten, der heute alle Welt beherrscht und von dem eben vieles andere abhängig ist.

Ich müßte lange Zeit so fortreden, wenn ich Ihnen eben weiteres sagen wollte. Allein ich habe heute ja Ihre Zeit schon recht lange in Anspruch genommen und wir werden hoffentlich in den nächsten Tagen darüber weitersprechen können, obwohl man ja jetzt nicht wissen kann, ob nicht von heute auf morgen einmal eine Notwendigkeit eintritt, von hier wegzugehen, oder, nicht wahr, so etwas dergleichen. Man kann heute, wo Tage Jahrzehnte bedeuten, nichts anderes sagen als: Es muß der Moment ergriffen werden und im Momente das Notwendige getan werden. - Also damit muß auch innerhalb unseres engsten Kreises ge­rechnet werden. Aber ich hoffe, daß wir Freitag spätestens wiederum weitersprechen können. Wenn irgend etwas geschehen sollte, so werde ich dafür sorgen, daß wir wenigstens einiges andere, was wir gerade auf diesem Gebiete sagen möchten, hier noch besprechen könnten. Aber sonst werden wir Freitag, Sonnabend und Sonntag unsere Betrach­tungen fortsetzen und dann das erreichen - ich habe es heute nicht mehr erreichen können -, was ich eben anstrebe: nun wiederum gerade so­wohl, was die heutigen Völkerschicksale betrifft, wie auch, was die soziale Frage betrifft, das Ganze nach noch tieferen, geisteswissenschaft-lich-anthroposophischen Grundlagen aufzusuchen.

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DRITTER VORTRAG Dornach, 15. November 1918

Sie haben vor kurzem den «Chor der Urträume» Ferchers von Steinwand eurythmisiert gesehen. Es wird nun jene Dichtung Ferchers von Steinwand für eine eurythmische Darstellung vorbereitet, die sich an den «Chor der Urträume» anreiht: der «Chor der Urtriebe». Es ist nun vielleicht bei dieser Dichtung ganz wünschenswert, wenn Sie sich mit den Gedanken der Dichtung zuerst bekannt machen, weil während der eurythmischen Darstellung durch das gleichzeitige Aufnehmen des Eurythmischen und der Dichtung die Aufmerksamkeit doch sehr stark in Anspruch genommen wird. Damit es nun vor der eurythmischen Aufführung möglich ist, daß Sie sich schon mit der Dichtung bekannt machen, wird heute Frau Dr. Steiner vor dem Vortrag den ersten und den zweiten Absatz des Chors der Urtriebe rezitieren und morgen dann damit fortsetzen.

Es ist von mir in diesen Betrachtungen versucht worden, gerade an die bedeutsamen Entwickelungsereignisse der Gegenwart einiges epi­sodisch anzuknüpfen, das dann die Möglichkeit bieten soll, weitere Ausblicke zu geben gerade von unserem geisteswissenschaftlichen Stand­punkte aus. Ich möchte auch heute das eine oder das andere noch epi­sodisch mit Bezug auf unsere Zeitereignisse vor Ihnen vorbringen, damit wir dann innerhalb dieser drei Vorträge heute, morgen und übermorgen vielleicht zu einigen Ausblicken, die jedem wichtig sein müssen in der Gegenwart, kommen können. Ich möchte heute aüsgehen von einer allgemeinen Bemerkung. Unter dem Mancherlei, was diese furchtbaren katastrophalen Ereignisse der letzten Jahre in die Mensch­heit hereingetragen haben, sollten zwei Dinge namentlich sein. Das eine ist: Es sollte aus der Beobachtung des Erlebten hervorgehen eine Art Verstärkung der Menschheit in bezug auf das Gefühl für tat-sächliche Wahrheit. Und das zweite sollte sein: Es sollte ersprießen aus dem Tragischen, das sich zugetragen hat und weiterhin zutragen

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wird, eine gewisse Fähigkeit, von den Weltereignissen, überhaupt von der Welt als solcher zu lernen.

Diese zwei Dinge sollten hineingetragen werden in das menschliche Leben aus der Beobachtung der vergangenen viereinhalb Jahre. Ein Gefühl, sagte ich, sollte der Menschheit ersprießen für tatsächliche Wahrheit, für die Wahrheit innerhalb der Tatsachenwelt. Wir haben gesehen, wenn wir sehen wollten, wenn es uns darum zu tun war, zu sehen, daß durch Jahre hindurch - womit ich nicht sagen will, daß es vorher nicht in einem gewissen Grade auch so war, nur war es nicht so auffällig -, daß durch reichlich mehr als vier Jahre die Menschheit über die ganze zivilisierte Welt hin sich allmählich abgestumpft hat für die Beobachtung der tatsächlichen Wirklichkeit, der in den Ereignissen lebenden Wahrheit. Wie oft ist es eigentlich nötig, innerhalb des Krei­ses derer, die sich in unserer Bewegung zusammengeschlossen haben, von der Bedeutung, von der tatsächlichen Bedeutung der Wahrheit zu sprechen. Wie schwierig ist es auf der anderen Seite, für das echte Bild der Wahrheit, insofern die Wahrheit nicht bloß eine Abstraktion ist, sondern insofern die Wahrheit eine Realität ist, für das echte Bild der Wahrheit einiges Verständnis zu erwecken. Und wie groß sind die Versuchungen, sich zu entziehen dem Anblicke der wirklichen Wahr­heit. Über die vier letzten Jahre und über dasjenige, was vorangegan­gen ist, wird ja wohl die Menschheit auch einmal unterrichtet sein wollen, weil jedenfalls aus dem Chaos heraus sich auch so etwas wie der Drang, die Ereignisse kennenzulernen, entwickeln wird. Heute -darauf habe ich ja namentlich in den letzten Betrachtungen, die ich hier angestellt habe, hinweisen wollen -, heute haben noch wenige Leute wirklich ein Bedürfnis, die Wahrheit über die letzten Jahre zu erfahren. Aber das meine ich weniger, sondern ich meine, indem ich von der Wahrheit hier spreche, die Hingabe an die Wirklichkeit. Die Menschen lieben es, in Illusionen zu leben. Zwischen Illusionen und Unwahr­heiten ist aber nur eine ganz schmale Kluft, über die man sehr leicht eine Brücke hinüberfindet von den Illusionen aus ins Reich der wirk­lichen Lüge. Ob diese Lüge nun bewußt oder unbewußt ist, darauf kommt es ja weniger an, wenn es sich um Wirklichkeiten handelt. Die Versuchungen sind eben sehr groß, einzuführen in seine Anschauungswelt

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an der Stelle, wo man üben sollte die Hingabe an die Wahrheit, einzuschalten die Illusion und dann sehr bald eben die Unwahrheit.

Dem Geisteswissenschafter sollte es nun klar sein, daß bildend, ent­wickelnd, aufbauend, wachstumfördernd nur das Leben der Menschen in der Wahrheit sein kann, daß dagegen alles dasjenige, was Leben in der Unwahrheit ist, zerstört, isoliert. Es ist auch immer das Leben in der Unwahrheit mit dem Egoismus verbunden. Dasjenige, was so hin­derlich ist dem Eindringen in die in den Tatsachen waltende Wahrheit, das ist das Sich-Einspinnen in die subjektive Bequemlichkeit nament­lich des Vorstellungs-, aber auch des Empfindungslebens. Man möchte nicht gern sich über die Illusionen hinausheben, daß ja doch alles, alles so ist, daß man des Denkens, des natürlichen Denkens enthoben ist.

In diese Stimmung, die sehr leicht allgemeine Stimmung wird, ist dann der einzelne hineingestellt und wird, wenn er sich in einer der Wahrheit nicht sehr günstigen Zeit bedienen muß einer gewissen Form, dann außerordentlich schwer verstanden. Derjenige, der genötigt war in den letzten vier Jahren, das eine oder das andere durchleuchten zu lassen von den tatsächlichen Verhältnissen, und der genötigt war, den brutalen Wirklichkeiten Rechnung zu tragen, der wurde selbstverständ­lich schwer verstanden. Aber wie schwierig es ist, dieses Hinneigen zur Wahrheit in den Tatsachen zu entwickeln, das kann ja daraus ent­nommen werden, daß es für zahlreiche Menschen wahrhaftig recht un­bequem gewesen wäre, ihr Denken auf so etwas einzustellen, wie es zum Beispiel, sagen wir, von mir in jenem Wiener Zyklus von Vor­trägen vorgebracht worden ist, auf das ich neulich hier wiederum hin­gewiesen habe; der von dem, was innerhalb der Menschheit waltete seit Jahrzehnten, sprach als von einer Karzinomkrankheit, von einer Krebskrankheit, die im sozialen Leben der Menschen spielt. Und ich sagte dazumal: Wahrhaftig nur die Verpflichtung, so etwas zu sagen, kann einen veranlassen, es auszusprechen. - Ich sagte aber zu gleicher Zeit: Man möchte das, was darinnen liegt, hinausschreien in alle Welt. -Aber es ist unbequem, das zu hören, und unbequem war es für die Menschen, zu hören, bevor diese Katastrophe hereingebrochen ist, daß sie hereinbrechen wird. Unbequem war es selbstverständlich für eine große Anzahl von Menschen, sagen wir, vor zwei Jahren, darauf aufmerksam

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gemacht zu werden, daß ja die Ereignisse keinen anderen Gang nehmen können als denjenigen, den sie jetzt genommen haben. Daß dieser Gang der Ereignisse für die sogenannten Zentralmächte ein sehr bedeutungsvoll unbequemer ist, das liegt ja heute schon auf der Hand. Daß er für die Entente ein recht unangenehmer werden wird, das wird man im Laufe einiger Jahre schon sehen, aber es liegt heute noch nicht so auf der Hand; daher ist es heute noch immer eine unbequeme Wahrheit. Selbstverständlich würde heute so ziemlich auf der ganzen Welt demjenigen, der noch deutlicher sagen würde, als das hier schon geschehen ist, um was es sich handelt, recht Unangenehmes passieren können, geradeso wie in anderem Gebiete jemandem höchst Unangenehmes passiert sein würde, wenn er die Hindenburg- und Ludendorff-Verehrung vor zwei Jahren in das richtige Licht gesetzt hätte.

Das sind Dinge, die spielen nur ins Große hinein. Es gibt aber Dinge, die treten im menschlichen Leben alltäglich auf, sie zeigen sich von Mensch zu Mensch allüberall. Und schließlich ist dasjenige, was sich im Großen abspielt, was die sogenannten großen Ereignisse sind, ja nichts anderes als die Kumulierung dessen, was sich im Kleinen von Mensch zü Mensch alltäglich, eben im alltäglichen Leben abspielt. Es besteht einmal eine gewisse Hinneigung der Menschen, nicht auf die Wahrheit zu schauen, schauen zu wollen. Gewiß, die Menschen reden viel von Wahrheit. Ich habe aber nirgends größere Liebe zur Illusion gesehen als bei denjenigen Menschen, die das Wort Wahrheit alle Augenblicke im Munde führen, wie ich niemals stärkeren Egoismus entdeckt habe als bei denjenigen Menschen, die fortwährend sagen, sie wollen ja eigentlich nur das oder jenes Unpersönliche.

Das ist das eine, die Notwendigkeit, Wahrheitsgefühl, insofern die Wahrheit in den Tatsachen liegt, zu entwickeln. Das andere ist, von den Weltenereignissen zu lernen. Es kann einem das Herz bluten, wenn man die Notwendigkeit durchschaut, gerade an den Ereignissen der letzten Jahre zu lernen, und wenn man sieht, wie verhältnismäßig wenig doch eben gelernt worden ist durch die Menschen. Es ist einem, wenn man die Dinge betrachtet, oftmals, wie wenn Jahrhunderte zwi­schen dem Jahre 1914 und dem heutigen Jahre liegen würden, und man

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kann wirklich heute noch Menschen treffen, die heute genau ebenso urteilen, wie sie 1914 über diese oder jene Dinge geurteilt haben. Ge­wiß, es bleibt ein gewisser Grundstock von Dingen unangetastet, aber wir verstehen uns ja wohl, wenn ich sage: Man muß gelernt haben, über gewisse Dinge anders zu urteilen. - Man kann ja wohl verstehen, daß eben diejenigen Dinge gemeint sind, die gerade durch solche Er­eignisse ans Tageslicht getreten sind, wie die vier letzten Jahre waren.

Dasjenige, was schon gelernt werden könnte von vielen Menschen, das ist die Notwendigkeit der Hinneigung zu einer geistigen Welten­betrachtung. Aus alledem, was namentlich auf dem Gebiete des sozia­len Lebens geschieht, der sozialen Verwickelungen, die sich zuletzt herausentwickelt haben aus dieser Weltenkatastrophe, was sich ergibt aus dem sozialen Chaos, das sich herausentwickeln wird aus dieser Weltkatastrophe, das wird vor allen Dingen sein die Notwendigkeit für die Menschheit, sich zu spiritueller, zu geistiger Weltbetrachtung hinzulenken. Das macht sich heute zunächst dadurch geltend, daß die­jenigen Menschen, die in diesem Wirbeltanz, der ja eingetreten ist, nun für einige Zeit obenaufkommen, gerade am schlimmsten ablehnend sind gegen alles spirituelle Leben, gegen alle geistige Weltenbetrach­tung. Aber gerade in dieser schlimmen Ablehnung liegt der reale Keim für die Herbeirufung der Sehnsucht nach spiritueller Weltenbetrach­tung. Man wird gar nicht zu einer lichtvollen sozialen Gestaltung in der Zukunft kommen können, ohne daß man den Blick wendet auf dasjenige, was die heutige Ordnung, das heutige Chaos ergeben hat. Aber durchschauen dasjenige, was geschehen ist - und das gegenwärtige Chaos ist nur das Ergebnis desjenigen, was im Laufe der Menschheits­entwickelung geschehen ist -, einen Einblick in das, was geschehen ist, wird man nur bekommen können, wenn man als geistige Lichtquellen eben Geisteswissenschaft haben wird.

Man wird, um die großen proletarischen Fragen, die auftauchen, einigermaßen beherrschen zu können - ich will gar nicht davon spre­chen, sie lösen zu können -, sich fragen müssen: Welche Bedeutung haben denn eigentlich überhaupt die Klassen, auf welche zum Beispiel gerade das Proletariat, indem es sich selber als Klasse fühlt, zurück-blickt: die Klasse des alten Adels, der Bourgeoisie, und endlich die

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Klasse des Proletariats selber? - Mit Definitionen kommt man der Sache nicht bei. Auch nicht dadurch kommt man der Sache bei, daß man beobachtet, wie sich die Adelsklasse im Laufe der Jahrhunderte benommen hat, woraus sie geworden ist, wie sich die Bourgeoisie ver­halten hat, wie das Proletariat entstanden ist. Auch dadurch kommt man nicht zu einem Verständnis desjenigen, was in die menschliche Gesellschaftsordnung hereingeflossen ist, indem es sich aus anderen, namentlich aus diesen drei Klassen seine Zuflüsse geholt hat.

Der Adel in seinen verschiedensten Formen - ja, zuletzt versteht man dasjenige, was mit dem Adel als Klasse zusammenhängt, doch nur, wenn man in der Lage ist, so etwas geisteswissenschaftlich zu be­leuchten. Dadurch allein hat man die Möglichkeit, sich zu sagen: Die­jenigen Menschen, die in der Adelskaste sich heranentwickelt haben, sind ja natürlich nicht bloß diese menschlichen Individuen, die von gewissen Vorfahren nach der Kontinuität des Blutes herstammen und sich dadurch gewisse Vorrechte in der Welt gesichert haben auf Grund­lage bestimmter Ereignisse, die Ihnen ja mehr oder weniger bekannt sind, sondern die Mitglieder dieser Adelskaste sind ja auch Seelen, wenigstens zum größten Teil Seelen, die gesucht haben, gerade in solchen Körpern sich zu verkörpern, welche in der Adelskaste geboren worden sind. Das wird man sich überhaupt aneignen müssen gegen die Zukunft hin: den Menschen nicht bloß als leiblich-körperliches Wesen zu betrachten, sondern ihn zu betrachten in seinem Zusammenhange mit der hinter ihm stehenden geistigen Welt, in der er die Quelle sei­nes Seelischen hat. Man wird allmählich das Gefühl bekommen müssen, daß man den Menschen nicht kennt, wenn man nicht seinen Zusammen­hang mit der hinter ihm stehenden geistigen Welt ins seelische Auge faßt.

Man kann sich nun wirklich geisteswissenschaftlich Mühe geben, die Frage zu beantworten: Woher kommt das eigentlich, was in die Mensch­heit durch den Adel hineingekommen ist? - Man hat ja auch in der Ge­genwart ziemlich viel Gelegenheit, solche Fragen geisteswissenschaftlich zu behandeln; wenigstens hatte man dazu Gelegenheit. Das wird ja jetzt aufhören. Die Welt hat viel geschimpft über den sogenannten preu­ßisch-deutschen Militarismus; jetzt schimpft Preußisch-Deutschland

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selber über den preußisch-deutschen Militarismus. Das Schimpfen mag von diesem oder jenem Standpunkte aus berechtigt sein; die Gründe, welche vorgebracht worden sind von der einen oder von der anderen Seite, für und gegen, sind zumeist recht wenig schöne und jedenfalls recht wenig wahre Gründe gewesen, sind es auch heute noch nicht. Und für den Wahrheitsucher kommt es ja viel mehr auf die Gründe an als auf das abstrakte Stimmen oder Nichtstimmen. Aber viel wichtiger als dieses Pro und Kontra ist die Tatsache, daß achtzig Prozent, eigentlich mehr als achtzig Prozent derKommandeurstellen im preußisch-deutschen Heere von Adeligen, von guten alten Adeligen besetzt sind, führende Stellen, in den höchsten führenden Stellungen achtzig Prozent, über achtzig Prozent; so daß gerade, ohne daß man dabei Sympathien und Antipathien walten läßt, sich zum Beispiel beantworten läßt, woher das kommt, was durch den Adel in die Menschheit hineingekommen ist. Ob das nun für die Menschheit Gelegenheit gibt zum Pro oder Kontra, darauf will ich nicht eingehen, wie ich oben schon sagte, aber dasjenige, was geschehen ist, das läßt sich zu der Frage bringen: Wie hängt das eigentlich mit dem ganzen Werden, mit der ganzen Ent­wickelung der Menschheit zusammen? - Denn man kann zum Beispiel gerade an diesem Militarismus die Frage aufwerfen, was durch ihn geschehen ist im Laufe der letzten Jahrzehnte und der letzten vierein­halb Jahre, da er in seiner Mehrzahl gerade von Aristokraten geführt wird. Da läßt sich die Frage beantworten, die ich oben aufgeworfen habe: Wie hängen die Adelsimpulse mit der Gesamtentwickelung der Menschheit zusammen? - Und überall findet man, auch spirituell, auch wenn man versucht, den Zusammenhang der menschlichen Seele mit den geistigen Welten zu erforschen, überall findet man: Dasjenige, was die Menschheit irgendwo und irgendwann erlebt hat durch ihren Adel, das ist Auswirkung eines alten Menschheitskarmas, das ist Auswirkung von Impulsen, welche einmal durch das oder jenes in die Menschheits­entwickelung hineingetragen worden sind. Damit gewisse Dinge über die Menschen kommen können wegen früherer gemeinschaftlich mensch­licher Verwickelungen, dazu war im wesentlichen - jetzt spirituell be­trachtet - der Adel auf diesem oder jenem Gebiete da; der Auswirker alter Schulden, könnte man sagen. Man muß überall zurückgehen in die

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Vergangenheiten, wenn man die Impulse, die im Adel sozial wirken, mit Bezug auf ihre Bedeutung für die Menschheit verstehen will.

Hat man, ich möchte sagen, die tiefere Betrachtung der Dinge da einmal angefaßt, wo ich es Ihnen jetzt angedeutet habe, dann wird man dazu getrieben, auch beim anderen Pol einmal anzufassen. Und der andere Pol ist das Proletariat. Hier verhält sich die Sache um­gekehrt. Alles dasjenige, was durch das Proletariat verursacht wird an Schwierigem für die Menschheit, was hereingetragen wird in die Menschheit an Verwickelungen durch das Proletariat, alles das weist auf die Zukunft hin, gibt Zukunftskarma, wird von der Menschheit in der Zukunft ausgetragen werden müssen.

Das erstere, daß der Adel gewissermaßen die vollziehende Gewalt gegenüber alter Schuld ist, diese Erkenntnis kann dazu führen, Ver­antwortlichkeit zu fühlen gegenüber dem, was heute durch das Prole­tariat geschehen muß. Denn schließlich ist ja doch dasjenige, was durch das Proletariat geschieht, in weitem Umfange auf dem Umwege durch das geistige Leben von der Bourgeoisie verursacht. Um das letztere durchdringend zu verstehen, muß man versuchen, die Mittelstellung der Bourgeoisie zwischen dem Adel und dem Proletariat ins Auge zu fassen.

Sehen Sie, der Adel ist gewöhnlich abgeneigt einer eigentlich wissen­schaftlichen Behandlung der Weltereignisse. Er ist nicht abgeneigt, über die Weltereignisse etwas zu wissen, aber er möchte nicht auf dem Wege des wissenschaftlichen Forschens, des wissenschaftlichen Denkens zu der Erkenntnis der Weltereignisse kommen. Er möchte vielmehr ohne die Anstrengung des Denkens - ich sage das alles ohne Sympathie und Antipathie, nur um zu charakterisieren - per Autorität in die Welten-geheimnisse hineinkommen, nicht durch Erkenntnis. Es ist ja zweifellos, daß in der bequemen Weise, wie zum Beispiel durch den Spiritismus die Leute versuchen, in die Weltengeheimnisse erkennend hineinzukom­men, dies in Adelskreisen zahlreiche Anhängerschaft findet. Nun ja, Sie werden sagen: selbstverständlich sind nicht nur Adelige Spiritisten. -Das ist schon wirklich wahr, aber in den anderen Klassen stehen den Spiritisten so und soviel Leute gegenüber, welche wenigstens ein ge­wisses Streben haben, durch die Mitanwendung des eigenen Denkens

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in die geistige Welt hineinzukommen, Wissenschaft zu treiben. Inner­halb der Adelsklasse stehen wissenschaftlich strebende Menschen den spiritistisch oder mystisch - nun, es gibt ja verschiedene Wege, die man nicht alle zu charakterisieren braucht - in die geistige Welt Hinein­kommen-Wollenden eben nicht zur Seite. Dagegen muß immer das­jenige, was eine Adelsklasse irgendwie in der Welt prätendiert, gestützt werden auf militärische Weise, in irgendeiner militärischen Art. Eine Adelsklasse ist ohne militärische Stütze nicht denkbar. Das wären so etwa - es gibt natürlich viele andere charakteristische Eigentümlich­keiten der Adelsklasse -, aber das wären solche, die von radikaler Be­deutung sind.

Was nun die Bourgeoisie betrifft, die zwischen dem Adel und dem Proletariat mittendrinnensteht, so ist zu sagen, daß gerade mit der Bourgeoisie auftritt ein gewisses Streben, die Erkenntnis wissenschaft­lich zu machen, in die Vorstellungen, die in die geistige Welt hinein­gehen wollen, wissenschaftliche Gestaltung zu bringen. Dabei beruht die Macht der Bourgeoisie auf dem Besitz der Produktionsmittel, der Werkzeuge und dergleichen. Ich wähle in den Dingen, die zu sagen sind, um gewisse Ausblicke morgen oder übermorgen zu begründen, einzelne aus, aber Sie werden sehen, daß das, was ich auswähle, eine gewisse Bedeutung hat.

Besonders charakteristisch ist dasjenige, was immer eine Klasse von der nächstvorhergehenden übernimmt. So zum Beispiel übernimmt die Bourgeoisie von dem Adel den Militarismus. Aber es ist das Inter­essante, daß die Bourgeoisie überall die Tendenz hat, den Militarismus zu demokratisieren. Der Adelige braucht ein Heer, das ihm zur Ver­fügung steht, um ihn zu halten. Wie er das zustande kriegt, das kann ihm gleichgültig sein. Der Bürgerliche ist durch die Art, wie er mit seiner Lebens-, mit seiner Existenzgrundlage zusammenhängt, schon auch darauf angewiesen, sich auf ein Heer zu stützen, aber er muß dieses Heer aus demselben Volke herausnehmen, das er an seine Pro­duktionsmittel hinstellt. Daher wird er zum Schwärmer der allgemei­nen Wehrpflicht. Und, nicht wahr, in der Zeit, in der das Bürgertum allmählich heraufgekommen ist und sich entwickelt hat, war man selbst­verständlich ein Trottel, wenn man nicht für die allgemeine Wehrpflicht

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schwärmen konnte, denn das war einfach der größte Fortschritt der Zeit, die allgemeine Wehrpflicht, die sogenannte Demokratisierung des Militarismus und so weiter.

Dasjenige, was nun das Proletariat wiederum von der vorhergehen­den Klasse nahm, ist die Wissenschaft der Bourgeoisie, die bourgeoise Wissenschaft. Der Proletarier weiß heute - wenigstens insoferne er wissenschaftlich geschult ist, und das sind ja sehr viele -, er weiß ein­zuschätzen gewisse unterbewußte oder unbewußte Dinge im Menschen. Er weiß gut einzuschätzen, wie aus der Klasse oder Kaste des Menschen heraus ein gewisses Denken und eine gewisse Formung im Denken kommt. Zum Beispiel weiß der Proletarier sehr gut, daß, wenn man Adeliger ist, man anders denkt, weil man eben der Adelskaste an­gehört, als wenn man Bourgeois ist oder wenn man Proletarier ist. Die ganze Formung des Denkens ist anders, die Instinkte, die hineinlaufen in die Gedankenformen und diese Gedankenformen bilden, sind an­ders. Die bourgeoise Wissenschaft, die steht auf dem Standpunkte, Wahrheit ist Wahrheit, es kann nur eine Wahrheit geben, und glaubt an die Absolutheit ihrer Urteile. Das tut der Proletarier nicht, denn er kennt die Abhängigkeit desjenigen, was ein Mensch denkt, von seiner Kaste, von seiner Klasse.

Nun gewiß, auch da gibt es einen gewissen Grundstock von Wahr­heiten, die von der Kaste nicht abhängig sind, meinetwillen gewisse elementare mathematische Begriffe und dergleichen. Gewiß, auch die rein mathematisch-mechanische Astronomie ist nicht von der Kaste abhängig. Aber alles dasjenige, was sich auf soziales, auf geschicht­liches Leben bezieht, und namentlich die Formung und die Verwen­dungsform der einzelnen wissenschaftlichen Vorstellungen, die sind von der Kaste abhängig. Das hat die proletarische Wissenschaft durchschaut. In vieles Unterbewußte der Menschen schaut die prole­tarische Wissenschaft hinein. Allein sie übernimmt, diese proletari­sche Wissenschaft übernimmt das bourgeoise Denken, übernimmt so-zusagen mit Haut und Haar dasjenige, was die bourgeoise Bildung, die bourgeoise Intelligenz erobert hat, und popularisiert es. Genau ebenso, wie die Bourgeoisie den Militarismus des Adels demokrati­siert hat, so popularisiert das Proletariat in einer ganz blinden Gläubigkeit

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die Bourgeois-Wissenschaft, oder besser gesagt, die bourgeoise Wissenschaftlichkeit.

Daraus sehen Sie schon, daß das Proletariat mit Bezug auf sein gan­zes Denken der Erbe ist desjenigen, was von der Bourgeoisie gerade mit Bezug auf menschliche Gedanken, mit Bezug auf menschliche wissen­schaftliche Hervorbringungen getan worden ist. Das wird sich als eine ganz außerordentlich wichtige Tatsache in die nächste Zukunft hinein zeigen, und es würde ungeheuer notwendig sein, daß man gerade auf solche Dinge achten lernen kann. Sonst wird man über Wichtigstes, was sich heranschleicht, nun, eben wiederum in bequemen Illusionen, die von der Lüge nur durch eine schmale Kluft getrennt sind, leben wollen.

Es gibt zum Beispiel nichts, was der Wahrheit abträglicher ist in dem Sinne, wie ich von dieser Wahrheit vorhin gesprochen habe, als der Nationalismus. Aber der Nationalismus gehört gerade zu dem Pro­gramm, das als ein besonders segensreiches Programm der nächsten Zukunft gelten wird. Er gehört zu dem Programm der nächsten Zu­kunft. Daher wird man es erleben müssen, wenn dieser Nationalismus wird bauen wollen - er kann ja in Wirklichkeit nur zerstören -, daß die Illusionen, die von der Lüge durch eine schmale Kluft getrennt sind, sich eben fortsetzen werden. Denn so viel Nationalismus in der Welt entstehen wird, so viel Unwahrheit wird in der Welt sein, besonders gegen die Zukunft hin. Und so werden sehr viele Quellen für neue Un­wahrheiten da sein. Unwahrheit hat in vieler Beziehung die Welt regiert. Aber sie wird nicht regieren können, indem die Menschheit in sich aufgenommen hat jene Impulse, jene Strömungen, die heute chao­tisch in den proletarischen Massen zutage treten und die, wie Sie ge­sehen haben - ich habe Ihnen das neulich aus geisteswissenschaftlichen Unterlagen vorgeführt -, einer der drei großen Strömungen in der Menschheitsentwickelung entsprechen.

Mit diesen Dingen hängen die tatsächlichen Ereignisse ganz wesent­lich zusammen. Aber man war abgeneigt, namentlich in den letzten Jahrzehnten, so in die Welt hineinzuschauen, daß man wirklich das Wirkliche gesehen hätte. Man konnte nur nicht, ohne daß man auf den Geist schaute, in die Welt hineinschauen, wenn man nicht das Wirk­liche sich entgehen lassen wollte. Sehen Sie, all das, was sich zugetragen

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hat in den letzten Jahren, es geht ja zurück im Grunde genommen auf geistig durchschaubare Kräftewirkungen in der zivilisierten Welt. Es war eigentlich nichts gräßlicher im Verlaufe dieser traurigen Ereig­nisse als das Reden aus diesem oder jenem sogenannten nationalen oder anderen Standpunkte heraus. Da redete man zumeist von Dingen, die mit dem Gang der Ereignisse nicht das allergeringste zu tun hatten. Das Eigentümliche war ja, daß die leitenden Staatsmänner auch so redeten, daß ihre Reden mit dem Gang der Ereignisse nicht viel zu tun hatten. Mit den Dingen, die da berührt werden, sollte man nicht so unzart umgehen, mit dem, was man nennen könnte das Schicksal der Menschen, insoferne diese Menschen in Gruppen zusammengedrängt sind, in Völkergruppen zum Beispiel. Denn da berührt man im Grunde genommen recht tief, tief mit dem Geistigen zusammenhängende Ver­hältnisse, von denen man nicht so oberflächlich sprechen sollte, als oft­mals gesprochen wird.

Vor allen Dingen kommt in Betracht, daß man nicht übersehen sollte, daß gewisse Begriffe an verschiedenen Orten der Welt ganz Verschie­denes bedeuten. Denken Sie doch nur, daß die Menschen überallhin, sagen wir, vom Staate sprechen. Aber es kommt nicht darauf an, daß man einen gewissen Begriff vom Staate hat, sondern daß man doch wenigstens etwas mit diesem Begriff verbindet von den verschiedenen Gefühlsnuancen, die sich da oder dort an diesen Staat knüpfen, und daß man vor allen Dingen loskomme von der unseligen Verquickung von Staat und Nation und Volk, von jener unseligen Verquickung, die ein Grundcharakteristikum des Wilsonianismus ist, der immer zusam­menwirft Staat und Nation und Volk, und sogar Staaten begründen will nach Nationen, wodurch eben nur in gewissen Strömungen die Lüge perpetuiert würde, wenigstens wenn es möglich wäre.

Man muß überall die konkreten, die wirklichen Dinge ins Auge fas­sen. Ich habe Ihnen im Laufe dieser Betrachtungen dargestellt, wie eine gewisse Konfiguration Mitteleuropas zusammenhängend ist mit jenen alten, auf die Gruppeninstinkte rechnenden Suggestionen, die von dem römischen Katholizismus, von Rom ausgingen. Sehen Sie, mit diesem Gespenste des alten Römischen Reiches, wie die spirituelle Wissenschaft sagt, hing innig zusammen dasjenige, was die alte, 1806 verstorbene

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Kaiser-Idee Mitteleuropas war. Bis dahin gab es mehr oder weniger, wirklich mehr oder weniger nominell das Heilige Römische Reich Deut­scher Nation, das 1806 erst verschwunden ist. Es ist nicht eigentlich verschwunden, sondern es ist nur abgeschoben worden. Denn dieses Heilige Römische Reich, das mehr oder weniger günstig oder ungünstig durch lange Zeiten hindurch die verschiedenen deutschen Stämme zu­sammengehalten oder auch entzweit hat, dieser kaiserliche Impuls des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ist eigentlich nach und nach übergegangen auf die habsburgische Hausmacht, und damit ist dann eben dasjenige beglückt worden, was österreichisch-ungarischer Staatszusammenhang war. Aber Staat, der im Lichte der Habsburger-macht stand, bedeutet etwas anderes als Staat, der, sagen wir, sich so herausgebildet hat seit dem fünfzehnten, sechzehnten Jahrhundert, wie er, eigentlich mehr mit dem Volkstum zusammenhängend, in Eng­land oder Frankreich sich als Staat gebildet hat. Wo der Staat gar keinen wirklichen Inhalt hat, in dem, was Habsburgerreich war, wo verschiedene Völkerschaften zusammengehalten waren unter dem Ge­sichtspunkte der habsburger Hausmacht und diese habsburger Haus-macht wie einen Mantel hatten, wie ein altes Kleinod hatten, war etwas tief Mittelalterliches, nämlich das Kaisertum aus dem alten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Das, was Habsburg war, war ältestes Mittelalter, und leider auch durch und durch verbunden mit ältestem Mittelalter mit Bezug auf den Romanismus, mit Bezug auf jenen Katholizismus, der durch die Gegenreformation wiederum leben­dig oder wenigstens lebensähnlich gemacht worden war und der alle jene Zustände hervorgebracht hat, von denen ich Ihnen auch hier schon gesprochen habe, der so viel beigetragen hat zur Einschläferung, zur Eindämmerung, aber auch zu anderen üblen Wirkungen innerhalb der mitteleuropäischen Welt.

Diesem Habsburgerreich ältester mittelalterlicher Sorte stand ein Modernstes gegenüber, das allmählich ganz modern geworden ist, etwas allermodernsten Gepräges: das preußisch-hohenzollerische Kaisertum, jenes preußisch-hohenzollerische Kaisertum, welches den Amerikanis­mus innerhalb des deutschen Wesens darstellte, Wilsonianismus vor Wilson. Das ist jener große, gewaltige Unterschied: dieses modernste

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Gepräge des preußisch-hohenzollerischen Amerikanismus, als Kaiser­tum maskiert, und das mittelalterliche habsburgische Kaisertum, das zusammengeschmiedet war von außen. Diese Dinge zu studieren ist nötig, wenn man verstehen will, was geschehen ist, und was noch ge­schehen wird.

Was da als hohenzollerisch-preußisches Amerikanertum entstanden ist, das hatte nun eine ganz bestimmte Eigentümlichkeit: es entwickelte genau dieselben Impulse, die zum Beispiel im Britischen Reiche sich entwickelten, aber es entwickelte alle diese Impulse in der entgegen­gesetzten Art. Sehen Sie, dreierlei Strömungen gibt es, hergebracht von alten Zeiten, entstanden in der Gegenwart: die adelige, die bour­geoise, die proletarische. Nirgends so, ich möchte sagen, in Reinkultur nebeneinander, getrennt, entwickelten sich diese drei Strömungen, die adelige, die bourgeoise, die proletarische, wie im Britischen Reich und auch innerhalb des sogenannten Deutschlands - was ja kein offizieller Name ist, ein Deutschland gibt es ja nicht staatsrechtlich, hat es nie gegeben staatsrechtlich -, also im sogenannten Deutschen Reich. Also in beiden Gebieten, aber im genau entgegengesetzten Sinne entwickel­ten

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sich diese drei Strömungen. Im Britischen Reich entwickelte sich das alles so, daß Adel, Bourgeoisie, Proletariat zusammengingen, immer nach einer gemeinsamen Tendenz hin strebten. Es ist guter alter Adel da, aber er verstand es, mit den Anforderungen des bourgeoisen

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Wesens, namentlich mit den Anforderungen des materiellen und finanziellen Bourgeoisiewesens sich auszugleichen. Man ist nicht nur Adeliger, man wird auch wohlhabender Adeliger, reicher Mensch im modernen Sinne. Man kann zu gleicher Zeit seine Revenuen aus der Industrie haben und im guten Sinne alter, angesehener Adeliger sein. Aber man verwaltet das Ganze so, daß der Proletarier in seinen Unternehmungen nicht zu sehr abweicht von dem, was die anderen wollen. Es geht eben immer auf irgendeine Weise zusammen.

Innerhalb des neuen deutschen Staatsgebildes ging alles auseinander. Da haben Sie auch die drei Strömungen, aber sie entwickelten sich so in dem Sinne auseinander:

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Da haben Sie die Industrie zur Großindustrie gebildet, die ihre eigene Strömung hatte, da haben Sie den alten Adel im preußischen Junker­tum - die beiden drängten wohl zusammen, aber es war auch da­nach! -, das Proletariat, welches immer mehr zum Gegner der Bour­geoisie wurde und sich gerade zur Aufgabe stellte, den Klassenkampf gegen die Bourgeoisie im eminentesten Sinne aufzunehmen. Das ent­wickelte sich alles auseinander. Wer die geschichtlichen Ereignisse in dieser Beziehung studiert hat, der findet gerade das in außerordent­licher Weise interessant. Dabei das alles in einem Rahmen, den es

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sprengen mußte. Denn das, was da als sogenanntes Deutschland - wie gesagt, was es staatsrechtlich nie gegeben hat - konstruiert worden ist, trug Bismarcksches Gepräge, das Gepräge eines Mannes, dem nie die moderne Großindustrie gegenständlich geworden ist, der sie nie kannte, der nie damit rechnete, der den Rahmen, den er konstruierte, mit Aus­schluß des Werdens der Großindustrie konstruierte. Nun entwickelte sich da hinein der ganze Amerikanismus der Großindustrie und sprengte den Rahmen. Der war schon in sich gesprengt, lange bevor diese krie­gerische Katastrophe gekommen ist.

Diese Verhältnisse mit unbefangenem Blick, mit wissenschaftlicher Objektivität in Ruhe zu studieren, dazu hatte die Menschheit in dem tollen Wirbel, in den sie verfallen war auf allen möglichen Gebieten, wahrhaftig keine Ruhe. Denn man ist ja nicht sehr geneigt, auf Reali­täten einzugehen. Man muß eigentlich Realitäten auch wirklich an­zustreben suchen. Man muß einen Sinn haben für Realitäten, vielleicht nicht nur einen Sinn, sondern auch einen Spürsinn für Realitäten; denn der Zug der Zeit geht dahin, die Realitäten zu verleugnen, sich gar nicht einzulassen auf Realitäten. Sehen Sie, die Leute, die dahin schauten, wo der Inn fließt, die Moldau fließt, die Donau fließt, die Leitha fließt, sie unterschieden nicht viel zwischen zwei grundverschie­denen Dingen: zwischen dem deutsch-österreichischen Volk und dem Habsburgerreich. Das floß zusammen. Und wiederum, wenn die Leute Österreich besuchten, da, wo das deutsch-österreichische Volk lebte, das jetzt einem so tragischen Schicksal entgegengeht - wie hatten sie denn Gelegenheit, kennenzulernen, was innerhalb der eigentlichen Volkheit doch lebt? Man lernte halt - wie einmal ein Schriftsteller konstatierte -, wenn man so als Reisender nach Österreich kam, die «ararische» Gesinnung, die sehr innig verbunden war mit Schlamperei, kennen. Wenn man an einen Bahnhof kam, nun, man wurde gewiesen, man solle dahin fahren, da habe man dann einen Anschlußzug. Man fuhr hin, und sollte man zur rechten Zeit ankommen, kam man sicher nicht zur rechten Zeit an. Nicht wahr, man war nie sicher, wenn man sich den Zügen überließ, daß man zur rechten Zeit hinkam, aber man war, wie der Betreffende sagte, überall sicher, wo man hinkam, daß man eine gute Tasse Kaffee kriegte. Aber das ist ja nur eine Äußerlichkeit.

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Dasjenige, was da in diesem Gebiete Mitteleuropas war und vor dem eine gewisse Brutalität Halt machen sollte, das war gerade die Möglichkeit der Entwickelung starker geistiger Individualitäten aus einem gewissen Untergrunde des Volkstums heraus.

Sehen Sie, von Fercher von Steinwand war wenig gedruckt in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Ich lebte in Wien zusam­men mit einigen Freunden, jüngeren Schriftstellern. Bei uns kam auch einmal das Gespräch auf Fercher von Steinwand, von dem ich einzelne seiner Dichtungen kannte. Es war gerade in der Zeit, als ich in Wien die «Deutsche Wochenschrift» redigierte. Hamerling hat ja mit einem großen Verständnis und innigem Wohlwollen auf Fercher von Stein­wand hingewiesen gehabt. Da sagten mir einige Freunde: Ja, den Fer­cher, den können wir finden. - Ich war selbstverständlich rasch bereit, den Fercher von Steinwand zu finden. Man konnte ihn nie anders finden als: man ging in eine abgelegene Gaststube in der Singerstraße in Wien. Das ist eine Straße, die vom Opernhaus gegen den Stephans­platz hin geht. Ja, sehen Sie, da war unter allerlei Brüdern, die man schon «Brüder» nennen kann, mittendrinnen dieses feine, durchgei­stigte Gesicht des Fercher. Dieser Deutsche aus dem Kärntnerlande, ganz und gar entsprossen in bezug auf die Art, wie er seine Gedanken formt, diesem deutsch-österreichischen Gebiete, dabei gerade jener Zu­sammenhang mit der Ideenwelt, wie er eben ein spiritueller Zusam­menhang ist und wie er eigentlich nur da in dieser Art lebt. Fercher von Steinwand hatte auch große politische Ideen, aber er war nicht geeignet, nach den Usancen, die auf solchen Gebieten stattfanden, diese politischen Ideen irgendwie in Wirklichkeit umzusetzen. Das war er durchaus nicht. Es gibt überall solche Leute, wenn sie auch nicht so begabt sind wie Fercher von Steinwand, die gerade auf diesem Gebiete in Zusammenhang stehen mit der spirituellen Welt, die in sich trugen seit langer Zeit ein gewisses Verspüren von Impulsen, die da leben. Aber es war unbequem, auf solche Leute zu hören.

Ich muß sagen, ich war dann oft mit Fercher von Steinwand zu­sammen. Er kam mir immer vor so wie einer von den Zigeunern, die in der Welt herumwandern, aber der Aristokrat unter den Zigeunern, wie ihr Anführer, große Ideen im Kopfe tragend, und der von großen

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Ideen so redete, als ob er unter ihnen selber gewesen wäre. Ich sagte ihm eines Abends, als wir so zusammensaßen, als ich gerade eben die «Deutsche Wochenschrift» redigierte: «Sagen Sie, Herr Fercher, könn­ten Sie nicht auch einmal etwas noch von Ihnen Ungedrucktes geben? Sie haben doch sicher allerlei Dichtungen, ungedruckt noch; ich würde sie gern jetzt in der Wochenschrift veröffentlichen.» - «Ja», sagte er, «i hab' allerlei da liegen, so komische Sacherln, die hab' i a no da.» Und da gab er mir diesen «Chor der Urtriebe», den er seit langer Zeit in seinem Pult hatte und den ich dazumal veröffentlichte.

Dieser Fercher von Steinwand ist eben eine von den Individuali-täten, die wirklich aus dem Volkstum heraus in Mitteleuropa ent­standen waren. Ich möchte Ihnen eine kleine Mitteilung machen über die Art, wie Fercher von Steinwand mit seinem Volkstume zusam­menhing.

Am 4. April 1859 hat Fercher von Steinwand im Dresdener Alter­tumsverein, in Gegenwart des damaligen Kronprinzen Georg - hier in diesem Buche steht noch: gegenwärtig König von Sachsen -, sämt­licher Minister und vieler Offiziere höchsten Grades - ich bitte, das letztere besonders zu bemerken -, vor allen diesen Leuten hat Fercher von Steinwand, also bitte: 1859, am 4. April, einen Vortrag gehalten, und zwar über die Zigeuner. In diesem Vortrage über die Zigeuner steht außerordentlich viel drinnen, nicht so sehr wegen der feinen Be­merkungen, die Fercher von Steinwand über die Zigeuner macht, son­dern wegen der großen völkerpsychologischen Ausblicke, die er in Anknüpfung an die Zigeunerfrage macht. Er hält die Zigeuner näm­lich für Indogermanen. Und nun schweift sein Blick - wie gesagt, er hielt diese Rede, aus der ich Ihnen jetzt ein Stück vorlesen werde, vor dem Kronprinzen Georg von Sachsen, vor sämtlichen Ministern und vor hohen militärischen Würdeträgern - zu den Deutschen, und er sagte im Laufe dieser Rede:

«Wir Deutschen, die wir einen so schwarzen Genius lange nicht auf Erden für möglich hielten, mußten unser helles Vertrauen auf Welt und Weltordnung nacheinander auf ruhmlosen Schlachtfeldern büßen. Wir Deutschen haben die unselige Tugend, ein fremdes Volk bis zur blöden Hintansetzung unsrer selbst zu achten, auch wenn dasselbe

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wenig oder nichts Lobenswertes für sich hätte, als eine hervorstechende Eigenheit.»

Jetzt will ich, was er nun weiter sagt, überspringen.

«Doch unsre Tugend schlägt plötzlich zum Laster um, sowie ein großes Ereignis geharnischt vor unsre Schwelle tritt, ohne unser leiden­des und leidiges Wesen aufzurütteln und unsre eingewurzelte unnatür­liche Scheu vor dem göttlichen Wink der Geschichte zu überwinden, die uns schon oft unter das Richtbeil des Verhängnisses geführt. Die Götter sind niemandem feindlicher gesinnt, als dem Philister, und nir­gends unter der Sonne gibt es Kleinkrämer, die nicht von einem Großkrämer tyrannisiert würden. Wie jede Zukunft, so mag uns unsre deutsche Zukunft ein Rätsel sein. Doch dieses ist nicht so undurchdring­lich, als wir gewöhnlich meinen. Wir stoßen bereits auf wirkliche Lö­sungen dieses deutschen Rätsels, Lösungen, die wir mit Beziehung auf unsre Heimat prophetisch nennen können.»

Das alles in einer Rede, die über die Zigeuner handelt. Seine Be­trachtungen knüpft er an das Zigeuner-Sein an, Fercher von Steinwand

«Laßt uns ein wenig über den Atlantischen Ozean schauen! Lenken wir unsre Blicke auf São Jorge dos Ilheos oder wandern wir in Ge­danken den Rio Contas hinauf, wo wir auf deutsche Ansiedlungen treffen. - also erzählt Kaiser Max, der ein Mann von Gemüt und schöpferischem Geiste ist, also etwas weit Besse­res, als Kaiser von Mexiko -,

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dominieren, eine Art Mittelding zwischen Sklaven und Freien abgeben. Welch eine Schmach für deutsche Eltern, mit ihren Kindern in frem­den Lauten zu verkehren! Wie muß das Familienverhältnis darunter leiden, wenn die schwache Mutter sich in fremden Ausdrücken mit ihrem eigenen Blute abquälen muß! - Diese überall sich wiederfin­dende Tatsache mag ein Hauptgrund der trüben Melancholie sein, die auf dem Antlitz und auf dem Wesen aller deutschen Kolonisten schwer und beängstigend lastet. Ich habe während meiner Reise keinen ganz heiteren deutschen Auswanderer gesehen; auf allen lag ein geheimer Schmerz. Erst die Kinder ziehen zuweilen Vorteil aus der gebrochenen Existenz ihrer Eltern, deren Charakterlosigkeit sie fast immer den fremden und geschlossenen Nationalitäten preisgibt. Das ist der Schmerz, der auf dem Gemüte dieser Fremdlinge lastet. - Zwei blasse Männer zogen des Weges mit abgehärmten Zügen; einige deutsche Worte bewiesen uns ihren transatlantischen Ursprung. Sie antworteten in der Sprache ihres Heimatlandes, aber der Klang war nicht mehr voll und rein, der matte Ton hatte etwas Müdes und Trauriges; auch die Gestalten waren ohne Energie und Elastizität, wie von Leuten, die ihren Beruf verfehlten, sich nicht heimisch fühlen, für die der fran­zösische Ausdruck dépaysé im vollsten Sinne gilt. Ein solches Bild der Melancholie bieten die meisten deutschen Auswanderer; an allen nagt der heimliche Wurm.> - -

Ist das nicht Zigeunerluft, was von den Gestaden des Rio Contas herüberweht? Und diese gräßliche Melusine, was flüstert sie uns ins Ohr? Ein Wort von unsrer deutschen Zukunft, einen eiskalten Gruß von ihr auf baldiges Zusammentreffen. Ja, diese Zukunft naht bereits unheimlich unserm Horizonte...»

1859 ist das gesprochen!

«Ja, diese Zukunft naht bereits unheimlich unserm Horizonte, sieht über Ufer und Berge herein in die Tiefe unserer Länder, hager genug, wie der Genius des Todes mit der Leichenblässe im Angesicht. Wir haben kein Recht, es anders zu erwarten.

Was wir reden, hat nicht Mark; was wir tun, hat nicht Kern; was wir künstlerisch schaffen, hat nicht den Klang, nicht den Adel der großen Natur. Es sieht aus, als hätten wir uns die Aufgabe gestellt,

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die Kunst durch dürre Eigenheiten, durch nüchterne Volkstümlichkeit, durch erzwungene Naturalismen zu necken. Was wir im übrigen noch denken oder zur Geschichte beitragen, hat Raum genug im Hohlkegel einer Schlafmütze.»

So sprach dasjenige, was wirklich aus diesem Volkstume heraus ge­sprochen hat. Und das ist vorhanden, das lebt doch auch bis heute. Das kann nur brutalisiert werden. Das ist auch genugsam brutalisiert worden im Laufe der letzten Jahre. Es wird schon auch einmal zu­gestanden werden müssen, was völkische Selbsterkenntnis in auserlese­nen Individuen ist; das lebte vielleicht doch nicht am besten unter der Ägide von Menschen wie Clemenceau, sondern vielleicht doch unter anderer Ägide.

Man muß die Dinge zuweilen auch abgesehen von den Phrasen, die die Welt beherrschen, ins Auge fassen, und in welthistorischen Momen­ten ist vielleicht auch das notwendig. Wenn Fercher von Steinwand in Anknüpfung an Zigeuner-Charakteristik von seinem Volke spricht, dann liegt darinnen vielleicht etwas Melancholisch-Pessimistisches, wenn es gerade so herauskommt, wie in dieser Rede, aber so ist es nicht gemeint, so ist es wahrhaftig nicht gemeint. Von diesen «Zigeunern» muß doch etwas in die Weltmission hineingehen. Das wird zwar heute abgelehnt, das wird heute geleugnet. Diese Leugnung ist eng verbun­den mit Wilsonianismus, aber die Tatsachen werden die Welt eines andern belehren. Und damit doch heute schon von irgendeiner Seite gegen dasjenige, was ganz gewiß mit mancher weltlichen Infallibilität und mit manchem weltlichen Autoritätsglauben der nächsten Zeit zu­sammenhängen wird, damit gegen das Protest da sei - vielleicht wird die Welt sagen: Zigeuner-Protest da sei -, habe ich meinen Wunsch ausgesprochen und meine Gedanken geäußert, daß dieser Bau hier, als Protest gegen dasjenige, was in den nächsten Jahren geschehen wird über die ganze zivilisierte Menschheit hin, sogenannte zivilisierte Menschheit hin, Goetheanum genannt werden sollte. Das ist nicht bloß, um in irgendeiner oberflächlichen leichten Weise an Goethe an­zuknüpfen, sondern das ist aus dem Impulse unserer Zeit heraus.

Nun, wir werden morgen weitersprechen.

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VIERTER VORTRAG Dornach, 16. November 1918

Auch wenn man Betrachtungen anstellt über die Zeitereignisse, wie wir es jetzt tun, Betrachtungen, die wir ja dann zu gewissen Perspektiven erweitern wollen, Perspektiven, die nur durch das Geisteswissenschaft­liche zu erreichen sind, auch dann, wenn man solche Betrachtungen an­stellt, muß man sich immer gegenwärtig halten, daß wir in der Ent­wickelungsströmung der Menschheit im Zeitalter der Bewußtseinsseele angelangt sind, und daß es eben geradezu Aufgabe ist des Menschen in der Gegenwart, vom Gesichtspunkte des Eintritts in die Bewußtseinsseele die Dinge zu verfolgen. Es wird der Grundimpuls unserer Gegen­wart so sein, daß nur derjenige gewachsen sein kann dem, was von Menschen die schwierige Gegenwart und Zukunft fordern wird, der aus dem Jüngst- und aus dem Weitervergangenen Verständnis suchen will für die Kräfte, welche in der Gegenwart walten, der den guten Willen haben wird zum Verständnis. Denn wenn auch viele Verhältnisse so sind, daß die Kräfte durcheinandergeworfen werden, daß chaotische Zustände entstehen - oh, es könnten noch viel chaotischere Zustände entstehen, als da sind -, in dem Chaos leben doch die Fortsetzungen derjenigen Kräfte, die schon da waren. Und nur derjenige wird das Chaos verstehen, welcher die Kräfte versteht, die schon da waren und die sich fortsetzen, die sich vielleicht sehr maskiert fortsetzen, aber die sich doch aus früheren Zeiten her fortsetzen. Aber auch die Forde­rungen, welche an die Menschheit gestellt werden, die müssen in viel größerem Umfange, als das sich heute noch irgend viele Menschen vor­stellen, verstanden werden.

Ich habe gestern darauf aufmerksam gemacht, daß ein Verständnis wird angeeignet werden müssen für die in den Dingen waltende Wahr­heit. Es ist ganz bestimmt so, daß sehr viele Menschen sich heute über­haupt noch keine Vorstellung machen von der in den Dingen walten-den Wahrheit. Daß in den Dingen selbst, in den Vorgängen, Wahrheit oder Unwahrheit waltet, und daß man sich dem einen oder dem an­deren hingeben kann, das glauben heute noch viele Menschen nicht, da

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sie nur die Abstraktion im Sinne haben, daß Wahrheit die subjektive Übereinstimmung desjenigen sei, was man vorstellt, mit irgend etwas, was außerhalb vorgeht. Aber in den Ereignissen, namentlich insofern sie das Menschenleben betreffen, waltet selbst Wahrheit oder Unwahr­heit, und es ist ganz gleichgültig, ob der Mensch weiß oder nicht von manchen Unwahrheiten, denn die schlimmsten Unwahrheiten pulsieren sehr häufig gerade im Menschenleben als unterbewußte Kräfte, greifen gar nicht herauf in das menschliche Bewußtsein. Aber kennenlernen muß man gerade in der Gegenwart diese unterbewußten Kräfte, her-aufholen muß man sie in das Bewußtsein. Das ist für manches außer­ordentlich schwierig, und aufs Nächste zunächst eingehen, das kann die Aufgabe erleichtern; auf die nächsten Zeitereignisse so einzugehen, daß sie gewissermaßen etwas lehren können, das ist wichtig. Aber es ist nicht so ganz leicht, weil es auch nach der einen oder anderen Seite hin nicht ganz bequem ist. Man hat ja in den letzten Jahren verschiedene Urteile gehört - ich habe das schon erwähnt -, Urteile von diesem oder jenem Standpunkte. Man konnte natürlich von einem gewissen ober­flächlichen Gesichtspunkte aus weder den einen noch den andern Ge­sichtspunkt übelnehmen. Bedauerlich war nur, daß so wenig untersucht worden ist das Tiefere, das waltete in diesen ungeheueren katastro­phalen Ereignissen; und das Bedauerliche ist ferner, daß man immer wieder und wiederum in die alte Bequemlichkeit zurüchgefallen ist, nach Außerlichkeiten, ich will nicht sagen nach Schlagworten, aber nach Schlagbegriffen, nach Schlagvorstellungen zu urteilen. Wenn die Er­eignisse schon ganz andere Urteile herausgefordert haben, hat man noch immer nach den alten Dingen geurteilt, und auch heute urteilt man noch immer vielfach nach den alten Dingen, statt die großen Fra­gen, die eigentlich jetzt jeder Tag aufstellt, wirklich sich ein wenig vor Augen zu führen.

Gerade mit Bezug auf das, was ich im Beginne der gestrigen Be­trachtungen angeregt habe, das Sich-Versenken in die Wahrheit der Tatsachen, ist es wichtig, jetzt etwas ins Auge zu fassen. In bezug auf viele Dinge ist ja nur ein Anfang da, aber es ist in bezug auf manches auch Entscheidendes eingetreten. Es ist dasjenige eingetreten, was sich vielleicht doch auch die siegenden Mächte der Gegenwart in einer andern

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Art von dem Schicksal der Mittelmächte nach dem Siege vor­gestellt haben. So wie es gekommen ist, dürfte es nicht gerade, wenig­stens nach viereinhalb Jahren, vorgestellt worden sein. Aber es wird mit diesen Entscheidungen etwas verknüpft sein, was allerdings dem Geisteswissenschafter klar werden sollte bei ganz objektiver Beurtei­lung der Sachlage. Der Krieg war ja lange kein Krieg mehr, und dasjenige, was sich die Leute noch immer vorstellen, daß in den näch­sten Wochen, oder, ich weiß schon nicht wann, als ein Friede geschlos­sen werden könnte, wird natürlich geradeso aussehen wie der kuriose Friede von Brest-Litowsk und alles dasjenige, was man gegenwärtig Friede nennt. Es ist nur eine alte Faulheit, noch immer daran zu glau­ben, daß die katastrophalen Ereignisse ausgehen können mit einem gewöhnlichen Friedensschlusse, wie es eine alte Faulheit ist, zu glauben, daß der Krieg ein Krieg geblieben ist, was er schon lange nicht mehr war; denn hinter ihm war dasjenige waltend, was sich durch Kleinig­keiten in abgekürzteren Erscheinungen, möchte ich sagen, zeigen kann.

Sie sehen heute, daß die sogenannte deutsche Revolution, die Revo­lution im ehemaligen Deutschen Reich, eine sonderbare Gestalt an­genommen hat. Wahrscheinlich haben sich die allermeisten Menschen, in Deutschland und außerhalb Deutschlands, nicht vorgestellt, daß die Dinge eine solche Gestalt annehmen. Sie haben eine solche Ge­stalt angenommen, weil die historischen Symptome - ich habe ja wirk­lich zu Ihnen recht lange gesprochen über historische Symptome -eben nur auf Tieferes zeigen, und schließlich ein Symptom sich so oder auch anders abspielen konnte. Schließlich ist dasjenige, was jetzt ge­schieht, alles nur die Folge davon, daß noch einen letzten Trumpf eine gewisse Partei innerhalb Deutschlands ausspielen wollte, die durchaus aufrechterhalten wollte dieses Deutschland, ein letztes Vabanque­Spielen: es sollte die Flotte, die ja noch nicht oder wenigstens nur durch Kleinigkeiten in Tätigkeit getreten war, veranlaßt werden, eine letzte Attacke, eine letzte Tätigkeit auszuführen. Darauf haben sich die Matrosen nicht eingelassen, und so ist denn von den Matrosen aus gerade diejenige Form - nur die Form selbstverständlich - der Revo­lution in Szene gesetzt worden, die dann gekommen ist.

Ich habe Ihnen nicht umsonst über die historische Symptomatologie

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gesprochen, damit dasjenige bei Ihnen wenigstens der Fall sein kann, was bei den Menschen der Gegenwart und der Zukunft recht stark der Fall sein sollte: die Beurteilung des Geschehenden aus den Symptomen heraus, die eben nicht so genommen werden sollen wie in der alten Geschichte, sondern eben als Symptome, als Offenbarungen von Wirk­lichkeiten, die erst hinter diesen Symptomen stehen, so daß man diese Symptome eben werten und wägen muß. Allein so, wie nun diese Entscheidungen, diese vorläufigen Entscheidungen da sind, so sind sie der Ausgangspunkt von Dingen, die, nachdem so vieles lange Zeit falsch bewertet worden ist, unter verschiedenartigen Einflüssen falsch bewertet worden ist, nun doch wenigstens von einigen Menschen rich­tiger bewertet werden sollten.

Sehen Sie: Was alles verbrochen worden ist, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, bei den Zentralmächten, was da die verschiedenen Machthaber gesündigt haben, was da an Unwahrhaftigkeit in den Er­eignissen gelegen hat, das wird zutage treten. So haben sich die Ereig­nisse entwickelt, daß die Welt bis ins kleinste in verhältnismäßig gar nicht ferner Zukunft erfahren wird alles das, was von den mitteleuro­päischen Machthabern gesündigt worden ist. Und ich selbst werde das­jenige, was ich von den Ereignissen weiß - und ich kann nur sagen, das Karma hat mir auch die Möglichkeit gegeben, recht, recht viel gerade von den entscheidenden Dingen in diesem Falle zu wissen -, mitteilen, und, wenn mir dazu das Leben ausreicht, alles dazu bei­tragen, daß Wahrheit an die Stelle von dem tritt, was der Welt bis­her vorgemacht worden ist. Aber auf der anderen Seite sind die Er­eignisse so, daß das nicht dazu zu führen scheint. Selbstverständlich müßten Sie gerade aus den Dingen, die hier besprochen worden sind im Laufe der Jahre, wissen, daß nicht eine geringere Unwahrheit auf der anderen Seite gewaltet hat. Glauben Sie, daß die auch haarklein vor die Menschen hinges teIlt werden wird? Dazu sind nicht einmal &e / Unterlagen der Beurteilung da! Nicht einmal die intellektuellen Unter-lagen der Beurteilung sind da, sondern alle Unterlagen sind dazu da, daß die Wahrheit weiter verhüllt bleibe.

Wenn ich die Stimmung, mit welcher man die Ereignisse beurteilt hat im August, September, Oktober, November 1914 mit Bezug auf dasjenige,

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was von den Mittelmächten angestellt worden war, in neutralen Ländern und in den feindlichen Ländern beurteile und mit jenem Wohl­wollen vergleiche, mit dem jetzt die unerhört grausamen Waffenstill­standsbedingungen für die Zentralmächte gewürdigt werden, mit jenem allgemeinen merkwürdigen Schweigen, mit dern man darüber hinweg-geht, daß diese Waffenstillstandsbedingungen, so wie sie waren und wie sie ja auch nach der Milderung bleiben werden, ein wahrhaftiges Todesurteil sind, dann bemerke ich einen Unterschied, einen ganz ge­waltigen Unterschied in dem Willen zum Urteil. Denn dieser Unter­schied im Willen zum Urteilen beruht auch noch darauf, daß kein Wille zum Urteil da war im August, September, Oktober, November 1914 und so weiter. Auf mancherlei vielleicht kann ich nur vermutungs­weise eingehen, was, wie gesagt, der Welt schon bekannt werden wird, während jetzt gar nicht notwendig ist, um zu einem Urteil zu kom­men, etwas anderes zu tun, als Paragraph für Paragraph zu lesen. Ich weiß, daß ich auch damit vor tauben Ohren spreche, nach vielen Rich­tungen hin vor tauben Ohren spreche, aber warum sollte denn nicht, wenn man die Verpflichtung hat, die Wahrheit auszusprechen ohne Sympathie und Antipathie, rein in ihrer Objektivität, dies selbst in die­sem Augenblicke, wo sie vielleicht nach dieser Richtung hin wenig gern gehört wird, warum sollte denn die Wahrheit nicht ausgesprochen wer­den, sintemalen ich nicht wissen kann, wie lange es noch gestattet sein wird, auch nur solche Wahrheiten auszusprechen. Diese Dinge spreche ich wahrhaftig nicht aus, um irgendeine Sympathie oder Antipathie zum Ausdruck zu bringen, sondern um eine blutig errungene Erkennt­nis pflichtgemäß eben auszusprechen. Im Zeitalter der Bewußtseins­seele ist es eben notwendig, wissend auf die Dinge einzugehen, und das Wissen zu dem Impulse auch seines Handelns und namentlich zu dem Impulse der Einsicht zu machen. Und Einsicht ist notwendig -das habe ich in diesen Tagen immer wieder und wiederum betont -, Einsicht wird für die Menschen des Bewußtseins-Zeitalters notwen­dig sein.

Es wird der Welt klar werden, daß all das Gerede, das seit vierein­halb Jahren mit Bezug auf die sogenannte Schuldfrage gewaltet hat, eben ein ganz oberflächliches Gerede war. Dasjenige, was sich vollzogen

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hat, ist viel mehr Tragik in einem höheren Sinne, als man von irgend­welcher Schuld sprechen kann, denn man kann nicht von Schuld spre­chen, wenn zum Beispiel einen großen Anteil an einer Folge von Er­eignissen die Unfähigkeit hat. Gewiß, die Unfähigkeit, wie ich Ihnen dargestellt habe, hat zum Beispiel bei den Mittelmächten an den maß­gebenden Stellen eine ungeheure Rolle gespielt, aber eben die absolute intellektuelle Unfähigkeit, auch die Unfähigkeit in der Beurteilung der Verhältnisse, im Urteilsvermögen und dergleichen. Es wird da notwendig sein, manches Wirkliche eben ins Auge zu fassen. Ich will nur auf eines hinweisen.

Nicht wahr, aus der Leidenschaft heraus läßt sich sehr, sehr vieles beurteilen, verurteilen, schief beurteilen und so weiter. Ja, derjenige, der auf Grundlage der Tatsachen spricht, der die Tatsachen kennt, der muß manche Fragen, die außerordentlich wichtige historische Fragen sind, in scharfen Konturen beantworten. Sehen Sie, natürlich nehmen sich die Dinge immer von verschiedenen Gesichtspunkten verschieden aus. Es gibt verschiedene Gründe, die man dafür anführen kann, war­um im August 1914 von Deutschland aus nach Frankreich hinüber auch ein Krieg zustande gekommen ist. Auf einiges habe ich schon auf­merksam gemacht. Man kann sagen: Nur derjenige, der wirklich den Willen hat, genau zu sprechen, kann über diese Verhältnisse die Dinge richtig ausdrücken. Es hat ja an einem Haar gehangen, kann man sagen, so wäre 1914 im August gar kein Zweifrontenkrieg zustandegekom­men, sondern der allerdings unvermeidliche Krieg gegen Rußland. Ich spreche jetzt von der Seite der Mittelmächte aus; die Sache sieht sich natürlich von anderer Seite anders an. Es hat an einem Haar gehangen. Woran hat es gehangen? Was ist dieses «Haar»? Nun, sehen Sie, der Herr, der jetzt in Holland sein soll und den insbesondere das Ausland so ungeheuer wichtig genommen hat, was ein großes, dem deutschen Volke angetanes Unrecht war, er war, wie Sie aus meiner Darstellung vor ein paar Tagen ersehen können, ein außerordentlich indiskreter Mann. Nicht wahr, als ihm - ich habe Ihnen dies erzählt - im Verlaufe der Jahre ein Bündnis angetragen war von Rußland und von Frank­reich, so daß ein Bündnis Rußland - Frankreich - Deutschland gegen England zustandegekommen wäre, da rühmte er sich 1908 in der berühmten

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Daily-Telegraf-Affäre, daß er sofort diesen Antrag von Ruß­land und Frankreich seiner Großmutter mitgeteilt hat und sich dadurch ein großes Verdienst um das Britische Reich erworben hat. Man konnte maßgebende Stellen fragen, wie es denn eigentlich mit dem Einfall in Belgien war. Schließlich war dieser Herr, den ich meine, oberster Kriegsherr und konnte entscheiden. Besagter Herr - bitte, wenden Sie nicht ein, daß viele Menschen in Europa das schon gewußt haben -, aber besagter Herr hat es eben nicht gewußt, daß in Belgien eingefallen wird, bis zum 29. Juli 1914. Und warum? Weil man es ihm nicht sagen konnte, denn hätte man es ihm heute gesagt, so hätte es morgen die ganze Welt gewußt, wenn all die Leute, wie Sven Hedin und so weiter, die ihn so bewunderten, zu ihm gekommen wären. Was ist das fur eine Anomalie, wenn strategisch ein Kriegsplan ausgearbeitet werden muß aus gewissen Gründen, die eben auf strategischer Basis ruhen, und der oberste Kriegsherr darf den allerwichtigsten Punkt, den Ausgangs­punkt überhaupt nicht wissen! Soll dabei etwas herauskommen, was dann in der gewöhnlichen Weise beurteilt werden kann?

Nun waren die Verhältnisse so, daß durch die europäische Konstel­lation, nun, also, durch die sehr, sehr unschuldigen Entente-Mächte -sie sind ja nach ihrer Ansicht ganz unschuldig, nicht wahr, an dern Ausbruch dieses Krieges -, daß durch diese sehr unschuldigen Entente­Mächte sich in Deutschland eben einmal seit langer Zeit, seit den neun­ziger Jahren, vielleicht noch früher, die Meinung ergeben hat: Man muß einmal einen Zweifrontenkrieg, einen Krieg links und rechts führen. -Ich weiß nicht, wie in andern Ländern die Verhältnisse liegen, ob man da in acht Tagen Kriegspläne macht! In Deutschland war es nicht so. Solch einen Kriegsplan zu machen, das dauert sehr lange. Man ändert ihn in einzelnen, sehr untergeordneten Partien ab, aber es dauert sehr lange. Dieser Kriegsp lan war jahrzehntelang gearbeitet, gewiß in Einzelheiten abgeändert, aber in bezug auf seine Hauptsache war er jahrzehntelang gearbeitet, war in allen Einzelheiten fertig. Sie dürfen doch nicht ver­gessen, daß Sie die Sache rein vom militärischen Standpunkte ansehen müssen; jetzt wird man es doch etwas objektiver können, nachdem der militärische Standpunkt in der Welt, wie es scheint, überwunden ist! Wenn Sie die Sache rein vom militärischen Standpunkte aus beurteilen,

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so werden Sie doch objektiver darüber urteilen. Es muß jeder einzelne Zug und alles, was verladen werden muß, festgelegt werden; der Ab­gang jedes einzelnen Zuges von da und dort, das Anstürmen jedes ein­zelnen Soldaten ist festgelegt in einem solchen Kriegsplan.

Nun, die Ereignisse überstürzten sich. Ich sage jetzt nichts Vollstän­diges, sondern ich will nur ein Pröbchen geben; es wird sich vielleicht schon einmal die Gelegenheit ergeben, vor dem Forum der Welt das Vollständige in allen Einzelheiten auseinanderzusetzen. Die Verhält­nisse, die hineindrängten in diese schaudervolle Katastrophe, sie über­stürzten sich so, daß innerhalb Deutschlands in den letzten Tagen des Juli tatsächlich die Frage von den verschiedensten Seiten her entstand:

Soll gegen Frankreich Krieg geführt werden oder nicht? Wird es not­wendig werden, daß gegen Frankreich Krieg geführt wird, wird es nicht vom politischen, sondern vom militärischen Gesichtspunkte aus notwendig sein, daß gegen Frankreich Krieg geführt wird? - Der oberste Kriegsherr, der sich vielleicht jede halbe Stunde zu etwas anderem zu entschließen in der Lage war, hatte wiederholt den ernsten Vorsatz, das Heer überhaupt nicht gegen Westen marschieren zu lassen, sondern nur gegen Osten. Und es hing an einem Faden im Benehmen der briti­schen Staatsmannschaft, so würde zwar Merkwürdiges geschehen sein, aber es würde sich darum gehandelt haben, ein gewisses Urteil, ich will sagen, auf eine kuriose Unterlage zu stellen. Unter den sich wider­sprechenden Dingen war auch schon befohlen, nun gar nicht gegen Westen zu ziehen, sondern ganz nur gegen Osten zu ziehen. Da war ein Bestimmtes dagegen, und aus dem, was dagegen war, können Sie entnehmen, wenn Sie es richtig erwägen, wie merkwürdig die Dinge im Weltengange liegen. Da war dagegen, daß der deutsche Generalstab einen Kriegsplan ausgearbeitet hatte, der einen Zweifrontenkrieg vor-sah, aber keinen Kriegsplan, der nur einen Einfrontenkrieg vorsah, denn so etwas war nicht strategisch vorauszusehen aus den europäischen Verhältnissen. Und der oberste Kriegsherr hat einmal zur Antwort bekommen: Ja, das können wir gar nicht machen, denn wenn wir bloß nach Osten marschieren sollen, haben wir eine ungeregelte, wüste chaotische Menge. Unser Kriegsplan ist nach zwei Fronten ausgearbei­tet; wir können gar nicht anders, als nach Westen marschieren. - Nun,

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Ordnung muß sein, aber man kann wahrhaftig, wenn man auch solch eine Antwort einmal auf eine Sache geben kann, nicht sagen, daß da irgendwie ein spitzbübischer Gedanke waltete, das oder jenes anzu­zetteln, sondern etwas ganz anderes. Und es ist noch gar nicht aus­gemacht, ob, wenn Zeit vorhanden gewesen wäre, auch einen Kriegs­plan so zu machen, daß der Zug nach Westen nicht die Voraussetzung für den ganzen Kriegsplan gewesen wäre, dann alle die Ereignisse ohne den Zug nach Westen geschehen wären. Die Frage berühre ich dabei nicht, ob das nicht ein riesiger welthistorischer Aufsitzer gewesen wäre, denn ich selbst glaube nie und nimmer, daß, wenn das deutsche Heer nach Osten marschiert wäre, die Franzosen schön ruhig geblieben waren. Aber ich erzähle eben Tatsachen und nicht Vermutungen und nicht Hypothesen; Tatsachen, welche geeignet sind, dern Urteil eine sachgemäße, eine wirklichkeitsgemäße Richtung zu geben.

Eine Vorstellung möchte ich davon hervorrufen, wie unendlich leichtsinnig es ist, wenn über die Schuldfrage so oder so gesprochen wird, namentlich nach den konfusen Rot- und Blau- und Gelb- und Blitzblaubüchern, die ausgeschrotet worden sind und die man nach jeder Richtung hin ausschroten kann, aus denen man alles mögliche machen kann. Sie werden vielleicht geneigt sein, hinter der ganzen Tatsachenfolge, die Sie mehr als Symptome ansehen, doch etwas Tie­feres zu vermuten als dasjenige, was in oberflächlicher Weise so be­urteilt werden darf, wie es vielfach in den letzten Jahren geschehen ist. Solches müssen Sie berücksichtigen, wie ich es Ihnen jetzt nur probe­weise angedeutet habe. Die Dinge, die diesem katastrophalen Welt­ereignisse zugrunde liegen, sind ja im Grunde genommen unglaublich. Man muß sie eben als Tatsachen kennen, wenn man auf sie ein Urteil fußen will. Und nicht anders liegt es in den sogenannten Entente­ländern.

Nun hat sich aber aus dem, was die Menschheit Krieg genannt hat und wovon sie den Gedanken gehegt hat, daß er durch einen Frieden abgelöst wird, dasjenige entwickelt, was ein Anfang erst ist. Ich habe hier in einem bestimmten Zeitpunkte gesagt: Man sehe auf die Dinge, die sich im Innern Rußlands abspielen, und man hat etwas viel Wich­tigeres, wenn man Zukunftsfragen ins Auge faßt, als dasjenige, wovon

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die Menschen in den letzten Zeiten noch sehr illusionär gesprochen haben als von einem Krieg und einem Frieden, der darauf folgen sollte.

Es ist vieles entfesselt worden. Aber wenigstens das sollte verstanden werden, was da entfesselt worden ist. Sehen Sie: In Wirklichkeit haben eigentlich kaum viele literarische Erscheinungen, schriftstellerische Er­scheinungen eine so ungeheuer breite Wirkung gehabt als diejenigen von Karl Marx. 1848 erschien von ihm das sogenannte «Kommunisti­sche Manifest», worinnen die hauptsächlichsten Impulse der sozial­demokratischen Lebensauffassung kurz zusammengefaßt waren. Es klang dann aus, dieses Kommunistische Manifest, in die Worte: Prole­tarier aller Länder, vereinigt Euch! - Von demselben Karl Marx, der unterstützt wurde von seinem Freund Engels, rührt dann her das Buch über die «Politische Ukonomie» und das Buch «Das Kapital». Was als Prinzipien diesen Büchern zugrunde liegt, ist tatsächlich über die ganze Erde hin Wissen, Vorstellungswelt geworden des tonangeben­den Proletariats. In eindringlichster Weise hat sich das tonangebende Proletariat mit dern auseinandergesetzt, das aufgenommen, was gerade Marxismus ist.

Schon äußerlich betachtet - aber dieses Außerliche ist vielleicht ge­rade das wichtigste Innerliche - ist Karl Marx und seine Leistungen etwas, was, ich möchte sagen, aus der zivilisierten Welt Europas her­ausgeboren ist und auch wiederum tief in das Territorium dieser zivili­sierten Welt hineingewirkt hat, in die proletarische Welt, den prole­tarischen Teil der zivilisierten Welt. Karl Marxens Persönlichkeit und Werk ist nicht ganz einfach. Erstens trägt es eine ganz bestimmte Grundstruktur. Das ist ein angeborener Scharfsinn, außerordentlicher Scharfsinn, der immer eine gewisse Wirkung hat. Nicht wahr, man kann sich diese Wirkung schon an etwas veranschaulichen, was schein­bar fernsteht, was einem aber die Sache veranschaulichen kann. Sehen Sie: der bourgeoiseste, der philiströseste, der eigentliche Spießer-Philo­soph, Kant, Immanuel Kant - namentlich für die akademischen Spießer ist er ja der Grundphilosoph -, warum wird er denn eigentlich für so besonders geistreich angesehen? Nun, ich habe noch keinen Universi­tätsprofessor erlebt, der den Hegel oder den Schelling verstanden hätte, aber manche - sogar Universitätsprofessoren - habe ich erlebt, die

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wenigstens annähernd ein Kant-Verständnis sich erworben haben. Nun, da denken sie: Ich bin ein gescheiter Mann - so denkt natürlich ein solcher Herr -, und da es mich eine solche Anstrengung kostet, den Kant zu verstehen und ich ihn zuletzt doch verstanden habe, so ist der Kant auch ein gescheiter Mann, und da es mich als einem so auserlesenen Mann solche Anstrengung gekostet hat, ihn zu verstehen, so muß der Kant der allerauserlesenste Mensch sein. - So ungefähr ist die Emp­findung, die diese Leute haben. Es ist die Spießer-Empfindung, die an die akademischen Spießer und ihren Anhang, ihren journalistischen und andern Anhang, dann übergeht. So etwas ähnliches wirkte schon auch auf das Proletariat in dem Verständnis von Karl Marx, der ein sehr scharfsinniger Mann war. Man hat einige Schwierigkeiten zum Verständnis. Der Proletarier strengt sich mehr an, als mancher der Durchschnitts-Spießer, wollte sagen Durchschnitts-Bourgeois geneigt ist, sich anzustrengen, selbst wenn er proletarische Bücher liest. Der Proletarier strengt sich schon mehr an, seinen Karl Marx zu verstehen; namentlich schätzt er auch, was Anstrengung kostet. Es kostet wahr­haftig mehr Anstrengung, die Impulse der Proletarierwelt in den Bü­chern von Karl Marx aufzunehmen, als es der Bourgeoisie vielleicht Mühe gekostet hat, ihre Nationalökonomen zu verstehen. Aber das tun ja die wenigsten, sondern es haben sich eine Anzahl besonders volisaftiger Bourgeois auch damit begnügt, das Proletarierleben aus Hauptmanns «Webern» kennenzulernen. Da kann man das Ver­gnügen, nicht wahr, sehr schön mit der Kenntnisnahme verknüpfen und dergleichen. Das ist das erste bei Karl Marx: ein gewisser an-geborener Scharfsinn.

Dann ist aber nicht zu leugnen, daß die Dialektik eine große ist bei Karl Marx. Diese Dialektik, dieses Vermögen, in Begriffen zu arbeiten, was den meisten Menschen heute ganz fehlt - unserer gesamten offi­ziellen Wissenschaft fehlt diese Dialektik -, diese Kunst, in Begriffen als Realitäten zu arbeiten, die hatte Karl Marx von Hegel, denn er war in dieser Beziehung ein Schüler Hegels. So daß man sagen kann: Aus deutschem Volkstum heraus hatte Karl Marx seine Dialektik, die Kunst, in Begriffen zu arbeiten. - Den sozialistischen Impetus hatte er aus dern Franzosentum heraus, wo besonders Saint-Simon und Louis Blanc

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auf ihn einen großen Einfluß gewonnen haben, so daß er vereinigte dasjenige, was der deutsche Hegelianer in fein ausgearbeiteten, plasti­schen, scharfkonturierten Begriffen entwickelt, mit dern revolutionären Impuls, dem revolutionären Impetus eines Saint-Simon und Louis Blanc. Und dieses wiederum, was da in ihm war, das konnte sich nur dadurch zum Ausdrucke bringen, wie es sich gebracht hat, daß Karl Marx nach London, nach England gegangen ist und dort durch das Studium der wirtschaftlichen Verhältnisse diese ganze Art zu denken und diese Art zu fühlen - das eine aus dem Deutschen, das andere aus dem Französischen - nun durdistudiert hat an englischen Verhältnissen, wodurch er das Ganze nur auf die materiellen wirtschaftlichen Ver­hältnisse angewendet hat. So ist dasjenige, was so geboren ist, wie ich es Ihnen dargestellt habe: Der Proletarier aus dern Industrie- und Maschinenzeitalter heraus, aus dern Mechanismus heraus, was also an seiner Quelle ja nur in England beobachtet werden konnte, weil es zunächst nur dort zum Ausdruck gekommen ist bis zum Jahre 1848 hin, das ist von Karl Marx begriffen worden mit Hegelscher Dialektik. Und dasjenige, was mit Hegelscher Dialektik begriffen worden ist, in dem waltet als, ich möchte sagen, Schlagkraft der ganze revolutionäre Impetus eines Louis Blanc oder eines Saint-Simon Also Sie sehen:

Aus Bestandteilen, die deutsch, französisch, englisch sind, auf der Grundlage des scharfsinnigen Semitismus, der dern Karl Marx, denn er war Jude, im Blute lag - das ist selbstverständlich nur ganz objektiv gemeint -, so aus vier Ingredienzien zusammen ist dasjenige geistig-chemisch zusammengesetzt, was dieser Karl Marx dem Proletariat als wirksamste Waffe - denn es ist eine geistige Waffe - geliefert hat. Daher auch die eindringliche Wirkung, diese unbegrenzte Wir­kung. Natürlich ist in zahlreichen populären Schriften das weiter ver­breitet worden. Alle Verhältnisse sind von diesem Gesichtspunkt aus beurteilt worden.

Ja gewiß, dasjenige, was sich so vorbereitet hat im Laufe der Jahr­zehnte, man kann es eigentlich nur dadurch wirklich abwägen, daß man zum Beispiel, sagen wir, sich Kenntnis davon erworben hat, nun, ich will sagen, wie in bourgeoisen Kreisen von irgendeinem Professor über Lessing gesprochen worden ist, und dann in Proletarierkreisen über

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Lessing gesprochen worden ist auf marxistische Weise. Beide Dinge sind wirklich ganz verschieden voneinander.

Sehen Sie, die Wirkung dieses Marxismus ist keineswegs aus. Dieser Marxismus enthält nämlich sehr Bedeutsames. Durch diesen Marxis­mus - der also dadurch entstanden ist, daß ein gut hegelisch gebildeter Deutscher durch die Verhältnisse über Frankreich nach London ge­kommen ist und dort dasjenige, was in seinem Denken von Hegels Schule her lag, was in seinem Empfinden von Louis Blanc und Saint-Simon lag, angewendet hat auf die äußeren, rein materiellen Verhält­nisse der modernen Welt -, dadurch hat in der Tat dasjenige, was der modernste Impuls des britischen Staatswesens ist - des Staatswesens, nicht des britischen Volkes, sondern des Staatswesens, des Staatsgefüges, der sozialen Ordnung -, seinen Einzug gehalten in die Welt. Es ist nur der Anfang dieses Einzuges. Die erste Phase dieses Einzuges ist schon der Marxismus. Sie müssen nicht vergessen: Über dem lagert all dasjenige, was im allerbesten Sinne auf manchem Gebiete englische Tradition ist, denn es muß wirklich unterschieden werden zwischen dem, was zum Beispiel englische Tradition ist, und jenem Ungeheuer,_welches sich gebildet hat auf Grundlage nicht allein des britischen Volkstumes, sondern der geographischen Verhältnisse der Neuzeit und der ganzen geschichtlichen Verhältnisse, was das_Britische Reich ist. Die erste Aus­strahlung ist gewissermaßen der Marxismus. Diese Ausstrahlungen werden weitergehen. Denn aus dem, was jetzt als eine Basis daliegt, werden sich allerlei Zukunftsperspektiven ergeben. Da muß vor allen Dingen heute folgendes in Erwägung gezogen werden.

Sehen Sie, dasjenige, was das deutsche Element in der modernen Zivilisation ist, das spielt ja im Grunde genommen eine recht andere Rolle als andere Volkselemente. Schließlich können Sie das an Einzel­heiten betrachten. Die Welt hat sich angewöhnt, das Deutsche zu identi­fizieren mit den Mittelmächten. Nun ja, was haben denn schließlich diese Deutschen als Deutsche mit dem einen oder mit dern andern Reiche zu tun? Was haben die Deutschen Österreichs mit der Haus-monarchie der Habsburger zu tun? Niemals wären die Deutschen Öster-reichs in Italien die verhaßtesten Menschen, wenn nicht die Deutschen Österreichs genau ebenso behandelt worden wären vom Hause Habsburg

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wie der geringe Teil der Italiener, die unter dem Hause Habs­burg waren. Die Deutschen haben zum mindesten vom Hause Habsburg geradesoviel gelitten, wie irgendwelcher Italiener gelitten hat, nur daß die Deutschen jetzt die Tragik haben, gehaßt zu werden von den­jenigen, mit denen sie das gleiche gelitten haben. Und so ist es durch alles hindurch. Ein Verständnis fehlt des ganz und gar unnationalen Wesens der Deutschen, die für Europa der Sauerteig waren, aber nie­mals irgendein nationales Wesen oder irgend etwas national Aggres­sives überhaupt gehabt haben. Das liegt nicht in dern deutschen Grund-charakter, es ist aufgepfropft von verschiedenen Seiten her. Dieses Deutsche hatte nichts Besonderes zu tun, weder mit dern Hause Habs­burg, von dern es unterjocht war, noch mit dern anderen Herrscher-hause, und es ist kein Grund, das deutsche Wesen damit zu verwech­seln. Das aber geschieht in der Welt, und das geschieht, kann man sagen, mit einer gewissen Wonne. Das geschieht auch von Völkern, denen wahrhaftig kein Hindernis entgegenstand, sich als Einheit zu fühlen, vielleicht nur mit Ausnahme einiger Splitter, die ihnen ent­rissen worden sind. Aber man sollte doch die Hauptsache nicht ver­gessen: Das, was deutsches Volk ist, war nie eigentlich dazu veranlagt, irgendeine Einheit zu bilden. Es w ürden die allerbesten Eigenschaften verlorengehen, wenn die Deutschen so leben wollten, daß sie eine ab­strakte Einheit, eine Volkseinheit bilden wurden. Natürlich, unter dern Einflusse mancher europäischer Impulse haben unorganisch - zum Bei­spiel bei Goethe nie, aber bei anderen - gewisse Einheitsbestrebungen, wie sie in Italien waren, auch innerhalb des deutschen Volkes gelebt. Sie waren stark vom Jahre 1848 bis in die fünfziger, sechziger Jahre hinein. Aber das ging ja immer parallel vor allen Dingen mit einer Sehnsucht des deutschen Wesens, sich in die Welt hineinzuversenken. Und das ist ja erreicht worden in einer ganz besonderen Ausdehnung. Bedenken Sie doch, daß Sie kaum so verständnisvolle literarische Er­zeugnisse von einem Volk zum andern finden werden in der Wür­digung der anderen Völker wie innerhalb des deutschen Schrifttums. Es gibt zum Beispiel ein schönes Buch, welches wirklich in intimer Weise gerecht wird den schönsten und bedeutendsten, auch signifikantesten Impulsen, die im französischen Wesen von der Revolution bis zum

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zweiten Napoleon geltend waren, ein Buch, das heißt: «Die französische Staatsform und der Bonapartismus», ein Buch, das liebevoll eingeht gerade auf die signifikantesten Impulse in der französischen Entwicke­lung dieses neunzehnten Jahrhunderts. Der Verfasser dieses Buches heißt nämlich Heinrich von Treitschke. Das Buch ist geschrieben in der Zeit von 1865 bis 1871. Es ist eine vollständige Würdigung des Fran­zosentums und des italienischen Wesens in diesem Buch von Heinrich von Treitschke: «Die französische Staatsform und der Bonapartismus». So allerlei interessante Einzelheiten könnte ich Ihnen da anführen, aus denen Sie allerlei erblicken würden über die Wahrheit, der man nicht geneigt ist, ein Ohr zu leihen in der Welt. Ganz gewiß hat es niemals ein so verständnisvolles Sprechen über englisches und amerikanisches Wesen von einem Fremdvolke her gegeben wie dasjenige, was Herman Grimm entfaltet über die Amerikaner und über die Engländer.

Man darf natürlich nicht vergessen, daß auch alle möglichen anderen Dinge, die nicht aus dem deutschen Volkstum heraus sind, herein-gespielt haben. Auf die Albernheit will ich gar nicht eingehen, die Deutschtum verwechselt mit etwas, was so undeutsch ist wie möglich, mit dem Alldeutschtum, wie man es gewohnt worden ist zu nennen. Nun, es ist eben eine Albernheit, deutsches Wesen am Alldeutschtum messen zu wollen. Anders kann man das nicht sagen. Aber wenn doch irgendeinmal Bestrebungen aufgetaucht sind, daß so etwas zustande­kommen sollte wie eine deutsche Einheit, was ja ohnedies nicht sehr lange wirksam gewesen wäre - ja, studieren Sie einmal die Geschichte von 1866 bis 1870, was in Frankreich dazumal gesagt worden ist zu der erstrebten deutschen Einheit! Die konnte man nicht vertragen, die wollte man auf keinen Fall haben.

Das sind schon Dinge, die die Frage auftauchen lassen: Warum eigent­lich wird denn über deutsches Wesen so viel geschimpft? - Und da ist ein Quell von Unwahrhaftigkeit in der Welt, der ganz furchtbar ist, und der der Ausgangspunkt sein wird von wirksamer Unwahrheit. Aber dasjenige, was deutsches Wesen ist und was in einer gewissen Weise unorganisch gegliedert war seit dem Jahre 1871, das wird doch seine Aufgabe in der Welt haben, wenn es auch heute ein Greuel ist für viele Menschen, von der Aufgabe des deutschen Wesens zu sprechen.

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Es wird doch seine Aufgabe in der Welt haben. Wenn Sie bisher einen verständigen Menschen gefragt haben - ich will zum Beispiel unter diesen verständigen Menschen, die sich besonders klar über die Sache ausgesprochen haben, Heinrich Heine anführen -, da hat man zwei Pole angeführt, von denen aus seit langem zwei ganz verschiedene Grundrichtungen des menschlichen Denkens gegangen sind. Wir wer­den darauf noch näher einzugehen haben. Ich habe einer Dame, die mich bei meiner letzten Anwesenheit hier im Jahre 1917 gefragt hat, welches die Mission des Judentums in der Welt ist, gesagt dazumal:

Das wird schon auch noch kommen, daß ich darüber zu sprechen habe. Heinrich Heine hat angegeben diese zwei Pole, aus denen sich ge­wissermaßen nährt dasjenige, was an Impulsen von einem gewissen Gesichtspunkte aus in der Menschheit ist: Heinrich Heine hat an­gegeben das Judentum auf der einen Seite, das Griechentum auf der anderen Seite. Nun, das Judentum hat sich immer als der Großsiegel­bewahrer_zu erweisen gehabt für die menschliche Fähigkeit der Ab­straktion, für die menschliche Fähigkeit, die Denkweise, die Welt­anschauung zu vereinheitlichen. Das Griechentum hat immer die Auf­gabe, der Welt zu bringen dasjenige, was an Bildhaftigkeit, an ima­ginativem Elemente lebt. Die Weltanschauung , die Lebensauffassung des modernen Proletariats hat alles zunächst aufgenommen vom Ju­dentum, aber noch nichts vom Griechentum, weil ihm das imaginative Element vollständig fehlt. Das wird es noch erhalten müssen. Im Laufe der künftigen Zeit wird dann das dritte kommen, denn sunalle Dinge bestehen aus einer Trinität, und zum Judentum und Griechentum wird das Deutschtum treten im Laufe der Zeit - das wird die Trinität sein -, wenn jener Materialismus stark gefressen haben wird an der moder­nen Welt im Zeitalter der Bewußtseinsseele, der seinen Anfang ge­nommen hat mit jener Phase, die mit dem Marxismus von dern Briti­schen Reich in die Welt gestrahlt ist.

Dieser Materialismus, der von dern Britischen Reich und von Ame­rika aus die Welt überstrahlen wird, der hat ja seine Grundlagen gelegt; vergessen wir nicht, die Grundlagen sind gediegen gelegt. Und solche Dinge kommen doch in Betracht, daß zum Beispiel unmittelbar vor dern Kriege England, dazumal auch noch Rußland - aber das

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kommt nicht mehr in Betracht -, Frankreich, Belgien und Portugal zusammen 23 3/4 Millionen englische Quadratmeilen an Kolonialbesitz hatten mit 470 Millionen Menschen auf diesem Kolonialbesitz lebend. Deutschland und die Vereinigten Staaten hatten zusammen nur 1 Mil­lion englische Quadratmeilen Kolonialbesitz mit 23 Millionen Men­schen; es wird jetzt anders werden, nicht wahr, die englischsprechende Bevölkerung ist nun geeinigt. Also: England, Frankreich, Portugal, Belgien, und dann war mit etwas, was wenig in Betracht kommt, Ruß­land dabei: 23,8 Millionen Quadratmeilen mit 470 Millionen Men­schen; dagegen Deutschland und die Vereinigten Staaten dazu - die haben ja jetzt die Welt erlöst - mit 1 Million englischer Quadratmeilen Kolonialbesitz und 23 Millionen Menschen. Der Grund ist gut gelegt. Aus diesem Grunde wird sich die materialistische und immer materia­listischere, weil bloß in die wirtschaftlichen Verhältnisse hineingehende Kultur entwickeln, jene Kultur, deren erste Betonung, deren erste Nuance eben dadurch gekommen ist, denn da ist es schon im Aus­gangspunkte gelegen. Man vergleiche Lassalle Karl Marx, Lassalle, der ja nur gewisse Ahnlichkeiten mit Karl Marx hat: den natürlichen Scharfsinn und den Hegelianismus, aber er hat das nicht durchgemacht, nicht das französische und nicht das englische Wesen, wie Karl Marx. Daher ist in ihm eine gewisse dialektische, auch eine gewisse scharfsinnige Auffassung der modernen Arbeiterbewegung, aber nicht das Wirksame, das im marxistischen System lag. Dieses marxistische System ist eben so entstanden, daß die Dialektik des deutschen Wesens sich ihren Inhalt geholt hat aus der materiellen Kultur, aus der mate­riellen Reinkultur der britischen Sozietät, des britischen Zusammen­hanges, nicht des Volkstums, aber des Reidiszusammenhanges, des sich bildenden Imperiums.

Nun, die Dinge wirken nach. Dasjenige, was geschehen ist, wird ja aus den künftigen Strömungen das französische Volkstum fast ganz ausschalten, das wird nur noch wenig Bedeutung haben. Zu den Be­siegten gehört schon auch das französische Volkstum. Das ist ganz gewiß in die Zukunftsperspektive einzubeziehen - und ich werde Ihnen morgen noch genauer darüber sprechen -, daß das französische Volks­tum durch die Konstellation der Ereignisse ausgeschaltet ist für die

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zukünftige Wirkung in der Welt. Die Weltenherrschaft geht eben über auf die englischsprechenden Reiche.

Aber wenn der erste Pol geschaffen wurde dadurch, daß Karl Marx mit einer gewissen Dialektik, die er sich aus der Hegelschen Schule ge­holt hat, sich in die materiellen Verhältnisse des Britischen Reiches hin­einversetzt hat, so wird die Zukunft noch etwas anderes wirken. Heute kann es selbstverständlich ausgeschrotet werden nach den verschieden­sten Richtungen hin, und man kann sagen, das, was ich sage, sei nur die Fortsetzung - nun, ich weiß nicht, was es da alles für Albernheiten in der Welt noch gibt - von deutschen Welteroberungsplänen oder so etwas. Und doch muß gesagt werden, was eine Wahrheit ist, die ebenso perspektivisch feststeht wie andere Wahrheiten: Geradeso, wie der deutsche Hegelianer Marx nach England gegangen ist, nach dem mate­riellen England gegangen ist, um von dort heraus die erste Phase der materiellen Kultur zu absorbieren, so wird, wenn diese materielle Kul­tur, die ja eine aufsteigende und eine absteigende Kurve haben wird, die eine gewisse Art von Geistigkeit vernichten wird, - wenn diese materielle Kultur aus dem eigenen englischen Volke die Gegenbewe­gung herauserzeugt haben wird, wenn diejenigen, von denen ich auch schon gesprochen habe, die sich auflehnen zum Beispiel gegen den furditbarsten Grundsatz der Nützlichkeitslehre: «Das höchste Gut der Menschen besteht in dem größten Glück der größtmöglichen Anzahl>, wogegen heute schon gerade von okkultistischer Seite aus remonstriert wird, Gehör finden, wenn einmal die Dinge so weit sein werden, daß dasjenige, was vom Britischen Reiche als materielle Kultur yersengend und das Geistige ausrottend über die Erde als die Weltenherrschaft im Zeitalter der Bewußtseinsseele sich verbreitet, wenn das sich verbreitet haben wird, dann wird aus dern britischen Volke selbst heraus die Opposition erwachsen. Man wird das Bedürfnis haben, zü sundemsunsunsunsunsunzu kommen, was geblieben ist vom Goetheanismus, der im deutschen Volkstum wurzelt, um von dern heraus den Impuls zu suchen, wie die Welt wiederum gesunden kann. Man wird zu dern dritten Elemente gehen. So wie die Menschen studiert haben, lange nachdem das Juden­tum gefallen war als politische Macht, die jüdischen Impulse, so wie die ganze moderne Bildung, nachdem die Römer das Griechentum zerstört

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haben, auf dern Griechenturn basiert, so wird die Gesundung der Welt doch einmal basieren auf demjenigen, was geholt wird aus deut­schem Goetheanismus. Dazu sollte einmal ein Denkmal errichtet wer­den. Mag dieses Denkmal selbst dieses oder jenes Schicksal erfahren, der Entschluß ist das Wichtige: daß der Entschluß einmal gefaßt wor­den ist.

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FÜNFTER VORTRAG Dornach 17. November 1918

Frau Dr. Steiner wird heute vor dem Vortrage den «Chor der Urtriebe» zu Ende rezitieren, den Teil, der von ihr noch nicht rezitiert worden ist. Ich möchte dem einige Worte vorausschicken, die ich Sie bitte, ja bitte, nicht anzüglich zu nehmen; sie sollen nur ganz sach­lich gemeint sein. Wir haben das so eingerichtet, daß der Vortrag doch so beginnt, daß unsere Züricher Freunde ihn hoffentlich zu Ende oder wenigstens bis zu einem solchen Punkte hören können, daß ihnen nichts Besonderes mehr entgeht. Und ich möchte nur im Anschlusse an man­cherlei Wünsche, mehr oder weniger selbstverständlich berechtigte Wünsche, die da oder dort aufgetreten sind, eine Bemerkung nicht unterdrücken. Das ist diese, daß ich es nicht im Sinne unserer Bewe­gung halten würde, wenn etwa die Meinung allzustark einreißen sollte:

Es ist das Hauptsächlichste in unserer Bewegung schon getan, wenn man das Inhaltliche der Vorträge, die hier gehalten werden, ins Auge faßt. Unsere Bewegung soll drinnenstehen im Ganzen der Zeit, und sie soll berücksichtigen die Dinge, die aus den Forderungen der Zeit heraus-fließen. Und Sie können ganz sicher sein, daß wir auch dasjenige, was Sie glauben durch Aufnahme des Inhaltesuns der Vorträge zu erreichen, daß wir das nicht erreichen werden, wenn wir uns nicht entgegenkommend, verständnisvoll entgegenkommend zeigen gerade den neueren künst­lerischen Betrebungen, die innerhalb unserer Bewegung eingeschlagen werden. Insbesondere gilt ja das natürlich von der eurythmischen Kunst, die in gewisser Beziehung eine neue Kunst sein soll und die als neue Kunst empfunden werden soll, gegenüber allem Ähnlichen auch als neue Kunst empfunden werden soll. Aber ich selbst möchte, daß es bemerkt würde, daß es auch gilt in bezug auf das Rezitatorische. Was man mit Bezug auf das Rezitieren eigentlich, wenn man künstlerische Empfindung in der Welt entfalten möchte, erleidet, das ist etwas un­geheuer Großes, etwas schrecklich Leidvolles, was einem da passiert. Es ist ja wirklich von uns ausgebildet worden eine gewisse Methode, die im Sinne unserer geisteswissenschaftlichen Bewegung liegt, gerade

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auch mit Bezug auf die rezitative, die rezitatorische Kunst namentlich. Und, nicht wahr, das möchte ich nicht, daß es nur so angesehen würde, als ob es, nun ja, aus einer Liebhaberei von dern oder jenem nun auch als Beigabe zu unserer Sache gegeben wird; nein, es ist mit eine der wichtigsten Sachen, daß wir uns in eine neue künstlerische Empfin­dungsweise hineinfinden. Bezüglich des Rezitierens haben die meisten Menschen, die - nun, wie soll ich es nennen, damit ich nicht den Aus­druck, der mir auf den Lippen liegt, gebrauche - die primitivsten Vor-stellungen. Eigentlich glaubt man doch, rezitieren könne ein jeder, und Rezitieren sei keine besondere Kunst. Rezitieren ist in gewisser Bezie­hung eine der schwierigsten Künste, weil man sich das Material erst sehr langsam und allmählich erarbeitet. Und da wir gerade anstreben, das künstlerisch geformte Wort zur Geltung zu bringen, und dieses mit ein Wesentliches ist, daß Interesse da ist in der zukünftigen sozialen Ordnung der Menschheit für solche Dinge, daß dieses Interesse nicht verlorengeht, daß nicht da auch allmählich Platz greife die allgemeine bourgeoise Versumpfung, die gerade auf einem solchen Gebiete sich außerordentlich geltend macht, wie es das Rezitatorische ist, was jeder nur für ein Lesen hält, das streben wir an, und das bitte ich, nicht als eine Nebensache zu betrachten, die man unter Umständen, weil die Züge so oder so gehen, eben auf jede beliebige Tag- oder Nachtstunde auch verlegen kann.

Wie gesagt, es sollte gar nicht anzüglich sein, was ich gesagt habe; aber ich hatte diese meine Meinung mit Bezug auf das, was sonst oft­mals nur als Rankenwerk angesehen wird zu unserer Sache, eben ein­mal aussprechen wollen.

Nun soll der Schluß vom «Chor der Urtriebe» von Fercher von Steinwand zur Rezitation kommen.

Dasjenige, wovon ich in diesen Betrachtungen ausgegangen bin: von der Notwendigkeit, die in den Tatsachen der Welt wirkende Wahrheit zu empfinden - ich könnte auch sagen, die wirkende Vernunft oder den wirkenden Geist zu empfinden -, das muß ja ganz besonders Anwen­dung finden in dern Verständnis, das man sich nun einmal erwerben muß im Zeitalter der Bewußtseinsseele, in dem Verständnis dieses katastrophalen

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Ereignisses, in dern wir drinnenstehen. Denn im Grunde genommen ist dieses Ereignis ausgegangen von, man möchte sagen, einem Schein, in dem die Menschen gelebt haben. Ich habe es Ihnen nach den verschiedensten Richtungen angedeutet; das könnte weiter ausgeführt werden. Allein Sie haben schon gesehen, daß die Menschen, die beteiligt waren an dem Ausbruche, an dern letzten Ausbruche dieses katastrophalen Ereignisses, sich eigentlich in Scheinen bewegten, daß sie voll waren von Phantasmen und Illusionen, daß sie weit entfernt waren, in der Wirklichkeit drinnenzustehen. Doch muß man sagen, daß im Laufe der Jahre eigentlich immer mehr und mehr aus dem, was man falsch benannt hat, weil man eben in Illusionen und Scheinen lebte, aus dem, worüber man falsch geschimpft hat, weil man in Illu­sionen und Scheinen lebte, sich allmählich, langsam entwickelte das­jenige, was die Wahrheit der Sache selbst enthielt. Das ist bis jetzt zum Teil schon herausgekommen und wird im Laufe der nächsten Jahre noch mehr herauskommen. Daß es sich nicht handelte um einen Krieg im alten Sinne zwischen einer Mächtegruppe und der anderen Mächte-gruppe, der in einem gewöhnlichen Sinne auch durch einen Friedens­schluß beendet werden kann, darauf habe ich ja schon öfter hingewie­sen; daß es sich vielmehr handelte um dasjenige, was als Aufwogen in den sozialen Kämpfen sich abspielen wird, was die verschiedensten Formen annehmen wird. Daß das, was allmählich als Wahrheit her­vortreten wird: die sozialen Kämpfe, daß dieses, ich möchte sagen, er­griffen hat den an der Oberfläche schwimmenden Schein, sich zunächst auslebt ganz in dem an der Oberfläche schwimmenden Schein, in den Illusionen und Phantasmen, die Taten geworden sind, ist dasjenige, was man ins Auge fassen soll. Und ins Auge fassen soll man, was nun eigentlich lebt in den letzten Konflikten der Gegenwart, was sich in diesen Konflikten der Gegenwart eigentlich in Wirklichkeit verbirgt. Man kann es nicht, ohne daß man immer wieder und wiederum hin­weist darauf, wie das Denken und Vorstellen der Menschen, selbst die ganze Lebensauffassung, sich entfernt hat von etwas, was Menschen notwendig ist mit Bezug auf das Weltverständnis, was aber gerade unter dern Einfluß der neueren Entwickelung der Menschheit verloren­gegangen ist. Unsere Geisteswissenschaft hat ja im eminentesten Sinne

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die Aufgabe, auf dieses Verlorene im modernen Sinne wiederum zu-rückzugreifen und es dem Menschen, dem es so notwendig wird in der Gegenwart und gegen die Zukunft hin, wiederum nahezubringen.

Ich habe öfter von den verschiedenen Gesichtspunkten auf den drei-geteilten Menschen, auf die dreigeteilte Welt hingewiesen, darauf hin­gewiesen, daß es notwendig ist, außer dem, was man gewöhnlich Mensch nennt, noch wenigstens zwei andere Gliederungen im Men­schen zu unterscheiden; in dem, was man Welt nennt, andere Gliede­rungen noch zu unterscheiden. Bei all diesen Dingen kommt es nicht darauf an, ob man, was ich aus gewissen Gründen getan habe, aus den Forderungen der Geisteswissenschaft heraus das eine so oder so nennt, oder ob man es aus Ahnungen heraus nennt, wie Fercher von Stein-wand in seinem «Geisterzögling». Da, wo er spricht von dem, was Sie in meiner «Theosophie» benannt finden die Seelenwelt, da spricht er von «Sinnheim»; aus Gründen, die auseinanderzusetzen jetzt zu weit führen würden, spricht er bei dem, was ich das Geisterland genannt habe, von «Wahnheim», meint aber nicht bloß ein Heim, wo der Wahn etwa ist, sondern indem er von «Wahnheim» spricht, meint er eigent­lich das Geisterland. Es kommt darauf an, daß man sich in diese Dinge wirklich auf irgendeine Art vertiefe und sie für das Leben ernst nehme. Man kann sagen: Mit dern allmählich verglimmenden Griechentum ging eigentlich der Menschheit in ihrer Entwickelung vom dritten bis fünften nachatlantischen Zeitraum hin recht, recht viel verloren, was in einer anderen Form, eben vom Gesichtspunkt der neuen Geistes­wissenschaft, wiederum erweckt werden muß, wenn auch in das soziale Chaos, das sich jetzt entwickeln wird, Ordnung hineingebracht werden soll. Denn man muß immer wieder und wiederum betonen: Das Wich­tigste ist heute, daß die wirtschaftliche Kontinuitat nicht zerrissen wird, sondern daß gewissermaßen auf dem Felde des wirtschaftlichen Lebens ein Provisorium geschaffen und auch als Provisorium empfunden wird, daß aber daneben tatsächlich in die Hand genommen werde allgemeine Aufklärung über dasjenige, was aufzuklären der Menschheit so not­wendig ist. Man kann nicht mit den Begriffen, die heute schon da sind, eine neue soziale Ordnung gründen. Da ist es am allerbesten, man ver­sucht sich in verständnisvoller Art abzufinden mit dem, was nun einmal

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als die notwendigsten Forderungen zutage tritt, schafft ein Provi­sorium, damit die wirtschaftliche Kontinuität nicht verlorengeht, und sorgt aber dafür, daß an dern Ende angefangen werde, wo ja der An­fang so nötig ist: auf dem Wege der Erziehung, des Unterrichtswesens im weitesten Sinne, auf dern Wege der Schaffung von Gedanken, die vom Verständnis des Menschen ausgehen in die Köpfe der Menschen hinein. Denn nur mit dern Schaffen von Gedanken in die Köpfe der Men­schen hinein können Sie etwas anfangen. Wenn nur diese Gedanken erst da sind in den Menschenköpfen! Sie haben es ja nicht zu tun mit Porzellanfiguren, die Sie beliebig da- und dorthin stellen können, denen Sie beliebige Ordnungen aufdrängen können, sondern Sie haben es zu tun mit Menschen, die erst die Möglichkeit gewinnen müssen, Verständnis zu haben für dasjenige, was im Entwickelungs- und Werde­gang der Menschheit notwendig ist. Das Ausgehen vom Menschen hat dahin zu führen, daß allmählich überhaupt in die Köpfe der Menschen Aufklärung komme über dasjenige, was die Menschen zusammen sind -nenne man es nun Reich, nenne man es Staat, nenne man es Demokra­tie, nenne man es wie man will, auf alle diese Dinge kommt es jasun viel weniger an, als auf die Sache. In den Köpfen der Menschen ist über dieses Zusammenleben, über diese Form des Zusammenlebens in den Vorstellungen der reine Brei entstanden, so daß die Menschen gar nicht mehr sich wirklich konkrete plastische Vorstellungen bilden können, warum das eine da ist, warum das andere da ist.

Aus der Urweisheit heraus, die auf atavistische Art, wie ich es Ihnen öfter auseinandergesetzt habe, von der Menschheit erworben worden ist, in vollbewußter Art aber wiederum errungen werden muß vom Zeitalter der Bewußtseinsseele, aus dieser Urweisheit heraus hat Plato den Menschen dreigegliedert. Das sieht man heute als etwas Kindliches an. Das ist aber aus einer sehr tiefen Weisheit heraus, aus einer Weis­heit, die wahrlich tiefer ist als dasjenige, was heute über den Menschen, sei es von Naturwissenschaft, sei es von Nationalökonomie oder von anderen Wissenschaften an unseren Universitäten gelehrt wird.

Plato hat den Menschen dreigeteilt. Wir gliedern heute etwas anders, aber man hat ein Bewußtsein dieser Dreiteilung noch bis in das acht­zehnte Jahrhundert hinein gehabt. Dann ist es erst ganz verlorengegangen.

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Und die Menschen des neunzehnten Jahrhunderts, diese so gescheiten, so aufgeklärten Menschen haben über diese Dreiteilung in ihrer konkreten Form nur gelacht, lachen bis heute. Plato teilte den Menschen, den man verstehen muß, wenn man die gesellschaftliche Struktur verstehen will, zunächst in den Menschen, welcher die Weis­heit entfaltet, Erkenntnis, Wissen, den logischen Teil der Seele, das­jenige, was wir an den Kopf-Organismus knüpfen, als sein Wissen an seinen Sinnes- und Nerven-Organismus knüpfen. Plato unterschied dann den sogenannten tatkräftigen, zornmütigen Teil der Seele, den irasziblen, den mutigen, tapferen Teil der Seele, alles dasjenige, was wir an das rhythmische Leben knüpfen. Sie brauchen nur in meinem Buch «Von Seelenrätseln» nachzulesen. Dann unterschied er den Be­gierdemenschen, den Menschen, insoferne er Quell des Begehrungsver­mögens ist, alles das, was wir jetzt in viel vollkommenerer Form kennen; das konnte Plato knüpfen physisch an den Stoffwechsel, spiri­tuell an die Intuition, so wie wir sie meinen in unserer Dreigliederung des höheren Erkenntnisvermögens: Imagination, Inspiration, Intuition. Man kann nicht verstehen, was in der gesellschaftlichen Struktur der Menschheit vorgeht und wie sich die gesellschaftlichen Strukturen aus-leben, wenn man den Menschen nicht selbst kennenlernt nach dieser seiner dreigliedrigen Beschaffenheit. Denn der Mensch ist ja nicht so in der Welt, in der er als Angehöriger des physischen Planes ist, daß er diese drei Glieder auch in bezug auf ihre inneren, intimen Gestaltun­gen und Eigenschaften gleichmäßig ausbildet, sondern er bildet sie in verschiedener Art aus; der eine bildet den einen Teil mehr aus, der andere bildet den anderen Teil mehr aus. Und auf der verschieden­artigen Ausbildung der Teile beruht namentlich die Heranbildung der Klassen, wie sie sich im Laufe der Entwickelung der europäischen Menschheit mit ihrem amerikanischen Anhang ergeben hat.

Man kann sagen: Der Teil, der hauptsächlich das rhythmische Leben ins Auge faßte, der Erziehung, Zusammenleben, soziale Anschauung so einrichtete, daß das rhythmische Leben dabei dasjenige war, was man vorzugsweise als das Menschliche fühlte, das ist der Stand oder die Klasse, die sich als der alte Adelsstand herausgebildet hat. Wenn Sie sich denken eine gesellschaftliche Struktur, entstanden dadurch, daß

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Menschen hauptsächlich sich fühlten als Brustmenschen, dann haben Sie dasjenige, was die Gruppe des Adels, der Adelsklasse ausmacht. Wenn Sie sich denken diejenigen Menschen, welche vorzugsweise die Kopfkräfte, den weisen Teil ausbilden - jetzt sage ich auch einmal etwas, was vielleicht versöhnen kann mit mancherlei, was ich gesagt habe -, diejenigen Menschen, die in der Klasse zusammengeschlossen waren, die vorzugsweise den weisen Teil ausbildet, den Kopf, den Sinnes- und Nerventeil, so ist das diejenige Gruppe, die sich all­mählich zusammengeschlossen hat im Bürgerstande, in der Bourgeoisie. Diejenigensun Menschen, die ja heute die weitaus zahllosesten bilden, die sich vorzugsweise zusammengeschlossen haben in alledem - Sie wissen aber, die Intuition hängt geistig mit dem Stoffwechsel zusammen -, das seinen Quell im Wollen, im Stoffwechsel hat, das ist das Proletariat. So daß tatsächlich die Menschen sozial so gegliedert sind, wie der Mensch im einzelnen gegliedert ist.

Nun muß man allerdings die besondere Natur des menschlichen Zusammenschlusses erkennen. Und in dieser Beziehung ist geradezu für das Bewußtsein, für die Vorstellungsgewinnüng der Menschen noch alles zu tun, denn in bezug auf das, was ich jetzt meine, hat gerade die moderne Menschheit die allerverkehrtesten Vorstellungen. Diese moderne Menschheit hat es ja sogar dahin gebracht, sich vorzustellen, daß der Mensch als einzelnes Wesen weniger vollkommen ist denn als Staatstier, daß der Mensch etwas gewinne dadurch, daß er Glied eines Staatswesens wird, und es wird sehr schwer werden, in die Köpfe die Vorstellung hineinzubringen, daß der Mensch dadurch, daß er sich in einen staatlichen Organismus hineingliedert, nichts gewinne, sondern verliert. So verliert er auch, indem er sich in Stände hineingliedert, in Klassen hineingliedert. Dasjenige, was der Mensch im einzelnen ent­wickelt, das wird dadurch, daß es in der sozialen Struktur in der Mehr­heit lebt, nicht etwa gefördert, sondern es wird abgelährnt, es wird unterdrückt.

So unterdrücken die Traditionen, die Vorstellungen der Adelskaste die ürindividuellen Kräfte des Brustmenschen. Also nicht, daß sie sie fördern, sondern sie unterdrücken sie, sie lähmen sie zurück. Darauf kommt es an. Es kommt darauf an, einzusehen, daß zwar in der

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Gruppe der adeligen Menschen diejenigen Menschen vereinigt sind, deren Seelen bei einer Verkörperung vorzugsweise hintendieren nach dem Brustmenschen, daß aber die äußere Vereinigung auf dern physi­schen Plan ablähmt dasjenige, was aus dem Brüstmenschen herauskom­men würde. Es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen das im einzelnen zeigen würde. Aber nehmen Sie nur einmal an, daß zum Beispiel das, was Ehrgefühl ist, sich auf ganz individuelle Weise aus dern Brust­menschen heraus entwickelt; der äußere Ehrbegriff aber, der ist gerade dazu da, das Äußere zu schaffen, damit das Innere schlafen kann. Alle Zusammenfügüng ist eigentlich dazu da, auf äußerliche Weise etwas zu konstituieren, damit das Innerliche, Ursprüngliche, Elementare schlafen kann. Ich brauche nicht wiederum an Roseggers Ausspruch, den ich ja schon oft angeführt habe, zu erinnern: Oaner is a Mensch, Mehre san Leit und Vüle san Viecher. - Der Mensch ist tatsächlich dasjenige, was er ist, aus den elementaren Kräften heraus als Indivi­dualität. Das versuchte ich auch in wissenschaftlicher Grundlegung zu zeigen in meiner «Philosophie der Freiheit».

Alles dasjenige nun, wonach das moderne Proletariat strebt, das ist nicht geeignet, das, was in ihm gerade elementar wirkt, zur Vollen­dung zu bringen, sondern es geradezu zu unterdrücken, es in den Hin­tergrund zu drängen, abzulähmen. Und heute ist die Zeit, wo man so etwas einsehen muß, wo man nur weiterkommt, wenn man die Dinge durchschaut. Denn die instinktiven Kräfte - das habe ich öfter ausge­führt -, die wirken nicht mehr. Und die Bourgeoisie - jetzt kommt die Kehrseite der Sache -, die ist in ihrem Zusammenschlüsse haupt­sächlich dagewesen, um herabzulähmen die Weisheit. Die Menschen haben sich schon zusammengefunden in der Bourgeoisie, deren Seelen hineingestrebt haben, um den Kopfmenschen auszubilden; aber nament­lich die sogenannteWissenschaftlichkeit der sozialen Bourgeoisie, die hat eine solche Struktur bewirkt, daß der Kopfmensch möglichst kopflos geworden ist. Und er erweist sich ja immer mehr und mehr gegenüber dem Anstürmen der neueren Zeit als ein recht kopfloses Wesen.

Nun, auf der einen Seite hat sich in ausgesprochener Weise, in signifi­kanter Art herausgebildet diese menschliche Gliederung. Aber man hatte den Verständnisanschlüß versäumt; man konnte nicht mehr sich Vorstellungen

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bilden über die Art, wie man unter den Menschen lebt, denn man hatte verloren das Verständnis für den dreigliedrigen Menschen. Es würde zum Beispiel notwendig sein - und so etwas würde auch ge­schehen müssen, bevor man daran gehen kann, eine neue soziale Ord­nung zu begründen irgendwo oder irgendwann -, es wird zum Beispiel notwendig sein, alles das, was zusammenhängt mit dem Impulse des Brüstmenschen, zu studieren. Und erst, wenn man das wirklich stu­diert, nicht so, wie es sich die Theosophen denken, sondern so, wie es der Wirklichkeit entspricht, erst dann bekommt man eine wahrhafte Wissenschaft von der Art, wie Arbeit, Erträgnis der Arbeit, Lohn, Rente, Kapital, Produktionsmittel und so weiter in der Welt angeord­net werden müssen unter den instinktiven Forderungen der neueren Zeit. Soweit wie möglich entfernt ist dasjenige, was man offiziell Natio­nalökonomie nennt, die eigentlich nur ein Spiel mit Begriffen ündWorten ist und die hoffentlich recht bald verschwinden wird vom wissenschaft­lichen Schauplatz, so weit entfernt als möglich ist das von dem, was herauskommt, wenn man wirklich den Menschen studiert als Brust-menschen, wo dann herauskommt, was mit Bezug auf die Verteilung der Arbeit, der Produktionsmittel, des Grundes und Bodens und so weiter, als Forderung in der Menschheitsentwickelüng verlangt wer­den muß. Ebenso muß studiert werden dasjenige, was mit dem Kopfmenschen, mit dem Sinnes- und Nervenmenschen zusammenhängt im weitesten Umfange, wiederum nicht so abstrakt, wie es sich die Theosophen vorstellen, sondern es muß in aller Konkretheit studiert werden, was der Mensch ist in der Sinneswelt als ein geistiges, als ein spirituelles Geschöpf mit anderen Menschen zusammen in der Gesell­schaft, mit anderen Menschen zusammen in irgendeiner, sei es staat­lichen oder sonstigen Struktur. Es muß aus der Beschaffenheit des Ner­ven- und Sinnesmenschen studiert werden. Das Studium des Nerven-und Sinnesmenschen gibt eine wirkliche Gesellschaftswissenschaft. Und endlich das Studium des Stoffwechselmenschen, der mit der Intuition zusammenhängt, das gibt erst eine wirkliche Anschauung über die Ent­wickelung, über das Werden des Menschen, das gibt erst eine geschicht­liche Auffassung der Menschheitsentwickelung.

Nun werden Sie leicht verstehen, daß man weder eine geschichtliche

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Auffassung der Menschheitsentwickelung haben konnte, ohne den mikrokosmischen Menschen wirklich zu verstehen, noch auch eine wirk­liche Anschauung über die Verteilung der wirtschaftlichen Werte, weil man den Brustmenschen nicht studiert; noch konnte man verstehen, wie der einzelne individuelle Mensch in der menschlichen Gesellschaft drinnensteht, weil man den Kopfmenschen, eben den Sinnes- und Ner­venmenschen, in seiner Wirklichkeit, in seinem ganzen Züsammenhange mit dem Kosmos und seiner geschichtlichen Entwickelung nicht stu­diert; denn man hatte alle diese Dinge eigentlich aus dern Auge ver­loren. Man hat sich seit Jahrhunderten keine Vorstellung mehr über diese Dinge gemacht oder hat nur gelacht über diese Dinge. Daher ist vor allen Dingen in den Vorstellungen und dann auch in der Wirklich­keit das Chaos gekommen.

Nun entstanden aus derjenigen Menschenklasse, welche sozusagen durch das moderne Leben, das sich nun nicht richtete nach den zurück­gebliebenen Vorstellungen, sondern das weiterging, aus jener Klasse, welche geradezu durch das moderne Leben herausgebildet worden ist, da entstanden Forderungen. Das moderne Proletariat ist aus dem modernen Maschinenwesen, Industriewesen, aus der Mechanisierung der Welt heraus entstanden. Daraus entwickelten sich die Forderungen, weil dieses moderne Proletariat in Gegensatz trat zu denjenigen, die die Maschinen als Produktionsmittel besorgen konnten.

Sehen Sie, die Impulse zur Weltanschauung dieses Proletariats ka­men aus dern Stoffwechselmenschen. Aber natürlich steht der Mensch mit den anderen Gliedern in Berührung. Dadurch bildeten sich von da ausgehend Ansichten über dasjenige, was auch aus den anderen Gliedern Impulse des dreigliedrigen Menschen ausstrahlte; es bildeten sich Ansichten, die eine Notwendigkeit waren auf der Grundlage der proletarischen Menschenkaste. Es bildeten sich Anschauungen mit Hilfe dessen, was das Bürgertum als Wissenschaft begründet hatte. Denn die Proletarier hatten ja nur die Wissenschaft von den vier oder, was weiß ich, sechs Fakultäten, zu denen sie jetzt angewachsen sind, die das Bür­gertum geschaffen hat, geerbt. Mit der rein bürgerlichen Wissenschaft versuchten die Proletarier allmählich sich Vorstellungen zu machen in dern Zeitalter der Bewußtseinsseele über dasjenige, worinnen sie lebten

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als in der sozialen Struktur. Das konnte natürlich nicht genügen. Aus all den scharfsinnigen und sonstigen Grundlagen heraus, aber wieder­um, weil er eben ein Kind seiner Zeit war und gar nichts ahnte von dern Vorhandensein einer Geisteswissenschaft, wie wir sie denken, schuf gerade als Ausdruck dessen, was die Instinkte des Proletariats elementar aus sich selbst heraus entwickeln, eben der gestern erwähnte Karl Marx den Proletariern eine Wissenschaft.

Dieser Karl Marx ist von den Proletariern eben anders behandelt worden, als die sogenannten Größen von der Bourgeoisie in den letz­ten Jahrhunderten behandelt worden sind. Er ist wirklich eingedrun­gen in das ganze Denken des Proletariats über die zivilisierte und indu­strialisierte Erde hin. Er beherrschte die Gedanken der Proletarier, und er hat diese Gedanken ausgebildet zu einer Lehre. Ja, zum erstenmal eigentlich sind Gedanken Tatsachen geworden, denn die Gedanken der Bourgeoisie sind keine Tatsachen, sind aus Illusionen erwachsen, auch wenn man noch so sehr glaubt, daß sie auf wirklich positiver Wissen­schaft fußen. Aber die Gedanken von Karl Marx sind im Proletariat Tatsachen geworden und leben als Tatsachen und wirken sich als Tat­sachen aus, so wie sich Tatsachen auswirken, mit allem Widerspruch des Lebens, mit aller Kontradiktion, die im Leben auftritt, mit aller Dis­harmonie, mit allem Befruchtenden und Zerstörenden und Lähmen­den, mit dern das Leben auftritt. In den Instinkten, im Unterbewußt­sein der Menschen wirkt mehr, insbesondere in unserem Zeitalter, als in seinem Bewußtsein. Ins Bewußtsein wurde der dreigliedrige Mensch nicht aufgenommen; aber aus Instinkten, und deshalb ungenügend und die Wirklichkeit zwar befrüchtend, Gedanken in Taten ümsetzend, aber sie ungenügend in Taten umsetzend, so hat Karl Marx seine Lehre von der «politischen Ökonomie» begründet. Sie drang schon 1848 her­vor in dem «Kommunistischen Manifest», von dern ich gestern sprach, dann in seinem Buch von der «Politischen Ökonomie», das 1859 er­schien, in dern Jahr, das an allerlei Hervorbringungen so unendlich fruchtbar war, wenigstens am Ende der fünfziger Jahre noch. Es ge­hört zu dern Verschiedenen, was am Ende der fünfziger Jahre aufge­treten ist, auch dieses Buch über die «Politische Ökonomie» von Karl Marx.

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Um andere Sachen zu erwähnen: Es trat gleichzeitig auf - und da ist ein innerer Zusammenhang - die Spektralanalyse von Bunsen. In demselben Jahr ungefähr wurde auch mehr bekannt dasjenige, was man Darwinismus nennt, sowie dasjenige, was auf der einen Seite un­endlich anregend gewirkt hat, aber auf der anderen Seite wiederum die Psychologie in Wirrnisse hineingebracht hat: Gustav Theodor Fechners «Vorschule der Ästhetik», die dann zu einer Psychophysik geführt hat. Das gehört auch zu diesem Jahre; noch manches andere könnte man anführen. Es sind innere Gründe, daß das miteinander auftrat aus bürgerlicher Wissenschaft heraus. Denn Hegel ist auch bürgerliche Wissenschaft, tiefsinnige bürgerliche Wissenschaft. Aber aus bürgerlicher Wissenschaft heraus versuchte Karl Marx die soziale Struk­tur der Menschen zu verstehen. So wie er sie verstand, leuchtete es dem Proletariat ein. Aber es war vergessen dasjenige, was das aller­wichtigste ist: die Kenntnis des dreigliedrigen Menschen. Die vor allen Dingen muß in die Köpfe der Menschen hinein, bevor man irgendwie fruchtbar weiterkommen kann, nicht theoretisch, sondern indem man wirklich sich hineinlebt in die Situation, die die Gegenwart herauf-gebracht hat. Sehen Sie, man kann sagen: Dreigliedrig trat die Welt auch Marx entgegen. Auch diese physisch-sinnliche Welt trat Karl Marx dreigliedrig entgegen, und so suchte er sie auf dreierlei Art zu ent­rätseln: erstens durch seine Wertlehre, die Mehrwertstheorie - ich habe Ihnen davon schon einiges erwähnt -, zweitens durch seine materia­listische Geschichtsauffassüng, und drittens durch seine Anschauung von der Vergesellschaftüng des Menschen. Es ist merkwürdig, wie ganz im Sinne der chaotischen Entwickelung der neueren Zeit sich im Kopfe von Karl Marx, und in der Weise, in diesem Sinne, wie ich es erörtert habe, in den Köpfen von Millionen von Menschen in Millionen von Proletariern, es ist interessant, wie sich da malt die dreigliedrige gesell­schaftliche Struktur, ohne daß man wirkliche, gediegene, auf Grund­lagen fußende Vorstellungen hat über das, was der Mensch als Wesen­heit lebt und indem er in die Welt als Geisteswesen eintritt.

Indem ungenügend, instinktiv wirken die Impulse des Brüstmen­schen, des rhythmischen Menschen, in welchem das eigentliche Reser­voir dessen ist, was dann Arbeit wird im gesellschaftlichen Leben, indem

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das in ungenügender Weise in die Vorstellungen von Karl Marx und damit in proletarische Vorstellungen hineinkam, entwickelte sich die sogenannte Mehrwertstheorie. Wir wollen noch einmal diese Mehr­wertstheorie von einem anderen Gesichtspunkte aus betrachten, als wir das neulich getan haben. Die hauptsächlichste Frage für Karl Marx war: Wie wird eigentlich Wert, sei es so und so gearteter Wert, in der modernen Wirtschaft erzielt? - Es ist ja nicht wahr - darauf kam Karl Marx -, daß in der modernen Wirtschaft dasjenige, was der Mensch zum Beispiel als Entlöhnung erhält, wirklich zusammenhängt mit dem, was er leistet. Solche Illusionsvorstellungen können sich nur die­jenigen Menschen machen, die das wirtschaftliche Leben nicht durch­schauen, daß man glaubt, der Mensch erwirbt das, was entspricht seiner Arbeit, seiner Leistung. Das ist ja nicht der Fall. Dasjenige, was ein Mensch erwerben kann irn modernen wirtschaftlichen Leben, wie es sich durch die letzten vier Jahrhunderte namentlich in der zivilisierten Welt entwickelt hat, was der Mensch erwerben kann, ist ja gebunden nicht an irgendein Verhältnis zwischen Erwerb und Arbeit, sondern es ist gebunden an die Warenzirkulation. Dasjenige, was ein Mensch er­werben kann, hängt ganz wesentlich davon ab, wie Werte erzeugt wer­den, indem man Waren auf den Markt bringt, verkauft und dafür so und so viel einnimmt. Das ist dasjenige, was den volkswirtschaftlichen Wert erzeugt. Nicht die Arbeit als solche erzeugt heute unmittelbar den Wert, volkswirtschaftlich gedacht, sondern was man dafür be-kommt auf dern Warenrnarkt, wenn sie fertiggestellt ist und in Zirku­lation gebracht wird durch die verschiedensten Faktoren. So daß eigentlich bei der Erzeugung von volkswirtschaftlichen Werten in der modernen Welt nach nichts anderem gefragt werden kann als: Wie stellt sich die Konstellation auf dem Warenmarkt für das eine oder andere? - In weitestem Urnfange muß das gedacht werden; aber wenn man es in diesem Umfange denkt, so ist es so.

Nun kam Karl Marx darauf, auszusprechen, was instinktiv fühlten diejenigen Menschen, die ins Proletarische gedrängt wurden durch die Lebensverhältnisse, durch ihr Karma. Wenn der Marktwert der Ware eigentlich allein wirklich das Wertverhältnis produziert für alles, was heute vorhanden ist und die Grundlage eines jeglichen Erwerbes ist, so

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kann es doch unmöglich wahr sein, daß irgendwie ein Arbeiter faktisch entlohnt wird für dasjenige, was er als Arbeit leistet. Denn dasjenige, was man als Arbeit leistet, hat ja keinen Wert in der Zirkulation in der Volkswirtschaft, sondern es hat einen Wert erst dasjenige, was Ware geworden ist. Und da kam Marx zu der Formulierung desjenigen, was eben die Proletarier aus ihren Instinkten heraus fühlten: zu der For­mulierung, daß dasjenige, worauf es in der modernen Volkswirtschaft beim Arbeiter ankommt, gar nicht als Leistung, als Tätigkeit, als Her­vorbringüng taxiert wird, sondern daß auch das als Ware taxiert wird, als die Ware «Arbeitskraft». Man kauft, das formulierte Karl Marx, man kauft Kirschen, man kauft Hemden, Hosen und so weiter, aber man kauft auch die Ware Arbeitskraft. Derjenige, der die Produktions­mittel hat, derjenige, der den Grund und Boden hat, verkauft Kir­schen, verkauft Getreide, verkauft Hosen oder Röcke, verkauft Ma­schinen; derjenige, der nicht die Produktionsmittel hat, der besitzlos ist im modernen Volkswirtschaftsleben, der kann auf den Markt nur dasjenige bringen, was seine Arbeitskraft ist. Da muß er allerdings selber mitgehen. Aber nur das hat einen wirklichen volkswirtschaft­lichen Wert, was als Warenwert seiner Arbeit in Betracht kommt.

Was heißt das aber? Das heißt: Man muß nachdenken darüber, wie man Ware bezahlt. Ware bezahlt man zunächst nach dem, was not­wendig ist für die Herstellung. Was nachher aus der Ware geschieht auf dem Markt, das ist etwas ganz anderes. Man bezahlt Ware zu­nächst nach der Herstellung. Nicht wahr, man geht zu dern Kirsch­baumbesitzer, und der verkauft einem die Ware; da verfrachtet man sie und so weiter, da wird im Zirkülationsprozesse erst der Warenwert bestimmt. Aber die Ware Arbeitskraft muß gewissermaßen an ihrer Quelle eingekauft werden. Der Mensch selber muß sie demjenigen, der sie kaufen will, entgegentragen. Der Mensch muß immer dabei sein. Wonach kann also die Entschädigung, der Kaufpreis der Ware Arbeits­kraft bestehen? Ja, danach, was die Herstellungskosten sind. Da muß man nachdenken, wieviel Stunden täglicher Arbeit notwendig sind, um einen Arbeiter mit Bezug auf seine Arbeitskraft instand zu halten, das heißt, so instand zu halten, daß er genährt ist, gekleidet ist und so weiter. Da muß man darüber nachdenken, wieviel verschiedenste andere

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Menschen arbeiten müssen, wieviel Zeit sie arbeiten müssen; sagen wir zum Beispiel, fünf oder sechs Stunden muß gearbeitet werden, um so viel Lebensmittel, so viel Kleidung und anderes herbeizuschaffen, was notwendig ist, um einen Arbeiter eben als mit Arbeitskraft aus­gerüstet, so daß man sie kaufen kann, auf den Arbeitsmarkt hinaus­zuversetzen. Für dasjenige, was notwendig ist, um den Arbeiter in­stand zu halten, um die Ware Arbeitskraft zu erzeugen, für das gibt der Bourgeois seine Entschädigung. Er bezahlt dasjenige, was notwendig ist, um Ernährung, Bekleidung und so weiter des Arbeiters zu ermög­lichen, seine Familienbedürfnisse und dergleichen, wenn solche vor­handen sind. Dazu sind zum Beispiel fünf bis sechs Stunden Arbeit notwendig. Der Arbeiter verkauft sich aber, und indem er sich ver­kauft, kommt er durch den allgemeinen Zirkulationsprozeß in die Not­wendigkeit hinein, länger zu arbeiten als, sagen wir, fünf bis sechs Stunden. Da arbeitet er dann für denjenigen, der der Unternehmer ist. Da wird der Mehrwert erzeugt. Nur dadurch, daß Arbeitskraft im modernen Zirkülationsprozeß Ware ist und daß man Ware nach den Herstellungskosten bezahlt, dann den Arbeiter länger arbeiten läßt, als er arbeiten würde, wenn er nur dasjenige wieder erarbeitet, was für ihn notwendig ist, dadurch wird im modernen Wirtschaftsleben der Mehrwert erzeugt.

Das ist etwas, was eben mit einer Hegelschen Dialektik Karl Marx in seinen Büchern verarbeitet hat. Das ist etwas, was dern Proletariat ungeheuer eingeleuchtet hat, weil es eine Wissenschaft ist, die sozusagen den Menschen in seiner Ganzheit nimmt, denn es ergreift nicht nur den theoretischen Verstand, es ergreift auch in einem gewissen Sinne die moralischen Empfindungen, indem der Arbeiter zwar weiß, man sagt ihm politisch: Du bist ein freier Mensch - aber dadurch, daß nur Waren im modernen Volkswirtschaftsleben einen Wert haben und nur Waren bezahlt werden, wird seine Arbeitskraft im modernen Zirkülations-prozeß zur Ware gemacht. Dadurch schaut er hin auf den Mehrwert, der nicht nur durch Arbeit erzeugt wird, sondern durch bloße Speku­lation, durch Unternehmungsgeist, was immer.

Aber es bildet sich dadurch etwas anderes heraus. Dadurch bildet sich für den Arbeiter, ganz im Sinne von Marx, ein Bewußtsein heraus:

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All die Redereien, daß man durch Brüderlichkeit, daß man durch Mild­tätigkeit, daß man durch Wohltätigkeitssinn irgend etwas erreichen kann, das sind immer Redereien, das müssen soziale Phrasen sein. -Denn er sieht ja das, was sich da herausgebildet hat: daß Arbeitskraft, seine Arbeitskraft, Ware geworden ist, das sieht er als eine Notwendig­keit in der modernen Entwickelung an, und er sagt: Nun, mag der Fabrikant noch so wohltätig, noch so brüderlich, noch so menschen-freundlich gesinnt sein, er kann ja gar nicht anders - dazu zwingt ihn die geschichtliche Entwickelung -, als die Ware Arbeitskraft kaufen für ihre Herstellungskosten und dann das andere in seiner Art dern Zirku­lationsprozesse zuführen. Es hat daher gar keinen Wert für irgendein soziales Denken, wenn man Moral predigt, wenn man spekuliert auf Impulse von Brüderlichkeit, von Menschenfreundlichkeit, denn auf alles das kommt es nicht an. Der Unternehmer kann nicht anders als den Mehrwert einheimsen.

Das sind die Dinge, die außerordentlich wichtig sind: daß dern Prole­tarier sozusagen eingebleut wurde, daß es ja gar nicht von der Moral oder Unmoral des Unternehmertums abhänge, daß er in einem men­schenunwürdigen Dasein ist, sondern daß das eine historische Notwen­digkeit ist, daß das aber auch mit historischer Notwendigkeit zum Klassenkampf führen muß; das heißt, daß es gar nicht anders geht, als daß derjenige, der der Proletarierkaste angehört, bekämpft denjenigen, der der Besitzerklasse angehört, denn sie sind durch den historischen Prozeß selber Gegner. Das kann also nicht anders geschehen, als daß durch den mächtigen sozialen Proletarierkampf eine andere Ordnung komme als diejenige ist, die die letzten vier Jahrhunderte oder die bis­herige geschichtliche Entwickelung auf den Plan gerufen hat. Was der Proletarier will, das ist so unendlich wichtig, das ist Geschichte machen, aus Gedanken heraus Geschichte machen, indem er sich sagt: Da es ein­mal in der modernen Wirtschaftsentwickelung dazu gekommen ist, daß nur Waren bezahlt werden, ich also als Proletarier meine Arbeitskraft als Ware verkaufen muß, die anderen aber etwas haben, was nicht aus der Ware Arbeitskraft hervorgeht, sondern vom Mehrwert stammt, so will ich selbst an dem Mehrwert mitpartizipieren, will nicht den Unternehmer abschaffen - denn der Unternehmer ist hervorgebracht

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durch den notwendigen historischen Prozeß -, sondern will selber Unternehmer werden, will mich als Proletarier, als Gesellschafter, kommunistisch der Produktionsmittel bemächtigen; dann bin ich als Gesellschafter selber Unternehmer. Nur dadurch kann der Klassen­kampf wegfallen, wenn ich nicht mehr den Unternehmer neben mir habe, sondern selber Unternehmer bin. - Vorrücken zu der nächsten historischen Phase, das ist es, was aus der marxistischen Lehre für den Proletarier folgt, Geschichte machen, wenn das auch mehr oder weniger Kautskyisch oder mehr Leninisch oder Trotzkiisch dargestellt werden kann, was verschiedene Schattierungen sind. Aber es liegt das, was ich gesagt habe mit Bezug auf das eine, was man in seiner richtigen Grund­lage erkennt: nämlich alles aufzubauen auf den Brüstmenschen, auf den Rhythmüsmenschen, es liegt das dern Bewußtsein des modernen Proletariats zugrunde. Es ist etwas, was anders gesehen werden sollte, mit riesiger Kraft gesehen und Tat geworden. Und es gibt keine andere Heilung, als die Sache zu durchschauen; es gibt keine andere Heilung, nachdem die bürgerliche Bildung mit all ihrem Universitäts­wesen versäumt hat, in diese Dinge hineinzüleuchten, da sie gar nicht einmal die wissenschaftlichen Methoden hat, um hineinzüleuchten, es gibt keine andere Möglichkeit als: ein Provisorium zu schaffen, daß die wirtschaftliche Kontinuität nicht verloren gehe, und für Aufklä­rung von unten auf zu wirken. Von da muß ausgegangen werden. Aufklärung von unten auf kann nur geschehen, indem man wirklich wiederum die Erkenntnis des dreigliedrigen Menschen in den Menschen der Gegenwart hineinb ringt.

Aber selbstverständlich, wenn Sie heute zu dern modernen Prole­tarier so sprechen, wie ich jetzt zu Ihnen nach aditzelitijähriger Vor­bereitung spreche, dann werden Sie von ihm nicht verstanden, sondern ausgelacht werden. Sie müssen zu ihm in seiner Sprache sprechen. Dazu müssen Sie natürlich zunächst selber die Dinge beherrschen und dann den guten Willen haben, auf die Sprache, die dort verstanden wird, einzugehen. Sehen Sie, diese Mehrwertslehre, die ist so, daß sie wirklich, ich möchte sagen, mit geschlossener Hegelscher Dialektik aufgebaut ist. Das Kuriose dabei ist: Als Karl Marx in den achtziger Jahren starb, 1883 starb, da waren die bürgerlichen Nationalökonomen, wie sie

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sich später nannten, Sozialwissenschafter und so weiter, sehr geneigt zu sagen: Nun, sozialistischer Agitator - hat keinen wissenschaftlichen Wert; wissenschaftlicher Sozialist! - Man sagt das gewöhnlich mit einem gewissen büttrigen Mund, mit dern büttrigen Munde des Fach­menschen, der die Dinge beherrscht. Nun ja, das war dazumal so. Aber diese bürgerliche Wissenschaft hat es nicht dazu gebracht, die Dinge zu vertiefen, höchstens Leute wie Sombart und ähnliche Menschen, sie haben einiges aufgenommen, sie haben sich anstecken lassen. Das eigentliche bürgerliche Publikum, das ging ja vorbei an dem Fühlen und Denken des Proletariats, ließ es sich höchstens in Theaterstücken vorführen, wie ich Ihnen sagte. Aber die Universitätsprofessoren, die selber unfruchtbar sind, die haben einiges angenommen und dann wie­der in Bausch und Bogen herübergenommen. Und so finden Sie wieder­um in vielen Büchern, die von Universitätsprofessoren herrühren, auch allerlei marxistische Ideen, verbailhornt, manchmal kritisiert, aber alles unfruchtbar, weil die Dinge nicht durchschaut werden, weil man vor allen Dingen nicht den Willen hatte, eine wirkliche Erkenntnis, ein wirkliches Verständnis für den dreigliedrigen Menschen hervorzurufen. Würde man dieses Verständnis haben, dann würde man auf das Funda­mentale kommen, welches notwendig ist zu verstehen, und was ich Ihnen nur andeuten kann, wovon aber ein Verständnis hervorgerufen werden muß. Denn erst, wenn dieses fundamentale Verständnis in bezug auf zwei Punkte einsetzt, wird auf der einen Seite das Gran­diose der Mehrwertstheorie des Karl Marx und der Proletarier er­scheinen, aber man wird dann auch erst sehen, wo die Korrektur einzu­greifen hat, wo dasjenige einzugreifen hat, was auf eine Wirklichkeit, nicht wiederum auf marxistische Illusion geht. Aber dafür ist noch schwer Verständnis zu finden.

Es gibt ja die verschiedensten Ableger - wenn sie auch manchmal Gegner sind - der modernen proletarischen Gesinnung. So ein Ab­leger von einer ganz anderen Couleur - verzeihen Sie den Ausdruck -, der trat mir in den neunziger Jahren in Berlin in der Person des Adolf Damaschke, in der Bodenreform entgegen. Dieser Adolf Da­maschke hatte ja Anhänger, und eine Anzahl von Anhängern waren zu gleicher Zeit unsere Mitglieder, Mitglieder der Theosophischen

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Gesellschaft. Die hatten das Bedürfnis, daß ich einmal mit diesem Damaschke in eine Art von Diskussion vor ihnen kam. Es waren An­hänger von uns, die zu gleicher Zeit eine Gruppe von Bodenreformern gebildet haben, und Damaschke sollte nun vortragen, was er über das eine oder andere dachte. Ich hatte dann, nachdem Damaschke seine Ansichten vorgebracht hatte, gesagt: Sehen Sie, die Sache verhält sich folgendermaßen. Dasjenige, was Sie ausführten, wird ganz gewiß die Menschen bestricken, denn es ist mit einer gewissen volkswirtschaft­lichen Klarheit - Wasserklarheit, das habe ich nicht gesagt, aber ge­dacht - vorgebracht, es leuchtet manchmal ein, auf dern Wege, den ich gestern angedeutet habe. Sie wollen zwar nicht die Produktionsmittel, wie die Sozialdemokratie, wollen aber den Boden, und zwar den Boden, auf dem Häuser stehen, also den gesamten Boden gewissermaßen kom­munistisch verstaatlichen, Gemeinsamkeit im Bodenbesitz hervorrufen, um dadurch eine Lösung der sozialen Frage hervorzurufen. Es ist alles teilweise richtig, was Sie entwickelt haben, nur an einem Kapitalfehler, der Ihnen natürlich entgehen muß, wenn Sie bloß theoretisch, nicht wirklichkeitsgemäß verfahren, an einem Fehler leidet das Ganze. Es ist nicht richtig, was Sie sagen, aber es wäre unter einer gewissen Vor­aussetzung richtig. Könnte man zum Beispiel, wenn in einer Stadt zwei Häuser aneinandergrenzen und ein drittes Haus gebaut werden sollte, da, wo die zwei Häuser aneinandergrenzen, den Boden elastisch aus­dehnen, so daß das eine Haus da steht und das andere Haus da, und dazwischen würde man für das dritte Haus Platz schaffen - wenn der Boden elastisch wäre, dann wäre alles richtig. Da aber die Erde eine bestimmte Fläche hat und nicht elastisch ist, nicht wächst, so ist die ganze Bodenreformtheorie in Wahrheit falsch.

Das ist von dieser Seite her der allergewichtigste Einwand. Ich kann ihn nur skizzenhaft andeuten. Damaschke hat mir dazumal gesagt, das sei ihm noch nie aufgefallen, aber er hat mir versprochen, er würde tief nachdenken über die Sache. Ich habe nichts weiter gehört, ich weiß nicht, wie tief er nachgedacht hat. In seinen folgenden Schriften war nichts davon zu bemerken. Er hat fortgewurstelt in der alten Weise und hat alle seine Bodenreformideen doch in dieser Richtung weiter­geführt. Es kamen immer wieder Leute, die sagten: Ja, die sozialdemokratische

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Idee geht nicht, aber Bodenreform, das ist doch etwas, was sicherlich verwirklicht werden kann.

Da ist der eine Pol, der studiert werden muß in seinem weiteren Umfange; denn die Sozialdemokratie betrachtet auch den Grund und Boden als Produktionsmittel. Das wäre er nur, wenn er elastisch wäre. Diejenigen Produktionsmittel, die in elastischer Weise, was man eben nicht berücksichtigt, wirklich so betrachtet werden können, wie sie im Marxismus betrachtet werden, das sind die Produktionsmittel, die man auch im Bedarfsfalle erzeugen, also hervorrufen kann. Sie können, wenn Sie Maschinen brauchen, sie herstellen, um das oder jenes zu erzeugen, und wenn Sie mehr Maschinen erzeugen wollen, so können Sie mehr Arbeiter hinstellen; da ist die Elastizität vorhanden. In dern Augenblicke, wo man dieselbe Denkweise - und auf die Denkweise kommt es an - auf den Grund und Boden anwendet, scheitert es an der Unelastizität des Bodens.

Das ist das eine, wo man einsetzen muß. Das andere, wo man ein­setzen muß, ist, daß notwendigerweise das soziale marxistische Denken scheitern muß daran, daß es ganz aus dem wirtschaftlichen Prozeß her­ausgebildet ist und die Produktionsmittel, die es also kommunistisch verwalten will, im wirtschaftlichen Prozeß nur so denkt, wie sie als reelle Produktionsmittel, als Produktionsmittel für die Handarbeit, sind. Dadurch wird ausgeschaltet die unendliche wichtige Stellung, welche das Geistige im ganzen Entwickelungsprozeß, auch im sozialen Prozeß der Menschheit hat. Denn das Geistige hat die Eigentümlich­keit, ein Minimum von Produktionsmitteln zu haben. Eigentliches Pro­duktionsmittel zum Beispiel für mich ist ja nur die Feder. Man kann nicht einmal sagen, daß das Papier Produktionsmittel ist, denn das ist Zirkulationsobjekt. Eigentliches Produktionsmittel ist nur die Feder im marxistischen Sinne. Dadurch aber muß notwendigerweise der ganze Impuls, der vom Geistigen ausgehen muß, und der lahmgelegt würde, wenn die Welt sozial marxistisch angeordnet würde, dieser geistige Prozeß muß durch das marxistische Denken ausgeschaltet werden. Das ist der andere Pol.

An zwei Polen scheitert die marxistische Denkweise. In der Mitte sitzt sie fest. In der Mitte ist sie dialektisch ungemein scharfsinnig ausgebildet;

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an zwei Polen scheitert sie. Und sie scheitert im allereminen­testen Sinne, radikal scheitert sie an diesen zwei Polen. Zunächst die Mehrwertstheorie. Sie scheitert an der Unelastizität des Bodens. Sie scheitert daran, an der Unelastizität des Bodens, in viel stärkerem Sinne als man denkt. Denn die gesamte Bevölkerungsstatistik kommt auf einem begrenzten Territorium volkswirtschaftlich nicht zu ihrem Rechte, weil der Boden derselbe bleibt, auch wenn zum Beispiel eine Bevölkerungsvermehrung eintritt. Dadurch werden Veränderungen in der Wertskala hervorgerufen, die nicht in Rechnung gezogen werden können bei bloßem marxistischem Denken. Ferner kann nicht, bei blo­ßem marxistischem Denken, in Rechnung gezogen werden dasjenige, was nun wiederum nicht im wirtschaftlichen Prozeß selbst vermehrt und vermindert werden kann. Merkwürdig, die beiden Dinge stehen an den äußersten Enden des volkswirtschaftlichen Prozesses: dasjenige, was Ihnen als «Grütze» - verzeihen Sie - im Kopfe sitzt, und dasjenige, was als Boden daliegt. Was dazwischen ist, das unterliegt eigentlich dern Denken der Produktionsmittel so, wie es das marxistische Denken hat. Aber der Boden, der hängt eben von der Witterung, von allen möglichen anderen Dingen ab, der hängt ab von seiner Ausdehnung -also, wie gesagt, er ist nicht elastisch. Das steht auf dem einen Pol.

Ich kann das nur andeuten wie gewissermaßen als Ergebnis. Würde ich Ihnen nun davon sprechen, in allem einzelnen beweisen, daß der Marxismus scheitern muß gerade als Tatsache, weil er an diesen beiden Polen scheitern muß, so würde ich zunächst viel reden müssen. Das könnte schon sein, aber es würde zunächst zu weit führen. Aber man kann es beweisen. Und das ist das Gefährlichste in dern gegenwärtigen sozialen wirtschaftlichen Experimente, daß mit diesen beiden Polen nicht gerechnet wird, daß alles, was aus dern hervorgeht, bloß den industriell gedachten marxistisch-dialektischen Gedankenbildern ent­spricht und nur mit industriellen Begriffen eben rechnet, mit dem­jenigen, was unberücksichtigt läßt links und rechts Grund und Boden und dasjenige, worüber ebensowenig Willkür herrschen kann: Be­gabungen, Einfälle. Bedenken Sie, was alles davon abhängt! Der volks­wirtschaftliche Prozeß steht still, wenn Sie nicht den Boden in die rich­tige soziale Struktur hineinbringen, und wenn Sie nicht dasjenige, was

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menschliche Erfindungsgabe ist, im weitesten Sinne in die richtige so-ziale Struktur hereinbringen. Alles steht still. Es kann nur über eine gewisse Zeit hinaus Raubbau getrieben werden an dem, was schon da ist. Es kann Raubbau getrieben werden in bezug auf das, was schon vorhandene volkswirtschaftliche Werte sind. Allein eines Tages wird der Stillstand kommen über dasjenige, was schon da ist, wenn man nicht wirklich real denkt, nicht entfaltet, was ich immer wirklichkeits­gemäßes Denken nenne, wenn man nicht wirklichkeitsgemäß denkt, sondern nur illusorisch denkt, nämlich auch wiederum allein das, was in der Mitte drinnen steht, ins Auge faßt, und nicht das Totale, das volle Totale wieder ins Auge faßt.

Daraus aber sehen Sie, daß es vor allen Dingen notwendig ist, Auf­klärung zu schaffen. Und ich kann Ihnen die Versicherung geben: Die Funktion von Grund und Boden und die Funktion der geistigen Be­tätigung, sie ist schwieriger zu verstehen im volkswirtschaftlichen Pro­zeß als dasjenige, was der Marxismus im wirtschaftlichen Prozeß als Einsicht in schöner und scharfsinniger Weise hineingetragen hat. Aber für das andere ist alles noch zu tun. Gehen Sie hausieren, bei wieviel Menschen Sie heute noch Interesse finden für diese Dinge! Aber es gibt kein Heil in der Zukunft, ohne daß man für diese Dinge Interesse hat. Und richtig studiert können sie nur werden, wenn man die Prinzipien der Geisteswissenschaft hat. Wie heute nur Brücken gebaut werden können, wenn man Mathematiker ist und Mathematik studiert hat, so können soziale Strukturen nur begriffen werden, wenn man die ele­mentaren Begriffe aus der Geisteswissenschaft heraus bildet. Das ist es, was ins Auge gefaßt werden muß. Fassen Sie das nicht ins Auge, daß es vor allen Dingen nötig ist, überall und überall Schulen, Unter­richtsmöglichkeiten zu schaffen, damit dasjenige, was auf diesem Ge­biete die Menschen verstehen müssen, um miteinander leben zu können, auch in die Köpfe hineinkomme, dann schaffen Sie mit allem, mit bestem Willen, mit allen möglichen Lenins und Trotzkis und Scheide-manns und allen Näherliegenden, die zu nennen vielleicht hier nicht gestattet ist, nur illusionäre Gebilde, die Raubbau treiben können, die aber nicht reale Gebilde sind. Da ist es besser, man schafft mit dern Be­wußtsein, daß es ein Provisorium ist, eine Kontinuität des Wirtschaftslebens,

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betrachtet das als Provisorium und wirkt vor allen Dingen dahin, daß das bürgerliche Unterrichtswesen verschwindet mit seinem Unverstand.

Sie betrachten das vielleicht als etwas, was schwierig ist und was unbequem ist, aber es ist eben eine Notwendigkeit. Man kann nur wollen entweder, daß die Menschheit ins Chaos kommt, oder daß wirklich das geschieht - man kann das nicht als Unbequemlichkeit empfinden -, daß nun wirklich an den richtigen Enden angefangen wird, nämlich zunächst mit der radikalen Aufklärung der Menschen. Da muß eingesetzt werden, das ist es, was verlangt werden muß. Vor allen Dingen muß man dann sich klar sein darüber, daß dadurch, daß ja Karl Marx im Grunde genommen nur das bürgerliche Denken auf­genommen und sehr scharfsinnig dialektisch durchgebildet hat, daß Karl Marx auch über die anderen beiden Gebiete ungenügende Vor­stellungen hervorruft. Man kann über die Art, wie der Mensch sich mit anderen Menschen zusammenfindet - das Zusammenfinden geht ja aus dem Interesse, aus dern Gefühl hervor -, man kann ein Verständnis dafür, wie die soziale Struktur in diesem Sinne sich bilden muß, nur gewinnen, wenn man den Nerven- oder Kopfmenschen studiert. Aber den hat ja abgelähmt das Bourgeoistum, das besonders auf den Nerven­Kopfmenschen hin organisiert ist, aber in der Klasse, im Stand ihn gerade abgelähmt hat, so daß eigentlich alle wirklichen, lichtvollen spirituellen Begriffe auf diesem Gebiete verschwunden sind. Nun, sie sind ja eigentlich recht sichtbarlich verschwunden, kann man sagen, sie sind so anschaulich verschwunden: Sie können heute noch Bilder sehen aus dem achtzehnten Jahrhundert - die Gesinnung hat sich ins neunzehnte Jahrhundert, wenn auch in weniger augenfrälliger Form, fortgepflanzt -, wo sich die Leute ergötzen daran, wie der Mensch ursprünglich ein geselliges Wesen ist, Bilder: Prinzessinnen, Königinnen, kurz, lauter Leute, die es ja heute schon fast nicht mehr gibt, sie tanzen im Schäferkostüm, ergehen sich in dem, was der ursprüngliche elemen­tare Mensch an Herzlichkeit und Brüderlichkeit im geselligen Leben entwickelt. Man kann sich nichts Verlogeneres denken als alle diese Dinge, die nur im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert dann andere Formen angenommen haben. Aber die Lüge und Illusion und

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Phantastik, sie beherrschten so sehr das Denken, daß ja wirklich wie ein Blitzstrahl hineinfällt dasjenige, was von dieser Seite aus, die ich auseinandersetzte, der Mehrwertstheorie, der Marxismus als Ausdruck der Proletarierstimmung geltend machte: Ach was, Wischiwaschi all das Reden von Brüderlichkeit, von Drinnenstehen des Menschen in der Gesellschaft, vom Gehören eines Menschen zum andern; man sehe hin, wie sich herausgebildet hat gerade in bezug auf das industrielle Leben die Geselligkeit, die herrscht zwischen dern Grubenbesitzer und denen, die da in fortgesetzter Arbeit in den Steinkohlenbergwerken drinnen tätig sind und so und soviel arbeiten müssen. Man sehe an das mensch­lich-gesellige Verhältnis zwischen Unternehmern und Besitzern von Schwefelgruben in Sizilien und denjenigen Menschen, die unten in die­ser lebenvernichtenden Arbeit stehen, und deren Mehrwert jene be­sitzen. - In diese eigentümliche Art, wie Mensch zu Mensch wirkt, wie Mensch den Menschen braucht im menschlichen Leben, da hinein hat Karl Marx wahrhaftig auf eine dem Proletariat verständliche Weise gewirkt. Und das wurde wiederum verstanden, daß das Wirken von Mensch zu Mensch vor allen Dingen wirkt in der Differenzierung in Klassen von Besitzenden und Besitzlosen. Und Programme entstanden mit der Konsequenz: Wenn das anders werden soll, so kann es nur anders werden durch den Kampf der proletarischen Klasse gegen die Bourgeoisie, denn das ist eine Notwendigkeit.

Selbstverständlich wird es viele geben, die Grubenbesitzer sind, und wenn ihnen einmal im Theater vorgeführt werden die Leiden der Grubenarbeiter, dann wird ihr Herz voll Mitleid, voller Mitgefühl, viel-leicht füllt sich sogar das Auge mit Tränen. Aber das ist ja alles nichts wert, sagt der Proletarier, denn den Leuten hilft nichts dieses Mitleid; sie können ja nicht anders, sie sind ja persönlich, individuell gar nicht Schuld daran. Der Mensch ist ja nicht ein individuelles Wesen, der Mensch ist durch die historische Notwendigkeit in eine gewisse Ver­gesellschaftung - nicht Geselligkeit, wie die idealistischen Vorstellungen des achtzehnten Jahrhunderts waren, sondern in eine Vergesellschaf­tung, die nicht anders werden kann als durch einen Kampf, hinein­gestellt. Das Einsehen dieser Sache ist eine Notwendigkeit. Es ist gar nicht von persönlicher Verantwortlichkeit zu reden, denn es ist Notwendigkeit,

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einen historischen Prozeß zu fördern. - Das ist dasjenige, was Karl Marx seinen Proletariern eingebleut hat und was man im Bourgeoistum so wenig verstanden hat.

Und das dritte war die materialistische Geschichtswissenschaft. Wir können aber vorher noch fragen, bevor wir diesen dritten Punkt ins Auge fassen: Worauf kommt es an, wenn man die Vergesellschaftung verstehen will? - Denn Karl Marx hat eben nicht begriffen, was der Mensch ist als Nerven- und Sinneswesen: daß er eine Individualität ist, daß er mehr ist, als jede Gesellschaft ihm geben kann, als Individu­alität. Das ist dasjenige, was ich entgegenhalten mußte in meiner «Philo­sophie der Freiheit», die den Grundnerv der sozialen Frage gerade in diesem Punkt berührt; das ist wiederum dasjenige, was ebenso der Vergesellschaftungslehre bei Karl Marx, wo das Individuum vollstän­dig verschwindet, entgegengehalten werden muß, wie entgegengehal­ten werden muß die Funktion des Grundes und Bodens und der gei­stigen Arbeit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Denn wiederum kann man zeigen, daß aller sozialer Prozeß stillstehen muß, wenn ihm nicht die Quellen zufließen, die aus der menschlichen Indi­vidualität kommen.

Das ist wichtig, das aber wird wiederum nur möglich sein, wenn man eben diesen Quell menschlicher Impulse, menschliches Sinnes- und Nervenwesen kennt. Wiederum ist notwendig, daß man an der Gesell­schaftsarbeit beginnt. Man kann erst aus den anderen Gedanken folgern dasjenige, was Tatsache ist. Karl Marx hat aus einem schönen Instinkt heraus das wunderbare Wort geprägt: Die Philosophen haben bisher nur die Tatsachen verschieden interpretiert; wir aber wollen Tatsachen schaffen, die Tatsachen verändern. - Und die Tatsachen wollte er ver­ändern aus seinen Gedanken, wollte Gedanken schaffen, die Tatsachen werden können, hat es auch erreicht; aber er hat nur erreicht, daß eben das Proletariat selbst, die Denkweise, die Empfindungsweise des Prole­tariats da ist. Aber was lebt in ihm? Die Gedankenableger des Bour­geoistums leben im Proletariat, die Erbschaft der Gedanken des Bour­geoistums. Das ist es, was der Proletarier vor allen Dingen begreifen muß, daß er nicht weiterkommen kann auf seinem Wege mit seinen Forderungen ohne eine wirkliche geisteswissenschaftliche Erkenntnis

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des Menschen, und daß ihm diese nie zukommen kann, wenn er bei­behält die bourgeoise Wissenschaft. Er wird verstehen, wenn man ihn in der richtigen Weise aufklärt und die Möglichkeit hat, ihn in der richtigen Weise aufzuklä ren. Diese Möglichkeit muß geschaffen werden.

Und endlich das dritte, das ist, daß man einsieht, inwiefern der Mensch das Wesen ist, das er ist aus seinem Stoffwechselprozeß heraus, der gerade mit seinem Geistigsten zusammenhängt. Da ergibt sich eine wirkliche Geschichtsauffassung. Weil aber Karl Marx von dern drei­gliedrigen Menschen gar keine Ahnung hatte, weil der vergessen wor­den ist, so wurde eben die Geschichtsauffassung eine bloße materia­listische Geschichtsauffassung. Er erkannte richtig, daß wichtiger ist als das, was die Menschen sich vormachen als ihre Illusionen, das, was sie in sich tragen als ihre Instinkte. Das kommt von den Klassen her. Er sagte den Leuten: Seht ihn an, den Bourgeois! Verurteilt ihn doch nicht, er ist doch wahrhaftig nicht, weil er etwas dafür kann, so ge­worden, sondern im historischen Prozeß hat sich halt die Klasse der Bourgeoisie gebildet; dadurch lebt er in einer ganz gewissen Weise in seiner Klasse drinnen. Dieses Leben in seiner Klasse erzeugt die Rich­tung seiner Gedanken. Bei euch werden andere Gedanken erzeugt. Ihr könnt nichts für eure Gedanken, er kann nichts für seine Gedanken, denn das alles kommt aus dern Unterbewußten heraus, nämlich aus der Klassenstruktur, aus der sozialen Struktur. Beurteilt die Sache nicht moralisch, sondern seht die Notwendigkeit ein, daß er gar nicht anders kann als euch unterdrücken, daß er gar nicht anders kann als euer Geg­ner sein. Daher werdet sein Gegner. Schafft euch dasjenige, was not­wendig ist, durch den Klassenkampf.

Alle drei Punkte gipfeln zuletzt in dem Klassenkampf, der hin-gestellt wurde als die große Forderung der neuen Zeit. Karl Marx knüpfte in echt Hegeischer Weise an die Dialektik an. Er sagte: Wir wollen als Proletarier gar nichts, was wir erfinden, sondern was uns die Entwickelung selber lehrt; wir wollen bloß das Rad etwas ins Rollen bringen, daß es bewußt weiterrollt. All das, was wir wollen, würde schon von selber kommen, indem sich das Unternehmertum immer mehr und mehr in Gesellschaften, in Trusts und so weiter zu-sammentut. Indem es die staatlichen Impulse in seinen Dienst stellt,

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sorgt das Unternehmertum schon dafür, daß es sich immer mehr und mehr als eine Klasse absondert von der Klasse des Proletariats, daß die Besitzenden und Besitzlosen immer schroffer einander gegenüber­stehen, aber so, daß das alles immer mehr und mehr uniformiert wird, daß immer weniger einzelne Besitzende da sind, sondern immer grö­ßere Gesellschaften von Besitzenden, die notwendigerweise auch gerade in dieser Weise vom Proletariat hervorgerufen würden. Der Besitz organisiert sich. - Kampfstimmung war vor allen Dingen das, was im Proletariat aufdämmerte aus der marxistischen Dialektik, aus der marxistischen Wissenschaft. Und diese Kampfstimmung lebte seit Jahr­zehnten in dem Gegensatze zwischen dern Proletariat, das über alle nationalen, über alle sonstigen Grenzen hin sich bloß als Proletariat fühlte, und zwischen dern Unternehmertum, das sich immer mehr und mehr auch vergeselischaftete und endlich auswudis in den Imperialis­mus. So daß nach und nach das moderne Leben die alte politische Form immer mehr und mehr verlor und dasjenige, wovon man konfuser-weise sich noch die Illusion machte, daß es alte Staatsgebilde seien, zu den neuen Imperialismen wurde, die eigentlich nichts anderes sind als die Verkörperung desjenigen, was dern Proletariat gegenübersteht als das Unternehmertum. Und im eminentesten Sinne gehört zu solchen Imperialismen dasjenige, was sich einbildet, ein altes politisches Ge­bilde zu sein, was aber nach und nach ganz und gar nur eine Unter­nehmerveranstaltung geworden ist: das Britische Reich; dazu gehören die Vereinigten Staaten. Sie können das in den älteren Schriften und Vorträgen von Wilson nachlesen, der ja das alles bewiesen hat, daß es so ist in Wirklichkeit, denn in diesem Gebiete, in bezug auf das Sehen in diesem Gebiete - ich habe es ja schon von anderer Seite gezeigt - ist Woodrow Wilson wirklich ein einsichtiger Mann.

Also das ist es, was, man könnte sagen, eigentlich zugrunde liegt diesem Kriege, sogenannten Kriege; das ist es, was lauerte, und was sich maskiert hat in dern sogenannten Gegensatze der Zentralmächte und der Entente. Das hat sich seit Jahrzehnten herausgebildet. Das mußte zum Ausdruck kommen in irgendeiner Weise und wird weiter zum Ausdruck kommen. Immer mehr und mehr wird der Kampf die Form annehmen, in irgendeiner Maske den Gegensatz, der sich in dern

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Unternehmertum und dern Millionen-Proletariat vorgebildet hat, zum Ausdruck zu bringen. Staat heißen in dem Sinne, wie die westlichen Staaten Staaten bleiben wollen, Staat heißen wird man nur können, wenn man in irgendeiner Weise den Staat benützt als Rahmen für Unternehmerbestrebungen, Kapitaiistenbestrebungen; und Gegner, Gegnerschaft wird sich herausbilden da, wo das Bewußtsein des Prole­tariats überwiegt. Das gloste, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, gloste, glimmte, sengte - was nicht ganz glimmt, das glost -, glomm unter dem, was sich als eine große Lüge, als die Lüge des so-genannten Weltkriegs über die Welt hin erstreckte; das benützte all dasjenige, was nun phrasenhaft hineinklang von «Freiheit der Natio­nen, Selbstbestimmungsrecht jeder Nation». «Freiheit der Nationen» klingt ja schöner, als wenn man sagt: Wir brauchen im Osten von Europa ein Absatzgebiet, denn wo Produktion ist, muß Konsumtion sein. - Man sagt es vielleicht nur dann, wenn man einer ganz geheimen Loge angehört, die von den hinteren Maditgefilden aus die ganze Situation beherrscht. An der Außenseite verbrämt man die ganze Sache mit schönklingenden Phrasen, putzt sie dadurch auf, daß man mög­lichst Worte prägt, über die sich die Leute entrüsten können, von allen möglichen ungeheuerlichen Taten und so weiter. Dasjenige aber, was als Wahrheit hinter den Dingen ist, das wird sich den Menschen schon zeigen; das wird sich eben zeigen, daß herausspringt aus der Summe von Unwahrhaftigkeit dasjenige, was dahintersitzt und was nur geheilt werden kann durch ein so tiefes Verständnis der Wirklichkeit, wie es einzig und allein der Geisteswissenschaft möglich sein kann.

Denn dasjenige, was sich in der alten Art, sei es bewußt oder un­bewußt, organisiert hat und was sich aus dem Geistigen heraus in neuer Art organisiert, das nimmt ja in einer eigentümlichen Weise an dem Prozeß teil. Wir leben im Zeitalter der Bewußtseinsseele. Durch die Bewußtseinsseele wird vorzugsweise in alledem, was sich als Briti­sche Reidisgemeinschaft in der englischsprechenden Bevölkerung zu­sammenschließt, gewirkt. Sie wissen, ich habe das zu anderer Zeit ausführlich entwickelt; das ist also das hauptsächlich Zeitgemäße. Aber dieses Zeitgemäße, das muß sich kleiden eigentlich in Unternehmer­tum, in Imperialismus. Das muß Weltherrschaft werden in bezug auf

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das äußere Materielle. Wird das nun mit solchen Mitteln geführt, wie ich sie auch auseinandergesetzt habe hier in den Weihnachtsvorträgen 1916, dann muß eben das herauskommen, was bisher herausgekom­men ist, was weiterhin herauskommen wird. Das ist es, was trotzdem der eigentliche treibende Motor ist hinter den Kulissen der Geschichte, das andere ist etwas, wovon man gut reden kann. Aber die Ausbrei­tung der Weltherrschaft, und zwar der materialistischen, der materi­ellen Weltherrschaft, das ist es, was - von der einen Seite wird es gefördert, von der anderen Seite bäumen sich die Leute dagegen auf -da eigentlich läuft. Alles andere sind Bekleidungsstücke. Denn das­jenige, was sich in einer anderen Ordnung gebildet hat, was weniger zeitgemäß sich in den Entwickelungsprozeß der Menschheit hinein-stellt, das muß auch in anderer Weise seine Entwickelung finden. So kommt es, daß das romanische Element, als dessen vorzüglichste Trä­ger, wenn wir vom Spanischen, das korrupt ist, absehen, wir das Ita­lienische und das Französische sehen, das romanische Element, welches aus ganz anderen Voraussetzungen, durch Erbschaft aus der früheren Kulturperiode, aus der vierten nachatlantischen Kulturperiode herein in die fünfte sich erhalten hat, gerade durch die Siege, die es jetzt er­fochten hat, in die Dekadenz, in seinen Untergang kommen wird. Das können Sie aber auch aus gewissen Dingen entnehmen, die Ihnen gerade zeigen können, wie Geisteswissenschaft der Wirklichkeit entnommen ist.

Sehen Sie, ich habe Ihnen ausgeführt, was französisches Zusammen­schließen ist in staatlicher Form. Ich rede selbstverständlich nicht von den einzelnen Franzosen, sondern von dem Franzosen, der sich als Franzose fühlt, insoferne er dern Staate Frankreich angehört, jenem Staate Frankreich, der Wert darauf legt, Elsaß-Lothringen zu besitzen und so weiter. Das ist ein großer Unterschied; nichts richtet sich gegen den einzelnen Menschen, was gesagt wird, es richtet sich überhaupt nicht gegen irgend etwas, sondern charakterisiert nur. Aber es richtet sich darauf, insoferne der Mensch Angehöriger dieser oder jener Gruppe ist, was einen ja immer schlechter macht: «Oaner is a Mensch...», denn Nationen sind gewöhnlich viele, nun ja! Also bedenken Sie, daß wir in einer dreifachen Entwickelung drinnenstehen. Das Französische ist insbesondere da, um auf der Stufe, in der es jetzt möglich ist, auszubilden,

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was wir Verstandes- oder Gemütsseele nennen; darüber haben wir schon gesprochen. Diese Verstandes- oder Gemütsseele fällt in ihrer besonderen Entwickelung in die Jahre des Menschen von 28 bis 35, wie Sie wissen: astralischer Leib bis zum 21.Jahre, Empfin­dungsseele bis zum 28. Jahre, Verstandes- oder Gemütsseele bis zum 35. Jahre, vom 35. bis 42. Bewußtseinsseele, dann kommt das Geistselbst.

Nun aber laufen ja Entwickelungsströmungen durcheinander. Sie wissen, der einzelne Mensch als Einzelmensch ist heute in der Entwicke­lung der Bewußtseinsseele begriffen, das heißt, er wird eigentlich nur so recht erst in die Kräfte eingeführt, die ihm sein Zeitalter geben kann, wenn er über das 35. Jahr hinaus lebt. Vorher muß er das lernen, muß erzogen werden darinnen, aber niemals kann man selbst das nur ler­nen, was das Zeitalter einem dann gibt, wenn man über das 35. Jahr hinaus lebt. Das ist unangenehm für diejenigen, die das Wahlalter hinausschieben wollen, aber es ist eben eine Entwickelungstatsache. So daß man sagen kann: Diese Entwickelung ist besonders günstig der Teilnahme von 35 bis 42 Jahren. Da entwickeln sich für dasjenige, was am allerzeitgemäßesten ist im Zeitalter der Bewußtseinsseele, die Kräfte, die so recht konsolidieren können. Das könnte natürlich dazu führen, daß ein Verständnis dafür vorhanden ist, wie gerade von 35- bis 42-jährigen englischsprechenden Männern und Frauen die Konsolidierung desjenigen ausgehen kann, was das Britische Weltreich innerlich groß macht - wenn auch Lloyd George ein Siebenundzwanzigjähriger ge­blieben ist, aber Lioyd George ist dafür kein typischer Mensch, sondern ein typischer Mensch für die Menschheit der Gegenwart, nicht für das Britentum.

Dagegen die Gesamtmenschheit, die entwickelt sich so, daß die Men­schen bei ihrem immer Jünger- und Jüngerwerden gegenwärtig gerade dabei stehen, den Zeitraum vom 21. bis 28.Jahre zu entwickeln, die Empfindungsseele. Diese zwei Strömungen laufen nun in der Vor­wärtsentwickelung der Menschheit durcheinander. Sie sehen, da bleibt der Zeitraum vom 28. bis 35. Jahre brach, unfruchtbar. Der aber ist gerade zugewiesen der französischen Entwickelung: 28. bis 35. Jahr. Das drückt sich so stark aus, was Sie da geisteswissenschaftlich erfor­schen können, daß sogar die Unfruchtbarkeit der französischen Bevölkerung

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darinnen ausgesprochen ist, die äußere physische Unfrucht­barkeit. Das ist zu gleicher Zeit der perspektivische Hinweis auf das­jenige, was sich sonst in zahlreichen okkulten Forschungen darstellen ließe: daß das französische Volk nicht weiterhin in der Lage ist, aus den Wirrnissen heraus aufrechtzuerhalten dasjenige, was die Erbschaft des Romanismus ist. Nur daß, was zufließt dern Italienertum aus dern Umstande, daß das Italienerturn sich gerade in der Entwickelung der Empfindungsseele, 21. bis 28. Jahr, befindet, daß gerade dern Italieni­schen durch diese Auffrischung zufällt die Übernahme der Hegemonie der romanischen Völker, soweit sie noch eine Aufgabe haben in der zukünftigen Zeit. Das ist so besonders wichtig, daß man sich im euro­päischen Prozeß solche großen Dinge vor Augen führt, daß man also weiß zum Beispiel, daß etwas, was aus ganz anderen als Gegenwarts­impulsen hervorgegangen ist wie die Nachwirkung des Romanismus in der europäischen Kultur, daß das ja allerdings in der Dekadenz ist, daß aber zunächst in die Hegemonie das italienische Volk kommt.

Vielleicht weist mir jemand nicht das Recht zu, über diese Tragik zu sprechen. Das ist aber auch dasjenige, was man mit einer gewissen Tragik aussprechen kann: daß weder nach der einen Seite, noch nach der anderen Seite hin die Franzosen für die französische Sache sich eingesetzt haben, sondern alles mögliche aufgebracht haben, um das­jenige zu fördern, was das französische Wesen aus dem Entwickelungs­prozesse der neueren Menschheit verschwinden machen wird.

Im Osten wartet das russische Siawentum; es kann abwarten, weil es für die Zukunft bestimmt ist, all dasjenige, was aus dern wirren Chaos hervorgehen wird desjenigen, was sich da oder dort entwickelt. Solche Dinge, die sind nun das andere, welches hervorgehen muß aus gei­steswissenschaftlicher Durchdringung der Tatsachen. Auf was ich immer wieder und wiederum hinweisen möchte durch solche Betrachtungen, die ja nächstens einmal wiederum vermehrt werden können, wenn uns Möglichkeiten noch eröffnet sind, ist: sich zu entschließen, die Dinge in ihrer Wahrheit zu sehen, wirklich ein wenig darauf auszugehen, nicht stehenzubleiben bei den Illusionen und Phantasmen, sondern die Dinge in ihrer Wahrheit zu sehen. Geisteswissenschaft ist ja etwas, was nicht nur abstrakte Begriffe gibt, sondern was mit der Wirklichkeit

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bekannt machen kann. Dann wird man auch, wenn man so mit der Wirklichkeit durch die Geisteswissenschaft bekannt werden kann, all die sonderbaren Begriffe nicht überschätzen, mit denen sich das gei­stige Leben, auch die Menschheit in den letzten Zeiten, vielfach genährt hat. Diese Begriffe sind vielfach, ich möchte sagen, iuziferisch-ahri­manisch gebildet worden, indem man mit Empfindungen aus der ur­ältesten Zeit, die man fortgetragen hat, mit der Zeit fortgetragen hat, in seinem Denken, in seinem Vorstellen sich genährt hat. Die Menschen hängen so an altererbten Begriffen, und man kann tiefes Leid emp­finden, wenn man dieses Hängen, dieses starre Hängen an altererbten Begriffen bei den Menschen bemerkt. So haben die Menschen sogar in dieser Zeit von «großen Feldherren» gesprochen, so ist genährt worden auf einem bestimmten Gebiete ein wahrer Götzendienst für Leute wie Hindenburg und Ludendorff, ein wahrer Götzendienst, als ob über­haupt in dem ganzen Zusammenhang der Katastrophe, die sich zu­getragen hat, dieser alte Heroendienst noch eine Bedeutung haben konnte! Alle die Fähigkeiten, durch die früher Schlachten gewonnen worden sind, oder die Unfähigkeiten, durch die früher Schlachten ver­lorengegangen sind, haben ja in diesem Kriegsprozesse gar keine Bedeu­tung mehr gehabt. Man hat gesiegt oder nicht gesiegt, je nachdem Mate­rial, Material an Kanonen, Material an Munition, Material an Menschen gerade an einem Orte vorhanden war und man es hatte, oder der andere es hatte, danach wurde gesiegt; oder je nachdem der eine oder der andere ein wirksameres oder unwirksameres Gas hatte. Danach wurde gesiegt oder wurden Schlachten verloren. In dern Grade kam die per­sönliche Tüchtigkeit der Strategie ja gar nicht in Betracht, in dem sie früher in Betracht kam. Und man stößt auch da auf eine furchtbare Unwahrheit in der Beurteilung des einen oder anderen Menschen. Sie glauben gar nicht, wo überall es heute nötig ist, die Begriffe von Wahr­heit und Unwahrheit zu korrigieren. So tief verstrickt in Phrasentum und Unwahrheit, in Illusionen und Phantasmen ist schon einmal un­sere Zeit. Deshalb muß es immer wieder betont werden, daß heraus­gekommen werden muß aus diesem Verstricktsein in diesen Vorstel­lungen. Und diese Vorstellungen, sie sind vorhanden namentlich auf dem Gebiete des Bildungswesens. Fangen Sie oben an und gehen Sie

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bis zum niedersten Schulwesen herunter, überall ist es notwendig:

Medizin und Theologie und Jurisprudenz und Philosophie, und was alles sich noch darangegliedert hat an diesen Universitäten, dann das mittlere Schulwesen und alles mögliche, das ist dasjenige, was geeignet war, den Boden der Wahrheit zu untergraben und was die Leute am allermeisten mit Bezug auf dieses Untergraben des Bodens für die Wahrheit in Schlaf gelullt hat.

Es ist ja so ungeheuer schwierig, gerade in diesem Punkte Verständ­nis zu finden, und es gibt kein Heil, wenn man nicht in diesem Punkte Verständnis findet. Vielleicht ist es mir leichter, in diesem Punkte Ver­ständnis mir errungen zu haben, als manchem anderen. Denn ich glaube allerdings, daß es viel, viel Schaden bringt in der gegenwärtigen Zeit, daß jene Denkweise eben so lange geherrscht und wirklich breite Mas­sen der menschlichen Bevölkerung ergriffen hat, jene Denkweise, die darinnen besteht, daß die Eltern schon sorgen für den jungen Men­schen - ich will jetzt absehen davon, wie sie für die Töchter sorgen, denn das würde ein Kapitel für sich bilden -, daß er nur ja in eine staatliche Anstellung hineinkomme, wo er, wenn er auch spät hinein-kommt - nun, da muß der Alte nachhelfen -, dann steigt, ohne daß er etwas dazu zu tun braucht, von Quinquennium zu Quinquennium steigt in seinem Gehalte. Er ist lebenslänglich versorgt, denn er ist pensionsberechtigt. Das lullt in eine gewisse Sorglosigkeit ein. Es ist ja nur eine Nebensache gegenüber diesem Grundlegenden, daß man ja auch noch neben dem Verschiedensten wußte: Wenn man lange genug an einem Orte sitzt, so bekommt man den Roten Adlerorden 4. Güte, dann 3. Klasse -, das kommt noch dazu. So etwa tut sich auf, wenn man am ersten Tore des Lebens ist, dasjenige, was einen so sorglos machen kann, weil es einen heraushebt aus dem Lebenskampfe. Prole­tarische Theorie, Marxismus würde sagen: Das ist ganz selbstverständ­lich; wer in bourgeoiser Weise unterbewußt die Vorstellungen erzeugt, die aus diesem Sicherheitsgefühl, pensionsberechtigt zu sein, hervor-kommen, der kann nichts verstehen von demjenigen Menschen, der, wenn er noch so sehr dasjenige zerstört, was gegenwärtig ist, als Prole­tarier nichts zerstört als seine Ketten. - Das ist ja eine ständige Redens­art in Proletarierkreisen. Man fühlt aber solchen Dingen an, wie

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wirklich Vorstellungen in ihren Formen erzeugt werden durch die Art und Weise, wie man im sozialen Prozeß drinnensteht. Man hört auf, jenen intensiven, interessierten Anteil zu haben am Lebenskampfe, von dem allein das gedeihliche, fruchtbare Leben abhängt, wenn man weiß, man steigt alle fünf Jahre im Gehalt und hat so und soviel Pen­sion, ist lebenslänglich versorgt. Wie gesagt, von den Töchtern möchte ich nicht reden. Die Denkweise ist aber durchaus nicht etwa anders in dern sozialen Prozeß in bezug auf das Hineinstellen der Töchter und der Frauen in das soziale Leben.

Aber ich glaube, daß davon sehr viel abhängt. Nur sind jetzt die Tatsachen so, daß sie anfangen, vielleicht gerade durch das Rütteln an manchem, was fest war, was man recht fest glaubte, den Leuten andere Begriffe einzuhämmern. Es werden ja manche, die bisher ruhig warten konnten, was alle Jahre dazugekommen ist, für den Ablauf des näch­sten Quinquenniums sonderbar in die Zukunft schauen können. Viel-leicht hat mir das Erleben, wie gesagt, daß ich niemals in meinem Leben bewußt irgendeinen Berufs- oder sonstigen Zusammenhang ge­sucht habe mit irgend etwas, was mit staatlicher Anstellung oder sonst auch nur in irgendeiner Weise mit Staat zu tun hat, dazu verholfen, daß ich mir für diese Vorgänge Verständnis errungen habe. Es verursachte mir immer einen Degout, mit irgend etwas zu tun zu haben, was nach Staat roch. Ich rühme mich dessen nicht, denn das ist natürlich ein großer Mangel; man ist dann ein Bohemien. Nun, wie nannte mich Harlan für die neunziger Jahre im Feuilleton der «Vossischen Zei­tung»? «Einen unbesoldeten freischweifenden Gottesgelehrten.» Je­mand, mit dem ich dazumal befreundet war und der mich so schilderte, daß seine Schilderung auch in der jetzigen Zeit noch paßt; er schilderte so manches, und er meinte, daß ich ebensowenig wie er hineinpaßte in die damalige Gesellschaft der Bohemiens. Er nannte mich einen un­besoldeten freischweifenden Gottesgelehrten, der ich schon dazumal war, und der nicht recht hineinpaßte in den damaligen Kreis. Aber die ganze Gesellschaft dazumal - das sage ich jetzt in Parenthese, nehmen Sie das nicht übel, wir kennen uns zu gut, als daß Sie mich mißver-stehen würden -, die ganze Gesellschaft nannte sich nämlich den «Ver­brechertisch», und unter diesem Titel wurde zusammengefaßt eine

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Anzahl von Leuten, welche sich namentlich das harmlose Programm, wenn man von einem Programm sprechen kann, machten, die Philister damit zu ärgern. Scherze sind eben dazu da, den Ernst zu verbergen, und sie sind oft doch nur der lebenskünstlerische seibsterzieherische Ausdruck des Ernstes.

Aber ich habe vorgestern am Schlusse davon gesprochen, wie zum Judentum und Griechentum aus dern gegenwärtigen Geschehen heraus doch in einer gewissen Weise das Deutschtum kommen muß, jenes Deutschtum, welches ja zunächst durch Brutalisation wenigstens als deutsches Wesen ausgelöscht werden wird, nicht wahr. Aber es wird eine Rolle spielen. Es ist ja auch das Griechentum ausgelöscht worden, das Judentum ausgelöscht worden in einer gewissen Weise. Es wird seine Rolle spielen. Und es ist mir gerade recht, daß durch die Rezi­tation des «Chors der Urtriebe» jetzt einer der ausgesprochensten Geister der neueren Zeit, Fercher von Steinwand, der so recht aus deutschem Volkstum heraus spricht, auch aus jenem deutschen Volks­tum, das insbesondere in deutsch-österreichischen Gegenden gedeiht, daß das in jenen konkreten, plastischen Ideen vor Ihre Seele getreten ist, die Ihnen zeigen werden, daß eine gewisse Aufgabe gegeben ist gerade für dieses Deutschtum, das für ein äußerliches Staatengebilde nie ein rechtes Talent hatte; daß dieses Deutschtum gewisse Möglich­keiten guter Selbsterkenntnis gerade in solchen ausgezeichneten Indi­viduen hat, wie Fercher von Steinwand war.

Man glaubt heute in die Notwendigkeit versetzt zu sein, den Deut­schen so verschiedenes sagen zu müssen. Insbesondere in den letzten viereinhalb Jahren hat man sich immer gedrängt gefühlt, den Deut­schen von außen das und jenes sagen zu müssen. Wir haben es ja noch in diesen Tagen erlebt, nicht wahr, ich glaube, es war Lloyd George, seine Exzellenz selber meine ich selbstverständlich, der nun nach so und so vielen anderen Reden wieder einmal über all das Verworfene, Unmoralische des Deutschtums gesprochen hat, als ob so gar nicht die Möglichkeit vorhanden wäre, daß gerade innerhalb dieses Volkstums aufsprieße dasjenige, was dieses Volkstum an Selbsterkenntnis braucht. Dafür ist nun wiederum Fercher von Steinwand eine außerordentlich gute Probe. Sehen Sie, ich habe Ihnen gesprochen von dem Vortrage, den

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er, Fercher von Steinwand, 1859 über die Zigeuner gehalten hat vor dem späteren König von Sachsen, dazumal Kronprinz Georg, vor Ministern und vielen Generälen - merken Sie sich das: vor vielen Generälen, denn das ist ja der Militarismus, nicht wahr -; vor vielen Generälen hat er diesen Vortrag gehalten. Er sprach so verschiedenes über die Zigeuner, denn die Zigeuner erschienen ihm gewissermaßen als dasjenige, was so verwandt ist mit der Rolle, welche das deutsche Volk in der Zukunft spielen wird. 1859, nicht wahr, es ist ein starkes Stück von Selbsterkenntnis, wie er sich das ausmalt nach der einen Seite hin. Ich habe es Ihnen vorgestern vorgelesen, ich will es Ihnen aber noch nach einer anderen Seite charakterisieren. Und dazu er­lauben Sie mir, daß ich Ihnen noch ein kleines Stück aus diesem Zigeunervortrag Ferchers von Steinwand vorlese. Stellen Sie sich also vor, daß Fercher von Steinwand spricht, spricht über dasjenige, was der Fortentwickelung des deutschen Volkes günstig und ungünstig ist, vor einem Kronprinzen, vor Ministern und vor Generälen, stellen Sie sich vor, daß er spricht in folgender Weise:

«In unserm Gebirgslande herrscht der übrigens lobenswerte Brauch, daß unmittelbar vor Schlafenszeit der Hausherr zu Tische kniet und sich zum Vorsprecher eines Gebetes macht, das als Rosenkranz bekannt ist. Dieses Gebet wird von der gesamten Familie mit Inbegriff des Dienstvolkes in gegenwortigen Absätzen laut mit- und nachgesprochen und füllt seiner Dauer nach eine nicht zu bezweifelnde Stunde aus. Ja, es kann durch angefügte Vaterunser einer frommen Hausfrau noch beträchtlich verlängert werden. Aus diesem Grunde wird man's nicht unnatürlich finden, wenn der ersehnte, aber durch fortgesetzte heilige hinausgeschobene Schlaf manchmal voreilig zu seinem Rechte greift, den ermüdeten Arbeiter mitten im lauten unterbricht und die knieende Stellung desselben wiederholentlich er­schüttert und so fort, bis sich die sprechend begonnene Frömmigkeit laliend zu Ende geschleift hat. Diesmal ward der Herr des Hauses selbst von der leisen Hand der Natur angefaßt und seine hatten nach und nach allen gewohnten Nachdruck eingebüßt. Ich selbst kniete in einer Ecke der Stube und nickte mehr zur Schlafstätte, als zu Gott hin.

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Vor der Schwelle der offen stehenden Zimmertür lagerte lautlos die schwarzbraune Horde» - es war nämlich Zigeunerbesuch da -, «manch­mal kristaliblanke Zähne enthüllend. Das früh abgeblühte Gesicht eines jungen Weibes, das ruhig dern Eingange zugewendet war, wurde von der Glutröte des Kamins schwankend bestrahlt. Das Weiß in ihrem Auge schien in zunehmender Schläfrigkeit zu ersterben. Desto sichtlicher trat der mattgelbe Schmelz am lasurenen Kreisrande des Augapfels hervor, ein zarter mattgelber Schmelz, der jedes Zigeuner-auge kennzeichnet und manchmal nur dern Maler entdeckbar ist.

All unser Verdruß gegen die Fremdlinge war gewichen, denn Mü­digkeit beherrschte das Haus. Niemand außer der uns schon bekannten Zigeunermutter, die ihre Kniee mitten auf den Fußboden gepflanzt hatte, war mit ausharrend tapferer Stimme dern Gebet gefolgt, und der Frömmigkeit stand eine allgemeine Niederlage bevor.

Plötzlich raffte sich die Alte, wie eine Viper zuckend, mit furcht­barer Heftigkeit von der Diele empor, stürmte mit schnelikräftiger Übermacht auf den erlahmenden Vorbeter los und riß ihm das beperite Sinnbild des Rosenkranzes aus der erschlafften Hand, in cherubischer Wut aufsprühend. Alles andächtige Gelalle stockte wie vor dem Po­saunenschmettern des Weitgerichtes, und das Zimmer schien zu zittern, vom heiligen Erdbeben betroffen. Da sprang oder schnellte sich das pythisch begeisterte Weib mitten in den Kreis der Betenden; ihr Ge­sichtsumriß hatte sich gorgonenhaft verklärt, ihre Stimme sich zum Gewitterton gesteigert. Beide Arme gegen den Himmel reckend, rief sie: -Flatternd fiel der dämmerhafte Glanz der Beleuchtung auf ihre kupf­rige schwarzumringelte Stirne, und unter dieser loderte es wie der Blitz des Erzengels Michael feuergewaltig hervor. Niemals ist mir mit so zündender Eindringlichkeit gesagt worden, daß die schwankenden und unentschiedenen Menschen die schlechtesten und wertlosesten Machwerke des Schöpfers sind.

Welch unermeßliche Fülle religiösen Reichtums durdiwaltet dieses Weib, also dacht' ich, wie beneidenswert!

Ich armer Schüler! Ich hatte noch nicht in Erfahrung gebracht, welch ein verschiedenes Ding es sei, einen Seelengehalt zu besitzen und einen

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solchen zur Darstellung zu bringen. Ich wußte noch nicht, daß es hin­reichend sei, dürftige Ansätze zu einem Gehalt in sich zu fühlen, um unter Umständen einen ausgezeichneten Dolmetsch schwerwiegenden Seelengehaltes abzugeben.

Ich saß einmal unter einem Ahorn, der im Wachstum begriffen war. Das aber gab er durch keinen Trommelton zu verstehen. Allein es ist nicht zu bestreiten, daß zu einer guten Trommel innere Hahlheit not­wendig ist. Wär' es nicht also, so müßten die größten Lärmmacher und Prahihänse, müßten die gewandtesten Gebärdendredisler zugleich die größten schöpferischen Geister unter den Sterblichen, und keck um sich greifende Schauspieler die tiefsinnigsten Dramendichter sein und das moderne Deutschland hätte sich nicht über den Mangel an trefflichen Tragödien zu beklagen.

Wo wäre eine solche Betrachtung passender, als in einer Geschichte der Zigeuner?»

Das ist doch Anlage zu einer solchen Selbsterkenntnis, die nicht notwendig hat, sich von der Welt Moraipredigten halten zu lassen, die schon selbst beurteilen könnte, daß dasjenige, was vorhanden war, vom Jahre 1870 an in die Dekadenz gekommen ist. Allein, wenn man die Dinge verstand, so hat man es getan, wie ich es getan habe in mei­nem Buche über Friedrich Nietzsche, wo ich Nietzsches Wort zitierte:

«Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des .» Ich habe das Buch über Friedrich Nietzsche während des Krieges nicht erscheinen lassen können im Neudruck, weil das darinnen steht. Fer­cher von Steinwand sagt weiter:

«Die Luft ist schwül und schweflig von den Schwüren, die seit acht Jahrzehnten auf die Verfassungen geschworen wurden. Wie viele Staa­ten gibt es, in denen man diese Eide nicht vielfach zu brechen wußte? Unser Geist ist taub von den Drommetenstößen, dem Jubelgeschrei, mit dem wir die himmlische Wohltäterin Freiheit bewillkommten.»

Man glaubt, Fercher von Steinwand rede über Wilsonianismus und Entente-Anschauungen!

«Zählt jedoch die Sterblichen, die Mannes genug sind, um frei zu sein! Wo gäb' es noch vier Wände, die nicht von schwunghaften Zitaten aus Schillers Schriften erdröhnten? Aber wo, in welcher Hütte, in welchem

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Palaste, unter welchem Sterne deutscher Zone lebt noch etwas von des Dichters tatkräftiger Seele, von seiner feurigen Ader, von sei­nem hartnäckigen Drängen nach einem großen Ziel? Wer hätte auch nur den Mut und die Gabe, seine Fehler zu begehen? Die Tribunen aller europäischen Reiche wanken unter der Last der Beredsamkeit und Wissenschaft, durch welche die Ordnung und das Glück in der menschlichen Gesellschaft eingebürgert werden sollen.»

Deshalb habe ich gestern auch gesagt: Wenigstens wird es in Mittel-europa dahin gekommen sein, daß einiges beigetragen sei zur Durch-brechung der Lüge. Wo sie gesiegt hat, wird sie weiterleben.

«Ihr Mattherzigen! Wie lautet der Gedanke, den ihr gedacht habt? Wer unter euch ist ein Mirabeau? Wie glühend ist euer Bild vom glück­lichen Staate, wenn es nicht schon leichenkalt ist, bevor ihr's bekannt­gegeben? Sagt, wer von euch ist größer als der Augenblick? Wie viel schlechte Kerle habt ihr eingeschüchtert, wie viel edelgesinnte Menschen ermutigt? Wie viel Klagen loben euch durch Schweigen? Redet das Unglück nicht lauter als je? Ist es denn so furchtbar schwer, den Ge­danken festzuhalten, daß jeder Mensch, ohne Ausnahme, für Freiheit, Ordnung und Glück, ja sogar für die Kunst, sich selbst zu erziehen, von Kindesbeinen erzogen werden muß, erzogen weit weniger durch Beweisführungen, als durch Liebe, Geduld, Strenge und empfindliche Opfer? Ist es denn so furchtbar schwer, statt den Lärm zu besolden, ein ergiebiges Wirken zu bezahlen? Ist es denn so furchtbar schwer, statt den Bajonetten zu gehorchen, der milden, alles ausgleichenden Ver­nunft zu dienen?»

«Man denke sich einen Staat» - bitte, da sitzen die Generäle! -, «man denke sich einen Staat ersten oder zweiten Ranges. Man denke sich dazu einen einsichtsvollen Minister» - die Minister sitzen auch da -, «der sich das nicht zum Ruhme anrechnet, was einem Nachbar zum Schaden oder zur Unehre gereicht, mit einem Wort, einen Minister, der zwei Dritteile seiner ungeheuren Militärkasse für die Erziehung der untersten Volksschichten verwendet - was meint ihr? Würde ein sol­cher Minister nicht binnen wenigen Jahren den gewaltigsten Um-schwung aller Verhältnisse bewirken, zu seinem eigenen Vorteil, zum Vorteil seines Volkes, zum Vorteil seines Herrn und Königs? Würde

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ein solcher Minister nicht in weniger als einem halben Menschenalter den Charakter der Weltgeschichte ändern? Ich hätte wohl das Herz, zum wiederholtenmale zu sagen; denn es liegt mir nichts daran, von irgend einem glattgebügelten Säbelhelden oder dickleibigen Pa­radebeamten ein närrischer Ideologe gescholten zu werden.

Inzwischen tröstet euch, ihr Zigeuner! Ihr seid in eurer Art nicht allein; ihr droht nicht auszusterben: aus allen Richtungen des Lebens fließen euch täglich neue Ergänzungsscharen zu!»

Es ist schon eine Lebensauffassung, die in den Impulsen, in denen sie auf wirklichem Volkstum fußt, gute Wurzeln getrieben hat, die einen in gewissem Sinne berechtigen zu solchen Behauptungen, wie ich sie getan habe und wie ich sie nicht aus irgendeinem bloßen Gefühls-impulse heraus machen will, sondern wie sie Stück für Stück belegt werden können.

Am nächsten Freitag um 7 Uhr finden wir uns wieder, und dann wollen wir weiter sprechen.

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SECHSTER VORTRAG Dornach, 22. November 1918

Fichte, Johann Gottlieb Fichte hat unter anderem Bedeutungsvollen, das er zur Darstellung, zur Aussprache gebracht hat, einen Satz gesagt, der eigentlich im weitesten Umfange ein geweihtes Wort des Lebens werden sollte. Der Satz heißt: «Der Mensch kann, was er soll; und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht.» Nun, ich sage: Dieser Satz sollte im weitesten Umfange ein geweihtes Wort des Lebens wer­den, und gerade wird es und müßte es die Aufgabe geisteswissenschaft­lichen Denkens und geisteswissenschaftlichen Empfindens sein, diesen Satz in sich selber voll lebendig zu machen. Denn nur aus jenem Be­wußtsein der Persönlichkeit heraus, das getragen und stark gemacht werden kann durch eine solche Gesinnung: der Mensch kann, was er soll; und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht - nur durch eine solche Gesinnung werden die Aufgaben, die der Menschheit von der Gegenwart an gegen die nächste Zukunft zu gestellt werden, einiger­maßen gelöst werden können.

Nun ist das Eigentümliche - das hängt schon einmal mit dem Ent­wickelungsgang der Menschheit zusammen -, daß gerade diesem Satze die tonangebende Gesinnung der Gegenwart, die ja ein Ergebnis ist der Gesinnung der letzten Jahrhunderte und ihrer Entwickelung, die­sem Satze, beziehungsweise der Kraft, dem Inhalt dieses Satzes voll-ständig widerspricht. Es ist im Gegenteile in der Menschheit allmäh­lich eingetreten ein, man könnte schon fast sagen, nahezu an das Ab­solute gehender Unglaube an sich selbst. Dieser Unglaube an sich selbst, er macht sich geltend durch die mannigfaltigsten Finessen des Lebens hindurch. Er macht sich so geltend, daß zuweilen Menschen glauben, großes Vertrauen zu sich selber zu haben, aber sich das nur aus allerlei unterbewußten Untergründen heraus einreden, während es bei ihnen zu einem rechten, wahren, tatkräftigen Selbstvertrauen einfach aus dem Grunde nicht kommt, weil eben das vorliegt, durch die ganze Erziehung des neunzehnten Jahrhunderts das vorliegt, daß die Menschen in bezug auf ihr seelisches Leben, auf die Bloßlegung

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und Inkraftsetzung der seelischen Kräfte, unendlich bequem geworden sind. Und würde nur einmal das Bewußtsein Wurzel schlagen können, daß zu unendlich vielem, wovon man sagt, man könne es nicht, bloß in Wahrheit der Wille fehlt, so würde schon ungeheuer viel getan sein. Denn das Wichtigste, das Allerwichtigste, was für die Zukunft ge­schehen soll, wird nicht geschehen durch Institutionen, wird nicht ge­schehen durch allerlei Einrichtungen, so sehr man heute an Institutio­nen und Einrichtungen wie an ein Alleinseligmachendes überall glaubt, sondern das Wichtigste für die Zukunft wird geschehen durch die Tüch­tigkeit des einzelnen menschlichen Individuums. Diese Tüchtigkeit des einzelnen menschlichen Individuums ergibt sich aber nur aus einem wahrhaften, wirklichen Vertrauen in einen unerschöpflichen Born von göttlicher Kraft in der menschlichen Seele. Aber weit, weit entfernt ist die gegenwärtige Menschheit von diesem Glauben an einen unerschöpf­lichen Quell in der menschlichen Seele.

Deshalb steht die heutige Menschheit so ratlos vor den großen Auf­gaben, die, ich möchte sagen, heute gewissermaßen auf der Straße überall das Leben stellt. Ratlos steht die Menschheit vor den großen Aufgaben. Und die katastrophalen Ereignisse der letzten Jahre, sie haben diese Aufgaben ins Unermeßliche vergrößert, so sehr ins Un­ermeßliche vergrößert, daß die meisten Menschen, die ja schlafen heute, gar nicht ahnen, wie groß, wie umfassend diese Aufgaben sind, gar nicht sich beschäftigen wollen mit dem Umfassenden, mit dem Großen dieser Aufgaben, die heute im Grunde genommen alles, was um uns herum ist, stellt. Und wenn durch die Verhältnisse, wie es gerade jetzt geschieht, über weite Teile der Welt hin geschieht, dann die Menschen aufgerufen werden, aus ihrem Urteilsvermögen, kurz, aus ihrer Seele heraus irgendwelche Entscheidungen zu treffen, so wachsen ihnen heute die Dinge über den Kopf, aus dem Grunde, weil die Menschen einfach nicht vorbereitet sind auf das Erfassen der Aufgaben im Großen; denn im Kleinen können die Aufgaben heute nicht angegriffen werden, sie können nur im Großen angegriffen werden. Und so werden wir es erleben, daß dasjenige, was die Leute tun werden, um an die Stelle der katastrophalen Zustände geordnete, wie sie meinen, zu setzen, zu­nächst für lange Zeit unfruchtbare Arbeit bleiben muß, eher ins Chaos

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hineinführen wird als zu irgendwelcher Ordnung. Einfach deshalb wird es dazu kommen, weil das charakterisierte Vertrauen der Men­schen zu sich selbst fehlt. Es ist ja allerdings bequemer, gegenüber Auf­gaben, die das Leben stellt, zu sagen: Ich kann sie nicht bewältigen -, als die Mittel und Wege zu suchen, um aus dem Seelenleben heraus wirklich die Kräfte für diese Aufgaben zu gewinnen. Und sie sind im Seelenleben, diese Kräfte, denn der Mensch ist von unendlich weiten göttlichen Kräften durchwallt. Und wenn er diese Kräfte nicht sucht, so läßt er sie eben brach liegen, so will er sie nicht entwickeln.

Sehen Sie, dies muß heute der Mensch im Kleinsten und im Großen sich aneignen: alles an die großen Gesichtspunkte des Lebens irgendwie anzuknüpfen, diese großen Gesichtspunkte des Lebens wirklich leben­dig zu machen. Wer das Leben beobachtet, könnte gerade mit Bezug auf solche Dinge in jener Entwickelungsströmung, die nun einmal die heutige Katastrophe gebracht hat, die großen Dekadenzerscheinungen gerade auf diesem Gebiete beobachten. Ich will eine kleine Geschichte erzählen, weil solche kleinen Geschichten vielleicht mehr lehren als theoretisierendes Auseinandersetzen.

Mir begegnete vor vielleicht achtzehn, neunzehn Jahren in Berlin ein Mann, der schon damals als nationalökonomischer Denker und Organisator außerordentlich geschätzt war. Mir begegnete er dazumal, ich kannte ihn, ich war da und dort einmal mit ihm zusammengekom­men, hatte auch von seiner Berühmtheit gehört. Die Leute erzählten schon dazumal in Berlin, der Mann sei so berühmt, daß er, nachdem jetzt eine große Zeitung gegründet worden sei, mit einem großen Ge­halt bei dieser Zeitung angestellt worden sei, und zwar nicht für Artikel, die er für diese Zeitung schreiben sollte, sondern es war ihm freigestellt, wann er wollte, alle Jahre einmal einen Artikel zu schrei­ben. Aber das einzige, was er zu leisten hatte für das hohe Gehalt, das war, daß er für alle anderen Zeitungen nicht schrieb. So be-rühmt war der Mann, daß einer der größten Zeitungsunternehmer Berlins ihm einfach ein hohes Gehalt gab dafür, daß ihm keine Kon­kurrenz erwuchs durch das Schreiben dieses Mannes in anderen Zei­tungen, währenddem er ihm freistellte, wann er wollte, in seiner Zei­tung zu schreiben. Dieser Mann ging auch immer mehr und mehr

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schon mit dem Plane um, im Kleinen über ein bestimmtes Terrain hin allerlei soziale Einrichtungen, gewissermaßen kleine soziale Muster­gesellschaften oder Musterstaaten, könnte man sagen, zu errichten. Es galt für ungeheuer scharfsinnig, wie er sich diese sozialen Muster-gemeinschaften ausgedacht hatte. Und wenn er nicht eigentlich noch viel mehr Anhänger gewann und die Anhänger, die er gewann, nur im Theoretischen blieben, so rührte das auch nicht davon her, daß die Leute ihn nicht für sehr scharfsinnig gehalten hätten, sondern es rührte davon her, daß die Leute zu bequem waren, selbst zu so etwas sich zu bekennen, was sie für sehr scharfsinnig und sehr wohltätig für die Menschheit hielten. Nun begegnete er mir und sagte - ich sah ihn schon mit strahlendem Gesichte kommen -: Jetzt habe ich endlich den Geld­mann gefunden, der mir die Summe zur Verfügung stellt, daß ich ein­mal eine solche Siedelungsgenossenschaft gründen kann. Jetzt wollen wir das Gemeinwesen der Zukunft gründen. - Ich sagte nichts als:

Gründen Sie es nur, es wird schon nach nicht allzu langer Zeit ver­krachen. - Denn solche Dinge gründet man doch nur in der gegenwär­tigen Zeit, damit sie verkrachen, selbstverständlich.

Ich erzähle Ihnen diese Geschichte aus dem Grunde, weil der Glaube sich leicht festsetzen könnte bei einem nicht energischen Denken, bei einem Denken, das nicht an die großen Probleme des Lebens anknüp­fen will, man solle in der Gegenwart mit allerlei Gründungen im Klei­nen anfangen; mit nicht umfassenden Gründungen und gerade bei kleinen Gründungen müsse es sich zeigen, ob irgend etwas sich auch im Großen bewähren könne. Das aber ist ein vollständiges Unding, denn Sie begründen dann innerhalb einer kranken gesellschaftlichen Ordnung irgend etwas, was vielleicht ganz musterhaft sein kann, aber gerade, wenn es gut ist und sich dadurch mächtig unterscheidet von all dem, in das es hineingestellt ist, so muß es um so sicherer mißlingen. Sie können unmöglich, so wie die Dinge sich entwickelt haben, wo die Welt im Großen zeigt, wie sie sich ins Absurde geführt hat, auch nur im entferntesten daran denken, irgendwie mit kleinen Teilchen irgend etwas zu erreichen oder im kleinen Maßstabe irgend etwas zu machen. Nur dasjenige kann irgendeine Bedeutung haben, welches das Um­fassende heute ergreift, welches seine Strahlen aussenden kann, ich

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möchte sagen, nach allem, was Mensch ist. Es schadet nichts, wenn sol­ches ins Große Gedachte mißlingt, denn es wird die Anregung bleiben, und auf diese kommt es an. Auf den Impuls kommt es an.

Das, was aber immer mehr notwendig ist, das ist doch das charak­terisierte Vertrauen zu dem im Menschen liegenden Quell unermeß­licher göttlicher Kräfte. Nichts hat so sehr im Weltenlauf gesündigt gegen diesen Glauben an den unermeßlichen Quell göttlicher Kräfte in der Menschennatur, als die Bourgeoisie des neunzehnten Jahrhun­derts und des angehenden zwanzigsten Jahrhunderts. Deshalb hat diese Bourgeoisje dem aufstrebenden Proletariat ein böses Erbe hinterlassen, und dieses aufstrebende Proletariat wird dieses böse Erbe zunächst übernehmen. Und wenn es nicht begreifen kann, daß es vor allen Dingen nicht darauf ankommt, mit den alten Gedanken Neues machen zu wollen, sondern daß es darauf ankommt, sich zu neuen Gedanken zu wenden, so wird aus allen Einrichtungen nichts herauskommen können, oder besser gesagt: Es wird erst dann aus Einrichtungen etwas werden, wenn diese Einrichtungen aus wirklichen neuen Gedanken, aus dem Impulse, aus der Kraft neuer Gedanken kommen.

Hier muß das Verständnis einsetzen von mancherlei, das wir an­gefangen haben zu betrachten, dessen Betrachtung für die Gegenwart, für ein Wirklichkeitsverständnis der Gegenwart außerordentlich wich­tig und bedeutsam ist. Ich habe Ihnen davon gesprochen, wie das auf­strebende Proletariat in seinen Gedanken, in seinen Empfindungen erfüllt ist von dem Impulse der Lehren des Karl Marx, und ich habe Ihnen einige Gesichtspunkte aus dieser Lehre des Karl Marx angegeben. Diese Gesichtspunkte, die Millionen und Abermillionen von Menschen heute beherrschen, können Ihnen schon verraten, daß dieser ganze Marxismus eben das Erbe der bürgerlichen Weltanschauung des letzten Jahrhunderts ist. Denn ich habe Ihnen ja, ich möchte sagen, die Strö­mungen aufgezeigt, aus denen gerade Karl Marx sein Geisteswasser getrunken hat. Ich habe Ihnen gesagt: Aus dreierlei fließt zusammen dasjenige, was proletarische marxistische Lehre der Gegenwart ist, aus dem dialektischen Denken, das Karl Marx aus der Schule der Hege­lianer hatte, aus dem sozialistischen Impetus namentlich von Saint-Simon und Louis Blanc, also der Franzosen, und aus dem Utilitarismus

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der Engländer. Diese drei Strömungen waren es, aus denen Karl Marx das zusammensetzte, was er so wirkungsvoll dem Proletariat bei-brachte.

Nun, diese drei Dinge können wir jetzt, nachdem wir einiges über die Gesichtspunkte des Karl Marx selbst kennengelernt haben, für sich im einzelnen betrachten. Deutscher Hegelianismus, man kann ihn von den verschiedensten Seiten her charakterisieren. Um gerade Karl Marx zu verstehen, muß man ihn etwa von der folgenden Seite charak­terisieren. Hegelianismus ist die Hingabe an den Gedanken im Men­schen selbst. Es ist vielleicht niemals so energisch, so kraftvoll im reinen Gedanken gearbeitet worden, wie von Hegel selbst. Hegels ganzes System, wenn ich den spießbürgerlichen Ausdruck gebrauchen darf, ist Gedankenarbeit, vom Anfang bis zum Ende lauter wirkliche Gedan­ken. Daraus erklärt sich auch die Schwerverständlichkeit von Hegel, denn da die meisten Menschen in ihrem Leben überhaupt niemals einen einzigen reinen Gedanken haben, so ist natürlich ein Denker, dessen ganzes System aus lauter reinen Gedanken besteht, selbstverständlich schwer, schwer, sehr schwer verständlich. Aber auch Hegel zu ver­stehen, dazu gehört nichts als die Überwindung der Bequemlichkeit des Denkens. Fleiß gehört dazu, Fleiß. Wo Fleiß vorhanden ist, da kommt dann die Befolgung des Satzes: Der Mensch kann, was er soll; und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht. Hegel ist daher ein ener­gischer Denker, ein Denker, der in der Lage ist, seine Denkkraft so in der Hand zu haben, daß er wirklich in den einzelnen Erscheinungen des Lebens den Gedanken findet.

Aber dies hat eine gewisse Schattenseite, die ich Sie bitte, wohl zu beachten. Man muß höchste Anstrengungen machen, aber die genügen; Fleiß genügt. Man muß höchste Anstrengungen machen, wenn man sich wirklich hineinarbeiten will in so etwas wie das Hegelsche System. Anstrengungen muß man machen. Dann aber, wenn man diese An­strengungen gemacht hat, wenn man nun wirklich das Hegelsche Sy­stem vom Anfange bis zum Ende durchgearbeitet hat - die meisten Philosophieprofessoren machen sehr bald Halt, weil sie glauben, sie haben schon im Prinzip den Hegel verstanden; daher konnte Hart­mann, Eduard von Hartmann, in den neunziger Jahren die voll gerechtfertigte

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Behauptung aufstellen, daß unter allen Universitätsprofes­soren der Welt überhaupt nur zwei hegelisch gebildete Leute seien, unter allen Philosophieprofessoren; seit jener Zeit ist von den zweien einer gestorben und keiner hinzugekommen - nun, wenn man Hegel auf diese Weise sich angeeignet hat, ihn gewissermaßen in seinem System durchgeackert und es sich angeeignet hat, wenn man so ein Normalmensch ist - ich will nicht sagen Spießer, aber wenn man so ein Normalmensch ist -, nicht wahr, dann möchte man doch von solch einem anstrengenden Studium etwas haben, man möchte etwas in der Hand halten. Das aber ist gerade in dem gewöhnlichen normalen Men­schensinn gar nicht einmal der Fall. Man hat eigentlich in dem Sinne, wie die Menschen wollen, nichts von Hegel, jedenfalls nichts, was man in ein Heft schreiben und getrost nach Hause tragen kann, auch nicht etwas, was man sich in ein kleines Kompendium zusammenfassen und als Auszug hübsch als Lebensweisheit nach Hause tragen kann. Das alles hat man von Hegel nicht. Von Hegel hat man nur das, daß man sein Denken angestrengt hat und daß, wenn man sich überwunden hat, Hegel durchzuackern, man dann denken kann. Man kann mit dem Denken aber weiter nichts machen als: Man kann denken. Man kann denken, aber man steht mit dem Denken außerhalb des ganzen Lebens. Man kann eben nur denken. Man kann gut denken, aber man steht mit diesem Denken, das im reinen Begriffsorganismus verläuft, also dialektisch ist, außerhalb des Lebens.

Das war es ungefähr, was Marx von Hegel lernen konnte: Denken konnte er lernen, sich wirklich im Gedanken virtuos bewegen, das konnte er lernen. Aber er suchte etwas anderes. Er suchte nach einer Lebensauffassung für das Proletariat, für die weitaus größte Anzahl der besitzlosen neueren Menschheit. An der - wenn ich mich so aus­drücken darf - Richtigkeit des Hegelschen Denkens konnte er nicht zweifeln, aber anfangen konnte er in bezug auf seine Aufgabe mit diesem bloßen Hegelschen Denken eben nichts. Das gab, wenn ich so sagen darf, seinem Karma den entsprechenden Schwung, das führte ihn über das bloße Hegeltum, in dem sich sein Denken geschärft hatte, eben zu den französischen Utopisten, zu Saint-Simon, Louis Blanc. Wenn sich Marx fragte: Wie muß man die soziale Ordnung gestalten? -,

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dann gab ihm das Hegeltum keine Antwort, denn Hegel selbst hat, ich möchte sagen, nur das jedem Menschen bieten können: tief, durchdringend rein zu denken. Aber wenn man Hegel gefragt hat in späteren Jahren, welches die beste soziale Ordnung ist, da hatte er eigentlich seine Jugendanschauungen vergessen gehabt. Es ist außer­ordentlich interessant. Eine der signifikantesten Jugendanschauungen Hegels mit Bezug auf die soziale Ordnung ist die, daß der Staat alles wirklich Menschliche vernichtet; daher muß er aufhören. Das ist ein Hegelscher Jugendsatz: Der Staat muß aufhören. Da rumorte noch dieses großartige Denken in Hegel, als er diesen Satz hinschrieb. Als er es ausgebildet hatte bis zum reinen Gedanken, mit dem eben nur das anzufangen war, daß man denken konnte, da hatte er in bezug auf die beste soziale Ordnung allerdings nur diejenige Antwort, die man ihm heute sehr zum Vorwurf machen kann, wenn man eben alles einseitig beurteilen will, da hatte er nur die Antwort aus seinem scharfsinnigen Denken heraus: Die beste soziale Einrichtung ist der preußische Staat, und der Mittelpunkt der Welt, alles Vollkommenen, ist Berlin. Berlin ist der Mittelpunkt der Welt, und die Universität von Berlin ist wie­derum der Mittelpunkt Berlins. So daß wir hier sind - so sagte er in einer Antrittsrede - im Mittelpunkte des Mittelpunktes. - Wer keinen Sinn hat für Größe, welche oftmals eben auch grotesk, gerade deshalb, weil sie groß ist, irren kann, der wird natürlich alle jene Einwände, die ja billig sind, gegen einen solchen Satz ins Feld führen. Daß hinter all diesen Dingen vom Wirklichkeitsstandpunkt aus unendlich Be­deutungsvolles steckt, das könnte aber Geisteswissenschaft Sie ahnen lassen. Denn aus einer bloßen Albernheit sagte natürlich Hegel solche Dinge nicht. Und das Urteil über das Große, Einzige, das niemals sonst in der Menschheit da war: das Sich-Bewegen im reinen Gedanken, das niemals sonst in der Welt da war als bei Hegel, das wird nicht beein­trächtigt dadurch, daß dann unter gewissen Voraussetzungen von Hegel selbst eine solche Folgerung gezogen ward. Aber begreiflich wird es scheinen, daß Karl Marx nicht viel für die besten sozialen In­teressen aus Hegel holen konnte.

So brachte ihn eben zunächst sein Karma den französischen Uto­pisten nahe. Die habe ich Ihnen ja zum Teil schon charakterisiert. Es

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handelte sich zum Beispiel für Saint-Simon hauptsächlich darum, den von ihm vorgefundenen Staat durch eine andere Einrichtung zu er­setzen, und indem er an diese andere Einrichtung dachte, stellte sich ihm gleich vor Augen dasjenige, was das Bezeichnendste und Ein­greifendste für die neuere Zeit ist: die Industrialisierung des Lebens. Daher forderte er an Stelle aller alten politischen Einrichtungen die Verwaltung der verschiedenen Produktionszweige, so daß im Grunde genommen von ihm das Heil der sozialen Ordnung gesucht wird in der möglichst besten Verwaltung der sozialen Struktur nach der Ordnung eines Fabrikzusammenhanges. Louis Blanc richtete ja bekanntlich 1848 die verschiedensten nationalen Werkstätten ein, in denen solche Saint­Simonsche Gedanken verwirklicht werden sollten. Nun, sie gingen eben sehr bald zugrunde, wie es ja selbstverständlich ist, daß solche Dinge zugrunde gehen. Als den Grundimpuls, der aller solcher Verwaltung von Produktionszweigen zugrunde liegen sollte, dachte sich Saint-Simon eine Art sehr, sehr vereinfachten Christentums. Nicht das alte Dogmen-Christentum soll fortgehen, meinte er, sondern fortgehen soll ein praktisches Christentum, das eigentlich in dem einzigen Satze be-stehen sollte: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. - Ein sehr schöner Satz, aber wenn man ihn predigt, ebenso unwirksam, wie wenn man dem Ofen predigt, er soll warm sein, und ihn nicht heizt.

Nun, so ward Karl Marx unter diese Utopisten geworfen. Bei Hegel konnte er sich sagen: Wunderbares Denken, aber es ist nicht durch­führbar, wenn man in dies wirkliche Leben hineingehen soll. Man faßt es nicht an, dieses wirkliche Leben. Es bleibt in der Höhe des rein dia­lektischen Denkens, nicht des abstrakten, aber des rein dialektischen Denkens. - Hier bei den Utopisten fand er in gewissem Sinne ein ein­dringliches Fühlen, denn sowohl bei Saint-Simon wie bei Louis Blanc ging der soziale Impetus vom Fühlen aus - ein eindringliches Fühlen. Aber Karl Marx war durch seine Hegelsche Schulung erstens ein zu großer Denker, als daß er nicht gesehen hätte die Stumpfheit - ich meine damit nichts Übles, aber dem Leben gegenüber so, wie man ein stumpfes Messer hat -, die Stumpfheit dieser utopistischen Lehre und Anschauung dem Leben gegenüber. Und auf der anderen Seite mußte Karl Marx sich sagen: Um solche Einrichtungen, wie sie Saint-Simon

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zum Heile der Menschheit forderte, zu treffen, braucht man eben inner­halb des Bürgertums guten Willen, praktisches Christentum. Wo soll das aber herkommen? - Das wird ihm ja die Hauptsache: Wo soll dieses praktische Christentum herkommen?

Sehen Sie, selbst einfach praktisch gedacht gibt es ja keine Möglich­keit, daran zu glauben, daß die gewöhnliche Bourgeois-Anschauung und Bourgeois-Gesinnung in der Lage ist, das, was eben von Karl Marx, von Saint-Simon und all denen soziale Frage genannt werden konnte, zu lösen. Denn aus den sozialen Gesichtspunkten heraus, aus denen die Bourgeoisie arbeitete, ergab sich ja mancherlei, ich will sagen, als Lebenswerte für die Bourgeoisie, aber das reichte ja nur aus für eine kleine Minderheit, für eine wirklich kleine Minderheit. Eine kleine Minderheit konnte angenehm leben, konnte reisen, konnte alle mög­liche Kunst genießen - ich will nur die schönsten Sachen nennen. Aber die große Mehrheit konnte an all das ja nicht heran. Und wie sollte das Bürgertum, das eben nur in der Lage war, für eine kleine Minder­heit zu sorgen, wie sollte das etwas tun aus dem bloßen Mitleid oder Mitgefühl heraus für die ganze proletarische Masse? Ich meine, der einfache Gedanke ergibt das ja, daß auf diese Weise nichts zu erreichen ist, abgesehen von dem Gedanken, den Karl Marx dann geltend rnachte, und den ich Ihnen neulich anführte: daß eben vermöge der sozialen Struktur dieses Bürgertum gar nicht im entferntesten in der Lage ist, selbst wenn es wollte, irgend etwas für das Proletariat Wirk­sames zu tun. Nun, auf das haben wir ja neulich hingewiesen als einer Anschauung von Karl Marx. So fand Karl Marx im deutschen Hegel­tum das der neuen Zeit angemessene Denken, bei Saint-Simon das der neuen Zeit angemessene Fühlen. Aber mit beiden konnte er nach seiner Ansicht nichts machen.

So führte ihn denn sein Karma weiter nach dem englischen Utilita­rismus, nach jener sozialen Struktur, innerhalb welcher das neuzeitliche industrielle Wesen, ich möchte sagen am weitesten vorgeschritten war, schon als Karl Marx sich seine Weltanschauung bildete. Diejenigen, die innerhalb des englischen Denkens selber bis zu Karl Marx Sozia­lismus getrieben haben, entwickelten ihren Sozialismus - ich er­innere nur an Robert Owen - vorzugsweise aus dem Wollen heraus.

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Karl Marx konnte aber studieren, wie aus einem gewissen Wollen heraus, wenn es auf ein kleines Gebiet eingeschränkt wird

- Sie erinnern sich dessen, was ich gerade vorhin gesagt habe -, auch nichts erreicht werden kann. Man weiß ja, daß Robert Owen Musterwirtschaften eingeführt hat, die wirklich praktisch eingerichtet waren. Allein man kann in der modernen Welt mit kleinen Muster­wirtschaften eben nichts anderes einrichten als dasjenige, was verkracht. Selbstverständlich sind auch Robert Owens Versuche im Grunde ver­kracht; das ist nur eine Selbstverständlichkeit. Und so wurde denn Karl Marx durch alles das durchgeführt, besonders aber angezogen durch das praktische Denken, das rein im Mechanistischen des Indu­strialismus aufgeht, und bildete daraus seine proletarische Weltanschau­ung, diese proletarische Weltanschauung, die nun nicht sich basiert auf das Denken, obwohl sie das Denken verwendet, die nicht sich basiert auf das Fühlen, obwohl sie das Fühlen verwendet, sich auch nicht ba­siert auf das Wollen, sondern sich basiert auf dasjenige, was äußerlich, rein äußerlich in der sinnenfälligen Welt vor sich geht, und zwar gerade unter der Hand des Proletariers vor sich geht in der industriel­len Welt, in der Welt der modernen Produktionsweise. Und da zeigte sich Karl Marx, der in einer so großartigen Weise durchgegangen war durch modernes Denken, Fühlen und Wollen, daß ihm anhing gerade, und zwar ihm jetzt anhing im klassischen Sinne, ich möchte sagen, mit einer gewissen Größe diese Vertrauenslosigkeit, die das moderne See­lenleben eigentlich charakterisiert. Denn bei Hegel hatte zum Beispiel Karl Marx vernehmen können, daß die Weltgeschichte der Fortschritt der Menschheit im Bewußtsein der Freiheit ist; also etwas Ideelles liegt als Impuls der Menschheitsentwickelung in ihrer Geschichte zugrunde. Es ist ein abstrakter Satz, mit dem nicht viel anzufangen ist. Bei Saint-Simon hatte er lernen können, daß da, wo praktisches Christentum waltet und insoweit praktisches Christentum waltet, die Menschheits­entwickelung vorwärtskommen mußte. Sie ist aber nicht vorwärts ge­kommen, sie hat eben gerade zu der modernen Verelendung, zu dem modernen Proletarierelend geführt und so weiter. Da setzte sich in Karl Marx eine Idee fest, ein Empfindungsimpuls fest, der wirklich geeignet war, in allerweitesten proletarischen Kreisen Verständnis zu

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finden, in den Bürgerkreisen nur deshalb nicht, weil die Bürgerkreise faul waren und solche Sachen nicht aufnahmen, sich um solche Sachen nicht kümmerten. Es setzte sich der Gedanke fest bei Karl Marx: Es ist überhaupt ganz gleichgültig letzten Endes, was die Menschen den­ken, was sie fühlen, was sie wollen, denn dasjenige, was das geschicht­liche Werden bedingt, das hängt doch nur ab von dem ökonomischen Prozeß, von dem, wie gewirtschaftet wird. Ob einer ein Unternehmer ist, ob einer ein Arbeiter ist, ob einer in dieser oder jener Weise im Wirtschaftlichen drinnensteht, das fügt, daß er in einer bestimmten Weise Gedanken hat, daß er in einer bestimmten Weise fühlt, daß er bestimmte Willensimpulse hat. Wer als Kind in einer Beamtenfamilie aufwächst, der hält anderes für richtig, der hält anderes für falsch, fühlt und empfindet einfach dadurch, daß er in der wirtschaftlichen Ordnung einer Beamtenfamilie aufwächst, anders als das Proletarier-kind, das sich selber überlassen ist, während Vater und Mutter in die Fabrik gehen und so weiter. - Und so kam Karl Marx zu seinem ein­schlägigen, beim Proletariat einschlägigen Satze: Die Einrichtungen, welche die Menschen treffen, richten sich nicht nach dem Bewußtsein der Menschen, sondern das Bewußtsein der Menschen richtet sich nach den Einrichtungen, welche von selber entstehen, durch eine bloße tat­sächliche Notwendigkeit entstehen. Die Menschen glauben, daß sie denken und fühlen und wollen aus ihren inneren Impulsen heraus. O nein, sie denken und fühlen und wollen nicht aus ihren inneren Im­pulsen heraus, sondern sie fühlen und denken und wollen nach der Klasse, in die sie hineingeboren sind ohne ihr Verdienst und ohne ihre Schuld.

Man kann es empfinden, daß, wenn der Grundimpuls einer Lehre dieser ist, dieser Grundimpuls gerade auf entgegenkommendes Ver­ständnis in der proletarischen Klasse führen mußte, denn durch diese Lehre war man überhoben jeglichen Vertrauens zu sich selbst. Man brauchte nichts von Vertrauen zu sich selbst zu haben, denn es half einem gar nichts, ob man energisch oder nicht energisch dachte, ob man energisch oder nicht energisch fühlte, ob man energisch oder nicht energisch will; das alles ist ja doch nur der Ausfluß, der Überbau aus der Grundlage, die einem die soziale Ordnung, die wirtschaftliche

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Stellung, in die man hineingeboren ist, anweist. Ihr könnt daher -so etwa würde der richtige Marxist sagen - die schönsten Systeme ausdenken, wie die Menschen die besten sozialen Strukturen sich einrichten, wie das beste wirtschaftliche Leben sich gestalten kann, was man machen soll, daß die Menschen glücklich seien, zufrieden seien, daß sie zu essen haben, daß sie ein angenehmes Leben führen können, ihr mögt denken wie ihr wollt, das alles hat doch gar keinen Wert, davon hängt doch nichts ab, das alles ist nur ein Spiegel des wirtschaft­lichen Lebens, wie ihr denkt und fühlt und wollt, denn das, was alles macht, ist das wirtschaftliche Leben. - Daher gab Karl Marx überhaupt alle sozialistischen Theorien als Theorien auf und sagte: Es kommt bloß darauf an, daß man das wirtschaftliche Leben versteht, daß man weiß, wie das wirtschaftliche Leben verläuft. Dann kann man höchstens der Lokomotive da oder dort einen Ruck geben, daß sie schneller geht, aber sie geht von selbst, die Dinge entwickeln sich von selbst.

Sie werden natürlich fühlen, daß da allerlei Widersprüche rumoren. Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Aber jetzt wollen wir die Sache einmal darstellen, wie sie sich in den Köpfen der marxisti­schen Proletarier spiegelt. So sagte Karl Marx, und so sagen diese: Die hauptsächlichsten Formen des Wirtschaftslebens haben sich im Laufe der Zeit auseinander entwickelt. In früheren orientalischen Zuständen war das Zusammenleben der Menschen in Barbarei getaucht. Dann kam jene wirtschaftliche Ordnung, die die Menschen teilte in Herren und in Sklaven, was noch im Griechischen geradezu selbst von Aristo­teles als eine Notwendigkeit angesehen wurde: daß die Menschen ge­teilt werden in Herren und Sklaven. Dann kam die mehr mittelalter­liche Ordnung der Leibeigenschaft, des Feudalwesens, wo die Menschen zwar nicht Sklaven waren, aber Leibeigene, gebunden an den Herrn, der das Feudum inne hatte, so daß sie gewissermaßen zum Feudum, zum Gute gehörten. Dann kam die neuere Zeit, das Lohnsystem, wo in einer solchen Weise, wie ich es Ihnen neulich charakterisiert habe, der Arbeiter seine Arbeitskraft als Ware an den Unternehmer verkauft und den Preis für die Ware in Form des Lohnes erhält. Barbarei, Skla­verei, Leibeigenschaft, Lohnsystem sind im wesentlichen die Formen, in denen sich das Wirtschaftsleben entwickelt hat. Das Denken der

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Menschen muß ein anderes sein da, wo Sklaverei herrscht, ein anderes da, wo Leibeigenschaft herrscht, ein anderes da, wo das moderne Lohn-system ist. Denn alles das, was die Menschen denken, womit sie glau­ben, die Welt beglücken zu können, ist ideologischer Oberbau. Das kann sich konsolidieren, was die Menschen über das denken; es kann dann wiederum zurückwirken, was sich so konsolidiert hat an An­schauungen, an Meinungen und Gedanken, so daß tatsächlich diese Gedanken der Menschen in der Ideologität wiederum zurückwirken in die wirtschaftliche Ordnung. Aber ursprünglich stammen sie doch aus der wirtschaftlichen Ordnung. Dieses moderne Lohnsystem hat sich ja am intensivsten ausgebildet eben in dem modernen wirtschaftlichen Leben unter dem Einflusse des modernen Industrialismus durch den Gegensatz von Unternehmertum und Arbeitertum. Es hat sich so aus­gebildet, daß, wie ich Ihnen schon von einem anderen Gesichtspunkte dargestellt habe, der Unternehmer der Besitzer der Produktionsmittel ist. Dadurch, daß er der Besitzer der Produktionsmittel ist, kann nur durch ihn gearbeitet werden. Der Arbeiter ist gezwungen, seine Ar­beitskraft als Ware an den Unternehmer zu verkaufen und sich eben entlohnen zu lassen, wodurch sich in der Art, wie ich es Ihnen dar­gestellt habe, der Mehrwert ergibt.

Dieses moderne Wirtschaftsleben, von dem nimmt nun Karl Marx an, daß es die Tendenz hat, den Besitz an Produktionsmitteln immer mehr und mehr zu konzentrieren. Dieses Wirtschaftsleben bringt es von selbst mit sich, daß das Unternehmertum sich vereinigen muß vom einzelnen Unternehmer zur Gesellschaft, zum Trust und so weiter. Und dadurch kommt, indem sich die Unternehmer vereinigen, Summe von Produktionsmitteln zu Summe. Dadurch aber wird der Weg vorbe­reitet, die Produktionsmittel überhaupt zu sozialisieren. Die Unter­nehmer arbeiten schon vor, und wenn ein bestimmter Punkt gekom­men ist, dann müssen die Produktionsmittel so weit konzentriert sein, daß es dann nur einer Umlagerung bedarf. Dann verstaatlicht man, sozialisiert man Produktionsmittel, die ja ohnedies schon zusammen-gestrebt haben in Gesellschaften und Trusts und lagert die Sache nur um, indem derjenige, der bisher der Arbeiter war, eben als Gesamt­gesellschaft sich in den Besitz der Produktionsmittel setzt, indem er

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durch einen notwendigen Prozeß jetzt das hat. Was jetzt so dargestellt wird, das muß geschehen. Die Unternehmer arbeiten der Sozialisierung vor; indem sie immer mehr und mehr die Sozialisierung selber besor­gen, bringen sie sie an einen Punkt, wo das Proletariat sie übernehmen kann. Hegel ging in Gedanken von These zu Antithese und zu Syn­these. Karl Marx setzt das in die Wirklichkeit des ökonomischen Pro­zesses um: Unternehmerordnung, sie schlägt in ihr Gegenteil um; der Proletarier bemächtigt sich ganz von selbst der Produktionsmittel. Der wirtschafttliche Prozeß macht sich selber. Man ist bloß der Geburts­helfer dessen, was von selbst geschieht, glaubt nicht, daß dieser ideolo­gische Oberbau von Denken, Fühlen und Wollen etwas Besonderes aus­machen kann. Der ökonomische Prozeß, so sagt Karl Marx, der macht alles; was ihr denkt, das sind bloß die Schaumwellen oben aus dem ökonomischen Prozeß. Je nachdem die wirtschaftliche Ordnung ist, er­zeugt das in diesen oder jenen Menschenköpfen diese oder jene Ge­danken. Das sind die Schaumwellen da oben. Das Wichtigste ist der ökonomische Prozeß, der aber führt ganz notwendig von der Thesis zur Antithesis. Dasjenige, was das Proletariat erarbeitet hat, wurde von den Unternehmern den eigentlichen Eigentümern, den Proleta­riern, weggenommen. Die Unternehmer wurden die Expropriateure. Aber dieser Prozeß, den Proprietär zu expropriieren, der schlägt not­wendig in der ökonomischen Entwickelung in sein Gegenteil um. Es entsteht, wie in der Natur Ursache und Wirkung folgt, die Expropria­tion der Expropriateure.

Man brauchte gar kein Vertrauen zu den seelischen Kräften. Man konnte gerade mit dem schlimmsten Erbe der bürgerlichen Bildung der neueren Zeit, mit dem Mißtrauen in die seelischen Kräfte des Men­schen arbeiten bei dieser proletarischen Theorie. Der Proletarier sah sich hilflos ausgeliefert dem Unternehmertum. Er hatte Verständnis für eine Theorie, welche gar nicht den Anspruch darauf macht, daß er sich selber helfen soll, weil die Expropriation der Expropriateure schon von selbst dasjenige herbeiführt, was die Sozialisierung der Pro­duktionsmittel ergeben muß. Die moderne Produktionsweise schlägt notwendigerweise in ihr Gegenteil um.

Daß sich die Sachen von selbst machen, das war das so ungeheuer

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Einleuchtende für die proletarische Welt. Und will man sich Verständ­nis erwerben gerade für die Psychologie dieses proletarischen Empfin­dens, so muß man schon darauf Rücksicht nehmen, daß eben dieses absolute Mißtrauen in die Seelenkräfte ein bedeutendes Triebrad war in dem Siegeszug, den das marxistische Denken durch die Welt machte. Marxismus ist eben durchaus nicht ein Dogma, sondern Marxismus ist eine Methode, die Welt - und zwar für den Proletarier die einzige ihm zugängliche Welt -, die Welt der wirtschaftlichen Ordnung, der wirt­schaftlichen Entwickelung zu beobachten. Ich möchte sagen - ich glaube, das trifft wirklich die Sache -, der Proletarier vertraut nicht auf irgend­eine Gedankenkraft, obwohl Karl Marx sagt: Die Philosophen haben immer nur die Welt interpretiert durch Gedanken; man muß durch Gedanken in der Welt schaffen -, aber eigentlich vertraut er nicht auf Gedanken und ihre Kraft, auf das Wirksame von Gedanken für irgend­welche Einrichtungen, sondern er vertraut nur auf den Selbststeue­rungsprozeß der wirtschaftlichen Ordnung. Das war im wesentlichen auch dasjenige, auf das man stieß, wenn man sich bekannt machte mit dem wirklichen Leben im modernen Proletariat. Man möchte sagen:

Man stieß auf die schier apokalyptische Hoffnung, daß die Expro­priation der Expropriateure, die notwendige Sozialisierung der Pro­duktionsmittel, mit einer großen Krise kommen muß.

Das Bürgertum machte sich darüber lustig, so daß es wieder und wiederum wiederholte, das moderne Proletariat warte auf den großen Kladderadatsch. Unter diesem großen Kladderadatsch wurde eben vor­gestellt, daß, ich möchte sagen, das Gefäß, welches das Unternehmer­tum begründete, selbst zerspringt, daß durch Selbstregulierung das Unternehmertum übergeht in die gemeinschaftliche Verwaltung der Produktionsmittel durch das Proletariat. Das war gewissermaßen die apokalyptische Hoffnung. In dieser Hoffnung arbeitete mit festem Glauben eben dieses moderne Proletariat. Man war felsenfest davon überzeugt, daß es gar nicht anders kommen könne, als daß diese Sozia­lisierung einzutreten hätte.

Sehen Sie, hier ist im Marxismus jede bloße theoretische Anschau­ung abgewiesen. Eine bloße theoretische Anschauung ist Ideologie oder Überbau, der ja zurückwirken kann, aber der auch, wenn er zurückwirkt,

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doch ursprünglich entstanden ist aus der bloßen wirtschaft­lichen Ordnung. Und doch, das Ganze ist doch eine Theorie. Es läßt sich doch nicht leugnen, daß es eine Theorie ist. Und als Theorie hat es gerade eingeschlagen; es hat die Leute gehoben, es hat den Leuten einen bestimmten Glauben beigebracht. Und das Merkwürdige war:

Als der Glaube des Bürgertums, der ja kein neuer war, sondern nur ein traditionell alter war, immer mehr und mehr versumpfte, verlot­terte und korrumpierte, erstand ein allerdings bloßer materialistischer Glaube, der Glaube an die Apokalypse der wirtschaftlichen Ordnung, felsenfest im Proletariat. - Wenn man nur auf die Kraft des Glaubens sieht, bloß auf den Impetus des Glaubens sieht, so kann man sagen:

Es ist ganz gewiß auch innerhalb der ersten Christengemeinden nie­mals fester geglaubt worden, mit größerer Kraft geglaubt worden als vom modernen Proletariat an die Apokalypse der wirtschaftlichen Entwickelung: Expropriierung der Expropriateure. - Man konnte da schon Glaubenskraft kennenlernen, wenn sie auch nach der Meinung der Leute - anderer Leute als der Proletarier - an nichts sehr Hohes sich wendete, man konnte schon lernen, was Kraft eines Glaubens, eines Bekenntnisses ist; denn Bekenntnis wurde das für das Proletariat.

Nun, das Merkwürdige ist dieses, daß aus der Beobachtung vorzugs­weise des Lebens im Britischen Reiche Karl Marx und sein Freund Friedrich Engels diese Lehre gewonnen haben; eingeschlagen aber, so daß sie zur Orthodoxie geworden ist, am intensivsten eingeschlagen hat diese Lehre innerhalb der deutschen Arbeiterschaft. Die echtesten Mar­xisten gab es unter der deutschen Arbeiterschaft. Und für den, der solche Dinge studieren kann nach den Wirklichkeitsgrundlagen, liegt die Sache so, daß er einsieht, daß wirklich die marxistische Lehre nur innerhalb des Britischen Reiches, aus der Beobachtung der britischen Verhältnisse entstehen konnte. Nur ein durch Hegelsches dialektisches Denken, ein durch utopistisches Fühlen der Saint-Simon-Schule hin-durchgegangener und ein auf die Owenschen und andere sozialistischen Experimente blickender Mann, der nun aber zu gleicher Zeit beobachtet, wie sich im englischen Industrialismus Unternehmertum und Prole­tariat gegenseitig verhalten, wie da ein absolutes Nichtverstehen, sich bloßes Einstellen auf einen Kampf stattfindet, nur ein solcher Mensch,

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der das alles durchgemacht hat, der eben mit seiner Beobachtung ge-landet war da, wo gewissermaßen der wirtschaftliche, der rein ökono-mische Prozeß in Reinkultur vor ihm stand, der konnte so etwas aus­denken. Als Marx das ausdachte, war zum Beispiel Deutschland noch lange nicht ein Industriestaat, in dem man das hätte ausdenken können, was Karl Marx gedacht hat. Man brauchte deutsche Gedan­ken der Hegelschen Lehre, um so scharfsinnig das industriell-wirt­schaftliche System durchzudenken. Aber Deutschland selbst war zu der Zeit viel zu sehr noch Agrar- und gar nicht Industrieland, um irgendwie das beobachten zu können, was nötig war, um zu dieser marxistischen Methode, das wirtschaftliche Leben zu beobachten, eben zu kommen.

Es gibt ja ältere sozialistische Lehren innerhalb Deutschlands, zum Beispiel Weitlings «Evangelium eines armen Sünders», oder Marlos sozialistischer Versuch. Marlo war Professor in Kassel, Winkelblech heißt er mit seinem wirklichen Namen. Dann Rodbertus; aber Rodber­tus stützt sich namentlich auf agrarische Verhältnisse. Alle diese Dinge sind eben wirklich kleine Anfänge des sozialen Fühlens gegenüber dem Eindringlichen der marxistischen Anschauung. Was Karl Marx gemacht hat, das konnte nur durch die Beobachtung am Objekte, nämlich im Britischen Reiche, wo der Industrialismus dazumal schon so weit vor-geschritten war in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, gewonnen werden. Dann aber konnte es, nachdem es gewonnen war, gerade im aufkeimenden Industrialismus gründlich Wurzel schlagen, beim Pro letariate des aufkeimenden Industrialismus innerhalb Deutsch­lands gründlich Wurzel schlagen.

Das ist durchaus begreiflich, daß es da gründlich Wurzel schlagen konnte. Denn wenn in einem solchen Gebiete ein Mensch wie Hegel lebt, so ist er ja nicht wie ein Meteor aus dem Himmel heruntergefallen, sondern er stellt nur dar die konzentrierte Kraft gerade mit Bezug auf eine solche Eigenschaft, wie es bei Hegel ist, die konzentrierte Kraft von Anlagen, die doch im Volke schon sind. Karl Marx hatte gewisser­maßen sein dialektisches Denken in Deutschland gelernt, aus Deutsch­land nach England hinübergetragen. Daß er mit dem, was er dort aus­gebildet hatte, in Deutschland wiederum das tiefste Verständnis fand,

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daß da das Denken geeignet war, als es sich jetzt umgesetzt hatte von den Höhen, wo man nur denken gelernt hatte, in das Begreifen, in das Versuchen, zu begreifen den wirtschaftlichen Prozeß, das ist ja ver­ständlich. Wenn man bloß Hegel hat - nicht wahr, ich habe Ihnen das charakterisiert -, nun ja, da kann man nachher denken, aber man hat nichts in der Hand. Aber jetzt hat Marx unter dem Einflusse des Briti­schen Reiches, des Industrialismus des Britischen Reiches das Denken so verändert, daß er dem Proletariat hinstellte: Du wirst, wenn die Krisis herangekommen ist, all das haben, was die Leute haben, die dich aussaugen. Du brauchst nur so zu denken, dann tust du schon genug. Habe nur Verständnis; die Lokomotive fährt, gib nur manch­mal einen Schubs, damit sie schneller fährt. Das ist das einzige, was du kannst. Das, was du denkst, ist natürlich auch nur eine Ideologie, aber das, was du denkst, wirkt wiederum zurück. Sie stammen vom wirtschaftlichen Leben, deine Gedanken, und gesundes wirtschaftliches Denken kann man nicht durch Studium, sondern nur dadurch, daß man Proletarier ist, erreichen, denn nur aus dieser Klasse heraus kommt das wirtschaftliche Denken. Also du bist Proletarier. Weil du Proletarier bist, denkst du richtig im Sinne der modernen Zeit. Da entwickelt sich deine Ideologie, mit der kannst du ja wieder zurückwirken, da gibst du der Lokomotive einen Puff. - Jetzt hat man etwas davon! Das ist nicht nur Hegelismus, auch nicht Saint-Simonismus und auch nicht Owensches, denn der Hegelismus gibt Gedanken, die nicht eingreifen in die Wirklichkeit, der Saint-Simonismus gibt soziale Gefühle, die aber so sind wie wenn man sagen wollte: Mach warm, lieber Ofen, - ohne daß man Holz hineintut. Robert Owen und andere sind gescheitert mit einzelnen sozialistischen Unternehmungen; aber Karl Marx hat hingewiesen auf einen Prozeß, den die ganze Menschheit durchmacht, das Proletariat durch alle Länder über die ganze Erde hin, der darin­nen besteht, daß die Expropriation expropriiert werde, daß die Pro­duktionsmittel sozialisiert werden. Es gibt also schon einen inneren Grund, daß gewissermaßen das, was mit deutschem Denken ergriffen worden ist, auch wiederum in Deutschland am intensivsten eingeschla­gen hat, so daß da der orthodoxeste Marxismus entstanden ist.

Das Eigentümliche ist: Der Marx konnte eine solche Lehre in England

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fabrizieren, aber auf England selbst ist sie nicht anwendbar, weil die Menschen sie nicht annehmen wegen dieses Grundes, daß ja dort jener Gegensatz zwischen Unternehmer und Arbeiter gar nicht besteht in demselben Maße. Ich habe das, glaube ich, erwähnt. Da stehen Unternehmer und Arbeiter sich näher. Dafür kann ich Ihnen auch ein­zelne Beweise anführen. Ich will Ihnen einen solchen Beweis anführen. Alle diese Dinge, die vom geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte aus angeführt werden, die lassen sich nämlich auch durch empirische Tat­sachen durchaus beweisen. Sehen Sie, Marx arbeitete mit scharfsinnigem Hegelschem Denken, welches vorzugsweise deutsches Denken ist. Sein marxistisches System, das fand verständnisvolles Entgegenkommen gerade im deutschen Proletariat. Der Bernstein, Eduard Bernstein, der hielt sich dann länger in England auf, studierte weniger den industriel­len ökonomischen Prozeß als die Ansicht, die die Leute haben, die Proletarier haben, die dortigen sozialen Strömungen. Er ist weniger Hegelisch geschult - Bernstein lebt ja noch -, er richtete also nicht das scharfsinnige dialektische Denken Hegels auf die englischen Verhält­nisse, sondern paßte sein Denken mehr dem englischen proletarischen Denken selber an, und als er nach Deutschland zurückkam, nachdem er lange verbannt war aus Deutschland und ein Asyl in London gefunden hatte, da wurde aus seiner Anschauung der sogenannte sozialistische Revisionismus, das heißt, ein abgeschwächtes, nicht mehr marxistisches Denken, das doch eigentlich wenig verstanden worden ist, das dann nur - nicht innerhalb der proletarisch-sozialistischen Partei, aber inner­halb der verschiedenen gewerkschaftlichen Kreise Anhängerschaft ge­wonnen hat, weil es etwas bequemer ist gegenüber den Regierungs-mächten als der Marxismus. Sehen Sie, da haben Sie den lebendigen Beweis: Einer, der sich angepaßt hat an das englische proletarische Denken, der ist nicht zum Marxismus gekommen, so wie das deutsche Proletariat unmittelbar den Marxismus ergriffen hat, weil dieser Mar­xismus zwar in England fabriziert werden konnte, aber in England selber nicht den Boden hat, in den Menschen nicht den Boden hat. Er hatte den Boden in den deutschen Arbeitern vor allen Dingen. Von da aus breitete er sich dann nach den verschiedensten Richtungen aus, aber in derselben orthodoxen Starrheit, Festigkeit, mit jener ungeheuren

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Glaubenskraft doch nicht so leicht sonstwo als innerhalb des deut­schen Proletariats.

Das ist sehr wichtig festzuhalten, weil es gerade für den gegenwär­tigen Zeitpunkt, wo die soziale Frage ihre große Rolle spielt, das deutsche Wesen, das deutsche Proletarierwesen charakterisiert, seine ganze Stellung zur Welt charakterisiert. Und dies muß man auch ins Auge fassen, wenn man die gegenwärtige welthistorische Stellung der sozialen Fragen durchgreifend verstehen will, wenn man sie verstehen will im Zusammenhang mit den katastrophalen politischen Ereignissen der Gegenwart.

Sehen Sie, es ist eine Theorie, sagte ich vorhin - trotzdem alle Theo­rie als eine bloße Ideologie erklärt wird -, es ist eine Theorie, die ein­gedrungen ist in Herzen, in Seelen, die ungeheure Glaubensintensität entwickelt hat. Aber indem sie als Theorie Tatsache geworden ist, hat sie als Tatsache gewissermaßen die Starrheit von Theorien entwickelt. Das brachte es dahin, daß das moderne Proletariat, namentlich das deutsche Proletariat, fest geschult, glaubenskräftig erfüllt vom Marxis­mus in seiner Mehrheit war, aber für gewisse elementare Dinge, wenn sie mit dem zur Tatsache gewordenen Marxismus nicht übereinstimm­ten, gar kein rechtes Verständnis hatte. Wer viel diskutiert hat mit modernen Proletariern, wie ich es konnte in der Zeit, als ich Lehrer einer Arbeiter-Bildungsschule war und mit den verschiedensten gewerk­schaftlichen, auch politischen Verbänden der Sozialdemokratie gespro­chen habe, wer die tatsächlichen Verhältnisse da studieren konnte -ich habe ja auch Redeübungen abgehalten, denn die Leute waren aufs Praktische gestellt, sie wollten teilnehmen am politischen Leben, woll­ten reden lernen -, wer da namentlich Diskutierübungen abgehalten hat, also drinnenstand in der Art und Weise, wie die Leute miteinander diskutierten, der weiß natürlich, für welche Dinge die Leute zugänglich waren. Nicht wahr, wenn man Diskutierübungen leitet, wirft man ja, das ist einfach ein technisches Hilfsmittel, da oder dort, um die Diskus­sion anzuregen, irgend etwas ein. Gerade wenn man bloß Diskutier­übungen leitet, weiß man ja - jeder weiß das -, daß man das, was man einwirft, nicht als seine Meinung, sondern probeweise einwirft. Man könnte auch das sagen: Was würde man darauf antworten, wenn man

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zum Beispiel dem Proletarier sagen wollte: Ja, sehen Sie, der Streik gilt Ihnen als etwas, was eine ganz brauchbare Waffe im modernen proletarischen Klassenkampfe ist; warum streikt Ihr nicht gegenüber den Kanonenfabriken? Ihr begeht den großen Widerspruch, daß Ihr genau wißt: Die Kanonen sind Eure schärfsten Feinde, aber Ihr fabri­ziert sie. Ihr würdet ja Unendliches im Sinne des realen Effektes Eurer Theorie erreichen, wenn Ihr Euch weigertet, Kanonen zu fabrizieren. -Sehen Sie, diesen ganz elementaren Einwand verstand kein Prole­tarier, denn so weit ging er nicht. Für ihn handelte es sich nicht darum, irgendwie zunächst sachlich einzugreifen in dasjenige, was sich eigent­lich entwickelte. Ihm war es ganz gleich, was fabriziert wird. Ihm handelte es sich nur um den einzigen Punkt: Übergang der Produk­tionsmittel, gleichgültig für das, was produziert wird, in die soziale Ordnung, Sozialisierung der Produktionsmittel, gleichgültig, was diese Produktionsmittel hervorbringen.

Gerade wenn Sie dies nehmen, dann werden Sie sehen, daß es eigentlich auf ein bestimmtes Ziel hinauskam. Wenn man natürlich, wie der moderne Proletarier, in seiner Seele nicht durchaus kriegerisch gestimmt ist - der Proletarier ist natürlich nicht kriegerisch gestimmt, weil er sich vom Kriege keinen Nutzen verspricht -, dann kann man nur hoffen, daß man etwas beiträgt zur Überwindung des Krieges, indem man Kanonen ebensogut fabriziert wie etwas anderes, wenn man selbst nur zur Macht kommt, denn dann kann man, wenn man die alten Mächte gestürzt hat und selber zur Macht kommt, das Kanonen-fabrizieren ja abschaffen! Und so war auch ungefähr, oder ist auch ungefähr die Denkweise. Es handelt sich um die Erwerbung der Macht.

Da haben Sie den Punkt angegeben, wo der Marxismus gewisser­maßen umschlägt, wo er in eine Art von Widerspruch hineinkommt, wo der dialektische Prozeß, ich möchte sagen, sich an ihm rächte. Denn er geht davon aus, daß das wirtschaftliche Leben gewissermaßen der Selbststeuerung unterliegt, daß also dasjenige, was geschehen soll, von selbst geschieht; man braucht nur hie und da einmal die Lokomotive zu schubsen. Und dennoch muß er danach trachten, die alten Regie­rungsmächte zu stürzen und sich selber an deren Stelle zu stellen, also nach der Macht, die vom Menschen ausgeht, zu streben. Er will machen,

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was geschehen soll. Er appelliert also doch eigentlich wiederum an den Menschen, rechnet darauf, daß er obenauf kommt und dann die Macht hat, während früher die anderen die Macht hatten.

Dies lag schon gewissermaßen in der Theorie. In der Praxis wirkte, ich möchte sagen, wie Rache der Dialektik am Marxismus auch noch diese moderne furchtbare Kriegskatastrophe, die nun plötzlich über weite Gebiete der Erde die Macht mehr oder weniger in die Hände des Proletariats spielt, jetzt gar nicht aus der wirtschaftlichen Ord­nung heraus, sondern aus einer ganz anderen Ordnung, besser gesagt Unordnung heraus dem Proletarier die Macht in die Hände spielt. Das ist ein merkwürdiger Prozeß, außerordentlich merkwürdig. Und noch merkwürdiger wird er, wenn man ihn sieht, diesen Pro­zeß, in seiner Gesamtausbreitung, wenn man ihn jetzt sieht gewisser­maßen übergreifen über die Verhältnisse der ganzen Erde. Denn wie ich Ihnen letzthin sagte: Die Wahrheit hat sich erst im Laufe der Jahre aus diesem sogenannten Krieg heraus entwickelt. Daß Mittel­mächte und Entente einander gegenüberstanden, war ja die Unwahr­heit; in Wirklichkeit sprang heraus dieser furchtbare wirtschaftliche Kampf, der da nun seinen Anfang nimmt. - Das ist die Wahrheit, die heraussprang aus jener Unwahrheit, in die maskiert war dasjenige, was eigentlich welthistorisch zugrunde liegt. Und eigentlich heben sich heute schon ein bißchen die beiden Lager ab. Die beiden Lager, wirt­schaftlich heben sie sich ab, indem immer mehr und mehr sich zeigt, daß die englischsprechende Bevölkerung geographisch-welthistorisch darstellt eine Art Unternehmertum als herrschendes Element, das auf die eine oder andere Art besiegt die andere Welt, Mitteleuropa, Ost­europa, mehr oder weniger das Proletariat als herrschende Welt. Wie in der modernen Fabrik sich gegenüberstehen Unternehmer und Ar­beiter, so stehen sich in der Welt Unternehmertum der alten Entente mit Amerika und Proletariat in den besiegten Mächten gegenüber. Das ist das großartig, bedrückend, tragisch-großartig Wirkende. Man kann nicht dasjenige, was heute geschieht, anders studieren, als indem man es im Zusammenhang begreift mit der ganzen proletarisch-sozialisti­schen Frage.

Aber auf dem weltgeschichtlichen Plan wird sich nicht bloß dasjenige

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abspielen, was ich eben angedeutet habe, sondern beunrulilgend in das­jenige, was eigentlich nur ein wirtschaftlicher Kampf, ein riesiger wirt­schaftlicher Kampf ist, beunruhigend mischt sich da hinein ein anderes Element. Der wirtschaftliche Kampf entsteht innerhalb der Mensch­heit, und ein wirtschaftlicher Kampf wird es sein, der zwischen der einen Hälfte der Erde und der anderen Hälfte der Erde in furchtbarer Art ausgefochten wird. Der wirtschaftliche Kampf innerhalb der Menschheit beruht auf der Ausbildung der Sinne und des Nerven­systems. Und im fünften nachatlantischen Zeitraum, im Zeitalter der Bewußtseinsseele, ist die englischsprechende Welt besonders organisiert für das Sinnes-Nerven-System, weil in diesem Zeitraum das Nerven­system lediglich utilitaristische, materielle Gedanken entwickelt, dahin tendierend, die Welt zu einem großen Warenhausunternehmen zu machen. Aber beunruhigend wirkt hinein in diese Welt des Sinnes-Nervensystems die Welt des Blutes, der andere Pol im Leben des Men­schen, die Welt des Blutes. Die wird ihre Welle hineinwerfen in das­jenige, was das Sinnes-Nervenleben auf der einen Seite aufwirbelt als rein wirtschaftlichen Kampf, die Welt des Blutes, zunächst vertreten durch die vereinigten slawischen Vorposten: Tschechen, Slowenen, Polen, Slowaken und so weiter, bis die andere Welle mit dem gereinig­ten Blute, mit dem spiritualisierten Blute im Osten Europas, das Rus­sisch-Siawische, dann hineinspielen wird. Während von Westen her der Osten und Mitteleuropa nur gemacht werden sollen zu einem gro­ßen Konsumtionsgebiet für eine produzierende Welt des Westens, wird nicht nur die Auflehnung des konsumierenden Proletariats von Osten gegen Westen strahlen, sondern vor allen Dingen die unruhige Welle des Blutes. Blut und Nerven könnte man auch dasjenige nennen, was in die Welt hineinkommt und was verstanden sein will, was mit dem Verständnis bewältigt werden will. In diese kriegerische Katastrophe spielte es schon hinein. Studieren Sie die Wirkungen des deutschen Schiffsbaues und der deutschen Flotte, Kriegsflotte, des deutschen Kolo­nisierungssystems, studieren Sie dasjenige, was der weitsichtige, aber selbstsüchtige Chamberlain verhandelt hat mit der einfältigen deut­schen Regierung um die Wende des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, und was dann nicht zustandegekommen ist, dann werden

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Sie solche Ansätze haben, aber einige von den vielen Ansätzen zum großen wirtschaftlichen Prozeß, der in diesen sogenannten Krieg hineinspielte. Und studieren Sie die sogenannte orientalische Frage mit ihrer letzten Phase, dem unglückseligen Balkankrieg, dann haben Sie das andere, dasjenige, was als Welle des Blutes den wirtschaftlichen Krieg konterkariert. Das spielt schon in die gegenwärtige Katastrophe hinein. Diese Dinge wollen verstanden werden.

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SIEBENTER VORTRAG Dornach, 23.November 1918

Ich habe in den letzten Betrachtungen von den verschiedensten Gesichts­punkten aus versucht, Ihnen die Ideen und Impulse ein wenig vorzu­führen, welche seit langer Zeit die proletarischen Kreise bewegen, in den proletarischen Kreisen leben, und die gerade das Allerwesentlichste zu dem beitragen werden, was von der Gegenwart ab in die nächste Zukunft hinein weltbewegende Ereignisse sein werden. Ich möchte heute, um diese Betrachtungen dann morgen zu einer Art von Ab­schluß zu bringen, auf manches hinweisen, was gewissermaßen aus der Vergangenheit her an Kräften für die Gegenwart vorhanden ist, was für den genauer, namentlich für den geisteswissenschaftlich Beobachten­den, wahrnehmbar ist an die Geschicke der Menschheit bestimmenden Kräften, die sich in der Vergangenheit vorbereitet haben, jetzt da sind, die aber eigentlich nicht so an der Oberfläche liegen, wie die meisten Menschen heute glauben, die aber berücksichtigt werden müssen von jedem, der an irgendeinem Punkte der Weltentwickelung, und an einem Punkte steht ja jeder, wird teilnehmen wollen bei der Gestal­tung der Ereignisse - man kann schon von solcher Gestaltung der Er­eignisse sprechen -, die sich von der Gegenwart in die Zukunft hinein bilden wird.

Dasjenige, was geschieht, geschieht ja immer aus bestimmten Kräften heraus, die da oder dort ihr Zentrum haben und die dann ausstrahlen nach den verschiedensten Richtungen hin. Wir haben gesehen, wie in den letzten viereinhalb katastrophalen Jahren gewissermaßen nach den verschiedensten Richtungen hin sich lang, lang vorbereitende Kräfte entladen haben, wie sie die verschiedenste Form angenommen haben, so daß tatsächlich dasjenige, was in den letzten viereinhalb Jahren geschehen ist, deutlich voneinander unterscheidbare Epochen, wenn sie auch der Zeit nach kurz sind, zeigt, und man nicht damit aus­kommt, wenn man etwa in Bausch und Bogen diese Ereignisse der vier­einhalb letzten Jahre eben einfach als den «Krieg» der letzten Jahre bezeichnet. Die Ereignisse sind an einem gewissen Punkte, ich möchte

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sagen, zu einer kriegerischen Entzündung gekommen. Dann aber traten zu den Dingen, die zuerst, ich möchte sagen, mehr illusionär in die Menschenbewußtseine hereinleuchteten und die auch in der allerillu­sionärsten Weise von den breitesten Kreisen gedeutet worden sind, ganz andere Kräfte hinzu. Die Entschlüsse der Menschen, die Willens-impulse der Menschen wurden in verhältnismäßig kurzer Zeit ganz anders, als sie vorher waren.

Das alles will sorgfältig berücksichtigt werden. Man wird nämlich in der Zukunft sehen, daß da und dort diese oder jene Willensrich­tungen auftauchen werden. An einer Stelle, in einem Zentrum wird man das, in einem anderen Zentrum jenes wollen. Diese Willensimpulse, die von Menschengruppen ausgehen werden, die werden sich in der mannigfaltigsten Weise durchdringen, gegenseitig bekämpfen. An eine Harmonie der wirksamen Kräfte ist dabei nicht im allerentfern­testen zu denken, sondern es ist zunächst nur daran zu denken, daß der einzelne sich wirklich Verständnis für dasjenige erwirbt, was da oder dort auftritt. Heute sind die wenigsten Menschen überhaupt vor­bereitet dazu, das oder jenes in der richtigen Weise zu taxieren, was auftreten wird, denn man hat sich zu sehr gewöhnt, die Dinge nach vorgefaßten Meinungen, nach Schlagworten zu beurteilen. Man hat im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts und bis heute sich nach und nach so erzogen, daß man den Blick abgelenkt hat von demjenigen, worauf es eigentlich ankommt. Dadurch ist man auch kaum irgendwo heute leicht in die Lage versetzt, das Gewicht der Willensimpulse, die von dieser oder jener Menschengruppe ausgehen, in der richtigen Weise zu taxieren. Dafür hat der Verlauf der letzten Ereignisse hinlängliche Beweise geliefert. Diese Beweise werden einmal von der Geschichte verzeichnet werden. Vielleicht schneller, als die Menschen glauben, werden sie von der Geschichte verzeichnet werden. Aber für den­jenigen, der sich ein irgendwie die Ereignisse berührendes Urteil bilden will, für den ist es notwendig, daß er heute schon den Willen ent­wickelt, die Ereignisse zu taxieren, die Ereignisse abzuschätzen.

Ich sage: Beweise finden sich für das, was ich eben gesagt habe, in Hülle und Fülle. Man braucht nur einen schlagenden Beweis zu liefern, einen Beweis, dessen Tragkraft leider, leider noch allzusehr in die

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Gegenwart hereinragt, indem in dieser Hinsicht noch immer an den Orten, wo die Urteile nicht getrübt sein sollten, diese Urteile vielfach getrübt sind. Wir haben nämlich im Laufe der letzten Jahre die be­trübende Erfahrung gemacht, daß gerade Menschen, die in verant­wortungsvollen Stellungen waren da oder dort auf den verschieden­sten Gebieten, daß Leute, die das oder jenes zu lenken oder zu leiten hatten oder auch nur das oder jenes zu beurteilen hatten - denn vom Urteil hängt ja sehr viel ab, von der sogenannten wahren öffentlichen Meinung, die manchmal eigentlich die unausgesprochene Gedanken-meinung der Menschen ist und die doch eine gewisse tiefe Bedeutung hat -, wir haben die Erfahrung gemacht und sie wirkt eben in die Gegenwart noch herein, daß sich Leute an maßgebenden Stellen oder auch an nichtmaßgebenden Stellen, die aber doch in Betracht kommen, über alles, über was sie hätten ein gesundes Urteil haben sollen, sich Illusionsurteile gebildet haben. Ich habe zum Beispiel berührt die Tat­sache, daß gerade dem deutschen Volke vom Auslande dadurch ein übles Urteil angehängt worden ist, das mehr als man glaubt im Laufe der letzten Ereignisse gewirkt hat: das ist das Urteil über den deut­schen Kaiser. Dieses Urteil über den deutschen Kaiser, es berichtigt sich ja jetzt durch die allerletzten Ereignisse ein wenig, aber es fängt eigentlich erst an, sich zu berichtigen. Das Übelste an diesen Urteilen war dasjenige, was geradezu verheerend gewirkt hat, daß man diesen Mann für einen bedeutenden Mann gehalten hat. Hätte man ihn nicht für einen bedeutenden Mann, sondern für einen höchst unbedeuten­den, überhaupt für die Ereignisse gar nicht in Betracht kommenden Menschen gehalten, wie er war seit seinem Regierungsantritt durch alle Jahre hindurch, so würde auch nicht jenes schlimme Urteil des Auslandes zustandegekommen sein, welches - die Geschichte wird es schon ausweisen - größere Verheerungen angerichtet hat, als man sich heute noch irgendwie vorstellen kann.

Nicht wahr, es wird allerdings ein wenig zur Berichtigung beitragen, wenn man hinsehen wird auf die heillose Angst, die wenige Leute in Deutschland hatten, als dieser Mann, noch in den letzten Tagen sich sträubend gegen den Rücktritt, ins Hauptquartier floh, um im Haupt­quartier möglicherweise irgendeine Auskunft zu finden, sich doch zu

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halten, die alten Zustände irgendwie doch zu halten. Wenn man rich­tig taxieren konnte die Stimmen derjenigen, die ja immer rieten, er soll nach Berlin zurückkehren, wohin er gehört, so muß man sagen, daß daran sich eben das Gewicht von notwendigen Urteilen zeigt. Die Dinge müssen eben nicht nur gedacht werden, sie müssen taxiert wer­den, sie müssen gewogen werden. Es ist im höchsten Grade leichtsinnig, wenn zum Beispiel in einer Basler Zeitung gestern ein Artikel erschie­nen ist gewissermaßen zur Entschuldigung des deutschen Kaisers und zu einer Anklage des deutschen Volkes. Dieses deutsche Volk hat wahr­haftig genug gelitten durch Jahrzehnte hindurch durch all dasjenige, was gerade durch die Unbedeutendheit und durch die theatralische Aufbauschung aller Verhältnisse, durch das unleidige Tyrannisieren geleistet worden ist. Und wenn von einem «Deutschen im Auslande», so wie es in dieser Basler Zeitung gestern geschehen ist, dieses deutsche Volk jetzt angeklagt wird in der dümmsten Weise, um die törichte Behauptung zu tun, daß dieser Mann bloß ein Exponent des deutschen Volkes gewesen wäre - was er durchaus nicht gewesen ist -, so ist das ein bodenloser Leichtsinn, der unbedingt gerügt werden muß. Es kommt heute darauf an, daß solch leichtsinnige Urteile nicht gerade in den angrenzenden Ländern Platz greifen, daß die Menschen hinschauen auf solche Urteile, die die ganze Atmosphäre, in die wir eintreten müssen, geeignet sind zu verpesten.

Diese Dinge müssen wirklich heute mit einem durchdringenderen Blick angesehen werden. Man muß nicht schlafen diesen Dingen gegen­über, man muß wachen. Man muß wirklich diese Dinge mit einem nicht emotionellen, aber mit einem wirklich verstandesmäßigen Tem­perament aufzunehmen in der Lage sein, und man muß eine Ent­rüstung empfinden, gedankenmäßig empfinden, wenn derlei Torheiten heute in die Welt gesetzt werden, die geeignet sind, ein sachgemäßes Urteil vollständig zu verrücken. Und ein sachgemäßes Urteil ist heute vor allen Dingen notwendig. Versuchen Sie es einmal, die Dinge wirk­lich so zu nehmen, wie sie heute genommen werden sollen, indem man sie in ihrem Gewichte nimmt, indem man nicht über die Dinge, die Stimmung machen, die Meinungen in der Welt verbreiten, mit einem gleichgültigen Humor, der kein Humor ist, hinweggeht und alle fünfe

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gerade sein läßt, da es sich doch um Ereignisse handelt, die, jedes ein­zelne an sich, von einer ungeheueren, weittragenden, welthistorischen Bedeutung sein können. Diese Dinge müssen heute auch auf einem eindringlicheren Hintergrunde beobachtet werden. Und ich möchte so gerne es erleben, daß in den Herzen derer, die sich zur Anthroposophie bekennen wollen, etwas einzöge von dem, was ich ein weithistorisches Urteilsvermögen nennen möchte. Ich möchte, daß etwas einzöge in Ihre Herzen von dem, was die Wichtigkeit des Augenblickes ausmacht, daß wirklich hinausgekommen werde über die Stimmung, die niemals vor­handen war da, wo ich versuchte, anthroposophisch orientierte Welt­anschauung in die Welt zu bringen, daß hinausgekommen werde über die Stimmung, die das, was in der Anthroposophie vorgebracht wird, nur nimmt wie eine Sonntagsnachmittagspredigt, wie etwas, was nur zur Wärmung der Herzen und zur Beruhigung, zur Temperierung der Seelen bestimmt ist. Nein, alles gerade auf dem Boden anthroposophisch orientierter Weltanschauung war dazu bestimmt, die Herzen und die Seelen hineinzuleiten in jene Weltenströmung, die sich heraufzog seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts, die hinwies immer mehr und mehr auf die bedeutenden, großen Ereignisse, die zur Erschütte­rung der Menschheit kamen und noch immer mehr und mehr kommen werden. Alles war darauf abgesehen, die Herzen hinzulenken auf die Kräfte, die wirken, nicht bloß auf irgendein Gern-Hören desjenigen, was so ein wenig die Seelen temperiert und was so ein wenig die Her­zen erwärmt, damit man, wenn man aufgenommen hat, was anthropo­sophisch orientierte Weltanschauung bietet, dann mit einer gewissen beruhigteren Seele schlafen kann, als man sonst schlafen kann. Der einzelne ist heute gar nicht in der Lage, bloß auf sich zu sehen, bloß gewissermaßen eine Art neue Religion zu empfangen zur Beruhigung seines einzelnen Herzens. Dasjenige, was von der Menschheit gefordert wird, ruft den einzelnen auf, teilzunehmen an demjenigen, was durch die menschliche Sozialität wogt und wallt.

Dazu ist eben notwendig, daß man die Dinge auf einem größeren Hintergrund betrachtet. Ich gebe ja zu, daß es notwendig war im Lauf der letzten Jahre, unter den Impulsen, die anthroposophisch orien­tierte Weltanschauung herantragen soll zu den Herzen der Menschen,

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schnell hintereinander, weil die Zeit drängte, vieles zu bringen, schnell die Ideen einander ablösen zu lassen. Hätte man manchmal zu dem­jenigen, was man im Laufe einer Woche vorzubringen hatte, einen Monat oder noch länger Zeit gehabt, hätte man es in kleinen Portionen bieten können, was durch den Drang der Zeit notwendigerweise schnell an die Herzen herangebracht werden mußte, es wäre vielleicht tiefer in die Seelen hineingezogen. Aber das ging ja nicht. Die Zeit drängte, und die Ereignisse haben bewiesen, daß die Zeit drängte. Ich gebe zu, daß durch die Schnelligkeit, mit der die Lehren der anthroposophisch orientierten Weltanschauung an die Mitglieder der anthroposophischen Bewegung herangetreten sind, wirklich zuweilen die Tatsache vorlag, daß das Spätere das Frühere ausgelöscht hat. Allein man kann nicht in einer so ernsten Sache sein, ohne seinen ganzen Sinn zu ändern. Und in gewissem Sinne erneuert sich in der Gegenwart das Wort, welches zur Zeit der Begründung des Christentums immer wieder und wieder gesprochen werden mußte: Ändert den Sinn. Darauf allein kommt es nicht an, daß wir inhaltlich diese oder jene Lehre aufnehmen; darauf kommt es an, daß wir die ganze Sinnesrichtung ändern, daß wir alles abstreifen, was bestimmend war für die Richtung unseres Urteils aus dem neunzehnten Jahrhundert heraus, was man wirklich nennen kann, wie ich es vorhin anläßlich einer Ansprache eben benannt habe, das Jahrhundert der unanständigen Psychologie, der unanständigen See­lenrichtung, wo man, wenn man in die menschliche Seele hineingeschaut hat, wegen jenes mangelnden Vertrauens zu den göttlich-geistigen Kräften der Seele, von dem ich gestern sprach, innerhalb der mensch­lichen Seelen nur Willkür oder nur Ohnmacht oder nur Tatlosigkeit sehen kann, wo man niemals so etwas begriffen hat wie das Fichtesche Wort: «Der Mensch kann, was er soll; und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht.» - Dieses neunzehnte Jahrhundert war ein Jahr­hundert großer wissenschaftlicher Errungenschaften. Allein diese Er­rungenschaften waren derart, daß sie den Willen der Menschen gelähmt haben und daß sie den Glauben erweckt haben, alles das, was aus der Menschenbrust kommt, komme nur als rein Zufälliges aus dieser Men­schenbrust heraus. Daß aus jeder Menschenbrust heraus das Göttlich-Ewige strahle und daß jeder Mensch verantwortlich ist, das Göttlich-Ewige

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durch sich darzustellen, das ist es, was das neunzehnte Jahrhundert vollständig unterdrückt hat, das ist es, was das Goethe-Zeitalter hineingeführt hat in das Zeitalter des Spießertums; das ist es, was macht, daß die heutige Intelligenz so unvorbereitet ist für alles das, was ich Ihnen angegeben habe und was durch Millionen und Aber-millionen Proletarierseelen als Impuls zieht.

Verstehen, darauf kommt es zunächst in der Gegenwart an. Tun, dazu wird erst die Gelegenheit kommen, wenn die Menschen sich wirk­lich angestrengt haben zu verstehen. Nichts von dem, wovon heute zum Beispiel das Bürgertum glaubt, daß es gut sein könnte in der Zukunft, nichts von dem wird irgendwie angreifen diejenigen Impulse, die ich Ihnen in diesen Tagen als die Impulse des von unten nach oben stre­benden Proletariats angegeben habe. Manches wirkte, wenn es nicht so tragisch wäre, tragikomisch, was heute an Quacksalberei ausgeht von denjenigen, die durch Jahrzehnte Gelegenheit gehabt hätten, zu lernen an den Ereignissen und die an diesen Ereignissen gar nichts gelernt haben.

So wollen wir denn heute einmal, um eine Vorbereitung zu schaffen für unmittelbar Aktuelles, das ich noch vorzubringen habe, ich möchte sagen, ein größeres Grundtableau uns schaffen, gewissermaßen einen Hintergrund schaffen. Sehen Sie, alles dasjenige, was in die moderne Sozietät hineinwirkt, was da wirkt als Kräfte, die sich entladen wer­den in der verschiedensten Weise gegen die Zukunft zu, das kommt heraus aus gewissen Grundkräften, die in der mannigfaltigsten Weise durcheinanderwirken. Ich habe gestern am Schlusse darauf hingewie­sen, daß immer mehr und mehr vom Westen aus der Kampf inszeniert werden wird, der ein rein materieller Kampf ist und der die Mensch­heit in die materialistischen Kämpfe hineinstürzen wird: daß vom Osten her das Blut konterkarieren wird dasjenige, was da vom Westen her als wirtschaftlicher Kampf kommt. Dieses Wort, das in der Zu­kunft außerordentlich wichtig sein wird in sozialer Beziehung, das für jeden wichtig ist, der sich ein helles Urteil wird bilden wollen, dieses Wort mussen wir näher interpretieren. Ich habe Gelegenheit gehabt im Laufe der letzten Jahre, mit den allerverschiedensten Leuten über die Dinge zu sprechen, welche aus den wirkenden Kräften herausgeholt

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werden sollten, um der Zukunft da oder dort diese oder jene Richtung zu geben. Man war bei jeder Gelegenheit, wo es sich darum handelte, etwas Wirksames zu besprechen, geradezu furchtbar, ich möchte sagen, beklemmt von der Kurzsinnigkeit, die allmählich die Urteilskraft der modernen Menschheit angenommen hat. Man spricht heute ja selbst­verständlich gern davon, daß derjenige, der irgendwie mitdenken will über das, was sich entwickelt, die volksmäßigen Verhältnisse da oder dort kennen soll. Allein gerade dieses Kennenlernen, die Leute suchen es ja gar nicht auf den Wegen, auf denen es heute notwendigerweise gesucht werden muß, und daher die grotesken und grandiosen Irr­tümer. Der eine Irrtum, den ich Ihnen angeführt habe, der ist ja nur ein Teilirrtum. Man muß, um sich das ganze Gewicht dessen, was dabei in Betracht kommt, vor die Augen zu stellen, darauf hinweisen, daß jetzt ja eben die Zeit abläuft, in der ganze weite Massen in die un­sinnigsten Urteile hineingetrieben worden sind.

Ich habe Ihnen gestern gezeigt, daß allerdings bei der Mehrheit der Menschen, denn das ist ja das Proletariat, Glaubenskraft ist, die sich nur auf rein materielle Dinge erstreckt. Ich habe Ihnen sagen müssen:

Wenn die Glaubenskraft, die zum Beispiel mit marxistischen Impulsen beim Proletariat durch die Jahrzehnte sich herausgebildet hat, wenn diese Glaubenskraft nur im allergeringsten Maße irgendwie beim Bür­gertum vorhanden gewesen wäre, es wäre etwas anders als dasjenige, was leider heute der Fall ist. Aber es wäre dann notwendig gewesen, daß gerade diejenigen Menschen, die Gelegenheit gehabt haben durch ihre soziale Stellung, diese Gelegenheit ausgenützt hätten - da sie es nicht getan haben, müssen sie es in der Zukunft tun -, um die Wege zum Urteilen zu betreten, auf denen einzig und allein wirkliches Urteil zu gewinnen ist; ich meine nicht Urteil über das oder jenes, sondern Urteil überhaupt. Bedenken Sie doch nur einmal, daß nicht ein Volk, sondern über eine ganze weite Fläche hin Menschen in der Lage waren, durch Jahre zwei Generäle für bedeutende Menschen zu halten, die höchst unbedeutende Menschen waren: Hindenburg und Ludendorff. Eine solche Verfälschung des Urteiles für ganze weite Menschenkreise, das ist ein Charakteristikon unserer Gegenwart. Hauptsächlich hängt dies damit zusammen, daß die Menschen nicht die Verantwortlichkeit

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fühlen bei der Bildung eines Urteils. Ich weiß selbstverständlich, daß zunächst gesagt werden kann: Ja, wenn schon jemand ein Urteil gehabt hätte, ein richtiges Urteil zum Beispiel über Ludendorif, der ja als eine pathologische Natur genommen werden muß, der als eine Natur ge­nommen werden muß, die sozusagen seit Kriegsanfang nicht mehr anders als vom psychiatrischen Standpunkte aus zu beurteilen ist -, ich weiß, daß man sagen kann: Was hätte solch ein Urteil geholfen in einer Zeit, wo ein Urteil nicht ausgesprochen werden durfte. - Gewiß, das gilt, aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf kommt es an, daß der Mensch zunächst das Urteil wenigstens in sich selber bildet; dann wird schon das andere kommen, daß er sich nicht bis in die inner­sten Gründe seiner Eigenheit hinein benebeln läßt. Und jetzt muß das um so mehr ausgesprochen werden, denn die Macht der Ereignisse hat es mit sich gebracht, daß einzelne Urteile berichtigt werden müssen bei den sogenannten Zentralmächten. Diese Macht der Ereignisse ist noch nicht da für die Berichtigung der Urteile der Entente und der ameri­kanischen Mächte. Und das würde ein ungeheures Unheil über die Menschheit bringen, wenn auch da abgewartet würde mit der Berich­tigung der Urteile, bis die Macht der Ereignisse spricht; wenn jetzt etwa der Ausgang da wäre für eine Anbetung der Entente-Machthaber; wenn nicht in den Herzen der Entschluß reif würde, klar zu sehen, wie es sich da verhält. Wenn jetzt Anbetung des Erfolges auftritt, wenn die Bestimmung der Urteile auch nur durch den äußeren Gang der Ereignisse geschehen sollte, so müßte das für die Entwickelung der Menschheit von ungeheuer verheerenden Folgen sein. Das wird ja nicht ein Zeichen sein, wie der eine oder der andere unter der Knebelung des Urteiles sich wird äußern können, aber wenigstens in seiner Eigen­heit sollte sich der Mensch ein unabhängiges Urteil über dasjenige bil­den, was ist. Das bildet man sich, wenn man in sich selber fühlt, daß man nicht eine durch den Zufall in die Welt geschleuderte Persönlich­keit ist, die denken kann, was sie will, sondern wenn man fühlt, daß man ein Glied der göttlichen Weltordnung ist und daß die Kraft, welche ein Urteil hereinsetzt in dieses Herz, in diese Seele, eine Kraft ist, der man selbst mit seinen intimsten Gedanken verantwortlich ist. Im Laufe der Ereignisse der letzten viereinhalb Jahre geschah so manches.

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Das oder jenes hat sich da oder dort abgespielt. Man kann sagen:

Fast nichts hat sich abgespielt, worüber zum Beispiel die deutsche Regierung oder die deutsche Heeresführung an verantwortungsvoller Stelle ein richtiges Urteil sich gebildet hat. Über alles hat sie falsch geurteilt und unter falschem Urteil weiter gehandelt. - Das sind schon Beweise dafür, wie wenig die Gegenwart und die jüngste Vergangen­heit die Menschen dazu erzogen hat, die Dinge zu beurteilen.

Ich sagte, ich habe Gelegenheit gehabt, mit den verschiedensten Menschen zu sprechen. Die Menschen haben schon einmal äußerlich abstrakt die Meinung, man müsse kennenlernen, was zum Beispiel in den verschiedenen Volkskräften spielt. Da sind sie dann zufrieden, wenn der eine oder andere Journalist in diese oder jene Gegend ge­schickt wird und seine Zeitungsartikel schreibt, und die Menschen wissen gar nichts damit anzufangen, wenn man ihnen einfach auch auf dem Gebiete des geistigen Lebens mit demselben Prinzip kommt, mit dem man kommen muß zum Beispiel in der Mathematik, wo von elementaren Grundmaximen ausgegangen wird und zu den weitesten Schlüssen gekommen wird. Müssen Brücken gebaut werden oder Eisen­bahnen, da geben die Menschen zu, daß zum Aufbau die Wissenschaft davon nötig ist, die von den einfachsten Dingen ausgeht, um dann zu den weittragendsten Schlüssen zu kommen. Aber Geschichte treiben, Geschichte machen wollen die Leute ohne irgendwelche Prinzipien und sie werden gar nichts damit machen können, wenn man ihnen sagt:

Niemand kann die europäischen Verhältnisse beurteilen, der nicht wenigstens das Elementare weiß, daß auf der italienischen Halbinsel die Empfindungsseele das vorzugsweise volksmäßig Wirksame ist, in Frankreich die Verstandes- oder Gemütsseele, im Britischen Reiche die Bewußtseinsseele und so weiter -, wie wir das kennengelernt haben. Diese Dinge liegen zugrunde demjenigen, was geschieht, wie das Ein­maleins zugrunde liegt dem Rechnen. Und bevor man nicht mit Bezug auf Kenntnis der realen Verhältnisse in der Welt von diesen Dingen ausgeht, ist man, welche Stelle man auch einnimmt im Gefüge des so­zialen oder politischen Lebens der heutigen Zeit, ein unfähiger Mensch, geradeso wie man ein unfähiger Mensch beim Brückenbau wäre, wenn man nicht die einfachsten Dinge der Mathematik kennen würde. Die

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Menschen müssen dazu kommen, dieses einzusehen; sie müssen das durchschauen lernen. Denn davon hängt die Zukunft der Menschheit ab, daß die Menschen dieses durchschauen können. Das ist es, worauf es ankommt.

Denn allein, wenn man erst diese Grundtatsachen kennt, dann kennt man die verschiedenen Kräfte, die hereinstrahlen in dasjenige, was ge­schieht. Sie können den Weg einer Hökerfrau vom Land zur Stadt nicht in richtiger Weise beurteilen, wenn Sie nicht imstande sind, den Gang der Hökerfrau vom Lande zur Stadt hineinzustellen in das Ge­füge des sozialen Lebens. Es war der Menschheit bis zu einem gewissen Grade gestattet, in atavistisch-schläfrigem Zustande das soziale Leben zu durchleben, und diesen Zustand haben sich die Menschen im neun­zehnten Jahrhundert, um tiefer auszuschlafen, konserviert. Es wird der Menschheit in der Zukunft nicht gestattet sein, in dieser Weise weiterzuleben, sondern es wird ihr die notwendige Verpflichtung auf­erlegt, mitzudenken, was die Hierarchien der Angeloi, Archangeloi, Archai und so weiter für den Gang der Entwickelung der Menschheit ihrerseits denken und was sie hineinstrahlen lassen in das, was die Menschen tun. Das Kleinste muß an das Größte geknüpft werden in der alltäglichen Beurteilung. Wenn Sie heute in diesen oder jenen Län­dern Räte, Arbeiter- und Soldatenräte auftauchen sehen, wenn Sie in die Gefahr, daß überall, mit Ausnahme der Länder der Entente, Ar­beiter- und Soldatenräte auftauchen, kommen werden, dann müssen Sie das Gewicht einer solchen Tatsache in der richtigen Weise würdigen können. Ein Urteil zu gewinnen über diese Dinge, das ist es, was vor allen Dingen notwendig ist. Fragen Sie nicht zunächst: Was ist zu tun? -Was zu tun ist, wird schon kommen, wenn nur ein wirkliches Urteil, aber ein Urteil so vorhanden ist, daß das Kleinste an die großen Linien des Weitgeschehens geknüpft werden kann. Das große Weltgeschehen, das ist das Eigentümliche unserer Zeit, wird in diesen Tagen aktuell; es wird nicht mehr eine bloße Theorie sein, sondern es wird aktuell.

In den Gang der europäischen Ereignisse zum Beispiel - die ameri­kanischen sind ja nur ein kolonialhafter Anhang der europaischen Er­eignisse - spielen Kräfte herein, die sich lange, lange vorbereitet haben. Der Beobachter der europäischen Verhältnisse - wir haben von den

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verschiedenen Gesichtspunkten gerade in diesen Tagen darauf hinzu­deuten - sollte auf die besondere Konfiguration, sagen wir, der sozia­len Verhältnisse im Britischen Reich achthaben, er sollte auf die beson­dere Konfiguration der sozialen Verhältnisse im Osten Europas, in Rußland und in der Mitte Europas wohl achthaben, sollte acht darauf haben, welche Kräfte da hereinspielen. Denn an der Oberfläche der Ereignisse maskieren sich diese Ereignisse vielfach, und wer nur die Oberfläche der Ereignisse beobachtet, der wird leicht zu, wie man sagt, Schlagworten, man kann ja auch sagen Schlagvorstellungen, Schlagbegriffen kommen, durch die er die Ereignisse beherrschen will. In den Köpfen der Menschen spielt heute vielfach recht oberflächliches Zeug. Aber in den Impulsen der Menschen, da spielen Kräfte, die sich seit Jahrhunderten nicht bloß, sondern seit Jahrtausenden vorbereitet haben und die heute gerade erst ihre ganz signifikante Gestalt an­nehmen werden.

Sehen Sie, es ist keineswegs die Möglichkeit vorhanden, daß sich jenes internationale Wesen, das ich Ihnen charaktensiert habe als die Stimmung des Proletariats, das vorzugsweise von marxistischen Ideen genährt ist, im weitesten Umfange natürlich marxistischen Ideen, wirk­lich über ganz Europa etwa verbreitet. Das ist eine Illusion des Prole­tariats. Und da das Proletariat eine gewisse Macht darstellen wird, so ist das eine sehr verderbliche Illusion des Proletariats. Übersehen wir das nicht, daß das Schlimmste herauskommen würde, wenn diese Illu­sion des Proletariats über die Welt Herrschaft gewinnen würde, denn man wäre dann genotigt, diese Herrschaft wiederum zu überwinden. Besser wäre es, wenn man sehen würde, wie sich die Dinge vorbereiten und wie den Dingen begegnet werden kann. 5elbst angenommen, daß die Impulse des Proletariats in gewissen Gegenden zur Herrschaft ge­langen, was würde daraus geschehen? Nun gut, sie würden äußerlich zur Herrschaft gelangen, man kann ebensoviele Leute da oder dort abmurksen, wie der Bolschewismus in Rußland abgemurkst hat. Aber alle diese Ideen sind lediglich geeignet, Raubbau zu treiben, sind ledig­lich geeignet, das Alte zu verzehren und Neues nicht zu begründen. Wenn die Ideen des Proletariats soziale Gestaltung werden, sich ein-leben, so wird dasjenige, was an Werten da ist, nach und nach verbraucht

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werden, in einer schnellen Progression verbraucht werden. Bitte nehmen Sie nur solche Tatsachen - ich will Ihnen einzelne vor­führen, sie könnten sehr vermehrt werden -, nehmen Sie eine einzige solche Tatsache: Die Staatskasse in Rußland hatte zum Beispiel noch im Jahre 1917 eine Einnahme von 2852 Millionen Rubel, im Unglücks-jahre 1917: 2852 Millionen Rubel. Der Bolschewismus brach herein. Er trieb Raubbau. Die Staatseinnahmen von Rußland 1918: 539 Mil­lionen Rubel! Das ist etwa der fünfte Teil des im vorherigen Jahre Eingenommenen. Sie können sich aus solchen Zahlen die Progression selber ausrechnen, die eintreten muß, wenn Raubbau getrieben wird. Man muß diese Dinge nicht nach den Urteilen, die sich obenhin bilden, betrachten, sondern man muß sie nach dem betrachten, wie der objek­tive Gang der Ereignisse in der Menschheitsgeschichte unter dem Ein­fluß dieser Tatsache verläuft. Man käme eben, wenn diese soziale Ord­nung sich verbreitete, bei Null an, beim Nichts. Aber bevor dieses Nichts eintritt, treten die Reaktionen auf aus dem Unterbewußten der Menschen da oder dort, und in den sich ausbreitenden Proletaris­mus, der marxistisch durchsetzt ist, muß sich überall in den verschie­densten Zentren dasjenige wiederum hineinmischen, was in dem Glauben, in den Impulsen oder auch in den Illusionen oder selbst in den Narrheiten der Menschen durch Jahrhunderte, manchmal durch Jahrtausende sich vorbereitet hat. Es wird sich ja nicht hineinmischen in derselben Gestalt, in der es da war, aber es wird sich hineinmischen in verwandelter Gestalt. Daher muß man es kennen und muß in der Lage sein, es in der richtigen Weise zu taxieren.

Nun haben die Mächte, die jetzt zum Teil dem Untergang verfallen sind, zum Teil aber noch die Welt beherrschen, diese Mächte haben es sich ja immer zu ihrer mehr oder weniger bewußten oder unbewußten Aufgabe gemacht, die Menschen zu täuschen. Was ist nicht alles ge­täuscht worden auf dem Umwege des sogenannten geschichtlichen Un­terrichtes! In allen möglichen Ländern ist ja Geschichte nichts weiter als eine Legende, ist Geschichte nur dazu da, um die Menschenköpfe so zu dressieren, daß sie mit ihren Gedanken diejenige Richtung ein­schlagen, die den Machthabern angenehm erscheint und als die richtige erscheint. Aber die Zeit ist gekommen, wo sich die Menschen ihr eigenes

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Urteil werden bilden müssen. Hier ist ja im Laufe der Jahre verschie­denes getan worden, gerade an dieser Stelle, um das eine oder andere Urteil richtigzustellen. Aber heute muß noch etwas anderes gefragt werden. Heute muß unter den - man weiß gar nicht wieviel man der Zahl nach sagen soll -, unter den hunderten von Fragen, die brennend auftauchen, vor allen Dingen auch die Frage gestellt werden: Wie sind die verschiedenen Herrschaftsverhältnisse, die verschiedenen sozialen Strukturverhältnisse entstanden, für die die Menschen da oder dort schwärmen oder geschwärmt haben oder schnell verlernt haben zu schwärmen in den letzten Wochen? - Die Menschheit hat ja durch Jahre von Schlagworten gelebt, Schlagworten wie «preußischer Militaris­mus» oder «deutscher Militarismus», «Völkerbund», «internationales Recht», nun, und so weiter, was eben nur Schlagworte waren. Das hat eigentlich die Köpfe der Menschen beherrscht und verwirrt. Wie ge­sagt, hier ist ja manches zur Berichtigung dieser Urteile gesagt worden. Das Wichtige ist aber, daß man einsähe, daß ja die Dinge in der näch­sten Zeit natürlich nicht in derselben Gestalt auftreten werden, aber daß man sie kennen muß, damit man weiß, wenn sie in einer neuen Gestalt auftreten, daß sie es sind.

Nicht wahr, es ist anzunehmen zum Beispiel, daß die Hohenzollern-Dynastie nicht wiederum als solche auftaucht. Aber die Gefühle der Menschen, unter denen die Hohenzollern-Dynastie leben konnte, diese Gefühle der Menschen leben fort, maskieren sich in anderer Form. Oder, es ist nicht einmal sehr wahrscheinlich, daß, selbst unter dem bis zu einem gewissen Grade ja gewiß vorhandenen Willen der Entente, die unselige Habsburg-Dynastie wiederum irgendwie auftaucht. Aber dar­auf kommt es nicht an. Die Gefühle, welche in der Lage waren, in den Menschenherzen diese Habsburger-Dynastie zu halten, die werden weiterleben. Sie werden natürlich nicht darauf gehen, diese Habs­burger-Dynastie wieder einzusetzen, aber sie werden mitwirken, diese selben Gefühle, an jener Reaktion gegen den Proletarismus, von der ich gesprochen habe; sie werden in einer ganz anderen Form wiederum auftreten. Daher ist es notwendig, dasjenige, was von den verschieden­sten Zentren auftreten wird, wirklich mit gesundem Urteil zu durch­schauen. Es handelt sich dann dabei darum, hinzuschauen auf die

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Verhältnisse, aber hinzuschauen mit einem durch die Wirklichkeit ge­richteten Blick. Die Tatsachen als solche haben keinen Wert. Ich habe in meinen Büchern - Sie können das an den verschiedensten Stellen fin­den - von Tatsachenfanatismus gesprochen, der so verheerend wirkt. Dieser Tatsachenfanatismus wurzelt in dem Glauben, daß dasjenige, was man außen sieht, schon eine Tatsache ist. Es wird eine Tatsache erst dadurch, daß es ins richtige Urteil eingespannt wird. Das richtige Urteil muß aber hinter sich den Impuls der rechten Richtkraft haben.

Nehmen Sie ein Beispiel. Sie wissen, ich habe oft gesagt, daß in Mitteleuropa vorzugsweise alle völkischen Impulse dadurch bedingt sind, daß in diesem Mitteleuropa der Volksgeist durch das Ich wirkt im Gegensatz zu den verschiedensten Gebieten Westeuropas. Aber das Ich hat die Eigentümlichkeit, daß es, ich möchte sagen, auf- und ab-kreist unter den anderen Gebieten, die fest sind. Nehmen Sie also an:

# Bild s. 186

im Süden und Westen Empfindungsseele, Verstandes- oder Gemüts­seele, Bewußtseinsseele, in der Mitte aber das Ich (es wird gezeich­net). Das Ich kann in der Bewußtseinsseele, in der Verstandesseele, in der Empfindungsseele sein. Es pendelt gewissermaßen auf und ab, es findet sich in alles hinein. Daher die Eigentümlichkeit: Wenn Sie nach dem Westen von Europa schauen, haben Sie, ich möchte sagen, scharfumrissene

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Volkskonturen. Da ist scharfumrissenes Volkstum, Volks­tum, das Sie wirklich, ich möchte sagen, definieren können, das in einem guten Rahmen darinnen ist. Schauen Sie nach Mitteleuropa, vorzugs­weise zum deutschen Volke, so haben Sie ein nach allen möglichen Seiten bestimmtes Wesen. Und jetzt verfolgen Sie die Geschichte, in­dem Sie diese Grundmaximen in der richtigen Weise beurteilen. Sehen Sie hin, wo Sie wollen, im Westen bis Amerika hinüber, im Osten bis nach Rußland, und sehen Sie an, wie da überall deutsches Volkstum als Ferment gewirkt hat. Es geht in diese fremden Gebiete hinein, ist heute drinnen, wird in der Zukunft wirken, auch wenn es sich ent­nationalisiert hat, wie man sagt; es geht in diese Gebiete hinein, weil das Ich auf- und abschwebt. Es verliert sich darinnen. Das finden Sie aus dem Grundwesen des Volkstums ganz genau heraus. Sehen Sie doch an, wie diese ganze russische Kultur durchsetzt ist von deutschem Wesen, wie Hunderttausende von Deutschen dort eingewandert sind im Laufe einer verhältnismäßig kurzen Zeit, wie sie bis in unendliche Tiefen hinein dem volksmäßigen Wesen das Gepräge gegeben haben. Sehen Sie nach dem ganzen Osten, so werden Sie überall dieses Ge-präge finden, und gehen Sie selbst auf die Jahrhunderte zurück, fragen Sie heute an, gehen wir zum Beispiel nach Ungarn, wo angeblich eine magyarische Kultur ist. Diese magyarische Kultur beruht vielfach dar­auf, daß alles mögliche Deutsche dort als Ferment hineingegangen ist. Der ganze Nordrand Ungarns ist von den sogenannten Zipser-Deut­schen bewohnt, die natürlich dann majorisiert, tyrannisiert, entnatio­nalisiert worden sind, die Unsägliches gelitten haben, die aber ein Kulturferment abgaben. Gehen wir weiter nach dem Osten, Sieben­bürgen, da finden wir die Siebenbürger Sachsen, die einst am Rhein gewohnt haben. Gehen wir weiter zu dem sogenannten Banat, da haben Sie die Schwaben, die aus dem Württembergischen eingewandert sind, die das Kulturferment abgegeben haben. Und würde ich Ihnen die Karte von Ungarn aufzeichnen, so würden Sie sehen hier den brei­ten Rand der in das Magyarentum hineingegangenen deutschen Men­schen, hierin die Zipser-Deutschen, im Südosten die Siebenbürger Sachsen, hier im Banat die Schwaben, gar nicht gerechnet dasjenige, was an einzelnen da hineingegangen ist. Und das Eigentümliche dieses

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deutschen Volkstums besteht darin, daß es eben, weil sein Volksgeist durch das Ich wirkt, gewissermaßen äußerlich als Volk untergeht, aber ein Kulturferment bildet. Das ist dasjenige, was beitragen kann zur Beurteilung der wirksamen Kräfte. Das ist eine solch wirksame Kraft.

Lassen Sie ruhig, ob es Andra'ssy oder Karolyi ist, lassen Sie ruhig einen alten Politiker im alten feudalen Sinne, wie man sagt, wirken; dasjenige, was wirkt, ist nur dann nicht Schlagwort, wenn man berück­sichtigt, was aus dem Unterbewußtsein der Leute durch solche histori­sche Vorgänge, wie ich Ihnen einen aufgezeigt habe - und Hunderte andere wirken dabei mit -, in der Zukunft bewirkt wird. Und das strahlt aus in das übrige Geschehen von Europa, und man muß im Grunde genommen recht gründlich vorgehen, wenn man heute dieses komplizierte Gefüge von Europa kennenlernen will. Man darf zum Beispiel nicht vergessen, wenn man ein wichtig Mittuendes beurteilen will bei der künftigen europäischen Gestaltung, nämlich den euro­päischen Osten, daß gewissermaßen jeder nicht nur ein Ketzer war, sondern jeder in Lebensgefahr war, der in Rußland über Rußland die Wahrheit sprach in geschichtlicher Beziehung. Die russische Geschichte ist ja, zwar nicht viel mehr als die übrigen Geschichten, aber sie ist eben

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auch durchaus eine Geschichtslegende. So zum Beispiel kommt es den­jenigen, die im gewöhnlichen Sinne russische Geschichte lernen, gar nicht zum Bewußtsein - was hier vor einigen Jahren entwickelt wor­den ist -, daß etwa zu derselben Zeit, als die Normannen im Westen Europas ihren Einfluß geltend machten, Normannisch-Germanisches auch nach dem Osten hin seinen Einfluß geltend machte. Und die rus­sische Geschichte von heute hat ein Interesse daran, im Zurückgehen immer mehr und mehr zu zeigen, wie alles, alles von slawischen Men­schen abstammt, von slawischen Elementen abstammt, auch ein Inter­esse zu verleugnen, daß das maßgebende Element, dasjenige Element, von dem heute noch tief beeinflußt ist, was im Osten ist, von Impulsen herkommt, die normannisch-germanischen Ursprungs sind. Man kommt ja mit der russischen Geschichte nicht viel weiter zurück, als daß man etwa den Leuten erzählt - nun ja, das ist, nicht wahr, der stereotype Satz, der immer wiederum gesagt wird -: Wir haben ein großes Land, aber wir haben keine Ordnung, kommt und beherrscht uns. - So un­gefähr beginnt das, während in Wahrheit hingewiesen werden müßte darauf, daß dasjenige, was bis zum Einfall der Mongolen in Rußland sich atisgebreitet hat, germanisch-normannischen Ursprungs war, ger­manisch-normannische soziale Konfiguration hatte. Das heißt aber so viel, daß sich in Rußland damals etwas ausbreitete, was durch spätere Verhältnisse überwuchert worden ist, was, ich möchte sagen, in Reinkultur sich weiter erhalten und konserviert hat zum Beispiel innerhalb des sozialen Gefüges des Britischen Reiches. Da ist die grad­linige Fortentwickelung. Wenn Sie also die soziale Entwickelung des Britischen Reiches nehmen, so haben Sie die eine Strömung, die natür­lich im Laufe der Jahrhunderte sich ändert, die heute aber die grad­linige Fortsetzung der alten normannisch-germanischen sozialen Kon­stitution ist. Sie haben im Osten nach Rußland hin denselben Strom sich ausbreitend, aber unter dem Mongolenjoch, unter dem Mongolen-einfluß, möchte ich sagen, von einem gewissen Punkte ab abbrechend. Das heißt: Würde dasselbe, was zur Zeit Wilhelms des Eroberers unter normannisch-germanischem Einflusse in der sozialen Struktur des Briti­schen Reiches vorbereitet worden ist und bis zum neunzehnten Jahr­hundert sich so entwickelt hat, daß es die heutige Stellung in der Welt

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einnimmt, würde sich das in Rußland weiterentwickelt haben, so würde Rußland England ähnlich sein.

Nun hat nirgends mehr als in Rußland alles dasjenige, was gewirkt hat, tief in die Herzen und in die Seelen der Menschen hineingewirkt. Nun muß man nicht vergessen: Was ist es denn eigentlich, was da mit dem normannisch-germanischen Einflusse kommt? - Dieser norman­nisch-germanische Einfluß hat, sich herausarbeitend, auch im Westen Gegenwirkungen gehabt. Ich sage: Hier hat er sich gradlinig entwickelt, er hat sich am gradlinigsten entwickelt, aber er hat auch hier Gegen­wirkungen gehabt. - Dasjenige, was er hier als Gegenwirkung gehabt hat, wovon er sich in einer gewissen Weise emanzipiert und was seine Entwickelungsströmung modifiziert hat, das ist auf der einen Seite die westliche römisch-katholische Kirche und das ist der Romanismus überhaupt, der ein abstrakt juristisches Element, ein abstrakt politi­sches Element in sich enthält. So daß wir zu dem völkischen Einfluß, von dem alle Ständegliederungen, alle Klassen- und Kastenbildung, wie sie sich innerhalb des britischen Wesens findet, herrühren, das­jenige hinzutreten sehen, was von der Kirche und was von dem Ro­manismus gekommen ist. Das wirkt alles darin, aber so, daß sich in einer gewissen Weise, aber frühzeitig, das britische Wesen emanzipiert hat von jenem tiefgehenden Einfluß der Kirche, der dann in Mittel­europa weitergewirkt und gewuchert hat und heute noch wirkt und wuchert; daß sich verhältnismäßig aber weniger emanzipiert hat dieses Wesen von dem romanisch-abstrakten Elemente des juristisch-politi­schen Denkens. Die Wahrheit ist, daß dieses normannisch-germanische Element auch sich als Herrschaftselement, als dasjenige Element, was ge­rade die soziale Struktur angegeben hat, in die verschiedenen Slawen-gebiete, die ja seit ältesten Zeiten auf dem Boden des heutigen Ruß­lands vorhanden waren, hineinerstreckt hat.

Dieses normannisch-germanische Wesen, das beruht auf einer ge­wissen Anschauung, die dann in sozialen Tatsachen sich auslebt. Dieses normannisch-germanische Wesen beruht auf der Anschauung, daß das­jenige, was Blutszusammenhang, engeren Blutszusammenhang hat, die­sen Blutszusammenhang auch erbschaftsmäßig oder erbgemäß in sozialer Weise auswirken soll, beruht auf einer gewissen sozialen Institution

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der Sippe und der Übersippe, der nächsten Familiensippe und der darüberstehenden Sippe, was dann zum Fürsten führt, der die Unter­sippe, die weitergehende Sippe beherrscht. Das ist dasjenige, was also eine soziale Konstitution hervorruft nach einer gewissen Blutskonfigu­ration.

Das ist es, was in denkbar schärfstem Widerspruch steht zu dem, was zum Beispiel vom romanisch-juristisch-politischen Wesen ausgeht. Das romanisch-juristisch-politische Wesen, das bringt überall abstrakte Zusammenhänge, richtet alles nach Verträgen und dergleichen, nicht nach dem Blute ein. Das ist alles etwas, was die Tatsachen weniger ins Gemüt als aufs Papier bringt, etwas radikal gesprochen. Nur eines ist gründlich abgebogen worden von diesem germanisch-normannischen Wesen. Hätte es allein gewirkt - es ist dies natürlich eine Hypothese, es hat ja nicht allein wirken können -, aber hätte es allein gewirkt, es hätte niemals kommen können zu einer monarchischen Staatsverfas­sung auf irgendeinem europäischen Gebiete. Denn eine monarchische Staatsverfassung liegt nicht in der Entwickelung derjenigen sozialen Impulse, die vom normannisch-germanischen Wesen ausgehen, son­dern es liegt diesem normannisch-germanischen Wesen zugrunde der Impuls einer Gliederung nach Sippen, nach Familien-Konfigurationen, die verhältnismäßig individuell und selbständig gegeneinander sind, und nur unter gewissen Gesichtspunkten sich verbünden unter einem Fürsten, der dann die Übersippe kontrolliert. Und vor allen Dingen:

Außer diesem, daß niemals ein Monarch hätte Platz greifen können aus diesem normannisch-germanischen Wesen heraus, hätte niemals aus diesem Wesen der reine Monotheismus kommen können, denn der kam vom Süden her - ich möchte eigentlich sagen: vom Süd-Osten her - durch das theokratisch-jüdische Element. Wäre das normannisch-germanische Element rein für sich fortwirkend gewesen, dann würde man es heute leichter haben, jenen berechtigten Monotheismus zur Gel­tung zu bringen, der wiederum nicht den abstrakten Einzelgott an­nimmt, sondern der annimmt die Aufeinanderfolge der Hierarchien, Angeloi, Archangeloi und so weiter, der nicht den Unsinn annimmt, daß der eine Gott zum Beispiel zwei Heere, die einander wütend gegenüberstehen, da durchdringend und da durchdringend, den Christen

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und den Türken zugleich beschützt und dergleichen, weil er eben der eine Gott der ganzen Welt ist. Es würde niemals der Unsinn haben Platz greifen können, der als abstrakter Monotheismus fortwuchert, denn innerhalb diese Elementes war der abstrakte Monotheismus nicht da. Die Leute waren im modernen Sinne Heiden, das heißt, sie haben die verschiedensten geistigen Wesen, die die Naturkräfte leiten, aner­kannt, lebten also in einer spirituellen Welt, wenn auch auf atavistische Weise. Dasjenige, was der Unsinn des Monotheismus ist, wurde erst durch das theokratische Element von Süd-Osten aufgedrängt. Daher hat man es heute so schwer mit dem Durchbringen desjenigen, was notwendig durchkommen muß: die Vielseitigkeit der die Naturkräfte und die Naturereignisse lenkenden geistigen Wesenheiten, der Götter. Gerade aber auf russischem Boden spielte sich in gewisser Weise die Abdumpfung desjenigen, was ja vom Norden her kam, ab. Ich habe vor längerer Zeit hier sogar einmal über den Namen Russe gesprochen. Sie werden sich erinnern, daß ich darauf hingewiesen habe, daß der Name Russe darauf hinweise, woher diese Menschen da vom Norden kamen. Sie nannten sich selbst Vaeringjar.

Dasjenige aber, was eigentlicher Staatsgedanke ist, das ist ein Ge­bilde, das sorgfältig studiert sein sollte. Dieser Staatsgedanke kommt in einer gewissen Beziehung aus demselben Wetterwinkel her, woher manches andere für Europa Bedeutungsvolle kommt. Gerade wenn man so etwas bespricht, muß man sich intensiv erinnern, daß Ge­schichte ja nur symptomatisch betrachtet werden kann. Wenn man also irgendeine Erscheinung betrachtet, die eine äußere Tatsache ist, so muß man diese als Symptom taxieren. In diesem Rußland war, solange dieser normannisch-germanische Einfluß sozial strukturbildend da war, nichts von einem Staatsgedanken vorhanden. Es waren gewissermaßen in sich geschlossene slawische Gebiete, und ausgebreitet hatte sich also das, was ich Sippengedanke genannt habe. Der Sippengedanke hat das so netzförmig umschlungen. Die verschiedenen geschlossenen Slawen-gebiete, die hatten in sich dasjenige Element, was vielleicht der moderne Mensch demokratisches Element nennen würde, aber zu gleicher Zeit verknüpft mit einer gewissen Sehnsucht nach Herrschaftslosigkeit, mit einer gewissen Einsicht darin, daß man zentralisierte herrschaftliche

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Mächte eigentlich zum Ordnungmachen der Welt nicht braucht, son­dern nur zum Unordnungmachen. Das lebte in diesen geschlossenen Slawengebieten. Und in dem, was sich vom normannisch-germanischen Elemente hineinerstreckte, lebte eigentlich der Sippengedanke, der Ge­danke, der mit dem Blute zusammenhing.

Nun kam der Mongoleneinfall. Diese Mongolen, sie werden ja recht schlimm geschildert. Aber das Allerschlimmste, was sie getan haben, ist ja eigentlich doch das, daß sie hohe Tribute, Steuern eingefordert haben, und sie waren mehr oder weniger damit zufrieden, wenn ihnen die Leute die Steuern, natürlich namentlich in Gestalt von Naturalien, abgegeben haben. Dasjenige aber, was sie brachten - aber bitte das jetzt symptomatisch aufzufassen und nicht etwa zu meinen, ich sage, der Staatsgedanke käme von den Mongolen -, dasjenige, was sie da­mals gebracht haben also, symptomatisch aufgefaßt, das ist der Staats-gedanke. Der monarchische Staatsgedanke, der kommt gerade aus die­sem Wetterwinkel, aus dem die Mongolen auch gekommen sind, nur daß er nach dem weiteren Westen Europas schon früher gebracht worden ist. Er kommt aus jenem Wetterwinkel der Welt, den man findet, wenn man die von Asien sich herüberwälzende Kultur, oder meinetwillen sagen sie: barbarische Welle, verfolgt. Was in Rußland geblieben ist von den Mongolen, das ist im wesentlichen die Meinung, daß ein ein­zelner Herrscher mit seinen Paladinen eine Art Staatsherrschaft aus­zuüben hat. Das ist im wesentlichen getragen gewesen von dem mon­archischen Gedanken der Khane, und das ist dort übernommen worden. Im Westen von Europa ist es nur früher übernommen worden, aber es kam aus demselben Wetterwinkel. Und im wesentlichen war es ein tatarisch-mongolischer Gedanke, der das sogenannte Staatswesen in Rußland zusammengefügt hat. Und so hat sich lange Zeit gerade in Rußland dasjenige einflußlos gezeigt, was die Kultur des Westens ausgemacht hat von vielen Gesichtspunkten her: der Feudalismus, der eigentlich in Rußland einflußlos war, weil sich mit Überspringung des Feudalismus die Monarchie ausgebreitet hat, die immer im Westen ge­stört war zunächst durch den Feudalismus, durch die Feudalherren, die eigentlich die zentralmonarchische Gewalt immer bekämpften und die ein Gegenpol gegen die monarchische Gewalt waren.

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Die römische Kirche ist das zweite. Das ist ja unwirksam gewesen im Osten, weil schon im zehnten Jahrhundert die östliche Kirche sich getrennt hat von der westlichen Kirche. Die griechisch-römische, rö­misch-griechische Bildung ist auch, so wie sie im Westen gewirkt hat und sehr viel beigetragen hat zur Heranziehung des modernen Bürger­tums, in Rußland unwirksam gewesen. Daher hat gerade der monar­chische Staatsgedanke, der durch das Mongolentum hereingetragen worden ist, da seine tiefsten Wurzeln geschlagen.

Sehen Sie, da haben Sie so einige von den Impulsen, die man kennen muß, weil sie in der mannigfaltigsten Weise maskiert, verändert, in Metamorphose auftreten werden. Da oder dort werden Sie dies oder jenes aufleuchten sehen. Sie werden es nur richtig taxieren, wenn Sie es von diesem Gesichtspunkte aus, den ich jetzt angeführt habe, taxie­ren. Und Sie werden vor allen Dingen die Wichtigkeit davon einsehen, daß innerhalb der Begründung der Weltherrschaft durch die englisch-sprechende Bevölkerung, von der ich jetzt seit vielen Jahren spreche, die Ausbildung der Bewußtseinsseele im wesentlichen wirkt, daß diese gerade unserem Zeitalter angemessen ist, und daß da einsetzen müßte ein gesundes Urteil in der Beurteilung der Verhältnisse.

Die soziale Frage wird eine große Rolle spielen bei aller Gestaltung der Verhältnisse nach der Zukunft hin. Dasjenige, was jetzt schon soziales Denken auch beim Proletariat ist, das kann nur zum Raubbau führen, zum Abbau, zur Zerstörung. Es handelt sich darum, daß nun wirklich eingesehen werde, daß die Gestaltung, die die soziale Frage annimmt, die Gestaltung namentlich, die die proletarische Bewegung annehmen wird, notwendig macht, daß dasjenige, was heute als prole­tarisches Fühlen am weitesten entfernt ist von Spiritualität, gerade an die Spiritualität herangeführt werden muß. Innig verwandt innerlich ist dasjenige, was scheinbar äußerlich am weitesten voneinander ent­fernt steht: proletarisches Wollen und Spiritualität. Der Proletarier bekämpft natürlich heute mit Händen und Füßen - man kann sagen:

mit Händen und Füßen, denn er kämpft ja nicht viel mit dem Kopf -die Spiritualität. Aber das, was er, ohne es zu wissen, will, das ist ohne Spiritualität nicht zu erreichen. Zu dem muß sich die Spiritualität hin-zugesellen. Und sie muß sich auf allen Gebieten hinzugesellen. Und man

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muß wirklich ein Gefühl sich aneignen, daß man an einem wichtigen Zeitenwendepunk steht. Jene Stimmung muß vorbeigehen, welche sich im neunzehnten Jahrhundert auf den verschiedensten Gebieten geltend gemacht hat.

Sie können, wenn Sie einzelnes sehen und es richtig taxieren, heute schon sehen, ich möchte sagen, wenn ich mich trivial ausdrücken darf, wie der Hase läuft. Durch Herrn Englerts Güte wurde mir neulich ein Brief gegeben, der aus Rußland hergeschrieben war, wo russische Ver­hältnisse von heute sehr anschaulich geschildert werden. Da ist auch die Rede von Kunst. Die Art und Weise, wie die Leute an die Kunst herangezogen werden, sie ist ja sehr interessant; aber dasjenige, was sie malen, diese Leute, die unmittelbar aus der Fabrik herangezogen wer­den, Leute, die lungenkrank sind und in der Fabrik nicht weiterarbei­ten können und dann in eine künstlerische Anstalt gestellt werden, damit sie da irgend etwas, zum Beispiel malen lernen, also unmittelbar aus dem Proletariat heraus in die Kunst hineingetrieben werden, die malen - sie malen ja nicht ganz so, wie in unserer Kuppel gemalt wird, aber man sieht es, sie fangen an so zu malen, daß sich aus diesem An­fange zuletzt das ergeben wird, was in unserer Kuppel gemalt wird, wenn man es auch heute noch Futurismus nennt, was in unserer Kuppel gemalt wird. Das ist auf dem Marsche dahin. Gerade in den Dingen, wo nicht programmäßig vorgegangen wird, da zeigt es sich, was an Impulsen in der Gegenwart liegt. Wer auf Programme schaut - von Regierungsprogrammen gar nicht zu sprechen -, der wird immer fehl-gehen. Wer auf die Impulse schaut, die neben und zwischen den Pro­grammen sich entwickeln, namentlich aus dem Unbewußten heraus, der wird vieles sehen, was heute aufstrahlt in der Welt. Sie können ganz sicher sein: Die Wege, wenn es auch mühsam sein wird, die werden gefunden werden. Wenn man einmal gerade aus den Impulsen, die heute so primitiv, so raubbauerisch im Proletariat hervortreten, so etwas lesen wird - ich will nicht sagen, die Dinge selbst, die ja unvoll­kommene sind, die durch andere ersetzt werden müssen -, aber solche Dinge, wie meine Mysterien sind oder auch die anthroposophischen Bücher, man wird sie gerade in den besseren Elementen, die aus dem Proletariat nach oben strömen, erst mit dem richtigen Interesse lesen,

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während dasjenige, wobei das Bürgertum im neunzehnten Jahrhun­dert sich die Finger abgeleckt hat: Gustav Freytag Überall, auf allen Gebieten muß es durchschaut werden. Dafür wird in der Zukunft kein Interesse sein, wenn die Leute sich in die Ateliers Modelle stellen und dasjenige, was die Natur viel besser kann, nach-malen und dann sich daran ergötzen, ob das nun wirklich natürlich ausschaut, ob das nun wirklich modellgemäß ist. Danach wird man verlangen, daß etwas da ist in der Welt, was durch die Natur selber nicht gemacht wird. Dafür wird Verständnis vorbereitet werden müs­sen. Daher mußte auch hier das Modell als solches bekämpft werden. Sie erinnern sich, wie ich von diesem Gesichtspunkte aus einmal vor Jahren über Kunst gesprochen habe. Dadurch muß ein Verständnis geschaffen werden, daß man die Impulse verfolgt, die da sind. Jene Blödigkeit zum Beispiel muß aufhören, daß die Leute kennenlernen wollen, wie das Volk lebt, etwa, sagen wir, dadurch, daß sie Berthold Auerbachs «Dorfgeschichten» oder dergleichen Zeug lesen, wo ein Mensch, der das Volk, nun ja, so kennt, wie einer, der am Sonntag­nachmittag aufs Land hinausgeht und die Leute von außen ansieht, beschreibt, wie man so recht schön das Volk beschrieben hat. Darauf kommt es nicht an. Überhaupt kommt es nicht darauf an, das Vor­übergehende zu beobachten, sondern das Ewige, das in dem Menschen lebt, muß immer mehr und mehr beobachtet werden. Das ist es, worauf es ankommt.

Über diese Dinge werden wir dann morgen weiter sprechen.

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ACHTER VORTRAG Dornach, 24. November 1918

Ich denke, Sie haben gesehen, daß jene bedeutungsvolle Zeitforderung, welche aus der Flut des menschlichen Geschehens heraufsteigt und die man die soziale Bewegung nennt, gerade dort, wo sie am intensivsten bedacht und empfunden wird, nach den eigentümlichen Kräften der Zeit äußerlich behandelt wird, behandelt wird von dem Gesichtspunkte aus, als ob es eigentlich nur eine physische, eine sinnenfällige Welt gäbe. Die soziale Frage ist ja wirksam geworden als proletarische For­derung. Sie lebt in den proletarischen Forderungen in einer gewissen, man möchte sagen, abstrakt-theoretischen Weise, und die Gefahr ist vorhanden, daß die abstrakt-theoretische Weise, die niemals äußere Tatsache werden sollte, eben äußere Tatsache werden kann, oder wenigstens, daß verlangt wird, daß sie es werde. Aber dieses prole­tarische Bewußtsein, aus dem heraus sich heute die soziale Frage gel­tend macht, das ist durchaus durchdrungen von dem Glauben bloß an die materielle Welt mit ihrer ethischen Beigabe des bloßen ethischen Utilitarismus, der bloßen Nützlichkeitsmoral.

Dies ist eine Tatsache, die eigentlich jeder heute mit Händen greifen kann: daß die Ideen für die soziale Bewegung aus einem gewissen Glauben nur an das materielle Dasein und die Nützlichkeit des mensch­lichen Lebens und an die Nützlichkeitskräfte des menschlichen Lebens herausgeholt werden. Demjenigen aber, der das Leben durchschaut, ist es ganz besonders bedeutsam, daß die eigentliche Aufklärung über die soziale Frage, namentlich über die Ideen, die für diese soziale Frage in der Gegenwart und der nächsten Zukunft notwendig sind, nicht zu holen ist aus irgendeiner, und sei es noch so wissenschaftlichen Betrach­tung der äußeren, physisch-materiellen Welt.

Dies ist etwas, was die Gegenwart wissen muß, was die Menschen der Gegenwart werden durchdringen müssen. Sie werden durchdringen müssen, daß die soziale Frage nur lösbar ist auf einer spirituellen Grundlage, und daß heute ihre Lösung gesucht wird ohne alle spiri­tuelle Grundlage. Damit ist etwas ungeheuer Wichtiges für unsere Zeit

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ausgesprochen. Sehen Sie, auf dem ganzen Felde, das man überschauen kann mit dem bloßen Sinnesvermögen und dem Verstande, der an dieses Sinnesvermögen gebunden ist, auf diesem ganzen Felde sind die Ideen, welche der sozialen Bewegung notwendig sind, nicht zu bilden. Diese Ideen liegen, wenn sie in ihrer unmittelbaren Wirkungskraft ge­schaut werden sollen, durchaus jenseits der Schwelle, die von der physisch-sinnlichen Welt zur übersinnlichen Welt führt. Das Allernot­wendigste für die Gegenwart und für die nächste Zukunft in bezug auf die Entwickelung der menschlichen Geschicke ist das Hereinholen ge­wisser Ideen von jenseits der Schwelle, und die charakteristischste Er­scheinung in der Gegenwart ist diese, daß solches Hereinholen von jenseits der Schwelle geradezu abgelehnt wird. Und alle Arbeit auf diesem Gebiete muß durchdrungen sein von dem Willen, zu über­winden diese Abneigung vor einem Hereinholen von sozial wirksamen Ideen von jenseits der Schwelle des physischen Bewußtseins.

Es liegt natürlich auf diesem Untergrunde eine außerordentliche Schwierigkeit, eine Schwierigkeit, die einem einfach vor die Seele tritt, wenn man bedenkt, daß, da wir ja im Zeitalter der Bewußtseinsseele leben, also alles eigentlich mehr oder weniger bewußt angestrebt wer­den soll oder muß, daß es notwendig ist, notwendig für eine wichtige Zeitforderung der Gegenwart, sich bekannt zu machen mit Wahr­heiten, die jenseits der Schwelle des physischen Bewußtseins liegen.

Nun kann man ja allerdings sagen: Die wenigsten Menschen der Gegenwart haben eine rechte Würdigung für dasjenige, was jenseits der Schwelle des Bewußtseins liegt. Die wenigsten Menschen der Gegenwart haben eine rechte Würdigung für die Initiation und die Initiationsweisheit, wie sie in der Gegenwart eigentlich herrschen muß oder herrschend werden muß. Jener Fähigkeiten, die in jeder mensch­lichen Seele liegen und die aus dem Übersinnlichen hereinholen gewisse Ideen, jener Fähigkeiten möchten sich die Menschen der Gegenwart aus der Ihnen offmals charakterisierten Bequemlichkeit heraus nicht bedienen. Und es ist ja auch so, daß man sagen muß: Es liegt eine durchaus objektive Schwierigkeit auf diesem Gebiete vor. Sie müssen ja nicht vergessen: Ich möchte sagen, in ihrer Urgestalt können die Dinge und Wesenheiten, die jenseits der Schwelle liegen, eben nur von

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demjenigen beobachtet werden, der diese Schwelle überschritten hat. Aber dieses Überschreiten der Schwelle ist ja ein wichtigstes Ereignis des persönlichen Lebens. Es ist auch ein Ereignis des persönlichen Lebens, das in ein besonderes Licht rückt, wenn man es, wie ich jetzt eben ge­tan habe, in so nahe Beziehung zu bringen hat zu der sozialen Frage. Die soziale Frage, das deutet schon ihr Name an, ist eine Sache von Menschengruppen, Menschenzusammenhängen; das Geheimnis der Schwelle ist eine Sache der Individualität. Man kann sagen: Niemand ist eigentlich unmittelbar in der Lage, wenn er das Geheimnis der Schwelle kennt, es einem andern unmittelbar mitzuteilen. Man kann sogar sagen, daß es eine gewisse Krisis in der menschlichen Seele bedeu­tet, wenn das Geheimnis der Schwelle aus gewissen Zusammenhängen heraus, die man sonst empfangen hat, einem innerlich aufgeht.

Sie oder besser gesagt, diejenigen unter Ihnen, die jahrelang mit­gemacht haben die geisteswissenschaftlichen Betrachtungen, insofern sie anthroposophisch orientiert sind, Sie haben ja alle Gelegenheit, sich auf dem Weg zu finden, das Geheimnis der Schwelle zu finden. Sie werden, wenn Sie dem Geheimnis der Schwelle nahekommen, durch­aus das Bewußtsein durch die Sache selbst empfangen, daß man zwar über die Wege gut sprechen kann, die zum Geheimnis der Schwelle führen, daß man aber nicht eine unmittelbare Mitteilung über das Geheimnis der Schwelle machen kann. So ist in gewisser Beziehung das Geheimnis der Schwelle individuelle Sache eines jeden einzelnen Menschen, und dennoch liegt die Notwendigkeit vor, daß von jenseits der Schwelle gerade die wichtigsten Ideen für das soziale Werden ge­holt werden. Heute ist es ja überhaupt mit dem Geheimnis der Schwelle so eine eigene Sache, denn heute ist wenig Vertrauen von Mensch zu Mensch. Das ist ja etwas, was furchtbar geschwunden ist unter den Menschen, das Vertrauen von Mensch zu Mensch, und es stünde um unser soziales Leben ganz anders, wenn nur ein wenig größeres Ver­trauen von Mensch zu Mensch vorhanden wäre. So kommt es, daß zu demjenigen, der heute das Geheimnis der Schwelle kennt, der das Ge­heimnis der Schwelle durch Bekanntwerden mit dem Hüter der Schwelle kennt, ein viel zu geringes Vertrauen sich festsetzt, oder ein falsch gerichtetes, ein falsch orientiertes, ein falsch eingestelltes Vertrauen.

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Es wäre, wie Sie daraus ersehen können, diese Sache eine ziemlich hoffnungslose, wenn nicht etwas anderes der Fall wäre. Denn man könnte sagen: Also kann zum Beispiel die soziale Frage überhaupt nur von Initiierten gelöst werden. - Man wird aber den Initiierten aus dem Mangel an Vertrauen, das heute der Mensch dem Menschen ent­gegenbringt, eben einfach nicht glauben. Man wird nicht glauben, daß sie die Einsicht in das Leben haben. Dies ist nur auf einem gewissen Gebiete wahrzunehmen, nämlich jenseits der Schwelle, von dem sie nicht unmittelbar von Mensch zu Mensch, wenigstens nicht jederzeit und aus allen Voraussetzungen heraus von Mensch zu Mensch sprechen können. Würde zum Beispiel jemand in unvorsichtiger Weise seine Erfahrungen, die er mit dem Hüter der Schwelle gemacht hat, einem anderen mitteilen, der sie emotionell oder, sagen wir, so aufnimmt, daß er sich nicht stellt in dasjenige Gebiet seiner Seele, in dem er eine bis zu einem gewissen Grad gedrungene Selbstzucht geübt hat, und würde vielleicht sogar ein solcher, der auf diese Weise das Geheimnis der Schwelle mitgeteilt erhielte, dieses Geheimnis der Schwelle weiter ausplaudern, so würde dies zwar ein Übergang des Geheimnisses der Schwelle in das soziale Leben sein, aber es würde eine sehr schlimme Folge haben. Es würde nämlich, was manchmal schon die bloße Mit­teilung des Weges zum Geheimnis der Schwelle bewirkt, die Menschen mehr oder weniger in zwei Lager teilen, es würde die Menschen feind­lich gegeneinander stellen. Denn während die Ideen, die von jenseits der Schwelle kommen, geeignet sind, wenn sie in ihrer wahren Kraft, in ihrer gereinigten spirituellen Kraft wirken, geradezu soziale Har­monie unter den Menschen zu bewirken, ist es, wenn sie ungeläutert unter die Menschen verstreut werden, so, daß sie Streit und Krieg unter den Menschen bewirken.

Sie sehen, mit dem Geheimnisse der Schwelle hat es also eine eigen­tümliche Bewandtnis. Und wäre nicht etwas anderes der Fall, so wäre wirklich jene Hoffnungslosigkeit berechtigt, von der ich Ihnen gespro­chen habe. Da aber etwas anderes berechtigt ist, so muß man sagen: Der Weg, den die Zukunft nehmen muß, der kann klar charakterisiert werden. - Es ist ja heute so, daß dasjenige, was sozial fruchtbar ist an Ideen, eigentlich nur gefunden werden kann von den wenigen Menschen,

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welche sich gewisser spiritueller Fähigkeiten bedienen können, die die weitaus überwiegende Mehrzahl der Menschen heute nicht ge­brauchen will, trotzdem sie in jeder Seele liegen, nicht bloß bewußt nicht gebrauchen will, sondern zumeist unbewußt nicht gebrauchen will. Aber diese wenigen, die werden sich die Aufgabe setzen müssen, dasjenige, was sie herausholen aus der geistigen Welt gerade mit Bezug auf soziale Ideen, mitzuteilen. Sie werden es übersetzen in die Sprache, in die eben die geistigen Wahrheiten, die in einer anderen Gestalt jenseits der Schwelle geschaut werden, übersetzt werden müssen, wenn sie populär werden sollen. Sie können populär werden, müssen aber zuerst in eine populäre Sprache übersetzt werden.

Nach dem allgemeinen Zeitcharakter wird man natürlich solchen in die Geheimnisse der Schwelle Eingeweihten, über die sozialen Ideen Sprechenden, nicht glauben, weil das nötige Vertrauen unter den Men­schen nicht da ist. Man wird jede soziale Idee, welche eigentlich keine Wirklichkeit ist, wie Sie aus dem Vorhergehenden ersehen können, jede soziale Idee, die mit dem gewöhnlichen Verstande auf die Sinneswelt gerichtet ist, in der heutigen demokratienärrischen Zeit - wollte sagen:

demokratiesüchtigen Zeit - man wird selbstverständlich eine solche rein verstandesmäßig zutage geförderte soziale Idee, die keine ist, für demokratisch gleichwertig halten mit dem, was der Initiierte aus der geistigen Welt herausholt und was wirklich fruchtbar sein kann. Aber würde diese demokratiesüchtige Ansicht oder Empfindung den Sieg davontragen, so würden wir in verhältnismäßig kurzer Zeit eine soziale Unmöglichkeit, ein soziales Chaos im wüstesten Sinne erleben. Aber das andere ist ja eben vorhanden und gilt gerade in hervorragendem Maße für die sozialen Ideen, die von Initiierten von jenseits der Schwelle hergeholt werden. Ich habe es immer wieder und wieder be­tont: Derjenige, der sich wirklich seines gesunden Verstandes, nicht des wissenschaftlich verdorbenen, aber des gesunden Menschenver­standes bedienen will, der kann jederzeit, wenn er auch nicht finden kann dasjenige, was nur der Initiierte finden kann, er kann es prüfen, er kann es am Leben erproben, und er wird es einsehen können, nach­dem es gefunden ist. Und diesen Weg werden für die nächste Zeit die sozial fruchtbaren Ideen zu nehmen haben. Anders wird man nicht vorwärtskommen.

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Diesen Weg werden die sozial fruchtbaren Ideen zu nehmen haben. Sie werden da und dort auftreten. Man wird zunächst selbstverständlich, solange man nicht geprüft hat, solange man nicht seinen gesunden Menschenverstand darauf angewendet hat, jeden be­liebigen marxistischen Gedanken mit einem Gedanken der Initiation verwechseln können. Aber wenn man vergleichen wird, nachdenken wird, wirklich den gesunden Menschenverstand auf die Dinge anwen­den wird, dann wird man schon zu der Unterscheidung kommen, dann wird man schon einsehen, daß es etwas anderes ist an Wirklichkeits­gehalt, was aus den Geheimnissen der Schwelle von jenseits der Schwelle hergeholt wird, als dasjenige, was ganz aus der Sinnenwelt herausgeholt ist wie zum Beispiel der Marxismus.

Damit habe ich Ihnen zu gleicher Zeit nicht irgendein Programm charakterisiert, denn mit Programmen wird die Menschheit in der näch­sten Zeit sehr schlimme Erfahrungen machen; ich habe Ihnen charakte­risiert einen positiven Vorgang, der sich abspielen muß. Diejenigen, die aus der Initiation etwas wissen über soziale Ideen, werden die Ver­pflichtung haben, diese sozialen Ideen der Menschheit mitzuteilen, und die Menschheit wird sich entschließen müssen dazu, über die Sache nachzudenken. Und durch Nachdenken, bloß durch Nachdenken mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes, wird schon das Richtige her­auskommen. Das ist so außerordentlich wichtig, daß das, was ich eben jetzt gesagt habe, wirklich angesehen werde als eine fundamen­tale Lebenswahrheit für die nächsten Zeiten, unmittelbar von der Gegenwart schon angefangen! Nicht das ist die Forderung, daß man glauben soll, man könne dies oder jenes aus jeder beliebigen Idee heraus machen, sondern das ist die Forderung, daß man glauben soll: Menschen müssen zusammenarbeiten. Das unmittelbare persön­liche Zusammenarbeiten von Menschen ist notwendig, damit unter den Zusammenarbeitenden auch solche sind, die von jenseits der Schwelle her die betreffenden Ideen haben. Sie sehen also, das, was Für die Gegenwart wichtig ist, ist nicht etwas, mit dem sich spielen läßt. Es ist eine ungeheuer ernste Sache, die von der Gegenwart aus an die Menschen herantritt. Und man kann sagen: Im weiten Um-kreise des Menschenbewußtseins ist noch wenig Sinn vorhanden für

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den ungeheuren Ernst, der sich gerade mit Bezug auf diese Dinge geltend macht.

Es liegt eine weitere Schwierigkeit vor, die wenigstens derjenige wissen muß, der von gewissen geisteswissenschaftlichen Betrachtungen bei diesen Dingen ausgehen kann. So wie das soziale Problem in der Gegenwart auftritt, wirkt es als ein internationales Problem. Dar­innen liegt ein verhängnisvoller Irrtum, der sich ja auch praktisch in der letzten Zeit dadurch zum Ausdruck gebracht hat, daß ein ganz und gar westwärts, englisch-amerikanisch orientierter Mann wie Lenin im plombierten Wagen unter der Protektion der deutschen Regierung nach Rußland gefahren worden ist, um dort einen solchen Zustand herbeizuführen, mit dem die deutsche Regierung, namentlich in der Persönlichkeit Ludendorfis, glaubte, einen Frieden schließen zu kön­nen und sich weiter halten zu können. Das beruht auf dem Irrtum, daß man etwas wirklich Voll-Internationales, was überall anwendbar ist, überhaupt haben könne. Und gerade an dem Leninismus in Ruß­land ließe es sich studieren, wie unmöglich es ist, auf das russische Volks­tum draufzupfropfen etwas völlig aus dem Westen Entsprungenes, das der Westen aber gar nicht haben will.

Nicht darum wird es sich handeln, wenn die soziale Harmonie ge­sucht werden muß für die nächste Zukunft, in abstrakter Weise immer wieder und wiederum zurückzukommen darauf, daß alle Menschen einander gleich sind mit Bezug auf das Grundwesen, sondern darauf wird es ankommen, daß die Menschen in ihren Individualitäten sich verstehen lernen müssen auch in den großen, ewigen Kräften, die durch die menschlichen Individualitäten gehen. Heute ist es noch für manche Menschen etwas außerordentlich Aufregendes, wenn man einmal die­jenigen Dinge sagt, die ja gerade dazu dienen sollen, daß die Menschen sich besser verstehen lernen. Man kann es heute erleben, daß, wenn man jemandem sagt: Das deutsche Volkstum ist dazu angetan, daß der Volksgeist durch das Ich spricht, während das italienische Volkstum dazu angetan ist, daß der Volksgeist durch die Empfindungsseele spricht -, daß da der Mensch heute dazu in der Lage ist, zu sagen: Nun ja, da wird der Italiener weniger geschätzt, weil die Empfindungsseele weniger ist als das Ich zurn Beispiel. - So sagt man. Es ist natürlich

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ein völliger Unsinn, denn bei diesen Dingen handelt es sich nicht dar­um, Wertigkeiten aufzustellen, sondern etwas an die Hand zu geben, wobei sich die Menschen über das ganze Erdenrund hin - und die Schicksale der Menschen lassen sich heute nicht anders als nur über das Erdenrund hin ordnen - wirklich verstehen lernen. Von einem ge­wissen Gesichtspunkte aus ist nichts so Geartetes wertvoller oder wert­loser, sondern ein jedes hat seine Aufgabe in der Entwickelung der Menschheit. Und dann ist ja natürlich in jedem Menschen etwas, etwas, das aber natürlich zusammenhängt mit dem Geheimnis der Schwelle, wodurch er sich wieder heraushebt aus solchem Gruppenhaften, was dadurch charakterisiert wird, daß man sagt: Da wirkt die Empfin­dungsseele, da das Ich, da das Geistselbst und so weiter. - Aber kennen muß man heute diese Dinge, sonst werden die Menschen immer anein­ander vorbeigehen und doch nicht viel mehr voneinander wissen, als höchstens Kenntnisse von zweierlei Art: erstens, daß die meisten Men­schen die Nase mitten im Gesicht haben, oder daß dasjenige richtig ist, was die Journalisten wissen, wenn sie die Länder bereisen. Beides ist ja eine ungefähr gleich wichtige Wahrheit.

Das ist es, worum es sich handelt: nicht um ein abstraktes, allgemeines Menschentum, sondern um ein wirkliches Verbinden der Menschen auf Grundlage des Interesses für die besondere individuelle Gestaltung, die ein Mensch dadurch erhält, daß er in ein bestimmtes Volksseelentum hineinversetzt ist. Es ist einmal heute die Zeit gekommen, daß solche Dinge, die nicht nur als unbequem, sondern manchmal sogar als ver­letzend empfunden werden, populär werden müssen. Man kommt nicht weiter, ohne daß solche Dinge populär werden. Das muß gehörig ins Auge gefaßt werden. Aber alle diese Dinge sind ja so, daß sie wirklich dem gesunden Menschenverstande zugänglich sind. Und wenn nur ein­mal wenigstens dieses Selbstvertrauen eintreten würde bei einer großen Anzahl von Menschen, dieses Selbstvertrauen, das nicht immer sagt:

Ja, ich kann ja doch nicht in die geistige Welt hineinschauen, ich muß doch dem Initiierten nur glauben -, sondern welches sagt: Nun, es wird doch das oder jenes behauptet; ich will aber meinen gesunden Menschenverstand anwenden, um es einzusehen -, wenn dieses Selbst­vertrauen, aber wirksam, tatkräftig, nicht bloß abstrakt oder theoretisch,

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einträte bei einer größeren Anzahl von Menschen, dann wäre es schon gut und dann wäre ungeheuer viel insbesondere für den Weg gewonnen, der gegangen werden muß mit Bezug auf das soziale Pro­blem. Aber das ist gerade der Schaden, daß die Menschen dieses Selbst­vertrauen zu ihrem gesunden Menschenverstand mehr oder weniger gerade durch die menschliche Erziehung im neunzehnten Jahrhundert eingebüßt haben. Die schädlichen Eigenschaften, durch die dieses Selbst­vertrauen und dadurch der Gebrauch der menschlichen Urteilskräfte eingebüßt worden ist, diese schädlichen Eigenschaften waren in frühe­ren Zeiten auch vorhanden, aber sie waren nicht so schädlich, weil der Mensch nicht im naturwissenschaftlichen Zeitalter lebte, das von ihm notwendigerweise aus gewissen Untergründen heraus verlangt, daß er ein einheitliches Urteilsvermögen wirklich anwendet, daß er seinen ge­sunden Menschenverstand restlos anwendet. Das aber ist es gerade, was am meisten gefehlt hat in der neueren Zeit.

Man nimmt gar nicht ernst die Beispiele, die man dafür geben kann. Aber ich will Ihnen ein Beispiel geben, das ich nicht nur verhundert­fachen, sondern vertausendfachen könnte. Ich habe eine Abhandlung hier; diese Abhandlung heißt: «Über Tod und Sterben vom rein natur-wissenschaftlichen Standpunkte.» Diese Abhandlung ist eine Rede, die Wiedergabe einer Rede, die gehalten wurde in der Aula der Berliner Universität am 3. August 1911 von Friedrich Kraus. Er will natur­wissenschaftlich über die Probleme von Tod und Sterben sprechen und sagt da allerhand auf 26 Seiten. Diese Rede, die zur Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität, König Friedrich Wilhelm III., gehalten wurde - immer wurde solch eine Rede gehalten, und solche Reden geschehen auch an anderen Universitäten -, diese Rede hat selbst­verständlich auch einen Anfang, und diesen Anfang, den will ich Ihnen vorlesen. Also eine Abhandlung «Über Tod und Sterben», die in streng naturwissenschaftlichem Sinne gehalten war, wenigstens nach der Mei­nung des Vortragenden, nach der Meinung der um die Magnifizenz herumstehenden Dekane und Senatoren und der anderen erlauchten Herren der Wissenschaft, und diese Rede beginnt: «Hochansehnliche Versammlung! Verehrte Kollegen! Kommilitonen! Die Berliner Uni­versität feiert heute ihre Stiftung und ihren königlichen Stifter. Die

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Redner, welche alljährlich zu dieser Stunde das Wort nehmen, geden­ken, in der Erinnerung unseres Ursprungs, gewöhnlich der schweren Zeiten, aus deren Not diese Universität hervorging, und des wahrhaft königlichen Wortes vom Ersatz verlorener physischer durch geistige Kräfte. Heute, in einer Zeit machtvollen Gedeihens, wo des Kaisers starker Arm unsern Frieden in Ehren schirmt, können wir es ruhig erwägen, daß auch das Leben einer Nation mit kräftigstem Herzschlag in Wellen des Hoch- und Niedergehens verläuft.»

Nun, heute sorgen ja die Ereignisse für die Richtigstellung dieser Dinge; heute sorgen die Ereignisse für die Richtigstellung eines solchen Satzes: «Heute, in einer Zeit machtvollen Gedeihens, wo des Kaisers starker Arm unsern Frieden in Ehren schirmt»! Aber, was sollte in einer solchen Sache der gesunde Menschenverstand sagen? Der gesunde Menschenverstand sollte sagen: Ein Mensch, der in der Lage ist, dieses zu sprechen, was nichts weiter ist als eine große Torheit, von dem muß auch alles übrige, was da über Tod und Sterben gesagt wird, als ein törichtes Zeug angesehen werden. Aber wer entschließt sich zu einer solchen Gesundheit des gesunden Menschenverstandes? Sie sehen also, nicht darum handelt es sich, daß der gesunde Menschenverstand nicht fähig wäre, zu entscheiden, sondern darum handelt es sich, daß man am Gebrauche des gesunden Menschenverstandes aus gewissen Grund­eigenschaften der Gegenwart heraus vorbeigeht. Diese Dinge müssen gut ins Auge gefaßt werden.

Die Berliner Akademie der Wissenschaften ist von dem großen Philo­sophen Leibniz gegründet. Das ist ein Beispiel. Man könnte andere Beispiele anführen, die ähnlich charakterisiert werden müßten, von meinetwegen München, Heidelberg. Ein Land will ich auslassen aus einer gewissen Courtoisie heraus - nun, so sagt man heute nicht, also aus einer gewissen Empfindung heraus. Ich will also sagen: Man könnte ähnliches finden in Paris, in London, in Washington und so weiter, in Rom selbstverständlich, in Bologna und so fort. Leibniz hat unter dem Kurfürsten Friedrich die Berliner Akademie der Wissenschaften zu gründen unternommen. Nun ja, es war eine gute Absicht. Sie ließ sich aber nur dadurch verwirklichen, daß sich Leibniz der große Philosoph, herablassen mußte, den Kurfürsten - der das, was Leibniz da sagte,

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allerdings ganz und gar nicht war - zu vergleichen mit dem König Salomo und ihn den preußischen König Salomo zu nennen. Ja, er mußte sogar die Kurfürstin mit der Königin von Saba vergleichen. Aber diese Berliner Akademie der Wissenschaften, die der große Du Bois-Reymond «das geistige Leibregiment des Hauses Hohenzol­lern» genannt hat, hat ihr tragikomisches Schicksal mit diesem Schick­sal nicht etwa schon erfüllt gehabt. Denn Friedrich Wilhelm I. hat eines Tages gefunden, daß der Professor Gundling zu viel Gehalt be­kommt, namentlich weil er zu gescheit ist, zu viel Gehalt bekommt. Da hat er ihn brotlos gemacht, hat ihn davongejagt, und da war der Professor Gundling genötigt, in allerlei Wirtshäusern den Leuten so etwas Varietéhaftes vorzumachen, seine besonderen Anlagen, den Leu­ten etwas vorzumachen, zu einer Art Varietévorstellung zu benützen. Das hörte dann der König Friedrich Wilhelm I., und da fing ihn der Gundling an etwas zu interessieren, den er früher davongejagt hat. Da machte er ihn zu einem Hofnarren, und jetzt gab er ihm wieder Gehalt. Aber er sagte: Der Hofnarr kann auch etwas anderes dabei besorgen -, da machte er ihn zum Präsidenten der Akademie der Wis­senschaften. So daß in der Tat der Professor Gundling der Präsident der Akademie der Wissenschaften ward. Aber das ist nicht nur eine ein­zelne Tatsache, die aus einer einzelnen Schrulle etwa hervorgegangen ist, sondern noch Friedrich der Große, der dann den Voltaire an die Akademie der Wissenschaften in Berlin berufen wollte, der hörte von dem Gehalt, welches Voltaire verlangte für seinen Eintritt in die Aka­demie der Wissenschaften; da sagte er: Dies Gehalt ist für einen Hof-narren viel zu groß. - Also, es handelte sich darum, die ganze Aka­demie der Wissenschaften von der Gesinnung aus, daß man es mit Narren zu tun hat, zu behandeln.

Man muß schon auf solche Dinge hinweisen können, wenn man dar­auf aufmerksam machen will, was für eine Diskrepanz in den Ereig­nissen drinnenliegt, daß aus einem gewissen Fürstenhause heraus die Gelehrten den Hofnarren an die Seite gestellt werden, in aller Realität, und nachher die Gelehrten so quittieren wie das eine Exemplar, von dem ich Ihnen jetzt eben vom Jahre 1911 erzählt habe. Es handelt sich eben wirklich darum, daß man nicht zu gesundem Menschenver­stand

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kommen kann, wenn man nicht den Willen hat, die Wirklichkeit ungeschminkt wirklich anzusehen, nachzugehen den Dingen, die einem zugänglich sind. Und nachzugehen den Dingen auf einem oder auf dem anderen Gebiete ist eigentlich jedem Menschen etwas, was ihn schulen kann mit Bezug auf Wirklichkeitssinn, mit Bezug auf alles dasjenige, was einem gesunder Menschenverstand gibt. Hat man - man hat natür­lich, selbstverständlich, ich werde nicht so unhöflich sein, irgend jemand den gesunden Menschenverstand abzusprechen, denn ich glaube ja ge­rade, daß ihn jeder Mensch hat -, aber hat man die Handhabe, den Willen zum Gebrauch des gesunden Menschenverstandes, so kann man das nur dadurch haben, daß man den Dingen auf irgendeinem Gebiete ganz vorurteilslos und unbefangen zu Leibe geht. Versuchen Sie sich nur einmal klarzumachen, daß das eine Schwierigkeit ist, aber eine überwindliche Schwierigkeit. Versuchen Sie nachzudenken, wie viel in Ihnen steckt von nationalen oder sonstigen menschlichen Vorurteilen, die Sie hindern, den Dingen unbefangen und vorurteilslos zu Leibe zu gehen. Zu diesen Selbstbetrachtungen muß man schon den guten Willen haben, sonst kann man nie und nimmer irgendein vernünftiges Wort mitreden, wenn es sich darum handelt, zu entscheiden: Welche Ideen sind sozial fruchtbar für die Gegenwart und nächste Zukunft, und welche Ideen sind nicht sozial fruchtbar?

Betrachten wir, nachdem wir dies, ich möchte sagen, mehr zur Cha­rakteristik der Gesinnung als zur Charakteristik irgendwelcher theo­retischer Grundlage aufgestellt haben, betrachten wir von diesem Ge­sichtspunkte aus rhapsodisch, aphoristisch manche Einzelheiten, die uns wichtig sein können zum Verständnis und zu unserem Tun in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft. Ich will ausgehen von einer der Grundideen, die im modernen Proletariate wirklich mit großer Intensität verankert sind. Aus dem Marxismus heraus hat dieses mo­derne Proletariat die Empfindung gesogen, daß im wirklichen Fortgang der Menschheit die Meinung des einzelnen Menschen, die Meinung der einzelnen Individualität eigentlich keine Bedeutung hat. Die Meinung der einzelnen Individualität hat nur für diejenigen Dinge eines Men­schen eine Bedeutung, die seine Privatangelegenheiten sind - so meint die proletarische Weltanschauung von heute -, aber alles, was geschichtlich

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wird, geschieht aus notwendigen wirtschaftlichen Untergrün­den heraus, wie ich sie Ihnen vorgestern charakterisiert habe. Das war gerade der Gegensatz, in den ich zu dem modernen Proletariat gekom­men bin durch meine «Philosophie der Freiheit», daß da verlangt wird, alles zu bauen gerade auf die menschliche Individualität, auf den Inhalt und die Tatkraft der menschlichen Individualität, der diese modernen proletarischen Ideen gar keine Bedeutung beimessen, son­dern die nur den Menschen als soziales Tier, als Gesellschaftswesen gelten lassen wollen. Die Gesellschaft bewirkt alles, was in der Ge­schichte irgendeinen Werdecharakter hat, was in der Geschichte irgend­wie fruchtbar ist. Dasjenige, was ein Minister oder ein Fabrikherr oder irgendein anderer macht aus seiner Individualität heraus - so denkt der Proletarier -, das hat innerhalb der vier Wände seines Hauses oder an seinem Skat-Tisch oder wo er sonst ein Privatmensch ist, eine Be­deutung, das hat eine Bedeutung für sein Amusement, das hat eine Bedeutung für die persönlichen Beziehungen, die er zu dem oder jenem Menschen anknüpft; was aber wird durch ihn als der Menschheit an­gehörig, das stamme nicht aus seiner Individualität, sondern das stamme aus dem ganzen gesellschaftlichen Klassen-Zusammenhang und so wei­ter, wie ich es Ihnen charakterisiert habe.

Diese Idee ist fest verankert in dem modernen Proletariat. Sie hängt innig zusammen mit dem Unglauben des modernen Proletariats an den einzelnen Menschen und seine Einsicht. Es hilft nämlich dem mo­dernen Proletariat gegenüber nicht so leicht, wenn der Einzelmensch diesem Proletariat irgendwelche Erkenntnisse mitteilt, denn dieses Pro­letariat sagt dann: Was der einzelne denkt, hat ja doch nur für ihn einen Privatwert; nur dasjenige, was er sagt als Angehöriger einer Klasse, meinetwillen als Angehöriger des Proletariats selber, was also jeder sagen kann, das hat einen wirklichen äußeren Gesellschaftswert. -Es ist verbunden mit den Ideen des modernen Proletariats ein furcht­bares Nivellement mit Bezug auf die menschliche Individualität, ein absoluter Unglaube an diese menschliche Individualität. Daraus werden Sie sehen, wie ungeheuer schwierig es ihm wird, sich zu durchdringen mit dem, was aus dem Allerindividuellsten herauskommt, nämlich mit den wirklich fruchtbaren sozialen Ideen. Aber in unserer Zeit ist der

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Werdegang der Ereignisse selber dazu angetan, solche großen welt­historischen Vorurteile - denn wenn Millionen sich dazu bekennen, so kann man sprechen von welthistorischen Vorurteilen - durch die Tatsachen, durch die Wirklichkeit zu widerlegen. Es könnte keine stär­kere Widerlegung geben für die proletarische Theorie, die alles Werden aus der Verelendung der Masse, kurz aus sozialen Erscheinungen ab­leiten will, aus den notwendig von Zeit- zu Zeitperiode eintretenden wirtschaftlichen Krisen und so weiter - daraus, meint sie, ginge der Werdegang der Dinge hervor, nicht aus dem, was die Menschen meinen oder erkennen -, es könnte keine stärkere Widerlegung dieses Prinzips, dieses welthistorischen Vorurteils geben, als gerade durch die in den neuesten Ereignissen gegebene Tatsache, daß letzten Endes - ich sage, letzten Endes allerdings, aber dieses «letzten Endes» hat gerade für diese Weltkatastrophe eine große Bedeutung - von ganz wenigen Menschen die Entscheidung dieser Weltkatastrophe abhing. Von ganz wenigen Menschen. Dasjenige, was geworden ist, hing zuletzt an dem Faden der Angste, der Beargwöhnungen, der Aspirationen von ganz wenigen Menschen. Und man kann sagen: Wie Herden sind von ganz wenigen Menschen Millionen anderer Menschen in diese Katastrophe hineingetrieben worden. - Das ist leider die traurige Wahrheit, die sich dem darbietet, der aus der Wirklichkeit heraus die Verhältnisse der Gegenwart durchschaut.

Nicht wahr, jetzt wird den Leuten ein bißchen klar, was alles von dem in so vieler Richtung außerordentlich bornierten Willen Luden­dorffs abhing. Denken Sie nur einmal, wie leicht so etwas verborgen bleiben könnte! Es wäre ja der Fall denkbar, durchaus denkbar, daß es nicht zu dieser furchtbaren Katastrophe der Gegenwart mit all ihren schrecklichen Folgen gekommen wäre, und daß dann Ludendorffs merk-würdige Handlungsart nicht an den Tag gekommen wäre. Da ist es an den Tag gekommen. Andere Staatsmänner, die durchaus nicht den Mittelmächten angehören, sie werden vielleicht bei der nächsten Wahl durchfallen, ins Privatleben zurücktreten; man wird dieses Ereignis besprechen, gleichgültig, aber man wird bei ihnen nicht darauf kommen, daß sie der Menschheit ebenso geschadet haben wie dieser Ludendorff. Das ist auch ein Kapitel, welches zur Ausbildung des gesunden Menschenverstandes

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gehört, weil man leicht vorbeigeht an dem gesunden Menschenverstand eben aus der Anbetung des Erfolges oder aus irgend anderem heraus. Derjenige, der den gesunden Menschenverstand hat, wird sich nicht dazu bewegen lassen, Woodrow Wilson, nein, ich meine diejenigen Menschen, die vor Woodrow Wilson heute kriechen - und schließlich, wie wenige tun es nicht! -, diejenigen Menschen, die vor Woodrow Wilson heute kriechen, anders anzusehen als jenen Professor Kraus, der 1911 den Satz, den ich Ihnen vorgelesen habe, gesprochen hat. Das ist es, was man ja möchte: die Menschen anregen zum Ge­brauche ihres gesunden Menschenverstandes. Natürlich hängt das innig zusammen mit dem Willen, Tatsachen ins Auge zu fassen. Ein unge­heurer Schaden für die Gegenwart ist es, daß sich die unpraktischesten Leute heute eben gerade als die stärksten Praktiker fühlen. Was hat sich nicht außerordentlich praktisch gefühlt, sagen wir auf dem Gebiete des Militarismus der Mittelmächte! Die Leute haben sich ungeheuer praktisch gefühlt und waren die größten Illusionäre, waren die größ­ten Phantasten, haben fast über alle Dinge, die geschehen sind im Laufe der letzten, nun, ich will sagen, zweieinhalb Jahre, namentlich nicht nur unrichtige, sondern grotesk unrichtige Urteile gefällt und aus diesen grotesk unrichtigen Urteilen heraus gehandelt.

Es ist schwierig, wenn man sieht, wie die Menschen, die eigentlich gute Menschen sind, oftmals in dem Sinne wie man das so nennt, gute Menschen sind, gar nicht herankommen lassen an sich den gesunden Menschenverstand. In dieser Beziehung konnte man wiederum im Laufe der letzten vier Jahre die übelsten Erfahrungen machen, wenn man so sah, was zum Beispiel in den letzten Jahren geschehen ist in Deutschland von Offizieren, die die Volksbildung leiten wollten, die dem Volk einbleuen wollten, wie es zu denken habe, damit alles richtig geht, damit auch die Menschen hinter der Front «durchhalten», wie man das so schön spießig nannte. Es war furchtbar. Wenn man dann einen genaueren Einblick hatte in das, was dann den Leuten eingebleut werden sollte, und was diejenigen, die es einbleuten, oftmals mit dem allerbesten Willen vorbrachten - es war wahrscheinlich, in Wirklichkeit meinetwillen, die Sache in ihrer Art ehrlich, aber sie wollten sich ihres gesunden Menschenverstandes nicht bedienen. Und darauf kommt es

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an. Und das ist für die Gegenwart das ungeheuer Wichtige, denn dieser gesunde Menschenverstand muß überall auf die Wirklichkeit hinsehen, muß nicht, weil er irgend etwas aus einem Vorurteil heraus unange­nehm empfindet, es ablehnen. Nicht wahr, wir haben in unserer Zeit die groteske Zusammenstellung erlebt des fast schon an den Absolutis­mus grenzenden monarchischen Prinzips mit der Ludendorfferei - mit dem Leninismus in Rußland, mit dem Bolschewismus, denn der Bol­schewismus ist eigentlich ein Geschöpf Ludendorffs. Der Bolschewismus ist von Ludendorff in Rußland erzeugt worden, weil Ludendorff meinte, mit niemandem anderen in Rußland Frieden schließen zu kön­nen als mit den Bolschewisten, so daß nicht nur dasjenige, was als Un­glück über das deutsche Volk hereingebrochen ist, in vieler Beziehung von einem einzelnen Menschen im Laufe von zweieinhalb Jahren bewirkt worden ist, sondern daß auch das Unglück Rußlands in vieler Bezie­hung mit den grotesken Irrtümern dieses einzelnen Menschen zusam­menhängt. Diese Dinge zeigen, wie kolossal der Irrtum des Proletariats ist, daß die Meinung des einzelnen Menschen keine Bedeutung habe in der sozialen Gestaltung der Verhältnisse. Diese Dinge müssen eben ganz objektiv mit dem gesunden Menschenverstand durchschaut werden.

Wenn wir von dieser Gesinnung ausgehen, so finden wir namentlich einen Satz, den ich Sie bitte, sich recht zu Herzen zu nehmen, denn dieser eine Satz kann unter anderem Richtkraft für soziales Denken in der Zukunft geben. Dieser eine Satz ist der: Man reicht aus, ohne daß man Ideen hat, in Zeiten von Revolutionen und Kriegen, man kann aber nicht ausreichen ohne Ideen in Zeiten des Friedens; denn werden die Ideen in Zeiten des Friedens rar, dann müssen Zeiten von Revolutionen und von Kriegen kommen. - Zum Kriegführen und zu Revolutionen braucht man keine Ideen. Um den Frieden zu halten, braucht man Ideen, sonst kommen Kriege und Revolutionen. Und das ist ein innerer spiritueller Zusammenhang. Und alle Deklama­tionen über den Frieden nützen nichts, wenn nicht diejenigen, die die Geschicke der Völker zu leiten haben, sich bemühen, gerade in Friedens­zeiten Ideen zu haben. Und sollen es soziale Ideen sein, so müssen sie sogar von jenseits der Schwelle herrühren. Wird eine Zeit ideenarm, so schwindet aus dieser Zeit der Friede.

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Man kann so etwas sagen; wenn die Menschen es nicht prüfen wollen, so werden sie es einfach nicht glauben. Aber an dem Unglauben an solche Dinge hängt das furchtbare Geschick der Gegenwart. Das ist ein solcher Richtsatz, den aufzunehmen außerordentlich wichtig ist für die Gegenwart und die nächste Zukunft. Einen anderen Richtsatz fin­den Sie in der angefangenen Abhandlung über «Theosophie und soziale Frage», die ich vor Jahren in «Lucifer-Gnosis» veröffentlicht habe, einen Richtsatz, von dem ich mich überzeugt habe, daß er von den wenigsten Menschen mit dem vollen Gewicht genommen wird. Ich habe da auf etwas aufmerksam zu machen versucht, was als ein soziales Axiom wirken soll. Darauf habe ich aufmerksam gemacht, daß schon einmal in jeglicher sozialer Struktur nichts Gedeihliches herauskommen kann, wenn das Verhältnis eintritt, daß der Mensch für seine unmittel­bare Arbeit entlohnt wird. Soll eine gedeihliche soziale Struktur her­auskommen, so darf das nicht sein - lesen Sie den Aufsatz, er wird ja doch noch zu haben sein -, so darf das nicht sein, daß der Mensch bezahlt wird für seine Arbeit. Die Arbeit gehört der Menschheit, und die Existenzmittel müssen den Menschen auf anderem Wege geschaffen werden als durch Bezahlung seiner Arbeit. Ich möchte sagen, wie ich es schon in jener Abhandlung getan habe: Wenn gerade das Prinzip des Militarismus, aber ohne Staat, übertragen werden würde auf einen gewissen Teil - ich will gleich von diesem Teil sprechen - der sozialen Ordnung, dann würde ungeheuer viel gewonnen werden. - Aber zu­grunde liegen muß eben die Einsicht, daß gleich Unheil da ist auf sozialem Boden, wenn der Mensch so in der Sozietät drinnensteht, daß er für seine Arbeit, je nachdem er viel oder wenig tut, also nach seiner Arbeit eben, bezahlt wird. Der Mensch muß aus anderer sozialer Struk­tur heraus seine Existenz haben. Der Soldat bekommt seine Existenzmittel, dann muß er arbeiten; aber er wird nicht unmittelbar für seine Arbeit entlohnt, sondern dafür, daß er als Mensch an einer bestimmten Stelle steht. Darum handelt es sich. Das ist es, was das notwendigste soziale Prinzip ist, daß das Erträgnis der Arbeit von der Beschaffung der Existenzmittel völlig getrennt wird, wenigstens auf einem gewissen Gebiete des sozialen Zusammenhangs. Solange nicht diese Dinge klar durchschaut werden, solange kommen wir zu nichts Sozialem, solange

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werden Dilettanten, die manchmal aber Professoren sind, wie Menger, von «vollem Arbeitsertrag» und dergleichen sprechen, was alles Wischi­waschi ist. Denn gerade der Arbeitsertrag muß von der Beschaffung der Existenzmittel in einer gesunden sozialen Ordnung völlig getrennt werden. Der Beamte, wenn er nicht durch den Mangel an Ideen Bureau­krat würde, der Soldat, wenn er nicht durch den Mangel an Ideen Militarist würde, ist in gewisser Beziehung - in gewisser Beziehung, mißverstehen Sie mich nicht - das Ideal des sozialen Zusammenhanges. Und kein Ideal des sozialen Zusammenhanges, sondern der Widerpart des sozialen Zusammenhanges ist es, wenn dieser soziale Zusammen­hang so ist, daß der Mensch nicht arbeitet für die Gesellschaft, sondern für sich. Das ist die Übertragung des unegoistischen Prinzips auf die soziale Ordnung. Wer nur in sentimentalem Sinne Egoismus und Al­truismus versteht, der versteht eigentlich nichts von den Dingen. Der­jenige aber, der praktisch, ohne Sentimentalität, mit reinem gesundem Menschenverstand durchschaut, daß jede Sozietät notwendigerweise zugrunde gehen muß, indem der Mensch nur für sich selber arbeitet also rein das, mit anderen Worten, was in der sozialen Ordnung ego­istisch gestaltet ist-, der weiß das Richtige.

Das ist ein Gesetz, so sicher wirksam, wie die Gesetze der Natur wirken, und man muß dieses Gesetz einfach kennen. Man muß einfach die Möglichkeit besitzen, den gesunden Menschenverstand so zu hand­haben, daß einem ein solches Gesetz als ein Axiom der sozialen Wissen­schaft erscheint. Man ist heute noch weit entfernt davon, so etwas einzusehen. Aber die Gesundung der Verhältnisse hängt doch ganz und gar davon ab, daß geradeso, wie jemand den pythagoräischen Lehrsatz in der Mathematik als etwas Grundlegendes ansieht, er diesen Satz zugrunde legt der sozialen Struktur: Alles Arbeiten in der Gesell­schaft muß so sein, daß der Arbeitsertrag der Sozietät zufällt und die Existenzmittel nicht als Arbeitsertrag, sondern durch die soziale Struk­tur geschaffen werden.

Solche sozialen Axiome gibt es natürlich eine ganze Anzahl, denn das soziale Leben ist natürlich kompliziert. Aber wir stehen heute ein­mal vor der Notwendigkeit, auf irgendeine Weise daran zu denken, wie die soziale Struktur der menschlichen Entwickelung in gesunde

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Bahnen gebracht werden soll. Da muß man vor allen Dingen einen gesunden Blick haben für die Partien, für die Teile, für die Glieder des sozialen Lebens. Man muß in gesunder Weise auseinanderhalten können die verschiedenen Glieder des sozialen Lebens. Sehen Sie, bei all den Dingen, um die es sich heute handelt, kommt es nicht so sehr dar­auf an, daß man auf die Schlagworte hört, die, sei es von bolschewisti­scher, sei es von der Entente-Seite her kommen, denn das sind ja heute fast Gegensätze, nicht wahr, sondern darauf kommt es an, daß man einsieht, was der Menschheit nottut, daß man ein gesundes Urteil für die Gliederung des sozialen Lebens sich aneignet. Natürlich, soziales Leben muß da sein. Und gerade, weil soziales Leben da sein muß, des­halb hängen die Menschen so sehr an der mongolischen - nun, verzeihen Sie, es ist ja nur symptomatisch gemeint -, an der mongolischen Staats-idee, an der Allmacht des Staates, weil sich die Menschen vorstellen:

Was der Staat nicht tut, das kann gar nicht zum Heile der Menschen geschehen. - Es ist übrigens diese Ansicht noch nicht so sehr alt. Denn es war das neunzehnte Jahrhundert schon ziemlich weit herangerückt, da hat ein einsichtiger Mann die schöne Abhandlung geschrieben:

«Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen.» Es war ein preußischer Minister, Wzlhelm von Humboldt. Diese Abhandlung lag mir ganz besonders deshalb am Herzen, weil in den neunziger Jahren und noch etwas in das zwanzigste Jahrhundert herein gerade meine «Philosophie der Freiheit» - nicht durch meinen Willen, aber durch andere - immer unter die Literatur «individualisti­scher Anarchismus» gestellt wurde. Das erste Werk war immer Wilhelm von Humboldts «Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen», als das letzte Werk war gewöhnlich immer meine «Philosophie der Freiheit», zeitlich angeordnet, eingereiht worden. Nun, Sie sehen, es ist möglich gewesen, registriert zu werden unter «individualistischer An­archismus», aber immerhin zusammen mit einem preußischen Minister!

Soziale Gestaltung, soziale Struktur muß da sein, aber sie kann nicht uniformiert werden. Sie kann nicht so gemacht werden, daß alles ge­wissermaßen unter einen Hut gebracht wird. Was heute nottut, was das Wichtige ist, hätte in einer bestimmten Gestalt geschehen können vor langer Zeit schon, hätte auch während dieser Kriegskatastrophe entstehen

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können, kann auch jetzt entstehen, aber immer modifiziert. Denn Sie müssen nicht vergessen, daß die Welt in den letzten Wochen für Mitteleuropa eine andere geworden ist, und daß das eine auf das andere wirkt. Nun, ich habe mich bemüht die ganzen Jahre her, da oder dort Verständnis zu erwecken für diejenige Form, die zum Bei­spiel von Mitteleuropa aus wirksam nach Osteuropa - denn die En­tente ist nicht belehrbar, selbstverständlich, und sollte auch nicht belehrt werden -, die für Mittel- und Osteuropa wirksam sein soll; ich habe mich bemüht, das geltend zu machen. Da handelt es sich darum, daß man, wenn man so etwas geltend machen will, das Leben, das die Men­schen zusammen führen müssen, in der richtigen Weise gliedern muß. Als diese Ideen, nun, sagen wir, Staatsmännern vorgelegt wurden -ich kann Ihnen diese Ideen nur kurz skizzieren; dasjenige, um was es sich handelt, ist, daß sie immer mehr individualisiert werden müssen -, als diese Ideen einem Staatsmanne vorgelegt wurden vor einiger Zeit, wo es ohnedies schon ziemlich zu spät war für die damalige Gestalt, die ich diesen Ideen gegeben hatte, da habe ich aber immerhin dem Herrn gesagt: Wenn er irgendwie daran dächte, an diese Ideen heran­zutreten, so würde ich natürlich gern bereit sein, auch für die Zeit, die damals die Gegenwart war, sie in entsprechender Weise umzuarbei­ten. - Heute müßten sie selbstverständlich wiederum für die beson­deren Verhältnisse umgearbeitet werden. Da handelt es sich darum, daß man wirklich appellieren muß an den gesunden Menschenverstand, wenn man solche Ideen zunächst gibt. Dann handelt es sich darum, daß jemand einsehen kann, daß das soziale und sonstige menschliche Zusammenleben wirklich richtig gegliedert wird. Die Frage entsteht als Hauptfrage: Wie muß man unterscheiden in dem, was Menschen als gemeinschaftliches Leben führen? - Und da handelt es sich darum, daß man drei Glieder unterscheiden muß. Ohne diese Unterscheidung geht es nicht, und keine Vorwärtsentwickelung von der Gegenwart aus in die nächste Zukunft wird kommen, ohne daß diese dreigliedrige Unterscheidung gemacht wird. Da handelt es sich darum, daß erstens einmal - es mag die soziale Gruppe, die da vorliegt, so oder so gestaltet sein, klein oder groß sein, darauf kommt es nicht an -, aber daß irgendeine soziale Gruppe so gestaltet sein muß, daß darinnen in bezug

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auf Sicherheit des Lebens und Sicherheit nach außen Ordnung herrscht. Der Sicherheitsdienst im weitesten Umfange gedacht - ich muß solche umfassenden Worte gebrauchen -, das ist das eine Glied. Dieser Sicher­heitsdienst ist aber auch das einzige Glied, welches in das Licht der Idee der Gleichheit gelenkt werden kann. Dieser Sicherheitsdienst, alles Polizeilich-Militärische, wenn ich jetzt im alten Sinne sprechen will, der ist auch das einzige, was im Sinne zum Beispiel eines demokrati­schen Parlamentes behandelt werden kann. Mitbestimmend an diesem Sicherheitsdienst kann jeder Mensch sein. Es muß also ein Parlament geben, wie die soziale Gruppe auch beschaffen ist, in dem Abgeordnete, meinetwillen nach ganz allgemeinem, geheimem, direktem Wahlrecht sein können, welche die Gesetze und alles das zu bilden haben, was für diesen Sicherheitsdienst bestimmt ist. Denn das, dieser Sicherheitsdienst, ist ein Glied der Ordnung, aber er muß abgesondert von dem übrigen behandelt werden und nur von höherem Gesichtspunkte aus dann wiederum harmonisiert werden mit anderem.

Ein zweites, das aber ganz abgesondert werden muß von all dem, was Sicherheitsdienst ist, Sicherheit im Innern und Sicherheit nach außen, was auch nicht nach der Idee der Gleichheit behandelt werden kann, das ist dasjenige, was die eigentliche wirtschaftliche Gestaltung der sozialen Gruppen ist. Diese wirtschaftliche Gestaltung, die darf nicht im unmittelbaren Zusammenhange stehen mit dem, was ich als erstes Glied genannt habe, sondern sie muß für sich behandelt sein. Sie muß ihr eigenes Ministerium, ihr eigenes Volkskommissariat - heute sagt man Volkskommissariat - haben, das vollständig unabhängig von dem Ministerium, vom Kommissariat des Sicherheitsdienstes sein muß. Sie muß ihr eigenes Ministerium haben, das vollständig unabhängig ist, das nach rein ökonomischen Gesichtspunkten gewählt wird, so daß Leute in diesem ökonomischen Ministerium sind, die etwas von den einzelnen Zweigen verstehen, sowohl als Produzenten wie als Konsu­menten. Nach ganz anderen Gesichtspunkten muß sowohl parlamen­tarisch wie ministeriell dieses zweite Glied der sozialen Ordnung ge-lenkt werden. Das erste Glied kann also, sagen wir, in die Demokratie eingestellt werden; wenn es nach dem Geschmack besser ist, könnte es auch in das Konservative eingestellt werden. Das kommt ganz darauf

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an; wenn es ordentlich gemacht wird, wird es schon etwas werden, und das andere ist Geschmacksache. Dasjenige, worauf es ankommt, ist diese Dreiheit. Denn auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens muß Brüderlichkeit herrschen. Geradeso wie alles auf dem Gebiete des Sicherheitsdienstes gerückt werden muß unter den Gesichtspunkt der Gleichheit, so muß auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens überall die Maxime der Brüderlichkeit herrschen.

Dann gibt es ein drittes Gebiet, das ist das Gebiet des geistigen Lebens. Zu dem rechne ich alles Religionstreiben, das gar nichts zu tun haben darf mit demjenigen, was Sicherheitsdienst ist und wirtschaft­liches Leben; dazu rechne ich allen Unterricht, dazu rechne ich alle übrige freie Geistigkeit, allen wissenschaftlichen Betrieb, und dazu rechne ich auch alle Jurisprudenz. Ohne daß die Jurisprudenz dazu gerechnet wird, ist alles übrige falsch. Sie kommen sogleich zu einer widersinnigen Dreigliederung, wenn Sie nicht so gliedern: Sicherheits-dienst nach dem Prinzip der Gleichheit, wirtschaftliches Leben nach dem Prinzip der Brüderlichkeit, die Gebiete, die ich eben aufgezählt habe: Jurisprudenz, Unterrichtswesen, freies geistiges Leben, religiöses Leben, unter dem Gesichtspunkte der Freiheit, der absoluten Freiheit. Wiederum muß aus absoluter Freiheit die notwendige Verwaltung dieses dritten Gliedes der gesellschaftlichen Ordnung hervorgehen. Und der notwendige Ausgleich, der kann erst durch den freien Verkehr der diese drei Glieder Leitenden und Bestimmenden gesucht werden. Auf dem Gebiete des geistigen Lebens, zu dem eben die Jurisprudenz ge­hört, wird sich ja nicht so etwas herausstellen, wenn es wirklich einmal durchgeführt würde, wie ein Ministerium oder Parlament, sondern etwas viel freieres; es wird die Struktur ganz anders verlaufen.

Zu dem, was da angestrebt werden muß, müssen natürlich Über­gangsformen sein. Aber das sollte den Menschen einleuchten. Und nicht früher kommen wir zu einer Gesundung, bevor es den Menschen ein-leuchtet, daß in dieser Weise diese Dreigliederung, von der ich gesprochen habe, zugrunde liegen muß, daß alles so gedacht werden muß, daß man nicht einen uniformierten Staat beibehalten kann. Denn die Staatsidee ist unmittelbar nur anzuwenden auf den ersten Teil, auf den Sicherheits-und Militärdienst. Was unter Staatsomnipotenz gestellt wird außer

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Sicherheits- und Militärdienst, das steht auf ungesunder Basis, denn das wirtschaftliche Leben muß auf rein, sei es korporativer, sei es auf asso­ziativer Basis aufgebaut werden, wenn es sich gesund entwickeln will. Und das geistige Leben einschließlich der Jurisprudenz ist nur dann auf gesunder Basis aufgebaut, wenn der einzelne vollständig frei ist. Er muß frei sein in bezug auf alles andere. Er muß auch, meinetwillen von fünf zu fünf, von zehn zu zehn Jahren seinen Richter bestellen können, der sowohl sein Privat-, wie sein Strafrichter ist. Ohne das geht es nicht, ohne das kommen Sie zu keiner entsprechenden Struktur. Diese nationalen Fragen hätten ohne territoriale Verschiebungen gelöst werden können! Das sagt Ihnen ein Mann, der studiert hat an den schwierigen österreichischen Verhältnissen, wo dreizehn verschiedene Amtssprachen oder wenigstens Gebrauchssprachen sind im amtlichen Verkehre, und der studieren konnte an diesen österreichischen Verhält­nissen, was gerade auf dem Gebiete der Jurisprudenz nötig ist. Nehmen Sie an, es stoßen an irgendeiner Grenze zwei Länder zusammen, meinet-willen seien sie getrennt durch Nationalität oder durch etwas anderes.

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Hier ist ein Gericht und hier ist ein Gericht, da ist die Grenze hinüber. Der Mann hier bestimmt sich: Ich werde in den nächsten zehn Jahren

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von diesem Gerichte abgeurteilt -, der andere bestimmt sich: Ich werde von diesem Gerichte abgeurteilt. Die Sache ist absolut durchführbar, wenn man sie im einzelnen durchführt. Aber alle anderen Dinge sind unwirksam, wenn nicht solche Dinge da sind. Denn alles muß in der Tat zusammenwirken. Es wirkt aber nur zusammen, wenn die Dinge so gestellt sind, daß sie mit wirklichem Verständnis desjenigen, was da ist, gemacht werden.

Ich habe früher Gelegenheit gehabt, diese Dinge den verschiedensten Menschen vorzutragen, denn ich war sicher und bin es auch heute noch, daß die Verhältnisse der letzten Jahre eine ganz andere Wendung ge­nommen hätten, wenn dem Wilson-Programm dieses Programm ent­gegengesetzt worden wäre. Und dieses Programm wäre das einzig wirkliche Programm gewesen, welches, wenn es vor Brest-Litowsk vor­gebracht worden wäre, wirksam gewesen wäre. Natürlich wäre Brest­Litowsk nie erfolgt, wenn solchem Programm Verständnis entgegen­gebracht worden wäre. Die Dinge hätten einen ganz anderen Verlauf nehmen müssen. Denn ich hatte es in diesen Jahren ausgearbeitet als Richtschnur nicht nur einer inneren Politik, sondern einer äußeren Politik; Innenpolitik schien mir überflüssig zu sein, wenn alles be­schäftigt ist damit, Munition zu fabrizieren. Alle Redereien des Drei-klassen-Rechts und seiner Änderung schienen mir Wischiwaschi zu sein, aber notwendig schien mir zu sein ein wirklicher Impuls - nicht ein Pro­gramm -, ein wirklicher Impuls, der imstande gewesen wäre, den Dingen eine andere Wendung zu geben. Ich kann Ihnen hier nur ein paar Ge­sichtspunkte angeben, wie ich es getan habe. Allein die Sache kann so im einzelnen ausgearbeitet werden, daß sie durchaus wirksam ist ge­rade für die Lösung der allerwichtigsten Fragen. Man hat allerdings dabei seine schmerzlichen Erfahrungen gemacht. Ich habe die Ausarbei­tung einem Manne gegeben - nicht nur einem, sondern vielen, aber von einem will ich Ihnen als Beispiel einen Fall erzählen -, der mir nach Monaten schrieb. Das war ein gutes Zeichen, denn er hatte die Sache wirklich studiert, hatte sich redliche Mühe gegeben, hatte auch mit mir darüber gesprochen. Sowohl in seinen Briefen, als wie er mit mir sprach, kamen zum Beispiel zwei Einwendungen, die sehr charakteristisch sind. Ich habe solche Einwendungen im Laufe der letzten Jahre in furchtbarster

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Weise immer wieder, unzählige Male gehört, so geartete Ein­wendungen. Eine Einwendung war diese: Ja, man weiß doch, daß die bisherigen Kriege zumeist kaschierte, maskierte Rohstoffkriege sind, daß es also zumeist sich handelt um Kriegszustände, welche aus Roh­stoffinteressen herrühren, aus internationalen, also gegenseitigen Roh­stoffinteressen. Wenn man aber das anschaut, was Sie gemacht haben, dann könnte es ja keine widerstreitenden Rohstoffinteressen mehr ge­ben. - Ja, sagte ich, Herr Geheimrat, wenn Sie mir das sagen würden zur Bekräftigung dessen, was ich Ihnen da geschrieben habe, dann würde ich das verstehen; wenn Sie fänden, daß das gut wäre, was ich geschrieben habe, weil dann endlich die schrecklichen maskierten Roh­stoffkriege aus der Welt geschafft wären durch die endliche Lösung der Zollverhältnisse, die in diesem zweiten Teile des Wirtschaftspro­grammes, wenn ich es so nennen darf, also gelöst sind. Wenn Sie mir etwas sagen, was der Wirklichkeit des Lebens entspricht, so würde ich das verstehen; daß Sie es mir als eine Widerlegung sagen, das kann icb allerdings nicht verstehen.

Die zweite Einwendung war diese, daß er mir schrieb, nachdem er sich monatelang damit beschäftigt hatte: Ja, ich kann mir gar nicht vor­stellen, wie, wenn Sie Glück hätten mit so etwas, dann noch eine sozial­demokratische Politik getrieben werden könnte, denn durch Ihr Wirt-schaftsprogramm würde ja keine sozialdemokratische Politik mehr möglich sein. - Ja, Sie lachen. Ich habe nicht gelacht, denn ich habe aus diesen Dingen, die ich Ihnen sehr, sehr vervielfältigen könnte, und die Sie überall heute finden, die Lehre gezogen, wie schlimm die Selektion ist, die heute durch die Verhältnisse geübt wird in der Bestimmung derjenigen Menschen, die die verantwortlichen Führer auf diesem oder jenem Gebiete sein sollen. Ich habe vor langer Zeit zu Ihnen hier ge­sprochen davon, daß wir heute leiden unter der Selektion der Schlech­testen, die immer obenauf kommen. Das ist auch etwas, was zum ge­sunden Wirklichkeitssinn und damit auch zum gesunden Menschenver­stand gehört: eben einsehen diese Selektion der Schlechtesten.

Damit habe ich Ihnen, ich möchte sagen Richtlinien gegeben. Auf dieser Dreigliedrigkeit beruht die Gesundung der Verhältnisse gegen die Zukunft hin. Auf der Konfundierung dieser drei Glieder beruht

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alles Unheil. Dasjenige, was eigentlich nur auf das erste Glied anwend­bar ist, auf den Sicherheits- und Militärdienst, das wird angewendet auf das wirtschaftliche Leben, wo es unmöglich herbeiführen kann irgendwelche gesunden Zustände, wird aber auch sogar angewendet auf das geistige Leben mit Einschluß der Jurisprudenz, wo es ganz unmöglich ist. Oh, würden die Menschen nur ein wenig nahetreten wollen demjenigen, was aus den Geheimnissen von jenseits der Schwelle folgt, sie würden ja so unendlich leicht einsehen'können, daß eben solche Wahrheiten, wie ich sie Ihnen gesagt habe von der Drei­gliedrigkeit des gesellschaftlichen Lebens, schon geholt werden müssen aus der übersinnlichen Welt, aber begriffen werden können hier von dem Sinnlichen. Das ist es gerade. Ich habe Ihnen Richtlinien ange­geben, aber es sind nicht Richtlinien, die irgendein abstraktes Pro­gramm darstellen, sondern es sind solche Richtlinien, von denen ich sagen konnte, als ich zum Beispiel einem Manne die Sache übergab, der eine ganz wichtige Stellung, ich will gar nicht sagen, was für eine wich­tige Stellung hatte in dem abgelaufenen Zeitraume und bei dem es eine ungeheuer bedeutungsvolle Tat gewesen wäre, wenn er nach dieser Richtung hin ein Manifest gemacht hätte -, ja, ich habe dem Manne gesagt: Sie haben die Wahl, entweder tun Sie das eine, oder erleben Sie das andere. Dasjenige, was ich hier ausgearbeitet habe, das ist nicht aus solchen Ideen heraus, wie irgend, nun, Frauenklubs oder Pazi­fistengesellschaften oder dergleichen arbeiten, sondern das ist aus dem Studium der Entwickelung der Menschheit in den nächsten dreißig bis vierzig oder fünfzig Jahren. Das ist der Inhalt dessen, was in Mittel-und Osteuropa sich gestalten will und sich gestalten wird, und Sie haben die Wahl, entweder es durch Vernunft zu fördern oder zu er­warten, bis es sich durch Revolutionen auf ungeheuren Umwegen und durch großes Elend hindurch verwirklicht. - Aber sehen Sie, solche Dinge müssen einem die Leute glauben, glauben dadurch, daß sie ihren gesunden Menschenverstand anwenden, um die Dinge nachzuprüfen. Einsicht müssen einem die Leute entgegenbringen darinnen, daß man die Wirklichkeit zu prüfen hat. Denn dasjenige, was in der Mensch­heit sich entwickelt, entwickelt sich nach gewissen Impulsen, die man studieren muß und von denen man sagen kann: sie wollen sich gestalten.

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Stemmt man sich ihnen entgegen, so regiert man schlecht, ganz gleichgültig, ob man Sozialist oder Monarchist oder ob man Republi­kaner oder Fürst von Monaco oder was alles ist.

Aber gerade den Mut zu solchen Dingen konnten in der letzten Zeit die Menschen nicht mehr aufbringen, weil ihnen eben gerade fehlte jenes Vertrauen, von dem ich in diesen Tagen gesprochen habe, und das beruht auf dem Fichte-Satze, das heißt auf der Gesinnung, die aus dem Fichte-Satze kommt: Der Mensch kann, was er soll; und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht. - Menschen, die bis zu einem gewissen Grade verstanden haben, was ich wollte, fanden sich; die aber den Mut - der nur eben aus dem wirklichen Gebrauch und aus der Handhabung des gesunden Menschenverstandes heraus folgt - gehabt hätten, so etwas in die Wirklichkeit umzusetzen, die fanden sich nicht. Und man kann sich nur der Hoffnung hingeben, daß, nachdem jetzt die Kräfte der Prüfung noch stärker geworden sind, nach und nach sich Menschen finden. Aber man soll nur nicht glauben, daß dasjenige, was hier formuliert vor Jahren war, jetzt nicht umformuliert werden muß auf die neuen Verhältnisse, die eingetreten sind. Man muß eben so wirklichkeitsgemäß denken, daß man weiß: In jedem Zeitpunkte müs­sen, wenn die Dinge in die Wirklichkeit hineingeworfen werden sollen, die Dinge etwas anders gedacht werden. - Und so konnte man wahr­haftig recht tragische Erfahrungen in den letzten Jahren machen. Wenn man zum Beispiel solches erfahren hat, daß einer derjenigen Monar­chen, die jetzt auch abgegangen sind, als er schon so herankommen sah, was herankommt, noch einmal gefordert hat diese Ideen und sich seinen Ratgeber kommen ließ, um sie von dem zu hören, weil er die Dinge vergessen hatte und sie noch einmal hören wollte; er konnte sie nicht schnell genug verstehen, da sagte er zu dem betreffenden Rat­geber: Also schreiben Sie mir noch einmal kurz diese Dinge auf! Ja, aber ich weiß nicht, wie soll ich den Brief kriegen? Wie soll ich zu die­sem Briefe kommen, den Sie mir da schreiben sollen? Der muß ja doch durch das Ministerium gehen oder durch die Kabinettskanzlei! - Es wurde aus dieser Angelegenheit eben nichts, weil die Sache durch das Ministerium ging, wo alles umgeschrieben wurde.

Ich erzähle heute solche Dinge - ich werde sie auch schon in weiterem

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Umfange erzählen -, weil es notwendig ist, daß von der jüngsten Ver­gangenheit recht, recht viel gelernt werde. Denn wir kommen nicht vorwärts auf einem gedeihlichen Wege, wenn mcht von der Ver­gangenheit gelernt wird. Das allein macht es nicht aus, daß das Aller­nächste ins Auge gefaßt wird, sondern das macht es aus, daß man den Willen hat, in die Untergründe, die hinter den bloßen Symptomen liegen, hineinzuschauen. Und man kann nicht hineinschauen, wenn man nicht einen gesunden Menschenverstand entwickelt für die Auf­fassung der Symptome, wenn man sich nicht aneignet den Willen, die Symptome wirklich zu taxieren. Die Dinge sind heute brennend. Man möchte immer wieder und wiederum sagen: Wenn sie nur nicht schläf­rig erfaßt würden, sondern wenn sie erfaßt würden mit dem vollen Ernste, zu dem auch gehört, daß man einen Sinn dafür hat, wie sehr verfahren die Dinge sind durch die Selektion der Schlechtesten, und wie geneigt die Menschen sind, ihr Urteil in falsche Bahnen zu bringen, von falschen Impulsen durchpulsen zu lassen! - Wir müssen auf alle mögliche Weise dahin kommen, daß die Kontinuität des Wirtschafts­lebens nicht früher gestört wird, bevor in einer gewissen Weise in die Menschenköpfe Gedanken hineingekommen sind, die brauchbar sind zur weiteren Ausgestaltung des Wirtschaftslebens. Wir müssen die Möglichkeit gewinnen, an die Stelle des - ich hätte bald ein furchtbares Wort gesagt - Quatsches, sage ich lieber, um nicht das furchtbare Wort zu sagen, an die Stelle des nationalökonomischen Quatsches, der von nationalökonomischen Universitätsprofessoren aller Länder heute hervorgebracht wird, an diese Stelle so etwas zu setzen, was nun wirk­lichkeitsgemäß ist. Wir kommen nicht weiter, wenn wir nicht in der Lage sind, das Unterrichtswesen im weitesten Sinne zunächst in An­griff zu nehmen. Denn Verständnis brauchen wir. Alles dasjenige, was die bisherigen Bildungsanstalten liefern über eine notwendige Gestal­tung des sozialen Lebens oder des sozialen Körpers, ist unbrauchbar. Das ist aber auch dasjenige, was die Sozialdemokratie als Erbe über­nommen hat, und was unbrauchbar ist. Erstens ist notwendig, verstän­dige Ideen in die Köpfe hineinzubringen. Daher ist es notwendig, daß derjenige, der mitarbeiten will am sozialen Leben gerade der gegen­wärtigen Zeit, zunächst findet die Möglichkeit eines solchen Übergangszustandes,

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der dasjenige am nächsten befriedigt, was am nächsten be­friedigt werden kann. Das ist: Sicherheits- und Ordnungsdienst. Da kann man ja den Leuten auch dasjenige Parlament geben, nach dem sich heute, nun ja, das demokratische Element besonders sehnt. Aber darum handelt es sich, daß das Wirtschaftliche wirklich eine selb­ständige Stellung erlangt neben den anderen Dingen. Das muß zu­nächst sorgfältig umgewandelt werden in eine vollständige Summe von Provisorien. Nur auf dem ersten Gliede kann man heute radikal vor­gehen; das andere muß umgewandelt werden in eine Reihe von Provi­sorien. Und das geistige Leben ist dasjenige, was unmittelbar angegrif­fen werden müßte. Das dritte Glied, das ist dasjenige, wobei an­gefangen werden müßte. Und wenn jemand darauf kommen würde, daß dann vor allen Dingen die Universitäten ausgekehrt werden müßten, und das nicht will, dann, dann ist eben auf diesem Gebiete mit ihm nicht zu reden. Allerdings müssen die zuerst ausgekehrt werden!

Solches wollte ich im Zusammenhange mit den wichtigen Fragen der Gegenwart zu Ihnen sprechen.

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HINWEISE

Diese acht Vorträge stehen im unmittelbaren Zusammenhange mit den neun voran­gehenden «Geschichtliche Symptomatologie», Gesamtausgabe Dornach 1962 und den zwölf nachfolgenden «In geänderter Zeitlage - Die soziale Grundforderung unserer Zeit», Gesamtausgabe Dornach 1963.

Hinweise auf Bände der Gesamtausgabe, bei denen kein Erscheinungsjahr angegeben ist, betreffen vorgesehene Bände.

Zu Seite:

9 daß Eingreifendes sid, vorbereitet: am 9. November 1918 brach in Berlin die Revolution aus und es wurde die Republik in allen deutschen Bundesstaaten proklamiert. Am 11. November wurde zwischen Deutschland und den Alliierten im Walde von Compiégne der Waffenstillstand vereinbart.

11 die sogenannte Stbuidfrage: siehe dazu Rudolf Steiner «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage, 1915-1921», Ge­samtausgabe Dornach 1961, Seite 323-408, mit dem Hinweis auf die preis-gekrönte wissenschaftliche Arbeit von Dr. Jakob Ruchti, «Zur Geschichte des Kriegsausbruchs», 1917, den «Memoranden» Rudolf Steiners vom Juli1917 und den Aufsätzen über das «Matin»-Interview über die Vorgeschichte des Welt-krieges.

13 der russisch-türkische Krieg: er fand 1877/78 statt und führte nach der Ver­nichtung der türkischen Heere zunächst zum Frieden von San Stefano bei Istan­bul, durch den die Türkei fast alle Gebiete der Balkanhalbinsel verlor.

der Berliner Kongreß: er fand 1878 unter Bismardts Vorsitz statt und führte zu einer Abschwächung des von Rußland im Frieden von San Stefano Erreichten. Rumänien, Serbien und Montenegro wurden als unabhängige Staaten erklärt. Österreich übernahm den Auftrag, für den Sultan Bosnien und die Herzegowina zu beruhigen und zu verwalten.

14 Da entstanden Unruhen: sie begannen 1875.

15 Dalmatien: seit 1797 resp. 1814, Wiener Kongreß, österreichisch; seit 1816 als Königreich Dalmatien das südlichste Kronland des österreichischen Kaiser-staates.

17 ich habe schon neulich auf einige Charakterzüge hingewiesen: siehe den Vortrag vom 1. November 1918 in «Geschichtliche Symptomatologie», Gesamtausgabe Dornach 1962

18 Otto Hausner, 1827-1890, wurde 1873 Mitglied des galizischen Landtages, 1878 des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, wo er in den Polenklub eintrat und als glänzender Redner bekannt war.

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19 Moriz Benedikt, 1835-1920, Professor der Nervenpathologie. Er begründete mit Lombroso die Kriminalanthropologie.

20 Eduard Graf Taaffe, 1833-1895, österreichischer Staatsmann, mehrmals Mini­sterpräsident.

Franz Ferdinand, 1863-1914, Erzherzog von Österreich-Este, Thronfolger, er­mordet in Sarajewo am 28. Juni 1914.

21 ein Kaiser: Franz Joseph I., 1830-1916, Kaiser seit 1848.

Leopold Graf Berchtold, österreichischer Staatsmann, geb. 1863, von 1912 bis Januar 1915 Minister des Auswärtigen.

Ich habe hier ofl davon gesprochen: zum Beispiel am 9. und 11. Dezember 1916, in der Gesamtausgabe im Bande «Das Karma der Unwahrhaftigkeit».

22 ich habe von bedeutsamen Mächten vor einem Jahr hier gesprochen: vor allem in den Vorträgen vom 4. Dezember 1916 bis 15. Januar 1917, in der Gesamt­ausgabe im Bande «Das Karma der Unwahrhaftigkeit».

25 ein unbedeutender Herrscher: Wilhelm II., 1859-1941, Kaiser von 1888 bis

1918, flüchtete am 10. November 1918 nach Holland, wo er sich von 1920 bis zu seinem Tode im Schlosse zu Doorn aufhielt.

der Herrscher Rußlands: Nikolaus II., 1868-1918, Zar seit 1894, dankte 1917

ab und wurde 1918 mit seiner Familie in Jekaterinburg (heute Swerdlowsk)

erschossen.

26 Elsaß-Lothringen: es kam 1871 als Reichsland an Deutschland.

27 daß dieses Deutsche Reich den Bündnis fall verwirklicht: nämlich, daß es Ruß­land den Krieg erklärt, wie es dann auch am 1. August 1914 geschehen ist. 1882 war zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien der Dreibund ge­schlossen worden. Dem folgte das französisch-russische Bündnis von 1897 und 1904 die «Entente cordiale» zwischen Großbritannien und Frankreich, seit 1906 mit Rußland, die Tripel-Entente, so daß durch dieses ganze Bündnissystem der Weltkrieg ausgelöst wurde.

29 der Burenkrieg: 1899-1902.

30 meiner Großmutter: Viktoria Alexandrina, 1819-1901, seit 1837 Königin von England.

Fürst Bernhard von Bülow, 1849-1929, Reichskanzler von 1900-1909. Worderney: preußisch-ostfriesische Insel, Seebad.

32 derjenige, der die Verhältnisse genau kannte: Relmuth von Moltke, 1848-1916, bei Ausbruch des Krieges Generalstabschef, bis September 1914.

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33 Graf Alfred von Schlieffen, 1833-1913, von 1891 bis 1906 preußischer General-stabschef.

Maximilian Harden, eigentlich Witkowski, 1861-1927, politischer Schriftsteller, redigierte die Zeitschrift «Die Zukunft».

34 die Marne-Schlacht: vom 5. bis 12. September 1914. Die 1. deutsche Armee unter von Kluch hatte in raschem Vormarsch die Marne erreicht, wurde aber von der 6. französischen Armee unter Maunoury in der Flanke angegriffen. Die 1. Armee setzte zum Gegenstoß an. Am 9. September wurde durch Oberstleutnant Hentsch, den Beauftragten der Obersten Heeresleitung, im Einvernehmen mit der 2. Armee von Bülow aus Furcht vor einem Auseinanderbrechen der Front zwischen der 1. und 2. Armee der Rückzug bis zur Aisne angeordnet. Hier er-starrte die Front zum Stellungskrieg.

35 wenn die englische Regierung gewollt hätte: dies geht aus der preisgekrönten Schrift von Dr. Jakob Ruchti «Zur Geschichte des Kriegsausbruchs», Bern 1917, die alle wichtigen Dokumente dazu abgedruckt hat, eindeutig hervor.

Edward Grey, 1862-1933, von 1905 bis 1916 britischer Außenminister.

39 Karl von Clausewitz, 1780-1831, preußischer General und Militärschriftsteller.

42 war nicht in Berlin: Moltke hatte sich schon Ende Juni aus Gesundheitsiöcksich­ten nach Karlsbad begeben.

44 an dem verhängnisvollen Sonnabend: am 1. August 1914.

45 die ich paragraphiert habe: in den Memoranden von 1917. Siehe Rudolf Steiner «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage, 1915-1921», Gesamtausgabe Dornach 1961.

erst gestern eingetreten: die Proklamation der Republik in Berlin am 9. No­vember 1918, die Flucht Wilhelms II. nach Holland am 10. November.

46 «Gedanken während der Zeit des Krieges»: Berlin 1915. Wieder abgedruckt in «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage, 1915-1921», Gesamtausgabe Dornach 1961.

49 im Jahre 1916 schon: es war auch durch eine russische Offensive die österreichi­sche Front durchbrochen worden und die Russen waren bis zum Karpaten-kamm vorgedrungen.

50 Leo Trotzki, eigentlich Leib Bronstein, 1879-1940, Bolschewist, 1917 mit Lenin Führer des Umsturzes, Schöpfer der Roten Armee, Gegner Stalins. Er wurde später, 1929, verbannt und schließlich in Mexiko ermordet.

52 im öffentlichen Vortrag in Basel: am 8. November 1918; «Sittliches, soziales und religiöses Leben im Lichte einer übersinnlichen Welterkenntnis».

in Anknüpfung an meine «Philosophie der Freiheit»: siehe den Vortrag vom

27. Oktober 1918 in «Geschichtliche Symptomatologie», Gesamtausgabe Dornach

1962.

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60 «Geisteswissenschafl und soziale Frage»: erschien 1905-1906 als Aufsatafolge «Theosophie und soziale Frage» in der Zeitschrift «Luzifer-Gnosis». Wieder abgedruckt in «Luzifer-Gnosis 1903-1908», Gesamtausgabe Dornach 1960. Als Sonderdruck erschien die Aufsatzfolge Dornach 1957.

62 Innozenz IV., 1243-1254, Gegner Kaiser Friedrichs II.

Properz, 49-15 vor Chr., römischer Elegiendichter.

67 Fercher von Steinwand, eigentlich Johann Kleinfercher, 1828-1902, aus Kärn­ten stammend. Siehe Rudolf Steiner «Vom Menschenrätsel», Gesamtausgabe Dornach 1957, im Kapitel «Bilder aus dem Gedankenleben Österreichs».

69 in jenem Wiener Zyklus: «Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt», 8.-14. April 1914, Gesamtausgabe Dornach 1959.

70 Paul von Beneckendorff und von Hindenburg, 1847-1934, General-Feldmar­schall, 1916-1919 Chef des Generalstabs des Feldheeres, war später, von 1925 bis 1934, Reichspräsident.

Erich Ludendorif, 1865-1937, 1916 deutscher Generalquartiermeister, Haupt-stütze Hindenburgs im ersten Weltkrieg.

77 ich habe Ihnen das neulich aus geisteswissenschafllichen Unterlagen vorgeführt:

im 8. und 9. Vortrag, 2. und 3. November 1918, von «Geschichtliche Symptoma­tologie», Gesamtausgabe Dornach 1962.

79 das Heilige Römische Reich Deutscher Nation: die alte römische Kaiserwürde war von Karl dem Großen im Jahre 800 wiedererrichtet worden. Otto I., der Große, wurde 962 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und gilt als dessen Gründer. 1806 verzichtete Franz II. auf den sinnlos gewor­denen Titel und begnügte sich mit dem eines Kaisers von Österreich, den er 1804 angenommen hatte.

der alle jene Zustände hervorgebracht hat, von denen ich Jhnen auch hier schon gesprochen habe: im 7. Vortrag, 1. November 1918, von «Geschichtliche Symp­tomatologie», Gesamtausgabe Dornach 1962.

82 Fürst Otto von Bismarck, Herzog von Lauenburg, 1815-1898, 1871 Kanzler des neugeschaffenen Reiches, 1890 entlassen.

83 Robert Hamerling, 1830-1889.

Fercher von Steinwand: siehe Hinweis zu Seite 67. Die Begegnung mit Fercher schildert Rudolf Steiner in «Mein Lebensgang», Gesamtausgabe Dornach 1962, im VII. Kapitel. Eine Gesamtausgabe von Ferchers Werken erschien 1903 in Wien, darin auch aus dem Nachlasse die Abhandlung «Zigeuner. Begegnisse und Betrachtungen (1859)».

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84 Kronprinz Georg: Georg II., 1826-1914, von Sachsen-Meiningen. rinen so schwarzen Genius: Napoleon Bonaparte.

85 Max Ferdinand, 1832-1867, Erzherzog von Österreich, 1864-1867 Kaiser von Mexiko.

87 Georges Clemenceau, 1841-1929, französischer Staatsmann, «le tigre». 1906-1909 und 1917-1920 Ministerpräsident und Kriegsminister.

93 der Herr, der jetzt in Holland sein soll: Wilhelm II.

94 Sven Hedin, 1865-1952, schwedischer Forschungsreisender.

96 Rot- und Blau- und Gelbbücher: ursprünglich englischer Brauch, diplomatische Akten dem Parlament in Form von Sammelveröffentlichungen zugänglich zu machen. Der Umschlag dieser Hefte war traditionell blau (Blaubücher). Deutsch­land benutzt weiß, Frankreich gelb, Amerika rot als Farbe und so weiter.

Ich habe hier in einem bestimmten Zeitpunkte gesagt: im Vortrag vom 12. Ja­nuar 1918, in der Gesamtausgabe im Bande «Alte Mythen und ihre Bedeutung».

97 Karl Marx, 1818-1883, verfaßte mit Engels zusammen das «Kommunistische Manifest». Von seinem Hauptwerk «Das Kapital» gab Karl Marx selbst im Jahre 1867 nur den 1. Band vollendet heraus.

Friedrich Engels, 1820-1895, gab 1885-1894 den 2. und 3. Band von ,,Das Kapital» aus dem Nachlasse von Karl Marx heraus.

Immanuel Kant, 1724-1804, der Begründer des Kritizismus. «Kritik der reinen Vernunft» 1781, «Kritik der praktischen Vernunft» 1788, «Kritik der Urteils­kraft» 1790.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 1770-1831. «Phänomenologie des Geistes»

1807, «Wissenschaft der Logik» 1812-1816, «Encyklopädie der philosophischen

Wissenschaften» 1817.

Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, 1775-1854.

98 Gerhart Hauptmann, 1862-1946.

Claude Henri Graf Saint-Simon, 1760-1825, französischer utopischer Sozialist. Louis Blanc, 1811-1882, französischer Geschichtsschreiber und radikaler Poli­tiker.

101 bei Goethe nie: siehe zum Beispiel Eckermann, Gespräche vom 23. Oktober 1828 und vom 14. März 1830.

102 Heinrich von Treitschke, 1834-1896, Historiker. Herman Grimm, 1828-1901, Kunsthistoriker.

103 Heinrich Heine, 1797-1856. In «Die Götter im Exil», 1836, findet sich eine Charakterisierung des Hellenismus und des Judäismus

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104 Ferdinand Lassalle, 1825-1864, wurde 1863 Präsident des «Allgemeinen Deut­schen Arbeitervereins».

106 ein Denkmal errichtet: der Goetheanumbau.

111 Platon, 427-347 vor Chr. Siehe Rudolf Steiner «Die Rätsel der Philosophie«, Gesamtausgabe Stuttgart 1955.

112 in meinem Buche: «Von Seelenrätseln», im Kapitel «Die physischen und die geistigen Abhängigkeiten der Menschen-Wesenheit». Gesamtausgabe Dornach

1960.

114 Peter Rosegger, 1843-1918, steirischer Erzähler.

117 seine Lehre: «Zur Kritik der politischen Ökonomie», 1859.

118 die Spektralanalyse: 1859 von Bunsen und Kirchhoff begründet.

Charles Darwin, 1809-1882.1859 erschien sein Hauptwerk, «Über Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl», die wissenschaftliche Begründung der Deszendenztheorie und des Darwinismus.

Gustav Theodor Fechner, 1801-1887. «Vorschule der Asthetik» 1876, «Elemente der Psychophysik» 1860, 2. Auflage 1889.

123 Karl Kautsky, 1854-1939, sozialdemokratischer Theoretiker.

124 Werner Softibart, 1863-1941, Nationalökonom.

Adolf Damaschke, 1865-1935, deutscher Bodenreformer.

128 Philipp Scheidemann, 1865-1939, sozialdemokratischer Politiker, 1918 Staats­sekretär, wurde später, 1919, Reichsministerpräsident.

131 Karl Marx hat das wunderbare Wort geprägt: wörtlich «Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt darauf an, sie zu verändern.» In «Thesen über Feuerbach», 1846, 11. These.

133 Sie können das in den älteren Schriflen und Vorträgen von Wilson nachlesen:

«Die neue Freiheit. Ein Aufruf zur Befreiung der edlen Kräfte eines Volkes», von Woodrow Wilson. 3. Auflage der deutschen Übersetzung 1914.

134 ich habe das zu anderer Zeit ausführlich entwickelt: zum Beispiel in Dornach am 18. Oktober 1914, in der Gesamtausgabe im Bande «Der Dornacher Bau als Wahrzeichen geschichtlichen Werdens und künstlerischer Umwandlungs­impulse», in Berlin am 31. Oktober 1914, in «Menschenschicksale und Völker-schicksale», Gesamtausgabe Dornach 1960, aber schon früher in Oslo, am 16. Juni 1910, in «Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhange mit der ger­manisch-nordischen Mythologie», Gesamtausgabe Dornach 1962; öffentlich zum Beispiel in Berlin am 27. November 1914, in «Aus schicksaltragender Zeit», Gesamtausgabe Dornach 1959.

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135 in den Weihnachtsvorträgen 1916: in der Gesamtausgabe im Bande «Das Karma der Unwahrhaftigkeit».

136 Lloyd George, 1863-1945, englischer Staatsmann, 1916-1922 Ministerpräsident. Über den «siebenundzwanzigjährig gebliebenen» Lloyd George siehe den Vor­trag vom 17. Juli 1917, in «Menschliche und menschheitiiche Entwickelungs-wahrheiten», Gesamtausgabe Dornach 1962.

140 Walter Harlan, 1867-1931.

141 Scherze sind eben dazu da: statt dieses Satzes, der sich in der Zyklen-Ausgabe dieser Vorträge vom Jahre 1919 findet, hat die Nachschrift des Stenogramms folgendes: «Nun, da wird Ihnen vielleicht manches etwas leichter verständlich, meine lieben Freunde, wenn man auch diesem Instinkte zu Hilfe gekommen ist, obwohl ja sich die Instinkte in okkulte Erkenntnis. in wirkliche Erkenntnisse verwandeln.»

144 in meinem Buche über Friedrich Nietzsche: «Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit», 1895, Gesamtausgabe Dornach 1962. Im 1. Kapitel schrieb Rudolf Steiner: «Als der Krieg (von 1870/71) zu Ende war, stimmte er (Nietz­sche) so wenig in die Begeisterung seiner deutschen Zeitgenossen über den er­rungenen Sieg ein, daß er schon im Jahre 1873 in seiner Schrift über David Strauß von den des siegreich beendeten Kampfes sprach. Er stellte es sogar als einen Wahn hin, daß auch die deutsche Kultur in diesem Kampfe gesiegt habe, und er nannte diesen Wahn gefährlich, weil, wenn er innerhalb des deutschen Volkes herrschend wird, die Gefahr vorhanden ist, den . Das ist Nietzsches Gesinnung in einer Zeit, in der ganz Europa voll ist von nationaler Begeisterung. Es ist die Gesinnung einer unzeitgemäßen Persön­lichkeit, eines Kämpfers gegen seine Zeit.» - Der Satz Nietzsches findet sich im ersten Stück.der «Unzeitgemäßen Betrachtungen», «David Strauß, der Bekenner und der Schriftsteller», am Ende des ersten Abschnittes.

147 «Der Mensch kann, was er soll»: in «Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution», 1793, von Johann Gottlieb Fichte.

152 Eduard von Hartmann, 1842-1906.

154 Berlin ist der Mittelpunkt der Welt: wörtlich «Auf hiesiger Universität, der Universität des Mittelpunktes, muß auch der Mittelpunkt aller Geistesbildung und aller Wissenschaft und Wahrheit, die Philosophie, ihre Stelle und vorzüg­liche Pflege finden.»

in einer Antrittsrede: in Berlin, am 22. Oktober 1818.

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156 Robert Owen, 1771-1858, idealistischer Sozialreformer. Owen versuchte, in Amerika eine Art kleinen Musterstaates zu schaffen. Rudolf Steiner spricht über ihn ausführlich im Aufsatze «Geisteswissenschaft und soziale Frage», 1905/06, Dornach 1957.

162 Die Philosophen haben immer die Welt interpretiert: siehe Hinweis zu Seite 131.

164 Wilhelm Weitling, 1808-1871, betrieb kommunistische Agitation in Schrift-werken und gründete einen Kommunistenbund. «Das Evangelium eines armen Sünders» erschien 1844 und 1846.

Karl Marlo, Deckname für Winkelblech, 1810-1865. Er war seit 1939 Professor an der höheren Gewerbeschule in Kassel. «Untersuchungen über die Organi­sation der Arbeit oder System der Weltökonomie», 1850, 2. Auflage 1884-1888.

Karl Rodbertus, 1805-1875, Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus in Deutschland. Er forderte die Sozialisierung der Produktionsmittel und Plan­wirtschaft.

166 Eduard Bernstein, 1850-1932, sozialistischer Theoretiker. Er begründete den Revisionismus seit den 1890er Jahren, erstrebte allmähliche wirtschaftliche Besserstellung der Arbeiterschaft, nicht Revolution.

167 als ich Lehrer einer Arbeiter-Bildungsschule war: Siehe Johanna Mücke und Alwin Alfred Rudolph, «Erinnerungen an Rudolf Steiner und seine Wirksam­keit an der Arbeiter-Bildungsschule in Berlin 1899-1904», Basel 1955.

170 Joseph Chamberlain, 1836-1914, bot als Kolonialminister im Frühling 1898 und Januar 1901 Deutschland vertraulich ein Bündnis mit England an. Die deutsche Regierung ging darauf nicht ein.

171 Balkankrieg: Im ersten Balkankrieg wird die Türkei 1912 von den christlichen Balkanstaaten geschlagen; im zweiten, 1913, wird Bulgarien vernichtend ge­schlagen.

177 anläßlich einer Ansprache: vor einer Eurythmie-Aufführung für Gäste (Inge­nieure). Die Ansprache ist nicht nachgeschrieben worden.

187 Zips: slowakisch Spi, Tallandschaft südöstlich der Hohen Tatra in der heu­tigen Slowakei; bis 1945 deutsche Sprachinsel seit dem 12. und 13. Jahrhundert. Heute sind die Zipser Sachsen zum größten Teil ausgewiesen.

Siebenbürgen: rumänisch Ardeal. Im 12. Jahrhundert wanderten die Siebenbür­ger Sachsen ein, Bauern aus mittel- und niederrheinischem Gebiet.

Banat: seit 1722, unter Karl VI., mit deutschen Kolonisten aus Schwaben be­siedelt.

188 Gyulá Graf Andrássy, 1860-1929, seit 24. Oktober 1918 österreichisch-ungari­scher Minister des Außern' bot der Entente einen Sonderfrieden an. Am 1. No­vember 1918 trat er zurück.

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188 Michael Graf Karolyi, geb. 1875, 1913 Vorsitzender der ungarischen Unabhän­gigkeitspartei, wurde am 31. Oktober 1918 nach dem Ausbruch der Revolution in Budapest vom König zum Ministerpräsidenten ernannt. Er wurde später, am 11. Januar 1919, Präsident der Republik Ungarn. Eine sozialistisch-kommunisti­sche Regierung zwang ihn am 21. März 1919 zum Rücktritt.

189 die Normannen: sie traten seit 787 an der Küste Englands, bald auch des Frankenreiches plündernd auf. Seit der Mitte des 9. Jahrhunderts gingen sie zu Dauersiedlung und Staatengründungen über.

Normannisch-Germanisches auch nach dem Osten hin: Schwedische Normannen,

Waräger, Rus genannt, drangen Anfang des 9. Jahrhunderts in Rußland vor.

Rurik gründete 862 das Reich von Nowgorod am Ilmensee, 864 das Reich von

Kiew.

unter dem Mongolenjoch: Anfang des 13. Jahrhunderts fallen die Mongolen in Rußland ein und beherrschen es bis 1480.

Wilhelm der Eroberer, 1027-1087, Herzog der Normandie, eroberte 1066 Eng­land.

192 Ich habe vor längerer Zeit hier über den Namen Russe gesprochen: im Vortrag vom 9. November 1914 in der Gesamtausgabe im Bande «Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt. Finnland und die Kalewala».

Vaeringjar: Väringer, Waräger = Eidgenossen; sie kamen vom Lande Rhos, Schweden.

195 durch Herrn Englerts Güte: Herr Englert war als Architekt am Goetheanumbau tätig.

196 Gustav Freytag, 1816-1895.

Gottfried Keller, 1819-1890.

Conrad Ferdinand Meyer, 1825-1898.

wie ich vor Jahren über Kunst gesprochen habe: Siehe die Vorträge vom Juni und Juli 1914 in «Wege zu einem neuen Baustil», Gesamtausgabe Stuttgart 1957, und vom Oktober 1914, in der Gesamtausgabe im Bande «Der Dornacher Bau als Wahrzeichen geschichtlichen Werdens und künstlerischer Umwandlungs-impulse», und vom 28. Dezember 1914 bis 4. Januar 1915, in der Gesamtaus­gabe im Bande «Umwandlungsimpulse für die künstlerische Evolution der Menschheit».

Berthold Auerbach, 1812-1882. «Schwarzwälder Dorfgeschichten».

203 Wladimir Iljitsch Lenin, eigentlich Uljanow, 1870-1924, aus russisch-tatarischem Bauernadel, Führer der Bolschewisten.

235

205 Friedrich Kraus, 1858-1936, Mediziner, 1902-1927 in Berlin Direktor der zwei­

ten Medizinischen Klinik der Universität.

Friedrich Wilhelm III., 1770-1840, König von Preußen seit 1797.

206 des Kaisers: Wilhelm II., 1859-1941, deutscher Kaiser von 1888-1918.

Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646-1716.

Friedrich I., 1657-1713, 1688 Kurfürst von Brandenburg (als Kurfürst Fried­rich III.), 1701 König von Preußen.

207 Emil Du Bois-Reymond, 1818-1896.

«das geistige Leibregiment des Hauses Hohenzollern»: «Die Berliner Universi­tät, dem Palaste des Königs gegenüber einquartiert, ist das geistige Leibregiment des Hauses Hohenzollern.» Du Bois-Reymond in seiner akademischen Rede vom 3. August 1870. Rudolf Steiner, der aus dem Gedächtnis zitierte, gab das Wort wieder mit «die wissenschaftliche Leibgarde der Hohenzollern».

Friedrich Wilhelm I., 1688-1740, König 1713.

Jakob Paul Freiherr von Gundling, 1663-1731, Historiograph des Königs.

Friedrich II., der Große, 1712-1786, König seit 1740.

Voltaire, 1694-1778, lebte von 1750-1753 am Hofe Friedrichs des Großen.

213 vor Jahren: in den Jahren 1905/06.

er wird noch zu haben sein: Heute zugänglich im Sammelbande

215 Wilhelm von Humboldt, 1767-1835, preußischer Staatsmann, Gründer der Universität Berlin. Die genannte Schrift entstand im Winter 1791/92 aus Er­örterungen mit Friedrich von Gentz und Karl Theodor Dalberg, erzbischöflicher Koadjutor in Erfurt. Sie ist zu Lebzeiten Humboldts bis auf wenige Auszüge nicht veröffentlicht worden.

216 Ich habe mich bemüht, das geltend zu machen: Es handelt sich um die Memoran-den vom Juli 1917. Durch Graf Lerchenfeld wurden diese Ideen u. a. an den deutschen Staatssekretär Richard von Kühlmann, durch Graf Ludwig Polzer­Hoditz an seinen Bruder Arthur Polzer-Hoditz, Kabinettschef Kaiser Karls von Österreich herangetragen. Siehe «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage, 1915-1921», Gesamtausgabe Dornach 1961, wo die Memoranden abgedruckt sind, und insbesondere die ausführliche Anmer­kung zu Seite 329 auf Seite 471/2, ebenda. 220 Brest-Litowsk: Hier wurde im Jahre 1917 der Waffenstillstand der Mittel-mächte mit Rußland abgeschlossen und am 3. März 1918 der Friede, der dann durch den Versailler Vertrag für ungültig erklärt worden ist.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.