GA 350

Aus SteinerWiki
ansehen im RUDOLF STEINER VERLAG

RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE FÜR DIE ARBEITER AM GOETHEANUMBAU

Rhythmen im Kosmos
und im Menschenwesen

Wie kommt man zum Schauen
der geistigen Welt?

Vom Wirken des Ätherischen und Astralischen
im Menschen und in der Erde

Ursprung und Bedeutung der Kulte
Ernährungsfragen


Sechzehn Vorträge
gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach
vom 30. Mai bis 22. September 1923

GA 350

1991

Inhaltsverzeichnis


9

GELEITWORT

Zum Erscheinen von Veröffentlichungen aus den Vorträgen Rudolf Steiners für die Arbeiter am Goetheanum vom August 1922 bis September 1924


Man kann diese Vorträge auch Zwiegespräche nennen, denn ihr In-halt wurde immer, auf Rudolf Steiners Aufforderung hin, von den Arbeitern selbst bestimmt. Sie durften ihre Themen selber wählen; er regte sie zu Fragen und Mitteilungen an, munterte sie auf, sich zu äußern, ihre Einwendungen zu machen. Fern- und Naheliegendes wurde berührt. Ein besonderes Interesse zeigte sich für die therapeu­tische und hygienische Seite des Lebens; man sah daraus, wie stark diese Dinge zu den täglichen Sorgen des Arbeiters gehören. Aber auch alle Erscheinungen der Natur, des mineralischen, pflanzlichen und tierischen Daseins wurden berührt, und dieses führte wieder in den Kosmos hinaus, zum Ursprung der Dinge und Wesen. Zuletzt erbaten sich die Arbeiter eine Einführung in die Geisteswissenschaft und Erkenntnisgrundlagen für das Verständnis der Mysterien des Christentums.

Diese gemeinsame geistige Arbeit hatte sich herausgebildet aus einigen Kursen, die zunächst Dr. Roman Boos für die an solchen Fragen Interessierten, nach absolvierter Arbeit auf dem Bauplatz, gehalten hat; sie wurden später auch von andern Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft weiter geführt. Doch erging nun die Bitte von seiten der Arbeiter an Rudolf Steiner, ob er nicht selbst sich ihrer annehmen und ihren Wissensdurst stillen würde, - und ob es möglich wäre, eine Stunde der üblichen Arbeitszeit dazu zu ver­wenden, in der sie noch frischer und aufnahmefähiger wären. Das geschah dann in der Morgenstunde nach der Arbeitspause. Auch einige Angestellte des Baubüros hatten Zutritt und zwei bis drei aus dem engeren Mitarbeiterkreise Dr. Steiners. Es wurden auch prakti­sche Dinge besprochen, so zum Beispiel die Bienenzucht, für die sich Imker interessierten. Die Nachschrift jener Vorträge über Bienen wurde später, als Dr. Steiner nicht mehr unter uns weilte, vom

10

Landwirtschaftlichen Versuchsring am Goetheanum als Broschüre für seine Mitglieder herausgebracht.

Nun regte sich bei manchen andern immer mehr der Wunsch, diese Vorträge kennen zu lernen. Sie waren aber für ein besonderes Publi­kum gedacht gewesen und in einer besonderen Situation ganz aus dem Stegreif gesprochen, wie es die Umstände und die Stimmung der zuhörenden Arbeiter eingaben, - durchaus nicht im Hinblick auf Veröffentlichung und Druck. Aber gerade die Art, wie sie gespro­chen wurden, hat einen Ton der Frische und Unmittelbarkeit, den man nicht vermissen möchte. Man würde ihnen die besondere Atmo­sphäre nehmen, die auf dem Zusammenwirken dessen beruht, was in den Seelen der Fragenden und des Antwortenden lebte. Die Farbe, das Kolorit möchte man nicht durch pedantische Umstellung der Satzbildung wegwischen. Es wird deshalb der Versuch gewagt, sie möglichst wenig anzutasten. Wenn auch nicht alles darin den Ge­pflogenheiten literarischer Stilbildung entspricht, so hat es dafür das unmittelbare Leben.

Marie Steiner

11

ERSTER VORTRAG Dornach, 30. Mai 1923

Guten Morgen, meine Herren! Da Sie heute ja nicht alle da sind, werde ich vielleicht so sprechen, daß diejenigen, die nicht da sind, nicht viel versäumen. Vielleicht haben Sie etwas zu fragen?

Ein Fragesteller wünscht Auskunft über die Reinkarnation. Es gibt doch heute viel mehr Menschen auf Erden als früher!

Eine andere Fage: Es sei ihm schon oft aufgefallen, daß Menschen sich so gerne drehen, sei es im Tanz oder auch sonst. Auch wenn ein Hund läuft, kommt er immer wieder zurück an denselben Ort. Auch wenn man sich verirre im Wald oder bei Nebel, komme man wieder an denselben Ort.

Dr. Steiner: Das ist sogar eine sehr interessante Frage!

Zunächst die Frage, die gestellt worden ist in bezug auf die Inkar­nationen. Nicht wahr, wir kommen darauf, wenn wir die anthro­posophische Geisteswissenschaft studieren, daß jeder Mensch, der jetzt lebt, eine ganze Anzahl von Erdenleben hinter sich hat und noch vor sich haben wird, so daß also die menschliche Seele immer wie­derkehrt. Man darf sich nicht vorstellen, daß dasjenige, was damit gemeint ist, irgend etwas zu tun hat mit dem, was in alten Zeiten auch viel geglaubt worden ist: daß der Mensch durch Tierleiber durchgegangen sei und dergleichen. Das hängen uns nur unsere Geg­ner an. Davon kann nicht die Rede sein. Aber gegen das Immerwie­derkehren des Menschen können zwei Einwände gemacht werden. Den ersten meint jetzt der Fragesteller.

Die gewöhnliche Ansicht ist diese, daß die Bevölkerung der Erde immer zunimmt, daß wir also in Europa heute wesentlich viel meht Menschen haben als, sagen wir zum Beispiel, vor ungefähr hundert-fünfzig Jahren. Nicht wahr, das meinen Sie? Wenn also alle die­jenigen, die heute da sind bei einer großen Bevölkerung, zurückver-folgt werden sollten in ihre früheren Erdenleben, so würden viel zu viel herauskommen? Man würde also sagen müssen: Es haben früher doch viel weniger Menschen gelebt, und heute leben viel mehr Men­schen. Wie kann es also sein, daß die Menschen von früher in den

12

gegenwärtigen Leibern erscheinen? - Das ist die Frage. Diese Frage wird sehr oft gestellt. Es wären also zu viele Menschen heute da, als daß man sagen könnte, die wären alle schon dagewesen.

Nun, da muß man auf Verschiedenes Rücksicht nehmen. Erstens, die Statistiken, die gemacht werden, werden ja immer nur gemacht nach bestimmten Gegenden, wo gerade die Bevölkerung außerordent­lich stark zunimmt, und dadurch bekommt man die Vorstellung, als wenn überhaupt auf der Erde die Bevölkerung immerfort zugenom­men hätte, wie wenn also, sagen wir, vor drei- bis viertausend Jahren ganz wenige Menschen auf der Erde gewesen wären und heute ungeheuer viel Menschen auf der Erde wären. Man rechnet so zurück. Man sagt also, in Europa hätte die Bevölkerung seit hundert­fünfzig Jahren etwa um das Doppelte zugenommen. Nun rechnet man weiter zurück und sagt sich, vor zwei- bis dreitausend Jahren müßten furchtbar wenig Menschen auf der Erde gewesen sein.

Aber dies ist zu gleicher Zeit in vollem Widerspruch mit den Tat­sachen, die wir sonst kennen. Ich mache Sie nur auf folgendes auf­merksam. Sehen Sie, wenn wir also zweitausend Jahre hinter Christi Geburt zurückgehen, da sind in der Nilgegend, in Afrika, in Ägyp­ten, die riesigsten Pyramiden gebaut worden. Der ganze Nil ist regu­liert worden. Und wenn Sie nachdenken darüber, welche Menschen­massen notwendig waren, um diese riesigen Gebäude aufzuführen, zum Beispiel nur die Sphinxe, die eine Riesengröße haben, in so großer Anzahl herzustellen, wie sie hergestellt worden sind, da be­kommen Sie die Ansicht: Das ist ganz unrichtig, daß dazumal in Agypten eine dünne Bevölkerung war, sondern es muß ein dichte Bevölkerung dagewesen sein in Agypten, viel dichter, als zum Bei­spiel heute in Sachsen oder in Belgien die Bevölkerung ist. Also dem, daß man zurückgeht in der Erdenentwickelung und auf immer weni­ger und weniger Menschen trifft, widersprechen ganz entschieden die Tatsachen der Geschichte.

Außerdem, wenn wir viel weiter nach Asien hinüberkommen, finden wir riesige Kanalbauten angelegt. Nicht wahr, wenn wir Eu­ropa hier haben (es wird gezeichnet> - ich habe es Ihnen schon einmal aufgezeichnet -, so haben wir da Afrika. Da wäre der Nil und

13

Ägypten gewesen, und hier drüben haben wir dann Asien. Das ist ein riesiger Kontinent, der geht da dann weiter. Hier haben Sie diese wimmelnde Bevölkerung, die die Pyramiden aufgebaut hat, und da drüben haben wir das alte chaldäische Land in Asien. Sie wissen ja, daß in der Bibel von Abraham gesagt wird, er kam aus Ur in Chal­däa. Dieses chaldäische Land, das gab es damals. Und in diesem Lande wurden in alten Zeiten - davon sind heute noch Reste vor­handen - riesige Kanalbauten angelegt, wozu auch wiederum riesige Menschenmassen notwendig waren. Sie müssen sich also vorstellen, daß, einfach durch die Tatsachen bewiesen, einige tausend und noch tausend Jahre vor Christi Geburt in Afrika und Asien riesige Men­schenmassen vorhanden waren.

Ferner müssen Sie bedenken: Als die Europäer nach Amerika ge­kommen sind, haben sie sich dort angesiedelt. Aber Amerika war dazumal nicht leer von Bevölkerung. Jene alte Indianerbevölkerung, von der ich Ihnen erzählt habe, die so kupferfarben war, ist ja ganz ausgestorben. Wenn man da die Überreste anschaut, die zum Teil verschüttet sind, so kommt man darauf, daß da eine riesige Bevölkerung war, mit der die Europäer nicht zusammengekom­men sind.

Also dies ist einfach etwas, das nicht stimmt, daß früher viel weniger Menschen da waren auf der Erde. Denken Sie doch nur einmal, selbst über die gegenwärtige Bevölkerung gibt es keine ge­nauen Angaben, sondern nur über einen gewissen Raum kann man Angaben machen. Man weiß das heute nur nach europäischen Sta­tistiken. Wie es mit der chinesischen Bevölkerung heute ist und vor tausend Jahren war, ist so, daß alles, was zum Beispiel wiederum Reisende darüber erzählen, darauf hinweist, daß die Bevölkerung durchaus nicht immer so abnimmt, wenn man zurückgeht, wie man es ja gewöhnlich annimmt, sondern daß es durchaus Zeiten gegeben hat, wo die Erde sehr stark bevölkert war. Es hat dann allerdings Zeiten gegeben, wo namentlich gewisse Gegenden schwächer bevöl­kert worden sind, aber wir werden gleich sehen, daß das nichts Besonderes ausmacht. So daß also auch im allgemeinen gegenüber dem, was man durch die äußere Wissenschaft kennen kann, der Einwand

14

durchaus beseitigt werden kann, daß zu viele Menschen heute da wären als Wiederinkarnationen aus früheren Zeiten.

Aber es kommt noch etwas anderes in Betracht. Wenn man die heutigen Menschen betrachtet, kommt man darauf, daß der eine, sagen wir, zwischen dem Tod und der jetzigen Geburt die tausend Jahre, der andere nur vielleicht fünfhundert Jahre durchgemacht hat, der andere vielleicht tausendfünfhundert Jahre in der geistigen Welt lebte, bevor er wieder heruntergekommen ist. So daß also die Menschen, die heute leben, durchaus nicht alle zu gleicher Zeit da waren, sondern zu verschiedenen Zeiten. Wenn einmal weniger Be­völkerung war auf der Erde, haben eben die Seelen oben gewartet, bis wieder mehr Bevölkerung da war.

Es stimmt also, was man über die Inkarnation und Reinkarnation, die Wieder-Inkarnation sagen kann, mit den Tatsachen durchaus überein. Ich habe oftmals gesagt - das ist ja ein Einwand, der im Laufe der vielen Jahre, in denen ich vorgetragen habe, immer wieder gemacht wird -: Das ist ja nur ein Rechenexempel. - Nehmen wir einmal an, im Jahre 800 nach Christus wäre ein Mensch dagewesen; irgendwo, jetzt im Jahre 1000 nach Christus, wäre ein anderer Mensch dagewesen (es wird gezeichnet). Nun haben wir 1923. Jetzt kann es ganz gut sein, daß der von da mit dem hier zusammen-kommt, weil der einen kürzeren Weg durchmacht. Nun haben Sie hier (1923) schon zweie, und hier (800 und 1000 n. Chr.) haben Sie zu diesen verschiedenen Zeiten immer einen. Es brauchen nicht alle zu gleicher Zeit dazusein und wieder zu gleicher Zeit zu kommen. So daß also auch für diejenige Zeit, wo die Erde dünner bevölkert ist, durchaus das gilt, daß eben da weniger Seelen herunterkommen auf die Erde.

Nicht wahr, man muß durchaus, wenn man nicht phantastisch, sondern richtig denkt, sich klar sein darüber, daß das nicht einfach so war, daß einmal zwei Leute da waren, nachher vier, nachher sechs und so weiter, sondern je weiter man zurückgeht in der Erdenbevöl­kerung, kommt man eben darauf, daß das ganz rhythmisch abläuft. Es gibt Zeiten, wo viele Leute auf der Erde sind, und Zeiten, wo wieder weniger Leute auf der Erde sind. Und wir kommen niemals

15

zurück zu einem einzigen Paar, wie es die Bibel angibt. Das ist nicht so gemeint. Von «einem Paar» kann in der Weise, wie es da steht, nicht die Rede sein. So daß man also sagen müßte, nimmt man nur an, daß einmal zwei Leute vorhanden waren, so müßten da immer nur zwei dasein und in der Zwischenzeit gar keine. Aber das ist nicht so. Da widerspricht die wirkliche Wissenschaft dem, was die phantastische Wissenschaft heute glaubt.

Nun aber noch etwas anderes. Sehen Sie, man muß sich klar sein darüber, daß eine gewisse Zeit eben vergehen muß, bis der Mensch wieder herunterkommt auf die Erde. Da können Sie fragen: Ja, wann kommt er herunter? - Da bekommt man dann, wenn man wirklich diese Sache zu Ende forscht, das heraus: Der eine hat sich sehr viel auf der Erde hier mit der geistigen Welt beschäftigt, der wächst leichter hinein in die geistige Welt nach dem Tode. Er braucht dann verhältnismäßig, weil er viel mit der geistigen Welt sich beschäftigt hat, lange Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Sie werden vielleicht überrascht sein, daß ich sage: lange. Er kann sich lange aufhalten in der geistigen Welt, weil er hier schon viel gelernt hat von der geistigen Welt. Solche Leute, die viel sich beschäftigt haben mit der geistigen Welt, können sich dort besser ent­wickeln, bleiben dort länger und kommen später wieder zurück. Da­gegen derjenige, der sich nur mit der materiellen Welt beschäftigt, der kommt verhältnismäßig bald wiederum. Und so verschieben sich auch die Dinge.

Dies ist der eine Einwand. Dann gibt es noch einen ganz anderen Einwand. Auf den habe ich Sie schon aufmerksam gemacht. Der ist dieser: Warum erinnert man sich nicht an die früheren Inkarnatio­nen? Ja, sehen Sie, das ist so: Wenn einer sagt, der Mensch kann rechnen, so ist das nicht zu bezweifeln - der Mensch kann rechnen. Nun könnte einer kommen und könnte sagen: Aber ich kann dir beweisen, daß der Mensch nicht rechnen kann. - Nun, wie tust du das, kann man ihn fragen. Dann bringt er uns ein kleines Kind, das kann nicht rechnen, und das ist doch auch ein Mensch, sagt er.

So ist es mit den früheren Erdenleben. Der Mensch kann das schon nach und nach lernen, und er wird es lernen, sich zu erinnern

16

an seine früheren Erdenleben, wenn er sich immer weiter und weiter auf der Erde entwickelt. Das ist gerade auch etwas, von dem eben die Geisteswissenschaft sagt, daß der Mensch in der Gegenwart noch nicht so weit ist, sich erinnern zu können an dasjenige, was er im vorhergehenden Leben erlebt hat. Aber was wir in der Geisteswissen­schaft sagen können, das stimmt ja ganz mit dem überein. Sehen Sie, Sie sind ja wach vom Morgen bis zum Abend. Da sind Sie im wachen Zustande, da erleben Sie alles, was um Sie herum ist. Und wenn Sie sich dann erinnern, so erinnern Sie sich auch nur an das, was Sie so, wachend, erlebt haben. Denken Sie nur, wie schnell man die Träume - die ja nichts besonderes bedeuten, wie ich auch schon gesagt habe - vergißt! Also der Mensch erinnert sich an dasjenige, was er hier wachend erlebt hat. Aber an etwas anderes erinnert er sich schon nicht hier auf der Erde. Das ist dasjenige, was er im Schlafzustande erlebt. Und im Schlafzustande erleben wir nämlich furchtbar viel mehr, als wir im Wachzustande erleben, nur kann der Mensch mit dem gegenwärtigen Bewußtsein die Schlaferlehnisse noch nicht auffassen. Wenn einmal die Fähigkeit dazu errungen wor­den ist - was eben errungen werden kann vom Menschen -, dann weiß man, im Schlaf wird ungeheuer viel erlebt. Aber der Mensch weiß es ja im allgemeinen noch nicht. Jetzt stirbt der Mensch, und dasjenige, was er im Wachen erlebte, geht ja nach zwei, drei Tagen fort. Das kommt einem so vor, als ob alle die Gedanken, die man im Wachzustande erlebt hat, nach zwei, drei, vier Tagen einfach fortgingen. Und dann tauchen auf alle die Dinge, die man im Schlafe erlebt hat. Die brauchen dann, wie ich Ihnen gesagt habe, ein Drit­tel vom ganzen Erdenleben. Also dasjenige, was vom Menschen ganz innerlich erlebt wird, das weiß er ja auch noch nicht jetzt im Erden­leben. Er wird es wissen, wenn er sich immer mehr und mehr geisteswissenschaftlich vertieft.

Daher brauchen wir uns auch nicht zu verwundern, daß im gegen­wärtigen Erdenleben die Dinge noch unbewußt sind, die im frühe­ren Erdenleben sich zugetragen haben. Ich habe Ihnen ja neulich auch gesagt, was für ein Unterschied ist, wenn ich einen Hemdknopf hingelegt habe, ohne mit dem Bewußtsein dabei zu sein; ja, dann

17

kann ich am Morgen herumlaufen und suchen, immer suchen. Wenn ich mich ausdrücklich erinnere: Du hast dieses Knöpfchen hierher­gelegt -, werde ich nicht herumlaufen, sondern gerade darauf los­gehen. Es kommt eben darauf an, ob man an irgend etwas denkt.

In alten Zeiten haben sie gewußt, daß sie wiederholt auf der Erde leben, aber durch die Jahrtausende hindurch haben die Menschen gar nicht daran gedacht, als an etwas Geistiges. Daher können sie sich im gegenwärtigen Erdenleben nicht daran erinnern. Aber es kommt eine Zeit, wo sie sich erinnern werden, geradeso wie für das vierjährige Kind eine Zeit kommt, in der es wird rechnen können.

Nun kommt die andere Frage: Der Mensch hat so ein Bestreben, sich im Kreis zu drehen. - Das ist durchaus eine ganz richtige Bemerkung. Da muß ich Sie auf folgendes aufmerksam machen. Wir lernen, was wir schon öfter betont haben, als Kind ja auch eigentlich erst stehen und gehen, lernen uns als Kind erst richtig aufrichten, bewegen und so weiter. Jetzt denken Sie sich nur einmal, Sie liegen im Bett und schlafen, wachen wieder auf mit einem Traum, so kann der Traum nicht nur so sein, daß Sie sich da - im Traume natürlich ist es zunächst - drehen, sondern da können Sie sogar fliegen! Und die Träume, wo-rinnen der Mensch fliegt, seelisch zunächst natürlich, die sind ja gar nicht so selten. Daß der Mensch im Traume fliegt, das kommt ja gewöhnlich daher: Er wacht auf. Er ist gewöhnt, wenn er im Wachzustande herumgeht, unter sich entweder den Boden zu fühlen unter den Fußsohlen oder unter sich den Stuhlsitz zu fühlen, wenn er wach ist, etwas unter sich zu haben, worauf er senkrecht sitzt. Wenn der Mensch jetzt liegt, so kommt es ja sehr selten vor, daß der Mensch mit seinen Fußsohlen am Bettende anstößt, sondern die Fußsohlen sind ganz frei. Er wacht also auf in einer Lage, die er nicht gewöhnt ist. Er glaubt, er ist in der Luft und fliegt. Das ist also zunächst sein Glaube.

Jetzt müssen wir aber folgendes nehmen. Wenn wir erst im Leben als Kinder gehen und stehen lernen, also aufrecht sein, dann liegt ja das Sich-Aufrichten nicht von Geburt an in uns, das lernen wir ja erst. Dagegen fragen wir uns nun: Woher kommt denn dieses Sich-Aufrichten?

18

Was tun wir, wenn wir aufrecht gehen? - Das müssen Sie sich nur einmal gut überlegen, was Sie da tun. Denken Sie sich, da wäre die Oberfläche der Erde (es wird gezeichnet). Wenn Sie da hier einen Stein loslösen, so fliegt er zur Erde. Warum? Wir sagen, weil die Erde ihn anzieht. Ob das nun so genau stimmt, daß die Erde ihn wie an einem Faden anzieht oder nicht, müßte man erst richtig auffassen. Darüber könnten wir ja auch einmal reden. Aber jedenfalls ist eine Kraft da, die ihn da herunterzieht, sonst würde er nicht fallen. Und überall, wo der Stein auch ist, fällt er senkrecht auf die Erde hin.

#Bild s. 18

Ja, in diese Linie müssen wir uns auch hineinstellen lernen. Wir müssen uns in die senkrechte Linie hineinstellen lernen, wenn wir eben Mensch sind. Wir passen uns also in diese senkrechte Linie hinein. Unser ganzer physischer Körper hätte gar keinen Sinn, wenn wir uns nicht hineinpassen würden in die senkrechte Lage. Denn schauen Sie die Tiere an, die nicht in der senkrechten Lage gehen, sondern die mit allen Vieren gehen: Ja, deren Zehen sind ganz anders gestaltet als unsere Finger! Wir müssen uns also, wenn unser physi­scher Körper einen Sinn haben soll, in die senkrechte Lage hinein-passen; das ist ganz notwendig.

Aber dasjenige, was da der physische Körper nötig hat, hat das auch der Ätherleib nötig? Sie wissen, ich habe Ihnen gesagt: Wir haben nicht nur diesen physischen Körper, den wir mit Augen sehen, wenn wir den Menschen ansehen, den wir mit Händen betasten

19

können, sondern wir haben auch einen feinen Ätherleib. Ja, dieser Ätherleib, der hat nicht nötig, sich so anzupassen. Der behält andere Gewohnheiten bei. Welche Gewohnheiten? Nun, Sie wissen, die Erde ist rund, Tag und Nacht wechseln. Wodurch wechseln denn Tag und Nacht? Nicht wahr, die Sonne steht hier (es wird gezeichnet), und wenn die Sonnenstrahlen so auf die Erde fallen, dann ist auf der Seite Tag. Es würde immer Tag bleiben, wenn die Erde sich nicht drehen würde. Wenn dann diese Hälfte, die hier (im Schema) rot ist, hier herüberkommt, dann ist es auf dieser Hälfte Nacht und auf der anderen Hälfte - sie kommt dann hier herüber - ist es Tag.

Also Tag und Nacht entstehen dadurch, daß sich die Erde dreht. Jetzt denken Sie sich einmal: Der Ätherleib des Menschen, dieser feine Körper, den der Mensch auch hat, der gewöhnt sich als Kind nicht so in die senkrechte Stellung hinein, sondern der will immer diese Drehung der Erde mitmachen. Dieser Ätherleib, der will sich immer um die Erde herum bewegen; so will er immer sein, diese Be­wegung will er immer machen. Wenn der Ätherleib nicht diese Be­wegung machen wollte, dann würden Sie, wenn Sie gerade in der Richtung der Erde gehen, weil die Erde diese Bewegung macht, fortwährend sich umdrehen wollen, weil Ihnen immer alles weh täte von dem Stoß, den Sie kriegen. Es muß etwas sein in Ihnen, was die Bewegung der Erde immer mitmacht, sonst würde Ihnen immer alles weh tun.

Daraus können Sie auch sehen, wie gedankenlos die gegenwärtige Wissenschaft ist. Die weiß ganz gut, daß die Erde sich dreht, nicht nur diese Bewegung macht, die der physische Leib macht, wo er sich angepaßt hat an diese senkrechte Lage. Aber man hat jetzt kei­nen Körper, der diese Bewegung mitmacht! Das ist die Geschichte.

Jetzt denken Sie sich einmal, daß Sie in Ohnmacht fallen. Wenn Sie in Ohnmacht fallen, dann geht aus Ihrem physischen Leib und dem Ätherleib etwas, das eigentlich geistig-seelisch ist, das Ich oder der astralische Leib, heraus. Und dabei spüren Sie, daß der Ätherleib sich drehen will. Da drehen Sie sich zunächst seelisch-geistig gerade­so, wie am Morgen beim Traum, wo Sie gespürt haben, da ist der Erdboden nicht unter Ihnen. Also wenn Sie in Ohnmacht fallen,

20

drehen Sie sich zunächst geistig. Wenn der Mensch Schwindel hat zum Beispiel, da will sich bloß das drehen, was seelisch ist. Denken Sie sich aber, Sie gehen jetzt gedankenlos fort. Ja, wenn Sie gedankenlos fortgehen, da bewegen Sie mechanisch den physischen Leib. Da denken Sie gar nicht an Ihr Gehen, und insbesondere, wenn es im Walde neblig ist, da können Sie nicht an Ihr Gehen denken; Sie wissen ja nicht wo aus, wo ein - wo soll ich hin? Sie richten sich ja, wenn Sie mit dem physischen Körper gehen, nach einem bestimm­ten Punkt. Manchmal wissen Sie es gar nicht, aber der Weg selber leitet Sie an, an einen bestimmten Punkt hinzugehen. Wenn es aber neblig ist, sehen Sie nichts; da kennt sich Ihr physischer Leib nicht aus. Dann kommt Ihr Ätherleib; der will nur seine Bewegung ma­chen, und die ist eine runde. Da folgt er der runden Bewegung, da zieht er den physischen Leib mit! Wenn Sie bloß träumen oder Schwindel haben, da macht der astralische Leib die Bewegung mit. Wenn Sie aber im Gang sind, da zieht der Ätherleib die physische Bewegung hinein in den physischen Leib, und Sie machen das mit. Daraus aber sehen Sie, daß der Ätherleib gar nicht erdgebunden ist. Der Äther-leib im Menschen macht also nicht mit, was auf der Erde ist.

Nun denken Sie sich einmal: Der Mensch ist ja als solcher ein Erdenwesen zwischen der Geburt und dem Tode. Da muß er arbei­ten. Aber Sie wissen ja, immer geht es nicht mit der Arbeit. Der physische Leib würde abgenutzt und so weiter. Da will der Mensch nun seinen physischen Leib zwar bewegen, aber er will ihn nicht so bewegen, wie sich der physische Leib an die Erde angepaßt hat, er will sich nach dem Ätherleib richten. Der Ätherleib will aber runde Bewegungen machen, und da tanzt der Mensch. Und der gewöhn­liche Tanz besteht einfach darinnen, daß der Mensch nicht seinem physischen Leib folgen will, sondern seinem Ätherleib. Die Begierde zu tanzen ist gerade dazu da, daß der Mensch seinen physischen Leib vergessen kann und sich fühlen kann als ein Wesen, das der Welt angehört.

Allerdings würde der Mensch nach seinem inneren Gefühl viel zu viel der Welt angehören wollen und seinem Ätherleib folgen. Eigentlich möchte der Mensch meistens sich nicht so bewegen,

21

wie es die Erde von ihm haben will, sondern er möchte eigentlich seinem Ätherleib folgen. Und es könnte ihm recht gut gefallen, recht viel sich in der Runde zu bewegen, wie der Ätherleib sich bewegen will. Daher muß der Mensch sich gewöhnen an solche Bewegungen, die der Erde angehören. Und diese gewöhnlichen Bewegungen haben wir auch in die Erziehung aufgenommen: man turnt. Warum turnt man? Das Turnen besteht darin, daß der Mensch sich noch mehr anpassen kann der Erde, als er sich sonst der Erde anpassen kann. Daß der Mensch also mehr abkommt von seinem Ätherleib, nicht immer seinem Ätherleib folgt, deshalb turnt er. Aber der Mensch muß natürlich auch, damit er nicht ganz entfremdet wird der großen Welt, der Außenwelt, auch solche Bewegungen machen, die ihn nicht an die Erde binden.

Wir leben heute in der Zeit des Materialismus. Diejenigen Men­schen, die am meisten Sehnsucht haben nach dem Materialismus, die leben im Westen. Die Morgenländer, die eine alte Kultur gehabt haben, die Asiaten, die haben keine große Sehnsucht, der Erde anzu­gehören. Die betrachten die Erde als ein rechtes Jammertal, viel mehr als der Christ, und diejenigen, die im Orient, in Asien leben, die möchten sich so schnell als möglich, nicht wahr, aus dem Staube machen.

Aber die westlichen Leute, die haben die Erde so gern, furchtbar gern. Nicht, daß sie sich das sagen, aber sie möchten eigentlich immer auf der Erde bleiben. Deshalb möchten sie auch folgendes. Und jetzt muß ich Ihnen etwas sagen: Der Ätherleib, der will sich himmels-gemäß bewegen. Die Planeten bewegen sich im Kreis, also die Erde bewegt sich im Kreis. Der Ätherleib möchte sich im Kreis bewegen, der physische Leib möchte aus diesem Kreis heraus. Wenn er viel zu arbeiten hat, kommt er schon aus diesem Kreis her­aus; aber nehmen wir an, die höheren Stände im Westen, die nichts zu arbeiten haben, wie kommt es denen vor? Denen kommt es etwas eigentümlich vor, die fühlen sich unbehaglich, weil der Ätherleib sie fortwährend sekkiert. Wenn so ein beefsteak-essender Mensch durch die Welt geht, da sekkiert ihn, da quält ihn fortwährend der Ätherleib, und er möchte runde Bewegungen machen.

22

Und dieser beefsteakessende Mensch will dann diesen runden Bewegungen vom Ätherleib folgen. Donnerwetter, das ist etwas Un­angenehmes! Der Ätherleib, der will fortwährend tanzen, runde, schön runde Bewegungen machen, und der Beefsteakessende, der kann nicht nach. Und weil er seinen physischen Leib gewöhnen will, daß er stark genug ist, sich nicht immerzu vom Ätherleib in die Runde reißen zu lassen, macht er Sport; nicht nur Turnen, sondern Sport. Und dieser Sport hat das Ergebnis, daß der Mensch ganz her­auskommt aus seinem Ätherleib, ganz nur den physischen Erdenbewe­gungen folgt. Dadurch wird der Mensch immer mehr der Erde be­freundet und kommt ab von der geistigen Welt.

Sie dürfen nicht glauben, daß man von der geistigen Welt nur da­durch abkommt, daß man nicht über sie nachdenkt, sondern auch durch solche Sachen: wenn man viel zu viel Sport treibt, wenn man also den physischen Leib ganz und gar abbringt. vom Ätherleib. Das ist für den Menschen schrecklich, und das ist sogar etwas, was eine, ich möchte sagen, ganz besorgliche Sache ist. Je mehr Sport getrieben wird, desto mehr vergessen die Menschen das Geistige und kommen nach ihrem Tode sogleich, in ganz kurzer Zeit, wieder zu-rück aus der geistigen Welt. So daß also, wenn alles das, was im Westen ist, nicht etwas Geist empfangen würde, nach und nach die Erde überhaupt nur von Menschen bewohnt würde, die schon gar nicht mehr zurück wollen in die geistige Welt. Aber da würden ja auf der Erde nach und nach nur Menschen sein, die die Erde all­mählich ganz zugrunde richten. Ein bißchen fangen wir ja schon an damit. Das Bißchen ist für die Menschen der Gegenwart schon recht stark. Aber wenn die Menschen anfangen, sich gar nicht mehr nach ihrem Ätherleib zu richten, sondern nur nach ihrem physischen Leib, das ist etwas, was auf der Erde furchtbare Zustände hervor­rufen wird. Und da muß man wiederum mit der Geisteswissenschaft eingreifen. Das kann man nur dadurch, daß man nun den Bewegun­gen, die ganz und gar darauf angelegt sind, den Menschen in seinen physischen Leib hereinzutreiben, ganz zum Erdenmenschen zu ma­chen, auch andere Bewegungen entgegensetzt.

Jetzt sind die Menschen schon so gesinnt, daß ihnen das Wichtigste

23

ist, Erdenmenschen zu werden. Sie werden schon jetzt, nachdem ich Ihnen so viele Vorträge gehalten habe, begreifen, daß einem bei solchen Dingen, ohne daß man ein Philister ist, das Herz weh tut.

Sehen Sie, ich war im letzten Sommer auch in England. Gerade als wir abreisten, war ganz England voll von Erregung, wartete auf die Blätter, die abends erscheinen sollten über das wichtigste Ereig­nis. Alles wartete auf die Abendblätter. Auf was warteten sie? Auf den Ausgang des Fußballspieles!

Jetzt sind wir gerade von Norwegen heruntergefahren. Wie wir einstiegen, waren viele da, die uns begleiteten. Aber der ganze Bahn­steig stand voller Menschen. Und wie der Zug sich in Bewegung setzte, erscholl es: Hurrah! Hurrah! - Und auf der nächsten Station schrien sie: Hoch soll er leben! - Ja, unseretwegen geschah das natür­lich nicht, sondern es frägt sich, was da war. Ich konnte gerade noch erfahren: Das waren Fußballer, die von Mitteleuropa da hin-aufgekommen waren und nun wieder zurückfuhren.

Ja, wofür interessieren sich heute die Menschen? Also viel mehr als für ein Ereignis, das mit Wohl und Wehe von Millionen Menschen etwas zu tun hat, interessieren sich heute die Leute für diese Dinge, die nach und nach den physischen Leib wegziehen vom Ätherleib, so daß der Mensch überhaupt nurmehr ein Erdentier wird.

Das ist der Grund, warum den Bewegungen, die heute in aller Welt gemacht werden und die immer weiter und weiter sich ver­breiten, andere entgegengesetzt werden müssen: das sind die euryth­mischen Bewegungen. Die richten sich nach dem Ätherleib. Da wer­den Sie alle diejenigen Bewegungen sehen, die der ätherische Leib ausführt. Das ist außerordentlich wichtig.

Zugleich gibt es die Sehnsucht nach dem Sport. Ich will nun nicht gegen den Sport im allgemeinen reden. Der Sport ist natürlich, wenn er getrieben wird von Menschen, die außerdem arbeiten, ganz gut, denn in der Arbeit muß man sich mehr unnatürliche Bewegungen an­gewöhnen; wenn man dann im Sport natürliche Bewegungen hineinbringt, die mehr dem physischen Menschen angepaßt sind, dann ist das Erholen im Sport gut. Aber dieses heutige Treiben von Sport, wo auch viele Menschen teilnehmen, die gar nicht sich zu erholen

24

brauchen, was ist denn dies? Ja es gibt heute Sportsleute, die gehen unter Umständen - natürlich nicht alle, aber einzelne gibt es schon - rasch einmal morgens in die Kirche, da beten sie: Ich glaube an einen Gott im Himmel und so weiter. Dann gehen sie auf den Sport­platz. Ja, da sprechen sie es nicht mit Worten aus, aber was sie da tun, wenn man es in Worte faßt, so heißt das: Ich glaube ja nicht an einen Gott im Himmel. Der hat mir den Ätherleib gegeben, aber von dem will ich nichts wissen. Ich glaube an Fleisch und Knochen, das ist meine einzige Seligkeit. - Sehen Sie, das ist natürlich die not­wendige unbewußte Folge desjenigen, was heute getrieben wird. Nicht bloß dadurch, daß man sagt, man will nichts wissen vom Geistigen, ist man Materialist, sondern, wie wir jetzt gesehen haben, durch solche Sachen, durch die man den ganzen Menschen losreißt vom Geistigen.

So daß man in bezug auf Ihre Fragestellung vorhin sagen kann:

Wenn einer in den Wald geht und es ist neblig, und er verirrt sich, da kommt es vor, daß er einmal seinem Ätherleib nachläuft. Das ist nicht so schlimm, er kommt eben wieder an denselben Ort zu­rück. Wenn man sich dreht - das ist nicht so schlimm, da ist viel hin- und hergependelt, einmal hin- und hergependelt zum Ätherleib, einmal hin- und hergependelt zum physischen Leib. Das ist, weil der Mensch alle zwei hat und auch alle zwei ausbilden soll. Das ist da drinnen enthalten. Aber daß heute im allgemeinen im Westen eine Neigung ist, sich ganz loszureißen vom Ätherleib und dem physi­schen Leib allein zu folgen, das macht den furchtbaren Materialismus aus, der der eigentlich schädliche Materialismus ist. Denn der Ge­danken-Materialismus ist nicht einmal der allerschädlichste. Der allerschädlichste ist der Materialismus, wo der ganze Mensch zum Tier herunterkommt. Das ist das, was man bedenken muß.

Man kommt sehr leicht dazu, daß einem die Leute sagen: Ja, der ist ein Philister, der wettert gegen den Sport! Sport ist etwas außer­ordentlich Nützliches. - Aber ich wettere gar nicht gegen den Sport. Die Leute sollen nur Sport treiben, sie sind eben freie Wesen. Aber sie werden sich dann eben ganz und gar als Menschen zugrunde richten, wenn sie bloß den sportlichen Dingen huldigen.

25

In dieser Beziehung muß man sich nur klar sein darüber, daß das, was ich in dem ersten Kapitel der «Kernpunkte» gesagt habe, im weitesten Umfange gilt. Ich habe natürlich gedacht, als ich diese «Kernpunkte» geschrieben habe, ich werde so schreiben, daß die Menschen darüber nachdenken. Nun, sie haben sich ja keinen Deut darum gekümmert! Sie haben gar nicht nachgedacht, und die «Kern­punkte» sind gar nicht verstanden worden. Ich habe gesagt: Gewiß, wir haben eine große demokratische, proletarische Bewegung, aber wenn man hinschaut, so machen ja die meisten Proletarier heute das nach, was die Bourgeois früher vor ihnen gemacht haben. Ebenso machen sie die Wissenschaft nach, glauben ja ebensogut, was ihnen an den Universitäten vorgebracht wird, wie die Wissenschaft. Manchmal sind die proletarischen Parteien die ersten, die Gesetzen zustimmen, ich erinnere an die Kurierfreiheit und so weiter; die So­zialisten sind meistens die ersten, die sagen: Ja, da muß ein Sach­verständigenkollegium sein und dergleichen. - Und in bezug auf Sport: Der Sport ist natürlich eine Bourgeois-Erfindung, die wird womöglich auch nachgemacht! Es wird ja natürlich nicht ganz gehen; aber immerhin, in der Gesinnung macht man das einfach nach und betrachtet es als etwas, was das einzig Heilsame ist, währenddem tatsächlich die proletarische Bewegung erst etwas werden kann, wenn sie einen eigenen Impuls bekommt, wenn sie nicht das nachmacht, was die früheren Klassen gemacht haben. Deshalb habe ich gerade dieses erzählt. Überall konnte man sehen, wie eben leider die proletarische Bewegung unter den Einfluß des Autoritätsglaubens kommt. Deshalb habe ich dieses erste Kapitel in den «Kernpunkten» geschrieben und habe gedacht, daß man darüber nachdenkt.

Aber natürlich, das Nachdenken ist etwas, was die sporttreiben­den Leute überhaupt nicht gern haben; denn wenn einer so recht Sport treibt, so ist es ja so, daß er aus dem Nachdenken heraus­kommt. Denken kann man nämlich nur mit dem Ätherleib. Sie können sich noch so anstrengen, mit dem physischen Leib können Sie nicht denken. Daher kann man nur sagen, wenn gefragt wird: Soll man nun Fleisch essen oder bloß Pflanzen, um besser denken zu können? - so kann man immer nur sagen: Durch das Essen kann

26

man nicht das Denken kultivieren; das müßt ihr durch den Äther­leib machen. Da müßt ihr in den Ätherleib hineingehen.

Also Sie sehen, der Ätherleib zeigt geradezu seine Anwesenheit im Menschen durch diese runden Bewegungen, die der Mensch machen will, durch die Sehnsucht zu tanzen oder durch dieses Sich-Verirren und Im-Kreise-Gehen.

Ja, wenn Sie zum Beispiel einmal in Wien gelebt haben - die Wiener sind leichtlebige Menschen, das sind sie schon. Sie sind ja gemütlich, aber sie sind leichtlebige Menschen. In Wien gibt es den Prater. Das ist ein riesiger Lustgarten. Der Prater ist etwas, wissen Sie, wo man eigentlich am Sonntag hingeht, wenn man nicht ein Taugenichts war, der jeden Tag in den Prater ging. Würstl gibt es im Prater, Bajazzi und so weiter, alles mögliche. Aber die Wege, die sind im Prater schon in einer eigentümlichen Weise als Wege eingerichtet. Dort, im Wiener Prater, kommen Sie nämlich, weil die Wege schon so eingerichtet sind, immer wieder an denselben Ort. Man geht durch eine lange Straße, geht irgendwo in den Wald hinein; ja, nach einiger Zeit ist man wieder dort, wo man gewesen war! War man bei einer Würstlbude, so ist man jetzt wieder da. Da sind schon die Wege so angelegt. Sehen Sie, die haben sich natür­lich nicht gesagt: Da werden wir die Wiener herauslocken, daß sie sich belustigen - aber sie haben es gefühlt, empfunden, und deshalb haben sie die Wege schon so angelegt, daß die Leute gar nicht den Nebel brauchen, um wieder an denselben Ort zurückzukommen, sondern sie haben solche kreisförmige Wege gemacht, die der Ätherleib will, wo der Mensch sich schon ganz entrückt fühlt dem phy­sischen Leib. Man kann sich nämlich auch entrückt fühlen, so daß man in ein rechtes Wohlgefühl hineinkommt. Wenn man keine Orientierung hat, dann geht man im Kreis. Wenn man aber schon so die Wege hat, daß man von selbst im Kreis geht, so hat man auch das Wohlgefühl. Und das wollten die Leute, die den Prater angelegt haben, bei den Wienern hervorrufen: daß ihr Ätherleib da ein rechtes Wohlgefühl hat, wenn sie immer wieder bei einer sol­chen Würstlbude zurückkommen. Das ist sehr raffiniert eingerichtet. Das besteht ja jetzt noch. Sie können es sich anschauen, wie immer

27

die Wege so gehen. Wenn man sich hineinverliert - man kommt schon wieder zurück, aber man dreht sich. Und dieses Drehen, das ist etwas, was die Leute, namentlich wenn sie es so den ganzen Sonntagnachmittag machen, in ein richtiges Wohlgefühl hineinführt.

Nun ist das ein viel unschuldigeres Wohlgefühl als manches an­dere Wohlgefühl. Sie wissen, daß auch sonst etwa die Orientierung aufhört, ich habe Ihnen die Geschichte schon einmal erzählt: Wenn man abends spät nach Hause kommt und man nicht recht weiß, ob man betrunken ist oder nicht, so legt man sich den Zylinderhut aufs Bett. Sieht man ihn einmal, ist man nicht betrunken, sieht man ihn doppelt, so ist man betrunken. Das ist dadurch, daß es sich dreht. Sehen Sie, da dreht sich auch etwas: der Astralleib. Wenn der, der im Bett liegt, betrunken ist, so dreht sich sein Astralleib. Wenn aber einer auf mehr geistige Art, dadurch, daß er auf runden Wegen geht, den Ätherleib hineinbringt, da dreht sich der Äther­leib. Das ist die mehr unschuldige Art des Drehens.

Das Trinken geht in den Astralleib, das Drehen geht mehr in den Ätherleib. Da versteht man auch, was für ein Unterschied da ist. Denn schaue ich hin auf einen, der betrunken ist: Ja, der dreht sich nicht wie einer, der auf runden Wegen geht, sondern bei dem dreht sich ja alles, wie wenn sein Astralleib selber nun die Erd­kugel geworden wäre. Der dreht sich, wie die Erde sich dreht. Das ist der astralische Leib, der sich dreht.

Wenn aber die Leute tanzen oder sich im Wiener «Wurstl-Prater» herumdrehen, dann dreht sich der Ätherleib. Der nimmt den phy­sischen Leib mit; das ist das unschuldigere. Man kann sagen: Bei einem, der tanzt, da dreht sich der Ätherleib, bei einem, der betrun­ken ist, da dreht sich ja der Astralleib. - Man kann also am Leben unterscheiden, an dem, was der Mensch tut, ob es der Ätherleib ist, der das macht, oder der Astralleib.

Sehen Sie, auf solche Sachen geht die heutige Wissenschaft noch nicht ein. Daher kann sie auch die großen Fragen der Zivilisation noch gar nicht beantworten, denn die Leute wissen nicht, wie man die Dinge einrichten muß, damit der Mensch nicht ganz und gar

28

unmenschlich wird. Die Menschheit wird immer tierischer, mit einem heutigen Wort zu sagen, so wie sie ist.

Es muß schon etwas Geistiges in die Menschheit hineinkommen. Und ich bin überzeugt davon, daß diejenigen Menschen, die auf diese Weise die Erde kennen lernen durch die Arbeit, daß sie auch auf der anderen Seite die Sehnsucht haben werden, hineinzukommen in das Geistige, und nach und nach verstehen lernen werden, daß man eben auch das Geistige durchaus pflegen muß, daß das notwendig ist.

Nun, das ist zunächst dasjenige, was ich Ihnen sagen wollte. Wir wollen schon noch einmal von diesen Dingen weiter reden, damit die Sachen allen klar werden.

29

ZWEITER VORTRAG Dornach, 2. Juni 1923

Eigentlich möchte ich heute noch etwas hinzufügen zu dem, was ich das letzte Mal vorgebracht habe. Ich glaube, daß wir immer besser wissen werden, was eigentlich der Mensch im Weltenzusam­menhange ist, wenn wir gerade solche Dinge betrachten, und deshalb also möchte ich Ihnen noch zu dem, was wir das letzte Mal be­sprochen haben, hinzufügen, wie sich die Dinge eigentlich in Wirk­lichkeit verhalten, wenn so etwas über den Menschen kommt, wie zum Beispiel der Graue oder der Schwarze Star im Auge. Das Auge wird dann unbrauchbar. Der Mensch bekommt zunächst den Eindruck, als ob er vor den Augen etwas Flimmerndes hätte. Dann wird es immer undeutlicher und undeutlicher vor den Augen, und er kann dann nicht mehr sehen, was er eben früher gesehen hat.

Worauf beruht nun diese Starkrankheit? Diese Starkrankheit des Auges beruht darauf, daß etwas im Auge, das durchsichtig sein muß, durchsichtig wie Glas, undurchsichtig wird. Wenn Sie statt des durchsichtigen Glases am Fenster irgendein undurchsichtiges Papier haben oder einen Pappendeckel, so können Sie nicht mehr durch­sehen. So ist es auch beim starkranken Auge. Da ist etwas, was durchsichtig sein sollte, undurchsichtig geworden.

Machen wir uns das ganz klar. Ich habe Ihnen ja das Auge öfter aufgezeichnet. Es wächst so heraus aus dem Gehirn (es wird ge­zeichnet), aus dem Schädel. Das wäre von der Seite angeschaut zu denken. Es ist vorne etwas mit einem Vorsprung versehen, und da drinnen im Auge breiten sich die Blutadern, breitet sich der Seh­nerv aus. Da kommen also Blutadern und Sehnerv zusammen.

Dann ist aber noch etwas im Auge, was eine Art Muskelansatz ist. Dieser Muskelansatz trägt hier dasjenige, was man die Linse nennt. Also im Auge drinnen wird vom Muskel ein ganz kleiner durchsichtiger, linsenförmiger Körper getragen. Wenn Sie sich eine kleine Linse denken, die aber durchsichtig wäre, so ist diese gerade wie die im Auge drinnen. Und durch diese Linse muß man quer durchsehen.

30

#Bild s. 30

Von vorne angesehen, sieht ja diese Linse so aus (es wird ge­zeichnet), und man muß da durchsehen können. Schon daraus sehen Sie, daß es sich darum handelt, daß wir ein durchsichtiges Auge haben müssen, wenn wir sehen sollen. Das Auge muß durchsichtig sein. Nicht wahr, wenn man sich das richtig überlegt, wird man sich sagen: Es kann nicht das Auge sein, was sieht, denn das Auge muß sich ja gerade wegtun, sich durchsichtig machen, damit es sehen kann. Wenn Sie diese Fenstergläser zum Beispiel beschmieren, so daß Sie nicht durchsehen können, so sehen Sie nicht mehr hin­aus. Ja, Sie sind es, der da sieht durch die Gläser. Sie können nicht sehen, die Gläser, sondern Sie selbst sehen. Ebenso ist es nicht das Auge, das sieht, sondern es ist etwas im Menschen, das durch das durchsichtige Auge durchsieht.

Nun, was geschieht, wenn der Mensch starkrank wird? Wenn der Mensch starkrank wird, dann wird diese Linse im Auge un­durchsichtig. Sie ist ja sehr klein, diese Linse, aber wenn man sie aus dem Auge heraus hat, ist sie durchsichtig. Eine Linse aber von einem starkranken Menschen ist weiß, milchig, nicht durchsichtig. Also ich müßte dann die schöne durchsichtige Linse des gesunden Auges so zeichnen, und die undurchsichtige Linse, die milchig und undurchsichtig geworden ist, die müßte ich so zeichnen.

31

Es kommt einem ja bei diesen Dingen immer zugute, daß der menschliche Körper in seinen einzelnen Teilen elastisch ist, in vieler Beziehung elastisch ist. Wenn Sie also ein starkrankes Auge haben und Sie schneiden in einer gewissen Richtung da hinein, dann macht dieser Muskel hier seine Elastizität geltend, und die Linse, die sonst gehalten wird von dem Muskel, springt heraus, wenn Sie hier ein Loch machen. Also denken Sie sich, Sie haben ein starkrankes Auge. Sie schneiden in einer gewissen Weise hinein. Die Operationen sind verhältnismäßig sehr einfach, weil ihnen überall der Körper zu Hilfe kommt. Die Linse springt heraus. Da haben Sie sie in der Hand, legen sie in das Präparierglas, die undurchsichtig gewordene Linse. Nun kann der Mensch erst recht nicht sehen, wenn er die Linse aus dem Auge draußen hat, denn er braucht die Linse zum Sehen. Ich werde Ihnen gleich zeigen, warum.

Wenn man also einen Menschen in dieser Weise operiert hat, daß man ihm die Linse herausgenommen hat, dann wird es wieder hell um ihn, während er früher gar nichts gesehen hat. Er kann zwar schon hinaussehen, aber er wird, wenn er jetzt operiert und die Linse herausgenommen ist, nur ganz weit entfernte Gegenstände sehen. Die Sehkraft reicht wiederum nicht aus. Also wir haben ein unbrauchbares Auge bekommen. Die Sehkraft reicht nicht so weit, daß wir das, was wir zum Beispiel hier bei dem Harmonium liegen sehen, noch sehen könnten. Das Auge ist unbrauchbar geworden.

Jetzt gibt man einem solchen Menschen, den man in dieser Weise operiert hat, eine Brille. Sehen Sie, das ist nämlich eine künstliche Linse. Früher hat er die Linse im Auge drinnen gehabt und jetzt hat er eine künstliche Linse. Jetzt werden durch die künstliche Linse seine Sehstrahlen, die vorher, als die Linse herausgenommen war, so gingen, daß er nur ganz weit gesehen hätte, so gemacht, daß er wiederum in der Nähe sehen kann. Das bewirkt also dieses Glas, das er vor den Augen hat. Man kann also die Linse, die er drinnen im Auge hatte, ersetzen durch ein durchsichtiges Glas. Natürlich ist es unvollkommener, weil es nicht lebt. Die Linse im Auge lebt, die kann man bewegen, und das hat natürlich seine Vorteile. Aber jedenfalls, für den Notfall kann man sehen, wenn man einfach die

32

undurchsichtig gewordene Linse herausuimmt und durch die Glas-brille ersetzt, durch die Starbrille. Der Mensch sieht wiederum.

Auf diese Weise ist man imstande, genau gewahr zu werden, wie eigentlich die Sache mit dem Sehen liegt: daß man im Auge einen Apparat, ein Werkzeug zum Sehen hat, denn man kann sogar ein Stückchen vom Auge, wie wir gesehen haben, durch ein äußeres Werkzeug ersetzen, durch die Starbrille. Daß die lebendige Brille, also die Linse, einen Vorzug hat vor dieser Starbrille, diesem Er­satz, das mag Ihnen daraus hervorgehen, daß man die Linse, die so ist (es wird gezeichnet), wenn man etwas ganz weit Entferntes sehen will, ein bißchen dünner machen muß. Dann sieht man etwas weit Entferntes. Wenn also ein Jäger anschlägt und etwas weiter schießen will, dann muß er seine Linse dünner machen. Das macht der Mus­kel, der hier sitzt (auf die Zeichnung deutend); der macht sie dün­ner. Wenn man etwas ganz in der Nähe sehen will, in der Nähe lesen will, so muß man die Linse dicker machen. Das macht wieder­um der Muskel. Das kann man mit der Starbrille natürlich nicht, denn sonst müßte man immer eine andere aufsetzen. Das tut man auch zuweilen. Es gibt heute schon durchaus Menschen, die zweierlei Brillen haben müssen, für Nähe und für Ferne. Aber weil die Linse im Auge etwas Lebendiges ist, kann man sie innerlich richten und nah und fern sehen.

Jetzt können Sie auch einsehen, warum, wenn ich die Linse her­ausgenommen habe, nur ferne Gegenstände gesehen werden können, denn es ist, wie wenn ich die Linse ganz flach gemacht hätte, wenn ich sie herausgenommen habe. Da sehe ich dann wieder Dinge, die ganz weit weg sind. Da reicht aber dann wiederum die Sehkraft nicht aus.

Hinter der Linse ist noch ein ganz schleimartiger Körper, der soge­nannte Glaskörper. Der kann auch undurchsichtig werden. Wenn der undurchsichtig geworden ist, kann man nicht operieren, denn den kann man nicht auf irgendeine Weise ersetzen.

Wenn man von außen ins Auge hineinsieht, so ist es schwarz. Da ist eben die Linse, hinter dieser schwarzen Pupille. Und schwarz ist es deshalb, weil man nämlich auf den Hintergrund des Auges

33

sieht. Da schaut man durch die ganze Linse und durch alles das (den Glaskörper) durch.

Jetzt aber müssen wir uns fragen: Was geschieht denn da eigent­lich, wenn die Linse undurchsichtig wird? - Stellen Sie sich doch ein­mal das Glas vor. Wenn das Glas durchsichtig ist, geht das Licht durch. Wenn Sie etwas Undurchsichtiges haben, so bedeutet es, daß das Licht nicht durchgeht, daß das Licht aufgehalten wird. Nun, beim Auge ist es so, daß bei der Linse Licht hinein- und hinaus­gehen muß. Sehen Sie, das Licht, das gehört zum Äther. Das gehört nicht zu der Materie, zu dem Stoff der Schwere, der außen ist, son­dern das Licht gehört zum Äther.

Nun habe ich Ihnen gesagt: Der Mensch hat außer seinem phy­sischen Leib auch noch einen Ätherleib. Und was bedeutet das, daß die Linse durchsichtig ist? Das bedeutet, daß der Ätherleib des Men­schen, der überall hindurchgeht - ich zeichne ihn jetzt rot -, durch die Linse einfach hindurch kann. Wenn die Linse schön durchsich­tig ist, so kann der Ätherleib durch die Linse durch. Das heißt, der Mensch hat dann an der Stelle, wo die Linse ist, ein Stückchen Ätherleib. Wenn die Linse undurchsichtig wird, so ist es deshalb, weil der Stoff in der Linse sich zusammenschoppt. Wenn sich Salz oder so etwas absetzt in der Linse, dann wird sie undurchsichtig. Es ist geradeso, wie wenn Sie in einem Glas Wasser Salz aufgelöst haben. Solange das Salz aufgelöst ist, haben Sie eine fast durchsich­tige Salzlösung. Wenn sich das Salz da unten absetzt (es wird ge­zeichnet), dann wird es da unten undurchsichtig. Das heißt, der Stoff läßt das Licht nicht durch. So wird, wenn sich salzige Teile absetzen, die Linse undurchsichtig. Im Alter setzen sich solche sal­zigen Teile ab. Da werden die durchsichtigen Glieder des Menschen undurchsichtig.

Es kann also bei einem starkranken Menschen die durchsichtige Linse undurchsichtig werden. Was ist die Folge davon? Die Folge ist, daß in die undurchsichtige Linse der Ätherleib des Menschen nicht mehr herein kann. Jetzt ist da ein kleines Löchelchen. Der Mensch hat überall seinen Ätherleib, und wenn er gesund ist, fühlt dieser Ätherleib alles aus. Wenn die Linse krank wird, undurchsichtig

34

wird, dann kann der Ätherleib an dem Platz nicht hinein, wo die Linse ist. Nun haben Sie an dem Platz, wo die Linse ist, keinen Ätherleib. Wenn wir fragen, worin die Starkrankheit be­steht, so müssen wir also sagen, sie besteht darin, daß der Mensch an dem Platz, wo die Linse undurchsichtig geworden ist im Auge, keinen Ätherleib hat.

Aber mit dem Ätherleib allein kann man nämlich noch nicht sehen. Wenn man mit dem Ätherleib sehen könnte, würde man ja in der Nacht immer sehen, denn man hat in der Nacht im Bett ja auch den Ätherleib, es ist nur der astralische Leib heraußen. Man sieht also nicht mit dem Ätherleib. Man sieht mit der Seele. Aber man braucht den Ätherleib zum Sehen. Der astralische Leib, der ist auch noch da - er ist das Dritte, was der Mensch hat -, der fühlt wiederum alles aus. Wenn nun dieser astralische Leib an der Stelle hier, wo kein Ätherleib ist, sehen will, so kann er nicht, weil eben an der Stelle der Ätherleib fehlt. Und so können wir sagen:

Wodurch geschieht so etwas, daß wir sehen? Dadurch, daß unser astralischer Leib in unserem Ätherleib drinnen ist. - Wenn aber an einer Stelle der Ätherleib ausgeschaltet ist, weggeschoben ist da­durch, daß die Linse, das Auge undurchsichtig ist, können wir nicht sehen. Da kann der Astralleib nicht sehen. Ist das verständlich?

Es wird bestätigt: Ja!

Dadurch also wird unser astralischer Leib befähigt zum Sehen, daß an der Stelle, wo eben die Linse ist, wo es am notwendigsten ist, der Ätherleib überhaupt hinein kann. Wenn man also so etwas, wie es die Starkrankheit ist, richtig versteht, so kann man daran sehen, wie der Mensch einen Ätherleib und einen Astralleib hat.

Wenn der Mensch im Anfange einer Starkrankheit steht, so kann man sagen: Diese Starkrankheit kommt davon her, daß die im Auge, in der Linse abgelagerten Salze den Ätherleib nicht hineinlassen ins Auge. - Nun müßte man etwas tun, um diese Linse durchsichtig zu machen. Wenn die Sache schon fortgeschritten ist, wenn die Linse schon ganz durchsetzt ist von Salzen, also undurchsichtig ge­worden ist, dann kann man nichts anderes mehr machen, als sie herausoperieren und sie eben durch eine Starbrille ersetzen. Aber

35

nun ist die Sache doch so, daß man, wenn die Starkrankheit ganz im Anfange ist, eben auch noch etwas anderes tun kann. Und daran gerade will ich Ihnen nun zeigen, wie der Mensch mit seiner Um­gebung zusammenhängt.

Nehmen Sie an, Sie haben hier die Erde. Aus dieser Erde wachsen Pflanzen heraus. Sehen Sie, solch eine Pflanze hat natürlich einen physischen Leib. Wir können ihn angreifen, ihn anschauen. Aber diese Pflanze hat auch einen Ätherleib, denn sie lebt, und alles, was lebt, hat einen Ätherleib. Wenn die Pflanze keinen Ätherleib hätte, wäre sie ein Stein. Sie hat einen Ätherleib, sie lebt. Aber die Pflanze kann nicht empfinden, nicht fühlen. Sie hat keinen astralischen Leib. Aber überall in der Umgebung der Erde ist dasjenige, was astralische Substanz ist. Überall ist das Astralische. Wir haben einen Astralleib in uns, aber auch überall in der Umgebung der Erde ist das Astralische. Ich will Ihnen sagen, wie man darauf kommen kann, daß das Astralische überall ist. Da werden wir eine recht entlegene Tatsache, die scheinbar zu dem nicht hinzugehört, heranziehen müssen.

Sie wissen ja alle, daß feuerspeiende Berge ab und zu, nun ja, eben ins Speien kommen, wie man sagt, daß glühende Massen her-ausfliegen. Ich will Ihnen einmal solch einen feuerspeienden Berg beschreiben. Da ist zunächst unten der Boden, mit einem gewöhn­lichen Gestein ausgefüllt. Also wenn wir den Vesuv zum Beispiel, der in Italien, bei Neapel ist, betrachten, so ist der Boden dort, der Grund-Boden, aus apenninischem Gestein bestehend, wie man es nennt. Wir haben also unten das gewöhnliche Gestein, das sonst auch ringsherum in der betreffenden Gegend ist. Dann aber schich­ten sich da etwas andere Schichten auf. Es schichtet sich so auf (es wird gezeichnet). An der Stelle, wo zum Beispiel der Vesuv aus-bricht, da ist eine Erdspalte. Und wenn nun ein Ausbruch des Vesuvs ist, so kommen aus dieser Erdspalte heraus zunächst Aschen­bestandteile mit Wasser; dann kommen bombenartige Gesteine her­aus. Das alles wird ja an die Oberfläche geschleudert. Das ist zu­weilen flüssig, zuweilen bombenartig. Dann rinnt das herunter, rinnt weiter. Überall da kommen dann diese bombenartigen Gesteine, dazwischen

36

wieder ein Regen, der mit Schlamm untermischt ist. Das alles türmt dann einen solchen Berg erst auf, macht einen solchen Berg. Da wird also aus dem Innern der Erde zuerst heißes Wasser, das mit Asche vermischt ist, herausgeschleudert. Das gibt, wenn es herausrinnt, eine sehr zähe Masse, einen sehr zähen Schlamm. Dann, etwas später, kommen diese bombenartigen Brocken heraufgesaust, die da überall herumgeschleudert werden. Auf diese Weise werden solche feuerspeienden Berge aufgeworfen.

#Bild s. 36

Nun möchte ich Ihnen erzählen, wie sich die Wissenschaft ge­wöhnlich einer solchen Erscheinung gegenüber, wie den feuer­speienden Bergen, benimmt. Die Wissenschaft sagt: Ja, da stürmt alles mögliche, was unter der Erde ist, heraus. Die feuerspeienden Berge, die sind in der Regel in der Nähe von Wasser. - Gewiß, das ist auch wahr. Mitten im Land sind wenig feuerspeiende Berge, sie sind in der Regel in der Nähe vom Ufer, vom Wasser. - Da könnte also, weil ja da ohnehin ein Erdspalt ist, das Wasser hineindringen, und das Wasser, das wird da drinnen dann durch die im Innern der Erde befindliche Hitze siedend. Und das stößt dann alles das,

37

was da unten an Stoffen ist, heraus. - So sagt nun zunächst einer der Gelehrten, schreibt darüber ein Buch und hat auf diese Weise die Entstehung der feuerspeienden Berge, wie man sagt, erklärt.

Jetzt kommt ein anderer und sagt: Ja, aber wir haben Gründe, anzunehmen, daß diese Spalten gar nicht so weit ausgedehnt sind, daß da das Wasser hereinkann. Wir können nicht annehmen, daß das Wasser, wenn die feuerspeienden Berge auch am Wasser liegen, durch diese Rinnen in der Erde da hereinkann. Also wird es nicht ganz richtig sein, was der erste Gelehrte gesagt hat. Man muß auf eine andere Weise die Sache erklären.

Nun, da kommt der und sagt: Ja, im Innern der Erde, da ist die Sache nicht so wie draußen, sondern im Innern der Erde sind die Metalle flüssig. Wie das Eisen im Schmelzofen, wenn man es bearbeitet, flüs­sig ist, so sind da im Innern der Erde die Metalle flüssig. Da sind flüssige Metalle drinnen. - Nun - Namen finden sich leicht -, diese flüssigen Metalle nennt man Magma. Es ist also da Magma drin­nen - nun schön, flüssige Metalle. Jetzt, wenn dieses flüssige Metall, dieses Magma, an eine Stelle kommt, wo es leichter ausweichen kann - hier ist es ihm überall sonst zu schwer zum Ausweichen -, da weicht es eben aus, da kommt es heraus. - So sagt also der an­dere. Es geschieht dies also, so sagt der andere, durch die Ungleich­mäßigkeiten in der Dichte der Erde. Das Magma, das strahlt nach der einen oder andern Richtung aus.

Nun kommt aber ein Dritter oder ein Vierter, und die sagen: Aber das Magma kann nicht die starke Kraft haben, so mächtig die Born­ben da herauszuschmeißen! Das kann auch nicht die Erklärung sein. - Dann kommen noch ein paar andere, und die sagen wieder etwas anderes. Und dann wird es in die gewöhnlichen Bücher, die für das Volk sind, geschrieben. Da schreibt man dann hinein: Also eigentlich weiß man heute noch nicht die Ursache, wovon die feuer­speienden Berge entstehen. - Das ist so ungefähr heute der Tatbe­stand. Gewöhnlich werden Sie finden: Der eine hat das behauptet, der andere das -, aber man weiß eigentlich nicht, worin die Ursache liegt. Bei den wichtigsten Dingen weiß man nicht, worin die Ursache liegt!

38

Aber nun will ich Ihnen etwas sagen. Die Sache ist diese: Wenn man in die Nähe der Gegend kommt, wo der Vesuv schon ganz nahe ist, in die Nachbarschaft von feuerspeienden Bergen, da gibt es nämlich eine sehr schöne Erscheinung. Wenn Sie ein Stück Papier nehmen und es anzünden, dann fängt plötzlich die Erde zu rauchen an. Sie haben hier die Erde (es wird gezeichnet), zünden ein Stückchen Papier an - das brennt, und es fängt hier überall unter der Papier-flamme die Erde zu rauchen an, ganz von selber, und Sie können nach und nach, während Sie ein großes Stück Papier verbrennen, ganz von dem aufsteigenden Rauch umgeben werden. Das ist natür­lich eine sehr schöne Erscheinung. Den Leuten, die in Italien reisen, zeigen die Fremdenführer immer, wie der Rauch aus der Erde her­auskommt, wenn man bloß ein Stückchen Papier anzündet.

#Bild s. 38

Nun, was bedeutet denn das überhaupt? Ja, sehen Sie: An der Stelle da drinnen, da ist eine gewisse Ansammlung von Wasser-dämpfen. Da in der Erde - an der Stelle, wo dann dieser Dampf her­auskommt -, da ist er drinnen angesammelt. Der kann nun nicht heraus, wenn die Luft da drüber eine bestimmte Dichte hat. Die Luft hält diese Dämpfe da drinnen. Nun wissen Sie alle: Wenn man die Luft wärmer macht, wird sie dünner. Wenn Sie im Zimmer zum Beispiel einheizen, wird die Luft auch dünner. Die warmere Luft ist immer dünner als die kalte Luft. Wenn Sie also hier an­zünden, so wird die Luft dünner. Die dünnere Luft kann dann den Dampf nicht mehr unten halten, und da strömt er heraus. Natürlich

39

muß er erst unten sein. Es muß etwas unten sein, das herausströmen kann. Ja, aber denken Sie, was Sie da gemacht haben! Sie sind nicht unten gewesen und haben den Dampf hinaufgeblasen. Das haben Sie nicht gemacht, sondern Sie haben von außen den Dampf heraus­gelockt, indem Sie ein Stück Papier angezündet haben. Also wenn Sie hier oben über der Erde etwas anzünden, können Sie den Dampf herauslocken. Weil Sie die Luft dünner machen, locken Sie den Dampf heraus.

#Bild s. 39

Die gelehrten Herren suchen nun fortwährend die Ursachen da­für, daß da Wasserdämpfe aus dem Vulkan herauskommen, daß da sogar Bomben herausfliegen, unter der Erde. Aber da sind sie näm­lich gar nicht, geradesowenig wie die Ursachen des Herausdringens des Wasserdampfes, wenn Sie ein Papier anzünden, unter der Erde sind, sondern die Ursachen sind draußen, außerhalb der Erde.

Sie müssen eben die Dinge, die Tatsachen sind, in der richtigen Weise verstehen können, dann kommen Sie auf die Sachen drauf. Also geradesowenig wie Sie hier drinnen sind und den Dampf aus der Erde heraufblasen, sondern ihn herauslocken durch die dünne, erwärmte Luft, ebenso lockt hier etwas das alles, was da drunten ist, heraus. Wenn man da draußen ein Papier anzünden würde, so würden die neugierigen Engländer, die in Neapel in der Nähe des Vesuvs Papier anzünden, nicht nur in Rauch eingehüllt werden, son­dern auch allerlei Steine auf die Nase kriegen! Das kriegt man da am Boden nicht, sondern da wird nur die Luft verdünnt und der Dampf steigt auf. Hier aber über dem Vesuv, wenn er anfängt zu speien, auszubrechen, dann wird über ihm alles das verdünnt, was

40

an Astralischem über ihm liegt. Und dieses Astralische, das wird verdünnt durch weit draußen liegende Kräfte der Sterne, der Pla­neten. Wenn also eine bestimmte Sternkonstellation über dem Vesuv ist, wie sie oft ist - sie kommt sonst nicht so vor, sie kommt ge­rade an der Stelle vor -, da wird, geradeso wie hier durch das Papier, hier durch die Sternkonstellation, weil das Astralische oben verdünnt wird, das, was unten ist, herausgerissen.

Also Sie zeigen einen kleinen Vesuvausbruch, wenn Sie da die Schwefeldünste - es ist nicht nur Wasser-, sondern auch Schwefel­dampf - heraufbekommen. Man nennt das Solfatare. So ist überall da, wo diese mächtigen Viilkanausbrüche stattfinden, nicht das tätig, was da drunten ist, sondern das, was draußen ist, was gerade von den Sternkonstellationen herkommt.

Natürlich, bei solchen Dingen kommt manchmal auch ein bißchen, wie soll ich sagen, Gschaftlhuberei, Wichtigtuerei vor. So ist ja einer einmal darauf gekommen, daß gewisse solche Sachen von den Sternkonstellationen, von der Stellung zum Beispiel von Sonne und Mond kommen. Das war der Falb. Vielleicht haben die Älteren von Ihnen schon etwas gehört von der berühm­ten Falbschen Theorie. Falb hat nicht bloß gesagt, daß zum Beispiel die Erdbeben, sondern daß auch die Vulkanausbrüche von den Sternkonstellationen kommen. Das war schon richtig. Aber er war auch ein furchtbar eitler Mensch, der ganz gern wichtig getan hat mit der Sache.

Nun ist er noch auf etwas anderes draufgekommen, was auch wichtig ist. Sie wissen ja, in Bergwerken sind eine furchtbare Plage die sogenannten schlagenden Wetter. Da geschieht etwas in den Bergwerken, weil sich die Gase entzünden, weil sie mächtig das Was­ser durchströmen. Nun hat Falb gesagt: Auch dieses Besondere der Gase kommt nicht vom Unterirdischen der Erde, sondern zum Bei­spiel von der Stellung von Sonne und Mond. - Und der Falb hat nach diesem, was er sich da ausgedacht hat, sogar Prophezeiungen von Erdbeben und von schlagenden Wettern in Bergwerken zusam­mengestellt. Nun, das hat oftmals nicht gestimmt, manchmal auch gestimmt. Die Dinge sind natürlich so, daß bei natürlichen Ereig­nissen

41

oftmals Unvorhergesehenes eintritt. Dann stimmt die Ge­schichte nicht. Aber Falb hat dann so einen Kalender herausge­geben durch das Jahr. Da hat er die sogenannten kritischen Tage angegeben. Wenn besondere Sternkonstellationen, Konstellation von Sonne und Mond da waren, da hat er gesagt: An dem Tage müssen da schlagende Wetter sein -, oder: Es muß ein Erdbeben kommen.

Ich war einmal - es ist jetzt schon lange her, viel mehr als dreißig Jahre - bei Falb in einem Vortrag. Da hat der Falb, der ein großer, schlanker Mensch war, überzeugend seine Theorien vorgetragen. Er hat nichts gewußt vom Astralischen, sondern er hat geglaubt, das komme nur von dieser Wärmeverdünnung, wie da die Wärme ver­dünnt wird und wie heraufgelockt werden, wie eben bei solchen Solfataren, entweder die Massen oder die Gase von Bergwerken bei schlagenden Wettern oder so etwas. Nun war das ein großer Saal. Der Falb stand da oben. Er hat das erklärt, fein erklärt. Es war viel Richtiges in seiner Erklärung. Plötzlich, wie er mitten in seiner Erklärung drinnen ist und sagt: Also da wird durch eine bestimmte Stellung von Sonne und Mond eine Veränderung in der Luft hervor­gerufen, schlagende Wetter müssen sich bilden, sie werden heraus­gelockt - bums, klopft es an der Türe. Es kommt ein Zeitungsjunge herein von der «Neuen Freien Presse», bringt ein Telegramm, reicht es hin auf den Vortragstisch. Der Falb ist eben nicht fein, sagt:

Es muß was Wichtiges sein! - macht es während des Vortrags auf, das Telegramm, liest: In dem und dem Bergwerk sind soeben grosse schlagende Wetter geschehen. - Der Falb hatte das prophezeit ge­habt und hatte sich mit der «Neuen Freien Presse» in Verbindung gesetzt: Wenn da etwas kommt, schickt mir es in den Vortragssaal herein! - Falb hat öfters mit solchen Dingen gearbeitet, er war eben etwas eitel. Aber geschehen ist es eben doch, meine Herren. Gerade als Falb erklärt hatte, jetzt muß wieder etwas kommen wie eine Art schlagende Wetter, bringt ihm der Zeitungsjunge das Tele­gramm. Und er sagte noch: Sehen Sie, meine Damen und Herren, so werden einem die Beweise auf den Tisch hin geliefert!

Nun ja, das war natürlich eine Wichtigtuerei. Aber in solchen Dingen steckte gerade bei Falb etwas außerordentlich Wahres wiederum.

42

Die Sache ist schon so, daß man sagen muß: Auch diese dicken, schweren Massen werden nicht von unten durch Stöße herausgeworfen, wie es die Gelehrten immer sagen, sondern heraus­gelockt von oben, durch die Stellung der Sterne. Nur, möchte ich sagen, wenn da bei dem brennenden Papier der Dampf heraufsteigt und man ist ganz in diesem Dampf drinnen, da ist die Luft ein biß­chen verdünnt. So stark verdünnt, daß die festen Massen hinauf-geschleudert werden können, kann es natürlich von der bloßen Luft nicht werden; da muß schon der Äther verdünnt werden und dann noch das Astralische. Dadurch kommen wir darauf, wenn wir rich­tige Erklärungen haben für unsere feuerspeienden Berge, daß unsere Erde überall nicht nur von der Erdensubstanz, sondern auch vom Astralischen eingehüllt ist. Die heutige Wissenschaft hat eben keine Courage, solche Dinge wirklich sachgemäß zu erklären. Sie hat keine Courage!

Wir müssen uns also, wenn wir uns die Erde vorstellen, diese Erde überall umgeben denken erstens vom Äther, dann aber auch vom Astralischen. Nun dringt aber auch das Astralische wiederum über­all ein. Aber die Pflanzen nehmen in ihren Leib das Astralische nicht auf, sie haben nur einen Ätherleib. Sie nehmen nur den Äther auf, sie nehmen das Astralische nicht auf. Aber es gibt gewisse Pflanzen, die nehmen das Astralische auf. Das sind die Giftpflan­zen. Und das ist der Unterschied zwischen den nicht-giftigen Pflan­zen und den giftigen Pflanzen: Die nicht-giftigen Pflanzen haben kein Astralisches in sich, und die giftigen Pflanzen haben ein Astra­lisches in sich.

Was bedeutet denn das? Sehen Sie, eine der giftigsten Pflanzen ist ja die Tollkirsche. Wenn Sie eine Tollkirsche haben, so ist die Toll­kirsche dadurch so schwarz, wie Sie sie haben, daß eben in sie das Astralische aufgenommen wird. Also die Tollkirsche nimmt das Astralische auf. Dadurch aber, daß die Tollkirsche das Astralische aufnimmt, zerstört sie sich in Wirklichkeit ganz. Sie hat die Kraft in sich, immerfort die physische Materie zu zerstören. Die Toll­kirsche ist im Innern ganz scharf, sie will immer die physische Ma­terie zerstören. Wenn wir daher eine Tollkirsche essen, so fängt der

43

Tollkirschensaft, sobald er in uns ist, gleich an, unsere innere Ma­terie zu zerstören. Da müssen wir unter der Tollkirsche zugrunde gehen. Die Tollkirsche hat innerlich die Kraft, die physische Ma­terie zu zerstören.

Denken Sie, wir bringen nun in der richtigen Weise, indem wir ihn einimpfen, ganz verdünnten, richtig verdünnten Tollkirschen-saft ins Blut des Menschen. Dann können wir, wenn die Linse an­fängt, Salze abzusetzen, dunkel zu werden, gerade durch den Toll­kirschensaft, wenn er richtig verdünnt ist, so dünn geworden ist, daß er keine Giftwirkung mehr hat, diese Starkrankheit bekämpfen, das­jenige zerstreuen, was als Absatz entstanden ist. Ich habe Ihnen hier (auf der Zeichnung) den Satz gezeichnet. Wenn wir also den Zerstö­rungssaft der Tollkirsche, der überall alles andere auseinandertreibt, durch eine richtige Impfung hierhergebracht haben auf die Linse, dann treibt die Impfung auch die Salze auseinander, die sich dort abgelagert haben, und die Linse kann unter Umständen geheilt werden.

Man kann natürlich, wenn der Star schon zu weit fortgeschritten ist, nicht allzuviel bauen auf diese Geschichte. Aber wenn man bei einem Menschen, bei dem der Star noch nicht so stark fortgeschrit­ten ist, die Sache zur rechten Zeit bemerkt, dann kann man den Star noch bekämpfen, ohne daß man die Linse später herausoperiert.

Daher ist es gewöhnlich nichts, wie es die homöopathischen Ärzte machen. Die geben die verdünnte Tollkirsche ein. Da wirkt es zwar auch, aber nicht sehr stark, die Sache kommt immer wieder zurück. Also auf diese Weise kann man gewöhnlich nichts bewirken. Aber man kann sehr viel bewirken, wenn man es ins Blut einimpft. Das Blut geht dann überallhin, geht auch ins Auge.

Aber daran sehen Sie auch gleich wiederum etwas anderes. Näm­lich Sie sehen dies: Wenn wir viel von der Tollkirsche essen - es genügt natürlich wenig, aber das ist viel in diesem Fall -, wenn wir verhältnismäßig viel von der Tollkirsche essen, so zerstört es uns vom Magen, schön vom Schlund aus unsere physische Materie. Wir können nicht mehr leben. Wenn wir immer mehr und mehr die­sen Töllkirschensaft verdünnen, dann werden dadurch die physischen

44

Teile nicht mehr angegriffen, aber der Tollkirschensaft wird verdaut und greift noch sehr stark den Kopf an. Man kann dann den Toll­kirschensaft dazu verwenden, wenn Menschen ganz nervös gewor­den sind, wenn es ihnen schwummerig geworden ist, sie dadurch wieder zurechtzurücken, daß man ihnen stark verdünnten Toll­kirschensaft zu essen gibt, der das, was sich da abgelagert hat, her­austreibt. Aber wenn man ihn so dünn nimmt, daß er auch den Kopf nicht mehr angreift, so wirkt er noch immer auf das Auge. Das Auge ist dasjenige Organ, das empfindlich ist für die dünnsten Mengen von Tollkirsche. Belladonna heißt sie, die Tollkirsche, die Schöne Frau, weil sie so schön schwarzäugig ist. Also das Auge ist für die kleinsten Mengen von Töllkirschensaft noch empfänglich. So ist es merkwürdig, daß unser menschliches Wesen für die ver­schiedenen Stoffe der Umgebung in der verschiedensten Weise emp­fänglich ist. Wie schon gesagt, zu viel Tollkirschensaft zerstört das ganze Auge, aber in der Verdünnung ist das Auge für den Toll­kirschensaft empfänglich. Für andere Säfte sind wieder andere Or­gane empfänglich. So daß für jede Substanz irgend etwas in unserem Leib besonders empfänglich ist und verschiedenes bewirkt.

Nehmen Sie zum Beispiel die menschliche Leber. Ja, da ist es so, daß die menschliche Leber eigentlich furchtbar viel tun muß. Ich habe Ihnen ja gesagt, wie sie ein innerer Beobachter ist. Sie muß furchtbar viel tun bei der Verdauung. Insbesondere muß die Leber im menschlichen Leib einen großen Dienst leisten bei der Verarbei­tung der Fettstoffe. Wenn die Leber nicht richtig arbeiten kann, dann sammelt sich beim Menschen alles das, was er an Fett hat, auf und wandert im Körper in der verschiedensten Weise herum. Es gesche­hen Fettwanderungen, statt daß das Fett in der Leber verarbeitet wird. Das Fett also, das der Mensch zu sich nimmt, das hat wieder­um ein besonderes Verhältnis zur Leber. So wie gute Stoffe ein Ver­hältnis haben zu den Gliedern des menschlichen Körpers, so haben auch Giftstoffe zu allen Gliedern des Menschen ein bestimmtes Ver­hältnis.

Und so können wir sagen: Wir können gewissermaßen die Linse im Auge wiederum hell machen, wenn sie sich verdunkelt hat, dadurch

45

den Astralkörper in dieses Stückchen Mensch wiederum hin­einschicken, wenn wir dem Menschen aus der Umgebung etwas ein­impfen, was das Auge besonders angreift. Das ist also der Tollkir­schensaft in entsprechender Verdünnung. Daraus sehen Sie: Im Toll­kirschensaft haben wir etwas, was gerade im Auge das Astralische wieder heranzieht, und das Astralische zieht dann wiederum das Ätherhafte heran.

Deshalb möchte ich auch sagen: Auch wenn die Tollkirsche drau-ßen wächst, zieht sie das Astralische an. Das Ätherische ist ja schön drinnen, das braucht nicht angezogen zu werden. Wenn man daher diesen feinen Vorgang, der bei der Tollkirschenheilung bei star-kranken Augen geschieht, richtig studieren kann, dann versteht man nämlich auch, was draußen in der Tollkirsche vor sich geht. Das ausgeschlossene Astralische, das wird durch die Tollkirsche herange­zogen. Also zieht der Tollkirschensaft auch aus der Welt das Astra­lische heran. Der Tollkirschensaft ist eine Anziehungskraft für das Astralische. Und wenn wir vergiftet werden mit Tollkirsche, so wird eben zu viel Astralisches in uns hereingezögen, dieses Astralische fängt zu kochen an und dieses Kochen zerstört unser Physisches.

Wenn aber zu viel Physisches zerstört ist - im starkranken Auge ist es dadurch zerstört, daß zu viel abgelagert ist -, dann müssen wir es wieder wegschaffen. Dann könnte man ja hoffen, daß man mit Belladönna, mit Tollkirsche, auch heilen könnte, wenn sonst sich irgendwo Salze oder ähnliche Stoffe im Körper ablagern. Wenn der Mensch zum Beispiel Gallensteine oder Harnsteine bekommt, so lagert sich ja auch etwas Festes ab, was eigentlich nicht sein sollte. Dann müßte man hoffen, daß, wenn man das in der Linse im star-kranken Auge mit Belladonna heilen kann, man auch die Gallen­steine und die Blasensteine mit Belladonna heilen könnte. Das kann man auch, wenn man die Sache nur richtig verwendet. Das kann man!

So kann man sehen, daß die Sachen alle zusammenstimmen, und wenn man die Natur richtig versteht, kann man auch den Men­schen richtig verstehen. Nun sind wir von dieser Seite wieder auf den Äther- und Astralleib gekommen, wie wir das letzte Mal beim

46

Herumdrehen auf den Äther- und Astralleib gekommen sind. Man kommt, wenn man die Dinge einfach richtig betrachtet, überall auf diese übersinnlichen Glieder des Menschen. Die Sachen sind wirklich nicht ausgedacht, sondern sind aus einer Wissenschaft heraus, die eben überall weiter geht als die gewöhnliche Wissenschaft.

Am nächsten Mittwoch werden wir, wenn Sie nicht Fragen vor­bereiten, über diese Sachen weiter reden.

47

DRITTER VORTRAG Dornach, 6. Juni 1923

Guten Morgen, meine Herren! Will jemand noch eine Frage stellen?

Es wird eine Frage gestellt in bezug auf den Grauen Star. Der Fragesteller sagt, daß er im Jahre 1916 in Basel im Spital war wegen einer Irisentzündung, und da habe er Einspritzungen bekommen. Nun möchte er fragen, ob diese Ein­spritzungen nicht schädlich gewirkt haben könnten.

Dr. Steiner: Haben Sie denn etwas bemerkt an sich? Daran ist natürlich nicht zu denken, daß durch diese Einspritzungen etwa eine Starkrankheit gefördert werden könnte. Diese sogenannten Fliegen, diese Erscheinungen, von denen Sie sprechen, die müssen nicht hindeuten auf irgendeine Starkrankheit, sondern die kommen von etwas anderem. Nicht wahr, die Einspritzungen, die haben die Eigentüm­lichkeit, daß sie zuweilen die Muskeln, die in der Nähe sind, etwas schwächer machen, und dann kann man nicht mehr so frei die Mus­keln entfalten; das Auge wird ein bißchen starr. Wenn man nun das Auge auf etwas einstellt, stellt es sich nicht gleich richtig ein, und dadurch kommen diese «Mücken und Fliegen» heraus. Also es rührt dies oftmals nur her, ich möchte sagen, von einer kleinen Schwäche in der Einstellung. Warum haben Sie denn die Iriseinspritzungen bekommen?

Fragesteller: Man dachte, es sei der Glaskörper.

Dr. Steiner: Es ist ja so, daß man immer besser tut, solche Dinge durch andere Mittel zu bekämpfen, also so lange es geht, durch innere Mittel. Manche Dinge kann man nicht durch innere Mittel bekämpfen; dann versucht man zu impfen. Aber eine Sorge brauchen Sie deshalb doch nicht zu haben. Das ist nicht nötig.

Ist vielleicht noch eine andere Frage aufzuwerfen, die wir beant­worten können?

Fragesteller: Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das Drehen. Mir und auch meinen Kollegen ist aufgefallen, wenn wir auf das Herz zu sprechen kommen, daß da einige Unklarheit ist. Ich habe darüber nachgedacht, wie Herr Doktor uns einmal aufgezeichnet hat, wie die Erde mit dem Mond zusammen-hängt und das Fluidum - ich weiß nicht, ob ich mich richtig ausdrücke -,

48

die Sonne drum herum ist. Das Herz ist auf der linken Seite im Körper. Ich möchte nun fragen, ob das Herz eigentlich auch mit diesem ganzen Weltge-triebe zusammenhängt?

Dr. Steiner: Da müssen wir an Verschiedenes erinnern, was wir auch schon besprochen haben. Ich habe einmal gesagt: Über das Herz hat man heute in der Wissenschaft überhaupt falsche Ansichten. Man denkt sich, das Herz sei eine Art von Pumpe, und das Herz pumpe das Blut überall hin in den Körper. Man denkt sich also: Das Herz zieht sich zusammen. Wenn sich das Herz zusammenzieht, wird es kleiner, hält weniger Blut in sich. Dadurch stößt es das Blut durch die Adern aus, es wird in den Körper gestoßen, und weil das Herz elastisch ist, denkt man, dehnt es sich wiederum aus. Dadurch kommt das Blut wiederum zurück. - Also man schreibt heute dem Herzen zu, daß es sich wie eine Pumpe verhält, daß es also das Blut durch den Körper hindurchpumpt.

Sehen Sie, das ist eine ganz falsche Ansicht. Es ist überhaupt eine Ansicht, die nur aus der materialistischen Zeit stammt, die also alles zurückführt auf das Maschinelle, wenn man meint, das Herz soll eine richtige Pumpeinrichtung sein, die das Blut durch den ganzen Körper pumpt. Dabei nimmt man gar keine Rücksicht darauf, daß eigentlich das ganze Leben in einem lebendigen Wechsel vor sich geht. Jch möchte Sie dabei auf eines aufmerksam machen.

Es gibt ein ganz kleines, niederes Tierchen, das besteht eigentlich nur aus einer Art von Schlauch. Wenn ich dieses Tierchen aufzeich­nen wollte, so müßte ich es etwa so aufzeichnen (es wird gezeichnet):

Da wäre eine Haut. Solch ein Schlauch ist das Tier. Da drinnen wäre es hohl, und da ist es einfach wie ein kleiner Hafen, ein kleiner Napf. Da hat es noch kleine Härchen, Wimpern, mit denen es sich bewegen kann. Es lebt im Wasser, dieses Tierchen. Hydra heißt es, weil es im Wasser lebt. Dieses Tierchen, Hydra, hat die Eigentüm-lichkeit, daß es eigentlich, wenn man es mit höheren Tieren oder mit dem Menschen vergleicht, nur ein bloßer Magen ist. Dieser Schlauch tut nichts anderes, als daß er allerlei Körnchen, also allerlei Nah­rungsmittel, die in seine Nähe kommen, aufnimmt und da drinnen verdaut. Es lebt im Wasser. Im Wasser schwimmen allerlei Nahrungsstoffe

49

um das Tierchen herum. Es schwimmt an die Nahrungs­stoffe heran, nimmt diese Nahrungsstoffe auf, macht es also geradeso, wie unser Magen. Der nimmt auch auf. Den Schlund, den Mund, der die Nahrungsstoffe vorbereitet, den hat natürlich dieses kleine Tier­chen, die Hydra, nicht. Die Hydra nimmt einfach diese Nahrungs­mittel auf und verdaut sie. Das Eigentümliche ist allerdings dies, daß es das Abscheidungsorgan, den After, mit dem Mund zugleich hat. Es sondert auch gleich wieder durch den Mund ab. Es ist alles beisammen bei diesem Tierchen.

#Bild s. 49

Nun ist es ja natürlich: Wenn etwas überhaupt ein lebendes We­sen, namentlich ein Tierchen sein will, so muß es nicht nur essen -essen muß es -, aber es muß auch atmen. Und dieses Tierchen, das atmet mit der Außenseite seiner Haut. Da überall sind ganz kleine Löchelchen. Die sind ja überall, wo organischer Stoff ist, lebendiger Stoff ist, diese Löchelchen. Und durch diese Löchelchen saugt es aus dem Wasser die Luft ein, die es braucht. Also man kann sagen: Dieses Tierchen, die Hydra, hat eine Innenseite, einen Hohlraum, mit dem es frißt. Außerlich, an seiner Außenseite, hat es seine At­mungsorgane. Das Tier zieht also die Luft ein, und die Luft kommt auch da in der Mitte herein in diesen hohlen Raum. - Das Tierchen

50

kann fressen, atmen. Damit beschäftigt es sich überhaupt. Das Tier­chen schwimmt überall im Wasser herum, frißt, und atmet aus dem Wasser die Luft ein, die ja auch im Wasser enthalten ist.

Was wird nun der materialistische Mensch sagen? Der wird sagen:

Nun ja, dieses Tierchen, das besteht einfach aus dieser Haut. Diese Haut, die ist im Innern so gewachsen, daß sie im Innern ein Ernäh­rungsapparat ist, und außen ist sie so, daß sie so ein Atmungsapparat ist. - So sagt der Materialist. Aber wir können nicht so sagen, denn wir müssen das als eine höchst oberflächliche Ansicht betrachten. Nein, dieses Tierchen hat auch einen Ätherleib, in dem es drinnen-steckt, und auch einen Astralleib, in dem es eben auch drinnen-steckt. Das hat es noch, das sind die unsichtbaren Glieder.

Nun, kann man durch irgend etwas beweisen, daß das Tier auch noch etwas Unsichtbares ist außer dem Sichtbaren? Der Materialist sagt: Um das Sichtbare kümmere ich mich, um das Unsichtbare kümmere ich mich nicht. Das Sichtbare, das zeigt mir im Innern eine Art Magen, außen ist das eine Art Lunge, und damit bin ich zufrieden.

Nun kann man etwas Besonderes machen mit diesem Tier. Sehen Sie, unsereiner trägt keine Handschuhe, aber man weiß doch noch, wie das ausschaut. Wenn Sie einen Handschuh haben, so können Sie den umdrehen. Denken Sie sich also meinetwillen, der Handschuh sei außen braun und innen habe er ein graues Futter. Wenn Sie ihn nun umdrehen, so daß das Graue außen ist und das Braune innen, so haben Sie eine richtige Umstülpung. Sie haben ihn ganz richtig umgestülpt, so daß das Innere außen und das Äußere innen ist. Sie können ja einen Fingerling davon abschneiden und das jetzt mit einem einzelnen Fingerling machen. Dann haben Sie nämlich, wenn Sie den Fingerling umdrehen, so etwas wie diese Hydra. Die Hydra schaut so aus wie ein einzelner Fingerling. Und das Merkwürdige ist: So wie man diesen Fingerling umdrehen kann, so daß das Innere außen und das Äußere innen ist, so kann man auch diese Hydra um­drehen. Man kann das machen, kann sie richtig umdrehen. Und dann ist das, was ich hier (in der Zeichnung) rot gezeichnet habe, außen und das, was ich blauviolett gezeichnet habe, das ist jetzt da

51

drinnen. Aber der Hohlraum ist ja jetzt auch da draußen, und was früher draußen war, das ist jetzt drinnen. Und das Merkwürdige dabei ist: Jetzt fängt plötzlich die Hydra an, auch wiederum her­umzuschwimmen. Es macht ihr gar nichts aus. Sie schwimmt wie­derum im Wasser herum, sie frißt und atmet. Sie frißt jetzt geradeso die Körnchen in diesen Hohlraum hinein, der neu entstanden ist, und atmet durch das, was früher die Magenwand war. Also der Hydra macht das gar nichts aus. Es schadet ihr gar nichts. Sie fängt an, mit dem, womit sie früher geatmet hat, zu fressen und mit dem, womit sie früher gefressen hat, zu atmen.

#Bild s. 51

Ja, wenn das so wäre, daß das nur so gewachsen wäre, und da im Innern nur ein Magen wäre und außen Atmungsorgane, da könnte ja die Hydra gar nichts anderes machen, als da innen einzuatmen und von außen anfangen zu fressen. Das tut sie aber nicht, sondern im Moment, wo sie umgedreht wird, macht sie ihren Magen zur Lunge und ihre Lunge zum Magen. Ja, nun möchte ich wissen, wenn sonst nichts da wäre als Magen und Lunge, wie das geschehen wäre! Wenn Sie ein Werkzeug haben, einen Handschuh oder was es ist -den können Sie umdrehen, wenn es etwas Äußeres ist. Wenn es etwas Inneres ist, können Sie es natürlich nicht einfach umdrehen. Also das­jenige, was da als Ätherleib und Astralleib noch drinnen ist, das Unsichtbare,

52

das bleibt. Und weil das da ist, kann einfach der Körper der Hydra umgedreht werden. Also Sie sehen: Betrachtet man nur mit einem klaren Blick dasjenige, was eigentlich in der Natur vor­geht, dann findet man sogleich heraus, daß die materialistische An­sicht absolut falsch sein muß. So daß man sagen kann: Dasjenige, was da eigentlich frißt und was atmet, das ist eben das Unsicht­bare, etwas Unsichtbares. Und weil der Körper der Hydra nicht so fest ist wie bei uns, nicht Knochen und Muskeln hat, sondern alles ein und derselbe Stoff ist, deshalb kann eben die Hydra diesen einen Stoff zu allem brauchen.

Nicht wahr, wir können nur deshalb nicht unsern Magen nach außen drehen, weil er so besonders ausgestaltet ist, weil wir nicht aus einer solchen gleichen Stofflichkeit bestehen wie die Hydra, sondern unsere Stoffe verschieden sind. Aber im Innern muß unser Magen auch atmen, und die Luft, die wir in ihm haben, die zieht er von außen ein. Also unser Magen ist schon eine Art von Hydra.

Aus allen diesen Dingen, zu denen man noch vieles hinzufügen könnte, geht aber hervor, daß man am kleinsten Tier schon nach­weisen kann: Da ist etwas Unsichtbares, was diesem Tier zugrunde liegt. Daraus aber sehen Sie, daß auch, wenn wir davon sprechen, was eigentlich unsern ganzen Menschen bewegt, wir darauf kommen, daß es etwas Unsichtbares ist. Wenn Sie die äußere Bewegung neh­men, wenn wir gehen, da werden Sie gar nicht darauf kommen, daß etwa Ihre große Zehe es ist, die den Schritt macht, sondern da sagen Sie: Ich gehe, mein Wille ist es, der da verursacht, daß ich gehe. - Wenn im Innern die Organe sich bewegen - und sie bewegen sich ja fortwährend, es bewegt sich ja nicht bloß das Herz, es be­wegen sich zum Beispiel die Gedärme fortwährend; die Gedärme bewegen sich in Wellenbewegungen, sonst könnte der Speisebrei nicht verdaut werden, fortwährend geschehen Bewegungen im Innern -, so werden diese Bewegungen nicht hervorgerufen durch dasjenige, was Materielles in uns ist, sondern sie werden hervorgerufen durch dasjenige, was unsichtbar in uns ist. So daß wir sagen müssen: Das Herz ist nicht eine Pumpe, sondern das Herz wird bewegt durch un­sern astralischen Leib. - Also wir haben einen astralischen Leib, und

53

der bewegt das Herz, respektive weil im astralischen Leib auch un­ser eigentliches Ich drinnen ist, bewegen wir auch mit unserem Ich unser Herz, und zwar bewegen wir es jetzt auf eine ganz besondere Weise.

Wenn Sie das Herz anschauen, so liegt es, wie es der Fragesteller ganz richtig gesagt hat, bei einem normalen Menschen etwas an der linken Seite, nicht stark, nicht so stark als man gewöhnlich meint, aber es liegt etwas an der linken Seite. Und dann gehen vom Her­zen hier die großen Adern aus. Die große Schlagader und die andern Adern gehen eigentlich vom Herzen aus.

Nun ist das so: Wenn ich zum Beispiel einatme, da ernähre ich mich gewissermaßen mit dem Sauerstoff. Wenn ich ausatme, gebe ich die Kohlensäure von mir. Wenn ich die Kohlensäure von mir gegeben habe, bekomme ich sogleich Sauerstoffhunger. Ich will wie­der einatmen. Ja, das hat zunächst mit meinem Herzen gar nichts zu tun, sondern mit meinem ganzen Leib. Mein ganzer Leib bekommt den Sauerstoffhunger. Dadurch, daß er den Sauerstoffhunger be­kommt, kommt er in jenen Trieb hinein, all sein Blut zu bewegen, denn das Blut muß Sauerstoff haben. Der Körper schickt durch seinen astralischen Leib das Blut dahin, Wo es den Sauerstoff kriegen kann.

Oder nehmen Sie an, ich gehe oder ich arbeite. Da verbrennt in mir die Nahrung. Das habe ich Ihnen ja schon einmal ausgeführt. Dadurch wird das Blut arm an Nahrung. Wenn man arbeitet, wird immer das Blut arm an Nahrung. Was will jetzt das Blut? Das Blut will wieder Nahrung bekommen. Das Blut reißt gewissermaßen die Nahrung, die der Magen und die Gedärme aufgenommen haben, an sich. Das alles, dieser Lufthunger, Nahrungshunger, das bringt das Blut in Bewegung. Das Blut ist es, das zunächst sich bewegt, und das Blut reißt das Herz mit. Also es ist nicht das Herz, das das Blut durch den Leib pumpt, sondern das Blut bewegt sich durch Luft-hunger, durch Nahrungshunger, und dadurch wird das Herz bewegt. So daß wir also sagen müssen: Unser unsichtbarer Mensch ist es, der das Herz bewegt.

Wenn Sie das jetzt hören, so können Sie eine Frage aufwerfen.

54

Sehen Sie, bei unserer Anthroposophie ist es immer so, daß die Geg­ner meinen, sie machten die Einwände. Die Einwände kennt man aber lange vorher. Die macht man sich nämlich vorher selber. Deshalb mache ich Sie immer auch auf die Einwände aufmerksam. Sie kön­nen einwenden: Ja, wozu haben wir denn das Herz, wenn es nicht das Blut durch den Körper pumpt? Wenn das Blut sich bewegt, brauchten wir vielleicht gar nicht das Herz, das da mitgerissen wer­den soll.

Sehen Sie, das sagen diejenigen Menschen, die keinen rechten Be­griff haben vom ganzen menschlichen Leben. Es ist ein großer Un­terschied zwischen dem menschlichen Kopf und dem übrigen Men­schen. Ich habe Ihnen schon einmal etwas von diesem Unterschied gesagt. Nehmen Sie einmal an, Sie gehen oder Sie arbeiten. Der Kopf arbeitet ja nicht mit. Der Kopf sitzt im übrigen Körper, wie man ungefähr in einer Kutsche sitzt. Da sitzt man ganz ruhig. Die Kutsche muß immer die Räder bewegen, die Rosse müssen ziehen. Aber so müssen unsere Hände, unsere Füße arbeiten, und der Kopf, der sitzt drinnen als derjenige, der nicht mitarbeitet, nicht wahr? Sonst müß­ten wir irgendwie an den Ohrläppchen Seile haben, und mit denen müßten wir die Räder an den Maschinen in Bewegung setzen. Das tun wir nicht. Der Kopf arbeitet nicht mit. Denken Sie sich einmal, man könnte ja nicht einmal mehr am Haarschopf - die meisten Men­schen in der Gegenwart könnten das nicht mehr, weil sie eine Glatze haben - solche Seile anmachen. Das würde dem Menschen sehr schlecht bekommen. Der Kopf arbeitet also eigentlich nicht mit, der sitzt ruhig auf unserm übrigen Organismus. Warum tut er das? Sehen Sie, der Kopf ist eben etwas ganz anderes als der übrige Mensch. Der andere Mensch ist ein Bewegungsapparat. Der Kopf ist nur insofern ein Bewegungsapparat, als er die Bewegungen mitmacht und so weiter; da wirken eben die Bewegungen herauf in unsern Kopf. Aber der Kopf ist nicht dasjenige, was selber die Bewegungen macht.

Der Kopf hat nach außen hin die Sinnesorgane. Da nimmt er das wahr, was draußen ist. Aber der Kopf nimmt auch noch das wahr, nur unbewußt bei den meisten Menschen, was im Innern vorgeht.

55

Wenn ich nach außen gucken will, damit ich weiß, was drau­ßen vorgeht, brauche ich meine Augen. Wenn ich nach innen gucken will, zu der Blutzirkulation, brauche ich mein Herz. Das Herz ist nicht dazu da, daß es das Blut durch den Körper pumpt, sondern es ist ein Sinnesorgan, das alles wahrnimmt, wie der ganze Kopf. Wir könnten nichts wissen von unserer Blutzirkulation - natürlich, mit unserem Oberstübchen wissen wir auch nichts davon, aber im Kopf drinnen muß ein Wissen sein. Unsere ganze Blutzirkulation nimmt der Kopf durch das Herz wahr.

Ich habe Ihnen gesagt, wie die Leber ein Wahmehmungsorgan ist. Die unteren Bewegungen nimmt zum Beispiel die Leber wahr. Aber was der ganze Mensch für Bewegungen hat, nimmt schon das Herz wahr. Dadurch wird das Herz in Bewegung gesetzt. Durch die Bewegungen, die hervorgerufen werden durch Atmungshunger und Nahrungshunger, wird das Herz in Bewegung gesetzt. Und an den Bewegungen des Herzens merkt man, ob im Körper eben etwas in Ordnung oder in Unordnung ist.

Sie können das ja leicht sehen. Was tut man denn, wenn einer krank wird? Das erste ist, man fühlt den Puls. Derjenige, der sich angewöhnt hat, den Puls zu erkennen, der kann ungeheuer viel am Pulsschlag erkennen. Der Pulsschlag ist wirklich ein Barometer für den ganzen Gesundheits- und Krankheitszustand. Aber der Puls­schlag ist ja nichts anderes als die Bewegungen des Blutes. Dasjenige, was man tut, wenn man beim Kranken den Puls prüft, das macht der Kopf fortwährend. Er fühlt fortwährend durch das Herz die ganze Blutzirkulation. Überhaupt alles, was im Leibe vorgeht, fühlt der Kopf durch das Herz.

Denken Sie sich, einer hat an einem gewissen Abend fürchterlich viel Alkohol getrunken, war, wie man sagt, gründlich betrunken. Nun kommt dadurch diese ganze Blutzirkulation in Unordnung. Am nächsten Tag merkt der Kopf durch das Herz: Die ganze Blutzirku­lation ist in Unordnung gekommen. Man bekommt, nicht wahr, den bekannten Brummschädel. Ja, warum brummt es denn da im Kopf? Sehen Sie, wenn ein schöner Tag ist, und ich gehe mit meinen Augen durch die Gegend, so bekomme ich einen schönen Eindruck. Wenn

56

da draußen ein furchtbares Wetter ist, da habe ich einen schlechten Eindruck. Wenn im Blut alles ordentlich sich bewegt, so hat der Kopf einen guten Eindruck, da ist im Kopf alles geordnet. Wenn es aber so zugeht, daß ein Gewitter ist im Blute - das ist es, wenn einem sich am Abend betrunken hat -, dann hat der Kopf durch das Herz eben einen gewitterigen Eindruck, da schwummelt alles durchein­ander.

Also wir verstehen das, was das Herz ist, erst dann, wenn wir wissen: Das Herz ist eigentlich das innere Sinnesorgan, durch das der Kopf alles das wahrnimmt, was im Körper vor sich geht.

Wenn wir uns umsehen in der Welt, so stellt sich heraus, daß der Mensch durch seinen unsichtbaren Teil, durch dasjenige, was ich seinen Astralleib genannt habe, im Verhältnis zu dem ganzen Welt steht. Die wichtigsten Sterne, zu denen der Mensch im Verhältnis steht, sind Sonne und Mond. Nun, mit der Sonne, da steht haupt-sächlich der menschliche Kopf in Beziehung, aber der übrige Mensch steht tatsächlich mit dem Mond in Beziehung. Es ist natürlich ein furchtbarem Aberglaube, wenn man meint, mit den jetzigen Mondes-phasen könne man etwas machen. Aber im Menschen ist ein Rhyth­mus, dem sich auch im Blute ausdrückt und der ähnlich ist dem Mon­denrhythmus. Dem Mensch verhält sich schon nach dem ganzen Welt. Und so ist es auch der Fall, daß tatsächlich die innere Bewegung des Blutes nicht allein von der Nahrung abhängt. Wenn der Mensch ganz gesund ist - er ist ja in gewissem Sinne ein freies Wesen -, dann macht er sich in gewissem Weise unabhängig von den äußeren Natur-einflüssen, macht sich auch in gewissem Sinne unabhängig von dem ganzen Welt. Aber in dem Augenblick, wo dem Mensch anfängt ein bißchen krank zu werden, da wird er abhängig.

Nehmen Sie an, irgend jemand ist krank und man merkt die Krankheit an seinem Puls. Es ist dann für denjenigen, der das wahr­nehmen kann, ein Riesenuntemschied zwischen dem Puls am Morgen und dem Puls am Abend. Man kann viel daran sehen, wie sich der Momgenpuls und der Abendpuls unterscheiden. Aber außerdem ist für gewisse Kranke ein großer Unterschied zwischen dem Puls, der bei Vollmond und dem Puls, der bei Neumond ist. Der Mensch ist

57

eben abhängig. Wenn er sich auch in gesundem Zustand unabhängig machen kann, eine gewisse Abhängigkeit bleibt vorhanden, und die zeigt sich vom allem bei der Krankheit. So daß wir sagen müssen:

Wir sind in dem, was einen Eindruck auf unser Herz macht, schon in einer gewissen Beziehung zu der Bewegung dem Weltkömper, na­mentlich des Mondes. Wir sind in Beziehung zu dem Bewegung des Mondes. - In dieser Beziehung müßten eigentlich noch recht, recht viel Beobachtungen gemacht werden.

Ich habe Ihnen ja vorhin gesagt: Bei einem normalen Menschen ist es so, daß das Herz etwas nach links gerückt ist. Aber geradeso wie es Linkshänder gibt und die meisten Menschen Rechtshänder sind, mit dem Rechten alles machen, so gibt es kurioserweise auch Rechtsherzer. Es gibt nämlich Menschen, die haben das Herz nicht links, sondern auf dem rechten Seite. Meistens wird das überhaupt nicht bemerkt, weil dem Unterschied da natürlich ein innerlichem ist. Wenn einem ein Linkshänder ist, nicht wahr, so merkt man das sehr bald, aber wenn sein Herz etwas nach rechts statt nach links ge­schoben ist, so merkt man das nicht so bald. Aber es wäre interes­sant, gerade solche Leute, die das Herz auf der rechten Seite haben, einmal zu prüfen, wie sie im Leben etwas anders sind als andere Menschen, die das Herz auf dem linken Seite haben. Derjenige, der das Herz auf der rechten Seite, also nach rechts hin verschoben hat, der ist nämlich ein Mensch, welcher gewisse Dinge, die er macht, eigentlich immer zu einer gewissen Jahreszeit oder zu einem gewissen Tageszeit machen muß. Der Rechtsherzem, dem ist viel mehr abhängig von der äußeren Umgebung wie dem Linksherzer. Und wenn das Herz nur ein kleines bißchen nach rechts gerückt ist - es sitzt ja nicht überall an derselben Stelle bei jedem Menschen, sondern ein bißchen anders bei jedem Menschen -, noch immer links ist, aber doch ein klein bißchen nach rechts gerückt ist, so hat er gleich die Sehnsucht, sich mehr nach der äußeren Umgebung zu richten. Er will gleich, sagen wir, im Frühling etwas Besonderes tun, im Herbst etwas Besonderes tun. Man kann das natürlich nicht immer und ruiniert sich dann. Die Menschen wissen ja gar nicht, wodurch sie sich ruinieren können.

58

Man muß zum Beispiel in dem Schule bei Kindern, die das Herz etwas nach rechts gerückt haben, etwas anders vorgehen - das braucht ja gar nicht bemerkt zu werden - als bei anderen Kindern, die das Herz an dem rechten Stelle haben. Der Mensch wird dann, wenn er das Herz nach rechts gerückt hat, viel mehr dazu veran­laßt, seinen astralischen 1-eib in Anspruch zu nehmen.

Sehen Sie, die Sache ist diese: Wenn einem lange Zeit an einer Maschine arbeitet, da werden Sie sich sagen können, es wird im allgemeinen so, daß die Arbeit mechanisch wird. Sie wird ja unan­genehmem dadurch, daß man selber zu einem Stück Maschine wird, aber wenn man lange Zeit an einer Maschine arbeitet, so macht man die Handgriffe und so weiter mechanisch. Denken Sie sich, man ist ganz normal, ein richtiger linkshemziger Mensch. Der Vater war auch ein linksherziger Mensch, der Großvater auch, der Urgroß­vater auch. Da hat sich langsam das schon eingeschlichen. Und wenn man nun als Sohn geboren wird, so macht man natürlich dieselbe Bewegung innerlich, die schon Vater und Großvater und Urgroß­vater gemacht haben. Das geht so leicht, wie wenn man an einer Maschine schon lange gearbeitet hat.

Wenn man ein rechtsherziger Mensch ist, da ist die Lage des Her­zens nicht gegeben vom Vater. Der Vater ist in der Regel nicht auch ein mechtshemzigem Mensch. Das vererbt sich nicht. Da muß man erst aus seinem astralischen Leib heraus die Dinge gewissermaßen wieder neu anfangen. Da hat man nicht die ganze Vererbung drinnen. Und die Folge davon ist, daß ein solcher Mensch, der ein rechtsherziger Mensch ist, eben viel mehr innere Kraft anwenden muß, um die ganze Blutzirkulation in Ordnung zu haben. Und daher kommt es, daß ein solcher Rechtsherzmensch sich viel mehr nach dem Äußeren richtet.

Es ist sogar folgendes möglich. Nehmen Sie an, Sie seien gar kein Rechtshemzmensch, sondern ein ganz normaler Linksherzrnen sch. Aber wenn Sie nun Ballettänzer werden - das passiert ja den Männern auch, aber den Frauen noch mehr -, so wird durch den Ballettanz, wenn er auch materialistisch ist, das Herz beeinflußt. Jetzt ist ja der Ballettanz so, daß er eben sehr materialistisch ist. Aber in alten

59

Zeiten, wenn die Menschen zum Tanz angehalten wurden, zum Bei­spiel im alten Griechenland, da wurde dadurch, daß sie sich dann hineinfügten in Bewegungen, die den Sternen nachgemacht sind, das Herz sogar während des Lebens ein Stückchen nach rechts ge­rückt, wie überhaupt beim Tänzer auch heute noch der Tanz durch­aus, wenn er auch materialistisch geworden ist, auf das Herz einen starken Eindruck macht, weil es eben nach rechts rückt. Wenn man mehr auf diese Dinge achten würde, würde man, wenn man den Menschen seziert nach dem Tode, schon sehen, wie das Herz gewisse Gefäße auseinandergedehnt hat. Dadurch, daß der Betreffende ein Tänzer oder eine Tänzerin war, ist das Herz - das kann man ihm nach dem Tode noch ansehen - eben ein Stückchen nach rechts ge­rückt worden.

Die Frage, die gestellt worden ist, beantwortet sich dadurch, daß man sieht: Dem Mensch will eigentlich, wenn er seinem astralischen Leib überlassen ist, nicht seinem gewöhnlichen Blutzirkulation folgen, sondern er will diese noch mehr beherrschen, und dadurch gibt er sich Bewegungen hin, die eben mehr nach den Bewegungen außerhalb der Erde, nach dem Mond geartet sind. Kann man das verstehen?

Also das, was Sie heute gefragt haben, was sehr leicht bemerkt wird, daß dem Mensch eine gewisse Sehnsucht hat, das zu machen, hängt eben damit zusammen, daß dem Mensch seine ganze Herzbewe­gung von dem unsichtbaren Teil aus beherrscht, daß er ja dann, ich möchte sagen, ein bißchen hinübemrutscht nach dem Unsichtbaren und daß er dann eigentlich nach dem Äußeren sich richtet und nicht bloß nach dem inneren Blutbewegung, die sich nach Atmung und Nahrung richtet. Alle diese Dinge kann man erklären, wenn man den Menschen wirklich versteht.

Und jetzt möchte ich Ihnen noch etwas sagen, was mit dem zu­sammenhängt, was wir das letzte Mal besprochen haben. Wir haben das letzte Mal gesehen: Im Auge drinnen, da ist eine kleine Linse. Wenn der Mensch ein ganz normales Sehen hat, dann ist diese Linse durchsichtig. Wenn der Mensch den Star bekommt, dann wird die Linse undurchsichtig. Salze lagern sich ab. So daß wir also sagen können: Wenn dies (es wird gezeichnet) das Vordere des Auges ist,

60

so ist bei einem normalen Menschen hier die Linse, die ist durch­sichtig. Bei einem Menschen, der starkrank ist, haben wir die Linse, in der sich Salze abgelagert haben, undurchsichtig. Dadurch, daß die Linse durchsichtig ist, kann der astralische Leib des Menschen mit der durchsichtigen Linse die Welt sehen. Er sieht alles in der Welt.

Wenn man sich durch solche Dinge, wie ich sie beschrieben habe in dem Büchelchen: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», an ein ganz intensives Denken gewöhnt, so kommt einmal ein Moment, wo man etwas ganz Besonderes kann. Aber an ein in­tensives Denken sich gewöhnen, das wollen ja die Menschen heute nicht leicht. Sich zurückziehen auf sein eigenes Denken, das will der Mensch heute nicht, weil er sagt: Es muß alles von außen gegeben werden, die Geheimnisse der Welt müssen wir von außen erfor­schen. - Natürlich, es ist ja auch unbequem, denn man muß sehr achtgeben hei diesem Denken. Wenn man sehr lebendig denkt, muß man natürlich furchtbar achtgeben. Aber es kommt dann einmal ein Moment im Leben, wo man etwas Besonderes kann.

Nicht wahr, daß ich mit meiner Hand einen Stuhl hebe, das be­greift jeder, weil es fortwährend geschieht. Aber ich kann auch meine Hand in der Ruhe lassen, sie nicht gebrauchen zu dem, was sie sonst tut. Dasjenige, was die Augenlinse tut, das steht nicht so in der Macht der Menschen. Wenn Sie von außen einen Eindruck haben, nun, so gucken Sie durch Ihre Augenlinse nach diesem Eindruck hin. Wenn Sie keinen Eindruck haben, dann bleibt die Augenlinse in Ruhe.

Aber denken Sie sich, jemand hat sich wirklich Mühe gegeben, ein ganz starkes Denken zu haben. Er ist ganz nur im innerlichen Den­ken. Er guckt nicht nach außen, er läßt seine Augenlinse so in Ruhe, wie man die Hand in Ruhe läßt, wenn man nichts tut mit ihr. Ja, da spiegelt sich dann an der Stelle, wo man sonst die durchsichtige Linse hat, mit der man sonst sieht, der ganze Sternenhimmel. Das ist nämlich, ich möchte sagen, das geradezu Wunderbare, daß man durch diese Methode, die man ausbildet auf die Art, wie ich es beschrieben habe in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Wdten?», die einzelnen Organe nicht nur für die Erde, sondern eben für die an­dere Welt gebrauchen lernt. Wenn sich Salze abgelagert haben, wird

61

die Linse natürlich starkrank, da wird sie unwillkürlich undurch­sichtig. Wenn einer recht tief nachdenkt, bleibt sie durchsichtig, aber der Mensch sieht nicht durch die Linse, er guckt nicht nach außen. Und da fängt es an, von der Linse aus die ganze Welt zu beleuchten. Aber man sieht dann das Geistige. Und zwar sieht man den ganzen Sternenhimmel nach seiner wahren, inneren Bedeutung. Diese kleine Stelle im Menschen, wo die Linse sitzt, die kann einen unterrichten über all dasjenige, was man sich dann getraut zu sagen über Sterne und so weiter. Sehen Sie, so großartig ist es mit dem Menschen, daß an dem kleinsten Punkte der Sitz von Erkenntnissen ist, die unge­heuer sind.

Derjenige, der starkrank ist - man braucht das natürlich keinem Menschen zu wünschen -, der hat sogar diese ganze Geschichte leich­ter, der braucht sich nicht so stark mit dem Denken anzustrengen. Er braucht nur ein ganz wenig sich zu konzentrieren, so kann er es dahin bringen, daß er innerlich sieht, wenn er äußerlich das Sehen verlernt hat. Das ist aber dasjenige, was immer betont werden muß, wenn man von solchen höheren Erkenntnissen spricht: Wenn man von solchen höheren Erkenntnissen spricht, so liegt es immer nahe, daß man sich natürlich zu stark anstrengen kann, und dann kann statt der höheren Erkenntnis zum Beispiel etwas eintreten wie, sagen wir, die Störung der Linse. Die Linse kann dann durch dieses starke innere Konzen­trieren, wenn man auch nicht starkrank wird, aber eben undurch­sichtiger werden. Daher ist in meinem Buche: «Wie erlangt man Er­kenntnisse der höheren Welten?» alles so beschrieben, daß ein Mensch das, was da besprochen ist, erreichen kann, aber eben nicht krank wird dadurch. Es darf keine Übung so beschrieben werden, daß man auch krank werden kann dadurch. Aber diese Linse, die ist der Ort im Menschen, der uns tatsächlich im Innern des Auges die ganze Geisteswelt enthüllen kann. Und so können wir sagen: Man kann äußerlich sehen, wenn alles durchsichtig ist im Auge. Man kann in­nerlich sehen, wenn etwas willkürlich undurchsichtig gemacht wird.

Das ist schon etwas, was Ihnen deutlich machen kann, wie eigent­lich die Erkenntnis von geistigen Welten entsteht. Die Erkenntnis von geistigen Welten entsteht eben dadurch, daß man zuerst in seinem

62

Kopfe die einzelnen Punkte findet, die man also nicht bmaucht zu dem gewöhnlichen Tätigkeit. Dadumch, daß sie muhen wie die Linse, lemnt man zunächst die äußere Welt kennen. Abem man kann den ganzen Körpem so weit bmingen, daß alles mögliche für einen Augen­blick nicht gebraucht wird. Wenn man zum Beispiel das Herz nicht gebraucht - die Blutzirkulation kann weitemgehen, aber man schaltet das Herz aus als Sinnesorgan -, dann fängt man erst an, die ganze Blutzirkulation wahrzunehmen. Aber man nimmt dann nicht bloß die ganze Blutzimkulation wahr. Wenn Sie Ihm Herz so machen, daß Sie gewissermaßen dumch Ihren Kömpem dumchschauen auf die Blutzirku­lation, wenn Sie also innemlich das Herz nicht empfinden und nicht den Pulsschlag empfinden, sondern durchschauen, wie Sie durch die Linse in die Welt hinausschauen mit dem Kopf, wenn Sie also durch sich selber durchschauen lernen, dann sehen Sie nämlich jetzt nicht die Blutzirkulation allein, sondern Sie sehen die ganze Mondenbewe­gung, alles, was der Mond tut, und Sie sehen, wie der Mond sich zur Sonne verhält. Und dann sehen Sie die Verwandtschaft des Herzens mit Sonne und Mond.

In alten Zeiten ging das alles leichtem für die Menschen. Da waren tatsächlich die Menschen noch nicht so eingeschult, nur alle Wissen­schaft von der Außenwelt zu erfahren. Sie wollten ja überhaupt nicht alles bloß vor sich sehen. Wenn man einen Griechen, also einen Men­schen, der gelebt hätte vor siebenundzwanzig-, achtundzwanzighun­dert Jahren, ins Kino geführt hätte, ja, der hätte sich das Kino nicht lange angesehen, denn der wäre nämlich in Ohnmacht gefallen, weil in dem Momente, wo der alte Grieche darauf hingeschaut hätte, in seinem Innern, aber nicht bloß in einem Gliede, sondern im ganzen Menschen das geworden wäre, was Sie haben, wenn Ihnen ein Glied einschläft, wenn etwas darauf drückt. Nicht einen richtigen Schlaf hätte der Mensch bekommen, aber dieses Einschlafen des ganzen Men­schen wäre entstanden, wenn Sie den alten Griechen vor eine Kino-vorstellung hingesetzt hätten. Er wäre natürlich davon in Ohnmacht gefallen. Der alte Grieche hätte sich das also überhaupt nicht an­schauen können, weil in dem Momente sein Kopf durch das Herz eine solche Störung im ganzen Blutsystem bekommen hätte, daß ihm

63

sein ganzer Körper eingeschlafen wäre, nicht bloß einzelne Glieder und der Kopf hätte nichts mehr beherrschen können. Er wäre in Ohnmacht gefallen. Der Mensch ist eben ganz anders geworden, als er in alten Zeiten war. Heute hat der Mensch schon eine so unor­dentliche Blutzirkulation durch die moderne Kultur, daß er nicht ohnmächtig wird im Kino.

Wenn man sich mit Geisteswissenschaft wirklich innerlich ein biß­chen beschäftigt hat und man kommt dann ins Kino, muß man sich sehr zusammennehmen, sonst kann man heute noch in Ohnmacht fal­len. Aber nicht wahr, wir sind eben alle Menschen, und der eine nimmt die Eigenschaften des andern an. Und es ist so, daß der Mensch nicht mehr das Blutzirkulationssystem hat wie in alten Zeiten, wie der alte Mensch. Daher konnten die alten Menschen leichter durch­schauen auf das Blutzirkulationssystem und konnten leichter reden von Sonne und Mond als wir. Wir sind abgeschnitten davon und müssen erst wieder dazu kommen durch Übungen. Wir müssen die Organe erst richtig wieder so machen, daß wir sehen können.

Sehen Sie, der alte Grieche konnte daher noch verstehen, wenn ältere Menschen eben ihm etwas erzählt haben von dem, wie es auf der Erde eigentlich zugeht. Man darf nicht glauben, daß dasjenige, was aus dem Altertum überliefert ist, immer Aberglaube ist, nur haben es vielfach die Späteren so umgestaltet, daß es zum Aber­glauben geworden ist. Es ist ja merkwürdig, wie Dinge, die zu­erst ganz vernünftig sind, eben später einfach Aberglauben werden. Wenn man nicht mehr weiß, wie eigentlich die Sachen ausgeführt werden sollen, dann werden die Dinge zum Aberglauben. So zum Beispiel haben die alten Juden gar kein Schweinefleisch gegessen. Ja, die alten Juden haben gewußt, daß bei ihrer Rasse und der Gegend, in der sie waren, sie das Schweinefleisch schwach macht. Dann ist es später Aberglaube geworden. Die Dinge, die später zum Aberglauben werden, gehen immer auf frühere vernünftige Dinge zurück. Wir müssen nicht glauben, daß das, was als altes Wissen früher vorhanden war, immer unsinnig ist, aber man kann sich nicht immer auf das Alte verlassen, weil die alten Dinge vielfach verfälscht sind. Deshalb muß man alles neu erforschen.

64

Deshalb ist es so unsinnig, wenn die Leute von dem Anthmopo­sophie sagen: Da wimd zusammengesammelt, was einmal schon da war. - Es wird nichts zusammengesammelt, sondemn alles neu er­forscht! Und wenn deshalb einem sagt: Da in dem Anthroposophie wird alles zusammengesammelt, da sammeln sie num alle möglichen alten Gnostikem zusammen -, so fragen Sie ihn num einmal, wo em nachweisen kann, daß die Geschichte von der Augenlinse steht, wie ich sie Ihnen das letzte Mal und heute gesagt habe, wo man das in irgendeinem Buche finden kann. Das kann man nämlich nicht finden, weil die Geschichte ganz vergessen worden ist. Sie können deshalb jedem antwomten, dem sagt, es seien die Dinge zusammengesammelt:

Du lügst, denn du weißt gam nicht, was domt gesagt wird -, daß also die ganze Anschauung vom Herzen und so weitem erneuemt wird.

Es ist alles so, daß es hier ursprünglich erforscht wird und dann an den ganzen Menschen herankommt. Und an solchen einfachen Sachen wie, daß dem Mensch sich tanzend, drehend bewegt, was ich das letzte Mal und heute bemühmt habe, hervomgerufen durch eine Frage, kann man vieles einsehen.

Aber dann wird etwas anderes herauskommen, vor dem sich die Menschheit am meisten fürchtet. Sehen Sie, wenn Anthroposophie einmal durchdringt - heute kann man ja gar nichts machen; wenn man praktisch etwas tun will, geht ja gleich dem Teufel los; selbst wenn man die Sachen nur sagt, entstehen ja gleich die Gegnerschaf­ten, die Sie ja genügend kennen -, aber wenn Anthroposophie ein­mal so weit sein wird, daß sie in unsere Schulen eindringt, daß sie überall die Dinge geltend macht, wird etwas anderes noch kommen. Dann wird man nämlich wissen, welche Bewegungen beim Menschen für seine Gesundheit und seine ganze Stoffwechselentwickelung rich­tig und welche falsch sind. Dann wird die Zeit kommen, wo man die Arbeit nach dem Menschen richten wird. Heute richtet man die Arbeit nach den Maschinen. Heute muß der Mensch so sich bewegen, wie es die Leute, welche die Maschine entdeckt haben, angemessen finden. Später wird man finden: Nicht dasjenige, was von den Ma­schinen kommt, ist die Hauptsache, sondern der Mensch ist die Hauptsache. Deshalb darf es nur solche Maschinen geben, die hergerichtet

65

sind für den Menschen. Das wird man einmal nur können, wenn die Anthroposophie ganz angenommen sein wird. Dann wird man sagen können: Es muß alles Maschinelle sich nach dem Men­schen richten.

Aber dazu ist etwas notwendig. Zuerst muß man verstehen, wie das Herz nichts Maschinelles ist, sondern sich nach dem Menschen richtet. Aber eine Wissenschaft, die es sich so bequem gemacht hat, daß sie das Herz so beschreibt, wie wenn dem Mensch in seiner Blut­zirkulation nur eine Pumpe hätte, die macht sich kein Gewissen daraus, auch die Maschine so zu machen, daß sich der Mensch dar­nach richten muß. Mit dieser falschen Ansicht in der Wissenschaft hängt nämlich unser ganzes falsches soziales Leben zusammen. Und deshalb muß man schon begreifen, daß erst ein richtiges Denken über den Menschen kommen muß; dann kann erst ein richtiges so­ziales Leben anfangen. Solange man glaubt, das Herz sei eine Pumpe, solange wird man auch im äußeren Leben nicht richtig sich einstellen können. Erst wenn man weiß, der unsichtbare Mensch ist höher als sein Herz, er ist es, der sein Herz bewegt, dann wird man auch die Maschinen nach dem Menschen richten. Aber das muß man erst an­fangen einzusehen.

Heute machen es sich die Menschen viel zu bequem. Sie machen es sich wirklich viel zu bequem. Was ist heute am meisten interna­tional? Das Fußballspiel! Ich habe es Ihnen neulich erklärt. Das­jenige aber, was geistig ist, das wird immer auf kleine Zirkel und so weiter zusammengedrängt. Das zemsplittert sich. Nicht wahr, in Nor­wegen kann man hören: Hoch soll er leben! -, oder man hört ein deutsches Lied singen, wenn Fußballspieler auf dem Bahnhof sind. Aber sonst sondern sich die Leute ab.

Das, was ergriffen werden muß, ist dem Geist, aber so, daß er im einzelnen ergriffen wird. Nicht daß man im allgemeinen redet von Geist, Geist, sondern er muß im einzelnen ergriffen werden.

Wir wollen dann am nächsten Samstag davon weiter reden.

66

VIERTER VORTRAG Dornach, 9. Juni 1923

Nun, meine Herren, auf was haben Sie sich besonnen?

Frage: Die verschiedenen chemischen Stoffe haben die Eigenschaft, zum Beispiel der Pflanze gewisse Farben zu geben. Andererseits haben aber auch viele Sterne, wie zum Beispiel der Mars, einen Farbenschimmer. Ich hätte gern einiges gewußt über diese Sache. Zum Beispiel der Mars hat einen rötlichen Schimmer. Das Eisen, wenn es oxydiert, der Rost, hat eine rötliche Farbe. Ob da Zusam-menhänge sind?

Dr. Steiner: Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Zunächst müßte man sich erinnern an das, was wir ja schon in ver­schiedener Weise über die Farben besprochen haben. Sie müssen be­denken, daß die Farbe eines Körpers doch zusammenhängt mit der ganzen Art und Weise, wie er in der Welt drinnensteht. Denken wir uns, wir haben irgendeinen Stoff. Der Stoff, der hat nun irgend­eine bestimmte Farbe. Nun meinen Sie, daß diese Farbe unter Um-ständen ganz anders sich äußern kann, wenn man diesen Stoff in die Flamme bringt, so daß man also dann eine gewisse Färbung der Flamme bekommt? - Da muß man sich klar sein darüber, daß ja, wenn die Flamme für sich entsteht, die Flamme auch schon eine bestimmte Farbe hat und daß dann, wenn wir einen Stoff in die Flamme bringen, zwei Farben zusammenwirken, die des Stoffes und die der Flamme. Nun ist es aber überhaupt etwas höchst Eigentüm­liches, wie sich die Farben in der Welt verhalten. Darüber will ich Ihnen jetzt einiges erzählen.

Sie kennen ja den gewöhnlichen Regenbogen. Der Regenbogen hat ein rotes Band, dann geht es ins Orange und Gelbe, dann wird das Band grün, dann blau, dann wird das Band etwas dunkler blau, indigoblau und dann wird das Band violett. So bekommen wir eine Anzahl von sieben Farben ungefähr, die der Regenbogen hat (es wird gezeichnet). Diese sieben Farben haben natürlich die Menschen im­mer beobachtet und in der verschiedensten Weise erklärt, denn eigentlich sind diese sieben Farben, die man da vom Regenbogen be­kommt, die allerschönsten Farben, die man überhaupt in der Natur

67

sehen kann. Und außerdem müssen Sie ja wissen, daß diese Farben so sind, als ob sie ganz frei schweben würden. Sie entstehen ja, wie Sie wissen, wenn irgendwo die Sonne scheint und vor der Sonne Regenwetter ist. Dann erscheint ja der Regenbogen auf der andern Seite am Himmel. Wenn Sie also irgendwo einen Regenbogen sehen, so müssen Sie sagen: Wo ist nun das Wetter? Ja, auf der entgegen­gesetzten, auf der abgewendeten Seite, hinter dem Regen muß die Sonne sein. - So muß die Ordnung sein. So entstehen diese sieben Farben des Regenbogens.

#Bild s. 67

Nun kommen aber diese sieben Farben auch noch anders vor. Denken Sie sich, wir verbrennen einen metallartigen Körper, brin­gen ihn immer mehr und mehr zur Erhitzung, so daß dieser metall­artige Körper sehr heiß wird. Dann wird dieser metallartige Körper zunächst, wie Sie wissen, rotglühend, zuletzt weißglühend, wie man sagt. Also denken Sie sich, wir haben eine Art von Flamme da­durch hervorgerufen, daß wir, ich möchte sagen, eigentlich da eine Art Metallflamme haben. Aber es ist nicht eine eigentliche Flamme, es ist ein glühendes Metall, ein Metall, das ganz glüht. Wenn man nun ein solches Metall, das ganz glüht, durch ein Prisma anschaut, dann sieht man nicht eine weißglühende Masse, sondern man sieht die­selben sieben Farben wie beim Regenbogen.

Ich werde das jetzt schematisch zeichnen. Denken Sie sich, da hier wäre dieses glühende Metall, und nun habe ich ein solches Prisma, es ist von der Seite gezeichnet. Sie wissen, es ist so ein dreieckiges Glas. Hier wäre mein Auge, und wenn ich nun da durchsehen will,

68

so sehe ich nicht einen weißen Körper, sondern die sieben Farben des Regenbogens, die sieben aufeinanderfolgenden Farben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Jndigoblau, Violett. Ich sehe also durch das Prisma dasjenige, was eigentlich weiß ist, weißglühend ist, in sie­ben Farben. Daraus geht Ihnen hervor, daß man dasjenige, was eigent­lich weißglühend ist, in den Regenbogenfarben schimmernd sehen kann.

Nun kann man noch etwas anderes machen, was ganz außerordent­lich interessant ist. Sehen Sie, eine solche weißglühende Masse kann man nur hervorrufen, wenn man ein Metall, überhaupt einen festen Körper, glühend macht. Wenn ich aber ein Gas habe und verbrenne das Gas, dann bekomme ich, wenn ich durchs Prisma schaue, nicht die sieben Farben, nicht ein solches Siebenfarbenband, sondern etwas ganz anderes.

Sie können nun sagen: Wie bekommt man denn ein glühendes Gas? Ja, ein glühendes Gas kann man sehr einfach bekommen. Den­ken Sie sich zum Beispiel, ich hätte das gewöhnliche Kochsalz. In dem gewöhnlichen Kochsalz sind zwei Stoffe drinnen, erstens ein me­tallartiger Stoff, den man Natrium nennt, und dann ist noch Chlor drinnen. Das ist ein Gas, das, wenn man es irgendwo ausbreitet, wenn es irgendwo ist, einem gleich scharf in die Nase faucht. Das ist das­selbe Gas, das man zum Beispiel zum Bleichen von Wäschestücken verwendet. Die Wäsche wird gebleicht davon, wenn man Chlor dar-überstreichen läßt.

Wenn man also Natrium und Chlor zusammen hat, bekommt man unser Kochsalz. Wenn man das Chlor wegnimmt und das Natrium, das dann weißlich ist, in eine Flamme gibt, so wird die Flamme ganz gelb. Woher kommt dies? Das kommt davon her, weil das Natrium, wenn die Flamme heiß genug ist, verbrennt, und das Natriumgas ver­brennt gelb, gibt eine gelbe Flamme. Wir haben also jetzt nicht nur einen richtig glühenden Metallkörper, sondern wir haben eine gasige Flamme. Wenn ich jetzt dieses durch mein Prisma anschaue, wird das nicht in derselben Weise siebenfarbig, sondern es bleibt im wesent­lichen gelb. Nur auf der einen Seite hat es - da muß man aber sehr, sehr scharf zuschauen - etwas Gelbliches und etwas Rötliches. Aber

69

da muß man schon sehr genau zuschauen, denn man bemerkt das eigentlich nicht. Man sieht da auch nur das Gelbe.

Aber das ist nun alles noch nicht das Interessante: Das Allerinter­essanteste ist das: Wenn ich die ganze Geschichte aufstelle, die gelbe Flamme hier hereingebe und nun wieder durch mein Prisma gucke, was werden Sie sehen? Sie werden folgendes sehen. Da ist, werden Sie sagen, wenn ich durchgucke, Rot, Orange, Grün, Gelb und so weiter. - Also werden Sie vielleicht sagen: Da ist Gelb, wenn ich da durchgucke, wird das Gelb besonders stark hier sein. Es wird ein besonders helles Gelb sein, ein leuchtendes Gelb. - Ja, sehen Sie, das ist nicht der Fall. Was da ist, das ist, daß gar kein Gelb erscheint, daß das Gelbe ganz ausscheidet, ganz ausgelöscht, weggelöscht wird, und eine schwarze Stelle da ist. Geradeso wie es eine gelbe Gasflamme geben kann, so gibt es ja auch zum Beispiel eine blaue. Man kann auch Stoffe finden wie zum Beispiel Lithium, das eine rote Flamme hat. Kalzium und ähnliche haben eine blaue Flamme. Wenn Sie nun zum Beispiel eine blaue Flamme hier hereinstellen, so ist es nicht etwa so, daß das Blau hier stärker erscheint, sondern wieder­um ist hier eine schwarze Stelle. Das Eigentümliche ist also: Wenn man etwas glühend macht, wenn etwas als fester Körper ganz glüht und nicht Gas ist, sondern glüht, dann bekommt man dieses Farbenband von sieben Farben. Wenn man aber ein brennendes Gas hat, dann bekommt man mehr oder weniger eine einzelne Farbe, und diese einzelne Farbe löscht dann dasjenige aus in dem ganzen Far­benband, was sie selber als Farbe hat.

Das, was ich Ihnen jetzt erzähle, das wissen die Menschen ver­hältnismäßig noch nicht seit sehr langer Zeit, sondern das ist erst 1859 gefunden worden. 1859 hat man erst gefunden: In einem sie­benfarbigen Farbenband, das von einem glühenden festen Körper aus­geht, löschen einzelne Farben, die von glühenden Gasen, brennen­den Gasen herkommen, die entsprechende Farbe aus.

Daraus sehen Sie schon, wie außerordentlich kompliziert eine Farbe auf die andere wirkt. Und damit hängt es jetzt zusammen, daß, wenn man gewöhnlich die Sonne anschaut, sie ja so beschaffen ist, wie wenn sie ein weißglühender Körper wäre. Es ist richtig so:

70

Wenn man oberflächlich durch ein Prisma schaut, so sieht man auch an der Sonne diese sieben aufeinanderfolgenden Farben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett. Aber wenn man genauer zusieht, dann sind in der Sonnenscheibe nicht diese sieben Farben, sondern nur annähernd die sieben Farben, und dazwischen sind lauter schwarze Linien. Also wenn man genau hinschaut auf die Sonne, so hat man nicht ein siebenfarbiges Band, sondern man hat die sie­ben Farben, aber die sind überall unterbrochen von lauter schwar­zen Linien.

Was muß man sich denn da sagen? Wenn einem nicht das richtige, ununterbrochene Farbenband von der Sonne entgegenscheint, sondern das von lauter schwarzen Linien unterbrochene Farbenband, ja, dann muß man sagen: Zwischen uns und der Sonne sind lauter brennende Gase, die immer unterwegs die entsprechende Farbe auslöschen. -Also wenn ich statt auf ein glühendes Metall auf die Sonne schaue und die schwarzen Linien sehe, so muß ich überall, wo ich die schwarzen Linien sehe, mir sagen: Da, also immer an der betreffen­den Stelle, wird ausgelöscht zum Beispiel hier vom Natrium das Gelb. Wenn ich in die Sonne schaue und im Gelb drinnen eine schwarze Linie ist, so muß ich sagen: Zwischen mir und der Sonne ist Na­trium. - Und so bekomme ich für alle Metalle schwarze Linien im Sonnenlicht. Also ist zwischen mir und der Sonne alles mögliche an Metallen im Weltenraum gasförmig ausgebreitet.

Was geht daraus hervor? Daraus geht hervor, daß der Welten-raum, wenigstens die Umgebung der Erde, zunächst mit lauter nicht nur glühenden, sondern brennenden Metallen angefüllt ist. Wenn man das bedenkt, dann muß man sich ja überhaupt klar sein, daß im Grunde genommen nirgends von dem geredet werden kann, daß wir da auf der Erde stehen und da oben die glühende Sonne ist, sondern was wir sehen, das hängt eigentlich von dem ab, was zwi­schen uns und der Sonne ist. Und die Physiker, die würden sehr überrascht sein, wenn sie einmal wirklich in die Sonne kommen könnten, denn da würde es nicht so ausschauen, wie sie es vermuten, sondern dasjenige, was man sieht, rührt eigentlich her von dem, was zwischen dem Menschen und der Sonne ist. Da sehen Sie schon an

71

einem Beispiel, wie kompliziert eigentlich der Zusammenhang zwi­schen Substanzen und Farben ist.

Wenn Sie also irgendwo eine Flamme haben, und die Flamme, etwa eine Kerzenflamme, hat eine bestimmte Färbung, so müssen Sie zunächst fragen: Ja, was ist denn in der Kerze drinnen? - In der Flamme haben Sie diejenigen Stoffe gasförmig - sie werden zu­meist durch die Hitze der Flamme gasförmig -, die in festem Zu­stande in der Kerze drinnen sind. Blicken wir dann, wie ich es hier mit der Flamme getan habe, durch ein Prisma: ein Stoff, der gas­förmig ist, färbt die ganze Flamme. Durch das Natrium zum Bei­spiel wird die Flamme gelb. Wenn Sie irgendwo, zum Beispiel in diesem Raume, eine Flamme hätten und dann durch ein Prisma schau­ten - die Natriumschwärze haben Sie fast überall. Man braucht gar nicht das Natrium erst irgendwo hinzutun. Wenn die Apparate rich­tig angeordnet sind und man richtig schauen kann, findet man überall diese schwarzen Linien, die eigentlich gelb sein sollten und die im Grunde genommen davon herrühren, daß überall ganz kleine Spuren von Natrium sind. Es gibt eigentlich kaum irgend etwas auf der Erde, wo nicht kleine Spuren von Natrium sind. Das beweist Ihnen aber, daß das Natrium überhaupt notwendig ist in der Na­tur. Wo es nicht ist, könnten wir nicht leben. Wir müssen auch ein bestimmtes Quantum, eine bestimmte Menge Natrium immer in uns haben, müssen das Natrium verarbeiten. Und es verrät sich eigent­lich nur dadurch, daß es überall die gelben Linien auslöscht und sie zu schwarzen macht.

Nun müssen Sie sich an das erinnern, was ich Ihnen zum Beispiel schon einmal gesagt habe. Wodurch entstehen blaue und violette Farben? Wodurch entstehen rote und gelbe? Nun, blau, das habe ich Ihnen gesagt, erscheint der weite Weltenraum, denn da draußen, wo wir das Firmament sehen, da ist nichts. Es ist der weite, schwarze Weltenraum. Wir sehen also den weiten schwarzen Weltenraum. Es sind fortwährend Wasserdünste in der Luft, die aufsteigen, auch wenn die Luft rein ist. Wenn wir hier (es wird gezeichnet> die Erde hätten, hier die Wasserdünste sind und ringsherum der schwarze Weltenraum ist, so scheint dann die Sonne durch diese Dünste durch.

72

Wenn Sie da unten stehen und hinaufschauen, sehen Sie nicht Schwarz, sondern Blau. Durch das Beleuchtete sehen Sie den dunk­len Raum nun nicht schwarz, sondern blau. Das heißt, wenn ich ein Dunkles, ein Finsteres durch ein Beleuchtetes sehe, sehe ich es blau.

Die Morgen- und Abendröte ist ja, wie Sie wissen, gelblich oder gelblich-rötlich. Wenn das hier (es wird gezeichnet) die Erde ist, die Dünste rings herum sind und nun die Sonne heraufkommt, sehe ich es hier beleuchtet. Ich sehe hier ein Helles, aber ich sehe es zunächst durch die dunklen Dünste. Dadurch wird es für mich gelb. Wenn ich ein Dunkles durch ein Helles sehe, wird es blau. Blau ist die Dunkelheit, die durch Helles gesehen wird, Gelb ist die Helligkeit, die durch Dunkles gesehen wird.

Wenn ich nun das Gelb durch eine gelbe Natriumflamme habe, so bedeutet diese Natriumflamme, daß das Natrium ein Stoff ist, der, wenn er verdunstet, sehr hell wird, aber zugleich um sich etwas Dunkles erzeugt. Also das Natrium brennt eigentlich so: Wenn hier das Natrium brennt, so schießt in der Mitte das weiße Licht in die Höhe und ringsherum schießt die Dunkelheit in die Höhe, und da­durch sehe ich das Ganze gelb. Also das Natrium strahlt Licht aus, aber ringsherum, weil es gar so stark Licht ausstrahlt, erzeugt es die Dunkelheit.

Es braucht Sie nicht zu verwundern, daß das stark Licht aus­strahlende Natrium Dunkelheit um sich erzeugt, denn wenn Sie ein Schnelläufer sind und recht schnell rennen und ein anderer mitkom­men will mit Ihnen, so bleibt er eben dann zurück. Das, was da herausspritzt, das ist eben ein Schnelläufer, es erscheint also leuch­tend durch die Dunkelheit, es erscheint mir gelb. Bei der gewöhn­lichen Kerzenflamme ist es so, daß die Teilchen so zerbröckeln. Da­durch wird es hier ringsherum hell und in der Mitte bleibt es dunkel. Wenn Sie daher eine gewöhnliche Kerzenflamme haben, so sehen Sie das Dunkel durch das Helle. Hier spritzen die hellen Pünkt­chen (es wird gezeichnet). Hier in der Mitte bleibt es dunkel, es er­scheint daher blau. Wenn man eine gelbe Flamme hat, wie beim Na­trium, so bedeutet das, daß es außerordentlich stark spritzt. Wenn

73

#Bild s. 73 a

man eine Kerzenflamme, eine blaue Flamme hat, bedeutet es, daß es eigentlich nicht sehr stark spritzt, sondern sich zersplittert.

Das ist überhaupt in der Welt der Unterschied zwischen den Wir­kungen der Substanzen. Denken Sie, ich hätte eine Glasröhre, die schmelze ich an beiden Enden zu. Jetzt pumpe ich aber außerdem die Luft aus, so daß ich eine ganz luftleere Glasröhre bekomme. Jetzt mache ich folgendes: Ich leite hier einen elektrischen Strom herein, der da endet, und auf der andern Seite einen elektrischen Strom, der dann hier geschlossen ist. Also da stehen sich jetzt die zwei Pole der Elektrizität gegenüber. Zwischen ihnen ist der luftleere Raum. Da entsteht jetzt etwas ganz Sonderbares: auf der einen Seite spritzt die Elektrizität und auf der andern Seite, indem es bläulich erscheint, bilden sich solche Wellen (es wird gezeichnet), und das geht dann zusammen. Da spritzt fortwährend sozusagen das Helle in das Dunkle hinein, die helle Elektrizität in das Dunkle hinein.

#Bild s. 73 b

Da haben Sie also die beiden Flammen, die ich Ihnen gezeigt habe, getrennt. Da haben Sie auf dem einen Pol, was die Natriumflamme macht, und auf dem andern Pol, was die gewöhnliche Kerzenflamme macht. Wenn man hier in der richtigen Weise verfährt, bekommt man verschiedene Strahlenarten unter anderem auch die Rönt­genstrahlen, durch die man ja, wie Sie wissen, die festen Bestandteile,

74

Knochen und so weiter, oder fremde Bestandteile, die der Körper in sich hat, sehen kann.

Also die Sache ist so, daß es in der Welt Substanzen gibt, die ausstrahlen. Andere Substanzen gibt es, die strahlen nicht aus, son­dern, man kann sagen, die glimmen und überziehen sich an der Oberfläche mit solchen Wellen. Die sind bläulich; die Substanzen, die ausstrahlen, sind gelblich. Wenn dann vor das Ausstrahlende ein dunkler Körper tritt, wird das Gelbliche rötlich, so daß man also da, wenn man das Gelbliche dunkler macht, auch ein Rötliches haben kann.

Sie sehen also, wir haben in der Welt die Körper so, daß sie zum Teil strahlen und dadurch die hellen Farben zeigen, die auf der einen Seite vom Regenbogen sind, daß sie auf der andern Seite nicht strahlen, sondern solche Wellen aussenden. Dadurch bekommt man die bläulichen Farben, die auf der anderen Seite des Regenbogens sind.

Wenn Sie das wissen, dann werden Sie sich sagen: Es gibt solche Sterne wie zum Beispiel den Mars, der strahlt gelblich-rötlich, oder wie zum Beispiel den Saturn, der strahlt bläulich. Jetzt kann man aus dem, wie der Stern beschaffen ist, sehen, wie er sich verhält. Der Mars ist einfach ein Stern, der viel ausstrahlt, dadurch muß er gelblich-rötlich erscheinen. Er ist ein Stern, der viel ausstrahlt. Der Saturn ist ein Körper, der sich ruhiger verhält und sich mit Wellen überzieht. Man sieht fast die Wellen um ihn herum. Wenn man den Saturn hat, so kann man noch die Wellen um ihn herum als Ringe sehen. Er erscheint blau, weil er sich mit Wellen umgibt.

Nun, das, was man da an den Erdenkörpern beobachtet, das zeigt uiis ja, wenn man diese nur nicht stumpfsinnig, sondern richtig be­obachtet, wie die Körper draußen im Weltenraume sind. Nur muß man sich klar sein darüber, daß eben der ganze Weltenraum aus­gefüllt ist, wie ich Ihnen gesagt habe, mit allen möglichen Substan­zen, die immer eigentlich in einem verbrennlichen Zustande sind.

Nehmen Sie nun einen Körper, zum Beispiel das Eisen: es rostet. Das haben Sie ja wohl mit der Frage gemeint? Das Eisen rostet, und dadurch wird es rötlicher als es sonst ist. Wir haben also einen

75

Körper, der verhältnismäßig dunkel ist, der rostet und der dadurch rötlicher wird. Nachdem wir jetzt die Farben studiert haben, wer­den wir uns Aufschluß darüber geben können, was es eigentlich heißt: Das Eisen wird durch das Rosten, also wenn es fortwährend der Luft ausgesetzt ist, rötlich. - Machen wir uns das ganz klar, was das heißt. Ich habe hier nicht alle Farben, aber Sie werden sich vorstellen können, was ich meine. Nehmen wir an, wir haben das blaue Eisen. Jetzt ist es der Luft ausgesetzt. Dort wird es dadurch, daß es der Luft ausgesetzt wird, rötlich durch das Rosten.

Nun können Sie sich sagen, daß das Rötliche dadurch entsteht, daß man ein Helles hat, das man durch Dunkelheit sieht. Also ein Helles, durch Dunkel gesehen, wird rötlich. Wenn ich das Eisen, wie es in seinem gewöhnlichen Zustand ist, anschaue, so ist es zu­nächst dunkel, das heißt es wirft Wellenlinien aus. Wenn ich aber das Eisen der Luft längere Zeit aussetze, wenn es also lange in der Luft ist, so kommt die Luft an das Eisen heran. Das Eisen wird all­mählich so an der Luft, daß es anfängt, sich innerlich gegen die Luft zu wehren. Es wehrt sich gegen die Luft, fängt an zu strahlen im Innern. Und dasjenige, was strahlt, wie hier die Natriumflamme, wo dann ringsherum das Dunkle ist, das wird gelblich oder rötlich. So daß Sie also sagen können: Das Verhältnis zwischen der Luft und dem Eisen ist ein solches, daß das Eisen innerlich anfängt kribbelig zu werden und zu strahlen. Das Eisen wird kribbelig und strahlt.

Nun wissen Sie ja, daß das Eisen auch im menschlichen Körper vorhanden ist, und zwar als ein sehr wichtiger Stoff. Das Eisen ist im Blut des Menschen enthalten, und das Eisen ist ein sehr, sehr wichtiger Bestandteil des Blutes. Wenn wir zu wenig Eisen im Blut haben, dann sind wir Menschen, die nicht ordentlich gehen können, die rasch müde werden, die also schlapp werden. Wenn wir zu viel Eisen im Blute haben, werden wir aufgeregte Menschen und schla­gen alles zusammen. Wir müssen also gerade die richtige Menge von Eisen im Blut haben, sonst geht es uns eben schlecht. Nun, heutzu­tage beschäftigt man sich ja weniger mit diesen Dingen, aber ich habe Sie schon einmal darauf aufmerksam gemacht: wenn man nachforscht, wie der Mensch zusammenhängt mit der ganzen Welt,

76

so findet man heraus: Das Blut hängt beim Menschen zusammen mit dem Einwirken von Mars. Der Mars, der sich ja bewegt, regt eigent­lich in uns immer die Tätigkeit des Blutes an. Das ist durch seine Verwandtschaft mit dem Eisen. Daher haben schon alte Gelehrte, die das gewußt haben, dem Mars dieselbe Natur zugeschrieben, die das Eisen hat. Man kann also den Mars in gewissem Sinne an­schauen als etwas, was gleich ist unserem Eisen. Aber zugleich schim­mert er rötlichgeib, das heißt, er wird fortwährend strahlend in seinem Innern. Im Mars sehen wir also einen Körper, der fort­während im Innern strahlend wird.

Diese ganze Sache begreift man nur, wenn man eben aus diesen Studien heraus sich sagt: Der Mars hat eisenähnliche Art, ist eine eisenähnliche Substanz, aber es kribbelt fortwährend, er will fort­während strahlig werden. Wie das Eisen durch den Einfluß der Luft, so will der Mars durch den Einfluß seiner Umgebung fortwährend strahlen. Er hat also eigentlich eine Natur, die fortwährend inner­lich kribbelig, das heißt lebendig werden will. Der Mars will fort­während ins Leben übergehen. - Das kann man an seiner ganzen Färbung und an seiner ganzen Art, wie er sich verhält, sehen. Hat man es mit dem Mars zu tun, so muß man wissen, daß das ein Weltenkörper ist, der eigentlich fortwährend ins Leben übergehen will.

Mit dem Saturn ist es anders. Der Saturn ist von bläulichem Schimmer, das heißt, er strahlt nicht, sondern er umgibt sich mit einem Welligen. Er ist gerade das Gegenteil vom Mars. Der Saturn will fortwährend in das Tote übergehen, fortwährend Leichnam wer­den. Man sieht am Saturn, daß er sich gewissermaßen mit Hellig­keit umgibt, so daß wir dann seine Dunkelheit durch die Helligkeit bläulich sehen.

Nun mache ich Sie aufmerksam auf etwas: Sie können eine ganz nette Erscheinung haben, wenn Sie einmal in einer nicht ganz dunk­len, aber etwas stark dämmerigen Nacht durch einen Weidenforst gehen, durch einen Wald, wo Weiden sind. Da können Sie ab und zu etwas sehen, was Sie veranlaßt, sich zu fragen: Was leuchtet denn dort so? Was ist das, was so leuchtet? - Dann gehen Sie nahe hin

77

und finden, es ist verfaulendes Holz. Also das Verfaulende wird leuchtend. Wenn Sie dann sehr weit weggehen und das anschauen würden und Sie würden hinter diesem Leuchtenden etwas Dunkles haben, so würde Ihnen das Leuchtende nicht mehr leuchtend, son­dern blau erscheinen. Und so ist es beim Saturn. Der Saturn, der verwest eigentlich fortwährend. Der Saturn verwest. Dadurch hat er ringsherum ein Helles, aber er selber ist dunkel, und dadurch er­scheint er blau, weil wir seine eigene Dunkelheit, ich möchte sagen, durch seine Verwesungsstoffe, die er um sich herum hat, anschauen. Beim Mars sieht man also, wie er fortwährend leben will, beim Saturn sieht man, wie er fortwährend sterben will.

Das ist das Interessante, daß man Weltkörper so betrachten kann, daß man von ihnen sagen kann, daß die einen Weltkörper, die einem in bläulichem Schimmer erscheinen, zugrunde gehen. Die­jenigen, die noch in rötlichem oder gelblichem Schimmer erscheinen, das sind erst entstehende. Und so ist es ja in der Welt: An einem Orte ist etwas, was entsteht, am andern Ort ist etwas, was vergeht. Wie auf der Erde an einem Orte ein Kind ist, an dem andern Orte ein Greis, so ist es im Weltenall. Der Mars, der ist noch ein Jüng­ling, der will fortwährend leben. Der Saturn ist schon ein alter Greis.

Sehen Sie, das haben die Alten studiert. Wir müssen es wieder studieren. Wir können es aber erst verstehen, was die Alten gemeint haben, wenn wir es wieder finden. Daher ist es, wie ich schon das letzte Mal gesagt habe, so dumm, wenn die Leute sagen, man schreibe in der Anthroposophie nur dasjenige zusammen, was man in alten Schriften finde. Denn das kann man gar nicht verstehen, was man in alten Schriften findet! Sehen Sie, man versteht das, was in alten Schriften steht und aus einer alten Weisheit heraus ist, erst, wenn man es wieder gefunden hat. So gab es noch im Mittelalter, bevor Amerika entdeckt worden ist, einen Spruch. Der war sehr interessant. Den sagte fast jeder einzelne Mensch. Wenn Sie damals gelebt hätten, hätten Sie auch den Spruch gewußt. Im Mittelalter kannten den Spruch alle möglichen Menschen, denn man lernte den Spruch so, wie man heute, ja, was weiß ich, einen Agitationsspruch etwa, lernt.

78

Dieser Spruch heißt:

O Sonn', ein König dieser Welt! Luna dein Geschlecht erhält.

Luna ist der Mond.

Merkur kopuliert euch fix.

Ohn' Venus wäret ihr alle nix,

Die Marten sich zum Mann erwählt.

Also den Mars.

Da wird also in dem Spruch angedeutet, daß die Venus, die ja auch eine junge Gestalt ist, sich den Marten, den Mars zum Manne erwählt. Es wird also angedeutet, wie der Mars ein Jüngling ist da draußen im Weltenall.

Ohn' Jupiters Macht euch alles fehlt.

Also auch von Jupiter wird angedeutet, wie er überall eingreift. Und dann wird zuletzt gesagt:

Damit Saturn, alt und greis,

In vielen Farben sich erweis.

Denken Sie, wie schön in diesem mittelalterlichen Spruch die Jugend vom Mars entgegengestellt ist dem Alter von Saturn!

O Sonn', ein König dieser Welt!

Luna dein Geschlecht erhält.

Merkur kopuliert euch fix.

Ohn' Venus' Gunst erreicht ihr alle nix,

Die Marten sich zum Mann erwählt.

Ohn' Jupiters Macht euch alles fehlt.

Daß Saturn, alt und greis,

In vielen Farben sich erweis.

Sie sehen also, verstehen würde man das nicht, und das zeigen ja auch die Leute. Denn wenn ein heutiger Gelehrter einen solchen Spruch liest, dann sagt er: Nun ja, das ist ein dummer Aberglaube! -Er lacht darüber. Wenn man wieder findet, was in einem solchen Spruch Wahrheit ist, dann sagt er, man habe das abgeschrieben. Nicht wahr, es ist also gar nicht auszudenken, wie töricht eigentlich sich die Leute verhalten, denn sie können das heute ja gar nicht verstehen.

79

Kein heutiger Gelehrter versteht das, was in einem solchen Spruch liegt. Aber wenn man geistig forschen kann, dann kommt man wieder darauf, dann versteht man das erst. Man muß ja diese Sachen erst wieder selber finden, sonst bleiben diese alten Sprüche, die wirklich voller Weisheit sind, ganz wertlos. Aber es ist auch wunderschön, wenn man diese Sachen durch geistige Forschung fin­det, und dann entdeckt man in geistvollen Sprüchen diese unge­heure Weisheit. Das bezeugt eben, daß die alten geistvollen Sprüche genommen sind von dem, was in alten Weisheitsschulen gelehrt wor­den ist. Von da stammten diese Sprüche her. Heute kann das Volk nicht in der Weise zu seinen Gelehrten gehen, denn aus der Wissen­schaft von heute werden keine Sprüche! Man kann nicht viel nehmen, was man anwenden kann im Leben. Aber es gab eben einmal eine Zeit, wo die Menschen solche Dinge, wie ich sie Ihnen auch heute wieder gesagt habe, gewußt haben. Die haben sie dann in solche schönen Sprüche hineingewebt. Und dann natürlich ist allerlei daraus entstanden, manchmal auch Mißverständnisse natürlich. Dieser Spruch, den ich Ihnen gerade angeführt habe von all den Planeten, ja, der ist vergessen worden, aber andere Sprüche, die sind dann entstellt worden.

Natürlich ist es ja so, daß es auch etwas bedeutet, wenn, sagen wir, die Tiere das oder jenes vornehmen. Sie stehen im Zusammen­hang mit dem Weltenall. Beim Laubfrosch zum Beispiel können wir schon wissen, daß irgend etwas mit dem Wetter los ist, wenn er her­auf- oder heruntersteigt. Nicht wahr, man verwendet ja den Laub-frosch als Wetterpropheten, wenn er herauf- oder herunterkrabbelt an seiner Leiter. Das ist, weil alles das, was lebt, mit dem ganzen Weltenall in Beziehung steht. Nur ist das dann später entstellt wor­den, und es ist natürlich nicht ganz unberechtigt, wenn man auch wiederum solche Sprüche hat, über die man sich lustig machen kann, weil sich die Dummheit ihrer bemächtigt hat. Denn wenn einer zum Beispiel sagt: Kräht der Hahn auf dem Mist, so ändert sich das Wetter oder bleibt, wie es ist - nun ja, das zeigt wiederum, daß man nicht alles durcheinandermischen und auch das Dumme vom Gescheiten wieder trennen soll.

80

Der Spruch, den ich Ihnen angeführt habe, der ist natürlich schon ein solcher, der hinweist auf Geheimnisse im Weltenall, die mit Licht und Farbe zusammenhängen. Dagegen was die Leute oft­mals sagen von demjenigen, was der Hahn tut und dergleichen, über das kann man natürlich spotten, wie das in dem Ausspruch selber geschieht, den ich Ihnen vorhin angeführt habe. Aber auf der andern Seite liegt manchmal gerade in Bauernaussprüchen heute noch - sie werden ja nach und nach vergessen - etwas außerordentlich Tiefes, etwas sehr Weises. Und der Bauer ist nicht umsonst traurig, wenn es im März noch schneit, denn gewisse Zusammenhänge zwischen dem Getreidesamen und dem Märzenschnee gibt es halt einmal.

So können wir gerade an solchen Dingen sehen, wie man an dem, was man beobachtet auf der Erde, eben die ganze Welt verstehen kann. Es wäre schon besser, wenn man sich mehr an das hielte, was der Laubfrosch kann, der hinaufkraxelt und herunterkraxelt, je nach dem Wetter, als daß man sich heute mehr, ich möchte sagen, an das Murmeltier hält, das schläft, und man alle Geheimnisse des Weltenalls verschläft.

Hoffentlich ist Ihnen verständlich geworden, was ich meinte in bezug auf Ihre Frage. Das ist natürlich kompliziert und man kann das nicht mit ein paar Worten sagen. Ich mußte also alles das sagen, aber Sie werden das schon zusammennehmen können. Es ist doch ganz interessant, nicht wahr, in dieser Weise den Zusammen­hang zu sehen.

81

FÜNFTER VORTRAG Dornach, 13. Juni 1923

Hat jemand eine Frage?

Fragesteller: Ich möchte ein Erlebnis aus meiner Jugend schildern, das mit dem Schicksal zusammenhängt und das man zum Beispiel in der Religion so schildert, als wenn wir einen Schutzengel hätten. Ich habe einmal als kleiner Junge Kegel aufgestellt, ich war damals neun oder zehn Jahre alt, und wie ich eben damit beschäftigt war, aufzustellen, da ruft eine Stimme: Weg! - sn intensiv, daß ich rasch weggesprungen bin. Und einen Augenblick später ist gerade die große Kugel mit großer Wucht dahergesprungen, wo ich stand. Ich fragte: Wer hat mich gerufen? - aber es wollte es niemand gewesen sein, und die Stimme konnte auch nicht daher gekommen sein.

Der andere Fall war in einer Schmiede, wo die Leute ihre Pflugschare ge­schliffen haben. Es war da ein großes Rad. Wir waren fünf, sechs Knaben und amüsierten uns dort. Ich war vielleicht elf Jahre alt. Ich stand auf die Radspeiche, um das Rad hinunterzudrücken. Das hatte mir gefallen. Da sagte ich zu den andern Knaben: Zieht die Schnellfalle hervor, dann werde ich von einer Stufe auf die andere treten. Sie haben alle fest gezogen, aber es nicht fertig ge­bracht. Trotzdem ich der Kleinste war, bin ich hin, um nachzusehen. Das Rad war sehr schnell herumgesaust, und es wäre offenbar mein Tod gewesen, wenn sie die Schnellfalle in die Höhe gebracht hätten.

Es würde mich freuen, wenn Herr Doktor sich äußern würde, ob in einem solchen Falle sich eine höhere Macht äußern kann.

Dr. Steiner: Nun möchte ich zu Ihnen einmal über solche Dinge sprechen, aber hier muß natürlich alles so besprochen werden, daß es sich wissenschaftlich rechtfertigen läßt. Solche Dinge werden von anthroposophischer Geisteswissenschaft nicht so genommen, wie sie sehr häufig von den Leuten genommen werden, die sich allerlei Aberglauben und dergleichen hingeben, sondern diese Dinge müssen natürlich auch - denn sie sind viel wichtiger für das Leben, als man gewöhnlich glaubt - durchaus wissenschaftlich betrachtet werden. Nun will ich Ihnen zunächst eines sagen, wie zur Vorbereitung.

Sehen Sie, es ist ja eigentlich nur ein ganz kleiner Teil des Lebens, den der Mensch beachtet. Einen großen Teil beachtet er nicht, und weil er ihn nicht beachtet, so glaubt er, dieser Teil des Lebens sei nicht da. Nehmen Sie zum Beispiel an: Wenn jemand an einem Hause vorübergeht und es fällt in diesem Augenblick von oben ein

82

Ziegelstein herunter und erschlägt ihn, so beachtet man das sehr stark, und es macht natürlich in den Kreisen, in denen der Betref­fende bekannt ist, und auch sonst, großes Aufsehen. Man redet viel darüber. Man hat das eben beobachtet und redet deshalb dar­über.

Nehmen Sie nun aber folgendes an: Irgend jemand will des Mor­gens weggehen. Nun bemerkt er im letzten Augenblick, wo er weg­gehen will, daß er etwas vergessen hat, was unbedingt noch geordnet werden muß, und dadurch verzögert er sich um fünf Minuten. Jetzt geht er weg. Nun fällt der Ziegelstein fünf Minuten bevor er vorbeikommt herunter, und da er vorbeikommt, so tut er ihm nichts. Wäre er fünf Minuten früher vorbeigegangen, so würde ihm der Ziegelstein den Kopf eingeschlagen haben. Aber kein Mensch redet dann natürlich darüber, denn kein Mensch kann ja auch das übersehen. Kein Mensch kann wissen - er selber vergißt es natürlich, kein Mensch beachtet das -, was geschehen wäre, wenn er sich nicht ein paar Minuten verzögert hätte. Diese Dinge werden eben nicht beachtet, aber sie sind ja geradeso im Leben vorhanden. Unzählige solche Dinge, wo wir durch unser Schicksal abgehalten werden von einem Unglück, sind da, sie werden nur nicht beachtet. Die studiert man aus dem Grunde nicht, weil sie sich nicht so leicht verfolgen lassen. Man kann sie nur verfolgen, wenn irgendwie die Sache be­sonders auffallend ist, wenn sie die Aufmerksamkeit herausfordert. Dann verfolgt man solche Dinge.

Da war einmal ein Mensch, der sehr viel an seinem Schreibtisch saß, und unten hat die übrige Familie gelebt. Er ging oft in diese seine obere Stube hinauf. Nun träumte einmal einem Familienmit­glied, daß für diesen Menschen an einem bestimmten Tag ein großes Unglück bevorstünde, daß er erschossen würde. Nun, was tat der Betreffende? Man erzählte ihm das, man sagte, er solle sehr vor­sichtig sein, denn er könnte in diesen Tagen erschossen werden, und er ging deshalb nicht aus, sondern blieb den ganzen Tag in seiner Stube sitzen. Aber er hatte doch so einen unheimlichen Eindruck von der ganzen Erzählung, denn er hatte schon öfter erfahren -es liegt das eben weiter in der Zeit zurück, wo die Menschen auf

83

solche Dinge noch mehr geachtet haben -, daß es solche Wahrträume gibt. Er hatte ein unangenehmes Gefühl. Und durch dieses unange­nehme Gefühl wurde er eben auch auf manches aufmerksam. Und da stellte sich das ein, daß er in einem bestimmten Augenblick unruhig wird und durch diese innere Unruhe aufstehen muß von seinem Sitz. In demselben Moment kracht ein Schuß gerade an seinem Stuhl vorbei! Er besaß nämlich ein altes Gewehr von viel früher her, das da im Vorraum hing - die Tür war offen -, das hatte ein Diener in die Hand genommen. Er hatte nicht gedacht, daß es ge­laden ist, hat unvorsichtigerweise das Gewehr so gehalten, es ist losgegangen, und der Schuß ist da vorbeigegangen, wo der Mensch vorher gesessen hat.

Sehen Sie, da ist eine doppelte Verkettung von Schicksal. Da ist zuerst ein banaler Traum da. Auf der anderen Seite wird er wieder­um, weil sein Schicksal eben noch nicht erfüllt ist, weil er noch leben soll, just im rechten Momente durch einen inneren Drang weggetrieben. Aber jetzt kommt das andere in Betracht. Sehen Sie, er hätte da in demselben Momente auch ganz gut hören können: Geh weg! - wie Sie es gehört haben (zum Fragesteller gewendet). Wie wäre das zustandegekommen? Er hätte das ebensogut hören können. Sehen Sie, wenn man von einer geistigen Welt spricht, so muß man sich klar sein darüber, daß man nicht dumm reden darf von einer geistigen Welt. Man würde aber innerlich dumm reden von einer geistigen Welt, wenn man glauben würde - was ja übrigens viele Leute, wenigstens diejenigen, die Spiritisten sind, glauben -, in der geistigen Welt seien Deutsche und Franzosen und Engländer und Spanier und Chinesen. Aber die müßten doch da sein, wenn man aus der geistigen Welt «Geh weg!» hören würde, denn dann müßte irgendein geistiges Wesen deutsch reden. Zu einem Franzosen müßte es ja französisch reden, denn wenn es deutsch reden würde, dann würde der das ja für einen unartikulierten Laut halten oder würde es heute gar für etwas sehr Böses halten. Also das wäre sehr töricht gedacht, wenn man sich vorstellen würde, das «Geh weg!» hätte ein Geist gesprochen, denn der Geist kann nicht ein Deutscher oder ein Franzose oder ein Engländer sein. Das ist ja der Unsinn der Spiritisten,

84

daß man sich durch ein Medium in Verbindung zu setzen meint mit den Toten und Antwort bekommt und glaubt, so spre­chen die Geister. Sie tun das natürlich nicht. Trotzdem sie vorhan­den sind, tun sie es nicht. Aber das Folgende ist der Fall.

Diese Art von Verbindung mit der geistigen Welt, die einem die Möglichkeit gibt, von einer geistigen Welt auch wissenschaftlich zu sprechen, die setzt voraus, daß man sich erst abgewöhnt zu meinen, daß die Geister in einer irdischen Sprache sprechen. Man muß erst die übersinnliche Welt kennenlernen und dann erst übersetzen kön­nen in eine gewöhnliche Sprache, was die Geister in einer übersinn­lichen Sprache sprechen. Wenn der Betreffende, der an seinem Schreibtisch gesessen hat, also gehört hätte «Geh weg!» - so hätte das ganz gut sein können. Aber die Sache ist nämlich so: Sie haben von mir gehört, daß der ganze Mensch erfüllt ist von Vernunft. Ich habe ja einmal auseinandergesetzt: Die Leber nimmt Vorgänge wahr im menschlichen Unterleib, die Lunge nimmt wahr, der ganze Mensch ist ein Sinnesorgan. Das Herz nimmt wahr, durch das Herz nimmt man die Blutzirkulation wahr. Aber im gewöhnlichen Leben braucht man diese Organe nicht zum Wahrnehmen. Man braucht seine Augen und seine Nase und so weiter, aber man braucht diese Organe nicht zum Wahrnehmen. Diese Organe haben eine ganz be­stimmte Eigentümlichkeit. Nehmen Sie zum Beispiel die Leber.

Wenn man die Leber herausschneidet aus dem Körper, so ist sie ja ein Organ, das Sie bei den Tieren kennen, weil Sie ja wahrschein­lich schon irgendwelche Leber gesehen haben, mindestens Gänseleber. Aber dieses Organ hat einen Atherleib, der mit dem andern Ather­leib in Verbindung steht (es wird gezeichnet), und hat auch einen astralischen Leib, und dann wird es erst noch durchzogen von dem Ich. Also dieses Organ, die Leber, hat ja etwas Geistiges. In Ihrem Kopf nehmen Sie das Geistige wahr, aber in Ihrer Leber nehmen Sie das Geistige bewußt nicht wahr. Da können Sie, so wie Sie im gewöhnlichen Leben organisiert sind, nichts übersehen, geradeso, wie ich Ihnen neulich erklärt habe, daß Sie das Geistige nicht wahrneh­men in Ihrer kleinen Augenlinse. Aber man kann den ganzen Him­mel mit der kleinen Augenlinse sehen. Durch alle Kopforgane sprechen

85

eigentlich geistige Wesenheiten fast nicht. Da spricht die ganze Welt, die Sterne mit ihren Bewegungen und so weiter, die sprechen durch die Kopforgane. Aber durch die anderen Organe, zum Beispiel durch die Leber, da sprechen tatsächlich die geistigen Wesenheiten. Zu der Leber spricht der Magen, aber auch geistige Wesenheiten, zu der Lunge auch. Zu all den Organen, die man im gewöhnlichen be­wußten Leben nicht braucht, sprechen geistige Wesenheiten.

Nun, wenn der Kopf eigentlich darauf angewiesen ist, nur das­jenige wahrzunehmen, was er draußen in der äußeren Welt erblickt, so ist gerade das Innere des Menschen, die unteren Organe, darauf angelegt, in der geistigen Welt wahrzunehmen. Diese Organe sind aber außerordentlich fein. Sie sind wirklich recht fein. Und daß sie fein sind, das können Sie schon daraus entnehmen, was manch­mal für Zustände aus solchen Organen heraus kommen. Diese Zu­stände beachtet man meistens nicht, und man beachtet sie nicht, weil unsere Medizin so unvollkommen ist heute. Nämlich, Sie werden ja schon irgendeinmal erfahren haben, daß einer von einer plötzli­chen Angst Diarrhoe kriegt. Man beachtet es nicht, weil man sich gar nicht vorstellen kann, daß von der Angst die Diarrhoe kommen könne. Sie kommt aber davon. Da ist ein Einfluß von der Außen­welt da. Aber dieser Einfluß kann auch von der geistigen Welt da sein. Und aus der geistigen Welt heraus ist es schon so, daß diese Organe in der Tat wahrnehmen, aber ganz andere Dinge wahr­nehmen, als in der Außenwelt sind.

Ich habe Ihnen ja jetzt schon öfter gesagt: Wir Menschen gehen durch verschiedene Erdenleben. Ja, wenn die Menschen bisher so ohne weiteres durch verschiedene Erdenleben hätten durchgehen sol­len, so würden sie das nicht gekonnt haben. Wenn der Mensch sich hier auf der Erde von klein auf entwickelt, so muß er einen Führer haben, nämlich einen Erzieher oder Lehrer oder so etwas, sonst würde er ja dumm bleiben. Solch einen Führer hat aber wirklich der Mensch in der geistigen Welt, der ihn von Erdenleben zu Erdenleben führt und der auch wirklich achtgibt im einzelnen Erdenleben nicht für die Dinge, über die wir frei sind, über die wir selber vernünftig nachdenken, aber für die Dinge, über die wir nicht nachdenken

86

können, mit denen aber unsere Menschenorganisation zusammen-hängt. Und so kommt es, daß, wenn da einer sitzt und in einer gewissen Angstlichkeit ist, er dann besonders empfindlich wird für dasjenige, was ihm bevorsteht. Diese Empfindlichkeit muß man auch in der richtigen Weise beurteilen. Man muß ganz genau unterschei­den, tritt diese Empfindlichkeit für das Geistige ein, oder ist diese Empfindlichkeit doch noch physisch erklärbar. Wenn einer nicht kritisch ist, so kann er gar nicht über diese Dinge sprechen.

Ich will Ihnen hierbei auch noch ein Beispiel sagen. Da gab es ein­mal eine Kranke, die wohnte im vierten Stock eines Hauses, und der Arzt mußte täglich zu ihr kommen auch noch in der Zeit, in der sie schon im Gesunden war, denn die Sache war ziemlich ge­fährlich. Der Arzt kam zu dieser Kranken nicht etwa jeden Tag zu derselben Stunde, sondern zu ganz verschiedenen Stunden, aber diese Kranke wußte jeden Tag oben im vierten Stock ganz genau: Jetzt kommt der Arzt - auch wenn er noch ganz unten war. Wenn er noch außer dem Hause vor dem Tore war, da wußte sie schon: Jetzt kommt der Arzt. - Namentlich aber wußte sie es, wenn er noch ganz unten war im Flur des Hauses, bevor er noch eine Stufe er-stiegen hatte. Das erzählten die Leute dem Arzt und sagten: Ja, die weiß das durch Hellsehen. - Nun, der Arzt war zunächst ein bißchen kribbelig. Arzte glauben das nicht gleich. Aber nun, als er immer wieder und wieder angeranzt wurde von den Leuten, die ihm sagten:

Ja, unsere Tochter ist hellsehend, die weiß, wenn Sie da unten sind -da sagte er einmal: Ich will die Geschichte doch ausprobieren! - Und er zog sich ganz leise die Stiefel aus, bevor er ins Tor hineinging. Und da wußte sie es nicht! Nun, sehen Sie, solche Fälle gibt es na­türlich auch, und die muß man richtig prüfen. Denn diese Kranke hatte einfach ein fein empfindliches Gehör gekriegt durch das lange Liegen und hat unten die Tritte wahrgenommen, die man sonst von unten nicht hörte. Wenn man von allem gleich sagt, das ist Hell-sehen, so hat man natürlich kein Recht, von geistigen Welten zu reden. Man muß ganz genau zu unterscheiden wissen zwischen dem, was eben mit den Sinnen noch wahrgenommen werden kann und dem, was nicht mehr mit den Sinnen wahrgenommen werden kann.

87

Die Dinge, die da spielen, zeigen aber, daß die Sinne in einer ge­wissen Weise empfindlich werden können. Denn im gewöhnlichen Leben ist ja natürlich der Mensch nicht fähig, wenn er im vierten Stock ist und unten Tritte sind, sie gleich zu hören. Aber wie die Sinne am Kopfe und sonst die Sinne empfindlicher werden können, so können auch die inneren Organe, die ja auch Sinne sind, eben empfindlich werden für das Geistige. Und wenn also dann zum Bei­spiel die Leber unter dem Eindruck steht: heute könnte ich erschos­sen werden - so ist sie besonders empfindlich, und die Folge davon ist, daß die Leber hören kann - aber jetzt nicht in irgendeiner ita­lienischen oder deutschen Sprache - die Warnung von dem geistigen Wesen, das ja wirklich da ist.

Aber denken Sie sich, nun geschieht das Wunderbare: Die Leber muß das ja nun erst abgeben an den Kopf, sonst kann es der Mensch nicht wahrnehmen; denn da wird das auf dem Wege von der Leber zum Kopf übersetzt in die Sprache, die der Mensch spricht. Das ist das Wunderbare dabei, da liegt nämlich erst das Rätselvolle. Da können Sie erst sagen, was für ein merkwürdiges Wesen dieser Mensch denn ist. Er ist nicht etwa allein imstande, Ahnungen zu haben, sondern, was viel wunderbarer ist, dasjenige, was ihm in der geisti­gen Sprache zukommt, das übersetzt er eigentlich unbewußt in seine Sprache.

Daraus können Sie aber sehen: Alles das, was in manchen spiriti­stischen Zirkeln aufgeschrieben wird, das wird zu den Unterleibern gesagt. Da sind die Leute darauf aus, das nicht zuzugeben. Sie glau­ben, die Geister sprechen italienisch oder französisch, aber das kommt alles aus dem Menschen selber. Und dennoch ist eine Beziehung zur geistigen Welt auch in diesen Sitzungen vorhanden, nur eine sehr schlimme. Die wird dann in allerlei Dinge übersetzt.

Aber aus diesem sehen Sie ja, daß wenn so etwas auftritt wie dieses «Geh weg!», man sich da klar sein muß: Die eigentliche Ver­bindung mit der geistigen Welt bleibt einem immer noch dunkel. Man hat keine rechte Vorstellung, wenn man es sich so vorstellt: Der Schutzgeist hat einem ins Ohr geraunt - sondern man muß wissen, auf welchem Umwege das geschieht. Dann begreift man auch noch

88

etwas anderes. Dann begreift man, daß die Leute so etwas sehr leicht widerlegen können. Denn für einen gewöhnlichen Menschen ist das mit dem Menschen, der sich die Schuhe ausgezogen hat, eine Widerlegung. Der sagt: Die Leute glauben, das sei Heliselien, Hell-hören, aber es war kein Heilsehen, sondern ein höher entwickeltes Hören. Also ist es bei dem andern Fall auch so.

Ja, das ist eben etwas, was man zuerst untersuchen muß! Und da sieht man dann, wenn man die nötige Vorsicht übt, daß in der Tat auf diesen Umwegen fortwährend von der geistigen Welt aus mit menschlichem Schicksal gearbeitet wird, besonders stark natür­lich in der Kindheit. Warum in der Kindheit? Ja, in der Kindheit ist nämlich der astralische Leib viel tätiger, da arbeitet der astra­lische Leib viel intensiver. Später arbeitet er nicht mehr so intensiv. Wenn die Leber beim Kind noch weich ist, so kann der astralische Leib das, was er in der geistigen Welt hört, auf die Leber übertragen. Später, wenn die Leber hart geworden ist, kann er nichts mehr übertragen.

Nun müssen Sie denken, was solch ein Ereignis wie das, was vom Fragesteller erlebt worden ist, für eine Bedeutung hat, wenn einem also eigentlich der Tod bevorsteht und nicht das eintritt, was durch die äußere Natur der Dinge ganz gut vorgesehen ist. Denn Sie hätten dazumal, wie Sie das «Geh weg!» hörten, doch ganz leicht dabei draufgehen können? (Wird bestätigt.) Also Sie wären getrof­fen worden. Solche Fälle gibt es viele im Leben des Menschen. Nur, viele bemerkt man nicht. Dies ist nun einer, an dem es bemerkt wor­den ist, an dem Sie es sehr stark bemerkt haben.

Nun aber haben Sie, bevor Sie Ihr jetziges Erdenleben durch­gemacht haben, viele frühere durchgemacht. Ja, was man früher in den Erdenleben durchgemacht hat, das will sich ja in der richtigen Weise ausleben. Das will sich so ausleben, daß man zum Beispiel in diesem Leben jetzt ein richtig langes Leben hat, damit alles sich so ausleben kann, wie es durch die früheren Erdenleben bedingt ist. Nun kann dem die äußere Natur sogar widersprechen. Ich kann eines Tages durch die äußeren Verhältnisse einem Unglück ausgesetzt sein, könnte sterben müssen, und die Sache könnte so werden, daß

89

ich, sagen wir, wenn ich sterbe, eigentlich einem vorigen Erdenleben nach in unverhältnismäßig früher Zeit sterbe. Es ist nach meinem vorigen Erdenleben nicht richtig, daß ich so früh sterbe, weil ich noch etwas zu tun habe auf der Erde. Nun könnte ich auch sterben. Glauben Sie nicht, daß das ganz unbedingt gesichert ist, daß ich nicht sterbe! Ich könnte auch sterben, das Unglück könnte eintreten. Ich könnte sterben, aber mein ganzes Schicksal würde geändert. Da greift nun diese geistige Wesenheit ein, die den Menschen von Erdenleben zu Erdenleben führt, und kann ihn warnen. Da liegt immer ein Grund vor, daß sie ihn warnen kann. Aber natürlich sind die Verhältnisse außerordentlich verwickelt, und irgendeinmal kann es auch so liegen, daß diese Wesenheit, die den Menschen schützen will, wenn wir das Wort so anwenden wollen, anderen Wesenheiten unterliegt, die sie abhalten, die sie weghalten. In der geistigen Welt können durchaus auch solche Kämpfe stattfinden. Aber wenn böse Wesenheiten, wenn ich mich so ausdrücken darf, kein besonderes Interesse daran haben, dann kommt die Warnung durch. Und so ist sie dazumal durch­gekommen. Und daß da ganz besondere Dinge eintreten können, auch äußerlich, ja, das kommt auch unzählige Male vor.

Sie haben sich gewundert, nicht wahr, beim zweiten Fall, den Sie aus Ihrem Leben erzählten, warum da nicht weiter gedreht worden ist. Denn wenn weiter gedreht worden wäre, so hätten Sie zugrunde gehen müssen. Die andern konnten das Rad aber nicht anlaufen lassen, Sie allein konnten es dann. Nun, woran lag das? Sie konnten das gar nicht äußerlich sehen, woran das lag. (Der Fragesteller: Nein!) Es lag daran, daß diese Sie warnen oder Sie erhalten wollende gei­stige Wesenheit den Willen der anderen in diesem Moment gelähmt hat. Das wirkt immer durch den Menschen selber durch, nicht auf eine äußere Weise, nicht durch einen andern. Der Wille war in die­sem Moment in den andern gelähmt, sie kriegten es nicht fertig, die Muskeln zu bewegen. Also so sind die Dinge, so hängen die Dinge zu­sammen. So daß man immer, wenn man von der geistigen Welt reden will, sicher sein muß, daß die geistige Welt durch den Men­schen wirkt. Geradeso wie man ohne Auge nicht eine Farbe sehen kann, so kann man ohne diese innere Tätigkeit des Menschen nicht

90

die geistige Welt wahrnehmen. Das ist ja dasjenige, was man immer beachten muß, wenn man richtige Wissenschaft treiben und nicht in Aberglauben kommen will. Denn es ist eben so, daß das, was auf der Erde ist, die verschiedenen Sprachen, nicht mehr gilt für die geistige Welt, sondern es gelten da nur solche Sprachen, die man auf der Erde erst lernen muß. Will man in die geistige Welt eindringen -und ich habe ja beschrieben, was man da für Übungen machen muß, um in die geistige Welt einzudringen -, dann muß man vor allen Dingen, während man in die geistige Welt eindringt, sich abgewöh­nen können das Denken. Nicht für immer, das wäre ja schlimm, aber für die Momente, wo man in die geistige Welt eindringen will. Denn das menschliche Denken, das ist nur für diese irdische Welt. Daher ist das Denken auch so verwandt mit dem Sprechen. Wir denken ja eigentlich in Worten in der physischen Welt, und nur da­durch, daß man sich allmählich gewöhnt, nicht in Worten zu denken, kommt man der geistigen Welt nahe.

Und jetzt will ich Ihnen erklären, wie es ist, wenn der Mensch direkt in die geistige Welt eintritt. Denken Sie sich also, der Frage­steller wäre in dem Momente, wo ihm das passiert ist, daß dann zu ihm «Geh weg!» gesagt worden ist, ein Hellseher gewesen, aber ein richtiger Hellseher, was wäre dann geschehen? Wenn er ein Hell­seher gewesen wäre, dann hätte er nicht innerlich diese furchtbar geistreiche Arbeit zu verrichten gebraucht, das erst ins Deutsche zu übersetzen, was ihm ein geistiges Wesen gesagt hatte, aber etwas anderes wäre gekommen. Denn da hätte er gelernt, wie dasselbe geistige Wesen deuten kann, Gebärden machen kann, Zeichen machen kann. Denn die geistigen Wesen reden nicht in Worten, son­dern die machen Gebärden, sehr komplizierte Gebärden. Natürlich nicht solche Gebärden, wie ein Taubstummer sie macht, aber sie machen Gebärden. Die Menschen sind eben meistens nicht zufrieden mit diesen Gebärden, weil sie wie die Spiritisten etwas hören wollen. Aber in der wirklichen geistigen Welt ist es nicht so, da sind die Dinge nicht mit äußerem Ohr hörbar. Man kann gar nicht begrei­fen, wie ein vernünftiger Mensch sich das vorstellen kann, daß er mit physischen Ohren die Geister höre, denn physische Ohren können

91

da nicht zuhören. Es ist ein Unsinn, zu glauben, die physischen Ohren könnten die Geister hören. Es muß natürlich der Astralkörper von irgendeinem Organ sein, der die Geister hört. Aber das ist auch kein wirkliches äußeres Sehen und Hören, sondern das ist ein Wissen, wie man die Zeichen auffassen muß, die einem diese Wesen­heiten machen. Und dann würde der Fragesteller, wenn er hell­sehend gewesen wäre, statt zu hören: «Geh weg!», ein geistiges Bild gesehen haben, wissen Sie, so wie wenn einer ihn wegschiebt. Und hätte er dann richtig innerlich geistig wahrgenommen, dann hätte er es nicht erst zu übersetzen gebraucht ins «Geh weg!». Aber das geschieht alles still und in Ruhe, und daran sind die Leute nicht ge­wöhnt, die geistige Welt still, in Ruhe, in Schweigsamkeit aufzu­nehmen. Man würde auch, wenn irgendwo eine Gefahr schwebt, gar nicht darauf kommen, recht ruhig sein zu wollen. Man ist dann aufgeregt, aber durch die Aufregung wird gerade die geistige Welt dann nicht wahrgenommen. Und wenn dann doch das Schicksal sprechen soll, dann spricht es eben so, daß der Mensch das erst in sich übersetzt.

So gibt es ja auch zum Beispiel zweierlei Menschen, wie Sie ja wis­sen: solche, die gut mathematisch denken können und solche, die gar nicht mathematisch denken können, solche, die gut rechnen können und solche, die gar nicht rechnen können. Es gibt ja diese verschie­denen Fähigkeiten. Aber gerade wenn man sich recht anstrengt im mathematischen Denken, dann kommt man leichter in das wirkliche Hellsehen hinein, als wenn man gar keinen Begriff hat von mathe­matischem Denken. Und darin liegt schon der Grund, warum die Menschen heute so schwer hineinkommen in die Anschauung der geistigen Welt. Denn diejenigen, die heute eine Schulung durchma­chen, sind ja noch zumeist diejenigen, die durch Griechisch und Latein, Literatur, alles mögliche durchgehen, durch all das, wo man schlampig denken kann. Ja, die meisten sogenannten gebildeten und gelehrten Leute haben eigentlich nur «schlampet» denken gelernt, weil sie denken in demjenigen, in dem eigentlich die alten Römer oder Griechen gedacht haben, und die anderen lernen das dann von ihnen. Und so existiert heute eben ein furchtbar schlampiges Denken,

92

gar kein Denken, das wirklich Kraft in sich hat. Davon kommt es, daß man heute solche Dinge gar nicht richtig verstehen kann, die aus der geistigen Welt herausgeholt sind. Würden die Leute ein richtiges scharfes Denken haben, so würden sie ja gerade viel eher zum Verstehen dessen kommen, was in der geistigen Welt vorhan­den ist. Sie können an äußeren Dingen, die in den letzten Jahrhun­derten sich abgespielt haben, sehen, wie der Mensch aber wiederum geradezu bestrebt ist, nicht zu der geistigen Welt hinzukommen. Das will ich Ihnen an einem Beispiel erklären.

Sehen Sie, als ein gewisser Stephenson zuerst darauf aufmerksam gemacht hat, man könne Wagen machen mit eisernen Rädern, die auf Schienen fahren, da wurde es den Gelehrten seiner Zeit vor­gelegt. Die Sache ist noch gar nicht lange her. Nun haben die Gelehrten zu rechnen angefangen, haben eine richtige Rechnung ge­macht. Was haben sie herausgekriegt? Sie haben ausgerechnet: Nie­mals würde, wenn hier eine Schiene ist und da ein Rad (es wird gezeichnet), ein Wagen vorwärts kommen, wo das Rad so über die Schiene gehen solle. Es könne nicht sein. - Und sie rechneten weiter und rechneten aus: Es kann nur dann das Rad vorwärts gehen, wenn die Schiene so gezahnt ist und das Rad auch gezahnt ist, so daß immer ein Zahn, der erhöht ist, in ein solches eingreift. Dann gehe es. - Also die Gelehrten haben ausgerechnet, daß, wenn die Wagen Zahnräder hätten und die Schienen auch Zähne hätten, in die die Wagenzahnräder eingreifen, es dann gehe, daß die Wagen sich fortbewegen, und haben bewiesen, nur auf diese Weise könnten sich Eisenbahnzüge vorwärtsbewegen. Nun, Sie sehen, es geht ganz famos heute, ohne daß man Zahnräder und gezahnte Schienen hat! Was haben die Leute getan? Es ist noch gar nicht sehr lange Zeit her. Sie haben gerechnet. Das Rechnen behalten sie aber bloß oben im Kopf, sie lassen nicht den übrigen Menschen darin wirken. Dadurch wird es stumpf, das Rechnen. Gerade das Rechnen ist etwas, wodurch man hell werden kann. Aber die Menschen haben sich im letzten Jahrhundert sogar gegen das Rechnen gestellt. Dadurch ist aber das ganze übrige Denken auch in Verwirrung gekommen. Und 1835, als es soweit war, daß man nicht mehr über debattiert

93

hat, sondern die erste Eisenbahn in Deutschland von Fürth nach Nürnberg eingerichtet wurde, da hat man wiederum das Bayerische Arzte-Kollegium zusammengerufen und hat die gefragt, ob man die Eisenbahn bauen solle, ob es gesund sei. Dieses Dokument ist außer­ordentlich interessant. Es ist noch nicht so lange her, als Sie denken, das ist noch nicht ein Jahrhundert her. Diese Versammlung von ge­lehrten Herren hat das Dokument ausgestellt, man solle lieber keine Eisenbahnen bauen, denn diejenigen Leute, die darinnen sitzen, wür­den außerordentlich nervös werden. Wenn aber die Leute einen zwingen würden, doch Eisenbahnen zu bauen, so müsse man wenig­stens links und rechts vom Zuge große, hohe Bretterwände aufrichten, damit, wenn die Züge vorbeifahren, von dem raschen Vorbeifahren die Bauern nicht Gehirnerschütterungen kriegen würden. Das steht in dem Dokument der gelehrten Herren drinnen.

Ja, so haben die Leute geurteilt. Aber glauben Sie nicht, daß sie heute anders urteilen über diejenigen Dinge, die wirklich vorwärts­weisend in die Welt dringen. Sie urteilen heute auch nicht anders. Denn daß man heute lacht über das, was 1835 vorgekommen ist, das ist eben hinterher, und so werden die Leute über das, was heute geschieht, auch erst hinterher lachen können, wenn es fast hundert Jahre her sein wird. Die Leute haben ja überhaupt sich besondere Ideen gemacht über die Dinge, die neu sein wollen. Mit den Eisen­bahnen ist es gar nicht so leicht gegangen, denn das hat dem Denken der Menschen lebhaft widerstrebt. Als zum Beispiel in Berlin die erste Eisenbahn nach Potsdam gebaut werden sollte, da mußte der Generalpostmeister gefragt werden, denn er hatte jede Woche die vier Postwagen beaufsichtigt, die von Berlin nach Potsdam und wieder zurück gegangen sind, und da mußte er sein Gutachten ab­geben, ob eine Eisenbahn gebaut werden solle. Da gab er sein Gut­achten ab: Ja, er lasse doch viermal in der Woche einen Postwagen von Berlin nach Potsdam gehen, und da sitze kaum jemand drinnen; warum solle man denn eine Eisenbahn bauen? - Heute ist es so, daß von Berlin nach Potsdam zehn bis zwölf Züge täglich gehen, und sie sind alle voll. Nur nicht gerade jetzt, in diesem Augenblick, aber sie waren alle voll. So schwer können sich die Leute seit ein

94

paar Jahrhunderten hineinfinden in dasjenige, was eigentlich in der Welt geschieht. Daher nimmt man die Dinge nicht wahr, die sich abspielen, und höchstens glaubt man einem Menschen, der, ich möchte sagen, eine äußerliche Autorität ist. Dem glaubt man manchmal etwas. So will ich Ihnen eine Geschichte erzählen.

Da war ein ganz berühmter Techniker in England - die Sache ist noch nicht lange her, vierzig Jahre etwa ist es her - ich glaube, r hieß Varley, ein ganz berühmter Techniker, an dessen Verstand niemand zweifelte. Diesem ganz berühmten Manne passierte folgen­des. Er fuhr mit seiner Frau aufs Land hinaus, weil seine Schwäge­rin, die Schwester seiner Frau, schon fast eine Sterbende war. Sie blieben ein paar Tage draußen. Nun, in der ersten Nacht bekam dieser Herr, der also ein ganz berühmter Techniker war, plötzlich das, was man Alpdrücken nennt, und konnte kein Glied rühren. Nicht wahr, wenn dieses Alpdrücken rasch vorübergeht, dann ist es ja nicht weiter schlimm, wenn es aber lange dauert, daß man kein Glied rühren kann und wach bleibt, dann kann man ersticken. Nun lag er schon eigentlich betäubt, so daß er gerade noch den Ge­danken hatte: Ich werde ja ersticken. - Nun, nicht wahr, da ist eine Person, von der man glaubt, sie müsse in ein paar Tagen sterben. Man will außerdem Ruhe halten im Haus. Also versuchte er sich aufzuraffen, es gelang aber nicht. Da plötzlich sieht er neben seinem Bett in aufrechter Stellung die Kranke, und die Kranke spricht ihn an mit seinem Vornamen und sagt: Steh auf! - Und das erschreckt ihn so, daß er durch den Schreck seine Glieder wieder bewegen kann. Da er ein ganz kluger Mensch war, so wußte er, daß er da­durch gerettet war. Nun, er war außerordentlich froh, daß so etwas geschehen kann. Das können Sie wohl begreifen, denn es sind ja schon ganz andere Dinge in der Welt geschehen. Es waren Leute fünfzehn, zwanzig Jahre stumm, haben plötzlich einen großen Schreck gekriegt und sind wieder redend geworden. Also ein großer Schreck kann wirklich schon etwas Furchtbares im Menschen er­zeugen, was aber auch gütig und heilend sein kann. Und am Morgen, als der betreffende Herr aufgestanden war, besuchte er seine Schwä­gerin, die die ganze Nacht im Bette gelegen hat. Aber das erste, was

95

sie ihm erzählte, ohne daß er zuerst davon redete - denn er wollte die Kranke damit verschonen, wollte den Traum natürlich nicht erzählen -, das war, daß sie sagte: Du, ich habe in dieser Nacht einen merkwürdigen Traum gehabt. Mir hat geträumt, ich müsse zu dir gehen und dich erschrecken, damit du nicht ersticktest. Und ich bin dann gegangen und habe dich erschreckt, damit du nicht ersticktest. Das war mein Traum. - Sie war ein paar Zimmer weit weg von ihm gelegen.

Sehen Sie, das ist eine Geschichte, die sich nicht bezweifeln läßt. Ich erzähle Ihnen eben diese Geschichte nur aus dem Grunde, weil sie mitgeteilt ist von einem Menschen, der sonst ganz nüchtern in der Welt gedacht hat, denn er war ein nüchterner Elektriker und sehr berühmt in seinem Fach. Ich möchte nicht eine auf der Straße aufgelesene Geschichte bringen, aber dies ist eine Geschichte, die ebenso verbürgt ist, wie wenn einem jemand aus dem Laboratorium etwas nennt.

Was liegt denn da vor? Ich habe Ihnen schon öfter gesagt, in der Nacht geht das Ich und der Astralleib eines jeden Menschen heraus. Wenn also die Kranke geschlafen hat, so war ja im Bette nur der Körper für sich, das Ich und der astralische Leib waren nicht drinnen. Da hat dasjenige, was nun dieser sogenannte schüt­zende Geist ist, nicht direkt an den Mann heran gekonnt, denn der Mann hatte das nüchterne Denken, das sich die Menschen durch Jahrhunderte angewöhnt haben. Hätte der Fragesteller dazumal das nüchterne Denken gehabt - das hat er natürlich als kleiner Junge ganz gewiß nicht gehabt, denn ein Gelehrter wird er schließ­lich dazumal ebensowenig gewesen sein wie heute -, so würde er das nicht gehört haben, denn das wird durch das nüchterne Denken übertönt, weggeblasen. Bei diesem Herrn Varley war dieses nüchterne Denken vorhanden. Den hätte sein schützender Geist nicht so ohne weiteres erschrecken können. Da hat dieser schützende Geist sogar den Umweg gemacht, die schlafende kranke Schwägerin in ihrem Astralleib zu benützen, so daß er den Astralleib an sein Bett geführt hat, daß er durch den erschrocken ist. Das hätte ja die kranke Schwägerin niemals gewußt. Einen solchen sogenannten Traum hätte

96

sie gut vergessen können, hätte nichts erleben können, wenn sie eine gesunde Person gewesen wäre. Sie ist ein paar Tage darnach gestor­ben, wo ohnedies der Astralleib dann in die geistige Welt hinein­geht. Da hat er sich schon vorbereitet gehabt. Dadurch hat die kranke Person wiederum leichter so etwas behalten können, was sie ein paar Tage vor ihrem Tod vernommen hat, was sie ja nachher er­fahren sollte. Und die Folge davon war, daß sie auch die Sache ge­wußt hat.

Sie sehen also, wenn man solche Dinge richtig beobachtet, dann kommt man darauf, eben wirklich über sie so zu sprechen, wie man davon spricht, wenn man zum Beispiel im Laboratorium eine Retorte hat, eine Flamme darunter, man gibt meinetwillen da Schwefel hin­ein, er ist erst gelb, aber dann wird er braun, später rot. Das kann man beschreiben. So kann man auch beschreiben, wie es mit den geistigen Erscheinungen zugeht, wenn man ein wirklich gesundes Denken darauf anwendet. Aber das muß natürlich die Grundbedin­gung sein. Nun wird in unserer Zeit alles dadurch verworren ge­macht, daß eben dieses verwirrte Denken, das ich Ihnen beschrieben habe, herrschend ist. Und ich habe Ihnen dieses verwirrte Denken nicht bloß deshalb beschrieben, um Ihnen dieses Denken zu be­schreiben, sondern ich habe es beschrieben, weil ich Sie darauf auf­merksam machen wollte, wie selbst bei einem Menschen, in dessen Schicksal eingegriffen werden sollte, der also noch etwas auf der physischen Erde zu tun hatte, die Sache so war, daß, da er niemals ein direktes Wahrnehmen hätte haben können, der Umweg gewählt wurde über diese Kranke. Aber man muß die Sache in der richtigen Weise einsehen.

Ich glaube, ich habe Ihnen schon einmal erzählt, was mir mit dem Arzte Schleich passiert ist, der kürzlich in Berlin gestorben ist, der ein ganz berühmter Mann in Berlin war, ein berühmter Chir­urg, der aber auch eine gewisse Hinneigung hatte - er war ge­scheiter als die anderen Arzte -, solche Dinge zu verstehen. Nun, dem Schleich passierte einmal folgendes. Eines Abends kommt zu ihm ein Mensch und sagt zu ihm: Ich habe mir jetzt gerade in mei­nem Büro eine Feder in meine Hand hineingestoßen, da ist etwas

97

Tinte hineingeflossen. Sie müssen mir die Hand sogleich abnehmen, amputieren, denn sonst sterbe ich an Blutvergiftung. - Schleich sagte:

Ja, aber ich muß mir erst die Wunde eine Zeitlang ansehen. - Nein, sagte der Mann, es muß gleich gemacht werden! - Das geht nicht, das darf ich doch nicht tun! - sagte Dr. Schleich. Dann sah er sich die Wunde an und sagte: Die Wunde kann man ja sehr leicht aus-saugen, und dann wäre die Sache gut. - Der Patient bestand darauf, daß ihm die Hand abgenommen werde. - Ich kann Ihnen die Hand nicht abnehmen, sagte der Arzt. Da sagte der Mann: Dann muß ich sterben! - Er glaubte nicht, daß die Wunde harmlos war und meinte bestimmt, er müsse sterben.

Nun, da wurde dem Arzt, Dr. Schleich, ganz unheimlich. Dann telephonierte ein anderer Arzt bei ihm an und meldete: Der Patient erzählte mir, er sei bei Ihnen gewesen, Sie wollten ihm aber nicht die Hand abschneiden. Jetzt ist er bei mir. - Aber dieser Arzt konnte ihm auch nicht die Hand abnehmen wegen der kleinen Stichwunde. Schleich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, so unheimlich war ihm die Sache.

Am nächsten Tag ging er hin in das Haus, wo der Mann wohnte:

er war in der Nacht gestorben! Er wurde seziert, und es war keine Rede von Blutvergiftung. Aber der Mann hat sterben müssen. Nun, Schleich hat sich einfach gesagt: Das ist ein Tod durch Suggestion -wie man heute, nicht wahr, weiß: Suggestion findet statt. Unter dem Eindruck von Suggestion wird alles mögliche gemacht. Man kann ja manches bewirken durch Suggestion.

Damit Sie einen Begriff bekommen, was man durch Suggestion bewirken kann, will ich Ihnen doch das Folgende mitteilen. Zum Beispiel kann man jemandem sagen: Ich lege dir ein Zugpflaster auf, ein Spanisches Pflaster! - aber man klebt ihm bloß ein kleines Löschzettelchen auf, und der kriegt eine große Blase! Da dringt das Seelische in das Körperliche hinein. So etwas kann man bewirken. Das weiß heute jeder, der sich mit solchen Dingen beschäftigt, daß man das machen kann. Schleich sagte sich: Nun, da hat der Mann sich eingebildet, er stirbt. Also hat diese Einbildung suggestiv auf ihn gewirkt, also Tod durch Suggestion.

98

Er wollte mir durchaus nicht glauben, daß das ein Unsinn ist. Das war nämlich in diesem Fall ein Unsinn, daß der Mann den Tod durch Suggestion gehabt habe, denn etwas ganz anderes lag vor. Sehen Sie, die Nerven dieses Mannes waren zerstört, weil er in der Aufregung der neueren Zeit als Büromensch und als Geschäftsmensch allmählich ganz zerstörte Nerven bekommen hatte. Etwas Blut war in die Nerven hineingeflossen. Man konnte das Blut iii den Adern ganz gut untersuchen, das war in Ordnung. Und als man die Nerven untersuchte, da war nur sehr wenig Blut drin, was durch äußere Mittel nicht untersucht werden kann, aber die Nerven waren zer­stört durch das Eindringen von Blut. Dadurch war der Mann kribbelig geworden, hat sich aus Tapsigkeit die Feder in die Hand hineingestochen, weil er schon tapsig geworden war, und ohne daß es äußerlich viel bemerkt werden konnte, war er schon ein gezeich­neter Mensch für die nächste Nacht. Aus inneren Gründen mußte er sterben, weil sein Nervensystem von Blut durchdrungen war. Und da hat er die Vorahnung bekommen und wurde ängstlich, so daß also die seelische Wirkung gerade umgekehrt war. Schleich hat ge­glaubt, der habe sich den Tod suggeriert. Den Tod hat er sich nicht suggeriert, der Tod wäre gekommen durch seine physische Organi­sation, aber die Vorahnung hat er in der Seele gehabt, daß der Tod kommen wird.

Sie sehen also, da haben Sie ein eklatantes Beispiel, wie man richtig denken muß, wenn man in die Geistwelt hineinschauen will. Man muß ganz richtig wissen, wo sozusagen der Hase im Pfeffer liegt, sonst kann man ein großer gelehrter Herr sein und doch die geistige Welt ganz falsch deuten. Das ist ja gerade dem Sir Oliver Lodge passiert, der einer der größten Physiker Englands ist. Dem Oliver Lodge ist gerade das passiert, daß er die geistige Welt falsch gedeutet hat. Ihm ist sein Sohn in einer der Schlachten gefallen, die jetzt im Weltkrieg stattgefunden haben. Er war furchtbar traurig, daß er seinen Sohn, Raymond Lodge, verloren hatte, und da ist er verwickelt worden in ein ganzes Gewebe von Medien. Ein sehr ge­schicktes Medium ist ihm gebracht worden, und es' ist arrangiert worden, daß durch dieses Medium sein Sohn Raymond nach dem

99

Tode zu ihm gesprochen hat. Nun, unter dem Eindruck, daß der Sohn gestorben ist auf dem deutschen Kriegsschauplatz, hat das na­türlich einen großen Eindruck auf Oliver Lodge gemacht und war ihm auch ein großer Trost.

Aber nun ist Sir Oliver Lodge auch ein außerordentlich großer Gelehrter und glaubt nicht so ohne weiteres. Aber da passierte wieder etwas, wodurch er fast gar nicht anders konnte als glauben. Und siehe, was passiert war, ist das Folgende. Das Medium machte ihm, wie man sagt, aus dem Trancezustand, also aus einem halbbewußten Zustand heraus kund, daß sein Sohn in den letzten Tagen, bevor er gestorben war, sich habe photographieren lassen und erzählte ihm, es seien aber zwei Photographien vorhanden.

Nun kommt es ja sehr häufig vor, daß von solchen Photographen einige Aufnahmen hintereinander gemacht werden, und meistens läßt man die Leute bei der zweiten Aufnahme etwas anders sitzen. Das Medium sagt also, der Sohn sitze anders auf der zweiten Aufnahme und beschreibt, wie diese etwas anders ist als die erste, ganz richtig. -Halt, wenn das wahr wäre, was die mir beschreibt, sagte sich Sir Oliver Lodge, ein paar Tage vor dem Tod photographiert in zwei verschiedenen Stellungen! - Das konnte damals in England noch niemand wissen, daß die Aufnahmen noch kurz vor dem Tode ge­macht worden waren, weil eine kurze Zeit erst verstrichen war, denn die Sitzung hat vierzehn Tage oder drei Wochen nach dem Tod des Sohnes stattgefunden. Siehe da, acht Tage, nachdem die Sitzung stattgefunden hat, kommen auf dem Wege der Post - die Pakete gingen ja damals alle sehr langsam - die zwei Photographien in London an, und es stimmt, stimmt absolut! Also konnte er nichts anderes glauben, nach seiner Ansicht, als der Sohn habe ihm das aus dem Jenseits erzählt.

Und doch war es nicht so in diesem Falle, sondern das Medium war schon in Trance, in einen anderen Zustand gekommen und hat ein Vorgesicht gehabt, wie es ja vorkommt, hat also nur ein Vor-gesicht davon gehabt. Die Personen, die da um das Medium um den Tisch herum saßen, die haben erst jetzt, nach acht Tagen, von den Photographien gewußt, als sie angekommen waren, das Medium

100

aber hatte ein Vorgesicht davon und hat sie schon acht Tage früher gesehen. Es war also da jetzt keine Verbindung mit dem verstorbenen Sohne, sondern alles geschah auf der Erde. Das Medium hatte nur ein Vorgesicht, und Oliver Lodge hatte sich doch täuschen lassen. So vorsichtig muß man sein. Also alles ist richtig, daß der Mensch über den Tod hinaus lebt, daß er sich auch kundgeben kann, aber sicher muß man sein. Wenn da das Medium in englischer Sprache von dem Raymond Lodge mitteilt: Zwei Photographien habe ich kurz vor meinem Tode machen lassen, die Stellungen haben sich ge­ändert - so muß man erst sicher sein, ob das Hören aus dem Unter­bewußtsein stammt, aus dem, was im gewöhnlichen Leben nicht be­wußt ist.

Ich wollte Ihnen damit, gerade weil ich durch die Frage dazu veranlaßt worden bin, heute solche heiklen Dinge zu erzählen, auch sagen, wie vorsichtig man sein muß, denn man ist verantwortlich für das, was man sagt, - wollte zeigen, wie man nicht nur einen belie­bigen Begriff aufnehmen kann, sondern allem nachgehen muß. Und dann erst, wenn man lange nachgedacht hat darüber, kann man sagen: Ja, da hat eben gesprochen ein schützender Geist. - Aber daß die Worte in deutscher Sprache zum Ausdruck gekommen sind, das ist zum Beispiel erst durch Vermittlung des Menschen. Und wenn irgendwelche Menschen irgend etwas nicht machen können, so mußten erst von der geistigen Welt aus ihre Muskeln gelähmt werden. Es muß alles durch den Menschen gehen.

Dann, wenn man das als Grundlage gelernt hat, kann man weiter­gehen. Davon wollen wir dann am nächsten Samstag weiter sprechen.

101

SECHSTER VORTRAG Dornach, 16. Juni 1923

Ist vielleicht Ihrerseits etwas zu fragen, meine Herren?

Fragesteller: Ja, über das Menschenschicksal. Bei dem großen Weltkrieg sind Millionen von Menschen gefallen. Haben sie das als Schicksal mit auf die Welt gebracht? Wie schaut das in der geistigen Welt aus im Zusammenhang mit der Weltentwickelung?

Dr. Steiner: Auch davon können wir im Zusammenhang mit anderem sprechen, weil es durchaus nötig ist, daß man in der An­throposophie nicht einfach die Dinge so erklärt, wie es die Leute manchmal machen. Es muß wissenschaftlich sein, was gesprochen wird. Nun möchte ich Ihnen gerade in bezug darauf etwas sagen, was uns dann darauf führen wird, zu verstehen, wie die große Kata­strophe jetzt, dieses furchtbare Elend von so vielen Menschen überhaupt möglich sein kann. Gewöhnlich beachtet man nämlich heute nicht mehr, wie der eine Mensch mit dem andern eigentlich zusam­menhängt. Es ist so, daß heute alle Menschen eigentlich vereinzelt in der Welt dastehen. Sogar wenn man heute aus Gewohnheit oder durch einen Rest von Aberglauben, den man hat, solche Dinge, wie ich sie Ihnen in der letzten Stunde erzählt habe, weiß und beob­achtet, erklärt man sie in der Regel falsch.

Nun will ich Ihnen einmal eine einfache Geschichte erzählen, die Ihnen zeigen kann, daß man heute gar nicht mehr daran denkt, daß ein Mensch mit dem andern in irgendeinem Zusammenhang steht. Da trug sich einmal folgendes zu, was ganz gut verbürgt ist, wie eine wissenschaftliche Tatsache. In einer Familie war ein jüngeres Familienglied, ein achtzehn- oder neunzehnjähriges Mädchen, krank, nicht so krank, daß sie bettlägerig war, aber immer wieder sich hinlegen mußte. Nun war eine Zeitlang die Mutter bei ihr und pflegte sie. Sie lag auf dem Sofa, wurde also von ihrer Mutter ge­pflegt, und als sie einmal so ziemlich eingeschlafen war, da ging die Mutter in ein anderes Zimmer und las dort aus einem Buche ihrem Manne und anderen Familienmitgliedern etwas vor. Es war in einem

102

Zimmer, das ziemlich weit von dem entfernt war, in dem die Kranke lag.

Die Kranke hatte nun folgendes Bewußtsein. Als die Mutter aus der Tür gegangen war, hatte sie plötzlich den Drang, aufzustehen. Sie stand auf und ging der Mutter durch zwei Zimmer bis ins dritte Zimmer nach, wo sie dann die Mutter vorlesend fand. Sie war höchst erstaunt darüber, daß die gar nicht verwundert waren, daß die Kranke, die soeben schlafend verlassen worden war, so daß sie kaum gehen konnte, nun in dem Zimmer erschien, wo die Mutter nur für eine Weile sein wollte, weil sie die andern auch etwas ver­sorgen wollte. Sie war ein bißchen sonderbar berührt davon, daß die ganz ruhig blieben. Nun sagte die Mutter, die da las: Jetzt muß ich wieder nachschauen, was mit meiner Tochter ist! - und ging aus dem Zimmer heraus. Die Tochter ging aber nach. Die Mutter ging durch die zwei Zimmer wieder zurück und fand die Tochter auf dem Sofa liegend, aber furchtbar bleich. Sie sprach sie zunächst gar nicht an. Dann aber, als sie sie ansprach, gab die Tochter keine Antwort, war ganz bleich. Die Tochter war also immer der Mutter nachgegangen und sie sah nun, wie die Mutter dahinging, und sie, die Tochter, sah sich selbst auf dem Sofa liegen. Und die Tochter war wiederum sehr verwundert darüber, erstens, daß sie sich selbst auf dem Sofa liegen sah, zweitens, daß die Mutter da sie ansprach. In dem Momente ist es der Tochter, wie wenn sie einen furchtbaren Schlag kriegt, und da wird das, was da auf dem Sofa liegt, von etwas besserer Hautfarbe, und die Sache ist wieder beim alten.

Das ist eine ganz verbürgte Erzählung, die Sache hat stattgefun­den. Aber jetzt kommen allerlei Leute, die das erzählen wollen. Ja, die erzählen dann zum Beispiel folgendes: Nun ja, diese Tochter hat außerdem, daß sie einen physischen Leib hat, auch einen astrali­schen Leib. - Vom astralischen Leib haben ja die Leute bis zum sechzehnten Jahrhundert, also bis vor vierhundert Jahren, immer ge­sprochen, so wie von der Nase oder dem Ohr. Das ist aber nicht etwas, was bis heute aufbewahrt worden ist, das ist im allgemeinen vergessen worden. Also jene Leute können eben vom astralischen Leib reden und können sagen: Da ist eben der astralische Leib herausgegangen,

103

ist durch die Zimmer spaziert, hat das mitgemacht, was die andern da gelesen haben und so weiter, ist wieder zurück-gegangen und ist hineingeschlüpft in dem Momente, wo die Muttet das Mädchen angesprochen hat.

Ja, aber Sie müssen sich doch klar sein, daß wenn man die Sache so erklären will, man sie so erklärt, als wenn ein zweiter physischer Mensch in einem drinnensteckte, als ob da ein Kreis herum wäre, dieser Kreis wäre groß, und als ob man da herausschlüpfte und spazieren ginge wie ein physischer Mensch. Das ist ein starker Aber­glaube, daß man dies so erklärt. Dieser Aberglaube ist unter gelehrten Leuten heute sehr verbreitet, sonst würden sich nicht solche Dinge zutragen wie die von Oliver Lodge, die ich Ihnen erzählt habe. Es kommt immer darauf an, daß man weiß: Was ist wirklich da ge­schehen?

Nun, was da wirklich geschehen ist, das ist folgendes. Die Mutter sitzt bei ihrer Tochter und pflegt sie. Nicht wahr, da findet so etwas statt, was man liebevolle Pflege nennt, und der Tochter ist es sehr, sehr angenehm, daß sie von der Mutter gepflegt wird. Sie fühlt die Liebe der Mutter. In einem solchen Moment, wo einer so stark die Liebe des andern fühlt und noch dazu sehr schwach ist, da tritt das Merkwürdige ein, daß er nicht mehr mit seinem eigenen Astralleib denkt. Der wird dumpf und der Astralleib des andern gewinnt Macht über den eigenen Astralleib. Dann kommt es sogar vor, daß man mit dem Denken des andern, der neben einem ist, zu denken beginnt. Nun ist also das so gewesen, daß, während die Mutter noch die Tochter gepflegt hat, sich dieses Gefühl, das sich da ent­wickelt hat, so auf die Tochter übertragen hat, daß die Tochter ganz so gefühlt und gedacht hat wie ihre Mutter. Jetzt geht die Mutter weg. Geradeso wie eine Kugel, die ich stoße, dann fortrollt, so denkt die Tochter jetzt nicht mit ihren eigenen Gedanken, son­dern mit den Gedanken der Mutter. Und während die Mutter vor-liest, denkt die Tochter mit den Gedanken der Mutter.

Also die Tochter bleibt natürlich ruhig liegen auf dem Sofa, aber sie denkt fortwährend mit den Gedanken der Mutter. Und wäh­rend die Mutter durch zwei Zimmer geht, denkt die Tochter fortwährend

104

mit den Gedanken der Mutter, und während die Mutter vorliest, denkt die Tochter mit den Gedanken der Mutter. Und als die Mutter dann unruhig wird, wiederum zurückgeht, da denkt die Tochter, auch sie gehe zurück. Und nun brauchen Sie sich nicht zu verwundern, daß die Tochter bleich geworden ist. Denn bedenken Sie nur: Wenn Sie eine Zeitlang wie in einer tiefen Ohnmacht liegen, werden Sie auch bleich. Denn so etwas bewirkt natürlich einen ohnmachtartigen Zustand, wenn man mit den Gedanken des andern denkt. Und als die Mutter wieder zurückkommt, da wirkt das auf die Tochter so, daß sie erschüttert wird und wiederum ihre eigenen Gedanken haben kann. Also Sie sehen, die richtige Erklärung ist in diesem Falle, daß ein Mensch gerade in seinem geistigen Teil auf den anderen außerordentlich stark wirkt. Das aber tritt besonders stark dann auf, wenn derjenige, auf den gewirkt wird, selber schwach ist. Wenn er also selber die seelische Stärke nicht entwickeln kann, dann hat sehr leicht die seelische Stärke des anderen auf ihn einen Einfluß.

So ist es aber überhaupt im Leben. Man denkt oftmals gar nicht, welchen großen Einfluß die Menschen aufeinander haben. Glauben Sie denn, wenn irgendeiner einem etwas erzählt, und man glaubt es dann, daß man da immer Gründe hat, verständige Gründe, warum man überzeugt ist? Das ist gar nicht wahr. Wenn man einen lieber hat, glaubt man ihm mehr als demjenigen, den man haßt. Das ist die Geschichte, daß die Seele des einen Menschen die Seele des an­deren Menschen außerordentlich stark beeinflußt. So muß man sich sagen: Ich muß wissen, wie stark ein Mensch den anderen beeinflußt. Ich muß genau Bescheid wissen, wie es sich mit den geistigen Dingen verhält, wenn ich überhaupt darüber reden will.

Ich will Ihnen jetzt ein anderes Beispiel zeigen, das ich Ihnen aus einer bestimmten Absicht erzähle. Denn es könnte einer jetzt sagen: Ja, der Dr. Steiner glaubt also überhaupt nicht daran, daß der Mensch aus sich heraustreten kann, er glaubt nur daran, daß ein Mensch den andern beeinflussen kann. - Nein, ich erzählte Ihnen nur ein Beispiel, an dem Sie so ganz klar sehen konnten, wie ein Mensch den anderen, hier die Mutter die Tochter, beeinflußt hat.

105

Nun ein anderes Beispiel, wo gar nicht die Rede davon sein kann, daß ein Mensch beeinflußt worden ist. Da wohnen zwei Stu­denten zusammen in einem Zimmer. Das kommt ja bei Studenten öfters vor. Der eine ist ein Mathematikstudent, der andere ist ein Student der Philologie und versteht nichts von Mathematik, gar nichts. Nun aber ochsen sie, wie man es in der Studentensprache eben nennt, einmal an einem Abend fürchterlich, der eine seine la­teinische Grammatik, der andere an seinem Rechenexempel, das er lösen will und einfach nicht zusammenbringt. Er kann gar nichts machen. Dem mit der Sprache geht es ordentlich, der legt sich ziem lich befriedigt ins Bett. Aber der Mathematikstudent legt sich nicht befriedigt ins Bett, denn er hat seine Aufgabe eben nicht gekonnt. Bei den Sprachen weiß man meistens nicht, ob man etwas gekonnt hat oder nicht. Man macht höchstens Fehler, aber die hält man für richtig. Bei der Mathematik ist es eben so, daß nichts herauskommt, wenn man nichts gekonnt hat. Das ist der Unterschied. Nun, sie gehen also ins Bett; so um halb zwölf oder zwölf Uhr gehen beide ins Bett.

Wie es etwa drei Uhr wird, steht der Mathematikstudent - der Sprachstudent hat auf die Uhr geschaut - auf, setzt sich wieder an sein Tischchen hin und fängt an zu rechnen, rechnet, rechnet. Der Sprachstudent ist höchst erstaunt darüber, aber er hat doch so viel Geistesgegenwart, daß er ruhig abwartet, was da geschieht. Der an­dere rechnet, rechnet, steht dann wieder auf vom Stuhl, legt sich ins Bett und schläft weiter.

Morgens um acht Uhr stehen beide auf. Der Mathematikstudent sagt: Donnerwetter, ich habe heute einen richtigen Brummschädel, wie wenn wir den ganzen Abend gekneipt hätten, und wir waren doch zu Haus! - Da sagte der andere: Das wundert mich nicht! Warum bist du denn in der Nacht aufgestanden und hast gearbeitet?

- Was, ich gearbeitet? Ist mir gar nicht eingefallen! Ich bin doch die ganze Nacht im Bett gelegen, sagt der Mathematikstudent. - Aber du bist doch aufgestanden! - sagt der andere. Du hast doch den Blei­stift genommen und hast gerechnet, gerechnet! - Nun, sagt der eine wieder, da ist doch keine Rede davon!-Nun, schauen wir doch nach,

106

sagt der Sprachstudent, das müßte doch dastehen, was du geschrie­ben hast! - Der Mathematikstudent schaut nach. Da war die ganze Rechenaufgabe gelöst, alles gemacht, was er am Abend nicht ge­konnt hat.

Da haben Sie ein Beispiel, wo ganz ohne Frage ist, daß der andere nicht geschwindelt hat und ihn nicht beeinflußt hat, denn er hätte die Aufgabe nicht lösen können. Er war bloß ein Sprachstudent und hat außerdem gesehen, wie alles zugegangen ist. Da ist also der Be­treffende, ohne daß er es selber wußte, aufgestanden und hat die ganze Rechnung gelöst. Es ist also gar keine Rede davon, daß irgend­wie eine Beeinflussung von emnem anderen hat stattfinden können. Da ist der Betreffende in der Nacht tatsächlich aufgestanden.

Aber da kommt, wenn man jetzt das erklärt, etwas sehr Merk­würdiges heraus. Sehen Sie, wir haben ja, wie Sie wissen, zuerst unsern physischen Leib, dann den Atherleib, den Astralleib und den Ich-Leib. Ich nenne alles «Leiber», es sind ja natürlich nicht äußer­liche Leiber, aber ich nenne diese vier Teile des Menschen «Leiber». Nun, wenn wir schlafen, dann liegt im Bett bloß unser physischer Leib und Atherleib, und der astralische Leib und der Ich-Leib sind heraußen. Die sehen wir außen um den physischen Leib und Äther-leib herum. Das alles habe ich Ihnen ja schon erklärt. So ist es auch bei diesem Rechenstudenten geschehen. Er legt sich ins Bett. Er kann wohl schlafen, also er bringt seinen astralischen und seinen Ich-Leib heraus, aber er ist doch dadurch beunruhigt, daß er sein Rechen-exempel nicht gelöst hat. Wäre jetzt der astralische Leib und der Ich-Leib hineingeschlüpft in seinen physischen Leib und seinen Ather­leib, dann wäre er aufgewacht und hätte wieder nichts gekonnt, wahrscheinlich die Aufgabe wieder nicht gelöst. Das hat aber der astralische Leib und der Ich-Leib gar nicht getan, sondern durch die Unruhe, in die er gefallen ist, hat er ihn nur gepufft. Puffen kann der astralische Leib, er kann sogar ein wenig die Haut puffen. Das aber kann nur geschehen durch die Luft, nicht physisch, denn der astralische Leib ist ja nicht physisch. Aber die Luft kann er in Bewegung setzen. Und das wirkt besonders auf die Augen, auf die Ohren, auf die Nase und den Mund. Überall, wo Sinnesorgane sind,

107

da wirkt dieser Puff des astralischen Leibes sehr stark. Da legt sich der Rechenstudent also ins Bett, der astralische Leib pufft fortwäh­rend von außen, aber geht nicht herein. Aber weil er pufft, fühlt sich der physische Leib mit dem Ätherleib ganz automatisch wie eine Maschine gedrängt, aufzustehen. Der Astralleib bleibt aber draußen, denn wenn er drinnen gewesen wäre, würde der Student bewußt geworden sein. Der setzt sich also hin. Seinem astralischen Leib und Ich fällt es gar nicht ein, hineinzugehen. Ja, wer rechnet denn jetzt? Jetzt rechnet nämlich der physische Leib und der Ätherleib, und der Ätherleib ist imstande, die ganze Rechnung zu machen, die er nicht machen kann, wenn der astralische Leib und das Ich drinnen sind.

Daraus sehen Sie, daß Sie alle in Ihrem Ätherleib furchtbar viel gescheiter sind als in Ihrem Astralleib und in Ihrem Ich. Wenn Sie alles dasjenige können würden, was Sie in Ihrem Ätherleib können, ja, da wären Sie gescheite Kerle. Denn das ganze Lernen besteht eigentlich darinnen, daß wir das, was wir in unserem Ätherleib schon haben, in den astralischen Leib heraufholen.

Was ist denn bei dem Rechenstudenten eigentlich geschehen? Sie wissen, in früheren Zeiten gab es eigentlich unter den Studenten fast gar keine Abstinenten und Antialkoholiker, sondern die tranken sogar gewöhnlich ziemlich viel. Und so haben die zwei Studenten nicht jeden Abend so geochst, sondern sie sind auch viel in Kneipen gegangen, und dadurch ist - durch die Beeinflussung des Blutes von seiten des Alkohols - der astralische Leib ruiniert worden. Der Äther-leib ist weniger ruiniert worden. Die Folge davon war, daß der Rechenstudent, wenn er weniger in die Kneipe gegangen wäre, ganz gut die Aufgabe hätte lösen können, aber weil er sich seinen Astral-leib so stark beeinflußt hat, konnte er als Wacher die Aufgabe nicht lösen. Er mußte erst den verdorbenen astralischen Leib heraus haben; da konnte er sich an den Tisch setzen und sein Ätherleib, der ge­scheiter geblieben ist, der löste die Rechenaufgabe. Wir können also gerade, was der Verstand tut, mit dem Ätherleib machen. Lieben können wir nicht mit dem Ätherleib, das muß der astralische Leib tun, aber alles, was der Verstand macht, das kann man mit dem

108

Ätherleib, da muß der Ätherleib herhalten. So können wir also sagen: An diesem Beispiel sehen wir sehr klar, daß da nicht eine Beeinflussung von einer andern Seite ist, sondern da hat es der Re­chenstudent nur mit sich selber zu tun.

Jetzt stellen Sie sich ganz klar das vor: Da haben wir (es wird gezeichnet) den physischen Leib, hier den Ätherleib, der geht durch den physischen Leib durch. Damit wir den ganzen Menschen leichter übersehen, zeichne ich den astralischen Leib, der in der Nacht da ist, heraußen. Der ist oben sehr klein, unten riesig bauchig. Dann das Ich, den Ich-Leib. So sind wir also in der Nacht. Sie müssen sich das natürlich nicht als einen zweiten Menschen, der physisch ist, vorstellen. Es ist eben durchaus geistig, was da heraußen ist. Sonst würden Sie zu stark wiederum in den Materialismus verfallen, wenn Sie sich die Sache nicht geistig vorstellen würden. Daraus aber kön­nen Sie durchaus die Ansicht haben, daß der Mensch eigentlich an sich dieses zwiespältige Wesen ist, ein geistig-seelischer Teil und ein physischer Teil mit dem Ätherleib zusammen. Der Mensch, der wacht, ist nur dadurch so, wie er eben ist, daß richtig jeden Morgen der astralische Leib und Ich-Leib in den physischen und Ätherleib ein­gereiht wird.

Jetzt denken Sie aber, das könnte nicht immer ordentlich gesche­hen. Davon gibt es wiederum sehr merkwürdige Fälle. Da war ein­mal ein Mädchen - es geschehen solche Dinge immer, wenn sie von selbst geschehen, wenn sie also nicht durch Übungen geschehen, dann, wenn der Mensch etwas schwach wird, also bei jungen Mädchen zum Beispiel, wenn sie gerade reif geworden sind, in der ersten Zeit der Frauenreife -, es war also ein junges Mädchen mit neunzehn, zwanzig Jahren, die hat folgendes gehabt. Sie hatte Tage, wo sie redete, aber diejenigen, die zu der Familie gehörten, die konnten nichts verstehen von dem, was sie da redete. Es war ganz merkwür­dig. Sie konnte zum Beispiel sagen: Ah, guten Tag, es freut mich sehr, daß Sie mich besuchen. Ich habe Sie vor zwei Tagen gesehen. Ah ja, da sind wir spazieren gegangen in dem schönen Wald. Es war eine Quelle dort. - Dann wartete sie. Es war gerade wie beim Telephon, von dem anderen hörte man nichts, aber die Antwort dann. Es war

109

so, wie wenn sie antwortete auf etwas: Na ja, gewiß, Sie haben das Glas genommen und getrunken. - Und so war es also, daß man immer das hörte, was die Betreffende als Antwort sagte auf etwas, was jemand anderer gesagt haben soll. Den andern konnten eben die­jenigen, die in der Umgebung waren, nicht sehen. Aber das Mäd­chen war da in ihrer ganz anderen Welt und redete darinnen. Es kam -zum Beispiel das vor. Bewegen konnte sie sich nicht, sie blieb dann ganz ruhig an solchen Tagen. Aber wenn sie so saß und man puffte sie, da sagte sie nicht: Warum pufft ihr mich denn? - sondern sie sagte: Es ist ein schrecklicher Wind! Macht das Fenster zu, es zieht so furchtbar! - Ganz andere Vorstellungen hatte sie über das­jenige, wenn man sie zum Beispiel puffte. Nun, so blieb sie ein oder zwei Tage. Dann kamen ein paar Tage oder längere Zeit, da war sie ganz besonnen, wußte alles, redete dann von den Menschen ordentlich, wußte gar nichts von dem, was geschehen war in diesen andern Tagen. Sie erinnerte sich an gar nichts. Wenn die Leute ihr etwas davon erzählten, so sagte sie, sie wisse gar nichts davon. Es war geradeso, als ob sie geschlafen hätte. Aber dafür trat etwas anderes ein. Wenn sie in diesem anderen Zustande war, dann er­innerte sie sich an alles dasjenige, was in diesem andern Zustand war und an gar nichts von dem, was in ihrem gewöhnlichen Zu­stand vor sich ging. Sie konnte das ganze Leben übersehen, das sie so in einer, wie die andern sagten, erträumten Welt durchgemacht hatte.

Was war es bei diesem Mädchen? Das, was ich Ihnen jetzt erzählte, kommt natürlich unzählige Male vor, und es kommt manchmal auf eine schauerliche Weise vor. Sehen Sie, ich hatte einen Bekannten, mit dem ich eine Zeitlang zusammen gearbeitet hatte. Er wurde dann Professor an einer deutschen Hochschule, und eines Tages ver­schwand er einfach. Kein Mensch wußte, wohin er verschwunden war. Alle Nachforschungen führten zuletzt zu nichts. Das einzige, was man herauskriegen konnte, war, daß er von dem Ort, wo er wohnte, zum Bahnhof gekommen war und sich ein Billett gelöst hatte. Aber da eine größere Anzahl von Menschen eingestiegen wa­ren, so wußte man nicht, wohin er sich ein Billett gelöst hatte. Er

110

ist weggefahren. Er kam eben sehr lange nicht wieder. Dann kam es daß in Berlin im Vagabundenasyl ein fremder Mensch hereinkommt, aufgenommen werden will, und als er nach seinen Papieren gefragt wurde, stellte es sich heraus: das war der Professor XY von da und da. Er ist in Berlin in einem Obdachlosenasyl gelandet. Er ist wieder zurückgekommen und konnte sein Professorenamt ganz gut wieder verrichten. Nicht wahr, das geht ja automatisch weiter, es schadet nicht, wenn man so ein bißchen Unterbrechung hat. Also er ver­richtete das weiter. Aber seine Verwandten - er war sogar verhei­ratet - forschten weiter nach, was in der Zeit geschehen war. Und da war es ungefähr so, daß der Betreffende sich ein Billett gekauft hatte nach einer gewissen Station, nicht sehr weit. Das hatte er alles sehr schlau angestellt. Er war dann ausgestiegen, hatte sich wieder ein Billett gekauft - es war noch nicht die Zeit, wo man Pässe ge­braucht hat -, fuhr in ein ganz anderes Land, dann noch in ein anderes Land, dann über einen ganz anderen Weg - es war in einer süddeutschen Stadt, wo er stationiert war - nach Berlin, lebte im Obdachlosenasyl, wurde dort aufgenommen, wußte von dem Ganzen absolut nichts, war ganz in einem anderen Zustand.

Was geschieht denn bei einem solchen Menschen? Sehen Sie, bei einem solchen Menschen ist es ebenso wie bei einem solchen Mäd­chen. Bei einem solchen Menschen kommt, wenn er aufwachen soll, der astralische Leib und der Ich-Leib nicht ganz herein, pufft nur von außen, und da macht dann der physische Leib und der Ätherleib das alles durch. Solche Leute benehmen sich ungeheuer gescheit. Es ist das auch eine gut verbürgte Geschichte, die ich Ihnen da erzählen möchte, die ähnlich ist der, die ich selbst bei einem Bekannten erlebt habe, eine andere Geschichte: Ein Mensch nimmt sich zunächst ein Eisenbahnbillett, macht es ebenso, fährt nach einer nicht weit liegen­den Station. Dann muß er allerlei Finten ausdenken, das macht alles sein Ätherleib. Er kommt bis nach Indien und bleibt ein paar Jahre dort. Und dann, nachdem er alles vergessen hat, lebt er wiederum weiter wie früher.

Diese Dinge sind wirklich so, daß man sagen muß: Da sieht man tief hinein in die ganze Wesenheit des Menschen. - Denn was ge­schah

111

jetzt mit dem Menschen, den ich also gut kannte, der seine Fahrt durch zwei Länder gemacht hat und im Obdachlosenasyl ge­landet ist? Er war nun wiederum an seine Hochschule zurückgekom­men, war sogar an eine andere Hochschule zum Ersatz von einem berühmten Professor berufen worden. Ich war eines Tages gerade in der betreffenden Stadt. Er verkehrte nicht mehr mit mir, wie es ja überhaupt gekommen ist, daß in der Zeit, als ich anthroposophi­sche Vorträge hielt, viele Leute, die früher mit mir verkehrt hatten, nicht mehr mit mmr verkehren wollten. Eines Tages heißt es: Ja, der Professor XY ist wieder gegangen. - Diesmal aber kam er nicht wie­der zum Vorschein, sondern wurde als Leiche gefunden. Er hatte sich ertränkt. Ja, was war da geschehen? Sehen Sie, da war dies ge­schehen, daß er wiederum in denselben Zustand gekommen ist, wo ihn der astralische Leib nur gepufft hat. Da hat er in seinem Äther­leib sich wiederum an die früheren Ereignisse erinnert und ist so er­schrocken darüber, daß er sich selbst gemordet hat. Also da sieht man schon gründlich in die Wesenheit des Menschen hinein, wenn man weiß, wie da die verschiedenen Glieder der Wesenheit eben zu­sammenwirken.

Nun aber ist die Sache so: Da war einmal ein Mensch, der kam auch in solche Zustände, und da erlebte er wiederum so, wie wenn er ein ganz anderer Mensch wäre, als er jetzt war, so daß die anderen Menschen gar nichts verstanden. Er hat überhaupt geschildert -die Geschichte trug sich im neunzehnten Jahrhundert zu, viel später -, wie er in der Französischen Revolution tätig war. Ganze Szenen schilderte er. Was war mit dem geschehen? Es war so ähn­lich wie bei diesen Leuten, von denen ich Ihnen erzählt habe. Aber was war mit dem geschehen?

Von dem, was im astralischen Leib und in dem Ich-Leib vor sich geht, weiß ja der Mensch im gewöhnlichen Bewußtsein nicht gar viel, aber er erlebt dennoch sehr viel da drinnen. Ich will Ihnen nun schildern, wie es ist, wenn der Mensch aufwacht. Wenn der Mensch aufwacht, da spaltet sich zunächst dieser astralische Leib. Da hier (auf der Zeichnung) reißt er ab, und der eine Teil geht in den Kopf hinein, der andere, der untere, geht in den andern Leib

112

hinein. Nun denken Sie sich: Wenn der Kopf leichter den astralischen Leib und das Ich aufnimmt als der untere Teil, dann kann der astra­lische Leib schon früher im Kopf drinnen sein, aber noch nicht in dein unteren Teil. In diesem Falle fängt der Mensch an so zu reden, daß er ein ganz anderer ist. Was tritt denn da ein? Sehen Sie, da tritt für einen Moment ein die Fähigkeit, in ein früheres Leben zurückzublicken. Aber das kann man nicht recht deuten, das versteht man nicht, und da erfindet man irgend etwas, was man mn der Geschichte gelernt hat. Der, welcher in einem andern Zustand war, weil sein astralischer Leib und sein Ich früher in seinen Kopf hinein kamen, erlebte die Französische Revolution. Das hatte er gelernt, das ist nur eine Umdeutung. Er erlebte sich aber in einer früheren Inkarnation, in einem früheren Leibe, und das konnte er nicht gleich verstehen; deshalb deutete er es in dieser Weise um.

Sie müssen sich nur klar sein: Wirklich bis zum sechzehnten Jahr­hundert - es ist also erst vier Jahrhunderte her - haben die Leute, wenn auch recht töricht und recht verschwommen, von solchen Sachen geredet. Das war den Leuten etwas außerordentlich Wichtiges. Überall, wo die Menschen zusammengekommen sind - nicht daß sme sich etwa Gespenstergeschichten erzählten, sondern es war so, daß sie diese Dinge so ernst genommen haben wie die andern Er­emgnisse des Lebens -, haben sie sich solche Dinge erzählt und wußten, daß es das gibt. Es ist ja gar nicht wahr, daß die Menschen das nicht gewußt haben. Heute - ja bitte, versuchen Sie es nur einmal und erzählen Sie in Ihren Parteien ein paar solcher Geschichten, wie ich sie Ihnen jetzt erzählt habe, Sie werden gleich sehen, wie Sie an die Luft gesetzt werden-, heute gibt es das nicht, daß man von diesen Dingen in naturgemäßer, vernünftiger Weise reden kann. Man redet gar nicht mehr davon. Und die Gelehrten reden am allerwenigsten davon. Das will ich Ihnen beweisen, daß die am allerwenigsten da­von wissen.

Denken Sie jetzt einmal an eine der wichtigsten wissenschaftli­chen Tatsachen, die sich im neunzehnten Jahrhundert zugetragen hat. Da ist ein Heilbronner Einwohner Arzt geworden. Und da ihn die Leute auf der Universität Tübingen für einen ziemlich unbefähigten

113

Menschen angesehen haben, so konnte er nicht viel werden, und so hat er sich im Jahre 1839 als Schiffsarzt anwerben lassen und fuhr mit einem sehr voll besetzten Schiff nach Hinterindien. Das Schiff hatte ziemlich Malheur. Es war eine ziemlich unruhige See und die Leute sind seekrank geworden. Als sie ankamen in Hinterindien, war fast die ganze Schiffsmannschaft krank. Der Schiffsarzt hatte fortwährend viel zu tun. Nun, dazumal war noch das Übliche, wenn jemand das oder jenes hatte: man ließ ihm zur Ader. Das war das erste.

Nun hat der Mensch ja zwei Arten von Adern. Die eine, die hat solches Blut, daß, wenn das Blut beim Aderlassen herausspritzt, es rötlich ist. Daneben verläuft gleich eine andere Ader. Wenn das Blut da herausspritzt, ist es bläulich. Es spritzt dann bläuliches Blut heraus. Wenn man ein gewöhnliches Menschenkind zur Ader läßt, so läßt man ja natürlich nicht das rote Blut heraus. Das braucht der Leib. Man läßt das bläuliche Blut heraus. Das weiß der Arzt genau. Der weiß ja auch, wo die blauen Adern verlaufen und sticht nicht in die roten hinein. Der gute Julius Robert Mayer, der da Schiffs­arzt war, muß also viel zur Ader lassen. Aber überall kommt bei den Leuten, wie er hereinsticht, nicht das Blut ganz richtig bläu­lich, sondern hellrötlich heraus. Donnerwetter, denkt er sich, da habe ich wieder daneben gestochen! - Aber als er das beim nächsten Mal wieder macht und mehr acht gibt, kommt wieder hellrötliches Blut heraus. Zuletzt kann er gar nicht mehr anders als sich sagen: Nun ja, wenn man in die Tropen, in die heiße Zone kommt, da ist es nicht so wie gewöhnlich, da wird das blaue Blut rötlich von der Hitze. - Das war natürlich etwas, was Julius Robert Mayer als eine sehr wichtige Entdeckung angesehen hat, und mit Recht. Er hat etwas außerordentlich Wichtiges gesehen.

Jetzt aber müssen wir eine Hypothese, eine Annahme machen. Denken Sie sich, nicht im neunzehnten Jahrhundert, sondern im zwölften Jahrhundert wäre das jemandem passiert. Man machte da­mals nicht solche langen Reisen, aber daß einem eine ganze Mann­schaft beinahe zugrunde gegangen wäre, hätte einem da auch pas­sieren können. Also nehmen wir an, es wäre damals eine ganze

114

Mannschaft krank geworden, der Arzt hätte ihr zur Ader gelassen und hätte gefunden: Das Blut, das eigentlich blau sein soll, ist ja rötlich. Da muß also eine größere Hitze sein. - Was hätte der ge­sagt? Da, im zwölften Jahrhundert, hätte er gesagt: Was ist denn das, was das Blut blau macht? - Und er hätte, da er all die Dinge, die ich Ihnen erzählt habe, gewußt hätte, wenn auch verschwom­men - denn Anthroposophie hat es nicht gegeben, und die Dinge waren verschwommen -, er hätte, weil er das also wenigstens ge­ahnt hätte, gesagt: Ja, Donnerwetter, da senkt sich der astralische Leib nicht so tief in den physischen Leib hinein wie bei denen, bei welchen das Blut ganz blau ist! - Denn er hätte gewußt: Der astra­lische Leib ist das, was das Blut blau macht. Aber die Wärme hält den astralischen Leib heraußen. Daher wird das Blut weniger blau, bleibt dem roten Blut ähnlich. - Der hätte gesagt: Das ist eine wich­tige Entdeckung, denn jetzt begreife ich, warum die alten Orientalen eine so hohe Weisheit gehabt haben. Bei denen ist der astralische Leib noch nicht so tief hineingegangen in den physischen Leib und Ätherleib. - Er hätte eine riesig große, starke Achtung bekommen von der Weisheit der alten Orientalen und hätte sich gesagt: Jetzt sind die Orientalen nur angesteckt von den Menschen, die viel bläuliches Blut haben, und da geht es nicht mehr, daß sie eben ihre alte Weisheit zutage bringen. - So hätte ein Schiffsarzt des zwölften Jahrhunderts gesagt.

Ein Schiffsarzt des neunzehnten Jahrhunderts wußte von dem Ganzen, was ich Ihnen jetzt erzählt habe, gar nichts mehr. Was sagte er sich? Er sagte sich: Nun ja, da ist die Wärme. Die bewirkt Verbrennung. Eine stärkere Wärme bewirkt stärkere Verbrennung. Also verbrennt das Blut stärker, wenn man in der heißen Zone ist.

- Und er fand das Gesetz von der Wärmeverwandlung in Kraft, das eine so große Rolle in der heutigen Physik spielt, ein ganz ab­straktes Gesetz. Das andere interessierte ihn alles gar nicht. Er findet das Gesetz, das in der Dampfmaschine zum Beispiel eine große Rolle spielt, wo Wärme in Arbeit verwandelt wird. Und er sagte: Ich sehe daran, daß da rotes Blut herauskommt, daß einfach der Orga­nmsmus in der heißen Zone stärker arbeitet, daher mehr Wärme erzeugt.

115

- Also etwas ganz Maschinelles findet jetzt der Julius Robert Mayer.

Sehen Sie, das ist der große Unterschied. Im zwölften Jahrhundert hätte man gesagt: Das Blut ist dort röter, weil der Astralleib sich nicht so tief hineinsenkt. - Im neunzehnten Jahrhundert wußte man von all diesem Geistigen nichts mehr und sagte einfach: Da wirkt der Mensch wie eine Maschine, und die Sache ist eben so, daß die Wärme mehr Arbeit erzeugt und dadurch wiederum mehr Wärme im menschlichen Organismus verwandelt wird. - Was da der Julius Robert Mayer als große, gelehrte Erfindung gemacht hat, das ist ungefähr die Denkweise aller Menschen der heutigen Zeit. Das ist so. Aber dadurch, daß der Mensch in dieser Weise nur denken und fühlen kann über das, was nicht mehr geistig ist, dadurch hat er den Zusammenhang verloren mit den anderen Menschen. Und höchstens noch, wenn er krank und schwach wird wie das junge Mädchen, von dem ich Ihnen erzählt habe, dann lebt er sich so in den anderen Menschen hinein, daß er mit seinen Gedanken mitgeht in ein anderes Zimmer. Das ist natürlich ein großer Unterschied! Gewiß, wir sind ja in einer Weise vorwärts gekommen und haben große Fortschritte gemacht, aber unser Menschentum hat nicht Fortschritte gemacht, das ist zurückgegangen. Wir reden vom menschlichen physischen Organismus nur noch wie von einer Maschine. Und selbst die größten Gelehrten wie Julius Robert Mayer reden von ihm nur noch wie von einer Maschine.

Ja, wenn die Sache so weitergehen würde auf Erden, so würde überhaupt alles Denken ein Chaos werden. Alle Schrecken und Ka­tastrophen würden auftreten. Jetzt schon ,wissen die Menschen nicht mehr, was sie eigentlich machen sollen. Daher gehen sie an etwas heran mit aller Kraft und sagen: Ja, unsere Vernunft hält uns nicht mehr zusammen, da muß uns die Nationalität zusammenhalten. -Diese Nationalstaaten entstehen ja nur, weil die Menschen nicht mehr wissen, wie sie sich zusammenhalten sollen. Und das, daß man nichts mehr weiß von der geistigen Welt, das hat in Wirklichkeit das un­geheure Elend bewirkt. Das andere ist die Äußerlichkeit, das hat das ungeheure Elend bewirkt. Und zu sagen: Die Menschen haben

116

das verdient, weil sie in ihrem früheren Leben Schlechtes getan ha­ben -, das ist natürlich ein Unsinn, denn das ist nicht das Schicksal eines jeden einzelnen, sondern es ist das gemeinsame Schicksal jedes einzelnen. Aber es erlebt es jeder in diesem Leben. Denken Sie sich nur, wieviel Elend der Mensch im jetzigen Leben erlebt. Vom frühe-ren Leben stammt es nicht her. Aber im nächsten Leben, da wird er die Folgen vom Elend von jetzt haben. Die Folge davon wird sein, daß er gescheiter sein wird und daß die Geistwelt in ihn eher hin­eingehen kann. So daß also das jetzige Elend schon für die Zukunft eine Erziehung ist.

Aber etwas anderes kann man daraus schließen. Denken Sie sich einmal, daß die Anthroposophie 1900 schon angefangen hat und wirklich sehr bekannt geworden ist. Aber die Menschen haben sich dagegen gestemmt und wollten nichts hören von der geistigen Welt. Nun, wenn Sie einen Schuljungen haben, der gar nichts lernen will

- wenigstens in früheren Zeiten hat man es so gemacht, jetzt ist man davon abgekommen; ich will gar nichts sagen darüber, ob es richtig oder unrichtig ist -, früher hat man ihn richtig durchgebläut! Man­che haben dann doch angefangen zu lernen. Es hat bei manchen ge­holfen. Ja, die Menschen haben nichts Geistiges lernen wollen bis 1914. Nun haben sie vom Weltenschicksal, vom gemeinsamen Schick­sal die Prügel gekriegt dafür. Nun wird man sehen, ob die helfen.

Man muß das als ein gemeinsames Schicksal ansehen, das ist schon so. Denn was ist geschehen? Das junge Mädchen, von dem ich Ihnen erzählt habe, das hat mit den Gedanken ihrer Mutter gedacht. Die Menschen haben das Denken sich allmählich überhaupt abge­wöhnt und denken nur noch mit den Gedanken derjenigen, die sie als Autoritäten haben. Die Menschen müssen wiederum selber den­ken, müssen wiederum anfangen, jeder einzelne, selber zu denken, sonst werden sie, gerade wenn sie nichts wissen von der geistigen Welt, von ihr fortwährend beeinflußt, aber in schlechtem Sinne. Und dann kann man sagen: Man kann das schon, was als Elend über die Welt gekommen ist, richtig als Schicksalsprügel, möchte ich sagen, an­sehen und noch daraus lernen. - Wenn man noch so viel Kongresse abhält, es hilft alles nichts. Diejenigen Leute, die mit dem heutigen

117

Verstand die Mark stützen wollen, die werden bewirken, daß sie nachher um das Doppelte herabgeht, denn dieser Verstand, der ganz von der Erde ist, der ist nichts nütze, gar nichts. Wenn ein Körper nicht genügend Flüssigkeit in sich hat, so wird er sklerotisch, er ver­kalkt. Und wenn die Seele nichts von der geistigen Welt weiß, so kriegt sie zuletzt den Verstand, der nichts mehr nutz ist. Und diesem Schicksal geht die Menschheit entgegen, wenn sie nicht fortwährend Nahrung bekommt aus der geistigen Welt.

Also das einzig wirkliche Mittel ist, daß die Menschen sich zu interessieren anfangen für die geistige Welt. Sehen Sie, so muß man die Frage beantworten, die gestellt worden ist. Man muß die Dinge ein bißchen radikal ausdrücken, aber so sind die Zusammenhänge.

118

SIEBENTER VORTRAG Dornach, 25. Juni 1923

Fragestellung bezüglich Erdbeben.

Dr. Steiner: Sie meinen wohl die Erdbeben, die jetzt in Amerika sind? Von ganz besonderer Bedeutung in bezug auf solche Fragen sind immer jene vulkanischen Erscheinungen, die, ich möchte sagen, nicht so intensiv, nicht so stark gleich auftreten, sondern die im einzelnen zeigen, daß auch im Laufe der Zeit von der Weltum­gebung der Erde aus etwas geschieht. Und da möchte ich Sie auf etwas anderes aufmerksam machen, das ja vielleicht weniger auffällig ist, aber das doch für viele Menschen noch mehr erlebbar ist als diese einzelnen Erscheinungen, die ja natürlich diejenigen, die in der Nähe waren, furchtbar trafen, die aber für den größeren Teil der Menschheit eben doch die geringere Bedeutung haben. Und da erinnern Sie sich doch nur, daß man schon in den letzten Jahren davon sprechen konnte, daß außerordentliche Witterungsverhält­nisse herrschen. Wir können nicht ableugnen, daß in den letzten Jahren so richtig ordentliche, andauernde Sommer nicht vorhanden waren, besonders nicht in unsern Gegenden. Aber das breitet sich aus über einen großen Teil von Europa und weiter darüber hinaus.

Nun sprechen die Leute, wenn von so etwas die Rede ist, ge­wöhnlich davon, wie in den nördlichen Meeresgebieten große Eisberge schwimmen und wie sogenannte Kältewellen dann ausgehen von diesen mächtigen schwimmenden Eisbergen. Sie werden sich ja vielleicht auch erinnern, daß bei der vorjährigen sogenannten Kältewelle dann gemeldet worden ist von den Schiffen, daß wenn sie nur ein wenig diesen Kurs nordwärts nehmen, überall im Atlantischen Ozean diese riesigen schwimmenden Eisberge anzutreffen seien.

Wir müssen uns aber nun klar sein, daß die Dinge, die in dieser Weise auftreten, doch durchaus nicht von der Erde allein herkom­men, sondern daß sie zusammenhängen mit der ganzen Weltenentwik­kelung. Und da müssen wir uns fragen: Wie steht es denn überhaupt mit der Wärme- und Kälte-Verteilung auf unserer Erde?

119

Da möchte ich Sie auf etwas aufmerksam machen, was ich viel-leicht schon einmal erwähnt habe, aber in einem andern Zusammen-hange, was uns aber bei der Betrachtung dieser Frage wichtig sein kann. Sie werden vielleicht schon gehört haben, daß sich namentlich im Norden von Sibirien, also in Asien drüben, in dem Erdboden ganz besondere Verhältnisse finden. Damit Sie orientiert sind, möchte ich nur das Folgende bemerken. Wenn wir also die Karte von Europa so haben (es wird gezeichnet), so ist hier Norwegen, hier die Nord-küste von Deutschland, hier geht es herüber nach Holland und so weiter, da wäre Irland, England, und da kämen wir über die große Halbinsel nun schon herüber nach Asien. Da ist die Grenze zwischen Asien und Europa. Da ist Rußland. Hier kommen wir herüber nach Asien und haben hier Sibirien. Da drüben ist das soge­nannte Nördliche Eismeer. Das ist nur gezeichnet, damit Sie sich orientieren. Nun hat man in diesem Boden von Sibirien vor längerer Zeit schon elefantenartige Tiere gefunden, die heute nicht mehr vorkommen, die also schon vor sehr, sehr langer Zeit auf der Erde vorgekommen sind. Und Sie wissen ja auch, daß elefanten­artige Tiere heute nicht mehr da oben am Eismeere leben. Elefanten­artige Tiere gehören viel wärmeren Gegenden an. Aber das Kuriose ist, daß diese elefantenartigen Tiere, die da tief im Erdboden drin­nen sind, im eisigen Erdboden drinnen so frisch waren, daß man das Fleisch noch hätte essen können, wenn man gerade gern Elefan­tenfleisch ißt. Gerade so waren diese Tiere in dem eisigen Erdboden drinnen, wie wenn man das Fleisch noch hätte essen wollen und man die Tiere dazu drinnen aufbewahrt hätte. Da sind also durch viele, viele Jahrtausende diese Tiere da im Norden von Sibirien einfach konserviert worden, wie man sagt, also im Fleisch frisch erhalten worden.

Sehen Sie, es ist nun unmöglich, daß sich das einmal langsam vollzogen hätte. Denn wenn die Tiere da oben gelebt hätten, einfach gestorben und in den Boden hineingekommen wären, so müßten sie natürlich längst verfault sein und man könnte höchstens Knochen­überreste, wie man sie sonst auch findet, haben. Nun findet man da ganze frische Tiere. Es ist gar nicht anders möglich, als daß da einmal

120

diese Tiere gelebt haben und riesig schnell eine Eiswelle gekommen ist, die sich über diese Tiere hinüber ergossen hat, sie eingeschlossen hat, so daß sie Jahrtausende in demselben Zustand mit dem frischen Fleisch erhalten bleiben konnten. Sie können also sehen: Es muß einmal auf der Erde einen Zustand gegeben haben, daß einfach von Süden her ein mächtiger Stoß gekommen ist, der da in die Eisregion hinauf das Wasser geworfen hat. Das Wasser ist momentan gefroren, diese Tiere sind momentan in diesen riesigen sibirischen Eiskeller hin­eingekommen und haben sich da jahrtausendelang erhalten können.

Nun werden Sie alle zugeben, natürlich hat die Erde gar keine Veranlassung dazu, plötzlich so etwas zu tun. Denn wo sollten in der Erde selber die Kräfte herkommen, daß sie so etwas ausführen könnte? Diese Dinge können nur kommen von den außerirdischen Gestirneinflüssen. Wenn Sie sich also vorstellen, daß da die Erde ist (es wird gezeichnet), da hier die südlichen Gegenden, die Äquator-gegenden sind - südlich natürlich nur in bezug auf den Norden -, so muß hier einmal eine solche Gestirnkonstellation gewesen sein, die einfach das Wasser wieder heraufgeworfen hat. Also durch die Ge­stirnkonstellation ist dieses Wasser hinaufgeworfen worden, ist da sofort gefroren und hat diese Tiere begraben. Sie sehen gerade bei solchen Dingen, daß die Gestirnkonstellationen auf die Verteilung von Land und Wasser und Eis auf der Erde einen mächtigen Einfluß haben.

Neulich habe ich Ihnen ja dargestellt, wie auch die Vulkane her-rühren von dem, was außer der Erde ist, wie sozusagen dasjenige, was da unter der Erde ist, herausgeholt wird aus dem Jnnern der Erde. So daß wir auch sagen können, daß wenn zum Beispiel jetzt der mächtige Ätna-Ausbruch ist, nicht von unten her die Dinge her­ausgeschleudert werden, sondern von oben herunter wirkt eine Ge­stirnstellung, und diese bringt diese feurigen Massen aus dem Innern der Erde heraus.

Daraus sehen wir, daß heute sehr vieles zusammenwirkt, und das bewirkt auf der einen Seite, daß wir diese Kältewellen haben. Die Kältewellen sind also durchaus auch von dem Außerirdischen be­wirkt. Auch daß wir diese Vulkanausbrüche und Erdbeben haben, rührt von dem Außerirdischen her. Nun aber kann man eine solche

121

Erscheinung niemals ganz beurteilen, wenn man sich nicht klar darüber ist, daß der Mensch selber mit diesen ganzen außerirdischen Verhältnissen in einem innigen Zusammenhange steht.

Sie haben gewiß schon etwas gehört von sogenannten Blutstür­zen, wo also der Mensch dazu kommt, daß das Blut in ihm nicht mehr den richtigen Weg nimmt, daß er aus dem Munde heraus Blut speit, statt daß das Blut im ganzen Körper sich verteilen könnte. Man nennt das einen Blutsturz. Solche Blutstürze kommen ja na­mentlich dann leicht vor, wenn der Mensch in bestimmten Lebens-abschnitten ist. Wir müssen nun fragen: Welche Beziehung ist denn nun eigentlich zwischen einem Blutsturze und dem, was außerhalb vorgeht? - Nun, wenn Sie sich erinnern, daß der Mensch nicht bloß aus seinem physischen Körper besteht, den wir mit Händen an­greifen können, sondern daß der Mensch aus dem physischen Kör­per, dem Ätherkörper und dem Astralkörper und Jch-Körper besteht, dann werden Sie sich sagen müssen: Gewiß, den physischen Körper, den können wir ablegen. Der ist schwer, ist eine schwere Masse, steht mit der Erde in Zusammenhang. Aber der Ätherkörper steht mit der Umgebung in Zusammenhang. - Und wenn nun beim Menschen die Dinge angeschaut werden, so ist das so, daß auf den Menschen der Mond namentlich einen riesigen Einfluß hat. Aber nicht so sehr hat der Mond, wie er jetzt ist, einen Einfluß auf den Menschen, sondern da werden wir wiederum zurückgeführt in sehr alte Zeiten. In alten Zeiten hatte auf den Menschen der Mond einen ungeheuer starken Einfluß. Der Mensch mußte bei zunehmendem Mond etwas Bestimmtes tun, bei abnehmendem Mond etwas Bestimmtes tun und so weiter. Und namentlich richtete sich in jenen älteren Zeiten durchaus die Fortpflanzung der Menschheit nach dem Monde. Da ist so interessant, zu sehen, wie solche Menschen, die Überlieferun­gen aus alten Zeiten haben, über diese Dinge denken. Die denken durchaus, daß es von einer großen Bedeutung ist, ob ein Mensch bei zunehmendem Mond oder abnehmendem Mond empfangen ist zum Beispiel. Das ist in alten Überlieferungen eine sehr wichtige Sache. Und der Mond übt dann seinen Einfluß auch aus auf die Entwicke­lung des Menschen, aber so, daß der Mensch diese Mondeneinflüsse in

122

sich trägt. Also nicht wenn jetzt Vollmond ist oder so etwas, hat das unmittelbar auf den Menschen einen Einfluß, aber wir sehen den Mond zunehmen, abnehmen, das hat einmal einen Einfluß auf den Menschen gehabt, und das ist geblieben und setzt sich fort. Also nicht der jetzige Mondenlauf hat einen großen Einfluß, aber etwas, was ähnlich ist dem alten Mondenlauf und was ein altes Erbstück ist, das hat einen großen Einfluß. Und so kann man schon sagen:

Der Mond hat einen gewissen Einfluß.

Aber wir würden in unserem Kopf gar kein Blut haben, wenn nicht dieser Mond da wäre. Wir würden alle herumgehen mit ganz blassen Gesichtern, scheußlich blassen Gesichtern, wenn kein Mon­deneinfluß da wäre. Der Mond zieht unser Blut in unserem Körper nach unserem Kopf hinauf. Das ist der Mondeneinfluß, daß das Blut sich überhaupt bequemt, in den Kopf zu gehen. Das ist außer­ordentlich interessant. Das Blut geht nur dadurch in den menschli­chen Kopf hinauf, daß Mondeneinflüsse da sind. Sonst würde das Blut immer heruntergehen. Wenn nun ein Mensch so schwach wird in seinem ganzen Körper, daß er diesen Kräften des Mondes, die da das Blut hinaufziehen, nicht mehr genügend Widerstand leisten kann, so stürmt das Blut zu stark in den menschlichen Kopf, und dadurch entsteht der Blutsturz. Diesen Einfluß müssen wir immer haben, aber wenn er zu stark wird, stürmt das Blut zu stark nach dem menschlichen Kopf und dadurch kommt es heraus.

Und sehen Sie, was der Blutsturz beim einzelnen Menschen ist, das ist eine solche Geschichte wie zum Beispiel, daß da Wasser her­aufschlägt (auf Sibirien deutend) oder das Herauskommen eines Vul­kanausbruches in der großen Natur draußen. Nur ist es da nicht der Mondeneinfluß, sondern der Einfluß der weiteren Gestirne. Sie müs­sen sich vorstellen, daß wir ja, wenn wir einfach als Menschen uns entwickeln, fortwährend anderen Einflüssen ausgesetzt sind. Ich will Ihnen das einmal veranschaulichen. Denken Sie sich noch einmal, hier wäre die Erde (es wird gezeichnet), um die Erde geht der Mond herum. Ich will es so zeichnen, wie es aussieht. Da geht also um die Erde der Mond herum, der hat seinen großen Einfluß auf den Men­schen zunächst. Aber außerhalb des Mondes sind dann die andern

123

Sterne, Venus, Merkur, da ist die Sonne, Mars, Jupiter und so weiter und dann die Fixsterne. Nun müssen Sie sich ja darüber klar sein:

Es ist etwas anderes, ob, sagen wir, der Mars hinter der Sonne steht, oder ob der Mars schon weitergegangen ist und er schon neben der Sonne steht. Wenn der Mars hinter der Sonne steht, dann wirkt er auf die Erde weniger, weil die Sonne seine Wirkung zudeckt. Wenn der Mars so steht (neben der Sonne), wirkt er stärker auf die Erde. Und so hängt es immer von der Stellung der Sterne ab, wie stark auf die Erde gewirkt wird. Diese Wissenschaft von der Stellung der Sterne ist ja heute fast gar nicht ausgebildet, und daher sehen die Menschen nur auf das, was auf der Erde vor sich geht, Eisberge und so weiter, aber sie sehen nicht auf die Sterne hinaus.

Nun kann man auch nicht von der Erde aus diese Dinge erfor­schen, sondern man muß sich klar darüber sein, daß man diese Dinge vom Menschen aus erforschen muß. Diese Dinge muß man durchaus vom Menschen aus erforschen.

Nun möchte ich Ihnen etwas sagen: Wenn Sie die Entwickelung der Menschheit in der neueren Zeit durchgehen, dann finden Sie ja riesige Veränderungen in dieser Menschheitsentwickelung. Wir wol­len nicht weit zurückgehen, aber wir wollen zurückgehen, sagen wir, sechshundert Jahre nur. Wenn wir sechshundert Jahre zurückgehen

- heute haben wir 1923-, sechshundert Jahre zurück ist 1323. Da müssen Sie bedenken: Wenn Sie da gelebt hätten, so hätten Sie noch keine Ahnung davon gehabt, daß es Amerika gibt, Australien gibt. Das alles wußten die Menschen nicht, sie wußten nur von Eu­ropa und Asien und einem Stückchen von Afrika, ganz wenig von Afrika. Also sechshundert Jahre vor unserer Zeit, denken Sie sich, da wußten die Menschen nur von einem kleinen Fleck Erde. Und über dieser Erde sahen sie den Mond auf- und untergehen, die Sonne auf- und untergehen, die Sterne, und alles war so, daß sich das ganze Leben nur auf einem kleinen Teil der Erde abgespielt hat. Ja, dazu­mal haben die Menschen wenig von der Erde gewußt und haben auch keine Ahnung gehabt von der Bewegung der Gestirne. Aber sie haben etwas gewußt von den geistigen Einflüssen der Sterne. Das hängt damit zusammen, daß die Menschen in kleinen Verhältnissen

124

lebten. Die Menschen bekamen ihren Einfluß von diesen kleinen Ver­hältnissen.

Nun, Sie wissen ja, es dauerte nicht lange: 1492 machte sich der Genuese Christoph Kolumbus auf mit einer kleinen Anzahl von Schiffen, und er hatte die Ansicht, man kann um die Erde herum-fahren. Christoph Kolumbus hat nämlich gar nicht Amerika ent­decken wollen, sondern er bekam die Ansicht, die Erde muß kugelig sein. Vorher hatte man die Erde für eben gehalten. Nun bekam er die Ansicht, die Erde muß kugelig sein. Und da hat er sich mit einer Anzahl von Schiffen ausgerüstet. Es gab ja Widerstände, aber er hat schließlich doch von der Regierung diese Schiffe bekommen, sie ausgerustet, hat geglaubt, er kann um die Erde herumfahren. So hat er gedacht. Er hat sich gesagt: Wenn wir von Europa da her-übergehen nach Osten, da finden wir (auf die Zeichnung deutend) Asien, da unten ist Vorderindien, da ist Hinterindien. - Also er wußte, wenn man da herübergeht (nach Westen) auf jenem Wege, da kommt man nach Indien. Nun wollte er von Spanien aus um die Kugel der Erde herumfahren und von der andern Seite nach Indien kommen. Das wollte der Kolumbus. Er wollte um die Erde herumfahren, weil er sozusagen die erste praktische Anwendung von der Rundheit der Erde gemacht hat. Er wollte also herumfahren und wollte Indien von der andern Seite entdecken. Nun ist er da fortgefahren und auf Amerika gestoßen, hat überhaupt geglaubt:

Das ist die andere Seite von Indien. - Daher hat man diese Gegend auch Westindien genannt, wie sie heute noch zum Teil heißt.

Also Sie sehen, wie eigentlich ganz allmählich durch das Denken der Menschen die Kugelgestalt der Erde für die Erkenntnis erobert worden ist, wie man allmählich erst darauf gekommen ist, wie man auch nach der andern Seite von Amerika gekommen ist und gemerkt hat, daß da nicht Indien ist, sondern ein neues Land ist. Also 1492, das ist erst 431 Jahre her, daß überhaupt die Leute Amerika entdeckt haben.

Aber die Entdeckung von Amerika bedeutet noch etwas ganz, ganz anderes. Und wenn Sie verstehen wollen, was die Entdeckung von Amerika bedeutet, dann bitte überlegen Sie sich das Folgende. Sehen

125

Sie, 1492, sagte ich Ihnen, hat also Christoph Kolumbus sich zuerst aufgemacht und hat Amerika entdeckt. 1543 trat Kopernikus auf und hat zuerst die Weltanschauung aufgestellt, daß die Sonne still-stehe und die Erde sich um die Sonne bewege wie die anderen Planeten. Also dasjenige, was heute jedes Kind in der Schule lernt, das ist ja erst seit dieser Zeit da. Denken Sie sich, wieviel Jahre sind das wiederum? Das sind ja erst 380 Jahre! Seit der Zeit ist es erst so, daß die Menschen eine Ahnung haben von dem, was man heute schon in der Volksschule lernt. Vorher haben die Menschen ja von all diesen Verhältnissen nichts gewußt. Aber sie haben um so mehr darüber nachgedacht, was der Mond für einen Einfluß auf den Men­schen hat. Das haben die Leute gewußt, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, daß der Mond das Blut nach dem Kopfe treibt. Den Einfluß auf den Menschen haben die Leute erkannt.

Jetzt müssen Sie sich überlegen, was die Entdeckung von Amerika eigentlich bedeutet. Sehen Sie, man redet so gedankenlos und die Geschichte stellt das auch so dar: Entdeckung Amerikas, die Men­schen haben doch Genie besessen! - Ja, Sie müssen sich das aber noch ganz anders vorstellen. Was glauben Sie, was für Leute gelebt haben in Amerika in der Zeit, als Kolumbus darauf gestoßen ist? Also vor nicht einmal fünfhundert Jahren haben da drüben die kupferroten Indianer gelebt, und diese Indianer, die haben nicht etwa so gedacht, wie Sie heute in Europa denken. Die haben viel gewußt von dem Einfluß der Gestirne. Also da lebte in ganz Ame­rika in der Zeit eine Bevölkerung, die außerordentlich viel wußte von dem Einfluß der Gestirne. Die richteten sich ganz nach dem Einfluß der Gestirne. Und dann kamen die Europäer, die zivili­sierte Menschheit. Nun, noch im neunzehnten Jahrhundert haben überhaupt die Indianer gesagt, daß die Europäer immer so etwas Komisches mitbrächten, das wäre etwas Weißes und darauf seien kleine Geister. Aber das seien sehr schädliche Geister, furchtbar schädliche Geister, und mit denen würden die Europäer die Ameri­kaner beschwören. So meinten die Indianer. Und wissen Sie, was es war, was die Indianer so furchtbar gefürchtet haben, weswegen sie meinten, daß die Europäer so gräßliche Kerle seien, die mit dem

126

so viel Unheil anrichteten? Das waren die Bücher, die weißen Papier-blätter mit den Buchstaben darauf! Das haben die Indianer ange­schaut, für Zauber gehalten und haben gesagt: Damit verzaubern uns diese Menschen.

So stießen die Menschen aufeinander. Und dann kam die Aus­rottung der Indianer. Aber woher kamen denn die Menschen, die die Indianer ausgerottet haben? Die kamen da von Europa! Und wenn die Menschen, die noch 1323 in Europa gelebt haben, herüber­gekommen wären, die wären in ihren Anschauungen viel ähnlicher gewesen denen der Indianer. Denn diese Menschen haben 1323 in Europa auch noch gewußt von dem Einfluß der Gestirne. Die hätten sich noch viel besser verstehen können. Aber jene Menschen, die dann hinüberkamen, die verstanden sich gar nicht mehr mit den Indianern, die konnten sie nur ausrotten. Und auf der Stelle, wo die ausgerotteten Indianer waren, entwickelte sich dann die europäische Menschheit. Sie müssen nur bedenken: Die Amerikaner, die sich dort entwickelt haben, sind ja Europäer. - Nicht wahr, die Vor­stellungen überhaupt, die sich die Menschen oftmals machen nach dem, was sie in der Schule gelernt haben, die sind ja wirklich manchmal ganz blödsinnig dumm.

Ich möchte nur auf eines aufmerksam machen. Heute reden die Leute so viel von den Franzosen. Ja, aber um Nürnberg herum heißen die Leute heute noch Franken. Die Franzosen sind ja nur die eingewanderten Germanen, die dann die lateinische Sprache in einer Veränderung angenommen haben. Also alles das, was man so redet, wenn man nicht weiß, wie die Dinge gekommen sind, und so wütet, weil es ja so in der Geschichte dargestellt wird, das ist manch­mal so grenzenlos töricht, so grenzenlos dumm. Und so ist es gren­zenlos dumm auch da. Man bedenkt gar nicht, daß die Menschen von Europa, die da in den letzten drei Jahrhunderten in Europa sich entwickelt haben, daß die nach Amerika hinübergewandert sind. Die hauptsächlichste Einwanderung geschieht ja erst viel spä­ter, geschieht erst im achtzehnten, neunzehnten Jahrhundert. Da wird Amerika erst besiedelt. Und was sind denn da für Menschen hinübergekommen? Nun, Analphabeten sind zwar auch hinüberge­kommen,

127

aber die haben keinen großen Einfluß gehabt. Diejenigen die binübergekommen sind und einen großen Einfluß einstmals ge­habt haben, das sind diejenigen, die in Europa ausgebildet worden sind namentlich in der Wissenschaft, die die Kopernikanische Lehre gelernt haben, die die ganz anderen Ansichten über die Gestirne gehabt haben.

Denken Sie sich, wie das überhaupt zusammenstimmt in der Weltgeschichte. Auf der einen Seite wird die Kugelgestalt der Erde bewiesen, indem man überhaupt herumfahren kann um die Erde, auf der andern Seite, daß da die Sonne nicht untergeht, sondern daß da überall Raum ist, daß die Erde nicht eine Ebene ist, daß die Sonne nicht am Abend im Wasser untertaucht, sondern daß da die Erde herumgeht.

Sehen Sie, es denken die Menschen gar nicht nach, was da eigent­lich für ein Zusammenhang ist zwischen der Entdeckung Amerikas, die 1492 stattfindet, und 1543, wo Kopernikus mit der neuen Ster­nenansicht auftritt. Da ist ja ein inniger Zusammenhang. Glauben Sie nur ja nicht, daß das, was sich da zugetragen hat, hat kommen können, ohne daß ein Gestirneinfluß auf die Menschen stattgefun­den hat. Nicht ohne den Gestirneinfluß hat der Kolumbus gedacht: Jetzt will ich da nach Westen hinüberziehen. - Sie müssen ja nur bedenken, wie nebelig das vor sich ging. Der hat gar nicht gewußt, daß er Amerika entdecken wollte. Nur überhaupt um die Erde herumfahren wollte er. Es ist ja so, wie wenn eine blinde Henne ein Korn findet. Da kann man auch nicht sagen, daß das sein eigener Verstand war, sondern da werden eben die Menschen getrieben durch die Einflüsse. Und was sie treibt, sind eben die Gestirneinflüsse. So daß wir uns auch sagen müs­sen, wenn wir uns fragen: Warum hat denn Kopernikus gerade so gedacht über die Gestirneinflüsse? - dann müssen wir selber bei den Sterneneinflüssen die Ursachen suchen.

Wir haben eine Zeit im Mittelalter - ich habe Ihnen gesagt, es war vor sechshundert Jahren noch so -, da haben die Menschen noch Begriffe, die sich auf eine ganz kleine Welt beziehen. Dann be­kommen sie plötzlich Begriffe, die auf der Erde rundherum gehen

128

und am Himmel rundherum gehen. Alle Begriffe schwimmen ausein­ander. Ja, da muß man schon ein bißchen tiefer über dasjenige nach­denken, was im Menschen vor sich geht. Man muß in diese Dinge mit wirklicher Wissenschaft eindringen. Man muß also den Menschen studieren. Nun habe ich Ihnen ja schon viele Dinge über den Men­schen erzählt. Ich will Ihnen jetzt eine gut beglaubigte Sache noch einmal erzählen, damit Sie sehen, wie die Dinge sind.

Es gab einen österreichischen Dichter, Robert Hamerling, der ist in einer bestimmten Zeit, 1855, nach Triest als Mittelschullehrer versetzt worden, und er hat sich sehr interessiert für alles, was vor­geht. Dieser Robert Hamerling hat sich dazumal auch sehr stark interessiert dafür, wie durch Triest immer durchgekommen sind zum Teil allerlei Schwindler, zum Teil aber auch solche Menschen, die Abnormes produzierten, sogenannte Medien. Nun hat er alle solche Versammlungen sehr gern besucht, war durchaus nicht abergläubisch, sondern hat wirklich gesehen, wie bei den meisten dieser Dinge Schwindelhaftigkeit vorliegt. Aber einmal dachte er sich, als er ge­sehen hat, da ist ein Mensch mit einem besonders merkwürdigen Medium: Jetzt will ich mich überzeugen. - Nun hat Hamerling -bevor er nach Triest gekommen war, lebte er in Graz - in Graz ein junges Mädchen gekannt, das sehr bald darnach gestorben ist, von dem er eine Haarlocke bekommen hatte. Diese Haarlocke von dem jungen Mädchen hat er zu einem Kranze gemacht, zusammen-gebunden aufgeheftet auf ein kleines Papierstückchen und dann in ein Schächtelchen hineingetan. Das hat er als ein Andenken bewahrt. Es war ihm besonders wertvoll geworden, als die betreffende Per­sönlichkeit schon gestorben war. Das hat er nach Triest mitgenom­men unter seinen andern Sachen. Kein Mensch wußte etwas davon. Er hat nie jemandem etwas davon erzählt - dessen erinnerte er sich ganz genau -, überhaupt niemals jemandem das Kästchen gezeigt. Die Verhältnisse waren außerdem so, daß er es gar nicht gern ge­zeigt hätte. Es war dies etwas, worüber er sich geniert hat. Er hat also sozusagen ein geheimes Kästchen gehabt, wo das drinnen war. Das steckte er sich ein, als er in die Versammlung zu dem Medium ging. Und bei dem Medium war es so, daß die Leute allerlei Gegenstände

129

gaben, die sie in Kuverts oder Schachteln taten, das Medium nahm das Paketchen in die Hand, berührte es und sagte dann, was in der Schachtel drinnen ist. Nun, solche Dinge sind sehr häufig mit Schwindeleien durchsetzt und man muß in solchen Dingen durch­aus einen offenen Kopf haben.

Ich war zum Beispiel einmal in einer Versammlung, da wurde auch ein Medium gebracht, und der Mensch, den man Impresario nennt, der ging im Publikum herum und ließ sich allerlei aufschrei­ben auf Zettel. Die nahm er, blieh aber stehen. Das Medium hatte verbundene Augen. Und während er noch stand - er sagte nur: Sag mir, was habe ich in meiner Hand? -, sagte das Medium sofort, was er in seiner Hand hatte. Wenn also einer seinen eigenen Namen aufschrieb, gab er das dem Impresario, der las es und dann knüllte er den Zettel zusammen. Das Medium konnte nichts sehen, aber sagte dann, was darauf stand. Nun, sehen Sie, die Leute am Tisch, an dem ich damals saß, die waren furchtbar neugierig - die Sache kann die Leute furchtbar verwundern - und man sagte, jetzt solle man einmal etwas aufschreiben, wo der Kerl nicht gescheit genug sei, wo er sich nicht verständigen könne, denn die glaubten alle, er verständige sich durch allerlei Zeichen mit dem Medium. Nun, da schrieb ich den Namen Spinoza auf und ein Werk von Spinoza, die «Ethik», weil die Leute glaubten, daß der Impresario dann na­türlich nicht wisse, wer Spinoza sei. Er übernahm aber geradesogut den Spinoza und die «Ethik», und das Medium antwortete pünkt­lich darauf ganz richtig. Die Leute waren furchtbar erstaunt där­über. Ja, aber da war die Sache sehr einfach. Der Impresario war ein Bauchredner und das Medium machte nur so, als ob es antwor­tete, und der Impresario sagte aus dem Bauch mit der Stimme des Mediums! Also die Dinge sind so, daß man gar nicht hereinfallen darf. Ich muß immer wieder betonen, hereinfallen darf man bei diesen Dingen nicht. Das ist gerade der Unterschied zwischen aber­gläubischen Leuten und denjenigen, die diese Dinge beurteilen können.

Aber Hamerling nahm sich die kleine Schachtel mit und kein Mensch wußte etwas davon. Dann gab er diese kleine Schachtel,

130

von deren Inhalt kein Mensch wußte, unter den anderen Gegenstän-den hinauf. Nun, zunächst wurden die anderen Dinge bestimmt. Das Medium machte das ziemlich rasch. Und in dem Augenblick, wo sie an sein kleines Schächtelchen kam, nahm sie es in die Hand und schleuderte es weg. Jetzt dachte Hamerling schon: Ja, bei den andern allen ist es Verabredung, bei mir kann es keine Verabredung sein, da kommt das Medium nicht darauf und schleudert es weg! -Nun ging er hin und sagte, er wolle aber doch wissen, was da drinnen sei. Da wurde das Schächtelchen noch einmal aufgenommen. Das Medium schleuderte es wieder weg. Es wurde noch einmal auf-genommen. Da sagte das Medium sehr stotternd: Eine Haarlocke und ein Papierstückchen! - Nun, jetzt war natürlich die Verwun­derung auf seiner Seite. Da war jeder Schwindel ausgeschlossen, ab­solut ausgeschlossen. Dann fragte er, warum sie es immer wieder weggeschleudert habe. Da sagte sie: Weil es von einer Toten herrührt.

- Nun, da war die Verwunderung noch größer. Also das ist ein Fall, wo jetzt - ich erwähne nicht andere Fälle als solche, die Sie in der Literatur verfolgen können, sonst könnte ich Ihnen Hunderte andere erwähnen - jeder Schwindel ausgeschlossen ist. Da ist jeder Schwin-del ausgeschlossen. Und was liegt da zugrunde? Da liegt zugrunde, daß das Medium nicht wissen darf in dem Momente, was da ist, sondern es muß das aus dem Unbewußten heraus suchen. Da liegt ein ganz bestimmter Einfluß zugrunde.

Ich habe Ihnen einmal erzählt, daß manchmal der Einfluß von Buchweizengrütze unten im Keller sich noch im dritten Stock äußert. Erinnern Sie sich, wie ich Ihnen das erzählt habe. Solch ein Ein-fluß liegt zugrunde, der sich nur auf den Kopf äußert. Und das Medium sagt dann, was da drinnen ist - warum? Weil das Medium ein Mensch ist, bei dem das Blut dem Mondeneinfluß mehr unter­liegt als bei anderen Menschen. Es wirkt nicht so stark, daß ein Blutsturz kommt - es könnte auch eintreten bei einem solchen nicht­schwindelhaften Medium -, aber es wird das Blut gegen den Kopf gezogen, stärker als bei anderen Menschen. Dadurch kommt ein starker Einfluß zustande, dadurch kann ein Einfluß von dieser Art da sein.

131

Wenn Sie das ins Auge fassen, dann werden Sie sich sagen: Ja, die mächtigen Gestirneinflösse, die wirken natürlich fortwährend auf den Menschen. Und alles das, was Europa seit vierhundert Jahren mit Amerika und mit der ganzen Erde zusammen erlebt hat, das steht unter Gestirneinfluß. Aber wie ist dieser Gestirneinfluß? Ja, da müssen Sie sich folgendes denken. Nehmen Sie an, hier wäre die Erde (es wird aufgezeichnet). Da war das Stückchen Erde, das die Menschen früher nur gekannt haben. Darüber sind die Sterne, ich zeichne es nur schematisch. Die Menschen stehen unter dem Einfluß dieser Gestirne. Das ist die Zeit vor der Entdeckung Amerikas. Wenn Sie die Bilder und Porträts der alten Ratsherren anschauen, so werden Sie schon den Leuten ihre festen Begriffe ansehen, wie sie mit beiden Beinen fest auf der Erde stehen. Das ist, weil dazu­mal eine Sternkonstellation vorhanden war, wo die Sterne sehr nahe aneinander standen. Seither haben wir eine andere Sternkon­stellation. Wenn da die Erde ist, stehen die Sterne sozusagen viel schiefer, natürlich wieder ganz schematisch gezeichnet. Wenn man ausführlich zeichnen würde, würde natürlich jeder sozusagen heraus­ragen. Sie werden sagen: Aber die Fixsterne haben sich doch nicht geändert? - Sie haben sich aber auch geändert, nur nicht in so starkem Maße. Also Sie sehen daran: Die Zwischenräume sind im fünfzehnten, sechzehnten, siebzehnten, achtzehnten, neunzehnten Jahrhundert größer geworden. Die Begriffe haben sich aufgelöst. Und jetzt kommt wiederum eine Zeit, wo die Zwischenräume ge­ringer werden, wo die Sterne sich wieder zusammenziehen. Das ist bei den Fixsternen nur ganz wenig, aber es ist doch der Fall. Auch wenn man die Fixsterne aufzeichnet, sieht man, daß sich die Fix­sterne verschieben müssen. Und nun sind die Menschen dem ausge­setzt, daß sie sich Begriffe angeeignet haben durch den Einfluß von weit auseinanderstehenden Sternen. Jetzt müssen sie aber Begriffe bekommen unter dem Einflusse der wieder nahe zusammenstehenden Sterne. Es ist eine ganz neue Sternkonstellation da in der Welt. Das kann man sehen, wenn man wach gelebt hat vom vorigen Jahrhun­dert in dieses Jahrhundert herein. Sehen Sie, ich bin 1861 geboren, habe also bewußt erlebt die Zeit in den siebziger, achtziger, neunziger

132

Jahren und jetzt das zwanzigste Jahrhundert. Ja, in meiner Knaben­zeit war es ganz anders als heute! In meiner Knabenzeit haben die Menschen einfach ganz anders gedacht als heute. Alles ist nun anders geworden, und namentlich auf einem Gebiete ist es ganz anders ge­worden. Als ich ein kleiner Junge war, mit zwölf Jahren - ich hatte ja nicht sehr viel Geld dazumal, um mir Bücher zu kaufen, aber wir bekamen jedes Jahr ein Schulprogramm geschenkt, darin waren die wichtigsten physikalischen Begriffe von dazumal enthalten. Da waren also darinnen die wichtigsten physikalischen Begriffe. Nun, an denen habe ich zunächst herumgenagt. Sie waren schon schwer zu begreifen. Ich mußte schon dazumal die Differentialrechnung ler­nen, um die Dinge zu begreifen. Aber ich weiß, wie dazumal die physikalischen Begriffe waren.

Aber heute ist das ganz anders. Wenn heute einer auf der Hoch­schule Physik lernt, lernt er etwas ganz anderes, als was wir als Bu­ben gelernt haben. Und das, was da geschehen ist, daran kann man sehen: Die physikalischen Begriffe haben sich aufgelöst. Heute weiß überhaupt kein Physiker mehr, mit welchen Begriffen er hantieren soll. Dazumal sprach man von Raum und Zeit als von zwei ver­schiedenen Dingen. Heute redet der Physiker von vier Dimensionen, er nimmt die erste, zweite, dritte Dimension des Raumes und die vierte Dimension gleichwertig mit der Zeit. Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie heute der Unterricht ist. Die Leute, die außer­halb der Schulen sind, leben immer noch mit den Begriffen, die ich als Bub gelernt habe. Aber in der eigentlichen Physik redet man heute schon von etwas ganz anderem. Das zeigt, daß die Begriffe ganz durcheinandergekommen sind. Heute weiß der Physiker am allerwenigsten, was er tun soll. Es ist alles durcheinandergekommen.

Ja, da zeigt sich Ihnen im menschlichen Kopf, daß eine andere Gestirnkonstellation da ist. Denn die Geschichte ist so, daß die heuti­gen Menschen alle mehr Blut im Kopfe haben, als die Menschen durch alle Jahrhunderte im Kopfe gehabt haben, weil der Mond unterstützt wird von den wiederum näher aneinanderstehenden Sternen. Wenn man also die Menschenentwickelung studiert, dann findet man, daß eine Blutwelle nach dem Kopfe hinaufgegangen

133

ist durch die Sternkonstellation. Aber diese Welle geht nicht nur im Menschen vor sich, sondern auf der ganzen Erde. Und dieser selbe Einfluß ist es, durch den einstmals die Kälte vom Süden nach dem Norden geworfen worden ist und der die sibirischen Elefanten, die heute noch wie frisch im Fleisch sind, begraben hat wie in einer großen Eiskellerei. Wie das dazumal hinaufgeworfen worden ist, so wie das Blut durch den Mond in den Kopf hinaufgetrieben wird, so werden heute diese Vulkanausbrüche von den Sternen hinauf-geworfen. So haben wir heute die Wirkung einer Sternkonstellation, die von der anderen Seite kommt. Die geht ja durch Nordamerika herüber, durch Grönland, wirft die kalte Luft herüber, so daß heute infolge der Sternkonstellation fortwährend große Massen von kalter Luft von Westen nach Osten geworfen werden.

Und nun habe ich Ihnen gesagt: Wenn man nach Italien geht, so braucht man an gewissen Stellen des Erdbodens nur ein Papier anzuzünden, dann raucht es von unten herauf. - Da wirft nicht die Erde die Rauchdämpfe herauf, sondern dadurch, daß ich die Luft oben warm und dadurch dünn mache, dringen diese Dämpfe hinauf. Nun wirft also die Sternkonstellation diese Luftmassen von Westen nach Osten. Denen sind wir hier ausgesetzt, dadurch haben wir jetzt dieses Klima. Hier geht es von Westen nach Osten. Dadurch wird unten der Boden veranlaßt, seine Massen, seine Feuermassen herauszuwerfen. Zuerst wurden sie drüben in Amerika herausge­worfen bei den riesigen Vulkanen, bei den riesigen Erdbeben. Jetzt geht es immer weiter nach Osten. Der Ätna, der Vesuv fangen alle an, tätig zu sein, weil ja die Welle da herüberfließt, und unten wird das elastisch. Das wird nicht von unten berausgedrängt, sondern das wird durch die Sternkonstellationen an die Oberfläche gebracht. Beim Menschen wird das Blut in das Gehirn gedrängt, auf der Erde werden die Luftmassen herübergeworfen und die feurigen Gasmassen unter der Erde herausgeworfen und nach anderen Stellen befördert. Das ist dieselbe Geschichte. Das geht alles von den Sternen aus.

Würden die Menschen verstehen, warum sie jetzt anders denken, dann würden sie auch verstehen, warum der Ätna Feuer speit. Aber dazu muß der Mensch erst wiederum wissen: er ist nicht etwas,

134

was für sich betrachtet werden kann, sondern er muß im Zusammen­hang mit dem ganzen Weltenall betrachtet werden. Das ist es eben. Und das haben die Menschen ganz verlernt, die Dinge im Weltenall drinnen zu betrachten. Das ist ja wirklich ganz interessant, wie die Tiere in dieser Beziehung eben, wie ich Ihnen auch einmal gesagt habe, viel gescheiter sind als die Menschen. Die Tiere wandern ja ge­wöhnlich sogar aus, bevor ein Vulkanausbruch oder so etwas kommt, die Menschen bleiben sitzen. Warum wandern die Tiere aus? Ja, wenn der andere Einfluß kommt, der andere Gestirneinfluß, dann ist es bei dem Tiere so: Das Tier ist ja so gebaut, daß es da seine Beine hat (es wird gezeichnet), da sein Rückgrat, die Rückenwirbel, da den Kopf. Wenn nun da der Einfluß der Sterne daraufgeht, dann ist das ganze Rückgrat fortwährend den Sternen ausgesetzt, Wirbel für Wirbel den Sternen ausgesetzt, und die gehören zusammen, so stark, daß wir hier 28 bis 31 Wirbel haben, und der Mond braucht 28 bis 31 Tage, um herumzugehen. So eng hängt das zusammen.

#Bild s. 134

Aber der Mensch geht aufrecht. Bei ihm ist nur der Kopf, dieses Stückchen Kopf, ausgesetzt dem Sternenhimmel. Er hat seine Wir­belsäule herausgehoben. So daß beim Menschen nur das Blut ausge­setzt ist dem Sterneneinfluß, nicht das Nervensystem. Beim Tier aber ist das Nervensystem dem Sterneneinfluß ausgesetzt. Daher merkt das Tier den Sterneneinfluß viel eher als der Mensch und wan-

135

dert aus, wenn Erdbeben und Vulkanausbrüche kommen. Der Mensch bleibt sitzen. Schon daß das Tier auswandern kann und so uns zeigt, daß der Sterneneinfluß auf das Tier wirkt, schon das ist ein Beweis dafür, daß wir es da zu tun haben nicht mit beliebig aus der Erde kommenden Wellen, sondern daß von außen her der Sternen-einfluß wirkt. Das ist das, was uns also diesen ganzen interessanten Zusammenhang mit dem ganzen Weltenall zeigt. Der Mensch ist nicht bloß ein Erdenwesen, sondern der Mensch ist ein Wesen, das in die ganze Gestirnwelt hineingestellt ist.

Nun, natürlich wird man dadurch auch darauf geführt, zu be­greifen, daß, nachdem die Menschen ihr altes Gestirnwissen ver­gessen haben, sie es wiederum bekommen müssen. Ich möchte sagen:

Es ist schon so, daß man mit der Anthroposophie auf eine neue Art der Menschheit das wieder geben muß, was sie braucht, sonst bleibt die Menschheit in Verwirrung. Denn die näher zusammengestellten Sterne passen nicht mehr für die Begriffe aus anderen Zeiten, da passen nur wiederum die Begriffe, wie die Anthroposophie sie bringen kann.

136

ACHTER VORTRAG Dornach, 28. Juni 1923

Es sind einige Fragen da, die mir das letzte Mal gegeben wurden und die ich in einer etwas anderen Reihenfolge beantworten werde, als sie hier gestellt worden sind. Die Fragen sind also:

Wie kann man in bezug auf Welt- und Lebensanschauung zum Schauen der Weltgelieimnisse kommen?

Wie weit hat der Mensch zu gehen, bis er auf dem Weg der Naturwissen-schaften höhere Welten findet?

Haben die Kräfte in dem Weltenall auf die ganze Menschheit Einfluß?

Welche Beziehung haben die Pflanzen zum Menschen, zum menschlichen Leib?

Ich möchte das nun so einrichten - es sind natürlich sehr kompli­zierte Fragen -, daß die Antwort sozusagen nach und nach heraus­kommt. Anders kann man das nämlich nicht machen bei so kompli­zierten Fragen. Denn wenn zum Beispiel gefragt wird: Wie kommt man zum Schauen der Weltengeheimnisse? - so heißt das ja: Wie kommt man zu der wirklichen geistigen Wissenschaft. - Nun, das ist etwas, was Sie sich heute natürlich nicht leicht vorstellen müs­sen. Denn die Sache ist ja so, daß die meisten Menschen, wenn sie davon hören, daß es so etwas wie eine Anthroposophie oder eine geistige Wissenschaft gibt, denken: Nun werde ich mir auch einmal die Fähigkeit aneignen, das Geistige zu schauen. Jn acht Tagen werde ich damit wohl fertig sein, und dann werde ich alles das ja wohl auch selber wissen können.

Nun, so einfach verhält sich die Sache natürlich nicht, sondern man muß sich darüber klar sein: Schon zu der gewöhnlichen Natur­wissenschaft gehört doch im Grunde recht viel. Schon wenn man die allereinfachsten Beobachtungen anstellen will in der Naturwissen­schaft, so gehört dazu, daß man lernt, wie man die Instrumente ge­braucht. Es ist natürlich verhältnismäßig leicht, ein Mikroskop zu gebrauchen, aber um mit einem Mikroskop in der richtigen Weise etwas zu erforschen, kann man ja nicht einfach sagen: Ich werde jetzt ein Stück Muskel oder so etwas unters Mikroskop legen und dann hineinschauen, und dann weiß ich, was da drinnen vorgeht. -

137

Wenn Sie es so machen würden, würden Sie gar nichts sehen. Denn wenn man zum Beispiel unter einem Mikroskop etwas sehen will, muß man zuerst feine Schnitte machen. Also ein Stück Muskel nützt gar nichts, sondern es handelt sich darum, daß man mit einem feinen Rasiermesser zuerst einen dünnen Schnitt macht, dann manchmal ganz wenig wiederum entfernt und wieder einen feinen Schnitt macht, so daß man eine ganz dünne Schichte kriegt. Und zumeist kann man auch damit noch gar nichts erreichen. Denn wenn Sie so eine ganz dünne Schicht Muskel oder Zelle unters Mikroskop legen und hin­einschauen, sehen Sie meistens ja auch nichts. Dasjenige, was Sie tun müssen, ist, sich zu fragen: Wie kann ich das, was ich da unter das Mikroskop lege, sichtbar machen? - Und da muß man es oftmals mit gewissen Farbstoffen durchdringen, so daß man es erst sichtbar macht dadurch, daß man Farbstoffe hineinbringt. Und dann muß man sich klar darüber sein, jetzt hat man die Sache etwas verändert. Man muß wiederum wissen, wie die Sache ist, wenn man sie nicht verändert. Das sind aber alles noch sehr einfache Sachen. Auch wenn Sie mit dem Teleskop die Sterne untersuchen wollen, müssen Sie erst die Handhabung des Teleskopes lernen. Allerdings, das ist ja noch einfacher. Sie wissen, daß es herumziehende Leute gibt, die einem auf der Straße ein Fernrohr aufstellen. Allein das hilft Ihnen auch nicht viel. Es hilft Ihnen nur, wenn Sie wissen: da müssen Sie wieder ein Mikroskop dazu haben und eine Uhr, die Sie erst handhaben müssen und so weiter. - Das sind nur Beispiele, durch die ich Ihnen veran­schaulichen möchte, wie kompliziert es ist, die einfachsten Dinge in der sinnlich-physischen Welt zu untersuchen.

Nun ist es für die Forschungen in der geistigen Welt wahrhaftig noch viel schwerer. Da muß man viel mehr Vorbereitungen dazu machen. Die Leute stellen sich so vor, das könne man in acht Tagen lernen. Das ist eben nicht der Fall. Außerdem muß der Mensch vor allen Dingen darauf bedacht sein, daß er ja etwas, was in ihm ist, erst in Tätigkeit bringen muß. Was fortwährend eigentlich nicht in Tätigkeit ist, das muß er erst in Tätigkeit bringen.

Damit Sie sehen, wie die Dinge eigentlich sind, möchte ich Ihnen folgendes sagen. Sie wissen ja, bei solchen Forschungen, die in die

138

geistige Welt hineingehen, und auch in der gewöhnlichen Wissen-schaft, muß man vielfach von der Erkenntnis dessen ausgehen, was nicht normal ist. Sie lernen die Dinge erst richtig kennen, wenn Sie das Nicht-Normale kennengelernt haben. Ich habe Ihnen das ja schon einmal an bestimmten Beispielen gezeigt. Wir müssen das schon deshalb betrachten, weil ja die Menschen in der Welt draußen oft­mals denjenigen, der in der geistigen Welt forscht, auch wenn er noch so normal ist, doch verrückt nennen. Also wir müssen uns schon darauf einlassen, die Dinge ein bißchen so zu untersuchen, daß wir zu­letzt eben auf die Wahrheit kommen. Sie müssen natürlich nicht glau­ben, daß man dadurch etwas erreichen kann, daß man ins Nicht-Nor­male, ins Krankhafte hineinschaut, aber lernen kann man daran viel.

Es handelt sich zum Beispiel darum, daß es ja Leute gibt, die da­durch nicht normal sind, daß man sagt, sie seien geistesgestört. Was heißt das eigentlich, ein Mensch sei geistesgestört? Es gibt kein schlechteres Wort auf der Welt als dieses «geistesgestört», weil der Geist ja niemals gestört sein kann. Nehmen Sie zum Beispiel folgen­den Fall: Wenn ein Mensch, wie man sagt, zwanzig Jahre geistes-gestört ist - solche Dinge kommen vor - und nachher wird er wie­derum normal, was tritt da eigentlich ein? - Es kann sein, nicht wahr, daß dieser Mensch durch zwanzig Jahre hindurch behauptet, daß er, sagen wir, allerlei Gespenster schaut, die nicht da sind und so weiter. Das kann also zwanzig Jahre dauern. Nun, es kann einer, der zwanzig Jahre in dieser Weise geistesgestört ist, wieder gesund werden. Aber Sie werden immer eines bemerken: Wenn einer drei, fünf oder zwanzig Jahre, wie man sagt, geistesgestört ist und er wird nachher wieder gesund, so ist er nicht mehr ganz derselbe wie früher. Vor allen Dingen werden Sie folgendes bemerken. Er sagt Ihnen, nachdem er wieder gesund geworden ist: Ich habe in der Zeit, in der ich krank war, fortwährend in die geistige Welt hineinschauen können. - Er erzählt Ihnen alle möglichen Wahrnehmungen aus der geistigen Welt. Und geht man dann mit den Erkenntnissen, die man als ein vollständig Gesunder von der geistigen Welt erlangt, dem nach, so ist es zwar so, daß er manchen Kohl sagt, aber auch wieder viel Richtiges. Also das ist das Merkwürdige: Es kann einer durch

139

zwanzig Jahre hindurch geistesgestört sein, wieder gesund werden, und dann erzählt er einem, er ist da in der geistigen Welt drinnen gewesen, hat das und das erlebt. Und wenn man selbst die Sache kennt als gesunder Mensch, so muß man ihm für vieles recht geben.

Wenn Sie mit ihm reden während der Zeit, in der er geistes­gestort ist, wird er Ihnen niemals etwas Vernünftiges erzählen kön­nen. Da erzählt er Ihnen eben den Kohl, den er da erlebt. Es ist nämlich gar nicht so, daß solche Menschen, die durch Jahre hin­durch geistesgestört sind, während ihrer sogenannten Geisteskrankheit diese Dinge erlebt haben. Da haben sie gar nichts von der geistigen Welt erlebt. Aber hinterher, wenn sie wieder gesund geworden sind und in einer gewissen Weise zurückschauen können auf die Zeit, wo sie nicht gesund waren, da kommt ihnen dann dasjenige, was sie gar nicht erlebt haben während der Krankheit, dann vor wie Blicke in die geistige Welt hinein. Eigentlich tritt also dieses Be­wußtsein: Ich habe viel von der geistigen Welt gesehen -, erst ein in dem Momente, wo die Leute wieder gesund werden.

Sehen Sie, daraus kann man nämlich außerordentlich viel lernen. Daraus kann man lernen, daß der Mensch etwas in sich hat, was er während der Zeit, in der er geistig krank war, überhaupt nicht be­nutzt hat. Aber das war da, das hat gelebt. Und wo war das? Er hat nichts gesehen von der äußeren Welt, denn er konnte Ihnen erzäh­len: Der Himmel ist rot, und die Wolken sind grün - alles mögliche. Er sieht gar nichts ordentlich in der äußeren Welt. Aber dieser tiefere Mensch, der in ihm sitzt, den er gar nicht gebrauchen kann während seiner Krankheit, der ist in der geistigen Welt. Und wenn er dann selber wiederum sein Gehirn gebrauchen kann und zurücksehen kann auf dasjenige, was dieser geistige Mensch erlebt hat, dann kommen ihm die Erlebnisse.

Wir sehen daraus, daß der Mensch, während er in dem Zustand ist, den man geisteskrank nennt, da mit seinem geistigen Teil gerade in der geistigen Welt lebt. Der ist sehr gesund, der geistige Teil. Was ist denn krank bei einem Geisteskranken? Ja, bei einem Geistes­kranken ist nämlich der Körper krank, und der Körper kann die Seele und den Geist eben nicht benützen. Bei einem, von dem man

140

sagt, der ist geisteskrank, ist immer irgend etwas im Körper krank, und wenn das Gehirn krank ist, kann man natürlich nicht ordent­lich denken. Man kann auch nicht ordentlich fühlen, wenn die Leber krank ist.

Und so kommt es, daß eigentlich «geisteskrank» der schlechteste Ausdruck ist, den man wählen kann, denn «geisteskrank» heißt nicht, der Geist ist krank, sondern geisteskrank heißt: Der Körper ist so krank, daß er den Geist, der immer gesund ist, nicht benützen kann.

- Vor allem müssen Sie sich klar sein darüber, daß der Geist immer gesund ist. Nur der Körper kann krank werden und den Geist dann nicht in richtiger Weise benützen. Wenn einer ein krankes Gehirn hat, so ist es geradeso, wie wenn einer einen Hammer hat, der bei jedem Schlag abbricht. Wenn ich zu dem, der keinen Hammer hat, sage: Du bist ein fauler Kerl, du kannst überhaupt nicht klopfen -so ist das natürlich ein Unsinn. Der könnte ganz gut klopfen, aber er hat keinen Hammer zum Klopfen. So ist es ein Unsinn, wenn man sagt, jemand sei geisteskrank. Der Geist ist vollkommen gesund, aber er hat nicht den Körper, durch den er wirken kann.

Dasjenige, was man auf diese Weise lernen kann, das zeigt sich ganz besonders dann, wenn man nachdenkt darüber, wie es sich eigentlich mit unserem Denken verhält. Aus dem, was ich Ihnen ge­sagt habe, werden Sie ersehen, daß man zwar den Geist hat, aber zum Denken ein Werkzeug braucht, das Gehirn. Ja, in der physischen Welt braucht man das Gehirn. Es ist gar keine Kunst vom Materia­lismus, daß er sagt, man brauche das Gehirn. Selbstverständlich braucht man das Gehirn. Aber es besagt nichts über den Geist, wenn er es so behauptet. Außerdem ersehen Sie daraus, daß sich der eigent­liche Geist im Menschen vollständig zurückziehen kann. Beim Gei-steskranken zieht sich der eigentliche Geist ganz zurück. Und es ist wichtig, daß man das weiß, weil man dadurch erst einsehen lernt, daß die Menschen in der heutigen Zeit - jetzt werde ich Ihnen etwas sagen, was Sie sehr erstaunen wird, aber es ist so - überhaupt nicht denken können. Sie bilden sich ein, daß sie denken können, aber sie können es gar nicht. Ich will Ihnen zeigen, warum die Men­schen nicht denken können.

141

Sie werden sagen: Die Menschen gehen doch auf die Schulen, heute lernt man in der Volksschule schon ganz wundervoll denken! -Gewiß, das schaut so aus. Dennoch können die heutigen Menschen gar nicht denken. Es sieht nur so aus, als ob sie denken könnten. Nicht wahr, in der Volksschule haben wir Volksschullehrer. Die Volksschullehrer haben wieder etwas gelernt, angeblich haben sie auch denken gelernt. Diejenigen, von denen sie wieder gelernt haben, sind, wie man in Stuttgart sagt, «Großkopfete»; also das sind ganz furchtbar weise Menschen nach der heutigen Ansicht. Die haben Hochschulstudium durchgemacht. Bevor sie Hochschulstudium ge­macht haben, haben sie das Gymnasium oder etwas ähnliches durch­gemacht, und da haben sie Lateinisch gelernt. Wenn Sie so ein bißchen herumgucken, werden Sie zwar sagen können: Ja, mein Lehrer, der hat nicht Lateinisch gekonnt! - Aber der hat ja wieder­um von einem gelernt, der doch Lateinisch konnte! Daher ist auch das, was Sie gelernt haben, abhängig von der lateinischen Sprache, und alles, was man heute lernt, ist abhängig von der lateinischen Sprache. Sie können das schon daraus sehen, daß, wenn Ihnen einer ein Rezept ausstellt, er es lateinisch schreibt. Das rührt noch her von den Zeiten, wo man überhaupt alles lateinisch geschrieben hat. Es ist noch nicht lange her, dreißig, vierzig Jahre, da wurde verlangt, daß jeder, der an der Hochschule war, seine Prüfungsarbeit in der lateinischen Sprache schrieb.

Also alles, was man heute lernt, ist abhängig von der lateinischen Sprache. Und das ist dadurch so geworden, daß man im Mittelalter, wenn man zurückgeht ins vierzehnte, fünfzehnte Jahrhundert - das ist also noch gar nicht so lange her -, alles lateinisch vorgetragen hat. Der erste, der zum Beispiel deutsch in Leipzig vorgetragen hat, ist ein gewisser Thomasius. Das ist noch nicht lange her, das war im sieb-zehnten Jahrhundert. Überall wurde lateinisch vorgetragen. Der­jenige, der etwas gelernt hat, ging durch die lateinische Sprache hin­durch, und im Mittelalter war überhaupt all das, was man lernen konnte, nur lateinisch. Wenn man irgend etwas anderes lernen wollte, mußte man erst Lateinisch lernen. Sie werden sagen: Aber nicht in der Volksschule. - Aber Volksschulen gibt es ja erst seit dem sech­zehnten

142

Jahrhundert. Erst allmählich, als die Volkssprache auch die Wissenschaft aufnahm, gab es Volksschulen. Also dasjenige, wovon unser ganzes Denken beeinflußt ist, ist die lateinische Sprache. Sie alle, meine Herren, denken, wie die Menschen denken gelernt haben durch die lateinische Sprache. Und wenn Sie auch zum Beispiel an­führen, sagen wir, die Amerikaner lernten nicht so früh Lateinisch -ja, aber die Amerikaner von heute sind ja von Europa eingewan­dert! Das hängt alles von der lateinischen Sprache ab.

Die lateinische Sprache hat eine ganz bestimmte Eigentümlichkeit. Sie ist nämlich so ausgebildet worden im alten Rom, daß sie selber denkt. Es ist interessant, wie der lateinische Unterricht in den Gym­nasien gegeben wird. Er wird so gegeben, daß man also Lateinisch lernt, und dann lernt man das Denken, das richtige Denken an dem lateinischen Satze. So daß also das ganze Denken abhängig wird von etwas, was gar nicht der Mensch macht, sondern was die lateinische Sprache macht. Verstehen Sie das nur, meine Herren, daß das etwas ganz Wichtiges ist! Also die Menschen, die heutzutage irgend etwas gelernt haben, denken nicht selber, sondern bei denen, wenn sie auch mcht die lateinische Sprache gelernt haben, denkt die lateinische Sprache. Deshalb ist es ja so, so kurios das ist: Selbständiges Denken trifft man eigentlich heute nur noch bei manchen Menschen, die nicht viel gelernt haben.

Ich will damit ja nicht etwa sagen, wir sollen wiederum in den Analphabetismus zurück. Das können wir nicht. Ich will nirgends einen Rückschritt; aber dasjenige, was ist, muß man verstehen. Des­halb ist es so wichtig, daß man manchmal auch zurückgehen kann zu dem, was der einfache Mensch, der wenig gelernt hat, noch weiß. Er kann es ja gar nicht mehr herausbringen, weil man ihn natür­lich auslacht. Aber trotzdem, es ist außerordentlich wichtig, daß man weiß: Die Menschen denken heute nicht selbst, sondern die la­teinische Sprache denkt in ihnen.

Sehen Sie, solange man nicht selber denken kann, solange kann man überhaupt nicht in die geistige Welt hineinkommen. Jetzt haben Sie den Grund, warum sich die heutige Erkenntnis auflehnt gegen alles geistige Erkennen: weil die Leute durch die lateinische Erziehung

143

dazu gekommen sind, nicht selber zu denken. Das ist das erste, was man lernen muß: selber denken. Die Leute haben heute ganz recht, wenn sie sagen: Das Gehirn denkt. - Warum denkt das Ge­hirn? Weil die lateinischen Sätze ins Gehirn hereingehen, und das Gehirn denkt ganz automatisch bei dem heutigen Menschen. Das sind Automaten der lateinischen Sprache, die herumlaufen und gar nicht selber denken.

In der letzten Zeit ist nämlich etwas geschehen, was ganz merk­würdig ist. Ich habe es Ihnen schon das letzte Mal angedeutet, aber Sie werden es nicht bemerkt haben, weil es nicht so leicht zu be­merken. ist. In der letzten Zeit ist nämlich etwas ganz Besonderes geschehen. Nicht wahr, wir haben in uns außer unserem physischen Körper den Atherkörper; die anderen auch noch, davon will ich jetzt nicht reden. Das Gehirn gehört natürlich zum physischen Kör­per, aber es ist der Atherkörper auch im Gehirn darin, und selbst denken kann man nur mit dem Atherkörper. Man kann nicht mit dem physischen Körper selbst denken. Aber denken kann man mit dem physischen Körper, wenn es so ist wie bei der lateinischen Sprache: daß das Gehirn wie ein Automat benutzt wird, wenn man mit dem Gehirn denkt. Aber solange man bloß mit dem Gehirn denkt, kann man ja nichts Geistiges denken. Da muß man anfangen mit dem Atherkörper zu denken, mit dem Atherkörper, der bei dem, der geisteskrank ist, durch viele Jahre oft nicht benutzt wird. Das muß man in innere Tätigkeit bringen.

Aber das ist es, worauf es zuallererst ankommt: daß man selbstän­dig selber denken lernt. Ohne daß man selbständig selber denken kann, kann man nicht in die geistige Welt hineinkommen. Dazu ist natürlich notwendig, daß man überhaupt zuallererst darauf kommt:

Du hast ja in deiner Jugend gar nicht selber denken gelernt! Du hast nur gelernt, das zu denken, was seit Jahrhunderten durch den Gebrauch der lateinischen Sprache gedacht worden ist. - Und wenn man dies in der richtigen Weise weiß, dann weiß man, daß die aller-erste Bedingung, auf die es ankommt zum Hineinkommen in die geistige Welt, ist: Lerne selbständig denken.

Aber jetzt kommt das, worauf ich hindeuten wollte, indem ich

144

sagte, in der letzten Zeit ist etwas Merkwürdiges vorgekommen. Diejenigen Menschen, die am meisten nur nach dem Lateinischen gedacht haben, das waren ja die Gelehrten, und die Gelehrten haben zum Beispiel die Physik gemacht. Die Physik haben sie ausgedacht, sie haben sie gedacht im Sinne der lateinischen Sprache mit dem physischen Gehirn. Wie wir klein waren, wie ich so alt war, wie zum Beispiel der junge E. hier, da haben wir nur eine Physik ge­lernt, die ausgedacht worden ist mit dem lateinischen Gehirn. Nur das haben wir ja gelernt, was ausgedacht worden ist mit dem latei­nischen Gehirn. Aber seither ist ja ungeheuer viel geschehen, meine Herren. Wie ich klein war, sehen Sie, da kam gerade das Telephon auf. Es war ja vorher nicht da. Nachher kamen alle die anderen großen Erfindungen, in die heute der Mensch schon so hineinwächst, als wenn sie immer dagewesen wären. Die sind ja erst in den aller­letzten Jahrzehnten gekommen. Dadurch sind immer mehr Leute in die Wissenschaft hineingekommen, die nicht lateinisch dressiert worden sind. Das ist solch eine merkwürdige Geschichte. Wenn man nämlich dem wissenschaftlichen Leben in den letzten Jahrzehn­ten nachgeht, so findet man, daß immer mehr solche Techniker hin­einkommen in die Wissenschaft. Die haben sich nicht viel mit dem Lateinischen befaßt. Dadurch ist ihr Denken nicht so automa­tisch geworden. Und dieses nichtautomatische Denken ist dann auch auf die anderen übergegangen. Daher ist es heute so, daß die Physik lauter Begriffe, Ideen hat, die zerfallen. Die sind höchst interessant. Da ist zum Beispiel der Professor Türler in Bern, der vor zwei Jahren über die Neuorientierung der Physik gesprochen hat. Da hat er gesagt: Alle Begriffe sind anders geworden in den letzten Jahren.

Daß man das nicht bemerkt, kommt eben nur davon her, daß, wenn Sie heute in populäre Vorträge gehen, Ihnen die Leute noch das erzählen, was man vor zwanzig Jahren gedacht hat! Das, was heute gedacht wird, das können sie Ihnen nicht erzählen, weil sie selber nicht denken können. Es ist nämlich geradeso, wenn man die Begriffe nimmt und gelten läßt, die man vor dreißig Jahren gehabt hat, wie wenn man ein Stückchen Eis nimmt und das zerschmilzt: die

145

Ideen zerschmelzen. Sie sind nicht mehr da, wenn man sie genau denken will. Wir müssen das eben einsehen. Es ist ja so: Wenn einer vor dreißig Jahren Physik gelernt hat und heute sich anschaut, wie es geworden ist, möchte er sich die Haare ausraufen, weil er sich sagen muß: Ja, da komme ich nicht zu Rande mit den Begriffen, die ich gelernt habe! - Dies ist eben so. Und woher rührt das? Das rührt eben davon her, weil in den letzten Jahren die Menschen durch die Entwickelung der Menschheit dazu gebracht worden sind, daß der Atherleib anfangen soll zu denken. Und das wollen sie nicht, sie wollen mit dem physischen Leib weiter denken. Aber im physischen Leib fallen einem die Begriffe ganz auseinander. Und mit dem Ather­leib wollen sie nicht denken lernen. Selbständig denken wollen sie nicht lernen.

Nun, sehen Sie, da ist es eben so, daß es notwendig geworden ist, daß ich im Jahre 1893 dieses Buch geschrieben habe über die Philo­sophie der Freiheit. Dieses Buch, <(Die Philosophie der Freiheit», ist nicht so wichtig durch das, was drinnen steht. Natürlich, das, was drinnen steht, wollte man schon auch damals der Welt sagen, aber das ist nicht das Allerwichtigste, sondern das Wichtige bei diesem Buche «Die Philosophie der Freiheit» ist, daß zum erstenmal ganz und gar selbständiges Denken in diesem Buche ist. Kein Mensch kann das Buch verstehen, der nur unselbständig denkt. Er muß sich Seite für Seite, ganz von Anfang an, daran gewöhnen, zurückzugehen zu seinem Atherleib, um solche Gedanken überhaupt haben zu kön­nen, wie sie in diesem Buche sind. Deshalb ist dieses Buch ein Er­ziehungsmittel, und als solches muß man es auffassen.

Als das Buch erschienen war in den neunziger Jahren, da haben die Leute überhaupt nicht gewußt, was sie mit ihm machen sollen. Das ist für sie so gewesen, wie wenn einer in Europa chinesisch schreibt und kein Mensch das verstehen kann. Es war ja natürlich deutsch geschrieben, aber es war in Gedanken geschrieben, die den Leuten gar nicht gewohnt waren, weil in dieser Beziehung alles La­teinische ganz absichtlich abgestreift ist. Es ist zum ersten Male ganz bewußt Rücksicht darauf genommen: Da drinnen sollen keine Ge danken sein, die noch durchs Lateinische beeinflußt sind, sondern

146

nur ganz selbständige Gedanken. - Ein Lateiner ist ja nur das physi­sche Gehirn. Der Atherleib des Menschen ist kein Lateiner. Daher muß man sich erst bemühen, in einer Sprache solche Gedanken auszudrücken, wie man sie dann hat, wenn man sie im Ather­leib hat.

Ich will Ihnen noch etwas sagen. Natürlich bemerkten die Men­schen, daß in den letzten Jahrzehnten die Begriffe alle anders gewor­den sind. Als ich eben noch jung war, da kam der Professor, schrieb die ganze Tafel voll. Das mußte man lernen, dann machte man ein gutes Examen. Na, schön! Und jetzt, in den letzten Jahren sind die Leute darauf gekommen, was eben dieser Türler gesagt hat bei seiner Rektoratsrede: Alle unsere Begriffe hätten ja keinen Sinn mehr, wenn es keine festen, sondern nur flüssige Körper geben würde. - Er stellt sich vor, daß die ganze Welt ein flüssiger Körper wäre. Dann aber hätten die Begriffe alle keinen Sinn mehr, dann müßte man ganz anders denken, sagt er.

Ja, natürlich müßte man anders denken, wenn kein fester Körper da wäre! Dann könnten Sie mit all den Begriffen, die Sie in der Schule gelernt haben, nichts mehr anfangen. Wenn Sie also, sagen wir, als Fisch plötzlich ganz gescheit würden und es käme Ihnen die Idee, Sie sollten als Fisch auf eine menschliche Hochschule gehen, dann würden Sie da etwas lernen, was es überhaupt für den Fisch nicht gibt, weil der Fisch im Wasser lebt. Er hat feste Körper nur an der Grenze, wo er antippt und gleich wieder zurückprallt. Also wenn der Fisch anfangen würde zu denken, müßte er ja ganz andere Ge­danken haben als der Mensch. Aber solche Gedanken, die braucht der Mensch heute auch, weil ihm die anderen Gedanken entfallen, und er muß sich selber sagen: Ja, wenn nun alles flüssig wäre, müßten wir ja ganz andere Gedanken haben.

Meine Herren, habe ich Ihnen nicht erzählt von einem Zustand der Erde, wo es noch keine festen Körper gegeben hat, wo alles flüssig war, wo selbst die Tiere so waren, daß sie flüssig waren? Ich habe Ihnen ja erzählt von diesem Zustande. Ist es Ihnen nicht be­greiflich, daß das heutige Denken in diese Zustände überhaupt nicht zurückkommt? Die kann es ja nicht denken! Also das heutige Denken

147

weiß über den Weltanfang überhaupt nichts auszumachen. Ja, so muß man sagen, die heutigen Menschen fangen an, sich vorzustel­len: Donnerwetter, wenn nun die Welt flüssig wäre, müßten wir ja ganz andere Begriffe haben! - Aber in der geistigen Welt sind keine festen Körper! Also mit all den Begriffen, die die lateinische Sprache in die Menschen nach und nach hineindressiert hat, kann man über­haupt nicht in die geistige Welt hineinkommen. Die muß man sich erst abgewöhnen, diese Begriffe.

Sehen Sie, das ist übrigens auch ein großes Geheimnis: Im Grie­chentum, das vorangegangen ist dem Lateinertum - das Lateinertum, das entstand erst fünf, sechs Jahrhunderte vor Christi Geburt, aber das Griechentum ist viel älter -, im Griechentum, da gab es noch eine Erkenntnis des Geistigen. Da konnte man noch in die geistige Welt hineinschauen. Als das Römertum gekommen ist mit der la­teinischen Sprache, da wurde das erst allmählich ausgerottet. Jetzt muß ich auch wiederum etwas sagen, was Ihnen sehr kurios vorkom­men wird, aber Sie werden das begreifen. Wer hat sich denn der latei­nischen Sprache durch die Jahrhunderte bedient, nur die lateinische Sprache gebraucht? - Die Kirche selber hat am meisten dazu beige­tragen! Das ist es gerade, daß die Kirche, die vorgibt, den Menschen den Geist beizubringen, gerade am meisten dazu beigetragen hat, den Geist auszutreiben. Und im Mittelalter waren alle Hochschulen kirchlich. Natürlich muß man der Kirche dankbar sein, daß sie über­haupt die Hochschulen begründet hat im dreizehnten, vierzehnten Jahrhundert, aber sie hat sie begründet aus dem Lateinertum heraus, und das Lateinertum hat niemals die Möglichkeit, zum Geist zu kommen. Und so ist es eben allmählich gekommen, daß die Men­schen nur Begriffe gehabt haben für feste Körper. Sehen Sie sich das einmal bei den Römern an: Die Römer haben diese ganz trockenen, nüchternen, ungeistigen Begriffe in die Welt eingeführt. Das hat gemacht, daß dann alles so materiell vorgestellt worden ist. Was glauben Sie, wenn noch die Griechen solch eine Handlung wie das Abendmahl geschildert hätten - ja, die hätten doch das nicht so ge­schildert, als ob das Materielle, das man da hat, Blut und Fleisch wäre! Das kommt ja vom Materialismus. Sogar die Abendmahlsauffassung

148

ist materialistisch geworden, weil alles das zusammenhängt mit der lateinischen Sprache.

Die lateinische Sprache ist ganz nur logisch. Sehen Sie, ich habe ja mit vielen solchen Menschen gearbeitet, die eine ganz lateinische Kultur gehabt haben, trotzdem sie deutsch geredet haben. Wollte man irgend etwas klar haben, dann übersetzte man geschwind die Geschichte ins Lateinische, weil man im Lateinischen nur logisch denkt in der neueren Zeit. Aber dieses logische Denken, das bezieht sich ja nur auf feste Körper. Will man in die geistige Welt hinein, so braucht man flüssige Begriffe.

Da gibt es zum Beispiel die Theosophische Gesellschaft. Die wollte auch in die geistige Welt hinein. Diese Theosophische Gesellschaft, die redet auch davon: Der Mensch hat einen physischen Leib, einen Atherleib und so weiter - aber die sind materialistisch, denn sie den­ken ja nur: Der physische Leib, der ist dick, der Atherleib ist etwas dünner und der astralische Leib noch dünner. - Aber das bleibt ja lauter Körper, das wird ja niemals Geist, weil man zu solchen Be­griffen kommen muß, wenn man in den Geist hinein will, die fort­während sich verändern. Wenn ich Ihnen etwas aufzeichne, so wer­den Sie bemerken, daß ich das selbst beim Zeichnen berücksichtige. Ich zeichne meinetwillen den physischen Leib auf; da versuche ich nachzuahmen, wie der physische Mensch ist. Wenn ich aber nun ver­suche, den Atherleib zu zeichnen, da wird es mir gar nicht einfallen, Ihnen in derselben Weise eine Figur hinzuzeichnen, sondern da versuche ich so darzustellen: Der Mensch hat auch einen Atherleib, der dehnt sich so aus (es wird gezeichnet). - Aber Sie müssen wissen:

Das ist nicht so sehr der Atherleib, nicht, wenn ich ihn so aufzeichne, seine Abbildung, sondern das ist nur das Abbild eines Augenblicks. Im nächsten Augenblick ist es wieder anders. - Also wenn ich den Atherleib zeichnen wollte, müßte ich jetzt aufzeichnen, geschwind auslöschen, wieder anders aufzeichnen, wieder löschen, wieder auf­zeichnen, wieder löschen. Das ist in fortwährender Bewegung. Der Mensch kommt ja mit seinen Begriffen, wie er sie heute hat, diesen Bewegungen gar nicht nach. Das ist es, was Sie vor allen Dingen berücksichtigen müssen: daß die Begriffe beweglich werden müssen.

149

#Bild s. 149

Daran müssen sich die Menschen erst gewöhnen. Daher ist es not­wendig, daß man heute zu ganz selbständigem Denken kommt.

Aber das genügt noch nicht. Ich will Ihnen noch etwas anderes sagen. Sie wissen ja: Der Mensch entwickelt sich, und man beachtet gewöhnlich diese Entwickelung im Leben des Menschen nicht; aber wenn der Mensch noch ganz jung ist, beachtet man es. Man weiß ganz gut: Ein einjähriges Kind kann noch nicht schreiben und rech­nen und lesen, ein achtjähriges Kind kann es vielleicht. Da sieht man die Entwickelung. Aber im späteren Leben, wenn wir einmal «gemachte Menschen» sind, da sind wir ja überhaupt so hochnäsig, daß wir es nicht mehr zugeben, daß wir uns entwickeln. Aber wir entwickeln uns eigentlich durch das ganze Leben, und es ist sehr eigentümlich, wie wir uns entwickeln. Unsere Entwickelung, die geht nämlich so: Nehmen Sie an, wir haben den Menschen - ich will ihn ganz schematisch zeichnen -: Wenn das Kind ganz jung ist, dann geht alle Entwickelung vom Kopfe aus. Wenn man dann den Zahn-wechsel durchgemacht hat, also etwas älter geworden ist, dann geht alle Entwickelung von der Brust aus. Deshalb muß man so achtgeben, wie die Kinder vom siebten bis vierzehnten Jahre atmen; daß sie genügend atmen und so weiter. Also das ist das Alter von dem

150

größeren Kind - heute müßte man ja schon anders sagen, heute lassen sich die Kinder das nicht mehr gern gefallen; vom vierzehnten Jahr an muß man heute schon «junge Damen» und «junge Herren» sagen! - Und erst, wenn der Mensch geschlechtsreif geworden ist, geht vom ganzen Menschen, von den Gliedmaßen die Entwickelung aus. So daß wir sagen können: Wenn der Mensch geschlechtsreif geworden ist, so ist erst der Mensch selber in voller Entwickelung. -

#Bild s. 150

Das bleibt jetzt. Da entwickeln wir uns noch durch die zwanziger, dreißiger Jahre hindurch. Aber wenn man älter wird - einige von Ihnen können das ja schon an sich selbst sehen -, dann geht man­ches ja wiederum zurück. Das braucht ja nun nicht der Fall zu sein, wenn man ein geistiges Leben aufgenommen hat, aber so im normalen menschlichen Leben geht schon die Sache zurück, wenn man älter geworden ist. Das ist gerade die Aufgabe der Anthroposophie, dafür zu sorgen, daß die Menschen in der Zukunft mit dem Alter nicht mehr zurückgehen. Aber das muß natürlich auch langsam und all­mählich geschehen.

151

Nun ist es ja so, daß es Menschen gibt, bei denen die geistigen Kräfte, wie man sagt, ganz furchtbar zurückgehen. Nun kann der Geist aber nicht zurückgehen, sondern es ist wieder nur der Körper, der zurückgeht. Es ist nun interessant, daß gerade sehr geistreiche Menschen oftmals im Alter furchtbar zurückgehen. So zum Beispiel werden Sie schon gehört haben, daß die Menschen ja den Kant zu den besonders großen Weisen rechnen. Kant war aber in seinem Alter blödsinnig. Also sein Körper ist so zurückgegangen, daß er seinen weisen Geist nicht mehr benützen konnte. Und so ist es bei vielen. Gerade sehr gescheite Leute sind ja im Alter richtig blödsinnig ge­worden. Das ist natürlich wieder nur ein starker, intensiver Ausdruck für das, was bei jedem Menschen eintritt. Allmählich kann man ja im Alter den physischen Körper nicht mehr gebrauchen. Man kann ihn ja dann schon aus dem Grunde nicht gebrauchen, weil sich ungeheuer viel Kalk einlagert, namentlich in die Adern. Und je mehr sich Kalk in die Adern einlagert, desto weniger kann man den physischen Körper gebrauchen. Aber in demselben Maße, in dem, sagen wir zum Beispiel bis zum vierzigsten Jahre vom Kopfe her­unter die Entwickelung in den ganzen Körper hineingeht, in dem­selben Maße geht es wiederum zurück. Kommt man von den vierziger in die fünfziger Jahre hinauf, so muß man wiederum die Brust mehr gebrauchen, und im Alter muß man wieder mehr den Kopf gebrau­chen. Wenn man also ganz alt geworden ist, muß man wieder mehr den Kopf gebrauchen. Aber jetzt müßte man im Alter wiederum den feineren Kopf, den Atherkopf da oben, gebrauchen. Aber das lernen die Leute in der lateinischen Erziehung nicht. Und gerade diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten materialistische lateinische Erziehung genossen haben, die sind am meisten diesem Altersblödsinn ausge­setzt gewesen.

Man muß im Alter wiederum auf die Kindheitsstufe zurück. Es gibt ja Leute, bei denen das sehr stark eintritt. Sie werden, wie man sagt, geistig immer schwächer und schwächer. Der Geist bleibt aber ganz erhalten, der Körper wird nur immer schwächer und schwächer. Solche Leute können zuletzt das nicht mehr, was sie zu allererst fer­tig gebracht haben. Solche Dinge kommen durchaus vor. Sagen wir,

152

ein Mensch ist alt geworden. Das, was er zuletzt getrieben hat, das kann er gar nicht mehr. Er kann nur noch dasjenige, was er als größeres Kind getrieben hat. Zuletzt kann er auch das nicht mehr, sondern kann nur noch spielen und versteht auch nur noch diejenigen Begriffe, die er während des Spielens aufgenommen hat. Es hat sogar Leute gegeben, die konnten im höchsten Alter nur noch dasjenige verstehen, was ihnen die Eltern oder die Amme in den allerersten Kindheitsjahren gesagt haben. Der Ausdruck: Im Alter wird man kindisch - der hat nämlich eine sehr gute Begründung. Man gelangt wirklich wiederum in die Kindheit zurück.

Aber das ist, sobald man Geistesleben in sich hat, kein Unglück, sondern es ist eigentlich ein Glück; denn wenn man noch Kind ist, da kann man nämlich den Atherleib noch benützen. Wenn das Kind herumtobt und schreit und alles mögliche macht, so macht das ja nicht der physische Leib - höchstens, wenn es Bauchweh hat, aber dann muß auch erst der Bauchschmerz übertragen werden auf den Atherleib und astralischen Leib, damit das Kind sich infolge des Bauchwehs bewegt -, aber das, was da tobt, das ist eben nicht der physische Leib. Nun ist man alt und kommt wieder auf die Kind­heitsstufe zurück; da hat man sich allmählich angewöhnt, nicht mehr zu toben, und benützt denselben Atherleib, den man als Kind zum Toben benützt hat, dann im Alter zu etwas Gescheiterem. Also das kann ein Glück werden, daß man wiederum so zurückkommt.

Da haben Sie das zweite. Das erste, was man lernen muß, um in die geistige Welt hineinzukommen, ist ein richtiges Denken. Wie man dazu kommt, darüber werden wir noch weiter reden; die Fra­gen sind sehr kompliziert. Wir müssen heute erst einmal darauf kommen, einzusehen, wie das ist, daß erstens ein ganz selbständiges Denken da sein muß. Da muß man mit vielem brechen, was heutige Erziehung ist, denn die heutige Erziehung ist eben unselbständiges Denken, vom Latein herrührendes Denken. Denken Sie nicht, daß dasjenige, was heute an sozialistischen Theorien entwickelt wird, ein freies Denken ist! Die haben ja alle von dem gelernt, was aus dem Latein herausgekommen ist; die haben es nur nicht gewußt. Nicht wahr, der Arbeiter mag in seinem Wollen das oder jenes sich

153

vornehmen können; aber wenn er anfängt zu denken, so denkt er ganz nach Bourgeoisbegriffen, und die sind ja aus lateinischem Den­ken hervorgegangen. Also das erste, das man haben muß, ist selb­ständiges Denken.

Das zweite aber, das ist, daß man lernen muß, nicht bloß in dem gegenwärtigen Augenblick zu leben, sondern immer wiederum zu­rückgehen zu können in das Leben, das man bis in die Kindheit hin­ein geführt hat. Sehen Sie, wer in die geistige Welt eindringen will, der muß oftmals sich vornehmen: Jetzt mußt du darauf kommen, wie es war, als du ein zwölfjähriger Junge warst. Was hast du da getan? - Und das muß man nun nicht oberflächlich, nur äußerlich, sondern ganz im einzelnen sich vorstellen. Es ist zum Beispiel nichts nützlicher, als wenn man anfängt sich zu sagen: Ja, da war ich ein zwölfjähriger Junge - ich kann es ganz gut übersehen -, da war ein Steinhaufen am Weg, auf den bin ich draufgestiegen. Einmal bin ich heruntergepurzelt. Da war irgendeine Haselnußstaude, da habe ich mein Messer herausgenommen, Zweige abgeschnitten, mich in den Finger geschnitten. - Dieses wiederum so richtig sehen, was man vor vielen Jahren selber gemacht hat: dadurch kommt man in das hinein, daß man eigentlich nicht bloß im Gegenwärtigen lebt. Wenn Sie den­ken, so wie man es heute gelernt hat, da denken Sie mit Ihrem gegen­wärtigen physischen Leib. Aber wenn Sie auf das zurückkommen, was Sie mit zwölf Jahren waren, da können Sie nicht mit Ihrem damaligen physischen Leib denken, denn der ist nicht mehr da -ich habe Ihnen das gesagt, der physische Leib ist alle sieben Jahre neu -, da müssen Sie mit Ihrem Atherkörper denken. Deshalb rufen Sie diesen Atherleib auf, wenn Sie zurückdenken an etwas, was zwölf, vierzehn Jahre zurückliegt. Dadurch kommen Sie in diese innere Tätigkeit hinein.

Und ganz besonders kann man sich angewöhnen, überhaupt anders zu denken, als man gewöhnlich denkt. Wie denken Sie? Nicht wahr, wir haben uns heute um neun Uhr hier getroffen. Da habe ich ange­fangen, Ihnen zuerst die Zettel vorzulesen, auf denen Fragen stehen. Dann habe ich allerlei Betrachtungen angestellt, und wir sind jetzt dazu gelangt, zu sagen: Wir müssen zurückdenken an ein früheres

154

Leben, das wir zwölf, vierzehn Jahre zurück durchgemacht haben. Jetzt können Sie, wenn Sie heimkommen, vielleicht, wenn es Ihnen besonders interessant ist, diese Gedanken noch einmal durchdenken. Nun ja, das kann man. So machen es ja die meisten Menschen: sie gehen das noch einmal durch. Aber Sie können etwas anderes machen. Sie können sagen: Was hat er zuletzt gesagt? Er hat zuletzt gesagt, daß man also an sein früheres Leben, bis zwölf, vierzehn Jahre zu­rück denken soll. Noch früher, da hat er davon gesprochen, daß man freies Denken haben muß. Noch früher hat er ausgesprochen, wie das Lateinische allmählich hereingekommen ist. Noch früher, wie der Mensch, wenn er eine Zeitlang geistig nicht gesund gewesen ist, dann zurückschaut und sagt, er hätte da etwas Besonderes er­fahren. Da hat er auseinandergesetzt, wie der innere Mensch nicht geistig krank wird, sondern nur der Körper krank wird. - Jetzt hätten Sie den ganzen Vortrag rückwärts laufend durchgenommen.

Ja, rückwärts laufen die Dinge draußen nicht! Ich könnte Ihnen ja allenfalls auch gleich im Anfang den Vortrag rückwärts halten, aber Sie würden ihn nicht verstehen, denn man fängt eben vom An­fang an und schaut so auf das Ganze, daß man es allmählich ver­steht. Hat man es aber verstanden, kann man es auch rückwärts denken. Aber rückwärts gehen doch die Tatsachen nicht vor sich! Da reiße ich mich los von den Tatsachen. Da denke ich so, daß ich sage: Justament denke ich so, so, so, wie es nicht draußen vorgeht, sondern ich denke rückwärts. - Dazu gehört nämlich eine gewisse Kraft. Da muß ich mich innerlich regsam machen, wenn ich rück­wärts denke. Geradeso wie derjenige, der durch ein Teleskop sieht, lernen muß, das Teleskop zu handhaben, so muß derjenige, der in die geistige Welt hineinschauen will, oftmals rückwärts denken, immer wieder rückwärts denken. Da kommt schon eines Tages die Zeit, wo er weiß: Aha, jetzt gehe ich in die geistige Welt hinein.

Daran können Sie wieder sehen: Ihren physischen Körper haben Sie Ihr ganzes Leben daran gewöhnt, vorwärts, nicht rückwärts zu denken. Wenn Sie jetzt anfangen rückwärts zu denken, da tut der physische Körper nicht mit. Da kommt etwas Eigentümliches zu­stande. Das ist ja, was man denen, die immer wiederum fragen: Ja,

155

wie komme ich in die geistige Welt hinein? - als ersten Ratschlag gibt - er steht auch in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» -, was man ihnen immer sagt: Lernet wenigstens zunächst die Tagesereignisse zurückgehen; dann anderes. - Nun haben die Leute natürlich zunächst bloß mit ihrem physischen Körper denken gelernt. Das beobachten sie. Sie strengen sich an, rückwärts zu den­ken, aber sie haben nur gelernt mit dem physischen Leib zu denken, nicht mit dem Atherkörper. Jetzt kommt der «Generälstreik» vom Atherkörper. Ja, es ist ein richtiger Generälstreik! Und wenn die Leute beim Rückwärtsdenken nicht so viel einschlafen wür­den, dann würden sie nämlich wissen: Wenn ich anfange rück­wärts zu denken, müßte ich ankommen bei der geistigen Welt. -Aber gerade in dem Moment, wo das Schauen beginnt, schläft man ein. Da schlafen die Leute ein, weil ihnen die Anstrengung zu groß ist. Also muß man den ganzen guten Willen und die ganze Kraft haben, nicht einzuschlafen. Dazu muß man Geduld haben. Das dauert sogar oft jahrelang; aber man muß dazu Geduld haben.

Sehen Sie, wenn Ihnen einer erzählen könnte, was Sie, wenn Sie rückwärts gedacht haben, nach dem Einschlafen unbewußt erleben, da würden Sie sehen, wie das ein furchtbar Gescheites ist! Die dümmsten Menschen fangen dann an, im Schlaf außerordentlich ge-scheite Gedanken zu haben, nur wissen sie nichts davon.

Also ich habe Sie heute zuerst darauf aufmerksam gemacht: Erst muß man überhaupt lernen, selbständig zu denken. Nun, das kann man. Ich will nicht sagen zum Beispiel, weil ich ja nicht ein einge­bildeter Tropf bin, daß nur meine «Philosophie der Freiheit» dazu dient, aber die ist bewußt dazu geschrieben, daß man sich selbstän­diges Denken angewöhnt. Also: Selbständiges Denken; über Dinge, die zehn, zwölf Jahre zurückliegen, oder Dinge, die man erlebt hat, ganz genau rückwärts denken. - Damit haben wir zunächst wenig­stens einmal darauf aufmerksam gemacht, wie man sich losreißt vom physischen Leib, wie man hineinkommt in die geistige Welt. Wir wollen das dann so weiter verfolgen, daß allmählich alle diese vier Fragen herauskommen.

156

NEUNTER VORTRAG Dornach, 30. Juni 1923

Wir werden nun fortfahren in der Beantwortung der vorgelegten Fragen. Dabei müssen Sie sich klar sein, daß die Antwort auf diese Fragen zu den allerschwierigsten gehört. Ich werde es so leicht als möglich zu machen versuchen. Ich habe Ihnen schon gesagt: Will man die Wege finden, um in die geistige Anschauung hineinzukom­men, dann muß man zuerst sich angewöhnen können ein ganz selb­ständiges Denken. Zweitens muß man die Möglichkeit haben, wie ich Ihnen gesagt habe, zurückzudenken. Also man muß versuchen, die­jenigen Dinge, die im Leben so verlaufen: zuerst das erste, dann das zweite, das dritte und so weiter, - das muß man versuchen zurückzu-denken. Also, wenn ich Ihnen einen Vortrag halte, sagte ich das letzte Mal, müßten Sie versuchen, vom Ende angefangen gegen den Anfang zu denken. Das sind solche Dinge, die zu den allerersten, ich möchte sagen, Anfangsgründen gehören.

Nun möchte ich aber heute ganz im Zusammenhang schon mit der zweiten Frage noch etwas anderes erörtern. Sie wissen ja, daß der Mensch nur leben kann bei einer bestimmten Wärme. Wenn es im Sommer recht heiß wird, nun, dann schwitzt er halt, aber er kann es noch ertragen; aber wenn es noch höher hinaufginge, dann würde er nicht mehr leben können. Ebensogut kann der Mensch eine bestimmte Kälte ertragen, aber wenn es unter diese Kälte hinuntergeht, dann erfriert der Mensch. Das Eigentümliche ist, daß man gerade zwi­schen diesen zwei Temperaturen, zwischen der Kälte, bei der man anfängt zu erfrieren, und der Wärme, die man gerade noch aus-halten kann, zwischen diesen zwei Temperaturen, in denen der menschliche Körper lebt, gerade keine geistigen Wesenheiten sehen kann. Also ist es gar nicht besonders verwunderlich, daß der Mensch mit seinem Körper keine geistigen Wesenheiten wahrnehmen kann. Denn das ist geradeso, wie ich Ihnen das letzte Mal gesagt habe, daß in dem Momente, wo man anfängt zurückzudenken und es so weit ginge, daß man da ankommen würde, bewußt geistige Wesenheiten

157

zu sehen, man ja meistens einschläft. Die meisten Menschen schlafen ein, wenn sie sich eben nicht vorher zum Wachsein dabei erzogen haben. Also der Mensch könnte, wenn er weiter hinauf kommen würde als in die Temperatur, die er gerade noch aushalten kann, da oben bei höherer Temperatur geistige Wesenheiten wahrnehmen, aber er kann es nicht ertragen. Ebensogut könnte der Mensch geistige We­senheiten wahrnehmen, wenn er sich ein Schneegewand machen könnte, sich in den Schnee stecken könnte, aber er erfriert dabei. Also das, was dem Menschen so unwahrscheinlich vorkommt, das ist eben doch eine Tatsache: daß sich die geistigen Wesenheiten vor den Temperaturen, die der Mensch, wenn er im physischen Leibe ist, aus­hält, zurückziehen.

Nun kann der Mensch solche Temperaturen mit seinem Körper nicht aushalten, aber mit seiner Seele kann er sie aushalten. Nur, wie gesagt, die Seele schläft dann ein. Denn die Seele erfriert nicht, die Seele verbrennt auch nicht, aber die Seele schläft dann ein.

Aber nun gibt es zwei Dinge, wodurch der Mensch eine Ahnung bekommen kann, wie die Geschichte ist, wenn er in höhere Tem­peraturen kommt, als er aushält, und auch, wenn er in tiefere Tem­peraturen kommt, als er aushält. Dafür will ich Ihnen ein Beispiel nennen. Sehen Sie, der Mensch kommt in höhere Temperaturen, als er aushält, auf innerliche Weise, wenn er Fieber kriegt. Da kommt er zwar nicht in so hohe Temperaturen, daß er gleich daran zugrunde geht, aber weil die Wärme von innen erzeugt wird, kommt der Mensch in Fiebertemperaturen hinein, in eine höhere Temperatur, als er hineinkommt, wenn er kein Fieber hat. Sie wissen ja, der Mensch fängt, wenn er in diese höhere Temperatur, in die Fieber-temperatur hineinkommt, zu reden an wie einer, der nicht auf der Erde ist. Denn was die Leute im Fieber schwätzen, das hat kei­nen Bezug auf die Erde. Aber gerade wenn einer Materialist wäre, müßte er doch sagen: Ja, aber das sind doch Gedanken, die da ausgekocht werden in der Fieberhitze, wenn sie auch nicht wahr sind.

Also wir haben beim Menschen etwas, wo er in einen Zustand erhöhter Temperatur hineinwächst, zunächst fiebert, wo er irrereden

158

würde. Die Seele, die kann nicht irrereden. Wenn die Seele auch in noch so hohem Fieber ist, sie kann nicht irrereden. Sie redet irre bei höherer Temperatur, weil der Körper nicht in Ordnung ist. Sie kön­nen sich das an einem Beispiel vergegenwärtigen. Denken Sie ein­mal an eine Kugel, wie man sie manchmal in Blumengärten aufstellt, die ein Spiegel ist, in dem sich die Umgebung spiegelt. Wenn Sie da einmal hereingucken, da werden Sie ein Gesicht sehen, das Sie nicht gerne haben möchten! (Es wird skizzenhaft an der Tafel dargestellt.) Solch ein Gesicht werden Sie nicht gerne haben mögen. Aber Sie werden auch nicht sagen: Donnerwetter, was habe ich für ein Ge­sicht gekriegt! - Sie werden nicht glauben, daß das nun überhaupt Ihr Gesicht sei, weil es in der Kugel so verändert ausschaut. Wenn nun Ihre Seele im Fieber anfängt irrezureden, so werden Sie auch nicht sagen, Ihre Seele rede irre, sondern dasjenige, was Ihre Seele redet, das wird irre, weil es aus einem kranken Gehirn heraus redet, geradeso wie ihr Gesicht so breitmatschig ausschaut, weil es in einem falschen Spiegel zum Ausdruck kommt. Also müssen Sie sich auch sagen: Wenn ich Fieber habe und dummes Zeug rede, so ist es mit der Seele so, daß sie aus einem kranken Gehirn heraus redet. Ich habe ja kein anderes Gesicht, wenn ich vor dem Kugelspiegel stehe, aber das alles erscheint verzerrt. - So erscheint verzerrt, was der Fieberkranke redet, weil es aus einem kranken Körper und krank wirkenden Gehirn heraus kommt. Aber woher kommt das krank wirkende Gehirn? Davon, daß die ganze Blutzirkulation zu rasch vor sich geht. Ich habe nur den Puls zu fühlen, so spüre ich das schon. Also diese Fieberhitze im Kopf wird dadurch erzeugt, daß die Blutzirkulation zu rasch vor sich geht. Durch die Blutzirkulation wird Wärme erzeugt, die steigt in den Kopf: Sie haben Fieber. Ihre Seele erscheint wie in einem unrichtigen Spiegel.

Auch der umgekehrte Zustand kann eintreten, aber der tritt nicht dadurch ein, daß man sich in den Schnee legt und erfrieren läßt, denn da erfriert man wirklich. Der umgekehrte Zustand kann näm­lich nur vom Geistigen aus eintreten. Da muß man schon vom Gei­stigen aus etwas machen. Da kommt etwas sehr Merkwürdiges zu­stande. Denken Sie sich einmal: Einer fängt an furchtbar nachzuden­ken,

159

denkt über die geringsten Kleinigkeiten nach. Es ist besser, über die geringsten Kleinigkeiten nachzudenken, als über wichtige Sachen, über solche Kleinigkeiten, daß die meisten Menschen gar nicht dar­über nachdenken wollen. Ich will Ihnen etwas zeigen: Wenn Sie hier ein Dreieck haben (es wird gezeichnet) und Sie teilen dieses Dreieck in vier gleiche Teile, so daß Sie also vier Dreiecke bekom­men, so können Sie sagen: Das ganze Dreieck ist größer als jedes der vier kleinen Dreiecke. - Ich kann jetzt das verallgemeinern und kann sagen, es gibt einen Lehrsatz, der heißt: Das Ganze ist größer als seine Teile. - Wenn da nun so ein satter Büromensch kommt und man sagt ihm: Du, denke einmal darüber nach, das Ganze ist größer als seine Teile, so sagt der: Nein, das ist mir viel zu langweilig! -Und wenn man noch gar zu ihm kommt und sagt: Sieh einmal, die Tafel ist ein Körper, die hat eine bestimmte Größe, die ist ausge­dehnt, der Tisch ist auch ein Körper, der hat eine bestimmte Größe, der ist ausgedehnt - und ich bilde jetzt den Satz: Die Körper sind ausgedehnt - denken Sie sich, wenn Ihnen nun irgendwo in einer Versammlung die ganze Zeit nur vorgetragen würde über den einen Satz: Alle Körper sind ausgedehnt -,Sie würden weggehen und sagen:

Das war eine fade Geschichte, eine langweilige Sache! - Und wenn ich Ihnen nun gar mit so etwas kommen und sagen würde: Seht einmal, die Wiese ist grün, die Rose ist rot, diese Gegenstände ha­ben also Farben. Gestern war eine Gerichtssitzung, da hat der Rich­ter das oder jenes Urteil gefällt - das hat keine Farbe. Und in einem anderen Orte war auch eine Gerichtssitzung, da hat der Richter auch ein Urteil gefällt - das hat keine Farbe. Urteile haben keine Farben. - Wenn Ihnen nun einer eine Stunde lang darüber vortragen würde: Urteile haben keine Farbe -, da würden Sie sich sagen: Ich habe mir eine Stunde lang angehört: Urteile haben keine Farbe -aber das ist furchtbar langweilig, das ist grenzenlos langweilig!

Aber warum sind Ihnen diese Urteile langweilig? Ich müßte Ihnen diese Sachen nicht an die Tafel schreiben, müßte Ihnen nicht mit einer gewissen Spaßigkeit diese Sachen sagen, sondern ich müßte hereinkommen, steif und forsch wie ein Professor, und müßte nun sagen: Meine Herren, heute wollen wir uns über den Satz unterhalten:

160

Urteile haben keine Farben - und dann müßte ich Ihnen eine ganze Stunde beweisen, daß Urteile keine Farben haben. Wie ich es hier Ihnen zeigte, das ist noch ganz amüsant. Aber so müßte ich kommen und eine ganze Stunde reden über den Satz: Urteile haben keine Farbe, oder: Alle Körper sind ausgedehnt. - So könnten Sie auch noch eine Linie ziehen zum Beispiel, um von einem Punkt zum andern zu kommen. Die eine Linie ist gerade, die andern sind alle krumm. Aber wenn Sie das angucken, so werden Sie gleich sagen:

Die Gerade ist der kürzeste Weg, alle andern sind länger. - Nun kann ich Ihnen wieder diesen Satz aufschreiben: Die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten. - Wenn ich da wiederum eine ganze Stunde darüber reden wollte, würden Sie es wieder lang­weilig finden.

Es gibt allerdings einen deutschen Professor, der sagt: Von der geistigen Welt kann man schon etwas erkennen; aber nur dasjenige kann man erkennen von der geistigen Welt, was in solchen Sätzen liegt. - Und nun trägt er seinen Schülern dann die Sätze vor, durch die man aus der geistigen Welt etwas erkennt: Das Ganze ist größer als seine Teile. Die Urteile haben keine Farben. Die Körper sind ausgedehnt. Die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punk­ten, und so weiter. - Das ist das einzige, sagt er, was man wissen kann von der geistigen Welt. Ja, die Schüler, die langweilen sich furchtbar in diesen Vorträgen. Aber heute ist das so, daß die Leute schon den Glauben gekriegt haben: Man muß sich langweilen bei der Wissenschaft. - Deshalb sind die Schüler sogar meistens gerade von dem Professor begeistert, der solches sagt. Aber das ist nur eine Zwischenbemerkung.

Die Geschichte ist nämlich diese. Wenn man solche Urteile in sich aufnimmt, solche Urteile fällt, solche Sätze: Das Ganze ist größer als seine Teile, die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten - dann wird es nämlich im Hinterkopf kalt. Das ist das Eigentümliche: es wird im Hinterkopf kalt. Und weil es im Hinterkopf kalt wird, weil der Mensch anfängt zu frieren, will er gleich weg von solchen Sätzen. Sie sind ihm langweilig. Das ist näm­lich das Merkwürdige: Bei der Langeweile wird es im Hinterkopf

161

kalt. Nicht der ganze Mensch wird kalt, aber der Hinterkopf wird kalt. Der Hinterkopf fängt an erfrieren zu wollen. Und der friert jetzt nicht durch Schnee oder Eis, sondern der friert durch das Seeli­sche, dadurch, daß er solche Dinge denkt, die kein Interesse für ihn haben.

Sehen Sie, man kann sich lustig machen über solche Sätze; aber die Sache ist diese, daß solche Sätze mit Geduld immer wieder denken, das heißt sich immer wieder mit Geduld in furchtbare Langeweile versetzen, ein richtiger Weg ist, um in das geistige Schau­en hineinzukommen. Es ist merkwürdig: Was der Mensch gerade nicht haben will, das muß er ausüben. Jch kann Ihnen sagen: Die Mathematik ist für manchen langweilig, aber weil sie schwer ist und man sich anstrengen muß, und weil die Mathematik gerade den Hinterkopf kalt macht, deshalb kommen diejenigen, die Mathematik lernen mußten, weil die so kalt war und man sich anstrengen mußte bei der Mathematik, am leichtesten in die geistige Welt hinein. Und diejenigen, die sich überwinden und solche Sätze immer wieder und wieder erleben, die also künstlich sich die Langeweile anzüchten, die kommen am leichtesten in die geistige Welt hinein.

Ich habe Ihnen gesagt: Wenn man Fieber kriegt, dann wird der Puls schnell. Da wird man warm, und da ist es so, daß man Hitze in den Kopf, in das Gehirn hinein kriegt. Da kommt man eben durch die Hitze hinein. Da redet man irre. - Wenn man sich aber jetzt mit solchen Sätzen plagt, wobei man ganz aufhören will zu denken, da wird das Blut nicht regsamer, sondern im Hinterkopf stockt es, das Blut. Und dadurch, daß das Blut stockt, sammeln sich dahinten Salze an. Salze sammeln sich an. Das ist ein Zweifa­ches, wie diese Salze sich äußern. Die meisten Menschen bekommen Bauchweh davon. Und weil sie das Bauchweh sehr rasch bemerken

- es wird ihnen unbehaglich im Bauch, wenn sie solche Sätze denken sollen-, so hören sie bald auf. Aber wenn einer doch immerfort sol­che Sätze denkt, wie es der Nietzsche gemacht hat, der als ein sehr großer Mann gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts gelebt hat, der immerfort mit solchen Sätzen sich gequält hat in seiner Jugend, dann lagern sich viele Salze ab in seinem Kopf, und Nietzsche litt

162

fortwährend an Migräne. Und nun, sehen Sie, muß man es dahin bringen, daß man solche Sätze denken kann, ohne daß man Migräne kriegt. Man muß ein vollständig gesunder Mensch bleiben und künstliche Langeweile in sich erzeugen können. Also einer, der Jhnen ehrlich sagt, wie man in die geistige Welt hineinkommt, der muß Ihnen sagen: Sie müssen zuerst künstliche Langeweile in sich er-zeugen können, sonst können Sie überhaupt nicht in die geistige Welt hineinkommen.

Sehen Sie nur einmal die gegenwärtige Zeit an. Was will denn die gegenwärtige Zeit? Die gegenwärtige Zeit will fortwährend die Langeweile vertreiben. Wohin rennen die Menschen nicht überall, um ja keine Langeweile zu haben! Immerfort wollen sie sich amü­sieren. Was heißt denn das, sich immerfort amüsieren wollen? Das heißt, vor dem Geist davonlaufen. Nichts anderes heißt das. Und unsere Zeit will sich immerfort amüsieren. Ja, wo irgend etwas Geistiges sein könnte, da rennt unsere Zeit immer gleich davon. Sie weiß es nicht, es geschieht unbewußt. Aber dieses Sich-amüsieren-Wollen ist eben ein Vor-dem-Geiste-Davonlaufen. Das ist schon so. Und diejenigen allein können in den Geist hineinkommen, die sich nicht davor scheuen, das Amüsement einmal ganz zu lassen und künstlich in solchen Sätzen zu leben. Dann, wenn Sie es so weit ge-eracht haben, künstlich in solchen Sätzen zu leben, daß man nicht mehr Migräne oder Bauchweh dabei bekommt, sondern es wirklich aushalten kann, viele Stunden lang in solchen Sätzen zu leben, dann hat man die Möglichkeit, zum geistigen Schauen zu kommen.

Aber da muß noch eine Veränderung vor sich gehen. Nämlich von einem bestimmten Punkt an merkt man: Wenn man nun gelebt hat in solchen Sätzen, da fangen sie an, sich umzudrehen. - Da denke ich lange nach: Das große Dreieck ist größer als seine Teile. Wenn ich darüber lange nachdenke, so dreht sich mir der Satz um. Jetzt fängt er an, interessant zu werden, denn da bekomme ich einmal folgende Anschauung: Wenn ich hier ein Dreieck habe und ich nehme von diesem Dreieck das Viertel und ich will das heraustun, dann fängt es an zu wachsen, und es ist nicht wahr, daß das Ganze größer ist als seine Teile, als sein Viertel. Das Viertel ist plötzlich

163

größer. - Ich sehe, daß das Viertel größer ist, und ich muß jetzt sagen: Das Ganze ist kleiner als seine Teile.

Jetzt habe ich mich hineingearbeitet, wie es in der geistigen Welt aussieht. Da schaut es nämlich entgegengesetzt aus von der physi­schen. In der physischen Welt ist immer das Ganze größer als seine Teile, in der geistigen Welt ist der Teil größer als das Ganze. Sie können nämlich keinen Menschen erkennen, wenn Sie nicht wissen, daß der Teil größer ist als das Ganze. Die heutige Wissenschaft, die will immer ins Kleinste schauen. Wenn Sie aber die Leber des Men­schen erkennen wollen, so ist sie kleiner als der Mensch, wenn Sie es hier im Physischen anschauen. Wenn Sie es geistig anschauen wol­len, da wächst und wächst sie ins Riesenhafte, da wird die Leber ein ganzes Weltenall. Und wenn man das nicht beachtet, so kann man eben die Leber nicht geistig erkennen.

Also Sie müssen erst ehrlich zu dem Satze gekommen sein: Das Ganze ist kleiner als sein Teil, und der Teil ist größer als das Ganze.

- Ebenso, wenn Sie genügend lange den Satz: Alle Körper sind ausgedehnt - gedacht haben, so daß die Gefahr besteht, daß Ihnen Ihr Gehirn hinten erfriert, dann schrumpfen alle Körper zusam­men, hören auf, ausgedehnt zu sein, und Sie bekommen endlich das Urteil: Kein Körper ist ausgedehnt.

Und jetzt etwas ganz Spaßiges - spaßig ist es für die physische Welt, von höchstem Ernst ist es für die geistige Welt. Sehen Sie, Sie können finden, es gibt nichts Dümmeres, als wenn ich sage: In Buxte­hude hat eine Gerichtsverhandlung stattgefunden, da ist ein Urteil gefällt worden, das hat keine Farbe. In Trippstrill ist auch ein Urteil gefällt worden, das hat auch keine Farbe. - Aber wenn Sie den Satz lange denken, dann bekommt das Urteil nämlich Farbe. Und gerade­so, wie Sie sagen können: Die Rose ist rot - so können Sie sagen:

Das Urteil von Buxtehude ist schmutzig-gelb, und das Urteil von Trippstrill ist rot. - Nun, es kann auch solche geben, die schön rot sind, aber das kommt selten vor. Sehen Sie, da wachsen Sie hinein in den Satz: Alle Urteile, die die Menschen fällen, haben Farben. -Und jetzt erst ist man auf dem Punkte, daß man überhaupt fähig wird, über die geistige Welt nachzudenken, weil diese die entgegengesetzten

164

Eigenschaften von der physischen Welt hat: Urteile haben Farben.

Die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten - das ist ja so richtig, daß man es einem in der Geometrie als ersten Lehrsatz auftischt. Für die physische Welt ist das so richtig, als es nur richtig sein kann. Aber denkt man lange nach: Wenn einer, der kein physi­sches, sondern ein geistiges Wesen ist, von Dorf A zu Dorf B kom­men will, so kommt ihm der Weg furchtbar kurz vor, wenn er im Halbkreis läuft - und Sie kommen zu dem Urteil: Die Gerade ist der längste Weg zwischen zwei Punkten.

Das ist schon etwas, wobei man ein bißchen den Mund aufreißen kann! Die Welt allerdings, die geht nicht ein auf solche Sachen. Die sagt: Nun ja, wenn einer sagt, Urteile haben Farben, so hat er das Fieber oder er ist verrückt. - Aber darum handelt es sich eben, daß man zu diesen Dingen ohne seinen Körper kommt, mit voller Ver­nünftigkeit kommt, denn die geistige Welt hat eben die entgegenge­setzten Eigenschaften von der physischen Welt. Und man muß durch die allereinfachsten Sätze dazu kommen, weil die allereinfachsten Sätze die unglaublichsten sind. Nicht wahr, wenn Ihnen einer an­fängt, interessant über die geistige Welt zu reden, da hören die Leute natürlich zu, wie wenn ihnen überhaupt Gespenstergeschichten er-zählt werden. Aber Sie hören nicht zu, wenn Ihnen einer sagt: Du mußt dich zuerst daran gewöhnen, künstlich in dir die Langeweile zu erzeugen. - Künstlich muß man das machen. Wenn man sich durch die äußere Wissenschaft langweilt, da wird nichts daraus. Aber künstlich, durch innere Anstrengung muß man imstande sein, die Langeweile zu erzielen, ohne daß man Migräne oder Bauchweh bekommt, ohne daß der Körper beteiligt ist. Ist der Körper beteiligt, so bekommt man sofort Migräne oder Bauchweh. Hören Sie sich nur einmal an, was die Leute sagen, wenn sie hören: Ihr müßt euch nicht durch den Professor langweilen lassen, das hilft euch nichts, da werdet ihr keine Geistesschauer, sondern ihr müßt nur nach und nach die Migräne und das Bauchweh überwinden. - Sehen Sie, der Student sitzt da, der Professor langweilt ihn furchtbar; er soll eigent­lich Migräne oder Bauchweh kriegen, aber das kriegt er nicht. Nun

165

schlägt sich das in andere Organe, die weniger weh tun. Und eigent­lich werden die Leute dann krank, weil der physische Körper mit­macht. Erzeugt man auf diese Weise Langeweile, wie es in der heuti­gen Wissenschaft geschieht, dann macht man die Menschen nur krank. Gibt man den Menschen Anleitung, selber durch eigene Kraft ganz frei die Langeweile zu erzeugen, und gehen sie durch diese Langeweile, dann kommen sie nach und nach in die geistige Welt hinein, die man aber ergreifen muß, indem schon die allerersten Ur­teile in der geistigen Welt umgekehrt sind. Es gibt schon ein außer­ordentlich gutes Mittel, wodurch man sehr tüchtig an sich selber ar­beiten kann. Das ist, wenn man etwas recht, recht Langweiliges in der Welt erlebt und nachher, wenn es so langweilig gewesen ist, daß man fortgelaufen ist, daß man es gar nicht mehr mochte oder froh war, wenn es aus war, dann fängt man an, ganz, ganz langsam dar­über nachzudenken.

Sehen Sie, ich habe daran selber - das kann ich Ihnen verraten -furchtbar viel gelernt. Ich habe in meinem Leben, als ich jung war, furchtbar langweilige Vorlesungen gehört. Ja, ich muß sagen, bevor die Vorlesung angefangen hat, da habe ich mich sogar gefreut auf die langweilige Vorlesung, weil das einen ebenso herausgebracht hat wie sonst im Leben das Schlafen. Also ich habe rechte Freude gehabt:

Jetzt kannst du wieder einmal ein paar Stunden langweilige Vor­lesungen hören! - Aber wenn die Vorlesung angefangen hatte und der Professor sprach, dann hatte ich fortwährend den Eindruck: Der redet ja fortwährend, der stört einem die Langeweile auch noch! -Aber hinterher, da habe ich immer tief über alles Einzelne nach­gedacht, was er gesagt hat. Es hat mich nicht im geringsten inter­essiert, aber ich habe jede Stunde von Anfang wiederum durchge­macht, ganz richtig durchgemacht, und manchmal eine Stunde so durchgemacht, daß es zwei Stunden gedauert hat, also diese natür­liche Langeweile künstlich erzeugt. Da machen Sie eine sonderbare Entdeckung. Gerade am Ende des neunzehnten Jahrhunderts konn­ten Sie eine sonderbare Entdeckung machen. Denken Sie sich, Sie kommen gerade aus der Vorlesung eines riesigen Rhinozerosses - die gibt es ja - und Sie haben sich fürchterlich gelangweilt. Jetzt konnten

166

Sie - und das ist gerade am Ende des neunzehnten Jahrhunderts der Fall gewesen -, wie man sagt, meditieren über diese langweiligen Vorlesungen. Also alles, was Sie furchtbar gelangweilt hat, das rufen Sie sich wiederum in die Seele herein. Dann plötzlich erscheint einem da hinter dem Menschen, der einem wie ein Rhinozeros die größten Langweiligkeiten vorgetragen hat, nach und nach etwas wie ein höherer Mensch, wie ein ganz geistiger Mensch. Und die Lehrsäle verwandeln sich Ihnen - das ist so, daß man es in voller Vernünftigkeit begreifen kann - in der folgenden Weise. Und ich kenne viele Professoren vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts, bei denen das der Fall war - aber ich will nicht, daß das nun wieder herumgeredet wird, sonst denken die Leute: das ist etwas ganz Schreckliches -: Hinter denen erschienen immer die geistreichsten geistigen Menschen. Ja, was war denn das?

Es ist nämlich nicht wahr, daß die Menschen innerlich unbewußt so dumm sind, wie sie sich geben. Sie sind nämlich viel gescheiter, und gerade die Dümmsten sind manchmal gescheit. Das dreht sich auch um. Aber sie können ihre eigene Gescheitheit nicht begreifen. Das ist nämlich ein furchtbares Geheimnis, denn gerade hinter den Leuten steht oft dasjenige, was ihr eigentlich Seelisches ist; das kön­nen sie selber nicht begreifen.

Ja, so kommt man schon hinein in die geistigen Welten. Sie wissen ja, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts hat es eine materialistische Naturwissenschaft gegeben. Die Leute beten heute noch immer der materialistischen Naturwissenschaft nach. Ich muß selber sagen: Es ist ungeheuer nützlich gewesen, diese materialistische Naturwissen­schaft kennenzulernen. - Diese materialistische Naturwissenschaft hat von Anfang bis zum Ende immer wiederum die langweiligsten Sätze vorgebracht. Wenn man nur sich alle Finger ableckt, daß man so gescheit geworden ist und endlich weiß, daß der Mensch vom Affen abstamme, wie es die Naturwissenschaft sagt - ja, dann wird nichts daraus. Wenn man aber mit aller inneren Energie diesen Satz immer wieder und wieder denkt, dann verwandelt er sich zuletzt in einen geistig richtigen, und man merkt: Der Mensch stammt gar nicht vom Affen ab, sondern von einem geistigen Wesen.

167

Aber Sie erfahren aus alledem, was ich Ihnen erzähle, daß man sich auf zweierlei Art auch in die Naturwissenschaft hineinfinden kann. Und ich kann Ihnen schon sagen: Wenn man nicht so Natur­wissenschaft gelernt hat, wie sie sehr viele im neunzehnten Jahrhun­dert und bis heute noch gelernt haben, sondern wenn Sie, statt alles nachzuplappern, meditativ denken, immer wieder und wiederum denken, stunden-, stundenlang denken, dann dreht sich es wieder um und es kommt das Geistig-Richtige heraus. Und wenn Sie lange nach­gedacht haben über Pflanzen und Mineralien und lange dasjenige, was die Leute Ihnen heute in einer so furchtbar materialistischen Weise sagen, einfach durchdenken, dann kommen Sie zuletzt dazu, die Bedeutung des Tierkreises, die Bedeutung der Sterne, die gan­zen Geheimnisse der Sterne vor sich zu haben. - Aber der sicherste Weg ist eben, von solchen Sätzen auszugehen und darauf zu kom­men: Der Teil ist größer als das Ganze. Kein Körper ist ausge­dehnt. Urteile haben Farben. Die Gerade ist der längste Weg zwischen zwei Punkten. - Dadurch hat man sich losgerissen von dem physischen Körper. Wenn Sie dies alles durchmachen, dann kommen Sie dazu, zunächst statt Ihrem physischen Körper Ihren Atherkörper benützen zu können. Sie können dann anfangen, mit dem Atherkörper zu denken, und der Atherkörper muß alles um­gekehrt denken von der physischen Welt. Denn durch den Ather­körper kommt man allmählich in die geistige Welt hinein. Aber da stockt es dann doch noch, und da muß man noch etwas anderes sich angewöhnen.

Sie wissen ja, wenn man heute liest, so kann einem etwas ganz Sonderbares passieren. Da habe ich zum Beispiel einmal, als ich in einer südösterreichischen Stadt war, die heute keine österreichische mehr ist, ein Abendblatt in die Hand gekriegt. Dieses Abendblatt hatte einen Leitartikel, wie man sagt. Da war eine furchtbar inter­essante Geschichte in allen Details, in allen Einzelheiten erzählt, eine große, politische Geschichte: erste Spalte, zweite Spalte, dritte Spalte las man, ganz furchtbar interessant. Dann kam ganz unten, noch auf derselben Seite, eine kleine Bemerkung. Da las man: Leider müssen wir mitteilen, daß alles das, was in unserem heutigen Leit­artikel

168

steht, auf einer irrtümlichen Benachrichtigung beruht und kein Wort davon richtig ist.

Nun, sehen Sie, das kann einem heute passieren. Es ist der radi­kalste Fall, aber wer heute Zeitungen liest, dem kann es so und so oft passieren, auf jeder Seite, daß er etwas liest, was einfach nicht wahr ist. Da erfährt er hinterher eben, daß es nicht wahr gewesen ist. Sehen Sie, ich glaube, die meisten Menschen sind in diesen Sachen heute schon furchtbar stumpf geworden und nehmen Wahrheit und Lüge nach und nach ganz gleichgültig auf. Wenn man in dieser Be­ziehung stumpf geworden ist, daß man Wahrheit und Lüge in glei­cher Weise aufnimmt, ja, dann kann man nicht in die geistige Welt hineinkommen.

Jch habe Ihnen das letzte Mal gesagt: Wenn einer verrückt wird, so wird nur sein Körper krank. Die Seele wird nicht krank, die bleibt dabei gesund. - Heute habe ich Ihnen gesagt: Wenn einer im Fieber irreredet, so werden nur seine Gedanken zu Karika­turen, aber die Seele bleibt richtig. - Aber das muß man sich ange­wöhnen, wenn man in die geistige Welt hineinkommen will, daß einem bei einer unrichtigen Sache ein seelischer Schmerz kommt, und daß man bei einer richtigen Sache eine seelische Freude hat, daß man sich über die Wahrheit so freuen kann, wie wenn einer einem eine Million schenkt - ich meine eine Million Franken, nicht Mark! (Heiterkeit.) So muß man sich freuen können, wenn man eine Wahr­heit zu hören bekommt, und so muß man innerlich seelisch leiden können - nicht der Körper, sondern die Seele muß leiden können, wenn man irgendwo entdeckt: da ist etwas erlogen -, so wie der Körper leidet, wenn er eine furchtbare Krankheit hat. Nicht daß die Seele krank sein soll, aber die Seele muß Schmerz und Freude emp­finden können, wie wenn der Körper krank ist oder ganz behaglich ist oder äußerlich iii der physischen Welt Schmerz oder Freude erlebt. Das heißt, man muß dazu kommen, die Wahrheit so zu fühlen, wie man Freude und Glückseligkeit und Lust im physischen Leben emp­findet, und man muß dazu kommen, das Unwahre so schmerzlich zu empfinden, innerlich seelisch so krank zu werden, wie man sonst von den Störungen seines Körpers allein krank wird. Das heißt, wenn

169

einem einer den Buckel voll gelogen hat, so muß man sagen können, aber richtig so, daß es stimmt: Donnerwetter! Der hat mir Tollkir­schen zu essen gegeben! - Das muß aber innerlich wahr sein. Nun, natürlich, wenn Sie in die heutige Zeit hineinschauen, das Zeitungs-wesen zum Beispiel betrachten, das gibt Ihnen immerfort Tollkirschen zu essen. Da müssen Sie fortwährend, wenn die Seele gesund blei­ben soll, seelisch speien. Das müssen Sie sich natürlich wiederum, weil man ohne Zeitungen nicht sein kann, wenn Sie in die geistige Welt hineinkommen wollen, angewöhnen, daß Sie von der Zeitung einen schlechten Geschmack haben und von dem, wo Sie etwas Or­dentliches lesen, wo ein Mensch sich ganz innerlich gibt, Freude haben, aber Freude so davon haben, wie Sie es meinetwillen von etwas haben, das sehr gut schmeckt. Es muß Ihnen die Wahrheit und das Streben nach der Wahrheit gut schmecken, und es muß Ihnen die Lüge, wenn Sie sie gewahr werden, bitter, giftig schmek­ken. So daß Sie nicht nur lernen müssen: Urteile haben Farben, sondern Sie müssen lernen zu sagen: Druckerschwärze ist heute mei­stens Tollkirschensaft. - Das müssen Sie aber mit aller Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit empfinden können. Dann sind Sie bei dem, was man geistige Verwandlung nennt.

Die Leute reden von äußerlicher Alchemie und glauben, äußer­liche Alchemie kann Kupfer in Gold verwandeln. Das werden Ihnen Scharlatane natürlich heute noch immer in allen Farben sagen; das haben die Leute, die abergläubisch sind, lange geglaubt. Aber im Geiste sind diese Dinge möglich; nur muß man an die Wahrheit des Geistes glauben. Da muß man sich sagen können: Die Drucker­schwärze, die der Drucker benützt hat, ist materiell überall dasselbe, ob der ein wahres Buch gedruckt hat oder eine lügenhafte Zeitung. Das eine Mal aber ist Druckerschwärze wirklicher Tollkirschensaft, das andere Mah ist es, wie wenn Gold flüssig fließen würde. - Im Geiste sind die Dinge, die in der physischen Welt dieselben sind, so ganz verschieden.

Aber wenn dann die jetzigen gescheiten Leute kommen und man ihnen sagt: Druckerschwärze kann fließendes Gold sein oder Toll­kirschensaft - dann sagen sie: Das meinst du bildlich, bildlich ist

170

das nur gemeint. - Ja, das Bildliche, das muß eben richtig geistig werden, und man muß verstehen, wie die Sachen geistig werden.

Da will ich Ihnen einmal ein Beispiel, sogar aus der sozialdemo­kratischen Parteigeschichte, erzählen. Sie haben ja das vielleicht weni­ger mehr miterlebt, aber in einer gewissen Zeit hat sich ja die Sozial­demokratische Partei in zwei Teile gespalten. Die einen waren dieje­nigen, die unter Bernstein und ähnlichen Leuten waren. Das waren diejenigen, die gern allerlei Kompromisse mit den Bürgerlichen ge-schlossen haben. Und das andere waren die Radikalen, und an der Spitze der Radikalen ist ja bis zu seinem Tode Bebel gestanden. Sie werden wenigstens noch aus der Literatur von Bebel wissen. Nun war einmal - es war in Dresden - eine Parteiversammlung und Bebel ist fuchtig geworden über die anderen und hat gesagt, er wird nun Ordnung machen in der Sozialdemokratie. Da hat er eine sehr wuch­tige Rede gehalten und hat im Verlauf dieser Rede gesagt: Ja, wenn das und das geschieht von der andern Partei, dann läuft mir eine Laus über die Leber! - Nun wird natürlich jeder sagen, das ist bild­lich gemeint, daß dem Bebel eine Laus über die Leber läuft, denn da läuft nicht wirklich eine Laus über die Leber. Aber warum wird denn solch ein Ausdruck gebraucht? Der Bebel hat ihn natürlich nicht deshalb gebraucht, weil ihm wirklich eine Laus über die Leber ge-laufen ist, sondern er hat ihn gehört und hat ihn eben angewendet für etwas, wo man sich furchtbar ärgert. Aber warum ist denn der Ausdruck so, warum kann man da davon sprechen, daß eine «Laus» über die Leber läuft? Es ist meistens höchst unangenehm, wenn die Leute Läuse kriegen, es ist ihnen furchtbar unangenehm, es ist ein greuliches Gefühl! Sie hätten nur einmal sehen sollen: Als ich Er­zieher war, da kam einmal einer von den Jungen, die ich erziehen mußte, nach Hause; er war ausgegangen, hatte sich in der Großstadt auf allerlei Bänke gesetzt, kriegte nach und nach Augenschmerzen, furchtbare Schmerzen. Nun war man sich im unklaren, welchen Spezialisten man da holen sollte, wenn der Junge solche schreckli­chen Augenschmerzen kriegte. Ich sagte: Wir wollen es zunächst mit einer Läusesalbe probieren und ihm die Augenbrauen damit einsah­ben. - Richtig, als man nachsah, da war er ganz verhaust, und als

171

die Salbe gewirkt hatte, da gingen auch die tränenden Augen weg. Ja, Sie hätten nur sehen sollen, wie die Leute dreinschauten, die Mutter und die Tante, als der Junge plötzlich Läuse hatte! Da be­kamen sie solche Gefühle, die bis in die Leber hineingingen. Da wird es ihnen im Bauch ganz anders: Donnerwetter, unser Junge hat Läuse! - Das ist ja etwas Schreckliches, und da kommt es einem dann so stark vor, wie wenn die Laus über die Leber rennen würde. Dieser Ausdruck kommt von der wirklichen Empfindung her, die man eben gehabt hat, wenn die Leute Läuse bekommen haben. Nun, natürlich, in irgendeiner Partei geschieht das nicht so, daß die Leute lausig ,werden, aber sie treiben etwas, wodurch man einen solchen Abscheu kriegt davor, wie wenn einem in früheren Zeiten oder in einer gewissen Gesellschaftskhasse Läuse über die Leber gelaufen wä­ren. Also Sie sehen, so wie der Ausdruck gebildet worden ist, da konnte er einer Wirklichkeit entsprechen. Nachher werden solche Ausdrücke so angewendet, daß man sie nur beim Geistigen, beim Seelischen noch anwendet.

Aber das muß man künstlich zusammenbringen, meine Herren. Man muß das können, daß man nicht allein dem phrasenhaften Wort­laut nach, sondern tatsächlich richtig ehrlich empfindet: Da habe ich eine Zeitung vor mir, da wird wohl das meiste, was da drin ist, so sein, daß die Druckerschwärze Tollkirschensaft ist. - Ich möchte wissen, was die Leute tun würden, wenn sie das heute ehrlich emp­finden würden! Denken Sie nur einmal, wieviel Tollkirschensaft verwendet worden ist, um über die Kriegsschuld zu reden und über die Kriegsunschuld, und wie die Leute einfach dadurch, daß sie ent­weder zu dem oder jenem Volk gehören, nicht, weil die Sachen wahr sind, sondern weih sie das eigene Volk unschuldig sprechen, mit allen möglichen Unwahrheiten unschuldig sprechen, Wohlbeha­gen empfinden. Ja, wie sollen denn die Menschen in der Gegenwart in den Geist hineinkommen? Man muß eben den starken Entschluß fassen, den ganz intensiven Entschluß fassen, ganz anders zu sein als ein Mensch der Gegenwart, und dennoch muß man natürlich mit den Leuten auskommen. Denn wenn man sich gleich auf das Podium stellt und anfängt über die Leute zu schimpfen, dann kann

172

es natürlich nichts helfen. Aber man muß eben für die Wahrheit eine Gasse suchen. Und das ist so schwer, wie ich es Ihnen heute dargestellt habe.

Nun habe ich Ihnen heute schwere Partien bringen müssen, damit Sie sehen: Es ist eben keine Leichtigkeit, in die geistige Welt hinein­zukommen. - Wir kommen dann schon wiederum zu Dingen, die Sie weniger anstrengen werden. Wenn ich das nächste Mal fortsetze' werden Sie sehen, wie der ganze Weg in die geistige Welt hinein ist.

173

ZEHNTER VORTRAG Dornach, 7. Juli 1923

Ich habe Ihnen im letzten Vortrag ausgeführt, daß heute der Mensch nichts erkennen kann, denn das Denken, das man heute hat, taugt eigentlich nicht dazu. Früher, selbst noch vor, sagen wir tausend, tausendfünfhundert Jahren, hat derjenige, der etwas denken lernen wollte, erst sein Denken ausbilden müssen. Man hat nicht geglaubt, daß man mit dem gewöhnlichen Denken, das man hat, schon irgend­wie die geistige Welt begreifen kann, und es war eine Art von Schu­lung des Denkens da. Heute wird durch all unsere Bildung, die wir haben, der Mensch gar nicht dazu veranlaßt, irgendwie sein Denken auszubilden. Daher kann er eigentlich in Wirklichkeit auch gar nicht denken.

Das will ich Ihnen zunächst an einem Beispiel erklären, das Sie in diesen Tagen in der Zeitung haben lesen können.

Ein oft wiederkehrender ist der Flug-Traum. Wir träumen, zu fliegen, schweben oder fallen, und zwar sehr häufig nach dem Zubettgehen.

Sie kennen ja wohl alle diese Tatsache, haben wohl auch alle das schon gehabt, daß Sie im Traum geflogen sind. Das will nun einer, der nur an das naturwissenschaftliche Denken gewohnt ist, erklären. Sie werden gleich sehen, daß man mit diesem Denken überhaupt zu nichts kommt, wenn es sich um solche Dinge handelt.

Dieser Traum des Fliegens wird durch ein wirkliches, ruckartiges Zusammenziehen des Körpers hervorgerufen.

Also, was glaubt der Mann? Er glaubt, wenn man am Einschla­fen ist, so zuckt der Körper zusammen. Aber ich frage Sie: Sind Sie nicht auch schon oft zusammengezuckt, wenn Sie wach gewesen sind? Wann zucken Sie zusammen? - Ich denke, Sie zucken zusam­men, wenn Sie einen Schreck erleben, wenn Sie irgend etwas erleben, was Sie in Schrecken und vielleicht in Angst versetzt, was Sie im Augenblick furchtbar überrascht. Dann zucken Sie zusammen. Sie können zum Beispiel auch zusammenzucken, wenn Sie, sagen wir,

74

da draußen herumgehen und plötzlich einen Menschen sehen, von dem Sie glauben, er sei in Amerika. Wenn Sie ihn wahrnehmen, so zucken Sie zusammen, weil Sie überrascht sind. Aber Sie werden sich niemals einbilden, wenn Sie anfangen zusammenzuzucken, daß Sie meinen, Sie fliegen! Es fällt Ihnen doch wirklich, man kann schon sagen, im Traum nicht ein, daß, wenn Sie zusammenzucken, Sie dann meinen, Sie fliegen. Also Sie sehen, von was für verwirrten Gedanken man da überhaupt ausgeht, wenn man meint, daß man die Vorstellung vom Fliegen bekommen könnte, wenn man mit dem Körper zusammenzuckt. Sie sehen daraus: Der Mensch macht sich Gedanken, aber in dem Momente, wo man damit irgend etwas am Menschen erklären will, passen sie gar nicht. - Diese Gedanken pas­sen so lange, als man im Laboratorium mit leblosen Stoffen experi­mentiert, aber in dem Momente, wo man etwas erklären soll, paßt es nicht mehr.

Nun geht es weiter:

Die Ursache des Zusammenzuckens liegt in dem unterschiedlichen Verhalten der Muskelspannungen beim Wachen und Einschlafen. Beim Wachen gehen den Muskeln des Körpers von seiten des Zentralnervensystems ständig Energieströme zu,...

Also er nimmt an, daß beim Wachen von den Nerven in die Muskeln immer elektrische Ströme, Energieströme hereingehen.

... die die Muskeln in diejenige Spannung versetzen, die zur Erhaltung der Kräfte notwendig und zu dem notwendigen Zusammenspiel überhaupt erforder­lich sind. Im Schlafe fällt diese Muskelspannung zum größten Teil fort. Und da im ersten Teil der Periode des Schlafens, also gleich beim Einschlafen, die Re­flextätigkeit des Rückenmarks gesteigert ist, so wirkt der Vorgang der Muskel-entspannung, beziehungsweise der durch ihn auf das Rückenmark ausgeübte Reiz weicht einem Reflexreiz.

Es soll also auf das Nervensystem im Rückenmark ein Reiz aus­geubt werden; der soll nun weiterwirken, und der spannt die Muskeln stärker und so weiter, und so könne schließlich im Schlaf etwas zu­stande kommen wie die Vorstellung des Fliegens, Schwimmens, so wie wenn etwas hineinwirke insbesondere in die Rhythmen der At­mungsmuskulatur und des Brustkastens. Nun bedenken Sie, wenn Sie ins Keuchen kommen und der Brustkorb angespannt wird, ob

175

Sie da schon einmal das Gefühl gehabt haben, als ob Sie schwim­men oder gar, als ob Sie fliegen! Da fühlen Sie sich ja erst recht schwer.

Und weiter heißt es in dein Artikel, wie namentlich der Wegfall des Druckes und der Unterlage, des Widerstandes, den wir beim Wachen haben, beim Schlafen mit in Betracht zu ziehen sei. Ja, aber wenn man geht, im Wachen, dann ist man auf einer ganz kleinen Unterlage; man hat das Gefühl, daß man auf seinen Fußsohlen geht. Und wenn man beim Wachen sitzt, dann hat man eben das Gefühl, daß man eine etwas größere Unterlage hat als bloß die Fuß­sohlen. Aber auch wenn Sie diese Unterlage iii der Größe zusammen-zählen mit der Größe der Unterlage der Fußsohlen, so ist sie ja im­mer noch klein im Verhältnis zu dem Raum, den man als Unterlage einnimmt, wenn man schläft. Es ist doch ein größerer Raum nötig, wenn Sie sich niederlegen und schlafen, als wenn Sie im Wachen gehen oder sitzen! Also Sie sehen, wie man mit diesem Denken dazu kommt, einfach Unsinn zu behaupten. Und das ist heutige Wissen-schaft über den Menschen!

Er meint also: Da gehen elektrische Ströme in die Nerven hinein. Die sind stärker, wenn man schläft, die drücken die Muskeln, und nun kommt man zur Vorstellung des Fliegens, also daß man glaubt, man fliege; oder es fallen die Unterlagen weg im Schlafe! Es ist eigentlich nicht zu glauben, was da gesagt wird.

Auch der Wegfall der Empfindungen des Druckes und des Unterlage-Wider-standes, die wir im Wachen an all den Körperstellen haben, die auf einer Unter­lage aufruhen...

Es ist gar nicht zu glauben, daß ein Mensch sich einen solchen Einwand nicht macht, daß man doch im Schlaf auf einer viel größe­ren Unterlage aufruht. Aber er tut es nicht, weil eben das heutige Denken, wenn es nicht solchen Unsinn behauptet, überhaupt nicht zu Erklärungen kommt.

Nun wollen wir uns einmal einiges davon klarmachen - denn dar­aus werden Sie sehen, wie man zu der Erkenntnis von einer höheren, geistigen Welt kommt -, was da wirklich geschieht, wenn der Mensch einschläft.

176

Ich will Ihnen das zunächst ganz bildlich aufzeichnen. Sie wissen ja, daß das nur eine Verbildlichung ist. Aber nehmen Sie an, Sie hätten hier den physischen Körper eines Menschen (es wird gezeich­net). In diesem physischen Körper des Menschen steckt nun extra der Atherkörper, der übersinnliche Körper drinnen; den will ich gelb einzeichnen. Der ist also da drinnen, der füllt ihn aus. Also der ist unsichtbar.

Diese zwei Körper nun, der physische Körper und der Äther-leib, die bleiben während des Schlafens im Bette liegen. Jetzt, wenn wir wachen, da ist in diesen zwei Körpern noch der astralische Kör­per drinnen - das will ich so zeichnen, daß ich noch das Rote dar­über mache -, und da drinnen steckt außerdem noch das Ich, das vierte Glied. Das will ich undeutlicher zeichnen. So ist der wache Mensch: physischer Leib, Atherleib, Astralleib und Ich; die stecken ineinander.

Schauen wir uns jetzt den schlafenden Menschen an. Der hat im Bette liegen nur den physischen Leib und den Ätherleib. Außer dem Bette sind der astralische Leib - der ist herausgegangen - und das Ich, der Ich-Leib. Dasjenige, was im Bette liegen geblieben ist, das ist wie eine Pflanze, denn die Pflanze hat auch einen physischen Leib und einen Ätherleib. Wenn die Pflanze keinen Ätherleib hätte, wäre sie ein Stein. Da würde sie nicht leben, würde nicht wachsen. Also das, was im Bette liegen bleibt, ist wie eine Pflanze. Die Pflanze denkt nicht. Das, was da im Bette liegen bleibt - Sie wissen es ganz genau -, das denkt auch nicht in dem Sinne, daß das Denken be­wußt ist. Die Gedanken sind da drinnen, das habe ich Ihnen neulich erklärt, sogar heller als die Gedanken, die wir verwenden, wenn wir bewußt sind, aber bewußte Gedanken sind nicht da. Das ist wie bei der Pflanze.

Aber nun heraußen, da ist der Mensch so, daß er keine Begren­zung mehr spüren kann. Sie können sich sogar erklären, woher das kommt, daß, wenn wir da herausgehen aus dem Körper, sogleich das Bewußtsein schwindet. Wenn Sie nämlich in Ihrem Körper drinnen sind, so müssen Sie Ihren astralischen Körper so groß machen, als der physische Körper ist. Wenn Sie herausgehen, dann fängt plötz­lich

177

der astralische Leib an, riesengroß zu werden, herauszugehen nach allen Seiten, weil der physische Leib ihn nicht mehr anzieht, nicht mehr klein macht. So daß Sie in dem Momente, wo Sie ein­schlafen, herausrücken aus Ihrem physischen Leib, immer größer und größer werden.

Nun denken Sie sich, Sie trinken ein Glas - damit nicht die Sache so herauskommt, als ob ich jetzt für den Alkohol rede - Sie wissen, das ist ja jetzt ein unangenehmes Thema in der Schweiz geworden -, so will ich sagen: Sie trinken ein Glas Wasser mit ein bißchen Him­beersaft. Wenn Sie in ein Glas Wasser etwas Himbeersaft hineintun, dann haben Sie den Geschmack von Himbeersaft. Denken Sie aber, Sie nehmen statt eines Glases ein so großes Gefäß, in das fünf Fla­schen Wasser hineingehen, und Sie geben nur so viel Himbeersaft hinein und rühren es gut um, als Sie früher in das Glas hineingetan haben, da muß sich der Himbeersaft über viel mehr Wasser ausdeh­nen, da haben Sie schon weniger Himbeergeschmack. Als ich ein kleiner Bub war, bin ich in der Nähe einer Weinhandlung aufge­wachsen; da gab es Keller mit Fässern von vierhundert Eimern Wein. Wenn man das mit Wasser angefüllt hätte, also ein Faß mit vierhundert Eimer voll Wasser, statt Wein, und da hinein das biß­chen Himbeersaft gegeben hätte und das Ganze durcheinandergerührt hätte, da hätten Sie trinken können von dem Wasser und hätten nichts mehr geschmeckt von dem Himbeersaft. Das ist ja klar. Nun, solange der astralische Leib so klein ist wie Ihr physischer Leib, ist es wie der Himbeersaft in einem Glas Wasser: Ihr astralischer Leib ist nur so weit ausgedehnt, als Ihr physischer Leib reicht. Wenn Sie im Schlafe herausgehen, da zieht der physische Leib das nicht mehr zusammen, da wird der astralische Leib so ausgedehnt, wie der Him­beersaft in den vierhundert Eimern Wasser. Und daher haben Sie in diesem astralischen Leib kein Bewußtsein mehr drinnen, denn das Bewußtsein entsteht dadurch, daß sich der astralische Leib zusam­menzieht.

Jetzt werden Sie aber auch eine richtige Erklärung kriegen von dem, was vorgehen soll, wenn man einschläft. Solange wir wachen, da steckt unser astralischer Leib in unsern Fingern drinnen, in den

178

Zehen drinnen; überall in unseren Muskeln steckt der Astralleib drinnen. Wenn wir nun sn unseren Muskeln den astralischen Leib fühlen, dann haben wir eben das Gefühl, wir sind abhängig vom physischen Leib. Der physische Leib ist schwer. Wir fühlen die Schwere des physischen Leibes. In dem Moment, wo wir herausgehen, lassen wir den physischen Leib mit seiner Schwere zurück. Wir füh­len uns in diesem Momente, bevor das Bewußtsein im Schlaf ge­schwunden ist, nicht mehr schwer. Wir fühlen nicht, daß wir her­unterfallen, denn wir heben uns herauf; wir fühlen eher, daß wir heraufschweben. Dieses Größerwerden, dieses Nicht-mehr-Gebunden-sein an den physischen Leib, das fühlen wir als Fliegen oder Schwim­men. Wir können uns frei bewegen, bis uns das Bewußtsein schwin­det und wir ganz einschlafen.

Also was sagt nun der Naturwissenschafter der Gegenwart? Er sagt: Wir zucken mit den Muskeln zusammen. - Wenn wir mit den Muskeln zusammenzucken, fühlen wir ja unsere Muskeln mehr, als wir sie gewöhnlich fühlen! Da bilden wir uns nicht ein, daß wir fliegen, sondern da fühlen wir uns beim Zusammenzucken erst recht an den physischen Körper gebunden. Denken Sie nur einmal, wenn einer steht und erstaunt ist, so reißt er den Mund auf. Warum? Weil er eben in seinen Muskeln so stark drinnen ist, daß er sich gar nicht mehr beherrschen kann. Also gerade dieses Zusammen-zucken und dieses In-den-Muskeln-Leben, das ist das Gegenteil von dem, was wir beim Einschlafen haben. Beim Einschlafen gehen wir gerade aus unsern Muskeln heraus. Also es handelt sich nicht um das Muskeln-Zusammenziehen, sondern um das Schlaffwerden der Mus­keln. Wenn wir uns niederlegen und auf einer größeren Unterlage sind, da haben wir nicht nötig, die Muskeln mit unserem astralischen Leib zusammenzuhalten; sie erschlaffen. Und nicht weil sie stärker gespannt werden, sondern weil sie schlaffer werden, weil wir gar nicht mehr auf die Muskeln eine Einwirkung ausüben müssen, des­halb glauben wir frei zu sein von den Muskeln, und wir entschwe­ben mit unserem leichteren astralischen Leib.

Nun denken Sie sich, daß ich Ihnen ja das letzte Mal gesagt habe:

Man muß lernen, umgekehrt zu denken. - Hier sehen Sie es: Derjenige,

179

der so denkt, wie man es gegenwärtig gewohnt ist zu denken, der kriegt, wenn er beim Menschen etwas erklären will, das Gegen­teil von dem heraus, was wahr ist. - Man muß sich also zuerst ein richtiges Denken angewöhnen, das auch das Gegenteil von dem den­ken kann, was im Physischen ist. Die Leute haben sich abgewöhnt, richtig zu denken, so zu denken, daß man mit dem Denken ins Gei­stige hineinkommt.

Nun gibt es wirklich heute sehr viele Menschen, die reden zwar unsere Sprache, und unsere Sprache hat auch das Wort «Geist», aber die Menschen können sich nichts mehr vorstellen unter Geist. Sie können sich nur etwas Physisches vorstellen. Und nun muß man ja -das haben Sie gesehen -, wenn man sich das Geistige vorstellen will, zu etwas kommen, was gar keine physischen Eigenschaften hat, was man also im Physischen nicht sieht. Nun ist das Denken der Men­schen heute schon so verdorben, daß sie auch das Geistige physisch sehen wollen. Sie werden daher nachher Spiritisten. Sehen Sie, der physische Leib, der kann einen Tisch bewegen. Die Leute sagen: Wenn ich einen Tisch bewegen kann, so bin ich existierend. Wenn ein Geist existierend sein soll, so muß er auch einen Tisch bewegen können. - Nun ja, da fangen sie an, das Tischrücken zu machen, und dann lassen sie sich durch das Tischrücken die geistige Welt be­weisen! Das ist deshalb, weil das Denken krumm, verbogen ist. Das Denken ist materialistisch; das will auch den Geist auf physische Weise da haben. Der Spiritismus ist das Allermaterialistischste, was es gibt. Das muß man nur erst begreifen.

Nun wird vielleicht der eine oder andere von Ihnen sagen: Aber ich war ja schon dabei, wenn sich Menschen um den Tisch herum setzten, angefangen haben, ihre Hände zu einer Kette zu machen, und dann haben sich die Tische bewegt, sind gesprungen, und so weiter, alles mögliche. - Das Äußere, das ist schon richtig: Sie kön­nen sich um einen Tisch herumsetzen, können eine. Kette herum ma­chen, und die Geschichte kann unter Umständen den Tisch in Bewe­gung versetzen. Aber sehen Sie, das ist ja gerade so, wie wenn ich durch irgendeine andere kleine Bewegung eine große Bewegung her­vorrufe. Denken Sie sich, Sie hätten zum Beispiel einen Eisenbahnzug,

180

der ja vorn eine Lokomotive und einen Lokomotivführer darauf hat. Der Lokomotivführer steigt nicht ab von der Maschine, um sich etwa hinten hinzustellen und auch mitzuschieben. Es würde ihm wohl nicht gelingen, dadurch einen Schnellzug in rasche Bewegung zu ver­setzen. Sie wissen, der Lokomotivführer macht nur eine ganz kleine Bewegung, und der Schnellzug geht sehr schnell voran, und die Maschine, die macht viele Bewegungen. Warum? Ja, weil die Um­schaltung da in der richtigen Weise vorhanden ist. Da wird durch eine kleine Bewegung auf physischem Wege eine große Bewegung bewirkt.

Geradeso ist es ein rein physischer Vorgang, wenn die Leute um den Tisch herum eine Kette schließen und dann anfangen, kleinwin­zige Zuckungen und dergleichen zu machen. Und siehe da, diese kleinen, winzigen Zuckungen setzen sich um durch die Materie -es ist nämlich die Materie so kunstvoll durchgestaltet - in große Bewegungen. Das ist ein ganz gewöhnlicher physischer Vorgang zunächst.

Wenn nun da einer darunter ist, der mit seinem Unterbewußtsein irgendwelche Gedanken hat, dann setzen sich diese Gedanken in die zuckenden Fingerspitzen fort. Und dann kriegt man auf diese Weise auch Antworten und kann das ablesen im Alphabet. Aber das, was man da als Antwort kriegt, das ist immer im Unterbewußtsein vor­handen von irgend jemandem, der da ist, wenn die Antwort auch noch so geistreich ist. Ich habe Ihnen ja erklärt, daß der Mensch, wenn er ein wenig nur ins Unterbewußte hereinkommt, viel geistrei­cher ist, als er in seinem Bewußtsein ist. Das kommt auch bei dem Tischrücken zum Vorschein. Also, daß die Leute Spiritisten gewor­den sind, das ist eben geradezu ein Beweis, daß der Materialismus in unserer Zeit groß ist.

Mit dem gewöhnlichen Denken kann man überhaupt nicht zu irgendwelchen Erklärungen kommen, die auf den Menschen irgend­einen Bezug haben. Sie sahen, da versuchte also einer in diesem Zei­tungsartikel, den ich heute anführte, einen Traum zu erklären, den Flugtraum. Er erklärt ihn gerade auf die entgegengesetzte Art, wie er erklärt werden soll! Aber die Leute können überhaupt so etwas,

181

was im höchsten Grade interessant ist, nicht mehr studieren. Ich habe Ihnen ja schon öfter etwas erzählt über die Träume; ich will Ihnen heute einige gewichtige Tatsachen noch einmal hervorheben.

Denken Sie sich einmal, jemand träume, daß er in Basel über irgendeinen Platz gehe. Aber plötzlich findet er - im Traum ist das ja möglich, nicht wahr, im Traume ist es so-, daß vor ihm ein Zaun steht. Der Zaun hat Latten, da eine, dort eine, da wieder eine, diese fehlt, da ist eine Lücke, da hat er wieder eine Latte, da fehlt wieder eine. Und jetzt träumt er weiter, er wolle über diesen Zaun hinüber­springen und spieße sich auf der Latte auf, und das tue ihm weh. Jetzt wacht er auf und merkt: Du hast dich ja gar nicht aufgespießt, aber einen furchtbaren Zahnschmerz hast du! - Zahnschmerzen hat er und wacht mit diesen Zahnschmerzen auf. Sein Gebiß hat da oben eine Lücke, dann hat es hier oben wieder eine Lücke. Das ist das, was er gesehen hat als Zaun mit fehlenden Latten. Das entspricht ganz seinem oberen Gebiß mit den fehlenden Zähnen. Dann greift er sich auf seinen einen Zahn, und das ist gerade der, der ihm weh tut. Er ist hohl geworden und schmerzt. Solch einen Traum kann man wirklich haben.

Was ist denn aber da geschehen? Der ganze Vorgang hat sich ja im Wachleben abgespielt. Sie können sagen: Solange ich geschlafen habe, solange war ich glücklich, da habe ich meinen unsinnigen Zahn-schmerz nicht gespürt. Ja, warum? Weil Sie mit Ihrem astralischen Leib draußen waren. Der physische Leib und der Ätherleib spürt ja den Zahnschmerz nicht. Einen Stein können Sie beklopfen wie Sie wollen, ein Stückchen herunterschlagen - der Stein als solcher, als einzelner Stein, spürt es nicht. Die Pflanze können Sie auch zer­reißen - sie spürt es nicht, weil sie noch keinen Astralleib, weil sie nur einen Ätherleib hat. Sie würden sicher das Rosenabreißen und Blumenabreißen auf der Wiese schon unterlassen, wenn die Pflanzen immer so zischen würden wie die Schlange, weil es ihnen weh tut! Aber es tut der Pflanze eben nicht weh. Und der Mensch ist wie eine Pflanze, wenn er schläft. Solange er schläft, tut ihm also der Zahn nicht weh. Wenn man hereinschlüpft mit diesem astralischen Leib, kommt man beim Hereinschlüpfen an dem Gebiß an. Man ist

182

zuerst im Gebiß drinnen. Sehen Sie, erst wenn man ganz im Körper drinnen ist, spürt man dasjenige, was einem im Körper weh tut. Wenn man noch nicht ganz drinnen ist, so kommt einem das, was einem weh tut, so vor wie ein äußerer Gegenstand.

Denken Sie sich, ich würde ein Zündhölzchen anbrennen. Das sehe ich weiß verbrennen. Wenn ich darin gesteckt hätte, würde ich es durch meinen Astralleib nicht bloß sehen, sondern da würde ich es spüren als einen Schmerz. Solange ich noch nicht ganz drinnen bin in meinem Körper, sondern eben erst hineinschlüpfe in meine Zahnreihe wie in einen äußeren Körper, da spüre ich es wie einen äußeren Körper und mache mir ein Bild, das ähnlich ist. Geradeso wie ich mir von dem äußeren Gegenstand Bilder mache, so mache ich mir, wenn ich noch halb draußen bin, von meiner Zahnreihe ein Bild, und weil ich mir das richtige Bild noch nicht machen kann

- man kann das erst durch Geisteswissenschaft -, so mache ich mir das Bild einer Zaunreihe statt einer Zahnreihe. Und weil ich drinnen in meiner Zahnreihe Lücken habe, sind in der Zaunreihe die Latten ausgelassen. Sie sehen, es entsteht beim Hineinschlüpfen durch die Verwirrung, daß man noch nicht ganz drinnen ist in seinem Körper, ein Irrtum. Man hält das Innere für ein Äußeres, weil man im Schlafe eben draußen ist. Da ist das Innere ein Äußeres.

Sehen Sie, was einem da passiert, das habe ich tatsächlich schon gesehen bei kleinen Kindern. Wenn man die unterrichtet, so haben sie noch kein Gefühl für das ganz richtige Sprechen. Und ich habe es wirklich schon erlebt, daß einer, der eben erst angefangen hat zu schreiben, statt «Zahn» Zaun, Zäune geschrieben hat, und jetzt hat man ihm gesagt: Das ist falsch! - So hat der Angst gekriegt beim Hereinschlüpfen, nicht beim Herausschlüpfen, sondern beim Herein­schlüpfen. Da hat man aber nicht einen Flugtraum, sondern einen Angsttraum. Wie beim Alpdruck kriegt das Kind Angst und macht noch das daraus - und nun ist aus dem Zahn ein Zaun geworden. Das Kind machte den Fehler. Und Sie werden immer sehen: durch solche Worte also kommen die Bilder des Traumes nämlich zustande! Irgendwelche Wortverbindungen sind immer da. Und da kann man nun einsehen, was da eigentlich geschieht.

183

Sehen Sie, wenn einer so redet - Richard Traugott heißt er, er hat übrigens schon viel über den Traum geschrieben, was ebenso unsinnig ist wie dasjenige, was er jetzt über den Flugtraum schreibt - und mit dem ganz gewöhnlichen Wissen der Gegenwart nur ausgerüstet ist, so sagt er das Gegenteil von dem, was wirklich ist. Denn er ver­steht nicht, daß, weil der astralische Leib groß ist beim Hinausgehen, er sich wie ein Flieger vorkommt, und weil der astralische Leib wie­der eingezwängt wird, wenn er wieder hereingeht, kommt er sich vor wie einer, der sich durchdrücken muß. Seine Muskeln anspannen ist gleich Angsttraum. Der Angsttraum tritt gerade dann ein, wenn der Mann, der den Artikel geschrieben hat, glaubt, daß der Flugtraum eintreten solle. Auch beim Einschlafen kriegen Sie nur den Angst-traum, wenn das Einschlafen nicht ganz richtig vonstatten geht. Den­ken Sie sich, Sie liegen irgendwo und kriegen das Gefühl, es würgt Sie jemand. Das geschieht dadurch, daß Sie eben im Einschlafen sind, aber irgendwo ist eine Unruhe, und jetzt können Sie nicht richtig einschlafen. Nun probieren Sie es - bald heraus, bald herein. Beim Hereinkommenwollen, was Sie aber doch wieder nicht können, weil Sie noch müde sind, da würgt es Sie, weil der astralische Körper sich hereinzwängt, aber doch nicht richtig hereinkommen kann. Weiß man diese Sache einmal, dann kann man alle diese Dinge besser er­klären.

Und dieses wird Sie auch darauf bringen, daß etwas anderes noch notwendig ist, wenn man die geistige Welt erkennen will. Man muß sich durchaus darüber klar sein, daß da der physische Körper nicht mitwirken kann. Gerade in dem muß man leben können, was der astralische Leib ist. Will man die geistige Welt erkennen, muß man also etwas zustande bringen, wobei man sonst einschläft. Wenn man im gewöhnlichen Leben ist und man schlüpft mit seinem astralischen Leib heraus aus dem physischen Leib, schläft man ein. Ja, sehen Sie, da ist eben die Sache wie mit dem Beispiel von dem ~großen Wein faß voller Wasser, in das Sie etwas Himbeersaft tun, das ich Ihnen vor­hin angeführt habe. Da wird der astralische Leib riesig groß. Wenn Sie nun den astralischen Leib erkennen wollen, so müssen Sie durch innere Kraft den astralischen Leib zusammenhalten können. Denken

184

Sie sich einmal, man kann jetzt einen Augenblick für Sie statt des astralischen Leibes und des Ich des Menschen wiederum den Hirn­beersafttropfen setzen. Schauen wir uns das einmal ganz bildhaft an: das Wasserglas, das da drinnen einen Himbeersafttropfen hat. Der Himbeersafttropfen, der dehnt sich nun aus. Ist er im Wasserglas drinnen, da spürt man ihn noch. Nehmen Sie aber etwas an - das kann ich natürlich nicht zeichnen -, was jetzt hunderttausendmal so groß ist: da würden Sie nichts mehr sehen davon, wenn ich das in entsprechender Verteilung hineinbringen würde. Ebensowenig kann man aber etwas spüren. Nehmen Sie aber an, dieser Tropfen, das wäre ein Teufelskerl, und ich gebe ihn in das große Weinfaß mit vierhun-dert Eimer Wein hinein - verzeihen Sie, nicht Wein, Wasser - und der Himbeertropfen, das ist ein richtiger Teufelskerl, der sagt sich:

Da lasse ich mich nicht beimischen, ich bleibe der Himbeersafttrop­fen! - Nun ist da das Wein- oder Wasserfaß, und der Himbeersaft­tropfen bleibt ganz klein. Wenn Sie nun just mit Ihrer Zunge hin­unterkämen, durch das Wasser durchleckten und kämen hin an die Stelle, wo der Himbeersafttropfen klein blieb, da würden Sie die Süße vom Himbeersafttropfen spüren. Der muß sich also wehren.

Ich sage, er ist ein Teufelskerl, nur um einen Ausdruck zu haben. Die Gegner der Anthroposophie sind ja manchmal sehr spaßig. In einem Hamburger Blatt stand einmal, nachdem die Anthroposophie nach allen Seiten beschimpft worden war, was ich sei, und da stand, daß ich eigentlich der Teufelskerl sei! Also das war ganz ernsthaftig gemeint, daß da der Teufel in die Welt gekommen wäre. Ich sage nur, er wäre insofern ein Teufelskerl, der Himbeersafttropfen, als er sich klein erhalten kann, wenn man ihn in das Wasser hineingibt. Das ist mit dem astralischen Leib etwas anderes, wenn er sich so klein erhalten kann, wie er im physischen Leibe drinnen ist, wenn er herauskommt. Jetzt muß man eben die Kraft entwickeln, den astra­lischen Leib so klein zu behalten. Das kann man eben dadurch, daß man ein scharfes Denken entwickelt. Ich habe Ihnen gesagt, man müsse ein selbständiges Denken entwickeln. Ein selbständiges Den­ken ist aber ein stärkeres Denken als dieses schwache Denken, das diese Leute haben. Die erste Bedingung ist ein scharfes Denken. Die

185

zweite Bedingung ist ein Rückwärts-denken-Können. Die äußeren physischen Dinge laufen vorwärts. Lernt man rückwärts denken, dann lernt man noch stärker denken. Und lernt man noch dasjenige, was ich Ihnen das letzte Mal gesagt habe: Jeder Teil ist größer als das Ganze - was also widerspricht dem Physischen, dann lernt man sich in die geistige Welt hinein versetzen.

Durch all diese Dinge wird eben bewirkt, daß der astralische Leib, trotzdem er aus dem physischen Leib herausgeht, sich kleiner erhalten kann, daß er nicht ausfließt im allgemeinen astralischen Meere.

Das ist also durchaus zusammenstimmend. Aber Sie müssen sich auch ganz klar darüber sein, daß diese Dinge alle mit eben der­selben Nüchternheit und Wissenschaftlichkeit betrachtet werden müssen, wie die Dinge des äußeren physischen Lebens betrachtet werden. Sobald man ins Phantasieren hineinkommt, dann geht es nicht mehr mit der Geisteswissenschaft. Phantastisch darf man eben nicht werden.

Nehmen wir an, Sie haben einen Schmerz, nun, sagen wir, in Ihrer großen Zehe. Diesen Schmerz in Ihrer großen Zehe, den spüren Sie durch Ihren Astralleib. Wenn Sie nur den physischen Leib hätten, würden Sie keinen Schmerz spüren. Wenn Sie bloß den Ätherleib haben, würden Sie keinen Schmerz spüren, sonst würde eben die Pflanze quieksen, wenn man sie anfaßt, die Blume quieksen, wenn man sie anfaßt. Nun, Sie quieksen, wenn Sie einen Schmerz in der großen Zehe haben, das heißt, Sie quieksen vielleicht nicht, aber Sie wissen schon, was ich damit meine. Wir quieksen also alle, wenn wir einen Schmerz in der großen Zehe haben. Warum? Sehen Sie, wir haben ja unseren astralischen Leib über den ganzen physischen Leib ausgebreitet. Wenn wir jetzt mit unserem astralischen Leib an die Stelle kommen, wo irgend etwas in unserer großen Zehe unordent­lich ist, dann bringen wir das durch unseren astralischen Leib bis ins Gehirn herauf. Jetzt machen wir uns eine Vorstellung von unserem Schmerz.

Nehmen Sie aber an, jemand habe ein krankes Gehirn. Wenn je­mand ein ganz gesundes Gehirn hat, so hat er in diesem Gehirn auch eine Stelle, durch die er den Schmerz in seiner großen Zehe wahrnehmen

186

kann. Dazu braucht man eine gesunde Stelle im Gehirn, da­mit man den Schmerz in der großen Zehe wahrnehmen kann. Nehmen wir aber nun an, diese Stelle im Gehirn wäre krank. Ich habe Ihnen gesagt: Die Seele kann nicht krank werden, der astralische Leib kann nicht krank werden, aber das physische Gehirn kann krank werden. - Wenn nun diese Stelle im Gehirn krank ist, kann der Schmerz in der großen Zehe nicht wahrgenommen werden. Was tut der Mensch? Sehen Sie, die Stelle im physischen Gehirn ist krank, aber da ist noch immer der Ätherleib des Gehirns. Der Ätherleib des Gehirns, der da sitzt, der wird jetzt nicht unterstützt durch den physischen Teil. Was tut der Ätherleib? Der Ätherleib, der macht aus Ihrer großen Zehe einen Berg. Er nimmt nicht mehr die große Zehe bloß wahr, er macht einen Berg daraus, und den Schmerz, den ge­staltet er um zu lauter kleinen Geistern, kleinen Berggeistern, die da drinnen sitzen. So sehen Sie (es wird gezeichnet), jetzt haben Sie Ihre große Zehe herausgesetzt in den Raum, weil Sie ein krankes Gehirn gehabt haben, und jetzt schwören Sie darauf, vor Ihnen stehe ein Berg! Aber der ist eben bloß Ihre große Zehe. Das ist eine Wahnidee.

Meine Herren, man muß sich davor hüten, solche Wahnideen zu haben, wenn man in die geistige Welt eindringen will, sonst kommt man eben in die Phantasterei hinein. Wodurch kann man denn das erreichen? Das muß man wiederum zunächst durch eine Schulung erreichen. Man muß wissen, was alles vom physischen Körper kom­men kann, wenn er irgendwo krank ist. Dann wird man nicht mehr das, was einem als richtiger Geist erscheint, mit dem verwechseln, was nur aus dem physischen Körper aufsteigt.

Also zu dem tätigen Denken, zu dem Rückwärtsdenken, zu dein Denken, das ich Ihnen das letzte Mal beschrieben habe, wo man ganz anders denkt als in der physischen Welt, muß auch das kom­men, daß man genau weiß: Das und das rührt nur von deinem physischen Körper her. - Diese Vorbereitungen, die muß man haben.

Sehen Sie, diese Vorbereitungen hat man früher gehabt, damit die Menschen ein wenig in die geistige Welt eindringen konnten. Auf die alte Art gab es auch eine gewisse Kunst. Man nannte sie die Dialek­tik. Das heißt: Man hat denken lernen müssen. Heute, wenn man

187

jemandem zumuten wollte, er solle erst denken lernen - ja, der würde einem alle Haare ausreißen, denn jeder Mensch glaubt, er kann schon denken. Aber es ist schon so, wenn man eben in die früheren Zeiten zurückgeht, daß die Leute erst ein gewisses Denken lernen mußten. Dieses Denkenlernen nannte man die Dialektik. Da mußte man vorwärts, rückwärts denken, da mußte man auch die Begriffe in der richtigen Weise setzen lernen.

Und wodurch war das? Das war dadurch, daß man das Denken am Sprechen lernte. Ich habe Ihnen einmal gesagt, daß das Kind auch zuerst sprechen und dann denken lernt, aber natürlich ist das zunächst kindlich. Heute behält der Mensch das ganze Leben hin­durch diese Kindlichkeit, aber sie taugt nichts mehr für das spätere Leben. Wenn man am Sprechen fortwährend denken lernt, dann kriegt man bei jedem Ausatmen und Einatmen die Luft richtig her­ein und hinaus. Denn das Sprechen hängt mit dem richtigen Atmen zusammen. Man kriegt die Luft richtig hinein und richtig heraus. Es hängt sehr viel davon ab, daß man sich einrichtet auf richtiges Sprechen, weil dieses richtige Sprechen einen auch auf richtiges At­men einrichtet. Derjenige, der richtig atmen kann, kann lange spre­chen; derjenige, der nicht richtig atmen kann, der ermüdet sehr bald, wenn er zusammenhängend lange spricht.

Durch diese Dialektik, durch diese Kunst hatte man richtig spre­chen und dadurch auch richtig denken gelernt. Heute können ja die Leute nicht richtig denken, denn sie stoßen alle Augenblicke mit ihrem Atem an ihrem Atmungsorgan an. Hören Sie manchmal heute irgendeinem Gelehrten zu, wenn er spricht - nun, erstens sprechen die wenigsten, sie lesen meistens ab; da nehmen sie ja noch andere Dinge zu Hilfe, die Augen und so weiter, durch dieses unterstützen sie sich -, aber hören Sie einmal zu heute, wenn Gelehrte sprechen:

Es kommt einem meistens vor, als ob die Leute kurzatmig wären und immer anstoßen würden an ihrem eigenen physischen Körper.

Dadurch wird einem alles zu einem Bild vom physischen Körper. Ob Sie nun hier im Gehirn eine kranke Stelle haben und dadurch Ihnen Ihre große Zehe zu einem Berg mit allerlei Berggeistern wird, oder ob Sie mit dem Atem immerfort anstoßen beim Denken, ihn

188

nicht herauskriegen, das ist einerlei: Die ganze Welt kommt Ihnen als ein Physisches vor, weil Sie fortwährend mit Ihrem Atem am physischen Körper anstoßen. Wovon rührt denn das eigentlich her, dieser Materialismus? Der Materialismus rührt davon her, daß die Leute nicht richtig denken können, nicht richtig ausatmen, sondern anstoßen. Daher glauben sie, daß überall die Sache nur besteht aus Stoß und Druck, Stoß und Druck. Das haben sie nämlich in sich, Stoß und Druck, weil sie sich vorher nicht durch ein richtiges Den­ken vorbereiteten. Und so könnte man sagen: Wenn heute einer Ma­terialist ist, so ist er es deshalb, weil er nicht aus sich heraus kann, weil er überall innerlich an sich anstößt.

Sehen wir uns noch einmal diesen Herrn Traugott an. Der sollte eigentlich sagen: Dieser Traum vom Fliegen, der kommt daher, weil wir aus uns herausgehen und der astralische Leib anfängt, größer zu werden. - Aber auf das kommt er nicht, denn er denkt nach, furchtbar denkt er nach! Nun, meine Herren, denken Sie sich ein­mal: Wenn einer anfängt nachzudenken, der eigentlich nicht denken kann, was tut er? - Erst runzelt er die Stirn, nachher, wenn das noch nicht zum Denken führt, schlägt er sich an die Stirn. Was will er denn da eigentlich? Er will die Muskeln anspannen, spannen, span­nen, und wenn sie nicht genug gespannt sind, so will er sie noch schlagen, daß sie sich erst recht spannen. Was tut denn der Herr Traugott, wenn er über den Traum nachdenkt? Statt die Dinge an­zuschauen, wie sie sind, spannt er seine eigenen Muskeln, und da findet er nun, was er selber tut: Muskelspannung, sagt er, aha! Der Traum ist gleich Muskelspannung. - Er verwechselt aber nur sein eigenes Denken vom Traum mit der Wirklichkeit. Sie können nur etwas lernen von dem Herrn Traugott - was dem passiert, wenn er über die Dinge nachdenkt -, wenn Sie diese Geschichte lesen. Es ist ja auch sonst heute so: Wenn man das liest, was die Leute drucken lassen, dann erfährt man, was die sich selber darüber einbilden. -Wenn man heute eine Zeitung liest, so muß man sich sagen: Was in der Welt vorkommt, darüber wirst du aus der Zeitung wenig erfahren, aber was die Herren, die in der Redaktionsstube sitzen, gern hätten, daß es in der Welt vorkomme, das wirst du erfahren.

189

So ist es auch mit der materialistischen Wissenschaft. Sie erfahren durch sie nicht, was die Welt ist, sondern was die Menge heute denkt über die Welt. Wenn Sie einmal dahinter kommen, dann werden Sie sehen, daß die Anthroposophie eben nicht die Welt hintergehen will, sondern gerade Ehrlichkeit an die Stelle der Listigkeit und Illusion setzen will, an die Stelle desjenigen, was manchmal ganz bewußt unwahr ist.

Sie sehen also: Ehrlichkeit, innerliche Ehrlichkeit, das ist die vierte Eigenschaft, die vorhanden sein muß, um in die geistige Welt hinein­zukommen. Wenn Sie die Welt so betrachten, werden Sie schon sehen: Ehrlichkeit ist nicht viel in der Welt vorhanden. Kein Wun­der, daß sie auch nicht in der Wissenschaft vorhanden ist.

Wir haben also vier Eigenschaften betrachtet: Klares, selbständi­ges Denken, unabhängig von der Außenwelt denken, ganz anders denken als die physische Welt denkt, und nun ehrlich denken. Andere Eigenschaften werden wir dann das nächste Mal betrachten.

190

ELFTER VORTRAG Dornach, 18. Juli 1923

Es blieben ja noch manche von den Fragen, die neulich gestellt worden sind, zurück. Jch möchte nun an das, woran ich neulich einmal angeknüpft habe, an eine Bemerkung eines Gelehrten über den Traum, auch heute anknüpfen. Was einem gegenwärtigen Ge­lehrten doch viel Kopfzerbrechen gemacht zu haben scheint - wir werden dadurch auch auf unsere Besprechung kommen -, das ist der Eidechsenschwanz. Sie wissen, wenn man insbesondere eine größere Eidechse sieht und sie am Schwanz packen will, daß der Schwanz abbricht. Man sagt: die Eidechse ist spröde. Und man kann wirklich sehr schwer Eidechsen, die größer sind, bekommen, wenn man sie am Schwanz faßt, denn der Schwanz ist spröde, er bricht ab, und sie läuft ganz fröhlich weiter ohne Schwanz. Die Versuche der Gelehrten, die gehen dahin, zu ergründen, ob der Tierschwanz tatsächlich ausgerissen wird oder ob er von dem Tier zurückgelassen wird. Nun geht die gegenwärtige Wissenschaft von dem Materialismus aus, und dadurch denkt man nach, wie das Tier sehr schwache Muskeln hat, die diese Teile des Schwanzes zusam­menhalten, und wie es diese Muskeln nicht mehr zusammenhalten kann, wenn es abgefangen wird.

Nun besteht aber eine merkwürdige Tatsache, und die berücksich­tigen die Leute dabei sehr wenig. Das ist die Tatsache, daß doch die Eidechsen, wenn sie gefangen sind, längere Zeit in Gefangen­schaft gelebt haben, diese eigentümliche Art, den Schwanz leicht ausgerissen zu bekommen, verlieren. Dann stärkt sich der Schwanz, und dann kann man ihn nicht so leicht ausreißen; dann hält er besser. Das ist eine eigentümliche Erscheinung, daß die Eidechsen, wenn sie draußen sind, den Schwanz leicht verlieren, wenn sie in der Gefangenschaft sind, er besser hält. Woher kommt das?

Sehen Sie, da denken nun die Leute lange nach, wie das durch die kleinen Muskeln da am Schwanz bewirkt werden könnte, wäh­renddem doch die Tatsache sehr leicht darauf führt, woher das

191

rührt, daß das Tier in der Gefangenschaft weniger leicht den Schwanz ausgerissen bekommt. Das rührt davon her, daß das Tier doch etwas Angst haben wird, wenn man es draußen abfangen will. Das ist doch nichts Gewöhnliches, wenn es draußen abgefangen wird, das kommt ihm doch zum ersten Mal vor. Da kommt zum ersten Mal ein Mensch in seine Nähe, da hat es Angst, und dadurch, daß es Angst hat, wird es so spröde, daß es den Schwanz verliert. Wenn es sich in der Gefangenschaft an die Menschen gewöhnt, wenn die Menscheii alle Augenblicke in seine Nähe kommen, da hat es keine Angst mehr und verliert den Schwanz nicht.

Wir sehen also, wie schon eine ganz oberflächliche Betrachtung darauf führt, daß die Angst bei der Eidechse eine wesentliche Rolle spielt. Nun müssen wir aber weitergehen und sagen: Ja, diese Angst, die die Eidechse hat, wenn der Mensch in ihre Nähe kommt und sie abfangen will, die ist ja nur etwas, was beim Tier herauskommt, wenn der Mensch es abfängt, was aber immer im Tier drinnen steckt, und diese Angst ist es, die die Materie des Tieres, den Stoff des Tieres zusammenhält und stark macht.

Dafür werde ich Ihnen eine ganz merkwürdige Erscheinung im Menschenleben anführen. Sie werden schon gehört haben, daß Men­schen, die sehr stark abhängig sind von ihrem Seelenleben, wenn sie Angst verspüren, Durchfall bekommen. Die Angstlichkeit macht Durchfall. Und was bedeutet das? Das bedeutet, daß dasjenige, was in den Gedärmen ist, nicht mehr zusammengehalten wird. Ja, was hat denn diese Sache in den Gedärmen zusammengehalten? Sehen Sie, wenn die Angst in die Seele heraufzieht, dann hält sie die Dinge in den Gedärmen nicht mehr zusammen; wenn die Angst aber unten in den Gedärmen ist, hält sie den Stoff zusammen.

Und so ist es auch bei der Eidechse. Wenn man eihe Eidechse ansieht (es wird gezeichnet), so ist diese Eidechse geradeso wie unser eigener Unterleib forwährend im ganzen mit Angst ausgefüllt, also mit etwas Seelischem. Und insbesondere ist der Schwanz durch Angst ausgefüllt. Wenn das Tier seine Angst herauspreßt, so zer­bricht der Schwanz, aber die Angst bleibt doch im Tiere stecken. Das Tier fühlt die Angst nicht, wenn das Tier in der Gefangenschaft

192

ist, weil es sich an die Menschen gewöhnt hat, und die Folge davon ist, daß die Angst dann den Schwanz zusammenhalten kann. Da sehen wir eine ganz bestimmte seelische Eigenschaft, welche eine gewisse Bedeutung hat für die körperliche Beschaffenheit.

Wir Menschen haben auch die Angst in uns. In unserer großen Zehe, in den Beinen, in dem Bauche, überall steckt die Angst. Nur über das Zwerchfell traut sie sich nicht herauf, kommt nur herauf, wenn wir Angstträume haben. Aber in uns steckt die Angst. - Doch die Angst hat ihren guten Zweck; die hält unseren Organismus zu­sammen. Und in den Knochen, da steckt die allermeiste Angst. Die Knochen sind so fest, weil da eine furchtbare Angst drinnen steckt. Die Angst ist es, die die Knochen fest hält. In dem Augenblick, wo man zu stark seine Knochen spürt, kriegt man Knochenerweichung. Daher werden Sie bei ängstlichen Menschen, solchen, die schon in der Jugend ängstlich waren, wo die Knochen noch nicht hart sind, sehr leicht die Knochen weich sind, aber die Leute ängstlich sind, dies bestätigt finden, und man kann daher rachitische Kinder da­durch, daß man ihnen die Angst durch irgend etwas austreibt, na­mentlich auch auf seelische Weise heilen. Aber es wäre doch ganz falsch, wenn man sagen würde: Also steckt in uns die Angst, etwas Seelisches. Wir brauchen nur die Angst etwas höher herauf zu ziehen, dann könnten wir höhere Erkenntnisse kriegen. - Das wäre nicht gut, weil wir uns da zugleich seelisch und körperlich krank machen würden. Wir müssen vielmehr etwas anderes tun.

Sehen Sie, wir mussen, wenn wir Erkenntnisse der geistigen Welt gewinnen wollen - ich habe Ihnen ja schon die anderen Mittel ge­sagt -, wir müssen uns richtig in die äußere Welt hineinleben, richtig hineinleben. Nun, wie leben sich denn die Leute in die äußere Welt hinein? Sie haben ja das in den letzten Wochen wieder wunderbar sehen können. Nicht wahr, wir haben fürchterlich gefroren, und nachher haben wir wieder fürchterlich geschwitzt. Nun also, so leben sich die meisten Menschen in die Welt hinein: Wir haben fürchterlich geschwitzt, wir haben fürchterlich gefroren. - Aber das ist nicht das einzige, wie man sich in die äußere Welt hinein-leben kann, sondern es ist so, daß man in sich ausbildet eine be­stimmte

193

Fähigkeit, daß man nicht nur friert, wenn es kalt wird, sondern wenn es kalt wird, hindeutet auf das Kalte und eine Art von Angst kriegt, und daß man weiß, wenn es warm wird, da ver­geht einem diese Angst. Wenn man das in sich ausbildet, daß man eine gewisse Angst vor dem Schnee hat und ein gewisses Wohlgefühl vor den warmen Sonnenstrahlen, dann ist das einfach etwas, was zu der höheren Erkenntnis führt, was dazugehört zu dem anderen, was ich Ihnen geschildert habe. Und es ist schon einmal so: Der­jenige, der höhere Erkenntnis gewinnen will, der muß, wenn er zu einem glühenden Stück Eisen herangeht, etwas fühlen, und er muß, wenn er zu einem Kieselstein herangeht, etwas fühlen. Wenn er zu einem glühenden Eisen herangeht, muß er innerlich das Gefühl ha­ben: Das ist etwas mit deiner eigenen Wärme Verwandtes, das tut dir wohl. - Aber wenn er einen Kieselstein in die Hand nimmt, dann muß ihm das unheimlich sein, es muß ihm ängstlich zumute sein.

Nun, daraus sehen Sie aber zugleich, daß derjenige, der höhere Erkenntnisse erwerben will, nicht nervös sein darf, wie man heute sagt, sonst würde er ja, wenn er einen Kieselstein in die Hand nimmt, den gleich fallen lassen, weil er ihm Angst macht. Man muß mutig sein und die Angst ertragen. Und ebenso darf er es nicht machen wie die Mücke, die so große Wollust am Licht hat, daß sie sogar hineinsaust und ihren Tod findet. Gerade an dem Insekt, das in die Flamme hineinsaust, sehen Sie, wie die Flamme verwandt ist mit dem Geistig-Seelischen.

Und so können wir sagen: Wir müssen uns erwerben inneres Ge­fühl, innere Empfindung für dasjenige, was da draußen in der Na­tur vorhanden ist. - Was kommt dadurch heraus? Sehen Sie, die Erde hat zunächst das feste Gestein (es wird gezeichnet). An das feste Gestein der Erde glauben die Materialisten, denn da können sie darauf gehen; das ist, wenn man es angreift, hart. An das feste Ge­stein glauben die Materialisten. Aber gerade vor dem festen Gestein bekommt derjenige, welcher höhere Erkenntnisse erwerben will, eine gewisse Ängstlichkeit.

Diese Ängstlichkeit, die ist gar nicht vorhanden, wenn der Mensch in der erwärmten Luft ist (es wird gezeichnet). Ich will da die erwärmte

194

Luft nun darüber zeichnen, über das feste Gestein. Wenn der Mensch die erwärmte Luft betrachtet, dann ist diese Ängstlich­keit gar nicht vorhanden, denn die erwärmte Luft - ich will sie da­durch erwärmt zeichnen, daß ich sie etwas rötlich mache -, die macht nicht ängstlich. Aber man kann es doch dahin bringen, daß einen die erwärmte Luft auch ängstlich macht. Das ist gerade dann der Fall, wenn man versucht, mit demjenigen, was man da fühlt ge­genüber der erwärmten Luft, immer mehr und mehr fertig zu werden dadurch, daß es einem gefällt. Denken Sie: Da ist einer, der fühlt sich immer wohler und wohler in der erwärmten Luft. Jetzt fängt die erwärmte Luft aber an, ihn auch ängstlich zu machen! - Je wohler man sich fühlt, desto ängstlicher macht die erwärmte Luft.

Wenn man also jetzt sich gewöhnt, sich recht wohl zu fühlen bei der erwärmten Luft, wenn man sozusagen sich an die Wärme immer mehr und mehr gewöhnt - solche Dinge sind notwendig, man muß sich in die ganze Natur hineinfinden, wenn man geistige Erkenntnis gewinnen will -, dann fängt die Sache an, ganz merkwürdig zu wer­den. Ich will es Ihnen noch deutlicher machen. Die meisten Men­schen suchen sich wieder abzukühlen, wenn ihnen warm wird. Da kennen sie natürlich nichts anderes, als daß ihnen gern kühler wird. Aber wenn man aushält die Wärme, wenn man darinnenbleibt in der Wärme, wenn man die Wärme gerade als Wohlgefühl empfindet, dann fängt dasjenige, was ich Ihnen hier in der Luft schematisch gezeichnet habe, an, ganz merkwürdig sich mit allerlei Bildern an-zufüllen, und es beginnt richtig aufzutreten die geistige Welt - die geistige Welt, die sonst in der Luft enthalten ist, die aber der Mensch nicht fühlt in der Luft, nicht wahrnimmt in der Luft, weil er die Wärme der Luft nicht aushalten will.

Wenn man sich angewöhnt hat, diese Wesenheiten zu sehen, dann kommt man auch nach und nach darauf, daß man sich sagt: Ja, wenn ich mit meiner tapsigen Hand auf einen Stein greife, da ist er hart. Aber wenn ich nun immer mehr und mehr anfange, Geistiges wahrzunehmen, wenn ich immer mehr und mehr ins Geistige hin­einkomme, wenn immer mehr und mehr um mich nicht nur das Sinnliche, sondern auch das Geistige ist, ja, da kann ich zwar nicht

195

mit meinem physischen Körper aus Fleisch und Blut in den Erd­boden hineinschlüpfen, aber mit meinem astralischen Leib, von dem ich Ihnen gesprochen habe, kann ich anfangen in den Erdboden hineinzuschlüpfen. - Das ist sehr interessant: In dem Momente, wo man anfängt, im Luftraum Geistiges wahrzunehmen durch all die Mittel, von denen ich Ihnen gesprochen habe, in dem Momente

#Bild s. 195

schlüpft man selber so weit aus seinem Leibe heraus, daß man die Steine gar nicht mehr als Hindernis empfindet, sondern untertaucht, wie der Schwimmer ins Wasser, in den festen Erdboden. Da geht man selber hinein (es wird gezeichnet). Das ist sehr interessant. In die Luft kann man nicht hineingehen als Geist, weil einem da andere Geister erscheinen. In den Erdboden - der ist eigentlich für den Geist leer -, da kann man leicht hineinkriechen, da kann man unter-tauchen wie ein Schwimmer.

Der Mittelzustand ist der mit dem Wasser. Das Wasser verdunstet nach oben und kommt als Regen wieder herunter. Da oben - das

196

haben Sie schon gesehen -, da bilden sich oftmals Blitze. Das Was­ser ist zwischen dem festen Erdboden und der Luft. Es ist dünner als der feste Erdboden, es ist dichter als die Luft. Ja, was heißt denn das? Das heißt etwas, was man am besten sieht, wenn man zum Blitz hinaufschaut. Beim Blitz, da sagen die Gelehrten, es sei ein elektrischer Funke. Warum ist das nach den Gelehrten ein elektri­scher Funke? Nun, Sie wissen ja vielleicht schon - sonst sage ich es Ihnen jetzt -, wenn man eine Siegellackstange nimmt, mit einem Le­derlappen, einem Stück Leder reibt, dann wird sie elektrisch, und wenn man dann kleine Papierschnitzel hat, dann werden sie von der Siegellackstange angezogen. Und so kann man die verschiedensten Körper durch Reiben oder auf andere Weise elektrisch machen. Das wird den Kindern in der Schule schon gezeigt.

Aber da ist etwas ganz Bestimmtes notwendig. Wenn man näm­lich in einem dunstigen Schulzimmer ist, da wird keine Siegellack-stange elektrisch - die anderen Dinge werden dann bei Experimenten auch nicht elektrisch -, und man muß zunächst mit einem trockenen Tuch alles sauber abwischen, weil das Wäßrige keine Elektrizität erzeugt. Dann kann man Elektrizität erzeugen. Nun sagen die Ge­lehrten: Da oben sind die Wolken, die reiben sich aneinander und machen den elektrischen Funken, den Blitz. - Ja, aber jedes Kind könnte einwenden: Aber du mußt doch gerade das Wäßrige abhal­ten können, denn wenn du nur etwas Wäßriges an deinem Apparat hast, dann entsteht die Elektrizität nicht! - Das kann jedes Kind ein­wenden. Solcher Unsinn wird also gesagt. Es ist natürlich überhaupt gar keine Rede davon, daß da oben sich die Wolken reiben.

Aber denken Sie, wenn das Wasser verdunstet und hinaufgeht, dann kommt es immer mehr und mehr in eine Region der Geistig­keit, entfernt sich von dem geistleeren Stoff da tinten und dringt in die Geistigkeit oben ein, und der Geist ist es wirklich, der den elek­trischen Funken erzeugt, den Blitz. Wir kommen nämlich, indem wir immer weiter und weiter hinaufgehen, in die Region des Geisti­gen hinein. Die Erde hat nur in der Nähe das Materielle. Weiter oben ist sie von dem Geistigen umgeben. Wir kommen also da wirk­lich in das Geistige hinein. Und so ist es, daß in dem Momente, wo

197

der Wasserdunst hinaufgeht und in die Region des Geistes kommt, da kann aus dem Geiste heraus der Blitz entstehen. Das Wasser ver­geistigt sich oben und kommt wieder verdichtet herunter. Man muß also, wenn man Naturbetrachtungen übt, auch schon zum Geiste hin kommen. Und nur, wenn man überhaupt nicht will auf das Geistige Rücksicht nehmen, dann kommt man zu allerlei solch absurden Sachen, wie die sind, die ich Ihnen vom Flugtraum gesagt habe, oder von dem Eidechsenschwanz, oder vom Blitz. Man sieht eben überall, daß man die Natur nicht erklären kann, wenn man nicht zuerst in das Geistige eindringt.

Jetzt können Sie sich auch das klarmachen: Wenn der Mensch auf der Erde steht, so ist er eigentlich von unten herauf immer so, daß er mit dem Geistigen von unten verwandt ist; da kann er unter-tauchen wie ein Schwimmer. Wenn wir also in der Nacht mit un­serem astralischen Leib herausgehen, so gehen wir eigentlich über­all in die feste Umgebung hinein. Wir verbinden uns mit dem, was fest ist, denn in das Luftförmige können wir nicht hinein, und wan­dern tatsächlich im Festen herum.

Dieses Herumwandern im Festen, das hat aber eine große Be­deutung. Wenn wir, wie ich Ihnen vorhin gesagt habe, uns zu der Wärme in der rechten Weise verhalten, dann kommen wir dazu, die geistigen Wesenheiten der Luft zu sehen. Wenn wir aber in der Nacht aus unserem Leibe herausgehen und uns mit dem Irdischen als Geist verbinden, dann kann es so sein, daß wir, wenn wir auf­wachen, noch immer etwas von dem haben, was wir erlebt haben in dem festen Stoff der Erde drinnen. Da haben wir noch etwas drinnen in uns; in unserem Seelischen haben wir etwas drinnen.

Nun, das ist etwas, was außerordentlich interessant ist. Denn Sie werden schon bemerkt haben: Wenn man aufwacht, so hört man sehr leicht Töne. Und wenn Sie recht achtgeben beim Aufwachen, dann werden Sie das Merkwürdige erleben, daß Sie sich sagen:

Jetzt hat da jemand an meine Türe geklopft! - Das ist eben ganz merkwürdig: Wenn man in die Luft sich hineinlebt mit seiner Seele, dann schaut man etwas, dann entstehen Bilder. Wenn man sich aber in das Feste, in das Stoffliche hineinlebt mit seiner Seele, wie der

198

Schwimmer im Wasser untertaucht, dann erlebt man Töne. Und ge­rade das ist das außerordentlich Wichtige, daß alle festen Stoffe fortwährend Töne von sich geben, die man nur nicht hört, weil man nicht drinnensteckt. Jeder feste Stoff hat fortwährend Töne in sich, und die hört man eben noch beim Aufwachen, weil man da noch halb drinnensteckt.

Aber diese Töne können durchaus etwas bedeuten, und es ist durchaus richtig, daß, wenn zum Beispiel irgendwo in der Ferne jemand gestorben ist und der Mensch beim Aufwachen etwas hört wie An-die-Tür-Klopfen, so steht das im Zusammenhang mit dem Gestorbenen. Nun ist der Mensch natürlich nicht fähig, diese Dinge in der richtigen Weise zu deuten. Denn denken Sie nur einmal: Sie würden ja alle nicht lesen können, also die Buchstaben auf dem Pa­pier nicht deuten können, wenn Sie es nicht gelernt hätten. Eben­sowenig können Sie dieses Wunderbare, was da wirkt, wenn man im Aufwachen Töne hört, deuten. - Sie brauchen ja nicht zu glauben, daß da just der Verstorbene an der Tür ist und wie mit den Fin­gern klopft. Aber der Verstorbene, der in den ersten Tagen nach dem Tode noch anwesend ist auf Erden, der lebt in den festen Körpern drinnen. Und das ist etwas, was Ihnen gar nicht wunderbar zu schei­nen braucht, daß da gerade durch die Verbindung mit dem Festen Töne entstehen, wie also immerzu erzählt worden ist in den Zeiten, wo man noch mehr achtgegeben hat auf solche Sachen. Daß die Menschen Ahnungen haben, wenn jemand in der Ferne stirbt, das hat seine gute Bedeutung. Ein Mensch ist gestorben. Er ist mit seiner Seele zunächst noch ans feste Erdenreich gebunden. Da entstehen die Töne, die von ihm ausgehen. Der Mensch verläßt tönend das irdische Dasein. Das können Sie natürlich geradesogut in der Weite hören, wie Sie in der Weite lesen können, was einer in Amerika aufgibt. Ein Telegramm kann man in Amerika lesen. Solche Fern-wirkungen durch den Erdenstoff sind da, sind auf Erden da, sie sind immer da. Und in den Zeiten, in denen man eben achtgegeben hat auf solche Sachen, hat man den Zusammenhang mit dem Irdi­schen durchaus gewußt. Das ist nicht bloß ein Märchen, das ist tat­sächlich etwas, was in früheren Zeiten eben wahrgenommen worden

199

ist. Also Sie sehen, man kommt da in ganz bestimmte Dinge hinein, die heute als Aberglaube gelten, die man ebenso wissenschaftlich, wie andere wissenschaftliche Dinge nachweisen kann.

Nur muß man diese Dinge auch ganz genau kennen. Denn sehen Sie, wenn man dazu kommen würde, in der Luft die geistige Welt wahrzunehmen, wenn also die Menschen nicht gar so wehleidig sein würden, wie sie heute sind - Sie wissen doch, je zivilisierter die Menschen werden, desto wehleidiger werden sie in einer gewissen Beziehung, und diejenigen, die, sagen wir, durch ihre Arbeit in einer furchtbaren Hitze leben müssen, die haben nicht Zeit während ihres Arbeitens, die geistige Welt wahrzunehmen -, so würde ihnen die geistige Welt, die in der Luft lebt, nicht entgehen. Aber dieses, daß man in der Luft geistige Wesen sehen würde, das wäre etwas ziem­lich Ungefährliches. Das könnte jeder Mensch ohne weiteres wahr­nehmen, ohne daß es für ihn gefährlich wird.

Aber dieses Hören, wenn das zu stark den Menschen ergreift, wenn er zu stark in einen Zustand kommt, wo er allerlei hört, das wird für den Menschen gefährlich. Die Sache ist ja diese: Es gibt Men­schen, die kommen allmählich in einen Zustand, wo sie alle mögli­chen Worte hören. Es wird ihnen allerlei gesagt. - Diese Menschen sind auf dem Wege zum Wahnsinn. Man wird niemals eigentlich, in­dem man so die geistigen Wesen sieht, daß man sie in der Luft sucht, von einer Gefahr bedroht. Warum? Ja, ich muß Ihnen das durch einen Vergleich sagen: Wenn Sie in einem Boot fahren und ins Wasser fallen, können Sie ertrinken. Wenn Sie jemand nach oben zieht, so können Sie zwar auch allerlei erleben, aber ertrinken können Sie nicht. - Ebenso ist es, wenn die menschliche Seele nach oben her­ausgeht und allerlei sieht. Da kann ihr nichts passieren. Wenn sie nach unten in die feste Materie hineingeht, da kann sie, ich möchte sagen, geistig ertrinken. Und dieses Geistig-Ertrinken tritt ein, wenn die Menschen eben ihr Bewußtsein so verlieren, daß ihnen innerlich allerlei Dinge gesagt werden, und das ist das Schlimme. Sehen Sie, wenn der Mensch äußerlich das Geistige sieht, ja, dann ist es ja ge­radeso, wie wenn er in der Welt herumgeht, und wie er sich vor dem Stuhl, den er sieht, nicht fürchtet, so fürchtet er sich auch nach

200

und nach nicht vor dem äußerlich Geistigen, sondern er hat es sogar gern. Aber dasjenige, was innerlich gehört wird - wir sinken ja in die feste Erde hinein mit unserem ganzen Geistigen und mit unserem ganzen Seelischen -, was da innerlich gehört wird, das nimmt einen ganz anders hin. Da ersäuft man drinnen, da hört man auf, Mensch zu sein. Daher muß man immer mit einer gewissen Wachsamkeit auf diejenigen Menschen hinsehen, die sagen, allerlei wird ihnen innerlich gesagt. Das ist immer etwas Gefährliches. Nur derjenige, der wirklich schon ganz fest in der geistigen Welt drinnensteht und sich auskennt, der weiß ja, was da eigentlich gesagt wird: daß es niemals besonders hohe geistige Wesen sind, die da zu einem sprechen, sondern daß es eigentlich immer diejenigen Wesen sind, die sehr niedriger Art sind.

Sehen Sie, ich habe Ihnen diese Dinge jetzt ganz unbefangen ge­sagt aus dem Grunde, damit Sie sehen: Man muß wirklich als Mensch zu ganz anderer Auffassung der Außenwelt kommen, wenn man in die geistige Welt hineinkommen will.

Es gibt natürlich Menschen, die sagen: Ja, warum haben uns die Geister das so unbequem gemacht, sie kennen zu lernen? - Ja, aber denken Sie einmal, was der Mensch für ein Wesen wäre, wenn er sich gar nicht anstrengen müßte, um hineinzukommen in die geistige Welt, wenn er immer drinnen wäre! Er wäre ja der reine geistige Automat. Erst dadurch kommt er zu den geistigen Wesen in ein rechtes Verhält­nis, daß er sich eben anstrengen muß. Und es kostet die allergrößte innere Anstrengung, um in der geistigen Welt forschen zu können.

Es ist natürlich leicht, sich am Laboratoriumstisch breit zu machen und allerlei Versuche zu machen, es ist leicht, Leichen zu zerschnei­den und allerlei kennenzulernen, aber es erfordert wirklich eine starke innere Arbeit, um wirklich in die geistige Welt hineinzukom­men. Zu dieser Arbeit ist die heutige gebildete Welt zu faul. Und wegen dieser Faulheit ist es eigentlich auch immer, daß die Leute sagen: Ich habe Übungen gemacht aus «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?», aber ich habe nichts gesehen. - Diese Leute glauben, daß einem innerlich das gegeben werden soll, daß sie nicht die Sache innerlich erarbeiten müssen. Ja, das ist es eben, daß die Leute heute sich alles vormachen lassen wollen! Ich habe Ihnen

201

schon gesagt: Der Mensch will alles verfilmen heute, er will überall einen Film machen lassen daraus, damit es äußerlich an ihn herantritt.

Wenn man richtig geistig vorwärts kommen will, muß man überall darauf sehen, daß, indem man etwas aufnimmt von der Welt, man es durcharbeiten muß. Daher werden diejenigen mehr zum Geistigen kommen, die in der Zukunft möglichst vermeiden, sich alles vorfil­men zu lassen, sondern recht viel mitdenken wollen, wenn ihnen von der Welt gesprochen wird. Und, sehen Sie, ich habe Ihnen keinen Film vorgeführt. Natürlich ist nicht die Zeit dazu da, aber wenn auch die Zeit da wäre, würde ich nicht versuchen, mit einem Film die Sache vorzuführen, sondern ich habe Ihnen Zeichnungen gemacht, die im Moment entstanden, wo Sie sehen konnten, was ich mit jedem Strich will, wo Sie mitdenken können. Das ist auch das­jenige, was schon in unseren Kinderunterricht heute einziehen muß:

möglichst wenig fertige Zeichnungen, möglichst viel von dem, was da im Augenblick entsteht. Dadurch arbeitet das Kind innerlich mit, und dadurch werden die Menschen zur Innerlichkeit tätig angeregt, die dann dazu führt, daß sie mehr ins Geistige sich hineinleben und wiederum Verständnis bekommen für das Geistige. Man soll auch nicht den Kindern wiederum ganz fertige Theorien vorbringen, denn dann werden sie ja dogmatisch. Sondern das, worauf es ankommt, ist, sie wiederum zur Selbsttätigkeit zu bringen. Dadurch wird auch ihr ganzer Körper freier.

Nun möchte ich Ihnen, weil das auch in einer der Fragen von Ihnen enthalten ist, noch etwas anderes anführen. Sie werden ja vielleicht gehört haben, daß die Kartoffel erst zu einer bestimmten Zeit in Europa eingeführt worden ist. Kartoffelesser waren ja die Menschen in Europa nicht immer.

Es ist da zwar einmal eine eigentümliche Geschichte passiert. Sehen Sie, es gibt ein Lexikon, an dem ich selber mitgearbeitet habe, aber nicht an dem Artikel, von dem ich jetzt rede. Da steht etwas sehr Komisches drinnen, nämlich, es werde überall gesagt, daß ein ge­wisser Drake die Kartoffel in Europa eingeführt habe, sich besonders dieses große Verdienst erworben habe. - In Offenburg, das jetzt die Franzosen besetzt haben, steht auch ein Drake-Denkmal. Nun war es

202

mir einmal furchtbar komisch, als wir nachschauten im Konversa­tionslexikon und da wirklich drinnen steht: Drake wurde in Offen­burg ein Denkmal errichtet, weil er nämlich irrtümlich im Rufe ge­standen habe, die Kartoffel nach Europa gebracht zu haben! - Also wenn von irgendeinem Menschen etwas angeblich gesagt wird, so wird ihm ein Denkmal errichtet in Europa! Nun, ich will aber davon nicht reden, sondern ich will davon reden, daß zu einer bestimmten Zeit die Kartoffel nach Europa gebracht worden ist.

Schauen wir uns einmal die Kartoffel an. Von der Kartoffel essen wir ja nicht eigentlich die Wurzeln. Die Wurzeln sind nämlich diese kleinen Dinger (es wird gezeichnet). Wenn da die Kartoffel wäre, so sind diese kleinen Würzelchen erst daran; die werden gerade mit der Schale weggenommen. Die Kartoffel selber ist ein etwas dickerer Stengel. Wenn eine gewöhnliche Pflanze wächst, so hat sie ja die Wurzel, und nun wächst der Stengel. Wenn aber der Stengel sich da verdickt, wie es bei der Kartoffel ist, so entsteht eine sogenannte Knolle, Sproßknolle. Aber das ist eigentlich ein verdickter Stengel, so daß man es bei der Kartoffel nicht mit einer Wurzel zu tun hat, sondern mit einem verdickten Stengel. Also, merken Sie sich das sehr gut: Wenn man eine Kartoffel ißt, so ißt man einen ver­dickten Stengel. Man nimmt seine Nahrung vorzugsweise aus einem verdickten Stengel. - Wir müssen uns nun fragen: Was hat das für eine Bedeutung für den Menschen, daß er mit der Kartoffel, die nach Europa gebracht worden ist, lernt, vorzugsweise einen verdickten Stengel zu essen?

Wenn Sie die ganze Pflanze anschauen, so besteht sie aus der Wur­zel, aus dem Stengel, aus den Blättern und aus der Blüte (es wird gezeichnet). Es ist sehr merkwürdig bei der Pflanze: Die Wurzel da unten, die wird dem Erdboden sehr ähnlich und enthält nament­lich viel Salze, und die Blüte da oben, die wird sehr ähnlich der war­men Luft. Da ist es so, wie wenn an der Blüte durch die Sonnen-wärme fortwährend gekocht wird. Die Blüte enthält daher Öle und Fette, namentlich Öle. So daß wir also, wenn wir eine Pflanze an­schauen, unten die Salze haben, die sich absetzen. Die Wurzel ist salzreich, die Blüte ist ölreich.

203

#Bild s. 203

Nun, die Folge davon ist, daß wir, wenn wir die Wurzel essen, dann viel Salze in unsere Gedärme hinein bekommen. Diese Salze, die finden den Weg bis zum Gehirn hin und regen unser Gehirn an. Also die Salze, die regen unser Gehirn an. Und es ist zum Beispiel, wenn jemand nicht an migräneartigem Kopfschmerz, sondern an den Kopfschmerzen leidet, die den Kopf ausfüllen, ganz gut, wenn er Wurzeln ißt. Sie können ja sehen, wie eine gewisse salzige Schärfe in vielen Wurzeln enthalten ist. Sie können das feststellen durch den Geschmack. Wenn Sie aber Blüten essen, da ist eigentlich die Pflanze schon halb gekocht. Da heraußen sind schon die Öle; das ist etwas, was vorzugsweise den Magen und die Gedärme einfettet, das hat seine Wirkung auf den Unterleib. Das muß auch der Arzt berück­sichtigen, wenn er Tee verschreibt. Niemals wird jemand, wenn er Tee aus der Blüte kocht, auf den Kopf eine starke Wirkung ausüben, dagegen wenn er die Wurzeln abkochen und das den Kranken trin­ken läßt, wird er eine starke Wirkung auf den Kopf ausüben. Also sehen Sie, während wir beim Menschen vom Bauch zum Kopf gehen müssen, von unten herauf, müssen wir bei der Pflanze den umge­kehrten Weg machen, von der Blüte zu den Wurzeln. Die Wurzel der

204

Pflanze ist mit dem Kopf verwandt. Wenn wir das bedenken, wird uns gewissermaßen ein Licht aufgehen über die Bedeutung der Kar­toffel. Denn die Kartoffel, die hat Knollen; das ist etwas, was nicht ganz Wurzel geworden ist. Man ißt also, wenn man viel Kartoffeln ißt, vorzugsweise Pflanzen, die nicht ganz Wurzel geworden sind. Wenn man sich also beschränkt auf das Kartoffelessen und zu viel Kartoffeln ißt, kriegt man nicht genug in den Kopf hinein. Es bleibt unten in dem Verdauungstrakt. So daß es also so ist, daß mit dem Kartoffelessen die Menschen in Europa ihren Kopf, ihr Gehirn ver­nachlässigt haben. Diesen Zusammenhang sieht man erst, wenn man Geisteswissenschaft treibt. Da sagt man sich: Seit in Europa diese Kartoffelnahrung immer mehr und mehr überhand genommen hat, seit der Zeit ist der Kopf der Menschen unfähiger geworden.

Und es werden durch die Kartoffel vorzugsweise Zunge und Schlund angeregt. Wenn wir bei der Kartoffelpflanze hinuntergehen, so gehen wir nicht ganz bis zu der Wurzel. Ebenso ist es beim Men­schen: Wenn wir nicht ganz bis zum Kopf heraufgehen und bleiben bei Zunge und Schlund, so werden die besonders angeregt durch die Kartoffel, und daher ist die Kartoffel als Mitspeise, als Zuspeise für die Leute sehr schmackhaft, weil sie dasjenige anregt, was unter dem Kopf ist und den Kopf unbelästigt läßt.

Wenn man Rote Rüben ißt, dann bekommt man nämlich eine furchtbare Sehnsucht, viel zu denken. Das macht der Mensch ganz unbewußt. Wenn man Kartoffeln ißt, so bekommt man eigentlich die Sehnsucht, recht bald wieder zu essen. Die Kartoffel macht so schnell hungrig, weil sie nicht ganz bis zum Kopf geht. Die Rote Rübe macht so schnell satt, weil sie tatsächlich, was das Wichtige ist, bis zum Kopf geht und der Kopf das Wichtigste ist, weil sie ihn ganz durchsetzt mit Tätigkeit, wenn sie richtig in den Kopf hineingeht. Das ist ja den Menschen natürlich furchtbar unangenehm, daß sie denken sollen, und daher lieben sie manchmal eben mehr die Kar­toffel als die Rote Rübe, weil die Kartoffel nicht zum Denken anregt. Da wird man faul. Sie regt nicht zum Denken an, man wird faul im Denken. Dagegen die Rote Rübe regt sehr stark das Denken an, weil sie eine richtige Wurzel ist. Sie regt sehr stark an zum Denken,

205

aber sie regt so an, daß man eigentlich denken will, und wenn man nicht denken will, dann liebt man Rote Rüben nicht. Wenn man eine Anregung zum Denken braucht, so muß man insbesondere die salzige Anregung zum Beispiel von Rettichen brauchen. Wenn jemand nicht sehr regsam im Kopfe ist, so tut ihm das gut, weil ein bißchen die Gedanken in Bewegung gebracht werden, wenn er Rettich zu den Speisen hinzunimmt.

So sehen Sie, daß diese merkwürdige Sache auftritt: Man kann sagen, Rettiche regen das Denken an. - Und man braucht gar nicht selber sehr tätig zu sein im Denken; da kommen die Gedanken, wenn man Rettich ißt, so starke Gedanken, daß sie sogar noch ganz mächtige Träume machen. Wer viel Kartoffeln ißt, dem kommen nicht starke Gedanken, dagegen kommen ihm Träume, die ihm schwer machen. Und derjenige, der also fortwährend Kartoffeln essen muß, der wird eigentlich fortwährend müde sein und fort­während schlafen und träumen wollen. Daher hat es eine große kulturhistorische Bedeutung, was für Nahrungsmittel eigentlich an die Menschen herankommen.

Da könnten Sie sagen: ja, aber die Sache ist doch so, daß wir ja eigentlich ganz und gar von dem Stoffe leben! - Und doch ist das nicht wahr. Ich habe Ihnen schon oft gesagt: Wir Menschen haben ungefähr alle sieben Jahre einen neuen Körper. Der erneuert sich fortwährend. Dasjenige, was wir vor acht oder zehn Jahren an Stoff in unserem Körper hatten, das haben wir jetzt nicht mehr drinnen. Es ist heraus. Das haben wir uns mit den Nägeln weggeschnitten, mit den Haaren abgeschnitten, es ist durch den Schweiß herausge­gangen. Das geht heraus. Manches geht recht schnell, manches lang­sam, aber es geht heraus.

Nun, wie stellt man sich die Geschichte mit dem Menschen eigentlich vor? Sehen Sie, man stellt es sich ungefähr so vor - ich will jetzt schematisch zeichnen -: Da wäre der Mensch. Nun sondert der Mensch fortwährend Stoff ab und nimmt immerfort neue Stoffe auf. So daß man sich also denkt: Durch den Mund kommt der Stoff herein, durch den After und Urin geht der Stoff wieder hinaus, und der Mensch ist so ein Schlauch. Er nimmt den Stoff auf durch Essen,

206

er wirft ihn wieder heraus, behält ihn eine Zeitlang. - So denkt man ungefähr, sei der Mensch aufgebaut.

Aber in den wirklichen Menschen geht nämlich gar nichts von dem Erdenstoff herein, gar nichts. Das ist bloß eine Täuschung. Die Sache ist nämlich so. Wenn wir, sagen wir, zum Beispiel Kartoffeln essen, dann handelt es sich gar nicht darum, etwas von der Kartoffel

#Bild s. 206

aufzunehmen, sondern die Kartoffel ist bloß etwas, was uns anregt, anregt in Kiefer, Schlund und so weiter. Da wirkt überall die Kar­toffel. Und nun entsteht in uns die Kraft, diese Kartoffel wieder herauszutreiben, und während wir sie heraustreiben, kommt uns aus dem Äther, nicht aus dem festen Stoff, dasjenige entgegen, was uns im Laufe von sieben Jahren aufbaut. Wir bauen uns eigentlich gar nicht aus dem Stoff der Erde auf. Was wir essen, essen wir bloß, damit wir eine Anregung haben. In Wirklichkeit bauen wir uns aus dem auf, was oben ist. So daß das Ganze, was sich die Menschen vorstellen, daß da die Nahrung hereinkomme und daß dort die Nahrung wieder

207

herausgehe und in der Zwischenzeit etwas drinnen bleibe, gar nicht stimmt; das bildet nur eine Anregung. Da kommt eine Gegenkraft aus dem Äther heran, und wir bauen uns unseren ganzen Körper aus dem Äther heraus auf. Alles, was wir an uns haben, ist nicht aus dem Stoff der Erde heraus aufgebaut. Sie sehen, wenn wir hinstoßen und es stößt wieder her, so dürfen Sie den zweiten Stoß nicht ver­wechseln mit dem Hinstoßen. Sie dürfen nicht die Tatsache, daß wir Nahrung brauchen, damit wir nicht faul werden im Wiederher­stellen unseres Körpers, verwechseln damit, daß wir diese Nahrung in uns hineinnehmen.

Nun ist es so, daß allerdings Unregelmäßigkeiten eintreten kön­nen. Wenn wir namlich zuviel Nahrung aufnehmen, dann bleibt allerdings die Nahrung zu lange in uns drinnen. Dann sammeln wir unberechtigten Stoff in uns auf, werden korpulent, dick und so wei­ter. Wenn wir zu wenig aufnehmen, haben wir zu wenig Anregung und nehmen zu wenig das, was wir brauchen, aus der geistigen Welt heraus, aus der ätherischen Welt.

Aber das ist etwas so Wichtiges, daß wir uns gar nicht aufbauen aus der Erde und ihren Stoffen, sondern daß wir uns aufbauen aus dem, was außer der Erde ist. Wenn das so ist, daß in sieben Jahren der ganze Körper erneuert wird, wird ja auch das Herz erneuert. Das Herz, das Sie also in sich getragen haben vor acht Jahren, das haben Sie jetzt nicht mehr in sich, sondern das ist erneuert worden, erneuert worden nicht aus dem Stoff der Erde, sondern erneuert worden aus dem, was im Lichte die Erde umgibt. Zusammengedrück­tes Licht ist Ihr Herz! Sie haben Ihr Herz tatsächlich aus dem Son­nenlicht zusammengedrückt. Und das, was Sie an Nahrung aufge­nommen haben, das hat nur angeregt, daß Sie das Sonnenlicht so weit zusammendrücken. Alle Ihre Organe bauen Sie auf aus dem, was die durchlichtete Umgebung ist, und daß wir essen, daß wir Nahrung aufnehmen, das bedeutet nur die Anregung.

Sehen Sie, das einzige, was uns die Nahrung gibt, das ist, daß wir so etwas in uns haben wie eine Art inneren Sessel. Wir spüren uns, kommen dadurch im gewöhnlichen Leben zum Ich-Gefühl, daß wir physische Materie in uns haben, physischen Stoff. Wir spüren

208

uns geradeso, wie wenn Sie sich auf den Sessel setzen. Da spüren Sie auch den Sessel, der auf Sie drückt. Und so spüren Sie Ihren Körper, der auf das, was Sie aus dem Weltenall gemacht haben, fortwährend drückt. Wenn Sie schlafen, spüren Sie ihn nicht, weil Sie da aus sich heraußen sind. Sie spüren Ihren Körper; das ist eine Art Ruhebett, das Ihnen gemacht ist, bei dem einen härter, wenn er knochig ist, bei dem andern weicher. Das ist eine Art von Ruhe-bett, in das sich der Mensch legt, und man spürt ja auch den Unter­schied zwischen einem weichen Federbett und der Holzbank! Und so spürt der Mensch den Unterschied von dem, was in ihm hart und weich ist. Aber das ist nicht der eigentliche Mensch, sondern der eigentliche Mensch ist das, was da in ihm drinnen sitzt.

Nun werde ich Ihnen das nächste Mal klarmachen, wie das mit der höheren Erkenntnis zusammenhängt. Die Menschen nämlich, die heute erkennen wollen, beschäftigen sich gar nicht mit der mensch­lichen Tätigkeit, sondern sie beschäftigen sich nur mit demjenigen, was der Sessel ihnen darbietet.

209

ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 20. Juli 1923

Wenn man die Gedanken noch etwas fortsetzt, die wir das letzte Mal ausgeführt haben, dann kommt man zu folgendem. Es war in der Zeit, als ich jung war, sehr jung noch, da machte es ein großes Aufsehen, als ein herumziehender Hypnotiseur seine Vorstellungen mit Menschen gab. Nun braucht man ja solchen Leuten nicht ein besonderes Lob zu spenden, die außerordentlich ernste Sachen in einer theatralischen Weise in das Publikum bringen, und ich habe durch­aus nicht etwa einen besonderen Hymnus anzustimmen auf Hansen, der in den siebziger, achtziger Jahren, namentlich in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in theatralischer Weise Vorstellun­gen gegeben hat über ein Gebiet, das dazumal die Wissenschaft über­haupt noch nicht behandelt hatte, über das dazumal die Wissenschaft nichts wußte. Aber immerhin, seither hat sich die Wissenschaft ge­rade unter dem Einflusse dieser theatralischen Vorstellungen von Hansen dieses Gegenstandes bemächtigt.

Nun möchte ich Ihnen namentlich ein Experiment zunächst er-zählen, das Hansen, nachdem man es lange vergessen hatte, wieder­um vor dem staunenden Publikum vorgeführt hat. Er hat zwei Stühle genommen, diese in einer bestimmten Entfernung aufgestellt (es wird gezeichnet), hat dann einen Menschen einfach durch den Einfluß seiner eigenen Persönlichkeit, wie man sagt, hypnotisiert, ihn also dazu gebracht, daß er zuerst in einem schlafähnlichen Zu­stand war - aber in einem schlafähnlichen Zustand, der viel tiefer ist als der gewöhnliche Schlaf -; dann konnte er diesen Menschen nehmen und konnte ihn so herlegen, daß der Kopf auf dem einen Stuhl war und die Füße auf dem andern Stuhl. Nun wissen Sie ja, wenn das dem Menschen bei vollem Bewußtsein passiert, so fällt er eben zwischen den zwei Stühlen durch. Dieser Mensch ist zunächst nicht zwischen den zwei Stühlen heruntergefallen, sondern blieb steif wie ein Besenstiel liegen, wo er war. Aber dem nicht genug. Hansen, ein ziemlich korpulenter, schwerer Mensch, ging nun hin und stellte

210

sich auf den Bauch des Menschen senkrecht darauf. Da stand nun also der schwere Herr Hansen darauf. Der Mensch rührte sich nicht, sondern blieb liegen wie ein Brett, trotzdem oben auf ihm der Hansen daraufstand.

Das ist also etwas, was durchaus gemacht werden kann, was seit­dem oft gemacht wurde und an dem die Wissenschaft nicht mehr zweifelt, während sie früher davon nichts gewußt hat und von dem eigentlich nicht sehr sympathischen Herrn Hansen darüber belehrt werden mußte. Sehen Sie, ein Mensch, der in diesem Zustand ist, von dem sagt man, er sei in Katalepsie.

Wenn etwas so auftritt, daß einer daliegen kann wie ein hölzernes Brett und einer sich daraufstellen kann und es so vorübergehend ge­schieht, daß es durch den Einfluß einer andern Persönlichkeit voll­führt wird, nun, dann ist es eben ein Experiment, dann ist es nicht so besonders schlimm. Aber wir können sagen, im kleinen findet sich dieser Zustand durchaus im Leben vor. Er findet sich manchmal vor. Natürlich tritt er dann eigentlich nur demjenigen Menschen entgegen, der ärztliche Beobachtungen machen kann. Und er tritt einem dann entgegen, wenn Menschen in eine ganz bestimmte Krank­heit verfallen, die man eine Geisteskrankheit nennt.

So zum Beispiel gibt es Menschen, die kommen dazu, daß sie, wäh­rend sie vorher sehr entschlossene Menschen waren, brauchbar in ihrem Beruf, plötzlich so denken, als wenn ihnen alle Gedanken ein­gefroren wären. Es kann vorkommen, sagen wir, daß ein Mensch jeden Morgen bisher regelmäßig an seine Arbeit gegangen ist, an sei­nen Beruf. Er ist zur rechten Zeit aufgestanden und so weiter. Plötz­lich gefällt es ihm da sehr schön im Bett. Er will immer aufstehen, aber er kann den Willen zur Tat nicht finden, er kann nicht finden den Willen, aufzustehen. Und wenn nun plötzlich die Furcht wirkt -er hat die Uhr neben sich liegen, es ist eine bestimmte Zeit - und er ist nun endlich aufgestanden, so kann er den Willen nicht finden, zu frühstücken, dann wieder nicht, fortzugehen. Er kommt schließ­lich dazu, sich immer selber zu sagen: Das kann ich nicht, das kann ich nicht -, benimmt sich schließlich wie ein Stock, kann sich zu nichts entschließen. Und das kommt dann so weit, daß er in

211

eine Art Zustand verfällt, den man ihm körperlich ansieht: er ist starr. Während er früher schnell seine Arme bewegt hat, bewegt er sie jetzt langsam, während er früher wie ein Springer gelaufen ist, wird es ihm jetzt schwer, einen Schritt nach dem andern zu machen. Der ganze Mensch wird starr und schwer. Das ist etwas, was als Krankheit manchmal schon in früher Jugend beim Menschen auftritt.

Das ist derselbe Zustand, nur nicht so stark und nur, daß er nicht auf einmal auftritt, sondern ganz langsam. Man kann natürlich nicht in derselben Weise, wie ein Mensch anfängt, kataleptisch zu werden, ihn gleich auf zwei Stühle legen und sich darauf stellen oder auf den Betreffenden setzen, aber er wird so, daß er seinen Körper nicht mehr richtig handhaben kann.

Das ist der eine Zustand. Jetzt aber hat der Hansen den Leuten noch andere Experimente vorgeführt, die früher immer nachgemacht worden sind, auf die aber auch die Wissenschaft seit jener Zeit auf­merksam geworden ist. Bevor sie durch den Dilettanten und Schau­spieler Hansen darauf aufmerksam geworden war, hat sich die Wis­senschaft nicht damit beschäftigt. Diese Zustände bestanden darin:

Der Hansen ließ sich irgend jemand aus dem Publikum heraus kom­men. Es ist von dummen Leuten gesagt worden, er hätte das vorher besprochen, aber das ist natürlich ein Unsinn. Er erkannte eben die richtigen Persönlichkeiten, die dazu brauchbar waren, aus dem Pu­blikum. Es ist nicht mit jedem gleich gut zu machen; da hat er sich einen Blick dafür angeeignet, wer dafür geeignet ist. Nun ließ er sich einen Menschen vom Publikum heraus kommen und wiederum wirkte sein persönlicher Einfluß. Er stellte sich hin, indem er stark sich mit seinen eigenen Beinen, die sehr dick waren, fest auf den Boden stellte. Er hatte so einen Blick, von dem man meinte, wenn er vorne herein geht, geht er hinten wieder heraus, also einen durch­bohrenden Blick, wie man sagt. Und immer hatte er das Auge so, sehen Sie (es wird gezeichnet): Wenn er einen Menschen anschaute, wurde das Auge so, daß das Weiße oben und unten sichtbar blieb, so auf war. Während sonst gewöhnlich das Lid bis über das Weiße geht, so daß das Weiße oben und unter der Pupille nicht zu sehen

212

ist, war es bei ihm so, daß dadurch der Blick noch ganz besonders, wie man sagt, fixierend geworden war.

Nun, das machte dann auf den Menschen, den er sich da als sein Opfer ausgewählt hatte, einen riesigen Eindruck; der fing schon an, wie man sagt, etwas unbewußt zu werden. Das Bewußtsein kam ihm abhanden, aber es stellte sich etwas ganz Merkwürdiges ein. Hansen sagte dann: «Sie können sich jetzt nicht vom Boden wegbewegen. Ihre Füße sind an den Erdboden gebannt!» Der probierte - konnte nicht weg, konnte keinen einzigen Schritt machen. Er konnte einfach nicht, blieb stehen. Dann sagte Hansen bei den geeigneten Opfern:

«Sie müssen jetzt niederknien!» Der kniete nieder. «Sehen Sie, da oben erscheint ein Engel.» Der faltete die Hände, machte ein furcht­bar verzücktes Gesicht und schaute zu dem Engel hinauf. Das alles machte der Hansen mit diesen Leuten, die er sich als Opfer ausersah. Er wählte sich natürlich etwas schwach bewußte Menschen, aber an denen konnte er die Sachen machen und machte sie dann vor dem ganzen Publikum. Seine Dinge waren nicht etwa Schwindeleien -viele Leute haben auch behauptet, er sei ein Schwindler -, aber es sind Dinge gewesen, die seither an den wissenschaftlichen Instituten durchaus nachgemacht worden sind und daher gelten.

Daneben tat er zum Beispiel das Folgende. Er nahm einen Stuhl und setzte den hin, der so war, daß er keine eigenen Gedanken mehr hatte, sondern nur die Gedanken, die ihm der Hansen eingab. Jetzt stellte sich der Hansen hin und sagte: «Hier ist ein Apfel!» Nicht wahr, Apfel sind sehr gut, Apfel sind schmackhaft. Nun nahm er eine Kartoffel, gab sie dem, und der biß ab mit einem riesigen Wohl­gefallen und aß die Kartoffel als einen Apfel. Also der Hansen konnte den Leuten nicht bloß einreden, daß sie einen Engel sehen, sondern auch einreden, daß eine Kartoffel ein Apfel ist und als ein Apfel gegessen wird. Dann nahm er zum Beispiel Wasser und sagte: «Jetzt gebe ich dir einen besonders süßen Wein!» Oh, man sah, wie der den süßen Wein genoß! - Solche Versuche machte der Hansen. Das war die andere Art von Versuchen.

Was hat er denn getan bei dem Menschen, bei dem er sich darauf-stellte? Da hat er den Willen tot gemacht. Der hatte gar keinen Willen

213

mehr. Bei den Menschen, die er so behandelte, wie ich zuletzt sagte, da hat er nur die Gedanken beeinflußt. Die mußten nur so denken,wie der Hansen dachte; wenn er sagte «Das ist ein Apfel» und so weiter, nach dem Geschmack von Hansen, und wenn er sagte: «Das ist ein Engel», da folgten sie dem Gedanken von Hansen und sahen den Engel.

Sehen Sie, der Hansen, der konnte noch ganz andere Sachen machen, zum Beispiel das Folgende. Er ließ sich so einen heraus­kommen aus dem Publikum, den er für ein besonders geeignetes Opfer hielt, und er hypnotisierte ihn zuerst, das heißt, er machte ihn so, daß er kein eigenes Bewußtsein hatte, daß er alle Gedanken aufnahm, die der Hansen ihm eingab. Nun sagte er: «Jetzt werden zehn Minuten vergehen. Ich werde dich nach zehn Minuten auf­wecken. Dann wirst du zu dem Manne, der dort hinten in der Ecke sitzt, hingehen und ihm die Uhr aus der Tasche ziehen wie ein Dieb.» Nun weckte er den zuerst auf - der Hansen machte inzwischen mit allen möglichen anderen alles mögliche -, der wurde unruhig, stand auf, ging hin zu dem hinten in der Ecke Sitzenden und zog ihm die Uhr aus der Tasche.

Nun sehen Sie, man nimmt natürlich lateinische Namen. Die la­teinische Sprache, habe ich Ihnen schon gesagt, ist immer zu der Logik zu verwenden; und diejenigen Experimente, die ich Ihnen zu­erst beschrieben habe, nennt man hypnotische Experimente, und diese, wo er schon aufgeweckt ist und nachher noch dieselbe Sache macht -Post heißt nach -, die nennt man eben posthypnotische Experimente. Seither spricht man von Hypnose und Posthypnose und weiß, daß der Mensch in solche Zustände kommen kann.

Diese Dinge weisen aber tief hinein in die menschliche Natur, denn es ist ja tatsächlich später dazu gekommen, daß man gerade diese posthypnotischen Sachen viel weiter ausgedehnt hat. Wenn man einen tief genug in Hypnose versetzt und ihm sagt: Nach drei Tagen mußt du das und das ausführen -, so tut er es auch, wenn er die geeignete Persönlichkeit dazu ist. Diese Experimente sind ja gemacht worden.

Nun, nicht wahr, im Leben kommen diese Dinge nicht in dieser Schärfe vor. Aber, wie ich Ihnen an dem Menschen gezeigt habe, der sich nicht mehr bewegen kann, sie kommen doch abgeschwächt

214

vor. Der andere Zustand, der kommt auch im Leben vor. Sie wer­den schon kennengelernt haben nicht nur solche Menschen, die ganz gelähmt sind und nichts mehr mit sich anzufangen wissen, also in gewissem Sinne kataleptisch sind, sondern Sie werden auch schon solche kennengelernt haben, die plötzlich anfangen - während sie früher im Grunde genommen ganz besonnene Menschen gewesen sind -, ganz geschwätzige Menschen zu werden. Man kommt gar nicht mehr nach; es sprudeln die Gedanken, sie schwätzen, schwät­zen, schwätzen wie ein Rad. Bei denen ist es geradeso wie bei den Menschen, die eine Kartoffel essen für einen Apfel, nur daß das eine Mal der Hansen derjenige ist, der einen Einfluß hat, während die­jenigen, die in dieser Weise ihre raschen Gedanken haben, die so ihre Gedanken lossprudeln, abhängig sind von ihrem eigenen Bauch. Denn das ist das Jnteressante, daß der eigene Bauch - ich habe Ihnen ja vieles erzählt davon, wie im Bauch die Leber und so weiter denkt - viel schneller denkt als der Kopf. Und wenn nun der Mensch im Kopf so schwach wird, daß er diesen Gedanken, die aus dem Bauch kommen, nicht mehr den nötigen Widerstand entgegen-setzt, sie nicht mehr langsam genug macht, dann sprudeln diese Ge­danken heraus. Die sind also von ihrem eigenen Bauch hypnotisiert.

Das ist überhaupt das Merkwürdige im Leben: Der Mensch hat diese zwei entgegengesetzten Organe, den Kopf und den Bauch. Beide denken. Aber es ist schon einmal wahr: Der Kopf denkt lang­sam und der Bauch denkt schnell. Der Kopf denkt viel zu langsam und der Bauch viel zu schnell, aber Sie wissen ja: Wenn man ganz Dickes und ganz Dünnes zusammengießt, so kommt ein Mittelzu­stand heraus. So ist es auch beim Menschen: Die Zustände vom Kopf machen die Bauchzustände langsam und die Bauchzustände machen die Kopfzustände schnell, und auf diese Weise gleicht sich das aus.

Sehen Sie, darauf beruhen aber überhaupt die Weltvorgänge, daß entgegengesetzte Zustände ineinander wirken. In dieser Beziehung wird das, was man heute Wissenschaft nennt, noch furchtbar viel lernen müssen. Ich will Ihnen da gleich etwas sagen. Nehmen Sie an, man hat einen halbwegs normalen Menschen. Wenn dieser Mensch ungefähr 72 Jahre alt wird - das können Sie sich ausrechnen, ich

215

habe Sie ja schon einmal darauf aufmerksam gemacht -, dann hat er 25 920 Tage gelebt. Das sind 72 Jahre. So viele Tage lebt normaler­weise der Mensch. Und wenn Sie die Atemzüge des Menschen messen, zählen, so finden Sie, daß er im Tage geradesoviele Atemzüge macht. Also der Mensch macht, wenn er normal lebt und sein Organismus nicht vorher zerstört ist - denn sonst kann er nicht 72 Jahre alt werden; wenn man nicht 72 Jahre lebt, ist man durch irgend etwas zerstört -, im Leben soviele Tage durch wie Atemzüge im Tag. So lebt der Mensch. Er lebt so, daß er jeden Tag, vom Sonnenaufgang bis wieder zum Sonnenaufgang, 25 920 Atemzüge macht, und daß er während des gewöhnlichen Lebens, das das Patriarchenalter er­reicht, 25 920 Tage lebt.

Ja, was bedeutet denn das: Wir leben in einem normalen Leben, das das Patriarchenalter erreicht, 25 920 Tage? Was bedeutet das? -Das bedeutet, daß wir bei der Erde 25 920 mal Tag und Nacht mit­machen. Wir machen das mit, wir können das 25 920 mal miterleben. Was tut denn die Erde beim Tag und bei der Nacht? Gerade das ist das Wichtige, was schon Goethe geahnt hat und was man heute ganz mit Bestimmtheit sagen kann: Wenn es anfängt Tag zu werden, so zieht die Erde die Lichtkräfte, die Weltkräfte an der Stelle an sich heran, wo wir gerade sind. Auf der anderen Halbkugel ist es anders, da ist es umgekehrt, aber es ist derselbe Vorgang. Also die Erde und alles, was in der Erde ist, atmet Licht ein; wenn es Nacht ist, atmet sie wieder aus. Was wir in der kurzen Zeit zwischen der Einatmung und Ausatmung machen mit der Luft, das macht die Erde in einem Tag.

Sie sehen also, die Erde ist furchtbar viel langsamer als wir, fürchterlich viel langsamer. Wir machen in einem Tag so viel Atem-züge, wie die Erde in unserem ganzen Leben. Das sehen Sie daraus. Wenn man nun genauer zusieht, dann kommt beim Menschen aber etwas Besonderes heraus. Atmen tut der Mensch so, daß das Blut den Atem braucht. Das Blut wird in den Gedärmen, das heißt im Bauch erzeugt; der Unterleib also will so schnell atmen. Wir können deshalb sagen: Die menschliche Atmung, die hängt zusammen mit dem Unterleib, mit dem Bauch.

216

Sehen Sie, wenn man wirklich ganz so wissenschaftlich, wie es eigentlich unsere Wissenschaft jetzt nur über den Bauch macht, den Kopf betrachtet, dann ist es beim Kopf so, daß er eigentlich immer sich bemüht, die Atmung etwas zurückzuweisen. Die Atmung geht ja auch in den Kopf. Der Kopf will nämlich so atmen, daß er nur einen Atemzug im Tag bekommt, und er verlangsamt unser Atmen fortwährend. Der Kopf will nur so atmen, daß er einmal im Tag einatmet und ausatmet, während wir in ungefähr vier Sekunden ein-und ausatmen. Der Kopf will eigentlich den Atem verlangsamen, viel langsamer machen. So daß wir sagen können: Kosmische Atmung, die wird eigentlich durch den Kopf ausgeführt; nur saust immerfort die Atmung von dem Körper herauf zu dem Kopf, schnell, und wieder langsam bewegt sich die Atmung vom Kopf nach dem Kör­per hin. Haben Sie daher einen Menschen, der seinen Willen gehemmt kriegt, der also starr wird, was tritt bei dem ein? Die Atmung im Bauch ist nicht in Ordnung, und die ganz langsame Kopfatmung will sich ausbreiten über den ganzen Körper. Nun liegt der Kerl da und der Hansen steht darauf. Die Kopfatmung will den ganzen Körper beherrschen: er wird starr. Wenn aber einer schwatzt und schwatzt und schwatzt, dann will die Kopfatmung nicht mehr recht tun, und die schnelle Körperatmung kommt herauf, und er schwatzt. Da kriegt man, wie man sagt, nicht Hypnose, sondern Gedanken-flucht.

Jetzt können Sie sagen - wirklich, Sie können das sagen: Aber eigentlich ist die Welt doch dumm eingerichtet, denn wir sind ja dadurch, daß unsere Kopfatmung nicht stimmt zu der Körperatinung, fortwährend in Gefahr, entweder dadurch, daß die Körperatmung zu kurz kommt oder die Kopfatmung zu kurz kommt, Trottel zu werden. - Das ist also eine schlimme Geschichte. Durch diese Dinge sind wir fortwährend der Gefahr ausgesetzt, trottelig zu werden. Sie können sagen: Donnerwetter, wie ist doch die Welt dumm ein­gerichtet! - Aber ich will Ihnen etwas anderes sagen, meine Herren.

Betrachten Sie zum Beispiel die Frau, das Weib. Insofern das Weib Mensch ist, ist es natürlich so, daß in ihm die schnellere Körper-atmung, die langsamere Kopfatmung vor sich geht. Die langsamere

217

Atmung ist die kosmische Atmung. Aber das führt die Frau nur mit dem Kopf aus. Mit dem übrigen Körper führt sie die schnelle Kör­peratmung aus. Die gehen beide durcheinander. Nehmen Sie aber an, die Frau wird befruchtet. Was geschieht denn da? Sehen Sie, da wird für eine gewisse kleine Stelle des Körpers, im Uterus, in der Gebär­mutter, in der übrigen Atmung des Körpers durch die befruchtende Substanz, die vom Manne kommt, die Kopfatmung eingeführt. So daß jetzt die Frau, während sie schwanger ist, eine langsame Kopf-atmung hat, aber auch eine langsame Atmung im Unterleib hat. Mitten in die Körperatmung mischt sich eine langsame Kopfatmung hinein, so daß jetzt der Mensch dadurch zweimal Kopfatmung hat. Und was bildet sich? Der Kopf zunächst. Was ist denn also da durch die Befruchtung in den Körper hineingekommen? Sehen Sie, da ist die kosmische Atmung, die wir sonst nur im Kopfe haben, hineingekommen. Der Mensch nimmt die ganze Welt auf in seinem Atmungsprozeß. Also die Befruchtung, die besteht eigentlich darin­nen, daß der Mensch die ganze Welt aufnimmt in seinen Atmungs­prozeß. Dasjenige, was bei der Befruchtung des Menschen geschieht, ist eigentlich dieses, daß wirklich, während sonst der Leib des Men­schen immer nur die menschliche Leibesatmung hat, da für neun Monate eingepflanzt wird die kosmische Atmung, die sonst der Mensch nur im Kopfe hat.

Da sehen Sie eine Beziehung des Menschen zu dem ganzen Welten-all. An der Stelle, wo der Mensch entsteht, im Mutterleibe, in der Mutter will er nur so atmen, daß ein Atemzug den ganzen Tag braucht. Dadurch verlangsamt die Mutter dort die Prozesse so, daß sie nicht nur leben kann, sondern einen neuen Menschen bilden kann. Denn durch das, was sonst mit dem Kopfe diese langsamen Prozesse ausführt, leben wir durch unseren Kopf eben unsere Lebenszeit hin­durch 72 Jahre. Wenn wir sagen, der Mensch lebt normalerweise 72 Jahre und wenn wir sehen, daß es neun Monate sind, bis ein neuer Mensch entsteht, so ist es gar kein Wunder, daß ein neuer Mensch in neun Monaten entsteht, denn der Mensch lebt 72 Jahre, wir drük­ken gewissermaßen nur die 72 Jahre zusammen in der Atmung, und es entsteht der neue Mensch. Das ist aber etwas, was Sie so tief hineinsehen

218

läßt in die ganze Natur, daß Sie dadurch auch die Grund­lage bekommen können für andere Gedanken.

Betrachten Sie jetzt die Erde und in der Erde drinnen die Pflan­zen. Sagen wir, wir haben die Wurzel der Pflanze, den Stamm der Pflanze mit den Blättern, und wir haben die Blüte. Wenn Sie sich die Wurzel anschauen, so ist sie im Erdboden drinnen ganz um-geben von Salzen. Da sind überall Salze (es wird gezeichnet). Diese Salze sind schwer. Die Wurzel steckt also ganz in der Schwere drin­nen. Aber mit der Schwere ist es ganz eigentümlich. Die Schwere

#Bild s. 218

wird nämlich überwunden. Wenn Sie abgeschnittene Köpfe der Men­schen nehmen würden, so würden die doch ein ziemliches Gewicht haben. Der menschliche Kopf ist schwer. Oder wenn Sie schließ­lich einen Schweinskopf in die Hand nehmen, ist er schwer. Wenn Sie den Kopf an sich tragen, so spüren Sie das nicht, wie der Kopf da aufsitzt und schwer ist, weil die Schwere überwunden ist beim Kopf. So aber wird auch bei der Pflanze die Schwere überwunden. Denn würde die Pflanze die Schwere spüren in den Blättern, so würde sie ja nicht aufwärts wachsen, sondern immer mehr herunter. Nun wächst die Pflanze aber aufwärts, sie überwindet die Schwere. Dadurch aber, daß sie die Schwere überwindet, wird sie zugänglich dem Licht. Das Licht wirkt in sie hinein, und das Licht kommt von oben nach unten, entgegengesetzt der Schwere. Also die Pflanze

219

kommt immer mehr und mehr herauf zum Licht, wird immer mehr und mehr, während sie als Wurzel in die Salze der Erde eingepflanzt war, nun ausgesetzt der Sonne mit ihrem Lichte. Indem sie der Sonne mit ihrem Lichte ausgesetzt wird, da entsteht hier (es wird gezeich­net) die Befruchtung in ihr; der Fruchtknoten mit dem Keime bildet sich, so daß also durch die Lichtwirkung die neue Pflanze entsteht. Bei der Pflanze sieht man es ganz genau. Das, was ich beim Menschen kosmische Atmung genannt habe, was beim Menschen durch die Be­fruchtung eingepflanzt wird, das wird bei der Pflanze jedes Jahr herangetragen durch das Licht, so daß also die Pflanze von der Schwere zum Lichte und dadurch zur Befruchtung wächst.

Wir werden also sagen: Dasjenige, was beim Menschen erst ver­folgt werden muß durch die Gedanken, so daß man weiß, da dringt die kosmische Atmung ein, da entsteht ein Stückchen Kopf an einer bestimmten Stelle im Innern des menschlichen Körpers -, das sehen wir da außerhalb jedes Jahr, wenn wir die Pflanzen anschauen. Da kommt die äußere Welt von dem unendlichen Weltenraum her in Form des Lichtes und bringt das Kosmische hinein in die Pflanze, und die Erde wird in ihrer Pflanzenwelt vom Kosmos befruchtet. Das ist außerordentlich interessant. Wenn einer hinschaut auf eine Pflanzenblüte, so kann er sich sagen: Da befruchtet das Weltenall -es ist nämlich Kosmos gleich Weltenall - die Blüte. Das andere ist nur eine Beigabe, daß das Staubkorn herüberkommt und so weiter; das ist eben eine Beigabe, weil im Physischen alles physisch verlau­fen muß. Aber in Wirklichkeit ist es das Licht, das aus dem Welten-all kommt und die Pflanzenblüte befruchtet, das den Keim zu der neuen Pflanze legt.

Ja, meine Herren, sieht man aber nicht, was da eigentlich ge­schieht? Was da eigentlich geschieht, sieht man nicht, weil es klein ist. Man kann es aber sehen! Betrachten wir jetzt das, was da an der Pflanze geschieht, in einer ganz anderen Weise. Nehmen wir an, hier ist die Erde (es wird gezeichnet). Sehen Sie sich nicht eine Pflanze an, sondern sehen Sie dahin nach der Erde, wie in der Ferne - von einem Berg aus vielleicht, da ist es am besten zu sehen -der Nebel aufsteigt, wie man sagt. Da steigt der Nebel auf. Der

220

Nebel besteht aus Wasser. Wenn Sie die Pflanze anschauen würden, so wäre die Geschichte nicht ganz unähnlich, wäre etwas Ähnliches. Sie würden, wenn Sie so eine Pflanze ansehen würden - da müßten Sie sich aber den ganzen Frühling hinsetzen und immer beobachten -, sehen: Zuerst ist es tief, dann steigt es auf, da teilt es sich zu den Blättern. Aber die Nebel gehen ja auch auseinander, wenn sie arif­steigen. Also da, in der Pflanze, sind es nur die festen Salze, die da aufsteigen bis zur Blüte. Jetzt schauen Sie dahin, zur Erde: Da steigt eben nur das Wasser auf, nicht so feste Teile, wie wenn es eine Pflanze wird; aber das Wasser steigt auf. Wenn die Pflanze zu einer bestimmten Stelle kommt da oben, da wird sie befruchtet vom Wel­tenall. Wenn das Wasser, das hier in Form des Nebels aufsteigt, zu einer bestimmten Stelle kommt, da wird es auch aus dem Weltenall befruchtet. Und was geschieht dann? Ja, meine Herren, da blitzt es!

#Bild s. 220

Das geschieht ja nicht immer, aber dann, wenn die Befruchtung eintritt und die Dinge so ausdrücklich sind wie im Sommer - sonst geschieht ja auch der Blitz, aber er ist unsichtbar -, da wird vom Weltenall durch Licht und Wärme das Wasser hier befruchtet. Das­selbe, was in der Pflanze geschieht, geschieht da oben und ist im Blitz sichtbar. Und wenn der Nebel oben befruchtet ist, fällt er als fruchtbarer Regen wieder herab. Also wenn Sie eine Nebeiwolke auf­steigen sehen, so ist das eigentlich eine - aber ganz dünne - riesige

221

Pflanze; die öffnet da oben im Weltenall ihre Blüte, wird befruchtet, zieht sich zusammen, und in dem Regenwasser fallen die befruch­teten Wassertröpfchen wieder herunter.

Jetzt haben Sie eine Erklärung für den Blitz. Die Leute glauben, da oben seien so etwas wie riesige Leidener Flaschen oder riesige Elektrizitätsapparate; aber das ist ein Irrtum. In Wirklichkeit wird da draußen das Wasser der Erde befruchtet, daß es wiederum seine Vorgänge auf Erden ausführen kann. Und dasjenige, was in der Pflanze geschieht, das geschieht nur viel tiefer, weil die Pflanze fester ist; es geschehen immer hier oben bei der Blüte, wenn die richtige Jahreszeit da ist, diese kleinen Blitze, die man nur nicht sieht. Aber diese kleinen Blitze führen ja zur Befruchtung. Sie haben also in der Erscheinung von Nebel und Regen dieselbe Erscheinung, die auftritt in der Pflanze bei der Befruchtung. Und das geht dann herein bis zum Menschen, wo die kosmische, die Welt-Atmung, die sonst im Kopfe nur ist, in dem Unterleibe des Menschen auftritt.

Nehmen Sie jetzt den kataleptischen Menschen. Was ist denn bei dem der Fall? Ja, wenn man den kataleptischen Körper untersuchen würde, dann würde man finden, daß der besonders salzreich gewor­den ist. Der ist nämlich ähnlich geworden einer Pflanzenwurzel, und zwar besonders im Kopf. Wenn unser Kopf so salzreich wird wie eine Pflanzenwurzel, dann werden wir trottelig durch die Kopf-starrheit, die sich dann nur auf das übrige ausdehnt. Wenn Sie also Leute sehen, die sich nicht entschließen können zu gehen, nicht einmal die Hände zu erheben, sich aus dem Bett am Morgen zu erheben die haben zu viel Salz gekriegt im Kopfe, sind zu ähnlich geworden der Wurzel der Pflanze. Wenn Sie Menschen sehen, die immer schwätzen und schwätzen: die sind zu ähnlich geworden der Blätterpflanze. Wenn man nämlich redet, so redet man ja eigentlich nur einen Teil von dem, was man weiß. Aber diejenigen, die immer schwätzen und schwätzen, die möchten eigentlich immer alles das­jenige sagen, was sie haben. Die möchten eigentlich immer einen ganzen Menschen bilden, weil eigentlich ihr Bauch redet. Und dieser, wenn er die Welt anzieht, sie aufnimmt, der wird dann zum Kopfe. Aber es geht zu schnell dann, wie beim Bauch, wie bei der übrigen Atmung.

222

So können wir sagen: Der Hansen hat die Menschen, die er so auf zwei Stühle gelegt hat und auf die er sich dann daraufgestellt hat, im Kopf zu ähnlich gemacht einer Pflanzenwurzel. - Da sehen Sie die Verwandtschaft des menschlichen Kopfes mit der Pflanzen-wurzel. Man kann sogar den ganzen Kopf ähnlich machen einer Pflanzenwurzel. Und die Menschen, denen er eingeredet hat, sie sollen eine Kartoffel wie einen Apfel essen, die hat er ähnlich gemacht einer Blüte. Da sehen Sie die Ähnlichkeit des Bauchmenschen, also des Unterleibsmenschen, mit der Blüte. Dasjenige, was der Hansen den Wissenschaftern vorgemacht hat, das macht man noch heute, aber zu der Erklärung, die nachgerade ins ganze Weltenall hineinführt, sind die Leute eben bis heute nicht gekommen.

So, nun können wir auch die Frage beantworten, ob denn die Natur wirklich so dumm eingerichtet ist, daß wir Trottel werden können, entweder durch falsche Kopf- oder Bauchatmung, einmal durch Kopfatmung kataleptisch, geschwätzig das andere Mal da­durch, daß wir Gedankenflucht haben und unseren Willen nicht ge­brauchen können. Nun, demjenigen, der das für so außerordentlich töricht hält und sagt, wenn er die Welt zu machen gehabt hätte, dann hätte er sie etwas anders gemacht, dann brauchten wir nicht eben der Gefahr ausgesetzt zu sein, nach zwei Richtungen hin Trottel sein zu können, dem kann man antworten: Aber wenn das nicht der Fall wäre, wenn wir nicht auch im Bauch des Menschen die Kopfatmung erzeugen könnten, die dann entsteht, wenn wir starr werden, dann konnte ja uberhaupt der Mensch nicht entstehen, dann würde die Befruchtung nicht eintreten können, dann gäbe es keine Menschen auf der Erde!

Also Sie sehen, die Gefahr, daß wir Trottel werden, die hängt zusammen mit dem, daß wir überhaupt entstehen können. Hätte also irgendwie in der Natur die Absicht bestanden, keine Menschen ent­stehen zu lassen, ja, dann, nicht wahr, dann brauchten auch keine Trottel zu entstehen. Aber weil schon einmal Menschen entstehen mußten, muß auch die Gefahr vorhanden sein, daß Trottel entstehen können. So hängt eines mit dem andern zusammen. Es ist gar kein Grund, daß man über die Natur loswettert, wenn man sieht,

223

wie die Dinge zusammenhängen. Es könnte ja auch einer sagen: Wie dumm, daß 2 mal 2 = 4 ist! - und möchte, dass es = 6 wäre; dann hätte man mehr, und das würde ihn freuen, wenn er mehr hätte. So geht das aber nicht, und so geht es auch nicht, daß der Mensch überhaupt auf der Erde ist, ohne daß die Gefahr vorhanden ist, daß der Mensch trottelig wird. Diese Dinge muß man nur richtig durch­schauen. Dann aber kommt man auch dazu, überall die Dinge richtig zu sehen.

Da wird man sagen, wenn einer den Blitz anschaut: Ist der Blitz nur da oben? - 0 nein, der ist den ganzen Sommer hindurch, indem die Pflanzen befruchtet werden, über die Wiesen, über die Wälder hin, überall da ist der niedere Blitz. Und zum Schluß ist es ein Blitz, der in uns immer vorgeht. Innerlich sind wir ganz durchsetzt von denselben Erscheinungen, die wir manchmal sehen, wenn es blitzt, und unsere Gedanken sind ein Aufblitzen in uns. Nur natürlich das­jenige, was einmal als ein mächtiger Blitz erscheint, das verläuft ganz schwach in unserem Denken. Jetzt werden Sie sich aber auch sagen können: Es hat doch einen Sinn, zu sagen, wenn ich den Blitz anschaue, daß mir da die Weltengedanken erscheinen, weil das das­selbe ist, wie das, was in mir ist. - Man muß nur die Dinge nicht abergläubisch, sondern eben wissenschaftlich betrachten.

Sehen Sie, es ist immerhin interessant, daß am Ende des neun­zehnten Jahrhunderts die Wissenschaft so weit war, daß sie über­haupt solche wichtigen Sachen gar nicht beachtet hat, daß ein Schar­latan, ein Beutelschneider wie der Hansen kommen mußte und den Leuten diese Sachen zeigen mußte. Dann hat die Wissenschaft erst angefangen, auf diese Sachen aufmerksam zu sein. Daraus können Sie aber sehen, daß es mit dieser Wissenschaft im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts gar nicht so weit her war, wie die Leute immer sagen. Gewiß, auf den äußerlichen Gebieten haben die Leute damals große Entdeckungen gemacht, haben Röntgenstrahlen und so weiter gefunden, aber auf dem innerlich menschlichen Gebiete hat man überhaupt gar nicht verlangt, etwas Ordentliches zu wissen, und verlangt es bis heute nicht. Daher ist unsere Wissenschaft gar nicht anwendbar auf das Menschliche und hilft dem Menschlichen gar

224

nichts. Sie können heute noch so viel an Hochschulen errichten: wenn Sie dahin gehen - dasjenige, was im Menschen wirkt, wird Ihnen nicht erklärt. Aber zu gleicher Zeit wird Ihnen auch nicht erklärt, was eigentlich der Vorgang ist bei der Pflanzenbefruchtung und beim hinaufsteigenden Nebel und herunterkommenden Regen. Da wird die Sache so erklärt, als ob das eigentlich nicht viel anders wäre, als wenn auf dem Herde gekocht würde: daß aufsteigen die Dünste, dann wieder herunterfallen. Das ist eben nicht so, sondern indem die Dünste aufsteigen, kommen sie oben in ein Gebiet, wo sie be­fruchtet werden vom Weltenall, und ein Beweis, daß sie befruchtet werden, ist eben der Blitz. Und dann sieht man eben die Befruch­tung, die sonst auch geschieht.

Aber die Sache ist eben so, daß das eine große Bedeutung hat. Nehmen Sie das Jahr. In einem Jahre ist Winter und Sommer, wie sonst Tag und Nacht in vierundzwanzig Stunden. Und in einem Menschenleben sind 25 920 Tage. Wenn Sie nun 25 920 Jahre neh­men, dann kriegen Sie die Zeit heraus, wo die Erde noch nicht war, und wo sie wieder nicht sein wird. Wir sind jetzt etwas über die Mitte hinaus, also etwa über 13 000 Jahre besteht die Erde; dann wird sie wieder zugrundegehen, nach etwa 11 000 Jahren oder so etwas. Geradeso wie der Mensch 25 920 Tage lebt, lebt die Erde 25 920 Jahre, so wie sie jetzt ist. Sie verändert sich; sie ist einmal jung gewesen, wird alt. Und das ist eben außerordentlich wichtig, daß man weiß: Jedes Jahr müssen die Wasser ausgesetzt sein dem Weltenall, auf irgendeinem Punkt, auf irgendeiner Stelle der Erde müssen jedes Jahr die Wasser dem Weltenall ausgesetzt sein, sonst würde die Erde nicht leben können. Die Erde lebt mit dem Welten-all, wie wir leben mit der Luft. Würde jemand die Luft außer uns wegnehmen auf Erden, wir könnten nicht im Tag unsere 25 920 Atemzüge machen. Würde jemand die Sonne wegnehmen, also das Licht, die Erde könnte nicht leben. So lebt die Erde durch das ganze Weltenall, wie wir leben durch die Luft um uns herum. - So daß man also richtig sagen kann: Wir gehen auf der Erde spazieren; die Erde geht im Weltenall spazieren. Wir atmen auf der Erde; die Erde atmet im Weltenall.

225

Sehen Sie, man könnte ja eine merkwürdige Wissenschaft bilden. Sie wissen, der menschliche Kopf ist ja rund (es wird gezeichnet) und hat, wenn man noch nicht ganz alt ist, hier die Haare. Jetzt leben da - nun, das ist ja nicht wünschenswert, aber es kommt vor -Wesen in diesem Wald. Nehmen wir an, die bilden aus den Schup­pen hier eine Stelle, wo die Gescheitesten immer zusammenkommen und die Dummen belehren; das wäre eine Läuse-Universität auf dem menschlichen Kopfe selber. Nun, man kann das ja annehmen. Was würden denn diese gescheiten Läuse den dummen lehren? Sie würden lehren: Der Kopf, der ist etwas Lebloses, denn wir spazieren darauf herum. Es bilden sich die leblosen Schuppen. Wenn man ein bißchen hineingräbt, kommt man an die leblosen Gebeine. - Das alles würden die gescheiten Läuse den dummen Läusen lehren an der Läuse-Universität da oben. Sie würden ungefähr den menschlichen Kopf so erklären, wie wir an unseren Universitäten die Erde er­klären. Diese Läuse-Professoren - verzeihen Sie, ich meine natürlich die, die da am Kopfe sind -, die würden also nichts wissen davon, daß der menschliche Kopf lebt; sie würden also eine Geologie vom Kopf auseinandersetzen und den Kopf für tot erklären. Ja, aber, meine Herren, an unseren Schulen macht man ja das! Da wird die Erde für tot erklärt. Man weiß nichts von ihrer Atmung. Denn an dieser Läuse-Universität würde man niemals etwas davon erfahren, daß der Mensch atmet, also hier würde nichts erklärt von der menschlichen Atmung; es würde erklärt: Der Mensch ist tot, der Menschenkopf ist eine tote Kugel. - Und wenn nicht gerade die Kopfläuse in irgendeine Beziehung kämen zu den Körperläusen, so würden die Kopfläuse überhaupt nie etwas erfahren vom Körper.

So ist es: Wenn die Menschen auf der Erde nicht in Beziehung kommen zu anderen Wesen höherer Art, so erfahren sie niemals etwas davon, daß die Erde auch ins Weltenall hinaus ihre Wasser als Körper sendet und befruchtet wird, atmet und befruchtet wird. Ja, wir können uns wirklich von da, vom Kopfe aus - von der Vorstel­lung, was an dieser Kopf-Universität da als eine Wissenschaft vor­getragen würde -, eine Vorstellung machen, wie die Wissenschaft von der Erde beschaffen ist. So ist sie nämlich wirklich beschaffen! Und

226

Sie sehen daraus, daß es schon notwendig ist, daß man über das­jenige, von dem man ja einsehen kann: Es ist eben vom beschränk­ten Standpunkte her - daß man über das hinauskommt. Man muß darüber hinauskommen.

Und hinaus kommt eben eine wirkliche Geisteswissenschaft, die ebenso wissenschaftlich vorgeht und die also auch diese Dinge er­klären kann, welche der Hansen dazumal der Wissenschaft erst gebracht hat.

Nun, wir sind noch nicht fertig mit dieser Hypnose-Frage und mit dem anderen. Diese Dinge werde ich Ihnen noch das nächste Mal ein wenig besprechen, weil man sie vergleichen muß mit dem, wie sie sich verhalten zum gewöhnlichen Schlafe. Und das, was ge­schieht, wenn der Mensch schläft, was geschieht, wenn der Mensch kataleptisch wird - denn beim gewöhnlichen Schlaf können Sie nicht auf zwei Stühlen liegen und auf sich herumtreten lassen -, den Unterschied zwischen Schlaf und Hypnose, den Unterschied zwischen Katalepsie und Gedankenflucht, das will ich Ihnen am nächsten Mittwoch um neun Uhr weiter erklären.

227

DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 25. Juli 1923

Nun, meine Herren, wenn Sie heute noch etwas auf dem Herzen haben oder fragen wollen, so bitte ich, das zu tun.

Frage: Etwas Wunderbares, das der Mensch an sich hat, ist das Gewissen. Wenn man etwas getan hat, denkt man daran. Und auch wenn man die Sachen, die vergangen sind, nicht mehr denkt, so weiß man aber doch, man hat ein Gewissen Es wäre interessant, zu fragen, ob das Gewissen auch so getötet werden kann, daß man es vergessen kann. So wie die Menschheit heute ist, müßte man eigent­lich annehmen, daß das Gewissen bei einem großen Teil der Menschheit getötet ist.

Dr. Steiner: Sehen Sie, das ist eigentlich eine große Frage, aber sie hängt schon zusammen mit dem, was wir gerade in den vorangehenden Vorträgen gesagt haben. Ich habe Ihnen ja der Reihe nach versucht zu erklären, wie in dem Menschen, der aus Stoff besteht, außerdem noch enthalten sind ein Ätherleib - also ein ganz anders gearteter Leib, den man mit den gewöhnlichen Sinnen nicht wahr­nehmen und nicht sehen kann -, dann astralischer Leib und Ich-Or­ganisation, wir könnten auch sagen: ein Ich-Leib. Diese vier Teile hat der Mensch.

Nun mussen wir uns vorstellen, wie der Mensch eigentlich wird, wenn er stirbt. Ich habe Ihnen ja schon öfter gesagt: Wenn der Mensch schläft, dann bleibt im Bette liegen der physische Leib und der Ätherleib. Der astralische Leib und das Ich, die gehen heraus, die sind dann nicht mehr im physischen Leib und Ätherleib. - Wenn der Mensch aber stirbt, dann wird von dem, was der Mensch hat, der physische Leib abgelegt. Der ist dann ein wirklich physischer Körper; die drei anderen Teile, der Ätherleib, der astralische Leib und das Ich, die gehen dann heraus. Ich sagte Ihnen ja, der Äther-leib bleibt noch ein paar Tage mit dem Ich und dem astralischen Leib verbunden. Dann trennt er sich auch, so wie ich es Ihnen beschrie­ben habe, und dann lebt der Mensch in demjenigen, was sein Ich und sein astralischer Leib ist. Wie er nun weiter und weiter lebt, da lebt er in derjenigen geistigen Welt, die wir in diesem Leben auf Erden eigentlich durch die Geisteswissenschaft ergründen. So daß wir

228

sagen können: Jetzt wissen wir hier auf Erden etwas von einer gei­stigen Welt; dann werden wir drinnen sein.

Nun kommen wir aber nach einiger Zeit wiederum herunter auf die Erde. Wir gehen ebenso, wie wir von der Geburt zum Tode gehen im Erdenleben, dann durch eine geistige Welt durch und kommen wiederum herunter. Wir nehmen den physischen Leib an, der uns von unsern Eltern und so weiter gegeben ist. Da kommen wir aus der geistigen Welt herunter. Wir waren also, bevor wir hier auf die Erde gekommen sind, sagen wir, Geistwesen. Wir sind von der gei­stigen Welt heruntergestiegen. Das ist eine außerordentlich wichtige Tatsache, daß der Mensch weiß, er kommt aus der geistigen Welt mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leib herunter. Es ist sonst gar nicht erklärbar, wodurch der Mensch überhaupt, wenn er aufwächst, irgendwie vom Geiste redet. Wenn er niemals im Geiste drinnen gewesen wäre, so würde er gar nicht vom Geiste reden.

Sie wissen ja, es haben einmal auf der Erde die Menschen gar nicht so viel wie heute gewisse Menschen vom Leben nach dem Tod gesprochen, aber viel haben die Leute gesprochen vom Leben, bevor sie auf die Erde heruntergekommen sind. In alten Zeiten hat man überhaupt viel mehr gesprochen von dem, was mit dem Menschen war, bevor er Fleisch und Blut angenommen hat, als von nachher. In alten Zeiten war es den Menschen viel wichtiger, daran zu denken, daß sie Seelen waren, bevor sie Erdenmenschen geworden sind. Nun, von der Entwickelung der Menschheit auf Erden, von der habe ich Ihnen noch weniger gesprochen, aber wir wollen auf diese Frage hin heute ein bißchen von dieser Entwickelung der Menschen auf Erden sprechen.

Wenn wir etwa, ich will sagen, acht- bis zehntausend Jahre zu­rückgehen in der Zeit, dann würden wir hier in Europa ein recht wüstes Leben finden. In Europa ist da noch ein recht wüstes Leben. Dagegen war dazumal, achttausend Jahre etwa vor unserer jetzigen Zeit, ein außerordentlich entwickeltes Leben in Asien drüben. In Asien haben wir ja (es wird gezeichnet) ein Land hier, Indien heißt es. Da ist die Insel Ceylon, oben wäre der mächtige Fluß, der Ganges, da oben ist ein Gebirge, Himalaya. In diesem Indien, das also in

229

Asien drüben ist, und auch etwas darüber, da wohnten Menschen, die eben, wie gesagt, vor achttausend Jahren ein ganz hochentwickeltes Geistesleben hatten. Ich nenne sie heute Inder. Dazumal hat es die­ses Wort Inder noch nicht gegeben, aber man nennt das heute Indien, und deshalb gebrauche ich diesen Ausdruck. Nicht wahr, wenn man zurückgehen würde und würde diese Menschen fragen: Wie nennt ihr euch denn selber? - so würden die Menschen sagen: Wir sind die Göttersöhne! -, weil sie bezeichnet haben das Land, wo sie waren, bevor sie auf der Erde waren. Da waren sie selber noch Götter, denn die Menschen haben sich dazumal, wenn sie geistig waren, Götter genannt. Sie würden auch auf die Frage, was werdet ihr denn, wenn ihr einschlaft, gesagt haben: Wenn wir wach sind, sind wir Men­schen, wenn wir einschlafen, sind wir Götter. - Götter sein hat nur bedeutet, anders sein als beim Aufwachen, mehr geistig sein.

Diese Menschen haben also eine ganz besonders hohe Kultur ge­habt, und denen war es nicht so wichtig, zu reden vom Leben nach dem Tode, sondern vom Leben, bevor man geboren worden ist, von diesem Leben unter den Göttern, wie sie gesagt haben.

Sehen Sie, irgendwelche äußeren Urkunden sind von diesen Men­schen nicht vorhanden. Aber die Menschen dort haben natürlich weitergelebt - Sie wissen, es gibt ja auch heute noch Inder -, und in viel späterer Zeit haben sie dann große dichterische Werke ge­schrieben, die man die Veden nennt. Veda ist die Einzahl, Veden die Mehrzahl. Veda heißt eigentlich das «Wort». Man hat sich gesagt:

Das Wort, das ist eine Geistesgabe, und das, was die Leute in ihren Veden geschrieben haben, das war dasjenige, was sie eben noch wuß­ten aus der andern Welt. In dieser älteren Zeit haben sie viel mehr gewußt, aber dasjenige, was heute noch durch Bücher äußerlich studiert werden kann, das ist eben das, was in den Veden steht. Das ist viel später geschrieben worden. Aber bei dem, was in den Veden steht, was viel später aufgeschrieben worden ist, sieht man, daß diese Menschen'noch fest gewußt haben: Bevor der Mensch herunter-stieg auf die Erde, ist er in einer geistigen Welt gewesen.

Nun wenn wir dann etwa sechstausend Jahre vor unsere Zeit zurückgehen, dann haben wir hier schon eine weniger hoch ent­wickelte

230

Kultur. Da geht die Kultur zurück in Indien. Dasjenige, was von den Gelehrten auch heute noch beschrieben wird als alte indi­sche Kultur, das ist schon von der ursprünglichen Höhe zurückge­gangen. Aber es entwickelt sich da im Norden davon eine Kultur an der Stelle, wo später Persien ist. Ich habe sie deshalb die urpersische Kultur genannt. Da entwickelt sich eine ganz andere Kultur. Es ist ganz merkwürdig. Sehen Sie, wenn man zu diesen alten Indern zu­rückgeht, die also zweitausend Jahre vor denen hier gelebt haben, dann trifft man bei diesen alten Indern überall darauf auf, daß sie eigentlich die Erdenwelt sehr wenig schätzen. Sie denken immer, sie sind in die Erdenwelt von der geistigen Welt aus gekommen. Das wußten sie sehr genau. Die Erdenwelt schätzten sie gar nicht, sie schätzten die geistige Welt. Sie sagten, sie kommen sich wie ausge­stoßen vor, und dasjenige, was auf der Erde war, war ihnen gar nicht besonders wichtig. Und da hier, also sechstausend Jahre vor unserer Zeit, in dem Lande, das man heute Persien nennt, da kam zum ersten Mal auf eine gewisse Schätzung der Erde. Man achtete das Erden-leben. Dieses Erdenleben, das achtete man so, daß man sich sagte: Ja, das Licht ist sehr, sehr wertvoll, aber die Erde ist auch sehr wertvoll mit ihrer Dunkelheit. - Und so bildete sich da allmählich die Ansicht aus, daß die Erde ebenso wertvoll ist, daß sie kämpft mit dem Him­mel. Und diesen Kampf des Himmels mit der Erde, den bildete man für zweitausend, dreitausend Jahre aus als eine Ansicht, die für diese Leute besondere Wichtigkeit hatte.

Dann, wenn wir etwa drei- oder viertausend Jahre zurückgehen, dann kommen wir in ein Land, da von Arabien hinüber nach Afrika, wo der Nil fließt: Ägypten. Die Ägypter und auch diejenigen, die dann da drüben in Asien mehr eigentlich gegen den Westen, schon mehr gegen Europa zu saßen, die bekamen die Erde noch lieber. Und deshalb, wenn wir da drei-, viertausend Jahre zurückgehen, dann finden wir: Diese Ägypter, die also sozusagen die dritte Art von Menschen waren - Inder, Perser, Ägypter -, diese Menschen, die bauten die riesigen Pyramiden. Aber was sie vor allen Dingen taten, das war: sie behandelten den Nil. Den Nil, der also jedes Jahr das Land überschwemmt mit seiner fruchtbaren Erde, den kanalisierten

231

sie, so daß ihnen diese Überschwemmungen nach allen Richtungen Nutzen bringen konnten. Dazu bildeten sie die sogenannte Geometrie aus. Die brauchten sie. Die Geometrie und Feldmeßkunst, das wurde da nun ausgebildet. Die Leute bekamen die Erde immer lieber und lieber. Und sehen Sie: In demselben Maße, in dem die Leute auf der Erde die Erde lieber bekamen, desto weniger wurde ihnen klar, daß sie aus einer geistigen Welt herübergekommen sind. Ich möchte sagen, das haben sie immer mehr und mehr vergessen, weil sie die Erde immer lieber bekommen haben, und in demselben Maße wurde ihnen wichtiger, sich zu sagen: Man lebt nach dem Tode.

Gewiß, wir haben ja gesehen, das Leben nach dem Tode ist dem Menschen gesichert, aber die Menschen haben früher, bevor die Ägypter gekommen sind, überhaupt nicht so stark an die Unsterb­lichkeit gedacht. Warum? Weil es ihnen selbstverständlich war. Wenn sie gewußt haben, sie kommen herunter aus einer geistigen Welt, haben den physischen Leib nur angenommen, dann haben sie gar nicht daran gezweifelt, daß sie nach dem Tode in einer geistigen Welt ankommen werden. Aber in Ägypten dahier, wo die Menschen schon weniger gedacht haben an den Aufenthalt im Geistigen vor dem Erdenleben, da haben die Ägypter diese riesige Angst bekom­men vor dem Sterben. Diese riesige Angst vor dem Sterben, die ist eigentlich noch nicht viel älter als drei-, viertausend Jahre. Die Inder und die Perser haben keine Todesangst gehabt. Man kann also eigent­lich nachweisen, daß die Ägypter diese furchtbare Angst vor dem Sterben gehabt haben. Denn, sehen Sie, wenn sie nicht diese heillose Angst vor dem Sterben gehabt hätten, dann könnten nicht heute diese Engländer und die anderen nach Ägypten gehen und die Mumien in ihrenMuseen dann ausstellen! Denn dazumal wurden dieLeute so ein­balsamiert durch allerlei Salben und Mittel. Wie der Mensch im Le­ben ausschaute, so haben sie ihn in den Sarg gelegt und aufbewahrt. Da wurden die Leute einbalsamiert und zu Mumien gemacht, weil man gedacht hat: Wenn man den Leib zusammenhält, dann bleibt auch das Seelische solange vorhanden, als es noch den Leib hat auf Erden. - Man hat den Leib aufgehoben, damit das Seelische nicht irgendwie Schaden leidet. Sehen Sie, das ist die Angst vor dem Ster­ben.

232

Da hat man also mit aller Gewalt aus der Erdenmaterie heraus die Unsterblichkeit bewirken wollen bei den Ägyptern. Diese Ägyp­ter haben aber trotzdem noch außerordentlich viel gewußt, was spä­ter ganz verloren gegangen ist.

Und das nächste Volk, das uns besonders auffällt, das ist dann etwas im Norden von Ägypten, in Griechenland, im heutigen Grie­chenland. Aber das alte Griechenland war ganz anders. Sehen Sie, die Griechen, die haben nun schon fast ganz vergessen gehabt das Leben vor der Geburt. Nur einzelne Leute in besonders hohen Schu­len, die man Mysterien nannte, die wußten noch davon. Aber im ganzen war in der griechischen Zivilisation das geistige Leben vor der Geburt schon ganz vergessen, und die Griechen haben das Erden-leben am allermeisten geliebt. Und deshalb ist in Griechenland auch ein Philosoph aufgetaucht, Aristoteles heißt er, im vierten Jahrhun­dert vor der christlichen Zeitrechnung. Sie sehen, jetzt kommen wir schon an die christliche Zeitrechnung heran. Aristoteles, der hat zu­erst eine Ansicht aufgestellt, die früher gar nicht vorhanden war. Er hat nämlich die Ansicht aufgestellt: Nicht nur der Leib des Menschen wird geboren, wenn ein Kind geboren wird, sondern auch die Seele des Menschen wird geboren. - Also in Griechenland taucht zuerst die Ansicht auf, daß die Seele des Menschen mit dem Leib geboren wird, dann aber unsterblich ist, also durch den Tod geht und in der geistigen Welt weiterlebt. Nur hat Aristoteles dann eine eigentüm­liche Ansicht aufgestellt. Aristoteles hat eigentlich schon alles ver­gessen gehabt, was Weisheit in alten Zeiten war, und er hat dann die Ansicht aufgestellt: Die Seele wird zugleich mit dem Leib geboren. Wenn aber der Mensch stirbt, so bleibt die Seele so, daß sie nur das eine Erdenleben hinter sich hat. Da muß sie ewig nur auf das zurück­schauen, was das eine Erdenleben ist.

Denken Sie sich, was das für eine schreckliche Ansicht ist! Wenn also irgendeiner auf der Erde Schlechtes getan hat, so ist er in alle Ewigkeit nicht fähig, das irgendwie auszubessern, sondern muß immer zurückschauen, muß immer sehen das Bild, was er da Schlechtes ge­macht hat. Das ist die Ansicht von Aristoteles.

Dann ist das Christentum gekommen. In den allerersten Jahrhunderten

233

hat man das Christentum ein wenig verstanden. Als aber dann das Römische Reich das Christentum aufgenommen hat und in Rom sich das Christentum festgesetzt hat, hat man dort das Chri­stentum nicht mehr verstanden. Man hat es nicht verstanden.

Nun gab es gerade innerhalb des Christentums immer Konzilien. Da sind die hohen Würdenträger der Kirche zusammengekommen und haben festgestellt, was die große Herde der Gläubigen zu glauben hat. Nicht wahr, da bildete sich die Ansicht: Es gibt Hirten und Schafe, und die Hirten haben dann auf den Konzilien festgesetzt, was die Schafe zu glauben haben. - Am achten dieser Konzile wurde nun festgelegt durch die Hirten für die Schafe, daß es ketzerisch sei, zu glauben, daß der Mensch vor seiner Geburt in der geistigen Welt gelebt habe. Also die alten Ansichten des Aristoteles, die wurden dann christliches Kirchendogma! Und dadurch wurde die Menschheit geradezu gezwungen, nichts zu wissen, gar nicht daran zu denken, daß der Mensch mit einer Seele aus der geistigen Welt herunterge­kommen ist. Es wurde ihnen verboten.

Wenn heute die Materialisten sagen: Die Seele wird mit dem Kör­per geboren und ist nichts anderes als Körperliches -, dann ist das nichts anderes als das, was die Leute gelernt haben von der Kirche. Das ist es eben, daß die Menschen heute glauben, sie kommen über die Kirche hinaus, wenn sie Materialisten sind. Nein, die Menschen waren nie Materialisten geworden, wenn die Kirche nicht abge­schafft hätte die Erkenntnis vom Geist. Denn auf diesem achten all­gemeinen, ökumenischen Konzil in Konstantinopel ist eben der Geist durch die Kirche abgeschafft worden, und das ist dann geblieben das ganze Mittelalter hindurch. Erst jetzt muß man durch Geistes­wissenschaft wieder darauf kommen, daß der Mensch als Seele eben auch da war, bevor er auf der Erde war. Das ist das Wichtige, das ist das ungeheuer Wichtige.

Wer die Menschheitsentwickelung auf der Erde verfolgt, der sieht ja ganz klar ein: Ursprünglich war das Wissen davon da, daß die Menschen, bevor sie zur Erde herunterstiegen, in einem geistigen Da­sein sind. - Das ist nur nach und nach vergessen und später sogar durch Konzilbeschluß abgeschafft worden.

234

Nun muß man sich nur klar werden, was das bedeutet. Denken Sie sich einmal, die Menschen, die also gelebt haben bis zu den Ägyptern hin, in alten Jahrtausenden, die haben gewußt: Bevor du auf dieser Erde hier herumgewandelt bist, bist du in der geistigen Welt gewesen. - Ja, die haben nicht nur heruntergebracht aus der geistigen Welt so ein allgemeines verschwommenes Wissen, sondern sie haben heruntergebracht aus der geistigen Welt das Bewußtsein, daß sie da mit anderen Wesen gelebt haben. Und davon haben sie heruntergebracht auch ihre sittlichen Antriebe. Was ich auf der Erde tun soll, das sehe ich aus dem, was diese Erdendinge sind - so haben diese alten Leute gesagt -, was ich sonst tun soll, da brauche ich mich ja nur zu erinnern an das, was ich vor der Geburt war. Sie ha­ben ihre sittlichen Impulse von der geistigen Welt heruntergebracht. Sehen Sie, wenn man die Menschen in alten Zeiten gefragt hat: Was ist gut? Was ist böse? - dann sagten die: Gut ist dasjenige, was die Wesen, unter denen ich war, bevor ich auf der Erde war, wollen, böse ist das, was die nicht wollen. - Das hat aber jeder einzelne sich gesagt. Jetzt, meine Herren, hat man das vergessen.

In Griechenland, da gab es nun etwas sehr Merkwürdiges. In Griechenland hat man es soweit vergessen, daß es ein Leben vor der Geburt gibt, daß der Aristoteles gesagt hat: Die Seele wird mit dem physischen Körper geboren. - Die Leute haben also gar keine Ahnung mehr davon gehabt, daß sie vor der Geburt schon gelebt haben. Aber sie haben etwas gespürt in sich. Nicht wahr, ob man etwas weiß oder nicht weiß, das hat ja für die Wirklichkeit keinen Einfluß. Ich kann immerzu sagen: Hier hinter mir ist kein Tisch, ich sehe keinen Tisch (stößt im Zurückgehen an den Tisch an) -, aber der Tisch ist doch da, wenn ich ihn auch nicht sehe. Das Leben vor der Geburt bleibt eben doch da, und die Menschen spürten es in sich. Und das fing man an in Griechenland das Gewissen zu nennen. In Griechen­land kommt etwa im fünften Jahrhundert vor der christlichen Zeit­rechnung zu allererst das Wort Gewissen auf. Vorher gab es das Wort Gewissen nicht. Also das Wort Gewissen kommt davon her, daß die Leute vergessen haben das vorgeburtliche Leben, das vorirdische Le­ben, und dem, was sie aber trotzdem gespürt haben in sich, dem

235

haben sie ein Wort gegeben, Gewissen. Und seit jener Zeit ist das so geblieben. Die Menschen spüren in sich das vorgeburtliche Leben, aber sie sagen: Nun, das ist halt so; das entsteht da unten irgend­wo und dann schießt es herauf - aber sie kümmern sich nicht weiter darum.

Sehen Sie, das war gut für die Kirche. Denn was konnte denn jetzt geschehen von der Kirche? Ja, früher, wo jeder gewußt hat, daß er gelebt hat als Seele, bevor er auf die Erde heruntergestiegen ist, da haben die Leute gesagt: Sittlich ist das, was wir wissen von unserem früheren Leben, von dem vorirdischen Leben. - Jetzt spürten die Griechen nur das Gewissen. Und dann kam später die Kirche, die verwaltete nun- das Gewissen. Nicht wahr, die fing die Sache auf und sagte: Ihr wißt ja nicht, was ihr tun sollt. Das wissen nicht die Schafe, das wissen die Hirten! - Und sie machte Vorschriften und verwaltete das Gewissen.

Sehen Sie, man brauchte das schon, daß man auf einem Konzil gewissermaßen den Geist abschaffte, denn dann konnte man das, was dem Menschen vom Geiste geblieben war als Gewissen, eben verwal­ten. Und dann hat die Kirche gesagt: Nein, nichts ist vom Menschen dagewesen, bevor er auf der Erde da war. Die Seele ist mit dem Körper geboren. Wer das nicht glaubt, ist des Teufels. Aber wir, als Kirche, wir wissen, wie es in der geistigen Welt ausschaut und was der Mensch auf Erden zu tun hat. - Dadurch hat sich die Kirche des Gewissens bemächtigt.

Das kann man noch im einzelnen nachweisen. Denn sehen Sie, das hat ja noch bis ins neunzehnte Jahrhundert hineingespielt, manchmal in einer ganz furchtbaren Weise. Da gab es zum Beispiel in den drei­ßiger, vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, des neunzehnten Jahrhunderts, in Prag einen Menschen, der hieß Smetana. Dieser Mensch war der Sohn eines katholischen Kirchendieners, der selbst­verständlich ein frommer Katholik war. Der war der Empfindung, daß man dasjenige zu glauben hat, was die Kirche vorschreibt; von der geistigen Welt weiß man dasjenige, was die Kirche vorschreibt. Nun hatte er einen Sohn. Die Menschen waren dazumal etwas ehr­geizig und haben ihre Kinder auf das Gymnasium geschickt. Aber

236

in den Gymnasien, die iii Prag waren im vorigen Jahrhundert, da lernte man nicht eigentlich sehr viel. Man lernte im Grunde genom­men recht wenig. So wurde denn der junge Smetana im Gymnasium aufgezogen. Und das war eben einmal so: Derjenige, der überhaupt etwas lernen sollte, der wurde dann Priester. So wurde auch der junge Smetana Priester. Dazumal war es ja in Prag und auch im übrigen Österreich so, daß man auch die hohen Schulen mit Priestern als Lehrer besetzte. Und so kam er nun dazu, daß er, als er selber zu lehren hatte, etwas andere Bücher las als diejenigen, die ihm als Priester von der Kirche vorgeschrieben waren. Ja, dadurch kam er allmählich in Zweifel hinein, namentlich über ein Dogma. Er sagte sich: Was ist das doch eigentlich Fürchterliches, daß der Mensch ge­boren werden soll, sein Erdenleben zubringt, nachher durch den Tod geht und nun, wenn er ein schlechter Kerl war, ewig nur anschauen soll - die Kirche malte das ja noch mit den nötigen Bildern aus -dasjenige, was er als schlechter Kerl auf der Erde vollbracht hat und niemals die Möglichkeit haben sollte, sich zu verbessern!

Dieser Mann, Smetana, hat in einem Ordenshaus gewohnt. Aber als er Lehrer geworden ist, wurde es ihm etwas zu eng im Ordens-haus, und da hat er eine weltliche Wohnung bezogen, hat immer mehr und mehr - es waren ja dazumal noch keine anthroposophi­schen Bücher vorhanden - die Bücher von Hegel, Schelling und so weiter gelesen, die wenigstens etwas, einen Anfang von etwas Ver­nünftigem gaben. Da ist er immer mehr und mehr in Zweifel hinein-gekommen über die sogenannte Ewigkeit der Höllenstrafe, denn ein schlechter Kerl geht nach Aristoteles durch den Tod und muß ewig in seiner Schlechtigkeit leben. Daraus ist aber die Lehre der ewigen Höllenstrafen entstanden, die dann durch die Kirche konzilmäßig festgesetzt wurde. Diese Lehre ist natürlich keine christliche, son­dern diese Lehre ist diejenige des Aristoteles. Es ist gar nicht wahr, daß das eine christliche Lehre ist, diese Lehre von den Höllenstrafen; die ist von Aristoteles. Aber das war ja den Leuten nicht klar.

Diesem Smetana aber wurde es klar. Da hat er angefangen nun etwas zu lehren, was nicht ganz stimmte mit der Lehre der Kirche. 1848 war es gerade, da hat er etwas gelehrt, was nicht ganz stimmte.

237

Da bekam er zunächst eine furchtbare Verwarnung, eine riesige Lita­nei, einen lateinisch geschriebenen Brief, in dem ihm bedeutet wurde, er solle nun reuig zurückkehren in den Schoß der Kirche, denn es hätte ungeheures Ärgernis erregt bei den Hirten, daß er den Schafen etwas lehrte, was nicht von den Hirten vorgeschrieben ist. Auf diesen ersten lateinisch geschriebenen Brief hat er noch geantwortet, daß er es für eine Heuchelei halte, etwas anderes zu sagen als dasjenige, wo­von man überzeugt ist. Da kam ein zweiter lateinischer Brief, der ihn noch ernsthaftiger verwarnte. Und als er diesen nicht mehr beant­wortete, denn es hätte keinen Zweck gehabt, da wurde eines Tages in allen Kirchen in Prag angekündigt, daß eine sehr wichtige Feier statt­finden solle, weil eines der verlorenen Schafe, das sogar ein Hirte geworden war, aus der Kirche ausgeschlossen werden müsse.

Zu denjenigen, die dazumal überall die Zettel verteilen mußten, daß diese wichtige Feier stattfinden solle, gehörte auch der Kirchen-diener, der alte Smetana, der Vater. Der war nun ein frommer Ka­tholik geblieben. Sie können sich nun denken, was das bedeutet, daß ganz Prag zusammengerufen worden ist, um den Sohn des Smetana zu verdammen, daß er ewig ausgeschlossen werden soll aus der Kir­che und so weiter, ihn zu verdammen, und der Vater mußte selber die Zettel herumtragen! Ja, dazumal war schon in Prag die Kirche so voll an diesem Tag wie sonst nie. Alle Kirchen in Prag waren ganz voll. Und da wurde von allen Kanzeln verkündet, daß der abtrünnige Smetana von der Kirche ausgestoßen wird.

Die Folge davon war - natürlich, der Keim zur Lungensucht lag in der Familie der Smetana -, daß zuerst die Schwester aus Gram starb, nachher starb der alte Vater aus Gram, und nachher starb Smetana selber nach kurzer Zeit aus Gram, aus Leid. Aber darauf kam es ja nicht an, nicht wahr, sondern es kam darauf an, daß Smetana nicht mehr die Geschichte von der Ewigkeit der Höllen­strafen verkündet hatte, sondern so, wie er es auffaßte.

Das hängt alles zusammen mit der Entwickelung der Gewissens­idee der Menschheit. Denn dasjenige, was der Mensch eben behält von dem Leben vor dem Irdischen, das lebt in ihm und spricht in ihm als Gewissen. Und vom Gewissen aus kann man sich sagen:

238

Das Gewissen, das kann nicht aus dem Stoff der Erde kommen. -Denn denken Sie sich einmal, irgendeiner, sagen wir, hat ein furcht­bares Gelüste. Das hat es ja schon gegeben. Dann sind es die Stoffe in seinem Leib, die Stoffe der Erde, die ihn drängeln und zwicken, daß er zu diesem Gelüste kommt. Dann sagt ihm das Gewissen: Du mußt aber diese Gelüste bekämpfen. - Ja, das wäre doch geradeso, wenn das Gewissen auch aus dem Körper noch käme, als wenn irgend jemand zu gleicher Zeit vorwärts und rückwärts gehen sollte. Es ist ja unsinnig, zu sagen, das Gewissen komme aus dem Leib. Das Gewissen ist eben mit dem, was wir herunterbringen vom vorirdi­schen Leben aus der geistigen Welt, wenn wir da zur Erde herunter-steigen, verbunden. Aber so wie ich es Ihnen dargestellt habe, ist eben das Bewußtsein, daß das Gewissen aus der geistigen Welt stammt, für die Erdenmenschen verlorengegangen, und bei solchen Menschen, wie dem Smetana, von dem ich Ihnen vorhin erzählt habe, ist es eben im neunzehnten Jahrhundert durch diese furchtbare Sache von den Höllenstrafen wiederum aufgedämmert. Das Gewissen gehört dem Menschen selber an. Der Mensch trägt das Gewissen in sich. Ja, was hülfe einem denn all das Gewissen, das man in sich trägt, wenn man durch den Tod durchgehen würde und dann ewig sehen würde, was man für ein schlechter Kerl gewesen ist? Man könnte sich ja da nicht helfen. Daß man Gewissen hat, hätte ja dann keine Bedeutung!

So daß man sagen kann: Wenn das der Mensch ist (es wird ge­zeichnet), so lebt in dem Menschen das Gewissen. Das Gewissen ist dasjenige, was er aus der geistigen Welt ins Erdenleben mit herein­gebracht hat. - Das Gewissen sagt in ihm: Das hättest du nicht tun sollen, und das hättest du nicht tun sollen. - Der irdische Mensch sagt: Das will ich tun, das wünsche ich. - Das Gewissen spricht an­ders, weil das Gewissen aus dem ewigen Menschen kommt. Und dann, wenn der Mensch den physischen Leib abgelegt hat, dann merkt er erst: Du bist ja selber das, was in deinem Gewissen immer gesprochen hat. Das hast du nur nicht bemerkt während der Zeit des Erden-lebens. Jetzt bist du durch den Tod gegangen. Jetzt bist du dein eigenes Gewissen geworden. Das Gewissen ist jetzt dein Leib. Früher

239

hast du kein Gewissen gehabt. Jetzt hast du dein Gewissen, mit dem lebst du nach dem Tode weiter.

Aber dem Gewissen muß man auch zuschreiben einen Willen. Sehen Sie, alle die Sachen, die ich Ihnen gesagt habe, die haben sich zugetragen. Die Griechen hatten vergessen das vorirdische Leben. Die Kirche hatte zum Dogma erhoben, daß man nicht glauben darf, daß es ein vorirdisches Leben gibt. Das Gewissen ist vollständig miß­verstanden worden. Das alles hatte sich erfüllt. Und nun hat es natürlich fortdauernd auch große Gelehrte gegeben. Aber diese gro­ßen Gelehrten im Mittelalter, die standen ja unter dem Eindrucke:

Ein vorirdisches Leben kann es nicht geben. Die Kirche verbietet, daran zu glauben.

In diesem Zwiespalt stand zum Beispiel ein solcher Mensch wie Thomas von Aquino, der von 1225-1274 gelebt hat. Der mußte sich als katholischer Priester dem anbequemen, was die katholische Kirche vorschreibt. Aber er war ein großer Denker. Und in bezug auf das, was ich Ihnen heute gesagt habe, mußte er also sagen: Wenn der Mensch stirbt, so hat er nur die Anschauung seines Erdenlebens, immer bis in alle Ewigkeit, niemals anders. Er schaut das an. - Was tut also Thomas von Aquino? Thomas von Aquino schreibt dem Menschen nur den Verstand zu für alle Ewigkeit, aber keinen Willen. Der Mensch muß das anschauen nach dem Tode, aber er kann nichts mehr daran ändern. Dadurch war Thomas von Aquino gerade einer der größten Aristoteliker des Mittelalters, daß er sagte: Wenn einer etwas Schlechtes getan hat auf Erden, muß er es ewig anschauen, wenn einer etwas Gutes getan hat, schaut er ewig das Gute an. -Also nur die Erkenntnis, nicht der Wille wurde der Seele zuge­schrieben.

Das entspricht eben nicht der Wahrheit. Der Wahrheit entspricht es, daß man zwar anschaut nach dem Tode, was man war im Guten und im Bösen, aber daß man den Willen, die ganze Seelenkraft bei­behält, um das zu ändern. So kommt es, daß man natürlich, wenn man sein Leben anschaut, sieht, wie es gewesen ist, dann in der gei­stigen Welt lebt und sieht, was hätte anders sein sollen. Dann kommt das von selber, daß man wieder herunter will, um das eine entsprechend

240

auszubessern. Natürlich kommen dann wieder Fehler, aber dann kommen immer die folgenden Leben, und der Mensch erreicht ein Ziel der vollständigen Menschenentwickelung.

Wozu Thomas von Aquino noch genötigt war im Mittelalter, nur an die Erkenntnis zu glauben, nicht an den Willen, daran haben nun die Menschen im neunzehnten Jahrhundert noch so gekrankt, wie dieser Smetana. Dem ist nun zuzuschreiben, daß dann im neunzehn­ten Jahrhundert andere Leute gekommen sind, die eine förmliche Wut gekriegt haben auf die Erkenntnis. Das stammte noch alles von dem Dogma der Höllenstrafe her; nur haben die Leute das nicht durchschaut. Schopenhauer zum Beispiel hat eine förmliche Wut ge­kriegt auf die Erkenntnis und hat nun dem Willen alles zugeschrie­ben. Ja, aber wenn man nun dem Willen wieder alles zuschreibt, dann ist dieser Wille zu dumm und töricht. Daher hat Schopenhauer dem dummen Willen die ganze Weltenschöpfung und alles zugeschrieben. Und diejenigen Menschen, die nachgedacht haben, kamen eben zu solchen furchtbaren inneren Konflikten, wie der Smetana in Prag ge­kommen ist. Solche gab es sehr viele; das ist nur ein ausgezeichnetes Beispiel, dessen Schwierigkeiten niedergeschrieben worden sind. Solche Menschen gab es viele.

Und so müssen wir uns klar sein darüber: Der Mensch hat sein Gewissen als seine Erbschaft von seinem vorirdischen Leben. Da spricht der Geist in dem Gewissen. Das, was wir vor dem Erden-menschen schon waren, das ist ins Fleisch eingetaucht und spricht im Gewissen. Und wenn wir den Leib abgelegt haben werden, dann wird die Seele im Gewissen nach dem Tode weiter sprechen, aber nicht ohnmächtig, sondern einen Willen haben und das ausbessern müssen, forttätig sein müssen.

Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen der Anthroposophie und zwischen alledem, was zum Beispiel heute in der christlichen Dogmatik enthalten ist. In der christlichen Dogmatik kennt man diese innere Kraft der menschlichen Seele, die da schaffen kann, nicht, sondern da stirbt der Mensch und kann nur ewig anschauen das, was er in dem einen Erdenleben gemacht hat, weil in dem einen Erden-leben die Seele mit dem Körper geboren wird. So daß man also,

241

wenn man schematisch darstellen will, sagen muß: Wenn das ein Erdenleben des Menschen ist (es wird gezeichnet), so beginnt das auch mit der Seele, und wenn der Mensch nun stirbt - da ist Geburt, da Tod -, dann dehnt sich sein Seelenleben in alle Ewigkeit aus. Ich will nicht mehr, weil das ja zu teuer ist, mit meiner Zeichnung noch auf die zweite Tafel gehen, ich müßte sogar noch eine dritte haben! In alle Ewigkeit dehnt sich das aus: nur die Erkenntnis, nur der Verstand, der also immer nur anschauen will in alle Ewigkeit die Schlechtigkeit des Erdenlebens, weil ja der Verstand mitgeboren ist mit dem Physischen des Erdenlebens. Der erste Materialist war eigentlich der, der dieses Dogma festgesetzt hat, war eigentlich Aristoteles schon.

Nun, Anthroposophie findet, daß es nicht nur das eine Erden-leben gebe, sondern auch die aufeinanderfolgenden Erdenleben. Der Mensch hat immer vom vorhergehenden Erdenleben etwas übrig-behalten, das er ja nicht genau kennt, das aber in ihm sitzt: das ist das Gewissen. Jetzt legt er den Leib ab, in seinem Gewissen lebt er weiter. Da ist nun im Grunde bis zur nächsten Geburt lauter Ge­wissen. Jetzt (auf die Zeichnung deutend) ist wieder Gewissen drin­nen als eine Stimme, die spricht. Jetzt lebt es in der Außenwelt, ist wiederum da. - Und der Mensch ist eigentlich selber derjenige, der immer seine neuen Leben auf der Erde schafft. Allerdings, darüber ärgert sich natürlich diejenige Lehre ganz besonders, die dem Men­schen gar nichts zuerkennen will, die alles nur so anschauen will, als wenn der Mensch ein Geschöpf wäre. Er ist nicht ein bloßes Ge­schöpf, sondern es sind Schöpferkräfte in ihm. Und das ist eben der Unterschied der Anthroposophie von den andern Anschauungen, daß die Anthroposophie durch ihr Forschen herausbringt: Ja, diese Schöp­ferkräfte sind im Menschen, der Mensch ist auch schöpferisch. Er ist nicht bloß geschaffen, sondern er ist schöpferisch. Und zu dem Allerschöpferischsten in ihm gehört eben das Gewissen, denn das ist dasjenige, was uns wie eine heilige Erbschaft aus dem vorirdischen Leben geblieben ist und was wir wieder hinaustragen, wenn wir durch den Tod gehen.

Das ist geradezu eben das, was die moderne Wissenschaft noch

242

immer von der Kirche hat, und gerade in diesem Gesichtspunkte sollte man wirklich ganz genau zuschauen. Denn die Sache ist ja so gegangen: Da herüber nach Rom, da kam immer nur dasjenige, was logisch auf der einen Seite und materialistisch auf der andern Seite war. Das haben dann die nordischen Völker angenommen. Aber in der deutschen Sprache ist manchmal auf einem ganz andern Weg noch ein Rest geblieben vom Alten, nur erkennt man es nicht wie­derum, das ist das Merkwürdige. Und darinnen erkennt man, wie der Mensch zusammenhängt mit den großen Ereignissen.

Wenn man heute diese Länder, die da oben in Asien liegen, an­schaut - Sibirien -, so sind das eigentlich Gegenden, die sehr wenig bevölkert sind, aber sie waren einmal stark bevölkert. Da waren die Flüsse dort viel, viel mächtiger. Sibirien ist ein Land, das nach und nach ausgetrocknet ist, sich gehoben hat, und die Menschen sind dann nach Westen gezogen, nach Europa herüber. Das ist durch die Hebung von Sibirien entstanden. Und auf diese Weise sind viele Vorstellungen, die da in Asien waren, auf einem andern Weg nach Europa hereingekommen, und diese Vorstellungen, die leben in den europäischen Völkern weiter fort. Daher muß man sagen: Je weiter man nach Westen kommt, desto weniger ist diese Vorstellung vom Gewissen vorhanden. - Aber gerade das Wort Gewissen, das zeigt eben, daß man unter den Leuten, die das Wort Gewissen bildeten, ein Gefühl hatte: Da steckt etwas im Menschen. - Und was bedeutet eigentlich das Wort Gewissen? Was die Sache bedeutet, haben wir gerade gesagt: Es ist die Erbschaft von dem, was vorirdisches Leben ist, was im Menschentum drinnen bleibt. Aber das Wort Gewissen, was bedeutet es? Nicht wahr, wenn man das Erdenleben betrachtet und sich sagt: Die Ereignisse, die in zwei, drei Jahren sein werden, die sind unsicher, ungewiß, aber daß der Mensch in sich einen Geist hat, der vor seinem Erdendasein da war und der nach seinem Erden-dasein bleibt, das ist gewiß. - Und mit dem Gewißsein hängt eben das Wort Gewissen auch zusammen, und es ist das Allergewisseste, was es geben kann. So daß also in dem Worte Gewissen schon hinge-deutet ist auf dasjenige, was ewig ist im Menschen. Es ist sehr be­deutsam, daß Gewissen etwas anderes als Inhalt enthält, als zum

243

Beispiel Conscience oder etwas ähnliches in den westlichen Seelen. Conscience ist dasjenige, was «zusammengewußt» wird auf der Erde

- con-, conscience -, was sich zusammenballt aus dem Erdenwissen. Dasjenige, was aber als Gewissen im Menschen lebt und mit dem Wort Gewissen bezeichnet wird, das ist das Gewisseste, was es geben kann, was nicht unbestimmt, was ganz sicher ist. Und ganz sicher ist, daß der Mensch auf Erden nicht nur an ein Leben nach dem Tode glaubt - eine Ansicht, wie sie der Aristoteles und die Kirchengläubi-gen hatten -, sondern auch einen Willen entwickelt, es immer besser und besser zu gestalten, die Erde immer wieder und wiederum aus dem Geist besser und besser zu gestalten, daß also der Wille ebenso lebt nach dem Tode, wie die Erkenntnis lebt. Bei Thomas von Aquino hat nur die Erkenntnis bloß gelebt. Jetzt müssen wir uns klar sein, daß der Wille lebt.

Sehen Sie, es ist schon so: Man braucht in der Tat durchaus nicht jemanden, der vor Jahrhunderten zu seiner Zeit ein großer Gelehrter war, wie Thomas von Aquino im dreizehnten Jahrhundert, herunter-zusetzen, weil er in der damaligen Zeit dieses gelehrt hat. Aber es ist etwas anderes, wenn der Thomas von Aquino dasjenige, was man im dreizehnten Jahrhundert einzig und allein lehren konnte, damals ge­lehrt hat, als wenn man heute, wie es gerade jetzt wiederum ge­schieht in Paris, eine Thomas-Gesellschaft gründet, um dasselbe zu lehren, wie man es damals gelehrt hat, geradeso wie eben Leo XIII. für alle Priester und Gelehrten der katholischen Kirche geboten hat im neunzehnten Jahrhundert, nur dasjenige zu sagen, was derThomas von Aquino im dreizehnten Jahrhundert gelehrt hat. Heute würde ja der Thomas das auch nicht mehr sagen! Und diese zwei Dinge stehen sich in der Welt gegenüber, so etwas wie in Paris eine Thomas-Ge­sellschaft, die die Menschen wiederum zurückführen will, und die Anthroposophie, die das Gegenwärtige lehrt, dasjenige, was ein ge­genwärtiger Mensch ist. Und vor allen Dingen ist es wichtig, wenn man so etwas wie das Gewissen betrachtet, daß einen das stößt auf das Ewige im Menschen. Aber das Ewige, man kann es nicht richtig verstehen, wenn man nicht auch hinsieht auf das vorirdische Leben, wenn man bloß auf dasjenige hinsieht, was eigentlich erst seit der

244

Ägypterzeit als das nachirdische Leben, als die sogenannte Unsterb­lichkeit entstanden ist.

Sehen Sie, da haben die Menschen erst vor drei, vier Jahrtausenden angefangen zu reden davon, daß sie unsterblich sind, daß sie also nicht mit der Seele sterben, wie der Leib stirbt. Vorher aber haben die Leute gesagt, sie seien auch nicht geboren als Seele, wie der Leib geboren wird. Sie hatten eine Wortbedeutung gehabt, die wir heute Ungeborenheit nennen müßten. Das war die eine Seite. Und die Un­sterblichkeit ist die andere Seite. Nicht einmal die Sprachen haben heute mehr ein anderes Wort als Unsterblichkeit! Das Wort Unge­borenheit, das muß wiederum aufkommen. Dann wird man sagen:

Das Gewissen ist dasjenige im Menschen, was nicht geboren ist und nicht stirbt. - Dann wird man erst das Gewissen richtig schätzen können. Denn das Gewissen hat nur eine Bedeutung für den Men­schen, wenn man es richtig schätzen kann.

Nun, am Sonnabend dann, meine Herren, um neun Uhr weiter.

245

VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 28. Juli 1923

Nun, meine Herren, ist Ihnen noch eine Frage eingefallen? - Wenn nicht, dann möchte ich Ihnen noch etwas, was sich an das Vorige anschließt, vorbringen, damit Sie sehen, wie man von allen Seiten sozusagen die Beweise finden kann dafür, daß der menschliche phy­sische Organismus, der menschliche physische Körper also, durchsetzt wird vom Seelischen. Wir wollen heute einmal den Blutlauf im Menschen von einem gewissen Gesichtspunkte aus betrachten. Sie wissen ja, der menschliche Körper wird durchflossen von dem Blut, das in den Adern ist. Das Blut geht von der Lunge, in der Blutadern sind und wo es bei der Atmung den Sauerstoff aufnimmt, ins Herz, vom Herzen bis zu dem ganzen übrigen Körper, ist während der gan­zen Zeit rot, wird, indem es durch den Körper geht, bläulich gefärbt, geht dann wiederum zum Herzen und zur Lunge zurück als blaues Blut, wird wiederum durch den Sauerstoff rot gemacht, und so geht das Blut in einem Kreislauf, wie man sagen könnte, durch den ganzen Körper.

Wir wollen uns einmal daran halten, daß das Blut den Körper durchkreist, durchfließt. Machen wir uns jetzt einen sehr einfachen Kreislauf einer Flüssigkeit anschaulich. Denken Sie sich einmal, wir hätten eine runde Röhre (es wird gezeichnet). In diese runde Röhre geben wir, damit das möglichst deutlich ist, eine rote Flüssigkeit. Die Röhre wäre ganz rund. Natürlich, wenn wir eine solche äußerliche Röhre haben, dann müssen Sie irgendwo, wenn wir diese Flüssigkeit in Bewegung bringen wollen, eine Art Pumpe haben. Denken wir uns also, wir hätten hier irgendeine Pumpe, wodurch wir die rote Flüssigkeit in Bewegung bringen. Wenn ich da oben offen lasse, so wird natürlich die Flüssigkeit herausspritzen. Ich will das aber nicht, sondern ich werde da oben eine Röhre ansetzen. Und jetzt werde ich diese Flüssigkeit in Bewegung setzen, so daß sie so herumstrudelt, daß sie fortwährend herumgeht. Das kann man sich doch vorstellen, nicht wahr? Die Flüssigkeit wird herumgetrieben. Nun denken Sie sich:

246

Wenn die Flüssigkeit hier durch eine Pumpe herumgetrieben wird, dann wird an der Stelle hier etwas Flüssigkeit in dieHöhe gehen. Aber wenn wir es herumtreiben, ist es nur eben ein bißchen. Wenn ich eine starke Kraft in die Pumpe gebe, so wird die Flüssigkeit etwas weiter in die Höhe gehen, wenn ich nur schwach drücke, wird sie weniger stark in die Höhe gehen. Ich kann also an dieser Höhe der Flüssig­keit den Druck messen, der in dieser strudelnden Flüssigkeit ist.

#Bild s. 246

Sehen Sie, etwas Ähnliches kann ich mit dem menschlichen Blut machen. Wenn ich irgendwo in eine Ader solch ein Röhrchen ein-setze, so fließt das Blut ein Stückchen hoch. Denken Sie sich, ich hätte irgendeine Schlagader, zum Beispiel im Arm, an der ich hier ein ampullenartiges Röhrchen ansetze, so fließt mir von der Ader ein Stückchen weit das Blut in das Röhrchen herein. Dieses Röhrchen ist nun auch so, daß es, je nachdem der Mensch ist, entweder höheren oder tieferen Blutstand hat. Es gibt Menschen, bei denen dieses Blut in dem Röhrchen sehr hoch geht, bei anderen geht es weniger hoch. Daraus folgt also, daß die Menschen einen verschiedenen Blutdruck haben, denn das ist der Druck, der ausgeübt wird, der sich in dem Röhrchen zeigt. Also nicht wahr, wenn das Blut auf die Adern stär­ker drückt, so steigt das Blut in dem Röhrchen höher, wenn es schwä­cher drückt, steigt es weniger hoch.

Die Materialisten stellen sich nun vor, daß der Mensch auch solch eine Pumpe brauche, damit das Blut kreist. Aber das, was ich Ihnen

247

aufgezeichnet habe, ist ja nur ein äußeres Instrument. In Wahrheit hat der Mensch nirgends in seinem Leibe eine solche Pumpe, und das Herz ist auch keine Pumpe. Der Mensch hat keine Pumpe, sondern das Blut bewegt sich durch etwas ganz anderes. Das wollen wir uns heute klarmachen. Aber wir wollen uns zunächst klarmachen, daß diese Blutsäule, durch die wir den Blutdruck messen, verschieden hoch ist. Bei einem gesunden Menschen hat sie stets eine bestimmte Höhe, sagen wir meinetwillen, zwischen dreißig und fünfzig Jahren ist bei einem gesunden Menschen diese Flüssigkeit ungefähr 120 bis 140 mm hoch. Wenn diese Flüssigkeitssäule bei einem solchen an­gesetzten Instrument - man kann das ein Manometer nennen - zum Beispiel nur 110 mm hoch ist, dann ist der Mensch krank. Wenn es 160 mm wären, so wäre der Mensch auch krank. Wenn es 160 mm sind, hat er einen zu starken Blutdruck; dann drückt das Blut in seinem Körper zu stark. Sind es nur 110 mm, so hat er einen zu schwachen Blutdruck, dann drückt das Blut zu schwach. Sie sehen also daraus, daß wir in unserm Körper immer einen bestimmten Blutdruck brauchen. Das Blut muß in einer bestimmten Stärke drük­ken. Wir sind also ganz ausgefüllt mit unserm Blutdruck. Besteigen wir einen recht hohen Berg, dann wird ja die Luft, die außen ist, dünner, und weil die äußere Luft dünner wird, wird der Druck von innen sehr stark. Dann spritzt uns das Blut durch die Poren heraus. Das ist die Bergkrankheit. Sie sehen also, wir müssen in der Welt mit einem ganz bestimmten Blutdruck herumgehen.

Schauen wir uns zunächst einmal Menschen an, welche einen zu schwachen Blutdruck haben. Menschen, die einen zu schwachen Blutdruck haben, die werden außerordentlich schwach, müde, blaß, und es leidet sehr stark ihre Verdauung. Solche Menschen werden innerlich matt und bringen nicht recht die körperlichen Funktionen zustande, und dadurch verfallen sie allmählich. Also ein zu schwacher Blutdruck, der macht den Menschen müde und schwach und krank.

Jetzt schauen wir uns Menschen an, die einen zu starken Blutdruck haben. Da treten manchmal ganz eigentümliche Erscheinungen auf. Sehen Sie, wenn man eine solche Sache, die man also in die Haut hineinschiebt - es muß spitz sein hier vorne -, wenn man das ansetzt

248

und man bekommt einen zu starken Blutdruck, dann kann man sicher sein, daß nach und nach bei einem solchen Menschen, der einen zu starken Blutdruck hat, die Nieren untauglich werden. Die Nieren fangen an, ihre Gefäße, das heißt also ihre Adern, alles das, was in den Nieren ist, so zu bilden, wie es nicht sein soll. Sie setzen Kalk an, sie werden wulstig, sie entarten, wie man sagt. Sie haben nicht mehr diejenige Form, die sie eigentlich haben sollen. So daß, wenn man Nieren von solchen Menschen, die einen zu starken Blutdruck hatten, nach dem Tod ausschneidet, diese Niere wie eine ganz ver­kommene Niere ausschaut.

Nun frägt sich: Woher kommt denn dies alles? - Gerade dieser Zusammenhang zwischen dem Blutdruck und der Nierenerkrankung, der ist dem materialistisch denkenden Menschen ganz unklar. Man muß sich darüber klar sein: In dem Druck, den wir in uns haben, in diesem Blutdruck lebt gerade unser astralischer Leib, von dem ich Ihnen erzählt habe als dem übersinnlichen Leib des Menschen. Es ist gar nicht wahr, daß der astralische Leib in irgendeiner Substanz, in irgendeinem Stoff lebt, sondern er lebt in einer Kraft, in dem Blutdruck, und der astralische Leib ist gesund, wenn wir den richti­gen Blutdruck haben, also im mittleren Lebensalter 120 bis 140 mm. Wenn wir den richtigen Blutdruck haben, dann kommt beim Auf­wachen unser astralischer Leib in unseren physischen Leib hinein und befindet sich wohl. Er kann nach allen Seiten hin sich ausbreiten. Tst also der richtige Blutdruck im Körper da, zirka 120 mm, dann breitet sich der astralische Leib in dem Blutdruck richtig aus, dann kann der astralische Leib beim Aufwachen in alle Teile des physi­schen Körpers hinein. Und während wir wach sind, ist bei diesem sogenannten normalen Blutdruck der ganze astralische Leib überall ausgebreitet.

Sehen Sie, der astralische Leib, der macht es nun, daß unsere Organe immer die richtige Form, die richtige Gestalt haben. Wenn wir immer schlafen würden, also der astralische Leib immer draußen wäre, wie er im Schlafe ist, dann würden unsere Organe sehr bald verfetten. Wir würden nicht richtige Organe haben. Wir brauchen den Astralleib, daß er den Atherleib anregt, damit wir die Organe

249

immer in der richtigen Gestalt haben. Es muß also immer der astra­lische Leib den richtigen Blutdruck finden, damit er sich ausbreiten kann.

Nehmen wir einmal an, in einem Zimmer, in das der Mensch hin-eingeht, wäre nicht Luft, sondern da wäre Kohlensäure. Da würde der Mensch, wenn er hereinkommt, umfallen, er würde nicht atmen können. In einem solchen Körper, wo nicht der richtige Blutdruck ist, kann der astralische Leib und das Ich nicht leben. Die müssen beim Einschlafen immer wieder heraus. Nehmen wir an, es ist zu wenig Blutdruck. Wenn zu wenig Blutdruck ist, dann geht der astra­lische Leib beim Aufwachen nicht ordentlich in den physischen Leib hinein. Dann ist wenig astralische Tätigkeit darinnen; dann fühlt der Mensch in seinem Körper so etwas wie eine fortwährende kleine Ohnmacht. Also bei zu geringem Blutdruck fühlt der Mensch immer etwas wie eine kleine Ohnmacht, und infolgedessen wird er schwach und seine Organe können nicht in der richtigen Weise gebildet wer­den, denn die müssen ja immer neu gebildet werden. Ich habe Ihnen gesagt: Alle sieben Jahre müssen die Organe neu gebildet werden. -Da muß der astralische Leib immer tätig sein können.

Nehmen wir an, der Blutdruck ist zu stark. Ja, wenn der Blut­druck zu stark ist, was geschieht denn dann? Sehen Sie, ich habe Ihnen einmal gesagt, wenn die Luft eine andere Mischung hätte von Sauerstoff und Stickstoff, dann würde es mit unserm Leben schlecht gehen. In der Luft sind 79 o/o Stickstoff, und der Rest ist im wesent­lichen Sauerstoff. Es ist also wenig Sauerstoff in der Luft. Wenn mehr Sauerstoff in der Luft wäre, so würden wir schon mit zwanzig Jahren alte Leute sein. Wir würden schnell altern. So hängt es auch vom astralischen Leib ab, ob der physische Leib früh oder spät alt wird. Wenn der Blutdruck zu stark ist, so gefällt es dem Astralleib in dem physischen Leib drinnen. Das ist gerade sein Element, der Blutdruck. Da setzt er sich ganz tief hinein. Und was ist die Folge? Die Folge ist, daß wir mit dreißig Jahren schon solche Nieren ha­ben, wie wir sie eigentlich erst mit siebzig Jahren haben sollten. Wir leben dann durch den starken Blutdruck zu schnell. Wir bekommen, weil die Nieren solche empfindlichen Organe sind, früh solche ent­arteten

250

Nieren. Die Sache mit dem Altwerden besteht ja darinnen, daß man immer mehr und mehr die Organe verkalkt. Nun, wenn der Blutdruck zu stark ist, dann verkalken die empfindlichen Or­gane zu früh, und eine solche Nierenerkrankung, wie sie bei zu starkem Blutdruck auftritt, die ist eigentlich ein Zeichen dafür, daß der Mensch zu früh alt geworden ist, daß er also diese empfindlichen Nieren schon in seiner Jugend so gemacht hat, wie sie eigentlich im Alter erst sein sollen.

Diese ganze Erklärung, die ich Ihnen gegeben habe, die zeigt Ihnen, daß der Mensch in seinem physischen Leibe eben so etwas hat wie ein Seelisches, das ich den astralischen Leib nenne, das in der Nacht herausgeht. Und so kann man auch sagen: Der Mensch lebt in den Kräften, die sich in seinem Körper entwickeln. In den Kräften drinnen lebt er, nicht in der Substanz, nicht im Stoff.

Man kann daher überall sehen, wie solch einer Erscheinung gegen­über, wie ich sie Ihnen jetzt erklärt habe, die materialistische Wissen­schaft ganz ohnmächtig ist. Die kommt nicht auf das, um was es sich handelt. Überall finden Sie in den Büchern: Es ist bei einem starken Blutdruck immer zu fürchten, daß bei dem betreffenden Menschen eine Nierenkrankheit da ist. Aber wie das eigentlich zu­sammenhängt - so steht es in den Büchern -, das können wir uns nicht erklären. - In Wirklichkeit heißt das aber gar nichts anderes als: Wir wollen nicht, daß da etwas Übersinnliches, etwas Geistiges, etwas Seelisches im Menschen drinnen ist. Das wollen wir nicht.

Aber ohne das kann man eben die Dinge nicht erklären. Und das ist es, was eigentlich macht, daß die Menschen heute im Grunde ge­nommen vor der ganzen Welt so dastehen, daß sie nicht aus und ein wissen. Denn tatsächlich, die äußeren Dinge, die heute auftreten, das überhandnehmende Elend in der Welt, das in der nächsten Zeit viel, viel stärker werden wird, weil die Menschen durchaus nicht mit ihren Gedanken irgend etwas Geistiges aufnehmen wollen - denn zuerst muß man die Sache wissen -, dieses Elend rührt eben davon her, daß man sich eben nicht einlassen will darauf, irgend etwas über die Wirklichkeit zu wissen. Und man kann über die Wirklich­keit nichts wissen, wenn man nicht eingeht auf das Geistige. Es ist

251

ja so geworden im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts, daß eigent­lich die Menschen nur in den äußeren Dingen unterrichtet worden sind. Daß sie etwas begriffen hätten von einem Seelischen, von einem Geistigen, darauf ist überhaupt nicht mehr gesehen worden. Und so gehen die Menschen heute herum und haben eigentlich gar keine Ahnung davon, wie das Geistige und Seelische doch eben in der Welt da ist.

Sehen Sie, dadurch ist etwas ganz außerordentlich Wichtiges ge­schehen. Wenn einmal viel Zeit verflossen sein wird und die Men­schen sich dann durch die Gewalt der Umstände durchgerungen haben werden, die Sachen wiederum geistig anzusehen, dann werden diese Menschen in der Zukunft sagen: Ja, im Anfang des zwanzig­sten Jahrhunderts hat sich etwas ungeheuer Wichtiges in der Menschheitsgeschichte abgespielt. - Alles dasjenige, was man heute erzählen kann von alten Kriegen, das ist ja nichts gegen das­jenige, was sich eigentlich unter uns abgespielt hat. Es ist manchmal ganz unglaublich, wie die Menschen gar nicht dar­auf kommen, daß alle diese Kriege, die in den Geschichtsbüchern stehen, gegen dasjenige, was sich vom Jahre 1914 bis heute abgespielt hat, eigentlich Kleinigkeiten sind. Es ist das gar nichts Großes, was sich in der Geschichte abgespielt hat, gegenüber dem, was sich in der Zeit, in der wir leben, unter den Menschen abgespielt hat. Und sehen Sie, da muß man, um einsehen zu können, um was es sich da handelt, tief hineinschauen in das, was wirklich ist. Das tun aber heute die Menschen nicht.

Ich habe Sie zum Beispiel aufmerksam darauf gemacht, daß ja erst zu einer bestimmten Zeit die Kartoffel nach Europa gekommen ist. Ja, wenn Sie heute fragen, was essen die Leute am meisten? Kartof­feln! Und wenn Sie irgendwo sehen, daß der Hunger anfängt, da denkt man zuerst nach, wie man zu Kartoffeln komme. Heute ist es so, daß tatsächlich die Menschen die Kartoffeln hinnehmen, als wenn sie immer dagewesen wären. Ja, wenn Sie vor fünf Jahrhunderten gelebt hätten, da hätten Sie in Europa überhaupt keine Kartoffeln gegessen, denn da gab es noch keine! Da hätten Sie etwas ganz an­deres gegessen. Wenn man aber weiß, daß alles vom Geistigen abhängt,

252

dann weiß man auch, daß das Kartoffelessen oder Nicht­Kartoffelessen vom Geistigen abhängt. Und so wie es mit der Kar­toffel ist, ist es mit vielen anderen Sachen. Es hat sich eben so furcht­bar viel geändert in den letzten Jahrhunderten in der Menschheits­geschichte, und all das Herumreden in Theorien, das hat alles gar keinen Wert. Denn man kann noch so schöne Theorien aufstellen:

Rousseausche Theorien, Marxistische Theorien, Leninsche Theorien, was man will, das sind ja alles ausgedachte Gedanken, mit denen man nichts machen kann, wenn man nichts weiß. Gedanken haben ja nur einen Wert, wenn man etwas mit diesen Gedanken anzufangen weiß. Alle diese Herrschaften, die diese schönen Gedanken aufge­stellt haben, waren ja in Wirklichkeit durch und durch unwissend. Und das ist das Merkmal der gegenwärtigen Zeit, daß die Menschen eigentlich durch und durch unwissend sind. Sie wollen den Leuten Theorien aufstellen, wie die Erde als ein Paradies eingerichtet wird, und wissen nicht einmal, wie der menschliche Körper wird, wenn der Mensch Kartoffeln ißt. Das ist dasjenige, was einem heute so furcht­bar am Herzen liegt, daß die Menschen gar nicht Verlangen danach tragen, etwas zu wissen. Natürlich, die große Masse kann das nicht, weil der großen Masse eingeredet wird: Dasjenige, was die Herren wissen an den Universitäten, das ist schon das Rechte. - Und da gründen sie dann Volkshochschulen und wollen heute auch das wissen, was die anderen wissen. Aber gerade diejenigen, die etwas wissen sollten, die sich dem Wissen vom Beruf aus widmen, die wissen eben in Wirklichkeit gar nichts. Und daher kommt es, daß heute von allem möglichen geredet wird, aber daß eigentlich im Grunde ge­nommen gar nichts gewußt wird.

Nun, die Kartoffel ist es natürlich nicht allein, es sind viele andere Umstände, aber ich führe nur die Kartoffel an, weil es ein ganz krasses Beispiel ist. Es ist eben furchtbar viel vorgegangen in den letzten Jahrhunderten, was alles nun, ich möchte sagen, wie eine Art Entladung gekommen ist im Anfang des zwanzigsten Jahrhun­derts, so daß ungeheuer viel vorgegangen ist. Und wir wollen heute auf etwas hinweisen, was da vorgegangen ist, was außerordentlich bedeutsam ist.

253

Ich werde Sie da auf etwas hinweisen, worüber Sie vielleicht zu­nächst lachen werden, aber die Geschichte ist doch ganz ernst. Nicht wahr, wenn heute ein junger Dachs an die Universität oder an eine sonstige Hochschule geht, dann wird er ins Laboratorium geführt. Dann muß er da lernen - er faulenzt auch viel dazwischen -, aber nicht wahr, er muß lernen, weil er dann geprüft wird. Sie können sich ja ungefähr denken, wie das vor sich geht. Wenn wir aber zu­rückgehen zu denjenigen Menschen, die ich Ihnen das letzte Mal ge­schildert habe, sagen wir, zu den uralten Indern - Sie erinnern sich, was ich Ihnen da aufgezeichnet habe, Asien -, da sind diese jungen Dachse, die gelehrt werden sollten, nicht ins Laboratorium geführt worden oder in die Klinik, sondern denen ist aufgetragen wor­den, sie müssen vor allen Dingen geduldig ihr Inneres prüfen. Da mußten sie sich niedersetzen, die Beine übereinander kreuzen, mit dem Blick immer auf ihre Nasenspitze sehen, nicht hinaussehen in die Welt, immer auf die Nasenspitze sehen. Nun, meine Herren, was war dadurch eingetreten? Das war natürlich schon in der Zeit, in der die Sache im Verfall war. Aber solche Menschen gibt es sogar heute noch in Europa; die wollen innerlich besonders gescheit werden und machen das nach. Dadurch kommt man heute zu gar nichts. Aber diese alten Menschen, die haben eben einmal dieses gemacht. Sie haben sich dadurch abgeschlossen von der ganzen Außenwelt, denn, nicht wahr, an der Nasenspitze des Menschen sieht man nicht besonders viel. Da übt man nur das Mitschauen der Augen, wenn man immer auf die Nasenspitze sieht. Und wenn man nicht geht, sondern die Beine ganz entlastet, dann hat man auch nicht die Schwere in sich. Also diese Menschen haben die Schwere ausge­schaltet, alle Sinneseindrücke ausgeschaltet, haben die Ohren sich fest zugestopft und haben sich ganz ihrem eigenen Körper hingege­ben. Das war der Sinn: nicht, auf ihre Nasenspitze hinzuschauen, denn die ist ja nicht so furchtbar interessant, sondern sich abzu­schließen von der Außenwelt. Dadurch aber sind sie in ein ganz an­deres Atmen gekommen. Was anders gewesen ist bei diesen Men­schen, das ist das Atmen gewesen, die Lunge. Dadurch aber, daß diese Menschen ihre Lunge durch eine solche Prozedur in besondere

254

Tätigkeit gebracht haben, dadurch sind ihnen innerlich Bilder auf-gestiegen. Dadurch haben sie tatsächlich ein bestimmtes Bild bekom­men und haben dann den Leuten erzählen können, wie die Sachen eigentlich sind. Die Leute haben schon gewußt, was zum Beispiel mit der Pflanze geschieht, wie ich es Ihnen erzählt habe, dadurch, daß sie diese Prozedur gemacht haben. Heute würden sich die jungen Dachse auf der Universität bedanken, wenn sie da so an der Wand entlang gesetzt würden und immer so ihre Nasenspitze ansehen sollten. Heute würde man das für einen Unsinn ansehen. Aber nicht wahr, ob ich außerhalb Experimente mache oder am Menschen Ex­perimente mache, das gibt ja nur den Unterschied, daß ich, wenn ich im Laboratorium Experimente mache, die Materie kennenlerne; wenn ich am Menschen Experimente mache, lerne ich den Menschen ken­nen. Den Menschen haben schon diese alten Leute besser gekannt, als ihn die heutigen kennen. Aber worauf haben sie ganz besonders ge­drungen, diese Leute? Darauf, daß ihre Lunge in eine andere Tätig­keit kommt, als sie sonst im Leben ist. Dieses war ihnen nur ein Mit­tel, um die Lunge in eine besondere Tätigkeit zu bringen. Und die Lunge, die hat dann wiederum das Gehirn angeregt. So daß eigent­lich die Lunge in diesen alten Zeiten dasjenige war, wovon all das schöne Wissen der Urweisheit gekommen ist.

Man kann schon sagen: Wenn da im Menschen die Lunge drinnen ist (es wird gezeichnet), zwischen der Lunge ist dann das Herz, dann ist in diesen alten Zeiten das Wissen von der Lunge in den Kopf hinaufgegangen. Das ist ja das Geheimnis des Wissens, daß der Kopf des Menschen eigentlich gar nichts machen kann. Der Kopf weiß eigentlich nicht viel von der Welt, er weiß nur das Innere. \Venn wir bloß den Kopf hätten und nicht Augen und nicht Ohren, son­dern bloß einen allseitig geschlossenen Kopf hätten, dann wüßten wir von uns sehr viel, aber nichts von der Außenwelt. Und das Wich­tmgste, was von der Außenwelt in uns hineinkommt, ist die Luft. Die Luft regt nun auch den Kopf an, schon durch unsere Nase, aber ganz dünn geht sie auch durch unsere Augen, durch unsere Ohren, überall herein. Die Luft, die den Kopf in Bewegung setzt, geht über­all herein. So daß mnan sagen kann: Geht man ganz, ganz weit zurück

255

#Bild s. 255

in diese Jahrtausende, von denen ich Ihnen das letzte Mal erzählt habe, sechstausend, achttausend Jahre, dann haben die Men­schen sogar ihr Atmen geübt, um zu einem Wissen zu kommen. Sie haben gewußt, sie müssen die Luft in einer andern Weise in den Kopf hineinpressen, dann bekommen sie ein Wissen.

Heute weiß der Mensch bloß soviel: Wenn er die Luft aufschnappt, so belebt sie. - Aber diese alten Leute haben gewußt: Wenn sie die Luft in einer besonderen Weise einsaugten, wenn sie die Nasenspitze anschauten, dann wurden die Nasenmuskeln gepreßt, die Luft wurde in einer ganz andern Weise eingesogen, und dann ging im Kopf das Wissen auf.

Aber sehen Sie, so ist es geblieben bis ins Mittelalter hinein, ja bis in die neueste Zeit. Die Menschen haben dann vierhundert Jahre nach Christi Geburt aufgehört, irgend etwas zu wissen. Das Wissen ist verschwunden. Aber sie haben noch in den Büchern Erinnerungen gehabt. Das ist eben der Unterschied zwischen den alten Zeiten und den Zeiten, die etwa im achten, neunten Jahrhundert vor Christi Geburt anfangen: In alten Zeiten, da haben die Menschen Köpfe ge­habt zum Wissen, und in späteren Zeiten haben sie Bücher gehabt zum Wissen. - Das ist schon der Unterschied. Wissen Sie, die alten Lehranstalten, die man Mysterien genannt hat, die haben nichts dar­auf gegeben, daß alles Wissen niedergeschrieben wird, sondern die haben die Menschen so ausgebildet, daß die Menschen in ihrem Kopf haben lesen können. Was draußen im weiten Luftraum ist, das hat

256

der Mensch in seinem Kopf gelesen, wenn er ein richtiger Gelehrter gewesen ist. Sein Kopf war ein richtiges Buch, könnte man sagen, aber natürlich nicht in demselben Sinne, wie man es heute beim Blaustrumpf sagt, sondern der Kopf war durch das Atmen zu dem Buch geworden, woraus man Weisheit entnehmen konnte.

Dann kamen die Zeiten, wo eben die Köpfe der Menschen nichts mehr wert waren. Die Menschen trugen sie zwar noch, aber sie wa­ren leer, und alles wurde aufgeschrieben. Da waren ja einige Jahr­hunderte vor und auch zur Zeit von Christi Geburt noch sehr, sehr viele niedergeschriebene Sachen da von der alten Weisheit. Diese Dinge sind von der Kirche verbrannt worden, denn man wollte ja nicht, daß diese alte Weisheit, die die Menschen aus dem Kopf ge­schöpft haben, noch irgendwie auf die Nachkommen komme. Sehen Sie, diese alte Weisheit wurde eigentlich von der Kirche furchtbar gehaßt, sie wurde ausgerottet. Die Anthroposophie, die will wieder­um dem Menschen den Kopf geben, damit er nicht bloß ein leeres Gefäß ist. Aber das ist etwas, was eigentlich die Kirche furchtbar haßt. Nun, das sehen Sie ja, daß sie es nicht gerade gern hat! Es soll wiederum der Mensch selber in die Lage kommen, etwas zu wissen, was Sie heute überhaupt nicht in Büchern finden können, weil das alte Wissen ja verschwunden ist und verbrannt worden ist, und das neue, was die Leute in die Bücher geschrieben haben, das ist ja nur über Äußerlichkeiten.

Nun, das Ganze, was die Menschen gedacht haben bis ins neun­zehnte Jahrhundert herein, ist eigentlich nur die Erbschaft der alten Zeit. Es ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, angeregt von der Lunge. Lungen-Wissen könnte man sagen. Der Kopf ist angeregt von der Lunge, von der Atmung: Lungen-Wissen.

Im neunzehnten Jahrhundert hat man ja große naturwissenschaft­liche Entdeckungen gemacht, aber keine Gedanken gefunden. Die Gedanken sind alle von alten Zeiten genommen worden. Gedanken hat es tatsächlich nur in alten Zeiten der Menschheit gegeben. Das neunzehnte Jahrhundert hat große äußere Entdeckungen gemacht, aber gedacht hat es nur mit den alten Gedanken. Das war also noch das alte Lungen-Wissen. Und es nimmt sich ja sehr spaßig aus, daß

257

man sagen könnte: Ja, du moderner Gelehrter, du verachtest den alten Inder, der sich hinsetzt, die Beine übereinanderspreizt und auf seine Nasenspitze schaut, um Gedanken über das Innere zu kriegen. Das tust du nicht mehr. Aber seine Gedanken, die aufgeschrieben worden sind, die benützest du, um die Röntgenstrahlen zu finden und so weiter! - Das ist auch so, daß man mit den alten Gedanken das alles gefunden hat.

Im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts ist aber nun die Lunge des Menschen gänzlich unfähig geworden, dem Kopf noch etwas zu geben. Die Lunge des Menschen hat überhaupt im neunzehnten Jahr-hundert eiüe große Veränderung durchgemacht, und vieh wichtiger als die Lunge ist im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts wirklich das geworden, was man die Nieren nennt, diejenigen Organe, die zu­nächst mit der Herztätigkeit stark zusammenhängen. Es ist von der Lunge auf die Organe, die mehr nach unten liegen, die Anregung übergegangen beim Menschen, und dadurch ist die Menschheit in eine so riesige Verwirrung gekommen.

Sehen Sie, auf die Lunge achtet gewissermaßen noch die geistige Welt. Als die Menschen Lungen-Wissen gehabt haben, da atmeten sie die Luft ein und bekamen durch die Luftatmung selber Anregung für das Wissen. Heute sind die Menschen angewiesen darauf, ihr Wissen durch die Anregung der Nieren zu haben. Aber die Nieren geben selbständig dem Kopf nichts. Da muß man sich erst anstrengen, so wie ich es Ihnen beschrieben habe in «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?». Da muß man erst sagen: Ja, als die Men­schen noch von den Lungen die Anregung hatten für ihren Kopf, da konnten sie zu einem Wissen gelangen, weil in die Lungen noch Gei­stiges einströmt. In die Nieren strömt Geistiges nur unbewußt ein, so daß die Menschen nichts davon wissen können, wenn sie nicht mit vollem Bewußtsein solche geistigen Dinge durchmachen, wie ich sie beschrieben habe in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?».

Was geschieht, wenn die Menschen sich nicht bequemen wollen, solche Dinge durchzumachen? Ja, dann bleibt die Lunge so, daß sie keine Anregung gibt, und die Menschen sind ganz abhängig für das,

258

was sie wissen, nur von ihrem Bauch, von den Nieren. Und so ist gerade im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts, in der Zeit, in der wir leben, der Übergang vom Lungen-Wissen zum Nieren-Wissen eingetreten. Das Lungen-Wissen hatte noch eine Geistigkeit. Das Nieren-Wissen hat keine Geistigkeit für den Menschen, wenn man ihm keine Geistigkeit gibt.

Es ist also mit dem Menschen eine riesige Veränderung vor sich gegangen. Diese Veränderung ist in den zwei Jahrzehnten vor sich gegangen, die wir durchlebt haben. So etwas Wichtiges hat sich ja in der Menschennatur noch gar nicht ereignet, daß der ganze Er­kenntnisapparat hinuntergerutscht ist von der Lunge in die Niere. Und weil er in den Nieren nichts gefunden hat, der astralische Leib, ist heute eine Verwirrung, eine materialistische Verwirrung in allen Köpfen eingetreten.

Was würde man also sagen, wenn man wirklich der Wirklichkeit gemäß schildern wollte, warum es im zwanzigsten Jahrhundert so viele Leute gegeben hat, die sich nicht auskannten in der Welt, die gar nicht wußten was anfangen, so daß man zuletzt, wo es die Leute zugegeben haben, in diesen Riesenkrieg hineingeschlittert ist? Was hat es da eigentlich gegeben? Derjenige, der ausfindig machen will, was es da gegeben hat, der muß die Zeit vorher ein wenig schildern. Sehen Sie, im Mittelalter und später, da sind furchtbar viele Men­schen nach einem bestimmten Wallfahrtsort gezogen oder nach ver­schiedenen Wallfahrtsorten, weil ihnen die Geistlichen eingeredet haben, wenn sie dorthin gehen, daß sie da gesund werden. Nun, es hat sich ja nur der Name geändert; im neunzehnten Jahrhundert haben die Geistlichen den Leuten eingeredet, sie müssen nach Lourdes gehen, um gesund zu werden, in der neueren Zeit haben die Ärzte den Leuten eingeredet, sie müssen nach Karlsbad oder Marienbad oder nach Wiesbaden oder sonstwohin gehen. Worauf ist das alles eigentlich hinausgelaufen? Es ist eigentlich alles darauf hinausgelau­fen, daß die Ärzte den Leuten gesagt haben: Ja, meine lieben Pa­tienten, euer Nierensystem ist nicht in Ordnung; ihr müßt da mög­lichst vieh Wiesbadener oder Karlsbader oder Marienbader Wasser trinken - das geht ja alles durch die Nieren! -,ihr müßt das da

259

durchdrücken. - So daß eigentlich der Gesundheitszustand vieler Menschen darin bestanden hat, daß sie sich im Winter überlassen haben ihrer Nierentätigkeit, die Nierentätigkeit hat eigentlich in ihnen gedacht; im Sommer haben sie wiederum nötig gehabt, weil das eigentlich nicht geht ohne geistige Anregung - die wollten sie aber nicht -, nach Marienbad oder Karlsbad oder nach Wiesbaden zu gehen, und da besserten sie ihr Nierensystem wieder auf. Nach und nach ist aus dieser Geschichte, wo man eigentlich immer nur den Unterleib kuriert hat, ein Aberglaube geworden. Nicht wahr, das, um was es sich gehandelt hätte, wäre gewesen, daß man inner­lich Interesse bekommen hätte für Geistiges, für geistige Anregung. Das wäre es gewesen, was man hätte suchen müssen, denn bei gar keiner geistigen Anregung können die Sachen, die da in der Nieren-gegend in Unordnung kommen, nicht in Ordnung gebracht werden. Und die Sache war im zwanzigsten Jahrhundert so, daß all die Leute, die wirklich hätten denken sollen durch die Seele, nur mehr durch die Niere gedacht haben.

Es wird eine Zeit kommen, wo die Leute klarer sehen werden -die wenigen, die sich dann die Klarheit behalten werden in der all­gemeinen Verwirrung -, wo die Leute sagen werden: Was ist das eigentlich gewesen, dieser große Krieg im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts? Das ist eine Nieren-Krankheit der Menschheit ge­wesen!

Sehen Sie, darauf kommt es an, daß man wirklich findet, wie die Dinge eben in der Wirklichkeit zusammenhängen. Dann wird man wissen, wie man die Jugend zu erziehen hat, dann wird man wissen, wie es ganz unmöglich ist, daß man nur dasjenige der Jugend bei-bringt, was man ihr hemmte beibringt. Dann wird man wissen, daß man die schönen Jahre der Jugend, der Kindheit dazu verwenden muß, ganz anderes der Jugend beizubringen. Aber das neunzehnte Jahrhundert ist stolz darauf geworden, nichts von Seele und Geist zu wissen, und die Folge davon war, daß diese Riesen-Nieren-krankheit, die heute noch in der Welt schleicht, aufgetreten ist. Also die Zukunft wird einmal sagen: Wodurch ist denn die Menschheit im Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts benebelt worden? Durch

260

eine unbemerkte Nierenkrankheit! - Das ist es, was einem heute zu Herzen geht. Und man kann zweierlei wollen: Man kann die Sachen so fortlaufen lassen, wie sie jetzt fortlaufen; dann werden ja die Ärzte einmal recht viel zu tun haben. Die Menschen werden immer unfähiger und unfähiger werden, etwas Vernünftiges zu denken. Sie werden immer müder und müder werden. Sie werden immer weniger daran denken, durch eine solide, vernünftige Einrichtung weiterzu­kommen. Es wird dasjenige, was heute, nicht wahr, zu einer sehr großen Höhe gediehen ist, dieses ganze unsinnige Treiben, es wird aufs höchste kommen. Die Menschen werden schwach werden, und die Ärzte werden den Urin untersuchen; da werden sie allerlei schöne Dinge darin finden, nicht wahr: Eiweißkörper, Zucker und so weiter. Man wird nur finden, daß die Nierentätigkeit in Unordnung ist. Denn wenn man im Urin alle diese schönen Sachen findet, ist die Nie­rentätigkeit in Unordnung. Und man wird finden: Ja, merkwürdig, niemals hat die Welt auf diese Weise soviel Zucker und so viel Ei­weiß produziert als jetzt! - Aber man wird nicht wissen, wie der Zusammenhang ist. Höchstens wird es irgendeinem gescheiten Indu­striellen einmal einfallen, einem Schlauen, den vielen Zucker, der da fabriziert wird, im Industriellen zu verwenden. Das ist der eine Weg. Der andere Weg ist der: Man höre auf, von all den äußeren Ein­richtungen zunächst zu reden, und reformiere das geistige Leben der Menschheit, reformiere vor allen Dingen das Schulleben, das geistige Leben der Menschheit, bringe ordentliche geistige Gedanken in den Menschen hinein. Dann werden die Menschen finden, wie sie im Äußeren richtig leben sollen. Denn wenn die Menschen vernünftige Gedanken haben, dann erst kann man hoffen, daß sie im Äußeren in der richtigen Weise leben können.

Aber das kann man natürlich nicht dadurch erreichen, daß man die Tätigkeit, die man bis jetzt gehabt hat, nur fortsetzt, sondern da handelt es sich darum, daß man radikal umdenkt. Und durch keine äußeren Mittel wird die Welt heute besser, sondern nur dadurch, daß man anfängt etwas zu wissen. Sehen Sie, die Materialisten bilden sich ein, daß sie so viel von der Materie wissen. Gerade von der Materie wissen sie ja nichts. Das ist eben das Merkwürdige, daß die

261

Materialisten nichts wissen von der Materie. Die Materialisten, die sagen: Wovon ist das Elend gekommen? Ja, das Elend, das ist ge­kommen von den wirtschaftlichen Verhältnissen zum Beispiel.

Ja, das ist ebenso, wie wenn einer sagt: Wovon kommt die Armut? Die Armut, die kommt von der Pauvreté! - Nicht wahr, ein anderes Wort. Wirtschaftliches Elend ist ja nur ein anderes Wort für das­jenige, was wir haben. Das ist ja nur ein Herumreden, denn natür­lich haben das wirtschaftliche Elend Menschen gemacht, und der Mensch macht das wirtschaftliche Elend durch das, was er ist. ileute haben ungeheuer viele Leute einfach den Drang, sagen wir, Schieber zu werden. Das rührt aber eben einfach alles davon her, daß gerade der untergeordnete menschliche Organismus, welcher heute maßge­bend wird, daß dieser geistige Anregung haben müßte. Der Materia­list sagt den Menschen bloß: Ja, dieser untergeordnete Orgaiiismus ist wichtig! - Aber dasjenige, was man im Geistigen kennenlernt, das sagt einem erst, warum das wichtig ist. Und so kann der Materialis­mus ganz schön Blutdruck messen, aber er weiß nicht, was ein zu niedriger oder zu hoher Blutdruck bedeutet, daß ein zu niederer Blutdruck bedeutet: der Astralleib und das Ich gehen zu wenig in den physischen Leib hinein, und ein zu hoher Blutdruck: der Astral­leib und das Ich gehen zu tief in den physischen Leib hinein.

Und tatsächlich ist es heute so, daß der Blutdruck im Laufe der Geschichte der Menschheit ganz langsam immerfort zu stark gewor­den ist, und die Menschen leiden heute unter einem zu starken Blut­druck. Es ist schon so: Wenn der Mensch heute aufwacht, dann lebt er unter einem zu starken Blutdruck; dann schnappt gewissermaßen dieser zu starke Blutdiuck nach dem Astralleib und dem Ich. Die Folge davon ist, weil er darnach schnappt, daß der Astralleib und das Ich ganz in den physischen Leib hineingehen. Das muß aber wieder gutgemacht werden dadurch, daß der Mensch geistige An­regungen bekommt, daß er sich wirklich mit einigem Interesse an das Geistige hingibt.

Das ist nicht damit abgetan, daß man anthroposophische Theorien lernt. Wenn man bloß anthroposophische Theorien lernt, dann ist das eben bloß die Art und Weise, wie man eben gelernt hat im neunzehnten

262

Jahrhundert, nur sich auf äußerliche Art Gedanken einzu­prägen. Das darf es nicht sein. Es muß für den Menschen dasjenige, was er aufnimmt, so werden, daß es ihn innerlich durchdringt.

Sehen Sie, wenn Sie aus einer verbrauchten Luft in die frische Luft hinausgehen, dann haben Sie eine innerliche Freude. So müßten Sme emne innerliche Freude, ein innerliches Interesse haben, wenn Sie aus all dem Zeug, das heute Wissen genannt wird, in die frische Seelenluft kommen, die Ihnen vom Geistigen wiederum erzählt. Die­ses innerliche Frobsein, dieses tiefe Interesse, das ist es, was man braucht für das geistige Leben. Und dadurch, daß der Mensch sich durchdringt mit Interesse, wird das zu schwer gewordene Blut - in allen Menschen ist ja heute das Blut zu schwer geworden - wiederum leichter gemacht. Die Nieren werden vergeistigt, und die Folge davon wird sein, daß es besser werden wird in der Welt, wenn die Men­schen wiederum etwas werden wissen wollen von dem, was ihnen schon seit Jahrhunderten genommen worden ist. Das ist es schon, was man immer wiederum sagen muß, was ich Ihnen in allen For­men sagen muß, weil es darauf ankommt, daß wir der Wahrheit ins Gesicht schauen und uns nicht blenden lassen von dem, was Schein-Wissenschaft ist. Deshalb wollte ich zu demjenigen, was ich Ihnen mn den v9rhergehenden Vorträgen gesagt habe, heute noch einiges er­gänzen. Nun ist ja vieles über die Dinge noch zu sagen, aber sie wer­den ja immer klarer und klarer werden.

Nun müssen wir eine kleine Pause machen in der Vortragsreihe. Ich habe eine Reise nach England zu machen und werde es Ihnen dann wiederum ankündigen lassen, wenn wir fortsetzen können.

Aber das ist dasjenige, was ich Ihnen gerade heute zum Schluß noch klar machen wollte, wie die großen Ereignisse in der Mensch­heitsgeschichte eigentlich zusammenhängen mit dem, was der Mensch innerlich ist, und daß man da ansetzen muß, daß also die Mensch­heit zuerst doch aufgeklärt werden muß, aufgeklärt aber über Wirk­lichkeiten, nicht über Redensarten. Das ist es also.

263

FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 11. September 1923

Meine Herren, haben Sie vielleicht während der langen Zeit, in der wir keine Vorträge haben konnten, etwas Besonderes aufstellen kön­nen an Fragen, das Sie gern besprechen möchten?

Fragesteller: Ich möchte fragen, ob der heutige Kultus mit seinen Handlungen noch zur geistigen Welt Beziehung hat, und wie die verschiedenen Kulte der verschiedenen Völker zueinander stehen?

Dr. Steiner: Ja, meine Herren, dabei ist interessant, einmal darauf Rücksicht zu nehmen, wodurch überhaupt ein Kultus entsteht, was ein Kultus will.

Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen vielleicht gleich etwas sagen, was jetzt insofern bei uns aktuell ist, als es anknüpft an die letzte Reise nach England, die ich hinter mir habe. Der zweite Kursus, der war ja geeignet, gerade in der Nähe einer alten Kultusstätte abgehal­ten zu werden, nämlich an der Westküste von England, in Wales, wo eine Insel vorgelagert ist, Anglesey heißt sie, und an der Stelle finden sich noch überall auf den Bergen ringsherum alte Kultusstät­ten. Sie sind verfallen, und sie sind heute nur, ich möchte sagen, in Trümmern zu sehen, aus denen man aber, wenn man Anthroposophie kennt, durchaus sehen kann, was sie eigentlich gerade dort bedeutet haben.

Sehen Sie, es wäre geradeso, wie wenn man hier hinausgehen würde zu diesen Bergen und dort oben solche Kultstätten finden würde. Dort findet man sie sozusagen überall auf den Bergen, und zwar hauptsächlich dort, wo der Berg oben solch eine Ausflachung hat, wo oben auf dem Berg eine Mulde, eine Ebene ist, die noch extra etwas vertieft ist. Da standen dann diese alten Kultusstätten. Heute sind sie ein Trümmerhaufen von Steinen, aber man sieht noch ganz deutlich, wie sie ausgesehen haben. Die kleineren bestehen aus Steinen, die wahrscheinlich vom Eis einmal an die betreffende Stelle getragen worden sind, aber außerdem an die Stelle geschleppt wor­den sind, wo man sie verwenden wollte. Diese Steine stellte man so

264

#Bild s. 264 a

auf, daß sie eine Art Viereck bilden, so nebeneinander (es wird ge­zeichnet). Wenn ich von droben daraufschaue, so schaut es dann so

#Bild s. 264 b

aus: Da ist ein Deckstein, der deckt das Ganze da oben zu. Das sind die kleinen. Die großen Kultstätten, die bestehen dann aus Steinen so

#Bild s. 264 c

ähnlicher Art (es wird gezeichnet), die im Kreis ringsherum gestellt sind, und zwar gerade zwölf. Das ist ein Kultus, der wahrscheinlich

265

in seiner Blütezeit drei bis vier Jahrtausende hinter unserer Zeit dort getrieben worden ist, in einer Zeit, wo die Bevölkerung dort eine wenig dichte war, eine sehr dünne Bevölkerung, in einer Zeit außer­dem, in der es kaum etwas anderes gab als etwas Ackerbau und Vieh-zucht. In dieser Bevölkerung war das Schreiben und Lesen in der Blütezeit, als dieser Kultus getrieben worden ist, ganz unbekannt. Also Schreiben und Lesen - man hat gar nicht daran gedacht, daß es so etwas geben könnte!

Nun kann man fragen, was dieser Kultus eigentlich zu bedeuten hatte. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Lesen und Schreiben hat es dazu­mal nicht gegeben. - Nun wissen Sie ja, daß man, wenn man in der allergünstigsten Weise zum Beispiel Feldfrüchte zum Wachsen, zum richtigen Gedeihen bringen will, man sie in verschiedenen Zeiten säen muß, in verschiedenen Zeiten das eine oder andere mit ihnen tun muß. Und bei dem Vieh muß man auch mit den verschiedenen Zeiten rechnen, daß es begattet wird und so weiter. Das hängt ab von dem Zusammenhang der Erde mit der ganzen Weltumgebung, wovon ich Ihnen öfter erzählt habe. Nun, heute hat man seinen Bauernkalender, da schaut man nach, da weiß man, was für ein Tag im Jahre ist, und die Leute vergessen dann, daß das nicht abhängt von der menschlichen Willkür. Man kann nicht die Tage festsetzen wie man will, sondern man muß die Tage festsetzen so, wie es aus dem Sternengang folgt, aus dem Mondenstand folgt und so weiter. Nun, heute geht der Kai endermacher so vor, daß er das nach den alten Überlieferungen berechnet. Man hat Berechnungen, nach denen man ausrechnen kann, wann dieser oder jener Tag ist. Das rechnet man nach, weil die Leute es einmal nach dem Sonnenstand bestimmt ha­ben. Man kann heute auch nach dem Sonnenstand bestimmen, aber die Menschen, die im allgemeinen sich nach so etwas richten, richten sich nicht nach dem Sonnenstand oder Sternenstand, sondern ein­fach nach dem, was man berechnet, nach dem Kalender. Nun, das war dazumal undenkbar, weil es Lesen und Schreiben überhaupt nicht gegeben hat. Solche Dinge kamen ja erst später. Also das führt uns zurück, wie ich sagte, drei- bis viertausend Jahre vor der jetzigen Zeit. Und das Lesen und Schreiben in diesen Gegenden führt uns

266

kaum auf etwas mehr als zwei- bis dreitausend Jahre zurück. Das sind sehr alte Verhältnisse, und das Lesen und Schreiben, das es da­zumal gab, das war natürlich gegenüber dem heutigen durchaus nicht etwas, wovon man eigentlich ordentlich reden kann. Jedenfalls die Mehrzahl der Bevölkerung hat es nicht gekannt.

Wenn Sie sich einen solchen Kreis oben auf dem Berg anschauen, dann können Sie sich denken: Die Sonne geht scheinbar - wir wissen ja, sie steht still, aber nicht wahr, man kann davon reden, weil die Sachen ja trotzdem so sind -, die Sonne geht also im Kreis rings-herum im Weltenraume. Dadurch wirft sie von diesen Steinen aus immer einen anderen Schatten, und diesen Schatten, den kann man verfolgen den Tag hindurch. Man kann sagen: Wenn die Sonne morgens aufgeht, so ist da der Schatten, jetzt geht sie etwas weiter, so ist da der Schatten und so weiter. - Aber der Schatten ändert sich auch im Laufe eines Jahres, weil die Sonne da jedesmal an einem andern Punkte aufgeht. Dadurch ändert sich der Schatten. Er ist im März so geworden, etwas später so geworden. Und die Weisheit des Gelehrten oder Priesters, wie Sie wollen, des Druidenpriesters, der dazumal aufgestellt war zur Beobachtung dieser Dinge, bestand darinnen, daß er diesen Schatten beurteilen konnte, daß er also wissen konnte: Wenn der Schatten, sagen wir zum Beispiel auf diesen Punkt da auffällt (es wird gezeichnet), dann muß dieses oder jenes im Frühling vorgenommen werden auf den Äckern. - Das konnte er den Leuten sagen. Er konnte das nach dem Sonnenstand sehen. Oder wenn der Schatten, sagen wir, an diesen Punkt fiel, dann mußte der Stier herumgeführt werden, mußten die Tiere be­gattet werden, weil das an einem bestimmten Tag des Jahres sein mußte. Also der Priester las von diesen Dingen ab, was im ganzen Jahre zu geschehen hatte.

Dadurch wurde aber überhaupt das ganze Leben eigentlich nach dem Sonnenumgange bestimmt. Heute denken eben, wie ich Ihnen sagte, die Leute nicht daran, daß sie das ja selber auch tun, weil sie die Sache im Kalender finden. Aber dazumal mußte man an die Quellen selber gehen, mußte sozusagen vom Weltenall die Sache ab­lesen. Im Herbst, sagen wir zum Beispiel, wurde zu einer ganz be­stimmten

267

Zeit genau bestimmt, was mit den Äckern zu geschehen hatte, auch zu einer bestimmten Zeit des Jahres das sogenannte Stier­Fest festgesetzt aus den Angaben dieser Leute. Da wurde dann der Stier herumgeführt; sonst wurde er weggehalten von dem Vieh und so weiter. Nach diesen Dingen wurden auch die alten Feste einge­richtet, die aber durchaus im Zusammenhange mit solchen Dingen stehen. - So eine Anordnung nennt man heute Druidenzirkel, Drui­denkreis. Dieses dahier (es wird auf die Zeichnung verwiesen) ist ein Dolmen oder Kromlech. Das ist das Eigentümliche, daß die Steine so stehen und oben bedeckt sind, daß darinnen im Innern Schatten ist.

Nun, sehen Sie, die Menschen, die wissen ungefähr, daß das Son­nenlicht manchmal stärker, manchmal schwächer ist, weil sie das spüren an der Art, wie sie schwitzen oder frieren. Aber was die Leute nicht wissen, das ist das, daß der Schatten geradeso wie das Licht verschieden ist. Der da drinnen, der Schatten, ist auch verschieden. Je nachdem das Licht verschieden ist, ist der Schatten verschieden. Aber die Leute haben es sich heute abgewöhnt, die Verschiedenheit des Schattens zu bestimmen. Die alten Menschen haben sich zunächst einmal die Fähigkeit angeeignet, die Unterschiede des Schattens zu bestimmen. Jm Schatten drinnen aber sieht man das Geistige. Die Sonnenstrahlen haben nicht nur ein Physisches, sondern sie haben ein Geistiges. Und da drinnen hat der Druidenpriester die Geistig­keit der Sonnenstrahlen beobachtet, von der wiederum abgehangen hat, ob man in einem bestimmten Lande besser diese oder jene Pflanze anbaut, denn das hängt von der Geistigkeit ab, die von der Sonne zu der Erde heruntergetragen wird. Und außerdem waren in diesem Schatten außerordentlich gut die Mondenwirkungen zu be­obachten. Die Mondenwirkungen haben zum Beispiel wiederum einen großen Einfluß gerade auf die Begattung des Viehs, und das wurde zu Hilfe genommen, um die Zeit der Begattung zu bestimmen. So daß eigentlich das ganze Jahr nach diesen Sonnenbeobachtungen einge­teilt worden ist.

Wenn man nun hineingraben würde unter einem solchen Krom­lech, dann würde man außerdem finden, daß er noch nebenbei eine Grabstätte war. Man hat namentlich da, wo man zugleich die Men­schen

268

begraben hat, diese Dinge aufgestellt. Das hat wiederum die Bedeutung, daß tatsächlich, wenn auch der Mensch seinen Leib ver­lassen hat, dieser Leib eine andere Zusammensetzung hat als irgend etwas anderes. Die Seele, der Geist hat die ganze Lebenszeit in dem Körper gewohnt. Wenn sich der Leib auflöst, dann hat er andere Kräfte als diejenigen, die in der übrigen Gebirgsgegend sind. Und diese Kräfte namentlich haben gefördert, wenn sie da hinaufström­ten, daß man im Schatten drinnen richtig sehen konnte. Diese Leute haben eben noch ganz andere Naturkräfte gekannt, als man später gekannt hat.

Und wenn man an mancher Bergstätte - das ist übrigens dann weiter ausgeprägt über das Land, das sah ich in Ilkley, wo der erste Kursus stattfand während der englischen Reise - so einzelne Steine sieht hoch oben, aber so, daß der Platz gut ausgewählt ist - man konnte von solchen hoch oben weithin das ganze Land übersehen -, dann findet man solche Zeichen, Hakenkreuze, Swastika, mit denen heute in Deutschland so viel Unfug getrieben wird. Dieses Haken-

#Bild s. 268

kreuz wird getragemi von Leuten, die keine Ahnung mehr davon haben, daß dieses einmal ein Zeichen war, wodurch angegeben wer­den sollte für den, der von weither kam: Da sind Leute, die verste­hen diese Dinge, die sehen nicht nur mit den physischen Augen, die sehen auch mit den geistigen Augen - ich habe diese geistigen Augen in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Wel­ten?» als Lotusblumen beschrieben - und sie wollten aufmerksam darauf machen: Wir können sehen mit diesen Lotusblumen.

So sehen Sie hier noch einen Kultus, der im wesentlichen darin bestanden hat, daß die Leute das Geistige aus der Weltumgebung

269

für ihre sozialen Verhältnisse, für ihre Lebensverhältnisse hereinbe­kommen wollten auf die Erde. Dies kann man den Dingen heute noch ansehen, und deshalb ist diese Gegend dort außerordentlich interessant. Es waren das schon die letzten solcher Kultstätten, denn es sind diejenigen, nach denen man sich an die Westküste zurückgezo­gen hat, weil dann vom Osten herüber diejenigen Menschen gekom­men sind, die die Schrift ausgebreitet haben in der alten Zeit. Man nennt diese erste Schrift Runen. Durch Zusammenlegen von Stäb­chen waren die Buchstaben gebildet, also ganz anders als in der heutigen Zeit. Und da ist dann dasjenige erst aufgekommen, was jetzt beschrieben wird als die nordische Mythologie: Wotan, Thor und so weiter. Das kam erst später, und das kam, indem die Schrift dahin verpflanzt worden ist.

Wenn ich da von dem Schatten rede, so braucht man sich nicht weiter darüber zu verwundern, denn etwas im Schatten sieht schon das Tier. Sie mussen nur einmal achtgeben darauf, wie sich ein Pferd merkwürdig benimmt, wenn es abends irgendwo an einer Straße steht, wo es beleuchtet ist, und es sieht an einer Wand auf seinen Schatten hin. Man muß nur wissen: Das Tier, das Pferd sieht seinen Schatten nicht so, wie wir ihn sehen. Wir haben die Augen so, daß wir nach vorn schauen, das Pferd hat die Augen so, daß es nach der Seite sieht. Das bewirkt, daß es den Schatten als solchen überhaupt gar nicht sieht, aber es nimmt das Geistige im Schatten wahr. Na­türlich sagen die Leute: Das Pferd fürchtet sich vor seinem Schatten.

- Aber es ist wirklich so, daß es den Schatten gar nicht sieht, son­dern es nimmt das Geistige im Schatten wahr. Und so haben auch diese primitiven Menschen da im Schatten verschiedene Zeiten wahr­genommen das Jahr hindurch, wie man in der Sonnenhitze und in der Kälte verschiedene Zeiten wahrnimmt. Das ist ein Kultus, der dort gepflegt worden ist. Und Sie sehen daraus, wie ich Ihnen schil­dere, doch ein, daß solche Kulte, die in alten Zeiten entstanden sind, notwendig waren. Sie waren da, weil man sie brauchte. Sie ersetzten alles dasjenige, was später gelesen werden konnte, denn das war zu gleicher Zeit der Verkehr der Menschen mit den Göttern. Die Leute beteten weniger, aber sie teilten dasjenige mit, was dann ins Leben

270

überfloß, was zum Leben eine Beziehung, was für das Leben eine Bedeutung hat.

Nun ein anderer Kultus, den Sie vielfach noch in Überresten, namentlich in Mitteleuropa, finden. Sie finden die Abbildungen sol­cher Kultstätten öfters. Diese Abbildungen zeigen einen Stier, und auf dem Stier sitzt oben eine Art Reiter mmt einer sogenannten phrygischen Mütze, mit einer Art Revolutionsmütze. Diese ist von da später übernommen worden. Und dann sieht man auf deniselben Bilde unten eine Art Skorpion, der beißt gerade in den Geschlechts­teil des Stieres hinein. Dann sieht man auch, wie der, der oben sitzt, ein Schwert in den Vorderleib des Stieres hineinstößt. Und wenn also dieses so ist, daß da der Stier ist (es wird gezeichnet), da oben

#Bild s. 270

dieser Reiter, da hier der Skorpion, da das Schwert, das stößt, dann sieht man, wie der Sternenhimmel dadrüber gebildet ist. Oben breitet sich der Sternenhimmel aus. Das sind wiederum die soge­nannten Mithraskulte. Das erste also sind die Druidenkulte; dieses hier, was ich jetzt beschreibe, sind die Mithraskulte. Während die

271

Druidenkulte im Westen an den Küsten sind - wir finden sie ja auch in anderen Gegenden, aber ich erzählte es Ihnen gerade von der Ge­gend, wo ich sie selbst nun habe prüfen können -, finden sich diese Kulte von Asien herüber der ganzen Donau entlang, also durch das heutige Südrußland, Bulgarien, Ungarn, Bayern, die Gegenden im Odenwald, Schwarzwald und so weiter. Da waren diese Mithraskulte einmal ausgebreitet. Und damit war etwas ganz Bestimmtes gemeint. Denn sehen Sie, warum haben die Leute gerade eineii Stier dort hin­gesetzt? Das müssen wir uns zunächst fragen.

Ich sagte Ihnen: Die Sonne geht im Frühling in einem bestimmten Sternbilde auf, heute eigentlich im Sternbild der Fische. - Die Astro­nomen zeigen noch das Sternbild des Widders. Das ist aber falsch, in Wirklichkeit ist es das Sternbild der Fische. Lange Zeit hindurch, durch zweitausend Jahre, ging die Sonne auf im Sternbilde des Wid­ders, noch früher im Sternbilde des Stiers. Und da haben sich die Leute gesagt: Die Sonne geht immer im Frühling, wenn das Wachsen beginnt, im Sternbild des Stieres auf. - Und sie haben das, was im Menschenheib lebt, nicht im Kopf, aber im übrigen Menschenleib lebt, was namentlich mit dem Wachstum zusammenhängt, das haben sie ganz richtig darauf bezogen, daß die Sonnenstrahlen verändert werden, daß da das Sternbild des Stieres dahinter ist. Und deshalb haben sie gesagt: Wenn wir den tierischen Menschen bezeichnen wol­len, müssen wir den Stier hinzeichnen, und der eigentliche Mensch, der von seinem Kopf beherrscht ist, der sitzt dann erst darauf. - So daß der Stier den niederen tierischen Menschen darstellt, und der­jenige, der da oben sitzt mit der phrygischen Mütze, der stellt den höheren Menschen dar. Das Ganze ist aber eigentlich nur ein Mensch, niederer und höherer Mensch.

Und nun sagten sich die Leute: Oh, schlimm ist es, wenn der nie­dere Mensch die Herrschaft hat, wenn der Mensch sich ganz seinen tierischen Trieben hingibt, wenn der Mensch nur seinen Leiden­schaften folgt, die aus dem Bauche, aus der Sexualität und so weiter kommen! Es muß der höhere Mensch den niederen Menschen beherr­schen. - Daher drückten sie das so aus: Dieser, der da reitet, der hat das Schwert und stößt es dem niederen Menschen in die Weichen. -

272

Das heißt, der niedere Mensch muß klein werden gegenüber dem höheren Menschen. Außerdem ist der Skorpion da, der in die Ge­schlechtsteile hineinbeißt, um zu zeigen: Wenn der niedere Mensch durch den höheren nicht klein gemacht wird, nicht beherrscht wird, dann beschädigt sich auch der niedere Mensch dadurch, daß die Naturkräfte über ihn kommen und ihn zerstören. - Also dieses ganze Menschenschicksal zwischen dem niederen und höheren Menschen wurde angekündigt in diesem Bilde.

Darüber war der Sternenhimmel. Das ist sehr bezeichnend, daß da der Sternenhimmel ausgebreitet war. Die Sonne geht im Frühling auf in einem bestimmten Punkt, ist also dazumal aufgegangen im Sternbild des Stieres. Aber sie rückt jeden Tag ein Stückchen vor. Zweifach ist dieses Vorrücken. Einmal rückt der Frühlingspunkt vor. Die Sonne geht im nächsten Frühling ein Stückchen weiter weg von dem Punkt auf, in dem sie im vorigen Jahr aufgegangen ist, so daß also vor dreitausend Jahren die Sonne im Widder aufgegangen ist, noch früher im Stier. Heute geht sie im Frühling in den Fischen auf. Dadurch kommt sie allmählich ganz herum. Im Laufe von 25 920 Jahren kommt die Sonne ganz herum. Aber in jedem Jahre geht sie auch herum, so daß die Sonne am nächsten Tag nicht im Frühlings­punkt aufgeht - da geht sie nur am 21. März auf -, am nächsten Tag geht sie etwas weggerückt von diesem Punkt auf und so weiter. Das ganze Jahr geht sie auch im Tierkreis um alle Tierkreisbilder herum.

Nun haben diejenigen, die den Mithraskult zu bedienen hatten, zu beobachten gehabt, wann der niedere Mensch, der tierische Mensch, schwerer zu beherrschen ist: wenn die Sonne im Sternbild des Stiers steht, also besonders zu den Wachstumskräften treibt. Oder wenn die Sonne, sagen wir, im Sternbild der Jungfrau aufgeht, also im Oktober, oder mehr gegen den Dezember zu, dazumal, da wirkte der niedere Mensch nicht so stark, da brauchte die Herrschaft nicht so stark ausgebildet zu werden. Die Bevölkerung hatte kein Gefühl für diese Dinge, aber diejenigen, die den Mithraskult bedienten, die mußten das wissen. Und so konnten diejenigen, die da diesen Mithras­kult bedienten, sagen: Jetzt ist es schwer, den niederen Menschen zu beherrschen, jetzt ist es Frühling, jetzt ist es leichter, jetzt ist eine

273

bestimmte Zeit im Winter. - Und so wurde da beim Mithraskult der Mensch selber dazu benutzt, um die Jahreszeiten wiederum kennenzulernen, wie überhaupt den ganzen Gang von Sonne und Mond durch die Sternbilder. Bei den Druiden wurden mehr die äußeren Zeichen benützt, die Schatten, hier beim Mithrasdienst mehr die Wirkung auf den Menschen. Und so stand auch dieser Mithras­kult durchaus im Zusammenhang mit dem Leben.

So gab es die allerverschiedensten Kulte. Man muß ja natürlich sich klar sein darüber: Wenn man solche Dinge beobachten will, wie sie bei den Druiden beobachtet wurden, da braucht man ganz bestimmte Gegenden der Erde. - Das kann man heute noch sehen. Wenn man dort in Wales lebt - vierzehn Tage hat der Kursus dort gedauert -, dann hat man fortwährend den raschen Wechsel zwi­schen, ich möchte sagen, kleinen Wolkenbrüchen und Sonnenschein. Das wechselt stundenweise, so daß man eine ganz andere Luft hat als hier; die ist immer mehr von Wasser angefüllt. Wenn man eine solche Luft hat, wie sie dort ist, wo die Druiden waren, dann kann man solche Beobachtungen machen. In den Gegenden, in denen sich der Mithraskult ausgebreitet hat, hätte man solche Beobachtungen nicht machen können, weil das Klima ein anderes war. Da mußte man die Beobachtungen mehr dem Innern des Menschen entnehmen. Der war empfindlicher für solche Dinge. Und so waren je nach den verschiedenen Gegenden die Kulte eben verschieden. Dieser Mithras­kult ist ja ausgebreitet gewesen in den Donaugegenden, in Bayern, bis hier in die Schweiz herein, hier wohl weniger, in älteren Zeiten wohl auch. Nun, dieser Mithraskult, der war noch lange, als schon das Christentum in diesen Gegenden heraufkam, ausgebreitet. Die letzten Reste fanden sich durchaus noch in den Zeiten, als das Chri­stentum sich ausgebreitet hat, besonders in den Donaugegenden zum Beispiel. Da findet man ja eben diese Bildnisse heute noch in Höhlen, in Felsenhöhlen drinnen. Denn diese Beobachtungen und Kulte wur­den in Felsenhöhlen drinnen geübt. Da brauchte man nicht das äußere Sonnenlicht, sondern gerade die Ruhe und Stille in der Fel­senhöhle drinnen. Die geistigen Wirkungen der Sonne und der Sterne gehen auch da hinein.

274

Wenn ich Ihnen diese zwei Kulte angegeben habe, so können Sie ja den Sinn des Kultus überhaupt einsehen. Es gab die verschiedensten Kulte. Die Neger haben heute noch ihre Kulte, die einfacher, primi­tiver sind, die auch in einfacher Weise zeigen, wie man da die gei­stige Umgebung des Weltenalls kennenlernen will. Dann hat sich in einer bestimmten Zeit - diese Zeit liegt wiederum eineinhalb bis zwei Jahrtausende zurück - aus den verschiedensten Kulten, die namentlich in Asien und Afrika waren, aus allen diesen Kulten ge­wissermaßen etwas ergeben, wo sie zusammengeschmolzen waren. Man hat ein Stück aus dem Kultus genommen, ein anderes Stück aus jenem Kultus genommen, und aus dem Zusammenschmelzen der verschiedensten Kulte, namentlich der ägyptischen, persischen Kulte ist dann der Kult entstanden, den Sie heute als den katholischen Kuh­tus kennen. Er ist zusammengeschmolzen aus alledem. Sie können sehen, wie er zusammengeschmolzen ist, wenn Sie zum Beispiel den Altar ansehen. Sie brauchen gar nicht besonders weit zu gehen, so werden Sie es dem Altar heute noch ansehen, daß er etwas ist wie ein Grabstein. Wenn auch darunter keine Leiche ist, so ist er doch in seiner Form einem Grabstein ähnlich. Wie man in alten Zeiten ge­wußt hat, daß von dem Leichnam Kräfte ausgehen, so hat man das in der Form noch festgehalten.

Sie finden in den katholischen Kirchen das Merkwürdige, daß an­gedeutet ist die Beziehung zur Sonne und zum Mond. Sie werden ja aus den katholischen Kirchen kennen, was bei den besonders festli­chen Gelegenheiten auf dem Altar steht (es wird gezeichnet): die Monstranz, das sogenannte Sanktissimum. Ja, das ist nichts anderes als eine Sonne, und im Mittelpunkt der Sonne die Hostie, als Sonne gedacht, und hier unten der Mond, zum Zeichen dafür, daß dieser Kultus stammt aus einer Zeit, in der man direkt die Sonne und den Mond so beobachten wollte, wie ich es Ihnen für den Drui­denkultus gezeigt habe. Nur haben die Leute das vergessen. Als die Schrift und das damit Zusammenhängende sich ausgebreitet hat, da haben sie nicht mehr in die große Natur geschaut. In ein Buch - und schließlich ist ja das Evangelium auch nur ein Buch -, in das haben sme geschaut. Aber das Andenken ist noch erhalten in dem Zeichen

275

von Sonne und Mond, das im Sanktissimum, in der Monstranz auf dem Altar steht.

#Bild s. 275

Und so kann man durch alle, alle Einzelheiten gerade im katholi­schen Kultus nachweisen, wie er zurückführt auf die alten Kulte, die noch ihre Beziehung zum großen Weltenall hatten. Das ist na­türlich gänzlich vergessen worden. Es ist so gewesen, daß in den drei oder vier ersten nachchristlichen Jahrhunderten die Leute überall noch viel gewußt haben von diesem eigentlichen Sinn des Kultus, denn damals hat sich mehr von Rom aus der jetzige Kultus gebildet und verbreitet, ist zusammengestellt worden aus den verschiedensten einzelnen Kulten. Aber hier herum zum Beispiel und namentlich in den Donauländern hat man ja noch den Mithraskult gekannt. Dem hat man es angesehen, daß er eine Beziehung zum Weltenall hat. Daher wurde in ganz systematischer Weise in den ersten Jahrhun­derten das, was von alten Kulten vorhanden war, ausgerottet, und es blieben nur diejenigen Kulte, denen man nicht mehr ansah, wie sie im Verhältnis zum Weltenall standen. Und so, nicht wahr, schauen sich heute die Leute den katholischen Kultus an und es wird ein großer Wert darauf gelegt, daß man ihn nicht, gerade nicht versteht, daß man also nicht einsieht, daß das sich einmal auf die Sonne und auf den Mond bezogen hat. Denn Religion und Wissenschaft waren in alter Zeit eines, und die Kunst gehörte dazu.

276

Natürlich ist dann eine Zeit gekommen, in der sich die Leute gesagt haben: Ja, wozu ist denn das ahles? Das ist doch zu nichts! Die Feste, die Zeiten, wo das oder jenes geschehen soll, das liest man ja im Kalender! - Das ist ja zu nichts, sagten die Leute. Und da kamen die Kultstürmer, die Bilderstürmerei, da kam dann der Pro­testantismus, das evangelische Prinzip, das gegen den Kultus losging. Man begreift nun, warum auf der einen Seite für den Kultus einmal alles Volk eingetreten ist und später sich alles Volk gegen den Kultus gewendet hat, wenn man diesen Hergang sich vor die Seele stellt. In der Zeit, wo ich Ihnen gesagt habe, daß der Druidenkultus geherrscht hat - ja, meine Herren, dasjenige, was heute manchmal aufgebracht wird an Begeisterung, sagen wir, für diese oder jene Bewegung, das ist alles nichts gegen die große Begeisterung, die bei den Leuten ge­herrscht hat für ihren Druidenkultus in der damaligen Zeit! Die hät­ten sich alle steinigen und köpfen lassen für diesen Druidenkultus. Aber warum? Weil sie gewußt haben: Man kann, ohne auf ordent­liche Weise genau zu wissen, was im Weltenall vorgeht, überhaupt nicht leben, kann nicht das Stier-Fest zur richtigen Zeit feiern, kann nicht sein Korn, seinen Roggen zur richtigen Zeit aussäen.

Später ist das eben verwischt worden, und dadurch haben die Leute gesagt: Ja, eine Sache muß doch einen Zweck haben im Leben! - und sind losgegangen dagegen. Daß sich die Menschheit zu verschiedenen Zeiten so ganz verschieden verhält zu diesen Dingen, das kann man eben nur daraus einsehen, daß solche Vorgänge statt­gefunden haben, daß die Sache vollständig vergessen worden ist und man heute nur noch in diesen, wie man es nennt, Symbolen sehen kann, was eigentlich gewesen ist. Wo Symbole stehen, da ist nur noch das schwächste Verständnis vorhanden, aus dem Grunde, weil, wo man Wirklichkeiten hat, man nicht Symbole braucht. Wenn man den Altar wie bei den Druiden auffaßt, um wirklich die Sonne zu beob­achten, stellt man nicht ein Bild der Sonne hin!

Ja, das ist es, was zum Beispiel dazu geführt hat, daß sich gewisse Kulte, außer dem katholischen, mit einer großen Starrheit bis in die heutige Zeit herein erhalten haben.

Sehen Sie, dieser Druidenkultus, der war ein reiner Ackerbau-

277

und Viehzüchter-Kultus, wie er in seiner Blüte stand, denn das Le­ben bestand aus Ackerbau und Viehzucht. Dann kam später in sol­chen Gegenden, wo früher Ackerbau und Viehzucht allein war, wo also dieser Kultus ganz besonders berechtigt war, dasjenige auf, was dann mehr Handwerk wurde. Als der Druidenkultus besonders ge­blüht hat, da war ja alles Ackerbau und Viehzucht, und die Leute bedeckten sich mit Tierfellen und so weiter. Alles, was Handwerk war - Maschinen gab es nicht -, das war ja natürlich noch so: Was der einzelne selbst machte, das richtete sich nach dem andern. Wenn er Zeit hatte, verfertigte er sich, was er zum Anziehen oder als Ge­genstand brauchte, zum Beispiel sein Messer oder etwas aus einem harten Stein, den er bearbeitete und so weiter. Wichtig waren die Zeiten für Ackerbau und Viehzucht; das wollte er von seinen Göt­tern erfahren, wann er da mit den nötigen Maßnahmen vorzugehen habe. Dann aber wurde das Handwerk wichtiger. Sehen Sie, das Handwerk, das hat ganz selbstverständlich keine so große Beziehung zum Sternenhimmel wie Ackerbau und Viehzucht. Aber auf der andern Seite waren die Gewohnheiten geblieben, und so hat man dann auch für das Handwerk eine Art Kultus aufgestellt, den man wieder diesen alten Kuhten, die zum Himmel eine Beziehung hatten, entnommen hat. Und einer derjenigen Kulte, die am starrsten geblieben sind, ist der Freimaurerkult. Der besteht aber in reinen Symbolen. Da weiß man gar nicht mehr, auf was sich diese Symbole beziehen. Namentlich als man angefangen hatte, Kunstbauten zu bauen, hat man das, was man gewohnt war, in diesem Kultus zu treiben, ange­wendet auf das Bauen von Kunstwerken. Und bei der Baukunst hat es ja tatsächlich, wenn man ganz fein vorgehen will, doch auch einen gewissen Sinn. Man bildet die Bauformen nach dem, was die Sterne ausdrücken und so weiter, wenn man wirklich bauen will. Und so hat sich der Freimaurerkultus herausgebildet. Aber die Leute haben, als der Freimaurerkultus sich herausgebildet hat, eben nicht mehr gewußt, was die einzelnen Symbole bedeuten. Und so besteht der Freimaurerkultus heute aus lauter Symbolen, und die Leute wis­sen gar nicht, worauf sich die Symbole beziehen, reden das kon­fuseste Zeug über die Sachen. Man kann schon sagen: Je mehr die

278

Kulte wohlgepflogen sind, desto weniger versteht man von der Sa­che. - Und so ist von den Kulten, die in der Gegenwart am meisten gepflogen sind, eigentlich überall das Verständnis am meisten ver­lorengegangen.

Aber nicht wahr, diese alten Leute, die haben den Kultus für ihr Leben in der Außenwelt gebraucht. Wenn man heute wieder einen Kultus haben will - und wir sind ja daran, an einer Erneuerung des Christentums, in Deutschland hat es schon einzelne Kirchen unter der Leitung von Dr. Rittelmeyer -, ja, wenn man daran geht, heute noch einen Kultus zu bilden, so muß der wie4erum einen etwas anderen Sinn haben als die alten Kulte. Denn die alten Kulte, die haben gewirkt, und man weiß eben heute einfach aus der Berechnung heraus, wann ein Tag fällt, wann der 21. März ist und so weiter, aus der gewöhnlichen Sternkunde. Das konnten die Leute nicht. Die mußten in der alten Zeit auf den Schatten weisen, wie ich es Ihnen beschrieben habe. Aber heute ist etwas anderes notwendig. Heute ist das notwendig, daß die Leute überhaupt dazu kommen können, wie­derum irgend etwas überhaupt zu verstehen von dem, was es im geistigen Weltenall gibt. Keine Astronomie, nichts sagt den Men­schen heute etwas von dem, was im Weltenall vorgeht!

Da geben sich die Leute den größten Irrtümern hin. Sie richten zum Beispiel Teleskope hinaus in die Sternenwelt. Jetzt sehen sie in einer bestimmten Richtung einen Stern. Ja, meine Herren, ich drehe das Fernrohr, das Teleskop, da sehe ich in einer andern Richtung wieder einen Stern. Und auf der andern Seite wird bereclmnet, daß die Sterne so weit sind, daß das überhaupt nicht mehr klar gesehen werden kann, sondern nur nach Lichtjahren berechnet wird, nach dem, wie rasch der Lichtstrahl sich fortbewegt. Man rechnet aus, wie große Bewegungen der Lichtstrahl in einem Jahr zurücklegt. Das ist ein Weg, der noch schwieriger auszudrücken ist in Zahlen, als wenn man heute in Deutschland ein Mittagsmahl bezahlt in deutscher Va­luta. Das ist schon schwer genug auszudrücken! Aber dieses auszu­drücken, wie rasch sich ein Lichtstrahl bewegt, welch einen großen Weg der in einem Jahr zurücklegt, diese Zahl geht in riesige Milliar­den. Man redet daher auch nicht von ihr, sondern man sagt nur: Ein

279

Stern liegt so weit, daß das Licht so und so viele Lichtjahre brauchen würde. Ja, jetzt richte ich mein Fernrohr in der Richtung, gucke hinein und sehe den Stern. Der braucht, sagen wir, 300 000 Licht­jahre, um hierher zu kommen; das Licht braucht so lange. Der andere Stern, der ist aber vielleicht weit zurück, der braucht vielleicht 600 000 Lichtjahre. Dann schaue ich dahin, bekomme aber doch gar nicht die gegenwärtige Gestalt des Sterns, sondern eine ver­gangene. Und wenn ich dort hinschaue, da ist gar nicht dasjenige, was ich sehe. Der Stern erscheint mir trotzdem, aber ich sehe nur das, was er früher war, weil das Licht 300 000 Jahre gebraucht hat, um hierher zu kommen. Da sehe ich also einen Gegenstand, der in Wirk­lichkeit gar nicht da ist, der erst die 300 000 Jahre gebraucht hat, um da sichtbar zu werden!

Also Sie sehen, wenn man mit dem Teleskop herumschaut, so schaut man doch gar nicht die wahre Gestalt des Sternenhimmeis! Das ist das eine. Das andere ist dann dieses: Die Leute glauben näm­lich, da wo sie die Sterne sehen, da ist etwas. Aber die Wahrheit ist diese, daß nichts dort ist, daß dort gerade der Äther aufhört! Das bezieht sich nicht auf Sonne und Mond, auf die Sonne etwas, auf den Mond gar nicht, aber auf die Sterne bezieht es sich: da ist gar nichts! Da ist ein Loch im Weltenall. Es ist merkwürdig, wie da die Anthroposophie mit der wirklichen Wissenschaft geradezu wie zusammenkommt. Als wir in Stuttgart unsere Institute gegründet haben, habe ich gesagt: Eine unserer ersten Aufgaben ist, nachzuwei­sen, daß, wo ein Stern ist, überhaupt nichts ist, daß da das Nichts erglänzt. Weil ringsherum etwas ist, sieht man dort, wo nichts ist, eine Art Licht. - Nun, nicht wahr, wir sind eigentlich arme Leute mit unseren Forschungsinstituten, und die Amerikaner sind reich. Seit jener Zeit ist von Amerika die Nachricht gekommen, daß man auch mit der gewöhnlichen Wissenschaft schon darauf gekommen ist, daß eigentlich dort nichts ist, wo Sterne sind.

So arbeitet gerade Anthroposophie mit der allerfortgeschrittensten Wissenschaft. Nur kann man eben durch Anthroposophie die Dinge besser beurteilen. Nicht wahr, diese Dinge sage ich Ihnen aus dem Grunde, weil Sie daraus sehen, daß ja jetzt eigentlich die Leute gar

280

nichts wissen über das Weltenall. Sie beurteilen alles falsch im Wel­tenall. Und woher kommt das?

Sehen Sie, das kommt von einer ganz bestimmten Sache. Denken Sie sich: Da ist ein menschlicher Kopf, da ist das Gehirn. Wenn der Mensch etwas Äußeres wahrnimmt, zum Beispiel durch das Auge, so nimmt er das Äußere wahr, braucht das Gehirn dazu, damit er die Wahrnehmung haben kann. Aber im Gehirn drinnen befindet sich ein kleines Gehirn, gerade dahinten (es wird gezeichnet). Das ist ganz anders gebaut als das große Gehirn. Dieses kleine Gehirn hat einen sehr merkwürdigen Bau. Es ist so wie aus Blättern zusam­mengesetzt, wenn man es durchschneidet. Das sitzt also dahinten drinnen.

#Bild s. 280

Dieses kleine Hirn, das nimmt nichts von außen wahr. Das große Hirn, das ich hier in der Zeichnung grün gemacht habe, das brauchen wir, um die äußeren irdischen Eindrücke zu haben. Das kleine Hirn, das nimmt nichts von außen wahr. Aber wenn der Mensch sich inner­lich vertieft, wenn er so vorgeht, wie ich das in meinen Büchern be­schrieben habe, dann fängt dieses kleine Hirn an besonders tätig zu sein, und man spürt innerlich, wie scheinbar dieses kleine Hirn immer größer und größer wird, wie wenn es wachsen würde. So wächst das, und man fühlt, wie wenn man nach und nach unter einem Baum stehen würde. Daher schildern die Orientalen den Buddha unter dem Bodhibaum. Der hat noch dieses Kleinhirn als ein Wahrneh­mungsorgan gekannt. Das entdeckt man heute wiederum. Dieses kleine Hirn, das fängt an tätig zu sein, wenn man sich innerlich menschlich vertieft. Da nimmt man aber nicht das Äußerlich-Mate­rielle wahr, sondern das Geistige. Da fängt man an, mit dem kleinen

281

Hirn das Geistige wiederum wahrzunehmen, und in dem Geistigen eben wiederum Gesetze und so weiter wahrzunehmen. Die muß man heute in einen Kultus hineinbringen. Gerade das Allerinnerste im Menschen muß heute in einen Kultus hinein, weil der Mensch mit seinem Innern eben in seinem kleinen, von dem großen Hirn getrenn­ten Hirn den Weg hat, das Organ hat, das in die geistige Welt hin­ausführt.

Heute kann man also höchstens wiederum am Anfang stehen, wie man einen Kultus vom Innern des Menschen aus aufbaut. Dann wird dieser Kultus, er wird innere Wahrheiten enthalten. So wie man durch den Druidenkultus gewußt hat, wann man den Stier zu bekränzen hat, das Stier-Fest festzusetzen hat, den Stier zu führen hat durch die Gemeinde, damit in der richtigen Weise die Fortpflanzung ge­regelt wird, so wird man wissen - gerade wenn man in dieser Weise einen Kultus einrichtet, der nun die geistige Wahrnehmung, die durch das Kleinhirn unterhalten wird, entwickelt -, was man zu tun hat im sozialen Menschenleben. Vorher wird man nur spekulieren, wird nur allerlei ausdenken, wird es so machen wie in Rußland. Wenn man zugeben wird, daß man das erst wissen muß auf geistige Art, was in der Menschheit zu geschehen hat, weil es aus dem Weltenall fließt, dann wird man auch erst eine richtige Sozialwissenschaft ha­ben, die wiederum gewollt sein wird aus der Weltenumgebung.

So muß man lernen denken. Und sobald man so etwas sieht, wie heute etwa die zerstörten Gesteine herumliegen, so daß man nur noch aus den Spuren sehen kann, was einmal war, wie auf der Insel Anglesey oder in den anderen an den Küstengegenden dort gelegenen Orten, in Penmaenmawr, wo der Kursus war - ja, wenn man an solche Dinge herankommt, dann sieht man: Es ist vieles untergegan­gen in der Menschheit, was man aber braucht, und heute braucht man gerade in geistiger Beziehung neue Erkenntnisse. Es muß gear­beitet werden mit neuen Erkenntnissen.

Das wollte ich Ihnen auf diese Frage antworten. Ich glaube, daß man daraus wird verstehen können, wie ein Kultus geradeso notwen­dig war wie etwas anderes, das man zum Leben brauchte, und wie die Nutzlosigkeit des Kultus später gerade dazu geführt hat, daß

282

man ihn ausgelöscht hat und ihn dann fortgesetzt hat, ohne daß man ihn mehr verstand.

Wann ich die nächste Stunde haben kann - ich muß in diesen Tagen wiederum nach Stuttgart, aber ich komme in den nächsten Tagen zurück -, das werde ich Ihnen nächste Woche wiederum an­kündigen lassen.

283

SECHZEHNTER VORTRAG Dornach, 22. September 1923

Nun, meine Herren, liegt heute etwas vor?

Fragesteller: In bezug auf Ernährung. Ich möchte fragen, ob in der Ernährung durch die Kartoffel in andern Ländern eine Beziehung besteht, also ein Zusam­menhang in anderer Beziehung als, sagen wir, für die Europäer.

Dr. Steiner: Wollen wir die ganze Frage von der Ernährung, von der Beziehung der Ernährung zur geistigen Welt, heute noch einmal besprechen. Sie wissen ja, daß die Kartoffel erst in der neueren Zeit eingeführt worden ist. Das hatte ich Ihnen gesagt, daß im früheren Europa die Kartoffelernährung nicht vorhanden war, sondern daß dazumal die Völker sich in einer andern Weise, wesentlich von ande­ren Produkten, ernährten. Nun können wir natürlich diese Frage nicht entscheiden, ohne daß wir die Beziehung der geistigen Welt zur Ernährung überhaupt betrachten.

Sie werden sich erinnern - ich habe ja diese Dinge schon einmal angedeutet -, der Mensch lebt eigentlich von viererlei Produkten:

von Eiweiß, das er eigentlich mit allen seinen Nahrungsmitteln in sich aufnimmt, das in einer, ich möchte sagen, charakteristischen, in einer besonders bezeichnenden Form ja im Hühnerei enthalten ist, das aber in allen Nahrungsmitteln mit enthalten ist. Also das ist das erste, das Eiweiß. Dann nimmt der Mensch auch Fette auf, nicht nur, indem er direkt tierisches Fett genießt, sondern Fett ist wiederum in allem enthalten. Sie wissen, es werden auch andere Produkte zu fetthaltigen Nahrungsmitteln umgestaltet, wie zum Beispiel die Milch zum Käse umgestaltet wird und so weiter. Das dritte Nahrungsmittel, das sind diejenigen Produkte, die wir als Kohlehydrate bezeichnen, und das ist all dasjenige, was wir aus dem Pflanzenreiche aufnehmen, natürlich auch mit aufnehmen aus den andern Nahrungsmitteln, aber was wesentlich enthalten ist eben in einem solchen Nahrungsmittel wie Weizen, Roggen, Linsen, Bohnen, aber auch in der Kartoffel, und in der Kartoffel in ganz vorherrschendem Maße. Das letzte, was der Mensch nötig hat zum Leben, das er gewöhnlich nur als

284

einen Zusatz betrachtet, was aber zum Leben ganz besonders not­wendig ist, das sind die Salze. Nun, wir nehmen ja unsere Salze zu­nächst in Form des Kochsalzes auf, aber wiederum enthalten alle Nahrungsmittel Salze. So daß wir also sagen können: Die mensch­liche Nahrung muß, damit der Mensch leben kann, aus Eiweiß, Fet­ten, Kohlehydraten und aus Salzen bestehen.

Nun will ich Ihnen beschreiben, was denn eigentlich diese ver­schiedenen Nahrungsmittel, die wir dadurch, daß wir gemischte Nahrung genießen, eben in verschiedener Form bekommen, für den Menschen bedeuten. Nehmen wir da zuallererst die Salze.

Die Salze, die sind eigentlich für den Menschen, wenn sie auch nur in geringen Mengen aufgenommen werden, ein außerordentlich wichtiges Nahrungsmittel, nicht bloß ein Genußmittel. Wir salzen nicht bloß unsere Speisen deshalb, daß wir etwa, sagen wir, ange­nehme Säuerlichkeit haben im Geschmacke, sondern wir salzen unsere Speisen aus dem Grunde, damit wir überhaupt denken können. Also die Salze müssen als Nahrungsmittel bis in das Gehirn kommen, damit wir überhaupt denken können. Die Salze hängen am meisten zusammen mit demjenigen, was unser Denken ist. Wenn jemand zum Beispiel so krank ist, sagen wir, daß er alles dasjenige, was in der Nahrung Salz ist, im Magen oder im Darm ablagert und nicht mit dem Blut ins Gehirn schickt, dann wird er schwach­sinnig, dumm. Das ist dasjenige, auf das man eben aufmerksam machen muß.

Nicht wahr, man muß sich klar sein darüber: Geist ist vorhanden, aber der Geist muß auf der Erde, damit er wirken kann, in den Stoffen wirken. Und man muß daher gerade, wenn man Geisteswis­senschaft betreibt, die Wirkung des Geistes in dem Stoff kennen. Sonst wäre es ja so, wie wenn einer sagen würde: Maschinen machen, das ist etwas Materielles; wir aber sind geistige Leute, wir wollen nichts Materielles, wir wollen also nicht erst Eisen kaufen, Stahl, sondern wir wollen Maschinen erschaffen aus dem Geist heraus. -Das ist natürlich Unsinn. Man muß erst den Stoff dazu haben. So braucht der schaffende Geist in der Natur überall den Stoff. Und ist er gehindert, den Stoff zu verwenden, lagert sich also das Salz, statt

285

daß es durch das Blut zum Gehirn dringt, im Magen und in den Ge­därmen ab, dann wird der Mensch dumm.

Allerdings, so einfach ist wiederum die Sache nicht. Der Mensch kann das Salz nicht unmittelbar so brauchen, wie es draußen in der Natur ist. Wenn Sie also - man könnte das sogar - ein Löchelchen ins Gehirn machen würden und würden einem da Salze einträufeln ins Gehirn, so würde das nichts nützen, denn das Salz muß schon in den Magen hineinkommen, weil, wenn das Salz in den Ma­gen und in die Därme kommt - beachten Sie nur einmal, daß das Salz ja schon auf der Zunge aufgelöst wird -, es noch mehr, ganz fein aufgelöst wird, immer feiner und feiner wird. Es kommt durch das, was der Mensch mit dem Salz macht, das Salz überhaupt schon in einem vergeistigten Zustand ins Gehirn. Also so einfach, daß wir das Salz direkt ins Gehirn bringen könnten, ist die Sache nicht. Aber wer nicht imstande ist, die Wirkungen des Salzes im Gehirn zu haben, der wird dumm.

Nun betrachten wir die Kohlehydrate. Das ist also, sagen wir, in Erbsen, Bohnen, Weizen, Roggen oder in der Kartoffel vorzugsweise; da genießen wir die Kohlehydrate mit. Die tragen insbesondere dazu bei, daß wir als Mensch die menschliche Gestalt haben. Wenn wir keine Kohlehydrate essen würden, so würden wir alle möglichen Ver­zerrungen der menschlichen Gestalt haben. Wir würden meinetwillen so sein, daß sich die Nase nicht ordentlich ausbilden würde, die Ohren nicht ordentlich ausbilden würden. Wir hätten nicht diese menschliche Gestalt, die wir haben. Die Kohlehydrate, die wirken dazu, daß wir gewissermaßen äußerlich als Mensch gezeichnet wer­den. Überallhin wirken sie, daß wir überall gezeichnet werden als Mensch. Und wenn der Mensch so organisiert ist, daß er die Kohle­hydrate nicht ins Gehirn hineinbringt, sondern wenn sie sich wieder­um ablagern in den Gedärmen und im Magen, dann verfällt der Mensch. Dann sieht man, wie der Mensch zusammenfällt, wie er in sich zusammensinkt, wie er schwach wird, wie er gewissermaßen seine Gestalt nicht mehr aufrechterhalten kann. Also die Kohle­hydrate tragen das ihrige dazu bei, daß wir überhaupt die richtige menschliche Gestalt haben.

286

Sie sehen also, wir müssen eigentlich überall die richtigen Nah­rungsmittel hineinbringen. Die Salze, die wirken vorzugsweise da vorn auf das Gehirn. Die Kohlehydrate, die wirken mehr da rück­wärts auf das Gehirn, auf diese Schichte da (es wird gezeichnet). Und namentlich würde bei dem Menschen, der zu wenig Kohlehydrate verdauen kann, der sie nicht in diese Schichte des Gehirns hinein­bringen würde, sich sehr bald auch das herausstellen, daß er immerfort heiser ist, daß er nicht rein und klar sprechen kann. So daß, wenn Sie einen Menschen vor sich haben, der früher ganz ordentlich hat reden können, aber nun plötzlich eine heisere Sprache kriegt, Sie sich sagen können: bei dem ist in der Verdauung etwas nicht richtig. Er kann nicht in der richtigen Weise Kohlehydrate verdauen, sie kom­men nicht an die richtige Stelle des Gehirns. Dadurch ist seine At­mung nicht mehr in Ordnung und auch seine Sprache nicht. So daß wir sagen können: Die Salze wirken vorzugsweise auf das Denken. Die Kohlehydrate wirken zum Beispiel auf die Sprache und alles, was damit zusammenhängt. Es ist also notwendig, daß wir diese Kohlehydrate haben.

Nun, sehen Sie, die Kohlehydrate, die wirken für unsere Gestalt, aber sie haben eigentlich so die Absicht, uns zu einer bloßen Gestalt zu machen. Sie polstern uns nicht aus. Wir müssen auch ausgepol­stert werden. Und das machen die Fette. Die Fette bewirken also, daß da, wo die Kohlehydrate die Gestalt aufbauen, gleichsam den Plan in die Luft hineinzeichnen, daß da auch wiederum das Material hineinkommt vom Fett. Also das Fett dient dazu, daß wir in der richtigen Weise Material in uns haben. Nur kommt das beim Fett in einer ganz besonderen Weise zum Ausdruck.

Sehen Sie, ich habe Ihnen früher gesagt, daß der Mensch ein Ich hat, einen Astralleib, einen Ätherleib und einen physischen Leib. Natürlich, das Fett lagert sich ab im physischen Leibe, aber für das Allerwichtigste, daß sich das Fett ablagern kann und lebendig bleibt

- denn wir müssen ja lebendiges Fett in uns haben -, für dieses Aller­wichtigste ist der Atherleib da. Das ist das Wichtigste für die Fett-ablagerung. Aber der Astralleib wiederum, der ist das Wichtigste für die Empfindung.

287

Jetzt denken Sie einmal, wenn einer wach ist, da ist sein astrall­scher Leib in ihm drinnen, wenn er schläft, ist der astralische Leib draußen. Wenn nun der Mensch wach ist und der Astralleib in dem Ätherleib drinnen arbeitet, da wird das Fett fortwährend verarbeitet. Es wird durch das Fett alles im Körper geschmiert. Wenn der Mensch schläft, also der Astralleib draußen ist, wird das Fett nicht verar­beitet, sondern es lagert sich ab. Beim Wachen wird das Fett fortwäh­rend zum Schmieren benützt, beim Schlafen abgelagert. Wir brau­chen beides, abgelagertes Fett und solches Fett, das den Körper ein-schmiert.

Wenn einer nun aber fortwährend schläft - früher war das mehr der Fall, jetzt wird es immer seltener; ein Rentier zum Beispiel, nicht wahr, der tut gar nichts -, da lagert sich das Fett auch am Tage ab, beim sogenannten Wachen, das aber eigentlich ein Schlafen ist: es kommt der Schmerbauch und es kommt eben überall viel abgelager­tes Fett! Also Sie sehen, diese Ablagerung von Fett beim Menschen in der richtigen Weise, die hängt davon ab, daß der Mensch tatsäch­lich sein Fett auch lebendig verbraucht, denn es wird ja immer er­zeugt. Wer nun gerade so viel ißt, als er verbraucht, bei dem ge­schieht das Richtige. Wenn einer aber fortwährend ißt und nichts verbraucht, so kommt eben der Schmerbauch.

Das, was ich Ihnen da sage, das wissen instinktiv die Landwirte sehr gut, denn die brauchen das bei den Schweinen. Wenn sie die Fettschweine erzeugen, da muß das herbeigeführt werden, daß diese Tiere eigentlich ihren inneren Körper gar nicht mehr schmieren, s6n-dern alles, was sie genießen, ablagern. Und so muß die Lebensweise dieser Tiere entsprechend eingerichtet werden.

Es kann natürlich auch sein, daß der Mensch nicht imstande ist, ordentlich Fett abzulagern, daß er also krank ist. Rentiers sind in dieser Beziehung gesund; die lagern das Fett ab. Aber es kann auch daran fehlen, daß man die Kohlehydrate nicht ablagert und die Sprache heiser wird. So kann es auch sein, daß die Fette nicht rich­tig abgelagert werden, einfach mit dem Darmkot weggehen, und dann haben wir zu wenig Fett, können zu wenig schmieren. Oder wenn wir überhaupt zu wenig Nahrungsmittel haben, hungern müs­sen,

288

können wir zu wenig schmieren. Das Fett ist ja das eigentliche Material, das wir in den Körper hineinlegen. Was geschieht denn mit einem Menschen, der entweder hungern muß oder durch seine Ver­dauung so eingerichtet ist, daß er das Fett nicht ablagern kann, son­dern daß es mit dem Darmkot fortgeht? Ein solcher Mensch, der kein Material in seinem Körper hat, der wird immer geistiger. Aber auf diese Weise geistig zu werden verträgt der Mensch nicht. Da ver­brennt der Geist. Er wird also nicht nur immer dürrer und dürrer, sondern es bilden sich Gase in ihm, was zu dem treibt, was man Wahnideen nennt und dergleichen, und es tritt der Zustand auf, der beim Hunger da ist: Hungerwahnsinn. Immer ist es eine Zerstörung des Leibes, wenn der Mensch krank ist. So daß also, wenn der Mensch zu wenig Fette bekommt, dasjenige auftritt, was man Aus­zehrung nennen kann, Schwindsucht, kann man auch sagen; er schwindet dahin.

Nun das Eiweiß. Sehen Sie, das muß ja sozusagen von allem An­fang an da sein. Das Eiweiß ist ja schon vorhanden als Ei, bevor das Wesen entsteht, das menschliche, auch das tierische Wesen. So daß wir sagen können: Das Eiweiß, das ist dasjenige, was den Men­schen eigentlich bildet, entwickelt; es ist das Ursprüngliche, das zu­grunde liegt. Aus dem Eiweiß muß sich alles Übrige im Körper erst herausbilden. So daß man also folgendes sagen kann: Das Eiweiß muß überhaupt vom Anfang an da sein, damit der Mensch entstehen kann. Die Mutter bildet das Eiweiß in der Gebärmutter aus in Form eines kleinen Klümpchens. Das Ei wird befruchtet, und durch die Befruchtung wird dann dieses Eiweiß fähig, durch die Dinge, die ich Ihnen geschildert habe, zum Menschen gestaltet zu werden. Aber der Mensch braucht natürlich fortwährend Eiweiß. Daher muß in seiner Nahrung fortwährend Eiweiß enthalten sein. Wenn er zu we­nig Eiweiß hat oder wenn er das Eiweiß nicht ordentlich verdauen kann, dann muß er am Eiweißmangel nicht nur ausgezehrt werden -was ihn ja auch allmählich tötet -, aber würde der Mensch in einem Augenblicke seines Lebens überhaupt kein richtiges Eiweiß haben, so müßte er gleich sterben. Geradeso wie das Eiweiß zum Entstehen notwendig ist, so ist das Eiweiß auch notwendig, daß der Mensch

289

überhaupt lebt. So daß wir sagen könnten: Derjenige, der Eiweiß überhaupt nicht verdauen kann, bei dem würde der Tod eintreten.

Jetzt schauen wir uns einmal die einzelnen Nahrungsmittel an. Wenn wir die Salze anschauen, so werden wir vorzugsweise an den Vorderteil des Kopfes gewiesen. Da drinnen lagern sich die Salze ab. Etwas weiter hinten, da lagern sich die Kohlehydrate ab, und die bewirken, daß wir die menschliche Gestalt haben. Dann lagern sich noch weiter hinten die Fette ab und füllen von da aus den Kör­per aus, denn die Fette gehen nicht etwa unmittelbar herein in den Körper, sondern gehen vom Blut in den Kopf, und da werden sie erst für den Körper ausgeschlachtet. Alles geht durch den Kopf, auch das Eiweiß.

Nun ist aber ein großer Unterschied in bezug auf die Kohlehy­drate. Wenn Sie sich so etwas wie Linsen, Bohnen, Erbsen, Roggen, Korn anschauen, so können Sie sagen: dabei werden die Kohlehy­drate aus den Früchten gewonnen. Denn das, was wir im Weizen haben aus der Erde, das ist ja die Frucht. Wenn wir Linsen haben, das ist auch die Frucht. Sehen Sie, Früchte haben das Eigentümliche, daß sie schon im Magen und in den Därmen verarbeitet werden und nur die Kräfte nach dem Kopf schicken. Daß Linsen, Bohnen im Gedärm verarbeitet werden, das wissen ja alle aus den eigentümli­chen Zuständen, die gerade beim Genuß von Linsen und Bohnen kommen können. Das alles, Korn, Weizen, Linsen, Bohnen, wird in den Gedärmen verarbeitet. Also die Früchte haben hauptsächlich die Eigentümlichkeit, daß sie schon in den Gedärmen ordentlich ver­arbeitet werden.

Aber bei den Kartoffeln können wir ja nicht die Früchte genießen. Wenn wir das, was bei der Kartoffel die Früchte sind, essen würden, so würden wir ja sogar einen Giftstoff bekommen, einen verderbli­chen Giftstoff. Also bei der Kartoffel ist das so, daß sie uns nicht gestattet, in derselben Weise aufgegessen zu werden wie Linsen, Boh­nen, Erbsen und so weiter oder die Feldfrüchte, Roggen, Weizen. Nun, was genießen wir denn bei der Kartoffel? Ja, das, was unten ist: die Knolle. Und die Knollen, die sind nun dasjenige bei allen Pflanzen, Wurzeln und so weiter, was in den Gedärmen am allerwenigsten

290

verarbeitet wird. Die Früchte werden in den Gedärmen verarbeitet. Das kann man aber bei der Kartoffel nicht essen, was dort die Früchte sind, und die Knolle, die ist nicht eine richtige Wur­zel, sondern ein verdickter Stengel. Nun wird die Kartoffel also ge­gessen, kommt in den Magen, in die Gedärme. Da kann sie nicht gleich verarbeitet werden, sondern sie geht jetzt durch das Blut un­verarbeitet herauf. Statt daß nun, wenn sie hier in ihre Schichte des Gehirns kommt, sie schon so fein kommen würde wie Roggen und Weizen und gleich hinuntergeschickt würde in den Körper, so muß erst hier im Gehirn die Verarbeitung geschehen. So daß also, wenn wir richtiges Roggen- oder Weizenbrot essen, wir das im Magen und in den Gedärmen ordentlich verdauen und wir unserem Kopf nicht mehr zumuten, daß der nun erst die Verdauung besorgen soll, sondern der kann schon die Verbreitung im Körper bewirken. Wenn wir da­gegen Kartoffelbrot oder Kartoffeln überhaupt genießen, dann stellt sich das heraus, daß der Kopf erst zu der Verdauung der Kartoffel dienen muß.

Wenn aber der Kopf erst zur Verdauung der Kartoffel verwendet werden muß, dann kann er nicht mehr denken, denn zum Denken muß er die Kräfte frei haben; da muß ihm der Unterleib die Kräfte der Verdauung abnehmen. So daß also, wenn der Mensch die Kartoffel zu viel genießt - was also immer mehr und mehr von dem Zeitpunkte an der Fall war, als die Kartoffel eingeführt wurde und in Europa eine Bedeutung erlangte -, der Kopf immer mehr und mehr für das eigentliche Denken ausgeschaltet wird, und der Mensch immer mehr und mehr die Fähigkeit, mit seinem Mittelkopf zu den­ken, verliert; er denkt dann nur mehr mit dem Vorderkopf. Aber die­ser Vorderkopf, der von den Salzen abhängt, der führt immer mehr und mehr dazu, daß man eigentlich bloß ein materialistischer Ver­standesmensch wird. Das richtige Geistige kann ja der Vorderkopf gar nicht denken. Gerade durch den Vorderkopf wird man ein rich­tiger Verstandesmensch. Die Sache ist daher diese, daß in der Tat das innere Denken in Europa zurückgegangen ist von dem Moment an, wo die Kartoffelnahrung Platz griff.

Nun müssen wir uns klar sein darüber, daß der Mensch nicht nur

291

aus den Kräften, die auf der Erde sind, aufgebaut wird. Das habe ich Ihnen ja fortwährend gesagt, daß der Mensch aus der ganzen Umgebung aufgebaut wird, daß der Mensch ein Geschöpf von Sonne, Mond und Sternen ist. Wenn der Mensch nun Kartoffeln ißt, dann verwendet er seinen Mittelkopf nur dazu, um diese Kartoffeln zu verdauen. Da schließt er sich ab von der Umwelt, da erkennt er die Umwelt nicht mehr an. Da erklärt er: Das ist alles Wischiwaschi, was da gesagt wird von der Welt, daß da eine Geistigkeit von der Welt her­unterkommt. - Und so kann man sagen: Es ist eigentlich der über-mäßige Kartoffelgenuß zum großen Teil auch wiederum das, was in der neueren Zeit zum Materialismus getrieben hat.

Natürlich ist die Sache ja so, daß vorzugsweise diejenigen, die nun nicht genügend Mittel haben, auf die Kartoffel angewiesen sind, weil die Kartoffel eine Zeitlang billig war, und diejenigen, welche wohlhabend sind, die können sich nachher dasjenige, was auf den Vorderkopf wirkt, kaufen, können also mehr die Speisen würzen und salzen. Die Würzen wirken ebenso auf den Vorderkopf wie die Salze. Und die Folge davon ist, daß das nur Verstandesmenschen werden, und die anderen sich leicht von den Verstandesmenschen alles vor­machen lassen, weil sie ja ihren Kopf nicht mehr zum Denken be­nützen können. So hat schon die Kartoffel einen ganz besonderen Bezug zum Geist überhaupt. Sie hat also eigentlich den Geist materia­listisch gemacht.

Wenn wir nun die Gliederung des Menschen betrachten, so müssen wir sagen: Der physische Leib nimmt zunächst seinen Ursprung aus dem Eiweiß. Dieses Eiweiß hängt mit Geburt und Tod des physi­schen Menschen zusammen. Der Ätherleib hat sein hauptsächlichstes Feld in den Fetten. Der Astralleib, der hat sein hauptsächlichstes Feld in den Kohlehydraten, und erst das Ich hat sein Feld in den Salzen.

So können wir sagen: Dasjenige, was im Menschen das Empfin­dungsvermögen ist - es ist ja nicht der physische Leib, wenn ich auf meine Hand schlage und dann empfinde, denn sonst müßte alles, was physisch ist, empfinden -, es ist der astralische Leib. Ich schiebe das Fleisch zurück, den Muskel zurück, dadurch wird das Fleisch im

292

Muskel aus dem Astralleib herausgeschoben und ich empfinde im astralischen Leib. Alles, was innerlich Empfindung ist, ist im astrali­schen Leib. Der astralische Leib ist aber angewiesen darauf, daß er richtig arbeiten kann. Ich habe Jhnen gesagt: Wenn der astralische Leib auch bei Tag schläft und nicht richtig arbeiten kann, dann lagert sich der Schmerbauch ab, das Fett. - Oder, das ist auch der Fall, wenn der Mensch bloß intellektualistisch mit dem Kopf arbei­tet, Verstandesmensch wird, lagert sich sogar auch das Fett ab. Aber der astralische Leib, der ja zum Beispiel auch in der Sprache wirkt, der braucht die Kohlehydrate nicht bloß im Kopfe oben, er braucht die Kohlehydrate im ganzen Körper. Der astralische Leib muß die Beine bewegen, der astralische Leib muß die Hände bewegen, er braucht die Kohlehydrate im ganzen Körper. Wenn ich ihm Roggen oder Weizen als Kohlehydrate gebe, da gehen die Kräfte in den gan­zen Körper. Wenn ich ihm bloß Kartoffeln gebe, bleiben die Kräfte da oben im Kopf sitzen und der Mensch wird ausgemergelt, schwach, und sein astralischer Leib kann nicht ordentlich arbeiten. So daß gerade das, was im Menschen geistig ist, matt und immer schläfriger wird, wenn er nicht in der Lage ist, Kohlehydrate, die ihn durch­dringen, in sich hineinzubringen. Bei der reinen Kartoffelnahrung ist das eben nicht möglich, weil sie im Kopfe so viel zu tun macht, daß der Körper nichts mehr übrig behält.

Man kann schon sagen: Was tut die Wissenschaft? - Nun, die Wissenschaft, die untersucht, wieviel im Eiweiß drinnen enthalten ist von Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Schwefel und ähnlichen Dingen noch, aber das sind die hauptsächlichsten. Nun kriegt die Wissenschaft heraus: Im Eiweiß ist so und so viel Kohlen­stoff, so und so viel Wasserstoff drinnen in Prozenten, im Fett sind andere Prozente drinnen, in den Kohlehydraten andere Prozente. Aber die Wissenschaft hat gar keine Idee davon, was diese Stoffe als solche für eine Bedeutung haben. Sie kennt nur die Prozente der Bestandteile. Aber damit kann man gar nichts ausmachen. Es sind eben einfach die Bestandteile in der Kartoffel ganz anders drinnen als im Roggen und Weizen, und man muß wissen, daß, wenn man eine Blüte oder eine Frucht ißt, die in den Gedärmen verarbeitet

293

wird, während, wenn man eine Wurzel ißt, diese im Kopf verarbeitet wird.

Anders kann man die Sache auch nicht in der Medizin anwenden. Derjenige, der richtig medizinisch denken kann, der weiß, daß wenn er einen Tee aus den Blüten oder Samen, aus den Früchten macht, dieser Tee vorzugsweise in den Gedärmen wirkt; wenn er aber eine Abkochung aus der Wurzel macht und sie teeartig präsentiert, kann man auf den Kopf heilend wirken. Wenn wir Wurzeln essen, wirkt das eben auf den Kopf, und zwar wirkt es so auf den Kopf, daß es materiell auf den Kopf wirkt. Das ist das ganz besonders Wichtige.

Wir können nun aber weitergehen und können sagen: Ja, aber wenn nun der Mensch nicht nur durch die Kartoffelnahrung gewis­sermaßen ausgemergelt wird, daß er nicht mehr seine Hände und Füße bewegen kann, sondern wenn er so ausgemergelt wird, daß auch diejenigen Dinge nicht mehr regsam sind, die zu der Fortpflan­zung beitragen, dann wird die Sache noch schlimmer. - Nehmen wir also an, die Kartoffelnahrung nimmt so überhand, daß das in die weiblichen Fortpflanzungsorgane hineinwirkt, daß die matt und ab-gelähmt werden. Der Mensch kommt eben nicht bloß von seinen Vor­fahren her, sondern er kommt aus der geistigen Welt mit dem gei­stig-seelischen Teil seines Wesens her, und das verbindet sich mit demjenigen, was aus den Vorfahren kommt. Nun betrachten wir ein­mal, wie die Sache ist. Ich will es recht groß, etwas vergrößert auf­zeichnen.

Wir können sagen: Der Mensch entsteht aus der weiblichen Ei-zelle. Das ist also sehr vergrößert gezeichnet. Da herein dringt der männliche Samen. Dann bilden sich allerhand sternförmige Figuren da drinnen. Zellen spalten sich ab, die bilden dann nach und nach den menschlichen Körper. Aber kein menschlicher Körper kann ge­bildet werden, wenn sich nicht verbindet mit dem, was da geschieht, das Geistig-Seelische, das aus der geistigen Welt herkommt.

Wenn nun die Sache so liegt, daß die Mutter oder der Vater zuviel Kartoffelnahrung genossen haben, dann bildet sich schon ein solcher Menschenkeim aus, der darauf veranlagt ist, daß der Kopf viel ar­beiten muß. Wenn Sie daher einen Menschenkeim anschauen von

294

jemand, der ordentlich mit Roggenbrot und so weiter genährt ist, wo Vater und Mutter eine richtige Nahrung genießen, da ist dieser Men­schenkeim etwa so (es wird gezeichnet). Wenn Sie aber einen Men­schenkeim ansehen, wo bei den Eltern zuviel Kartoffelnahrung ,war, ja, da geschieht folgendes. Das andere ist ja im Menschenkeim sehr wenig ausgebildet, vorzugsweise ist die runde Kugel des Kopfes aus­gebildet; das ist im Embryo, im Menschenkeim die Hauptsache, ist also vorzugsweise ausgebildet. Da muß das Geistig-Seelische nun hereinkommen in den Kopf. Und wenn das Geistig-Seelische in den Kopf hereinkommt, dann muß es mit dem Kopf arbeiten. Noch im Leibe der Mutter arbeitet das Geistig-Seelische des Menschen vorzugs­weise am Kopfe.

Wenn nun dieses Geistig-Seelische im Kopfe dasjenige findet, was bei der Ernährung der Mutter von Roggen und Weizen kommt, dann kann das Geistig-Seelische ordentlich arbeiten. Denn die Blüten, in denen ja der Roggen und Weizen und so weiter entstehen, die wer­den ja auch aus der Erde herausgestreckt, und da geht das Geistige schon bei der Pflanze heran, da ist das Geistige verwandt. Wenn da­her das Geistig-Seelische im Mutterleibe auf dasjenige auftrifft, was von Früchten kommt, so kann es leicht arbeiten. Trifft aber das Geistige im Mutterleibe auf einen Kindeskopf, der vorzugsweise durch die Kartoffelnahrung gebildet wird, da kann es nicht heran. Nicht wahr, die Kartoffel geht hinunter in die Erde, sie ist sogar von der Erde bedeckt; man gräbt sie aus der Erde aus, sie wächst in der Fin­sternis, sie hat keine Verwandtschaft zum Geistigen. Der Mensch kommt herunter aus der geistigen Welt, findet einen Kopf vor, der eigentlich aus der Finsternis heraus gebildet ist. Da kann er nicht her­an, der Geist, und die Folge davon ist, daß der Embryo nachher so aussieht (es wird gezeichnet) - ich zeichne es etwas karikiert -: ein riesiger Wasserkopf wird geboren. Denn wenn das Physische wächst, wenn der Geist nicht herankommt, dann wächst das Physische; der Wasserkopf bildet sich aus. Wenn der Geist herankommen kann, dann dämpft er das Wasser, dann arbeitet der Geist in der Materie und der Kopf wird ordentlich ausgebildet. So daß Sie sagen können:

Diese riesigen Wasserköpfe, die oftmals bei den Embryonen bemerkbar

295

sind, die kommen durch die mangelhafte Ernährung, vorzugs­weise wieder durch die Kartoffel, zustande. - Und so haben Sie das, daß nicht nur der Mensch selber ausgemergelt wird, sondern daß der Mensch so geboren wird, daß sein Geistig-Seelisches gar nicht richtig im physischen Leib drinnen ist.

Aber sehen Sie, die Sache ist so: Der Mensch besteht allerdings aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich; die sind aber nicht in jedem Lebensalter gleich geartet. Beim Kind bis zum sieben­ten Jahre, da ist der Ätherleib, Astralleib und das Ich so, daß sie erst wieder recht untertauchen müssen; die müssen erst ganz hinein in den physischen Leib. Wenn der Ätherleib ganz hineinkommt in den physischen Leib, kommen die zweiten Zähne. Wenn der astrali­sche Leib ganz hineinkommt in den physischen Leib, dann kommt die Geschlechtsreife. Wenn daher ein solcher Kopf vorhanden ist, wenn also das Geistig-Seelische durch die Kartoffelnahrung nicht ordent­lich in den physischen Menschen im Mutterleib hineinkann, dann wird auch dasjenige gestört, was im vierzehnten, fünfzehnten Le­bensjahre mit dem Menschen geschehen soll. Der Mensch geht dann überhaupt durch sein ganzes Leben so, als wenn er seinen Körper gar nicht hätte, als wenn der schlapp an ihm wäre. So daß also die Menschen unter dem Einfluß der Kartoffelnahrung schon nicht stark genug für das Leben geboren worden sind.

Das sind ungeheuer wichtige Dinge. Sie müssen sich nur sagen: Ja, wirklich, die sozialen Verhältnisse hängen noch von vielen anderen Dingen ab als von jenen, die man heute gewöhnlich deklamiert. Die sozialen Verhältnisse hängen auch davon ab, daß man die Felder ordentlich benützt, daß man also die Kartoffel nicht mehr anbaut, als die Menschen zu ihrem Starkwerden vertragen. Man muß also auch wirkliche, richtige Naturwissenschaft treiben können, wenn man Sozialwissenschaft treibt. Das ist durchaus nötig. Bloß davon zu re­den: Mehrwert, Kapital und so weiter, das nützt allein nichts. Denn nehmen Sie einmal an, dem Kommunismus gelänge es, alles Kapital auszurotten, er würde alles selber verwalten. Ja, wenn er von den Bürgerlichen nur eine Wissenschaft gelernt hat, die nicht in der rich­tigen Weise die Felder zu verwerten weiß, wenn er nicht weiß, daß es

296

schädlicher ist, den Magen mit Kartoffeln anzufüllen als mit Roggen und Weizen, dann hilft alles nichts. Das ist es, was man bedenken muß. So daß wir nicht das fortwährende Herumreden von dem oder jenem brauchen, sondern eine wirkliche Wissenschaft, die einsieht, wie der Geist wirken kann in der Materie.

Sehen Sie, daher kommt es ja, daß sozusagen die Änthroposophie fortwährend, ohne daß sie es will, einen Krieg gegen zwei Fronten führen muß. Warum? Nun, da sind die Wissenschafter von heute, die beschäftigen sich nur mit der Materie, aber nur mit den Prozenten von der Materie, wieviel Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und so weiter im Eiweiß enthalten sind. Dadurch lernt man aber gar nichts über die Materie. Die materielle Wissenschaft kennt gerade die Ma­terie nicht, weil man die Materie erst kennenlernt, wenn man weiß, wie der Geist drinnen arbeitet. Hilft es denn, wenn einer sagt: Ich will eine Uhr kennenlernen; gut, ich will mir die Uhr klarzumachen versuchen. Die Uhr ist aus Silber. Das Silber, das in meiner Uhr ist, das ist in dem Silberbergwerk von da und da gewonnen worden. Die­ses Silber ist dann mit Zügen nach der und der Stadt geführt worden. Da ist es abgeliefert worden an die und die Kaufleute und so weiter. Weiter ist in der Uhr ein Porzellanzifferblatt. Porzellan ist dort und dort gewonnen worden, in die und die Stadt gekommen und so weiter. - Er weiß gar nichts von der Uhr! Man weiß erst etwas von der Uhr, wenn man weiß, was der Uhrmacher daran getan hat. Und es ist gar nicht einmal wichtig, um zu verstehen, warum eine Uhr geht, daß man weiß, wie das Silber gewonnen wird in den Bergwer­ken; aber wichtig ist, daß man weiß, wie die Uhr geht, wie der Uhr­macher daran gearbeitet hat, die Räder zurecht gemacht hat und so weiter.

So ist es eigentlich im Grunde genommen höchst gleichgültig für die Gesundheit und Krankheit des Menschen, abstrakt zu wissen, aus wieviel Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Fett, Eiweiß, Kohlehy­draten und so weiter die Nahrungsmittel bestehen, sondern für die Gesundheit und Krankheit des Menschen ist es im Grunde genommen wichtig, zu wissen, wie es speziell mit der Kartoffel ist: sie nährt zum Beispiel die Menschen geistig ebensowenig, wie sie sie physisch

297

ernährt. Im Grunde ist das ganz unnötig, was darüber geschrieben ist; man muß die anderen Zwecke wissen. Für die anderen Zwecke kann man ja wissen, wie es ist mit Silberminen und so weiter, aber zum Ver­ständnis des gesunden und kranken Menschen ist diese Wissenschaft unwichtig. Doch sie merkt gar nicht, was ihr fehlt. Wenn also An­throposophie kommt und hinzufügen will, was ihr fehlt, dann be­kämpft man sie. Und so entstand die eine Kampffront nach dem Materialismus hin. Dort wird gesagt: Nun, diese Anthroposophie will alles phantastisch erklären. - Die Wissenschaft wirft der An­throposophie ihren Geist vor. Das ist die eine Front.

Die andere Front, die kommt von der Theologie, von den Vertre­tern der Religion und so weiter. Auf der Seite redet man dem Men­schen viel davon, wie die Seele in den Himmel kommt. Und man redet ja allerdings davon, daß man durch Beten und Sakramente und so weiter in den Himmel kommt. Nun schön. Aber wenn einer in der physischen Welt so drinnensteht, daß er überhaupt seinen Körper gar nicht richtig hat, also in der physischen Welt gar nicht in die richtige Beziehung zum Erdenleben kommt, dann findet er sich nach dem Tode außerordentlich schwer zurecht. Das sagen ihm die Leute nicht. Es ist durchaus notwendig, daß man ein lebenspraktischer Mensch wird und weiß, wie man die Materie ergreifen muß. So daß man sa­gen kann: Ja, Religion, Theologie reden heute den Leuten von allerlei, aber das alles reicht nicht hin, um den Menschen im irdischen Leben wirklich stark zu machen, daß er dann auch durch solche Vor­bereitung - denn durch alles das, was kenntnisloses Beten ist zum Beispiel, wird ja der Mensch gerade abgelenkt von dem, was er wissen soll für sein gesundes Leben - sich später zurechtfindet. Sie werden kaum von der Kanzel jemals verkündigen gehört haben, wie man es halten muß, damit der Mensch stark wird, mit der Kartoffel- oder mit der Weizennahrung! Wenigstens werden Sie nicht gefunden ha­ben, daß die meisten Pastoren und Priester einen großen Wert dar­auf legen, von der Kanzel herunter dem Menschen zu verkündigen, wie es sich mit derRoggen- undweizennahrung in bezug auf seineGe­sundheit verhält. Das betrachten sie als eine Nebensache, weil sie sagen: Das ist etwas Unheiliges! Heilig ist nur, wenn man betet oder

298

über das Evangelium und ähnliche Dinge redet. - Aber das göttliche Wirken ist nicht nur da, wo man Gebete gesprochen hat oder wo über das Evangelium geredet wird, sondern in der ganzen Natur; das Geistige wirkt auch da drinnen. Wenn der Mensch die Geistigkeit nicht einläßt in seinen Kopf, weil er ihn durch die Kartoffel zu stark in Anspruch nimmt, so ist es so, daß der Mensch beten kann. Sehr schön. Wenn er aber zuviel Kartoffeln ißt, so hat sein Gebet keinen Zweck mehr, denn er wird wiederum abgeleitet vom Geistigen. Aber das merken die Leute wiederum nicht. Ebenso ist es, daß Gott die Erde nicht als einen Kloß gefunden und aus ihr die Dinge gemacht hat, sondern daß tatsächlich bis ins einzelne hinein das göttliche Wir­ken überall drinnen ist und gesucht werden muß. Aber wenn man das tut, nennen einen die Theologen und Religionsleute materia­listisch! Und so wird man von denjenigen, die Wissenschafter sind, phantastische Spiritualisten genannt; von denjenigen, die Theologen sind, wird man Materialisten genannt. An dieser Art kann sich ja schon zeigen, wie wertvoll die Dinge sind. Geradeso wertvoll wie es 1908 war, als die Anthroposophie bekämpft worden ist, indem man gesagt hat: Die Anthroposophie ist jesuitisch. - Dazumal hat man behauptet, die Anthroposophen werden eigentlich von ihren Führern dem Jesuitismus ausgeliefert. Mittlerweile hat sich das Blatt gewen­det. Heute sagen die Jesuiten, die Anthroposophen würden an die Freimaurer ausgeliefert. Sehen Sie, so kommt das immer zustande! Aber um das handelt es sich nicht, sondern darum, daß man wirklich eine Wissenschaft gewinnt, die ebensogut sagen kann, warum im Mut­terleibe ein Wasserkopf entsteht statt eines richtig ausgebildeten Kopfes.

Nun werden Sie aber sagen: Es gehen doch nicht alle Leute mit einem Wasserkopf herum. - Gewiß nicht, denn natürlich wirken da wieder die anderen Kräfte dagegen, und der Kopf ist dann, wenn er geboren wird, nicht mehr so groß wie im Embryo, aber er ist nicht mehr fähig, etwas anderes aufzunehmen, wenn er geboren ist, als Kartoffeln und Wasser. Er kann sogar klein werden dabei und kann doch ein Wasserkopf sein. Aber das Wesentliche ist, daß seit der Ein­führung der Kartoffelnahrung die Köpfe im Mutterleib immer viel

299

zu groß sind. Nachher werden sie zusammengeschoben, aber gerade das Zusammenschieben vor der Geburt, das wirkt auf sie dann schä­digend, weil sie nicht imstande sind, dann Richtiges aufzunehmen, sondern einzig und allein das Materialistische. Beim geborenen Men­schen sieht man den Wasserkopf nicht mehr bloß an der Größe. Ge­wiß, der eigentliche Wasserkopf ist von der Größe abhängig, aber es handelt sich vorzugsweise darum, ob in der richtigen Weise Wasser wirkt oder etwas anderes wirken kann. Und das ist ebenso wichtig zu wissen wie alles übrige, was auf der einen Seite durch Wissen­schaft oder auf der andern Seite durch Theologie und Religion in die Menschheit kommt. Aber es ist schon notwendig, daß man gerade ordentlich auf die Sache hinschaut.

Sehen Sie, wie wird denn eigentlich die Anthroposophie behan­delt? Da ist vor einiger Zeit in Berlin eine Art Kongreß derjenigen Leute abgehalten worden, die sich «nichtanthroposophische Kenner der Anthroposophie» nennen. Sie behaupten, sie seien keine Anthro­posophen, aber sie würden die Anthroposophie kennen. Nun, da hat besonders ein Mensch geredet, der einmal hier war, aber abgefallen ist, ein gewisser Dr. Gösch. Dieser Dr. Gösch hat vor Pastoren, Lizen­tiaten, Professoren geredet. Und jetzt, nicht wahr, jetzt machen die Leute überall Vorträge gegen Anthroposophie von dem, was da dieser Dr. Gösch den Leuten erzählt hat. Sie werden nun sagen: Da haben eben diese Leute, Lizentiaten, Professoren aus dem, was ihnen der Dr. Gösch gesagt hat, die Überzeugung gewonnen, daß die Anthroposo­phie sehr schädlich ist. - Aber bitte, beachten Sie folgendes: Was ist ungefähr im Gehirne eines heutigen Pastoren, Professors, Lizentiaten drinnen, und hören Sie dann, was der Dr. Gösch den Leuten gesagt hat. Der hat gesagt: Die Anthroposophie, die ist deshalb besonders schädlich, weil die Anthroposophen betrogen werden - denn Frau Dr. Steiner und Dr. Steiner, die haben eigentlich vor, von der Erde ein Stück abzuspalten, es von der Erde abzutrennen und einen eige­nen Planeten zu bilden, und mit all den Anthroposophen zusammen im Weltenall also eine solche Planetenwelten-Kolonie zu begründen!

- Das hat dieser Dr. Gösch den erleuchteten Leuten vorgeredet! Nun können Sie sich denken, daß keiner von denen an das ja wirklich

300

glaubt, aber er tut so, als ob er durch diese Rede überzeugt worden wäre von der Schädlichkeit der Anthroposophie.

Nun denken Sie, was für eine Verrücktheit darinnen steckt! Aber dieselben erleuchteten Leute, die sitzen ja nicht nur bei dieser Ver­sammlung, sondern am nächsten oder folgenden Tag, da sitzen sie bei allerlei anderen Versammlungen, wo über allerlei Schicksale ent­schieden wird. Da sind sie natürlich nicht gescheiter als bei den andern Versammlungen. Das muß man bedenken, was für Leute eigentlich heute die Welt regieren! Also seien Sie sich klar darüber, daß die Gegnerschaft gegen Anthroposophie eine wirkliche Gegner­schaft gegen die Wahrheit ist. Man will es nicht an den Tag kommen lassen, was in diesen Dingen eigentlich steckt, was alles herauskommt an Dingen über den Menschen. Man sagt: Die Anthroposophie, die ist etwas Geheimnisvolles. - Ja, meine Herren, wie soll sie denn etwas anderes sein, als etwas Geheimnisvolles? Selbstverständlich ist sie et­was Geheimnisvolles, aber sie ist nichts Geheimnisvolleres als es etwas Geheimnisvolles ist, wenn einem einer etwas gestohlen hat und ver­steckt hat; da ist das, bis man es aufgefunden hat, geheimnisvoll. So ist auch die Anthroposophie geheimnisvoll, weil die Wissenschaft und das andere geistige Leben diese Dinge versteckt hat; deshalb ist na­türlich die Anthroposophie heute etwas so Geheimnisvolles. Aber es hört ja auf, geheimnisvoll zu sein in dem Moment, wo man es gefun­den hat! Sie will gar nichts Geheimnistuerisches sein, aber dasjenige, was die andern versteckt haben, will sie gerade ans Licht bringen.

Ich muß jetzt nach Wien fahren und werde es Ihnen dann sagen lassen, wenn wir fortsetzen können.

302

HINWEISE

Zu Seite

13 jene alte Indianerbevölkerung: Siehe den 3. Vortrag vom 3. März 1923 in Band 3 der Arbeitervorträge, Gesamtausgabe Dornach 1961.

15 Warum erinnert man sich nicht an die früberen Inkarnationen: Siehe den

10. Vortrag vom 18. April 1923 in Band 3.

16 Die brauchen dann ein Drittel vom ganzen Erdenleben: Siehe den 11. Vor­trag vom 21. April 1923 in Band 3.

16 wenn ich einen Hemdknopf hingelegt habe: Siehe Hinweis zu Seite 15.

17 Wir lernen erst stehen und geben: Siehe den 5. Vortrag vom 17. März 1923 in Band 3.

18 wir haben auch einen feinen Ätherleib: Siehe Hinweis zu Seite 17.

25 die «Kernpunkte»: «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnot­wendigkeiten der Gegenwart und Zukunft«. Die 1. Auflage erschien 1919 5. Auflage Gesamtausgabe Dornach 1961.

40 Rudolf Falb, 1838-1903, Geologe. «Grundzüge einer Theorie der Erdbeben und Vulkanausbrüche», Wien 1870.

44 die Leber ein innerer Beobachter: Siehe den 4. Vortrag vom 9. September

1922 in »Die Erkenntnis des Menschenwesens nach Leib, Seele und Geist», Dornach 1957.

55 die Leber ein Wabrnebmungsorgan: Siehe den Hinweis zu Seite 44.

65 Das Fußballspiel: Siehe den 1. Vortrag dieses Bandes, vom 30. Mai 1923

66 über Farben: Siehe den 2. Vortrag vom 21. Februar 1923 in Band 3.

69 das ist erst 1859 gefunden worden: 1859 entdeckten Bunsen und Kirchhoff die Spektralanalyse.

71 Wodurch entstehen Farben? Siehe den Hinweis zu Seite 66.

73 eine luftleere Glasröhre: die sog. Geißlerschen Röhren, benannt nach Hein­rich Geißler, 1815-1879.

73 Röntgenstrahlen: 1895 durch Röntgen, 1845-1923, entdeckt.

77 So gab es im Mittelalter einen Spruch: Er wird in der alchemistischen Litera­tur des 18. Jahrhunderts oft zitiert und wird dem Basilius Valentinus zu­geschrieben, der um 1413 in Erfurt als Benediktinermönch im Peterskloster gelebt haben soll. Der Spruch findet sich in ähnlicher Fassung in den »Ge­sammelten Schriften des Basilius Valentinus», Hamburg 1740.

92 George Stephenson, 1781-1848, englischer Ingenieur, baute 1814 in England die erste brauchbare Lokomotive und 1825 die erste Eisenbahn.

96 Karl Ludwig Schleich, 1859-1922, Chirurg und Schriftsteller.

98 Sir Oliver Lodge, geb. 1851, englischer Physiker.

113 Julius Robert Mayer, 1814-1878, Arzt und Physiker, erkannte 1842 das Ge­setz von der Erhaltung der Energie und 1851 das mechanische Wärme-äquivalent.

303

120 Neulich habe ich Ihnen dargestellt: Siehe den 2. Vortrag dieses Bandes vom

2. Juni 1923.

125 Nikolaus Kopernikus, 1473-1543. Seine schon um 1507 konzipierte Lehre wurde 1543 veröffentlicht.

128 Robert Hamerling, 1830-1889.

133 Und nun habe ich Ihnen gesagt: im 2. Vortrag dieses Bandes, vom 2. Juni

1923.

141 Christian Thomasius, 1655-1728, Philosoph und Jurist, hielt 1688 an der Universität Leipzig zum erstenmal in deutscher Sprache Vorlesungen.

144 Dr. Heinrich Türler, geb. 1861, war Universitätsprofessor in Bern.

151 Immanuel Kant, 1724-1804, Begründer des Kritizismus.

161 Friedrich Nietzsche, 1844-1900, seit 1889 geisteskrank.

170 Eduard Berostein, 1850-1932, sozialistischer Theoretiker, begründete in den 1890er Jahren den Revisionismus als gemäßigte Richtung, lehnte die Revolution ab.

170 August Bebel, 1840-1913, begründete mit Wilhelm Liebknecht 1869 die Sozialdemokratische Partei.

183 Richard Traugott, »Der Traum», 1913.

201 es gibt ein Lexikon: Pierers Konversations-Lexikon. Der Satz heißt: «Er (Drake) stand lange irrtümlich im Rufe, die Kartoffeln in Europa einge­führt zu haben,weshalb ihm 1853 in Offenburg ein Denkmal gesetzt wurde».

209 Karl Hansen, geb. 1833, dänischer Hypnotiseur, wanderte 1853 nach Australien aus, trat dort 1859 als Magnetiseur auf und wendete später in den skandinavischen Ländern, Deutschland und so weiter durch öffentliche Schaustellungen die öffentliche Aufmerksamkeit in hohem Grade dem Hypnotismus zu, ohne selbst zu dessen wissenschaftlicher Erforschung beizu­tragen.

243 Leo XIII. erklärte 1879 Thomas von Aquino zum ersten Lehrer der katholi­schen Kirche.

263 Fünfzehnter Vortrag: Es scheint, daß dieser Vortrag am 11. und nicht am

10. September 1923 gehalten worden ist.

263 der zweite Kursus: «Die geistige und physische Welt- und Ilensebheitsent­wickelung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Lichte der Anthroposophie», 13 Vorträge vom 19. bis 31. August 1923 in Penmaenmawr. Erschienen als «Initiations-Erkenntnis», Gesamtausgabe Dornach 1960.

268 der erste Kursus: »Gegenwärtiges Geistesleben und Erziehung», 11 Vorträge vom 6. bis 17. August 1923 in Ikley, Gesamtausgabe Stuttgart 1957.

278 Dr. Friedrich Rittelmeyer, 1872-1938, begründete im Herbst 1922 die «Christengemeinschaft», Bewegung für religiöse Erneuerung, für die Rudolf Steiner auch den Kult angab.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.