GA 331

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER DAS SOZIALE LEBEN UND
DIE DREIGLIEDERUNG DES SOZIALEN ORGANISMUS

Betriebsräte und Sozialisierung

Diskussionsabende mit den Arbeiterausschüssen
der großen Betriebe Stuttgarts

Einleitende Worte, Diskussionsbeiträge und
Schlußworte auf neun Versammlungen
in Stuttgart vom 8. Mai bis 23. Juli
und ein dokumentarischer Anhang

GA 331

1989

Inhaltsverzeichnis


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VORBEMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS

1. Zur Geschichte der Betriebsräte-Bewegung

Die Weigerung der deutschen Hochseeflotte, zu einem letzten und in seiner Zielsetzung umstrittenen Angriff auf die englische Flotte auszulaufen (Ende Oktober 1918), und der Aufstand der Matrosen in Kiel (Anfang November) bildeten den Auftakt einer von revolutionären Unruhen geprägten Zeit. Der Krieg war für Deutschland verloren, die Politik des Reiches hatte gründlich versagt, die Wirtschaft war an ihrem Nullpunkt angekommen. Hunger und Elend trieben die Arbeiter in Scharen auf die Straßen. Ihre Unzufriedenheit und ihre Verzweiflung entluden sich in Massenstreiks und Massenaufstän­den. Das Ende des Kapitalismus schien besiegelt. Sozialistische Zielsetzun­gen hatten Hochkonjunktur. Die nach der Abdankung des Kaisers am 9. November 1918 alles und jeden bewegende Frage war die nach der zukünfti­gen politischen Verfassung des Reiches, anders ausgedrückt: nach der Neu-bzw. Umverteilung politischer und somit auch wirtschaftlicher Macht. An dem nun einsetzenden Kräftespiel waren auch die vielerorts spontan entstan­denen Arbeiter- und Soldatenräte beteiligt, die in dem durch sie legitimierten «Rat der Volksbeauftragten» das Instrument sahen, mit dessen Hilfe, so Matthias Erzberger, «das sozialistische Programmverwirklichtwerdenkann».

In Anlehnung an historische Vorbilder wie die Pariser Kommune von 1871 und die Streikkomitees und Sowjets der russischen Revolution von

1905 verstanden sich die «Räte», die ihrem Wesen nach antiparteilich waren, einerseits als Interessenvertreter der unterprivilegierten Schichten, anderer­seits als Kampforgane, deren Aufgabe es war, mit gezielten Aktionen die bestehende Ordnung zu erschüttern, und schließlich auch als Staatsorgane eines unmittelbar sich selbst regierenden Volkes (vgl. Peter von Oertzen, «Betriebsräte in der Novemberrevolution», Düsseldorf 1961). Die durchweg antikapitalistisch eingestellten «Räte» strebten eine freiheitlich-sozialistische Wirtschaftsordnung an und hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die formale bürgerliche Demokratie durch eine freiheitlich-sozialistische Staatsverfas­sung zu ersetzen. Mit der Forderung nach einer «Räte-Republik» stand die Arbeiterschaft deutlich in Opposition zum traditionellen System der parla­mentarischen Repräsentanz, das ihr bisher lediglich formale Rechte Zuge-stand, d.h. ihren Einfluß bei staatlichen Entscheidungen auf die bloße

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Stimmabgabe bei allgemeinen Wahlen reduzierte. Im Gegensatz zum klassi­schen Parlamentarier unterlagen die Räte einer ständigen Kontrolle und Rechenschaftspflicht und konnten jederzeit durch ein Mehrheitsvotum der Basis (Arbeiter, Bauern, Soldaten) abberufen werden.

Eine wichtige Vorentscheidung über die zukünftigen Machtverhältnisse im Deutschen Reich fiel auf dem Berliner Räte-Kongreß (16.-20. Dezember 1918). Dort hatten sich wider Erwarten die «Mehrheitssozialisten» mit ihrer Forderung nach der Wahl einer Nationalversammlung, die ihrerseits die konkrete Struktur einer neuen parlamentarischen Republik ausarbeiten soll­te, gegen die Vertreter des Gedankens einer zukünftigen Räte-Republik durchsetzen können. Die Folge war eine baldige Zersplitterung der Räte-Bewegung, die nach der einen Seite hin zur Anpassung an die Beschlüsse von Berlin und nach der anderen Seite hin zu einer Abspaltung und zugleich Radikalisierung (Gründung der Revolutionären Kommunistischen Arbeiter­partei, später KPD) führte.

Nachdem mit den am 19. Januar 1919 erfolgten Wahlen zur Nationalver­sammlung die Weichen für eine bürgerlich-parlamentarisch-demokratische Republik gestellt waren, verlagerte sich der Schwerpunkt der Aktivitäten der Vertreter des Räte-Gedankens auf das Gebiet der Wirtschaftsverfassung und hier insbesondere auf die Durchsetzung der gesetzlichen Verankerung der schon seit geraumer Zeit zur Diskussion stehenden Betriebsräte.

Bereits im November 1918 hatte der «Rat der Volksbeauftragten» an­geordnet, daß «zur Wahrung der politischen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter und Angestellten» Betriebsräte zu wählen sind, welche die Aufgaben der bisherigen Arbeiter- und Angestelltenausschüsse zu erfüllen haben. Die Einrichtung einer ständigen Vertretung der Arbeiterschaft inner­halb der Betriebe hat in Deutschland erstmals im Arbeiterschutzgesetz vom Juni 1891 ihren Niederschlag gefunden. Modifiziert wurde dies dann, wenn auch unter merkwürdigen Vorzeichen, in dem sogenannten Hilfsdienstge­setz vom Dezember 1916, das allen für den vaterländischen Hilfsdienst, sprich: für die Rüstung tätigen gewerblichen Betrieben mit mindestens 50 Arbeitern bzw. Angestellten die Errichtung von Arbeiter- und Angestellten­ausschüssen vorschrieb.

Unter dem Druck landesweiter Streiks und vielerorts immer wieder aufflammender Unruhen in den Betrieben kündigte die Regierung im Früh­jahr 1919 einen Betriebsräte-Gesetzentwurf an, der Anfang Mai den ver­schiedenen Verbänden zur Begutachtung vorgelegt wurde. Während die Vertreter der Regierung, der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und der Räte-Bewegung

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in den folgenden Wochen und Monaten in unzähligen Verhand­lungen um jede Formulierung des zukünftigen Betriebsräte-Gesetzes rangen, begann man bereits in zahlreichen Betrieben «wilde», d.h. noch nicht legali­sierte Betriebsräte zu wählen und Richtlinien ihrer Kompetenzen zu erarbei­ten (siehe hierzu die ausführlichen Darstellungen bei Peter von Oertzen). Die Kluft zwischen den aus den Verhandlungszimmern tönenden Ergebnis­sen und den Forderungen der Arbeiterschaft wurde jedoch immer tiefer. Anläßlich der 2. Lesung des Betriebsräte-Gesetzes am 13. Januar 1920 entlud sich der angestaute Unmut der Arbeiterschaft in einer Massendemonstration vor dem Berliner Reichstag, die mit dem Einsatz der bereits «bewährten» Mittel Noskescher Politik, der «militärischen Befriedung Deutschlands», in einem Blutbad unter den Demonstranten endete. Das Betriebsräte-Gesetz, das bei weitem nicht den Intentionen derer entsprach, die sich seit Monaten an der Front der Arbeiterschaft für eine Demokratisierung der Betriebe eingesetzt hatten, trat am 4. Februar 1920 in Kraft.

2. Rudolf Steiner und die Stuttgarter Betriebsräte-Bewegung

Die vom Norden Deutschlands ausgehenden Unruhen hatten in kürzester Zeit den Süden des Reiches erreicht. Am 9. November 1918, jenem Tag, an dem Philipp Scheidemann in Berlin die Republik ausrief, wurde in Stuttgart unter dem Druck der Massen der württembergische König abgesetzt und eine provisorische Regierung («Revolutionsregierung») unter Führung des Mehrheitssozialisten Wilhelm Blos eingesetzt.

Die Lage der Industriearbeiter in Württemberg war mit Kriegsende und dem dadurch bedingten Wegfall der Rüstungsaufträge ähnlich prekär wie in den anderen großen deutschen Industriezentren, und so ist es auch nicht verwunderlich, daß der Rätegedanke auch hier auf große Sympathien inner­halb der Arbeiterschaft stieß und sich schon recht bald vielerorts Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte bildeten. Um den Forderungen der Arbeiterschaft mehr Nachdruck zu verleihen, wurde an der Versammlung des «Arbeiterra­tes Groß-Stuttgart» vom 26. November ein «Vollzugsausschuß des Arbeiter­rates Groß-Stuttgart» gewählt, zu dessen Aufgaben es u. a. gehörte, als Kon­trollorgan «neben der Regierung, aber nicht gegen sie» zu wirken sowie Vorschläge für eine neue württembergische Verfassung auszuarbeiten. Hö­hepunkt der Versammlung war die Verabschiedung des «Satzungsentwurfs für die Arbeiterräte der Republik Württemberg», auf dessen Grundlage in

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den folgenden Wochen und Monaten die Wahl von Arbeiterausschüssen forciert und die von Betriebsräten eingeleitet wurde (vgl. Eberhard Kolb/ Klaus Schönhoven, «Regionale und lokale Räteorganisationen in Württem­berg 1918/19», Düsseldorf 1974).

Aber auch von seiten der Regierung war man nicht untätig. So hatte das Arbeitsministerium im Dezember 1918 eine Kommission einberufen, die prüfen sollte, ob und welche Zweige der württembergischen Industrie bzw. ob und welche Einzelbetriebe vergesellschaftet werden könnten. Im Gegen­satz zur Berliner Sozialisierungskommission, die vorwiegend eine Angele­genheit von Theoretikern war, verfolgte die Stuttgarter Sozialisierungskom­mission eine mehr praxisorientierte Strategie, indem sie einerseits den Arbeiterrat, andererseits aber auch Unternehmer wie z.B. Robert Bosch und Emil Molt, Direktor der Waldorf Astoria-Zigarettenfabrik und mit den Dreigliederungsgedanken Rudolf Steiners eng vertraut, zu den Beratungen hinzuzog.

Doch ein wirklich sozialer Friede lag noch in weiter Ferne. Der Unmut und die Unzufriedenheit innerhalb der Arbeiterschaft wuchsen von Tag zu Tag, und während der Arbeiterrat in seiner Sitzung am 10. Januar über Erwerbslosenfürsorge und die Kontrollrechte der Arbeiter- und Bauernräte diskutierte, lieferten sich die Regierungstruppen und aufgebrachte Demon­stranten erbitterte Straßenschlachten. Die Lage verschärfte sich zusehends. So kam es in den folgenden Wochen in vielen Betrieben zu wilden Streiks und in zahlreichen Städten zu immer heftiger werdenden Massendemonstra­tionen. Gleichwohl, die Verhandlungen über Sozialisierungsfragen gingen weiter, und die Wahl von Arbeiter- bzw. Betriebsräten wurde intensiv voran­getrieben.

Als Rudolf Steiner am 20. April in Stuttgart eintraf, war zwar die Rich­tung seiner Tätigkeit für die nächsten Wochen deutlich vorgezeichnet, doch daß er schon bald in die Auseinandersetzungen um die Betriebsräte-Frage in einem solchen Maße einbezogen sein würde, wie dies dann der Fall sein sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Daß er nach Stuttgart gekommen war, um hier in bezug auf die nach Lösungen drängenden sozia­len Probleme etwas in Bewegung zu setzen, ging vor allem auf die Initiative des Stuttgarter Industriellen Emil Molt zurück, der sich angesichts der deso­laten Wirtschaftslage seit dem Machtwechsel um die Gründung einer Würt­tembergischen Industrie-Treuhand-Bank bemüht hatte und innerhalb der Sozialisierungskommission für umfassende Reformen im Sinne der Ideen Rudolf Steiners eingetreten war. So hatte er am 25. Januar 1919 zusammen

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mit Hans Kühn und Roman Boos Rudolf Steiner in seinem Dornacher Atelier aufgesucht, um mit ihm «Die Grundsätze zur sachlichen Aufbaupoli­tik», ein Konzept, das im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit im Stuttgarter «Rat der geistigen Arbeiter» entstanden war, zu erörtern. Nachdem Rudolf Steiner einige Zeit zugehört hatte, sagte er: «Wir können nicht mehr an Altes anknüpfen, sondern wir müssen von uns aus ganz Neues bringen, das auf sich selber steht. Ich werde Ihnen ein Dokument geben.» (Vgl. Emil Molt, «Entwurf meiner Lebensbeschreibung», Stuttgart 1972.) Wenige Tage später überreichte er ihnen seinen «Aufruf an das deutsche Volk und an die Kulturwelt», der, unterzeichnet von zahlreichen Persönlichkeiten aus Wis­1 senschaft, Kultur und Wirtschaft, in den folgenden Wochen als Flugblatt

und in zahlreichen Zeitungen verbreitet wurde.

Ein weiteres Ergebnis des Dornacher Gesprächs, das am 27. Januar fortgesetzt wurde, war der Entschluß, die Erinnerungen des deutschen Gene­ralstabschefs Generaloberst von Moltke zu publizieren. Rudolf Steiner hatte die Aufzeichnungen des 1916 verstorbenen Generals, die einen Einblick geben in jene entscheidenden Stunden, die der deutschen Mobilmachung vorausgingen, von dessen Witwe, Eliza von Moltke, erhalten und sie um ihre Zustimmung für eine Veröffentlichung gebeten, da er eine Kenntnisnah­me der damaligen Ereignisse durch eine möglichst breite Öffentlichkeit für eine sachgemäße Beurteilung der Kriegsschuldfrage für unerläßlich hielt.

Ein dritter Beschluß galt dem Vorhaben der Gründung einer Freien Schule für die Kinder der Arbeiter der Waldorf Astoria-Zigarettenfabrik, in der man einen ersten Schritt sah, im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus das Erziehungs- und Unterrichtswesen aus der Allmacht des Staates herauszulösen und, längerfristig betrachtet, einem freien, sich selbst-verwaltenden Schulwesen den Weg zu ebnen.

Um Rudolf Steiners «Aufruf» zu einer entsprechenden öffentlichen Wirksamkeit zu verhelfen, hatte sich in Stuttgart ein Komitee gebildet, das Rudolf Steiner kurz nach seiner Ankunft über die bisherigen Ereignisse und Aktivitäten orientierte und darüber hinaus mit ihm Fragen der Gestaltung der weiteren Arbeit im Hinblick auf eine öffentliche Verbreitung des Drei­gliederungsgedankens erörterte. Der erste Höhepunkt seines Stuttgarter Aufenthaltes war die öffentliche Versammlung der Unterzeichner des «Auf­rufes» am 22. April. «Der Stadtgartensaal», so Emil Leinhas, «war bis zum letzten Stehplatz gefüllt. Bis dicht an das Rednerpult drängten sich die Menschen» (vgl. Emil Leinhas, «Aus der Arbeit mit Rudolf Steiner», Basel 1950). Nach einer mit großer Begeisterung aufgenommenen Rede Rudolf

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Steiners und einer sich anschließenden lebhaften Diskussion wurde einstim­mig beschlossen, einen «Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus» zu begründen, um so nachhaltiger in der breiten Öffentlichkeit für die Idee der Dreigliederung wirken zu können. Diese Versammlung war zugleich der Auftakt einer wahren Vortragsflut und Aufklärungsarbeit vor allem innerhalb der Stuttgarter Arbeiterschaft.

Die erste Einladung von seiten eines der Arbeiter- und Angestelltenaus­schüsse führte Rudolf Steiner in eine Betriebsversammlung der Waldorf Astoria-Zigarettenfabrik (23. April), in deren Verlauf eine Resolution an die Württembergische Regierung verabschiedet wurde, die einstimmig die Berufung Rudolf Steiners in die Regierung «zwecks sofortiger Inangriffnah­me der Dreigliederung forderte» (vgl. Carl Unger, «Zur Geschichte der Dreigliederung» in Nr.1 der Wochenzeitung «Dreigliederung des sozialen Organismus», 8.Juli 1919). Dem Bericht Ungers zufolge wurde diese Resolu­tion (siehe Anhang III) «in über 20 großen Arbeiterversammlungen und in mehreren Veranstaltungen im überfüllten Gustav-Siegle-Haus vorgelegt und im ganzen von 10 000 bis 12 000 Menschen angenommen».

In den folgenden Tagen sprach Rudolf Steiner, wiederum auf Einladung der jeweiligen Arbeiter- und Angestelltenausschüsse, vor der versammelten Belegschaft der Firma Robert Bosch (24. April), der Daimler-Werke in Stuttgart-Untertürkheim (25. April), der Delmonte-Kartonagefabrik (26. April) und am folgenden Tag vor Arbeitern der Esslinger Großbetriebe. Mit Schreiben vom 28. April 1919 (siehe Anhang II) wandte sich die Würt­tembergische Sozialisierungskommission an Rudolf Steiner mit der Bitte, an der Sitzung des Unterausschusses IV, der sich mit Fragen der Gewinnbe­teiligung der Arbeiter beschäftigte, am 30. April im Sitzungssaal des Innen-ministeriums teilzunehmen. Über den Verlauf dieser Sitzung ist nichts Nähe­res bekannt, doch muß das Ergebnis recht enttäuschend gewesen sein, denn Emil Molt, der an ihr teilgenommen hatte, notierte nachträglich: «Einmal gelang es, Dr. Steiner selbst in eine Sitzung zu bringen, allerdings nur im kleinsten Kreise. Es kam aber nichts dabei heraus.» (Vgl. Manuskript S.279 zu dem 1972 erschienenen «Entwurf meiner Lebensbeschreibung»; im Druck ist dieser Passus weggefallen.)

Am 29. April wurde von einem namentlich nicht mehr festzustellenden Kreis von Arbeitern (siehe Anhang I) an die «Vollversammlung des Arbeiter­rats Groß-Stuttgarts» der Antrag gerichtet, Rudolf Steiner darum zu bitten, an einer nächsten Versammlung über Fragen der Sozialisierung zu sprechen. Dem Antrag wurde stattgegeben, denn an der nächsten Vollversammlung,

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am 7. Mai, konnte Rudolf Steiner seinen Vortrag halten, an den sich eine längere Diskussion anschloß (siehe Anhang I).

Die am darauffolgenden Tag (8. Mai) einberufene Versammlung der «Arbeiterausschüsse der großen Betriebe Stuttgarts», an der Rudolf Steiner den einleitenden Vortrag über die Begründung von Betriebsräten aus der Sicht der Dreigliederungsidee hielt und der mit großer Begeisterung aufge­nommen wurde, war der Auftakt zu sieben sich anschließenden Diskus­sionsabenden und einer Betriebsräteversammlung zur «Bildung der vorbe­reitenden württembergischen Betriebsräteschaft», die den Inhalt des hier vorliegenden Bandes bilden.

Entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers trat Rudolf Steiner in diesen Versammlungen u. a. für die Einbeziehung der «geistigen Arbeiter» und damit auch der Betriebsleiter und Unternehmer in die Betriebsratswah­len ein. Ein weiterer Schwerpunkt seines Wirkens galt der Begründung einer Betriebsräteschaft als eigenständiges Wirtschaftsorgan, d.h., daß sich die in den einzelnen Betrieben gewählten Betriebsräte zusammenschließen und aus ihren Reihen heraus einen wirtschaftlichen Zentralrat bilden sollten, der von nun an die Geschicke des Wirtschaftslebens lenken sollte. Vor allem letzteres wurde von der Arbeiterschaft mit großem Interesse aufgenommen, doch rief dieser Gedanke schon bald auch die Gegner auf den Plan. Aus den Reihen linksgerichteter Parteien und der Gewerkschaften, aber auch von seiten der Arbeitgeberverbände begann man immer lautstärker die Akti­vitäten des «Bundes für Dreigliederung», der in der von ihm geführten Propaganda nicht gerade sehr zurückhaltend war und eine «reichlich radikale Sprache führte» (vgl. Hans Kühn, «Dreigliederungszeit», Dornach 1978), zu kritisieren und schließlich zu diffamieren. Ganz offensichtlich empfanden sie die Ideen Rudolf Steiners und das positive Echo, das sie innerhalb der Arbeiterschaft gefunden hatten, als eine Gefährdung der eigenen Interessen und Strategien, denn immer häufiger sprach man nun von einer ideologischen Verführung durch Rudolf Steiner bzw. durch den «Bund für Dreigliede­rung» und appellierte an die Parteidisziplin. Das so entstandene Klima ließ eine Fortsetzung der Tätigkeit Rudolf Steiners innerhalb der Arbeiteraus­schüsse nicht mehr zu. Es zeigte sich damals aber auch, daß die Zahl der aktiv in der Dreigliederungsbewegung Tätigen zu gering war, um angesichts der Macht der Parteien und der Gewerkschaften eine größere Breitenwir­kung zu erzielen.

In der Folgezeit wurde die Wahl von Betriebsräten immer mehr zur Angelegenheit der Parteien und Gewerkschaften und erhielt damit eine sehr

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einseitige Prägung. Sowohl die Impulse, die ursprünglich innerhalb der Räte­Bewegung lebten, als auch die Anregungen zu einer umfassenden Sozialisie­rung, wie sie von Rudolf Steiner und seinen Mitarbeitern an die Arbeiter­schaft herangetragen wurden, vermochten sich nicht durchzusetzen. Das im Januar 1920 verabschiedete Betriebsräte-Gesetz war letztlich das Ergebnis von Kompromissen, die tendenziell das Alte bestätigten, wenn sie auch für kurze Zeit zu einer Normalisierung der Lage innerhalb der Arbeiterschaft beizutragen vermochten. Die Chance, eine umfassende Sozialisierung einzu­leiten und sich damit auch vom Ballast liberal-kapitalistischer Mentalitäten zu befreien, blieb fürs erste ungenutzt. Die Versaumnisse sollten schon wenig später Deutschland in die nächste Krise hineinführen, deren Ausmaße diejenigen, unter denen man dazumal litt, noch bei weitem übertreffen sollten.

Die in diesem Band wiedergegebenen Vorträge und Diskussionsvoten geben einerseits einen Einblick in jenes Kapitel deutscher Nachkriegsge­schichte, das gleichermaßen geprägt war von dem völligen Zusammenbruch der bis dahin für unerschütterlich geglaubten Verhältnisse und der Hoffnung auf durchgreifende Veränderungen. Zugleich ermöglichen sie aber auch, teilzunehmen an einem Lösungsansatz, der, was das Grundsätzliche betrifft, bis heute an Aktualität nichts eingebüßt hat. Denn nach wie vor haben wir es mit einem anachronistischen Eigentumsbegriff, haben wir es mit einem längst überholten Verständnis des Zusammenhanges von Arbeit und Ein­kommen zu tun, und nach wie vor gilt der Einheitsstaat als das Nonplusultra, obgleich die Verhältnisse heute stärker denn je nach einer Entflechtung der drei Gebiete Wirtschaftsleben, Rechtsleben und Geistesleben drängen.

Da es sich bei den Ausführungen in diesem Band um vom Redner nicht selbst durchgesehene bzw. überarbeitete Texte handelt und die Aufzeich­nungen des Stenografen angesichts seiner außerordentlichen Inanspruchnah­me (die einzelnen Veranstaltungen zogen sich über mehrere Stunden hin!) inhaltlich und formal bisweilen ebenso turbulent sind wie der Verlauf der Versammlungen selbst, d.h. nicht als druckreife Textunterlage angesehen werden können, bedurfte es hier einer redaktionellen Bearbeitung, die über das sonst übliche Maß hinausgeht. Näheres hierzu siehe unter Zu dieser Ausgabe auf S.303 dieses Bandes.

Walter Kugler

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Rudolf Steiner - Einleitungen und Voten bei Versammlungen und Diskussionsabenden

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VERSAMMLUNG DER ARBEITERAUSSCHÜSSE DER GROSSEN BETRIEBE STUTTGARTS Stuttgart, 8. Mai 1919

Einleitende Worte von Rudolf Steiner

Meine sehr verehrten Anwesenden! Unter dem Eindruck dessen, was Ihnen der Herr Vorsitzende gesagt hat, stelle ich mir vor, daß sich heute unser Abend vorzugsweise so abspielen könnte, daß die verehrten Anwesenden konkrete Fragen stellen. Auf diese Weise werden wir am besten unseren Zweck, der Ihnen eben vorgetragen worden ist, erreichen. So wird es vielleicht am besten sein, wenn ich nur weniges vorausschicke, um Ihnen eine kleine Unterlage für die nachfolgende Diskussion, die, wie ich glaube, heute die Hauptsache sein sollte, zu geben.

Sie werden ja, wie der Herr Vorsitzende vorausgesetzt hat, Kennt­nis genommen haben von dem, was ich aus einer lebenslangen Erfah­rung heraus an Vorschlägen für einen wirklich praktischen Weg zur Sozialisierung, die erst unter den laut sprechenden Tatsachen der Gegenwart zum Abschluß gekommen sind, machen mußte. Nur kurz möchte ich, gewissermaßen wiederholend, einiges charakterisieren.

Es geht darum, daß in der Zukunft radikal das angestrebt wer­den muß - und es kann viel schneller angestrebt werden, als viele glauben -, was ich in einem «Aufruf» und in meinem Buch die Dreigliederung des sozialen Organismus genannt habe. Diese Drei-gliederung würde dazu führen, daß in der Zukunft ein eigenständi­ger geistiger Organismus da sein würde, der sich selbst verwaltet und der die Aufgabe hätte, die Naturgrundlage des Menschen, also seine individuellen Fähigkeiten, so zu pflegen, wie man sonst im Wirtschaftsleben die Naturgrundlagen pflegen muß. Das zweite würde die Organisation sein, die an die Stelle des gegenwärtigen Staates zu treten hat, die eigentliche Rechtsorganisation. In ihr würde zunächst vor allen Dingen alles das zu regeln sein, was die gegenwärtigen Besitz- und Eigentumsverhältnisse, auf die es

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ja bei der wirklichen Sozialisierung vor allen Dingen ankommt, in einen wünschenswerten nächsten Zustand überführt. Auf der einen Seite hätte man also zunächst das - es kommen natürlich unermeßlich viele Dinge im Laufe der Zeit in Betracht -, was an die Stelle des Staates zu treten hätte. Man würde also die gegen­wärtigen Gewalt-, Besitz- und Eigentumsverhältnisse überzuführen haben in solche Verhältnisse, die auf das Recht, in dem alle Men­schen gleich sind, gebaut sind. Und auf der anderen Seite würde in diesem, den Staat ersetzenden mittleren Glied des sozialen Or­ganismus alles das geregelt werden, was das gesamte Gebiet des Arbeitsrechtes umfaßt.

Das Arbeitsrecht sehe ich immer dann gefährdet, wenn es inner­halb des Kreislaufes des Wirtschaftslebens selbst geregelt werden soll. Jene Schäden, die vor allen Dingen im heutigen Wirtschafts­körper auftreten, werden gewöhnlich falsch beurteilt. Ich habe mir viel Mühe gemacht, mir nicht aus dem, was über die Dinge ge­schrieben worden ist - denn daraus ist in Wahrheit sehr wenig zu entnehmen -, sondern gerade aus dem Leben heraus ein ent­sprechendes Bild zu machen. Ich möchte diese Dinge heute nur kurz referieren, damit wir zu konkreten Fragen kommen können. Ich habe es in meinem Buch ja ausführlich begründet: Solange der Glaube herrscht, daß man das, was Arbeitszeit, was Maß und Art der Arbeit sein muß, innerhalb des Wirtschaftskörpers selbst regeln will, so lange kann der Arbeiter nicht zu seinem Recht kommen. Der Arbeiter muß bereits sein Arbeitsrecht voll geregelt haben, wenn er dem Arbeitsleiter nur irgendwie gegenübertritt. Nur dann ist er in der Lage, einen wirklichen Vertrag zu setzen an die Stelle der heutigen Scheinverträge, des Lohnvertrages, oder wie man es nennen will, der kein freier Vertrag ist, weil der Arbeiter nicht das Arbeitsrecht hinter sich hat, das ihn erst in die Lage versetzt, einen wirklich freien Vertrag zu schließen. In dieser Wirtschaftsordnung kann der Arbeiter nicht zu seinem Recht kommen, sondern nur durch die Abgliederung der gesamten Rechtsverhältnisse vom Wirtschaftsleben und ihrer Überführung in das, was an die Stelle des Staates zu treten hat.

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Als drittes käme der selbständige Wirtschaftsorganismus in Be­tracht. In ihm wird man es dann nicht mehr mit irgendeiner Abhängigkeit des Arbeitsrechts von einer wie auch immer gearte­ten Konjunktur, Preisbildung und so weiter zu tun haben, sondern alle wirtschaftlichen Konsequenzen, namentlich alle wirtschaftli­chen Preisbildungen werden sich nicht als Ursache ergeben, son­dern als Wirkung dessen, was im Arbeiterrecht schon oder besser gesagt im Arbeitsrecht selbst schon begründet ist. Das Arbeits­recht wird für das Wirtschaftsleben etwas sein wie die Naturbedin­gungen selber. Dadurch allein schaffen Sie eine gesunde Grundlage für die Sozialisierung des Wirtschaftskreislaufes.

Sehen Sie, diese Anschauung ist ja wahrhaftig keine ideologische, keine utopistische, sondern eine solche, die sich mir aus meinem Darinnenstehen - und das ist ja fast so alt oder ganz so alt wie mein Leben - in der proletarischen Bewegung ergeben hat. Selbst­verständlich sieht man sich dann nachträglich in der Welt um, wie sich eigentlich alles das, was soziale Bewegung ist, entwickelt hat. Die soziale Bewegung ist ja wahrhaftig nicht von heute. Sie ist etwas, auch in der Gestalt, wie sie heute lebt, ziemlich Altes. Man meint ja zunächst, wenn man die Dinge bezüglich der heuti­gen sozialen Bewegung durchschauen will, nur zurückgehen zu müssen bis zum Kommunistischen Manifest. Aber wer die Dinge heute, wo wir an einer so gewaltigen Wende stehen, wo wir nicht vor einer kleinen Abrechnung, sondern vor einer großen Abrech­nung stehen, richtig anfassen, also anfassen, nicht nur verstehen will, der muß eigentlich das Wirtschaftsleben und die Vorstellun­gen, die sich die Menschen über dasselbe gebildet haben, schon in frühere Zeiten zurückverfolgen.

Denn sehen Sie, es ist wahrhaftig nicht gleichgültig, daß zum Beispiel im Jahre 1826 ein Mensch wie Thünen in einer Zeit, in der die meisten Menschen in Europa noch gar nicht an irgend etwas wie eine soziale Frage gedacht haben, schon in einer gewis­sen Weise das vorausgesagt hat, was als eine Folge unserer Weltka­tastrophe dann eingetreten ist. Thünen war ja ein Mensch, der selbst gewirtschaftet hat, aber nicht nach den üblichen Gewohnheiten,

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sondern mit vollem Verstand und mit einem Verhältnis zum Wirtschaftsleben, das auf Wirklichkeit beruht. Dieser Thünen sagte schon 1826: Wenn sich die Menschen nicht entschließen, das zu tun, was in sozialer Beziehung notwendig ist, dann geht Europa einer furchtbaren Verheerung und Barbarei entgegen. - Das wußte man also schon, aber es waren nur wenige, die so sprachen. Dies wurde 1826 gesprochen.

Nun haben sich im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wieder ehrliche, aufrichtige Menschen abgemüht mit dem, was man die soziale Frage nennt, und da möchte ich doch noch einmal betonen

- das ist nicht für mich maßgebend gewesen, aber doch etwas, was ein Licht zurückwirft -, daß derjenige, der objektiv auf das eingeht, was auf seiten einiger als die Forderung des Sozialismus hervorgetreten ist - gestern ist ja genauer darüber gesprochen worden -, sich nur sagen konnte: Der Sozialismus muß einmal kommen. Sozialismus ist eine Notwendigkeit. Er muß kommen, er wird kommen. Der mußte sich dann auch sagen, daß das, was die Menschen, die es mit dem Sozialismus ehrlich meinen, vorbrin­gen, Bedeutung hat. Und, nicht wahr, wenn man mitgemacht hat all den Kohl der nationalökonomischen Gelehrten, die den Marx widerlegen zu müssen glaubten, so kann man sagen: Die wichtig­sten Behauptungen von Karl Marx sind nicht zu widerlegen, sind ganz unmöglich zu widerlegen. Aber wendet man sich dann zur anderen Seite hin, natürlich nicht zu den Söldlingen und Dienern der Kapitalisten, sondern zu denjenigen, die soziales Verständnis hatten, so findet man unter denen auch immer wieder solche, die aus der Wirklichkeit des praktischen Lebens heraus Einwendungen gegen den Sozialismus machten, die einen schon nachdenklich stimmen konnten. Es ist nicht uninteressant, daß in demselben Jahr, in dem das Kommunistische Manifest in die Welt hinausge­gangen ist, ein Buch erschienen ist von Bruno Hildebrand, einem Menschen, der ehrlich ist und der gewichtige Dinge zur Widerle­gung des Sozialismus vorgebracht hat. Und gerade wenn man ehrlich auf dem Boden des Sozialismus steht, dann kommen einem gewisse merkwürdige Gedanken, wenn man solche Dinge liest.

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Ich will nicht Wert legen darauf, was dieser oder jener andere aus den bürgerlichen Kreisen gesprochen hat, das ist ja zumeist Kohl, aber wenn man so etwas wie die Darstellung von Bruno Hildebrand vor sich hat, kommt man doch dazu, sich zu sagen: Auf der einen Seite kann man gegen den Sozialismus nichts ein­wenden, der muß kommen. Jedoch die Bedenken, die solche Leute wie Hildebrand haben, die sind außerordentlich schwer zu widerle­gen. Denn Hildebrand macht seine Einwendungen nicht aus einer Abneigung gegen den Sozialismus, sondern er hat, angesichts des Sozialismus, so wie er ihn kannte im Jahre 1848 - und heute würde für Hildebrand dasselbe gelten, wenigstens bis 1914-, ledig­lich seine Bedenken geäußert. Er hat sich vorgestellt, daß, wenn der Sozialismus im alten Stile eingeführt wird, nicht die Bürgerli­chen irgendwie unter die Räder kommen, sondern diejenigen, die den Sozialismus wollen, letztlich nichts erreichen werden. In ge­wissem Sinne sahen solche Menschen wie Hildebrand schon vor­aus, was da kommen kann, wenn gerade solche Leute aus den Kreisen der sozialistischen Partei nach oben kommen, aus denen heraus dasjenige, was gerade die große Masse des Proletariats will, nicht entstehen kann.

Sehen Sie, dazu gibt es natürlich die verschiedensten Abstufun­gen von Ansichten. Und wenn man da nun ganz ehrlich zu Werke geht, so muß man sich sagen: Ja, das ist überhaupt ein Mangel unserer jetzigen menschlichen Gedanken, daß wir nicht dazu in der Lage sind, etwas zu finden, was nicht bloß ausgedacht ist, denn sozialistische Programme sind trotz allem, was auch gesagt wird, vielfach bloß ausgedacht. Wir brauchen heute etwas, was nicht ausgedacht ist.

Nun wirft das, was ich Ihnen eben jetzt gesagt habe, eine Art Licht zurück auf das, was sich mir aus dem praktischen Leben ergeben hat. Wenn ich mir die Entwicklung der sozialistischen Gedanken im 19. Jahrhundert verdeutliche und auch Hildebrand sowie die revisionistischen Gedanken im 19. Jahrhundert berück­sichtige, dann komme ich zu folgendem: Wenn man den Sozialis­mus so durchführen will, daß man unter der Hypnose des Einheitsstaates

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weiterwirtschaftet, daß man also nur den Einheitsstaat mehr nach der wirtschaftlichen Schattierung hin verlängert, werden gerade für die breiten Massen alle die Schäden eintreten, die Hilde­brand vorausgesehen hat. Das heißt, wir brauchen einen Sozialis­mus, der sich so verwirklicht, daß diese Dinge nicht eintreten. Es darf also in dem sozialen Organismus, in dem Wirtschaftsorga­nismus das nicht enthalten sein, was zu solchen Bedenken führt. Und da sagte ich mir: Da gilt gerade diese Dreiteilung, denn ich nehme auf der einen Seite das Geistesleben und auf der anderen das Rechtsleben heraus, wodurch ein Wirtschaftsorganismus ge­schaffen wird, der nicht mehr die Bedenken erregen kann, weil eine großzügige Sozialisierung in dem dreigeteilten Organismus durchgeführt werden kann. Das werden Sie in allen speziellen Fragen sehen, insbesondere, wenn wir dann auf die konkretesten Fragen eingehen.

Nehmen wir als eine heute aktuell werdende Frage, von der ich hoffe, daß wir nachher darauf näher eingehen werden, die Frage der Betriebsräte. Sehen Sie, meine Vorschläge sind aus der Wirklichkeit heraus gedacht und daher nicht ein fertiges Pro­gramm, sondern etwas, was in Angriff genommen werden soll und was nach und nach, nicht langsam, sondern eben vielleicht auch schnell nach und nach, das werden die Zeitverhältnisse not­wendig machen, entstehen soll. Es entsteht durch das, was ich als dreigliedrigen Impuls für eine wirkliche Sozialisierung hinzustellen versuchte, die Möglichkeit, wirklich vorwärtszukommen.

Die Frage der Betriebsräte - ich hoffe, daß sie nachher einge­hend besprochen wird - ist heute ja real vorhanden, und von jedem Punkte der Wirklichkeit kann man heute praktisch ausge­hen, um das zu verwirklichen, was in meinem Buch ausgeführt ist. Diese Betriebsräte denkt sich zum Beispiel derjenige, der im alten Stil sozialistisch denkt, vor allen Dingen so - mir ist das gesagt worden -, daß sie mehr oder weniger gesetzlich eingeführt werden, das heißt, er denkt sich die Betriebsräte als Staatsinstitu­tion. Nun bin ich einmal mehr der Ansicht, daß, wenn sie so eingeführt werden, sie ganz sicher das fünfte Rad am Wagen sein

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werden. Es ist nur möglich, daß man die Betriebsräte aus dem Wirtschaftsleben selbst heraus schafft.

Ich sprach das neulich so aus: Lasse man die Betriebsräte entste­hen, und patze man nicht in ihre Entstehung hinein durch Gesetze über dieselben! Sie sollen zuerst da sein, sie sollen zuerst in den einzelnen Betrieben entstehen, aber sie müssen sich besonders für die Übergangszeit unbedingt eine solche Stellung schaffen, daß sie gegenüber den bisherigen Chefs und Betriebsleitern ganz unabhän­gig sind. Sie müssen selbstverständlich eine unabhängige Stellung haben.

Dann wird der nächste Schritt sein, daß schon bei der Konsti­tuierung der Betriebe heute hauptsächlich darauf Rücksicht genom­men wird, daß sie über die in Betracht kommenden Wirtschaftster­ritorien hin eine eigene Körperschaft bilden. Denn wer heute noch die Sozialisierung so auffaßt, daß man nur die einzelnen Betriebe sozialisieren will, der würde sehr bald sehen, auf welch kuriosem Standpunkt wir durch die Sozialisierung lediglich einzelner Betrie­be in fünf Jahren stehen würden. Würden wir bloß die einzelnen Betriebe sozialisieren, so kämen wir zum wüstesten Individualis­mus der einzelnen Betriebe, und die Unzufriedensten müßten die Arbeiter sein. Es würde eine solche Ungleichheit unter den Arbei­tern in bezug auf das Einkommen eintreten, daß es unerträglich wäre. Sozialisieren kann man nämlich nur, wenn man den ganzen Wirtschaftskörper, von einer gewissen Größe an, als solchen sozia­lisiert.

Also, es handelt sich erstens darum, daß vor allen Dingen sich über ein gewisses Gebiet Betriebsräte für gewisse gleichartige Be­triebe konstituieren. Von den Betriebsräten geht ein sehr wichtiger Akt der Gesamtsozialisierung aus, so daß nicht nur ein Band geschaffen wird zwischen den Betriebsräten gleichartiger Betriebe, sondern über alle Betriebe hinüber. Dann kann eine wirkliche Sozialisierung des Wirtschaftslebens allmählich eintreten. Nur dann sind die Dinge zum Segen. Wenn also damit begonnen wird, Ver­ständnis zu entwickeln schon bei dieser außerordentlich wichtigen Einsetzung der Betriebsräte, so wird man sehen, daß man auf

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einen grünen Zweig kommt mit dem, was die Dreiteilung meint. Erreicht werden wird nur etwas, wenn man nicht dulden wird, daß in die Funktionen der Betriebsräte dasjenige, was an die Stelle des Staates tritt, in einer anderen Weise eingreift als bloß mit Bezug darauf, daß der Staat dafür einzutreten hat, daß die Be­triebsräte funktionieren können, so wie er natürlich dafür zu sor­gen hat, daß ich einen Weg gehen kann, ohne überfallen zu wer­den. Aber anders als sonst der Staat sich stellt zu den persönlichen Rechten der Menschen, soll er sich auch nicht stellen etwa mit irgendwelchen Begrenzungen der Funktionen und so weiter zu den Betriebsräten. Die Funktionen müssen hervorgehen aus der Selbstkonstitution der Betriebsräteschaft im Wirtschaftskörper. Das allein führt auf einen grünen Zweig. Mit diesem Beispiel wollte ich Ihnen zeigen, wie eigentlich die Dreigliederung gemeint ist. Sie ist praktisch gemeint, das heißt, daß alles, was wir morgen und übermorgen zu tun haben, nur zu etwas führen kann, wenn es unter dem Gesichtspunkt der Dreiteilung gehandhabt wird. Dann werden die Dinge in der richtigen Weise zusammenwirken.

Sehen Sie, mein Vorschlag geht davon aus, daß der Sozialismus, nachdem er nun einmal da ist, wiederum nicht von der Tagesord­nung abgesetzt werden kann. Wer die Verhältnisse sowohl im Wirtschaftsleben wie im politischen Leben, also im Rechtsleben, und im geistigen Leben kennt, der kann sich nämlich nicht mehr vorstellen, weil das eine unreale Vorstellung ist, daß man den Sozialismus heute einführt, und dann ist er morgen da. Nein, am Sozialismus wird, nachdem er einmal da ist, fortdauernd gearbeitet werden müssen. Der Sozialismus wird immer neu gehandhabt wer­den müssen. Er ist etwas ganz Lebendiges. Wir müssen gerade solche Organisationen haben, die immer wieder und wiederum im Sinne des Sozialismus arbeiten. Die Menschen kommen mit ihren Gedanken dem noch nicht nach, was auf diesem Gebiet tatsächlich Wirklichkeit ist.

Vor langer Zeit schon ist aus einer volkswirtschaftlichen Schule ein merkwürdiger Satz hervorgegangen. Man betrachtet ihn heute als überwunden, aber in den Köpfen der Menschen spukt er immer

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noch herum. Es waren die Physiokraten, die sagten, daß man dem Wirtschaftsleben keine Gesetze vorzuschreiben brauche, denn ent­weder entwickelt es sich von selber so, wie diese Gesetze sind, dann braucht man sie nicht, oder man schreibt ihm andere Gesetze vor, die der Entwicklung nicht entsprechen. Dann aber würde man dem Wirtschaftsleben schaden. Es scheint das, wenn man es so sagt, absolut richtig zu sein und ist dennoch total falsch, näm­lich aus dem Grund, weil das Wirtschaftsleben nicht etwas ist, was stationär bleibt, also so bleibt, wie es einmal war. Es ist ein Organismus, und wie ein natürlicher Organismus auch immer älter wird und sich verändert und man seine Veränderung als Lebensbe­dingung anerkennen muß, so muß es beim Wirtschaftsleben auch sein. Das heißt, es müssen Gesetze dasein, aber sie müssen aus dem Wirtschaftsleben selber hervorgehen. So müssen die Impulse aber immerfort dasein, die den Schädigungen des Wirtschaftsle­bens, die es sich zufügen muß, entgegenwirken. Wer glaubt, daß er einmal den Sozialismus einführen kann, und dann ist er da, der gleicht einem Menschen, der sagt: Ich habe gestern gegessen, da war ich ganz satt. Nun brauche ich nichts mehr zu essen. -Sie mussen, weil der Organismus ständig gewisse Veränderungen durchmacht und weil er etwas Lebendiges ist, fortwährend essen. Und so ist es auch mit dem, was sozialistische Maßnahmen sind. Sie müssen fortwährend sozialisieren, weil der soziale Organismus etwas Lebendiges ist. Und das ist es auch, was zu der Notwendig­keit führt, daß wir aus dem Leben heraus gerade von Anfang an so etwas schaffen wie zum Beispiel Betriebsräte und vieles andere.

Sehen Sie, der größte Fehler, der gemacht worden ist bisher, der ist der, daß die Leute geglaubt haben, das soziale Leben sei so etwas wie eine Nachbildung eines Organismus aus Pappmaché. Sie haben sich also vorgestellt, es sei ein Mechanismus; der lebt nicht. Aber er lebt, nur haben die Leute dem sozialen Organismus solche Gesetze gegeben, die für etwas gelten sollten, was tot ist. Der Organismus aber ging weiter, und nun wundern sich die Menschen, wenn Revolutionen kommen. Das, was man fortwäh­rend verbessern muß, schoppt sich zusammen, wenn es nicht ver­bessert

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wird, und bricht in Revolutionen aus. Die Revolutionen haben die gemacht, die kurzsichtig genug waren, die Lebendigkeit des sozialen Lebens nicht zu erkennen. Ich meine nicht diejenigen, die dazu gedrängt werden, das eine oder andere zu tun, sondern diejenigen, welche die Führenden sind und die Handhabung der Führung nicht verstehen. Deshalb ist es heute so wichtig, daß, wenn über kurz oder lang wirklich neuerdings der Ruf ergeht, nun selbst Hand anzulegen an das, was geschehen soll, daß man nicht wiederum mit leeren Köpfen an die Sache herantritt, sondern daß man mit konstruktiven Vorschlägen kommt. Damit ist es nicht getan, daß man sagt: Die Macht müsse man erwerben. Das ist freilich richtig, aber dann, was können wir, wenn wir die Macht haben, mit dieser Macht anfangen? Das wollte ich vorausschicken. Jetzt hoffe ich, daß die Diskussion durch Ihre Fragen eine sehr rege werden kann.

Diskussion*

Diskussionsredner Beierat führt unter anderem aus: Bei der Sozialisierung müssen auch die Unternehmer gefragt werden, denn die Arbeiterschaft kann nicht allein alle Fragen lösen. Um eine Handhabe zu haben, damit die bisherigen Besitzer die Betriebsräte schaffen helfen, ist es notwendig, daß eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird, die für das ganze Reich gleich ist.

Rudolf Steiner: Ich möchte dazu gleich einiges sagen, weil wir vielleicht am besten vorwärtskommen, indem wir auf die einzelnen Fragen eingehen.

Sehen Sie, im Grunde genommen widerspricht der Sache nach dasjenige, was der verehrte Vorredner eben gesagt hat, dem, was ich vorgebracht habe, eigentlich nicht, nur versuchte ich die Sache

- - -

* Der Wortlaut der Voten einzelner Diskussionsteilnehmer wurde vom Stenografen nicht immer - und dann bisweilen auch nur biuchstückhaft - festgehalten. Manchmal handelt es sich hei den überlieferten Texten auch um sinngemäße Zusammenfassungen der Wortmeldungen.

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nicht theoretisch, sondern so praktisch anzufassen, daß wirklich zu einem Ziel zu kommen ist. Man sollte, wenn man etwas Prakti­sches erreichen will, sich nicht die Sache gar zu sehr dadurch verderben, daß man nicht irgendwo konkret den Anfang machen will. Irgendwo muß immer bei etwas Praktischem der Anfang schon gemacht werden, und es ist doch immerhin, bevor wir hierher gekommen sind, da unten in einem kleinen Zimmer eine Sitzung gewesen, wo lauter Betriebsräte, die schon vorhanden sind, versammelt waren. Also immerhin, ein Anfang ist gemacht. Es würde sich nur darum handeln - man kann natürlich über diesen Anfang denken, wie man will, man kann ja einen anderen machen -, daß von einem solchen Anfang etwas Praktisches ausgeht. Dabei will ich daran erinnern, daß ich auch gestern davon gesprochen liabe, daß zur praktischen Durchführung der Dreigliederung selbst­verständlich zunächst notwendig ist, daß eine Art Liquidierungsre­gierung entsteht. Ich denke durchaus nicht, daß man heute be­schließen kann, bis morgen die Dreigliederung einzuführen!

Da wir nun einmal in den Denkgewohnheiten der Menschen leben, die sich bisher nur im Einheitsstaat eine Regierung vorstel­len konnten, müssen wir unter allen Umständen, nicht deshalb, weil wir irgendeine Regierung lieben, sondern weil die Menschen bisher zusammen im Staat gelebt haben, für die verschiedensten Dinge eine Regierung haben, von der ich, im Gegensatz zu dem, was der Vorredner ausgeführt hat, aber sagen muß: Ob es die eine oder die andere Regierung ist, ist mir nicht gleich. Also es kommt mir sehr darauf an, daß es sich um eine Regierung handelt, die im Sinne einer wirklichen Sozialisierung Vorschläge macht. Also das empfinde ich nicht als einen richtigen Ausspruch: «Es kommt mir nicht darauf an, ob es die eine oder andere Regierung ist.» Denn gerade wenn eine Regierung da ist, welche wird einse­hen müssen, daß sie sich zukünftig nur auf den Rechtsboden zu stellen hat und zu liquidieren hat einerseits das Geistesleben, ande­rerseits das Wirtschaftsleben, dann wird in Gestalt einer solchen Liquidierungsregierung die richtige Instanz dasein, um jene Über­gangszeit zu schaffen, und zwar mit vernünftigen Maßregeln. Diese

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bilden dann die Grundlagen, auf denen die Betriebsräte aufgebaut werden können, welche in der Tat, statt manch anderer Dinge, die heute von verschiedenen Regierungen getan werden, ihre Macht dazu verwenden könnten, die widerspenstigen Ünternehmer - ver­zeihen Sie den Ausdruck - irgendwie zu veranlassen, auf vernünfti­ge Sozialisierungsgedanken einzugehen. Das wurde in der Über­gangszeit die Aufgabe einer vernünftigen Regierung sein.

Diese Grundlagen, die heute noch von der Liquidierungsregie­rung geschaffen werden müssen, die könnten schon dasein. Aber dabei müßte gerade diese Liquidierungsregierung durchaus durch­drungen sein von der Erkenntnis, daß durch Regierungsgesetze niemals die Entstehung eines gesunden Wirtschaftslebens gestört werden darf, damit dieses Wirtschaftsleben sich wirklich aus sich heraus aufbauen kann. Daher ist es notwendig, daß die Liquidie­rungsregierung dafür sorgt, daß Betriebsräte entstehen können. Sie darf sich aber nicht hineinmischen in deren ganze Konstituierung. Diese muß aus der Betriebsräteschaft selber heraus geschehen.

Die Regierung hat keine andere Aufgabe, als dafür zu sorgen, daß die Betriebsräte sich über ihre wirtschaftlichen Territorien hinaus, das heißt aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten heraus, konstituieren können. Das wird die beste Grundlage sein, wenn die Regierung dafür sorgt, daß die Betriebsräte ordentlich arbeiten können. Die Betriebsräte können sich dadurch konstituieren, daß die Regierung eine Grundlage schafft und nicht über sie herrschen will.

Heute kennt man den eigentlichen Ünterschied zwischen herr­schen und regieren nicht, und man kann eigentlich sehr verwundert sein darüber, daß durch die Novemberereignisse die Menschen bezüglich dieser Ünterscheidung so wenig gelernt haben. Es gibt

- diese Ünterscheidung ist nicht von mir, sondern von Karl Marx -einen ganz beträchtlichen Ünterschied zwischen regieren und herr­schen. Ünd wenn eine Regierung lernt zu regieren und nicht mehr glaubt, sie sei nur eine Regierung, wenn sie herrschen kann, dann wird selbst das möglich sein, was die breitesten Massen sich unter Sozialisierung vorstellen können. Denn herrschen muß in der Zukunft

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nicht eine Regierung, sondern die ganze breite Masse des Volkes. Die Regierung muß regieren und lernen, wie man regiert, wenn tatsächlich die ganze breite Masse des Volkes herrscht. Die Leute haben sich noch nicht abgewöhnt, mit dem Ausdruck Herrscher eine einzelne Persönlichkeit oder Körperschaft zu ver­binden. Das ist etwas, was gründlich aus den Denkgewohnheiten der Leute heraus muß. Bei der Inangriffnahme einer im Sozialisie­rungssinne gedachten Körperschaft - und sie muß so gedacht sein wie die Betriebsräte -, da muß vor allen Dingen der Ünterschied zwischen regieren und herrschen in die Köpfe hinein. Aus der breiten Masse heraus muß sich alles das bilden, was zu den Befug­nissen der Betriebsräte gehört, und das Regieren wird nur darin bestehen, daß eine reale Grundlage, nicht eine Gesetzesunterlage geschaffen wird, damit sich die Betriebsräteschaft frei, rein aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten, aus Erkenntnis und Einsicht bil­den kann.

Sehen Sie, das ist das Eigentümliche meiner Vorschläge zur Dreigliederung, daß ich nicht Programme aufstelle, sondern daß ich versuche, aus der Wirklichkeit heraus solche Anregungen zu geben, damit etwas Vernünftiges entstehen kann. Ich sage Ihnen offen: Dadurch unterscheiden sich meine Impulse der Dreigliede­rung von allen übrigen. Gestern ist hier gesagt worden, sie enthiel­ten nichts Neues. Sie enthalten grundsätzlich Neues. Die Leute, die früher von Sozialisierung und überhaupt von irgendwelchen Erneuerungen gesprochen haben, die waren gescheit und wußten bis ins einzelne hinein, was getan werden soll. Ich bilde mir nicht ein, gescheiter zu sein als die anderen, aber ich glaube fest, daß solche Zustände herbeigeführt werden können, durch welche dieje­nigen, die etwas wissen von den Dingen, zu ihrem Recht kommen können. Ich will nicht den Weg zu dem zeigen, was die Betriebsrä­te tun sollen, sondern dazu, wie sie sich bilden können. Dann werden sie selbst erkennen, was sie zu tun haben. Ich will die Menschen in der richtigen Weise an ihren Platz stellen. Ich bilde mir nicht ein, etwas Neues zu wissen, aber ich will, daß das Neue entsteht.

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Verschiedene Diskussionsteilnehmer ergreifen das Wort.

Rudolf Steiner: Mit Bezug auf die beiden verehrten Vorredner ist es mir eine gewisse Befriedigung, festzustellen, daß ich ja selbst nur noch wenig zu sagen brauche, weil in erfreulicher Art die Diskussion zwischen diesen beiden Rednern so verlaufen ist, daß der eine den anderen vollständig ergänzt hat und das schon ausge­führt wurde, was eigentlich zu sagen ist. Ich möchte nur das Folgende dazufügen.

Wenn vorgebracht wird, es sei ein Ünterschied vorhanden zwi­schen dem Richten aller Gedanken auf den Weg: Wie erringen wir die Macht der Herrschaft? - und der anderen Gedankenart:

Was tun wir, wenn wir die Macht errungen haben? -, da muß ich sagen, da fällt mir immer wieder dasjenige ein, was schon in den Diskussionen der achtziger Jahre eine so starke Rolle gespielt hat. Ich habe in jenen Jahren Gelegenheit gehabt, manche Fragen, die damals schon auf sozialistischem Boden behandelt worden sind, zum Beispiel mit Adler in Wien, dem kürzlich Verstorbenen, und auch mit Pernerstorfer, der ebenfalls im letzten Jahr gestorben ist, zu besprechen. Ünd selbstverständlich, diese sozialistisch Denken­den von damals, sie standen den großen sozialistischen Impulsen, die von Marx und Engels ausgegangen sind, noch näher. Es war damals noch nicht die Zeit des sogenannten Revisionismus, von der ich glaube, daß sie hinsichtlich der Entwicklung des Sozialis­mus viel verdorben hat. Ich möchte da nicht mißverstanden wer­den, aber ich habe meinerseits immer gefunden, daß diese sanfte Überleitung des wirklichen Sozialismus in ein etwas unklares, bür­gerliches Denken, das man Revisionismus nannte, daß das eigent­lich furchtbar geschadet hat, aus dem einfachen Grunde, weil man­che Leute so schrecklich zufrieden sind, wenn sie sagen können:

Wir wollen das nächstliegende Praktische, wir wollen etwas errei­chen für morgen. - Diese Leute bedenken nicht, daß das, was für morgen erreicht wird, unter Umständen allen Boden für das Übermorgen abgraben kann. Da mußte ich oftmals gegenüber Ad­ler und Pernerstorfer einwenden, ich erkenne alles das an, was

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sie als Kritik an der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung anführen, aber man müsse doch auch etwas haben, was man dann tun würde, wenn das eintritt, was ja schließlich diese sozialisti­schen Führer selbst voraussetzten. - Diese sozialistischen Führer sagten immer voraus: Diese gegenwärtige Gesellschaftsordnung baut sich selbst ab, sie vernichtet sich selbst. - Das war eine absolut richtige Anschauung. Ünd deshalb haben auch diese soziali­stischen Führer immer abgewinkt, wenn irgend etwas getan werden sollte, um in gewaltsamer Weise die Ablösung der gegenwärtigen Ordnung durch eine andere herbeizuführen. Sie waren im eminen­testen Sinne Entwicklungssozialisten und sagten: Der Abbau wird schon besorgt, dann kommt das Proletariat an die Reihe. - Ich war immer der Ansicht, daß man dann aber wissen müsse, gerade wenn man das voraussetzt, was man dann tun werde.

Sind wir denn nicht eigentlich heute in einer anderen Lage? Wir haben doch die Novemberereignisse hinter uns, und Sie kön­nen ganz sicher sein, daß sich jene Menschen, die damals Führer waren, schon so etwas vorgestellt haben wie die Novemberereig­nisse, aber nun war das nicht da, was man positiv tun sollte. Das zeigt doch, daß es eine gewisse Wichtigkeit hat, nicht bloß wie ein hypnotisiertes Hühnchen immer der Frage nachzulaufen: Wie erlangen wir die Macht? -, sondern sich zu fragen: Was tun wir mit der Macht? - Ich muß das immer wieder fragen: Wie handeln wir?

Der verehrte Vorredner hat gesagt, daß der wirtschaftliche Zu­sammenbruch kommt. Ich bin eigentlich nicht dieser Ansicht. Ich bin der Ansicht, daß er längst da ist, daß das, was jetzt von den leitenden Kreisen getan wird, nur ein fortwährendes Verhüllen und Verschleiern des längst vorhandenen wirtschaftlichen Zusam­menbruchs ist. Der wirtschaftliche Zusammenbruch ist seit jener Zeit da, wo man offiziell erklärt hat, daß es das beste für das Deutsche Reich ist, nicht mehr für die Bedürfnisse der Menschen zu produzieren, sondern für dasjenige, was in die Luft verpulvert wird. Damit hat sich eigentlich der wirtschaftliche Zusammenbruch vollzogen. Und mir war es immer unerklärlich, wie wenig die Leute eigentlich eingesehen haben, daß mit einer ja den subjektiven

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Bedürfnissen der alten Herrschaften gut entsprechenden Maßnah­me wie dem Hilfsdienstgesetz dem wirtschaftlichen Leben ein furchtbarer Hieb versetzt werden muß, der eigentlich durch nichts zu kurieren sein wird. Man hat nur immer wieder an andere Dinge gedacht, aber keinen Sinn gehabt für die wirtschaftlichen Konsequenzen einer solchen Maßnahme.

Also, ich glaube, der wirtschaftliche Zusammenbruch ist da, und wir stehen vor Ereignissen, die nur so lange auf sich warten lassen, als es durch dieses oder jenes noch gelingen kann, gewisse Dinge zu verschleiern, zu verhüllen. Dann werden wir aber wissen müssen, wie der Neuaufbau einzurichten ist. Ich habe deshalb gar nichts gegen das, was der Herr Vorredner, Herr Schreiber, gesagt hat, aber ich sage Ihnen: Es wird von selbst kommen, daß sich die Herrschaft von den bisher leitenden Kreisen hinüberwenden muß zu den Kreisen, die dieser Vorredner im Sinn hatte. Aber um so mehr müssen diese Kreise das Verantwortungsgefühl emp­finden, damit sie dann, wenn sie zur Macht kommen, das Richtige zu tun imstande sind. Also, das ist es, was ich immer wieder und wieder betonen möchte und was mir von ganz besonderer Wichtigkeit ist.

Es ist gesagt worden, nicht als Vorwurf, sondern in Überein-stimmung mit mir, ich wolle zuerst die Institution der Betriebsräte haben und dann würde sich schon ergeben, welches ihre Funktio­nen sein werden. Dann dürften wir uns aber weiterhin auch keinen Illusionen hingeben, denn was der Neuaufbau fordern wird, das wird nicht sehr einfach sein, das wird nicht ohne wirklich sachliche Kenntnisse des Wirtschaftskörpers vor sich gehen können. - Der verehrte Vorredner hat gerade in dankenswerter Weise verschiede­nes angeführt. Wir dürfen nicht in Dilettantismus verfallen, son­dern wir müssen sachgemäß gerüstet sein, wenn wir zum Beispiel eine solche Feststellung treffen, daß die Funktion der Betriebsräte-schaft nicht damit abgeschlossen ist, daß man einzelne Betriebe sozialisiert. Gerade dasjenige, was der Vorredner gesagt hat über das Mitbestimmungsrecht, über den Profit, der aber eine ganz andere Form annehmen muß, und was er gesagt hat über das

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Mitbestimmungsrecht in bezug auf den Preis, das zeigt uns, daß, sobald diese konkreten Dinge auf uns zukommen, wir sehr, sehr viel auf sachlichem Felde zu tun haben. Denn gerade mit diesen Dingen, das ist das Eigentümliche des kapitalistischen, des privat­kapitalistischen Interessentums, hat es sich nicht befaßt, sondern es hat die Menschheit einfach einer wüsten Konkurrenz der Inter­essen, des Einkommens und so weiter überlassen.

In dieser Richtung darf nicht fortgefahren werden, sonst kom­men wir nach kurzer Zeit wieder in die alten Zustände hinein. Ob die Betreffenden, die dann die Produktionsmittel verwalten, Kapitalisten heißen oder anders, darauf kommt es nicht an. Es ist schon auch die Möglichkeit vorhanden, daß aus den Kreisen

- ich will nicht sagen: unbedingt des Proletariats, aber derjenigen, die das Proletariat führen - Leute an die Spitze kommen, die dann unter Umständen den Gepflogenheiten alter Kapitalisten in nichts nachstehen; nun, das ist das, was nur vermieden werden kann, wenn wir fest gesattelt sind.

Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich etwas scheinbar Theoretisches anführen werde; es ist aber etwas Praktisches. Wenn es sich um das Recht der Mitbestimmung bei der Preisbildung handelt, kommen zwei Dinge besonders in Betracht. Der Preis, der regelt sich in einem Zufalls-Wirtschaftssystem, das nicht sozia­lisiert ist, von zwei Seiten her, denn es ist eine Art Naturgesetz, daß sich der Preis nicht nach einer Kraft richtet, sondern nach zwei Kräften. Nehmen Sie zum Beispiel an, in einem wirtschaftli­chen Zusammenhang wird eine bestimmte Menge Butter erzeugt. Nehmen wir an, es wird mehr Butter erzeugt, als für die menschli­chen Bedürfnisse notwendig ist. Dann wird unter Umständen -es kann das durchaus eintreten - von dem Rest der Butter, den die Menschen nicht brauchen, sagen wir zum Beispiel Wagen-schmiere fabriziert. Das bewirkt, daß die Butter ungeheuer viel billiger wird, als sie zum Beispiel ist, wenn weniger Butter erzeugt wird, als die Gesamtheit der Menschen braucht. Solche Dinge stecken in der Preisbildung im eminentesten Sinne drinnen. Das ist eine Richtung, aus der die Preisbildung bestimmt wird. Die

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andere Richtung, nämlich daß sich die Preisbildung orientiert an den Herstellungskosten, ist im Wirtschaftsleben ganz getrennt von der eben angeführten Richtung; da kommt in Betracht, was die Herstellung kostet. Da bildet sich ein ganz anderes Preissystem, und dieses Preissystem kreuzt sich mit dem Zufallls-Wirtschaftssy­stem, also mit dem anderen. Und dadurch bekommen wir ein gegenseitiges Konkurrieren nicht nur der Preise, sondern auch der Preissysteme, und darin stecken wir heute.

Nun denken Sie sich doch einmal: Wenn sich die Regulierung der Einnahmen des Arbeiters nur nach dem einen Preissystem ergibt, dann können Sie unter Umständen erleben, daß der Arbei­ter immer höhere und höhere Löhne bekommt, aber niemals eine bessere Lebenslage, weil die Preise der Wohnungen und aller ande­ren Dinge in demselben Maße wiederum steigen. Sie können ein Loch schließen, ein anderes öffnet sich von selber. Da können wir nur irgendwie Ordnung schaffen, wenn wir sachgemäß gerüstet sind.

Es muß in der Zukunft eine Sache berücksichtigt werden, näm­lich wie von den verschiedensten Seiten her die Ursachen zusam­menfließen. Das wird erforderlich sein, wenn die Sozialisierung nicht als eine bloße Herzensforderung, sondern in sachlicher Weise als Impuls wirklich leben soll. Und wenn die Betriebsräte in bezug auf die Preisbildung mitbestimmend sein sollen, so werden sie in diesen Dingen gerüstet sein müssen. Da wird es sich darum han­deln, daß gearbeitet wird, und nicht darum, daß man sagt: Ach, die Reden, die idealistisch gedachten Reden, die bewirken nichts.

- Nein, dieses sind keine idealistisch gedachten Reden, sondern es sind praktische Anweisungen im Hinblick auf das, was zu geschehen hat. Die Menschen können nicht einfach eine Aufgabe übernehmen, ohne sich zuerst zu verständigen, wie man etwas macht. Die Dinge, auch im Wirtschaftsleben, müssen wirklich ge­lernt sein. Und heute ist noch nicht viel Wissen vorhanden. Wir müssen uns sehr darum bemühen, müssen den guten Willen haben, zu Einrichtungen zu kommen, und dann in den verschiedensten Kreisen versuchen umzulernen. Ich halte es für furchtbar notwendig,

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daß von den Betriebsräten so schnell wie möglich Genossen­schaften eingerichtet werden, in denen mit gutem Willen zusam­mengearbeitet wird, so daß wir zu einem wirklichen, wirtschaftlich sachgemäßen Aufbau kommen.

Wir werden gerade besonders viel geistig arbeiten müssen, wenn wir weiterkommen wollen. Das bitte ich zu berücksichtigen. Des­halb war es sehr befriedigend, daß von den Vorrednern auf diese Sache aufmerksam gemacht worden ist. Es wird darum gehen, daß wir uns wirklich auf den Boden stellen, daß nicht einer allein gescheit sein und etwas wissen will, also darum, daß darauf auf­merksam gemacht wird, daß wir die Menschen dahin bringen müs­sen, daß sie sich das, was die einzelnen Menschen an Lebenserfah­rungen während der Arbeit gesammelt haben, einander mitteilen können. Dann wird sich, gerade durch dieses Zusammenwirken der auf den richtigen Posten stehenden Menschen, die Sozialisie­rung vollziehen.

Es folgen weitere Diskussionsbeiträge, und es wird der Antrag gestellt, daß Herr Dr. Steiner zur weiteren Besprechung der wichtigen Fragen weitere Vorträge halten möchte. Dr. Steiner erklärt sich dazu bereit.

Schlußworte von Rudolf Steiner: Ja, meine sehr verehrten Anwe­senden, es ist ja der Antrag angenommen worden, daß diese Dis­kussion fortgesetzt werden möge. So wird ja Gelegenheit geboten sein, über mancherlei Fragen, die im Laufe der Diskussion noch aufgetaucht sind, vielleicht später in günstigerer Weise zu sprechen als heute, wo die Zeit schon zu weit vorgeschritten ist, als daß ich noch Erhebliches sagen, beziehungsweise Ihnen zumuten könn­te. Ich will deshalb nur ganz kurz noch auf einige Punkte, die im Laufe des letzten Teiles der Diskussion aufgetaucht sind, ein­gehen.

Da war zuerst die Frage, wie ich mir die weitere Entwicklung vorstelle, wenn Betriebsräte bestehen, aber nichts bedeuten, wenn also die Betriebsräte bis zur politischen Umwälzung bloß eine Art Dekoration sein sollten. - Nun, ich glaube allerdings, daß

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man in solchen Dingen mit einem allzu argen Pessimismus der Sache schadet. Ich glaube, daß im praktischen Leben in solch ernster Lage, wie die ist, in der wir uns befinden, es in ganz eminentem Sinne darauf ankommt, daß der eine dem anderen hilft. Es schließt das durchaus nicht aus, daß die Betriebsräte, wenn sie dasjenige an die Oberfläche der sozialen Bewegung tragen, was sie an Erfahrungen, was sie an Erkenntnissen aus den Betrie­ben heraus haben - und darin wird eine Fülle von sozialer Einsicht stecken -, im wesentlichen auch dazu beitragen, die Zeit herbeizu­führen, die uns die notwendigen Umwälzungen bringen kann. Man sollte sich nicht damit begnügen zu sagen: Wir müssen warten, bis die Umwälzung eingetreten ist -, sondern es handelt sich dar­um, daß wir in der Tat erkennen, daß, wenn die Betriebsräte auf ihrem Posten stehen, wir in ihnen ein sehr wichtiges Mittel zum Vorwärtskommen haben werden.

Ich glaube, Sie sollten über das, was die Betriebsräte sein kön­nen, nicht zu gering denken. Sie werden keine Dekoration sein, wenn sie ihren Mann stehen. Es wird sich vieles ergeben gerade als Aufgabe der Betriebsräte, in das im Grunde genommen selbst die böswilligsten Unternehmer nicht hineinreden werden können. Sie werden nicht irgendwie die Sache aus der Welt schaffen kön­nen. So glaube ich, daß wir an irgendeinem Punkt - und das ist ein wichtiger Punkt - praktisch anfangen sollten. Wir sollten uns nicht zu sehr bedächtig zurückhalten oder gar befürchten, daß die Betriebsräte nur Dekoration sein könnten, sondern wir sollten zur Tat schreiten. Das ist auch das, was der «Aufruf» und der Impuls der Dreigliederung enthält. Es sollte nicht bloß weiter geredet werden, sondern die Worte sollten Keime zu Taten sein, und das ist das Wesentliche der ganzen Vortragsserie, die ich gehalten habe, und das wird das Wesentliche sein, wenn ich wirk­lich die Ehre haben werde, noch eingehender über diese Dinge mit Ihnen zu sprechen. Und noch etwas: Es ist gerade in dem letzten Teil der Diskussion viel über die geistigen Arbeiter gespro­chen worden. Nun, ich darf mir schon einige Erfahrung auf diesem Gebiet zuschreiben. Sie beruht auf dem, was ich in vielen Jahren

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durchlebt habe. Die geistigen Arbeiter sind durch die Verhältnisse, die ich gerade in meinen Vorträgen schildere, in eine eigentlich gräßliche Lage gekommen. Es ist fast unmöglich, selbst nach diesen furchtbaren Erfahrungen der Weltkriegskatastrophe, mit der gro­ßen Masse derer, die sich geistige Arbeiter nennen, über politische Fragen zu reden. Ich schmeichle Ihnen nicht, wenn ich sage -ich habe das ja schon gesagt in dem Vortrag -, daß mit Bezug auf politische Schulung, auf politische Bildung das Handarbeiter­proletariat den geistigen Arbeitern ungeheuer voraus ist, ja, daß die politische Bildung der geistigen Arbeiter fast gar nicht vorhan­den ist. Das muß man durchaus berücksichtigen. In diesem Zusam­menhang muß man noch etwas anderes sehen.

Ich bin der Auffassung, daß es grundsätzlich nicht günstig wir­ken wird, wenn neben den eigentlichen Arbeiterräten sich noch ein Rat geistiger Arbeiter gesondert herausbildet. Vielleicht wird dies, wenn es zu den Vorträgen, die von mir verlangt wurden, kommen sollte, eine wichtige Sache in der Erörterung sein müssen. Ich glaube, daß mit der Absonderung der geistigen Arbeiter als besondere «geistige Arbeiter» von den anderen Arbeitern nichts herauskommen kann. Die Arbeiter, die in einem bestimmten Be­reich eines Betriebes arbeiten, gehören, auch wenn sie geistige Arbeiter sind, eben zu den Arbeitern dieses Betriebszweiges. Es muß eine Zusammengehörigkeit zwischen allen Arbeitern in den einzelnen Betriebszweigen dasein. Wir kommen nicht vorwärts, wenn sich die geistigen Arbeiter der verschiedenen Betriebszweige absondern und Extrawürste braten, denn die Kategorie, die Be­zeichnung «geistige Arbeiter» hat keine Berechtigung. Man müßte Verständnis dafür wecken, daß sich die geistigen Arbeiter der ein­zelnen Betriebszweige den anderen Arbeitern anschließen. Nur dann wird etwas Vernünftiges herauskommen.

Nicht einverstanden bin ich mit dem, was gesagt worden ist mit den Worten, daß sich die geistigen Arbeiter mit der handarbei­tenden Bevölkerung auf gemeinsamen Boden stellen, wenn sie ge­meinsam mit ihr das Programm der Dreigliederung anerkennen. -Das ist ja ein allgemein sozialpolitisches Programm, und da stehen

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sie noch nicht auf dem realen Boden! Man kann viele Programme gemeinsam anerkennen, aber auf einem realen Boden steht man erst, wenn dieser Boden ein Lebensboden ist, wenn man nicht wiederum herausbildet aus dem, was zusammengehört, gleichsam eine aristokratische Schicht. Ich sehe in dieser Absonderung der geistigen Arbeiter eine aristokratische Schichtbildung, das müßte verstanden werden. Und wenn das durchgeführt würde, was ich eigentlich meine, dann würde der geistige Arbeiter vor allen Din­gen in der politischen Schulung außerordentlich viel gewinnen, wie ich überhaupt für die nächste Zeit einen großen Wert darauf legen würde, daß der eine von dem anderen lernt.

Ich möchte daher auch nicht so pessimistisch sein wie der Herr Vorredner, der sagte: Ja, es komme vor allen Dingen darauf an, daß eine gewisse Fachbildung, Fachschulung bei den Betriebsräten die unbedingte Grundlage ist. - Es ist tatsächlich ja heute so, daß derjenige, der die Verhältnisse kennt, weiß, daß aus der gebräuchli­chen Fachschulung, die heute ja ganz ein bürgerliches Produkt ist, sich nicht viel gewinnen läßt. Ich verspreche mir mehr von der praktischen Zusammenarbeit, von dem, was entsteht, wenn jeder das mitbringt, was er aus seinen Lebenserfahrungen heraus mitbringen kann. Da werden wir einander schulen, da wird etwas ganz Neues entstehen. Ich könnte mir vorstellen, daß gerade dann, wenn in richtiger Weise die Betriebsräte zusammenarbeiten und auch ohne das philiströse Vorurteil aufrechtzuerhalten, daß man zuerst auf eine Schulbank gehört, und wenn man den ernsten Willen hat, voneinander zu lernen, und aus beider Fehler zu lernen vermag, das Beste erreicht wird. Wir werden vor allen Dingen notwendig haben, in dieser Weise auch von Mensch zu Mensch zu sozialisieren. Sozialisieren heißt ja zusammenarbeiten, einander helfen, Brüderlichkeit entfalten, und das müssen wir gerade auf geistigem Gebiet. Ich habe oftmals zu meinen Zuhörern in den letzten Jahren gesagt, daß die Welt glaubt, daß derjenige, der lernen soll, nur von dem lernen kann, der soundso viele Diplome hat. Wer wirklich lernen will - er mag schon sehr viel gelernt haben -, er lernt unter Umständen furchtbar viel von einem zwei- oder dreijährigen

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oder nicht einmal so alten Kind. Das ist das Lernen am Leben, und das werden wir besonders pflegen müssen. Wir müssen gerade über die Philistrosität des alten Fachschulsy­stems hinauskommen, dann werden die Betriebsräte für den Neu­aufbau etwas ungeheuer Bedeutendes leisten können. Die Sache sollte nicht pessimistisch angesehen werden, sondern mit Vertrau­en. Aus dem Vertrauen wird Tüchtigkeit erwachsen. Dann werden die Betriebsräte keine Dekoration sein, wenn sie nicht selber De­koration sein wollen.

Vollständig einverstanden aber bin ich damit, daß die Betriebsrä­te ein Stoßbock nach zwei Seiten hin sein werden. Ich glaube nicht, daß die Zeit, der wir entgegengehen, wenn wir ernsthaft arbeiten wollen, eine solche sein wird, daß wir uns von den Wogen des Lebens tragen lassen, unter Umständen uns auch zuweilen auf ein sanftes Ruhebett legen können. Wir werden sehr viel arbei­ten müssen und dürfen nicht davor zurückschrecken, nach den verschiedenen Richtungen hin Sturmböcke zu sein. Es wird nicht leicht sein, aus dem Zusammenbruch etwas Neues zu schaffen. Wir brauchen uns nur daran zu erinnern, daß die alte Wirtschafts­ordnung uns besonders in Deutschland geradezu in das Unsinnige hineingeführt hat. Wir befinden uns nicht nur im Zusammenbruch, sondern auch im Unsinn. Bedenken Sie nur einmal, was es bedeu­tet, wenn für alles das, was sich angehäuft hat durch die Verheer­ungen des Krieges, in den nächsten Jahren bloß die Zinsen gezahlt werden sollen! Es ist ja viel mehr, als Dernburg ausgerechnet hat. Es werden jährlich mindestens 30 Milliarden Mark sein; wo sollen die herkommen? 30 Milliarden Mark, die selbstverständlich nicht vorhanden sein werden! Wenn wir irgendwie daran denken, etwas von dem Vergangenen fortzusetzen, dann gehen wir nicht nur unmöglichen Zuständen, sondern geradezu dem Unsinn entgegen. Es wird schwer, sehr schwer werden, aber ich denke, daß derjeni­ge, der ein wenig den Geist der Zeit begreift, sich sagen muß:

Wir müssen eben arbeiten, müssen ernsthaft arbeiten. Nur so kön­nen wir aus dieser Situation herauskommen.

Nun möchte ich nur noch darauf hinweisen, daß ich auf die

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Erwiderung des Herrn Remmele nicht eingehen möchte, und zwar aus dem Grunde, weil es mir noch nicht ganz deutlich ist, worin die Hauptsache seiner Einwendungen besteht. Das, was gesagt wurde, läßt mir doch die ganze Sache merkwürdig erscheinen, denn sehen Sie, Irrlehre kann man schließlich alles nennen. Ich wurde gleich stutzig, als gesagt wurde, es sei das eine Irrlehre wie die Lehre von Dühring, der vor Jahrzehnten das Gleiche gelehrt habe. Ich kenne den Dühring und vermute, daß ihn der Herr Redner wenig kennt, denn ich kann Ihnen ruhig empfehlen:

Lesen Sie ihn, dann werden Sie sehen, daß er nicht das Gleiche gewollt hat, sondern etwas, was sich von dem, was ich für notwen­dig halte, völlig unterscheidet. Ich halte das, was Dühring gelehrt hat, für einen Ausbruch eines auf die menschliche Gesellschaft etwas wütenden Menschen, der von der Wirklichkeit nicht viel kennt. Es ist zuweilen geistreich, aber nicht etwas, was in der Wirklichkeit angewendet werden kann. So flüchtig sind dann sol­che Einwendungen. Ich glaube, es ist vielleicht nicht günstig, mit vielen Worten auf diese Dinge einzugehen, denn es wird sich schon mit der Zeit an der Art und Weise zeigen, wie die Worte, die zunächst ja gesprochen werden können aus der Wirklichkeit heraus, sich auch wiederum in Taten umwandeln und in die Wirk­lichkeit einleben können. Ich bin beruhigt, wenn die Wirklichkeit prüft, was ich sage. Ich glaube, sie wird das, was ich zu sagen habe, aufzunehmen wissen.

Über das, was gegen die Unterschriften des Aufrufes gesagt wurde, hat ja Herr Molt zu Ihnen gesprochen, und ich glaube, daß Sie in dieser Beziehung durch Ihre Zustimmung, die Sie Herrn Molt dargebracht haben, wirklich Ihr gründliches Verständnis ge­zeigt haben für etwas, was durchaus notwendig ist. Sie können ganz sicher sein, aus einer solchen Gesinnung heraus, wie sie gezeigt worden ist von denjenigen, die diesen «Aufruf» unter­schrieben haben, werden nicht viele Unternehmer handeln. Aber diejenigen, die so handeln, die sind sich voll bewußt, daß einerseits dieser «Aufruf», diese Impulse ganz bestimmt nicht um der Fabri­kanten willen aufgestellt wurden, sondern, wenn die Fabrikanten

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damit etwas zu tun haben sollen, dann müssen sie sich aus freiesten menschlichen Gründen heraus zu ihnen bekennen. Die Fabrikanten können höchstens sich zum «Aufruf» bekennen, aber der «Aufruf» hat auf sie keine Rücksicht zu nehmen und wird es nicht tun. Das auf der einen Seite. Auf der anderen Seite muß gesehen wer­den, daß es notwendig sein wird, gerade mit solchen Menschen zu arbeiten, die aus ernstestem Willen heraus sich zu der Sache der Sozialisierung, des sozialen Fortschritts im objektiven Sinne überhaupt bekennen, denn sonst haben Sie nur die Wahl - da ja schließlich diejenigen noch gebraucht werden, die irgendwelche Sachkenntnis haben -, es entweder so zu machen, daß sie die Spitzen besetzen und alles sonst beim alten lassen - dazu haben wir ja auch Beispiele -, oder aber Sie setzen sich der Gefahr aus, daß von jener Seite aus alles sabotiert wird.

Es handelt sich also darum, daß wir nicht nur eine richtige Gesinnung empfindungsgemäß einzuschätzen wissen, sondern wir müssen auch imstande sein, einzusehen, was notwendig ist, einzu­sehen, daß wir nicht hinarbeiten auf die Sabotage derjenigen, die heute aus der alten Anschauung heraus nicht das Neue entwickeln wollen. Wir müssen einsehen, daß wir genötigt sind, mit denjeni­gen zusammenzuarbeiten, die nicht aus egoistischem Interesse her­aus, sondern um der Sache willen sich dem «Aufruf» angeschlossen haben. Das ist bei den Unterzeichnern geschehen, sonst stünden sie nicht darauf. Denn ich habe noch nicht festgestellt, daß jemand, um seine egoistischen Interessen zu befriedigen, sich just hinter mich gestellt hat. Das ist eine Erfahrung, die ich mein ganzes Leben hindurch gemacht habe. Sie werden keine allzu schlechten Erfahrungen machen. Verzeihen Sie diese persönliche Bemerkung, aber wir werden noch manche sachliche Frage, eben wie es der Ernst der Zeit fordert, ausführlich besprechen werden können. In dem kurzen Schlußwort konnte ich nur einiges andeuten, aber ich hoffe, die Besprechungen werden fortgesetzt werden können.

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DISKUSSIONSABENDE MIT DEN ARBEITERAUSSCHÜSSEN DER GROSSEN BETRIEBE STUTTGARTS

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ERSTER DISKUSSIONSABEND Stuttgart, 22. Mai 1919

Einleitende Worte von Rudolf Steiner

Meine sehr verehrten Anwesenden! Sie haben soeben gehört, in welcher Weise der heutige Abend verlaufen soll. Wir werden in der ganzen Bewegung, die dem sozialen Neuaufbau dienen soll, am besten vorwärtskommen, wenn wir auf diesem Weg der Frage­stellung und freien Aussprache versuchen, uns über das zu verstän­digen, was geschehen soll. Da ich mich ja erst durch Ihre späteren Diskussionsbeiträge über das, was heute abend verhandelt werden soll, zu unterrichten haben werde, erlaube ich mir, nur mit ein paar Worten auf einiges aufmerksam zu machen, da es vielleicht gut ist, wenn es unseren Disputationen vorausgeschickt wird. Vor allen Dingen möchte ich noch einmal besonders betonen, daß sich dieser «Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus» in ge­wisser Beziehung unterscheidet von anderen, von parteimäßigen Bewegungen, ohne daß diese parteimäßigen Bewegungen durch diesen «Bund für Dreigliederung» irgendwie gestört oder beein­trächtigt werden sollen. Wenn der «Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus» glaubt, heute tätig werden zu müssen, so geschieht es ja aus einem ganz bestimmten Grund heraus.

Sie alle wissen gut, wie lange schon in einer mehr gefühlsmä­ßigen Weise der Ruf nach Sozialisierung durch die Welt geht. Sie alle wissen auch, daß dieser Ruf nach Sozialisierung heute eine besonders drängende Gestalt angenommmen hat. Sie wissen, daß wir aus Wirrnis und Chaos nicht herauskommen können, wenn wir nicht dem Rechnung tragen, was in der Forderung nach Sozialisierung enthalten ist, wenn wir nicht ernsthaft durch die Tat das anstreben, was wirklich Sozialisierung genannt werden kann.

Auf der anderen Seite sehen wir, daß sich ja gerade seit dem Beginn der Deutschen Revolution so vielfach zeigt, wie zwar der

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Ruf nach Sozialisierung da ist, wie es aber zugleich an Vorstellun­gen darüber fehlt, was man nun eigentlich tun soll, wie das nun eigentlich in die Tat umgesetzt werden soll, was als Sozialisierung verlangt wird. Gerade jetzt bekommt man jeden Tag aufs neue Beweise dafür, wie wenig sich die Menschen klar darüber sind, was geschehen soll, um die Sozialisierung herbeizuführen. Und so sehen wir, daß immer deutlicher und deutlicher, immer berech­tigter und berechtigter der Ruf nach Sozialisierung ertönt, daß aber von seiten der Regierung für eine wahre Sozialisierung nichts Erhebliches, ja nicht einmal Unerhebliches geschieht. Ja, wir kön­nen sogar sagen - vielleicht werden Sie sich nachher im Verlauf der Disputation gerade über diese Frage näher aussprechen oder auch genauer unterrichten wollen -, daß man aus dem, was ge­schieht, deutlich ablesen kann, daß keine Vorstellung von einer wirklichen Sozialisierung da ist.

Sie werden vielleicht jenen Gesetzesentwurf gelesen haben, der ja in die Wege leiten soll - so sagt man ja wohl in der bürokrati­schen Sprache - die Institution der sogenannten Betriebsräte. Na­türlich denkt man zunächst an den Stellen, an denen man solche Dinge heute in die Wege leiten will, daran, Gesetze zu machen darüber, was Betriebsräte tun sollen, was ihre Rechte sein werden und so weiter. Aber nehmen Sie das Ganze, was da als Entwurf jetzt in die Welt gegangen ist, so werden Sie sich sagen müssen:

Ja, das trägt auch nicht im geringsten den Stempel einer wahren Sozialisierung. Man nennt es sogar «Sozialisierung der Betriebe», als ob man die einzelnen Betriebe in Wirklichkeit sozialisieren könnte! Was in diesem Entwurf für die Konstituierung der Be­triebsräte enthalten ist, das ist ja nichts anderes als, ich möchte sagen, das Hineinfließenlassen eines gewissen demokratischen Prin­zips des uns sattsam bekannten Parlamentarismus in die einzelnen Betriebe. Man nennt die Sache ja heute schon vielfach «Demokrati­sierung der Betriebe». Das parlamentarische Prinzip soll gewisse Ausläufer, solche Meerbusen ausstrecken, die in die Betriebe hin-eingeleitet werden, in denen dann weiter parlamentarisiert werden soll. Ja, so wenig der bisherige Parlamentarismus, indem er in der

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Abgeschlossenheit in allerlei «Häusern» praktiziert wurde, irgend etwas zur Sozialisierung hat beitragen können, ebensowenig wird dieses Ausstrecken der parlamentarischen Meerbusen den Betrieben etwas bringen können von dem, was Sozialisierung ist. Sie sehen es ja am besten daran, daß in diesem Entwurf überall in der ganz alten Weise geredet wird vom «Arbeitgeber» und «Arbeitnehmer». Wenn es auch nicht offen ausgesprochen wird, so ist es doch so, daß hinter all dem der alte Kapitalismus auch weiterhin lauert. Es ist alles in der alten kapitalistischen Form gedacht. Es soll im Grunde genommen alles beim alten bleiben, und die Arbeitnehmer sollen dadurch beruhigt werden, daß nun irgendwie Betriebsräte gewählt werden können, die allerlei theoretische Verhandlungen zu pflegen haben mit den Unternehmern. Aber mit Bezug auf die eigentliche soziale Gestaltung soll doch letztlich alles beim alten bleiben. Das kann derjenige aus einem solchen Entwurf deut­lich herauslesen, der einen Sinn dafür hat, so etwas überhaupt zu lesen. Es ist auch nicht der allergeringste Anlauf genommen wor­den, um den Kapitalismus wirklich abzubauen. Und so sehen wir, daß schon die allererste Forderung der Sozialisierung, der Abbau des Kapitalismus, nicht in Angriff genommen wird durch das, was jetzt so vielfach Sozialisierung genannt wird.

Was soll man eigentlich angesichts einer solchen Regierung noch an Gedanken entwickeln können? Man kann doch heute wahrhaf­tig nicht mehr zu einem anderen Gedanken kommen als zu dem, daß die einzige Rettung darin besteht, daß sich die große Masse der Arbeiter nun wirklich unterrichtet über das, was die Schäden der sozialen Ordnung bisher hervorgebracht hat, und daß sie sich unterrichtet über das, was nun wirklich eine Besserung bringen kann. Es ist schon die Aufklärung dasjenige, um was es sich vor allen Dingen handelt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß jetzt nicht mehr auf die gehört werden sollte, die immer wieder sagen: Ja, die Aufklärung dauert aber lang. - Sie braucht nicht lange zu dauern, wenn wir uns nur ein wenig Mühe geben wollen, die Dinge ohne Masken und Illusionen zu sehen, wenn wir uns bemühen, die Dinge so zu sehen, wie sie sind und wie

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sie geschehen müssen. Wir haben nicht mehr die Zeit, jahrelang auf eine Sozialisierung zu warten. Es muß unmittelbar etwas ge­schehen. Aber es kann nur etwas geschehen, wenn eine geschlosse­ne Masse von Menschen dasjenige, was geschehen soll, trägt. Im­mer wieder fragen die Leute: Ja, wo ist denn die praktische Anweisung zu dem, was zum Beispiel in meinem Buch «Die Kern­punkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Ge­genwart und Zukunft» steht? - Das nächstliegende Praktische ist, daß möglichst viele Leute da sind, die das fordern, was in meinem Buch steht, so daß es ganz unmöglich wird, gegen diese Forderun­gen noch weiter zu regieren. Darin besteht die zukünftige Macht, daß sie sich dasjenige erzwingen wird, um was es sich handelt. Sonst wird eine Macht eben niemals wissen, wie sie eben diese Macht ausnützen soll, was sie tun soll. Es kommt wirklich darauf an, zu wissen, was man tun soll. Deshalb muß in den weitesten Kreisen eine sachgemäße Aufklärung stattfinden, und man muß sich eine Vorstellung machen können von dem, wie so etwas vor sich gehen kann wie der Abbau des Privatkapitals und die Ab­schaffung des Lohnsystems.

Vor allen Dingen muß man sich von folgendem eine gründliche Vorstellung machen können. Sehen Sie, die eigentliche Wirtschafts­frage, wo zeigt sie sich denn? Man muß sie am richtigen Ort sehen können. Man muß sich nicht durch graue Theorien die Tatsachen verdunkeln lassen. Man muß die Wirtschaftsfrage da sehen, wo sie ist, und von dort ausgehen. Wo ist sie? Wo ist sie als Tatsache? Nun, sie ist da, wo ich mein Portemonnaie aus der Tasche herausnehmen muß und in ihr das Geld haben soll, für das ich mir etwas zur Befriedigung meiner Lebensbedürfnisse in einem Laden besorgen soll. Und es muß durch den Wirtschaftsvor­gang so viel in meinem Portemonnaie sein können, daß ich mir die lebensnotwendigen Dinge besorgen kann. Das ist die Grundtat­sache allen Wirtschaftslebens. Alles übrige ist heute im Grunde genommen nur dazu da, um diese Tatsache zu verdunkeln.

Warum fordert der dreigliedrige soziale Organismus eine Loslö­sung des Wirtschaftslebens vom Rechtsleben und vom Geistesle­ben?

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Er fordert diese Loslösung aus dem Grunde, damit das Wirt­schaftsleben in sich wirklich sozialisiert werden kann, so daß man es endlich in seiner wahren Gestalt vor sich hat, in der wahren Gestalt, die sich als Vorgang abspielt zwischen der Ware im Laden und dem Inhalt des Geldbeutels. Nur dann, wenn wir aus dem ganzen übrigen Gesellschaftsprozeß das herauslösen, was sich zwi­schen Portemonnaie und Laden abspielen muß, versetzen wir uns in die Lage, richtig sozialistisch zu denken. Was heißt das aber? Das heißt sehr viel. Wenn man aber nicht von der richtigen Tatsa­che ausgeht, dann kann man auch mit Bezug auf alle übrigen Dinge nicht zu richtigen Ansichten kommen.

Ich werde mich aus Ihrer Disputation unterrichten über das, was über die Einzelheiten zu sagen ist. Aber zuvor möchte ich notwendige Richtlinien angeben, wobei ich von der eben geschil­derten wirtschaftlichen Grundtatsache ausgehen werde. Sehen Sie, wenn sich in einem Laden irgend etwas befindet, was ich zur Befriedigung meiner Lebensbedürfnisse brauche, und ich komme mit meinem Portemonnaie und gebe aus diesem Portemonnaie das Geld für die Ware hin, dann muß man sich klar darüber sein, daß darin zunächst ein Vorgang enthalten ist, der schon etwas den wahren Tatbestand vertuscht. Ich bekomme Ware, ich gebe Geld hin. Ist das Geld eine Ware? Kann das Geld jemals eine Ware sein? Sie brauchen wirklich keine tiefsinnigen Studien zu machen, aber die tiefsinnigen Studien beweisen gerade das, was ich jetzt sagen werde.

Sie brauchen nur einen wirklichen Lebenssinn dafür zu haben, was ein Stück Papier ist, und Sie werden sich sagen: Ein Stück Papier kann niemals in derselben Weise Ware sein wie zum Bei­spiel ein Laib Brot, den Sie im Laden kaufen. Ich meine, das ist etwas, was der schlichteste Verstand einsehen kann, und etwas anderes kann keine Wissenschaft behaupten. Das, was Sie als Geld-zettel aus Ihrem Portemonnaie herausnehmen, kann keine Ware sein, sondern nur eine Anweisung auf den Erhalt einer Ware, nichts anderes. Deshalb muß es aber herkommen von der Ware. Es muß einmal eine Ware erzeugt, also etwas geleistet worden

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sein. Leistungen sind in diesem Sinne auch Ware. Dieses Papier­stück muß geschaffen worden sein durch einen solchen Vorgang, der Ware, der Leistung hervorbringt, und so bildet das Papierstück nur die Brücke zwischen der Ware, die Sie im Laden kaufen, und jener Ware, die einmal erzeugt sein muß, damit man auf diese Ware die Papieranweisung hat erhalten können. Das ist, schlicht gesagt, der Wirtschaftsprozeß. Jedes andere Element im Wirt­schaftsprozeß ist ungesund. Es kann im Wirtschaftsprozeß nichts anderes getauscht werden, wenn er gesund sein soll, als Ware gegen Ware.

Nun fragen wir aber: Wird heute im Wirtschaftsprozeß bloß Ware gegen Ware getauscht? Nein, und sobald man sich das or­dentlich überlegt, kommt man auf das, um was es sich handelt. Heute wird im Wirtschaftsprozeß nicht bloß Ware gegen Ware getauscht, sondern heute wird im Wirtschaftsprozeß noch Ware, wenn auch vielleicht repräsentiert durch das Geld, also Ware oder Geld getauscht gegen Arbeit. Die Arbeitskraft wird heute im Wirt­schaftsprozeß ebenso bezahlt wie Ware. Dadurch aber ist die Ar­beitskraft in den Wirtschaftsprozeß hineingestellt.

Sehen Sie, es gibt eine ganz schlichte Überlegung, die Ihnen zeigen kann, daß die Arbeitskraft gar nicht in den Wirtschaftspro­zeß hineingehört, weil sie in ihrer Art eigentlich niemals mit irgend­einer Ware verglichen werden kann. Man muß nur mit Bezug auf solche Dinge heute die ganz vertrackten Vorstellungen der Men­schen zurechtrücken. Man muß darauf kommen, wie die Menschen gelernt haben, über diese Dinge verkehrt zu denken.

Sehen Sie einmal, es ist doch Arbeitsleistung verbunden mit einer gewissen Anstrengung des menschlichen Organismus. Nun, der Mensch kann sogar, auch wenn er es nicht nötig hat, zum Beispiel Holz zu hacken, das Bedürfnis haben, dennoch zu arbei­ten. Dann treibt er zum Beispiel Sport. Und die Arbeitsmenge, die einer auf den Sport verwendet, die könnte unter Umständen gerade ebensoviel den Körper abnutzen - wenn er sich beim Sport besonders anstrengt - wie die Arbeit dessen, der Holz hackt, den Körper abnutzt. Die Arbeit hat nichts zu tun mit dem wirtschaftlichen

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Prozeß, sondern die Arbeit hat nur dadurch mit dem Wirt­schaftsprozeß etwas zu tun, daß sie auf etwas wirtschaftlich Wert­volles angewendet wird. Sport ist etwas wirtschaftlich Wertloses, ist bloß für den Egoismus des Menschen da. Holzhacken ist wert­voll. Dadurch, daß die Arbeit wirtschaftlich wertvoll ist, wird sie Bestandteil des Wirtschaftsprozesses. Aber das, was bei der Arbeit das Wesentliche ist, das ist, daß ich in bezug auf die Verwendung meiner Arbeit ein freier Mensch sein muß, daß ich nicht durch einen wirtschaftlichen Zwang dazu veranlaßt werden kann, meine Arbeit in einer beliebigen Weise in den Dienst des Kapitalismus zu stellen. Wenn es sich um die Verwendung der Arbeitskraft handelt, da greifen Freiheit und Unfreiheit und Zwang ein. Wie die Arbeit als solche ein Gegenstand des Rechts sein muß und nicht ein Gegenstand des Wirtschaftslebens, ist daher dasjenige, was man sich in ganz einfacher Weise klarmachen muß.

Im Wirtschaftsleben hat nur das eine Bedeutung, was durch Arbeit erzeugt, hervorgebracht wird; das muß bezahlt werden Nicht aber muß dasein ein Unternehmer, der einem Arbeiter seine Arbeitskraft bezahlt. Wie sich der Arbeitsleiter und der Ar­beiter zueinander verhalten, das muß auf einem ganz anderen Bo­den, auf dem Boden des Rechts, ausgemacht werden. In bezug auf das Wirtschaftsleben können, wenn wirkliches Recht vorhan­den ist, der Arbeiter und der Arbeitsleiter nur Gesellschafter sein, die den Ertrag der Leistung in gerechter Weise unter sich verteilen. In Zukunft darf es keine Bezahlung der Arbeitskraft mehr geben, das heißt: Das Lohnverhältnis muß weg, das Lohnverhältris darf ferner nicht existieren.

Es muß ein Zustand herbeigeführt werden, und das ist dann ein sozialer Zustand, in dem der Arbeitsleiter und der Arbeiter die Waren gemeinschaftlich erzeugen und das, was sie als freie Gesellschafter miteinander erzeugen, in einer gerechten Weise nach dem Warenvertrag, nicht nach dem Arbeitsvertrag, miteinander teilen. Erst wenn eine solche Umgestaltung der Produktionsver­hältnisse herbeigeführt wird, kann man von Sozialisierung spre­chen. Dann hört man aber auch damit auf, in einem Sozialisierungsprogramm

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alle die alten Begriffe, die noch auf dem Kapitalis­mus basieren, zu verwenden. Man muß ganz gründlich umdenken. Man muß wirklich die alten Vorstellungen über den Haufen wer­fen, nicht etwa bloß weil sie Vorstellungen sind, sondern weil sie im Leben drinnenstecken.

Nun muß aber noch etwas beachtet werden. Wenn die Arbeits­kraft innerhalb des Wirtschaftsprozesses in ein Zwangsverhältnis gestellt werden soll, dann muß etwas dasein. Was ist denn das? Sehen Sie, da muß ich wieder zurückkommen auf die Urtatsache des Wirtschaftsprozesses, auf das Portemonnaie und den Laden. Wenn der Zettel, den ich im Portemonnaie habe, wirklich nichts anderes ist als die Anweisung auf eine Ware, dann kann im Grunde genommen gar kein Arbeitszwang herrschen, denn dann muß in irgendeiner Weise dieser Schein immer zurückführen auf etwas, was als Leistung in die Welt gesetzt worden ist. Und es handelt sich nur darum, daß dann diese Leistung in der entsprechenden Weise zirkuliert, zirkuliert so, daß der Verbrauch die Produktion jederzeit regelt. Aber so ist die Sache ja heute nicht. Das, was ich da im Portemonnaie trage, das ist nämlich durch den Wirt­schaftsprozeß der neueren Zeit etwas ganz anderes geworden als eine Anweisung auf die Ware. Das ist namlich selber Ware gewor­den, ist etwas geworden, was in der sozialen Ordnung einen selb­ständigen Wert hat. Das ist es aber nur dadurch geworden, daß eine Warenart - die im Grunde genommen ganz ausgeschaltet werden könnte, wenn sie nur der führende Handelsstaat England auch mit ausschalten würde, dann könnte sie ganz aus dem Wirt­schaftsprozeß ausgeschaltet werden, in einem Inneren Wirtschafts­prozeß kann sie immer ausgeschaltet werden, man würde dann nur noch gegenüber dem Ausland eine andere Rücksicht zu neh­men brauchen -, daß dieser Schein, den ich im Portemonnaie trage, eine andere Bedeutung hat, als eine bloße Anweisung auf Ware zu sein. Dies rührt nun daher, daß durch die Staatsverhält­nisse eine Ware geschaffen worden ist, die eigentlich keine Ware ist, nämlich das Gold oder Silber. Beide sind ja in Wirklichkeit keine Ware, werden aber repräsentiert durch den Schein. Dadurch

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wird der Geldprozeß losgelöst vom Wirtschaftsprozeß, wird her­ausgezogen aus dem Wirtschaftsprozeß, dadurch wird das Geld selber zur Ware gemacht, und dadurch kann das Geld, das in Wahrheit keine Ware sein darf, im Wirtschaftsleben für sich ganz selbständig werden. Das ist aber die Grundlage des Kapitalis­mus.

[Wenn man mit dem Geld selbständig wirtschaften kann, was entsteht da? Da Geld niemals anders geschaffen werden kann als dadurch, daß Waren erzeugt werden, Ware aber im arbeitsteiligen Wirtschaftsleben nie anders erzeugt werden kann als durch Arbeit, so entsteht Macht über die Arbeitskraft durch das Kapital. Kapital ist nichts anderes als Macht über menschliche Arbeitskraft.]* Man bekommt die Möglichkeit, sich menschliche Arbeitskraft zu ver­schaffen, indem man das Geld als selbständige Ware loslöst von dem Wirtschaftsprozeß, während das Geld eigentlich bloß ein wertloser Schein sein sollte im Sinne einer Anweisung auf das, was man als Ware durch das Geld eintauscht. Durch diese Loslö­sung des Geldes aber ist die Arbeitskraft zum Knecht der Macht «Kapital» geworden. Dadurch waltet heute etwas in dem Wirt­schaftsprozeß, was ihn zum Beispiel in bezug auf die Preisbildung fortwährend verfälscht. Denn während ich nur die Ware bezahlen sollte, muß ich mitbezahlen die Arbeitskraft. Aber weil über die Arbeitskraft die Macht des Kapitals herrscht, wird die Arbeitskraft so billig wie möglich bezahlt, weil natürlich eine Macht, die herrscht, die Tendenz hat, so billig wie möglich einzukaufen. Ist die Arbeitskraft im Wirtschaftsprozeß selbst enthalten, so wird sie durch den Kapitalismus verbilligt.

Worauf es nun ankommt, das ist, daß die Arbeitskraft aus dem Wirtschaftsprozeß heraus muß. Im Wirtschaftsprozeß darf nur Ware sein. Dadurch aber, daß der Wirtschaftsprozeß so verfälscht wird, kann in ihm auch noch anderes sein. Sehen Sie, die Soziali­sten haben durch viele Jahrzehnte hindurch immer wieder den Ruf nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel ergehen

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* Siehe Hinweis auf Seite 307.

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lassen. Heute aber ist es erforderlich, daß man weiß, wie diese Vergesellschaftung der Produktionsmittel bewirkt werden muß. Es genügt nicht, daß man in abstrakter Form bloß den Ruf nach Vergesellschaftung ergehen läßt, sondern man muß wissen, wie diese vollzogen werden kann. Heute sind wir so weit, daß wir solche Dinge schon verwirklichen können, wenn wir nur wollen, wenn wir nur wirklich den Mut dazu haben.

Sehen Sie, bevor wir uns ganz genau unterrichten über die eigentümliche Stellung der Produktionsmittel im heutigen Wirt­schaftsleben - im wesentlichen sind sie ja das Kapital -, ist es gut, wenn wir zuerst noch auf etwas anderes sehen.

Es können ja heute nicht bloß Waren gekauft werden, das heißt dasjenige, was im arbeitsteiligen sozialen Organismus durch menschliche Arbeitskraft erzeugt wird, sondern man kann heute noch etwas ganz anderes kaufen, was kein Mensch erzeugt, son­dern was da ist von Natur aus, das ist der Grund und Boden. Aber dieses Kaufen von Grund und Boden beziehungsweise das Hypotheken-Nehmen auf Grund und Boden ist ja nur ein Verfäl­schungsprozeß der wirtschaftlichen Ordnung. Das ist ja etwas ganz anderes, als sich die Leute darunter eigentlich vorstellen. Man kann nämlich in Wirklichkeit den Grund und Boden nicht kaufen, denn Grund und Boden sind auch erst ein Wert, wenn darauf gearbeitet wird. Was man kauft, das heißt, was man durch den sogenannten Kauf erwirbt, das ist das ausschließliche Recht, den Grund und Boden zu benützen. Darauf kommt es nur an, auf dieses ausschließliche Recht, den Grund und Boden zu benützen.

Sie kaufen also nicht eine Ware, indem Sie Grund und Boden kaufen, sondern ein Recht. Und das sind die Krebsschäden der heutigen sozialen Ordnung, daß man innerhalb des Wirtschafts­prozesses nicht bloß Waren kaufen kann, sondern auch Arbeit und Rechte kaufen kann. Indem man Arbeit kaufen kann, erwirbt man die Möglichkeit, diese Arbeit in den Wirtschaftsprozeß hin-einzuziehen, das heißt zu vergewaltigen. Und indem man das Nutzungsrecht an Grund und Boden kaufen kann, erwirbt man Macht.

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Man muß sich klar darüber sein, daß man aus dieser Kalamität überhaupt nicht herauskommt, wenn man der Sache nicht radikal zu Leibe rückt. Ganz genau denselben Wert, den im Wirtschafts­prozeß der Grund und Boden hat, oder besser gesagt dieselbe Bedeutung, haben aber fertiggestellte Produktionsmittel, nicht Pro­duktionsmittel, die erst gemacht werden, sondern die fertiggestell­ten Produktionsmittel, die dann dazu dienen, daß mit ihnen weiter produziert wird. Diese fertiggestellten Produktionsmittel, die kann man in Wirklichkeit eigentlich auch nicht kaufen. Kauft man sie aber, dann erwirbt man in Wahrheit das Recht, sie ausschließlich zu benutzen. Also, man kauft wiederum ein Recht. Und nun sehen Sie am allerbesten an diesen Produktionsmitteln, daß, wenn sie fertig sind, sie einfach nicht verkäuflich sein dürfen, daß aufliö­ren müssen die Produktionsmittel auf dem Wirtschaftsmarkt einen Wert zu haben. Wenn sie fertiggestellt sind, dann sind sie gerade so wie Grund und Boden. Jetzt stellt sich die Frage, die ja eine wirklich soziale Forderung beinhaltet: Wie schaffen wir es, daß die Produktionsmittel nicht mehr länger einen Wirtschaftswert ha­ben, wenn sie fertig sind? Wir schaffen es nur dadurch - ich habe es vorhin ja schon gesagt -, daß man alles das, was nicht in den Wirtschaftsprozeß hineingehört, in selbständige Glieder des sozialen Organismus übergehen läßt.

Was ist denn notwendig für die Produktion? Ist in Wirklichkeit Kapital notwendig? Nein! Es ist eben ein Unsinn, daß Kapital notwendig ist. Damit die Produktionsmittel bedient werden kön­nen, ist notwendig, daß geistige Arbeit da ist. Das versteht natür­lich jeder Arbeiter, daß geistige Leitung, geistige Arbeit da sein muß. Und er versteht auch, daß er bald aufhören müßte zu arbei­ten, wenn nicht eine geistige Leitung, geistige Arbeit, vorhanden wäre. Aber heute geht es nicht um geistige Leitung, sondern um den Privatbesitz an den Produktionsmitteln und um die Rentabili­tät, um die Anlagefähigkeit wiederum des im Produktionsmittel steckenden Kapitals. Deshalb ist es notwendig, daß man die Pro­duktionsmittel herauslöst aus dem Wirtschaftsprozeß, so daß sie durch die soziale Ordnung selbst immer an den gelangen können,

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der die entsprechenden Fähigkeiten hat und zu dem die Arbeiter Vertrauen haben. Deshalb will die Dreigliederung des sozialen Organismus den selbständigen Geistesorganismus. Es ist einfach Unsinn, wenn gesagt wird, [daß dadurch neue Besitzverhältnisse geschaffen werden ...] In diesem Geistesleben, das ja mit den anderen Zweigen des Lebens in enger Verbindung steht, wird dann dafür gesorgt, daß die Produktionsmittel ihren Weg durch die Welt anders machen als durch Kauf. Und in dem, was ich den Rechtsstaat nenne - er hat ja wahrhaftig nichts mehr mit dem alten Staat zu tun -, wird dafür gesorgt werden, daß die Arbeitskraft ihr Recht bekommen kann. Im Wirtschaftsleben selbst bleiben dann nur noch die Warenerzeugung, die Warenverteilung und die Warenkonsumtion.

Dann, wenn wir einen solchen Wirtschaftsprozeß vor uns haben, werden wir uns aufraffen können, zu verlangen, daß es eine Liqui­dierungsregierung geben muß. Diese sagt sich dann: Nun gut, ich muß eine Zeitlang bestehen, weil das Alte sich fortsetzen muß. Aber ich muß zurückbehalten höchstens nur so etwas wie ein Polizeiministerium, ein Ministerium des Inneren, ferner ein Justiz­ministerium, das die Rechtsverhältnisse durch die entsprechende demokratische Vertretung herbeiführen wird.

Es ist wiederum eine Verleumdung, wenn gesagt wird, daß dann auf dem Rechtsboden nur die Rechtsgelehrten herrschen werden. Nein, es wird das Volk herrschen, es wird eine wirkliche Demo­kratie geben, die sich ausdehnen wird. Nach links und nach rechts muß die Regierung eine Liquidierungsregierung sein, die nach der einen Seite hin das Geistesleben in seine eigene Verwaltung über­führt und nach der anderen Seite hin das Wirtschaftsleben in seine eigene Verwaltung überführt. Die Liquidierungsregierung wird die Initiative zu ergreifen haben so, daß sie den freien Boden für das Wirtschaftsleben schafft, so daß im Wirtschaftsleben aus den Kräf­ten, die die jeweiligen Werte der Waren, das heißt die für die gesunde Lebenserhaltung notwendigen Preise, regulieren eine wirkliche Sozialisierung eintreten kann.

Sehen Sie, ich weiß selbstverständlich, daß, wenii ich so etwas

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auseinandersetze, immer wieder von den verschiedensten Gesichts­punkten her die Leute sagen: Ja, er drückt sich so unbestimmt aus. - Ich möchte bloß wissen, wie sich jemand bestimmt ausdrük­ken soll über etwas, was ein unendliches Gebiet ist. Man kann ja nur aufmerksam machen auf das, was den Dingen eigentlich zugrunde liegt. Aber ich habe immer die Hoffnung, daß gerade diejenigen, die aus ihren Lebensnöten heraus sich eine gewisse innere Empfindung für die Wahrheit dieser Sache erworben haben, sehen möchten, daß dem, was hier vorgetragen wird, eine wirklich gründliche Einsicht in den gesamten Produktions- und Konsum­tionsprozeß zugrunde liegt. Und nur aus einer solchen Einsicht heraus kann man zur Tat fortschreiten. Das allein ist daher das wirklich Praktische, während das keine Praktiker sind, die die Gesetze immer so machen oder Einrichtungen so gestalten, daß das eine Loch zu und ein anderes dadurch wieder aufgemacht wird.

Man kann ja einen Wirtschaftsbetrieb recht schön einrichten, wenn man ihn kapitalistisch läßt, das heißt die ganze Wirtschaft kapitalistisch läßt. Dann wird es vielleicht in den einzelnen Wirt­schaftsbetrieben möglich sein, daß sogar das für den Arbeiter zu­stande kommt, was man so schön einen vollen Arbeitsertrag nennt, daß dann aber kein Mehrwert mehr erzeugt wird. Da wird zwar Walther Rathenau kommen und sagen: Der Mehrwert ist zu nichts anderem da als für die Rücklage, also für die fortlaufende Verbes­serung der Produktionsmittel und die Vergrößerung des Betriebes. Es geht alles, was an Mehrwert erzeugt wird, wiederum in den Betrieb hinein. - Ich möchte dann bloß wissen, wovon diejenigen leben, die nicht mitarbeiten, sondern irgendwelche Tantiemen oder dergleichen beziehen, wenn alles wiederum in den Betrieb hinein-geht. Nun ja, solche Leute kann man ja reden lassen. Aber viel wichtiger ist noch etwas ganz anderes.

Nehmen wir an, es würde der ganze Mehrwert einfach unter den Arbeitenden aufgeteilt. Glauben Sie, daß dann, wenn die alte kapitalistische Ordnung bliebe und wenn in einem Betrieb der Mehrwert unter den Arbeitenden aufgeteilt würde, daß dann ohne

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Mehrwert gearbeitet werden braucht? Man kann, wenn man die Wirtschaft nicht sozialisiert, trotzdem einen Mehrwert herausschla­gen. Dann wird er nur nicht dem Lohn der Arbeiter abgezogen, sondern dann muß ihn der Konsument bezahlen. Es kommt nicht darauf an, daß kein Mehrwert erzeugt wird, sondern darauf, daß ihn der Produzent nicht zahlt ..., der Konsument ihn zahlen muß. Wer ist das aber? Auch wieder der Arbeiter. Nehmen Sie sich also zu Ihrem Lohn auch den Mehrwert dazu, so müssen Sie wiederum dasjenige, was Sie sich errungen haben, als Konsument bezahlen. Ein Loch stopfen Sie zu, das andere machen Sie wieder auf.

Aus diesem unnatürlichen Kreislauf des Wirtschaftslebens kann man niemals herauskommen, wenn man nicht das fünfte Rad am Wagen, das nur dazu da ist, damit sich die Leute, die nicht gearbei­tet haben, etwas herausschlagen können, beseitigt. Dieses fünfte Rad trägt ja den Namen KapitaL Und man kommt aus diesem Kreislauf nicht heraus, wenn man nicht ein unmittelbares Verhält­nis herstellt zwischen den Produktionsmitteln und dem geistigen Arbeiter auf der einen Seite und dem körperlichen Arbeiter auf der anderen Seite. Wenn man das nicht will, wenn man nicht herauswirft dieses fünfte Rad am Wagen, das nur denjenigen dient, die nicht arbeiten, so kommt man zu keiner Sozialisierung.

Wie Sie finden werden, ist die Hauptsache dessen, was in mei­nem Buch geschildert ist, daß dort wirklich angestrebt wird, das aus dem Wirtschaftsleben zu tilgen, was Kapital ist, und das, was ein Zwangsverhältnis der Arbeit ist. Das kann man nicht anders, als daß man einen Rechtsboden schafft, auf dem, vom Wirtschafts­leben unabhängig, die Arbeit geregelt wird, und daß man einen Geistesboden schafft, auf dem die menschlichen individuellen Fä­higkeiten unabhängig vom Wirtschaftsleben geregelt werden. Dann werden sie in der richtigen Weise in das Wirtschaftsleben hinein-fließen.

Wer das einsieht, dem wird nicht sehr imponieren, wenn dann Leute kommen und sagen: Ja, Du willst ja die Einheit des sozialen Lebens zerstören, indem Du es in drei Teile zerteilen willst. -

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Nein, ich will gerade diese Einheit herstellen, und diejenigen Men­schen, die von der Zerteilung dieser Einheit sprechen, wie der törichte Artikelschreiber gestern in der Süddeutschen Zeitung, die glauben, ich will einen Gaul zerschneiden. Ich will nicht den Gaul zerschneiden, sie glauben aber, daß ich den Gaul zerschneide, wenn ich ihn nicht auf einen einzelnen Fuß stelle. Den Leuten kommt es darauf an, daß der Gaul nur dann eine Einheit ist, wenn er auf einem Bein steht. Aber der Gaul muß auf vier Beinen stehen. Ich will den sozialen Organismus nicht zerschneiden, son­dern auf seine drei gesunden Beine stellen. Dadurch will ich ihn gerade zu etwas Ganzem gestalten. Das ist es, worauf es ankommt.

Nun habe ich Ihnen wieder einiges darüber gesagt, wie die Dinge aufzufassen sind, aber von einer anderen Seite her, als ich es sonst schon in Vorträgen gesagt habe. Ich wollte nur den heuti­gen Abend einleiten, und ich hoffe, daß jetzt aus Ihrer Mitte viel gesagt wird, was uns heute abend vorwärtsbringen kann. Wir müssen vorwärtskommen gerade in bezug auf einen wirklichen Abbau des Kapitalismus und einen wirklichen Abbau der Zwangs­arbeit.

Diskussion

Herr Biel stellt zwei Fragen: 1. Ist zur Durchführung einer derartigen neuen Form des Wirtschaftslebens die Demokratie eine Notwendigkeit, oder ist es unter Umständen richtig, wenn eben durch die Demokratie ein derartiger Zustand nicht herbeizuführen ist, Gewalt anzuwenden? Kann die Gewalt in diesem Falle auch ein Recht sein? - 2. Ist diese Dreigliederung oder Sozialisierung ohne Berücksichtigung der internatio­nalen Verhältnisse, also ohne daß alle kulturell entwickelten Völker, die da in Frage kommen, gleichzeitig mit denselben Ideen und Forderungen auf den Plan treten, möglich?

Rudolf Steiner: In bezug auf die Frage, ob zur Durchführung einer wirklichen Sozialisierung die Demokratie eine Notwendigkeit

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ist, möchte ich das Folgende sagen: Man kann in einem gewissen Sinne wirklich sagen, daß sich bisher eine Mehrzahl von Menschen noch nicht für neue Gedanken erwärmen konnte, sondern, wie mein verehrter Vorredner schon gesagt hat, immer nur kleine Gruppen. Allein, man wird sich gerade in diesem Punkt darüber klar sein müssen, daß wir heute eben nicht vor kleinen, sondern vor großen Abrechnungen der Weltgeschichte stehen. Es muß vie­les anders werden, und es wird nur anders werden, wenn wir uns gerade in bezug auf die allerwichtigsten Dinge dazu bequemen, etwas anderes anzustreben, als was bisher vorhanden war. Wer heute nicht bloß auf die Gepflogenheiten früherer Zeiten zurück-blickt, sondern heute sehen kann, was die Menschen wollen, der wird mit den verschiedensten realen Faktoren rechnen.

Sehen Sie, der Herr Vorredner hat zum Beispiel gesagt, daß eine kleine Kaste die Menschen in den Weltkrieg hineingetrieben hat. Nun, es wird durch mich in den nächsten Tagen eine kleine Broschüre über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges erscheinen, in der gezeigt werden wird, wie klein die Zahl derer war, die zum Beispiel von deutscher Seite her die Sache betrieben haben. Diese kleine Gruppe hat in ihrer Art ganz aus den Verhältnissen aus grauer Urzeit heraus gewirkt. Da sind einfach die alten Ver­hältnisse in die Gegenwart hineingetragen worden. Damit der Ge­sinnung nach, nicht mit den technischen Mitteln, in Berlin so regiert werden konnte, wie regiert worden ist, hätte es zum Bei­spiel gar keiner Buchdruckkunst bedurft, durch die die Bildung und Urteilsfähigkeit in die breitesten Massen hineingetragen wor­den ist. Aber ist dann nicht wirklich durch diese Weltkriegskata-strophe das in den Abgrund gesunken, was einfach immer nur so weiter fortgewirtschaftet hat?

Wir stehen heute auf einem anderen Boden, und heute sind eben die Menschen nicht so, daß sie sich von kleinen Gruppen dasjenige diktieren lassen wollen, was sie zu tun haben, und daß sie bloß eine kleine Gruppe gegen eine andere kleine Gruppe austauschen wollen. Heute will schon ein jeder mittun. Heute ist die Zeit, in der man lernen muß den Unterschied zwischen herrschen

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und regieren. Es scheint ja allerdings so, als ob dieser Unter­schied noch nicht gründlich genug erkannt worden ist. Herrschen muß heute das Volk, eine Regierung darf nur regieren. Das ist es, worauf es ankommt. Und damit ist auch gegeben, daß in einem gesunden Sinne heute die Demokratie notwendig ist. Des­halb habe ich auch keine Hoffnung, daß man mit den schönsten Ideen etwas erreichen kann, wenn man sie durch kleine Gruppen verwirklichen will und wenn man nicht getragen wird von der Erkenntnis und Einsicht der wirklichen Majorität der Bevölkerung. Die wichtigste Aufgabe heute ist, die große Mehrheit der Bevölke­rung für das zu gewinnen, was man als Möglichkeit zur Verände­rung erkannt hat. So stehen wir heute vor der Notwendigkeit, für das, was zuletzt wirklich an wahrer Sozialisierung erreicht werden wird, in demokratischer Weise die Mehrheit der Bevölke­rung zu haben.

Es könnte natürlich Übergangszeiten geben, in denen eine kleine Gruppe irgend etwas verwirklichen würde, was von der Mehrheit nicht erkannt wird. Aber das würde doch nur von kurzer Dauer sein. Gerade in diesem Punkt muß man sich klar darüber werden, daß sogar heute bereits die Zeit da ist, in der durch die Demokrati­sierung die Menschen als Gleiche zu betrachten sind, und deshalb müssen wir den Boden schaffen, auf dem alle Menschen in ihrem Urteil gleich sein können, den wir loslösen von dem, worin die Menschen nicht gleich sein können in ihrem Urteil. Denken Sie doch einmal, wenn irgendein Kind in der Schule besonders dazu begabt ist, rechnen zu lernen, und Sie wollen es zum Musiker machen, so entziehen Sie ja dadurch, daß Sie das Kind falsch ausbilden, dem sozialen Leben eine ganz besondere Kraft. Die gesunde Entwicklung der Individualität muß gerade im sozialen Organismus gepflegt werden. Da können Sie nicht demokratisie­ren, da können Sie nur die Einsicht in die wirkliche Menschen­kenntnis walten lassen. Auf dem Boden der Erziehung, des Unter­richtswesens muß etwas ganz Neues eintreten.

Und im Wirtschaftsleben, wollen Sie da demokratisch entschei­den? Etwa wie man Stiefel fabrizieren muß oder Ventile? Da muß

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man aus sachlicher Kenntnis heraus Korporationen bilden in bezug auf Produktion und Konsumtion; da müssen sachliche Interessen maßgebend sein. Nach links und nach rechts müssen die rein sachlichen Interessen abgesondert werden, dann bleibt in der Mitte der Boden der Demokratie übrig, auf dem nichts anderes in Be­tracht kommt als das, was jeder reife, ausgewachsene Mensch von jedem ausgewachsenen, reifen Menschen als gleichem zu fordern hat, und von wo dann das Recht in das Geistesleben und Wirt­schaftsleben hineinstrahlt. Gerade weil heute der Ruf nach Demo­kratie so berechtigt ist, müssen wir erkennen, wie die Demokratie durchgeführt werden kann. Das war nicht notwendig in der kapita­listischen Gesellschaft. Da haben sich die Leute auch Demokraten genannt, aber da war es noch nicht notwendig, daß man so gründ­lich zu Werke ging mit dem Begriff Demokratie wie heute. Heute sind wir an dem Punkt angelangt, wo wir uns fragen müssen:

Weil die Demokratie kommen muß, wie können wir sie praktisch verwirklichen? - Die Antwort muß lauten: Nur dadurch, daß wir sie auf ihren eigenen Boden stellen, und was nicht demokratisch verwaltet werden kann, was nicht alle Menschen beurteilen kön­nen, das wird nach links und rechts sachlich abgesondert.

Es ist so einfach zu verstehen, warum dieser dreigliedrige soziale Organismus notwendig ist, daß man sich eigentlich immer wun­dern muß, daß die Leute so viel dagegen haben. Wenn sie fragen:

Wer ist offen und ehrlich zum Beispiel in der Demokratie, so ist es gerade der dreigliedrige soziale Organismus, weil er danach suchen will, wie man die Demokratie verwirklichen kann und nicht vermischen und verwirren will alles, damit keine Demokratie im Einheitsstaat sein kann. Diejenigen haben natürlich keine De­mokratie gemacht, die immer den Ruf ertönen lassen: «Für Thron und Altar!» - Aber, meine sehr verehrten Anwesenden, die werden auch keine Demokratie machen, die an die Stelle des Thrones das Kontor setzen und an die Stelle des Altars die Kasse. Eine Demo­kratie werden nur diejenigen machen, die es ehrlich meinen mit der menschlichen Gesellschaft und nicht das Demokratische dor­thin tragen wollen, wo Sachkenntnis das einzig Maßgebende sein

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kann. Deshalb werden sich die Menschen schon dazu bequemen müssen, einzusehen, was übrigens die vernünftigen Sozialisten im­mer schon gesagt haben, daß es in der Zukunft sachliche Verwal­tungen und keine Scheinverwaltungen durch Wahlen und derglei­chen geben muß. Gewiß, es muß gewählt werden, aber über die Technik des Wählens hinaus wird man noch andere Dinge lernen müssen, als man heute schon kennt. Ich will nur darauf aufmerk­sam machen: Demokratie muß kommen, aber wir müssen einen solchen sozialen Organismus haben, der Demokratie gründlich möglich macht.

Was nun die internationalen Beziehungen betrifft, so will ich nur sagen, daß, während dieser Weltkrieg wütete, gerade wegen der Internationalität diese Dreigliederung von mir aufgestellt wur­de, weil ich nur in der Dreigliederung ein Heilmittel sah, um aus den furchtbaren Verwüstungen und Verheerungen dieses Weltkrie­ges irgendwie herauszukommen. Denn wenn man schon durch Jahrzehnte hindurch ein aufmerksamer Beobachter war, dann er­kannte man ganz deutlich, daß durch das Durcheinanderwerfen von allem möglichen diese moderne Katastrophe, die größte der Weltgeschichte, die übrigens noch lange nicht überwunden ist, kommen mußte.

Verdeutlichen wir uns die Geschichte einmal an einer einzigen Erscheinung, der Bagdadbahn-Frage. Sie wissen ja wohl vielleicht, daß diese Bagdadbahn-Frage eine große Rolle gespielt hat inner­halb der Vorgänge, die dann eingemündet sind in diesen Weltkrieg. Wer die Verhandlungen im Zusammenhang mit der Bagdadbahn­Frage studiert, der weiß, wie da ineinander verwoben sind wirt­schaftliche Interessen des Kapital-Imperialismus oder der Kapital­Imperialismen und nationale, chauvinistische, staatliche, rechtliche Vorurteile. So glaubte irgendein deutsches Finanzkonsortium die Sache schon zu haben, weil es gewisse Leute in England, auch Finanzkonsortien, das heißt von kapitalwirtschaftlichen Interessen durchdrungene Leute, an sich gezogen hatte, da tauchte das Staats-mäßige auf und verwirrte alles so, daß die Engländer wieder abfie­len. Dann fielen die Franzosen ab aus gleichen Interessen. Dann

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wiederum war es gegen die deutschen staatlichen Interessen, und so ging das durch die ganzen Verhandlungen durch. Wer das wirkliche Leben kennt, der weiß eben, wie sich im modernen Leben immer wieder ineinander verknotet haben die drei Lebens­gebiete, das Geistesleben, zu dem auch das nationale Leben gehört, das Wirtschaftsleben und das Staats- oder Rechtsleben.

Sehen Sie, als ich während dieses Weltkrieges einmal nach Wien kam - die Leute haben ja von den verschiedensten Gesichtspunk­ten aus diesen Weltkrieg und ihr Schicksal in ihm beurteilt -, da haben mir einige gesagt: Dieser ganze Krieg ist ja ein Schweine-krieg. - Nicht verurteilend, sondern kennzeichnend wollten sie zum Ausdruck bringen, daß eine der wichtigsten Ursachen die war, daß Ungarn sich geweigert hat, die serbischen Schweine ein­führen zu lassen. Also eine rein wirtschaftliche Angelegenheit, die sich verquickte mit nationalen, das heißt geistigen Fragen. So bilde­ten sich verschiedene Hexenkessel, in denen das gebraut wurde, was dann zum Weltkrieg geworden ist: allerlei rechtliche Verhält­nisse, vorrechtliche Verhältnisse, klassenrechtliche Verhältnisse und dergleichen mehr. Deshalb mußte gerade derjenige, der auf das Internationale sieht, darauf hinweisen, daß das einzige Heil, das es in der Zukunft gibt, darin besteht, die drei Lebensgebiete zu sondern, so daß ein dreigegliederter sozialer Organismus sich bil­det. Dann werden die einzelnen Gebiete sich untereinander stüt­zen, dann wird das eine auf das andere hinweisen.

Die Menschen sind ja manchmal von einer Verstocktheit, über die man staunen könnte. Sehen Sie, ich habe einmal mit einem Menschen gesprochen, der ein Rechtsgelehrter ist, der sogar Mini­sterialdirektor ist, und ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, daß dann, wenn der soziale Organismus dreigegliedert ist, die Konflikte nicht mehr an den Grenzen entstehen können, weil das eine nicht in das andere eingreift, habe gesagt, daß nicht so schnell Staatskonflikte entstehen durch wirtschaftliche Konflikte, wenn nicht alles durcheinandergemengt ist. Da werden die guten wirt­schaftlichen Beziehungen zum Beispiel helfen bei den Staatskon­flikten und dergleichen. - Ja, sagte er, wenn man das aber durchführt,

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dann verstößt man ja gegen etwas, was immer in der Ge­schichte war, nämlich daß die wichtigsten Kriege in der Geschichte ja eigentlich Rohstoffkriege sind. Wenn Sie das einführen wollen, schaffen Sie ja die Rohstoff-Konflikte aus der Welt, und es ist doch unsere Erfahrung, daß diese Rohstoff-Konflikte immer da waren. - Ich mußte ihm antworten: Ja, wenn Sie mir eine Bestäti­gung hätten liefern wollen, daß ich recht habe, dann würde mir das einleuchten. Daß Sie mir es als Widerlegung sagen, das kann ich nicht begreifen. - So sind die Leute heute. Wenn gerade und natürlich gedacht wird, kommen sie nicht darauf, das hinzuneh­men, derin die Vorstellungen der Menschen sind schon verrenkt worden.

Also, mit Bezug auf das Internationale als solches ist ja gerade die Dreigliederung zuerst gedacht worden. Sie ist die Grundlage für eine wirkliche Sozialisierung auch des internationalen Lebens. Aber sie hat noch eine besondere Eigenschaft. Es schadet nämlich gar nichts, wenn der eine soziale Organismus sich dreigliedert und die anderen noch nicht wollen. Denn, wenn die anderen noch nicht wollen, so können ja diejenigen die Segnungen des dreigeteil­ten Organismus genießen, die ihn eingeführt haben. Nach außen, wenn es sie hindern sollte, können sie ja als Einheit auftreten. Wenn drei Parlamente da sind, so können sich die ja in Verhand­lungen mit dem Ausland zusammentun, weil die anderen es noch nicht anders zulassen. Aber sie werden immer noch den anderen voraus sein, weil sie die Dreigliederung in ihrem Gebiete verwirkli­chen. Das ist gerade dasjenige, was wichtig ist, daß man gar nicht meint, die ganze Welt revolutionieren zu wollen, sondern daß man anfangen kann in einem bestimmten Gebiet. Dann wird das

- und das glaube ich ganz bestimmt - sehr ansteckend wirken, wenn wirklich heilsame Zustände in einem Gebiete auftreten. Das wird gehörig ansteckend wirken. Gerade das wird dann beitragen zur Internationalisierung. Man muß nur praktisch denken. Das einzige, was jetzt passieren könnte, das wäre, daß uns die Entente daran hindert, diese Segnungen einzuführen, damit wir kein Bei-spiel geben können. Aber wir müssen gerade in dem, was wir

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imstande sind, neu zu schaffen, Mut und Tatkraft zeigen. Vielleicht werden wir gerade durch so etwas gegen die stark kapitalistisch-imperialistischen Mächte ankämpfen können.

Diskussionsredner Mittwich fragt: 1. Wie wird in Zukunft in der sozialisti­schen Wirtschaftsweise die Besteuerung des Menschen möglich sein? - 2. Wie werden wir sozialisieren?

Rudolf Steiner: Mit dem Hinweis auf die Demokratisierung und ihre Bedeutung in der Übergangszeit glaube ich nicht, daß die verehrten beiden Vorredner etwas von meinen Ausführungen sich wirklich Unterscheidendes vorgebracht haben. Es könnten natür­lich in dem einen oder anderen Kreise Mißverständnisse eintreten, aber wirklich etwas von dem, was ich gesagt habe, Verschiedenes, ist eigentlich nicht vorgebracht worden.

Sehen Sie, das müssen Sie als eine Grundlage gerade des ganzen Impulses der Dreigliederung ansehen, nämlich daß er überall auf die Wirklichkeit hinzielt, daß er gar nicht theoretisiert. Es ist eigentlich bei dem, was in meinem Buche über die soziale Frage steht - wenn ich mich jetzt ein bißchen paradox ausdrücken darf -, nicht einmal so sehr das wichtig, was da unmittelbar drinnen steht, sondern das, was geschieht, wenn man darangeht, das zu verwirklichen, was da drinnensteht. Da werden die Leute merken, daß allerlei Dinge herauskommen, von denen sie sich vorher gar keine Vorstellung gemacht haben, gerade die Dinge, die heute unbewußt gefordert werden von den wirklich arbeitenden und produktiven Menschen. Und in einem speziellen Falle ist das mit der Demokratie der Fall. Natürlich, für die Übergangszeit wird ja eine sehr bedeutende Frage diese sein: Wenn wir nun wirklich eine ausreichende Mehrheit bekommen, und die halte ich für das einzig Gesunde, denn mit kleinen Gruppen läßt sich eben nichts auf die Dauer halten, wenn wir eine ausreichende Mehrheit be­kommen für etwas wirklich praktisch Ausführbares, dann entsteht natürlich die Frage aus den betreffenden tatsächlichen Verhältnis­sen heraus, sie kann nur daraus kommen: Auf welche Weise kom­plimentiert

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man dann mehr oder weniger deutlich - Sie wissen ja, was ich damit meinen kann -, wie komplimentiert man diejeni­gen, von denen man wünscht, daß sie nun nicht mehr da sind als Regierende, heraus? Das ist natürlich eine bedeutsame Über­gangsfrage, und ich glaube, daß, wenn eine wirklich relative Mehr­heit - ich will sogar sagen, eine ausreichende Mehrheit, es kommt nur darauf an, daß es eine Anzahl von Menschen ist, die den Ausschlag gibt und die Sache tragen kann, die aus Überzeugung dabei ist, aus Einsicht und nicht durch Nachlaufen, nicht auf Autorität hin - da ist, dann wird man auch die Form finden, in der das Neue erreicht werden kann.

Aber sehen Sie, die Frage, die ja sehr schön Herr Mittwkh hier erörtert hat, erscheint mir doch nicht so ganz praktisch behan­delt zu sein, insbesondere wenn ich mir vorstelle, daß sich ja die Dinge eben im Raum und nicht in unserem Kopfe, nicht in unse­ren Gedanken abspielen sollen. Herr Mittwich hat mit Recht ge­sagt: Bei den Schicksalsfragen Deutschlands, bei den großen, ern­sten Fragen der Gegenwart dürfen nur diejenigen mitsprechen, welche produktive Arbeiter sind, welche in irgendeiner Weise wirklich produktiv tätig sind. - Ich bin vollständig einverstanden. Aber sehen Sie, die menschliche Gesellschaft würde schlecht daste­hen, wenn die Mehrzahl der Menschen nicht produktiv, wenn sie untätig wäre. Die Mehrzahl ist schon produktiv tätig. Und wenn man all die produktiv Tätigen nur hätte, wenn die nur wirklich eine Mehrzahl bildeten, dann wären wir ja fein heraus. Dann wären diejenigen stark in der Minderheit, die produktiv untätig sind: die Parasiten der Gesellschaft.

Nun ist die Sache mit dem dreigeteilten Organismus so, daß ganz gewiß nur die produktiv Tätigen, also diejenigen, die wirklich etwas hervorbringen und etwas bedeuten für die Gesellschaft, sich das aneignen werden, was in seinen Impulsen liegt. Wenn die es sich aneignen, können wir uns auf diese Leute verlassen, und die Minorität, die es sich nicht aneignet, kommt nicht in Betracht. Durch das Annehmen eines wirklich Vernünftigen bekommen wir eben in der Praxis eine Majorität, auf die man sich verlassen kann.

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Also ich meine, die Sache selbst wird bewirken, daß, wenn sie angenommen wird, die Mehrheit der produktiv Tätigen sich Gel­tung verschaffen wird. Wie man aber irgend etwas durchbringen will, ohne daß man sich auf die Mehrheit der produktiv Tätigen stützen kann, das sehe ich in der Praxis noch nicht. Damit, daß man die Forderung aufstellt, es sollen an dem Schicksal Deutsch­lands nur die produktiv Tätigen teilnehmen, damit ist es noch nicht getan. Praktisch wird die Sache erst dann, wenn man be­denkt, wodurch denn die produktiv Tätigen allein eine Mehrheit bilden können. Die Parasiten werden schon ausgemerzt, wenn wir uns an den dreigliedrigen sozialen Organismus halten können. Denn der wird eine wirkliche Sozialisierung herbeiführen, und diejeni-gen, die unproduktive Gesellschaftsparasiten sind - dessen können Sie ganz sicher sein -, die werden keinen Geschmack finden kön­nen an dieser Sozialisierung. Die werden in die Untätigkeit - nun, da sind sie ja schon drinnen -, aber auch in die Untätigkeit in bezug auf ihre Stimme und so weiter zurückfallen mussen.

Nicht wahr, wirtschaftlich läßt sich allerdings durch den Kapita­lismus Zwang ausüben, das habe ich ja genügend ausgeführt. Aber dieser Zwang fällt eben dann fort, wenn wir ihn unschädlich ma­chen dadurch, daß wir für den Abbau des Kapitalismus sorgen. Deshalb kann ich eigentlich immer nicht begreifen, wie fortwäh­rend durcheinandergemischt wird dasjenige, was so paßt für die Gegenwart und was so paßt für die Zeit, die da kommen soll, die aber wirklich schon vor der Türe stehen muß, denn wir haben nicht lange Zeit. Für die Gegenwart kann man ja davon sprechen, daß einem die Kapitalisten die Gurgel zuschnüren können, aber das wollen wir gerade verhindern, daß sie das machen können. So können wir uns nicht Zustände ausdenken, die wir ja gerade beseitigen wollen. Deshalb ist es nicht richtig, daß eingewendet wird, die Kapitalisten werden die Macht haben. Sie werden sie eben nicht haben, wenn wir so vorwärtsschreiten, wie es der drei­gliedrige soziale Organismus andeutet. Dadurch wird sie ihnen eben genommen. Und schließlich, wer heute genauer hinsieht, für den stellt sich die Frage so: Ja, ist denn eigentlich heute noch

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das Kapital als solches, in der Hauptsache als wirtschaftliche Macht, über weite Gebiete wirklich ein so außerordentlich Mäch­tiges?

Sehen Sie, da will ich Ihnen doch an einem Vergleich etwas verdeutlichen. Ich war einmal in einer Familie, die hatte einen recht großen Hund. Und plötzlich, nachdem sich die Frau der Familie lange Zeit sehr bedächtig diesen Hund angeschaut hatte, kam sie auf einen merkwürdigen Gedanken. Sie sagte, wenn sich dieser Hund jetzt plötzlich seiner Kraft bewußt würde und er würde sie anwenden, dann könnte er uns alle zerfleischen. Aber der ist so zahm, und wir sind eigentlich nur durch das, daß er sich an die Zahmheit gewöhnt hat, gerettet. - Sehen Sie, von der Kraft des alten Kapitalismus ist heute schon sehr viel unterhöhlt. Man denkt nur nicht daran, wieviel schon unterhöhlt ist, wieviel heute nur noch dadurch zum Schein aufrechterhalten wird, daß die alten Verhältnisse fortgepflanzt werden. Ja, sehen Sie, hätten nach der deutschen Revolution - nicht wahr, Vergleiche hinken ja immer, der Vergleich soll nichts anderes sein als ein Ausdruck für die Kraftverhältnisse - diejenigen, die dann heraufgekommen sind, das in sich hervorgebracht, daß sie sich bewußt geworden wären der Kraft, die in dem Bulldoggen liegt, hätten sie sich nicht hypnotisieren lassen von einem Fortwursteln in alten Bahnen, dann waren wir heute schon weiter.

Nun, spezielle Fragen sind ja gerade bei den praktischen Men­schen nicht immer so ganz leicht zu beantworten. Ich will Ihnen sagen, aus welchem Grunde. Die speziellen Fragen sind nämlich je nach den Verhältnissen mal so und mal so zu beantworten. Die Dinge können ganz verschieden gehandhabt werden, und es ist nicht immer notwendig, daß sie immer auf dieselbe Art gemacht werden. Der Programm-Mensch, der Theoretiker, der ist gewöhn­lich so gescheit, daß er bis aufs 1-Tüpfelchen hin ein sozialistisches Programm ausdenkt. Solche Leute hat es immer gegeben. Aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf, daß man zeigt, wie der Boden gestaltet sein muß, damit die Menschen selber sozialisie­ren können, damit sie sich zusammenfinden im Sozialisieren.

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Ich muß immer wieder betonen: Ich fühle mich nicht gescheiter als andere mit Bezug auf die Einzelheiten, aber ich versuche, Anre­gungen zu geben, wie aus jedem Menschen das herauskommen kann, was zur Sozialisierung beitragen kann. Deshalb möchte ich, daß sich die Menschen auf drei Böden stellen. Die Menschen werden ja nicht in Stände gegliedert, sondern sie alle werden in jedem Gebiete drinnenstehen. Und die Menschen sind es, die die Einheit bilden werden. Deshalb möchte ich so in die Ideengemein­schaft der Kräfte hineinkommen, daß die Sozialisierung durch die Menschen wirklich bewirkt werden kann. Dann werden wir unter den neuen Verhältnissen auch ein gerechtes System der Besteue­rung herausfinden. Wir dürfen nicht vergessen: Wir können nicht aus der heutigen Vermögensstatistik ein gerechtes Prinzip für die Besteuerung herausfinden, da wir doch daran arbeiten, sie auf einen ganz anderen Boden zu stellen. Nicht wahr, alle diese Dinge wie Einkommenssteuer, Verbrauchssteuer und so weiter, die wer­den ja auf einen ganz anderen Boden in der Zukunft gestellt. Lesen Sie in meiner Schrift über die soziale Frage nach. Da werden Sie sehen, daß ja in der Zukunft manches ganz anders sein wird. So zum Beispiel steht der Familienvater in ganz anderer Art im sozialen Organismus als der Ledige, und zwar deshalb, weil, wenn der Rechtsstaat sich wirklich so ausbildet, wie ich es annehme, dann jedes Kind das Recht auf Erziehung besitzt. Dann ist die Situation nicht die, daß der Familienvater seinen kärglichen Lohn auf eine große Familie verteilen muß, während der Ledige alles für sich verbrauchen kann. Die Verhältnisse werden ganz andere. [Zwischenruf: Und die anderen Bedarfsartikel?] Das Recht auf Bedarfsartikel ist ja ein selbstverständliches. Das ist ja dadurch, daß der Wirtschaftsprozeß ein realer ist, gesichert. Jeder, der etwas produziert, wird einfach durch den Wirtschaftsprozeß die Möglich­keit haben, die viel sicherer ist als ein abstraktes Recht, die Be­darfsartikel zu beschaffen. Das, was durch die Emanzipierung des Wirtschaftslebens hervorgerufen werden soll, ist, daß man so viel hat, daß es reicht. Der Bedarf wird besser befriedigt dadurch, daß man ein Recht auf Bedarfsartikel und damit genug im Portemon­naie

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hat. Das ist dasjenige, was das Recht auf Bedarfsartikel be­trifft. Es ist das eigentlich kein brauchbarer Ausdruck, weil es in der Realität nicht von Bedeutung ist, wenn man wirklich an eine Realisierung des dreigliedrigen sozialen Organismus denkt. Dann nämlich wird ja hergestellt das, was den Menschen von einem gewissen Lebensalter an auch wirklich gleichstellt mit einem ande­ren Menschen.

Nicht wahr, das Einkommen als solches, das braucht unter Umständen gerade in einem wirklich sozialisierten Gemeinwesen gar nicht maßgebend zu sein für dasjenige, was man verbrauchen kann. Denn es ist durchaus möglich, daß der Mensch dadurch, daß er irgendwie eine, nun, nennen wir es Qualitätsarbeit, zu leisten hat, daß er scheinbar gerade im sozialistischen Gemeinwe­sen mehr einnimmt als ein anderer; er hat deshalb nicht mehr für seinen Verbrauch als ein anderer, er muß es wiederum ausge­ben in der entsprechenden Weise. Darauf kommt es nicht an, diesen Begriff von Einnahmen und Verbrauch in der Zukunft besonders ins Auge zu fassen, sondern es kommt darauf an, daß

- weil ein Mensch wirtschaftlich gerecht in bezug auf den anderen Menschen gestellt sein wird -, daß es in der Zukunft möglich sein wird, überhaupt den Staat auch als Steuereinnehmer aus dem Wirtschaftsprozeß auszuschalten.

Sehen Sie, ein Begriff wird in der Zukunft ganz verschwinden müssen, der Begriff der juristischen Persönlichkeit, auch der wirt­schaftlich-juristischen Persönlichkeit. Es wird tatsächlich das, was an Steuern zu bezahlen ist, von einzelnen Menschen zu zahlen sein, weil im Staate, im demokratischen Staate, auf dem Boden, auf dem das Recht leben soll, der einzelne Mensch dem einzelnen Menschen gegenübersteht. Die Menschen können nur dann gleich sein, wenn ein Mensch dem anderen als Einzelner gegenübersteht. Auf dem Boden des Wirtschaftslebens und auf dem Boden des Geisteslebens muß es Korporationen geben. Auf dem Boden des Staates kann es nur Recht geben, das ist für alle Menschen dassel­be, das kann auch jeder erwachsene Mensch durchschauen. Davon ist aber das Äquivalent, daß jede Privatperson, daß jeder einzelne

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nur der Steuerträger ist Das kann proportional so eingerichtet werden, daß nie Ungerechtigkeit vorkommt, aber diese Proportio­nalität wird nicht notwendig sein, wenn wirklich ein Ausgleich unter den Menschen da ist. Die Steuerfrage wird dann etwas ganz anderes sein. Deshalb gelten die Dinge, um die es sich handelt und die heute gefragt werden können, mehr für das Übergangssta­dium. Da muß man oftmals ja Dinge machen, die nicht bleiben. Da handelt es sich natürlich darum, daß man allmählich die Wege schafft zu der Besteuerung des einzelnen Menschen, nicht zur Besteuerung von Komplexen [...] Natürlich muß auch eine Ver­brauchssteuer geschaffen werden, womit ich nicht die indirekten Steuern meine, die ungerecht sind. Also, eine Verbrauchssteuer muß geschaffen werden, das heißt, daß derjenige, der viel Geld verbraucht, natürlich mehr herangezogen werden muß als derjeni­ge, der nicht viel verbraucht, denn wenn sich einer das Geld in den Strohsack legt, so hat das für das soziale Leben keine Bedeu­tung. Bedeutung erlangt es erst dann, wenn es ausgegeben wird.

Das sind natürlich so spezielle Fragen, die heute, weil sie ganz einzelne praktische Fragen sind, im Grunde genommen immer nur mangelhaft beantwortet werden können, weil auch die Einrich­tungen im Übergangsstadium noch nicht gut sein können. Wenn wir eine Denkweise finden, die es ermöglicht, das gerecht zu verteilen, was dem Staate zukommt, so werden wir auch einen Weg finden, daß wir den, der heute noch ein großes Einkommen hat, mehr besteuern als den, der weniger hat. Und das, was Herr Mittwich in bezug auf die Zukunft gesagt hat, das kann nur ver­wirklicht werden, wenn alles das da sein wird, was durch die Dreigliederung geschaffen werden kann.

Eine sehr reale Frage ist die, wie die Durchführung der Soziali­sierung zu denken ist. Manche sagen, sie könne nur durch eine Steigerung der Produktion angestrebt werden. Ja, da kommen aber wirklich noch ganz andere Dinge in Betracht. Diesbezüglich ist noch keine große Klarheit in der gegenwärtigen Menschheit anzu­treffen. Sehen Sie, ich sagte einmal in einem Vortrag - ich glaube vor Daimler-Arbeitern -, daß das Eigentümliche in der neueren

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Menschheitsentwicklung das sei, daß durch die Maschinen die An­zahl der Arbeitenden auf der ganzen Erde nicht übereinstimmt mit der Anzahl der Menschen, die im Konversationslexikon als Bevölkerungszahl der Erde angegeben ist. Da werden ungefähr 1500 Millionen Menschen angegeben, aber in Wahrheit, wenn wir die arbeitende Bevölkerung zählen, sind es 2000 Millionen, also 500 Millionen mehr. Das ist eine eigentümliche Tatsache. Ich be­haupte natürlich nicht, daß Gespenster herumlaufen, die ja auch nicht arbeiten würden, wenn sie herumliefen, sondern das ist so, weil wir Maschinen haben und vergleichen können, was wirtschaft­lich produziert wird unter Anwendung der Maschinen etwa im Gegensatz zum Orient, wo noch nicht so viele Maschinen vorhan­den sind, wo der Mensch mehr Hand anlegt. Dadurch ist man in die Möglichkeit versetzt, zu berechnen, daß das, was seit der Herrschaft der Maschine auf der ganzen Erde mehr geleistet wird, eben 500 Millionen Menschen entspricht. Denken Sie sich einmal, wieviel da an Arbeit, an Produktionskraft erspart werden könnte, wenn das wirklich in vernünftiger Weise verwertet würde. Aber darauf ist mir merkwürdigerweise erwidert worden: Ja, ich hätte ja ganz richtig gesagt, daß durch die Maschine 500 Millionen imaginärer Menschen da seien, also 500 Millionen Menschen mehr als in Wirklichkeit, daß also die Arbeit geleistet würde von 2000 Millionen Menschen, aber dafür seien auch die Bedürfnisse der Menschen gestiegen während des Maschinenzeitalters und das glei­che sich wiederum aus gegenüber früher. - Das ist ein Einwand, den man sehr häufig gemacht bekommt, daß einfach, wenn die Produktionskraft gesteigert wird, sich auch die Bedürfnisse stei­gern. Ein Loch wird zugemacht, ein anderes geht auf. Aber in Wirklichkeit ist es doch anders. Da ist es doch so, daß alles zu Hilfe genommen werden muß, was zur Rationalisierung, zur rich­tigen Ausgestaltung des Produktionsprozesses führen kann. Wer nur denkt, der Produktionsprozeß müsse gesteigert werden, der kommt nicht zum Richtigen - und dies ist: ein richtiger Ausgleich zwischen Konsumtion und Produktion, nicht die möglichst große Steigerung der Produktion. Die führt auch nicht zu dem, was

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erstrebt werden muß, also zu einer solchen Preisbildung, die wirk­lich menschenwürdige Lebensbedingungen für alle Menschen schafft.

Das, was notwendig ist, das ist namentlich, daß gerade in der Produktion nicht solche Fehler gemacht werden, die, sagen wir, in Deutschland gemacht worden sind. Einer davon - es sind ja viele gemacht worden - ist der, daß in den Jahren lange Zeit vor Ausbruch des Weltkrieges für die deutsche Industrie doppelt so viele Kohlen gebraucht worden sind, als erforderlich gewesen wäre. Da sind einfach soundso viele Kräfte nutzlos verbraucht worden, die eigentlich ganz anderem hätten dienen können. Gerade darauf kommt es an, daß wir im Wirtschaftsprozeß Menschen haben, die der gegenwärtigen Situation gewachsen sind. Die haben wir aber nicht. Die Menschen können zwar im großen Stil sehr fortgeschrit­ten technisch denken, hingegen wirklich wirtschaftlich leitende Persönlichkeiten haben wir nicht, an denen fehlt es uns. Der wirt­schaftliche Prozeß ist gar nicht in der Weise wirklich organisiert, wie er sein müßte, denn die Leute haben gar keine Ahnung davon, wie sehr es darauf ankommt, daß nicht unnötig Produktivkräfte in die Luft verpulvert werden.

Ich habe öfter schon in diesen Vorträgen ein groteskes Beispiel gebraucht. Es kommt ja heute nicht selten vor, daß ein junger Dachs, nachdem er die Universität absolviert hat, seine Doktorar­beit schreiben muß. Ich schildere jetzt ein konkretes Beispiel. Ein junger Mensch bekam von seinem Professor die Aufgabe, seine Doktorarbeit zu schreiben über die Beistriche bei Homer - die es übrigens nicht gibt. Das ist natürlich eine Arbeit, die zum sozialen Prozeß nicht das Geringste beiträgt. Die Leute, die vom Wissenschaftsdenken hypnotisiert sind, die nehmen es einem übel, wenn man so etwas sagt. Aber diese Sache muß in das wirtschaftli­che Licht gerückt werden. Wirtschaftlich kommt das in Betracht, daß dieser junge Mann eineinhalb Jahre für die Arbeit braucht. In dieser Zeit muß er doch essen, trinken, sich kleiden. Daß er das kann, macht notwendig, daß soundso viele Menschen für sein Essen und Trinken Arbeit leisten müssen, er aber verpulvert seine

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Produktivkraft, er leistet für die Gesellschaft nichts. Er wird durch dasjenige, was die Leute «freie selbständige Wissenschaft» nennen, zum Parasiten des Gesellschaftslebens. Das ist nur ein Beispiel. Solche Dinge aber, wo man sehr fleißig sein kann, aber letztlich unproduktiv, solche Dinge gibt es viele in unserem Produktions­prozeß, in unserem ganzen gesellschaftlichen Leben. Da entsteht die Frage: Wie bekommen wir denn das heraus? Wir bekommen es nicht heraus, ohne daß wir das geistige Leben auf seinen eigenen Grund und Boden stellen. Steht es denn heute auf seinem Grund und Boden? Wo man es angreift, da spürt man den ungesunden Boden. Wo kommen denn die zahlreichen Menschen her, die da losgelassen werden auf die arbeitende Bevölkerung und die da leiten oder regieren sollen diejenigen, die da arbeiten?

Ich habe in meinen Vorträgen schon öfter das Beispiel angeführt eines gewissen Regierungsrates Kolb. Dieser Regierungsrat Kolb, er machte es nicht wie viele andere, die sich nach einer gewissen Zeit pensionieren lassen, sondern er ging nach Amerika und arbei­Lete dort unter Arbeitern, zuerst in einer Fahrradfabrik, dann in einer Brauerei. Dann hat er ein Buch geschrieben: «Als Arbeiter in Amerika». In diesem Buch lesen Sie den folgenden schönen Satz: Früher, wenn ich auf der Straße einen Menschen sah, der nicht arbeitete, dachte ich: Warum arbeitet denn der Lump nicht? Heute sehe ich die Sache ganz anders an. Heute weiß ich, daß sich die unbehaglichen Dinge des Lebens in der Studierstube noch ganz behaglich ausnehmen. - Nun, sehen Sie, dieser Mensch hat es bis zum Regierungsrat gebracht. Er hat also ganz gewiß da drinnen studiert in unseren heutigen Geisteswerkstätten, aber er hat keine Ahnung gehabt vom Leben, keine Ahnung von der Arbeit. Von solchen Leuten wird heute das Leben geleitet! Man ahnt gar nicht, wie sehr von solchen Dingen unsere Lebensverhält­nisse abhängig sind! Müssen aber diese Verhältnisse nicht unge­sund sein? Ja, ich bitte Sie doch nur zu berücksichtigen, daß der Mensch wirklich von seinen Gedanken abhängig ist. Was da im Kopfe drinnen ist, das ist nicht gleichgültig, das steckt an, das steckt, besonders wenn es in den Entwicklungsjahren an den Men­schen

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herankommt, den ganzen Menschen an. Und jetzt will ich Ihnen etwas sagen: Sorgen die heutigen Lehranstalten dafür, daß Menschen ausgebildet werden, die dann etwas verstehen vom Le­ben, auf dessen Boden sich die Arbeit abspielt? Nein, das sind ganz andere Verhältnisse. Und in den Köpfen derjenigen, die heute von unseren Lehranstalten entlassen werden, was leben in ihnen für Gedanken? Es leben in ihnen die Gedanken, die die Leute zum Beispiel durch die griechische Sprache aufnehmen. Aber eine Sprache ist das deutliche Spiegelbild des äußeren Lebens. Gramma­tik, Wortbildung, selbst der Tonfall und alles andere ist dem Leben entnommen. Die griechische Sprache, wenn ich mich mit ihr durchdringe, die macht mich so, daß ich mich in das griechische Leben hineinfinde. Damals war es so, daß nur der ein freier Mensch sein durfte, der Politik oder Kunst oder Wissenschaft trieb oder vielleicht noch den Ackerbau verwaltete. Alle anderen waren Unfreie. Auf dieses nun ist alles, indem man das Griechische aufnimmt, hingerichtet. Die Menschen, die da heute aus den Lehr­anstalten herauskommen, die kommen heraus mit Gedanken, die nur anwendbar sind auf eine solche Gesellschaftsordnung, in der nur wenige Menschen freie, die meisten aber unfreie sind. Das merken die Leute nicht, was da unbewußt vorgeht, was da in sie einfließt. Deshalb muß das Geistesleben befreit werden, damit wir nicht Kapitalisten und ihre Knechte als geistige Leiter haben, son­dern damit die geistige Leitung zum Wirtschaftsleben paßt. Ist es denn eigentlich nicht absurd - es handelt sich ja jetzt um die «große Abrechnung» -, ist es denn nicht absurd, daß unsere geisti­gen Leiter es nicht so machen wie die Griechen? Die Griechen haben in ihren Lehranstalten für ihr Leben gelernt. Man mag das heute kritisieren wie man will, aber es war eben das Leben damals. Heute darf das das Leben nicht sein! Wir lernen aber nicht dasjeni­ge, was für unser Leben erforderlich ist, sondern wir lassen unsere Jugend das lernen, was für das alte Griechenland war.

Ja, sehen Sie, an diesen Grundlagen für eine gesunde Sozialisie­rung denken eben die Menschen heute noch nicht. Das ist aber notwendig, vor allen Dingen, wenn von einer richtigen Gestaltung

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der Produktion, die ja heute recht kompliziert ist, gesprochen wird. So muß man heute lernen einzusehen, zum Beispiel wie groß ein Produktionsbetrieb sein darf. Denn sehen Sie, auf einen zu kleinen Produktionsbetrieb trifft durchaus das zu, was Herr Mittwich gesagt hat. Er kann natürlich nicht bestehen, weil er einer alten Wirtschaftsordnung angehört. Aber wir dürfen die Pro­duktionsbetriebe aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht zu groß werden lassen, und zwar deshalb: Zu kleine Betriebe - das muß ich als wirtschaftliches Gesetz heute aussprechen -, zu kleine Be­triebe werden in der Zukunft dazu führen, daß diejenigen, die in ihnen arbeiten, verhungern. Zu große Betriebe werden ein Verhun­gern derjenigen bewirken, die das kaufen sollen, was in diesen Betrieben produziert wird. Der Produktionsbetrieb muß eine ganz bestimmte Größe haben, und diese Größe wird nur festgestellt werden können, wenn in Zukunft durch die Menschen, die etwas verstehen, eine richtige Balance zwischen Konsumtion und Pro­duktion geschaffen wird. Die Konsumtionsinteressen sind immer so, daß sie sich ausdehnen wollen. Konsumtionsgenossenschaften, das werden Sie immer sehen, haben ein Interesse, groß zu werden. Produktionsgenossenschaften wollen immer kleiner werden. Der richtige Ausgleich wird geschaffen durch dasjenige, was Produk­tion und Konsumtion zusammen bewirken. Dann werden solche Betriebe entstehen, die eine entsprechende Größe haben werden, so daß wirklich der geistig tätige Mensch zum Heil der mit ihm körperlich Arbeitenden wirken kann, und daraus wird ein natürli­cher Wohlstand hervorgehen, der den breiten Massen ein men­schenwürdiges Dasein sichern können wird.

Also, Sie sehen, so einfach ist die Frage nicht. Es ist notwendig, daß man einsieht, daß es ungesund ist, wenn jemand sagt, daß, wenn die gesamte Produktion durch die Maschine geleistet wird

- wie der Herr mir dazumal sagte -, daß dann auch die Bedürfnis­se steigen. Es ist eine Frage, ob das ein gesunder Zustand ist, wenn die Bedürfnisse steigen dürfen, oder ob nicht die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden muß, dem Menschen Arbeit abzunehmen, damit er etwas Ruhe finden kann. Das kann auch beitragen zur

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richtigen Regulierung der Preise. Die Menschen sehen oft das Allereinfachste nicht. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Ich kam einmal mit jemandem in einen freundschaftlichen Streit über das Bekritzeln von Ansichtspostkarten. Ich sagte: Ich schreibe nicht gerne Ansichtskarten, denn meistens sind sie doch nur einer Laune entsprungen und eigentlich etwas Unnötiges. Und ich glau­be, daß ich all den Briefträgern, die da treppab und treppauf laufen müssen, dieses Treppab- und Treppauflaufen ersparen kann. Ich möchte ihnen diese Arbeit ersparen. Der andere sagte: Das ist nicht richtig, denn erstens habe ich eine Freude, wenn ich einem anderen eine Freude machen kann mit der Karte. - Nun, das ließ sich noch anhören. Dann sagte er aber: Dann werden zweitens die bisherigen Briefträger bald nicht mehr ausreichen, und man muß weitere einstellen. So kommt dann wieder jemand in Brot dadurch, daß ich viele Ansichtskarten schreibe. - Darauf­hin sagte ich: Aber bedenken Sie doch, was Sie jetzt eigentlich sagen. Glauben Sie denn, daß Sie die Menge des Brotes dadurch auch nur um ein Gramm vermehren können, daß Leute angestellt werden, um Ansichtskarten herumzutragen? Die Menge von Ver­brauchsgütern, die für die gleiche Anzahl Menschen notwendig ist, wird doch nicht erhöht dadurch, daß die Karten herumgetragen werden! Man muß doch unterscheiden zwischen der Produktions-kraft, die eben in Arbeit verwandelt werden muß, und ganz unpro­duktiven Kräften. Und diese schauderhafte Phrase, die oftmals benutzt wird, daß man Arbeit schaffen müsse, damit die Menschen eingestellt werden können, die hat gar keinen Sinn, wenn man etwas ganz Unproduktives schafft.

Also, es kommt darauf an, daß gerade durch eine vernünftige Sozialisierung die Produktion nicht einfach blind gesteigert wird, sondern darauf, daß ein richtiges Gleichgewicht zwischen Konsum­tion und Produktion hergestellt wird. Sehen Sie, es ist eben so sehr notwendig, daß wir heute den guten Willen entwickeln, uns uber diese Dinge zu unterrichten. Denn wenn wir fortfahren, in diesen schauderhaften Begriffen zu denken, mit denen man aus der kapitalistischen Ordnung heraus denkt, dann kommen wir

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eben nicht weiter. Man muß sich immer wieder fragen: Ist irgend etwas noch kapitalistisch gedacht, oder ist es ein wirklichkeitsge­mäßer Keimgedanke für die Zukunft? Deshalb muß man sich schon sagen: Man muß heute einen Gedanken schon zweimal um­kehren, um sicher zu gehen, daß es ein Gedanke für den Neuauf­bau ist und nicht ein Gedanke, der gelernt ist aus dem heraus, was für den Abbau reif ist. Das ist dasjenige, was ich zu den Fragen sagen wollte.

Es wird folgende Frage gestellt: Unter den heutigen Umständen bekommen wir kaum eine Majorität für die Dreigliederung, weil nicht einmal die Proletarier unter sich einig sind. Was tut man, um diese Einigung herbei-zuführen?

Rudolf Steiner: Ja, das ist eine von den Fragen, die immer darauf hinauslaufen, daß man zwar einsieht, was richtig ist, sich aber vorstellt, daß man es aus irgendwelchen Gründen nicht erreichen könne. Diese Frage sollte man so eigentlich nicht aufwerfen, damit kommt man wirklich nicht weiter. Die Frage muß eine Wil­lensfrage werden. Ich kann mich darüber nicht aussprechen. Man muß eben etwas tun. Man muß das, was man als richtig eingesehen hat, von Mensch zu Mensch tragen. Man muß sich nicht fragen: Erlangen wir eine Majorität oder nicht? -, sondern man muß alles tun, um diese Majorität zu erlangen. Dann tun wir unsere Pflicht gegenüber uns selbst und gegenüber der ganzen Menschheit. Eine Willensfrage muß aufgeworfen werden und nicht bloß eine theore­tische Frage wie die: Wie bekommen wir die Majorität? - Ich sage: Wir müssen sie haben! Und deshalb müssen wir arbeiten, um sie zu bekommen. Eine Willensfrage muß es sein. Anders geht es nicht.

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ZWEITER DISKUSSIONSABEND Stuttgart, 28. Mai 1919

Einleitende Worte von Rudolf Steiner

Meine sehr verehrten Anwesenden! An unserer letzten Zusammen­kunft haben wir ausführlich über die Dreigliederung des sozialen Organismus gesprochen, und ich glaube, daß Ihnen im wesentlichen bekannt ist, worin dieser dreigliedrige Organismus bestehen soll und daß in diesem dreigliedrigen Organismus die einzige Möglichkeit liegt, zu einer wirklichen Sozialisierung zu kommen. Denn, sehen Sie, gegenwärtig ist die Hauptsache ja wohl diese, daß von keiner Seite so recht, namentlich von keiner heute noch so maßgeblichen Seite, etwas gewußt wird über das Wesen der Sozialisierung. Das sieht man wohl am besten an den Gesetzen, die herausgekommen sind und die ja auch aus dem Geiste der Sozialisierung sein sollen. Ich meine da insbesondere das Gesetz über die Betriebsräte.

Sie wissen vielleicht, daß namentlich in Berlin das Wort [. .]* geprägt wurde: Die Sozialisierung marschiert! - Ich glaube nicht, daß man heute behaupten kann, daß die Sozialisierung marschiert. Sie trippelt nicht einmal! Man könnte sogar die Ansicht haben, die Sozialisierung verstecke sich. Nun, es wird in der Zukunft darum gehen, wirklich einzusehen, wie in den Impulsen des drei­gliedrigen Organismus nicht irgend etwas Utopistisches, etwas Ideologisches liegt, sondern daß in ihnen durchaus die Keime lie­gen zu dem, was Taten werden können.

Das Wesentliche dieses dreigliedrigen Organismus ist ja, daß wirklich reinlich auseinandergelegt werden das wirtschaftliche Le­ben, das Rechtsleben und das geistige Leben. Nur muß, da wir uns ja in einer Übergangszeit befinden, irgendwie ein Anfang ge­funden werden. Dieser kann heute, das werden Sie aus den Ver­hältnissen heraus gut erkennen, zunächst im Wirtschaftsleben ge­funden

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* Siehe Hinweis auf Seite 308.

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werden, und zwar aus folgendem Grunde: Der Proletarier steht im Wirtschaftsleben drinnen, der Proletarier kennt aus dem, was er an seinem Leib und seiner Seele erfahren hat, die Notwen­digkeit der Sozialisierung. Man kann wirklich sagen, daß außer dem Proletarier kaum jemand einen so wirklich vollgültigen Begriff sich von dem machen kann, was Sozialisierung ist. Gewiß, einige aus der Intelligenz können das auch. Mit denen kann ja auch gerechnet werden. Aber darum kann es sich ja heute nicht handeln, daß einige Leute einsehen, dieses oder jenes sei richtig, sondern es kommt heute darauf an, daß eine möglichst große Anzahl von Menschen erkennt, was zu tun ist, und eine neue Gesellschaftsord­nung herbeiführt, die im wirklichen Sinne eine soziale ist. Darum möchte ich heute in der Einleitung etwas sagen über das, was für unser Fortschreiten in der Sache von Bedeutung ist. Weiteres kann dann, anknüpfend an diejenigen Fragen, die, wie ich hoffe, sehr zahlreich aus Ihrer Mitte gestellt werden, in der Diskussion zum Vorschein kommen. Daher möchte ich in der Einleitung nur ganz kurz einige Anregungen geben. Dasjenige, was geschehen muß, das ist, daß wir vor allen Dingen Menschen bekommen, mit denen die Sozialisierung möglich ist. Diese Menschen müssen aber wirklich echte Vertreter der breiten Massen des Proletariats sein. Sie müssen in einer gewissen Weise ein Mandat dieser breiten Massen des Proletariats haben. Nun ist ja dasjenige, was der Impuls des drei­gliedrigen sozialen Organismus ist, bis zu dem Grade praktisch, daß überall angeknüpft werden kann. Man kann von jedem Punkte aus beginnen zu arbeiten. Nun ergibt sich heute als sehr wichtiger Ausgangspunkt die Frage der Betriebsräte. Und über diese Frage, über die Sie ja schon einiges von meinem verehrten Vorredner gehört haben, möchten wir uns heute erschöpfend unterhalten.

Bei der Behandlung der Betriebsräte-Frage geht es nun darum, daß diese Betriebsräte zunächst, ich möchte sagen, auf die Beine gestellt werden so, daß sie nur aus dem Wirtschaftsleben heraus entstehen. Wir müssen nämlich den dreigliedrigen Organismus in der Weise in Angriff nehmen, daß wir zunächst in einem der drei Glieder etwas wirklich Praktisches tun. Es muß dann natürlich

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auch parallel hierzu in den anderen beiden Gliedern etwas Prakti­sches geschehen. Praktisch können wir nur etwas tun, wenn wir zunächst diejenigen Menschen, die geeignet sind, praktisch zu wir­ken, gewissermaßen auf die Beine gestellt haben. Dazu brauchen wir die Betriebsräte, die hervorgehen müssen aus den einzelnen Be­trieben.

Nun ist es so, daß diese Betriebsräte aus den einzelnen Betrie­ben in der allerverschiedensten Weise hervorgehen können. Not­wendig ist ja nur, daß die Betriebsräte, die aus den einzelnen Betrieben hervorgehen, das absolute Vertrauen der Arbeiterschaft und, bis zu einem gewissen Grade, soweit es möglich ist, auch das Vertrauen der geistigen Arbeiter des betreffenden Betriebes haben. Daher wird es sich darum handeln, daß die wirklichen Arbeiter eines Betriebes und aus den leitenden Stellen diejenigen, die nun wirklich mitgehen können, zunächst aus den Verhältnissen des einzelnen Betriebes heraus, diesen Betriebsrat auf die Beine stellen. Die Verhältnisse können in den verschiedensten Betrieben sehr verschieden sein. So kann es zum Beispiel so sein, daß man in dem einen Betrieb auf die eine Weise die Wahl oder Ernennung - oder wie man es nennen will - eines Betriebsrates durchführt, in einem anderen Betrieb auf eine andere Weise. Die Hauptsache bleibt, daß diejenigen, die aufgestellt werden, das Vertrauen der physischen und geistigen Arbeiterschaft der betreffenden Betriebe haben.

Dann haben wir zunächst aber erst den Grundstock, den wir zur praktischen Arbeit brauchen. Diese Betriebsräte werden dann als solche dasein und werden eine Betriebsräteschaft bilden. Dann muß sich diese Betriebsräteschaft klar darüber sein, daß sie diejeni­ge Körperschaft sein muß, aus der zunächst die Gesundung unseres Wirtschaftslebens hervorgehen muß. Es geht heute nicht darum, daß wir halbe oder Viertelsmaßregeln treffen, sondern darum, daß tatsächlich von Grund auf gearbeitet wird. Das kann nur gesche­hen, wenn wir die Menschen haben, die geneigt sind, von Grund auf zu arbeiten. Lassen Sie sich nicht betören dadurch, daß gesagt wird, es gäbe in der Arbeiterschaft nicht genügend vorgebildete

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Leute. Das wird sich als der größte Irrtum, vielleicht auch als der größte Unsinn erweisen. Denn es handelt sich zunächst nicht darum, daß wir Leute mit einer speziellen Fachbildung bekommen, sondern darum, daß wir aus der unmittelbaren Praxis des Wirt­schaftslebens heraus Menschen bekommen, die das Vertrauen der Wirtschaftenden haben. Dann wird sich das Weitere schon erge­ben, wenn tatsächlich vorhanden sein wird der Ernst und tatsäch­lich vorhanden sein wird der gute Wille, von Grund auf etwas Neues zu schaffen.

Wir haben also dann, wenn wir aus den einzelnen Betrieben heraus die Betriebsräte auf die Beine gestellt haben, die Betriebsrä­teschaft. Dann brauchen wir als nächstes eine Vollversammlung, gewissermaßen eine Plenarversammlung dieser B etriebsräteschaft. Und diese Betriebsräteschaft muß sich, ungeachtet dessen, was von gewissen Stellen her als Gesetz über die Betriebsräte fabriziert wird, aus den Erfahrungen des Wirtschaftslebens heraus selbst eine Konstitution geben. Sie muß sich als eine Urversammlung ansehen. In dieser Betriebsräteschaft muß verhandelt werden über die Be­fugnisse, über die Aufgaben, über die ganze Stellung der Betriebs­räteschaft selber. Das kann nur geschehen dadurch, daß in dieser Vollversammlung zunächst über das gesprochen wird, was eigent­lich hinsichtlich einer Gesundung unseres Wirtschaftslebens zu tun ist. Es geht also nicht darum, daß wir jetzt viel theoretisieren über dasjenige, was die Betriebsräte zu tun haben. Das muß sich aus der Vollversammlung der Betriebsräteschaft selber ergeben.

Halten wir zunächst fest: Man kann nicht einen einzelnen Be­trieb sozialisieren. Das ist völliger Unsinn, da kann man nur be­trieblich individualisieren. Sozialisieren kann man nur ein geschlos­senes Wirtschaftsgebiet. Daher brauchen wir auch nicht irgendwelche allgemeinen Vorschriften über die Funktion der Be­triebsräte in einzelnen Betrieben, wie es auch jetzt wiederum in den Gesetzen zum Ausdruck kommt, sondern wir brauchen eine zwischenbetriebliche Konstitution der Betriebsräteschaft Eine Be­triebsräteschaft über ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet muß ein Ganzes sein. Wenn dann diese Vollversammlung, diese Urver­sammlung,

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sich eine Konstitution gegeben hat, dann wird das zurückwirken können auf die Betriebe.

In einem nächsten Schritt muß dann aus dieser Vollversammlung der Betriebsräteschaft heraus ein Gremium gewählt werden, das man nennen könnte: Betriebsräteschaft-Direktorium oder Zentral-rat der Betriebsräteschaft Gewählt werden müßte nach einem Wahlmodus, der wiederum ganz aus der Betriebsräteschaft selbst hervorgeht. Wenn dieser Zentralrat der Betriebsräteschaft da ist, dann ist ein wesentlicher Schritt getan. Denn was wir in der Zukunft innerhalb des Wirtschaftskörpers brauchen, ist so etwas wie eine Wirtschaftsvertretung oder meinetwillen, wenn wir das alte Wort gebrauchen wollen, so etwas wie ein Wirtschaftsministe­rium. Diese Dinge können sich auf keine andere Weise zunächst in der Übergangszeit ergeben, als daß wir die Vertretung suchen auf dem Weg über jene Urversammlung, jene Plenarversammlung der Betriebsräteschaft Und wir müssen, um für künftige Zeiten im Hinblick auf eine sozialistische Gesellschaftsordnung eine Grundlage zu haben, aus dieser Betriebsräteschaft heraus eine Zen­tralstelle geschaffen haben, die jederzeit imstande ist, das zu bilden, was ein Wirtschaftsministerium genannt werden könnte. Also, wir müssen in dieser Richtung dasjenige vorbereiten, was eine wirklich sachgemäße Verwaltung des Wirtschaftslebens aus der sozialen Gesellschaft heraus sein kann. Arbeiten wir nicht in dieser Weise, dann wird uns der Zeitpunkt, der doch ganz gewiß eintre­ten wird, zu dem die Sozialisierung in Angriff genommen werden soll, unvorbereitet treffen, und er darf uns nicht unvorbereitet treffen! Das ist heute eine fundamentale Frage. Der Zeitpunkt darf uns nicht unvorbereitet treffen. Es muß derjenige, der die Macht hat - und Sie sehen, es handelt sich, allerdings in vernünfti­gem Sinne, um eine Machifrage -, wissen, was er zu tun hat. Das ist ja gerade das Charakteristische, das Kennzeichnende des 9. November gewesen, daß die Leute, die an die Spitze gekommen sind, nicht gewußt haben, was zu tun ist. Es muß dafür gesorgt werden, daß die Menschen da sind, die wissen, was sie zu tun haben.

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Verschiedentlich schon habe ich in meinen Vorträgen betont, daß es heute allein mit Betriebsräten nicht getan ist. Man wird noch andere Räteschaften brauchen. Aber darum brauchen wir uns heute nicht zu kümmern, denn es geht ja darum, daß wir zunächst an einem Punkt praktisch zu arbeiten beginnen. Der Impuls zum dreigliedrigen Organismus ist nicht dazu da, um im­mer wiederum darüber zu theoretisieren, sondern überzugehen, unmittelbar überzugehen zu einer wirklich praktischen Arbeit. Der Zeitpunkt, wo man diese praktische Arbeit braucht, der braucht nicht mehr gar so ferne zu liegen. Denn wenn sich heute gewisse Kreise vorstellen, daß mit irgendeinem Friedensschluß - irgendein Friedensschluß muß ja doch zustande kommen - ein Ende da ware, so ist das ein völliger Unsinn. Mit einem Friedensschluß ist heute kein Ende da, sondern es ist ein Anfang gemacht für eine Zeit, durch die wir durchgehen werden und in der sich über die zivilisierte Welt einfach aus einer inneren Notwendigkeit her­aus, aber gemacht durch die Menschen, die Sozialisierung vollzie­hen muß.

Zweierlei müssen wir ja berücksichtigen, und diese zwei Punkte möchte ich heute noch einleitungsweise vor Sie hinstellen. Sehen Sie, es wird heute vielfach in Versammlungen - und ich habe ja nun jetzt recht viele Versammlungen und Diskussionen mitge­macht - über Kapitalismus geredet, und zwar so, wie geredet worden ist vor dieser Weltkriegskatastrophe. Selbstverständlich gel­ten all die Schäden des Kapitalismus heute noch genauso wie vor dem Kriege, aber die Tatsache des Kapitalismus ist durch diese Weltkriegskatastrophe eine ganz andere geworden. Bedenken Sie nur die Verhältnisse in Deutschland selbst. Der Kapitalismus hat ja eine Veränderung durchgemacht durch die Kriegswirtschaft. Die Kriegswirtschaft hat in einer gewissen Weise den Kapitalismus bis zu seiner höchsten Höhe erhoben. Und sie konnte das dadurch, daß völlig an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen vorbeige­wirtschaftet wurde, indem nur für den Krieg gewirtschaftet wurde. Dadurch aber, daß der Kapitalismus in diese Krisis hineingetrieben worden ist, indem nur Unproduktives geschaffen wurde, dadurch

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ist tatsächlich der ganze Kapitalismus in ein ganz anderes Verhält­nis zur Arbeiterschaft getreten, als dies früher der Fall war. Heute steht der Kapitalismus nicht so da wie vor der Weltkriegskatastro­phe. Und dasjenige, was eigentlich vorliegt, ist, daß man sich bewußt werden müßte, daß dieser Kapitalismus nicht mehr so dasteht. Denn dieser Kapitalismus hat, wenn das auch heute noch nicht so stark hervortritt, das Wirtschaftsleben über einen großen Teil der zivilisierten Welt einfach ruiniert, er hat das Wirtschaftsle­ben unterhöhlt. Er hat heute schon so viel getan zu seiner eigenen Vernichtung, daß diese Vernichtung kommen muß, nicht in «irgend­einer Zeit», wie man früher in sozialistischen Kreisen gesprochen hat, nicht in «einer fernen Zukunft», sondern in unmittelbarer Zukunft wird der Kapitalismus über die zivilisierte Welt hin zei­gen, daß er imstande war, unter dem alten Regime fortzuarbeiten und sich in das Ihnen ja genügend bekannte Verhältnis zur Lohn-arbeiterschaft zu setzen. Aber dieses Verhältnis, das kann gar nicht wieder hergestellt werden. Daher ist heute die Frage so brennend:

Was tut das Proletariat in dem Augenblick, in dem ihm durch die Selbstvernichtung des Kapitalismus die Aufgabe zufällt, die Welt neu zu gestalten? Der Kapitalismus konnte unter den alten Verhältnissen fortwirtschaften. Er kann dies jetzt nicht mehr. Er kann es gar nicht. Es würde ein völliges Chaos, eine völlige Wirr­nis eintreten, wenn der Kapitalismus so fortwirtschaften würde.

Nehmen wir einmal an, irgendein Friede käme zustande, auch dann, wenn diejenigen, die ihn jetzt ablehnen wollen, ihn ablehnen. Irgend etwas muß doch zustande kommen. Was immer aber zu­stande kommt, das könnte doch nur darin bestehen - das bitte ich durchaus festzuhalten -, daß mit Hilfe des noch nicht völlig geknickten Entente-Kapitalismus totgetreten würden Mittel- und Osteuropa, daß wir eine Versklavung bis zum Rhein, insbesondere für die arbeitenden Menschen, haben würden. Das könnte nur dann sein, wenn der Entente-Kapitalismus nicht geknickt würde. Denn was könnte dann eintreten? Das kann sich jeder praktische Mensch klar sagen. Es würde nämlich folgendes eintreten: Nehmen wir an, der Friede käme zustande, dieser Friede, der ja ein Friede

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des eigentlich schon abgewirtschafteten Kapitalismus von Mittel­und Osteuropa mit dem Entente-Kapitalismus ist, denn das Prole­tariat ist bis jetzt nirgends, trotz der sozialistischen Regierung, irgendwie aufgerufen worden, teilzunehmen an den Geschicken der Welt. Nehmen wir also an, dieser Friede kommt zustande, dann würde er nur einen Sinn haben, wenn sich das deutsche Proletariat dazu bereit fände, den Kapitalismus wieder aufzubauen dadurch, daß es sich mit einem furchtbar niedrigen Lohn begnügen würde. Würde es diesen furchtbar niedrigen Lohn, bei dem es allmählich verhungern würde, akzeptieren, dann könnte durch die­sen niederen Lohn der deutsche Kapitalismus sich wieder erheben, und es könnte auf Kosten der Arbeiterschaft sozusagen bezahlt werden, was der Entente-Kapitalismus verlangt. Das ist der eine Fall.

Der andere Fall ist der, daß, was Sie wahrscheinlich nicht glau­ben werden, es eintritt, daß sich zum Beispiel das amerikanische und das englische Proletariat dazu entschließt, möglichst billig, mit möglichst niedrigen Löhnen zu arbeiten, damit an Deutschland Produktionsmittel geliefert werden können, die Deutschland zu­nächst ja nur dann zahlen kann, wenn wiederum das Proletariat fast umsonst arbeitet. Für den deutschen Proletarier ergibt sich in beiden Fällen, daß er in eine furchtbare Lage kommt. Befreiung aus dieser Lage bringen kann nur eine wirkliche Sozialisierung, welche das soziale Leben auf eine ganz andere Basis stellt. Wenn Sie auf die Weise, wie es oftmals geschildert wurde, den Kapitalis­mus herausbringen aus der sozialen Ordnung, dann kann dasjenige, was als Friede oder Ausgleich oder Verständigung zustande kommt, nicht irgend etwas sein, was abgeschlossen wird zwischen den Kapitalisten Mittel- und Osteuropas und den westlichen Kapi­talisten, sondern es kann nur etwas sein, was hervorgeht aus der immer sozialistischer werdenden Gesellschaft. Und das allein kann gesunde Verhältnisse in den internationalen Beziehungen herbei­führen. Denn dann wird es so sein, daß gerade durch den Frie­densschluß der heute nicht mehr auf seinen Beinen stehende mit­tel- und osteuropäische Kapitalismus tatsächlich von der Bildfläche

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abtreten muß. Und das wird im Gefolge haben, daß auch in den Entente-Staaten der Kapitalismus in einer wirklichen Weise be­kämpft werden kann. Denn wenn es an irgendeinem Orte kein Kapital gibt und dennoch produktives Leben herrscht, produktive Kraft herrscht, dann muß man in ganz anderer Weise zu einer solchen produktiven Wirtschaft sich verhalten, als wenn man die Hoffnung hat, daß der Kapitalismus wieder erstarkt und einem die Kriegsentschädigung zahlt oder dergleichen. Sie sehen, ich sage das letztere nur aus dem Grunde, damit Sie nicht glauben, daß irgend etwas in eine ferne Zukunft geschoben wird. Es geht um die allernächste Zukunft, es geht darum, daß die Zeit, die beginnt mit der notwendigen Verständigung der Völker oder mit dem Friedensschluß, entweder der Anfang einer furchtbaren Lage des mittel- und osteuropäischen Proletariats sein wird oder der Anfang sein wird einer wirklichen Sozialisierung, die hervorgehen muß aus Ihrem Mut, aus Ihrer Kraft, aus Ihrer Einsicht in die Notwen­digkeit. Das ist es, was ich vorausschicken wollte.

Ich glaube, daß wir uns heute über die Betriebsräteschaft unter­halten sollen, aber so, daß das zu einem wirklichen Tun führt, damit wir nicht bloß reden, sondern sehen, wie der Impuls zur Dreigliederung des sozialen Organismus darin besteht, daß er Ge­danken enthält, die auf die Beine gestellt werden können, die zur Tat werden können.

Diskussion

Diskussionsredner Biel wendet sich gegen das von der Regierung vorge­schlagene Gesetz über die Betriebsräte und gegen einen Artikel im Tagblatt über die Koalitionsregierung.

Diskussionsredner Lange fragt: Ist, wenn die Betriebsräte gewählt oder ernannt werden sollen, daran gedacht, daß Angestellte und Direktoren, technische oder kaufmännische Direktoren, mitzuwählen sind? Es ist doch wichtig, daß die Gesetze oder Bestimmungen, die gemacht werden, auch wirklich von Leuten gemacht werden, die den gesamten Zusammenhang überblicken.

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Rudolf Steiner: Die Frage ist außerordentlich wichtig. Es handelt sich ja eben darum, daß wir etwas zustande bringen, was arbeiten kann. Nicht wahr, arbeiten in der gegenwärtigen Wirtschaftsform ohne die geistigen Leiter kann man selbstverständlich nicht. Die Wirtschaft würde in eine Sackgasse hineingetrieben werden. Die Produktion würde nach verhältnismäßig kurzer Zeit stillestehen, wenn man nicht die technische Leitung dafür gewänne. Sie wissen ja, daß in Rußland durch die verschiedenen Verhältnisse - über die es ja interessant wäre, sich auch einmal zu unterhalten - es nicht möglich gewesen ist, die technischen Leiter entsprechend für den wirklichen Sozialisierungs gedanken zu gewinnen, so daß man also dort vor der Tatsache stand, daß auf der einen Seite ein vielleicht sogar genügend großes Handarbeiterproletariat da war, welches den Sozialisierungsgedanken hätte aufnehmen kön­nen, und auf der anderen Seite es nicht möglich war, die Masse der sogenannten geistigen Arbeiter für den Sozialisierungsgedanken zu gewinnen. Die Folge davon war dasjenige, was für Rußland am meisten bedauert werden muß: die Sabotage dieser geistigen Arbeiterschaft. Diese Sabotage der geistigen Arbeiterschaft muß unbedingt vermieden werden, das heißt: Es ist notwendig, daß alle Hebel in Bewegung gesetzt werden müssen, um dasjenige zu überwinden, was als Hindernis innerhalb der geistigen Arbeiter­schaft da ist. Verkennen wir eben nicht, welche schweren Hinder­nisse da sind.

Sehen Sie, ich habe ja auch über dies hier schon gesprochen. Nicht wahr, wir stehen ja heute einmal vor der Tatsache, daß das Proletariat durch eine lange Schulung in einem gewissen Grade politisch geschult ist. Das Proletariat ist, wenn das vielleicht auch nicht für jeden einzelnen gilt, politisch geschult. Politische Schu­lung besteht ja nicht darin, daß man bis in die Einzelheiten das eine oder andere weiß, sondern darin, daß man eine gewisse Grundverfassung der Seele hat, die politisch ist. Das hat das Prole­tariat, das haben aber diejenigen nicht, die den Kreisen der soge­nannten geistigen Arbeiterschaft angehören. Diese geistige Arbei­terschaft, die hat sich daran gewöhnt, in sich zu pflegen, was

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man nennen könnte Obrigkeitsgesinnung. Ob diese Obrigkeit nun eine Staatsobrigkeit oder eine Fabrikobrigkeit ist, ist nicht entschei­dend. Wichtig ist zu wissen, daß in diesen Kreisen eine tiefe Obrigkeitsgesinnung herrscht. Gewiß, der einzelne mag innerlich revoltieren, meistens tut er es aber mit der Faust in der Hosenta­sche. Aber zu entbehren für die wirkliche Sozialisierung ist die geistige Arbeiterschaft nicht. Deshalb sage ich: Es ist nötig, die Angestellten und auch die Betriebsleiter zu gewinnen und vor allem unter ihnen diejenigen zu gewinnen, welche einen Sinn und ein Herz haben für wirkliche Sozialisierung.

Wir dürfen es nicht dahin kommen lassen, dann, wenn der Zeitpunkt da ist, eine Art Wirtschaftsministerium so zu begründen, daß dieses Ministerium genötigt ist, sich fünf oder sechs oder zwölf Sessel hinzustellen als obere Spitze, und der ganze Apparat in der alten Gesinnung weiterarbeitet. Aber noch zu etwas ande­rem dürfen wir es auch nicht kommen lassen. Herr Biel hat es ganz gut angedeutet, um was es sich handeln würde, wenn so etwas Wirklichkeit würde wie das, was über die Betriebsräteschaft in diesem unglücklichen Gesetz liegt, das jetzt herauskommen soll. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß es eine wesentliche Tatsache ist, daß wir gerade jetzt in einem Zeitpunkte stehen, wo sich eigentlich der Kapitalismus ruiniert hat und sich nicht wiederum aus sich selber aufbauen kann. Wenn ein Aufbau geschehen soll, muß er von den arbeitenden Menschen her geschehen. Die Kapitalisten können nicht weitermachen. Das ist dasjenige, was aber beweist, daß man den Zeitpunkt ergreifen muß. Solche Gesetze wie das, was da Wirklichkeit werden soll, die sind dazu geeignet, daß mit Hilfe der irregeführten Arbeiterschaft der Kapitalismus, der sich selbst nicht helfen kann, wiederum aufgepäppelt wird und zur alten Herrschaft gelangt. Die Arbeiterschaft soll solche Betriebsräte bilden, die durch ihre ganze Art, wie sie eingerichtet sind, dem Kapitalismus wieder aufhelfen. Dem können wir nur entgegenar­beiten, wenn aus der wirklich arbeitenden Menschheit heraus eine Betriebsräteschaft von unten herauf geschaffen wird und sich selbst eine Konstitution gibt, das heißt sich nicht kümmert um das, was

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im Grunde eine Fortsetzung des alten Kapitalismus sein will, weil es sich die Welt nicht anders als kapitalistisch eingerichtet denken kann.

Wir müssen uns ganz klar darüber sein, daß wir als erste Aufga­be haben, die Betriebsräte überhaupt auf die Beine zu stellen, und daß wir, soweit es geht, in dieser Betriebsräteschaft auch die geisti­gen Arbeiter brauchen. Diejenigen, die keinen Sinn und kein Herz haben für die Sozialisierung, die können wir dort nicht brauchen. Es würde sich auch kaum darum handeln, möglichst viele Direkto­ren oder Spitzen darin zu haben, sondern vor allen Dingen diejeni­gen, die geistig wirklich arbeiten müssen. Dann ist es möglich, aus einer solchen Betriebsräteschaft heraus, so etwas wie die Sozia­lisierung zu bewältigen. Bekennen Sie sich aber zu einem solchen Gesetz, wie es jetzt projektiert wird, dann haben Sie nichts anderes als die alten Arbeitsausschüsse umgetauft. Es ist nur eine Umtau­fung, und selbstverständlich - weil man die beiden nicht nebenein­ander haben kann - sollen die alten Arbeiterausschüsse abgeschafft werden. Die alten Arbeiterausschüsse konnten den Kapitalismus nicht beseitigen, die nach dem Gesetz zu begründenden neuen Betriebsräte werden es auch nicht tun.

Also, wir müssen so weit wie möglich eine Betriebsräteschaft zustande bringen, und die muß aus sich selbst heraus die Betriebe betreiben können. Wir dürfen dabei nicht bloß an Agitation den­ken, sondern wir mussen an die praktische Arbeit denken, aus der heraus die Betriebe neu gestaltet werden können. Da reicht es nicht aus, daß man die Auffassung vertritt, daß die Produktion sozialisiert werden soll, sondern es kommt darauf an, daß man möglichst genau weiß, wie sie sozialisiert werden muß. Das wird dadurch geschehen, daß wir wirklich die geistige Arbeiterschaft in die Betriebsräteschaft hereinbekommen. Darauf muß unser Be­streben gerichtet sein. Daher muß die unpolitische Gesinnung der geistigen Arbeiter beseitigt werden. Und auch dasjenige, worauf heute gewartet wird, dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren. Heute wird ja unter Verhältnissen, die Sie vielleicht genügend kennen, von dem Nichtproletariat darauf gewartet, daß nicht etwa

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nur irgendeine Sozialisierung zustande kommt, sondern daß das Proletariat überwunden werden kann. Vergessen Sie nicht, es gibt solche Aussprüche wie die eines deutschen Großindustriellen, der gesagt hat: Wir Großindustriellen, wir können warten, und wir werden warten, bis die Arbeiter an die Tore unserer Fabriken kommen und um Arbeit bitten! - Diese Gesinnung ist nicht selten. Man wartet darauf, ob sich die Arbeiter nicht doch unterkriegen lassen. Und das ist dasjenige, was durch die Wirklichkeit verhin­dert werden muß. Darauf kommt es an. Hieran gilt es auch zu denken, wenn man sich mit der Frage beschäftigt, wie die geistigen Arbeiter für unsere Sache zu gewinnen sind. Am Anfang dessen, was als Tat unter uns aufleben soll, muß erstens stehen, daß Betriebsräte aufgestellt werden, und zweitens, daß, soweit es heute geht, auch die geistigen Arbeiter mit dabei sein mussen.

Ein Diskussionsredner fragt: Was haben denn die Betriebsräte eigentlich zu tun? Und was muß in der allernächsten Zeit getan werden?

Rudolf Steiner: Ich möchte durchaus betonen, daß das, was ich gesagt habe, nicht für die nächste, sondern für die allernächste Zukunft ist. Ich habe schon betont: Es kann heute nicht an der Zeit sein, daß wir viel herumdenken darüber, wie wir gebildete Betriebsräte bekommen, sondern es geht zu allererst darum, daß wir die Betriebsräte auf die Beine stellen und zu einer Betriebsräte-Vollversammlung kommen. Was vor allem notwendig ist: daß wir Leute aus dem Wirtschaftsleben selbst haben, die dann das Weitere tun. Es kann heute nicht darum gehen, daß man in bezug auf einzelne Situationen genau abgezirkelt sagt, die Betriebsräte haben dieses oder jenes zu tun, sondern ich stelle mir die Sache ganz praktisch vor. Gewiß, unter diesen Betriebsräten werden einzelne sein, die schon wissen, wie man in dem oder jenem Fall in bezug auf die Sozialisierung vorgehen kann, andere werden es nicht wis­sen. Es ist aber gar nicht so schwer, wenn wirklich guter Wille herrscht, die wirklichen Aufgaben für die allernächste Zeit zu er­kennen.

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Es gibt natürlich in bezug auf die Vorgehensweise verschiedene Wege. Nehmen wir einmal an, die Sozialisierung kann sich nicht auf Stuttgart beschränken, also nehmen wir einmal nur Württem­berg an. Der eine Weg wäre, daß man im ganzen Lande herum­zieht und von Arbeiterkreis zu Arbeiterkreis geht und vor den einzelnen Gruppierungen über das spricht, was im Sinne der Drei­gliederung das Allernotwendigste ist, wobei einem gewöhnlich er­widert wird: Das sind Ziele, aber nicht Wege! - Obwohl es gerade eben auf den richtigen Weg hindeuten will. Das also wäre der eine Weg, denn heute konnen wir nichts erreichen, ohne daß wir eine wirklich große Anzahl von Menschen haben, auf die man sich stützen kann. Diesen Weg zu gehen, haben wir aber nicht die Zeit, wenn man daran denkt, daß es nicht darum geht, für die nächste Zukunft zu arbeiten, sondern für die allernächste Zeit. So müssen wir also unbedingt an den anderen Weg denken. Wir müssen diejenigen Personen bekommen, und das will die Betriebs­räteschaft sein, die sich dadurch, daß sie sich zu Betriebsräten haben wählen oder ernennen lassen, voll und ganz in die Arbeit der Sozialisierung hineinstellen. Dann stelle ich mir dasjenige, was mit einer solchen geschlossenen, aber das Vertrauen breitester Mas­sen besitzender Körperschaft zu tun hat, wahrhaftig nicht so schwierig vor.

Wenn wir nun diese Betriebsräte haben, dann kommt gar nicht mehr so sehr die Frage in Betracht, ob die Leute schon ganz genau wissen, was sie zu tun haben. Nach acht Tagen werden sie es wissen. Man muß nur erst die Leute haben. Das Problem heute besteht ja nicht darin, daß es so furchtbar schwer ist, zu wissen, was zunächst zu tun ist, sondern darin, daß so wenig Leute den guten Willen und die Lust haben, das zu tun, was getan werden muß. Also, haben wir diejenigen Menschen, die in sich die innere Verantwortung fühlen, an der Sozialisierung zu arbeiten, weil sie durch das Vertrauen ihrer Mitarbeiter gewählt worden sind, dann werden wir dadurch die Basis geschaffen haben für die allernächste praktische Arbeit.

Die allernächste praktische Arbeit, lassen wir sie uns nicht dadurch

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verdrießen, daß wir sagen: Wir müssen erst Aufklärung schaffen. Diejenigen sind heute wirklich auf dem Holzweg, die sagen: Die Sozialisierung nimmt lange, lange Zeit in Anspruch, da muß erst jeder einzelne aufgeklärt werden. Darum handelt es sich nicht, sondern darum, daß zunächst eine Gesamtheit von Menschen geschaffen wird, die das Vertrauen ihrer Mitarbeiter haben. Dann wird mit diesen weitergearbeitet werden können, dann wird man eben, weil diese das unmittelbare Verantwortungs-gefühl haben, nicht ständig vor dem Problem stehen, daß man an die breite Masse nur schwer herankommen kann. Denn sehen Sie, man kann noch so viele Versammlungen abhalten, es werden immer einige gegenüber solchen Versammlungen Vorbehalte haben wie: Heute scheint die Sonne so schön, da machen wir einen Spaziergang, oder: Am Himmelfahrtstag geht es nicht, an einer Versammlung teilzunehmen - und so weiter. Die Arbeit, die auf uns zukommt, ist ungeheuerlich. Sie wird nicht gelingen, wenn wir in der Weise vorgehen, daß wir gewissermaßen jeden einzelnen aufklären. Wir müssen verantwortliche Personen haben, die dann ganz die Aufgaben ergreifen. Mit denen wird sich in aller-, aller­nächster Zukunft die Arbeit durchführen lassen.

Diskussionsredner Mittwich macht den Vorschlag, daß die Betriebsratswahl getrennt nach Angestellten und Arbeitern vorgenommen wird und daß von jeder Seite Delegierte gewählt werden.

Rudolf Steiner: Ich will nur ein paar Worte sagen, da ich ja mit allem Wesentlichen einverstanden sein kann, was der verehrte Vor­redner gesagt hat. Aber auf eine wichtige Frage, die er gestellt hat, möchte ich zurückkommen, und zwar handelt es sich um die Art und Weise, wie der Betriebsrat, der ja aus einzelnen Be­triebsräten bestehen wird, zustande kommt. Auch ich glaube, daß die Zahl, die er angegeben hat, für die einzelnen Betriebe eine hinreichend große ist. Darüber läßt sich ja natürlich aus den unter­schiedlichen praktischen Verhältnissen heraus die eine oder andere Ansicht gewinnen. Was ich aber für wichtig halte, das ist, wie

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dieser Betriebsrat überhaupt auf die Beine gestellt wird. Glauben Sie nicht, daß ich, indem ich gesagt habe «durch Wahl oder Ernen­nung», daß ich an eine Ernennung von oben oder dergleichen gedacht habe. Sondern ich dachte natürlich daran, daß zunächst heute ja die verschiedensten Verhältnisse in den einzelnen Betrie­ben bestehen, und es ist ganz gewiß sehr richtig, daß es heute zahlreiche Betriebe gibt, in denen die Arbeiterschaft genau weiß: das ist für uns der rechte Betriebsrat -, wo man also nicht erst lange zu debattieren braucht, sondern wo man rein durch das Vertrauen weiß: das ist der rechte. Und ich möchte auf die außer­ordentliche Wichtigkeit hinweisen, daß dieses schon bestehende Vertrauen gerade bei der Wahl der Betriebsräte zum Ausdruck kommt, so daß in den Betriebsrat eben solche Leute hineinkom­men, die das Vertrauen ihrer Mitarbeiter haben. Das würde einer Ernennung ähnlich sein.

Man muß natürlich praktisch-technisch die Wahl durchführen, aber es sollte verhindert werden, daß durch die Wahl irgendwelche Zufallszusammensetzungen zustande kommen. Es sollten nur sol­che Persönlichkeiten in den Betriebsrat gewählt werden, die das Vertrauen ihrer Mitarbeiter haben. Das ist notwendig, weil wir vor allen Dingen Leute brauchen, die sich für das, was sie zu tun haben, verantwortlich fühlen. Das ist das eine.

Das andere ist, daß ich nicht glaube, daß es richtig ist zu fragen: Wie soll die Zahl der Betriebsräte verteilt werden nach Angestellten und Arbeitern? Ich halte es gar nicht für möglich, daß man heute irgendein Regulativ aufstellt. Ich bin deshalb völlig einverstanden mit dem, was der Herr Vorredner gesagt hat, daß nämlich nicht etwa - das würde ja zu etwas Ungeheuerlichem führen - auf der einen Seite die Angestellten ihren Betriebsrat und auf der anderen Seite die Arbeiter ihren Betriebsrat wählen. Da würden wir von vorneherein eine nicht arbeitsfähige Betriebs­räteschaft bekommen. Sie muß vielmehr als eine einheitliche Kör­perschaft von Angestellten und Arbeitern gemeinsam gewählt wer­den. Und wie viele dann auf der einen Seite aus dem Kreis der Angestellten und auf der anderen Seite aus der Arbeiterschaft hervorgehen,

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das wollen wir dann der Wahl überlassen. Es ist selbst­verständlich, daß derjenige, der zum Beispiel aus der geistigen Arbeiterschaft in den Betriebsrat hineinkommt, ein solcher Mensch sein muß, welcher das Vertrauen nicht etwa bloß der Angestellten hat, sondern welcher auch das Vertrauen der Arbeiterschaft haben muß. Die Arbeiterschaft muß ihn als geistigen Arbeiter ebenso akzeptieren. So muß also, wenn zum Beispiel in irgendeinem Be­trieb, sagen wir, fünf Handarbeiter und ein geistiger Arbeiter ge­wählt werden, es ebenso möglich sein, daß andernorts drei geistige und drei Handarbeiter gewählt werden. Es muß das durchaus dem Vertrauen überlassen sein. Als eine einheitliche Gruppe müssen geistige und physische Arbeiter aus ihrem Vertrauen heraus dieje­nigen wählen, die Betriebsräte sein sollen. Es muß schon bei dieser Urwahl jeder soziale Unterschied zwischen geistigen und physi­schen Arbeitern wegfallen.

Ich kann mir nicht denken, daß die eine Forderung, daß wir gemeinsam physische und geistige Arbeiter wählen, zu etwas ande­rem führen sollte, als daß eben derjenige, der als geistiger Arbeiter gewählt wird, das Vertrauen auch der gesamten Arbeiterschaft hat, gleichgültig, ob sie eine physische oder geistige Arbeiterschaft ist. Würden wir die Wahl so gestalten, daß wir gezwungen werden, soundso viele Betriebsräte aus den Reihen der geistigen Arbeiter und soundso viele aus der physischen Arbeiterschaft zu wählen, dann würde das keine freie Wahl mehr sein, die auf Vertrauen gebaut ist. Denken wir, in den Betrieben hätten wir unter den geistigen Arbeitern nicht so viele, die Vertrauen verdienen, dann würden ja Leute in diese Urversammlung hineinkommen, die nicht zu brauchen sind! Die Wahl selbst muß sich nicht nur so vollzie­hen, daß geistige und physische Arbeiter ohne Unterschied in Betracht kommen, sondern daß sie gemeinsam die Macht haben zu wählen und gemeinsam denjenigen wählen, den sie wollen, und so viele von der einen oder der anderen Seite, wie sie wollen. Die geistigen Arbeiter müssen sich klar darüber sein, daß sie nur dadurch in den Betriebsrat hineinkommen können, daß sie das Vertrauen der gesamten Arbeiterschaft haben. Das ist dasjenige,

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was ich als sehr wesentliche Frage ansehe. Zu dieser Auffassung bin ich aufgrund reichhaltiger Erfahrungen gekommen. Heute müssen wir es wirklich so weit bringen, daß die Betriebsräte auf die Beine gestellt werden. In acht Tagen werden sie so weit sein, daß sie eine gesunde Grundlage für die Sozialisierung aus dem Vertrauen der gesamten Arbeiterschaft heraus abgeben, wenn auch nicht restlos, so doch in der Weise, wie ich es geschildert habe.

Plenum: Es wird mit nur einer Gegenstimme von der Versammlung eine Resolution angenommen, die die Forderung enthält, daß so schnell wie möglich allerorts Betriebsräte gegründet werden, bevor das Gesetz, das nur eine halbe Sache ist, in Kraft tritt.

Rudolf Steiner: Ich muß gestehen, daß ich mit der ja sehr häufig auftretenden Frage: Was für Machtmittel stehen zur Verfügung oder willst du geben? - einen praktischen Sinn eigentlich nicht so recht verbinden kann. Denn sehen Sie, es muß sich ja darum handeln, daß diese Betriebsräteschaft, wie ich schon sagte, wirklich dazu kommt, in irgendeinem Zentralrat oder dergleichen das zu bilden, was wirklich eine Art eines im emanzipierten Wirtschaftsle­ben drinnenstehenden Wirtschaftsministeriums sein kann. Nun fra­ge ich: Wenn das ein wirkliches Wirtschaftsministerium sein kann, so doch nur dadurch, daß es gerade die Massen hinter sich hat. [ch möchte wissen, wer einem solchen Zentralrat beziehungsweise Wirtschaftsministerium widerstehen kann, wenn es die Massen hin-ter sich hat, wenn es wirklich aus dem Vertrauen der Masse her-vorgegangen ist. Dadurch geben Sie ihm ja die Macht. Die Macht kann heute in nichts anderem bestehen, als daß alle das gleiche wollen und es durch einzelne ausführen lassen, daß also wirklich hinter einem solchen Ministerium etwas steht, was verunmöglicht, daß es zusammengeschossen wird und dergleichen, und zugleich ermöglicht, auf festem Boden zu stehen, basierend auf dem Ver­trauen der breitesten Massen. Anders kommen wir nicht zur Macht. Diese Macht aber, die ist dann von selbst da, wenn die Körperschaft da ist. Die Frage, welche Machtmittel ich einer solchen

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Körperschaft geben will, die kann ich nur als außerordentlich abstrakt ansehen. Ich weiß nicht, woran man bei einer solchen Frage denkt. Meint man, man solle Regimenter aufmarschieren lassen oder man solle Vorschläge machen, daß soundso viele Leute ausgehoben werden, damit, wenn diese Körperschaft zusammen-tritt, sie funktionieren kann gegen den Willen der anderen? Ich weiß nicht, was hinter einer solchen Frage steckt. Denn wenn dasjenige, was in die Betriebsräteschaft hineinkommt, aus dem Vertrauen der großen Masse hervorgeht, was geschieht dann? Dann wird der Zentralrat beziehungsweise das Wirtschaftsministerium eine wirkliche Sozialisierung herbeiführen können, und mit der werden die breiten Massen dann einverstanden sein, denn es ist ja Fleisch von ihrem Fleisch.

Also, ich meine, indem man wirklich etwas Tatsächliches auf einen gesunden Boden stellt, ergibt sich die Macht ganz von selbst. Sie ergab sich am 9. November aus dem Grunde nicht, weil das, was da heraufkommen wollte, nicht aus dem Vertrauen der Massen hervorgegangen ist und man auch nicht wußte, was man da oben tun soll. Da gilt auch alle andere Macht nichts. Es gibt keine anderen Machtmittel als die, die in der Sache selber liegen. Daher habe ich es immer als eine höchst sonderbare, ganz abstrakte philosophische Frage betrachtet, wenn man heute sagt: Du sagst uns nichts über den Weg, wie wir zur Macht gelangen. - Das ist eben der Weg zur Macht, aus dem Vertrauen heraus eine Vertretung zu finden und aus der Vertretung dann dasjenige zu gestalten, was Anklang findet bei denjenigen, die das Vertrauen dieser Vertretung gegeben haben. Das würde ein praktischer Weg sein. Selbsternennung und dergleichen kann nur dazu führen, daß die Herrlichkeit bald zu Ende ist.

In der Art und Weise, wie wir heute sprechen, besprechen wir ja die Machtfrage mit, und es wäre wirklich ein großer Irrtum, wenn man wiederum die Sache auf Nebengleise führt, indem man wieder die Frage aufwirft, welche Machtmittel denjenigen gegeben werden, die ja schon die Macht haben dadurch, daß sie auf der Grundlage des Vertrauens und nicht auf irgendwelchen anderen

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Grundlagen in ihre Position hineinkommen. Das bitte ich zu berücksichtigen, denn ich sehe, wie durch Wochen hindurch immer wieder die Konfusion dadurch entsteht, daß man auf der einen Seite sagt: Ja, das ist ja alles recht. Solche Ziele, die mögen mal erreicht werden, wir brauchen aber zuerst die Macht. - Wir müs­sen die Macht dadurch erringen, daß wir uns mit diesen Zielset­zungen an den betreffenden Ort stellen, an dem wir, wenn wir an ihre Ausführung gehen, tatsächlich das Verständnis der breite­sten Massen gewinnen. Das ist der Weg zur wirklichen Macht, zur wirklichen Sozialisierung. Ein anderer wird zu Enttäuschungen führen, zur Wiederholung desjenigen, was sich am 9. November und in der Folgezeit ergeben hat.

Diskussionsredner Funk fragt: Wie sollen wir uns verhalten, wenn die Betriebsräte von den Unternehmern ignoriert oder nicht anerkannt wer-den?

Rudolf Steiner: Gewiß, man kann diese Frage aufwerfen, wie man sich zu der Sache verhalten wird, wenn die Betriebsräte da sind und von den Unternehmern nicht anerkannt werden. Aber sehen Sie, so wie die Sache heute abend vor Sie hingetreten ist, ist ja eigentlich schon das Mögliche gegen eine solche Eventualität ge­schehen. Wir denken uns diese Betriebsräteschaft gar nicht so, daß es darauf ankommt, ob der Unternehmer sie nun anerkennt oder nicht. Deshalb soll ja nicht dieser schauderhafte Wechselbalg von Betriebsräteschaft geschaffen werden, die darin bestehen soll, daß die Betriebsräte in den einzelnen Betrieben wiederum den Leuten Sand in die Augen streuen, um die Arbeiter damit zu beruhigen, daß man sagt: Wir haben ja Betriebsräte. Wir wollen eine Betriebsräteschaft, die sich über das ganze Wirtschaftsgebiet erstreckt und aus der heraus nach und nach eine Zentralgewalt entsteht. Diese Zentralgewalt wird sich stützen auf eine Majorität oder, wie ich immer wieder gesagt habe, auf die breite Masse.

Nun frage ich Sie: Wenn diese Betriebsräteschaft dazu führt, daß aus ihr heraus die künftige Wirtschaftsregierung auf die Beine

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gestellt wird, was soll dann der Widerspruch der verschiedenen Unternehmer noch für eine Bedeutung haben? Diese verschiedenen Unternehmer werden ja von dieser Betriebsräteschaft als Unterneh­mer einfach aus ihren Angeln gehoben! Die Betriebsräteschaft soll ja etwas tun. Sie wird, wenn sie zum Ziel kommt, der Unterneh­merschaft von heute gar nicht mehr gegenüberstehen. Das ist mir in der letzten Zeit überhaupt in den verschiedensten Diskussionen häufig entgegengekommen, daß man auf der einen Seite sozialisie­ren will und auf der anderen Seite sagt: Wenn wir nun sozialisiert haben, was werden die Kapitalisten dazu sagen? Ja, wenn wir uns auf diese Frage einlassen, dann kommen wir nie zu einer wirkli­chen Sozialisierung. Wenn wir aber die Sozialisierung ernsthaft in Angriff nehmen, dann kommt es auf die Stellung der Kapitalisten nicht an. Das heißt ja gerade «sozialisieren», daß es in der Zukunft nicht auf sie ankommt, auf die Kapitalisten. Sie werden dadurch aus der Welt geschaffen, daß wir uns nicht weiterhin das Geflunker von einzelnen Betriebsräten, die von der kapitalistischen Obrigkeit anerkannt werden, anhören. Mit denen wollen wir ja gar nicht weiterarbeiten. Deshalb muß ja dieses Gesetz bekämpft werden. Wir mussen tatsächlich Ernst machen mit dem, was Sozialisierung ist. Machen wir Ernst, dann fällt diese Frage ganz von selbst weg. Würde die Frage: Was sagen die Kapitalisten dazu? - weiter beste­hen, dann hätten wir eben nicht sozialisiert. Aber wir wollen doch gerade die Sozialisierung auf die Beine stellen! Deshalb dür­fen wir uns nicht mutlos machen lassen durch solche Fragen, sondern wir müssen uns Klarheit verschaffen, müssen in uns einen Willen erzeugen, der durchgreifen kann, weil er auf gesunden Impulsen beruht. Dann wollen wir nur fragen: Wie machen wir es, um diesen Willen, ohne Rücksicht auf dieses oder jenes zu nehmen, durchzudrücken? - und nicht: Was könnte kommen? -Was wollen wir tun? -, das ist es, worauf es ankommt.

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DRITTER DISKUSSIONSABEND Stuttgart, 5. Juni 1919

Einleitende Worte von Rudolf Steiner

Meine sehr verehrten Anwesenden! Damit wir uns nachher in der Diskussion fruchtbar über die Einrichtung der Betriebsräte unter­halten können, will ich nur einige hierfür notwendige Worte voraus-schicken. Ich glaube, daß es in erster Linie notwendig ist, daß man gerade an der Einrichtung der Betriebsräte gleich von vorneherein die Sozialisierungsaufgabe der gegenwärtigen Zeit in der richtigen Art erfaßt. Das heißt, daß man, indem man an die Einrichtung dieser Betriebsräte geht, eine wirkliche Sozialisierungsarbeit leistet oder, besser gesagt, einen wirklichen Anfang macht mit der Soziali­sierung. Sie wissen ja, daß der Impuls zur Dreigliederung des sozia­len Organismus dasjenige leisten will, was zu einer solchen umfas­senden wirklichen Sozialisierung führen kann. Nun muß man sagen: Gerade an dieser Einrichtung der Betriebsräte zeigt sich eigentlich sogleich, wie wenig Verständnis heute noch vorhanden ist für die wirkliche soziale Bewegung. Nicht wahr, es sollten sich gewisse Leute, welche hauptsächlich die Interessen der Arbeitgeber vertre­ten, doch einmal darüber Gedanken machen, wie es dazu gekom­men ist, daß heute in einer so laut sprechenden Weise gerade aus der Arbeiterschaft heraus dieser Ruf nach Sozialisierung erhoben wird. Wenn nun ein Spezielles auftritt wie die Frage nach den Betriebsräten, dann merkt man sogleich bei dieser Seite, ich meine bei denjenigen, die die Interessen der Arbeitgeberschaft vertreten, wie wenig Verständnis eigentlich für solch eine Einrichtung vorhan­den ist. Man kann schon sagen: An dem Widerstand, der von dieser Seite kommt, kann man so recht merken, wie schwierig es sein wird, mit einer wahren und nicht mit einer falschen Sozialisierung durchzugreifen. Ihnen liegen die Flugblätter vor, welche ja auf An­regung des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus zur Einsetzung von Betriebsräten gerade abgefaßt worden sind.

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Nun, was hört man von der anderen Seite, von den Vertre­tern der Interessen der Arbeitgeber angesichts dessen, was in diesen Flugblättern zum Ausdruck kommt? Sehen Sie, da wird als erstes gesagt: Ja, wenn das so ist, wie das in diesem Flugblatt ausgeführt wird, dann greifen ja die Arbeiter zur Selbsthilfe! -Die Leute, die so sprechen, die bedenken eben gar nicht, daß eigentlich im Grunde doch die Arbeiterschaft immer nur dann zur Selbsthilfe gegriffen hat, wenn diese Selbsthilfe dringend not­wendig war!

Ich habe in meinen Vorträgen verschiedentlich ausgeführt, wie das Nicht-Proletariat, wie die leitenden Kreise in der neueren Zeit jede Gelegenheit versäumt haben, um irgendwie verständnisvoll auf die soziale Bewegung einzugehen. Und ich habe auch geschil­dert, wie selbst die kleinen Brosamen, die der Arbeiterschaft gege­ben wurden in Form von Versicherungen, Altersversorgung oder der Regelung der Arbeitszeit oder des Verbotes von Kinderarbeit und dergleichen, ich habe geschildert, wie selbst dieses alles nur dadurch möglich wurde, daß die Arbeiterschaft zur Selbsthilfe ge­griffen hat. Heute liegen aber die Dinge noch etwas anders. Das, was ich eben aufgezählt habe, das ist in bezug auf die heute anstehende große Aufgabe der Sozialisierung eher eine Kleinigkeit. Die Arbeiterschaft hat früher in bezug auf Kleinigkeiten zur Selbsthilfe gegriffen. Jetzt aber stehen größere Aufgaben als Forde­rungen da, das heißt, jetzt muß einmal im Zusammenhang mit einer großen Aufgabe zur Selbsthilfe geschritten werden. Dabei muß man sich aber immer vor Augen halten, daß aus dem Unter­nehmerverständnis heraus immer die Parole «die Arbeiter greifen zur Selbsthilfe» wie ein rotes Tuch wirkt. Denn sehen Sie, die Unternehmer streben jetzt wieder an, daß in die Betriebe wieder­um Vertrauen und Arbeitslust einziehe, obwohl sie hätten einsehen können, wie wenig gerade die Vertreter der Interessen der Arbeit­geber geeignet sind, dieses Vertrauen und diese Arbeitslust zu begründen. Gerade dadurch, wie diese führenden Kreise vorgegan­gen sind, ist das Vertrauen, ist die Arbeitslust aus den Betrieben verschwunden. Und jetzt wollen sie, wenn das, was zur Produk­tion

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und zum sozialen Leben notwendig ist, von denen in die Hand genommen werden soll, die am eigenen Leibe die Arbeit der Unternehmerschaft gespürt haben, jetzt wollen sie sagen: Das steht Euch nicht zu, das steht uns zu.

Sie werden durch das Flugblatt und vielleicht auch aus den letzten Versammlungen, wenn Sie dabei waren, wissen, daß es zunächst darauf ankommt, daß erst einmal Betriebsräte da sind, Betriebsräte, die wirklich hervorgegangen sind aus der Gesamtheit aller derjenigen, die am wirtschaftlichen Leben arbeitend und orga­nisierend beteiligt sind, und daß es darauf ankommt, daß nun auch wirklich die Leute, die gewählt wurden, auch zu Worte kommen, sich äußern können über das, was nun geschehen soll. Da dürfen dann nicht einfach die alten Wirtschaftsformen fortge­setzt werden, sondern es muß aus dem Urgrund heraus etwas Neues geschaffen werden. Und man kommt nur weiter, indem heute in den einzelnen Betrieben Betriebsräte gewählt werden und dann, hervorgehend aus einem größeren zusammenhängenden Wirtschaftsgebiet, sagen wir Württemberg, eine Betriebsrat-Urver­sammlung zusammentritt und daß sich diese dann aus den Erfah­rungen, aus den Kenntnissen der Betriebsräte heraus selbst eine Verfassung gibt, also festlegt, was die Betriebsräte zu tun haben, was ihre Rechte und Pflichten sind. In dieser Weise muß heute aus dem wirtschaftlichen Leben selbst, aus dem selbständigen wirt­schaftlichen Leben heraus das entstehen, was für dieses wirtschaft­liche Leben notwendig ist. Es muß also durch die Betriebsräte erst etwas entstehen. Man kann nicht aus den alten Einrichtungen heraus heute dasjenige schaffen, was eigentlich durch die wirklich neue Betriebsräteschaft erreicht werden soll.

Sehen Sie, das müßte eigentlich heute das Bestreben breitester Kreise der arbeitenden Menschheit sein: Durch das Vertrauen, das derjenige, der gewählt werden soll, im Betrieb hat, durch dieses Vertrauen soll er getragen sein. Und dann soll er sich vereinigen mit den Betriebsräten eines größeren zusammenhängenden Wirt­schaftsgebietes, also sagen wir Württembergs in diesem Fall, um gemeinsam mit ihnen die Aufgaben der Betriebsräte festzustellen,

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festzulegen. Das müßte heute aus der Sache heraus die Ansicht der breitesten Kreise der arbeitenden Menschheit sein.

Dem steht nun das gegenüber, was von anderer Seite - zu meiner Verwunderung allerdings auch von sehr vielen Kreisen der Arbeiterschaft - gefordert wird. Es ist dies, daß zunächst wieder­um ganz in der alten Weise, so wie es immer geschehen ist, vom alten Staat ein Gesetz gegeben werden soll, das von vorneherein bestimmt, welche Pflichten und Rechte die Betriebsräte haben sol­len. Geht man so vor, so kommt man, wie ich glaube, nicht nur keinen Schritt vorwärts, sondern man macht angesichts der Zeit-verhältnisse sogar ganz wesentliche Schritte nach rückwärts. Was von dieser Seite her kommen kann, das haben wir ja deutlich gesehen. Was beinhalten denn die Forderungen, die von dieser Seite kommen? Da wird zum Beispiel gesagt: Der Staat, der Unter­nehmer und die Arbeiter müssen auf ihre Rechnung kommen. -Daß der Staat, der ja heute doch immer noch im Grunde genom­men so gedacht ist, daß er der Beschützer des Kapitalismus ist, zu seinem Recht kommt, das kann ja ganz aufrichtig gemeint sein. Daß schließlich auch der Unternehmer zu seinem Recht kom­men soll, will ich auch nicht bezweifeln. Aber das, was die Leute darunter verstehen, daß der Arbeiter zu seinem Recht kommen kann, wenn sie solche Gesetze fabrizieren, das, glaube ich, bedarf doch einer genaueren Betrachtung, denn diese Leute verwechseln gewöhnlich das Interesse des Arbeiters mit dem, wie sie in ihrem Interesse den Arbeiter am allerbesten brauchen können.

Da legen sich also diese Leute merkwürdige Worte zurecht, Worte, die im Grunde genommen immer dazu angetan sind, den Leuten Sand in die Augen zu streuen, einen Sand, der dann mei­stens eine ganz merkwürdige Bestimmung hat. Dieser Sand soll sich, wenn er etwa zurückfällt auf diejenigen, die ihn streuen, ein bißchen in Goldkörner verwandeln. Da sagen die Leute: Die Be­triebsräte müssen aber dem Ganzen, dem Staatsganzen dienen. Sie sind auch nicht dazu da, dem einzelnen Arbeiter Vorteile zu ver­schaffen, sondern sie sollen dem Blühen des ganzen Betriebes die­nen. - Nun frage ich Sie, was das eigentlich heißt, wenn man so

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etwas sagt: «dem Blühen des ganzen Betriebes sollen die Betriebs­räte dienen». Das heißt nichts anderes, als daß in abstrakter Weise dasjenige verschleiert wird, um was es sich eigentlich handelt. Wozu sind denn überhaupt Betriebe in der Welt da? Doch dazu, daß sie etwas liefern für die Menschen, und die Menschen sind doch alle einzelne! Betriebe sind überhaupt nur dazu da, daß dasjenige, was in ihnen erzeugt wird, Konsumgut der einzelnen Menschen wird. Und zu sprechen von einem Blühen der Betriebe in einem anderen Sinne, als daß der einzelne Mensch zu seinem Gedeihen kommt durch das, was in den Betrieben erzeugt wird, das heißt nicht aus einer Wirklichkeit reden, sondern die Wirklich­keit mit blauem Dunst zudecken.

Es klingt immer so furchtbar schön, wenn man sagt, es soll dem Ganzen gedient werden. Im wirtschaftlichen Bereich hat das keinen Sinn, denn: Was ist da das Ganze? Es sind die einzelnen alle zusammen! Man sollte also nicht sagen «dem Blühen der Betriebe», sondern «dem Blühen all derer, die an den Betrieben und überhaupt an der Wirtschaft beteiligt sind». Dann wäre die Sache richtig dargestellt, und die Tatsachen würden nicht durch blauen Dunst zugedeckt.

Sehen Sie, man sagt öfters: Der Impuls zum dreigliedrigen sozia­len Organismus sei eine Ideologie. In Wahrheit aber möchte dieser Impuls allen blauen Dunst, von dem genugsam nicht nur geredet worden ist, sondern der im Dienste der Unterdrückung gebraucht worden ist, beseitigen und an dessen Stelle die wahre Wirklichkeit, den Menschen mit seinen Bedürfnissen, setzen. Nun sehen Sie, was verlangen die Leute? Die Leute verlangen, daß die Befugnisse der Betriebsräte nach reichlicher Prüfung der Verhältnisse - so sagt man ja immer, wenn man eine Sache nicht will - durch Sachverständige geregelt werden, und als Sachverständige werden genannt Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Sozialpolitiker. Nun, der Begriff des Arbeitgebers - Sie können es meinen früheren Vorträ­gen und auch meinem Buch über die soziale Frage entnehmen -, der Begriff des Arbeitgebers, der muß eigentlich als solcher bei einer wirklichen Sozialisierung verschwinden. Denn einen Arbeitgeber

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kann es nur geben, wenn er ein Arbeitbesitzer ist, und Arbeitbesitzer darf es eben nicht geben. Es kann nur Arbeitsleiter geben, das heißt solche Menschen, die in der Arbeitsorganisation tätig sind, und zwar so, daß auch der physische Arbeiter seine Arbeitskraft am besten eingesetzt weiß und dergleichen. Natürlich kann in einem Betrieb die Arbeit nicht so ablaufen, daß jeder das tut, was er will. Es muß eine Leitung dasein, es muß der ganze Betrieb durchgeistigt sein, aber das sind keine Arbeitgeber, das sind Arbeitsleiter, das heißt Arbeiter von anderer Art. Darauf ist der größte Wert zu legen, daß man endlich einmal den wirkli­chen Begriff der Arbeit faßt, denn ein Arbeitgeber, der nicht selbst mitarbeitet, gehört in Wirklichkeit gar nicht zum Betrieb, sondern ist ein Parasit der Arbeit.

Über diese Dinge haben die Menschen heute ganz merkwürdige Anschauungen. Ich war vorgestern in Tübingen, wo ich vor einer Versammlung gesprochen habe. Es waren auch Professoren da, und sehen Sie, einer dieser Professoren, der scheint sich besonders aufgeregt zu haben darüber, daß ich gesagt habe, daß dem Arbeiter heute nun endlich einmal klar geworden ist, daß das alte Lohnver­hältnis aufhören muß, weil unter diesem alten Lohnverhältnis der Arbeiter seine Arbeitskraft als Ware verkaufen muß. Nun, darauf­hin hat einer der Professoren das Folgende eingewendet: Soll denn das wirklich nicht menschenwürdig sein, daß man seine Arbeit verkauft? Was ist es denn schließlich für ein Unterschied, ob der Arbeiter in der Fabrik seine Arbeit verkauft oder Caruso an einem Abend singt und 30 000 bis 40 000 Mark am Abend bekommt? Hat der nicht auch seine Arbeit verkauft? - Sehen Sie, solche Vorstellungen haben die Leute heute noch, und gegen die muß man heute noch angehen!

Was aber wird heute gefordert? Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Sozialpolitiker sollen erst erwägen, was nun die Betriebsräte tun sollen. Nun, die Sozialpolitiker, das sind eben solche Herren, die die Gleichartigkeit der Arbeit des Fabrikarbeiters und Carusos vertreten. Diese Herren sollen also die gewichtigste Stimme haben. Es handelt sich aber heute doch darum, daß wir endlich dazu

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kommen, uns zu sagen: Diese Leute haben lange genug ihre Stim­me abgegeben, und gerade durch die Art, wie sie ihre Stimme abgegeben haben, haben sie gezeigt, daß sie nichts mitzureden haben. Auf die Sozialpolitiker kann in weitestem Umfang verzich­tet werden. Ich bin überzeugt, daß wir etwas viel Gescheiteres zustande bekommen, wenn wir aus den Betrieben heraus, aus der physischen und geistigen Arbeiterschaft heraus Vertrauensleute für den Betriebsrat wählen, als wenn sich die Sozialpolitiker zusam­mensetzen, die doch gründlich bewiesen haben, daß sie zwar alles verderben, aber nichts aufbauen können. Und weil man das er­kannt hat, deshalb hat sich der Impuls für die Dreigliederung vor allen Dingen Klarheit darüber verschafft, daß heute nur aus einer Betriebsräte-Urversammlung etwas kommen kann. Und wenn heu­te gefragt würde, wer da mitzureden hat, dann würde ich sagen:

Vor allen Dingen nicht diejenigen, die noch am alten Begriff des Arbeitgebers festhalten, und nicht diejenigen, welche theoretisie­rende Sozialpolitiker sind, die sollen besser draußen bleiben. Es gibt Leute, die sagen dann: Dazu gehören eingehende Studien, wie sie von Sozialisierungsausschüssen gemacht werden. Sehen Sie, einen wirklichen Sozialisierungsausschuß, den möchte man eben gerade haben in der Betriebsräteschaft, die aus dem wirklichen Vertrauen der Menschen hervorgeht. Dagegen aber sagen diese Leute, daß durch gewalttätige Eingriffe der Betriebsräte, die ohne vorherige gesetzliche Regelung sich ihre Befugnisse selbst geben und einen Zentralrat im Sinne des Flugblattes bilden, die schwer­sten Schädigungen zu erwarten sind. Man sollte sich schon klar darüber sein, daß vielleicht schwere Schädigungen des alten Kapita­lismus zu erwarten sind, aber das werden solche Schädigungen sein, welche sich als Nützlichkeiten erweisen werden im Dienste der wirklich tatkräftigen Menschheit.

Dann ist da noch eine Phrase, die heute immer wieder und wiederum gebraucht wird und die auch in den Kreisen der Arbeit­geberschaft verwendet wird, nämlich daß die Einrichtung von Be­triebsräten ihren Zweck nur durch weitgehende Aufklärung und Schulung der Arbeiterschaft und der Unternehmer erfüllen kann. -

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Ja, von dieser Art von Schulung hat man auch schon einiges wahrnehmen können. Bei dieser Art von Schulung handelt es sich ja darum, daß die Leute zunächst grundlegend dahingehend präpa­riert werden, daß sie den herrschenden Klassen den besten Dienst erweisen können, und nicht etwa, daß sie etwas Menschenwürdiges erkennen. Man möchte ihnen durch eine Schulung alles das gründ­lich austreiben, was sie durch das Leben gelernt haben und was sie angesichts der jetzigen Zeitverhältnisse aus ihrer Seele heraus­setzen möchten. Mit dieser Schulung verbindet man die Absicht, das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herzustel­len, zu festigen. Ich habe ja schon gesagt: Nachdem man alles getan hat, um dieses Vertrauen gründlich auszumerzen, hat man eingesehen, daß man dieses Vertrauen glaubt wieder herstellen zu können, indem man die Leute in dieses Vertrauen hineinschult. Das heißt in diesem Falle nämlich nichts anderes, als die Leute darauf hin zu dressieren, daß sie sich im Dienst des Kapitalismus wohlfühlen.

Noch etwas anderes muß berücksichtigt werden, nämlich daß auch der Staat von der Arbeiterschaft profitieren will. Kürzlich ist in der Stadt, in der sich die Zentrale der höchsten Intelligenz Württembergs befindet, von einem Professor des Staatsrechtes ge­sagt worden: Ja, wir gehen traurigen Zeiten entgegen. Die Leute werden sehr arm sein! - Damit mag ja der Herr einigermaßen recht haben. Aber dann sagte er: Wir werden große, große Ausga­ben haben. Womit sollen diese großen Ausgaben gedeckt werden? Die Leute werden kein Geld haben, damit diese Ausgaben gedeckt werden können. Da wird der Staat eintreten müssen, um diese Ausgaben zu decken! - Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, da muß ich sagen: Es ist dies ein gründlicher Beweis dafür, daß endlich einmal auch das Geistesleben auf andere Füße gestellt werden muß, wenn ein hervorragender Vertreter des Geisteslebens heute die Behauptung aufstellt, daß der Staat für die armen Leute eintreten muß, damit er die großen Ausgaben, die wir haben wer­den, zahlen kann. Ich möchte nur wissen, wie das der Staat an­stellt, ohne daß er den Leuten erst das Geld aus dem Portemonnaie

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nimmt? So redet man vom Staate wie von einer wirklichen Persön­lichkeit. Wenn man den Leuten heute von Gespenstern reden wür­de, die ihnen ihre Schulden zahlen, so würden sie einen selbstver­ständlich auslachen als einen dummen Kerl. Aber dieser Staat, so von ihm gesprochen, ist ja nichts anderes als ein Gespenst. Denn schließlich kommt man in der wirklichen Volkswirtschaft damit nicht weiter, daß man eine Geldnote nach der anderen druckt, denn diese Noten haben ja nur einen Wert, wenn sie durch Arbeit eingelöst werden!

Sehen Sie, die Leute sagen heute auch so gerne: Ehe nicht unter Mitwirkung von Sachverständigen abgegrenzt ist, welche Befugnis­se ohne Vernichtung unseres schwerkranken Wirtschaftskörpers die Betriebsräte haben können, und ehe nicht durch die von der Regierung zu schaffenden Gesetze das Recht derselben festgelegt ist, können wild gewählte - ich betone: wild gewählte - Betriebsrä­te nur Unheil anrichten. - Ja, diese wild gewählten Betriebsräte sollen also diejenigen Betriebsräte sein, die nur durch das Vertrau­en der werktätigen Bevölkerung auf die Beine gestellt werden. Denen sollen entgegengestellt werden diejenigen, die in die Fabri­ken hineingesetzt werden, indem man ihnen sagt: Das dürft ihr tun, das dürft ihr nicht tun, das müßt ihr unterlassen. - Ja, das führt natürlich zu nichts anderem als zur Konservierung der alten Verhältnisse. Das führt nicht vorwärts, sondern einige Schritte zurück, denn es war schon ein Unheil, als das Wirtschaftsleben noch floriert hat, daß man über Arbeiterausschüsse in dieser Weise gedacht hat. Jetzt, wo das Wirtschaftsleben am Boden liegt, ist es ein noch größeres Unheil, wenn nicht aus der werktätigen Bevölkerung selbst heraus die Betriebsräteschaft entsteht und wenn man, wenn so etwas auftritt, sagt, das sei wild gewählte Mensch­heit.

Nun ja, nachdem man gesehen hat, was von der anderen Seite gepflanzt werden soll, muß man schon einmal zu den Wildwach­senden greifen. Das wird dann das Gesündere sein, gesünder als dasjenige, was in den Ziergärten derer gepflanzt werden soll, die so gerne in den alten Verhältnissen drinnen stecken bleiben wollen.

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Einen anderen schönen Satz, der auch in diesen Tagen gegen unse­re Bestrebungen zur Wahl von Betriebsräten aufgetaucht ist, möch­te ich doch noch anführen. Es wird nämlich verschiedenes befürch­tet von dieser wild gewählten Betriebsräteschaft. Unter anderem wird gesagt: Die einseitige Ausschlachtung der Betriebe durch die Arbeiter widerspricht dem Gedanken der Sozialisierung. - Aber, ich weiß gar nicht, was das überhaupt heißen soll. Ich zermartere mir das Gehirn, um bei diesem Satz etwas zu denken. Die einseiti­ge Ausschlachtung der Betriebe durch die Arbeiter, was soll das heißen? Sehen Sie, wenn die Arbeiter ihre gehörige Dosis von Mitverantwortlichkeit an dem Betrieb haben, dann werden sie nämlich wissen, daß, wenn sie die Betriebe nicht von sich aus hegen und pflegen, die Betriebe in kurzer Zeit in einem Zustand sind, daß sie sie nicht mehr ausschlachten können. Daß man just voraussetzen soll bei den gescheiten Vertretern der Unternehmer-schaft, daß die Arbeiter so töricht sein sollen, daranzugehen, alles aus dem Betrieb herauszuschlagen, damit sie sich nachher selber auf die Straße werfen, das sollte man sich eigentlich nicht vorstel­len. Denn die Arbeiter haben hinlänglich gelernt, was es heißt, durch andere auf die Straße gesetzt zu werden. Daß sie das selber nachmachen sollten, glaube ich nicht, denn diese Praxis haben sie bei den anderen zur Genüge kennengelernt.

Und dann die Äußerung, daß man dem Gedanken der Soziali­sierung widerspräche. Ja, Sozialisierung soll sein: Aufrufen zur Mitarbeit an der Gesellschaftsordnung im geistigen, rechtlichen und wirtschaftlichen Leben all jener, die als Werktätige an diesem Leben beteiligt sind, die als Werktätige wirklich in der Arbeit stehen. Diese soll dadurch erreicht werden, indem aus der werktä­tigen Bevölkerung heraus die Betriebsräteschaft - wie die Herren sagen - «wild» gewählt wird. Nun ja, das soll nun der Sozialisie­rung widersprechen. So quäle ich mich also auch mit der zweiten Hälfte jenes Satzes im Kopf herum und kann einfach nicht dahin­terkommen, was damit gemeint ist, denn dadurch, daß Betriebsräte aus denjenigen, die die Betriebe betreiben, gewählt werden und für das Gedeihen der ganzen Volkswirtschaft sorgen, soll also der

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Sozialisierung widersprochen werden. Vielleicht könnte ja damit gemeint sein, daß dadurch diejenigen, die als Werktätige in den Betrieben beschäftigt sind, an der Fruktifizierung teilhaben, wäh­rend diejenigen schlecht wegkommen, die bisher in der verschie­densten Weise immer nur am Gewinn beteiligt waren. Das heißt, es werden schlecht wegkommen die aus dem bloßen Kapitalismus heraus ihr Leben fristenden Menschen. Ich müßte also den Satz so auslegen, daß die einseitige Wahl von solchen Betriebsräten, wie wir sie haben wollen, der Ausmerzung der eigentlichen Kapita­listen widerspricht. Dann müßte ich meinen, daß in dem Kopfe eines solchen Menschen der Gedanke entstehen kann, daß nämlich die Ausmerzung des Privatkapitalismus der Sozialisierung wider­spricht. Ich kann mir sogar vorstellen, daß in den Köpfen gewisser Leute die Sozialisierung so verstanden wird, daß sie, indem sie den Interessen der Privatkapitalisten widerspricht, keine rechte So­zialisierung ist. Dann aber müssen wir uns schon gestehen, daß wir uns eben selbst Begriffe über die Sozialisierung machen müs­sen, daß wir uns wahrhaftig von den Leuten nicht aufdrängen lassen können die Begriffe von wahrer Sozialisierung oder von dem, was dieser Sozialisierung widerspricht. Wenn man noch so sehr nach Gesetzen schreit, man wird doch keinen wahren Begriff von den Betriebsräten gewinnen. Deshalb müssen wir uns schon entschließen, als einen wahren Begriff von Betriebsräten diese Betriebsräte zu schaffen, und uns nicht abhalten lassen davon, daß wir den Ziergärten des Systems der heutigen wirtschaftlichen Ordnung die wildgewachsenen Betriebsräte entgegensetzen. Wir müssen dazu den Mut fassen und uns sagen: Aus der Institution derjenigen Betriebsräte, die wir jetzt durch Urwahl festsetzen -das Nähere kann nachher in der Diskussion besprochen werden -, soll eine Betriebsräteschaft hervorgehen, die nun geeignet sein wird, wirklich eine Grundlage für die Sozialisierung zu schaffen. Dann kann es sein, daß die Sozialisierung wirklich marschieren wird, während bis jetzt vom Marschieren der Sozialisierung nur diejenigen Menschen sprechen, von denen man genau weiß, daß sie unter wirklicher Sozialisierung ein kapitalistisches Gespenst

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in neuer Form, das sich vollsaugen soll mit allerlei Parasiten, ver­stehen.

Wenn wir das durchdringen, dann werden wir in uns den Mut entzünden können, diesen wildgewachsenen Wald von Betriebsrä­ten endlich in die Welt zu schicken, damit nicht alles wieder verdorben werde durch die Zierpflanzen derjenigen, die nichts vom Sozialisieren verstehen.


Diskussion

Frau Bühl. Sie hat in Calw das Flugblatt des Bundes über die Schaffung der Betriebsräte verteilt und hat erfahren, daß dort die Arbeiterschaft wenig Interesse zeigt für die Schaffung von Betriebsräten. Sie bittet deshalb Herrn Dr. Rudolf Steiner, einmal dort einen Vortrag zu halten, um die Menschen etwas aufzurütteln.

Herr Armbruster ist nicht zufrieden mit dem Verlauf der Ereignisse und findet wie der «Sozialdemokrat» die Ausführungen Dr. Steiners «pflau­menweich». Außerdem findet er, daß die Sozialisierung nichts Neues ist. Er erhofft sich Hilfe von einer neuen Regierung.

Rudolf Steiner: Ja, daß im «Sozialdemokrat» gestanden hat, daß meine Ausführungen «pflaumenweich» seien, daraus habe ich mir dazumal nichts gemacht. Ich habe mir gesagt: Es hat schon so viele Ausführungen gegeben über alle möglichen sozialistischen und sozialen Programme, die wie saure Zwetschgen geschmeckt haben, da scheint es mir eigentlich gar nicht so unstatthaft zu sein, endlich einmal die Pflaumen zur Reife zu bringen; dann sind sie ja bekanntlich weich.

Das eine aber, was der Herr Vorredner gesagt hat, liegt mir doch sehr am Herzen, weil ich glaube, daß es vielleicht nicht so sehr zu unserem Verstand als zu unserem Willen sprechen soll. Es wird ja vielleicht richtig sein, wenn man sagt: Wenn dazumal, als die Revolution 1918 aufgetreten ist, in der Weise, wie das

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heute versucht wird, von der Dreigliederung und von der Soziali­sierung gesprochen worden wäre und diese auch angestrebt wor­den wären, dann wären wir heute weiter. - Sehen Sie, daß ich damals nicht selber aufgetreten bin, das hatte seine Gründe, weil ich ja nun schließlich meinte, daß die anderen, die immer in der Partei gestanden haben, die immer drinnen waren, das besser kön­nen, und ich habe ja auch gewartet, ob sie es besser können. Nun hat der verehrte Vorredner selber gesagt, daß wir eigentlich ja noch nichts Besonderes erreicht haben. Da wird es vielleicht aus den Tatsachen heraus gerechtfertigt erscheinen, daß man sich dann, nächdem diejenigen, auf die man sich verlassen hat, nichts erreicht haben, daß man sich dann auf die Sache einläßt. Wichtig ist - wenn der Vorredner wirklich meint, «daß wir heute weiter wären, wenn das dazumal in Angriff genommen worden wäre» -daß man sich sagt: Nun, dann wollen wir es wenigstens heute in Angriff nehmen, damit wir, wenn wir wiederum so viele Monate nach dem Heute stehen wie jetzt nach der Revolution, uns dann in der Wirklichkeit befinden, wie wir sie uns heute wünschen. Also ich möchte das in eine Aufforderung zu dem Willen und zu dem Mut zur Sozialisierung kleiden. Und da glaube ich nun allerdings, daß man ein wenig auf die Erfahrung sich stützen soll.

Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich sage, daß man den Ausspruch «Wenn wir erst eine neue Regierung haben, wird die es schon machen» eigentlich schon auch immer wieder unter dem alten Regime gehört hat. Ja, es gibt sogar ein niedliches Beispiel, wo ungefähr alle paar Monate gesagt worden ist: «Wenn wir eine neue Regierung haben, dann wird es schon besser wer­den.» Das war in Österreich in den Jahrzehnten vor dem Krieg. Da hat man alle paar Monate einmal eine neue Regierung gebildet und hat sich auf sie verlassen. Nun sollte man aber aus den Tatsachen gelernt haben, daß man sich in einer solchen Weise nicht auf irgendeine Regierung verlassen soll. Deshalb soll ja gera­de in der Betriebsräteschaft dasjenige geschaffen werden, was aus der breiten Masse der werktätigen Menschheit heraus nun auch schöpferisch sein kann mit Bezug auf das Sozialisieren. Es scheint

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mir eben eines - wie ich auch hier schon einmal gesagt habe -noch nicht begriffen worden zu sein, was aber begriffen werden sollte, und das ist, daß es einen Unterschied gibt zwischen Herr­schen und Regieren. Herrschen wird in der Zukunft das ganze werktätige Volk müssen. In alten Zeiten hat man das Herrschen und das Regieren verwechselt, indem man geglaubt hat, die Regie­rung müsse auch herrschen. In der Zukunft werden die Regierun­( zu lernen müssen zu regieren. Regieren heißt, das zum Ausdruck zu bringen, was das werktätige Volk eigentlich als sein Wollen n sich trägt. Dieser Unterschied muß erst gelernt werden.

Die neue Regierung hat viel zuviel gelernt von den alten Regie­iungen, die Herrschaftsregierungen waren. Sie hat sich viel zu viel von dem angeeignet, was man früher immer gesagt hat, nämlich, daß die Regierung es schon richtig machen wird. Ich denke, es wird mit Bezug auf das Sozialisierungsproblem ein wesentlicher Fortschritt gerade darin bestehen müssen, daß das, was die Regie­rung tut, vom Volk sachgemäß kontrolliert werden kann. Es wird der Regierung ihre Richtung geben müssen, so daß man sich nicht einzig und allein auf Stimmzettel verläßt, sondern auf das wirkliche Leben, das im Grunde jeden Tag aufs neue der Regierung die Richtung ihres Vorgehens weist. Aber man wird das nicht errei­chen, wenn man immer sagt: Wenn wir erst eine neue Regierung haben, dann wird es schon besser gehen, die wird schon sozialisie­ren. - Vielmehr ist es jetzt an der Zeit, daß jeder Mensch an der Sozialisierung mitarbeiten muß. Das ist gerade der Sinn unserer Zeit, daß jeder Mensch fühlt, daß er mitarbeiten muß. Und man muß verstehen lernen, daß, wenn man sozialisieren will, man als erstes das Herrschen sozialisieren muß. Das Herrschen muß sozia­lisiert werden. Es darf nicht in den alten Formen fortgeführt wer­den. Deshalb möchte ich nicht weiter davon sprechen hören, daß «die Regierung es schon machen wird», sondern ich wäre mehr befriedigt, wenn von den breitesten Kreisen des Volkes gesagt würde: Wir werden es machen, selbst wenn nicht nur die Regie­rung, sondern alle Teufel dagegen waren.

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Ein Diskussionsteilnehmer berichtet, daß man im Bekleidungs- und In­standsetzungsamt in Feuerbach vor der Wahl der Betriebsräte steht. Der leitende Offizier hat sich dahingehend ausgesprochen, daß er der Wahl von Betriebsräten nicht abgeneigt sei, müsse aber im voraus betonen, daß diese Betriebsräte nur eine beratende, aber keine bestimmende Stimme haben dürfen.

Rudolf Steiner: Was der verehrte Vorredner ausgeführt hat, das soll ja durch die besondere Art, wie die Betriebsräteschaft hier gemeint ist, verhindert werden. Natürlich, wenn die Betriebsräte im Sinne des Gesetzes, das ja aus dem alten Geiste heraus gemacht werden soll, eingesetzt werden sollen, werden sie ja selbstverständ­lich Strohpuppen sein. Und damit nicht Strohpuppen entstehen, sondern wirkliche Betriebsräte, sollen ja, nun, sagen wir, zunächst diese Wildlinge gewählt werden gegen die Pflanzen der anderen. Und so wird es uns zunächst nicht besonders interessieren, wenn gesagt wird: Nun, ich will der Wahl von Betriebsräten zustimmen, aber die dürfen nur eine beratende Stimme haben.

Wir möchten zunächst, daß einmal Betriebsräte da sind. Und ich sagte, daß wir dann anstreben, daß sich die Betriebsräte fühlen sollen als eine gesetzgebende Urversammlung, aus der dann eine Art Zentralwirtschaftsrat hervorgeht, und daß dieser dann die Funktionen derjenigen übernimmt, von denen jetzt noch ausgeht dasjenige, was Strohpuppen erzeugen will. Wir möchten eben gera­de durch diese besondere Art zu einer Betriebsräteschaft kommen und damit verhindern, daß dieses Gesetz Wirklichkeit wird. Dazu ist es notwendig, daß hinter diesem Auf-die-Beine-Stellen der Be­triebsräte die Arbeiterschaft wirklich steht. Wenn die Arbeiter­schaft wirklich dahintersteht, so ist nicht zu befürchten, daß dann irgendein Gesetz, das die Betriebsräte zu Strohpuppen macht, ent­stehen kann. Darauf kommt nämlich alles an.

Ich muß sagen, ich war eben vorgestern recht verwundert, als ich von einer sehr interessanten Persönlichkeit, die im Sinne einer Sozialisierung aller Verhältnisse gesprochen hat, doch immer wie­der hören mußte: Ja, man muß aber bedenken, daß ja nun endlich

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seit dem November 1918 alles erreicht ist. Württemberg sei ein freier Volksstaat geworden, in dem alles erreicht werden kann. Dieser württembergische Volksstaat wird sich sogar ein wunderba­res Schulgesetz geben, und er wird es eben auch dahin bringen, daß durch ein Gesetz die Betriebsräte in der richtigen Weise in Szene gesetzt werden, und man sollte nicht in das Gesetz hinein-pfuschen. - Es wird sich also darum handeln, daß man endlich einsieht, daß das bloße Rufen nach Macht nichts bewirkt, sondern daß diese Macht erst geschaffen werden muß. Aber, wie wird sie geschaffen? Sie wird dadurch geschaffen, daß nicht immer solche Dinge, wie ich sie geschildert habe, geglaubt werden, sondern daß sich immer mehr Menschen zu einer wirklich freien Tat zusam­menfinden. Die Macht wird ja gerade darin bestehen, daß sich die Menschen immer bewußter werden dieser ihrer Macht. Wenn sie immer nur davon reden: Diese Macht soll von da oder dort kommen -, dann wird diese Macht niemals erlangt werden. Diese Macht wird erlangt werden, wenn die Menschen sich bewußt wer­den, daß sie aus ihrem eigenen Verständnis heraus etwas tun müs­sen. Wenn genügend Menschen dasein werden, die verstehen werden, wie man aus der werktätigen Bevölkerung heraus nun wirklich zur Sozialisierung kommt, dann ist mir um die Macht gar nicht bange.

In einer längeren Diskussion, in der auch Gewerkschaftsfragen gestreift werden, betonen die Redner einstimmig, daß, soweit es noch nicht gesche­hen ist, so schnell wie irgend möglich Betriebsräte gewählt werden trotz des Widerstrebens der Unternehmer und der Leitungen von Staatsbetrie­ben.

Ein Redner weist auf die Arbeit von Professor Abbe, Jena, hin, der, allerdings unter der günstigen Voraussetzung eines Monopolbetriebes, gute Vorarbeiten zur Sozialisierung geleistet habe. Ferner weist er hin auf die Ideen von Friedrich Naumann und Walther Rathenau.

Diskussionsredner Grosshans, Heilbronn: Ich konnte leider dem Vortrag von Herrn Dr. Steiner nicht beiwohnen, habe ihn aber einmal in Heilbrorin

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sprechen hören. Veranlassung, Ihnen einige Worte zu sagen, gibt mir meine 39-monatige Gefangenschaft in Rußland, um Ihnen die Erfah­rungen über die verschiedenen Probleme, die die Revolution in Rußland mit sich gebracht hat, klarzulegen. Als schon die zweite Revolution der Bolschewiki in Rußland einsetzte, war es der Fall, daß diese Bolschewiken den größten Fehler gemacht haben, indem sie die ganze technische Leitung und sämtliche Beamten davongejagt haben. Sie wollten ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen. Dies halte ich zwar für richtig, aber, da die Verhältnisse in Rußland so liegen, daß 60 % der Bevölkerung Analphabe­ten sind, wie können sie imstande sein, die Betriebe selbst zu führen? Die Erfahrung zeigt also, daß es grundlegend falsch war, alle Beamten, technischen Leiter usw. davonzujagen und selbst die Geschicke in die Hand nehmen zu wollen. Meines Erachtens sind es eben diese Gedanken, die Herr Dr. Steiner Ihnen wohl auch diesen Abend vorgetragen hat und wonach auf die Verselbständigung des ganzen schaffenden Volkes hingear­beitet werden soll, um so die langersehnte Macht des arbeitenden, des schaffenden Volkes zu erlangen.

Was ich noch weiter ausführen möchte, das sind die großen Fehler, die seit dem 9. November bei uns gemacht wurden. Ich verwerfe es, daß der Krieg mit Rußland auch heute noch weitergeführt wird, auch auf Geheiß der Entente. Aber vergessen Sie nicht: Hätten wir einen Anschluß an Rußland gesucht, so wurde heute die Entente uns nicht so gegenüber-treten können, wie sie es tut. In Rußland, in Sibirien habe ich selbst gesehen, wie an der Erdoberfläche kolossale Mengen von Kohlen liegen, die nicht einmal zutage gefördert werden brauchen, denn sie liegen an der Erdoberfläche. An der Murmánschen Küste sind kolossale Kupferberg­werke, ferner findet man dort Quecksilber und alle Rohstoffe, wie wir sie heute so notwendig in Deutschland brauchen könnten. Außerdem habe ich gesehen, wie in Samára im Wolgatal kolossale Getreidebestände von 1912, 1913 und 1914 heute noch liegen, das heißt im Juli1917 noch gelegen sind, die nicht einmal ausgedroschen waren. Sie waren zu Haufen aufgestapelt, die so groß waren wie ein dreistöckiges Haus. Hätte unsere Regierung nach der Revolution - ich will nicht zurückgreifen auf das alte System, das hinweggefegt ist, denn ihm brauchen wir ja keine Worte mehr zu widmen -, hätten wir also nach der Revolution einen Anschluß an Rußland gesucht, hätten wir auf eine Verständigung mit Rußland hinge-arbeitet, so hätten wir heute andere Zeiten und wären nicht auf die Gnade

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und Barmherzigkeit unserer Feinde angewiesen, denen wir machtlos gegen-überstehen.

Und ich möchte da noch folgendes ausführen: Wenn ich betrachte, was seit dem 9. November in Deutschland geschehen ist, so komme ich zu dem Ergebnis, daß es höchste Zeit ist, daß wir uns einigen. Wir, das ganze arbeitende Volk, die Handarbeiter, die Kopfarbeiter, die Angestell­ten, müssen uns gegenseitig vertrauen, müssen uns aufeinander verlassen können und uns nicht immer wieder in die Partei- und Gewerkschafts­schranken hineinziehen lassen. Ich bin überzeugt, daß eine große Anzahl unserer Führer schon längst von der neuen Zeit überholt sind. Das bewei­sen uns ja diese Vorschläge zur Sozialisierung. Wenn wir da die einzelnen Paragraphen durchlesen, sind wir mit unseren Betriebsräten doch letztlich nichts anderes als ein Demonstrationsstück. Wir sind wohl Betriebsräte, aber wir haben kein Recht, wir sind nur da, damit wir auch im Betrieb sitzen.

Es ist eigentlich, wenn man dieses Programm unserer Regierung be­trachtet, weit über 50 Jahre alt, und ich glaube, dieses Programm kann heute für uns nicht mehr maßgebend sein. Deshalb bitte ich Sie, die Sie heute hier sind, tragen Sie diese Ideale, die uns Dr. Steiner vorgetragen hat, hinaus in die breite Masse des arbeitenden Volkes. Sehen Sie zu, daß wir zur Verständigung kommen und daß wir so schnell wie möglich die Betriebsräte einführen, denn die Zeit drängt. Es ist höchste Zeit, daß unser Wirtschaftsleben endlich wieder gehoben wird zugunsten des ganzen schaffenden Volkes.

Rudolf Steiner: Es war ja heute hauptsächlich unsere Aufgabe, auf die Wichtigkeit und die Notwendigkeit der Betriebsräteschaft ein­zugehen, damit wir mit dieser Betriebsräteschaft endlich die positi­ve, die tatsächliche Grundlage haben, aus der heraus dann weiter gearbeitet werden kann. Ich kann durchaus nachfühlen, wenn hier gesagt worden ist, daß es wünschenswert gewesen wäre, daß wir heute ein wesentliches Stück weitergekommen wären. Gewiß, wir alle haben uns dies gewünscht, jedoch haben wir eben bisher diese Arbeit gebraucht, um wenigstens so weit zu kommen, daß wir heute immerhin schon das Resultat erreicht haben, daß wir deutli­cher darauf hinblicken können, daß diese Betriebsräteschaft jetzt

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wirklich entsteht. Ich glaube, es ist ein großer Fortschritt, den wir dadurch zu verzeichnen haben, daß uns doch sehr viele der verehrten Anwesenden sagen konnten, wie weit die Sache vorange­schritten ist, und daß wir uns mit der Sache sogar im Hinblick auf die Wahlen beschäftigt haben beziehungsweise uns in der näch­sten Zeit noch mehr damit beschäftigen werden. Ich glaube, daß wir daraus sehen können, wie notwendig es ist, zunächst einmal diesen Betriebsräten den Boden zu bereiten und zugleich zu sehen, daß man ja, wenn man nur den guten Willen hat, damit wirklich weiterkommt.

Es wird ja mit dem, was ich eine Art gesetzgebende Versamm­lung genannt habe, die sich aus der Betriebsräteschaft heraus er­gibt, harte Arbeit verbunden sein, und mir scheint es von ganz besonderer Wichtigkeit, daß wir uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten dieser Urversammlung der Betriebsräteschaft irgend etwas vorwegnehmen. Gerade das, was der eine Herr aus Heil­bronn erwähnt hat im Zusammenhang mit dem Wesen der Güter-verteilung und dergleichen, das wird ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit gerade der Versammlungen sein, welche die Betriebsräte werden abzuhalten haben. Es soll dort über all diese Dinge wirk­lich aus den Grundbedingungen unseres Wirtschaftslebens heraus gesprochen werden, damit die entsprechenden Grundlagen geschaf­fen werden können. Ich erkenne an, daß mancherlei gute Anfänge gemacht worden sind wie derjenige von Professor Abbe. Es sind ja auch viele andere gemacht worden, namentlich sind in England mannigfaltige Versuche gemacht worden. Es ist mit Recht erwähnt worden, daß eigentlich Abbe nur deshalb so weit kommen konnte, weil sein Betrieb eben von ganz besonderer Art war. Andererseits hat sich gerade da, wo die Sache weiter verfolgt worden ist, immer wiederum gezeigt, daß diese Dinge doch nicht bis zu einem gewis­sen Ende führen können. Und man muß dann die Frage aufwerfen:

Warum ist das so? Nun, der Grund ist eben der, daß von wohl­wollenden Leuten, wie es Abbe war, diese Dinge immer wieder ganz individualistisch in Angriff genommen worden sind und nicht eigentlich sozial. Das ist das, was ich Sie bitte, nicht zu unterschät­zen

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und zu verkennen, daß wir die Sache nun wirklich sozial in die Hand nehmen wollen, daß wir tatsächlich dasjenige, was dann in einzelnen Betrieben angegangen wird, herausschaffen wollen aus dem Sozialen der ganzen Wirtschaft über ein geschlossenes Wirt­schaftsgebiet hin. Für hier würde also Württemberg in Betracht kommen. Erst dann, wenn man in diese Richtung hin vorgearbeitet hat, was ja bei gutem Willen wahrscheinlich verhältnismäßig schnell gehen kann, dann wird man sehen, wie im einzelnen Be­trieb eigentlich gar nicht sozialisiert werden kann, sondern daß die Sozialisierung des einzelnen Betriebes sich nur aus der Soziali­sierung eines geschlossenen Wirtschaftsgebietes ergeben kann. Wir werden nämlich dadurch erst die Möglichkeit gewinnen, das wirk­lich durchzuführen, was vom Sozialismus immer verlangt worden ist, nämlich daß produziert wird, nicht um zu profitieren, sondern um zu konsumieren.

Sehen Sie, bei der heutigen Struktur der Gesellschaft läßt sich eigentlich gar nicht anders produzieren als im Hinblick auf den Profit. Das Prinzip, zu produzieren, um zu konsumieren, das muß erst geschaffen werden! Und von diesem Prinzip wird wiederum abhängen, ob in einer entsprechenden Weise Wege für eine Güter-verteilung gefunden werden können. Es wird viel davon abhängen, daß man über einen großen Bereich hin, ich möchte sagen, eine wirtschaftliche Urzelle findet.

Diese wirtschaftliche Urzelle - ich möchte wenigstens mit ein paar Worten kurz von ihr sprechen -, worin besteht sie denn? Geht man nicht vom Produzieren, sondern vom Konsumieren, von der Befriedigung der Bedürfnisse aus, so handelt es sich dar­um, daß wir erst zu einem praktikablen Ergebnis dessen kommen müssen, was im Sinne der Bedürfnisbefriedigung zu einer sachge­mäßen Preisbildung führt. Das geschieht nämlich heute in anar­chisch-chaotischer Weise durch Angebot und Nachfrage, und da steckt viel drinnen von der Unmöglichkeit, heute überhaupt zu etwas zu kommen. Mit der Formel von Angebot und Nachfrage wird man nicht zu dem Ziel kommen, zu produzieren, um zu konsumieren. Nicht wahr, um zu dem Ziel zu gelangen, ist es

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notwendig, daß das, was ich produziere, im Vergleich zu anderen Gütern so viel wert sein muß, daß ich dafür eintauschen kann, ganz gleich, wie sich der Tausch gestaltet, alle diejenigen Güter, die meine Bedürfnisse befriedigen bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich ein gleiches Produkt wie jetzt hervorgebracht habe. Dabei muß dann alles das mit eingerechnet werden, was man als Beitrag zu leisten hat für diejenigen, die zur Zeit nicht unmittelbar selbst produzieren können, also für Kinder, die erzogen werden müssen, für Arbeits­unfähige und so weiter. Wovon man also ausgehen muß, das ist, sich klar zu werden über diese wirtschaftliche Urzelle. Erst da­durch wird es möglich, auf wirtschaftlichem Boden eine gerechte Preisbildung zu erreichen, so daß man dann in der Zukunft nicht wiederum, wenn man auf der einen Seite mehr verdient, auf der anderen Seite mehr ausgeben muß, weil die Dinge selbstverständ­lich unter dem Einfluß des Mehrverdienstes teurer werden.

Heute noch beklagt man sich immer wieder darüber, daß zwi­schen Warenpreis und Löhnen ein unnatürliches Verhältnis besteht. Die Sozialisierung wird das große Problem zu lösen haben, diesen Unterschied zwischen Warenpreis und Löhnen überhaupt aus der Welt zu schaffen, weil der Lohn als solcher aus der Welt geschafft werden muß, weil die Möglichkeit gegeben werden muß, daß es in Zukunft grundsätzlich keinen Lohnarbeiter mehr gibt, sondern den freien Genossen, den freien Mitarbeiter des geistigen Arbeiters, des geistigen Leiters, weil das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der heutigen Form überhaupt zur Unmöglich­keit werden muß. Erst dann, wenn es möglich ist, alles das auszu­merzen, was heute da ist und was die Preisbildung verunreinigt, erst dann ist es möglich, eine wirkliche Sozialisierung zu erreichen.

Heute kauft man ja nicht bloß Güter, sondern heute kauft man erstens Güter, zweitens Rechte und drittens Arbeit. Rechte kauft man, wenn man Grund und Boden erwirbt. Dadurch, daß der Boden heute eintauschbar ist gegen Produktionsgüter, entsteht eine unmögliche Situation, die darauf zurückzuführen ist, daß auf dem allgemeinen Markt Grund und Boden den gleichen Preisbildungs-mechanismen unterliegen wie andere Güter. Ferner kosten heute

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die Produktionsmittel auch etwas, nachdem sie fertiggestellt sind. Sie wissen, daß in meinem Buch veranlagt ist, daß die Produktions-mittel, wenn sie fertiggestellt sind, nicht mehr verkäuflich sind, sondern auf anderem Wege der Gesellschaft zugeführt werden sollen. Es muß in der Zukunft ein Produktionsmittel nur so lange etwas an Arbeitskraft verschlingen, bis es fertig ist.

Wenn Sie heute die Nationalökonomen fragen: Was ist Kapi­tal? -, so bekommen Sie ganz verschiedene Antworten. Die besten Nationalökonomen sind noch schließlich die, die sagen: Kapital ist produziertes Produktionsmittel, also fertig produziertes Pro­duktionsmittel, das man besitzen kann und das dann verkäuflich ist. Ja, gerade wenn man Kapital ansieht als entsprechend dem produzierten Produktionsmittel, dann erweist sich das Kapital als fünftes Rad am Wagen. Sie wissen, daß ich in meinem Buch als die Grundlage für alle künftige Güterverteilung aufgeführt habe, daß tatsächlich das Produktionsmittel nur so lange Arbeit ver­schlingen darf, bis es fertiggestellt ist. Eine Lokomotive darf, wenn sie fertig ist, nur durch andere Maßnahmen als durch Kauf irgend­wo in den gesellschaftlichen Verkehr gebracht werden. Wir brau­chen also zunächst Klarheit darüber, daß in bezug auf die Produk­tionsmittel und in bezug auf Grund und Boden ganz andere Maßnahmen ergriffen werden müssen als bisher. Nur dadurch -und es gibt kein anderes Mittel -, nur dadurch, daß wir die Produktionsmittel nur so lange menschliche Arbeit verschlingen lassen, bis sie fertig sind, kommen wir dazu, der Arbeit wirklich ihr Recht zu verschaffen. Denn was ist das Geld? Geld ist nichts. Der, der noch so viel besitzt, würde nichts haben, wenn er durch die bestehenden Machtverhältnisse nicht in der Lage wäre, soundso viele Menschen zu veranlassen, daß sie Arbeit leisten für sein Geld. Das werden sie nicht mehr können, wenn wir die Preise der Produktionsmittel in dieser Weise gestalten, daß diese Preise überhaupt aufhören, wenn die Produktionsmittel fertig sind. Ein weiteres Problem ist das der Güterverteilung.

Der Herr, der das Problem der Güterverteilung angeschnitten hat, der muß bedenken, daß unsere ganze Güterverteilung seit

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drei bis vier Jahrhunderten eine solche geworden ist, die ganz im Sinne des Kapitalismus ist und daher ebenfalls sozialisiert werden muß. Dies kann erst geschehen, wenn wir eine Ur-Versammlung von Menschen haben, die wirklich gewillt sind, gegen alle Wider­stände den Mut zu entwickeln, auch neue und zugleich notwendige Formen der Preisbildung zu entwickeln. Es wird eine harte Arbeit sein, und sie wird um so schneller geleistet werden können, wenn wir nicht den dritten vor dem ersten Schritt machen, sondern uns dazu entschließen, den ersten Schritt wirklich zu machen. Heute hängt alles davon ab - und es ist keine Kleinigkeit -, daß wir zunächst wirklich diese Betriebsräteschaft bilden. Diese Betriebsrä­teschaft soll nicht Programme und dergleichen aufstellen, sondern als Tatsache zunächst Tatsachen in die Welt setzen.

Ich wollte nur andeuten, wie schwierig das Problem der Güter-verteilung ist. Wir werden es erst überwinden, wenn wir die Grundlagen haben, und die Grundlagen sind die Menschen, die das Vertrauen ihrer Mitmenschen haben, um sich zusammenzufin­den, wie man sich noch niemals in der Welt zusammengefunden hat, um nun nicht kleine atomistische Versuche zu unternehmen, die man auch sozialisieren nennt, sondern um wirklich aus dem Ganzen heraus zu sozialisieren.

Es sind vorhin verschiedene Namen genannt worden, unter an­derem auch der Name Rathenau. Der Name Rathenau erinnert mich an etwas für die Gegenwart gar nicht so Unwichtiges. Ge-stern ist das neueste Heft der «Zukunft» mit einem Aufsatz von Walther Rathenau «Das Ende» erschienen. In diesem Aufsatz «Das Ende» hat man so recht den Beweis dafür, wie der Kapitalist mit seinem Urteil gegenüber den heutigen Zeitereignissen wirklich am Ende ist. Walther Rathenau ist wahrer, aufrichtiger und in einem gewissen Sinne ehrlicher als die anderen, aber er kommt eben auch nicht weiter, als diejenigen gelangen, die nicht aus dem sozia­len Denken heraus, sondern doch aus dem kapitalistischen Denken heraus sich ihre Vorstellungen bilden. Ich möchte sagen: Was Walther Rathenau in diesem Aufsatz «Das Ende» sagt, es ist nur allzu begründet. Er sagt: Nun ja, wir haben lange Zeit von allen

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möglichen Seiten her nur das gehört, was erlogen war. Unsere erste Forderung müßte darin bestehen, daß nun endlich einmal den Leuten nicht das gesagt wird, was nicht wahr ist, sondern das, was wahr ist. Und er stellt mit Recht die Frage: Was ist, wenn der jetzige Friedensvertrag nicht unterschrieben wird? Nun, dann wird halt ein anderer gemacht, dann wieder ein anderer. Was aber, wenn er doch unterschrieben wird? Rathenau sagt dazu:

Rantzau kann dann nichts weiter tun, als die Nationalversammlung für aufgelöst zu erklären; er kann erklären, daß es keinen Sinn mehr habe, daß in Deutschland ein Präsident da ist, daß ein Reichskanzler da ist und so weiter. Er kann also nichts anderes tun, als alle Souveränitätsrechte des ehemaligen Deutschen Reiches in die Hände der Entente zu legen und sie zu bitten, für die 60 Millionen Menschen in Deutschland zu sorgen. - Ja, das ist die Wahrheit von diesem Gesichtspunkte aus. Das ist die Wahrheit, daß diejenigen Menschen, die bisher die Geschicke lenkten, jetzt in bezug auf Mitteleuropa am Ende stehen und sich eingestehen müssen: Wir haben es dahin gebracht, daß wir eigentlich nichts anderes tun können, als der Entente anzutragen: Übernehmt unsere gesamte Regierung und sorgt für uns! - Er macht sich mit Recht sogar ein wenig her über die, die da sagen: «Lieber sterben als den Vertrag unterschreiben! » -, indem er darauf hinweist, daß man sich nicht vorstellen könne, daß 60 Millionen Deutsche auf einmal sterben werden.

Was gibt es dazu zu sagen? Nur das eine: Das, was sich abge­spielt hat zwischen Mitteleuropa und dem Westen, ist ein Spiel zwischen Kapitalismus und Kapitalismus. Und solange es ein Spiel sein wird zwischen Kapitalismus und Kapitalismus, wird es zu nichts führen als zu seinem Ende. Ein Anfang kann erst wieder gemacht werden, wenn von unten herauf gearbeitet wird, das heißt, wenn aus der werktätigen Bevölkerung heraus gearbeitet wird an einem wirklich ernsthaften sozialen Aufbau. [...]* Und weil man aus innenpolitischen und vor allen Dingen außenpolitischen Gründen

* Siehe Hinweis

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einen Anfang braucht, deshalb hat sich dieser Impuls des dreigliedrigen sozialen Organismus ergeben, der allein imstande ist, einer wirklichkeitsgemäßen Warenproduktion zu ihrem Recht zu verhelfen. Zugleich geht es darum, neue Wege der Gütervertei­lung zu finden, wodurch verhindert wird, daß mittels der Güter-verteilung das entsteht, was bisher kapitalbildend war und was auch unsere internationalen Konflikte hervorgerufen hat. Deshalb ist heute das Wichtigste, einzusehen, daß die Sozialisierung damit begonnen werden muß, daß wir einen Grundstock sozial denken­der Menschen haben. Diese werden es möglich machen, daß man den Weg zu einer solchen Güterverteilung findet, wie ich es eben angedeutet habe, und daß man zu einer neuen Art der Behandlung der mit dem Grund und Boden sowie der Produktionsmittel ver­bundenen Probleme kommt. Es ist nicht genug, daß man bloß Forderungen aufstellt. Vergesellschaftung der Produktionsmittel -gut. Aber es handelt sich vor allem darum, daß man Mittel und Wege findet, diese Forderungen zu erfüllen. Da gibt es keinen anderen Weg als den, sich an die Arbeit zu machen. Heute würde es ja ganz interessant sein, sich in allerlei Art darüber zu unterhal­ten, wie wir die Güter verteilen. Das erste aber, was notwendig ist, ist, daß wir endlich mit den Menschen sprechen können, die überhaupt gewillt sind, eine andersartige Güterverteilung vorzu­nehmen. Worte, die Programme sind, brauchen wir nicht, sondern Worte, die Menschen auf die Beine stellen. Programme werden uns niemals nützen. Wir brauchen heute die Menschen, welche sich wirklich ihrer Macht bewußt werden und dasjenige in die Wirklichkeit umsetzen, wozu die Worte eben Keimgedanken sein sollen.

Das ist dasjenige, was ich Sie bitte nicht so zu nehmen, daß Sie wiederum sagen: Ja, es wäre gut, wenn wir weitergekommen wären und jetzt schon wüßten, was alles getan werden soll. Leute wie Naumann wissen immer, was alles getan werden soll; aber ich würde mir gar nicht so viel daraus machen, wenn ich wüßte, was alles getan werden soll im Sinne Naumanns. Dann würde ich nämlich wissen, daß es zwar schöne Gedanken sind, an denen

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man sich erfreuen kann, aber sozialisiert wird damit nicht. Der Impuls des dreigliedrigen sozialen Organismus unterscheidet sich von anderen Impulsen dadurch, daß er nicht ein neues Programm in die Welt hineinstellt, sondern daß er lediglich aufzeigen will, wie die Menschen in der Welt zusammenkommen müssen, wie sie sich finden müssen, damit Wirklichkeiten und nicht Utopien oder Programme entstehen. In diesem Sinne ist es mir eine Befrie­digung, daß so viele unserer Freunde heute schon verkündet haben, wie weit die Dinge bereits gediehen sind. Ich möchte bitten, nicht zu erlahmen, die Schritte, die gemacht worden sind, fortzusetzen und sie noch schneller und schneller zu machen. Denn wenn wir die Räteschaft haben, wird sich mit ihrer Hilfe alles weitere durch­setzen lassen. Das dürften diejenigen schon verstanden haben, die heute das, was gesagt worden ist, in realer Weise ins Auge fassen. Sie dürften verstanden haben, daß es darauf ankommt, daß wir zunächst zur Sozialisierung die Menschen haben müssen, die wirk­lich sozialisieren wollen. Das ist das erste tatsächliche Sozialisie­rungsprogramm. Und die Verwirklichung des ersten Schrittes zur Sozialisierung wird geschehen sein, wenn in den Betrieben des hiesigen Wirtschaftsgebietes die Betriebsräte gewählt sein werden. Und dann wird man sagen können: Jetzt wollen wir den nächsten Schritt tun. Denn dazu müssen sie erst dasein, damit wir die nächsten Schritte tun können. Zur Sozialisierung brauchen wir die Menschen, die die Sozialisierung wollen. Und die Betriebsräte­zschaft wird wohl überhaupt in der Zukunft als der erste Schritt zur wahren Sozialisierung angesehen werden.

Nach Mitteilung des Vorsitzenden hat sich soeben aus den Meldungen ergeben, daß vier Betriebsräte gewählt sind und die Wahl von sechs weite­ren Betriebsräten in Angriff genommen wurde.

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VIERTER DISKUSSIONSABEND Stuttgart, 14. Juni 1919

Vorsitzender Herr Lohrmann: Ich eröffne die heutige Versammlung. Sie ist leider sehr schlecht besucht, was wohl sehr stark darauf zurückzuführen ist, daß die Parteien dazu übergehen, unsere Sache zu bekämpfen. Es beruht das auf einem Irrtum. Ich habe mich auch mit verschiedenen Parteileuten auseinandergesetzt. Sie sehen in der Sache der Dreigliederung eine Zersplitterung der Arbeiterschaft, des Proletariats, in dem Kampfe, der zur Befreiung des Proletariats führen wird. Aus diesem Grunde be­kämpft die Partei die Dreigliederung des sozialen Organismus. Wir können uns ja heute noch darüber aussprechen, welche Stellung wir fernerhin einnehmen müssen speziell den Parteien gegenüber. Ich glaube, daß nach­her in der Diskussion die Sache zur Sprache kommen kann.

Einleitende Worte von Rudolf Steiner

Meine werten Anwesenden! Ich will in der Einleitung recht kurz sein, weil ich glaube, daß die Hauptsache dann in Rede und Ge­genrede behandelt werden sollte. Eben hat Sie der Herr Vorsitzen­de darauf aufmerksam gemacht, daß sich gegen das, was hier von seiten des «Bundes für Dreigliederung» gewollt wird, eine heftige Gegenströmung in Szene setzt. Und Sie haben ja auch gehört, aus welchen Gründen diese Gegenströmung sich geltend macht. Ich möchte vielleicht sogar sagen, daß man die Sache noch ganz anders ausdrücken könnte, also das, was über die Gründe, aus denen heraus sich diese Gegenströmung geltend macht, gesagt wird. Wenn sich diese Gegenströmung wirklich auf die Vermutung stützen würde, daß in das Parteiwesen ein Keil hineingetrieben werden könnte, so würde sie ja von durchaus falschen Vorausset­zungen ausgehen. Ich kann nicht einsehen, wie man die Behauptung aufrechterhalten will, daß von unserer Seite irgendwie die Absicht vorliegen sollte, in das Parteiwesen einen Keil hineinzutreiben. Denn sehen Sie, die Sache liegt doch so: Die Parteien haben ihr Programm, und sie haben auch die Absicht, in der nächsten Zeit

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dieses oder jenes zu tun. Sie werden ja gar nicht daran gehindert, dieses oder jenes zu tun! Es handelt sich ja nur darum, daß den Angehörigen irgendeiner Partei - sie können ja in ihrem Parteizu­sammenhang bleiben und das mitmachen, was der Parteizusam­menhang von ihnen fordert - die Möglichkeit geboten wird, etwas Positives, was zur Tat werden kann, aufzunehmen. Daß damit die Absicht verbunden sei, daß die Persönlichkeiten des «Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus» selber die Plätze einneh­men wollten, welche von den Parteimitgliedern eingenommen sein wollen, davon kann ja nicht im geringsten die Rede sein.

Sehen Sie, die Sache ist ja so gekommen, daß man gesehen hat:

Mit dem Parteiprogramm ist gegenwärtig gerade mit Bezug auf die allerwichtigste Frage, die Frage der Sozialisierung, nichts zu erreichen. Sie haben erlebt die sogenannte Revolution vom 9. No­vember. Sie haben erlebt, daß da die Parteimänner an die Spitze der Regierung getreten sind. Sie haben aber auch erlebt, daß diese Parteimänner nichts anzufangen wußten mit dem, was ihnen nun wirklich so vorlag, daß sie bis zu einem hohen Grade darüber die Macht hatten. Sie könnten eine große Enttäuschung erleben, ja, ich möchte sagen, ich habe die Überzeugung, daß Sie sie wirk­lich erleben, wenn Sie gar nicht auf so etwas wie die Bestrebung für den dreigliedrigen sozialen Organismus eingehen würden. Sie könnten die Enttäuschung erleben, daß bei der zweiten Umwäl­zung andere Parteimänner an die Spitze der Regierung kommen, die, gar nicht aus irgendeinem bösen Willen heraus, sondern ein­fach, weil die Parteiprogramme machtlos sind, nach einiger Zeit nichts, was irgendwie etwas Positives ist, hervorbringen. Sie könn­ten erleben, daß eben wiederum eine Enttäuschung folgt. Sie vor diesen Enttäuschungen, diesen neuerlichen Enttäuschungen zu be­wahren dadurch, daß man aufzeigt, was die gegenwärtige Zeit fordert und was in Wirklichkeit durchzuführen ist, das eben hat sich der «Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus» zur Aufgabe gemacht.

Parteien haben immer die Eigentümlichkeiten, daß sie nach und nach eigentlich abkommen von dem, was ursprünglich ihre Impulse

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waren. Parteien haben überhaupt ein merkwürdiges Schicksal. Da ich ja den Impuls zum dreigliedrigen sozialen Organismus nicht aus der Luft gegriffen habe, sondern ihn aufgrund eines wirklich intensiven Miterlebens der sozialen Bewegung über Jahrzehnte hin ergriffen ha­be, habe ich auch so manches erlebt. So habe ich zum Beispiel den Aufstieg der sogenannten liberalen Partei in Österreich erlebt. Diese Partei nannte sich liberal, stand aber auf dem Boden des Mon­archismus, wie das selbstverständlich war in den sechziger und sieb­ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Es war also eine liberale Par­tei. Aber wenn diese liberale Partei sich innerhalb des bestehenden österreichischen Staatswesens geltend machen wollte, da legte sich diese liberale Partei eine merkwürdige Bezeichnung zu: «Euer Maje­stät allergetreueste Opposition». Das war ein offizielles Beiwort für die Opposition im monarchischen österreichischen Staat.

Ich habe dieses Beispiel angeführt, um aufzuzeigen, daß den Parteien in bestimmten Situationen manchmal ihre eigentliche Stoßkraft genommen wird. Aber es gibt noch viel deutlicher spre­chende Beispiele. So gibt es in Nordamerika ja zwei Hauptpartei­en, die demokratische und die republikanische. Diese zwei Parteien hatten vor längerer Zeit ihre Bezeichnung zurecht: Die einen nann­ten sich republikanisch, weil sie Republikaner waren, die anderen nannten sich demokratisch, weil sie Demokraten waren. Heute ist die Sache so, daß die republikanische Partei durchaus nicht mehr republikanisch ist und die demokratische Partei alles andere als demokratisch ist. Die beiden Parteien unterscheiden sich lediglich dadurch, daß sie von verschiedenen Konsortien aus verschiedenen Wahlfonds gespeist werden. Parteien entstehen, haben eine gewisse Lebenszeit, die verhältnismäßig kurz ist, dann sterben sie. Aber sie bleiben gewissermaßen, wenn sie schon Leichnam sind, noch lebendig als Leichnam; sie mögen nicht gerne sterben. Aber das schadet nichts. Wenn sie auch ihre ursprüngliche Bedeutung verlo­ren haben, so sind sie doch noch Sammelbecken für die Menschen, und es ist trotzdem noch gut, wenn sie da sind, damit die Men­schen eben nicht auseinanderlaufen. Deshalb hat man, wenn man nicht ein theoretisierender Politiker ist, wie es die Parteimänner

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ja oft sind, und wenn man nicht ein ideologischer oder utopisti­scher Politiker sein will, sondern wenn man sich auf praktischen Boden stellen will und sich bewußt ist, daß im politischen Leben nur etwas zu erreichen ist mit geschlossenen Menschengruppen, deshalb hat man gar kein Interesse daran, die Parteien zu zersplit­tern. Wir würden das Dümmste machen, was wir überhaupt ma­chen könnten, wenn wir darauf aus wären, die Parteien zu zersplit­tern, oder etwa gar eine neue Partei begründen wollten. Wir könnten nichts Dümmeres machen. Also, darum kann es sich nun wirklich ganz und gar nicht handeln.

Man fragt sich daher: Ja, aus welcher Ecke kommt denn da eigentlich der Widerstand? Sehen Sie, er kommt, ich möchte sagen, aus der konservativen Gesinnung der Menschen. Ich erlebe es ja immer wieder in meinen vielen Vorträgen, daß das Folgende ge­schieht. Diskussionsredner stehen auf, und wenn sie sprechen, so macht man eine merkwürdige Erfahrung. Sie haben nämlich nur das gehört, was sie schon seit Jahrzehnten gewohnt sind zu den­ken. Vieles daran ist ja richtig, denn die alten Dinge sind ja nicht falsch. Aber es muß doch heute zu den alten Dingen Neues hinzu­kommen! Das Merkwürdige, das man bei den Diskussionsrednern oftmals konstatieren kann, besteht vor allem darin, daß sie nicht einmal mit dem physischen Ohr das Neue gehört haben, Sie haben eben nur das gehört, was sie schon seit Jahrzehnten gewohnt sind zu hören. Ja, das beruht schon auf einer gewissen inneren Trägheit des gegenwärtigen menschlichen Verstandes. Man muß sich schon mit dieser inneren Trägheit des gegenwärtigen menschlichen Ver­standes bekannt machen, und man muß sie bekämpfen.

Schwer begreiflich ist mir aber doch, wenn von einer gewissen Seite gesagt wird: Ja, wir sind eigentlich sowohl mit dem, was St einer zur Bekämpfung des Kapitalismus vorbringt, als auch mit der Dreigliederung des sozialen Organismus einverstanden, die muß kommen. Aber wir bekämpfen sie doch! Wir müssen uns kämpfend dagegenstellen! - Jedem, der über einen gewissen gesun­den Menschenverstand verfügt, muß dies absonderlich vorkommen. Und dennoch ist ja dieser Standpunkt vorhanden!

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Nicht wahr, wir stehen jetzt vor der Einrichtung der Betriebsrä­teschaft. Ja, diese Betriebsräteschaft ist eine ungeheuer wichtige Sache, und zwar aus folgendem Grunde. Es können heute die Betriebsräte so eingerichtet werden, daß sie nichts weiter sind als eine Dekoration für eine geheimnisvolle Fortsetzung des alten ka­pitalistischen Systems. Man kann sie so einsetzen, aber sie werden gewiß nichts anderes werden als dieses, wenn sie im Sinne des Gesetzentwurfes, der Ihnen ja hinlänglich bekannt ist, eingesetzt werden. Sie werden ganz gewiß auch nichts anderes werden als eine solche Dekoration, wenn sie auch auf Grundlage eines ande­ren Gesetzentwurfes eingesetzt werden. Das einzige Heil besteht darin, daß man die Betriebsräte, wie ich hier schon oftmals gesagt habe, aus dem lebendigen Wirtschaftsleben heraus auf die Beine stellt, daß sie also gewählt werden aus dem Wirtschaftsleben selber heraus und sich zusammenschließen innerhalb eines in sich ge­schlossenen Wirtschaftsgebietes. Dies wäre hier - weil man die alten Landesgrenzen beibehalten muß - Württemberg. Das muß eine konstituierende Versammlung sein, die aus sich heraus dasjeni­ge schafft, was die anderen als Gesetz machen wollen. Die Rechte, die Befugnisse, all das, was die Betriebsräte zu tun haben, muß aus der Betriebsräteschaft selbst heraus entstehen. Und man darf nicht den Mut verlieren, aus dem Wirtschaftsleben heraus selber die Betriebsräteschaft zu schaffen. Aber sehen Sie, sobald man anfängt an einem Ende, sobald man wirklich Ernst damit macht, das eine Glied des dreigliedrigen sozialen Organismus so zu neh­men, wie es im Wirtschaftskreislauf zu nehmen ist, dann muß man sich auf den Boden des dreigliedrigen sozialen Organismus stellen. Dann müssen die beiden anderen Glieder wenigstens ir­gendwie mitarbeiten und parallel dazu eingerichtet werden, sonst kommt man nicht vorwärts. Es ist heute schon leicht der Beweis zu liefern, einfach aufgrund der Tatsachen, daß man das braucht, was der dreigliedrige soziale Organismus will. Denn, was auch immer geschwätzt wird über jenes Sozialisierungsexperiment, das im Osten gemacht worden ist, dasjenige, worauf es ankommt, das wird ja immer nicht hervorgehoben.

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Sie haben in diesen Tagen von ministerieller Seite im hiesigen Landtag hören können, wenn Sie aufmerksam die Berichte verfolgt haben, daß Lenin nun auch wieder an dem Punkt angekommen sei, nämlich beim Kapitalismus Hilfe zu suchen, weil er daran zweifele, daß in der Jetztzeit eine Sozialisierung, so wie er sie gewollt hat, durchgeführt werden könne. Solche Dinge werden ja heute auch von sozialistischen Regierungen mit einer gewissen Befriedigung registriert. Sollen sie diese Befriedigung doch haben. Aber sehen Sie, worauf es ankommt, ist doch, daß man sich fragen muß: Woran liegt es denn, daß dieses östliche Experiment geschei­tert ist? Es liegt daran - es gibt wirklich die Möglichkeit, das einzusehen, man muß nur den Mut haben, sein eigenes Vorurteil zu bekämpfen -, es liegt daran, daß vor allen Dingen innerhalb dieses russischen, östlichen, sozialistischen Experimentes keine Rücksicht darauf genommen worden ist, eine selbständige Soziali­sierung des Geisteslebens mit einzurichten. Dieses Glied hat ge­fehlt, und an dem Fehlen dieses Gliedes liegt es. Und wird man das einsehen, dann wird man wissen, wie man es anders machen muß. Man muß doch von den Tatsachen lernen und nicht von seinen seit Jahrzehnten im Kopfe herumspukenden Gespenstern der Parteiprogramme. Das ist es, worauf es ankommt, und ich kann Ihnen sagen: Entweder werden die Betriebsräte so eingerich­tet, daß sie die erste Einrichtung sind von dem, was im großen Stile gedacht ist im Sinne einer sozialen Gestaltung des menschli­chen Gemeinwesens, damit dann aus der Einrichtung der Betriebs­räte etwas hervorgehen kann, was einer wirklichen Sozialisierung gleichkommt, oder es wird nicht so gemacht, und dann erreicht man keine wirkliche Sozialisierung. Wenn man abwartet, bis die Fortsetzung des alten Regierungssystems aus einem Gesetz heraus Betriebsräte einrichtet, wenn man immerfort von der Idee ausgeht, daß derjenige, der praktisch handeln will, die Partei zersplittert, dann wird man auf keinen grünen Zweig kommen.

Eine Frage muß notwendig immer wieder gestellt werden. Sehen Sie, als wir hier angefangen haben im Sinne des dreigliedrigen sozialen Organismus über die Dinge zu reden, da erwarben wir

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und unsere Freunde aus den Parteien verhältnismäßig rasch das Vertrauen der Arbeiterschaft, das Vertrauen eines großen Teiles der Arbeiterschaft. Dem sah man offenbar zunächst gelassen zu, weil man sich gedacht hat, nun, solange da einige Leute ein paar Spielereien treiben, da genügt es ja, wenn man sagt: Bekümmert euch nicht um diese Utopien. - Dann sah man aber, daß es sich gar nicht um Utopien handelte, sondern um den Beginn, einmal wirklich etwas Praktisches in Szene zu setzen. Da zog nun nicht mehr so recht die Geschichte mit den Utopien und Ideologien. Dann aber, als wir versuchten, für die Betriebsräte zu wirken, ließ sich der Vorwurf der Utopie überhaupt nicht mehr aufrecht­erhalten. Und nun kommt man damit, daß man sagt, daß eine Zersplitterung in die Partei hineingetragen wird. Ja, aber es mußten doch erst die kommen, die das sagen; die mußten es doch erst den Leuten sagen, daß da die Zersplitterung hineingetragen wird. Wir haben sie nämlich nicht hineingetragen. Aber die, die das sagen, die tragen sie selbst hinein. Woher kommt denn die Zer­splitterung? Auf diese Frage gibt es nur die folgende Antwort:

Ihr braucht ja nicht in einer solchen Form, wie ihr es tut, darüber zu reden, dann wird die Zersplitterung auch nicht dasein. Nun, die Sache ist eben doch zu ernst, die Sache der Betriebsräteschaft, als daß man nicht solche Dinge heute wirklich zur Sprache bringen müßte. Und so hoffe ich, daß von diesen Gesichtspunkten aus von dem einen oder anderen von Ihnen in dieser leider wenig besuchten Versammlung heute noch sehr viel über die verschiede­nen Dinge, die notwendig sind, gesprochen wird.

Eigentlich muß ich mich doch sehr wundern über die Opposi­tion, die sich hier auftut, wenn ich so manche Dinge näher be­trachte. Die Parteien zum Beispiel, sie brauchen eigentlich alle ein gewisses Hinausgehen über sich selbst, nämlich ein Hinaufgehen zu etwas Positivem. Da bekam ich gestern den «Arbeiterrat», das Organ der Arbeiterräte Deutschlands, deren Schriftleitung Ernst Däumig innehat. In diesem finden Sie einen Artikel unter der Überschrift «Geistesarbeiterrat und Volksgeist» von Dr. Heuser, KPD. Da wird manches auseinandergesetzt. In diesem Artikel finden

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Sie unter anderem das Folgende, das ich für so wichtig halte, daß ich es Ihnen vorlesen möchte. Mso, der Artikel ist von Dr. Heuser, Mitglied der KPD: «Es ist jedoch eine Lebensbedingung des sozialistischen Staates, daß das geistige Element im Volksleben seiner Bedeutung entsprechend berücksichtigt wird. Es besteht die große Gefahr, daß durch die einseitige Berücksichtigung des mate­riell tätigen Volksteils die geistigen Lebensbedingungen der soziali­stischen Volksgemeinschaft erstickt und der Zukunftsstaat in ein materielles Gebilde verwandelt wird, in dem die geistigen Kräfte keinen Spielraum und somit keine Freiheit besitzen. Die zielbe­wußte Arbeiterschaft fordert mit Recht: Alle politische Macht den Arbeiterräten - alle ökonomische Macht den Betriebsräten. Wir fordern: Alle geistige Macht den Geistesarbeiterräten! » - Bitte, ein Mitglied der KPD! Alle geistige Macht den Geistesarbeiterräten! -«Wir fordern neben der Körperschaft der Arbeiterräte (politische Körperschaft) und derjenigen der Betriebsräte (wirtschaftliche Kör­perschaft) eine Körperschaft der Geistesräte (geistige Körperschaft), in der das geistige Element des Volkes sich jederzeit Gehör ver­schafft und die zum Ausgleich der ungeheuren politischen und ökonomischen Rechte der überwiegenden Handarbeiterschaft ge­nügenden Einfluß erhält auf die Besetzung der wichtigeren Stellun­gen der Allgemeinheit mit geistigen, tüchtigen Persönlichkeiten, da sonst keine Gewähr ist, daß diese Stellungen nicht wie bisher geistlos nach machtpolitischen oder materiell-ökonomischen Ge­sichtspunkten erfolgen. Die militaristische Hohenzollern-Herrschaft ist zusammengebrochen, weil sie die sozialen Forderungen unserer Zeit nicht verstanden hat, ebenso wie die kapitalistische Scheinde­mokratie trotz ihrer zusammenbrechen wird. Ein sozialisti­scher Staat, der einseitig die Interessen der Handarbeiterschaft be­günstigen und die Interessen des geistigen Volkselementes ver­nachlässigen wird, ist ebenso unhaltbar: Er wird einen neuen Klas­sengegensatz, neue Unterdrückung und neue Kämpfe schaffen.»

Nun frage ich Sie - hier ist nichts erwähnt von der Lektüre meines Buches -, aber ich frage Sie: Was ist das anderes als die Dreigliederung? Und jetzt ein besonders wichtiger Schluß:

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«Das geistige Element der Völker ist jedoch auch allein imstan­de, die internationale Verständigung der Zukunft dauernd zu ge­stalten und einen ungeheuchelten Völkerbund zu stiften. Nehmen wir an, daß in dem neuen sozialistischen Staat die politischen Arbeiterräte oder die ökonomischen Betriebsräte das auschlagge­bende Wort sprechen - wohin würde das hinauslaufen? Die äußere Politik würde dann entweder nach (politischen) Machtgesichts-punkten entschieden - die Kabinettskriege der früheren Jahrhun­derte sind uns schon genügend ein warnendes Beispiel -, oder die Politik würde von wirtschaftlichen Interessen entschieden; da ist uns der eben erlebte Weltkrieg ein furchtbares Beispiel. Wird jedoch die Politik von Gesichtspunkten geistiger Menschlichkeit geleitet, so ist dadurch allein Gewähr gegeben, daß den Versuchun­gen der menschlichen Macht- und Besitzgelüste dauernd ein Damm vorgeschoben wird. Der kultivierte Mensch kehrt erst dann zur Gerechtigkeit gegen sich und andere zurück.»

Das, sehen Sie, ist ein Artikel von einem Angehörigen der Kom­munistischen Partei im «Arbeiterrat», der von Ernst Däumig her­ausgegeben wird. Also, diejenigen, die die Dinge nicht nur durch die Parteibrille sehen, sondern sie so sehen, wie sie sind, die bestä­tigen das, was hier oftmals gesagt wurde, nämlich daß die Dreiglie­derung des sozialen Organismus in der Luft liegt. Es ist schon seltsam, daß nicht mehr Leute darauf kommen. Hier aber haben Sie, ohne daß unsere Bewegung erwähnt wird, die ganze Geschich-te von der Dreigliederung. In meinem Buch ist sie natürlich im einzelnen vollkommener fundiert und ausgebaut. Angedeutet fin­den Sie sie schon in dem Aufruf «An das deutsche Volk und an die Kulturwelt».

Leider ist es aber noch immer so, daß sich die Leute heute noch nicht zu den großen Gesichtspunkten, die wirklich notwen­dig sind, erheben können. Deshalb werden sie auch nicht die kleinsten Institutionen in dem Sinne einrichten können, daß sie der großen Abrechnung, in der wir uns befinden, entsprechen. Daher ist es notwendig, daß wir heute wirklich wissen, daß für das Wirtschaftsleben nur dann ein Heil erwachsen kann, wenn

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wir zunächst einen eigenständigen Wirtschaftskörper - zumindest müssen wir damit anfangen - auf die Beine stellen. Das muß die Betriebsräteschaft sein. Es wird schon aus der Betriebsräteschaft auch das andere herauswachsen, was da kommen muß: Die Ver­kehrsräteschaft und die Wirtschaftsräteschaft. Aus diesen drei Räte-schaften wird es sich ergeben, daß die Betriebsräte es mehr mit der Produktion, die Verkehrsräte es mit der Güterzirkulation und die Wirtschaftsräte es mit der Konsumgenossenschaft im weitesten Sinne zu tun haben. In dieses Rätesystem des Wirtschaftslebens kann dann auch alles weitere wie zum Beispiel die Forstkultur, Landwirtschaftskultur, Rohstoffgewinnung und vor allen Dingen das, was das internationale Wirtschaftsleben betrifft, eingegliedert werden. Man muß lediglich einsehen, daß dieses Wirtschaftsleben gar nicht die Schwierigkeiten bietet, von denen man immer redet, um einen Popanz hinzustellen, sondern daß es nur erforderlich ist, wenn man wirtschaftlich sozialisiert, die passive Handelsbilanz, das heißt den Überschuß der Einfuhr über die Ausfuhr, auf der Seite des Konsums zu buchen. Dann wird von selbst das Richtige herauskommen.

In dem System des dreigliedrigen sozialen Organismus steckt dies alles drinnen, und wenn die Leute sagen, sie verstehen das nicht, so rührt das bloß daher, daß sie sich nicht die Mühe machen wollen, wirklich auch die entsprechenden Konsequenzen zu zie­hen, sondern glauben, man muß erst ein Programm aufstellen. Ja, die Wirklichkeit ist eben kein Programm, die Wirklichkeit braucht mehr, als was man in einem Programm sagen kann. Wer über die Wirklichkeit spricht, muß schon ein wenig voraussetzen, daß die Leute ein bißchen nachdenken, weil die Wirklichkeit doch sehr kompliziert ist. Und ich bitte Sie, wenn es sich um die wichtige Frage der Betriebsräte im praktischen Sinne handelt, wirk­lich sich die Sache nicht so einfach vorzustellen, wie das heute viele tun. Die künftige soziale Wirtschaftsordnung wird ausgehen müssen von dem Grundsatz, der ja seit Jahrzehnten vollständig richtig verkündet wird: Es muß produziert werden, nicht um zu profitieren, sondern um zu konsumieren. - Die Frage ist nur:

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Wie macht man das? Diese Frage läßt sich nicht theoretisch beant­worten, sondern sie wird dadurch beantwortet, daß Sie Betriebsräte wählen und daß dann diese Betriebsräte in einer Betriebsräteschaft zusammenkommen. Geht man so vor, dann wird die Frage nach der Produktion für den Konsum aus den Menschen heraus beant­wortet. Es gibt keine Theorie darüber, sondern das wird die Lö­sung sein, was die lebendigen Menschen, die aus dem Wirtschafts­leben kommen, jeder von seinen Bedürfnissen aus, zu sagen haben und was sie zur Lösung beitragen.

Die Dinge müssen so in Angriff genommen werden, daß man nicht das praktisch nennt, wenn man sagt, daß dieses oder jenes geschehen soll, sondern wenn man die Menschen auf die Beine stellt, die nun durch ein lebendiges Zusammenwirken das Richtige erst herausbekommen sollen. Oberflächlich betrachtet kann man sagen, daß es leicht ist, sich darüber klar zu werden, was mit dem Konsum zusammenhängt, denn überall in den Statistiken steht, wieviel man an Pfeffer, an Kohle, wieviel Messer und Gabeln und dergleichen man braucht. Und wenn man die genauen Statisti­ken hat, wird man einfach so viel zu produzieren haben, wie diese Statistiken angeben. Jawohl, selbst wenn die Statistik nicht zu alt ist, würde sie dennoch überhaupt nichts taugen für den jetzigen Zeitpunkt. Und selbst, wenn sie neu ist, dann gilt sie nur für das eine Jahr, und im nächsten Jahr ist sie schon überholt. Dasjenige, was über den Konsum zu sagen ist, das muß fortwäh­rend in lebendiger Weise neu erfaßt und angefaßt werden. Dazu braucht man dann die Wirtschaftsräte. Die müssen immerfort in Bewegung sein. Denn so einfach ist die Sache nicht. Wir können uns nicht auf die Literatur verlassen, sondern wir brauchen ein über das ganze Wirtschaftssystem ausgebreitetes lebendiges Rätesy­stern. Dazu muß man aber den Mut haben. Wir brauchen an Stelle dessen, was das Kapital in egoistischer Weise gemacht hat, die lebendigen Menschen, damit die Neugestaltung des Wirt­schaftslebens in sozialer Weise gemacht wird. Sonst kommen wir nicht weiter. Das ist das, was heute gerade bei der Frage der Betriebsräteschaft ernsthaft bedacht werden muß. Praktisch bedeu­tet

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tet dies nichts anderes, als daß die Betriebsräte gewählt werden, die sich dann wiederum in einer Betriebsräte-Urversammlung zu­sammenfinden. Dann wird sich schon diese Betriebsräteschaft er­gänzen müssen durch die Verkehrsräteschaft und durch die Wirt­schaftsräteschaft. Auf diese Weise wird man vorwärtskommen.

Wie das, daß man nun einen praktischen Weg angibt, zur Zer­splitterung der Parteien, zu einer Verwirrung der Köpfe führen soll, das sehe ein anderer ein als ich. Ich kann es nicht einsehen. Den Parteien soll nicht ein Haar gekrümmt werden dadurch, wahr­haftig nicht, wenn sie eine geschlossene Phalanx bilden wollen. Sie mögen es tun. Das wird viel besser sein, als wenn die Leute auseinanderlaufen. Wir haben gewiß kein Interesse daran, daß die Leute auseinanderlaufen. Wohl aber haben wir ein Interesse daran

- vor allem wenn man sieht, daß durch bloße Programme nichts Positives getan werden kann -, daß das Positive in die Arbeiter-schaft hineingetragen wird. Es ging uns nie darum, eine neue Partei zu begründen, sondern die Intention, die der Gründung des «Bundes für Dreigliederung» zugrunde lag, war, dem Proleta­riat zu einer wirklich sozialen Stellung zu verhelfen. Und dies kann nur verwirklicht werden, wenn die Klassenherrschaft aufhört. Dann aber handelt es sich nicht darum, mit welchen kleinen oder großen Mitgliederzahlen man an einem Parteiprogramm hängt, sondern darum, sich zu fragen: Was hat zu geschehen? Und weil immer mehr eingesehen wird, daß das Proletariat sein Ziel niemals mit den alten Parteiprogrammen erreichen wird, deshalb ist der Impuls für die Dreigliederung da.

Das wollte ich als Einleitung vorausschicken. Jetzt hoffe ich, daß wir uns lebhaft über die Betriebsratsfrage und andere damit zusammenhängende Fragen unterhalten werden. Wenn ja die Be­triebsratswahl die erste Tat zur wirklichen Sozialisierung sein soll, so kann es nur gut sein, wenn man die Sozialisierung immer wieder von einem anderen, höheren Gesichtspunkt aus betrachtet.

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Diskussion

Vorsitzender Herr Lohrmann: Es ist für uns sehr wichtig in der gegenwär­tigen Zeit und bei den jetzigen Verhältnissen, daß, wie Herr Dr. Steiner vorgelesen hat, ein Kommunistenführer so schreibt, daß die Dreigliederung vorgenommen werden muß. Wenn wir uns mit unseren Genossen unter­halten, werden wir mit kurzen Schlagworten abgetan. Das ist doch der Hemmschuh in unserer Arbeit für die Wahl der Betriebsräte! Wir haben in den Betrieben lauter überzeugte Genossen als Führer, sie werden aber gegen unsere Sache von der Partei beeinflußt, so daß die nicht einmal sich interessieren. Sie verwerfen die Sache, ohne ihr auf den Grund zu gehen. Unsere Hauptarbeit wird sein, diesen Widerstand zu beseitigen. Die Parteien fürchten, daß durch die Dreigliederung ein Spalt in der Arbeiterschaft entstehen wird, der das Proletariat schwächen wird in dem Kampf gegen den Kapitalismus.

Ich habe aber auch viele Genossen gesprochen, die unsere Sache für gut halten. Die Leute wollen aber nicht auftreten in der Öffentlichkeit, damit sie sich nicht kompromittieren den Parteiführern und Genossen gegenüber. Das ist der große Krebsschaden in unserer Bewegung. Jeder, der die Sache erfaßt hat, sollte sich frei und offen dazu bekennen.

Im Betriebe Bosch haben wir die Betriebswahl vorgenommen, aber nur als Provisorium. Das ist wiederum ein Schaden, denn wenn wir jetzt einen provisorischen Betriebsrat haben, so sind die Leute doch nicht von der Arbeiterschaft eingesetzt, und so ist auch nicht die ganze Arbeiter­schaft interessiert an der Sache. Unsere Hauptaufgabe ist ja, das ganze Proletariat an der Sache zu interessieren, um der jetzigen Regierung, die den Kapitalismus unterstützt, im Ernste zu zeigen, was wir wollen.

Herr Huth: Wenn ich den leeren Saal ansehe, muß ich mir doch sagen, daß die, die als Arbeitsausschuß-Mitglieder Verantwortung zu tragen ha­ben, auch den Mut aufbringen müßten, das zu vertreten, was sie als richtig erkannt haben. Und die, die die Dreigliederung als richtig erkennen, wie ihr starker Beifall immer bewies, sollten sie auch vertreten. Es wird gesagt, die Dreigliederung bedeutet Zersplitterung der Arbeiterschaft. Se­hen wir uns einmal die Arbeiterschaft an. Sie ist doch so zerrissen in verschiedene Parteien, die sich auf das heftigste gegenseitig bekämpfen, daß es fast nicht möglich ist, sie überhaupt noch weiter zu zersplittern. Wir brauchen Einigung des Proletariats, aber nicht nur unter irgendeiner

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Parole, wie zum Beispiel «Alle Macht den Räten», wie sie von den Korn­munisten ausgegeben wird, von der aber niemand weiß, was sie eigentlich sagen will. Es ist nur ein Schlagwort, und wir brauchen eine Tat. Wenn wir solche Schlagworte aussprechen wie auch «Die Diktatur des Proleta­riats», so ist es doch notwendig, daß wir uns unter diesem Schlagwort etwas vorstellen können.

Was ist denn eigentlich die «Diktatur des Proletariats»? Soll sie von oben herunter oder von unten herauf kommen? Wenn wir warten, bis die Regierung ein Betriebsrätegesetz schafft, das dem entspricht, was wir brauchen, dann erleben wir es wahrscheinlich nicht, und wenn wir warten wollen, bis uns irgendeine proletarische Partei die Richtlinien so gibt, wie wir sie notwendig brauchen, um zur Einigung des Proletariats zu kommen, dann kommen wir meiner Überzeugung nach niemals zur Einigung, so wie wir niemals zu dem kommen werden, was wahre Sozialisierung ist. Alles klammert sich heute an die Worte von Karl Marx: «Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein», und wenn sie nun einmal daran geht, dann sagt man: Laßt die Finger davon, das versteht ihr nicht, bis wir euch sagen, was ihr zu tun habt. -Dadurch kommt ja die Zersplitterung zustande, daß jede Partei etwas anderes will. Wir brauchen eine revolutionäre Tat, bei der jeder Arbeiter, einerlei, welcher proletarischen Partei er angehört, mitarbeiten kann. Und eine solche Tat ist die Schaffung der Betriebsräte auf wirklich revolutionä­rer Grundlage, wie sie uns Dr. Steiner gezeigt hat. Das, was Dr. Steiner verlesen hat als die Worte eines Kommunisten, sie sind doch ganz genau dasselbe, was Herr Dr. Steiner uns sagt, nämlich die Dreigliederung.

Lesen wir doch einmal die Broschüre, in der die Rede des Genossen Däumig steht, die er auf dem Parteitag der USP gehalten hat, und wenden wir das einmal auf die Praxis an. Er sagt ja nicht «Dreigliederung», aber das, was er sagt, bedeutet doch die Dreigliederung. Wenn er zum Beispiel ausführt, daß streng unterschieden werden muß zwischen der politischen und der wirtschaftlichen Aufgabe, die zu lösen ist, und daß ein besonderes Rätesystem für die beiden Zweige bestehen muß. Er hat das ja allerdings nur flüchtig angegeben, weil es ihm nicht ganz klar bewußt war. Es wird notwendig sein, daß die Arbeiterausschußmitglieder, die mit dem einver­standen waren, was Herr Dr. Steiner gesagt hat, sich nicht abschrecken lassen durch das Auftreten der Parteien, die sich nun ausgeschaltet sehen von der wirklich revolutionären Arbeit, und daß sie sich nicht abschrecken lassen durch das Geschrei, das in die Welt gesetzt wird, sondern konse­quent

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fortfahren, das in die Tat umzusetzen, was sie für richtig befunden haben, nämlich die Wahl der Betriebsräte vorzunehmen in allen Betrieben und diese Betriebsräte zusammentreten zu lassen zu einer Betriebsräte­schaft, die sich die Gesetze selbst schaffen wird, die wir brauchen.

Wir in unserem Betrieb haben den Betriebsrat gewählt, und ich möchte nun bitten, daß all die Betriebsräte, die schon gewählt sind, sich anmelden möchten sowoM bei dem «Bund für Dreigliederung» als auch bei dem Aktionsausschuß des geeinigten Proletariats. Dieser Aktionsausschuß hat ein Flugblatt ausgegeben zur Wahl der Betriebsräte, weil dieser Aktions­ausschuß die Wahl der Betriebsräte auch auf dem Boden vorgenommen wissen will, wie er gekennzeichnet worden ist. Es ist also notwendig, daß sich die Betriebsräte melden, so daß wir zur praktischen wirklichen Arbeit kommen können. Es ist vorhin gefragt worden, ob der Aktionsaus­schuß noch besteht. Ja, er besteht noch, obwohl die Partei ihre Mitglieder aufgefordert hat, aus dem Aktionsausschuß auszutreten. Das ist eine An­maßung der Partei. Die Mitglieder des Aktionsausschusses sind gewählt gegen die Parteien und gegen die Führer der Parteien aus den Betrieben heraus. Nur wenn wir über die Parteien hinausgehen können, kommen wir zur Gesundung des Parteilebens. Die Parteien haben uns auseinander-geführt, sie können uns nicht wieder zusammenführen. Sie haben sich gegenseitig so bekämpft, daß sie, wie sie selbst sagen, es ablehnen, sich an einen Tisch zu setzen. Wenn ich aber heute als USP-Mitglied mit einem Mitglied der KPD rede, sind wir ganz einig. Diese Einigkeit kann sich nur verkörpern in einer Organisation, die vom Vertrauen aller Arbei­ter getragen ist. Wir müssen den Mut haben, auch den Führern zu sagen, was notwendig und recht ist. Wenn sie die Dreigliederung ablehnen, ohne sich überhaupt mit dem Gedanken befaßt zu haben, so ist das, ja, ich finde keinen passenden Ausdruck, beinahe eine Gemeinheit, dem Arbeiter, der sich in den Gedankengang der Dreigliederung eingearbeitet hat, einfach zuzumuten, er müsse hinweg, und ihn vor ein Inquisitionsgericht stellt, weil er etwas für gut und wahr hält aufgrund seiner Überzeugung. Wenn die Arbeiterführer mit Mut auftreten, werden wir auch die Arbeiter, die in den Parteien organisiert sind, zu überzeugen vermögen, daß die Drei-gliederung kommen muß. Sie selbst, die Mitglieder und Führer dieser Parteien, liefern uns ja unbewußt die Waffen, um sie selbst zu schlagen. Lesen Sie den Artikel im «Spartakist» über die Dreigliederung. Man sieht, daß man mit der Dreigliederung vollständig einverstanden ist, sie aber dennoch bekämpft. Warum? Wenn wir den Artikel aus der «Süddeutschen

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Zeitung» unseren Führern vorhalten, bin ich der Überzeugung, daß auch die Arbeiter, die in diesen Parteien organisiert sind, davon überzeugt werden, daß die Dreigliederung des sozialen Organismus kommen muß und daß es eine revolutionäre Tat ist, wenn wir für sie arbeiten und für sie eintreten. Nur das konservative Denken all dieser revolutionär sein wollenden Führer ist es, was sie hindert, die Dreigliederung wirklich zu begreifen.

So möchte ich bitten, daß in den Betrieben, in denen ein Ansatz vorhanden ist, in denen ein kleiner Anlauf genommen wurde zur Betriebs­rätewahl, sich die Ausschußmitglieder nicht irremachen lassen, sondern konsequent weiter fortfahren und immer erneut in jeder Betriebsversamm­lung Stellung nehmen zur Betriebsräte-Wahl. Wir müssen die Einigung des Proletariats unbedingt durchführen, und nichts ist wichtiger. Auf dem Wege der Parteien werden wir niemals zur Einigkeit kommen. Die Arbei­terschaft wird immer mehr zersplittert, und die Sozialisierung des gesam­ten Wirtschaftslebens, auch des Geisteslebens, auch des politischen Lebens wurde niemals verwirklicht werden können. In dem Sinne möchte ich die Anwesenden auffordern, nicht mehr die Frage aufzuwerfen: Welche Macht haben wir denn? - Es ist dies eine ganz nebensächliche Frage. Wir sollen nur heraustreten und auf den Kern der Sache eingehen, und wir sollen den Mut aufbringen, gegenüber den Parteien den dreigliedrigen sozialen Organismus zu verteidigen. Nur wenn mit Mut und Selbstachtung wir jenen die Meinung sagen, die zu bequem sind, sich einer neuen Meinung anzuschließen, werden wir weiterkommen.

Herr Sander: Ich habe sämtliche Vorträge von Dr. Steiner gehört und habe die Sache nie durch die Parteibrille gesehen, sondern sie für eine ideale Sache gehalten. Jetzt kommen die Parteien und sagen, der Weg der Dreigliederung sei eine neue Partei. Ich halte aber die Sache noch nicht für durchführbar, weil wir die Menschheit dazu noch gar nicht haben. Wir haben nur Parteimenschen, die sich herumstreiten und die überhaupt noch nicht in ein geistiges Leben hineingekommen sind. Da der Arbeiter überhaupt noch kein Geistesleben besitzt, kann er mit der Sache nicht leben. Nur das materielle Interesse spielt beim Proletariat eine Rolle. Der Proletarier unterscheidet sich da nicht vom Kapitalisten. Er kriegt auch nie genug. Nur durch die Dreigliederung kann es besser werden, nur durch sie kann eine Gesundung des ganzen Lebens kommen, denn das ganze soziale Leben krankt an der Verquickung der drei Gebiete.

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Aber die Proletarier sind oft enttäuscht worden und sind deshalb mißtrau­isch. Sie haben immer Angst: Halt, der Mann und jener Mann - da steckt was anderes dahinter. Sie meinen, auch Herr Dr. Steiner könnte im Schlepptau des Kapitalismus gehen. Sie können sich die Sache nicht anders erklären, sie denken sich nur: Der Mann ist bezahlt! - Das ist ja selbstverständlich ganz ausgeschlossen. Ich habe auch die Beobachtung gemacht in Versammlungen und Vorträgen, in denen viele so begeistert klatschten, daß andere sagten: Warum klatschen die so? - Aus der großen Enttäuschung heraus kommen die Leute zu solchem Mißtrauen.

Im letzten Sieglehaus-Vortrag hat ein Agitator der USP gesagt, die Leute, die sich hinter die Dreigliederung stellen, die müßten einfach heraus aus der Partei. - Das ist eine Anmaßung der Partei, die man an den Pranger stellen muß. Die Sache der Dreigliederung hat doch mit der Partei nichts zu tun. Die Parteien selber zersplittern die Massen. Auch das Aktionskomitee der geeinigten Proletarier war wieder eine Partei, und das war ein großer Fehler. Wäre es keine Partei gewesen, dann wäre eine Einigung viel besser zustande gekommen.

Die Frage der Betriebsräte ist eine sehr ernste. Ob das Rätesystem, das von der Nationalversammlung angenommen ist, ausgebaut wird, ist noch eine Frage. Wenn wir aber die Betriebsräte jetzt einstellen, stoßen wir auf Schwierigkeiten bei der Regierung, die wir jetzt haben und die auf dem Standpunkt steht: Ihr habt gewählt und müßt die Gesetze annehmen, die wir euch vorlegen. - Und wir müssen uns vorläufig daran halten. Die Betriebsrä­te können erst dann eingesetzt werden, wenn die Sache von den Parteien oder Gewerkschaften befohlen wird. Ich sage auch: Die Betriebsräte hätten längst hergehört, und wir müssen Dr. Steiner einmal Dank sagen, daß er uns einmal gesagt hat, wie ein Betriebsrat aussieht. Keiner ist noch aufgestanden und hat gesagt, was man unter einem Betriebsrat versteht und welche Pflich­ten und Aufgaben derselbe hat. Nur von Herrn Dr. Steiner konnte man das lernen. Ich glaube, die anderen verheimlichen es, oder sie wissen es nicht. Wenn die Sache auch noch nicht praktisch durchzuführen ist, so ist es doch schon ein kolossaler Fortschritt der heutigen Zeit, daß wir endlich einmal Richtlinien bekommen haben, daß endlich einmal im innersten Herzen eine Bewegung vorgeht durch Herrn Dr. Steiner. Er hat nämlich einen tiefen Ein-fluß gewonnen in das innere menschliche Fühlen und Denken. Das wird je­der, der bei den Vorträgen war, wenn er es auch öffentlich nicht bekennt, im stillen sich sagen müssen: Der Mann hat schließlich doch recht. - Man sagt es nur nicht aus Angst oder aus parteipolitischen Gründen.

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Herr Sommer aus München-Pasing: Ich bin hierhergekommen, um mich zu informieren, wie in Zukunft die Verhältnisse in Bayern gestaltet werden könnten. Bayern hat ja ein ganz besonderes Interesse, daß es aus der Revolution auch mit einem Gewinn hervorgeht. Die Regierung, die jetzt in Bayern besteht, hat noch keine Lösung gebracht, die das bayrische Volk und auch die anderen deutschen Staaten brauchen. Zum Verständnis dessen, was ich sagen will, mache ich die Bemerkung, daß ich höherer Beamter bin. Ich habe es in meinem Beruf unter anderem auch damit zu tun, Unterlagen zu beschaffen für die sehr großen Projekte, die jetzt überall, auch außerhalb Bayerns, besprochen werden und die in Bayern zur Ausführung kommen sollen und die sich befassen mit großen Wasser-verbindungen zwischen Rhein und Donau. Bayern ist, verhältnismäßig, in Deutschland außerordentlich begünstigt. Man könnte nach neueren Un­tersuchungen, wenn man alles in der technisch bestmöglichen Weise aus­führen würde - was ja natürlich nie geschehen wird, es ist das nur die höchste Grenze, die theoretische, die jedoch mit technischen Mitteln er­reichbar wäre -, gegen sechs Millionen Pferdekräfte aus der Wasserkraft gewinnen. Walchensee-Projekt, Mittlere-Isar-Projekt und so weiter. LZuruf:

Zur Sache!] Ich habe Interesse daran, eben zu hören und mich hier beleh­ren zu lassen in Vorträgen bei Herrn Dr. Steiner, wenn derartige große Dinge vorbereitet werden, wie man das zukünftig machen soll. Ist es zweckmäßiger, die Wege beizubehalten, die die maßgebende Regierung in Bayern bisher eingeschlagen hat, oder ist es richtiger und für das Volkswohl besser, die Wege einzuschlagen, die Dr. Steiner vorgeschlagen hat. Ich bin aufgrund dessen, was ich hier erfahren habe, zu der Überzeu­gung gekommen, daß es im Interesse des Volkswohles nur gelegen sein kann, wenn auf der Grundlage der Vorschläge des Herrn Dr. Steiner gearbeitet wird. Die Ideen Dr. Steiners müssen in allen Kreisen verbreitet werden. Ich glaube, daß leider verhältnismäßig sehr wenige von den mittle­ren und höheren Beamten, die nun einmal in das Schlepptau der bestehen­den Regierung geraten sind und die in sehr vielen Fällen, jedenfalls als Berater, bei der Aufstellung von Gesetzesentwürfen beigezogen werden, über die Sache unterrichtet sind. Ein Grund, warum die Sache langsamer vorwärtsgeht als man wünschen möchte, wenn man den Ernst der Sache kennt, liegt darin, daß die Menschen mit Furcht behaftet sind. Ich spreche heute hier in Stuttgart. Es ist fraglich, ob ich in meinem Heimatland das, was ich hier sage, ohne weiteres sagen dürfte, ohne dieses oder jenes zu riskieren. Aber man muß sich in der Jetztzeit über Menschenfurcht hinwegsetzen

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und nur nach dem sehen, was das Beste ist für die Allgemein­heit.

Herr Pjetzer: Wir dürfen nicht glauben, daß wir den Kapitalismus durch den WilLen dazu bewegen können, der Arbeiterschaft beizustehen. Das kann nur mit Gewalt, mit Kampf geschehen. Die Betriebsräte können wir wählen, aber was für eine Funktion und Aufgabe haben die Betriebsrä­te gegenüber der jetzigen Regierung, die doch vollständig das Heft in der Hand hat? Die Regierung schafft doch mit der kapitalistischen Gesell­schaft eng zusammen! Die Zersplitterung der Parteien besteht tatsächlich, aber ich bin mir klar, daß die Arbeiterschaft sich in ihrer Not einig ist. Aber wir haben alle den Egoismus im Kopf, und der ist auch bei den Parteiführern vorhanden. Ich bin überzeugt, daß man in den Parteien an nichts anderes denkt als: Wie kann ich auf einen Ministersessel oder an einen Parlamentssitz kommen? - Wir sollten Vertrauensleute wählen, die dann wieder zu entfernen sind, wenn wir die Gewißheit haben, daß sie der Allgemeinheit Schaden zufügen. Dann bin ich überzeugt, daß wir keine Parteien zu Herren machen.

Herr Lange: Man geheimnißt viel zuviel in die Dreigliederung, in die Sache von Dr. Steiner hinein, und man tut dieses und jenes hinzu, was er gar nicht gesagt hat. Wir sollten doch einfach einmal das Neue zu erfassen suchen! Einer der Redner hat gesagt, daß, wenn man einen Platz kaufen will, man Geld haben muß. Aber Dr. Steiner sagt, das Geld muß in den Wirtschaftskreislauf hinein, und der Boden ist Produktionsmittel; darauf kommt es an. In der neuen Ordnung muß jeder, der Lust und Liebe dazu hat, zu seiner Sache kommen. Der Herr aus Bayern hat mit Recht gesagt, wir können wirtschaftlich und technisch die Sache nicht so weit ausnützen, wie es möglich wäre. Warum denn nicht? Nur wegen dem leidigen Geld und weil das Geld heute eine solche Stellung hat, wie es hat? Seinen Leib zur Verfügung zu stellen, wie der Herr Vorredner sagte, das ist gar nicht so wichtig. Das Praktische besteht nicht darin, daß man sich erst totschlagen läßt. Dann ist man ja nicht mehr da und kann nicht mehr arbeiten. Man muß einsehen: Ich muß dasein, ich muß der Träger sein der richtigen Ideen, ich muß wirklich arbeiten und nicht denken, daß ich mich totschießen lassen muß. Daß die Parteien sich, wie die liebe Kirche, darüber zerwerfen: Wie ist die Sache wohl auf ein hun­dertstel Millimeter genau? - und zu dem Richtigen nicht kommen, das sieht man doch. Schiller hat gesagt: Ich gehöre keiner Kirche an - aus

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Religiosität. - So kann man heute sagen: Ich gehöre keiner Partei an. -Aber viele pendeln dann zwischen den Parteien hin und her.

Es handelt sich heute darum, daß man Betriebsräte schafft, und da fragt man nun: Was wird die Regierung sagen? - Das schert uns nicht, was die Regierung sagt, das ist ganz einerlei. Die Hauptsache ist, daß wir Betriebsräte aufstellen. Die Leute werden dann schon die Gesetze machen. Wir müssen erst einmal die Menschen haben, die die Wirtschaft vertreten können. Jetzt haben sie sich ja noch verkrümelt. Es ist keiner da, der wirklich Träger wäre der praktischen Erfüllung. Da sagt man immer: Das ist theoretisch, das kann man nicht verstehen. - Ich habe kürzlich vor Handlungsgehilfen geredet. Ich habe gesagt: Jetzt wollen wir durchgedrückt haben unsere Gehalts- und Lohnforderungen [...] Gestern haben die Leute darüber geredet, ich war nicht da, sie haben aber ohne weiteres begriffen: Wir müssen Betriebsräte haben, wir müssen Menschen haben, die wirklich bestimmen können, was mit dem Wirtschaftsleben werden soll. Darauf kommt es an, daß diese Leute, die in der Wirtschaft stecken, das Notwendige tun. Dann werden auch die Leute nicht mehr fragen: Was wird die Regierung sagen? Was wird uns passieren? - Es wird uns nichts passieren, sondern wir mussen bloß einsehen, wie einfach die Sache ist und nichts hineinlegen, was nicht vorliegt.

Dr. Unger: Der Gegenstand der heutigen Beratungen ist ja in erster Linie die Frage der Betriebsräte, in zweiter Linie, wie wir uns stellen können zu den Angriffen, die gegen die Ziele des «Bundes für Dreigliederung» erhoben werden. Da ist es wohl Pflicht, auch in diesem Kreise hinzuweisen auf etwas, was ich am letzten Dienstag im Siegle-Haus öffentlich vorge­bracht habe betreffend den Widerstand, der von seiten der Industrie in starkem Maße gegen die Wahl der Betriebsräte sich geltend macht. Nun beachten Sie, daß diese Industriellen sich mehr oder weniger entschlossen haben, die Betriebsräte selbstverständlich zunächst einmal abzulehnen. In zweiter Linie werden aber auch abgelehnt solche Industrielle, die etwa im «Bund für Dreigliederung» tätig sind, oder solche, die von sich aus zusammengehen wollen mit den übrigen Produktiv-Kräften zur Bildung von Betriebsräten. Über solche Mitglieder des «Bundes für Dreigliede­rung» wird von den Industriellen ein Ketzergericht abgehalten. Wir sehen also auf der einen Seite Parteien, die erklären, daß diejenigen, die die Dreigliederung des sozialen Organismus propagieren wollen, jetzt vor die Frage gestellt werden müssen, ob sie innerhalb der Partei bleiben können

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oder nicht. Auf der anderen Seite sehen wir die Industriellen, die ganz genau das Gleiche tun. Sie sehen Gewaltmaßregeln von rechts und von links gegen die Freiheit, gegen etwas, was die Gemüter, die Herzen, die Köpfe, den ganzen Menschen ergreifen kann als Weg aus dem Chaos heraus. Dagegen macht sich geltend das Gesetz, das mit Gewalt das Her­aufkommen einer Idee unterdrücken will. [Es folgen einige kritische Be­merkungen über die Haltung der Parteien und führender Wirtschaftskreise. Die Ausführungen schließen mit den Worten:] Ich möchte noch etwas erzählen, was sich vorige Woche ereignet hat. Wir hatten eine Versamm­lung, auf der ein Kommunist sagte: Ich habe das Auftreten von Herrn Dr. Steiner mit großem Interesse verfolgt. Aber ich mußte mir dann sagen, daß solche Theorien im Grunde genommen nicht sehr viel zu bedeuten haben. Nun sehe ich aber immer deutlicher, daß dieser «Bund für Dreigliederung» gar nicht bei der Theorie stehengeblieben ist, sondern eine Frage, die in Wahrheit eine Grundfrage der Gegenwart ist, nämlich die Frage der Betriebsräte, praktisch in die Hand nimmt. Seit ich dies erkannt habe, bin ich ganz einverstanden. Ich muß zugeben, daß hier in der Tat ein Entschluß vorliegt, zu praktischer Arbeit vorzuschreiten. -Nun, das war ein Geständnis, wie wir es brauchen können.

Ein weiterer Diskussionsteilnehmer meldet sich zu Wort: Als Arbeiter habe ich selbstverständlich das größte Interesse daran, daß die Frage der Betriebsräte in die Praxis umgesetzt wird. Die Reichsgesetzvorlage für die Begründung von Betriebsräten stellt weiter nichts als Schattenbilder dar. [...] Die Abneigung der Parteien gegen die Dreigliederung be­steht in erster Linie darin, daß sie das Gefühl haben, die Arbeiterschaft werde vom Klassenkampf abgezogen. Wir stehen aber doch trotzdem auf diesem Boden des Klassenkampfes und werden auch da unsere Interessen zu vertreten wissen. Vorläufig müssen wir es eben zu praktischen Ergeb­nissen bringen, und das ist die Wahl der Betriebsräte. Die Frage der Betriebsräte ist auch die Frage des Klassenkampfes. Sie ist sogar die aller­praktischste Frage, und wir müssen alles tun, um so schnell wie möglich Betriebsräte zu schaffen. Wenn die Gesetzesvorlage durchkommt, dann bleibt der alte Kapitalismus bestehen. Aus der ganzen Opposition und den Stellungnahmen von rechts und links müssen wir unsere Lehren zie­hen. Wie können wir das machen? Da gibt es nur eine Antwort: Wir wählen unsere Betriebsräte trotz aller Anfeindungen. Wir propagieren doch den Gedanken der Betriebsräte, weil er der einzige wahre Ausweg

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aus dem Chaos ist, aus dem wir ohne praktische Arbeit nicht herauskom­men können.

Herr Navrocki aus Berlin-Friedrichshagen: Verehrte Volksgenossen! Wenn ich mir gestatte, einige Ausführungen zu machen, so möchte ich Ihnen zunächst sagen, daß für mich, bevor ich hierher kam, das zur Diskussion stehende Problem Neuland war. Aber als Proletarier, der mit den Massen zusammen denkt und fühlt, war es für mich klar, daß dieses Problem, wenn es wirklich ergriffen werden soll, nicht als Parteiprogramm behandelt werden kann, sondern, wie Herr Dr. Steiner gesagt hat, aus dem Leben selbst heraus ergriffen werden muß. [Nach einigen kritischen Bemerkungen über das bisherige Vorgehen der Parteien schließt Herr Navrocki seine Ausführungen mit den Worten:] Mehrere Redner haben gesagt: Wir müs­sen zur Tat übergehen. - Diese Tat kann aber nur sein, über das Regie­rungsprogramm hinwegzugehen und zu beweisen, daß es möglich ist, unser Programm durchzuführen. Das Notwendigste und Wichtigste dabei ist aber, daß alle diejenigen, die sich mit ganzer Seele diesem Programm hingeben, weil sie überzeugt sind, daß nur durch die Verwirklichung dieses Programmes etwas Sinnvolles geschaffen werden kann, sich auch ganz dafür einsetzen. Es können das nur Leute sein, die proletarisch denken und fühlen. Nur derjenige, der Fühlung mit der Masse hat und vielleicht selbst durch die proletarische Elendsschule gegangen ist, dem wird es auch am Herzen liegen, daß das Proletariat auch aus dem Elend herausgeführt wird. Der wird einsehen müssen, daß nur nach der Richtung gearbeitet werden kann, daß alle Menschen zu hohen Menschheitsgedan­ken hinaufgeführt werden. In dieser Höhe sind die Gedanken auch ent­standen, und wir sind nur diejenigen, die hinausgehen müssen, um dieses Programm zu verwirklichen.

Herr Jansen: Ich will der erste sein, der Mitteilung macht über den Stand der Wahlen für die Einführung der Betriebsräte. Wenn nicht eine Arbeiter-gruppe in unserem Betrieb eine separate Haltung eingenommen hätte, könnten wir Ihnen sagen, daß heute die Wahl der Betriebsräte stattgefun­den hat. Wir haben am letzten Montag mit unserer Direktion über die Einführung der Betriebsräte verhandelt. Wir haben ihr die verschiedenen Gesichtspunkte unterbreitet und haben gesagt: Die Ablösung ihrer Privat-rechte ist der Zweck der Einführung der Betriebsräte. Wir wollen den Privatkapitalismus ablösen, und deshalb wollen wir Betriebsräte wählen. -

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Der Direktor hat zuerst ein komisches Gesicht gemacht, aber er ist ein gemütlicher und vernünftiger Mann und hat sich mit der Tatsache abge­funden. Er sagte: Nun ja, ob wir nun die Wahl der Betriebsräte etwas früher vornehmen, als es gesetzlich geschieht, das kann mir egal sein. Beraumen Sie die Wahl in Gottes Namen an. - Dies als Mitteilung. Die eine Gruppe von uns, welche sich noch nicht dazu bequemen konnte, Stellung zu nehmen, wird sich am Montag verantworten müssen, so daß am Mittwoch so oder so die Wahl vor sich gehen wird.

Aus Besprechungen mit Kollegen und auch mit anderen ist zu entneh­men, daß die Leute das Gefühl haben, die Einführung der Betriebsräte sei ein Weg, der ins Dunkle führt. Es gibt eine Unmenge von Menschen, die es nicht gewohnt sind, selbständig zu denken und zu handeln. Sie wünschen und wollen gar nicht, daß sie in irgendeiner Form etwas tun oder lassen sollen. Von vorneherein wollen sie bis in die letzten Kleinig­keiten hinein die Folgen ihrer Handlungen unterbreitet haben. Weil aber von den Betriebsräten verlangt wird, daß sie, nachdem sie gewählt sind, die Verpflichtung und Verantwortung haben, das Betriebsleben und das Wirtschaftsleben in die Bahnen zu bringen, welche für das proletarische Wohl und das Wohl der gesamten Volksgenossen maßgebend sein sollen, schrecken sie zurück. Es sei dies zuviel zugemutet. Wahrhaftig, man kann es verstehen. Seit Jahr und Tag ist organisiert, ist geleithammelt worden. Wir dürfen nicht darüber hinwegsehen. Seit Jahrzehnten hat der größte Teil unserer Arbeitskollegen sich nicht aufraffen können, einen selbständi­gen Gedanken zu fassen oder zu einer selbständigen Tat zu kommen. Sie brauchen überall Stütze und Führung. Der Widerstand und die Abnei­gung seitens eines Teiles der Arbeiterschaft ist hierauf zurückzuführen. Eine gewisse Interesselosigkeit herrscht da, verbunden mit einer großen Bequemlichkeit. Man kann mit Herrn Dr. Steiner auch sagen: Denkfaul­heit. Dagegen müssen wir angehen.

Immer noch steht die Lohnfrage bei den Arbeitskoliegen zu sehr im Vordergrund. Spricht man von Betriebsräten, so heißt es gleich: Bekom­men wir dann mehr Lohn? - Wenn wir sagen könnten, zwei Mark am Tag mehr, dann hätten wir lauter Freunde. Weil wir aber sagen: Kollegen, richtet einmal den Blick vorwärts! Wenn ihr heute durch Kampf erreicht, daß ihr eine Mark mehr bekommt, müßt ihr morgen eine Mark fünfzig mehr ausgeben. Es ist eine ewige Schraube. Das eine treibt das andere. Eure Lebenslage wird immer schlimmer. Auf einmal seid ihr so weit, nicht mehr existieren zu können.

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Herr Lorenz: Sämtliche Vertrauensleute respektive Ausschußmitglieder sollten es als erste Pflicht erachten, so schnell wie möglich ihr Wollen in die Tat umzusetzen, besonders indem sie in den Betrieben, in denen von der Sache noch nichts bekannt ist, für die Idee wirken. - Bei uns ist seit einem Monat ein Betriebsrat eingerichtet. Natürlich, solange die Betriebsräte nur in einzelnen Firmen eingeführt sind, ist es zwecklos. Wir müssen so schnell wie möglich die Betriebsräte hier sammeln, damit eine Urversammlung abgehalten werden kann.

Herr Baumann: Von den Parteien, besonders von den Führern, wird immer wieder der Vorwurf erhoben: Dr. Steiner ist kein Marxist. Er steht nicht auf dem Boden des Marxismus. Also können wir uns nicht mit ihm abgeben. - Diese Bemerkung kommt mir so vor, als sei sie von Leuten gemacht, die auf dem Standpunkt stehen, daß sie die Knochen eines Heiligen verehren. Es muß einmal ausgesprochen werden, daß sehr viele Parteigenossen Knochenanbeter oder Fetischanbeter sind, weil sie sich nur an die alten Dinge halten wollen. Marx sagt in seinem Manifest:

Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! - Wenn Marx heute sprechen könnte, würde er mit glühenden Worten darauf hinweisen, nicht die Par­teien in zersplitterter Art in den Vordergrund zu stellen, sondern sie zu benutzen als Sammelbecken, damit etwas durch sie geleistet wird. Er würde sagen: Wenn ihr euch nicht einmal in Deutschland einigen könnt, geschweige denn in der ganzen Welt, dann seid ihr nichts Besseres wert, als daß der Kapitalismus auf euch herunterspuckt. - Nicht in Knochenan­betung sollen wir uns hineinstellen, sondern in die lebendige Gedanken-wirkung, in die Gedanken, die uns von Dr. Steiner gewiesen werden. Marx würde sagen: Wenn nach mir einer kommt, der etwas Neues bringt und er heißt nicht Marx, sondern Steiner, dann haltet euch an den lebendi­gen Geist und nicht an die alten Knochen.

Herr Conradt: Es ist viel gegen die Dreigliederung gesagt worden, beson­ders aber, daß die Idee nicht in die Wirklichkeit umgesetzt werden könnte. Seitdem die Frage der Betriebsräte ins Rollen gekommen ist und man sachliche Einwände nicht bringen kann, hat man zu bequemeren Kampf-mitteln gegriffen, indem man in den Parteien Unwahrheiten in Umlauf gebracht hat. Eine dieser Unwahrheiten war, daß diejenigen, die sich für die Idee der Dreigliederung einsetzen, Geld dafür bekämen. Der das aus­sprach, sagte: Aus Reinlichkeitsgründen müsse die Partei solche Leute hinausschmeißen. - Was soll man denn aus Reinlichkeitsgründen mit de­nen

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tun in der Partei, die zu Mitteln der Verleumdung greifen müssen? Als dem betreffenden Redner Herr Gönnewein eine Abfuhr erteilte und sagte, es suche keiner den anderen hinter dem Ofen, wenn er nicht selber dahinter gesessen hätte, da griff der Redner zu einem Wort, das das richtige war in diesem Fall, er rief «Gemeinheit!». Nur fällt das Wort eben auf ihn zurück, da er mit solch einem Vorwurf an uns herangetreten ist. So steigern sich die Widerstände, die wir erfahren. Erst sind es unsach­liche Einwände, dann Gemeinheiten. Was folgen wird, werden wir ja sehen. Wir müssen die Frage der Dreigliederung unbedingt mit denen diskutieren, die eine Diskussion bisher gescheut haben. Trotzdem der Führer der USP gesagt hat, man soll nicht in jeder Versammlung von der Dreigliederung sprechen, denke ich doch, daß wir in den Parteiver­sammlungen die Sache in Schwung bringen können. Das ist die richtige Art, uns zu rechtfertigen, nicht vor Konventikeln, sondern vor der Allge­meinheit.

[Es wird die folgende Resolution verlesen und einstimmig angenommen:]

Resolution

Die am 14. Juni stattgefundene Versammlung vieler Arbeiter-und Angestelltenausschüsse Groß-Stuttgarts erblickt trotz aller Anfeindungen seitens der Unternehmerverbände, Gewerk­schaften und Parteiführer in der Dreigliederung des sozialen Organismus den richtig praktischen Weg zur Gesundung un­seres gesamten Volkslebens.

Die Versammlung erkennt in den gesetzlich vorgesehenen Be­triebsräten lediglich ein Schattengebilde derselben, welche nie­mals in der Lage sein werden, einen Einfluß auf die Sozialisie­rung zu gewinnen, und hat deshalb kein Interesse an der Wahl und Einrichtung solcher Schattenbetriebsräte.

Rudolf Steiner: Es ist ja in der heutigen Diskussion nur Zustim­mung zum Ausdruck gebracht worden. Daher werde ich mich in meinem Schlußwort recht kurz fassen können und nur einige Be­merkungen machen.

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Sehen Sie, es ist gut, wenn man angesichts solcher Tatsachen, wie sie heute ja vielfach besprochen wurden und die hemmend wirken auf das, was man im Sinne der fortschreitenden Sozialisie­rung der Menschengemeinschaft machen will, wenn man angesichts solcher Tatsachen doch wirklich hinschaut auf die ganze Gesin­nung, auf, ich möchte sagen, die ganze Seelenverfassung, aus der so etwas hervorgeht. Man sollte sich in einem so ernsten Augen­blick, wie der jetzige ist, keine Illusionen machen oder irgend etwas vormachen lassen. Sie werden vor einigen Tagen einen son­derbaren Artikel gelesen haben. Ich glaube, er war im «Sozialde­mokrat». Darin ist gesprochen worden von einem «Schieben und Ziehen hinter den Kulissen». Dem liegt zugrunde, daß gegründet worden ist eine sogenannte «Daimler~Werk~Zeitung». In dieser «Daimler-Werk-Zeitung» soll stehen, daß seitens der Betriebsdirek­tion keine Neigung, kein Vertrauen besteht, um mit der Arbeiter­schaft mündliche Verhandlungen zu führen. Daher versucht man, eine Werkzeitung einzurichten. Wenn man da liest, was der eine oder andere schreibt, so würde vielleicht besser eine Verständigung möglich sein. Nun, ich habe das im «Sozialdemokrat» gelesen. Es erinnert mich daran, daß es ja auch wohl vorkommt, daß Leute, die zusammen in einer Familie leben, sich nicht recht verständigen können, und dann schreiben sie sich, obwohl sie in einer Wohnung leben, gegenseitig Briefe. Aber davon abgesehen, es wird dann hingewiesen darauf, daß da hinter den Kulissen sehr viel gearbeitet worden ist, wahrscheinlich zwischen mir - es wird deutlich darauf hingewiesen - und zwischen Herrn Muif, der seines Zeichens Major sein soll, und zwischen Herrn Direktor Dr. Riebensam.

Aber sehen Sie, von dieser Daimler-Werk-Zeitung habe ich das erste Mal gehört durch den Artikel des «Sozialdemokrat». Von Herrn Muff, mit dem ich konferiert haben soll, wußte ich bis dahin nichts. Ich kenne ihn gar nicht. Herr Dr. Riebensam war an verschiedenen öffentlichen Versammlungen, und ich habe zu­weilen im Anschluß an diese Versammlungen ganz öffentlich mit ihm gesprochen. Darüber hinaus aber habe ich niemals eine Zu­sammenkunft mit ihm gehabt. Wir sind uns lediglich in einigen

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Versammlungen, die ja nicht gerade der Ort waren, um besondere Verschwörungen gegen die Stuttgarter Arbeiterschaft oder gegen die Daimlerarbeiter im besonderen zu pflegen, begegnet. Es stan­den ja überall Arbeiter der Daimlerwerke herum, denn es waren zumeist Versammlungen der Daimler-Arbeiterschaft selber. Sie se­hen, diese Dinge gehen aus merkwürdigen Gesinnungsuntergrün­den hervor, und man muß schon sehr aufmerksam sein, damit man die Sache in der richtigen Weise sieht.

Dann möchte ich noch darauf hinweisen, wie merkwürdig von dieser oder jener Stelle gedacht wird. Ich war einmal auf einer Zusammenkunft, wo über Sozialisierung geredet wurde, und zwar so, daß letztlich nichts dabei herauskommen konnte. Auf die Sache selber kann ich jetzt nicht eingehen. Nun, da war auch ein Ge­werkschaftsführer, der sagte: Wir können uns mit dieser Sache von der Dreigliederung nicht einverstanden erklären. - Ich dachte, der Mann würde mir nun auseinandersetzen, was er für Gründe gegen die Dreigliederung hat. Da hatte ich mich aber verrechnet. Er wußte davon gar nichts. Wohl aber sagte er: Ja, wissen Sie, Sie haben da ein Flugblatt herausgegeben, da steht der Herr und der Herr darunter, und wenn Sie in solcher Gesellschaft sind, wollen wir mit Ihnen nichts zu tun haben. - Sehen Sie, da ist die Verurteilung, die vielleicht jetzt große Dimensionen angenom­men hat. Die geht doch von ganz merkwürdigen Gesinnungsunter­gründen aus. Ich meine, es wäre schon ganz gut, gerade um die Impulse aufzubringen, um die zunächst wichtigen Dinge zu tun, wenn man solchen Dingen, die ja eigentlich aus recht trüben Un­tergründen heraufspielen - ich könnte auch sagen: heraufgespült werden -, wenn man solchen Dingen ganz illusionsfrei ins Auge schauen würde. Denn wir stehen heute in einer so ernsten Zeit und haben es nötig, die Dinge, die wir tun, in so ernster Weise in Angriff zu nehmen, daß wir uns schon entschließen müssen zu der Ansicht, daß nur der vorwärtskommt, der mit reinlichen Mitteln und aus einer reinlichen Gesinnung heraus arbeitet.

Meine werten Anwesenden, mit nicht reinlichen Mitteln und einer nicht reinlichen Gesinnung ist leider in den letzten Jahrzehn­ten

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überall in der Welt recht recht viel gearbeitet worden, und die Welt hat es durch diese Art, mit unreinlicher Gesinnung und unreinlichen Mitteln zu arbeiten, zuletzt zu dem großen Morden gebracht. Wollen wir aus dem, in das wir hineingeraten sind, wirklich herauskommen, dann brauchen wir eine moralische Kraft und Mut. Das ist es, was ich ganz unverhohlen aussprechen möch­te, insbesondere, weil es mich ganz besonders freuen würde, wenn man jenen Menschen, die so oft mit unreinlichen Mitteln gearbeitet und dies, vermöge ihrer gesellschaftlichen Stellung, verschleiert ha­ben, einmal entgegenhalten würde, daß diejenigen, die sie bis jetzt unterdrückt haben und in denen das Bewußtsein ihrer Menschlich­keit jetzt erwacht ist, nur mit reinen Mitteln arbeiten und ihnen zeigen wollen, wie sie es hätten machen sollen. Es würde mich sehr freuen, wenn man gerade von dem deutschen Proletariat ein­mal wird sagen können, daß es auch in bezug auf die Wahl der Mittel ein Vorbild für die Welt sein kann. Ich glaube, daß in der nächsten Zeit von solchen Dingen sehr sehr viel abhängen wird. Wenn man die internationalen Verhältnisse betrachtet - man braucht nur ein wenig über die Grenzen zu schauen -, so zeigt es sich sofort, daß man in der Welt darauf wartet, daß nun endlich einmal in einem anderen Ton in diesem Deutschland gesprochen wird, als gesprochen wurde bis zum Jahre 1914 und nach 1914. Aber nicht nur diejenigen in Deutschland, die noch denken kön­nen, sondern auch jene in der Welt, also außerhalb Deutschlands, die glauben nicht an das, was an Positivem von Deutschland kommt, solange die Fortsetzer des alten Wesens obenauf sind. Auf diese Dinge kommt sehr viel an. Und deshalb darf auch der Mut nicht fehlen, damit, trotz der jetzigen Regierung und trotz aller Parteiführerschaft, diejenigen aufstehen, deren Namen bis jetzt nicht genannt sind. Daß sie also aufstehen, sich aus der breiten Masse der Menschheit herausheben und sagen: Wir sind da! - Schaffen Sie daher die Betriebsräteschaft in vernünftiger Weise, denn ich glaube daran, daß die Betriebsräteschaft zum er­sten Mal der Boden sein kann dafür, daß neue Menschen an die Oberfläche kommen, die aus ganz anderen Untergründen heraus

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urteilen als diejenigen, die jetzt das eigentümliche Schauspiel der Regiererei der Welt zeigen.

Es ist eine nationale und eine internationale Angelegenheit, um die es sich handelt. Betrachten Sie solch eine Frage wie die der Betriebsräte von einem möglichst hohen Standpunkt aus. Versu­chen Sie, damit zum ersten Mal etwas zu schaffen, was vor einem hohen Standpunkt bestehen kann, dann werden Sie - wenn es auch scheinbar nur ein Anfang ist, es wird aber ein Anfang zu etwas Großem sein -, dann werden Sie etwas Großes geschaffen haben. Man darf nicht kleinmütig sein und sagen: Wir haben nicht die Menschen, die Proletarier sind in ihrer Bildung noch nicht so weit, wir müssen warten. - Wir können nicht mehr warten, wir müssen handeln, und wir müssen schon den Mut haben, die Betriebsräteschaft auf die Beine zu stellen, damit sie da ist. Dann werden aus ihrer Mitte heraus die Menschen an die Spitze kom­men, die bisher noch nicht in Erscheinung treten konnten. Das ist ja gerade das Wichtige, daß wir Menschen an die betreffenden Stellen bringen, an die sie hingehören. Denn jene, die bisher in Erscheinung getreten sind, die haben recht deutlich gezeigt, daß sie ausgespielt haben. Wir brauchen einen neuen Geist, ein neues System menschlichen Wirkens. Hierüber müssen wir uns ganz klar sein. Das müssen wir uns ganz gründlich in die Seele schrei­ben. Nehmen wir die Sache mutig in die Hand, dann werden wir vorwärtskommen. Deshalb möchte ich immer wieder und wieder­um sagen: Lassen wir es darauf ankommen, stellen wir die Be­triebsräte auf die Beine! Ich zweifle nicht daran, daß sich dann in dieser Betriebsräteschaft diejenigen finden werden, die etwas Vernünftiges über den Fortgang der Menschheitsentwicklung zu sagen haben. Denn, wollte man daran zweifeln, dann müßte man an der Menschheit überhaupt verzweifeln, und das will ich nicht.

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FÜNFTER DISKUSSIONSABEND Stuttgart, 24. Juni 1919

Vorsitzender Herr Gönnewein: Im Namen des «Bundes für Dreigliede­rung» eröffne ich hiermit den heutigen Diskussionsahend und heiße Sie hierzu herzlich willkommen. Ich nehme an, daß uns der heutige Abend einen Schritt weiterführt. In verschiedenen Betrieben sind schon Betriebs-räte gewählt worden, und am heutigen Abend wird diesen Betriebsräten die Gelegenheit gegeben, hier alles das zum Ausdruck zu bringen, was sie zu sagen haben, und ferner Fragen zu stellen, damit sie von Dr. Steiner eingehend behandelt werden können, damit etwaige Zweifel besei­tigt werden. Die heutigen Ereignisse zwingen uns mehr denn je, uns eingehend mit dem zu befassen, was uns die kommende Zeit bringt. Deshalb nehme ich an, daß alle Anwesenden von der Diskussion ausgiebig Gebrauch machen werden. Ich erteile das Wort zur Eröffnung Herrn Dr. Steiner.

Einleitende Worte

Rudolf Steiner: Meine werten Anwesenden! Ich will, wie das auch sonst in diesen Versammlungen geschehen ist, zunächst nur eine kurze Einleitung vorausschicken und hoffe, daß alles, was an Wichtigem heute zu besprechen ist, in der Diskussion zur Sprache kommt.

Wir haben uns ja jetzt wiederholt hier versammelt, um die Frage der Betriebsrätewahl zu besprechen, und wir haben versucht, uns in diesen Versammlungen klarzumachen, von welchem Ge­sichtspunkt aus die Betriebsrätefrage hier zu behandeln ist, wie sie zu behandeln ist vom Standpunkt des dreigliedrigen sozialen Organismus aus.

Dieser dreigliedrige soziale Organismus soll ja das gesamte ge­sellschaftliche Leben gliedern in die drei Teile, nämlich in den wirtschaftlichen, den rechtlichen oder staatlichen und den geistigen Unterorganismus. Also dasjenige, was bisher chaotisch zusammen­geschmolzen war zu einem Einheitsstaat, das soll in seine naturgemäßen

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drei Glieder zerteilt werden. Man kann nun fragen: Warum soll denn dies eigentlich geschehen? - Es soll geschehen, weil die bisherige geschichtliche Entwicklung selbst nach dieser Dreigliede­rung drängt. So zeigt uns diese geschichtliche Entwicklung der Menschheit, daß sich gerade im Laufe der drei bis vier letzten Jahrhunderte, insbesondere aber im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, alles, was menschliche Beziehungen sind, zusammen-geschoben hat in den Einheitsstaat und daß wir gerade dadurch, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse mit den staatlichen und den geistigen Verhältnissen zusammengeschoben haben, in die Ka-tastrophen hineingeraten sind. Bevor man nicht einsehen will, daß es nur möglich ist, in bezug auf eine Gesundung der Verhältnisse und damit auch in der Entwicklung der Menschheit, weiterzukom­men dadurch, daß man diesen Einheitsstaat in die drei Teile glie­dert, wird man überhaupt mit gar nichts, weder mit der Sozialisie­rung noch mit der Demokratie irgendwie weiterkommen können. Daher haben wir auch hier die Betriebsrätefrage vom Standpunkte des selbständigen Wirtschaftslebens aus ins Auge gefaßt. Sehen Sie, Sie können am leichtesten die Notwendigkeit der Gliederung des bisher verfehlten Einheitsstaates in die drei Glieder einsehen, wenn Sie erkennen, wie sich alles im Wirtschaftsleben unterschei­det vom eigentlich staatlichen und geistigen Leben. Im Wirtschafts­leben ist alles einerseits den Naturbedingungen unterworfen. Diese sind mal so, mal so und unterliegen Veränderungen. Auch spielt die Bevölkerungszahl eine Rolle. Dann hängt im Wirtschaftsleben alles davon ab, daß sich die Menschen in gewisse Berufszweige, Berufsstände gliedern. Ferner ist im Wirtschaftsleben ein indivi­dueller, ein persönlicher Faktor enthalten, das ist die Summe der menschlichen Bedürfnisse. Nicht wahr, es ist ja leicht einzusehen, daß die Summe der menschlichen Bedürfnisse die Menschen zu einer Art Maschine des gesellschaftlichen Lebens machen würde, wenn man irgendwie regeln wollte die Bedürfnisse des einzelnen. Daher finden Sie ja auch in der sozialistischen Anschauung und schon bei Marx deutlich ausgesprochen, daß im wirklichen soziali­stischen Gemeinwesen eine Normierung, eine Regelung der Bedürfnisse

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des einzelnen nicht stattfinden soll. Der eine hat die Bedürfnisse, ein anderer jene, und es kann nicht darum gehen, daß man von irgendeiner Zentralstelle aus den Menschen vor­schreibt, welche Bedürfnisse sie haben sollen, sondern darum, daß man aus dem Leben heraus die Bedürfnisse ergründet und durch die Produktion dafür sorgt, daß die Bedürfnisse wirklich befriedigt werden können.

Wenn man so das ganze Wirtschaftsleben überblickt, dann wird man schon darauf kommen, daß im Wirtschaftsleben alles beruhen muß auf dem Vertragsprinzip. Alles das, was das Wirtschaftsleben ausmacht, beruht ja, oder soll innerhalb eines sozialen Gemeinwe­sens beruhen, auf Leistung und Gegenleistung. Diese Tatsache liegt ja heute auch den Forderungen der Proletarier zugrunde, da man festgestellt hat, daß dieser Tatsache heute noch keineswegs Rechnung getragen wird, nämlich daß der Leistung eine Gegenlei­stung entsprechen muß. Heute herrscht immer noch das Prinzip vor, daß man aus der Menschenarbeit dasjenige herausholt, was man für sich braucht oder zu brauchen glaubt, ohne daß man dafür eine Gegenleistung zu liefern braucht. Daher kommt heute in den Forderungen der proletarischen Massen zum Ausdruck, daß es in Zukunft nicht mehr die Möglichkeit geben soll, daß man seine Bedürfnisse aus den Leistungen der arbeitenden Bevöl­kerung befriedigt, ohne daß diese eine Gegenleistung erhält. Man muß sich darüber im klaren sein, daß es im Wirtschaftsleben im­mer auf die konkreten Verhältnisse ankommt, also auf die Natur-bedingungen, die Art der Berufe, die Arbeit, die Leistung. Man kann nur wirtschaften, wenn man Zusammenhänge herstellt zwi­schen den verschiedenen Arten von Leistungen. Es kann nicht immer alles in gleicher Weise verwertet werden, was heute geleistet wird. Es müssen auch Leistungen, die erst in der Zukunft erbracht werden, vorausgesehen werden. Ja, man müßte da noch vieles sagen, wenn man das Wirtschaftsleben in dieser Weise vollständig charakterisieren wollte.

Weil also alles im Wirtschaftsleben auf Leistung und Gegenlei­stung beruhen muß und weil diese beiden von verschiedenen Dingen

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abhängig sind, muß im Wirtschaftsleben alles beruhen auf dem Vertragsprinzip. Wir müssen in Zukunft Genossenschaften, Assoziationen im Wirtschaftsleben haben, welche ihre gegenseiti­gen Leistungen und Gegenleistungen gründen auf das Vertrags­prinzip, auf die Verträge, die sie miteinander schließen. Dieses Vertragsprinzip muß das ganze Leben und insbesondere das Leben innerhalb der Konsumgenossenschaften, Produktionsgenossen­schaften und Berufsgenossenschaften beherrschen. Ein Vertrag ist immer irgendwie befristet. Wenn keine Leistungen mehr erbracht werden, dann hat er keinen Sinn mehr, dann verliert er seinen Wert. Darauf beruht das ganze Wirtschaftsleben.

Auf etwas fundamental anderem beruht das Rechtsleben. Es beruht darauf, daß in demokratischer Weise alle diejenigen Maß-nahmen getroffen werden, durch die jeder Mensch mit Bezug auf -die Menschenrechte jedem anderen gleich ist. Zu den Menschen­rechten gehört auch das Arbeitsrecht. Dafür kann jeder mündig gewordene Mensch eintreten. Jeder Mensch, der mündig geworden ist, kann teilnehmen - entweder direkt auf dem Wege eines Refe­rendums zum Beispiel oder indirekt durch Wahl beziehungsweise durch eine Volksvertretung - an der Festsetzung derjenigen Rech­te, die unter gleichen Menschen zu herrschen haben. Daher herrscht auf dem Rechts- oder Staats- oder politischen Boden nicht der Vertrag, sondern das Gesetz. Gesetze werden in der Zukunft zum Beispiel auch die Arbeitsverhältnisse regeln. So wer­den durch Gesetze festgelegt sein Zeit, Maß und Art der Arbeit, während das, was dann innerhalb der gesetzlich festgelegten Ar­beitszeit zu leisten ist, durch Verträge innerhalb des Wirtschafts-körpers geregelt wird.

Von ganz anderer Art ist wiederum das Geistesleben. Das Gei­stesleben beruht darauf, daß in ihm die Menschheit ihre Fähigkei­ten entwickeln kann für das Staats- und Wirtschaftsleben. Das ist aber nur möglich, wenn man im Geistesleben die Grundlage dafür schafft, daß man die sich entwickelnden menschlichen Fähigkeiten, die ja dem Menschen nicht mit der Geburt einfach gegeben sind, sondern erst entfaltet werden müssen, sachgemäß zur Entwicklung,

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zur Entfaltung bringt. Es würde ein großer Irrtum sein, wenn man glaubt, daß die geistigen und auch die physischen Fähigkeiten

- letztere sind ja im Grunde genommen gleichwertig den geistigen

- auf dieselbe Weise erkannt und gepflegt werden könnten wie die staatlichen und wirtschaftlichen Dinge. Das, was sich zum Beispiel auf Erziehung und Unterricht bezieht, das kann weder beruhen auf Verträgen noch auf Gesetzen oder Verordnungen, sondern es muß beruhen auf Ratschlägen, die gegeben werden zur Entwicklung der Fähigkeiten.

Ja, diese drei Lebensgebiete, das Geistesleben, das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben sind doch sehr verschieden, so daß ihre Vermischung nicht nur eine völlige Unmöglichkeit ist, sondern für die menschliche Entwicklung ein großes Unheil bedeutet. Un­sere gegenwärtige Verwirrung, die sozialen Übelstände sind eben durch diese Vermischung entstanden. Wenn wir uns nun einlassen auf ein solches Problem wie die Begründung von Betriebsräten, müssen wir eben zunächst erst einmal verstehen, aus welchem der drei Lebensgebiete heraus die entsprechenden Maßnahmen zu er­greifen sind.

Sehen Sie, Sie finden mit Recht im Marxismus die Auffassung, daß in einem sozialen Gemeinwesen jeder nach seinen Fähigkeiten und nach seinen Bedürfnissen versorgt sein muß. Aber hier stellt sich nun die Frage: Welches ist der Weg dahin, um innerhalb der menschlichen Gesellschaft jeden wirklich nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen zu versorgen? - Der Weg, um jeden in bezug auf seine Fähigkeiten zu seinem Rechte kommen zu lassen, ist der über ein vollständig freies, vom Wirtschafts- und Staatsleben unabhängiges Geistesleben mit dem Erziehungs- und Schulsystem. Und die Möglichkeit, jeden in bezug auf seine Bedürfnisse zu seinem Recht kommen zu lassen, ist nur gegeben in einem selb-ständigen Wirtschaftsleben. Dazwischen liegt dann das, was im Marxismus vergessen worden ist, das Rechtsleben, das es zu tun hat mit dem, was weder im Wirtschaftsleben noch im Geistesleben zum Ausdruck kommt, sondern was einfach davon abhängt, daß man ein mündig gewordener Mensch ist und innerhalb eines in

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sich geschlossenen Gebietes ein Verhältnis entwickelt zu jedem mündigen Bürger. Das, was ich im Wirtschaftsleben tue, das unter-liegt den Gesetzmäßigkeiten der Warenproduktion, der Warenzir­kulation und der Warenkonsumtion. Wie ich im Wirtschaftsleben arbeite, das unterliegt dem Recht. Diese Unterscheidung, die muß von nun an in fundamentaler Weise gemacht werden. Nur dadurch kommt man überhaupt über dasjenige hinaus, was man heute Ka­pitalismus nennt und was das heutige Lohnsystem ausmacht. Denn dadurch, daß das Kapital und das Lohnsystem Bestandteile des Wirtschaftslebens sind, wird tatsächlich alles das untergraben, was das Wirtschaftsleben zu einer Gesundung führen könnte. Aber man sollte nur nicht glauben, daß die Dinge wirklich so einfach liegen, wie sich das viele Leute heute noch vorstellen. Doch wenn wir beginnen werden, zunächst mit den Betriebsräten und dann mit den Wirtschaftsräten, eine wirklich positive Arbeit zu leisten, dann wird es sich zeigen, daß diese Arbeit eine große, eine umfas­sende sein wird. Zu den schwierigsten Aufgaben innerhalb der sogenannten Sozialisierung gehört, herauszufinden, wie innerhalb der sozialen Ordnung Leistung und Gegenleistung in der richtigen Weise reguliert werden können. Und den ersten Anfang mit dieser Regulierung, also mit der wahren Sozialisierung, werden die Be­triebsräte zu machen haben. Das bedeutet, daß den Betriebsräten ein großes, ganz fundamentales Ziel gesteckt ist, denn sie werden zum ersten Male Ernst machen müssen mit dem, wovon die ande-ren nur in Phrasen reden: mit der Sozialisierung. Das, was sich die Leute heute zumeist unter Sozialisierung vorstellen, das ist zum großen Teil nicht nur keine Sozialisierung, sondern bestenfalls eine Art Fiskalisierung. In einigen Fällen liegen überhaupt keine klaren Gedanken und Vorstellungen vor.

Viele Leute stellen sich heute die Sache eben, wie gesagt, viel zu einfach vor, was auch damit zusammenhängt, daß die Wirt­schaftswissenschaft und überhaupt die Wissenschaft vom menschli­chen Zusammenleben - verzeihen Sie den Ausdruck - noch in den Windeln liegt, ja noch nicht einmal das, denn sie ist eigentlich noch gar nicht geboren. Man sagt nun zwar mit vollem Recht:

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In der Zukunft soll nicht produziert werden, um zu profitieren, sondern es soll produziert werden, um zu konsumieren. - Das ist ganz richtig, denn man will damit ausdrücken, daß es darauf ankommt, daß jeder das bekommt, was seinen Bedürfnissen ent­spricht. Aber damit wäre noch kein gesundes Gemeinwesen ge­schaffen. Dieses ist erst dann gegeben, wenn der Leistung eine Gegenleistung gegenübersteht, wenn also der Mensch geneigt ist, für das, was die anderen für ihn arbeiten, für ihn erzeugen und n ihn liefern, eine entsprechend gleichwertige Gegenleistung zu erbringen. Und gerade dieses Problem ist eben sehr schwierig zu behandeln, was Sie auch daraus ersehen können, daß die gegenwär­tige Wissenschaft noch gar keine irgendwie konkrete Vorstellung und auch keine konkreten Vorschläge hierzu hat beziehungsweise machen kann. Sie finden heute bestenfalls den Vorschlag, an die Stelle des bisherigen Staates den Wirtschaftsstaat, eine Art großer wirtschaftlicher Genossenschaft, zu stellen.

Aber sehen Sie, dabei übersieht man, daß es unmöglich ist, einen Wirtschaftskörper, wenn er über eine bestimmte Größe hin­ausgeht und zu verschiedene Wirtschaftszweige umfaßt, zentrali­stisch zu verwalten. Das aber würden die Leute erst einsehen, wenn sie tatsächlich den sogenannten Wirtschaftsstaat eingerichtet haben. Dann würden sie schon sehen, daß die Sache so nicht geht. Die Sache muß eben in ganz anderer Weise geregelt werden, nämlich so, daß, auch wenn man an dem Grundsatz festhält, daß produziert werden muß, um zu konsumieren, dennoch der Lei­stung eine entsprechende Gegenleistung gegenüberstehen muß. Man kann nun sagen: Also kümmern wir uns nun nicht um den vergleichsweisen Wert der einen Ware mit der anderen Ware. -Das, was heute manche Volkswirtschafter sagen, klingt so: Wir kümmern uns nur um die Bedürfnisse und produzieren dann zen­tralistisch das, was zur Befriedigung der Bedürfnisse notwendig ist, und verteilen das. - Ja, aber sehen Sie, da stellt sich dann heraus, daß man genötigt ist, den Arbeitszwang einzuführen. Dies ist aber eine furchtbare Maßnahme, insbesondere dann, wenn sie nicht notwendig ist. Und sie ist nicht notwendig! Der Arbeits­zwang

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wird nur für notwendig gehalten, weil man sich dem Aber­glauben hingibt, daß es kein anderes Mittel gibt als den Arbeits­zwang, um das Prinzip von Leistung und Gegenleistung zu ver­wirklichen. Außerdem bedenkt man nicht, was für raffinierte Mittel in der Zukunft, wenn zum Beispiel der Arbeitszwang ge­setzmäßig eingeführt würde, gefunden werden, um sich der Arbeit zu entziehen. Also, es handelt sich durchaus nicht darum, daß bloß der Arbeitszwang nicht notwendig ist, sondern es handelt sich auch darum, daß er gar nicht durchgeführt werden könnte. Aber, wie gesagt, die Hauptsache bleibt, daß er nicht nötig ist, wenn inan restlos das Prinzip durchführt, daß jeder Leistung auch eine entsprechende Gegenleistung gegenüberstehen muß. Dies kann man nun in der folgenden Weise konkretisieren.

Nicht wahr, die Menschen müssen, wenn sie in der menschli­chen Gesellschaft leben wollen, arbeiten, das heißt etwas leisten. Dadurch bringen sie etwas hervor, was für die anderen eine Bedeu­tung hat. Dasjenige, was einer hervorbringt, das muß einen gewis­sen Wert haben. Er muß für das, was er hervorbringt, dasjenige eintauschen können, was er an Erzeugnissen der anderen für die Befriedigung seiner Bedürfnisse, und zwar für eine gewisse Zeit, benötigt. So lange muß er seine Bedürfnisse befriedigen können durch das, was er eintauscht, bis er wiederum ein Produkt von gleicher Art hervorgebracht hat. Nehmen wir ein einfaches Bei­spiel: Fabriziere ich ein Paar Stiefel, so muß dieses Paar Stiefel so viel wert sein, daß ich gegen dieses Paar Stiefel dasjenige eintau­schen kann, was ich brauche, bis ich ein neues Paar Stiefel herge­stellt habe. Einen wirklichen Wertmaßstab hat man erst dann, wenn man einbezieht alles das, was bezahlt werden muß für die Menschen, die nicht arbeiten können, für die Kinder, die erzogen werden müssen, die Arbeitsunfähigen, die Invaliden und so weiter. Es ist möglich, den richtigen Preis der Ware herauszufinden. Hier­zu aber ist folgendes notwendig: In dem Augenblick nämlich, wo zu viele Arbeiter an einem Artikel arbeiten, das heißt, wo ein Artikel in zu großen Mengen erzeugt wird, in dem Augenblick wird er wiederum zu billig. Da bekomme ich nicht so viel, daß

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ich meine Bedürfnisse, bis ich wiederum ein gleiches Produkt er­zeugt habe, befriedigen kann. In dem Augenblick, wo zu wenig Arbeiter arbeiten, also ein Artikel nicht in genügender Menge erzeugt wird, wird er zu teuer. Es würden ihn nur diejenigen kaufen können, die über mehr als ein normales Einkommen verfü­gen. Es ist also notwendig, damit eine gerechte Preisbildung mög­lich wird, daß dafür gesorgt wird, daß immer die richtige Zahl an Arbeitern - sowohl geistige wie auch physische Arbeiter - an einem Artikel arbeiten. Das heißt, würde es sich zum Beispiel jetzt, wo wir in einer Übergangszeit leben, ergeben, daß irgendein Artikel in zu vielen Betrieben erzeugt wird, also im Übermaß erzeugt wird, so müßte man einzelne Betriebe stillegen und mit den Arbeitern dieser Betriebe Verträge abschließen, damit sie in einer anderen Branche weiterarbeiten. Allein dadurch ist es mög­lich, daß gerechte Preise entstehen. Auf eine andere Art und Weise ist dies nicht möglich. Wird von einem Artikel zuwenig erzeugt, so müßten für die Produktion dieses Artikels neue Betriebe einge­richtet werden. Das heißt, es muß fortwährend dafür gesorgt wer­den im Wirtschaftsleben, daß die Produktion unter Berücksichti­gung gewisser Verhältnismäßigkeiten geschieht. Dann kann das Lohnverhältnis, dann kann das Kapitalverhältnis aufhören, es braucht nur noch zu bestehen das Vertragsverhältnis zwischen geistigen und physischen Arbeitern über die gerechte [Festsetzung des Anteiles, der denjenigen zusteht, welche die Ware gemeinsam zustande bringen]. Diesem Ideal lebt man eigentlich entgegen, auf dieses ldeal hofft man, auf dieses Ideal muß man zusteuern, und alles das, was nicht auf dieses Jdeal zusteuert, das sind unklare Vorstellungen.

Was im Grunde genommen von der Dreigliederting des sozialen Organismus gewollt wird, das ist, daß den Menschen kein blauer Dunst vorgemacht wird, sondern daß ihnen gesagt wird, welches die Lebensbedingungen des sozialen Organismus sind, das heißt, wie man wirklich leben kann. Und es ist möglich, daß der jetzige kranke soziale Organismus gesund wird. Aber man muß dann auch wirklich die konkreten Lebensverhältnisse richtig ins Augefassen.

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Das ist es, worauf es ankommt. Soll aber das geschehen, soll so gewirtschaftet werden, daß die richtigen Preise entstehen, dann bildet dies die wahre Grundlage für die Sozialisierung Die alten Lohnverhältnisse, also daß man sich einen höheren Lohn erkämpfen kann, was ja meist zur Folge hat, daß die Lebensmittel, die Wohnungen und so weiter teurer werden, müssen überwunden werden. Die Funktion, die Bedeutung, die das Geld heute hat, muß geändert werden. Das Geld wird in Zukunft eine Art wan­delnde Buchführung sein, gleichsam ein Aufschreiben dessen, was man hervorgebracht hat und was man dafür eintauschen kann. Dies alles ist nicht etwas, was erst in Jahrzehnten angestrebt wer­den kann, sondern unmittelbar angestrebt werden kann, wenn nur genügend viele Menschen es verstehen. Alles andere ist im Grunde Wischiwaschi. Daher ist es das erste, um das es sich handelt, daß man weiß, daß es für die Betriebsräte darauf ankommt, daß sie nicht auf einem Gesetz beruhen können, sondern unmittelbar her­vorgehen müssen aus dem wirtschaftlichen Leben. Und so müssen in einer Urversammlung der Betriebsräte die Erfahrungen des wirt­schaftlichen Lebens im Mittelpunkt stehen. Dann werden sich die Funktionen und Aufgaben der Betriebsräte schon ergeben. Das ist dasjenige, was man verstehen muß, daß nämlich aus dem Wirt­schaftsleben und nicht aus dem alten Staatsleben diese Betriebsräte-schaft hervorgehen muß und daß diese Betriebsräteschaft das erste sein muß, was wirklich zeigt, was Sozialisierung ist. Sozialisieren kann man nur, wenn man Körperschaften im Wirtschaftsleben hat, welche sozialisieren. Und die Betriebsräte sollen diese erste Kör­perschaft sein, die wirklich aus dem Wirtschaftsleben heraus sozia­lisiert.

Man kann nicht durch Verordnungen und Gesetze sozialisieren, sondern man kann nur durch Menschen sozialisieren, die aus dem Wirtschaftsleben heraus wirken. An die Stelle bloß fantastischer Forderungen will der Impuls der Dreigliederung des Organismus die Wahrheit stellen. Und darauf kommt es heute an. Und ich meine, daß heute die Menschen das, worauf es ankommt, lernen können. Die Menschen haben sich bisher verschiedene Dinge vorgestellt,

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wodurch man das kranke Leben des sozialen Organismus bessern könnte. Und wie sind die Dinge verlaufen?

Sehen Sie, ich habe das schon öfter erwähnt und will jetzt davon absehen, was für Vorstellungen sich die bisherigen Lebens­praktiker im Januar 1914 bis in den August hinein gemacht haben. Aber ich will davon reden, was sich die Praktiker alles vorgestellt haben, als das Unglück da war, das uns in die gegenwärtige Kata­strophe hineingeführt hat: Bethmann Hohlkopf, ich wollte sagen Bethmann Holiweg, sagte, es wird ein heftiges aber kurzes Gewit­ter sein. - So sprach er von dem kommenden Krieg, und andere haben Ähnliches gesagt, zum Beispiel: In sechs bis sieben Wochen sollten die deutschen Heere in Paris sein und so weiter. Das haben die Praktiker damals immer gesagt, und so ist es in den letzten Jahren immer gegangen. Und jetzt wiederum, in der Okto­ber-November-Katastrophe, was ist da nicht alles geredet worden! Alles, was geredet worden ist, hat schließlich auch zum gestrigen Tag geführt, der uns Not und Elend in Aussicht gestellt hat. Es wäre jetzt an der Zeit, daß man nicht mehr hört auf das, was die Leute mal so, mal so voraussagen, sondern daß man endlich hört auf das, was aus der Wirklichkeit heraus gedacht wird. Heute wird zwar viel geredet, etwa von seiten der Wirtschafts- und Staatswissenschaftler, aber niemals wird davon gesprochen, daß der Grundsatz, daß der Leistung eine Gegenleistung entsprechen muß, auf strengen Prinzipien der Wirklichkeit beruht. Dieser Grundsatz läuft ja darauf hinaus, daß jeder dasjenige für seine Leistung bekommt, womit er seine Bedürfnisse befriedigen kann, bis er eine neue Leistung erbracht hat.

Wir wollen also Betriebsräte auf die Beine stellen, denen wir sagen werden, welches die konkrete Aufgabe der Sozialisierung des Wirtschaftslebens ist. Gesetzliche Normen helfen hier nicht, auch allgemeine sozialistische Ideale nicht, sondern einzig und al­lein hilft das, was ehrlich und aufrichtig der Wirklichkeit entnom­men wird. Und das soll in die Betriebsräteschaft hineingetragen werden. Die Einrichtung der Betriebsräteschaft soll wirklich der erste Schritt sein, um mit der Sozialisierung des Wirtschaftslebens

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Ernst zu machen. Fangen wir einmal an einer Stelle an, so wird sich Weiteres schon ergeben. Dann werden sich auch Leute finden, die versuchen werden, gleiche Rechte für alle Menschen und die notwendigen Einrichtungen, in denen die Fähigkeiten der Men­schen gefördert werden, zu schaffen. Heute herrscht immer noch die Unterdrückung, herrscht die Phrase. Ich habe ja schon oftmals auf die Phrase «freie Bahn dem Tüchtigen» hingewiesen. Hinter diesen Worten verbergen sich aber zumeist sehr egoistische Inter­essen. Nur durch ein wirklich freies Geistesleben können in Zu­kunft die menschlichen Fähigkeiten zur Entfaltung kommen. Und nur in einem Rechtsleben, in dem jeder Mensch dem anderen gleich ist, können sich auch die politischen Verhältnisse neu ent­wickeln. Und im Wirtschaftsleben müssen gerechte Preise herr­schen. Dann wird nicht alles ausgerichtet sein auf einen Konkur­renzkampf zwischen Kapital und Lohn oder einen Konkurrenz­kampf der einzelnen Unternehmungen untereinander. Dazu aber ist notwendig, daß man an die Stelle des Konkurrenzkampfes, der in der Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage seinen Höhe­punkt erfährt, vernünftige Beschlüsse und Verträge setzt, die aus solchen Gremien, wie sie mit der jetzt zu begründenden Betriebs­räteschaft ihren Anfang nehmen, hervorgehen müssen.

Was wollen wir denn eigentlich mit der Betriebsräteschaft? Wir wollen mit der Betriebsräteschaft einen Anfang machen zu einer wirklichen, einer ehrlich gemeinten Sozialisierung des Wirtschafts-lebens. Und es kann einen mit tiefer Befriedigung erfüllen, daß man immerhin, trotz mancher Widerstände, die sich ja reichlich geltend gemacht haben in gewissen Kreisen der hiesigen Arbeiter­schaft, für den Gedanken der Betriebsräte Verständnis gefunden hat, so daß uns schon etwa zwölf Betriebsräte gemeldet werden konnten und über die Wahl weiterer verhandelt werden soll. Aber wenn wirklich etwas Fruchtbares herauskommen soll, dann müssen in allen Betrieben im Raum Württemberg Betriebsräte gewählt werden. Dann muß sich die Betriebsräteschaft der verschiedensten Branchen versammeln, denn nur durch Verhandlungen, durch den Austausch der Erfahrungen und die daraus hervorgehenden Maßnahmen

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kann das werden, was der Anfang einer wirklichen Soziali­sierung ist. Diese Sozialisierung können Sie morgen haben, aber Sie können nicht bloß darüber reden und von Theoretikern Geset­ze machen lassen, sondern es müssen die Menschen auf die Beine gestellt werden, mit denen die wahre Sozialisierung vollzogen wer­den kann. Denn Sozialisierung ist nicht etwas, was man durch Gesetze erreichen wird, die Sozialisierung wird kommen, wenn innerhalb der württembergischen Industrie tausend Menschen da sind. Damit haben wir dort anzupacken versucht, wo die Wirklich­keit ist, und die Wirklichkeit für die Sozialisierung ist im Fleisch und Blut der Menschen und nicht in den Gesetzen, die auf dem Papier stehen und sich dann auf irgendeine zauberhafte Weise in die Wirklichkeit überführen lassen sollen.

Das, was wir aus der Wirklichkeit der Menschen aus Fleisch und Blut herüberführen wollen, das nennt man Utopie. Da möchte man doch fragen: Wer sind denn die eigentlichen Utopisten? -Wir wollen keine Utopie! Oder ist das eine Utopie, wenn tausend Menschen gewählt werden, die auf dem wirtschaftlichen Gebiet etwas zustande bringen? Sind tausend Menschen aus Fleisch und Blut eine Utopie? Ja, gerade als man gesehen hat, daß es sich nicht um eine Utopie handelt, sondern um eine Anzahl wirklicher Menschen, die die Sozialisierung durchführen wollen, da hat man begonnen, davon zu reden, daß wir eine Utopie anstreben. Wir wollen keine Utopie, wir wollen die reinste, wahrste und ehrlichste Wirklichkeit! Auf die kommt es uns an. Das ist etwas, was man nur einzusehen braucht. Deshalb bitte ich Sie, ungeachtet dessen, was gerade von jenen Utopisten gesagt wird, die mit ihren Utopien immer fehlgegangen sind, also von jenen Utopisten, die gegen die Wirklichkeit, die vom «Bund für Dreigliederung» vertreten wird, zu Felde ziehen, sich unabhängig zu machen, sich einmal auf das eigene Urteil zu stellen. Denn ich denke, jeder vernünftige Mensch kann Utopie von Wirklichkeit unterscheiden. Und wenn einem die Menschen vorwerfen, man würde lediglich etwas prophezeien, so, denke ich, wird der, der das hört, was ich heute gesagt habe, nicht mehr von bloßer oder gar unrichtiger Prophezeiung sprechen.

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Ich prophezeie nichts, ich sage nur: Wenn aus allen Branchen tausend Menschen gewählt werden, dann ist das keine Prophezei­ung, denn das, was sie tun werden, das werden sie ohne Prophezei­ung tun, weil sie eine lebendige Wirklichkeit sein werden. Prophe­zeit ist in den letzten Jahren wahrhaftig genug worden. Was hat man doch vor dem 9. November immer an neuen Siegen prophe­zeit: «Wir werden siegen, weil wir siegen müssen!» - Das sollten sich einmal diejenigen hinter die Ohren schreiben, die denen, die aus der Wirklichkeit heraus reden, das Wort «Prophetie» wie eine Art Verleumdung entgegenschleudern. Etwas zu prophezeien, das haben die anderen schon zur Genüge getan, also die bisher führen­den Kreise. Jetzt hat man der Welt gegenüber aus einem anderen Ton heraus zu sprechen, aus einem Ton, der schon in den Herzen und Seelen der Menschen veranlagt ist. Und solche Menschen wählen Sie in ihren Betriebsrat. Dann werden Sie das Richtige für eine wahre Sozialisierung in die Welt stellen können.


Diskussion

Der Vorsitzende, Herr Gönnewein, dankt Herrn Dr. Steiner für seine gewichtigen Ausführungen und fordert zur Diskussion auf.

Herr Lange: Er spricht zunächst von der Gefahr, daß der englisch-ameri­kanische Kapitalismus sich in Deutschland festsetzt, wodurch alle zu Skla­ven würden.

Wir müssen uns selbst helfen. Diese Selbsthilfe besteht darin, daß wir sagen: Wir nehmen die Wirtschaft selbst in die Hand. Die deutschen Kapitalisten wollen uns doch nicht nur ausbeuten. Wir müssen in einer gewissen Beziehung mit den deutschen Kapitalisten zusammengehen. Es gibt auch unter ihnen Menschen, die am Wiederaufbau ehrlich mitarbeiten wollen. Die Arbeiter und Angestellten aber müssen sagen: Wir nehmen die Betriebe in die Hand, wir haben kein Interesse mehr am Streik, sondern an der Arbeit, und zwar an solcher Arbeit, die wirklich aufbauend ist. Und dazu brauchen wir die Betriebsräte. Wir brauchen Rohprodukte und Grund und Boden. Das Aufbauen ist aber nur möglich, wenn die

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arbeitenden Menschen zusammenkommen. Als Arbeiter müssen wir voll und ganz auf dem Boden stehen: Nur die Arbeit kann uns erlösen.

Der Redner spricht weiter über die Geldverhältnisse

Herr Roser: Wir haben im Lauf der letzten Wochen verschiedene Diskus­sionsabende gehabt und dabei über die Betriebsräte und Wirtschaftsräte gesprochen. Vielen von Ihnen wird dies bekannt sein, und es wird Ihnen mancherlei klargeworden sein, was mit der Dreigliederung des sozialen Organismus angestrebt wird. Trotzdem muß man immer wieder die Beob­achtung machen, daß der Gedanke eben doch noch zu wenig begriffen wird. Das ist aber selbstverständlich begreiflich, weil eben die Dreigliede­rung eine ganz neue Idee darstellt, und wie bei allem Neuen, so begegnet man auch diesem Gedanken mit einem gewissen Pessimismus. Aber im­merhin können wir konstatieren, daß die Aufnahme doch in jenen Kreisen, die für dieses Interesse haben, befriedigend erscheinen kann. Es muß zweifellos betont werden, daß gerade dieses Zusammenwerfen der drei Organe, Wirtschaftsleben, Politik, Geisteskultur, im alten Staatswesen so manches von diesem furchtbaren Elend über das deutsche Volk heraufbe­schworen hat. Wenn wir das Buch von Herrn Dr. Steiner lesen, so können wir klar daraus ersehen, daß, wenn wir nicht in der Lage sind, diese drei Organe grundsätzlich voneinander zu trennen, das heißt, daß jedes nach seiner Art gepflegt wird, daß wir dann unbedingt in des Teufels Küche kommen. Wir sollten daher mit aller Energie nach dieser Dreigliederung streben. Wir als Arbeitende haben selbstverständlich das größte Interesse am Wirtschaftsleben, denn das ist der Faktor, ist jene Institution, in der wir vertreten sind. Deshalb müssen wir auch dem Wirtschaftsgebiet das größte Interesse entgegenbringen. Selbstverständlich müssen wir auch im Rechts- oder politischen und im Geistesparlament gewissermaßen einen Einfluß haben und bekommen, aber als Hand- und Kopfarbeiter haben wir uns in erster Linie mit dem Wirtschaftskörper, mit dem Wirtschafts-parlament zu beschäftigen.

Es ist schon wiederholt die Frage aufgeworfen worden: Was für ein Gebiet, was für eine Arbeit steht uns da zu? Diese Arbeit ist schon oftmals erwähnt und besprochen worden. Es ist die Bildung der Betriebs­räte. Die Sozialisierung, welche schon von Herrn Dr. Steiner und auch von anderen Rednern oft besprochen worden ist, diese Sozialisierung wird immer mehr verlangt von allen Seiten. Warum? Weil sie eben den einzigen Ausweg aus dem Chaos darstellt, der unser Wirtschaftsleben wieder auf

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gesunde Bahnen führen kann. Sozialisierung heißt doch Vergesellschaftung aller Produktionsmittel, die Überführung in die Hand derjenigen Klassen, die darüber verfügen und bestimmen können. Deshalb wäre es doch von größter Wichtigkeit, daß wir der Frage der Betriebsräte noch mehr Interes­se entgegenbringen, als wir es bis jetzt getan haben. Aber es ist begreiflich durch die politischen Verhältnisse, durch die politische Gewitterschwüle, die im Laufe der letzten Wochen über uns gelagert hat bis zum gestrigen Abschluß. Das alles hat uns nicht zur richtigen Einsicht in dieser Frage kommen lassen. Ich meine, für die Zukunft soll es anders werden. Wir müssen uns einfach mit dieser Frage beschäftigen, und zwar ganz intensiv beschäftigen, gerade aus den Verhältnissen heraus, wie sie sich gestern durch die Unterzeichnung des Friedensvertrages ergeben haben. Es ist selbstverständlich: Wenn wir nicht in der Lage sind, die Sozialisierung selbst in die Hand zu nehmen, dann kommen wir auch niemals zum Ziel, sondern dann treiben wir erst der allgemeinen Versklavung und Verelendung unseres Volkes entgegen. Deshalb müssen wir in erster Linie die Frage der Betriebsräte energisch in die Hand nehmen, und zwar ohne Rücksicht auf alles, was sich uns hier entgegenstellt. Wenn wir die Be­triebsräte vom Gesetz erwarten, dann bekommen wir keine, sondern nur lebende Paragraphen, die eigentlich nichts anderes zu tun haben, als das auszuführen, was die bisherigen Ausbeuter bis jetzt mit uns getan haben. Sie sollen aber nichts anderes sein als das Werkzeug der arbeitenden Klasse, des ganzen Volkes.

Wir müssen die Betriebsräte als eine solche Institution schaffen, daß sie nicht nach dem Willen des Kapitalismus tanzen müssen. Gerade die Kriegskatastrophe hat uns genug Anlaß zum Nachdenken gegeben. Wir, die wir im Arbeitsausschuß des «Bundes für Dreigliederung» tätig sind, wir haben klar erkannt, daß, was auch immer für ein Vorschlag sonst noch gemacht wird, es keine bessere Idee als die Dreigliederung gibt. Die Dreigliederung und damit die Verselbständigung der einzelnen Kör­perschaften wird die Grundlage bilden, worauf unser Volksganzes wieder aufbauen kann. Wir wollen nach etwas anderem streben als nach der Unterjochung des Proletariats. Wir wollen uns auch nicht dafür hergeben, daß der Staat weiterhin für politische Zwecke die gesamte Wirtschaft benutzt, um sie schließlich dem Militarismus zu opfern. Wir müssen das Wirtschaftsleben selbständig machen, damit etwas Nützliches für das ge­samte Volksleben herauskommt. Ich richte deshalb an Sie den Appell:

Wirken Sie dafür, daß der Gedanke der Dreigliederung in die Massen

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getragen wird, trotz aller Anfechtungen von rechts und von links. Der Gedanke der Dreigliederung wird nur angefochten von denjenigen Ele­menten, die ihn nicht berücksichtigen wollen und ihn nicht aufkommen lassen wollen zum eigenen Vorteil. Deshalb bekämpfen sie ihn. Ich bin der Meinung, daß wir unser Volksleben nur dann besser gestalten können, wenn wir die Grundidee der Dreigliederung, die Verselbständigung des Wirtschaftslebens, des Rechtslebens und des Geisteslebens verwirklichen. Dann wollen wir sehen, ob wir nicht auf ein besseres Wohlergehen unseres Volkes rechnen können.

Herr Georg Müller: Einige Punkte über die Betriebsräte hat Herr Dr. Steiner noch stark im unklaren gelassen. Erstens, Sie werden alle mit mir einverstanden sein, daß die Begründung von Betriebsräten nicht so leicht zu machen ist, wie sich mancher vorstellt. Durch das Gesetz ist bereits ein Riegel vorgeschoben worden. Wenn wir das Betriebsrätesystem nach den Ausführungen Dr. Steiners wollen, dann werden wir in der Zukunft hart zu kämpfen haben, denn wir müssen uns klar darüber sein: Was auch immer gemacht wird von der Arbeiterschaft, das wird stets vom Kapitalismus hintertrieben. Unser größter Gegner ist auch heute noch der Kapitalismus. Sobald Sie mit praktischen Vorschlägen kommen, werden Sie schon die Erfahrung machen, daß Ihnen alles hintertrieben wird. Daher stelle ich die Frage: Wie kommen wir am leichtesten über diese Schikanen hinweg? - Einige von Ihnen werden schließlich sagen, daß der einzige Weg der Streik ist. Jetzt aber geht es uns nicht um Streik. Wir müssen praktischere Wege finden, um unsere Ideen durchzuführen. Wenn die Arbeiterschaft sich wirklich zusammensetzt, berät und zusammenarbeiten will, werden wir andere Wege finden, auch über das Gesetz hinweg. Wir wollen nicht nur eine beratende Stimme, wir wollen eine bestimmende Stimme haben in den Betriebsräten. Nicht nur der Kapitalismus, sondern ein großer Teil des Bürgertums stellt sich dem entgegen. Es werden Jahr­zehnte dazu benötigt, die Betriebsräte, wie sie hier gemeint sind, durchzu­drücken. Der Arbeiter kann es allein nicht machen, und die anderen werden ihre Betriebe nicht hergeben, um zu sozialisieren. Die Frage ist nun: Wie weit werden die Kämpfe gehen, um das zu erreichen? Vor allen Dingen aber müssen die Arbeiter mehr zusammenhalten.

Herr Hahl: Als Vertrauensmann des «Allgemeinen Verbandes der deut­schen Bankangestellten» möchte ich einige Worte sprechen. Ich kann das

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aus der Erfahrung heraus tun, die ich in meinem vielseitigen Leben zu machen die Gelegenheit hatte.

Ich war Leiter eines Unternehmens in Ägypten und habe als solcher die besten Erfahrungen damit gemacht, daß ich die Kollegen zur Mitwir­kung heranzog, also nicht nur anordnete, sondern auch Mitarbeiter auf-klärte über die geschäftlichen Belange und sie um ihre Meinung fragte. Dadurch wurde das Geschäftsinteresse angeregt. Das heutige Gesetz über die Betriebsräte schiebt der wirklichen Mitbeteiligung der Angestellten einen Riegel vor. Vor allen Dingen schafft dieses Gesetz nicht die Empfin­dung der Arbeitnehmer aus dem Weg, daß sie eben doch nur in einem gewissen Sklavenverhältnis gegenüber dem ausschlaggebenden Kapitalismus sich befinden. Durch die Dreigliederung werden die Arbeitnehmer in die Geheimnisse des Betriebes eingeführt, sie werden aufgeklärt über alle Zweige desselben, so daß sie nicht nur das Recht, sondern auch die Fähigkeit besitzen können, ihre Stimme bei der Leitung mit in die Waag­schale zu werfen. Das möchte ich auch dem Herrn Vorredner sagen:

Wenn Sie die Fähigkeiten besitzen, werden Sie sich nicht so leicht vom kapitalistischen Leiter übers Ohr hauen lassen. - Bei der Verwirklichung der Betriebsräte im Sinne der Dreigliederung arbeitet man nicht gegenein­ander, sondern miteinander auf der Basis vollständiger Gleichberechtigung. Hiergegen wettern die Unternehmer und halten fest am alten Herrscher­tum, ohne zu merken, daß sie dadurch Gefahr laufen, alles zu verlieren. Denn das, was sich heute aufbäumt in den Kreisen der Arbeitnehmer gegenüber der materiellen und geistigen Verwaltung durch das Kapital, das wird nicht eher zur Ruhe kommen, bis die Arbeitskraft der Menschen, die heute durch die Verhältnisse zur Ware erniedrigt ist, den Sklavencha­rakter verliert, und das kann nur durch die Dreigliederung und durch die von ihr geforderten Betriebsräte geschehen. Mag die Regierung soziali­sieren, soviel sie will, sie kann nicht aus den Unruhen herauskommen, bis sie nicht den Hebel ansetzt und die Lösung des Problems durch die Dreigliederung versucht. Solange sie nur die Handlungen anderer Men­schen betrachtet und nicht auch die Beweggründe studiert, so lange kann sie kein Bild bekommen davon, was die Bewegung des Proletariats bedeu­tet. Heute meint die Regierung, die Bewegung des Proletariats, das seien momentane Himgespinste, die durch Plakate an den Anschlagsäulen mit der Aufforderung «Arbeiten! Arbeiten! Arbeiten!» abgetan werden könn­ten. Die Leiden, die heute zutage treten, sind aber ganz logische Folgerun­gen der Vermengung des Wirtschaftslebens, des Geisteslebens und des

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Rechtslebens. Sie haben während des Krieges sehen können, wie der Pfar­rer auf der Kanzel sogar sagen mußte, was ihm der Staat vorschreibt als guten Patriotismus. Das ist die Vermengung, daher das Unheil. Das ist die Ursache des Übels, da soll der Hebel angesetzt werden, damit die einzelnen Gebiete unabhängig gemacht werden, damit die Schulen und die Kirche nicht mehr das tun müssen, was der Staat vorschreibt.

Vorgestern sprach der neue Ministerpräsident jene Worte über Leben und Tod unseres Volkes. Mit vollem Recht können diese Worte hier angewendet werden. Hier spielt sich ein Kampf gegen die Versklavung der Arbeiterschaft ab. Und wenn dieses Sklavenverhältnis nicht aufgehoben wird - und es wird nur aufgehoben durch die Dreigliederung und die von ihr geforderten Betriebsräte -, dann könnte es sein, daß wir tatsäch­lich zum Tode verurteilt sind als Volk. Dann könnte es sein, daß die heraufbeschworenen Leidenschaften dem Kapital alles nehmen, daß wir das Schlachtfeld werden zwischen Bolschewismus und Entente. Deshalb halte ich es für die dringende Pflicht eines jeden, einzutreten für die Dreigliederung und für die Betriebsräte. Deshalb fordere ich Sie nochmals auf zur Wahl von Betriebsräten im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus.

Herr Münzing: Ich möchte in erster Linie auf etwas zu sprechen kommen, was in dem Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» steht. Es heißt da auf Seite 78: «Was an Kapitalvermehrung durch die Produktionsmittel

- nach Abzug des rechtmäßigen Zinses - entsteht, das verdankt seine Entstehung der Wirkung des gesamten sozialen Organismus.» - «Nach Abzug des rechtmäßigen Zinses» - da möchte ich doch bitten, mir zu sagen, was ich darunter verstehen soll. Nach meiner Auffassung läuft die ganze Frage, die sich um Kapitalismus und Sozialismus dreht, schließlich hinaus auf die Worte: «Geld trägt Zinsen, Kapital trägt Zinsen.»

Wenn wir näher auf den Gedanken eingehen, können wir immer wie­der finden, daß sich das Geld in Wirklichkeit in der Art unterscheidet, daß es Zinsen trägt, ohne daß das Geld arbeitet. Das muß uns als Arbeiter direkt anwidern, wenn wir hören: Geld arbeitet. Wer arbeitet? Doch nicht das Geld! Das Geld wird benutzt, damit andere arbeiten, um den Zins herauszuholen. Es gibt heute Anschauungen, die sagen: Die soziale Frage läßt sich lösen durch Abschaffung des Handelsprofits und dergleichen, und noch viele andere Rezepte gibt es zur Lösung der sozialen Frage. -Ich glaube, daß die Lösung der sozialen Frage allein dadurch vollbracht

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werden könnte, daß die Parteien vorschreiben würden: Zins verboten! -Das berührt auch die Kriegsanleihe und das Geld auf der Sparkasse. Ich möchte bitten, diesen Gedanken, wenn er auch nicht zum Thema des heutigen Abends gehört, zu durchdenken. Wenn heute eine Regierung käme, die sagen würde, das Geld trägt keine Zinsen mehr, so würde die ganze Sachlage sofort verschoben werden. Die ganzen Warenteuerungen haben schließlich ihren Grund darin, daß das Kapital auf der Sparkasse Zinsen trägt, daß das Geld arbeiten muß. Ich vermisse auf allen Program­men gerade diese einfache Forderung der Abschaffung des Zinses. Und ich möchte Herrn Dr. Steiner diesbezüglich um Auskunft bitten. Ich bin ein Neuling, aber diese Frage ist mir immer wieder begegnet. In diese Frage gehört auch der Mietzins hinein. Der müßte dann derart bezahlt werden, daß gewisse Abnützungen eines Hauses bezahlt würden, denn ein Haus verliert ja an Wert durch die Benützung. Und zu den Betriebsrä­ten: Wenn die Betriebsräte einen wirklich praktischen Wert haben sollen, müßten sie unter allen Umständen die Möglichkeit haben, nicht nur auf die Lohnbestimmungen, sondern auch auf die Preisbestimmungen einzu­wirken.

Rudolf Steiner: Ich möchte nur auf die beiden direkt gestellten Fragen eingehen. Herr Müller ist in gewissem Sinne besorgt dar­über, daß sich die Betriebsräte nicht durchsetzen könnten und daß sie vor allen Dingen, wenn sie mit dem, was sie als ihre Befugnisse übernehmen, an die Unternehmer herantreten würden, dann eventuell einfach zurückgewiesen werden könnten. Sehen Sie, bei solchen Dingen müssen wir doch auch mit den wirklichen Verhältnissen etwas rechnen, und da müssen wir unbedingt be­rücksichtigen, daß so etwas, wie es diese hier gedachten Betriebsrä­te sein werden, im Grunde genommen der Unternehmerschaft noch nie gegenüberstand. Bedenken Sie nur einmal, wie im Laufe der kapitalistischen Entwicklung der neueren Zeit immer mehr und mehr das protektionistische Verhältnis zwischen dem Staat und dem kapitalistischen Unternehmertum entstand. Auf der einen Seite unterstützte das kapitalistische Unternehmertum den Staat, auf der anderen Seite wieder der Staat das Unternehmertum. Das drückt sich insbesondere aus in den verschiedenen Kriegsursachen,

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insbesondere im Westen. Aber eine Körperschaft, die wirklich her­vorgegangen ist aus dem Wirtschaftsleben selbst, aus allen Bran­chen des Wirtschaftslebens, und die getragen ist von dem Vertrau­en der gesamten Arbeiterschaft, eine solche Körperschaft stand dem kapitalistischen Unternehmertum noch nie gegenüber. Und diese Tatsache bitte ich Sie nicht außer acht zu lassen. Ich bitte Sie, das zu vergleichen mit dem, was auch schon geschichtlich vorliegt, wie nämlich dann, wenn solche geschlossenen Kundge­bungen stattfanden, doch durch diese Kundgebungen etwas be­wirkt werden konnte. Darauf kommt es an, ganz gewiß, wie Herr Müller gesagt hat, daß diese Geschlossenheit, diese Einigkeit wirk­lich da ist. Und die Wahl der Betriebsräte, die kann ja im Grunde genommen nur dann stattfinden, wenn diese Einigkeit da ist. Sie soll ja aus dieser Einigkeit hervorgehen.

Werden die Betriebsräte dasein, dann werden sie eben eine Offenbarung sein für die Einigung der gegenwärtigen Arbeiter­schaft, und dann wollen wir einmal sehen, was herauskommt, wenn in der Form der Betriebsräte die geeinigte Arbeiterschaft dem Unternehmertum gegenübertritt. Es stehen ja nicht bloß die Betriebsräte des einzelnen Betriebes dem einzelnen Unternehmer­tum gegenüber, sondern die ganze Betriebsräteschaft, die sich aus Mitgliedern aus allen Branchen und Betrieben zusammensetzt, steht den Unternehmern eines ganzen Wirtschaftsgebietes gegen­über. Die einzelnen Betriebsräte gehen als Beauftragte der gesam­ten Betriebsräteschaft in ihre Betriebe zurück und stehen nun nicht dem Unternehmer als einzelne gegenüber, sondern als Vertre­ter der Betriebsräteschaft des entsprechenden Wirtschaftsgebietes. Dies bedeutet eine Macht, derer man sich nur bewußt werden muß. Auf eine solche Machtprobe können Sie es ruhig ankommen lassen, sie wird gewichtige Folgen haben. Das ist das eine.

Das andere ist, daß es sich nicht darum handeln kann, daß, wie Herr Müller auch sagte, die Betriebsräteschaft nicht bloß eine beratende Stimme haben soll. Nein, sie soll sogar nicht bloß eine beschließende Stimme haben, sondern sie soll der eigentliche Ver­walter des Betriebes sein. Sie soll einfach im Auftrag der gesamten

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Arbeiterschaft die Betriebe selbst verwalten. Dadurch entstehen natürlich gewisse Schwierigkeiten, die noch auf ganz anderen Ge­bieten liegen, als Sie sich vorstellen. So darf zum Beispiel die Initiative innerhalb eines Betriebes nicht dadurch gelähmt werden, daß viele befehlen wollen und dergleichen. Das wird sich aber alles überbrücken lassen. Das ist das eine. Dann aber muß man noch etwas anderes beachten. Ich frage Sie: Worauf beruht denn im Grunde genommen das Kapital eines Wirtschaftsbetriebes? -Lassen Sie die Kapitalisten noch so viel Geld haben, dieses Geld hat ja nur einen Wert, wenn Leute arbeiten, sonst nicht! Also, es steht die Arbeiterschaft nicht denjenigen Leuten gegenüber, die eigentlich noch Unternehmer sind, sondern denen, die nur noch Geld haben. Und in diesem Zusammenhang müssen wir uns über eines klar sein: Wenn wir in der Wirklichkeit leben, dann leben wir nicht außerhalb aller Zeit, sondern wir leben in einer bestimm­ten Zeit. Und ich habe doch das Gefühl, daß viele Leute aus der Arbeiterschaft heute noch so reden, als wenn die Dinge so stün­den, wie sie standen vor sieben, acht Jahren, bevor wir in diese Kriegskatastrophe hineingesegelt sind. Ich glaube nicht, daß viele Leute darüber nachgedacht haben, was es wirtschaftlich bedeutet, daß man, als der Krieg zu Ende gegangen war, in manchen Betrie­ben allerlei fabrizierte und dann wieder zerschlug. Solche Dinge wurden gemacht, weil man sich nicht mehr zu helfen wußte, auf naturgemäßem Wege die Produktion aufrechtzuerhalten. Die Dinge haben sich geändert, aber man hat heute noch die Gewohnheit, vom Kapitalistentum aus den alten Verhältnissen heraus zu reden.

Sehen Sie, in vieler Hinsicht liegt die Sache so, daß alte Wahr­heiten heute gar keine Wahrheiten mehr sind. Es ist natürlich eine durchgreifende Wahrheit die Wahrheit vom Mehrwert, nur ist er heute zum größten Teil nicht mehr vorhanden, sondern er ist bereits in den Wind geschlagen, und das, was heute so gefürch­tet wird als Kapitalistentum, das steht eigentlich auf einem furcht­bar hohlen Boden. Das weiß sich eigentlich nicht mehr zu helfen. Sie sehen das daraus, daß es jetzt schon zum großen Teil denkt:

Um Gottes willen, wenn wir uns nur hinüberretten könnten zum

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Entente-Kapitalismus, damit wir da unterkriechen können; wir werden allein nicht mehr fertig. - Es kommt die Zeit, in der nicht mehr in der alten Weise die Betriebsräteschaft dem Kapitalis­mus gegenübersteht, sondern in der sie dem zusammenstürzenden Unternehmertum gegenübersteht und zu übernehmen hat dasjeni­ge, was zusammengestürzt ist. Und es wird eine Zeit kommen, wo Sie sagen werden: Das war doch gut, daß wir diese Betriebsräte haben, denn irgend jemand muß doch die Betriebe verwalten; die anderen können es nicht mehr, denn das Unternehmertum ist zum großen Teil zusammengebrochen, das kann nicht mehr. Dazu muß dann diese Betriebsräteschaft dasein. Sie werden vielleicht nicht überall vorhanden sein, aber das wird sich ergeben. Zum großen Teil werden sie verlassene Schlachtfelder finden. Es wird sich sogar nicht selten das ergeben, daß die Unternehmer froh sind, wenn die Betriebsräte im Auftrag eines geschlossenen Wirtschaftsgebietes kommen werden. Jetzt tun sie noch so, weil sie glauben, daß sie sich vom Protektor Staat und den Gesetzen decken lassen können. Sie möchten das, was sie selbst nicht mehr können, durch den Protektor Staat abgedeckt haben. In diesem Fall würden sonderba­re Verhältnisse entstehen. Da würden nicht nur die Betriebsräte Dekorationsstücke sein, sondern da würden auch die Kanäle wie­der gefunden werden, wodurch das heruntergekommene Kapital wiederum saniert werden könnte, durch die wiederum mancherlei hineinfließt dorthin, wo die Dinge abgeflossen sind. Hierüber ha­ben die Leute sonderbare Ansichten. In Tübingen sagte ein Profes­sor: Wir werden in der Zukunft ein armes Volk werden. Da werden die Leute die Schulen nicht mehr bezahlen können, da wird dann der Staat eintreten müssen, der wird dann die Schulen bezahlen müssen. - Der Professor hatte Angst, daß die Leute die Schulen nicht mehr bezahlen können. Er hatte nur vergessen sich zu fragen: Wo nimmt der Staat das Geld her? Doch nur aus den Taschen der einzelnen Menschen! In dieser Hinsicht bedeuten Ge­setze sehr häufig bloß das, daß die Dinge, die etwas wert sind, dahin wandern, wo man sie hingewandert haben will. Und Gesetze können unter Umständen nur der Umweg sein, das schon zerfal­lende

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Kapital wiederum auf die Beine zu bringen. Das wird eine Betriebsräteschaft, die aus dem Wirtschaftsleben, aus der arbeiten­den Bevölkerung hervorgeht, nicht sein. Die wird sich auf die eigenen Beine zu stellen wissen. Dann lassen Sie es ruhig auf die Machtprobe ankommen. Man braucht sich nicht zu sagen, daß die Betriebsräte werden lahm dastehen vor dem Unternehmer. Es könnte durch die Zeitverhältnisse bedingt auch der umgekehrte Fall eintreten.

Wir leben nicht außerhalb der Zeit, sondern wir leben in einer bestimmten Zeit, und in dieser Zeit geht es darum, daß wir wissen, daß der Kapitalismus am Zusammenbrechen ist. Damit müssen wir rechnen. Damit müssen wir uns auch darüber klar sein, daß von anderer Seite her das Wirtschaftsleben wieder aufgebaut wer­den muß. Und dem Sozialismus kommt der Zusammenbruch, in den der Kapitalismus selbst hineingerannt ist, entgegen. Denn die Weltkriegskatastrophe war zu gleicher Zeit der Zusammenbruch des Kapitalismus und wird in der Folge noch immer mehr den Zusammenbruch beeinflussen. Das bitte ich zu bedenken. Wenn man Dinge zu bedenken hat, die sich auf die Zukunft beziehen, dann muß man mit solchen Faktoren rechnen.

Wenn man so etwas zitiert, wie den Satz vom Zins, so bitte ich zu berücksichtigen, daß in jedem Satz meines Buches ange­strebt ist, ehrlich das zu sagen, was wirklich ist, und daß in meinem Buch streng abgewiesen wird alles das, was Zins vom Zins sein soll. Also, ein wirkliches Wachstum des Kapitals, wie es heute der Fall ist, wo sich ein Kapital in fünfzehn Jahren verdoppeln kann, ist unmöglich, wenn jene Wirklichkeit eintritt, wie ich sie in meinem Buch schildere. Aber ich spreche allerdings von einem rechtmäßigen Zinsverhältnis. Hierbei bitte ich zu be­rücksichtigen, wie ich in meinem Buch vom Kapital spreche. Denn sehen Sie, es ist leicht, den Leuten etwas vorzumachen, indem man ihnen sagt: Wenn man allen Zins abschafft, dann kommt das Richtige heraus. - Es handelt sich bei allen diesen Dingen nur darum, ob man es kann. Und ich habe nur solche Dinge beschrie­ben, die wirklich durchgeführt werden können.

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Bedenken Sie, wie die Sache steht. Das Geld bekommt, wenn die Dinge verwirklicht werden, die in meinem Buch stehen, einen gewissen Charakter. Ich habe das manchmal Freunden gegenüber etwas banal so ausgedrückt, indem ich gesagt habe: Das Geld wird in der Wirtschaftsordnung, die in meinem Buch gemeint ist, zum ersten Mal wirklich stinkend. Was heißt das? Das heißt das Folgende: Wenn ich Wirklichkeiten erwerbe - das Geld an sich ist keine Wirklichkeit, sondern nur dadurch, daß die Machtverhält­nisse entsprechende sind, ist das Geld eine Wirklichkeit -, wenn ich also Wirklichkeiten erwerbe, so unterliegen diese dem Gesetz des Verbrauchtwerdens. Kapitalismus in realem Sinn haben wir ja nicht bloß innerhalb der Menschenwelt, sondern auch in der Tier­welt. Wenn der Hamster hamstert, wenn er seinen Wintervorrat anlegt, dann ist das sein Kapital für die nächste Zeit, nur hat es die Eigenschaft, daß man es nur in der nächsten Zeit brauchen kann, sonst würde es zugrunde gehen. Und wir haben es in unse­rer kapitalistischen Wirtschaftsordnung dazu gebracht, daß wenig­stens für gewisse kurze Zeiträume das Geld den Charakter aller übrigen Wirklichkeiten verloren hat. Was tun wir denn, wenn wir die Zinsen ausrechnen? Wir multiplizieren das Geld mit Prozenten und Zeit und dividieren durch hundert. Dadurch bekommen wir den Zins heraus. Dadurch haben wir mit unwirklichen, mit Schein-gebilden gerechnet! Wir haben mit dem gerechnet, was wir als Repräsentanten der Wirklichkeit hingestellt haben. Das, was durch Kapital produziert wurde, kann längst unbrauchbar geworden sein, kann sogar ganz und gar nicht mehr vorhanden sein, und dennoch kann man nach unseren Machtverhältnissen ausrechnen: Kapital mal Prozente und Zeit dividiert durch hundert. [... In der Zukunft handelt es sich darum, daß man sich dessen bewußt ist, wenn man ein Unternehmen, einen Betrieb gründet - und dies muß ja immer wieder geschehen, da sonst der ganze Entwicklungsprozeß der Menschheit zum Stillstand kommen würde -, daß immer die vergangene Arbeit Verwendung findet in der künftigen Arbeit.]

Sehen Sie, wenn Sie einen neuen Betrieb aufbauen, dann müssen Sie neue Arbeiter anstellen, gleichgültig ob dies nun die Gesellschaft

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oder ein einzelner tut. Früher war es der einzelne, künftig wird es sich aus der Struktur der Gesellschaft heraus ergeben. Sie müssen also Arbeiter anstellen. Diese müssen sich, wenn man einen Betrieb aufbaut, der noch nichts in die Gesellschaft hineinge­ben kann, aber ernähren, müssen sich kleiden. Es muß dann also, damit dieser Betrieb entstehen kann, schon früher gearbeitet wor­den sein. Also, es muß die Möglichkeit geschaffen sein, daß frühere Arbeit für spätere Leistungen verwendet wird. Das ist aber nicht anders möglich, als daß, wenn meine frühere Arbeit in eine spätere Leistung einfließt, ich einen gewissen Nutzen davon habe. Denn in Wahrheit arbeite ich zum Beispiel, sagen wir, heute ganz or­dentlich, und auf welchem Wege ist gleichgültig, aber von dem, was ich heute arbeite, wird in zehn Jahren irgendein neuer Betrieb gebaut. Das kommt dazu. Wenn ich heute arbeite, muß ich auch etwas für meine Arbeit haben. Es wird nur die Arbeit aufgespart für das nächste. Und das ist es, was ich rechtmäßigen Zins nenne, und ich habe es so genannt, weil ich eben in meinem Buch ehrlich sein will, weil ich keinen billigen Erfolg dadurch haben will, daß ich Weiß Schwarz nenne. Im Wirtschaftsleben muß vergangene Arbeit für künftige Leistungen verwendet werden. So wie Arbeiten in der Gegenwart eine Gegenleistung haben, so müssen sie auch in der Zukunft, wenn sie aufgespart werden, eine Gegenleistung hervorrufen. Das Wirtschaftsleben macht es notwendig, daß ver­gangene Arbeit in der Zukunft verwendet wird. Nehmen Sie dazu, daß das Kapital sich nach und nach aufzehrt. Während sich jetzt das Kapital in fünfzehn Jahren verdoppelt hat, wird es in Zukunft nach fünfzehn Jahren ungefähr aufhören zu existieren. Der umge­kehrte Prozeß findet statt! Wie die anderen Dinge stinkend wer­den, so auch das Geld. So trägt das Kapital keine Zinsen, aber es muß die Möglichkeit geschaffen werden, daß das, was früher gearbeitet wurde, in einer künftigen Leistung enthalten ist. Dann müssen Sie auch den Lohn dafür haben. Ich hätte es [in meinem Buch] Lohn nennen können, aber ich wollte ganz ehrlich sein und wollte zum Ausdruck bringen: Wirtschaften besteht darin, daß vergangene Arbeit in künftige Leistungen hineingesteckt wird,

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und da nenne ich die dafür gerechte Vergütung den Zins. Deshalb habe ich aber auch ausdrücklich gesagt: Es gibt keinen Zins vom Zins. Den kann es nicht geben, ferner auch nicht ein beliebiges Arbeitenlassen des Kapitals. Das Geld wird stinkig. Es geht ebenso wie andere Dinge, wie Fleisch und dergleichen, verloren. Es ist nicht mehr da, es arbeitet nicht weiterhin. Wenn Sie die Dinge so nehmen, wie sie in meinem Buch stehen, so müssen Sie überall bedenken, daß ich von dem ausgehe, was möglich ist und was wirklich werden soll, und nicht von Forderungen, die so entstehen, daß man sich sagt: Wir schaffen dies und jenes ab. Ja, meine werten Anwesenden, es könnte schließlich auch jemand auf die verrückte Idee kommen und sagen: Wir schaffen den Fußboden ab. - Dann würden wir nicht mehr gehen können! Man kann nicht Dinge abschaffen, die im wirklichen Wirtschaftsleben oder in anderen Bereichen einfach notwendig sind. Man muß die Dinge nehmen, wie sie sind, dann allein ist man ehrlich. Ich verspreche den Leuten nicht das Blaue vom Himmel herunter, sondern ich will von den wirklichen Lebensbedingungen des sozialen Organis­mus sprechen. Und so wollte ich hier sprechen von dem, was wirklich durchgeführt werden kann, und das wird schon dasjenige sein, was herbeiführt auch das, was unbewußt den Forderungen der breiten arbeitenden Masse zugrunde liegt. Und es ist besser, wenn man diese Forderungen aus der Kenntnis der Wirklichkeit heraus zu erfüllen trachtet, als wenn man die Menschen mit bloßen Versprechungen einlullt.

Herr Haupt aus Eßlingen: Er hat in seinem Betrieb schon vor längerer Zeit freiwillig Betriebsräte geschaffen. Er führt unter anderem aus:

Was stellt sich der Arbeitgeber unter dem Betriebsrat vor? Er sieht die Einrichtung der Betriebsräte als Schreckgespenst an! Die Pflicht des Arbeiters ist es, daß auch er Vertrauen entgegenbringt und sagt: Wir wollen nicht alles niederreißen, das ist nicht unser Ziel. Wir wollen arbei­ten, aber ohne Knute, frei aus dem eigenen Herzen heraus. - Wenn man so dem Arbeitgeber gegenübertritt, ist er auch willfährig. Ich weiß be­stimmt, daß eine große Anzahl Eßlinger Firmen die Sache so machen

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möchten. Sie können aber nicht, weil sie einen Kompromiß mit den Gewerkschaften geschlossen haben. Die Gewerkschaftsführer haben einen Tarifvertrag herausgebracht, sozusagen als letzten Trumpf, um so die Mas­sen, die nichts von ihnen wissen wollen, zusammenzubringen. Das ist ein Fehlgriff, der sich bitter rächen wird. Er wird zum Grab der Gewerkschaf­ten werden. Aus der Schweinerei können uns nur die Betriebsräte retten. Die Gewerkschaften haben das größte Interesse, dies nicht zu tun. Die Arbeitgeberverbände verstecken sich hinter ihnen und sind froh, daß es mit den Betriebsräten nicht so schnell geht, wie sie sich gedacht hatten.

Es gibt drei Wege, die Betriebsräte einzuführen: Entweder macht es der betreffende Arbeitgeber freiwillig - das habe ich gemacht -, das ist wohl das Vernünftigste. Ich sagte mir: Es ist eben einmal alles kaputt, darüber sind wir uns klar. Also sehen wir zu, daß wir etwas Neues finden, um doch noch aus dem Elend herauszukommen. - Das zweite ist: Nicht so viel reden! Handeln und nicht reden! Das Reden hat keinen Zweck. Da wird geredet und geredet, was sich doch der Bund für Mühe gegeben hat, und gesagt: Leute, greift doch mal zu. Man merkt nichts, die Leute schlafen. - Die dritte Maßnahme ist die Macht. Ich sage aber ausdrücklich: Macht ohne Terror, ohne Streik, das ist wichtig. - Mit Macht meine ich die Fähigkeit und das Bewußtsein, die Massen hinter sich zu haben. Die drücken dann die Dinge schon durch. Wenn die Sache so organisiert würde, wie ich mir das vorstelle, so würde zunächst der Bund oder eine Korporation der Arbeitervertreter zusammenkommen, und man würde sich die Ansichten und Widersprüche anhören. Dies macht sich dann die Korporation zunutze und pocht dann beim Arbeitgeber an. Mehr wie abgewiesen kann man nicht werden. Wenn aber die Arbeit­geber das abweisen, haben sie eine giftige Wunde geschaffen; es bleibt ein Vulkan. Nun, das wäre die letzte Hand, die sich die beiden reichen können. Ansonsten gibt es keine andere Möglichkeit als rücksichtslosen Terror. Wir können uns zusammenfinden, wenn wir nur wollen. Darauf kommt es an.

Die Aufgaben der Betriebsräteschaft sind nicht so einfach. Wenn man selbst Betriebsräte hat, weiß man, was für kuriose Dinge da an den Tag kommen können. Es gibt Menschen, die mit vollem Herzen dabei sind, aber es gibt auch solche, die mit politischen Absichten und dergleichen kommen. Wir haben schon verschiedenes erlebt. Zum Schluß möchte ich Ihnen noch sagen: Schreiten Sie heute zur Wahl und nicht erst morgen. Nehmen Sie Fühlung auf mit dem «Bund für Dreigliederung des sozialen

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Organismus». Ich bin überzeugt, daß die Gruppe in Stuttgart die Sache dann in die Hand nimmt. Sie versucht es, doch noch mit den Arbeitgebern übereinzukommen. Und dann stellen Sie sich vor die Unternehmer hin und sagen: Wir erklären, daß die Betriebsräte gewählt sind. - Vertrauen wir einander! Wehe, wer streikt! Sie dürfen nicht streiken! Es muß gehen ohne Terror, ohne Macht, ohne Seelenbeklemmung und dergleichen.

Herr Schlegel: Ich bin im Prinzip der Auffassung, daß die Betriebsräte und jene die Betriebsräte zusammenfassende Körperschaft, so wie sie Herr Dr. Steiner heute abend in dem Vortrag bezeichnet hat, die einzige prakti­sche Möglichkeit sind, um die Sozialisierung des Wirtschaftslebens durch­zuführen, die gewissermaßen die materielle Grundlage schaffen soll zum Aufstieg der Menschheit. Und heute abend wird wohl die einzige Möglich­keit sein, einen Schritt zur Sozialisierung hin zu tun, um unser Volk und Reich, um unser Land vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch zu retten. Ich bin andererseits der Ansicht, daß man nicht in wilder Weise, weil der «Bund» es tun will, die Betriebsräte ins Leben ruft. Die Voraussetzung wäre doch, daß die Unternehmer diesen Betriebsräten keinen Widerstand entgegensetzen. Wenn zum Beispiel nur in einem Teil der Betriebe die Betriebsräte eingeführt werden, wie denkt man sich dann die Zusammen­fassung, also die Körperschaft der Betriebsräte? Die Regelung der Produk­tion ist doch die Hauptsache. Wie denkt sich Herr Dr. Steiner, daß diese Körperschaften die Machtbefugnisse bekommen, wenn sich nicht die ge­samte politische und Staatsmacht in den Händen der Betriebsräte vereint? Ist es nicht unmöglich, für ein solch kleines Gebiet, wie es Württemberg ist, die Betriebsräte allein einzuführen? Denn die württembergische Indu­strie reicht noch nicht aus, um sämtliche Waren herzustellen. Württemberg benötigt den Austausch. Ich bitte Herrn Dr. Steiner, sich zu diesen Beden­ken zu äußern.

Herr Dr. Steiner hat gesagt, es sei eine Unmöglichkeit, durch gesetzli­che Bestimmungen die Betriebsräte ins Leben zu rufen. Ich bin der Auffas­sung, daß es notwendig ist, daß nach zentralistischem Prinzip die Wahl der Betriebsräte zur Pflicht gemacht wird. Das Wesentliche würde nur sein, welche Form das Gesetz haben wird. Es könnte ja auch die Form haben, die notwendig ist. Wenn die gesamte Arbeiterschaft, geistige und Handarbeiterschaft, einig ist und politische Macht hat, dann wird es leicht sein, die politische Macht im Staat zu erringen und dann die nötigen Maßnahmen zur Sozialisierung zu ergreifen. Ich richte meinen Appell vor

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allen Dingen an die Vertreter der sozialistischen Parteien, daß es ihre Pflicht und Schuldigkeit ist, vor allen Dingen darauf hinzuwirken, daß eine Einigkeit zustande kommt.

Ich erinnere daran, daß wir große Massen der Angestellten und der Landbevölkerung für die Idee des Sozialismus gewinnen könnten, wenn man nur einig wäre. Wir brauchen gerade das geistige Proletariat und die Bauernschaft, wenn wir die Sozialisierung durchführen wollen. Es ist begreiflich, daß große Arbeitermassen zur USP und zu den Kommunisten gehen, denn dort, wo geschimpft wird, wendet man sich hin, wenn man die Befriedigung seiner Wünsche nicht erlangen kann. Herr Dr. Steiner hat schon darauf hingewiesen, daß in einem großen Teil der Arbeiterschaft noch die Ideen leben und daß die Verhältnisse heute so liegen wie vor Aus­bruch des Krieges und daß man, wenn man die Sozialisierung in Angriff nimmt, sehr rasch eine materielle Besserung für die Masse der arbeitenden Bevölkerung erreichen würde. Das ist ein Irrtum! Wenn wir auch die Soziali­sierung in Angriff nehmen durch die Betriebsräte und durch die Dreiglie­derung des sozialen Organismus, dann ist damit im Augenblick nur das erreicht, daß wir unser Wirtschaftsleben zunächst vor dem Untergang bewah­ren. Es wird noch einer jahrelangen Arbeit bedürfen und vor allen Dingen der Zertrümmerung des Entente-Kapitalismus, bevor sich die Früchte der Sozialisierung zeigen werden. Die Parteiführer müssen auch in dieser Be­ziehung ihre Anhänger auf die tatsächlichen Verhältnisse hinweisen.

Ich möchte noch darauf hinweisen, daß doch eigentlich eine Dreigliede­rung des sozialen Organismus vorhanden ist [Zwischenruf: oho] und daß es sich darum dreht, sie umzuformen und in andere Bahnen zu lenken [Lachen]. Die drei Gebiete sind ja nur verquickt [Lachen], sie sind ja nur auseinanderzureißen. Ich sage das deshalb, weil in vielen Kreisen die Ansicht besteht, daß etwas Neues geschaffen werden soll. Es handelt sich nur um eine Umformung, und zwar nach den Grundsätzen, die der «Bund für Dreigliederung» vertritt.

Ebenso notwendig wie die Schaffung der Betriebsräte wäre es, daß man in geistiger Beziehung die Arbeiterschaft und die Angestellten mehr bearbeitet, als es bisher geschehen ist. Gerade die ethischen Ziele des Sozialismus sind heute in den Hintergrund geschoben worden gegenüber den materiellen Zielen. Es müßte hierfür agitiert werden. Herr Dr. Steiner meint, die Betriebsräte werden die Einigkeit des Proletariats bringen. Ich meine, die Einigkeit des Proletariats wird die Sozialisierung und die Be­triebsräte bringen.

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Herr Haller: Ich möchte einiges korrigieren, was die Redner gesagt haben. Ein Herr hat gesprochen von Macht ohne Terror. Wenn heute die Arbei­termassen diesen Betriebsräten noch so skeptisch gegenüberstehen, so kommt das daher, daß die Arbeiterschaft wohl weiß, daß es in der Weltge­schichte nirgends geschrieben steht, daß der Kapitalismus jemals freiwillig auf seine Vorrechte verzichtet und das ganze System in die Hand der großen Massen gelegt hat. Ich meine, das Wichtigste wäre nicht, die Be­triebsräte schnell zu wählen, sondern die Idee unter die Massen zu streuen, denn die Betriebsräte sind schnell gewählt, wenn die Ideen erst mal unter den Massen verbreitet sind. Es wurde gesagt, die Wahl der Betriebsräte sei eine Vorarbeit. Ich kann dem nicht widersprechen, aber ich möchte doch betonen, daß wir kein Interesse daran haben, den Zukunftsstaat in kapitalistischer Form weiterzuführen. Wir müssen etwas Neues aufbauen.

Wenn die Betriebsräte über den Industriestaat Württemberg hin selbst zu Machtfaktoren würden, wäre es doch vielleicht unmöglich, sich auf Dauer über das ganze Reich hin zu behaupten, denn die Kapitalisten sind sich einig und werden sich auch wieder versöhnen mit den Entente­Kapitalisten. Wenn die Arbeitermassen international sich so einig wären wie die internationalen Kapitalisten, dann wäre uns dieser fürchterliche Trümmerhaufen erspart geblieben. Wir müssen versuchen, die ganze Wirt­schaft in die Hand zu bekommen.

Herr Dr. Steiner hat gesagt, daß viele die Sozialisierung noch nicht begriffen hätten. Die Arbeiter verstünden nicht, was damit gemeint ist. Da ist noch viel Aufklärung zu schaffen. Und die geistigen Arbeiter waren sich auch bisher noch nicht bewußt, daß sie ebenso vom Unterneh­mer abhängen wie der proletarische Handarbeiter. Es ist gesagt worden, es müsse eine Brücke geschlagen werden zwischen Handarbeiter und Kopfarbeiter. Ich habe noch nicht viel von solch einem Brückenschlag gesehen. Wenn die Führer nicht gewillt sind, diese Brücke zu errichten, müssen die Kopfarbeiter und die Handarbeiter selber das Nötige tun. Wenn gesagt wird, wir würden dann eventuell das Schlachtfeld abgeben zwischen Bolschewismus und Entente-Kapitalismus, muß ich doch sagen, daß die Verhältnisse in Rußland und in Deutschland ganz andere sind. In Rußland haben die geistigen Arbeiter Sabotage getrieben. Ich bitte die Handarbeiter, in dieser schweren Stunde dieses Unheil zu verhüten. Die geistigen Arbeiter müssen uns zur Seite stehen, damit wir endlich zum Ziel kommen. Wenn heute ein Betriebsrat gewählt ist und der ganze Wirtschaftskörper in unserer Hand ist, wird ein Direktor nicht mehr

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Rechte haben als ein Betriebsrat. Die Betriebsräte sollen die Urzelle des Wirtschaftslebens sein. Da müssen die Betriebsräte hergehen und sagen:

Herr Direktor, Sie dürfen den Posten unter unserer Kontrolle und Füh­rung weiter verwalten. Wir sind nicht dazu da, die Leute davonzujagen, sondern wir wollen nur gleiches Recht für alle.

Herr Biel: Ich wollte eigentlich auf das Wort verzichten, aber da ich auch zu den Betriebsräten gehöre, möchte ich doch einige Worte sprechen. Ich möchte darauf zurückkommen, wie notwendig es eben ist, daß wir eine neue Wirtschaftsform zu schaffen suchen. Diese neue Wirtschaftsform kann meines Erachtens nur durch die Dreigliederung, wie sie Herr Dr. Steiner vorschlägt, gefunden werden. Sie wissen wohl alle, daß die uns auferlegten Bedingungen sehr schwer sind. Wir werden beginnen müssen mit einer Anzahlung, und schon diese Anzahlung bedingt einen Umbau des Wirtschaftslebens. Da kann es nicht mehr so sein, daß wir unter den alten Bedingungen produzieren, daß wir dastehen als Arbeiter mit dem sogenannten Minimalexistenzlohn und nebenan ein Kapitalist ist, der Mil­lionen erwirbt. Wir dürfen dann immer aus unseren Knochen heraus die Schulden bezahlen, die diese alte Gesellschaft und die noch bestehenden Kapitalisten gemacht haben. Schon aus diesen Gründen heraus sollte sich jeder Mensch darüber klar sein, daß die alte Methode ein Ding der Un­möglichkeit ist. Ich glaube doch, daß in der Menschheit noch so viel Vernunft Platz greifen wird, daß die Bedingungen der Entente als Unmög­lichkeit zurückgewiesen werden. Ich glaube, es wird sehr bald geschehen. Treten wir heran an die Wahl von Betriebsräten und lassen das, was unsere Brüder im Osten gewonnen haben, nicht wieder heruntersinken, so daß sie uns später nicht Vorwürfe machen müssen wie: Man hat euch Wege gewiesen, aber ihr wolltet sie nicht gehen. - Sie haben uns die Elementarschule gezeigt, nun wollen wir sehen, ob wir zur Reifeprüfung fähig sind.

Herr Spörr: Es ist uns allen klar, daß die Betriebsräte eine Notwendigkeit sind. Es ist uns auch ferner klar, daß in unserem ganzen Geistesleben, in alledem, was wir denken und fühlen, neue Bahnen eingeschlagen werden müssen. Ich begrüße es daher, daß Herr Dr. Steiner es in so packender Weise versteht, die Gedanken in die Massen hineinzuwerfen und hier auch seine Anhänger zu finden. In den Ausführungen des Herrn Dr.

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Steiner ist für mich aber eine große Frage offengeblieben: Wie wird der Widerstand der Arbeitgeber dieser Bewegung gegenüber gebrochen? Die Arbeitgeber werden sich auf den Standpunkt stellen, nur das zu gewähren, was sie gesetzlich gewähren müssen. Die Gesetze, die heute gemacht wer­den, werden aber nicht von Praktikern, sondern von Parteibonzen ge­macht. Es müssen Männer erstehen, die uns Gesetze schaffen, mit denen etwas anzufangen ist. Und wir müssen rasch handeln, sonst werden wir vom Entente-Kapitalismus erdrückt. Bis die Arbeiterschaft der Entente sich dazu durchgerungen hat, das zu verstehen, was uns die Not gelehrt hat, darüber vergeht noch viel Zeit.

Ich glaube, daß es nur eine Richtlinie gibt, nämlich daß wir so schnell wie möglich dahin wirken, daß die geistigen Arbeiter beizeiten sich da einschalten, wo die organisierte Arbeiterschaft sich eingeschaltet hat. Das war der Fluch der Revolution, daß gerade die gebildeten Volksmassen politisch nicht auf der Höhe gewesen sind. Hier erwächst dem «Bund» die Aufgabe, vor allen Dingen aufklärend zu wirken. Wenn wir heute die bürgerlichen Kreise betrachten und sehen, daß die Leute, die der Arbeiterschaft das freie Wort verdanken, sich dazu hergeben, diese Arbei­terschaft niederzuknallen, so sind das Faktoren, die uns zu denken geben. Ich halte es nicht für richtig, wenn sich die Regierung nur durch Bewaff­nung halten kann. Hier muß vor allen Dingen Aufklärung hinausgetragen werden.

Herr Gönnewein: Die meisten Redner sprachen mit Recht sehr deutlich aus, daß nun der Worte genug gesprochen wären, man wolle Taten sehen. Das ist nur zu unterstreichen. Wenn wir heute nicht zur Tat schreiten können, so liegt das aber nicht daran, daß das Volk nicht reif ist, sondern daß es nicht einig ist. Reif, glaube ich, ist das Volk eigentlich. Zumindest dürfte man es annehmen, daß es in diesen vier Jahren zur Reife gebracht worden ist. Aber man versucht von allen Seiten, das Volk zu veruneinigen, weil man nicht will, daß von anderer Seite her etwas kommt, was nicht von den sogenannten Parteiführern selbst kommt. Wenn wir heute in verschiedenen Betrieben und insbesondere in Großbetrieben noch keine Betriebsräte haben, so ist das nicht deshalb, weil das Volk nicht reif dazu ist, sondern weil man von allen Seiten versucht, die Sache zu unterbinden. Wir sind eines guten Willens dazu. Aber weil es gerade Herr Dr. Steiner war, der mit dieser Idee der Dreigliederung kam, und nicht diejenigen, die sich berufen dazu glauben, deshalb ist es nicht das Richtige. Ich

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ennnere daran, daß, als die ersten Vorträge von Herrn Dr. Steiner vor der Arbeiterschaft gehalten wurden, ihm die Arbeiterschaft zujubelte und erklärte, daß da etwas gekommen sei, wodurch die Arbeiterschaft aus dem Elend befreit werden könnte. Nachdem man die Sache untersuchte, kam man zu der Überzeugung der Parteiführer, nämlich: Wenn man der Sache zu sehr huldige, dann könnten die Felle für verschiedene Herren davonschwimmen. - So zog man die Sache in den Kot, so daß viele sich an die Parteibonzen heranschlichen, um für sie Stimmung zu machen. Nicht die Arbeit der Parteibonzen ist gefährlich, sondern deren Trabanten sind es, weil sie sich ein Dogma aufoktroyieren lassen. Das ist ein unge­sundes Verhältnis. Solange das nicht begriffen wird, werden wir aus dem Wirrwarr nicht herauskommen.

Mit Recht ist angeführt worden, daß man versuche, nur Agitationsre­den zu halten. Sie können überall hingehen. Jeden Tag ist Gelegenheit geboten, alles mögliche zu hören. Heute wäre es angemessen gewesen und eine besondere Genugtuung gewesen, wenn diese Herrschaften zum Diskussionsabend gekommen wären und uns klar gesagt hätten, daß sie etwas Besseres haben als die Idee von Herrn Dr. Steiner. Wir versuchen bei jeder Gelegenheit, die Herrschaften einzuladen, um endlich einmal etwas Besseres zu bekommen. Das ist aber noch nicht geschehen.

Es wurde ja schon darauf hingewiesen, daß der Kapitalismus nicht auf seine Vorrechte verzichten wird, selbstverständlich nicht. Das ist für uns ein unantastbarer Gegner, dessen sind wir uns bewußt. Wir wissen genau, daß er nur durch intensiven Kampf zur Strecke gebracht wird. Aber, von einem solchen Kapitalismus können wir ja gar nicht mehr reden. Nach einem solchen Elend kann in diesem Umfang gar nicht mehr von Kapitalismus gesprochen werden. Heute kommt es darauf an, daß wir, wenn wir nicht dem Elend verfallen wollen, dazu übergehen müssen, die gesamte Menschheit zusammenzufassen, um etwas aus dem Trümmer-feld herauszuholen. Da darf nicht die Rede davon sein, daß man sich nicht solidarisch erklären kann mit den Geistesarbeitern. Ein Redner sagte, die Brücke zwischen Hand- und Geistesarbeitern sei noch nicht errichtet. Gewiß, es gibt Handarbeiter, welche den guten Willen haben, die Brücke zu errichten. Ich möchte aber daran erinnern, daß es wiederum gerade diejenigen sind, die noch nichts von der Brücke gesehen haben, die verhin­dern, das zu tun, was nötig ist. Wenn man zum Beispiel mit einem Ingenieur oder einem höheren Angestellten spricht, rufen sie einem nach:

Schaut her, dieser Arbeiterverräter! Er schmust mit dem Kapitalismus!

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Wie soll man da die Brücke herstellen, um eine Einigung herbeizuführen? Hierüber müßte zweifellos noch mehr nachgedacht werden.

Wenn gesagt wird, daß wir den Kampf gegen den Kapitalismus aufneh­men müssen und die Diktatur des Proletariats errichten und dann die Dreigliederung einführen müssen, so sind wir uns dessen bewußt, daß die Sache, wenn wir nicht die Macht haben, an dem Geist des Unterneh­mers scheitern muß. Ich bin aber zu der Auffassung gekommen, daß es nicht so bleibt, sondern daß uns die kommende Zeit schon einiges geben wird. Wir müßten ja von allen guten Geistern verlassen sein, wenn wir nicht aus dem, was heute ist, sehen würden, daß etwas Neues kommen muß. Dann aber ist es notwendig, daß wir nicht in den Fehler verfallen wie am 9. November, wo wir ja um die ganze Geschichte betrogen worden sind, die Sache nicht bewußt genug anzugehen. Wir mussen uns heute mit dem Gedanken befassen, etwas Greifbares hinstellen zu wollen, damit, wenn wir die Macht haben, wir auch etwas daraus zu machen wissen. Wenn mir die Kommunisten sagen: Wir wollen alles auf die Art haben, wie wir es uns denken -, dann rufe ich ihnen zu: Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. - Da muß man fragen: Wenn das Volk nicht reif sein soll zum Sozialismus, wie sollte dann der Kommu­nismus Platz haben? Leider sind wir noch nicht so weit gekommen, daher befassen wir uns mit dem, was uns Gelegenheit gibt, hinaufzukommen zum Licht. Und da muß ich sagen: Die Dreigliederung ist eine Etappe, um von ihr aus emporzusteigen zum Sozialismus. Daher ist es ungerecht, daß man uns dauernd anschimpft, weil wir uns mit den Kapitalisten, die heruntergestiegen sind zum Proletariat, um mit den Proletariern gemein­sam etwas zu tun, damit die Menschheit überleben kann, solidarisch erklä­ren. Es ist heute nicht mehr alles so anzusehen, wie es 1913 war. Es sollte heute einer kommen und uns erklären, wie wir auf eine bessere Art aus dem Elend herauskommen! Solange das nicht geschieht, so lange ist es eine Ungehörigkeit, wenn man in den Zeitungen und andernorts diese Idee in den Dreck zieht. Heute wäre die Gelegenheit gegeben, daß sich die Herrschaften hinstellen und einen besseren Weg zeigen. Ich rufe Ihnen zu: Lassen Sie sich von diesen Herrschaften nicht beirren! Wenn Sie sich dem Gedanken der Dreigliederung angeschlossen haben, so lassen Sie sich nicht von denen sagen: Es ist nicht der richtige Weg -, sondern wählen Sie selbst! Lassen Sie sich nicht zu denen zählen, die sich ein Dogma aufoktroyieren lassen, sondern gehen Sie den geraden Weg als kampfes- und klassenbewußter Arbeiter in den Parteien! Aber hinsichtlich

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der Aufnahme einer Idee kann man sich auch hier im «Bund für Dreiglie­derung» anregen lassen. Hier hat sich der Proletarier und auch der klassen­bewußte Kämpfer nichts zu vergeben. Deshalb müssen Sie jederzeit, wenn man an Sie von der Partei her herantritt, sagen, daß es eine Ungerechtig­keit ist, Sie einzuschränken, wenn Sie dahin gehen, wo Sie Ihr Gewissen hinschickt, wo Sie etwas lernen können.

Am 2. Juli wird hier eine Fortsetzung der Diskussion sein. Ich möchte Sie bitten: Bringen Sie auch solche Leute mit, die noch keinen Glauben haben an die Dreigliederung. Wer heute abend seine Ohren gespitzt hat, wird schon gemerkt haben, um was es sich handelt. Wir brauchen keine Lehrgänge mehr zu machen, brauchen nicht zu erforschen, was der «Bund» will, aber wir wollen bestrebt sein, die Idee der Dreigliederung auch in andere Kreise zu tragen, und den Führern sagen, daß sie sich auf ihren Hosenboden setzen und das Buch von Herrn Dr. Steiner lesen sollen. Dann werden sie schon zu einer anderen Meinung kommen. Schrei­en Sie es den Herrschaften in die Ohren, damit sie endlich begreifen, denn sie sind schwer von Begriff

Rudolf Steiner: Nur noch weniges werde ich Ihnen zu sagen ha­ben, allein dies wenige wird notwendig sein.

Zunächst ist gesagt worden, daß ja im Prinzip die einzige prakti­sche Möglichkeit zur Lösung der Sozialisierungsfrage schon in dem läge, was von der Dreigliederung in bezug auf die Betriebsräte gewollt wird oder ähnliches. Aber es ist getadelt worden, daß der «Bund für Dreigliederung» in wilder Weise die Betriebsräte wählen lassen will. Ja, ich verstehe eigentlich nicht ganz, was damit ge­meint sein soll, daß just das eine wilde Wahl sein soll. Man kann unter Umständen sogar der Meinung sein, wenn man ganz unbe­fangen den Entwurf des Gesetzes für die Betriebsräte durchstu­diert, der ja vor einiger Zeit durch die Presse gegangen ist, daß der eine wilde Sache ist. Also es kommt darauf an, daß man versucht, die Sache wirklich unbefangen zu sehen. Dann wird sich zeigen, daß in der Tat, wenn aus dem wirtschaftlichen Leben heraus das zustande kommt, was wir uns als Betriebsräte denken, ein gutes Stück von dem dasteht, was in der Zukunft als eine wirkliche Macht erobert werden muß. Wenn man immer sagt:

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Wir kommen doch nicht weiter, wenn wir dies und jenes nicht haben, und daß uns die wirtschaftliche Macht nichts nützt, wenn wir nicht die politische Macht haben und dergleichen, so muß man demgegenüber doch sagen, daß es sich doch darum handelt, daß man einmal irgendwo anfängt, und daß man sich nicht immer dadurch abhalten läßt, daß man sagt, das nützt nichts und das nützt nichts.

Sehen Sie, ich kann ja gut verstehen, wenn jemand sagt: Wenn auch so ein kleines Gebiet wie Württemberg Betriebsräte wählt, so werden es doch nicht alle tun; ganz Deutschland sollte wählen. -Ja, selbstverständlich wäre das das beste, wenn gleich die ganze Welt Betriebsräte wählen würde. Aber ich denke, weil wir das nicht gleich in der ganzen Welt tun können, fangen wir mal da an, wo wir es tun können. Wir müssen mit den Verhältnissen rechnen, die vorhanden sind, und da liegt uns zunächst als ge­schlossenes Wirtschaftsgebiet Württemberg vor. Fange man nur irgendwo an, dann wird schon, wenn die Sache gehen wird, auch eine Fortsetzung möglich sein. Ich denke, daß man sich durch all die Einwände nicht beirren lassen soll. Wenn nicht gleich in ganz Deutschland die Betriebsräte in Szene gesetzt werden können, so muß man eben für Württemberg an das Fruchtbare denken. Das, worauf es gerade ankommt, das ist, daß man diese Dreigliede­rung einsieht, daß man sieht, es muß auf jedem der drei einzelnen, selbständigen Gebiete des sozialen Organismus die Sache in die Hand genommen werden. Ich muß schon sagen, daß der verehrte Redner, der von den wilden Betriebsräten gesprochen hat - weil sie reinlich aus dem Wirtschaftsleben hervorgegangen sind -, die Dreigliederung doch noch nicht ganz gehörig verstanden hat, sonst hätte er nicht sagen können, daß diese Dreigliederung eigentlich schon da ist und die drei Glieder nur durcheinander gemischt sind. Selbstverständlich sind diese drei Glieder des sozialen Orga­nismus da, aber daß sie früher durcheinander waren, das ist es eben, was nichts taugte. Deshalb wollen wir sie auseinanderreißen. Es kommt nicht darauf an, daß sie da sind, sondern wie sie gestaltet sind beziehungsweise gestaltet werden sollen. Und der

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«Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus» hätte sich ganz gewiß nicht gebildet, wenn es nicht darauf ankäme, gerade diese drei Glieder in einer richtigen Weise nebeneinander in ihrer Selbständigkeit hinzustellen. Daß die drei Glieder sich im Leben in der richtigen Weise neheneinanderstellen, das ist es, worauf es ankommt.

Es ist noch einiges andere gesagt worden, namentlich von dem einen Herrn, der so ein bißchen mit einem kleinen lächelnden Blick den «Idealisten» wiederum gestreift hat. Aber das, was der Herr gesagt hat, gerade das war durchaus von einem gewissen abstrakten Idealismus getragen. Er hat zum Beispiel gesagt: Prakti­ker müssen erstehen. - Ja, wir müssen die Dinge, so wie sie sind, an die Menschen heranbringen, dann ist man ein Praktiker, nicht wenn man idealistisch ruft: Praktiker müssen erstehen. Wir wollen nicht warten, sondern wir wollen solche Maßnahmen treffen, daß die Praktiker sich geltend machen können. Das ist das, was wir tun können. Der Ruf «Praktiker sollen erstehen» ist ein abstrakt idealistischer Ruf. Man darf auch nicht sagen: Es wird ein Kampf erstehen. - Dadurch entstehen keine Praktiker, sondern sie entste­hen durch die Befreiung des Geisteslebens und der anderen Gebie­te. Denn wenn immer wieder gesagt wird, daß wir Entwicklung brauchen, und es wird gewissermaßen ein Pessimismus in das Gan­ze hineingebracht, so möchte ich Sie doch darauf aufmerksam machen - ich habe zwar auch an den entsprechenden Stellen in meinem Buch darauf hingewiesen -, daß gewisse Dinge nicht von heute auf morgen gemacht werden können. Aber schließlich, die Betriebsräte können in einer gewissen Weise von heute auf morgen auf die Beine gestellt werden, und dann wird es schon weitergehen. Da handelt es sich nicht darum, daß man immer nur hinweist auf Entwicklung, sondern darum, daß man Hand anlegt an das, was zunächst wirklich getan werden kann. Ich möchte eigentlich immer denjenigen, die von der Entwicklung sprechen, entgegenru­fen, daß sie mir vorkommen wie ein Mensch, der in einem Zimmer sitzt, in dem die Luft schlecht geworden ist, und der, bevor er ohnmächtig wird, ja das Fenster öffnen könnte, damit die Luft

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besser werde, aber er müßte eben den nächsten Handgriff tun. Er sollte nicht warten, bis es die Entwicklung mit sich bringt, daß die Luft besser wird. - Das ist das, was wir endlich begreifen sollten, daß da, wo menschliche Handlungen in Betracht kommen, Menschen auch wirklich Hand anlegen müssen. Wir können nicht warten, bis die Arbeiter der Entente uns zu Hilfe kommen kön­nen. Tun wir das, was die Arbeiter hier tun sollen, dann ist die Möglichkeit gegeben, daß wir vorwärts kommen und an das Nächstliegendste herangehen. Das wird uns mehr frommen, als wenn wir uns abstrakten Idealen widmen.

Jetzt möchte ich insbesondere noch auf eines zurückkommen. Es wird ja immer gesagt, daß die Sozialisierung nur aus der Einig­keit des Proletariats hervorgehen kann. Man kann ebensogut sagen, und das wird das wirklich Praktische sein, daß das Proletariat doch einmal versuchen soll, sich einer großen Aufgabe zu widmen! Wodurch entsteht denn die Uneinigkeit? Sie entsteht dadurch, daß man sich nicht die richtigen Aufgaben stellt, daß man an den Dingen vorbeiredet, daß man nicht viel über das redet, worauf es ankommt, nicht über das, wo der Schuh drückt, sondern daß man Parteiprogramme macht, die man beliebig variieren kann. Da kann der eine das und der andere das sagen. Aber in wirklich sachlichen Dingen, da sind sich die Proletarier einig. Sie brauchen sich nur darauf zu besinnen, daß es ja auf die Sachfragen ankommt. Daher versuche man einmal, eine Körperschaft zu begründen, die aus dem Vertrauen der Arbeiterschaft hervorgeht, in der man über Sachfragen und das sachlich Notwendige verhandelt. Sie werden sehen, daß man sich da schon einig sein wird, denn da wird man über etwas reden, was wirklich ist, und nicht über etwas, was ein bloßes Parteiprogramm und dergleichen ist. Parteiprogramme sind meistens dazu da, um an der Sache vorbeizureden. Versuchen Sie, mit dieser Betriebsräteschaft den Anfang zu machen und damit über die sachlichen Dinge selbst zu reden, und die Einigkeit wird vielleicht gerade dadurch wie von selbst entstehen,

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Herr Gönnewein: Sie haben die letzten Worte gehört, und ich möchte Ihnen noch sagen: Beherzigen Sie das, was zum Ausdruck gekommen ist! Tragen Sie es hin zu Ihren Kollegen, damit es fruchtbringend wirkt zum Heile des dreigliedrigen sozialen Organismus. - Hiermit ist die Ver­sammlung geschlossen.

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SECHSTER DISKUSSIONSABEND Stuttgart, 2. Juli 1919

Der Vorsitzende, Herr Roser, eröffnet die Versammlung

Einleitende Worte

Rudolf Steiner: Meine werten Anwesenden! Ich will mich auch heute wiederum kurz fassen und hoffe, daß Sie von der Diskussion lebhaften Gebrauch machen werden, so daß wir heute vielleicht auch die eine oder die andere Einzelheit besprechen können. Da die Ereignisse immer mehr zu einer Neugestaltung der sozialen Ordnung drängen, würde es nicht gut sein, wenn die Bestrebun­gen, welche dazu bestimmt sind, eine solche Neugestaltung herbei-zuführen, also solche Bestrebungen wie die der Begründung von Betriebsräten, wiederum völlig einschlafen würden. Denn, meine werten Anwesenden, es gibt ja wohl Leute, denen es ganz recht wäre, wenn diese Betriebsrätebewegung wieder einschlafen würde. Um so mehr müssen wir uns bemühen, sie nicht einschlafen zu lassen. Ich möchte, nachdem ich in der letzten Versammlung über die Dreigliederung und ihre Verbindung mit der Betriebsrätefrage gesprochen habe, heute einige Worte zu Ihnen sprechen über et­was, was gerade mit Rücksicht auf die Dreigliederung ein Ver­ständnis für die Betriebsräteschaft herbeiführen kann.

Sie wissen ja, daß wir zunächst die Betriebsräte einfach aus den einzelnen Betrieben heraus schaffen wollen. Wir wollen, daß aus den einzelnen Betrieben heraus Betriebsräte gewählt werden, die also dann einfach da sind und die dann eine Betriebsräteschaft über ein zunächst in sich geschlossenes Wirtschaftsgebiet, sagen wir Württemberg, bilden. In einer Urversammlung dieser Betriebs­räteschaft würde dann alles festzulegen sein, was Aufgabe, Kompe­j tenz und so weiter der Betriebsräte ist. Es würden sich dadurch zum ersten Mal unabhängig von den beiden anderen Institutionen,

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also dem Geistesleben und dem Staats- oder Rechtsleben, wirt-schaftliche Maßnahmen aus den wirtschaftenden Persönlichkeiten heraus ergeben. Diese Maßnahmen würden also erst beschlossen werden in der Urversammlung der Betriebsräteschaft. Dann erst wären die Aufgaben da. Dann würden die einzelnen in den Betrie­ben gewählten Betriebsräte in ihre Betriebe zurückkehren und dort ihre Aufgaben übernehmen. Zugleich würden dann auch die For­derungen, die überhaupt nur für die allgemeine Sozialisierung ge­stellt werden können, auf dem Tisch liegen. Wenn dann eine wirk­liche Einmütigkeit da wäre - denn in dieser Einmütigkeit liegt die Macht -, müßte sich jede Regierung, welche es auch sei, fügen müssen. Ich glaube sogar, daß manche Leute es schon deutlich fühlen, was es bedeuten würde, wenn aus sämtlichen Betrieben heraus diese Betriebsräte gewählt würden und über ein geschlosse­nes Wirtschaftsgebiet hin eine Urversammlung bilden würden und wenn aus dieser Urversammlung wiederum Beschlüsse hervorgehen würden, die dann vom Vertrauen der gesamten Arbeiterschaft die­ses Wirtschaftsgebietes getragen würden. Das würde eine wirkliche Macht sein, denn einer auf einem eigenen Urteil und der Einmütig­keit und dem Vertrauen gegründeten Macht wird auf die Dauer keine Regierung, keine gesetzgebende Körperschaft widersprechen können. In dieser Weise kann man sich ganz konkret den Weg denken. Damit aber würde zugleich der erste Schritt zu einer wirklichen Sozialisierung getan sein, einer Sozialisierung, die doch nur hervorgehen kann aus den Bestimmungen und Maßnahmen der wirtschaftenden Menschen selber. Vielleicht wird man dann, wenn einmal die Beschlüsse einer solchen Betriebsräteschaft da sind, erst wissen, was eigentlich Sozialisierung bedeutet.

Nun muß man sich aber auch darüber im klaren sein, daß bei der Wahl der Betriebsräte sehr einsichtsvoll umgegangen werden muß, denn diese Betriebsräteschaft wird in vieler Beziehung ganz neue wirtschaftliche Maßnahmen treffen müssen, wird ganz neue Impulse setzen müssen. Ich habe schon öfter gesagt, wenn ich über diese Dinge im Zusammenhang mit der Dreigliederung ge­sprochen habe, daß wir in der Gegenwart vor allen Dingen ein

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Umdenken, ein wirkliches Umdenken brauchen. Und ich stelle mir vor, daß dann, wenn zum ersten Mal innerhalb eines geschlos­senen Wirtschaftsgebietes, getragen von dem Vertrauen der gesam­ten Arbeiterschaft, die Urversammlung einmütig eine solche wirt­schaftliche Maßnahme trifft, daß gerade dann ein Umdenken, ein Umlernen zum Vorschein kommen könnte. Da muß man aber wissen, wie stark mit Bezug auf das wirtschaftliche Leben heute eigentlich umgedacht werden muß. Ich möchte Ihnen deshalb, da­mit Sie sich über die schweren Aufgaben der Betriebsräte orientie­ren können, ein Beispiel des alten Denkens schildern.

Sehen Sie, dieses alte Denken ist ja nicht etwa bloß eine Summe von Gedanken, sondern es ist der Ausdruck für die Wirtschafts­ordnung, die bisher bestanden hat und die durch die Weltkriegska­tastrophe ihr Ende gefunden hat. Aber das, was die Leute dachten, das ragt noch in die neuere Zeit herein, und das ist dasjenige, was im Grunde genommen einmal gründlich aus den Köpfen ent­fernt werden muß. Hierzu möchte ich nun ein charakteristisches Beispiel anführen. Da ist soeben ein Aufsatz von einem sehr be­rühmten Volkswirtschaftslehrer des alten Regimes erschienen, also von einem Manne, der in seinen Gedanken viel von dem hat, was das alte Regime, was das sogenannte Privatkapital-Regime, das überwunden werden muß, hervorgebracht hat. Ich möchte Ihnen das, was da von dem Professor Dr. Lujo Brentano gesagt wird, als Beispiel anführen für das, was im alten Regime waltet. Diese Gedanken von Brentano beziehen sich auf den Unternehmer des alten Regimes, und er bemüht sich allen Ernstes, soweit es ihm möglich ist, sich einen Begriff auszubilden von dem, was nun eigentlich der Privatunternehmer ist. Daß er diesen Privatunterneh­mer durchaus nicht als ein überflüssiges Möbel der künftigen Wirt­schaftsordnung betrachtet, das sehen Sie aus den Schlußworten Brentanos. Er sagt:

«Viele glauben heute, das private Unternehmertum gehe seinem Ende entgegen. In der Kontrolle so vieler Unternehmungen größten Stils durch die Banken sehen sie den Beginn der Aufsaugung alles Unterneh­mertums in ein Gesamtunternehmen und in dieser die Überleitung

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aller Unternehmungen in den Betrieb des Staats. Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, welche der privaten Unternehmung von ihr bisher kaum berührte Erdteile erschließt, und das hat die bisherige Erfahrung gezeigt, daß die verschiedenen Nationen in dem Wettkampf um diese Erschließung als Sieger hervorgehen, je weniger sie dem Staa­te, je mehr sie der privaten Initiative überlassen. Je mehr die Volkswirt­schaft der einzelnen Völker Weltwirtschaft wird, desto größer der Spiel­raum der privaten Unternehmung, desto größer deren Zukunft. Sie wird ihre Aufgabe aber nicht nur um so segensreicher, sondern auch um so widerspruchsfreier und damit um so vorteilhafter fijr sie selbst lösen, je rückhaltloser sie eines der Grundprinzipien der heutigen Wirt­schaftsordnung, die persönliche Freiheit, auch in der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses zur Anerkennung bringt und je mehr sie das Geld, das sie verdient, zu verdienen sucht, nicht auf dem Wege der Wertstei­gerung durch Verkümmerung der Bedürfnisse, denen ihre Produkte dienen sollen, sondern durch möglichst vollkommene Befriedigung der­selben bei wirtschaftlichster Verwendung der Produktionsmittel. Solan­ge dies der Gesichtspunkt ist, von dem sie sich leiten läßt, ist ihr Ende noch nicht abzusehen.»

Also Sie sehen, ein richtiger Vertreter der alten Wirtschaftsord­nung sagt hier, daß das Privatunternehmertum nicht nur nicht zu Ende ist, sondern daß es jetzt erst recht zu blühen beginnt, denn ohne dieses Privatunternehmertum wäre die Wirtschaftsordnung, die sich in Zukunft entwickeln soll, ganz und gar nicht möglich. Wir haben also die Meinung vor uns, die heute noch viele Kreise beherrscht, nämlich daß eine Abschaffung des Privatunternehmer­tums nicht in Frage komme, da es eine Zukunft hat. Deshalb muß man sich schon, wenn man nun ernsthaft und nicht bloß agitatorisch an die Frage der Ablösung des alten Unternehmertums durch die Betriebsräte herangeht, ein wenig mit den Gedanken, die in den Köpfen herumspuken, auseinandersetzen. Man muß sozusagen gewappnet sein, muß wissen, was die Leute denken und was sie einem entgegenbringen werden, wenn es zu Auseinan­dersetzungen zwischen den Vertretern des Bisherigen und den Vertretern des Zukünftigen, also jenen, die sich für die Betriebsräte einsetzen wollen, kommt.

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Nun sehen Sie, den Begriff des Unternehmers, den will sich dieser Volkswirtschaftslehrer selber klarmachen und vor die Men­schen hinstellen. Er stellt sich die Frage: Was ist ein Unternehmer? -Ja, er gibt nun drei Eigenschaften des richtigen Unternehmers an. Erstens, «daß er das Verfügungsrecht über die zur Herstellung eines Produkts nötigen Produktionselemente in seiner Hand verei­ne». Nun muß man sich aber erst einmal klarmachen, was dieser Herr unter «Produktionselementen» überhaupt versteht. Was er darunter versteht, das geht aus einem seiner Sätze klipp und klar hervor. Diesen Satz drechselt er nicht einmal selber, sondern den entlehnt er bei Emil Kirdorif, einem der erfolgreichsten Männer der bisherigen Praxis. Er sagt: «Wir Direktoren der Aktiengesell­schaften, wir sind auch Angestellte des Unternehmens und haben ihm gegenüber Pflichten und Verantwortung.» Und der gute Bren­tano findet nun heraus, daß zu den «Produktionselementen» auch solche Herren Direktoren wie der Herr Geheimrat Emil Kirdorff gehören, daß also der Unternehmer das Verfügungsrecht über die «Produktionselemente,» das heißt auch über Direktoren, haben muß. Die ganze Arbeiterschaft bis hinauf zu den Direktoren, das alles sind «Produktionselemente». Erstens also ist ein Unternehmer derjenige, der das Verfügungsrecht über die «Produktionselemente» hat; zu diesen gehören auch die Direktoren. Und ein solcher Mann wie Kirdorff sieht das ganz gut ein, daß er eigentlich nicht ein Mensch, sondern ein «Produktionselement» im Wirtschaftsleben ist. Man muß sich schon klarmachen, was für Begriffe da in den Köpfen stecken. Darum habe ich immer wieder betont, daß es notwendig ist, umzudenken und umzulernen. Das war also die erste Eigenschaft eines richtigen Unternehmers.

Die zweite ist die, «daß er diesen Produktionselementen die Be­stimmung gebe, einem bestimmten Produktionszweck zu dienen, und dementsprechend darüber verfüge». Hier muß man hinzudenken, daß alle in der Produktion stehenden Menschen gemeint sind; denen muß er also eine Bestimmung geben. Das ist die zweite Eigenschaft.

Die dritte ist die, «daß er dies tue für eigene Rechnung und Gefahr». Nun haben wir also alle drei Eigenschaften eines richtigen

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Unternehmers im Sinne des alten Regimes zusammen, also des Unternehmers, der im Sinne des alten Regimes zur Aufrechterhal­tung der künftigen Wirtschaftsordnung fortbestehen muß und dort eine noch größere Bedeutung haben soll als bisher.

Sehen Sie, wenn man nicht gerade mit Professoren- oder Unter­nehmer- oder sonstigen Scheuklappen behaftet ist, dann muß man sich ja wohl sagen, daß die Persönlichkeiten mit diesen drei Eigen­schaften die Tatsachen, die jetzt in Europa geschaffen werden sollen, nicht dulden werden, denn schließlich: So weit sind wir doch mit unserem Bewußtsein gekommen, daß die Zukunft nicht abhängen kann von einer kleinen Anzahl Unternehmer, die den «Produktionselementen» der weitaus größeren Anzahl von Men­schen, also der Masse, ihre Bestimmung gibt. Aber das wird gera­dezu gefordert. Nun verfolgen wir aber den Gedankengang dieses Vertreters des alten Regimes noch ein wenig weiter. Er ist nämlich eigentlich außerordentlich interessant. Wahrscheinlich werden Sie glauben, ich mache jetzt einen Witz, aber das Folgende steht wirk­lich in diesem Aufsatz; ich mache keinen Witz. Brentano rechnet nämlich, nachdem er zunächst die große Masse der Arbeitenden als «Produktionselemente» dargestellt hat, merkwürdigerweise auch die Arbeiter, die Proletarier, zu den Unternehmern! Er sagt: «Ist der Arbeiter somit auch nicht Produzent des konsumreifen Produkts, so ist er deshalb doch nicht weniger Produzent eines selbständigen Guts, das er für eigene Rechnung und Gefahr zu Markt bringt. Auch er ist Unternehmer, Unternehmer von Arbeitsleistungen.>>

Also sehen Sie, meine werten Anwesenden, wir haben jetzt den Begriff des Unternehmers vor Augen, und zwar so, wie er von einer volkswirtschaftlichen Leuchte der Gegenwart dargestellt wur­de. Dieser Begriff des Unternehmers ist so konfus, ja er ist eben so, daß Sie alle, wie Sie hier sitzen, lauter Unternehmer sind, nämlich Unternehmer Ihrer Arbeitskraft, die Sie auf eigene Rech­nung und Gefahr zu Markte tragen. Ja, und jetzt kommt noch etwas dazu. Brentano sagt ja, daß das Übel, von dem immer geredet wird, gar nicht besteht, da ja alle Unternehmer sind. Des­halb mußte er herausfinden, worauf es eigentlich zurückzuführen

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ist, daß die große Masse nicht damit zufrieden ist, ein Unterneh­mer auf eigene Rechnung und Gefahr durch ihre Arbeitskraft zu sein. Er sagt: «Einst gab es eine Zeit, in der dies der Arbeiter nicht war, eine Zeit, da er in dem Betriebe, in dem er beschäftigt war, aufging. Er war noch keine selbständige Wirtschaftseinheit, sondern nichts als ein Rädchen im Wirtschaftsbetrieb seines Herrn. Das war die Zeit der persönlichen Unfreiheit des Arbeiters. Das Interesse am Fortschreiten seiner eigenen Wirtschaft hat dann den Herrn dazu geführt, in dem von ihm beschäftigten Arbeiter ein Interesse an seiner Leistung zu erwecken. Dies hat die allmähliche Emanzipation des Arbeiters, schließlich seine völlige Freierklärung gebracht.» Schön, nur der Schaden beruht in folgendem. Da ist noch ein netter Satz, der lautet so: «Der kapitalistische Betriebsun­ternehmer aber hat sich in diese Wandlung aus einem Herrn in einen bloßen Arbeitskäufer noch nicht allenthalben gefunden.» Al­so der Schaden besteht nur darin, daß sich der Betriebsunterneh­mer in diese Rolle noch nicht hineingefunden hat, das heißt, kein Herr mehr zu sein im alten Sinne, sondern ein Käufer von Arbeits­kraft. Damit sagt Brentano eigentlich das Folgende: Wenn der Arbeiter seine Arbeitskraft dem Unternehmer für eigene Rechnung und Gefahr verkauft, dann ist ja alles in Ordnung. Es muß nur noch hinzukommen, daß der Unternehmer erst verstehen lernt, was das ist: Arbeitskäufer. - Nur weil er es noch nicht versteht, sind immer noch Schäden vorhanden. Also ist es nur noch erfor­derlich, dem Unternehmer endlich einzuhämmern: Du mußt nur verstehen lernen, Arbeit auf dem Arbeitsmarkt zu kaufen, die euch der Arbeiter als Unternehmer seiner Arbeitskraft verkauft.

Ja, es ist natürlich ein merkwürdiges Zeugnis, das der Herr da den Unternehmern ausstellt. Das Proletariat ist heute so weit, zu sagen, daß es vor allen Dingen darauf ankommt, daß die Arbeits­kraft keine Ware mehr sein soll. Jener Herr aber stellt den Unter­nehmern das Zeugnis aus, daß sie sich nicht einmal zu der Er­kenntnis, Arbeitskäufer zu sein, aufgeschwungen haben. Also denkt sich diese Leuchte der Volkswirtschaft das heutige Unter­nehmertum sehr rückständig.

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Was aber bedeutet denn das eigentlich alles? Sehen Sie, Sie müssen nur die ganze Schwere dieser Tatsache ins Auge fassen. Lujo Brentano ist einer der berühmtesten Nationalökonomen der Gegenwart, ist einer von denen, die vielleicht die meisten Begriffe in die Köpfe derer hineingegossen haben, die als Intellektuelle über das Wirtschaftsleben sprechen, und wir können ihn heute dabei ertappen, daß er als Universitätslehrer und als angesehene Größe der Volkswirtschaft eigentlich nichts anderes als den aller­wüstesten Kohl verzapft. Ja, so muß man die Dinge heute schon klar ins Auge fassen. Wir geben uns ja heute oft einem Autoritäts­glaube« hin, der viel, viel schlimmer ist, als jemals der Autoritäts­glaube der Katholiken gegenüber den Kirchenfürsten war. Das wollen die Leute nur nicht wahrhaben. Deshalb müssen wir uns die Dinge schon klarmachen, und wir müssen aus solchen Dingen lernen, was diese Betriebsräteschaft für eine große Aufgabe haben wird. Sie wird vor allen Dingen zeigen müssen, was das Wirt­schaftsleben wirklich ist, denn das, was aus den Kreisen der Intelli­genz als Ergebnis des Nachdenkens über das Wirtschaftsleben her­ausgekommen ist, das war ja nur Kohl. Aber was ist denn dieser Kohl? Betrachten wir ihn nur einmal seiner Realität nach. Warum ist denn dieser Kohl da? Die Leute haben ihn ja noch nicht einmal ausgedacht. Würden sie ihn ausdenken, dann würden sie noch größeren Kohl schreiben. Sie haben ihn nicht einmal ausge­dacht, sondern einfach die Verhältnisse, wie sie jetzt sind, studiert, und diese Verhältnisse sind eben verworren, sind ein Chaos. Ganz allmählich hat diese Gedankenlosigkeit von Angebot und Nachfra­ge auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens in das Chaos hineinge­führt. Einmal zu beginnen, dies von Grund auf neu zu gestalten, das muß die erste Tat einer wirklichen Sozialisierung sein. Wir brauchen, ich möchte sagen, dieses Gefühl von dem Ernst dessen, was die Betriebsräteschaft sein soll. Und von diesem Ernst möchte ich immer wieder und wiederum von neuem sprechen, weil auch in manchen Kreisen des Proletariats so wenig noch von diesem Ernst und dem Bewußtsein der Größe der Aufgabe vorhanden ist.

Sehen Sie, wenn man heute von der Dreigliederung des sozialen

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Organismus spricht, wovon spricht man dann? Man spricht von dem, was zu geschehen hat, damit die jalirzehntealten Forderungen des Proletariats befriedigt werden können. Was wird einem dann aber entgegnet? Ja, da ist wiederum einmal ein Artikel in der «Tribüne» erschienen. Er trägt die Überschrift: «Dr. Steiner und das Proletariat». Da wird zum Beispiel gesagt, es handle sich eben nur um Ideen bei dieser Dreigliederung und Ideen schwirrten gegenwärtig zur Genüge in der Luft herum. Das ist das, was ich nennen möchte: eine leichtsinnige Behauptung. Dann soll dieser Herr nur einmal die Ideen aufzeigen, die jetzt so massenhaft durch die Luft schwirren. Er soll einmal auch nur eine fruchtbare Idee nachweisen! Gerade am Mangel an Ideen leidet ja die Gegenwart. So ist es doch, und hier wird leichtsinnig behauptet, daß die Ideen nur so in der Luft herumschwirren. Und dann heißt es: «Was dem Arbeiter - ich spreche hier nur von körperlich Arbeitenden

- zur Besserstellung seines Lebens verhilft, ist nicht Sophisterei, sondern eine tatkräftige Verwirklichung des Sozialismus.» - Aber, was ist denn die Verwirklichung des Sozialismus? Sehen Sie, wenn man immer nur sagt Sozialismus, Sozialismus, so hat man eine Phrase, ein Wort! Man muß aber den Weg angeben! Wenn einer sagt: Was dem Arbeiter zur Besserstellung seines Lebens verhilft, ist Sozialismus -, dann kommt mir das so vor, wie wenn einer sagt: Ich will nach Tübingen - und ich sage ihm: Nun ja, da kannst du mit der Bahn fahren, um die und die Zeit gehen Züge.

- Ich gebe ihm genau an, wie er nach Tübingen kommt, so wie der Weg zum dreigliedrigen sozialen Organismus genau angibt, wie man zur Sozialisierung kommt. Er sagt: Das ist Sophisterei, daß du mir da die Minuten der Züge angibst; ich sage dir, wenn ich nach Tübingen kommen will, dann komme ich nur durch das Hinüberbewegen nach Tübingen hin. - So ungefähr kann man sagen: Ich will nicht einen bestimmten, konkreten, im einzelnen gekennzeichneten Weg, sondern ich will den Sozialismus. - Ich will durch das Hinüberbewegen nach Tübingen kommen.

Nun, in dem Artikel heißt es dann weiter: «Jeder einzelne, der sich um das öffentliche Leben kümmert, wird sehr oft in einem

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Satz politische und wirtschaftliche Fragen miteinander behandeln und behandeln müssen.> Ja, dies geschieht aber, weil alles durch­einandergemuddelt worden ist. Es muß aber getrennt werden. Dann heißt es weiter: «Darum keine , sondern Verwirklichung des Sozialismus!» Also wieder­um: Ich will nach Tübingen kommen durch das Hinüberbewegen.

Ja, das muß man schon ins Auge fassen, was entgegensteht einem solchen wirklichen Kennzeichnen des Weges, wie wir es versuchen in bezug auf die jetzt schon oft besprochene Betriebsrä­tefrage aus den Ideen des dreigliedrigen sozialen Organismus her­aus. Es wird ja einem wirklichen Kennzeichnen des Weges dadurch entgegengewirkt, daß man immer nur liebt, den Leuten blauen Dunst vorzumachen. Aber mit blauem Dunst, auch wenn er noch so schön ist, wird man nichts erreichen, sondern allein dadurch, daß man bestimmte Maßnahmen trifft wie das, was ich Ihnen heute am Anfang erzählt habe. Wählen wir Betriebsräte, die dann als Menschen da sind, nicht als Ideen, die durch die Luft schwir­ren! Diese Menschen können dann aus ihrer wirtschaftlichen Er­fahrung heraus beschließen, was zur Gesundung unseres Wirt­schaftslebens notwendig ist. Heute ist es eben notwendig, daß wir über das bloße Reden hinauskommen und uns Einsichten in das Wirtschaftsleben verschaffen und aus diesen Einsichten. heraus zur weiteren Entwicklung vordringen. Daß wir uns dabei nicht verlassen können auf die Leuchten, auf die Autoritäten, das habe ich Ihnen heute gezeigt. Eine der berühmtesten habe ich Ihnen anhand seiner neuesten Ausführungen vorgestellt. Ich habe ihn so vorge­stellt, daß Sie sehen konnten, was es für einen Wert hat, wenn die Nachbeter immer wieder sagen: Ja, das hat der berühmte Herr Soundso gesagt, dem kann man nichts anderes entgegenstellen. - Gewiß, wenn man immer darauf hinweist, was dieser oder jener aus den heutigen Ereignissen heraus gesagt hat, dann weiß man aber dennoch nicht, wie die Sache sich verhält, auch wenn dieser oder jener berühmt ist. Wenn man sie aber an solchen Dingen faßt, wo die Begriffe in Konfusion geraten, wo die Begriffe ausein­anderfallen, dann tritt einem deutlich entgegen, daß in der Gegenwart

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umgedacht und umgelernt werden muß. Und so möchte ich immer wieder sagen: Wenn schon nicht durch etwas anderes, so wird doch wohl durch die Not dieses Umdenken und Umlernen kommen müssen. Auch diejenigen, die sich heute noch sträuben, werden umlernen müssen, denn in den nächsten Jahren und Jahr­zehnten wird sich noch manches ereignen in diesem armen Mittel­europa, und manches wird sich ereignen müssen, wenn zum Bei­spiel ein Drittel der Bevölkerung Mitteleuropas nicht mehr ernährt werden kann, wenn die alten Verhältnisse fortdauern in der Ge­stalt, die sie noch bekommen haben durch diesen furchtbaren Ver­sailler Frieden, den sogenannten Frieden. Es müßte ein Drittel der Bevölkerung Mitteleuropas aussterben oder totgeschlagen wer­den, wenn man die alten Verhältnisse beibehalten würde.

Der heutige Grund zur Neugestaltung ist selbstverständlich der, daß es mit den alten Verhältnissen überhaupt nicht weitergehen kann. Aber das, was unmittelbar bevorstehen würde, nämlich der Tod oder die Ausrottung von einem Drittel der Bevölkerung Mit­teleuropas, das müßte heute die Leute überzeugen, daß sie einfach nicht mehr auf dem alten schläfrigen Standpunkt stehenbleiben dürfen und sagen: Wir sind Praktiker, solche Ideen sind ja bloß Ideen, auf die kann man sich doch nicht einlassen! - Nein, die Leute sind nur zu bequem, um sich auf wirklich Praktisches einzu­lassen. Dieses Praktische muß heute ein Umfassendes sein, darf sich nicht nur auf dieses oder jenes Gebiet beschränken, sondern muß das ganze Wirtschaftsgebiet umfassen. Und wenn man diese Bequemlichkeit des Denkens im Anschauen der Verhältnisse nicht ablegen will, so wird man nicht vorwärtskommen. Nun, mit diesen Worten wollte ich Sie darauf hinweisen, wie wir vorwärtskommen müssen, und jetzt können wir in die Diskussion eintreten.

Diskussion

Herr Roser: Aus den Ausführungen des Herrn Dr. Steiner über den Artikel von Brentano kann man mit aller Deutlichkeit ersehen, wohin

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der Kurs geht. Es ist nun an uns, zu zeigen, daß das Proletariat nicht auf dem Standpunkt stehenbleibt, wie es sich die Leuchten der Volkswirt­schaft einbilden, sondern daß es sein Geschick selber in die Hand nimmt. Es ist unsere erste Pflicht, der Sozialisierung dadurch Vorschub zu leisten, daß wir die Betriebsräte im Sinne der Dreigliederung auf die Beine stellen, sonst gehen wir einem Chaos entgegen, das so groß ist, wie wir es uns gar nicht denken können. Wir müssen das Wirtschaftsgebiet selbständig machen aus eigener Macht. Damit ist nicht gesagt, daß dies auf dem Weg der Gewalt geschehen muß; das ist nicht notwendig. Gerade die Vorschlä­ge Dr. Steiners, gerade die Idee der Verselbständigung des Wirtschaftsle­bens im Sinne der Dreigliederung muß für uns der Weg sein, auf dem wir in erster Linie praktisch zu arbeiten imstande sind. Es kann keinen Zweifel darüber geben: Wenn die Betriebsräte richtig gewählt werden aus dem Vertrauen der Massen heraus, so daß in Württemberg vielleicht tau­send zusammenkommen, glauben Sie, daß dann die Regierung die Mittel oder die Courage dazu hat, diese Betriebsräte auseinanderzujagen? - Das möchte ich kaum glauben, denn die Arbeiterschaft, die diese Betriebsräte gewählt hat, um praktische Arbeit zu leisten, wird wohl auch den nötigen Rückhalt dafür bieten, daß die Betriebsräteschaft arbeiten kann. Wir müs­sen den Gedanken der Aufstellung von Betriebsräten unbedingt hochhal­ten, denn das ist der einzige Weg, der uns aus dem Chaos herausführen kann, daß durch die Aufstellung der Betriebsräte und der Betriebsräte-schaft dann tatsächlich eine gesetzgebende Körperschaft zusammentritt, um die Sozialisierung im Sinne der Dreigliederung durchzuführen. Nur dadurch können wir vor dem Untergang bewahrt werden. Der Gedanke der Dreigliederung ist so groß, so mächtig, daß ihn tatsächlich jeder einzelne erfassen müßte, schon aus sich selbst heraus, aus eigenem Interes­se, denn er als Proletarier muß sich sagen: Meine Zukunft steht auf dem Spiel, ich habe die Pflicht und Schuldigkeit, alles einzusetzen, um diesen Gedanken durchzudrücken. - In diesem Sinne bitte ich Sie, in die Diskus­sion einzugreifen. Sprechen Sie sich aus.

Emil Leinhas: Herr Dr. Steiner hat Ihnen heute einen Artikel von einer Leuchte der Wissenschaft der Nationalökonomie vorgetragen. Ich habe zufällig auch gerade eine Sache bei mir, worin eine Leuchte der Praxis sich über die Sozialisierung ausspricht. Es ist dies der Geheime Kommer­zienrat Deutsch, der Vorsitzende des Direktoriums der Allgemeinen Elek­trizitäts-Gesellschaft. Daß es für wünschenswert erachtet wird, daß diese

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Äußerung dieses großen Praktikers über die Sozialisierung der breiteren Öffentlichkeit vorgelegt wird, dafür dient als Beweis, daß die ehrwürdige Handelskammer zu Berlin diese Denkschrift veröffentlicht, und zwar mit folgender Einleitung. Die Handelskammer schreibt:

«Im Zusammenhang mit Untersuchungen über die voraussichtlichen Wirkungen von Sozialisierungen aufgrund des Gesetzes vom 23. März 1919, mit denen wir beschäftigt sind, sind uns von unserem Mitgliede, Herrn Geheimen Kommerzienrat Deutsch, Vorsitzender des Direkto­riums der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft, zahlenmäßige Zusam­menstellungen nebst Erläuterungen über das Verhältnis des Anteils von Arbeit und Kapital am Ertrage einer größeren Zahl industrieller Unter­nehmungen zugegangen, welche wir als Beitrag für die Beurteilung dieser Fragen hiermit der Öffentlichkeit unterbreiten.>

Die Handelskammer stellt noch weitere Abdrucke der Denkschrift zur Verfügung denjenigen, die durch Verbreitung derselben Hilfe leisten wol­len. Und was sagt diese Leuchte der Praxis über Sozialisierung? Ich will Ihnen einige Stellen vorlesen; sie sprechen für sich:

«Woher kommt es, daß das Wort sich mit einer nicht auszurottenden Zähigkeit in Millionen von Gehirnen festgewurzelt hat und daß vor allem die Arbeiterschaft darin das Allheilmittel erblickt, das allen ihren Beschwerden und der Unzufriedenheit mit ihrer wirt­schaftlichen Lage mit einem Schlage ein Ende bereiten würde? Diese Unzufriedenheit und die Feindschaft der Arbeiter gegen die kapitalisti­sche Produktionsordnung erhalten stets neue Anregung durch den auf­reizenden Gedanken, daß eine kleine Zahl von Kapitalisten den weitaus größten Teil des Gewinns aus der industriellen Arbeit für sich in Anspruch nimmt, während die Arbeiterklasse sich mit einem kleinen Anteil daran begnügen muß. Dieser Gedanke ist ebenso falsch, wie er aufreizend ist, und solange es nicht gelingt, die Arbeiter davon zu überzeugen, ist ein ersprießliches und friedliches Zusammenwirken bei­der Faktoren der wirtschaftlichen Gütererzeugung auf die Dauer un­möglich.»

[E. Leinhas spricht dann noch weiter über die Ausführungen von Deutsch. Da er selbst angekündigt hat, daß Näheres darüber bald im Druck erschei­nen werde, wurden seine weiteren Ausführungen nicht mehr mitgeschrie-ben.]

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Herr Stecher berichtet über den Betrieb Haushahn: Wir haben schon öftcr unter unseren Kollegen im Betrieb die Frage der Dreigliederung erörtert. Ich konnte konstatieren, daß in dieser Frage die ganze Arbeiterschaft, mit Ausnahme derjenigen, die nur Propaganda für Parteizwecke machen, der Sache sympathisch gegenübersteht. Ich habe mich heute früh, auf die Einladung des «Bundes> hin, bei unserer Firma betreffs der Betriebsräte als Vorsitzender des Arbeiterausschusses mit dem Angestelltenausschuß in Verbindung gesetzt. Der Vorsitzende des Angestelltenausschusses er­klärte mir, daß auch er der Sache sympathisch gegenüberstehe, aber er sagte dann doch: Das Gute sollte halt doch von der Regierung kommen. Herr Dr. Steiner hat uns in Weil im Dorf vor einigen Tagen auch einen Vortrag gehalten, der einen gewaltigen, tiefen, unvergeßlichen Eindruck gemacht hat. Die Leute sind von überall her zusammengeströmt. - Ich fordere die anwesenden Arbeiter- und Angestelltenausschüsse auf, sich zusammenzuschließen und überall, wo sie Einfluß haben, die Sache der Dreigliederung zu besprechen. Sie können ja vom Bund für Dreigliederung Referenten anfordern, damit die Sache propagiert wird. Die Referenten werden willige Ohren und willige Herzen bei den Arbeitern finden. Auch die Unternehmerkreise interessieren sich schon. Ein Leiter in unserem Betrieb sagte mir, daß auch er der Sache nachgehe, denn man wisse auch, daß, wenn es so weitergeht, wie es jetzt ist, wir dem Bankrott entgegenge­hen. Es muß etwas Neues kommen. Leider fehlt bei den Angestellten noch das Interesse für die brennenden Fragen. Wenn wir uns aber nicht sammeln und zusammenarbeiten, so werden wir nicht weiterkommen.

Herr Conradt: Es wird dem Bund für Dreigliederung öfter der Vorwurf gemacht, er wollte, ähnlich wie die Syndikalisten, die Parteien sprengen. Das kann doch dem Bund nicht einfallen. Ich habe den Vorwurf schon dutzendemal gehört. Gerade wenn man sich zu der Idee der Dreigliede­rung bekennt, kann man gut einsehen, was in den Parteien fruchtbar ist und daß in den Parteien etwas lebt, was nur dadurch fördernd in unser Volksleben eingreift, daß die in den Parteien lebenden Impulse nicht ein­seitig durchgeführt werden. Es gibt allerdings in den Parteien Strömungen, die einer aufsteigenden Kultur, und Strömungen, die einer absteigenden Kultur angehören. Das Gute muß nur in richtiger Art zum Leben gebracht werden.

[Die weiteren Ausführungen von Herrn Conradt wurden vom Stenogra­phen nicht mehr wortwörtlich mitgeschrieben. In einer kurzen Zusammenfassung

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heißt es wie folgt: «Herr Conradt spricht dann des weiteren davon, daß bei der Dreigliederung des sozialen Organismus es sich so verhält, daß soziale Maßnahmen nur auf dem wirtschaftlichen Gebiet ge­troffen werden können, daß Demokratie nur in das Staats- oder Rechtsle­ben gehört, daß man aber auf geistig-kulturellem Gebiet sprechen kann von Anarchismus, wenn man das Wort seiner üblen Bedeutung entkleidet.»

Es wird ferner berichtet, daß sich in der Firma Faber ein neuer Be­triebsrat gebildet hat und folgender Antrag von dem Arbeiterausschuß der Firma Julius Faber gestellt wurde:]

«Die heutige Versammlung der Angestellten- und Arbeiterausschüsse ersucht die bis jetzt gewählten Betriebsräte, sich in kürzester Zeit zu einer Betriebsräteschaft zusammenzuschließen, und gibt dieser proviso­rischen Betriebsräteschaft den Auftrag, alle ihr notwendig erscheinenden Vorarbeiten zu treffen, um den Betriebsrätegedanken überall zu propa­gieren und den Betriebsräten den ihnen zukommenden Einfluß zu verschaffen. - Gezeichnet Glatz, Vorsitzender des Betriebsrates und Obmann des Arbeiterausschusses bei Julius Faber.»

Herr Glatz: Der Antrag, der von unserem Arbeiterausschuß gestellt wird und der Ihnen soeben vorgelegt wurde, spricht für sich selbst. Wir sind jetzt in einer ganzen Anzahl Sitzungen beieinander gewesen, ohne daß eigentlich ein praktisches Resultat erzielt worden ist. Wie die Verhältnisse jetzt liegen, haben wir allen Grund, möglichst rasch und intensiv zu arbeiten, um zu dem zu kommen, was wir alle als etwas Praktisches für die Arbeiterschaft und für die ganze Menschheit anstreben. Wir dürfen nicht zulassen, daß das Interesse nachläßt, anstatt zuzunehmen. In erster Linie wird es natürlich notwendig sein, daß in den Betrieben, wo noch keine Betriebsräte sind, solche angeregt werden. Ferner muß die Agitation auch aufs Land hinausgetragen werden.

Der Prinzipal unseres Betriebes hat uns selbst auf die Vorträge von Herrn Dr. Steiner aufmerksam gemacht. Der Herr hat sehr freiheitliche Ansichten und spielt in Unternehmerkreisen eine Rolle. Nachdem wir uns mit der Sache der Dreigliederung befaßt haben und von uns aus die Betriebsrätewahl anstrebten, da hat er dann den entgegengesetzten Stand­punkt eingenommen und gesagt: Die Unternehmer hätten beschlossen, mit den Betriebsräten zu warten, bis die Sache gesetzlich geregelt wird. Er könne uns nicht als Betriebsrat anerkennen. - Wir haben trotzdem

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die Wahl vorgenommen. Der Beschluß ist einstimmig gefaßt worden; auch die Angestellten haben sich angeschlossen. Die Wahl wurde unter großer Begeisterung in der Fabrik selbst vorgenommen. Es ist die erfreuliche Tatsache zu verzeichnen, daß beinahe alle Angestellten und Arbeiter von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht haben, trotz des Widerstandes der Firma. Wenn die Firma die Betriebsräte auch nicht anerkennt, so sind sie doch gewählt. Und da die Betriebsräte auch zum größten Teil dem Arbeiterausschuß angehören, so müssen sie doch immerhin gehört werden. Ich möchte Sie also ersuchen, den Antrag zu unterstützen, damit die Sache Hand und Fuß bekommt.

Herr Roser: Ich möchte bekanntgeben, daß bis jetzt zwölf Betriebsräte gewählt sind. Ich möchte ferner den Wunsch zum Ausdruck bringen, daß noch im Laufe dieser oder Anfang nächster Woche die Betriebsräte-schaft gebildet werde. Wir können natürlich nicht bloß in Stuttgart Be­triebsräte brauchen, sondern die Sache muß über ganz Württemberg ver­breitet werden. Ich möchte deshalb an die Anwesenden besonders appellieren, daß sie dem Gedanken der Betriebsräte noch mehr Interesse entgegenbringen als bisher. Des weiteren kann ich mitteilen, daß neue Betriebsräte sich zu bilden im Begriffe sind. Wir werden in der nächsten Woche den einzelnen Betriebsräten Mitteilung machen, wann sie zusam­mentreten sollen. Dann können sie unter sich die notwendigen Beschlüsse fassen.

Herr Jansen: Ich möchte Ihnen ein Schriftstück vorlegen, das es verdient, der Öffentlichkeit übergeben zu werden. Die Firma möchte ich nicht nennen; das hat ja mit der Sache nichts zu tun. Ich will nur den ganzen Gedankengang kennzeichnen:

«Die unterzeichneten Beamten haben weder schriftlich noch mündlich offiziell erklärt, daß sie als Betriebsräte seitens des Personals gewählt sind. Wie schon gesagt wurde, ist unser Standpunkt in der Sache fol­gender: Erstens ist die Wahl seitens der Werktätigen angefochten, und es ist dieser Anfechtung von seiten der Direktion durch entsprechende Bekanntmachung stattgegeben worden. Demnach ist die Gültigkeit der Wahl zweifelhaft. Zweitens kommen nach einer Schrift von Dr. Steiner nur solche Personen als Betriebsräte in Frage, welche in völlig unabhän­giger Stellung, weder vom Chef noch sonst vom Geschäft abhängig,

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sich befinden. Da dies bei uns nicht der Fall ist und wir Beamte uns in ausgesprochen abhängiger Stellung befinden, so ist auch diese unsere Wahl zweifelhaft. Drittens: Nach Mitteilung eines Herrn ist die Soziali­sierung bei den ... schon erfolgt, indem alle Überschüsse nach Bezah­lung der garantierten Verzinsung von fünf Prozent restlos der Stadtge­meinde überwiesen und dadurch der Allgemeinheit zugeführt werden. Aus diesem Gesichtspunkt heraus hat der Aufsichtsrat einen Betriebsrat abgelehnt. Es wird daran gearbeitet, daß eine gemeinsame Versammlung sämtlicher Ausschüsse zwecks Besprechung der Betriebsräteangelegen­heit erfolgt. Viertens stellen wir uns auf den Boden der nach dem Gesetz eventuell zu wählenden Betriebsräte. Wie uns bekannt ist, ist nach Dr. Steiner geplant, die Sozialisierung von Betrieben in der Art vorzunehmen, daß der Arbeitgeber, die Direktion und die Aufsichtsräte und sämtliche Aktionäre ausgeschaltet werden sollen und daß an deren Stelle der sogenannte Betriebsrat beziehungsweise sämtliches Personal trete. Da dies einem Umsturz der bestehenden Ordnung beziehungs­weise der bestehenden Gesetze gleichkommt, so erklären wir hiermit, daß wir uns solchen Bestrebungen nicht anschließen und deshalb die Wahl als Betriebsräte nicht annehmen können.»

Das ist doch ein Dokument, das wirklich von weltgeschichtlicher Bedeu­tung ist! Da kommen Leute, die durch die Revolution endlich aus den Abhängigkeitsverhältnissen nach einem halben Jahr herausgekommen sind, und erklären: Weil wir dem Kapitalismus nicht an den Kragen wollen, dürfen wir nicht mitmachen, denn wir stehen ja im Dienst des Kapitalis­mus. Sie haben Interesse daran, daß der heilige Kapitalismus noch bestehen bleibt und daß sie als Angestellte es sind, die mithelfen wollen, diesen Götzen zu stützen, damit das goldene Kalb nicht umfalle. Die Logik in diesem Schriftstück ist ein Zeichen dafür, daß noch eine riesengroße Arbeit zu leisten ist, um die Dummheit herauszuhämmern. Dazu wird es der eisernen Faust des Proletariats bedürfen, um dieses Werk durchzuführen. Ich werde aber eine Verbindung mit diesen Instanzen suchen und versu­chen herauszubekommen, wieweit das Schriftstück den Tatsachen ent­spricht und wieweit die Herren sich auflehnen gegen jeden wirtschaftlichen Neuaufbau.

Rudolf Steiner: Zu diesem Schriftstück, das sehr interessant ist, möchte ich die Bemerkung machen, daß es also immerhin gegenwärtig,

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wie es scheint, Angestellte gibt, welche folgenden Gedan­ken entwickeln können: Das Gesetz über die Betriebsräte ist noch kein Gesetz, sondern erst ein Entwurf. Es gibt also noch kein Gesetz über Betriebsräte. Die Herren stellen sich aber auf den Standpunkt, nach den vier Sätzen, daß es nicht nur etwa ein Umsturz - darüber ließe sich diskutieren, das brauchen wir aber nicht - der bestehenden Ordnung und der Gesetze ist, wenn man irgendein bestehendes Gesetz schlecht findet, sondern die Herren stellen sich auf den Standpunkt, daß es schon ein unerlaubter Umsturz ist, wenn man irgendein Gesetz, das noch nicht da ist, das sie noch nicht kennen, oder ein Gesetz, das herauskommen könnte, heute übertritt. Also, die Herren übernehmen es, sämtli­chen Gesetzen, die über sie verhängt werden können, von vorn­herein ihren Gehorsam zuzusichern.

Herr Nagel, Dresden: Wer die Ausführungen des Herrn Dr. Steiner über den Aufsatz von Brentano verfolgt hat, dem scheint es nicht mehr unver­ständlich, daß die Regierung mit einem solchen Gesetzentwurf wie dem über die Betriebsräte an uns herantreten kann. Es kann uns doch nicht darum zu tun sein, derartige Betriebsräte zu bekommen, sondern wir müssen die wirtschaftliche Macht in die Hand bekommen. Bei uns in Dresden ist leider die Bewegung noch sehr klein, aber es ist ja bekannt, daß Dresden fünfzig Jahre hinter dem Mond gelegen ist. Ich hoffe aber, nachdem ich die Verhältnisse hier studiert habe, zu Hause durch meinen Bericht so viel Anregung zu geben, daß auch dort fruchtbringende Arbeit geleistet werden kann. Es war für mich sehr erfreulich, daß in Stuttgart schon so viele Arbeiter sich zur Dreigliederung des sozialen Organismus bekennen.

Herr Dorfner: Soviel Erfreuliches wir auch gehört haben, vermisse ich doch eins: Ich werde sehr oft gefragt über dieses und jenes, was die Dreigliederung und Betriebsräteschaft betrifft. Ich sage immer: Kommt doch zu den Diskussionsabenden, dort könnt ihr Fragen stellen, die auch dann Herr Dr. Steiner selbst beantwortet. Es werden aber hier fast keine Fragen gestellt. Die Leute, die das nicht gern mündlich tun, können es ja schriftlich machen. - Es ist mir auch die Frage gestellt worden: Werden

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die Betriebsräte die Arbeiterausschüsse nicht überflüssig machen? - Ich bitte Herrn Dr. Steiner, diese Frage zu beantworten.

Rudolf Steiner: Die Arbeiterausschüsse haben ja ihre Aufgaben vorzugsweise in den einzelnen Betrieben. Dasjenige, worum es sich aber bei der Aufstellung von Betriebsräten handelt, das ist, eine wirkliche Sozialisierung in Angriff zu nehmen. Wenn die Betriebsräte jetzt gewählt werden und dann zu einer Betriebsräte-schaft zusammentreten werden, dann wird von dieser Urversamm­lung der Betriebsräteschaft dasjenige ausgehen können, was man die ersten Schritte zu einer wirklichen Sozialisierung nennt. Dann werden vermutlich auch die Arbeiterausschüsse, wenn sie weiter bestehen sollen, für die einzelnen Betriebe eine Aufgabe erhalten können, oder, was viel wahrscheinlicher ist, man wird die Arbeiter-ausschüsse als solche nicht mehr brauchen, sondern an ihre Stelle wird der Betriebsrat treten, der vielleicht aber nötig haben wird, gerade Persönlichkeiten der gegenwärtigen Arbeiterausschüsse für seine weitere Arbeit zu kooptieren, da er ja für die Erledigung der Aufgaben, die heute die Arbeiterausschüsse wahrnehmen, wenn er nur sieben oder acht Mitglieder hat, nicht genug Menschen zur Verfügung hat.

Diese speziellen Fragen werden sich erst dann restlos beantwor­ten lassen, wenn wir den vollzähligen Betriebsrat haben. Die Ar­beiterausschüsse wurden eben ursprünglich anders angelegt als die Betriebsräte. Die Betriebsräte sind als wirkliche Leiter der Betriebe gedacht. Ein wirklicher Betriebsrat würde entweder den heutigen Unternehmer, wenn er sich dazu bereit erklärt, als einen Betriebs­rat unter sich haben, ebenso Personen aus dem Kreis der Ange­stellten, der geistigen Arbeiter, ferner der physischen Arbeiter, oder aber der Unternehmer müßte sich zurückziehen. Man muß sich eben durchaus darüber klar sein, daß der Betriebsrat als sol­cher so gedacht ist, daß er der wirkliche Leiter eines Betriebes sein wird, so daß alles Unternehmertum im heutigen Sinne neben diesem Betriebsrat verschwindet. Der Arbeiterausschuß ist aber doch durchaus noch so gedacht, daß das Unternehmertum in der

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alten Form vorhanden ist. Ich bitte Sie, diesen Unterschied genau ins Auge zu fassen, also den Unterschied zwischen etwas, was noch aus der alten Ordnung heraus besteht wie der Arbeiteraus­schuß, und dem, was nun den ersten Anfang zu einer wirklichen Neugestaltung bilden soll. Diesen Unterschied müssen Sie ins Auge fassen, sonst werden Sie die Aufgaben der Betriebsräte nicht wirk­lich umfassend genug denken können.

Dann ist ferner ins Auge zu fassen, daß die Frage nach dem Fortbestehen oder der Umgestaltung der Arbeiterausschüsse erst dann beantwortet werden kann, wenn wir die Urversammlung der Betriebsräteschaft haben werden.

Dann ist hier weiter die Frage eingegangen, wie sich die Dinge gestalten sollen mit Bezug auf den Betriebsrat in einem Staatsbe­trieb. Dazu muß ich sagen - es ist auch hier schon erwähnt worden -, daß es für die Wahl der Betriebsräte keinen Unterschied machen sollte, ob es um einen Privat- oder um einen Staatsbetrieb geht. Auch in einem Staatsbetrieb sollte versucht werden, alle die Vorurteile zu überwinden und die Betriebsräte zu wählen, so daß auch diese Betriebsräte dann in der Betriebsräteschaft ihre Stelle haben werden, wenn da ausgearbeitet wird das, was ich nennen möchte das Statut der Betriebsräteschaft. Dann wird es sich erge­ben, daß das gewöhnliche Aufgesogensein von solchen Betrieben durch den Staat natürlich nicht fortbestehen wird. Diese Betriebe werden übergeleitet werden müssen in den selbständigen Wirt-schaftsorganismus. Aber diese Forderung wird ja erst gestellt wer­den müssen.

Sehen Sie, die Dinge, die dem Impuls zur Dreigliederung zu-grunde liegen, die sind ja durchaus als praktische Forderungen gedacht, aber sie müssen erst gestellt werden. Dadurch, daß sie ein einzelner Mensch in seinem Buche schreibt beziehungsweise stellt und auch dadurch, daß ein «Bund» dafur eintritt, damit ist zunächst noch nichts getan. Auf wirtschaftlichem Boden müssen diese Forderungen von den wirtschaftenden Personen selber ge­stellt werden, und es muß das Vertrauen der gesamten Arbeiter schaft dahinterstehen.

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Weiter ist gefragt worden, wie sich die Sozialisierung der Staats-eisenbahnen sowie des Post- und Telegrafenwesens vom Stand­punkt der Dreigliederung aus vollziehen läßt. Natürlich werden da die Leute heute noch große Vorurteile haben, und man kann ja durchaus zugeben, daß die Umwälzung schon eine sehr große sein würde, wenn auch diese wirtschaftlichen Betriebe vom heuti­gen Staat in die Verwaltung des selbständigen Wirtschaftskörpers übergeführt werden sollen. Aber dies muß geschehen, denn Post-und Telegrafenwesen sowie die Eisenbahn gehören durchaus zum Wirtschaftsleben und werden im Wirtschaftsleben nur dann richtig sich entfalten können, wenn dieses Wirtschaftsleben unabhängig ist vom Staats- oder Rechtsleben.

Daß man sich heute diese Dinge nur schwer vorstellen kann, das rührt von folgendem her. Man hat sich daran gewöhnt, die Dinge so zu denken, wie sie immer waren. Man sagt: «Das sind Tatsachen.» Aber, meine werten Anwesenden, Tatsachen sind ja doch Dinge, die geschaffen wurden, von Menschen geschaffen wurden, und die lassen sich ebensogut wiederum umschaffen, las­sen sich ändern. Das ist es, was wir ins Auge fassen müssen. Es handelt sich eben durchaus darum, daß alles, was dem Wirtschafts­leben angehört, auch wirklich auf den eigenen freien wirtschaftli­chen Boden gestellt wird. Der Grund, weshalb sich diese Dinge heute so schwer denken lassen, ist darin zu suchen, daß heute das Geld, das ja ohnedies bei einer großen Anzahl europäischer Staaten schon eigentlich kein richtiges Geld mehr ist, eigentlich auf einem ganz falschen Boden steht. Natürlich wird da der Über-gang auch schwierig sein, weil durch das Geld die Menschheit abhängig ist von dem führenden Handelsstaat England und weil wir nicht ohne weiteres von heute auf morgen die Engländer und Amerikaner von der Goldwährung abbringen können. Im Außen­handel mit diesen Staaten müssen wir natürlich die Goldwährung so lange haben, bis unter dem Zwang der Verhältnisse auch die Goldwährung aufhören wird. Aber für den dreigliedrigen sozialen Organismus muß angestrebt werden, daß der Staat nicht mehr dem Geld den Wert verleiht, sondern daß das Geld seinen Wert

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bekommt innerhalb des wirtschaftlichen Organismus. Dann aber ist das Geld nicht mehr eine Ware, wie es heute ist. Wenn das auch versteckt ist, so ist in Wahrheit heute das Geld doch eine Ware, und zwar nur dadurch, daß ihm sein Wert aufgetragen wird durch den Staat. Aber im dreigliedrigen sozialen Organismus wird das Geld als Zirkulationsmittel nur in dem Sinne vorhanden sein, daß es gewissermaßen eine fliegende Buchhaltung ist. Sie wissen ja aus dem, was ich heute vor acht Tagen gesagt habe:

Es wird alles auf wirklicher Leistung und Gegenleistung beruhen im kommenden Wirtschaftsleben. Für die Leistung bekommt man gewissermaßen den Schein, der aber nichts anderes bedeutet als:

Es steht auf der allgemeinen aktiven Seite für mich verfügbar dasjenige, was meinen Leistungen entspricht, und ich kann eintau­schen dafür dasjenige, was meinen Bedürfnissen entspricht. Gebe ich den Schein hin, so bedeutet das dasselbe, wie wenn ich heute in einem kleinen Betrieb zu buchen habe dasjenige, was auf der linken Seite steht, zum Ausgleich auf der rechten Seite. Also, es wird der Geldverkehr die fliegende Buchführung sein für den Wirtschaftsorganismus. Solche Dinge sind ja eigentlich auch heute schon in ihrem Anfange da. Sie wissen ja, daß es schon eine Art von Gutschreibung gibt, also Guthaben, die übertragen werden können, ohne daß man auf gewissen Gebieten Geldverkehr hat. Überhaupt ist das meiste von dem, was der dreigliedrige soziale Organismus fordert, im Keime schon da und dort vorhanden. Diejenigen Menschen, die heute von der Unpraxis des dreigliedri­gen sozialen Organismus sprechen, die sollten sehen, wie da oder dort - aber allerdings im kleinen, so daß es manchmal nicht nütz­lich, sondern schädlich ist -, wie da oder dort das vorhanden ist, was zusammengefaßt und ins Große stilisiert den dreigliedrigen sozialen Organismus geben wird. Die Staatsbahnen sind heute, beinahe möchte ich sagen, wie ein Staatsmöbel gedacht, und man denkt sich die Umwälzung als etwas Furchtbares. Aber man muß nur bedenken, daß das, worauf es in Zukunft ankommt, nämlich auf die Verwaltung des Wirtschaftslebens durch Betriebsräte, durch Verkehrs- und Wirtschaftsräte - die kommen ja noch außerdem

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hinzu -, daß diese Veränderungen durchaus mit einer wirklichen Sozialisierung zusammenhängen und daß all die Befürchtungen überflüssig sind. Es handelt sich also darum, daß zum Beispiel die Eisenbahnen in vernünftiger Weise verwaltet werden und nicht so, daß der bürokratische Staat dahintersteht.

Wenn man sich die Dinge im einzelnen richtig vorstellt, dann wird man sehen, daß überall praktisch durchführbare Wege gegan­gen werden können. Wenn allerdings die Leute immer wieder kommen und sagen, sie verstünden das nicht, was in meinem Buch steht, so muß ich sagen, daß ich das heute begreife, denn ich würde mich wohl sehr wundern müssen, wenn zum Beispiel Herr Professor Brentano, von dem ich Ihnen erzählt habe, und seine Schüler, die sehr zahlreich sind, die «Kernpunkte der sozialen Frage» verstehen würden. Denn ich glaube nicht, daß sie das Buch verstehen können. Aber gerade von den Leuten, deren Gedanken durch diese Schulung nicht verdorben sind, glaube ich, daß sie, wenn sie nur ein wenig ihre Denkgewohnheiten überwinden, das verstehen können, was in den «Kernpunkten» steht.

Herr Roser: Die einzelnen Punkte, die heute abend zur Sprache gekommen sind, waren ja hauptsächlich auf das wirtschaftliche Gebiet bezogen. Es ist begreiflich, daß dieses wirtschaftliche Gebiet in unseren Diskussions­abenden größte Bedeutung hat. Aber bei alledem dürfen wir nicht verges­sen, daß dieses Wirtschaftsleben nur ein Teil jenes großen Problems, jener großen Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus ist. Wir dürfen nicht aus dem Auge verlieren, daß das Wirtschaftsleben allein nicht lebens­fähig und nicht funktionsfähig ist, wenn man nicht in entsprechender Weise auch auf das Rechts- und Geistesleben blickt. Der Grund hierfür ist, daß ja unsere Verhältnisse, wie wir sie zur Zeit haben, deshalb so chaotisch sind, weil die drei Gebiete zusammengemuddelt wurden. Das muß für uns immer der Leitstern sein, daß wir vor allen Dingen danach streben, daß endlich diese drei Gebiete getrennt werden. Diese müssen dann in Harmonie wieder zusammenarbeiten, aber nicht in der Weise, wie es jetzt geschieht oder geschehen ist, daß zum Beispiel der Rechtsstaat das Wirtschaftsleben für sich in Anspruch nimmt und vergewaltigt oder daß das Wirtschaftsleben das Geistesleben ausbeutet. Nur dadurch, daß

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auch das Geistesleben zur höchsten Blüte kommt, nur dadurch kann ein gesundes Wirtschaftsleben, kann überhaupt ein gesundes Volksleben ent­stehen. Nur durch die Dreigliederung wird das ganze Volksleben in das richtige Licht gerückt.

Herr Lange: Er spricht davon, daß der Arzt heute zum Handwerker degradiert wird, weil er nicht frei über Medikamente und dergleichen verfügen kann, sondern sich an die Anweisungen der Krankenkassen hal­ten muß. Auch da sei eine allseitige Beschränkung durch Staatsgesetze und Staatsgewalt. Zudem wird heute der Fehler gemacht, daß man das Neue immer in das Alte hineinpressen will. Auf diese Art käme man aber nicht vorwärts.

Herr Kühn: Daß die Versammlung heute nicht gut besucht ist, liegt nicht an einer gewissen Interesselosigkeit, sondern daran, daß gleichzeitig eine große Versammlung im Dinkelacker-Saal stattfindet. Für die Bildung der Betriebsräte muß viel Kleinarbeit geleistet werden. Das ist ein langer Weg. Bei den einzelnen Versammlungen in den Fabriken zeigt es sich, wie schwer die einzelnen Menschen zu überzeugen sind. Es sollte eigentlich nicht so sehr an einzelnen hängen, sondern mehr am Verständnis der Massen. Dann werden einzelne Betriebe einfach mitgerissen. Wir haben verschiedene Redner oder Referenten, die ständig zur Verfügung stehen, um in Versammlungen zu sprechen. Nach meinen Erfahrungen in einzel­nen Betrieben muß man sagen: Sachliche Einwände gegen die Dreigliede­rung des sozialen Organismus hört man fast nie. Die Arbeiter sind fast restlos einverstanden, nur die Angestellten sind meist etwas schwerfälliger, wie es ja auch aus dem interessanten Brief hervorgeht, der vorhin vorgele­sen wurde. Die Leute haben vielfach nicht das richtige Gefühl für die Sache.

Es wäre wünschenswert, wenn die bis heute gewählten Betriebsräte ofters zusammenkommen könnten, auch die von auswärts. Hier, in diesen Diskussionsabenden, wäre so eine Gelegenheit, sich zu treffen, aber leider sind nicht einmal alle Betriebsräte hier, abgesehen davon, daß die von Eßlingen und Heilbronn nicht jedesmal hierher fahren können. Es sollten die verschiedenartigen Branchen vertreten sein; darüber müßte man sich einigen, und ich will nun gleich einmal vorlesen, welche Branchen, welche Arbeitszweige vorhanden sind: Lederfabrik, mehrere Maschinenfabriken, Straßenbahnen, Zigarettenfabrik, Kartonagefabrik, Schuhfabrik, Meßinstru­mentefabrik,

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Instandsetzungsamt, also ein Staatsbetrieb, Setzmaschinenfa­brik, Fabrik optischer Instrumente. Ich bemerke noch, daß der Betriebsrat in dem staatlichen Betrieb der einzige ist, der mit Genehmigung des Vorgesetzten gegründet worden ist. Sie sehen, wir haben da eine ganze Reihe verschiedenster Branchen. In Bildung begriffen ist noch der Be­triebsrat in einer Schuhfabrik in Kornwestheim, ferner in vier bis fünf Maschinenfabriken; diese sind ja vorherrschend. Es fehlen aber noch Bran­chen wie zum Beispiel aus dem Textil-, Papier- und Druckgewerbe, was sehr schade ist. Auch die Nahrungsmittelindustrie ist noch nicht vertreten. Zu einer wirklichen Arbeit reichen die heutigen Betriebsräte eigentlich noch nicht aus. Ich möchte deshalb den Vorschlag machen, daß die Be­triebsräte möglichst häufig oder sogar regelmäßig bei diesen Versammlun­gen erscheinen und daß die Arbeiter- und Angestelltenausschüsse, die ohnehin herkommen, alle in Betriebsräte umgewandelt werden. Wenn Sie alle zur Wahl schreiten und nicht nur zuhören, was geredet wird, werden Sie alle bald Betriebsräte sein, so daß wir bald schon diesen Saal mit Betriebsräten füllen können, wobei ich natürlich nicht meine, daß die Arbeiterausschüsse verschwinden sollen; sie werden ja wohl häufig im Betriebsrat drinnen sitzen. Wenn diese Frage- oder Diskussionsabende in der Weise gestaltet werden sollen, daß die Einzelheiten zur Sprache kom­men, zum Beispiel wie man diesen oder jenen Wirtschaftsbetrieb umwan­deln kann, so ist das schon eine gewisse Vorarbeit zur späteren Arbeit der Betriebsräteschaft. Und so würden sich diese Abende interessant ge­stalten.

Rudolf Steiner: Es ist ja auch im heutigen Schlußwort nicht mehr besonders viel zu sagen. Ich will zunächst auf eine Frage, die gestellt worden ist, antworten. Diese Frage lautet: Die große Masse des Proletariats erwartet, da es noch materialistisch denkt, eine Besserstellung seiner materiellen Bedürfnisse durch die Tätigkeit der Betriebsräteversammlung. Welche Maßnahmen müßten getrof­fen werden, um in der Übergangszeit einen gerechten Ausgleich zwischen Bedürfnis und Entlohnung schnell wirksam werden zu lassen? - Sehen Sie, es gibt Dinge, die sich nicht so einfach aus dem Wolkenkuckucksheim herausholen lassen. Wenn es nicht so wäre, daß doch die Betriebsräte unbedingt notwendig wären und endlich mit einer wirklichen sozialen Arbeit beginnen, so würde

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man den Vorschlag ihrer Konstituierung gar nicht machen. Daher kann auch eine solche Auffassung über die Verbesserung der Lage, bevor die Betriebsräte arbeiten, doch eigentlich nicht als eine sehr bedeutsame angesehen werden. Es gibt ja heute sehr viele Men­schen, die kommen mit sonderbaren Fragen, wenn es sich darum handelt, die wirklich praktischen Gesichtspunkte geltend zu ma­chen, die nun die Menschheit zu heilsameren Zuständen führen, als wir sie heute haben. Ich habe in den letzten Wochen immer wieder erlebt, daß die Menschen fragen: Ja, nun soll doch soziali­siert werden. Was wird dann nach der Sozialisierung mit einem Kleinkrämer, der ein Geschäft auf der Straße hat? Oder eine ande­re Frage: Wie wird der Universitätspedell sozialisiert, wenn die Dreigliederung eingeführt werden soll?

Nun, hört man sich diese Fragen an, so laufen sie alle eigentlich auf das eine hinaus, nämlich auf die Frage: Ja, wie führen wir eigentlich die große Umwälzung so herbei, daß nicht alles beim alten bleibt? So fragt die eine Sorte von Menschen. Die andere Sorte von Menschen möchte schon eine große Umwälzung, aber so möchte sie es nicht machen, sie möchte nicht eingreifen, sie möchte leichtere Maßregeln haben. Und diese Tendenz liegt ein bißchen unserer Frage zugrunde. Man kann da nur antworten:

Mit dieser anderen, leichteren Form schon für die Übergangszeit, da kann man nichts erreichen. Daher kommt es darauf an, daß derjenige, der eine Besserung will, sich schon darauf einläßt, dieje-. nigen Dinge zu ergreifen, die die Besserung herbeiführen können. Man kann nicht fragen: Wie führen wir die Besserung herbei im Vorfeld der Begründung von Betriebsräten? - Sondern man muß sich sagen: Damit die Besserung herbeigeführt wird, wollen wir so schnell wie möglich Betriebsräte haben. Ich fürchte sogar, daß hier auch ein Wunder nicht helfen könnte. Also verlassen Sie sich auf keine Wunderkuren, sondern gehen Sie den praktischen Weg; je schneller, desto besser.

Sehen Sie, da ist ja jetzt diese «Tribüne» erschienen, in der auch der Aufsatz über mich und das Proletariat enthalten ist, von dem ich schon gesprochen habe. Es gibt im gleichen Heft noch

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einen Aufsatz von einem Universitätsprofessor, der die ganze Drei-gliederung des sozialen Organismus Punkt für Punkt widerlegt. Man kann nicht einmal sagen, daß das, was er diesmal vorbringt, nicht zutreffend wäre, aber es ist aus einem ganz sonderbaren Grund zutreffend. Sehen Sie, der Mann versteht nämlich gar nichts von der Dreigliederung des sozialen Organismus. Er ist gar nicht in der Lage, irgendeinen Gedanken, der in meinem Buch über die Kernpunkte der sozialen Frage steht, wirklich zu verstehen. Weil er das nicht versteht, aber doch Universitätsprofessor ist, da muß er alles verstehen. Weil er eben nicht versteht, so macht er sich selbst eine Dreigliederung zurecht. Das ist ein fürchterlicher Kohl. Wenn man alles das zusammenstellt, was er als Dreigliede­rung schildert, so ergibt das einen fürchterlichen Kohl, einen un­ausführbaren, lächerlichen, schauderhaften Kohl. Und das wider­legt der nun. Das ist furchtbar leicht zu widerlegen, was er sich da zurechtgemacht hat. Aber darin besteht nun der Aufsatz. Es ist in ihm nichts davon enthalten, um was es eigentlich geht. So kann sich der Mann nicht vorstellen, warum eigentlich dieser selb­ständige Wirtschaftskörper dasein soll. Ich habe Ihnen neulich gesagt: Der selbständige Wirtschaftskörper muß deshalb im drei­gliedrigen sozialen Organismus dasein, weil auf dem Boden des Wirtschaftslebens alles aus der Sachverständigkeit, aus dem Drin­nenstehen im Wirtschaftsleben, aus den Erfahrungen des Wirt­schaftslebens hervorgehen muß und weil man nicht auf dem Boden des allgemeinen Rechtes, wo jeder mündige Mensch zu entscheiden hat über das, worin er jedem Menschen gleich ist, über das Wirt­schaftsleben entscheiden kann. Es kann nur zum Segen für das Wirtschaftsleben etwas werden, wenn sachverständig entschieden wird. Das kann sich Herr Professor Heck nicht vorstellen. Er kann sich überhaupt nichts anderes denken, als was er schon gese­hen, was er schon erlebt hat und worin seine Denkgewohnheiten wurzeln. Ich muß bei solchen Dingen immer wieder an etwas denken, was ich neulich gehört habe. Da sagte mir jemand - ich glaube, es war auch ein Professor -: Ich kenne die Bestrebungen des dreigliedrigen sozialen Organismus. - Ich fragte ihn: Leuchtet

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Ihnen etwas davon ein? - Bis jetzt war es nicht so, sagte er. -Sehen Sie, dieses «bis jetzt war es nicht so», das war alles, was ihm als Gedanke kam. Was bis jetzt nicht war, scheint eben nicht diskutabel zu sein, darüber konnte er sich nicht weiter äußern. Solche Dinge erlebt man eben durchaus. Man begegnet Einwänden, die eigentlich keine Einwände sind. Es wurde - das ist noch nicht lange her - sogar der Einwand erhoben: Ja, die Idee von der Dreigliederung des sozialen Organismus, die steht gewissermaßen auf einem sittlichen Standpunkt, und sich auf einen sittlichen Standpunkt zu stellen, das ist ein großer Irrtum. - Ja, diesen Einwand gab es auch schon. Es gibt überhaupt die allermerkwür­digsten Einwände. Einer der gewöhnlichsten ist der: Ja, es wäre ja ganz nett mit dieser Dreigliederung, aber dazu gehören andere Menschen. Mit den gegenwärtigen Menschen kann man die Drei-gliederung nicht einführen. - Nun, dabei begreift derjenige, der so etwas sagt, durchaus nicht, daß viel von dem, was in den gegenwärtigen Menschen zum Ausdruck kommt, gerade eine Folge unserer sozialen Verhältnisse ist und daß das anders sein wird in dem Augenblick, wo die sozialen Verhältnisse gesunden werden.

Nun, die Leute betrachten die Dinge niemals von einem wirk­lich sachgemäßen Gesichtspunkte aus. Ich will Ihnen ein drasti­sches Beispiel geben, das ich vielleicht auch hier schon einmal vorgebracht habe. Nicht wahr, es gab ja eine furchtbare Bürokratie 1 gerade innerhalb des Beamtenwesens in Deutschland bis zu diesem Weltkrieg. Nun hat man durch die Kriegswirtschaft die Notwen­digkeit erkannt, nicht allein die Beamten wirtschaften zu lassen, sondern zunehmend Kaufleute und Industrielle in die Ämter zu berufen, damit diese dort ihre praktische Weisheit im Hinblick auf eine Steigerung der Kriegswirtschaft loslassen konnten. Da hat sich dann die merkwürdige Tatsache eingestellt, die sehr interessant ist. Es wurden nämlich die Kaufleute und Industriellen viel büro­kratischer, als die Bürokratie zuvor je war! Also, sie haben sich wunderbar in die Bürokratie hineingefügt. Wer dies beobachtet hat, der weiß auch, was es für eine Bedeutung haben würde, wenn nicht weiterhin ungesunde, das heißt bürokratische Verhältnisse

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die Menschen umgeben würden, sondern solche Verhältnisse, von denen der Impuls des dreigliedrigen sozialen Organismus spricht. Da würden sich, gerade so, wie sich die Industriellen und Kaufleute in waschechte Bürokraten innerhalb der bestehenden Bürokratie verwandelt haben, die Menschen eben den gesunden Verhältnissen anpassen, und man wird nicht mehr sagen können, daß man zuerst bessere Menschen haben müsse, damit man eine bessere soziale Ordnung begründen kann. Man muß sich doch darüber klarwerden, daß gerade durch eine Verbesserung der sozia­len Verhältnisse den Menschen die Möglichkeit gegeben sein wird, bessere Menschen zu werden. Verlangt man aber, daß die Men­schen zuerst bessere Menschen sein müssen, dann brauchen wir ja die sozialen Verhältnisse gar nicht zu bessern. Wenn die Men­schen durch die sozialen Verhältnisse nicht zu dem geworden wären, was sie gegenwärtig sind, dann müssen die sozialen Verhält­nisse ja gut sein, dann müßten sie in Ordnung sein. Sie sehen daraus wiederum die Notwendigkeit des Umdenkens und Umler­nens. Das ist es, was vor allen Dingen grundlegend notwendig ist. Und wenn sich die Leute nur ein klein wenig in die Wirklich­keit hineinstellen könnten und aus ihr heraus denken würden, dann wären wir schon einen Schritt weiter.

Sehen Sie, da schreibt ein ganz gutwilliger junger Mann - man möchte ihm ja so gerne helfen -, er schreibt: Ja, er kann nicht anders als sich sagen, daß vielleicht die Dreigliederung des sozialen Organismus eine Lösung wäre, wenn eben die Menschen anders wären, als sie jetzt sind. - Und nun frage ich Sie: Glauben Sie nicht, daß dieser Mann im Untergrund seiner Seele die Anschau­ung in sich trägt, daß die anderen nicht die besseren Menschen sind, aber er, der das einsieht, er ist doch, jedenfalls der Anlage nach, dieser bessere Mensch? - Geht man zum nächsten, der einem dasselbe sagt, dann empfindet sich wiederum der als den besseren Menschen und ein dritter wohl ebenso. Da müßte sich doch jeder sagen: Wenn jeder so dächte wie er - und eigentlich muß man doch zunächst Rücksicht nehmen darauf, wie die anderen Men­schen sind -, wenn also jeder dächte so wie er, dann wären doch

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die besseren Menschen schon da! - Sie sehen, es kommt nicht darauf an, abstrakt-logisch zu denken, sondern so, daß man mit dem Denken in der Wirklichkeit steht, so daß man nicht etwas sagt, was selber als Gedanke fortwährend Purzelbäume schlägt. Das aber ist gerade das, was in der Gegenwart so furchtbar wirkt und uns auffällt, daß die Menschen fortwährend über die eigenen Gedanken, die eigentlich Ungedanken sind, stolpern. Deshalb muß immer wieder betont werden, daß nicht nur eine Änderung unseres Wirtschaftslebens notwendig ist, sondern auch eine Änderung der geistigen Struktur unseres sozialen Lebens. Wir sind durch das, was bisher war, in eine Krise vor allen Dingen des Geisteslebens hineingetrieben worden.

Wenn wir heute, ich möchte sagen, den Welthorizont überblik­ken, was fällt einem denn da am meisten auf? Ja, in den letzten vier bis fünf Jahren muß einem am meisten auffallen, daß über alle Weltverhältnisse nirgendwo im Grunde genommen die Wahr­heit gesagt worden ist, sondern alle Weltverhältnisse sind entstellt worden, sind in schiefem Lichte dargestellt worden, von den Be­richten über die Schlachten bis hin zu den Zielen der Völker. Von den Kriegsmotiven bis hin zum Frieden ist alles schief darge­stellt worden. Überall herrschen Phrasen, die nicht mit den Tatsa­chen in der Welt übereinstimmen. Das aber lebt in allem, was sich aus den bisherigen Kulturverhältnissen und den sozialen Ver­hältnissen entwickelt hat. Das lebt bis in die einzelnen Verrichtun-gen und Einrichtungen des menschlichen Lebens hinein. Daher müssen wir sagen, daß alle diejenigen, die die soziale Frage einsei­tig auffassen, es mit der Menschheit nicht ehrlich meinen. Ehrlich meint man es nur mit der Menschheit, wenn man sich sagt: Das Wirtschaftsleben hat die Menschen in die Krise hineingeführt, also muß es auf einen anderen Boden gestellt werden. Das Rechtsleben hat gezeigt, daß in den einzelnen Rechtsterritorien Klassenvorrech­te und Klassenbenachteiligungen herrschen, also muß es auf den Boden der allgemeinen Menschenrechte gestellt werden. Es hat sich deutlich gezeigt, daß man Recht nennt dasjenige, was nur gestützt werden kann durch Gewalt, und dies bis in unsere Tage

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hinein. Und es hat sich gezeigt, daß im Geistesleben die Gedanken der Menschen schief sind. Auf den drei elementaren Lebensgebie­ten, also dem des Wirtschaftslebens, des Rechtslebens und des Geisteslebens, sehen wir die Menschheit in einer Krise, und dieje­nigen, die es mit dem Fortschritt ehrlich meinen, die müssen sich darüber klar sein, daß auf diesen drei Gebieten jeweils ganz selb­ständig vorangeschritten werden muß, weil die Krisen gerade aus der Vermengung dieser drei Gebiete resultieren. Daher kann ich nur sagen: Wenn Sie auf irgendeinem speziellen Gebiet, wie jetzt im Zusammenhang mit den Betriebsräten, entscheidende Maßnah­men treffen im Sinne einer umfassenden sozialen Neugestaltung, also im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus, dann handeln Sie in der Richtung des Fortschrittes der Menschheit zu einer wirklichen sozialen Ordnung. Bedenken Sie diesen Zusam­menhang zwischen einer Einzelmaßnahme und den Maßnahmen aufgrund eines gesamthaften Überblickes, dann tun Sie heute Ihre Pflicht und Schuldigkeit gegenüber der Menschheit und gegenüber sich selbst. Einzelne Maßnahmen haben heute keine Bedeutung, sondern allein das, was im großen sozialen Zusammenhang gedacht ist. Das Kleinste muß mit dem Größten zusammen gedacht wer­den. Seien Sie sich dessen bewußt: Gelingt es Ihnen, die Betriebsrä­teschaft wirklich entstehen zu lassen, dann haben Sie etwas getan, was eine geschichtliche Bedeutung hat für die ganze folgende Menschheit, weil dies im Zusammenhang steht mit den größten Problemen, die heute der Menschheit gestellt werden. Deshalb fragen Sie nicht nach kleinlichen Schritten, sondern stellen Sie sich auf einen solchen Boden, der wirklich die Grundlage bildet, um vorwärtszukommen zur Tat, denn auf die Tat kommt es an. Und fügen wir an das, was wir aus der Dreigliederung des sozialen Organismus heraus einsehen, Tat um Tat, dann werden wir das schaffen können, was uns Hoffnung gibt, aus der furchtbaren Lage, in die uns das bisherige Geistesleben, das bisherige soge­nannte Rechtsleben und das bisherige Wirtschaftsleben geführt ha­ben, herauszukommen.

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SIEBENTER DISKUSSIONSABEND Stuttgart, 17. Juli 1919

Der Vorsitzende, Herr Roser, eröffnet die Versammlung. Anschließend teilt er mit, daß beabsichtigt ist, Studienabende einzuführen, an denen Erläuterungen zur Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus gege­ben werden sollen und an denen insbesondere das Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» gründlich besprochen werden soll. Der erste Studien-abend soll in der kommenden Woche stattfinden. Dann berichtet er, daß die Schuhindustrie in bezug auf die Betriebsrätefrage Fortschritte erzielt habe. Man sei dort bereits so weit gekommen, daß sich die Betriebsräte der Lederbranche zu einem Aktionsausschuß zusammengeschlossen hätten, der beabsichtige, in nächster Zeit innerhalb des Schuhgewerbes aktiv zu werden.

Einleitende Worte

Rudolf Steiner: Meine sehr werten Anwesenden! Wie an den Aben­den zuvor, so werde ich auch heute nur eine kurze Einleitung geben, damit wir uns dann in der Diskussion ausführlich über die eine oder andere spezielle Frage unterhalten können. Aber angesichts des erlahmenden Interesses an der Betriebsrätefrage wird es sich vielleicht empfehlen, zu Beginn des heutigen Abends zu-nächst einige allgemeinere Bemerkungen zu machen.

Sehen Sie, von seiten des «Bundes für Dreigliederung des sozia­len Organismus» ist angestrebt worden, mit der Schaffung einer Betriebsräteschaft den ersten wirklich praktischen Schritt in die Richtung zu gehen, die im Grunde genommen seit mehr als einem halben Jahrhundert durch die soziale Bewegung vorgezeichnet ist. Diese Bewegung ist ja wie ein Aufschrei des Proletariats gegen seine Unterdrückung. Dieser Aufschrei ist aber im Grunde genom­men nichts anderes als eine Art weltgeschichtliche Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Bedingt durch die Weltkriegs-katastrophe haben sich jetzt Verhältnisse herausgebildet, die es

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erforderlich machen, daß die Kritik, an die sich die Parteien der sozialistischen Bewegung gewöhnt haben, durch etwas anderes ab­gelöst werden muß. Als man aus dieser Bewegung heraus wieder­um begann, Wege zu einer sozialen Erneuerung zu finden, da konnte man ja die Hoffnung haben, daß sich besonders innerhalb der breiten Massen der Arbeiterschaft, erstens aus ihren Erlebnis­sen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsordnung heraus, zweitens aus den Untergründen heraus, die sich ergeben, weil die Arbeiterschaft durch ihre Erfahrungen wirklich politisch viel ge­schulter ist als das Bürgertum, ein Verständnis bilden würde für das, was die früher bloß soziale Kritik an der Gesellschaftsordnung ersetzen sollte. Nach dem sogenannten Zusammenbruch des Deut­schen Reiches konnte man im Grunde genommen etwas wirklich Einschneidendes nur von dieser Seite her erhoffen, denn diejenigen, die ganz mit der alten Staats- und Wirtschaftsordnung verknüpft waren, die hatten, trotz der Erfahrungen der Weltkriegskatastrophe und deren Folgen, nichts zu bieten, was zu einem Neuaufbau wirklich führen könnte.

Man bekommt recht trübe Gedanken heute, wenn man doch auf der einen Seite einsieht, daß zu einem Neuaufbau die Intelli­genz notwendig ist, und wenn man auf der anderen Seite die seelische und die politische Verfassung dieser Intelligenz im heuti­gen Mitteleuropa ins Auge faßt, namentlich der Intelligenz jener, die zu den führenden Persönlichkeiten gehören. Aus all dem, was hier bislang gesprochen wurde, werden diejenigen unter Ihnen, die öfter hier waren, gesehen haben, daß, wenn wir wirklich wei­terkommen wollen, eine neue Gesellschaftsordnung auch aus einem neuen Geist heraus gefunden werden muß. Dies gilt insbesondere für den jetzigen Zeitpunkt, der deutlich zeigt, daß Mitteleuropa im Zusammenbruch begriffen ist. Daß von gewissen Kreisen nichts zu erhoffen ist, sei an folgendem Beispiel verdeutlicht.

Sehen Sie, wenn man von einem neuen Geiste spricht, aus dem heraus die Zukunft gestaltet werden soll, dann muß man sich zunächst fragen: Wo sind die Anlagen zu diesem neuen Geiste? Nun, den politischen Geist, der heute vor allem die führenden

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Klassen beherrscht, den möchte ich an einem Beispiel, das aber vertausendfacht werden könnte, veranschaulichen. In einer Berliner Rede finden sich die folgenden Worte. Ich bitte Sie, hören Sie genau zu, denn man muß sich heute mit dem Geist der Menschen vertraut machen. Hören Sie also genau zu:

«Daß wir vor der Revolution im ganzen auf die redliche und sachliche Zuverlässigkeit unserer Regierung vertrauen durften, daß wir in dem vortrefflichen preußischen Beamtenstaat uns das Mitreden ersparen konnten, darin nicht zuletzt wurzelt die geistige Überlegenheit, die Deutschland allgemein, zumal auch in seiner wissenschaftlichen und technischen Entwicklung, während des neunzehnten Jahrhunderts er­wiesen hat. Man kann nicht zweien Herren zugleich dienen. Die allge­meine Politisierung ist notwendig ein Feind strenger Sammlung und Versenkung in schaffende Arbeit. Möge der deutsche Geist die Kraft entwickeln, sich durch die häßliche politische Sünd- und Schlammflut wieder zu jenem rühmlichen Staate des Vertrauens durchzuarbeiten, wie ihn uns Preußen die Hohenzollern geschenkt hatten!»

[Zwischenruf: Ist das der Oldenburg-Januschau?]

Ja, das glauben Sie> daß das der Oldenburg-Januschau ist! Es wäre tröstlich, wenn es wenigstens er wäre. Aber sehen Sie, diese Worte hat der tonangebende Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Berliner Universität gesprochen. Das ist das Ausschlagge­bende! Diese Worte, die also der Vertreter der deutschen Sprache und Literatur, der erste Vertreter dieses Faches an der ersten deut­schen Universität, gesprochen hat, die sind wohl einigermaßen ausschlaggebend für den Geist, der bei denjenigen herrscht, die heute unsere Jugend zu begeistern haben für das, was die Mensch­heit von der Zukunft zu erwarten hat. Muß man sich da wundern, daß trübe Gedanken aufsteigen, wenn man an diese Zukunft denkt? Im Grunde genommen führt man so etwas als charakteri­stisch deshalb an, weil ja schließlich auch diejenigen Menschen, die heute in der Publizistik das Wort führen, insbesondere in der Publizistik der Parteien, weil die ja, selbst wenn sie sich einzelne Programmpunkte angeeignet haben, in bezug auf ihr ganzes Denken

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doch manches von diesen Leuten gelernt haben. Vor allem haben sie gelernt, kurzsichtig, um nicht zu sagen stumpfsinnig, zu sein.

Gegenüber diesem muß eben immer wieder betont werden: Ehe sich die Menschen nicht zu einem wirklich neuen Geist aufraffen, zu einem umfassenden Geist, kann es im Grunde genommen nicht besser werden. Deshalb ist es so unendlich bedauerlich, daß, wo doch die Idee der Begründung einer Betriebsräteschaft herausge-schöpft war aus einem wirklich neuen Geiste, daß diese Idee der Betriebsräteschaft, die ja eine wirklich praktische Idee ist, bei den Massen so wenig Anklang findet. Natürlich kann auch einmal etwas langsam gehen, das wäre ja nicht einmal das Schlimmste, aber zum Allerschlimmsten muß man schon zählen, wie die Sache geschehen ist.

Wir haben ja hier begonnen mit der Arbeit im Sinne der Drei-gliederung des sozialen Organismus. Zuerst haben sich, das habe ich schon einmal ausgesprochen, diejenigen Leute, auf die ja immer gehört wird, gesagt: Nun, das ist mal eine kleine Narretei, die lassen wir gewähren. Dann aber hat sich diese Narretei als etwas entpuppt, das eine nach Tausenden zählende Anhängerschaft in Stuttgart und Umgebung gefunden hat. Da ist es den Leuten höchst ungemütlich geworden. Dann trat die praktische Idee der Betriebsräte in einer wirklich praktischen Gestalt hervor. Da wurde es den Leuten noch ungemütlicher, und da stellte sich dann eben diese merkwürdige Tatsache ein, die immer wieder festgehalten werden muß, daß nun von seiten der Parteien gegen die Dreiglie­derung des sozialen Organismus im allgemeinen und gegen die Betriebsräteschafts-Frage im besonderen Merkwürdiges ins Feld geführt wird. Da hören wir auf der einen Seite: Ja, die Dreigliede­rung, die ist ja schon ganz gut. - Als neulich unsere Freunde Gönnewein und Roser in einer Volksversammlung gesprochen ha­ben drüben im Dinkelacker-Saal, da trat zum Beispiel unter den verschiedenen, zum großen Teil uns gegnerisch gegenüberstehen­den Diskussionsrednern wieder einer auf, der da sagte: Ja, die Dreigliederung des sozialen Organismus ist ja ganz gut; sie muß

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sich letztlich ergeben, aber wir bekämpfen sie! - Also, sie ist gut und muß sich letztlich auch ergeben, aber sie wird doch bekämpft.

- Wir wollen, so sagte er, zunächst etwas ganz anderes, und dann, wenn wir dieses ganz andere verwirklicht haben, dann wird sich die Dreigliederung von selbst ergeben.

Nun, es kann keine Rede davon sein, daß sich die Dreigliede­rung jemals von selbst ergeben wird, sondern sie muß eben gerade hart erarbeitet werden. Es ist, ich muß das Wort schon ausspre­chen, der größte Schwindel, wenn man immer wieder und wieder das alte Wort wiederholt: Wir brauchen nur dieses oder jenes zu tun, es braucht nur diese oder jene Klasse die Herrschaft zu erhalten, dann wird sich schon ein richtig geordnetes gesellschaftli­ches Wesen von selbst ergeben. - Nein, das richtig geordnete gesellschaftliche Wesen, es muß zuerst erkannt und dann erarbeitet werden. Und charakteristisch ist eben, daß man immer wieder sagt: Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist ganz gut, so muß auch einmal eine Gesellschaftsordnung sein, wie diese Dreigliederung es sagt, aber wir bekämpfen sie. - Wenn die Leute aber einmal das sagen sollen, was sie denn wollen, dann hört man nichts anderes als Schlagworte und Phrasen

Das einzige, was ich innerhalb der Kommunistischen Partei in bezug auf deren Bekämpfung der Dreigliederung gefunden habe, das ist, daß man sich dort einig ist - soweit einem das entgegen­tritt -, daß die Dreigliederung ganz gut ist, aber daß man sie bekämpfen muß. Darin ist man sich einig. Und von der anderen Seite her hat es sich gezeigt - glauben Sie nicht, daß mir irgend etwas an der Sache liegt, aber wenn es sich darum handelt, etwas durchzukämpfen, dann muß auf solche Dinge hingesehen werden

- daß man anläßlich des Erscheinens der ersten Nummer unserer Wochenschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus» auf kei­nen einzigen der in diesem Blatt enthaltenen Gedanken eingegan­gen ist, aber daß man wüst geschimpft hat. Das resultiert aus der Stumpfheit, aus der Unfähigkeit, auch nur einen eigenen wirklichen Gedanken hervorzubringen. Daher kann man nichts anderes als schimpfen. Auch von dritter und vierter Seite ist manches ange­führt

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worden, was in eine ähnliche Richtung zielt. Die Dinge wurden immer so behandelt, daß schon bald deutlich wurde, daß all diese Kritiker wirklich sachliche Einwände gar nicht vorbringen. Einerseits offenbart sich da die Unfähigkeit, die Impotenz, ande­rerseits die Dummheit, indem man immer wieder sagt, daß die Dreigliederung an sich ja gut ist, aber bekämpft werden muß. Nun, wenn auf diese Dinge nicht hingeschaut wird, wenn nicht der Krebsschaden als Folge der Parteibetriebsamkeit gesehen wird, dann kann nichts Heilsames aus dem Kampf, in dem wir uns befinden, herauskommen.

Meine sehr verehrten Anwesenden! Es ist heute wahrhaftig nicht die Zeit, in der man sich in solchem Parteigezänke verlieren darf, denn wir stehen heute nahe an dem Punkt, daß nämlich die Men­schen, die eine solche Gesinnung haben wie Professor Gustav Roethe von der Berliner Universität, die ich Ihnen vorgelesen habe, auch in kapitalistischen Kreisen wieder die Oberhand gewinnen. Man braucht wahrhaftig kein Freund sein dieser Ideen, die ja nur Halb- oder Viertelsideen und obendrein ziemlich unpraktisch sind, und man braucht kein Freund zu sein von Wissell und Moellen­dorif, aber man muß doch sagen, daß man von einer gewissen Seite her die Macht hatte, die beiden zu verdrängen. Wären sie von anderer Seite verdrängt worden, so wäre dies kein besonderer Schaden gewesen, aber daß man die Macht hatte, sie eben von jener Seite her zu verdrängen, das beweist den gegenwärtigen Ernst der Lage in Mitteleuropa. Das beweist, daß sich gewisse Kreise wieder sicher fühlen, Kreise, die sich vor verhältnismäßig kurzer Zeit noch sehr unsicher fühlten.

Vor ein paar Wochen, gerade in der Zeit, als ich von der Schweiz, von Dornach, nach Stuttgart kam und wir unsere Tätig­keit begannen, da war es noch so, daß sich das Unternehmertum, ja die führenden Kreise überhaupt, in einem gewissen Sinne unsi­cher fühlten. Da herrschte in diesen Kreisen noch eine ganz son­derbare Stimmung. Und da konnte man durchaus den Eindruck haben, daß dann, wenn eine energische Bewegung, die Inhalt und Sinn hat, kommt, etwas erreicht werden kann. Damals hatten die,

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denen die Planwirtschaft und die Rahmengesetze von Moellendorff ein Greuel waren, noch nicht so viel Mut, um so kühn hervorzu­treten, wie sie das heute tun. Weil man aber voraussehen konnte, wie sich die Sache entwickeln würde, wurde hier und auch in anderen Versammlungen, auf denen ich gesprochen habe, ein Ge­danke immer wieder und wieder vorgebracht, für viele wahrschein­lich bis zum Überdruß, nämlich: Man schreite mit Bezug auf die Idee der Betriebsräte zur Tat, ehe es zu spät ist.

Im Zusammenhang mit der Verabschiedung von Moellendorff und Wissell gilt es zu beachten, daß das Betriebsrätegesetz nun neuerdings wiederum der Nationalversammlung vorgelegt worden ist. Alle diese Symptome können Sie zusammennehmen, und Sie werden es nicht unglaublich finden, wenn heute derjenige, der in diese Dinge etwas hineinschaut, Ihnen sagt: Das alles ist systemati­sche Arbeit von der anderen Seite her, systematische Arbeit von seiten der ehemaligen Unternehmer, die sich schon sehr am Rande des Abgrunds gefühlt hatten und die nun nach und nach die soziale Bewegung in Mitteleuropa lahmlegen. Von dieser Seite wird auch kein Mittel gescheut, auch mit der Entente zusammenzuge­hen, wenn es sich darum handelt, die soziale Bewegung in Mittel­europa lahmzulegen. Wenn die Ideen derjenigen Leute, die heute am Werk sind, und das ist keine Übertreibung, sich erfüllen, dann ist es so, daß alles soziale Streben, wie Sie es empfinden, für viele Jahre ein Ding der Unmöglichkeit ist. Denn da handelt es sich dann nicht darum, wie stark der Kapitalismus in Mitteleuropa ist, sondern darum, wie stark der Entente-Kapitalismus ist.

So verhalten sich die Dinge auf der einen Seite. Auf der anderen haben wir das wüsteste Parteigezänk, das hinwegzufegen die einzi­ge Möglichkeit wäre, um zu einem sachlichen Streben zu kommen. Was offenbart denn dieses Parteigezänke? Es offenbart vor allem die Notwendigkeit der Dreigliederung des sozialen Organismus. In dieser Dreigliederung soll auf der einen Seite das Geistesleben eine selbständige Verwaltung haben, auf der anderen Seite soll das Staats- oder Rechtsleben eine eigene Verwaltung haben und auf der dritten Seite das Wirtschaftsleben. Innerhalb des Wirtschaftsle­bens

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als einer rein wirtschaftlichen Einrichtung wollen wir die Betriebsräte entstehen lassen. Diese Betriebsräteschaft würde den Beginn einer wirklichen Sozialisierung dadurch einleiten, daß sie die Wirtschaftsverwaltung von dem geistigen und politischen Le­ben abtrennt. Wodurch wäre denn das Wirtschaftsleben am sicher­sten auch weiterhin dem Kapitalismus ausgeliefert? Dadurch, daß das Wirtschaftsleben weiterhin verquickt wird mit dem politischen Leben! Und was quiekt denn da eigentlich aus dem törichten Parteigezänke heraus? Es ist das wüste Durcheinanderwerfen und Ineinanderverschmelzen von wirtschaftlichen Gesichtspunkten und politischen Gesichtspunkten. Diese neuzeitlichen Parteien sind des­halb so schädlich, weil sie ganz auf dem beruhen, was sich als Verschmelzung des politischen mit dem wirtschaftlichen ,Leben überlebt hat. Daher hört man immer wieder von Leuten, die von einer Struktur der sozialen Ordnung rein gar nichts verstehen, daß man erst die politische Macht haben muß und dann die wirt­schaftliche. Dann kehren sie das wiederum um und so weiter. Aus all diesen Dingen spricht der wüsteste Dilettantismus. Daß gerade solche Anschauungen innerhalb der Parteien auftreten, zeigt, wie notwendig die Dreigliederung des sozialen Organismus ist. Und in unseren Tagen sollte man, ich möchte sagen, wirklich wie schon beim Herannahen der zwölften Stunde, mit sich zu Rate gehen und sich fragen: Will man denn wirklich der Narr der heraufziehenden Reaktion dadurch sein, daß man blinder als jemals die scheinbar gutgläubigen Katholiken den Parteiparolen aufs Wort folgt? Will man sich denn nicht auf das eigene Urteil stützen? Hätte man sich auf das gesunde eigene Urteil gestützt, dann wäre die Betriebsräteschaft schon zustande gekommen. Den­ken Sie einmal, was das bedeuten würde, wenn die Betriebsräte-schaft jetzt schon Wirklichkeit wäre und wenn jetzt die wirtschaft­lichen Forderungen des Proletariats von den Betriebsräten aufgegriffen und hineintönen würden in all das, was sich jetzt abspielt innerhalb des wiedererstarkten Kapitalismus und Unter­nehmertums, in das, was getrieben wird von seiten der Erzbergerei, die ja viel schädlicher ist, als man denkt, und in das, was mit

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dem Friedensvertrag zusammenhängt. Die Leute haben immerfort betont, daß es sich vor allen Dingen darum handle, die politische Macht zu erobern.

Oh, meine sehr verehrten Anwesenden, es kommt mir nichts lächerlicher vor als solch eine Phrase. Man kann natürlich solche Phrasen, also daß man erst die politische Macht haben müsse, aussprechen. Wenn aber der erste Schritt getan werden soll, um überhaupt zur Macht zu gelangen, wie es durch die Wahl der Betriebsräte hätte geschehen können, dann wird dieser erste Schritt nicht getan. Er wird nicht getan, weil man es liebt, in großen Worten und Phrasen zu sprechen. Man liebt es aber nicht, wirklich sachgemäß an das heranzugehen, was wirklich notwendig ist.

Der bisher vorliegende Betriebsräte-Gesetzentwurf hat sich als etwas Unpraktisches, als etwas Unannehmbares entpuppt. Jetzt wird ein neuer Entwurf der Nationalversammlung vorgelegt, nach­dem man ja den schüchternen Versuch von Moellendorff und Wissell, der auch Ansätze zu einer Planwirtschaft enthielt, in den Orkus hinabgestürzt hat und die beiden Persönlichkeiten gleich dazu. Das alles zeigt, welcher Unfug von einer gewissen Seite her getrieben wird, der aber zuletzt zu nichts führen kann. Man stelle sich vor, wenn seit vierzehn Tagen unsere Betriebsräteschaft in Württemberg tagen würde und jeden Tag greifbare Vorschläge für eine wirkliche Sozialisierung in die Welt senden würde! Wenn das der Fall wäre, dann könnte man sagen: Aus diesem Proletariat-heraus, da ersteht der neue Geist, der für einen Neuaufbau not­wendig ist. Wenn jetzt tausend Betriebsräte hier säßen und richt nur die paar Männchen, dann könnten wir sagen: Wir lachen über das, was nach dem Beginn der Novemberrevolution und nach Ausbruch des Streiks jener Großindustrielle mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht hat: Wir brauchen nichts anderes tun, als zu warten! Denn der Zeitpunkt wird kommen, an dem die Arbei­ter winselnd und flehend vor unserer Etablissementtüre erscheinen werden und zufrieden sein werden, wenn sie ein Viertel von dem arbeiten dürfen, was sie jetzt verlangen. - Nun, man ist aber heute noch nicht in der Lage, die Dinge mit dem nötigen Ernst

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zu betrachten. Es reicht aber auch nicht aus, diesen Ernst nur in Worten zum Ausdruck zu bringen, sondern es kommt darauf an, daß sich dieser Ernst auch in Taten niederschlägt. Wenn man darauf hinschaut, daß die mitteleuropäischen Industriellen in bezug auf ihre Macht Unterstützung - von seiten der Entente bekommen werden, dann muß man doch zu dem Schluß kommen, daß diese Betriebsräteschaft entstehen muß, ehe es zu spät ist. Ich will mit alledem nicht sagen, daß man jetzt nichts mehr tun kann. Selbst­verständlich muß in der angefangenen Richtung weitergearbeitet werden, aber es wäre ein Blinde-Kuh-Spiel, wenn man die Augen vor der allgemeinen Weltlage verschließen wollte. Wir stehen nun einmal in ihr drinnen, und eigentlich hätten wir nicht so in sie hineingeraten sollen, ohne daß wir schon Betriebsräte haben.

Sehen Sie, den richtigen Moment, den richtigen Augenblick zu erfassen, zu nutzen, das ist in Zeiten solcher Umwälzungen, in denen wir leben, von ganz besonderer Wichtigkeit. Da geht es darum, daß man nicht vier bis sechs Wochen warten kann mit demjenigen, was gleich geschehen soll. Heute wissen ja viele Leute, daß mit der großen Französischen Revolution Ende des 18. Jahr­hunderts und mit den folgenden Revolutionen im 19. Jahrhundert eigentlich nur eine Art Emanzipation des Menschen als Staatsbür­ger erreicht worden ist. Aber die Tatsache, daß in einem gewissen Grade einzelne Menschen freier geworden sind, ist für die breite Masse des Proletariats bedeutungslos. Warum? Weil diejenigen, die sich gegen die alte Feudalordnung aufgelehnt haben, zwar die Staatsmacht erobert haben, aber es unterlassen haben, dem Arbei­ter, auch wenn er jetzt persönlich frei war, die wirtschaftliche Zwangsjacke auszuziehen. Heute ist es an der Zeit, daß man ein­sieht, daß es mit der bloßen Eroberung der Staatsmacht nicht getan ist. Als Folge der Revolutionen gelangten zwar andere Men­schen an die Macht, doch man schuf nicht wirklich etwas Neues. Der alte Rahmen des Staates wurde beibehalten. Und so arbeitete man immer weiter bis hin zur Weltkriegskatastrophe. Man preßte alles in den Rahmen des alten Einheitsstaates hinein. Heute ist die Zeit gekommen, wo man erkennen sollte, daß das Proletariat

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nicht einfach das Bürgertum, das nur die Staatsmacht erobern wollte, nachahmen darf. Das Proletariat muß etwas Neues entwik­keln und darf nicht festhalten am alten Einheitsstaat. Das Proleta­riat muß den dreigliedrigen sozialen Organismus zur Entfaltung bringen. Entweder man wird diese Dreigliederung begreifen, oder man wird wieder in ein solch unmögliches Gebilde hineinsegeln, wie es der Staat des 19. Jahrhunderts und des beginnenden 20. Jahrhunderts war. Es ist nicht damit getan, daß man immer wieder sagt, daß man die alten Einrichtungen stürzen und an die Stelle des Kapitalismus neue soziale Formen setzen wolle! Man muß auch wissen, worin diese neuen Formen bestehen sollen! Deshalb ist auch versucht worden, mit meinem Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» etwas vor die Menschen hinzustellen, was dem ersehnten sozialen Gemeinwesen nun wirklich eine organische Gliederung gibt. Es wird dort gezeigt, wie dieses soziale Gemein­wesen möglich werden, wie es sich gestalten kann. Was nützt es denn, wenn man immer sagt: Die Dinge müssen von selber kom­men!

Nun, ich könnte mir vorstellen, daß solche Fanatiker des Von­selber-Kommens auch dann noch glauben, die soziale Ordnung sei von selber gekommen, wenn sie in Wirklichkeit hart erkämpft werden mußte. Sehen Sie, wenn der Hahn auf dem Mist vor Sonnenaufgang, also wenn es noch dunkel ist, kräht und dann die Sonne aufgeht, dann kann sich der Hahn einbilden, daß durch sein Krähen die Sonne aufgegangen ist. Ganz gewiß wird dadurch, daß man immer nur Sozialismus und Diktatur des Proletariats kräht, eine neue soziale Ordnung nicht heraufziehen. Diese kommt nur, wenn in einer genügend großen Anzahl von Menschen der Gedanke lebt: Wir müssen arbeiten, um diese neue soziale Ord­nung herbeizuführen. Wir müssen aus unserer Mitte heraus diejeni­gen, zu denen wir Vertrauen haben, wählen, damit auf der Grund­lage der vorhandenen wirtschaftlichen Erfahrungen etwas für das wirtschaftliche Leben Ersprießliches zustande kommt, das dann alle bürokratischen Gesetzesvorschläge und dergleichen, nach dem man von anderer Seite her strebt, in den Schatten stellen kann.

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Ich frage Sie: Schreckt man denn vor solch einer Arbeit zurück, oder warum unterläßt man das Schaffen einer solchen Betriebsräte-schaft, die ja wirklich dadurch, daß sie vom Vertrauen der Arbeiter getragen sein wird, ein Machtfaktor wäre? In dem Augenblick, dessen können Sie sich sicher sein, in dem eine solche Betriebsräte-schaft neue fruchtbare Gedanken hervorbringt, in diesem Augen­blick ist die Betriebsräteschaft auf bestimmten Gebieten die größte Macht. Das ist dann kein Krähen des Hahnes auf dem Mist, der glaubt, daß durch sein Krähen die Sonne aufgeht. Das ist ein Appell, an die Arbeit zu gehen, aber an eine solche Arbeit, von der man weiß, in welchem Sinn sie verlaufen soll.

Sehen Sie, allein aus einer solchen Empfindung heraus könnte, so glaube ich, der neue Geist erblühen. Aber solange dieser neue Geist nicht in den Gemütern lebt, so lange wird nichts Heilsames kommen. Und die jetzige wirtschaftliche Lage ist nun einmal so, daß vor allen Dingen daran gedacht werden muß, wie wir unser Wirtschaftsleben in Mitteleuropa wieder einigermaßen auf die Bei­ne bringen. So werden neue Rohstoffquellen der verschiedensten Art erschlossen werden müssen, insbesondere im Osten. Da wird so manches notwendig sein, was die mitteleuropäische Unterneh­merschaft bisher nicht in Angriff genommen hat. Allerdings lassen sich Rohstoffquellen in Sibirien wohl nicht mehr erschließen, denn der Lauf der Welt läßt dies heute nicht zu; das lassen die Amerika­ner und die Japaner nicht mehr zu. Da, wo wir wirksam werden können, das ist der gesamte europäische Osten. Aber da wird es darum gehen, daß man den richtigen Ton findet, um mit der russischen Volksseele zusammenzugehen. Das war gerade das Schlimmste an den bisher leitenden industriellen Kreisen, daß sie nie den Ton gefunden haben, um mit anderen Volksseelen eine entsprechende Verbindung einzugehen. Auch deshalb muß ein neu­er Geist in unser Wirtschaftsleben hinein. Ansonsten wird uns der Osten die Türe zuschlagen, nämlich vor allem dann, wenn wir mit dem Geiste kommen, den bisher unsere führenden Kreise entwickelt haben. Vor allem sind wir darauf angewiesen, mit dem Osten eine Brüderlichkeit, eine wirtschaftliche Brüderlichkeit zu

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entwickeln, sonst kommen wir aus der Situation, in die wir hinein­geraten sind, niemals heraus.

Ein neuer Geist nach den verschiedensten Richtungen hin ist notwendig! Dieser neue Geist möge in den Herzen und Gemütern aufkeimen, denn wir brauchen ihn. In dem, was ich Ihnen am Anfang vorgelesen habe, in dem können Sie den neuen Geist nicht finden, denn da wird gesagt, «daß wir vor der Revolution im ganzen auf die redliche und sachliche Zuverlässigkeit unserer Re­gierung vertrauen durften, daß wir in dem vortrefflichen preußi­schen Beamtenstaat uns das Mitreden ersparen konnten, darin nicht zuletzt wurzelt die geistige Überlegenheit, die Deutschland allge­mein, zumal auch in seiner wissenschaftlichen und technischen Entwicklung, während des neunzehnten Jahrhunderts erwiesen hat.

... Möge der deutsche Geist die Kraft entwickeln, sich durch die häßliche politische Sünd- und Schlammflut wieder zu jenem rühm­lichen Staate des Vertrauens durchzuarbeiten, wie ihn uns Preußen die Hohenzollern geschenkt hatten.»

So darf man heute nicht sprechen, das werden Sie einsehen. Aber, meine sehr verehrten Anwesenden, ich werde diese Worte nun in eine andere Sprache übersetzen und frage Sie dann, ob man heute so sprechen darf: Daß wir vor der Revolution im ganzen auf die redliche und sachliche Zuverlässigkeit unserer Par­teibonzen vertrauen durften, daß wir in dem vortrefflichen Partei-bonzen-Bürokratismus uns das Mitreden ersparen konnten, darin nicht zuletzt wurzelt die geistige Überlegenheit, die Deutschland allgemein, nicht aber in seiner sozialdemokratischen und sozialisti­schen Entwicklung, während des neunzehnten Jahrhunderts erwie­sen hat. Man kann nicht zwei Herren dienen, den Parteibonzen und der Dreigliederung. Die allgemeine Politisierung ist notwendig ein Feind strenger Sammlung und Versenkung in die Hingabe, in die Ergebenheit, in das Parteibonzentum. Möge der soziale Geist die Kraft entwickeln, sich durch die häßliche politische Sünd- und Schlammflut wieder zu jenem rühmlichen Parteiwesen des Vertrau­ens durchzuarbeiten, wie ihn uns Sozialdemokraten die Parteibon­zen geschenkt haben.

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Sehen Sie, da haben Sie dieselben Gedankenformen nur auf etwas anderes angewendet. Ob man der Professor Roethe ist und so über die Hohenzollern spricht oder ob man irgendein gutgläu­biger Parteimann ist und so über die Parteibonzen spricht, beides beruht auf denselben seelischen Empfindungen. Es macht den Menschen nicht freier, wenn er einfach anderen Götzen huldigt! Frei wird man dadurch, daß man sich auf sein eigenes Urteil, auf seine eigene Vernunft und auf seine eigene Empfindung stützt. An diese eigene Empfindung haben wir appelliert. Ich hoffe, daß sich doch noch die Tatsache herausstellt, daß wir nicht vergeblich appelliert haben, denn hätten wir vergeblich appelliert, so würde es schlimm um die Entwicklung des Proletariats stehen.

Diskussion

Herr Huch: Der Redner ist mit Herrn Dr. Steiners Ausführungen völlig einverstanden und spricht sein Bedauern darüber aus, daß die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus nicht so aufgenommen wird, wie es nötig wäre. Er sieht die Schuld zum großen Teil bei den Gewerkschaf­ten. Als Mitglied eines Arbeiterausschusses bemerkt auch er, daß das Unternehmertum heute wieder ganz anders auftritt als vor sechs bis acht Wochen.

Herr Fischer: Er stellt sich als Gewerkschaftsführer vor und verteidigt die Arbeit der Gewerkschaften gegen den Herrn Vorredner. Es liege, so führt er aus, an den Arbeitern selbst, wenn die Gewerkschaft nicht richtig vorgehe. - Der schlechte Besuch der heutigen Versammlung hängt wohl auch damit zusammen, daß die Arbeiter mißtrauisch sind gegen alles, was von Philosophen, Theosophen und Kommerzienräten kommt. - Bezüglich der Betriebsräte tadelt Herr Fischer, daß sich auch die Betriebsräte in Deutschland zersplittern. Wenn jetzt in verschiedenen Städten unabhängig voneinander und von verschiedenen Branchen ausgehend Konkurrenzen stattfinden über Betriebsräte, so ist das ein großer Fehler. Der Redner bekennt sich als Anhänger der Betriebsräte. In dem Augenblick, wo die Parteien und die Gewerkschaften sich überlebt haben, müssen sie selbst­verständlich hinweggefegt werden; es fragt sich nur noch, was wir an

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deren Stelle setzen. Man muß sich darüber im klaren sein, daß man so oline weiteres die Organisationen, die bisher das Vertrauen der Massen hatten, nicht auf die Seite werfen kann. - Der Redner kann sich nicht denken, wie in einer Betriebsräteschaft Einigkeit herrschen soll, wo doch dort Menschen der verschiedensten wirtschaftlichen und politischen An­schauungen sitzen werden. Wenn praktische Sozialisierung getrieben wer­den soll, dann muß man damit anfangen, Produktionsmittel sowie Grund und Boden den Ausbeutern aus den Händen zu nehmen und sie in den Besitz der Gesellschaft überzuführen, weil die Macht der Kapitalisten auf dem Besitz dieser Mittel beruht. - Der Redner bittet Herrn Dr. Steiner, ihm den Weg anzugeben, wie die Betriebsräte diese Aufgabe lösen können. Ferner wird Herr Dr. Steiner gebeten, Aufschluß zu geben darüber, wie seiner Meinung nach die Betriebsräte in die Lage versetzt werden können, um den Bedarf festzustellen. Denn solange der Arbeiter fragen muß: Habe ich genug zum Leben? -, so lange wird er sich nicht mit hohen geistigen Problemen beschäftigen. Die ausgehungerten Massen lechzen nach Brot, nicht nach geistigen Idealen. Erst wenn wieder Nahrung da ist, wird auch geistige Spannkraft dasein. Die große Masse wird sicher nicht um Arbeit winseln und betteln, sondern sie wird die Gesellschaft zum Teufel jagen. Die Auseinandersetzung des Proletariats mit den Kapitalisten wird nicht in Form von schönen Vorträgen vor sich gehen, sondern in der Form, daß Gewalt angewendet werden muß.

Ein weiterer Diskussionsredner: Der Gedanke des Herrn Dr. Steiner, daß wir uns nach dem Osten hin orientieren müssen, deckt sich mit dem, was auch ich in einer Versammlung ausgeführt habe. Auch ich habe gesagt, daß aus dem Osten das Neue kommt; dort ist eine neue Gesellschaftsform entstanden, vielleicht noch nicht so, wie sie sein soll, aber von dort kommt das Neue, und wir müssen uns nach dorthin orientieren. Was erleben wir? Unsere Regierung hat nichts anderes gewußt, als ängstlich nach dem Westen zu sehen und darauf zu achten, daß nichts anderes geschieht, als was der Entente lieb ist. Das ist das ganze Übel, mit dem wir es heute zu tun haben. An die Stelle des deutschen Kapitalismus ist eben der Entente-Kapitalismus getreten, und wir werden sehr schwere Kämpfe hinter uns zu bringen haben, wenn wir diesen Entente-Kapitalis­mus aus der Welt schaffen wollen. Diesen Weg zu weisen ist noch nie­mandem gelungen. Wenn es Dr. Steiner gelingt, wird die Arbeiterschaft ihm folgen.

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Rudolf Steiner: Ich will zunächst einige Bemerkungen vorausschik­ken, bevor ich auf die Worte des Herrn Vorredners zurückkomme.

Zunächst wurde gesagt, daß die Arbeiterschaft stark voreinge­nommen sei gegen die Dreigliederung, da sie eben ausgehe von Philosophen, Kommerzienräten und dergleichen. Die Sache stimmt ja gar nicht, sondern die Wahrheit ist, daß die Arbeiterschaft zu Beginn unserer Tätigkeit gar nicht sehr voreingenommen war. Viel­mehr hat sich herausgestellt, daß wir Tausende und aber Tausende von Anhängern fanden für das, was wir nicht als eine utopistische Idee verbreiten, sondern als etwas, was unmittelbar Tat-Keimge­danken sind, wie ich sie damals genannt habe. Die Arbeiter haben sich dazumal einen Teufel darum geschert, ob diese Gedanken von Philosophen oder Kommerzienräten kommen, sondern sie ha­ben sich auf ihren gesunden Menschenverstand verlassen und zuge­hört. Und diejenigen, die voreingenommen waren, die pfiffen von einer ganz anderen Seite her. Und die haben es dahin gebracht, daß diese Voreingenommenheit erst nach und nach entstanden ist. Also, die Sache ist eine ganz andere.

Obwohl der Herr Vorredner die ja wirklich einige bessere Züge zeigende Bewegung der kaufmännischen Angestellten, die es ver­diente, von der übrigen Arbeiterschaft etwas genauer studiert zu werden, richtig charakterisiert hat, lassen seine Worte doch erken­nen, daß ihm das, was die Dreigliederung im allgemeinen ist und was sie im besonderen mit der Gründung einer Betriebsräteschaft will, ganz und gar unbekannt ist. Denn das ist es ja gerade, was am schärfsten von seiten der Dreigliederung des sozialen Organis­mus bekämpft werden muß, nämlich daß diese Zersplitterung ein­tritt. Es war niemals unser Bestreben, lediglich Betriebsräte für irgendwelche Branchen zu schaffen beziehungsweise innerhalb der Betriebsräteschaft zu individualisieren. Wie oft ist gesagt worden:

Wenn Betriebsräte für die einzelnen Branchen geschaffen werden, so ist das das Gegenteil dessen, was im Rahmen einer wirklichen Sozialisierung angestrebt werden muß. Wir haben immer eine Be­triebsräteschaft angestrebt, die sich einheitlich über ein größeres, in sich geschlossenes Wirtschaftsgebiet erstreckt. Und erst aus einer

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solchen Betriebsräteschaft sollte dann alles, was zur Individualisie­rung notwendig ist, hervorgehen. Daß die Sache die Gestalt ange­nommen hat, daß in einzelnen Branchen mehr Eifer gezeigt wird als in anderen, das hat nichts zu tun mit der Betriebsräteschaft, wie sie hätte von der Dreigliederungsidee her entstehen sollen.

Ja, und dann brachte der Vorredner noch das Argument, daß man damit anfangen müßte, die Produktionsmittel sowie Grund und Boden in den Besitz der Gesellschaft überzuführen. Versuchen Sie nur einmal das, was mit diesem nebulosen Satz eigentlich gemeint ist, konsequent zu Ende zu denken! Bedenken Sie einmal, was eine solche Forderung praktisch bedeutet! - Ich möchte da noch an etwas anknüpfen. In irgendeiner Stadt, ich glaube, es war in Göppingen, sprach ich einmal über diese Dinge, und nach mir sprach ein Mann, der von einem gewissen Gesichtspunkte aus eigentlich ganz gut sprach. Er war wohl Kommunist. Er sagte, er sei Schuhflicker. Zunächst hat er sehr gut gesprochen, aber dann kam etwas Merkwürdiges, er sagte: Ja, das weiß ich schon, daß ich, nachdem ich nichts gelernt habe, kein Standesbeamter werden kann, dazu braucht man Intelligenz. - Nun, verzeihen Sie, dazu gehört wohl nicht so sehr viel Verstand, aber sehr viel Verstand und sehr viel Einsicht gehört zu dem, was dieser Mann wissen wollte über die Eroberung politischer Macht und derglei­chen. Diese Dinge müssen ins Auge gefaßt werden.

Nun, es handelt sich doch konkret um die Frage, wie sich die grundsätzlich ja richtige Forderung nach einer Überführung der Produktionsmittel sowie des Grund und Bodens in die Allgemein­heit vollziehen läßt. Es müssen natürlich dann auch die Menschen vorhanden sein, die die Produktionsmittel sowie Grund und Boden sachgemäß werden verwalten können. Die Sache ist ja so: Dasjeni­ge, was bisher die kapitalistische Produktionsform war, das hat eine ganz bestimmte Konfiguration; dazu war eine ganz bestimmte Art der Handhabung notwendig. Diese muß umgewandelt werden in eine andere Handhabung, und diese muß erst geschaffen wer­den. Sie können heute, bevor Sie nicht konkrete Ansätze haben bezüglich der Verwaltung der Produktionsmittel sowie des Grund

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und Bodens, nicht einfach die Überführung der Produktionsmittel und so weiter in die Allgemeinheit fordern! Das ist ja dann dasje­nige, was die Betriebsräte dann ja ganz praktisch in die Hand nehmen sollen. Man kann nicht mit Sätzen, mit Theorien etwas revolutionieren, sondern nur mit Menschen, und diese Menschen hätten die Betriebsräte sein sollen, und zwar die einheitliche, nicht die zersplitterte Betriebsräteschaft. Das ist es, worum es sich han­delt. Man kommt nicht weiter, wenn man immer wieder sagt, daß die Vorschläge der Philosophen und Kommerzienräte aus den Wolken kommen, und diesem dann eine sogenannte Praxis entge­genstellt, die noch viel nebuloseren Regionen entsprungen ist, weil es sich dann zeigt, daß man überhaupt nicht sagen kann, wie sich solche Dinge wirklich vollziehen lassen. Aber gerade um dieses «Wie» handelt es sich ja. Dieses «Wie» ist ausgearbeitet in meinem Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage»; man braucht sie nur zu verstehen, darum geht es.

Ja, und dann ist auch schon wiederholt gesagt worden, daß wir erst die Wirtschaftsordnung ändern müssen. Das Geistige wird dann schon von selbst entstehen. - Das wird es nicht. Wir brau­chen bereits diesen neuen Geist, um die Wirtschaftsform zu än­dern. Und man redet gerade dann unpraktisch, nebulos, wenn man immer wieder sagt: Wir ändern die Wirtschaftsform, dann kommt der neue Geist schon von selbst. Nein, Sie brauchen den neuen Geist, um damit die Wirtschaftsform zu ändern. Deshalb sage ich Ihnen: Meinetwillen jagen Sie die ganze Gesellschaft -nach den Worten des verehrten Vorredners - weg, aber machen Sie sich dann auch klar, was Sie zu tun haben, wenn Sie die alte Gesellschaft weggejagt haben. Wissen Sie, was Sie dann machen wollen? Sie können ja nicht dasselbe machen, sonst brauchten Sie sie nicht zu verjagen. Wenn Sie die ganze Wirtschaft zentralisieren und Oberbonzen über Oberbonzen hinstellen, glauben Sie, daß dadurch etwas verbessert wird? Das möchte ich sehen, ob etwas für die arbeitende Masse besser wird, wenn Sie nun die ranghöch­sten Gewerkschaftsbonzen statt der Kapitalisten und Unternehmer an die obersten Stellen setzen würden. Das ist das, was Sie sich

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überlegen sollen. Das ist eben das, was sich aus praktischen Über­legungen ergab, so sympathisch mir auch der ganze Ton des Herrn Vorredners war. Aber es ist noch nicht verstanden worden, um was es wirklich geht, denn alles das, was in der optischen Indu­strie, in der Autoindustrie und dergleichen geschieht, ist das Ge­genteil von dem, was hier propagiert wird. Und deshalb genügt es nicht, nur Wege zu zeigen, sondern es muß ein wirkliches Verständnis in der breiten Arbeiterschaft Platz greifen und dann in der konkreten Praxis zur Entfaltung gebracht werden. Deshalb glaube ich meinerseits sagen zu müssen, wenn gesagt wird: Der Steiner zeigt uns die Wege -, daß es nichts nützen wird, daß ich diese Wege zeige, solange immer wieder große Massen vom Ver­ständnis abgehalten werden dadurch, daß immer wieder Leute kommen, die diesen Weg noch nicht verstanden haben und dann vom Gegenteil reden, wie es eben wieder geschehen ist, und dann sagen: Wenn uns die Wege gezeigt werden, werden wir ihnen folgen; ich lasse mich gerne belehren. - Wenn aber etwas gezeigt wird, dann wendet man ein, daß es nichts ist. Nein, solange dies der Fall ist, kommen wir nicht vorwärts. Wir kommen nur vor­wärts, wenn wir uns einen Instinkt für das Richtige aneignen. Und das ist es, was wir vom «Bund für Dreigliederung des sozia­len Organismus» vermissen. Zunächst haben wir einen gewissen gesunden Masseninstinkt gefunden, dann aber haben wir erfahren müssen, daß der Gehorsam gegenüber den alten Führern doch ein großer ist. An der Entstehung eines gesunden Instinktes werde ich nicht zweifeln, aber er wird erst hervortreten, wenn nicht mehr jene Redner gegenüber den Massen auftreten, die, ohne aus­reichend in die Sache einzudringen, einfach reden und die Massen davon abhalten, weitere Schritte zu tun, ja im Gegenteil sie immer wieder zum alten Gehorsam und zu zweifelhaften Ideen zurück-beziehungsweise hinführen, indem sie immer wieder sagen: Macht ruhig Betriebsräte; sie werden doch wieder zersplittern.

Wenn wirklich das, was wir angestrebt haben, verwirklicht wor­den wäre, dann würden wir keine Zersplitterung haben, sondern eine einheitliche Gestaltung der wirtschaftlichen Belange innerhalb

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der Betriebsräteschaft in die Zukunft hinein, zumindest für Würt­temberg. Das würde dann anfeuernd wirken für andere und über dieses Wirtschaftsgebiet hinaus wirksam werden können.

Herr Fischer: Er stellt fest, daß sich seine Kritik an den Betriebsräten nicht gegen Herrn Dr. Steiner gerichtet habe, sondern gegen die eingangs von dem Vorsitzenden gemachten Ausführungen ... Ich habe gesagt: Ich bin überzeugt, daß die Ideen, die Dr. Steiner ausgearbeitet und in die Massen getragen hat, andere waren. Es ist aber etwas anderes propagiert worden, als es sich in der Praxis gezeigt hat. - Herr Dr. Steiner hat gesagt, daß die Vergesellschaftung der Produktionsmittel eine Phrase sei und daß nachher niemand da wäre, der wissen würde, wie die Produk­tionsmittel dann zu verwalten wären. - Es wäre doch traurig, wenn die Arbeiter und die Angestellten, die seither die Arbeit gemacht haben, nicht wüßten, was sie mit den Produktionsmitteln anzufangen hätten! Ich verste­he darunter, daß man die Aktionäre aus der Welt schafft und sagt: Die Aktien haben keinen Wert mehr. Die Sache geht in den Besitz der Allge­meinheit über und wird von der Allgemeinheit verwaltet. - Herr Dr. Steiner stellt geistige Ideen über alles. Die Arbeiterschaft will aber heute nur Brot, weil sie körperlich heruntergekommen ist und nicht in der Lage ist, geistige Ideen anzunehmen. Ich bitte Herrn Dr. Steiner, darauf einzugehen und zu zeigen, wie den Massen diese Ideen zugänglich gemacht werden können mit hungrigem Magen.

Rudolf Steiner: Das ist eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Denken Sie, es wird auf der einen Seite gesagt: Wir können die Produktionsmittel in die Allgemeinheit überführen. - Nun, eine wirklich konkrete Körperschaft, die diese Allgemeinheit reprä­sentieren würde, das wären eben die Betriebsräte. Solch eine Kör­perschaft aber muß erst geschaffen werden, sie ist nicht da! Gewiß, die große Masse ist durch den Hunger geschwächt. Aber sollen wir denn warten, bis Manna vom Himmel fällt, damit Brot da ist und dann sozialisiert werden kann? Das ist eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Wir müssen selbstverständlich beides zur gleichen Zeit anstreben, und wir werden nichts erreichen, wenn wir nicht alle zusammenarbeiten, denn das Manna wird nicht einfach vom Himmel fallen. Es muß gearbeitet werden! Alle

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werden wir arbeiten müssen, aber wir werden doch nur wirklich arbeiten wollen, wenn wir sehen, was bei dieser Arbeit heraus­kommt. Wir werden selbst noch mit geschwächten Muskeln, mit hungrigem Magen arbeiten, wenn wir wissen: Morgen führt unsere Arbeit zu einem Ergebnis. - Aber wenn uns immer nur gesagt wird, es soll sozialisiert werden, dann werden wir auch mit hungri­gem Magen nicht arbeiten können, weil wir wissen, daß wir auch morgen nicht satt werden, wenn wir nicht mit praktischen Ideen arbeiten.

Es kommt also heute darauf an, daß wir uns auf dieses einlassen und zudem sagen: Nun schön, die alte Gesellschaft wurde ja am 9. November in großen Scharen davongejagt ... .] Der Herr Vor­redner, der überhaupt sehr Gutes gesagt hat, hat dann sehr gut geschildert, was dann eingetreten ist. Ich will jetzt nicht untersu­chen, wieviel von dem, was da eingetreten ist, auf Unfähigkeit zurückzuführen ist. Ich führe nämlich mehr auf die Unfähigkeiten der heute Herrschenden zurück als auf ihren bösen Willen. Auf­grund dieser Unfähigkeit kommt auch immer wieder das, was eigentlich überwunden werden sollte, zum Zuge. Das muß vermie­den werden. Ob nun mit oder ohne Gewalt diese Gesellschaft, von der heute die Rede war, davongejagt wird, das ist eine andere Frage. Aber diejenigen, die sich an deren Stelle setzen, die müssen wissen, was sie wollen. Das allein ist praktisch gedacht. Und das ist das Bestreben des «Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus», daß der 9. November keine Wiederholung findet und daß nicht nach ein paar Monaten wieder gesagt werden muß:

Nun seht Ihr, nun haben wir überall im wirtschaftlichen Leben ein anderes Regime, aber das macht es geradeso wie das frühere.

- Das muß verhindert werden. Das kann aber nur dadurch verhin­dert werden, daß man eine Betriebsräteschaft auf die Beine stellt und dann zeigt, daß unter dem neuen Regime eben anders gearbei­tet wird. Natürlich, wenn unter der arbeitenden Bevölkerung, un­ter den Angestellten sich keine Menschen finden lassen könnten, die wirklich arbeiten können, dann müßte man in der Tat verzwei­feln. Aber das ist es nicht allein. Wesentlich ist, daß dann neue

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Formen der Sozialisierung sichtbar werden. Die Leute sind ja alle gewöhnt, unter dem alten Regime irgendwie zu arbeiten. Deshalb muß nun, wenn die Macht errungen ist, von denen, die sie errun­gen haben, wirklich erkannt werden, wie man mit dieser Macht umzugehen hat. Also, es handelt sich darum, die Sache einmal wirklich praktisch anzufassen. Und das ist das Traurige, daß man gerade für ein solches praktisches Vorgehen heute kein Verständnis hat und immer wieder mit alten Phrasen kommt. Mißverstehen Sie mich nicht, ich sage nicht, daß die Überführung der Produk­tionsmittel sowie des Grund und Bodens in die Gemeinschaft eine Phrase als solche ist. Das habe ich nicht gesagt. Aber Phrase, was ist eine Phrase? Etwas ist für den einen eine Phrase, weil er hinter den Worten nichts Besonderes sehen kann, während es für den anderen eine tiefe goldene Wahrheit ist, weil er etwas Konkre­tes dahinter sieht. Wenn zum Beispiel Bethmann-Hohlkopf, ich will sagen, Bethmann-Hollweg, sagt: Freie Bahn dem Tüchtigen! -, so ist das eine Phrase, weil er vielleicht darunter versteht, daß zum Beispiel sein Neffe oder ein anderer der Tüchtigste ist. Wenn aber jemand, der wirkliche soziale Einsichten und eine wirkliche Menschenempfindung hat, sagt: Freie Bahn dem Tüchtigen! , so ist das keine Phrase, so ist das real. Wenn jemand einfach die alte Parteiphrase von der Vergesellschaftung der Produktionsmittel immer wieder benutzt, dann kann es eine reine Phrase sein. Wenn derjenige es sagt, der es so charakterisiert, wie es in meinem Buch steht, dann ist es keine Phrase, dann ist es Ausdruck für eine Realität. Deshalb müssen Sie nicht glauben, daß, wenn ich etwas eine Phrase nenne, dieses absolut gemeint ist. Ich meine, eine Phrase ist es dann, wenn hinter dem Gesagten nicht die nötige Realität steht. Das ist es, was ich noch sagen wollte.

Herr Roser: Der Herr Vorredner befindet sich in einem Irrtum, wenn er meint, daß ich die Betriebsräte in der Schuhindustrie deshalb begrüßt hätte, weil sie sich separat gebildet haben. Ich wollte nur feststellen, daß die Lederindustrie die Dreigliederung des sozialen Organismus erfaßt hat. Ich muß feststellen, daß die Betriebsräte der Schuhwarenindustrie sich

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fest auf dem Boden der Dreigliederung gebildet hat; nur deshalb habe ich die Sache begrüßt. An einem Punkt muß doch der Anfang gemacht werden.

Frau Bühl: Ich möchte dem Herrn Fischer doch sagen, daß der Herr Gewerkschaftssekretär gesagt hat: Ohne Gesetz keine Betriebsräte; das Gesetz muß erst geschaffen werden. Die Hauptschuld, daß wir noch keine Betriebsräte haben, liegt bei den Parteien. Es ist eine Schande, daß, wenn man an Versammlungen ist und von seiner Überzeugung spricht, es dann gleich heißt: Das ist auch so eine von denen von Dr. Steiner. - Warum darf man denn nicht einmal seine Überzeugung zum Ausdruck bringen?

- Und dann kommt man uns immer mit den «Kommerzienräten»! Warum sprechen Sie immer in der Mehrzahl? Ich kenne bloß einen Kommerzien­rat bei uns, und es wäre kein Fehler, wenn wir deren ein paar Dutzend hätten. Was der eine Kommerzienrat schon alles geschaffen hat! Erstmal die freie Schule. Es ist eine Schande, wenn man hört, wie die Sache beurteilt wird. Es ist doch gut, wenn Kommerzienräte es so machen. Ich kann keine Schule aufmachen. Das ist das dumme Mißtrauen bei der Arbeiterschaft und bei den Parteien. [Zuruf: Woher hat er das Geld?] Der eine macht sein Portemonnaie auf, der andere macht es nicht auf; das ist der Unterschied. Wenn ein Mensch sozial denkt und eine Empfin­dung hat für seine Arbeiter, das ist die Hauptsache!

Herr Huih: Die Ausführungen des Herrn Fischer rufen mich auf den Plan. Ich will ihm zunächst gern bestätigen, weil ich ihn kenne, daß er nicht zu denjenigen Gewerkschaftsbonzen zählt, die sich im Geiste eines Legien bewegen, sondern zu denen, die im Sinne einer wirklich revolutio­nären Arbeiterschaft tätig sind. Wenn er aber kritisiert, daß sich in der Schuhindustrie Betriebsräte gebildet und sich zusammengeschlossen haben, und wenn er damit feststellen will, daß damit eine Zersplitterung stattfin­den würde, weil noch andere Berufszweige Betriebsräte haben, so muß ich ihn eines anderen belehren. Wir haben ja in der Schuhindustrie, als wir unsere Betriebsräte wählten, ziemlich lange gewartet, bis auch die Metallindustrie hier dazu übergehen würde, ihre Betriebsräte zu wählen, um mit denen zusammen eine Betriebsräteschaft im Sinne der Dreigliede­rung zu bilden. Nachdem aber die Zeit verstrichen ist, und zwar durch die Schuld der proletarischen Parteien, und in den anderen Berufen die Sache noch nicht soweit gediehen ist wie bei der Schuhindustrie, haben

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wir uns sagen müssen: Es hat keinen Sinn, wenn wir uns nicht zusammen­finden und aus uns heraus praktische Arbeit leisten. Wir müssen eine Betriebsräteschaft bilden, auch wenn sie noch so klein ist, und dann den Gedanken der Betriebsräteschaft hinaustragen in die Kreise derjenigen Ar­beiter, die noch nichts in dieser Richtung unternommen haben.

Wir können nicht warten, bis irgendeine Regierung uns die Sozialisie­rung bringt. Die Befreiung des Proletariats muß vom Proletariat selbst kommen, und wenn es auf einem Wege ist, den ein Pliilosoph gezeigt hat, wenn der Weg gut ist. Es wurde darauf hingewiesen, daß immer wieder das alte Schlagwort: Wir müssen uns zuerst die politische Macht erobern - in den Köpfen spukt. Das wird den Proletariern immer wieder eingehämmert. Dieses Wort ist tatsächlich eine Phrase, eine Verlogen­heitsphrase der Parteien, die sich heute proletarisch nennen, aber nicht wissen, was sie in der gegebenen Stunde zu tun haben. Weil sie das nicht wissen, vertrösten sie das Proletariat immer auf den großen Kladdera­datsch, bis wir Zuwachs von Westen bekommen, der uns die politische Macht in die Hand geben wird. - Wir hatten die Macht, aber was haben wir mit ihr getan? Wir haben sie wieder aus der Hand gleiten lassen, weil wir nichts mit ihr anzufangen wußten. Wir müssen dazu übergehen, nicht die politische Macht, sondern die wirtschaftliche Macht zu erobern durch die Betriebsräte. Dann wird uns die Macht nicht mehr aus der Hand gleiten können. Die Betriebsräte, die nur wirtschaftliche Instrumente sein sollen, werden dann ergänzt werden durch politische Räte, durch eine Rechtsorganisation. Wenn wir aber diesen beiden Organisationen nicht auch die geistige Organisation zugesellen, dann werden wir nicht zu gesunden Zuständen kommen, wie es Rußland zeigt. Die Führer der USP haben sich zu einer Zweigliederung schon aufgeschwungen. Aber auch der kulturelle Teil darf nicht vergessen werden!

Wenn ich Däumig oder Müller lese, muß ich mir sagen: In die Praxis umgesetzt, wird das zur Dreigliederung führen, denn sie haben den kultu­rellen Teil eigentlich nur vergessen. - Ich bin Mitglied der USP, aber ich scheue mich nicht, den Parteien das Zeugnis auszustellen, daß sie nicht wissen, was zu tun ist. Als Proletarier mussen wir sagen: Wenn ihr es nicht versteht, uns zu führen, dann habt ihr den Platz zu verlassen.

- Jede Bewegung hat die Führer, die sie verdient; wir auch. Das Proletariat hat in seiner Gesamtheit noch nicht den Mut aufgebracht, den Führern zu sagen, wer sie sind. Wenn es auch schon reichlich spät ist, so müssen wir die Frage der Betriebsräte trotzdem mit erneuter Energie aufgreifen.

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Herr Molt: Es ist heute abend wiederholt die Rede von dem gewesen, der zu Ilmen spricht und der, wenn ich so sagen darf, der alten Räteschaft noch angehört. Herr Fischer, dem zu begegnen ich jetzt nicht zum ersten Mal das Vergnügen habe, hat die konkrete Frage an mich gestellt, woher das Geld eigentlich komme, das ich habe. Dieses Geld kommt genau von demselben Kapitalismus her, von dem auch Herr Fischer sein Geld be­zieht, also auch aus dem kapitalistischen Wirtschaftskreislauf. Und die Frage ist nur, ob man das Geld, das man auf kapitalistischem Boden erwirbt, für sich behält oder ob man es zurückgibt an die Allgemeinheit. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen! - Früher sagte man: An ihren Früchten. - Wenn man eine Schu!e begründet, damit der wahre Sozialis­mus durchgeführt wird, wenn man das, was man erspart hat durch saure Arbeit - wirklich durch Arbeit, nicht durch Kapitalismus , wenn man das dazu verwendet, daß die heranwachsende Generation auch andere Dinge kennenlernt, als was wir kennengelernt haben, so würde ich eben das die praktische Frucht einer guten Idee nennen. Wenn sie nur deshalb entstanden ist, weil ich während des Krieges den Magen noch etwas besser füllen konnte und dadurch eine gute Idee hatte, dann ist es doch gut, daß die wenigstens da ist. Die Idee scheint eben wirklich dazusein. Und wenn nicht überall gute Ideen sind, dann kann man wenigstens froh sein, daß noch Menschen da sind, die Ideen haben, und die Hauptsache ist, daß sie durchgeführt werden.

Sehen Sie, die Frage der Betriebsräte, die Herr Fischer so gründlich mißverstanden hat, sie ist wirklich in ein viel ernsteres Stadium getreten, als es heute abend zum Ausdruck gekommen ist. Es handelt sich wahrhaf­tig um Sein oder Nichtsein! Entweder wir schaffen die Betriebsräte, dann haben wir den Sozialismus, oder wir gehen am Entente-Kapitalismus zu­grunde, nicht nur der Handarbeiter, sondern auch der Kopfarbeiter. Und diese Tatsache, zusammen mit einer wahren Idee vom Sozialismus, die kann auch schon unsere Zeit innerlich dafür erwärmen, daß man wahr macht die Betriebsräte und selbst als Kommerzienrat sich in den Dienst dieser Sache stellt, und zwar deshalb, weil man es auch wirklich ehrlich meint. Und daß man es ehrlich meint, beweist die wunderbare Tatsache, daß selbst Proletarierversammlungen diesen merkwürdigen Kommerzienrat wünschen, um ihnen Vorträge über Betriebsräte zu halten, nicht zum Nachteil dieser Versammlung. Deshalb stehe ich gewissenhaft auf dem Boden der Betriebsräte wie auf dem Boden der Dreigliederung des sozialen Organismus. Diese Betriebsräte sind eben anders als die in der Autobranche

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und in der optischen Branche, denn diese sind ja nichts anderes als politische Mittel, um die Parteien zu stärken, sie sind nicht deshalb da, um das Wirtschaftsleben im großen und wahren Maßstabe gründlich zu sozialisieren. Deshalb wenden wir uns ja vom «Bund für Dreigliederung» aus mit dieser großen Entschiedenheit dagegen, daß man etwa die Betriebs­räte, die von den Parteien kommen, verwurstelt mit denen, die wir wollen.

Sie haben wohl schon heute in einer Tageszeitung gelesen, daß dieses Betriebsrätegesetz wiederum an die Regierung gelangt ist. Wir sind uns klar darüber, daß die Betriebsräte nicht normiert werden können, weil eben jeder Betrieb anders ist. Das Wirtschaftsleben kann weder durch politische Macht noch durch Gesetze geregelt werden, sondern es kann sich nur aus sich selbst regeln. Wenn das Gesetz einmal da ist, so ist es schwer, dagegen anzugehen; da muß man schon ein Revolutionär sein. Wenn man aber nicht einmal gegen die Entwürfe ernstlich Stellung nimmt, wieviel weniger wird es möglich sein, wenn das Gesetz einmal da ist? Wenige Wochen trennen uns noch von diesem Gesetz. Diese Zeit muß genutzt werden. Wird sie nicht genutzt, so ist es einfach zu spät mit den Betriebsräten und mit dem Sozialisieren. Deshalb wünscht man so sehnsüchtig, daß endlich die Arbeiterschaft aufwacht. Es ist nicht richtig, wenn man meint, die Arbeiter seien voreingenommen gegen «Philosophen und Kommerzienräte». Die Sache liegt anders. Wer die Zeitung gelesen hat und gelesen hat, was der «Sozialdemokrat» zu dieser Waldorfschule gesagt hat - er sagt: «Die Schule ist schön, aber sie kommt von Fabrikan­ten, also ist sie überhaupt nichts» -, der muß sich schon sagen: Das sind die Menschen, die den wahren Sozialismus und den wahren Fortschritt hemmen. Die Parteibonzen aller Schattierungen sind schuld, daß unsere ehrlichen Bestrebungen und die Betriebsräte bis jetzt nichts wurden. Aber das Proletariat wird ja selber in Bälde sehen, wie es in Elend und Not hineingetrieben wird, wenn es sich nicht rechtzeitig aufrafft.

Dieser Appell sollte heute noch einmal an Sie gerichtet werden. Es ist keine Zeit zu verlieren! Wir haben nur noch drei bis vier Wochen. Wenn die versäumt werden, ist es endgültig aus. Damit Sie sehen, wie ernst es ist, möchte ich Ihnen ein paar Zeilen aus einem Brief vorlesen, der gerade heute in meine Hand kam. Dieser Brief stammt von einem deutschen Diplomaten, der an erster Stelle steht im Ausland, und Sie sollen hören, wie von jener Seite die deutschen Zustände charakterisiert werden:

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«Die Zustände in der Heimat werden immer schlimmer, und ich fürch­te, die Katastrophe, die man durch Annahme des Friedens vermeiden wollte, ist nur aufgeschoben, um dann um so gewaltiger über uns hereinzubrechen. Das, was man in Deutschland jetzt Regierung heißt, ist doch nur eine Karikatur einer solchen, schwankend zwischen Parteidoktrinen und Angst vor der Revolution von links nach rechts. Dabei geht die Moral des Volkes vollends in die Brüche. Mit welcher Ge­schwindigkeit unser Ansehen im Auslande sinkt, ist nicht zu beschrei­ben; dabei viel zu retten ist unmöglich.»

Das ist ein heute eingetroffener Brief eines deutschen Diplomaten an erster Stelle, der die Verhältnisse kennt und weiß, wie die Dinge liegen, wie man heute im Ausland betrachtet wird. Die Dinge können aber wahr­haftig nur andere werden, wenn man eben in Arbeiterkreisen nicht ver­schläft, daß wir dem wahren Elend jetzt erst entgegengehen, und wenn man dann in letzter Stunde sich aufrafft, um zu einem solchen Zustand zu gelangen, daß unser am Rande des Abgrundes sich befindendes Wirt­schaftsleben wieder gehoben werden kann. Und das kann nur geschehen, wenn wir selbst Hand anlegen, wenn wir selbst wollen, daß durch die Einführung der Betriebsräteschäft endlich ein Aufschwung nach oben ge­macht wird. Diesen Appell wollte ich nochmals an Sie richten, damit wir nicht in drei bis vier Wochen sägen müssen: Jetzt ist es zu spät. - Es ist noch Zeit, aber es ist die zwölfte Stunde. An Ihnen, nicht an uns liegt es.

Herr Jansen: Als vor acht bis zehn Wochen Herr Dr. Steiner mit seinen Vorträgen begonnen hat, war wirklich eine große Begeisterung für die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus vorhanden. In dem Au­genblick aber, wo Herr Dr. Steiner und mit ihm der «Bund für soziale Dreigliederung» überging zur Praxis, also von dem Gedanken zur Wirk­lichkeit überging, in dem Augenblick, wo Arbeit, wo Leistung verlangt wurde von denen, die bisher nur brävo schreien und klatschen durften, da hörte schon ein Teil der Begeisterung auf. Die kühle Haltung der Arbeiterschaft ist auch mit Schuld gewesen, daß die Begeisterung für die Ideen Dr. Steiners nicht so weit ging, um gegen die Führer ankämpfen zu können. Wir alle, die in der Agitation gestanden haben, wir wissen über dieses Phlegma ein Wort zu reden. Auch Herr Dr. Steiner bekommt das Phlegma der Massen zu spüren. Der Gedanke der Betriebsräte hat

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bei dem vor einem Vierteljahr wirklich nicht allzu sicheren Kapitalismus die letzten in ihm ruhenden Kräfte hervorgerufen. Er hat versucht, um diese Betriebsräte abzumurksen, die Richtigkeit und die Durchführbarkeit zu leugnen. Und die sogenannte gebildete Kaste unserer heutigen Gesell­schaft und die noch wolilfeilere Presse aller Schattierungen, sie haben es fertiggebracht, daß die wahre Idee der Dreigliederung des sozialen Orga­nismus und der Betriebsräte so herabgezogen wurde, wie es in den Zeitun­gen steht.

Nachdem ein halbes Jahrhundert verflossen ist seit dem Hungertod von Karl Marx, streitet man sich heute herum, wie es möglich ist, die Sozialisierung durchzuführen. Und über ein halbes Jahr ist es her, daß das Jena der deutschen Arbeiter, die Novemberrevolution, hereingebrochen ist, und noch immer weiß man nicht, wie die Sozialisierung zu machen ist. Man sollte doch dankbar sein, wenn ein Mann sich die Mühe gemacht hat, einen praktisch gangbaren Weg zu suchen, einen Weg, auf dem es nun möglich ist, den Sozialismus in verhältnismäßig kurzer Zeit einzufüh­ren. Das Gegenteil trifft zu! Man darf es sagen: Einerseits ist die Eifer­sucht, andererseits ist die Dummheit daran schuld. Ich habe es schon einmal vor ein paar Wochen an einem Beispiel verdeutlicht: Man spricht davon, den Löwen, den Kapitalismus, totzuschlagen, aber man fürchtet sich vor dem Mäuschen, dem Vertreter der Fabriken, dem Direktor, und vor den Gewerkschafts- und Parteibeamten und dergleichen.

Herr Fischer sprach von Kommerzienräten, Professoren, Doktoren, die die Idee der Dreigliederung vertreten. Haben wir nicht auch in den Parteien Professoren und Doktoren? Sagen wir auch von ihren Ideen, daß sie deshalb nichts taugen? Und wenn die nicht in der Partei wären

- an der Dummheit der Massen waren die Parteien längst zugrunde gegan­gen. Ein eigenartiges Kapitelchen noch: Herr Molt, den ich als Mitarbeiter begrüße und den wir gebeten haben, morgen in unserer Sitzung über Betriebsräte in aufklärender Weise zu sprechen, dieser Herr hat Geld. Wir haben in der Partei eine Unmasse an Menschen, die auch Geld haben, die es früher hatten oder die es durch die Tätigkeit in der Partei zu Geld gebracht haben. Diese Männer, die sich Parteigenossen, Parteifüh­rer nennen, die behalten ihr Geld ruhig für sich. Sie stellen es der Partei nicht zur Verfügung! Sie kaufen sich Villen und setzen sich da oben schön fest. Deshalb nur nicht allzu laut und allzu schnell mit dem Vor-wurf: Der Mann hat Geld. - Man muß sehen, was die Leute unter uns mit ihrem Geld tun.

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Es wurde gesägt: Der Hunger muß zuerst beseitigt werden, damit die Menschen überhaupt für geistige Kost zugänglich sind. - Es hat neulich ein Kommunist gesägt: Der Hunger ist der schlimmste Revolutionär. Wenn der Hunger einmal tobt, dann gibt es kein Halt mehr, dann bricht das sich Bahn, was so lange unterdrückt worden ist. - Was sind denn die Streiks anderes als Hungerrevolten? Und weil der Hunger ein guter Antrieb ist, deshalb wäre es nicht gut, den Hunger heute schon zu beseiti­gen. Sorgen wir dafür, daß wir den Massenhunger dadurch abschaffen, daß wir die Massenausbeutung abschaffen. Der Sozialismus ist doch der Weg dahin! Der Hunger ist ein Antrieb, um die Sozialisierung endlich einmal durchzuführen.

Herr Kühn: Als Geschäftsführer des «Bundes für Dreigliederung des sozia­len Organismus» möchte ich verschiedenes sagen zu dem, was gefragt worden ist. - Wir haben die Absicht, die Betriebsräte in der nächsten Woche zu einer ersten Versammlung zusammenzurufen. Ferner werden wir in der nächsten Woche mit den Studienabenden beginnen. Herr Roser hat ja darüber schon gesprochen. Ich darf vielleicht ein paar Worte sagen zu der Diskussion, die sich am heutigen Abend mit Herrn Fischer abge­spielt hat. Herr Fischer ist leider schon fortgegangen. Ich wollte ihm vor der Versammlung sagen, daß ich definitiv weiß, daß er niemals, weder hier noch anderswo, anwesend war bei Vorträgen des Herrn Dr. Steiner. Das einzige Mal, wo er mir begegnet ist, das war bei einer Versammlung zur Besprechung der Betriebsrätefrage, die von Angestellten einberufen war und wo er von einigen Rednern etwas über die Dreigliederung gehört hat. Herr Dr. Steiner war nicht anwesend. - So urteilen die Leute, die von der Sache keine Ahnung haben; sie meinen alles mögliche und wollen die Sache einfach abtun. Nebenher hat Herr Fischer mir aber heute abend gesagt, daß seine Gewerkschaft beziehungsweise sein Verband in der näch­sten Zeit Versammlungen abhalten wolle, um über Betriebsräte zu spre­chen und probeweise Betriebsräte in den Fabriken aufzustellen. Sehen Sie, die Leute kommen nun, wenn sie hier und da etwas gehört haben, und machen ihre Sache daraus. Das ist, was wir vermeiden wollen und was wir bekämpfen müssen. Wir dürfen nicht gemeinsame Sache mit denen machen, die von der Dreigliederung des sozialen Organismus nichts wissen wollen und nicht auf sie hinarbeiten. Betriebsräte, die nicht auf der Grund­lage der Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus geschaffen wer­den, werden niemals den Sozialismus verwirklichen können. Die Betriebsräte,

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die wir einführen wollten, wären der erste Schritt zur Sozialisierung im Sinne der Dreigliederung gewesen. Alles andere müssen wir ablehnen. Es ist schade, daß Herr Fischer fortgegangen ist und sich nicht mehr mit uns über die Dreigliederung selbst auseinandersetzen kann.

Immer wieder kommen Einwände gegen die Dreigliederung von Leu­ten, die nichts von ihr wissen, aber auch von Leuten, die schon viele Vorträge über die Dreigliederung gehört haben. Ein Beispiel möchte ich Ihnen erzählen. Da ist ein Kommunistenführer, der eine ziemlich große Rednergabe besitzt und große Massen an sich fesselt. Er tritt fast in jeder Versammlung auf. Dieser Mann hat viel von der Dreigliederung gehört, aber nichts davon begriffen. So sagt er zum Beispiel: Ja, die Dreigliederung führt zum Dreiklassensystem, denn wenn man drei Glieder schafft, dann gibt es in jedem Glied eine Klasse, und so bekommen wir noch schlimme­re Zustände als heute; heute haben wir ja nur zwei Klassen. - Wenn man von den Organisationen auf die Klassen schließen wollte, so müßte man ihm ja sagen: Heute haben wir doch einen Einheitsstaat, also ein Glied. Da müßte man doch heute auch nur eine Klasse haben! So etwas begreift der Mann nicht und kommt zu einem derartigen Vorurteil. Wir wollen gerade, um die Klassenherrschaft zu beseitigen, den sozialen Orga­nismus auf seine gesunden Füße stellen. Von einer Dreigliederung der Klassen ist nicht die Rede. Derselbe Mann behauptet auch das gleiche, was Herr Fischer behauptet hat, nämlich daß die Dreigliederung die Un­ternehmer in Schutz nimmt. Wer das Buch von Herrn Dr. Steiner gelesen hat, weiß, daß der Unternehmertypus von heute überhaupt verschwinden wird. Der allerschönste Einwand dieses Kommunistenführers war aber der, daß er sagte: Die Wirtschaft von der Politik trennen, das kann man nicht. Das sieht man ja ständig im Reichstag oder in der Nationalver­sammlung, wie die Leute ihre wirtschaftlichen Interessen vertreten, denken Sie allein an die Industriellen der Schwerindustrie! Die können nicht anders, als ihre wirtschaftlichen Interessen zu vertreten. - So hängen die Menschen am alten, an diesem Götzen Einheitsstaat, weil sie nicht sehen, daß das gerade das ist, was wir bekämpfen wollen, was wir abschaf­fen wollen. Gerade die Wirtschaftspolitik hat uns in diese unheilvolle Katastrophe hineingetrieben. Das sehen die Leute auch im ruhigen Ge­spräch sehr gut ein, aber die Kraft dazu aufzubringen, daß man Maß­nahmen trifft, die eine solche Wirtschaftspolitik nicht mehr möglich ma­chen, ja, das ist den Leuten nicht möglich. Da sind vor allem die Parteifüh­rer, die uns die Betriebsräteschaft verdorben haben. Diese Leute müssen

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wir abschütteln. Eher kann das Proletariat keinen Sozialismus verwirklicht sehen.

Bei den Angestellten, die wir auch aufgefordert haben, begegnet man ständig einem unglaublichen Vorurteil. Auch dafür möchte ich ein Beispiel anführen: Ein von mir sehr geschätzter Mensch, der als Angestellter tonan­gebend ist in einer Fabrik, sagte zu mir: Ich weiß noch nicht, ob der Kapitalismus so falsch ist. Ich bestehe jedenfalls darauf, daß es heute besser ist, als es werden wird. Ich bleibe bei meiner Anschauung und gehe lieber damit unter, als daß ich etwas Neues einführe. Ich weiß, daß ich damit allein stehe und damit vielleicht in kurzer Zeit auf der Straße stehe, aber lieber das. Ich bleibe dann ehrlich und konsequent. - Es ist mir gesagt worden, es sei das ein Mann, der ein Herz für das Proletariat hat, so einer spricht dann in dieser Weise konservativ. Als ich ihm sagte, er sei konservativ, wurde er furchtbar wütend. Er meinte, das sei nur ehrlich. Ich sagte ihm: Das ist doch genau so, als wenn man mit einem Zug fährt. An einer Station kommt der Zugführer herein und sagt, der Zug werde bis zur nächsten Station entgleisen, und man sagt dann: Ich bleibe doch darin sitzen; lieber verunglücken als aussteigen. - Ich sagte:

Ich würde doch möglichst schnell aussteigen und sehen, ob man nicht den Zug auf ein anderes Gleis bringen kann, wo er nicht entgleist. - So mussen wir uns im letzten Moment zusammenraffen und alles tun, was wir können, damit wir die Betriebsräte zusammenbekommen. Das, worin wir den praktischen Weg sehen, das müssen wir hinaustragen und vertre­ten und nicht ängstlich sein, daß man von den Parteibonzen zu stark angegriffen werde. Eigentlich müßte das Vertreten von Mund zu Mund die Menschen wieder eines anderen belehren und ihnen die Augen öffnen uber das Philistertum ihrer Parteiführer.

Rudolf Steiner: Es ist noch die Frage gestellt worden: Wie kann das, was im Syndikalismus als Gesundes lebt, in Beziehung zur Dreigliederung des sozialen Organismus gebracht werden? - Nun, es würde ja natürlich sehr weit führen, wenn wir uns heute noch zu vorgerückter Stunde über das Wesen des Syndikalismus unter­halten würden. Aber so viel möchte ich doch sagen, daß in dem Syndikalismus, wie natürlich auch in anderen Bestrebungen der Gegenwart, mancherlei wirklich Gesundes lebt. Das Gesunde lebt vor allem im Syndikalismus, da doch bei sehr vielen Syndikalisten

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die Idee vorherrscht, daß man ohne Rücksicht auf das ewige Po­chen auf die Staatsgesetzlichkeit im unmittelbaren Wettstreit mit dem Unternehmertum zu wirtschaftlichen Errungenschaften für die breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung kommen muß. Daß aus dem Wirtschaftsleben selbst durch eine Art föderativer Gliederung etwas Zukünftiges entstehen könne, das lebt als gesun­der Gedanke innerhalb des Syndikalismus. Der Syndikalismus trat ja besonders in letzter Zeit innerhalb der französischen Arbeiterbe­wegung hervor, und es ist irgendwie bezeichnend, daß er gerade dort am stärksten hervorgetreten ist. Die Franzosen haben ja ein sehr stark entwickeltes Staatsgefühl. Aber in dem Augenblick, als gerade gut staatlich gesinnte Menschen in Frankreich eine gewisse Arbeiterbewegung begründen wollten, kamen sie darauf, daß diese eigentlich nur dann von Nutzen sein könne, wenn man sich aus­schließlich auf wirtschaftlichem Boden bewegt. Die föderative Gliederung des Wirtschaftslebens, wie sie der Syndikalismus vor­sieht, weist sogar gewisse Ähnlichkeiten mit dem auf, was aus der Idee der Dreigliederung heraus mit den Assoziationen ange­strebt wird.

Sehen Sie, in dem dreigliedrigen sozialen Organismus haben wir ein selbständiges Geistesleben, dann ein selbständiges Staats-oder Rechtsleben und ferner ein selbständiges Wirtschaftsleben. Dieses selbständige Wirtschaftsleben, ich habe ja oftmals davon gesprochen, das wird sich aufzubauen haben auf korporativen ge­nossenschaftlichen Grundlagen, das heißt, daß sich einerseits aus den verschiedenen Berufsgruppen und andererseits aus gewissen Zusammenhängen zwischen Produktion und Konsumtion Assozia­tionen bilden. Einer der Einwände, die zum Beispiel von Professor Heck in der «Tribüne» gemacht worden sind, stützt sich darauf, daß er sagt: Ja, wie wird denn, wenn in der Zukunft das Wirt­schaftsleben so gegliedert sein soll, wie Herr Dr. Steiner will, wie wird es denn dann möglich sein, daß zum Beispiel die Handwer­ker, die kleinen Kaufleute, hinsichtlich der Belange der Großindu­strie sachverständig sind? - Nun, dies zeigt, daß auch Professor Heck nicht verstanden hat, wie die Sache gemeint ist. Man kann

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selbstverständlich nicht auf allen Gebieten sachkundig sein, und man braucht es auch nicht, denn wenn eine föderative Gliederung wirklich zustande kommt und die einzelnen Assoziationen intensiv zusammenarbeiten, dann wird etwas für das Wirtschaftsleben Fruchtbares herauskommen. Es ist nun einmal nicht möglich, daß alles das, was auf rein demokratischer Grundlage sich entwickeln muß, wie zum Beispiel das Arbeitsrecht, in derselben Weise vertre­ten oder verwaltet wird wie das rein Wirtschaftliche. Diese Auffas­sung tritt einem, zumindest ansatzweise, auch im Syndikalismus entgegen. In der anglo-amerikanischen Arbeiterbewegung ist es ja so, daß dort noch sehr stark das Prinzip des englisch-amerikani­schen Parlamentarismus herrscht. Da dieser auf ein gewisses Schau­kelsystem, nämlich Macht gegen Macht, eingestellt ist, sind auch die anglo-amerikanischen Arbeiterorganisationen nach dem glei­chen Prinzip ausgerichtet, nämlich Arbeitermacht gegen Unterneh­mermacht wird gegeneinander ausgespielt, so wie sich im Parla­ment die liberale und die konservative Partei gegenüberstehen.

Eine andere Form tritt uns innerhalb der Arbeiterorganisationen in Deutschland entgegen. Da herrscht nämlich ein gewisser Zentra­lismus vor, ich möchte sogar sagen ein gewisses militärisches Sy­stem, das basiert auf Befehl und Gehorsam. Ich weiß nicht, ob Sie ganz damit einverstanden sein werden, aber ich kann Ihnen versichern, daß ich mehrfach an gewerkschaftlichen Versammlun­gen teilgenommen habe und daß ich jedesmal unangenehm davon berührt war, daß immer dann, wenn verschiedene Meinungen auf­getreten sind, der Versammlungsleiter aufgestanden ist und gesagt hat: Kinder, so hat es doch keinen Sinn! - Also, dieses zentrali­stisch-militärische System ist das zweite; und das dritte ist das, was mit der föderativen Gliederung, mit der Gliederung in selb­ständige Körperschaften, gemeint ist, in der keine Majorisierung oder Zentralisierung, sondern sachliches Verhandeln stattfinden wird. Dies tritt beim Syndikalismus als ein guter Impuls auf, doch ist auch hier ein weiterer Schritt notwendig, wie er mit der Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus angestrebt wird, näm­lich daß wirklich mit den fortschrittlichen Faktoren gerechnet

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wird, die erst noch in das Denken der gegenwärtigen Menschheit hineinkommen müssen. Und da glaube ich, daß sich vielleicht gerade aus dem Syndikalismus heraus hierfür ein Verständnis ent­wickeln kann. Aber man soll das durchaus nicht so auffassen, als wenn ich hier einzig dem Syndikalismus ein Loblied singen wollte. Allerdings glaube ich durchaus, daß von dieser Seite die Dreiglie­derung besser verstanden werden kann als von einer der anderen Richtungen.

Nun, dem, was die letzten Redner hier zum Ausdruck gebracht haben, habe ich nicht mehr viel hinzuzufügen. Ich möchte nur das eine bemerken, nämlich daß mir und den Dreigliederungs-freunden in der letzten Zeit sehr deutlich bewußt wurde, was ein Redner über das Phlegma der großen Masse gesagt hat. Ja, an der Stelle des Phlegmas, da bräuchte man schon Feuer, denn wenn wir in der heutigen Zeit wirklich weiterkommen wollen, dann brauchen wir nicht nur Einsicht - dies natürlich ja in erster Linie

, sondern auch Feuer. Sehen Sie, wenn immerfort gesagt wird, daß man den Geist eigentlich nicht braucht, der werde bei der wirtschaftlichen Umgestaltung schon kommen, dann frage ich Sie:

Ja, die Möglichkeit weiterzukommen war ja bis zu einem gewissen Grade da. Der 9. November war da, die Nationalversammlung ist gewählt worden. Aber, ist in dieser Nationalversammlung etwas von einem neuen Geist sichtbar? Es gab ja jetzt eine ganz neue Gruppe von Wählern, die früher nicht wahlberechtigt war: die ganze Frauenwelt. Merkwürdig ist aber, daß ganz offensichtlich auch auf diese Frauenwelt der Geist noch nicht herabgekommen ist, denn die Nationalversammlung zeigt durchaus noch nichts von dem, was wir wirklich brauchen für die Zukunft. Dazu aber wird Begeisterung, wird Feuer notwendig sein.

In diesem Zusammenhang frage ich Sie, öb es nicht recht kurz­sichtig ist, wenn man nicht bemerken will, daß eine gewisse Sozia­lisierung bereits schon - und dies vor der offiziellen Sozialisierung

- begonnen wurde? Will man denn eine Sozialisierung nur auf dem Papier haben? Ist man dann erst zufrieden? Stellen Sie sich einmal vor, jener Kommerzienrat, der sich der Dreigliederung ge­widmet

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hat, der hätte es so gemacht wie die anderen Kommerzien­räte. Dann wäre es nämlich dazu gekommen, daß in dem Augen­blick, wo sozialisiert werden soll, gar kein Kommerzienrat vorhan­den gewesen wäre! Es wäre dann so gekommen, daß man irgendwann diesen Kommerzienrat so wie andere Kommerzienräte enteignet hätte, und dann wäre kein Geld mehr für eine wirkliche Sozialisierung oder bessere Schulen und dergleichen vorhanden gewesen. Und nun frage ich Sie: Ist es eine große Sünde, wenn jemand, bevor die Menschheit reif ist, das Geld dem anderen abzunehmen, sein Geld zur Sozialisierung schon hergibt? Ist es eine Sünde, wenn jemand nicht immer hinausposaunt: Die Produk­tionsmittel müssen der Allgemeinheit übergeben werden! -, son­dern es aus eigenem Antrieb tut? Ich fürchte, daß diejenigen, die immer phrasenhaft hinausposaunen, daß die Produktionsmittel in den Dienst der Allgemeinheit gestellt werden müssen, sie nicht so sinnvoll anwenden werden wie jene, die etwas aus eigener Einsicht schon vorher tun. Das ist Sozialisierung vor der offiziellen Sozialisierung. Das ist herausgearbeitet aus dem Geist, den wir gerade herbeisehnen wollen als den sozialen Geist der Zukunft. Und den Vorwurf erheben, daß jemand den sozialen Geist vorher hat, also bevor er in irgendeiner Verfassung steht, das heißt über­haupt nicht fähig sein, in den Geist, der die Menschheit einzig und allein retten kann, einzudringen, sondern zeigt nur die Sehn­sucht nach dem geschriebenen Wort. Das Gesetz, das Ihr gebt, das könnt Ihr getrost nach Hause tragen. - Wir brauchen den Geist, aus dem heraus sozialisiert wird. Deshalb sollte man nicht in den Fehler verfallen zu sagen: Die Waldorf-Schule ist ja schön, aber sie wird von einem Kommerzienrat gemacht; davon wollen wir nichts wissen! - Gescheiter wäre es zu sagen: Nehmt euch an ihm ein Beispiel, und werdet als Sozialisierer in der Zukunft so, wie er ist, dann wird es gut sein. Das, was von dieser Ecke fortwährend vorgebracht wird gegen Titel und anderes, das be­zeugt nur, daß man trotz allem an den Worten und an den Phrasen mehr hängt als an der Tat. Und ehe wir uns nicht entschließen können, uns zur Tat aufzuraffen und uns auch zur Tat zu beken­nen,

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gleichgültig, von wo sie kommt, kommen wir nicht vorwärts; das muß unsere Überzeugung sein. Und wenn das unsere Über­zeugung wird, dann werden wir nicht auf etwas anderes blicken als darauf, ob jemand ein einsichtiger, von sozialen Empfindungen beseelter Mensch ist, und wir werden nicht nach etwas anderem fragen. Solange wir nach etwas anderem fragen, kommen wir nicht vorwärts. Wird dies nicht zur Erkenntnis, so ist alles Reden ver­geblich. Denn der Anfang muß gemacht werden von denjenigen Leuten, die etwas verstehen von dem, was geschehen soll, gleich­gültig, ob sie diese oder jene Rolle in der bisherigen Ordnung spielen. Alle, die wir heute leben, haben selbstverständlich das , wovon wir leben, aus dem Kapitalismus heraus, ob Kapitalist oder letzter Arbeiter. Und wir können nichts ändern, wenn wir nicht schauen auf das, was im Geiste lebt und aus dem Geiste heraus geschehen muß. Wir müssen endlich die Phrase besiegen, wir müs­sen übergehen zu dem, was wirklich Tat werden kann.

Herr Roser: Er dankt als Vorsitzender Herrn Dr. Steiner für seine Ausfüh­rung und macht nochmals aufmerksam auf die nächste Veranstaltung. Er bittet die Anwesenden nochmals, sich mit dem Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» zu beschäftigen, damit sie in der Lage sind, in den Kreisen, in denen sie verkehren, über das Buch und über die Dreigliede­rung des sozialen Organismus zu sprechen.

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BETRIEBSRÄTEVERSAMMLUNG zur Bildung der vorbereitenden Württembergischen Betriebsräteschaft Stuttgart, 23. Juli 1919

Einleitende Worte von Rudolf Steiner

Meine sehr verehrten Anwesenden! Es wird gerade heute, wo uns die eben erwähnte Tagesordnung vorliegt, von einer gewissen Wichtigkeit sein, daß wir uns noch einmal über dasjenige vollstän­dig klarwerden, was im Sinne der Dreigliederüng des sozialen Organismus mit der Betriebsräteschaft eigentlich gemeint ist.

Zunächst halten wir doch daran fest, daß, so wie wir jetzt darangehen wollen, die Betriebsräteschaft auf die Beine zu stellen, wir vor allen Dingen erstreben, mit dieser Betriebsräteschaft den eigentlichen Anfang einer wirklichen Sozialisierung in die Wege zu leiten. Wenn man heute von Sozialisierung sprechen hört, be­kommt man doch immer das Gefühl, daß die Leute eigentlich nicht wissen, was sie mit der Sozialisierung wollen. Die meisten verstehen unter Sozialisierung ja nichts anderes als eine Verstaatli­chung der bestehenden Betriebe, der bestehenden Produktions­zweige und so weiter. Sie wissen ja, daß es sich bei der Dreigliede­rung des sozialen Organismus darum handelt, die drei Gebiete des menschlichen sozialen Lebens reinlich voneinander zu sondern, so daß man in der Zukunft haben wird die gesamte Verwaltung des geistigen Lebens, vorzugsweise des Erziehungs- und Unter­richtswesens, als ein Glied des dreigliedrigen sozialen Organismus. Da wird verwaltet werden nur aus denjenigen Organen heraus, die innerhalb dieses geistigen Lebens stehen, eben dieses geistige Leben selbst. Da werden also von seiten derjenigen Persönlichkei­ten, die am geistigen Leben beteiligt sein werden, die Körperschaf­ten organisiert, die das geistige Leben zu verwalten haben. Als zweites wird der eigentliche Staat dasein, die politische Körper­schaft, die sich aufbauen soll auf völlig demokratischer Grundlage,

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so daß also im vollsten Umfange alles das, was demokratisch geregelt werden soll, in die Sphäre dieses zweiten Gliedes des sozialen Organismus hineingehört. Das dritte Glied würde das Wirtschaftsleben sein. In diesem Wirtschaftsleben soll bloß gewirt­schaftet werden. Deshalb mußte ich öfter auseinandersetzen, daß innerhalb dieser Wirtschaftsverwaltung eigentliche Rechtsfragen gar nicht entschieden werden sollen. Diese eigentlichen Rechtsfragen sollen entschieden werden innerhalb des demokratischen Staatsle­bens. Also zum Beispiel soll innerhalb des demokratischen Staatsle­bens vor allen Dingen über das Arbeitsrecht entschieden werden; es soll entschieden werden über die Länge der Arbeitszeit und über sonstige Rechte, die der eine arbeitende Mensch gegenüber dem anderen arbeitenden Menschen hat. Alles das, was sich auf solche Rechte bezieht, das soll auf demokratischer Grundlage in einer Art Parlament, oder wie man es nennen will, das aus ganz allgemeinem Wahlrecht hervorgeht, geregelt werden.

Davon abgesondert ist dann das Wirtschaftsleben, das seine Ver­waltung ganz aus sich selbst heraus haben soll, in dem also bloß gewirtschaftet werden soll. Und auf dem Boden dieses Wirtschafts­lebens stehen wir, indem wir jetzt versuchen, ich möchte sagen wie in einer Art von Übergangserscheinung, die Betriebsräteschaft auf die Beine zu stellen.

Wie machen wir das? Wir haben damit ja schon begonnen, und von den Betriebsräten sind ja heute schon einige erschienen. Also wir machen das so, daß zunächst aus den einzelnen Betrieben heraus eine bestimmte Anzahl von Betriebsräten gewählt wird. Wer kann zum Betriebsrat gewählt werden? Zum Betriebsrat kann gewählt werden jeder Handarbeitende, jeder geistig Arbeitende und auch, da wir eben in einer Übergangszeit stehen, wenn er sich einreiht, der bisherige Unternehmer oder die Unternehmerschaft eines Betriebes. Festzuhalten ist hier aber, daß keiner ein Vorrecht hat, also daß sich auch ein Unternehmer, der zum Betriebsrat gewählt wird, in die anderen Betriebsräte einreiht. Diese Betriebs­räteschaft ist also eine Körperschaft, in der jeder absolut gleichbe­rechtigt ist und so viel gelten soll, wie er im Wirtschaftsleben auf

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seinem Gebiete versteht. Es gehen also aus den einzelnen Produk­tionszweigen diese Betriebsräte hervor. Aber wir haben etwas für die Neugestaltung des Wirtschaftslebens Fruchtbares erst dann, wenn wir viel mehr Betriebsräte haben, als wir jetzt haben. Heute haben wir ja erst eine kleine Anzahl von Betriebsräten, und diese werden hoffentlich nach der heutigen Versammlung so arbeiten, daß wirklich nach und nach eine Betriebsräteschaft zustande kommt. Also wie gesagt: Eine kleine Anzahl von Betriebsräten haben wir zunächst. Diese Betriebsräte sind hervorgegangen aus einzelnen Betrieben. Dasjenige, was wir wirklich brauchen, das ist, daß sich aus allen Betrieben eines in sich geschlossenen Wirt­schaftsgebietes, also zunächst eines provisorisch geschlossenen Wirtschaftsgebietes, sagen wir Württemberg, Betriebsräte bilden. Man braucht nämlich für die Art von Betriebsräteschaft, wie wir sie uns denken müssen, Betriebsräte aus allen Betrieben, aus allen Branchen. Diese Betriebsräte bilden dann zusammen die Betriebs­räteschaft über ein in sich geschlossenes Wirtschaftsgebiet. Und damit müßte man die Sozialisierung beginnen, daß man über ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet hin eine solche Körperschaft be­gründet, welche sich zur Aufgabe macht, sich im Sinne eines Neu-aufbaus des Wirtschaftslebens auf einen festen Boden zu stellen, das heißt: Es müßte sich diese Körperschaft als der leitende Wirt­schaftskörper dieses betreffenden Gebietes fühlen. Sie müßte sich also so fühlen, daß von ihr die wirkliche Leitung der in diesem Wirtschaftsgebiet bestehenden Betriebe aller Gattungen auszugehen habe. Es müßte also diese Betriebsräteschaft als ihr Ideal ansehen, daß zukünftig nicht mehr einzelne Unternehmer für die einzelnen Wirtschaftsbetriebe verantwortlich sind, sondern daß alles das, was in den Betrieben getan wird, gewissermaßen im Auftrag dieser Körperschaft, dieser Urversammlung der Betriebsräteschaft, ge­schieht. Es ist damit, halten wir das streng fest, zum ersten Mal dasjenige geschaffen, wonach die Forderungen der sozialen Partei­en immer, mehr oder weniger bewußt, hintendiert haben. Die Forderungen der Parteien werden ja zumeist negativ formuliert, zum Beispiel wenn man spricht von der Abschaffung des Kapitals

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und so weiter. Ja, aber mit dem Abschaffen ist wenig getan. Mit dem Abschaffen ist nur das getan, daß wir allmählich unser Wirt­schaftsleben auflösen! Wie nun aber der dreigliedrige soziale Orga­nismus wirken soll, das ist gerade das Gegenteil: Er soll nämlich aufbauen. Zum Aufbau braucht man aber eine aufbauende Körper­schaft.

Nun, ob zukünftig die Betriebsräte auf diese oder jene Art gewählt oder delegiert werden, das wiederum wird eine Frage sein, die innerhalb der Betriebsräteschaft selbst entschieden werden muß. Heute haben wir zunächst die Aufgabe, die Betriebsräteschaft auf die zunächst einzig mögliche Art, nämlich durch Wahlen in den einzelnen Betrieben, zu begründen. Es handelt sich ja darum, daß erst ein Schritt vollzogen sein muß, ehe man weitere tun kann. Wenn nun die Betriebsräte gewählt sind - kleinere Betriebe können sich ja zum Zwecke der Wahl zusammenschließen , dann ist ihre erste Aufgabe, das zu schaffen, was man nennen könnte:

eine vollständige Übersicht über die gesamte Wirtschaft, die in dem betreffenden in sich geschlossenen Wirtschaftsgebiet vorhan­den ist. - Das bedeutet dann, daß hieraus die ersten Aufgaben für die Betriebsräte sich ergeben werden. Diese Betriebsräte - in dem einen Betrieb vielleicht fünf, in dem anderen drei und so weiter - bilden gewissermaßen die Atome der Betriebsräteschaft. Diese müßte eben durch die erste Aufgabe schon vorbereitet sein. Nehmen wir also an, der Betrieb A hat seine fünf Betriebsräte gewählt. Diese fünf Betriebsräte würden nun zunächst die Aufgabe haben, für ihren Betrieb eine Art Inventur des gesamten wirtschaft­lichen Betriebes zu erstellen. Diese Bestandsaufnahme wäre dann in die Urversammlung der Betriebsräteschaft mitzubringen. Man müßte also wissen, wieviel Kapital in dem jeweiligen Betrieb steckt, wie es bisher gearbeitet hat und so weiter. Man müßte ferner wissen, welche geschäftlichen Verbindungen in bezug auf die Verwertung der Produkte, die Beschaffung der Rohstoffe und überhaupt nach außen hin bestehen. Zugleich hätte man dafür zu sorgen, daß in den einzelnen Betrieben eine möglichst gute Zusam­menarbeit entsteht. Nach und nach würde man dann auch wissen,

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welche Unternehmer die Sache unterstützen und welche nicht, denn in den Betrieben, in denen der Unternehmer eine Zusammen­arbeit ablehnt, würde ja verhindert werden, daß die Betriebsräte sich über den Betrieb informieren können, beziehungsweise diese Betriebsräte können eben nur soweit informiert in die Urversamm­lung kommen, wie es möglich ist. Anhand dessen, was die einzel­nen Betriebsräte aus den jeweiligen Betrieben vorlegen können, wäre also in der Urversammlung zunächst eine Übersicht über das Wirtschaftsleben des betreffenden Wirtschaftsgebietes zu erstel­len. Diese muß man ja zuerst haben. Dann kann man an die eigentlichen Aufgaben herangehen.

Hier muß man zunächst berücksichtigen, daß sich die Struktur des dreigliedrigen sozialen Organismus deutlich unterscheidet von alledem, was innerhalb zum Beispiel der Parteien über die Fortfüh­rung des wirtschaftlichen, des politischen und des geistigen Lebens gedacht wird. Die anstehende Aufgabe muß also als eine im emi­nentesten Sinne wirtschaftliche angesehen werden, das heißt, es muß auf der Grundlage dessen, was man als provisorisches Mate­rial bekommen hat, zunächst dasjenige festgelegt werden, was zu einer wirklichen Stipulierung von Normalpreisen der verschiedenen produzierten Güter führt. Das ist die erste Aufgabe im Zuge der künftigen Sozialisierung, daß wir in Erfahrung bringen, wieviel, der Wirtschaftslage entsprechend, zum Beispiel ein Paar Stiefel, ein Rock und so weiter kosten dürfen. Nicht wahr, die Grundlage für die Preisregelung habe ich ja in meinen Vorträgen schon öfter genannt. Demnach geht es in Zukunft darum, daß jeder für das, was er selber produziert, so viel bekommt, daß er seine Bedürfnis­se bis zu dem Zeitpunkt, an dem er wiederum eine gleiche Lei­stung hervorgebracht hat, befriedigen kann. Anders ausgedrückt:

Es produziert jemand ein Paar Stiefel - das Folgende gilt auch für nicht deutlich abgrenzbare Leistungen -, und diese Stiefel müß­ten einen Wert haben, der vergleichbar ist mit anderen Gütern, so daß das, was ich für die Stiefel bekomme, zur Befriedigung meiner Bedürfnisse dienen kann, bis ein neues Stiefelpaar fertigge­stellt ist. Das ist dasjenige, was die einzelnen Preislagen stipuliert.

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Selbstverständlich muß auch alles das miteinbezogen werden, was für die Erziehung der Kinder, für Invalide, Witwen und Arbeitsun­fähige notwendig aufgebracht werden muß. Aus alledem ergibt sich der richtige Preis. Diesen festzusetzen, das ist die erste Tat. Das ist aber eine sehr große Arbeit. Die Arbeit der Betriebsräte, wenn sie nicht katzbalgen will mit irgendwelchen Phrasen, wird beginnen müssen mit dieser Festsetzung der Preislagen dessen, was produziert wird, ansonsten wird man niemals zu einer wirkli­chen Sozialisierung kommen können. Es ist ein Selbstbetrug, wenn man glaubt, daß man durch die Festlegung von Löhnen aus ande­ren Untergründen heraus zu einer wirklichen Sozialisierung kommt. Das ist einfach ein Unsinn, denn Sie können die Löhne nach den Prinzipien, nach denen sie bisher ausgezahlt wurden, beliebig erhöhen. Sie können sogar das, was Sie an Lohnerhöhung bekommen, verdoppeln, und dies wird dadurch dann ausgeglichen, daß die Wohnungen und Lebensmittel wieder teurer werden, wenn Sie nicht einen naturgemäßen, einen aus der Wirtschaft selbst her­vorgehenden Maßstab für die Preisbildung haben.

Ist dieser Maßstab für die Preisbildung gefunden - die Betriebs­rateschaft wird einige Wochen damit zu tun haben -, dann wird man dazu übergehen müssen, die gerechten Preise zu finden. Hier­durch wird dann eine Grundlage geschaffen für das, was in der Zukunft weiterhin entstehen soll, und man wird wissen, womit man rechnen kann. Dann wird an die Stelle des bisherigen soge­nannten Arbeitsvertrages ein Verteilungsvertrag zwischen dem gei­stigen und physischen Arbeiter treten können. Zu den geistigen Arbeitern werden, wenn sie sich einreihen, selbstverständlich auch die bisherigen Unternehmer mit ihren Erfahrungen gehören kön­nen. Im wesentlichen wird der Vertrag so geschlossen werden, daß ihm die gemeinsame Arbeit der Hand- und der geistigen Arbeiter zugrunde liegt; etwas anderes kommt nicht in Betracht. Sie arbeiten gemeinsam an irgendeinem Produkt, und dieses Pro­dukt hat einen gewissen Preis. Unter Berücksichtigung der jeweili­gen Gegebenheiten und Möglichkeiten muß nun dieser Preis ver­tragsmäßig zwischen geistigen Leitern und Arbeitern verteilt

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werden. Es wird also nicht mehr irgendwie die Arbeitskraft be­zahlt, sondern, wenn man Güter produziert oder die Güterproduk­tion leitet, dann erhält man gemäß dem Verteilungsvertrag den entsprechenden Anteil. Ausführen kann man das nur, wenn alles das feststeht, was Arbeitsrecht ist.

Nun kann man natürlich mit der Betriebsräteschaft nichts ande­res als wirtschaftliche Institutionen im Sinne der Dreigliederung schaffen. In der Zukunft wird jedoch neben der wirtschaftlichen Organisation, die es vorzugsweise mit einer gerechten Festsetzung der Preise zu tun hat, das Rechtsparlament stehen, in dem jeder Mensch die Möglichkeit findet, sein Verhältnis zu den anderen Menschen festzusetzen. Natürlich ist deshalb dasjenige, was im Rechtsparlament geschieht, nicht ohne Wirkung auf das Wirt­schaftsleben. Diejenigen, die nun im Wirtschaftsleben einen Betrieb zu leiten haben, die werden ihn in dem Sinne zu leiten haben, daß sie beobachten das, was im Rechtsparlament aus demokrati­schen Prinzipien heraus über den Wert der Arbeit und die Arbeits­zeit festgelegt wird.

Das, was geistige Arbeit ist, also wie die Verwaltung der Pro­duktionsmittel im wesentlichen in der Zukunft dem geistigen Glie­de des sozialen Organismus zugeteilt wird, das können Sie in meinem Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» nachlesen. Allerdings zeigt es sich heute noch, daß diejenigen, die bisher den geistigen Anteil an der Arbeit innehatten, zurückgeblieben sind, das heißt nicht eingehen werden wollen auf diese Dinge; deshalb können wir auf diesem Felde heute noch nichts erreichen. Aber wir haben das, was die Betriebsräteschaft zu tun hat, unter der Voraussetzung zu schaffen, daß später nicht nur ein Rechtspar­lament, sondern auch eine freie Verwaltung des geistigen Lebens dasein wird. Aus diesem Geistesleben werden auch die geistigen Leiter der Betriebe hervorgehen, die auch bei der Bestellung der Betriebsräte mitsprechen werden, so daß in der Betriebsräteschaft auch das Urteil der geistigen Leiter Berücksichtigung findet. Dies kommt heute noch nicht in Betracht, aber wir müssen nur schon daran denken, daß es später in Betracht kommen wird.

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Es handelt sich also darum, daß auch diese zweite Aufgabe gelöst wird, daß also in einer Urversammlung, in der alle Betriebs-räte zusammenkommen, eine Regelung über die Preisverhältnisse gefunden wird. Die erste Aufgabe haben ja die Betriebsräte inner­halb des jeweiligen Betriebes zu lösen, also sich zu informieren und eine Art Inventur des Betriebsgeschehens vorzunehmen. Es werden sich dann noch viele Dinge ergeben, die zu regeln sein werden, wie Rechtsfragen, Fragen der betrieblichen Disposition und dergleichen. Und es wird sich schon sehr bald herausstellen, daß die Betriebsräte und die sich dann bildende Betriebsräteschaft die soziale Kraft darstellen werden, aus der dann die Sozialisierung hervorgeht. Aber die Betriebsräte allein werden eine umfassende Sozialisierung nicht durchführen können. Man wird vor allen Din­gen auch noch Verkehrsräte und Wirtschaftsräte haben müssen, die dann ebenso ihre Aufgabe bekommen werden. Es wird sich schon bei der konstituierenden Versammlung der Betriebsräteschaft zeigen, welche Schritte zu tun sind, um eine sachgemäße Verwal­tung, eine sachgemäße Zirkulation der Güter, den Bezug von Roh­stoffen und so weiter zu organisieren.

Es werden sich also verschiedene Arten von Räten bilden müs­sen, vor allen Dingen aber die drei genannten Räte. Näheres kann dann die Versammlung der Betriebsräteschaft beschließen. Nun, wenn die Betriebsräteschaft ihre ersten Aufgaben erfüllt hat, dann kann sie beginnen, etwas auszuarbeiten, was zur Zeit noch unge­rechtfertigterweise der Staat, der sich ja herausentwickelt hat aus dem alten Staat und den man heute «sozialistische Republik» nennt, ausarbeiten will: das Betriebsrätegesetz. Solch ein Betriebs­rätegesetz, wie es vom Staat bisher im Entwurf vorliegt, würde der dreigliedrige soziale Organismus überhaupt nicht haben wol­len, weil die wirtschaftlichen Einrichtungen nichts zu tun haben mit den Rechtseinrichtungen. Die Rechtseinrichtungen, die gehören in die Fortsetzung des ehemaligen Staates hinein. Das Wirtschafts­leben hat sich auf sich selbst zu stellen. Im heutigen «Abendblatt» wird gezeigt, wie scheinbar nach entgegengesetzter Richtung hin die gegenwärtige - nun, sagen wir - «sozialistische Republik»

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arbeitet. Da wird vorgeschlagen, daß das Ziel ein immer innigeres gegenseitiges Durchdringen von Staats- und Wirtschaftsleben sei. Das ist das Gegenteil von dem, was mit der Dreigliederung des sozialen Organismus angestrebt wird. Diese gegenseitige Durch­dringung von Staats- und Wirtschaftsleben soll eben gerade aufge­hoben werden! Das Wirtschaftsleben für sich und das staatliche Leben für sich, jedes soll sich selbst verwalten, das ist das Ziel. Und im staatlichen Leben soll nur das verwaltet werden, was auf demokratischer Grundlage verwaltet werden kann, worüber jeder mündige Mensch entscheiden kann. Jeder mündige Mensch kann aber nicht einfach entscheiden, was die beste Art ist, dieses oder jenes Produkt von dem einen zum anderen Ort zu bringen; dazu gehört Sachverständnis. Und Sachverständnis haben nur die Men­schen aus den jeweiligen Wirtschaftszweigen selbst. Deshalb muß das gesamte Wirtschaftsleben auf Sachverständnis beruhen und zu­gleich eine gewisse föderative Struktur aufweisen. Professor Heck, der manches Törichte gesagt hat, hat vorzugs­weise Angst, daß dann, wenn eine solche Art der Verwaltung entsteht, im Wirtschaftsparlament - ein solches wird es aber nicht geben, es wird nur einen wirtschaftlichen Zentralrat geben - der kleine Handwerker den Großindustriellen, der Landarbeiter den Naturwissenschaftler nicht verstehen wird. Ja, aber eine solche Situation entsteht gar nicht erst, weil die Assoziationen, die im Wirtschaftsleben entstehen, sich kettenförmig zusammenschließen und von Assoziation zu Assoziation sachgemäß verhandelt werden wird. Es bezeugt eben gerade ein solcher Einwand, daß man das Wirtschaftsleben nicht auf demokratische Art verwalten kann, son­dern nur föderativ, assoziativ. Es kann nur etwas durch sachgemä­ße Verhandlungen zustande kommen. Also, da sitzen, sagen wir, Vertreter der Schuhbranche, Vertreter der Metallindustrie oder der Textilindustrie, und die verstehen alle speziell etwas von ihrer Sache. Und die Versammlung ist nun dazu da, daß jeder sein sachgemäßes Urteil über das Festsetzen gerechter Preisverhältnisse abgibt. Es ist doch etwas ganz anderes, wenn man sich die verschiedenen Urteile anhört und jeder seine

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Forderungen geltend macht, als wenn man einfach auf demokrati­sche Art abstimmt. Dies würde ja nichts anderes bewirken, als daß sich gewisse Wirtschaftszweige zusammenschließen und die anderen majorisieren. Dann würde die Minderheit nie zu ihrem Recht kommen können. Bei einer Konstitution, die aus dem Sach­zusammenhang des wirtschaftlichen Lebens selbst heraus entsteht, ist eine solche Majorisierung ausgeschlossen. So würde also das, was jetzt ungerechtfertigterweise durch das vom Staat vorgelegte Betriebsrätegesetz zustande kommen soll, erst durch die Verhand­lungen der Betriebsräteschaft zustande kommen. Das bitte ich als das Wichtigste festzuhalten, daß der dreigliedrige soziale Organis­mus jedes staatliche Gesetz in diesem Zusammenhang ablehnt. Sehen Sie, wie dann dieser dreigliedrige soziale Organismus im einzelnen zustande kommt, das ist jetzt nicht so wesentlich. Wir müssen auf diesem Gebiet deutlich unterscheiden zwischen Sophi­stik beziehungsweise Phraseologie und der Wirklichkeit. Nicht wahr, wenn man so sagt, wie ich immer gesagt habe, daß sich der ehemalige Staat nicht fortsetzen sollte, sondern nur sein mittle­res Glied fortsetzen sollte, so daß sich also jene Regierung, die den bisherigen Staat übernimmt, als Liquidierungsregierung konsti­tuiert und nur noch zuständig ist für die öffentliche Sicherheit, die Hygiene, das Rechtsleben und dergleichen, dann bleibt das Wirtschaftsleben, bleibt das Geistesleben abgegliedert. Aber wenn es sich herausstellen sollte, daß sich der bisherige Staat schon so viel in die Wirtschaft hineingemischt hat, daß die bisherigen Ver­treter sich nicht denken können, daß sie das Wirtschaftsleben abge­ben, kann es auch anders geschehen, nämlich daß sich der bisherige Staat sagt: Nun gut, ich führe meine Angelegenheiten fort als Wirtschaftsverwaltung, lasse aber alles, was demokratisch ist, her­aus; es soll sich neben mir begründen der Rechts- und geistige Staat. - Dann wäre natürlich notwendig, daß alle scheinbare De­mokratie aus dieser Wirtschaftsverwaltung herausgeworfen werde, das hieße auch, daß zum Beispiel in Deutschland die Nationalver­sammlung nicht mehr so wie bisher funktionieren könnte, denn das Demokratische hat mit dem Wirtschaftsleben nichts zu tun.

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Also, die Dinge können so oder so gemacht werden. Auf jeden Fall müssen in Zukunft die drei Glieder nebeneinander bestehen. Dann wiederum muß aus der konstituierenden Versammlung der Betriebsräteschaft Württembergs alles das hervorgehen, was an Regelungen im Hinblick auf die Aufgaben und Funktionen der Betriebsräte notwendig ist. Die Betriebsräte tragen dann das auf dieser Urversammlung Beschlossene in ihre jeweiligen Betriebe hinein. Diese in die Betriebe jetzt wiederum zurückgehenden Leute handeln innerhalb ihrer Betriebe im Auftrage der gesamten Be­triebsräteschaft. Sie handeln nicht im Auftrage irgendeines ein­zelnen Unternehmers, sondern fühlen sich als Abgesandte der gesamten Betriebsräteschaft eines in sich geschlossenen Wirt­schaftsgebietes. Nach diesen Gesichtspunkten verwalten sie den Betrieb. Nun, es kann sich ja in der Übergangszeit herausstellen, daß es für sehr viele Betriebe am besten ist, wenn die alte Leitung, jetzt aber als ein Glied des Betriebsrates, zunächst bleibt, und zwar aus dem Grunde, damit nicht Sabotage getrieben wird oder die Fehler gemacht werden, die in Rußland gemacht wurden. Sollte die bisherige Leitung nicht geneigt sein, irgendwie darauf einzuge­hen, daß der wirkliche Leiter des Betriebes die Betriebsräteschaft ist, dann natürlich müßte die betreffende Leitung, also die bisheri­ge Leitung, zurücktreten. Dann müßte der Betriebsrat die gesamte Leitung des Betriebes übernehmen. Er übernimmt sie ja in Wirk­lichkeit, aber er wird [ohne Einbeziehung der früheren Leitung] große Schwierigkeiten haben, da er ja sehr rasch sachgemäß han­deln muß. Es könnte sich aber auch ergeben, und dies wäre ein weiterer Schritt zur Sozialisierung, daß nicht mehr jeder einzelne Betrieb seine individuelle Leitung hat, sondern daß die Leitung im Auftra­ge des Wirtschaftskörpers des gesamten Wirtschaftsgebietes arbei­tet. Aber es muß hierbei vor allen Dingen darauf geachtet werden

- und das müßte schon bei der Ausarbeitung der Konstitution ins Auge gefaßt werden -, daß in nichts die Initiative untergraben wird. Die Betriebsräteschaft soll aber nicht so strukturiert werden,

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wie man sich das heute noch denkt, denn bei manchen der Vor­schläge, würde man sie verwirklichen, käme schon etwas Ungeheu­erliches heraus. Denken Sie einmal, daß es sogar Vorschläge gibt wie: In der Zukunft muß in jedem Betrieb eine technische Kon­trolle, eine ökonomische Kontrolle und eine politische Kontrolle dasein. - Es sind insgesamt wohl sogar fünf bis sechs solcher Kontrollen vorgesehen. Hier geht man wohl davon aus, daß eigent­lich jeder ein unehrlicher, ein schlechter Kerl ist und deshalb kontrolliert werden muß. Wenn dieses System der fünf- bis sechs­fachen Kontrolle durchgeführt wird, werden Sie in Zukunft über­haupt nichts mehr produzieren, denn dieses Kontrollsystem ist im eminentesten Sinne auf Mißtrauen aufgebaut. Wenn Sie aber darauf bauen wollen im künftigen Wirtschaftsleben, dann kommen Sie nicht vorwärts. Sie kommen nur vorwärts, wenn Sie auf das Ver­trauen bauen, und darauf wird man bauen können, wenn mit dem Egoismus des einzelnen der rationelle Betrieb zusammenfällt, also daß jeder in Zukunft weiß, daß ihm seine Arbeit am besten be­kommt, wenn der beste Leiter da ist. Und durch dieses System wird eben der beste Leiter delegiert werden können.

Das gewöhnliche Wählen wird sich nach und nach in eine Art Delegation verwandeln. Man wird ein Interesse daran haben, daß derjenige, der den größten Sachverstand hat, auch die Leitung innehat. Durch dieses System wird sich schon herausstellen, wer der beste Leiter ist, und das wird auch der wissen, der selber nicht leiten kann. Dieses System eröffnet andere Möglichkeiten als ein bloßes demokratisches Wählertum oder ein Rätesystem, wie es sich die Menschen heute denken. Denn beides würde nur zum Spitzeltum, zur Streberei führen, und in beiden würde es dem Arbeiter nicht besser gehen als heute.

Das, um was es sich handelt, das ist, auf sachgemäßer, nicht auf bisheriger staatlicher Grundlage, das Wirtschaftsleben einzu­richten. Wenn die Betriebsräte in ihre Betriebe zurückkommen mit den Mandaten, mit den entsprechenden Aufgabenstellungen, dann kann in den einzelnen Fabriken begonnen werden, auf sozia­ler Grundlage zu arbeiten. Das würde also das erste sein, was

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wir praktisch unternehmen wollen. Folgendes muß praktisch durchgeführt werden: die Wahl von Betriebsräten über einzelne Branchen hin. Dann die Informierung über den wirtschaftlichen Stand aller Branchen. Daran anschließend müßten die Betriebsräte aus dem gesamten Wirtschaftsgebiet zusammengerufen werden. Ferner das Ausarbeiten einer Konstitution auf der Grundlage der sachlichen Gegebenheiten. Diese Konstitution der Betriebsräte-schaft wäre der Anfang zu einer wirklichen Sozialisierung. Bevor dies nicht eintritt, gibt es keine Sozialisierung, denn der Staat kann nicht durch Gesetze sozialisieren. Es kann nur aus dem Wirtschäftsleben selbst heraus sozialisiert werden. Heute denkt man, man könne diesen oder jenen Wirtschaftszweig sozialisieren, so zum Beispiel den des Apothekenwesens. Das ist natürlich schlicht Unsinn, das ist nichts anderes als Staatskapitalisierung. Es ist einmal eine nette Sache passiert. Ein sehr gescheiter Herr hielt in Berlin bald nach der Begründung der sozialistischen Repu­blik einen Vortrag über Sozialisierung. Zunächst machte er darauf aufmerksam, wie unmöglich es wäre, aus den unmittelbar gegebe­nen Verhältnissen heraus zu einer Sozialisierung zu kommen, also zu einer Sozialisierung, wie sie als Jdeal der sozialistischen Partei vorschwebte. Deshalb, so sagte er, können wir nicht heute, auch nicht morgen oder übermorgen zu einem wirklichen Sozialismus kommen, sondern wir müssen einen Übergang schaffen. Und den Übergang, den er schaffen will, charakterisierte er so: Wir müssen, sagte er, zwischen unserer heutigen kapitalistischen Wirtschaftsord­nung und der künftigen Wirtschaftsordnung einen Sozial-Kapitalis­mus schaffen. - Nun, das ist nichts weiter als ein Beweis dafür, daß man nicht weiß, wie man die Sozialisierung beginnen soll. Man kann aber nicht beginnen, bevor man nicht zuerst eine gewis­se soziale Struktur, eine Sozietät, schafft. Wie wollen Sie denn sozialisieren, wenn nicht schon eine solche Sozietät, eine soziale Gesellschaft da ist? Mit der Inaugurierung einer solchen sozialen Gesellschaft soll eben der Anfang gemacht werden, indem man die Betriebsräte zu einer solchen Sozietät zusammenfaßt. Sie kön­nen nicht Fabriken, Betriebszweige sozialisieren, sondern nur das

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Ganze. Also Sie müssen das Ganze stellen auf das, was aus der Gesellschaft an Menschen herauszuziehen ist, und mit diesen Men­schen müssen Sie dann sozialisieren. Also diejenigen, die als Betriebsräte gewählt sind, werden sich sagen können, daß sie eine große, eine bedeutsame Aufgabe haben, und sie sind es, die die Grundlagen zu liefern haben für das, was künftige Sozialisierung ist. Und ich glaube, daß Sie heute schon so weit sind, daß Sie begreifen werden, daß auf eine solche Art, wie sie hier dargestellt wurde, eine richtige Grundlage für die Sozialisierung gegeben ist; auf eine andere Art ist sie nicht zu schaffen. Es ist schon so, daß die Leute über die Sozialisierung die verschiedensten und zugleich auch die merkwürdigsten Ansich­ten haben. Als ich gestern jemandem eine bestimmte Auffassung über Sozialismus vorlas, da kam diesem ein besonderer Gedanke. Es handelte sich um einen Artikel von Dr. Georg Wilhelm Schiele, der mit folgenden Worten überschrieben war: «Vom wahren, gerei­nigten» - dann kam noch ein Beiwort, das will ich jetzt nicht lesen - «Sozialismus». In dem Artikel hieß es dann:

«Was ist sozial? Der Staat ist sozial: Er ist das Soziale. Was ist Kommu­nismus? Die Gemeinde ist der Kommunismus! Und mehr noch, die Familie. Sie ist derjenige Kommunismus, welchen die menschliche Ge­sellschaft immer nötig hat. Was mehr ist, das ist vom Übel. Wir hatten einen Staat, welcher sehr viel wirklichen Sozialismus in sich hatte, den preußischen Staat; und nach seinem Vorbild gebaut auch die andern deutschen Staaten und das Reich. Dieser Staat war das Sozialste, was es seit langer Zeit gegeben hat und was es so bald nicht wieder geben wird.

Was war denn an diesem Staat sozial? Sehet hin. Das Allerpreu­ßischste an ihm war auch das Allersozialste, nämlich das Heereswesen, die allgemeine Wehrpflicht.»

Nun denken Sie sich, was das Ideal dieses Dr. G.W. Schiele ist!

«Mancher Vater, der seinen Sohn heranwachsen sieht, fragt sich schon jetzt mit Sorgen: Wie gebe ich meinem Sohii für Leib und Geist, wenn er reif wird, die letzte Erziehung zur Männlichkeit, die Manneszucht,

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die aus jedem Stoffel eine junge Lanze aus Stahl und einen schmucken Kerl machte? Wo wird jetzt die wahrhafte Kunst des Befeh­lens und Gehorchens gelehrt, die jedem jungen Deutschen den Geist der Einordnung und Unterordnung unter ein Ganzes gab und ihn zugleich zum Führer und Vorgesetzten erzog, Befehlsempfänger und Befehlshaber je nach der Aufgabe. Wie ersetzen wir diese Volkserzie­hung, welche das deutsche Volk davor behütete, zu vertrotteln und zu versimpeln?»

Dann sagt der Herr weiter:

«Vorläufig gibt es überhaupt keinen Staat mit ehrlichen Steuerzahlern und ehrlichen Beamten mehr. Wir werden bald sehen, daß es weder Staat noch Steuern gibt. Wenn es aber keinen Staat mehr gibt, so gibt es auch keinen Sozialismus mehr. »

In diesem Ton geht es weiter. Dann sagt er:

«Es wird die Stunde kommen, wo wir alle seufzen, weinen und schreien werden nach dem sozialen Staat, den wir hatten, nach dem preußischen Staat, und dann werden wir versuchen, nach jenem Vorbild, das uns die Väter gegeben haben, ein neues Gemeinwesen aufzubauen.»

Als ich das gestern unserem Freunde Herrn Molt vorlas, meinte er, ich lese ihm aus einem Witzblatt vor. Aber es ist kein Witz­blatt. Es ist die jüngste Ausgabe der «Eisernen Blätter», erschienen im Verlag der Eisernen Blätter in Berlin. Es ist etwas vollkom­men Ernstgemeintes; die ganze Nummer ist herausgegeben von

D. Traub.

So sieht es aus mit den Anschauungen über die Sozialisierung bei einer großen Anzahl von Leuten. Aber wenn einmal dasein wird dasjenige, was nicht bloße Theorie ist, sondern was als Be­triebsräteschaft sich über ein großes, in sich geschlossenes Wirt­schaftsgebiet wie Württemberg erstreckt, und wenn einmal, sagen wir, 800 Leute da sind, nicht nur ein paar wie heute, und wenn die sich zusammenschließen, so wird das eine Offenbarung der gesamten Arbeiterschaft Württembergs und damit eines großen Teiles der Bevölkerung sein. Das ist dann keine Theorie, das wird eine Macht sein. Aber darauf kommt es an, daß diese Macht

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zunächst wirklich geschaffen wird, und deshalb möchte man von seiten des «Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus» so gerne sehen, daß nun mit der Wahl von Betriebsräten fortge­schritten wird, nachdem ja jetzt schon ein kleiner Grundstock für die zukünftige Betriebsräteschaft da ist. Wenn dieser kleine Grund­stock sich zur Aufgabe machen würde, dafür zu sorgen, daß über­all Betriebsräte gewählt werden, damit wir - und dies ist so unge­heuer wichtig - die Sache nicht sauer werden lassen, dann werden wir weiterkommen.

Sehen Sie, es kommt schon etwas darauf an, daß eine solche Sache heute mit der nötigen Schnelligkeit gemacht wird, sonst wird sie sauer. Es ist auch im öffentlichen Leben durchaus so wie bei gewissen Speisen, die sauer werden, wenn sie nicht zur rechten Zeit genossen werden. So sollten auch die öffentlichen Angelegenheiten nicht erst der Gleichgültigkeit, der Interessenlo­sigkeit ausgeliefert werden. Sie müssen nun einmal mit einer gewis­sen Schnelligkeit ausgeführt werden. Außerdem warten die Ameri­kaner und Engländer durchaus nicht auf unser langsames Vorgehen. Wenn wir nicht bis zu einem gewissen Zeitpunkt, der nicht mehr fern liegen kann, dazu kommen, von diesem wirtschaft­lichen, geistigen und politischen Leben zu sagen: So wollen wir die Dinge einrichten, und wir schaffen aus den im Wirtschaftsleben Tätigen die Leitung der Betriebe -, dann werden die Anglo-Ameri­kaner Gelder in die Betriebe hineinstecken und sich mit den noch vorhandenen Kapitalisten vereinigen, und die wirtschaften dann nach dem Prinzip des anglo-amerikanischen Kapitalismus in den Betrieben Mitteleuropas. Dann haben Sie lange das Nachsehen. Dann können Sie schuften für einen neuen Kapitalismus, der viel schrecklicher sein wird als der bisherige. Dann können Sie nichts mehr sozialisieren, dann müssen Sie warten, bis Sie so stark sind, daß Sie durch etwas ähnlich Blutiges, wie es die letzten fünf bis sechs Jahre waren, die Möglichkeit gewinnen, an solche Dinge zu denken. Die Durchkapitalisierung vom Westen ist durchaus schon auf dem Marsche. In Berlin haben die Leute die Parole ausgegeben:

Die Sozialisierung ist auf dem Marsche! - Sie ist nicht auf dem

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Marsche. Sie wird erst auf dem Marsche sein, wenn die Betriebsrä­teschaft geschaffen ist. Aber die Durchkapitalisierung ist durchaus auf dem Marsche, also die Durchsetzung aller Betriebe Mitteleuro­pas mit amerikanischem und englischem Kapital. Deshalb verträgt das, was wir heute riskieren können, keine lange Interessenlosig­keit, sondern wichtig ist, daß wir rasch zugreifen. Und gelingt es uns nun doch, das Interesse, das hier schon der Dreigliederung des sozialen Organismus gegenüber entstanden ist und das durch­kreuzt worden ist, wachzuhalten, und bringen wir es dahin, daß über ganz Württemberg hin eine solche Betriebsräteschaft als Grundlage zur Sozialisierung auftreten kann, dann werden wir den Kollegen im übrigen Deutschland ein Beispiel gegeben haben. Mit dem, was die Betriebsräteschaft hier tut, wird ein Vorbild geschaffen sein, und die anderen werden, wenn sie es sehen, nach­folgen.

Sehen Sie zu, daß Sie innerhalb von vierzehn Tagen die Be­triebsräte auf die Beine stellen, bringen Sie dann eine Urversamm­lung zustande, die in wenigen Wochen eine Konstitution ausarbei­tet, die noch vor Verabschiedung des Gesetzes fertig sein muß, dann wird es nicht mehr so lange dauern, bis die anderen nachfol­gen. Aber es wäre für hier wirklich etwas Großes, wenn man mit diesem Vorbild voranschreiten würde. Das war es, was ich Ihnen heute noch einmal ins Gedächtnis rufen wollte.

Die Gründung der vorbereitenden wurttembergischen Betriebsräteschaft wurde einstimmig beschlossen. Zum 1. Vorsitzenden des Aktionskomi­tees wurde Herr Huth, zum 2. Vorsitzenden Herr Roser und zum Schrift­führer Herr Dorfner gewählt. Der Arbeitsausschuß des «Bundes für Drei-gliederung des sozialen Organismus» gehört dem Aktionskoniitee voll­zählig an. Die Geschäftsstelle ist diejenige des «Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus,» Stuttgart, Champignystraße 17, Geschäftsführer:

Herr Kühn.

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ANHANG Vollsitzung der Arbeiterräte Groß-Stuttgarts am 7. Mai 1919

1. Antrag an die Vollversammlung des Arbeiterrats Groß-Stuttgarts

2. Bericht aus dem «Sozialdemokrat» vom 13. Mai 1919

3. Vortrag von Rudolf Steiner, Zusammenfassung

Vorbemerkung (Hrsg.): Am 29. April 1919 wurde von einem namentlich nicht mehr festzustellenden Kreis von Arbeitern an die «Vollversammlung des Arbeiter­rats Groß-Stuttgarts» der Antrag (s. u.) gerichtet, Rudolf Steiner zu einem Vortrag über die Sozialisierungs-Frage einzuladen. Der Antrag wurde umgehend in die Traktandenliste aufgenommen und an der noch am selben Tag abgehaltenen «Vollsitzung» angenommen. Ob und in welcher Form über diesen Antrag, der an dritter Stelle der Traktandenliste unter dem Stichwort «Vortrag des Herrn Dr. Steiner» angeführt war, diskutiert wurde, ist nicht mehr festzustellen. Der Bericht über diese Sitzung, publiziert im «Korrespondenzblatt des Landesaus­schusses der Arbeiter- und Bauernräte Württembergs», Nr.2, Mai 1919, enthält lediglich an einer Stelle einen Hinweis auf den Vortrag Rudolf Steiners, und zwar innerhalb eines Votums des Genossen Schmitt, einem Vertreter des «Rates der geistigen Arbeiter». Wörtlich heißt es dort:

«Ich war stolz, in einem Arbeiterparlament zu sein. Wir haben eine Fraktion der geistigen Arbeiter gegründet. Heute braucht sich niemand von uns zu schämen. Auch ich war Mitglied der Erwerbslosenkommis­sion ... Traurige Verhältnisse bestehen auf dem Lande, dort sind noch Zustände, und wir mußten die Erfahrung machen, daß dort Staatsbeam­te in Oberämtern fungieren, die nicht einmal die Verfügungen und Verordnungen der Regierung gelesen haben. So liegen die Dinge. Arbei­terräte, täuschen Sie sich nicht! Es ist kein 12. Januar mehr! Ganze Bezirke in Deutschland sind geschlossen zur U.S.P. übergetreten. Die Entwicklung treibt uns dazu, denn die Regierung hat durch ihre Arbeit nicht das geleistet, was die Masse erwartet. Nichts wurde getan! Das

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ganze System ist morsch! Ich bitte Sie, kommen Sie zurück auf Ihre Urforderungen und stellen Sie sich auf den Boden des Erfurter Pro­gramms und des Marxismus und bremsen Sie nicht weiter ab. Der Arbeiter muß den Einfluß auf das Kapital gewinnen! Suchen Sie die wahren Interessen der Internationale zu vertreten und arbeiten Sie für das Volkswohl. Überlegen Sie meine heutigen Ausführungen und ent­schließen Sie sich für die Dreiteilung, über die Sie in nächster Sitzung den Vortrag des Herrn Dr. Steiner hören werden.>

(Zitiert nach E. Kolb und K. Schönhoven, »Regionale und lokale Räteorganisation in Württemberg 1918/19», herausgegeben von der Kommission für Geschichte des Parla­mentarismus und der politischen Parteien, Bonn, II, Düsseldorf 1976.)

Die nächste Sitzung fand am 7. Mai 1919 statt. Punkt i der Tagesordnung lautete: Vortrag von Dr. Steiner. Der nachfolgende Bericht aus der Zeitung «Sozialdemokrat», auf der handschriftlich als Erscheinungsdatum der 13.5.1919 vermerkt wurde, ist zitiert nach der o. a. Dokumentation von E. Kolb und K. Schönhoven S. 252 f. Dieser Artikel ist nahezu identisch mit dem maschinen-schriftlichen Bericht über die Versammlung, der sich im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart befindet. Während in dem Bericht die Voten der Diskussionsteilnehmer ausführlich wiedergegeben sind, wurden diese im »Sozialdemoltrat» summarisch zusammengefaßt. Ferner ist am Schluß des Berichtes noch vermerkt: »Antrag, Steiner zu berufen, wird angenommen.» Näheres über diesen Antrag siehe in der Zusammenfassung von Rudolf Steiners Vortrag (3) vom 7. Mai 1919. dritdetz­ter Abschnitt, und ANHANG III.

1.

Antrag an die Vollversammlung des Arbeiterrats Groß-Stuttgart

Feuerbach, den 29. April 1919

Unterzeichnete stellen folgenden Antrag:

die am 29.4.1919 im Kuppelsaal tagende Vollversammlung beschließt, Herrn Dr. Steiner, welcher in vergangener Woche in verschiedenen Ver­sammlungen vor Arbeitern und auch sonstigen Schichten der Bevölkerung über den «Kernpunkt der sozialen Frage» und seines Problems der Dreitei­lung der Sozialisierung gesprochen hat, einzuladen, in einer Vollversamm­lung über die Sozialisierungs-Frage zu sprechen. Dieselbe sollte in Anbe­tracht der Wichtigkeit dieser Frage sobald als irgend möglich stattfinden.

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2.

Bericht aus dem «Sozialdemokrat» vom 13. Mai 1919

Bericht über die Vollsitzung der Arbeiterräte Groß-Stuttgarts am 7. Mai 1919 im Gewerkschaftshaus

Auf der Tagesordnung stehen drei Punkte: Vortrag von Dr. Steiner, Be­richt vom Rätekongreß und Anträge.

Gehring eröffnet 2 Uhr 30 die Sitzung mit kurzem Hinweis auf die Vertagung und erteilt Dr. Steiner das Wort.

Dr. Steiner erinnert an den vor einiger Zeit von ihm herausgegebenen Aufruf «An das deutsche Volk und an die Kulturwelt», dem ein Vortrag zugrunde gelegt sei. Er sei kein Junger unter den Proletariern, sondern stehe schon bald fünf Jahrzehnte im politischen Kampf. Im Frühjahr 1914 habe er in einer Versammlung in Wien erklärt: Wer das soziale Leben erfaßt und die Entwicklung aufmerksam verfolgt hat, muß schlimme Be­fürchtungen hegen für die Zukunft, denn die ganze Lage gleicht einem Geschwür, das bald zum Aufbruch kommen wird. Jagow erklärte damals, die Entspannung nehme zu, mit Rußland seien die Beziehungen gut usw. Kurz darauf ging der schreckliche Krieg los. Die soziale Frage tritt deut­lich in einer Dreigliederung auf: geistig, politisch und wirtschaftlich. Viele vergleichen den Sozialismus immer nur mit einer Aufteilung und haben ausgerechnet, daß hierbei auf den Kopf nur 50 Pfennig kämen. Dies ist natürlich Unsinn. Eine ganz andere Wirtschaftswissenschaft muß Platz greifen. Nicht nur der Wirtschaftstechnik, sondern auch der Wirtschafts­kraft muß eine viel größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das Gei­stesleben muß auf anderer Grundlage aufgebaut werden, denn alle Führer entstammen Kreisen, in denen für das Volk wenig Verständnis herrscht. Dadurch wird eine tiefe Kluft zwischen dem arbeitenden Volk und dem Geistesleben geschaffen. Eine vernünftige Wirtschaft muß Platz greifen. Vor dem Kriege sind eine Unmenge Wirtschaftsstoffe vergeudet worden, die bei einem richtigen Wirtschaftsprozeß erspart geblieben wären. Dies wurde den Proletariern geheimgehalten, dafür aber wurden ihnen andere Dinge gezeigt, Museen, Theater usw. Letzteres, hervorgegangen aus ganz anderem bürgerlichen Geistesleben, hatte keine Beziehung zum Proletarier. Nicht nur die Arbeitskraft wird dem Unternehmer verkauft, sondern auch die Seele des Arbeiters. Schon daraus ergibt sich, daß hier Wandel geschaf­fen werden muß. Das Geistesleben muß auf dem Vertrauen der ganzen

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Menschheit aufgebaut werden. Es muß unabhängig werden vom Staate, und ein Professor darf nicht mehr erklären, daß die Wissenschaft die Schutztruppe der Hohenzollern sei. Die im Geistesleben Tätigen müssen enge Fühlung haben mit der Arbeit, womit ein Hinüber und Herüber fortwährend stattfindet. Ferner muß das Wirtschaftsleben von der Politik und vom Staate vollständig getrennt werden, nur dann kann eine Soziali­sierung vorgenommen werden. Auch die Betriebsräte können nur richtig tätig sein, wenn sie durch den Staat nicht bevormundet werden. Nur im Geistesleben ist gegenwärtig eine einigermaßen gerechte Eigentumsauffas-sung vorhanden, indem nach 30 Jahren das Eigentum an die Allgemeinheit übergeht. So muß es auch beim Kapitalismus werden, durch eine fortwäh­rende Zirkulation des Geldes. Durch Dreigliederung wird sich verwirkli­chen: die Freiheit im Geiste, Gleichheit im Staate und Brüderlichkeit in der Wirtschaft.

Engelhardt bringt in der Diskussion zum Ausdruck, daß Dr. Steiner mit seinem Idealismus wenig Neues gebracht hat. Der Kernpunkt liegt auch wie bei uns in der Beseitigung des Kapitalismus. Er stellte an Herrn Dr. Steiner die Frage: Wie stellt sich Herr Dr. Steiner den Abbau des heutigen Wirtschaftslebens vor? Er möchte ihn bitten, nur auf diese Frage eingehen zu wollen. Ebenfalls möchte er beantworten, welche Macht das Proletariat anwenden sollte, um die Ziele der Dreigliederung sofort zur Ausführung bringen zu können.

Sämtliche Redner, die in der Diskussion sprachen, schnitten ebenfalls die vom Genossen Engelhardt gestellten Fragen an und wünschten deren Beantwortung.

In seinem Schlußwort ging Dr. Steiner nicht auf die gestellten Fragen ein, im Gegenteil, man merkte es ihm an, daß er mit diesen Fragen ein schweres Problem lösen müßte. Er wies darauf hin, er hätte ja eine Bro­schüre geschrieben und dort wäre alles enthalten.

3.

Vortrag von Rudolf Steiner (Zusammenfassung)

Wie in letzter Zeit öfters vor großen Arbeiterversammlungen, hielt Herr Dr. Steiner am letzten Mittwoch auch für den Arbeiterrat Groß-Stuttgarts einen Vortrag im Festsaale des Gewerkschaftshauses über seine Vorschläge zur Verwirklichung des Sozialismus. Seine mit großcr Gedankenkraft und

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Wärme vorgetragenen Ausführungen zeigten tiefes Verständnis für die Sehnsucht des Proletariats, zu einer anderen sozialen Stellung zu kommen, und bewiesen, daß Dr. Steiner nicht nur über, sondern mit dem Proletariat zu denken versteht.

Aus dem Reichtum der Gedanken seien nur die leitenden herausgeho­ben. Die erste Forderung des Proletariats wird oft als eine bloße Magen­forderung betrachtet von solchen, die nichts verstehen von der Lebenslage des Arbeiters. Sie ist eine Magenforderung und mit Recht. Aber dahinter liegt etwas viel Tieferes: das brennende Verlangen nach einem wahrhaft menschenwurdigen Dasein. Nicht nur der Magen hungert, mehr hungert das Geistige im Menschen nach wirklicher Nahrung. Das rein bürgerliche Geistesleben der letzten Jahrhunderte ist unlebendig geworden, kann das lebendige Wesen der Wirklichkeit nicht verstehen und nicht leiten. Auch das, was von der bürgerlichen Wissenschaft dem Proletariat als Wissen­schaft vererbt wurde, kann es nicht.

Die Volkskurse, Volksveranstaltungen, Volkshäuser sind eine Lebens-lüge. Das Geistesleben und seine Träger sind, mit wenigen Ausnahmen, vom Staate abhängig geworden. Sie werden vom Staat für die Zwecke des Staates herangezüchtet, von der Volksschule an bis hinauf zur Hoch­schule. So konnte das Geistesleben nicht Schritt halten mit der mächtig sich entwickelnden Industrie. Wir hatten keine Industriewissenschaft, wel­che die nutzbringende Ordnung, Verteilung und Verwendung der Produk­tion hätte leiten können. Dieser Mangel hat uns mit ins Elend getrieben.

Das Geistesleben muß frei werden vom Staat, muß sich aus seinen eigenen Bedürfnissen heraus entfalten. Von der Einheitsschule bis zur Hochschule muß es aller Wirklichkeit gerecht werden, allen zugänglich sein. Dann wird ein Geistesleben entstehen, das imstande ist, das Wirt­schaftsleben zu leiten.

Die zweite prolatarische Forderung bezieht sich auf das Staatsleben. Was fand der Proletarier bisher, wenn er den Rechtsstaat betrachtete? Den Klassenkampf fand er, Klassenvorteile und Klassenbenachteiligung. Der neue politische Staatsorganismus muß aufgebaut werden auf den allge­meinen, gleichen Menschenrechten, die jeder gesunden Seele in gleicher Weise eingeboren sind. Nur diese Rechte fallen in sein Gebiet; er muß freigeben das Geistesleben und freigeben das Wirtschaftsleben.

Die dritte Forderung beleuchtet wie ein Blitzstrahl ein Wort von Karl Marx: Die menschliche Arbeitskraft ist Ware geworden. - Da ist ein Rest der alten Sklaverei, denn der Proletarier ist genötigt, seine Arbeitskraft

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auf dem Arbeitsmarkt nach der wirtschafdichen Konjunktur und Konkur­renz zu verkaufen und sich selbst mit. Und das bestehende Wirtschaftsle­ben muß darauf ausgehen, die Ware Arbeitskraft restlos zu verbrauchen.

Die Arbeitskraft muß herausgerissen werden aus dem Wirtschaftsleben. Der Proletarier fordert das Arbeitsrecht. Der selbständige Rechtsstaat hat festzusetzen Art und Maß der Arbeit und das Maß der Arbeitsruhe. Mit seinen Rechten tritt der Arbeiter an den Arbeitsleiter heran und schließt mit ihm einen rechtlichen, nicht einen wirtschaftlichen Vertrag. Das Wirtschafts­leben ist selbstverständlich abhängig einerseits von der Naturgrundlage; eben­so muß es auf der anderen Seite begrenzt sein von der Rechtsgrundlage.

Die drei Forderungen können nur erfüllt werden, wenn der soziale Organismus nicht als Einheitsstaat bestehen bleibt, sondern wirklich geteilt wird in die drei selbständigen Glieder: in den Rechts- bzw. Staatsorganis­mus, in den Wirtschaftsorganismus und in den Kulturorganismus. Auf Freiheit muß aufgebaut werden der Staatsorganismus. Auf Brüderlichkeit im weitesten Sinn muß aufgebaut werden der Wirtschaftsorganismus.

Nur mit großen, umfassenden Mitteln kann jetzt, in zwölfter Stunde, noch geholfen werden. Der Redner sagte, daß er bis in die Einzelheiten die praktische Durchführung dieser tragenden Ideen anzugeben weiß.

Der Vortrag wurde mit großem Beifall aufgenommen, weil die Anwe­senden das Gefühl hatten, daß Dr. Steiner wirklich die Wege zu weisen versteht, die aus der heutigen sozialen Not hinausführen, und daß er nicht nur einstürzen will, sondern daß er auch wirklich zu beherzigende Vorschläge machen kann, wie die Neuordnung des sozialen Lebens sich gestalten muß.

Die in anderen Arbeiterversammlungen fast jedesmal einstimmig ange­nommene Resolution, die die Berufung Dr. Steiners in die Regierung zwecks Durchführung der Dreiteilung des sozialen Organismus verlangt, wurde auch von dem Arbeiterrate Groß-Stuttgarts gegen wenige Stimmen angenommen.

Es muß hinzugefügt werden, daß die Gedanken Dr. Steiners durchaus nicht gegen unsere Parteiprogramme verstoßen und keinesfalls den Stand­punkt irgendeiner anderen Partei darstellen. Daher ist es nur zu begrüßen, wenn einmal ernsthafte Vorschläge an unser Ohr dringen, und es müßte erwartet werden, daß jedermann sich möglichst eingehend mit diesen Im­pulsen befaßt, um zu prüfen, ob sie die Neuerungen zu bringen imstande sind, die unser aller Streben sind. Dr. Steiner ist der Überzeugung, daß seine Dreigliederung die einzige Grundlage für eine durchgreifende Sozialisierung

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ist, und daß eine bessere Lösung der sozialen Frage von keiner Seite vorliegt. Er sagt freilich, daß er seine Vorschläge sofort auf die Seite schieben wurde, wenn von anderer Seite bessere Vorschläge gemacht wur­den. Wenn dies aber nicht der Fall ist, so glaubt er, erwarten zu können, daß man diese Vorschläge nicht ungeprüft liegen läßt, sondern sich ernst­haft mit ihnen auseinandersetzt.

Wegen der kommenden Betriebsräte ist der Redner der Ansicht, daß diese vollständig unabhängig vom Staate gegründet werden müßten, weil sie sonst wieder das fünfte Rad am Wirtschaftswagen wären. Die Betriebs­räte müssen sich so rasch in den Geschäftsgang ihres Betriebes einarbeiten, daß sie in kurzer Zeit bei der Leitung desselben mitsprechen können, vor allen Dingen, daß sie etwas versthen, wenn es in Bälde dazu kommen wird, den Betriebsgang zu fördern. Er regt an, möglichst viele Betriebsräte zu gründen, betont aber wiederholt, daß vom Staate aus nicht eingegriffen werden darf, weil die Betriebsräte eine rein wirtschaftliche Angelegenheit sind, die rein auf Vertrauen und Vertrag aufgebaut sein müssen und die von Gesetzen nicht bevormundet werden bzw. gehemmt werden dürfen.

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IV

An die Arbeiter- und Angestelltenausschüsse sowie die

Betriebsräte der großen Betriebe Stuttgarts

Der auf Mittwoch angesetzte nächste Diskussionsabend kann erst am Don­nerstag, den 5. Juni, im Festsaale des Gewerkschaftshauses um 7 Uhr abends stattfinden. Wir bitten wieder um zahlreiches Erscheinen, weil die das letzte Mal besprochene Frage über die Errichtung von Betriebsräten ihren Fortgang nehmen soll.

Für diejenigen Ausschüsse, die das letzte Mal nicht anwesend waren, sei wiederholt, daß eine Entschließung (gegen eine Stimme) angenommen wurde, die fordert, daß so schnell wie möglich in der gesamten Industrie Betriebsräte gegründet werden, bevor das von der Regierung zu erwarten­de Gesetz herauskommt, das wiederum dazu führen wurde, daß die Be­triebsräte das fünfte Rad am Wagen werden und keinen tatsächlichen

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Einfluß auf den Geschäftsgang bekämen. Werden hingegen von den Arbei­tern und Angestellten unter Einladung der Leitung Betriebsräte sofort gewählt und zwar so, daß jeder Kandidat vom gesamten Betriebe gewählt werden muß, und daß der gesamte Betriebsrat aus nicht weniger als 3 und im allgemeinen nicht mehr als 8 Mitgliedern bestehen soll, so können solche Betriebsräte vieler Betriebe zu einer Betriebsräteschaft zusammen­geschlossen werden.

Diese Betriebsräteschaft kann in einer ersten Voll-Sitzung ihre Organi­sation selbst bestimmen und ihre Befugnisse und Rechte festlegen. Wenn die Leitung in solchen Betrieben nicht vertreten sein will, oder das Ver­trauen der Arbeiter und Angestellten nicht genießt, so sind die Arbeiter und Angestellten dafür nicht verantwortlich. Im allgemeinen ist es wun­schenswert, daß die geistigen Arbeiter hinzugezogen werden.

Genossen und Kollegen! Seit Beginn der Revolution schreit man nach Sozialisierung, aber was bis jetzt verwirklicht worden ist, wißt Ihr selbst. Es ist niemals möglich, einzelne Betriebe von Staatswegen zu sozialisieren, denn dann wird der Staat selbst zum allergrößten Kapitalisten. Die ganze wurttembergische Industrie muß gleichzeitig sozialisiert werden und zwar dadurch, daß die Arbeiterschaft die Sache selbst in die Hand nimmt; dazu ist die Betriebsräteschaft notwendig und geeignet, die Sozialisierung aller­orts sofort durchzuführen.

Wartet nicht auf halbe Maßnahmen von oben, sondern ergreift die sich jetzt bietende Gelegenheit, die Geschicke der Industrie selbst in die Hand zu nehmen durch sofortiges Ins-Leben-Rufen einer Betriebsräte-schaft!

Jetzt wird es höchste Zeit, eine umfassende Sozialisierung durchzufüh­ren.

Wenn Eure Leitung nicht fortschrittlich genug ist, mitzumachen, so wird ohne die Leitung gehandelt werden.

Der Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus

Für den Arbeitsausschuß für Deutschland

Benzinger, Dorfner, Gönnewein,

Hammer, Huth, Hüttelmeyer, Lohrmann,

Mittwich, Mössel, Roser

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HINWEISE

Textunterlagen: Die Ausführungen Rudolf Steiners im Rahmen der Versammlun­gen und Diskussionsabende mit den Arbeiterausschüssen sowie die Voten einzel­ner Diskussionsteilnehmer wurden von einem namentlich nicht bekannten Stenografen aufgenommen und vermutlich von ihm selbst in Klartext übertragen. Diese Klartextübertragung bildet die Grundlage der hier vorliegenden Ausgabe. Die Originalstenogramme sind nicht erhalten geblieben.

Bei den sich oft über viele Stunden hinziehenden Diskussionsabenden ist es nur verständlich, daß die stenografische Aufnahme der Wortlaute nicht immer ganz exakt möglich war. Manche Sätze blieben unvollendet oder weisen Lücken auf. Andere wiederum geben den Sinn des Gesprochenen nur fragmentarisch wieder. Vermutlich sind auch einige Textungenauigkeiten auf die Übertragung des Stenogrammes zurückzuführen, da es gerade hierbei darauf ankommt, ob der Stenograf bzw. der Übertragende über die notwendige Sachkenntnis verfügt. Bei den Darstellungen in diesem Band gilt es vor allem zu berücksichtigen, daß es sich zu einem großen Teil um Aufzeichnungen von Diskussionen handelt, die an den Mitschreibenden ganz besondere Anforderungen stellen wie z.B. da­durch, daß die Diskussionsteilnehmer über den ganzen Saal verstreut saßen und schon rein akustisch nicht jedes Votum exakt genug wahrgenommen bzw. mitste­nografiert werden konnte. Hinzu kommt die wechselnde Sprechweise der ver­schiedenen Diskussionsteilnehmer, auf die sich der Stenograf jeweils erst einstellen muß, wobei sicherlich auch so mancher Satz unvollendet geblieben ist oder durch eine entsprechende Geste vervollständigt wurde. Daß sich auch in den Mitschriften der einleitenden Vorträge und längeren Voten Rudolf Steiners man­che Unebenheit findet, ist wohl u. a. auch auf die äußeren Verhältnisse zurückzu­führen, die Emil Leinhas in seinen Erinnerungen «Aus der Arbeit mit Rudolf Steiner» (Basel 1950) mit folgenden Worten beschreibt: «Die Anstrengungen, die [Rudolf Steiner] sich ... zumutete, waren gewaltig; am schlimmsten für seine Stimme. In den Arbeiterversammlungen, die meist unmittelbar nach Betriebs-schluß in Werkskantinen oder anderen Betriebsräumen statifanden, auch bei den Besprechungen mit den Arbeiter-Ausschüssen, die oft in Nebenzimmern von Wirtschaften abgehalten wurden - überall wurde geraucht und zwar meist Kasta­nienblätter oder ein anderes deutsches Laub. Obwohl Rudolf Steiners Stimme außerordentlich tragfähig war und sonst eigentlich nie irgendein Zeichen von Ermüdung aufwies, war sie durch diese ungewohnte Belastung nach einiger Zeit doch so überanstrengt, daß er zu Beginn seines Vortrages meist kaum einen lauten Ton hervorbringen konnte. Aber von Schonung wollte er nichts wissen. Er begann infolgedessen seine Vorträge meist stockheiser, redete sich aber im Verlauf einer halben Stunde frei und hielt dann bis zum Schluß des Vortrages durch.»

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Aus den genannten Gründen war eine redaktionelle Bearbeitung des überlie­ferten Wortlautes über das sonst übliche Maß hinaus notwendig. Vom Herausge­ber fortgelassene Worte oder kürzere Textpassagen, die nicht zu entziffern waren oder deren Sinn sich nicht rekonstruieren ließ, wurden im Druck mit eckigen Klammern [...] gekennzeichnet. Zusätze oder markante Umformulierungen des Herausgebers sind ebenfalls in eckige Klammern gesetzt. In einigen Fällen wurde der ursprüngliche Wortlaut in die Hinweise aufgenommen. Die Wortlaute der Diskussionsteilnehmer bzw. Wortlaute von Resolutionen wurden so wiedergege­ben, wie sie der Stenograf in der Klartextübertragung festgehalten hat. Bisweilen hat der Stenograf die Form der Wiedergabe gewechselt, d.h. mal referierte er ein Votum, zumeist aber ließ er den Diskussionsteilneluner direkt, also in Ich-Form zu Worte kommen.

Die in den vorliegenden Band aufgenommenen Vorträge und Diskussionen erscheinen hiermit erstmals in Buchform. Bislang lagen sie lediglich in Form von Manuskriptvervielfältigungen vor, die den Rundschreiben des «Bundes für Dreigliederung» beigefügt waren und lediglich in wenigen Exemplaren erhalten geblieben sind. Über die damalige Teztgestaltung heißt es im Rundschreiben Nr. 11 vom 23. Juli1919, hier auf den Text des 7. Diskussionsabends bezugnehmend: «Wir haben in den Nachschriften schon ziemlich scharf gekürzt.« Als Grund hierfür wurde angegeben, daß sich die Diskussionen «allzuleicht zersplitterten». Vor welche Probleme sich die damals Verantwortlichen des «Bundes für Dreiglie­derung« im Zusammenhang mit der stenografischen Aufzeichnung der Vorträge gestellt sahen, wurde im 4. Rundschreiben vom 27. Mai 1919 so zum Ausdruck gebracht: «Auch suchen wir noch immer eine Kraft, die die Vorträge von Dr. Steiner nachschreiben kann, weil eine einzige Dame, die das bisher besorgte, unmöglich die ganze Arbeit zu leisten imstande ist; offizielle Debattenschreiber, die zu der Arbeit hinzugezogen wurden, haben unbrauchbare Nachichriften gelie­fert, wozu gleich zu bemerken ist, daß sich wirklich nur solche Menschen bewer­ben sollten, die bestimmt wissen, daß sie diesen schwierigen Vorträgen folgen können. »

Die Bezeichnung der einzelnen Diskussionsabende ist in den vorhandenen Unterlagen nicht einheitlich überliefert. Mal ist von Versammlungen mit Arbeiter­ausschüssen, mal mit Angestellten- und Arbeiterausschüssen und manchmal mit Arbeiter- und Angestelltenausschüssen und Betriebsräten der großen Betriebe Stuttgarts die Rede. Da es sich jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach, mit Ausnah­me der Versammlung vom 23. Juli, jeweils um denselben Kreis handelte, auf dessen Einladung hin Rudolf Steiner gesprochen hat, wurden im Band sämtliche Versammlungen einheitlich als «Diskussionsabende mit den Arbeiterausschüssen» bezeichnet.

Der Titel des Bandes wurde, leicht abgeändert, aus der Ankündigung des von Rudolf Steiner in Heilbronn am 30. Juni gehaltenen Vortrages «Sozialisierung und Betriebsräte» übernommen. Von diesem Vortrag gibt es keine Mitschriften.

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Hinweise zum Text

Werke Rudolf Steiners, die innerhalb der Gesamtausgabe (GA) erschienen sind, werden in den Hinweisen zum Text mit der jeweiligen Bibliographie-Nummer angeführt. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

zu Seite

25 der Herr Vorsitzende: Namentlich nicht bekannt. Die folgenden Diskussionsabende wurden, soweit feststellbar, jeweils von einem Mitglied des »Arbeitsausschusses des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus» geleitet.

in einem «Aufruf»: Gemeint ist der von Rudolf Steiner verfaßte Aufruf »An das Deutsche Volk und an die Kulturwelt«, der erstmals im März 1919 veröffentlicht und im Laufe der folgenden Wochen von zahlreichen Persöislichkeiten des kulturellen und politischen Lebens unterzeichnet wurde. Innerhalb der Rudolf Steiner Gesamt­ausgabe ist der »Aufruf« publiziert als Anhang zu Rudolf Steiners Schrift »Die Kernpunkte der sozialen Frage» (1919), GA 23, sowie in dem Aufsatzband »Über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage. Schriften und Aufsätze 1915-1921», GA 24. Siehe auch den Vortrag an der Versammlung der Unterzeichsier des «Aufrufes» vom 22. April 1919 in Rudolf Steiner, «Neugestaltung des sozialen Organismus», GA 330.

in meinem Buch: »Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft», GA 23, erschienen im April 1919. Die Grundlage für diese Schrift bildeten vier öffentliche Vorträge, die Rudolf Steiner vom 3. bis 12. Februar 1919 in Zürich gehalten und für die Publikation umgearbeitet bzw. erweitert hat. Die Vorträge sind erschienen unter dem Titel »Die soziale Frage», GA 328.

27 aus meinem Darinnenstehen ... in der proletarischen Bewegung: Insgesamt sechs

Jahre (von Januar 1899 bis Dezember 1904) lehrte Rudolf Steiner an der von Wilhelm

Liebknecht begründeten Arbeiterbildungaschule in Berlin und 1902 auch in Spandau.

Siehe hierzu: Rudolf Steiner, »Mein Lebensgang», Kap. XXVIII, GA 28; Walter

Kugler, «Rudolf Steiner in Berlin 1897-1905», Reihe Rudolf Steiner Studien Bd.

III, Dornach 1990; Johanna Mücke / Alwin Rudolph, »Erinnerungen an Rudolf

Steiner und seine Wirksamkeit an der Arbeiterbildungsschule in Berlin 1899-1904»,

Basel 1979.

Kommunistisches Manifest: Verfaßt von Karl Marx und Friedrich Engels unter dem Titel «Das Manifest der kommunistischen Partei», erschienen in London 1848.

Johann Heinrich von Thünen, 1783 - 1850; mecklenburgischer Rittergutsbesitzer, Na­tionalökonom. Hauptwerk: «Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonornie», 3 Bde., 1826; zweite Aufl. 1842 in zwei Teilen. Wörtlich heißt es in Teil II, Abt. 1, zitiert nach Carl Jentsch «Volkswirtschaftslehre», Leipzig 1918, S. 290 (von R. Steiner benutzte Ausgabe): »Wenn aber einst das Volk die Frage aufstellt und praktisch zu lösen versucht: , so kann ein Kampf entstehen, der Verheerung und Barbarei über Europa bringt.»

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28 Karl Marx, 1818-1883; Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus und des histori­schen Materialismus.

gestern ist ja genauer darüber gesprochen worden: Am 7. Mai 1919 sprach Rudolf Steiner im Rahmen der «Vollsitzung der Arbeiterräte Groß-Stuugarts» im Gewerk­schaftshaus über Wege «zur Verwirklichung des Sozialismus». Siehe den Bericht in diesem Band S. 291.

Bruno Hildehrand, 1812-1878; Nationalökonom. Rudolf Steiner bezieht sich auf das 1848 erschienene Buch »Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft». Wörtlich heißt es bei Hildebrand u. a. (zitiert nach Carl Jentsch, «Volkswirtschaftsleh-re«, Leipzig 1918; von R. Steiner benutzte Ausgabe): »Wenn die Sozialisten aber auch das Unmögliche leisteten und eine ausführbare Form der Gesatntwirtschaft fänden, so würde diese die Gebrechen der Gesellschaft, die nach ihrer Ansicht die Privatökonomie erzeugt hat, nicht aufheben, sondern sogar vermehren.»

33 Physiokraten: Vertreter der im 18. Jahrhundert von Quesnay begründeten Schule der Volkswirtschaftslehre, die auf dem Naturrecht basiert. Sie stellten erstmals ein geschlossenes wirtschaftliches und soziales System auf. Hiernach wird der volkswirt­schaftliche Kreislauf durch wirtschaftliche Gesetze beherrscht, die einerseits objektiv bedingt sind durch die Ergiebigkeit der Natur, andererseits subjektiv durch das Ratio­nalprinzip.

36 Novemherereignisse: Gemeint sind die Unruhen in Deutschland, die mit der Meuterei der Marine in Kiel vom 28.-31. Oktober 1918 begonnen hatten und sich schon bald über das ganze Reich ausdehnten. Unter dem Druck der Massen verkündete Reichskanzler Maz von Baden die Abdankung des Kaisers. Um der radikalen Linken zuvorzukommen, rief Philipp Scheidemann (SPD) am 9. November die Deutsche Republik aus.

38 Victor Adler, 1852-1918; Gründer der österreichischen sozialdemokratischen Partei; Begründer und Hauptschriftleiter der Wiener «Arbeiterzeitung».

Perserstofer> Engelhert> 1850-1918; neben seinem Jugendfreund Victor Adler einer der Führer der österreichischen Sozialdemokratie. Während des Ersten Weltkrieges war er Vizepräsident des Reichsrates. Über seine Begegnung mit Adler und Perner­storfer berichtet Rudolf Stesner tn sesner Autobiographie »Mein Lebensgang», Kap. VIII, GA 28. In der von Pernerstorfer herausgegebenen Monatsschrift »Deutsche Worte», XII. Jg. 1893 (Dez.) erschien auch eine kurze Besprechung von Rudolf Steiners philosophischem Hauptwerk »Die Philosophie der Freiheit., GA 4, verfaßt von Aug. Schroeder.

Friedrich Engels> 1820-1895; Mitbegründer des wissenschaftlichen Sozialismus und des dialektischen Materialismus, die durch ihn stark popularisiert wurden.

40 Hilfidienstgesetz: Das »Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst» wurde am

2.12.1916 verabschiedet. Es war Kernstück des sog. Hindenburg-Programms. U. a. sah es die allgemeine Arbeitspflicht für die männliche Bevölkerung vor, wovon faktisch nur die Angehörigen der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums betroffen waren. Auslöser für das Gesetz war der Mangel ati männlichen Arbeitskräften in der Rüstungsindustrie. Siehe hierzu F. Deppe, G. Fülberth, H.-J. Harrer u. a., «Ge­schichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung», 2. Auflage Köln 1978, S. 127 ff.

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47 Bernhard Dernhurg, 1865-1937; Politiker und Finanzexperte; 1907/1910 Staatasekre­tär im Reichakolonialamt; 1919 Reichsfinanzmister.

48 Eugen Dühring, 1833-1921; Philosoph, Nationalökonom. Vermutlich bezieht sich Rudolf Steiner hier auf die 1871 erschienene Schrift »Kritische Geschichte der Natio­nalökonomie und des Sozialismus». In der vom »Bund für Dreigliederung» verbreite­ten Manuskriptvervielfaltigung der ersten Versammlung mit den Arbeiterausachüssen

(S. 12) sowie in der Klartextübertragung des Stenogrammes ist von der «Lehre Dörings» die Rede, der vor «Jahrzehnten das Gleiche» (wie der Diskussionsteilneh­mer, auf den Rudolf Steiner Bezug nimmt), vertrat. Sinngemäß und auch vom Zeitbe­zug her kann es sich nur um Eugen Dühring, den Rudolf Steiner verschiedentlich eingehend (so in »Die Rätsel der Philosophie», GA 18) behandelt hat, handeln.

Emil Molt, 1876-1936; Kommerzienrat, Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfa­brik in Stuttgart. Zusammen mit Rudolf Steiner Begründer der ersten Freien Waldorf­schule in Stuttgart. Siehe Emil Molt, «Entwurf meiner Lebensbeschreibung», Stuttgart

1972.

53 «Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus»: Er wurde an der ersten Zusam­menkunft der Unterzeichner von Rudolf Steiners Aufruf »An das deutsche Volk» am 22. April 1919 in Stuttgart gegründet, um der Dreigliederungsidee in der breiten Öffentlichkeit zu einer größeren Wirksanikeit zu verhelfen. Zu dem ersten »Arbeits­ausschuß» des »Bundes» gehörten Emil Molt, Carl Unger, Prof. von Blume, Hans Kühn, Emil Leinhas, Max Benzinger und Theodor Binder. Zur Geschichte des «Bun­des» siehe Emil Leinhas, »Aus der Arbeit mit Rudolf Steiner», Basel 1950; Hans Kühn, «Dreigliederungszeit. Rudolf Steiners Kampf für die Gesellschaftsordnung der Zukunft», Dornach 1978.

54 Beginn der Deutschen Revolution: Siehe die Vorbemerkungen in diesem Barid und den Hinweis zu S. 36.

Gesetzesentwurf: Siehe die Vorbemerkungen in diesem Band.

61 [Wenn man mit dem Geld selhständig wirtschafren kann . . ]: Bei diesem Satz und den folgenden Sätzen handelt es sich um den Versuch einer Rekonstruktion der Aussagen Rudolf Steiners durch den Herausgeber, da die Aufzeichnungen des Stenografen, die lediglich in Form der Klarteztübertragungen vorliegen, einige Unstimmigkeiten aufweisen. Aus demselben Grunde bedurften auch die folgenden Abschnitte einer intensiveren redaktionellen Bearbeitung. Nachfolgend die Wiedergabe des Wortlautes, wie er vom Stenografen in der Klartextübertragung festgehalten wurde:

«Denn wenn man mit dem Geld selbständig wirtschaften kann, was kann man dann? Da Geld niemals anders geschaffen werden kann als durch Ware, Ware aber im arbeitsteiligen sozialen Organismus nie anders geschaffen werden kann als durch Ware, so bekommt man mit dem selbständigen Recht die Macht über die Arbeitskraft durch das Kapital.» (Klarteztübertragung S. 9)

64 [daß dadurch neue Besitzverhältnisse geschaffen werden]: Wörtlich heißt es in der Klartextübertragung »Es ist einfach ein Unsinn und eine objektive Verleumdung, wenn gesagt wird: Dadurch wird der Besitz etwa des Geistes hervorgerufen. Es ist eine objektive Verleumdung. Es wird dadurch nur hineingeführt in ein Geistesleben, das nicht ist wie unser schreckliches, schauderhaftes, jetziges Geistesleben . ..» (Klar­textübertragung S. 12). Siehe auch den Hinweis zu S. 61.

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65 Walther Rathenau, 1867-1922; 1921 Reiclssminister für den Wiederaufl:1922 als Reichsaußenminister den Vertrag von Rapallo ab; wurde 1922 von Rechtsra­dikalen ermordet. Zahlreiche Veröffentlichungen über wirtschaftliche und politische Fragen. Rudolf Steiner bezieht sich hier auf Rathenaus Schrift »Nach der Flut. Sozialisierung und kein Ende. Ein Wort vom Mehrwert», Berlin 1919.

67 der törichte Artikelschreiber: Konnte nicht festgestellt werden.

68 eine kleine Broschüre: Hierbei handelt es sich um die Schrift »Die Schuld am Kriege. Betrachtungen und Erinnerungen des Generalstabchefs H. v. Moltke über die Vor-gänge vom Juli1914 bis November 1914», herausgegeben vom

71 Bagdadbahn-Frage: Der Bau der Bagdadbahn von Kleinasten zum Persischen Golf wurde einer Gesellschaft übertragen, in der die Deutsche Bank und damit auch das Deutsche Reich einen entscheidenden Einfluß hatten, was zu außenpolitischen Span­nungen vor allem mit England führte.

72 ich habe einmal mit einem Menschen gesprochen, der ein Rechtsgelehrter ist: Konnte nicht festgestellt werden.

74 Diskussionsredner Mittwich: Mitglied des «Arbeitsausschusses» des «Bundes für Drei-gliederung des sozialen Organismus».

83 Alfred Kolb, Regierungsrat. Wörtlich heißt es in seinem Buch «Als Arbeiter in Amerika», Berlin 1905, S. 31: «Wie oft hatte ich früher, wenn ich einen gesunden Mann betteln sah, mit moralischer Entrüstung gefragt: Warum arbeitet der Lump nicht? Jetzt wußte ich's. In der Theorie sieht sich's eben anders an als in der Praxis und selbst mit den unerfreulichsten Kategorien der Nationalökonomie hantiert sich's am Schreibtisch ganz erträglich.»

88 das Wort [...]: In der Klartextübertragung heißt es wörtlich: «das Wort, das ja auf den Reicharegenten Rascher zurückgehen soll, geprägt wurde.» Vermutlich handelt es sich hier um einen Hörfehler des Stenografen, da ein Reichsregent Rascher nicht nachgewiesen werden kann. Möglicherweise handelt es sich um den Pressechef der Reichsregierung, Ulrich Rauscher. Rudolf Steiner schrieb auf einem Notizzettel (Ar­chiv-Nr. 748): Rauschers Sozialisierung: sie marschiert nicht.

106 9. November: Am 9. November 1918 wurde in Berlin, nach Absetzung Kaiser Wilhelms II., durch Philipp Scheidemann die Deutsche Republik ausgerufen. Siehe auch die Vorbemerkungen zu diesem Band.

109 Flughtätter . . . des Bundes für Dreigliederung: Siehe im ANHANG dieses Bandes und in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Heft 103, Michaeli 1989.

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114 Arbeitsleiter: Siehe hierzu auch Rudolf Steiner, »Die Kernpunkte der sozialen Frage», GA 23, III. Kapitel.

vorgestern in Tühingen: Es handelt sich hier um einen öffentlichen Vortrag, den Rudolf Steiner am 2. Juni gehalten hat. Eine Nachachrift liegt nur in Auszügen vor. Diese sowie ein ausführliches Referat des Vortrages sind abgedruckt in Heft 103 der «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe«, Michaeli 1989.

120 der «Sozialdemokrat» über die Ausführungen Rudolf Steiners: Um welchen Artikel es sich hier handelt, konnte nicht festgestellt werden. Wie aus einem Artikel von W. Conradt in der Wocheoschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus», 1. Jg. Sondernummer Juli 1919 hervorgeht, gab es im «Sozialdemokrat« verschiedentlich polemische Äußerungen über Rudolf Steiner, u. s. in Nr. 143, 1919.

124 Ernst Abbe, 1840-1905, Physiker. Abbe übernahm 1867 die wissenschaftliche Leitung der optischen Werkstätten von Carl Zeiss, wurde 1875 Mitinhaber und wandelte 1891, nach dem Tod von Zeiss, die Firma in eine Stiftung um, deren Gewinn zum Teil an die Angestellten und Arbeiter verteilt wurde.

Friedrich Naumann, 1860-1919, protestantischer Pfarrer und Sozialpolitiker; arbeitete u. a. im «Rauhen Haus» bei Hamburg. Im Jahre 1896 Gründung des «National-sozialen Verein».

Walther Rathenau: Siehe Hinweis zu S. 65 und 131.

das neueste Hefr der «Zukunfr» mit einem Aufsatz von Walther Rathenau: Wörtlich heißt es in dem Aufsatz «Das Ende», erschienen in der von Maximilian Harden herausgegebenen «Zukunft«, 105. Band, April/Juni 1919, S. 249ff.: «Freilich ist uner­träglich, was von uns verlangt wird: Zerreißung des deutschen Landes, Entfremdung deutscher Menschen, Schuldfron, Verarmung, Bevormundung. Man sage es dem Volk; aber man sage ihm die Wahrheit . . . Nach kurzer Frist ist das Land leiblich und seelisch am Ende, und gleichviel ob inzwischen eine neue Revolution erfolgt oder nicht: so geht eine zweite Friedensdelegation, aus anderen Umlernern bestehend, nach Paris und unterschreibt blindlings, was man ihr vorlegt. Das werden nicht mehr die jetzigen Bedingungen sein, sondern andere, und weder das Reich noch die letzte Spur von Selbständigkeit wird bestehen bleiben. Warum sagt man das dem Volk nicht? . . . Gewiß ist es ein echtes Gefühl zu sagen: Wir wollen lieber sterben als den Vertrag unterschreiben. Die Einwohner von Numantia und die mei­sten von Jerusalem sind gestorben, weil sie sich nicht ergaben. Aber glaubt ein Mensch, daß sechzig Millionen Deutsche sterben werden? Also saget nicht die halbe Wahrheit, sondern die ganze . . . Was also soll geschehen? In Versailles muß das Äußerste daran gesetzt werden, den Vertrag entscheidend zu verbessern. Gelingt es, gut. Dann unterschreiben. Gelingt es nicht: was dann? Dann darf weder aktiver noch passiver Widerstand versucht werden. Dann hat der Unterhändler, Graf Brock­dorff-Rantzau, das vollzogene Auflösungadekret der Nationalversammlung, die De­mission des Reichspräsidenten und aller Reichaminister den gegen uns vereinten Regierungen zu übergeben und sie aufzufordern, unverzüglich alle Souveränitätsrechte des Deutschen Reiches und die gesamte Regierungsgewalt zu übernehmen. Damit fällt die Verantwortung für den Frieden, für die Verwaltung und für alle Leistungen Deutschlands den Feinden zu; und sie haben vor der Welt, der Geschichte und vor ihren eigenen Völkern die Pflicht. für das Dasein von sechzig Millionen zu sorgen.«

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132 Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, 1869-1928. Diplomat. War von Dezember

1918 bis Juni 1919 Reichsaußenminister; er wurde bekannt durch seine würdige Halwng als Leiter der deutschen Friedensdelegation in Versailles.

an einem wirklich ernsthaften sozialen Aufbau [...]: Die nachfolgenden Sätze weisen manche Unstimmigkeiten auf und wurden daher nicht in den gedruckten Text mit aufgenommen. Hier der Wortlaut entsprechend der Klartextübertragung S.28: «Die Kapitalisten werden sich gegenüber den Ententenkapitalisten kaum irgendwie wieder­um reparieren lassen, aber diejenigen, die von unten auf arbeiten, die werden die Mittel und Wege finden, daß in dem Augenblick, wo sie den ernsthaften Entschluß faisen, durch ihre Arbeit nicht ihr Kapital zu erarbeiten, die werden den ernsthaften Entschluß auch finden körmen, und der Weg wird sich finden, daß sie ihnen auch nicht ihre Schulden bezahlen. Und wenn der Zustand herbeigeführt ist, daß sie ihnen nicht ihre Schulden bezahlen, ihre Schulden bezahlen aus den Industrien, die aus einer wirtschaftlichen Ordnung der werktätigen Bevölkerung Mitteleuropas ent­stehen, dann erst wird der Boden gegeben sein - und es wäre traurig um die Menschheit der Erde bestellt, wenn er dann nicht gegeben wäre -, wo die Räteschaft den Kapitalisten der Entente den Standpunkt klarmachen wird. Geben wir durch wirkliche Sozialisierung ein Beispiel, so lange die Arbeiterschaft der Entente glauben muß, es sind Abhängige der alten Kapitalisten, lassen sich die Arbeiter der Entente auf nichts ein, denn an den alten Kapitalisten haben sie zu schlechte Erfahrungen gemacht; da finden sie, daß ihnen die ihrigen noch lieber sind. Sie haben gesehen:

Ein richtig kapitalistisch denkender Mensch, wenn er wahr und elsrlich ist, er kommt ans Ende. Wir aber brauchen einen Anfang.»

140 Wladimir Iljitsch Lenin, eigentlich Uljanow, 1870-1924. Sozialrevolutionär, bedeu­tendster Theoretiker des dialektischen Materialismus. Aus russischem Bauernadel stammend, Führer der Bolschewisten, wurde im November 1917 Vorsitzender des Rates der Volkikommissare und zum Gründer der Sowjetunion (1922), deren Regie­rungschef er bis zum Tode blieb.

141 «Arbeiterrat»: Organ der Arbeiterräte Deutschlands. «Die Zeitschrift der aufwärts­itrebenden Kopf- und Handarbeiter», Wochenzeitschrift, Schriftleitung Ernst Däu­mig; der Aufsatz von Dr. Heuser, KPD, ist abgedruckt in der Ausgabe vom

14. 6. 1919.

148 die Rede des Genossen Däumig: Ernst Däumig, «Das Rätesystem. Reden auf dem Parteitage der U.S.P.D. am 4. und 5. März 1919», erschienen im Verlag «Der Arbei­ter-Rat«, Berlin o.J. Ernst Däumig war zusammen mit Richard Müller einer der führenden Vertreter der Rätebewegung. Beide gehörten dem linken Flügel der USPD an und gaben sich betont antigewerkschaftlich, obwohl sie selbst aus der Gewerk­schaftsbewegung kamen.

149 Artikel im «Spartakist» über die Dreigliederung: Konnte nicht festgestellt werden.

149/50 Artikel aus der «Süddeutscben Zeitung»: Konnte nicht festgestellt werden.

154 Carl Unger, 1878-1929, Ingenieur, Fabrikant. 1913-1923 Mitglied des Zentralvor-standes der Anthroposophischen Gesellschaft. Vortragender und Autor zahlreicher Aufsätze und Schriften über soziale, philosophische und anthroposophische Themen.

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159 Herr Gönnewein, Mitglied des Arbeiteraussehusses der Daimler-Motoren-Gesell­schaft; Mitglied des Arbeitsausschusses des «Bundes für Dreiglieder'ung des sozialen Organismus».

165 Karl Marx, 1818-1883, Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus und des dialek­tischen Materialismus. In seiner «Kritik des Gothaer Programms» heißt es wörtlich:

«... nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktions­kräfte gewachsen sind, und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschrit­ten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähig­keiten, jedem nach seinen Bedürfnissenl»

168 jeder nacb seinen Fäbigkeiten und nach seinen Bedüffnissen: Siehe Hinweis zu S.165.

174 Theobald von Bethmann-Hollweg, 1856-1921. 1909-1917 deutscher Reichskanzler. Siehe seine «Betrachtungen zum Weltkriege«, Teil I «Vor dem Kriege»; Teil II »Während des Krieges», Berlin 1919-1921.

178 Herr Roser, Mitglied des Arbeiterausschusses der Firma Bosch, Zündkerzenwerk Feuerbach und Mitglied des Arbeitsausschusses des «Bundes für Dreigliederung». Siehe auch den Hinweis zu S.238.

206 ein Aufiatz von einem sehr berühmten Volkswirtschaftalehrer: Es handelt sich hier um den Aufsatz «Der Unternehmer» von Lujo Brentano, erschienen in der Zeitschrift «Das gelbe Blatt», 1. Jg. Nr.16, 1919, herausgegeben von Willi Berberich und Adolf Reitz.

Lujo Brentano, 1844-1931, Professor der Nationalökonomie. Er galt als führender Vertreter der sozialpolitischen Richtung in der deutschen Volkswirtschaftslehre, des sogenannten «Kathedersozialismus». Er setzte sich besonders für das Gewerkschafts-wesen und den freien Handel ein.

208 Emil Kirdorff 1847-1938, Industrieller; beteiligt am Aufbau der Gelsenkirchner Bergwerks AG, Mitbegründer des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikates 1893 und der Siemens-Rhein-Elbe-Schuckert-Union 1920. Gegner der Gewerkschaften, unterstützte später Adolf Hitler. Das Zitat ist dem Aufsatz von Lujo Brentano -siehe Hinweis zu S.206 - entnommen.

212 ein Artikel in der «Tribüne»: Verfasser ist der Schriftsetzer und Mitherausgeber der «Tribüne» Gustav Seeger. Der Artikel erschien in Heft 1, Juli 1919, der «Tribüne. Eine Halbmonatsschrift für soziale Verständigung«. Neben Gustav Seeger zeichnet für die Herausgabe Karl Lieblich, Tübingen, verantwortlich. Im selben Heft, das dem »Problem Steiner« gewidmet ist, befinden sich noch weitere Ausführungen über Rudolf Steiner und den Dreigliederungsgedanken: Prof. Philipp v. Heck, «Die Drei-gliederung des sozialen Körpers«; Stud. Alfred Mantz, «Mein Eindruck von Dr. Steiner und seiner Dreigliederungs-Theorie»; Prof. Wilhelm v. Blume, »Rudolf Steiner und der Völkerbund». Eine Widerlegung der Einwände von Mantz und Seeger brach­te Ernst Uehli in seinem Aufsatz «Soziale Prazis», erschienen in der Wochenichrift «Dreigliederung des sozialen Organismus», 1. Jg. Nr. 2 vom 15. Juli 1919, S. 3. Siehe auch in Nr. 4, letzte Seite.

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215 Emil Leinhas, 1878-1967, Kaufmann. Enger Mitarbeiter Rudolf Steiners insbesondere im Zusammenhang mit der Begründung und Leitung von Einrichtungen, die aus der Dreigliederungsidee hervorgegangen sind, u. a. Generaldirektor des «Kommenden Tages». Siehe Emil Leinhas, «Aus der Arbeit mit Rudolf Steiner», Basel 1950.

217 Vortrag in Weil im Dorf: Gehalten am 28. Juni 1919 vor Arbeitern. Eine Nachschrift liegt nicht vor.

227 Hans Kühn, 1889-1977, Kaufmann. Aktiv in der Dreigliederungsbewegung, u. a. Geschäftsführer des «Bunde» für Dreigliederung des sozialen Organismus«. Siehe Hans Kühn, «Dreigliederungszeit. Rudolf Steiners Kampf für die Gesellschaftsord­nung der Zukunft«, Dornach 1978.

230 Aufsatz von einem Universitätsprofessor: Philipp von Heck, 1858-1943, Rechtswis­senschaftler. Sein Aufsatz «Die Dreigliederung des sozialen Körpers» erschien in der Zeitschrift «Die Tribüne« Nr. 1, Juli 1919; siehe Hinweis zu S. 212.

Professor Heck: Siehe voranstehenden Hinweis.

237 In einer Berliner Rede: Vortrag von Gustav Roethe über «Deutsche Dichter des

18. und 19. Jahrhunderts und ihre Politik. Ein vaterländischer Vortrag», erschienen

in Heft i der Reihe «Staat, Recht, Volk. Wissenschaftliche Reden und Aufsätze»,

hrsg. von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin

1919.

Elard von Oldenburg-Januschau, 1855-1937. Er vertrat zunächst als konservatives und später als deutschnationales Mitglied des Reichstages die ostelbischen Grundbe­sitzer.

der tonangebende Professor: Gustav Roethe, 1859-1926. Wurde 1904 Sekretär der Berliner Akademie der Wissenschaften. Er arbeitete vor allem über die ältere delltsche Literatur und Goethe. Siehe auch obigen Hinweis «In einer Berliner Rede«.

238 Als neulich unsere Freunde Gönnewein und Roser in einer Volksversammlung gespro­chen haben: Am 4. Juli über Betriebsräte. Siehe den Bericht in der Wochenzeitung «Dreigliederung des sozialen Organismus« Nr. 2, letzte Seite. Wiederabdruck in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe« Heft 103, Michaeli 1989.

239 Wochenschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus»: Die erste Nummer erschien am 8. Juli 1919. Herausgeber war der «Bund für Dreigliederung des sozialen Organis­mus«, verantwortlicher Schriftleiter Ernst Uehli. Die Zeitschrift erschien von Juli 1919 bis Juni 1922. Dann wurde sie umbenannt in «Anthroposophie, Wochenschrift für freies Geistesleben«. Diese wurde 1931 mit der Zeitschrift «Die Drei« vereinigt und als Monatsschrift herausgegeben. Im Vortrag vom 16.2.1921 (in GA 338> weist Rudolf Steiner darauf hin, daß es notwendig sei, die Etappe zu erreichen, »wo die Dreigliederungszeitung eine Tageszeitung wird.« Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht. In der Wochenschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus« erschienen, zumeist auf der ersten Seite, zahlreiche Beiträge von Rudolf Steiner. Innerhalb der Gesamtausgabe sind sie enthalten in dem Band »Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915 bis 1921«, GA 24.

240 Gustav Roetbe: Siehe Hinweis zu S. 237 «der tonangebende Professor«

313

240 Rudolf Wissell, 1869-1962. 1919 Reichswirtschaftsminister; vertrat den Gedanken einer nationalen Gemeinwirtschaft; siehe die «Denkschrift des Reichwirt«chaftsmini­sterlum» vom 7. Mai 1919.

Wichard von Moellendofff 1881 - 1937. Ingenieur, 1919 Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsamt; er entwickelte den Plan einer nationalen Gemeinwirtschaft, der jedoch von der Nationalversammlung abgelehnt wurde. Siehe «Konservativer Sozialis­mus», gesammelte Aufsätze aus den Jahren 1913-1922, Hamburg 1932.

241 Entente: Bündnis zwischen England und Frankreich 1904; durch Einbeziehung Ruß­lands 1907 erweitert zur Tripelentente.

242 Erzbergerei: Bezieht sich vermutlich auf die von Matthias Erzberger (1875-1921) eingeleitete und umstrittene Finanzreform 1919/20. Erzberger war Abgeordneter der Zentrumspartei im Deutschen Reichstag. 1919-1920 Reichsfinanzminiater und Vize­kanzler. Wurde 1921 ermordet.

243 Novemberrevolution: Siehe die Vorbemerkungen zu diesem Band und Hinweis zu

S. 36.

256 Bethmann-Hollweg: Siehe Hinweis zu S. 174.

257 im Geiste eines Legien: Carl Legien, 1861 - 1920, Drechsler; einflußreicher Gewerk­schaftsführer, Reichstagsabgeordneter.

258 Wenn ich Däumig oder Müller lese: Siehe Hinweis zu S. 148.

271 Betriebsräteversammlung: Diese war als «geschlossene Versammlung« angekündigt und fand statt im Restaurant Rechbergbräu, Lindenstraße 14, abends 7 Uhr; vgl. Wochenschrift »Dreigliederung des sozialen Organismus«, 1. Jg. Nr. 3, Juli 1919, letzte Seite.

279 Professor Heck: Siehe Hinweis zu S. 230.

283 Ein sehr gescheiter Herr: Konnte nicht festgestellt werden.

284 ein Artikel von Dr. Georg Wilhelm Schiele: Unter dem Titel «Vom wahren, gereinig­ten, preußischen Sozialismus« erschienen in der Wochenschrift «Eiserne Blätter«, 1. Jg. Nr. 2, S. 21ff. Herausgeber der in Berlin erschienenen «Eisernen Blätter« war D. Traub. Siehe auch den Kommentar «Bruchstücke einer Groteske aus der Literatur der Ewig Gestrigen« in der Wochenschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus«, 1. Jg. Nr. 4, 1919, letzte Seite.

315

ERGÄNZENDE LITERATUR

Dokumentation

«Alle Macht den Räten? Rudolf Steiner und die Betriebsrätebewegung 1919. Dokumente aus der Arbeit des in Schriftenreihe »Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe« Nr. 103, Dornach, Michaeli 1989

Rudolf Steiner

«Neugestaltung des sozialen Organismus», 14 öffentliche Vorträge, gehalten in Swugart zwischen dem 22. April und dem 30. Juli 1919, GA 330

»Nationalökonomischer Kurs», 14 Vorträge, gehalten in Dornach vom 24. Juli bis 6. August 1922 für Studenten der Nationalökonomie, GA 340

»Nationalökonomisches Seminar«, 6 Besprechungen mit den Teilnehmern am Nationalöko­nomischen Kurs in Dornach vom 31. Juli bis S. August 1922, GA 341

Zur Geschichte der Dreigliederungsbewegung

Schriftenreihe «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» (sämdiche Hefte sind lieferbar)

Heft 24/25, Ostern 1969

»50 Jahre >Die Kernpunkte der sozialen Frage>: April 1919 bis April 1969» Aus dem Inhalt: H. Wiesberger: Rudolf Steiners öffentliches Wirken für die Dreigliederung des sozialen Organismus. Von der Dreigliederungs-Idee des Jahres 1917 zur Dreigliede­rungs-Bewegung des Jahres 1919. Eine Chronik I R. Steiner: Entwurf zu dem Aufsstz »Internationale Wirtschaft und dreigliedriger sozialer Organismus» I Notizbucheintragun-gen zu Vorträgen über die Dreigliederung und zur sozialen Frage

Heft 27/28, Michaeli/Weihnachten 1969

»1919 - Das Jahr der Dreigliederungsbewegung und der Gründung der Waldorfschule» Aus dem Inhalt: H. Wiesberger: Rudolf Steiners öffentliches Wirken für die Dreigliederung des sozialen Organismus. Fortsetzung der Chronik des Jahres 1919

Heft 88, Johanal 1985

«Die soziale Frage. Vor 66 Jahren: Dreigliederungszeit»

Aus dem Inhalt: R. Steiner: Die soziale Frage und die Theosophie, öffentlicher Vortrag,

Berlin, 26. Oktober 1905 I F. Piston: Assoziative Wirtschaft als Forderung Rudolf Steiners

(aus einer Dissertation, Tübingen 1923)

316

Heft 93/94, Michaeli 1986

»Polnisch oder Deutsch? Oberschlesien als Schulbeispiel für die Notwendigkeit der Drei-gliederung«

Aus dem Inhalt: W. Kugler: Anmerkungen zum Schulungskurs für Oberschlesier. Die oberschlesische Aktion 1921. Erinnerungen - Berichte - Pressestimmen - Dokumente

Heft 103, Michaeli 1989

«Alle Macht den Räten? Rudolf Steiner und die Betriebarätebewegung 1919« Aus dem Inhalt: Betriebsräte und Kulturräte. Referate von Emil Molt, Ernst Uehli und Rudolf Steiner, Stuttgart, 10. Juli 1919 I R. Steiner, Vortrag am 2. Juni 1919 in Tübingen über Dreigliederung. Zu Rudolf Steiners Vortrag über «Sozialisierung und Betriebsräte», Heilbronn 30. Juni 1919. I C. Unger: Zur Geschichte der Dreigliederung I Aufsätze und Berichte aus der Wochenzeitung «Dreigliederung des sozialen Organismus» 1. Jg. 1919 I Pressestimmen - Dokumente über und aus der Arbeit des Bundes für Dreigliederung

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NAMENREGISTER

Abbe, Ernst 124, 127

Adler, Victor 38

Bethmann-Hollweg, Theobald von 174, 256

Brentano, Lujo 206, 208-211, 214, 226


Caruso, Enrico 114

Däumig, Ernst 141, 143, 148, 258

Dernburg, Bernhard 47

Deutsch 216

Dührig, Eugen 48

Engels, Friedrich 38

Erzberger, Matthias 242


Heck, Philipp von 230, 266, 279

Heuser, Dr. 141, 142

Hildebrand, Bruno 28, 29


Kirdorff, Emil 208

Kolb, Alfred 83


Legien, Carl 257

Lenin (Uljanow), Wladimir Iljitsch 140

Armbruster 120

Baumann, Paul 158

Beierat 34

Biel 67, 96, 98, 195

Bühl, Frau 120, 257


Conradt, Walter 158, 217, 218


Dorfner, Siegfried 221, 287

Fischer 248, 254, 257, 259, 262-264 318

Kühn, Hans 227, 263, 287

Lange 96, 153, 177, 227

Leinhas, Emil 215, 216

Lohrmsnn 135, 147

Lorenz 158


Mittwich 74, 75, 80, 85, 102

Molt, Emil 259, 262, 285

Müller, Georg 180, 184

Münzing 182


Nagel 221

Navrocki 156

Marx Karl 28 36 38 148 158 165168, 262

Moellendorff, Wichard von 240, 241, 243

Molt, Emil 48

Müller, Richard 258

Muif 260

Naumann, Friedrich 124, 133

Oldenburg-Januschau, Elard von 237

Pernerstorfer, Engelbert 38

Physiokraten 33

Rantzau, Ulrich Graf v. Brockdorff 132

Rathenau, Walther 65, 124, 131

Riebensam 160

Roethe Gustav 240

,

Thünen, Johann Heinrich von 27, 28

Schiele, Georg Wilhelm 284

Schiller, Friedrich 153

Traub, D. 285

Wissell, Rudolf 240, 241, 243

Diskussionsteilnehmer

Funk 107

Glatz 218

Gönnewein 159, 164, 177, 196, 203, 238

Großhans 124

Hahl 180

Haller 194

Haupt 190

Huch 248

Huth 147, 257, 287

Jansen 156, 219, 261

Pfetzer 153

Remmele 48

Roser 178, 204, 214, 219, 226, 235, 238, 256, 263, 270, 287

Sander 150

Schlegel 192

Schreiber 40

Sommer 152

Spörr 195

Stecher 217

Unger, Carl 154

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.